Alkestis 3110188767, 9783110188769

Für diese zweisprachige Ausgabe wurde der griechische Text anhand der vorhandenen Ausgaben kritisch überprüft; die Prosa

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Alkestis
 3110188767, 9783110188769

Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
Einführung
Text, Übersetzung, Kommentar
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Euripides: Alkestis



Griechische Dramen herausgegeben von Jens Holzhausen und Bernd Seidensticker

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Euripides

Alkestis herausgegeben, übersetzt und kommentiert von

Gustav Adolf Seeck

Walter de Gruyter · Berlin · New York

앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 978-3-11-018876-9 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2008 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandentwurf: Martin Zech, Bremen Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen

Vorwort der Herausgeber Die neue Reihe Griechische Dramen möchte einen Wunsch all der Leser und Liebhaber der griechischen Tragödie erfüllen, die über keine oder nur geringe Kenntnisse der griechischen Sprache verfügen: zu erfahren, was im griechischen Original steht. Deshalb sind die Übersetzungen anders als im Original nicht in Versmaßen gehalten, sondern im Unterschied zu den gängigen deutschen Übersetzungen in Prosa, um unabhängig von den Zwängen poetischer Rhythmisierung so genau wie möglich den Wortlaut wiedergeben zu können. Eine solche Übersetzung ist natürlich das Ergebnis einer gründlichen sprachlichen und inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Originaltext, die in den Bänden der Reihe auf mehreren Ebenen dokumentiert wird: Der Übersetzung ist der zugrunde gelegte griechische Text an die Seite gestellt, der von einem kritischen Apparat und sprachlichen Erläuterungen begleitet wird. Hier kann derjenige, der über Kenntnisse der griechischen Sprache verfügt, die sprachliche Basis der Übersetzung nachvollziehen. Der Kommentar, mit detaillierten Erläuterungen zu sprachlichen, sachlichen, dramaturgischen und interpretatorischen Problemen, setzt dagegen keine Kenntnisse der griechischen Sprache voraus. Das Druckbild ist so gestaltet, dass der Leser alle Informationen auf einen Blick erfassen kann: Die Doppelseiten präsentieren auf der linken Seite zunächst – als Ausgangspunkt der Lektüre und zugleich als Endpunkt der hermeneutischen Arbeit der Kommentatoren – den deutschen Text und darunter den griechischen Text mit textkritischen und sprachlichen Erläuterungen. Der Stellenkommentar begleitet den Text auf der rechten Seite. Dass die auf einer Doppelseite behandelten Textstücke dadurch in der Regel kurz sind, ist unvermeidlich; der Vorteil, alle Informationen zu einem Vers bzw. einer Textpassage unmittelbar nebeneinander zu finden, mag dafür entschädigen. In den umfangreichen Einführungen ziehen die Übersetzer in zusammenhängender Erörterung thematischer Schwerpunkte die Quintessenz ihrer Interpretation des Stücks und informieren über den Autor und sein Werk, über Datierung und historischen Hintergrund des Stücks, über die Geschichte des Stoffs und die vom Autor gewählte Akzentuierung, sowie über das Theater des 5. Jahrhunderts und die dramaturgische Realisierung des Stücks. Die Herausgeber und Autoren der Griechischen Dramen hoffen, durch die Kombination von Einführung. Prosaübersetzung, Originaltext und Erläuterungen einem breiten – gräzistischen wie nichtgräzistischen – Leserkreis den Zugang zum Theater des klassischen Athen und seinen großen Dramen zu erleichtern.

Vorwort Der Intention der Reihe entsprechend ist diese kommentierte Ausgabe der Euripideischen Alkestis nicht nur für Studierende und Lehrende der griechischen Philologie gedacht, sondern soll darüber hinaus allen, die sich für Euripides und die älteste der von ihm erhaltenen Tragödien interessieren, den Zugang zu dem Stück und der wissenschaftlichen Diskussion erleichtern. Einführung und Kommentar setzen daher keine Griechischkenntnisse voraus. Die Prosa-Übersetzung, die ohne eigene literarische Ansprüche dem genauen Textverständnis dienen soll, versucht dem Wortlaut des Originals möglichst Vers für Vers zu folgen.* Die Einführung informiert über Zeitumstände, mythologische Voraussetzungen, Überlieferung und neuzeitliche Nachwirkung. Außerdem wird auf gewisse theoretische Fragen eingegangen, um die unterschiedlichen Interpretationsansätze richtig einschätzen zu können. Das gilt vor allem für psychologisierende und ironische Deutungen der mythologischen Motive ‚Lebenstausch‘ und ‚Ringkampf mit dem Tod‘. Sie bilden bei Euripides nur den (absichtlich unscharfen) Hintergrund, vor dem sich eine ganz unmythische Alltagsgeschichte, der Tod einer opferbereiten Ehefrau, abspielt. Auch scheint es nicht unnötig zu sein, an den grundsätzlichen Unterschied zwischen einem Drama und dem Protokoll von einem realen oder fiktiven Geschehen zu erinnern. Vor Benutzung des Kommentars, der neben Bemerkungen zur Übersetzung und Sacherklärungen auch auf die besondere motivische Struktur des Stücks eingeht, sollten daher wenigstens die Abschnitte 6 und 9–11 der Einführung zur Kenntnis genommen werden. Der griechische Text beruht auf sichtender Prüfung der im Literaturverzeichnis genannten Editionen und Kommentare und ist mit keiner der vorhandenen Ausgaben identisch. Der textkritische Apparat soll vor allem Auskunft geben über Varianten der Überlieferung und die differierenden Entscheidungen von Herausgebern und Kommentatoren bei Varianten und Konjekturen.

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Anmerkung zu den Namen Alkestis und Admetos: Beide tragen im Griechischen den Akzent auf der ersten Silbe. Bei Alkestis ist über lateinisch Alcéstis im Deutschen die Aussprache Alkéstis üblich geworden. Die Kurzform Admét, die auf französisch Admète zurückgeht, hat den Vorteil, daß sie nicht auf -s endet und man dadurch den immer etwas hölzern wirkenden Genitiv „des Admetos“ vermeiden kann. Die früher im Deutschen auch übliche französische Form Alceste hat sich (mit dem Genitiv Alcestens) dagegen nicht gehalten.

VIII

Vorwort

Der Kommentar orientiert sich an der Perspektive des damaligen (aber auch heutigen) Zuschauers im Theater und nicht an der des späteren lesenden Interpreten, der im Text Feinheiten und Deutungsmöglichkeiten aufspürt, die der Zuschauer während der Aufführung kaum wahrnehmen kann und bei denen daher fraglich ist, wieweit der Dichter selbst sie als seinem Text adäquat anerkannt hätte oder sie als vielleicht interessante, aber heterogene Sichtweise eingestuft hätte. Die intensive Beschäftigung mit der Alkestis hat zu immer neuen Deutungen (vor allem Fragen nach dem ‚Sinn‘ des Stücks und der ‚Absicht‘ des Dichters) geführt, die inzwischen den Text als eigene Schicht überlagern und ihn manchmal fast ganz aus dem Blick geraten lassen. Hier wird deswegen in erster Linie versucht klarzustellen, was der Text explizit aussagt, um es gegen weitergehende Interpretationen und herausgelesene Implikationen abgrenzen zu können. Daß diese damit nicht zwangsläufig als unerlaubt oder abwegig hingestellt werden sollen, sei ausdrücklich gesagt. Ein Drama ist immer mehr als ein bloßer Text; jedoch zu sagen zu können, wann eine Deutung den Sinn des Wortlauts verschiebt oder ihm offensichtlich widerspricht, gehört ebenfalls zur Rezeptionsgeschichte. Aus der überreichen Sekundärliteratur zu Euripides und zu seiner Alkestis können aus Raumgründen nur wenige Arbeiten namentlich zitiert werden. Daß bekannte ältere Marksteine der Forschung immer noch besondere Berücksichtigung verdienen, ergibt sich aus der Lage der Dinge. Im übrigen ist auf das Literaturverzeichnis und speziell den Forschungsbericht von M. Dubischar zu verweisen. Zu danken habe ich Kjeld Matthiessen und Bernd Seidensticker für hilfreiche Kritik und Sabine Vogt für die sorgfältige Betreuung des Manuskripts im Verlag. Kiel, Mai 2008

Gustav Adolf Seeck

Inhalt Vorwort der Herausgeber ................................................................................ V Vorwort ...........................................................................................................VII Einführung ...................................................................................................... 1 Die ‚Uraufführung‘ der Alkestis ........................................................... 3 Euripides in seiner Zeit ........................................................................ 4 Admet und Alkestis im Mythos .......................................................... 8 Die Überwindung des Todes im Mythos und bei Euripides .............. 11 Ältere Alkestisdichtungen .................................................................. 15 Euripides: Die neue Sicht .................................................................. Von der guten Tat zur Sterbe-/Klagehandlung .......................... Das Dilemma des Lebenstauschs .............................................. Vom Lebenstausch zum Opfertod ............................................. Entmythisierung ........................................................................ Literarische Motivverarbeitung ................................................. Überlieferung des Textes ...................................................................

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Nachleben .......................................................................................... 25 Literarische Kritik und philologische Interpretationen ...................... Widersprüche und Leerstellen ................................................... Ironie ......................................................................................... Psychologie ............................................................................... Tragikomödie? .......................................................................... Einige spezielle Fragen ...................................................................... Der Prolog ................................................................................. Gastfreundschaft ........................................................................ Die Pheres-Szene ....................................................................... Admets Erkenntnis .................................................................... Ehebruch? .................................................................................. Das Schweigen der Alkestis ...................................................... Die Euripideische Alkestis als bürgerliches Drama ............................ Die Rolle der Frau ..................................................................... Charakterisierung der Personen ................................................. Drama ........................................................................................

30 30 33 34 35 36 36 37 38 39 39 40 41 43 44 45

X

Inhaltsverzeichnis

Zur äußeren Form ............................................................................. 47 Schematischer Überblick ................................................................... 50 Text, Übersetzung, Kommentar .................................................................... 53 Anhang ....................................................................................................... 211 Die antiken Inhaltsangaben .............................................................. 212 Metrik .............................................................................................. 217 Literaturverzeichnis .......................................................................... 225

Einführung

Die ‚Uraufführung‘ der Alkestis Die Alkestis, das älteste der erhaltenen Stücke von Euripides, wurde im Jahr 438 v. Chr. in Athen bei dem fünftägigen Fest der Großen Dionysien (März/ April) aufgeführt. Das war wie bei allen Tragödien ein einmaliges Ereignis, d. h. weitere Aufführungen waren nicht vorgesehen. Seit 386 v. Chr. wurden Wiederaufnahmen älterer Stücke zwar üblich,1 was besonders Euripides zugute kam, aber ob seine Alkestis in der Antike in Athen oder einer anderen Stadt jemals wieder auf die Bühne kam, ist fraglich. Am selben Tag vorausgegangen waren, wie wir durch die zweite Hypothesis erfahren, seine (nicht erhaltenen) Tragödien Kreterinnen, Alkmeon in Psophis und Telephos. Daß Euripides mit der Alkestis als viertes Stück eine weitere Tragödie folgen ließ, war ungewöhnlich; denn zum Abschluß des Tages konnte das Publikum eigentlich mit einem Satyrspiel rechnen. In der Wertung durch die Jury2 erreichte er mit dieser Tetralogie den zweiten Platz nach Sophokles.3 Das ist nicht als Niederlage zu verstehen; denn schon die Teilnahme am Wettbewerb war ein Erfolg, da nur drei Tragödiendichter zugelassen wurden und es auch Ablehnungen gab.4 Wenn das Theater vollbesetzt war, könnten gegen vierzehntausend Zuschauer anwesend gewesen sein,5 darunter natürlich auch Prominente wie z. B. Perikles, der führende Politiker der Stadt, und der hochangesehene ältere –––––––––––– 1

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Auch das waren stets Einzelereignisse. Daß schon im 5. Jh. in ‚Provinztheatern‘ in Attika und in griechischen Städten Siziliens, Unteritaliens oder Kleinasiens Stücke nachgespielt wurden, ist denkbar. Die 472 in Athen aufgeführten Perser des Aischylos sollen bald danach in Syrakus auf die Bühne gekommen sein. Ansätze zur Bildung eines Repertoirs mag es bei Wanderbühnen gegeben haben. Sie bestand nicht aus sog. Experten oder Fachleuten, sondern aus fünf durch Wahl und Los bestimmten Repräsentanten der Volksversammlung, die wahrscheinlich nicht die Qualität der Stücke, sondern die Stärke des Beifalls zu bewerten hatten. Mit welchen Stücken Sophokles am Wettbewerb teilnahm, ist nicht überliefert. Der Komiker Aristophanes freut sich in seinem Frieden darüber, daß der von ihm nicht geschätzte Tragiker Morsimos „keinen Chor erhalten hat“ (801), d. h. nicht zum Wettbewerb zugelassen worden war. Möglicherweise ist das auch Euripides einmal widerfahren; denn seine Andromache wurde nicht in Athen aufgeführt, was heißen könnte, daß er sie dort nicht hatte an den Mann bringen können. Die üblichen Schätzungen von 14.000 bis 17.000 Zuschauerplätzen (Pickard-Cambridge 263, Blume 50) beziehen sich auf das 4. Jahrhundert, als das Dionysostheater wahrscheinlich etwas größer war als im Jahr 438. Man darf jedoch zweifeln, daß sich bei der Aufführung von Dramen jedesmal auch nur annähernd solche Menschenmassen einfanden, um die akustischen und optischen Anstrengungen auf sich zu nehmen, die ein so riesiges Freilichttheater zwangsläufig erfordert; zum noch ungeklärten Problem der Witterungsbedingungen vgl. Seeck, Die griechische Tragödie 66.

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Einführung

Rivale Sophokles und der um 438 wohl noch nicht ganz so bekannte Sokrates. Euripides selbst hielt sich vielleicht hinter der Bühne auf, um von dort aus die Aufführung zu überwachen. Ob Frauen das Theater besuchen durften, wüßte man bei einem Stück, in dem es um eine Frau geht, die sich für ihren Mann aufopfert, nur allzugern, aber dazu gibt es keine eindeutige Nachricht; auszuschließen ist es nicht.6 Niemand konnte damals ahnen, daß dies Stück etwa zwei Jahrtausende später wieder zum Leben erwachen sollte, und zwar zu einem so regen Leben, wie es keiner anderen antiken Tragödie zuteil geworden ist. Die Alkestis wurde seit der Wiederentdeckung des Textes gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Vorlage für ungezählte Nachdichtungen, öfter für die Opernbühne, aber auch für das schlichte Volkstheater bis hin zum Puppenspiel.7 Wenn es 438 v. Chr. nach der Aufführung im Publikum kontroverse Gespräche über den Sinn des Stücks und die Absicht des Dichters gegeben hat, war das der Beginn einer Diskussion, die in der Neuzeit mit großer Heftigkeit fortgesetzt wurde. Bei ihren philologischen Interpreten ist die Alkestis immer noch umstritten wie kein anderes Stück des Euripides, die Bakchen ausgenommen.

Euripides in seiner Zeit Euripides ist der jüngste der drei berühmten griechischen Tragiker. Die Seeschlacht bei der Insel Salamis 480 v. Chr., in der die vereinten Griechen über die persische Flotte siegten, diente in der Antike als mnemotechnischer Synchronismus: Aischylos habe mitgekämpft, Sophokles habe als Jüngling bei der Siegesfeier mitgewirkt, Euripides habe am Tag der Schlacht das Licht der Welt erblickt. Nach einer anderen Nachricht ist sein Geburtsjahr zwischen 484 und 481 anzusetzen. 455 wurde er zum erstenmal zum Wettbewerb zugelassen, erreichte aber nur den dritten Platz; wir kennen aus dieser Tetralogie den Titel Peliaden (Töchter des Pelias).8 441 wurde er zum erstenmal von der Jury auf Platz eins gesetzt, insgesamt nur viermal. Bei einem Gesamtwerk von mindestens 22 Tetralogien ist das, jedenfalls im Vergleich zu Sophokles, der zwanzig –––––––––––– 6

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Ein gemischtes Publikum wie heute darf man sich keinesfalls vorstellen. Frauen, die ja nicht Mitglieder der Volksversammlung waren, könnten nur als inoffizielle Zuschauer (in den oberen Reihen) geduldet worden sein. Zum Nachleben s. unten S. 25ff. Die Töchter des Pelias hatten ihren alten Vater zerstückelt und gekocht, weil sie (von Medea verleitet) glaubten, ihn dadurch verjüngen zu können. Erzähler, die ihre Schwester Alkestis mit dieser abscheuerregenden Tat nicht in Verbindung bringen wollten, behaupteten, sie habe sich aus Frömmigkeit geweigert oder sei nicht dabei gewesen, weil sie schon mit Admet verheiratet war. Ob Alkestis in den Peliaden vorkam und an der Tat beteiligt war oder nicht, ist aus den erhaltenen Fragmenten nicht zu ersehen. In der Alkestis wird sie zwar „Tochter des Pelias“ genannt, aber dessen Tod durch die Hand seiner Töchter wird nicht erwähnt, vgl. Kommentar zu 248f.

Euripides in seiner Zeit

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Siege errang, eine relativ kleine Zahl. Bald nach der Aufführung seines Orestes im Jahr 408, verließ er Athen und ging nach Pella in Makedonien, wohl einer Einladung des Königs Archelaos folgend. Dort starb er 406. Seine letzten erhaltenen Stücke, Iphigenie in Aulis und Bakchen, wurden wahrscheinlich zuerst in Pella aufgeführt, postum bald danach auch in Athen. Während Sophokles bis ins höchste Alter wichtige politische Aufgaben und Ämter übernahm und als geistreicher amüsanter Gesellschafter galt, scheint Euripides vergleichsweise zurückgezogen gelebt zu haben. Die schon in der Antike verbreitete Meinung, er sei geradezu menschenscheu gewesen – und habe auf Salamis in einer Grotte mit Meeresblick gedichtet –, ist jedoch unvereinbar mit den politischen, geistigen und kulturorganisatorischen Verhältnissen in Athen, in die ein Tragödiendichter mehr als jeder einfache Bürger eingebunden war. So mußte er vor allem Kontakte zu den für die Organisation der Feste und die Zulassung zum Wettbewerb zuständigen Beamten suchen. Für das, was sich da hinter den Kulissen zwangsläufig an Verhandlungen – und Intrigen – abspielte, bieten Aristophanes’ Frösche einige Anhaltspunkte.9 Es ist auch wenig wahrscheinlich, daß Euripides sich vom politischen Leben seiner Zeit fernhalten konnte. Zwar bestand in Athen keine Verpflichtung, an Volksversammlungen teilzunehmen, aber dauernde Abwesenheit einer öffentlichen Person, die Euripides spätestens seit 455 nun einmal war, wäre aufgefallen und hätte fraglos ein kritisches Echo in der Komödie gefunden. Wir dürfen annehmen, daß Euripides regelmäßig teilnahm und auch die üblichen gelegentlichen Amtsaufgaben, zu denen bekanntere Bürger gern herangezogen wurden,10 wahrgenommen hat. In dem zur Abwehr der nach 480 weiterbestehenden Persergefahr gegründeten Zusammenschluß vieler Städte und Inseln (Delisch-attischer oder Erster attischer Seebund) hatte Athen die Führung übernommen und wurde dadurch neben Sparta zur politischen und militärischen Vormacht in Griechenland. Zunehmende Spannungen mit Sparta führten 431 zum Peloponnesischen Krieg, der 404 mit der Niederlage Athens endete. In dieser Zeit wurden in Athen Entscheidungen getroffen, die einem Tragödiendichter nicht gleichgültig sein konnten. 454 wurde die Bundeskasse von der Insel Delos nach Athen verlegt und dort für das Bauprogramm in Anspruch genommen, dem wir u. a. den Parthenon, der 447–438 errichtet wurde, verdanken. Da es dabei auch um die Vergrößerung und Modernisierung des Dionysostheaters am Fuße der Akro–––––––––––– 9

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Vgl. oben Fußn. 4. Der Redner Demosthenes (4. Jh.) berichtet in seiner Rede Gegen Meidias, mit welchen – auch vor Gewalt nicht zurückschreckenden – Intrigen er zu kämpfen hatte, als er für eine Chorveranstaltung verantwortlich war. Da ging es nicht nur um die korrekte Leitung eines Gremiums (Sokrates erzählt von sich in Platons Gorgias 473e, wie er als Vorsitzender einmal mit einer Abstimmung nicht zurechtgekommen sei), sondern der Vorsitzende konnte (wie Sokrates in Platons Apologie 32b aus eigener Erfahrung berichtet) in eine äußerst bedrohliche Lage geraten, wenn er sich gegen gesetzwidrige Beschlüsse des Gremiums stellte. Es wäre nicht uninteressant zu wissen, ob Euripides mehr von den Formalitäten bei Abstimmungen verstand als Sokrates und wie er sich gegenüber einer aufgebrachten Menge verhalten hätte.

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Einführung

polis ging, ist kaum denkbar, daß Euripides sich an den entsprechenden Diskussionen und Abstimmungen nicht beteiligt hätte. Als 441 neben Perikles Sophokles zum Strategen für den Kriegsgzug gegen die abtrünnige Insel Samos gewählt wurde,11 kann das seinen Dichterkollegen Euripides schwerlich unberührt gelassen haben, ebensowenig 413, als Sophokles in eine Kommission gewählt wurde, die einen Ausweg aus der außen- wie innenpolitisch verfahrenen Lage finden sollte. Wenn Euripides sich gegen die von Alkibiades betriebene Sizilische Expedition (415–413) – was man aus seinen 415 aufgeführten Troerinnen12 schließen kann – und dann nach dessen Seitenwechsel für das Todesurteil in absentia13 ausgesprochen hatte, ist sein Weggang nach Makedonien vielleicht als Flucht vor Alkibiades, der nach erneutem Seitenwechsel 408 von den Athenern zum Strategen mit unbeschränkter Vollmacht (hegemôn autokrátor) ernannt worden war,14 zu deuten. In seinen Tragödien hat Euripides öfter zu politischen Fragen Stellung bezogen, soweit das in mythologischem Rahmen möglich war. Daß seine Troerinnen, selbst wenn sie von ihm nicht so gemeint waren, als Warnung verstanden werden mußten, konnte ihm angesichts der Diskussionen, die der Sizilischen Expedition vorausgingen,15 nicht verborgen geblieben sein. Deren Befürworter werden kaum versäumt haben, ihn deswegen zur Rede zu stellen. Keinen Ärger dürften ihm dagegen seine Herakliden und Hiketiden eingebracht haben; denn darin wird den Spartanern indirekt vorgeworfen, sie verletzten mit dem Krieg gegen Athen alte Dankespflichten aus heroischen Zeiten.16 Daß der Chor in der Alkestis (Vers 447–452) einmal Sparta und „das glänzende und glückgesegnete Athen“ als Repräsentanten Griechenlands nebeneinander nennt, werden nicht nur politisch besonders hellhörige Zuschauer als Bekenntnis zu Athens Machtanspruch gegenüber Sparta und den Mitgliedern des Seebundes verstanden haben. Euripides kann auch nicht zu Hause geblieben sein, wenn die Stücke seiner Rivalen aufgeführt wurden. Dabei war er zwangsläufig kein einfacher unbeachteter Zuschauer, sondern muß in den Pausen und hinterher nach seiner Meinung gefragt worden sein. Leider schweigt da die Überlieferung völlig; hätte ein Gesprächspartner oder Ohrenzeuge wie ein antiker Eckermann –––––––––––– 11 12

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Stratege („Heerführer“) war in dieser Zeit eher ein politisches Amt. Sophokles gehörte also zum Kriegsrat, war aber nicht militärischer Führer im engeren Sinne. Der Trojanische Krieg, eine militärische Expedition über See, erscheint dort als Unglück für Besiegte und Sieger; die Göttin Athene kündigt die Vernichtung der heimkehrenden griechischen Flotte an. Thukydides 6, 61,7 Xenophon, Hellenika 1,4,20. Thukydides 6, 8–26. Die Athener hatten bedrängten Peloponnesiern (den Kindern des Herakles und den Müttern der Sieben gegen Theben) beigestanden. Die Berufung auf solche für historisch gehaltenen uralten Geschichten war in der politischen Diskussion durchaus üblich und wurde als Argument ernstgenommen, vgl. Kommentar zu 509 und 1060.

Euripides in seiner Zeit

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darüber berichtet, hätte er sich um die Geschichte des Theaters sehr verdient gemacht. Daß Euripides und Sokrates sich persönlich gekannt haben, ist mehr als wahrscheinlich, weil Sokrates Kontakt zu allen Geistesgrößen, die in Athen lebten oder dorthin kamen, suchte. Der antiken Anekdote allerdings, daß er ihm beim Dichten geholfen habe,17 werden wir nicht glauben, allein schon deswegen nicht, weil ihr Verhältnis eher distanziert gewesen sein dürfte. In Platons Apologie (22a–c) erzählt Sokrates, er habe, um das Orakel, niemand sei weiser als er, zu widerlegen, u. a. Tragödiendichter hinsichtlich ihres Wissens geprüft und sei dabei nicht fündig geworden. Gegen das Bild des eigenbrötlerischen Außenseiters spricht auch Euripides’ Offenheit gegenüber neuen Gedanken anderer. Dem Komiker Aristophanes galt er als allzu gelehriger Sophistenschüler und vernünftelnder Freidenker, der in seinen Stücken die Athener spitzfindiges Argumentieren und aufklärischen Protest gegen traditionelle Autoritäten gelehrt habe.18 Aristophanes hätte auch Belegstellen aus der Alkestis anführen können; der Wortwechsel zwischen Apollon und dem Tod im Prolog und später der Streit zwischen Admet und seinem Vater Pheres bieten Material dazu. Die Alkestis ist zwar die früheste erhaltene Tragödie von Euripides, aber kein Jugendwerk. Um 438 hatte Euripides nicht nur siebzehn Jahre Theaterpraxis hinter sich, sondern er hatte auch reichlich Gelegenheit gehabt, das reale Leben kennenzulernen und sich mit den aktuellen Themen der Zeit zu beschäftigen, was sich auch in seiner Alkestis widerspiegelt.19 Wenn Eheprobleme, die er angeblich gehabt haben soll, zu Äußerungen in seinen Stücken – etwa in seiner Medea aus dem Jahr 431 – geführt haben, derentwegen er manchen Zeitgenossen als notorischer Frauenfeind galt, so ist in seiner Alkestis nichts davon zu finden. Seine Alkestis ist „die beste aller Frauen“; das wäre kein besonderes Lob, wenn Euripides alle anderen für schlecht gehalten hätte. Man kann darin sogar einen Protest sehen gegen die negativen Vorurteile, die es zu seiner Zeit gegenüber den Frauen durchaus gab.20

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Diogenes Laertios 2,18. In den Fröschen stellt Aristophanes Aischylos und Euripides als Typen des Werte vermittelnden bzw. Werte zersetzenden Dichters einander gegenüber. Näheres dazu unten S. 41ff.: Euripides’ Alkestis als bürgerliches Drama. Die oft sehr kritischen Ansichten der Männer in Aristophanes’ Komödien über die Frauen lassen auf einen latenten Machtkampf schließen (bei dem die Männer sich übrigens in der Rolle des Opfers sahen).

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Einführung

Admet und Alkestis im Mythos Der Reichtum und die bunte Vielfalt der griechischen Mythologie21 sind das Ergebnis eines jahrhundertelangen Zusammenströmens von verschiedensten lokalen und regionalen Erzähltraditionen zu einem gemeingriechischen Fundus traditioneller Erzählungen. Frühe Bevölkerungsschichten und Schübe von Einwanderern aus dem Norden haben dazu beigetragen; Handelsbeziehungen zum Osten und Süden führten zu orientalischen Einflüssen. Dies Knäuel nach chronologischen und kulturellen Schichten zu entwirren ist heute bestenfalls in Ansätzen möglich. Da dies Erzählgut nur mündlich überliefert wurde, veränderten sich die Erzählungen fortwährend. Es entstanden Varianten, sekundäre Fortsetzungen, neue Kombinationen, Umdeutungen, ganz neue Versionen usw. Insgesamt wurden also nicht konkrete Erzählungen weitergegeben, sondern virtuelle Geschichten und Motive, die jeder Erzähler neu gestalten konnte. Das änderte sich auch nicht, als der Schriftgebrauch aufkam. Homer benutzte die Geschichte vom Trojanischen Krieg22 für seine Ilias und Odyssee, aber selbst diese schnell berühmt gewordenen Epen waren für nachfolgende Erzähler oder Dichter nicht verbindlich. So beruht Euripides’ Helena auf einer Version, nach der Helena während des Krieges nicht in Troja, sondern in Ägypten war. Als Euripides sich dem Alkestisstoff zuwandte, lag ihm also keine feststehende Erzählung vor, sondern nur ein Reservoir von z. T. sogar einander widersprechenden Geschichten und Motiven. Wie das etwa ausgesehen haben könnte, läßt sich in Umrissen aus seiner Alkestis, sporadischen Hinweisen bei anderen Dichtern und späteren Mythographen erschließen. Unsere mythologischen Lexika versuchen – verständlicherweise – aus der verstreuten Überlieferung eine möglichst geschlossene Erzählung zu konstruieren. Dabei werden manche Diskrepanzen zugedeckt, die erlauben, bestimmte Erzählstufen oder Motivbereiche zu unterscheiden. Nicht zur mythologischen Überlieferung gehört die im 19. Jahrhundert beliebte Deutung von Mythen als Metaphern für Naturvorgänge, wonach Admet und Alkestis als Sonne und Morgen- bzw. Abendröte zu verstehen seien. Allegorische Interpretation von Mythen war zwar schon zu Euripides’ Zeiten –––––––––––– 21

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Die wissenschaftliche Diskussion zur Alkestis ist durch uneinheitliche Verwendung der Begriffe „Mythos“ und „Märchen“ belastet. „Mytho-logie“ bedeutet „Geschichten-Erzählung“. Die Versuche, Typen von „Geschichten“ als Mythos, Sage, Märchen, Legende usw. zu unterscheiden, haben dazu geführt, daß „Mythos“ nebeneinander im weiteren („Geschichte“) und engeren (z. B. „Göttergeschichte“) Sinne verwendet wird. Bei „Mythos“ oder „Geschichte“ ist oft unklar, ob das mythische „Geschehen“ oder die „Erzählung“ gemeint ist; vgl. unten Fußn. 91. Manchmal wird unter „Märchen“ die als Wandermotiv verbreitete Vorstufe von Mythen verstanden, manchmal auch der unwirkliche Inhalt von Mythen wie etwa Herakles’ Sieg über den Tod im Ringkampf. Konkret existierte sie nur in den Liedern, d. h. den Einzelepisoden, die von Sängern vorgetragen wurden. Der sog. Epische Kyklos war ein nachhomerischer Versuch, aus vorhandenen Einzelepen eine Gesamtgeschichte des Trojanischen Krieges zu erstellen.

Admet und Alkestis im Mythos

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verbreitet,23 aber seine Alkestis bietet keinen Ansatzpunkt für diese Art der Auslegung. Der ebenfalls auf das 19. Jahrhundert zurückgehende Versuch, – von der Deutung des Namens Admetos als „der Unbezwungene“ ausgehend – Admet und Alkestis als Hades und Kore (Persephone) zu verstehen und damit eine Göttergeschichte als Vorstufe anzunehmen, hat in der antiken mythologischen Tradition keine Entsprechung. Für Euripides waren Admet und Alkestis wie alle Heroen irdische historische Figuren der Vorzeit. Moderne Überlegungen, ob hinter solchen Erzählungen ursprünglich vielleicht Göttermythen stecken könnten, lagen ihm völlig fern. Wenn man die Geschichte von Admet und Alkestis, wie sie in heutigen mythologischen Lexika erzählt wird, kritisch analysierend liest, ergibt sich etwa folgendes Bild: Admet gehört wie Herakles der letzten Heroengeneration vor dem Trojanischen Krieg an. Er hat an der Kalydonischen Jagd und der Fahrt der Argonauten teilgenommen. Er muß also als bedeutender Kämpfer und Jäger gegolten haben, auch wenn von ihm, wie von den meisten anderen Teilnehmern, kein besonderer Beitrag zu diesen Unternehmungen bekannt ist. Eine heroisch herausragende – d. h. für normale Menschen unmögliche – Tat vollbrachte er bei der Werbung um Alkestis. Er konnte die Bedingung ihres Vaters, einen Löwen und einen wilden Eber zusammen vor einen Wagen zu spannen, erfüllen.24 Das wirkt wie eine Kombination der Überwindung des Nemeischen Löwen und des Erymanthischen Ebers durch Herakles. Bei seiner Hochzeit fand Admet von Artemis geschickte Schlangen im Brautgemach vor. Auch das läßt an Herakles denken, den Hera gleich nach seiner Geburt durch zwei Schlangen töten wollte. Es sieht daher so aus, als ob Admet ursprünglich wenigstens im Ansatz ein Taten-Heros wie Herakles war, der vom Haß einer Göttin verfolgt wurde und mit gefährlichen Untieren kämpfen mußte. Sein Mythos hat sich dann jedoch in eine andere Richtung entwickelt. Admet wurde zum Prototyp des frommen, vom Glück begünstigten und sich durch besondere Gastfreiheit auszeichnenden Königs, der eine heroische Tat wie die Zähmung von Löwe und Eber nur dank göttlicher Hilfe vollbracht haben konnte. Bei der Werbung um Alkestis soll ihm daher Apollon, der ihm wohlgesonnen war, geholfen haben, die gestellte Aufgabe zu erfüllen. Als der Gott eine von Zeus (wegen der Tötung der Kyklopen) verhängte Strafe als Knecht bei einem Sterblichen ableisten mußte, wählte er Admet zum Dienstherren.25 Die allgemeine Feindschaft der Artemis wurde jetzt zur ephemeren –––––––––––– 23

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Allegorische Deutungen Homers waren gängige Praxis. In Platons Dialog Theaitetos (153c) setzt Sokrates als communis opinio voraus, daß unter der in der Ilias 8,19 genannten goldenen Kette, an der Zeus in einem Kräftemessen die anderen Götter zu sich heraufziehen will, die Sonne zu verstehen sei. Eine eigentlich dreifach unlösbare Aufgabe. Bei Homer gelten Löwe und Eber (Keiler) nicht nur als äußerst gefährlich für jeden Menschen, der ihnen zu nahe kommt, sondern liefern sich auch untereinander erbitterte Kämpfe, z. B. Ilias 16,824. Bei Euripides bleibt offen, ob Apollon sich Admet wegen dessen Frömmigkeit ausgesucht hatte oder er ihn während seines Dienstes als frommen Mann schätzen gelernt hatte. Im

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Einführung

Verärgerung wegen eines bei der Hochzeit vergessenen Opfers. Als Admet in der Blüte seines Lebens sterben sollte,26 erreichte Apollon bei den Moiren (Schicksalsgöttinnen), daß er Ersatz stellen durfte; Alkestis war bereit, sich für ihn zu opfern, und Admet brauchte nicht zu sterben. Sein Glück setzte sich fort; denn Alkestis durfte ins Leben zurückkehren, so daß sie zusammen weiterleben konnten. Ihr Sohn Eumelos (der in der Alkestis als Kind auftritt) kommt zweimal in der Ilias vor, im sog. Schiffskatalog in Buch 2 als Anführer des thessalischen Kontingents (714) und Besitzer des schnellsten Pferdegespanns (763) und in Buch 23 als unglücklicher Verlierer des Wagenrennens bei den Leichenspielen für Patroklos (288ff.). Alkestis wird an der erstgenannten Stelle des Schiffskatalogs als Admets Frau und Eumelos’ Mutter genannt und nur mit dem auszeichnenden Prädikat „schönste Tochter des Pelias“ versehen. Das klingt, als ob Homer die Geschichte von ihrem rühmlichen Opfertod und ihrer Wiederkehr noch nicht kannte. Ihr Vater Pelias erscheint hier nur positiv als König von Iolkos (nach dessen Tod vielbesungene Leichenspiele stattfanden) und nicht als der berüchtigte Usurpator, der den Thronerben Jason nach dem Goldenen Vlies ausschickte, um ihn aus dem Wege zu schaffen, und der später von seinen Töchtern zerstückelt und gekocht wurde. In der Alkestis werden weder die Untaten des Vaters noch sein Ende von der Hand seiner Töchter erwähnt. Euripides hat diese Geschichten, wie wir aus seinen Peliaden27 schließen dürfen, gekannt, hat sie aber in seiner Alkestis stillschweigend ignoriert, um die Tötung des Vaters von Alkestis, „der besten aller Frauen“, fernzuhalten. Wahrscheinlich war der Opfertod seiner Frau ursprünglich nur ein weiteres Beispiel für das allgemeine Glück Admets. Doch schon vor Euripides scheint sich das Verhältnis umgekehrt zu haben, so daß nun Alkestis und ihre edle Tat zum eigenen Thema wurden und Admet nur noch als Ehemann und Nutznießer ihres Opfers in Erscheinung trat. Dazu stimmt, daß es zwei Versionen von ihrer Rettung gibt. Nach der einen rettet Herakles sie, um seinem Freund Admet zu helfen, nach der anderen wird sie von Persephone aus Mitleid oder Hochachtung – also um ihrer selbst willen – freigegeben.28 Euripides hat sich an die vermutlich ältere gehalten, in der sie Admets wegen gerettet wird. In der Schlußszene läßt er Admet laut jubeln, während Alkestis nur als stumme Person dabeisteht. Alkestis ist bis heute in erster Linie die Frau, die bereit war, für ihren Mann zu sterben. Ihre Rückkehr ins Leben, obwohl im griechischen Mythos ––––––––––––

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Mythos scheint hinter der Anwesenheit des Gottes im Hause Admets alternativ das Motiv der Freundschaft zwischen Gott und Mensch oder das vom unerkannten Gott, der von einem Menschen gut behandelt wird, zu stecken. Wenn Artemis dafür verantwortlich war, würde das eher für eine alte Feindschaft sprechen als für ein vergessenes Opfer, das gewöhnlich als Grund genannt wird. Vgl. oben Fußnote 8. Diese Version wird zuerst von Platon (Symposion 179c) erwähnt, was jedoch nicht ausschließt, daß Euripides sie schon gekannt hat.

Die Überwindung des Todes im Mythos und bei Euripides

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einzigartig und eigentlich spektakulär, weil alle anderen entsprechenden Versuche irgendwie scheitern, ist dahinter zurückgetreten.

Die Überwindung des Todes im Mythos und bei Euripides Griechische Mythen wollen Vergangenes bewahren, indem sie davon berichten; das gilt vor allem für menschliche Heldentaten. Aber sie erzählen darüber hinaus auch von der Entstehung der Welt, von Göttern und vom Goldenen Zeitalter, als Götter und Menschen noch freundschaftlich miteinander verkehrten. In ihnen kommt dann eine bestimmte Weltsicht und Weltdeutung zum Ausdruck. Es geht etwa um die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Entscheidungsgewalt der Götter und dem Zwang des Schicksals oder nach der Beziehung zwischen Göttern und Menschen, also um religiöse Aspekte. In Mythen können sich auch Wünsche ausdrücken. So wird etwa das Dasein der Götter und Menschen verglichen. Die Götter sind bei Homer die „leicht lebenden“, die keine wirklichen Sorgen kennen und vor allem den Tod nicht fürchten müssen. Das Leben der Menschen dagegen ist „beklagenswert“; denn es besteht überwiegend aus Mühsal, Gefahren und Leiden. Schon während des Lebens sind die Menschen ständig vom Tode bedroht, der auf jeden Fall am Ende unausweichlich auf sie wartet. Es wundert daher nicht, daß vielen Mythen der Wunsch nach Überwindung des Todes zugrunde liegt. Man könnte sagen, schon der Glaube an unsterbliche Götter sei nichts anderes als die Personifizierung dieses Wunschtraums. Wie schön könnte die Welt des Menschen sein, wenn es keine Krankheit und keinen Tod gäbe und wir so leicht dahinleben könnten wie die Götter. Doch da alle Menschen bisher gestorben sind, gibt es keinen Mythos, in dem einem Menschen irdisches ewiges Leben zugestanden wird. Die Göttin Eos hatte ihrem Geliebten Tithonos Unsterblichkeit verliehen, aber da sie vergessen hatte, ihm auch ewige Jugend zu schenken, war sein Leben nach einiger Zeit nur noch ein jammervolles Altern und elendes Dahinschwinden. Man sah also ein, daß ewiges Leben und Menschsein sich nicht vertragen. Die Nymphe Kalypso auf ihrer einsamen Insel bietet Odysseus ewige Jugend an, aber der kluge Odysseus lehnt zugunsten eines normalen sterblichen Lebens ab und möchte nach Hause zu seiner Frau in der Gewißheit, dort zu altern und zu sterben. Unsterblichkeit für Menschen gibt es im Mythos nur in übertragenem Sinne, nämlich in der Form des ewigen Ruhmes. Und wenn ausnahmsweise an persönliches Weiterleben gedacht ist, dann nicht als Mensch, sondern wie bei Herakles durch Vergöttlichung, d. h. durch Aufnahme in den Kreis der Götter. Die bei Homer allen Menschen zugestandene Unsterblichkeit der Seele ist ein wenig erstrebenswertes schattenhaftes Dasein im Totenreich.29 –––––––––––– 29

Der tote Achill sagt zu Odysseus bei dessen Besuch im Totenreich, er möchte lieber als Tagelöhner leben statt als König totsein (Odyssee 11,489).

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Einführung

In Mythen geht es daher grundsätzlich nur um den bescheideneren Wunsch, der Mensch möge wenigstens nicht vorzeitig, sondern erst im Alter sterben. Aber auch da ist fast immer ein Haken dabei. An sich müßten die Götter diesen Wunsch erfüllen können. Das tun sie oft und bereitwillig, wenn es um einen gewaltsamen Tod geht. Bei Homer helfen sie ihren Schützlingen im Kampf und bewahren sie vor dem Tod, entweder direkt (z. B. durch zeitweilige Entrückung aus der Gefahr) oder durch Heilung ihrer Wunden. Das gilt jedoch nur, wenn der Tod nicht vom Schicksal für diesen Zeitpunkt vorgesehen ist, also vorzeitig wäre. Zeus befragt in Zweifelsfällen die Schicksalswaage. Anders steht es beim natürlichen Tod durch Krankheit oder Alter. Obwohl die Götter um Hilfe angefleht werden und besonders Apollon als Gott der Heilkunst bei Krankheit und drohendem Tod angerufen wird (wie Alkestis 218–221 unter dem Namen Paian), gibt es anscheinend keinen Mythos, in dem er einen erkrankten Heros vor dem Tode bewahrt. Auch als sein Schützling Admet in jungen Jahren sterben soll, kann Apollon das nicht einfach verhindern, sondern er muß die Zustimmung der Moiren, der Hüterinnen des Schicksals, einholen.30 Sie sind unter der Bedingung einverstanden, daß sie durch ein anderes Leben entschädigt werden, das Schicksal also arithmetisch keinen Verlust erleidet. Bei der Rettung von Admets Frau, die als Ersatz für ihn gestorben ist, kommen die Moiren nicht vor; sie wird von Herakles zurückgeholt oder, wie erwähnt, von Persephone freigegeben. Bei Euripides meldet sich Apollon, als Alkestis sterben soll, zu Wort und versucht den Tod (der hier sozusagen die Rolle der Moiren spielt) zu überreden, sie weiterleben zu lassen. Aber als der Tod hart bleibt, prophezeit der Gott zwar ihre Rettung durch Herakles, zieht sich selbst jedoch aus der Angelegenheit zurück. Daß Herakles als Gast ins Haus kommt, wird im Stück nicht als von dem Gott veranlaßt hingestellt, sondern ergibt sich rein zufällig. Insgesamt kann Apollon also den natürlichen Tod eines Menschen nicht verhindern, sondern er kann nur versuchen, die zuständige Instanz (das Schicksal oder den Tod) zum Einlenken zu bewegen. Obwohl der Tod als unerbittlich gilt, hat er sich im Mythos schon einmal von einem Menschen erweichen lassen. Der Sänger Orpheus begab sich in die Unterwelt und erreichte durch die M ac ht d er M u s i k die Freigabe seiner Frau Eurydike. In der Alkestis wünscht sich Admet dessen Begabung, um Alkestis zurückholen zu können (357–362). Er erwähnt dabei allerdings nicht die negative Fortsetzung der Geschichte, nach der Orpheus Eurydike wieder verlor, weil er sich vorzeitig nach ihr umsah. Damit nimmt Euripides darauf Rücksicht, daß die Wiederkehr der Alkestis im Mythos und bei ihm selbst erfolgreich ist und Alkestis und Admet zusammen altwerden dürfen. –––––––––––– 30

Von Homer her gesehen, wo selbst Zeus nicht wagt, sich über das Schicksal hinwegzusetzen, und auch nicht versucht, es irgendwie zu beeinflussen, ist das eine – eigentlich systemwidrige – Ausnahme, weil hier das Schicksal nicht als unabänderlich gilt.

Die Überwindung des Todes im Mythos und bei Euripides

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Dem schlauen Sisyphos gelang es durch eine Li st, sein Leben etwas zu verlängern. Vor seinem Tod gab er seinen Angehörigen den Auftrag, die üblichen Bestattungsriten nicht zu vollziehen. Hades entließ ihn deswegen aus der Unterwelt, um für Ordnung zu sorgen. Da Sisyphos die Rückkehr zu lange hinausschob, erhielt er nach seinem endgültigen Tod die bekannte Strafe, in der Unterwelt vergeblich einen Stein auf einen Berg wälzen zu müssen. Auch Apollon ging listig vor, als er, um Admet zu retten, die Moiren überredete; er soll sie nämlich durch Wein betrunken gemacht haben. Der Haken bei dieser Geschichte: Admet mußte einen Stellvertreter finden. Im Prolog der Alkestis spricht Apollon nur allgemein von einer List, durch die er die Zustimmung der Moiren erreicht habe. Worin sie bestand, sagt er nicht. Die personifizierte Hoffnung auf die ärztliche Kunst, Krankheiten zu heilen und dadurch das Leben zu verlängern, zeigt sich im Mythos von As k le p io s, dem großen Arzt, der seine Gabe von seinem Vater Apollon erhalten hatte. Der Chor in der Alkestis meint, wenn Asklepios noch lebte, würde er Alkestis retten können (122–129). Dabei läßt er beiseite, daß Asklepios zugleich das Symbol für die (heute als ethisches Problem diskutierte) Grenze zwischen ärztlicher Hilfe und fragwürdigem Eingriff in das Walten der Natur ist. Asklepios übertrat das Gebot, daß der Arzt das Leben nicht wider die Natur oder das Schicksal verlängern sollte. Als er anfing, Sterbende ins Leben zurückzuholen und gar Tote aufzuerwecken, wurde er von Zeus mit dem Blitz erschlagen. Apollon erwähnt seinen Tod im Prolog der Alkestis, weil er selbst daraufhin die Kyklopen, die für Zeus die Blitze geschmiedet hatten, getötet hatte und deswegen zur Strafe bei Admet als Hirte dienen mußte. Aber auch er verschweigt Asklepios’ Vergehen, die Rettung Sterbender oder Toter. Man könnte sonst am Ende des Stücks fragen, warum Herakles das darf, wofür Asklepios vom Blitz erschlagen wurde. Wer fürchtet, vorzeitig sterben zu müssen, wird auf Mittel sinnen, dem Tod zu entgehen, wendet sich heute also an einen Arzt und ist bereit ein Honorar zu zahlen. Wer an Götter glaubt, kann stattdessen versuchen herauszufinden, durch welche Op f er sich die Gefahr abwenden läßt. So erfährt Agamemnon in Buch 1 der Ilias durch den Seher Kalchas von Apollons Zorn und kann so der Seuche, die das Heer heimsucht, Herr werden. In der Alkestis beklagt der Chor (112–121), daß weitere Orakelbefragungen und Opfer sinnlos sind, weil es aus seiner Sicht keinen Weg mehr gibt, wie Alkestis noch vor dem Tod bewahrt werden könnte. Der reiche Jedermann will den Tod durch Geld bestechen. In der Alkestis macht Apollon den Tod darauf aufmerksam, daß die Bestattung der Alkestis, wenn sie alt sterben dürfte, nicht weniger „reich“ sein würde (59), er also keinen finanziellen Nachteil hätte. Darauf kann der Tod sich nicht einlassen, weil er nicht für Geld, sondern für Menschenleben zuständig ist. Wenn er keinen Verlust erleiden will, muß er sich mit einem anderen Leben entschädigen lassen. Das war der Ausweg, den Apollon für Admet gefunden hatte. In der Alkestis gehört das zur Vorgeschichte, die im Prolog von Apollon erzählt wird.

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Einführung

Admet hatte irgendwie erfahren, er könne weiterleben, wenn er Ersatz biete. Admet wurde also durch einen Leb e ns ta u sc h gerettet. Ein mythisches Beispiel für die Überwindung des Todes durch S tär ke ist Herakles. Er wird von seinem böswilligen Auftraggeber Eurystheus ins Totenreich geschickt, natürlich in der Erwartung, daß es von dort keine Wiederkehr gebe. Doch er bezwingt den dreiköpfigen Hund Kerberos („Zerberus“), der den Ausgang bewacht, und bringt das Ungeheuer gefesselt zu Eurystheus. Bei dieser oder einer anderen Gelegenheit hat er sogar Hades, den Herrscher der Unterwelt, mit einem Pfeil verwundet.31 In der Alkestis ist von diesen seinen eigenen Auseinandersetzungen mit dem Tod nicht die Rede.32 Hier will er seinem Freund Admet einen Gefallen erweisen und zwingt den Tod durch einen Ringkampf, Alkestis freizugeben. Dieser Kampf gilt in der Alkestis zwar als schwer und lebensgefährlich, aber das ist bei der Begegnung mit dem Thrakerkönig Diomedes, zu dem Herakles gerade unterwegs ist, nicht anders. Den Wunsch nach Überwindung des Todes gibt es also im Mythos und bei Euripides in vielerlei Varianten. Doch für Euripides sind das, wie an seiner Alkestis abzulesen ist, nur noch mythologische Reminiszenzen, die sich literarisch verwerten lassen, ohne den mythischen Hintergrund als solchen wirklich einzubeziehen. Das gilt auch für die Motive ‚Lebenstausch‘ und ‚Rettung durch Stärke‘, deren Bedeutung für das Stück sehr eng begrenzt ist. In der Alkestis geht es nicht um den alten Menschheitstraum, das Leben verlängern zu können, sondern um den vorzeitigen Tod einer Ehefrau, die dann überraschend doch am Leben bleibt. Dabei spielen die mythischen Motive ‚Lebenstausch‘ und ‚Rettung durch Stärke‘ inhaltlich so gut wie keine Rolle; sie dienen sozusagen nur als Aufhänger für die Handlung des Stücks, das eher ein bürgerliches Drama33 als eine mythologische Tragödie ist. Ob Rettung durch Tausch bzw. durch Stärke möglich ist, wird nicht gefragt. Das gehört in der Alkestis nicht zum Thema, ebensowenig wie in Goethes Faust die Frage, ob Gott und Teufel wirklich existieren. Einen Konflikt zwischen Märchen und Realität, wie er in Interpretationen der letzten Jahrzehnte eine wichtige Rolle gespielt hat,34 kann es daher bei Euripides eigentlich nicht geben.

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Ilias 5,395ff. Sein eigener Tod ist deswegen eine etwas komplizierte Mischung aus Mord und Suizid. In den Trachinierinnen von Sophokles zerfrißt ein heimtückisches Gift, das ein Feind seiner arglosen Frau als Liebeszauber empfohlen hatte, unaufhaltsam seinen Körper. Um den Qualen ein Ende zu bereiten, läßt er sich auf einem Scheiterhaufen verbrennen. Von früheren Taten des Herakles werden nur die Siege über die Ares-Söhne Lykaon und Kyknos erwähnt (502f.). Wenn Herakles schon in der Unterwelt gewesen wäre, würde die Rettung der Alkestis nichts Besonderes mehr sein. Das gilt übrigens auch umgekehrt. Wenn Herakles den Tod für Alkestis schon einmal besiegt hat, wäre das Heraufholen des Kerberos nur noch eine variierende Wiederholung. Unten S. 41ff. Zum Begriff der ‚Ironie‘, der dabei als (bezweifelbare) Grundlage dient, s. unten S. 33.

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Ältere Alkestisdichtungen

Ältere Alkestisdichtungen Daß die Motive ‚Lebentausch‘ und ‚Ringkampf mit dem Tod‘ alt sind und weit verbreitet waren, konnte Albin Lesky mit Hilfe der vergleichenden Märchenforschung zeigen.35 Seine Folgerung, es habe „ein altes Volksmärchen“ gegeben, in dem der Alkestisstoff schon seine bleibende Form erhalten habe, wird man jedoch in Frage stellen müssen. Homer kennt, wie die schon erwähnte Kennzeichnung der Alkestis im Schiffskatalog als „die schönste Tochter des Pelias“ nahelegt, ihren Opfertod noch nicht, der demnach die Erfindung eines späteren Dichters sein dürfte. Als nächste Stufe ist dann die Rettung durch Herakles hinzugekommen. Die mythischen Frauen, die durch Götter zu Stammüttern der verschiedenen Heroengeschlechter wurden, waren ein Thema der frühen Katalogdichtung, von der wir im Schiffskatalog ein Beispiel besitzen. Unter Hesiods Namen sind Reste aus einem Frauenkatalog36 erhalten, in dem von solchen Frauen und ihren Nachkommen erzählt wurde. In einer dieser Genealogien wird auch Alkestis einmal genannt.37 Der Versuch nachzuweisen, daß im verlorenen Kontext auch ihr Opfertod vorkam,38 ist jedoch nicht gelungen. Wahrscheinlich wurde sie wie im Homerischen Schiffskatalog nur als „Tochter des Pelias“ erwähnt.39 An einer Stelle der Alkestis prophezeit der Chor Lieder, in denen man Alkestis wegen ihres Opfertodes einst rühmen werde (444–452). Wir dürfen annehmen, daß Euripides damit auf zu seiner Zeit tatsächlich existierende Lieder anspielt. Um die Wiederkehr der Alkestis kann es darin nicht gegangen sein; denn der Chor setzt in dieser Situation des Stücks voraus, daß Alkestis unrettbar verloren ist.40 Da diese Lieder von Euripides in Sparta und Athen lokalisiert werden, – also nicht in Alkestis’ Heimat Thessalien –, kann es sich kaum um Alkestiskulte, sondern nur um Beiträge zu anderen Kultfesten gehandelt haben; für Sparta nennt der Chor die Karneen, ein Apollonfest. In Athen war spätestens gegen 470 schon ein Drama des Tragikers Phrynichos41 aufgeführt worden, das den Alkestisstoff zum Inhalt hatte. Ein erhaltenes kleines Zitat scheint zu belegen, daß darin jemand vom Kampf zwischen –––––––––––– 35 36 37 38 39 40

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A. Lesky, Alkestis, der Mythus und das Drama, 1925. Oft auch zitiert als Ehoien (nach der Überleitungsformel e hoie = „oder wie die“). Merkelbach/West, Hesiodi fragmenta selecta, 1970, fr. 37, 20. U. v. Wilamowitz, Isyllos von Epidauros, 1886. In der Einleitung zu seiner Übersetzung der Alkestis findet man (71–74) eine Nacherzählung des von ihm vermuteten Inhalts. Vgl. oben S. 10. Euripides kann daher, anders als öfter gesagt wird, mit den „Liedern in Athen“ nicht seine Alkestis gemeint haben, sondern allenfalls diejenigen Chorlieder, in denen Alkestis wegen ihres Opfertodes gerühmt wird; Vgl. Kommentar zu 452. Von ihm gab es die auf historischen Stoffen basierenden Tragödien Die Eroberung Milets (mit der Zerstörung Milets endete 494 der Aufstand ionischer Städte gegen die persische Oberhoheit) und die Phönikerinnen (darin ging es um die Schlacht von Salamis wie in Aischylos’ Persern einige Jahre später).

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Einführung

Herakles und dem Tod berichtete,42 Alkestis also gerettet wurde. Die darüber hinausgehende Vermutung, es habe sich nicht um eine Tragödie, sondern ein Satyrspiel oder wenigstens „heiteres Spiel“ gehandelt,43 ist nicht beweisbar, aber auch nicht zu widerlegen.44 Wenn dies die erste schriftliche Fassung des Mythos war, ist Alkestis durch Phrynichos als Stoff in die Literatur eingegangen. Wie schon Homer mit Ilias und Odyssee wollte er nicht mehr eine alte Geschichte neu erzählen, sondern einem tradierten Stoff für einen bestimmten poetischen Zweck eine literarische Form geben. Damit war der Weg eröffnet, mit dem Alkestisstoff frei und nach rein literarischen Gesichtspunkten zu verfahren. Wie das Ergebnis bei Phrynichos im einzelnen aussah, wissen wir nicht, aber man wird sagen dürfen, daß er wahrscheinlich der erste war, der den Lebenstausch mit der Wiederkehr zu einer Handlungsfolge verknüpft hat und damit die Verbindung der beiden Motive geschaffen hat, die dann durch Euripides zum feststehenden Grundmuster des Alkestisstoffs in der neuzeitlichen Literatur geworden ist.

Euripides: Die neue Sicht Das Motiv ‚Lebenstausch‘ ist unproblematisch, solange man dabei nur an die lobenswerte und erfreuliche Tat der Alkestis und nicht an ihre Konsequenzen denkt. Die von Euripides erwähnten Lieder, in denen Alkestis gepriesen wurde, beruhten wahrscheinlich auf dieser ursprünglichen Gestalt des Motivs. Auch Phrynichos ging allem Anschein nach nicht darüber hinaus. Euripides dagegen hinterfragt diese naive Form der Geschichte und bringt die darin steckenden negativen Aspekte oder l’envers du décor45 auf die Bühne. Man muß bei dieser Kehrseite zwei Stufen unterscheiden. Euripides zeigt erstens, daß das Opfer der Alkestis nicht nur eine rühmenswerte Tat ist, durch die Admet gerettet wird, sondern daß die Tat zugleich Leiden bedeutet, nämlich für Alkestis den Tod und für Admet den Verlust seiner Frau. Zweitens macht er auf ein Dilemma aufmerksam, das im Motiv des Lebenstauschs steckt und die Annahme des Opfers fragwürdig werden läßt. Damit war für seine antiken und modernen poetischen Nachfolger die naive Version der Geschichte, in der es nur um die gute Tat der Alkestis geht, ein für allemal passé.

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Wildberg 173–176 hegt (ohne damit auszuschließen, daß Alkestis bei Phrynichos gerettet wurde) begründete Zweifel an dieser Deutung des Fragments und meint, es könne sich auch auf Alkestis’ Todeskampf beziehen. So etwa Lesky 1925, 79. Um diese Zeit scheint auch schon die Komödie den Stoff aufgegriffen zu haben; ein Komiker namens Phormis soll eine Alkestis verfaßt haben. v. Fritz, Antike und moderne Tragödie 300f.

Euripides: Die neue Sicht

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Von der guten Tat zur Sterbe-/Klagehandlung Zwar wird bei Euripides Alkestis als „die beste der Frauen“ gepriesen, aber dargestellt wird nicht ihre lobenswerte Tat, sondern ihr Sterben und Admets Klage und Trauer. Von einer Dienerin hören wir, wie Alkestis sich im Haus verabschiedet hat. Sie kommt heraus, zeigt Todesangst und nennt ihren letzten Wunsch. Ihr Mann fleht sie an, ihn und die Kinder nicht zu verlassen. Sie stirbt und ihr kleiner Sohn klagt um sie. Von der Bestattung zurückgekehrt beklagt Admet die Leere des Hauses. Noch in der Schlußszene, als die gerettete Alkestis bereits als verschleierte Fremde vor ihm steht, setzt sich seine Trauer fort. Das Dilemma des Lebenstauschs Zum Lebenstausch gehört, daß er freiwillig geschieht, sonst könnte ein Tyrann ewig leben, indem er immer neuen Ersatz stellt. Zwischen den Beteiligten muß also eine besondere Beziehung bestehen. Wenn es gegenseitige Zuneigung ist, ergibt sich ein Dilemma. In der Taurischen Iphigenie kann, wie es zeitweilig aussieht, nur entweder Orest oder Pylades mit dem Leben davonkommen. Sie stehen daher vor der Frage, wer von ihnen leben und wer sterben soll. Da sie Freunde sind, will jeder zugunsten des anderen den Tod auf sich nehmen. In seiner Helena bringt Euripides mit Helena und Menelaos ein Ehepaar auf die Bühne, das sich wegen dieses Dilemmas entscheidet, eher gemeinsam zu sterben (839f.).46 Wenn von zwei Liebenden nur einer von beiden am Leben bleiben darf, kann keiner den anderen sterben lassen, um selbst weiterleben zu können. Beim Mythos von Alkestis, bei dem es sich um einen Lebenstausch handelt, ist jedoch gerade das der Fall. Euripides hat das in der Geschichte steckende Dilemma aufgedeckt: Wenn Alkestis stirbt, um ihren Mann zu retten, stellt sich die Frage, wie er sich auf einen Tausch einlassen kann. Vom Lebenstausch zum Opfertod Für seine Alkestis hat Euripides eine auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinende Konsequenz daraus gezogen. Einerseits rückt er den Lebenstausch in den Hintergrund und macht daraus einen Opfertod der Alkestis, bei dem wir nicht erfahren, ob Admet jemals Gelegenheit hatte, ihm zuzustimmen oder ihn abzulehnen, andererseits wird das Dilemma des Lebenstauschs offen zur Diskussion gestellt. Doch Euripides hat einen wirklichen Widerspruch vermieden. Das Tauschdilemma wird nämlich nur nachträglich und von Außenstehenden ins Spiel gebracht. Admet bekommt von seinem Vater den Vorwurf der „Feigheit“ (694–698) zu hören und befürchtet, auch andere könnten so –––––––––––– 46

Es handelt sich um ein zeitloses und medienübergreifendes (aber nicht unbedingt genderrelevantes) Motiv. In Richard Wagners Der fliegende Holländer stirbt Senta, um ihren Holländer zu erlösen; bei Hans Christian Andersen will Die kleine Seejungfrau das Leben ihres Prinzen nicht für ihr eigenes Wohl opfern; im Film Casablanca will ein Ehepaar sich nicht trennen, weil keiner den anderen in der Gefahr allein zurücklassen will.

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Einführung

über ihn reden (954–959). Das Tauschdilemma erscheint bei Euripides also nur als offene Frage, während Euripides-Interpreten gewohnt sind, darin das Hauptproblem der Alkestis zu sehen, und nach Erklärungen für Admets Verhalten suchen. Die Antworten reichen vom antiken gesellschaftlichen Vorrang des Mannes bis zum individuellen Egoismus Admets. In neuzeitlichen Alkestisdichtungen wird Admet meist dadurch entlastet, daß er gegen Alkestis’ Entscheidung keinen Einspruch erheben kann, weil er erst nachträglich davon erfährt. Entmythisierung Auch wenn die Alkestis letzten Endes auf zwei Varianten des mythischen Motivs ‚Überwindung des Todes‘ beruht, nämlich ‚Lebenstausch‘ und ‚Stärke‘, geht es in der Handlung nicht um übernatürliche, sondern rein irdische Vorgänge, den T o d e i ner Fr a u , d ie s ic h f ür i hr e n M a n n a u f o p fe r t, und ein u n ve r ho f ft es W ied er se he n. Diese Entmythisierung zeigt sich auch ganz äußerlich. Löwe und Keiler, die Admet zusammen vor einen Wagen gespannt hatte, werden nicht erwähnt, ebensowenig die Schlangen im Hochzeitsgemach und seine Teilnahme an der Argonautenfahrt und der Kalydonischen Jagd. Alkestis ist nicht wie bei Homer „die schönste Tochter des Pelias“ (also eine, wenn auch kleinere, heroische Figur wie Helena, die schönste aller Frauen), sondern „die beste der Frauen“, weil sie sich als Ehefrau besonders bewährt hat. Sogar an Herakles zeigt sich diese Entmythisierung. Admet begrüßt ihn zwar als „Sohn des Zeus“, hält ihn aber offensichtlich nicht für ein übermenschliches Wesen, von dem man die Rettung eines Verstorbenen erwarten könnte, sondern im Prinzip für einen normalen Sterblichen. Als bisherige Gegner nennt Herakles nicht mythische Ungeheuer wie den unverwundbaren Nemeischen Löwen oder die vielköpfige Lernäische Schlange, sondern zwei wenig bekannte Söhne des Kriegsgottes Ares, wobei der Hinweis auf ihre göttliche Abstammung nur dazu dient, sie als ernstzunehmende Gegner zu kennzeichnen (502–506). Im großen und ganzen sind mythische und reale Welt klar getrennt. Der Gott Apollon tritt nur im Prolog auf und nimmt an der eigentlichen Handlung nicht teil. Die Menschen im Stück wissen nichts von seiner Anwesenheit im Hause, und er wird dementsprechend von niemand vermißt, nachdem er das Haus verlassen hat. Sein für Admet segensreicher Hirtendienst wird nur in einem Chorlied erwähnt (570). Von Apollons Handel mit den Moiren und dem arrangierten Lebenstausch ist im Stück selbst keine Rede, nicht einmal davon, daß er es war, der Admets Rettung ermöglicht hatte. Weder Admet noch sonst jemand kommt auf den Gedanken, sich an den damaligen Helfer zu wenden, als es jetzt um Alkestis’ Leben geht.47 Es ist also nur konsequent, daß der märchenhafte ‚Lebenstausch‘ des Prologs in der Handlung des Stücks zum unmythischen ‚Opfertod‘ wird. –––––––––––– 47

Zu einer Anrufung Apollons durch den Chor vgl. Kommentar zu 220–225.

Euripides: Die neue Sicht

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Literarische Motivverarbeitung Euripides benutzt die vom Mythos vorgegebenen oder von ihm neu erfundenen Motive teils p u n kt ue ll teils str u kt ur el l. Im ersten Fall wird öfter auf den größeren Kontext keine Rücksicht genommen. So herrscht Admet einerseits über ganz Thessalien, argumentiert aber in der Schlußszene mit den beengten Verhältnissen seines Hauses. Teilaspekte, die zu Widersprüchen führen könnten, werden stillschweigend übergangen. Für den Tod des Menschen zuständige Instanzen (Moiren, Thanatos, Charon, Hades) werden genannt, ohne daß ihre Beziehungen untereinander geklärt würden. Asklepios wird als Lebensretter herbeigewünscht, aber es wird verschwiegen, daß er wegen solchen Tuns vom Blitz erschlagen wurde, weil man dann fragen könnte, warum der Lebensretter Herakles ungestraft davonkommt. Strukturelle Funktion haben die Motive Lebenstausch und Rettung aus dem Tod, die der Alkestis insgesamt zugrunde liegen. Dabei zieht Euripides jedoch, wie gesagt, eine klare Grenze zwischen Mythos und realem Geschehen bzw. zwischen Prolog und eigentlicher Handlung. Die im Prolog eingeführten mythischen Motive erscheinen in der Handlung nur in unmythischer Gestalt. Alle Formulierungen, die man als Anspielungen auf den im Prolog angedeuteten Tausch verstehen kann, sind so gewählt, daß dem Wortlaut nach nur allgemein von Alkestis’ Bereitschaft, „für ihren Mann zu sterben“, also von einem freiwilligen Opfertod und nicht von einem märchenhaften Lebenstausch die Rede ist. Alkestis könnte danach das Leben ihres Mannes gerettet haben, indem sie sich schützend zwischen ihn und ein feindliches Geschoß geworfen hatte.48 Eine entsprechende Grenze besteht zwischen dem mythischen Ringkampf mit dem Tod und der Wiederkehr der Alkestis, die im Stück nur als unmythisches Wiedersehen mit einer Totgeglaubten erscheint.49 Dabei wird die mythische Ebene von der realen allerdings nicht so klar getrennt wie bei ‚Lebenstausch‘ und ‚Opfertod‘, weil Herakles sowohl der menschlich-realen Ebene angehört (als Gast des Hauses) als auch der mythischen (als übermenschlicher Ringkämpfer). Trotzdem ist die Grenze, die Euripides zieht, nicht zu verkennen. Er verrät uns nämlich über den Ringkampf so gut wie nichts. Herakles

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Diese restriktive Ausdrucksweise ist schon öfter aufgefallen (z. B. Steidle 138, Lefkowitz 81), jedoch ohne ihre Bedeutung für das Stück im ganzen zu sehen. Das überraschende Wiedersehen ist, wie die Odyssee zeigt, ein altes episches Motiv. In der Tragödie erscheint es in vielen Variationen. In Aischylos’ Choephoren gibt es für Klytaimestra eine böse Überraschung, als sich der fremde Gast als ihr Sohn Orest entpuppt, der gekommen ist, seinen Vater Agamemnon zu rächen. Euripides zeigt in seiner Taurischen Iphigenie ein freudiges Wiedersehen zwischen Bruder und Schwester (Orest und Iphigenie) und in seiner Helena zwischen Mann und Frau (Menelaos und Helena). Man kann geradezu von einem typischen Tragödienmotiv (und später auch Komödien- und Romanmotiv) sprechen.

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Einführung

redet davon nur sehr pauschal in zwei Versen (1140–1142),50 und Admet registriert seinen Sieg über den Tod als bewundernswerte, aber nicht als übernatürliche Tat. Diese Grenze wird auch eingehalten, wenn das Tauschdilemma, also die Frage, ob Admet den Tausch bzw. das Opfer hätte akzeptieren dürfen, berührt wird. Euripides läßt seinen Admet wie einen Mann reden, dessen Frau ihm durch ihren eigenen Tod irgendwie das Leben gerettet hat und dem böse Zungen nun nachsagen, er sei schuld an ihrem Tod. Der Vorwurf wird Personen in den Mund gelegt, die nur ihre subjektive negative Deutung von Alkestis’ Opferbereitschaft vorbringen. Das ist offensichtlich der Fall, wenn Admet von einem „Feind“ (954) spricht, der ihm den Tod seiner Frau vorwerfen könnte; denn ein Feind sucht stets Gelegenheiten, einem Feind zu schaden,51 und würde daher sogar einen Todesfall zum Anlaß nehmen, schlecht über ihn zu reden. Bei seinem Vater Pheres ist die Lage etwas komplizierter. Doch auch er ist, wie Euripides deutlich macht, alles andere als ein unbefangener Schiedsrichter.52 Daß Euripides Kritik an Admets Verhalten nur von fragwürdiger Seite kommen läßt (und nicht als objektive Bewertung oder gar als Selbsterkenntnis Admets), erklärt sich aus der Konzeption des Stücks. Er wollte das Dilemma des Lebenstauschs nicht zum eigentlichen Thema machen, sondern nur auf das darin steckende Problem aufmerksam machen. Daß diese Anlage des Stücks nicht ohne Risiko ist, zeigt die Reaktion bei neuzeitlichen Dichtern, Literaten und philologischen Interpreten. Wenn es 438 v. Chr. nach der Aufführung im Publikum Diskussionen darüber gegeben hat, ob man einem Ehemann, der es hinnimmt, daß seine Frau sich für ihn aufopfert, Vorwürfe machen muß, dürfte das Euripides nur recht gewesen sein, weil es vermutlich in seiner Absicht lag, die Zuschauer zu entsprechenden Gedanken über ihr eigenes Verhalten anzuregen. Weniger glücklich wäre er wahrscheinlich gewesen, wenn jemand (wie manche neuzeitlichen Interpreten) Admets Trauer unecht und verlogen genannt hätte. Das wäre nämlich ein Zeichen gewesen, daß der Betreffende die Problematik des Lebenstauschs als eigentliches Thema des Stücks angesehen hatte und nicht seiner abgestuften motivischen Konzeption gefolgt war. Aber Euripides hätte sicher nichts dagegen gehabt, wenn das Tauschdilemma dabei grundsätzlich diskutiert worden wäre, da er in der Pheres-Szene selbst den Anstoß dazu gibt. und es hätte ihn sicher nicht gestört, wenn man auf dieser Basis zu der Frage gelangt wäre, ob Admet sich mit dem Opfer seiner Frau hätte abfinden dürfen und nicht eher – von den dann allein zurückbleibenden Kindern einmal abgesehen – gemeinsam mit ihr in den Tod hätte gehen müssen. –––––––––––– 50

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Handlungsentscheidende Kämpfe werden bei Euripides sonst ausführlich in einem Botenbericht dargestellt wie etwa der Zweikampf der feindlichen Brüder in den Phönikerinnen 1356–1459. Ähnliche Befürchtungen hegt Pylades in der Taurischen Iphigenie 676ff. Zum Grundsatz ‚Den Freunden nützen, den Feinden schaden‘ vgl. Kommentar zu 70. Genauer zur Pheres-Szene unten S. 38.

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Überlieferung des Textes

Überlieferung des Textes Die neunzehn erhaltenen Dramen von Euripides53 sind auf zwei Wegen ins Mittelalter gelangt, neun als Teil einer alphabetisch geordneten Gesamtausgabe, zehn als kommentierte Auswahlausgabe.54 Für die Alkestis, die zur zweiten Gruppe gehört, bilden fünf Handschriften, von denen die älteste aus dem 11. Jh. stammt, die Grundlage der heutigen Texteditionen. Am Anfang stand die Papyrusrolle, auf der Euripides den Text eigenhändig oder einem Schreiber diktierend festgehalten hat. Da für die Einreichung bei der Behörde und die Aufführung weitere Exemplare nötig waren, hat er wahrscheinlich mehreren Schreibern gleichzeitig diktiert oder diktieren lassen. In Athen wurden die Texte der aufgeführten Dramen in einem Zentralarchiv aufbewahrt, und durch Buchhändler konnten sich andere Interessenten Abschriften verschaffen. Damit waren der Überlieferung drei Wege eröffnet: die Bühnenpraxis, staatliche Archive und als der entscheidende das aufkommende öffentliche Bibliothekswesen. Wiederaufführungen Euripideischer Tragödien gab es in Athen erst seit 386 v. Chr., aber es ist, wie schon gesagt, zu vermuten, daß bereits im 5. Jh. manche seiner Stücke außerhalb von Athen und sogar in griechischen Städten Süditaliens und Kleinasiens nachgespielt wurden. In der Zeit des Hellenismus breitete sich das Theaterwesen weiter aus. In Rom führte der Tragiker Accius gegen 100 v. Chr. eine lateinische Alcestis auf, wahrscheinlich eine Übersetzung oder Bearbeitung des Euripideischen Stücks. Als 53 v. Chr. beim Partherkönig Orodes, der sich bei seinem armenischen Vasallen Artavasdes aufhielt, die Nachricht vom Sieg über den römischen Prokonsul Crassus eintraf, trug ein Schauspieler gerade eine Szene aus Euripides’ Bakchen vor.55 Bei Nachrichten über Aufführungen klassischer Tragödien seit dem 1. Jh. n. Chr. dürfte es sich häufig um Teilaufführungen oder Rezitationen gehandelt haben. Der satirische Schriftsteller Lukian fand im 2. Jh. n. Chr. Tragödienaufführungen wegen der statuarischen Aufmachung der Darsteller (durch stelzenartigen Kothurn und ausgepolsterte Kostüme) ungenießbar, hielt aber die Lektüre der Texte weiterhin für lohnend.56 Die Bühnenpraxis führte zu Eingriffen in die Texte der bald zu Klassikern gewordenen Tragiker Aischylos, Sophokles und Euripides.57 In Athen wurde –––––––––––– 53 54 55 56 57

Die Tragödie Rhesos wird heute meist einem unbekannten Dichter des 4. Jh. v. Chr. zugeschrieben. Sie entspricht den erhaltenen Teilausgaben von Aischylos und Sophokles mit je sieben Stücken. Plutarch, Leben des Crassus 33. Orodes konnte Griechisch, Artavasdes soll sogar Tragödien in griechischer Sprache gedichtet haben. Seeck, Lukian und die griechische Tragödie 236f. Schon im Jahre 405 hatte der Komiker Aristophanes in seinen Fröschen alle anderen älteren und zeitgenössischen Tragiker als mehr oder weniger unbedeutend hingestellt, ein Urteil, das zweifellos dazu beigetragen hat, daß deren Stücke bald vergessen wurden und verlorengingen.

