Alle lernen gemeinsam!: Pädagogisch-psychologisches Wissen für den inklusiven Unterricht [1 ed.] 9783666711466, 9783525711460

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Alle lernen gemeinsam!: Pädagogisch-psychologisches Wissen für den inklusiven Unterricht [1 ed.]
 9783666711466, 9783525711460

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Frank Borsch

Alle lernen gemeinsam! Pädagogisch-psychologisches Wissen für den inklusiven Unterricht

Frank Borsch

Alle lernen gemeinsam! Pädagogisch-psychologisches Wissen für den inklusiven Unterricht

Mit 6 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © adobe stock/atira Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-71146-6

Inhalt

1 Inklusion! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.1 Ohne wissenschaftliche Fundierung geht nichts! . . . . . . 10 1.2 Pädagogische Psychologie trifft Inklusion . . . . . . . . . . . . 12 2 Die Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Schülerinnen und Schüler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziale Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychisches Wohlbefinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Lehrpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Multiprofessionelle Teams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aus- und Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14 14 15 16 17 22 23 26 44

3 Warum Diagnostik und wenn ja, welche? . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.1 Lernt Ben Lesen und Rechnen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.2 Von der Lernverlaufsdiagnostik zur individuellen Förderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4 Inklusiver Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lerner sind unterschiedlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adaptivität des Unterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Dimensionen der Unterrichtsqualität . . . . . . . . . . . . . . . Zum Denken herausfordern! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernprozesse konstruktiv unterstützen! . . . . . . . . . . . . . . . Klassenführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Kooperatives Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Peer Tutoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67 68 69 71 73 77 83 97 104 5

5 Besondere Förderschwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Geistige Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Emotionale und soziale Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . .

108 110 118 130

6 Leistungsbewertung im inklusiven Unterricht . . . . . . . . . . 143 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

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Inhalt

1 Inklusion!

In diesem Buch geht es um den inklusiven Unterricht. Es wird gezeigt, wie Kinder und Jugendliche unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen individuellen Voraussetzungen im inklusiven Unterricht lernen können, um sich Wissen und fachliche Kompetenzen anzueignen, sich dabei wohlfühlen und von ihren Peers anerkannt und akzeptiert werden. Besser gelingt das, wenn die Rahmenbedingungen passen, wenn also ausreichend materielle und personelle Ressourcen für einen Unterricht mit in vielerlei Hinsicht heterogenen Lerngruppen zur Verfügung stehen. Dazu gehört auch, dass die Lehrerinnen und Lehrer, die Hauptakteure der schulischen Inklusion, den Rücken gestärkt bekommen, um diese Aufgabe zu bewältigen. Das ist vor allen Dingen Aufgabe der Schulleitung, der Bildungsadministration und der Schulpolitik. Um die Rahmenbedingungen geht es in diesem Buch nicht. Stattdessen geht es um die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Pädagogischen Psychologie zum Lehren und Lernen in heterogenen Lerngruppen und darum, wie Lehrerinnen und Lehrer diese Erkenntnisse für ihren Unterricht nutzbar machen können. Um es gleich vorwegzunehmen: Ich bin ein großer Befürworter der Inklusion. Wir leben in einer vielfältigen Gesellschaft. Wechselseitige Akzeptanz und das Miteinander müssen großgeschrieben werden. Ausgrenzung und Diskriminierung gehören meiner Meinung nach nicht in eine demokratische Gesellschaft, die sich zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet hat. Deshalb müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen für ein inklusives Schulsystem geschaffen werden. Geprägt wurde meine Auffassung zur Inklusion auch durch viele persönliche Erfahrungen. Ich habe Zivildienst in einem integrativen Kindergarten geleistet, meine eigenen Kinder besuchten eine integrative Schule, in der ich mich auch als Elternvertreter engagiert habe und seit Jahrzehnten pflege ich freundschaftliche Beziehungen zu behinderten Menschen und 7

unterstütze sie dabei, am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Bei allem Idealismus ist mir jedoch durch die persönliche Erfahrung und die berufliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema klar geworden, dass es ein langer Weg bis zu einer wirklich inklusiven Gesellschaft ist und dass auf die vielen Fragen auf dem Weg zu diesem Ziel noch die passenden Antworten gefunden werden müssen. Was wurde bisher erreicht? Vor über 30 Jahren wurden, meist auf Elterninitiative, die ersten integrativen Kindergärten gegründet. Integrative Grundschulen folgten. Damals diskutierte man die Grenzen der Integration. Damit, dass seh- und hörbehinderte Kinder oder körperbehinderte Kinder in den regulären schulischen Unterricht integriert werden sollten, konnten sich die Pädagoginnen und Pä­da­gogen arrangieren. »Intellektuell sei bei solchen Kindern ja alles in Ordnung«, so der damalige Tenor. Aber mehrfach behinderte Kinder oder Kinder mit geistiger Beeinträchtigung? Das ging dann doch den meisten zu weit. So wurde beispielsweise auch die Integration von Kindern mit Down-Syndrom von vielen abgelehnt. Heute ist es an inklusiv arbeitenden Schulen fast eine Selbstverständlichkeit, auch Kinder und Jugendliche mit Down-Syndrom zu unterrichten. Ein Beispiel: Der Spanier Pablo Pineda (*1974), dem selbst erst mit sieben Jahren sein Down-Syndrom bewusst wurde, ist durch seine Hauptrolle in den Film: »Me too – Wer will schon normal sein?« bekannt geworden. Er lernte schon mit vier Jahren Lesen und hatte stets Menschen an seiner Seite, die an ihn glaubten und sich für seine schulische Ausbildung und Förderung einsetzten. Pineda schloss erfolgreich ein Lehramtsstudium ab und setzt sich heute für die Integration behinderter Menschen ein. Er hielt den Eröffnungsvortrag auf der legendären Tagung in Salamanca, auf der die Erklärung und der Aktionsrahmen zur Pädagogik für besondere Bedürfnisse der UNESCO beschlossen und der Grundstein der Inklusionsbewegung gelegt wurden (UNESCO, 1994). Was aber ist mit schulischer Inklusion eigentlich genau gemeint? Eine allgemein akzeptierte Definition von Inklusion gibt es nicht. Die Begriffe Integration und Inklusion, die in der Literatur häufig auch synonym benutzt werden, stehen für zwei unterschiedliche 8

Inklusion!

pädagogische Konzepte. Bei der bisher in einigen Regelschulen in Deutschland praktizierten Integration wird, im Gegensatz zur Exklusion im separierenden Schulsystem, so vorgegangen, dass einzelne Lernende mit sonderpädagogischem Förderbedarf in spezielle Integrationsklassen aufgenommen werden und eine möglichst weitgehende Anpassung an die Bedingungen in Regelschulen erfolgt. Die Inklusion geht noch darüber hinaus. Es geht nicht mehr allein um die Integration von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Überhaupt soll nicht mehr in Kategorien, z. B. Förderkinder und Regelkinder, gedacht werden. Bei der schulischen Inklusion sollen alle Kinder und Jugendlichen, unabhängig von Geschlecht1, Behinderung, ethnischer Zugehörigkeit, besonderen Lernbedürfnissen, sozialen oder ökonomischen Voraussetzungen ganz selbstverständlich die Regelschule besuchen. Auch soll nicht mehr, wie bei der Integration, eine Anpassung der Schülerinnen und Schüler an die Bedingungen der Schule erfolgen, sondern umgekehrt, die Schule soll sich an die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler anpassen. Der so entstehenden Heterogenität in den Klassen soll die Schule durch ein entsprechend gestaltetes Angebot gerecht werden (Abbildung 1). Ein Blick auf die praktische Umsetzung zeigt, wie unscharf die Begriffe Integration und Inklusion tatsächlich genutzt werden. Immerhin 80 verschiedene Umsetzungen der schulischen Inklusion bzw. Integration lassen sich bundesweit unterscheiden (Blanck, 2015).

Abbildung 1: Von der Separation zur Inklusion 1 Auch ein gelungenes Beispiel für das gemeinsame Lernen: Was heute in Deutschland als selbstverständlich gilt, dass nämlich Mädchen und Jungen gemeinsam unterrichtet werden, war bis Mitte des letzten Jahrhunderts noch für viele Menschen undenkbar. Inklusion!

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Der Weg von Pablo Pineda ermutigt dazu, für die Inklusion und für das Recht von Menschen mit Behinderungen zur Teilhabe am allgemeinen Bildungssystem einzutreten. Viele Lehrerinnen und Lehrer, die in inklusiven Schulen arbeiten, können ebenfalls von gelungener schulischer Inklusion berichten. Einige Schulen wurden für ihre inklusive Arbeit auch schon ausgezeichnet. Andere Lehrpersonen sind von der Inklusion frustriert, weil sie sich überfordert fühlen und/oder weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen und weil deshalb eine professionelle inklusive Pädagogik an ihren Schulen schwer zu realisieren ist.

1.1 Ohne wissenschaftliche Fundierung geht nichts! Private Erfahrungen und persönliche Überzeugungen reichen nicht aus, um über Inklusion zu urteilen. Die Diskussion über die Gestaltung eines inklusiven Schulsystems muss mit Rückbezug auf wissenschaftliche Theorien und empirische Forschungsergebnisse geführt werden. Allerdings geht es dabei nicht um ein Experiment mit ungewissem Ausgang: »Schulische Inklusion ja oder nein«. Die Teilhabe an der Gesellschaft ist ein Menschenrecht und nicht verhandelbar. Zudem hat sich die Bundesrepublik Deutschland mit der Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention zur schrittweisen Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems verpflichtet (Mißling & Ückert, 2014). Es geht vielmehr um die Frage, wie ein inklusives Bildungssystem gestaltet werden muss. In diesem Buch wird die Auseinandersetzung eingegrenzt auf die Frage, wie Lehren und Lernen in einem inklusiven Bildungssystem gestaltet werden muss, damit alle Kinder und Jugendlichen entsprechend ihrer individuellen Voraussetzungen davon profitieren können. Zur wissenschaftlichen Beantwortung dieser Frage müssen, basierend auf theoretischen Erkenntnissen, Hypothesen formuliert und im Rahmen von kontrollierten Studien in der pädagogischen Praxis geprüft werden (Interventionsstudien). Um beispielsweise zu prüfen, ob Kinder mit Förderbedarf im Schwerpunkt Lernen mehr in einem inklusiven Schulsetting oder in einer Förderschule lernen, wird im Rahmen von Interventionsstudien etwa der Lernzuwachs nach einer Unterrichtseinheit in beiden Schulformen mit (standardisierten) Tests erhoben. 10

Inklusion!

Durch den Vergleich der Lernfortschritte unter beiden Bedingungen kann geprüft werden, ob die Beschulungsform einen Einfluss hat. So können evidenzbasierte Aussagen darüber getroffen werden, welche der beiden Bedingungen effektiver ist. In diesem Buch werden zur empirischen Untermauerung der theoretischen Ausführungen immer wieder metaanalytische Forschungsergebnisse aufgegriffen und Aussagen zur Effektivität pädagogischer Interventionen mit Effektstärken belegt. Deshalb wird kurz erklärt, was es mit Effektstärken und Metaanalysen auf sich hat. Effektstärken Zur Interpretation der Effektivität einer Maßnahme wird die Differenz der durchschnittlichen Leistungen zwischen beiden Bedingungen gebildet und es werden sogenannte Effektstärken (ES) berechnet. In die Berechnung der Effektstärken geht auch die Unterschiedlichkeit innerhalb der Bedingungen (Standardabweichung) ein. Sind die Leistungen in beiden Bedingungen gleich, ergibt sich keine Differenz (ES = 0). Das wäre im oben genannten Beispiel der Fall, wenn die Leistungen der Kinder im inklusiven Setting mit denen in den Förderschulen absolut vergleichbar wären. Das ist sehr unwahrscheinlich. Meist ergeben sich kleine bis mittlere Effekte (z. B. zwischen ES = 0.11 bis ES = 0.85). Ab einer Größe von ES = 0.25 spricht man in der Lehr-Lernforschung von pädagogisch bedeutsamen Effekten. Erst dann zahlt sich der Mehraufwand, der mit einer innovativen Methode verbunden ist, aus. Eine ES = 1.00 bedeutet einen Unterschied von einer Standardabweichung zwischen den beiden Bedingungen. Das wäre ein sehr großer Effekt. Das wäre der Fall, wenn die Kinder im inklusiven Setting sehr viel bessere Leistungen erzielen würden als die Kinder in den Förderschulen. Es können aber auch negative Effekte auftreten. Das wäre der Fall, wenn die Kinder im inklusiven Setting schlechtere Leistungen erzielen würden als die Kinder in den Förderschulen (z. B. ES = −0.25). Metaanalysen

Die Ergebnisse von Studien zu ein und demselben Forschungsgegenstand können aus vielen verschiedenen Gründen ganz unterschiedlich ausfallen. Das erschwert zusammenfassende Aussagen. In MetaOhne wissenschaftliche Fundierung geht nichts!

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analysen werden jedoch, nach zuvor klar definierten inhaltlichen und methodischen Kriterien, die Befunde voneinander unabhängiger Studien mit speziellen statistischen Verfahren vergleichend zusammengefasst und wiederum Effektstärken berechnet. So ist eine globale und zuverlässige Aussage über die Effektivität einer Intervention möglich.

1.2 Pädagogische Psychologie trifft Inklusion Was kann die wissenschaftliche Psychologie zur Gestaltung eines inklusiven Bildungssystems beitragen? Eine ganze Menge. Denn sie beschäftigt sich seit jeher mit Problemen der pädagogischen Praxis und mit der Frage, was die Bedingungen erfolgreichen Lernens und Lehrens sind und wie man sie gezielt herbeiführen kann (Gold & Borsch, 2014). Die meisten Fragen beziehen sich auf die praktische Tätigkeit von Lehrpersonen, aber auch auf schulorganisatorische und bildungspolitische Entscheidungen. Ein Teil der Fragen muss im Hinblick auf den inklusiven Unterricht neu durchdacht werden: 1. Was macht einen guten inklusiven Unterricht aus? 2. Wie lassen sich Lehr-Lernsituationen in leistungsheterogenen Gruppen so gestalten, dass möglichst alle Schülerinnen und Schüler davon profitieren? 3. Welche Faktoren tragen zum psychischen Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler bei? 4. Wie lässt sich soziale Ausgrenzung vermeiden? 5. Diagnostik: Notwendig oder stigmatisierend? 6. Wie ist es möglich, die Lernentwicklung aller Schülerinnen und Schüler im Blick zu behalten? 7. Wie sollten Lernergebnisse in inklusiven Klassen bewertet werden? 8. Zielgleiche oder zieldifferente Beschulung? 9. Welche Hilfen benötigen die Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf? 10. Wie gelingt die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams? Die Antworten, die in diesem Buch auf die Fragen gegeben werden, sind sicherlich nur ein kleiner, aber nicht unwesentlicher Beitrag zur 12

Inklusion!

Gestaltung eines inklusiven Bildungssystems. Viele, nicht weniger wichtige Fragen bleiben hier außen vor, weil sie von Expertinnen und Experten anderer wissenschaftlicher Disziplinen besser beantwortet werden können. Zu diesem Buch

In Kap. 2 wird den Fragen zum Lernen und zur Entwicklung der fachlichen Kompetenzen im inklusiven Schulsystem nachgegangen. Kinder und Jugendliche sollen in der Schule aber nicht nur lernen, sondern sich auch wohlfühlen und Akzeptanz erfahren. Es wird gezeigt, wie diese drei Aspekte von der Lehrperson und durch die Gestaltung des Unterrichts beeinflusst werden können. Dann kommen die Eltern mit ihren Erfahrungen zum inklusiven Schulsystem zu Wort (Kap. 2.2). In Kap. 2.3 wird die Rolle der Lehrpersonen im inklusiven Schulsystem thematisiert. Ihre Tätigkeiten sind großen Veränderungen unterworfen und sie sind stärker als bisher auf die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen angewiesen. In Kap. 3 wird über verschiedene Formen der Diagnostik berichtet und gezeigt, welche Formen in der schulischen Inklusion zur Gestaltung des unterrichtlichen Angebots und zur Förderung bei Lernschwierigkeiten unverzichtbar sind. In Kap. 4 geht es dann konkret um Aspekte der inklusiven Unterrichtsgestaltung. Wie psychologisches Wissen auch für spezifische Förderbedarfe nutzbar gemacht werden kann, wird in Kap. 5 gezeigt. In Kap. 6 wird abschließend auf unterschiedliche Formen der Leistungsbewertung im inklusiven Unterricht eingegangen. In erster Linie geht es in diesem Buch um eine verständliche Präsentation der Inhalte, verbunden mit dem Anspruch, die theoretischen Ausführungen auch mit empirischen Forschungsergebnissen zu untermauern. Noch fehlt es aber an vielen Stellen an belastbaren Forschungsergebnissen zur schulischen Inklusion.

Pädagogische Psychologie trifft Inklusion

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2 Die Beteiligten

2.1 Die Schülerinnen und Schüler In der Schule soll gelernt werden. Besser klappt das, wenn die Schülerinnen und Schüler ein positives Bild von sich und ihren Fähigkeiten haben, wenn sie motiviert sind und sich in der Schule akzeptiert sehen und wohlfühlen. Das gilt für alle Lernenden. Aber wie viel lernt beispielsweise Ben mit Förderbedarf im Bereich Lernen im inklusiven Unterricht? Wird er ausreichend gefördert? Erhält er im inklusiven Unterricht durch seine Peers vielleicht noch mehr und andere Anregungen als im Unterricht der Förderschule? Sind seine Lernleistungen genauso gut, als wenn er eine Förderschule besuchen würde? Der Erfolg darf aber nicht nur einseitig an einer positiven Entwicklung der schulischen Leistung gemessen werden. Aspekte der sozialen Akzeptanz sowie des psychischen Wohlbefindens dürfen nicht aus dem Blick geraten. Deshalb soll es in diesem Kapitel auch um die Frage gehen, wie sich Ben fühlt, der Schwierigkeiten im Rechnen hat und an einem Tisch mit Jakob sitzt, dem Ass im Rechnen. Fühlt er sich nicht wie ein kleiner Fisch im großen Teich, weil er voraussichtlich niemals vergleichbare Lernziele erreichen kann wie seine Mitschülerinnen und Mitschüler? Verliert er nicht die Lust sich anzustrengen und leidet auf Dauer nicht sein Selbstbewusstsein, weil er, egal wie sehr er sich auch anstrengt und lernt, keine vergleichbaren Lernleistungen erbringt wie seine Peers? Wird er von seinen Mitschülerinnen und Mitschülern trotz seiner schlechteren Schulleistungen akzeptiert? Lernleistungen (1), soziale Akzeptanz (2) und psychisches Wohlbefinden (3) sind zentrale Aspekte, an denen sich die schulische Inklusion messen lassen muss. Im Folgenden werden zu allen drei Aspekten Forschungsergebnisse vorgestellt und Wege aufgezeigt, wie Lehrpersonen die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler steigern, ihre soziale Ausgrenzung abschwächen und ihr Wohlbefinden schützen können. 14

Lernleistungen Wissenschaftliche Aussagen über die Effektivität inklusiver Beschulung sind gar nicht so einfach. Das hat mehrere Gründe. Es fängt damit an, dass in der Praxis ganz unterschiedliche Modelle der schulischen Inklusion realisiert werden und dass es eine allgemein akzeptierte und verbindliche Definition der Inklusion nicht gibt (vgl. Kap. 1). Man muss sich vor Augen halten, dass die unterschiedlichen Vorstellungen und unklaren Definitionen die Zuverlässigkeit empirischer Aussagen einschränken. Studien zur Integration von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf in den Regelschulunterricht sprechen für eine positive Entwicklung der Lernleistung im Vergleich mit Förderschulen und geben erste Hinweise auf die Effektivität der schulischen Inklusion (zusammenfassend: Schnell, Sander & Federolf, 2011). Inwiefern sich die Erkenntnisse aus dem integrativen Unterricht auf den inklusiven Unterricht übertragen lassen, muss jedoch im Einzelfall geprüft werden. Oft handelt es sich nur um Fallstudien oder um Beschreibungen von Modellversuchen mit besonders günstigen Rahmenbedingungen und ohne die Berücksichtigung von Kontrollgruppen. Wissenschaftliche Aussagen lassen sich aus solchen Berichten nur bedingt ableiten. National wie international mangelt es an Studien zum inklusiven Unterricht, die wissenschaftlichen Standards der Evaluationsforschung entsprechen. Vor allem fehlen Studien, die zum Nachweis von Ursache-WirkungsZusammenhängen geeignet sind und die standardisierte Tests verwenden. Es fehlen Studien, die adäquate Vergleichsgruppen einbeziehen und die Hintergrundmerkmale der Schülerinnen und Schüler erfassen, um bereits vor der Untersuchung bestehende Unterschiede zu kontrollieren, sowie Studien, die einen Vergleich zwischen Regelund Förderschulen und eine Differenzierung zwischen verschiedenen Förderschwerpunkten zulassen. Um ein Beispiel zu nennen: Nur 14 von insgesamt 1373 zwischen 2001 und 2005 in englischsprachigen Zeitschriften veröffentlichte Studien zur Effektivität einer gemeinsamen Beschulung genügten nach Lindsay (2007) solchen wissenschaftlichen Kriterien. Internationale wissenschaftliche Studien, die den oben genannten Kriterien entsprechen, deuten darauf hin, dass die Schülerinnen und Schüler mit Lernbeeinträchtigungen (die am besten untersuchte Die Schülerinnen und Schüler

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Gruppe) in inklusiven Schulen vergleichbare, teilweise auch bessere Lernleistungen erbringen als in speziellen Förderschulen (Möller, 2013). Im Kap. 5 wird noch einmal ausführlicher auf Forschungsergebnisse zu den Lernleistungen innerhalb der einzelnen Förderschwerpunkte eingegangen. Es spricht aus empirischer Sicht also einiges dafür, dass Kinder mit Lernbeeinträchtigungen von einer inklusiven Beschulung ko­ gnitiv profitieren. Das kann daran liegen, dass im inklusiven Unterricht höhere Leistungsanforderungen gestellt werden und dass der Unterricht kognitiv anregender ist als der Unterricht in Förderschulen. Was unter einem kognitiv anregenden Unterricht verstanden werden kann und welche weiteren Aspekte Lehrerinnen und Lehrer berücksichtigen sollten, um einen qualitätsvollen und effektiven Unterricht zu gestalten, wird in Kap. 4 ausführlich dargestellt. Soziale Akzeptanz Soziale Eingebundenheit und das Gefühl, zu einer Gruppe dazuzugehören, zählen nach der Selbstbestimmungstheorie, neben dem Bedürfnis nach Autonomie und dem Kompetenzerleben zu den psychologischen Grundbedürfnissen aller Menschen (Ryan & Deci, 2000). Die Nichterfüllung der drei Aspekte kann sich negativ auf das psychische Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit auswirken. Soziale Gruppen bergen jedoch auch immer ein Risiko für soziale Ausgrenzung in sich. Tatsächlich deuten nationale wie internationale Studien darauf hin, dass vor allen Dingen Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund, aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status oder mit geringen schulischen Leistungen im inklusiven Schulsystem von sozialer Ausgrenzung betroffen sind, obwohl man sich eigentlich von den sozialen Kontakten verspricht, dass diskriminierende Haltungen und Vorurteile abgebaut werden und dass ein inklusives Setting die Grundlage für eine Gesellschaft bereitstellt, die sich durch ein Höchstmaß an wechselseitiger Toleranz auszeichnet (Lanphen & Wiedenbauer, 2016; Nowicki, 2003). Die Forschungslage ist jedoch widersprüchlich. Beispielsweise werden Kinder und Jugendliche mit einer körperlichen Behinderung von Gleichaltrigen eher akzeptiert als Kinder und Jugendliche mit 16

Die Beteiligten

einer geistigen Behinderung oder Verhaltensauffälligkeit (Dumke & Schäfer, 1993). Es gibt auch inklusive Klassen, in denen niemand ausgegrenzt wird (z. B.: Huber & Wilbert, 2012). Deshalb lohnt ein genauerer Blick auf die moderierenden Bedingungen. Dieser zeigt nämlich, dass gelungene schulische Inklusion mehr bedeutet, als die Schülerinnen und Schüler in einem Raum gemeinsam zu unterrichten. Soziale Integration und ein kooperatives Miteinander hängen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ganz entscheidend von einer »gemeinsamen Vision« ab und von einem pädagogischen Konzept der Akzeptanz und Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler (Durlak & DuPre, 2008). Im folgenden Abschnitt wird gezeigt, wie soziale Akzeptanz gesteigert werden kann. Psychisches Wohlbefinden Insgesamt finden sich schwach negative Effekte inklusiver Beschulung auf das psychische Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf (Möller, 2013). Eingangs wurde darauf aufmerksam gemacht, dass in inklusiven Klassen vor allen Dingen Leistungsvergleiche zu Problemen bei den leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern führen können. Dies geschieht, wenn sie sich mit ihren leistungsstärkeren Peers vergleichen und wenn es bei diesem Vergleich zu einer negativen Einschätzung der eigenen Fähigkeiten kommt. Das könnte – bei sonst vergleichbaren Bedingungen – dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Förderschulklassen ein günstigeres Selbstkonzept ihrer schulischen Fähigkeiten entwickeln als in leistungsheterogenen inklusiven Klassen. Diesem big-fish-little-pond-effect steht der reflected-glory-effect gegenüber, der den besonderen Ansporn einer Schülerin bzw. eines Schülers in einer Klasse mit hohem Leistungsniveau beschreibt. Damit ist in inklusiven Klassen eher zu rechnen als in leistungshomogenen Förderschulklassen. In der pädagogisch-psychologischen Forschung spricht man in diesem Zusammenhang auch von Bezugsgruppeneffekten und untersucht ihre Wirkung auf das Selbstkonzept (Möller & Trautwein, 2015). Dabei wird zwischen einem globalen Selbstkonzept und einem schulleistungsbezogenen Selbstkonzept unterschieden. Während das globale Selbstkonzept Informationen über die allgemeine Zufriedenheit mit sich selbst Die Schülerinnen und Schüler

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enthält (z. B. »Im Großen und Ganzen bin ich mit mir zufrieden«), bezieht sich das schulleistungsbezogene Selbstkonzept spezifischer auf das Wissen über die eigenen Fähigkeiten, Vorlieben, Überzeugungen und Absichten in schulischen Bereichen (z. B. »In Mathematik bin ich einfach nicht so begabt wie viele meine Mitschülerinnen und Mitschüler«). Haben Kinder und Jugendliche die Überzeugung, schulische Herausforderungen selbstständig bewältigen zu können, geht das mit einem größeren Engagement und einer höheren Anstrengungsbereitschaft beim Lernen und in der Folge mit besseren Leistungen einher (Spörer et al., 2015). In zwei deutschsprachigen Untersuchungen konnten ein Bezugsgruppeneffekt und ein ungünstigeres schulisches Selbstkonzept bei den inklusiv beschulten Schülerinnen und Schülern mit Förder­bedarf im Vergleich mit ihren Peers ohne Förderbedarf und mit denen, die eine Förderschule besuchen, festgestellt werden (Haeberlin, 1991; Sauer, Ide & Borchert, 2007). In einer weiteren Studie zeigten sich hingegen solche Unterschiede nicht. Ganz im Gegenteil beurteilten in den inklusiven Klassen die Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf ihre emotionale Integration entgegen den Erwartungen sogar signifikant besser als in der Sonderschule (Rossmann, GasteigerKlicpera, Gebhardt & Weindl, 2011). Ein ebenso heterogenes Ergebnismuster spiegelt auch eine US-amerikanische Metaanalyse mit 61 Studien wider. Es zeigte sich, dass das schulleistungsbezogene Selbstkonzept bei den Schülerinnen und Schülern mit Handicap geringer war als bei ihren Peers ohne Handicap. Das globale Selbstkonzept blieb davon jedoch unberührt. Allerdings fanden sich hier keine Unterschiede des schulleistungsbezogenen Selbstkonzepts in Abhängigkeit von der Lernumgebung (Inklusion vs. Förderschule) (Bear, Minke & Manning, 2002). Schulische Inklusion führte also nicht per se zu ungünstigeren Selbstbewertungen im Vergleich zur Sonderbeschulung. Lehrpersonen können insbesondere an vier Punkten ansetzen, um die soziale Akzeptanz und das psychische Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler zu unterstützen: 1. Präventiv, durch einen qualitativ hochwertigen Unterricht, der zu besseren Lernleistungen führt – denn geringere Lernleistungen erhöhen das Risiko für Ausgrenzung erheblich. 18

Die Beteiligten

2. Indem sie sensibel und bedacht mit den von Ausgrenzung bedrohten Schülerinnen und Schülern umgehen. 3. Bei der Gestaltung der schulischen Lernumgebung. 4. Bei der Bewertung der schulischen Leistungen. Qualitativ hochwertiger Unterricht, der mit dem ersten Punkt angesprochen wird, ist Gegenstand des vierten Kapitels. Die drei anderen Punkte werden im Folgenden vertieft. Wie wird soziale Akzeptanz und psychisches Wohlbefinden durch das Verhalten von Lehrpersonen beeinflusst?

Es kommt entscheidend darauf an, wie die Lehrpersonen mit Verschiedenheit und Leistungsheterogenität umgehen und wie dieses Verhalten wiederum von den Schülerinnen und Schülern – sozusagen modellhaft – wahrgenommen wird. Wichtig ist, dass Lehr­ personen allen Kindern und Jugendlichen die gleiche Sympathie und Toleranz entgegenbringen und niemanden, beispielsweise aufgrund geringerer schulischer Leistungen oder eines besonderen Unterstützungsbedarfs, schlechter behandeln oder gar vor den Peers bloß­ stellen. Das ist bestimmt auch nicht die Intention von Lehrpersonen, geschieht jedoch allzu häufig unbedacht, z. B. wenn die Noten der letzten Klassenarbeit vor der Klasse laut vorgelesen und so soziale Vergleiche unter den Schülerinnen und Schülern forciert werden. Günstiger sind persönliche Rückmeldungen, die auch die Möglichkeit bieten, auf Fehler hinzuweisen und zu motivieren. Das akzeptierende und schützende Verhalten der Lehrperson gegenüber den von Ausgrenzung bedrohten Kindern und Jugendlichen ist auch deshalb so wichtig, weil sich die Peers an diesem Verhalten orientieren und es sich selbst zu eigen machen. Die Beliebtheit eines Kindes in einer Klasse wird geprägt von der von den Peers wahrgenommenen Beliebtheit des Kindes durch die Lehrperson. In der Psychologie bezeichnet man dieses Phänomen als soziale Referenzierung: Insbesondere jüngere Kinder orientieren sich bei der Einschätzung (unbekannter) Situationen an dem Verhalten und an den Reaktionen erwachsener Personen. Je weniger eigene Erfahrungen ein Kind mit einer Situation hat, desto eher scheint sich bei ihm das Bedürfnis nach einer sozialen Referenz für das eigene Verhalten einzustelDie Schülerinnen und Schüler

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len. Empirische Befunde belegen diesen Prozess, lassen aber auch noch viele Fragen offen. Studien belegen, dass insbesondere negatives Feedback der Lehrperson die soziale Ausgrenzung verstärkt (Huber, Gebhardt & Schwab, 2014). Lehrpersonen sollten deshalb sehr sensibel mit Feedback umgehen und die soziale Situation in der Klasse genau beobachten. Oft schätzen sie, wie auch die Eltern, den Grad der sozialen Integration von behinderten Schülerinnen und Schülern positiver ein als die nichtbehinderten Mitschülerinnen und Mitschüler (Pijl, Frostad & Flem, 2008). Lehrerinnen und Lehrer sollten sich also immer wieder ins Bewusstsein rufen, dass sie Pate stehen für eine tolerante Gemeinschaft, in der sich alle wohlfühlen und niemand sozial ausgegrenzt wird, obwohl alle verschieden sind. Es ist ihre Aufgabe, Anfeindungen und Vorurteilen unter den Schülerinnen und Schülern durch klare Regeln über den Umgang miteinander im Rahmen einer effizienten Klassenführung entschieden entgegenzutreten (vgl. Kap. 4.1). Wie lassen sich soziale Akzeptanz und psychisches Wohlbefinden durch die Gestaltung der Lernumgebung beeinflussen?

Über soziale Ausgrenzung kann man viel aus der Zeit nach Aufhebung der Rassentrennung in den USA lernen. Damals hat sich nämlich gezeigt, dass der bloße Kontakt von Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Ethnien im Klassenzimmer nicht automatisch zu einer Verbesserung der sozialen Beziehungen führt. Ganz im Gegenteil kam es zu Anfeindungen bis hin zu körperlichen Auseinandersetzungen. Der Sozialpsychologe Elliot Aronson und sein Team (1978) konnten jedoch in einer Reihe von Studien nachweisen, dass sich die soziale Akzeptanz und das psychische Wohlbefinden erheblich verbessert und Vorurteile abgebaut werden, wenn verstärkt kooperative Unterrichtsmethoden, die explizit auf die Förderung positiver Interdependenz unter den Schülerinnen und Schülern beim gemeinsamen Lernen abzielen, angewendet werden. Positive Interdependenz ist dabei das Zauberwort. Positive Interdependenz geht über den bloßen Kontakt hinaus und bedeutet, bei der Verfolgung gemeinsamer Ziele wechselseitig aufeinander angewiesen zu sein, wie es z. B. der Fall ist, wenn jedes Gruppenmitglied einen individuellen Beitrag zum Gruppenprodukt beisteuern muss. Dass die soziale 20

Die Beteiligten

Akzeptanz und das psychische Wohlbefinden durch eine stärkere Schülerzentrierung des Unterrichts und die Realisierung positiver Interdependenz durch den Einsatz kooperativer Unterrichtsmethoden insgesamt zunimmt, konnte in Studien und Metaanalysen vielfach bestätigt werden (Mikami, Boucher & Humphreys, 2005). Wie Unterricht auf Basis positiver Interdependenz gestaltet werden kann und dabei die oben erwähnten psychologischen Grundbedürfnisse nach sozialer Eingebundenheit, Autonomie und Kompetenzerleben Berücksichtigung finden, wird in Kap. 4.3 gezeigt. Daneben gibt es eine Reihe weiterer Möglichkeiten, das Gemeinschaftsgefühl der Schülerinnen und Schüler zu stärken und damit der Entstehung von Vorurteilen und Ausgrenzung vorzubeugen. Beispielsweise, wenn die Schülerinnen und Schüler für das Zusammenleben in der Klasse Verantwortung übernehmen, mittels Klassengesprächen oder der Etablierung eines Klassenrats. Zudem gibt es Verfahren zur kon­ struktiven Konfliktlösung oder zur Förderung der Empathie durch Rollenspiele oder besondere Trainingsprogramme (vgl. Kap. 5.3). Was ist bei der Bewertung der schulischen Leistungen zu beachten?

Oben wurde bereits gezeigt, dass es zu Problemen kommen kann, wenn im Klassenzimmer der soziale Vergleich unter den Schülerinnen und Schülern forciert wird, z. B. wenn der Notenspiegel an die Tafel geschrieben und die jeweilige Position in der Klasse offensichtlich wird (soziale Bezugsnorm). Für die Schülerinnen und Schüler mit den schlechten Noten ist es peinlich, schon wieder nicht zu den Leistungsstarken zu gehören, obwohl sie sich angestrengt und sich vielleicht seit der letzten Klassenarbeit verbessert haben. Sie fürchten den Spott oder die Häme der leistungsstärkeren Schülerinnen und Schüler, fühlen sich beschämt und sind einem erhöhten Risiko der sozialen Ausgrenzung ausgesetzt. Ganz davon abgesehen, dass in inklusiven Klassen sowieso nicht immer allen das gleiche Lernziel gesteckt wird und die Lernergebnisse damit eigentlich ohnehin nicht vergleichbar sind, wird aus motivationspsychologischer ­Perspektive schon lange darauf hingewiesen, dass Vergleiche einer Schülerin bzw. eines Schülers mit vorangegangenen eigenen Leistungen (individuelle Bezugsnormen) sich wesentlich günstiger auf die Lernmotivation Die Schülerinnen und Schüler

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auswirken als Vergleiche zwischen den Schülerinnen und Schülern (Rheinberg & Krug, 2017). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass empirische Forschungsergebnisse für eine gute Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler im inklusiven Unterricht sprechen. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass es im sozial-emotionalen Bereich zu Problemen kommen kann und dass schulische Inklusion kein Garant für die Entwicklung eines positiven schulischen Selbstkonzepts ist. Die Lehrpersonen haben es allerdings in der Hand, durch die Reflexion des eigenen Verhaltens, durch die Art ihrer Unterrichtsgestaltung und durch die Art und Weise der Leistungsrückmeldung dazu beizutragen, dass ein inklusiver Unterricht für alle Beteiligten möglichst positive Effekte zeitigt.

2.2 Die Eltern Eltern, deren Kinder eine inklusive Schule besuchen, beurteilen die schulische Inklusion durchweg positiv (Bertelsmann Stiftung, 2015). Sie schätzen insbesondere die Angebote zur individuellen Förderung, die Möglichkeiten der Schülerinnen und Schüler, im eigenen Lerntempo zu lernen und den sozialen Zusammenhalt in den Klassen. Besonders zufrieden sind die Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Die Eltern ohne Inklusionserfahrung halten schulische Inklusion zwar ebenfalls für ein gesellschaftlich wichtiges Thema – und weitgehend unumstritten ist für sie die Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit körperlicher Beeinträchtigung. Skepsis kommt bei ihnen aber in Bezug auf Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten auf oder bei Kindern mit einer geistigen Behinderung. Sie haben keine Vorstellung davon, wie ein solcher Unterricht, von dem alle profitieren, gestaltet werden kann. Mit den konkreten Inklusionserfahrungen nimmt das Zutrauen jedoch zu. Wie wichtig konkrete Erfahrungen sind, zeigt auch ein anderes Beispiel: Zwar sind die Eltern mehrheitlich davon überzeugt, dass alle Schülerinnen und Schüler, unabhängig von ihrem jeweiligen Förderbedarf, voneinander lernen. Rund die Hälfte ist jedoch skeptisch, ob nicht die Kinder ohne Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht fachlich 22

Die Beteiligten

ausgebremst werden. Auch hier sind die Erfahrungen mit der schulischen Inklusion ganz entscheidend: Eltern mit bereits vorhandenen Erfahrungen schätzen die Situationen wesentlich positiver ein. Das zeigt, dass die Sorgen der Eltern durch konkret gelebte Inklusion in den Schulen abgebaut werden können.

