Alban Berg und der Blaue Vogel: Eine Auto-Biographie [1 ed.] 9783205211303, 9783205211280

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Alban Berg und der Blaue Vogel: Eine Auto-Biographie [1 ed.]
 9783205211303, 9783205211280

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ALBAN BERG und der Blaue Vogel

Eine Auto-Biographie

Herausgegeben von der

ALBAN BERG und der Blaue Vogel

Eine Auto-Biographie

Impressum Herausgeber: Alban Berg Stiftung, Trauttmansdorffgasse 27, 1130 Wien, gemeinnützige Stiftung nach dem Bundes-Stiftungs- und Fonds-Gesetz © 2017 Alban Berg Stiftung – ALLE RECHTE VORBEHALTEN Besuchen Sie uns im Internet unter www.absw.at Redaktion: Daniel Ender, Barbara Hafok, Axel Wolf Lektorat: Katharina Krones, Elisabeth Simm Grafik: Ursula Emesz Umschlaggestaltung: Ursula Emesz, Axel Wolf Bildbearbeitung: pixelstorm, litho & digital imaging Thomas Rossipaul, einmaleinsfilm.at Umschlagfotos: Thomas Rossipaul

ISBN: 978-3-205-21130-3

ALBAN BERG und der Blaue Vogel

Eine Auto-Biographie

Wolfgang M. Buchta Daniel Ender Christian Klösch Georg Kräutel-Höfer Hubert Schier Manfred Schmid Rudolf Taschner Axel Wolf

Wien, 2017

Inhalt

7 Vorwort



8 Noten, Zahlen und das Unerhörte

Rudolf Taschner

14 Biographie Alban Berg – Zeitleiste 1885–1935



24 Alban Berg und der Blaue Vogel

Jonas Pfohl u. a.

26 Der „... Erfolg, der ja in dem Luxus unseres Wagerls’ gipfelt ...“ Das Ehepaar Berg und sein Ford A Daniel Ender 66 Links oder rechts? Hubert Schier / Axel Wolf 68 Auto-Prospekte aus der Sammlung Berg Axel Wolf

92 Wer T sagt, muss auch A sagen

94 Der Ford A – The „New Ford“ Wolfgang Buchta / Axel Wolf

mit Exkursen zu: 97 Henry Ford – der umstrittene Großindustrielle 111 Edsel Ford – der Modernisierer 136 Der Ford A außerhalb der USA



140 Das zweite Leben eines besonderen Autos

142 Fast ein Märchen Manfred Schmid





154 Museale Aufbereitung und Konservierung

153 Das Wundermittel Kolloidalgraphit Manfred Schmid

156 Die Konservierung Georg Kräutel-Höfer

168 Restaurierung von Technischem Kulturgut Georg Kräutel-Höfer

170 Die Sonderausstellung im Technischen Museum Wien

172 Auterl, Wagerl, liebster Freund Alban Berg und sein Ford A Kazuo Kandutsch

178 Historische Kennzeichen und Datenbank des TMW

180 Die KFZ-Datenbanken des TMW Christian Klösch

190 Die Alban Berg Stiftung



194 Bildnachweis

7

Vorwort

Alban Bergs geliebtes Auto war lange Zeit in der Garage seines Hauses in Kärnten verborgen. Seit Mai 2016 ist das „Wagerl“ im Technischen Museum Wien ausgestellt und erzählt dort die Geschichte eines ungewöhnlichen Autolebens. Das vorliegende Buch war zunächst lediglich als Katalog und Dokumentensammlung zur Begleitung der Sonderausstellung gedacht. Da aber die Bedeutung dieses Autos bis in die Musikgeschichte reicht und darüber hinaus die Gelegenheit bietet, über das Leben des technikbegeisterten „Privatmenschen“ Alban Berg und seiner Frau Helene zu berichten, konnten die Verantwortlichen der Alban Berg Stiftung von der Idee eines umfangreicheren Buches als Ergänzung zu der musikwissenschaftlichen Gesamtausgabe der Werke Alban Bergs überzeugt werden. Der Bogen spannt sich daher von der Vita des Komponisten und seinem Leben als Automobilist in Verbindung mit der schon erwähnten, umfangreichen Sammlung von Briefen und Dokumenten über einige allgemeine Aspekte der Motorisierung in den 1930er-Jahren bis zum zweiten Leben des „Wagerls“ als Film- und Ausstellungsobjekt. Weiters bietet das Buch zu Beginn die Gelegenheit, mehr über die geisteswissenschaftliche Beziehung von Zahlen und Musik zu erfahren und am Schluss – last but not least – über die Erfassung und Verwaltung von Fahrzeugen mittels Kennzeichen und deren historischer Bedeutung.

Bei der Entstehung dieses Buches waren neben den Autoren und den im Impressum genannten Mitarbeitern auch andere Persönlichkeiten – mehr oder weniger freiwillig – beteiligt. An erster Stelle stehen Alban und Helene Berg, ohne deren umsichtige und schonende Nutzung das „Wagerl“ heute keine Geschichte mehr erzählen könnte, und Gabriele Zuna-Kratky, Direktorin Technisches Museum Wien, der eben diese Geschichte sehr am Herzen liegt, sowie Maximilian Eiselsberg und Peter Wolf, Präsidenten der Alban Berg Stiftung, die mir das Projekt „Alban Bergs Wagerl“ anvertraut haben. Für wertvolle Ratschläge und Kommentare danke ich auch den Musikwissenschaftlern der Alban Berg Stiftung, insbesondere Regina Busch und Klaus Lippe, und dem Filmregisseur Wolfgang Hackl als künstlerischem Alter Ego. Für viel Geduld und Verständnis danke ich meinen Töchtern sowie meiner Frau, die ich sogar auf den Großglockner verschleppen durfte, stets auf den Spuren Alban Bergs.

Axel Wolf Wien, im Juni 2017

… und jetzt fährt er los!

31

9

Noten, Zahlen und das Unerhörte Von Rudolf Taschner

Von Paul Hindemith ist überliefert, dass er bereits Mitte des vorigen Jahrhunderts meinte: „Vielleicht gestaltet sich die Zukunft des Musikschaffens so, dass eine elektronische Rechenmaschine in den nächsten 50 Jahren alle möglichen Kompositionen seriell erzeugt und in den darauf folgenden 50 Jahren alle unmöglichen. Dann würde alles, was die Musik zu bieten hätte, in hundert Jahren vollständig vorliegen. Es wäre gleichsam die von Jorge Luis Borges entworfene Bibliothek von Babel, übertragen auf die Musik“. Solch skurrile Gedanken nahmen bereits Komponisten des Barock vorweg, die „musikalische Würfelspiele“ erdachten: Kompositionen, die durch pures Kombinieren vorliegender Takte von Einzelteilen entstehen. Johann Philipp Kirnberger war wohl einer der ersten gewesen, der diese Kompositionstechnik zur Blüte brachte, und dessen Tradition dürfte sich Wolfgang Amadeus Mozart verpflichtet haben, als er eine „Anleitung“ schrieb, „so viel Walzer oder Schleifer mit zwei Würfeln zu componiren so viel man will ohne musikalisch zu seyn noch etwas von der Composition zu verstehen“. Mozart hatte, wenn man bedenkt, wie viel Musik jemand in seinem Leben zu hören vermag, nicht übertrieben. Denn die Anzahl der möglichen Walzer, die sich aus seiner Anleitung erge-

Notation, Tonumfang und Spieltechniken der gängigen Musikinstrumente

ben, beläuft sich auf 759 499 667 166 482, also auf mehr als einer dreiviertel Billiarde Kompositionen. So betrachtet ist es bemerkenswert, dass die Möglichkeiten eines musikalischen Stils, sei er jener der Renaissance, des Barocks, der Klassik, der frühen oder der späten Romantik, sei es der Impressionismus oder Jazz, nie voll ausgereizt werden. Aus der überbordenden Fülle der möglichen Kompositionen erleben nur die wenigsten ihre Verwirklichung in den Notenblättern der Komponisten und noch weniger gelangen zur Aufführung. Anscheinend hat man sich sehr schnell satt gehört. Das Verlangen nach Neuem, buchstäblich noch Ungehörtem stellt sich schnell ein. Nicht umsonst hatten die gnadenlos spitzzüngigen Wiener Kritiker bei der Uraufführung der 4. Symphonie von Johannes Brahms das Eingangsthema des ersten Satzes mit der Bemerkung mitgesummt: „Ihm fällt schon wieder nichts mehr ein …“ Schon Bach wurde nachgesagt, er komponiere Unerhörtes. Sein Zeitgenosse Johann Adolf Scheibe meinte, Bachs Musik sei unnatürlich, gekünstelt und sein Stil verwirrend. Tatsächlich hört man zum Beispiel im Thema der Fuge in h-Moll vom ersten Teil des Wohltemperierten Klaviers Außerordentliches:

10 fern oft die Umkehrung dessen, was das ursprüngliche Symbol darstellen wollte: Steht 12 als Produkt der göttlichen Zahl 3, der Zahl der Trinität, mit der für die Jahreszeiten, die Windrichtungen, für die Elemente des Empedokles stehenden kosmischen Zahl 4 für die Vollendung der Welt, bedeutet 21 die Sehnsucht nach ihrer Erlösung – und aus 21 Noten besteht das Fugenthema, von dem Philipp Spitta schrieb: „Der Ausdruck des Schmerzes ist hier fast zum Unerträglichen gesteigert.“ Im Übrigen ist es nicht zuletzt die Liebe zur Zahlensymbolik, die eine Brücke von Bach zu Berg schlägt: Der zweite und letzte Satz in Bergs Violinkonzert, das Berg, als er vom Tod der 18-jährigen, an Kinderlähmung erkrankten Manon Gropius erfuhr, aus der Trauer darüber vollendete und „dem Andenken eines Engels“ widmete, belegt dies besonders markant:

Herausgeber Willi Reich, Ernst Krenek und Robert Ploderer1

Wie in einer Vorwegnahme der Musik der Moderne durchmisst das Fugenthema die gesamte chromatische Skala: Alle zwölf Töne erklingen. Allerdings kommen im Fugenthema die zwölf Töne nicht wie in einer strengen Zwölftonreihe je einmal, sondern verschieden oft vor: Am häufigsten, nämlich fünfmal ertönt fis, die fünfte Stufe der Tonika h, fünf Töne erklingen tiefer als fis und elf höher. In der Lehre von der Symbolik der Zahlen wurden die Zahlen 5 und 11 zumeist im tragischen Konnex gesehen: man denke an die fünf Wundmale des Gekreuzigten oder daran, dass 11 als „Übertretung“ der Gesetzeszahl 10 die Sünde symbolisiert. In der Zahlensymbolik Bachs bedeutet eine Vertauschung der Zif-

Nicht nur weil im 222. Takt dieses Satzes die in der Form des Kreuzes aufscheinende Notenfolge b-a-c-h als Reverenz an Bach aufscheint. Seine Zwölftonreihe besteht aus der Verschränkung der aufgelösten g-Moll-, D-Dur-, a-Moll und E-Dur-Dreiklänge, also von vier Dreiklängen, und wird mit vier aufeinandergereihten Ganztönen fortgeführt. Hier zitiert Berg den Bach-Choral „Es ist genug, so nimm Herr meinen Geist“, der mit eben diesen vier aufeinandergereihten Ganztönen ansetzt. Dieser an ein Requiem gemahnende Satz besteht aus 230 Takten. Die Zahl 23 stellte eine wichtige Zahl für Berg dar: Viele seiner Werke wurden am 23. eines Monats vollendet, und er erlitt seinen ersten Asthmaanfall am 23. Juli 1908. Und nach der 22-taktigen Rubato-Kadenz folgt in Takt 23 das Motiv des Todes, eine dem Tango angelehnte rhythmische Zelle. Man müsse mit den Noten zum Unerhörten vordringen, ähnlich wie man mit den Zahlen zu unberechenbaren Symbolen gelangen kann, so dürfen wir die Devise von Arnold Schönberg, des Lehrers von Alban Berg verstehen: Es gilt, die Tonalität in ihrer spätromantischen Erscheinungsform konsequent zu Ende zu denken. Denkt man die Tonalität „zu Ende“, wird sie nach diesem Gewaltakt in eine völlig neue Art, zu hören, aufgehoben. Schönberg selbst beschritt den Weg über die – von seinen Gegnern sogenannte – „Atonalität“ zur Zwölftontechnik, deren Regelwerk Anton von Webern mit Akri-

11 bie befolgte und sogar zu verschärfen verstand. Alban Berg hingegen war das sklavische Rechnen fremd. Er verstand die Freiräume, welche sein Lehrer Schönberg erschloss, zu nutzen, indem er auf für ihn charakteristische Weise konstruktive Strenge mit persönlichem klangsinnlichen Ausdruck zu verbinden verstand. Dies erlaubte ihm, einem der großen Neuerer der Musik des 20. Jahrhunderts, zu behaupten, er verstehe sich als „natürlicher Fortsetzer richtig verstandener, guter, alter Tradition“. Volker Hagedorn schreibt über Berg in einem schönen Artikel in der „Zeit“ die folgenden Worte: „Er ähnelte Oscar Wilde und war ein sensibler Grandseigneur, er mied die Menge, aber hochmütig war er nicht, eher selbstironisch. Er habe ,den größenwahnsinnigen Eindruck, dass der Wozzeck etwas ganz Großes ist‘, schrieb Alban Berg seiner Frau vor der Uraufführung. Dass es am 14. Dezember 1925 in der Berliner Staatsoper lauten Beifall gab, irritierte ihn. Konnte man ihn verstanden haben? Die Oper wurde umgehend an so vielen Häusern gespielt, dass der Komponist mit den Tantiemen ein Ford Cabriolet bezahlte, von dem er sogar ein Foto an seinen Lehrer Arnold Schönberg schickte. Der wird es mit einem gewissen Zähneknirschen betrachtet haben. Er, der den elf Jahre Jüngeren erst auf den Weg gebracht hatte, war ein weniger umjubeltes Genie. Heute zählt Bergs Wozzeck zu den Höhepunkten des

Musiktheaters und zum festen Repertoire der großen Opernhäuser.“ Bergs Erfolg mag daran gelegen haben, dass er sich die Freiheit nahm, sich einerseits nicht bloß von der Tonalität, sondern auch von der Zwölftontechnik zu lösen, sich andererseits bewusst auch im Kontext des Atonalen wieder der tonalen Klangsprache zu bedienen, wenn die Vorlage Büchners dies in den Augen des Komponisten zwingend verlangt. Noch einmal Volker Hagedorn: „Im Wozzeck hat Berg all das gemacht und dabei größte Klarheit und Tiefe der Konstruktion mit größter Ausdruckskraft verbunden. Es geht um Menschen, deren Ich zerbricht. Was er zu erzählen hatte, brauchte eine neue Musiksprache, denn Berg hat in dieser Oper verarbeitet, was er im Ersten Weltkrieg erlebte. ,Unfrei, resigniert, ja gedemütigt‘ fühlte er sich als Soldat im Ausbildungslager, und der hilflose Soldat aus Georg Büchners Drama Woyzeck war seine Figur für die Deformationen des Krieges. Wenn Wozzecks Frau Marie, die ein grausames Ende ahnt, ihrem Kind prophetisch sagt: ,Es war einmal ein armes Kind und hatt' keinen Vater und keine Mutter‘, dann heben sich dazu spätromantische Harmonien und Hornklagen aus der nichttonalen Umgebung wie ein unerreichbares Gestern.“ Allein die zwei den dramatisch ergreifenden Höhepunkt der Oper markierenden Takte mit dem – auch hier

12

Notation und Tonumfang verschiebbar zur Übertragung einer Note auf verschiedene Instrumente

kommt wieder ein wenig die Zahlensymbolik zum Vorschein – ostinat sechsmal das f betonenden Wozzeck und mit der ein im Tritonus, dem „diabolus in musica“, dazu stehendes h antwortenden Marie – der Tritonus entspricht in der einst von Bach propagierten gleichförmig temperierten Stimmung der Quadratwurzel von 2, einer Größe, die sich besonders heftig der Annäherung durch rationale, musikalisch: durch konsonante Zahlenverhältnisse verweigert – belegen als ein markantes Beispiel von vielen, dass Berg mit seiner Oper ein Meisterstück gelingt, das sein Lehrer Schönberg mit keinem seiner Werke erreicht hat.

Es mag sein, dass das an Schönberg gesendete Foto mit dem Ford-Sport-Cabriolet eine, wenn auch nur vorübergehende Trübung im Verhältnis des Lehrers zu seinem Schüler bewirkte. Ein ungewöhnlich langer Brief, den Schönberg an Berg verfasste, lässt davon ahnen: Schönberg bekrittelt an der Uraufführung des Wozzeck die Inszenierung, die Sänger, das Orchester, auch an der Partitur hat er einiges auszusetzen. Allerdings spricht es für die menschliche Größe von Schönberg, dass er all dessen zum Trotz abschließend feststellt: „Aber: als Ganzes macht es einen sehr großen Eindruck und ich kann auf einen solchen Schüler schon stolz sein.“

13

Die Zahl 23 bezieht sich (auch) auf den Paragraphen des damaligen Pressegesetzes auf dessen Grundlage die Berichtigung einer Pressemeldung, einklagbar war. (Kleines Bonmot für Eingeweihte: „Hektor Rottweiler” ist ein bissiges Pseudonym Adornos …)

1

Alban Berg 1885–1906 Biographie

1885

1895

1900

Alban Berg wird am 9. Februar in Wien geboren, am 1. März auf den Namen Albano Maria Johannes getauft, Eltern: Conrad Berg (1846–1900) Johanna Berg (1851–1926) Geschwister: Hermann (1872–1921) Carl (Charly) (1881–1952) Smaragda (1886–1954)

Eintritt in die Oberrealschule Schottenbastei Wien I (Innere Stadt)

Erste Kompositionsversuche als 15-Jähriger

In den Jahren 1901 bis 1908 komponiert Berg mehr als 80 Klavierlieder

Zeitgeschichte

Technik

Arbeitsgesetze in Österreich-Ungarn verbieten erstmals Nachtarbeit für Frauen und Jugendliche sowie Kinderarbeit

China unterliegt Japan und muss die Insel Taiwan abtreten

Lenin kehrt aus 3-jähriger Verbannung in Sibirien zurück und geht ins Exil

Gustav Mahler hat großen Erfolg in Berlin mit seiner 2. Sinfonie

47 Millionen Menschen besuchen die Weltausstellung in Paris

Der Erfinder und Konstrukteur Carl Benz aus Mannheim baut seinen dreirädrigen Motorwagen Nr. 1, der 1886 patentiert wird

Der Physiker Wilhelm Röntgen entdeckt in Würzburg die später nach ihm benannten Röntgenstrahlen

Der in Paris ausgestellte Lohner-Porsche mit elektrischen Radnabenmotoren in den Vorderrädern ist das erste „Transmissionslose Automobil“

15 31

1902

1904

1905

Geburt der unehelichen Tochter Albine, deren Mutter Marie Scheuchl das im Haushalt der Familie Berg tätige Dienstmädchen ist

Matura, anschließend Arbeit als Rechnungspraktikant in der Niederösterreichischen Statthalterei

Im Mai Besuch einer von Karl Kraus initiierten Aufführung von Frank Wedekinds Tragödie Die Büchse der Pandora im Wiener Trianontheater

Albine, ca. 1910

Gustav Klimts Beethovenfries als Hommage an Beethovens 9. Sinfonie wird in der Wiener Secession ausgestellt

Beginn des Unterrichts bei Arnold Schönberg, zunächst in der Schule von Eugenie Schwarzwald, anschließend private Unterweisung in „Kontrapunkt” und „Harmonielehre“

Rehabilitation des französischen Offiziers Alfred Dreyfus, der 1894 aufgrund einer Intrige wegen Landesverrats verurteilt wurde

Friedensnobelpreis für Bertha von Suttner In Frankreich wird die strikte Trennung von Kirche und Staat beschlossen

1906 Johanna Berg fällt eine Erbschaft zu Alban gibt seine Tätigkeit bei der Niederösterreichischen Statthalterei auf und konzentriert sich auf seine musikalischen Tätigkeiten

Ein Erdbeben der Stärke 8,3 zerstört die Stadt San Francisco und löst einen 3-tägigen Großbrand aus

Sigmund Freud veröffentlicht die Studien Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten und Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie Uraufführung der Kindertotenlieder Gustav Mahlers Uraufführung von Arnold Schönbergs Pelleas und Melisande im Wiener Musikverein Uraufführung der Oper Salome von Richard Strauss in Dresden

Uraufführung von Arnold Schönbergs Sextett für Streicher Verklärte Nacht in Wien

Aufstände der Herero und Nama gegen die deutschen Kolonialherren in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), Niederschlagung der Aufstände, Vertreibung und Völkermord

Aufnahme des Betriebs der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Wladiwostok

An der TU Graz gelingt dem Physiker Otto Nußbaumer die erste drahtlose Übertragung von Musik

Uraufführung der Operette Die Lustige Witwe von Franz Lehár im Theater an der Wien

Albert Einstein entwickelt mit der Formel E = mc² die spezielle Relativitätstheorie

Die Mehrheit der Abgeordneten des ungarischen Parlaments verlangt Zugeständnisse, die zur Ungarischen Krise innerhalb der k. u. k. Monarchie führen Ein Handelskonflikt zwischen dem Königreich Serbien und der k. u. k. Monarchie bricht aus und geht als „Schweinekrieg“ in die Geschichte ein

Das Wiener Unternehmen Lohner entwickelt Oberleitungs-Busse als Ergänzung zu Straßenbahnen und erreicht mit 125 elektrischen Automobilen den Produktionshöhepunkt

Alban Berg 1907–1913 1907

Biographie

Bekanntschaft mit Helene Nahowski (1885–1976) Beginn des eigentlichen Kompositionsunterrichts bei Schönberg In einem Konzert der Schönberg-Schüler erste öffentliche Aufführung von Bergs Fuge mit zwei Themen für Streichquintett mit Klavierbegleitung in der Art eines ausgeführten Continuo sowie drei Liedern

1908 Aufführung der 12 Variationen und Finale über ein eigenes Thema für Klavier in C-Dur in einem Konzert der Schönberg-Schüler im Großen Musikvereinssaal, mehrere Entwürfe für Klaviersonaten

Arnold Schönberg

Komposition der Sonate für Klavier op. 1

1908–1910 Komposition der Vier Lieder op. 2 nach Friedrich Hebbel und Alfred Mombert

Die Kunstschau anlässlich des 60-jährigen Thronjubiläums gilt als epochemachendes Ereignis der Wiener Moderne, es wird u. a. das Gemälde Der Kuss von Gustav Klimt ausgestellt

Zeitgeschichte

1909

Camille Saint-Saëns schreibt die erste Filmmusik

1909/10 Komposition des Streichquartetts op. 3

Beilegung der Bosnischen Krise, die nach der Annexion Bosnien und Herzegowinas durch Österreich-Ungarn ausgebrochen war

Japan annektiert Korea Uraufführung der Operette Ein Walzertraum von Oscar Straus am Carl-Theater in Wien Maria Montessori eröffnet die Casa dei Bambini in Rom und entwickelt dort die Montessoripädagogik

Technik

Die Gebrüder Lumière entwickeln ein Farbfotoverfahren Erstflug eines bemannten Hubschraubers

Henry Ford beginnt mit der Produktion des Model T in Detroit Als leistbares Fortbewegungsmittel gedacht, beginnt mit dem Model T der Siegeszug des Benzinautos und der Massenmotorisierung in den USA

Gründung und Grundsteinlegung des Technischen Museums für Industrie und Gewerbe in Wien XIV durch Kaiser Franz Josef

17

1910 Druck der Sonate für Klavier op. 1 und der Vier Lieder op. 2 auf eigene Kosten beim Verlag der Schlesinger'schen Buchund Musikalienhandlung in Berlin bzw. deren Wiener Vertretung, Carl Haslinger qdm. Tobias

1911 Uraufführung der Sonate für Klavier op. 1 und des Streichquartetts op. 3 in einem Konzert des Vereins für Kunst und Kultur (Wien) Am 3. Mai Heirat mit Helene Nahowski, im Herbst Bezug der Wohnung in der Trauttmansdorffgasse in Wien XIII (Hietzing) Arnold Schönberg übersiedelt nach Berlin und verweist einige seiner Schüler zum Privatunterricht an Berg Klavierauszug zu Franz Schrekers Oper Der ferne Klang

1912 Klavierauszug des III. und IV. Satzes von Schönbergs Zweitem Quartett (fis-Moll) für zwei Violinen, Viola, Violoncello und eine Sopranstimme op. 10 Klavierauszug der GurreLieder von Arnold Schönberg, Verfassen eines Führers sowie einer Thementafel zum Werk Komposition der Fünf Orchesterlieder nach Ansichtskartentexten des Schriftstellers Peter Altenberg op. 4

1913 Am 31. März Uraufführung von Nr. 2 und Nr. 3 der Fünf Orchesterlieder nach Ansichtskartentexten von Peter Altenberg op. 4 in einem Konzert des Wiener Akademischen Verbands für Literatur und Musik im Großen Musikvereinssaal („Skandalkonzert“) Komposition der Vier Stücke für Klarinette und Klavier op. 5 Arbeit an einer einsätzigen Symphonie (unvollendet) 1913–1915 Komposition der Drei Orchesterstücke op. 6

Bei der Teuerungsrevolte in Wien schießt das Heer auf die Demonstranten Ausrufung der Ersten Republik in Portugal Uraufführung des Balletts Der Feuervogel von Igor Strawinsky

Erstflug der Etrich-Taube II des Flugzeugpioniers Igo Etrich, später von anderen Herstellern wie z. B. Lohner, Rumpler etc. bis 1918 lizenzfrei (weil nicht patentiert) gebaut

Machtübernahme der Jungtürken im Osmanischen Reich

Uraufführung der Oper Der Rosenkavalier von Richard Strauss in Dresden Der mexikanische Revolutionär Francisco Madero stürzt den Diktator Porfirio Días Start der ersten Rallye Monte Carlo Marie Curie erhält für die Entdeckung der Elemente Radium und Plutonium den Nobelpreis für Chemie

Adolf Loos (li) und Peter Altenberg

Untergang der Titanic – damals größtes Schiff der Welt – im Nordatlantik Proklamation der Republik China, nachdem Puyi, der letzte, sechsjährige Kaiser der Quing-Dynastie abdankte Beginn des Ersten Balkankriegs als Vorbote des ersten Weltkriegs

Cadillac bringt den elektrischen Anlasser und elektrische Scheinwerfer in Serie

Der österr. Generalstabschef Alfred Redl wird als russischer Spion enttarnt und erschießt sich

Beginn der Fließbandproduktion des Ford T

Alban Berg 1914–1922 Biographie

1914

1915

Am 5. Mai Besuch einer Aufführung von Georg Büchners Dramenfragment Wozzeck in einer Inszenierung von Arthur Rundt in der Residenzbühne

Im August Einberufung zum Kriegsdienst

Erste Notizen und Skizzen zur Oper Wozzeck

1918 Erste zusammenhängende Niederschriften einzelner Szenen von Wozzeck

Ab November stationiert in Bruck/Kiralyhida Ab Mai 1916 Kanzleidienst im Wiener Kriegsministerium

Kurze thematische Analyse von Schönbergs Kammersymphonie op. 9

Zeitgeschichte

Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie in Sarajevo und Kriegserklärung der k. u. k. Monarchie gegenüber Serbien Ausbruch des Ersten Weltkriegs Rasche Ausbreitung des Konfliktes nach Afrika und Asien

Vorstandsmitglied und „Vortragsmeister“ des Vereins für musikalische Privataufführungen in Wien

Italien kündigt den Dreibund mit ÖsterreichUngarn und dem Deutschen Reich und tritt der „Entente“, dem Bündnis Großbritanniens, Frankreichs und Russlands bei, Rumänien und das Osmanische Reich verbünden sich mit den „Mittelmächten“

Die erste Verkehrsampel der Welt geht in Cleveland in Betrieb Fertigstellung des Gebäudes des TMW

Technik

Ermordung der Zarenfamilie in Jekatarinburg im Auftrag der bolschewikischen Machthaber in Moskau Ende des Ersten Weltkriegs, Untergang der Monarchie und Entstehen der Nachfolgestaaten Ausrufung der Republik Deutsch-Österreich Einführung des allgemeinen Wahlrechts für Frauen

Jungfernflug des ersten komplett aus Metall gefertigten Flugzeugs Junkers J 1

Eröffnung des Technischen Museums Wien im Juni 1918

19

1919 Am 17. Oktober Uraufführung der Vier Stücke für Klarinette und Klavier op. 5 durch Franz Prem und Eduard Steuermann in einem Konzert des Vereins für musikalische Privataufführungen in Wien 1919/1920 Kurze thematische Analyse und Führer von Schönbergs Pelleas und Melisande

Unterzeichnung des Friedensvertrags von Versailles am 28. April, darin legen die Siegermächte der „Entente“ sehr hohe Entschädigungszahlungen und ein Verbot der Rüstungsproduktion der Verliererstaaten fest, weiters wird die Satzung des Völkerbundes beschlossen

Heinrich Sachs erfindet die Büroklammer in Wien Henry und Edsel Fords Fordson Typ F ist der erste leistbare und leichte Traktor und sorgt für die Mechanisierung der Landwirtschaft vor allem in den USA und Großbritannien

1920

1921

Kurzfristig Leitung der Redaktion der von der Universal Edition 1919 gegründeten Zeitschrift Musikblätter des Anbruch, für die Berg auch später Beiträge verfasst

Bearbeitung des JohannStrauß-Walzers Wein, Weib und Gesang für Kammerensemble anlässlich eines Sonderkonzerts des Vereins für musikalische Privataufführungen in Wien

Arbeit an einer (nicht fertiggestellten) SchönbergMonographie auf Anfrage des Münchner Halbreiter Verlags

Fertigstellung von Wozzeck op. 7 im Particell

Druck des Streichquartetts op. 3 und der Vier Stücke für Klarinette und Klavier op. 5 auf eigene Kosten beim Verlag der Schlesinger'schen Buch- und Musikalienhandlung in Berlin bzw. deren Wiener Vertretung, Carl Haslinger qdm. Tobias

Nach einer Volksabstimmung wird das Burgenland mit Ausnahme der Stadt Ödenburg/Sopron das 9. Bundesland der Republik Österreich

Gründung des Völkerbundes in Genf

Albert Einstein erhält den Nobelpreis für die Entdeckung des photoelektrischen Effektes

Beschluss einer republikanischen und bundesstaatlichen Verfassung für Österreich durch die provisorische Nationalversammlung

KDKA AIRs sendet das erste regelmäßige Radioprogramm in Pittsburgh

Im April Fertigstellung der Partitur des Wozzeck op. 7 Im Dezember erscheint der von Bergs Schüler Fritz Heinrich Klein erstellte Klavierauszug des Wozzeck op. 7 im Selbstverlag (gestochen und gedruckt bei Waldheim und Eberle, Wien)

Ermordung des deutschen Industriellen, Schriftstellers und Außenministers Walther Rathenau, in der Folge wird die NSDAP in ganz Deutschland verboten (mit Ausnahme Bayerns) Benito Mussolinis faschistische Herrschaft in Italien beginnt mit dem „Marsch auf Rom“

Gründung der Salzburger Festspiele

Giovanni Marcellino entwickelt bei Puch den Doppelkolbenmotor

1922

Aufführung des ersten Tonfilms durch den Elektroingenieur und Erfinder Sven Berglund in Stockholm

Gründung der Sowjetunion

Ferdinand Porsche baut bei Austro Daimler einen ADM-E genannten Versuchswagen mit benzin-elektrischem Antrieb

Alban Berg 1923–1929 1923

Biographie

Am 5. Juni Uraufführung von Präludium und Reigen aus den Drei Orchesterstücken op. 6 unter der Leitung Anton Weberns bei der Österreichischen Musikwoche in Berlin Am 2. August Aufführung des Streichquartetts op. 3 beim 1. Kammermusikfest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) in Salzburg durch das Havemann-Quartett

1924 Kunstpreis der Stadt Wien Am 15. Juni Uraufführung der Drei Bruchstücke aus Wozzeck beim 54. Tonkünstlerfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins in Frankfurt am Main unter der Leitung von Hermann Scherchen

1925 Fertigstellung des Kammerkonzerts für Klavier und Geige mit Begleitung von dreizehn Bläsern (fortan verzichtet Berg auf Opuszahlen bei neuen Werken), Widmung an Arnold Schönberg (vgl. den offenen Brief in der Zeitschrift Pult und Taktstock 1925, S. 23–28) Im Spätsommer erste Komposition auf Basis einer Zwölftonreihe (zweite Vertonung von Theodor Storm, Schließe mir die Augen beide) Beginn der Arbeit an der Lyrischen Suite

Zeitgeschichte

Belgische und französische Truppen besetzen das Ruhrgebiet Mustafa Kemal Atatürk ruft die Republik Türkei aus und macht Ankara zur Hauptstadt

Robert Andrew Millikan erhält den Nobelpreis für Physik für die Entdeckung der Elementarladung des Elektrons

Technik

Uraufführung des Wozzeck op. 7 am 14. Dezember unter der Leitung Erich Kleibers in der Berliner Staatsoper

Gescheiterter Putschversuch Adolf Hitlers in München

Schussattentat auf den österr. Bundeskanzler Ignaz Seipel, der daraufhin zurücktritt

MAN stellt in Berlin den ersten LKW mit Dieselmotor mit Direkteinspritzung vor

Unterzeichnung der Verträge von Locarno als Garantie der Landesgrenzen und des Friedens in Europa

Bau des millionsten Chevrolet Gustav Hertz wird der Nobelpreis für Arbeiten an der Gasentladung verliehen

21

1926 Fertigstellung der Lyrischen Suite

Putsch in Portugal, Ende der ersten Republik, Diktatur bis 1974 Studentenproteste auf dem Tian’ammen-Platz in Peking enden mit einem Massaker

Dem Physiker Robert Goddard gelingt der Start einer Flüssigkeitsrakete auf einer Farm bei Auburn in Massachusetts/USA