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daher um 330 v. Chr. auf Antrag des Politikers Lykurg gesetzlich vorgeschrieben, den Wortlaut des staatlichen Archivexemplars als verbindlichen Text zugrunde zu legen.58 Zwar war das eine lokale Maßnahme, die auf Aufführungen außerhalb Athens kaum allzu viel Einfluß hatte, die aber für Bibliotheken Signalwirkung haben konnte, weil dadurch das Bewußtsein für die Bewahrung einer authentischen Textform geweckt wurde. Bühnenfassungen, die in Schauspielertruppen tradiert wurden, dürften für die Überlieferung insgesamt kaum eine Rolle gespielt haben. Die sog. ‚Schauspielerinterpolationen‘ (d. h. zweifelhafte zusätzliche Verse) in den erhaltenen Texten lassen sich in den wenigsten Fällen aus der Theaterpraxis erklären. Das Lykurgsche Archivexemplar konnte übrigens nicht mehr das Original des 5. Jh. sein, da Papyrusrollen nur begrenzte Lebensdauer haben. Der jeweilige Archivar mußte also für regelmäßige Abschriften der drei Klassiker sorgen, wenn der Bestand erhalten bleiben sollte. Schon Euripides selbst mußte, wenn er z. B. seine Peliaden von 455 lebenslang greifbar haben wollte, sie in den ihm verbleibenden fünfzig Jahren mindestens einmal haben abschreiben lassen. Das galt entsprechend für alle Bibliotheken, wenn sie auch künftigen Generationen dienen sollten. Erst als sich gut achthundert Jahre später um 400 n. Chr. das dauerhaftere Pergament und die Kodexform durchgesetzt hatten, waren solche Erhaltungsabschriften weniger häufig nötig, was dann jedoch dazu führte, daß sie oft ganz unterblieben und alte Bestände allmählich in Vergessenheit gerieten und zugrunde gingen. Für Tragödientexte muß es schon zu Lebzeiten des Euripides private Interessenten in größerer Zahl gegeben haben, die bei Buchhändlern Abschriften erwarben. In Privatbibliotheken dürften sie gegen Ende des Jahrhunderts ihren festen Platz gehabt haben. Aristophanes spielt in seinen Komödien so oft auf Stücke speziell von Euripides an, daß man wenigstens bei einem Teil seines Publikums genaue Textkenntnis voraussetzen muß.59 Aristoteles im 4. Jh. nennt in seiner Poetik öfter als Beispiel Euripides, hatte die Texte also zur Hand und setzte ihre Kenntnis bei seinen Hörern voraus.60 Um 100 n. Chr. empfahl der berühmte Redner Dion von Prusa einem Nacheiferer, Euripides zu lesen oder sich vorlesen zu lassen.61 In Rom erwartete um dieselbe Zeit Quintilian von seinen Rhetorikschülern – die selbstverständlich Griechisch konnten – ausgiebige Euripideslektüre.62 Texte müssen also jedem Interessierten in privaten oder öffentlichen Bibliotheken zur Verfügung gestanden haben. –––––––––––– 58

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Plutarch Moralia 841f. Lykurg kann schwerlich, wie manchmal vermutet wird, den Auftrag erteilt haben, aus Bühnenfassungen das Original zu rekonstruieren, da es in Athen kaum die dazu hinreichend qualifizierten Philologen gab. In Aristophanes’ Fröschen (52f.) will der Theatergott Dionysos sogar während einer Schiffsreise ein Stück von Euripides gelesen haben. Wie bei den anderen erhaltenen Schriften von Aristoteles handelt es sich bei der Poetik nicht um ein von ihm veröffentlichtes Buch, sondern um einen schulinternen Arbeitstext. 18. Rede. Vgl. auch 52. Rede, 11. Institutio oratoria X 67–68.

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Das häufige (der Vervielfältigung oder Erhaltung dienende) Abschreiben war naturgemäß eine ständige Fehlerquelle durch falsche Lesungen, versehentliche Auslassungen, willkürliche Ergänzungen von unleserlichen Stellen, übereilte Korrekturen von vermeintlichen oder wirklichen Fehlern usw. Die Bibliothek des von Ptolemaios I. in Alexandria gegen 280 v. Chr. eingerichteten Museions63 hatte das Ziel, alle erhaltenswerten existierenden Bücher zu sammeln. Das war nur möglich durch großzügigen Ankauf, auch von ganzen Privatbibliotheken,64 und durch systematische Anfertigung von Abschriften aus privaten und öffentlichen Bibliotheken.65 Notfalls mag man bei Dramen auch auf Gebrauchsexemplare aus der Theaterpraxis zurückgegriffen haben. Da bei einem so weit gestreuten Sammeln zwangsläufig voneinander abweichende Fassungen desselben Textes zusammenkamen, ergab sich bei den sichtenden Bibliothekaren die Frage nach dem besten, d. h. möglichst authentischen Text, was zu systematischer Textkritik und zur Entstehung der Philologie als wissenschaftliche Disziplin führte. Es ist anzunehmen, daß man in Alexandria Euripides’ Werke noch weitgehend vollständig zusammenbrachte und aus den verschiedenen Fassungen eine maßgebende Gesamtausgabe herstellte. Auf sie geht vermutlich letzten Endes die mittelalterliche Gesamtausgabe zurück, der wir neun Stücke verdanken.66 Zugleich begann dort auch die Kommentatorentätigkeit, von der wir Reste in den sog. Scholien der mittelalterlichen Handschriften besitzen.67 Die Alexandrinische Ausgabe scheint für die weitere Überlieferung von zentraler Bedeutung geworden zu sein, vor allem weil durch das Museion eine bewußte Tradition der bibliothekarischen und philologischen Betreuung der Texte begründet wurde.68 Wann die kommentierte Ausgabe der ausgewählten zehn Stücke entstand, ist umstritten; die Vorschläge variieren vom Hellenismus bis in die byzantinische Zeit. –––––––––––– 63

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Dem Namen nach eine den Musen heilige Kultstätte war es eine Art Akademie oder Universität, in der Vertreter geistes- und naturwissenschaftlicher Disziplinen ohne oder mit wenig Lehrverpflichtungen leben und arbeiten konnten. So soll Aristoteles’ Bibliothek, die dessen Schüler Neleus geerbt hatte, von Ptolemaios II. für Alexandria angekauft worden sein (Athenaios 1, 3a). Die Nachricht (Galen CMG V, 10,2,1, p. 79), Ptolemaios III. habe das Athenische Staatsexemplar gegen hohe Kaution ausgeliehen und nicht zurückgegeben, ist wohl nicht mehr als eine Anekdote, die belegen soll, daß man keine Kosten und Tricks scheute. Angesichts der allgemeinen Gefahren einer solchen Seereise wäre ein Hin- und Hertransport doppelt riskant und unnötig umständlich gewesen. Es kann sich vernünftigerweise nur um eine Abschrift gehandelt haben, die in Athen angefertigt wurde. Dabei konnte übrigens um 250 als Vorlage nicht mehr das längst zerfallene Original aus dem 5. Jh. dienen, sondern eine Erhaltungsabschrift dritten oder vierten Grades. Wenn üblicherweise von ‚Ausgabe‘ gesprochen wird, darf das nicht im modernen Sinne verstanden werden. Sie existierte wahrscheinlich nur in einem einzigen Exemplar, das in der Bibliothek verblieb, aber von außenstehenden Interessenten eingesehen werden konnte; vielleicht wurden gegen Bezahlung Abschriften für andere Bibliotheken angefertigt. Zur Alkestis sind sie eher spärlich, zu den Bakchen fehlen sie ganz. Daß die Bibliothek von Alexandria 47 v. Chr. in Flammen aufgegangen sein soll, wird heute bezweifelt. Vgl. Clauss, Alexandria 98.

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In der Zeit des Hellenismus war Euripides sehr bekannt und geschätzt. Er war nicht nur das Vorbild für Generationen von Verfassern von Tragödien, sondern auch für die Dichter der Neuen Komödie. Das Interesse an klassischen Texten wurde weiter durch den im 1. Jh. n. Chr. aufkommenden sog. Attizismus gefördert, dessen Vertreter dem Sprachverfall, den sie in der hellenistischen Gemeinsprache (Koiné) sahen, entgegenwirken wollten. Im 4. Jh. wird Euripides von Autoren wie dem Rhetor Libanios und Kaiser Julian Apostata in einer Weise zitiert, daß man auf direkte Textkenntnis und nicht auf Benutzung von Zitatensammlungen schließen muß. Die Bühne lebte in dieser Zeit nur noch vom sketchartigen Mimus und tänzerischen Pantomimus. Daß man die alte Tragödie zu neuem Leben auf der Bühne erwecken könnte, hielt Julian für unmöglich.69 Das Christentum stand den klassischen Texten nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber, weil es den formalen Nutzen der heidnischen Bildung zu schätzen wußte.70 Bezeichnend ist der aus spätantiker oder byzantinischer Zeit stammende Cento (‚Flickgedicht‘) Christus patiens, der weitgehend aus Euripidesversen, besonders der Bakchen, besteht. Durch das Christentum scheinen sich in Bibliotheken allmählich Pergament und Kodexform durchgesetzt zu haben. Für den Schulbedarf entstand eine kleinere Auswahlausgabe von drei Euripideischen Stücken (Hekabe, Phönikerinnen, Orestes), die sog. byzantinische Trias; sie muß sehr verbreitet gewesen sein, da sie in etwa 200 Handschriften erhalten ist. Die Gesamtausgabe ging dagegen bis auf die Bände mit den daraus erhaltenen neun Stücken verloren. Das von Alexandria bekannte gewaltätige Vorgehen radikalisierter Christen gegen heidnische Einrichtungen und Personen (415 wurde die Philosophin Hypatia ermordet) war auch andernorts dem Fortbestand alter Bibliotheken nicht günstig. Später waren es Auseinandersetzungen innerhalb des Christentums, die der traditionellen Kultur Abbruch taten, so der Ikonoklasmus im 7. Jh. Dieser führte jedoch andererseits dazu, daß aus Konstantinopel vertriebene Gelehrte Bücher nach Süditalien mitbrachten. Insgesamt aber ließ das Interesse an den alten Texten immer mehr nach, so daß sich ihre Spuren allmählich verlieren und man das 7. und 8. Jahrhundert die „dunklen Jahrhunderte“ zu nennen pflegt. Im 9. Jh. kam es dann in Konstantinopel zur sog. byzantinischen Renaissance. Photios (Patriarch 857–867 und 877–886) ließ noch vorhandene alte Bibliotheksbestände abschreiben.71 Photios selbst war nur an Prosa interessiert, aber seine Maßnahmen müssen auch der Dichtung zugute gekommen sein; denn andernfalls wären im 11. Jh., als das Interesse an Tragödientexten neu erwachte – man spricht manchmal von der zweiten byzantinischen Renais–––––––––––– 69 70 71

Julian, Briefe 89b (Bidez), 304c Marrou, Geschichte der Erziehung im Klassischen Altertum 467ff. Wenn gesagt wird, er habe die Texte aus der alten Unzialschrift in die byzantinische Minuskel „transkribieren“ lassen, war das wohl nur ein Nebeneffekt; primär dürften es Erhaltungsabschriften gewesen sein, wodurch vom altersbedingten Zerfall bedrohte Bestände gerettet werden sollten.

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sance –, kaum noch Texte in lesbarem Zustand vorhanden gewesen. Es muß also auch in den dunklen Jahrhunderten Bibliothekare gegeben haben, die sich um die Erhaltung alter Pergamentkodizes, notfalls sogar durch Abschreiben, gekümmert haben. Das gilt ebenso für die griechischen Kolonien, die im 8. Jahrhundert als Folge des Ikonoklasmus in Süditalien als „neue Stätten griechischer Kultur“72 und sogar in Rom entstanden. Viele der erhaltenen Handschriften stammen aus Süditalien. So kam der Anfang des 14. Jh. geschriebene Laurentianus 32.2, der fünfzehn Stücke des Euripides, darunter die Alkestis, enthält, von Kalabrien über Avignon schließlich nach Florenz.73 Als in der italienischen Renaissance im 14. Jh. das Interesse westlicher Gelehrter an griechischen Texten aus der Antike erwachte, begann zunehmend eine Jagd auf alte Handschriften. Zwischenhändler machten daraus ein Geschäft. 1423 brachte Giovanni Aurispa 238 Bände aus dem Osten nach Italien. Außerdem kamen in dieser Zeit, der Türkengefahr74 ausweichende, griechische Gelehrte herüber, die Bücher mitbrachten. Die erste gedruckte Ausgabe der Alkestis gab um 1494 (zusammen mit Medea, Hippolytos und Andromache) Ianos Laskaris in Florenz heraus. 1503 erschien in Venedig bei Aldus Manutius die ‚Aldina‘, die alle von Euripides erhaltenen Stücke außer der Elektra enthielt. Später aufgefundene Papyrusreste antiker Ausgaben, die es z. B. in größerer Zahl zur Medea aus der Zeit von 250 v. bis 500 n. Chr. gibt, beschränken sich bei der Alkestis auf drei Fragmente mit Teilen der Verse 344–382, 771– 779 und 1159–63.75

Nachleben Durch Euripides war Alkestis eine bekannte Figur geworden, die auch unabhängig von seiner Alkestis zitiert wurde. Ihr Ruhm gründet sich dabei auf ihr Sterben für ihren Mann, während ihre wunderbare Rettung so gut wie keine Rolle spielt. In Platons Symposion dient sie als weibliches Beispiel für die Macht des Gottes Eros (179b) und den durch ihren Tod erworbenen unsterblichen Ruhm (208d). Vierhundert Jahre später führt Ovid sie in seinen Tristien (5,14,37) unter den vorbildlichen Ehefrauen auf, die wie Penelope immer noch von Dichtern besungen würden, und in Senecas Medea (662f.) wird sie gerühmt, weil sie ihr Leben für ihren Gatten geopfert hatte. –––––––––––– 72 73 74 75

Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates 146; Haussig, Kulturgeschichte von Byzanz 348. Turyn, The Byzantine Manuscript Tradition of the Tragedies of Euripides 226f. Das oströmische Reich bestand in dieser Zeit fast nur noch aus der Hauptstadt Byzanz (Konstaninopel), bis 1453 auch sie erobert wurde. P. Oxyrhynchus 4546 (Anfang 1. Jh. n. Chr.), P.Oxyrhynchus 4547 (um 200 n. Chr.), P.Hibeh 25 (um 250 n. Chr.).

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Auf diese Weise überdauerte auch im lateinischen Westen die Kenntnis von Alkestis in Zeiten, als man von dem Stück des Euripides und der griechischen Tragödie insgesamt wenig oder nichts mehr wußte. Schon in der Antike waren mythographische Kompendien entstanden, durch die die alten Stoffe notizenhaft und manchmal in entstellter Form überliefert wurden. Bei Hyginus (2. Jh. n. Chr.) beginnt die Kurzfassung der Alkestis-Geschichte mit Admets Werbung, bei der er mit Apollons Hilfe Eber und Löwe zusammenspannte. Als er sterben sollte, verschaffte Apollon ihm die Möglichkeit, Ersatz zu stellen. Da die Eltern sich weigerten, starb Alkestis für ihn; von Herakles wurde sie dann zurückgeholt. Abgesehen von der Episode der Werbung könnte das als Wiedergabe der Euripideischen Alkestis gelten. Insgesamt ist das Wissen von Alkestis im Mittelalter spärlich und sehr sporadisch. Marbod von Rennes erwähnt um 1100 im vierten Gedicht seines Liber decem capitulorum (De matrona oder De muliere bona) drei heidnische Beispiele: Lukrezia, Arria („Paete, non dolet“, Martial 1,13) und Alkestis. In Boccaccios De claris mulieribus (1360–62) kommt Alkestis nicht vor, wohl aber in seinen Genealogiae deorum gentilium (1313–1375) unter den Taten des Herakles. In Chaucers The Legend of Good Women (1385) sollte Alkestis den (nicht ausgeführten) Höhepunkt und Abschluß bilden. Aus dieser anonymen Tradition des Stoffs scheint auch Hans Sachs’ Tragedia von der Trewen Frau Alkestis und ihrem Getrewen Mann Admeto (1555) hervorgegangen zu sein, da sie auf dem Peliaden-Motiv beruht, das bei Euripides nur andeutungsweise vorkommt.76 Alkestis’ Brüder wollen ihre Schwestern, die sich durch Medea zum Vatermord hatten verleiten lassen, zur Rechenschaft ziehen. Admet will Alkestis nicht ausliefern und, wie es im Prolog heißt, eher „für sie sterben“. Als die Häscher sich an ihn halten wollen, stellt sich Alkestis dem „Henker“. Eine Rettung durch wen auch immer ist nicht vorgesehen. Wohl durch die Aldina von 1503 breitete sich die Kenntnis des Euripideischen Stücks schnell aus. Trissino hat für seine Sofonisba (1515, zuerst 1556 aufgeführt), die meist als erste nationalsprachliche Tragödie nach griechischem Vorbild angesehen wird, auch die Alkestis benutzt. Bald gab es außerhalb Italiens Schulaufführungen lateinischer Übersetzungen (manchmal auch des griechischen Originals), in Wittenberg unter der Ägide Melanchthons, in Straßburg durch Johannes Sturm, vielleicht auch in Bordeaux durch George Buchanan. Wenn dieser außer eigenen Dramen seine lateinische Übersetzung der Alkestis aufführen ließ, könnte Montaigne, der von sich sagt, er habe als Zwölfjähriger bei Schulaufführungen „les premiers personnages“ übernommen, Alkestis oder Admet gespielt haben.77 Die erste deutsche Übersetzung (gedruckt Straßburg 1604, nach Buchanans lateinischer Fassung) stammt von Wolfhart Spangenberg als „Exempel Trewhertziger Liebe zwischen rechten Eheleuten“. Mehrere Szenen sind stark –––––––––––– 76 77

Nur Pheres redet (731–733) von der möglichen Rache des Akastos. Vgl. oben Fußn. 8. Montaigne, Essais, Buch I, am Ende von Kapitel 26.

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erweitert (der Prolog schließt mit einem längeren Monolog des Todes; Herakles diskutiert mit dem Tod vor dem Ringkampf, der auf der Bühne stattfindet). Seither hat der Alkestis-Stoff eine reiche Folge von neuen Dramatisierungen, auch als Libretti für Opern, erfahren, die sich in Form und Inhalt unterschiedlich eng an Euripides anschließen. Durch die Einführung zusätzlicher Motive und weiterer Personen oder die Hervorhebung bestimmter Aspekte wird der Stoff dem Zeitgeschmack angepaßt und neu akzentuiert. In Alexandre Hardys Alceste ou La Fidélité (1602) ist Herakles auf dem Weg in die Unterwelt, um den dreiköpfigen Höllenhund Kerberos zu holen. Er bringt mit ihm zusammen nicht nur Alkestis, sondern auch Theseus und dessen Freund Peirithoos zurück.78 In Aurelio Aurelis L’Antigona delusa d’Alceste (um 1664, von Händel für seinen Admeto von 1727 benutzt) gibt es durch Admets Jugendliebe Antigona einen Treuekonflikt. Für die meisten dieser Neufassungen ist charakteristisch, daß das Tauschdilemma, also die Annahme des Opfers, das bei Euripides als ungeklärter Vorwurf im Raume steht, irgendwie explizit ausgeschaltet wird. Bei Hardy ist Admet zu krank, um das Opfer seiner Frau verhindern zu können. Bei Aureli tötet sich Alkestis ohne Admets Wissen. Ähnlich erfährt Admet in Philippe Quinaults Libretto Alceste ou Le Triomphe d’Alcide (1674, für Lully, den Hofkomponisten Ludwigs XIV.) erst hinterher von ihrer Entscheidung. Die übernatürliche Rettung durch Herakles wird in Pier Iacopo Martellos Alceste (1720) durch eine natürliche, wenn auch etwas gekünstelte Handlung ersetzt. Als Alkestis sich vergiften will, um Admet zu retten, bekommt sie vom Arzt statt Gift ein Schlafmittel, weil dieser erkennt, daß das Orakel nur eine stellvertretende Bestattung verlangt. Der von Lessing sehr geschätzte James Thomson behandelt mit Edward and Eleanora (1739) unter Verwendung der Euripideischen Alkestis einen ähnlichen Stoff aus dem Kreuzfahrermilieu. Edward wird durch einen vergifteten Dolch verwundet. Während er schläft, saugt Eleaonora das Gift aus, wird aber durch ein Gegengift gerettet. In Glucks Alkestis (Text nach Ranieri de’ Calzabigi, Wiener Fassung 1767) wird das Tauschdilemma zum Thema gemacht. Admet will das Opfer seiner Frau nicht annehmen und ihr in den Tod folgen. Da erscheint Apollon und gibt ihm Alkestis zurück: „Zwei so zärtlich liebende Seelen sind eines besseren Schicksals würdig.“ Die beiden schließen sich jubelnd in die Arme. In der Pariser Fassung (1776) ist Herakles an der Rettung beteiligt. Auch in Wielands Singspiel Alceste (1773) stehen die gegenseitige Liebe und das Tauschdilemma im Mittelpunkt. Admet will Alkestis’ Opfer nicht annehmen, kann aber ihre Entscheidung nicht rückgängig machen. Die Rettung kommt durch Herakles, am Ende steht ein frohes Wiedersehen. In der Hand–––––––––––– 78

Im antiken Mythos waren sie in die Unterwelt eingedrungen, um Persephone zu rauben, und wurden dort auf einen Felsen festgebannt; nach der vorherrschenden Version mußte Peirithoos zurückbleiben. Hardy konnte das Motiv aus dem Euripideischen Herakles kennen, wo es benutzt wird, um die Freundschaft zwischen Theseus und Herakles zu begründen.

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lung gibt es gewisse Zwischenschritte und -töne durch die zusätzliche Rolle von Alkestis’ Schwester Parthenia.79 Hofmannsthal hält sich in seiner Alkestis (1893) wieder enger an Euripides, streckenweise im Sinne einer Übersetzung. Doch anders als Euripides spricht er das Tauschdilemma schon im Prolog explizit an. Apollon berichtet, Admet habe die Frage, ob jemand bereit sei, für ihn zu sterben, zwar ausgesprochen, aber sogleich schamvoll bereut. Alkestis habe sich trotzdem den „Todesgöttern“ ausgeliefert. Admet wird also entlastet; denn er hat Alkestis weder direkt gebeten, für ihn zu sterben, noch kann er ihren Opfertod verhindern. Schon im 19. Jh. hat man begonnen, die Euripideische Alkestis als Vorlage für psychologisierende Analysen von Liebe und Ehe zu benutzen. In dem Gedicht Balaustion’s Adventure (1871) von Robert Browning wird am Beispiel von Alkestis und Admet in gewisser Weise die Ehe als solche problematisiert. In etwas andere Richtung geht Rilke in seinem Gedicht Alkestis (1907). Alkestis’ Tod am Hochzeitstag ist zugleich symbolischer Abschied von ihrem Mädchenleben, so daß Hoffnung bleibt „erwachsen zurückzukommen aus dem tiefen Tode“. In der Alkestis von Robert Prechtl (1917)80 wird daraus Die Tragödie vom Leben, wie der Untertitel des Dramas lautet. Alkestis, die sich zunächst als Ersatz angeboten hat, hängt dann doch am Leben und wehrt sich verzweifelt gegen den Tod. Am Ende des Stücks, als sie ins Leben zurückkehren könnte, entscheidet sie sich umgekehrt für das Verbleiben im Tod und gegen das Leben. Die Alkestis von Alexander Lernet-Holenia (1946) zeigt eine Alkestis, die sich nicht sicher ist, ob sie Apollon oder Admet liebt; ihre letzte Worte sind: „Ich kann jetzt schlafen. Ich bin ja allein.“ Auch in Theodore Morrisons The Dream of Alcestis (1950) gerät Alkestis in einen seelischen Zwiespalt, diesmal durch Herakles, doch am Ende entscheidet sie sich für Admet. Thornton Wilders Alcestiad (1955) kann geradezu als Lehrstück dienen, das zeigt, wie sich unter Mißachtung fast aller dramatischen Grundsätze des Euripides aus seiner Alkestis ein erfolgreiches modernes Drama machen läßt. Aus einem Tag werden bei Wilder sechsunddreißig Jahre (vom Hochzeitstag bis zum Tod der alten Alkestis). Apollon erzählt nicht wie bei Euripides die Vorgeschichte, sondern zieht im Hintergrund die Fäden, wobei jedoch die Grenze zwischen göttlichem Tun und menschlichem Wissen im unklaren gehalten wird. Alkestis möchte eigentlich Apollon-Priesterin werden, aber da das erhoffte Zeichen aus Delphi ausbleibt, glaubt sie, Apollon wolle ihre Ehe mit Admet. Ihr Opfertod ist nicht so exzeptionell wie bei Euripides (auch andere wollen für Admet sterben, sein Vater Pheres kommt nicht vor), sondern wird mit der Unterwerfung unter den vermuteten Willen Apollons begründet. Von –––––––––––– 79

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Goethe in seiner Farce Götter, Helden und Wieland (1774) stieß sich daran, daß Wielands Figuren „keine Ader griechisch Blut im Leibe haben“ (was andere später übrigens sinngemäß seiner eigenen Iphigenie nachsagten). ‚Robert Prechtl‘ ist ein Pseudonym Robert Friedlaenders. Zum Briefwechsel mit Wilamowitz s. W. M. Calder III und A. Kosenina, Antike und Abendland 36, 1990, 163–186.

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Euripides ausgesparte Motive wie das Zusammenspannen von Löwe und Keiler werden herangezogen. Aus Apollons Hirtendienst, der bei Euripides nur knapp angedeutet wird, werden vier vom Seher Teiresias eingeführte Hirten, von denen einer angeblich der Gott ist. Aus dem Euripideischen Herakles, der sich auf der Bühne doch recht dezent verhält, wird ein plump-lautstarker Verehrer der Alkestis, der sich zugleich nicht scheut, schon bei seiner Ankunft nach den Mägden des Hauses zu greifen. Aber er hat auch wie Alkestis ein seelisches Problem mit einem Gott, weil er sich nicht sicher ist, ob er ein gewöhnlicher Mensch oder ein Sohn des Zeus ist. Mit Alkestis’ Rückkehr, einer stummen Szene, endet der zweite Akt. Der dritte Akt (Admet ist von einem thrakischen Eroberer getötet worden, Alkestis ist Sklavin) hat, abgesehen von Motiven aus anderen Stücken, keine Beziehung zu Euripides. Wilder führt das Alkestis-Apollon-Thema als Frage nach dem Sinn des Lebens und der Liebe fort und deutet am Ende eine Art Unsterblichkeit für Alkestis an. Marguerite Yourcenars Le mystère d’Alceste (1961) schließt sich in Szenenfolge und manchen Details bemerkenswert eng an Euripides an, wobei die Entmythisierung noch weiter geht. Der ‚Ringkampf‘ findet zwar auf der Bühne statt, besteht aber nur darin, daß Herakles keine Furcht zeigt und dadurch dem Tod den Atem nimmt. Alkestis stellt ihre Rückkehr so dar, als ob sie sich in einem Park verirrt hatte, wo Herakles sie gefunden habe. Der Alkestis-Stoff scheint, wie der weitere Weg in die Gegenwart zeigt, unsterblich, unverwüstlich und vielseitig verwendbar zu sein. Aus dem Jahr 1989 stammt Alkestis, Ein Stück mit Musik von Franz Fühmann, „eine groteske Polit- und Militärsatire“ (Riedel 386). In A. Petras’ 2004 aufgeführter Alkestis, mon amour. Nach Euripides ist Alkestis’ Sterben „ein diskretes Weggehen, das … nicht weiter auffällt“ (Birkenhauer 53, vgl. auch Borchard 20). Am Ende kehrt nicht Alkestis zurück, sondern Herakles bringt als Ersatz eine neue Frau. Da Probleme der Liebe und Ehe zeitlos sind, gibt es auch Stücke, die weitgehend oder ganz unabhängig von Euripides entstanden sind, aber doch Züge aufweisen, die an seine Alkestis denken lassen. Das gilt z. B. für T. S. Eliots The Cocktail Party (1949), wo Entfremdung, Trennung und Erlösung eine Rolle spielen.81 Wenn man diese Linie zurückverfolgt, könnte man auch schon Ibsens Ein Puppenheim (Nora) von 1879 nennen. Eine junge Frau ist stolz darauf, ihrem Mann mit Hilfe einer gefälschten Unterschrift das Leben gerettet zu haben, und verläßt ihn, als er das nicht zu würdigen weiß, um künftig ihr eigenes Leben zu leben.

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Eliot hatte sich zwar durch Euripides inspirieren lassen, aber seinem Drama hatte das niemand angesehen, bis er selbst darauf hinwies.

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Literarische Kritik und philologische Interpretationen Die neuzeitlichen Alkestis-Dichtungen in der Nachfolge von Euripides wollen sein Stück den Maßstäben ihrer Zeit anpassen. Schon im Vorfeld der ‚Querelle des Anciens et des Modernes‘ wurde daraus bewußte oder unbewußte Kritik an der Alkestis des Euripides. In einem Vergleich zwischen Quinault und Euripides entschied sich Pierre Perrault82 zugunsten Quinaults.83 Voltaire stieß sich an der Diskrepanz zwischen Alkestis’ Opfertod „si touchant, si noble“ und den „puérilités si grossières“ der Pheres-Szene.84 Auch Wieland fand in den theoretischen Erläuterungen85 zu seiner Alceste (1773) allerlei an Euripides zu auszusetzen, um sich dadurch, wie der junge Goethe und seine Freunde bei allem Respekt meinten, „unverantwortlich zu versündigen“.86 Im Gefolge solcher Kritik ging die philologische Forschung zur Alkestis bald über die reine Textkritik hinaus und widmete sich auch der inhaltlichen Interpretation des Stücks, die sich zunehmend als schwierig erwies. Schon im Jahr 1925 sprach Albin Lesky von der „überaus großen Masse moderner Literatur“, die sich dem „Rätsel“ der Alkestis gewidmet habe.87 Seither ist die Zahl der Versuche, durch minutiöse Durchforschung des Wortlauts den Sinn des Stücks oder die Absicht des Dichters zu ermitteln, nicht geringer geworden. Es geht dabei vor allem um vier Problemkreise, die sich öfter auch überschneiden: Widersprüche und Leerstellen Die genauere Beschäftigung mit der Alkestis führte zur Entdeckung von allerlei Widersprüchen.88 Man hat z. B. gefragt, wie der Tod im Prolog ins Haus gehen und später dann am Grab der Alkestis sein kann, ohne das Haus verlassen zu haben. Oder es wurde auf etwas höherer Ebene ein Widerspruch zwischen der Rolle des Todes und der Instanz der Moiren gefunden, weil unklar sei, wer eigentlich über das Lebensende eines Menschen zu entscheiden habe. –––––––––––– 82

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Critique de l’opéra, ou examen de la tragédie intitulée Alceste ou le triomphe d’Alcide, 1675. Pierre Perrault ist einer der drei Brüder des bekannteren Charles Perrault, dessen Poème sur le siècle de Louis le Grand (1687) als eigentlicher Auslöser der Querelle gilt und der seinen Standpunkt durch Parallèle des anciens et des modernes (1688–1697) untermauerte – und dessen Contes de ma mère l’Oye wir übrigens das Märchen Rotkäppchen verdanken. Racine, der Euripides im Original lesen konnte, wandte sich im Vorwort zu seiner Iphigenie en Aulide (1674) gegen „diese Herren“, die nicht einmal gemerkt hätten, daß in ihrer lateinischen Ausgabe der Euripideischen Alkestis an einer Stelle (vor den Versen 252 und 258) versehentlich die Personenbezeichnungen „Al.“ und „Ad.“ fehlten, und daher die Partie völlig falsch verstanden hätten. Lettres philosophiques Nr.18, 1734, Nachtrag 1756. Seine Briefe an einen Freund über das Singspiel Alceste, die er im ‘Teutschen Merkur’ veröffentlicht hatte. Dichtung und Wahrheit, Buch 14, Hamburger Ausgabe Band 10, 58. Lesky 1925, 3. Lesky 1925, 57 und 60ff., behandelte einige und verwies im übrigen auf ältere Arbeiten.

Literarische Kritik und philologische Interpretationen

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Heute kann man sich über die unreflektiert realistische Perspektive, aus der heraus Tragödientexte seinerzeit gelesen wurden (und gelegentlich immer noch werden), eigentlich nur wundern. Zu Sophokles hatte schon 1917 Tycho v. Wilamowitz nachdrücklich auf den Fehler, ein Theaterstück mit einem Bericht über ein reales oder mythisches Geschehen zu verwechseln, aufmerksam gemacht.89 Seine Erklärung der Widersprüche und Diskrepanzen (Sophokles sei es nur um die „Wirkung der Einzelszene“ gegangen) klang jedoch etwas zu vordergründig und wurde deswegen oft als Behauptung, griechische Tragödien bestünden aus mehr oder weniger unverbundenen Einzelszenen, mißverstanden.90 Die eigentliche These von Tycho v. Wilamowitz besagte, daß Bild und Gegenstand nicht gleichgesetzt werden dürfen.91 Ein Drama darf daher nicht als Dokument gelesen werden, aus dem sich das dargestellte (fiktive oder reale) Geschehen rekonstruieren läßt.92 Die literarische Darstellung gibt das zugrunde liegende Geschehen immer nur unvollständig wieder und die verwendeten Motive fügen sich nicht automatisch fugenlos zusammen. Ein literarischer Text enthält daher unvermeidlich sog. ‚Leerstellen‘, wie wir heute sagen würden, die man nicht nach Gutdünken oder unter Zuhilfenahme anderer Quellen einfach ausfüllen darf. Den griechischen Tragikern ging es um die Wirkung der Einzelszene, aber selbstverständlich immer zugleich im Kontext des jeweiligen Stücks. Dabei wußten sie besser als manche Dramatiker des 19. Jahrhunderts, daß die Theaterwirksamkeit eines Dramas nicht von seiner oberflächlichen motivischen Vollständigkeit, nämlich der Vermeidung von Leerstellen und Widersprüchen, abhängt, sondern dadurch sogar beeinträchtigt werden kann. Goethe hat einmal über Schiller gesagt, dieser sei „nicht für vieles Motivieren“, d. h. für sorgfältiges Glätten der motivischen Struktur, gewesen, habe aber eben deswegen manchmal theaternäher gearbeitet als er selbst, der „oft zu viel motivierte“.93 Wie weit ein Dramatiker bei seiner Motivarbeit ins Detail geht, ist also eine Frage des Stils und der literarischen Technik. Euripides war offensichtlich der Meinung, es würde der Wirkung seiner Alkestis eher geschadet als genützt haben, wenn wir in einer zusätzlichen Szene erführen, wie der Tod sich zum Grab begibt, oder wenn die Zuständigkeit der mythischen Instanzen Moiren, Charon, Hades und Tod wie in einer staatlichen Verwaltung genau geregelt wäre. Wir waren oben (S. 19) schon unter dem Stichwort ‚punktuelle Motivverarbeitung‘ darauf zu sprechen gekommen. –––––––––––– 89 90 91

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T. v. Wilamowitz-Moellendorff, Die dramatische Technik des Sophokles. So auch von v. Fritz, Antike und moderne Tragödie, 287. Auch bei der gängigen Definition „Mythen sind traditionelle Erzählungen“ kann es zu der Verwechslung kommen. Es müßte genauer heißen „Mythen werden in Form von Erzählungen dargestellt und tradiert“; denn man muß zwischen Mythos (Geschehen, Ereignisse) und Mythenerzählung (Darstellung) unterscheiden. Vgl. oben Fußnote 21. Das wäre der schon von A. J. A. Waldock (Sophocles the Dramatist, 1951) als „documentary fallacy“ monierte Fehler. Goethe zu Eckermann am 18. Januar 1825.

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Einführung

Der Verzicht auf motivische Glättung ist positiv gesehen eine motivische Profilierung. Bei der Interpretation der Alkestis kommt es nicht nur auf das an, was dort gesagt wird, sondern oft ebensosehr auf das, was offengelassen wird. Wenn Euripides sich bei Admet an die unheroische Version der mythischen Figur hält, ist es nur konsequent, daß in der Alkestis weder der Argonautenzug noch die Kalydonische Jagd noch das Zusammenspannen von Löwe und Eber erwähnt werden. Admet ist ein König ohne Ambitionen auf heroischen Ruhm und genaugenommen nur ein bürgerlicher Familienvater. Ähnlich bei Alkestis: Wenn sie „die beste der Frauen“ sein soll, liegt es nahe, den Tod des Pelias von der Hand seiner Töchter mit Stillschweigen zu übergehen. Von zentraler Bedeutung für das Stück ist die restriktive Behandlung des Motivs ‚Lebenstausch‘ , die sich sogar schon im Prolog zeigt. Der Tausch ist irgendwann in der Vergangenheit zustande gekommen, aber wir erfahren nicht, was da konkret vor sich ging. Woher wußte Admet, daß er sterben sollte und daß ein Ersatz möglich war? Hatte Apollon mit ihm geredet? Gab es ein Orakel? Hat Admet seine Frau direkt gefragt oder hat sie von sich aus auf die Situation reagiert? Solche Leerstellen im Prolog und die sich daraus ergebende Vagheit sind die Voraussetzung dafür, daß der von Apollon angedeutete ‚Tausch‘ (14) in der irdischen Handlung des Stücks zum ‚Opfertod‘ oder ‚Sterben für‘ werden kann.94 Daher bleibt auch die Frist zwischen Alkestis’ Entscheidung und ihrem Tod ganz unbestimmt. Wie wurde Alkestis’ Todestag für „heute“ festgesetzt? Sogar der Chor kennt den Termin, aber es wird nicht gesagt, woher. Darauf, daß der Tausch vor Jahren bei der Hochzeit, wie vielfach angenommen wird, stattgefunden hat, gibt es im Text der Alkestis keinen Hinweis. Apollon im Prolog spricht in der Vergangenheitsform, aber er läßt offen, wann das war. Es könnte am Vortag gewesen sein. Der Gedanke, Alkestis habe nach der Vereinbarung des Tauschs jahrelang Zeit gehabt, um zur desillusionierten Ehefrau zu werden,95 hat daher im Text des Stückes keine Grundlage. Euripides geht es nur darum, den Tausch und Alkestis’ Sterbetag voneinander zu trennen. Er verrät uns nichts über die dazwischen liegende Zeit. Während der Zuschauer im Theater kaum Zeit hat, solche Leerstellen zu bemerken, können sie für lesende Interpreten eine faszinierende Wirkung haben, wenn man sie nämlich als offene Frage versteht, unabhängig davon, ob sie von Euripides so gemeint sind oder nicht. Das hat die Rezeptionsgeschichte gezeigt, etwa die lebhafte Diskussion, wie ein Lebenstausch mit ehrlicher Trauer Admets zu vereinen ist oder wie Alkestis’ Schweigen nach ihrer Rückkehr zu erklären ist.96 Heutige Interpreten (und Regisseure) sind geneigt, solche offenen Fragen explizit zu thematisieren. Dabei ist schwer zu sagen, wo die Grenze zu willkürlichen Ausdeutungen liegt, d. h. die Grenze zwischen –––––––––––– 94 95 96

Vgl. oben S. 16ff. Wilamowitz, Griechische Tragödien III, 86f. Dazu unten S. 40f. Das Schweigen der Alkestis.

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historisch und ahistorisch orientierter Interpretation. Beide haben aus heutiger Sicht ihre Berechtigung, nur sollte man sie nicht einfach gleichsetzen. Ironie Schon im 19. Jahrhundert begannen Versuche, hinter dem vordergründigen Wortlaut der Alkestis eine zweite Sinnebene des von Euripides eigentlich Gemeinten zu entdecken.97 Für die Diskrepanz zwischen diesem tieferen Sinn und dem Wortlaut hat sich der Begriff ‚Ironie‘ eingebürgert. Vor allem die „märchenhafte“ Rettung nach der realitätsnahen Sterbe- und Klagehandlung ist von nicht wenigen Interpreten so gedeutet worden. Wie ein ‚deus ex machina‘, der in Tragödien des Euripides öfter am Ende erscheint, verwandelt Herakles Admets Trauer in Jubel. Man hat gesagt, eine solche Wendung ins Gegenteil könne nur ironisch gemeint sein. Der Dichter wolle durch den allzu simplen (und deswegen unglaubhaften) Schluß zeigen, daß die vorangegangenen Ereignisse und seelischen Verwicklungen nicht so einfach ad acta gelegt werden können.98 Alkestis und Admet könnten nicht zusammen weiterleben, als ob nichts geschehen sei. Problematisch daran ist, daß Euripides keine sog. Ironiesignale gibt, die in diese Richtung weisen, und es daher allein vom Spürsinn und Willen des Interpreten abhängt, ob er Ironie findet oder nicht. Niemand ist gehindert, den Schluß der Alkestis als ironisch aufzufassen, doch zu behaupten, das entspreche der Intention des Euripides, bleibt eine subjektive Auslegung des Textes. Grundsätzliche Zweifel an der Berechtigung von Interpretationen, die mit dem Begriff der Ironie arbeiten, ergeben sich, wenn die von Euripides vorgegebenen motivischen Abgrenzungen nicht beachtet werden. Der angeblich ironisch zu deutende Kontrast zwischen der vorhergehenden Handlung und dem Schluß des Stücks ist z. B. nicht so scharf wie oft behauptet, wenn man berücksichtigt, daß Euripides das „Märchenhafte“ (einen Bericht über den Ringkampf mit dem Tod) unterdrückt hat und eigentlich nur das unmythische Ergebnis, ein unverhofftes Wiedersehen, auf die Bühne bringt.99 –––––––––––– 97 98

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Verrall, Euripides the Rationalist 1878. v. Fritz (312ff., das Alkestis-Kapitel stammt aus dem Jahr 1956) beruft sich dabei auf den berüchtigten ‚deus ex machina‘ am Schluß des Euripideischen Orestes, wo Apollon eine nach menschlichen psychologischen Maßstäben völlig verfahrene Situation durch einen Machtspruch kurzerhand auflöst. Die ironische Auffassung des ‚deus ex machina‘ lag in den fünfziger Jahren des 20. Jh. anscheinend in der Luft. 1957 erschien der vielzitierte Aufsatz von Karl Reinhardt, Die Sinneskrise bei Euripides, in dem wie bei v. Fritz der Orestes als Beispiel herangezogen wird. Auch der ‚deus ex machina‘ ist bei Euripides in erster Linie eine dramaturgische Maßnahme, die erlaubt, der irdischen Handlung eines Stücks eine (meist abschließende) Wendung zu geben, und bei der das persönliche Eingreifen eines Gottes von den Menschen als überraschend, aber nicht als unerhörtes Wunder empfunden wird. Ob dahinter echter oder gespielter Götterglaube steht, ist in der Forschung umstritten, dazu Lesky 1972, 518.

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Einführung

Psychologie Die psychologische Interpretation des Stücks hat sich auf das Dilemma des Lebenstauschs konzentriert. Man hat gefragt, wie sich die Annahme des Opfers mit Admets Klage verträgt. Die einen haben Admet als Feigling oder scheinheiligen Egoisten verurteilt, andere haben wie seinerzeit der junge Goethe Verständnis für das vitale männliche Ich eines Heros gezeigt, wieder andere haben gemeint, darin spreche sich einfach der traditionelle soziale Vorrang des Mannes aus. Da im Stück keine Erklärung dafür gegeben wird, warum Admet das Opfer seiner Frau angenommen hat, hat man sie in den Leerstellen finden wollen. So haben Wilamowitz und andere z. B. den Zeitraum zwischen dem Lebenstausch und dem Tod der Alkestis, der bei Euripides ganz unbestimmt bleibt, am Hochzeitstag, also vor einer Reihe von Jahren, beginnen lassen. Der Tausch sei daher in einer Situation erfolgt, in der die Konsequenzen noch in weiter Ferne lagen. Alkestis habe sich am Hochzeitstag im Überschwang der Gefühle entschieden, Admet zu retten, und Admet habe das Angebot in der Freude über seine Rettung blindlings akzeptiert. Das hat dann zu der weiteren Frage geführt, in welcher Seelenstimmung die beiden in der Zwischenheit zusammengelebt haben, und man hat die schon erwähnte Desillusionierung bei Alkestis postuliert, die sie fragen lasse, ob ihre damalige Entscheidung richtig war. Dabei sind sogar Zweifel an der Ehrlichkeit von Alkestis’ Opferbereitschaft aufgekommen und man hat statt dessen eine nüchtern kalkulierende Frau entdeckt, der es vor allem um den eigenen Ruhm ging.100 Entsprechend hat man – eine andere Leerstelle ausfüllend – gefragt, wie die Geschichte nach der Wiederkehr der Alkestis weitergehen kann, und hat das sich am Ende des Stücks andeutende künftige glückliche Zusammenleben der beiden als ironisch gemeint ins Gegenteil gewendet. Euripides wolle zeigen, daß die Ehe nach dem Lebenstausch nicht weitergehen könne, als ob nichts geschehen sei.101 Gegen solche extrapolierenden Ausdeutungen ist Protest nicht ausgeblieben, und bei den Zweiflern findet sich nicht selten der lapidare Satz: „Davon steht bei Euripides kein Wort.“ Ein völlig anderes Bild ergibt sich, wenn man die Motivgrenze zwischen Prolog (Lebenstausch) und Handlung (Opfertod) beachtet; denn Admets Verhalten wird erst dann zu einem besonderen psychologischen Problem, wenn man den Lebenstausch, der bei Euripides nur als offene Frage im Hintergrund steht, zum Thema macht und damit den Widerspruch, daß Admet einerseits von dem Lebenstausch profitiert und andererseits den Tod seiner Frau beklagt, in den Mittelpunkt stellt. Hält man sich dagegen an die von Euripides vorgebene Struktur, ist Admet ein Mann, dessen Frau für ihn stirbt und der anscheinend nicht die Möglichkeit hatte, es abzulehnen, dem aber von Dritten vorgeworfen wird, er sei schuld an ihrem Tod. –––––––––––– 100 Rosenmeyer: The Masks of Tragedy 226f. 101 v. Fritz 312ff.

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Tragikomödie? Bereits von antiken Philologen wurde die Alkestis als „eher komödienhaft“ und „eher satyrspielhaft“ eingestuft.102 Das bezog sich auf den guten Ausgang, aber es gibt darüber hinaus im Stück erheiternde Momente, so an der Figur des Herakles, der es sich als Gast im Hause ungeniert wohlsein läßt,103 oder in dem scharfzüngigen Disput zwischen Apollon und Tod im Prolog. Da die Alkestis anstelle eines Satyrspiels aufgeführt worden ist, hat man versucht, dessen typische Züge in ihr nachzuweisen. Das scheitert mangels ausreichender Vergleichsmöglichkeiten, ganz abgesehen davon, daß der Chor nicht aus Satyrn besteht, die nicht nur das entscheidende äußere Merkmal des Satyrspiels sind, sondern auch seinen Charakter, wie der Kyklops von Euripides zeigt, ganz wesentlich bestimmen. 104 Weder der gute Ausgang noch gelegentliches Lächeln des Zuschauers schließen aus, daß die Alkestis eine eigentliche Tragödie mit ernsthafter Handlung ist. Das ist eine Frage der Gewichtung; man kann dazu Beispiele aus Aischylos, Sophokles und aus Euripides’ anderen Tragödien nennen, um von Shakespeare gar nicht zu reden.105 So wird auch von denjenigen, die Euripides’ Alkestis als Tragikomödie oder quasi-Satyrspiel bezeichnen möchten, nicht zwangsläufig behauptet, daß die Sterbehandlung, also Alkestis’ Tod und Admets Trauer, als solche komisch sei.106 Etwas anderes ist es, wenn man darüber hinaus das Stück im ganzen, unter Berufung auf den (als provozierend gedeuteten) Kontrast zwischen der Realität des Todes und der „märchenhaften“ Rettung, als von Ironie durchzogen verstehen möchte. Diese Ironie ist nicht erheiternd wie die Lebensphilosophie des angetrunkenen Herakles, sondern eher beklemmend, weil sie jedes Lachen ersticken kann. Im übrigen ist wieder zu fragen, wo die Grenze zwischen Interpretation des Textes und einem von außen herangetragenen Deutungsmuster liegt.

–––––––––––– 102 In der zweiten Hypothesis, s. unten S. 214. 103 Herakles war für Komödie und Satyrspiel der Typ des tölpelhaften Fressers und Säufers, der seine nüchterne Umwelt gern mit guten Ratschlägen bedenkt. Diesen ungehobelten, aber nicht dummen Kraftburschen gibt es bereits bei Homer in Gestalt des Zyklopen Polyphem in Buch 9 der Odyssee. 104 Sutton, Satyric Elements in the Alcestis 384–391. Riemer 1989, 1 stellt dagegen fest, daß das Stück „keine definitiven Züge“ eines Satyrspiels aufweise, dazu auch seine Fußnote 4. 105 Die unterschiedliche Gewichtung hat zu differenzierenden, aber auch ablehnenden Formulierungen geführt: Seidensticker 1982, 130 „romantische Komödie … zugleich … bittere Tragödie“, 152 „Tragikomödie“. Riemer 1989, 1 „Tragödie klassischen Musters“. Die Terminologie ist dabei nebensächlich. Eine kleine Zitatensammlung bei Riemer Fußn. 5. 106 Es ist eine andere Frage, ob sich der Stoff für eine Komödie oder ein Satyrspiel eignet. Aus dem 4. Jh. kennen wir Alkestis und Admetos als Titel von Komödien, wissen allerdings nichts Näheres über den Inhalt der Stücke. Vgl. oben Fußn. 44.

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Einführung

Einige spezielle Fragen So wie man mit Hilfe der Ironie aus der glücklichen Rettung der Alkestis ein belastetes Eheverhältnis herauslesen kann, so gibt es auch ohne diesen Begriff Ausdeutungen, die über den Wortlaut des Textes hinausgehen. Das kann grundsätzlich nicht verboten sein, aber man sollte auch da zwischen den expliziten Angaben im Text und extrapolierenden Folgerungen unterscheiden. Der Prolog Für Götterprologe gilt ganz allgemein, daß sie dem Zuschauer in dreierlei Hinsicht Informationen geben können, die den Personen im Stück vorenthalten bleiben: über Vergangenheit, Zukunft und göttliches Walten. In Apollons Prologrede sind in äußerst knapper und zugleich sprachlich eleganter Form fast zahllose Informationen zusammengedrängt. Interpreten waren seit jeher geneigt, der Knappheit durch ihre Kenntnis des Mythos aufzuhelfen und die kurzen Hinweise im Sinne des Dichters, wie sie meinten, zu vervollständigen. Dabei ist übersehen worden, daß Euripides nicht nur Worte sparen will, sondern manches absichtlich im Dunkeln läßt und bestimmte für das Stück geltende Motivgrenzen einhält. Die wichtigsten Beispiele sind: – Zu Asklepios erfahren wir nicht, daß Zeus ihn wegen der unerlaubten Auferweckung von Toten getötet hat. Das zu erwähnen wäre heikel, weil Herakles am Ende Alkestis zurückholen darf, ohne daß das als unerlaubter Vorstoß gegen eine göttliche Ordnung gilt. – Eigentlich konnte Admet seinerzeit nur durch Apollon von dessen Handel mit den Moiren erfahren haben, aber auch das läßt der Gott im Dunkeln. Apollon (bzw. Euripides) vermeidet es also, näher auf die Umstände des Lebenstauschs einzugehen. – Noch auffallender ist, daß aus Apollons Worten nicht klar hervorgeht, ob Admet nach den Eltern auch Alkestis gefragt hat. Wir hören nur, daß niemand außer Alkestis zum Tausch bereit war. Nach dem Wortlaut könnte sie sich auch ungefragt und ohne Admets Wissen dazu entschieden haben. Schon hier im Prolog ist die Formulierung offensichtlich so gewählt, daß die Problematik des Lebenstauschs möglichst ausgespart wird. – Über den Zeitpunkt von Alkestis’ Entscheidung, für ihren Mann zu sterben, sagt Apollon ebenfalls nichts. Die von manchen Interpreten so betonte Frist zwischen Tausch und dem Tod der Alkestis bleibt ganz unbestimmt. – Apollon weiß, daß Alkestis „an diesem Tag“ sterben wird, aber er läßt offen, warum es gerade dieser Tag ist und wer ihn festgesetzt hat. Auch die Menschen im Stück kennen das Datum, ohne daß erklärt würde, woher sie ihr Wissen haben. – Die Moiren werden fast beiläufig erwähnt; dementsprechend erzählt Apollon nicht, wodurch er sie überlistet hat. Ihre Rolle darf nicht zu sehr hervortreten; denn wenn Apollon wenig später Alkestis’ Rettung durch Herakles

Einige spezielle Fragen

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ankündigt, müßte er eigentlich erklären, warum die Moiren damit einverstanden sein sollen. – Apollon geht aus von der ursprünglichen, naiven oder „märchenhaften“ Form der Geschichte, in der es nur auf die gute Tat der Alkestis ankommt und nicht gefragt wird, was der Tausch für sie selbst bedeutet und was Mann und Kinder dadurch verlieren. Dann (19f.) springt er in die Gegenwart: „Jetzt“ gehe es mit Alkestis zu Ende, „heute“ sei ihr Todestag. Damit sind wir bei der Kehrseite des Tauschs und der eigentlichen Handlung des Stücks, dessen Thema nicht der Tausch, sondern der Opfertod der Alkestis ist. Gastfreundschaft Der Chor rühmt Admets Gastfreundlichkeit,107 die sich im Konflikt mit seiner Trauer erneut bewährt habe (597–605), und schließt daraus auf künftiges Wohlergehen; für den Zuschauer ist das eine versteckte Anspielung auf die von Apollon prophezeite Rettung der Alkestis. Daraus und aus Herakles’ bewundernden Worten (855–860 und 1148) haben manche Interpreten entnommen, Euripides wolle sagen, Admet habe sich durch die trotz seiner Trauer gewährte Gastfreundschaft die Rettung seiner Frau verdient. Andere haben dem entgegengehalten, das sei ein doch etwas zu kleines Verdienst, um durch die Wiederkehr einer Verstorbenen belohnt zu werden. Dritte haben Admets Verhalten ganz anders interpretiert, er habe seinen Ruf als gastfreundlicher König wahren wollen, sei also nur auf seine Reputation bedacht gewesen. Bei dieser Diskussion ist die dramaturgische Funktion des Motivs der Gastfreundlichkeit etwas aus dem Blickfeld geraten; sie hat mehr mit Herakles als mit Admet zu tun. Euripides will motivieren, daß Herakles, von dem es bisher niemand erwartete, überraschend zum Retter wird. Das Motiv der Gastfreundschaft dient dazu, die Rettung als spontane Tat zu begründen. Herakles darf für die Menschen im Stück nicht von vornherein der potentielle Retter sein. Man könnte sonst fragen, warum bei seiner Ankunft niemand daran gedacht hat, ihn um Hilfe zu bitten. Zum Retter wird er erst durch die Erkenntnis, daß er, nicht ohne eigene Schuld, in eine peinliche Lage geraten ist. Als Admet rücksichtsvoll die Gastfreundschaft über seine Trauer stellte, hatte Herakles sich, obwohl er, wie er selbst sagt, es hätte besser wissen können, täuschen lassen und hatte ungeniert lautstark getafelt (826–832). Aus dieser besonderen emotionalen Situation heraus (man kann von ‚Scham‘ sprechen) faßt er den Plan, seinen Fehler durch eine Freundestat wiedergutzumachen und Alkestis zurückzuholen. Das Ganze setzt voraus, daß eine bestimmte motivische Grenze gewahrt wird. Herakles darf daher nicht sagen, daß er, wenn er gleich bei seiner Ankunft informiert worden wäre, sofort eingegriffen hätte. –––––––––––– 107 In der Alkestis wird nicht zwischen Gastfreundlichkeit (Fremden gegenüber) und Gastfreundschaft (auf Gegenseitigkeit) unterschieden. Vgl. Kommentar zu 559f.

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Einführung

Die Pheres-Szene Wenn man vom Tauschdilemma ausgeht, kann man schon die ersten Worte des Vaters als scheinheilig auffassen und dadurch Admets heftige Reaktion erklären, so etwa Dale zu 614ff. Setzt man jedoch zunächst nur Alkestis’ Opfertod voraus, ergibt sich ein anderes, nämlich abgestuftes Bild. Als Pheres arglos Alkestis lobt, wirft Admet ihm in seiner Trauer vor, er hätte sich an ihrer Stelle opfern sollen, stellt also das Verhalten seines (alten) Vaters und das der (jungen) Alkestis einander gegenüber und bringt damit indirekt das Tauschmotiv ins Spiel. Erst als Reaktion auf diesen Angriff des Sohnes kommt Pheres auf dessen eigene Rolle zu sprechen. Das geschieht in der auch sonst geltenden restriktiven Form. Pheres sagt nur, daß es Admet gelungen sei, dem Tod wider das Schicksal und auf Kosten seiner Frau zu entgehen. Der Wortlaut läßt offen, ob es sich um einen Tausch oder einen Opfertod handelt. Da Pheres sich nicht näher dazu äußert, bleibt ungeklärt, was seinerzeit wirklich vorgegangen war und ob Pheres den Tod der Alkestis vielleicht nur böswillig als von Admet erreichten Tausch interpretiert. Er täte dann dasselbe wie der später von Admet erwähnte „Feind“ (954). Admet läßt sich nicht auf diese Interpretation ein, wehrt sie nicht einmal ab, sondern kommt erneut auf das Alter des Vaters zu sprechen. Während wir heute (noch) geneigt sind, dem Grundsatz ‚gleiches Recht für jung und alt‘, den Pheres dem Sohn entgegenhält, zuzustimmen,108 ist aus nüchterner antiker Sicht die Meinung, Vater und Sohn hätten das gleiche Recht zu leben, objektiv falsch, weil dabei die natürliche Generationenfolge ignoriert wird. Da es in Mythos und Realität keine sozialisierte Altenpflege gab, war, wer keinen Sohn hatte, im Alter sich selbst überlassen. Pheres verdrängt also, daß seine Weigerung, für und damit vo r Admet zu sterben, zugleich ihm selbst die Lebensgrundlage entzieht. Euripides diskreditiert seine Position noch zusätzlich dadurch, daß er ihn sagen läßt, ihm sei gleichgültig, was man über ihn denke, für die Ohren eines damaligen Tragödienzuschauers eine ganz unerhörte Schamlosigkeit.109 Euripides geht also in dieser Szene auf den Lebenstausch nur insoweit ein, als er ihn benutzt, um die heikle Frage der Generationengerechtigkeit auf der Bühne zur Diskussion zu stellen.110

–––––––––––– 108 Man könnte sagen, Admet rede wie Aristoteles von geometrischer (Unterschiede berücksichtigender), Pheres von arithmetischer (Unterschiede nicht berücksichtigender) Gerechtigkeit, vgl. Nikomachische Ethik Buch 5, 1130b 30ff. Der sog. Generationenkonflikt wird heute gern verdrängt. Wer wie Admet die Meinung vertritt, die ältere Generation müsse im Interesse der jüngeren bereit sein kürzer- oder gar abzutreten, muß mit einem ethischen Aufruhr rechnen. 109 Vgl. Kommentar zu 726. 110 Im 6. Jh. heißt es bei Theognis (275–278): „Söhne betrachten den alten Vater als Feind, wünschen ihm den Tod und hassen ihn wie einen lästigen Bettler“. Um 408 soll Sophokles’ Sohn Iophon aus Sorge um sein Erbe (vergeblich) versucht haben, die Entmündigung seines etwa neunzigjährigen Vaters durchzusetzen.

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Admets Erkenntnis Admets „jetzt erkenne ich es“ (940) wird oft in dem Sinne verstanden, daß er sagen wolle, der Tausch sei ein Fehler gewesen, und manche Interpreten haben gemeint, bei ihm zeige sich eine Entwicklung zu dieser Erkenntnis hin.111 Doch Admet redet nicht von einem Tausch, sondern nur davon, daß Alkestis gestorben ist, er selbst aber diesem Schicksal entgangen ist. Nach dem Wortlaut scheint ihr Tod nicht einmal die Ursache seines Überlebens zu sein. Admet äußert sich also nicht dazu, warum Alkestis gestorben ist, sondern redet nur über die Konsequenzen, die ihr Tod hat und die ihm jetzt nach der Rückkehr von der Bestattung beim Anblick des Hauses konkret vor Augen stehen. Er malt sich seine Situation als Witwer aus: Innen die Leere des Hauses, draußen bei Hochzeiten und anderen Festen Frauen, deren Anblick ihn schmerzlich an Alkestis erinnert, dazu womöglich böse Nachrede von Leuten, die ihm den Tod seiner Frau vorwerfen wollen. Auch hier wieder hängt alles davon ab, ob man das Tauschdilemma zum Thema macht oder die von Euripides eingeführte Grenze zwischen den Motiven Tausch und Opfertod respektiert. Ehebruch? Daß Admet sich schließlich doch bereitfindet, die verhüllte Fremde ins Haus aufzunehmen, haben manche Interpreten als Bruch seines Alkestis gegebenen Versprechens, nicht wieder zu heiraten, gedeutet; gelegentlich wird sogar von „Ehebruch“ gesprochen. Sie machen sich damit die Deutung des Geschehens zu eigen, die Admet selbst seitens seiner Bürger befürchtet (1057), die aber nur auf äußeren Anzeichen beruht ohne Kenntnis der wahren Lage. Wenn Admet sich dem Wunsch des Freundes fügt, ist das keine Bestätigung dieses Verdachts, sondern heißt nur, daß er die Gefahr der Mißdeutung als Argument gegen die Aufnahme der Fremden fallen läßt. Etwas anderes ist die Zweideutigkeit der Situation, die durch Herakles absichtlich erzeugt wird. Die Interpreten, die Admet kritisch sehen, meinen, Herakles wolle Admets Treue zu Alkestis auf die Probe stellen. Doch die dramaturgische Anlage der Szene weist in eine andere Richtung. Wenn Herakles seinem Freund die verhüllte Frau aufdrängt und gar von einer neuen Ehe redet, zielt er auf die Wiedervereinigung mit Alkestis. Admet seinerseits hält daran fest, nicht wieder zu heiraten, stimmt aber durch die Aufnahme der Fremden, ohne es zu ahnen, der Wiedervereinigung mit Alkestis zu. Der Konflikt zwischen seiner Trauer und dem Ansinnen des Freundes löst sich damit in Wohlgefallen auf. Euripides läßt in dieser Szene wieder (wie bei Herakles’ erster Ankunft) die Motive Trauer und Freundschaft konkurrieren, wobei Admet erneut seine Trauer hintenanstellt. Was die verhüllt dabeistehende Alkestis bei diesem Täuschungsspiel denkt, darf man nicht fragen; sie ist gewissermaßen nur als Objekt, nicht als –––––––––––– 111 Eine Interpretastion, die als vermeintliche communis opinio u. a. in das Lexikon ‚Stoffe der Weltliteratur‘ von Elisabeth Frenzel eingegangen ist.

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Person anwesend, wie auch ihr Schweigen nach ihrer Enthüllung durch Herakles zeigt. Das Schweigen der Alkestis Alkestis ist an der Schlußszene nur als stumme Person beteiligt. Ihr Schweigen ist sehr auffallend, wenn man andere Wiedersehensszenen vergleicht. In der Taurischen Iphigenie folgt, als Iphigenie ihren totgeglaubten Bruder erkannt hat, ein ausführlicher Wechselgesang der Geschwister (827–899, ähnlich bei den Ehegatten Helena 625–697). Die von Herakles gegebene sachliche Erklärung, Alkestis müsse erst noch rituell gereinigt werden (1144–46), ist ein nachgeschobener dramaturgischer Vorwand112 und kann nicht der eigentliche Grund für eine so einschneidende dramaturgische Maßnahme sein, noch weniger die manchmal ins Feld geführte Kostenfrage, wonach Euripides bzw. der Chorege (der die Aufführung finanzieren mußte) das Honorar für einen dritten Schauspieler hätte einsparen wollen und Alkestis deswegen in dieser Szene durch einen Statisten gespielt wurde. Man muß vielmehr annehmen, daß Euripides ästhetisch-künstlerische Gründe hatte, die Wiedersehensfreude einseitig auf wenige Worte Admets zu reduzieren. Lesky (1972, 296) sprach von dem „feinen Gefühl“ des Dichters, Alkestis schweigen zu lassen. Sicher sagen läßt sich, daß zwei Motivgrenzen eingehalten werden. Wie der auf Andeutungen reduzierte Bericht über Herakles’ Ringkampf mit dem Tod zeigt, wollte Euripides den übernatürlichen Aspekt des Geschehens möglichst zurückdrängen.113 Wilamowitz (1926, 96) meinte, Alkestis bleibe „stumm, weil ihr Reden dem Wunder jeden Glauben nehmen würde“. In der Tat: Was hätte Alkestis dazu sagen sollen? Sollte sie erzählen, wie sie zum Leben erwacht war? Außerdem entspricht das Fehlen von Äußerungen der Wiedersehensfreude bei Alkestis ihrer passiven Rolle in der Rettungshandlung (Herakles hat sie für Admet und nicht in ihrem eigenen Interesse gerettet, vgl. Kommentar zu 824). Aufs ganze gesehen ist ihr Schweigen nur eine Folge der Tatsache, daß Euripides einen allzu starken Kontrast zwischen Tod und Rettung vermeidet und die Sterbe- und Trauerhandlung nicht in ein allgemeines Freudenfest übergehen läßt, sondern sich für diesen dezenteren Schluß entschieden hat, bei dem Alkestis zwar mit Jubel empfangen wird, aber nicht reagiert. Da Euripides als Grund die angeblich einzuhaltende rituelle Frist von drei Tagen nennt, darf der Zuschauer sich vorstellen, daß sie das bei dem von Admet angekündigten Fest (1154–58) nachholen wird. Ihr Stummbleiben auf der Bühne bedeutet daher keine grundsätzliche Störung der Kommunikation –––––––––––– 112 Die Zuschauer von 438 konnten sich, obwohl es natürlich keinen Ritus für die Rückkehr eines Toten ins Leben gab, damit abfinden, weil bei vielen Gelegenheiten Reinigungsriten üblich waren, aber sie durften nicht vergessen, daß sie sich im Theater und nicht im Alltagsleben befanden. Andernfalls hätten sie sich nachträglich darüber wundern müssen, daß Admet Alkestis bei der Hand gefaßt hatte, ohne sich dadurch zu verunreinigen und sich einem Reinigungsritus unterziehen zu müssen. 113 Vgl. oben S. 19f.

Die Euripideische Alkestis als bürgerliches Drama

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wie etwa in Andersens Märchen Die kleine Seejungfrau, wo die Meerprinzessin als Mensch dauerhaft stumm ist und ihrem geliebten Menschenprinzen nicht sagen kann, was sie für ihn empfindet. Interpreten, die im Schweigen der Alkestis ein Indiz für eine Entfremdung zwischen den Ehegatten sehen wollen, müssen sich deswegen auf die von ihnen postulierte ‚Ironie‘ des Schlusses berufen (s. oben S. 33). Es ist verständlich, daß eine Leerstelle wie das Schweigen der Alkestis auf moderne Betrachter faszinierend „ambivalent“ (Birkenhauer 46) wirkt und als offene Frage des Dichters gedeutet wird. Vielleicht hat sich schon der eine oder andere Zuschauer von 438 v. Chr. darüber gewundert. Doch es entspricht wohl einer bewußt modernisierenden (also ahistorischen114) Sicht, daraus weitergehende Schlüsse zu ziehen, etwa daß Alkestis, weil sie dem Tod so nahe war, bei ihrer Rückkehr „nicht mehr dieselbe“ sein könne und die Euripideische Alkestis „ein unheimliches Stück“ (Reemtsma, in Borchard/Zenk 67) sei.

Die Euripideische Alkestis als bürgerliches Drama Da man sich bei der Interpretation der Alkestis auf die Problematik des Tauschdilemmas und der „märchenhaften“ Rettung konzentrierte, sind andere Aspekte zu wenig beachtet worden, vor allem der vielfältige Bezug zum realen Leben, durch den sich die Zuschauer von 438 v. Chr. direkt angesprochen fühlen mußten. Es handelt sich um zeitlose gesellschaftliche Probleme, die meist auch heute in der einen oder anderen Form aktuell sind. Die Entmythisierung des Stoffs hat unverkennbar eine Verbürgerlichung zur Folge. Zwar erfahren wir, daß Admet ein herdenreicher König ist und über ganz Thessalien herrscht, aber seine Herrscherfunktion äußert sich allein in seinem Befehl, das Volk von Thessalien solle ein Jahr lang um Alkestis trauern (425–431) bzw. ihre Rettung mit einem Freudenfest feiern (1154–57). Von einem „Palast“, als den sich Interpreten oft das Bühnenhaus vorstellen, und königlicher Pracht wie bei dem Phäakenkönig Alkinoos in der Odyssee redet in der Alkestis niemand. Im Grunde haben wir es mit einem nur wenig gehobenen athenischen Haushalt des 5. Jahrhunderts zu tun.115 In der Schlußszene, als es um die Aufnahme der verhüllten Frau geht, argumentiert Admet, wie schon erwähnt, sogar mit den beengten häuslichen Verhältnissen, die nur die Wahl ließen, die Fremde entweder beim Personal oder in Alkestis’ Zimmer und Bett unterzubringen (1049–56).116 Es ist deswegen kaum richtig, von irgendwelchen ‚Anachronismen‘ in der Alkestis zu sprechen. Euripides hat kein Interesse daran, eine mythische heroische Welt darzustellen, sondern zeigt an menschlichen Figuren, die fast –––––––––––– 114 Vgl. oben S. 32f. 115 v. Fritz 317: „ganz gewöhnliche Menschen“. 116 Vermutlich ist das Motiv der Raumnot aus dem Alltagsleben übernommen, wo es dazu dienen konnte, einen Reisenden, der um Unterkunft bat, abzuweisen.

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nur noch dem Namen nach dieser fernen Welt entstammen, Probleme und Situationen aus dem zeitgenössischen Alltag. Mancher traditionsbewußte Zuschauer mag sich gefragt haben, wie ein Tragiker es wagen konnte, statt einer mythisch-allgemeinen tragischen Verwicklung den betrüblichen, aber ganz privaten Tod einer jungen Ehefrau und Mutter auf die Bühne des Dionysostheaters zu bringen. Selbst die mythische Idealität dieser Ehe (Opferbereitschaft der Frau, hemmungslose Trauer des Mannes) konnte angesichts der weniger idealen Realität des Alltags als Provokation empfunden werden. Eben diese Alltagswelt ist das eigentliche Thema des Stücks. Wenn Euripides den mythischen Lebenstausch in die bürgerliche Welt seiner Zeit versetzt, wird daraus die in Athen und besonders auf dem Lande vermutlich nicht allzu seltene Geschichte, daß eine rastlos tätige Ehefrau, die sich nicht geschont hat, frühzeitig stirbt. Es wäre erstaunlich, wenn es da nicht bei den Nachbarn geheißen hätte, sie sei „für ihren Mann gestorben“. Aber auch die grenzenlose – ihnen übertrieben oder gar unmännlich erscheinende – Trauer eines Ehemannes dürfte den Zuschauern schon in der Realität begegnet sein. Das unverhoffte Wiedersehen am Ende des Stücks ist, sobald man Frau und Mann gegeneinander austauscht, ebenfalls eine nicht allzu seltene Alltagssituation, wenn man an die Heimkehr totgeglaubter Seeleute oder Krieger denkt. Da gibt es weiteres aus dem einfachen täglichen Leben: einen Mächtigen (Apollon), der einen Beamten (Tod) unter Druck setzen will,117 einen ungelegenen Besucher während eines Trauerfalls, einen Streit am offenen Grabe, einen allzu ausgelassen feiernden Gast, einen Freund, der unbedingt ein heikles Gut aufbewahrt haben will, oder die scherzhafte Rache eines Freundes, der eine gute Nachricht zu bringen hat, aber den Empfänger vorher eine Weile zappeln läßt. Dazu kommen aktuelle, anscheinend virulente bürgerliche Themen, zu denen im Stück auffallend deutlich Stellung genommen wird, wie das Verhältnis zur Dienerschaft,118 die Situation von Stiefkindern,119 die Benachteiligung von Töchtern,120 die latente Rivalität zwischen Mann und Frau,121 untergeschobene Kinder122 oder der Generationenkonflikt zwischen erwachsenem Sohn und gealtertem Vater.123 Auf der anderen Seite wird daran erinnert, daß eine Ehe auch selbstloses Glück bedeuten kann und wahre Freundschaft nicht nur ein Geschäft auf Gegenseitigkeit ist, sondern auf bedingungslosem Vertrauen be–––––––––––– 117 Vgl. Kommentar zu 53. 118 Vgl. Kommentar zu 192–195. 119 Das ‚Märchenmotiv‘ von der bösen Stiefmutter wirkt in der Alkestis fast wie eine kritische Anspielung auf reale zeitgenössische Fälle. Vgl. Kommentar zu 306–316. 120 Vgl. Kommentar zu 312. 121 In Alkestis’ Auftreten gegenüber Admet deutet sich ein weibliches Selbstbewußtsein an, das in mehreren Komödien von Aristophanes offen als weibliche Machtübernahme zutage tritt, also sicher schon länger Gesprächsthema in Männerkreisen war. 122 Vgl. Kommentar zu 636–641. 123 Vgl. oben S. 38.

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ruht.124 Viele der damaligen Zuschauer dürften dabei an eigene Erfahrungen gedacht haben. Die Frage, ob Admet das Opfer seiner Frau hätte annehmen dürfen, werden sie, anders als neuzeitliche Interpreten, nicht auf einen „märchenhaften“, also theoretischen Lebenstausch bezogen haben, sondern als aktuelle Frage verstanden haben, ob ein Mann mehr auf seine Frau Rücksicht nehmen und nicht zulassen sollte, daß sie sich für ihn und die Familie aufopfert. Die Rolle der Frau Die Zuschauer des Jahres 438 v. Chr. waren es gewohnt, daß Frauen auf der tragischen Bühne eine aktive Rolle spielten, anders als im realen Leben, wo sie in der Öffentlichkeit außer bei Festen nicht in Erscheinung traten (es sei denn, sie mußten z. B. auf dem Feld oder als Marktfrauen für den Unterhalt der Familie sorgen). Drei Jahre zuvor hatten sie die Antigone von Sophokles gesehen, in der eine Frau sich entscheidet, ihren Bruder trotz staatlichen Verbots zu bestatten, und dafür die Todesstrafe auf sich nimmt. Doch bei Antigone und ihrem Onkel Kreon ging es um eine grundsätzliche ethisch-politische Auseinandersetzung zwischen Frau und Mann, wie sie in der realen Gegenwart ganz undenkbar war. In der Alkestis dagegen handelt es sich um eine rein private Angelegenheit eines ‚normalen‘ Ehepaars. Viele der zuschauenden Männer waren sicher gerührt, als auf der Bühne eine junge Ehefrau stirbt, im Prinzip dürften sie es jedoch ganz in Ordnung gefunden haben, daß eine Frau sich für ihren Mann aufopfert, weil das ihrem Bild von einer idealen Ehe entgegenkam. Andere mögen jedoch eben darin eine Provokation gesehen haben, weil Euripides mit dieser Alkestis dem wenig freundlichen Bild der Frau, das in Männerkreisen kursierte,125 sehr deutlich entgegentritt. Mancher mag sogar den Verdacht gehabt haben, Euripides benutze die Motive Lebenstausch und Opfertod nur als Vorwand, um eine Frau auf der Bühne selbstbewußter reden zu lassen, als sie es in der realen Gegenwart hätte tun können. Es geht vielleicht zu weit, in Alkestis eine aus ihrer traditionellen weiblichen Rolle ausbrechende, sich emanzipierende Frau zu sehen. Aber sie hat in einer bestimmten, die Familie im ganzen betreffenden Angelegenheit allein entschieden und hat gewählt, was sie für richtig hielt. Sie sieht sich nicht als passives Opfer, sondern als aktiv Handelnde, möchte entsprechend gewürdigt werden und fordert eine Gegenleistung (Admet solle im Interesse der Kinder nicht wieder heiraten). Manche der männlichen Zuschauer könnten dies weibliche Selbstbewußt–––––––––––– 124 Vgl. Kommentar zu 1107 f. 125 In der sog. Weibersatire des Dichters Semonides (gegen Ende des 7. Jh.) wird den verschiedenen Varianten problematischer, weil fauler, zänkischer, putzliebender usw., Ehefrauen die ideale Lebensgefährtin gegenübergestellt. In Aristophanes’ Komödien haben die Männer durchweg keine allzu gute Meinung von den Frauen, womit Aristophanes wahrscheinlich nur etwas auf die Bühne brachte, was dem alltäglichen Männergerede der Zeit entsprach. Vgl. oben Fußnote 20.

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sein als Zumutung empfunden haben, weil sie dadurch veranlaßt wurden, über ihre eigenen häuslichen Verhältnisse nachzudenken. Ganz anders dürften wohl Frauen, falls sie anwesend waren, darauf reagiert haben, daß Alkestis als „die beste der Frauen“ gerühmt wird. Jedenfalls manche unter ihnen hätten darin kaum eine Mahnung des Dichters gesehen, diesem Vorbild zu folgen, sondern hätten eher herausgehört, daß das männlich orientierte Frauenbild der Zeit hier ad absurdum geführt werden solle. Aus dieser Sicht wollte Euripides zeigen, daß Opferbereitschaft, wenn sie zur Selbstaufgabe wird, ihren Sinn verliert. Für heutige Feministinnen könnte die allzu opferbereite Alkestis geradezu als abschreckendes Beispiel dienen für das falsche Bewußtsein einer Frau. Das wäre übrigens keine ganz neue Deutung; denn sie würden damit nur einen Gedanken aufgreifen, den Euripides schon dem alten Pheres, der Alkestis „dumm“ (728) nennt, in den Mund gelegt hat. Die Psychoanalyse könnte, falls das nicht schon geschehen ist, analog zum ‚Ödipuskomplex‘ einen ‚Alkestiskomplex‘ als Erklärung einführen, wenn eine Frau sich für ihren Mann allzu bereitwillig aufopfert, z. B. auf berufliche Karriere oder sonstige Selbstverwirklichung verzichtet. Charakterisierung der Personen Bei der Charakterisierung seiner Personen arbeitet Euripides wie auch Aischylos und Sophokles mit sparsamen Mitteln. Manche Interpreten griechischer Tragödien haben kritisch gemeint, wir hätten es nicht mit lebendigen Charakteren, sondern mit bloßen Typen zu tun. Dabei hat man unbewußt oder bewußt das realistisch-naturalistische Drama des 19. Jahrhunderts zum Maßstab genommen, das bei der Menschendarstellung vergleichsweise ins Detail ging, weil man zu Unrecht glaubte, der Realität durch motivische Reichhaltigkeit besonders nahekommen zu können.126 Bei den Bühnenverhältnissen eines antiken Freilichttheaters kam es dagegen schon aus technischen Gründen auf scharfe motivische Konturen und strukturierende Kontraste an. Alkestis ist die ideale Ehefrau schlechthin, sie hat ihren Haushalt im Griff, wie sich im guten Verhältnis zur Dienerschaft zeigt, und ihr liegt das Wohl ihres Mannes und ihrer Kinder am Herzen. Wir erfahren aber sonst fast nichts über sie, weder über ihre Haarfarbe noch über ihren Umgang mit anderen Frauen. Sie stirbt für Admet, aber es bleibt offen, ob „aus Liebe“, wie manche Interpreten zu wissen glauben, oder aus ehelichem Pflichtbewußtsein; sie gibt jedenfalls keine Liebeserklärung gegenüber Admet ab. Der Wechsel zwischen souveräner Haltung, Abschiedsschmerz, Todesfurcht und nüchterner Vorsorge für die Kinder vollzieht sich abrupt. Manchmal scheint sie sterbenskrank, manchmal körperlich gesund zu sein. Admet ist der trauernde Ehemann, aber er klagt, ohne im heutigen Sinne direkt von persönlicher Zuneigung zu sprechen. Sein Abschied von der sterbenden Alkestis ist eine hemmungslose –––––––––––– 126 Vgl. oben S. 31f.