2.3 Die Lehrpersonen Lehrerinnen und Lehrer sind Fachleute für das Lernen, und ihre Kernaufgabe ist die gezielte und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltete Planung, Organisation und Reflexion von Lehr- und Lernprozessen sowie die Bewertung von Lernergebnissen (KMK, 2000a). In einem inklusiven Schulsystem ist diese Aufgabe nur in gemeinsamer Verantwortung unterschiedlicher Professionen zu bewältigen. Dabei kommen sowohl auf Lehrpersonen der Regelschulen als auch auf Förderpädagoginnen bzw. Förderpädagogen neue und andere Aufgaben zu als im bisherigen System und alle müssen ihre Rolle überdenken und neu definieren. Die Rolle der Lehrperson in der Regelschule

Die Lehrperson der Regelschule wird durch die größere Heterogenität der Lerngruppen vor neue didaktische Herausforderungen gestellt. Zwar gibt es keine spezielle inklusive Didaktik, ein stark lehrerzentrierter und vornehmlich am mittleren Anforderungsniveau ausgerichteter Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler – in der Regelschule allzu oft zu beobachten – wird den Anforderungen heterogener Lerngruppen jedoch nicht gerecht. Das scheint die Mehrheit der Lehrpersonen zu verunsichern. Gefragt nach ihren Einstellungen zu inklusivem Unterricht waren die Lehrpersonen der Primarstufe wenig zuversichtlich und fühlten sich nicht kompetent im Umgang mit besonderen Förderbedarfen, so die Ergebnisse eines Forschungsüberblicks, basierend auf 26 einzelnen Studien (Boer, Pijl & Minnaert, 2011). Allerdings ist es bei den Lehrpersonen wie bei den Eltern: Zu einer positiveren Einstellung tragen eigene Erfahrungen mit der Inklusion bei. Auch Weiterbildungen zum inklusiven Unterricht verändern den Blick in einem positiven Sinne. Eine positive Einstellung wirkt wiederum günstig auf das Belastungsempfinden der Lehrpersonen Lehrpersonen

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(Bosse et al., 2016). Umso wichtiger ist, dass entsprechende Weiterbildungsangebote bereitgehalten werden (s. u., S. 44). Vielleicht ließe sich mit entsprechenden Angeboten auch den Sorgen der Lehrpersonen um die Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit Lernstörungen oder Verhaltensschwierigkeiten entgegensteuern. Denn Lehrpersonen differenzieren, wie Eltern, zwischen Förderbedarfen: Ihre Einstellung gegenüber der Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit körperlichen oder sensorischen Behinderungen ist wesentlich positiver. Eine zentrale Aufgabe der Lehrperson im inklusiven Unterricht der Regelschule kann darin gesehen werden, ein differenziertes und an die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler angepasstes Unterrichtsangebot bereitzuhalten und mit geeigneten Methoden umzusetzen und dabei auch das soziale Miteinander im Blick zu haben. In Kap. 4 wird ausführlicher auf die inklusive Unterrichtsgestaltung eingegangen. Neu für die Lehrpersonen der Regelschule in einem inklusiven Schulsystem ist auch die Verantwortung für die Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Neu ist aber auch, dass sie nicht mehr allein im Klassenraum stehen. Denn mit der Inklusion geht auch die Kooperation mit den Förderpädagoginnen und Förderpädagogen sowie weiterem Fachpersonal für Therapie und Assistenz einher (Multi­ professionelle Teamarbeit, s. u., S. 26 ff.). Die Rolle der Förderpädagoginnen und Förderpädagogen

Auch die Rolle der Förderpädagoginnen und Förderpädagogen ist durch die schulische Inklusion einem starken Wandel unterworfen. Im traditionellen (separierenden) Förderschulsystem haben sie genau die gleichen Aufgaben wie die Lehrpersonen an Regelschulen. Zusätzlich zu ihren Unterrichtstätigkeiten in einem oder zwei Fächern (je nach Bundesland) verfügen sie jedoch über spezielle Kompetenzen in zwei sonderpädagogischen Fachrichtungen, um Kinder mit Beeinträchtigungen spezifisch zu fördern. Zudem verfügen sie über besondere diagnostische Kompetenzen, z. B. zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs. Rolle und Aufgaben der Lehrperson für Förderpädagogik in einem inklusiven Schulsystem sind hingegen weniger eindeutig. Ist sie Spezialistin und primär zuständig für die Kinder mit Förderbedarf bzw. für spezialisierte Tä24

Die Beteiligten

tigkeiten oder kommt ihr eher die Rolle einer Generalistin zu (LütjeKlose & Neumann, 2015)? Exemplarisch für die Rolle als Spezialistin wäre hier das Modell des Response-to-Intervention-Ansatzes zu nennen (RTI; s. a. Kap. 3.2), bei dem zunächst alle Schülerinnen und Schüler von der Regellehrerin bzw. dem Regellehrer unterrichtet und in Form regelmäßiger Leistungstests beurteilt werden. Erst wenn bei Lernenden Leistungsrückstände oder andere Schwierigkeiten zu beobachten sind, wechselt die Zuständigkeit zu der Lehrperson für Förder­ pädagogik, die mit Beratung, standardisierten Förderprogrammen und/oder individueller Förderung interveniert. In diesem Fall beruht die Zusammenarbeit im Wesentlichen auf Prinzipien des Austausches und der Arbeitsteilung. Darüber hinaus ist aber auch eine intensive und strukturierte Zusammenarbeit mit regelmäßigem Austausch über Ziele und Maßnahmen notwendig, damit Kontextbedingungen (z. B. Probleme im Klassenunterricht oder in der PeerGroup) mitberücksichtigt werden können, die an der Entstehung und Aufrechterhaltung von Problemen beteiligt sind – wodurch die Gefahr einer Individualisierung von Problemen verringert wird. In der Rolle als Generalistin nimmt die Lehrperson für Förderpädagogik dieselben Aufgaben wie alle anderen Lehrpersonen wahr und ist für alle Schülerinnen und Schüler zuständig. Exemplarisch wäre hier das Modell des Gemeinsamen Unterrichts (GU) in integrativen Klassen mit Doppelbesetzung zu nennen. Der Unterricht und alle weiteren Aufgaben werden beim GU in gemeinsamer Verantwortung mit der Regellehrerin bzw. dem Regellehrer und, ganz im inklusive Sinne, unter Berücksichtigung der individuellen Lernausgangslagen und Förderbedürfnisse aller Schülerinnen und Schüler durchgeführt. Daneben existieren eine Reihe anderer Modelle der sonderpädagogischen Förderung in der Regelschule, wie z. B. eine sonderpädagogische Grundversorgung jeder Schule, die Einrichtung von Förderzentren, die mehrere Schulen versorgen, oder Maßnahmen der Einzelintegration. Der Aufgabenschwerpunkt der Lehrperson für Förderpädagogik verschiebt sich hier vom Unterrichten auf die Diagnostik und auf die individuelle Arbeit mit Förderschülerinnen und -schülern sowie auf die Beratung von anderen Lehrpersonen Lehrpersonen

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ohne spezifische sonderpädagogische Expertise. Wie zu sehen ist, hängt die Rolle der Förderpädagogik im Rahmen eines inklusiven Schulsystems entscheidend von dem Verständnis des Inklusionsbegriffs ab und von den Kooperationen der Lehrpersonen. Gelingt eine ko-konstruktive Zusammenarbeit, kann darin eine wesentliche Qualitätssteigerung der inklusiven Beschulung gesehen werden. Sehr wahrscheinlich werden sich im deutschen inklusiven Schulsystem verschiedene Profile für Förderpädagoginnen und -pädagogen herausbilden, das legen zumindest die internationalen Erfahrungen nahe (Lütje-Klose & Neumann, 2015). Die Frage, wie Förderpädagoginnen und -pädagogen auf die unterschiedlichen Profile vorbereitet werden, ist jedoch noch offen. Ganz gleich, wie sich die unterschiedlichen Rollen der Lehrperson in Zukunft ausgestalten, der multiprofessionellen Teamarbeit kommt in der schulischen Inklusion in jedem Falle eine große Bedeutung zu, denn die Aufgaben sind zu vielfältig und zu komplex, um nur von einer Person geschultert werden zu können. Inklusion kann nur in Teams gelingen. Multiprofessionelle Teams Arbeiten Sie in Ihrer Schule in einem Team? »Natürlich!«, werden Sie sagen, weil an Ihrer Schule der Gemeinschaftssinn großgeschrieben wird und weil sich alle unterstützen. Vielleicht zögern Sie aber auch und möchten erst einmal wissen, was mit »Teamarbeit« überhaupt gemeint ist. Beide Reaktionen sind durchaus verständlich, auch in der fachwissenschaftlichen Literatur findet sich keine eindeutige Definition von Teamarbeit. Insbesondere die Teamarbeit von Lehrpersonen ist äußerst komplex und wenig erforscht, nimmt jedoch einen immer größeren Stellenwert ein (Richter & Pant, 2016). Der Schule kommt dabei eine Doppelrolle zu. Zum einen müssen alle Personen und Einrichtungen, die an der Förderung der Kinder bzw. Jugendlichen beteiligt sind, auf verschiedenen Ebenen miteinander kooperieren. Zum anderen ist die Schule, nach Familie und Kindergarten, die wichtigste Institution für Kinder und Jugendliche, um Teamarbeit zu lernen und wechselseitig füreinander Verantwortung zu übernehmen (vgl. Kap. 4.3). Kooperativ arbeitende Lehrerinnen und Lehrer sind dabei die besten Vorbilder. Die For26

Die Beteiligten

derung nach kooperativer Teamarbeit wurde auch von der Kultusministerkonferenz in dem Beschluss zur inklusiven Bildung formuliert (KMK, 2011). Lehrerinnen und Lehrer unterschiedlicher Lehrämter und Ausbildungen sind gemeinsam für die unterrichtlichen Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsangebote der Schülerinnen und Schüler verantwortlich. Dazu gehören Assistenzpersonal sowie Fachkräfte aus den verschiedenen pflegerischen und therapeutischen Berufen. Ein multiprofessionelles Team besteht aus mindestens zwei Individuen, die einen bestimmten Service anbieten und sich für die Qualität dieser Leistung gegenseitig Rechenschaft ablegen. Die einzelnen Teams haben innerhalb der Organisation eine unverkennbare Identität mit einem eindeutigen Auftrag bzw. einer definierten Funktion. Die Mitglieder eines Teams … –– kennen ihre Ziele, für die sie gemeinsam verantwortlich sind. –– tragen individuelle Verantwortlichkeit, um die Ziele zu erreichen. –– sind wechselseitig abhängig von den Leistungen der anderen Teammitglieder. –– sind einzeln aufgefordert, sich mit den anderen Mitgliedern zu vernetzen. –– beeinflussen ihre Ergebnisse durch Interaktion miteinander. –– haben mehr oder weniger klar definierte Rollen (vgl. van Dick & West, 2013).

Zu den im Team zu lösenden Aufgaben gehört eine gemeinsam durchgeführte und verantwortete Diagnostik ebenso wie die Planung und Realisierung des Lernangebots und die Kooperation mit weiteren Partnern im Umfeld der Schule. Auch der Aufbau und die Pflege von Netzwerken innerhalb der eigenen Schulgemeinschaft und darüber hinaus ist wichtig, um die vielfältigen Herausforderungen der Inklusion gemeinsam bewältigen zu können. Im Folgenden werden verschiedene Facetten der Lehrerkooperation bzw. der Arbeit in multiprofessionellen Teams beschrieben und Modelle für das gemeinsame Unterrichten vorgestellt. Patentrezepte für gelingende Teamarbeit sollten Sie jedoch nicht erwarten. Dafür sind die Aufgaben, Zielsetzungen und Rahmenbedingungen Lehrpersonen

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an den Schulen zu unterschiedlich. Grundschulen stehen beispielsweise vor anderen Herausforderungen als Gymnasien. Zum anderen gibt es nicht »die Grundschule« oder »das Gymnasium«. Jede Schule und jedes Team muss letztendlich einen eigenen Weg finden und ein eigenes Konzept entwickeln. Die folgenden Ausführungen geben dafür einen Rahmen. Vom Austausch zur Ko-Konstruktion

Auf dem Weg zur multiprofessionellen Teamarbeit ist es zunächst hilfreich, bereits bestehende Formen der Zusammenarbeit zu erfassen und ihre Komplexität zu analysieren. Auf dieser Basis können dann realistische Ziele für komplexere Formen der Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Aushandlungsprozess in den Blick genommen werden. Dabei ist die Mitarbeit und Zustimmung aller Beteiligten von enormer Wichtigkeit. Denn so plausibel und zwingend die Argumente für Teamarbeit auch sind, sollte nicht vergessen werden, dass Lehrerinnen und Lehrer dafür nicht ausgebildet wurden. Der Wechsel vom Einzelkämpfer zum Teampartner bedeutet eine gewaltige Umstellung. Sie ist zwar nicht die einzige, aber wohl die bedeutsamste Umstellung im Rahmen der inklusiven Schulentwicklung, die sich direkt auf die tagtägliche Arbeit der Lehrpersonen auswirkt und nicht selten zunächst zu großen Verunsicherungen führt (Friedel & Dalbert, 2003). Die meisten Modelle der Teamarbeit an Schulen unterscheiden verschiedene Formen der Zusammenarbeit. Gräsel, Fussangel und Pröbstel (2006) unterscheiden drei Stufen der Zusammenarbeit unterschiedlicher Qualität und Komplexität. 1. Austausch: •• Arbeitsmaterialien, •• Informationen aus den Fach- und Jahrgangskonferenzen, •• Weiterbildung, •• Lern- und Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler. 2. Arbeitsteilige Kooperation: •• Unterrichtseinheiten erstellen, •• Curriculum entwickeln, •• Gemeinsame Kriterien für Leistungsbewertung festlegen. 28

Die Beteiligten

3. Ko-Konstruktion: •• Gemeinsam Unterrichten, •• Wechselseitige Hospitationen, •• Gemeinsam voneinander lernen und professionelle Kompetenzen weiterentwickeln, •• Schulprofil entwickeln. Kooperation beginnt danach auf einer untersten Ebene schon beim schlichten Austausch von Informationen über berufliche Inhalte (z. B. über die letzte Fortbildung), organisatorische Gegebenheiten (z. B. wer übernimmt welche Vertretungsstunde) oder Unterrichtsmaterialien. Diese Art der Zusammenarbeit erfordert keine besondere Abstimmung über konkrete Ziele und setzt, außer dem Wunsch nach Erwiderung, keine besondere Vertrauensbasis unter den Kolleginnen und Kollegen voraus. Die meisten Lehrpersonen halten diese Form der Zusammenarbeit für wichtig und die überwiegende Mehrheit praktiziert dies in ihrem Alltag auch schon (Richter & Pant, 2016). Die Situation in inklusiven Klassen erfordert jedoch, dass die Zusammenarbeit über den reinen Austausch von Informationen und Materialien hinausgeht. Meist arbeiten mehrere Personen unterschiedlicher Profession in einer inklusiven Klasse, die ihre Tätigkeiten eng koordinieren müssen. Die vorhandenen personellen Ressourcen müssen dabei sinnvoll eingesetzt werden, um die vielfältigen und komplexen Aufgaben bewältigen zu können. Das sind ganz andere Anforderungen als im Regelunterricht. Die Lehrpersonen tragen gemeinsam die Verantwortung für das Lehren und Lernen. Sie teilen sich die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von Unterricht auf (z. B. wer ist für die allgemeine Unterrichtsplanung verantwortlich und wer erstellt die Differenzierungsmaterialien) und koordinieren ihre Arbeit mit dem Assistenzpersonal der hilfebedürftigen Schülerinnen und Schüler. Solch arbeitsteilige Kooperation charakterisiert die nächsthöhere Stufe der Zusammenarbeit. Nur jede fünfte Lehrperson berichtet von solchen Kooperationen (Richter & Pant, 2016). Sie sind dann zu beobachten, wenn die Arbeitsbelastung in einem gemeinsamen Abstimmungsprozess, vornehmlich aus Gründen der Effizienzsteigerung, untereinander aufgeteilt wird (Gräsel et al., 2006). Es gibt aber auch pädagogisch Lehrpersonen

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motivierte arbeitsteilige Kooperationen in inklusiven Klassen. Beispielsweise im Parallelunterricht, in dem die gleichen Lerninhalte didaktisch anders aufbereitet in zwei verschiedenen Leistungsgruppen, einmal von der Regelschullehrerin bzw. dem Regelschullehrer und parallel dazu von der Lehrperson für Förderpädagogik, unterrichtet werden. Wichtigste Voraussetzung bei der arbeitsteiligen Kooperation ist, dass sich die Teampartner gegenseitig vertrauen und dass die Arbeitsaufträge gewissenhaft und zuverlässig erledigt werden (z. B. dass auch die körperbehinderten Schülerinnen und Schüler rechtzeitig im obersten Stockwerk sind, damit der Musikunterricht pünktlich beginnen kann). Gleichzeitig bleibt jedoch den Teampartnern ein großes Ausmaß an Autonomie erhalten. Jeder entscheidet selbst, wie er die ihm zugeteilte Aufgabe löst (z. B. die Gestaltung der Differenzierungsmaterialien oder die didaktische Vorgehensweise im Parallelunterricht – s. u., S. 33). Die höchste Ebene der Lehrerkooperation wird als Ko-Kon­ struktion oder Kollaboration bezeichnet, wenn sich beispielsweise die Kolleginnen und Kollegen wechselseitig im Unterricht besuchen, um zu hospitieren, einander Feedback geben und den Unterricht gemeinsam reflektieren oder gemeinsam Klassen unterrichten (z. B. Team-Teaching – s. u., S. 34). Unterschiedliche Fachkompetenzen werden dabei nicht als Problem, sondern als Bereicherung gesehen, wenn beispielsweise Lehrpersonen der Regelschule und der Förderpädagogik im Rahmen der Diagnostik unterschiedliche Perspek­ tiven einbringen und eine Entscheidung letztendlich gemeinsam verantworten. In einem solchen Prozess des intensiven Austauschs beziehen die Kooperationspartner ihr individuelles Wissen und ihre Erfahrungen aufeinander und ko-konstruieren gemeinsam neues Wissen oder entwickeln gemeinsam Aufgaben- oder Problemlösungen. Im Unterschied zum schlichten Austausch und der arbeitsteiligen Kooperation wird bei der Ko-Konstruktion über weite Strecken hinweg in einem gemeinsamen Abstimmungsprozess zusammen an den Aufgaben gearbeitet. Dass die Autonomie des Einzelnen bei der ko-konstruktiven Zusammenarbeit mehr eingeschränkt ist als bei anderen Formen der Zusammenarbeit, kann als ein Nachteil empfunden werden. Ko-Konstruktion ist die anspruchsvollste Form der Zusammenarbeit und sollte das übergeordnete Ziel sein. Nur 30

Die Beteiligten

etwa jede zehnte Lehrperson arbeitet in ko-konstruktiven Teams (­Richter & Pant, 2016). Je nachdem, welche Form der Kooperation an einer Schule bereits besteht, sind Möglichkeiten auszuloten, diese zu intensivieren und auf eine höhere Ebene zu bringen. Jedes Kollegium muss hier einen eigenen Weg finden, um ein professionelles Verständnis von Kooperation und Teamarbeit zu etablieren. Ein Hindernis dabei ist der Wunsch nach Autonomie. Denn, wie bereits gesagt, Lehrerinnen und Lehrer sind nicht zur Teamarbeit ausgebildet und schätzen ihre Autonomie sehr. Ein Zuviel an Autonomie kann jedoch kooperationshemmend wirken und echte Gruppenkohäsion sowie Verantwortungsübernahme behindern. Ein Zuwenig kann sich ungünstig auf die Motivation zur Teamarbeit auswirken. Ein weiteres Hindernis für Teamarbeit ist Zeitdruck. Lehrpersonen müssen in vielen Situationen sehr schnell entscheiden und manche Aufgaben lassen sich offensichtlich schneller allein erledigen, ohne große Absprachen und ohne Abstimmungsprozesse mit Kolleginnen und Kollegen. Teamarbeit hingegen kostet (zunächst) mehr Zeit. In vielen nationalen und internationalen Studien wird kritisiert, dass Lehrerinnen und Lehrern nicht genügend Zeit für die Teamarbeit zur Verfügung gestellt wird (Friend, Cook, Hurley-Chamberlain & Shamberger, 2010; Werning, 2014). Ausreichende Teamzeiten außerhalb der Unterrichtszeit sind jedoch eine entscheidende Gelingensbedingung für unterrichtsbezogene Kooperationen. Die Gefahr ist groß, dass aufgrund fehlender zeitlicher Ressourcen weiterhin äußere Differenzierungsformen genutzt werden und Schülerinnen und Schüler zur Förderung schlicht aus dem Regelunterricht herausgenommen und in einem segregierenden Setting beschult werden.

Gegenseitiges Vertrauen und ein gesundes Maß an Autonomie sowie ausreichend Kooperationszeiten sind wichtige Voraussetzung für gelingende Teamarbeit!

Weil der Druck zur Zusammenarbeit in inklusiven Schulen sehr groß ist, kooperieren die Lehrpersonen selbst dann, wenn die schuLehrpersonen

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lischen Rahmenbedingungen dafür eher ungünstig sind (Richter & Pant, 2016). Die Lehrpersonen tauschen Unterrichtsmaterialien aus und sprechen über die Entwicklung der Lernenden oder erarbeiten gemeinsam Bewertungsstandards. Mit steigendem Anteil der Lernenden mit sonderpädagogischem Förderbedarf nehmen auch komplexere und zeitintensivere Kooperationsaktivitäten zu (z. B. Team-Teaching [s. u., S. 34]). Der damit einhergehende Autonomieverlust und die zusätzliche Arbeitsbelastung gehen jedoch nicht unbedingt zu Lasten des Wohlbefindens der Lehrenden. Ganz im Gegenteil: Die kooperativ arbeitenden Lehrpersonen berichten häufiger, dass sie sich als kompetent im Unterricht erleben und generell zufrieden mit ihrer Arbeit sind. Gemeinsames Unterrichten

Inklusiver Unterricht muss nicht nur gemeinsam geplant und vorbereitet, sondern auch gemeinsam durchgeführt werden, und zwar nicht nur nach dem simplen Modell: Eine Lehrperson unterrichtet, die andere assistiert. Problematisch ist dieses Modell vor allem deshalb, weil die Lehrperson der Regelschule den Unterricht meist leitet, während der Lehrperson für Förderpädagogik lediglich eine Unterstützerrolle zukommt (Arndt & Werning, 2016; Friend et al., 2010). Die hohe Kunst des gemeinsamen Unterrichtens besteht darin, die unterschiedlichen Kompetenzen der Lehrpersonen voll zu nutzen und, adaptiv an die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler angepasst, zu zweit zu unterrichten, ohne sich dabei in die Quere zu kommen oder sich wechselseitig die Führungsrolle streitig zu machen. Um die Zusammenarbeit effektiv zu gestalten und Konflikte zu vermeiden, sind vorherige Absprachen über die Art und Weise, wie gemeinsam unterrichtet werden soll, essenziell. Damit wäre die nächste Gelingensbedingung formuliert:

Teamarbeit braucht Struktur!

Nur dann können die Potenziale der Zusammenarbeit voll ausgenutzt werden. Sechs verschiedene Möglichkeiten der Aufgaben32

Die Beteiligten

und Rollenverteilung beim gemeinsamen Unterrichten wurden von Friend, Cook, Hurley-Chamberlain & Shamberger (2010) illustriert. Je nach Zielsetzung und Unterrichtsphase kann die Form des gemeinsamen Unterrichtens variieren. 1. Lehrerperson und Beobachtungsperson. Während eine Lehrperson die gesamte Lerngruppe unterrichtet, beobachtet die andere Lehrperson die Lern-, Leistungs- und Verhaltensentwicklung einzelner Schülerinnen und Schüler oder der gesamten Lerngruppe. Günstig ist, wenn die Rollen zwischen den Lehrpersonen wechseln. Denn auch bei vorab festgelegten Beobachtungskriterien wird die Wahrnehmung der Lehrperson für die Regelschule eine andere sein als die der Lehrperson für Förderpädagogik. Der anschließende wechselseitige Austausch und die gemeinsame Bewertung der Beobachtungsdaten sind die Basis für eine differenzierte Beurteilung der Lern- und Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler und für die weitere Unterrichtgestaltung. 2. Beim Stationen-Lehren, ähnlich dem Stationen-Lernen, werden nichtsequentielle Lerninhalte auf drei Stationen verteilt. Auch die Schülerinnen und Schüler werden in drei Gruppen aufgeteilt und arbeiten im Wechsel an den Stationen. Im Unterschied zum Stationen-Lernen, bei dem die Lernenden unter sich arbeiten, werden zwei der drei Stationen von den Lehrpersonen angeleitet. Nur an der dritten Station sind die Schülerinnen und Schüler auf sich allein gestellt. Die Lehrer-Schüler-Interaktionen sind aufgrund der kleineren Gruppengröße vielfältiger und direkter. Ein konstruktives Feedback der Lehrperson an die Schülerinnen und Schüler ist so viel eher möglich. An der dritten Station wird die aktive und selbstständige Auseinandersetzung der Lernenden mit den fachlichen Inhalten gefördert. 3. Im Parallelunterricht vermitteln beide Lehrpersonen die gleichen Inhalte, jede in einer eigenen Lerngruppe und zwar adaptiv angepasst an die jeweiligen Lernvoraussetzungen. Das bedeutet, dass zwar die fachlichen Inhalte gleich, das didaktische Vorgehen und das Durchnahmetempo in beiden Gruppen jedoch ganz unterschiedlich sind. Die beiden Leistungsgruppen können je nach Bedarf unterschiedlich groß sein. Wie auch beim Stationen-Lehren oder dem alternativen Unterrichten vervielfachen sich die InterLehrpersonen

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aktions- und Hilfsmöglichkeiten durch die insgesamt geringere Gruppengröße. 4. Beim alternativen Unterrichten unterrichtet eine Lehrperson den größeren Teil der Schülerschaft, während die andere Lehrperson mit einer kleineren Gruppe von Schülerinnen und Schülern arbeitet, um spezifische Kompetenzen zu fördern. Wenn beispielsweise manche Kinder in der Klasse Schwierigkeiten haben, die Inhalte von Texten zu verstehen, können in einer Kleingruppe Lesestrategien erarbeitet und eingeübt werden (vgl. Kap. 4.3), während der Rest der Klasse an einem anderen Thema arbeitet. In einer Kleingruppe können aber auch von den leistungsstärksten Schülerinnen und Schülern anspruchsvollere, über das durchschnittliche Niveau der Klasse weit hinausreichende Aufgaben bearbeitet oder spezifische Kompetenzen erweitert werden. Welche Lehrperson die Kleingruppe anleitet, ist nicht festgelegt. Beide Lehrpersonen können ihre Kompetenzen in die Kleingruppenarbeit einbringen und dabei die Schülerinnen und Schüler aus anderer Perspektive kennenlernen. 5. Bei dem Modell Lehrerperson und Lehrassistenz unterrichtet die eine Lehrperson die gesamte Klasse auf einem einheitlichen Niveau, während die zweite einzelnen Schülerinnen und Schülern bei Lern- und Verständnisschwierigkeiten Unterstützung anbietet. Auch in diesem Modell muss nicht immer nur die sonderpädagogische Fachkraft die Assistenz übernehmen. 6. Die komplexeste Variante des gemeinsamen Unterrichtens ist das Team-Teaching: Beide Lehrpersonen unterrichten gemeinsam die Klasse. Die Rolle, wer die Unterrichtsführung und wer die Unterstützung der Lernenden übernimmt, kann in den verschiedenen Unterrichtsphasen wechseln. Das erfordert eine gute Vorbereitung, klare Absprachen und ein großes Maß an Vertrauen in die fachlichen Kompetenzen der Kollegin bzw. des Kollegen. Klare Absprachen über die Aufgabenverteilung bei allen Formen des gemeinsamen Unterrichtens müssen aber nicht nur zwischen den Lehrpersonen, sondern auch mit dem Assistenzpersonal getroffen werden. Im Einzelfall wird es für das Assistenzpersonal nicht immer leicht sein, die Balance zwischen behinderungsbedingt erforderlicher 34

Die Beteiligten

Hilfe und einem Zuviel an Hilfe zu finden. Nicht erforderliche Hilfe kann schnell die pädagogische Absicht der Lehrpersonen untergraben, die Schülerinnen und Schüler zur selbstständigen Arbeit anzuregen. Lehrerkooperationen haben bedeutsame Vorteile für den inklusiven Unterricht: Durch die Verwendung differenzierter Materialien (Parallelunterricht) oder die Einteilung in unterschiedliche Leistungsgruppen (Alternativer Unterricht) lässt sich der Unterricht in Schwierigkeit und Tempo adaptiv an die Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler anpassen. Bei besonderen Begabungen oder speziellen Förderbedarfen kann in kleinen Gruppen leichter gefördert bzw. interveniert werden. Von Hilfestellungen (Lehrerperson und Lehrassistenz) und Beobachtungen der Lern- und Leistungsentwicklung (Lehrerperson und Beobachtungsperson) können alle Leistungsgruppen profitieren. Ein weiterer Vorteil beim gemeinsamen Unterrichten sind die vielfältigen Interaktions- und Feedbackmöglichkeiten unter den Lernenden bzw. zwischen Lernenden und Lehrpersonen (z. B. Stationen-Lehren). Professionelle Lerngemeinschaften

Ko-konstruktive Teamarbeit und komplexe Formen der Aufgabenund Rollenverteilung beim gemeinsamen Unterrichten integriert das Konzept der Professionellen Lerngemeinschaften (PLG; Bonsen & Rolff, 2006). PLG sind durch fünf abgrenzbare Aspekte definiert. Die Lehrerinnen und Lehrer treten (1) in einen gemeinsamen Dialog. Sie sprechen über ihren Unterricht, dessen Vorzüge und Pro­ bleme und reflektieren über ihr alltägliches Handeln. Der Unterricht ist damit (2) nicht mehr eine private Angelegenheit. Vielmehr wird ein gemeinsamer Blick auf die Lern- und Lehrprozesse im Unterricht geworfen, wobei sich (3) der Fokus vom Lehren auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler verschiebt. Es findet (4) eine von geteilten Normen und Werten getragene Zusammenarbeit mit Blick auf (5) ein gemeinsames handlungsleitendes Ziel statt. Lehrpersonen werden so selbst zu Lernenden, die sich jeweils in einer oder mehreren PLG in Form von Zirkeln, Arbeitseinheiten oder Teams organisieren. Der Gemeinschaftsbegriff, eine Hilfekultur und Fehlertoleranz stehen dabei im Vordergrund. In inklusiven Schulen Lehrpersonen

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können in PLG beispielsweise ein Schulprogramm, differenzierte Unterrichtsmaterialien, verbindliche Leistungsstandards oder individuelle Fördermaterialien für die Kinder mit besonderem Bedarf entwickelt werden. Durch wechselseitige Unterrichtshospitationen mit anschließender Reflexion lassen sich Formen des gemeinsamen Unterrichts evaluieren und eine inklusive Unterrichtskultur weiterentwickeln. Aufgabe der Schulleitung ist es, PLG zu initiieren und zu unterstützen und die stundenplantechnischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich die Lehrpersonen in den PLG überhaupt zusammenfinden können. Eine institutionelle Struktur könnte beispielsweise eine Kombination von Klassen- bzw. Jahrgangsteams und Fach- bzw. Förderteams sein. Die Klassen- oder Jahrgangsteams bestehen aus Lehrpersonen verschiedener Fächer und Profession (Regelschule und Förderschule), die jedoch alle dieselben Schülerinnen und Schüler unterrichten. Das wird auch als die horizontale Achse der Schulentwicklung bezeichnet. In diesen Teams steht beispielsweise die Verbesserung der Lernmethodik, die Unterstützung der Lernenden beim Selbstlernen oder die Evaluation des Unterrichts im Mittelpunkt der Arbeit. Fachteams bestehen hingegen aus Lehrpersonen eines Unterrichtsfachs über alle Jahrgangsstufen hinweg (vertikale Achse). Sie behandeln fachinhaltliche und fachdidaktische Fragen und entwickeln den Unterricht weiter. Empirische Forschungsergebnisse zu PLG aus dem deutschen Sprachraum gibt es nicht. Bonsen und Rolff haben jedoch aus US-amerikanischen Studien folgende Erkenntnisse zusammengefasst (2006): In PLG … ȤȤ lernen Lehrpersonen neue Unterrichtstechniken und erweitern ihr professionelles Wissen. ȤȤ wird den Lehrpersonen ihre Rolle bei der Unterstützung und Förderung der Schülerinnen und Schüler bewusst. ȤȤ wächst die Bereitschaft, sich auf die besonderen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler einzustellen und den eigenen Unterricht entsprechend zu adaptieren. ȤȤ verbessert sich die Berufszufriedenheit, die Fehltage der Lehrpersonen nehmen ab. ȤȤ steigt die Motivation an nachhaltigen und systematischen Veränderungen mitzuwirken. 36

Die Beteiligten

Nicht zuletzt wird die Verständigung über Normen, Werte und gemeinsame Ziele, welche zentrale Aspekte im Rahmen der inklusiven Schulentwicklung sind, durch PLG gefördert. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die gleichberechtigte Einbindung der Lehrpersonen für Förderpädagogik in das Kollegium. Wie Lehrerkooperationen auf die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler wirken, ist noch nicht eindeutig geklärt. Holtappels (2013) konnte jedoch beobachten, dass die Lehrerkooperation in Schulen, in denen viele Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund und aus schwierigen sozioökonomischen Verhältnissen überdurchschnittliche Leistungen erbringen, stärker ausgeprägt ist. Die Römerstadtschule Frankfurt (Primarstufe) hat im Sinne der PLG eine inklusive Schulkultur entwickelt, die 2014 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurde. Eine Besonderheit der Römerstadtschule ist, dass neben der Inklusion von Kindern mit Anspruch auf sonderpädagogische Förderung auch jahrgangsübergreifend unterrichtet wird. Zur Einführung des jahrgangsübergreifenden Unterrichts trafen sich alle Kolleginnen und Kollegen einer Lerngruppe in vierwöchigem Abstand zur gemeinsamen Unterrichtsentwicklung und einem Erfahrungsaustausch. Im weiteren Verlauf der Schulentwicklung und der Etablierung der jahrgangsübergreifenden Lerngruppen veränderten sich die Aufgaben der PLG. So entstanden Best Practice-Beispiele für die Fächer Deutsch und Mathematik. Erarbeitet wurden verbindliche schulinterne Curricula, die dennoch eigene Gestaltungsräume lassen, um dem Wunsch der Lehrpersonen nach Autonomie zu entsprechen. Das Beispiel Römerstadtschule macht deutlich: Auf dem Weg von einer Regelschule hin zu einer inklusiven Schule verändern sich die Aufgabenstellungen stetig. Je nach anstehenden Herausforderungen sind PLG für neue Aufgaben zuständig, werden aufgelöst, umstrukturiert oder bilden sich neu. Andere bleiben über lange Zeit bestehen. Entwicklung der Teamarbeit

Teams werden nicht einfach »geboren« und sind dann voll funktionstüchtig. Teams brauchen Zeit sich zu entwickeln. Die Entwicklung ist aber nicht immer ein linearer Prozess. Gerade in neu gebildeten Teams müssen sich die Mitglieder zunächst kennenlernen Lehrpersonen

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und gegenseitiges Vertrauen aufbauen sowie Regeln der Zusammenarbeit und Rollen festlegen (van Dick & West, 2013). Positive sowie negative Erfahrungen der konkreten Zusammenarbeit wirken auf die weitere Teamentwicklung ein. Da kann es sein, dass bestimmte Formen der Zusammenarbeit oder Rollenverteilungen verworfen werden, um sie zu einem späteren Zeitpunkt wiederaufzunehmen. Laubenstein, Lindmeier, Seutter-Guthöhrlein und Belting (2015) konnten beobachten, dass sich neue Lehrerteams oftmals zu viel vornehmen und an komplexen Formen des gemeinsamen Unterrichts (GU) scheitern. In der Folge unterrichtete die Lehrperson für Förderbedarf, entgegen dem inklusiven Gedanken, die Schülerinnen und Schüler mit Schwierigkeiten getrennt von den anderen. Nach einiger Zeit und neuen, positiven Erfahrungen haben sich die Teams auf die Vorteile des gemeinsamen Lernens besonnen und trauen sich wieder, GU durchzuführen. Solche Brüche hat Tuckman (1965) in seinem Modell der Teamentwicklung berücksichtigt. Die erste Phase (forming), in der die Teammitglieder zusammenkommen, ist zunächst von großer Unsicherheit geprägt. In der zweiten Phase (storming) kommt es häufig aufgrund von Unklarheiten über Rollen und Aufgaben zu Konflikten. In der dritten Phase (norming) werden Rollen und Regeln definiert und das Team wächst zusammen. In der vierten Phase (performing) kann die Gruppe effektiv arbeiten. Teams, die nur vorübergehend gebildet wurden, um konkrete Ziele zu realisieren, lösen sich in der letzten Phase (adjourning) wieder auf. Bezieht man dieses Wissen in die Reflexion der Teamentwicklung mit ein, lassen sich frustrierende Erfahrungen sicherlich nicht ganz vermeiden, aber zumindest abmildern. Ein in der Praxis bereits erprobtes Instrument zur Planung und Reflexion der Zusammenarbeit von Lehrpersonen in inklusiven Settings hat ein Schweizer Team entwickelt (Brenzikofer-Albertin, Wolters-Kohler & Studer, 2015). Auf sogenannten Kooperations-Karten (KoKa) sind praxisnahe Fragen zu den Tätigkeiten Unterrichten, Fördern, Beraten und Begleiten formuliert. Die Fragen beziehen sich auf die Bereiche Ressourcen, Transfer, Position und Kontext. In Tabelle 2 sind exemplarisch einige Fragen zum Thema »Differenzieren und individualisieren im Unterricht« aufgeführt. In einem Begleitheft werden sechs verschiedene Varianten beschrieben, wie die 38

Die Beteiligten

Karten genutzt werden können, um beispielsweise Tätigkeiten zu planen, die eigenen Stärken und die Stärken anderer zu entdecken oder Gestaltungsspielräume zu erkennen. Sogenannte Ereigniskarten mit Praxisbeispielen (z. B. »Im Unterricht wird von einer der beiden KooperationspartnerInnen ein Thema inhaltlich nicht korrekt darstellt.«) erweitern die Diskussionsgrundlage. Die Ergebnisse und Vereinbarungen werden in ebenfalls beiliegenden Protokollen für die weitere Diskussion und Zusammenarbeit festgehalten. Welche Karten bearbeitet werden, entscheidet das Team. Tabelle 2: Fragebeispiele einer Kooperations-Karte zum Thema Unterrichten, Teilbereich: 1.8 Differenzieren und individualisieren. Bereich

Fragebeispiel

Ressourcen

Welche Ressourcen kann ich in diesen Bereich der Zusammenarbeit einbringen?

Transfer

Für welche Lernenden differenzieren und individualisieren wir? Im gemeinsamen Unterricht, im Unterricht allein? Mit welchen Mitteln möchten wir differenzieren und individualisieren? Welche Materialien haben wir dafür bereits aufbereitet? Wie können wir diese themenspezifisch einsetzen? Welche Möglichkeiten zur differenzierenden und individualisierenden Lernstandserfassung sehen wir?

Position

Welche Fortbildungsmöglichkeiten sehen wir für uns im Bereich Differenzierung/Individualisierung? Welche Bedeutung haben für mich individuelle Lernziele im Klassenunterricht? Was heißt das für die Umsetzung im Unterricht?

Kontext

Welche Räumlichkeiten stehen uns zur Verfügung? Welche konzeptuellen Vorgaben bestehen hinsichtlich der Arbeit mit Lernzielen? Welche konzeptuellen Vorgaben bestehen hinsichtlich Individualisieren und Differenzieren?

Sinn und Zweck der KoKa ist, miteinander über Themen des gemeinsamen Unterrichtens in inklusiven Klassen ins Gespräch zu kommen, Ressourcen zu entdecken und miteinander die Zusammenarbeit zu gestalten. Die Entwicklung der KoKa basiert auf der Theorie der themenzentrierten Interaktion von Ruth Cohn (2009). Danach werden Interaktionen im Team immer durch drei wechselseitig aufeinanLehrpersonen

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der wirkende Ebenen beeinflusst: Stimmungen und Beziehungen im Team (Wir-Ebene), die Persönlichkeit, die Vorerfahrungen und die aktuellen Verfassungen der einzelnen Mitglieder (Ich-Ebene) sowie die inhaltliche Tätigkeit (Sach-Ebene). Bei der Analyse von Interviews zu der Zusammenarbeit von Lehrpersonen in inklusiven Settings kamen die Autoren der KoKa zu dem Ergebnis, dass für eine gelingende Zusammenarbeit meist die Wir-Ebene präferiert wurde, d. h. die Lehrpersonen haben sich in erster Linie mit ihren Stimmungen und Beziehungen im Team auseinandergesetzt. Die Sach-Ebene, z. B. die Verständigung darüber, wie in einer Klasse differenziert unterrichtet werden kann, blieb jedoch oft unklar und wurde unzureichend bearbeitet. Ausgehend von der Hypothese, dass die Klärung und Konkretisierung der Sach-Ebene nicht nur eine Ressource in Bezug auf die Sach-Ebene selbst sein kann, sondern auch hilfreich in Bezug auf die Beziehungen im Team, wird bei den KoKa die sachliche Auseinandersetzung mit konkreten Tätigkeiten fokussiert. Probleme der Teamarbeit

Wo Kooperationen notwendig und vielleicht sogar von allen Pro­ tagonisten gewünscht werden, sind Konflikte oft nicht fern. Sicherlich können die meisten in der inklusiven Praxis Tätigen Anekdoten über Konflikte (z. B. aufgrund unterschiedlicher Ansichten) oder Zerwürfnisse wegen mangelnder Absprachen (wer wann was macht) bis hin zum Auseinanderbrechen der Teams (weil die »Chemie« nicht stimmt) beitragen. Oftmals geht die Reflexion über missglückte Teamarbeit nicht über gegenseitige Schuldzuweisungen hinaus. Die Gefahr ist groß, dass sich in der Folge negative Erfahrungen in den Köpfen festsetzen und zu der Einstellung führen, dass die Arbeit im Team komplizierter statt einfacher wird. Nicht selten führen negative Erfahrungen auch zu Misstrauen gegenüber Kolleginnen und Kollegen, was, im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, weitere schlechte Erfahrungen nach sich zieht. Besonders ungünstig ist es, wenn sich Kolleginnen und Kollegen aufgrund der frustrierenden Erfahrungen zurückziehen oder erkranken. Die meisten Konflikte lassen sich nach Jehn (1997) drei Gruppen zuordnen: den aufgabenbezogenen, den prozessbezogenen und den beziehungsbezogenen Konflikten: 40

Die Beteiligten

1. Die gemeinsame Verständigung über Ziele und Erwartungen des Teams hilft aufgabenbezogenen Konflikten präventiv entgegenzuwirken. Auch die Ziele und Erwartungen der Lernenden und ihrer Eltern sollten Berücksichtigung finden. Möglicherweise werden von verschiedenen Teammitgliedern (Lehrpersonen unterschiedlicher Professionalität, Integrationshelfer etc.) unterschiedliche Ziele verfolgt (z. B. aufgrund unterschiedlicher pädagogischer Ansichten). Aufgabenbezogene Konflikte sind in gut funktionierenden Teams gelegentlich sogar wünschenswert, um neue und kreative Ideen zu entwickeln. Eine Lösung des Konflikts kann schon darin bestehen, die eigenen Ideen den anderen Teammitgliedern mitzuteilen und den Konflikt nicht als Problem, sondern als ­konstruktive Art der Problemlösung anzusehen. Nicht zuletzt sollte die Art des Umgangs in Teams auch mit den Vorstellungen einer inklusiven Klassenkultur übereinstimmen. Dazu gehört das Zugeben von Schwächen genauso wie gegenseitige Rücksichtnahme und wechselseitige Unterstützung. Einzelkämpfer sind hier fehl am Platz. So banal es auch klingen mag, aber oft ist es schon hilfreich, den Konfliktparteien Techniken und Regeln der Gesprächsführung zu erläutern, z. B. dass man den Kontrahenten ausreden lässt oder dass man kritische Anmerkungen immer mit konkreten Beispielen untermauert. Eine bewährte Technik ist auch, dass die Gesprächspartner das von der Gegenpartei Gesagte zusammenfassend wiederholen, bevor ein eigenes Statement abgegeben wird. Die Diskussion wird so ruhiger und es wird sichergestellt, dass die Argumente richtig verstanden wurden. 2. Klare Absprachen im Team darüber, wer welche Aufgaben und Rollen übernimmt, helfen prozessbezogene Konflikte zu vermeiden. Bei der Verteilung der Aufgaben und Rollen ist darauf zu achten, dass die Teammitglieder ihre fachlichen Kompetenzen, persönlichen Bedürfnisse und sozialen Fähigkeiten einbringen können. Das steigert die Motivation zur Mitarbeit und das Gefühl der individuellen Verantwortlichkeit. 3. Beziehungsbezogene Konflikte sind schwierig zu bearbeiten. Was heißt es, dass die »Chemie« zwischen den zerstrittenen Parteien nicht stimmt? Dahinter verbergen sich häufig andere Gründe, wie z. B. Machtkämpfe, Missmut über Aufgaben- und RollenverLehrpersonen

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teilung oder unterschiedliche pädagogische Ansichten oder Zielsetzungen. Hier gilt es vor allen Dingen Vertrauen und gegenseitiges Verständnis in Gesprächen bzw. in der gemeinsamen Arbeit zu entwickeln. Die Vereinbarung über die gemeinsam zu erreichenden Ziele und die Übernahme individueller Verantwortlichkeit aller Teammitglieder minimieren das Konfliktpotenzial. Manche Gründe für Konflikte, die die Zusammenarbeit lähmen, liegen jedoch außerhalb der Möglichkeiten des Teams. Beispielsweise wird es oft ungerecht empfunden, wenn verschiedene Berufsgruppen sich in einem Team die Arbeit teilen, aber unterschiedlich bezahlt werden. Ist es dem Team nicht möglich, Konflikte selbstständig zu lösen, sollten externe Personen (Schulleitung, Schulpsychologe, Coach etc.) hinzugezogen werden. Einen Ratgeber für multiprofessionelle Kooperation in der inklusiven Schule hat Mays (2016) herausgegeben, mit Tipps von der Konfliktlösung bis hin zur inklusiven Unterrichtsgestaltung. Basiselemente der Teamarbeit

Wie weiter oben erläutert, lassen sich aus bisher vorliegenden Modellen und Forschungsergebnissen keine Patentrezepte der Teamarbeit ableiten. Per definitionem am Anfang des Kapitels und mittels der vorliegenden Ausführungen lassen sich aber »Basics« multiprofessioneller Teamarbeit formulieren: ȤȤ Haltung zu Inklusion und Teamarbeit: Man muss es wollen. ȤȤ Vertrauen und Akzeptanz: Unbedingte Voraussetzung für gelingende Teamarbeit ist die grundsätzliche Akzeptanz und ein gewisses Maß an Vertrauen in die Handlungen und Absichten der Kolleginnen und Kollegen. Die Bereitschaft, Verantwortung an andere abzugeben und andererseits individuelle Verantwortung zu übernehmen sowie Zuverlässigkeit spielen eine wichtige Rolle. Auch die Schulleitung muss ein ausgewogenes Verhältnis von Vertrauen und Kontrolle entwickeln und lernen, auf die Selbststeuerungsfähigkeit von Gruppen zu vertrauen und Teamentscheidungen zu akzeptieren. ȤȤ Gemeinsame Ziele: Gerade bei einem so kontrovers diskutierten und komplexen Thema wie der schulischen Inklusion ist eine 42

Die Beteiligten

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Verständigung über die gemeinsamen Ziele notwendig. Der Weg zum Ziel kann dabei sehr unterschiedlich sein. Individuelle Verantwortlichkeit und positive Interdependenz: Dies sind zentrale Basiselemente jeder kooperativen Zusammenarbeit. Die Aufgaben sind im Team so zu verteilen, dass jedes Mitglied für die ihm zugewiesene Aufgabe individuell verantwortlich gemacht werden kann, so dass allen klar wird, dass die Kolleginnen und Kollegen wechselseitig aufeinander angewiesen sind, um das Ziel zu erreichen. Nur dann wird die Zusammenarbeit in der Gruppe fruchtbar und zufriedenstellend. Autonomie und Kompetenzerleben: Autonomie und Teamarbeit stehen zwar in einem gewissen Widerspruch, schließen sich aber nicht unbedingt aus. Jedem Teammitglied sollte so viel Autonomie zugestanden werden wie möglich. Zudem sollte jedem Teammitglied die Möglichkeit eingeräumt werden, seine Kompetenzen unter Beweis zu stellen. Autonomie und Kompetenzerleben sind psychologische Grundbedürfnisse. Auch das dritte psychologische Grundbedürfnis, die soziale Eingebundenheit, wird im Team befriedigt. Konzept und Struktur: Wichtig ist die Verständigung unter den Kolleginnen und Kollegen auf ein Konzept der Zusammenarbeit bzw. des gemeinsamen Unterrichtens. Günstige institutionelle Strukturen (Raum und Zeit) erleichtern die Zusammenarbeit. Bei der Stundenplanerstellung sollten jedenfalls gemeinsame Teamzeiten mit eingeplant werden. Kommunikation: Sie ist der Schlüssel für gelingende Teamarbeit. Vor allen Dingen sollte bei Konflikten miteinander geredet werden! Aber nicht nur über die eigenen Befindlichkeiten, sondern auch über sachbezogene Problemlösungen. Techniken der Gesprächsführung helfen dabei.