1927 Am 8. Januar Uraufführung der Lyrischen Suite durch das Wiener Streichquartett in Wien

1928

1929

Erster, später verworfener Entwurf des Prologs von Lulu datiert mit 23. Juni 1928, vermutlich die erste zusammenhängende Niederschrift einer Passage aus Lulu

Komposition der Konzertarie Der Wein nach Gedichten von Charles Baudelaire (Nachdichtung von Stefan George) als Auftragswerk der Sopranistin Ružena Herlinger

Premiere des Films Metropolis des Regisseurs Fritz Lang in Berlin Charles Lindbergh überquert mit der einmotorigen Spirit of St. Louis den Atlantik Aufgrund eines Freispruchs nach den tödlichen Schüssen im burgenländischen Schattendorf kam es zu Protesten und dem Brand des Wiener Justizpalastes

Ford stellt die Produktion des Model T nach 15 Millionen Exemplaren ein und präsentiert das Model A Fritz Pfleumer trägt Metallstaub auf einen Papierstreifen auf und erfindet mit dem „Lautschriftträger“ das Prinzip des Tonbands

Die Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill wird im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin uraufgeführt 62 Staaten unterzeichnen in Paris den BriandKellog-Pakt, der Angriffskriege für völkerrechtswidrig erklärt

John Logie Baird baut den ersten Farbfernseher Fritz von Opel erreicht mit dem Raketenauto RAK 2 auf der Berliner Avus 238 km/h

Verfassungsreform: Einführung der direkten Wahl des österr. Bundespräsidenten und Aufwertung des Amtes Der Börsencrash in New York löst eine weltweite Wirtschaftskrise aus 48 Staaten unterzeichnen die Genfer Konvention über Kriegsgefangene

Das Luftschiff „Graf Zeppelin“ umrundet die Erde in 21 Tagen

Alban Berg 1930–1935 1930

Biographie

Berg wird auf Empfehlung Arnold Schönbergs und Franz Schrekers zum Mitglied der Preußischen Akademie der Künste gewählt

1931 Im August Fertigstellung des 1. Akts von Lulu im Particell (ohne Prolog)

1932 Erwerb des SommerDomizils „Waldhaus“ in Auen bei Velden am Wörthersee in Kärnten

Im Juni Kauf des Ford Cabriolets

Offenes Bekenntnis der Heimwehr zum Faschismus im sog. „Korneuburger Eid“ verschärft die innenpolitische Situation Großer Ausbruch des ständig aktiven Vulkans Stromboli nördlich von Sizilien

Zeitgeschichte

Uraufführung der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagoni von Kurt Weill in Leipzig

Cadillac stellt den ersten PKW mit V-16-Zylinder vor, bis 1937 entstehen ca. 3.900 Exemplare Vorstellung des Steyr 30S mit hydraulischen Bremsen und vollsynchronisiertem Getriebe

Technik

Arbeit an Lulu

In einer Volksabstimmung sprechen sich 70% der Finnen für die Abschaffung der seit 1919 geltenden Prohibition aus

Belgien, die Niederlande und Luxemburg beschließen die Abschaffung der Zollschranken innerhalb des BENELUX

Die staatlich angeordnete Übernahme der Schulden der Bodencreditanstalt führt zur Zahlungsunfähigkeit der Österreichischen Credit-Anstalt, in der Folge Bankenkrise in Zentraleuropa

Ende der Shanghai-Krise durch einen Waffenstillstand zwischen Japan und China, die Mandschurei wird seit Ende 1930 von Japan besetzt

Erfindung des Elektronenmikroskops durch Ernst Ruska und Max Knoll Friedrich Schmiedl startet die erste Postrakete am Grazer Schöckl und verschickt 100 Briefe nach St. Radegrund

Mahatma Gandhi wird von der britischen Kolonialmacht festgenommen und tritt in den Hungerstreik

Werner Heisenberg erhält den Nobelpreis für die Begründung der Quantenmechanik Einstellung der Produktion des Ford A in Detroit

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1933

1934

Spätestens im Herbst Fertigstellung des 2. Akts von Lulu im Particell

Im Mai Fertigstellung des 3. Akts und Prologs von Lulu im Particell

Im April Abschluss der Instrumentierung des 1. Akts von Lulu

Am 30. November Uraufführung der Symphonischen Stücke aus der Oper Lulu unter Leitung Erich Kleibers in Berlin

Komposition des Violinkonzerts als Auftragswerk des Geigers Louis Krasner

Machtergreifung der Nationalsozialisten und Ende der Weimarer Republik, Einführung des Einparteiensystems, Deutschland verlässt den Völkerbund Beginn der Judenverfolgung, Errichtung von Konzentrationslagern, Bücherverbrennungen Avantgardistische Kunst wird als „entartet“ öffentlich diffamiert Im Laufe des Jahres werden auch Alban Bergs Werke in Deutschland von den Spielplänen abgesetzt Rücktritt der Präsidenten des österr. Nationalrats, in der Folge Staatsstreich und Verbot der Oppositionsparteien Abschaffung der Demokratie und Ende der Ersten Republik – Errichtung des austro-faschistischen „Ständestaates“

Erwin Schrödinger wird der Nobelpreis für seine Weiterentwicklung der Quantenphysik (Schrödingergleichung) verliehen

Ankauf des PartiturAutographs von Wozzeck durch die Library of Congress in Washington D. C. auf Vermittlung Arnold Schönbergs

Februar-Aufstand der Sozialdemokraten und Juli-Putsch der Nazis werden vom Militär blutig niedergeschlagen, Kurt Schuschnigg folgt dem ermordeten Engelbert Dollfuß als Bundeskanzler nach Nach dem Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg vereint Hitler die Ämter des deutschen Kanzlers und Präsidenten und nennt sich fortan „Führer“

Erste Überquerung des Großglockners mit einem Steyr 100

1935

Tod Alban Bergs am 24. Dezember in Wien

1937 Uraufführung der Oper Lulu im Fragment am Opernhaus Zürich

1968 Gründung der Alban Berg Stiftung durch die Witwe Helene Berg

Im Zuge des Chacokriegs kann Paraguay das Staatsgebiet auf Kosten Boliviens mehr als verdoppeln Mao gründet die Volksrepublik China Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland und Beginn der deutschen Aufrüstung

Wallace Hume Carothers Nylon wird patentiert Offizielle Eröffnung der Großglockner Hochalpenstraße Abschluss der Elektrifizierung der Tauernbahn

1979 Uraufführung der dreiaktigen Fassung der Oper Lulu an der Pariser Oper unter der Leitung von Pierre Boulez Die Partitur des 3. Akts wurde anhand des Particells Alban Bergs durch den Komponisten Friedrich Cerha fertiggestellt

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Alban Berg und der Blaue Vogel

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Der „… Erfolg, der ja in dem Luxus unseres Wagerls’ gipfelt …“ Das Ehepaar Berg und sein Ford A Daniel Ender

Es gehört zu den unverzichtbaren Elementen der Lebensgeschichte Alban Bergs: das Auto, das der Komponist für sich und seine Frau Helene im Sommer 1930 kaufte und – als sichtbares Zeichen der Gemeinsamkeit – mit den Initialen beider Ehepartner versehen ließ: Der Schriftzug „AHB“ prangt auf den zwei Türen des Gefährts, das seit Helenes Führerscheinprüfung auch von beiden gelenkt wurde. Wenn in diesem Beitrag dennoch in erster Linie die Beziehung Albans zum gemeinsamen Wagen sichtbar wird, liegt das daran, dass er zum einen die treibende Kraft für die Anschaffung sowie den Betrieb des fahrbaren Untersatzes war und dass sich zum anderen die meisten Dokumente auf den rechtmäßigen Besitzer beziehen. So beschränken sich die meisten der größeren Texte über Bergs Auto auf Alban, und zumindest eine knappe Erwähnung der motorisierten Errungenschaft darf in keiner Biographie fehlen. Bereits in seiner 1937 erschienenen Monographie berichtet Willi Reich: „Neben diesem idyllischen Arbeitsplatz [dem im Oktober 1932 erworbenen Kärtner „Waldhaus“ in Auen am Wörthersee, Anm.] war Bergs größte Freude sein kleiner Fordwagen, der ihm in den wenigen Ruhestunden, die ihm in den letzten Jahren gegönnt waren, einige Abwechslung und Erholung verschaffte.“1 Schon diese knappen Zeilen zeigen, wie Willi Reich bemüht ist, Berg als bescheidenen und arbeitsamen Zeitgenossen zu charakterisieren, indem er den Wagen als „klein“ relativiert – ebenso wie durch die „wenige“ mit ihm verbrachte Zeit. In seiner späteren Arbeit über „Leben und Werk“, die erstmals 1963 erschien, ergänzt Reich weitere Details, während er das Charakterbild des Komponisten als Fahrer noch vertieft und verfeinert:

Der Schriftzug „AHB“ an der Tür des Ford A auf der Fahrerseite

„Der Sommer 1930 brachte Berg eine große persönliche Beglückung. Die ständig zunehmenden Opernund Konzertaufführungen verbesserten seine materielle Position durch die reichlicher einfließenden Tantièmen erheblich. Der erste ,Luxus‘, den er sich gestattete, war der Ankauf eines kleinen Ford-Wagens, den er zärtlich liebte und dessen Photographie er stolz an alle Freunde sandte. Er wurde bald ein vorzüglicher Autolenker und registrierte, ohne je in Rekordsucht zu verfallen, mit der ihm eigenen Genauigkeit alle von ihm vollbrachten Fahrleistungen. Die Nachmittagsausfahrten im Sommer waren seine größte Erholung nach angestrengter schöpferischer Arbeit.“2 Hans Ferdinand Redlich beschränkt sich 1957 in seinem „Versuch einer Würdigung“ auf einen einzigen Satz im Haupttext („Im Sommer 1930 bestand Berg glücklich die Chauffeurprüfung und schaffte

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Eine (anonyme) Hausangestellte, Erna Apostel und Helene Berg sowie Alban Berg mit dem Ford vor dem Eingang des Waldhauses in Auen am „Freitag, den 13. April 1934“

sich einen englischen Ford-Wagen an, dessen Lenkung ihm viel Freude bereitete.“3) und konkretisiert das seither verbreitete narrative Element, der Kauf des Ford sei vor allem durch Einkünfte aus Tantiemen möglich geworden, in Bezug auf Bergs größten künstlerischen und materiellen Erfolg, der seine finanzielle Situation Anfang der 1930er Jahre tatsächlich erheblich verbesserte („Zweifellos ist diese Anschaffung durch die erhöhten Einkünfte Bergs aus den Wozzeck-Aufführungen dieser Jahre ermöglicht worden.“4). In der Berg-Literatur findet das Auto seit Redlich regelmäßig im Zusammenhang mit den Wozzeck-Tantiemen als Voraussetzung für den Kauf Erwähnung. Auch Mosco Carner stellt die Verbesserung der finanziellen Verhältnisse Bergs in den Kontext mit dem Erwerb des „English Ford in which he and his wife drove in the afternoons to parts of Carinthia otherwise not easily accessible.“5 In ihrer populärwissenschaftlichen Biographie schmückt Karen Monson ihre Informationen etwas aus: „Im Som-

mer 1930 […] leistete er sich endlich ein eigenes Auto. Er nannte den Ford ,Blauer Vogel‘ und fuhr ihn mit der ihm eigenen Mischung aus Akkuratesse und Bravour. Benzinverbrauch und gefahrene Kilometer hielt Berg peinlich genau fest, und vor jeder Fahrt zog er sich passend an.“6 Etwas nüchterner liest sich die Beziehung des Komponisten zu seinem motorisierten Gefährt(en) hier: „Im Sommer 1930 bestand Berg die Auto-Lenkerprüfung und verbrachte viele schöne Stunden in seinem Ford Cabriolet mit Fahrten durch die Landschaft.“7

Vom Traum zur Realität Der Luxus eines eigenen Autos musste dem Komponisten über eine lange Zeit als Illusion erscheinen. Berg träumte davon bereits fünf Jahre vor dem Autokauf in einem Brief an seinen Kollegen und Freund Anton Webern am 18. September 1925 im Zusammenhang mit einem Pyramidenspiel („Goldregen“): „Ich hoffe, Dich

28 zu Neujahr im ,Fordwagen‘ besuchen zu können. Aber (im Ernst), machen wir uns nicht zu-viel Hoffnungen.“8 Der Traum hatte ein halbes Jahr zuvor erstmals Gestalt angenommen, als sich Berg anlässlich der Aufführung der Drei Bruchstücke aus Wozzeck beim Musikfest in Prag aufhielt. Unmittelbar nach seiner Ankunft schrieb Alban am 15. Mai 1925 an Helene: „Goldchen, wie soll ich das alles erzählen. Ich leb wie in einem verwunschenen Schloß einerseits; Andererseits brandet das Musikweltleben auf mich ein, daß mir der Kopf brennt: Hievon wenigstens das Wichtigste. Kleiber ist einen Tag hier (er dirigiert heute u. fahrt morgen ab) ich sprach ihn lange wegen Wozzeck. Der nunmehr gesichert ist. Alle Partien 2, 3fach besetzt; wir sprachen alles durch. Es gibt kein Hinderniß mehr! – 100 Bekannte sah ich schon, sprach alle Sprachen (mein Quartett in Moskau gespielt!) u. fühle mich recht geachtet u. gekannt. Das Musikheft ,Auftakt‘ mit meinem Bild hast Du wohl gesehn. Morgen Abds 1/47 Uhr Klavierprobe mit Zem. u. Garmo, Montag u. Dienstag kurze Orchesterproben. – Aber mehr noch heimelt mich der selbstverständliche Luxus dieses Lebens an. Ach! Könnt’ ich es Dir bieten!!! Jeden Schritt, den ich tu, tu ich nicht, sondern mache ihn per Auto (u. was für ein Auto!) Meine Gastgeber verwöhnen mich: mein Zimmer mit warm Wasser, herrlicher Aussicht, Roger u Galletseife, Rollläden, daß man Nachts bei offenem Fenster schlafen kann. Um 7 Uhr rollte ein Frühstückstischchen an mein Bett, an dessen Gebäck (was wär’ das für Dich!) ich mich nicht satt essen konnte. […]“9 Tags darauf berichtet er seiner Frau von einer „Autofahrt in die schöne Umgebung“10 und erwähnt auch an den weiteren Tagen ausdrücklich und wiederholt seine „per Auto“ zurückgelegten Wege.11 Alban, der bei der Familie Fuchs-Robettin wohnt, wo er den geschilderten Luxus erlebt, den er auch seiner Frau bieten möchte, verschweigt jedoch naheliegenderweise seine intimen Regungen gegenüber der Hausherrin.12 Für seine Beziehung zu Automobilen mag es eine Rolle gespielt haben, dass er mehrmals Fahrten nur mit Hanna Fuchs, der Schwester Franz Werfels und der Gattin des Prager Industriellen Herbert Fuchs-Robettin, unternahm. Im Juli 1925 schrieb er an sie: „Glaubst du, ich könnte je das Glück vergessen, das mir in diesen acht Tagen, so reich geblüht. – Auf dem Wald-Weg im Stern-Park, die Fahrten im Auto mit Dir allein – – die

letzten gar!“13 Und nach einem weiteren Prag-Besuch anderthalb Jahre später, als sich Berg für die Proben zur Erstaufführung des im Dezember 1925 in Berlin uraufgeführten Wozzeck in der tschechischen Hauptstadt aufhielt, schrieb er am 6./7. November 1926 an Hanna Fuchs: „Welch‘ eine Nacht! Dieser Abschied heute im Auto. Noch einige solche, dann der letzte – der allerletzte vielleicht.“14 War das „Auto“ für sich somit für Alban mitunter geradezu erotisch aufgeladen, entsprach sein Ansinnen, solchen Luxus zum selbstverständlichen Teil seines und Helenes Lebens zu machen, dem Trend der 1920er und 1930er Jahre, die – von der Weltwirtschaftskrise gebremst, doch nicht aufgehalten – von einer zunehmenden Individualmotorisierung geprägt waren.15 An der Lebensgeschichte Bergs lässt sich die Entwicklung in groben Zügen nachvollziehen. Mehrfach dokumentiert sind anlässlich der regelmäßigen Sommeraufenthalte der Familie des Jünglings Alban am Berghof Fahrten in der Pferdekutsche, so durch eine Fotografie aus einer Serie von der Kärntner Sommerfrische (1585/69)16 sowie eine Postkarte (Alban Berg Stiftung, ABS) von Albans Schwester Smaragda, auf der sie mit Alban zu sehen ist, an Helene Nahowska, die gerade in Trahütten weilende Bekannte aus der Wiener Hofoper, die Alban dort erstmals 1906 gesehen und zu der er ab 1907 zarte, dann immer festere Bande geknüpft hatte, die mit ihrer Heirat im Mai 1911 endgültig gefestigt wurden. Ab 1911 ist auch dokumentiert, dass es für Berg und seine nicht ganz zu Unrecht als sparsam geltende Ehefrau unter Umständen infrage kam, für wichtige oder eilige Wege „einen Wagen zu nehmen“. Die diesbezüglichen Ausgaben wurden ebenso genau protokolliert wie andere Beträge und Ereignisse (479/29; 30; 32; 46; 48-50). Bislang nicht genau zugeordnet werden konnte eine Fotografie, die das Ehepaar Berg vermutlich 1913 während eines Berlin-Besuchs bei einer Automobil-Rundfahrt der Firma Cook und Sohn mit einem offenen Autobus zeigt. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre scheint sich der Wunsch nach einem eigenen Gefährt mehr und mehr konkretisiert zu haben, während sich die AutomobilIndustrie zunehmend bemerkbar machte. Nachdem er

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Brief von Alban Berg an Hanna Fuchs vom 6./7. November 1926

Fotopostkarte von Smaragda Berg an Helene Nahowska

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Automobil-Rundfahrt der Firma Cook und Sohn in Berlin, ganz vorne sitzend vermutlich Helene und Alban Berg

am 1. Dezember 1925 gerade zu den Wozzeck-Proben in Berlin angekommen ist, berichtet Berg an seine Gattin, dass dort gerade eine „Automobil Ausstellung“ stattfindet und dass er für „3 Mark Fahrt!“, um in die reservierte Pension zu kommen, „ein Auto nehmen mußte.“17 Neben derartigen zweckorientierten urbanen Fahrten – als entgeltliche Personenbeförderung – kommen in den Jahren der Zwischenkriegszeit „touristische“ Aktivitäten in Mode, bei denen die Annehmlichkeiten von Ausflugsfahrten – oft im eigenen Wagen – übers Land genossen werden. Alban und Helene Berg erlebten dies im Gräf & Stift vom Typ SR3, einem dem Rolls-Royce nachempfundenen Auto der absoluten Luxusklasse, von Alma Mahlers drittem Ehemann, wie Berg am 23. Juli 1926 Theodor W. [Wiesengrund] Adorno schilderte: „Gestern besuchten uns, per Auto vom Semmering kommend, auf 18 Stunden Alma Mahler u. Franz Werfel. Es war ein Lichtblick!“18 Später schickt er einen Abzug eines der bei diesem Anlass entstandenen Fotos an seinen Komposi-

tionsschüler, den späteren Musikphilosophen und Kopf der Frankfurter Schule: „Im Juli besuchten uns auf 1 Tag Alma Mahler u. Franz Werfel in Trahütten, was hier zu sehen ist.“19 Mit der zunehmenden Motorisierung stieg – zuvorderst im urbanen Bereich – die Zahl der Unfälle. Einer davon geschah justament dem Freund Adorno, wie Arnold Schönberg in einem Brief Bergs vom 26. April 1928 erfuhr: „Eben bekomme ich eine Mitteilung von einem schweren Autounfall des Wiesengrund. Er liegt mit einer Gehirnerschütterung, tiefen Kopfwunde und sonstigen schweren Prellungen im Spital – soll aber außer Lebensgefahr sein.“20 Dennoch stand für viele Auto-„Touristen“ das Fahren zum Vergnügen bei Ausflügen im Vordergrund, wie Berg etwa auch von Willi Reich erfahren konnte, in dessen Brief vom 30. August 1929 es heißt: „An Touren habe ich bis jetzt die Kanzel und die wunderbar geglückte zweitägige Glocknerfahrt gemacht und will nächste Woche noch per Auto nach Veldes [Bled, Slowenien].“ (1234/17) Im weiteren Umfeld

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Fotoserie vom 22. Juli 1926: Helene Berg und Alma Mahler, Franz Werfel, Alban Berg und der Chauffeur Der Wagen ist ein Gräf & Stift (Typ SR3)

des Ehepaars hat sich das Dokument eines anderen Ausflugs erhalten, den die von den Bergs viel geliebte Manon Gropius, die Tochter Alma Mahlers aus ihrer zweiten Ehe mit dem Architekten und Bauhaus-Gründer Walter Gropius, mit ihrem Vater 1931 in Berlin machte: Gropius hatte für die Firma Adler mehrere AutoModelle entworfen – den Adler Standard 6 und 8 – und fuhr bei einem Picknick mit seiner zweiten Frau Ise und seiner Tochter Manon eine Cabriolet-Version eines seiner Modelle.21

Die angenehmen Erfahrungen in den Wägen der Familie Fuchs-Robettin sowie von Franz Werfel und Alma Mahler, ebenso die Berichte von Freunden wie Willi Reich sowie Gespräche mit Bekannten und Kollegen dürften Bergs Wunsch nach einem eigenen Automobil immer mehr verstärkt haben. Es war wohl tatsächlich die Erfolgsserie des Wozzeck seit der Aufführung in Oldenburg 1929, welche das musikalische Drama reihenweise durch Opernhäuser und Stadttheater führte, die Alban Bergs Überzeugung reifen ließen, nun über ausreichend

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Bergs Notizbuch mit Eintragungen zum technischen Innenleben von Kraftfahrwägen

Geldreserven für den Erwerb eines Wagens zu verfügen. Während sich die Wozzeck-Neuproduktion an der Wiener Staatsoper vom 30. März 1930 in den internationalen Siegeszug der Oper einreihte, dürfte sie gleichwohl für den Komponisten ein wesentliches Ereignis gewesen sein, um sich auch in seiner Heimatstadt endlich etabliert zu fühlen, und womöglich ausschlaggebend für die letztendliche Entscheidung für den Autokauf im Juni. In den folgenden Wochen muss der Entschluss zur Anschaffung eines eigenen Wagens gefallen sein. Berg ging hier – wie auch in anderen Lebensbereichen – ge-

wohnt planvoll und systematisch vor. Ab 6. Mai, als der Vermerk „Auto“ erstmals in seinem Kalender auftaucht, nimmt Berg wohl Fahrstunden: Regelmäßige Einträge bezeugen dies (432/26) ebenso wie jene Notizbücher, in denen er sich technische Details notiert (479/1– 4), sowie zahlreiche weitere Unterlagen, zu denen auch Gesetzblätter mit handschriftlichen Eintragungen des Komponisten gehören (ABS). Parallel dazu informiert er sich in den Wiener innerstädtischen Niederlassungen der Autofirmen, die sich vor allem an der Ringstraße angesiedelt haben.

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Bergs Exemplar des Landesgesetzblatts für Wien vom 1. Mai 1930 mit handschriftlichen Eintragungen

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Alban Bergs „Erklärung des Autokaufes“ mit einer Aufstellung von Anschaffungskosten und Finanzierung des Ford

Der lange Weg des gekauften Wagens In Bergs (nahezu vollständigem) Nachlass in der Österreichischen Nationalbibliothek haben sich neben einer Vielzahl anderer Dokumente jene Werbeprospekte erhalten, welche die eingeholten Informationen widerspiegeln, die zur Grundlage der Kaufentscheidung gemacht werden sollten. Nicht weniger als 13 Broschüren finden sich hier wieder – häufig mit Bergs handschriftlichen Eintragungen, aus denen sich grundlegende Parameter wie Preis23 und Leistungsmerkmale ablesen lassen, die während des Auswahlprozesses im Vordergrund standen (3048). Berg interessiert sich für das RoadsterModell von Dodge Brothers (und notiert sich hier eine Zahl, die wohl den Preis von 15.000 Schilling meint), das viersitzige Cabriolet Spyder von Mathis, zu dem eine Preisliste aus demselben Konvolut einen Preis von 10.500 Schilling ausweist, das viersitzige Cabriolet von Six (Berg

notiert hier wiederum 15.000 als Preisangabe, was auch mit der ebenfalls erhaltenen Preisliste übereinstimmt) und das „Falsche Cabriolet“ von Citroen (11.800 schreibt sich Berg dazu – eine Angabe, die wiederum mit der ab 1. November 1929 gültigen Preisliste übereinstimmt und für die Ausführung mit vier Zylindern Geltung hatte; mit sechs Zylindern hätte das zweisitzige Citroen-Cabriolet 14.500 Schilling gekostet). Weiters geht aus Bergs Eintragungen hervor, dass ihm ein Mercedes Cabriolet mit dem regulären Preis von 19.500 Schilling als „Gelegenheit“ um 16.500 Schilling angeboten wurde. Im Verkaufslokal der Firma Fiat nimmt er die Visitenkarte des Verkäufers mit und wird am 11. Juni 1930 von der Österreichischen Fiat Automobil Verkaufsgesellschaft am Kärtnerring 15 darüber informiert, „dass 2 sitzige Spider 514 nunmehr eingelangt sind. Wir laden Euer Hochwolgeboren ein, diesen Wagen zu besichtigen und empfehlen uns in dieser angenehmen Erwartung“ (708).

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Bergs Kalender vom Juni 1930: Am 23. Juni besucht er nach Unterricht in „Fahren“ und „Theorie“ eine „Autovertretung“

Währenddessen zeichnet sich im Juni die Entscheidung für den Ford-Wagen allmählich ab. In den Briefen von Albans Bruder Charley, der Konten seiner Geschwister im Ausland verwaltet (vgl. z. B. 548/99) und sich in vielfacher Weise um ihre Geld- und Rechtsgeschäfte kümmert, findet dies indirekt Niederschlag. Nach einem längeren Schreiben Charleys vom 3. Juni 1930 ergreift dessen Sohn Erich mit den Worten „Der Stenotypist bittet um Gehoer!“ die Feder und rät eindringlich vom Ford (allerdings nur vom „Modell 1929“) ab (548/94). Doch Bergs Entschluss für den Ford A 1930, „deren ich viele in Berlin sah“ (Berg an Schönberg, 22. Juli 1930, vgl. unten), steht im Laufe des Juni fest. Höchstwahr-

scheinlich an Helene richtet sich ein dreiseitiges handschriftliches Dokument mit der Überschrift „Erklärung des Autokaufes“, in dem die Finanzierung des Kaufpreises von S 12.000 (Schilling) erläutert wird (2862). Anschließend besucht er laut Kalendereintrag eine „Autovertretung“: Und tatsächlich kauft er noch am selben Tag bei der Firma V. S. Stua am Opernring 6–8 um S 11.900 zuzüglich 2 % Mehrwertsteuer sein Ford Cabriolet Modell A 13/40 und erhält gegen eine Anzahlung von 1000 sowie der Vereinbarung, 5000 bei Übernahme und den Rest innerhalb eines Jahres zu bezahlen, die Zusicherung, den Wagen innerhalb von ca. 14 Tagen geliefert zu bekommen (2863).23

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Alban Bergs Führerschein und Mitgliedskarte des Österreichischen Touring-Clubs (Ausschnitte)

Am 3. Juli absolviert er seine auch im Kalender eingetragene „Auto Prüfung“ (vgl. auch die Ladung der Bezirkshauptmannschaft Hietzing-Umgebung, 3048). Sein Führerschein wird schließlich am 8. Juli von der Bezirkshauptmannschaft Hietzing-Umgebung ausgestellt (3304/3). Rechtzeitig wird er auch als „Automobilist“ Mitglied des Österreichischen Touring-Clubs (428/21). Auf die tatsächliche Lieferung seines Autos muss Berg jedoch noch wesentlich länger warten, als ihm lieb sein kann. Durch einen Brief vom 12. Juli 1930, den Charley an Alban zum Berghof sendet, erfährt dieser: „Der Wagen ist bis jetzt von Manchester als abgegangen NICHT avisiert. Die Mitteilung, dass er abgegangen ist, muss aber jeden Tag eintreffen.“ (548/96) Dies ist jedoch erst der Beginn ungeduldigen Wartens, von dem Helene Berg Mitte Juli gegenüber „Almschi“ [Alma Mahler] berichtet: „Leider, leider kommen wir nicht nach Breitenstein, um Dich noch einmal vor dem Sommer zu sehen! Denn: das Sport-Wagerl, das Alban haben wollte, ist augenblicklich in Europa vergriffen, wir haben nun ein ,überspieltes‘ in Aussicht (worüber ich ei-

gentlich sehr froh bin!). Dieses ist aber erst – wenn’s gut geht – Ende Juli zu haben. Alban ist darüber sehr enttäuscht, da er ja bereits seine Prüfung gemacht hat u. darauf brennt – endlich losfahren zu können.“24 Etliche Rückfragen beim Händler führen zu einer langen Reihe von Vertröstungen. Am 16. Juli 1930 berichtet Charley an Alban: „Habe eben mit Herrn Bass [Leiter der Verkaufsabteilung des Autohauses, Anm.] gesprochen und teilt mir derselbe eben mit, dass der Wagen laengst von England abgegangen ist und sie denselben ca. am 20. ds. erwarten.“ (548/98) In einem weiteren Schreiben vom selben Tag, in dem auch davon die Rede ist, dass „S 432.-, fuer Haftpflichtversicherung und [S] 675.-, fuer Fahrzeugversicherung“ bezahlt wurden, präzisiert Charley, indem er sein Gespräch mit dem Verkäufer wiedergibt, „dass Dein Wagen schon ziemlich lange unterwegs ist und ihm in aller kuerzester Zeit vom Zollamt avisiert werden wird“ (548/98). Auch der Kreis rund um Berg nimmt regen Anteil an der Affäre. So schreibt der Berg-Schüler Otto Jokl am 17. Juli 1930: „Von [Julius] Schloß [einem weiteren Schüler und Mitarbeiter, Anm.] erfuhr ich vor 10 Tagen auf mein Befragen, daß die Fa in

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Rechnung des Autohauses V. S. Stua über den Ford Cabriolet Modell A 13/40. Auch die Bezahlung der vereinbarten Teilbeträge lässt sich nachverfolgen

38 England den gewünschten Wagen aufgetrieben hat … sie wird ihn Herrn Berg wohl schon zugeführt haben!?“ (901/28) Und auch Bergs Lehrer Arnold Schönberg wird informiert: Mit einem Brief vom 22. Juli 1930 erhält er jene Zeilen, die die großen Themen der folgenden Zeit – nämlich einerseits das Auto, andererseits die Arbeit an der Oper Lulu – berühren: „Und der Rest der mir zur Verfügung stehenden Zeit, ja ihr Großteil, standen ganz im Zeichen der Autobeschaffung und der Chauffeurprüfung. Die hab’ ich, Gott sei dank, sehr gut bestanden, und ich könnte jetzt schon überall in dem schönen Kärnten herumfahren, … wenn ich das Auto hätte. Es hat sich nämlich, lange nach dem Kauf-Abschluss herausgestellt, daß so ein Wagen, wie ich ihn wollte, und deren ich viele in Berlin sah, in ganz Europa nicht aufzutreiben war. So daß die Sache von vorn angieng und ich schließlich die Lösung fand, einen englischen Ford mir kommen zu lassen, der nunmehr unterwegs ist und den ich um die Monatswende hier erwarte. Dann erst werden wir uns des hiesigen Aufenthaltes erfreuen; vorderhand sind wir ja ziemlich abgeschlossen von der Welt und den Verkehrsmöglichkeiten. Was vielleicht meiner Arbeit zugute kommt. Ich habe – nach 10monatiger Pause – hier gleich an der ,Lulu‘ zu arbeiten begonnen, und bin ziemlich rasch in Schwung gekommen. Damit hab’ ich Dir aber auch alles von mir erzählt.“ Dass der Wagen Ende Juli/Anfang August erwartet wird, wird etliche Male angedeutet. Am 23. Juli 1930 schreibt wiederum Charley, seinen Bruder neuerlich um Geduld bittend, an Alban, der noch immer am Berghof ausharrt: „Eben telefoniere ich mit Bass von Ford und hoere, dass derselbe mit Dir in Korrespondenz steht, dass Du also weisst, dass der Wagen bereits unterwegs nach Wien ist und scheinbar Ende dieser Woche in Wien eintrifft. Ich trage ihm morgen vorm. die Papiere hinein in die Stadt zur Besorgung des Carnets [Versicherungspapiere] und des Internationalen Fahrausweises. Es scheint also, dass die Sache jetzt doch einen Zug bekommt. Nun wirst Du bald in der Lage sein, den Wagen auf den schoenen Strassen Kaerntens, besonders auf deiner Bezirksstrasse, gruendlich zu ruinieren.“ (548/100) Doch die Sache verzögert sich weiter. Und während sich Charley um sämtliche nötigen Formalitäten kümmert – am 11. August unterrichtet er Alban über die Bezahlung der Haftplichtversicherung an die Gemeinde Wien in Höhe von 1.107.- Schilling (548/101); der Internationale Fahraus-

weis wird beantragt und am 21. August schließlich ausgestellt (ABS) –, reißt dem wartenden Komponisten der Geduldsfaden, wie aus einem weiteren Schreiben Charleys vom 12. August 1930 hervorgeht: „Lieber Alban, Habe eben mit Herrn Bass gesprochen, der mir mitteilt, dass Herr Stua eben von Dir ein Autogramm bekommen hat, dass du den Auftrag stornierst. Er sagt, Du bist ja vollstaendig im Rechte, aber nachdem Dein Wagen jetzt am Weg nach Wien ist resp. die Firma FORD einen Mann nach Antwerpen gesandt hat, das Cabriolet abzuholen und es heute, spaetestens aber morgen in Wien eintrifft, so ist Deine Anullation direkt zum Verzweifeln. Nachdem Du was ja Ford nicht weiss, jetzt vielleicht einen Steyr kaufen willst und Du aus diesem Grunde ja unbedingt nach Wien kommen musst, so koenntest Du die Sache ja in Wien entscheiden, weil dann das Fordcabriolet auch da ist. Ich habe Bass gesagt, er soll Dich doch noch einmal anrufen um mit Dir ueber die Sache zu reden. Ich sehe Deiner Entscheidung entgegen.“ (548/102)

Erste Fahrten und genaues Protokoll Während seines Aufenthalts in Kärnten schlägt sich Bergs Ungeduld auch in seinem Kalender nieder: So findet sich etwa am 18. Juli der Eintrag „Auto sollte da sein“. Am 11. August, als er das oben erwähnte Telegramm an Stua absendet, trägt er ein: „7. Woche“ und vermerkt, dass das Telegramm um 14.40 Uhr abgeht. Zu Mariä Himmelfahrt ist die Abfahrt vom Berghof eingetragen, tags darauf die Ankunft in Wien; und am Ende der folgenden Woche, am 22. August 1930, notiert Berg, dass die „Wagenübernahme“ endlich stattfindet. Nun werden die ersten Fahrten unternommen und akribisch dokumentiert. Am 23. und 24. August führt der Weg jeweils nach Rekawinkel, und bereits tags darauf geht es um „9 Uhr früh ab Wien“ in Richtung Kärnten: Berg und sein Ford erreichen um „¼ 12 Küb“ und fahren um „4 h ab Küb“ weiter, später hält Berg fest: „7 h an Bruck a/d Mur“. Am nächsten Tag geht es um 12 Uhr weiter, und um „¼ 8 h“ abends ist das Ziel, der Berghof, erreicht. In seinem Kalender notiert Berg am 24. August den Kilometerstand: „1700 km“ sowie dann die zurückgelegten Strecken am 25. („170 km“) und 26. August („180“).