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Klage, doch gleich danach ist er imstande, den Gast und Freund Herakles glauben zu lassen, Alkestis lebe noch. Durch die klare Profilierung der Personen127 und die hinzukommenden Stimmungswechsel erschafft Euripides ein Bild von zwei Menschen, das bei aller Idealisierung durch seinen unvoreingenommenen Realitätsbezug viele Deutungsmöglichkeiten zuläßt und dadurch das Interesse und die Phantasie des Zuschauers – und lesender Interpreten – erregt und wachhält. Das gilt auch für die anderen Figuren. Der Ankömmling Herakles ist rücksichtsvoll, als Hausgast erweist er sich als weniger vornehm, als Retter geht er nicht besonders sensibel mit der Trauer seines Freundes um. Bei Pheres ist die negative Überpointierung so stark, daß antike Väter eigentlich verstört oder gar empört reagiert haben müssen. Drama In der Alkestis geht es nicht um einen tragischen Konflikt (das Dilemma des Lebenstauschs), sondern um dessen Folgen. Im Stück selbst werden keine Entscheidungen getroffen, die man als tragisch bezeichnen könnte.128 Ein Trauerfall wie der Tod einer jungen Frau und Mutter ist schmerzlich, aber keine tragische Zwangslage. Euripides entwickelt aus einem schlichten Alltagsereignis eine dramatische Handlung. Daß wir im Prolog erfahren, Alkestis müsse sterben, werde aber schließlich gerettet, nimmt dem Stück nicht die Spannung, weil diese wie bei jedem Drama nicht vom allgemeinen Wissen oder Nichtwissen des Zuschauers abhängt, sondern sich erst im Stück aus der Anlage der Handlung ergibt.129 Dramaturgisch gesehen deutet Apollon vorweg die zwei (parallelen) Handlungslinien ‚Tod‘ und ‚Rettung‘ an, auf denen das Stück beruht. Der Zuschauer sieht ein Haus, in dem, wie er von Apollon erfährt, der Tod der Hausfrau bevorsteht. Besorgte Freunde (der Chor) fragen sich, ob sie schon gestorben ist. Die Frau kommt heraus, und damit beginnt eine Sterbeszene: Sie fühlt den Tod nahen; ihr Mann fleht sie an, ihn nicht zu verlassen, doch die Frau stirbt. Es folgt die Totenklage ihres kleinen Sohnes, des Mannes und der Freunde. Die Trauer wird durch einen unerwarteten Hausgast (Herakles) und einen unerwünschten Trauergast (Pheres) vorübergehend gestört. Nach der Bestattung beklagt der Mann seinen Verlust. Seine Trauer wird erneut gestört; denn er soll eine fremde Frau als Hausgast aufnehmen, in seiner Situation eine schwer erträgliche Zumutung. –––––––––––– 127 Goethe nannte das ihre „derbe gesunde Natur“, vgl. oben Fußnote 79. 128 Den Konflikt zwischen Trauer und Gastfreundschaft, in den Admet durch die Ankunft seines Freundes Herakles gerät, wird man kaum ‚tragisch‘ nennen wollen. 129 Apollons Prophezeiung läßt offen, ob Alkestis noch innerhalb des Stücks gerettet wird oder ob damit nur auf den Ausgang der Geschichte im Mythos hingewiesen werden soll. Vgl. Kommentar zu 65–71.

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Das Motiv der Rettung erscheint nach der Ankündigung im Prolog zunächst in negativer Form. Alles Menschenmögliche ist getan, hört der Zuschauer vom Chor, es gibt keine Hoffnung mehr. In der Sterbeszene fleht Admet seine Frau vergeblich an, ihn nicht zu verlassen. Der als Retter angekündigte Herakles bleibt aus, Alkestis stirbt. Dann beginnt ein Wechselbad der Gefühle. Herakles kommt – wir atmen auf, vielleicht ist es noch nicht zu spät, – aber der ersehnte Retter erfährt nicht, was geschehen ist, und Alkestis wird zu Grabe getragen. Doch nun wird der ahnungslose Gast aufgeklärt; er will Alkestis zurückholen und bricht auf zur Begräbnisstätte. Die Prophezeiung Apollons wird sich damit, kann man hoffen, erfüllen. Es folgt eine Enttäuschung: Admet kommt ohne Alkestis von der Bestattung zurück. Während er sein Schicksal beklagt, erscheint auch Herakles wieder, gefolgt von einer Frau, deren Gesicht verhüllt ist. Der Zuschauer denkt natürlich: Das ist Alkestis. Doch Herakles behauptet, es sei eine Fremde. Der Zuschauer weiß nicht recht, ob er ihm glauben soll, und ist verunsichert. Admet wird von Herakles gedrängt, die Fremde ohne Rücksicht auf den Tod seiner Frau aufzunehmen. Erst als Admet die Abwehr aufgibt, kommt die Auflösung der Spannung: Es ist Alkestis. Die Alkestis ist ein Stück, bei dem der Zuschauer, der vom Theater in erster Linie anspruchsvolle Unterhaltung (Aristoteles’ „Furcht und Mitleid“130 eingeschlossen) erwartet, zufrieden und in gelöster Stimmung nach Hause gehen kann. Aber sie ist darüber hinaus geeignet, nachdenklich zu machen, sowohl den Zuschauer, der die Thematik im ganzen und manche Einzelthemen als aktuell empfindet, als auch den lesenden Interpreten, der den oder einen tieferen Sinn des Stücks ergründen möchte. Insofern darf man das Stück durchaus doppelbödig oder hintergründig nennen. Daß auch antike Zuschauer gefragt haben, wie Lebenstausch und Admets Trauer zusammenpassen, ist nicht auszuschließen, aber für sie stand diese Frage nicht am Anfang des Stücks, sondern ergab sich im dramatischen Verlauf, d. h. durch das motivische Fortschreiten vom Tausch über die Klagehandlung und die Vorwürfe des Vaters und der „Feinde“. Sie dürften überrascht gewesen sein, was Euripides in seiner Alkestis aus dem alten Mythos vom Lebenstausch herausgeholt hat. Moderne Interpreten, die die motivische Struktur das Stücks als statische Konstruktion betrachten und diese Frage an den Anfang stellen, haben dagegen besonders die dann sichtbar werdenden Diskrepanzen beachtet. Daß sich dadurch interessante Aspekte zutage fördern lassen, steht außer Frage, Euripides hätte jedoch wahrscheinlich kritisch moniert, daß dabei nicht immer hinreichend zwischen der Interpretation seines Stücks und der Explikation der im Stoff steckenden Fragen und Diskrepanzen unterschieden worden ist. Die unmythische und der Alltagsrealität besonders nahe Sicht der Alkestis auf den Menschen ist im Werk des Euripides, soweit wir es kennen, einzig–––––––––––– 130 phóbos und éleos. Zur Frage, ob diese Begriffe eher durch „Schrecken und Rührung“ o. ä. wiedergegeben werden sollten, vgl. Seeck, Die griechische Tragödie 253.

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Zur äußeren Form

artig. Schon seine Medea von 431 und sein Hippolytos von 428 setzen wieder mehr auf die mythische Distanz, was der durch Aischylos und Sophokles vorgezeichneten Linie entsprach und wahrscheinlich die Voraussetzung dafür war, daß die griechische Tragödie als Form und Institution weniger rasch veraltete als neuzeitliche Formen des Dramas und noch Jahrhunderte nach Euripides Tragödien im alten Stil verfaßt und aufgeführt wurden.

Zur äußeren Form Der Ursprung der Tragödie liegt nach wie vor im Dunkeln. Was der im Namen trag-odia („Bocksgesang“) steckende Ziegenbock bedeutet, ist immer noch umstritten, ebenso die Beziehung zu Dionysos und die merkwürdige Verwandtschaft von Tragödie und Satyrspiel. Doch das sind Fragen zur Vorgeschichte des griechischen Dramas, die für die Alkestis, wenn überhaupt, nur sehr indirekt von Bedeutung sind. Soweit wir es von den erhaltenen Stücken her erschließen können, ist die Tragödie aller Wahrscheinlicheit nach aus C ho r veranstaltungen im Rahmen des Heroenkultes hervorgegangen. Aus Liedern am Grab eines Heros, die von seinen Taten erzählten und seinen Tod zurückschauend beklagten, wurde eine szenische Ver g e ge n wär ti g u n g der Totenklage. Durch die Erfndung der E i nze lr o l le (zunächst wohl der Botenfigur)131 konnten dramatische Spannung und Handlung hinzukommen: Der Chor wartet sorgenvoll auf Nachricht vom Heros – ein Bote meldet seinen Tod – der Chor bricht in Klagen aus. Diese Struktur liegt auch der Alkestis zugrunde, wobei nach der Nachricht auch das Ereignis selbst gezeigt wird: Der Chor wartet – Nachricht der Dienerin – Tod der Alkestis – Klage. Wegen der Maske konnte der Bote dann weitere Rollen übernehmen, so daß selbst mit einem einzigen Schauspieler kompliziertere Handlungen (mit wechselnder Einzelperson als Gegenüber des Chors) möglich waren. Noch bei der Alkestis kommt man mit zwei Schauspielern aus, wenn in der Schlußszene die stumme Alkestis von einem Statisten dargestellt wird.132 Daß sich hinter der Maske der Alkestis und des Herakles vermutlich derselbe Akteur verbarg, war für das antike Publikum kein Problem, da alle Rollen von Männern gespielt wurden. Darauf, daß die Tragödie aus dem Chor hervorgegangen ist, deutet auch die antike Bezeichnung Epeisodion133 hin. Sie meint nicht den „Auftritt“ des Schauspielers, sondern die „zusätzliche Einfügung“ einer Schauspielerszene in den Chorgesang. In den erhaltenen Tragödien hat sich das Verhältnis bereits –––––––––––– 131 Der ‚Vorsänger‘ des Chores (wie manchmal angenommen wird), konnte das nicht übernehmen, weil er keine von außen kommende Figur, einen Boten oder heimkehrenden Heros, spielen kann. 132 Zu der Rolle des kleinen Eumelos s. Kommentar zu 393–415. 133 ep-eis-hódion = „dazu-hinein-wegiges“.

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weitgehend umgekehrt, so daß man von einer Szenenfolge mit eingeschobenen Chorliedern sprechen kann, wobei der Chor wie in der Alkestis nach Möglichkeit an der Handlung beteiligt wird. Bei Euripides ist die Zahl der Epeisodien noch frei, auch wenn sich schon eine Standardform von fünf oder sechs Epeisodien andeutet.134 Vorausgeht normalerweise der Prolog eines Sprechers, der in die Situation einführt; daran kann sich – wie in der Alkestis – ein Gespräch mit einer zweiten Person anschließen. Seit Aristoteles wird meist alles, was dem Auftrittslied des Chores, der Parodos,135 vorausgeht, als Prolog bezeichnet. Die Chorlieder zwischen den Epeisodien heißen ‚Standlieder‘ (Stasima).136 Den Schluß bildet das Abzugslied des Chores, die Exodos.137 Seit Aristoteles ist es üblich, auch die vorausgehende Szene, also das letzte Epeisodion, als Exodos zu bezeichnen. Diese Grundform kann in verschiedener Weise erweitert und aufgelockert werden. Der Chor pflegt schon bei Aischylos durch einen Sprecher, den ‚Chorführer‘ (koryphaios) in den Schauspielerszenen mitzureden und kann als Gruppe abwechselnd kommentierender Betrachter und engagiert Beteiligter sein.138 Die Rollen der Schauspieler können Sololieder (‚Monodien‘ oder, etwas irreführend, ‚Arien‘) enthalten. Diese können mit einem Chorlied oder einer gesprochenen Szene verschränkt werden, wodurch sich unterschiedliche Mischformen ergeben, so daß man öfter und auch bei der Alkestis über die Zahl der Epeisodien und Stasima streiten kann. Alkestis tritt mit einer lyrischen Monodie auf, in die gesprochene Verse Admets eingeschoben sind. Admets Auftritt nach der Bestattung erfolgt in Anapästen, die dann mit lyrischen Versen des Chors wechseln, wodurch die Grenze zwischen Epeisodion und Chorlied aufgehoben zu sein scheint. Solche Partien werden auch als ‚Amoibaia‘ (amoibaîon = „wechselndes“) bezeichnet. Neben den Sprechversen (iambische Trimeter) und den gesungenen lyrischen Versen der Chorlieder und Monodien bilden die sog. Marsch- oder Rezitationsanapäste eine Art Zwischenstufe, die in der Alkestis manchmal eine gliedernde oder überleitende Funktion zu haben scheinen. So kommt im Prolog der Tod mit solchen Anapästen auf die Bühne (29–37). Die Parodos beginnt und endet damit (77–85 und 132–135). Sie schließen außerdem das erste Stasimon ab (238–242), stehen zwischen Alkestis’ lyrischem Auftritt und der –––––––––––– 134 In der Zeit des Hellenismus scheint sich dann die Fünfzahl, auf die das neuzeitliche Fünfaktschema zurückgeht, durchgesetzt zu haben. Horaz spicht in seiner Poetik (189f.) bereits von actus und rät, nicht über fünf hinauszugehen. Seneca hat sich in seinen Tragödien, von zwei Ausnahmen abgesehen, an diese Regel gehalten. 135 pár-hodos = „Nebenweg“. So heißen eigentlich die beiden seitlichen Durchgänge neben der Bühne, durch die der Chor und von außen kommende Personen auftreten. 136 stásimon = „stehend“, nicht weil der Chor stillsteht, sondern weil er sich bereits in der Orchestra befindet, also seinen Platz für die Aufführung eingenommen hat. 137 éx-hodos = „Ausweg“. 138 A. W. Schlegels bekannte pauschale Formulierung, der Chor sei der „idealisierte Zuschauer“ (öfter auch als der „idealische“ oder „ideale“ Zuschauer zitiert) wird der variablen Rolle des Chores nicht gerecht.

Zur äußeren Form

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anschließenden Sprechszene (273–279) und vertreten ein reguläres Chorlied (741–746). Nach der Bestattung tritt Admet mit solchen Anapästen auf (861ff.), die dort den Platz einer lyrischen Monodie einnehmen. Auch das kurze Abzugslied des Chores ist anapästisch. Wie sich diese Partien optisch (tänzerisches Schreiten?) und akustisch (Gesang, Sprechgesang oder Rezitation?) von ihrer lyrischen und gesprochenen Umgebung abhoben, wissen wir nicht.139 Wie beim Epos sich schon vor Homer eine besondere traditionelle Sprache und ein eigener Erzählstil herausgebildet hatte, so hat auch die Tragödie ihre eigene poetische Sprache entwickelt, wobei zwischen Szenen und Chorliedern zu unterscheiden ist. Ein auffallendes, wenn auch äußerliches Kennzeichen ist die dorische Einfärbung der Chorlieder durch das gedehnte Alpha statt des ionisch-attischen Eta.140 Anders als bei Homer gibt es in der Sprache der Tragödie keine traditionellen Formeln, aber ihr Vokabular ist das einer gehobenen Bühnensprache. Der bilderreiche pathetische Stil der Tragödie,141 der schon im 5. Jh. als manchmal schwer verständlich galt,142 ist bei Euripides, besonders im Vergleich zu Aischylos, sehr herabgestimmt. Bei ihm zeigt sich öfter sogar ein Konflikt zwischen nüchterner Ratio und traditionellem Pathos. Dadurch kommt es zu Formulierungen, die oft so geistreich zugespitzt sind, daß sie fast schon unpoetisch wirken.143 Manchmal könnte man den Eindruck haben, daß Euripides bereits beginnt, das Pathos der Tragödie zu parodieren.144

–––––––––––– 139 Zur Metrik s. den Anhang. 140 Man darf daraus nicht ohne weiteres auf dorischen (peloponesischen) Ursprung der Tragödie schließen; denn es könnte sich auch um eine sekundäre, altertümelnde Einfärbung handeln. 141 Er erklärt sich zum Teil vermutlich aus den besonderen akustischen Bedingungen eines Freilichttheaters, verbunden mit der Absicht, den Zuschauer emotional anders anzusprechen als den Zuhörer eines Rhapsoden bei Homerrezitationen. 142 Beim Wettstreit der Dichter in Aristophanes’ Fröschen wirft Euripides dem Kontrahenten Aischylos seine „unverständlichen Worte“ (926) vor. Als Sokrates bei Platon (Staat 413b) einmal glaubt, nicht richtig verstanden worden zu sein, sagt er: „Ich habe mich wohl tragisch ausgedrückt.“ 143 Vgl. Kommentar zu 141. 144 Vgl. Kommentar zu 229f.

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Einführung

Schematischer Überblick Im Prolog werden von Apollon zwei Handlungslinien angekündigt: – eine Sterbe-/Klagehandlung („Alkestis wird heute sterben“), – eine Rettungshandlung („Alkestis wird gerettet werden“). Die Sterbe-/Klagehandlung besteht aus den Stationen: – Abschied, Tod, Klage – Admets Streit mit dem Vater – Aufbruch zur Bestattung – Admet nach der Bestattung vor dem leeren Haus – Der trauernde Admet soll eine fremde Frau aufnehmen. Die Rettungshandlung hat die Stationen: – Ankunft des Retters – Er wird ins Haus aufgenommen, aber nicht informiert – Er feiert ausgelassen und wird vom Diener informiert – Aufbruch zur Rettung – Er bringt Alkestis als verhüllte Fremde zurück – Er enthüllt Alkestis. Die beiden Handlungen folgen nicht einfach aufeinander, sondern sind miteinander verschränkt; denn der Retter trifft noch vor der Bestattung ein und es kommt zu einem szeneweisen Wechsel zwischen den beiden Handlungen. In das Schema von Epeisodien und Stasima gebracht ergibt sich folgende Struktur, wobei das strenge Schema durch Amoibaia und anapästische Systeme aufgelockert ist: Prologrede (1–27) Apollon: Vorgeschichte, Alkestis soll heute sterben. Prologszene (28–76) Tod: Sie wird sterben. Apollon: Sie wird gerettet werden. Parodos (77–135) Chor: Ist Alkestis schon gestorben? 1. Epeisodion (141–212) Eine Dienerin berichtet über Alkestis’ Abschied im Haus. 1. Stasimon (213–237) Chor: Gibt es noch Rettung? Es gibt keine. – Klage. 2. Epeisodion, mit zwei Monodien (244–434) Abschied und Tod: Alkestis, Admet, Kind. 2. Stasimon (435–475) Der Chor rühmt Alkestis. 3. Epeisodion (476–567) Herakles’ Ankunft, Admet verschweigt den Tod seiner Frau.

Schematischer Überblick

3. Stasimon (568–605) Der Chor rühmt Admets Gastfreundlichkeit. 4. Epeisodion (606–740) Admets Streit mit seinem Vater, Aufbruch zur Bestattung. 4. Stasimon, Anapäste (741–746) Geleitlied des Chores für Alkestis. 5. Epeisodion (747–860) Ein Diener informiert Herakles, Aufbruch zur Rettung. 5. Stasimon + 6. Epeisodion (861–961) Admet und Chor kommen zurück und klagen (Amoibaion). Admet beklagt angesichts des leeren Hauses sein Schicksal. 6. Stasimon (962–1005) Der Chor rühmt Alkestis, Unausweichlichkeit des Todes. 7. Epeisodion, Exodos (1006–1158) Herakles bringt Alkestis zurück. Abzugslied des Chors, Anapäste (1159–1163)

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Text, Übersetzung, Kommentar

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Prologrede 1–7

Vor dem Haus des Königs Admet in der Stadt Pherai in Thessalien. Personen: Apollon, Tod, Chor (Bürger von Pherai), Dienerin, Alkestis, Admet, Kind (Sohn), Herakles, Pheres (Admets Vater), Diener. Apollon (aus dem Haus kommend) O Haus Admets, in dem ich mich mit dem Knechtetisch begnügen mußte, ich, ein Gott. Zeus war die Ursache, denn er hatte meinen Sohn getötet, Asklepios – ihm den Blitz in die Brust schleudernd –, weswegen ich im Zorn die Schmiede des Zeusfeuers, die Kyklopen, töte und der Vater mich zur Strafe zum Knechtsdienst bei einem Sterblichen zwang.

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Ἀπόλλων Ὦ δώματ’ Ἀδμήτει’, ἐν οἷς ἔτλην ἐγὼ θῆσσαν τράπεζαν αἰνέσαι θεός περ ὤν. Ζεὺς γὰρ κατακτὰς παῖδα τὸν ἐμὸν αἴτιος Ἀσκληπιόν, στέρνοισιν ἐμβαλὼν φλόγα· οὗ δὴ χολωθεὶς τέκτονας Δίου πυρὸς κτείνω Κύκλωπας καί με θητεύειν πατὴρ θνητῶι παρ’ ἀνδρὶ τῶνδ’ ἄποιν’ ἠνάγκασεν.

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–––––––––––– Die wichtigsten Handschriften: B Parisinus gr. 2713 (Anfang 11. Jh.), O Laurentianus 31.10 (um 1175), V Vaticanus gr. 909 (etwa 1250–80), L Laurentianus 32.2 (Anfang 14. Jh.), P Palatinus gr. 287 (Anfang 14. Jh.) –––––––––––– 6 Κύκλωπας· καί Garzya, Diggle, Kovacs, Parker

Kommentar

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Bühnenbild. Einen ‚Palast‘, wie man öfter liest, kann es 438 v. Chr. im Dionysostheater höchstens andeutungsweise gegeben haben; denn das einstöckige Bühnengebäude bildete für alle aufgeführten Stücke den Hintergrund und konnte nur durch leicht anzubringende Versatzstücke verändert werden. Rechts und links von einer breiteren Tür in der Mitte ist eine schmalere Nebentür denkbar, die zum Gäste- bzw. Altenteil führt, aber man könnte auch ohne sie auskommen (vgl. Kommentar zu 549 und 611). Die Bühne ist wenig erhöht (höchstens 2–3 Stufen), so daß auch der Chor von der Orchestra aus am Bühnenspiel teilnehmen kann (vgl. Kommentar zu 86–111 und 476–567). 1–27 Prologrede. Anders als die Prologsprecher Aphrodite im Hippolytos oder Hermes im Ion nennt Apollon nicht seinen Namen, sondern gibt sich durch „Gott“ und „Vater des Asklepios“ zu erkennen. In seiner göttlichen Gestalt (und nicht als der menschliche Hirte, der er bisher war) tritt er aus dem Haus und trägt als charakteristisches Attribut den Bogen (39). Allgemeine Kenntnis des Stoffs wird beim Zuschauer vorausgesetzt; fast nur wie andeutende Stichworte nennt Apollon die Namen Admet, Asklepios, Kyklopen und Moiren; von Alkestis redet er als „Frau“, ihr Name fällt erst in Vers 53. Zur Funktion von Götterprologen allgemein und zur gezielten Knappheit und Unbestimmtheit der Informationen hier in der Alkestis s. Einführung S. 36f. 1 Wörtlich „Admeteische Häuser“ (poetischer Plural). Der Abschied gilt dem Haus und nur indirekt dessen Besitzer (anders 78 die Anrede des Chors: „Haus Admets“). Bei Euripides besteht, wie sich schon an dieser Formulierung zeigt, keine persönliche ‚Freundschaft‘ zwischen Apollon und Admet, sondern der Gott ist dem frommen Admet wohlgesonnen. Dieser weiß nicht einmal, daß er einen Gott im Haus hat; andernfalls könnte man fragen, warum weder Admet noch sonst jemand im Stück auf den Gedanken kommt, den Gott/Hirten im Haus zu suchen und um Hilfe zu bitten. Vgl. zu 92 und 570–596. 2 „Knechtetisch“. Apollon war nicht Sklave, sondern Thete (freier Lohnarbeiter). So hießen in Athen die Besitzlosen, die sich nur durch eigener Hände Arbeit (als kleiner Handwerker, Landarbeiter, Hirte, Ruderer o.ä.) ernähren konnten. 4 Apollon erwähnt nicht den Grund, warum der Arzt Asklepios (vgl. Einführung S. 13) von Zeus mit dem Blitz erschlagen wurde, nämlich als er anfing, Tote ins Leben zurückzuholen. Damit nimmt Euripides Rücksicht darauf, daß im Stück Herakles ungestraft die tote Alkestis retten darf. Vgl. zu 122– 129. 6 Das herausfallende Präsens „töte“ vergegenwärtigt die unbedachte Spontaneität seiner Reaktion. Die vor „und“ (kai) übliche (hier getilgte) Interpunktion widerspricht dem assertorischen Stil der Prologrede. Die Kyklopen (Zyklopen) sind ein Beispiel für die erstaunliche Wandlungsfähigkeit eines Mythos. In Hesiods Theogonie sind sie zunächst (als Personifizierung von Blitz und Donner) urtümliche Naturgewalten (139f.). Als Zeus die Macht übernimmt, werden sie zu Schmieden, die für ihn Blitze anfertigen (140, 504). In Vergils Aeneis (8,140) sind sie nur noch Gehilfen des

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Prologrede 8–15

Ich kam in dies Land, diente meinem Gastgeber als Hirte und schützte dies Haus bis zu dieser Stunde, denn einen frommen Mann fand ich – selbst fromm – in dem Sohn des Pheres. Ihn bewahrte ich vor dem Tod durch Überlistung der Moiren; die Göttinnen gestanden mir zu, Admet könne dem anstehenden Tod entgehen, wenn er denen unten einen anderen Toten dafür eintausche. Er ging prüfend alle ihm Nahestehenden durch,

ἐλθὼν δὲ γαῖαν τήνδ’ ἐβουφόρβουν ξένωι καὶ τόνδ’ ἔσωιζον οἶκον ἐς τόδ’ ἡμέρας. ὁσίου γὰρ ἀνδρὸς ὅσιος ὢν ἐτύγχανον παιδὸς Φέρητος, ὃν θανεῖν ἐρρυσάμην Μοίρας δολώσας· ἤινεσαν δέ μοι θεαὶ Ἄδμητον Ἅιδην τὸν παραυτίκ’ ἐκφυγεῖν, ἄλλον διαλλάξαντα τοῖς κάτω νεκρόν. πάντας δ’ ἐλέγξας καὶ διεξελθὼν φίλους,

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–––––––––––– 9 ἐς τόδ’ BO: εἰς τόδ’ LP: ἐστὶ δ’ V 13 Da mit Hades hier weder der Totengott noch das Totenreich, sondern der Tod schlechthin gemeint ist, schrieb Murray ᾅδην.

Kommentar

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Schmiedegottes Hephaistos. In Buch 9 der Odyssee sind sie nicht Schmiede, sondern ein unzivilisiertes riesenwüchsiges Hirtenvolk; das sich rühmt, mächtiger als Zeus zu sein (276), was noch an die alte Konkurrenz zwischen Naturgewalten und olympischen Göttern erinnert; auch die Feindschaft zwischen Apollon und den Kyklopen stammt wahrscheinlich aus dieser alten Schicht. Euripides hat die Episode der Odyssee als Vorlage für sein (erhaltenes) Satyrspiel Kyklops benutzt. 8 Rinderhirte oder allgemein Viehhirte. Der Chor erwähnt 588 Admets Reichtum an Schafen. Die seit alters berühmte thessalische Pferdezucht kommt dagegen nicht vor; in der Ilias (2,763) hat Admets Sohn Eumelos von allen Griechen das beste Pferdegespann. 9 „bis zu dieser Stunde“, wörtlich „bis zu diesem des Tages“. Das ist gegenüber dem gewöhnlichen „bis zu diesem Tag“ keine Präzisierung der Zeitangabe, sondern bedeutet ebenfalls nur die nicht näher bestimmte Gegenwart. 10 Apollons zeitweilige Degradierung vom Gott zum Menschen überschneidet sich hier mit dem Motiv des die Menschen prüfenden Gottes. Admet hat sich Apollons Wohlwollen erworben, weil er sich als „fromm“ erwiesen hat, als dieser ihm in Menschengestalt als Hirte diente. Das setzt voraus, daß Admet nicht wußte, wer der Hirte in Wirklichkeit war. Daß Admet ganz allgemein ein „guter“ Mensch ist, wird auch vom Chor (111) betont. „fromm“, Euripides spielt mit der Doppeldeutigkeit von hósios, das „heilig“ (Apollon als Gott) und „gottesfürchtig“ (Admet als Mensch) bedeuten kann. Gedacht ist wohl an Admets Respektierung göttlicher Gesetze, vor allem seine vielgerühmte Gastfreundlichkeit (Zeus ist Schützer der Fremden), aber es kann darüber hinaus gemeint sein, er habe sich als gütiger Dienstherr gezeigt. 12 Bei Homer ist moira das abstrakte unabänderliche Schicksal (wie móros in Vers 32); es gibt aber auch die Personifikation Moira und dazu den Plural (drei) Moirai. Die Personifizierung, d. h. die Unterscheidung zwischen ‚Geschehen‘ und dem dafür zuständigen mythischen ‚Amt‘ hatte zu der Vorstellung geführt, man könne das Geschehen ändern, wenn die Moiren damit einverstanden seien. Bei Euripides hat Apollon von den Moiren durch List erreicht, daß Admet weiterleben durfte, wenn er jemand anders als Ersatz bieten könne. Worin die List bestand, wird nicht gesagt; den Zuschauern wird eingefallen sein, daß Apollon die Moiren durch Wein betrunken gemacht haben soll. 15–18 Das Motiv des Lebenstauschs erscheint schon im Prolog in auffallend reduzierter Form. Bemerkenswert ist, wie knapp und wenig konkret Apollon über die damaligen Vorgänge spricht. Er sagt nicht, wie Admet von der Möglichkeit, Ersatz zu bieten, erfuhr. Die problematische Seite des Tauschmotivs, nämlich die Annahme des Tauschs durch Admet, wird gar nicht angesprochen, vgl. Einführung S. 32 und 36. Zur Unterdrückung bzw. Reduktion des Tauschmotivs im Stück selbst vgl. Einführung S. 19 und unten zu 46, 83– 85, 282–284, 380, 570–596, 620–624, 694–696, 939.

58

Prologrede 16–21

seinen Vater und seine greise Mutter, die ihn gebar, fand aber niemand außer seiner Frau, der bereit war, für ihn zu sterben und nicht mehr das Licht zu schauen. Sie wird jetzt im Hause von Händen gestützt und ringt mit dem Tode; denn ihr ist bestimmt, an diesem Tag zu sterben und aus dem Leben zu scheiden.

πατέρα γεραιάν θ’ ἥ σφ’ ἔτικτε μητέρα, οὐχ ηὗρε πλὴν γυναικὸς ὅστις ἤθελεν θανὼν πρὸ κείνου μηκέτ’ εἰσορᾶν φάος· ἣ νῦν κατ’ οἴκους ἐν χεροῖν βαστάζεται ψυχορραγοῦσα· τῆιδε γάρ σφ’ ἐν ἡμέραι θανεῖν πέπρωται καὶ μεταστῆναι βίου.

20

20

–––––––––––– 16 […] Dindorf, Diggle, Kovacs 17f. ὅστις … θανὼν Reiske, Diggle, Parker: ἥτις … θανεῖν Hss., Garzya. Die Textänderung ist zwingend; denn der Relativsatz ist auf alle in Frage kommenden Personen, nicht speziell auf Alkestis zu beziehen (verallgemeinerndes Maskulinum wie Hekabe 237, 511, 670, wo sogar nur Frauen gemeint sind). 19f. ἣ … ψυχορραγοῦσα Hss., Murray, Méridier, Garzya, Kovacs: ἣν … ψυχορραγοῦσαν· Usener, Diggle, Parker

Kommentar

59

Die Suche nach einem Ersatz ist heute übrigens weniger „märchenhaft“ als noch für Lesky im Jahr 1925, wenn man an die Nachfrage nach lebenden Spendern von Organen für Transplantationen und deren Risiko denkt. 16 Der Vers wird seit Dindorf (als Interpolation) angezweifelt, weil die Nennung der Eltern sich grammatisch nicht an das in Vers 15 vorhergehende „alle“ anzuschließen scheint (für die Streichung plädieren u. a. Reeve, Riemer). Er ist jedoch inhaltlich unentbehrlich (so u. a. Erbse, Steidle, Stanton, Parker), weil wir sonst erstmals 290f. durch Alkestis von der Existenz der Eltern und ihrer fehlenden Bereitschaft, für den Sohn zu sterben, erfahren würden. Alkestis’ Tat wird als quantitativ und qualitativ exzeptionell hingestellt; d. h. bei „alle“ geht es darum, den Kreis der in Frage kommenden Personen möglichst groß erscheinen zu lassen, während mit „Vater und Mutter“ Personen genannt werden, von denen man am ehesten Opferbereitschaft erwarten kann. Der Sinn ist also „Niemand war dazu bereit, nicht einmal die Eltern“. Die vermeintliche grammatische Schwierigkeit (die wohl eher logisch-rationalistischer als sprachlicher Natur ist) löst sich auf, wenn man den Übergang von „alle“ zu „Vater und Mutter“ grammatisch als ‚gleitend‘ und inhaltlich als konkretisierend versteht (vgl. zu 153f. 203–206 und 943). 17 Statt „Frau“ (gýne) heißt es im Stück öfter gehobener „Gattin“ (dámar, álochos oder ákoitis). Neben „Mann“ (anér) steht entsprechend „Gatte“ (pósis). 19 Mit „jetzt“ springt Apollon abrupt von der Vergangenheit in die Gegenwart (ohne den geringsten Hinweis darauf zu geben, wie lange die Vergangenheit zurückliegt, vgl. Einführung S. 32 und 36) und wechselt damit von Admet, der damals gerettet wurde, zu Alkestis, die jetzt „gestützt wird“. Useners Vorschlag, die Verbform als Aktiv zu deuten, um Admet als Subjekt beibehalten zu können („er stützt sie jetzt“), ist daher abzulehnen (so u. a. Riemer, Susanetti). Anders ist die Situation 201, wo die Dienerin dem Chor über Admet Auskunft gibt und sagt, daß er Alkestis in den Armen hält. 20 „ringt mit dem Tode“ (wörtlich „die Seele los- oder zerreißend“, ebenso 143) läßt an sich nicht erwarten, daß Alkestis später (233) noch imstande ist, aufrecht gehend, wenn auch gestützt, auf die Bühne zu kommen. Doch das entspricht der bei Euripides üblichen Folge von Emotion und Ratio (vgl. zu 280–391) und dürfte seine Zuschauer kaum gestört haben. 20f. Warum es gerade „dieser Tag“ ist, sagt Apollon nicht. Auch die Menschen im Stück kennen das Datum (Chor 105; Dienerin 147), ohne daß erklärt würde, woher sie ihr Wissen haben, vgl. Einführung S. 36. Die Rechnung, nach der Alkestis seit ihrer Zustimmung zum Tausch so lange weiterleben durfte, bis sie das damalige Alter Admets erreicht hatte, wäre rein spekulativ und ist aus dem Text nicht zu entnehmen.

60

Prologrede 22–27

Ich aber – damit mich keine Befleckung im Hause trifft – verlasse das mir sehr liebe Obdach dieser Räume. Schon sehe ich hier den Tod nahe, den Priester der Toten, der sie ins Haus des Hades hinabführen will. Pünktlich ist er da, den Tag abpassend, an dem sie sterben soll.

ἐγὼ δέ, μὴ μίασμά μ’ ἐν δόμοις κίχηι, λείπω μελάθρων τῶνδε φιλτάτην στέγην. ἤδη δὲ τόνδε Θάνατον εἰσορῶ πέλας, ἱερέα θανόντων, ὅς νιν εἰς Ἅιδου δόμους μέλλει κατάξειν· συμμέτρως δ’ ἀφίκετο, φρουρῶν τόδ’ ἦμαρ ὧι θανεῖν αὐτὴν χρεών.

25

25

–––––––––––– 23 τῶνδε φιλτάτων BV: τήνδε φιλτάτην LP: τῶνδε φιλτάτην Scholion zu Hippolytos 1437, Garzya, Diggle, Parker 26 σύμμετρος Nauck

Kommentar

61

22 Ein Haus mit einem Toten galt als unrein, vgl. zu 98. Das Motiv der Befleckung (miasma) wird dramaturgisch eingesetzt, um Apollon einen Anlaß für seinen Auftritt als Prologsprecher und sein Ausscheiden aus der Handlung des Stücks zu geben. Mit der Begründung, ihr sei es nicht gestattet, Tote zu sehen, verabschiedet sich Artemis im Hippolytos (1437f.), als ihr Schützling Hippolytos im Sterben liegt. Daß ein Gott die Nähe des Todes meidet, ist keineswegs selbstverständlich (also religiös oder mythologisch begründet), wie anscheinend gemeinhin angenommen wird. In der Ilias (16,679) wäscht Apollon in Zeus’ Auftrag den Leichnam Sarpedons. Hier bei Euripides scheut er sich nicht, mit dem Tod zu reden. Als Herakles kommt, läßt Euripides übrigens das Motiv der Verunreinigung ganz beiseite; denn niemand denkt daran, daß der Gast sich verunreinigen könnte. 23 „das mir sehr liebe“, wörtlich „das sehr befreundete“, wieder unpersönlich als Beziehung zum Haus statt zu Admet ausgedrückt, vgl. zu 1. 24 Von der Seite her nähert sich anapästisch schreitend (vgl. Einführung S. 48f. und Anhang zur Metrik) der Tod (thánatos). Man darf annehmen, daß er schwarzgewandet ist (vgl. 843) und furchterregend wirkt (und nicht wie der „Bruder des Schlafs“, der er in Homers Ilias und Hesiods Theogonie ist). Daß er „geflügelt“ ist wie in Alkestis’ Vision (261), ist ebenfalls wahrscheinlich, auch wenn man die Vision nicht ohne weiteres mit der im Prolog auftretenden Figur gleichsetzen darf, vgl. zu 252–263. Vasenbilder zeigen den Tod meist mit Flügeln, vgl. Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae (LIMC) unter ‚Thanatos‘. Gerippe und Sense wurden erst in Spätantike und Mittelalter gängige Symbole für den Tod. 25f. Hier werden zwei eigentlich nicht vereinbare Vorstellungen vom Tun des personifizierten Todes kombiniert, nämlich das Töten und das Holen. Als „Priester der Toten“ ist er der todbringende Opferpriester, der den als Opfer ausersehenen Tieren das Stirnhaar abschneidet und damit die Schlachtung einleitet. Wenn er Alkestis „ins Haus des Hades hinabführen“ will, ist er dagegen ein dahinraffender Dämon (wie Medea 1110). Später im Stück ist er auch der „Herrscher der Unterwelt“, der die Toten erwartet (vgl. zu 849–854). Versuche, daraus eine einheitliche dramatische Figur zu konstruieren, widersprechen dem Euripideischen Umgang mit vorgegebenen Motiven, vgl. Einführung S. 19f. Bei Homer, also in mythischen Zeiten, ist an der Opferhandlung kein Priester beteiligt. In der Ilias (3,273) schneidet Agamemnon beim Eidopfer den „Lämmern“ die Kopfhaare ab, bevor er sie schlachtet (292), in der Odyssee (14,422) Eumaios einem „Schwein“, das er Odysseus als Mahlzeit vorsetzen will.

62

Prologszene 28–41

Tod (von der Seite kommend) Ah, nein! Was suchst du beim Haus? Was schleichst du hier herum, Phoibos? Brichst du erneut das Recht, die Autorität der Unteren beiseite schiebend und außer Kraft setzend? Genügte es dir nicht, den Tod Admets zu verhindern durch listige Täuschung der Moiren? Nun hältst du wieder Wache, die Hand bewaffnet, bei ihr, die es auf sich nahm, ihren Gatten auszulösen und selbst an seiner Stelle zu sterben, die Tochter des Pelias. Ap. T. Ap. T.

Sei unbesorgt, mir geht es nur um Recht und vernünftige Reden. Wozu brauchst du den Bogen, wenn es dir ums Recht geht? Den trage ich immer bei mir. – und um diesem Haus das Recht schützend zu helfen.

30

35

40

Θάνατος ἆἆ τί σὺ πρὸς μελάθροις; τί σὺ τῆιδε πολεῖς, Φοῖβ’; ἀδικεῖς αὖ τιμὰς ἐνέρων ἀφοριζόμενος καὶ καταπαύων; οὐκ ἤρκεσέ σοι μόρον Ἀδμήτου διακωλῦσαι, Μοίρας δολίωι σφήλαντι τέχνηι; νῦν δ’ ἐπὶ τῆιδ’ αὖ χέρα τοξήρη φρουρεῖς ὁπλίσας, ἣ τόδ’ ὑπέστη, πόσιν ἐκλύσασ’ αὐτὴ προθανεῖν Πελίου παῖς; Απ. Θα. Απ. Θα.

θάρσει· δίκην τοι καὶ λόγους κεδνοὺς ἔχω. τί δῆτα τόξων ἔργον, εἰ δίκην ἔχεις; σύνηθες αἰεὶ ταῦτα βαστάζειν ἐμοί. καὶ τοῖσδέ γ’ οἴκοις ἐνδίκως προσωφελεῖν.

Anapäste 30

35

40

–––––––––––– 28 P hat als Personenbezeichnung Χάρων 31 fehlt in P: […] Nauck 34 σφήλαντα Monk 41 ἐνδίκως BOV, Garzya: ἐκδίκως LP, Murray, Méridier, Dale, Diggle, Conacher, Kovacs, Parker

Kommentar

63

28–76 Prologszene. Anders als im Hippolytos (wo nach Aphrodites Prologrede Hippolytos mit seinen Begleitern auftritt) spielt hier die anschließende Prologszene noch auf übergeordneter (Meta-)Ebene. Der Zuschauer sieht, wie ein Gott mit dem Tod um Alkestis’ Leben streitet, und hat teil am göttlichen Zukunftswissen Apollons, anders gesagt, er wird von Euripides ausdrücklich daran erinnert, daß Alkestis im Mythos (nicht unbedingt im Stück, vgl. zu 65– 71) am Ende gerettet wird, während die Menschen im Stück diesen Ausgang nicht kennen. In Übersetzungen wird meist als Personenbezeichnung ‚Thanatos‘ geschrieben. Dadurch kann der irrige Eindruck entstehen, es handle sich um einen Gehilfen des Unterweltgottes Hades namens Thanatos, vergleichbar dem Totenfährmann Charon. Die Bühnenfigur hier ist jedoch eine Personifikation des Todes schlechthin, also des Begriffs, und keine mythologische Figur wie in der Ilias (s. zu 24). Méridier schreibt: Le Trépas, Kovacs: Death. Vgl. zu 262 und 844. 28 Ausruf der Überraschung und Abwehr. Solche Ausrufe können außerhalb des Metrums stehen. 30 „Phoibos“ (lat. Phoebus), Beiname Apollons; ursprünglich wahrscheinlich ein anderer Gott (Licht, Sonne), der früh mit Apollon gleichgesetzt wurde. 31 Der in P fehlende Vers ist unentbehrlich. Die Partizipien geben an, worin das angebliche Unrecht besteht, wie bei der Anklage in Platons Apologie (24b): „Sokrates tut Unrecht, indem er die jungen Leute verdirbt und nicht an die Götter der Stadt glaubt, sondern an andere, neue götterartige Wesen.“ 37 Der Vatersname dient hier allein der Identifizierung; man sollte bei „Pelias“ daher nur an den König von Iolkos denken und nicht an dessen Schattenseite, den skrupellosen Usurpator, und schon gar nicht an sein Ende von der Hand seiner Töchter. Vgl. Einführung Fußnote 8 und S. 10 und unten zu 248f. 38–71 Apollon weist zunächst die Vermutung zurück, er wolle Gewalt üben, und verteidigt die Rettung Admets als ehrliches Tauschgeschäft, das niemand geschadet habe. Dann versucht er den Tod zu überreden, Alkestis ihm zu Gefallen freizugeben. Als dieser das Ansinnen ablehnt, kündigt er Alkestis’ Rettung durch Herakles an. Das Ganze ist ein geistreiches Geplänkel mit Wortwitz und ironischer Stichelei. 40 Bei Homer wird Apollon öfter argyrótoxos („der mit silbernem Bogen“) genannt; im ersten Buch der Ilias bringen seine Pfeile zahllosen Griechen den Tod (die sog. Pest). Auch in anderen Mythen erscheint er als todbringender Bogenschütze; zusammen mit seiner Schwester Artemis tötet er die vierzehn Kinder der Niobe. 41 „das Recht schützend“, wörtlich „innerhalb des Rechts“ (en-dikos = rechtmäßig). Der Tod setzt damit Apollons Antwort, ihm gehe es nur ums Recht, ironisch fort. Ein Abschreiber, der das nicht erkannt hatte und einen Schreibfehler vermutete, änderte daher n in k und schrieb das in LP überlieferte „außerhalb des Rechts“ (ek-dikos = unrechtmäßig). Daß umgekehrt erst ein Schreiber dem Vers die ironische Wendung gegeben hat, ist unwahrscheinlich.

64

Prologszene 42–54

Ap. T. Ap. T. Ap. T. Ap. T. Ap. T. Ap. T. Ap.

Das Unglück eines Freundes bedrückt mich. – und deswegen willst du mir diesen zweiten Toten rauben. Aber auch den anderen habe ich dir nicht mit Gewalt genommen. Wieso ist er dann über statt unter der Erde? Anstelle der Gattin, die du jetzt holen kommst. – und die ich hinunterführen werde ins Totenreich. So nimm sie! Aber vielleicht könnte ich dich überreden? – zu töten, wen ich töten soll? Dazu bin ich eingesetzt. Nein – denen, deren Zeit gekommen ist, den Tod zu bringen. Ich kenne nun deine Meinung und deine Absicht. Ist es also möglich, Alkestis altwerden zu lassen? Auf keinen Fall! Glaube mir, auch ich liebe mein Amt. Doch du würdest deswegen nicht mehr als e i n Leben bekommen.

Απ. Θα. Απ. Θα. Απ. Θα. Απ. Θα. Απ. Θα. Απ. Θα. Απ.

φίλου γὰρ ἀνδρὸς συμφοραῖς βαρύνομαι. καὶ νοσφιεῖς με τοῦδε δευτέρου νεκροῦ; ἀλλ’ οὐδ’ ἐκεῖνον πρὸς βίαν σ’ ἀφειλόμην. πῶς οὖν ὑπὲρ γῆς ἐστι κοὐ κάτω χθονός; δάμαρτ’ ἀμείψας, ἣν σὺ νῦν ἥκεις μέτα. κἀπάξομαί γε νερτέραν ὑπὸ χθόνα. λαβὼν ἴθ’· οὐ γὰρ οἶδ’ ἂν εἰ πείσαιμί σε. κτείνειν γ’ ὃν ἂν χρῆι; τοῦτο γὰρ τετάγμεθα. οὔκ, ἀλλὰ τοῖς μέλλουσι θάνατον ἐμβαλεῖν. ἔχω λόγον δὴ καὶ προθυμίαν σέθεν. ἔστ’ οὖν ὅπως Ἄλκηστις ἐς γῆρας μόλοι; οὐκ ἔστι· τιμαῖς κἀμὲ τέρπεσθαι δόκει. οὔτοι πλέον γ’ ἂν ἢ μίαν ψυχὴν λάβοις.

45

50

45

50

–––––––––––– 50 ἐμβαλεῖν Hss., Garzya: ἀμβαλεῖν Bursian, Murray, Méridier, Dale, Diggle, Conacher, Kovacs, Parker

Kommentar

65

46 „Anstelle …“, wörtlich „eintauschend“. Mit „eintauschend“ ist zwar gesagt, daß Admet durch den Tausch gerettet worden ist, also Nutznießer des Tauschs war, nicht aber, ob und wie weit er selbst dabei aktiv war (vgl. zu 15– 18). Es handelt sich um ein sog. ‚kausatives‘ oder ‚faktitives‘ Aktiv (Schwyzer, Griech. Grammatik 2,220), d. h. das grammatische Subjekt muß nicht selbst tätig sein, sondern die Handlung geschieht in seinem Interesse (nicht unbedingt in seinem Auftrag, wie es in den Schulgrammatiken heißt). 47 Der Tod spricht hier als Instanz, die allein zu entscheiden hat. Daß seinerzeit bei Admet die Moiren zuständig waren und eigentlich auch bei Alkestis mitzureden hätten, wird nicht berücksichtigt. Vgl. zu 849–854. 48 „So nimm sie!“ (wörtlich: „Nehmend gehe!“) kündigt wie unser scheinbar nachgebendes „schon gut“ oder „ja, selbstverständlich“ ein folgendes „aber“ an. 49 Der Tod fällt ihm ironisch fragend ins Wort und verdreht den zu erwartenden Wunsch ins Gegenteil „(Du willst sagen:) zu töten, wem es (wie Alkestis) bestimmt ist? Ja, das ist meine Aufgabe.“ 50 Apollons Antwort hat Kommentatoren und Herausgebern einiges Kopfzerbrechen bereitet. Das Verbum méllein bedeutet „unmittelbar davor sein (= wollen, sollen, zögern), etwas zu tun oder zu erleiden“, kann also verschieden interpretiert werden; außerdem kann das Dativpartizip méllousi als poetischer oder als echter Plural verstanden werden. Das hat der Bursianschen Konjektur ambaleîn (aufschieben) zu weitgehender Anerkennung verholfen, die jedoch den Sinn unnötig ‚verbessert‘ und daher nicht akzeptabel ist. Wenn man mit Garzya das überlieferte embaleîn (auferlegen, antun, bringen) beibehält (so auch M. Lazzeri, Bollettino di Filologia Classica 20, 1999, 54–54), will Apollon die Aussage des Todes korrigieren: „Nein, deine Aufgabe ist es, denen die sterben sollen (d. h. das vom Schicksal festgesetzte Alter erreicht haben), den Tod zu bringen“. Entscheidet man sich für die Konjektur, will Apollon seine eigene Aussage klarstellen: „Nein, ich hatte sagen wollen, den Tod einer, die sterben soll (aber wie Alkestis eigentlich noch zu jung ist), hinauszuschieben“. Keinesfalls kann Apollon sagen wollen: „Nein, den zu töten, der zu lang im Leben säumt“ (Donner/Kannicht) und damit andeuten, der Tod solle sich an Admets Eltern halten. Er würde damit die Macht des Todes ganz generell darauf reduzieren, allzu alt gewordene Menschen sterben zu lassen, was wohl ein Mensch, aber kaum ein Gott wünschen kann. 53 „liebe mein Amt“. Der Tod will nicht sagen, ihm bereite das Töten Freude, sondern redet wie ein besoldeter Amtsträger, der froh ist, einen auskömmlichen Posten zu haben, den er nicht verlieren möchte. In Athen war das Kollegium der ‚Elfmänner‘ (und ihr Hilfspersonal) für die Verhaftung von Beschuldigten und für Hinrichtungen zuständig (wie bei Sokrates, vgl. Platon, Phaidon 59e). Jeder Zuschauer hatte wahrscheinlich eigene passive oder aktive Erfahrungen mit Versuchen, Richter oder Beamte durch Versprechungen oder Drohungen zu beeinflussen.

66 T. Ap. T. Ap. T. Ap. T. Ap. T. Ap.

Θα. Απ. Θα. Απ. Θα. Απ. Θα. Απ. Θα. Απ.

Prologszene 55–69

Wenn Junge sterben, ist mein Gewinn größer. Auch wenn sie im Alter stirbt, wird die Bestattung nicht weniger aufwendig sein. Zugunsten der Besitzenden erläßt du da ein Gesetz, Phoibos. Wie das? Als Sophisten kannte man dich bisher nicht. Die Reichen könnten sich einen späten Tod erkaufen. Du willst mir also diesen Gefallen nicht erweisen? Nein, keinesfalls. Du kennst doch meine Art. – die den Menschen feindlich und den Göttern verhaßt ist. Du kannst nicht alles haben, wenn es dir nicht zusteht. Wahrlich, man wird dir Einhalt gebieten, so hart du bist: E i n so lc h e r M a n n wir d z u m Ha u s d e s P he r e s ko m me n , vo n E u r y st he u s ge sc h ic k t nac h d e m P fer d e ge sp a n n au s T hr a ki e n s wi n t er lic he n Ge f il d e n, d er – a ls Ga s t a u f g e no m me n i n d ie se m Ha u s d es Ad met d ir mi t Ge wa l t d i es e Fr a u e n tr e iß e n wir d .

νέων φθινόντων μεῖζον ἄρνυμαι γέρας. κἂν γραῦς ὄληται, πλουσίως ταφήσεται. πρὸς τῶν ἐχόντων, Φοῖβε, τὸν νόμον τίθης. πῶς εἶπας; ἀλλ’ ἦ καὶ σοφὸς λέληθας ὤν; ὠνοῖντ’ ἂν οἷς πάρεστι γηραιοὶ θανεῖν. οὔκουν δοκεῖ σοι τήνδε μοι δοῦναι χάριν; οὐ δῆτ’· ἐπίστασαι δὲ τοὺς ἐμοὺς τρόπους. ἐχθρούς γε θνητοῖς καὶ θεοῖς στυγουμένους. οὐκ ἂν δύναιο πάντ’ ἔχειν ἃ μή σε δεῖ. ἦ μὴν σὺ παύσηι καίπερ ὠμὸς ὢν ἄγαν· το ῖο ς Φ έ ρ ητο ς ε ἶσ ι πρ ὸ ς δ όμ ο υ ς ἀν ὴ ρ Ε ὐ ρυ σ θέω ς π έμ ψ αν το ς ἵ ππε ιο ν μ ε τ ὰ ὄ χημ α Θ ρ ή ικ ης ἐκ τ όπ ω ν δυ σχε ιμ έ ρ ω ν , ὃ ς δ ὴ ξενωθ ε ὶς το ῖσ δ ’ ἐν Ἀδμ ή το υ δ όμ ο ις βί α ι γ υν α ῖκ α τ ήν δε σ ’ ἐ ξ α ι ρ ήσ ε τ α ι.

55

60

65



55

60

65

–––––––––––– 55 γέρας BOV: κλέος LP 58 λέληθας VL: ἐλήλυθας P: πέφυκας B: λέληθα σ’ Paley 59 γηραιοὶ Diggle (Hermann): γηραιοὺς Hss., Garzya: γηραιοῖς Heiland 64 παύσηι Hss. Garzya, Kovacs: πείσηι F. W. Schmidt, Diggle, Parker

Kommentar

67

55f. Ein Mißverständnis: Der Tod meint mit dem größeren Gewinn den größeren Lebensabschnitt, der ihm bei einem jung Verstorbenen zufällt, Apollon dagegen glaubt, er habe sagen wollen, bei einer jüngeren Toten sei die Trauer größer und dementsprechend die Bestattung aufwendiger. 58 „Wie das?“ (wörtlich „Wie hast du gesagt?“) im Sinne von „Das ist mir zu hoch.“ Apollon konstatiert halb ironisch, halb anerkennend, daß der Tod wie ein geübter Dialektiker dabei ist, aus seiner Antwort eine diskreditierende Folgerung zu ziehen. sophós bedeutet in der Zeit des Euripides nicht nur „wissend“ oder „weise“, sondern auch „sophistisch“, „klügelnd“ o.ä. 60 Bisher hatte Apollon dem Tod einzureden versucht, ein früher Tod der Alkestis bringe ihm keinen Vorteil. Da diese Taktik keinen Erfolg hat, soll der Tod nun ihm zu Gefallen (charis) eine Ausnahme machen und Alkestis weiterleben lassen, womit Apollon stillschweigend eine Gegenleistung bei anderer Gelegenheit anbietet, vgl. zu 70f. In Apollons vergleichbarer Auseinandersetzung mit den Erinyen in Aischylos’ Eumeniden (179–243) geht es nicht um eine Gefälligkeit, sondern um eine Prinzipienfrage: Darf ein Gattenmord (Klytaimestra) durch einen Muttermord (Orest) vergolten werden? 61 „meine Art“, die notorische Unerbittlichkeit des Todes. 64 Gegen die Konjektur „du wirst überredet werden“ (= „wirst mir gehorchen“) statt des überlieferten „aufgehalten (= gestoppt) werden“ wendet sich wie schon Dale auch Riemer 173f. Apollon will nicht sagen, er werde sich am Ende doch durchsetzen, sondern prophezeit nur den faktischen Ausgang. Das einleitende ê mên (Denniston 350: „introduces a strong and confident asseveration“) entspricht dem hebräischen amên (vgl. Mtth. 6,2 „Wahrlich, ich sage dir“), auch wenn die äußere Ähnlichkeit wohl nur zufällig besteht. 65–69 Ganz zu Unrecht hat man an diesen Versen Anstoß genommen (Dale: „seems to say too much or too little“). Apollon schlägt den Ton des Orakels von Delphi an, seine Prophezeiung ist dementsprechend etwas dunkel gehalten. Der entscheidende Name ist verschlüsselt („Ein solcher Mann … von Eurystheus geschickt“). Der damalige Zuschauer verstand natürlich trotzdem sofort, daß Herakles gemeint ist. So wie die Prophezeiung formuliert ist, muß sie sich nicht im Stück bewahrheiten, sondern könnte auf eine spätere Zukunft zielen. Für den Zuschauer wird das bis zum Schluß in der Schwebe gehalten (vgl. zu 549, 604, 840–854). Wenn Alkestis im Stück nicht gerettet würde, könnte er sich nach dieser Ankündigung immer noch damit trösten, daß sie später ins Leben zurückkehren wird. 66 Eurystheus, der durch eine List Heras anstelle von Herakles König von Tiryns und Mykene geworden war und in dessen Auftrag Herakles seine zwölf berühmten „Arbeiten“ erledigen muß. Hier geht es um die achte in der traditionellen Liste; sie wird 481–498 genauer beschrieben.

68

T.

Prologszene und Parodos 70–85

Und du wirst keinen Dank von mir erfahren, wirst es trotzdem tun und hast meine Feindschaft dazu. (Apollon geht zur Seite ab.) Du kannst viel reden, doch dadurch erreichst du nichts. Die Frau wird hinuntergehen in das Haus des Hades! Ich gehe jetzt zu ihr, um das Opfer mit dem Messer einzuleiten; denn der ist den unterirdischen Göttern verfallen, dessen Haupthaar diese Schneide weiht. (Der Tod geht ins Haus.)

70

75

Chor (von den Seiten in die Orchestra kommend, sich dem Haus zuwendend) Was bedeutet die Ruhe vor dem Haus? Warum ist es so still im Haus Admets? Kein Angehöriger ist in der Nähe, 80 der sagen könnte, ob man schon um die verstorbene Königin klagen muß oder ob sie noch lebt und das Licht schaut, die Tochter des Pelias, Alkestis, die sich mir und aller Welt als die beste Frau 85 gegenüber ihrem Gatten erwiesen hat.

Θα.

Χορός

κοὔθ’ ἡ παρ’ ἡμῶν σοι γενήσεται χάρις δράσεις θ’ ὁμοίως ταῦτ’ ἀπεχθήσηι τ’ ἐμοί. πόλλ’ ἂν σὺ λέξας οὐδὲν ἂν πλέον λάβοις· ἡ δ’ οὖν γυνὴ κάτεισιν εἰς Ἅιδου δόμους. στείχω δ’ ἐπ’ αὐτήν, ὡς κατάρξωμαι ξίφει· ἱερὸς γὰρ οὗτος τῶν κατὰ χθονὸς θεῶν ὅτου τόδ’ ἔγχος κρατὸς ἁγνίσηι τρίχα. τί ποθ’ ἡσυχία πρόσθεν μελάθρων; τί σεσίγηται δόμος Ἀδμήτου; ἀλλ’ οὐδὲ φίλων πέλας οὐδείς, ὅστις ἂν εἴποι πότερον φθιμένην χρὴ βασίλειαν πενθεῖν ἢ ζῶσ’ ἔτι φῶς λεύσσει Πελίου τόδε παῖς Ἄλκηστις, ἐμοὶ πᾶσί τ’ ἀρίστη δόξασα γυνὴ πόσιν εἰς αὑτῆς γεγενῆσθαι.

–––––––––––– 79 Monk, Diggle 81 χρὴ πενθεῖν βασίλειαν Hss.

70

75

Anapäste

80

85

Kommentar

69

70f. Apollon spielt auf die im antiken Athen und anderswo verbreitete Praxis an, die Personen, mit denen man zu tun hat, in Freunde (Angehörige derselben Hetairie = Clique) und Feinde einzuteilen und nach dem Grundsatz „Den Freunden nützen, den Feinden schaden!“ zu handeln. Wenn der Tod ihm einen Gefallen verweigert, wird er automatisch zum Feind und muß damit rechnen, künftig als solcher behandelt zu werden. Der Satz wird im ersten Buch von Platons Staat (ab 332b) als Meinung des Dichters Simonides (geb. etwa 556) und als zeitlos gängige Lebensmaxime diskutiert. Mit Feinden, die nur darauf warten, ihm schaden zu können, rechnet auch Admet, vgl. zu 954– 959. 72 Der Tod reagiert nicht auf die Ankündigung (man könnte erwarten, daß er sagt, er fürchte keine Gewalt). Euripides vermeidet also, den Konflikt zwischen der realen Unwiderruflichkeit des Todes und seiner mythischen Überwindung durch Herakles offen anzusprechen. Zu diesem Motivkonflikt vgl. zu 843–849. 74 „Opfer“. Gemeint ist das rituelle Abschneiden des Stirnhaares beim Opfertier. Euripides greift damit die Metapher vom Opferpriester (vgl. zu 25f.) wieder auf, aber legt sie diesmal dem Tod selbst in den Mund. Daß der Tod, wie manche Interpreten meinen, tatsächlich ein Messer, wörtlich „Schwert“ (xiphos), bei sich hat, ist denkbar, aber man sollte nicht vergessen, daß wir es nicht mit einem wirklichen Opferpriester, sondern mit einer Metapher zu tun haben. Das gilt auch für die Figur des Todes im ganzen und abgesehen von seiner Rolle als Opferpriester: Er geht ins Haus, aber Alkestis stirbt nicht im Haus, sondern auf der Bühne. Vgl. zu 252–263. 75f. „weiht“, vgl. zu 1146. 77–135 Parodos. Anapäste, in die zwei lyrische Strophenpaare eingefügt sind. Die Situation spricht dafür, daß der Chor nicht geschlossen in die Orchestra einzieht, sondern die (zwölf oder fünfzehn) Mitglieder einzeln von beiden Seiten herbeikommen und sich erst in der Orchestra zur Gruppe formieren, um sich dann dem Hause zuzuwenden. Es sind Bürger der Stadt, die wissen, daß Alkestis an diesem Tag sterben wird, und als Freunde (212) ihre Anteilnahme zeigen wollen (zu ihrem Wissen vgl. zu 20). 77f. Der Chor wartet, wie es seiner traditionellen Rolle entspricht, auf Nachricht, vgl. Einführung S. 47. 79 „Angehöriger“, d. h. jemand, der dem Haus „freundschaftlich“ verbunden ist, was die Dienerschaft einschließt. 83–85 Aus dem Wortlaut ist nicht zu entnehmen, daß ein Lebenstausch stattgefunden hat. Alkestis erscheint als treusorgende Ehefrau, die sich in herausragender Weise um ihren Mann verdient gemacht hat, ebenso 97 und 151. Vgl. zu 15–18.

70

Parodos 86–97

Hört jemand Stöhnen oder Händeschlagen im Haus oder Klagerufe, als ob es schon geschehen ist? Auch kein Bediensteter steht an der Tür. Wenn du doch als Retter vom Unglück erschienest, Paian!

90

Wenn sie tot wäre, würden sie nicht schweigen. Sie ist schon tot. Sie ist noch nicht aus dem Hause. Wieso? Ich kann es nicht sagen. Was macht dich so sicher? Wie hätte Admet eine so verdiente Frau in aller Stille bestattet?

κλύει τις ἢ στεναγμὸν ἢ χειρῶν κτύπον κατὰ στέγας ἢ γόον ὡς πεπραγμένων; οὐ μὰν οὐδέ τις ἀμφιπόλων στατίζεται ἀμφὶ πύλας. εἰ γὰρ μετακύμιος ἄτας, ὦ Παιάν, φανείης. οὔ τἂν φθιμένας γ’ ἐσιώπων. νέκυς ἤδη. οὐ δὴ φροῦδός γ’ ἐξ οἴκων. πόθεν; οὐκ αὐχῶ. τί σε θαρσύνει; πῶς ἂν ἔρημον τάφον Ἄδμητος κεδνῆς ἂν ἔπραξε γυναικός;

95

Strophe 1

90

95

–––––––––––– 91 μετακύμιος Hss., Parker: μετακοίμιος Zacher, Diggle, Kovacs. Das nur hier und bei Eusebius Praep. ev. 11.22.1 belegte Wort μετακύμιος scheint von κῦμα abgeleitet zu sein und bedeutet danach „zwischen zwei Wellen“, also soviel wie „Ruhe gebend“. Zachers Konjektur ist eine aus dem Verbum μετακοιμίζειν (beruhigen, einschläfern, Aischylos Choephoren 1075f. ποῖ καταλήξει μετακοιμισθὲν μένος ἄτης;) abgeleitete Neubildung. 94 νέκυς ἤδη … Kirchhoff, Wilamowitz, Murray: οὐ γὰρ δὴ φροῦδός γ’ ἐξ οἴκων νέκυς ἤδη Hss.: †…† Diggle, Parker: [νέκυς ἤδη] Garzya: οὐ γὰρ δήπου φροῦδός γε δόμων νέκυς ἤδη Kovacs

Kommentar

71

86–111 Das erste lyrische Strophenpaar bietet wie die vorangehenden Anapäste ein Gewirr von Einzelstimmen, eine lebhafte Szene. Man darf sich eine tänzerisch bewegte Schar von (einzeln oder gruppenweise) diskutierenden und gestikulierenden Männern vorstellen, die dabei vielleicht sogar vorübergehend auf die Bühne (vgl. die Vorbemerkung zum Bühnenbild oben S. 55) vordringen. Über die Möglichkeiten der Chorregie bei Tragödienaufführungen wissen wir nicht mehr, als sich aus den Texten selbst entnehmen läßt. Die überlieferten Hinweise auf Unterteilung in Halbchöre (meist in den Ausgaben durch – angezeigt) gehen sicher nicht auf Euripides zurück und sind daher unverbindlich. Da sie eine falsche Sicherheit vortäuschen und auch irreführend sein können, sind sie hier weggelassen. 87 Frauen bekunden ihre Trauer durch Klagerufe und klatschende Schläge auf Schultern und Arme, ebenso 103–104. 92–97 Diese Verse weichen metrisch von 105–111 etwas ab und es ist umstritten, ob eine Textverderbnis vorliegt oder die beiden anapästischen Abschnitte nicht Teil von Strophe und Gegenstrophe sind. Der lebhafte Wortwechsel spricht für das zweite. 92 Unter dem Namen Paian wird Apollon als Heilgott angerufen. Von seiner Rolle als Hausgenosse weiß der Chor hier nichts; andernfalls müßte er ihn eigentlich suchen, um ihn direkt um Hilfe zu bitten. Im dritten Stasimon weiß der Chor von Apollons Hirtendienst, vgl. zu 570–596. 98 Bei einem Todesfall stellte man ein Wasserbecken vor die Tür (zum symbolischen Händewaschen beim Verlassen des Hauses). Vgl. zu 22.

72

Parodos 98–111

Vor der Tür sehe ich kein Wasserbecken, wie es üblich ist bei Türen von Verstorbenen, im Vorhof nicht abgeschnittenes Haar, das Zeichen der Trauer um einen Toten, kein Lärmen jugendlicher Frauenhände ist zu hören. Doch heute ist der entscheidende Tag. Was meinst du damit? Der Tag, an dem sie unter die Erde gehen muß. Du trafst mich im Innersten, lähmst mein Denken! Wenn es den Guten schlecht ergeht, muß das jeder brave Mann beklagen, seit jeher gilt das.

100

105

110

πυλῶν πάροιθε δ’ οὐχ ὁρῶ πηγαῖον ὡς νομίζεται χέρνιβ’ ἐπὶ φθιτῶν πύλαις. χαίτα τ’ οὔτις ἐπὶ προθύροις τομαῖος, ἃ δὴ νεκύων πένθει πίτνει, οὐδὲ νεολαία δουπεῖ χεὶρ γυναικῶν.

Gegenstrophe 1

καὶ μὴν τόδε κύριον ἦμαρ τί τόδ’ αὐδᾶις; ὧι χρή σφε μολεῖν κατὰ γαίας. ἔθιγες ψυχᾶς, ἔθιγες δὲ φρενῶν. χρὴ τῶν ἀγαθῶν διακναιομένων πενθεῖν ὅστις χρηστὸς, ἀπ’ ἀρχῆς νενόμισται.

105

100

110

–––––––––––– 100 φθιτῶν LP: φθιμένων BOV 102 †ἃ … νεολαία† Diggle 106 folgt in LP auf 107: †τί τόδ’ αὐδᾶις;† Diggle 111 χρηστὸς ἀπ’ Méridier, Garzya, Diggle, Kovacs, Parker: χρηστός, ἀπ’ Seeck

Kommentar

73

101 Das Scheren der Haare als Zeichen der Trauer ist schon bei Homer ein poetisches Motiv, aus dem man nur bedingt auf die historische Realität schließen darf. In der Ilias wird der Leichnam von Achills Freund Patroklos (23,135f.) „ganz von Haaren bedeckt“; in Aischylos’ Choephoren (168) legt Orest eine Haarlocke auf das Grab seines Vaters Agamemnon, ebenso in der Elektra des Sophokles (52) und des Euripides (91). Abgeschnittenes Haar vor dem Eingang eines Trauerhauses, könnte Brauch im zeitgenössischen Athen gewesen sein. 103–4 „kein Lärmen … ist zu hören“: Wörtlich „keine Hand … lärmt“. Vgl. zu 87. 105 „entscheidend“ (kyrion), d. h. der Tag, an dem Alkestis sterben soll, so auch 158. Zum Wissen des Chors vgl. zu 20f. 108 „Innersten … Denken“, wörtlich „Seele“ (psyche) und „Geist“ (phrenes). Die beiden Begriffe sind nicht als synonym aufzufassen, wie Dale meint, sondern der Sprecher will sagen: „Das schmerzt mich zutiefst und mein Verstand steht still (= ich kann nicht mehr denken).“ 111 „seit jeher gilt das“. Der Chor meint, wenn gute (agathoí) Menschen leiden, sollte das jeder gute (chrestós) Mensch beklagen, wie es auch immer schon der Fall gewesen sei. Üblicherweise wird übersetzt: „der sich als brav erwiesen hat von Anfang an“ (Donner/Kannicht), „quiconque a toujours eu honnête renom“ (Méridier), „anyone known for long-standing loyalty“ (Conacher), „chi ha sempre avuto fama di onesto“ (Susanetti). Doch die Verbform nenomistai (zum Substantiv nomos) kann eigentlich nicht die Meinung, die man von jemand hat, bezeichnen, sondern eher eine allgemeingültige Konvention (vgl. Vers 99). Grammatisch ist die Wendung nicht Teil des Relativsatzes („der gut ist“), sondern bezieht sich auf die Aussage im ganzen; um das zu verdeutlichen, ist in dieser Ausgabe im griechischen Text ein Komma eingefügt.

74

Parodos 112–130

Auch keine Gesandtschaft über See, wohin auf Erden man sie auch schickte, nach Lykien 115 oder zum wasserlosen Sitz des Ammon, könnte das Leben der Unglücklichen noch retten; denn das jähe Schicksal ist da. Zu welchem Opferaltar der Götter 120 ich noch gehen könnte, weiß ich nicht. Nur wenn er noch das Licht schaute, der Sohn des Phoibos, 125 nur dann könnte sie zurückkommen, den dunklen Sitz und das Tor des Hades verlassend; denn er ließ Tote auferstehen, bevor ihn das von Zeus geschleuderte 129 Geschoß dahinraffte, das Feuer des Blitzes. Nun aber, welche Hoffnung für ihr Leben kann ich noch haben?

ἀλλ’ οὐδὲ ναυκληρίαν ἔσθ’ ὅποι τις αἴας στείλας, ἢ Λυκίαν εἴτ’ ἐφ’ ἕδρας ἀνύδρους Ἀμμωνιάδας δυστάνου παραλύσαι ψυχάν· μόρος γὰρ ἀπότομος πλάθει. θεῶν δ’ ἐπ’ ἐσχάραν οὐκέτ’ ἔχω τίνα μηλοθύταν πορευθῶ. μόνος δ’ ἄν, εἰ φῶς τόδ’ ἦν ὄμμασιν δεδορκὼς Φοίβου παῖς, προλιποῦσ’ ἦλθ’ ἂν ἕδρας σκοτίους Ἅιδα τε πύλας· δμαθέντας γὰρ ἀνίστη, πρὶν αὐτὸν εἷλε διόβολον πλῆκτρον πυρὸς κεραυνίου. νῦν δὲ βίου τίν’ ἔτ’ ἐλπίδα προσδέχωμαι;

Strophe 2

115

120 Gegenstrophe 2

125

130

–––––––––––– 114 Λυκίας Hss., Garzya: Λυκίαν Monk, Diggle, Parker 115f. Nauck, Méridier, Dale, Garzya: εἴτ’ ἐπὶ τὰς ἀνύδρους Ἀμμωνιάδας ἕδρας Hss.: †Ἀμμωνιάδας ἕδρας† Diggle 118 ἀπότμος Hss.: ἀπότομος Blomfield 119 ἐσχάραις Hss.: ἐσχάραν Reiske 120 οὐκ ἔχω ἐπὶ Hss.: οὐκέτ’ ἔχω Hartung 122 μόνος Hss.: μόνον Hermann: μόνα Diggle: †μόνος† Parker 125 ἦλθεν Hss., Dale, Garzya: ἦλθ’ ἂν Monk, Diggle, Parker

Kommentar

75

112–131 Für das zweite Strophenpaar hat sich der Chor wieder zur Einheit geformt und agiert jetzt als geschlossene Gruppe in der Orchestra. 114–116 Diese berühmten Orakelstätten, Patara in Lykien in Kleinasien (Apollon) und die Oase Siwa in der Libyschen Wüste (Zeus Ammon), werden wegen der weiten Entfernung von Thessalien, d. h. wegen des mit ihrer Befragung verbundenen übermäßigen Aufwandes genannt; der Chor setzt dabei voraus, daß nähergelegene Orakel wie etwa das von Delphi bereits befragt worden sind. Der Sinn ist also: „Was auch immer man noch tun könnte, Alkestis ist nicht mehr zu retten.“ Herodot erzählt (1,46), der reiche Lyderkönig Kroisos habe, als er überlegte, ob er gegen den Perserkönig Kyros präventiv zu Felde ziehen sollte, tatsächlich einmal Boten zum Orakel von Siwa geschickt. „wasserlosen“, d. h. in der Wüste gelegen. 115f. Die von Nauck vorgeschlagene Änderung soll die metrische Responsion zu 125f. herstellen. 119 „Opferaltar“, wörtlich „Altar, an dem man Schafe/Ziegen opfert“. 122–129 „Nur er“. Als den einzigen, der helfen könnte, wenn er noch lebte, nennt der Chor den legendären Arzt Asklepios, der sogar Tote auferwecken konnte. Wie schon im Prolog wird verschwiegen, daß er eben deswegen von Zeus mit dem Blitz erschlagen wurde. Vgl. zu 4. Die eigentümliche (leicht anakoluthische) Satzkonstruktion hat dazu geführt, statt des überlieferten Maskulinum „nur er“ das Neutrum (Hermann) oder das Femininum (Diggle) zu konjizieren. Doch das erste ist eine unnötige grammatische Nivellierung, das zweite („nur sie könnte zurückkommen“) verschiebt die Einzigartigkeit von Asklepios auf Alkestis, was dem Kontext widerspricht (so schon Conacher und Susanetti gegen Dale). Das emphatische „Nur er“ läßt eigentlich die Fortsetzung „könnte sie noch retten“ erwarten, doch nach dem Bedingungssatz wechselt die Perspektive und Alkestis wird zum Subjekt.

76

Parodos und erstes Epeisodion 131–146

Denn alles hat der König schon getan. An den Altären aller Götter sind blutige Opfer vollzählig dargebracht. Es gibt kein Mittel mehr gegen das Unglück.