Und wer profitiert von der Lehrerkooperation? Eine Metaanalyse zur Lehrerkooperation bestätigt positive Effekte (ES = 0.25) der professionellen Teamarbeit auf die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler (Lomos, Hofman & Bosker, 2011). Am meisten profitieren aber die Lehrpersonen selbst von der Teamarbeit. Kooperativ arbeitende Lehrpersonen berichten häufiger, dass Lehrpersonen

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sie sich als kompetent im Unterricht erleben und dass sie zufrieden mit ihrer Arbeit sind (Richter & Pant, 2016). Vangrieken und ihr Team (2015) sind bei ihrer Metaanalyse zur Lehrerkooperation mit 82 Studien (international) zwar auch auf einige Untersuchungen gestoßen, die von negativen Effekten wie Konkurrenzdruck, Spannungen, Autonomieverlust, zusätzlicher Arbeitsbelastung und Konformitätsdruck berichten. Insgesamt ist das Fazit jedoch positiv. Gerade Lehrpersonen heterogen zusammengesetzter Lerngruppen und vor allem junge Kolleginnen und Kollegen profitieren von der Teamarbeit. Sie haben das Gefühl, in kooperativen Settings effektiver, variantenreicher und kreativer zu unterrichten, sind motivierter bei der Unterrichtsvorbereitung und berichten seltener von Entfremdung und Isolation. Selbstbewusstsein und Arbeitszufriedenheit nehmen zu. Aus- und Weiterbildung Viel wird geredet und geforscht über die (richtige) Einstellung von Lehrpersonen zur Inklusion. Einstellungsänderungen erweisen sich jedoch als anspruchsvolle Aufgabe mit unterschiedlichem Erfolg. Was bleibt, ist der Wunsch der Lehrpersonen nach mehr Wissen über schulische Inklusion und konkrete Handlungsmöglichkeiten. Lehrpersonen brauchen Angebote, wo sie ihre professionellen Kompetenzen für die schulische Inklusion entwickeln bzw. vertiefen können. Das gilt sowohl für Lehramtsstudierende in den verschiedenen Phasen der Ausbildung als auch für die bereits tätigen Pädagoginnen und Pädagogen in Form von Weiter- bzw. Zusatzbildungsangeboten. Nur so kann die Professionalisierung für ein inklusives Schulsystem vorangetrieben werden. Klärungsbedarf gibt es allerdings über die rechtliche, organisatorische und inhaltliche Gestaltung der Angebote. Die KMK (2015) betont zwar, dass alle Lehrpersonen in allgemeinpädagogischen und förderpädagogischen Basiskompetenzen für den professionellen Umgang mit Vielfalt in der Schule ausgebildet sein sollen. Die rechtlichen Vorgaben der Länder sehen jedoch vielerorts weiterhin eine Trennung der Lehramtsausbildung für die Regelschule und die Förderschule vor. Die systematische Trennung ist historisch zu erklären, entspricht jedoch nach Meinung der European Agency for the Development in Special Needs Education (2011) oder der 44

Die Beteiligten

Monitoringstelle am Deutschen Institut für Menschenrechte nicht den Anforderungen eines inklusiven Bildungssystems. Mißling und Ückert (2014) plädieren für eine Zusammenführung der beiden Ausbildungsstränge zu einer inklusionsorientierten Lehramtsausbildung. Gold (2016) weist jedoch zu Recht darauf hin, dass die Klärung dieser Fragen aufgrund von Abstimmungsproblemen zwischen den verschiedenen an der Lehrerbildung beteiligten Institutionen aufgrund unterschiedlicher Traditionen und Interessenlagen nicht unproblematisch ist. Im Rahmen der universitären Ausbildung bedeutet das auch eine andere Gewichtung der bildungswissenschaftlichen, fachdidaktischen und fachwissenschaftlichen Inhalte und Anteile zugunsten inklusionspädagogischer Inhalte, damit alle Lehramtsstudierenden sonderpädagogische Basiskompetenzen erwerben können. Zu den sonderpädagogischen Basiskompetenzen gehören u. a. das Diagnostizieren (z. B. von Lernvoraussetzungen und Lernprozessen, um Lernhindernisse und Lernpotenziale zu erkennen, aber auch zur formativen Beurteilung der Lernentwicklung), das Planen und Gestalten von Unterricht bei differenten Unterrichtszielen, das Abstimmen von individuellen Lernmöglichkeiten und unterschiedlichen Lernanforderungen, das Einleiten spezieller Fördermaßnahmen sowie Basiskenntnisse über die am häufigsten im inklusiven Unterricht vorkommenden Behinderungsarten bzw. Störungsbilder der Kinder und Jugendlichen.

Lehrpersonen

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3 Warum Diagnostik und wenn ja, welche?

Im separierenden Schulsystem war eine Hauptaufgabe der Diagnostik einmalig die »allgemeine Lernfähigkeit« bei Schülerinnen und Schülern mit problematischen Lernvoraussetzungen bzw. -leistungen festzustellen. Auf dieser Grundlage (mit dem Schwerpunkt auf der Intelligenzdiagnostik [s. u., S. 49]) wurde in einem zusammenfassenden Gutachten über die Förderbedürftigkeit entschieden. Letztendlich darüber, in welcher Institution ein Kind unterrichtet werden sollte, ob in einer Regel- oder Förderschule (Platzierungsentscheidung). Die Bemühungen um die schulische Integration veranlasste die KMK (1994) eine eher personenbezogene, individualisierende und nicht mehr vorrangig institutionenbezogene Sichtweise sonderpädagogischer Förderung zu empfehlen. In diesem Prozess ist neben den Begriff der Sonderschulbedürftigkeit in zunehmendem Maße der Begriff des (individuellen) sonderpädagogischen Förderbedarfs getreten, dessen Erfüllung nicht mehr an eine spezielle Schulform gebunden ist, sondern dem auch in (inklusiven) Regelschulen entsprochen werden kann. An diesem Punkt stellt sich die Frage, ob in einem inklusiven Schulsystem Diagnostik überhaupt noch benötigt wird, wenn doch sowieso alle eine (inklusive) Schule besuchen? Soweit sei schon einmal vorweggegriffen: Ja, gerade im inklusiven Unterricht ist Diagnostik eine wichtige Grundlage für professionelle pädagogische Entscheidungen. Weshalb? ȤȤ Damit bei keinem Kind Lernschwierigkeiten oder stagnierende Lernverläufe unentdeckt bleiben. ȤȤ Damit möglichst frühzeitig, also idealerweise präventiv, auf Schwächen reagiert werden kann, bevor sie sich manifestieren und dauerhaft zu schlechten Lernleistungen führen. ȤȤ Damit Lehrpersonen ihren Unterricht an den individuellen Lernvoraussetzungen der Kinder und Jugendlichen ausrichten können und, wenn nötig, auch spezifische Förderangebote machen können. 46

Wahr ist aber auch, dass unter den Befürwortern der Inklusion aufgrund unterschiedlicher fachlicher Zugangswege heftige Kontroversen über den »richtigen« Umgang mit der Diagnostik geführt werden. Während von den einen die Gefahr einer Stigmatisierung durch eine auf Defizite ausgerichtete Diagnostik betont wird, heben die anderen die Vorteile für die Unterrichtsgestaltung und die individuelle Förderung hervor. Die Herausforderung besteht darin, in gemeinsamer Verantwortung das richtige Maß zu finden und die Angemessenheit der verschiedenen Positionen auszuhandeln. Informelle Diagnostik Lehrerinnen und Lehrer können in der Regel recht gut die Leistungsfähigkeit ihrer Schülerinnen und Schüler einschätzen. Davon ausgehend gestalten sie das unterrichtliche Angebot und prüfen in einem ständigen Abgleich, ob die prognostizierten Lernziele auch tatsächlich erreicht wurden. Sie erkennen, wenn ihre Schülerinnen und Schüler Probleme haben, z. B. beim Lesen, Schreiben, Rechnen oder ganz allgemein beim Lernen. Sie erkennen, ob ihre Schülerinnen und Schüler unaufmerksam sind und sich nicht konzentrieren können, ob sie aggressiv sind und sich an keine Regeln halten oder ob ihnen langweilig ist, vielleicht, weil sie sich von den Aufgaben nicht genügend herausgefordert fühlen. In der Regel erfolgen solche Alltagsdiagnosen auf der Basis von Alltagstheorien, d. h. nicht näher reflektierten, subjektiven Grundannahmen und zumeist intuitiv und unbewusst. Deshalb spricht man in diesem Zusammenhang auch von informellen Diagnosen. Lehrpersonen kommen im schulischen Alltag wegen der Vielzahl und den meist rasch wechselnden Situationen nicht umhin, ihren informellen Alltagsdiagnosen zu vertrauen. Sie verfügen in der Regel auch über ein pädagogisches Handlungsrepertoire, um bei Bedarf adäquat zu reagieren und entsprechende Unterstützung und Hilfen anzubieten. Das kann zielführend sein, wenn das pädagogische Handeln auf verinnerlichten wissenschaftlichen Theorien beruht. So etwa, wenn Helen, die Schwierigkeiten hat, einen Text zu verstehen, den Tipp bekommt, zunächst das Wichtigste zu unterstreichen und unklare Begriffe im Internet zu recherchieren, oder wenn Luis einen Smiley auf den Wochenplan gestempelt bekommt, weil er konzentriert und ohne zu Warum Diagnostik und wenn ja, welche?

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stören gearbeitet hat. Ungeeignete Interventionen oder ungenaue Einschätzungen der tatsächlichen Lern- und Leistungsfähigkeit aufgrund einer unzureichenden diagnostischen Kompetenz von Lehrpersonen können aber auch ungünstige und dauerhaft nachteilige Folgen für die Kinder und Jugendlichen haben. Vor allen Dingen dann, wenn erfolgversprechende Interventionen aufgrund falscher Einschätzungen ausbleiben oder wenn falsche Entscheidungen über die weitere Bildungslaufbahn eines Kindes getroffen werden. Besonders im inklusiven Unterricht mit heterogenen Lerngruppen sind (zutreffende) informelle Lehrerurteile für die kurzfristige Steuerung des weiteren Unterrichtsverlaufs und die notwendige Anpassung der gestellten Anforderungen an die individuellen Voraussetzungen der Lernenden unverzichtbar. Formelle Diagnostik

Informelle Lehrerurteile reichen jedoch nicht aus, wenn es um langfristige und bedeutsame pädagogische Entscheidungen und Maßnahmen geht, etwa bei der Planung von Förder- und Therapiemaßnahmen oder, wenn sich diese als unwirksam erwiesen haben, bei deren Revision. Informelle Lehrerurteile können dann lediglich als diagnostische Hypothesen betrachtet werden, die der Absicherung bzw. Korrektur durch eine formelle Diagnostik bedürfen. Formelle Diagnostik basiert auf wissenschaftlichen Theorien und standardisierten Instrumenten (z. B. auf Intelligenz-, Schulleistungs- und Persönlichkeitstests), die bewusst und planvoll eingesetzt werden. Die Diagnose von Lernschwierigkeiten, der kognitiven Funktionstüchtigkeit oder der motivational-volitionalen Lernvoraussetzungen liefert wertvolle Hinweise für die Gestaltung adaptiver Unterrichtsmaßnahmen und/oder über den Unterricht hinausgehende Interventionsmaßnahmen. Nur mit objektiven, messgenauen und validen Testverfahren können die individuellen Kompetenzen und die Besonderheiten von Schülerinnen und Schülern zuverlässig erfasst werden. Den Testverfahren beiliegende Normtabellen erlauben einen Vergleich der individuellen Ausprägungen mit einer alters- oder jahrgangsstufenadäquaten Vergleichsgruppe. Ein Beispiel: Vielleicht ist Arno, der eigentlich dem Unterricht kognitiv sehr gut folgen kann und gelegentlich Aufgaben löst, an denen seine Mitschülerinnen und 48

Warum Diagnostik und wenn ja, welche?

-schüler scheitern, deshalb so unkonzentriert und leistungsschwach, weil ihn die meisten schulischen Aufgaben langweilen und zu wenig herausfordern. Vielleicht strengt er sich aber auch einfach nicht genügend an? Ist Arno vielleicht hochbegabt, ein sogenannter »Underachiever«, der mit hohem intellektuellen Potenzial nur schwache schulische Leistungen erbringt? Ein hochbegabtes Kind fällt nicht unbedingt durch hervorragende schulische Leistungen auf, sondern im Gegenteil vielleicht sogar durch Minderleistungen und Unaufmerksamkeit im Unterricht oder mangelndes Selbstvertrauen. Hochbegabungen im Rahmen von informellen Diagnosen zu erkennen, fällt Lehrpersonen häufig besonders schwer, weil sie sich in ihrem Urteil sehr stark an den schulischen Leistungen (Performanz) orientieren und weniger am Potenzial der Kinder. In Arnos Fall kann eine formelle Diagnostik wichtige Hinweise auf die Problematik und die zugrundeliegenden Ursachen geben. Würde Arno in einem Intelligenztest sehr viel besser abschneiden als gleichaltrige Kinder, wäre das ein erster Hinweis auf eine Hochbegabung. Die Idee, Testverfahren zu entwickeln, um damit die Intelligenz quantitativ zu erfassen, geht auf den französischen Psychiater Al­ fred Binet (1857–1911) zurück. Förderbedürftige Kinder sollten nicht mehr durch subjektive Urteile von Lehrpersonen, sondern durch einen objektiven Test identifiziert werden, damit entsprechende pädagogische Maßnahmen eingeleitet werden können. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Intelligenztests, die auf ganz unterschiedlichen theoretischen Vorstellungen darüber basieren, was unter dem psychologischen Konstrukt »Intelligenz« überhaupt zu verstehen ist. Dementsprechend gibt es auch keine allgemeinverbindliche Definition des Intelligenzbegriffs. In einem Intelligenztest bearbeiten die Personen Aufgaben unterschiedlicher kognitiver Anforderungen (z. B. schlussfolgerndes Denken, Bearbeitungsgeschwindigkeit, Merkfähigkeit). Aus der Anzahl richtig gelöster Aufgaben ergibt sich ein Testwert (Rohwert). Dieser Rohwert wird anschließend in einen standardisierten Intelligenzwert (IQ) umgerechnet. Zur Umrechnung stehen in den Testmanualen Normwertetabellen für verschiedene Altersbereiche zur Verfügung. Die ermittelten IQ-Werte geben Auskunft darüber, ob die Intelligenz einer Person etwa über oder unter dem Durchschnitt der entWarum Diagnostik und wenn ja, welche?

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sprechenden Vergleichsstichprobe liegt. Unter der Annahme, dass die Intelligenz in der Bevölkerung normalverteilt ist, entspricht ein IQ-Wert von 100 dem Durchschnittswert bei einer Standardabweichung von 15 IQ-Punkten (Abbildung 2). Mit anderen Worten: 68 Prozent einer entsprechenden Alterspopulation erreichen in einem IQ-Test Werte im Bereich zwischen 85 und 115 IQ-Punkten, eine Standardabweichung über beziehungsweise unter dem durchschnittlichen IQ-Wert von 100. Dieser Bereich wird auch als Normalbereich bezeichnet. Anhand der Altersnormen kann also ermittelt werden, ob ein individueller IQ-Wert im Normalbereich liegt oder etwa auf eine Hochbegabung (IQ > 130) oder Minder­ begabung (IQ < 70) hinweist.

Abbildung 2: Normalverteilung mit den Skalen Intelligenzquotient (IQ), Standardabweichung (SD) und Prozentrang (PR).

Arno hat in einem Intelligenztest einen IQ-Wert von 132 erzielt und liegt damit etwas mehr als zwei Standardabweichungen (SD) über dem Durchschnitt (s. Abbildung 2). Als Prozentrang (PR) ausgedrückt: Nur ca. zwei Prozent aller Kinder seiner Altersklasse erzielen einen vergleichbaren oder (noch) höheren Wert. Eine überdurchschnittliche Intelligenz ist jedoch nur eine notwendige, nicht aber hinreichende Voraussetzung für die Diagnose einer Hochbegabung. Weitere Tests der Aufmerksamkeit und der Persönlichkeit sowie Umweltfaktoren müssen ebenso berücksichtigt werden. Es geht nicht darum, Arno einen Stempel »hochbegabt«, »normal intel50

Warum Diagnostik und wenn ja, welche?

ligent« oder »unaufmerksam« aufzudrücken und ihn in eine Schublade zu stecken oder ihm durch unangemessene Erwartungshaltungen die Lust am Lernen zu nehmen. Diagnostik ist nur dann zu verantworten, wenn damit der notwendige Unterstützungsbedarf identifiziert und erfolgversprechende Fördermaßnahmen geplant und initiiert werden. Sollte es bei Arno tatsächlich weitere Hinweise auf eine Hochbegabung geben, bräuchte er nicht nur mehr, sondern vor allen Dingen auch kognitiv stärker herausfordernde Aufgaben. Seine Lehrpersonen müssten also differenziertes Lernmaterial und zusätzliche schulische Angebote bereithalten, die Eltern beraten und gegebenenfalls Akzelerationsmaßnahmen (beschleunigtes Durchlaufen des vorgesehenen Lehrplans, z. B. durch Überspringen einer Klassenstufe) vorschlagen. Am Beispiel von Arno wird deutlich, wie wichtig eine auf wissenschaftlichen Methoden beruhende formelle Diagnostik im Einzelfall sein kann. Nicht um zu segregieren oder zu stigmatisieren, sondern um pädagogisch intelligente Entscheidungen im Sinne der Schülerinnen und Schüler zu treffen. Gleiches gilt für den weitaus häufigeren Fall, nämlich bei Kindern mit Lernschwierigkeiten. Es geht in beiden Fällen um die Identifikation von Unterstützungs- bzw. Förderbedarf sowie die Planung, Vorbereitung und Durchführung adaptiver Unterrichtsangebote. Neben der Intelligenzdiagnostik geht es aus psychologischer Perspektive um die Diagnostik der schulischen Leistungen, der fachlichen Kompetenzen, der individuellen Lernvoraussetzungen (weil diese häufig mit schulischen Leistungsproblemen zusammenhängen) und um die Diagnostik von Lernschwächen, -störungen und Verhaltensauffälligkeiten (z. B. ADHS). Die Ergebnisse der verschiedenen Testverfahren bilden die empirische Grundlage für Planung und Durchführung individueller Förder- und Interventionsmaßnahmen, auf die Lernende mit einem positiven Befund Anspruch haben. Lehrpersonen aller Lehrämter sollten daher über ein Basiswissen formeller Diagnostik verfügen, um Testergebnisse richtig interpretieren und Gutachten verstehen zu können. Förderpädagogen, Schulpsychologinnen oder Beratungslehrer mit besonderen Kompetenzen in diesem Bereich können ihre Kolleginnen und Kollegen der Regelschule bei der wissenschaftlichen Diagnostik zusätzlich unterstützen. Warum Diagnostik und wenn ja, welche?

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Formative Diagnostik

Während bis hierhin von einer Diagnostik die Rede war, die summativ und zu einem bestimmten Zeitpunkt die Kompetenzen bzw. den Status einer Person feststellt (Statusdiagnostik), wie etwa bei der Feststellung eines Förderbedarfs, geht es bei der im Folgenden behandelten formativen Diagnostik grundsätzlich darum, den Lern- bzw. Entwicklungsstand fortlaufend und durch mehrere Messungen, z. B. alle zwei Wochen, zu erheben. So ist es möglich, den individuellen Lernverlauf, d. h. die Fortschritte genauso wie Stagnation oder Rückschritte, zu erfassen. Deshalb wird hier, wie von Klauer (2014) vorgeschlagen, im Folgenden auch von der Lernverlaufsdiagnostik gesprochen. Bereits seit Ende der 1960er-Jahre wird im US-amerikanischen Sprachraum über die Vorteile einer formativen Diagnostik diskutiert (Klauer, 2014). Ab den 1980er-Jahren wurde an computergestützten Verfahren der formativen Diagnostik zur Unterstützung von Sonderpädagogen bei der Erstellung individueller Förderpläne für Kinder mit Lern- oder Verhaltensschwierigkeiten gearbeitet. Dazu wurden in regelmäßigen Abständen empirisch gewonnene Schülerdaten elektronisch gespeichert, zusammengefasst und grafisch ausgewertet. So war es einfach, den Lernverlauf der Schülerinnen und Schüler zu verfolgen und bei ungünstigen Entwicklungen Interventionsmaßnahmen einzuleiten (Deno, 2003). Die Weiterentwicklung dieser Testtradition wurde in den USA durch das »No Child Left Behind«-Gesetz von 2002, das Schulen für Misserfolge von Kindern unmittelbar verantwortlich macht, weiter vorangetrieben (seit 2015: Every Student Succeeds Act). In der deutschsprachigen Förderpädagogik fand die formative Diagnostik erst in jüngerer Zeit Beachtung, z. B. im Rahmen des Rügener Inklusionsmodells (Voß & Hartke, 2014) oder der im Folgenden dargestellten Lernverlaufsdiagnostik. Eine differenzierte Beschreibung der verschiedenen Begriffe und Konzepte der formativen Diagnostik findet sich bei Voß und Hartke (2014).

3.1 Lernt Ben Lesen und Rechnen? »Eine inklusive Unterrichtsgestaltung beruht auf einer den Lernprozess begleitenden pädagogischen Diagnostik und einer kontinuierlichen Dokumentation der Lernentwicklung.« (KMK, 2011, S. 10). 52

Warum Diagnostik und wenn ja, welche?

Tut Ben sich nicht in letzter Zeit besonders schwer mit dem Lesen? War Smilla beim Addieren nicht schon viel sicherer? Überfordere ich meine Schülerinnen und Schüler mit der Textauswahl? Solche oder ähnliche Fragen stellen sich Lehrpersonen täglich im Unterricht. Antworten darauf fallen aber häufig schwer. Verständlich, denn es ist gar nicht so leicht, die Lernentwicklung von 20 bis 30 Kindern und das Leistungsniveau der gesamten Klasse immer im Blick zu haben. In zunehmend leistungsheterogenen, inklusiven Klassen allemal. In der Regel offenbaren sich die Ergebnisse von Lernprozessen in abschließenden Bewertungen in Form von Klassenarbeiten. Im Optimalfall stimmen die Bewertungen mit den Beobachtungen der Lehrpersonen überein. Erfreulich, wenn bessere als erwartete Leistungen erbracht wurden. Wenig lernförderlich und zudem demotivierend ist eine schlechte Bewertung am Ende eines ungünstig verlaufenen Lernprozesses, der von der Lehrperson nicht erkannt wurde. Lernverlaufsdiagnostik

Abhilfe kann hier die Lernverlaufsdiagnostik schaffen. In regelmäßigen Abständen bearbeiten Schülerinnen und Schüler etwa über ein Schuljahr hinweg kurze, teilweise nur eine Minute dauernde Tests. Geprüft werden z. B. Basiskompetenzen im Lesen oder Rechnen. Die wiederholten Messungen bilden den individuellen Lernprozess ab. Abbildung 3 zeigt den fiktiven Lernverlauf von zwei Kindern im Vergleich mit dem Klassendurchschnitt. Während bei Lea eine durchschnittliche Entwicklung zu erkennen ist, stagniert die Entwicklung bei Jan unter dem Klassendurchschnitt. Die Lehrperson und die Lernenden erhalten durch die Aufzeichnungen des Lernverlaufs regelmäßig ein Feedback, ob die intendierten Lernziele mit den bisherigen unterrichtlichen Mitteln erreicht wurden. Auf dieser Basis können Lernziele neu definiert, Methoden und Inhalte angepasst oder gegebenenfalls Entscheidungen über Maßnahmen zur individuellen Förderung getroffen werden. In diesem Sinne dient die Lernverlaufsdiagnostik dem Zweck der Förderung des Lernens und der Selbstregulation der Lernenden. Die Lernverlaufsdiagnostik sollte so gestaltet sein, dass die Belastungen für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrpersonen möglichst gering sind. Schülerinnen und Schüler sollen in der Schule ja lernen und Lernt Ben Lesen und Rechnen?

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Abbildung 3: Fiktiver Lernverlauf

nicht ständig nur getestet werden, und auf Lehrpersonen kommen bei der Inklusion sowieso schon viele zusätzliche Aufgaben zu. Die Durchführung, Auswertung und Interpretation der Lernverlaufsdiagnostik muss deshalb möglichst ökonomisch sein. Wie das gehen kann, zeigt die Schilderung des praktischen Vorgehens einer internetbasierten Form der Lernverlaufsdiagnostik. Hier wird auch in eindrücklicher Weise der Unterschied zur oben beschriebenen Statusdiagnostik deutlich.

Heute wird gequoppt! Neben Sport und Deutsch steht heute »quoppen« auf dem Tagesplan der dritten Grundschulklasse. quop ist ein Kunstwort. Dahinter verbirgt sich ein Ansatz zur internetbasierten Lernverlaufsdiagnostik. Die Kinder freuen sich darauf, weil es ihnen Spaß macht, am Computer zu arbeiten. Sie loggen sich mit einem individuellen Account auf einer Webseite ein. Dort bearbeiten sie selbstständig einen 10- bis 15-minütigen Test. Die Ergebnisse werden für die Lehrpersonen automatisch tabellarisch und grafisch aufbereitet und bilden die Grundlage für Gespräche mit den Kindern über

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Warum Diagnostik und wenn ja, welche?

den aktuellen Stand ihrer Lernentwicklung, denn alle zwei bis drei Wochen wird »gequoppt«. Die Kinder sehen, ob sie besser, vergleichbar oder aber weniger gut gelesen oder gerechnet haben. Die direkte Rückmeldung zum aktuellen Lernstand bietet die Möglichkeit zur Selbstreflexion und zu Selbstwirksamkeitserfahrungen: »Das Addieren klappt jetzt viel besser als noch vor drei Wochen, die zusätzlichen Übungsaufgaben haben mir wirklich geholfen. Ich strenge mich weiter an, damit ich noch besser werde!« Oder: »Die Kurve bei der Lesegeschwindigkeit geht ja nach unten! Ich werde mehr Lesen üben, damit ich wieder besser werde!« Die Lehrperson hilft, die Ergebnisse richtig zu interpretieren, damit z. B. die langsamere Lesegeschwindigkeit im Zusammenhang mit der Verbesserung im Textverstehen betrachtet und nicht überbewertet wird. Die Lehrperson kann sich ebenfalls in das System einloggen und in einem Lehrermenü die aktuellen Lernstände und gespeicherten Lernverläufe einzelner Kinder verfolgen (individuelle Bezugsnorm). Oder die Lernstände einzelner Kinder mit den Leistungen in der Klasse oder einer altersgleichen Normierungsstichprobe vergleichen (soziale Bezugsnorm). Im Internet unter www.quop.de wird das Konzept anschaulich erläutert. Hier finden sich auch exemplarische Lernverläufe.

Lernverlaufsdiagnostik macht an klar definierten Kriterien Lernprozesse transparent. Mit der Lernverlaufsdiagnostik ist es möglich, ungünstige Entwicklungsverläufe frühzeitig zu erkennen und kurzfristig mit entsprechenden Angeboten zu reagieren. Lernverläufe von Schülerinnen und Schülern können tatsächlich sehr verschieden sein. Nicht nur hinsichtlich der Lernausgangslage, sondern auch hinsichtlich des individuellen Verlaufs. Die Entwicklungen variieren von starken über mäßige Anstiege bis hin zu stagnierenden Verläufen (Salaschek, Zeuch & Souvignier, 2014). Die Kenntnisse über Lernverläufe, insbesondere über stagnierende oder geringe bzw. gar negative Lernzuwächse, helfen bei der Entscheidung über zusätzliche unterrichtliche Angebote oder spezifische Fördermaßnahmen, nicht nur in inklusiven KlasLernt Ben Lesen und Rechnen?

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sen, aber dort, aufgrund der großen Heterogenität der Schülerschaft, insbesondere. Während Smilla mit zusätzlichen Arbeitsblättern zur schriftlichen Addition im Zahlenraum bis 1000 vielleicht schon geholfen werden kann, benötigt Ben eventuell eine spezifische Förderung des Leseverständnisses. Die Lernverlaufsdiagnostik dient aber nicht nur der Gestaltung individueller Fördermaßnahmen, sondern auch ganz allgemein dazu, Unterrichtsmethoden, -inhalte und Lernziele stetig an die aktuellen Lernausgangslagen der Schülerinnen und Schüler anzupassen. Die objektiven Daten aus der Lernverlaufsdia­ gnostik machen es für Lehrpersonen auch einfacher, in Gesprächen mit Eltern und Kindern über Lernprozesse zu reflektieren und sie, wenn Fördermaßnahmen angezeigt sind, mit einzubeziehen. Das von Elmar Souvignier und seinem Team entwickelte Testinventar von quop (siehe Kasten oben) besteht aus Testreihen, die den Lernfortschritt der Schülerinnen und Schüler im Lesen und in der Mathematik in den Jahrgangsstufen 1 bis 6 erfassen (Souvignier, Förster & Salaschek, 2014). Darüber hinaus steht eine Testreihe zur Lernverlaufsdiagnostik im Fach Englisch zur Verfügung. Jede Testreihe besteht aus acht kurzen Paralleltests, die im Laufe eines Schuljahres mit einem zeitlichen Abstand von ca. zwei bis drei Wochen im Unterricht durchgeführt werden. Alle Testreihen basieren auf wissenschaftlichen Theorien, wurden jeweils hinsichtlich wissenschaftlicher Gütekriterien (Objektivität, Reliabilität und Validität) überprüft und sind altersnormiert. Beispielsweise liefern die Lesetests für die dritte und vierte Jahrgangsstufe mit der Lesegeschwindigkeit, der Lesegenauigkeit sowie dem Verständnis bei textimmanenten und schlussfolgernden Anforderungen differenzierte Indikatoren der Lesefähigkeit. Die Mathematiktests für die erste bis dritte Jahrgangsstufe erfassen insbesondere Vorläuferkompetenzen und curriculare Kompetenzen in den Bereichen Rechnen und Geometrie. Das Verdienst von Souvignier und seinem Team ist es, die internetbasierte Lernverlaufsdiagnostik für den deutschsprachigen Markt nutzbar gemacht und geprüft zu haben. Evaluationsstudien zu quop zeigen: Die Implementation in den schulischen Alltag scheint problemlos möglich. In einer Studie wurde untersucht, wie sich quop auf den Lernzuwachs leseschwacher Kinder (4.  Jahrgangsstufe) auswirkt. Dazu wurde die Entwicklung der Leseleistung der jeweils 56

Warum Diagnostik und wenn ja, welche?

sechs leseschwächsten Kinder aus 17 quop-Klassen mit denen aus sieben Kontrollklassen verglichen. Während die Lehrpersonen in den quop-Klassen Informationen über die Entwicklung der Leseleistungen erhielten, bekamen die der Kontrollklassen nur statusdiagnostische Informationen. In sechs Monaten fielen die Lernzuwächse, die mit einem standardisierten Lesetest erfasst wurden, in der quop-Gruppe mit einer Effektstärke von ES = 0.50 wesentlich höher aus (Souvignier & Förster, 2011). Die Vorteile einer internetbasierten Lernverlaufsdiagnostik wie quop liegen auf der Hand: ȤȤ Sie ist gut in den schulischen Alltag zu integrieren. ȤȤ Die Durchführung ist einfach und kostet nicht viel Zeit. ȤȤ Auswertung und Datensicherung erfolgen automatisch. ȤȤ Die Ergebnisse sind leicht zu interpretieren. ȤȤ Die Ergebnisse liefern Anknüpfungspunkte für Fördermaßnahmen. Aus formaler und organisatorischer Sicht sind damit zentrale Kriterien erfüllt, an denen sich zukünftige Lernverlaufsdiagnostik messen lassen muss. Sie muss praktikabel sein und nicht zu einer zusätzlichen Belastung für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrpersonen werden oder auf Kosten der Unterrichtszeit gehen. Lehrpersonen und Eltern sind ohnehin schon recht skeptisch, wenn immer noch mehr getestet werden soll. Das ist leicht nachzuvollziehen, denn häufig sind die Kosten für die Evaluationen hoch, der Nutzen ist jedoch nicht leicht ersichtlich. Wenn offensichtlich wird, dass Diagnostik konkrete pädagogische Maßnahmen und Interventionen nach sich zieht und zu einer Verbesserung der Kompetenzen und Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler führt, kann das die Akzeptanz bei allen Beteiligten erheblich steigern. Klar ist aber auch, dass Lernverlaufsdiagnostik bestimmte Anforderungen an die Lehrpersonen stellt. Sie müssen die verschiedenen Instrumente und Einsatzmöglichkeiten kennenlernen und ihre Anwendung und die Interpretation der Ergebnisse einüben. Noch wichtiger ist freilich, dass auf die Lernverlaufsdiagnostik die richtigen Fördermaßnahmen folgen. Weitere Beispiele der Lernverlaufsdiagnostik sind für das Lesen die Lernfortschrittsdiagnostik Lesen (LDL; Walter, 2010) und die Lernt Ben Lesen und Rechnen?

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Verlaufsdiagnostik sinnerfassenden Lesens (VSL; Walter, 2013). Für Mathematik gibt es die Lernverlaufsdiagnostik – Mathematik für zweite bis vierte Klassen (LVD-M 2–4; Strathmann & Klauer, 2012). Die LDL enthält 28 Lesetexte aus einem Kinder-und Jugendbuch, von denen jeweils einer eine Minute lang laut (vor-)gelesen wird. Die Anzahl der richtig gelesenen Wörter pro Minute ist das Maß für die Lesekompetenz (Leseflüssigkeit). Mit Hilfe eines Auswertungs­ bogens kann dieser Indikator schnell ermittelt werden. Normen liegen für die Grund- und Hauptschule sowie für Förderschülerinnen und -schüler im Alter von 10 bis 15 Jahren vor. Der Test ist sehr zeit­ ökonomisch: Die Gesamtbearbeitungszeit inklusive Instruktion und Auswertung beträgt nur ungefähr zwei bis drei Minuten, muss aber, da laut gelesen wird, mit den Kindern einzeln durchgeführt werden. Regeln helfen zu entscheiden, ob eine Änderung im Lernziel bzw. Lernprogramm vorgenommen werden soll. Die VSL ist ein Verfahren, mit dem das Leseverständnis als Indikator für die Lesekompetenz erfasst wird (parallele Papier- oder PC-Version). Die Kinder lesen einzeln oder in der Gruppe vier Minuten lang still einen Text, in dem jedes siebte Wort durch eine von drei verschiedenen Auswahlmöglichkeiten ersetzt werden soll (»Lückentext«). Nur eine der Auswahlmöglichkeiten ergibt im jeweiligen Kontext einen Sinn. Die Anzahl der korrekt markierten Antwort­ alternativen ist Ausdruck der Lesekompetenz. LVD-M 2–4 erfasst elementare Rechenfertigkeiten (Grundrechenarten) von der zweiten bis zur vierten Jahrgangsstufe. Über das ganze Schuljahr hinweg wird der Lernverlauf in regelmäßigen Abständen in Gruppentests erhoben. Jedes Kind erhält jedes Mal eine eigene neue Zufallsstichprobe von 24 Aufgaben (15 Min. Bearbeitungsdauer). Die Aufgabenblätter werden von einer CD in einem Zufallsverfahren erzeugt. Die Verlaufsdiagramme werden am PC erstellt und können individuell oder in Bezug zu den Klassenleistungen interpretiert werden. Neben den hier vorgestellten Verfahren gibt es auch andere Varianten, Lernverläufe von Schülerinnen und Schülern darzustellen. Allen ist gemein, dass die Lernleistungen durch das Bearbeiten von vorgelegten konkreten Materialien direkt erhoben werden. Im Wesentlichen unterscheiden sich die verschiedenen Ansätze darin, ob 58

Warum Diagnostik und wenn ja, welche?

curriculare Inhalte oder spezifische Kompetenzen erfasst werden, in welchem Intervall bzw. in welchem Zeitraum getestet wird (täglich bis jährlich), in welcher Form getestet wird (Papier oder PC; Einzeloder Gruppentest) und wie viel Zeit die Durchführung, Auswertung und Interpretation in Anspruch nimmt. In jedem Fall müssen die Tests Lernpotenziale und Veränderungen sensibel erfassen. Diese Ansätze sind nicht vergleichbar mit anderen Möglichkeiten, Informationen über den Lernverlauf zu sammeln, z. B. durch Lerntagebücher oder andere Arbeitsergebnisse. Dort fehlt die enge Bindung an wissenschaftlich-diagnostische Standards (Objektivität, Reliabilität und Validität) sowie die Möglichkeit einer Einordnung der Ergebnisse (z. B. durch entsprechende Altersnormen). Forschungsergebnisse zur formativen Diagnostik

Die Forschungsergebnisse zur formativen Diagnostik, meist aus dem US-amerikanischen Sprachraum, sind nicht ganz eindeutig. War man zu Beginn recht euphorisch, wurde der Eindruck relativiert, als festgestellt wurde, dass viele Studien wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügten. Kingston & Nash (2011) berechneten in ihrer Metaanalyse für 13 Studien, die wissenschaftlichen Standards genügen, eine mittlere Effektivität formativer Diagnostik von ES = 0.25, wobei die Effekte im Lesen und Rechtschreiben größer sind als in der Mathematik und den Naturwissenschaften. Als zentraler Wirkmechanismus wird das Feedback an Lehrpersonen und Lernende angesehen, das eine rationale Basis für die Anpassung des weiteren Lehr- und Lernverhaltens zur Verfügung stellt. Die Bedeutung des Feedbacks wurde auch bei quop deutlich. Die Lernzuwächse waren größer, wenn das Feedback an die Lehrpersonen Informationen zu den Lernverläufen enthielt, als wenn nur Informationen über den aktuellen Lernstand gegeben wurden. Eine Leistungsrückmeldung nur an die Schülerinnen und Schüler führte nicht zu einer Leistungssteigerung. Selbst dann nicht, wenn zusätzlich die Motivation durch Zielsetzungsprozeduren, z. B. Lern- und Förderpläne angeregt wurde (Souvignier & Förster, 2011). Wo eine inklusive Beschulung aller zum Regelfall werden soll, stellt sich die Frage, wie Schülerinnen und Schüler, die ein hohes Risiko tragen, eine Lernproblematik zu entwickeln, im Unterricht frühzeitig erkannt und in ihrer Lernentwicklung gefördert werden Lernt Ben Lesen und Rechnen?