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Bergs Kalender vom August 1930

So wird er es die nächsten Wochen weiter halten. Bereits während seines Aufenthalts in Bruck an der Mur berichtet er am Vormittag des 26. August brieflich an Webern: „Mein liebster Freund, 3mal wollte ich Dich aufsuchen: Samstag u. Sonntag (beide male von Rekawinkel kommend) u. gestern Montag auf einer Fahrt hierher. Und jedesmal stellten sich Hindernisse in den Weg. Schade, schade! Ich hätte Dir so gern mein Wagerl gezeigt, von dem ich heute schon, nach ca 170 km (incl. der Semmeringfahrt) behaupten kann, daß es ein famoses Auto ist. Ich fuhr bisher allein; heute steigt meine Frau, von der Südbahn kommend, zu mir u. es geht nach Berghof. Sei innigst gegrüßt von Deinem Getreuesten! Dein Berg“.26

Wenige Tage später, am 29. August 1930, berichtet Helene Berg Alma Mahler von der Fahrt , dem Gefährt und auch einem ersten Unfall, der nicht der letzte bleiben wird: „Wir sind seit Dienstag wieder in Kärnten. Wir fuhren mit unserm endlich errungenen Auto her u. kamen (bis auf einen umgestoßenen Zaun u. ein ,gerammtes‘ Italienisches Auto – mit einigen Schrammen an unserm Wagerl) jedenfalls lebend hier an. Es ist ein wunderbar laufendes, vornehmes Auterl, das überall Aufsehen erregt. Alban strahlt u. täglich um 5h wird losgefahren. (Um 8h liegen wir schon in den Betten, sind aber täglich um 6h beim Frühstück) – Alban hätte Dir gerne selbst geschrieben, aber er hat (durch die Wr. Reise) viel Arbeit einzuholen u. es heißt jetzt doppelt fleißig sein, da er ja sein 4rädriges Kind erhalten muss.

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Ansichtskarte von Alban Berg an Anton Webern vom 26. August 1930

Ansichtskarte von Alban Berg an Anton Webern vom 5. September 1930

[…] Nun aber weißt Du alles! Halt! Etwas hab ich doch vergessen: Jedesmal, wenn wir unser Wagerl besteigen, wird mit zärtlichen Gefühlen Deiner gedacht!“27 Auch Alban selbst verbreitet die frohe Kunde vom fahrbahren Untersatz und den damit verbundenen Freuden an Freunde und Bekannte – in unzähligen Fällen in Verbindung mit Fotografien bzw. den damals gängigen fotografischen Reproduktionen im Postkartenformat. Am 1. September 1930 schickt er an Erich Kleiber ein Foto:

„Mein Ford-Wagerl: 13/40 PS Kann ganz geöffnet werden: sogen. Sport-Coupé für zwei Personen! Hinten 2 Notsitze (= 4 Personen) oder Raum für viel Gepäck.“28 Am 5. September 1930 schickt er wieder eine Ansichtskarte an Anton Webern: „Das ist, mein liebster Freund, mein Wagerl im geschlossenen Zustand. Es ist aber vollständig aufzumachen u. so benützen wir es in diesem fabelhaften Nachsommer täglich. Hinten sind zwei Notsitze (sehr bequem) oder Platz für viel Gepäck. – Aus meiner Arbeit bin ich leider recht herausgekommen,

41 ,Lulu‘ – und nicht nur mit dem Ford – schnell vorwärts zu kommen.“31

Alban und Helene Berg mit ihrem Ford am Loibl-Pass am 19. September 1930

hoffentl erfang’ ich mich noch rechtzeitig. Alles Liebe Dir u. den Deinen von uns! Dein Bg“.29 Tags darauf geht ähnliche Post auch an Soma Morgenstern (6.9.)30, in den nächsten Tagen berichtet er von Neuigkeiten unter anderem an Otto Jokl, und am 10.9.1930 meldet er an Schönberg „die endliche Uebername meines Autos. Ich bin damit gleich von Wien hierher gefahren, was, für eine Tour, wo ich zum ersten Mal ganz allein auf mich angewiesen war, fast zuviel war. Hier aber erfreuen wir uns täglich nachmittag der Ausfahrten in herrlich schöne, bisher so schwer erreichbare Gegenden und empfinden die physische Unabhängigkeit, die einem ein solches Fahrzeug verschafft, sehr wohltuend. Allerdings drückt mich wegen meiner Arbeit, die allsommerlich, bei den gewohnten nachmittägigen Spaziergängen und Wanderungen so schön gedieh, etwas das Gewissen. Beim Chauffieren kann man – oder ich wenigstens – an nichts anderes denken, als an die Straße. Aber mit der Zeit hoffe ich doch, wieder mit der

Tatsächlich lassen die beinahe täglichen Ausfahrten den Kilometerstand bis zum 6. September auf „2367 km“ steigen, zwei Wochen später kann Berg „2763“ notieren und weitere sechs Tage darauf bereits „3144“. Am Ende des kommenden Monats, in der Woche der „ABREISE VOM BERGHOF“ am 22. Oktober und der Rückkehr nach Wien am Tag darauf, wird schließlich der Kilometerstand „4850“ festgehalten (20.10.). In Kombination mit den Briefdokumenten ergibt Bergs Kalender, der auch Notizen zu Reparaturen und Motorpflege enthält, in diesen Wochen ein offenbar nahezu vollständiges Bild der autobezogenen Unternehmungen. Auch in jener Woche im September, in der der Tachometerstand von 2763 auf 3144 Kilometer stieg, sind tägliche Ausfahrten und Ausflüge verzeichnet: Es ist zu erfahren, dass es am 15. September 1930 um „11 h nach Villach“ ging. Ein Brief Albans an Helene passt dazu und beschreibt auch den Erwerb jener Positionsleuchten, die es dem Fahrer ermöglichen sollten, die Ausmaße des Wagens besser einzuschätzen: „Mein Goldchen, ich sitz also im Parkkaffee, nachdem ich alles besorgt habe: das wichtigste: Preblauer, dann das rote Kugerl am Wagen, was ihn womöglich noch schmucker macht u. das (schon bei den Stadtfahrten sah ich’s:) sich kolossal bewährt. Jetzt weiß ich erst, was für einen Wagen ich führe!!!“32 Bereits am 11. Juni 1930 hatte er laut Rechnung der Buch- und Kunsthandlung Richard Lányi in der Kärntnerstraße 44 im 1. Bezirk in Wien das soeben erschienene Buch Die Hochstraßen der Alpen von Kurt Mair erworben (2863), das später in etlichen Auflagen erschien, bis heute als Klassiker gilt und als solcher immer noch gedruckt wird. Wenn er nun im soeben zitierten Schreiben an Helene die Stadtfahrten erwähnt, hatte er bereits konkrete Pläne für Ausflüge auf Gebirgsstraßen. Noch in derselben Woche, am 19. September 1930, machen Alban und Helene ihre erste größere Fahrt auf einer solchen Route, nicht ohne den Motor des Wagens tags zuvor gründlich „geschmiert“ zu haben (auch das wird im Kalender vermerkt). Auf dem Loiblpass entstanden wieder einige Fotos, die anschließend verschickt wurden (3358/1-2 und ABS;

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Bergs Kalender vom September 1930

vgl. die Bildpostkarte an Josef Polnauer vom 7. August 1931, siehe unten). Am 24. September ging es dann auf die Turacher Höhe und den Katschberg. Über beide Fahrten berichtet Berg voller Stolz, etwa am 26.9.1930 an seinen Adepten Johannes Schüler auf einer Ansichtskarte: „Mein lieber Freund, umstehend mein zweisitziges Ford-Sport-Cabriolet, mit dessen 40 Pferdekräften ich auf alle Pässe (bis zu 1700 m Höhe) gelange. Es hat hinten zwei bequeme Notsitze oder Platz für viel Gepäck. Es kann auch vollständig – wie ein Coupé – geschlossen werden! Wir haben sehr viel Freude damit! Allerdings leidet ,Lulu‘ sehr darunter, mit der ich lang nicht so schnell vorwärts komme, wie mit dem ,Ford‘.“33 An den Schönberg- und Berg-Schüler Josef Polnauer werden am 8. Oktober 1930 in einem Kuvert gleich zwei Ansichtskar-

ten versendet, in denen die konkreten Ziele vom 19. und 24. September erwähnt werden: „Und außerdem bin ich voll ausgefüllt von meinem Ford und ,Lulu‘. Von ersterem allerdings weit mehr. Der macht uns ungemein viel Freude. Mit seinen 40 PS bezwinge ich jede Bergstraße mit Leichtigkeit (Loiblpaß, Turacher Höhe (1740 m), Katschberg etc.“34 Das erste Motiv zeigt Helene und Alban im Wagen, das zweite ist eine Ansichtskarte vom „Spenglerbichl am Katschberg (32% Steigung)“. Ein umseitiger Stempel unterstreicht den Superlativ mit einer widersprüchlichen, aber nichtsdestoweniger spektakulären Angabe: „Steilste Autostraße Europa’s 29%“. Polnauer antwortet an Berg am 13.10.1930: „Verehrter lieber Freund! Vielen Dank für deine lieben Zeilen. Ich

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Zwei Ansichtskarten von Alban Berg an Josef Polnauer vom 8. Oktober 1930

hätte mich schon früher gemeldet. Aber ich hörte, dass du zwar wohlauf bist, aber den ganzen Tag über arbeitest – und schließlich gab es auch kaum etwas Erzählenswertes zu berichten. Von deinem Ford vernahm ich schon unfaßlich Wunder und wilde Märe. ,Wild‘ ist allerdings etwas übertrieben und – hoffentlich! – nur als poetische Bezeug. zu rechtfertigen. Jedenfalls: auf dem Bild sieht er wirklich prächtig aus, und ich gratuliere dir herzlichst zu dieser Erfüllung eines Lieblingswunsches. Mich persönlich interessiert freilich – bitte um Entschuldigung! – das Befinden der ,Lulu‘ mindestens ebensosehr, obwohl ich durchaus überzeugt bin, daß sie des

Ford wegen nicht zu kurz kommen wird. Aber ich bin eben schon sehr gespannt darauf, wie sie aussehen wird.“ (1197/22) Doch der Konflikt zwischen Arbeit und Vergnügen lässt sich nicht verleugnen, wie Berg öfters einräumt, indem er sich einer humorigen Analogie bedient. Auch an Erich Kleiber verwendet er am 29. Oktober 1930 den Vergleich zwischen seinem Hobby und seiner Arbeit: „Wir sind erst seit Kurzem vom ,Land‘ zurück. ,Lulu‘ hab ich um ein gutes Stück weiter gebracht. Meinen ,Ford‘ allerdings noch weiter u. höher (100 km – Geschwindigkeit u. Bergstraßen bis 1800m Höhe!)“.35

44 Kollegiale Korrespondenz Auch ein anderer Kollege hat Post erhalten: Joseph Marx, der bereits in den 1920er Jahren einen Wagen sowie einen Fotoapparat besaß und mit beiden Errungen-

schaften ausgedehnte Reisen absolvierte. Die Postkarte von Berg an den einflussreichen Musikpädagogen hat sich offenbar nicht erhalten, wohl aber dessen Antwortschreiben:36

„Grambach bei Graz, im November 1930. Lieber Freund Berg! Bin eben auf ein paar Tage Erholung in Steiermark, allwo ich auch an Sie und Ihren leider unterbliebenen Besuch denke (hoffentlich holen Sie ihn doch endlich bei günstigerer Jahreszeit per Auto nach!) und auch geruhsame Gelegenheit habe, Ihnen für die erfreulichen Auto-Kartengrüsse schönstens zu danken. Sie werden mir nun von Tag zu Tag mehr recht geben: man muss etwas neben der Kunst haben, das einen ab und zu genügend beschäftigt und in Anspruch nimmt, dabei natürlich auch Eindrücke vermittelt, die einem sonst einfach unerreichbar sind. So ein Ding ist nun ein Auto; plötzlich lernt man den Wert der Technik, den Nutzen der Benzin-Industrie, die Bedeutung der Weg-Macherei, den tiefen Sinn der Physik erst begreifen, kommt ins Freie (noch dazu auf eine wenig beschwerliche, wenn auch etwas gefährlichere Weise!), beschäftigt sich mit Düsen, Oeldruck, Hebelübertragungen, die einen [sic] sonst schnuppe waren, und ist mit einem Wort ein andrer Mensch. Ich betreibe nebstbei noch Photographie, und möchte Ihnen raten, auch diesem Gebiet, das einen mit Physik, Chemie, Natur und sogar gewissermassen mit der Schwesterkunst irgendwie in Zusammenhang bringt, zu betreiben; sie ist so eine Art Ergänzung des Autofahrens, und wenn man weite Reisen macht, kann man sich allerhand im Gedächtnis bewahren, das sonst sicher vergessen wird. Aber nur Stereo!!! Das ist die richtige Methode für Autofahrer! Der Ford ist bestimmt ein guter Wagen, leicht (beinahe zu leicht) karossiert, muss er die Berge leicht nehmen, besonders zweisitzig wie der Ihre; obendrein hat er doch einen grossen Zylinder-Inhalt, und ich bin froh, dass Sie meinem Rate folgend sich dafür entschieden haben, wie ich ja auch sonst meine, Ihnen einige wissenswerte Dinge bei dieser festlichen Gelegenheit des Autokaufes mitgeteilt zu haben. Was beim Ford höchstens in Betracht zu ziehen ist, bleibt der Umstand, dass die leichte Karosserie wenig widerstandsfähig ist, dass ferner der Motor fast zu stark im Verhältnis zur [sic] Gewicht der Karosserie ist, sodass man etwas leichter „aus der Bahn“ kommt, was dann bei der wenig starken Karosserie bei grösserem Tempo leicht zu gefahrvollen Erlebnissen führen kann, besonders auch deshalb, weil der Wagen ein wenig kurz ist. Damit habe ich Ihnen einige kleine Bedenken mitgeteilt, die Sie vielleicht schon wissen. Sie haben ja bestimmt auch bemerkt, dass die Landstrasse entweder von Wahnsinnigen oder angehenden Selbstmördern bevölkert ist, dann von boshaften Landwirten und verträumten Fussgängern, die einem alle in irgendeiner Form gefährlich werden können. Ich bin überzeugt, dass Sie zu den ,langsamen‘ und vorsichtigen Fahrern gehören wie ich, über 60 soll man nicht oft gehen; ich fahre auch in allen Kurven langsam, weil einem öfters ein Raser auf der unrichtigen Seite wohl im schnellsten Tempo, dafür aber ohne Signal entgegenkommt. Genug von dem! Das vergnügliche Chauffieren hat leider auch seine Schattenseiten,

45 und ich möchte Ihnen nur wünschen, dass Sie niemals die Schattenseiten dieses Sportes aus eigener Erfahrung kennen lernen. Ich fuhr zuerst auf einem kleinen Fiat 509 Zweisitzer (davon eine Ansicht beiliegend), dann auf einem Daimler ADM II Sporttype 10/60, sehr schnell, aber schwer zu schalten und auch etwas zu geräuschvoll. Besagten Wagen habe ich nun eben (noch dazu ganz gut) an den Mann gebracht, und will im nächsten Jahr auch einen Amerikaner erwerben. Der Ford würde mir auch gut gepasst haben, aber ich sitze als ,stattlicher‘ Herr etwas zu gedrängt, und da habe ich schon was anderes grösser dimensioniert in Aussicht. Wie ich aus dem mitgeteilten Touren-Verzeichnis ersehen konnte, haben Sie die Ferien höchst vergnüglich verbracht und vielleicht sogar ab und zu darauf vergessen, dass Sie Komponist sind; die ganz neue Seite des Daseins mit Auto nimmt einen ab und zu sehr in Anspruch. Ich nehme aber doch an, Sie sind mit Ihrem neuen Musikdrama entsprechend weiter gekommen, und ich habe jetzt in Wien einmal Gelegenheit, was davon zu sehen! Ich habe trotz südlicher Reise, zahlreicher grösserer Spazierfahrten ein neues KlavierOrchesterwerk verfasst, betitelt ,Castelli Romani‘. I. Villa Hadriana, II. Tusculum, III. Frascati; Reisebilder aus Italien (mit dem Auto eingeholt). Wie wäre es, wenn wir einmal gemeinsam mit unseren Wagen da hinunter fahren würden??? Ich stelle mir das reizend vor, obendrein kenne ich mich in der Umgebung Roms bedeutend besser aus als im Wienerwald. Wollen Sie mitkommen!? Nun schliesse ich rasch, in der erfreulichen Aussicht, Sie bald in Wien zu sehen, und bin mit den schönsten Grüssen – auch an Ihre verehrte Frau – Ihr ergebener [Marx] (1069/1) Erstabdruck mit freundlicher Genehmigung der Joseph-Marx-Gesellschaft

Im Umfeld des Ehepaars Berg ist der Ford inzwischen auf selbstverständliche Weise gegenwärtig. So schreibt Adorno an seinen ehemaligen Lehrer am 16. Jänner 1931: „Gehört habe ich auch von Ihrem Auto und kann mir gut vorstellen, wie viel Freude es Ihnen macht und daß es, gleich allem Technischen in Ihrer Hand, lebendig und eine merkwürdige Art von Haustier wird.“37 Berg antwortet am 26. Jänner: „Seit ich ein Auto hab’, hab ich kein Asthma mehr. Und so scheußlich dieses war, so herrlich ist jenes. Auch darüber mündlich mehr, ja mehr als Ihnen vielleicht lieb ist –, denn ich rede nur mehr davon! Ihr Vergleich mit einem Haustier entspricht so ganz dem Gedankengang meiner Frau […]“.38 Wenige Monate später bringt Alban in einem völlig anderen Zusammenhang das „Wagerl“ in einem Briefentwurf ins

Spiel: „Und überhaupt die Sonne: die ist im Lauf von 5 Jahren so schön langsam aufgegangen, daß wir dann wirklich Zeit hatten uns so allmählich daran zu gewöhnen ohne geblendet zu sein was sowohl den Ruhm anbelangt (der ja auch seine großen Kehrseiten hat) als auch den materiellen Erfolg, der ja in dem Luxus unseres Wagerls gipfelt.“39 (480/256) Offensichtlich handelt es sich dabei um eine bloß skizzierte Reaktion auf einen Brief von Alma Mahler vom 22. April 1931 mit der Bitte: „bleibt [doppelt unterstrichen] dieselben – die Ihr mir wart. Dass Ihr jetzt in der Sonne wandelt ist mein tiefstes Glück – Ihr sollt nur, – mit Euren lieben geblendeten Augen – mich jetzt nicht übersehen!“40 Albans Entwurf bleibt freilich unabgeschickt, es wird Helene sein, die mit einem Brief vom 26. April der Witwe Gustav

46 Mahlers ihre anhaltende Freundschaft versichert – ohne die Argumente ihres Gatten zu übernehmen.41 Währenddessen setzen die Bergs einen wichtigen Schritt in Richtung verkehrstechnischer Gleichberechtigung, wie Schönberg durch ein Schreiben Albans vom 6. Juni 1931 erfährt: „Begleitet von meinem Ford, mit dem wir nach wie vor froh u. zufrieden sind, und von dem ich täglich mehr überzeugt bin, daß ich den richtigen Wagen gewählt hatte. Jetzt lernt auch Helene chauffieren u. wird’s bald können.“42 An Willi Reich berichtet Berg dann am 23. Juni 1931 „Eben hat meine Frau die technische Prüfung bestanden!“, tags darauf, dass sie „nunmehr auch die polizeiliche Prüfung bestanden“ habe.43 Dass der Besitz des Führerscheins sie zum Lenken des Wagens berechtigt, stößt jedoch anfangs an gewisse Grenzen, wie Helene im Juni 1931 gegenüber Alma klagt: „Wenn ich mit unserm Wagerl nach Wien könnte – käm ich bestimmt über Breitenstein, um Euch zu sehen – aber Alban ist unerbittlich u. will mir nicht sein Wagerl allein anvertrauen!! So musst Du eben herkommen! Du bist doch ein so beweglicher Mensch – in Villach ist ein Hôtel mit allem modernen Comfort (sogar Bar!) und am Tag führen wir Euch auf die schönsten Pässe u. Berge – zu den herrlichsten Seen!“44 Alban sieht in dieser Zeit den Nachweis über die Erlernung des Fahrdienstes in der Fahrschule von Helene Berg

Im Zusammenhang mit ihren gemeinsamen Ausfahrten lassen sich Helene und Alban Berg im August 1931 ihre Führerscheine für den Österreichischen Touring-Club bestätigen

47 Umstand, dass nun auch seine Frau chauffieren kann, in erster Linie als Annehmlichkeit für sich selbst. So schreibt er diesbezüglich am 17.7.31 an Morgenstern: „Helene hat vor 3 Wochen ihre Autoprüfung bereits bestanden u. fährt dementsprechend viel was eine Entlastung für mich bedeutet.“45 Und am 6.8.31 berichtet er an Schönberg: „Neben der Arbeit fahren wir täglich ein paar Stunden spazieren u. nachdem Helene nach Absolvierung der Fahrprüfung nunmehr auch schon chauffiert – u. dies recht gut – bin ich heuer nicht mehr wie voriges Jahr lediglich Chauffeur, sondern kann – was ich früher spazierengehend tat – nun auch schon fahrend den Gedanken an die Arbeit nachhängen.“46

Unfälle und Auseinandersetzungen Dass es ein gewisses Risiko birgt, wenn der Fahrer seinen Gedanken nachhängt oder gar anderweitig abgelenkt ist, musste Alban Berg im Sommer 1931 gleich mehrfach erfahren. Nachdem sich Schloß nach der Nachricht eines Unfalls am 2. Juli nach Genauerem erkundigt hat (1309/78), antwortet ihm Berg zwei Tage später: „Lieber Schloß, gar nichts ist uns passiert. Ich habe zwar eine Telegraphenstange gestreift (weil ich zu gleicher Zeit chauffiert u. die Autokarte studiert hatte) durch den Stoß wurde meine Frau an die Wagenwand gepresst. Dh. blauer Fleck, aber ansonsten […] Auto u. Fahrer gut.“47 Ähnliches berichtet er mittels einer Ansichtskarte aus Villach am 4.7.31 auch an Reich.48

Zwei weitere Unfälle im August desselben Jahres verursachen jedoch Sach- und Personenschäden mit weiter reichenden Folgen – auch wenn sie für Berg vor allem in Korrespondenzen bestehen. So schreibt ihm am 10. August 1931 ein Kommerzialrat Josef Winternitz, wohnhaft in Wien I., Grünangergasse 2: „Sehr geehrter Herr! Sie werden sich erinnern, dass Sie in Villach vor dem Parkhotel rückwärts in den stehenden roten Steyr-Wagen hineingefahren sind. Sie hatten die Liebenswürdigkeit damals zu erklären, dass Sie selbstverständlicherweise für den Schaden aufkommen. Es wurde konstatiert, dass das Benzinreservoir rückwärts eingedrückt war und musste dasselbe selbstverständlich ausgebaut werden, um diesen Schaden beheben zu können. Von einer Erneuerung der rückwärtigen Tafellampe, sowie von einem Lackieren des Benzinreservoirs sehe ich ohne Präjudiz für meinen Rechtsstandpunkt ab, wenn Sie den mir entstandenen Schaden von S 85.- innerhalb von drei Tagen an die Fa. Ingenieur Emanuel Klausner, Wien I. Adlergasse 4, mittelst beiliegenden Erlagscheines überweisen. Ich nehme an, dass Ihnen diese Art der Austragung genehm ist“ (1541/2). Alban Berg ist die Vorgangsweise des Geschädigten allerdings alles andere als genehm. Er antwortet Winternitz am 13. August vom Berghof: „Sehr geehrter Herr, ich erhalte erst heute Ihren, mir hierher nachgesandten Brief vom 10. d. Selbst wenn mir also die von Ihnen gewählte ,Art der Austragung genehm‘ wäre, wäre

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Brief von Kommerzialrat Josef Winternitz an Alban Berg vom 10. August 1931

ich nicht in der Lage gewesen, die von Ihnen gestellte Frist von drei Tagen einzuhalten. Aus dem Umstand aber, daß Sie es überhaupt für notwendig erachten, mir eine Frist zu stellen, zum Zweck ihrer Einhaltung – statt einer Rechnung – gleich den Erlagschein einsenden, und es weiters für angebracht halten, sich im Verkehr mit mir vor einem ,Präjudiz Ihres Rechtsstandpunktes‘ schützen zu müssen, muß ich leider annehmen, daß Sie nicht wissen, mit wem Sie es zu tun haben. Aber auch der Umstand, daß Sie mir (der ich mich szt. sofort bereit erklärt hatte, für den Schaden aufzukommen, und Ihnen unaufgefordert meine Visitkarte überreichte) .... daß Sie mir, (gleichsam gnadenweise; denn wie käme ich sonst dazu!) einen Teil dieser Schadensgutmachung e r l a s s e n wollten, w e n n i c h ,innerhalb von drei Tagen‘ den Betrag von S. 85, überweise, spricht dafür, daß Sie keine Ah[n]ung haben, wer ich bin und daher alle diese Maßnahmen (Rekom[m]a[n]dation des Briefes, Beilegung

des Erlagscheines, Betonung des Rechtsstandpunktes, denkbar kürzeste Frist, Androhung bei Nichteinhaltung dieser Frist) für notwendig halten, um im Verkehr mit mir s i c h e r z u g e h e n! So daß leider auch mir nur mehr eine solche, auf kommerzielle und juridische Sicherheit gestellte Art der Austragung genehm erscheinen kann, und ich Sie daher bitten muß, mir die Rechnungen zu senden, über sämtliche Reparaturen, die notwendig waren, um die von mir Ihrem Wagen zugefügten Schäden zu beheben.“ (480/528) Der harsche Ton dieses Schreibens verfehlt seine Wirkung offenbar nicht. Wochen später, nachdem er den Schaden pflichtbewusst an die Haftpflichtversicherung gemeldet hat (ABS), kann Berg an Reich in einem Brief vom 3. September 1931 berichten: „Stellen Sie sich vor: Herr Kommerzialrat Winternitz hat – – gar nichts mehr von sich hören lassen. Mir scheint mein Brief hat die

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Bergs Antwort an Josef Winternitz vom 13. August 1931

bestmögliche Wirkung gehabt: Bitte klopfen Sie, ich tu’s eben auch.“49 Im selben Brief ist zwar ausführlich von den Ereignissen der vergangenen Tage die Rede, nicht aber von einem weiteren Autounfall in Südtirol, genauer in der Ortschaft Vierschach (Versciaco) in der Gemeinde Innichen (San Candido), Provinz Bozen (Bolzano), als am 26. August 1931 das „Wagerl“ einen Fußgänger erfasste und verletzte.50 In Bergs Kalender sind in der Woche vom 23. bis 29. August Spuren eines eingeklebten, dann entfernten Dokuments erhalten, daneben über mehrere Tage der Eintrag: „2. Signale // Bremsstrecke // richtige (rechte Seite)“ (432/27). Die Darstellungen der beiden Seiten gehen, zumindest was die Folgen dieses Unfalls betrifft, deutlich auseinander. Berg kontaktierte nach seiner

Antwortschreiben der Städtischen Versicherungsanstalt der Gemeinde Wien auf Bergs Schadensmeldung

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Bergs Kalender vom August 1931

Heimreise jenen Arzt, der den Verunglückten versorgt hatte, und erhielt mit einem Brief vom 11. September 1931 von Dr. G. Prey folgende Auskunft: „Wir freuen uns Ihnen mitteilen zu koennen, dass es dem alten Mann ganz gut geht; er musste wohl einige Tage das Bett hueten, um Gewissheit zu haben, habe ich ihn tagsdarauf in seiner Wohnung roentgenisiert, die Durchleuchtung ergab, dass auch, wie durch ein Wunder in diesem Alter, nichts gebrochen war, durch den Fall hat er wohl die eine und andere Schuerfung und Wunde am Koerper erlitten (Huefte, Beine). [...] Also es war wirklich Glueck im Unglueck.“ (1210) Der Sohn des Unfallopfers, Josef Klocker, wendet sich am 16. September 1931 mit der Hoffnung an Berg, „dass Sie Verständnis genug besitzen, dass mir der Unfall meines Vaters sehr empfindliche

Spesen verursacht hat“, und ersucht darum, ihm eine Summe von „500 Schilling“ zu erstatten (942/1). Berg wendet sich daraufhin am 27. September 1931 an die Städtische Versicherungsanstalt der Gemeinde Wien: „Am 28. August 1931 fuhr ich auf der Reichsstrasse unweit der italien. Grenze gegen San Candido (Innichen). In der Nähe eines Gehöftes (Gasthofes) rannte ein alter Bauer in meinen Wagen und wurde von mir überfahren. Dem Mann, er ist 73 Jahre alt und lebt im Ausgeding bei seinem wohlhabenden Sohn, dem Bauern Josef Klocker, ist Gott sei Dank nicht viel geschehen. Ausser äußeren Verletzungen konnte von dem damals sofort herbeigerufenen Arzt nichts konstatiert werden. Ins Bett gebracht, konnte der sofort vernehmungsfähige alte Mann gar nicht erklären wie das Ganze zugegangen

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Notizen und Eintragungen Bergs für das Formular der Wiener Städtischen Versicherung für den Schadensbericht

war. Durch Zeugen konnte aber sofort einwandfrei festgestellt werden, daß die Schuld ganz allein den alten Mann traf. Ich fuhr auf der vorschriftsmäßigen rechten Seite in einem Tempo von ca. 30 bis 40 km, gab, als ich den Mann am Rand der Strasse stehen sah zwei Signale. Er aber rannte plötzlich über die Straße, wo ihn mein Auto – trotz schon früher eingesetzem Bremsen – und obwohl ich den Wagen noch mehr nach rechts riss, so dass ich in den Strassenzaun fuhr – erreichen und niederstoßen musste. Die ganze Sache wurde natürlich sofort von den Behörden aufgenommen. Die dortige Gendarmerie notierte die Sache, fand aber nichts an meinem Vorgehen zu beanstanden; im Gegenteil: sie versicherte immer wieder: ,Sie haben gut gemacht!‘ […] Obwohl ich mir also in der ganzen Angelegenheit keiner Schuld bewusst bin, wäre es mir natürlich sehr willkommen wenn die Versicherungsgesellschaft die Ansprüche des Mannes [des Sohnes Josef Klocker] be-

friedigen würde. Wollen Sie bitte dies tun und die Angelegenheit ordnen. Dem Mann selbst schrieb ich daß ich seinen Brief an Sie weitergeleitet habe.“ (480/524/1) Diesem Schreiben legt Berg das ausgefüllte Formular für den Schadensbericht bei und bewahrt einen Durchschlag mit handschriftlichen Eintragungen auf, darunter auch eine Skizze der Straße (469/1). In der Alban Berg Stiftung ist ein weiteres Schadensbericht-Formular erhalten, das nicht ausgefüllt wurde, jedoch bereits von Seiten der Versicherung eine Schadensnummer enthält. Dabei handelt es sich offensichtlich um ein Dokument, das anlässlich des beschädigten Wagens von Josef Winternitz angefordert wurde, dann jedoch liegenblieb, als der Herr Kommerzialrat nichts mehr von sich hören ließ. Die Versicherung bietet am 10. Oktober 1931 tatsächlich an, einen Teil der Forderungen von Josef Klocker zu befriedigen. Und dies, obwohl zunächst betont wird,

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Brief von Josef Klocker an Alban Berg vom 9. Dezember 1931

„dass die Tatsache des Bestandes einer Haftpflichtversicherung noch kein Grund ist, etwa unberechtigte Ansprüche anzuerkennen. Wenn Sie aber der Meinung sind, dass doch vielleicht ein Verschulden Ihrerseits vorliegt und die Angelegenheit mit einem Vergleich beendet werden soll, wären wir bereit, die Schadenersatzansprüche des Herrn KLOCKER aus Entgegenkommen Ihnen gegenüber mit einem Betrag von .... S 200.- anzuerkennen, an dem Sie aber […] mit […] S 102.- selbst beteiligt sind.“ (766) Nachdem Klocker am 9. Dezember 1931 nochmals moniert hat (942/2), schreibt ihm Berg am 12. Dezember, dass er „mit bestem Willen […] nicht zugeben kann, daß ein Verschulden meinerseits vorliegt.“ Daher könne er sich bei der Versicherung nicht für Klockers Anliegen einsetzen: „Es tut mir natürlich sehr leid, Ihnen das mitteilen zu müssen. Gott sei Dank, daß wenigstens Ihr Vater wieder hergestellt ist; von uns kann man das bedauerlicherweise nicht sagen: wir, besonders meine Frau, leiden nach wie vor an den Folgen des damals erlittenen schweren Nervenschocks!“ (480/194) (Faksimile)

Antwort-Entwurf mit handschriftlichen Eintragungen Bergs vom 12. Dezember 1931

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Aufnahmen vom 26. Mai 1931: Ausflug mit Anton Webern, seiner Frau Minna sowie den Kindern Christl und Peter nach Heiligenkreuz

vember notiert Berg: „20.000 km“ (432/27). Private und geschäftliche Zwecke fließen dabei zuweilen ineinander – so wie er auch seinen Verlag, die Universal Edition, dafür einsetzt, seine Autoversicherung als Teil der ihm zufließenden Geldmittel direkt zu bezahlen. Zwei Fotografien vom 26. Mai 1931 dokumentieren einen Ausflug mit Anton Webern, seiner Frau Minna sowie den Kindern Christl und Peter nach Heiligenkreuz.