135

Doch da kommt eine Dienerin aus dem Haus, tränenüberströmt. Welches Schicksal werde ich zu hören bekommen? (zu der heraustretenden Dienerin) Zu klagen, wenn der Herrschaft etwas zustößt, ist verständlich, aber wir möchten wissen, 140 ob die Frau noch lebt oder schon gestorben ist. Dienerin Sowohl lebend kannst du sie nennen als auch tot. Ch. Wie kann jemand zugleich tot und lebendig sein? Die. Sie sinkt schon dahin und ringt mit dem Tode. Ch. Der Ärmste, welch eine Frau verliert welch ein Mann! Die. Unser Herr weiß das noch nicht, bis er es erleidet. Ch. Es gibt keine Hoffnung mehr, ihr Leben zu retten?

145

πάντα γὰρ ἤδη τετέλεσται βασιλεῦσιν, πάντων δὲ θεῶν ἐπὶ βωμοῖς αἱμόρραντοι θυσίαι πλήρεις, οὐδ’ ἔστι κακῶν ἄκος οὐδέν.

135

ἀλλ’ ἥδ’ ὀπαδῶν ἐκ δόμων τις ἔρχεται δακρυρροοῦσα· τίνα τύχην ἀκούσομαι; πενθεῖν μέν, εἴ τι δεσπόταισι τυγχάνει, συγγνωστόν· εἰ δ’ ἔτ’ ἐστὶν ἔμψυχος γυνὴ εἴτ’ οὖν ὄλωλεν εἰδέναι βουλοίμεθ’ ἄν.

140

Θεράπαινα καὶ ζῶσαν εἰπεῖν καὶ θανοῦσαν ἔστι σοι. Χο. καὶ πῶς ἂν αὑτὸς κατθάνοι τε καὶ βλέποι; Θε. ἤδη προνωπής ἐστι καὶ ψυχορραγεῖ. Χο. ὦ τλῆμον, οἵας οἷος ὢν ἁμαρτάνει. Θε. οὔπω τόδ’ οἶδε δεσπότης, πρὶν ἂν πάθηι. Χο. ἐλπὶς μὲν οὐκέτ’ ἐστὶ σώιζεσθαι βίον;

145

–––––––––––– 131 [βασιλεῦσιν] Garzya, Parker 132 †τετέλεσται βασιλεῦσιν† Diggle: [131–135] Wheeler, Wilamowitz, Diggle, Kovacs 144 ἁμαρτάνει Wilamowitz: ἁμαρτάνεις Hss., Diggle, Parker 145f. von Lüders, Diggle, Kovacs nach 149 eingefügt

Kommentar

77

131–135 Der Chorführer (Sprecher des Chores) nähert sich anapästisch schreitend der Bühne und wird damit zum direkten Gesprächspartner der auftretenden Dienerin. Die Verse sind zu Unrecht als Interpolation verdächtigt worden, u. a. mit dem Argument, daß Admet, weil er mit Alkestis getauscht habe, logischerweise „keine Versuche gemacht hat noch machen konnte“, ihren Tod zu verhindern (Wilamowitz, Griech. Trag. III, 154). Doch der Chorführer redet nicht vom Lebenstausch, sondern von Alkestis’ bevorstehendem Tod und konstatiert zusammenfassend, daß Admet alles Erdenkliche zu ihrer Rettung schon getan hat. 141–212 Erstes Epeisodion. Wie Apollon im Prolog dem Zuschauer (vgl. zu 19f.) teilt jetzt eine Dienerin dem Chor mit, Alkestis „ringt mit dem Tode“ (143), und berichtet anschließend von ihrem vorausgegangenen Abschied im Hause (157–195). Danach kommt sie wieder auf den bereits sehr geschwächten Zustand ihrer Herrin zu sprechen und kündigt ihren Auftritt (203–207) an. 141 Solche (mit Hilfe der Negation erzeugten) rätselartigen Formulierungen kannte Euripides aus der Philosophie (Heraklit) und der zeitgenössischen Sophistik; auf Jahrmarktsniveau versuchen in Platons Euthydemos zwei kleine Scharlatane ihr Publikum durch dergleichen zu verblüffen. Euripides benutzt sie nicht als geistreiche Pointen (die bei einer Dienerin besonders deplaziert wären), sondern um einen tatsächlichen Zwischenzustand zu bezeichnen (vgl. auch 521, ähnlich Helena 138). Den Komiker Aristophanes hat das natürlich nicht gehindert, sie als gestelzte Ausdrucksweise zu parodieren (etwa Acharner 395–400. Besucher: „Ist Euripides zu Hause?“ Türhüter: „Er ist da und nicht da, wenn du verstehst, was ich meine; er ist zwar im Hause, aber sein Geist schwebt gerade in Dichtersphären.“). Zu Admets entsprechender Formulierung vgl. zu 519–521. 144 Der Chor (Chorführer) beklagt, daß zwei so gute Menschen wie Alkestis und Admet (er ist „fromm“, wie wir im Prolog von Apollon erfahren haben) vom Unglück getroffen sind. Er lobt beide, aber sein Bedauern gilt Admet, d. h. es geht dem Chor um den Verlust, den dieser durch den Tod seiner Frau erleidet, vgl. zu 220–225. Daß der Chorführer Admet anredet, obwohl dieser nicht anwesend ist (überliefert ist „verlierst du“), ist möglich, aber im Gespräch mit der Dienerin nicht zu erwarten. Daher ist die grammatische 3. Person wahrscheinlicher. Wilamowitz übersetzte: „Der Ärmste! Hat ein solcher Mann verdient, daß solche Gattin ihm entrissen wird?“ 145 Eine Vorausdeutung auf 940, wo Admet nach der Rückkehr von der Bestattung über seine Situation als Witwer nachdenkt. Weder hier noch dort geht es um den Tausch und die Erkenntnis, er sei falsch gewesen, sondern um die Größe des Verlustes, die ihm erst nach Alkestis’ Tod wirklich klar wird. 145f. Diese Verse mit Diggle u. a. nach 149 einzufügen, hätte für sich, daß der emphatische Ausruf des Chorführers (144) dann an eine Erwähnung Admets (149) anschließt. Das ist jedoch kein hinreichender Grund für eine Umstellung; denn die überlieferte Versfolge ist an sich nicht anstößig.

78 Die. Ch. Die. Ch. Die.

Θε. Χο. Θε. Χο. Θε.

Erstes Epeisodion 147–165

Nein, der festgesetzte Tag bezwingt sie. Wird das Nötige für sie getan? Der Schmuck, mit dem der Gatte sie begraben wird, ist bereit. Sie soll wissen, daß ihr Tod ruhmvoll ist und sie zur besten Frau unter der Sonne macht. Ja, zur besten. Wer wollte da widersprechen. Wie hoch müßte eine Frau steigen, um sie zu übertreffen? Auf welche Weise könnte eine mehr Achtung für ihren Mann zeigen, als durch die Bereitschaft, für ihn zu sterben? Aber das weiß ja die ganze Stadt. Doch was sie im Haus tat, wirst du voller Bewunderung hören: Als sie fühlte, daß der entscheidende Tag gekommen war, badete sie den weißen Leib im Wasser aus dem Fluß, nahm aus der Truhe von Zedernholz ein Gewand und Schmuck, kleidete sich festlich und trat zum Altar der Hestia und betete: „Herrin, ich gehe nun hinunter und sage dir flehentlich meine letzte Bitte: Nimm dich meiner verwaisten Kinder an und gib ihm

πεπρωμένη γὰρ ἡμέρα βιάζεται. οὔκουν ἐπ’ αὐτῆι πράσσεται τὰ πρόσφορα; κόσμος γ’ ἕτοιμος, ὧι σφε συνθάψει πόσις. ἴστω νυν εὐκλεής γε κατθανουμένη γυνή τ’ ἀρίστη τῶν ὑφ’ ἡλίωι μακρῶι. πῶς δ’ οὐκ ἀρίστη; τίς δ’ ἐναντιώσεται; τί χρὴ γενέσθαι τὴν ὑπερβεβλημένην γυναῖκα; πῶς δ’ ἂν μᾶλλον ἐνδείξαιτό τις πόσιν προτιμῶσ’ ἢ θέλουσ’ ὑπερθανεῖν; καὶ ταῦτα μὲν δὴ πᾶσ’ ἐπίσταται πόλις· ἃ δ’ ἐν δόμοις ἔδρασε θαυμάσηι κλύων. ἐπεὶ γὰρ ἤισθεθ’ ἡμέραν τὴν κυρίαν ἥκουσαν, ὕδασι ποταμίοις λευκὸν χρόα ἐλούσατ’, ἐκ δ’ ἑλοῦσα κεδρίνων δόμων ἐσθῆτα κόσμον τ’ εὐπρεπῶς ἠσκήσατο, καὶ στᾶσα πρόσθεν Ἑστίας κατηύξατο· „Δέσποιν’, ἐγὼ γὰρ ἔρχομαι κατὰ χθονός, πανύστατόν σε προσπίτνουσ’ αἰτήσομαι τέκν’ ὀρφανεῦσαι τἀμά· καὶ τῶι μὲν φίλην

–––––––––––– 148 αὐτῆι BOV: αὐτοῖς LP 153 τί χρὴ Hss.: τὸ μὴ οὐ Lenting: τὸ μὴ Dawe Garzya: λέγεσθαι Broadhead, Diggle, Kovacs, Parker

150

155

160

165

150

155

160

165 γενέσθαι Hss.,

Kommentar

79

153f. „Wie hoch müßte eine Frau steigen“, wörtlich: „Was müßte eine Frau werden“. Vers 153 gilt als sprachlich problematisch und inhaltlich nicht ganz klar, so Dale. Die Bedenken sind unberechtigt; auch Broadheads Konjektur, die den Sinn ändert, ist abzulehnen. Der Gedanke, eine andere Frau könne Alkestis schwer übertreffen, leitet über von der allgemeinen Anerkennung („wer würde widersprechen?“) zur konkreten Angabe („sie starb für ihren Mann“). 155 Die Formulierung „für ihn zu sterben“ läßt offen, wie es dazu kam, vgl. zu 83–85. 158 Während es nach den Worten des Chors (105–107) so aussieht, als ob der Todestag kalendarisch vorweg bekannt ist, scheint Alkestis sein Herannahen irgendwie „wahrzunehmen“, wobei wohl an Erkrankung (203, 237) gedacht ist. Wenn die Dienerin es bei dem vagen „wahrnehmen“ läßt, hält sie bzw. Euripides die Motivgrenze ein, die das „heute“, um das es im Stück geht, von der davorliegenden Zeit (und damit vom Lebenstausch) trennt, vgl. zu 20f. Zu „entscheidend“ vgl. zu 105. 158–195 Euripides stellt zwei Seiten seiner Alkestis nebeneinander. Als Hausherrin, die Abschied von Haus, Kindern und Dienerschaft nimmt, bewahrt sie äußerste Selbstbeherrschung. Als Frau, die im Ehegemach von ihrer ehelichen Existenz Abschied nimmt, zeigt sie höchste emotionale Erregung. Euripides beschränkt sich darauf, uns diese beiden Seiten vor Augen zu stellen. Er bleibt also bei der beobachtbaren Realität, beim ‚Verhalten‘, und versucht nicht, das Nebeneinander psychologisch (d. h. spekulativ) zu erklären. Die Ähnlichkeit mit Deianeiras Abschied vor ihrem Selbstmord in Sophokles’ Trachinierinnen (900–922) hat zu der Frage geführt, ob eine Abhängigkeit besteht. Da das Aufführungsdatum der Trachinierinnen nicht bekannt ist, sind Vorschläge in beiden Richtungen gemacht worden. Man sollte jedoch bedenken, daß Ähnlichkeit nicht zwangsläufig Abhängigkeit bedeutet, besonders da wir nur einen kleinen Bruchteil der im 5. Jh. aufgeführten Tragödien kennen und nicht wissen, ob es da nicht noch weitere vergleichbare Szenen gab. 159f. Sokrates nimmt vor seinem Tod ein Bad, „um den Frauen keine Mühe mit dem Waschen des Leichnams zu machen (Platon, Phaidon 115a). Wie bei Alkestis ist das eine ‚heroische‘ Haltung, die in einer Gesellschaft, die einem passiven Dahinsterben wenig Sinn abgewinnen konnte, vielleicht nicht ganz ungewöhnlich war. „weißen“, seit der „weißarmigen“ Hera der Ilias ist das die traditionelle Hautfarbe der Frau; in der Odyssee sind sogar Mägde „weißarmig“. 162 hestia ist der Herd und Hestia die Göttin des Herdes. Der Herd ist das Zentrum des Hauses und gilt zugleich als Altar der Göttin.

80

Erstes Epeisodion 166–182

eine liebe Frau und ihr einen edlen Mann, und laß sie nicht wie ihre Mutter vorzeitig sterben, sondern glückgesegnet in ihrer Heimat froh und lange leben.“ 170 Zu allen Altären im Hause Admets trat sie, bekränzte sie und betete, während sie Myrtenlaub von Zweigen streifte, ohne Tränen und Klagen; das nahende Unheil ließ sie nicht einmal die Farbe wechseln. 175 Dann ins Schlafgemach und zum Bett stürzend, brach sie dort in Tränen aus und sagte: „O Lager, wo ich den Mädchengürtel löste wegen dieses Mannes, für den ich sterbe, lebe wohl; denn ich hasse dich nicht. Doch du brachtest mir den Tod, mir allein; denn weil ich dich und den Gatten nicht verraten wollte, 180 sterbe ich. Dich wird nun eine andere Frau besitzen, nicht von besserer Gesinnung als ich, aber vielleicht glücklicher.“

σύζευξον ἄλοχον, τῆι δὲ γενναῖον πόσιν· μηδ’ ὥσπερ αὐτῶν ἡ τεκοῦσ’ ἀπόλλυμαι θανεῖν ἀώρους παῖδας, ἀλλ’ εὐδαίμονας ἐν γῆι πατρώιαι τερπνὸν ἐκπλῆσαι βίον.“ πάντας δὲ βωμούς, οἳ κατ’ Ἀδμήτου δόμους, προσῆλθε κἀξέστεψε καὶ προσηύξατο, πτόρθων ἀποσχίζουσα μυρσίνης φόβην, ἄκλαυτος ἀστένακτος, οὐδὲ τοὐπιὸν κακὸν μεθίστη χρωτὸς εὐειδῆ φύσιν. κἄπειτα θάλαμον ἐσπεσοῦσα καὶ λέχος ἐνταῦθα δὴ ‘δάκρυσε καὶ λέγει τάδε· „Ὦ λέκτρον, ἔνθα παρθένει’ ἔλυσ’ ἐγὼ κορεύματ’ ἐκ τοῦδ’ ἀνδρός, οὗ θνήισκω πέρι, χαῖρ’· οὐ γὰρ ἐχθαίρω σ’· ἀπώλεσας δέ με μόνην· προδοῦναι γάρ σ’ ὀκνοῦσα καὶ πόσιν θνήισκω. σὲ δ’ ἄλλη τις γυνὴ κεκτήσεται, σώφρων μὲν οὐκ ἂν μᾶλλον, εὐτυχὴς δ’ ἴσως.“

170

175

180

–––––––––––– 178 πέρι Hss.: πάρος Wilamowitz (nach Herakliden 536, „περί für ὑπέρ im Sinne von pro ist nur im Lesbischen möglich“), Diggle, Kovacs, Parker: πάρα Garzya. Für πέρι tritt H. Petersmann (Wiener Studien 14, 1980, 18–24) ein, auch Susanetti hält daran fest. Es ist eine Frage der Nuancierung; περί bezieht gewissermaßen die Situation mit ein („im Hinblick auf“), ist also allgemeiner als ὑπέρ („zum Nutzen von“) und πρό („an Stelle von“). 180 μόνην Hss., Méridier, Garzya: μόνον Markland, Diggle

Kommentar

81

174 Wörtlich „veränderte nicht die schöne Natur der Haut“. Platons Sokrates (Phaidon 117b) trinkt den Giftbecher, „ohne die Farbe zu wechseln“. 180 „mir allein“. Die überlieferte Femininform ist unbedingt zu halten, weil dadurch die Paradoxie der Situation zum Ausdruck kommt. Alkestis will nicht sagen, sie sei die einzige Frau, die für ihren Mann stirbt („unique among women“ Dale), sondern daß in ihrem Fall die Ehe (= das Leben zu z we it) ei ne m der Ehepartner den Tod bringt und daß sie diese „eine“ ist. Sie stirbt, um ihre Ehe „nicht zu verraten“, was eigentlich ein Widerspruch ist, weil sie die Ehe ideell dadurch bewahren will, daß sie sie in der Realität durch ihren Tod beendet. In „allein“ steckt Klage und Genugtuung zugleich: Alkestis stirbt, was sie bedauert, aber rettet dadurch ihren Mann, worauf sie stolz sein kann. Dabei geht es nur um ihr Opfer; von einem Tausch ist nicht die Rede. 181 Eine Wiederheirat Admets wäre der Normalfall, den Alkestis hier grundsätzlich zu akzeptieren scheint. Nur aus Rücksicht auf die Kinder möchte sie später, daß Admet nicht wieder heiratet (299–319). 181f. Die Verse werden in den 424 aufgeführten Rittern von Aristophanes parodiert (1251f.), müssen also 14 Jahre später dem Publikum noch irgendwie im Ohr gewesen sein. Der bei Aristophanes im Streit um die Gunst des Volkes unterlegene Demagoge sagt: „Ein anderer wird dich (den Rednerkranz) besitzen, kein größerer Dieb als ich, aber mehr vom Glück begünstigt.“

82

Erstes Epeisodion 183–198

Auf die Knie fallend küßt sie das Lager und tränkt es mit einem Strom aus ihren Augen. Als sie der vielen Tränen satt ist, geht sie, vom Lager aufspringend, gesenkten Hauptes davon, und mehrmals verläßt sie das Gemach und kehrt zurück und wirft sich wieder auf das Bett. Die Kinder hingen am Gewand der Mutter und weinten. Sie nahm sie abwechselnd in die Arme und herzte sie im Bewußtsein, sterben zu müssen. Alle Bediensteten des Hauses weinten und klagten um ihre Herrin, sie aber reichte jedem die Hand und niemand war ihr zu gering, um nicht einige Worte mit ihm zu wechseln. So sieht das Unglück im Hause Admets aus. Wäre er gestorben, wäre es mit ihm vorbei; dem Tode entgangen muß er jetzt ein Leid tragen, das er nie vergessen wird.

κυνεῖ δὲ προσπίτνουσα, πᾶν δὲ δέμνιον ὀφθαλμοτέγκτωι δεύεται πλημμυρίδι. ἐπεὶ δὲ πολλῶν δακρύων εἶχεν κόρον, στείχει προνωπὴς ἐκπεσοῦσα δεμνίων, καὶ πολλὰ θαλάμων ἐξιοῦσ’ ἐπεστράφη κἄρριψεν αὑτὴν αὖθις ἐς κοίτην πάλιν. παῖδες δὲ πέπλων μητρὸς ἐξηρτημένοι ἔκλαιον· ἡ δὲ λαμβάνουσ’ ἐς ἀγκάλας ἠσπάζετ’ ἄλλοτ’ ἄλλον ὡς θανουμένη. πάντες δ’ ἔκλαιον οἰκέται κατὰ στέγας δέσποιναν οἰκτίροντες· ἡ δὲ δεξιὰν προύτειν’ ἑκάστωι κοὔτις ἦν οὕτω κακὸς ὃν οὐ προσεῖπε καὶ προσερρήθη πάλιν. τοιαῦτ’ ἐν οἴκοις ἐστὶν Ἀδμήτου κακά. καὶ κατθανών τἂν ὤλετ’, ἐκφυγὼν δ’ ἔχει τοσοῦτον ἄλγος, οὔποθ’ οὗ λελήσεται. –––––––––––– 188 θαλάμων Nauck, Diggle: θάλαμον Hss., Garzya Schmidt, Diggle

185

190

195

185

190

195

197 ὤλετ’ Hss., Garzya: ὤιχετ’ F.W.

Kommentar

83

183 „küßt“, ein vergegenwärtigendes Präsens wie in Vers 6. 185–188 Die Schwere des Abschieds stellt Euripides als stummes Hin und Her (aus der Sicht der Dienerin) dar. Man könnte einen Monolog erwarten, in dem Alkestis den Zwiespalt zwischen Loslassenmüssen und Festhaltenwollen anspricht, so wie Medea ihr Schwanken zwischen Rachewunsch und Kindesliebe in einem Monolog artikuliert (Medea 1021–1080). Doch Euripides beläßt es aus Gründen der dramatischen Ökonomie bei dem Bericht der Dienerin. Als Alkestis auf die Bühne kommt, ist für einen solchen Monolog kein Platz; denn grundsätzlich ist die Situation eindeutig: Alkestis weiß, daß sie sterben muß, und ist dazu bereit; sie will nichts mehr festhalten, sondern nur noch die Zukunft der Kinder regeln. Bei seiner Phaidra geht Euripides noch einen Schritt über den Monolog Medeas hinaus: Phaidra sieht sich selbst von außen und reflektiert über den Konflikt zwischen der Liebe zu ihrem Stiefsohn und der mahnenden Vernunft (Hippolytos 373–521). 186 „gesenkten Hauptes“. Anders als 143 bezeichnet pronopés hier nicht den allgemeinen Zustand, sondern die momentane Körperhaltung. 190f. Zum wiederkehrenden Abschied von den Kindern vgl. zu 280–391 und 385–391. 192–195 Die gegenseitige enge menschliche Beziehung zwischen Hausherrin und Dienerschaft dürfte kaum typisch für die realen zeitgenössischen Verhältnisse in Athen gewesen sein; die Zuschauer haben vielleicht anschließend auch darüber diskutiert, ob gegenüber Sklaven eher Güte oder eher Strenge angebracht sei. Vgl. zu 770f. 197 Das überlieferte „Wäre er gestorben, wäre es mit ihm vorbei“ ist nicht tautologisch wie Parker meint; denn die Folgerung (wörtlich „wäre er zugrunde gegangen“) will sagen, daß er dann „aller Sorgen ledig“ wäre. Die Anspielung auf den Lebenstausch (vgl. zu 15–18) ist so allgemein gehalten, daß der Wortlaut auch passen würde, wenn die Dienerin nur sagen wollte, Admet wäre das Los des Hinterbliebenen erspart geblieben, wenn er vor oder mit Alkestis gestorben wäre. In diesem Sinne sagt Admet später selbst (866): „Ich beneide die Toten.“ 198 Wie 145 eine dramaturgische Vorausdeutung auf 940; die Dienerin denkt an Admets künftiges unglückliches Dasein als Witwer.

84 Ch. Die.

Erstes Epeisodion 199–212

Sicher bestöhnt Admet dies Unglück, wenn er doch eine gute Frau hergeben muß? Er weint, hält die geliebte Gattin in den Armen und fleht sie an, nicht aufzugeben, ein hoffnungsloser Wunsch, denn sie vergeht und schwindet krank dahin, kraftlos läßt sie ihre Hand sinken, als ob sie ihr zu schwer ist. Dennoch, obwohl kaum noch atmend, möchte sie das Licht der Sonne erblicken, niemals wieder, nun zum letztenmal [wird sie den strahlenden Kreis der Sonne anschauen]. Doch ich will jetzt gehen und melden, daß ihr da seid; denn nicht alle sind ihrem Herrscher so wohlgesonnen, daß sie ihm im Unglück wohlwollend zur Seite stehen. Du aber bist ein alter Freund meines Herrn. (Die Dienerin geht zurück ins Haus.)

Χο. Θε.

ἦ που στενάζει τοισίδ’ Ἄδμητος κακοῖς, ἐσθλῆς γυναικὸς εἰ στερηθῆναί σφε χρή; κλαίει γ’ ἄκοιτιν ἐν χεροῖν φίλην ἔχων καὶ μὴ προδοῦναι λίσσεται, τἀμήχανα ζητῶν· φθίνει γὰρ καὶ μαραίνεται νόσωι, παρειμένη δέ χειρὸς ἄθλιον βάρος. ὅμως δέ, καίπερ σμικρόν ἐμπνέουσ’ ἔτι, βλέψαι πρὸς αὐγὰς βούλεται τὰς ἡλίου ὡς οὔποτ’ αὖθις ἀλλὰ νῦν πανύστατον [ἀκτῖνα κύκλον θ’ ἡλίου προσόψεται]. ἀλλ’ εἶμι καὶ σὴν ἀγγελῶ παρουσίαν· οὐ γάρ τι πάντες εὖ φρονοῦσι κοιράνοις, ὥστ’ ἐν κακοῖσιν εὐμενεῖς παρεστάναι· σὺ δ’ εἶ παλαιὸς δεσπόταις ἐμοῖς φίλος.

200

205

210

200

205

210

–––––––––––– 203f. νόσωι. παρειμένη δέ, χειρὸς ἄθλιον βάρος, Interpunktion Diggle 207–208 [207–208] Valkenaer, Méridier, Garzya, Diggle: [208] Lachmann, Murray, Kovacs, Parker

Kommentar

85

199 Wo sich Admet während Alkestis’ Gang durchs Haus aufhielt, darf man nicht fragen. 202 „aufzugeben“ (pro-dounai = jemanden im Stich lassen, verlassen, preisgeben, verraten). Während sonst (z. B. 180 oder 275) Admet als Objekt genannt wird, fehlt hier (und in 250) das entsprechende Pronomen; Übersetzer pflegen es stillschweigend zu ergänzen und schreiben etwa „er beschwört sie, nicht von ihm zu scheiden“ (Wilamowitz), ähnlich Donner/Kannicht, Méridier, Conacher, Kovacs. Doch der Kontext von 202 spricht eher dafür, daß Admet Alkestis auffordert, ihren Lebenswillen, d. h. sich selbst nicht aufzugeben. An der analogen Stelle 250 ist das fehlende Pronomen aus dem vorausgehenden „raffe dich auf“ zu ergänzen und Wilamowitz übersetzt daher „verzweifle nicht“, was einem „gib nicht auf“ oder „gib dich nicht auf“ entspricht. 203–206 Der Text ist weniger schwierig, als es zunächst vielleicht erscheint. Weder ist eine Lücke nach 204 (Elmsley) anzunehmen noch ist unklar (Dale), ob es in 204 um Alkestis’ Hand oder Admets Arme geht. Die Dienerin gibt den Grund an, warum Admets Flehen hoffnungslos ist, zunächst allgemein (Alkestis ist schon schwer gezeichnet ist von ihrer „Krankheit“), dann nennt sie ein spezielles Zeichen (ihre „Hand“ hängt schon kraftlos herunter, wie 399 bei der Toten). Wenn Admets stützende Hand oder seine Arme gemeint wären (Dale „his arms“, Conacher „his arm“), wäre das eine Wiederholung von 201. Nach 203 darf daher nur ein Komma stehen, und in 204 nur am Ende ein Komma oder besser ein Punkt. Mit 205 beginnt eine neue, unerwartete Situation: Alkestis möchte, obwohl sie kaum noch atmet, das Licht der Sonne sehen. „Dennoch“ auf „atmend“ statt auf „will“ zu beziehen (Dale), ist kaum möglich, weil diese Lesart dem natürlichen Wortfluß widerspricht und ohne entsprechende moderne Interpunktion nicht zu erkennen wäre, vgl. zu 334. 207f. Die Verse sind mit Hekabe 411f. fast identisch, was sie naturgemäß verdächtig macht. Doch ohne 207 fehlt bei Alkestis’ Wunsch das emphatische „zum letztenmal“, das man geradezu vermissen würde, vgl. 164. Dagegen ist 208 zu streichen, allein schon wegen der Verdopplung „Sonne erblicken“ (206) und „Sonne anschauen“ (208). Möglicherweise haben die Verse Hekabe 411f. als Randglosse einen echten Vers verdrängt, der ähnlich lautete wie Hekabe 411. 210 Eine Anspielung auf die „Feinde“, mit denen 954 auch Admet rechnet, vgl. zu 70. 212 „meines Herrn“. Der Plural im griechischen Text (wie 210 und 214) läßt offen, ob nur Admet oder auch Alkestis gemeint ist.

86 Ch.

Erstes Stasimon 213–225

Ach Zeus, welchen Ausweg aus dem Unglück könnte es geben und welche Befreiung vom Schicksal, das meinen Herrscher trifft. Kommt jemand heraus? Oder schneide ich das Haar und lege schon jetzt ein schwarzes Gewand an? Es ist klar, Freunde, ja, es ist klar! Aber dennoch wollen wir zu den Göttern beten; denn die Macht der Götter ist groß: „O Herr Paian, finde für Admet ein Mittel gegen sein (jetziges) Unglück! Schaffe es herbei, ja, schaffe es herbei! Denn früher fandest du eins für ihn selbst. So werde auch jetzt Retter vom Tode und hemme den mörderischen Hades!“

Χο.

ἰὼ Ζεῦ, τίς ἂν πᾶι πόρος κακῶν γένοιτο καὶ λύσις τύχας ἃ πάρεστι κοιράνοις; ἔξεισί τις ἢ τέμω τρίχα καὶ μέλανα στολμὸν πέπλων ἀμφιβαλώμεθ’ ἤδη; δῆλα μέν, φίλοι, δῆλά γ’, ἀλλ’ ὅμως θεοῖσιν εὐχώμεσθα· θεῶν γὰρ δύναμις μεγίστα. ὦναξ Παιάν, ἔξευρε μηχανάν τιν’ Ἀδμήτωι κακῶν. πόριζε δὴ πόριζε· καὶ πάρος γὰρ τοῦδ’ ἐφεῦρες, καὶ νῦν λυτήριος ἐκ θανάτου γενοῦ, φόνιον δ’ ἀπόπαυσον Ἅιδαν.

215

220

225

Strophe

215

220

225

–––––––––––– 215 ἔξεισί τις Hss., Garzya: αἰαῖ εἶσί τις Wilamowitz, Kovacs, Parker: †ἔξεισί τις† Diggle 218– 225 in L der Dienerin zugeteilt. 218 δῆλα … δῆλα Hss.: δεινὰ … δεινά Diggle 219 εὐχώμεσθα, εὐχώμεθα, εὐχόμεθα Hss.: εὐχώμεσθα Kovacs, Parker: εὐξόμεσθα Hadley, Diggle 223 †τοῦδ’ ἐφεῦρες† Murray, Méridier, Diggle, Parker: καὶ νὺν ἐφεύρων Wilamowitz, Garzya: τῷδ’ ἐφηῦρες Willink, Kovacs

Kommentar

87

213–237 Erstes Stasimonn. Der Chor weiß jetzt, daß Alkestis zwar noch lebt, aber dem Tode nahe ist. Er ruft Zeus und Apollon an und schwankt, sich anscheinend zeitweilig in Halbchöre teilend, zwischen Resignation und Hoffnung. Das Lied (nur ein Strophenpaar) ist kürzer als ein normales Stasimon, wahrscheinlich weil das anschließende Epeisodion mit einer Gesangsszene beginnt (Alkestis’ Monodie). Da sich exakte metrische Responsion zwischen Strophe und Gegenstrophe nur durch Textergänzungen oder -änderungen herstellen läßt, ist der Wortlaut mehrfach umstritten. 215–217 Ein Geräusch oder eine Bewegung an der Tür läßt den Chor fragen, ob sich vielleicht doch noch ein „Ausweg aus dem Unglück“ (213) gezeigt hat und „jemand herauskommen wird“ (um das zu melden) oder ob es (weil Alkestis gestorben ist) Zeit ist, dunkle Kleidung als Zeichen der Trauer anzulegen. Der Chor rechnet nicht mit einem von außen kommenden rettenden Boten, wie Wilamowitz, der das „heraus“ streichen wollte, anscheinend annahm. 218 Da niemand herauskommt, sich also kein „Ausweg“ zeigt, ist dem Chor alles „klar“ (dêla, nämlich daß Alkestis unausweichlich sterben wird). Trotzdem will er nicht aufgeben und betet um Rettung. Gegen Diggles Konjektur „furchtbar“ (deiná) u. a. Riemer 175f., Parker; dagegen spricht auch der durch „dennoch“ ausgedrückte Gegensatz. 221–225 Paian = Apollon. Vgl. zu 92; wie dort wendet sich hier der Chor an den Gott, ohne dessen Beziehung zum Haus Admets ins Spiel zu bringen. Bezeichnend ist, daß er nicht um Hilfe für Alkestis, sondern „für Admet“ betet. Damit deutet sich wie schon 144 bei der Figur der Alkestis die motivische Verschiebung vom Subjekt zum bloßen Objekt des Geschehens an, die dann für die Rettungshandlung durchweg gilt, vgl. zu 824, 841f. und 1143. Wie seit alters üblich (z. B. Ilias 1,453; vgl. auch Taurische Iphigenie 1082–84) beruft sich der Chor bei seinem Gebet auf frühere Erhörungen. Man darf annehmen, daß die Rettung Admets gemeint ist, wobei übrigens nur auf Apollons Eingreifen und nicht explizit auf den Lebenstausch angespielt wird. 223 Der Text scheint trotz der kleinen metrischen Differenz zu 235 in Ordnung zu sein.

88

Erstes Stasimon 226–237

Wehe … ! O Sohn des Pheres, was geschah dir durch den Verlust der Gattin! Ist das nicht wert, sich blutigen Tod zu geben, und verlangt das nicht mehr als den Hals der hängenden Schlinge darzubieten? 230 Wirst du doch deine geliebte, nein, deine überaus geliebte Frau heute sterben sehen. (Die Tür des Hauses öffnet sich.) Sieh, sieh, sie kommt aus dem Haus mit dem Gatten. Schreie und klage, Pheräisches Land, um die beste Frau, die jetzt krank dahinschwindet, hinunter zum Hades unter der Erde.

παπαῖ .... ...... ...... ...... ..... . ὦ παῖ Φέρητος, οἷ’ ἔπραξας δάμαρτος σᾶς στερείς. αἰαῖ· ἄξια καὶ σφαγᾶς τάδε καὶ πλέον ἢ βρόχωι δέραν οὐρανίωι πελάσσαι. τὰν γὰρ οὐ φίλαν ἀλλὰ φιλτάταν γυναῖκα κατθανοῦσαν ἐν ἄματι τῶιδ’ ἐπόψηι. ἰδοὺ ἰδού· ἥδ’ ἐκ δόμων δὴ καὶ πόσις πορεύεται. βόασον ὦ στέναξον ὦ Φεραία χθὼν τὰν ἀρίσταν γυναῖκα μαραινομέναν νόσωι κατὰ γᾶς χθόνιον παρ’ Ἅιδαν. –––––––––––– 227 στερηθείς Hss.: στερείς Monk

235

Gegenstrophe

230

235

Kommentar

89

226 „Pheres“. Der Name des Vaters dient nur der Identifizierung. Wenn es um seine Weigerung, für den Sohn zu sterben, geht, wird sein Name nicht genannt; dann ist er der „Vater“, oder es heißt „Eltern“ (290, 468, 611). Vgl. zu 37 („Tochter des Pelias“). 228–230 Der Gedanke an Selbstmord ist keine auf Admet zielende Befürchtung oder gar eine Empfehlung, sondern soll nur die Größe des Verlustes würdigen. In der zeitgenössischen Alltagssprache diente er (wie heute) als Ausdruck des Ärgers. So kommentiert bei Aristophanes ein athenischer Bürger eine Entscheidung des Rates, die ihm nicht gefällt: „Das ist ja zum Sichaufhängen!“ (Acharner 125). In den Euripideischen Hiketiden (984ff.) stürzt sich eine Witwe (Euadne) in den brennenden Scheiterhaufen ihres Mannes (Kapaneus). 229f. „hängenden“, wörtlich „himmlischen“, eine etwas seltsam und gekünstelt wirkende Poetisierung, wie man sie bei Euripides öfter findet. Im Hippolytos (121ff.) singt der Chor der Frauen vom „Wasser des Okeanos, das vom Felsen herabrieselt“ und „Tau des Flusses“, um dann mitzuteilen, was sie dort beim Wäschewaschen geredet haben. Vgl. zu 962–964. 233 Nach 203–205 könnte man erwarten, daß Alkestis (wie Phaidra im Hippolytos 170ff.) auf einer Liege herausgetragen wird. Doch sie geht auf eigenen „Füßen“ (267), wird aber von Admet oder Dienerinnen gestützt. Ihre beiden Kinder, ein Junge und ein Mädchen (vielleicht zehn- bzw. achtjährig), folgen ihr.

90

Anapäste des Chores und Zweites Epeisodion 238–247

Niemals werde ich sagen, daß die Ehe mehr Freude als Leid bringt. Aus früheren Erfahrungen schließe ich das und beim Anblick des jetzigen Schicksals des Königs, der die beste Gattin verliert und in Zukunft ein nicht lebenswertes Leben führen wird. Alkestis

Sonne und Tageslicht und himmlische Wirbel eilender Wolke!

240

245

Admetos Sie sieht dich und mich, beide im Unglück, die wir den Göttern nichts angetan haben, weswegen du sterben müßtest.

οὔποτε φήσω γάμον εὐφραίνειν πλέον ἢ λυπεῖν, τοῖς τε πάροιθεν τεκμαιρόμενος καὶ τάσδε τύχας λεύσσων βασιλέως, ὅστις ἀρίστης ἀπλακὼν ἀλόχου τῆσδ’ ἀβίωτον τὸν ἔπειτα χρόνον βιοτεύσει. Ἄλκηστις

Ἅλιε καὶ φάος ἁμέρας οὐράνιαί τε δῖναι νεφέλας δρομαίου.

Ἄδμητος ὁρᾶι σε κἀμέ, δύο κακῶς πεπραγότας, οὐδὲν θεοὺς δράσαντας ἀνθ’ ὅτου θανῆι. –––––––––––– 242 ἀπλακὼν Wakefield (wegen des Metrums nötig): ἀμπλακὼν Hss.

Anapäste 240

Strophe 1 245

246

Kommentar

91

238–243 Diese Anapäste markieren einen formalen und inhaltlichen Einschnitt vor Alkestis’ ersten Worten. Es handelt sich nicht um eine Abwertung der Ehe, sondern Euripides macht den Chor zum Sprachrohr der volkstümlichen Lebensweisheit, wonach es manchmal besser wäre, etwas nicht gehabt zu haben, weil man es dann auch nicht hätte verlieren können (aus dieser Denkweise heraus reduzierte im 4. Jh. der Kyniker Diogenes seinen Besitz auf das bekannte Faß). In ähnlichem Sinne bezeichnet der Chor in der Medea (1090– 1115) die Kinderlosigkeit als Glück. Dieser rückschauende (auf uns heute pietätlos wirkende) Wunsch anläßlich eines Todesfalls könnte im damaligen Alltag eine übliche Floskel gewesen sein. Möglicherweise wollte Euripides nebenbei die Witwer im Publikum ex negativo ermuntern, sich an Zeiten häuslichen Glücks zu erinnern und der Verstorbenen dankbar zu gedenken. 244–434 Zweites Epeisodion. Eine Sterbeszene gefolgt von einer Totenklage; beide beginnen mit einer Monodie (Alkestis bzw. Kind), an die sich eine Sprechszene (Alkestis und Admet) bzw. ein Monolog (Admet) anschließt. 244–272 Monodie der Alkestis (Amoibaion). In das ‚Sololied‘ sind Sprechverse Admets eingeschoben, die Alkestis nicht zur Kenntnis zu nehmen scheint. Monodien waren eine Spezialität des Euripides, auf die er, wie ihn Aristophanes in den Fröschen (944) sagen läßt, sehr stolz war. Zu den Begriffen Monodie und Amoibaion vgl. Einführung S. 48. 244–391 Alkestis, die zunächst, wenn auch gestützt, steht, wird gegen Ende ihrer Monodie (267) auf eine bereitgestellte Liege (mit Lehne) gebettet. Während des anschließenden ausgedehnten Gesprächs mit Admet ist sie halb aufgerichtet zu denken, bis sie schließlich sterbend zusammensinkt. 245 „Wirbel“ (díne), ein Terminus aus der zeitgenössischen Kosmologie (Empedokles, Anaxagoras), war für Gegner areligiösen, wissenschaftlichen Denkens ein Reizwort. In seinen 423 aufgeführten Wolken läßt Aristophanes Sokrates behaupten (380), nicht Zeus, sondern der „Wirbel“ sei für die Bewegung der Wolken verantwortlich. In den Thesmophoriazusen von 411 tritt gleich zu Anfang Euripides auf und erteilt kosmogonische Lehren. 247 Admet redet wie jemand, der etwas Schlimmes erleidet, aber sich keiner Schuld bewußt ist. In Euripides’ Helena 782 fragt Menelaos, als man ihn vor dem ägyptischen König, der alle Fremden töten läßt, warnt: „Was habe ich denn getan, das den Tod verdiente?“ Der Zuschauer von 438 v. Chr. kannte den Spruch „Wer tut, muß leiden“, der schon von Aischylos (Choephoren 313f.) als „uraltes Sprichwort“ zitiert wird und besagt, daß auf ein Verbrechen zwangsläufig die Vergeltung folgt. Daß Admet sein Leben einem Lebenstausch oder dem Opfertod seiner Frau zu verdanken hat, ist jedoch kein Verbrechen. Euripides brauchte daher nicht damit zu rechnen, daß sein Publikum wie spätere Interpreten an den Lebenstausch dachte und fragte, wie Admet so reden könne. Zur Formulierung „ wir haben nichts getan, weswegen d u sterben müßtest“ vgl. zu 180.

92 Al.

Ad. Al.

Zweites Epeisodion 248–258

Erde und Haus und Mädchenlager meiner Heimat Iolkos! Raffe dich auf, Unglückliche, gib nicht auf! Flehe die mächtigen Götter um Erbarmen an. Ich sehe, sehe ein Boot mit zwei Rudern auf dem Wasser. Der Fährmann der Toten, Charon, hält das Steuer und ruft mich schon: „Was zögerst du? Spute dich! Du hältst mich auf.“ So drängt er mich zur Eile.

Ad.

Wehe, du sprachst von einer bitteren Fahrt. Unglückliche, was müssen wir leiden!

Αλ.

γαῖά τε καὶ μελάθρων στέγαι νυμφίδιοί τε κοῖται πατρίας Ἰωλκοῦ.

Αδ.

ἔπαιρε σαυτήν, ὦ τάλαινα, μὴ προδῶις· λίσσου δὲ τοὺς κρατοῦντας οἰκτῖραι θεούς.

Αλ.

Αδ.

ὁρῶ δίκωπον ὁρῶ σκάφος ἐν λίμναι· νεκύων δὲ πορθμεὺς ἔχων χέρ’ ἐπὶ κοντῶι Χάρων μ’ ἤδη καλεῖ· Τί μέλλεις; ἐπείγου· σὺ κατείργεις. τάδε τοί με σπερχόμενος ταχύνει. οἴμοι· πικράν γε τήνδε μοι ναυκληρίαν ἔλεξας. ὦ δύσδαιμον, οἷα πάσχομεν.

250

255

Gegenstrophe 1

250

Strophe 2

255

Kommentar

93

Der Gedanke, man habe sein Unglück nicht verdient, zeugt übrigens von einem säkularisierten Selbstbewußtsein, das den Menschen Homers fremd ist. Bei einem Unglück (z. B. einer Seuche), nehmen sie grundsätzlich an, sie hätten sich gegenüber einem Gott etwas zuschulden kommen lassen, und fragen einen Seher, was für ein Vergehen das war und wie man es wieder gutmachen könne (Ilias 1,62ff.). 248f. Anders als an Stellen wie Medea 148, wo „Erde und Licht“ ein Begriffspaar bilden, bezieht sich hier „Erde“ nicht auf „Licht“ in Vers 244, sondern gehört im Sinne von „Heimaterde“ zu „Haus und Mädchenlager“ (= das Bett, in dem Alkestis als Mädchen schlief). Alkestis denkt zurück an ihre Mädchenjahre in ihrer Heimat Iolkos (und nicht an ihre Hochzeit, wie öfter angenommen wird; nymphe heißt nicht nur „Braut“, sondern auch „heiratsfähiges Mädchen“ oder „ragazza“, wie Susanetti übersetzt). Iolkos erscheint hier als der Ort ihrer unbeschwerten Jugendzeit; die Hochzeit ist natürlich in Pherai zu denken (s. 177f., 915–925). Euripides läßt Alkestis, wie nicht anders zu erwarten, ihren Vater Pelias nicht erwähnen, um das Publikum nicht an dessen Problem mit seinen Töchtern zu erinnern, vgl. zu 37. Von Iolkos aus unternahm Iason mit den Argonauten die Fahrt nach dem Goldenen Vlies. 250 „gib nicht auf“, vgl. zu 202. 252–263 Alkestis glaubt (in einer gestisch wahrscheinlich lebhaft ausgespielten Vision) den Tod zu sehen. Wie er für Apollon im Prolog zugleich Opferpriester und raubender Dämon ist (vgl. zu 25f.), so erscheint er in Alkestis’ Vision nebeneinander als der Totenfährmann Charon (der sie mahnt einzusteigen) und als finsterblickender geflügelter Dämon (der sie ins Totenreich fortschleppen will). Man sollte hier wie dort nicht versuchen, daraus eine rational einheitliche Vorstellung zu konstruieren. Vgl. zu 360f. Eine Vision auf der Bühne war nicht neu. Aischylos ließ seine Choephoren (das zweite Stück der Orestie) damit enden, daß Orest glaubt, die Erinyen zu sehen, und in wilder Flucht davonstürzt. In der Taurischen Iphigenie beschreibt ein Bote, wie Orest in einem Wahnsinnsanfall die Erinyen sieht, und kommentiert: „nichts davon war zu sehen“ (291). 255 „ruft mich schon“, so auch Platons Sokrates vor seinem Tod mit dem Zusatz „wie ein tragischer Mann (Tragödiendichter) sagen würde“ (Phaidon 115a). Ob er damit direkt auf die Alkestis anspielt, läßt sich nicht sagen, da Sokrates auch an nicht erhaltene Tragödien gedacht haben kann; die Wendung könnte für Sterbeszenen typisch gewesen sein. 259 Da Alkestis während ihrer Vision nicht auf Admets Worte reagiert, ist die Frage mehr ein Schreckensruf, der sich an eine imaginäre Umgebung richtet. 262 „Hades“ ist hier nicht die mythologische Figur (Bruder des Zeus, Herrscher im Totenreich), sondern eine Personifikation des Todes wie der „Tod“ im Prolog, vgl. zu 28–76. Daher kann er „geflügelt“ genannt werden, während in bildlichen Darstellungen Hades keine Flügel trägt.

94

Zweites Epeisodion 259–272

Al.

Jemand treibt mich, jemand treibt mich – siehst du nicht? – ins Totenreich, unter finsteren Brauen blickend, geflügelt, Hades. Was wirst du tun? Laß mich los! Welchen Weg muß ich Ärmste gehen?

Ad.

Einen jammervollen für deine Angehörigen, und am meisten für mich und die Kinder, die wir gemeinsam leiden.

Al.

Αλ.

Αδ. Αλ.

Gegenstrophe 2 260

Laßt mich, laßt mich, legt mich nieder, meine Füße versagen. Hades ist nahe, dunkle Nacht deckt meine Augen. Kinder, Kinder, eure Mutter ist nicht mehr, ist nicht mehr. Lebt wohl, Kinder, und schaut das Licht!

ἄγει μ’ ἄγει τις, ἄγει μέ τις – οὐ ὁρᾶις; – νεκύων ἐς αὐλάν, ὑπ’ ὀφρύσι κυαναυγέσι βλέπων πτερωτὸς Ἅιδας. τί ῥέξεις; ἄφες. οἵαν ὁδὸν ἁ δειλαιοτάτα προβαίνω. οἰκτρὰν φίλοισιν, ἐκ δὲ τῶν μάλιστ’ ἐμοὶ καὶ παισίν, οἷς δὴ πένθος ἐν κοινῶι τόδε. μέθετε μέθετέ μ’ ἤδη· κλίνατ’, οὐ σθένω ποσίν. πλησίον Ἅιδας, σκοτία δ’ ἐπ’ ὄσσοισι νὺξ ἐφέρπει. τέκνα τέκν’, οὐκέτι δὴ οὐκέτι μάτηρ σφῶιν ἔστιν. χαίροντες, ὦ τέκνα, τόδε φάος ὁρῶιτον.

–––––––––––– 263 μέθες με τί ῥέξεις BO

265 Epode

270

Gegenstrophe 2 260

265 Epode

270

Kommentar

95

263 „du“. Die Anrede gilt der Erscheinung; erst 266 wendet sich Alkestis an ihre reale Begleitung. 267 Ein Scholiast meint, daß Alkestis hier nicht von ihren „Füßen“ (Dativ posí) spricht, sondern ihren „Gatten“ (Vokativ pósi) anredet. Gegen diese theoretisch mögliche Auffassung spricht die Bühnensituation. Alkestis wendet sich jetzt zwar wieder ihrer realen Umgebung zu, Admet eingeschlossen, aber die direkte Anrede folgt erst mit Beginn der Sprechszene (280). 269–272 Zu diesen Abschiedsworten vgl. zu 280–391.

96 Ad.

Al.

Αδ.

Αλ.

Zweites Epeisodion 273–284

Wehe, welch schmerzliches Wort zu hören, schlimmer für mich als jeder Tod. Bei den Göttern, verlaß mich nicht, und bei den Kindern, die du zu Waisen machst! Doch auf, fasse Mut! Wenn du stirbst, könnte ich nicht mehr leben. An dir hängt für uns Leben oder Tod; denn deine Liebe ist uns anbetungswürdig.

275

Admet, du siehst, wie meine Sache steht. Ich will dir, bevor ich sterbe, sagen, welchen Wunsch ich habe. Dich mir vorziehend und dir um den Preis meines Lebens den Anblick des Lichtes schenkend sterbe ich für dich, obwohl ich nicht sterben müßte.

280

οἴμοι· τόδ’ ἔπος λυπρὸν ἀκούειν καὶ παντὸς ἐμοὶ θανάτου μεῖζον. μὴ πρός θεῶν τλῆις με προδοῦναι, μὴ πρὸς παίδων οὓς ὀρφανιεῖς, ἀλλ’ ἄνα, τόλμα. σοῦ γὰρ φθιμένης οὐκέτ’ ἂν εἴην, ἐν σοὶ δ’ ἐσμὲν καὶ ζῆν καὶ μή· σὴν γὰρ φιλίαν σεβόμεσθα.

Anapäste

Ἄδμηθ’, ὁρᾶις γὰρ τἀμὰ πράγμαθ’ ὡς ἔχει, λέξαι θέλω σοι πρὶν θανεῖν ἃ βούλομαι. ἐγώ σε πρεσβεύουσα κἀντὶ τῆς ἐμῆς ψυχῆς καταστήσασα φῶς τόδ’ εἰσορᾶν θνήισκω, παρόν μοι μὴ θανεῖν, ὑπὲρ σέθεν.

280

–––––––––––– 273 ἀκούειν Monk, Diggle, Parker: ἀκούων Hss., Garzya

275 Porson

275

276 fehlt in LP

Kommentar

97

273–279 Die Anapäste Admets schließen inhaltlich den lyrischen Teil ab, gehören aber metrisch nicht mehr dazu. Dadurch wird ein allzu abrupter Wechsel vom lyrischen zum gesprochenen Teil der Szene vermieden. Vgl. zu 741–746 und 861–910. 277f. Auch wenn „uns“ nach dem vorausgegangenen „ich“ als poetischer Plural verstanden werden kann, ist anzunehmen, daß die Kinder (276) mitgemeint sind. 279 „ist uns anbetungswürdig“. Da Admet seine Existenz von Alkestis’ Liebe abhängig macht, muß mehr gemeint sein als das wörtliche „verehren“. philia bezeichnet hier die enge emotionale (auch nicht-erotische) Verbundenheit zwischen Menschen, also auf jeden Fall weit mehr als eine bloße Interessengemeinschaft von ‚Freunden‘, die gegen ‚Feinde‘ Schutz bietet. Vgl. zu 70 und zu 930. 280–391 Gespräch Alkestis–Admet. Mit den lyrischen Versen 262–272 könnte die Sterbeszene enden. Alkestis sinkt auf die Liege nieder und wendet sich an die Kinder mit Worten, die wie ein letzter Abschied klingen. Daß sich daran ein ausgedehnter Teil in Sprechversen (Rede, Gegenrede, Stichomythie) anschließt, an dessen Ende sie wirklich stirbt, entspricht der Euripideischen Technik, dem emotionalen Ausbruch die rationale Argumentation folgen zu lassen (vgl. Medea 96ff. und 214ff., Hippolytos 198ff. und 373ff.). Da wir heute bei einer Sterbeszene eher die umgekehrte Reihenfolge erwarten, weil sie uns natürlicher erscheint, könnte man geneigt sein, darin eine Durchbrechung des konsequenten Zeitablaufs und eine lebensferne antike Bühnenkonvention sehen (so Dale zu 280ff.). Doch damit würde man nur eine neuzeitliche Bühnenkonvention zum Maßstab machen, da praktische Erfahrungen kaum so eindeutig sind. Euripides stellt oft zwei Seiten eines Phänomens nebeneinander, ohne spekulativ eine psychologische Brücke zu konstruieren. Vgl. zu 158–195 und zu 385–391. 282–284 Wieder ist die Formulierung so allgemein gehalten, daß vom Lebenstausch nur das Sterben um den Preis (anti) ihres eigenen Lebens für (hyper) Admet übriggeblieben ist. Alkestis opfert ihr Leben, damit Admet leben kann, aber nichts im Wortlaut deutet darauf hin, daß er sie darum gebeten habe oder es hätte ablehnen können. Vgl. zu 83–85.

98

Zweites Epeisodion 285–302

285 [sondern mir zum Mann irgendeinen Thessaler hätte nehmen und in Herrscherpracht wohnen können.] Ich wollte nicht ohne dich leben mit den verwaisten Kindern und schonte nicht meine Jugend, obwohl ich mich an manchem freute. 290 Vater und Mutter dagegen ließen dich im Stich. Sie waren an einen Punkt des Lebens gelangt, wo ihnen zu sterben und ihren Sohn zu retten wohlangestanden hätte und sie ruhmvoll gestorben wären. Du warst ihr einziger Sohn und es bestand keine Hoffnung, nach deinem Tod andere Kinder zu zeugen. 295 Wir beide hätten weiterleben können und du hättest nicht deiner Gattin beraubt klagen müssen und die Kinder als Waisen aufziehen müssen. Aber das hat ein Gott so gefügt. Doch genug davon. Du aber denke jetzt an den Dank dafür. 300 Ich verlange keine gleichwertige Gegenleistung – denn was ist wertvoller als das Leben? –, sondern nur Gerechtes, wie du selbst sagen wirst, da du diese Kinder

[ἀλλ’ ἄνδρα τε σχεῖν Θεσσαλῶν ὃν ἤθελον καὶ δῶμα ναίειν ὄλβιον τυραννίδι.] οὐκ ἠθέλησα ζῆν ἀποσπασθεῖσα σοῦ σὺν παισὶν ὀρφανοῖσιν, οὐδ’ ἐφεισάμην ἥβης ἔχουσ’ ἐν οἷς ἐτερπόμην ἐγώ. καίτοι σ’ ὁ φύσας χἠ τεκοῦσα προύδοσαν, καλῶς μὲν αὐτοῖς κατθανεῖν ἧκον βίου, καλῶς δὲ σῶσαι παῖδα κεὐκλεῶς θανεῖν. μόνος γὰρ αὐτοῖς ἦσθα, κοὔτις ἐλπὶς ἦν σοῦ κατθανόντος ἄλλα φιτύσειν τέκνα. κἀγώ τ’ ἂν ἔζων καὶ σὺ τὸν λοιπὸν χρόνον, κοὐκ ἂν μονωθεὶς σῆς δάμαρτος ἔστενες καὶ παῖδας ὠρφάνευες. ἀλλὰ ταῦτα μὲν θεῶν τις ἐξέπραξεν ὥσθ’ οὕτως ἔχειν. εἶἑν· σύ νύν μοι τῶνδ’ ἀπόμνησαι χάριν· αἰτήσομαι γάρ σ’ ἀξίαν μὲν οὔποτε – ψυχῆς γὰρ οὐδέν ἐστι τιμιώτερον –, δίκαια δ’, ὡς φήσεις σύ· τούσδε γὰρ φιλεῖς

285

290

295

300

–––––––––––– 285 θεσσαλῶν BO: θεσσαλὸν VLP 285f. […] Seeck 289 ἥβης ἔχουσ’ ἐν οἷς ἐτερπόμην ἐγώ BO, Parker: ἥβης, ἔχουσ’… Murray, Diggle: ἥβης ἔχουσα δῶρ’ ἐν οἷς ἐτερπόμην LP, Méridier, Garzya

Kommentar

99

285–289 Der fehlende grammatische Anschluß zwischen 286 und 287 hat Anstoß erregt (vgl. Dale zu 284–9). Aber es steckt auch eine inhaltliche Schwierigkeit in dem Abschnitt; denn Alkestis nennt einerseits das, worauf sie durch ihren Tod verzichtet (ein glückliches Weiterleben in neuer Ehe), andererseits das, was sie sich ersparen möchte (ein Leben als Witwe mit den vaterlosen Kindern). Doch wenn sie das erste für denkbar hält, kann die zweite Möglichkeit nicht als Begründung für ihre Entscheidung, lieber zu sterben, dienen. Es scheint sich daher bei 285f. um eine Interpolation zu handeln, die über den in 289 angesprochenen Verzicht („obwohl ich mich an manchem freute“) hinaus den Gedanken an eine neue Ehe ins Spiel bringen soll. Beides sind übrigens gängige literarische Motive. Eine Wiederheirat wäre der Normalfall (vgl. zu 181) wie bei Penelope in der Odyssee. Umgekehrt malt sich Andromache in der Ilias nach Hektors Tod aus, wie ihr kleiner Sohn als Kind einer Witwe herumgestoßen wird (22,483–499). Zum Versuch, die nüchterne Sachlichkeit ihrer Rede psychologisch zu deuten als Zeichen einer Entfremdung zwischen ihr und Admet vgl. Einführung S. 34. Ebensowenig bietet die Stelle eine Rechtfertigung für die Meinung, daß Alkestis ihre damalige Entscheidung bereue. 286 „in Herrscherpracht wohnen“, wörtlich „ein Haus bewohnen, das glückselig in seiner Tyrannis ist“. Zu dem im demokratischen Athen eigentlich anstößigen Wort „Tyrannis“ vgl. zu 654. 290 Apollon hatte im Prolog die Weigerung der Eltern, für ihren Sohn zu sterben, nur neutral erwähnt, um Alkestis’ Bereitschaft als etwas ganz Besonderes davon abzuheben. Bei Alkestis deutet sich ein leiser Vorwurf an, der 338 von Admet aufgenommen wird. 291f. Vers 291 gilt als sprachlich problematisch (s. Dale), läßt sich jedoch verteidigen. Alkestis will sagen, die alten Eltern hätten ihren altersgemäßen (und darum „schönen“) Tod zusätzlich in einen („schönen“) Gewinn ummünzen können (Rettung ihres Sohnes, eigener Ruhm; ähnlich Admet 648–650). 293 Das Argument erinnert an Antigones berüchtigtes „Kalkül“ (Sophokles Antigone 905–912, wovon Goethe sich wünschte, „ein tüchtiger Philologe“ möge die Stelle als Interpolation erweisen, zu Eckermann 28.3.1827). Der Gedanke ist hier bei Euripides ganz unproblematisch, weil Alkestis nur sagt, daß Admets Eltern wegen ihres Alters keinen neuen Sohn bekommen könnten, während Antigone darüber hinaus von der Ersetzbarkeit von Ehemann und Kindern spricht. 297f. „Gott“. Alkestis kann nicht Apollon meinen; denn im Stück ist nirgendwo erkennbar, daß sie und Admet von dessen Handel mit den Moiren wissen. Die Formulierung drückt auch keine fromme Ergebung in einen göttlichen Willen aus, sondern entspricht eher unserm „Das ist nun einmal so“ oder „Das läßt sich nun einmal nicht ändern“. 299f. Dank im Sinne von Gegenleistung (charis, vgl. zu 38). Da Alkestis’ Tod bereits feststeht, darf man nicht von „Bedingungen“ (Reemtsma 61) sprechen, die sie Admet stelle.

100

Zweites Epeisodion 303–316

nicht weniger liebst als ich, wenn du bei Verstand bist. Ziehe sie als Herren meines Hauses auf 305 und gib diesen Kindern keine Stiefmutter, die, da schlechter als ich, mißgünstig Hand an deine und meine Kinder legt! Tu das nicht, ich bitte dich! Denn feindlich ist die hinzukommende Stiefmutter den vorigen 310 Kindern, nicht zahmer als eine Schlange. Ein Junge hat wenigstens den Vater als starken Schutz, mit dem er reden kann, du aber, mein Kind, wie könnte es dir als Mädchen gut ergehen, bei welcher neuen Frau deines Vaters? 315 Sie könnte dir einen schlechten Ruf anhängen, wenn du in der Blüte der Jugend stehst, und eine Heirat verhindern.

οὐχ ἧσσον ἢ ‘γὼ παῖδας, εἴπερ εὖ φρονεῖς. τούτους ἀνάσχου δεσπότας ἐμῶν δόμων καὶ μὴ ‘πιγήμηις τοῖσδε μητρυιὰν τέκνοις, ἥτις κακίων οὖσ’ ἐμοῦ γυνὴ φθόνωι τοῖς σοῖσι κἀμοῖς παισὶ χεῖρα προσβαλεῖ. μὴ δῆτα δράσηις ταῦτά γ’, αἰτοῦμαί σ’ ἐγώ· ἐχθρὰ γὰρ ἡ ‘πιοῦσα μητρυιὰ τέκνοις τοῖς πρόσθ’, ἐχίδνης οὐδὲν ἠπιωτέρα. καὶ παῖς μὲν ἄρσην πατέρ’ ἔχει πύργον μέγαν ὃν καὶ προσεῖπε καὶ προσερρήθη πάλιν· σὺ δ’, ὦ τέκνον μοι, πῶς κορευθήσηι καλῶς; ποίας τυχοῦσα συζύγου τῶι σῶι πατρί; μή σοί τιν’ αἰσχρὰν προσβαλοῦσα κληδόνα ἥβης ἐν ἀκμῆι σοὺς διαφθείρηι γάμους. –––––––––––– 312 […] Pierson, Murray, Méridier, Garzya, Diggle, Parker

305

310

315

Kommentar

101

303 Alkestis zweifelt weder an Admets Liebe zu den Kindern noch an seinem Verstand, sondern nennt redensartlich den klaren Verstand als die Grundbedingung für normales Verhalten, d. h. sie setzt als selbstverständlich voraus, daß Admet für die Kinder das Beste will. Vgl. 327. In seinem Herakles zeigt Euripides, wie ein Vater (Herakles) im Wahnsinn seine Kinder umbringt. 304f. „meines Hauses“ aus dem Mund einer Frau fällt auf, da der eigentliche Eigentümer natürlich der Mann ist und man ein „unsres“ erwarten könnte. Doch Euripides will Alkestis wahrscheinlich nicht ihren ideellen Anteil am Haus betonen lassen (so Susanetti), sondern „meines“ soll eher die subjektiv persönliche Perspektive der Todgeweihten ausdrücken. Eine Wiederheirat würde die Rechtsstellung der vorhandenen Kinder gefährden. Dieser Gedanke scheint antiken sterbenden Müttern die größte Sorgen bereitet zu haben. Als Theseus im Hippolytos (856ff.) die von Phaidra hinterlassene Schreibtafel entdeckt, erwartet er als erstes nicht etwa, Auskunft über den Grund ihres Freitodes zu finden, sondern den Wunsch, er solle nicht wieder heiraten. 306–319 Die böse Stiefmutter (vgl. Märchen wie Schneewittchen oder Aschenputtel) ist ein uraltes mythologisches Motiv. Es liegt schon dem Mythos vom Goldenen Vlies zugrunde: Die Geschwister Phrixos und Helle werden durch einen geflügelten goldfarbenen Widder vor den Nachstellungen ihrer Stiefmutter Ino gerettet; Helle stürzt ins Meer und gibt dem Hellespont den Namen; das Fell des Widders wird in Kolchis aufbewahrt und später von Jason und den Argonauten nach Iolkos gebracht. Aber Alkestis – die Eindringlichkeit ihrer Worte spricht dafür – scheint eher ein aktuelles Phänomen aus dem Alltag der Zuschauer zu beschreiben. Jedenfalls konnten Ehemänner, die in zweiter Ehe verheiratet waren, eine Mahnung heraushören, zu Hause die Augen offenzuhalten. 312 Der Vers wird als Dublette von 195 gewöhnlich gestrichen. Inhaltlich ist an dieser Stelle gegen ihn einzuwenden, daß Alkestis zunächst nur von der Gefährdung durch die Stiefmutter und vom Schutz, den der Vater einem Sohn biete, redet und der Gedanke, ein Junge habe im Vater einen Gesprächspartner, darüber hinausgeht. Andererseits kann man aus Alkestis’ Hinweis auf die unterschiedliche Behandlung von Jungen und Mädchen eine Kritik des Dichters an der Bevorzugung der Söhne durch athenische Väter heraushören. Daß Väter ihre kleinen Töchter mehr oder weniger ignorieren und nur mit ihren Söhnen reden, klingt dann wie eine an zuschauende Väter gerichtete Mahnung. Vielleicht hat Vers 195 als Randglosse einen ähnlich lautetenden echten Vers 312 verdrängt. 315f. Wahrscheinlich ist nicht reine Bosheit, sondern Eigennutz gemeint. Wenn die Stieftochter nicht heiratet, erspart das die Mitgift und erhält dem Haus eine Arbeitskraft, wobei eher an einen bürgerlichen oder bäuerlichen Haushalt als an einen Königshof zu denken ist, vgl. zu 1049–1056.

102

Ch. Ad.

Χο. Αδ.

Zweites Epeisodion 317–333

Denn deine Mutter wird dir weder die Hochzeit ausrichten noch dich bei Geburten ermutigen, mein Kind, dir beistehend, wo es nichts Wohlmeinenderes gibt als die Mutter. Denn ich muß sterben, und nicht morgen oder am Dritten des Monats trifft mich dies Unglück, sondern jetzt gleich wird man mich zu den Toten rechnen. Lebt wohl und seid glücklich! Und du, mein Gatte; solltest dich rühmen, die beste Frau bekommen zu haben, und ihr, Kinder, von der besten Mutter zu stammen. Sei unbesorgt – ich scheue mich nicht, für ihn zu sprechen: Er wird dies tun, wenn ihn der Verstand nicht verläßt. Das wird geschehen, ja, mache dir keine Sorgen! Denn du warst im Leben meine Frau und auch tot wirst nur du meine Frau heißen. Keine andere Thessalerin wird diesen Mann jemals als Braut ansprechen; sie mag von noch so edler Abstammung und noch so schön sein.

οὐ γάρ σε μήτηρ οὔτε νυμφεύσει ποτὲ οὔτ’ ἐν τόκοισι σοῖσι θαρσυνεῖ, τέκνον, παροῦσ’, ἵν’ οὐδὲν μητρὸς εὐμενέστερον. δεῖ γὰρ θανεῖν με· καὶ τόδ’ οὐκ ἐς αὔριον οὐδ’ ἐς τρίτην μοι μηνὸς ἔρχεται κακόν, ἀλλ’ αὐτίκ’ ἐν τοῖς οὐκέτ’ οὖσι λέξομαι. χαίροντες εὐφραίνοισθε· καὶ σοὶ μέν, πόσι, γυναῖκ’ ἀρίστην ἔστι κομπάσαι λαβεῖν, ὑμῖν δέ, παῖδες, μητρὸς ἐκπεφυκέναι. θάρσει· πρὸ τούτου γὰρ λέγειν οὐχ ἅζομαι· δράσει τάδ’, εἴπερ μὴ φρενῶν ἁμαρτάνει. ἔσται τάδ’, ἔσται, μὴ τρέσηις· ἐπεί σ’ ἐγὼ καὶ ζῶσαν εἶχον καὶ θανοῦσ’ ἐμὴ γυνὴ μόνη κεκλήσηι, κοὔτις ἀντὶ σοῦ ποτε τόνδ’ ἄνδρα νύμφη Θεσσαλὶς προσφθέγξεται. οὐκ ἔστιν οὕτως οὔτε πατρὸς εὐγενοῦς οὔτ’ εἶδος ἄλλως ἐκπρεπεστάτη γυνή.

–––––––––––– 321 †μηνὸς† Diggle, Parker

320

325

330

320

325

330

333 ἐκπρεπεστάτη L, Garzya, Diggle, Parker: εὐπρεπεστάτη BOV

Kommentar

103

317–319 Alkestis, die eben befürchtet hat, eine Stiefmutter werde eine Ehe ihrer Tochter verhindern, nimmt nun plötzlich an, sie werde heiraten. Der Wechsel ist so abrupt, daß man an eine Textlücke denken könnte, aber der Zuschauer soll sich wohl stillschweigend ergänzen: „Und auch wenn sie deine Heirat nicht verhindert, wirst du es ohne Mutter schwerhaben.“ 321 „des Monats“ ist angezweifelt worden, weil „der dritte Tag“ gewöhnlich die Bedeutung „übermorgen“ hat. Doch „der Dritte des Monats“ könnte im athenischen Alltag bei zum Ersten fälligen Zahlungen ein tolerierter Verzug gewesen sein, d. h. Alkestis könnte meinen „nicht erst morgen oder mit einem (im Geschäftsleben) üblichen Aufschub von zwei Tagen“. Dieser Gedanke ist so naheliegend, daß schwer zu verstehen ist, warum Dale ihn „unfounded guess“ nannte. 323–325 Wieder wie letzte Abschiedsworte, vgl. zu 280–391 und 385– 391. 327 „Verstand“, vgl. zu 303. 328–368 Admet antwortet, selbstverständlich werde er ihren Wunsch erfüllen; eine neue Ehe komme für ihn ohnehin nicht in Frage. Ab 336 folgen dann zusätzliche Versprechungen, deren teils hyperbolischer teils irrealer Charakter grenzenlose Trauer ausdrückt (deren Wortlaut jedoch keinen Ansatzpunkt bietet, die Trauer als scheinheilig und gespielt oder gar als komisch zu verstehen; gegen solche Versuche wendet sich Dale zu 365–6). 332f. Admet will natürlich nicht sagen, daß eine Wiederheirat nicht in Frage komme, weil keine würdige Nachfolgerin für Alkestis in Sicht sei, sondern daß er auf keinen Fall wieder heiraten würde, selbst wenn es eine solche gäbe.

104

Zweites Epeisodion 334–350

Diesen Kindern nützen zu können (wie du), erflehe ich mehr als genug 335 von den Göttern, da du uns nicht erhalten geblieben bist. Ich werde nicht nur ein Jahr, sondern bis ans Ende meines Lebens um dich, meine Frau, trauern, voller Abscheu gegen meine Mutter und voll Haß gegen meinen Vater, weil sie mich nur in Worten, nicht wirklich liebten. 340 Du aber gabst für mein Leben das Liebste hin und rettetest mich. Sollte ich nicht laut klagen, da ich mit dir eine solche Gefährtin verliere? Ich werde Schluß machen mit Festen und Symposien und Kränzen und der Musik, die bisher mein Haus erfüllte; 345 denn niemals mehr könnte ich Saiten anrühren und in gehobener Stimmung zur libyschen Flöte singen; denn mit dir wich die Freude aus meinem Leben. Ein von Künstlerhand geschaffenes Abbild von dir soll auf deinem Lager hingestreckt sein, 350 vor dem ich niedersinke und das ich umarme,

ἅλις δὲ παίδων τῶνδ’ ὄνησιν εὔχομαι θεοῖς γενέσθαι· σοῦ γὰρ οὐκ ὠνήμεθα. οἴσω δὲ πένθος οὐκ ἐτήσιον τὸ σὸν ἀλλ’ ἔστ’ ἂν αἰὼν οὑμὸς ἀντέχηι, γύναι, στυγῶν μὲν ἥ μ’ ἔτικτεν, ἐχθαίρων δ’ ἐμὸν πατέρα· λόγωι γὰρ ἦσαν οὐκ ἔργωι φίλοι. σὺ δ’ ἀντιδοῦσα τῆς ἐμῆς τὰ φίλτατα ψυχῆς ἔσωσας. ἆρά μοι στένειν πάρα τοιᾶσδ’ ἁμαρτάνοντι συζύγου σέθεν; παύσω δὲ κώμους συμποτῶν θ’ ὁμιλίας στεφάνους τε μοῦσάν θ’ ἣ κατεῖχ’ ἐμοὺς δόμους. οὐ γάρ ποτ’ οὔτ’ ἂν βαρβίτου θίγοιμ’ ἔτι οὔτ’ ἂν φρέν’ ἐξάραιμι πρὸς Λίβυν λακεῖν αὐλόν· σὺ γάρ μου τέρψιν ἐξείλου βίου. σοφῆι δὲ χειρὶ τεκτόνων δέμας τὸ σὸν εἰκασθὲν ἐν λέκτροισιν ἐκταθήσεται, ὧι προσπεσοῦμαι καὶ περιπτύσσων χέρας

335

340

345

350

–––––––––––– 334 Die trotz der Warnung eines Scholiasten übliche Interpunktion παίδων· τῶνδ’ zerreißt die natürliche Junktur zwischen Substantiv („Kinder“) und Demonstrativpronomen („diese“). Ein so ungewöhnlicher grammatischer Einschnitt ist in einer Zeit, die noch ohne Interpunktion schrieb, kaum denkbar. Vgl. zu 203–206. Diejenigen, die diesen Einschnitt für möglich halten, beziehen „genug“ auf „Kinder“ statt auf „erflehe“ und übersetzen etwa „Genug der Kinder sind vorhanden“ (Donner/Kannicht), „Ich wünsche mir keine Kinder mehr“ (Wilamowitz), „And as for the children, I have enough already“ (Conacher), ähnlich Kovacs, Susanetti, Thorburn, Parker.

Kommentar

105

334 Zur üblichen Interpunktion und Deutung des Verses s. kritischen Apparat. Statt „diesen Kindern nützen zu können“ wird gewöhnlich „von diesen Kindern Nutzen zu haben“ verstanden, was dem Wortlaut nach möglich ist. Doch es liegt näher, daß Admet sich Sorgen macht, wie er die Kinder ohne ihre Mutter aufziehen kann, als daß er an sein Alter denkt, wo ihm die Kinder eine Stütze sein könnten. Von „erflehe ich“ (euchomai) ist ein Infinitiv abhängig, bei dem ein Pronomen im Akkusativ („mich“) zu ergänzen ist, also ein A.c.I; dementsprechend steht das Prädikatsnomen („Nutzen“) ebenfalls im Akkusativ. „du uns nicht erhalten geblieben bist“ wörtlich „wir von dir keinen Nutzen erfahren haben“ (Admet blickt aus der Zukunft auf das nun bevorstehende Leben ohne Alkestis zurück). 338 Admet reagiert auf Alkestis’ Erwähnung der Eltern, vgl. zu 290. Der aggressive Ton kündigt dramaturgisch den Zusammenstoß mit dem Vater in der Pheresszene an. Der Wortlaut läßt offen, ob Admet die Eltern direkt gefragt hat oder sie (als sich die Möglichkeit zeigte, Admet zu retten) sich anders als Alkestis nicht angeboten haben. 343–347 Admet beschreibt Symposien, wie sie in athenischen Privathäusern stattfanden. Heroische Könige wie der Phäakenkönig in der Odyssee kennen Gastmähler, aber keine Symposien, und sie singen nicht selbst, sondern halten sich einen Sänger; daß Achill in der Ilias (9,186–191) Heldenlieder singt, hängt mit der Isolierung zusammen, in die er durch seinen „Zorn“ gegenüber Agamemnon geraten ist. Der (die) Barbitos (auch das Barbiton) ist ein der Lyra (vgl. zu 446) verwandtes Saiteninstrument. Der aulós, gewöhnlich mit „Flöte“ übersetzt, entspricht technisch gesehen eher einer Oboe. Er wird „libysch“ genannt, entweder weil er (auch) aus libyschem Lotosholz gefertigt wurde oder weil man (fälschlich) meinte, er sei in Libyen erfunden worden, vgl. Kannicht zu Helena 170f. 348–354 Diese Stelle hat viele frühere Interpreten peinlich berührt und neuere zu sexualpsychologischen Deutungen (dagegen Thorburn xxxix f.) inspiriert, weil sie sich anscheinend eine lebensgroße Puppe vorstellen, die Admet im Bett liegend umarmen will. Nach dem Wortlaut liegt jedoch eine andere Deutung näher, nämlich daß Euripides an ein Abbild (wie man es auf dem Grab eines Verstorbenen aufstellte) gedacht hat, das auf dem Bett liegt und über das Admet vor dem Bett niederknieend (prospesoûmai 350) die Arme breitet. Auch das wäre ein exzessives Verhalten, aber es würde sexuelle Assoziationen ausschließen, die Euripides seinem Publikum keinesfalls zumuten konnte. Admet will durch ein Abbild die Erinnerung an Alkestis lebendig erhalten, so wie man heute die Photographie eines Verstorbenen aufstellt. Daß dabei Wunsch und Vorstellung, den geliebten Menschen selbst bei sich zu haben, ineinander übergehen, ist nur natürlich; auch Photographien sind schon ans Herz gedrückt worden. Einen magisch apotropäischen Hintergrund anzunehmen (Thorburn xl–xlii) würde Admets Trauer widersprechen.