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können. Eine Möglichkeit bietet das im nächsten Kapitel vorgestellte Response-to-Intervention-Paradigma (RTI). Grundlage des RTI ist eine regelmäßig durchgeführte Lernverlaufsdiagnostik, die bei allen Schülerinnen und Schülern die Basisfertigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen über das gesamte Schuljahr regelmäßig überprüft, um möglichst frühzeitig individuelle Unterstützungsbedarfe zu erkennen. So wird sichtbar, welche Schülerinnen und Schüler zusätzliche Förderung benötigen oder wo unterrichtliche Methoden, Inhalte und Lernziele angepasst werden müssen.

3.2 Von der Lernverlaufsdiagnostik zur individuellen Förderung Ein Konzept der abgestuften Hilfen

Mit Response-to-Intervention (RTI) ist das »Ansprechen auf eine Intervention« gemeint. Eine bessere deutsche Übersetzung gibt es nicht. Das Konzept verbindet zwei Ziele: Die Früherkennung und die frühe Behandlung von Lernschwierigkeiten. Das ist der entscheidende Unterschied zur Diagnostik im Rahmen der Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs. Es wird nicht gewartet, bis sich Lernschwierigkeiten manifestieren, um dann eine entsprechende Diagnostik und Intervention einzuleiten (bekannt als das Wait-toFail-Problem), sondern von Beginn an wird der Lernverlauf der Kinder beobachtet, und bei den ersten Hinweisen auf Probleme werden präventive Maßnahmen im Rahmen des regulären Unterrichts eingeleitet. Ziel ist es, dass alle Kinder möglichst lange am regulären Unterricht teilnehmen können, ohne den Anschluss an die curricularen Zielvorgaben zu verlieren. RTI basiert auf zwei Grundsätzen: 1. Der Unterricht ist qualitativ hochwertig und an den pädagogischen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler ausgerichtet. 2. Alle Schülerinnen und Schüler nehmen an einer Frühdiagnostik (Screening) zur Einschätzung des Risikos der Entwicklung von Lernschwierigkeiten und einer kontinuierlichen Lernverlaufsdiagnostik teil. Die diagnostischen Maßnahmen informieren die Lehrperson über den Leistungsstand und die Lernverläufe der Lernenden und sind 60

Warum Diagnostik und wenn ja, welche?

die Ausgangsbasis für die fortlaufende Gestaltung bzw. Modifizierung des Unterrichts. Vor allen Dingen sollen durch die formative Diagnostik ungünstige oder stagnierende Lernverläufe frühzeitig erkannt werden, bevor die Lernschwierigkeiten manifest werden. Denn eins ist klar: Je früher interveniert wird, desto besser kann ein Lerndefizit verhindert oder ausgeglichen werden. In der Praxis gestaltet sich RTI folgendermaßen: Ausgangspunkt ist das reguläre (evidenzbasierte) Unterrichtsangebot der Lehrperson für Regelschulen. Mit einer von der Lehrperson regelmäßig durchgeführten Lernverlaufsdiagnostik wird geprüft, ob das Angebot zu positiven Lernverläufen im Lesen, Schreiben und Rechnen führt. Kinder, die auf die »normale« Intervention ansprechen, sind sogenannte »Responder«. Sprechen viele oder fast alle Kinder nicht auf den Unterricht an, bedarf offenbar der Unterricht insgesamt einer Veränderung. Wenn der Unterricht seine prinzipielle Wirksamkeit jedoch entfaltet, und nur wenige Kinder nicht genügend lernen und in der Leistung stagnieren (Nonresponder), setzt auf der zweiten Ebene sofort die (sekundäre) Prävention ein. Den betroffenen Kindern werden im Rahmen des regulären Unterrichts zusätzliche Angebote gemacht, damit sie die curricularen Lernziele erreichen. Gerechnet wird damit, dass 15 bis 20 Prozent der Lernenden auf solche Angebote (z. B. mehr Bearbeitungszeit, andere Methoden, zusätzliche Beispiele, Kleingruppen- bis Einzelunterricht) angewiesen sind. Die Verantwortung und Durchführung der präventiven Maßnahmen obliegt der Lehrperson für Regelschulen, wie gesagt, im Rahmen des regulären Unterrichts. Kinder, die positiv auf diese spezifischen Interventionen ansprechen, bleiben im regulären Unterricht (jetzt Responder). Für die Kinder, die weiterhin Schwierigkeiten haben, die Lernziele zu erreichen (ca. 5 %), ist auf der dritten Ebene eine sonderpädagogische Förderung außerhalb des regulären Unterrichts vorgesehen, um wieder Anschluss an die curricularen Zielvorgaben zu finden. Verantwortlich für die Förderung ist jetzt die Lehrperson für Sonderpädagogik. Erst wenn es auch mit den zusätzlichen Maßnahmen nicht gelingt, die curricularen Zielvorgaben zu erreichen, wird eine segregierende Beschulung erwogen (Abbildung 4). Während im US-amerikanischen Sprachraum RTI-Modelle eine breite Anwendung finden, hat das RTI-Modell in Deutschland erst Von der Lernverlaufsdiagnostik zur individuellen Förderung

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Abbildung 4: Förderebenen im RTI-Modell

durch das weiter unten beschriebene Rügener Inklusionsmodell erhöhte Aufmerksamkeit erfahren. Die Anforderungen an einen Unterricht nach dem RTI-Paradigma sind hoch. Ohne verlässliche Lernverlaufsmessung und evidenzbasierte Unterrichtsmaterialien bzw. Förderkonzepte lässt sich der RTI-Ansatz nicht umsetzen. An geeigneten Verfahren mangelt es aber im deutschsprachigen Raum derzeit noch. Aus anwendungspraktischer Perspektive darf der zusätzliche zeitliche und organisatorische Aufwand für die Lehrpersonen durch den häufigen Einsatz diagnostischer Verfahren nicht unterschätzt werden. Davon abgesehen sind viele Lehrpersonen im Umgang mit diagnostischen Verfahren nicht versiert. Empirische Forschungsergebnisse des RTI-Ansatzes

Mit der Orientierung an evidenzbasierten Maßnahmen setzt der RTI-Ansatz auf Interventionen, die sich in empirischen Studien als wirksam erwiesen haben. Positiv wirkt zudem die Lernverlaufsdiagnostik auf die Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler. Die Effekte werden jedoch stark davon beeinflusst, wie gewissenhaft der RTI-Ansatz in der Praxis umgesetzt wurde (Burns, Appleton & 62

Warum Diagnostik und wenn ja, welche?

Stehouwer, 2005): Die Analyse von 24 Einzelstudien ergab eine Effektstärke von ES = 1.02. Praktische Erfahrungen der Lehrpersonen mit dem RTI-Ansatz und eine längere Anwendungsdauer steigern die Effektivität noch. Evaluation des RTI-Ansatzes im deutschsprachigen Raum: Das Rügener Inklusionsmodell

Auf der Insel Rügen besuchen seit 2010 alle Kinder unabhängig von ihren individuellen Lernvoraussetzungen die jeweils wohnortnahe Grundschule. Förderschulklassen wurden nicht mehr eingerichtet. Zur Evaluation wurde das Rügener Inklusionsmodell (RIM) mit dem Regel- und Förderklassensystem in Stralsund und Rostock verglichen. Im RIM haben die Kinder im Lesen und Rechtschreiben bereits nach drei Schuljahren den Leistungsstand erreicht, für den die Kontrollkinder im Durchschnitt vier Schuljahre benötigten. Im Lesen und Rechtschreiben konnte dieser Vorsprung nach einem weiteren Schulbesuchsjahr noch ausgebaut werden. Nach vier Schuljahren entsprechen die Schulleistungen der inklusiv beschulten Kinder auf Rügen dem Leistungsniveau der Kontrollklassen sowie den üblichen bundesweiten Leistungsnormen im Lesen, Rechtschreiben und der Mathematik (Voß et al., 2015). Ein differenzierter Blick auf die Ergebnisse macht jedoch die Schwächen des RIM deutlich. Zwar zeigen sich keine Unterschiede in der Mathematik und im Rechtschreiben in den unteren Leistungsbereichen. Für die leistungsstarken Kinder fällt die Bilanz aber eher negativ aus. Im RIM ist es scheinbar nicht gelungen, Kinder mit guten oder sehr guten Voraussetzungen optimal zu fördern. Vielleicht lag die Konzentration im RIM zu stark auf der Förderung der Kinder mit ungünstigen Lernvoraussetzungen. Insgesamt herrscht in den Inklusionsklassen jedoch ein besseres soziales Klima (ES = 0.34). Die inklusiv beschulten Kinder zeigen geringer ausgeprägtes auffälliges Verhalten und helfen einander mehr (ES = 0.43), fühlen sich von der Klassengemeinschaft besser angenommen (ES = 0.23) und sind sozial integrierter (ES = 0.31) als die Kinder in den Kontrollklassen. Sie fühlen sich auch den schulischen Herausforderungen besser gewachsen (ES = 0.14) und schätzen ihre schulischen Fähigkeiten positiver ein (ES = 0.25). Nähere Von der Lernverlaufsdiagnostik zur individuellen Förderung

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Informationen sowie den abschließenden Evaluationsbericht des Rügener Inklusionsmodells finden Sie im Internet unter: www.rim. uni-rostock.de. RTI – Die Lösung für die inklusive Schule? Der RTI-Ansatz weist in die richtige Richtung: Regelpädagogische und förderpädagogische Zielsetzungen werden im regulären Unterricht miteinander verzahnt. Das Wait-to-Fail-Prinzip wird durch die früh einsetzende Diagnostik und den präventiven Charakter überwunden. Die Diagnostik steht dabei in erster Linie im Dienst der Prävention und nicht der Etikettierung. Unterricht wird überhaupt erst einmal als mögliche Verursachungsbedingung von Lernschwierigkeiten thematisiert, d. h. Lernschwierigkeiten werden nicht mehr als allein im Kind verankert betrachtet. Ob sich die Zahl der Zuschreibungen eines sonderpädagogischen Förderstatus durch RTI reduziert lässt, muss für das deutsche Schulsystem noch geprüft werden. Im Sinne einer umfassenden Inklusion aller Kinder geht RTI jedoch nicht weit genug. Kritisch beurteilt wird die an einem gemeinsamen Lernziel orientierte Unterrichtung aller Schülerinnen und Schüler. RTI bleibt damit dem Grundgedanken leistungshomogener Klassen verhaftet und bietet kaum Spielraum für lernzieldifferenzierende Ansätze und hochgradig heterogene Klassen. Und was ist mit den Kindern, die die curricularen Zielvorgaben nicht erreichen? Nach dem klassischen RTI-Modell ist hier letztendlich doch eine Überweisung in die Förderschule vorgesehen. Das diagnostische Vorgehen mündet somit am Ende nicht in einem inklusiven Unterrichtsmodell, sondern in einer separierenden Beschulung. Die Frage nach dem richtigen Lernort sollte mit der Inklusion jedoch überwunden werden. Hieran wird deutlich, dass RTI zwar eine Möglichkeit bietet, Kinder mit leichten bis mittleren Lernschwierigkeiten in den regulären Unterricht zu inkludieren. Aber, wie Limbach-Reich (2015) kritisiert, Kinder mit erheblichen kognitiven Beeinträchtigungen bleiben weiterhin außen vor. Wembers (2016) Modell des schulischen Lernens und der schulischen Lernhilfe wird der größeren Heterogenität in inklusiven Klassen schon eher gerecht (Abbildung 5). 64

Warum Diagnostik und wenn ja, welche?

Abbildung 5: Präventiv orientiertes Modell des schulischen Lernens (nach Wember, 2016).

Das fünfstufige Modell ist wie das RTI-Modell curricular orientiert und geht von einem in der Mitte liegenden Niveau (Basisstufe) mit Anforderungen gemäß Bildungsstandards und Rahmenlehrplänen aus, das von zwei Dritteln der Schülerinnen und Schüler einer Jahrgangsstufe mit gutem oder hinreichendem Lernerfolg bewältigt wird. Das zentrale Niveau wird in zwei Richtungen ausdifferenziert: In zwei Erweiterungsstufen für die leistungsstarken Schülerinnen und Schüler, die über das Jahrgangsstufenniveau hinaus Aufgaben und Anregungen erhalten. Auf der Erweiterungsstufe II sogar deutlich über das Jahrgangscurriculum hinausreichend, um besonders erfolgreich lernende Schülerinnen und Schüler zu motivieren und mit ausreichend anspruchsvollen Aufgaben herauszufordern. Und in zwei Unterstützungsstufen für Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf aufgrund von Lern- und Verständnisschwierigkeiten. Auf der Unterstützungsstufe I erhalten fünf bis zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler mit vorübergehenden Lernproblemen im Rahmen des regulären Unterrichts sofortige Förderung, um wieder am regulären Unterricht anzuschließen, vergleichbar dem RTI-Ansatz. Von der Lernverlaufsdiagnostik zur individuellen Förderung

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Das Modell von Wember berücksichtigt jedoch auch, dass in inklusiven Klassen ca. drei bis fünf Prozent an Schülerinnen und Schülern leben und arbeiten, die umfängliche und lang andauernde sowie schwerwiegende Lern- und Entwicklungsrückstände aufweisen. Sie können dem Anforderungsniveau der Jahrgangsstufe nur zeitweilig und nur in bestimmten Lernbereichen oder überhaupt nicht folgen oder erfolgreich lernen. Diese Kinder und Jugendlichen lernen auf Unterstützungsstufe II mit besonderer pädagogischer Förderung bei manifesten Lernschwierigkeiten. Auf diesem Niveau müssen die individuellen Stärken und Schwächen der einzelnen Lernenden diagnostiziert und ein individueller Förderplan erstellt werden. Das Modell ist von hoher Durchlässigkeit gekennzeichnet und wird auch einer extremen Heterogenität in inklusiven Klassen gerecht. Weitere Informationen zur Lernverlaufsdiagnostik und zum RTI-Ansatz sind im Herausgeberband Lernverlaufsdiagnostik zusammengefasst (Hasselhorn, Schneider & Trautwein, 2014).

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Warum Diagnostik und wenn ja, welche?

4 Inklusiver Unterricht

Eines ist klar: Damit Kinder und Jugendliche in inklusiven Klassen erfolgreich unterrichtet werden können, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu gehören ausreichendes und entsprechend ausgebildetes Fachpersonal, die notwendigen Räumlichkeiten mit entsprechenden Ausstattungen und geeignete Klassengrößen. Dafür zu sorgen ist Sache der Politik und Bildungsadministration der verschiedenen Bundesländer bzw. der Schulverwaltungen in den einzelnen Kreisen und Städten. Das hat den Nachteil, dass es ein einheitliches, allgemeingültiges Konzept für eine inklusive Schule nicht geben kann. Der Vorteil ist jedoch, dass regionale Besonderheiten besser berücksichtigt werden können. In manchen Städten bestehen z. B. schon seit langer Zeit inklusive Netzwerke, in denen Schulen untereinander und mit freien Trägern und Vereinen kooperieren, angefangen bei Fahrdiensten bis hin zu therapeutischen Angeboten. Sie machen Inklusion an Schulen überhaupt erst möglich. Gewachsen sind solche Netzwerke mit der Einführung des gemeinsamen Unterrichts (GU) behinderter und nichtbehinderter Kinder in Integrationsklassen seit den 1980er-Jahren. Solche Netzwerke gilt es zu erhalten. Der weitaus häufigere Fall ist jedoch der, dass Schulen erst einmal ein inklusives Schulsystem entwickeln und Kooperationen mit Partnern des Umfelds auf den Weg bringen müssen. Die Bedingungen dafür sind von Schule zu Schule sehr verschieden, angefangen bei dem sozialen Umfeld einer Schule bis hin zu regionalen Besonderheiten (Betreuungsangebote für Kinder und Ju­ gendliche, Vereine, Bibliotheken, Museen, Theater etc.). In das Angebots-Nutzungs-Modell der Unterrichtswirksamkeit von ­Andreas Helmke (2015) gehen solche Rahmenbedingungen als Kontextfaktoren ein, die in letzter Konsequenz die Entwicklung fachlicher und überfachlicher Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler mit beeinflussen. Neben vielen weiteren Faktoren, die den Lernverlauf der Schülerinnen und Schüler ebenfalls beeinflussen, wie den professio67

nellen Kompetenzen der Lehrperson, der familiären Situation, der Motivation, Anstrengungsbereitschaft und den individuellen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler kommt es aber vor allen Dingen auf die Qualität des Unterrichts an, damit effektive Lernprozesse bei den Schülerinnen und Schülern ausgelöst werden. Aber was genau kennzeichnet einen qualitativ hochwertigen Unterricht, und wie muss dieser gestaltet werden? Dieser Frage soll in diesem Kapitel nachgegangen werden. In einer inklusiven Klasse steht die Lehrperson vor der besonderen Herausforderung, den Unterricht für eine Schülerschaft zu gestalten, deren große Unterschiedlichkeit früher ausschlaggebend für eine segregierende Beschulung war. Eine Fortführung des herkömmlichen Regel- bzw. Förderschulunterrichts kann es da nicht geben. Die Pädagogische Psychologie hat zu einer inklusiven Unterrichtsgestaltung keine Patentrezepte anzubieten. Aus Studien zum Lehren und Lernen gibt es jedoch wissenschaftliche Erkenntnisse, die Lehrpersonen helfen können, Unterricht so zu gestalten, dass möglichst alle Kinder und Jugendlichen davon profitieren. Lerner sind unterschiedlich Was schon für das Lernen im Regelunterricht galt, gilt für den inklusiven Unterricht erst recht: Kinder und Jugendliche sind unterschiedlich, und nicht alle können alles lernen, schon gar nicht in derselben Zeit. Das liegt vor allem an den individuellen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler. Nach Hasselhorn und Gold (2017) sind die fünf wichtigsten individuellen Lernvoraussetzungen ȤȤ die selektive Aufmerksamkeit und das Arbeitsgedächtnis, ȤȤ das Vorwissen, ȤȤ die Lernstrategien und ihre metakognitive Regulation, ȤȤ die Lernmotivation und die lernrelevanten Selbstkonzepte sowie ȤȤ die Volition und die lernbegleitenden Emotionen.

In ihren jeweiligen Ausprägungen ermöglichen und beschränken sie das Ausmaß der Lerngeschwindigkeit und des individuell erreichbaren Lernerfolgs. Spezifische Behinderungsformen, die das Lernen 68

Inklusiver Unterricht

beeinträchtigen, kommen noch dazu. Auch der beste Unterricht wird nicht alle Unterschiede ausgleichen können und dazu führen, dass am Ende alle das gleiche Kompetenzniveau erreichen. Ganz im Gegenteil. Wenn der Unterricht gut ist und wirklich alle Kinder und Jugendlichen entsprechend ihrer jeweiligen Fähigkeiten beim Lernen optimal unterstützt werden, werden die Unterschiede am Ende eher noch größer sein (Gold, 2015). Um den unterschiedlichen Voraussetzungen der Lernenden gerecht zu werden und erfolgreiche Lernprozesse bei ihnen auszulösen, müssen differenzierte und individualisierte Lernangebote vorgehalten werden, um die Adaptivität des Unterrichts zu steigern. Adaptivität des Unterrichts Was können Lehrpersonen konkret tun, um die Adaptivität ihres Unterrichts an die individuellen Voraussetzungen der Lernenden zu erhöhen? Differenzieren Sie Lehr- und Lernmethoden! Nicht alle Schülerinnen und Schüler lernen mit ein und derselben Methode gleich gut. Berücksichtigen Sie, dass es Wechselwirkungen zwischen Unterrichtsmethode und Schülermerkmalen gibt. Schülerinnen und Schüler mit ungünstigen Voraussetzungen sprechen meist besser auf einen strukturierten lehrerzentrierten Unterricht an. Formen des offenen Unterrichts, die den Lernenden viel Freiraum lassen, wenig Vorgaben machen und kaum Rückmeldungen vorsehen, sind für diese Schülerinnen und Schüler weniger gut geeignet; Schülerinnen und Schüler mit günstigen Lernvoraussetzungen können dagegen von einem solchen Unterricht profitieren (Gold, 2018; Helmke, 2015). Die Ergebnisse führen klar vor Augen, dass ein und derselbe Unterricht für unterschiedliche Schülergruppen unterschiedliche Auswirkungen hat. Sie widersprechen auch klar den vielfach geäußerten Empfehlungen, dass insbesondere offene Methoden gut für den inklusiven Unterricht geeignet seien. Geben Sie den Lernenden so viel Zeit zur Aufgabenbearbeitung und zum Üben, wie sie benötigen! Manche Lernenden brauchen einfach mehr Zeit, um die gleichen Lernziele zu erreichen wie ihre Peers. Die Schwierigkeiten, Unterricht lernzeitadaptiv zu gestalten, liegen auf der Hand: Womit können die leistungsstarken Schülerinnen und SchüInklusiver Unterricht

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ler nach der Aufgabenbearbeitung beschäftigt werden, wenn andere noch zusätzliche Zeit benötigen? Eine stärkere Schülerzentrierung des Unterrichts (z. B. Wochenplanarbeit, Stationen-Lernen oder Methoden des kooperativen Lernens) kann dazu beitragen, flexibel mit unterschiedlichen Bearbeitungszeiten umzugehen. Bei einer stärkeren Schülerzentrierung ist es jedoch wichtig, die Lernprozesse gut zu strukturieren und zu prüfen, ob die Lernziele auch erreicht wurden. Allzu oft wird unter Schülerzentrierung ein »offener« Unterricht verstanden. Der ist aber, wie oben beschrieben, nicht für alle Schülerinnen und Schüler geeignet. Es ist auch möglich, Lernzeiten durch die Formulierung unterschiedlicher Lernziele zeitlich zu synchronisieren. Passen Sie Aufgaben und Lernziele den individuellen Lernvoraussetzungen der einzelnen Schülerinnen und Schülern an! Lernzieladaptivität berücksichtigt, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler am Ende des Unterrichts das gleiche Kompetenzniveau erreichen können. Achten Sie schon bei der Unterrichtsplanung darauf, unterschiedlich komplexe Aufgaben zu formulieren, die unterschiedlich komplexe Lösungswege zulassen, z. B., wenn lernschwächere Kinder im Rahmen einer Unterrichtseinheit zum Thema Astronomie die Aufgabe bekommen, Planeten des Sonnensystems zu benennen, während die leistungsstärkeren (in derselben Lernzeit) zusätzlich die Entstehung einer Sonnenfinsternis erklären sollen. Ein Unterricht, in dem die Schülerinnen und Schüler am Ende unterschiedliche Kompetenzniveaus erreichen, stellt aber in der Folge auch herkömmliche Bewertungssysteme in Frage. Kap. 6 informiert über verschiedene Möglichkeiten der Bewertung schulischer Leistungen. Sicherlich ist es nicht einfach, in heterogenen Lerngruppen die Methoden, Sozialformen, Aufgabenschwierigkeiten und Lernziele an die sehr unterschiedlichen Lernpotenziale der Schülerinnen und Schüler anzupassen. Wichtig ist es auch, darauf zu achten, die Leistungs- mit einer Förderorientierung zu verbinden und der Tendenz zu widerstehen, entweder durch eine Anpassung an das Niveau und die Lerngeschwindigkeit der Leistungsschwächeren oder durch eine Orientierung an den Leistungsstärkeren die jeweils andere Gruppe zu vernachlässigen. Aber adaptiver Unterricht zahlt sich aus. Studien belegen, dass adaptive Kompetenzen von Lehrpersonen in leistungsheterogenen Klassen zu besseren Lernleistungen führen (Gold, 2018). 70

Inklusiver Unterricht

Mit Blick auf die Unterrichtsorganisation ist anzunehmen, dass adaptive Maßnahmen in schülerzentrierten Settings (z. B. kooperative Methoden) einfacher zu realisieren sind als in stark lehrergeleiteten Settings. Schulorganisatorische Maßnahmen, die eine Adaptivität erleichtern, sind Ganztagschulen oder Modelle des jahrgangsübergreifenden Unterrichts, die mehr Flexibilität bei der Planung von zusätzlichen Lernzeiten und/oder Förderangeboten bieten. Bei der Diskussion über die Adaptivität des Unterrichts muss auch die damit verbundene Mehrbelastung für die einzelnen Lehrpersonen berücksichtigt werden. Differenzierende Materialien und individualisierte Förderpläne im Team zu erarbeiten, bringt sicherlich Entlastung für einzelne Lehrpersonen. Ging es bis jetzt um allgemeine Gestaltungsprinzipien des Unterrichts sowie um die individuellen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler, soll im Folgenden der Blick stärker auf spezifische Unterrichtsstrukturen gerichtet werden, um zu zeigen, was einen effektiven Unterricht ausmacht.

4.1 Dimensionen der Unterrichtsqualität Lange Zeit wurde bei der Diskussion über effektiven Unterricht heftig über die richtige Organisationsform und Methode gestritten. Uneinigkeit herrschte darüber, ob die Schülerinnen und Schüler mehr lernen, wenn die Lehrperson vor der Klasse steht und die fachlichen Inhalte nach den Prinzipien der Direkten Instruktion vermittelt (transmissive Auffassung vom Lehren und Lernen) oder wenn die Schülerinnen und Schüler sich das Wissen in konstruktiver Zusammenarbeit selbstständig erarbeiten (soziokonstruktivistische Auffassung vom Lehren und Lernen). Unter Berücksichtigung neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse dreht sich die Diskussion mittlerweile jedoch mehr um die Frage, wie im Rahmen der verschiedenen Organisationsformen und Methoden inhaltsbezogene Interaktionsprozesse initiiert werden können, die eine aktive Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit den Lerninhalten begünstigen. Wie müssen Aufgaben und Lerninhalte strukturiert und präsentiert werden, um zur Mitarbeit zu bewegen? Wie kann ein Auseinandersetzungsprozess angeregt werden, damit Widersprüche aufgedeckt Dimensionen der Unterrichtsqualität

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und Probleme gemeinsam gelöst werden? Welche Arten von Rückmeldungen müssen gegeben werden, um die Aufgabenbearbeitung zu unterstützen? Wie kann sichergestellt werden, dass die Lernzeit optimal für das Lernen genutzt wird? Das sind Fragen nach den Tiefenstrukturen des Unterrichts, die sich zu drei Dimensionen zusammenfassen lassen: ȤȤ die kognitive Aktivierung, ȤȤ die konstruktive Unterstützung und ȤȤ die Klassenführung. Diese drei Dimension der Unterrichtsqualität können unabhängig von den verschiedenen Organisationsformen oder Methoden des Unterrichts variieren (Helmke, 2015; Kunter & Trautwein, 2013). In einer an PISA 2003 angekoppelten Studie (COACTIV; Kunter & Voss, 2011) konnte gezeigt werden, dass die Berücksichtigung dieser drei Dimensionen bei Schülerinnen und Schülern erfolgreiche Lernprozesse nach sich zieht und in guten Lernleistungen mündet. Dabei macht nicht die Realisierung einzelner Merkmale, sondern deren Kombination einen guten Unterricht aus. Ein effektiver und störungsfrei geführter Unterricht, in dem die Schülerinnen und Schüler während des Lernprozesses konstruktiv unterstützt werden, führt nicht nur zu besseren Lernergebnissen, sondern auch zu einem höheren Interesse am Fach. Dass es vor allem auf die Dimensionen der Unterrichtsqualität und weniger auf die Organisationsformen bzw. Methoden des Unterrichts ankommt, um erfolgreiche Lern- und Entwicklungsprozesse bei den Kindern und Jugendlichen in Gang zu setzen, findet auch in groß angelegten metaanalytischen Studien Bestätigung (Hattie, 2013; Seidel & Shavelson, 2007). In seinem Buch Guter Unterricht hat Andreas Gold (2015) die Dimensionen der Unterrichtsqualität um eine vierte Dimension, die der Lernverlaufsdiagnostik, ergänzt (s. a. Kap.  3.3). Die hier geschilderten Erkenntnisse besitzen nach Meinung verschiedener Wissenschaftlergruppen auch Gültigkeit für den inklusiven Unterricht (Decristan & Klieme, 2016; Werning, 2016). Für eine spezifisch inklusive Didaktik liegen jedenfalls derzeit keine Evidenzen vor. Beobachten lässt sich jedoch, dass inklusive Schulen zu fle72

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xibleren und weniger segregierenden Unterrichtsformen und mehr pädagogischer Flexibilität in Bezug auf individuelle Lernpläne, Individualisierung und Differenzierung im Unterricht und zum Einsatz unterschiedlicher Sozialformen tendieren. Guter inklusiver Unterricht, so lässt es sich kurz und bündig zusammenfassen, ist durch eine größere Responsivität und Adaptivität gekennzeichnet und unterscheidet sich ansonsten nicht grundsätzlich von einem guten Regelunterricht. Guter inklusiver Unterricht … ȤȤ orientiert sich an den individuellen Lernausgangslagen der Lernenden und ihren Lernfortschritten (Lernverlaufsdiagnostik). ȤȤ fordert zum Denken heraus (kognitive Aktivierung). ȤȤ unterstützt konstruktiv die individuellen Lernprozesse (kon­ struktive Unterstützung). ȤȤ verläuft störungsfrei, und die zur Verfügung stehende Lernzeit wird zum Lernen genutzt (Klassenführung). Insbesondere Kinder und Jugendliche mit ungünstigen Lernvoraussetzungen profitieren von einem Unterricht, der an den Qualitätsdimensionen ausgerichtet ist (Decristan et al., 2016). Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie darüber hinaus noch zusätzliche und andere Unterstützung benötigen als ihre leistungsstärkeren Mitschülerinnen und Mitschüler, um erfolgreich lernen zu können. Sie brauchen mehr Strukturierungshilfen, längere Übungszeiten, zusätzliche Unterrichtsbeispiele und gegebenenfalls spezifische Förderund Interventionsmaßnahmen. Während die Lernverlaufsdiagnostik bereits im vorangestellten Kapitel behandelt wurde, wird im Folgenden ausführlicher auf die anderen drei Dimensionen eingegangen und anhand konkreter Beispiele aufgezeigt, wie sie im (inklusiven) Unterrichtsalltag realisiert werden können. Zum Denken herausfordern! Kognitive Aktivierung bezeichnet den intellektuellen Anforderungsgehalt im Unterricht. Lernen ist nach der Informationsverarbeitungstheorie ein aktiver Prozess, bei dem die Lernenden die Aufmerksamkeit auf das Lernmaterial richten, neue Informationen mit bereits vorhandenem Wissen abgleichen, aktiv Probleme lösen und somit ihre Wissensstrukturen (um)modellieren, ausbauen und erweitern. Dimensionen der Unterrichtsqualität

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Voraussetzung für einen solchen Lernprozess ist die aktive Auseinandersetzung der Lernenden mit dem Lernstoff. Es geht hierbei um kognitive (mentale) Aktivitäten im Sinne einer gedanklich-aktiven Auseinandersetzung mit dem Lernstoff und nicht um die beim Lernen (oftmals ebenfalls) sichtbaren verhaltensbezogenen Aktivitäten, also das konkrete Handeln beim selbsttätigen Experimentieren – z. B. wenn die Kinder im Sachunterricht ausprobieren, welche Gegenstände im Wasser untergehen und welche schwimmen. Das kann leicht dazu führen, dass die Kinder die Beobachtungen einfach nur notieren (Radiergummi sinkt, Korken schwimmt), ohne sich weitere Gedanken darüber zu machen bzw. neue Erkenntnisse zu gewinnen. Kognitiv aktivierend wird die Lerneinheit erst dann, wenn die Kinder vor der Durchführung des Experiments in Kleingruppen Vermutungen dazu äußern, welche Gegenstände wohl schwimmen und welche nicht. Wenn Theorien und Hypothesen formuliert und gegensätzliche Meinungen diskutiert werden, wird Vorwissen aktiviert und Bezug auf die Lebenswelt der Kinder genommen. Die anschließende Durchführung zeigt, ob die Kinder recht behalten und sich ihre Theorien und Vermutungen bestätigen oder ob ihre Vermutungen falsch waren. Gegebenenfalls müssen Theorien revidiert und gedankliche Umstrukturierungen vorgenommen werden. Dadurch wird Neues gelernt. In der Lehr-Lernforschung ist man sich einig, dass solche kognitiven Aktivitäten essenziell für den Aufbau gut vernetzter und transferfähiger Wissensstrukturen sind (Neubrand, Jordan, Krauss, Blum & Löwen, 2011). Guter Unterricht soll genau diese Aktivitäten auslösen. Kognitive Aktivierung kann je nach Unterrichtsfach sehr unterschiedlich aussehen. Deshalb noch ein Beispiel aus dem Mathematikunterricht in der Sekundarstufe. Überlegen Sie selbst: Welche Aufgabe fordert mehr heraus, sich aktiv mit dem Lerngegenstand auseinanderzusetzen: Bestimme die Lösung mit Hilfe einer Formel: x2 − 8 × + 7 = 0

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Inklusiver Unterricht

Löse die folgende Aufgabe auf möglichst viele verschiedene Arten und beschreibe deine Lösungswege sorgfältig: Wie verändert sich der Flächeninhalt eines Kreises, wenn man seinen Radius verdoppelt? Begründe deine Antwort.

Das Beispiel zeigt: Kognitive Aktivierung ist auf allen Lernniveaus möglich. Um passende Aufgaben zu formulieren, müssen Lehrpersonen den Vorwissensstand der Schülerinnen und Schüler gut kennen und typische Fehler und Missverständnisse bei der Bearbeitung antizipieren. Kognitiv anregende Aufgaben sind aber nicht einfach nur »schwierigere« Aufgaben, sondern Aufgaben, die Nachdenken und (gedankliches) Ausprobieren erfordern, um sie zu lösen. Routineaufgaben, Auswendiglernen und Übungsaufgaben, die immer nach dem gleichen Schema oder mit bereits vorhandenem Wissen gelöst werden können, sind für kognitiv aktivierende Unterrichtsphasen nicht geeignet. Je intensiver sich die Lernenden mental aktiv mit dem Lerngegenstand auseinandersetzen, desto besser werden Konzepte verstanden und umso nachhaltiger wird das Lernen. Die Aufgaben dürfen aber auch nicht zu schwer sein und die Möglichkeiten der Lernenden weit überschreiten, sonst werden Denkprozesse nicht in Gang gesetzt und die Lernmotivation und das Selbstkonzept der Schülerinnen und Schüler beschädigt. Kognitiv herausfordernd und für das Wohlbefinden förderlich sind Aufgaben dann, wenn sie in der nächsthöheren (proximalen) Entwicklungszone liegen, ein Begriff, den der russische Psychologe Lew Wygotski eingeführt hat. Mit entsprechender Anleitung und Unterstützung durch die Lehrperson oder kompetentere Mitlernende können Aufgaben in der nächsthöheren Entwicklungszone gelöst werden. Leichtere Aufgaben, die selbstständig gelöst werden können, sind eher für Übungs- oder Konsolidierungsphasen geeignet. Ein hohes Potenzial zur kognitiven Aktivierung haben nach Kunter und Trautwein (2013) Aufgaben, … ȤȤ die aus mehreren Komponenten bestehen (komplexe Aufgaben), ȤȤ die nicht einfach mit abrufbarem Wissen beantwortet werden können, sondern Problemlöseprozesse erfordern, ȤȤ die es erfordern, bekannte Sachverhalte neu miteinander zu verknüpfen oder auf neue Sachverhalte anzuwenden, ȤȤ die kognitive Konflikte auslösen, weil neue Informationen im Widerspruch zu bereits Bekanntem stehen, ȤȤ bei denen mehrere Lösungen richtig sein können, ȤȤ bei denen die Lernenden ein mentales Bild aufbauen und einzelne Elemente des Bildes ergänzen müssen, Dimensionen der Unterrichtsqualität

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ȤȤ die an eigene Erfahrungen anknüpfen, ȤȤ zu deren Lösung bereits vorhandene Konzepte nicht ausreichen und erweitert werden müssen, ȤȤ zu deren Lösung nicht alle Informationen vorliegen, sondern von den Lernenden selbst gefunden werden müssen. Selbstverständlich ist es eine große Herausforderung, für die unterschiedlichen Leistungsgruppen im inklusiven Unterricht jeweils passende Aufgabenstellungen und Materialien zu konstruieren und bereitzuhalten. Für manche Kinder ist es schon schwierig, beim gemeinsamen Experimentieren zum Sinken und Schwimmen die Aufgabe zu übernehmen, die Versuche durchzuführen, zu beobachten und die Ergebnisse auf einem vorbereiteten Bogen in der richtigen Spalte zu notieren. Für andere im Team beginnt die Herausforderung erst dann, wenn sie ausführlich über die Ergebnisse des Experiments reflektieren und Vermutungen darüber anstellen sollen, warum sich ihre Hypothesen bestätigt bzw. nicht bestätigt haben. Zu beachten ist, dass nicht nur für Schülerinnen und Schüler mit Schwierigkeiten beim Lernen differenziertes Material bereitgehalten wird, sondern auch für die mit besonderen Begabungen, die schneller voranschreiten als ihre Peers. Ob eine Aufgabe kognitiv aktivierend ist, hängt letztlich von den individuellen Lernvoraussetzungen der Lernenden ab, von ihrem Vorwissen, den kognitiven Grundfertigkeiten, der Leistungsbereitschaft und der Motivation. Komplexe und herausfordernde Aufgabenstellungen müssen jedoch auch entsprechend dargeboten werden, um die Denkprozesse bei den Lernenden anzustoßen. Es macht keinen Sinn, wenn eine komplexe Aufgabe in Teilaufgaben zerlegt und wenn der Lösungsweg kleinschrittig von der Lehrperson an der Tafel dargestellt wird. Vielmehr sollen die Lernenden angeregt werden, sich selbstständig, engagiert und aktiv mit den Aufgaben auseinanderzusetzen. Beim schulischen Lernen kann auch die soziale Situation zur Aktivierung genutzt werden. Einen geeigneten Rahmen dafür ermöglichen die in Kap. 4 beschriebenen kooperativen Instruktionsformen, die in unterschiedlichem Ausmaß die Möglichkeit zur selbstständigen und aktiven Auseinandersetzung mit den Aufgaben bieten: Durch das wechselseitige Erklären und Fragen, das Aufdecken und Beseitigen von 76

Inklusiver Unterricht

Unklarheiten, durch das Begründen und Überprüfen von Aussagen und Meinungen und gegebenenfalls durch das Verwerfen und Erneuern von Lösungsvorschlägen und schließlich durch die gemeinsame Reflexion über den Lernprozess. Aber Achtung: Nicht nur die Instruktionsform muss kognitive Aktivitäten zulassen, sondern auch die Aufgabenstellungen müssen das nötige Potenzial zur kognitiven Aktivierung beinhalten! Und andersherum sind komplexe Aufgaben, die einfache Antworten nicht zulassen, ebenfalls eine unbedingte Voraussetzung für die produktive kooperative Arbeit. Sie sind notwendig, damit die Lernenden überhaupt in Interaktion treten, um Unklarheiten zu beseitigen, Fragen zu beantworten und wechselseitig Informationen auszutauschen (Cohen, 1994). Lehrpersonen haben häufig Bedenken, leistungsschwächere Schü­ lerinnen und Schüler zu überfordern. Beispielsweise tendieren Lehrpersonen an Hauptschulen dazu, den Unterricht möglichst schülerorientiert zu gestalten. Die Schülerorientierung bezieht sich dabei jedoch häufig stark auf das praktische Handeln in Stationen- oder Werkstattunterricht. Das kognitive Aktivierungspotenzial der dort bearbeiteten Aufgaben ist oft gering, weil es sich um wenig komplexe Aufgaben handelt, die durch einfache Routinen zu lösen sind (Bohl, Kleinknecht, Batzel & Richey, 2012). Leicht vorstellbar, dass Lehrpersonen in inklusiven Schulklassen diese Bedenken teilen und leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern überwiegend handlungsbezogene Aufgaben zuteilen, die kein ausreichendes Lernpotenzial beinhalten. Gemeinsame Unterrichtsplanung der Regellehrperson und der Lehrperson für die Förderschule, wechselseitige Hospitationen im Unterricht und die Beobachtung der Lernverläufe der Schülerinnen und Schüler können hier Abhilfe schaffen. Lernprozesse konstruktiv unterstützen! Während Aspekte der kognitiven Aktivierung die Interaktion zwischen den Lernenden und dem Lernstoff beschreiben, behandelt die konstruktive Unterstützung die Art der Interaktionen zwischen den Lernenden und der Lehrperson. »So viel kognitive Aktivierung wie möglich – so viel konstruktive Unterstützung wie nötig!« lautet das Motto des Zusammenspiels der beiden Dimensionen. Konstruktive Unterstützung umfasst die Aspekte: Dimensionen der Unterrichtsqualität

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ȤȤ Empathie, ȤȤ Wertschätzung und ȤȤ Anerkennung. Das bedeutet, dass eine Lehrperson eine freundliche, geduldige und positive Beziehung zu den Lernenden pflegen, genügend Zeit bei der Bearbeitung der Aufgaben einräumen sowie Geduld und Toleranz bei Fehlern zeigen sollte. Sie sollte aufmerksam und ansprechbar sein für die motivationalen, emotionalen und kognitiven Schwierigkeiten der Lernenden, um ihnen die entsprechende Unterstützung zuteilwerden zu lassen. Lernende, die diese Unterstützung erfahren, fühlen sich wohl und lernen leichter. Das alles mag auf den ersten Blick nur wenig konkret erscheinen, zielt es doch zu einem großen Teil auf die innere Einstellung der Lehrperson ab. An drei Aspekten kann deutlich gemacht werden, wie die Lehrperson ihre Schülerinnen und Schüler beim Lernen unterstützen kann, nämlich durch … 1. die Art, wie Rückmeldungen gegeben werden, 2. den Umgang mit Fehlern und 3. das Tempo des unterrichtlichen Vorgehens. ➀ Rückmeldungen

Lehrpersonen geben im Unterricht ständig Rückmeldungen, entweder an die gesamte Lerngruppe oder an einzelne Lernende, um das Lernen zu unterstützen. Rückmeldungen haben allerdings nicht per se eine positive Auswirkung auf die Lernleistungen und die Lernmotivation. Es hängt viel davon ab, wie die Lernbemühungen und die erbrachten Leistungen der Lernenden kommentiert werden. Dabei spielen neben Merkmalen der Rückmeldung auch Merkmale der Lernenden und des Kontexts eine Rolle. Mit anderen Worten: Die Angelegenheit ist äußerst komplex und die empirischen Befunde sind nur auf den ersten Blick einheitlich (Lipowsky, 2015). Deshalb wird an dieser Stelle auf eine wissenschaftliche Vertiefung der Thematik zugunsten einer pragmatischen Betrachtungsweise verzichtet. In der einfachsten Form enthält eine Rückmeldung die Information, ob eine Lösung richtig oder falsch war. In einer etwas anspruchsvolleren Form enthält eine Rückmeldung zusätzliche Erklä78

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rungen, Illustrationen oder Hinweise auf grundlegende Prinzipien der Aufgabenlösung. Beide Formen der Rückmeldung führen im Idealfall zu weiteren Lernanstrengungen, geben aber letztlich nur Auskunft über das Lernergebnis und nicht über den Lernprozess, der zu diesem Ergebnis geführt hat. Rückmeldungen, die sich auf den Verlauf und die Qualität von Lernprozessen beziehen, sind im Allgemeinen anspruchsvoller und informationshaltiger. Sie sollten Anregungen zur Selbstregulation enthalten, damit die Lernenden auch Hilfestellungen bekommen, wie sie ihre zukünftige Arbeit gestalten können, um erfolgreich zu sein. Informationshaltige Rückmeldungen beziehen sich nach Hattie und Timperley (2007) auf die Aspekte: ȤȤ Was ist das Ziel? ȤȤ Was ist Stand der Dinge? ȤȤ Was ist als nächstes zu tun? Feedback sollte sich also in erster Linie auf den Lösungsprozess beziehen und dabei Lösungsvorschläge beinhalten. Feedback über die Person selbst (also über den Lernenden) sollte man konstruktiv formulieren, eher positive als negative Aspekte ansprechen und sie vor allem nur dann ansprechen, wenn sie prinzipiell veränderbar sind. Ansonsten ist darauf zu verzichten. Zusammengefasst: ȤȤ Geben Sie aufgabenbezogene Rückmeldungen! ȤȤ Loben sie nur die tatsächlichen Lernleistungen und Lernanstrengungen! ȤȤ Das Lob muss in Relation zu einem Lernziel, zu einem vorausgegangenen Leistungsstand und zu den individuellen Lernfähigkeiten eines Lernenden stehen! ȤȤ Vermeiden Sie: •• Lob ohne aufgabenbezogene Informationen (Beispiel: Super!). •• Allzu elaborierte Rückmeldungen nach der Bewältigung sehr einfacher Aufgaben mit eher schlichten Antworten. •• Selbstwertverletzende Rückmeldungen (»Das war jetzt aber nicht sehr schlau!«).