Touren und Alltag Das Jahr 1931 war jenes, das am dichtesten mit Autofahrten und offenbar auch mit den meisten absolvierten Kilometern ausgefüllt war. Dass der Ford anhaltend im Mittelpunkt von Bergs Aufmerksamkeit steht, zeigt auch die weiterhin bemerkenswerte Menge an verschickten Fotos mit dem Auto als Motiv. So schickt er an Polnauer am 7. August 1931 eine Ansichtskarte mit der Bemerkung: „Umstehend siehst Du mich am Loiblpaß, einer der schwersten Autostraßen!“51 Am 30. Juni taucht im Kalender der Vermerk „Auto 12.100“ auf, am 26. No-

Am 28. Juni 1931 schreibt Berg eine Ansichtskarte von der Turracherhöhe an Webern: „Von einer schönen Autofahrt (Nachmittagspartie) grüßen wir Euch allerherzlichst: Was für Tage sind das jetzt! Das gibt’s nur alle 10 Jahre einmal, kommt mir vor.“52 Und nachdem Alban und Helene einen Ausflug zum Glocknerhaus absolviert haben – was ein Kalendereintrag vom 22. Juli vermerkt (432/27) –, erhält Webern wieder Post vom 23. Juli: „Ja, die Berge lenken von der Arbeit ab! Vorgestern war ich am Glocknerhaus u. der Eindruck war so gewaltig, daß ich gar nicht arbeiten kann. – Wir hatten uns nämlich, als nach dem großen Wettersturz plötzlich ein so fabelhaftes Wetter – (ich muß schon sagen:) ,ausbrach‘, uns

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Foto vom Juli 1930 mit Bergs eigenhändiger Aufschrift: „Großglockner. links, unten Glockner-Haus [.] Mitte x Pasterzen-Gletscher”

Morgens ganz schnell entschlossen, dahin zu fahren. In 4 Stunden waren wir in Heiligenblut – u. dann hinauf! Ich sage Dir: so was Herrliches hab’ ich noch nie erlebt. So ein Tag! So eine Klarheit! Dabei alle Berge in Schnee! Ich kann es niemandem beschreiben u. nur Du wirst es – ohne das – verstehen. Ich glaub’, ich werde gleich wieder dahin fahren. Ich denke an nichts anderes u. die Arbeit stockt.“53 Als Marginalie gibt Berg hier die genaue Route an: „Villach, Spittal, Dölsach, Iselsberg, Winklern, Heiligenblut, Glocknerhaus, Heiligenblut, Winklern, das ganze Mölltal (!!!) Möllbrücken Spittal, Villach Berghof“. Am 6. August schickt Berg zwei Fotos an Schönberg, eine davon zeigt „Unser Wagerl beim Glockner-Haus 2250m“)54 – am selben Tag, an dem er dem Direktor der Universal Edition den Bericht von einer vorangegangenen Reise nach Salzburg sendet, aus dem hervorgeht, wie sehr sich im Erleben des Komponisten Privates und Geschäftliches miteinander vermengen: „Sehr geehrter Herr Direktor, wir sind also wohlbehalten von Salzburg gelandet, heimgekehrt, wo wir Hammers

u. Wymetal u. Lewin trafen. Wir verbanden damit eine kleine Autoreise von 3 Tagen. Lassen Sie mich kurz erzählen: Mittags Abfahrt von hier übern Katschberg auf die Radstädter Tauern (1740m) wo es so herrlich schön war, daß wir oben übernachteten. Nächsten Morgen Radtstadt, Hallein, Salzburg, wo wir pünktlich Mittags im Oesterreichischen Hof eintrafen. Der erste Anblick: die Prominenten Kneppler u. Salten. Mir wurde übel! Dann erschienen Hammers, die uns ja brieflich zum lunch eingeladen hatten. Sie führte uns in der fürchterlichsten Hitze in Salzburg herum u. fotographierte an allen Ecken u. Enden, schließlich landeten wir in einem Restaurant, wo wir nur mehr in der Schwemme Platz fanden, wo wir ein Festessen von zwei Gängen serviert bekamen. Wir sprachen natürlich nur von Wozzeck u. Lulu u. mein Eindruck von der Art, wie das in America angepackt wird, war zumindestens ein geteilter. Wie ja auch von den Leuten selbst. Er ist ein sehr lieber Kerl mit viel Wärme. Sie ohne jede; dafür mit grenzenloser Eitelkeit behaftet, und nicht ungefährlich! So liebreizend alles ist, was oberhalb (und unterhalb) ihres Mundes liegt, so

55 verrätherisch der (fast böse) Mund selbst mit dem energischen Kinn. – Den Eindruck eines ganz subalternen Menschen machte mir Wymetal. Wenn ich denke, daß der die Regie der Lulu führen soll, so bin ich mit äußerstem Schrecken erfüllt. Hingegen gefiel mir der KM Lewin ganz ausgezeichnet u. ich weiß auch, dass alles was er geleistet hat (die ganzen Vorarbeiten zum Wozzeck) ebenso famos und konzessionslos war, wie Stokowskys Leistung. Nach dem ,lunch‘ fotografierte man auf Geheiß von Mrs. Hammer wieder viertelstundlang in der ärgsten Sonnenhitze (wobei jedesmal meine Frau ausgelassen wurde!), wir brachten die Hammers zum Hotel, wo wir uns mit vielen Wiedersehensbeteuerungen im nächsten Jahr in Europa u. – Wien gegenseitig verabschiedeten. Nicht rechts u. links blickend auf dieses Heerlager von ,Künstlern‘, verließen wir fluchtartig Salzburg. Und nun beginnt der Teil, der besonders Heinsheimer interessieren wird: In einem fürchterlichen Gewitter fuhren wir durch Berchtesgaden zum Königssee (wo wir noch nie waren) parkten für 1 M 50 u. fuhren auf dem Dampfer um den See nach St. Bartolomä. Auf der Hinfahrt wurde uns mit einer Trompete das berühmte Echo gezeigt. Die eine Mahlzeit in Deutschland (Bartolomä, wo wir nachtmahlten) war fast un-genießbar! Auf der Rückfahrt wurde das Echo nicht mehr ausprobiert; wahrscheinlich war es indessen schon nachhause gegangen. Wie wir zum Wagen gingen war indessen ein Rad ohne Luft. Ummontieren, in der Garage wurde der Schlauch repariert, wir übernachteten im Hôtel am See; nächsten Morgen wieder herrliches Wetter. Frohe Fahrt über Reichenhall – Lofer gegen St. Johann in Tirol. Plötzlich ein fürchterlich rauschendes Geräusch. Stehen-Bleiben. Ausprobieren. Beim Auskuppeln des gehenden Motors ein starkes Reiben irgendwo. Wir traun uns nicht weiter. Ein Auto kommt vorbei: Erkennen: Sievert u. Frau die am Weg nach Salzburg waren (,zu Kohsi‘!). Sie konnten nicht helfen, aber wir unterhielten uns recht animiert. Später kam ein anderer Wagen, den wir aufhielten: Es waren Fremde, die nur Englisch sprachen, mir rieten u. mit uns im Schritt nach St. Johann fuhren. Dort traf ich (es war indessen 1 Uhr Mittag geworden) eine fabelhaft tüchtige Reparaturwerkstätte: die den Schaden (ein zu großer Spielraum in der Kupplungswelle daher Reiben beim Auskuppeln auf der Schwungscheibe) fanden u. in

mühevollster Arbeit behoben. Indessen gabs auch ein starkes Gewitter, obwohl sämtliche Glocken stundenlang läuteten. Es wurde Abend, wir mußten übernachten. Frühmorgens frohe Fahrt über Kitzbühel, Jochberg Paß Thurn, Salzachtal, Abzweigung nach Zell am See, weiter nach Hofgastein, wo uns Freunde erwarteten, die uns zum Mittagessen einluden. Indessen stand der Wagen auf einem bezahlten Parkplatz. Es war zum Zug (Tauerntunell) spät geworden, ich eilte zum Wagen. In einem andern Rad fehlte Luft!!! In 4 Minuten war das Rad umgewechselt. Schnell nach Böckstein. Autoverladung Malnitz, Spittal, Villach, Berghof, wo wir trotz der 3 Pannen wohlbehalten anlangten. Und nun will ich wieder an die Arbeit, die durch diese kl ,Geschäfts‘reise u. die Störungen der pekuniären Angelegenh[eit ...] (siehe beiliegenden Geschäftsbrief!) stark gehindert war. Seien Sie liebwerter Herr Direktor herzlichst von uns gegrüßt. Auch Ihre liebe Frau. Und erzählen Sie bitte Dr. Heinsheimer von unserer Tour! Ihr herzlich ergebener Alban Berg“.55 Ende August jedoch machten Alban und Helene jene Fahrt, die durch den Unfall mit Klocker senior überschattet wurde: eine Tour durch die Dolomiten, von der Berg an Reich am 3. September 1931 voller Begeisterung berichtete: „Zwei unbeschreiblich schöne Tage benützten wir zu einer märchenhaften Autopartie: Dolomitenfahrt: an einem Vormittag über 4 Pässe, jeder ca 2200 m hoch: Grödnerjoch, Sellajoch, Pordojpass, Falzarego-Pass, Misurinasee, Cortina. – Sie können sich nicht vorstellen, welche Pracht! Alles was ich bis jetzt sah, ist nichts dagegen.“56 Reich ist es auch, der am 6. September beauftragt wird, Abzüge jener Fotos in Auftrag zu geben, die Berg während dieser Fahrt machte: „Lieber Herr Reich, Ihr Photograph ist sogar viel billiger als der Villacher. Wollen Sie mir bitte machen lassen: von jedem Film ein Abzug und – wie angegeben – Vergrößerungen als Ansichtskarten (in der Art der als Muster beigelegten vom Großglockner). (Und außerdem diese 12 kleinen Markenbildeln) Aber bitte recht rasch!!! Der Villacher macht das wirklich ,über Nacht‘. 1000 Dank im voraus von Ihrem Berg. PS. Es sind Bilder von unserer Dolomitentour. Beachten Sie, wie fast auf jedem Bild die Anordnung getroffen ist, so daß keine von den riesigen Bergspitzen abgeschnitten ist, oder das Auto nicht mehr draufkam, oder überflüssige leere Flächen vorhanden sind!“

56 Bilder von der Dolomitenfahrt. Auf den Rückseiten der Fotos notiert Berg:

»Grödner-Joch | vis-a-vis der Schutzhütte | Blick gegen Norden«

»Grödner-Joch 2137m | Im Hintergrund die Sella-Gruppe gegen Norden | hier haben wir übernachtet u schrecklich gefroren; alles voll Eis«

»Grödner-Joch gegen Sella-Joch | Links Sella-Gruppe, rechts Langkofel | dieser kl. Käfer der rechts kriecht, ist unser Wagerl. | der weiße Strich, links, ist die wundervolle Auto-Straße, die auf's Sella-Joch führt.«

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»Straße zwischen Grödner-Joch u Sella-Joch – | 6h früh, 2° Kälte«

»Sella-Joch, Langkofel-Gruppe (Sasso-Lungo)«

»Straße zwischen Sella-Joch und Pordoi-Joch. | Im Hintergrund die Marmolada. Links Sella-Gruppe«

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Weitere fotografische Eindrücke der Dolomitenfahrt von Alban und Helene Berg Ende August 1931

59 Alltag und Ende Sucht das Ehepaar Berg bei seinen Fahrten ins Gebirge noch das Besondere, wird der Wagen andererseits zur Gewohnheit. Alban Berg hält im Sommer 1931 mehrfach fest, dass sein technisches Interesse am Ford inzwischen einem anderen Hobby gewichen ist. Am 21. Juli schreibt er an Adorno: „Stand der vorvorige Sommer im Zeichen der Schreibmaschine, der vorjährige in dem des Autos, so der heutige im Zeichen des 5 Röhrenapparats, der vorzüglich funktioniert u. uns die einsamen Abende verkürzt u. die ferne Welt näher bringt.“58 Übereinstimmend berichtet er in seinem Brief vom 6. August Schönberg: „Und Abends widmen wir uns in unserer großen Abgeschiedenheit dem 5=Röhren=Apparat den mir Siemens + Halske zur Verfügung gestellt hat. Ich höre ganz Europa glänzend u. es macht mir viel Spaß, dieses Aufsuchen u Trennen u. richtige Einstellen von Stationen.“59 Ebenfalls an Schönberg berichtet er am 1. Oktober: „Ich fahre morgen nach Leipzig (Städtisches Theater) u. bleibe ca. 8 Tage dort. Dann vielleicht nach Zürich. Bin also entweder 13. oder 21. Okt. wieder in Wien. Wir sind sehr neugierig zu erfahren, wie’s Euch in Barcelona gefällt! Leider hab’ ich noch einiges in Wien zu tun, sonst wäre es naheliegend gewesen, gleich weiter nach Spanien zu fahren. Natürlich mit dem Auto!“60 Bei der Fahrt nach Leipzig anlässlich der Erstaufführung des Wozzeck am 10. Oktober handelt es sich um die längste Autofahrt, die Berg unternahm. In diesen Tagen im Oktober 1931 meldet er sich nach langer Zeit wieder brieflich bei Hanna Fuchs – mit einem Dokument, in dessen Mitte ausgerechnet von den „Freuden des Autofahrens“ die Rede ist, in dem Berg freilich weit ausholt: „Alles das, was Du so über mich hören magst u. was vielleicht sogar zu lesen ist, trifft, soweit es nicht ganz falsch ist (wie zum Beispiel das, was ich heute zufälligerweise in einem Züricher Programm las: „Eine vollendet glückliche Häuslichkeit, mit der seine Gattin ihn umgeben hat, ermöglicht ungestörtes Schaffen.“), – trifft also beiläufig zu. Aber es trifft nur auf einen Menschen zu, der nur eine ganz äußerliche Schichte von mir ausmacht, auf einen Teil von mir, der sich im Lauf der letzten Jahre von meinem eigentlichen Sein losgetrennt (ach! wie schmerzlich losgetrennt) hat u. zu einem abgerundeten Lebewesen geformt hat, als

das ich meiner Umgebung und der Welt erscheinen mag. Im Rahmen dieses Lebens spielt sich dann all’ das ab, was ein normales Leben mit sich bringt: Ärger und Freude, Verstimmtheit und Lustigkeit, Interesse und Gleichgültigkeit, Geschäft und Vergnügen, Kunst und Natur – – – – – – Aber glaube mir, Hanna (und jetzt kann ich Dich endlich richtig anreden: Einzig- und Ewiggeliebte), all das betrifft nur diesen äußerlichen Menschen, als den ich mich meinen Mitmenschen zu präsentieren gezwungen bin u. den Du (gottlob) nie gekannt hast – u. der (um nur etwas zu seiner Charakterisierung zu sagen:) eine Zeitlang erfüllt sein konnte von den Freuden des Autofahrens, nie aber im Stande wäre die ,Lulu‘ zu komponieren. Daß ich es dennoch tue, mag Dir ein Beweis sein, daß der andere Mensch (u. nun kann ich wieder in der ersten Person reden:) daß ich noch existiere!“61 Zeitgleich droht bereits die reale Existenz nicht mehr in der gewohnten Form aufrechterhalten werden zu können. Helene thematisiert dies eher als Alban, wenn sie am 17. Juli 1932 an Alma über die zurückgehenden Einnahmen von Wozzeck-Aufführungen an deutschen Opernhäusern schreibt: „So sehen wir auch ziemlich besorgt in die Zukunft, denn schon in der letzten Halbjahresabrechnung macht sich der Nazieinfluss erschreckend geltend: sonst hatte A. im Halbjahr 8000 Sch. aus Europa, verdient, heuer nur 3000!!! – Unser Wagerl werden wir wohl, vom Herbst an, vorläufig zurückstellen müssen. Umso leidenschaftlicher benutzen wir es darum jetzt! Wenn Ihr Euer Vorhaben wirklich im August ausführen wolltet u. nach Villach kämet, um einige schöne Partien mit uns zu machen, wäre das höchstes Glück für uns! Hoffentlich kommt Euch nichts dazwischen u. haltet Ihr Wort. Bedenk’ wer weiß, was für Zeiten später kommen!“62 Seinen „fashionablen Fordwagen“ – Willi Reich verleiht seinem Neid auf den Meister am 23. September 1932 mit dieser halb ironischen Wendung Ausdruck (1234/102) – setzt Berg währenddessen mehr und mehr als Gebrauchsobjekt ein. In einem Brief, den er am 4. November 1932 an Helene richtet, ruft er aus: „wie unbequem [ist ein Auto] gegen so eine Bahnfahrt!“63 Zwei Tage später zeigt es sich, dass Alban seine Vorbehalte gegenüber dem alleinigen Autofahren von Helene

60 doch noch aufgegeben hat, wenn er auch noch immer die Bahn favorisiert: Am 6. November 1932 heißt es: „Aber es wäre zu überlegen, ob Du nicht mit dem Auto kommen solltest […]. Aber wenn Du nicht selbst sehr große Lust hast mit unserem Ford zu fahren, so laß es bleiben u. komm Dienstag per Bahn“.64 Schönberg berichtet er am 13. Dezember 1932 über seinen Ford, „den ich übern Winter ,eingestellt‘ habe, leichten Herzens eingestellt habe; denn ohne Chauffeur ist so ein Wagerl im Winter in der Stadt nur eine Last.“65 Im Winter wurde das Auto von den Bergs in aller Regel nicht benutzt, sondern in einer Wiener Garage bzw. später gleich in Kärnten stehen gelassen. Um die Betreuung des Wagens kümmern sich fallweise Bergs Freunde und Helfer, wie der Komponist etwa am 29. April 1933 – nach der letzten Überwinterung des Ford – an Helene berichtet: „Schloß wird indessen auch schon bei Ford gewesen sein u. erfahren haben, ob der Wagen parat ist. Er besorgt auch Nummerntafel, Steuer, Versicherung, so daß ich wenn ich am End’ der Woche nach Wien komme, den Wagen hab.“66 Wenige Wochen später fühlt sich der Fahrer wieder in Übung, wie Helene durch einen weiteren Brief vom 11. Mai 1933 erfährt: „Mit dem Autofahren würde ich allerdings bis Samstag schon so weit sein, um jede Tour zu riskieren. Ich fuhr gestern nachmittag wieder ein großes Stück u. fühlte mich um vieles sicherer, auch bei künstlichem Licht.“67 Doch schon im selben Sommer wird der Ford – wohl mehr auf Betreiben Helenes – längerfristig geparkt, wie sie am 24. Juli 1933 aus dem Waldhaus an Alma schreibt: „Wagen ruht, wir müssen sparen. Aber es geht uns nicht sehr ab. Wir sind so gerne zuhause u. es gibt viele schöne Spaziergänge hier.“68 Alban dürfte das Auto hingegen doch etwas abgehen: Ignaz Fanzoy, der Kärntner Autobeauftragte der letzten Jahre, mit dem sich Berg am 13. April 1934 auch ablichten lassen wird, erfährt gegen Ende des Winters dieses Jahres, nämlich bereits am 23. Februar 1934: „Lieber Herr Fanzoi, Ich komme morgen, Samstag 3 Uhr ca nachm. nach Klgft u. werde bei Ihnen vorsprechen. Sollten Sie Zeit haben, so möchte ich Sie um die Kontrollierung des Standgases bitten. nachdem er mir jetzt oft abstarb, regulierte ich die Schraube, aber jetzt hat er zu viel Standgas. – und wenn Sie noch mehr Zeit haben, möchte ich den Wagen

gern waschen lassen. Er schaut unbeschreiblich aus!“ (3295/1). Drei Tage später kann Alban an Helene berichten, er verfüge nun wieder über einen „schön geputzten Wagen“.69 Doch die Geldsorgen überschatten diese Freuden. Am 4. März 1934 eröffnet Berg der Gartenbaupädagogin, Frauenrechtlerin und Gattin des Direktors der Universal Edition, Yella Hertzka, mit den regelmäßigen Zahlungen des Verlages nicht mehr das Auslangen finden zu können: „Ich komme nämlich mit den von der U.E. zugestandenen monatlichen 500 Schilling70 derzeit nicht aus. Durch die Erwerbung und Erhaltung des ,Waldhauses‘ mit allem, was drum und dran hängt (die Hypothekzinsen, die infolge der Schillingumrechnung und der Abzahlung viel höher sind, als szt angenommen); die Steuern und Umlagen; die Versicherungen; die nicht zu umgehenden kleinen Reparaturen und Anschaffungen – durch die Notwendigkeit der Erhaltung des Autos) für Proviantierungsfahrten (Ausflüge machen wir ja schon lange nicht) – durch den Fortbestand der Wiener Wohnung mit allem, was auch daran hängt, -- durch all dies ist mein derzeitiger Lebensstandart [sic] weit über meine Verhältnisse und es ist für mich längst klar, daß darin ein Wandel geschaffen werden muss.“ (3055) Im Herbst 1934 skizziert er gegenüber Charley sowohl seine pekuniäre Situation als auch die Notwendigkeit des Automobils als „Gebrauchsgegenstand“, wenn er schreibt: „Allen denen, die nicht einsehen wollen, daß es Einem – trotz Auto und Villa – finanziell schlecht gehen kann, und die, wie ich höre, [sagen,] mir ginge es ,glänzend‘ und ich ,spiele in Velden den großen Herrn‘, sei Folgendes gesagt: Das Leben in diesem Hause macht einem aber leider das Halten eines Autos zur Notwendigkeit. (Ohne ein solches, schon Jahre vorher in meinem Besitz gewesenes Auto hätte ich mir ja auch nie ein so entlegenes ,Büro‘ angeschafft). Denn wegen der unerhört teuren Preise in Velden (das übrigens – 5 km entfernt – auch nur durch Autobus etz. erreichbar wäre) ist man gezwungen in Klagenfurt oder Villach einzukaufen, wohin eine Autobusfahrt für eine Person (hin und zurück) 5 Schilling kostet, also zweimal so viel als eine Fahrt mit dem eigenen Wagen, wo man außerdem zu zweit – wenns nötig ist: – auch zehnmal so viel einkaufen kann als ein Einzelner im Autobus, dessen Gepäcksraum ja begrenzt

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Foto von Alban Berg und Ignaz Fanzoy vom 13. April 1934 in Auen

ist, wodurch sich also die Spesen für die Lebensmittelbeschaffung noch weiter vervielfachen würden. Alle die Autofahrten also, die wir in den vergangenen Jahren mehrmals wöchentlich machten, fielen – da das eben ,Luxus‘ wäre – heuer vollständig weg, so daß ich

also ruhig behaupten kann, daß das Auto für mich kein Luxusgegenstand mehr ist, sondern ein Gebrauchs-, ein Berufsgegenstand. (Was sogar die Steuerbehörde zugibt!)“ (480/31,1). Charley seinerseits „beneidet Alban um das Auto“, wie ein Schreiben vom 29. September 1934 verrät.71

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Ansichtskarte von Ignaz Fanzoy an Alban Berg vom 23. November 1935

63 Vogel‘ bereits eingewintert und zugedeckt. Im Waldhaus ist alles wie wir es verlassen haben.“ (705/2) Alban Berg stirbt in der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember 1935, Helene Berg übersteht das Wüten des Krieges die meiste Zeit über im Waldhaus. Nach dem Krieg ist im Briefwechsel mit Alma Mahler noch zwei Mal vom Ford die Rede: Am 15. Juni 1946 erkundigt sich Alma: „Hast Du noch Deinen Wagen? Wie lebt man in Wien? Ich kann mir nichts vorstellen.“73 Helene antwortet am 6. Juli 1946: „Den Wagen habe ich noch, aber es fehlen einige Bestandteile; vielleicht, wenn Du Verbindungen hast, dass man sie ersetzen könnte. Es ist sehr traurig in Wien, man muss weite Strecken zu Fuß gehen, da die Tram nicht überall funktioniert u. wenn: dann sind die Fahrgelegenheiten so überfüllt, dass ganze Menschentrauben auf den Trittbrettern hängen. Das äußere Leben ist unendlich mühselig geworden, die arme Stadt so voll Wunden! Das Schlimmste ist die Oper, die total ausgebrannt u. vernichtet ist.“74 Während bei der Wiedereröffnung der wiederaufgebauten Staatsoper 1955 auch Wozzeck auf dem Programm stand und damit Alban Berg durch sein Werk zurück in seine Heimatstadt kam, schlummerte der Wagen in den kommenden Jahrzehnten die meiste Zeit in der Garage des Waldhauses. War er auch nie gänzlich vergessen, blieb bis vor Kurzem jedoch das ganze Ausmaß der Bedeutung im Verborgenen, das der Ford A für Alban und Helene Berg hatte. Foto-Postkarte von Helene und Alban Berg mit Widmung an „Herrn Fanzoy, den Wunder-Doktor unseres Ford“

Neben die existenziellen Sorgen tritt auch eine gewisse Distanzierung und Einsamkeit, die Berg in seinem letzten Lebensjahr mehrfach artikuliert. So schreibt er am 31. Jänner 1935 an Schönberg: „Daß Ihr unser „Waldhaus“ nicht kennt! Ja, Du hast nichteinmal unsern Ford gesehn, der schon alt u. schäbig zu werden beginnt. Und überhaupt: wie wenig weiß man jetzt voneinander.“ Und Alexander von Zemlinsky lässt er ebenfalls 1935 wissen, er und seine Frau würden „sehr hoffen, daß Ihr Ford Sie doch einmal in die Ferne beim Waldhaus vorbeiführt“.72 Dazu wird es nicht mehr kommen. Die letzte Nachricht, die der Besitzer über sein Auto erhält, kommt in Form einer mit 23. November 1935 abgestempelten Postkarte von Fanzoy, auf der es heißt „Habe Ihren ,blauen

Willi Reich, Alban Berg. Mit Bergs eigenen Schriften und Beiträgen von Theodor Wiesengrund-Adorno und Ernst Křenek, Wien u. a. 1937, S. 16. 2 Willi Reich, Alban Berg. Leben und Werk, München 1985, S. 74 (Originalausgabe: Zürich 1963). 3 Hans Ferdinand Redlich, Alban Berg. Versuch einer Würdigung, Wien 1957, S. 306. 4 Hans Ferdinand Redlich, Alban Berg. Versuch einer Würdigung, Wien 1957, S. 306, S. 385, Fn. 508. 5 Mosco Carner, Alban Berg. The man and the work, completely rev. and reset, London 1983, S. 76. Carner gibt fälschlicherweise September als Kaufmonat an, wohl weil er seinen Ausführungen Bergs Brief an Schönberg vom 10.9.30 zugrundelegt, in dem auch die „Ausfahrten in herrlich schöne, bisher so schwer erreichbare Gegenden“ erwähnt werden. Vgl. dazu unten. 6 Karen Monson, Alban Berg. Musikalischer Rebell im kaiserlichen Wien, aus dem Amerikanischen von Ursula Stiebler, Frankfurt/M. 1989, S. 271 (englische Originalauflage: Alban Berg. A biography, London 1980). 7 Alban Berg. 1885–1935. Ausstellung der Österreichischen Nationalbibliothek, Prunksaal, 23. Mai bis 20. Oktober 1985, Wien 1985, S. 195. 1

64 Alban Berg – Anton Webern [BW Berg – Webern], (= Briefwechsel der Wiener Schule 4), hg. von Simone Hohmaier und Rudolf Stephan, Mainz, im Druck (2017). 9 Briefwechsel Alban Berg – Helene Berg [BW AB – HB], Gesamtausgabe, Teil III: 1920–1935, aus den Beständen der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek hg. v. Herwig Knaus und Thomas Leibnitz, Wilhelmshaven 2014, AB HB III, S. 416–418. Die Wiedergabe der Zitate folgt in der Regel den Editionen, der leichten Lesbarkeit halber werden Verweise auf Umbrüche, Einfügungen zwischen den Zeilen und dergleichen in der Regel nicht übernommen. 10 BW AB – HB, Teil III, S. 418. 11 So am 15.7. (BW AB – HB, Teil III, S. 420), 19. 5. (BW AB – HB, Teil III, S. 424). 12 Vgl. dazu George Perle, Das geheime Programm der Lyrischen Suite, in: Alban Berg. Kammermusik I, aus der Reihe MusikKonzepte, München 1978, S. 49–74. 13 Zit. n. Constantin Floros, Alban Berg und Hanna Fuchs. Die Geschichte einer Liebe in Briefen, Zürich/Hamburg 2001, S. 35. 14 Zit. n. Constantin Floros, Alban Berg und Hanna Fuchs. Die Geschichte einer Liebe in Briefen, Zürich/Hamburg 2001, S. 56. 15 Vgl. dazu z. B. Georg Schmid, Hans Lindenbaum und Peter Staudacher, „Bewegung und Beharrung“. Transport und Transportsysteme in Österreich 1918–1938, Wien 1994. Herzlichen Dank an Christian Klösch (Technisches Museum Wien) für fachliche Informationen. 16 Um die Fußnoten zu entlasten, werden Verweise auf die jeweiligen Bestände in Bergs Nachlass in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek mit der Signatur F.21. Berg mit Zahlen in runden Klammern gegeben. Die Abkürzung ABS verweist auf Bestände der Alban Berg Stiftung (Wien). Mein Artikel konnte auf den dortigen umfangreichen biographischen Forschungen aufbauen. Herzlicher Dank insbesondere für die intensiven Vorarbeiten von Regina Busch. 17 BW AB – HB, Teil III, S. 438. 18 Theodor W. Adorno – Alban Berg [BW Adorno – Berg]. Briefwechsel 1925–1935, hg. von Henri Lonitz, Frankfurt am Main 1997, S. 97. 19 BW Adorno – Berg, S. 101. Vgl. „Immer wieder werden mich thätige Geister verlocken“. Alma Mahler-Werfels Briefe an Alban Berg und seine Frau [BW Mahler – Berg], hg. v. Martina Steiger, Wien 2008, S. 391 und 393. 20 Briefwechsel Arnold Schönberg – Alban Berg, Teilband II: 1918 – 1935 [BW Schönberg – Berg], hg. v. Juliane Brand, Christopher Hailey und Andreas Meyer, Mainz 2007 (=Briefwechsel der Wiener Schule, Band 3), S. 324. Vgl. BW Adorno – Berg, S. 165–169. Adorno war durch einen Unfall während einer Taxi-Fahrt verletzt worden. 21 Vgl. dazu http://www.alma-mahler.com/archiv_berlin_deutsch/ info_berlin/alma_in_berlin_3.html (Stand: Mai 2017). 22 Laut der Umrechnung der Österreichischen Nationalbibliothek entsprachen 1 Schilling im Juni 1930 3,30 Euro im Oktober 2016. 23 Unterlagen zu den künftigen Zahlungen, zu denen Berg verpflichtet war, haben sich ebenso erhalten wie weitere Korrespondenz mit Stua bzw. Ford, einmal in Sachen einer Verbesserung hinsichtlich der Scheinwerfer (730/1) sowie bezüglich der „seitlichen Tapezierung von Ihrem Fordwagen“ (730/3), wofür die Firma Stua bei Ford in Berlin nachfragt und von dort eine abschlägige Antwort erhält (Stua sendet dieses Schreiben an Berg und bittet 8

gleichzeitig um seine Retournierung – ein Ersuchen, dem Berg ganz offensichtlich nicht nachgekommen ist (730/2). 24 BW Mahler – Berg, S. 183. 25 BW Schönberg – Berg, S. 405. Vgl. auch den weiteren Brief von Berg an Schönberg vom 7. August 1930: „Noch immer ohne Auto!“ (S. 409) sowie die sich damit überkreuzende Nachricht von Schönberg an Berg vom 9. August 1930: „Lieber Freund, vor Allem gratuliere ich Dir herzlichst zu Deinem Wagen und wünsche Dir Alles Schöne und Freudige dazu. Dann besten Dank für Deine Mitteilungen über Deine Bearbeitung von Erdgeist und Büchse der Pandora.“ (S. 410), die manche Autoren zur Annahme verführt hat, Berg sei bereits Anfang August im Besitz des Ford gewesen. 26 Wienbibliothek im Rathaus, Wienbib H.I.N. 185.710. 27 BW Mahler – Berg, Wien 2008, S. 189–190. 28 Martina Steiger (Hg.), Alban Berg – Erich Kleiber. Briefe der Freundschaft, Wien 2013, S. 89. 29 Wienbib H.I.N. 185.711. 30 Soma Morgenstern, Alban Berg und seine Idole. Erinnerungen und Briefe, Lüneburg 1995, Nr. 84, S. 239–240. Einige Tage später ergänzt Berg am 13.9. an Morgenstern: „Die Photographie unseres Fords ist allerdings verschnitten: es hätte ein waagerechtes Bild werden sollen. Ich hab den Apparat verkehrt gehalten so statt **** Wir sind sehr zufrieden mit dem Wagen u. ich beginne allmählich ein guter Fahrer zu werden. Je länger man fährt, desto mehr sieht man, wie schwer es ist gut zu fahren.“ (Nr. 86, S. 241). 31 BW Schönberg – Berg, S. 414. Mit diesem Brief sendet er zwei Fotos an Schönberg (in BW Schönberg – Berg abgebildet auf S. 415). 32 BW AB – HB, S. 469. 33 Zitiert nach der Abschrift von Willi Reich, Wienbib H.I.N. 202.980. 34 Wienbib H.I.N. 184.061. 35 Martina Steiger (Hg.), Alban Berg – Erich Kleiber. Briefe der Freundschaft, Wien 2013, S. 90. 36 Auf einem Abzug des Fotos, dessen Motiv identisch mit der ersten Postkarte an Polnauer ist, hat Berg die Namen der Adressaten notiert, darunter findet sich auch Marx (ABS). 37 BW Adorno – Berg, S. 253. 38 BW Adorno – Berg, S. 258. 39 Alban Berg, Handschriftliche Briefe, Briefentwürfe und Notizen, aus den Beständen der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek hg. u. bearb. von Herwig Knaus, Wilhelmshaven 2004 (= Quellenkataloge zur Musikgeschichte 29), S. 133. Die häufige Fehlinformation, es habe sich bei Bergs Wagen um einen Fiat gehandelt, wurzelt offenbar hier: „Das Auto, ein Fiat Sport Coupé, wurde von Berg im Sommer 1930 gekauft.“ (S. 326, Fn. 126). 40 BW Mahler – Berg, S. 193–194. 41 BW Mahler – Berg, S. 193–194. 42 BW Schönberg – Berg, S. 433. 43 LoC Berg/Reich 1/1931: Briefe von Alban Berg – Willi Reich in der Alban Berg/Willi Reich Collection, Music Division, Library of Congress, Washington, D. C. [Schreibmaschinen-Umschriften, Originale verschollen]. 44 BW Berg – Mahler, S. 195–196. 45 Morgenstern, Alban Berg und seine Idole, S. 245. 46 BW Schönberg – Berg, S. 435–436. 47 Bayerische Staatsbibliothek, Ana 500, B, Schloß, Julius, I, 83. 48 LoC Berg/Reich 1/1931.