106

Zweites Epeisodion 351–362

während ich deinen Namen rufe und in den Armen meine geliebte Frau – sie nicht haltend – zu halten glaube. Das ist keine echte Freude, das weiß ich, aber die Seelenlast wird leichter. Und wenn du mir im Traum erschienst, würdest du mich trösten; denn es bereitet Freude, geliebte Menschen zu sehen, sei es auch nur nachts und für kurze Zeit. Und wenn ich über Orpheus’ Stimme und Melodien verfügte, um Demeters Tochter oder ihren Gatten durch Lieder zu bezaubern und dich aus dem Hades zu holen, würde ich hinabsteigen, und weder Plutons Hund noch an seinem Ruder der seelengeleitende Greis sollte mich hindern, dich lebend ans Licht zurückzubringen.

ὄνομα καλῶν σὸν τὴν φίλην ἐν ἀγκάλαις δόξω γυναῖκα καίπερ οὐκ ἔχων ἔχειν· ψυχρὰν μέν, οἶμαι, τέρψιν, ἀλλ’ ὅμως βάρος ψυχῆς ἀπαντλοίην ἄν. ἐν δ’ ὀνείρασιν φοιτῶσά μ’ εὐφραίνοις ἄν· ἡδὺ γὰρ φίλους κἀν νυκτὶ λεύσσειν, ὅντιν’ ἂν παρῆι χρόνον. εἰ δ’ Ὀρφέως μοι γλῶσσα καὶ μέλος παρῆν, ὥστ’ ἢ κόρην Δήμητρος ἢ κείνης πόσιν ὕμνοισι κηλήσαντά σ’ ἐξ Ἅιδου λαβεῖν, κατῆλθον ἄν, καί μ’ οὔθ’ ὁ Πλούτωνος κύων οὔθ’ οὑπὶ κώπηι ψυχοπομπὸς ἂν γέρων ἔσχ’ ἄν, πρὶν ἐς φῶς σὸν καταστῆσαι βίον.

355

360

355

360

–––––––––––– 358 ὡς τὴν Hss.: ὥστ’ ἢ Reiske, Garzya, Diggle, Parker 361 γέρων Cobet: χάρων Hss.: Χάρων Diggle, Kovacs, Parker. Daß weder Persephone noch Hades noch Kerberos mit Namen genannt werden, spricht für die Konjektur „Greis“ statt des überlieferten „Charon“. 362 ἔσχον Hss., Garzya: ἔσχ’ ἄν Lenting, Diggle, Parker U

Kommentar

107

Euripides hat sich vielleicht durch den Mythos von der trauernden Laodameia anregen lassen. Sie hatte nach dem Tod ihres Mannes Protesilaos, dem ersten vor Troja gefallenen Griechen, sein in ihrem Schlafzimmer aufgestelltes Standbild umarmt (wodurch sie in den Verdacht geriet, einen heimlichen Liebhaber zu haben). 354 In der Ilias erscheint der tote Patroklos seinem Freund Achill im Traum, verschwindet aber, als dieser ihn in die Arme schließen will (23,97– 101). 358–362 Bei diesem (irrealen) Wunsch läßt Admet beiseite, daß Orpheus seine Eurydike wieder verlor, weil er sich auf dem Rückweg vorzeitig nach ihr umsah. Das wird den Zuschauern kaum aufgefallen sein; denn die Pointe des Mythos von Orpheus und Eurydike ist die Rettung durch die Macht der Musik, das Scheitern dagegen ist eine sekundäre pessimistische Ausdeutung, die öfter weggelassen wurde wie umgekehrt bei Alkestis der optimistische Schluß, die Wiederkehr aus dem Tod (vgl. Einführung S. 12 und 25). 358 Persephone (die Tochter der Göttin Demeter) und Hades, das Herrscherpaar im Reich der Toten. 360 „Pluton“, ein anderer Name für Hades. Der dreiköpfige „Hund“ Kerberos (Zerberus) bewacht den Ausgang der Unterwelt und läßt niemand heraus. Dem Zuschauer, der dessen Überwindung als eine der Taten des Herakles kannte (er brachte das Ungeheuer an die Oberwelt zu seinem Auftraggeber Eurystheus), wird vielleicht aufgefallen sein, daß Euripides dabei jeden Hinweis auf Herakles vermeidet, seinen Admet also nichts von dieser Tat wissen läßt. Vgl. zu 500. Daß Admet sich einen Sieg über die Mächte der Unterwelt ausmalt, ist Ausdruck seiner Verzweiflung. Interpreten, die Admet für einen scheinheiligen Egoisten halten, sind geneigt, darin leere Großsprecherei und den Gipfel seiner Heuchelei zu sehen. 360f. „Greis“ = Charon. Kerberos und Charon repräsentieren zwei konkurrierende Vorstellungen vom Totenreich (eine höhlenartige Unterwelt bzw. ein Land jenseits eines oberirdischen Flusses), die man dann kombiniert hat (ein Land jenseits eines Flusses in der Unterwelt). Euripides geht in der Alkestis sehr locker damit um; bald heißt es, Alkestis müsse „hinunter“ (26 und 73), bald ist von einem Fluß, über den sie hinübermüsse, die Rede (458), bald steht beides unvermittelt nebeneinander (252–263), bald gilt (wie an der vorliegenden Stelle) eine Kombination aus beidem. Wenn der Fährmann Charon „Seelengeleiter“ (psychopompós) genannt wird, hat das nach Alkestis’ Vision (vgl. 252–257) einen etwas bedrohlicheren Sinn als bei Hermes in Buch 24 der Odyssee, der die Seelen der getöteten Freier in die Unterwelt bringt; Hermes drängt niemand zur Eile und ist nur Wegführer.

108

Ch. Al. Ad. Al. Ad. Al. Ad. Al. Ad. Al. Ad.

Χο. Αλ. Αδ. Αλ. Αδ. Αλ. Αδ. Αλ. Αδ. Αλ. Αδ.

Zweites Epeisodion 363–382

Nun aber erwarte mich dort, wenn ich sterbe, und bereite das Haus vor, um mit mir zusammenwohnen; 365 denn in denselben Sarg zu dir, werde ich befehlen, sollen die hier mich legen und uns Seite an Seite betten; denn auch wenn ich einst tot bin, möchte ich nicht von dir getrennt sein, der einzigen, die mir treu war. Auch ich will mit dir, als Freund mit dem Freund, 370 um sie trauern; denn sie hat es verdient. Kinder, ihr habt selbst gehört, wie euer Vater versprach, euretwegen keine andere Frau zu heiraten und meinen Wunsch nicht zu mißachten. Auch jetzt verspreche ich es, und ich werde es erfüllen. 375 Unter dieser Bedingung empfange die Kinder aus meiner Hand. Ich nehme sie, als liebe Gabe aus lieber Hand. Sei nun du den Kindern Mutter an meiner Stelle. Das muß ich, wenn sie dich nicht mehr haben. O Kinder, wo ich (für euch) leben sollte, gehe ich hinab. 380 Ach, was tue ich ohne dich? Die Zeit wird dir Linderung schaffen; ein Nichts ist der Tote. Nimm mich mit dir, bei den Göttern, nimm mich mit hinab!

ἀλλ’ οὖν ἐκεῖσε προσδόκα μ’, ὅταν θάνω, καὶ δῶμ’ ἑτοίμαζ’, ὡς συνοικήσουσά μοι. ἐν ταῖσιν αὐταῖς γάρ μ’ ἐπισκήψω κέδροις σοὶ τούσδε θεῖναι πλευρά τ’ ἐκτεῖναι πέλας πλευροῖσι τοῖς σοῖς· μηδὲ γὰρ θανών ποτε σοῦ χωρὶς εἴην τῆς μόνης πιστῆς ἐμοί. καὶ μὴν ἐγώ σοι πένθος ὡς φίλος φίλωι λυπρὸν συνοίσω τῆσδε· καὶ γὰρ ἀξία. ὦ παῖδες, αὐτοὶ δὴ τάδ’ εἰσηκούσατε πατρὸς λέγοντος μὴ γαμεῖν ἄλλην ποτὲ γυναῖκ’ ἐφ’ ὑμῖν μηδ’ ἀτιμάσειν ἐμέ. καὶ νῦν γέ φημι καὶ τελευτήσω τάδε. ἐπὶ τοῖσδε παῖδας χειρὸς ἐξ ἐμῆς δέχου. δέχομαι, φίλον γε δῶρον ἐκ φίλης χερός. σύ νυν γενοῦ τοῖσδ’ ἀντ’ ἐμοῦ μήτηρ τέκνοις. πολλή μ’ ἀνάγκη, σοῦ γ’ ἀπεστερημένοις. ὦ τέκν’, ὅτε ζῆν χρῆν μ’, ἀπέρχομαι κάτω. οἴμοι, τί δράσω δῆτα σοῦ μονούμενος; χρόνος μαλάξει σ’· οὐδέν ἐσθ’ ὁ κατθανών. ἄγου με σὺν σοί, πρὸς θεῶν, ἄγου κάτω.

–––––––––––– 372 ποτὲ LP, Garzya, Diggle, Parker: τινὰ BOV

365

370

375

380

378 μ’ Monk, Garzya, Diggle, Parker: γ’ Hss.

Kommentar

109

363f. Gemeint ist nicht ein frohes Wiedersehen und seliges Zusammenleben im Jenseits, sondern Alkestis soll im Grab auf ihn warten und alles für seine Ankunft vorbereiten. Es ist eine Metapher (für die Sehnsucht des Zurückbleibenden) und kein Jenseitsglaube. Die verschiedenen Vorstellungen vom Leben nach dem Tode, die es zur Zeit des Euripides gab, kennen nur die schattenhafte freudlose Weiterexistenz der Seelen (Homer) oder ein gottnah verklärtes Einzeldasein (Insel der Seligen, Elysium, Mysterienseligkeit). Wenn Platons Sokrates (Phaidon 63b) darauf hofft, im Jenseits andere Verstorbene anzutreffen, so denkt er nicht an ein Wiedersehen mit Angehörigen und Freunden, sondern an bedeutende Menschen, deren Bekanntschaft er zu Lebzeiten nicht machen konnte. 365 Die spätere Bestattung im selben „Sarg aus Zedernholz“ ist wohl eine poetische Vermischung der üblichen Bestattung im Familiengrab und dem Wunsch, in denselben Sarg gelegt zu werden, wie im Orestes (1053) die Geschwister Elektra und Orest, die vorhaben, gemeinsam in den Tod zu gehen. Bei Homer wollen die Freunde Patroklos und Achill, daß ihre Asche in einer gemeinsamen Urne bestattet wird (Ilias 23,83–92, Odyssee 24,74). 367f. Aristophanes zitiert die Verse mit komischer Verzerrung dreizehn Jahre später in seinen Acharnern (893f.). 373 „meinen Wunsch“, wörtlich „mich“. Alkestis wünscht, daß Admet der Kinder wegen nicht wieder heiratet, will aber nicht sagen, daß eine zweite Ehe sie selbst entehren würde. Vgl. zu 181. 375 Anders als 299 (vgl. zu 299f.) kann man hier von „Bedingung“ sprechen, weil es nicht um das freiwillige Sterben, sondern nur um das förmliche Anvertrauen der Kinder geht, das Alkestis natürlich unterlassen würde, wenn Admet gesagt hätte, daß ihm die Kinder gleichgültig seien. 379 „leben sollte“ ist weder ein Hinweis auf den Tausch (d. h. daß eigentlich Admet hätte sterben sollen, so Dale) noch auf ihr jugendliches Alter (so ein Scholiast), sondern Alkestis bedauert, daß ihre Kinder nun ohne sie aufwachsen müssen. 382 Der irreale Wunsch, gemeinsam zu sterben, ist ein übliches Klagemotiv (vgl. 897–899, Medea 1210, Hippolytos 1408). Der Zuschauer, der sich von Euripides führen läßt, also die Abgrenzung gegenüber dem Lebenstausch mitmacht, wird daher nicht fragen, wieso Admet, der seinerzeit einen Ersatz suchte, jetzt zu sterben bereit ist. Psychologische oder andere Erklärungen, wie sie (lesende) Interpreten versucht haben, können als solche zulässig und interessant sein, haben aber keine direkte Grundlage im Text des Stücks. Vgl. zu 360.

110

Zweites Epeisodion 383–396

Al. Ad. Al. Ad. Al. Ad. Al. Ad. Al. Ad. Al. Ad. Ch.

Es genügt, daß ich für dich sterbe. O Schicksal, welche Gefährtin nimmst du mir. 385 Schon wird mir das dunkelnde Auge schwer. Ich bin verloren, wenn du mich verläßt, Frau. Ich bin nicht mehr, du redest mit einem Nichts. Erhebe den Blick, verlaß deine Kinder nicht. Nicht gern (verlasse ich sie), aber lebt wohl, Kinder! Sieh sie an, sieh sie an! 390 Ich bin nicht mehr. Was tust du? Verläßt du uns? Leb wohl! Ich bin verloren, ich Unglücklicher. Sie ist gegangen; Admets Frau ist nicht mehr.

Kind (Knabe) Ach, o Unglück, die Mutter ging hinab, sie ist nicht mehr, 395 Vater, unter der Sonne. Sie hat mich verlassen, die Arme, und ich muß als Waise leben.

Αλ. Αδ. Αλ. Αδ. Αλ. Αδ. Αλ. Αδ. Αλ. Αδ. Αλ. Αδ. Χο. Παῖς

ἀρκοῦμεν ἡμεῖς οἱ προθνήισκοντες σέθεν. ὦ δαῖμον, οἵας συζύγου μ’ ἀποστερεῖς. καὶ μὴν σκοτεινὸν ὄμμα μου βαρύνεται. ἀπωλόμην ἄρ’, εἴ με δὴ λείψεις, γύναι. ὡς οὐκέτ’ οὖσαν οὐδὲν ἂν λέγοις ἐμέ. ὄρθου πρόσωπον, μὴ λίπηις παῖδας σέθεν. οὐ δῆθ’ ἑκοῦσά γ’· ἀλλὰ χαίρετ’, ὦ τέκνα. βλέψον πρὸς αὐτούς, βλέψον. οὐδέν εἰμ’ ἔτι. τί δρᾶις; προλείπεις; χαῖρ’. ἀπωλόμην τάλας. βέβηκεν, οὐκέτ’ ἔστιν Ἀδμήτου γυνή.

385

390

ἰώ μοι τύχας. μαῖα δὴ κάτω βέβακεν, οὐκέτ’ ἔστιν, ὦ πάτερ, ὑφ’ ἁλίωι, προλιποῦσα δ’ ἐμὸν βίον ὠρφάνισεν τλάμων.

–––––––––––– 393 εὔμηλος Hss., Meridier: Παῖς Murray, Garzya, Diggle, Parker Parker: ἀμὸν Hss., Garzya

Strophe 395

396 ἐμὸν Monk, Diggle,

Kommentar

111

384 „Daimon“ (vielleicht „Zuteiler“, bei Homer oft nur ein anderes Wort für „Gott“) ist hier die abstrakte göttliche Macht, die das Schicksal des Menschen festsetzt, oder das Schicksal selbst; ebenso 499 und 914, dort ohne Anrede. Zu „Daimon“ als Geist eines Verstorbenen vgl. zu 1002–1004. Zu anderen Aspekten von „Schicksal“ vgl. zu 965. 385–391 Vor diesem endgültigen Abschied hat sich Alkestis sozusagen schon dreimal von den Kindern verabschiedet (190f., 270–272, 323). Die Aufteilung des Motivs hängt äußerlich mit der formalen Staffelung der Handlung (Bericht der Dienerin, lyrische Szene, Sprechszene) zusammen und dient inhaltlich dazu, eine übergreifende Abschiedsstimmung zu erzeugen. Zur Frage der psychologischen Wahrscheinlichkeit vgl. zu 280–391. 389 „Nicht gern“ (oder „nicht freiwillig“). Alkestis stellt damit nicht ihre Entscheidung, freiwillig für Admet zu sterben, in Frage, sondern will nur sagen, daß sie die Kinder ungern verläßt. Vielleicht ist auch gemeint, daß ihr die Abschiedsworte schwerfallen: „Nicht gern (sage ich es), aber lebt wohl, Kinder!“ 393–415 Monodie des Kindes. Euripides hat vermutlich als Personenbezeichnung „Kind“ (pais = Knabe/Mädchen) geschrieben, der Name „Eumelos“ dürfte von einem Philologen, der ihn aus der Ilias kannte (vgl. zu 8), eingesetzt worden sein. Bei dieser Monodie stellt sich die Frage, wer sie bei der Aufführung im Jahr 438 v. Chr. gesungen hat. Da eine Kinderstimme für das Dionysostheater akustisch kaum ausreichte, könnte ein Mann im Haus gesungen haben, während ein Kind auf der Bühne agierte. Jedoch auch das wäre akustisch problematisch und würde außerdem einen zweiten Gesangssolisten neben dem für Alkestis benötigten erfordern. Dale (p. XX) hat daher erwogen, den Darsteller der Alkestis das Lied des Kindes singen zu lassen, was wegen der räumlichen Nähe akustisch günstig und wegen der getragenen Masken ohne weiteres möglich gewesen wäre. Wenn die Zuschauer gewohnt waren, bei Kinderrollen die Stimme eines Erwachsenen zu hören, werden sie sich kaum daran gestoßen haben, daß der Text der Monodie für ein Kind insgesamt zu reflektiert klingt. Euripides kombiniert sozusagen die Klage des Kindes mit der Perspektive eines Erwachsenen, der das Unglück des Kindes beklagt. Ihm lag, wie sich auch hieran zeigt, weniger an einem äußerlich realistisch wirkenden Theater als daran, die Realität inhaltlich zu erfassen.

112

Ad. Ki.

Αδ. Πα.

Zweites Epeisodion 397–415

Sieh nur die Lider und die schlaffen Hände. Höre, höre mich, Mutter, ich flehe dich an. Ich bin’s, Mutter, ich rufe dich, ich dein Küken, an deinem Mund hängend. Sie kann dich nicht hören und sehen, ein schwerer Schlag hat mich und euch getroffen.

400

405

Jung, Vater, und ohne meine geliebte Mutter bleibe ich zurück. Schlimmes ist mir geschehen, 410 und du, meine Schwester, mußtest es mit mir erleiden. ........ ...... ...... ...... ...... ... ........ ...... ........ ...... ...... .., Vater, nutzlos, nutzlos war deine Hochzeit, und das Ziel des Alters erreichtest du nicht mit ihr zusammen; denn sie starb vorher. Durch deinen Tod, 415 Mutter, ging das Haus zugrunde.

ἴδε γὰρ ἴδε βλέφαρον καὶ παρατόνους χέρας. ὑπάκουσον ἄκουσον, ὦ μᾶτερ, ἀντιάζω. ἐγώ σ’ ἐγώ, μᾶτερ, καλοῦμαι ὁ σὸς ποτὶ σοῖσι πίτνων στόμασιν νεοσσός. τὴν οὐ κλύουσαν οὐδ’ ὁρῶσαν· ὥστ’ ἐγὼ καὶ σφὼ βαρείαι συμφορᾶι πεπλήγμεθα. νέος ἐγώ, πάτερ, λείπομαι φίλας μονόστολός τε ματρός· ὦ σχέτλια δὴ παθὼν ἐγὼ ἔργ’, ἃ σὺ σύγκασί μοι συνέτλας κούρα. ........ ...... ...... ...... ...... ... ....... ........ ...... ... ὦ πάτερ, ἀνόνατ’ ἀνόνατ’ ἐνύμφευσας οὐδὲ γήρως ἔβας τέλος σὺν τᾶιδ’· ἔφθιτο γὰρ πάρος· οἰχομένας δὲ σοῦ, μᾶτερ, ὄλωλεν οἶκος.

400

405 Gegenstrophe

410

415

–––––––––––– 397 †ἴδε … καὶ† Diggle 401 ἐγώ σ’ ἐγώ, μᾶτερ P, Diggle: σ’ ἐγώ, μᾶτερ, ἐγώ BV, †σ’ ἐγώ … ποτί† Parker: ἐγώ σε γὰρ, μᾶτερ L 402f. †καλοῦμαι … πίτνων† Diggle 410 συνέτλας κούρα Diggle, Parker: κούρα συνέτλας Garzya

Kommentar

113

397 Die hier und im weiteren von Diggle und anderen konstatierten Textunsicherheiten sind vor allem dadurch bedingt, daß die Gegenstrophe kürzer ist als die Strophe, die Responsion also unvollständig ist. Da der Gedankengang keine offensichtliche Lücke aufweist, könnte man jedoch auch umgekehrt fragen, ob strenge Strophengliederung überhaupt beabsichtigt ist; in späteren Stücken hat Euripides die Strophengliederung bei Monodien zunehmend aufgegeben. 403 „dein Küken“, wörtlich „dein junger Vogel“, vielleicht ein von Müttern gern benutzter Kosename wie unser „Küken“ oder „Spätzchen“. 404 Wörtlich „(du rufst) die nicht hört und nicht sieht“. 412 Daß sich eine Ehe durch den allzu frühen Tod eines Partners als „nutzlos“ erwiesen hat, ist typisches (übersteigerndes) Klagemotiv wie auch der Gedanke, es wäre besser, nicht geheiratet zu haben, vgl. zu 238–243. Im Hippolytos wird die Geburt des so jung sterbenden Hippolytos als „nutzlos“ bezeichnet (1145), in der Hekabe die des toten Polydoros (766).

114

Zweites Epeisodion 416–434

Ch.

Admet, du mußt diesen Schicksalsschlag ertragen; denn du bist weder der erste noch der letzte unter den Menschen, der eine gute Frau verlor. Bedenke, daß wir alle sterben müssen. 420 Das ist mir klar; auch nicht plötzlich und unerwartet traf mich dies Unglück; ich wußte es und quälte mich schon lange. Während ich den Leichenzug für diesen Toten ordne, wartet hier und singt den Päan für den unversöhnlichen Gott der Unterwelt. 425 Allen Thessalern, über die ich herrsche, befehle ich, an der Trauer um diese Frau teilzunehmen durch Scheren der Haare und dunkle Kleidung. Den Viergespannen und Einzelpferden soll die Mähne mit dem Eisen gestutzt werden. 430 Weder Flöten- noch Saitenklang soll es in der Stadt für zwölf volle Monde geben. Denn keinen anderen Toten werde ich jemals bestatten, der mir näherstand und der mehr für mich getan hat. Sie verdient, von mir geehrt zu werden; denn sie allein ist für mich gestorben. (Admet geht ins Haus.)

Ad.

Χο.

Αδ.

Ἄδμητ’, ἀνάγκη τάσδε συμφορὰς φέρειν· οὐ γάρ τι πρῶτος οὐδὲ λοίσθιος βροτῶν γυναικὸς ἐσθλῆς ἤμπλακες· γίγνωσκε δὲ ὡς πᾶσιν ἡμῖν κατθανεῖν ὀφείλεται. ἐπίσταμαί τοι, κοὐκ ἄφνω κακὸν τόδε προσέπτατ’· εἰδὼς δ’ αὔτ’ ἐτειρόμην πάλαι. ἀλλ’, ἐκφορὰν γὰρ τοῦδε θήσομαι νεκροῦ, πάρεστε καὶ μένοντες ἀντηχήσατε παιᾶνα τῶι κάτωθεν ἀσπόνδωι θεῶι. πᾶσιν δὲ Θεσσαλοῖσιν ὧν ἐγὼ κρατῶ πένθους γυναικὸς τῆσδε κοινοῦσθαι λέγω κουρᾶι ξυρήκει καὶ μελαμπέπλωι στολῆι· τέθριππά θ’ οἳ ζεύγνυσθε καὶ μονάμπυκας πώλους, σιδήρωι τέμνετ’ αὐχένων φόβην. αὐλῶν δὲ μὴ κατ’ ἄστυ, μὴ λύρας κτύπος ἔστω σελήνας δώδεκ’ ἐκπληρουμένας. οὐ γάρ τιν’ ἄλλον φίλτερον θάψω νεκρὸν τοῦδ’ οὐδ’ ἀμείνον’ εἰς ἔμ’· ἀξία δέ μοι τιμῆς, ἐπεὶ τέθνηκεν ἀντ’ ἐμοῦ μόνη.

420

425

430

–––––––––––– 417 Vielleicht ist σὺ statt τι zu lesen. 424 ἀσπόνδωι Hss., Garzya: ἄσπονδον Scholiast, Diggle, Parker 426 πένθους BOV, Diggle, Parker: πένθος LP, Garzya λέγω VLP: θέλω BO 427 μελαμπέπλωι στολῆι· LP: μελαγχίμοις πέπλοις O

Kommentar

115

417 „weder der erste noch der letzte“. Der Hinweis auf vergleichbare Fälle ist ein typisches Trostmotiv, ebenso 892f. Vgl. Helena 464: „Vielen geht es schlecht, nicht nur dir.“ 420f. Im Unterschied zu Chor (105) und Dienerin (147), die nur wissen, daß Alkestis „heute“ sterben wird, spricht Admet von längerem Vorherwissen. Doch dabei bleibt völlig offen, seit wann er Bescheid weiß. Wenn an den Zeitpunkt des Tauschs gedacht ist, bleibt die Andeutung wieder auffallend vage. Auch zum Beginn von Alkestis’ „Krankheit“ (203, 237) findet man im Text keinen entsprechenden Hinweis. 423f. Dieser Aufforderung kommt der Chor mit dem anschließenden Chorlied, dem zweiten Stasimon, nach. Mit „Lied für den unversöhnlichen Gott“ ist nicht ein Hymnus auf den Totengott (Hades) gemeint, sondern ein Totenlied zu Ehren der eben Verstorbenen. Paian, eigentlich ein an Apollon (vgl. zu 92) gerichtetes Lied, steht hier für Chorgesang ganz allgemein. Der Chor soll dableiben und warten, während im Haus die ekphorá (das „Hinaustragen“ zur Begräbnisstätte) vorbereitet wird, und sich dann, wie es mit dem vierten Stasimon (741ff.) geschieht, dem Trauerzug anschließen. 424 „unversöhnlich“, wörtlich „spendenlos“ = „dem man kein Opfer darbringt“ (weil das nutzlos wäre). Diggles Vorschlag, einem Scholiasten folgend das Adjektiv (Akkusativ statt Dativ) auf das Lied „Paian“ zu beziehen, hat wenig für sich; denn während eines Geleitliedes für einen Toten (also auf dem Weg zum Grab) können keine Opferspenden dargebracht werden. Das ist selbstverständlich und muß nicht gesagt werden. Auch metaphorische Übertragung vom Gott auf das Lied ist unwahrscheinlich, da der „Gott“ (der Tod) selbst genannt wird und es darum geht, daß dieser weder durch Opfer noch Gebete zu beeindrucken ist. 434 Admet geht ins Haus, um die ekphorá (422) vorzubereiten. Die Liege mit der toten Alkestis und die Kinder sind wahrscheinlich schon während der letzten Verse hineingebracht worden. Zu „für mich“ (anti) vgl. zu 282–284.

116 Ch.

Χο.

Zweites Stasimon 435–453

O Pelias’ Tochter, mögest du froh im Totenreich das sonnenlose Haus bewohnen. Wissen soll Hades, der schwarzmähnige Gott, und der am Ruder und Steuer sitzende Greis, der die Toten geleitet, daß er die weitaus, weitaus beste Frau über den Acheron bringt mit seinem doppelrudrigen Kahn.

435

Viel werden dich Musendiener besingen zur siebensaitigen Bergschildkröte und dich in unbegleiteten Liedern preisen, wenn in Sparta die Zeit des Karneenmonats kreisend wiederkehrt und der Mond die ganze Nacht hindurch am Himmel steht, ebenso im glänzenden und glückgesegneten Athen. Solchen Liederklang hast du den Sängern hinterlassen.

445

ὦ Πελίου θύγατερ, χαίρουσά μοι εἰν Ἀίδα δόμοισιν τὸν ἀνάλιον οἶκον οἰκετεύοις. ἴστω δ’ Ἀίδας ὁ μελαγχαίτας θεὸς ὅς τ’ ἐπὶ κώπαι πηδαλίωι τε γέρων νεκροπομπὸς ἵζει πολὺ δὴ πολὺ δὴ γυναῖκ’ ἀρίσταν λίμναν Ἀχεροντίαν πορεύσας ἐλάται δικώπωι. πολλά σε μουσοπόλοι μέλψουσι καθ’ ἑπτάτονόν τ’ ὀρείαν χέλυν ἔν τ’ ἀλύροις κλέοντες ὕμνοις, Σπάρται κυκλὰς ἁνίκα Καρνείου περινίσεται ὥρα μηνός, ἀειρομένας παννύχου σελάνας, λιπαραῖσί τ’ ἐν ὀλβίαις Ἀθάναις. τοίαν ἔλιπες θανοῦσα μολπὰν μελέων ἀοιδοῖς.

440

450

Strophe 1 436

440

Gegenstrophe 1 446

450

–––––––––––– 436 δόμοισιν Laskaris: δόμοις Hss. 448 κυκλὰς Scaliger, Diggle, Parker: κύκλος Hss., Méridier, Garzya 449 ὥρα BOP, Diggle, Parker: ὥρᾳ V, Garzya: ὥρας Hesych, Méridier

Kommentar

117

435–475 Zweites Stasimon. Ein Abschiedslied für Alkestis. Im zweiten Strophenpaar werden Motive aus der Sterbeszene wieder aufgenommen. 436 „froh“, der übliche Wunsch bei Begrüßung (vgl. 509f.) und Abschied, der hier auf den Gang ins Totenreich angewendet wird. 438–441 „schwarzmähnig“ (vgl. „schwarzgewandet“ 843). Wie 24–26 und 252–263 stehen zwei verschiedene Vorstellungen vom Totenreich nebeneinander, wobei man in diesem Fall den Fährmann als Gehilfen des Totenherrschers ansehen kann. 443 Die Vorstellung vom (oberirdischen) Fluß, über den man ins Totenreich gelangt, ist vermischt mit der antiken Unterweltgeographie, wonach es vier Flüsse innerhalb der Unterwelt gibt, von denen hier der Acheron (und 458 der Kokýtos) als Grenzfluß gilt. 445–454 Es ist eine poetische Überhöhung, wenn Euripides den Eindruck entstehen läßt, Alkestis sei allerorten in Griechenland bei öffentlichen Festen gepriesen worden. In ihrer Heimat Thessalien mag es Alkestiskulte gegeben haben, kaum jedoch in Sparta und Athen, wo nur an mehr oder weniger zufällige Erwähnungen in Liedern für Apollon oder Herakles zu denken ist. Aristophanes zitiert Wespen 1238 ein populäres Trinklied (skolion), in dem auf einen Ausspruch Admets verwiesen wird. Vielleicht gab es auch Skolien, in denen Alkestis gelobt wurde (und die von feiernden Ehemännern gern gesungen wurden, besonders wenn sie ihrer eigenen Frau die entsprechende Opferbereitschaft nicht zutrauten). 446 Im homerischen Hermeshymnus wird erzählt, wie der erfinderische Gott Hermes, kaum geboren, aus der Schale einer Bergschildkröte die erste Lyra anfertigt. 447 „unbegleitet“, ohne Lyrabegleitung, es könnten epische Dichtungen und mündliches Erzählgut gemeint sein. 448–452 Jedem Zuschauer im Jahr 438 mußte klar sein, daß Sparta und Athen hier nicht ohne politische Absicht als die wichtigsten Repräsentanten Griechenlands hingestellt werden. Die Nennung des „glänzenden und glückgesegneten Athen“ neben Sparta war (angesichts der bereits bestehenden Spannungen, die 431 zum Peloponnesischen Krieg führten) ein deutliches Bekenntnis zu Athen und seinem Machtanspruch gegenüber Sparta und den Mitgliedern des Attischen Seebundes (vgl. Einführung S. 5f.). Daß es ein Chor von Thessalern ist, der Athen so preist, dürfte mancher Zuschauer als zusätzliche Pointe mit politischem Hintergrund (vgl. zu 677f.) empfunden haben. 448 In Sparta wurden jährlich die Karneen gefeiert, ein Apollonfest (Karneios, ein Beiname Apollons). Wenn unter den dabei besungenen Taten des Gottes die Rettung Admets vorkam, konnte auch der Opfertod der Alkestis rühmend erwähnt werden. 452 „glänzend“ (und „veilchenbekränzt“) als Attribut für Athen war nicht lange nach dem Sieg über die Perserflotte (480) durch ein Lied des thebanischen Chorlyrikers Pindar zum geflügelten Wort geworden (s. Bagordo 207). Vgl. auch Troerinnen 803 und Taurische Iphigenie 1130. Die Athener hörten

118

Zweites Stasimon 454–470

Könnte ich doch dich wieder ans Licht bringen aus den Gemächern des Hades und vom Fluß Kokytos, über das Unterweltswasser rudernd; denn du allein, du liebe, von allen Frauen nahmst es auf dich, für deinen Gatten dem Tod dein Leben einzutauschen. Leicht sei dir die Erde, Frau. Wenn aber dein Gatte eine neue Ehe eingeht, dann soll er mir und deinen Kindern verhaßt sein. Während die Mutter nicht bereit war, für den Sohn ihren Leib in der Erde zu bergen, ebensowenig der alte Vater, ........ ...... ...... ...... ...... ... ........ den sie gezeugt, ertrugen sie nicht zu retten, die Schlimmen, obwohl ihr Haar grau war.

εἴθ’ ἐπ’ ἐμοὶ μὲν εἴη, δυναίμαν δέ σε πέμψαι φάος ἐξ Ἀίδα τεράμνων καὶ Κωκυτοῖο ῥεέθρων ποταμίαι νερτέραι τε κώπαι. σὺ γάρ, ὦ μόνα ὦ φίλα γυναικῶν, σὺ τὸν αὑτᾶς ἔτλας πόσιν ἀντὶ σᾶς ἀμεῖψαι ψυχᾶς ἐξ Ἅιδα. κούφα σοι χθὼν ἐπάνωθε πέσοι, γύναι. εἰ δέ τι καινὸν ἕλοιτο πόσις λέχος, ἦ μάλ’ ἂν ἔμοιγ’ ἂν εἴη στυγηθεὶς τέκνοις τε τοῖς σοῖς. ματέρος οὐ θελούσας πρὸ παιδὸς χθονὶ κρύψαι δέμας οὐδὲ πατρὸς γεραιοῦ ........ ...... ...... ...... ...... ... ὃν ἔτεκον δ’, οὐκ ἔτλαν ῥύεσθαι, σχετλίω, πολιὰν ἔχοντε χαίταν. –––––––––––– 458 †…† Parker 460 ὦ μόνα Hss.: σὺ μόνα Wilamowitz 468 danach Lücke Canter

455

460

465

470

Strophe 2 456

460

465

Gegenstrophe 2

470 462 Murray, Diggle

Kommentar

119

das schmeichelhafte Lob nur allzu gern, wie Aristophanes Acharner 639, Ritter 1329, Wolken 300 ironisch konstatiert. In Athen gab es mehrere jährlich wiederkehrende Apollonfeste und damit Gelegenheiten, in „Liedern“ seine Überlistung der Moiren zu erwähnen und Alkestis’ Opfertat zu rühmen. Ihre Rettung durch Herakles dürfte darin nicht vorgekommen sein; denn der Chor hält hier und noch im letzten Stasimon eine Wiederkehr aus dem Tod für ausgeschlossen. Er kann daher strenggenommen auch keine Lieder kennen, in denen Alkestis gerettet wird. Wenn Euripides mit diesen „Liedern“, wie öfter gesagt wird, auf seine eigene Alkestis anspielt, darf man also nicht an das Stück im ganzen, das mit der Rettung endet, denken, sondern nur an das zweite, vierte und sechste Stasimon. Zum Vorrang von Alkestis’ Opfertat vor ihrer Rettung in der literarischen Tradition vgl. Einführung S. 25. 454 Euripides erinnert an die bei Homer auftretenden „Sänger“, singende Erzähler, die „den Ruhm der Männer“ verkündeten, also von heroischen Taten zu berichten wußten. In der Zeit des Euripides dürfte es solche improvisierenden Sänger nur noch auf dem Lande gegeben haben, in Athen traten bei Festen Rhapsoden auf, die Homer rezitierten, also Literatur vortrugen. 455–459 Der Chor äußert damit denselben irrealen Wunsch wie Admet 357–362. Kokýtos, vgl. zu 443. 462 „einzutauschen“ (ameîpsai) besagt nur allgemein, daß Alkestis ihr Leben für Admet hingegeben (geopfert) hat, ist also nicht als eindeutiger Hinweis auf den ‚Lebenstausch‘ zu verstehen. Ähnlich allgemein ist die Verwendung in Vers 46, wo es darum geht, daß Admet seine Frau „eingetauscht“ hat, vgl. zu 46. 463 „Leicht sei dir die Erde“, wörtlich „Leicht möge (die) Erde für dich von oben her fallen“ oder (Aorist) genauer „gefallen sein“. Die Stelle ist der älteste Beleg für diesen (besonders in Grabepigrammen häufigen) traditionellen Wunsch. Bei Homer kommt er nicht vor, wahrscheinlich weil dort die Feuerbestattung üblich ist. Dem Wortlaut nach ist 608 und 740 eine Feuerbestattung für Alkestis vorgesehen, doch das wohl nur in übertragenem Sinne; 365f. hatte Admet den Wunsch geäußert, nach seinem Tod zu seiner Frau in denselben Sarg gelegt zu werden. 468f. In der Lücke, die wegen der gestörten Responsion angenommen werden muß, könnte etwa gestanden haben: „zögertest du nicht. Doch sie“.

120

Zweites Stasimon und drittes Epeisodion 471–484

Du aber bist in deiner Jugendblüte für den jungen Gatten gestorben und bist nun dahin. Ich wünschte mir solch eine liebende Zuneigung einer Gattin; – denn so etwas gibt es selten im Leben – denn immer ungetrübt wäre mein Zusammenleben mit ihr. Herakles (von der Seite kommend) Freunde, Bewohner des Landes von Pherai, treffe ich Admet im Hause an? Ch. Der Sohn des Pheres ist im Hause, Herakles. Aber sage, was dich nach Thessalien in die Stadt Pherai führt. He. Für Eurystheus von Tiryns habe ich eine Arbeit zu erledigen. Ch. Und wohin gehst du? Zu welcher Fahrt bist du beauftragt? He. Ich soll das Viergespann des Thrakers Diomedes holen. Ch. Wie könntest du das? Kennst du deinen ‚Gastgeber‘ nicht?

σὺ δ’ ἐν ἥβαι νέαι νέου προθανοῦσα φωτὸς οἴχηι. τοιαύτας εἴη μοι κῦρσαι συνδυάδος φιλίας ἀλόχου· τὸ γὰρ ἐν βιότωι σπάνιον μέρος· ἦ γὰρ ἂν ἔμοιγ’ ἄλυπος δι’ αἰῶνος ἂν ξυνείη. Ἡρακλῆς ξένοι, Φεραίας τῆσδε κωμῆται χθονός, Ἄδμητον ἐν δόμοισιν ἆρα κιγχάνω; Χο. ἔστ’ ἐν δόμοισι παῖς Φέρητος, Ἡράκλεις. ἀλλ’ εἰπὲ χρεία τίς σε Θεσσαλῶν χθόνα πέμπει, Φεραῖον ἄστυ προσβῆναι τόδε. Ηρ. Τιρυνθίωι πράσσω τιν’ Εὐρυσθεῖ πόνον. Χο. καὶ ποῖ πορεύηι; τῶι συνέζευξαι πλάνωι; Ηρ. Θρηικὸς τέτρωρον ἅρμα Διομήδους μέτα. Χο. πῶς οὖν δυνήσηι; μῶν ἄπειρος εἶ ξένου; –––––––––––– 472 κῦρσαι Musgrave, Garzya, Diggle, Parker: κυρήσαι Hss. 479 χθόνα BOV: πόλιν LP 480 φεραῖον BOV: φεραίων LP προσέζευξαι BOV

475

480

475

480

473 [ἀλόχου] Murray 482 συνέζευξαι LP:

Kommentar

121

473–475 Der Chor wünscht sich natürlich ganz allgemein eine gute Frau (und nicht etwa nur eine Stellvertreterin für den Fall, daß der Tod ihn vorzeitig holen will). 474 „ungetrübt“, wörtlich „ohne Schmerz“. Gemeint ist weder „ich würde sie bewahren vor jedem Kummer“ (Wilamowitz) noch umgekehrt „without causing me pain“ (Dale), sondern daß man sich gegenseitig keinen Kummer bereiten, d. h. in glücklicher Ehe zusammenleben würde. 476–567 Drittes Epeisodion. Herakles (vielleicht mit Löwenfell und Keule, aber insgesamt eher wie ein gewöhnlicher Fußreisender aussehend) kommt von der Seite; der Sprecher des Chores redet ihn mit Namen an, kennt ihn also; der Zuschauer erinnert sich an Apollons Ankündigung im Prolog (65–69). Das Gespräch mit dem Chorführer findet vermutlich in der Orchestra statt und Herakles betritt erst die Bühne, als Admet aus dem Haus kommt. 479f. Wörtlich „welches Bedürfnis dich nach Thessalien führt, um die Stadt Pherai aufzusuchen“. 481 Eurystheus, s. zu 66. 483–498 Dieser Diomedes ist König des thrakischen Volksstamms der Bistonen. Er gilt als starker Kämpfer und blutrünstiger Barbar, der seine Pferde (Stuten) mit Menschenfleisch füttert, die dementsprechend wild wie Raubtiere sind. Herakles muß also zwei lebensgefährliche Taten vollbringen, zunächst Diomedes aus dem Wege räumen und dann mit den Pferden fertigwerden. 484 „Gastgeber“ (xénos). Damit kann einfach der Hausherr, zu dem Herakles als Fremder (= Gast) kommen wird, gemeint sein, aber es ist wohl eher ironisch zu verstehen, nämlich daß Herakles dort nic h t gastlich aufgenommen würde. Vielleicht ist es zugleich eine Anspielung auf den so ganz anders gearteten Gastgeber Admet und die zwischen Herakles und Admet bestehende „Gastfreundschaft“, die dann zu Admets Verschweigen von Alkestis’ Tod und zu Herakles’ Rettungstat führt. Vgl. Einführung S. 37 und unten zu 559f.

122 He. Ch. He. Ch. He. Ch. He. Ch. He. Ch. He. Ch. He. Ch. He.

Ηρ. Χο. Ηρ. Χο. Ηρ. Χο. Ηρ. Χο. Ηρ. Χο. Ηρ. Χο. Ηρ. Χο. Ηρ.

Drittes Epeisodion 485–503

Nein, ich war noch nicht im Land der Bistonen. Der Pferde kann man sich nicht ohne Kampf bemächtigen. Vor Mühen zurückzuschrecken ist nicht meine Sache. Tötend wirst du zurückkehren oder selbst getötet dort bleiben. Das wäre nicht der erste Kampf, auf den ich mich einlasse. Und was weiter, wenn du den Besitzer überwindest? Ich werde die Pferde zum Herren von Tiryns bringen. Nicht leicht ist es, ihren Kiefern Zügel anzulegen. Wenn sie nicht gerade Feuer aus den Nüstern sprühen. Aber sie zerfleischen Menschen mit reißenden Kiefern. Du redest von Futter für Raubtiere im Gebirge statt für Pferde. Die Krippen wirst du von Blut gerötet finden. Wessen Sohn nennt sich der Halter? Des Ares, er, der Herr des goldenen Thrakerschildes. Damit nennst du eine (typische) Mühe meines Schicksals, das immer hart und gefährlich ist, wenn ich doch (ständig) mit Aressöhnen kämpfen muß, zuerst mit Lykaon, dann mit Kyknos, und jetzt gehe ich zu diesem dritten

ἄπειρος· οὔπω Βιστόνων ἦλθον χθόνα. οὐκ ἔστιν ἵππων δεσπόσαι σ’ ἄνευ μάχης. ἀλλ’ οὐδ’ ἀπειπεῖν μὴν πόνους οἷόν τ’ ἐμοί. κτανὼν ἄρ’ ἥξεις ἢ θανὼν αὐτοῦ μενεῖς. οὐ τόνδ’ ἀγῶνα πρῶτον ἂν δράμοιμ’ ἐγώ. τί δ’ ἂν κρατήσας δεσπότην πλέον λάβοις; πώλους ἀπάξω κοιράνωι Τιρυνθίωι. οὐκ εὐμαρὲς χαλινὸν ἐμβαλεῖν γνάθοις. εἰ μή γε πῦρ πνέουσι μυκτήρων ἄπο. ἀλλ’ ἄνδρας ἀρταμοῦσι λαιψηραῖς γνάθοις. θηρῶν ὀρείων χόρτον, οὐχ ἵππων, λέγεις. φάτνας ἴδοις ἂν αἵμασιν πεφυρμένας. τίνος δ’ ὁ θρέψας παῖς πατρὸς κομπάζεται; Ἄρεος, ζαχρύσου Θρηικίας πέλτης ἄναξ. καὶ τόνδε τοὐμοῦ δαίμονος πόνον λέγεις· σκληρὸς γὰρ αἰεὶ καὶ πρὸς αἶπος ἔρχεται, εἰ χρή με παισὶν οἷς Ἄρης ἐγείνατο μάχην συνάψαι, πρῶτα μὲν Λυκάονι αὖθις δὲ Κύκνωι, τόνδε δ’ ἔρχομαι τρίτον

–––––––––––– 487 μὴν πόνους Dobree: μ’ ἦν πόνους L: πόνους P: τοῖς πόνοις BOV εὐμαθὲς LP 501 οἷς LP: οὓς BOV

485

490

495

500

485

490

495

500

492 εὐμαρὲς BOV:

Kommentar

123

493 Herakles sagt nicht: „Selbst wenn sie Feuer speien, werde ich sie nicht fürchten“, sondern setzt voraus, daß sie das nicht können. Euripides will ihn, wie sich daran zeigt, für den Chor als normalen Sterblichen erscheinen lassen, von dem keine übernatürliche Tat (wie die Rettung der Alkestis) zu erwarten ist. Andere Heroen haben solche Unwesen getötet bzw. gezähmt: Bellerophon erlegt die feuerspeiende dreigestaltige Chimaira, Jason kann (mit Medeas Hilfe) feuerspeiende Stiere vor einen Pflug spannen. 498 Der Kriegsgott Ares galt als Stammvater der Thraker. Der „goldene Schild“ des Königs könnte ein Hinweis auf die (durch Funde bekannte) thrakische Goldschmiedekunst sein. Seine Söhne (von sterblichen Müttern) sind naturgemäß besonders tüchtige Kämpfer. 499 Daimon, im Sinne von Schicksal. 501–504 Der Auftrag, die Pferde des Diomedes zu holen, zählt gewöhnlich als die achte seiner zwölf berühmten ‚Arbeiten‘ im Dienste des Königs Eurystheus (vgl. zu 66). Daß er keine der sieben vorausgegangenen erwähnt, sondern nur Kämpfe mit zwei starken Männern, entspricht dem eben zu 493 Gesagten. Falls er schon in der Unterwelt war, um den Hund Kerberos heraufzuholen (vgl. zu 360), dürfte er das hier keinesfalls erwähnen, weil er sich damit dem Chor als potentieller Retter für Alkestis geradezu anbieten würde. Man kann von ausschließender Motivkonkurrenz sprechen. 502 Dieser Lykaon dürfte schon zu Euripides’ Zeiten eine wenig bekannte Figur gewesen sein, da er sonst nicht erwähnt wird. Wenn er hier (als mühsam überwundener Gegner) genannt wird, spricht das nicht nur für die Gelehrsamkeit des Dichters, sondern verrät die Absicht, den Gast Herakles zwar als stark erscheinen zu lassen, aber nicht als so übermenschlich stark, daß man ihm die Rettung der Alkestis zutrauen könnte. Der Kampf mit Lykaon zählt nicht zu den zwölf von Eurystheus auferlegten ‚Arbeiten‘ (erga), sondern ist, wie auch der Sieg über Kyknos, eine der zahllosen Taten, die ihm als sog. ‚Neben-Arbeiten‘ (par-erga) außerdem zugeschrieben wurden. 503 Kyknos ist zwar bekannter als Lykaon, aber in dem unter Hesiods Namen überlieferten kleinen Epos Der Schild, in dem vor dem Kampf mit Kyknos ausführlich Herakles’ Schild beschrieben wird, braucht Herakles nur drei Verse, um seinen Gegner durch einen Speerstoß zu erledigen.

124

Ch. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad.

Χο. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ.

Drittes Epeisodion 504–517

Kampf, dem mit den Pferden und ihrem Besitzer. Aber es gibt niemand, der Alkmenes Sohn vor Feindeshand erzittern sehen wird. Doch da kommt der Herrscher des Landes, Admet, aus dem Hause. Sei gegrüßt (freue dich), Sohn des Zeus aus Perseus’ Geschlecht. Admet, auch du sei gegrüßt (freue dich), Herr der Thessaler. Ich wollte, ich könnte das – aber ich weiß, du hast es gut gemeint. Warum ist dein Haar in Trauer geschoren? Ich muß heute einen Toten begraben. Von deinen Kindern möge ein Gott jedes Leid fernhalten. Meine Kinder im Hause leben. Bei deinem Vater war damit zu rechnen, wenn er der Tote ist. Er und meine Mutter leben, Herakles.

ἀγῶνα πώλοις δεσπότηι τε συμβαλῶν. ἀλλ’ οὔτις ἔστιν ὃς τὸν Ἀλκμήνης γόνον τρέσαντα χεῖρα πολεμίαν ποτ’ ὄψεται. καὶ μὴν ὅδ’ αὐτὸς τῆσδε κοίρανος χθονὸς Ἄδμητος ἔξω δωμάτων πορεύεται. χαῖρ’, ὦ Διὸς παῖ Περσέως τ’ ἀφ’ αἵματος. Ἄδμητε, καὶ σὺ χαῖρε, Θεσσαλῶν ἄναξ. θέλοιμ’ ἄν· εὔνουν δ’ ὄντα σ’ ἐξεπίσταμαι. τί χρῆμα κουρᾶι τῆιδε πενθίμωι πρέπεις; θάπτειν τιν’ ἐν τῆιδ’ ἡμέραι μέλλω νεκρόν. ἀπ’ οὖν τέκνων σῶν πημονὴν εἴργοι θεός. ζῶσιν κατ’ οἴκους παῖδες οὓς ἔφυσ’ ἐγώ. πατήρ γε μὴν ὡραῖος, εἴπερ οἴχεται. κἀκεῖνος ἔστι χἠ τεκοῦσά μ’, Ἡράκλεις.

–––––––––––– 505 γόνον BOVP: τόκον L

505

510

515

505

510

515

Kommentar

125

505 Daß Herakles nur seine Mutter Alkmene, eine Sterbliche, nennt und nicht seinen göttlichen Vater Zeus, scheint ebenfalls auf der Absicht zu beruhen, ihn bei seiner Ankunft möglichst als gewöhnlichen Menschen erscheinen zu lassen. Als er später zum Kampf mit dem Tod aufbricht, redet er von sich als dem „Sohn, den Alkmene dem Zeus gebar“ (838f.). 507 Admet, dem Herakles’ Ankunft irgendwie gemeldet worden ist, tritt im Trauerhabitus (geschorenes Haar, dunkles Gewand) aus der Tür. Er unterbricht damit die 422 angekündigten Bestattungsvorbereitungen, derentwegen er 434 ins Haus gegangen war. 509 Ebensowenig wie der Chor rechnet Admet damit, daß Herakles Alkestis retten könnte. Wenn er den Gast als „Sohn des Zeus“ anredet, widerspricht das nicht dem eben zu 505 Gesagten. Die Nennung des Vaters gehört zur formgerechten Begrüßung bei der Ankunft eines Bekannten (Medea redet den König von Athen als „Aigeus, Sohn des weisen Pandion“ an, Medea 665). Daß es bei „Zeus“ nur um den Vatersnamen geht (und nicht darum, Herakles als Halbgott zu kennzeichnen), zeigt auch die zusätzliche Erwähnung des berühmten Vorfahren Perseus, die sonst keine Auszeichnung wäre. Perseus ist Sohn des Zeus und der Danae (Goldregen) und Großvater des Amphitryon, dessen Frau Alkmene durch Zeus zur Mutter des Herakles wurde. Da in solchen Fällen auch der sterbliche Ehemann als Vater gilt, ist Herakles zugleich ein Nachkomme des Perseus. Die Abstammung von einem Heros wie Perseus galt noch in historischen Zeiten als genealogisches Adelsprädikat und wurde in der Politik als Argument benutzt. Wie Herodot (7,150) erzählt, hat Xerxes bei der Vorbereitung seines Zuges nach Griechenland (Seeschlacht bei Salamis 480 v. Chr.) die Stadt Argos aufgefordert, neutral zu bleiben, mit der Begründung, Argiver und Perser seien Verwandte, da beide von Perseus abstammten. Wenn die Geschichte wahr ist, zeigt sie übrigens, daß man sich am Perserhof in der griechischen Mythologie und ihrer Bedeutung für das griechische Denken gut auskannte. 511 Admet nimmt die Grußformel „freue dich“ (chaire), die gewöhnlich nicht mehr als „sei gegrüßt“ bedeutet, wörtlich und deutet an, daß der Wunsch in der jetzigen Situation eigentlich unpassend ist. 513 „einen Toten“ kann einen Mann, eine Frau oder ein Kind meinen. Diese in der natürlichen Sprache steckende Mehrdeutigkeit wird von Euripides gezielt eingesetzt, damit Herakles veranlaßt wird nachzufragen. 514–518 Die Reihenfolge von Herakles’ Vermutungen (Kinder, Eltern, Alkestis), die mit dem in der antiken Realität wohl wahrscheinlichsten Fall beginnt, ist zugleich eine schrittweise Steigerung und Annäherung an das eigentliche Thema, den Tod der Alkestis. 516 Wörtlich „dein Vater war reif“ (d. h. „für deinen Vater war die Zeit gekommen“).

126

Drittes Epeisodion 518–529

He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad.

Dann ist doch nicht etwa Alkestis, deine Frau, gestorben? Bei ihr muß ich eine doppelte Antwort geben. 520 Sagst du damit, daß sie tot ist oder daß sie noch lebt? Sie ist und ist nicht mehr, und das bereitet mir Schmerz. Das verstehe ich nicht besser; denn du sprichst in Rätseln. Kennst du nicht das Schicksal, das sie erleiden muß? Ich weiß, daß sie es auf sich genommen hat, für dich zu sterben. 525 Wie also lebt sie noch, wenn sie sich dazu bereit fand? Beklage die Gattin nicht schon vorher, schieb es auf, bis es soweit ist. Der Todgeweihte ist tot und der Tote ist nicht mehr. Sein und Nichtsein gilt doch als verschieden. Du urteilst so, Herakles, ich anders.

Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ.

οὐ μὴν γυνή γ’ ὄλωλεν Ἄλκηστις σέθεν; διπλοῦς ἐπ’ αὐτῆι μῦθος ἔστι μοι λέγειν. πότερα θανούσης εἶπας ἢ ζώσης ἔτι; ἔστιν τε κοὐκέτ’ ἔστιν, ἀλγύνει δέ με. οὐδέν τι μᾶλλον οἶδ’· ἄσημα γὰρ λέγεις. οὐκ οἶσθα μοίρας ἧς τυχεῖν αὐτὴν χρεών; οἶδ’, ἀντὶ σοῦ γε κατθανεῖν ὑφειμένην. πῶς οὖν ἔτ’ ἔστιν, εἴπερ ἤινεσεν τάδε; ἆ, μὴ πρόκλαι’ ἄκοιτιν, ἐς τότ’ ἀμβαλοῦ. τέθνηχ’ ὁ μέλλων, κοὐκέτ’ ἔσθ’ ὁ κατθανών. χωρὶς τό τ’ εἶναι καὶ τὸ μὴ νομίζεται. σὺ τῆιδε κρίνεις, Ἡράκλεις, κείνηι δ’ ἐγώ.

520

525

–––––––––––– 527 κοὐκέτ’ ἔσθ’ ὁ κατθανών BOV, Murray, Méridier, Garzya: χὠ θανὼν οὐκ ἔστ’ ἔτι L: καὶ οὐ θανὼν οὐκ ἔστ’ ἔτι P, Weil, Parker: καὶ θανὼν οὐκ ἔστ’ ἔτι Kovacs: κἀνθάδ’ ὢν οὐκ ἔστ’ ἔτι Jackson, Diggle

Kommentar

127

518 Mit Admets doppeldeutiger Antwort auf Herakles’ Frage, ob Alkestis gestorben ist, werden die Weichen gestellt, die zu der Verzögerung führen, die dann zur Ursache der Rettung wird. Es kommt zu einer Täuschungsszene, in der Euripides Admet mit Halbwahrheiten spielen läßt (vgl. zu 1026–1032). Da Herakles die doppeldeutigen Formulierungen nicht durchschauen kann, gerät er in die peinliche Situation, die ihn, nachdem er die Wahrheit erfahren hat, zum Retter werden läßt (vgl. zu 526). 519–521 Admet drückt sich so widersprüchlich und rätselhaft aus wie die Dienerin in der Anfangsszene (vgl. zu 141). Die paradoxe Formulierung bezeichnet dort die Ambivalenz der Situation, hier dagegen dient sie dazu, Herakles zu täuschen und für den Zuschauer zugleich die Wahrheit durchblicken zu lassen. Der Zuschauer hat dasselbe Wissen wie Admet und nimmt an seiner Trauer teil, aber er registriert auch Herakles’ Nichtverstehen. Wenn er bei dessen Auftritt, an Apollons Prophezeiung denkend, geglaubt hat, nun sei die Rettung da, müßten ihm jetzt Zweifel kommen. 522 Ähnlich hatte Apollon im Prolog (58) auf eine ihm nicht ganz verständlich erscheinende Antwort des Todes reagiert. 524f. Herakles weiß, daß Alkestis es „auf sich genommen“ hat, für Admet zu sterben, er weiß jedoch nicht (im Gegensatz zu den anderen Personen im Stück), daß „heute“ ihr Todestag ist. Auch an dieser Stelle sind die Formulierungen so gewählt, daß der Lebenstausch nur vage im Hintergrund erscheint. Zu „für dich“ (anti sou) vgl. zu 282–284. 526 Da Herakles glaubt, der Zeitpunkt von Alkestis’ Tod liege irgendwo in der Zukunft, verhält sich in seinen Augen Admet nicht anders als jemand, der sein Leben unter Klagen hinbringt, weil alle Menschen einmal sterben müssen. Herakles darf hier natürlich nicht für die Zukunft anbieten, Alkestis zu retten, weil Admet dann sofort zugreifen müßte. Euripides läßt ihn erst am Ende des fünften Epeisodions (834ff.) vom Gast zum spontanen Retter werden, vgl. zu 837–839 und 855–858. 527 In der Lesart von BOV reagiert Admet auf Herakles’ Einwand, seine Trauer um die angeblich noch lebende Alkestis sei verfrüht, und insistiert auf seiner Meinung, daß der Trauerfall praktisch bereits eingetreten sei; er argumentiert in Form einer verstärkenden Folgerung (‚lebendig/tot‘ bedeutet ‚tot‘, und ‚tot‘ bedeutet nichts anderes als ‚tot‘). Eben dies Insistieren ist im Zusammenhang zu erwarten. Nach LP und den darauf basierenden Konjekturen dagegen wiederholt Admet in der zweiten Vershälfte sinngemäß die Paradoxie „lebend/tot“ von 521, um sie zu rechtfertigen. Das ist eine ‚Verbesserung‘, die vom eigentlichen Gedankengang der Stichomythie ablenkt. Vgl. auch Riemer 176–179.

128

Drittes Epeisodion 530–542

He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He.

Warum also weinst du? Wer von den dir Nahestehenden ist der Tote? 531 Eine Frau – von einer Frau haben wir eben gesprochen. Aus einer anderen Familie oder eine Verwandte? Aus einer anderen Familie, aber uns eng verbunden. Wieso starb sie hier bei dir im Hause? Ich hatte sie nach dem Tod ihres Vaters als Waise aufgenommen. 535 Ach, Admet, hätte ich dich doch ohne diesen Kummer angetroffen. Was willst du damit sagen? Was hast du vor? Ich werde einen anderen gastlichen Herd aufsuchen. Das kann ich nicht zulassen, Herr, ein solches Unglück sei fern! 540 Für Trauernde ist ein hinzukommender Gast lästig. Laß die Toten, sie sind tot! Komm ins Haus! Es gehört sich nicht, daß Gäste speisen, während andere weinen.

Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ.

τί δῆτα κλαίεις; τίς φίλων ὁ κατθανών; γυνή· γυναικὸς ἀρτίως μεμνήμεθα. ὀθνεῖος ἢ σοὶ συγγενὴς γεγῶσά τις; ὀθνεῖος, ἄλλως δ’ ἦν ἀναγκαία δόμοις. πῶς οὖν ἐν οἴκοις σοῖσιν ὤλεσεν βίον; πατρὸς θανόντος ἐνθάδ’ ὠρφανεύετο. φεῦ. εἴθ’ ηὕρομέν σ’, Ἄδμητε, μὴ λυπούμενον. ὡς δὴ τί δράσων τόνδ’ ὑπορράπτεις λόγον; ξένων πρὸς ἄλλων ἑστίαν πορεύσομαι. οὐκ ἔστιν, ὦναξ· μὴ τοσόνδ’ ἔλθοι κακόν. λυπουμένοις ὀχληρός, εἰ μόλοι, ξένος. τεθνᾶσιν οἱ θανόντες· ἀλλ’ ἴθ’ ἐς δόμους. αἰσχρόν παρὰ κλαίουσι θοινᾶσθαι ξένους.

Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ.

–––––––––––– 538 ἄλλων BOV: ἄλλην LP φίλους BV: φίλοις O

542 Dobree: Erfurdt: Elmsley

530

535

540

ξένους LP:

Kommentar

129

530–535 Herakles wollte wissen, wer mit dem „Toten“ von Vers 513 gemeint war, und mußte annehmen, Admet habe auch seine dritte Vermutung (Alkestis sei gestorben) zurückgewiesen. Daher wirken Admets Klagen wegen der „lebend/toten“ Alkestis auf ihn wie eine Abschweifung und er kommt nun auf seine Frage zurück. Wieder gibt Admet eine zwar auf Alkestis zutreffende Auskunft („eine nicht blutsverwandte Frau“), die jedoch für Herakles irreführend ist, weil er glauben muß, es sei jemand anders gemeint. Hier konkurrieren die Motive ‚Gast‘ und ‚Freund‘; denn was Admet dem ‚Gast‘ verschweigt, müßte er dem ‚Freund‘ eigentlich sagen. Vgl. zu 855–858 und 1008–1118. 531 Man könnte auch übersetzen: „Eine Frau – wie die Person, von der wir eben gesprochen haben“. Für Herakles ist das eine beiläufige Bemerkung, die keine Beachtung verdient, weil er glauben muß, Admet rede von zwei verschiedenen Frauen; für den Zuschauer ist es ein versteckter Hinweis, daß es sich um ein und dieselbe Person handelt. In der Schlußszene ist es Herakles, der so mit dem Wort „Frau“ spielt, vgl. zu 1020. 535 Euripides geht hier anscheinend von einer Version des Mythos aus, nach der Alkestis’ Vater Pelias eines natürlichen Todes gestorben war. Aber der eine oder andere Zuschauer mag auch an die Version gedacht haben, nach der Alkestis an der unabsichtlichen Tötung des Vaters durch seine Töchter beteiligt war und auf der Flucht vor ihrem Bruder Akastos (der seinen Vater rächen mußte) bei Admet Zuflucht gefunden hatte. Vgl. zu 37, 248f. und 732. 536–545 Herakles will den Konflikt zwischen Trauerfall und Gastrecht dadurch lösen, daß er weiterzieht. Doch Admet versichert, das Problem lasse sich durch räumliche Trennung im Hause vermeiden, und besteht darauf, das Gastrecht zu wahren. Herakles fügt sich, nicht weil er das als bessere Lösung anerkennt, sondern weil er Admet nicht kränken möchte. Damit ist die Schlußszene vorbereitet, in der Herakles sich beklagt, weil Admet ihm den Tod seiner Frau verschwiegen hatte, und ihm nun umgekehrt ihre Rettung verschweigt und ihn drängt, eine verschleierte Fremde aufzunehmen. Dort ist es Admet, der schließlich nachgibt, um den Freund nicht zu kränken. 539 Durch die förmliche Anrede „Herr“ wird die Dringlichkeit des Wunsches betont, so auch 1042 und 1116. Wahrscheinlich war es bei höflichen Athenern üblich, wenn ein Gast nicht bleiben wollte, händeringend von einem „Unglück“ zu sprechen; vgl. zu 544. 541 „Laß die Toten, sie sind tot!“, wörtlich „Tot sind die Toten“. 542 Mit „speisen“ (thoinâsthai, auch „schmausen“ oder „tafeln“, bei Tieren: „gierig fressen“) deutet Euripides bereits an, daß es doch zum Konflikt zwischen Gastrecht und Trauer kommen wird; denn das klingt nicht nach einer bescheidenen Mahlzeit, sondern eher nach einem Festgelage, wie es Herakles dann auch veranstaltet. Euripides nimmt dabei zwei Verstöße gegen den Alltagsrealismus in Kauf: Ein Festgelage braucht eigentlich mehr als einen Teilnehmer und Herakles muß vergessen, daß, wenn nicht Alkestis, so doch jemand gestorben ist, dessen Tod das Haus in tiefe Trauer versetzt hat. Vgl. zu 754–760.

130

Drittes Epeisodion 543–558

Ad. He. Ad.

Die Gasträume, wo wir dich unterbringen werden, sind abgetrennt. Laß mich (weiterziehen) und ich werde dir unendlich dankbar sein. 545 Auf keinen Fall lasse ich dich zum Herd eines anderen gehen. (zu einem Diener) Geh ihm voraus, schließe die im Hause abseits gelegenen Gasträume auf und sage dem zuständigen Personal, daß ein reiches Mahl dasein soll. Die Zwischentüren schließt gut; denn es gehört sich nicht, daß Speisende 550 Klagerufe anhören müssen und Gäste dadurch belästigt werden. (Herakles folgt dem Diener ins Haus.) Was tust du? Bei einem solchen Schicksalschlag lädst du dir einen Gast auf? Das ist nicht klug. Doch wenn ich einen Gast, der zu mir kommt, aus Haus und Stadt gewiesen hätte, hättest du das lobenswerter gefunden? 555 Sicher nicht; denn mein Schicksal wäre nicht leichter geworden, aber ich wäre ein schlechterer Gastgeber. Zu meinem Unglück wäre ein zweites hinzugekommen, nämlich daß man mein Haus gastfeindlich genannt hätte,

Ch. Ad.

Αδ. Ηρ. Αδ.

Χο. Αδ.

χωρὶς ξενῶνές εἰσιν οἷ σ’ ἐσάξομεν. μέθες με καί σοι μυρίαν ἕξω χάριν. οὐκ ἔστιν ἄλλου σ’ ἀνδρὸς ἑστίαν μολεῖν. ἡγοῦ σὺ τῶιδε δωμάτων ἐξωπίους ξενῶνας οἴξας τοῖς τ’ ἐφεστῶσιν φράσον σίτων παρεῖναι πλῆθος, εὖ δὲ κλήισατε θύρας μεταύλους· οὐ πρέπει θοινωμένους κλύειν στεναγμῶν οὐδὲ λυπεῖσθαι ξένους. τί δρᾶις; τοσαύτης συμφορᾶς προσκειμένης, Ἄδμητε, τολμᾶις ξενοδοκεῖν; τί μῶρος εἶ; ἀλλ’ εἰ δόμων σφε καὶ πόλεως ἀπήλασα ξένον μολόντα, μᾶλλον ἄν μ’ ἐπήινεσας; οὐ δῆτ’, ἐπεί μοι συμφορὰ μὲν οὐδὲν ἂν μείων ἐγίγνετ’, ἀξενώτερος δ’ ἐγώ. καὶ πρὸς κακοῖσιν ἄλλο τοῦτ’ ἂν ἦν κακόν, δόμους καλεῖσθαι τοὺς ἐμοὺς ἐχθροξένους.

–––––––––––– 548 εὖ England: ἐν Hss. κακοξένους BOV

549 μεταύλους Brunck: μεσαύλους Hss.

545

550

555

558 ἐχθροξένους LP:

Kommentar

131

544 „unendlich dankbar“, keine pathetische Übertreibung, sondern (so Dale) wahrscheinlich eine gängige Höflichkeitsfloskel aus dem athenischen Alltagsleben. 549 Um die Trennung innerhalb des Hauses auf der Bühne sinnfällig zu machen, könnte man neben dem Haupteingang eine Gästetür annehmen, durch die Herakles das Haus betritt. Doch zwingend ist das nicht, besonders da Admet Angaben dazu gemacht hat, wie die Trennung im Innern möglich ist. Zur Frage von Nebentüren vgl. zu 611. Der Zuschauer, der nach Apollons Ankündigung (65–69) glauben durfte, mit Herakles’ Ankunft sei die Rettung der Alkestis gesichert, muß sich fragen, wie es weitergehen soll, wenn Herakles gar nicht erfährt, daß Alkestis gestorben ist. 551f. Durch die Bedenken des Chores wird Admets Entscheidung als ganz ungewöhnlich hingestellt. Dramaturgisch gesehen steckt darin weniger ein Tadel als ein verstecktes Lob, also Bewunderung für Admets selbstloses Verhalten. Ähnlich reagiert Herakles, als er vom Diener die Wahrheit erfährt (823). 553 „von Haus und Stadt (polis) vertrieben“ klingt fast wie Verbannung (polis kann auch das ganze Staatsgebiet heißen). Man kann von einer Motivverschärfung sprechen; die Wahrung des Gastrechts soll nicht nur als Formsache erscheinen, was sie wäre, wenn Herakles ohne weiteres anderswo unterkommen könnte. In der Schlußszene, als es um die Aufnahme der Fremden geht, sagt Admet übrigens umgekehrt, Herakles habe viele Gastfreunde in Pherai, vgl. zu 1044f. 558 Admet meint, wenn er offen geredet hätte und Herakles deswegen weitergezogen wäre, würden ihm böse Zungen ohne Rücksicht auf die Umstände nachsagen, er habe das Gastrecht verletzt. Er denkt an „Feinde“, die Gelegenheit suchen, ihm zu schaden (vgl. zu 954). Das ist etwas anderes als die ängstliche Rücksichtnahme auf die öffentliche Meinung, die ihm manche Interpreten unterstellt haben.

132

Ch. Ad.

Χο. Αδ.

Drittes Epeisodion 559–567

während ich selbst in ihm den besten Gastfreund finde, wenn ich einmal ins durstige Land von Argos komme. Warum verhehltest du das gegenwärtige Schicksal, wenn es ein Freund ist, der gekommen ist, wie du selbst sagst? Er wäre nie bereit gewesen, das Haus zu betreten, wenn er mein Leid gekannt hätte. Mancher mag mein Tun für unvernünftig halten und es nicht billigen, aber mein Haus versteht es nicht, Gäste abzuweisen und zu mißachten. (Er geht hinein.)

αὐτὸς δ’ ἀρίστου τοῦδε τυγχάνω ξένου, ὅταν ποτ’ Ἄργους διψίαν ἔλθω χθόνα. πῶς οὖν ἔκρυπτες τὸν παρόντα δαίμονα, φίλου μολόντος ἀνδρὸς ὡς αὐτὸς λέγεις; οὐκ ἄν ποτ’ ἠθέλησεν εἰσελθεῖν δόμους, εἰ τῶν ἐμῶν τι πημάτων ἐγνώρισεν. καὶ τῶι μέν, οἶμαι, δρῶν τάδ’ οὐ φρονεῖν δοκῶ οὐδ’ αἰνέσει με· τἀμὰ δ’ οὐκ ἐπίσταται μέλαθρ’ ἀπωθεῖν οὐδ’ ἀτιμάζειν ξένους.

560

565

560

565

Kommentar

133

559f. Gäste aufzunehmen und zu schützen ist nicht nur eine heilige Pflicht (Zeus wacht über das Gastrecht), sondern liegt auch im praktischen Interesse des Gastgebers, weil es auf Gegenseitigkeit beruht. Da Durchreisende sonst nur in (übel beleumdeten) Gasthäusern oder bei sonstigen Anbietern gegen Bezahlung sehr bescheidene Unterkunft finden konnten, war es nicht nur in mythischen Zeiten, sondern auch noch im realen Leben des 5. Jh. wichtig, entsprechende Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Das Gebiet von Argos (teilweise eine sog. Trockenlandschaft) heißt schon bei Homer „vieldürstend“ (Ilias 4,171). Herakles ist Dienstmann des dort herrschenden Königs Eurystheus, vgl. zu 66. 565 „Mancher“. Wenn Admet damit, wie oft angenommen wird, Herakles meint, wäre das eine Vorausdeutung auf die Schlußszene, in der Herakles tatsächlich Admets Verhalten tadelt. Doch hier klingt die Formulierung eher nach der Befürchtung, „man“ werde ihn tadeln (Dale: „one man or another“), weil er die Gastfreundschaft über die Trauer gestellt hat und damit anscheinend gegen eine gesellschaftliche Konvention verstoßen hat. Herakles dagegen moniert etwas anderes, nämlich daß Admet ihm, einem Freund, die Wahrheit verschwiegen hat.

134

Drittes Stasimon 568–577

Ch.

O immer schon gastliches und großzügiges Haus des Mannes, dich würdigte als Wohnung sogar 570 der lyraspielende Apollon von Delphi, er nahm es auf sich, als Hirte auf deinen Weiden zu dienen und auf deinen ansteigenden Hügeln 575 dem Vieh ländliche Hochzeitslieder zu blasen.

Χο.

ὦ πολύξεινος καὶ ἐλεύθερος ἀνδρὸς ἀεί ποτ’ οἶκος, σέ τοι καὶ ὁ Πύθιος εὐλύρας Ἀπόλλων ἠξίωσε ναίειν, ἔτλα δὲ σοῖσι μηλονόμας ἐν νομοῖς γενέσθαι δοχμιᾶν διὰ κλειτύων βοσκήμασι σοῖσι συρίζων ποιμνίτας ὑμεναίους.

–––––––––––– 569 ἐλεύθερος Hss., Murray, Garzya, Parker: ἐλευθέρου Purgold, Méridier, Diggle Pierson, Méridier, Diggle, Parker: δόμοις Hss., Murray, Garzya

Strophe 1 570

575

574 νομοῖς

Kommentar

135

568–605 Drittes Stasimon. Der Chor preist Admets großzügige Gastlichkeit, die sich jetzt wieder einmal bewährt habe, und knüpft daran die Erwartung, es werde ihm künftig wohlergehen (605) Der Zuschauer, der eben enttäuscht wurde, weil der angekündigte Retter nicht über Alkestis’ Tod informiert wurde, kann das als neuen Hoffnungsschimmer für Alkestis’ Rettung deuten. 568f. „gastlich“, wörtlich „mit vielen Gästen“. Admets Gastlichkeit erstreckt sich demnach nicht nur auf Durchreisende und auswärtige Besucher, sondern sein Haus gilt als Ort geselligen Lebens mit vielen einheimischen Gästen, vgl. zu 343–347. „großzügig“ (eleutheros, das im engeren Sinne „freigeboren“ bedeutet, so 678) wird das Haus im Hinblick auf seinen Besitzer genannt. Es ist also nicht nötig, den Genitiv zu konjizieren und dadurch grammatisch die Verbindung zu „Mannes“ explizit herzustellen. 570–596 Ein Beispiel bukolischer Poesie aus der Zeit vor Theokrit. Es hat im Stück ein gewisses Eigenleben; denn wenn der Chor von Apollons Anwesenheit im Hause Admets weiß, befindet er sich auf dem Wissensniveau des Prologs, das er sonst nicht hat. Die Vergangenheitsform kann davor bewahren zu fragen, warum der Chor nicht, solange Alkestis noch lebte, auf den Gedanken gekommen ist, den zum Hausstand gehörenden Gott um Hilfe zu bitten, vgl. zu 92. Wir hören ausführlich, wie der Gott Admets Schafe vermehrt hat, aber nichts davon, daß er seinerzeit Admet das Leben gerettet hat; offensichtlich sollen wir bei diesem Rückblick auf Apollons Wohlwollen nicht an den Lebenstausch erinnert werden. Der Chor weiß auch nicht, oder erwähnt jedenfalls nicht, daß Apollons Aufenthalt bei Admet eine Strafe war. Nach seinen Worten könnte es sich eher um so etwas wie ‚Ferien auf dem Bauernhof‘ gehandelt zu haben, wobei der Gast zum eigenen Vergnügen die Schafe des Hofbesitzers weidet. 570 „von Delphi“, wörtlich „der Pythier“, Beiname Apollons als Herr des delphischen Orakels. Wie im Prolog der Bogen gilt auch die Lyra als charakteristisches Attribut Apollons, vgl. zu 576. Zur Erfindung der Lyra durch seinen Bruder Hermes vgl. zu 446. 571 „würdigte“ könnte auf eine Version des Mythos anspielen, nach der Apollon sich seinen Dienstherren aussuchen durfte und sich für Admet wegen dessen Frömmigkeit entschieden hatte; wahrscheinlich will der Chor aber nur sagen, die Anwesenheit des Gottes sei eine Ehre für Admet gewesen. 572 Wenn die berühmten thessalischen Pferde (vgl. zu 8) nicht genannt werden, hängt das wohl damit zusammen, daß für die traditionelle bukolische Situation eher Schafe oder Ziegen typisch sind. 576 Die aus mehreren Rohren zusammengefügte Syrinx (oder Panflöte) ist das typische Instrument der Hirten. Bei Apollon gehört sie zu seiner Hirtenrolle; als Gott ist er für das Saitenspiel (Lyra oder wie 583 Kithara) zuständig. In dem Mythos von Apollons musikalischem Wettstreit mit dem den Aulos

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Drittes Stasimon 578–596

Mit dir weideten aus Freude an deinen Liedern fleckige Luchse, aus den Waldtälern des Orthrys kam das graugelbe Löwenrudel und es tanzte zu deiner Kithara, Phoibos, das bunte Hirschkalb, durch die hohen Tannenwälder leichtfüßig kommend, aus Freude am heiteren Klang. Überaus reich an Schafen ist deswegen sein Herd am schönen See von Boibe. Seinem Ackerland und seinen Weiden setzt er als Grenze beim dunklen Stall der Sonnenpferde den Himmel der Molosser-Berge, und er herrscht bis zum ägäischen Meer, bis zur hafenlosen Küste des Peliongebirges.