Dimensionen der Unterrichtsqualität

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➁ Umgang mit Fehlern

Aus Fehlern kann man lernen! Rückmeldungen der Lehrpersonen an die Lernenden beziehen sich häufig auf unzureichende oder fehlerhafte Antworten. Fehler zu machen gehört zum Lernen – niemand macht immer gleich alles auf Anhieb richtig. Das gilt für das Erlernen bestimmter Fertigkeiten wie Fahrrad- oder Autofahren genauso wie für das kognitive Lernen, z. B. den richtigen Grammatikgebrauch. Fehler sind nicht etwa unnütz, sondern enthalten wertvolle Informationen, nämlich das Wissen darüber, wie etwas nicht funktioniert, sogenanntes »negatives Wissen« (Oser & Spychiger, 2005). Es hilft, zu der Erkenntnis zu gelangen, wie etwas richtig geht, und trägt dazu bei, dass wir nicht in beschämender und vielleicht sogar schmerzhafter Weise dieselben Fehler immer wieder machen. Wenn Sie beispielsweise bei einer steilen Abfahrt in einer Kurve mit dem Fahrrad stürzen, hilft Ihnen das abgespeicherte Erfahrungswissen, die Kurve beim nächsten Mal etwas langsamer zu nehmen. Auch durch Fehler anderer, wenn z. B. der vorausfahrende Teampartner gestürzt ist, können Sie etwas lernen. Immer vorausgesetzt natürlich, dass Sie die Situation richtig analysieren und sich über das Zustandekommen des Fehlers Gedanken gemacht haben. Insofern stimmt die alte Weisheit: Aus Fehlern wird man klug! Beim schulischen Lernen ist die Sache nicht ganz so eindeutig. Hier bietet es sich an, zwischen Lern- und Leistungssituationen zu unterscheiden, wenn man über die Funktionalität von Fehlern spricht (Weinert, 1999). Beim Experimentieren im Sachunterricht oder bei der Erarbeitung neuer Themen in kooperativen Arbeitsgruppen handelt es sich beispielsweise um Lernsituationen, in denen Fehler funktional zum Aufbau neuen (negativen) Wissens genutzt werden können. Bei einer Klassenarbeit oder Klausur handelt es sich hingegen um eine Leistungssituation, bei der es darum geht, das Wissen möglichst fehlerfrei darzustellen und Fehler zu vermeiden. Auch wenn sich manchmal gar nicht so genau unterscheiden lässt, ob es sich um eine Lern- oder Leistungssituation handelt, sollte in Lernsituationen ein fehlerfreundliches Klima vorherrschen. In inklusiven Klassen ist dies umso wichtiger, um die Schülerinnen und Schüler, die häufiger als andere etwas falsch machen, nicht zu beschämen. Wie in Unterrichtsbeobachtungen gezeigt werden konnte, 80

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leiden aber auch leistungsstarke Schülerinnen und Schüler unter einem von Angst und Beschämung beherrschten Unterrichtsklima (Meyer, Seidel & Prenzel, 2006). Ziel sollte es sein, im Klassenzimmer eine positive und »fehlerfreundliche« Lernkultur zu entwickeln, in der Fehler als natürliche Bestandteile von Lernprozessen betrachtet werden. Keinesfalls ist damit gemeint, dass der Unterricht so gestaltet und geführt werden sollte, dass man kaum noch Fehler machen kann. Ganz im Gegenteil fordern Oser und Spychiger (2005) zu einer »Fehlerermutigungsdidaktik« statt zu einer »Fehlervermeidungsdidaktik« auf: ȤȤ Fragen und Probleme stellen, die Fehler zulassen, ȤȤ Fehler nicht ignorieren, ȤȤ Lernende, die Fehler machen, nicht bloßstellen, ȤȤ Fehlerbereitschaft der Lernenden fördern, ȤȤ Fehler konstruktiv nutzen und ȤȤ Korrekturen und Repetitionsmöglichkeiten anbieten. ➂ Tempo des unterrichtlichen Vorgehens

Lernen braucht Zeit! Konstruktive Unterstützung drückt sich auch in einem angemessenen Tempo des Unterrichts aus. Gerade in Inklusionsklassen brauchen Schülerinnen und Schüler unterschiedlich viel Zeit beim Lernen. Dabei ist zwischen dem Interaktionstempo und dem Tempo des unterrichtlichen Vorgehens zu unterschieden. Das Interaktionstempo ist die Schnelligkeit, mit der Lehrpersonen den Austausch mit den Lernenden gestalten. In Untersuchungen zum Interaktionstempo wird beispielsweise gemessen, wie viel Zeit eine Lehrperson nach einer Frage an einen Lernenden verstreichen lässt, bis sie einen anderen Lernenden aufruft oder selbst weiterredet. Die typische Wartezeit beträgt meistens weniger als drei Sekunden. Da bleibt den Lernenden nicht viel Zeit zum Überlegen, vor allem für die schwächeren Lernerinnen und Lerner wird das zum Pro­blem. Schon eine minimale Verlängerung der Wartezeit auf drei bis fünf Sekunden führt zu mehr Beteiligung der Lernenden und qualitäts­ volleren Interaktionen mit längeren und ausführlicheren Antworten. Die Lehrpersonen sollten »Langsamkeitstoleranz« entwickeln, um nicht nur das Lernen, sondern auch die Lernfreude und die Lernmotivation der Lernenden zu fördern, so der allgemeine TeDimensionen der Unterrichtsqualität

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nor (Gold, 2018). Allerdings ist es nicht leicht, ein Tempo zu finden, das für alle Lernenden angemessen ist, so dass für jeden Einzelnen genug Raum bleibt zum Nachdenken und für Nachfragen bei Verständnisschwierigkeiten. In stark leistungsheterogenen inklusiven Klassen verschärft sich das Passungsproblem noch. Allein eine Erhöhung der Wartezeiten wird hier nicht reichen. Mit Tempo des unterrichtlichen Vorgehens ist die Anpassung des Unterrichtstempos und der Aufgabenschwierigkeit an die heterogenen Lernvoraussetzungen gemeint. Formal ist das Tempo des unterrichtlichen Vorgehens durch den Lehrplan vorgegeben, allerdings haben die Lehrpersonen in diesem Rahmen die Möglichkeit, eigene Akzente zu setzen. Sicherlich bedarf es einiger Erfahrungen und einer guten Kenntnis der Lerngruppe, um die Zeit, die Lernende benötigen, richtig einzuschätzen. Wichtig ist es, die Augen vor der Heterogenität nicht zu verschließen und mit differenzierten Zielvorgaben (unterschiedliche Lernziele und -mengen) oder unterrichtlichen Maßnahmen (auch dezentralen) zu reagieren. Dies gelingt beispielsweise durch den Einsatz kooperativer Unterrichtsmethoden oder durch Partnerarbeit, denn hier legen die Lernenden das Interaktionstempo selbst fest. Das Problem der Wartezeiten nach Lehrerfragen stellt sich also gar nicht. Beim gemeinsamen Lernen können sich die Lernenden die Zeit nehmen, die sie benötigen, um Antworten auf Fragen zu finden, Unklarheiten auszuräumen und Probleme zu lösen. Je nach Leistungsfähigkeit können Lernende in den Gruppen oder Tandems unterschiedliche Aufgaben bzw. Rollen übernehmen. Bei der Planung gemeinsamen Lernens sollte jedoch berücksichtigt werden, dass manche Gruppen oder Tandems schneller arbeiten als andere und entsprechende Zusatzaufgaben oder andere Beschäftigungen benötigen. Das Tempo des unterrichtlichen Vorgehens ist eng mit der Adap­ tivität des Unterrichts und der Lernzielgleichheit verknüpft, denn gerade im inklusiven Unterricht arbeiten nicht alle Schülerinnen und Schüler mit derselben Methode auf das gleiche Lernziel hin (s. o.). Dementsprechend brauchen sie auch unterschiedlich viel Zeit, um die individuell festgesetzten Ziele zu erreichen. Dieses Vorgehen stellt erhebliche Anforderungen an die Unterrichtsorganisation, da 82

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auch regelmäßig Zeit gefunden werden muss in der alle Schülerinnen und Schüler wieder zusammenfinden, damit das soziale Miteinander nicht auf der Strecke bleibt. Klassenführung Lange Zeit wurde das Thema Klassenführung hierzulande recht stiefmütterlich behandelt.2 In jüngster Zeit kommt ihm jedoch vermehrt Aufmerksamkeit zu. Das liegt an einem gewandelten Verständnis von Klassenführung und an neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen über effektive Unterrichtsgestaltung, die gezeigt haben, dass sich eine stringente Klassenführung positiv auf die schulische Entwicklung der Kinder und Jugendlichen auswirkt. Zudem ist man bei der Diskussion über die inklusive Unterrichtsgestaltung auf das Thema aufmerksam geworden. Warum? Weil es in extrem heterogenen Klassen vorkommen kann, dass Lehrpersonen mit herausforderndem Verhalten von Schülerinnen und Schülern konfrontiert werden, das sie so aus dem regulären Unterricht nicht oder nur in einem geringeren Ausmaß kennen. Umfragen zur schulischen Inklusion zufolge bereitet das den Lehrpersonen die größten Sorgen. Deshalb wird das Thema Klassenführung hier auch besonders ausführlich behandelt und im Kap. 5.3, im Zusammenhang mit dem Förderbedarf im Bereich Emotionale und soziale Entwicklung, nochmals thematisiert. Vielleicht erwarten Sie jetzt Hinweise zu Techniken, wie den massiv störenden Kindern und Jugendlichen im Unterricht durch disziplinarische Maßnahmen Einhalt geboten werden kann, um eine ruhige Arbeitsatmosphäre im Klassenzimmer herzustellen. Darum geht es auch. Das ist aber nur ein Aspekt von Klassenführung. Effek­ tive Klassenführung setzt schon an einem viel früheren Punkt an und wirkt präventiv (s. a. Syring, 2017). Es geht darum, den Unterricht so zu planen und zu strukturieren, dass Unterrichtsstörungen 2 Erklärt wird die Geringschätzung des Themas häufig mit der in Deutschland negativen Konnotation des Begriffs der »Führung« und mit der theoretischen Verwurzelung im Behaviorismus, in dem die Klassenführung ausschließlich als reaktiver Umgang mit Störungen verstanden wurde. Deshalb wird heutzutage oft der Begriff »Klassenmanagement« oder der englische Begriff classroom management genutzt, auch, weil damit Aspekte der Unterrichtsgestaltung stärker betont werden. Dimensionen der Unterrichtsqualität

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möglichst gar nicht erst aufkommen. Denn wenn Schülerinnen und Schüler wissen, was ihre Aufgaben und Ziele sind, und wenn sie eine Vorstellung davon haben, wie sie die fachlichen Inhalte bearbeiten sollen, stören sie weniger. Voraussetzung dafür ist, dass die Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler stimmen. Unrealistische Erwartungen an die Leistungsfähigkeit und unpassende Instruktionen bzw. Methoden frustrieren die Schülerinnen und Schüler, und in der Folge nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass sie »abschalten« und den Unterricht stören. Das ist vor allen Dingen für die leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler ein Problem, weil bei ihnen die Schwierigkeiten dann kumulieren und sie in der schulischen Leistung immer weiter abfallen. Das bedeutet, dass auch die Unterrichtsmethoden in den Blick genommen werden müssen, wenn von effektiver Klassenführung die Rede ist. Offene und wenig strukturierte Unterrichtsformen sind beispielsweise sehr störanfällig. Auch wenn oben die besondere Bedeutung des Themas Klassenführung in inklusiven Klassen betont wurde, bedeutet das nicht, dass es einen Unterschied zwischen der Klassenführung in inklusiven Klassen und in Regelklassen gibt, zumindest liegen hierfür keine Evidenzen vor (Emmer & Stough, 2001). Es kann aber in inklusiven Klassen immer wieder mal vorkommen, dass bei einzelnen Kindern oder Jugendlichen mit z. B. ausgeprägten Verhaltensschwierigkeiten individualisierte Instruktionen notwendig werden, wenn die an der Lerngruppe ausgerichteten Instruktionen nicht ausreichen (s. a. Kap. 5.3). Im Folgenden wird zunächst auf Routinen, Rituale und Regeln im Klassenraum eingegangen, die Basis einer guten Klassenführung. Routinen und Rituale Ein Ritual zum Stundenende: Im Klassenzimmer herrscht eine produktive Unruhe. Alle Kinder arbeiten an ihren schulischen Aufgaben. Plötzlich ertönt Musik im Klassenzimmer: die Aufräummelodie. Die Schülerinnen und Schüler beenden ohne jede weitere Aufforderung durch die Lehrerin nach und nach die Arbeit, packen die Hefte und Mäppchen in die Ranzen und die Bücher in die Regale. Der Gong zum Stundenende ertönt, aber die Kinder lassen sich nicht aus der Ruhe bringen und räumen weiter auf. Die, die fertig sind, setzen sich 84

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still an ihren Platz und warten. Einige bekommen von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern noch Hinweise, dass sie etwas vergessen haben aufzuräumen oder dass sie sich beeilen sollen. Wenn alle an ihrem Platz sitzen, bedankt sich die Lehrerin bei den Kindern für die Mitarbeit in der heutigen Stunde und wünscht ihnen noch einen schönen Tag. Die Kinder verabschieden sich von ihrer Lehrerin. Dann gibt die Lehrerin den Tischgruppen nacheinander ein Zeichen, dass sie aufstehen und gehen können. Die Kinder stellen die Stühle hoch. Die Gruppe, die zuerst fertig ist, darf als erste die Klasse verlassen.

Voraussetzung für eine effiziente Klassenführung ist das frühzeitige und konsequente Einführen und Einüben solcher oder ähnlicher Routinen und Rituale im Klassenzimmer. In dem Beispiel legt die Lehrerin großen Wert auf eine ruhige und besonnene Arbeitsatmosphäre und möchte nicht, dass die Kinder mit dem Pausenzeichen hektisch aufspringen und laut schreiend aus der Schule rennen. Sie möchte sich in Ruhe von den Kindern verabschieden, ihnen für die Mitarbeit danken und gegebenenfalls noch den einen oder anderen Hinweis für den nächsten Tag mit auf den Weg geben. Keinesfalls möchte sie in einem Chaos zurückbleiben und womöglich den Kindern noch hinterherräumen müssen. Andere Routinen und Rituale beziehen sich auf den Stundenanfang oder auf das Austeilen und Einsammeln von Arbeitsmaterialien, die Absprachen über Gesprächsregeln im Unterricht, das geordnete Organisieren von Arbeitsgruppen oder Stuhlkreisen, Ruhe- oder Aufräumrituale und dergleichen. Im Gegensatz zu Regeln sind Routinen selten schriftlich festgehalten, sondern eingeübte Handlungsabläufe. Wie solche Routinen im Einzelnen aussehen, hängt natürlich vom Alter der Schülerinnen und Schüler und von anderen Besonderheiten der Klasse ab. Es gibt Klassen, in denen Schülerinnen und Schüler bei dem Stichwort »Gruppenarbeit« sofort wissen, was ihre Aufgabe ist. Sie wissen, wie sie die Gruppen bilden sollen, sie kennen die Regeln der kooperativen Zusammenarbeit, sie achten darauf, dass es in der Klasse nicht zu laut wird und dass die Arbeitsergebnisse am Ende schriftlich festgehalten und anschließend weitervermittelt werden. Solche komplexen Routinen stellen sich nicht von heute auf morgen ein, sondern müssen in einem längeren Prozess stetig eingeübt und durch Wiederholungen aufrechterhalten werden. Dimensionen der Unterrichtsqualität

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Das kostet zu Beginn sicherlich viel Zeit, zahlt sich auf Dauer aber aus und sorgt für einen reibungslosen Unterrichtsablauf. Albert Claßen (2013) gibt in seinem Ratgeber zum Classroom-Management im inklusiven Klassenzimmer viele Tipps, wie Regeln, Routinen und Rituale vom ersten Tag an eingeführt werden können. Er blickt auf Erfahrungen als Schulleiter einer inklusiven Schule zurück und betont die besondere Bedeutung einer guten Klassenführung im inklusiven Klassenzimmer. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Schülerinnen und Schüler mit emotionalem und sozialem Förderbedarf und für diejenigen mit Lernschwierigkeiten, um ihnen einen Verhaltensrahmen zu geben und um für sie den dringend benötigten störungs- und ablenkungsfreien Raum zum Lernen zu gewährleisten. Regeln

Von den Routinen zu unterscheiden sind festgeschrieben Regeln, die den Schülerinnen und Schülern transparent machen, welche Verhaltensweisen von ihnen konkret erwartet werden, beispielsweise: »Wir lachen niemanden bei Fehlern aus!« oder »Handys müssen auf dem Schulhof ausgeschaltet sein«. Üblicherweise gibt es weniger Regeln als Routinen. Den Lehrpersonen ist es selbst überlassen, ob sie drei, vier oder acht Grundregeln für die Klasse aufstellen. Es sollten aber nicht zu viele sein, um die Fähigkeit zur Selbstregulation bzw. -kontrolle der Schülerinnen und Schüler nicht zu sehr einzuschränken. Deshalb gilt: So wenig wie möglich und so viel wie nötig! Zu viele Regeln können auch zu Unsicherheiten bei Schülerinnen und Schülern mit Verhaltensschwierigkeiten führen. Die Festlegung auf eine Höchstzahl von Regeln hilft auch jungen Kindern, die dazu neigen, das Klassenleben bis ins kleinste Detail zu reglementieren. Entscheidender als die Anzahl der Regeln ist, dass die Lehrpersonen vom ersten Tag an auf ihre konsequente Einhaltung achten und dadurch ihre Wichtigkeit unterstreichen. Sie demonstrieren so den Kindern auch, dass sie die eingeführten Regeln ernst nehmen. Neben Klassenregeln gibt es Schulregeln, Regeln für das soziale Miteinander, die Unterrichtsorganisation oder das Arbeitsverhalten. Regeln sollten möglichst einsichtig und positiv formuliert sein. In inklusiven Schulen sollte folgende Regel an erster Stelle stehen: »Wir akzeptieren jede Mitschülerin und jeden Mitschüler in ihrer/ 86

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seiner Besonderheit!«, denn die wechselseitige Akzeptanz, bei allen Unterschiedlichkeiten der Schülerinnen und Schüler, gehört zu den Grundbedingungen einer gelingenden Inklusion. Keiner soll ausgelacht werden, weil er etwas nicht so gut kann oder in irgendeiner anderen Weise, z. B. durch eine Behinderung, beeinträchtigt ist. Nur wenn alle aufeinander Rücksicht nehmen, zueinanderstehen und sich wechselseitig unterstützen, können sich eine vertrauensvolle Atmosphäre und ein angenehmes Klima im Klassenzimmer entwickeln. Das tut allen gut, auch den Lehrpersonen. Darauf hinzuweisen ist nicht trivial. Unterrichtsstörungen gehören zu den größten psychischen Belastungen der Lehrpersonen und nicht wenige reagieren mit Irritationen und heftigen Gefühlen. Die Skepsis mancher Lehrpersonen gegenüber der schulischen Inklusion beruht u. a. auch auf der Befürchtung, dass noch mehr Disziplinprobleme und noch mehr Unterrichtsstörungen auftreten könnten (Bründel, 2016). Dass sich die konsequente Einführung von Routinen, Ritualen und Regeln letztendlich auszahlt, konnten Emmer, Evertson und Anderson (1980) belegen. In einer Studie mit 28 Klassen des dritten Schuljahres konnten sie zeigen, dass bei jenen Lehrpersonen, die vom ersten Schultag an die wichtigsten Klassenregeln konsequent eingeführt und ihre Umsetzung beispielhaft modelliert hatten, ein reibungsloser Unterrichtsverlauf mit hohen Anteilen aktiver Lernzeit zu beobachten war. Besonders reibungslos verlief der Unterricht, wenn zusätzlich auch die (günstigen) Konsequenzen für regelkonformes Verhalten und die Sanktionen für regelwidriges Verhalten von Anfang an deutlich gemacht worden waren. Lehrpersonen, die sowohl frühzeitig als auch konsequent Regeln und Routinen eingeführt hatten, konnten sich im Unterricht viel besser auf die eigentlichen Unterrichtsaktivitäten konzentrieren. Sie konnten die Aufgabenstellungen leichter erläutern, wo nötig Korrekturen und Wiederholungen anbringen sowie differenzierte Rückmeldungen geben. Disziplinprobleme, die Sanktionsandrohungen nach sich zogen, spielten bei ihnen keine große Rolle. Was tun, wenn die Regeln nicht beachtet werden?

Wenn es um die Einhaltung der Regeln geht, sind vor allem die Lehrpersonen gefragt. Sie haben die Aufgabe, das Regelwerk zu schützen Dimensionen der Unterrichtsqualität

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und auch zu interpretieren. Das erwarten auch die Schülerinnen und Schüler. Dazu gehört, dass die Lehrpersonen bei Regelüberschreitungen Konsequenzen folgen lassen. Tun sie das nicht, nehmen Schülerinnen und Schüler dies nicht selten zum Anlass, die Grenzen des noch tolerierten Abweichens von den Regeln auszuloten. Die Regeln sollten für jeden ersichtlich im Klassenraum angebracht werden. Gold (2015) empfiehlt ein vorsichtig zurückhaltendes Vorgehen der Lehrperson bei Regelverstößen. Vorschnelle Überreaktionen sind auf jeden Fall zu vermeiden. Ein bloßes Wegschauen ist aber nicht zu empfehlen, weil sonst aus kleinen Konflikten leicht große werden können. Im günstigsten Fall reicht schon ein missbilligender Blick oder eine andere nonverbale Reaktion der Lehrperson aus, um deutlich zu machen, dass das Verhalten bemerkt wurde und nicht geduldet wird. Solche Interventionen sind deshalb günstig, weil sie unauffällig und geräuschlos sind und den Unterrichtsfluss nicht weiter beeinträchtigen. Maßregelungen vor der gesamten Klasse können hingegen leicht auf die Stimmung auch unbeteiligter Schülerinnen und Schüler schlagen und das Klassenklima nachhaltig beeinträchtigen. Wenn nonverbale Interventionen nicht ausreichen, müssen sie verschärft werden: 1. Blickkontakt aufnehmen und, ohne den Unterrichtsfluss zu unterbrechen, an den Verursacher herantreten. 2. Ebenfalls ohne den Unterrichtsfluss zu unterbrechen, verbal beiläufig intervenieren, z. B. durch Aufrufen des Namens des Verursachers. 3. An die Regeln und die vereinbarten Konsequenzen erinnern. 4. Den Verursacher auffordern, die Regel zu benennen und Folge zu leisten. 5. Den Verursacher unmissverständlich auffordern, die Störung zu unterlassen. 6. Privilegien entziehen oder zum Time-Out auffordern. 7. Eine schriftliche Reflexion über die Regelverletzung einfordern. 8. Verursacher nach der Stunde zum Gespräch einbestellen. 9. Die Schulleitung informieren und Kontakt mit den Eltern aufnehmen. Bewährt haben sich bei jüngeren Schülerinnen und Schülern auch ritualisierte Vorgehensweisen bei Regelverstößen durch Anzählen 88

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oder andere mehrstufige Systeme. Ohne den Unterrichtsfluss groß zu unterbrechen, kann beispielsweise mit Farbkarten signalisiert werden, dass das störende Verhalten bemerkt (grün) und wieder beobachtet (gelb) wurde. Beim nächsten Mal (rot) folgt die vereinbarte Konsequenz. Nach der Sanktion beginnt das Zählen wieder von vorne. Wichtig ist, das Problemverhalten spezifisch zu benennen (»Bitte melde dich, wenn du etwas sagen möchtest, und rufe nicht einfach in den Unterricht rein!«), es nicht nur allgemein zu formulieren (»Bitte halte dich an die Regeln!«) und bei Sanktionen auf die Befolgung streng zu achten. Konsequenzen können Briefe an die Eltern und/oder Dienste für die Schulgemeinde (Klassendienste, Aufräumen etc.) sein. Nicht vergessen werden darf, dass jeder Lehrperson bei aller notwendigen Konsequenz ein großer Spielraum bleibt, wie sie auf Unterrichtsstörungen reagiert. Ohne dem Laissez-Faire das Wort reden zu wollen, ist ein gesundes Maß an Nachsicht einem Klassenklima sicherlich nicht abträglich. Manchmal möchten die Schülerinnen und Schüler einfach mal sehen, ob Lehrpersonen auch Humor besitzen. Ein Augenzwinkern zur gegenseitigen Verständigung reicht dann manchmal schon aus. Schließlich sollen die Interventionen der Lehrpersonen den Unterrichtsfluss nicht mehr beeinträchtigen als die zu ahndende Regelverletzung der Schülerinnen und Schüler. Im inklusiven Unterricht haben es Lehrpersonen jedoch auch immer wieder mit Kindern und Jugendlichen mit massiven Verhaltensschwierigkeiten tun. Der permanente Hinweis auf Regeln oder Bestrafungen bei Regelverletzungen führt hier häufig ins Leere und keineswegs zu der gewünschten Verhaltensänderung. Die ständigen Auseinandersetzungen zermürben nicht nur die Lehrperson, sondern auch die Schülerinnen und Schülern selbst. Gerade Schülerinnen und Schüler mit Verhaltensschwierigkeiten verfügen, bedingt durch permanente Misserfolge, häufig nur über ein geringes Selbstbewusstsein. Sie sind zwar mit den gleichen Lern- und Erziehungsmethoden erreichbar, benötigen jedoch ein deutlich höheres Ausmaß an Struktur, Kontrolle, Rückmeldung und Motivation von außen in Form von Belohnungen oder angemessenen Sanktionen vonseiten der Lehrperson. Besonders bewährt hat sich bei diesen Schülerinnen und Schülern, das (erwünschte) Verhalten in Form Dimensionen der Unterrichtsqualität

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von regelmäßigem, spezifischem und verhaltensorientiertem Lob extrinsisch zu verstärken oder spezifische Verstärkersysteme, sogenannte ➀ Token-Systeme einzuführen. Darüber hinaus besteht auch noch die Möglichkeit ➁ individuelle Verhaltensverträge auszuhandeln, ➂ Time-Out zu verordnen, ➃ Schulstationen zu implementieren oder ➄ Mediationsprogramme aufzurufen. Auf alle fünf Aspekte soll, vor allen Dingen auch im Hinblick auf Interventionen bei Schülerinnen und Schülern mit emotionalem und sozialem Förderbedarf, ausführlich eingegangen werden. ➀ Token-Systeme

In der Verhaltenstherapie finden Token-Systeme erfolgreich Anwendung, z. B. bei der Arbeit mit Kindern mit ADHS: Das Kind erhält immer dann einen Punkt (Tauschverstärker), wenn es ihm gelingt, sich an spezifische (erwünschte) Verhaltensregeln zu halten. Später können die Punkte in ein Spielzeug (bei jüngeren Kindern) oder eine andere Belohnung eingetauscht werden, womit die Verhaltensänderung gefestigt werden soll. Es wird also erwünschtes Verhalten belohnt und nicht unerwünschtes bestraft. Token-Systeme zur Modifikation problematischen Verhaltens können auch im inklusiven Unterricht eingesetzt werden. Ein schrittweises Vorgehen wird bei Hoffman (2013) erläutert. Metaanalysen zeigen: Bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS hat sich die Anwendung von Token-Systemen positiv auf das Verhalten und die Lernleistung ausgewirkt (Frölich, Döpfner & Banaschewski, 2014). Berücksichtigt werden muss jedoch, dass Token-Systeme zur Verhaltensmodifikation nur für klar definierte Verhaltensweisen geeignet sind und häufiger Veränderungen und Modifikationen bedürfen, um ihre Wirksamkeit zu erhalten. Wenn positive Verstärkung nicht ausreicht, um eine effektive Veränderung von problematischen Verhaltensweisen zu bewirken, kann zusätzlich mit einem Verstärkerentzugssystem gearbeitet werden: Die Schülerin bzw. der Schüler startet mit einem ihm zugeteilten Punktekonto in den Tag oder die Woche und verliert für vorab definierte unerwünschte Verhaltensweisen Punkte. Jeweils am Ende eines Tages oder einer Woche wird dann der Punktestand gemeinsam errechnet. Auch Verstärkerentzugssysteme arbeiten mit Belohnungen, fokussieren jedoch auf die Unterlassung von problemati90

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schem Verhalten, für das es jeweils Punktabzug gibt. Die Schülerin bzw. der Schüler erhält die Belohnung erst dann, wenn die Frequenz oder Intensität eines unangemessenen Verhaltens gesenkt werden konnte und somit noch genügend Punkte auf ihrem bzw. seinem Konto verbucht sind. Bei geringem Punktestand drohen Sanktionen. Belohnungen im schulischen Rahmen können bestimmte Privilegien sein: Die Lehrperson lädt zu einem gemeinsamen Mittagessen in der Schulkantine ein, freie Zeit für beliebte Aktivitäten bzw. Spiele, Arbeiten mit attraktiven Materialien oder Übernahme von beliebten Rollen in der Klasse. Theoretisch können Verstärkersysteme auf die gesamte Klasse angewendet werden. Verhaltensschwierige Schülerinnen und Schüler würden dann nicht durch eine Sonderbehandlung stigmatisiert, und es gäbe keine Diskussionen mit den übrigen Schülerinnen und Schülern, die für ihr positives Verhalten keine Belohnung erhalten. In der praktischen Umsetzung wird es dann allerdings schwierig, denn die regelkonformen Schülerinnen und Schüler kommen schneller und häufiger in den Genuss von Belohnungen als Schülerinnen und Schüler mit herausforderndem Verhalten, die dadurch auch entmutigt werden könnten. Letztendlich liegt die Entscheidung bei den Lehrpersonen. Sie können am besten einschätzen, wie wichtig es in einer Klasse ist, auf Gleichbehandlung zu achten, oder ob es möglich ist, den Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, dass in inklusiven Klassen auf die Unterschiedlichkeit aller Rücksicht genommen werden muss. Kinder und Jugendliche können sehr verständig sein, wenn man ihnen erklärt, dass es sich bei dem Token-System und den damit einhergehenden Belohnungen um notwendige Hilfe handelt, ohne die ihre Peers mit Verhaltensauffälligkeiten im Unterricht nicht zurechtkommen würden. ➁ Individuelle Verhaltensverträge

Für Schülerinnen und Schüler mit massiven Verhaltensproblemen können auch individuelle Verhaltensverträge hilfreich sein (Claßen, 2013). Darin kann z. B. geregelt werden, dass sich ein Schüler dazu verpflichtet, für eine bestimmte Zeit keine körperlichen Auseinandersetzungen mehr anzuzetteln. Die Lehrpersonen versprechen im Gegenzug, ihn bei Provokationen von Mitschülerinnen und -schülern in Zukunft besser zu schützen. In dem von dem Kind bzw. JuDimensionen der Unterrichtsqualität

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gendlichen und der Lehrperson zu unterzeichnenden Vertrag werden die gemeinsamen Ziele, Absprachen und negative Konsequenzen bei Nichteinhaltung bzw. positive bei Einhaltung schriftlich festgehalten. ➂ Time-Out

Bei wiederholt regelverletzendem, aggressivem oder destruktivem Verhalten einzelner Kinder bzw. Jugendlicher eignet sich das Einführen eines Time-Outs. Dabei benennt die Lehrperson zunächst, welches konkrete Verhalten geahndet wird. Time-Out bedeutet, dass die Schülerin bzw. der Schüler für eine bestimmte Zeit von bestimmten Unterrichtsaktivitäten ausgeschlossen wird oder gar den Klassenraum verlassen muss. Voraussetzung hierfür ist die Einrichtung eines dafür vorgesehenen Raumes. Wichtig ist, dass die Pause vom Unterricht nicht als Belohnung, sondern wirklich als unangenehm aufgefasst wird. Sonst wirkt, was eigentlich als Strafe bzw. zur Verhaltensmodifikation gedacht war, belohnend und verstärkt das störende Verhalten. Klemm und Preuss-Lausitz (2011) fordern in ihren Empfehlungen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bereich der Regelschulen an jeder inklusiven Schule die Einrichtung eines »Time-Out-Raums« oder einer »Schulstation« (s. u., S. 94). Das hört sich erst einmal so an, als sollten störende Schülerinnen und Schüler aus dem Klassenzimmer abgeschoben und für ihr Verhalten bestraft werden. Beabsichtigt ist jedoch etwas anderes. Davon ausgehend, dass Strafen oder andere Disziplinierungsmaßnahmen bei den Kindern und Jugendlichen nur auf Widerstand stoßen und somit nicht zu Verhaltensänderungen führen, soll ihnen vielmehr im Trainingsraum oder der Schulstation in Gesprächen mit geschulten Pädagoginnen bzw. Pädagogen vermittelt werden, dass sie durch verantwortliches Denken ihre Wahrnehmungen kontrollieren, ihre eigenen Ziele erreichen und gleichzeitig die Rechte anderer achten können. Denn die Probleme und Schwierigkeiten von Kindern bzw. Jugendlichen, die in Unterrichtsstörungen münden, entspringen häufig ihren internen Wahrnehmungen (z. B. ein Kind, das meint, niemals aufgerufen zu werden, und deshalb den Unterrichtsablauf durch permanente Zwischenrufe massiv stört). Bewährt hat sich die Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit 92

Inklusiver Unterricht

Fragen, die ihnen helfen, sich selbst als Verursacher des regelverletzenden Verhaltens wahrzunehmen, die Verantwortung dafür zu übernehmen und die Konsequenzen zu tragen: 1. »Was tust du?« 2. »Wie lauten die Regeln?« 3. »Was passiert, wenn du die Regeln brichst?« 4. »Ist dies das, von dem du möchtest, dass es passiert?« 5. »Wo möchtest du sein?« oder »Was möchtest du jetzt tun?« 6. »Was passiert, wenn du wieder störst?« Die Schülerinnen und Schüler sollen durch Selbstreflexion zur Einsicht gelangen, welches Verhalten inakzeptabel ist, und Handlungsalternativen dazu entwickeln. Voraussetzung ist, dass Verhaltensregeln und Standards klar definiert sind (siehe Klassenregeln), von Lehrpersonen fair und konsequent umgesetzt und von allen Kindern und Jugendlichen respektiert werden. Gerade Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich Emotionale und soziale Entwicklung dürfen nicht das Gefühl bekommen, einen besonderen Verhaltensrabatt zu erhalten. Auf der anderen Seite dürfen sie sich natürlich auch nicht strenger als andere behandelt fühlen. Bei den in Deutschland bekannten konzeptionellen Umsetzungen der Time-Out-Räume handelt es sich um adaptierte Versionen des amerikanischen Trainingsraum-Programms »Responsible Thinking Process, RTP «. Ziel aller Programme ist es, zu deeskalieren und die Unterrichtssituation zu entspannen sowie die Kinder bzw. Jugend­ lichen dabei zu unterstützen, »selbst-disziplinierter« zu werden. RTP folgt dabei einem strikt ablaufenden Prozess, der in etwa so aussieht: Bei nachhaltigen Unterrichtsstörungen wird das störende Kind zunächst ausdrücklich ermahnt und bekommt einen Vermerk im Klassenbuch. Werden weitere Störungen unterlassen, ist die Sache erledigt. Bei weiteren Störungen während der Unterrichtsstunde wird das Kind in den Time-Out-Raum geschickt und kurzfristig dort aufgenommen. Mit (speziell geschulten) Pädagoginnen bzw. Pädagogen reflektiert das Kind sein Verhalten unter Anwendung der oben aufgeführten Fragen und erstellt einen Rückkehrplan. Anschließend kehrt es in den Unterricht zurück. Ist die Lehrperson mit dem Plan einverstanden, ist die Sache erledigt. Ist die Lehrperson nicht ein-

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Dimensionen der Unterrichtsqualität

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verstanden, kehrt das Kind in den Time-Out-Raum zurück, wird erneut beraten und überarbeitet seinen Plan, um dann erneut in den Unterricht zurückzukehren. Ein großer Kritikpunkt an dem Programm ist, dass die Gründe für Störungen des Unterrichts vorwiegend bei den einzelnen Kindern bzw. Jugendlichen gesucht werden. Andere Faktoren wie z. B. Besonderheiten der Lerngruppe, Lehrerpersönlichkeit oder Unterrichtsmethodik werden nicht berücksichtigt. Weitere Kritikpunkte sind die Zeitintensität, der Verlust der Lernzeit, Isolation von der Lerngruppe und mögliche Stigmatisierung. Die Effektivität der Trainingsraumprogramme wird in der Fachliteratur kontrovers diskutiert. Wollenweber (2013) kommt im Rahmen einer quasiexperimentellen Untersuchung der Trainingsraum-Methode an deutschen Realschulen zu einem eher ernüchternden Fazit: Es finden sich keine Belege dafür, dass sich die Einrichtung eines Trainingsraums grundsätzlich positiv auswirkt. Beobachtet wurde zudem eine mangelnde Akzeptanz und Nutzung der Methode unter den Lehrpersonen. Aber selbst die Lehrpersonen, die das Angebot nutzten, arbeiteten nicht immer konzeptgetreu. Manche nutzen den Trainingsraum als schlichte Disziplinierungsmaßnahme oder für andere schulbezogene Angelegenheiten. Die Effektivität von Interventionsprogrammen steht und fällt jedoch mit der Akzeptanz im Kollegium und der Umsetzungsqualität. ➃ Schulstationen

Davon ausgehend, dass Unterrichtsstörungen häufig schwerwiegende emotionale Probleme zugrunde liegen, soll den Kindern und Jugendlichen in Schulstationen bei akutem Stress, bei sozialen Konflikten ober bei besonderen emotionalen Belastungen ein Ort des Rückzugs, des Vertrauens und der Entspannung geboten werden. Eine Schulstation ist meist eine Einrichtung der örtlichen Jugendhilfe an einer öffentlichen Schule. Schulstationen sind präventiv ausgerichtet und zielen auf eine Kompensation und Überwindung von sozialen und individuellen Beeinträchtigungen und Benachteiligungen. Schulstationen dienen damit nicht nur der kurzfristigen Krisenintervention, sondern bieten auch Raum für (präventive) pädagogische Aktivitäten, an denen die Kinder und Jugendlichen, auch auf freiwilliger 94

Inklusiver Unterricht

Basis, teilnehmen können. Die Kinder und Jugendlichen sollen in den Schulstationen die Möglichkeit bekommen, sich in einer vertrauensvollen Umgebung zu öffnen und über ihre Probleme reden. Ein einheitliches Konzept gibt es nicht, da bei der Einrichtung von Schulstationen auf die Besonderheiten der jeweiligen Schule Rücksicht genommen werden soll. An Schulen mit Gewaltproblemen werden beispielsweise andere Zielsetzungen verfolgt als an Schulen mit einem hohen Anteil von Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache. Die Konzepte lassen sich gut in die inklusive Schulentwicklung bzw. die Ganztagsschulentwicklung integrieren. In Schulstationen ist die Grenze zwischen pädagogischer und sozialer Arbeit oft fließend, deshalb werden sie mancherorts auch von den Kommunen mitfinanziert. Die wissenschaftliche Evaluation von Schulstationen kommt zu einem positiven Fazit. Die Einrichtungen stießen bei Lehrpersonen und Kindern und Jugendlichen auf große Akzeptanz und es konnte eine deutliche Verbesserung der Lern- und Sozialentwicklung sowohl bei den Schülerinnen und Schülern mit Problemverhalten als auch bei der gesamten Lerngruppe festgestellt werden (Nevermann, 2013). ➄ Mediationsprogramme

Davon ausgehend, dass ein wesentlicher Grund von Regelverstößen in inklusiven Klassen eskalierende Konflikte zwischen Schülerinnen und Schülern mit herausforderndem Verhalten gegenüber ihren Peers sind, soll im Rahmen einer schülergestalteten Mediation, geleitet von unbeteiligten Dritten, eine möglichst niederlagenfreie Lösung zwischen den Konfliktparteien gefunden werden (Claßen, 2013). Eine Schülermediation ist in der Regel in fünf Abschnitte gegliedert: 1. Die Schülermediatoren klären die Konfliktparteien über die Gesprächsregeln auf (Ehrlichkeit, Respekt, keine Beleidigungen etc.). 2. Die Konfliktparteien erläutern ihre Wahrnehmung des Streitfalls. 3. Die beiden Parteien erklären ihre Interessenslage, wo und wodurch sie sich in ihren Interessen beeinträchtigt sehen, warum sie sich verletzt fühlen und weshalb es ihrer Ansicht nach zu dem Konflikt gekommen ist. 4. Lösungswege, die die Interessen beider Parteien berücksichtigen, werden gesucht. Keine Partei soll sich als Verlierer fühlen. Dimensionen der Unterrichtsqualität

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5. Die Mediatoren erstellen zusammen mit den Konfliktparteien einen Vertrag über das Ergebnis der Schlichtung. Teil des Vertrags ist die Terminierung eines Reflexionsgesprächs, in dem die Wirksamkeit der getroffenen Vereinbarung noch einmal überprüft wird. Die Lehrpersonen werden durch die Schülermediation entlastet und können erfahren, welche Maßstäbe Kinder bzw. Jugendliche eigenständig bei der Konfliktbeurteilung anlegen. Durch den selbstverantwortlichen Umgang mit Konflikten verspricht man sich eine Steigerung des Selbstbewusstseins bei allen Schülerinnen und Schülern. Sie erleben, dass sie einen wesentlichen Teil des Miteinanders, die friedliche Lösung von Konflikten, eigenverantwortlich bewältigen können. Wichtig ist diese Erfahrung vor allen Dingen für die förder­ bedürftigen Schülerinnen und Schüler. Mediation ist häufig auch eingebettet in andere Konzepte, wie z. B. Schulstationen (s. o., S. 94). Informationen zu Mediationsverfahren und Gewaltinterventionsprogrammen sind auch im Internet unter: www.verantwortung.de zu finden, beispielsweise das erfolgreich evaluierte Programm von Dan Olweus (2006, s. a. Kap. 5.3). Als Präventionsmaßnahme sei an dieser Stelle nochmals an das Potenzial kooperativer Lern- und Arbeitstechniken erinnert, die durch die Herstellung positiver Interdependenz unter den Schülerinnen und Schülern zu einem Abbau von Vorurteilen und einem besseren sozialen Miteinander beitragen (Johnson & Johnson, 2006). Effektivität der Klassenführung Zahlreiche Studien belegen positive Effekte der Klassenführung im Hinblick auf … ȤȤ die Steigerung der aktiven Lernzeit (Kounin, 2006), ȤȤ das Interesse und die Lernfreude (Kunter & Voss, 2011) sowie ȤȤ die kognitiven Lernerfolge der Schülerinnen und Schüler (Seidel & Shavelson, 2007).