65 LoC Berg/Reich 1/1931. Berg nennt hier mehrfach den 28. August, Josef Klocker, der Sohn des Verunglückten, jedoch den 26. August. Nachdem im unten zitierten Schreiben von Dr. G. Prey (1210) von einem „ungelueckseligen Freitag“ die Rede ist und der 26. August 1931 ein Freitag war, spricht dies für dieses Datum. 51 Wienbib H.I.N.184.062. Dabei handelt es sich um dasselbe Motiv wie 1930 (3359/2). 52 Wienbib H.I.N. 185.919. 53 BW Berg – Webern. 54 BW Schönberg – Berg, S. 435 55 Wienbib UE-Briefe Alban Berg 210. 56 LoC Berg/Reich 1/1931: Briefe von Alban Berg – Willi Reich in der Alban Berg/Willi Reich Collection, Music Division, Library of Congress, Washington, D. C. [Schreibmaschinen-Umschriften, Originale verschollen] 57 LoC Berg/Reich 1/1931. 58 BW Adorno – Berg, S. 261. 59 BW Schönberg – Berg, S. 436. 60 BW Schönberg – Berg, S. 450. 61 Zit. n. Constantin Floros, Alban Berg und Hanna Fuchs. Briefe und Studien. Österreichische Musikzeitschrift 50, Special zum Jubiläum der ÖMZ im 50. Jahrgang, Wien 1995 (Sonderheft), S. 65. 62 BW Mahler – Berg, S. 204. 63 BW AB – HB, S. 583. 64 BW AB – HB, S. 585–586. 65 BW Schönberg – Berg, S. 493. 66 BW AB – HB, S. 640. 67 BW AB – HB, S. 656. 68 BW Mahler – Berg, S. 211. 69 BW AB – HB, S. 682. 70 Laut der Umrechnung der Österreichischen Nationalbibliothek entsprachen 1 Schilling im März 1934 3,52 Euro im Oktober 2016. 71 Alban Berg, Briefentwürfe, Aufzeichnungen, Familienbriefe, Das „Bergwerk“. Aus den Beständen der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, hg. und bearb. v. Herwig Knaus u. a., Wilhelmshaven 2006 (= Quellenkataloge zur Musikgeschichte 35), S. 241. 72 Zit. n. Horst Weber (Hg.), Alexander Zemlinsky. Briefwechsel mit Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg und Franz Schreker, Darmstadt 1995, (= Briefwechsel der Wiener Schule 1), S. 326. 73 BW Mahler – Berg, S. 537. 74 BW Mahler – Berg, S. 537.

Hertzka, Emil (1869–1932), 1907 bis 1932 Direktor des Wiener Musikverlages Universal Edition.

Wichtige erwähnte Korrespondenzpartner Bergs

Webern, Anton (1883–1945), Komponist und Dirigent, Schüler Schönbergs und Freund Bergs.

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Adorno, Theodor W. (1903–1969), Philosoph, Soziologe, Musiktheoretiker und Komponist, seit 1925 Schüler Bergs und Verfasser der Monographie Berg. Der Meister des kleinsten Übergangs (1968). Berg, Carl (Charly/Charley, 1881–1952), Bergs älterer Bruder, Vermögensverwalter und organisatorische Stütze. Berg (Nahowska), Helene (1885–1976), Sängerin und Bergs Gattin seit 1911. Fuchs-Robettin, Hanna (1896–1964), Schwester von Franz Werfel, Gattin des Prager Industriellen Herbert Fuchs-Robettin und Bergs heimliche Geliebte seit 1925.

Hertzka (Fuchs), Yella (1873–1948), Gattin von Emil Hertzka, Frauenrechtlerin, Verlegerin, Gründerin der ersten Höheren Gartenbauschule für Mädchen in Österreich. Jokl, Otto (1891–1963), Komponist, Musiktheoretiker und Pädagoge, Kapellmeister, Verlagsmitarbeiter bei der Universal Edition und Schüler Bergs. Kleiber, Erich (1890–1956), bedeutender Dirigent, der sich sehr für die Moderne einsetzte und als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper 1925 Bergs Wozzeck in Berlin uraufführte. Mahler-Werfel, Alma (1879–1964), Komponistin, Zentralfigur literarischer Salons in Wien, Los Angeles und New York; Gattin des Komponisten Gustav Mahler, des Architekten Walter Gropius und des Dichters Franz Werfel; wichtige Vertraute Helene und Alban Bergs. Marx, Joseph (1882–1964), einflussreicher Komponist, Pianist und Musikpädagoge, 1924 bis 1927 erster Rektor der Hochschule für Musik in Wien. Morgenstern, Soma (1890–1976), Schriftsteller und Journalist, Freund Bergs und Verfasser des Buchs Alban Berg und seine Idole. Erinnerungen und Briefe (1955). Polnauer, Josef (1888–1969), Schüler Arnold Schönbergs und Alban Bergs, Vortragsmeister in Schönbergs Verein für musikalische Privataufführungen, Beamter, Pädagoge und wichtiger Analytiker der Wiener Schule. Reich, Willi (1898–1980), Musikwissenschaftler und -journalist, Schüler Bergs und Weberns, Herausgeber der Neue-Musik-Zeitschrift 23, Mitarbeiter der Fackel, Autor zweier Monographien über Berg (1937 und 1963). Schloß, Julius (1902–1973), Komponist und Musikpädagoge, Schüler und Sekretär Bergs. Schönberg, Arnold (1874–1951), als zentraler Komponist der Moderne Begründer der Wiener Schule, Lehrer von Berg und Webern. Schüler, Johannes (1894–1966), Dirigent, Freund Bergs, führte 1929 in Oldenburg als Landesmusikdirektor Wozzeck auf und publizierte den Essay Das Märchen von den unüberwindlichen Schwierigkeiten des Wozzeck (1929).

Zemlinsky, Alexander (1871–1941), Komponist und Dirigent, 1911 bis 1927 Musikdirektor des Neuen Deutschen Theaters in Prag, wo er 1926 die Drei Bruchstücke aus der Oper „Wozzeck“ uraufführte.

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Links oder rechts? Hubert Schier / Axel Wolf

Nicht nur politisch, sondern auch in der Straßenverkehrsordnung bewegt diese Frage bis heute. Als Alban Berg den Führerschein erwarb und er mit dem „endlich errungenen Auto“ am Straßenverkehr teilnehmen konnte, war die Umstellung zwar schon beschlossene Sache, gestaltete sich aber sehr langwierig, wie der folgende Beitrag beschreibt, der zum Großteil dem Buch „Die Steyrer Automobil-Geschichte“ von Hubert Schier entnommen ist und der mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Ennsthaler Verlags, Steyr wiedergegeben wird. Österreich-Ungarn kehrte nach Napoleons Niederlage 1815 in Waterloo – mit Ausnahme der Länder Tirol, Vorarlberg, Dalmatien, Krain und das Küstenland – vom Rechts- zum Linksverkehr zurück. Als sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer mehr Länder für rechts entschieden, kam die Debatte erneut auf. Ende 1914 rang sich Österreich-Ungarn zu einer einheitlichen Lösung durch – und setzte mit der ab Februar 1915 verfügten Linksfahrordnung prompt aufs falsche Pferd. Zahlreiche Kronländer, die zu dieser Zeit bereits rechts gefahren waren, wurden erneut umgestellt. Österreich war daher als eines der letzten Länder Kontinentaleuropas auf der linken Straßenseite unterwegs, die Umstellung von Links- auf Rechtsverkehr war in den einzelnen Bundesländern Österreichs besonders kompliziert: Jahrelang gab es in der Ersten Republik keine einheitliche Regelung, sondern eine Links- und eine Rechtsfahrzone. Die verordnete Rückkehr zum Linksverkehr stieß insbesondere in Vorarlberg auf Widerstand, sodass Vorarlberg schon ab August 1921 wieder zum Rechtsverkehr umstellte, wobei dieses Bundesland damals nur durch zwei Passstraßen mit dem Rest des Landes verbunden war.

1927 empfahl ein Komitee des Völkerbundes, den Verkehr in Kontinentaleuropa einheitlich rechts zu führen. Das österreichische Parlament fasste 1929 den Beschluss, ab 1932 in ganz Österreich rechts zu fahren, trotzdem überließ der Bund die Umsetzung der Regelungen den einzelnen Ländern, was dazu führte, dass Österreich in Sachen Fahrbahnseitennutzung zweigeteilt war. Tirol wollte den Beschluss sofort umsetzen, in Wien gab es erhebliche Bedenken, weil umfangreiche und sehr teure Arbeiten am Verkehrs- und Straßenbahnsystem inklusive Umbau der Wagen und Weichen nötig waren. Deshalb galt der Rechtsverkehr ab 1930 nur im Westen Österreichs, nämlich in Tirol (ohne Osttirol) und im Westen des Bundeslands Salzburg. Die genaue Grenze verlief bei Lend, bei der Einmündung des Gasteinertals in das Salzachtal. Durch diese Grenzziehung gab es in Österreich – abgesehen von den Grenzübergängen – zu diesem Zeitpunkt nur eine einzige stark frequentierte Straße, auf der die Fahrseite gewechselt werden musste. Kärnten und Osttirol stellten am 15. Juli 1935 auf Rechtsverkehr um, am 1. Juli 1938, nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich, trat die deutsche Straßenverkehrs-Ordnung in ganz Österreich in Kraft. Für Niederösterreich und Wien, das nördliche Burgenland und Teile der nördlichen Steiermark gab es aber wiederum eine Ausnahmeregelung. Wien und die umliegenden Gebiete wechselten erst am 19. September 1938 auf die rechte Straßenseite.

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An der Grenze zwischen dem Pongau und dem Pinzgau, am Ufer der Salzach (Blick Richtung Westen bzw. Lend und Zell am See): Der Wechsel zum Rechtsverkehr sollte am Ende der Fabrikshalle kurz vor der nicht einsehbaren Linkskurve stattfinden; auch die beiden Fahrradfahrer auf der zeitgenössischen Aufnahme vertrauen offensichtlich dem Schicksal. Willi Reich, Alban Bergs Freund und Schüler, hatte hier einen schweren Autounfall und erinnerte Berg daher eindringlich, an dieser Stelle vorsichtig zu fahren.

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Alban Bergs Autoprospekte Axel Wolf

Anhand diverser Auto-Prospekte und Notizen sind, wie bereits erwähnt, Alban Bergs Überlegungen zum Kauf des Ford nachvollziehbar: Der technikbegeisterte Komponist hat sich unvoreingenommen informiert und mit einem breiten Angebot vertraut gemacht, bevor er seine Entscheidung traf. Zunächst interessierte sich Berg für Kleinwagen, die er dann aber in der ersten Hälfte des Jahres 1930 zugunsten der Angebote der Mittelklasse beseite ließ, da er sich mit den Nachteilen eines minimalistischen und wenig repräsentativen Kleinwagens, dessen Mangel an Komfort sowie den beengten Platzverhältnissen schlussendlich nicht abfinden wollte. Abgesehen davon waren die damaligen Kleinwagen aufgrund der Untermotorisierung für lange Strecken und ausgedehnte Bergtouren auch technisch weniger geeignet, Berg orientierte sich daher in Richtung Mittelklasse. Alban Berg entschied sich für einen Kompromiss aus „amerikanischen“ und „europäischen“ Eigenschaften, da der Ford A etwas kompakter und leichter als die anderen US-Autos aus seiner Prospektsammlung war und trotzdem der europäischen Konkurrenz eine üppige und unkomplizierte Motorisierung voraushatte. Auf den nächsten Seiten werden auszugsweise Flugzettel und Prospekte wiedergegeben, die in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek unter dem Titel „F21 Berg“ aufbewahrt werden. Diese Dokumente, die zum Großteil aus dem Nachlass der Witwe Helene Berg stammen, werden mit freundlicher Genehmigung der ÖNB abgedruckt.

TATRA

In einer Notiz erwähnt Berg den luftgekühlten „2-Zylinder Tatra mit 4 Plätzen um 9-10.000 Schilling” (F21 Berg 3155). Gemeint war das Modell Tatra 12 mit 1-Liter-Boxermotor und 14 PS (1926– 1933), das im Kleinwagen-Segment (680 kg) mit zukunftsweisenden Konstruktionsmerkmalen brillierte:

Der Konstrukteur Hans Ledwinka, der die gesamte Europäische Autoindustrie – unfreiwillig – mit innovativen Ideen versorgte, entwickelte für den kleinen und leichten Tatra 11 einen stabilen und tragenden Zentralrohrrahmen, in welchem die Kardanwelle geführt wurde, und stattete das Nachfolgemodell 12 mit Vierradbremsen aus. Der luftgekühlte Motor hatte hängende Ventile und sollte mit sogenannten „Sackzylindern“ die Nachteile eines separaten Zylinderkopfes vermeiden, da Zylinderblock und Zylinderkopf in einem Stück waren. Der Tatra war zwar seiner Zeit voraus, dies schlug sich aber nicht in den Verkaufszahlen nieder. In der für damalige Verhältnisse (abgesehen vom Ford T) vergleichsweise langen Bauzeit von 8 Jahren wurden aber immerhin ca. 7.500 Stück – auch in einem Werk in Wien Simmering als „Austro Tatra” – hergestellt.

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Tatra 12

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HANOMAG

Der Hanomag 3/16 PS Typ P (1929–1930) war das Nachfolgemodell des legendären „Kommissbrot”, dem ersten Deutschen am Fließband produzierten Kleinwagen. Der 0,75 Liter kleine Vierzylinder war für seinen rauhen Motorlauf, aber auch für einen geringen Verbrauch von ca. 4 Liter/100 km bekannt. Der nur 2-sitzige und ledig-

lich 3,3 m lange Hanomag – ein damaliger Spruch beschrieb das 625 kg leichte Auto mit den Worten: „ein Kilo Blech, ein Kilo Lack, fertig ist der Hanomag” – war trotz seiner Sparsamkeit nicht der erfolgreichste Vertreter seiner Klasse; Austin Seven/BMW Dixi, Opel Laubfrosch oder Fiat waren beliebter.

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73 MATHIS

Alban Berg interessierte sich für die 2-sitzigen Roadster des französischen Herstellers Emile Mathis, einem ehemaligen Geschäftspartner von Ettore Bugatti. Mathis, damals viertgrößter Autoproduzent in Frankreich, bot ein breites Spektrum an Modellen vom spartanischen Kleinwagen bis zum luxuriösen 5,3-Liter-8-Zylinder-Modell. Die 4-Zylinder Modelle „EMY” und „QMY” waren in den Abmessungen etwa gleich groß wie der Tatra, aber mit 25 PS aus 1,2 Liter bzw. 30 PS aus 1,6 Liter Hubraum kräftiger motorisiert.

Die Karosserien dieser Serie waren Holzaufbauten, die mit speziellem Kunstleder bezogen waren und daher weder die Stabilität noch die Haltbarkeit einer Stahloder Aluminium-Karosserie bieten konnten. Der Mathis war in dieser Ausführung für Bergs touristische Zwecke weniger geeignet, Berg notierte sich trotzdem die Preise für die 1929er Modelle.

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OPEL

Das Modell 4/20 PS von Opel war der als „Laubfrosch“ bekannte, weil zunächst nur in grün lieferbare Kleinwagen, der in vielen Varianten von 1924 bis 1931 produziert wurde. Der zunächst nur 14 PS starke und lediglich als offener Zweisitzer angebotene Wagen war gegen Ende seiner Karriere in mehreren Varianten lieferbar und überzeugte immerhin 120.000 Kunden.

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Das in diesem Prospekt ebenfalls beworbene Mittelklasse-Modell 8/40 PS (1928–1930) war ein viel größerer Sechszylinder-Wagen der Mittelklasse, Hauptkonkurrent war der Adler 6. Mit 1,9 Liter Hubraum war der Motor des Opel aus steuerlichen Gründen allerdings kleiner als die Motoren der Mittelklassewagen der US-Hersteller.

Seit 1929 war die Adam Opel AG ein Tochterunternehmen des US-Konzerns General-Motors – dem erklärten Erzrivalen von Henry Ford. Opel war in Deutschland Marktführer bei den Mittelklassewagen und damit auf diesem Markt auch direkter Konkurrent des in Berlin und später auch in Köln montierten Ford A/Eifel.

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CITROËN

In den 1930er Jahren war Citroën der größte europäische Automobilhersteller, der ähnlich wie Ford Montagewerke in vielen Ländern betrieb. Der Schwerpunkt der Marke waren am Fließband produzierte Mittelklassewagen sowie leichte Nutzfahrzeuge. Die in den Jahren 1928 bis 1932 produzierten Modelle C4 (4-Zylinder-Motor, 30 PS) und C6 (6-Zylindermotor, 45 PS) waren preislich und qualitativ direkte Konkurrenzprodukte zu Fords „Model A” und daher auch für Alban Berg denkbare Alternativen. Insgesamt wurden ca. 180.00 Exemplare des Typs C4/C6 hergestellt – das entspricht ungefähr der Ford-A-Produktion des Werks im Kanadischen Walkerville und veranschaulicht den damaligen Unterschied der Motorisierung zwischen Nordamerika und Europa.

Das C4 „Faux Cabriolet” war zwar preislich mit dem schließlich gekauften Ford auf gleicher Höhe, hatte aber als „Falsches Cabriolet” den wesentlichen Nachteil, dass das Verdeck dieser damals beliebten Karosserieform zwar wie ein Cabriolet aussah, aber nicht zu öffnen war – bei Ford hieß die vergleichbare Variante „Sport Coupe”. Vermutlich notierte sich Berg den Preis für das Modell C4 mit echtem Cabriolet-Verdeck lediglich bei der falschen Abbildung, da er sich von Anfang an für ein vollständig zu öffnendes Auto interessierte. Der luxuriösere C6 in der gewünschten Karosserie-Form mit dem 2,4-Liter-Sechszylinder war mit 45 PS zwar etwas stärker als der Ford, war aber um 300 kg schwerer und außerdem mit 14.500 Schilling wesentlich teurer.

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MERCEDES

Der Mercedes 8/38 PS, ab 1928 Typ „Stuttgart 200”, (1926–1936, ca. 15.600 Exemplare) hatte einen 2-LiterSechszylinder-Motor. Die Cabriolet-Version hatte den gewünschten aufklappbaren Schwiegermuttersitz bzw. Platz für viel Gepäck, war aber – im Gegensatz zu den anderen Fahrzeugen aus der Prospektsammlung – ein Auto der oberen Mittelklasse, das Berg vermutlich nur wegen der „Gelegenheit” des in Aussicht gestellten Preisnachlasses von 3.000 Schilling überhaupt in seine Überlegungen mit einbezog.

Der luxuriöse Mercedes war um 350 kg schwerer und knapp 2 PS schwächer als der hubraumstärkere Ford. Wegen zahlreicher Kinderkrankheiten und der Wirtschaftskrise verkaufte sich der Wagen schleppend – daraus erklärt sich vermutlich auch der schon erwähnte Preisnachlass. Der Mercedes wäre zwar der repräsentativere Wagen gewesen, für häufige Bergtouren aber bereits aufgrund des höheren Gewichts und des schwächeren Motors weniger geeignet als der kurze und wendige Ford.

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DODGE

Der Dodge der Serie DD Six (1930–1932) war ein typischer US-amerikanischer Mittelklassewagen, der im Vergleich zu den europäischen Wagen der gleichen Preiskategorie wesentlich größer und üppiger motorisiert war. Dodge war seit 1928 eine erfolgreiche Marke des Chrysler-Konzerns, das Modell Six hatte einen 6-ZylinderMotor mit 3,1Liter-Hubraum und 60 PS.

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NASH

Der US-amerikanische Hersteller Nash Motors hatte mit der Baureihe „Single Six” (die nur 1930 gebaut wurde) und dem Modell 451 Four Passenger Cabriolet einen luxuriösen Sechszylinder im Programm. In den USA war der Nash ein Auto für die Käufer der Mittelschicht, die in den Genuss der Firmenphilosophie „give the customer more as he had paid for” kommen wollten.

Mit 3,3 Liter Hubraum war der Motor ähnlich großvolumig wie der 4-Zylinder des Ford, hatte aber mit 60 PS wesentlich mehr Leistung. Der Nash war um einiges größer als die anderen Fahrzeuge, die in Bergs Fokus standen. Trotzdem nur etwas teurer als der 6-ZylinderCitroën, war er mit Platz für 4 Passagiere, wetterfestem Dach und Kurbelfenstern vielleicht eine echte Alternative zum Ford, allerdings in Anschaffung und Unterhalt wesentlich teurer.

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STEYR

Die österreichische Marke Steyr war eine ernsthafte Überlegung wert, besonders in Hinblick auf die von Alban und Helene geplante Nutzung des Autos für touristische Zwecke in den Alpen. Das Modell XII für das sich Berg interessierte, war mit einem 1,5-Liter-6-ZylinderMotor ausgerüstet, wurde von 1925 bis 1929 gebaut und war mit ca. 11.000 Exemplaren ein großer Erfolg für Steyr.

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In einem zweiten Prospekt der Marke Steyr wird der als Ergänzung zum Typ XII geplante Typ XX beworben, Alban Berg notierte sich zum Steyr XX keinen Preis, es ist daher fraglich, ob er dieses Modell ernsthaft in Erwägung gezogen hat. Der XX hatte zwar einen kräftigen 40-PS-Motor mit 2 Liter Hubraum, war allerdings anfänglich unzuverlässig

und verkaufte sich auch aufgrund der Wirtschaftskrise nur sehr schleppend. Der Mangel an Käufern brachte Steyr an den Rand des Ruins: Aufgrund eines Liquiditätsengpasses musste die PKW-Produktion bei Steyr im Jahr 1930 stillgelegt werden, in der Folge fusionierte Steyr mit den damals bereits vereinigten Automobilwerken von Austro Daimler und Puch.

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FIAT

Der italienische Fiat 514 (1929–1932) mit 28 PS aus einem 1,4-Liter-4-Zylinder-Motor sieht dem Ford zwar auch – wie einige andere Autos aus der Zeit – zum Verwechseln ähnlich, allerdings ist die unter der eleganten Karosserie liegende Technik europäisch dimensioniert, da in den meisten Europäischen Staaten die sogenannten Steuer-PS als Berechnungsbasis für die Abgaben dienten. Das Modell 514 zählt mit knapp 37.000 Exemplaren zu den erfolgreichsten europäischen Mittelklassewagen dieser Epoche.

Der Fiat Spider hatte keine seitlichen Kurbelfenster aus Glas und lediglich ein dünnes Verdeck und konnte daher nicht wie von Berg gewünscht wie ein Coupé geschlossen werden, es wäre wohl eher das 2-sitzige Cabriolet mit Schwiegermuttersitz in die engere Wahl gekommen. Insgesamt war der Fiat nicht mit dem komfortableren und kräftigeren Ford vergleichbar, den er schon ein paar Tage nach Einlangen des Werbe-Schreibens des Fiat-Händlers kaufte.

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Wer T sagt, muss auch A sagen

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Der Ford A – The „New Ford“ Wolfgang Buchta / Axel Wolf

Der Ford A wurde zwischen 1927 und 1932 in zahlreichen Fabriken weltweit in ca. 4,8 Millionen Exemplaren hergestellt. Mit dem Typ A – im Englischen „Model A“ – setzte Henry Ford den mit dem „Model T“ begonnenen Weg der Massenmotorisierung fort. Das Model A war – mit dem Sub-Typ AA – das Einheitsmodell des Herstellers, das in vielen Karosserievarianten, aber stets auf derselben technischen Basis (Fahrgestell, Motor, Getriebe etc.), sehr erfolgreich für die weitere Verbreitung der Ford-Automobile sorgte.

Die Vorgeschichte: von „A“ bis „T“ Nach einigen Fehlversuchen konnte Henry Ford im Jahr 1896 den ersten greif- respektive fahrbaren Erfolg vorweisen: Das Ford Quadricycle war eine Art 4-rädriges motorisiertes Fahrrad, das von zahlreichen Vorbildern wie z. B. dem „Stahlradwagen“ von Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach (präsentiert bei der Pariser Weltausstellung 1889) oder dem Peugeot Typ 2 von 1890 inspiriert war. Fords Quadricycle wurde von einem Zweizylindermotor mit 4 PS angetrieben und erreichte bei mehreren Testfahrten im zweiten Gang eine Höchstgeschwindigkeit von 20 mph (32 km/h). 1899 waren seine Experimente so weit gediehen, dass Ford an eine Produktion denken konnte. Er kündigte seine Anstellung bei der Edison Illumination Company und gründete mit ein paar Investoren die „Detroit Automobile Company”. Bereits damals war Ford vom Werbewert der Autorennen überzeugt, daher ließ er seine Konstruktionen bei allen möglichen Veranstaltungen an den Start gehen. Henry Ford selbst konnte sogar Siege erringen – aber das reichte nicht. Im Jänner 1901 ging die „Detroit Automobile Company” mit einem Verlust von 86.000 US$ –

für damalige Verhältnisse ein Vermögen – in großem Stil unter. Henry Ford konnte neue Investoren überzeugen, und bereits am 3. November 1901 wurde die „Henry Ford Company” in das Handelsregister der Stadt Detroit eingetragen. Henry Ford und der Henry Ford Company war allerdings kein langer gemeinsamer Weg beschieden. Ford wollte preiswerte Autos für Jedermann bauen, seine Teilhaber aber planten, luxuriöse Autos in geringer Stückzahl herzustellen, weil sie sich davon hohe Gewinnspannen versprachen ... Bereits im März 1902 – rund vier Monate nach der Gründung – wurde die Trennung vollzogen, und die „Henry Ford Company” musste ohne deren Namensgeber in „Cadillac” umbenannt werden, weil Henry Ford – in dieser Hinsicht klüger als August Horch – sich das Recht gesichert hatte, auch zukünftig Autos unter seinem Namen bauen zu dürfen. Ford gründete 1903 mit elf weiteren Investoren und 28.000 US$ Grundkapital die bis heute bestehende „Ford Motor Company”. Das erste Produkt der FoMoCo war der Ford A, ein Kleinwagen mit Zweizylindermotor mit knapp 1,7 Liter Hubraum, einer Leistung von 8 PS und einer Spitzengeschwindigkeit von 40 mph (rund 70 km/h). Henry Ford verfehlte nur knapp den Konkurs: Erst als vom Startkapital nur mehr 223 US$ übrig waren, gelang es, das erste Auto zu verkaufen. Schlussendlich wurde dieser erste Typ A (bis 1905) in einer Stückzahl von rund 1.750 Exemplaren gebaut – weit weniger als beispielsweise vom zeitgenössischen und wesentlich teureren Oldsmobile „Curved Dash“, aber ausreichend, um die Firma endlich auf finanziell halbwegs solide Basis zu stellen. Ford arbeitete daraufhin das Alphabet ab, die Ford-Automobile hießen dieser

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Daimler Stahlradwagen 1889

Ford Quadricycle (Nachbau der Ford AG Köln)

96 Logik folgend 1904: Model B, Model C und Model E; 1905: Model F, Model K und Model N; 1907: Model R und Model S – die fehlenden Buchstaben kennzeichneten Modelle, die über das Prototypenstadium nicht hinauskamen. Am 1. Oktober 1908 präsentierte Ford mit dem Model T schlussendlich das Automobil, mit dem Ford als erster Automobilproduzent den Schritt von der Manufaktur zur

Ford Model A 1903

Großindustrie wagte und das ihn zu einem der reichsten Männer der Welt machte. Der Ford T prägte die Automobil- und Industriegeschichte nachhaltig und gilt als eines der wichtigsten Automobile des 20. Jahrhunderts.

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Henry Ford – der umstrittene Großindustrielle später bei der „Edison Illuminating Company” von Elektropionier Thomas Alva Edison. 1893 stieg er zum Chefingenieur auf und widmete sich auch dort seiner „großen Liebe”, dem Verbrennungsmotor. Seiner Überzeugung nach hatte Technik insbesondere die Aufgabe, die Landwirtschaft zu erleichtern. Da Henry Ford nicht nur über technische Fähigkeiten, sondern auch über einen ausgeprägten Geschäftssinn verfügte, gründete er sein eigenes Unternehmen, um dieses Ziel zu verfolgen. Nach einigen Misserfolgen stieg er mit Hausverstand und schlauen Schachzügen binnen kürzester Zeit zu einem der erfolgreichsten Industriellen der Geschichte auf. Mit der Entwicklung der Massenproduktion der Automobile und der damit verbundenen Preissenkung ermöglichte Henry Ford auch der durchschnittlichen Bevölkerung, eine „Blecherne Magd“ anzuschaffen – „Lizzie“ war im damaligen amerikanischen Sprachgebrauch ein Synonym für Magd. Das Automobil sollte ein sinnvoller und praktischer Gebrauchsgegenstand für Alle sein und kein Luxusgegenstand für Wenige – damit war Ford Wegbereiter der heutzutage selbstverständlichen Mobilität.

Henry Ford wurde am 30. Juli 1863 in Greenfield Township im US-Bundesstaat Michigan, als ältestes von sechs Kindern eines aus Irland stammenden Farmerehepaars geboren. Henry Fords Schulbildung beschränkte sich auf den Besuch der Dorfschule, dafür zeigte sich sehr bald seine handwerkliche Begabung. Bereits als Kind war er von Technik fasziniert: Mit 15 baute er seinen ersten Verbrennungsmotor und mit 16 verließ er seinen Heimatort in Richtung Detroit, wo es für einen aufstrebenden und technisch interessierten jungen Mann vielfältige Möglichkeiten gab. Er absolvierte eine Lehre als Maschinist, arbeitete bei „Westinghouse Electric” (an Benzinmotoren) und

Henry Ford war aber nicht nur Pionier auf produktionstechnischem Gebiet, sondern erkannte auch – im Gegensatz zu den anderen Industriellen seiner Zeit – in jedem Arbeiter einen potenziellen Kunden. Er bot Menschen ohne Qualifikation ein gutes Einkommen und vergleichsweise sehr gute Arbeitsbedingungen und einen 8-Stunden-Arbeitstag, als ein 12-Stunden-Tag die Regel war. Allerdings mussten sich seine Mitarbeiter einem strengen Patriarchen unterordnen, der sogar das Privatleben seiner Belegschaft kontrollierte. Das „Sociology Department“ der Ford Motor Company überprüfte sogar die Wohnungen der Arbeiter, beziehungsweise die Einhaltung des vorgeschriebenen Lebensstils eines „guten Amerikaners“, Zuwiderhandlungen wurden mit Lohnkürzungen sanktioniert.