580

585

590

595

σὺν δ’ ἐποιμαίνοντο χαρᾶι μελέων βαλιαί τε λύγκες, Gegenstrophe 1 ἔβα δὲ λιποῦσ’ Ὄθρυος νάπαν λεόντων 580 ἁ δαφοινὸς ἴλα· χόρευσε δ’ ἀμφὶ σὰν κιθάραν, Φοῖβε, ποικιλόθριξ 585 νεβρὸς ὑψικόμων πέραν βαίνουσ’ ἐλατᾶν σφυρῶι κούφωι, χαίρουσ’ εὔφρονι μολπᾶι. τοιγὰρ πολυμηλοτάταν ἑστίαν οἰκεῖ παρὰ καλλίναον Βοιβίαν λίμναν. ἀρότοις δὲ γυᾶν καὶ πεδίων δαπέδοις ὅρον ἀμφὶ μὲν ἀελίου κνεφαίαν ἱππόστασιν αἰθέρα τὰν Μολοσσῶν < ὀρέων > τίθεται, πόντιον δ’ Αἰγαῖον ἐπ’ ἀκτὰν ἀλίμενον Πηλίου κρατύνει.

Strophe 2 590

595

–––––––––––– 589 ἑστίαν OVLP: οἰκίαν B οἰκεῖ Markland, Méridier, Diggle, Parker: οἰκεῖς Hss., Murray, Garzya 593 ἱππόστασιν BLP: ὑπόστασιν OV †αἰθέρα τὰν† Diggle: ἐς τὸ πέραν Pohlenz, Kovacs, Parker 594 Bauer

Kommentar

137

blasenden Satyr Marsyas (dem er anschließend die Haut abzog) steckt eine alte Rivalität zwischen Saiten- und Blasinstrument. 579ff. Daß wilde Tiere durch Musik angezogen sich friedlich verhalten, hat Euripides wahrscheinlich aus dem Orpheusmythos übernommen. Othrys, das Thessalien im Süden begrenzende Gebirge. Löwen in Griechenland sind im 5. Jh. v. Chr. nur noch ein altes mythologisches und poetisches Motiv, z. B. der ‚Nemeische Löwe‘, den Herakles erlegt. Nach Herodot 7,125–126 gab es jedoch noch um 480 in Thrakien Löwen. 581 „graugelbe“. Das Wort daphoinos scheint ursprünglich in der Bedeutung „ganz blutig“ oder „blutrot“ als stehendes Beiwort von Raubtieren gedient zu haben. Wohl durch ein Mißverständnis während der poetischen Tradition ist daraus dann die Fellfarbe von Raubtieren (Löwe, Wolf, Schakal) geworden. 589 „ist“ wörtlich „bewohnt er“. Die überlieferte Anrede „bewohnst du“ ist wahrscheinlich nicht richtig; denn anschließend ist von Admet nur in der 3. Person die Rede. Die Anrede am Anfang des Liedes (569f.) gilt dem Haus. 590–596 „See von Boibe“, auch Boibeis genannt, der heutige Karlasee, an dessen damaligem südwestlichen Ufer Pherai lag. Der Volksstamm der Molosser bewohnte das Pindosgebirge, das Thessalien im Westen begrenzt; das Peliongebirge an der Küste des ägäischen Meeres bildet die Ostgrenze. Dieselben Grenzen beschreibt Herodot (7,129). Während der Chor Admet hier zum mythischen Herrscher über ganz Thessalien macht (und dabei mindestens dessen Schwager Akastos, den 732 erwähnten König von Iolkos, vergißt), läßt Euripides Admet 1154 von seiner „Tetrarchie“ („Viertelherrschaft“) sprechen und damit auf die historische Einteilung in vier Tetraden (für das militärische Aufgebot) Rücksicht nehmen. Gegen 380 v. Chr. gelang es übrigens dem ‚Tyrannen‘ Iason von Pherai, sich für ein Jahrzehnt zum Herrscher von Thessalien aufzuwerfen. 593f. „Himmel“. Eine Textstörung anzunehmen ist kaum nötig. Die mythische Vorstellung von der Sonne, die abends ihre Pferde in den Stall bringt, wird mit der empirischen Beobachtung verbunden, wie die Sonne von der Ebene aus gesehen am Himmel (aither) hinter den Gipfeln des Pindosgebirges verschwindet. Bei Homer versinkt die Sonne im Okeanos (Ilias 8,485). Der Sonnenuntergang aus speziell thessalischer Sicht konnte den Zuschauer daran erinnern, daß das Stück nicht in Athen spielt.

138

Drittes Stasimon 597–605

Auch jetzt hat er sein Haus geöffnet und hat einen Gast aufgenommen, die Lider tränenfeucht, da er den Leichnam seiner geliebten Gattin, die eben im Haus gestorben ist, beweint; denn seine Vornehmheit ist allzu groß, fast schon bedenklich. Gute Menschen wissen jedoch stets, was zu tun ist. Ich bewundere und respektiere das. In meiner Seele sitzt ein Vertrauen, daß es einem gottesfürchtigen Mann wohlergehen wird.

καὶ νῦν δόμον ἀμπετάσα δέξατο ξεῖνον νοτερῶι βλεφάρωι, τᾶς φίλας κλαίων ἀλόχου νέκυν ἐν δώμασιν ἀρτιθανῆ· τὸ γὰρ εὐγενὲς ἐκφέρεται πρὸς αἰδῶ. ἐν τοῖς ἀγαθοῖσι δὲ πάντ’ ἔνεστιν σοφίας. ἄγαμαι. πρὸς δ’ ἐμᾶι ψυχᾶι θράσος ἧσται θεοσεβῆ φῶτα κεδνὰ πράξειν.

600

605

Gegenstrophe 2

600

605

–––––––––––– 603 ἔνεστιν σοφίας. ἄγαμαι Hss., Murray, Méridier, Garzya: ἔνεστιν· σοφίας ἄγαμαι Dale, Diggle, Parker

Kommentar

139

600f. Die Bedeutung des „denn“-Satzes ist umstritten. Wörtlich „denn das Edle (eugenés) wird hinausgetragen in Richtung auf die (oder: im Vergleich zur) Scheu oder Achtung vor etwas (aidôs)“. Die Frage ist, was hier unter „hinausgetragen“ und unter aidôs zu verstehen ist. Für Herakles ist 857 aidôs der Respekt vor dem Gast, an dem sich Admets „Adel“ gezeigt habe, d. h. aidôs und „Adel“ stehen miteinander in Einklang. An der vorliegenden Stelle scheint es dagegen um einen Konflikt zwischen ihnen zu gehen. Es könnte gemeint sein, daß Admet die „edle Gesinnung“ (das Gebot der Gastfreundschaft) über die (ebenso gebotene) Achtung vor der Trauer um Alkestis gestellt hat. Der anschließende Kontext spricht aber dafür, daß der Chor sagen will, Admets edle Haltung, die ihn die Trauer zurückstellen ließ, führe bei ihm (dem Chor) zu Scheu (aidôs), d. h. einem Zwiespalt zwischen Bewunderung und Ablehnung. 602f. „Gute Menschen wissen stets, was zu tun ist“, wörtlich „in den Guten steckt alles, was es an Weisheit gibt“. Während Platons Sokrates im Wissen die Quelle des Gutseins sieht, leitet der Chor umgekehrt das Wissen aus dem Gutsein ab. Er meint also, weil Admet ein guter (frommer) Mensch sei, sei anzunehmen, daß seine Entscheidung, trotz seiner Trauer den Gast aufzunehmen, richtig sei. Daraufhin gibt der Chor seine etwas skeptische Haltung auf und drückt nun seine uneingeschränkte Bewunderung für Admets Entscheidung aus. Zum Problem, mit Hilfe der modernen Interpunktion den Sinn anders zu nuancieren, vgl. oben zu 334. 604 Der Chor, der Apollons Ankündigung von Alkestis’ Rettung durch Herakles nicht kennt, kann nur ganz allgemein künftiges Wohlergehen erhoffen. Der Zuschauer, der sich bei diesen Worten an die Prophezeiung im Prolog erinnert, muß sich erneut fragen, wie es die Rettung geben soll, wenn der als Retter angekündigte Gast nicht erfahren hat, daß Alkestis tot ist, vgl. zu 549. 605 „gottesfürchtig“ entspricht dem von Apollon schon im Prolog (10) konstatierten „fromm“.

140

Viertes Epeisodion 606–622

Ad.

Männer von Pherai, ihr zeigt euer Wohlwollen durch eure Anwesenheit. Den Leichnam, mit allem versehen, tragen Diener jetzt zu Grab und Feuerstätte. Ihr aber, wie es Brauch ist, widmet der Toten 610 Geleitworte auf ihrem letzten Wege. Doch da sehe ich deinen Vater kommen, altersschwach ist sein Fuß; Diener tragen für deine Gattin Schmuck in den Händen als Totengabe.

Ch.

Pheres Ich komme, weil ich an deinem Unglück teilnehme, mein Kind; denn du hast eine edle – niemand wird widersprechen – und verständige Frau verloren. Aber man muß das ertragen, auch wenn es schwerfällt. (zur Toten) Nimm diesen Schmuck und gehe hinab! (zu Admet) Ihr Leib verdient alle Ehren. Sie starb ja für dich, Kind, und machte mich nicht kinderlos und ließ mich nicht ohne dich in traurigem Alter dahinschwinden.

Αδ.

Χο.

ἀνδρῶν Φεραίων εὐμενὴς παρουσία, νέκυν μὲν ἤδη πάντ’ ἔχοντα πρόσπολοι φέρουσιν ἄρδην πρὸς τάφον τε καὶ πυράν· ὑμεῖς δὲ τὴν θανοῦσαν, ὡς νομίζεται, προσείπατ’ ἐξιοῦσαν ὑστάτην ὁδόν. καὶ μὴν ὁρῶ σὸν πατέρα γηραιῶι ποδὶ στείχοντ’, ὀπαδούς τ’ ἐν χεροῖν δάμαρτι σῆι κόσμον φέροντας, νερτέρων ἀγάλματα.

615

620

610

Φέρης ἥκω κακοῖσι σοῖσι συγκάμνων, τέκνον· ἐσθλῆς γάρ, οὐδεὶς ἀντερεῖ, καὶ σώφρονος γυναικὸς ἡμάρτηκας. ἀλλὰ ταῦτα μὲν φέρειν ἀνάγκη καίπερ ὄντα δύσφορα. δέχου δὲ κόσμον τόνδε καὶ κατὰ χθονὸς ἴτω. τὸ ταύτης σῶμα τιμᾶσθαι χρεών, ἥτις γε τῆς σῆς προύθανε ψυχῆς, τέκνον, καί μ’ οὐκ ἄπαιδ’ ἔθηκεν οὐδ’ εἴασε σοῦ στερέντα γήραι πενθίμωι καταφθίνειν, –––––––––––– 617 δύσφορα LP: δυσμενῆ BOV

615

620

Kommentar

141

606–740 Viertes Epeisodion. Alkestis’ Leichnam wird auf einer Bahre aus dem Haus getragen und Admet fordert den Chor zum Geleitgesang für den Auszug zur Begräbnisstätte auf. Als überraschend sein alter Vater hinzukommt, ist nach Admets früherer Ankündigung, er werde seine Eltern hassen (338), mit einem Zusammenstoß zu rechnen, doch dessen Heftigkeit und Thematik muß auf das Publikum von 438 v. Chr. schockierend gewirkt haben. Dies um so mehr, als beide Seiten schwerstens gegen das verstoßen, was als tabugeschützter gesellschaftlicher Konsens galt. Der Form nach handelt es sich um einen sog. Agón (Wettstreit) mit Rede und Gegenrede und anschließender Stichomythie. 606 Wörtlich redet Admet den Chor als „wohlwollende Anwesenheit“ an. Es könnte sich um eine im athenischen Alltag bei bei Trauerfeierlichkeiten übliche förmliche Anrede handeln. 608 „Feuerstätte“, vgl. zu 463. 611 Als Familienangehöriger müßte Pheres eigentlich ebenfalls aus dem Haus kommen. Das könnte dann nur eine Nebentür sein, weil er sonst schon vorher mit Admet zusammengetroffen sein müßte. Doch wahrscheinlich ließ Euripides ihn mit seinem Gefolge die Bühne von der Seite her betreten (dazu Riemer Fußn. 330). Vgl. zu 738. 614–626 Pheres sagt, was man von einem Vater, der sich keiner Schuld bewußt ist und daher mit keinem Protest rechnet, in dieser Situation erwarten kann. Die Schamlosigkeit, die man in seinen Worten als Auslöser für Admets heftige Reaktion hat finden wollen (Dale zu 614ff.), gibt der Wortlaut nicht her; sie könnte bei der Aufführung allenfalls durch Übertreibung in Tonfall und Gestik ausgedrückt werden. Die dramatische Wirkung dürfte jedoch größer sein, wenn der alte Vater aufrichtig und ahnungslos wirkt und überfallartig von Admet angegriffen wird. 620–624 Auch hier kommt das Tauschmotiv explizit nicht vor. Pheres spricht weder von Alkestis’ Zustimmung zum Lebenstausch noch von seiner eigenen Ablehnung, sondern sagt nur, daß Alkestis durch ihren Tod Admets Leben gerettet hat.

142

Ad.

Αδ.

Viertes Epeisodion 623–641

Sie hat das Ansehen aller Frauen gemehrt durch diese edle Tat. 625 (zur Toten) Die du ihn gerettet und uns wieder aufgerichtet hast, die wir zu fallen drohten, sei gegrüßt, möge es dir auch im Haus des Hades wohlergehen! – Solche Ehen, meine ich, dienen der Menschheit, sonst lohnt das Heiraten nicht. Du bist nicht von mir geladen zu dieser Bestattung gekommen 630 und ich betrachte deine Anwesenheit nicht als Freundestat. Deinen Schmuck wird sie niemals anlegen; denn sie braucht für ihr Grab nichts von dir. Damals hättest du Mitleid zeigen können, als ich sterben sollte. Da tratest du beiseite und wolltest als Greis 635 einen Jungen sterben lassen – und jetzt will du diesen Leichnam beklagen? Du warst nicht mein echter Vater und die, die behauptet, meine Mutter zu sein, und die so genannt wird, war es nicht. Als Kind einer Dienerin wurde ich deiner Frau heimlich an die Brust gelegt. 640 Als du dich hättest (als Vater) beweisen können, hast du gezeigt, wer du bist. Ich glaube nicht, daß ich dein Sohn bin.

πάσαις δ’ ἔθηκεν εὐκλεέστερον βίον γυναιξίν, ἔργον τλᾶσα γενναῖον τόδε. ὦ τόνδε μὲν σώσασ’, ἀναστήσασα δὲ ἡμᾶς πίτνοντας, χαῖρε, κἀν Ἅιδου δόμοις εὖ σοι γένοιτο. φημὶ τοιούτους γάμους λύειν βροτοῖσιν, ἢ γαμεῖν οὐκ ἄξιον. οὔτ’ ἦλθες ἐς τόνδ’ ἐξ ἐμοῦ κληθεὶς τάφον οὔτ’ ἐν φίλοισι σὴν παρουσίαν λέγω. κόσμον δὲ τὸν σὸν οὔποθ’ ἥδ’ ἐνδύσεται· οὐ γάρ τι τῶν σῶν ἐνδεὴς ταφήσεται. τότε ξυναλγεῖν χρῆν σ’ ὅτ’ ὠλλύμην ἐγώ· σὺ δ’ ἐκποδὼν στὰς καὶ παρεὶς ἄλλωι θανεῖν νέωι γέρων ὢν τόνδ’ ἀποιμώξηι νεκρόν; οὐκ ἦσθ’ ἄρ’ ὀρθῶς τοῦδε σώματος πατήρ, οὐδ’ ἡ τεκεῖν φάσκουσα καὶ κεκλημένη μήτηρ μ’ ἔτικτε, δουλίου δ’ ἀφ’ αἵματος μαστῶι γυναικὸς σῆς ὑπεβλήθην λάθραι. ἔδειξας εἰς ἔλεγχον ἐξελθὼν ὃς εἶ, καί μ’ οὐ νομίζω παῖδα σὸν πεφυκέναι.

625

630

635

640

–––––––––––– 623 εὐκλεέστερον V: εὐκλεέστατον BOLP 625 τόνδε μὲν BOV: τόνδ’ ἐμὸν LP 635 ἀποιμώξηι Matthiae, Murray, Diggle, Parker: ἀποιμώξεις LP: ἀποιμώζηι BO: ἀποιμώζεις V, Méridier 636–641 […] Badham, andere tilgen einzelne Verse

Kommentar

143

627f. Ähnlich hatte der Chor 473–475 die Bereitschaft der Frau, für ihren Mann zu sterben, als Zeichen für eine ideale Ehe angesehen. Da sowohl der Chor als auch Pheres über einen konkreten Fall sprechen, ist die für uns heute naheliegende Frage, ob man nicht vom Mann die entsprechende Bereitschaft erwarten müsse, nicht unbedingt impliziert, aber Pheres’ Worte klingen, als ob ein solcher Gedanke geradezu abwegig wäre, was wahrscheinlich der Meinung des damaligen Publikums entsprach. Vermutlich wollte Euripides durch die Überbetonung der weiblichen Opferbereitschaft unauffällig darauf aufmerksam machen, daß eine ideale Ehe eine zweiseitige Angelegenheit ist. 630 „Anwesenheit“, vgl. zu 606. 634f. Admet sagt nicht, daß er den Vater damals gebeten habe, mit ihm zu tauschen, sondern redet nur von dessen „Ausweichen“. Es geht aus seiner Sicht also nicht um einen verweigerten persönlichen Gefallen (wie bei Apollon und dem Tod, vgl. zu 60), sondern um eine objektive Pflichtverletzung. Pheres hätte sich danach spontan zur Verfügung stellen müssen. 636–641 Zur Tilgung der Passage oder einzelner Verse gibt es keinen Grund. Admet behauptet nicht, wie manche Interpreten meinen, ein Sklavenkind zu sein, sondern will sagen, man habe ihn d a ma l s („du wa r st nicht mein Vater“) wie ein untergeschobenes Kind behandelt. Daher besteht kein Widerspruch zu 645, und mit Murray Fragezeichen zu setzen ist nicht nötig. Zweifellos gab es im zeitgenössischen Athen bei familiären und anderen Auseinandersetzungen öfter die Unterstellung, jemand sei ein Sklavenkind (also kein rechtmäßiger Bürger), von Klatschgeschichten ganz abgesehen. Wenn das, was die Frauen in Aristophanes’ Thesmophoriazusen (340, 407, 503 und 564) zu dem Thema sagen, auch nur halbwegs der Realität entsprach, war das Unterschieben von Kindern in Athen gang und gäbe. 640f. Als Pheres Gelegenheit hatte, sich als wahrer Vater zu erweisen, hatte er nach Admets Ansicht versagt, und deswegen sagt er sich von ihm los. Spannungen zwischen Vater und Sohn dürfte es in Athen oft genug gegeben haben (vgl. Einführung Fußn. 110), aber daß sich ein Sohn von seinem Vater lossagt, wäre ein Skandal gewesen, der auch zu staatlichem Einschreiten geführt hätte, vgl. zu 668.

144

Viertes Epeisodion 642–659

Wahrhaftig, du übertriffst alle an Feigheit, der du, alt und am Ende des Lebens angelangt, nicht bereitwillig auf dich nahmst, für deinen Sohn zu sterben, sondern ihr überließt es dieser nicht blutsverwandten Frau, die ich als Mutter und Vater rechtmäßig anerkennen sollte, sie allein. Du hättest einen guten Kampf gekämpft, wenn du für deinen Sohn gestorben wärest; denn nur noch eine kurze Lebenszeit hattest du vor dir. Und ich hätte mit ihr weiterleben können und müßte nicht vereinsamt mein Unglück beklagen. Und du hattest wahrhaftig das Leben eines glücklichen Mannes: Solange du bei Kräften warst, hast du als König geherrscht, ich war dein Sohn und Nachfolger im Hause, so daß du nicht, kinderlos sterbend, anderen den verwaisten Besitz hättest hinterlassen müssen und zur Plünderung freigeben. Du kannst auch nicht sagen, weil ich dein Alter nicht geehrt hätte, habest du mich dem Tod preisgegeben, der ich dich mit größter

ἦ τἄρα πάντων διαπρέπεις ἀψυχίαι, ὃς τηλικόσδ’ ὢν κἀπὶ τέρμ’ ἥκων βίου οὐκ ἠθέλησας οὐδ’ ἐτόλμησας θανεῖν τοῦ σοῦ πρὸ παιδός, ἀλλὰ τήνδ’ εἰάσατε γυναῖκ’ ὀθνείαν, ἣν ἐγὼ καὶ μητέρα καὶ πατέρ’ ἂν ἐνδίκως ἂν ἡγοίμην μόνην. καίτοι καλόν γ’ ἂν τόνδ’ ἀγῶν’ ἠγωνίσω τοῦ σοῦ πρὸ παιδὸς κατθανών, βραχὺς δέ σοι πάντως ὁ λοιπὸς ἦν βιώσιμος χρόνος. κἀγώ τ’ ἂν ἔζων χἤδε τὸν λοιπὸν χρόνον, κοὐκ ἂν μονωθεὶς ἔστενον κακοῖς ἐμοῖς. καὶ μὴν ὅσ’ ἄνδρα χρὴ παθεῖν εὐδαίμονα πέπονθας· ἥβησας μὲν ἐν τυραννίδι, παῖς δ’ ἦν ἐγώ σοι τῶνδε διάδοχος δόμων, ὥστ’ οὐκ ἄτεκνος κατθανὼν ἄλλοις δόμον λείψειν ἔμελλες ὀρφανὸν διαρπάσαι. οὐ μὴν ἐρεῖς γέ μ’ ὡς ἀτιμάζοντα σὸν γῆρας θανεῖν προύδωκας, ὅστις αἰδόφρων

645

650

655

645

650

655

–––––––––––– 647 καὶ πατέρ’ ἂν Weil, Diggle, Parker: καὶ πατέρα γ’ Hartung, Méridier: πατέρα τ’ BOV: πατέρα τέ γ’ LP, Garzya μόνην BOLP: ἐμόν V 651f. […] Lenting, Garzya, Diggle, Kovacs, Parker 657 διαρπάσαι P: διαρπάσειν BOV 658f. ἀτιμάζοντα … προύδωκας LP: ἀτιμάζων τὸ … προύδωκα σ’ BOV

Kommentar

145

651f. Die fast wörtliche Wiederholung von Alkestis’ Worten 295f. ist grundsätzlich als sog. Schauspielerinterpolation verdächtig. Sie unterbricht darüber hinaus den Gedankengang; denn in dem Abschnitt 648–660 geht es insgesamt um das egoistische Verhalten des Vaters und nicht um dessen Folge, nämlich daß Admet seine Frau verloren hat. Aber es ist an sich kein schlechter Einfall, hier parenthetisch einen emotionalen Ausbruch einzufügen, in dem Admet Alkestis gewissermaßen als Zeugin zitiert. Außerdem kann der dreifache Versbeginn mit „und“ die Atemlosigkeit andeuten, mit der Admet seine Vorwürfe aneinanderreiht. Es ist daher wohl nicht ganz auszuschließen, daß Euripides selbst für diese scheinbare Dublette verantwortlich ist. 653–357 Die Stelle erinnert an Herodot 1,30, wo König Kroisos den weisen Solon nach dem glücklichsten Menschen fragt und als Antwort erhält, das sei ein einfacher Athener namens Tellos, der sich im Leben wohlbefunden habe, dessen Söhne am Leben geblieben seien und der schließlich ruhmvoll im Kampf für seine Vaterstadt gestorben sei. Den von Pheres verpaßten ruhmvollen Kampf und Tod hatte Admet schon 648f. vorweg genannt. 654 Im Text heißt es „Tyrannis“. Das Wort konnte also auf der Bühne verwendet werden, ohne Anstoß zu erregen, während es im sonstigen Leben, in Erinnerung an den Tyrannen Hippias, der 510 vertrieben worden war, dazu diente, bei Meinungsverschiedenheiten dem Gegner demokratiefeindliche und damit todeswürdige Absichten zu unterstellen. So ruft etwa der Chor der Richter in Aristophanes’ Wespen (417), als jemand etwas gegen gewisse Auswüchse im Gerichtswesen unternehmen will: „Ist das nicht schrecklich und offenkundige Tyrannis!“ 657 Euripides läßt Admet von mythischen oder atavistischen Verhältnissen reden, wo schon die Abwesenheit des Hausherrn zur Zerstreuung des Familienbesitzes führen konnte (Odyssee 15,13) und bei seinem Tod Fremde ungeniert zugriffen und sein Hab und Gut unter sich aufteilten (Odyssee 2,335). Im zeitgenössischen Athen war man daran interessiert, klar geregelte Besitzverhältnisse zu haben; problematische Erbfälle wurden daher vom zuständigen Archon überwacht (Busolt 1082f.). 658f. Nach der Lesart von BOV würde Admet nur sagen, sein Vater könne nicht behaupten, er habe ihm die gebührende Alterspflege versagt. Es fehlte also die Verknüpfung mit der Weigerung des Vaters, für den Sohn zu sterben, die wir uns dann stillschweigend ergänzen müßten.

146

Ch. Ph.

Χο. Φε.

Viertes Epeisodion 660–678

660 Ehrfurcht behandelt habe. Und dafür hast du und die Mutter mir diesen Dank gewußt. Du solltest schleunigst neue Söhne zeugen, die dich im Alter versorgen und dich, wenn du gestorben bist, zurechtmachen und den Leichnam aufbahren. 665 Denn ich werde dich mit dieser Hand nicht begraben; denn wenn es nach dir gegangen wäre, wäre ich tot. Wenn ich einen anderen Retter fand und das Licht schaue, so betrachte ich mich als dessen Sohn und liebevollen Pfleger im Alter. Zum Schein wünschen sich Greise den Tod 670 und schimpfen auf das Alter und die zu lange Lebenszeit. Wenn aber der Tod herannaht, will keiner sterben und das Alter ist ihnen keine Last mehr. Hört auf, denn das gegenwärtige Unglück ist groß genug. Sohn, reize nicht den Sinn des Vaters. Mein Sohn, was redest du da? Glaubst du einen Lyder oder Phryger 675 zu beschimpfen, den du dir gekauft hast? Weißt du nicht, daß ich ein Thessaler bin, eines thessalischen Vaters echtbürtiger und freier Sohn.

πρὸς σ’ ἦ μάλιστα· κἀντὶ τῶνδέ μοι χάριν τοιάνδε καὶ σὺ χἠ τεκοῦσ’ ἠλλαξάτην. τοιγὰρ φυτεύων παῖδας οὐκέτ’ ἂν φθάνοις, οἳ γηροβοσκήσουσι καὶ θανόντα σε περιστελοῦσι καὶ προθήσονται νεκρόν. οὐ γάρ σ’ ἔγωγε τῆιδ’ ἐμῆι θάψω χερί· τέθνηκα γὰρ δὴ τοὐπὶ σ’. εἰ δ’ ἄλλου τυχὼν σωτῆρος αὐγὰς εἰσορῶ, κείνου λέγω καὶ παῖδά μ’ εἶναι καὶ φίλον γηροτρόφον. μάτην ἄρ’ οἱ γέροντες εὔχονται θανεῖν, γῆρας ψέγοντες καὶ μακρὸν χρόνον βίου· ἢν δ’ ἐγγὺς ἔλθηι θάνατος, οὐδεὶς βούλεται θνήισκειν, τὸ γῆρας δ’ οὐκέτ’ ἔστ’ αὐτοῖς βαρύ. παύσασθ’, ἅλις γὰρ ἡ παροῦσα συμφορά· ὦ παῖ, πατρὸς δὲ μὴ παροξύνηις φρένας. ὦ παῖ, τίν’ αὐχεῖς, πότερα Λυδὸν ἢ Φρύγα κακοῖς ἐλαύνειν ἀργυρώνητον σέθεν; οὐκ οἶσθα Θεσσαλόν με κἀπὸ Θεσσαλοῦ πατρὸς γεγῶτα γνησίως ἐλεύθερον;

660

665

670

675

–––––––––––– 660 ἦ Elmsley: ἦν Hss. 672 θνήισκειν VL: θανεῖν BO 673f. παύσασθ’, ἅλις … συμφορά· ὦ παῖ Hss., Garzya, Diggle, Parker: Ἄδμηθ’, ἅλις … συμφορά, παῦσαι Mekler, Méridier (das zweimalige ὦ παῖ ist suspekt): νεικῶν’ – ἅλις … συμφορά – παῦσαι Kovacs

Kommentar

147

668 Die Versorgung der Eltern durch die Kinder war in Athen gesetzlich vorgeschrieben; ein Verstoß dagegen konnte durch ‚Atimie‘ (Entzug der bürgerlichen Rechte) geahndet werden (Busolt 1067f.). Admet redet, als ob er sich ein offizielles Verfahren wünscht, ihn von seiner Kindespflicht zu entbinden, vgl zu 640f. und 737. 669 Klagen über die Last des Alters sind seit der homerischen Formel vom „traurigen Alter“ (z. B. Ilias 5,153) ein gängiges literarisches Motiv, ebenso bei einem ausweglosen Unglück (z. B. Krankheit oder Todesfall) der Wunsch zu sterben, vgl. zu 228–230. Beim Herbeisehnen des Todes im Alter scheint Euripides dagegen eher an im Alltagsleben öfter zu hörende, nicht immer ernstgemeinte Seufzer alter Menschen zu denken. Zu den üblichen Klagen über das Alter und der philosophischen Antwort darauf wäre der Anfang von Platons Staat oder auch Ciceros Cato maior de senectute zu vergleichen. 675f. Im Mythos und in älteren historischen Zeiten waren Phryger (König Midas) und Lyder (König Kroisos) mächtige Völker Kleinasiens. Wenn Pheres sie als Sklavenreservoir betrachtet, ist das die griechische Wahrnehmung des 5. Jahrhunderts (Kleinasien gehört nun zum Perserreich), die sich, wie diese Stelle zeigt, bereits zur gängigen Redensart verfestigt hatte, ebenso Aristophanes Vögel 1244. In seinem Orestes läßt Euripides einen phrygischen Sklaven als fast komische Botenfigur auftreten. 677f. Dies stolze Bekenntnis zur Freiheit aus dem Munde eines Thessalers könnte manchen Zuschauer verwundert haben, da Thessalien in den Perserkriegen, als Athen um seine Freiheit kämpfte, auf persischer Seite gestanden hatte. Aber im Jahr 438 gab es andere politische Fronten; jetzt mußte Athen daran interessiert sein, Thessalien gegen Sparta auf seine Seite zu ziehen. Möglicherweise wollte Euripides durch ein poetisches Kompliment indirekt dazu beitragen (vgl. zu 445–454). Vielleicht hörten die Zuschauer auch eine Anspielung auf Perikles’ Maxime „Glück heißt Freiheit“ heraus, die er sicher schon im Vorfeld des Peloponnesischen Krieges vertreten hatte (und nicht erst 431 in seiner Grabrede für die Gefallenen des ersten Kriegsjahres, Thukydides 2,43,4). 697 Daß ein Mann sich an Mut nicht von einer Frau übertreffen lassen dürfe, war wahrscheinlich einhellige Meinung von Euripides’ männlichen Zeitgenossen. Wenn er mit Pheres und Admet Männer zeigt, die sich gegenseitig vorwerfen, einer Frau aus Feigheit beim Sterben den Vortritt gelassen zu haben, konnte das zu Diskussionen über die Stellung der Frau in Athen Anlaß geben. In späteren Stücken wie seiner Taurischen Iphigenie und der 412 aufgeführten Helena sind es die Frauen (Iphigenie, Helena), die mutige Pläne zur Rettung entwickeln, während die Männer (Orest, Menelaos) fast nur noch Ausführende sind. In Aristophanes’ Lysistrate aus dem Jahr 411 setzt eine mutige und tatkräftige Frau durch, daß Athen und Sparta den Frieden schließen, den die Männer in der Realität nicht zustande bringen.

148

Viertes Epeisodion 679–697

Du bist frech und anmaßend, und nach den leichtfertigen Worten, die 680 du uns entgegenschleuderst, wirst du nicht so davonkommen. Als Herrn des Hauses zeugte ich dich und zog ich dich auf, doch deswegen ist es nicht meine Pflicht, für dich zu sterben. Von unseren Vorfahren habe ich nicht den Brauch geerbt, daß Väter für die Söhne sterben; das ist auch nicht Griechenart. 685 Dein Unglück oder Glück ist allein deine Sache. Was dir von uns aus zustand, hast du erhalten. Du herrschst über ein großes Volk, weitgedehntes Ackerland werde ich dir hinterlassen; denn dasselbe habe ich von meinem Vater geerbt. Womit habe ich dir also Unrecht getan? Was enthalte ich dir vor? 690 Stirb du nicht für mich, und ich nicht für dich. Du freust dich, das Licht zu schauen. Meinst du, dein Vater freue sich nicht daran? Die Zeit in der Unterwelt, rechne ich, ist lang, das Leben ist kurz, doch trotzdem süß. Schamlos hast du dir erkämpft, nicht sterben zu müssen, 695 und lebst über das dir eigentlich bestimmte Schicksal hinaus und hast damit diese getötet. Und da wirfst du mir Feigheit vor, von einer Frau, du Jämmerling, besiegt,

ἄγαν ὑβρίζεις καὶ νεανίας λόγους ῥίπτων ἐς ἡμᾶς οὐ βαλὼν οὕτως ἄπει. ἐγὼ δέ σ’ οἴκων δεσπότην ἐγεινάμην κἄθρεψ’, ὀφείλω δ’ οὐχ ὑπερθνήισκειν σέθεν· οὐ γὰρ πατρῶιον τόνδ’ ἐδεξάμην νόμον, παίδων προθνήισκειν πατέρας, οὐδ’ Ἑλληνικόν. σαυτῶι γὰρ εἴτε δυστυχὴς εἴτ’ εὐτυχὴς ἔφυς· ἃ δ’ ἡμῶν χρῆν σε τυγχάνειν ἔχεις. πολλῶν μὲν ἄρχεις, πολυπλέθρους δέ σοι γύας λείψω· πατρὸς γὰρ ταὔτ’ ἐδεξάμην πάρα. τί δῆτά σ’ ἠδίκηκα; τοῦ σ’ ἀποστερῶ; μὴ θνῆισχ’ ὑπὲρ τοῦδ’ ἀνδρός, οὐδ’ ἐγὼ πρὸ σοῦ. χαίρεις ὁρῶν φῶς· πατέρα δ’ οὐ χαίρειν δοκεῖς; ἦ μὴν πολύν γε τὸν κάτω λογίζομαι χρόνον, τὸ δὲ ζῆν σμικρὸν ἀλλ’ ὅμως γλυκύ. σὺ γοῦν ἀναιδῶς διεμάχου τὸ μὴ θανεῖν καὶ ζῆις παρελθὼν τὴν πεπρωμένην τύχην, ταύτην κατακτάς· εἶτ’ ἐμὴν ἀψυχίαν λέγεις, γυναικός, ὦ κάκισθ’, ἡσσημένος,

680

685

690

695

–––––––––––– 679 ἄγαν μ’ L 682 ὀφείλω δ’ BOV: ὀφείλων LP 688 ταὔτ’ Purgold, Garzya, Diggle, Parker: ταῦτ’ Méridier: ταῦτα Hss. 689 ἠδίκηκα BOV: ἠδίκησα LP

Kommentar

149

679 „leichtfertigen“ wörtlich „jugendlichen“. 685 Euripides rührt an ein zeitlos aktuelles Problem, das „gerechte“ Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft. Pheres stellt die Einzelexistenz des Menschen über die Erfordernisse der Gemeinschaft und hält das für „gerecht“ (689). Im ersten Buch von Platons Staat tritt Thrasymachos für das „Recht“ des Stärkeren ein, worunter er nicht anarchischen Individualismus, sondern natürliche Hierarchie versteht; er wendet sich damit gegen eine Denkweise, die es für „gerecht“ hält, keine Elite zu dulden. Pheres’ Verhalten zeigt ein Dilemma: Einerseits kann es für einen Vater keine „rechtliche“ Verpflichtung geben, für seinen Sohn zu sterben, andererseits hängt die „gerechte“ Altersversorgung des Vaters vom Überleben des Sohnes ab. Pheres spricht nur über das eine, ohne explizit auf das andere zu verzichten. Im übrigen steht das von ihm vertretene „Recht“ auf das eigene Leben natürlich in krassem Gegensatz zu der durch Alkestis repräsentierten persönlichen Bindung zwischen zwei Menschen, die sogar die Bereitschaft einschließt, notfalls für den anderen zu sterben. Vgl. zu 279 (philia). 688 Das Futur „werde ich hinterlassen“ scheint der Aussage des Chors (588–596), Admets Ländereien umfaßten das ganze von ihm beherrschte Thessalien, zu widersprechen. Doch das rechtfertigt nicht, rationalistisch eine zweistufige Erbregelung anzunehmen, nach der Admet zwar schon König ist, aber die Ländereien erst beim Tod seines Vaters erhalten soll. Es liegt eine Motivkonkurrenz vor, wie Euripides sie grundsätzlich nicht scheut (s. Einführung S. 19 und 30ff.): Pheres spricht als Vater, bei dessen Tod der Sohn den Besitz erbt, der Chor preist Admet als glückgesegneten König. 693 Über die Kürze des Lebens philosophiert etwas ausführlicher später Herakles gegenüber dem Diener (783–789). 694–696 Die restriktive Formulierung ist auch hier zu beachten. Pheres sagt nicht, Admet sei seinerzeit bei den Eltern und Alkestis vorstellig geworden, sondern spricht nur allgemein davon, daß Admet erreicht habe, nicht sterben zu müssen. Wenn Pheres aus dem Opfer der Alkestis eine Tötung durch Admet macht, läßt er beiseite, daß sie freiwillig gestorben ist. Ein nachdenklicher Zuschauer, dem das aufgefallen war, hätte sich daraufhin fragen können, ob diese im Stück vorausgesetzte Freiwilligkeit noch in die Zeit passe und Euripides sie womöglich kritisch sehe (vgl. Einführung S. 43f.). Mit seiner Medea von 431 brachte Euripides selbst eine Frau auf die Bühne, die freiwillig alles, was sie tun konnte, für ihren Mann getan hatte, und nun erkennt, daß das ein Fehler war.

150

Ch. Ad. Ph. Ad. Ph. Ad. Ph. Ad. Ph.

Χο. Αδ. Φε. Αδ. Φε. Αδ. Φε. Αδ. Φε.

Viertes Epeisodion 698–716

die für dich schönen jugendlichen Helden starb? Schlau fandest du einen Weg, niemals zu sterben, 700 wenn du deine jeweilige Frau überredest, an deiner Stelle zu sterben. Und da beschimpfst du Angehörige, die das nicht tun wollen, wo du doch selbst zu feige dazu bist? Rede nicht daher, sondern sei überzeugt, wenn du dein Leben liebst, daß das alle lieben. Und wenn du uns beschimpfst, dann wirst du manch unangenehme Wahrheit zu hören bekommen. 705 Zuviel schlimme Worte sind jetzt und vorhin schon gesagt worden. Höre auf, Alter, deinen Sohn zu schmähen. Rede, wie ich geredet habe. Doch wenn es dich schmerzt, die Wahrheit zu hören, hättest du dich nicht an mir vergehen sollen. 710 Für dich zu sterben wäre ein größeres Vergehen gewesen. Ist es dasselbe, wenn ein lebenskräftiger Mann oder wenn ein Greis stirbt? Wir sind für ei n Leben verantwortlich, nicht für zwei. Da mögest du länger leben als Zeus! Du fluchst den Eltern, obwohl dir kein Unrecht geschehen ist. 715 Ich bekam deine Liebe zu einem langen Leben zu spüren. Aber trägst du nicht diesen Leichnam an deiner Stelle hinaus?

ἣ τοῦ καλοῦ σοῦ προύθανεν νεανίου; σοφῶς δ’ ἐφηῦρες ὥστε μὴ θανεῖν ποτε, εἰ τὴν παροῦσαν κατθανεῖν πείσεις ἀεὶ γυναῖχ’ ὑπὲρ σοῦ· κἆιτ’ ὀνειδίζεις φίλοις τοῖς μὴ θέλουσι δρᾶν τάδ’, αὐτὸς ὢν κακός; σίγα· νόμιζε δ’, εἰ σὺ τὴν σαυτοῦ φιλεῖς ψυχήν, φιλεῖν ἅπαντας· εἰ δ’ ἡμᾶς κακῶς ἐρεῖς, ἀκούσηι πολλὰ κοὐ ψευδῆ κακά. πλείω λέλεκται νῦν τε καὶ τὸ πρὶν κακά· παῦσαι δέ, πρέσβυ, παῖδα σὸν κακορροθῶν. λέγ’, ὡς ἐμοῦ λέξαντος· εἰ δ’ ἀλγεῖς κλύων τἀληθές, οὐ χρῆν σ’ εἰς ἔμ’ ἐξαμαρτάνειν. σοῦ δ’ ἂν προθνήισκων μᾶλλον ἐξημάρτανον. ταὐτὸν γὰρ ἡβῶντ’ ἄνδρα καὶ πρέσβυν θανεῖν; ψυχῆι μιᾶι ζῆν, οὐ δυοῖν, ὀφείλομεν. καὶ μὴν Διός γε μείζονα ζώηις χρόνον. ἀρᾶι γονεῦσιν οὐδὲν ἔκδικον παθών. μακροῦ βίου γὰρ ἠισθόμην ἐρῶντά σε. ἀλλ’ οὐ σὺ νεκρὸν ἀντὶ σοῦ τόνδ’ ἐκφέρεις;

–––––––––––– 700 πείσεις ἀεὶ BOV: πείσειας ἂν LP 708 λέξαντος VLP: λέγοντος BO

700

705

710

715

706 τὸ Wakefield, Diggle, Parker: τὰ Hss., Garzya

Kommentar

151

699–701 Wieder vermeidet Euripides einen direkten Hinweis auf den Lebenstausch. Pheres deutet Alkestis’ freiwilligen Opfertod böswillig als Aktion Admets, die dieser in perpetuum wiederholen könnte. Witwer, die nach einer neuen Frau Ausschau halten, die bereit wäre, sich für ihren Mann ‚aufzuopfern‘, wird es auch in der antiken Realität gegeben haben. Als literarisches Motiv scheint das Phänomen jedoch nur an dieser Stelle aufzutreten. In seiner Medea jedenfalls läßt Euripides niemand Jason zutrauen, daß er sich nach dem Tod seiner Braut nach einer anderen guten Partie umsehen werde. 705 „Wahrheit“ (wörtlich „nicht falsches“). Admet stellt dem seine „Wahrheit“ (709) entgegen. Diese Relativierung der Wahrheit klingt fast wie eine Exemplifikation zu dem Buch von Euripides’ Altersgenossen, dem Sophisten Protagoras (ca. 485–410 v. Chr.), das den Titel Wahrheit trug und mit dem berühmten Satz „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“ begann (Platon, Theaitetos 161c). 713 Mit böser Ironie unterstellt Admet seinem Vater, sich die durch Zeus repräsentierte Unsterblichkeit zu wünschen. Er übertreibt damit die Lebensliebe seines Vaters; denn Pheres verlangt kein ewiges Leben, sondern vertritt nur die Meinung, der Mensch habe das Recht, möglichst alt zu werden und sein Leben bis zum natürlichen Ende auszukosten. Dies heute als ethischer Wert geltende Prinzip wird den damaligen Zuschauern mehr als fragwürdig geklungen haben, da Altersversorgung grundsätzlich eine Familienangelegenheit war, also von den eigenen Kindern direkt geleistet werden mußte, und es keine Gemeinschaftskassen gab, die den sog. Generationenvertrag zu einer anonymen Beziehung machen, vgl. zu 668. 714 Das am Ende des Verses allgemein übliche Fragezeichen würde dem Vorwurf etwas von seiner Schärfe nehmen, was nicht der Situation entspricht. Pheres fragt nicht rhetorisch, ob Admets unsachlicher Ausbruch („Da mögest du länger leben als Zeus!“) ein Fluch sein solle, sondern empfindet und kritisiert ihn als Fluch. 715 Wörtlich „Ich nahm … wahr“.

152 Ad. Ph. Ad. Ph. Ad. Ph. Ad. Ph. Ad. Ph. Ad. Ph. Ad. Ph.

Ad.

Αδ. Φε. Αδ. Φε. Αδ. Φε. Αδ. Φε. Αδ. Φε. Αδ. Φε. Αδ. Φε.

Αδ.

Viertes Epeisodion 717–735

Das beweist nur deine Feigheit, du Schwächling. Sie starb nicht meinetwegen, das kannst du nicht behaupten. 719 Ach wehe! Wenn du doch einst mich brauchtest! Du solltest viele Frauen heiraten, damit mehr für dich sterben können. Dir zur Schande; denn du wolltest nicht sterben. Ich liebe, ja, ich liebe das Licht der Sonne. Dein Wille (zu leben) ist schändlich und eines Mannes nicht würdig. Immerhin trägst du jetzt nicht vergnügt einen Greis zu Grabe. 725 Du stirbst in Schande, wenn du (eines Tages) stirbst. Daß man schlecht über mich redet, kümmert mich nicht, wenn ich tot bin. Wehe, wie schamlos kann das Alter sein! Die hier war nicht schamlos, in ihr hast du eine Dumme gefunden. Geh, und laß mich diesen Leichnam begraben! 730 Ich gehe, und du wirst sie als ihr Mörder begraben. Ihre Verwandten werden dich noch zur Rechenschaft ziehen. Akastos wäre kein Mann, wenn er nicht das Blut seiner Schwester an dir rächte. Schert euch fort, du und deine Lebensgefährtin! 735 Kinderlos altert trotz Kind, wie ihr es verdient habt!

σημεῖα τῆς σῆς γ’, ὦ κάκιστ’, ἀψυχίας. οὔτοι πρὸς ἡμῶν γ’ ὤλετ’· οὐκ ἐρεῖς τόδε. φεῦ· εἴθ’ ἀνδρὸς ἔλθοις τοῦδέ γ’ ἐς χρείαν ποτέ. μνήστευε πολλάς, ὡς θάνωσι πλείονες. σοὶ τοῦτ’ ὄνειδος· οὐ γὰρ ἤθελες θανεῖν. φίλον τὸ φέγγος τοῦτο τοῦ θεοῦ, φίλον. κακὸν τὸ λῆμα κοὐκ ἐν ἀνδράσιν τὸ σόν. οὐκ ἐγγελᾶις γέροντα βαστάζων νεκρόν. θανῆι γε μέντοι δυσκλεής, ὅταν θάνηις. κακῶς ἀκούειν οὐ μέλει θανόντι μοι. φεῦ φεῦ· τὸ γῆρας ὡς ἀναιδείας πλέων. ἥδ’ οὐκ ἀναιδής· τήνδ’ ἐφηῦρες ἄφρονα. ἄπελθε κἀμὲ τόνδ’ ἔα θάψαι νεκρόν. ἄπειμι· θάψεις δ’ αὐτὸς ὢν αὐτῆς φονεύς, δίκας δὲ δώσεις σοῖσι κηδεσταῖς ἔτι· ἦ τἄρ’ Ἄκαστος οὐκέτ’ ἔστ’ ἐν ἀνδράσιν, εἰ μή σ’ ἀδελφῆς αἷμα τιμωρήσεται. ἔρρων νυν αὐτὸς χἠ ξυνοικήσασά σοι, ἄπαιδε παιδὸς ὄντος, ὥσπερ ἄξιοι,

720

725

730

735

–––––––––––– 717 τῆς σῆς γ’, ὦ κάκιστ’ Herwerden, Diggle: τῆς σῆς ὦ κάκιστ’ BOV, Parker: σημεῖα γ’ ὦ κάκιστ’ ταῦτα LP 734 ἔρρων Scholion: ἔρροις BOV: ἔρρου L

Kommentar

153

720 Der Vorwurf klingt, als ob es in Athen stadtbekannte Fälle gab von mehrfach verwitweten Männer, die jedesmal auffallend schnell wieder geheiratet hatten. 724 „Immerhin trägst du …“, d. h. wie es der Fall wäre, wenn Pheres für Admet gestorben wäre. 726 Mit der Aussage, ihm sei gleichgültig, wie man nach seinem Tod über ihn rede, treibt Pheres den Individualismus auf die Spitze. Bleibenden „Ruhm“ zu erwerben ist in der heroischen Welt das eigentliche Lebensziel. Auch Alkestis, die selbst nicht des Ruhmes wegen für Admet stirbt, denkt bei Euripides grundsätzlich in dieser Kategorie, wenn sie den von Admets Eltern verpaßten „Ruhm“ (292) erwähnt. Für die athenischen Zuschauer muß Pheres’ Satz zynisch provozierend geklungen haben; denn sie waren dem Gedanken an bleibenden Ruhm keineswegs abhold und als Demokraten mußten sie es für selbstverständlich halten, daß der Einzelne auf die Meinung der Leute Rücksicht nimmt. Doch Euripides hätte eine solche Schamlosigkeit kaum auf der Bühne aussprechen lassen, wenn es nicht im athenischen Alltag entsprechende provozierende Äußerungen schon gegeben hätte. Das älteste Beispiel für eine verbale Tabuverletzung bietet Thersites in der Ilias, als er den Sinn des Krieges gegen Troja in Frage stellt (2,224–238), was ihm dann auch Prügel einträgt. Der Kriegsmann und Dichter Archilochos nannte gegen Ende des 7. Jahrhunderts den (als ehrenrührig geltenden) Verlust seines Schildes verschmerzbar, weil er sich einen neuen verschaffen könne (Fragment 5 West). 728 „Wehe“ (pheu pheu). Durch Verdoppelung verstärkter Ausruf der Überraschung und Empörung. 732 Wenn Alkestis’ Bruder den Tod seiner Schwester hätte rächen wollen, hätte das zu mythologischen Komplikationen führen können. Falls sie nämlich an der unabsichtlichen Tötung ihres Vaters durch ihre Schwestern beteiligt war, hätte sie sich durch ihren Tod zugleich Akastos’ Rache entzogen. Im Prinzip hätte dieser wie Orest, der seine Mutter als Mörderin seines Vaters zur Rechenschaft ziehen muß, vor dem Dilemma konträrer Pflichten gestanden, vgl. zu 535. 736 Die Eltern aus dem Hause zu weisen ist in einer Gesellschaft, in der die Eltern normalerweise bis zu ihrem Tod mit ihren Kindern unter einem Dach wohnen, ein geradezu unglaublicher Verstoß gegen den geltenden Sittenkodex. Wahrscheinlich hat Euripides, um sein Publikum nicht unnötig zu reizen, deswegen den Vater nicht aus dem Haus, sondern wie einen Besucher von der Seite her auftreten lassen (vgl. zu 611 und 738).

154

Viertes Epeisodion und Anapäste des Chores 735–746

Denn nie mehr sollt ihr mit mir dasselbe Haus betreten. Und wenn es möglich wäre, euch durch einen Herold von euerm väterlichen Herd zu verweisen, würde ich das tun. (Pheres und seine Begleiter gehen ab.) Wir aber – das Schwere, das jetzt ansteht, muß ich auf mich nehmen – wollen gehen, um den Leichnam auf den Scheiterhaufen zu legen. 740 Ch.

(Während des Liedes ziehen Admet und Chor als Trauerzug zur Seite ab.) Ach, du Überkühne, Edle und weitaus Beste, sei gegrüßt, freundlich mögen dich der unterirdische Hermes und Hades aufnehmen. Wenn dort die Guten bevorzugt werden, dann müßtest du unter diesen sein und neben der Braut des Hades (Persephone) sitzen.

γηράσκετ’· οὐ γὰρ τῶιδ’ ἔτ’ ἐς ταὐτὸν στέγος νεῖσθ’· εἰ δ’ ἀπειπεῖν χρῆν με κηρύκων ὕπο τὴν σὴν πατρώιαν ἑστίαν, ἀπεῖπον ἄν. ἡμεῖς δέ, τοὐν ποσὶν γὰρ οἰστέον κακόν. στείχωμεν, ὡς ἂν ἐν πυρᾶι θῶμεν νεκρόν. Χο.

ἰὼ ἰώ. σχετλία τόλμης, ὦ γενναία καὶ μέγ’ ἀρίστη, χαῖρε· πρόφρων σε χθόνιός θ’ Ἑρμῆς Ἅιδης τε δέχοιτ’. εἰ δέ τι κἀκεῖ πλέον ἔστ’ ἀγαθοῖς, τούτων μετέχουσ’ Ἅιδου νύμφηι παρεδρεύοις.

–––––––––––– 736 ταὐτὸν BV: ταὐτὸ LP προσεδρεύοις LP

742 καὶ μέγ’ ἀρίστη ὦ γενναία BO

745

740 Anapäste

745

746 παρεδρεύοις BOV:

Kommentar

155

737 In Athen konnte sich ein Vater von seinem Sohn lossagen und das durch einen Herold öffentlich bekanntgeben. Vgl. zu 668. 738 Pheres geht kommentarlos ab. Auch das spricht dafür, daß er von den Seite aufgetreten ist und mit seinen Begleitern die Bühne dort wieder verläßt. Wenn er aus dem Haus gekommen wäre und Admet ihn jetzt hinderte, ins Haus zurückzukehren, wäre das ein Eklat, der im Text hätte Spuren hinterlassen müssen, d. h. Pheres hätte das nicht stillschweigend hinnehmen können. Der anschließende Aufbruch Admets und des Leichenzuges erfolgt natürlich in die entgegengesetzte Richtung. 740 „Scheiterhaufen“, vgl. zu 463. 741–746 Anapäste (~ Viertes Stasimon). Der Chor schließt sich, wie Admet 609 angeordnet hatte, dem Leichenzug an und zieht mit ihm zur Seite hin ab. Das dürfte der äußere Grund sein, warum an dieser Stelle kein lyrisches Chorlied, d. h. kein eigentliches Stasimon, steht, sondern nur ein kurzes System von Marschanapästen im Sinne eines Geleitliedes. Der innere ist, daß Alkestis schon in dem Lied nach der Sterbeszene (zweites Stasimon) ausführlich gepriesen und beklagt worden war. Die Anapäste wiederholen das in geraffter Form. Das ungewöhnliche Abgehen des Chores, das auch in Euripides’ Helena (385) vorkommt, dient hier der effektvollen Ausgestaltung des Trauerzuges und hat nebenbei den Zweck, den Chor etwas nicht wissen zu lassen, was der Zuschauer erfahren soll, nämlich daß Herakles am Ende der folgenden Szene zu seiner Rettungstat aufbricht. Wenn der Chor Herakles’ Absicht kennte und gar ein ein hoffnungsvolles Lied anstimmte, würde das beim Zuschauer die Erwartung, Alkestis werde gerettet werden, verstärken, aber zugleich den Überraschungseffekt, den Euripides mit Alkestis’ Enthüllung auch beim Zuschauer erzielen will (vgl zu 1062f. und Einführung S. 46), verkleinern. 741 „du Überkühne“, wörtlich „du Schlimme hinsichtlich des Wagemutes“. Das ist keine Kritik, sondern der Chor drückt damit seine grenzenlose Bewunderung aus, d. h. er will sagen: “Niemand anders hätte das gewagt“. 743 Hermes als Seelengeleiter, vgl. zu 360f. 744f. In der Odyssee gibt es im Totenreich weder Lohn noch Strafe; die zu ewigen Qualen verurteilten Übeltäter Tityos, Sisyphos und Tantalos (11,576– 600) sind eine Ausnahme. Die Hoffnung, es werde im Jenseits den Guten besser ergehen als den Schlechten, war wahrscheinlich der wesentliche Inhalt der seit alters neben der öffentlichen Götterreligion gepflegten Mysterienkulte. Aus philosophischen Gründen beruft sich Sokrates bei Platon auf diese Erwartung (z. B. Phaidon 63c). Vgl. zu 363f. Daß Alkestis einen Ehrenplatz neben Persephone verdient habe, dürfte eine ad-hoc-Erfindung von Euripides sein; in der Odyssee erscheint Alkestis nicht einmal in der Liste der berühmten Frauen, die Odysseus im Totenreich zu sehen bekommt (11,225–327). „Braut“ (nýmphe). Persephone, Demeters Tochter, war als junges Mädchen (kóre) von Hades geraubt worden und wird daher öfter als jugendlich vorgestellt.

156

Fünftes Epeisodion 747–759

Diener (aus dem Haus kommend) Vielen aus den verschiedensten Weltgegenden, die als Gäste in Admets Haus gekommen sind, habe ich schon Essen aufgetragen, aber ich habe noch keinen schlimmeren Gast an unserm Herd empfangen. Schon daß er, obwohl er meinen Herrn in Trauer sah, sich nicht scheute, die Tür zu durchschreiten. Dann aber nahm er nicht bescheiden an, was man ihm gastlich bot, wo er doch das Unglück kannte, sondern forderte mehr, wenn wir nicht genug brachten. Den Efeubecher in den Händen trinkt er ungemischten dunklen Traubensaft, bis ihn das Feuer des Weines erwärmend umhüllte. Er bekränzt sich den Kopf mit Myrtenzweigen

Θεράπων πολλοὺς μὲν ἤδη κἀπὸ παντοίας χθονὸς ξένους μολόντας οἶδ’ ἐς Ἀδμήτου δόμους, οἷς δεῖπνα προύθηκ’· ἀλλὰ τοῦδ’ οὔπω ξένου κακίον’ ἐς τήνδ’ ἑστίαν ἐδεξάμην. ὃς πρῶτα μὲν πενθοῦντα δεσπότην ὁρῶν ἐσῆλθε κἀτόλμησ’ ἀμείψασθαι πύλας. ἔπειτα δ’ οὔτι σωφρόνως ἐδέξατο τὰ προστυχόντα ξένια, συμφορὰν μαθών, ἀλλ’, εἴ τι μὴ φέροιμεν, ὤτρυνεν φέρειν. ποτῆρα δ’ ἐν χείρεσσι κίσσινον λαβὼν πίνει μελαίνης μητρὸς εὔζωρον μέθυ, ἕως ἐθέρμην’ αὐτὸν ἀμφιβᾶσα φλὸξ οἴνου. στέφει δὲ κρᾶτα μυρσίνης κλάδοις, –––––––––––– 756 †ἐν χείρεσσι† Diggle

759 μυρσίνης Canter, Garzya, Diggle: μυρσίνοις Hss.

750

755

750

755

Kommentar

157

747–860 Fünftes Epeisodion. Ohne von der ernsten Handlung abzulenken, zeigt dies Epeisodion humoristische Züge. Ein Sklave, der sein Herz ausschüttet (wie der Wächter in Sophokles’ Antigone), wirkt auf der Bühne rührend und komisch zugleich, ebenso ein Herakles, der belehrende Reden führt. Euripides stellt der höheren, idealistischen Ebene der Sterbehandlung (Alkestis, Admet) eine niedere, in ihrem Naturalismus dem schlichten Alltag näherstehende (Diener, Gast) an die Seite. Der Diener ist der ‚kleine Mann‘, der unter dem Konflikt zwischen Pflicht und persönlichen Gefühlen leidet, Herakles ist der ‚Kraftmensch‘, der Probleme, die normalen Menschen Kummer und Sorgen bereiten, erst einmal für Lappalien hält und wenig Verständnis dafür zeigt, der aber, wenn er glaubt einem Freund helfen zu müssen, energisch zupackt. 747 Wie im ersten Epeisodion die Dienerin (157ff.) berichtet jetzt ein Diener über das Geschehen im Hause. Er ist herausgekommen, um sich über das Verhalten des Gastes zu beklagen. Da der Chor nicht anwesend ist, ist sein Monolog (wie 837–860 der des Herakles) formal ein Selbstgespräch, das jedoch wie an ein Gegenüber gerichtet klingt; in einer Komödie wäre es möglich, das Publikum direkt anzusprechen. Vgl. zu 837–860. 751f. Zum Kontrast zwischen Trauer und Gastfreundschaft vgl. zu 542. 754–760 Herakles zeigt vorübergehend Züge, die ihn in Komödien und Satyrspielen zur beliebten Figur als Fresser und Säufer gemacht haben. Hier bei Euripides ist er das jedoch nur im Bericht des Dieners; als er auf die Bühne kommt, wirkt er höchstens leicht angetrunken. Eine Trinkszene auf der Bühne gibt es in Euripides’ Satyrspiel Kyklops. 756 „Efeubecher“, entweder aus Efeuholz gefertigt (was wohl ‚rustikal‘ bedeutet, so bei dem Zyklopen Polyphem, Kyklops 390) oder ‚mit Efeublättern umkränzt‘ wie bei Symposien üblich (zu Ehren des Weingottes Dionysos, in dessen Mythos der Efeu eine Rolle spielt und der manchmal selbst „efeubekränzt“ genannt wird). Hier soll damit wahrscheinlich angedeutet werden, daß Herakles seine Mahlzeit in ein Festgelage ausarten läßt. „Händen“, eine epische (deswegen von Diggle angezweifelte) Form; Riemer (181f.) und Susanetti halten die Zweifel für unberechtigt und führen Gegengründe an. 757 „trinkt“. Der Diener verfällt in das vergegenwärtigende Präsens, was seiner Empörung zusätzlichen Ausdruck verleiht. „ungemischten“. Normalerweise wurde Wein mit mehreren Teilen Wasser versetzt. 759 Mancher Zuschauer wird sich vielleicht an ein Symposion in seiner Nachbarschaft, das ihn kürzlich um seine Nachtruhe gebracht hatte, erinnert haben. Der Athener in Platons Gesetzen (671a) meint, es gehe bei Symposien durch den steigenden Weinverbrauch „zwangsläufig“ zunehmend lebhafter zu; der Spartaner Megillos hatte vorher mitgeteilt, in Sparta seien Symposien eben deswegen verboten (637a). Über den Zusammenhang von Weintrinken und Sangeslust redet schon Odysseus in der Odyssee (14,464).

158

Fünftes Epeisodion 760–778

760 und grölt mißtönend herum. So bekam ich zwei Arten von Liedern zu hören: Er sang, unbekümmert durch das Leid Admets, wir Diener beweinten die Herrin. Wir zeigten jedoch dem Gast kein tränennasses Auge; denn Admet hatte es so angeordnet. 765 Und jetzt warte ich im Haus einem Gast auf, irgendeinem üblen Dieb und Straßenräuber, sie aber hat das Haus verlassen, und ich konnte ihr nicht das Geleit geben noch die Hand nach ihr ausstrecken und meine Herrin beklagen, die mir und allen Bediensteten 770 eine Mutter war. Unendlich oft hat sie uns vor Unheil bewahrt, indem sie den Zorn ihres Mannes besänftigt hat. Verabscheue ich den Gast nicht zu Recht, der bei diesem Unglück ins Haus kam?

He. (aus dem Haus kommend) Du da, was schaust du so ernst und sorgenvoll drein? Ein Diener sollte gegenüber Gästen nicht mürrisch sein, sondern ihnen freundlich und zuvorkommend begegnen. Du aber nimmst einen Freund deines Herrn, den du vor dir siehst, mit finsterer Miene und Stirnrunzeln auf, aus Rücksicht auf ein fremdes Leid.

Ηρ.

ἄμουσ’ ὑλακτῶν· δισσὰ δ’ ἦν μέλη κλύειν· ὁ μὲν γὰρ ἦιδε, τῶν ἐν Ἀδμήτου κακῶν οὐδὲν προτιμῶν, οἰκέται δ’ ἐκλαίομεν δέσποιναν, ὄμμα δ’ οὐκ ἐδείκνυμεν ξένωι τέγγοντες· Ἄδμητος γὰρ ὧδ’ ἐφίετο. καὶ νῦν ἐγὼ μὲν ἐν δόμοισιν ἑστιῶ ξένον, πανοῦργον κλῶπα καὶ ληιστήν τινα, ἡ δ’ ἐκ δόμων βέβηκεν, οὐδ’ ἐφεσπόμην οὐδ’ ἐξέτεινα χεῖρ’ ἀποιμώζων ἐμὴν δέσποιναν, ἣ ‘μοὶ πᾶσί τ’ οἰκέταισιν ἦν μήτηρ· κακῶν γὰρ μυρίων ἐρρύετο, ὀργὰς μαλάσσουσ’ ἀνδρός. ἆρα τὸν ξένον στυγῶ δικαίως, ἐν κακοῖς ἀφιγμένον; οὗτος, τί σεμνὸν καὶ πεφροντικὸς βλέπεις; οὐ χρὴ σκυθρωπὸν τοῖς ξένοις τὸν πρόσπολον εἶναι, δέχεσθαι δ’ εὐπροσηγόρωι φρενί. σὺ δ’ ἄνδρ’ ἑταῖρον δεσπότου παρόνθ’ ὁρῶν στυγνῶι προσώπωι καὶ συνωφρυωμένωι δέχηι, θυραίου πήματος σπουδὴν ἔχων.

–––––––––––– 769 ἣ ‘μοὶ Wakefield: ἥ μοι Hss.

775

760

765

770

775

Kommentar

159

760 Theoretisch könnten während der Pheres-Szene abwechselnd Klagerufe und Gegröle zu hören gewesen (für hinterszenische Geräuscherzeugung gab es Spezialisten, wie man aus Platon Staat 397a entnehmen kann). Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß Euripides so weit gegangen ist. Vgl. zu 754– 760. 766 Anscheinend eine übliche verächtliche Einstufung von unbekannten oder unerwünschten Besuchern (im Kyklops 223 redet Polyphem so über Odysseus und seine Gefährten). Sie bedeutet also nicht, daß der Diener nicht weiß, wem er da aufwarten muß. Herakles bezeichnet sich als „Gefährte (hetairos) deines Herrn“ (776), was nicht nur „Freund“, sondern auch „Bekannter“ heißen kann. 767 Ihr gutes Verhältnis zur Dienerschaft zeigte sich schon bei ihrem Abschied 193–195. 770f. Der Diener will Alkestis als „Mutter der Dienerschaft“ preisen und nicht Admet kritisieren. Strenge ist ein typisches Merkmal des Hausherrn; sie dient nur als Folie für Alkestis’ Sanftmut. Es ist daher nicht berechtigt, aus dieser Stelle Jähzorn als Charakterzug Admets herauslesen zu wollen. 773 Herakles kommt heraus, einen Kranz auf dem Kopf, vielleicht einen Becher in der Hand, und redet lautstark auf den Diener ein. Man darf an den Auftritt des Alkibiades in Platons Symposion (212d–e) denken, für den diese Szene möglicherweise als Vorbild gedient hat. 773–802 Auch Polyphem im Kyklops will belehren („der Reichtum ist ein Gott“ 316), preist aber vor allem sein eigenes animalisches Zyklopendasein. Herakles dagegen geht von der finsteren Miene (Maske!) des Dieners aus und tadelt sein Verhalten als pflichtwidrig (773–778) und grundsätzlich falsch (779–802). 773–778 Euripides zitiert sozusagen aus dem Alltagsleben; denn die meisten Zuschauer hatten sicher schon selbst einmal so geredet oder gedacht. Sklavenhändler werden das dem ‚Dienstpersonal‘, das sie zum Kauf anboten, als Grundregel eingeschärft haben.

160

Fünftes Epeisodion 779–793

Komm her, damit du was lernst! 780 Weißt du, wie es in der Welt der Sterblichen zugeht? Ich glaube, nicht. Woher auch? Also hör mir zu! Alle Menschen müssen sterben, und kein Sterblicher weiß, ob er morgen noch leben wird; denn welchen Weg das Schicksal nehmen wird, liegt im Dunkeln; 785 da gibt es kein lehrbares Wissen noch läßt er sich durch irgendeine Technik herausfinden. Nachdem du nun das von mir gehört und gelernt hast, sei heiter, trinke, betrachte das Leben des gegenwärtigen Tages als dein Eigentum, alles übrige als Sache des Schicksals! 790 [Und ehre auch Kypris, die angenehmste Gottheit für die Menschen; denn die Göttin will uns wohl.] Um alles andere kümmere dich nicht und glaube meinen Worten, wenn du einsiehst, daß ich rechthabe.

δεῦρ’ ἔλθ’, ὅπως ἂν καὶ σοφώτερος γένηι. τὰ θνητὰ πράγματ’ οἶδας ἣν ἔχει φύσιν; οἶμαι μὲν οὔ· πόθεν γάρ; ἀλλ’ ἄκουέ μου. βροτοῖς ἅπασι κατθανεῖν ὀφείλεται, κοὐκ ἔστι θνητῶν ὅστις ἐξεπίσταται τὴν αὔριον μέλλουσαν εἰ βιώσεται· τὸ τῆς τύχης γὰρ ἀφανὲς οἷ προβήσεται, κἄστ’ οὐ διδακτὸν οὐδ’ ἁλίσκεται τέχνηι. ταῦτ’ οὖν ἀκούσας καὶ μαθὼν ἐμοῦ πάρα εὔφραινε σαυτόν, πῖνε, τὸν καθ’ ἡμέραν βίον λογίζου σόν, τὰ δ’ ἄλλα τῆς τύχης. [τίμα δὲ καὶ τὴν πλεῖστον ἡδίστην θεῶν Κύπριν βροτοῖσιν· εὐμενὴς γὰρ ἡ θεός.] τὰ δ’ ἄλλ’ ἔασον πάντα καὶ πιθοῦ λόγοις ἐμοῖσιν, εἴπερ ὀρθά σοι δοκῶ λέγειν.

780

785

790

–––––––––––– 780 οἶδας BOVP, Garzya (diese jonische Form wird von Riemer 182 verteidigt): οἶσθ’ L: †οἶδας† Diggle,: ἥτιν’ οἶσθ’ Blaydes, Parker 790f. […] Seeck 792 πάντα Markland, Diggle, Parker: ταῦτα Hss., Garzya

Kommentar

161

779–781 Herakles will den Diener über „die Natur des menschlichen Daseins“ (780) belehren. Wahrscheinlich fühlte sich das Publikum an Sophisten erinnert, die in Athen öffentliche und private Vorträge zu den verschiedensten Themen anboten. Platon läßt in seinem Protagoras 314e–316a drei der berühmtesten, Protagoras, Hippias und Prodikos, gleichzeitig auftreten. 782–802 Komisch an der Rede ist, daß der Tatmensch Herakles sich unter der Wirkung des Weines intellektuell gibt und einen fürsorglich vertraulichen Ton anschlägt. Nicht komisch ist dagegen der Inhalt. Während Polyphem im Kyklops mit seiner Stärke prahlt, geht Herakles von der Schwäche des Menschen, seiner Sterblichkeit, aus. Was hier wie der sentimentale Einfall eines Betrunkenen aussieht, ist seit Homer ein Dauerthema griechischen Denkens. Die daraus gezogene Konsequenz, das Leben zu genießen und nicht an die Zukunft zu denken, ist fast ebenso alt, wie sich bei dem Lyriker Alkaios (um 600) zeigt (fr. 38 Voigt). Sokrates, der im Gegensatz dazu der Meinung war, der Mensch müsse über den Tag hinausdenken, setzt sich in Platons Dialogen öfter kritisch mit dieser Lebenshaltung auseinander. Wenn Euripides seinen Herakles sie so lauthals preisen läßt, dürften nur sehr naive Zuschauer das als positive Stellungnahme des Dichters verstanden haben. Sokrates jedenfalls, wenn er unter den Zuschauern war, wird in Euripides sofort einen Gesinnungsgenossen erkannt haben. 786 „lehrbares Wissen“. Gemeint ist wohl das rationale Wissen der beginnenden Naturforschung. Schon dem weisen Thales (6. Jh.) wurde nachgesagt, er habe auf Grund seiner astronomischen und sonstigen Kenntnisse von der Natur eine reiche Olivenernte voraussehen können (Diogenes Laertios 1,26). Über die mantische „Technik“ (z. B. Deutung von Vogelgeschrei) läßt Euripides in seiner Helena (744–757) einen einfachen Boten noch schärfer urteilen. Schon die Freier in der Odyssee kümmern sich nicht um die Warnungen eines Vogelschauers (2,201f.). Der kritische Dichterphilosoph Xenophanes (geb. um 570) soll, wie Cicero (De divinatione 1,3,5 = Diels/Kranz 21 A 52.) zu berichten weiß, gar nichts davon gehalten haben. Herakles macht dabei keinen Unterschied zwischen mythischen Sehern wie Kalchas in der Ilias, denen man zutraut, direkten Zugang zu göttlichem Wissen zu haben, und realen Wahrsagern, die durch irgendeine „Technik“ die Zukunft ergründen wollen. Daß Orakelsprüche wie die aus Delphi grundsätzlich etwas dunkel und mehrdeutig waren, beweist den nüchternen Verstand und die Vorsicht der zuständigen Priester. 790f. Die Erwähnung von Kypris/Aphrodite fällt aus dem Rahmen, weil es sonst in Herakles’ Rede allein ums Trinken geht und er den Diener in der gegenwärtigen Situation nur zum Mittrinken einladen kann (und natürlich keine weibliche Gesellschaft anzubieten hat). Daher handelt es sich wahrscheinlich um eine Interpolation, deren Urheber als Vorläufer Luthers gemeint hat, zu den Annehmlichkeiten des Lebens zählten „Wein, Weib und Gesang“. Der Superlativ „angenehmste“ gehört in den Umkreis der beliebten Frage: „Was ist das Beste?“ Sie ist so alt wie das Urteil des Paris, der sich bekanntlich gegen Hera (Macht) und Athene (Kriegsruhm) und für Aphrodite (Helena) entschied.

162

Die. He. Die. He. Die. He. Die.

Θε. Ηρ. Θε. Ηρ. Θε. Ηρ. Θε.

Fünftes Epeisodion 794–811

Ich denke, das wirst du. Willst du also nicht die übertriebene Trauer beiseite lassen, mit mir dich bekränzend trinken und diesen Todesfall vergessen? Und ich weiß genau, den düsteren und angestrengten Sinn wird dir der Rhythmus des Bechers, wenn er dich erst packt, lösen. Sterbliche sollen wie Sterbliche denken; denn das Leben der allzu Gestrengen mit ihren gerunzelten Stirnen ist nach meinem Urteil in Wahrheit kein Leben, sondern eine Katastrophe. Ich verstehe das, aber uns ist jetzt nicht nach Feiern und Lachen zumute. Die Verstorbene war doch keine Angehörige, traure also nicht zu sehr, wo doch die Herren des Hauses am Leben sind. Wieso am Leben? Du kennst das Unglück im Hause nicht. Wenn mich dein Herr nicht getäuscht hat. Er ist wirklich zu gastfreundlich. Hätte ich es mir wegen eines fremden Toten nicht wohlsein lassen sollen? Der war nun wahrhaftig nur allzu fremd.

οἶμαι μέν. οὔκουν τὴν ἄγαν λύπην ἀφεὶς πίηι μεθ’ ἡμῶν τάσδ’ ὑπερβαλὼν τύχας στεφάνοις πυκασθείς; καὶ σάφ’ οἶδ’ ὁθούνεκα τοῦ νῦν σκυθρωποῦ καὶ ξυνεστῶτος φρενῶν μεθορμιεῖ σε πίτυλος ἐμπεσὼν σκύφου. ὄντας δὲ θνητοὺς θνητὰ καὶ φρονεῖν χρεών· ὡς τοῖς γε σεμνοῖς καὶ συνωφρυωμένοις ἅπασίν ἐστιν, ὥς γ’ ἐμοὶ χρῆσθαι κριτῆι, οὐ βίος ἀληθῶς ὁ βίος ἀλλὰ συμφορά. ἐπιστάμεσθα ταῦτα· νῦν δὲ πράσσομεν οὐχ οἷα κώμου καὶ γέλωτος ἄξια. γυνὴ θυραῖος ἡ θανοῦσα· μὴ λίαν πένθει· δόμων γὰρ ζῶσι τῶνδε δεσπόται. τί ζῶσιν; οὐ κάτοισθα τἀν δόμοις κακά. εἰ μή τι σός με δεσπότης ἐψεύσατο. ἄγαν ἐκεῖνός ἐστ’ ἄγαν φιλόξενος. οὐ χρῆν μ’ ὀθνείου γ’ οὕνεκ’ εὖ πάσχειν νεκροῦ; ἦ κάρτα μέντοι καὶ λίαν θυραῖος ἦν.