Allerdings zeigen die Analysen von Seidel und Shavelson auch, dass der Initiierung und Unterstützung von Lernaktivitäten ein deutlich stärkerer Einfluss auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler 96

Inklusiver Unterricht

zukommt als der Klassenführung. Gute Klassenführung allein genügt also nicht, unterstützt aber mittelbar die zielführende Ausführung von Lernaktivitäten (Gold, 2015). Neben der Berücksichtigung der Tiefenstrukturen kognitive Aktivierung, konstruktive Unterstützung und Klassenführung ist nach Gold (2015) ein Unterricht gut, ȤȤ in dem eine Vielzahl wirksamer Lehrmethoden zum Einsatz kommt und ȤȤ Lernverläufe erkannt, bewertet und für das weitere unterrichtliche Vorgehen genutzt werden (Lernverlaufsmessung). Auf die Lernverlaufsdiagnostik wurde schon ausführlich eingegangen (Kap. 3.2). Es wurde auch schon darauf hingewiesen, dass Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten von einem kleinschrittigen und gut strukturierten lehrerzentrierten Unterricht profitieren. Entgegen den Annahmen vieler Lehrpersonen lassen sich aber insbesondere auch kooperative Lernsettings im inklusiven Unterricht nutzen, um bei den Schülerinnen und Schülern effektive Lernprozesse auszulösen und gleichzeitig das soziale Miteinander zu verbessern. Deshalb wird in den beiden folgenden Kapiteln ausführlich über kooperative Lernmethoden und Peer Tutoring berichtet.

4.2 Kooperatives Lernen Heterogenität, wie sie in inklusiven Klassen immer vorzufinden ist, verlangt nach einem adaptiven und differenzierenden Vorgehen beim Unterrichten. In einem lehrergeleiteten Unterricht wirft das rasch Probleme auf. An wem soll sich die Lehrperson bei der Gestaltung und Durchführung des Unterrichts orientieren? An den Leistungsschwächsten der Klasse, weil sie die meiste Unterstützung benötigen, wohl wissend, dass die anderen Schülerinnen und Schüler unterfordert sind? Oder, um die Klasse leistungsmäßig voranzubringen, an den Leistungsstärksten, weil die sich sonst im Unterricht langweilen, infolgedessen womöglich noch den Unterricht stören und selbst in den Leistungen nachlassen? Meist suchen Lehrpersonen einen Kompromiss und orientieren sich an dem mittleren Leistungsniveau der Klasse, immer mit der Gefahr verbunden, den Schülerinnen und Kooperatives Lernen

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Schülern mit niedrigem und hohem Leistungsniveau letztendlich nicht gerecht zu werden. Zwar bestehen auch im lehrergeleiteten Unterricht verschiedene Adaptionsmöglichkeiten, um Leistungsunterschiede der Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen (z. B. durch den Einsatz differenzierender Materialien), aber die Lehrperson kann sich nicht in Stücke teilen, sondern immer nur mit der ganzen Klasse oder einzelnen Lernenden kommunizieren. Für die einzelnen Lernenden bleibt insgesamt wenig Interaktionszeit mit der Lehrperson. Zeit, die wichtig ist, um kognitive Lernprozesse anzustoßen, Probleme zu lösen und die Lernmotivation aufrechtzuerhalten. Leistungsheterogenität ist somit ein echtes Problem, wenn man als Lehrperson allein für den Fortgang des Unterrichtsverlaufs verantwortlich ist. Einem lehrergeleiteten Unterricht liegt zudem eine kompetitive Zielstruktur zugrunde, die sich nicht nur negativ auf das Lernen, sondern auch auf das soziale Miteinander in der Klasse auswirken kann. Dann nämlich, wenn sich Schülerinnen und Schüler im Unterricht melden, möglicherweise noch mit penetrantem Fingerschnipsen, um auf sich aufmerksam zu machen, weil sie eine Lehrerfrage beantworten möchten. In diesem Moment konkurrieren die Schülerinnen und Schüler in Erwartung einer positiven Bewertung um die Aufmerksamkeit der Lehrperson. Nur eine Schülerin bzw. ein Schüler kommt aber dran und darf zeigen, was sie bzw. er kann. Die Gefahr ist groß, dass die anderen Schülerinnen und Schüler auf Dauer die Lernfreude verlieren, weil es ihnen nicht möglich war, ihre Kompetenz unter Beweis zu stellen. Unter den Schülerinnen und Schülern besteht in einer solchen Situation eine negative Interdependenz: Der Erfolg des einen bedeutet den Misserfolg des anderen. Gerade bei den Leistungsschwachen stellt sich dann nicht selten Resignation ein. Bei Leistungsstarken kann dies im ungünstigsten Fall dazu führen, dass sie sich nicht mehr wirklich anstrengen, da ihre Erfolge ohnehin gesichert scheinen. Das entspricht nicht einem inklusiven Verständnis, wonach alle Schülerinnen und Schüler zum Lernen herausgefordert und ihnen die gleichen Chancen zum Lernen eingeräumt werden sollen. Die durch den Wettbewerb induzierte Konkurrenzsituation in der Klasse verschlechtert zudem die sozialen Beziehungen und steht einem wohlwollenden sozialen Miteinander und damit der Entwicklung einer inklusiven Klassengemeinschaft entgegen. 98

Inklusiver Unterricht

Eine Alternative bieten Methoden der kooperativen Kleingruppen- und Partnerarbeit, bei denen sich die Lernenden wechselseitig beim Erwerb von Wissen unterstützen und die Leistungsheterogenität als Ressource genutzt wird. Die Lehrperson, sonst Chef im Ring, muss dabei Verantwortung an die Lernenden abgeben. Sie schlüpft aus der »belehrenden« Rolle in die Rolle eines beratenden Moderators, der das Lernen in erster Linie initiiert und Lernprozesse begleitend unterstützt. Die Lernenden übernehmen dabei zunehmend selbst Verantwortung. Kooperatives Lernen wird als Lösung für eine Vielzahl weiterer pädagogischer Probleme ins Feld geführt. Es soll 1. das Lernen verbessern, 2. das Wohlbefinden steigern und die Beziehung zwischen Schülerinnen und Schülern verbessern, 3. die Lernenden auf eine zunehmend kooperativ ausgerichtete Arbeitswelt vorbereiten. Und, ganz im Sinne der Entwicklung hin zu einer inklusiven Gesellschaft, soll es 4. sozialintegrativ und gesellschaftspolitisch präventiv wirken (Hasselhorn & Gold, 2017). Sie sind skeptisch, weil Sie keine guten Erfahrungen mit Gruppenarbeit gemacht haben? Weil Sie immer wieder erlebt haben, wie einige Kinder an der Aufgabe arbeiten, während die anderen herumalbern oder sich mit anderen Dingen beschäftigten? Weil irgendwann auch die fleißigsten Schülerinnen und Schüler demotiviert waren, weil die ganze Arbeit an ihnen hängenblieb? Weil die mit den größten Kompetenzen und dem meisten Wissen immer das Wort führten und die anderen auf der Strecke blieben? Weil es am Ende oft Streit gab? Weil alle Gruppenmitglieder dieselbe Note für das Gruppenprodukt bekommen haben, obwohl sich nicht alle gleichermaßen eingebracht haben? Dann sind Sie mit Ihrer Skepsis nicht allein, denn über solche oder ähnliche Erfahrungen berichten auch viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen bei der Reflexion über Gruppenarbeit. Bei näherer Betrachtung stellt sich allerdings häufig heraus, dass die meisten Probleme deshalb entstanden sind, weil die Gruppenziele unklar waren und wirkliche Zusammenarbeit nicht erforderlich war (Jenkins, Antil, Wayne & Vadasy, 2003). Vier Kinder mit einem Arbeitsauftrag an einen Tisch zu setzen, macht eben noch keine kooperative GruppenKooperatives Lernen

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arbeit aus. Es fehlt eine kooperative Zielstruktur, die vor den oben aufgeführten negativen Phänomenen der Gruppenarbeit schützt. Basiselemente kooperativen Lernens

Wesentliches Kennzeichen eines Unterrichts mit einer kooperativen Zielstruktur ist ein klar definiertes Gruppenziel und das wechselseitig Aufeinander-angewiesen-Sein aller Lernenden bei der Bewältigung der Aufgaben. Erreicht wird das, indem durch Aufgabenverteilung und/oder Belohnungssysteme eine wechselseitige Abhängigkeit (Interdependenz) in einem positiven Sinn unter den Lernenden geschaffen wird. Neben der positiven Interdependenz werden durch Rollenzuweisungen und/oder Wissenstests am Ende der Lernphase alle Schülerinnen und Schüler nicht nur für den eigenen Lernerfolg, sondern auch für den Lernerfolg ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler individuell verantwortlich gemacht. Positive Interdependenz und individuelle Verantwortlichkeit sind die beiden zentralen Basiselemente kooperativen Lernens und charakterisieren am deutlichsten den Unterschied zu herkömmlicher Gruppenarbeit. Im folgenden Beispiel ist exemplarisch zu erkennen, wie positive Interdependenz und individuelle Verantwortlichkeit im inklusiven Unterricht realisiert werden können und wie Schülerinnen und Schüler mit ganz unterschiedlichen Lernausgangslagen zusammenarbeiten und sich wechselseitig beim Lernen unterstützen. Die Gruppenpuzzlemethode

Frau Jung erläutert den Kindern im Sachunterricht (vierte Klassenstufe) wie sie sich das Thema »Astronomie« in den nächsten sechs Unterrichtsstunden selbstständig in kooperativen Arbeitsgruppen erarbeiten sollen. Frau Jung: »Auf diesem Plakat (Abbildung 6) könnt ihr sehen, wer heute mit wem in einer Stammgruppe zusammenarbeitet. Es gibt fünf Stammgruppen mit vier bis fünf Kindern. In der Bärengruppe ist Jonas der Experte für ›Neumond‹, Franka und Alexia für ›Vollmond‹, Lea für die ›Erforschung des Weltraums‹ und Fabian für ›Sonnenfinsternis‹. Alle Kinder aus den verschiedenen Stammgruppen, die dasselbe Expertenthema bearbeiten, treffen sich in einer Expertengruppe, um dort die Expertenhefte zu bearbeiten. Jonas aus 100

Inklusiver Unterricht

Bären

Adler

Tiger

Delphine Muscheln

Neumond

Jonas

Henri

Amelie

Anna

Emil

Vollmond

Franka Alexia

Luisa

Ida

Anton

Finn

Erforschung des Weltraums

Lea

Oskar Leni

Leonie

Max

Tim

Sonnen­ finsternis

Fabian

Lotta

Niran* Noah

Rahel* Elias

Linus

* Niran und Rahel bekommen eigene Aufgabenblätter Abbildung 6: Gruppeneinteilung

der Bärengruppe trifft sich beispielsweise mit Henri, Amelie, Anna und Emil aus den anderen Stammgruppen in der Expertengruppe ›Neumond‹. In den Expertenheften findet ihr Texte und Bilder zu eurem Teilbereich und Fragen, die ihr beantworten sollt. Franka und Alexia, ihr arbeitet bitte zusammen zum Thema ›Vollmond‹. Franka, du unterstützt bitte Alexia beim Lesen und hilfst ihr, die Texte zu verstehen. Ihr seid ein Expertentandem und vermittelt anschließend gemeinsam euer Thema in eurer Stammgruppe. Für Oskar und Leni gilt das Gleiche für das Thema ›Erforschung des Weltraums‹. Für Niran und Rahel habe ich Extraaufgaben zum Thema ›Sonnenfinsternis‹ vorbereitet. Bitte nehmt in den Stammgruppen der beiden Rücksicht darauf. Finn, achte darauf, dass du dich an die Regeln der kooperativen Zusammenarbeit hältst. Wenn es dir gelingt, wird deine Gruppe dich loben, und du kannst stolz sein. An alle: Wenn ihr Fragen habt, versucht diese bitte erst in der Gruppe zu klären, bevor ihr zu mir kommt. Ihr habt drei Stunden Zeit für die Arbeit in den Expertengruppen. Danach müsst ihr eine Expertin/ein Experte für euren Teilbereich sein. Ihr müsst so fit in eurem Thema sein, dass ihr es in der nächsten Woche den anderen Kindern eurer Stammgruppe gut erklären könnt. Ihr seid dann die Lehrer für die anderen Kinder. Und denkt daran: Nächste Woche, nach der Vermittlung der Themen, müssen alle ein Wissensquiz mit Fragen zu allen Expertenbereichen lösen. Also strengt euch an, damit alle Kinder alle Teilbereiche verstehen und alle Fragen im Quiz beantworten können.« Die Kinder lesen in den Expertengruppen gemeinsam die Texte, klären Unklarheiten, diskutieren miteinander und beantworten die Kooperatives Lernen

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Fragen. Franka und Oskar, beide mit hoher Lesekompetenz, unterstützen dabei ihre Tandempartner. Niran und Rahel, die sich mit dem differenzierten Material auf ihre Expertenrolle vorbereitet haben, können sich ebenfalls in die inhaltliche Diskussion einbringen und zum Erfolg der Gruppe beitragen. Zum Schluss wird reihum noch die Vermittlung des Themas eingeübt. Nach drei Stunden in den Expertengruppen kehren die Kinder in ihre Stammgruppen zurück und vermitteln sich dort wechselseitig das erarbeitete Wissen. Franka und Alexia stellen ihr Thema gemeinsam vor. Oskar und Leni auch. Ob leistungsschwach oder leistungsstark, bei der wechselseitigen Vermittlung wird allen Kindern die Möglichkeit gegeben, ihre fachliche Kompetenz unter Beweis zu stellen. Am Ende wird das Expertenwissen, einem Puzzle gleich, zu einem Gesamtbild zusammengefügt. Wenn Jonas, Expertenkind zum Thema »Neumond«, im abschließenden Quiz erfolgreich sein will, muss er gute Arbeit von den anderen Mitgliedern des Bärenteams einfordern und aufpassen, was Franka und Alexia zum Thema »Vollmond« und Lea zum Thema »Erforschung des Weltraums« zu berichten haben. Das Gruppenpuzzle ist ein Paradebeispiel für kooperative Unterrichtsmethoden, wenn neue Lerninhalte selbstständig erarbeitet werden sollen und gleichzeitig das soziale Miteinander in der Klasse sowie das Wohlbefinden der Lernenden gefördert werden soll. Es ist auch für ältere Jahrgangsstufen geeignet. Neben dem Gruppenpuzzle gibt es noch andere kooperative Methoden für den inklusiven Unterricht, die sich zur Erarbeitung neuer Lerninhalte eignen (z. B. Gruppenrecherche oder Konstruktive Kontroverse). Andere Methoden wurden für Übungsphasen des Unterrichts konzipiert, in denen bereits bekannte Lerninhalte gefestigt werden sollen. Die Gruppenrallye und das Gruppenturnier eignen sich beispielsweise für die Einübung von Rechenprozeduren. Wieder andere Methoden sind für die Ausbildung fachspezifischer Kompetenzen geeignet. Hierzu zählen beispielsweise das reziproke Lehren und Lernen und die Skriptkooperation zur Förderung des Textverstehens oder die Lautlese-Tandems zum Training der Leseflüssigkeit. Allen Methoden gemein ist, dass sie auf den Prinzipien der positiven Interdependenz und individuellen Verantwortlichkeit basieren. Während die positive Interdependenz bei einigen Methoden, wie im Gruppenpuzzle, durch Aufgabenver102

Inklusiver Unterricht

teilung hervorgerufen wird, setzen andere Methoden auf interdependente Belohnungssysteme. Individuelle Verantwortlichkeit wird meist durch individuelle Wissensabfragen am Ende des Lernprozesses und/ oder durch die Übernahme bestimmter Rollen im Lehr-Lernprozess forciert. Mehr Informationen über die Theorie, die Wirksamkeit und die Anwendung kooperativen Lernens finden Sie bei Borsch (2018). Metaanalysen der letzten beiden Dekaden, in denen kooperative Unterrichtsmethoden mit herkömmlichen, meist lehrerzentrierten Unterrichtsmethoden verglichen wurden, belegen eindrücklich und konsistent deren Effektivität (ES = 0.26–0.61) im Vergleich mit herkömmlichen Unterrichtsmethoden (Johnson, Johnson & Stanne, 2000; Kyndt et al., 2013; Rohrbeck, Ginsburg-Block, Fantuzzo & Miller, 2003; Slavin, 2000). Die pädagogisch bedeutsamen Effekte rechtfertigen den Mehraufwand, der mit der Planung, Vorbereitung und Durchführung kooperativer Unterrichtseinheiten verbunden ist. Kooperatives Lernen gehört somit zu den schulischen Maßnahmen, die das Lernen in erheblichem Maße fördern. Auch John Hattie (2013) misst dem kooperativen Lernen in seiner breit angelegten Studie zu den Wirkfaktoren schulischen Lernens ein hohes Potenzial bei. Ausgangspunkt seiner Studie waren nicht einzelne Interventionsstudien, sondern gleich über 700 Metaanalysen zu Erfolgen beim schulischen Lernen selbst. Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten profitieren insbesondere von den strukturierenden Elementen des kooperativen Lernens. Die Vorgaben helfen ihnen, bei der Sache zu bleiben, und sie bekommen Unterstützung von ihren Peers, die ihnen bei der Bearbeitung der Aufgaben und beim Verständnis der Inhalte helfen (Gillies & Ashman, 2000). Die Belege zu den Lernerfolgen beim kooperativen Lernen von Schülerinnen und Schülern mit Lernschwierigkeiten sind jedoch uneinheitlich. In der Metaanalyse von McMaster und Fuchs (2002) fanden sich nur in sechs von 15 Studien positive Effekte kooperativen Lernens auf die Lernleistungen. Allerdings sind die Daten nicht so eindeutig zu interpretieren, da in einigen Studien kooperatives Lernen in Kombination mit anderen pädagogischen Maßnahmen durchgeführt wurde. In inklusiven Klassen betrug die Effektivität ES = 0.44. Kooperatives Lernen

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Theoretisch lassen sich die positiven Effekte kooperativen Lernens sowohl aus einer kognitionspsychologischen als auch aus einer motivationspsychologischen Perspektive begründen. Dabei spielen je nach Erklärungsperspektive Aspekte wie kognitive Konflikte, das wechselseitige Erklären, Gruppenbelohnungen oder der Zusammenhalt in der Gruppe eine wichtige Rolle. Für eine ausführliche Darstellung der theoretischen Perspektiven muss aus Platzgründen auf Borsch (2018) verwiesen werden. Kooperatives Lernen zielt aber nicht nur auf eine Verbesserung der Lernleistungen ab. Die Gruppenpuzzlemethode wurde entwickelt, um die positive Interdependenz unter den Schülerinnen und Schülern zu steigern und dadurch Gewalt und Vorurteilen nach Aufhebung der Rassentrennung in den USA entgegenzuwirken (­Aronson et al., 1978). Andere Studien berichten von positiven Effekten kooperativen Lernens auf soziale und emotionale Lernziele (Slavin, 2000). Ginsburg-Block, Rohrbeck und Fantuzzo (2003) berichten in ihrer Metaanalyse ebenfalls von moderat positiven Effekten kooperativen Lernens auf soziale, motivationale und emotionale Variablen (36 Studien), wobei die Effektgrößen der einzelnen Studien stark variieren (ES = -0.62 bis ES = 2.26). Mittlere Effektgrößen wurden für einen Zugewinn an sozialen Fähigkeiten mit ES = 0.52 (30 Studien), für ein verbessertes Selbstkonzept mit ES = 0.40 (15 Studien) und für eine Verbesserung kooperativer Verhaltensweisen mit ES = 0.65 (12 Studien) gefunden. Bei Kindern mit Migrationshintergrund und/ oder aus prekären Verhältnissen waren die Effekte besonders groß.

4.3 Peer Tutoring Zu den kooperativen Methoden zählen auch die verschiedenen Varianten des Peer Tutorings, bei denen die Schülerinnen und Schüler in Dyaden arbeiten. Das arbeitsteilige Vorgehen ist noch stärker strukturiert und die zu erwerbenden Lerninhalte und Fertigkeiten sind noch enger umschrieben als beim kooperativen Lernen. In der Regel geht es darum, bereits bekannte Inhalte oder spezifische Kompetenzen einzuüben und zu verfestigen. Dazu schlüpft ein Kind in die Rolle der Lehrperson (Tutor), die das andere Kind (Tutee) unterrichtet. In beiden Rollen können die Lernenden von 104

Inklusiver Unterricht

der aktiven Auseinandersetzung mit den Lernaufgaben, dem wechselseitigen Erklären und der kognitiven Elaboration der Lern- bzw. Sachinhalte profitieren. In der Rolle des Tutees profitieren sie zusätzlich von den Erklärungen und modellhaften Aktivitäten des Tutors sowie dessen Korrekturen bei der Ausführung eigener Lernhandlungen. Meist wird Peer Tutoring als Methode betrachtet, bei der kompetentere und/oder ältere Schülerinnen und Schüler den lernschwachen und/oder jüngeren helfen. Es kann durchaus für diesen Zweck verwendet werden. Das kann aber leicht dazu führen, dass die Tutees auf Dauer als die Lernschwachen und Hilfsbedürftigen stigmatisiert werden und sich die Tutoren als Hilfslehrer missbraucht fühlen und der Rolle leid werden. Beides ist für das soziale Miteinander und die Lernentwicklung ungünstig und auch nicht in einem inklusiven Sinne. Das muss nicht so sein, denn es gibt ganz unterschiedliche Modelle, wie die Dyaden gebildet bzw. die Rollen verteilt werden können: ȤȤ Bei der reziproken Rollenübernahme werden die Rollen des Tutors und des Tutees innerhalb einer Lernsequenz von den Lernpartnern abwechselnd eingenommen. Das steigert die Selbstregulierung und Kontrolle über das eigene Lernen und führt insgesamt zu größeren Lernvorteilen als die feste Rollenübernahme (Robinson, Schofield & Steers-Wentzell, 2005). ȤȤ Jüngere Kinder oder Schülerinnen und Schüler mit kognitiven Beeinträchtigungen übernehmen die Tutorenrolle (Spencer & Balboni, 2003). ȤȤ Leistungsheterogene Dyaden: Als lernförderlich hat sich erwiesen, wenn zwischen den Peers ein mittlerer Lernabstand vorhanden ist (Lauer-Schmaltz, Rosebrock & Gold, 2014). ȤȤ Auch zwei lernschwache Schülerinnen bzw. Schüler können bei wechselseitiger Unterstützung erfolgreich lernen (Robinson et al., 2005). Peer Tutoring kann zur individuellen Förderung oder als Methode für die ganze Klasse eingesetzt werden. Die Tutorenrolle setzt ein Mindestmaß an kognitiven und metakognitiven Fähigkeiten voraus. Teilweise wird deshalb in jahrgangsübergreifenden oder inklusiven Settings auf die reziproke Rollenübernahme verzichtet. Eine Peer Tutoring

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begleitende Lernverlaufsdiagnostik kann hilfreiche Informationen für die Adaption der Methoden an die individuellen Entwicklungen der Schülerinnen und Schüler liefern. Im amerikanischen Sprachraum werden schon seit den 1980er-Jahren Peer-Tutoring-Programme für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten in der Praxis erprobt und wissenschaftlich geprüft, beispielsweise das Juniper Gardens Children’s Project zur Integration von Kinder mit Lernschwierigkeiten in den regulären Schulunterricht (Maheady & Gard, 2010) oder die Peer Assisted Learning Strategies (PALS) für den Kindergarten bis zum Sekundarbereich zur Förderung des Lesens oder des Rechnens (Fuchs, Fuchs, Mathes & Simmons, 1997). Für den deutschen Sprachraum konzipiert wurden Peer Tutoring-Programme zur Förderung der Lesekompetenz: Die Lautlese-­ Tandems (Rosebrock, Nix, Rieckmann & Gold, 2016), das Training Reading And Improving Literacy (TRAIL; Philipp, Brändli & Kirchhofer, 2014) und die Lese-Sportler (Souvignier, Förster & Kawohl, 2016). Bei allen Programmen ist die Rollenübernahme fix und von vornherein festgelegt: Kompetentere Leserinnen und Leser unterstützen die schwächeren, die Schwierigkeiten mit basalen Leseprozessen und dem Leseverständnis haben. Die Lautlese-Tandems und die Lese-Sportler sind für Kinder im Grundschulalter geeignet, das von dem amerikanischen PALS adaptierte und modifizierte TRAIL für Jugendliche. Während mit den Lautlese-Tandems die Lese­flüssigkeit gefördert wird, enthalten TRAIL und die Lese-Sportler zusätzlich Elemente zur Verbesserung des Textverständnisses und eine begleitende Lernverlaufsdiagnostik. Alle drei Programme sind praktisch erprobt und wissenschaftlich geprüft. Zu begrüßen wäre die Entwicklung und empirische Erprobung weiterer Programme zur Förderung schulischer Kompetenzen im deutschsprachigen Raum. Eine Vielzahl von Übersichtsarbeiten und Metaanalysen belegen die Wirksamkeit des Peer Tutorings. Begründet wird die Wirksamkeit mit dem hohen Ausmaß an (kognitiven) Aktivitäten beim wechselseitigen Lehren und Lernen, die zur kognitiven Elaboration der Inhalte anregen und so ein vertieftes Verständnis der Lerninhalte und die Entwicklung fachlicher Kompetenzen fördern. Hattie (2013) spricht von starken Effekten des Peer Tutorings. Er berechnete für 106

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insgesamt 14 Metaanalysen eine durchschnittliche Effektivität von ES = 0.55. Die Effekte sind für die Tutees (ES = 0.63) unwesentlich stärker als für die Tutoren (ES = 0.58). Zu der Frage, ob Kinder mit Förderbedarf vom Peer Tutoring profitieren, gibt es unterschiedliche Ansichten. Während sich in der Metaanalyse von McMaster, Fuchs & Fuchs (2006) Belege dafür finden, dass Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf teilweise nicht oder nur wenig profitieren, kommen andere Autoren (z. B. Okilwa & Shelby, 2010) zu einer überwiegend positiven Bewertung und berichten, dass auch Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf vom Peer Tutoring profitieren, sowohl in der Rolle als Tutees als auch in der Rolle als Tutoren. Fasst man die Forschungsergebnisse zum Peer Tutoring zusammen, lassen sich folgende Tipps für die praktische Umsetzung ableiten: ȤȤ Nutzen Sie die Methode eher in der Erwerbs- als in der Anwendungsphase von Kompetenzen. ȤȤ Formulieren Sie klare Erfolgskriterien. Hier bietet sich auch die Nutzung einer Lernverlaufsdiagnostik an (Kap. 3.2). ȤȤ Räumen Sie den Schülerinnen und Schülern möglichst viel Autonomie ein. Beteiligen Sie sie an der Festlegung der Lernziele, der Lernkontrollen und deren Bewertungen sowie an der Art etwaiger Belohnungen. Mit Blick auf den Umfang wissenschaftlicher Belege für die positiven Effekte des Peer Tutorings überrascht allerdings der wiederkehrende Befund aus Beobachtungsstudien, dass solche Konzepte nur selten im regulären Unterricht umgesetzt werden (Philipp & Souvignier, 2016). Vielleicht hindern die völlig andere Art des Unterrichtens und die Macht der Gewohnheit die Lehrpersonen daran, die Methoden auszuprobieren und neue Erfahrungen damit zu sammeln.

Peer Tutoring

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5 Besondere Förderschwerpunkte

Kinder und Jugendliche haben einen Anspruch auf sonderpädagogische Förderung, wenn ihre Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, dass sie im Unterricht der Regelschule ohne sonderpädagogische Unterstützung nicht ausreichend gefördert werden können (KMK, 1994). In den einzelnen Bundesländern unterschiedlich werden meist acht Förderschwerpunkte unterschieden: 1. Lernen, 2. Sprache, 3. Emotionale und soziale Entwicklung, 4. Geistige Entwicklung, 5. Körperlich-motorische Entwicklung, 6. Hören, 7. Sehen, 8. Kranke. Die Zuordnung zu mehreren Förderschwerpunkten ist möglich. Der Anspruch auf Förderbedarf ist von der KMK sehr offen und tautologisch definiert: Anspruch hat, wer Förderung benötigt. Kein Anspruch auf sonderpädagogischen Förderbedarf besteht jedoch bei Schwierigkeiten in einem spezifischen Kompetenzbereich (z. B. Lese-Rechtschreibschwierigkeit) oder bei einer Hochbegabung. In der Praxis wird sonderpädagogischer Förderbedarf auf Antrag der Eltern oder der Schule im Rahmen eines amtlichen Feststellungsverfahrens ermittelt. Beteiligt sind an dem Verfahren in jedem Fall die Eltern, eine Lehrperson der Regelschule, die das Kind aus dem Unterricht kennt, und eine Lehrperson der Förderschule. Die Lehrpersonen der Förderschule kommen oft aus regionalen Beratungsoder Förderzentren oder sind Angehörige mobiler Dienste und haben Kenntnisse der sonderpädagogischen Diagnostik. Die Verfahren 108

und diagnostischen Kriterien unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. Ermittelt wird der Förderschwerpunkt, Art und Umfang der Förderung und Unterstützung sowie der Förderort (Regeloder Förderschule). In einem inklusiven Schulsystem erübrigt sich jedoch die Frage nach dem Förderort, da die individuell angepasste Förderung oder Unterstützung in der Regelschule realisiert werden soll. Wegen der mit dem Feststellungsverfahren verknüpften Entscheidung über den richtigen Förderort der Kinder ist die klassifizierende Diagnostik zu Recht in Kritik geraten. Der vielfach geäußerten Forderung, deshalb ganz auf Diagnostik zu verzichten, liegt jedoch ein verkürztes und überholtes Verständnis von Diagnostik zugrunde. Wie bereits im Kap. 3.2 dargestellt, zielt moderne schulpsychologische Diagnostik auf die Planung und Optimierung individueller Förderung ab und nimmt dabei zunehmend die individuellen Lernverläufe in Relation zu den jeweiligen Lehr-Lern-Gelegenheiten in den Blick (Gold, Gawrilow & Hasselhorn, 2016). In manchen Bundesländern werden auf Grundlage des Feststellungsverfahrens zusätzliche schülerbezogene Ressourcen an die Schulen verteilt. Die damit einhergehende und implizit stigmatisierende Etikettierung der Schülerinnen und Schüler sowie die Vergabe von Ressourcen auf Basis solcher Etikettierungen werden vielfach kritisiert und als nicht vereinbar mit dem inklusiven Gedanken gesehen. Von einem präventiven Gedanken getragen, erhalten in anderen Bundesländern die Schulen Ressourcen für die sonderpädagogische Förderung unabhängig von der Anzahl der diagnostizierten Schülerinnen und Schüler. Einerseits können so, nach Entscheidung der Schule, auch Kinder ohne einen amtlich bescheinigten sonderpädagogischen Förderbedarf sonderpädagogisch gefördert werden. Andererseits besteht die Gefahr, dass die von einer Schule tatsächlich benötigten Ressourcen unterschätzt werden. Von den Mitteln zur Finanzierung sonderpädagogischer Förderung zu unterscheiden sind Unterstützungen aufgrund einer Behinderung in lebenspraktischen Bereichen (Assistenztätigkeit im schulischen Alltag, Unterstützung beim Essen oder beim Toilettengang) oder therapeutische Maßnahmen (z. B. Logopädie), die über die Eingliederungshilfe oder über die Jugendhilfe im Sozialgesetzbuch geregelt und somit rechtlich auf Bundesebene angesiedelt sind. Besondere Förderschwerpunkte

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Im Folgenden wird auf die Gestaltung von Lehr-Lern-Gelegenheiten für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf eingegangen. Es wird beschrieben, welchen Beitrag die Pädagogische Psychologie zur Förderung von Kindern und Jugendlichen in den Schwerpunkten Lernen, Geistige Entwicklung sowie Emotionale und soziale Entwicklung im Rahmen der schulischen Inklusion leisten kann. Die Hervorhebung dieser drei Förderschwerpunkte ist deshalb sinnvoll, weil die Pädagogische Psychologie zu diesen Förderbereichen mehr als zu den anderen einen qualifizierten Beitrag leisten kann. Zudem machen die Schwerpunkte Lernen und Emotionale und soziale Entwicklung auch den größten Anteil der zu inkludierenden Kinder und Jugendlichen aus.

5.1 Lernen Schülerinnen und Schüler erbringen unterschiedliche Leistungen in der Schule. Schlechte oder sehr schlechte Schulleistungen sind Anzeichen für Lernschwierigkeiten. Kinder und Jugendliche, deren Leistungsrückstand in Deutsch und Mathematik mehr als zwei Schuljahre beträgt und bei denen die Lernschwierigkeiten mit intellektuellen Beeinträchtigungen einhergehen, werden schulrechtlich als lernbehindert bezeichnet und haben Anspruch auf sonderpädagogische Förderung im Förderschwerpunkt Lernen. In einigen Bundesländern wird von einer intellektuellen Beeinträchtigung schon ab einem IQ-Wert unter 85 gesprochen.3 Üblicherweise kommen im Rahmen des Feststellungsverfahrens standardisierte Tests (Schulleistungstests) zur Leistungserfassung in Deutsch und Mathematik sowie Intelligenztests zum Einsatz. Die Förderquote von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf im Bereich Lernen lag im Jahr 2016 bei 2,6 %, wobei die Gesamtzahl seit 2005 von rund 234.000 auf 190.000 im Jahr 2016 gesunken ist (KMK, 2016a, 2016b). Davon wurden ca. 45 % im Jahr 2016 inklusiv unterrichtet. Sie stellen damit zahlenmäßig die größte Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf an Regelschulen dar. 3 Im international gebräuchlichen Klassifikationssystem psychischer Störungen ICD-10 (Dilling. Mombour & Schmidt, 2014) spricht man erst bei einem IQ-Wert unter 70 von einer leichten Intelligenzminderung.