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Henry Ford und sein Bestseller Model T – Rekordhalter bis 1972

Der Pionier Ford hat neben der Massenmotorisierung auch ganz wesentlich die Industrialisierung der Vereinigten Staaten von Amerika vorangetrieben, trotzdem betrachtete er persönlich die Entwicklung zu einer städtischen Industriegesellschaft und die damit einhergehende Landflucht mit großem Missfallen. Aus dem fortschrittlichen Industriekapitän mit Gespür für die Bedürfnisse seiner Mitarbeiter, der für viele als Wohltäter galt, wurde mit fortschreitendem Alter ein gefürchteter und diktatorischer Patriarch. Auch Gewerkschaften waren, so lange es ging, in seinem Un-

ternehmen verboten, es gab Repressalien gegen sich organisierende Arbeiter und gewalttätige Aktionen gegen Demonstranten, vor allem mithilfe Henrys rechter Hand, dem Ex-Boxer Harry Benett. Als sein Sohn Edsel das Tagesgeschäft übernommen hatte, zog Henry weiter aus dem Hintergrund die Fäden, obwohl er die neue Fabrik in Dearborn nur selten betrat. Er zog sich in sein Freilichtmuseum auf der Farm „Fairlane“ zurück und betrieb mit einer Sammlung alter landwirtschaftlicher Geräte Landwirtschaft

99 im „alten Stil“. Darüber hinaus wurde er vermehrt politisch aktiv: Mit der Übernahme der Zeitung „Dearborn Independent“ und seiner offiziellen Funktion als Chefredakteur, verbreitete er jahrelang seine erzkonservativen und antisemitischen Ansichten, die ihn bei großen Teilen der Bevölkerung zum Feindbild machten. Seine Schriften wurden Anfang der 1920er-Jahre in mehreren Buchbänden unter dem Titel „Der internationale Jude – Ein Weltproblem (engl. Original: The International Jew, the World’s Foremost Problem)“ zusammengefasst, dies offenbarte die Schattenseiten des Pioniers und dessen Vorliebe für Verschwörungstheorien. Erst eine Verleumdungsklage durch Aaron Sapiro (Jurist und Farmer-Aktivist) und Herman Bernstein (Journalist und Diplomat) im Jahr 1927 konnte die antisemitische Kampagne Henry Fords stoppen und ihm eine öffentliche Entschuldigung abnötigen. Auch die Zeitung wurde schließlich eingestellt. Dieser Prozess offenbarte außerdem Henry Fords große Defizite in Allgemeinbildung, insbesondere in der US-amerikanischen Zeitgeschichte. Henry Fords antisemitische Schriften wurden von den Nationalsozialisten stets als „Inspiration“ erachtet, Hitler betrachtete Henry Ford in vielem als großes Vorbild und verlieh ihm als erstem US-Bürger an dessen 75. Geburtstag am 30. Juli 1938 das „Großkreuz des Deutschen Adlerordens“. Auch Hitlers Idee der Massenmotorisierung der Deutschen mit einem preisgünstigen „Volkswagen“ könnte von Henry Ford stammen. Dieser wiederum bewunderte Hitler und war auch ein Förderer der NSDAP. Die Ford Motor Company produzierte vor und während des 2. Weltkrieges für Adolf Hitlers Wehrmacht in Deutschland Lastkraftwagen, hauptsächlich in Köln und in Berlin (ab 1943 zum Teil auch mit KZ-Häftlingen). Trotz seines Engagements in Deutschland produzierte Ford selbstverständlich und in großen Mengen Rüstungsgüter vom LKW bis zum Flugzeug für die US-Army, das Geschäft ging schließlich vor ... Am 21. September 1945 übergab Ford den Vorsitz der Ford Motor Company – die er nach Edsels Tod 1943 wieder übernommen hatte – an seinen Enkel Henry Ford II und ging in den Ruhestand. Er starb zwei Jahre

später 83-jährig am 7. April 1947 in Dearborn, als einer der reichsten und erfolgreichsten, aber auch umstrittensten Männer der Welt.

Vgl. „Henry Ford, der Diktator von Detroit“, v. Geschke Sager, Der Spiegel Online 29.07.2008.

Karl Kraus schrieb über Henry Ford unter dem Titel „der standardisierte Mensch”: „Henry Ford hat kürzlich hunderte Millionen Dollar für die Errichtung einer Schule gestiftet, die er die Schule der Zukunft nennt. ‚Ich habe solange Autos fabriziert‘, erklärte er, ‚bis ich den Wunsch bekam, nunmehr Menschen zu fabrizieren. Die Losung der Zeit ist Standardisierung.‘ (...) Die erste Musterschule Fords (...) nimmt nur Knaben im Alter von 12 bis 17 Jahren auf. Verpönt sind Sprachen, Literatur, Kunst, Musik und Geschichte (...) Endlich einmal tabula rasa mit Vorwänden, die dem einzigen und wahren Lebenszweck vielfach hinderlich waren.“1

Anmerkung: Dieser Auszug aus der Zeitschrift „Die Fackel”, Ausgabe 32, Seiten 838–844, September 1930, befindet sich unter den Notizen Alban Bergs, der zwar seinen Ford liebte, aber auch ein sogenannter „Krausianer“ war – ein glühender Anhänger des Schriftstellers und Satirikers Karl Kraus (1874–1936).

1

100 Der Ford T: das Auto des Jahrhunderts Das 1908 bis 1927 gebaute Model T wurde zum ersten „global car”, zum Weltauto. Henry Ford realisierte – kaum mehr als 20 Jahre nach der Patentierung des ersten Benzin-Autos – den Traum der Massenmotorisierung. Der in den USA „Tin Lizzie“ – „Blech-Liesel“ bzw. „blecherne Magd“ – getaufte Wagen war als nahezu unzerstörbarer Gebrauchsgegenstand konzipiert und stellte mit diesem Anspruch einen krassen Gegensatz zu den damaligen Produkten der anderen Automobilhersteller dar. Für die meisten Käufer war der T das erste Auto, es war Pferde- oder Ochsenersatz und insbesondere aufgrund des günstigen Preises, der im Laufe der 18-jährigen Bauzeit immer niedriger wurde, bei allen Bevölkerungsschichten gleichermaßen beliebt. Auch wegen der einfachen Bedienung und der Zuverlässigkeit konnte Ford 15 Millionen Exemplare des legendären Model T verkaufen. Der Ford T ist untrennbar mit der Erfindung der automobilen Fließbandfertigung verbunden, aber auch mit zahlreichen Legenden wie zum Beispiel der berühmten Aussage Henry Fords: „Any Colour as long as it’s Black” (sinngemäß: „es ist jede Farbe lieferbar, solange sie schwarz ist“) ... In unzähligen Büchern, Filmen und Theaterstücken spielte der Ford T eine (Haupt-)Rolle, zum Beispiel in Stan Laurel und Oliver Hardy’s „Perfect Day” (1929). Doch der „Best- und Longseller” war in den 1920er-Jahren am Ende seiner Laufbahn angelangt, und am 27. Mai 1927 fuhren Henry Ford und sein Sohn Edsel den (offiziell) letzten Ford T vom Band – die „Epoche Ford T” endete. 1919 hatte Henry Ford seine Mitgesellschafter zunächst verunsichert – er setzte seinen bisherigen Sekretär und Sohn Edsel als Präsident der Ford Motor Company ein, streute Gerüchte über seinen vorzeitigen Rückzug aus dem Unternehmen und konnte schließlich die „fremden“ Anteile übernehmen. So wurde Henry Ford zum Alleineigentümer des damals größten Automobilherstellers – der Gedanke, dass Spekulanten bei der Führung seines Unternehmens mitreden könnten, war Henry Ford unerträglich, was angesichts seiner unternehmerischen Vorgeschichte durchaus nachvollziehbar ist. Diese Einstellung bekam allerdings auch Edsel Bryant

Ford zu spüren, Henrys einziger Sohn, der bis zu dessen frühem Tod offiziell Präsident der Ford Motor Company blieb (ab 1922 inklusive der Luxusmarke Lincoln). Tatsächlich wagte die Ford Motor Company erst am 17. Jänner 1956 – knapp 10 Jahre nach dem Tod des Gründers – den Schritt auf das Börsenparkett. Heute ist die Ford Motor Company der fünftgrößte Automobilhersteller der Welt und eine „gewöhnliche“ Aktiengesellschaft, die sich – laut Angaben der NYSE (Börse New York) – zu ca. 60% im Besitz von Fonds und institutionellen Anlegern befindet. Die Familie Ford stellt derzeit mit William Clay Ford Junior zwar den Vorstandsvorsitzenden, hält aber nur mehr relativ kleine Aktienpakete – die allerdings einen großen Teil der Stimmrechte besitzen.

Der lange Weg zum Model A Der Umstieg vom Model T auf das Model A – die Verwendung des Buchstabens „A” statt des logisch nächsten „U” sollte die Bedeutung des „New Ford” und einen Neuanfang symbolisieren – war einmalig in der Automobilgeschichte. Die Ablöse des Ford T entwickelte sich zu einem klassischen Vater-Sohn-Konflikt, und es dauerte lange Jahre, bis sich der jüngere Ford durchsetzen konnte – eine Familiengeschichte von epischem Ausmaß. Schlussendlich kamen Vater und Sohn zu einer vernünftigen Arbeitsteilung: Henry Ford war bei der Entwicklung für die mechanischen Komponenten und die Qualitätssicherung zuständig, und Sohn Edsel zeichnete – zusammen mit dem aus Ungarn stammenden Designer József Galamb, der bereits an der Entwicklung des Ford T beteiligt gewesen war – für das Design des neuen Modells verantwortlich. Edsel konnte seinen Vater von der Notwendigkeit einiger wesentlicher Anpassungen an die Wünsche der Käufer auch im technischen Bereich überzeugen: Das Nachfolgemodell bekam mechanische Bremsen an allen vier Rädern und statt des veralteten – und über das mittlere Pedal zu bedienenden – Planetengetriebes endlich ein zeitgemäßes 3-Gang-Schieberadgetriebe. Außerdem gab es nun auch bei Ford die mittlerweile bei den anderen Automobilen Ende der 1920er Jahre längst übliche Anordnung der Fußpedale für Gas, Bremse und Kupp-

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Ford Model T Center Door Sedan (1917)

Handgas und Zündverstellung am Lenkrad

Schalten mit dem mittleren Pedal

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Neu: Bremsen an der Vorderachse

und in den besten Jahren bis zu 61% Marktanteil erreicht (1921 in den USA). Das wurde am 2. Dezember 1927 mit einem Schlag anders, als in New York der „Neue Ford” – die Bezeichnung „Ford A” wurde noch nicht genannt – präsentiert wurde. Dies war aber nicht nur die Vorstellung eines neuen Automodells, sondern ein Ereignis, das es – zumindest in den USA – auf die Titelseiten aller Zeitungen schaffte (und Gerüchte über das Ableben Mussolinis in die zweite Reihe der Schlagzeilen verdrängte). Aber der Reihe nach:

Neu: Anordnung der Pedale

lung sowie einen Getriebe-Schalthebel in Wagenmitte, und das Model A wurde der erste Ford mit dem neuen blauen Pflaumen-Logo am Kühler. Ford hatte mit dem Model T knapp 20 Jahre lang eine einziges – in unzähligen Details verbessertes, aber ein im Wesentlichen unverändertes – Automobil gebaut

Henry Ford gab schlussendlich Mitte 1926 die mündliche Anweisung, die Entwurfsarbeiten am neuen Modell zu beginnen; manche Quellen sprechen von August, andere belegen den Start der Neuentwicklung mit einer ersten Konstruktionszeichnung, die mit dem 3. Mai 1926 datiert ist. Im Jänner 1927 waren die notwendigen Zeichnungen fertiggestellt, und bereits im März konnte das erste „running chassis” (ein fahrfähiges Fahrgestell mit zwei Sitzen ohne Karosserie) getestet werden. Aber bevor der Wagen zu Preisen ab US$ 385,- (ab Werk für den Roadster) zu den sehnsüchtig wartenden Kunden kam, mussten die lediglich 34 Entwicklungsingenieure noch ihre Hausaufgaben erledigen und aus einem fahrfähigen Prototypen-Chassis ein fließbandtaugliches

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Neu: Chassis des Model A

Serienauto entwickeln. Um die Entwicklung des Ford A ranken sich zahlreiche Legenden: Die Form des Ford A, für die wie bereits erwähnt Edsel Ford verantwortlich war, fand sogar die Zustimmung seines gestrengen Vaters, der mit den Worten „We’ve got a pretty good man in my son. He knows style …” (sinngemäß: „Wir haben einen einigermaßen talentierten Mann in meinem Sohn. Er hat Sinn für Gestaltung ...“) lapidar seinen Sanktus erteilte. Der vorgesehene Zenith-Vergaser wurde mit 14 Schrauben am Ansaugkrümmer befestigt – in der Zeit vor der Entwicklung des Ford A. Henry Ford, immer die Fertigungskosten bei großer Stückzahl im Fokus, verlangte eine Vereinfachung und Zenith konstruierte eine Befestigung mit nur zwei Schrauben, noch immer nicht gut genug für den kostenbewussten Multimillionär, und so wurden die Vergaser des Ford A lediglich mit einer einzigen Schraube befestigt … Von der Sinnhaftigkeit der Stoßdämpfer in Ergänzung zu den bewährten Blattfedern war Henry Ford erst überzeugt, nachdem ihn ein Mitarbeiter in voller Fahrt über ein Gelände mit Steinen und Ästen chauffiert hatte. So wurde der Ford A zum ersten amerikanischen „economy car” (preisgünstigen Wagen) mit hydraulischen Stoßdämpfern,

die Henry Ford im Einkauf allerdings nur einen Dollar pro Stück kosteten. Ford verwendete – wie in den 1920ern bei vielen Herstellern üblich sogenannte Kurbelstoßdämpfer, die nur eine Schwingungsrichtung dämpfen. Nach dem Unfall eines Testfahrers, der sich an den Glassplittern der Frontscheibe schwer verletzte, bekam der neue Ford als erstes Auto seiner Klasse eine Frontscheibe aus Sicherheitsglas, das Henry Ford aus Kostengründen kurzerhand selbst produzierte. Auch um Kosten zu sparen, legte Henry Ford die Dimensionen der Holzkisten fest, in welchen die Teile an die Montage-Bänder geliefert wurden: Die Kisten wurde zerlegt und als Boden in den Fahrzeugen weiterverwendet. Handgefertigte Prototypen des neuen Ford wurden an ausgewählte Firmenangehörige ausgegeben, nicht mit der Anweisung, sorgsam damit umzugehen, sondern ganz im Gegenteil: Je mehr bereits in der Testphase zerstört wurde und daher umkonstruiert oder verstärkt werden musste, desto zuverlässiger sollte das Auto dann im Alltagsgebrauch der Kunden sein. In der Serienversion hatte der Ford A einen Radstand von 263 cm (T: 254 cm), ein unsynchronisiertes Dreigangge-

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Henry Fords Streben nach Vereinfachung machte auch vor dem Handbremshebel nicht Halt

triebe (T: Planetengetriebe mit nur zwei Vorwärtsgängen), einen Vierzylinder-Motor mit 3,3 Liter Hubraum und 40 PS Leistung (T: Vierzylinder-Motor mit 2,9 Liter Hubraum und 20 PS). Die mechanischen Bremsen wirkten auf alle vier Räder (T: Getriebebremse als Betriebsbremse und eine Not- bzw. Handbremse – beides nur auf die Hinterachse wirkend), die Spitzengeschwindigkeit wurde mit 104 km/h (T: 67 km/h) angegeben. Der „neue Ford” – wie beim Vorgänger gab es bei Ford wieder nur einen Fahrzeugtyp – war ab Werk in zunächst sechs Karosserieformen lieferbar: Es gab den Ford A als viersitzigen „Phaeton” (offener Tourenwagen mit vier Türen, einfachem Stoffdach und Steckfenstern), den zweitürigen geschlossenen „Tudor“, die viertürige Limousine „Fordor“ sowie die zweisitzigen und zweitürigen Varianten mit rundlichem Heck als „Roadster“ (mit einfachem Stoffverdeck), „Standard Coupe“ und „Sport Coupe“, Letztere jeweils mit geschlossenen Karosserien

(und gemäß der amerikanischen Schreib- bzw. Sprechweise nicht mit „é“). Die Käufer des Ford A hatten mehrere Farben zur Auswahl: Niagara Blue, Arabian Sans, Dawn Gray und Gun Metal Blue (der T war lange Zeit nur in schwarz lieferbar), die Kotflügel und Trittbretter des Model A waren aber immer noch stets schwarz lackiert. Jeder A hatte eine für damalige Verhältnisse erstaunlich reichhaltige Serienausstattung: Elektrostarter, Scheibenwischer, Tachometer, Benzinuhr, Amperemeter, Armaturenbeleuchtung, Rückspiegel, Rück- und Bremslicht, Ölmessstab, Zündschloss, Werkzeugset und eine Windschutzscheibe aus Sicherheitsglas sowie Drahtspeichenräder und Stoßstangen. Eine Fülle weiterer Extras, wie zum Beispiel Zusatzscheinwerfer, zwei auf den vorderen Kotflügeln montierte Ersatzräder oder der als „Rumble Seat“ bezeichnete ausklappbare Notsitz für Roadster bzw. Coupe, waren gegen zum Teil deftige Aufpreise zu haben.

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Gehobene Serienausstattung auch bei den günstigen Varianten

Beleuchteter Instrumententräger

Zusatzscheinwerfer als beliebtes Extra

Reserveräder auf den Trittbrettern statt Ersatzrad am Heck gegen Aufpreis

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Kühlergitter und Fernthermometer …

… oder Kühlerfigur gegen Aufpreis

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Der offiziell letzte Ford T lief am 27. Mai 1927 vom Band

Außerdem gab es den – in einigen Komponenten wie etwa Chassis, Räder und Kühler – verstärkten „AA“ für kommerzielle Zwecke: Dieser leichte LKW, der mit einem kürzer übersetzten Getriebe für bis zu 1,5 Tonnen Nutzlast ausgelegt war, konnte mit zwei verschiedenen Radständen und Aufbauten ab Werk oder als Chassis geliefert werden. Karosserie und Interieur des AA unterschieden sich nur minimal vom Typ A, und auch spätere Veränderungen des A wurden mit zeitlicher Verzögerung übernommen.

Sechs Monate ohne neue Ford-Automobile Doch bevor das Publikum Ende 1927 die neuen Modelle bewundern konnte, hatte die als „Golden Silent” bezeichnete Informationspolitik des Henry Ford – wie geplant – die Stimmung aufgeheizt und alle nur erdenklichen Gerüchte hervorgebracht: Es wurde beispielsweise von einem 12-Zylinder-Motor, Elektroantrieb, Dieselmo-

tor und Kolben aus Holz berichtet, oder sogar, dass Ford in Zukunft die Fahrzeuge verschenken würde und lediglich an Service und Ersatzteilverkauf verdienen werde … Entsprechend angespannt – um nicht zu sagen, verzweifelt – war die Stimmung unter den Ford-Händlern (rund 10.000 in den USA), die nicht wussten, wann – und ob überhaupt – sie wieder ein Automobil der Marke für den Verkauf bekommen würden. In der zweiten Jahreshälfte 1927 hatten die Ford-Händler außer Gerüchten nur übriggebliebene Model T im Angebot sowie Ersatzteile und Service, Gebrauchtwagen oder neue Fordson Traktoren (ein Produkt des ursprünglich von der FoMoCo unabhängigen Unternehmens Ford & Son). Während der Zeit der PKW-Produktionspause wurden die Händler mit Briefen versorgt, mit Durchhalteparolen und guten Tipps, wie die sieben mageren Monate am besten finanziell zu überbrücken seien. Trotzdem machten die Händler in diesem halben Jahr Verluste, und rund 15% warfen das Handtuch beziehungsweise wechselten die Marke …

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neu: Zündverteiler direkt am Zylinderdeckel montiert vom T übernommen: Scheinwerfer des frühen Model A

neu: Stoßstangen serienmäßig neu: Design der Türgriffe

110 So kam es, dass nach der Fertigstellung des letzten Ford T am 27. Mai 1927 das Werk „Highland Park” geschlossen und demontiert wurde. Mit der Produktionseinstellung des Ford T wurden 60.000 Arbeiter nicht mehr benötigt und gekündigt – im Englischen heißt „redundant” wohl nicht zufällig sowohl „überflüssig” als auch „arbeitslos” –, wobei die mangels Neuwagen ebenfalls „überflüssig“ gewordenen Mitarbeiter der Ford-Händler in dieser Zahl nicht berücksichtigt sind. Damit hatte Henry Ford seinen guten Ruf für soziales Engagement und Fürsorge für seine Mitarbeiter endgültig verspielt. Die Fertigungsanlagen wurden in das knapp 20 km entfernte Werk „River Rouge” verbracht, wo bisher keine Autos, sondern unter anderem die bereits erwähnten Fordson Traktore gefertigt wurden. Das Werk wurde als Hauptwerk für die Produktion der Ford Automobile adaptiert und ausgebaut. Als sich die Gekündigten ein halbes Jahr später wieder um eine Stelle bewerben konnten, wurden die meisten zwar wieder eingestellt, mussten sich aber mit einem um durchschnittlich zwei Dollar reduzierten Tageslohn – somit nur noch fünf oder sechs Dollar – begnügen. Die New York Times beschrieb den Umzug der Autoproduktion nach Dearborn als den wohl größten Fabriksumbau in der Geschichte der amerikanischen Industrie. Die Kundenzeitschrift „Ford News” erging sich in beeindruckenden Zahlenspielereien: Die Ford Motor Company investierte in fünf Monaten rund 250 Millionen Dollar in die Umrüstung, die mehr Änderungen beinhaltete, als in den 20 Jahren der Produktion des Ford T vorgenommen worden waren. Dabei entstanden auch 150.000 m² zusätzliche Produktionsfläche. Der Ford A war wie der Vorgänger relativ einfach und möglichst fertigungseffizient aufgebaut. Das Auto bestand aus ca. 5.600 Teilen, die zum überwiegenden Teil von Ford selbst hergestellt wurden. Für deren Produktion wurden rund 40.000 Werkzeuge und Maschinen in das neue Werk übersiedelt, getauscht, umgebaut oder neu beschafft. Die beeindruckendsten Maschinen waren dabei wohl die sechs neuen Pressen für die Karosseriebleche, jede rund 10 m hoch und 250 Tonnen schwer. Mit dem Typ A stieg Ford von simplen, weil lediglich gepressten Blechteilen – daher kam der Name „blecherne

Liesl“ für den T – auf die aufwändiger herzustellenden Tiefziehbleche um und konnte damit auch in puncto Karosseriequalität zur Konkurrenz aufschließen bzw. diese nach übereinstimmender Meinung der Autotester weit hinter sich lassen. Ford baute ja bekanntlich seine Fahrzeuge – lange vor den Mitbewerbern – auf Fließbändern und optimierte die Autos insbesondere in Hinblick auf das schnelle und vor allem unkomplizierte Montieren der Komponenten. Dadurch, dass Ford nur eine Basis-Type anbot, konnte die Produktion maximal standardisiert ablaufen. Die Fließbänder im Hauptwerk in Dearborn bei Detroit, in welchem die Motoren, Getriebe, Achsen und Chassis für die meisten Model A bzw. AA hergestellt wurden, hatten eine Gesamtlänge von sagenhaften 100 km. Eine weitere Strategie des Henry Ford war die Organisation des Vertriebs mittels ausgelagerter Endmontage der Fahrzeuge. Die örtlichen Montage-Werke der Händler – „Assembly Plants“ – waren über alle Bundesstaaten der USA verstreut. Diese Maßnahme, die zunächst zur drastischen Verbilligung der Transporte der Fahrzeuge zu den Händlern gedacht war, ebnete den Weg zur großen Verbreitung der Fords. Die Autos wurden nach Fertigstellung und Probelauf wieder zerlegt (CKD – completly knocked down) und zu den Händlern verschickt, die den (Wieder-) Zusammenbau vornahmen. Das war keine komplizierte Angelegenheit: In den letzten Produktionsjahren war die Endmontage eines Model T in nur 90 Minuten erledigt. Auch für den Export ergaben sich dadurch Vorteile: Die meisten Staaten besteuerten importierte Fahrzeuge sehr hoch; da Ford die Autos zerlegt exportierte, konnten teure Zölle vermieden werden. Ford ging dazu über, die komplexeren Fahrzeuge in werkseigenen Niederlassungen zu montieren. Mit der regional ausgelagerten Endmontage der Autos – sozusagen nahe am Kunden – konnte Ford den Typ A weltweit zu konkurrenzfähigen Preisen anbieten. Die Händler wurden über die Werksniederlassungen mit Neuwagen versorgt, die gleichzeitig auch Lager und Verteilzentrum für Ersatzteile sowie Schulungs- und Informationszentrum waren. Außerdem ließ Henry Ford über die Niederlassungen schrottreife Model T einsammeln, die kurzerhand im Hochofen in Dearborn recycelt wurden.

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Edsel Ford – der Modernisierer Edsel Ford war Henrys einziges Kind, er kam 1893 in Detroit zur Welt. Er war – im Unterschied zu seinem Vater – ein exzellenter Schüler und so war sein Weg im Unternehmen Ford vorgezeichnet. Henrys Sohn begann seine Karriere als Sekretär des Chefs. Dieser übergab seinem Sohn die Führung der Ford Motor Co. bereits 1919, allerdings nicht freiwillig: Henry zog sich zwar offiziell aus dem Unternehmen zurück, in Wahrheit war dies aber bloß ein Schachzug, um eine Übernahme der Ford Motor Co. durch die Finanziers und Teilhaber abzuwenden – der Patriarch zog im Hintergrund weiterhin die Fäden, sehr zum Leidwesen seines Sohnes, der ab 1921 auch die eben erst übernommene Luxus-Marke Lincoln leitete. Edsel war der Verantwortliche für die Errichtung und später auch Werksleiter der 1917–1928 in Dearborn/ Michigan entstandenen gigantischen Fabrik, die „Ford River Rouge Complex” oder nur „The Rouge” genannt wird. Zunächst wurden dort unter Edsels Leitung Rüstungsgüter wie z. B Boote der Type „Eagle” und U-Boot-Zerstörer für den ersten Weltkrieg erzeugt sowie ab 1921 der legendäre Fordson-Traktor. Ab Dezember 1927 war „The Rouge” das Hauptwerk der Model-A-Produktion, in welchem sämtliche standardisierten Teile erzeugt wurden (Motoren, Getriebe, Achsen, Chassis, Kühler, Kotflügel etc.). Das Werk in Dearborn hatte einen großen Hafen für die Anlieferung der Rohstoffe Kohle und Eisenerz bzw. den Abtransport der Produkte und verfügte über eine Gießerei, eine Kokerei, ein Stromkraftwerk, ein Stahl- und ein Walzwerk, sowie über diverse Produktionswerke (sogar Glas wurde dort erzeugt). Neben den Autoteilen wurden im Fahrzeug-Montagewerk – dem legendären „Bulding B” – insgesamt 286.464 Exemplare des Ford A montiert, die ersten im Dezember 1927, die letzten 45 Stück im Jahr 1932. Ford war damit quasi „autark“, die Produktion vom Rohstoff bis zum fertigen Auto war – bis auf wenige ausgelagerte Aufgaben – maximal vertikal integriert,

inklusive der dafür benötigten Energie. In der Blütezeit arbeiteten alleine in dieser Fabrik über 100.000 Menschen für die Ford Motor Company. Edsel setzte sich bereits ab 1919 frühzeitig – aber fast 8 Jahre lang vergeblich – für die Einführung eines modernen Nachfolgemodells der billigen und rudimentären „Tin-Lizzie” ein, die bereits damals nicht mehr zeitgemäß war. Zahlreiche Prototypen wurden von ihm und seinem Team entwickelt, doch sobald diese entdeckt wurden, ließ Henry seinem Ärger freien Lauf und zerstörte eigenhändig die entstandenen Fahrzeuge. Erst als der Patriarch erkennen musste, dass die Konkurrenz mit deren Produkten aufgeholt hatte und der Ford T nicht mehr die erste Wahl war, durfte sein Sohn den Typ A fertigstellen. Edsel kämpfte für die Umstellung auf die – auch heute noch – gebräuchliche Anordnung der Pedalerie und für ein mit Ganghebel zu bedienendes Getriebe, für Bremsen an allen vier

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Edsel Ford entwarf seinen privaten Spezial-Phaeton auf Basis des Typ A

Rädern oder dem Einsatz von Sicherheitsglas für die Frontscheibe. Auch das elegante Aussehen und die Positionierung des Model A als qualitativ hochwertiger Mittelklassewagen ist Edsels Verdienst. Sobald jedoch der Wagen präsentiert werden konnte, ließ sich Henry als dessen Schöpfer feiern, was er nicht war, weder konzeptionell, noch das Design betreffend. Er rühmte sich in den Werbeeinschaltungen einer jahrelangen Vorausentwicklung des neuen Modells, die er in Wahrheit bis 1926 torpediert hatte. Sogar der Song „Henry made a Lady out of Lizzie” von Irving Kaufman aus dem Jahr 1927 verstärkte diesen Mythos.

Diese bezeichnende Episode und viele andere Konflikte bei der Unternehmensführung erklärt, warum Edsels Magenkrebs, an dem er 1943 nur 49-jährig gestorben ist, von vielen Kommentatoren dem schwierigen Verhältnis zu seinem Vater zugeschrieben wird. Edsel wird als ruhiger und konfliktscheuer Managertyp beschrieben, der das absolute Gegenteil seines diktatorisch regierenden Vaters war.

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Vater Henry Ford und sein zwölfjähriger Sohn Edsel in einem Model F

„The River Rouge Complex“ – vom Rohstoff bis zum fertigen Auto

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Beim Model A gilt: Motornummer = Fahrgestellnummer

1927: Der Produktionsstart Am 11. Oktober konnte Edsel Ford stolz berichten, dass alles für die Produktion bereit sei, die binnen weniger Tage beginnen würde – und dass es bereits 125.000 feste Bestellungen gäbe. 150 Vorserienfahrzeuge dienten gleichermaßen dem Test der neuen Fabrik als auch letzten Tests der Neukonstruktion. Diese Exemplare wiesen einige Besonderheiten auf, wie zum Beispiel eine links im Fußraum angebrachte Handbremse, die auf alle vier Räder wirkte oder spezielle Stoßstangen. Am 20. Oktober 1927 war es dann endlich soweit: Henry Ford persönlich schlug die Seriennummer „1” in den ersten Ford-AMotorblock. Das erste Serienmodell – ein Tudor Sedan – wurde sogleich in die Testabteilung überstellt und dort noch einmal 10 Tage lang auf Herz und Nieren überprüft, während die Produktionsstraßen erneut stillstanden. Am 1. November wurde der „job number one” für tauglich befunden, und die Produktionsstraßen wurden wieder gestartet – vorerst einmal mit einer bescheidenen Produktion von 20 Stück pro Tag. Der erste Ford A wurde von Henry Ford dem von ihm hoch verehrten Freund, Erfinder und Industriellen Thomas Alva Edison überge-

ben, der die geschlossene Karosserie sofort gegen einen offenen Tourer austauschen ließ. Heute steht dieser Wagen im Henry Ford Museum in Dearborn. Manche Quellen bezweifeln diese Story und behaupten, dass der erste Ford A an den Komiker Will Rogers gegangen sei. Gesichert ist allerdings, dass mit hoher Professionalität bei Ford die Werbemaschinerie angeworfen wurde. Rund um den Termin der offiziellen Präsentation Anfang Dezember 1927 wurden fünf ganzseitige Inserate in 2.000 Tageszeitungen in allen US-Bundesstaaten geschaltet – zu einem Gesamtpreis von 1,3 Millionen US$. (In den Jahren 1927 bis 1931 investierte Ford mehr als 5 Millionen US$ für die Bewerbung des Model A.) Der Ford A war eine Revolution im Vergleich zum direkten Vorgänger Ford T, aber die Konkurrenz – allen voran Chevrolet, eine Marke des Rivalen General Motors – hatte nicht geschlafen: Der Chevrolet National Serie AB des Modelljahrs 1928 war für den Laien sowohl optisch als auch technisch vom Ford A kaum zu unterscheiden: Es gab acht verschiedene Karosserien zur Auswahl und einen Vierzylinder-Motor mit 2,8 Liter Hubraum und 35 PS, Dreiganggetriebe, mechanischen Vierradbremsen, zu Preisen zwischen 495 und 715 US$.

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Technisches Datenblatt Ford A mit Notizen Alban Bergs

Trotzdem bekam der Ford von der Fachpresse viel Lob: Insbesondere überraschte das neue Modell mit einer guten Beschleunigung (Zitat: „auf SportwagenNiveau …“) und einer in der „economy class“ ungewöhnlich hohen Qualität. Der günstige Preis sowie die Robustheit und Bedienerfreundlichkeit seiner Produkte waren aber weiterhin Henry Fords beste Verkaufsargumente.

1928: Das erste volle Produktionsjahr In den ersten zwei Wochen konnten die jetzt wieder optimistisch gestimmten Händler gut 400.000 Bestellungen des neuen Ford A vermelden, obwohl die meisten kein einziges Auto in ihren Schauräumen hatten, denn die

Produktion lief nur zögerlich an. Nach offiziellen Angaben wurden 1927 5.275 Stück gefertigt, aber tatsächlich dürften es nur ca. 4.200 gewesen sein. Die wenigsten der rund 9.000 verbliebenen US-Händler konnten den einstürmenden Kunden tatsächlich ein Auto vorführen, die anderen mussten sich mit Postkarten, Postern und Werbefilmen behelfen. Die geringe Zahl an verfügbaren Fahrzeugen und eine hohe Nachfrage, die durch „Rekordfahrten” – beispielsweise 8.328 Meilen Dearborn – Los Angeles – San Francisco – New York – Dearborn im Dezember 1927 – noch angeheizt wurde, verhalfen Ford zu einem sogenannten „seller’s market”. Frühe Exemplare des neuen Modells wurden an Prominente vergeben, Senator James Cou-

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Phaeton (Typ 35A): wenig Karosserie und einfaches Verdeck: günstigster Viertürer im Programm

zens, Douglas Fairbanks oder Mary Pickford gehörten zu den Glücklichen … 1928 begann die Produktion des Model A allmählich richtig zu laufen. Von einer Tagesproduktion von 195 Stück im Jänner wuchs die Produktion auf 1.000 Stück pro Tag am 13. Februar. Am Ende des Jahres rollten täglich 6.435 Exemplare von den Montage-Bändern. Trotzdem lag Ford mit 753.044 produzierten Automobilen im Jahr 1928 noch immer deutlich hinter dem Erzrivalen Chevrolet mit 1.193.212 Stück, aber nach dem faktischen Produktionsstillstand im Jahre 1927 ging es zumindest in die richtige Richtung. USA-weit hatten 32 Werke zu produzieren begonnen, weitere 11 außerhalb der Vereinigten Staaten. Im Sommer 1928 gab Edsel Ford bekannt, dass von den bis dahin eingegangenen 727.000 bestellten Wagen bereits 275.000 Exemplare ausgeliefert werden konnten, und schon im November war Ford in 45 der (damals) 48 Bundesstaaten wieder Marktführer. Trotzdem schrieb

Ford im Geschäftsjahr 1928 einen Verlust von 70 Millionen US$. Den Händlern erging es nicht viel besser, denn die meisten verkauften nur etwa 5% der Menge, die sie in den besten Jahren des Ford T abgesetzt hatten, dafür galt Ford-Fahren wegen der unbeabsichtigten Verknappung in der amerikanischen High Society als chic. Mit wachsender Produktion wuchs die Zahl der angebotenen Karosserieformen: „Business Coupe“, „Taxi Cab“ (mit 3 Seitenfenstern und größerer Kopffreiheit hinten) und „Town Car“ (mit 1.400 US$ die teuerste Variante) kamen hinzu. Im Oktober 1928 war beispielsweise der „Tudor Sedan” mit 27% am beliebtesten, gefolgt von „Standard Coupe“ (19%), „Fordor Sedan“ (17%) und „Roadster“ (10%). Auch die Palette der leichten Nutzfahrzeuge wurde ausgebaut – Pick-Up (Pritsche) und Panel Van (Kastenwagen) auf Basis des normalen A waren im Angebot und ergänzten das Nutzfahrzeugprogramm neben dem verstärkten Model AA.