–––––––––––– 795f. [τάσδ’ … πυκασθείς] Herwerden, Diggle, Parker 811 θυραῖος BO: οἰκεῖος VLP: ὀθνεῖος Dale

795

800

805

810

795

800

805

810

797 φρενῶν LP: κακοῦ BOV

Kommentar

163

794–796 Herakles fordert den Diener auf, zurück ins Haus zu kommen und mitzutrinken. Es ist zwar denkbar, daß Euripides Herakles mit seinem Trinkgefäß in der Hand hat auftreten lassen, aber von einer „Trinkszene“ (Wilamowitz, Griech. Trag. III, 95) zu sprechen, die auf der Bühne stattfinde, ist kaum berechtigt, vgl. zu 754–760. 795 „Todesfall“, wörtlich „Schicksal, Ereignis, Geschehen“ (tyche, im Text poetischer Plural). Die (wegen der Ähnlichkeit mit den Versen 829 und 832) von Diggle und Parker akzeptierte Streichung von „dich bekränzend und diesen Todesfall vergessen“ läßt unberücksichtigt, daß Herakles an der späteren Stelle, nachdem er die Wahrheit erfahren hat, seine eigenen Formulierungen zitiert. Vgl. zu 829–832. 798 „Rhythmus“, pitylos, eine regelmäßige Bewegung wie z. B. beim Rudern, hier also das unablässige Becherheben. Bei Homer ist Trunkenheit etwas Negatives. Achill beschimpft Agamemnon als „weinschwer“ (Ilias 1,225); bei Kirke stürzt einer von Odysseus’ Gefährten betrunken vom Dach des Hauses (Odyssee 10,552–560) und bricht sich den Hals. Als Seelentröster („der die Sorgen vergessen läßt“) ist der Wein wohl zuerst in der Lyrik literaturfähig geworden (Alkaios fr. 346 Voigt). In Euripides’ Bakchen (280–283) nennt der Seher Teiresias den Wein ein „Heilmittel“, das Sorgen und Mühen vergessen läßt. 799 Dieselbe Empfehlung gibt der Chor in den Bakchen (396). Sie findet sich schon etwa drei Generationen früher bei dem sizilischen Komiker Epicharm (Diels-Kranz 23, B20,19). Es dürfte sich dabei um eine alte Spruchweisheit handeln, wie sie den ‚Sieben Weisen‘ zugeschrieben wurde. 800 Auch der Vorwurf allzu großer Strenge und Ernsthaftigkeit beruht auf einer allgemeinen Lebensweisheit. Im Hippolytos (93) wird der sittenstolze Jüngling von einem alten Diener in diesem Sinne ermahnt. Herakles denkt wohl weniger an Menschen, die starren Prinzipien folgen, als an depressive Typen oder sog. ‚Sauertöpfe‘ oder ‚Miesepeter‘, die sich selbst das Leben schwermachen. 807 Das am Ende des Verses gewöhnlich gesetzte Fragezeichen kann nicht richtig sein. Der Diener ist, wie er selbst gesagt hatte (764), von Admet angewiesen worden, Herakles den wahren Grund für die Trauer im Hause nicht zu verraten; er kann daher nicht fragen, ob Herakles nicht Bescheid weiß, sondern trifft eine Feststellung. 808 Eine etwas elliptische Ausdrucksweise. Ein Gedanke wird zurückgewiesen, indem die Bedingung, unter der er zutreffen könnte, als undenkbar hingestellt wird. Herakles glaubt, der Diener meine den Tod der „fremden“ Frau und wisse nicht, daß Admet ihm davon erzählt hatte. Daher antwortet er: „(Nein, ich weiß Bescheid,) es sei denn, daß dein Herr (was ich mir nicht denken kann) mir etwas Falsches erzählt hat.“ 810 „nicht wohlsein lassen“, d. h. die angebotene Gastfreundschaft ablehnen. 811 Daß der Diener, wie Dale vorschlägt, dasselbe Wort (othneîos) wie Herakles benutzt, ist ein naheliegender, aber nicht zwingender Gedanke.

164

Fünftes Epeisodion 812–829

He. Die. He. Die. He. Die.

Hat er mir etwa ein schlimmes Ereignis verschwiegen? Laß es gutsein. Das Unglück der Herrschaft geht nur uns an. So beginnt keine Rede über fremdes Leid. 815 Ich wäre sonst nicht, als ich dich feiern sah, verärgert gewesen. Da hat mir mein Gastgeber offenbar einen schlimmen Streich gespielt. Du kamst zur Unzeit, um dich im Haus aufzunehmen; denn er ist in Trauer, du siehst geschorenes Haar und dunkle Kleidung. Wer ist der Tote? 820 [Ist etwa ein Kind dahingegangen oder sein alter Vater?] Die Frau Admets ist gestorben, Gastfreund! Was sagst du da? Und da habt ihr mich als Gast aufgenommen? Er scheute sich, dich vom Hause zu weisen. O Unglücklicher, welche Gattin hast du verloren! 825 Wir alle sind gestorben, nicht nur sie allein. Hatte ich es doch geahnt, als ich seine Tränen, sein geschorenes Haar und seine Miene sah. Aber er überredete mich und behauptete, er trage nur eine Tote aus anderer Familie zu Grabe. Gegen mein Gefühl setzte ich mich über den Todesfall hinweg

He. Die. He. Die. He. Die. He.

Hρ. Θε. Ηρ. Θε. Ηρ. Θε. Ηρ. Θε. Ηρ. Θε. Ηρ. Θε. Ηρ.

μῶν ξυμφοράν τιν’ οὖσαν οὐκ ἔφραζέ μοι; χαίρων ἴθ’· ἡμῖν δεσποτῶν μέλει κακά. ὅδ’ οὐ θυραίων πημάτων ἄρχει λόγος. οὐ γάρ τι κωμάζοντ’ ἂν ἠχθόμην σ’ ὁρῶν. ἀλλ’ ἦ πέπονθα δείν’ ὑπὸ ξένων ἐμῶν; οὐκ ἦλθες ἐν δέοντι δέξασθαι δόμοις. πένθος γὰρ ἡμῖν ἐστι· καὶ κουρὰν βλέπεις μελαμπέπλους στολμούς τε. τίς δ’ ὁ κατθανών; [μῶν ἢ τέκνων τι φροῦδον ἢ γέρων πατήρ;] γυνὴ μὲν οὖν ὄλωλεν Ἀδμήτου, ξένε. τί φήις; ἔπειτα δῆτά μ’ ἐξενίζετε; ἠιδεῖτο γάρ σε τῶνδ’ ἀπώσασθαι δόμων. ὦ σχέτλι’, οἵας ἤμπλακες ξυναόρου. ἀπωλόμεσθα πάντες, οὐ κείνη μόνη. ἀλλ’ ἠισθόμην μὲν ὄμμ’ ἰδὼν δακρυρροοῦν κουράν τε καὶ πρόσωπον· ἀλλ’ ἔπειθέ με λέγων θυραῖον κῆδος ἐς τάφον φέρειν. βίαι δὲ θυμοῦ τάσδ’ ὑπερβαλὼν τύχας

815

820

825

–––––––––––– 815 BOV: σε κωμάζοντ’ ἂν ἠχθόμην ὁρῶν LP 818f. […] Kvičala, Garzya, Diggle, Kovacs, Parker 820 […] Seeck: τι φροῦδον ἢ BO, Murray, Garzya, Diggle: τις φροῦδος ἢ L, Méridier: τι φροῦδον γένος ἢ V: τις ἢ φροῦδος ἢ P 829 τύχας LP: τύχας πύλας B

Kommentar

165

813 „Laß es gutsein“, wörtlich „dich freuend gehe“, also eine Aufforderung zu gehen verbunden mit der üblichen Abschiedsformel, vgl. zu 436. 816 „Gastfreund“ (poetischer Plural) ist sowohl der Gast als auch der Gastgeber. Vgl. zu 559f. 818f. Die Unterbrechung der Stichomythie, die ungewöhnliche Stellung von te („und“) und der Hinweis eines Scholiasten zu 820, daß „diese drei“ Verse in manchen Handschriften nicht enthalten seien, haben ganz zu Unrecht zur Streichung von 818f. geführt (Riemer plädiert für die Streichung von 818– 820 und die Annahme einer Lücke 820a). Eine Differenz zwischen Handschriften, wie der Scholiast sie konstatiert, muß nicht auf eine Interpolation zurückgehen, sondern kann ebensogut durch eine versehentliche oder bewußte (um die Stichomythie herzustellen) Auslassung entstanden sein, was hier anzunehmen ist. Der Diener setzt zu einer längeren ausweichenden Rede an, bis Herakles ihm mitten im Vers (und mitten im Satz?) mit seiner Frage ins Wort fällt. Die Streichung von 818f. ist inhaltlich keinesfalls akzeptabel, weil dann Herakles’ entscheidende Frage fehlen würde. 820 Der Vers ist zu streichen. Der Interpolator hat Übereinstimmung mit 514–516 herstellen wollen. Doch der dort sinnvolle Umweg über Kinder und Eltern ist hier deplaziert, da Herakles (der seit 521 und 531 weiß, daß Alkestis vom Tode bedroht ist und daß eine „Frau“ gestorben ist) 819 den Diener unterbricht, nicht um erneut Vermutungen anzustellen, sondern weil er endlich eine klare Antwort will. 824 Herakles bedauert Admet wegen seines Verlustes, nicht Alkestis wegen ihres Todes. Er will sie auch nicht um ihrer selbst willen retten, sondern weil sie die Frau seines Freundes ist (842 und 854). Für psychologische oder sozialgeschichtliche Ausdeutungen bietet das keinen Ansatzpunkt; es handelt sich um eine dramaturgisch begründete Motiveingrenzung, vgl. zu 220–225 und 1143. 828 Herakles hat gegen seinen thymós (sein Gefühl oder seine innere Stimme) das Haus betreten. In seiner Medea läßt Euripides Medea mit ihrem thymós sprechen (1056). In Platons Staat ist „das Thymosartige“ bekanntlich der mittlere Seelenteil zwischen Verstand und Triebleben (439e). 829–832 Beschämt und zugleich vorwurfsvoll zitiert Herakles eigene Formulierungen, mit denen er den Diener zum Mittrinken aufgefordert hatte, vgl. zu 795f. Herakles sieht seinen Fehler darin, daß er den „Todesfall“ nicht richtig gedeutet und sich darüber „hinweggesetzt“ hatte. Der Vorschlag eines Abschreibers der Handschrift B, in 829 statt týche (Schicksal, Geschehen, Ereignis, hier „Todesfall“, vgl. 795) pýle (Tür) zu lesen, macht daraus den Fehler, die Tür durchschritten zu haben, ersetzt also die eigentliche Ursache durch eine äußerliche Folge. Warum diese trivialisierende Lesart von modernen Herausgebern und Kommentatoren – anscheinend einhellig – akzeptiert worden ist und wie der Zitatcharakter verkannt werden konnte, ist nicht recht einzusehen.

166

Die.

He.

Θε. Ηρ.

Fünftes Epeisodion 830–838

und trank im Haus des gastfreundlichen Mannes, der sich in dieser Lage befand. Und da feiere ich, das Haupt bekränzt! Aber daß du mir nichts gesagt hast, wo doch ein so großes Unglück das Haus getroffen hat! Wo begräbt er sie? Wo gehend kann ich sie finden? Direkt am Wege nach Larisa wirst du das Grabmal sehen, wenn du aus der Vorstadt kommst. (Der Diener geht ins Haus.)

830

835

O Herz und Hand, die du schon viel gewagt hast, nun zeige, was für ein Kind Alkmene

ἔπινον ἀνδρὸς ἐν φιλοξένου δόμοις, πράσσοντος οὕτω. κἆιτα κωμάζω κάρα στεφάνοις πυκασθείς; ἀλλὰ σοῦ τὸ μὴ φράσαι, κακοῦ τοσούτου δώμασιν προσκειμένου. ποῦ καί σφε θάπτει; ποῦ νιν εὑρήσω μολών; ὀρθὴν παρ’ οἶμον ἣ ‘πὶ Λαρίσαν φέρει τύμβον κατόψηι ξεστὸν ἐκ προαστίου. ὦ πολλὰ τλᾶσα καρδία καὶ χεὶρ ἐμή, νῦν δεῖξον οἷον παῖδά σ’ ἡ Τιρυνθία

–––––––––––– 831 κἆτ’ ἐκωμάζον L

834 ποῖ νιν Monk, Diggle, Parker

837 καὶ χεὶρ VLP: ψυχή τ’ BO

830

835

Kommentar

167

830 „trank“, im prägnanten Sinn, d. h. Herakles zechte wie bei einem Symposion. 831 „feiere ich“, ein besonders lebhaft vergegenwärtigendes Präsens. 834 Wörtlich „Wo kann ich sie finden, wenn ich gehe“. Da das Pronomen „sie“ (nin) mehrdeutig ist, könnte statt „sie“ (Alkestis) auch „ihn“ oder „sie beide“ gemeint sein. 835f. In Athen wie im historischen Pherai wurden Tote außerhalb der Stadtmauer neben einer Ausfallstraße begraben. Im Unterschied zu Pherai und Iolkos spielt Laris(s)a im Mythos so gut wie keine Rolle. Euripides und sein Publikum orientierten sich an den geographischen Verhältnissen ihrer Zeit. Möglicherweise existierte bei Pherai ein Grabmal, von dem behauptet wurde, es sei das seinerzeit für Alkestis errichtete. Daß der Diener bereits von einem Grabmal weiß, während Admet gerade erst zur Bestattung aufgebrochen ist, dürfte die Zuschauer daher kaum gestört haben. Der Diener, der glauben muß, Herakles wolle dem Trauerzug nacheilen, um bei der Bestattung dabeizusein, geht ins Haus zurück. Daß der Diener die Bühne verläßt (zur Diskussion darüber vgl. Parker), ist dramaturgisch von Bedeutung; denn nur so ergibt sich der Effekt, daß niemand im Stück von Herakles’ Entschluß erfährt, während der Zuschauer Bescheid weiß. Vgl. zu 741–746. 836 „Grabmal“, wörtlich „geschliffenes (behauenes) Grab“. Damit kann wie bei Homer (Ilias 11,371; 16,457) ein Grabhügel mit einer einfachen Stele gemeint sein, aber auch eine aufwendigere Grabstätte. Im zeitgenössischen Athen wetteiferten reiche Familien zunehmend, sich dabei zu übertreffen, so daß es im Jahr 317 zu einer einschränkenden gesetzlichen Regelung kam. 837–860 Herakles ist allein auf der Bühne, die Orchestra ist leer. Eigentlich beginnt sein Monolog schon 826 mit dem Selbstvorwurf, trotz aller Anzeichen die wahre Lage nicht erkannt zu haben. Anders als der Diener am Anfang der Szene, der seine Gedanken in einem Monolog ohne Adressaten aussprach, redet Herakles wirklich mit sich selbst. 837–839 Durch „Herz“ (Mut) und „Hand“ (Kraft) hat Herakles schon viele Taten vollbracht. Er hat sie nicht gesucht (etwa um Ruhm zu erwerben), sondern hat sie „auf sich genommen“ (als vom „Schicksal“, wie es 499 heißt, auferlegt). Das ist der Herakles, der in der Erzählung ‚Herakles am Scheidewege‘ (Xenophon, Erinnerungen an Sokrates 2,1,21–33) den mühevollen Pfad der Tugend wählt, und der standhafte „Dulder“ (vgl. Euripides Herakles 1250), als der er sich die Sympathien von Philosophen (etwa in Senecas Hercules auf dem Öta) und sogar von manchen Kirchenvätern (Reallexikon für Antike und Christentum (RAC) s.v. Herakles) erworben hat. Herakles fordert sich zu einer Tat auf, die schwieriger ist als die bisherigen. Da er sich dabei ausdrücklich auf Zeus als seinen Vater beruft, wird er für den Zuschauer, dem er vorher nur als Mensch erschienen war, zum Heros, dem man eine übermenschliche Tat zutrauen darf, vgl. zu 505.

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Fünftes Epeisodion 841–849

aus Tiryns, Elektryons Tochter, dem Zeus geboren hat. Denn ich muß die eben verstorbene Frau retten und Alkestis wieder in dies Haus einsetzen und Admet meinen Dank abstatten. Ich werde gehen und dem schwarzgewandeten Herrn der Gestorbenen, dem Tod, auflauern und ich werde ihn, denke ich, finden, wie er beim Grab vom Blut der Schlachtopfer trinkt. Und wenn ich mich aus dem Hinterhalt auf ihn stürze, ihn packe und meine Arme um ihn schlinge, wird ihn niemand befreien, während er nach Atem ringt, bis er mir die Frau überläßt.

ἐγείνατ’ Ἠλεκτρύωνος Ἀλκμήνη Διί. δεῖ γάρ με σῶσαι τὴν θανοῦσαν ἀρτίως γυναῖκα κἀς τόνδ’ αὖθις ἱδρῦσαι δόμον Ἄλκηστιν Ἀδμήτωι θ’ ὑπουργῆσαι χάριν. ἐλθὼν δ’ ἄνακτα τὸν μελάμπεπλον νεκρῶν θάνατον φυλάξω, καί νιν εὑρήσειν δοκῶ πίνοντα τύμβου πλησίον προσφαγμάτων. κἄνπερ λοχαίας αὐτὸν ἐξ ἕδρας συθεὶς μάρψω, κύκλον δὲ περιβαλὼν χεροῖν ἐμαῖν, οὐκ ἔστιν ὅστις αὐτὸν ἐξαιρήσεται μογοῦντα πλευρά, πρὶν γυναῖκ’ ἐμοὶ μεθῆι.

840

845

840

845

–––––––––––– 843 μελάμπεπλον Hss., Garzya, Kovacs: μελάμπτερον Musgrave, Diggle, Parker 846 λοχαίας Murray, Garzya, Diggle, Parker: λοχήσας Hss. 847 περιβαλὼν BOV: περιβαλῶ LP

Kommentar

169

839 Alkmenes Vater Elektryon, Sohn des Perseus, war König von Tiryns und Mykene wie eine Generation später Eurystheus, in dessen Auftrag Herakles unterwegs zu Diomedes ist. 840–854 Der Zuschauer erinnert sich an Apollons Prophezeiung und kann nach der Enttäuschung im dritten Epeisodion (als dem angekündigten Retter Alkestis’ Tod verschwiegen wurde) nun wieder aufatmen. Zur Motivkonkurrenz zwischen Alkestis’ Rettung und dem Heraufholen des Kerberos vgl. zu 501–504. 841f. Herakles will Alkestis nicht um ihretwillen retten, sondern um Admet als Dank für die trotz seiner Trauer erwiesene Gastfreundschaft einen „Gefallen“ (charis) zu erweisen, vgl. zu 824 und besonders zu 220–225. 843 Während im Prolog die Vorstellung zugrunde lag, der Tod hole seine Opfer zum Zeitpunkt ihres Sterbens, nimmt Herakles an, er werde erst am Grab erscheinen, um Alkestis zu holen. Euripides legte offensichtlich keinen Wert darauf, die beiden Vorstellungen irgendwie zur Deckung zu bringen. 843–849 Bemerkenswert ist, daß Herakles den Ringkampf mit dem Tod in seiner Wunschvorstellung ausführlicher ausmalt als nach der Tat, wo er nur sehr knapp in zwei Versen darauf eingeht. Vgl. zu 1140. Da Herakles nicht für sich selbst kämpft, hat dies Ringen nichts mit unserer Redensart, ein Sterbender „ringe mit dem Tode“ zu tun, es könnte jedoch der Ursprung der neuzeitlichen Allegorie sein, in der Medizin und Tod miteinander ringen (vgl. L. Röhrich, Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten s. v. Tod). 844 Es ist problematisch, thanatos (Tod) hier und 871, wie es gewöhnlich geschieht, durch Großschreibung als Namen zu kennzeichnen, um damit die Figur aus dem Prolog ins Spiel zu bringen. Vgl. zu 28–76 und zu 1141. Euripides selbst konnte übrigens, was nicht übersehen werden sollte, diesen Unterschied nicht machen, da es zu seiner Zeit noch keine Minuskel gab. Für ihn war daher der Wechsel zwischen Begriff und Personifikation des Begriffs orthographisch problemlos. 845 Zur Schlachtung von Tieren am Grab wäre die Bestattung des Patroklos bei Homer, Ilias 23,165ff., zu vergleichen. Die Vorstellung, daß der Tod das Blut der Opfertiere trinkt, stammt ursprünglich wohl vom Versickern des Blutes im Boden, das oft als Trinken bezeichnet wird (z. B. Aischylos, Sieben gegen Theben 821, Choephoren 66). In Euripides’ Hekabe (536) wird der tote Achill aufgefordert, heraufzukommen und das Blut der an seinem Grab geopferten Polyxena zu trinken. Das Bluttrinken der Toten bei Odysseus’ Besuch in der Unterwelt (Odyssee 11,96ff.), das öfter (etwa von Dale) zum Vergleich herangezogen wird, bedeutet etwas anderes, nämlich ein vorübergehendes Erwachen zum Leben, damit Odysseus die Toten befragen kann. 849 „nach Atem ringt“, wörtlich „ sich hinsichtlich der Rippen abmüht“.

170

Fünftes Epeisodion 850–860

850 Wenn aber diese Jagd nicht glückt und er nicht zum Blutopfer kommt, werde ich zum sonnenlosen Haus Persephones und des Herrschers unten gehen und werde Alkestis verlangen und heraufführen, bin ich überzeugt, um sie meinem Gastgeber einzuhändigen, 855 der mich in sein Haus aufnahm und nicht abwies, obwohl von einem schweren Schicksalsschlag getroffen. Vornehm verbarg er ihn, aus Achtung vor mir. Welcher Thessaler ist gastfreundlicher als er? Wer in ganz Griechenland? Er soll nicht sagen können, 860 er habe einem Unwürdigen wohlgetan, der edle Mann.

ἢν δ’ οὖν ἁμάρτω τῆσδ’ ἄγρας καὶ μὴ μόληι πρὸς αἱματηρὸν πελανόν, εἶμι τῶν κάτω Κόρης ἄνακτός τ’ εἰς ἀνηλίους δόμους, αἰτήσομαί τε καὶ πέποιθ’ ἄξειν ἄνω Ἄλκηστιν, ὥστε χερσὶν ἐνθεῖναι ξένου, ὅς μ’ ἐς δόμους ἐδέξατ’ οὐδ’ ἀπήλασεν, καίπερ βαρείαι συμφορᾶι πεπληγμένος, ἔκρυπτε δ’ ὢν γενναῖος, αἰδεσθεὶς ἐμέ. τίς τοῦδε μᾶλλον Θεσσαλῶν φιλόξενος, τίς Ἑλλάδ’ οἰκῶν; τοιγὰρ οὐκ ἐρεῖ κακὸν εὐεργετῆσαι φῶτα γενναῖος γεγώς.

850

855

860

Kommentar

171

850–854 Wenn der „Herr der Gestorbenen“ (843) sich nicht am Grab zeigt, will Herakles zum „Herrscher unten“ (852) hinabsteigen. Euripides läßt seinen Herakles von der Vorstellung, der Tod hole die Menschen, überwechseln zu einer weiteren, nach der der Tod sie in der Unterwelt erwartet. Für diesen Fall denkt Euripides nicht an einen Ringkampf, sondern an „forderndes Bitten“ (853). Die Moiren, die bei Admet über Leben oder Tod zu entscheiden hatten (12), bleiben hier ganz außer Betracht. Vgl. zu 47. 851 Die Grundbedeutung von pélanos (oder pelanós) ist „Dickflüssiges“ (wie Öl, Blut, Honig, Brei, Gallert u. ä., auch in erstarrtem Zustand). In Euripides’ Orestes bittet der Kranke, ihm den „schaumigen pélanos“ von Mund und Augen zu wischen (220). Beim Opfer ist entweder eine spezielle Spende (mit Gerste vermischter Wein oder Fladen getrockneten Blutes oder mit Blut angerührter Brei oder daraus gebackene Brote) gemeint oder, wie wohl an der vorliegenden Stelle, ganz allgemein „Opfer“ oder „Opfervorgang“, die Schlachtung von Tieren eingeschlossen. Daher die unterschiedlichen Übersetzungen „Opfermahl“ (Donner), „Tränke“ (Wilamowitz), „offrande“ (Méridier), „clotted blood“ (Conacher), „libagioni di sangue“ (Susanetti), „offering of blood“ (Thorburn). Vgl. Fraenkels Kommentar zu Aischylos Agamemnon 96. 853 Während Herakles nur hoffen kann, er werde Erfolg haben, darf der Zuschauer (im Vertrauen auf Apollons Ankündigung im Prolog) annehmen, daß sein Vorhaben gelingt. 855–860 Zur dramaturgischen Funktion der hier von Herakles so betonten Gastfreundschaft Admets s. Einführung S. 37f. Daß es vielleicht ein größerer Beweis von Freundschaft seitens Admets gewesen wäre, den Freund zu informieren und an der Trauer teilnehmen zu lassen, ist ein Gedanke, der an dieser Stelle fernzuhalten ist, den jedoch Euripides später (1008–1017) selbst ins Spiel bringt, als Herakles den Freund tadelt, weil er ihm den Tod seiner Frau verschwiegen hatte. Vgl. zu 1008–1118. 857 „Achtung“, vgl. zu 600f.

172

Amoibaion Admet–Chor 861–874

Ad. (kommt mit dem Chor von der Seite.) Ach, verhaßter Eingang, verhaßter Anblick des leeren Hauses! Ach, weh mir! Wohin soll ich gehen? Wo stehen? Was sagen? Was nicht? Könnte ich doch sterben! Zu einem schweren Schicksal gebar mich die Mutter. Ich beneide die Toten, ich sehne mich nach ihnen, dort möchte ich wohnen. Denn es freut mich nicht, das Tageslicht zu schauen und auf Erden zu wandeln. Solch eine Geisel hat mir der Tod entrissen und dem Hades übergeben. Ch. Ad. Ch. Ad. Ch.

Geh weiter, geh weiter, geh in die Zuflucht des Hauses. Wehe! Du hast Grund zu klagen. Wehe! Du erlittest Schmerzen, ich weiß.

Αδ.

ἰώ, στυγναὶ πρόσοδοι, στυγναὶ δ’ ὄψεις χήρων μελάθρων. ἰώ μοί μοι, αἰαῖ . ποῖ βῶ; ποῖ στῶ; τί λέγω; τί δὲ μή; πῶς ἂν ὀλοίμην; ἦ βαρυδαίμονα μήτηρ μ’ ἔτεκεν. ζηλῶ φθιμένους, κείνων ἔραμαι, κεῖν’ ἐπιθυμῶ δώματα ναίειν. οὔτε γὰρ αὐγὰς χαίρω προσορῶν οὔτ’ ἐπὶ γαίας πόδα πεζεύων· τοῖον ὅμηρόν μ’ ἀποσυλήσας Ἅιδηι θάνατος παρέδωκεν.

Χο. Αδ. Χο. Αδ. Χο.

870

Anapäste

865

870

πρόβα πρόβα, βᾶθι κεῦθος οἴκων. αἰαῖ. πέπονθας ἄξι’ αἰαγμάτων. ἒ ἔ. δι’ ὀδύνας ἔβας, σάφ’ οἶδα.

–––––––––––– 868 χαίρω προσορῶν VLP: χαίρων προσορῶ BO Diggle, Kovacs

865

Strophe 1

871 θάνατος Parker: Θάνατος Garzya,

Kommentar

173

861–961 (Fünftes Stasimon und) Sechstes Epeisodion. Admet und der Chor kommen von der Bestattung zurück. Wenn der Chor während der vorhergehenden Szene anwesend gewesen wäre und miterlebt hätte, daß Herakles zur Rettung der Alkestis aufgebrochen ist, würde man an dieser Stelle ein reguläres Chorlied (Stasimon) erwarten, in dem er den Wunsch und die Hoffnung äußert, Herakles möge Erfolg haben. Euripides hat dies virtuelle Lied sozusagen umfunktioniert und als lyrischen Trostversuch in Admets Auftritt eingefügt. Das wieder hat zur Folge, daß Admet seine Klage nicht als Monodie, also in lyrischen Versen, vorbringt, sondern in Anapästen. Das Epeisodion beginnt mit einem Wechsel (sog. Amoibaion, vgl. Einführung S. 48) von Anapästen und lyrischen Versen. Auf die gemeinsame Klage (sog. Kommós) folgt dann 935 Admets Monolog in Sprechversen. Stillschweigend wird vorausgesetzt, daß Herakles und Admet sich weder unterwegs noch am Grab begegnet sind und Admet trotzdem weiß, daß Herakles das Haus inzwischen verlassen hat. 861–925 Admet beklagt die Leere des Hauses; der Chor versucht ihn zu trösten. Man könnte von einer Fortsetzung der Sterbeszene mit den typischen Klage- und Trostmotiven sprechen. Auch an dieser Stelle fehlt jeder Hinweis auf den Lebenstausch; es wäre daher eine unzulässige Motivvermischung und kaum im Sinne des Euripides, so etwas wie Reue Admets daraus abzulesen. Das gleiche gilt für seinen Wunsch zu sterben (864), den manche Interpreten, an den Lebenstausch denkend, als geheuchelt und daher als schamlos oder zynisch empfunden haben. Admet klagt, doch seine Verse sind nicht lyrische sog. Klageanapäste, sondern normale Marsch- oder Rezitationsanapäste (vgl. Anhang S. 218). Damit bewegt er sich auf einer Zwischenebene zwischen den lyrischen Versen des Chores und seinen eigenen späteren Sprechversen (935ff.). Man darf annehmen, daß die Anapäste hier in halblyrischem Ton, manche Interpreten meinen „gesungen“, vorgetragen wurden. 870 „Geisel“. Admet will mit der Metapher nicht sagen, daß der Tod, wie ein Scholiast meint, Alkestis als Geisel im Sinne eines Ersatzes für ihn genommen habe oder gar als Druckmittel, um ihn zu zwingen, ihr zu folgen (zur Diskussion der Kommentatoren vgl. Parker), sondern daß sie ihm entrissen worden ist wie eine Geisel, die in der Fremde festgehalten wird. Admet beklagt also die schmerzliche Trennung von Alkestis. 871 Alkestis ist durch ihren Tod (thanatos) in das Totenreich (Hades) versetzt worden, ähnlich wie am Anfang der Ilias „der Zorn Achills viele Seelen dem Hades sendet“, ohne daß deswegen der Zorn als Person aufgefaßt würde. Vgl. zu 844. 872 „Zuflucht (keûthos) des Hauses“ ist nicht nur eine lyrische Paraphrase von „Haus“ (so Dale), sondern meint das Haus als bergenden Ort, wohin sich Admet in seiner Trauer zurückziehen kann. Daß das Haus für Admet, wie Parker meint, „a place of chthonic darkness, a kind of grave“ geworden ist, hat eine gewisse Stütze in der Bedeutung von keûthos als „Höhle“ (auch für die Unterwelt), doch der Chor geht zwar auf Admets Trauer ein, schränkt aber

174

Amoibaion Admet–Chor 875–888

Ad. Ch. Ad. Ch.

Wehe, wehe! Der unten hilfst du nicht. Ach, weh mir! Das Gesicht der geliebten Gattin nicht mehr zu sehen ist schmerzlich.

Ad.

Du erinnerst mich an das, was mich quält. Was gibt es Schlimmeres für einen Mann, als die treue Gattin zu verlieren? Hätte ich doch niemals geheiratet und mit ihr hier im Hause gewohnt! Ich beneide die Unverheirateten und Kinderlosen. Sie haben nur ihr eigenes Leben, und ihre Sorgen und Leiden sind daher begrenzt. Erkrankungen der Kinder und das Ehebett durch den Tod geplündert, das anzusehen ist schwer als erträglich, wo man doch lebenslang kinderlos und unverheiratet sein könnte.

Αδ. Χο. Χο. Αδ.

φεῦ φεῦ. τὰν νέρθε δ’ οὐδὲν ὠφελεῖς. ἰώ μοί μοι. τὸ μήποτ’ εἰσιδεῖν φιλίας ἀλόχου πρόσωπόν σ’ ἔσαντα λυπρόν. ἔμνησας ὅ μου φρένας ἥλκωσεν· τί γὰρ ἀνδρὶ κακὸν μεῖζον ἁμαρτεῖν πιστῆς ἀλόχου; μήποτε γήμας ὤφελον οἰκεῖν μετὰ τῆσδε δόμους. ζηλῶ δ’ ἀγάμους ἀτέκνους τε βροτῶν· μία γὰρ ψυχή, τῆς ὑπεραλγεῖν μέτριον ἄχθος. παίδων δὲ νόσους καὶ νυμφιδίους εὐνὰς θανάτοις κεραϊζομένας οὐ τλητὸν ὁρᾶν, ἐξὸν ἀτέκνους ἀγάμους τ’ εἶναι διὰ παντός.

875

880

885

875

880

885

–––––––––––– 875 νέρθε δ’ Hermann, Garzya, Diggle, Parker: νέρθεν Hss. 877 σ’ ἔσαντα Wilamowitz, Diggle, Parker: γ’ ἔναντα Méridier: γ’ ἄντα Hss., Garzya 879 Zum Fehlen der Vergleichspartikel vgl. die Grammatik von Kühner-Gerth 2, 304. 880 πιστῆς BOLP: φιλίας V 890 δέ γ’ BV: δ’ LP

Kommentar

175

zugleich ein: „Der unten hilfst du nicht“ (875). Er kann Admet also nicht auffordern, sich wie in ein Grab zurückzuziehen. Vgl. auch zu 889ff. 875 Daß Klagen dem Toten nichts nützen, war wohl eine im Alltag gängige Redensart (vgl. 1091, wo Euripides sie Herakles in den Mund gelegt hat). 880–888 Zum Wunsch, etwas nicht gehabt zu haben (hier: nicht geheiratet zu haben), um es nicht verlieren zu können, vgl. zu 238–243. 883 Wörtlich „Denn das ist nur ein einziges Leben, um welches Schmerzen zu erleiden eine mäßige Last ist.“ 885 „Erkrankungen der Kinder“ als Unglück, das eine Familie treffen kann, ist zwar vermutlich ein typisches Motiv („ready-made“), aber hier nicht so fernliegend, wie Dale meint (zu 882: „the relevance is not very close“, ähnlich Conacher). „Erkrankung“ bedeutete in der Antike auch bei Erwachsenen nur allzu häufig – um nicht zu sagen normalerweise – Sterbenmüssen, wie etwa eine Durchsicht der Epidemien im Corpus Hippocraticum, einer Sammlung von Krankengeschichten, lehrt.

176

Amoibaion Admet–Chor 889–902

Ch. Ad. Ch. Ad. Ch. Ad. Ch. Ad. Ch.

Schicksal, Schicksal, unüberwindlich naht es. Wehe! Keine Grenze setzt du deinen Schmerzen. Wehe! Schweres hast du zu tragen, aber dennoch Wehe, wehe! erdulde es, nicht als erster verlorst du Ach, weh mir! die Frau. Den einen trifft und quält dies Unglück, den anderen ein anderes unter den Sterblichen.

Ad.

O die anhaltende Trauer und der Schmerz um Angehörige unter der Erde. Warum hieltest du mich ab, mich vom Hügel ins offene Grab zu stürzen und mit ihr, der weitaus besten Frau, tot dazuliegen? Statt der einen hätte Hades zwei treu verbundene Seelen zugleich bekommen, gemeinsam hätten sie das Wasser in der Unterwelt überschritten.

Χο. Αδ. Χο. Αδ. Χο. Αδ. Χο. Αδ. Χο.

τύχα τύχα δυσπάλαιστος ἥκει. αἰαῖ. πέρας δέ γ’ οὐδὲν ἀλγέων τίθης. ἒ ἔ. βαρέα μὲν φέρειν, ὅμως δὲ φεῦ φεῦ. τλᾶθ’· οὐ σὺ πρῶτος ὤλεσας ἰώ μοί μοι. γυναῖκα· συμφορὰ δ’ ἑτέρους ἑτέρα πιέζει φανεῖσα θνατῶν.

Αδ.

ὦ μακρὰ πένθη λῦπαί τε φίλων τῶν ὑπὸ γαίας. τί μ’ ἐκώλυσας ῥῖψαι τύμβου τάφρον ἐς κοίλην καὶ μετ’ ἐκείνης τῆς μέγ’ ἀρίστης κεῖσθαι φθίμενον; δύο δ’ ἀντὶ μιᾶς Ἅιδης ψυχὰς τὰς πιστοτάτας σὺν ἂν ἔσχεν, ὁμοῦ χθονίαν λίμνην διαβάντε.

–––––––––––– 901 σὺν ἂν ἔσχεν Lenting: συνανέσχεν VP(L)

890

895

900

Gegenstrophe 1 890

895

900

Kommentar

177

889ff. Nachdem der Chor anfangs vor allem Verständnis für Admets Klagen gezeigt hatte, geht er jetzt zu Mahnungen über. 889 „Schicksal“ (týche). Tyche ist bei Euripides noch nicht wie im Hellenismus der blinde Zufall, sondern das tatsächlich ablaufende, oft jedoch nicht erklärbare Geschehen. Vgl. zu 965. „unüberwindlich“, wörtlich „schwer im Ringkampf zu besiegen“. Der Chor meint die Unabwendbarkeit des Todes; der Zuschauer dagegen, der weiß, daß Herakles zu einem Ringkampf mit dem Tod aufgebrochen ist, und sich an Apollons Prophezeiung (65–69) erinnert, kann sich freuen, klüger als der Chor zu sein, und wird mit einem Sieg des starken Herakles rechnen. 890 Gemeint ist entweder eine Belehrung: „Deine Klagen machen dem Schmerz kein Ende (d. h. nützen nichts)“ oder eine Mahnung: „Du solltest nicht maßlos klagen!“ 891ff. Anders als in der Strophe sind Admets Klagerufe in der Gegenstrophe in den fortlaufenden Satz des Chores eingefügt. Ob das eine veränderte Vortragsart verlangt (statt Wechsel nun Gleichzeitigkeit), läßt sich nicht sagen. 892 Der Verweis auf die Leiden anderer („nicht als erster“, wie 417) soll Trost bringen, aber zugleich auch Haltung anmahnen. 897–899 Zum Motiv des gemeinsamen Todes vgl. zu 382.

178 Ch.

Ad.

Χο.

Αδ.

Amoibaion Admet–Chor 903–922

In meiner Verwandtschaft war ein Mann, dem der Sohn, ein beklagenswerter Verlust, im Hause starb, der einzige Sohn. Aber dennoch ertrug er das Unglück standhaft, obwohl nun kinderlos, das Haar schon ergrauend und im Leben weit vorangeschritten. O mein gutes Haus, wie trete ich nun ein? Wie werde ich in dir wohnen, nachdem sich mein Schicksal so geändert hat. Ach, der Unterschied ist groß. Damals zog ich hier ein mit Fackeln vom Pelion und unter Hochzeitsliedern, die Hand der geliebten Gattin haltend, lärmend folgte der Festzug, der die Tote und mich pries, die wir ein Paar aus beiderseits edlen und ausgezeichneten Familien seien. Jetzt aber geleiten mich statt der Hochzeitslieder Klagen

ἐμοί τις ἦν ἐν γένει, ὧι κόρος ἀξιόθρηνος ὤλετ’ ἐν δόμοισιν μονόπαις· ἀλλ’ ἔμπας ἔφερε κακὸν ἅλις, ἄτεκνος ὤν, πολιὰς ἐπὶ χαίτας ἤδη προπετὴς ὢν βιότου τε πόρσω. ὦ σχῆμα δόμων, πῶς εἰσέλθω, πῶς δ’ οἰκήσω, μεταπίπτοντος δαίμονος; οἴμοι. πολὺ γὰρ τὸ μέσον· τότε μὲν πεύκαις σὺν Πηλιάσιν σύν θ’ ὑμεναίοις ἔστειχον ἔσω φιλίας ἀλόχου χέρα βαστάζων, πολυάχητος δ’ εἵπετο κῶμος τήν τε θανοῦσαν κἄμ’ ὀλβίζων ὡς εὐπατρίδαι κἀπ’ ἀμφοτέρων ὄντες ἀριστέων σύζυγες εἶμεν· νῦν δ’ ὑμεναίων γόος ἀντίπαλος

–––––––––––– 905 ὤλετ’ BV: ὤχετ’ LP

921 εἶμεν OBP: ἦμεν VL

910

915

920

Strophe 2 905

910

915

920

Kommentar

179

903–910 Ein Beispiel vorbildlichen Verhaltens zu nennen scheint kein typisches Trostmotiv zu sein. Euripides greift wohl eher auf eigene Alltagserfahrungen zurück, die er dem Chor als dessen „personal anecdote“ (Dale) in den Mund legt. Die Vermutung, er habe dabei speziell an den Philosophen Anaxagoras gedacht (so u. a. Wilamowitz, Euripides Herakles I, 26), hat zu Recht wenig Zustimmung gefunden. 907 „standhaft“, wörtlich „hinreichend“, im Sinne von „so standhaft wie in seiner Situation nur möglich“. 911 „mein gutes Haus“, wörtlich „Gestalt des Hauses“. Admet redet das Haus nicht einfach als „Haus“ an, sondern nimmt es als „Gestalt“ (schêma) wahr, was eine besondere emotionale Hinwendung bedeutet (Wilamowitz übersetzt: „Ach, mein liebes Haus“, Conacher: „O form familiar of my house“). Nachdem Admet bei seinem Auftritt (861) das leere Haus fast wie einen Feind „verhaßt“ genannt hatte, erscheint es ihm jetzt wie ein alter Freund mit gemeinsamen Erinnerungen. Ähnlich ist die Verwendung von „Gestalt“ Hekabe 619 und Andromache 1, wo Hekabe bzw. Andromache ihre verlorene Heimat, in der sie einst glücklich waren, so anreden. 914 Daimon = Schicksal, ebenso 935, vgl. zu 384. 915 „Fackeln“. Die Wälder des Peliongebirges dienten schon in mythischen Zeiten als Holzreservoir, poetisch überhöht sogar für schlichte Fackeln (Kienspäne). Auch das Holz für das Schiff Argo, mit dem Jason nach Kolchis fuhr, um das Goldene Vlies holen, kam vom Peliongebirge (vgl. Medea 3). 916 „Hochzeitslied“ (hymenaios). Hymenaios ist der Hochzeitsgott und der Name des ihm gewidmeten Liedes. In den Troerinnen (308–340) singt Kassandra in prophetischer Verzückung ihr eigenes „Hochzeitslied“, was natürlich doppelt ironisch zu verstehen ist, weil sie in Wirklichkeit nicht Agamemnons Braut, sondern nur seine Kriegsbeute ist und bei seiner Heimkehr mit ihm zusammen, wie sie zugleich ankündigt, von Klytaimestra ermordet werden wird.

180

Amoibaion Admet–Chor und Sechstes Epeisodion 923–939

und statt weißer Gewänder schwarze Trauerkleider hinein zur verödeten Bettstatt. Ch.

Ad.

Mitten im Glück traf dich, der du das Leid nicht kanntest, dieser Schmerz. Aber du rettetest Besitz und Leben. Die Gattin starb und verließ den Liebesbund. Was ist daran neu? Vielen schon nahm der Tod die Gattin.

Αδ.

930

935 Freunde, das Schicksal meiner Frau halte ich für glücklicher als meines, obwohl es nicht so scheint. Sie wird niemals mehr Schmerz empfinden und hat nach den Mühen (des Lebens) vielgerühmt Ruhe gefunden. Ich aber, der ich damals eigentlich sterben sollte und diesem Schicksal entging,

λευκῶν τε πέπλων μέλανες στολμοὶ πέμπουσί μ’ ἔσω λέκτρων κοίτας ἐς ἐρήμους. Χο.

925

παρ’ εὐτυχῆ σοι πότμον ἦλθεν ἀπειροκάκωι τόδ’ ἄλγος· ἀλλ’ ἔσωσας βίοτον καὶ ψυχάν. ἔθανε δάμαρ, ἔλιπε φιλίαν· τί νέον τόδε; πολλοῖς ἤδη παρέλυσεν θάνατος δάμαρτας. φίλοι, γυναικὸς δαίμον’ εὐτυχέστερον τοὐμοῦ νομίζω, καίπερ οὐ δοκοῦνθ’ ὅμως. τῆς μὲν γὰρ οὐδὲν ἄλγος ἅψεταί ποτε, πολλῶν δὲ μόχθων εὐκλεὴς ἐπαύσατο. ἐγὼ δ’, ὃν οὐ χρῆν ζῆν, παρεὶς τὸ μόρσιμον

–––––––––––– 931 πολλοῖς Hss., Garzya, Kovacs: πολλοὺς Canter, Diggle, Parker Diggle, Parker: δάμαρτας V, Kovacs

925 Gegenstrophe 2

930

935

934 δάμαρτος BOLP

Kommentar

181

928–933 Zum Trostversuch durch Relativierung („Vielen schon“ 931, entsprechend „du bist nicht der erste“ 417 und 892f.) kommt hier der Hinweis auf das Verbliebene („Besitz und Leben“), ein Argument, das uns heute sehr gefühllos vorkommt, aber wahrscheinlich damals nicht mehr bedeutete als unser: „Das Leben geht weiter“. Vermutlich zitiert Euripides nur eine gängige Alltagsfloskel. Der Chor gibt Admet damit das Stichwort für den folgenden Monolog, in dem er dies „Leben“ als quälend und freudlos hinstellt. 930 „verließ den Liebesbund“. Es könnte auch „ließ deine Liebe zurück“ gemeint sein. Wie 279 ist philia im Sinne von „Zuneigung“ zu verstehen, also allgemeiner als „Liebe“ und ohne speziell erotischen Akzent. 935–938 Der Chor hatte 242f. Admets künftiges Leben als „Leben, das nicht zu leben lohnt“ bezeichnet. Wenn Admet meint, die tote Alkestis sei glücklicher als er, wird mancher Zuschauer an die alte Antwort auf die Frage, was für den Menschen das beste sei, gedacht haben: „Nicht geboren zu sein, und wenn geboren, möglichst schnell zu sterben.“ Sie wird oft zitiert, z. B. Theognis 425–428, Bakchylides 5,160–162, Sophokles, Ödipus auf Kolonos 1224–1227. Wie Aristoteles in seinem (nicht erhaltenen) Dialog Eudemos oder Über die Seele erzählt hat, soll so der Silen (in Euripides’ Kyklops der Anführer der Satyrn, vgl. zu 6) dem König Midas geantwortet haben. Der eine oder andere Zuschauer wird sich jedoch auch an Odysseus’ Besuch im Totenreich erinnert haben und an Achills Antwort, er möchte lieber als kleiner Tagelöhner leben statt als berühmter Heros tot sein (Odyssee 11,489– 491). 935 Mit dem Wechsel zu Sprechversen beginnt das Epeisodion im engeren Sinne, vgl. zu 861-961. 937 Daß der Tod von Leiden und Sorgen erlöst, ist nicht nur ein poetisches Motiv, sondern dürfte auch im Alltag öfter zu zu hören gewesen sein. In Platons Staat (406e) sagt Sokrates über den erkrankten Handwerker, der es sich nicht wie der Reiche leisten kann, seine Zeit mit Ärzten hinzubringen: „Entweder wird er gesund oder er stirbt und ist aller Sorgen ledig.“ 939 Der Hinweis auf die Rettung durch Alkestis ist so allgemein gehalten, daß Admets Worte auch zutreffen würden, wenn es z. B. bei einer Epidemie zunächst so ausgesehen hätte, als ob er sterben müsse, nun aber umgekehrt Alkestis gestorben sei. Admet redet nicht von einem Tausch, sondern stellt nur fest, daß sein Überleben für ihn ein trauriges Leben sein wird. „eigentlich sterben sollte“, wörtlich „nicht leben sollte“ kann eine bloße Tatsache meinen („ich war dem Tod verfallen“) oder eine unerfüllte Forderung („es wäre besser gewesen, wenn ich seinerzeit gestorben wäre“). Auch im zweiten Fall würde Admet damit nicht sagen, daß es einen Tausch gegeben hat, den er bereut, sondern nur, daß es ihm in seinem jetzigen Unglück lieber wäre, wenn er damals nicht „seinem Schicksal entgangen“, sondern gestorben wäre. Vgl. auch zu 954–959.

182

Sechstes Epeisodion 940–957

940 werde ein trauriges Leben führen. Das wird mir jetzt klar. Wie soll ich es ertragen, ins Haus einzutreten? Wie soll ich mich freuen, wenn ich jemand begrüße und er mir antwortet beim Eintreten? Wohin soll ich mich wenden? Die Einsamkeit drinnen treibt mich heraus, 945 wenn ich das leere Lager meiner Frau sehe und den Sessel, auf dem sie zu sitzen pflegte, und in den Zimmern den staubigen Boden, und die Kinder, die sich an meine Knie klammern und nach der Mutter rufen, und wenn sie (die Bediensteten) beklagen, welch gute Hausherrin sie verloren haben. 950 So steht es im Hause. Von draußen aber vertreiben mich Hochzeiten der Thessaler und Zusammenkünfte, bei denen Frauen anwesend sind; denn ich werde es nicht ertragen, Altersgenossinnen meiner Frau zu sehen. Auch wird, wer von meinen Feinden hinzukommt, sagen: 955 „Da seht den, der zu seiner Schande lebt. Er wollte nicht sterben, sondern gab aus Feigheit seine Frau zum Tausch und entging so dem Tod. Soll das ein Mann sein?

λυπρὸν διάξω βίοτον· ἄρτι μανθάνω. πῶς γὰρ δόμων τῶνδ’ εἰσόδους ἀνέξομαι; τίν’ ἂν προσειπών, τοῦ δὲ προσρηθεὶς ὕπο τερπνῆς τύχοιμ’ ἂν εἰσόδου; ποῖ τρέψομαι; ἡ μὲν γὰρ ἔνδον ἐξελᾶι μ’ ἐρημία, γυναικὸς εὐνὰς εὖτ’ ἂν εἰσίδω κενὰς θρόνους τ’ ἐν οἷσιν ἷζε καὶ κατὰ στέγας αὐχμηρὸν οὖδας, τέκνα δ’ ἀμφὶ γούνασιν πίπτοντα κλαίηι μητέρ’, οἱ δὲ δεσπότιν στένωσιν οἵαν ἐκ δόμων ἀπώλεσαν. τὰ μὲν κατ’ οἴκους τοιάδ’· ἔξωθεν δέ με γάμοι τ’ ἐλῶσι Θεσσαλῶν καὶ ξύλλογοι γυναικοπληθεῖς· οὐ γὰρ ἐξανέξομαι λεύσσων δάμαρτος τῆς ἐμῆς ὁμήλικας. ἐρεῖ δέ μ’ ὅστις ἐχθρὸς ὢν κυρεῖ τάδε· Ἰδοῦ τὸν αἰσχρῶς ζῶνθ’, ὃς οὐκ ἔτλη θανεῖν ἀλλ’ ἣν ἔγημεν ἀντιδοὺς ἀψυχίαι πέφευγεν Ἅιδην· κἆιτ’ ἀνὴρ εἶναι δοκεῖ; –––––––––––– 940 μανθάνω BOV: μανθάνων LP field: γ’ Hss.

943 εἰσόδου Hss.: ἐξόδου Lenting, Murray

940

945

950

955

951 τ’ Wake-

Kommentar

183

940 „Das wird mir jetzt klar“, eine zentrale, aber oft mißverstandene Aussage. Nach der Bestattung „erkennt“ Admet beim Anblick des Hauses die wahre Größe seines Verlustes (wie von der Dienerin 145 vorausgesehen). Es geht also nicht, wie vielfach angenommen wird, um die Einsicht, daß der Lebenstausch ein Fehler war, vgl. Einführung S. 39. Mit derselben Formulierung „erkennt“ Agaue, die ihren Sohn Pentheus in bakchischer Raserei zerrissen hat, daß es Dionysos war, der das Unglück über sie gebracht hat (Bakchen 1296). Anderer Art ist in Sophokles’ Antigone (1272) die Einsicht Kreons, der tatsächlich von einem „Fehler“ (1261), einem „unglücklichen Beschluß“ (1265) und einer „Fehlplanung“ (1269) spricht. 941–953 Die Beschreibung des Witwerdaseins wirkt so eindringlich und lebensnah, daß man geneigt ist, eigene Erfahrungen des Dichters oder aus seinem Bekanntenkreis dahinter zu vermuten. 942 „freuen“, d. h. wenn man ihn mit der Grußformel „freue dich“ (chaire) empfängt. Vgl. zu 511. 943 „Eintreten“. Die Wiederholung des Wortes von 941 ist sinnvoll und bietet keinen Grund für die Konjektur „Hinausgehen“ (so auch Susanetti, Parker). Admet geht vom abstrakten Gedanken des Eintretens über zur konkreten Vorstellung, wie er das Haus betritt. 947 „staubig“ (nicht „schmutzig“), weil die Hausfrau fehlt, die darauf achtet, daß der gestampfte Lehmboden feuchtgehalten wird. Nebenbei läßt das eher an das bescheidene Haus eines einfachen Bürgers denken als an einen Königspalast, vgl. zu 1049–1056. 952 Wörtlich „frauengefüllt“, vgl. Aischylos, Perser 122. Solche für Aischylos typischen kühnen Wortbildungen werden als „prunk-bündel-wortig“ (Frösche 839) von Aristophanes verspottet. 954–959 Admet erwartet, daß ein „Feind“, d. h. jemand, der ihm nicht wohlgesonnen ist, die Gelegenheit nutzen werde, schlecht über ihn zu reden. Er kommt damit andeutungsweise auf den Lebenstausch zu sprechen, aber nicht aus eigener Sicht, sondern der eines böswilligen Verleumders. Euripides hält sich wie schon in der Pheres-Szene an das Verfahren, das Tauschmotiv möglichst auszugrenzen. Admet sagt nicht, ob er den Vorwurf für berechtigt oder unberechtigt hält, und schon gar nicht, ob er selbst den Tausch in der Rückschau für richtig oder falsch hält. Zu seinen entsprechenden Befürchtungen, wenn er Herakles einem anderen Gastgeber überlassen hätte, vgl. zu 558. Zum Grundsatz „Den Freunden nützen, den Feinden schaden!“ vgl. zu 70.

184

Sechstes Epeisodion und Sechstes Stasimon 958–965

Und er haßt seine Eltern, während er selbst nicht sterben wollte.“ Solch einen Ruf werden meine Feinde über mich verbreiten. Was nützt mir noch das Leben, Freunde, wenn man schlecht von mir redet und es mir schlecht ergeht. Ch.

Ich bin sowohl unter Musen als auch auf (philosophischen) Höhen gewandelt, und obwohl ich mit dem meisten (dort) Gesagten in Berührung gekommen bin, habe ich nichts, das stärker ist als der ‚Zwang‘ (des Schicksals),

στυγεῖ δὲ τοὺς τεκόντας, αὐτὸς οὐ θέλων θανεῖν. τοιάνδε πρὸς κακοῖσι κληδόνα ἕξω. τί μοι ζῆν δῆτα κύδιον, φίλοι, κακῶς κλύοντι καὶ κακῶς πεπραγότι; Χο.

ἐγὼ καὶ διὰ μούσας καὶ μετάρσιος ἦιξα, καὶ πλείστων ἁψάμενος λόγων κρεῖσσον οὐδὲν Ἀνάγκας

–––––––––––– 960 κύδιον Hss., Garzya, Diggle: κέρδιον Purgold, Kovacs, Parker

960

965

960

Strophe 1

965

Kommentar

185

959–961 Admets Fazit ist das negative Gegenstück zu 935–938: Alkestis ist aller Sorgen ledig und steht in gutem Rufe, er dagegen muß mit übler Nachrede und seinem Unglück leben. Sein Leben ist damit zur bloßen Last geworden; denn „Wohlergehen und guter Ruf zusammen sind der höchste Kampfpreis“, wie es bei Pindar (Pythien 1,99) heißt. 961 Admet bleibt auf der Bühne, so daß Herakles ihn in der Schlußszene sofort anreden kann. Ob Euripides ihn während des folgenden Chorliedes unbeweglich dastehen oder irgendwie pantomimisch agieren ließ, ist aus dem Text nicht zu ersehen. Die Anrede „dich“ (983) könnte darauf hindeuten, daß er sich dem Chor zugewendet hat. 962–1005 Sechstes Stasimon. Das Lied schließt die Sterbehandlung aus der Sicht des Chores ab: Alkestis ist tot und begraben; was bleibt, ist ihr Ruhm. Der Tod des Menschen unterliegt dem Zwang des Schicksals und eine Wiederkehr gibt es nicht. Den Zuschauer, der seit Herakles’ Aufbruch fest an die Rettung glaubte, muß das verunsichern, auch wenn ihm natürlich klar ist, daß Herakles der Verstorbenen kein ewiges, sondern nur ein längeres Leben erkämpfen könnte, ihre Wiederkehr dem Zwang des Schicksals also nicht grundsätzlich widersprechen würde. 962–964 Ein weiteres Beispiel (vgl. zu 229f.) für Euripides’ manchmal etwas künstlich wirkende Poetisierung eines prosaischen Tatbestandes (den man etwa mit „Ich kenne mich in Dichtung und Philosophie aus und habe die meisten Bücher gelesen“ wiedergeben könnte). Daß Philosophen sich mit „höheren Dingen“ (Astronomie) beschäftigen und über der Erde schweben, war also schon vor Aristophanes Wolken von 423 v. Chr., wo Sokrates so dargestellt wird, ein gängiges Klischee. Philosophie und Astronomie werden dabei gleichgesetzt. Euripides meint daher wohl nur zwei inhaltliche Bereiche (Dichtung und Philosophie) mit den entsprechenden Büchern und nicht drei (poetry, science, philosophy), wie Dale annimmt. Conacher übersetzt: „I have studied the poets, I have scaled the heights of astronomical lore, I have pored over the doctrines of the philosophers“. 965 „Zwang“. Das Schicksal (d. h. das Geschehen, das für den Menschen unabänderlich ist) kann, wie sich auch in der Alkestis zeigt, sehr verschieden empfunden werden: als göttliche Zuteilung (moira, vgl. zu 12; daimon vgl. zu 384) oder ursacheloser Zufall (týche vgl. zu 889) oder wie hier als unausweichlicher Zwang (anánke). Der Grad der Personifizierung ist dabei sehr unterschiedlich. Während die moira zu den Moiren geworden ist, die von Apollon überlistet werden können, ist mit daimon (trotz der Anrede in 384) eher das abstrakte Schicksal gemeint, das nicht geändert werden kann. tyche wird erst im Hellenismus zur Göttin Tyche, zu der man betet. ananke wird an der vorliegenden Stelle gewissermaßen zur Gottheit Ananke ernannt, wobei Euripides durch Philosophen wie Parmenides (Diels-Kranz 28, B8,30) oder Empedokles (Diels-Kranz 31, B115,1) inspiriert sein könnte. Vgl. zu 973f.

186

Sechstes Stasimon 966–983

gefunden, auch nicht ein Heilmittel auf thrakischen Tafeln, das die Stimme des Orpheus aufgezeichnet hat, ebensowenig Heilmittel, die Phoibos (Apollon) den Söhnen des Asklepios gab, geschnittene Kräuter, um den leidbeladenen Menschen zu helfen. Von ihr allein gibt es keine Altäre und kein Götterbild, wohin man sich wenden könnte; sie erhört nicht, wenn man ihr Tiere opfert. „Herrin, nahe mir nicht stärker als bisher in meinem Leben. Denn auch was Zeus durch sein Nicken zusagt, vollendet er nur gemeinsam mit dir. Auch das Eisen der Chalyber bezwingst du durch deine Gewalt und dein harter Wille kennt kein Erbarmen.“

ηὗρον οὐδέ τι φάρμακον Θρήισσαις ἐν σανίσιν, τὰς Ὀρφεία κατέγραψεν γῆρυς, οὐδ’ ὅσα Φοῖβος Ἀσκληπιάδαις ἔδωκε φάρμακα πολυπόνοις ἀντιτεμὼν βροτοῖσιν. μόνας δ’ οὔτ’ ἐπὶ βωμοὺς ἐλθεῖν οὔτε βρέτας θεᾶς ἔστιν, οὐ σφαγίων κλύει. μή μοι, πότνια, μείζων ἔλθοις ἢ τὸ πρὶν ἐν βίωι. καὶ γὰρ Ζεὺς ὅτι νεύσηι σὺν σοὶ τοῦτο τελευτᾶι. καὶ τὸν ἐν Χαλύβοις δαμάζεις σὺ βίαι σίδαρον, οὐδέ τις ἀποτόμου λήματός ἐστιν αἰδώς. –––––––––––– 970 ἔδωκε Musgrave, Garzya, Diggle, Parker: παρέδωκε(ν) Hss.

970

975

980

970

Gegenstrophe 1 975

980

978 ὅτι VLP: ὅτε BO

Kommentar

187

966–969 Dem aus Thrakien stammenden mythischen Sänger Orpheus, der durch die Kraft der Musik sogar Unterweltsgottheiten (357f.) und wilde Tiere (577–587) besänftigen konnte, wurden, wie diese Stelle zeigt, auch magische Heilkünste zugeschrieben. Dabei ist wohl an medizinische Zauberformeln gedacht, die auf Holztafeln aufgezeichnet in Umlauf waren. Während sie hier vom Chor ernstgenommen werden, bezeichnet Theseus dergleichen im Hippolytos verächtlich als „Rauch“ (954), was vermutlich einer unterschiedlichen Einschätzung durch das einfache Volk und gehobenere Schichten in der Zeit des Euripides entspricht. 969–971 „Söhne des Asklepios“, die übliche Umschreibung für „Ärzte“ (so z. B. auch Sokrates in Platons Staat 405d), deren traditionelles Wissen über Heilmittel man auf den mythischen Arzt Asklepios und dessen Vater Apollon zurückführte. 973f. Wenn der Chor Anánke als „Herrin“ anredet, obwohl sie, wie das Fehlen eines Kultes („keine Altäre und kein Götterbild“) beweist, sonst nicht als Gottheit, sondern als abstrakte Macht galt, wird das beim allgemeinen Publikum kaum Anstoß erregt haben. Ein anwesender „Feind“ (vgl. zu 70 und 954–959) des Dichters, der Material gegen ihn sammelte, hätte allerdings notieren können, Euripides wolle „neue Götter einführen“, was bekanntlich einer der Punkte der Anklage im Prozeß gegen Sokrates war (Platon, Apologie 24b–c). Aristoteles erwähnt in seiner Rhetorik (1416a29–32), ein gewisser Hygiainon habe gegen Euripides den Vorwurf der Asebie (Religionsfrevel) erhoben unter Berufung auf Vers 612 aus dessen Hippolytos („die Zunge hat geschworen, der Verstand hat keinen Eid geleistet“), den er böswillig als Aufforderung zum Meineid interpretierte. 976 „nahe mir nicht stärker“, d. h. „greife nicht mehr als bisher in mein Leben (durch Unglücksfälle) ein“. Der Chor glaubt also, bisher relativ gut davongekommen zu sein, und wünscht, es möge so bleiben. 978 „Nicken“, eine Anspielung auf die Ilias. Im ersten Buch zeigt Zeus Achills Mutter Thetis die Gewährung ihrer Bitte (den Troern vorübergehend zu helfen) durch sein „Nicken“ an (528). 979 „gemeinsam mit dir“. Während Zeus an der eben genannten Stelle der Ilias frei zugunsten Achills entscheidet und damit den im Proömium (1,3) angekündigten „Tod vieler Helden“ verursacht, weiß er sich anderswo an das Schicksal (moira 16,434) gebunden und befragt deswegen vor Entscheidungen über Tod oder Leben der Helden seine „goldene Waage“ (8,69; 22,209). 980 Der Volksstamm der Chalyber im Nordosten Kleinasiens hat das „literary monopoly“ (Dale) der Eisengewinnung; tatsächlich kam Eisen auch aus anderen Gegenden. 983 „Erbarmen“ (aidôs), wörtlich „Scheu“ oder „Scham“ (hier: jemand zu töten).

188

Sechstes Stasimon 984–1005

Auch dich hat die Göttin mit den unentrinnbaren Fesseln ihrer Hände gepackt. Ertrage es; denn nie wirst du durch Tränen die Toten von unten heraufholen. Auch die Göttersöhne sind dem Dunkel verfallen und müssen sterben. Sie wurde geliebt, als sie unter uns lebte, geliebt wird sie auch als Tote sein. Die Edelste von allen hattest du deinem Lager als Gattin verbunden.

985

990

Nicht als Totengrab sollte der Hügel deiner Gattin gelten, sondern wie für Götter (errichtet) sollte er geehrt werden, ehrfürchtig bestaunt von den Reisenden. Und mancher wird in den Seitenpfad einbiegen und sagen: „Sie starb einst für ihren Mann, jetzt ist sie ein seliger Geist. Sei gegrüßt, Herrin, gib uns deinen Segen!“ Mit solchen Reden wird man sich an sie wenden.

995

1005

καί σ’ ἐν ἀφύκτοισι χερῶν εἷλε θεὰ δεσμοῖς. τόλμα δ’· οὐ γὰρ ἀνάξεις ποτ’ ἔνερθεν κλαίων τοὺς φθιμένους ἄνω. καὶ θεῶν σκότιοι φθίνουσι παῖδες ἐν θανάτωι. φίλα μὲν ὅτ’ ἦν μεθ’ ἡμῶν, φίλα δὲ θανοῦσ’ ἔτ’ ἔσται, γενναιοτάταν δὲ πασᾶν ἐζεύξω κλισίαις ἄκοιτιν.

Strophe 2 986

μηδὲ νεκρῶν ὡς φθιμένων χῶμα νομιζέσθω τύμβος σᾶς ἀλόχου, θεοῖσι δ’ ὁμοίως τιμάσθω, σέβας ἐμπόρων. καί τις δοχμίαν κέλευθον ἐμβαίνων τόδ’ ἐρεῖ· Αὕτα ποτὲ προύθαν’ ἀνδρός, νῦν δ’ ἔστι μάκαιρα δαίμων· χαῖρ’, ὦ πότνι’, εὖ δὲ δοίης. τοῖαί νιν προσεροῦσι φῆμαι.

Gegenstrophe 2 997

990

1000

1005

–––––––––––– 992 θανοῦσ’ ἔτ’ ἔσται Prinz, Garzya, Diggle, Parker: θανοῦσ’ ἔσται BO: καὶ θανοῦσ’ ἔστίν LP 1001 ἐμβαίνων BOV, Diggle, Parker: ἐκβαίνων LP, Garzya

Kommentar

189

985 Vom Zwang (anánke), den man „ertragen“ muß, hatte auch Pheres 616f. gesprochen. 989f. Wörtlich „die dunklen Söhne der Götter schwinden im Tod dahin“. „Göttersöhne“, die Halbgötter oder Heroen im engeren Sinne, die wie Herakles einen Gott zum Vater und eine sterbliche Mutter haben. 995–1005 Der Chor meint, Alkestis’ Grab sollte als Heiligtum gelten. Reisende würden dann von der Straße aus auf einem Seitenpfad herantreten und wie zu einem Heros beten. 1002–1004 Der Reisende liest die Grabinschrift und bittet um den Segen der heroisierten Alkestis („Herrin“). „seliger Geist“: daimon ist hier ein guter Geist, der vor Übeln schützen kann. Bei Hesiod sind „Dämonen“ die verstorbenen Heroen des goldenen und silbernen Zeitalters (Werke und Tage 122 und 142). Ihr freundliches Wirken hängt nicht davon ab, ob sie zu ihren Lebzeiten als gutartig galten. In Euripides’ Herakliden (1032f.) will Eurystheus, der Herakles die lebensgefährlichen Aufträge erteilt hatte und nach dessen Tod versucht hat, seine Familie auszurotten, nach seinem eigenen Tod ein segenspendender Heros sein.

190

Exodos 1006–1023

Doch wie es scheint, Admet, kommt hier Alkmenes Sohn zu deinem Herd. He. (kommt von der Seite.) Mit einem Freund muß man offen reden, Admet, und das, was man ihm vorwerfen muß, soll man nicht schweigend herunterschlucken. In deinem Unglück hätte ich dir gern zur Seite gestanden und mich als Freund erwiesen, du aber sagtest mir nicht, daß der Leichnam deiner Frau aufgebahrt war, sondern nahmst mich als Gast ins Haus auf, als ob du dich nur um ein fremdes Leid kümmern müßtest. Und ich bekränzte mir das Haupt und brachte den Göttern Trankopfer dar in deinem Haus, das in Trauer war. Ich tadle zwar, ja, tadle, was mir da angetan worden ist, will dich aber in deinem Unglück nicht kränken. Weswegen ich zurückgekommen bin, will ich dir sagen: Die Frau hier nimm auf und bewahre sie, bis ich mit den thrakischen Stuten hierher komme, nachdem ich den Herrscher der Bistonen getötet habe. Falls mir aber etwas zustößt, was nicht geschehen möge – denn ich möchte heimkehren –,

1010

1015

1020

καὶ μὴν ὅδ’, ὡς ἔοικεν, Ἀλκμήνης γόνος, Ἄδμητε, πρὸς σὴν ἑστίαν πορεύεται. Ηρ.

φίλον πρὸς ἄνδρα χρὴ λέγειν ἐλευθέρως, Ἄδμητε, μομφὰς δ’ οὐχ ὑπὸ σπλάγχνοις ἔχειν σιγῶντ’. ἐγὼ δὲ σοῖς κακοῖσιν ἠξίουν ἐγγὺς παρεστὼς ἐξετάζεσθαι φίλος· σὺ δ’ οὐκ ἔφραζες σῆς προκείμενον νέκυν γυναικός, ἀλλά μ’ ἐξένιζες ἐν δόμοις, ὡς δὴ θυραίου πήματος σπουδὴν ἔχων. κἄστεψα κρᾶτα καὶ θεοῖς ἐλειψάμην σπονδὰς ἐν οἴκοις δυστυχοῦσι τοῖσι σοῖς. καὶ μέμφομαι μέν, μέμφομαι, παθὼν τάδε· οὐ μήν σε λυπεῖν ἐν κακοῖσι βούλομαι. ὧν δ’ οὕνεχ’ ἥκω δεῦρ’ ὑποστρέψας πάλιν λέξω· γυναῖκα τήνδε μοι σῶσον λαβών, ἕως ἂν ἵππους δεῦρο Θρηικίας ἄγων ἔλθω, τύραννον Βιστόνων κατακτανών. πράξας δ’ ὃ μὴ τύχοιμι – νοστήσαιμι γάρ –

1010

1015

1020

Kommentar

191

1006–1163 Exodos. Herakles nähert sich von der Seite, gefolgt von einer Frau, deren Gesicht (durch das über den gesenkten Kopf gezogene Gewand) verhüllt ist. Der Zuschauer kann annehmen, er kehre vom Grab zurück. Admet und der Chor (die eigentlich nicht wissen können, daß er nicht mehr im Haus ist) scheinen zu glauben, er sei inzwischen nach Thrakien aufgebrochen; sie wundern sich jedenfalls nicht, als er nicht aus dem Haus, sondern von außen kommt. Was die Frau betrifft, haben Admet und der Chor keinerlei Anlaß zu vermuten, es könne Alkestis sein. Der Zuschauer hat die Wahl: Er kann sie für Alkestis oder für jemand anders halten, je nachdem ob er meint, jetzt komme die von Apollon angekündigte Lösung, oder er Euripides eine weitere retardierende Zwischenstufe zutraut. Da Herakles we iß , wer die Verhüllte ist, der Zuschauer es ver mu t e n kann, Admet und der Chor es ni c ht wi s se n, ergibt sich ein reizvolles Nebeneinander von Wissen und Nichtwissen, bei dem Euripides zweifellos mehr an die Bühnenwirkung gedacht hat als an die uns wenig einfühlsam erscheinende Art, wie Herakles mit der Trauer seines Freundes umgeht. 1008–1118 Schon bei Herakles’ erster Ankunft spielte das Motiv der Freundschaft eine Doppelrolle (vgl. 530–535). Sie war einerseits positiv (Admet wollte den Freund unbedingt als Gast aufnehmen), andererseits negativ (Admet verschwieg dem Freund, was tatsächlich geschehen war). Auch jetzt wird sie von Euripides doppelseitig eingesetzt, nur unter umgekehrtem Vorzeichen. Nun weiß Herakles Bescheid und bringt seinerseits die Freundschaft ins Spiel, sowohl positiv (er bringt dem Freund die Frau zurück) als auch negativ (er täuscht den Freund, indem er sie als Fremde ausgibt). Ob diese theaterwirksame ‚Retourkutsche‘ psychologisch wahrscheinlich ist, sollte man besser nicht fragen; Euripides hätte darin vermutlich ein Zeichen für die Theaterferne des Fragers gesehen. Vgl. zu 536–545. 1011 Herakles will sagen, er hätte sich, wenn Admet ihm 519 nicht den Tod seiner Frau verschwiegen hätte, als Freund bewähren, nämlich an Admets Trauer teilnehmen können. So erklärt Theseus in Euripides’ Herakles (1002), er sei gekommen, um den Schmerz seines Freundes Herakles (der im Wahnsinn Frau und Kinder getötet hatte) zu teilen. 1013 Herakles beklagt, daß Admet ihn als ‚Gast‘ statt als ‚Freund‘ behandelt hatte. Vgl zu 530–535. 1015f. Mit dem „Trankopfer“ (dem Ausgießen von etwas Wein als Spende für die Götter oder einen Gott) wurde ein Symposion eingeleitet. 756–759 hatte der Diener das von Herakles veranstaltete Trinkgelage beschrieben. 1020 Hier beginnt wieder ein Spiel mit dem Wort „Frau“ (vgl. zu 531), das jetzt für Admet die verhüllte Fremde, für Herakles Alkestis bedeutet. Der Zuschauer darf, wie gesagt, raten.

192

Ad.

Αδ.

Exodos 1024–1042

schenke ich sie dir als Dienerin für das Haus. 1025 Durch große Anstrengung kam sie in meine Hände; denn ich treffe da auf Leute, die einen öffentlichen Wettkampf veranstalten, für Athleten der Mühe wert. Von dort bringe ich sie, als Siegespreis gewonnen. Die Sieger in leichten Disziplinen 1030 durften Pferde mitnehmen, die Sieger in schwereren, Faust- und Ringkampf, Rinder, zu denen eine Frau gehörte. Da ich nun zufällig hinzukam, wäre es eine Schande gewesen, mir den löblichen Gewinn entgehen zu lassen. Also, wie gesagt, du mußt dich der Frau annehmen; denn nicht mit Diebesgut komme ich, sondern ich habe sie 1035 mühevoll gewonnen. Eines Tages wirst auch du mich wahrscheinlich dafür loben. Nicht aus Mißachtung oder gar, um dich zu beleidigen, habe ich dir das traurige Schicksal meiner Frau verschwiegen, sondern weil es ein zusätzlicher Schmerz für mich gewesen wäre, 1039 wenn du zum Haus eines anderen Gastfreundes aufgebrochen wärest. Mir war es genug, meinen schon vorhandenen Schmerz zu beweinen. Die Frau aber, wenn irgend möglich, laß, ich bitte dich, Herr,

δίδωμι τήνδε σοῖσι προσπολεῖν δόμοις. πολλῶι δὲ μόχθωι χεῖρας ἦλθεν εἰς ἐμάς· ἀγῶνα γὰρ πάνδημον εὑρίσκω τινὰς τιθέντας, ἀθληταῖσιν ἄξιον πόνον, ὅθεν κομίζω τήνδε νικητήρια λαβών. τὰ μὲν γὰρ κοῦφα τοῖς νικῶσιν ἦν ἵππους ἄγεσθαι, τοῖσι δ’ αὖ τὰ μείζονα νικῶσι, πυγμὴν καὶ πάλην, βουφόρβια· γυνὴ δ’ ἐπ’ αὐτοῖς εἵπετ’· ἐντυχόντι δὲ αἰσχρὸν παρεῖναι κέρδος ἦν τόδ’ εὐκλεές. ἀλλ’, ὥσπερ εἶπον, σοὶ μέλειν γυναῖκα χρή· οὐ γὰρ κλοπαίαν ἀλλὰ σὺν πόνωι λαβὼν ἥκω· χρόνωι δὲ καὶ σύ μ’ αἰνέσεις ἴσως. οὔτοι σ’ ἀτίζων οὐδ’ ἐν αἰσχροῖσιν τιθεὶς ἔκρυψ’ ἐμῆς γυναικὸς ἀθλίους τύχας. ἀλλ’ ἄλγος ἄλγει τοῦτ’ ἂν ἦν προσκείμενον, εἴ του πρὸς ἄλλου δώμαθ’ ὡρμήθης ξένου· ἅλις δὲ κλαίειν τοὐμὸν ἦν ἐμοὶ κακόν. γυναῖκα δ’, εἴ πως ἔστιν, αἰτοῦμαί σ’, ἄναξ,

–––––––––––– 1024 προσπολεῖν BOV: πρόσπολον LP Méridier, Kovacs, Parker

1025

1030

1035

1040

1037 αἰσχροῖσιν LP, Garzya, Diggle: ἐχθροῖσιν BOV,

Kommentar

193

1024 „Dienerin“, d. h. Sklavin. Es gehört zu den Doppeldeutigkeiten der Szene, daß über die angeblich als Preis gewonnene Sklavin wie über eine Freie, die als Gast ins Haus aufgenommen werden soll, gesprochen wird. 1025 Euripides läßt Herakles die Schwere des Kampfes betonen (ebenso 1035), vermeidet aber jeden Hinweis auf die Übernatürlichkeit des Vorgangs. Zu dieser Motivgrenze vgl. Einführung S. 18. 1026–1032 Herakles erzählt eine ‚Lügengeschichte‘, wie wir sie von Odysseus kennen, der (um sich nicht vorzeitig zu verraten) „viel falsches, doch der Wahrheit ähnliches“ erzählt (Odyssee 19,203). 1026 Ein Wettkampf, an dem jeder, auch ein Durchreisender, teilnehmen kann. Odysseus wird bei den Phäaken zur Teilnahme aufgefordert und zeigt beim Diskuswurf seine Überlegenheit (Odyssee 8,131ff.). 1029 Eine „leichte“ Disziplin war z. B. der Wettlauf, weil dabei nicht mit (manchmal auch tödlichen) Verletzungen wie bei Ring- und Faustkampf zu rechnen war. 1032 „zu denen eine Frau gehörte“, wörtlich „eine Frau folgte ihnen“. Gemeint ist nicht, daß sie als Hirtin die Herde vor sich hertrieb, sondern daß sie Teil des Preises war. Bei den Leichenspielen für Patroklos in der Ilias bekommt der Sieger im Wagenrennen eine Frau (eine in Hausarbeit geübte Sklavin) und einen besonders stattlichen dreifüßigen Kessel (23,263f.), der Verlierer im Ringkampf als Trostpreis nur eine Frau, aber immerhin im Wert von vier Rindern (704f.). Zu erklären, wo sich die angeblich gewonnenen Rinder befinden, wäre eine unnötige Ausweitung der Lügengeschichte. Sowohl bei Homer als auch bei Euripides handelt es sich um mythische Wettkämpfe mit mythischen bzw. poetischen Preisen; bei den historischen Olympischen Spielen ging es nur um die Ehre (einen Kranz aus Ölbaumzweigen), auch wenn die Sieger zu Hause mit öffentlichen Zuwendungen rechnen konnten. 1035 Man kann zwar nicht auschließen, daß für manchen der damaligen Zuschauer auch das Verstecken von „Diebesgut“ zur Freundschaft (vgl. zu 70) gehörte, aber wahrscheinlich handelt es sich nur um eine gängige Redensart, durch die die (als selbstverständlich vorausgesetzte) Seriosität des Anliegens betont werden soll. 1037 Die Lesart „dich zu den Feinden rechnend“ ergibt Sinn, wenn Feind im Sinne von Nicht-Freund verstanden wird, vgl. zu 70. 1039 „zusätzlicher Schmerz“, wörtlich „ein zum Schmerz hinzukommender Schmerz“. 1042 Die förmliche Anrede „Herr“ (anax) betont hier wie 1116 die Dringlichkeit seines Anliegens, nämlich daß Herakles nicht auf seinem Wunsch bestehen möge. Vgl. auch 539.