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Besondere Förderschwerpunkte

Gehen die Lernschwierigkeiten nicht mit Defiziten in der allgemeinen Intelligenz einher, spricht man von Lernstörungen. Ganz im Gegensatz zur Lernbehinderung wird eine Lernstörung nach klinischem Verständnis erst dann diagnostiziert, wenn die Schulleistungen der betroffenen Schülerinnen und Schüler und ihre allgemeinen Intelligenztestleistungen besonders weit auseinanderklaffen. Der ICD-10 folgend werden die inhaltlich begrenzte Störung des Lesens und Rechtschreibens (F81.0), des Rechtschreibens (F81.1) sowie des Rechnens (F81.2) unterschieden. Neben der Lernbehinderung und der Lernstörung wird auch häufig von Lernschwäche gesprochen, und zwar dann, wenn die Minderleistungen beim Lesen, in der Rechtschreibung und/oder beim Rechnen – wie bei der Lernstörung – zwar nicht mit einer Intelligenzminderung verbunden sind, allerdings – anders als bei der Lernstörung – die schulischen Minderleistungen der Kinder und Jugendlichen und ihre Intelligenztestleistungen nicht ganz so stark auseinanderklaffen. Schülerinnen und Schüler mit einer Lernschwäche oder -störung haben Anspruch auf Förderdiagnostik und individuelle Förderung sowie auf einen Nachteilsausgleich, so die KMK (2007). Allgemein verbindliche Regelungen oder Grenzwerte werden nicht genannt. Sie haben aber keinen Anspruch auf speziellen Förderbedarf wie im Falle einer Lernbehinderung. Deshalb werden Schülerinnen und Schüler mit Lernschwäche oder -störung auch nicht in der obigen Statistik der Förderquote Lernen aufgeführt, stellten jedoch zahlmäßig eine viel größere Gruppe dar. Ihre Beschulung in der Regelschule stand nie in Frage. Hier wurde schon immer »inklusiv« gehandelt. Aus pädagogisch-psychologischer Perspektive stellt sich grundsätzlich die Frage, ob eine Differenzierung zwischen Lernstörung, Lernschwäche und Lernbehinderung überhaupt gewinnbringend ist. Andreas Gold verzichtet bewusst auf eine solche Differenzierung und verwendet in seinem gleichnamigen Standardwerk (2018) den zusammenfassenden Begriff der Lernschwierigkeiten, wenn es um Kinder und Jugendliche mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen geht. Er verzichtet generell darauf, das Ausmaß des Schulleistungsversagens der Kinder und Jugendlichen zu ihrem Intelligenzniveau in Beziehung zu setzen. Zwar hält er die BeLernen

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zugnahme auf die Intelligenz wegen der besonderen Bedeutung des intellektuellen Leistungsvermögens für das schulische Lernen nicht für gänzlich unplausibel, wissenschaftlich lässt sich das Vorgehen jedoch nicht begründen und engt die Sichtweise auf Lernschwierigkeiten unnötig ein. Bei Entscheidungen über Förderprogramme spielt eine Differenzierung aufgrund unterschiedlicher Intelligenztestwerte sowieso keine Rolle. Im Hinblick auf ihre Wirksamkeit kommt es mehr darauf an, dass die Geschwindigkeit des Vorgehens und die Dosierung der Förderung den unterschiedlichen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler angepasst werden, als darauf, die Zielgruppen aufgrund unterschiedlicher Intelligenztestwerte zu etikettieren. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass alle Kinder und Jugendlichen mit besonderen Schwierigkeiten beim Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen spezielle Unterstützung benötigen – entweder im Rahmen des Klassenunterrichts oder im Zuge binnendifferenzierender Lernangebote. Davon nicht immer klar zu trennen sind unterrichtsadditive Maßnahmen der Einzelförderung oder der Förderung in kleinen Gruppen, speziell für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten, wie z. B. im Rahmen des RTI-Ansatzes. Die individuelle Förderung zielt auf eine möglichst optimale Entfaltung individueller Lernpotenziale ab und sollte im inklusiven Sinn mit keiner Einschränkung verbunden sein. Unterricht für Kinder und Jugendliche mit Lernbehinderungen

Welche Empfehlungen kann man Lehrpersonen für den Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lernen an die Hand geben? Wie sollen sie ihren Unterricht gestalten? Bedarf es einer speziellen Didaktik? Gibt es Vorgehensweisen oder Methoden, die besser geeignet sind als andere? Die Empfehlungen der KMK (1999) gehen in Richtung eines ganzheitlichen, offenen, entdeckenden und handlungsorientierten Unterrichts im Förderschwerpunkt Lernen, eine Empfehlung, die auch im KMK-Beschluss zur inklusiven Bildung von Kindern und Jugendlichen (2011) eine Entsprechung findet. Bildungswissenschaftliche Erkenntnisse, die auf empirischen Forschungsdaten nationaler und internationaler Studien basieren, sprechen hingegen eine andere Sprache. Empfohlen wird hier für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten, ganz im Gegenteil, ein von der Lehrper112

Besondere Förderschwerpunkte

son angeleiteter, hoch strukturierter und möglichst störungsfrei geführter, adaptiver Unterricht (vgl. Gold, 2018; Werning & Bau­mert, 2013). Fasst man aus den Studien und Forschungsüberblicken die verschiedenen Aspekte, die die Lernentwicklung der Schülerinnen und Schülern mit Lernschwierigkeiten positiv beeinflussen, zusammen, ergibt sich eine überschaubare Liste konkreter Hinweise: 1. Frühzeitige Intervention, 2. Vermittlung und Einübung kognitiver Strategien, 3. direkte Instruktion, 4. adaptiver Unterricht (Lernziel, Lernzeit, Lernmethoden), 5. kognitiv herausfordernde Aufgaben, 6. konstruktive Unterstützung durch die Lehrperson, 7. effektive Klassenführung, 8. Lernverlaufsdiagnostik, 9. Peer Tutoring, 10. kooperatives Lernen. Die meisten hier aufgeführten Aspekte wurden schon im Kapitel zur inklusiven Unterrichtsgestaltung thematisiert. Es geht um die Dimensionen der Unterrichtsqualität – die kognitive Aktivierung, die konstruktive Unterstützung und die Klassenführung –, die gleichermaßen einen erfolgreichen Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler kennzeichnen (Kap. 4.1). Auch die Berücksichtigung der vierten Qualitätsdimension – die Diagnostik des Lernverlaufs – eignet sich insbesondere für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten, um ungünstig verlaufende Lernprozesse schnell zu erkennen und den Unterricht bzw. die individuelle Förderung entsprechend anzupassen (Kap. 3.2). Möglichkeiten der Individualisierung und der Differenzierung im Unterricht waren auch Gegenstand des vierten Kapitels. Dort wurden Methoden des kooperativen Lernens und des Peer Tutoring beschrieben, die teilweise sogar speziell mit Blick auf Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten entwickelt wurden. Pädagogisch-psychologische Erkenntnisse zur bestmöglichen Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Lernschwierigkeiten lassen demnach eine stärkere Steuerungskomponente durch die Lehrperson sowie einen explizit-darstellenden und adaptiven Unterricht unter Berücksichtigung der Dimensionen Lernen

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der Unterrichtsqualität angeraten erscheinen. Maßnahmen, die eher auf die Unterrichtsmethoden abzielen oder für ganzheitlichen, offenen, entdeckenden und handlungsorientierten Unterricht stehen, bei denen die Lehrperson Begleiter des selbstständigen Lernens ist, haben hingegen keinen oder nur geringen positiven Einfluss. Spezifische Interventionen

Bei anhaltenden Lernschwierigkeiten müssen zusätzliche Interventionsmaßnahmen in Betracht gezogen werden. Gold (2016, 2018) führt die Präventions- und Interventionsmaßnahmen bei Erwerbsschwierigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens auf, die von den Lehrpersonen selbst durchgeführt werden können. Oft fällt die Unterscheidung zwischen universellen Programmen für die ganze Klasse und Programmen zur Förderung einzelner Schülerinnen und Schüler bzw. in Kleingruppen bei spezifischen Schwierigkeiten nicht leicht. Viele Programme werden jedoch ohnehin für beide Einsatzzwecke empfohlen. In der Regel sind die Programme grundsätzlich für alle Kinder und Jugendliche geeignet, die ein bestimmtes Kompetenzniveau noch nicht erreicht haben, unabhängig von ihrem Intelligenztestwert. Es wird also nicht zwischen Lernstörung, Lernschwäche oder Lernbehinderung unterschieden. Im Hinblick auf die Wirksamkeit der Programme kommt es darauf an, dass die Geschwindigkeit des Vorgehens und die Dosierung der Förderung den unterschiedlichen Bedürfnissen angepasst werden. Des Weiteren weist Gold darauf hin, dass sich Programme, die auf der Symptomebene der beeinträchtigten Lese-, Rechtschreib- und Rechenprozesse ansetzen (z. B. zur Förderung der Leseflüssigkeit), als wirksamer erwiesen haben als Programme, die bei den eigentlichen Ursachen (z. B. Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, Selbstregulation, Lern- und Leistungsmotivation etc.) ansetzen. Deshalb werden im Folgenden symptombezogene Programme zur Leseförderung, dem Rechtschreiben und Rechnen vorgestellt. Wer mehr erfahren möchte, sei auf Gold (2018) oder direkt auf die Manuale der einzelnen Programme verwiesen. Leseförderung

Eine Voraussetzung, um Texte verstehen zu können, ist es, Texte überhaupt erst einmal flüssig lesen zu können. Schon daran schei114

Besondere Förderschwerpunkte

tern viele Kinder und Jugendliche mit Leseschwierigkeiten. Viele Programme zur Leseförderung setzen deshalb an den basalen Fertigkeiten des Wortlesens und der Erweiterung des Sichtwortschatzes an. Durch häufiges und wiederholtes Lesen soll der Automatisierungsgrad des Leseprozesses gesteigert, der Wortschatz erweitert und damit letzten Endes die Leseflüssigkeit verbessert werden. Die Kinder und Jugendlichen lernen, vergleichbar mit dem Erstleseunterricht, einzelne Laute und Silben in Wörtern zu erkennen, zu kategorisieren und zu manipulieren sowie mit Graphemen zu verknüpfen. So wird das alphabetische Prinzip vermittelt. Beispiele für solche theoretisch fundierten und empirisch geprüften Förderprogramme sind nach Gold (2018) der Kieler Leseaufbau (Dummer-Smoch & Hackethal, 2008), das Würzburger Trainingsprogramm PHONIT (Schneider & Stock, 2011) und das computerbasierte Trainingsprogramm Lautarium (Klatte, Steinbrink, Bergström & Lachmann, 2017). In allen drei Programmen werden neben den Lese- auch die Rechtschreibkompetenzen auf Grundschulniveau gefördert. Lautarium und ­PHONIT können sowohl im regulären Unterricht als auch unterrichtsadditiv eingesetzt werden. Weiter geht es im Leseerwerbsprozess mit der Lesegenauigkeit und der Steigerung der Lesegeschwindigkeit beim (Vor-)Lesen auf der Satzebene. Mit sogenannten Lautleseverfahren, der Programmreihe Flüssig lesen lernen (Tacke, 2012, 2013a, 2013b, 2013c) dem Potsdamer Lesetraining PotsBlitz (Ritter & Scheerer-­ Neumann, 2009) sowie den Lautlese-Tandems (Rosebrock et al., 2016) soll das angemessene Betonen und Gruppieren von Wörtern zu Sinneinheiten beim Vorlesen und ein weitgehend automatisierter Abruf der Wortaussprache aus dem phonologischen Lexikon, die Lesegeschwindigkeit und die Lesegenauigkeit auf Grundschulniveau trainiert werden. Gold verweist auf Metaanalysen und Übersichtsarbeiten, die zeigen, dass die Förderung der Leseflüssigkeit dann besonders effektiv ist, wenn sie möglichst explizit und direkt erfolgt, wenn also das fehlerfreie, hinreichend schnelle und prosodisch angemessene Flüssiglesen modellhaft-kompetent vorgeführt wird, wenn vertraute Texte immer wieder gelesen und wenn die auftretenden Lesefehler durch die Lehrperson oder durch einen Tutor fortwährend korrigiert werden. Wenn hinreichend flüssig gelesen werden kann, geht es darum, das Gelesene auch zu verstehen. Zur Lernen

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Förderung des Textverstehens auf Sekundarstufenniveau eignen sich strategieorientierte Unterrichtsprogramme wie z. B. die Text- bzw. Lesedetektive (Gold, Mokhlesgerami, Rühl, Schreblowski & Souvignier, 2006; Rühl & Souvignier, 2006), das Training LekoLemo (Streb­ low, Schiefele & Riedel, 2012) und das Programm TRAIL (Philipp, Brändi & Kirchhofer, 2014), das schon im Rahmen des Peer Tutoring in Kap. 4.3 vorgestellt wurde. Rechtschreibförderung

Bei Rechtschreibschwierigkeiten können die kombinierten Lese-­ Rechtschreibförderprogramme PHONIT und Lautarium (s. o.) sowie der Kieler Rechtschreibaufbau (Dummer-Smoch & Hackethal, 2013) eingesetzt werden. Die Programme setzen in der Phase des alphabetischen Schreibens an. Speziell auf die Rechtschreibförderung fokussiert sind die Lautgetreue Rechtschreibförderung (Reuter-Liehr, 2008), das Förderprogramm MORPHEUS (Kargl & Purgstaller, 2010) und das Würzburger orthografische Training WorT (Berger et al., 2009) sowie das Marburger Rechtschreibtraining (Schulte-Körne & Math­ wig, 2013). Förderung des Rechnens Ein empirisch belastbares, kognitionspsychologisches Entwicklungsmodell mathematischer Kompetenzen haben Kristin Krajewski und Marco Ennemoser (2013) entwickelt: Das Kompetenzmodell der Zahl-Größen-Verknüpfung (ZGV-Modell) beschreibt, wie Kinder von der Geburt bis ins Sekundarstufenalter nach und nach Zahlenwörter und Ziffern mit Mengen bzw. Größen verknüpfen lernen. Gold (2016, 2018) empfiehlt Förderprogramme, die mathematische Basisfertigkeiten und arithmetisches Faktenwissen vermitteln und beim Zahlbegriff und beim Erwerb von Zählfertigkeiten ansetzen. Das Dortmunder Zahlenbegriffstraining (Moog & Schulz, 2005) beispielsweise ist für den Anfangsunterricht konzipiert, aber auch für ältere Kinder geeignet, die noch an weniger effizienten Zählstrategien festhalten. Für den Einsatz bei Förderschülerinnen und Förderschülern liegen positive Evaluationsergebnisse vor. Das Programm Kalkulie (Fritz, Gerlach & Ricken, 2007) ist ebenfalls für die erste bis dritte Jahrgangsstufe konzipiert, aber auch für ältere Kinder 116

Besondere Förderschwerpunkte

geeignet, deren mathematische Basisfertigkeiten noch nicht altersgemäß entwickelt sind. Das Besondere an dem Programm ist, dass Diagnose und Training direkt aufeinander bezogen werden. Die diagnostischen Ergebnisse der Eingangstestung werden genutzt, um die Fördermaterialien bzw. die Aufgaben auszuwählen, mit denen begonnen wird. Für Grundschulkinder mit bereits manifest gewordenen Rechenschwierigkeiten sind auch die zur Prävention im Vorschul­bereich konzipierten Programme Mathematik- und Rechenkonzepte im Vor- und Grundschulalter (MARKO; Gerlach, Fritz & Leutner, 2013) und Mengen, zählen, Zahlen (MZZ; Krajewski, Nieding & Schneider, 2007), das auf der theoretischen Grundlage des oben vorgestellten ZGV-Modells aufbaut, geeignet. Ise, Dolle, Pixner und Schulte-Körne (2012) ermittelten in einer Metaanalyse mit acht Interventionsstudien (in denen u. a. das Dortmunder Zahlenbegriffstraining und MZZ eingesetzt wurden) eine mittlere Effektivität ES = 0.50 für Rechenförderprogramme. Die Einzelförderung erwies sich dabei als effektiver als die Gruppen- bzw. Klassenförderung. Die Wirksamkeit nahm mit zunehmendem Umfang und zunehmender Dauer deutlich zu. Empfohlen wird von den Autoren ein zeitlicher Umfang von mindestens 600 Minuten. Zur Vertiefung des Themas Rechenschwierigkeiten können die Bücher von Katharina Lambert (2015) und Wolfgang Schneider und seinem Team (2016) empfohlen werden. Forschungsstand zur inklusiven Beschulung von Schülerinnen und Schülern im Förderschwerpunkt Lernen

Kocaj und Kollegen (2014) werteten die Daten eines bundesweiten Ländervergleichs (Primarstufe) aus, in dem die Kompetenzen von Kindern mit Förderbedarf (Lernen, Sprache sowie Emotionale und soziale Entwicklung) an Regelschulen (658 Kinder) und an Förderschulen (413 Kinder) erfasst wurden. Es zeigte sich, dass die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf im inklusiven Unterricht signifikant besser lesen und rechnen gelernt haben, als vergleichbare Kinder in der Förderschule. Der Leistungsvorsprung entsprach über alle Förderschwerpunkte hinweg dem Lernzuwachs eines halben Schuljahres. Im Förderschwerpunkt Lernen betrug der Vorsprung sogar fast ein Schuljahr. Lernen

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Auch im Rahmen der Bielefelder Längsschnittstudie zum Lernen in inklusiven und exklusiven Förderarrangements in der Grundschule zeigte sich ein signifikanter und praktisch bedeutsamer Leistungsvorsprung der inklusiv beschulten Kinder im Förderschwerpunkt Lernen gegenüber den Gleichaltrigen in der Förderschule (Wild et al., 2015). Tendenziell war die Leistungsentwicklung beim Lesen und Schreiben im inklusiven Setting sogar größer. Nicht unberechtigt sind Hoffnungen auf eine noch größere Effektivität des inklusiven Settings bei verstärktem Einsatz evidenzbasierter Verfahren. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass einige Instrumente und Förderprogramme zur Verfügung stehen, um die Kinder und Jugendlichen im Förderschwerpunkt Lernen im Rahmen des inklusiven Unterrichts beim Lesen, Schreiben und Rechnen zu unterstützen. Empirische Forschungsergebnisse sprechen auch für eine stärkere Steuerung durch die Lehrperson im Rahmen eines explizit-darstellenden und adaptiven Unterrichts bei Lernschwierig­ keiten. Dass den Dimensionen der Unterrichtsqualität (Kap. 4.1) dabei eine besondere Bedeutung zukommt, klingt trivial, kann aber nicht oft genug betont werden.

5.2 Geistige Entwicklung Auch Kinder und Jugendliche mit schwerwiegenderen intellektuellen Beeinträchtigungen können und müssen in der Schule lernen und brauchen dabei die Unterstützung der Lehrpersonen. Oft gehen mit den intellektuellen Beeinträchtigungen auch noch sensorische, motorische und kommunikative Beeinträchtigungen einher. Schuladministrativ wird bei einem IQ-Wert < 70 und einem im Vergleich zur jeweiligen Altersgruppe verringerten sozial-adaptiven Handlungsvermögen von einer geistigen Behinderung gesprochen,4 woraus sich ein Förderbedarf im Schwerpunkte Geistige Entwicklung 4 Im international gebräuchlichen Klassifikationssystem psychischer Störungen ICD-10 (Dilling et al., 2014) spricht man bei einem IQ-Wert zwischen 50 und 69 von einer leichten, zwischen 35 und 49 von einer mittelgradigen und zwischen 20 und 34 von einer schweren Intelligenzminderung.

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Besondere Förderschwerpunkte

ableitet (KMK, 1998). Mit sozial-adaptivem Handlungsvermögen ist die Fähigkeit einer Person zur Bewältigung von Alltagsaufgaben, z. B. in den Bereichen Kommunikation, Selbstversorgung, soziale Fähigkeiten, Leben zuhause, Teilnahme am öffentlichen Leben, Selbstbestimmung, Gesundheit und Sicherheit, schulische Fertigkeiten und/ oder Freizeitgestaltung, gemeint. Der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf im Schwerpunkt Geistige Entwicklung ist seit 2005 tendenziell gestiegen: Wurde der Förderbedarf im Jahr 2005 rund 75.000 Schülerinnen und Schülern zugesprochen, hat sich die Zahl bis zum Jahr 2016 auf rund 84.000 erhöht (KMK, 2016a, 2016b). Die Schülerinnen und Schüler bilden mit einer Förderquote von 1,2 % im Jahr 2016 die zweitgrößte Gruppe nach dem Förderbedarf im Schwerpunkt Lernen. In inklusiven Schulen beschult wurden im Jahr 2016 aber nur ca. 11 % der Schülerinnen und Schüler mit Geistiger Behinderung, obwohl Forschungsergebnisse belegen, dass sie dort, im Vergleich mit speziellen Förderschulen, vergleichbare Lernerfolge erzielen (Sermier Dessemontet, Benoit & Bless, 2011). Leichte Vorteile der inklusiven Lernumgebung sind, vermutlich aufgrund der vielfältigeren sprachlichen und kommunikativen Anregungen, in Bezug auf die Sprachentwicklung festgestellt worden. Zum Begriff »Geistige Behinderung«: Der Begriff wurde in den 1950er-Jahren eingeführt, um an den internationalen Begriff der »Mental Retardation« anzuknüpfen und um diffamierende Begriffe wie Schwachsinn, Blödsinn, Idiotie oder Oligophrenie abzulösen. Es wurde jedoch nicht berücksichtigt, dass die amerikanische Terminologie auch Personen einschließt, die als »lernbehindert« bezeichnet werden. Geistige Behinderung wird somit im deutschen Sprachraum anders gefasst – ein Problem, das bis heute internationale Vergleiche erschwert und oftmals Missverständnisse erzeugt. Während die KMK an dem Terminus Geistige Behinderung festhält, wird dieser angesichts des stigmatisierenden Charakters vor allen Dingen auch von den Organisationen (selfadvocacy movement; People First) der betroffenen Menschen selbst in Frage gestellt. Nach und nach reagiert die internationale Fachwelt auf die Kritik und ersetzt den Begriff »Mental Retardation« durch »Intellectual Disabilities« (Theunissen, 2008). In diesem Buch wird der Begriff der intellektuellen Beeinträchtigung synonym zur Geistigen Behinderung verwendet und die Geistige Entwicklung

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Schnittmenge von Lernbehinderung und Geistiger Behinderung bewusst in Kauf genommen. Eine Differenzierung zwischen den beiden Bereichen erscheint aus der Förderperspektive sowieso fragwürdig. Diagnostik Die Ermittlung des Förderbedarfs geschieht interdisziplinär unter Mitwirkung der Eltern und all derjenigen, die an der Förderung des betroffenen Kindes oder Jugendlichen beteiligt sind, und bezieht eine medizinische Diagnose mit ein. Für die Diagnose der Intellektuellen Beeinträchtigung wird ein individuell zu bearbeitender und standardisierter Intelligenztest eingesetzt. Der Einsatz normorientierter Verfahren bei Kindern und Jugendlichen mit intellektuellen Beeinträchtigungen ist aber nicht unproblematisch. Zum einen scheitert eine standardisierte Durchführung oftmals an der unzureichenden Motivation oder den problematischen Verhaltensweisen der Kinder und Jugendlichen. Zum anderen bestätigt sich mit einem am chronologischen Alter der Kinder und Jugendlichen orientierten Intelligenztest nur die Diagnose der intellektuellen Beeinträchtigung, ohne jedoch weiter zwischen individuellen Stärken und Schwächen differenzieren zu können. Das liegt daran, weil die Aussagekraft von Intelligenztests in den Extrembereichen (unten wie auch oben) erheblich eingeschränkt ist. Zusätzlich zu den Testverfahren zur Beurteilung der kognitiven Fähigkeiten lassen sich verschiedene Tests zur Diagnostik der Sprachentwicklung sowie der taktilen, akustischen und visuellen Wahrnehmungsfähigkeit einsetzen, um eine möglichst umfassende Beschreibung der Kompetenzen und Förderbedürfnisse zu formulieren. Der sozial-adaptive Kompetenzbereich kann mit speziellen psychometrischen Fragebögen erfasst werden. Eine Übersicht geeigneter Testverfahren bei intellektueller Beeinträchtigung gibt Sarimski (2013). Einer systemorientierten Sichtweise von Beeinträchtigungen folgend, werden bei der Diagnose der intellektuellen Beeinträchtigung neben der testdiagnostischen Überprüfung auch immer der soziale Kontext (Umwelt und Kultur), die Gesundheit (physische und psychische Gesundheit, samt Ätiologie), problematische Verhaltensformen sowie die soziale Teilhabe und die sozialen Rollen des betroffenen Kindes unter Berücksichtigung seiner Stärken und Schwächen 120

Besondere Förderschwerpunkte

erfasst. Bei Kindern und Jugendlichen mit schwerer Mehrfachbehinderung ist im Rahmen des diagnostischen Prozesses die weitreichende Erfahrungs- und Interpretationskompetenz der Eltern von besonderer Bedeutung für die Erhebung und Bewertung der Ausgangslage (KMK, 1998). Ausgehend von allen erhobenen Aspekten lässt sich das Ausmaß und die Art des Unterstützungs- bzw. Betreuungsbedarfs ableiten, mit dem Ziel, den Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung so weit wie möglich an jenen gesellschaftlichen Prozessen teilhaben zu lassen, die für seine nicht intellektuell beeinträchtigten Peers typisch sind. Förderung bei intellektuellen Beeinträchtigungen

Die große Heterogenität der Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit intellektuellen Beeinträchtigungen macht die Planung von Unterstützungs- und Förderangeboten zu einer besonderen Herausforderung für Wissenschaft und Praxis (Kuhl & Euker, 2016b). Kinder mit einer leichten intellektuellen Beeinträchtigung benötigen eine andere Unterstützung und Förderung als ein schwer mehrfachbehindertes Kind. Zudem können sich die Fähigkeitsprofile der Kinder und Jugendlichen bei gleicher Intelligenz, je nach bisheriger Förderung und Lernerfahrungen, sehr stark unterscheiden. Von daher erscheint es, wie auch bei Lernschwierigkeiten, nicht sinnvoll, pädagogische Entscheidungen am IQ festzumachen. Da selbst innerhalb umschriebener Syndromgruppen keine Homogenität zu erwarten ist (Kinder mit Down-Syndrom weisen eine höhere Entwicklungsvarianz auf als Kinder ohne Behinderung), ist auch diese Einteilung pädagogisch wenig sinnvoll. Außerdem war die Geistigbehinderten­pädagogik lange Zeit fast ausschließlich geisteswissenschaftlich und hermeneutisch ausgerichtet und die empirische Psychologie befasste sich wenig mit Menschen, die intellektuell beeinträchtigt sind, so dass zu Recht von einem Forschungsdesiderat in diesem Bereich gesprochen werden kann. In jüngster Zeit werden jedoch, wenn auch nicht kritiklos, in der Sonderpädagogik empirisch gestützte Ansätze von Unterricht und Förderung für Lernende mit intellektuellen Beeinträchtigungen verstärkt diskutiert (Kuhl & Euker, 2016a). Doch auf welcher theoretischen Vorstellung basiert die Diagnostik und Förderung? Geistige Entwicklung

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An dieser Stelle ist nicht der Platz, die verschiedenen Theorien und wissenschaftlichen Kontoversen zur Frage, wie Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen denken und lernen, ausführlich darzustellen. Aber vielleicht haben Sie sich auch schon gefragt, ob bei Kindern mit intellektuellen Beeinträchtigungen ganz bestimmte kognitive Funktionen gestört oder ganz ausgefallen sind und die Entwicklung deshalb ganz anders verläuft als bei Kindern ohne Beeinträchtigung (Differenztheorie). Das würde bedeuten, dass es auch spezieller Methoden, Materialien und Förderprogramme bedarf, um diese Kinder beim Lernen zu unterstützen. Oder ob die Kinder mit intellektuellen Beeinträchtigungen vergleichbare kognitive Strukturen aufweisen wie Kinder ohne Beeinträchtigungen und gar nicht großartig anders lernen, sondern einfach nur in ihrer Entwicklung verzögert sind und ein niedrigeres Abschlussniveau erreichen (Theorie der Entwicklungsverzögerung)? Dabei wird davon ausgegangen, dass Unterschiede im Verhalten von Menschen mit und ohne intellektuelle Beeinträchtigung auf unterschiedliche Lebensumstände zurückgeführt werden können und nicht auf eine grundsätzliche Andersartigkeit. Das bedeutet in der Konsequenz, dass keine speziellen Methoden, Materialien und Fördermaßnahmen vonnöten sind und bereits erprobte Materialien und Förderprogramme an das jeweilige Entwicklungsalter des Kindes bzw. des Jugendlichen angepasst werden können. Die sogenannte Entwicklungs-Differenz-Kontroverse hat in den USA in den 1960er- und 1970er-Jahren zu erheblichen Forschungsbemühungen geführt, die jedoch im deutschsprachigen Raum kaum wahrgenommen wurden. Die Forschungsbemühungen führten dazu, dass heutzutage viel mehr bekannt ist, sowohl über kognitive Funktionen als auch über Umwelteinflüsse bei intellektuellen Beeinträchtigungen. Nach heutigem Erkenntnisstand spricht vieles dafür, von einem allgemeinen Entwicklungsmodell und einheitlichen Mechanismen bei Kindern mit und ohne Beeinträchtigungen auszugehen, ohne jedoch asynchrone Verläufe auszuschließen. Ein allgemeines kognitives Modell ist die Informationsverarbeitungstheorie. Sie beschreibt innere (mentale) Prozesse und Mechanismen des Verstehens und Erinnerns von Informationen (Hasselhorn & Gold, 2017). Nach dieser Theorie werden Ursachen einer intellektuellen Beeinträchtigung im Arbeitsgedächtnis, in der Auf122

Besondere Förderschwerpunkte

merksamkeit, dem Vorwissen bzw. dem Langzeitgedächtnis und damit zusammenhängend in der Nutzung von Lernstrategien vermutet. Viele negative Lernerfahrungen können in der Folge auch die Motivation und das Selbstkonzept beeinträchtigen. Zwar kann von einer geschlossenen Theorie der kognitiven Prozesse bei intellektuellen Beeinträchtigungen noch nicht gesprochen werden, es gibt aber gute Gründe, davon auszugehen, dass es nicht notwendig ist, gesonderte Förderprogramme für Kinder und Jugendliche mit kognitiven Beeinträchtigungen zu entwickeln. Es können vielmehr Materialien und Aufgaben verwendet werden, die sich am jeweiligen Lernstand orientieren (Kuhl, Hecht & Euker, 2016). So können für ältere Kinder und Jugendliche mit einem kognitiven Entwicklungsrückstand Interventionsprogramme aus dem Vorschulbereich oder der Primarstufe adaptiert werden, z. B. die im Kap. 5.1 bereits genannten Förderprogramme MZZ (Krajewski et al., 2007) oder der Kieler Leseaufbau (Dummer-Smoch & Hackethal, 2008). Allerdings sind Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung und einem kognitiven Entwicklungsalter von vielleicht drei oder vier Jahren keine kleinen Kinder. Diese Menschen stehen, trotz der mit Kleinkindern vergleichbaren kognitiven Leistungen, in ganz anderen Lebensbezügen und haben ganz andere Interessen und Probleme. Deshalb müssen Förderprogramme und Materialien unbedingt entsprechend adaptiert werden. Im alltäglichen Umgang sollte zudem auf einen altersadäquaten und respektvollen Umgang mit den Betroffenen geachtet werden. Kuhl, Hecht und Euker (2016) sprechen in diesem Zusammenhang von der Lebensweltorientierung. Lebensweltorientierung

Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen aufgrund der Differenz zwischen Entwicklungs- und Lebensalter wie kleine Kinder zu behandeln, widerspricht dem bereits 1959 von dem dänischen Jurist Niels Erik Bank-Mikkelsen formulierten Normalisierungsprinzip, wonach intellektuell beeinträchtigte Menschen ein Leben so normal wie möglich führen sollten, was sich auch im deutschen Behindertengleichstellungsgesetz niederschlägt (Thimm, 2008). Dem entspricht die Praxis, Kinder mit intellektuellen Beeinträchtigungen mit ca. sechs Jahren einzuschulen, unabhängig vom EntwicklungsGeistige Entwicklung

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stand oder dem Intelligenzalter5. Lehrpersonen berichten von positiven Erfahrungen mit der altersgemäßen Einschulung von Schülerinnen und Schülern mit intellektuellen Beeinträchtigungen, auch hinsichtlich der Lernentwicklung; empirische Daten stehen allerdings noch aus (Kuhl et al., 2016). Die Erfahrungen zeigen außerdem, dass sich die Interessen von Kindern und Jugendlichen mit intellektuellen Beeinträchtigungen offensichtlich stärker an ihren gleichaltrigen Mitschülerinnen und Mitschülern orientieren als an ihrem Entwicklungsalter. Deshalb sollten Unterrichtsthemen und die Gestaltung der Unterrichts- und Förderprogramme am chronologischen Alter bzw. dem aktuellen Lebensweltbezug der Kinder und Jugendlichen ausgerichtet sein. Ressourcenorientierung

Unterricht und Förderung müssen sich aber nicht nur am Entwicklungsalter, sondern auch an den begrenzten kognitiven Ressourcen der Kinder und Jugendlichen mit intellektuellen Beeinträchtigungen orientieren. Die vorhandenen kognitiven Ressourcen müssen möglichst gewinnbringend genutzt und nicht mehr als nötig durch die Art der Aufgabengestaltung zusätzlich belastet werden. Neben den kognitiven sind dabei auch soziale, emotionale und motivationale Faktoren zu berücksichtigen. Bisher liegen keine empirischen Befunde vor, die die Überlegenheit einer ressourcenorientierten Lernförderung speziell bei Kindern und Jugendlichen mit intellektuellen Beeinträchtigungen belegen. Allerdings lassen sich aus pädagogisch-psychologischen Theorien und empirischen Befunden der Lehr-Lernforschung grundlegende Prinzipien, die das Unterrichten bei intellektuellen Beeinträchtigungen erleichtern können, ableiten. Dazu zählen: ȤȤ ausreichende Lernzeit, ȤȤ angepasstes Durchnahmetempo, ȤȤ kurze und gut strukturierte Instruktionen, ȤȤ am Vorwissen sowie den kognitiven Ressourcen orientierte Aufgabenstellungen, 5 Das Intelligenzalter bezeichnet das Alter in Jahren, das den intellektuellen Leistungen in einem normierten Intelligenztest entspricht.

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Besondere Förderschwerpunkte

ȤȤ kein unnötiger Wechsel der Aufgabenformate, ȤȤ eindeutige Darstellungen, ȤȤ räumlich nahe und integrierte Darstellung zusammengehöriger Informationen, ȤȤ sichtbare und intuitive erkennbare Lösungswege, ȤȤ Einsatz von Beispielen mit anschließendem Transfer auf komplexere Anforderungen, ȤȤ Aufbau und Automatisierung inhaltsspezifischen Basiswissens, ȤȤ explizite Vermittlung von Lernstrategien durch modellhaftes Vormachen, ȤȤ Anwendung der eingeübten Lernstrategien auf neuartige Probleme, ȤȤ motivierendes und an den Lebensbezügen orientiertes Material, ȤȤ Förderung der Lernmotivation durch realistische Zielsetzungen, ȤȤ Nutzung individueller Bezugsnormen, ȤȤ Vermeidung von Misserfolgen, ȤȤ Einsatz positiver und sozialer Verstärker, ȤȤ Einsatz von Lernverlaufsdiagnostik, ȤȤ Ermöglichung von Kompetenzerleben. Einige der hier aufgeführten Aspekte sind Gegenstand der anderen Kapitel dieses Buches. Unterricht im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung ist so gesehen nicht grundsätzlich anders, sondern muss um spezifische sonderpädagogische und therapeutische Konzepte ergänzt werden. Für den gemeinsamen Unterricht gilt es, sowohl individualisierte als auch gemeinsame Lernsituationen zu ermöglichen, um unterschiedliche Wege zum Wissens- und Kompetenzerwerb zu eröffnen und konstruktiv auf die Heterogenität innerhalb der Lerngruppe zu reagieren. Dennoch besteht die besondere Herausforderung darin, Unterricht auf einem zum Teil vorschulischen Entwicklungsniveau an der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler mit intellektuellen Beeinträchtigungen orientiert zu gestalten. Lesen und Schreiben bei intellektuellen Beeinträchtigungen

Lesen, Schreiben und Rechnen sind wichtige Kompetenzen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Zu diesen Kompetenzbereichen hat die Pädagogische Geistige Entwicklung

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Psychologie in den letzten Jahren einiges an Forschungsarbeit geleistet und Entwicklungsmodelle sowie Interventionsprogramme erstellt. In jüngster Zeit werden diese Anstrengungen auch von der Sonderpädagogik zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung zur Kenntnis genommen. Unter anderem deshalb hat sich die Auffassung über die Fördermöglichkeiten des Lesens und Schreibens bei Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen dramatisch gewandelt. Aus heutiger Perspektive geradezu erschreckend ist die Tatsache, dass man lange Zeit annahm, dass Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung gar nicht imstande seien, Lesen und Schreiben zu erlernen. Erfreulicherweise gibt es jedoch seit den 1960er-Jahren erfolgreiche Bestrebungen, Kindern mit Geistiger Behinderung Grundkompetenzen im Lesen und Schreiben zu vermitteln. Die Meinungen darüber waren zunächst geteilt. Von unnützem Ballast und geringem sowie fragwürdigem Wert für die Kinder mit intellektuellen Beeinträchtigungen war die Rede. Die Bemühungen stünden dem Erlernen anderer Fertigkeiten für die spätere Lebensführung im Wege. Angestoßen durch das Normalisierungsprinzip (s. o., S. 123) wurde der Wert des Lesens und Schreibens für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung jedoch neu bewertet. Argument für die Implementierung des Lesens und Schreibens in das Curriculum der Schule für geistig Behinderte ist der Anspruch einer demokratischen Gesellschaft auf Gleichheit, in Verbindung mit dem Recht auf kulturelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben einer schriftorientierten Gemeinschaft. Aber erst die Konzeption eines sogenannten erweiterten Lesebegriffs, der über das Lesen der Alphabetschrift hinausreicht, führte dazu, dass Lesen für Schülerinnen und Schüler mit intellektueller Beeinträchtigung in Reichweite kam. Die theoretische Basis für den erweiterten Lesebegriff liefern unterschiedliche Modelle des Schriftspracherwerbs, die verschiedene Erwerbsphasen unterscheiden. Das Modell der Entwicklungspsychologin und Neurowissenschaftlerin Uta Frith unterscheidet beispielsweise drei Phasen: 1. die logografische Phase (Geschriebenes wird an Merkmalen im Wort erkannt – Max z. B. am x), 2. die alphabetische (geschriebene Buchstaben korrespondieren mit bestimmten Sprachlauten) und 126

Besondere Förderschwerpunkte

3. die orthografische Phase (größere Einheiten – z. B. Silben – werden erkannt). Koch (2005) erweiterte das Modell von Frith um zwei Kompetenzen, die dem logografischen Lesen vorgeordnet sind: Das Lesen von ikonischen Abbildungen (z. B. Fotos, Bilder, Piktogramme) und das Lesen von Symbolen (die keine Ähnlichkeit mit dem bezeichneten Objekt aufweisen). Das logografische Lesen, das Lesen von Symbolen und das Lesen von ikonischen Abbildungen zählt Koch zur Konzeptionen der erweiterten Lesefähigkeit. Lesen im erweiterten Sinn hat im US-amerikanischen Raum unter der Bezeichnung functional reading schon seit den 1980er-Jahren große Bedeutung im Bereich der Geistigbehindertenpädagogik erlangt und wird mittlerweile auch in Deutschland realisiert (Koch, 2016). Die erweiterte Lesekompetenz stößt bei der Erschließung des Sinngehaltes aus unbekannten Wörtern, Sätzen und Texten an ihre Grenzen, da ein Wort dann nicht direkt und ganzheitlich erschlossen werden kann, sondern nur über den indirekten Weg, über das phonologische Rekodieren der Alphabetschrift. Auch für das Schreibenlernen ist das alphabetische Prinzip notwendig, wenn das zu schreibende Wort lautlich analysiert und sukzessive in Schriftzeichen übersetzt wird. Dabei handelt es sich um ein komplexes Zusammenspiel phonologischer, visueller und kognitiver Prozesse, die den Kindern und Jugendlichen mit intellektuellen Beeinträchtigungen einiges abverlangen und erst nach zunehmender Automatisierung genügend kognitive Ressourcen übrig lassen, um die gelesenen Texte auch noch zu verstehen. Immerhin lernen heutzutage etwa 20 bis 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung das Schriftlesen im engeren Sinne und verfügen zumindest über die Lesekompetenz von Grundschulkindern am Ende der ersten Klasse (Euker & Kuhl, 2016). Die von Euker und Kuhl (2016) zusammengefassten internationalen Forschungsergebnisse sprechen stark für eine ähnliche Erwerbsstruktur des Lesens und Schreibens bei Kindern und Jugendlichen mit und ohne Beeinträchtigungen (Theorie der Entwicklungsverzögerung, s. o., S. 122). Weder die Intelligenz noch das Arbeitsgedächtnis noch die visuellen Wahrnehmungsleistungen erlauben eine Vorhersage für den Erfolg beim Lesenlernen bei Menschen mit inGeistige Entwicklung

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tellektueller Beeinträchtigung. Von entscheidender Bedeutung sind hingegen die Fähigkeiten, die lautliche Struktur von Wörtern zu erfassen (phonologische Bewusstheit) und phonologische Einheiten mit visuellen Einheiten zu verknüpfen. Ein diagnostisches Verfahren speziell für Kinder und Jugendliche mit intellektuellen Beeinträchtigungen zur Erfassung verschiedener Facetten des Lesens im weiteren (Lesen ikonischer und symbolischer Zeichen) und engeren Sinne (Lesen der Alphabetschrift) sowie relevante Vorläuferkompetenzen (phonologische Bewusstheit und Buchstabenkenntnis) haben Euker, Koch und Kuhl (2016) herausgegeben: Das Gießener Screening zur Erfassung der erweiterten Lesefähigkeit (GISC-EL) ist für den Einsatz an Förderschulen und im inklusiven Unterricht konzipiert. Im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung ist das Screening über alle Altersstufen hinweg (ca. 6–20 Jahre) und im Förderschwerpunkt Lernen im Grundstufenalter (ca. 6–10 Jahre) einsetzbar. Das GISC-EL folgt den Erwerbsstufen des erweiterten Lesens und erfasst insgesamt acht Kompetenzstufen, die vom Lesen fotorealistischer Abbildungen über das Wortlesen bis hin zum sinnentnehmenden Textlesen reichen. Ziel ist es, den Kompetenzbereich zu identifizieren, bei dem eine Förderung ansetzen sollte. Die Testergebnisse ermöglichen so eine gezielte Planung der schriftsprachlichen Förderung und der lebenspraktischen Unterstützung. Im Testmanual sind auch Hinweise zu geeigneten Förderprogrammen auf dem jeweils erreichten Kompetenzniveau zu finden. Da aber insgesamt nur wenige spezifisch für Kinder und Jugendliche mit einer intellektuellen Beeinträchtigung entwickelte Fördermaterialien zur Verfügung stehen, wird notgedrungen auf allgemeine (evidenzbasierte oder zumindest theoretisch fundierte) Materialien, deren Inhalte entsprechend angepasst werden müssen, verwiesen. Evidenzbasierte Programme, die, gegebenenfalls modifiziert, im Rahmen des inklusiven Unterrichts eingesetzt werden können, sind Hören, lauschen, lernen (1 & 2) (Küspert & Schneider, 2008; Plume & Schneider, 2004) zur Förderung der phonologischen Bewusstheit und der Einführung erster Buchstaben, die Lautlese-Tandems (Rosebrock et al., 2016) und das ELFE-Trainingsprogramm (Lenhard & Lenhard, 2006) sowie der Kieler Leseaufbau (Dummer-Smoch & Hackethal, 2008) zur Förderung des rekodierenden Lesens (vgl. Kap. 4.3). 128

Besondere Förderschwerpunkte

Rechnen

Wie beim Lesen und Schreiben gibt es auch beim Rechnen gute Gründe, davon auszugehen, dass die Entwicklung mathematischer Kompetenzen von Kindern mit intellektuellen Beeinträchtigungen im Vergleich mit jüngeren, entwicklungsgleichen Kindern nicht grundsätzlich anders verläuft (Brankaer, Ghesquiere & De Smedt, 2013). Moser Opitz, Schnepel, Ratz und Iff (2016) konnten beispielsweise zeigen, dass das in Kap. 5.1 bereits erwähnte ZGV-Modell von Krajewski und Ennemoser (2013) gut als Heuristik für die Erarbeitung von Diagnoseaufgaben und Fördermaßnahmen für Schülerinnen und Schüler im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung geeignet ist. Die große Kunst im inklusiven Unterricht besteht darin, am selben Lerninhalt Lernziele für ganz unterschiedliche Aneignungsniveaus festzulegen. Basierend auf dem ZGV-Modell können für Kinder auf den verschiedenen Entwicklungsniveaus unterschiedliche Aktivitäten für denselben Lerninhalt geplant werden, z. B. Zählen und Bündeln im Zahlenraum bis 1000 mit unterschiedlichen Materialien bzw. Übungen (hohes Anforderungsniveau) oder Einübung eines präzisen Anzahlkonzepts mit Hilfe von Gegenständen, die in einen Eierkarton gelegt werden müssen (geringes Anforderungsniveau). Auch das oben erwähnte Förderprogramm MZZ (Krajewski et al., 2007) könnte zur Anwendung kommen. Interventionen bei problematischen Verhaltensweisen bei intellektuellen Beeinträchtigungen

Klare Regeln und Routinen und eine klare Strukturierung des Unterrichtsalltags helfen insbesondere den Kindern und Jugendlichen mit intellektuellen Beeinträchtigungen, um sich im schulischen Alltag zurechtzufinden, und wirken problematischem Verhalten präventiv entgegen (vgl. Kap. 4, Klassenführung). Zur Intervention bei Unterrichtsstörungen oder anderen Verhaltensproblemen sind verhaltenstherapeutische Interventionen (z. B. Verstärkerpläne oder individuelle Verhaltensverträge) das Mittel der Wahl (Bienstein, 2016). Hierzu lohnt sicherlich auch ein Blick in das Kapitel zum Förderschwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung. Einen Ratgeber mit Fallbeispielen und vielen Tipps von der Unterrichtsgestaltung bis zu Unterstützungsstrukturen bei Verhaltensauffälligkeiten von Kindern und Geistige Entwicklung

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Jugendlichen mit intellektuellen Beeinträchtigungen hat das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung herausgegeben (2014). Im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung weisen Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen generell ein deutlich höheres Risiko auf, psychische Störungen zu entwickeln. Klaus Sarimski und Hans-Christoph Steinhausen informieren in einem Leitfaden über den Forschungsstand, die Diagnostik und Interventionsmöglichkeiten bei psychischen Störungen von Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen (2008a) und geben in einem kurzen Ratgeber Orientierungshilfen für Eltern und Lehrpersonen (Sarimski & Steinhausen, 2008b). Für andere relevante Förderaspekte im Schwerpunkt Geistige Entwicklung, die weniger Gegenstand der Pädagogischen Psychologie sind, kann auf die weiterführende Literatur von Jan Kuhl und Nils Euker (2016a) verwiesen werden. Forschungsstand zur inklusiven Beschulung von Schülerinnen und Schülern im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung

Eine Studie aus dem deutschsprachigen Raum (Primarstufe) belegt vergleichbare Lernfortschritte von Kindern mit Förderbedarf Geistige Entwicklung in inklusiven Settings und in Förderschulen für Geistige Entwicklung (Dessemontet, Benoit & Bless, 2011). Keine Unterschiede zwischen den beiden Settings zeigten sich auch im Hinblick auf die Entwicklung adaptiver Fähigkeiten (z. B. Selbstständigkeit, zwischenmenschliche Kompetenz). Leichte Vorteile für die inklusiv beschulten Kinder sind jedoch in der Sprachentwicklung zu beobachten, was auf die sprachlich und kommunikativ stimulierende Lernumgebung in inklusiven Klassen zurückgeführt wird. Und noch etwas konnte festgestellt werden: In Übereinstimmung mit einer Studie von Kopp, Martschinke und Ratz (2013) bremst die Inklusion von Kindern mit Förderbedarf Geistiger Entwicklung die Mitschülerinnen und Mitschüler in ihrer Lernentwicklung nicht aus.