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Das rote Lenkrad kennzeichnet frühe Exemplare

Kleine Radkappen wurden bis 1929 verwendet

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Fordor Leatherback (Typ 60B) – Briggs

Hilfreich für die Steigerung der Produktion waren nicht nur die zahlreichen Ford-Montagewerke, die sich über die USA verteilten und der steigende Personalstand – Ende 1928 waren 186.313 Arbeiter auf der Gehaltsliste –, sondern auch Henry Fords Bereitschaft, Komponenten wie Batterien, Starter oder Räder von Zulieferern zu kaufen, statt sämtliche Einzelteile in den Ford-Werken herzustellen. Neben den in Eigenproduktion hergestellten Karosserien der gängigsten Modellvarianten beauftragte Ford außerdem mehrere Karosserie-Hersteller mit der Entwicklung und der Produktion verschiedener Karosserie-Teile oder kompletter Aufbauten, die sich bis auf die Standardkomponenten Kühler, Motorhaube und Kotflügel teilweise stark unterschieden und auch Marktnischen abdecken sollten. Karosseriebauer wie Briggs, Budd, Murray und andere belieferten die Montage-Bänder von Ford, wo die Karosserien auf die Fahrgestelle gesetzt wurden, bzw. wurden die Fahrzeuge mit den von Ford angelieferten Teilen und Fahrgestellen von den Partnern endmontiert. So bekam beispielsweise die seit 1909 bestehende

Briggs Manufactoring Company einen Großauftrag, der die eigenen Kapazitäten sprengte. Briggs mietete von Ford kurzerhand die ehemalige Ford-T-Produktionsstätte „Highland Park“ und stellte dort nicht nur komplette Karosserien, Verdecke und Sitze für das Model A her, sondern bis in die 1930er Ersatzbleche für den Ford T oder Karosserien für andere Hersteller.

1929: Das Rekord-Jahr Am 4. Februar – 15 Monate nach Produktionsbeginn – wurde der Motor mit der Nummer 1.000.000 gebaut, und bereits am 24. Juli rollt mit einem Cabrio der zweimillionste Ford A vom Band. Der 26. Juni markierte mit einer Tagesproduktion von 9.100 Exemplaren einen Rekordwert. Zum Vergleich: Der millionste Ford T war erst mehr als sieben Jahre nach Produktionsbeginn gebaut worden. 1929 war Ford fast wieder zurück zur alten Stärke gelangt: Als am Jahresende bilanziert wurde, hatte Ford 1.951.092 PKW und Nutzfahrzeuge vom Model A und Model AA verkauft, damit erreichte Ford in den USA

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Town Sedan (Typ 155A) – Murray

Pickup (Typ 76A): einfacher Wetterschutz (nicht zu öffnen), keine Seitenfenster

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Sport Coupe (Typ 50A) – ein „falsches Cabriolet”

einen Marktanteil von 37%. Gegenüber 1928 war die Produktion um 138% gestiegen; ungefähr 7.500 Autos verließen täglich die Fließbänder. Rivale Chevrolet konnte mit 1.301.166 Fahrzeugen auf einen fernen zweiten Platz verwiesen werden. Die Ford Motor Company vermeldete für das Geschäftsjahr 1929 einen Gewinn von 92,5 Millionen US$. Trotz des „Schwarzen Freitags” an der New Yorker Börse am 25. Oktober und der darauf folgenden schweren Weltwirtschaftskrise schien die Welt in Dearborn noch in Ordnung zu sein. Auch die Auslandstöchter bereiteten der Konzernmutter Freude, und in aller Welt kam der Ford A durch Langstrecken- und Zuverlässigkeitsfahrten in die positiven Schlagzeilen. Ab dem Modelljahr 1929 wurde neben dem viertürigen Phaeton und dem zweitürigen Roadster das Cabriolet (Typ 68) als dritte offene Variante in die Modellpalette aufgenommen. Das luxuriöse Cabriolet hatte im Gegensatz zum Roadster einen breiteren Windschutzscheibenrahmen, die Türen hatten Kurbelfenster und

der ausklappbare Notsitz war Serie. Die gehobene Ausstattung und das Design orientierten sich im Bereich der A-Säule bzw. der Motorhaube am luxuriöseren viertürigen Town Car (Chauffeur-Limousine) und dem Town Sedan, die das „Facelift“ der 1930er Modelle teilweise vorwegnahmen.

1930: Das große Facelift – Es hätte ein gutes Jahr werden können … In die Produktion des Ford A flossen laufend kleinere Verbesserungen ein, aber für das Modelljahr 1930 wurde der Wagen auch optisch stark überarbeitet und dem Zeitgeist angepasst. Die Karosserie wurde vor der Windschutzscheibe tiefgreifend modernisiert: Ein etwas höherer Kühler und eine flachere, weniger rundliche Motorhaube sorgten für einen insgesamt moderneren Auftritt. Der breitere Vorderwagen war nunmehr – dank der ab 1930 bei allen Modellen optisch bis zum Kühler verlängerten Gürtellinie – schlüssiger in den Karosseriekörper integriert.

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Station Wagon (Typ 150A) „Woody” mit 3 Sitzreihen

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Cabriolet (Typ 68B) – bei Briggs ca. 1000 Exemplare später gebaut als Alban Bergs Exemplar

Neues Karosserie-Design frischt 1930 den Ford auf, zum Vergleich die erste Version

125 Technisch änderte sich, abgesehen von Detailverbesserungen wenig, die wichtigste Änderung betraf die Dimension der Räder, deren Größe von 21 auf 19 Zoll reduziert wurde. Damit wirkte der Wagen weniger hochbeinig und insgesamt besser proportioniert. Außerdem kamen statt vernickelter Teile nunmehr Kühler und Scheinwerfer aus rostfreiem Stahl zum Einsatz, was wiederum eine Erleichterung der Fahrzeugpflege bedeutete. Zu Jahresbeginn 1930 bot Ford das Model A bereits in neun Karosserieformen an, und im Laufe des Jahres konnte jeweils zwischen einer Standard- und einer Deluxe-Ausstattungslinie gewählt werden. Ford wollte damit auch die wachsende Gruppe weiblicher Käufer ansprechen, denn die Deluxe-Varianten unterschieden sich insbesondere durch ein luxuriöseres Interieur – und einen entsprechend höheren Preis – von den Standard-Modellen. Ford ermutigte die Händler, Autos an Prominente zu verleihen – in der wohl berechtigten Hoffnung, damit kostenlos in die redaktionelle Presse-Berichterstattung zu kommen. Auch in dieser Beziehung war Ford seiner Zeit voraus. Liebe zum Detail bei den Deluxe-Modellen

Weiters kamen 1930 die „Victoria“-Modelle dazu; das waren zweitürige und viersitzige Limousinen, die mit etwas verlängerten Türen einen bequemeren Einstieg versprachen und mit einem rundlichen Heck moderner wirkten als die weiterhin angebotenen Sedan-Varianten, die wiederum einen größeren Innenraum hatten. Mitte des Jahres wurde auch der Model A Station Wagon auf den Stand der restlichen 1930er Modelle gebracht sowie in allen Modellen ein geändertes Armaturenbrett mit neuen, etwas vergrößerten Instrumenten eingebaut. Um die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise abzufedern, senkte Ford die Preise um fünf bis fünfundzwanzig Dollar und aktualisierte seine „Guarantee Service and Replacement Policy”: Bis dahin war die Garantie auf 90 Tage begrenzt. Das wurde nun für einzelne Teile geändert: Scheibenwischer 120 Tage; Stoffdächer 1 Jahr (aber nur für Undichtigkeiten im Stoff, nicht an den Nähten); Batterie 6 Monate; Tacho 4.000 Meilen.

Das Model A war wegen des Benzinverbrauchs ins Gerede gekommen. Ford gab im Prospekt einen Verbrauch von 18 bis 20 mpg (miles per gallon) an, das sind 11,7 bis 13 Liter auf 100 km bei einer Geschwindigkeit von 45 mph (72 km/h); Werte, die von vielen – ein immer aktuelles Thema – angezweifelt wurden. Die Ford Motor Company entwickelte daraufhin mit dem Vergaserhersteller Zenith ein Messgerät, um die Kunden zu beruhigen. Bei „Payne Motor Co.”, einem Händler in Washington, North Carolina, ließen sich 112 Kunden zu einem Test überreden – und erreichten einen durchschnittlichen Verbrauch von 24 mpg (9,8 Liter/100 km). Der sparsamste Fahrer erreichte sogar 30 mpg (7,8 Liter/100 km) und konnte damit werbewirksam die Prospektangaben weit unterbieten.

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Die Holzausstattung veredelte den Innenraum dieses Exemplars mit Briggs-Karosserie

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Positionsleuchten am Kotflügel kennzeichnen diesen in England hergestellten Deluxe Fordor, Schiebedach als seltenes Extra

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Deluxe Fordor aus den USA – ebenfalls mit Briggs-Karosserie

Die geschwungenen Türgriffe kennzeichnen alle Deluxe-Varianten

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Neue Karosserievariante Victoria Deluxe mit Zusatzkoffer (Typ 190A)

Facelift für den Armaturenträger ab Mitte 1930

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Alban Bergs „Blauer Vogel“ – ein Deluxe Cabriolet des Baujahrs 1930 (Karosserie gebaut bei Briggs in Detroit, endmontiert in Manchester) mit vielen Extras wie Zusatz- und Suchscheinwerfer, seitlich montierten Reserverädern.

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Alban Berg, der das Auto viel in den Bergen bewegte, notierte ebenfalls einen höheren Benzinverbrauch …

Tudor (Typ 55B) Modelljahr 1930 – ein rechtsgelenktes Exemplar aus Uruguay

Standard Coupe (Typ 45B) Modelljahr 1930 serienmäßig mit großem Kofferraum – beliebt bei Vertretern

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Model AA mit Stahl- statt Speichenrädern und verstärkter Technik, in vielen Varianten lieferbar

Zu Jahresbeginn hatte Ford noch auf ein neuerliches Rekordjahr gehofft, aber die Wirtschaftskrise machte dies zunichte. Schlussendlich wurden 1930 weltweit nur 1.485.602 Ford A gefertigt, um rund 465.000 weniger als im Jahr zuvor; Kündigungen und Kurzarbeit in allen Werken waren die Folge. Ford hatte um rund 300.000 mehr Autos verkauft als alle GM-Marken zusammen und konnte den US-Marktanteil von 35% auf 42% ausbauen und der Jahresgewinn lag bei knapp 40 Millionen Dollar; angesichts dessen konnte man in Dearborn mit dem Ergebnis zufrieden sein. Die Händler hatten weniger Grund zur Freude: Im Jahre 1930 mussten fast ein Drittel aller amerikanischen Autohändler ihren Betrieb schließen – der Schnitt dürfte unter den Ford-Händlern ein wenig besser gewesen sein. Allerdings wurde deren Händlerrabatt von ursprünglich 20% auf 17,5% reduziert, erst ab 150 verkauften Autos erhöhte sich der Rabatt aufgrund eines gestaffelten Rabattsystems wieder auf die vorher generell gültigen 20%.

1931: Das letzte volle Baujahr Bei der Markteinführung 1927 hatte Edsel Ford optimistisch angekündigt, dass Ford vom Model A mehr Exemplare als vom Model T bauen werde und er sich schon auf das fünfzehnmillionste Model A freue, doch 1931 war (in den USA) bereits das letzte volle Produktionsjahr. Inmitten der großen Depression wurde trotzdem ein Jubiläum gefeiert: Am 14. April rollte der zwanzigmillionste Ford, ein Town Sedan der Type 160B, aus der Montage-Halle in „The Rouge“. Der Motor dieses Exemplars bekam zuvor die Sonder-„Serien“-Nummer *A20000000*. Alle anderen Model A hatten eine durchlaufende Motornummer, die 1927 mit der Nr. „1“, die Henry Ford persönlich einschlug, begann. Der Jubilar wurde auf eine landesweite Promotionstour geschickt. Die zukünftige Präsidenten-Gattin Eleanore Roosevelt war eine der Prominenten, die das Auto werbewirksam steuern durften. Gegen Weihnachten kam der Wagen zurück nach Dearborn, wo sich seine Spur für längere Zeit verlor …

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Ein Fordor (Typ 160C) Modelljahr 1931 war Ford Nr. 20.000.000

Convertible Sedan (Typ 400A) Modelljahr 1931 – Cabrio-Limousine mit Design-Elementen des Nachfolgers Model B

135 Trotz dieses werbewirksamen Erfolgs betrug die Belegschaft in den US-amerikanischen Werken im Jahresschnitt 1931 nur mehr 108.572; zum Vergleich: Ende 1928 waren es noch 186.313 Arbeiter. Auch für die Verkäufer sah es in der Weltwirtschaftskrise nicht gut aus: Neue Modelle bei den Konkurrenten und Gerüchte um ein Nachfolgemodell hatten zur Folge, dass der Ford A seinem Image als Bestseller nicht mehr gerecht wurde. Im Jahr 1931 konnte Ford weltweit nur mehr 762.058 Fahrzeuge absetzen – ein Einbruch von fast 50% gegenüber dem auch nicht optimalen Vorjahr. Um die Sache für Ford noch zu verschlimmern, konnte Chevrolet erstmals seit 1928 in den USA wieder mehr Fahrzeuge als Ford verkaufen, und der Marktanteil des Model A fiel auf 28%. Plymouth, die neue erst 1928 gegründete Marke von Chrysler, konnte mit 94.289 Fahrzeugen kräftig im Revier von Ford wildern. Kein Wunder, dass das Jahr für Ford mit einem massiven Verlust endete. Technisch veränderte sich auch im letzten Produktionsjahr wenig – einigen Modellen versuchte Ford mit einer geneigten Windschutzscheibe („Slant Window“) ein moderneres Aussehen zu geben, wozu wahrscheinlich auch nunmehr serienmäßig in Wagenfarbe lackierte Speichenräder und eine leicht geänderte Kühlerverkleidung beitragen sollten. Mit dem „Convertible Sedan” wurde eine luxuriöse Cabrio-Limousine auf Basis des Victoria ins Programm aufgenommen. Die weltweite Produktion dieses Typs (400A) blieb aber mit ca. 5.000 Exemplaren eher bescheiden … Ein weiteres Sondermodell war der „Deluxe Pickup“ (Typ 66A), der am 1. Mai 1931 präsentiert wurde. Diese Version entstand in Zusammenarbeit mit dem Konzern General Electric, der damit Kühlschränke bewarb: Zumindest ein Deluxe Pickup tourte mit einem Bronze-Replica des millionsten GE-Kühlschranks durch die USA. Im Vergleich zu den anderen rudimentären ModelA-Pickups hatte der Deluxe eine besondere Karosserie: Der an den Flanken auch im Bereich der Ladefläche verkleidete Wagen war eine elegante Mischung aus PKW und Lastesel und wurde zum Vorreiter moderner PKW-Pickups.

1932: Schwanengesang Auch 1932 war weder für die Menschen noch für die Weltwirtschaft oder für die amerikanische Automobilindustrie ein gutes Jahr. Mit insgesamt 1.370.678 produzierten Fahrzeugen verkauften alle Hersteller zusammengenommen weniger Autos als Ford alleine im Jahr 1930, dem Jahr nach dem großen Börsencrash. In den Monaten Jänner und Februar entschieden sich gerade einmal 26.395 Käufer für den Ford, Chevrolet setzte in derselben Periode 68.206 Autos ab. Der Konkurrent lag sogar in dem bisher von Ford dominierten Segment der „Trucks" knapp voran. Im März 1932 endete nach 4.858.644 gebauten Fahrzeugen die Produktion in den USA, damit war der Ford A – auf die kurze Bauzeit der Serie umgerechnet und trotz aller Widrigkeiten – sogar erfolgreicher als sein legendärer Vorgänger. Am 7. März 1932, in den letzten Tagen der Produktion des Model A, bekam dessen Geschichte noch einen äußerst bitteren Beigeschmack: Rund 3.000 Arbeitslose marschierten im von der Kommunistischen Partei organisierten „Ford Hunger March“ von Detroit in den Vorort Dearborn zum „Ford River Rouge Plant“, wo sie von schwer bewaffneter Polizei mit Tränengas, Schlagstöcken und Gewehrkugeln empfangen wurden – vier Tote und 20 Verletzte waren die traurige Bilanz. Der Ford A bekam 1932 zwei (optisch fast identische) Nachfolger: Das Model B führte den bewährten Motor des Model A in einer modernisierten Karosserie fort, die Vierzylinder-Variante wurde in den USA allerdings nur bis 1934 gebaut. In Deutschland wurde das Model B ab 1935 als (eingedeutschter) „Ford Rheinland“ für eine etwas längere Zeit gebaut. Als Model 18 gab es in der Karosserie des Model B einen V8-Motor mit 3,6 Liter Hubraum und 65 PS – den ersten V8 in einem preiswerten Fahrzeug für den Massenmarkt. Das Model 18, besser bekannt als Ford V8, erfreute sich in den USA größter Beliebtheit. Der V8 wurde in vielen Varianten und unter jährlich wechselnden Modellbezeichnungen bis 1940 mehr als fünf Millionen Mal gebaut. Gemessen an den Stückzahlen ist wohl der V8 der wahre Nachfolger des Model A, etwa 150 Stück davon wurden als Gräf-Ford V8 bei Gräf & Stift in Wien gebaut.

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Der Ford A außerhalb der USA

Model A Kastenwagen aus deutscher Produktion

In Kanada begann die Produktion inklusive eigener Motorenfertigung bereits am 1. Februar 1928 (74.798 Stück im Laufe des ersten Jahres), in Yokohama wurde eine Fabrik für eine Jahresproduktion von 225.000 Fahrzeugen aufgebaut, und ein weiterer Stützpunkt entstand in Shanghai. Ende 1928 waren außerhalb der USA unter anderem Werke in Japan, Argentinien, Chile, Brasilien, Mexiko und der Türkei in Betrieb. Schwieriger war der Markt für den Ford in Europa, wo die heimische Industrie in der Preiskategorie des Model A, die der europäischen Mittelklasse entsprach, stark präsent und durch Zollschranken gut geschützt war. In den wichtigen Märkten Deutschland und Frankreich konnte der Ford A nicht in die Top drei der Zulassungsstatistik vordringen, obwohl es in diesen Ländern ebenfalls Produktionsstätten gab, wie auch in Belgien, Spanien und den Niederlanden. In Großbritannien gab es ein Montagewerk in Manchester, trotzdem waren von den 211.877 im Jahr 1928 neu zugelassenen

Automobilen und Nutzfahrzeugen in England lediglich – für Ford – bescheidene 6.224 Ford Model A und Model AA. Im Erfolgsjahr 1929 begannen in Dagenham, westlich von London, die Bauarbeiten für eine neuen Fabrik; in ganz Europa (inklusive Großbritannien) fanden in diesem Jahr 107.113 Ford A und AA Käufer. In Südamerika konnten 84.952 Stück und in Kanada 87.830 verkauft werden, sämtliche Auslandstöchter bilanzierten per Ende 1929 auch finanziell positiv. Ebenfalls 1929 gelang Henry Ford – immerhin als glühender Antikommunist bekannt – der Abschluss einer Vereinbarung mit der kommunistischen Sowjetunion zum Aufbau einer eigenen Fahrzeugindustrie. Mit einem Vertragswert von 30 Millionen US$ sollte Ford 72.000 CKD-Bausätze über vier Jahre an die sowjetische Staatsfirma GAZ (Gorkovsky Avtomobilny Zavod) in Nizhny Novgorod liefern, eine Stadt an der Wolga, rund 400 km östlich von Moskau. Aus dem Ford A wur-

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de das Lizenzprodukt NAZ-A und aus dem Ford AA der NAZ-AA, von denen zwischen 1932 und 1936 mehr als 100.000 Exemplare gebaut wurden. 1936 wurde der GAZ/NAZ-A durch den GAZ M1 abgelöst. (Der Ford A war daher Stammvater der leichten Panzerwagen, die von der UdSSR im 2. Weltkrieg gegen den Henry-Ford-Bewunderer Hitler eingesetzt worden sind …) 1930 war ein wichtiges Jahr für die ausländischen Unternehmens-Töchter: Henry Ford besuchte persönlich das neue Werk in Dagenham und legte den Grundstein sowohl für neue Werke in Rotterdam als auch in Köln. 1931 – im letzten vollen Produktionsjahr des Model A in den USA – begannen die Auslandsinvestitionen Fords schlussendlich Früchte zu tragen. Im Werk Köln liefen am 4. Mai die ersten Ford A vom Band. In

Model A Phaeton aus deutscher Produktion

Schweden, Indien, Mexiko und Belgien wurden weitere Montagewerke errichtet, und im sowjetischen Werk in Nizhny Novgorod standen die Produktions-Vorbereitungen kurz vor dem Abschluss. Am 1. Oktober begann die Fertigung in der Fabrik in Dagenham, der weltweit zweitgrößten Automobilfabrik nach dem Ford-Stammwerk in Dearborn. Für das Jahr 1932 war in Dagenham eine Produktion von 200.000 Fahrzeugen geplant. Im Februar 1932 sollte der erste GAZ AA LKW vom Band rollen. Die letzten Ford A/AA alias GAZ A/AA liefen sogar erst 1947 vom Band – nach Schätzungen sollen es ca. eine Million Exemplare der Lizenz-Modelle A und AA gewesen sein, die genau Anzahl lässt sich aber nicht feststellen.

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Vom „Moonshiner“ zum „Hotrod“ Zur Zeit der Prohibition in den USA (1920–1933) wurde der illegal produzierte Alkohol mit schnellen Autos zu den sehnsüchtig wartenden Abnehmern transportiert. Untrennbar damit verbunden ist auch der unauffällige und robuste Ford A, der mit stärkeren Motoren ausgestattet und um unnötigen Ballast erleichtert, den Cops in der Regel entwischen konnte. Nach Aufhebung der Prohibition war billiger – weil unversteuerter – Alkohol weiterhin beliebt; nebenbei verlegten sich die Moonshiner auf illegale Straßenrennen, aus denen später die stark modifizierten „Stock-Cars“ (NASCAR-Serie) und die sogenannten „Hotrods“ hervorgingen …

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Das zweite Leben eines besonderen Autos

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Fast ein Märchen Manfred Schmid

Die Alban Berg Stiftung bat mich an den Wörthersee zu reisen, um ein altes Automobil in Augenschein zu nehmen und eine erste Bestandsaufnahme zu erstellen. Es handle sich um ein Ford Cabriolet, das seit einem dreiviertel Jahrhundert in einer Villa am Südufer des Sees garagiert sei. So fuhr ich am sonnigen 15. August 2013 nach Kärnten und bestaunte dort ein vollkommen unberührtes, sehr gepflegtes Landhaus, in dessen Garage der ebenso unberührte Ford A des Ehepaars Alban und Helene Berg schlief. Mein ganzes Leben hindurch befasste ich mich mit alten Autos, erweckte viele Fragmente wieder zum Leben und versetzte sie in einen Besser-als-neu-Zustand. Und damit – das gebe ich unumwunden zu – habe ich meistens ihre Historie ausradiert, verloren die Autos ihre Seele und wurden zu glänzenden Homunkuli, denen ich manchmal sogar modernere Technik implantierte und sie zu reinen Schaustücken degradierte, die seither in abgeschiedenen Garagen ihr weiteres Dasein fristen müssen … Der Berg’sche Ford A hingegen ruhte in Kärnten schon für den Zeitraum eines Menschenlebens, abgestellt in der Villengarage, so als ob dessen Eigentümer Alban und Helene Berg nur kurz zum Jausenkaffee auf die Terrasse gegangen wären. Ein Auto des Baujahres 1930, das bloß fünf Jahre intensiv genutzt worden war, verharrte dort mit seinen authentischen Details wie zum Beispiel den Monogrammen seiner Besitzer und den Gebrauchsspuren einer behutsamen Nutzung und erzählte den wenigen Besuchern seine einmalige Automobil-Geschichte. Der kleine blaue Ford hat die Zeit unrestauriert überstanden, ist außerdem nahezu komplett geblieben und präsentiert auch sämtliche Veränderungen, die seine

Besitzer – der Komponist, seine Witwe und die Alban Berg Stiftung – im Laufe der Zeit vorgenommen haben. Als Erstes fiel mir eine zerbröselnde Positionslampe auf dem rechten Kotflügel auf. Dieses Zubehör stammt aus den ersten Tagen der Nutzung des Autos Anfang der 1930er und war mit seinem leider verlorenen Pendant auf dem linken Vorderkotflügel stets ein und hilfreicher Begleiter auf den vielen Reisen, die das Ehepaar Berg mit dem Auto unternahm. Aber das erfuhr ich erst viel später, als sich auch die Wissenschaftler der Stiftung mit den vielen Briefen beschäftigten, in welchen der Komponist das Auto euphorisch beschreibt. Bei der ersten Begegnung mit dem Auto in der Kärntner Garage waren die platten und brüchigen Reifen nicht zu übersehen, aber es war auch zu erkennen, dass nach Alban Bergs Tod im Jahr 1935 weitere erhaltende Maßnahmen getroffen worden waren: Zum Beispiel war eine Neulackierung mit Kunstharz-Lack statt dem ursprünglichen, weil bald verbotenen Nitro-Lack vorgenommen worden. Diese war immerhin wieder zweifarbig in dunkelblau und schwarz ausgeführt – sicher mit den besten Absichten, aber leider in mäßiger Qualität. Und in den 60er Jahren hatte man die Polster des Schwiegermuttersitzes mit Kunstleder tapeziert sowie den Verdeckbezug erneuert. Darauf deutet das verwendete Material hin, das nicht aus der Zeit der Produktion des Autos stammt, sondern erst etwa 30 Jahre später verwendet wurde. Nach Besichtigung und grober Einschätzung der Möglichkeit, das ruhende Auto in ein fahrendes zu verwandeln, erstattete ich Bericht. Die Stiftung fasste den Beschluss, den Ford in meine Werkstätte nach Traiskirchen transportieren zu lassen, um ihn einer näheren Bestandsaufnahme zu unterziehen. Ein Alltagsauto aus den Dreißigern inmitten millionenteurer Sportwagen

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Das geliebte Auto des Komponisten im Dornröschenschlaf

der automobilen „Neuzeit” – hauptsächlich der 1950er, 60er und 70er Jahre – stellte einen scharfen Kontrast dar in den Remisen. Und tatsächlich, niemand interessierte sich zunächst für dieses wunderbare Stück automobiler Zeitgeschichte – zum Glück. Als der Ford schlussendlich in der Werkstatt zur detaillierten Bestandsaufnahme stand, waren dann aber doch ein paar Interessierte zugegen und ließen eher abfällige Bemerkungen über den Ford A im Allgemeinen

(„… fades Brot- und Butter-Auto”) und dieses Exemplar im Besonderen fallen („… wo hast du denn den ausgegraben, ist ja völlig hinüber …”). Und schon fast vorwurfsvoll kam die Frage: „Dreht der Motor eigentlich?”, dies aber mit einem Unterton, der mir bedeutete: „Das wird eh nichts mehr, arbeite endlich an meinem 300-SL-Motor, statt hier wertvolle Zeit zu vergeuden!” Ich kenne meine Kunden, sie sind ja wirklich geduldig, aber manchmal hat die Wissenschaft eben Vorrang …

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Der unberührte und authentische Zustand erzählt eine außergewöhnliche Geschichte

Gleichzeitig musste ich den Forscherdrang der ungeduldigen Hobbyexperten eindämmen, denn es zeigte sich schon sehr bald: Je volksnäher ein Auto scheinbar ist, desto niedriger ist die Hemmschwelle, einfach die Türe zu öffnen und sich hineinzusetzen. Nur mit Unwillen ließen die Hobbyexperten von dem Auto ab, dafür erfuhren sie von mir etwas von der märchenhaften Geschichte dieses Ford A, seinem langen Dornröschenschlaf und von seiner geplanten Wiederauferstehung. Ich erzählte die Geschichte allen, die sie hören wollten – und auch anderen, wenn sie beim Warten auf ihre profanen Ferrari, Maserati und Mercedes zu ungeduldig wurden. Was mich damals wirklich beschäftigte, war die Frage, ob die Mechanik beim Warten auf das zweite Leben gravierenden Schaden genommen hatte. Mit allen üblen Vorahnungen und Erfahrungswerten einer langen

Schrauberkarriere – habe doch schon so einige Autos aus dieser Zeit in Händen gehabt – und dem Lampenfieber, bei diesem Auto nur ja keine Fehler zu machen, gingen wir daran, die durch den Stillstand über viele Jahrzehnte entstandenen Schäden zu ästimieren.

Exkurs Jedes technische Gerät – insbesondere auch jedes Auto – unterliegt einem gewissen Verschleiß, welcher von den Parametern Zeit, Umwelteinflüsse und Talent des Benutzers abhängig ist. Dieser Ford A hatte ein aus den vorangegangenen Parametern resultierendes „Gleichgewicht“ des Verfalls erreicht. Nun lag es an meinem Team und mir, den technischen Zustand behutsam – bis zum Status der Fahrfähigkeit – zu verbessern, ohne aber

145 eben dieses Gleichgewicht zu stören. Ein Dilemma, wie sich noch herausstellen würde. Grundsätzlich macht es keinen Sinn, einen noch lauffähigen Motor zu zerlegen, das Aggregat einem Motorservice zu unterziehen und – wenn man schon dabei ist – nicht authentische, rostfreie Edelstahlschrauben zu verbauen, alle Motorteile neu zu lackieren und neue Kunststoffkabel einzubauen. Das wäre ein Frevel. Mit einer solchen Vorgehensweise stört der Vandale nämlich das Gleichgewicht der Komponenten, und zwar nicht nur in historischer, sondern auch in technischer Hinsicht, weil der nach einer Überholung nun viel leistungsfähigere Motor alle unverändert gebliebenen Antriebsteile wie die Kupplung, das Getriebe und die Hinterachse über Gebühr beanspruchen würde. Schäden an den nicht instandgesetzten Bauteilen wären vorprogrammiert. Erst wenn alle Einzelteile mit großem Sachverstand repariert werden und jeglicher Verschleiß eliminiert wird, kann sich das Gleichgewicht der Konstruktion wieder einstellen. Aus diesem Grund brauchen meine Kunden auch so viel Geduld, aber wie gesagt, eine Komplettrestauration war ja bei Alban Bergs „Wagerl“ nicht das Thema, im Gegenteil:

Der Auftrag Eine Radikal-Überholung wäre ein kapitaler Schaden für Alban Bergs Ford gewesen: die Löschung der historischen Zeitachse eines bereits über 80-jährigen Autolebens: das Ausradieren der Montagespuren aus Zeit der Herstellung des Autos, die Entfernung von Markierungen und Spuren der Reparaturen in den Dreißigerjahren und das Übertünchen der „Fingerabdrücke“ Alban Bergs. Und auch die später vorgenommenen Erhaltungsmaßnahmen, wie die zuvor bereits erwähnte nicht originale (Nach-)Lackierung gehören zum Auto und sollten erhalten werden. Die niemals unterbrochene Lebenslinie dieses Autos, die ungestörte Homogenität aller Einzelteile und nicht zuletzt sowohl die musik-, als auch die automobilhistorische Bedeutung dieses Autos sind einzigartig. Das überwiegt bei Weitem die oftmals bei ähnlichen Projek-

ten vorgenommene Neulackierung mit „authentischen” oder „historisch korrekten” Nitrolacken. Ich befinde mich hier bereits im heiß diskutiertem Grenzgebiet zwischen Kunstgeschichte und traditioneller Autorestauration, für die ich mich seit 30 Jahren bewusst und konsequent engagiere. Ich mag keine halben Sachen. Entweder so, oder die Autos bleiben überhaupt unberührt, dem Verfall überlassen … Doch die Alban Berg Stiftung hatte von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, dass es der Wille der Stifterin sei, die hinterlassenen Gegenstände des Komponisten Alban Berg so zu bewahren, wie sie sind. Also bestand auch für mich der Auftrag darin, den Ford behutsam und umsichtig zu reparieren – ohne „Neustart” sozusagen. Unter diesen Anfangsbedingungen machten wir uns an die Aufgabe, Alban Bergs Auto wieder zum Leben zu erwecken.