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Exodos 1043–1062

einen anderen Thessaler aufbewahren, der nicht erlitten hat, was ich (erlitten habe). Du hast ja viele Freunde 1045 hier in Pherai. Erinnere mich nicht an mein Unglück. Ich könnte sie nicht ohne Tränen im Hause sehen. Füge meinem Leiden nicht ein neues Leiden hinzu; denn mein Schicksal ist schwer genug. Und wo soll ich eine junge Frau im Hause unterbringen? 1050 Denn jung ist sie, wie man an Kleid und Schmuck sehen kann. Soll sie bei den Männern im Hause wohnen? Und wie wird sie unbelästigt bleiben, wenn sie sich unter jungen Leuten bewegt? Die Jugend, Herakles, läßt sich nicht leicht zügeln. Ich mache mir in deinem Interesse Gedanken. 1055 Oder soll ich sie im Gemach der Verstorbenen unterbringen? Wie kann ich ihr deren Bett anbieten? Da fürchte ich doppelten Tadel: von seiten der Bürger, daß mir jemand vorwirft, ich hätte meine Wohltäterin verraten und hätte ich mich ins Bett einer anderen, jungen gestürzt, 1060 und seitens der Toten – sie muß ich in Ehren halten –, auf sie muß ich unbedingte Rücksicht nehmen. Du aber, Frau, wer du auch bist, wisse, daß du dieselbe Größe

ἄλλον τιν’ ὅστις μὴ πέπονθεν οἷ’ ἐγὼ σώιζειν ἄνωχθι Θεσσαλῶν· πολλοὶ δέ σοι ξένοι Φεραίων· μή μ’ ἀναμνήσηις κακῶν. οὐκ ἂν δυναίμην τήνδ’ ὁρῶν ἐν δώμασιν ἄδακρυς εἶναι· μὴ νοσοῦντί μοι νόσον προσθῆις· ἅλις γὰρ συμφορᾶι βαρύνομαι. ποῦ καὶ τρέφοιτ’ ἂν δωμάτων νέα γυνή; νέα γάρ, ὡς ἐσθῆτι καὶ κόσμωι πρέπει. πότερα κατ’ ἀνδρῶν δῆτ’ ἐνοικήσει στέγην; καὶ πῶς ἀκραιφνὴς ἐν νέοις στρωφωμένη ἔσται; τὸν ἡβῶνθ’, Ἡράκλεις, οὐ ῥάιδιον εἴργειν· ἐγὼ δὲ σοῦ προμηθίαν ἔχω. ἢ τῆς θανούσης θάλαμον ἐσβήσας τρέφω; καὶ πῶς ἐπεσφρῶ τήνδε τῶι κείνης λέχει; διπλῆν φοβοῦμαι μέμψιν, ἔκ τε δημοτῶν, μή τίς μ’ ἐλέγξηι τὴν ἐμὴν εὐεργέτιν προδόντ’ ἐν ἄλλης δεμνίοις πίτνειν νέας, καὶ τῆς θανούσης – ἀξία δέ μοι σέβειν – πολλὴν πρόνοιαν δεῖ μ’ ἔχειν. σὺ δ’, ὦ γύναι, ἥτις ποτ’ εἶ σύ, ταὔτ’ ἔχουσ’ Ἀλκήστιδι –––––––––––– 1048 συμφοραῖς BO

1052 νέοις VLP: δόμοις BO

1045

1050

1055

1060

Kommentar

195

1044f. „Du hast ja viele Freunde hier in Pherai“ ist ein Beispiel für die ‚punktuelle‘ Verwendung eines Motivs (vgl. Einführung S. 19). Als es darum ging, Herakles als Gast aufzunehmen, hatte Admet so geredet, als ob Herakles in der Stadt keinen anderen Gastfreund habe, bei dem er unterkommen könne (vgl. zu 553). 1046 Admet hatte 952f. gesagt, er werde außerhalb des Hauses den Anblick von Frauen, weil sie ihn an Alkestis erinnern, nicht ertragen können. Noch weniger erträglich wäre es, ständig diese fremde Frau im Hause zu haben. 1047 Dem schon Vorhandenen noch einmal dasselbe hinzufügen bedeutet hier und 1065 Vergrößerung (des Unglücks). In anderem Kontext kann damit auch eine überflüssige Verdopperlung gemeint sein, etwa Sophokles Antigone 1030 und 1288 („einen Toten noch einmal töten“). Vgl. auch die Redensart „Eulen nach Athen“ tragen“ (Aristophanes Vögel 301; W. Bühler, Zenobii Athoi proverbia Nr. 12). 1049–1056 Was Admet über die räumlichen Verhältnisse in seinem Hause sagt, klingt mehr nach einem etwas beengten Bürgerhaushalt als nach einem Königspalast. Die Fremde, meint er, könne nur entweder beim Personal oder im Zimmer der Hausfrau wohnen und müsse im zweiten Fall sogar in Alkestis’ Bett schlafen. Auch wenn dies Bett wie üblich im Obergeschoß steht, während der Hausherr im Erdgeschoß wohnt, wäre das in den Augen der Nachbarn kein Grund, sich nicht Gedanken zu machen. Die „Gasträume“ (547), die für Herakles bereitstanden, sind hier vergessen. Es liegt also wie 1044f. eine ‚punktuelle‘ Motivverwendung vor. 1060 In Euripides’ Herakliden (315) trägt Herakles’ Neffe Iolaos dessen Kindern auf, die Athener, die ihnen Schutz gewähren, „in Ehren zu halten“ und niemals Krieg gegen sie zu führen. Vgl. Einführung S. 6. 1062f. Die Ähnlichkeit der Verhüllten mit Alkestis hat für Admet und den Zuschauer ganz verschiedene Bedeutung. Für Admet verschärft sich dadurch die Zumutung, die fremde Frau ins Haus aufzunehmen, um eine weitere Stufe. Diejenigen Zuschauer, die geneigt sind, die Verhüllte für Alkestis zu halten, können sich in ihrer Hoffnung auf einen guten Ausgang bestärkt fühlen.

196

Ch. He. Ad. He. Ad.

Χο. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ.

Exodos 1063–1078

wie Alkestis hast und ihr der Gestalt nach gleichst. Wehe, bei den Göttern, schaffe mir die Frau aus den Augen, 1065 damit du nicht meinem Schmerz einen neuen hinzufügst! Denn wenn ich sie sehe, glaube ich meine Frau zu sehen. Sie läßt mein Herz schneller schlagen, aus den Augen strömen mir Tränen. Ich Unglücklicher, wie eben erlitten spüre ich meinen Schmerz! 1070 Ich kann dein Schicksal wahrhaftig nicht loben, man muß aber, worin sie auch besteht, jede Gabe der Götter hinnehmen. Hätte ich doch die Macht, deine Frau aus den unterirdischen Häusern ans Licht zu führen und dir diesen Gefallen zu erweisen! 1075 Ich weiß, du würdest es wollen. Aber wo gibt es das? Es ist nicht möglich, daß Tote ans Licht kommen. Sei nicht maßlos, sondern ertrage (deinen Verlust), wie es sich gehört. Leichter ist es, Ratschläge zu geben, als sich im Leid zu beherrschen.

μορφῆς μέτρ’ ἴσθι, καὶ προσήϊξαι δέμας. οἴμοι. κόμιζε πρὸς θεῶν ἐξ ὀμμάτων γυναῖκα τήνδε, μή μ’ ἕληις ἡιρημένον. δοκῶ γὰρ αὐτὴν εἰσορῶν γυναῖχ’ ὁρᾶν ἐμήν· θολοῖ δὲ καρδίαν, ἐκ δ’ ὀμμάτων πηγαὶ κατερρώγασιν. ὦ τλήμων ἐγώ, ὡς ἄρτι πένθους τοῦδε γεύομαι πικροῦ. ἐγὼ μὲν οὐκ ἔχοιμ’ ἂν εὖ λέγειν τύχην· χρὴ δ’, ἥτις ἐστί, καρτερεῖν θεοῦ δόσιν. εἰ γὰρ τοσαύτην δύναμιν εἶχον ὥστε σὴν ἐς φῶς πορεῦσαι νερτέρων ἐκ δωμάτων γυναῖκα καί σοι τήνδε πορσῦναι χάριν. σάφ’ οἶδα βούλεσθαί σ’ ἄν. ἀλλὰ ποῦ τόδε; οὐκ ἔστι τοὺς θανόντας ἐς φάος μολεῖν. μή νυν ὑπέρβαλλ’ ἀλλ’ ἐναισίμως φέρε. ῥᾶιον παραινεῖν ἢ παθόντα καρτερεῖν.

1065

1070

1075

–––––––––––– 1064 ἐξ BOV: ἀπ’ LP 1071 ἥτις ἐστί Earle, Diggle: ὅστις εἶ σὺ Hss.: ὅστις οἴσει Garzya: ἥτις εἶσι Parker 1077 ὑπέρβαλλ’ Monk: ὑπέρβαλ’ BO: ὑπέρβαιν’ VLP

Kommentar

197

1064–1069 Da Admet anders als der Zuschauer trotz der Ähnlichkeit nicht ahnen kann, daß die Verhüllte Alkestis ist, klagt er in der folgenden Stichomythie unvermindert fort. Herakles geht scheinbar darauf ein und spielt die Rolle des tröstenden Freundes, was Admet Gelegenheit gibt, alle Trostversuche zurückzuweisen. Man könnte sagen, Herakles rede hier, wie er hätte reden müssen, wenn er nach der Information durch den Diener beim Haus auf Admet gewartet hätte. Die Übertragung in die Situation nach seinem erfolgreichen Ringkampf mit dem Tod, d. h. die Ersetzung eines echten Trostversuchs durch einen gespielten, ist ein dramaturgischer Kunstgriff, der keinerlei Rückschlüsse auf Herakles’ Charakter, etwa mangelndes Zartgefühl, erlaubt, vgl. zu 1008–1118. 1065 Wörtlich „damit du mich nicht, der schon getroffen ist, noch einmal triffst“. Vgl. zu 1047. 1070–1074 Auf Admets neue Klage reagiert der Chor, der keinen Grund zu der Annahme hat, die Verhüllte könne Alkestis sein, mit der Mahnung, man müsse das Unabänderliche ertragen. Herakles spielt daraufhin 1072–1074 den verzweifelten Freund, der sich wünscht, das Unabänderliche ändern, nämlich Alkestis aus der Unterwelt heraufholen zu können. 1071 „worin sie auch besteht“, wörtlich „wer sie (die Gabe) auch ist“. Das überlieferte „wer (masc.) du auch bist“ bereitet Schwierigkeiten, nicht nur wegen der ähnlichen Formulierung in 1062 „wer (fem.) du auch bist“, sondern vor allem weil die Formulierung im Kontext keinen brauchbaren Sinn ergibt. Die Konjektur „sie“ schafft eine sehr gut passende Doppeldeutigkeit (so Dale): Der Chor reagiert auf Admets erneute Klage und meint mit „Gabe“ den Tod der Alkestis, der hellhörige Zuschauer bezieht „Gabe“ auf die Verhüllte und denkt an die im Prolog angekündigte Wiederkehr der Alkestis. 1072 „Macht“ (dýnamis) meint nicht die Körperkraft, sondern die Fähigkeit oder allgemein die Möglichkeit, etwas durchsetzen zu können. Der Wunsch soll für Admet als unerfüllbar klingen; Herakles darf daher nicht früher schon in der Unterwelt gewesen sein, vgl. zu 501–504. 1076 Admet meint das, was der Chor im sechsten Stasimon den unausweichlichen Zwang des Schicksals (Anánke 965) nannte (so sinngemäß schon der Chorführer 419 und Herakles 782). Daß gleichzeitig die gerettete Alkestis verhüllt vor ihm steht, widerspricht diesem Grundsatz nicht; denn ihre Rettung hebt die Macht des Todes nicht wirklich auf, weil Alkestis eines Tages wie alle Menschen dem Zwang des Schicksals folgen und endgültig sterben wird. So redet auch später im Stück niemand davon, daß die Regel, nach der alle Menschen sterben müssen, durch Herakles außer Kraft gesetzt worden sei. 1077–86 Herakles beginnt seinen gespielten Trostversuch mit der schon vom Chor öfter gehörten Mahnung, das Unglück mannhaft zu ertragen, und dem Hinweis auf die heilende Zeit (1085, so 381 schon Alkestis). 1078 Der Vers findet sich als Sprichwort in späteren Sammlungen (s. Dale xxxvii).

198

Exodos 1079–1095

He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He.

Was würde es dir helfen, ewig klagen zu wollen? 1080 Das weiß ich, aber mich treibt ein unwiderstehlicher Drang. Ja, die Liebe zum Toten läßt die Träne fließen. Sie hat mich getötet, und mehr als ich sagen kann. Du hast eine gute Frau verloren. Wer wird da widersprechen? So daß dieser Mann keine Freude mehr am Leben hat. Die Zeit wird Linderung bringen, jetzt ist das Unglück noch frisch. 1085 Die Zeit könntest du nennen, wenn Zeit Sterben bedeutet. Eine Frau wird dir Ruhe schaffen und der Wunsch nach neuer Ehe. Still, was sagst du da! Das hätte ich nicht erwartet. Wie? Du willst nicht wieder heiraten, sondern Witwer bleiben? 1090 Es gibt keine, die an meiner Seite liegen wird. Glaubst du, der Toten damit irgendwie zu nützen? Sie, wo sie auch ist, muß ich in Ehren halten. Das lobe ich, lobe ich wirklich, aber du begehst eine Torheit. Ja, so sehr, daß ich diesen Mann nie mehr Bräutigam nennen will. 1094 Ich habe dich gelobt, weil du deiner Gattin ein so treuer Freund bist.

Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ.

τί δ’ ἂν προκόπτοις, εἰ θέλεις ἀεὶ στένειν; ἔγνωκα καὐτός, ἀλλ’ ἔρως τις ἐξάγει. τὸ γὰρ φιλῆσαι τὸν θανόντ’ ἄγει δάκρυ. ἀπώλεσέν με κἄτι μᾶλλον ἢ λέγω. γυναικὸς ἐσθλῆς ἤμπλακες· τίς ἀντερεῖ; ὥστ’ ἄνδρα τόνδε μηκέθ’ ἥδεσθαι βίωι. χρόνος μαλάξει, νῦν δ’ ἔθ’ ἡβᾶι σοι κακόν. χρόνον λέγοις ἄν, εἰ χρόνος τὸ κατθανεῖν. γυνή σε παύσει καὶ νέου γάμου πόθος. σίγησον· οἷον εἶπας. οὐκ ἂν ὠιόμην. τί δ’; οὐ γαμεῖς γὰρ ἀλλὰ χηρεύσηι λέχος; οὐκ ἔστιν ἥτις τῶιδε συγκλιθήσεται. μῶν τὴν θανοῦσαν ὠφελεῖν τι προσδοκᾶις; κείνην ὅπουπερ ἔστι τιμᾶσθαι χρεών. αἰνῶ μὲν αἰνῶ· μωρίαν δ’ ὀφλισκάνεις. ὡς μήποτ’ ἄνδρα τόνδε νυμφίον καλῶν. ἐπήινεσ’ ἀλόχωι πιστὸς οὕνεκ’ εἶ φίλος.

1080

1085

1090

1095

–––––––––––– 1085 ἡβᾶι σοι Hss., Parker ἡβάσκει, κακόν Chrysippos, Diggle, Kovacs: ἡβάσκει κακόν Murray, Garzya: 1087 νέου γάμου πόθος Hss.: νέοις γάμοις πιθοῦ Garzya: νέοι γάμοι πόθου Guttentag, Diggle, Parker 1089 λέχος BOV: μόνος LP 1093f. […] Wilamowitz, Griech. Trag. III 157 1094f. […] Wilamowitz (Brief vom 16.6.1901 an Murray), Dale, Diggle, Parker (der annimmt, nach 1096 sei ein Vers ausgefallen)

Kommentar

199

1080 eros ist der unkontrollierbare Drang, der Admet weinen läßt, nicht die Liebe zu Alkestis, die Herakles im folgenden Vers als philia anspricht, vgl. zu 279 und 930. 1082 Das bei Euripides häufig vorkommende „hat vernichtet (zugrunde gerichtet, getötet)“ scheint aus der Umgangssprache zu stammen und ist so abgeschliffen, daß ein steigerndes „mehr als ich sagen kann“ hinzugefügt werden kann. 1087 „Frau“ hört Admet, Herakles meint „Alkestis“. Ebenso doppeldeutig ist „neue Ehe“: Admet versteht darunter eine Ehe mit einer anderen Frau, während Herakles die erneuerte Ehe mit Alkestis meint. Vermutlich kannte Euripides Witwer in seiner Umgebung, die nach kurzer echter Trauer schon bald wieder auf Freiersfüßen gingen, und auch solche, die gern wieder geheiratet hätten, es aber aus irgendwelchen Gründen nicht konnten. Wie Alkestis (vgl. zu 219ff.) hält Herakles die Wiederheirat eines Witwers für normal. 1087–1096 Der Gedanke an Wiederheirat kommt nicht vom ahnungslosen Chor, sondern von Herakles, der dabei ist, Alkestis dem Freund zuzuführen. Das Motiv dient also nicht dazu, Admet einer Prüfung zu unterziehen, sondern um ihm Alkestis schon anonym als „Frau“ übergeben zu können, während er noch seinen Verlust beklagt. Wer diese Mehrschichtigkeit beachtet, wird nicht von einem „Ehebruch“ sprechen, wenn Admet um der Freundschaft willen (1106) bereit ist, die Frau in sein Haus aufzunehmen. Vgl. Einführung S. 39f. 1088 Admet beruft sich nicht auf sein in der Sterbeszene gegebenes Versprechen, der Kinder wegen nicht wieder zu heiraten (328–331), sondern empört sich in seiner Trauer spontan gegen den Gedanken der Wiederheirat überhaupt, weil er meint, es dem Andenken der toten Alkestis schuldig zu sein, keine neue Ehe einzugehen. 1091 Admet will Alkestis dadurch ehren, daß er nicht wieder heiratet. Wenn Herakles darin „keinen Nutzen“ sieht, ist das die nüchterne Ansicht eines Außenstehenden, wie sie ein untröstlicher Witwer im athenischen Alltag sicher öfter zu hören bekam. 1093–1096 Der Hauptgrund für die vorgeschlagenen Streichungen von 1093f. bzw. 1094f. ist „loben“ in 1093 und 1095, also eine scheinbare Dublette. Doch es handelt sich nicht um eine bloße Wiederholung, sondern dahinter steckt ein Spiel mit der Doppeldeutigkeit Fremde/Alkestis. Herakles lobt in 1093 Admets Treue, aber setzt hinzu, Admet sei dabei, eine „Torheit“ zu begehen (weil er die Fremde, also Alkestis, nicht aufnehmen will). Admet, der annehmen muß, Herakles meine mit „Torheit“ seine Absicht, nicht wieder zu heiraten, nimmt das auf: „Ja, ich bin so töricht, niemals wieder zu heiraten.“ Herakles will daraufhin klarstellen, daß er nicht die Treue als solche tadle: „Ich finde deine Treue wirklich lobenswert.“ Admet erneut aufnehmend: „Ja, ich will eher sterben als Alkestis die Treue brechen!“ Mit 1097 kommt Herakles dann auf sein vordergründiges Anliegen, die Fremde bei Admet unterzubringen, zurück.

200

Exodos 1096–1109

Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He.

Ich wollte sterben, wenn ich sie, selbst nach ihrem Tod, verriete. Nimm nun diese hier in dein großzüges Haus auf! Nein, ich flehe dich an bei deinem Vater Zeus. Du machst einen Fehler, wenn du es nicht tust. 1100 Und wenn ich es tue, zerreißt der Kummer mir das Herz. Vertraue mir, denn bald wirst du mir schuldigen Dank wissen. Ach, wenn du sie doch nie im Wettkampf gewonnen hättest! Wenn ich siege, ist das auch ein Sieg für dich. Das ist schön gesagt, aber die Frau soll fortgehen! Sie wird gehen, wenn es sein muß, aber prüfe erst, ob es sein muß. 1105 Es muß sein, vorausgesetzt, du wirst mir nicht zürnen. Bewußt habe auch ich den Wunsch (ein Erzürnen zu vermeiden). So siege, aber du tust mir keinen Gefallen. Du wirst mich loben, glaube mir.

Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ.

θάνοιμ’ ἐκείνην καίπερ οὐκ οὖσαν προδούς. δέχου νυν εἴσω τήνδε γενναίων δόμων. μή, πρός σε τοῦ σπείραντος ἄντομαι Διός. καὶ μὴν ἁμαρτήσηι γε μὴ δράσας τάδε. καὶ δρῶν γε λύπηι καρδίαν δηχθήσομαι. πιθοῦ· τάχ’ ἂν γὰρ ἐς δέον πέσοι χάρις. φεῦ· εἴθ’ ἐξ ἀγῶνος τήνδε μὴ ‘λαβές ποτε. νικῶντι μέντοι καὶ σὺ συννικᾶις ἐμοί. καλῶς ἔλεξας· ἡ γυνὴ δ’ ἀπελθέτω. ἄπεισιν, εἰ χρή· πρῶτα δ’ εἰ χρεὼν ἄθρει. χρή, σοῦ γε μὴ μέλλοντος ὀργαίνειν ἐμοί. εἰδώς τι κἀγὼ τήνδ’ ἔχω προθυμίαν. νίκα νυν· οὐ μὴν ἁνδάνοντά μοι ποιεῖς. ἀλλ’ ἔσθ’ ὅθ’ ἡμᾶς αἰνέσεις· πιθοῦ μόνον.

Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ.

1100

1105

–––––––––––– 1097 γενναίων BOV, Garzya: γενναίαν LP: γενναίως Lenting, Diggle, Parker 1098 ἄντομαι LP: αἰτοῦμαι BOV 1105 ἄθρει BOV: ὅρα LP 1109 ὅθ’ ἡμᾶς VLP: ἡμᾶς πότ’ BO

Kommentar

201

1097 „großzügig“ (gennaios), Herakles appelliert an Admets edle Haltung, die er mit demselben Wort schon 857 und 860 gerühmt hatte, als er vom Diener erfuhr, daß Admet ihm den Tod seiner Frau verschwiegen hatte. Damit kommt er wieder auf die Verhüllte zu sprechen, wechselt für Admet also scheinbar das Thema. In Wirklichkeit konkretisiert er die „neue Ehe“ (1087), dramaturgisch ist es also eine Annäherung an die Wiedervereinigung mit Alkestis, die der ahnungsvolle Zuschauer auch als solche empfinden konnte. Lentings kleine Textänderung (s statt n = Adverb statt Genitiv Plural) ist kaum richtig, da das lobende „großzügig“ natürlich auf jeden Fall dem Besitzer des Hauses gilt und Herakles an dessen bekannte Großzügigkeit appelliert; das Adverb würde dagegen nur Großzügkeit für den Augenblick anmahnen. 1101 Admet soll Herakles mit der Aufnahme der Fremden einen „Gefallen“ erweisen, der ihm eine „entsprechende“ (es déon) Gegenleistung einbringen und ihm zum Guten ausschlagen werde. Herakles meint damit natürlich die Wiedervereinigung mit Alkestis, Admet dagegen muß glauben, Herakles wolle ihm nur allgemein seine künftige Dankbarkeit zusichern. Vgl. zu 70. 1103f. Herakles meint mit dem gemeinsamen Sieg die Rettung der Alkestis, Admet dagegen hört nur eine Freundschaftsbekundung im Sinne des Sprichworts „Freunden ist alles gemeinsam“. Es wird von Euripides auch in anderen Stücken zitiert, vgl. Orestes 735, Andromache 376f., Phönikerinnen 243. 1105 Herakles gibt scheinbar nach, setzt aber gleich hinzu, Admet solle seine Ablehnung noch einmal überdenken. Wahrscheinlich steckt hinter der poetisch gehobenen Formulierung eine gängige Alltagsfloskel wie unser „Meinetwegen, aber überleg dir das noch mal.“ 1106 „zürnen“. Admet will bei seiner Meinung bleiben, fügt aber hinzu, die Freundschaft mit Herakles nicht aufs Spiel setzen zu wollen. Mancher Zuschauer mag hier an die Ilias gedacht haben und den „Zorn“ Achills, also an die folgenreiche Entzweiung von Agamemnon und Achill. 1107f. Da Herakles „auch ich“ sagt, also behauptet, dasselbe zu wollen wie Admet, kann er mit seinem „Wunsch“ (prothymia) nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, die Aufnahme der verhüllten Fremden meinen, sondern die Absicht, es wie Admet zu keiner Entzweiung kommen zu lassen. „Bewußt“ (wörtlich „etwas wissend“). Der Zuschauer, der in der Verhüllen die gerettete Alkestis vermutet, wird das als versteckten Hinweis verstehen. Admet dagegen muß annehmen, Herakles bestehe auf der Aufnahme der Fremen, weil er überzeugt sei, der Freundschaft damit nicht zu schaden. Für ihn hat „etwas wissend“ also eine allgemeinere Bedeutung als für den Zuschauer und daher besteht für ihn kein Anlaß nachzufragen, was mit „etwas“ gemeint sei. Daraufhin gibt er dem Freund nach und merkt nur noch an, daß ihm die Sache nach wie vor nicht gefalle. Admet lenkt also ein, weil er seinerseits die Freundchaft nicht gefährden will und weil er Herakles’ Überzeugung, ihre Freundchaft werde darunter nicht leiden, nicht widersprechen möchte, vgl. zu 536– 545.

202 Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He.

Ad.

Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ.

Αδ.

Exodos 1110–1124

Bringt sie hinein, wenn sie ins Haus aufgenommen werden muß. Ich kann die Frau nicht deinem Personal überlassen. Dann führe du selbst sie, wenn du meinst, ins Haus. Nein, nur deinen Händen werde ich sie übergeben. Ich könnte sie nicht berühren, aber sie mag eintreten. Nur deiner Rechten vertraue ich sie an. Herr, zwinge mich nicht dazu gegen meinen Willen! Strecke ohne Scheu die Hand aus und berühre den Gast. Ich strecke sie aus, (aber abgewendet) wie der Gorgotöter. Hältst du sie? Ja, ich halte sie. So bewahre sie, und du wirst einst sagen, daß der Sohn des Zeus ein edler Gast war. Schaue sie an, ob sie deiner Frau gleicht. Laß den Schmerz und sei glücklich! Götter, was soll ich sagen? Das ist ein unverhofftes Wunder. Ist es wirklich meine Frau, die ich vor mir sehe?

κομίζετ’, εἰ χρὴ τήνδε δέξασθαι δόμοις. οὐκ ἂν μεθείην τὴν γυναῖκα προσπόλοις. σὺ δ’ αὐτὸς αὐτὴν εἴσαγ’, εἰ δοκεῖ, δόμους. ἐς σὰς μὲν οὖν ἔγωγε θήσομαι χέρας. οὐκ ἂν θίγοιμι· δῶμα δ’ εἰσελθεῖν πάρα. τῆι σῆι πέποιθα χειρὶ δεξιᾶι μόνηι. ἄναξ, βιάζηι μ’ οὐ θέλοντα δρᾶν τάδε. τόλμα προτεῖναι χεῖρα καὶ θιγεῖν ξένης. καὶ δὴ προτείνω, Γοργόν’ ὡς καρατομῶν. ἔχεις; ἔχω, ναί. σῶιζέ νυν καὶ τὸν Διὸς φήσεις ποτ’ εἶναι παῖδα γενναῖον ξένον. βλέψον πρὸς αὐτήν, εἴ τι σῆι δοκεῖ πρέπειν γυναικί· λύπης δ’ εὐτυχῶν μεθίστασο. ὦ θεοί, τί λέξω; θαῦμ’ ἀνέλπιστον τόδε· γυναῖκα λεύσσω τὴν ἐμὴν ἐτητύμως,

1110

1115

1120

1110

1115

1120

–––––––––––– 1111 τὴν VLP: σοῖς BO 1112 δοκεῖ LP: βούλει BOV δόμους Monk, Diggle, Parker: δόμοις Hss., Garzya 1113 Zur adversativen Bedeutung der verknüpfenden Partikelverbindung μὲν οὖν s. Denniston, Greek Particles 475. 1118 καρατομῶν Lobeck, Diggle, Parker: καρατόμωι Hss.: καραδοκῶ Garzya 1119f. […] Nauck, Diggle 1121 πρὸς V: δ’ ἐς BOLP σῆι Markland, Garzya, Diggle, Parker: σοι Hss. 1123 λεύσσω BO, Garzya, Diggle, Parker: λέξω LP 1124 τὴν BOV: τήνδ’ LP

Kommentar

203

1108–19 Admet ist nun grundsätzlich bereit, die Fremde aufzunehmen, und Herakles könnte mit der Enthüllung reagieren, aber Euripides spitzt die dramatische Spannung weiter zu und läßt Admet nacheinander – weiter auf Distanz zu der Fremden bedacht – drei Ausweichmöglichkeiten für den Gang ins Haus vorschlagen (Bedienstete, Herakles, die Fremde allein). Erst als Admet bereit ist, ihre Hand zu erfassen und sie hineinzuführen, enthüllt Herakles ihr Gesicht. Die Zuschauer, die spätestens seit 1107 sicher sein konnten, daß die Verhüllte Alkestis ist, sahen zweifellos mit größtem Vergnügen zu, wie der ahnungslose Admet widerstrebend zu seinem Glück geführt wird. Daß Herakles ihn dabei zwingt, sich auf einen Hochzeitsritus mit Alkestis (vgl. 917) einzulassen, war für sie eine besondere Pointe. Auf den Gedanken, hier bahne sich ein „Ehebruch“ an (vgl. zu 1087–1096), dürfte daher damals niemand gekommen sein. 1116 „Herr“, vgl. zu 539. 1118 Perseus schlug der „Gorgo“ (nach anderer Version: einer der drei Gorgonen namens Medusa), deren Anblick versteinerte, mit abgewendetem Gesicht den Kopf ab. Daß er (nach einer ausführlicheren Version) dabei seinen Schild als Spiegel benutzt haben soll, dürfte die Zutat eines technisch denkenden Erzählers sein, der sich fragte, wie man, ohne hinzusehen, jemand den Kopf abschlagen kann. 1119 Sobald Admet die Hand der Fremden erfaßt hat, enthüllt Herakles ihr Gesicht. Während das Hineinführen eindeutig ein Hochzeitsritus ist, sollte man das Enthüllen nicht mit dem rituellen Entschleiern der Braut gleichsetzen (dazu Parker 275). Zwar mag mancher antike Bräutigam beim Fallen des Schleiers überrascht gewesen sein, falls er seine Braut vorher noch nicht gesehen hatte, aber bei Admet geht es um eine ganz andere Art von Überraschung, nämlich daß er statt einer Fremden seine totgeglaubte Frau vor sich sieht. Das ist kein Hochzeitsritus, sondern ein Theatereffekt. 1119f. Diese Verse zu streichen, weil durch sie die erst in 1131 erfolgende Berührung vorweggenommen werde, kann keinesfalls richtig sein. Riemer (190ff.) weist auf den Unterschied der Situation hin. 1119f. geht es um die Berührung nach längerer Abwehr, 1131 um die Frage, ob die Frau eine Geistererscheinung ist oder ein Mensch von Fleisch und Blut, den man anfassen kann. Außerdem hat Euripides als Regisseur seinen Admet wahrscheinlich angewiesen, 1123 vor Erstaunen die Hand der Frau, als er in ihr Alkestis erkennt, loszulassen. Gegen die Streichung sprechen sich auch Erbse, Halleran, Susanetti, Parker aus. Die hier und 1136 betonte Abstammung von Zeus (vgl. zu 505 und 509) soll die Größe von Herakles’ Tat unterstreichen, ohne sie damit als übernatürlich einzustufen.

204

He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad. He. Ad.

Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ.

Exodos 1125–1138

1125 Oder blendet mich ein Gott durch eine trügerische Freude? Nein, sondern du siehst hier deine Frau. Wenn dies nur nicht ein Geist aus der Unterwelt ist. Nicht zum Totenbeschwörer hast du mich, deinen Gast, gemacht. Sehe ich meine Gattin, die ich begrub? Sei gewiß, doch ich wundere mich nicht, daß du, was geschehen ist, 1130 kaum glauben willst. Berühre ich sie, rede ich sie an wie im Leben meine Gattin? Rede sie an, denn du hast alles, was du dir wünschtest. O Auge und Gestalt meiner über alles geliebten Frau. Ich halte dich unverhofft und meinte, dich nie mehr zu sehen. 1135 Du hältst sie. Möge kein Neid der Götter daraus entstehen! O edler Sohn des großen Zeus, mögest du glücklich sein und dein Vater möge dich schützen, denn du allein hast mich wieder aufgerichtet.

ἢ κέρτομός μ’ ἐκ θεοῦ τις ἐκπλήσσει χαρά; οὐκ ἔστιν, ἀλλὰ τήνδ’ ὁρᾶις δάμαρτα σήν. ὅρα δὲ μή τι φάσμα νερτέρων τόδ’ ἧι. οὐ ψυχαγωγὸν τόνδ’ ἐποιήσω ξένον. ἀλλ’ ἣν ἔθαπτον εἰσορῶ δάμαρτ’ ἐμήν; σάφ’ ἴσθ’· ἀπιστεῖν δ’ οὔ σε θαυμάζω τύχηι. θίγω, προσείπω ζῶσαν ὡς δάμαρτ’ ἐμήν; πρόσειπ’· ἔχεις γὰρ πᾶν ὅσονπερ ἤθελες. ὦ φιλτάτης γυναικὸς ὄμμα καὶ δέμας, ἔχω σ’ ἀέλπτως, οὔποτ’ ὄψεσθαι δοκῶν. ἔχεις· φθόνος δὲ μὴ γένοιτό τις θεῶν. ὦ τοῦ μεγίστου Ζηνὸς εὐγενὲς τέκνον, εὐδαιμονοίης καί σ’ ὁ φιτύσας πατὴρ σώιζοι· σὺ γὰρ δὴ τἄμ’ ἀνώρθωσας μόνος.

–––––––––––– 1125 μ’ ἐκ Bücheler, Garzya, Diggle, Parker: με Hss. 1130 τύχηι Reiske, Diggle, Parker: τύχην Hss., Garzya

1125

1130

1135

1127 δὲ Diggle, Parker: γε Hss., Garzya

Kommentar

205

1125 In der Ilias (22,214–299) wird Hektor so von Athene getäuscht. Während seiner Flucht vor Achill, bei der sie schon viermal die Stadt umkreist haben, steht plötzlich sein Bruder Deiphobos vor ihm und ermutigt ihn, sich dem überlegenen Feind zu stellen. Doch kurz danach, als er den Speer des Bruders braucht, ist Deiphobos verschwunden und Hektor muß erkennen, daß es Athene war, die dessen Gestalt angenommen hatte. 1127 Admet befürchtet, nur die tote Alkestis als Geist (phasma) vor sich zu sehen. Ähnlich geht es Menelaos in der Helena (569), als er in Ägypten der echten Helena begegnet, die ihrem Scheinbild (eidolon), das er von Troja mitgebracht hat, aufs Haar gleicht. Auch er denkt, das könne nur ein phasma sein. Weder Admet noch Menelaos wurden dadurch für das Publikum zu Vertretern eines fragwürdigen Geisterglaubens; denn solche Erscheinungen galten als möglich und wurden ernstgenommen. Herodot berichtet (4,15) von einem solchen phasma in Metapont in Italien, weswegen man das Orakel von Delphi offiziell um Rat gefragt habe. 1128 „Totenbeschwörer“. psychagogós (oder psychopompós) ist sonst der „Seelengeleiter“, der die Seelen der Toten in die Unterwelt bringt. Vgl. zu 360f. In der Zeit des Euripides gab es, wie Herakles’ ironisch-verächtliche Distanzierung erkennen läßt, „Totenbeschwörer“, die behaupteten, den Geist eines Toten herbeizitieren zu können, aber vielfach wie von Herakles (und wohl auch von Euripides) als Scharlatane angesehen wurden. Aischylos hatte in seinen Persern eine Totenbeschwörung als sehr effektvolle Szene auf die Bühne gebracht: Nach der Niederlage, die König Xerxes bei Salamis erlitten hat, wird der Geist seines Vaters Dareios heraufbeschworen und um Rat gefragt. 1131f. Vgl. zu 1119f. Ob Euripides vorgesehen hat, daß Admet hier nicht nur fragt, sondern Alkestis wirklich berührt, etwa erneut ihre Hand ergreift, ist aus dem Wortlaut nicht zu erkennen. Herakles ermuntert ihn nur, sie anzureden. 1134 Wilamowitz verstand das als Frage, auf die Herakles antwortet. Doch die Formulierung klingt eher wie ein freudiger Ausruf, dem Herakles zustimmt. 1135 Die Furcht vor dem „Neid der Götter“ ist hier kaum mehr als eine bei Gratulationen übliche apotropäische Floskel. Anders noch in Aischylos’ Persern, wo der Bote die Niederlage der persischen Flotte auf den „Neid der Götter“ zurückführt (362). Euripides und seine Zuschauer kannten wahrscheinlich die Geschichte vom allzu großen „Glück des Polykrates“, weswegen König Amasis von Ägypten ihm aus Furcht vor dem „Neid der Götter“ die Freundschaft aufkündigte (Herodot 3,39–43 und 120–125).

206

He. Ad. He. Ad. He.

Ad. He. Ad.

Ηρ. Αδ. Ηρ. Αδ. Ηρ.

Αδ. Ηρ. Αδ.

Exodos 1139–1156

Wie hast du sie von unten ans Licht gebracht? 1140 Durch einen Kampf mit dem Dämon, der darüber entscheidet. Wo, sagst du, hast du diesen Kampf mit dem Tod begonnen? Am Grabhügel selbst, ihn aus dem Hinterhalt mit den Händen packend. Warum steht die Frau stumm da? Mit dir zu reden ist ihr nicht erlaubt, 1145 bis sie nicht mehr den unteren Göttern geweiht ist und der dritte Tag gekommen ist. Doch führe sie hinein, und rechtschaffen auch künftig, Admet, sei dir das Gastrecht heilig. Lebe wohl! Ich aber muß gehen, um für den Sohn 1150 des Sthenelos, den König, die aufgetragene Arbeit zu erledigen. Bleibe bei uns und sei unser Gast! Ein andermal, jetzt aber bin ich in Eile. Mögest du Erfolg haben und zurückkehren! Den Bürgern der Stadt aber und der ganzen Tetrarchie befehle ich, Chöre zu veranstalten für das glückliche Geschehen 1155 und die Altäre von Tieropfern rauchen zu lassen.

πῶς τήνδ’ ἔπεμψας νέρθεν ἐς φάος τόδε; μάχην συνάψας δαιμόνων τῶι κυρίωι. ποῦ τόνδε θανάτωι φὴις ἀγῶνα συμβαλεῖν; τύμβον παρ’ αὐτόν, ἐκ λόχου μάρψας χεροῖν. τί γάρ ποθ’ ἥδ’ ἄναυδος ἕστηκεν γυνή; οὔπω θέμις σοι τῆσδε προσφωνημάτων κλύειν, πρὶν ἂν θεοῖσι τοῖσι νερτέροις ἀφαγνίσηται καὶ τρίτον μόληι φάος. ἀλλ’ εἴσαγ’ εἴσω τήνδε· καὶ δίκαιος ὢν τὸ λοιπόν, Ἄδμητ’, εὐσέβει περὶ ξένους. καὶ χαῖρ’· ἐγὼ δὲ τὸν προκείμενον πόνον Σθενέλου τυράννωι παιδὶ πορσυνῶ μολών. μεῖνον παρ’ ἡμῖν καὶ ξυνέστιος γενοῦ. αὖθις τόδ’ ἔσται, νῦν δ’ ἐπείγεσθαί με δεῖ. ἀλλ’ εὐτυχοίης, νόστιμον δ’ ἔλθοις δρόμον. ἀστοῖς δὲ πάσηι τ’ ἐννέπω τετραρχίαι χοροὺς ἐπ’ ἐσθλαῖς συμφοραῖσιν ἱστάναι βωμούς τε κνισᾶν βουθύτοισι προστροπαῖς.

–––––––––––– 1140 κυρίωι BO, Garzya, Diggle, Parker: κοιράνωι VLP Parker: δόμον LP: ὁδόν V, Garzya: πόδα BO, Méridier

1140

1145

1150

1155

1153 δρόμον Wilamowitz, Diggle,

Kommentar

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1139–42 Euripides läßt in Admets Reaktion nichts auf das Übernatürliche an Alkestis’ Wiederkehr hindeuten. Seine Worte klingen, als ob es nur um das Wiederfinden der irgendwie verlorengegangenen Alkestis ginge. Nur Herakles spricht in 1140 und 1142 vom Ringkampf mit dem Tod; doch der eigentlich zu erwartende ausführliche Bericht ist ausgespart. Vgl. zu 1025 und Einführung S. 19 (und S. 29 zu M. Yourcenars Le mystère d’Alceste). 1140 Ein „Dämon“ (daimon) ist nicht wie im Deutschen ein unheimliches Mittelding zwischen Gott und Mensch, sondern ganz allgemein ein übermenschliches Wesen, Götter also eingeschlossen (vgl. zu 384). Wenn Herakles seinen Gegner so bezeichnet, bleibt der Ringkampf auch in diesem Punkt allgemein und unbestimmt. 1141 „Tod“. Die übliche Großschreibung im griechischen Text (Thanatos) ist irreführend, weil dadurch der falsche Eindruck entsteht, Euripides greife hier die Personifikation aus dem Prolog einfach wieder auf. Dann müßte man in der Tat fragen, wie der Tod aus dem Haus zum Grab gelangt ist, ganz abgesehen davon, daß Admet beim Prolog nicht dabei war und von einer Personifikation des Todes namens Thanatos nichts weiß. Vgl. zu 844. 1143 Admet fragt nicht Alkestis selbst, warum sie nicht antwortet, sondern hält sich an Herakles. Sie bleibt, wie in der ganzen Szene, bloßes Objekt des Geschehens, ohne aktiv daran teilzunehmen, vgl. zu 220–225 und zu 824. 1144–1146 „nicht erlaubt“, durch eine Satzung (themis) verboten. Unter themis ist ein unumstößliches Gebot der Religion oder Konvention zu verstehen. Zum Schweigen der Alkestis (d. h. zum Fehlen einer eigentlichen Wiedersehensszene) vgl. Einführung S. 40f. 1146 „Weihung … aufgehoben“. Der Tod hatte im Prolog gesagt, sein Messer werde sie „weihen“ (76). Das war zwar nur eine Metapher, aber unabhängig davon leuchtet ein, daß die üblichen Bestattungsriten irgendwie revoziert werden müssen. Auch heute könnte ein ordnungsgemäß Bestatteter nicht ohne amtliche Formalitäten ins Leben zurückkehren. 1147 „rechtschaffen“ (díkaios), im Prolog (10) hatte Apollon Admet „fromm“ (hósios) genannt. „das Gastrecht sei dir heilig“, wörtlich „sei fromm (eusebés) in Bezug auf Gäste“, vgl. zu 559f. 1150 „Sohn des Sthenelos“ = Eurystheus. „König“ (týrannos), vgl. zu 654. 1151 „uns“ ist wahrscheinlich als poetischer Plural zu verstehen, d. h. Admet spricht nur für sich und nicht zugleich für Alkestis, die zwar neben ihm steht, aber als stumme Figur und nicht als wirklich schon ins Leben zurückgekehrte Frau Admets und Herrin des Hauses. 1154 „Tetrarchie“, vgl. zu 590–596

208

Exodos 1157–1163

Denn jetzt sind wir versetzt in ein besseres Leben als das vorige, denn ich werde nicht leugnen, glücklich zu sein. Ch.

Vielgestaltig ist das Göttliche, vieles vollziehen die Götter anders als erwartet, viele Pläne nämlich kamen nicht zum Ziel, für das Ungeplante aber fand der Gott einen Weg. So ging diese Sache aus.

1160

νῦν γὰρ μεθηρμόσμεσθα βελτίω βίον τοῦ πρόσθεν· οὐ γὰρ εὐτυχῶν ἀρνήσομαι. Χο.

πολλαὶ μορφαὶ τῶν δαιμονίων, πολλὰ δ’ ἀέλπτως κραίνουσι θεοί· καὶ τὰ δοκηθέντ’ οὐκ ἐτελέσθη, τῶν δ’ ἀδοκήτων πόρον ηὗρε θεός. τοιόνδ’ ἀπέβη τόδε πρᾶγμα.

–––––––––––– 1140 κυρίωι BO, Garzya, Diggle, Parker: κοιράνωι VLP Parker: δόμον LP: ὁδόν V, Garzya: πόδα BO, Méridier

Anapäste 1160

1153 δρόμον Wilamowitz, Diggle,

Kommentar

209

1157 „wir“, vgl. zu 1151. „das vorige (Leben)“, d. h. die Zeit der Trauer um Alkestis. „Das „bessere Leben“ müßte eigentlich die Versöhnung mit den Eltern einschließen, aber Euripides kommt auf die Entzweiung nicht zurück, vgl. zu 736. 1158 „ich werde nicht leugnen“ dürfte von den damaligen Zuschauern wahrscheinlich nicht als harmlose Litotes (= „nicht nicht sagen“) verstanden worden sein; denn Euripides scheint damit anzudeuten, daß Admet sich über die eigentlich gebotene Scheu, sich „glücklich“ zu nennen, hinwegsetzt. Vgl. zu 1135 („Neid der Götter“). Bei Schiller (Der Ring des Polykrates) sagt der Herrscher von Samos (der nach Herodot später kläglich am Kreuz endet) voller Stolz zu seinem Freund Amasis: „Gestehe, daß glücklich bin.“ 1159–1163 Diese abschließenden Anapäste, mit denen der Chor abzieht (die ‚Exodos‘ im engeren Sinne, vgl. Einführung S. 48) ersetzen den damals nicht vorhandenen ‚Vorhang‘, der heute dem Zuschauer anzeigt, daß das Stück zu Ende ist. Sie finden sich am Schluß mehrerer Tragödien von Euripides (Alkestis, Andromache, Helena, Bakchen und mit kleiner Abweichung Medea); die Exodos der übrigen wirkt zwar ähnlich knapp und konventionell, sieht aber doch jedesmal anders aus. Eine Erklärung für dies Nebeneinander gibt es bisher nicht.

Anhang

212

Antike Inhaltsangaben

Hypothesis (I) Apollon hatte durch Bitten von den Moiren erreicht, daß Admet, als er sterben sollte, jemanden stellen durfte, der freiwillig bereit war, für ihn zu sterben, damit er seiner bisherigen Lebenszeit die gleiche hinzufügen könne. Und so gab sich Alkestis, Admets Frau, her, da von den Eltern keiner für den Sohn sterben wollte. Nicht lange nachdem sich dies zugetragen hatte, kam Herakles hinzu. Als er von einem Diener erfahren hatte, was mit Alkestis geschehen war, ging er zum Grab und vertrieb den Tod; danach verhüllt er die Frau mit ihrem Gewand. Von Admet aber verlangte er, sie aufzunehmen und zu hüten, denn er habe sie bei einem Ringkampf gewonnen, sagte er. Als jener das nicht wollte, offenbarte er sie ihm als die Betrauerte.

Ὑπόθεσις (I) Ἀπόλλων ᾐτήσατο παρὰ τῶν Μοιρῶν ὅπως ὁ Ἄδμητος, τελευτᾶν μέλλων, παράσχῃ τὸν ὑπὲρ ἑαυτοῦ ἑκόντα τεθνηξόμενον, ἵνα ἴσον τῷ προτέρῳ χρόνον ζήσῃ. καὶ δὴ Ἄλκηστις ἡ γυνὴ τοῦ Ἀδμήτου ἐπέδωκεν ἑαυτὴν, οὐδετέρου τῶν γονέων θελήσαντος ὑπὲρ τοῦ παιδὸς ἀποθανεῖν. μετ’ οὐ πολὺ δὲ ταύτης τῆς συμφορᾶς γενομένης Ἡρακλῆς παραγενόμενος καὶ μαθὼν παρά τινος θεράποντος τὰ περὶ τὴν Ἄλκηστιν ἐπορεύθη ἐπὶ τὸν τάφον καὶ τὸν Θάνατον ἀποστῆναι ποιήσας, ἐσθῆτι καλύπτει τὴν γυναῖκα, τὸν δὲ Ἄδμητον ἠξίου λαβόντα αὐτὴν τηρεῖν. εἰληφέναι γὰρ αὐτὴν πάλης ἆθλον ἔλεγε. μὴ βουλομένου δὲ ἐκείνου ἔδειξεν ἣν ἐπένθει.

Kommentar

213

Die in den mittelalterlichen Handschriften den einzelnen Stücken vorangestellten allgemeinen Erläuterungen (hypothesis meint ursprünglich den ‚zugrundeliegenden‘ Stoff, lat. argumentum) gehen letzten Endes auf die Tätigkeit der alexandrinischen Bibliothekare zurück. Dabei haben sich zwei Typen herausgebildet: (I) Inhaltsangaben im weiteren Sinne (Mythos und Stück vermischt) und (II) Inhaltsangaben im engeren Sinne (Stück) verbunden mit anderen Informationen. Typ II wirkt philologisch zuverlässiger und ist vor allem wegen der zusätzlichen Nachrichten wertvoll; der Überlieferung nach gilt als Verfasser Aristophanes von Byzanz, der gegen 190 v. Chr. in Alexandria Leiter der Bibliothek wurde. Hypothesis I. Der Verfasser spricht in der Vergangenheitsform und unterscheidet nicht zwischen Stoff (Mythos) und Stück. Man könnte nach dieser Darstellung glauben, die Alkestis beginne mit dem drohenden Tod Admets und handle im ersten Teil davon, wie es zu dem Lebenstausch kam. Die Grenze zwischen Vorgeschichte (Prolog) und Handlung, die bei Euripides die Motivstruktur des Stücks grundlegend bestimmt (s. Einführung S. 19f.), wird also nicht beachtet. Daß Admet seine Lebenszeit verdoppeln durfte, steht nicht bei Euripides und ist vermutlich in keiner Version des Mythos je behauptet worden, weil sich die Zahl kaum begründen läßt. Vielleicht hieß es irgendwo, Admet habe die „gleiche“ Zahl der Jahre erhalten, die Alkestis eigentlich noch hätte leben dürfen. Aber auch davon ist bei Euripides nicht die Rede. Zum Schluß fehlt die eigentliche Pointe, nämlich daß Herakles Alkestis erst enthüllt, nachdem Admet seinen Widerstand aufgegeben hat.

214

Antike Inhaltsangaben

Hypothesis (II) Alkestis, die Tochter des Pelias, die es auf sich genommen hatte, für ihren eigenen Mann zu sterben, wird durch Herakles, der sich in Thessalien aufhielt, indem er die unterirdischen Götter bezwingt und ihnen die Frau wegnimmt. Bei keinem der beiden (anderen Tragiker), gibt es den Stoff. Das Stück wurde als 17. geschrieben. Es wurde unter dem Archon Glaukinos Olympiade aufgeführt (438 v. Chr.). Erster war Sophokles, zweiter Euripides mit den Kreterinnen, Alkmeon in Psophis, Telephos und Alkestis. Der Ausgang des Stücks ist eher komisch (komödienhaft). Schauplatz ist Pherai, eine Stadt in Thessalien. Der Chor besteht aus einheimischen alten Männern, die herbeikommen, um am Unglück der Alkestis teilzunehmen. Den Prolog spricht Apollon. ...... war Chorege. Das Drama ist eher satyrisch (hat etwas von einem Satyrspiel an sich), weil es heiter und amüsant ausgeht statt tragisch. Die Stücke Orestes und Alkestis haben eine Sonderstellung als der tragischen Dichtung nicht zugehörig, da sie im Unglück beginnen und sich am Schluß zu Glück und Heiterkeit wenden, was eher eine Eigenheit der Komödie ist. Aus dem Haus Admets kommend spricht Apollon den Prolog nach Art eines Redners.

Ὑπόθεσις (II) Ἄλκηστις, ἡ Πελίου θυγάτηρ, ὑπομείνασα ὑπὲρ τοῦ ἰδίου ἀνδρὸς τελευτῆσαι, Ἡρακλέους ἐπιδημήσαντος ἐν τῇ Θετταλίᾳ βιασαμένου τοὺς χθονίους θεοὺς καὶ ἀφελομένου τὴν γυναῖκα. παρ’ οὐδετέρῳ κεῖται ἡ μυθοποιία. τὸ δρᾶμα ἐποιήθη ιζ. ἐδιδάχθη ἐπὶ Γλαυκίνου ἄρχοντος ὀλυμπιάδος . πρῶτος ἦν Σοφοκλῆς, δεύτερος Εὐριπίδης Κρήσσαις, Ἀλκμέωνι τῷ διὰ Ψωφῖδος, Τηλέφῳ, Ἀλκήστιδι. .................... τὸ δὲ δρᾶμα κωμικωτέραν ἔχει τὴν καταστροφήν. ἡ μὲν σκηνὴ τοῦ δράματος ὑπόκειται ἐν Φεραῖς, μιᾷ πόλει τῆς Θετταλίας· ὁ δὲ χορὸς συνέστηκεν ἔκ τινων πρεσβυτῶν ἐντοπίων, οἳ καὶ παραγίνονται συμπαθήσοντες ταῖς Ἀλκήστιδος συμφοραῖς. προλογίζει δὲ Ἀπόλλων. ......εἰσιδ ἐχορήγει. τὸ δὲ δρᾶμά ἐστι σατυρικώτερον ὅτι εἰς χαρὰν καὶ ἡδονὴν καταστρέφει παρὰ τὸ τραγικόν. ἐκβάλλεται ὡς ἀνοίκεια τῆς τραγικῆς ποιήσεως ὅ τε Ὀρέστης καὶ ἡ Ἄλκηστις, ὡς ἐκ συμφορᾶς μὲν ἀρχόμενα, εἰς εὐδαιμονίαν καὶ χαρὰν λήξαντα, ἐστι μᾶλλον κωμῳδίας ἐχόμενα. ἐξιὼν ἐκ τοῦ οἴκου τοῦ Ἀδμήτου προλογίζει ὁ Ἀπόλλων ῥητορικῶς.

Kommentar

215

Hypothesis II. Der erste Satz gibt (im Präsens) so knapp wie möglich den Inhalt des Stücks an und läßt erkennen, daß eine Sterbe- mit einer Rettungshandlung kombiniert ist. Doch wir erfahren nichts genaueres über die Struktur, weder ist die Verschränkung der beiden Handlungen (der spätere Retter trifft noch vor Alkestis’ Bestattung ein) daraus ablesbar noch die Ankündigung der Rettung im Prolog durch Apollon. Da der Autor statt vom Tod verallgemeinernd von „unterirdischen Göttern“ spricht, denen Herakles Alkestis abgenommen habe, scheint er die Entmythisierung des „Ringkampfs“ durch Euripides (s. Kommentar zu 1139–42) gespürt zu haben. Mit „bei keinem der beiden“ sind Aischylos und Sophokles gemeint. Für den Verfasser dieser Notiz zählten also nur die drei Klassiker; in seiner Zeit waren, wie es aussieht, die anderen Tragiker des 5. Jahrhunderts bereits vergessen. Die ungerade Zahl 17 kann nur verwundern, wenn man voraussetzt, Euripides habe von Anfang an Tetralogien für die Großen Dionysien verfaßt. Es ist aber denkbar, daß er mit Einzelstücken begonnen hat, die außerhalb von Athen aufgeführt wurden (vgl. Einführung Fußn. 4). Der „Chorege“ war der vom zuständigen Archon beauftragte vermögende Bürger, der als Veranstalter die Aufführung finanzieren mußte und in den amtlichen Akten vor dem Dichter rangierte. Die alternativen Bemerkungen über den guten Ausgang, „eher komisch“ und „eher satyrisch“, die auf verschiedene Urheber zurückgehen dürften, setzen (zu Unrecht) voraus, daß Tragödien immer einen schlechten Ausgang haben und sich dadurch von Komödie bzw. Satyrspiel unterscheiden; von darüber hinausgehenden komischen oder satyrspielhaften Zügen der Alkestis ist keine Rede. Der Hinweis, die Alkestis ende „heiter und amüsant“ wie ein Satyrspiel, nimmt etwas zu wenig Rücksicht darauf, daß Euripides es durch ‚das Schweigen der Alkestis‘ (s. Einführung S. 40f.) nicht zu einem abschließenden allgemeinen Freudenfest auf der Bühne kommen läßt (wie etwa Aristophanes in den Komödien Acharner und Frieden). Die Stücke Orestes und Alkestis in einem Atemzug als Beispiele für den guten Ausgang bei Tragödien zu nennen zeugt von wenig Verständnis für den grundsätzlichen Unterschied zwischen ihnen. Der gute Ausgang im Orestes kommt völlig überraschend (durch Apollon als ‚deus ex machina‘), in der Alkestis dagegen kündigt Euripides ihn schon im Prolog an und erzeugt dadurch beim Zuschauer eine besondere Spannung, die er dann mit dem Auftritt des Herakles in ein Wechselbad der Gefühle (s. Einführung S. 45f.) übergehen läßt. Mit „nach Art eines Redners“ (wörtlich: „auf rhetorische Art“) könnte gemeint sein, daß der Prolog nicht Teil der Handlung ist, sondern nur darüber informiert, aber vielleicht soll dadurch auch die rhetorische Durcharbeitung des Prologs (etwa die überlegte Andeutungstechnik und gedrängte Dichte, s. Einführung S. 36f.) gekennzeichnet werden.

Metrik Die antike griechische Metrik regelt nicht Betonungen (Akzente), sondern Quantitäten, d. h. die Aufeinanderfolge von langen und kurzen Silben.145 Seit vorschriftlichen Zeiten galt für Dichter diese Einteilung der Silben in zwei Klassen. Lang sind sie, wenn sie einen langen Vokal enthalten und wenn auf einen kurzen Vokal mehr als ein Konsonant folgt (außer bei Muta cum liquida, z. B. p-l).146 Langer Vokal oder Diphthong vor Vokal zählt meist als kurz (auch innerhalb desselben Wortes). 147 Die heute üblichen Zeichen sind: k = kurz, q = lang, × = anceps . Sprechverse Der Sprechvers ist in der Alkestis ausnahmslos der jambische Trimeter, der, wie der Name sagt, aus drei jambischen Metren (×qkq) besteht: ×qkq×qkq×qk× Anapäste Eine Zwischenstufe zwischen Sprech- und Singversen bilden die sog. Marschoder Rezitationsanapäste (vgl. Einführung S. 48f.), d. h. längere Reihen von Anapästen (kkq), die üblicherweise als sog. Dimeter geschrieben werden: kkq kkq | kkq kkq Dabei können sich kk und q gegenseitig ersetzen, so daß es neben kkq auch die Formen qq, qkk und seltener sogar kkkk gibt.

–––––––––––– 145

146

147

Nur wenn die Verse (wie heute als Notbehelf meist üblich) akzentuierend gelesen werden, kommt es zu einem Konflikt zwischen Wort- und Versakzent. Wer darin geübt ist, sie quantitierend zu lesen, kann den Versrhythmus zur Geltung bringen und zugleich den Wortakzent beibehalten. Da es in der natürlichen Sprache kaum eine strenge Unterscheidung von langen und kurzen Silben gegeben haben kann, ist ihr Ursprung wohl in einem darübergelagerten rhythmisch-musikalischen System zu suchen, das sich in der Praxis eines gehobenen Sprechgesangs, also bei Dichtern oder Sängern, herausgebildet hatte. Antike Theoretiker, die diese Unterteilung in zwei Klassen nicht als „natürlich“, d. h. als nicht in der Sprache selbst liegend, empfanden, meinten deswegen, sie müsse durch eine Vereinbarung („Setzung“, thesis, lat. positio) zwischen den Dichtern zustande gekommen sein. „Zweiköpfig“ oder „doppelt“, d. h. kurz oder lang.

218

Anhang

Abschließend (und gelegentlich zwischendurch) sind sie um eine Silbe verkürzt: kkqkkq|kkqq Ob sie (vielleicht von einem Aulosspieler begleitet) rezitiert oder wie lyrische Verse gesungen wurden, wissen wir nicht. In der Alkestis scheinen sie dem Kontext nach manchmal eher Sprechversen manchmal eher der Lyrik nahezustehen. Die Bezeichnung ‚Marschanapäste‘ ist irreführend, da solche Anapäste nicht nur beim Auftritt oder Abgang des Chors oder von Personen vorkommen, sondern auch in Situationen, in denen von marschartiger Bewegung nicht die Rede sein kann. Als ‚Rezitationsanapäste‘ werden sie von gesungenen lyrischen Anapästen, den sog. ‚Klageanapästen‘, unterschieden. Auch diese Unterscheidung ist terminologisch fragwürdig; z. B. bei Admets Klage in den Versen 273ff. und 861ff. handelt es sich um Rezitationsanpäste. Klageanapäste (dorisches langes Alpha statt Eta, Dimeter mit gewissen Freiheiten) als selbständige Form wie etwa Ion 154–169 kommen in der Alkestis nicht vor. Lyrische Formen Ein trotz aller Mühen noch nicht gelöstes metrisches Problem bieten die Chorlieder der griechischen Tragödie. Sie sind – von Ausnahmen abgesehen – nicht stichisch, d. h. bestehen nicht aus gleichartigen Versen. Daß es sich nicht um Prosa handelt, ergibt sich aus folgenden Merkmalen, 1. der metrischen Entsprechung (Responsion) zwischen jeweils zwei Strophen (‚Strophe‘ und ‚Gegenstrophe‘), 2. partiell unverkennbar rhythmisch geordneten Silbenfolgen, die an Jamben, Trochäen, Daktylen, Anapäste und auch Verse der äolischen Lyrik (Sappho, Alkaios) u.a. denken lassen, 3. den innerhalb von Strophe und Gegenstrophe öfter respondierenden Wortenden, bei denen manchmal zusätzlich die Quantität beliebig (anceps) ist und das Aufeinandertreffen von Vokalen keine Vokalkürzung zur Folge hat, also Hiat zulässig ist, sog. ‚Pause‘.148 Bisher ist es nicht gelungen, ein übergeordnetes Prinzip zu entdecken, aus dem sich diese Art von Regelung systematisch ableiten läßt. Erschwerend kommt hinzu, daß es in allen erhaltenen Tragödien kaum zwei Lieder gibt, die dem gleichen Schema folgen. Euripides hat (wie auch Aischylos und Sophokles) die Chorlieder aller Wahrscheinlichkeit nach fortlaufend wie Prosa geschrieben und hat mündlich Anweisungen zur musikalischen und choreographischen Ausführung gegeben. In hellenistischer Zeit versuchte man, die Texte als metrische Gebilde zu verstehen, und unterteilte sie in kurze ‚Kola‘, die man für metrisch-poetische –––––––––––– 148

Unter ‚Pause‘ ist also zunächst nur ein (nicht unbedingt zeitlicher) metrischer Einschnitt zu verstehen, bei dem die Unterscheidung von Längen und Kürzen weniger streng ist.

Metrik

219

Einheiten hielt. In den heutigen Textausgaben folgt man dem gleichen Prinzip, nur daß die Einheiten gewöhnlich etwas größer sind und als ‚Verse‘ bezeichnet werden. Klassifizierende antike Metriker haben den Kola bzw. Versen Namen gegeben, die bis heute in Gebrauch sind; die moderne Philologie hat weitere metrische Einheiten benannt. Um ähnliche Strukturen als prinzipiell gleich deuten zu können, hat man u.a. Hilfsbegriffe eingeführt wie ‚Synkope‘ (z. B. kqq = kqkq), ‚Anaklasis‘ (z. B. kq = qk ) ‚Minussilbe‘ (^, z. B. ^kqkkqk^ = qkqkkqkq). Doch das Ergebnis, die Aneinanderreihung von heterogenen (aus anderen metrischen Kontexten übernommenen) Formen und Namen, ist unbefriedigend, weil, wie gesagt, kein Prinzip erkennbar ist, dem sie folgt. Das legt den Verdacht nahe, das Verfahren der Kolometrie bzw. der Unterteilung in (verschiedenartige) Verse könnte auf einem Irrtum beruhen und ein falscher Weg sein. Darf man ein Reservoir von versartigen metrischen Einheiten annehmen, aus denen die Tragiker ihre Chorlieder ‚komponiert‘ haben? Bis zu einem gewissen Grade ist das zwar vorstellbar, wenn man dabei nicht an abstrakte Rhythmen, sondern an melodische und choreographische Formen denkt. Aber der Glaube, daß sie ihre Lieder ausschließlich aus solchem vorgegebenen Material zusammengesetzt haben und nicht zugleich auch frei mit dem Wechsel von Längen, Kürzen und Doppelkürzen und den entsprechenden melodischen und choreographischen Wendungen arbeiten konnten, ist wahrscheinlich nur eine Illusion systematisierender Metriker. Seit längerem gibt es Versuche, über dies bloße Baukastenprinzip hinauszugelangen und zugrunde liegende Regeln zu finden. Man orientiert sich etwa statt an Versen an ‚Perioden‘ (= durch ‚Pausen‘ begrenzte versübergreifende Abschnitte) oder nimmt das in einer Strophe ‚vorherrschende‘ Versmaß als Maßstab. Ein anderer Weg ist es, nur die Abfolge von Einfach- (s = single) und Doppelkürzen (d = double) zu registrieren. Zu einem durchschlagenden Erfolg ist es bisher jedoch auch bei solchen Versuchen nicht gekommen. Möglicherweise würde sich das Problem auflösen, wenn wir wüßten, wie die zugehörigen musikalischen und tänzerischen Formen aussahen, von denen der Text uns nur einen sehr schattenhaften Eindruck vermittelt. Vielleicht ließen sich mit Hilfe eines entsprechenden Computerprogramms bisher unerkannte formale Prinzipien entdecken, nach denen sich vordergründig wenig befriedigende Strukturen als metrisch wohlgeordnet erweisen. Die vorliegende Ausgabe hält sich aus praktischen Gründen an die traditionelle Verseinteilung (die manchmal nicht mehr mit der Zeilenzählung übereinstimmt, wenn spätere Herausgeber die Abgrenzung etwas geändert haben). Die den folgenden Längen/Kürzen-Schemata beigefügten Siglen folgen dem von A. M. Dale in ihrem Kommentar benutzten Kompromißverfahren. Sie sollen den rhythmischen Charakter (d. h. in welchem Sinne man von metrischer Ordnung sprechen kann) anzeigen. Daß man dabei nicht ohne zusätzliche Längen und Kürzen auskommt, macht ihre Unzulänglichkeit deutlich. Es können nicht mehr als Vorschläge sein, die andere Möglichkeiten nicht aus-

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Anhang

schließen. Auch ist nicht zu übersehen, daß darin verschiedene Ansätze stecken: einfache und daraus abgeleitete Grundeinheiten, aber auch kolon- und versartige Gebilde, wobei teilweise asymmetrische und symmetrische Formen miteinander konkurrieren. ia (iambus) = ×qkq cr (creticus) = qkq (~ ^ia) ba (baccheus) = kqq (~ ia^) ch (choriambus) = qkkq (~ ia anaklastisch) do (dochmius) = kqqkq (~ kia) hyp (hypodochmius) = qkqkq (~ –ia) an (anapaestus) = kkq hem (hemiepés) = qkkqkkq gl (glyconeus) = qkqkkqkq s = qkq ss = qkqkq usw. d = qkkq dd = qkkqkkq usw. (Gelegentlich wird mit kk = q und q = k gerechnet) U = Pause | = Zählgrenze (wenn nicht Zeilenanfang) Wo Dale speziellere Siglen im Sinne der traditionellen Kolometrie (wie etwa ‚aeolo-chor. octosyll.‘) benutzt, sind diese in den folgenden Schemata öfter rechts hinzugesetzt; sie können einen Eindruck vom terminologischen Aufwand geben, den das Baukastenprinzip mit sich bringt. Zur Entschlüsselung dieser Abkürzungen (die allerdings genauere Einarbeitung erfordert) und für weitere Fragen zur Metrik ist zu verweisen auf: A. M. Dale: The Lyric Metres of Greek Drama, Cambridge 1968. B. Snell: Griechische Metrik, Göttingen 19824. M. L. West: Introduction to Greek Metre, Oxford 1987. C. M. J. Sicking: Griechische Verslehre, München 1993 (Hdb. d. Altertumswiss.). Parodos 77–135. Aufs ganze gesehen handelt es sich um ein anapästisches System, in das zwei lyrische Strophenpaare eingefügt sind. Erstes Strophenpaar 86–92, 98–104 kqkqkqkq 86/98 ia2 qqkqkqkq ia2 qkkqkqkq ch ia (~ia2) aeolo-chor. octosyll. qqqkkqkkq – –hem kqkkqkkq 90/102 khem qqkkqkkqq –hem– (paroem.) qqqkqq –ia–

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Metrik

Zweites Strophenpaar 112–121, 122–131 ×qkqqkq 112/122 ia cr qkqkqq cr ba qqqkkq hem qkkqkkq 115/125 hem qqkkq ^hem qqqkkqq hem– ×qkqkkkkq ia2 ×qkqkqkq ia2 qkkqkk 120/130 ddds qkkqkqq Erstes Stasimon 213–237 Strophe und Gegenstrophe kqqkqqkqkq ×qkqkqkq qkq×qkq qqkkqkqkk qkkqkqkq 215/227 qkkqkqq qkqkqqkqkq kqkq×qk× qkkqkqq 220/232 kqkq qqkq×qkq×qkq kqkqkqkqkqq qkqqqq 223 kqkkqkkq kqkkqkkqkqq 225/237

aeolo-chor. pentasyll. pherecratean

do hyp ia2 cr ia –chkhem ia aeolo-chor. ch ba hyp2 ia2 ch ba aristophanean ia ia3 ia2 ba hyp– 235 qqkqq kddsdds–

Monodie der Alkestis 244–272 (Admet reagiert in eingeschobenen iambischen Trimetern und 273–279 in Anapästen) Erstes Strophenpaar qkkqkkqkq 244/248 dds prosodiac (ibycean) qkkqkq ds qkkqkqq ds– prosodiac dicolon Zweites Strophenpaar kqkqkkqkkq 252/259 ia an2 (ksdd) enop. ×qkkqkqq ×ch ba choriambic enop kqkkk×qkq ia2 qqkqkqq 255/262 ia ba kqqkkqq kkqqqkkqkqq k–ch2–ch ba (k –d ddds–)

222

Anhang

Epode kkkkkkqq 266 cr ba ithyph. qkqkqkq cr ia lekythion qkkqqkkq ch2 kqqkqkqq do ba kkkqkkqU 270 –kch dodrans (chor.) qkkqqqqq ch2– qqkqkkkkkkkqk ia2 ba (268–269 Dale: chor. pentasyll. (adonean) / enop. colarion + ithyph.) Monodie des Kindes 393–415 Strophe und Gegenstrophe (zu den Textproblemen s. Kommentar zu 397) kqqkqqkqkq 393/406 do hyp (ba2 ia) kqkqkqkq ia2 kkkqkq do (hyp) kkqkkqkkqkkqqq an5 kkkkkkkqq ia ba kkkqkq do (hyp) kkqkkqkqqkqkq×U 400 an2 do ba kqkqqqkq ia2 413 ia– – – kkqkkqkkq an3 414 an3 ba kkqkqq an ba Zweites Stasimon 435–475 Erstes Strophenpaar qkkqkkq 435/444 qqkkqkkqkqq kkqkkqkqkqq qqkkqkkqq qkkqkkqq qkkqkkq qkqkqq kkqkkqkqkqq qqkkqkqkq qkkqkqq

dd –dds ddss– –dd– dd– dd ss ddss– –dss ds–

hemiep. enop. prosodiac hemiep. ithyph. enop. enop. prosodiac (aristophanean)

Wenn man intermittierende Längen als Doppelkürzen versteht, erhält man ein noch einfacheres Schema: ddddds ddss dddddddddss ddss ddss ds–, das wohl mehr über die metrische Struktur aussagt, als die von Dale verwendeten Bezeichnungen; das ‚en(h)oplion‘ ist außerdem so variantenreich, daß man kaum noch von einer eindeutigen Struktur sprechen kann.

223

Metrik

Das zweite Strophenpaar zeigt eine ähnliche, wenn auch überwiegend kleinteiligere und weniger regelmäßige Struktur (d und s Zählung jeweils ab |): qkkqkqq 455/466 ds s arist. kq|qkkqq d dds pher. kkqkkqkq|q dddds ss enop. qqqqkkqq kkkqqkqkq|q ddss sync. iamb. trim. kkqkkqkqkq|q 460/470 enop. kkqq dsdss anap. monom. cat. kqkkqkqkq|q enop. qqqqqqqq| dddd anap. dim. qkkqkkqkkqkk ddddddd dact. tetram. qkkqkkqkkq|t dact. tetram. kqkqqkq| ss s sync. iamb. dim. qkqkqq 465 ss– ithyph. Drittes Stasimon 568–605 Erstes Strophenpaar qkqqqkkqkkqkkqkq×U kqkkqkkqkqkqq qkqkqqU kqkqkqkkq qkqkqq qkqkkqkq qqkkqkqqq qqqkkqq Zweites Strophenpaar kqkkqkkq qkqqqkkqkkq qkqqqkkqkkq 590/599 qkkqkkqkkqkkq kkqkqqU qqkkqkkqkq qkkqkkq qkqqqkkqq kkkqqkqkqq Viertes Stasimon 741–746 (Anapäste)

sdddds× kddsssss– ithyph. kssd ss– ithyph. sdssdss (gl ^gl– –) sd– (gl^) pher. kdd sddd (s–dd) sddd (s–dd) ddddds– –dds dd sdd– (s–d–) s ss– (cr2 ba)

iamb. trim. cat.

224

Anhang

Fünftes Stasimon 861–933 (Anapäste Admets mit lyrischen Chorstrophen) Erstes Strophenpaar 872–877 und 889–894 kqkqqkqkqq ia cr ba kqkqkqqkq ia do kkkqkqkq× do ba qqkqkqkq ia2 kqkqkqkkqkkq iakhem iambelegus kqqkqkqq 877 do ba Zweites Strophenpaar 903–910 und 926–933 kqkq ia 4 qkkqkkqkkq ^an d (ddd) kqkqkqq ia ba kkqqqq 906/929 an2– kkkkkkkkkkq ia2 (an3) kkqkkqq an2– qqkkqq an2– kkqkqq an ba Sechstes Stasimon 962–1005 Erstes Strophenpaar 962–972 und 973–983 kqqkkqq gl^ (anaklastisch) q×qkkqkq gl q×qkkqkq gl q×qkkqq 965/976 gl^ q×qkkqkq gl qqqkkqq gl^ qqqkkqq gl^ qkqkkqkq gl qkkqkqk 970/981 ^^glk (dssds) qkkkkkq ^^gl qkkqkq× ^^gl× (ch ba) Zweites Strophenpaar 984–994 und 995–1005 qkkqqkkqqkkqqq ch3– – qqqkkqqkkqq – –ch2– qqqkkqkq gl qqqkkqkq gl kq×qkkqU 990/1001 ba ch ×qkkqkqq ×ch ba (^gl–) ×qkkqkqq ×ch ba (^gl–) qqkkqkqq –ch ba (^gl–) qqqkkqkq× – –ch ba (gl×)

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