5.3 Emotionale und soziale Entwicklung Es gibt Schülerinnen und Schüler, die durch ihr aggressives Verhalten massiv den Unterricht stören, andere Schülerinnen und Schüler tyrannisieren, bedrohen oder einschüchtern und Raufereien mit ih130

Besondere Förderschwerpunkte

nen anzetteln. Andere halten sich nicht an Regeln und schwänzen häufig den Unterricht. Wieder andere sind zappelig, unaufmerksam und rufen ständig in den Unterricht rein, ohne sich zu melden. Neben solchen Schülerinnen und Schülern mit externalisierenden (nach außen gerichteten) und kaum zu übersehenden Auffälligkeiten gibt es auch solche mit weniger offensichtlichen, internalisierenden (nach innen gerichteten) Auffälligkeiten. Sie haben beispielsweise Selbstzweifel, Depressionen oder Ängste und bearbeiten innerlich ihre Probleme, fallen allenfalls durch allgemein ängstliches oder unsicheres Verhalten auf oder wenn sie autoaggressives oder selbstverletzendes Verhalten zeigen. Wenn Kinder und Jugendliche durch ihre Verhaltensschwierigkeiten in ihren Bildungs-, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten so eingeschränkt sind, dass sie im Unterricht der Regelschule auch mit Hilfe anderer Dienste nicht hinreichend gefördert werden können, haben sie Förderbedarf im Bereich Emotionale und soziale Entwicklung, so die Definition der KMK (2000b). Oft ist auch die schulische Leistungsfähigkeit dieser Schülerinnen und Schüler durch die Vielzahl nicht unterrichtsbezogener und zugleich kräftezehrender Interaktionsprozesse so erheblich eingeschränkt, dass zusätzlicher Förderbedarf besteht, insbesondere im Bereich des Lernens und der Sprache. Förderbedarf im Bereich Emotionale und soziale Entwicklung haben auch Kinder und Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS, in manchen Bundesländern ist dies ein eigener Förderschwerpunkt), Essstörungen, Suchtverhalten (auch bei Internet- und Mediensucht) oder suizidalen Tendenzen. Zwei Besonderheiten des Förderschwerpunkts stechen hervor. Zum einen die große Heterogenität und zum anderen die stetige Zunahme, denn der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit emotionalem und sozialem Förderbedarf steigt seit Jahren an: Bekamen 2005 »nur« rund 46.000 Schülerinnen und Schüler den Bedarf bescheinigt, hat sich die Zahl bis zum Jahr 2016 mit rund 86.000 fast verdoppelt, das sind 1,2 % aller Schülerinnen und Schüler (KMK, 2016a, 2016b). Wie ist dieser Anstieg zu erklären? Das kann viele Gründe haben: Einerseits wird vermutet, dass Lehrpersonen im Zuge der Inklusion weniger Hemmungen haben, ein Diagnoseverfahren zu veranlassen, weil es nicht mehr automatisch dazu führt, dass ein Emotionale und soziale Entwicklung

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Kind die Schule verlassen muss. Es kann aber auch daran liegen, dass in einigen Bundesländern mit jedem Kind mit Förderbedarf die Zuweisungen (z. B. mehr Personal oder mehr Lehrerstunden) steigen und die Schulen jede weitere Unterstützung dringend benötigen. Die steigenden Zahlen können demnach auch als ein Ruf nach mehr Unterstützung interpretiert werden (s. a. Kap. 5: Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma). Vielleicht liegt es aber auch an immer geeigneteren Diagnoseverfahren oder auch an einer erhöhten Sensibilität von Lehrerinnen und Lehrern gegenüber psychischen Auffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen im Kindes- und Jugendalter sowie an der Erkenntnis, dass frühzeitige (präventive) Maßnahmen effektiver sind und späteren Interventionen im höheren Alter vorgezogen werden sollten. Von den Kindern und Jugendlichen mit Anspruch auf Förderung im Bereich Emotionale und soziale Entwicklung wurden im Jahr 2016 ca. 56 % inklusiv unterrichtet. Sie bilden nach dem Förderschwerpunkt Lernen zahlenmäßig die größte Gruppe an Regelschulen. Die Lehrpersonen, die bereits Erfahrungen mit dem inklusiven Unterrichten haben, wünschen sich dabei mehr Unterstützung: 92 % äußerten im Förderschwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung den größten Unterstützungsbedarf (VBE, 2017), noch vor den Förderschwerpunkten Lernen (86 %) und Geistige Entwicklung (76 %). Diagnostik

Explorative Gespräche mit Eltern, Schulleitung, Lehrpersonen, Förderpädagoginnen bzw. Förderpädagogen und den betroffenen Kindern bzw. Jugendlichen selbst bilden die Basis für die Diagnose von Verhaltensauffälligkeiten und dienen der Informationsgewinnung hinsichtlich des vorliegenden Problems sowie der Schaffung einer vertrauensvollen Beziehung. Aufgrund des weiten Spektrums der Auffälligkeiten im Förderschwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung kann hier nur auf eine kleine Auswahl diagnostischer Verfahren eingegangen werden. Mit psychometrischen Tests bzw. Fragebögen kann emotionales, soziales und aggressives Verhalten erfasst werden. Anhand der Daten können subjektive Urteile über das Verhalten von Kindern 132

Besondere Förderschwerpunkte

und Jugendlichen objektiviert und gegebenenfalls Fehleinschätzungen revidiert oder unerkannte Schwierigkeiten aufgedeckt werden. Oftmals ist es für Eltern und Lehrpersonen nämlich gar nicht so leicht zu erkennen, welche Probleme sich hinter bestimmten Verhaltensweisen oder Leistungsschwächen der Kinder und Jugendlichen verbergen, oder zu entscheiden, ob ein bestimmtes Verhalten auffällig ist oder nicht. Um vorschnellen Urteilen, Sympathien oder Antipathien Einhalt zu gebieten, bilden die Ergebnisse der Tests bzw. Fragebögen eine empirische Grundlage für eine zuverlässige Dia­gno­se und liefern erste Hinweise für das weitere Vorgehen und, wenn nötig, die Interventionsplanung. Zur ersten Einschätzung des problematischen Verhaltens wird häufig die Child Behavior Checklist eingesetzt. Dabei handelt es sich um ein bewährtes und kürzlich überarbeitetes Screeninginstrument, das Verhaltensauffälligkeiten, emotionale Auffälligkeiten, somatische Beschwerden sowie soziale Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen im Schulalter aus Sicht der Eltern erfasst (CBCL/6–18R). Mit daraus abgeleiteten Fragebögen für Lehrpersonen (TRF/6–18R) und für Jugendliche (YSR/11–18R) ist die Erfassung weitgehend identischer Merkmale aus mehreren Perspektiven möglich (Döpfner, Plück & Kinnen, 2014). Mit der Lehrereinschätzliste (LSL, Petermann & Petermann, 2013) können Lehrpersonen das Sozial- und Lernverhalten entweder einzelner Schülerinnen und Schüler (6 bis 19 Jahre) oder der gesamten Klasse einschätzten. Die Liste kann zur Entwicklungsbeurteilung auch wiederholt eingesetzt werden. Ab der vierten Jahrgangsstufe gibt es auch eine Schülerversion des Fragebogens (SSL, Petermann & Petermann, 2014). Die Ergebnisse können eine wichtige Basis für Elterngespräche oder Klassenkonferenzen bilden oder zur Evaluation von Interventionsmaßnahmen genutzt werden. Ein weiterer Fragebogen erfasst aggressives Verhalten von Schülerinnen und Schülern in verschiedenen, konkret dargestellten Alltagssituationen, z. B. Alltagskonflikte zwischen Kindern sowie Aggressionen gegen Gegenstände und Autoaggressionen (EAS, Petermann & Petermann, 2000). Auch wenn es nicht immer gleich auf den ersten Blick zu erkennen ist, leiden Kinder und Jugendliche mit Verhaltensauffälligkeiten oft unter einem mangelnden Selbstkonzept und schätzen ihre Emotionale und soziale Entwicklung

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eigenen Fähigkeiten falsch ein. Die Skalen zur Erfassung des schulischen Selbstkonzepts (SESSKO, Schöne, Dickhäuser, Spinath & Stiensmeier-Pelster, 2012) erlauben eine Einschätzung der Wahrnehmungen eigener schulischer Fähigkeiten in den Jahrgangsstufen 3–10. Sowohl niedrige als auch zu hohe Einschätzungen eigener Fähigkeiten können an der Entstehung von allgemeinen Leistungsproblemen mitbeteiligt sein. Prävention im schulischen Unterricht

Die Ursachen von Entwicklungsauffälligkeiten im emotionalen und sozialen Bereich und ihre speziellen Interventionsmöglichkeiten sind so vielfältig wie ihre verschiedenen Ausprägungsformen und können hier nicht im Einzelnen erörtert werden. Vielmehr soll der Blick auf die Lehrpersonen und ihre pädagogische Arbeit im Unterricht gelenkt werden, um Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, wie Kindern und Jugendlichen mit emotionalen und sozialen Problemen geholfen werden kann. Es ist davon auszugehen, dass Auffälligkeiten im Erleben und sozialen Handeln nicht als unveränderliche Eigenschaften der Persönlichkeit der Kinder und Jugendlichen anzusehen sind, sondern als Ausdruck einer inneren Erlebens- und Erfahrungswelt, die sich in Interaktion mit der persönlichen, familiären, gesellschaftlichen und eben auch der von den Lehrpersonen mitgestalteten schulischen Umwelt herausbilden. Was aber kann die Lehrperson tun, um den emotionalen und sozialen Schwierigkeiten entgegenzuwirken und für die Schülerinnen und Schüler eine produktive und freudvolle schulische Lernumwelt zu gestalten? Zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass die Planung, Durchführung und Analyse von Unterricht für Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf im Bereich Emotionale und soziale Entwicklung auf den gleichen allgemeinen und fachdidaktischen Grundsätzen und Erkenntnissen der Pädagogischen Psychologie basiert wie für die nicht auffälligen Schülerinnen und Schüler (Hartke, 2008). Auf die Grundsätze eines qualitativ hochwertigen Unterrichts wurde bereits in Kap. 4 eingegangen. Einige Aspekte sollen hier aber noch einmal aufgegriffen werden, weil ihnen bei der Arbeit mit den auffälligen Schülerinnen und Schülern besondere Bedeutung zukommt. Es geht darum: 134

Besondere Förderschwerpunkte

1. Unterrichtsstörungen zu vermeiden bzw. ihnen präventiv entgegenzuwirken, 2. klare Regeln und Routinen einzuführen und konsequent einzufordern, 3. soziale Beziehungen in der Klasse zu stärken, 4. emotionales und motivationales Erleben der Schülerinnen und Schüler zu fördern, 5. keine Toleranz gegenüber aggressivem Verhalten in der Schule und im Klassenzimmer zu dulden. Aus der Präventionsforschung im US-amerikanischen Sprachraum ist bekannt, dass die Berücksichtigung dieser Aspekte bei der Gestaltung der schulischen Umwelt sich als besonders effektiv erwiesen hat (vgl. Hawkins & Herrenkohl, 2006). ➀ Unterrichtsstörungen vermeiden

Das Entstehen von Unterrichtsstörungen wird begünstigt, wenn die Schülerinnen und Schüler nicht mit schulischen Aufgaben beschäftigt sind. Desinteresse, Langeweile, Über- und Unterforderung oder unklare Aufgabenstellungen sind eher ungünstige Voraussetzungen für einen störungsfreien Unterrichtsablauf. Mit einem an den jeweiligen individuellen Leistungsfähigkeiten und Interessen der Schülerinnen und Schüler angepassten, gewissenhaft vorbereiteten und gut strukturierten Unterricht kann Störungen entgegengewirkt werden. Das setzt diagnostische Kompetenzen der Lehrperson voraus, um den Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler richtig einschätzen zu können (vgl. Kap. 3), sowie die Kenntnis unterschiedlicher Methoden für den inklusiven Unterricht (vgl. Kap. 4). Die Lehrperson sollte auch die Bereitschaft aufbringen, soweit möglich auf die Interessen und Lebenswelten der Schülerinnen und Schüler einzugehen und sie beispielsweise an der Auswahl der Themen bzw. der Entwicklung von Fragestellungen zu beteiligen. Ein hohes Ausmaß an kognitiver Aktivierung und eine konstruktive Unterstützung der Schülerinnen und Schüler sowie eine durchaus mit einer Prise Humor geprägte, freundliche, geduldige und positive Lehrer-Schüler-Interaktion können ebenfalls zur Reduzierung von Unterrichtsstörungen beitragen (vgl. Kap. 4.1). Emotionale und soziale Entwicklung

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➁ Klare Regeln und Routinen

Besonders für die Kinder und Jugendlichen mit Schwierigkeiten im sozialen Verhalten ist es essenziell, klare Regeln und Routinen festzuschreiben und einen Rahmen für erwünschtes bzw. nicht erwünschtes Verhalten abzustecken. An manche von ihnen werden in der Schule das erste Mal in ihrem Leben bestimmte Verhaltenserwartungen herangetragen. Sie müssen lernen, ihre eigenen Bedürfnisse sozial adäquat zu formulieren, aber auch, wie man sich in einer Gemeinschaft, in der Werte wie Toleranz, Respekt, Hilfsbereitschaft und Gewaltfreiheit gelten, verhält. Das gelingt den Schülerinnen und Schülern leichter, wenn sie wissen, was von ihnen erwartet wird. Dann muss die Lehrperson auch nicht ständig neu verhandeln und erklären, was geht und was nicht. Wissenschaftliche Studien unterstreichen die Bedeutung der Klassenführung. Beispielsweise wurde in der Metaanalyse von Wilson, Lipsey und Derzon (2003) für die Reduzierung von aggressivem Verhalten durch Aspekte der Klassenführung eine mittlere Effektivität von ES = 0.43 berechnet. Analysiert wurden Studien von der Vorschule bis zur 12. Jahrgangsstufe. Aspekte der Klassenführung waren damit in etwa vergleichbar effektiv wie verhaltensorientierte Interventionen oder psychotherapeu­ tische Beratung. Auf Regeln und Routinen wurde schon im Kap. 4.1 (Klassenführung) eingegangen. Allgemein ist die Berücksichtigung der Dimensionen der Unterrichtsqualität eine wichtige Voraussetzung für ein lernförderliches Klima, das insbesondere den Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensauffälligkeiten zugutekommt, denn diese tun sich beim Lernen oft besonders schwer. ➂ Soziale Beziehungen stärken

Viele Kinder und Jugendliche mit Verhaltensauffälligkeiten kommen aus schwierigen Familienverhältnissen und haben von zu Hause aus wenig Selbstbewusstsein mit auf den Weg bekommen. Für sie ist es besonders wichtig, in die Klassengemeinschaft sozial eingebunden zu werden. Wenn sie sich angenommen und anerkannt fühlen, verbessert sich ihr emotionales Befinden und sie können leichter soziale Beziehungen knüpfen sowie soziale Kompetenzen erwerben. Gut realisieren lässt sich das mit den in Kap. 4.3 beschriebenen kooperativen bzw. peer-mediierten Lern- und Arbeitsstrukturen, wenn 136

Besondere Förderschwerpunkte

die Schülerinnen und Schüler wechselseitig Verantwortung für das Lernen übernehmen und in einem positiven Sinne voneinander abhängig sind, um ihre Ziele zu erreichen. Die vielfältigen Interaktionen, die Aufforderung zu gegenseitiger Hilfe, das wechselseitige Feedback und die Ermutigung bei Misserfolgen sowie die konstruktive Suche nach Lösungswegen bei Konflikten tragen dazu bei, die soziale Attraktivität und wechselseitige Akzeptanz der Schülerinnen und Schüler zu erhöhen, den Aufbau sozialer Beziehungen zu unterstützen und soziale Kompetenzen, wie z. B. Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, zu fördern (Büttner, Decristan & Adl-Amini, 2015). ➃ Emotionales und motivationales Erleben fördern

Um Schülerinnen und Schüler, die sowieso schon mit sich und ihren Leistungen hadern, emotional zu unterstützen und sie vor weiteren Misserfolgserlebnissen zu schützen, können Lehrpersonen mit ihnen realistische Zielsetzungen, Ursachenerklärungen bei Erfolg oder Misserfolg sowie Selbstbewertungen reflektieren. Manche Kinder und Jugendliche haben eine Tendenz, sich zu leichte oder zu schwere und unrealistische Ziele zu setzen. Auf Erfolge bei sehr leichten Aufgaben können sie aber nicht besonders stolz sein. Bei (sehr wahrscheinlichen) Misserfolgen bei viel zu schweren Aufgaben bzw. unrealistischen Zielen können sie sich leicht rausreden, indem sie sich sagen, dass das sowieso niemand geschafft hätte. Motivierend ist das alles nicht. Motivational günstiger sind mittelschwere Aufgabenstellungen, weil dann die Erfolgsaussichten und der Stolz bei erfolgreicher Bearbeitung in einem günstigen Verhältnis zueinander stehen. Die Lehrperson kann die Schülerinnen und Schüler bei der Wahl der Aufgaben unterstützen, indem sie deutlich erkennbar differenzierte Aufgabenstellungen zur Verfügung stellt und bei der Auswahl passender Aufgaben berät. Wie sich Erfolg und Misserfolg der Aufgabenbearbeitung auf den Selbstwert der Kinder und Jugendlichen auswirken, hängt aber auch ganz entscheidend davon ab, welchen Ursachen sie das Abschneiden zuschreiben: stabilen Ursachen, wie »Fähigkeit« oder »Aufgabenschwierigkeit« oder variablen, also veränderbaren Ursachen, wie »Anstrengung« oder »Zufall« (Glück oder Pech bei der Aufgabenstellung). In der Motivationspsychologie spricht man in diesem Zusammenhang auch von Kausalattribution. Emotionale und soziale Entwicklung

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Die unterschiedlichen Attributionen beeinflussen auch das weitere Geschehen: Erklärt ein Schüler beispielsweise seinen Misserfolg mit stabilen (mangelnden) Fähigkeiten, hält er vermutlich auch jede weitere Anstrengung für überflüssig. Im Unterrichtsalltag hört sich das dann so an: »Ich kann halt kein Mathe. Da brauch ich mich auch gar nicht erst anstrengen« oder drastischer »Ich bin zu blöd dafür«. Motivational günstiger ist es, wenn Schülerinnen und Schüler lernen, Misserfolge auf mangelnde Anstrengungen zurückzuführen. Das verletzt zum einen weniger den Selbstwert und lenkt zum anderen die Aufmerksamkeit auf veränderbare und vom Schüler beeinflussbare Ursachen hin: »Wenn ich mich das nächste Mal mehr anstrenge und mehr lerne, werde ich auch besser abschneiden.« Es geht also darum, Misserfolge von stabilen Eigenschaften der eigenen Person fernzuhalten und gegebenenfalls äußeren Ursachen wie Pech oder zu hoher Aufgabenschwierigkeit zuzuschreiben. Es geht aber auch darum, bei der erfolgreichen Bearbeitung angemessener Herausforderungen Freude und Stolz zu empfinden. Die drei Teilprozesse realistische Zielsetzung, Ursachenerklärung und Selbstbewertung wurden erstmals von Heinz Heckhausen im sogenannten Selbstbewertungsmodell der Leistungsmotivation zusammengefasst (Heckhausen, 1972). Nach einem darauf basierenden Motivationstraining für misserfolgsängstliche Grundschulkinder fielen die drei Teilaspekte der Selbstbewertung insgesamt günstiger aus und wirkten positiv auf die Erfolgszuversicht der Kinder (Krug & Hanel, 1976). Das Training beginnt mit schulfernen Aufgaben (Ringwurfspiel) und der Einübung realistischer Zielsetzungen (frei zu wählender Abstand zum Pflock, über den die Ringe geworfen werden sollen, und Festlegung der Trefferquote). Der Trainer fungiert als Modell und verbalisiert laut seine Gedanken zum Anspruchsniveau, zu seinen Selbsterklärungen bei Erfolg und Misserfolg und zeigt deutlich adäquate Selbstbewertungsaffekte. Dann sind die Schülerinnen und Schüler an der Reihe und sollen ebenfalls laut ihre Überlegungen zu den drei Aspekten verbalisieren. So kann der Trainer gegebenenfalls korrigierend eingreifen oder auf wichtige Punkte aufmerksam machen. Nach und nach können die Strategien auf schulische Aufgaben übertragen werden. Das Motivationstraining wurde von anderen Autoren aufgegriffen und erfolgreich mit dem Training anderer 138

Besondere Förderschwerpunkte

Kompetenzen, z. B. des Denkens oder des Lesens, kombiniert (vgl. Gold, 2010; Rheinberg, 2008). Das psychische Erleben kann auch durch kooperative Lernsettings positiv unterstützt werden. Im geschützten Rahmen einer Kleingruppe fällt es ängstlichen und unsicheren Schülerinnen und Schülern sicherlich leichter, vor anderen zu sprechen und ihre Kompetenzen unter Beweis zu stellen, z. B. wenn sie anderen ihr Expertenwissen vortragen. Dann können sie Stolz empfinden und Selbstvertrauen aufbauen (vgl. Kap 4.3). ➄ Keine Toleranz gegenüber aggressivem Verhalten

Gewaltprävention fängt mit klaren Regeln für das von wechselseitiger Toleranz, Respekt und Hilfsbereitschaft geprägte Zusammenleben im Klassenzimmer an. Nach Forschungsbefunden und entwicklungspsychologischen Theorien mangelt es aggressiven Kindern und Jugendlichen jedoch häufig an sozialen und emotionalen Kompetenzen. Dazu zählt die angemessene Wahrnehmung und das korrekte Interpretieren sozialer Situationen, das Erkennen von und der Umgang mit eigenen und fremden Emotionen, Einfühlungsvermögen und Hilfsbereitschaft und die Fähigkeit zur gewaltfreien Lösung von Konflikten. Zur Förderung dieser Kompetenzen stehen einige wissenschaftlich fundierte und im deutschen Sprachraum evaluierte Präventionsprogramme zur Verfügung. Begründen lassen sich die Trainings mit Theorien zur Selbstwirksamkeit (Jerusalem & Hopf, 2002). Diese beschreiben, dass nicht allein die erwartete Konsequenz eines Verhaltens verstärkend wirkt, sondern auch die Annahme darüber, ob man ein Verhalten erfolgreich einsetzen kann, also das gewünschte Ziel erreicht. Grundlage für die Trainings sind auch sozialkognitive Lerntheorien, welche beschreiben, dass Lernen nicht ausschließlich über eigene Erfahrungen stattfindet, sondern auch durch die Beobachtung und Imitation des Verhaltens anderer Menschen. Wichtig sind schließlich die Modelle der sozialen Informationsbearbeitung, welche innere Prozesse beschreiben, die an der Handlungsplanung beteiligt sind und entscheiden, ob eine Person sich in einer konkreten Situation aggressiv oder sozial angemessen verhält. Für die Grundschule konzipiert sind die Programme Faustlos (Cierpka & Schick, 2014), Lubo aus dem All! (Hillenbrand, HenneEmotionale und soziale Entwicklung

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mann, Hens & Hövel, 2015), das Verhaltenstraining für Schulanfänger (Petermann, Natzke, Gerken & Walter, 2016) bzw. das Verhaltenstraining in der Grundschule für die dritte und vierte Jahrgangsstufe (Petermann, Koglin, Natzke & Marées, 2013) und das Sozialtraining in der Schule (Petermann, Jugert, Tänzer & Verbeek, 2012). Das Programm Faustlos liegt auch für die Sekundarstufe (Schick & Cierpka, 2011) vor. Das Besondere an all den hier aufgeführten Programmen ist, dass sie wissenschaftlich und empirisch fundiert sind und nicht von speziell ausgebildeten Therapeuten, sondern, nach entsprechender Einarbeitung bzw. Weiterbildung, von den Lehrpersonen selbst durchgeführt werden können. Im Rahmen der Programme lernen die Kinder in Gruppen anhand von altersgerechten Geschichten, Bildern und Rollenspielen die Gefühle anderer wahrzunehmen, deren Perspektive einzunehmen (Empathiefähigkeit) und angemessen auf deren Gefühle zu reagieren (Emotionsregulation). Weitere Ziele sind je nach Programm die Impulskontrolle, Strategien zum Lösen zwischenmenschlicher Konflikte, das Erlernen verschiedener sozialer Verhaltensweisen, ein angemessener Umgang mit den Gefühlen Ärger und Wut, Kooperation und Hilfsbereitschaft etc. Um die Motivation der Kinder aufrechtzuerhalten, sind manche Programmelemente altersgerecht in spannende Rahmenhandlungen (z. B. Schatzsuche oder Weltraum) eingebettet, durch die mit Handpuppen geleitet wird. Oder es gibt Lieder zum Mitsingen. Oft wird mit Verstärker­ plänen gearbeitet. Die Lehrpersonen erhalten in den Manualen eine genaue Anleitung, wie die einzelnen Programme durchgeführt werden sollen. Manche Programme setzen eine spezielle Fortbildung der durchführenden Lehrperson voraus. Die Vorbereitung bzw. Fortbildung zur Durchführung der Programme kostet erst einmal Zeit und Energie. Langfristig zahlt sich der Aufwand jedoch aus. Dafür sprechen die Evaluationsergebnisse der Programme. Ein umfassendes Programm zur Gewaltprävention in der Schule hat Dan Olweus (2006) konzipiert. Es sollte von der gesamten Schulgemeinde getragen werden und umfasst Maßnahmen sowohl auf der Schulebene (z. B. Fragebogenerhebung zur Erfassung des Ausmaßes der Problematik an der jeweiligen Schule oder die Gestaltung eines Pädagogischen Tages zum Thema Mobbing), der Klassenebene (z. B. Klassenregeln gegen Gewalt) und der persönlichen Ebene (z. B. Ge140

Besondere Förderschwerpunkte

spräche mit den Mobbern und den Gemobbten sowie deren Eltern). In einem Manual wird zunächst leicht verständlich über die Gewaltproblematik an Schulen (z. B. »Ist Gewalt ein Großstadtproblem?« oder: »Was charakterisiert den typischen Gewalttäter bzw. das -opfer?«) informiert. Dann werden die Maßnahmen auf den verschiedenen Ebenen in der praktischen Durchführung beschrieben. An Norwegens Schulen erwies sich das Programm als äußerst effektiv. Für Kinder und Jugendliche mit massiven Beeinträchtigungen sind präventive Gruppentrainings, die von Lehrpersonen durchgeführt werden, sicherlich nicht ausreichend. Dann sind andere Intervention indiziert, wie z. B. das Training mit aggressiven Kindern (Petermann & Petermann, 2012) oder das Training mit sozial unsicheren Kindern (Petermann & Petermann, 2006). Beide Programme können nur von geschultem therapeutischem Personal durchgeführt werden. Weitere Präventionsprogramme zur sozialen und emotionalen Förderung von Kindern und Jugendlichen

Es gibt eine Vielzahl weiterer Präventionsprogramme, die mit einem breiten Themenspektrum (Gesundheitsförderung, schu­lische Suchtprävention, Stressbewältigung, Vermeidung von Angst, Depression oder negative Folgen kritischer Lebensereignisse) auf die sozial-­ emotionale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen abzielen. Die Programme sind in unterschiedlichen Bereichen wie der Eltern- und Familienbildung, in der Kindertagesstätte und der Schule oder im sozialen Umfeld der Nachbarschaft angesiedelt. Die Datenbank des nieder­sächsischen Justizministeriums ­www.grüne-liste-­prävention.de gibt einen Überblick zu deutschsprachigen Programmen, die zum Ziel haben, der Gewalt, der Kriminalität, dem Suchtverhalten und anderen Problemverhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen vorzubeugen. Dort bemüht man sich auch darum, die Programme nach Effektivitätskriterien zu beurteilen. Effektivität von Präventionsprogrammen

Alle oben aufgeführten Präventionsprogramme wurden mindestens von den jeweiligen Autoren selbst evaluiert und haben sich dabei als effektiv erwiesen. Was häufig fehlt, ist eine unabhängige wissenschaftliche Prüfung. Joseph Durlak und sein Team (2011) fassten in Emotionale und soziale Entwicklung

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einer viel beachteten Metaanalyse 213 Studien zu schulbasierten Präventionsprogrammen im US-amerikanischen Sprachraum zusammen und berechneten bezüglich des Aufbaus sozialer und emotionaler Kompetenzen sowie der Reduktion von Verhaltensproblemen Effektstärken von ES = 0.22 bis ES = 0.57. Bemerkenswert ist, dass auch ein positiver Effekt auf die mit standardisierten Schultests erhobenen akademischen Leistungen nachgewiesen werden konnte (ES = 0.27). Dass die Effekte bei der Durchführung der Programme durch Lehrpersonen größer waren als bei der Durchführung von anderen Personen, ist eine weitere wichtige Erkenntnis der Datenanalyse. Ein Ergebnis, das Lehrpersonen Mut machen sollte, sich in der präventiven Arbeit zu erproben. Forschungsstand zur inklusiven Beschulung von Schülerinnen und Schülern im Förderschwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung

Während aus dem US-amerikanischen Sprachraum thematisch relevante Metaanalysen zur Wirksamkeit vorliegen (z. B. Lindsay, 2007), fehlt es im deutschen Sprachraum an Studien, die methodischen Anforderungen gerecht werden. Stein und Ellinger (2015) haben den aktuellen nationalen wie internationalen Forschungsstand zusammengefasst (Einzelstudien und Metaanalysen) und weisen darauf hin, dass die verschiedenen Studien ganz unterschiedliche Dimensionen des Förderschwerpunkts fokussieren und dabei zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Zusammenfassend sehen sie in drei Bereichen Vorteile der schulischen Inklusion: Schulleistung, Sozialverhalten und Selbstkonzept. Kritisch hingegen fällt das Fazit mit Blick auf die soziale Integration und die Wirkung auf die Peers ohne Förderbedarf aus. Gelingt den Lehrpersonen eine wirkungsvolle Leistungsförderung der bedürftigen Schülerinnen und Schüler, kann das wiederum ein positiver Impuls für die erfolgreiche soziale Integration sein.

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Besondere Förderschwerpunkte

6 Leistungsbewertung im inklusiven Unterricht

Lehrpersonen treibt die Frage um, wie sie die unterschiedlichen schulischen Leistungen in inklusiven Klassen bewerten sollen. Kann Jan, der sich in letzter Zeit wirklich sehr angestrengt und viel gelernt hat, die gleiche Note bekommen wie Marie, die mit Leichtigkeit viel bessere Leistungen erbracht hat und durchaus in der Lage wäre, noch bessere zu erbringen? Kann Jan für seine Mühen mit einer guten Note belohnt und motiviert werden, sich auch in Zukunft anzustrengen, wenngleich Marie eine realistische Einschätzung ihrer Leistungen und dieselbe Note erhält? Prinzipiell schon. Allerdings gestaltet sich die Leistungsbewertung innerhalb eines inklusiven Klassenzimmers noch komplexer, denn hier muss der heterogenen Schülerschaft und der damit einhergehenden Individualisierung des Unterrichts Rechnung getragen werden. Jan ist ein Förderschüler, und es wäre eine tolle Leistung für ihn, wenn er einen Hauptschulabschluss erreichen würde, während Marie die Versetzung in die Oberstufe anstrebt. Beide Kinder besuchen zwar dieselbe Klasse, sind aber in ihren Voraussetzungen und angestrebten Schulabschlüssen nicht miteinander vergleichbar. Es kommt also darauf an, wer bewertet wird, welche Funktionen mit der Leistungsbewertung verknüpft sind und mit welchen weiteren rechtlichen und schulorganisatorischen Bedingungen die Leistungsbewertung in ihren unterschiedlichen Funktionen jeweils verbunden ist. Lehrpersonen müssen deshalb über die jeweiligen landesrechtlichen Bestimmungen genau informiert sein und den gegebenen Spielraum pädagogisch sinnvoll nutzen. Beispielsweise werden in Hessen nach der Verordnung zur Gestaltung des Schulverhältnisses (2011) Leistungsbewertungen definiert als ein pädagogischer Prozess, der im Dienste der individuellen Leistungserziehung steht und sich nicht nur auf das Ergebnis punktueller Leistungsfeststellungen, sondern auf den gesamten Verlauf der Lernentwicklung bezieht. Der Prozess 143

berücksichtigt sowohl die fachlichen Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten als auch die Leistungsbereitschaft. Der Lernverlauf ist daher in die abschließende Leistungsbewertung einzubringen und soll der Schülerin oder dem Schüler eine ermutigende Perspektive für die weitere Entwicklung eröffnen. Die Bewertung von Jan wäre dadurch zu legitimieren. Andererseits ist der Berücksichtigung individueller Lernverläufe durch die Verordnung da eine Grenze gesetzt, wo der Erwerb eines bestimmten Schulabschlusses die Erreichung eines zuvor festgelegten Leistungskriteriums voraussetzt (curriculare Bezugsnorm, z. B. im Rahmen von zentral gesteuerten Schulabschlussprüfungen). Unklarheit besteht bei vielen Lehrpersonen über die verschiedenen Prüfungsformate, die die Grundlage für Leistungsbeurteilungen bilden. Beispielsweise können für Schülerinnen und Schüler, die nicht schreiben können, mündliche Prüfungsformate erarbeitet werden (z. B. in Form einer Präsentation), während die Peers im Rahmen derselben Unterrichtseinheit ihren jeweils angestrebten Schulabschlüssen (z. B. Haupt- oder Realschulabschluss) entsprechend unterschiedliche Aufgabenstellungen schriftlich beantworten. In manchen Bundesländern ist es sogar möglich, für einzelne Jahrgangsstufen oder Schulformen die Leistungsbewertung mit Noten durch eine schriftliche Beurteilung über Leistungswillen, Lernverlauf und Lernerfolg zu ersetzen oder in bestimmten Fällen Notenschutz in Form von Nichtberücksichtigung oder verminderter Berücksichtigung individueller Defizite zu gewähren. Rückmeldungen in Lern- und Leistungssituationen In den Verordnungen ist auch geregelt, wie viele Leistungsbewertungen in welcher Form in den unterschiedlichen Fächern und Jahrgangsstufen in Abhängigkeit von dem jeweils angestrebten Schulabschluss erbracht werden müssen. Hieraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass nicht jede schulische Aktivität immer gleich benotet werden muss. Ganz im Gegenteil bietet es sich aus pädagogischen Gründen an, klar zwischen Lernsituationen und Leistungssituationen zu unterscheiden (s. a. Kap. 4.1). In Lernsituationen sollen auch Fehler gemacht werden dürfen. Hier hilft den Schülerinnen und Schülern ein konstruktives Feedback der Lehrperson zum Lernprozess und dem weiteren Vorgehen mehr als eine Leistungsbewer144

Leistungsbewertung im inklusiven Unterricht

tung. In Leistungssituationen sind die Lernenden hingegen auf sich gestellt und sollen zeigen, was sie gelernt haben. Fehler sind hier unerwünscht. Wichtig ist es, den Schülerinnen und Schülern den Unterschied zwischen Lern- und Leistungssituationen transparent zu machen, damit sie sich trauen, im richtigen Moment auch mal etwas Falsches zu sagen oder nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Funktionen von Leistungsrückmeldungen

Lehrpersonen sollten sich auch klar darüber werden, welche verschiedenen Absichten sie mit Leistungsbeurteilungen jeweils verfolgen. Aus pädagogischer Perspektive erfüllen Leistungsbeurteilungen eine Rückmeldefunktion, sowohl für die Lernenden, die über ihre Stärken und Schwächen informiert werden, um zu einer realistischen Selbsteinschätzung zu gelangen, als auch für die Lehrenden über die Effektivität ihres Unterrichts. Die Eltern werden über den Leistungsstand ihrer Kinder informiert (Berichtfunktion). Zusätzlich sollen Schülerinnen und Schüler motiviert werden, sich mit den Lerninhalten zu beschäftigen, um entweder den Erfolg auszubauen oder Defizite zu beheben (motivierende Funktion). Pädagogisch fragwürdig ist die Disziplinierungsfunktion von leistungsunwilligen Schülerinnen und Schülern, die mit negativen Leistungsrückmeldungen zu erwünschtem Leistungsverhalten veranlasst werden sollen. Neben den pädagogischen und motivierenden Funktionen legitimieren Leistungsbeurteilungen auch schulpolitische und schulorganisatorische Maßnahmen bzw. das erzieherische Handeln der Lehrpersonen, aber auch Allokations- oder Selektionsmaßnahmen, denn letztendlich entscheiden Zeugnisnoten über zukünftige Bildungswege bzw. -chancen und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (Kontroll- und Berechtigungsfunktion). Die Allokations- oder Selektionsfunktion widerspricht dem Gedanken der Inklusion, ist aber heute immer noch Teil der Schulrealität. Bezugsnormen der Leistungsbewertung

Soll die motivierende Funktion im Mittelpunkt der Leistungsbewertung stehen, ist aus psychologischer Perspektive die Berücksichtigung des individuellen Lernverlaufs (individuelle Bezugsnorm) Leistungsbewertung im inklusiven Unterricht

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einem Leistungsvergleich innerhalb der Klasse (soziale Bezugsnorm) auf jeden Fall vorzuziehen. Jan, um das einführende Beispiel wieder aufzugreifen, soll mit einer guten Bewertung für seine Lernfortschritte belohnt werden und lernen, seine schulischen Erfolge auf seine Anstrengungen zurückzuführen, in der Hoffnung, dass er sich weiterhin anstrengen und viel lernen wird. Nach sozialer Bezugsnorm würden Jans Leistungen sehr ungünstig bewertet werden. Die Gefahr ist groß, dass er dann sein Versagen mangelnder und nicht zu beeinflussender Begabung zuschreibt und zu dem Schluss gelangt, dass sich weitere Anstrengungen nicht lohnen, weil Marie ihm immer voraus sein wird. Zuschreibungen solcher Art werden in der Psychologie als Kausalattributionen bezeichnet, die letztlich auch die Motivation und das Selbstwertgefühl beeinflussen. In einer Vielzahl von Unterrichtsexperimenten und Interventionsstudien konnte gezeigt werden, dass auf intraindividuellen Leistungsvergleichen der Schülerinnen und Schüler basierende Leistungsbewertungen zu einer günstigeren Entwicklung der Lern- und Leistungsmotivation führen als auf sozialen Vergleichen beruhende – insbesondere im Fall von leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern (Köller, 2005; Rheinberg & Krug, 2017). Bei der dritten Bezugsnormvariante, der sachlichen oder curricularen, wird die Leistung anhand eines aufgabenbezogenen Kriteriums bewertet (z. B. zentral gesteuerten Abschlussprüfungen). Der schulische Alltag fordert ständig Leistungsbewertungen durch die Lehrpersonen in ganz unterschiedlichen pädagogischen Situationen. Rheinberg und Krug (2017) haben spezielle Trainings zur Motivationsförderung im Schulalltag entwickelt, u. a. um das Bewusstsein der Lehrpersonen für individuelle Bezugsnormen zu schärfen. Aber wie kommen die Schülerinnen und Schüler (und ihre Eltern) mit unterschiedlichen Bewertungssystemen im Klassenzimmer zurecht? Kinder und Jugendliche legen zeitweilig einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit an den Tag, den sie kompromisslos verteidigen. Deshalb ist es wichtig, den Schülerinnen und Schülern (und Eltern) die Kriterien für die unterschiedlichen Bewertungen möglichst transparent zu machen. Am besten erarbeitet man mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam, dass Bewertungen nur 146

Leistungsbewertung im inklusiven Unterricht

dann gerecht sein können, wenn sie sich an den unterschiedlichen Voraussetzungen der Kinder bzw. Jugendlichen orientieren. Dass es beispielsweise nicht gerecht sein kann, ein gehbehindertes Kind mit einer schlechten Note zu bestrafen und zu beschämen, weil es nicht 100 Meter sprinten kann. Oder dass es für ein Kind mit Down-­ Syndrom eine tolle Leistung ist, wenn es die Planeten im Sonnensystem benennen kann, während man von anderen Kinder verlangen kann, dass sie für eine gute Bewertung auch erklären können müssen, wie eine Sonnenfinsternis zustande kommt. Manchmal ist es eben auch notwendig, Unterschiede hervorzuheben, um für Toleranz und wechselseitiges Verständnis zu werben.

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