Die Arbeiten Die Bremsbacken mussten mit neuen Bremsbelägen bestückt werden, und die Speichenräder riefen nach neuen Reifen. Die textilummantelten Kabel hatten sich schon vor Jahrzehnten von ihrer Isolation befreit, und der Keilriemen hatte jede Spannung verloren. Doch der Motor ließ sich ohne ungewöhnlichen Widerstand per Hand drehen, das Getriebe war schaltbar und alle Räder drehten sich frei und ohne Unwucht. Wunderbare Glücksfälle. Eigentlich nur Serviceroutine nach einem Winterschlaf, doch dann kamen die Überraschungen: Benzintank und Wasserkühler waren vom Rost zerfressen, mussten also entfernt werden! Aber: Die Zierleiste, die beim Ford A nach der großen Modellpflege des 1930er Modelljahres den sogenannten „Prinzheinrich“ umfasst, ließ sich nicht demontieren und der Tank, der beim A vor dem Armaturenbrett und über dem Fahrerund Beifahrerfußraum liegt, blieb zunächst unerreichbar. Die Leiste wurde im Werk bei Ford mit unbehandelten Muttern festgeschraubt und zum Festrosten der Zeit überlassen. Sollten bei der Demontage die in die vernickelte Zierleiste eingegossenen Bolzen abbrechen, wäre die Leiste unbrauchbar und das Ziel, den originalen Zustand des Autos zu erhalten, aussichtslos …

146 Also arbeiteten wir vorsichtig mit Wärme aus einem Heißluftföhn und einem „chemisch verträglichen” Rostlöser – der jedoch nichts löste, so auch keinen Rost. Mit viel Behutsamkeit und noch viel mehr Geduld wurden schließlich die Schrauben gelöst, die Leiste nach zwei (!) Tagen demontiert und der Tank am dritten Tag endlich ausgebaut. „Wann kommt endlich der neue Tank?”, wollten die Verantwortlichen der Alban Berg Stiftung wissen. Die Antwort lautete: „Leider im Moment nicht lieferbar!” Wir verschoben das Tank-Problem, denn wir würden das Auto anlässlich einer Präsidiumssitzung mit einer provisorischen Benzinversorgung aus einem Motorrad-Tank vorführen. Ganz ähnliche Probleme wie beim Tank gab es auch beim defekten Kühler des Ford: „Oiso den Kühla kemma ned mochn’, des Neds hot kana mea. Hauns eam weg und kaufns an neichn.“ Originalton der Wiener Kühlerinstandsetzungsfirma. Daraufhin ein verzweifelter Anruf bei Gerhard Pernica, Urgestein der Kühlerspengler, längst in Pension und trotzdem immer noch Gottvater seiner Zunft. Zwei Wochen später besuchte er die Werkstatt und dozierte über das alte Wabenkühlersystem, über Luftblasenfangventile, offene Kühlkreisläufe und konstruktiv undichte Kühlerverschlüsse, wie sie bei diesem alten Ford zu finden sind. Er freute sich unbändig, an so einem wichtigen Projekt Anteil zu haben, war Souffleur und Lehrmeister zugleich, ließ mich den Kühler mit Säure reinigen, die Luftblasenfangventilkegel einschleifen und schlussendlich den Kühler mit Messinglot dicht löten. So instand gesetzt, war der Wasserkühler auf Anhieb dicht, wo er dicht sein sollte, und die Durchflussmenge des Kühlwassers reichte allemal für die zu erwartende Motorwärme. Vor allem aber: Der originale Kühler blieb erhalten, sah genauso aus wie vor der Reparatur und funktionierte wieder wie am ersten Tag. Da die Stoffkabel wie durch ein Wunder rechtzeitig kamen, standen als Nächstes die Demontage aller Lampen und Schalter am Armaturenbrett sowie das behutsame Ausfädeln der noch vorhandenen Kabelfragmente an.

Mit viel Geduld und alten Handwerker-Tricks gelang es schlussendlich, sämtliche Kabel neu zu verlegen. Nachdem alles angeschlossen und die (originalgetreue) 6-Volt-Batterie an ihrem Platz unter dem Fahrerboden montiert war, testeten wir: alles finster! Also hieß es, Ruhe bewahren und geduldig Oxidationsschichten in den Steckern und an den Kontakten wegschleifen, alle Kontakte des Lichtschalters reinigen und siehe da: Das Licht leuchtete wieder! „Ob auch die Zündanlage aufgeweckt werden kann?” Zündung ein, starten und … natürlich kein Zündfunke! Es folgte also eine Bestellung in Übersee beim FordSpezialisten Mac’s Antique Auto Parts. Die Zündung traf nach nur fünf Werktagen ein, und es funkte wieder in den Zylindern. Nun mussten wir nur noch Benzin in den Vergaser laufen lassen und starten – aber halt! Der Vergaser lief über und überschwemmte den Rahmen und die Vorderachse; ein einziger Funke hätte genügt, um Albans Auto abbrennen zu lassen! Der Präsident der Berg-Stiftung fragte wieder nach, wie weit die Erweckung gediehen sei, und ich musste zugeben, dass wir noch immer nicht so weit waren, den Motor zu starten. Denn es stand uns die nächste Odyssee bevor: Welches Motoröl wurde vor 80 Jahren verwendet, und wer konnte es sofort in passender Spezifikation liefern? „Woswoinsfiaööö?”, und es folgt die stereotype Antwort: „Hammaned und gibtsned!” So kam wieder einmal König Zufall zu Hilfe: Ein langjähriger Freund und regelmäßiger Besucher unserer Werkstatt – Klaus T. – kam mit seiner Neuerwerbung, passenderweise einem Ford „T” aus 1921 angefahren und hatte natürlich die notwendigen Informationen für uns. Nach einer Spülung des Motors und einem Ölwechsel stand die „Neuerfindung“ des Vergasers auf dem Programm. Ein Hineindenken in das technische Verständnis von damals und das Nachvollziehen der vom Konstrukteur gezogenen Schlüsse brachte uns weiter: Der alte Vergaser konnte ebenfalls erhalten werden und war wieder dicht. Glaubten wir jedenfalls, denn beim Öffnen des Benzinhahns lief es trotz neuer Dichtungen aus allen Dichtflächen und Düsen, daher war an ein Starten des Motors

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Der Kühler des Ford wurde erhalten

Schnitt eines baugleichen Zenith-Vergasers

Zündverteiler und Kerzen

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Erste offizielle Vorführung

wieder nicht zu denken. Die Demontage des Inkontinenten war eine leichte Übung, das Zerlegen des Vergasers ebenso, das nochmalige Planschleifen der Gehäusehälften Routinearbeit, das Feinpolieren des Düsenstockes ein Klacks. Wir waren überzeugt, dass es keinen saubereren und perfekteren Vergaser eines Ford A im Universum geben kann und öffneten nach dem Einbau den Benzinhahn. Gießkannenartig sprudelte Benzin aus allen Teilen, obwohl wir zum zweiten Mal einen neuen Dichtungssatz verbaut hatten. Nochmaliges Prozedere wie vorher und Fehlersuche mit einem alten Mikroskop ergab keinen einzigen Makel an den Vergaserteilen. Als wir allerdings die beiden neuen Dichtungssätze genauer in Augenschein nahmen, wurde der Grund sofort deutlich, krumme Nadeldüsen, undichte neue Schwimmerventile und Gehäuse-„Dichtungen“ so porös wie ein Badeschwamm waren schlussendlich die Fehler, die wir uns selbst ins Auto eingebaut hatten. Wir reinigten die alten Düsen, pusteten das originale Schwimmerventil durch und bügelten die antike Dichtung. Einbau, Benzinhahn auf, dicht – was für ein Wunder. Wieder mit den nunmehr aufgearbeiteten Altteilen ausgerüstet sollte der Motor nach der extrem langen Standzeit wieder anspringen. Zündung ein, Benzinhahn des Motorrad-Tanks öffnen, Chokestellung des Vergasers einstellen und die Zündungsverstellung auf spät drehen, Startknopf drücken – tschunktschunktschunk – brummmmmmm – läuft wie einst im Sommer 1930! Und so fuhren wir eine halbe

Stunde später um die alten Semperit-Fabrikshallen, und alles war wunderbar. Eine Woche später fuhr das Auto problemlos durch die Hietzinger Trauttmansdorffgasse, wobei neben dem Fahrer ein weiterer Mitarbeiter als Maschinist für die Benzinversorgung zuständig war. Die Verantwortlichen der Stiftung waren begeistert und der Ford fuhr ein paar Runden um das Wohnhaus des Komponisten … Wieder zurück in der Werkstatt, ging das Warten weiter: Wo bleibt der Tank? Nach beharrlicher Urgenz wurde ein vollkommen unpassender Benzinbehälter geliefert, und so besann ich mich auf die Wasserkühlerreparatur, wusch den Behälter mit Säure, spülte das Gift aus dem Tank und lötete alle Löcher dicht. Nach bestandener Druckprobe versiegelten wir die korrosionsgefährdete Innenseite des alten Benzintanks und bauten das Auto endlich fertig zusammen.

Das Finale Georg Höfer – von der Stiftung beauftragter Spezialist für die museale Bewahrung von technischem Kulturgut – besuchte den Ford A in meiner Werkstatt, nicht ohne die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen, ob der prosaischen Vorgehensweise im Umgang mit einer derartigen automobilen Ikone. Er nahm sich mit Hilfe von zwei Kollegen des Autos an und reinigte das museale Stück mit wissenschaftlicher Akribie, verhalf den

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Start zu den Filmaufnahmen …

Nickeloberflächen zu ihrem ursprünglichen Glanz, verfestigte lose Lackpartien und vertrieb die Schimmelkulturen aus dem Reisekoffer am Heck des Autos. Ausgedehnte Probefahrten für die folgenden Filmaufnahmen machten unglaubliche Freude, das Auto fuhr absolut zuverlässig und machte seinem Ruf alle Ehre. Dank des großen Hubraums und der selbsterklärenden Bedienung ist die Begeisterung Alban Bergs für den Ford A auch heute noch nachvollziehbar: eine gut zu dosierende Kupplung, ein sauber schaltendes Getriebe, und auch die Lenkung ist besser als gedacht. Insgesamt ist der Ford A bequem und durchaus einfach zu fahren und – zumindest nach vorne – sehr übersichtlich. Lediglich das Bremsen erfordert sehr vorausschauendes Fahren, aber das wäre nur beim Fahren im modernen Straßenverkehr problematisch … Die Fahrten für den Film fanden auf ruhigen Nebenstraßen und an verkehrsfreien Orten statt und verliefen –

erwartungsgemäß – ohne jede Panne, auch die großen Scheinwerfer verströmten bei den Nachtaufnahmen vor dem Schloss Schönbrunn und dem technischen Museum das Flair der frühen 1930er. Das Auto erwies sich jedenfalls als ungleich pflegeleichter als die Filmdrohne und die anderen elektronischen Spielereien der Filmcrew … Nach den Filmfahrten hatte ich als letzte Aufgabe die Vorbereitung des Autos für die Präsentation im TMW: Gemeinsam mit Georg Höfer wurde die Extraktion aller Lebenssäfte und schließlich die Salbung aller blanken Stellen in Motor, Getriebe und Achsen mit einem speziell für die museale Aufbewahrung entwickelten Mittel vorgenommen und zuletzt entstand ein Stahlrahmen, auf dem das Auto nunmehr im Museum ruht. So endet die märchenhafte Geschichte der Wiedererweckung von Alban Bergs Ford A für mich als Alt-Auto-Mechaniker mit der erfreulichen Conclusio, ein Stück Automobilhistorie hautnah begleitet zu haben – und auch ein bisserl reifer geworden zu sein.

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Das Wundermittel Kolloidalgraphit In den Dreißigerjahren liefen die Motorleistungen von Kraftfahrzeugmotoren der damals verfügbaren Ölqualität sowie der Kapazität der Motorkühlung buchstäblich davon und so war es für einen Kraftfahrzeughalter unumgänglich, Ölzusätze dem Motorenöl beizumengen, wollte er nicht durch Überhitzung und unzureichende Schmierung verursachte Lagerschäden und „Kolbenreiber” riskieren. Eine Reise wäre für mehrere Tage unterbrochen worden und der Automobilist quasi am Ort des Motorschadens festgefroren. So half man sich mit sogenannten Kolloidalgraphiten: Der Fahrzeugbesitzer mengte ein allerfeinst gemahlenes Graphitpulver jeder Motorölfüllung bei. Die nun im Öl befindlichen Graphitpartikel lagerten sich bei laufendem Motor in alle Lagerstellen ein und ermöglichten bessere Notlaufeigenschaften bei Überhitzung und großer Belastung.

Ursprünglich wurden Kolloidalgraphite in der Luftfahrt verwendet, dort waren sie unverzichtbarer Ölzusatz für die dauerhaft hochbelasteten Flugmotoren. Die in der Kärntner Garage eingelagerten Kolloidalgraphit-Dosen belegen, dass Alban Berg ein um das Wohl seines Motors besorgter „Autler“ war. Er war wusste, dass seine ausgedehnten Touren durch die Berge die Technik des Ford sehr beanspruchen würden. Mit Erfolg: Über 70.000 Kilometer wurden mit dem Auto zurückgelegt, wobei der Motor bis heute ungeöffnet blieb.

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Museale Aufbereitung und Konservierung

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Die Konservierung Georg Kräutel-Höfer

Das vorläufig letzte Kapitel in der wandelnden „Karriere“ des Ford A der Familie Berg, die abschließende Konservierung, beschreibt der nun folgende Beitrag. Er ist als Kombination aus der Dokumentation der durchgeführten Maßnahmen und einer kurzen Objektanalyse, also der Interpretation der vorhandenen Zustände, Phänomene und Materialien, die am Fahrzeug zu finden sind, angelegt. Die Durchführung von konservierenden Maßnahmen an einem Fahrzeug vor dem Eingang in eine museale Sammlung unterscheidet sich grundlegend von Arbeiten, die Fahrzeuge während ihrer Nutzung erfahren. Ist bei der Wartung der Erhalt bzw. bei einer Reparatur die Wiederherstellung der Funktion erklärtes Ziel, gilt bei der Konservierung fürs Museum der Erhalt der Originalsubstanz als oberste Maxime. Was nicht heißen soll, dass ein voller Betriebszustand den Bearbeitenden nicht ebenso Respekt vor dem gewachsenen Zustand eines technischen Objekts abverlangen dürfte.

ligatorische Beschreibung und Kontextualisierung des Objekts in Wort und Bild wird aufgrund der vorhergehenden Beiträge nur auszugsweise angeführt. Um der geneigten Leserin, dem geneigten Leser, eine Idee der faszinierenden, oft detektivischen Freuden der Objektforschung zu ermöglichen, erlaube ich mir, einige Interpretationen zu Nutzung und Objektgeschichte anhand bestimmter Details des Fahrzeugs anzuführen.

Objektanalyse anhand ausgewählter Details Die beiden Positionsleuchten nehmen durch deren fast poetische Beschreibung als „Kugerl“ in einem Brief von Alban an Helene Berg eine besondere Bedeutung am Fahrzeug ein.1 Sie waren nicht ab Werk vorhanden, sondern wurden laut besagtem Brief am 15. September 1930 in Villach nachgerüstet. Eine weitere, materielle

Im Fall des Ford A von Alban Berg bedeutete das eine enge Zusammenarbeit mit Manfred Schmid während der „Wiedererweckung“, da ja zunächst der volle Betriebszustand wieder hergestellt werden sollte. Anschließend das Fahrzeug für das Museum so zu konservieren, um den zukünftigen Materialabbau möglichst zu verlangsamen, den vollen Betriebszustand aber theoretisch jederzeit wiederherstellen zu können, erforderte letztlich reversible Materialien und Methoden der musealen Konservierung/Restaurierung. Die konkreten Bedingungen für die Konservierung werden nun folgend im „Konzept der Erhaltung“ diskutiert, die tatsächlich durchgeführten Maßnahmen im Anschluss dokumentiert. Die vor einer Restaurierung ob-

Museale Aufbereitung ist mehr als nur behutsame Reinigung

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Vergleich des Vorzustands (oben) mit dem Zustand nach der Bearbeitung Erhaltung der authentischen Erscheinung nach Maßgaben der musealen Restaurierung

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Nachbildungen der Positionslampen komplettieren den ausgestellten Ford

Bedeutung haben sie durch ihr ungewöhnliches Zustandsbild der vormals glatten Oberfläche, wobei hier korrekterweise nur noch von einem vorhandenen „Kugerl“ die Rede sein kann, das zweite ist verloren. Diese stark abgebaute Kunststoffkugel vermittelt wie kaum ein anderes Teil des Fahrzeugs die Authentizität des fast 90 Jahre alten Autos. Aufgrund der Fragilität des thermoplastischen Werkstoffs2 wurden zwei Abgüsse hergestellt und diese statt des Originals am Fahrzeug angebracht. Der Koffer ist aufwändig mit beschichtetem Textil sowie lederbeschlagenen Kanten und Ecken verarbeitet und weist neben den vernickelten Messingbeschlägen eine Gummidichtung am Deckel sowie eine Textiltapezierung an der Innenseite auf. Er stammt aus der Werkstatt des ehemaligen k.u.k.-Hoflieferanten „Josef Nigst & Sohn“, wie die mehrfach angebrachten Plaketten (wieder) zu erkennen geben. Was beim Öffnen der Türen sofort auffällt, sind die angebrachten Schonbezüge, nicht nur auf der Sitzbank, sondern auch über den Seiten- und Türverkleidungen. Sie sind aus einfacher pflanzlicher Faser3 in Leinwand-

Plakette des Aufbaukoffers: Korrosionsprodukte entfernt, ohne die gealterte Oberfläche zu verletzen

bindung gewoben und passgenau auf die verdeckten Teile zugeschnitten. An den originalen Tür- und Seitenverkleidungen sind in etwa 20 cm großen Abständen vernickelte Messingdruckknöpfe mit ca. 5 cm langen Nadeln angebracht, die wohl ein schnelles Entfernen bzw. Anbringen der Schonbezüge ermöglichten. Aus gleichem Grund sind die Bezüge der Sitzbank einfach nur übergezogen. Zunächst deutet die Verwendung dieser Bezüge auf die Sparsamkeit bzw. Übervorsichtigkeit von Helene und Alban Berg hin, das neue Fahrzeug möglichst zu schonen und die Sitze nicht über Gebühr zu belasten, ist das Bedecken von Originaltextil mit „Zubehörbezügen“ doch heutzutage besonders an Seniorenfahrzeugen oder

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Entnahme einer Lackprobe an einer historischen Abplatzung im nicht sichtbaren Bereich

Unter dem Mikroskop offenbart der Querschliff den gewachsenen Lackaufbau

älteren „aufgearbeiteten“ Gebrauchtwagen zu finden. Setzt man die Bezüge allerdings in den Kontext anderer Sachzeugnisse und Dokumente der Familie Berg, wie die ebenfalls ausgestellten Schutzbrillen und Hauben, die Fotos des Paares in weißen Overalls und die zahlreichen

Fahrberichte und Briefe über die Ausfahrten auf Alpenpässen, zeigt sich ein leicht geändertes Bild. Diese Bezüge hatten einen völlig alltäglichen Nutzen, nämlich nach einem automobilistischen Abenteuer das Innere des Fahrzeugs möglichst schnell und einfach vom Staub der meist ungepflasterten Straßen zu befreien. Die von Hand aufgemalten Initialen von Alban und Helene Berg sind auf beiden Türen noch gut zu erkennen. Bei näherer Betrachtung entdeckt man spätestens an den hellen unregelmäßigen Rahmen um die Initialen die nachträgliche Überlackierung des gesamten Autos. Sowohl die blauen als auch die schwarzen Flächen wurden offensichtlich neu gefasst. Die Arbeit wurde vermutlich nicht von einem Lackierbetrieb durchgeführt, da sich die Qualität der Ausführung eher mäßig darstellt. Dennoch wurde ein Haftvermittler zwischen dem Originallack und der Neulackierung aufgebracht, wurden die goldenen Zierlinien zwischen blauem und schwarzem Lack (wieder) gezogen sowie die Initialen vor der Lackierung abgedeckt. Allem Anschein nach wurde bei der Neulackierung mit Bedacht vorgegangen, im Rahmen

160 der Möglichkeiten des damals beauftragten Betriebes. Nachdem es zu der Bearbeitung keinerlei Aufzeichnungen oder Dokumente gibt, ist der Zeitpunkt nur über die verwendeten Materialien zu bestimmen. Ein Löslichkeitstest und eine einfache nasschemische Analyse legen die Vermutung nahe, dass es sich um einen Alkydharzlack handelt, so dürfte der Zeitpunkt der Neufassung mit großer Sicherheit nach dem Zweiten Weltkrieg liegen.4 Die Mikroskopaufnahme des Querschliffs einer entnommenen blauen Lackprobe zeigt deutlich die helle Zwischenschicht und den vergleichsweise dünnen Auftrag der jüngeren Beschichtung. Die Neulackierung erzählt jedenfalls von einer anhaltenden Wertschätzung des Fahrzeugs und dem einstigen Willen, es wieder in altem Glanz erstrahlen lassen zu wollen, die darüber hinaus vorhandenen Nutzungsspuren zeugen vom Betrieb des Ford A durch Helene, lange über den Tod von Alban Berg hinaus.

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Konzept der Erhaltung Das Fahrzeug weist einen bemerkenswert authentischen Zustand auf. Einerseits durch die behutsame Wiederherstellung der Fahrbarkeit, andererseits durch die visuelle Gesamtheit, die der Ford A mit seinen gealterten Oberflächen ausstrahlt. Selbst die, zunächst irritierend wirkende, weil in schlechter Qualität erfolgte, Überlackierung zeugt einer nicht unwesentlichen Phase im „Leben“ des Fahrzeugs. Die konservatorischen Maßnahmen werden dementsprechend auf ein nötiges Minimum reduziert, um diese Authentizität in vollem Maße zu bewahren. Bei der Vorbereitung auf die letzte Nutzung des Fahrzeugs für die Dreharbeiten wird bevorzugt auf stabilisierende Maßnahmen gesetzt, um den vollständigen Substanzerhalt sicherzustellen.So werden zunächst fragile Bereiche des Fahrzeugs, etwa der Lack an den Kanten der Kotflügel oder der gebrochene Fuß eines Scheinwerfers gefestigt, um schon während der Reinigung Materialverlust auszuschließen. Die Oberflächen des Fahrzeugs werden von aufliegenden Stäuben befreit, da diese hygroskopisch und damit korrosionsfördernd wirken, außerdem kann nur so die vorgesehene, turnusmäßige Reinigung während des Ausstellungsbetriebs gefahrlos gewährleistet werden.

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Klebung des gebrochenen Scheinwerferfußes: 1) sichergestellte Bruchstücke 2) unvollständiger Originalfuß 3) stabilisierendes Aluplättchen

Ein Polieren der Lackoberflächen wäre dahingehend noch besser, jedoch von ästhetischer Seite kontraproduktiv. Der ohne Weiteres zu erreichende Glanzgrad würde unglaubwürdig zu Alter und Objektgeschichte, vor allem aber zum Zustand der restlichen, gealterten Materialien erscheinen. Die einheitliche Wirkung wäre verloren, das Fahrzeug würde optisch „auseinanderfallen“.

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Der Tragerahmen kann zum Rangieren mit einem Hubwagen unterfahren werden

Aber auch nicht sichtbare Bereiche wie der Rahmen, der Unterboden, das Innere des Koffers oder die Fahrgastzelle werden von ebensolchen Auflagerungen befreit. Im Koffer muss zusätzlich das Vorhandensein aktiver Schimmelsporen ausgeschlossen werden. Auch das Ausdünnen der Korrosionsprodukte an den unterschiedlichen metallischen Oberflächen ist sowohl aus konservatorischer Sicht („Rost fördert Rosten“) wie auch von ästhetischer Seite angebracht. So wird beispielsweise das Voranschreiten der Korrosion der vernickelten Messingdruckknöpfe der Türverkleidungen und des Verdecks verhindert oder die Lesbarkeit der Messingplaketten am Koffer wiederhergestellt. Nicht zuletzt wegen der soeben beendeten letzten Phase der Nutzung, befinden sich noch etliche Betriebsstoffe im Fahrzeug. Dazu zählen neben den eindeutigen „Problemstoffen“ Benzin und Kühlwasser auch sämtliche Öle und Schmierstoffe sowie der Elektrolyt der Batterie. Besonders die Öle in Ausgleichs- und Schaltgetriebe weisen üblicherweise durch lange Standzeit und Verschleiß erhöhten Säure- und Wassergehalt auf.5 Von dem kürzlich bei der Wiederherstellung der Funktion eingebrachten Öl wird darauf verzichtet, Proben als Referenz aufzubewahren. Alle Schmierstoffe werden durch

Medien ersetzt, die konservatorisch unbedenklich und reversibel sind, aber durch Notlaufeigenschaften den sogenannten „eingeschränkten Betriebszustand“ gewährleisten.6 So sollen die Substitute der Schmierstoffe ein gefahrloses Bewegen der Räder, des Ausgleich- und Schaltgetriebes sowie der Lenkung ermöglichen. Der Treibstoff wird aus feuerpolizeilichen Gründen vollständig entfernt, wobei die Rückstände ausreichend abzudampfen haben, bevor der Tank luftdicht verschlossen wird. Ebenso wird mit dem Wasser des Kühlsystems verfahren. Auch der vor der letzten Inbetriebnahme neu eingebaute Akkumulator wird wieder entfernt. Restauratorische Maßnahmen, wie Ergänzungen und Retuschen, werden nur an wenigen und für die vollständige Wirkung essenziellen Stellen durchgeführt. Dazu gehört die Reproduktion der beiden Positionsleuchten („Kugerl“) an den Kotflügeln, nach einem einzeln vorhandenen und vom Fahrzeug sichergestellten Original. Auch die Rekonstruktion der Kennzeichen nach Fotos und Dokumenten der Stiftung sowie die Retusche visuell störender Fehlstellen bzw. Kratzer im Lack werden die authentische Wirkung des Fahrzeuges vervollständigen. Sämtliche Ergänzungen werden mit Jahreszahl und den im Fachbereich üblichen Markierungen gekennzeichnet.7

162 Um das Fahrzeug möglichst gefahrlos und uneingeschränkt transportieren und vor Ort manipulieren zu können, wird ein Transportrahmen angefertigt, auf dem das Auto direkt mit beiden Achsen ruht. Er wird derart ausgeführt, dass alle vier Reifen unbelastet bleiben und das komplette Fahrzeug mit einem Stapler angehoben werden kann.

Durchgeführte Maßnahmen Entsprechend dem Konzept wurden zunächst fragile Bereiche des Lacks gefestigt. Dazu wurde unter abstehende Lackschollen ein für den Zweck „maßgeschneiderter“ Klebstoff eingebracht. Ein in aliphatischen Kohlenwasserstoffen gelöstes Isobutylmethacrylat8. Die Wahl dieses Klebesystems ergab sich einerseits aus der Löslichkeit des Lacks, der Klebstoff soll ja keinesfalls den Lack lösen, andererseits durch die benötigte hohe Klebekraft, bei gleichzeitiger Elastizität und der geforderten Reversibilität. Anschließend wurden die Schollen unter Verwendung eines Heizspatels thermoplastisch angelegt, um die ästhetische Störung zu minimieren. An der linken Seite vor der Fahrertür wurde die mechanische Funktion des gebrochenen Fußes des dort angebrachten Scheinwerfers mit einem Aluminiumplättchen und 2K-Methylmethacrylatklebstoff 9 wiederhergestellt. Die Verwendung des nur bedingt reversiblen Klebstoffs war durch die zu erwartende hohe mechanische Beanspruchung der Klebung während der geplanten letzten Nutzung gerechtfertigt. Ein Versagen selbiger hätte unweigerlich weiteren Schaden des Scheinwerfers oder des Lacks zur Folge gehabt. An der Sitzbank wurde eine gebrochene Stahlstrebe mit einem übergeschobenen Stück Kupferleitung mechanisch stabilisiert, wobei zur Vermeidung von Kontaktkorrosion OPE-Folie10 bestmöglich zwischengeschoben wurde. Auch hier war der Eingriff durch das Benutzen der Sitzbank während der Dreharbeiten unumgänglich. Die Reinigung erfolgte größtenteils trocken mit feinen Pinseln (Chinaborste, Ziegenhaar) unter Zuhilfenahme eines Staubsaugers, stellenweise wurde auch mit Feuchtigkeit und Microfasertuch bzw. Wattestäbchen und Testbenzin11 gereinigt. Bei den öligen Auflagerun-

Stabilisierende Maßnahme am Beispiel einer gebrochenen Strebe der Sitzbank

gen an den Achsen, Radhäusern und dem Rahmen kam ein Gemisch aus cyclischen und aliphatischen Kohlenwasserstoffen12 zum Einsatz, wobei anschließend mit Testbenzin nachgereinigt wurde. Die Textilien im Fahrgastraum wurden mit stark reduzierter Saugkraft abgesaugt oder, wo dies nicht zu rechtfertigen war, mit Latexschwämmchen13 gereinigt. Vor der Reinigung des Koffers wurden zur mikrobiellen Untersuchung zwei Proben mittels Lederberg-Stempel auf Nährböden übertragen.14 Die Proben zeigten nach siebentägiger Inkubationszeit bei ~25°C und ~45%rF nicht auffällig mehr koloniebildende Einheiten wie die ebenso gelagerten ungestempelten Kontrollproben. Somit kann ausgeschlossen werden, dass sich aktive Schimmelkulturen im Koffer befinden. Grünliche Korrosionsprodukte auf den vernickelten Messingdruckknöpfen an den Tür- und Seitenverkleidungen wurden mit Schweineborsten und Hartholzstäbchen soweit ausgedünnt, dass sich optisch die silberfarbene Wirkung wieder einstellte. Ebenso wurde an den Druckknöpfen des Verdecks vorgegangen, wobei sich dort ohne Vernickelung deutlich stärkere Korrosionsprodukte befanden. In beiden Fällen wurde vermieden, die stabile unterste Oxidschicht zu verletzen, welches zu frischem metallischen Glanz geführt

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Behutsame Reinigung der originalen Stoffbezüge und der vernickelten Messingknöpfe

beurteilt. Hier wurde nach dem Ausdünnen der Korrosionsprodukte eine Schicht härtendes Öl15 aufgebracht.

und somit dem Konzept widersprochen hätte. Auf ein Wachsen der Teile wurde zunächst verzichtet, da ein abermaliges Korrodieren in der Ausstellung nicht zu erwarten ist. Anders wurde die Situation an den korrodierten Stahloberflächen an Achsen, Rahmen und Kofferunterbau

Die im Konzept erwähnten Betriebsstoffe Kühlwasser und Benzin wurden vollständig abgelassen und mit Hilfe von warmer Luft, auch aus dem Vergaser, restlos entfernt. Ebenso wurden mit Wärme die Öle des Ausgleichgetriebes an der Hinterachse und des Schaltgetriebes verflüssigt und bestmöglich entfernt. Als konservierendes Medium wurde eine Mischung16 aus Weißöl, Vaseline und funktionellen Additiven eingebracht, welche für die nötigen Notlaufeigenschaften sorgen würde. Das Konservierungsfett musste zunächst auf 80°C erhitzt werden, um damit die Getriebegehäuse vollständig zu füllen, bei 50°C war das überschüssige Fett wieder abzulassen. Das Ergebnis ist nun das vollständige Bedecken aller metallischen Oberflächen bei gleichzeitiger Erfüllung reduzierter tribologischer Aufgaben. Das vorhandene Motoröl wurde betriebswarm abgelassen und durch ein unlegiertes Einbereichsöl ersetzt. An-

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Karosserieboden, Rahmen und Achsen: Wenig und rein oberflächige Korrosion, dafür eine Menge, teils ölige, Auflagerungen

schließend wurde der Motor mit entfernten Zündkerzen einige Male „gestartet“, um das Öl in alle Schmierbohrungen und Gleitlagerflächen zu bringen und Zylinderwände wie Kolben mit Öl zu benetzen. Danach wurde es wieder abgelassen. Als Ergänzungen sind zunächst die beiden rekonstruierten Kennzeichen zu nennen. Die Art der Ausführung ist auf mehreren Fotos und Urkunden dokumentiert, selbst auf einem Prospekt des Ford-Modells hat Alban Berg die Buchstaben- und Zahlenkombination des Kennzeichens „A 30.576“ notiert. Die Ausführung der Nummerntafeln konnte, bei vertretbarem Aufwand, leider nicht exakt denen aus dem Jahr 1930 nachempfunden werden. So konnten die Kennzeichen nur aus Aluminium nachgefertigt werden, haben etwas weniger runde Ecken und einen leicht geänderten Schriftsatz, was sich z. B. an der Größe und Position des Punktes bemerkbar macht. Die Unterschiede sind jedoch optisch kaum auszumachen. Weitere Ergänzungen stellen die Positionsleuchten an den Kotflügeln dar. Diese wurden nach dem ein-

zig am Fahrzeug verbliebenen Original aus Kunstharz nachgegossen. Zu dem Zweck wurde das Original mit Silikon abgeformt und anschließend zwei Abgüsse hergestellt. Farblich orientierte sich der erste Abguss an der grünlichen Erscheinung des stark abgebauten, opaken Originals. Da in einem Brief17 Alban Bergs an seine Frau Helene aber von einer roten Kugel die Rede war, wurde spekulativ entschieden, die zweite Kugel rötlich braun auszuführen, welche aber durch die Markierung18 „F.R.“ als „free reconstruction“ gekennzeichnet ist. Weiters wurden offensichtlich später hinzugefügte verzinkte Schrauben durch Retusche farblich wieder in den Hintergrund gerückt, sodass auch der eine oder andere zeitlich unpassende Kreuzschlitz nicht sofort ins Auge springt. In gleicher Art und Weise wurden Fehlstellen und Kratzer im dunklen Decklack, an denen bei Betrachtung des Fahrzeugs der Blick „hängen“ bleiben würde, leicht zurückgenommen – ebenso die durch das Abkleben der Initialen „AHB“ sichtbar gewordene helle Haftschicht zwischen Originallack und Neufassung in der schwarzen Leiste an den Türen.

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Bremstrommeln und Felgen waren besonders stark verschmutzt

Unterbodenwäsche im Kleinen: Das getränkte Wattestäbchen löst beim Abrollen Schmutz an und nimmt ihn im gleichen Arbeitsgang auf

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Zahlreiche Dokumente zum Auto sind erhalten geblieben, inkl. handschriftlicher Notizen

Spuren der Nutzung, wie etwa Kratzer im Bereich der Steighilfen des „Schwiegermuttersitzes“ oder der Türgriffe, wurden bewusst unverändert erhalten.

Vgl. H. Knaus, Briefwechsel Alban Berg – Helene Berg, S. 469. Ein frühes Cellulosederivat, vermutlich Celluloseacetat (CA). 3 Vermutlich Hanf oder Flachs. 4 Obwohl Alkydharzlacke schon ab den späten 1920ern zum Einsatz kamen, ist die Verbreitung bis in ländliche Handwerksbetriebe, mit dem Wissen um den Auftrag eines Haftvermittlers wohl eher in die 1960er Jahre zu legen. 5 Vgl. G. Kräutel-Höfer, Betriebsstoffe in historischen Fahrzeugen, in: M. Wetzenkircher, Gefahrstoffe in Museumsobjekten, S. 222. 6 Vgl. S. Seidl, Schmierstoffe in der Restaurierung von technischem Kulturgut, unveröffentl. Diplomarbeit FHTW Berlin, S. 134. 7 N.B. – newly built, C.S. – conservational stabilization, F.R. – free reconstruction, vgl. Fédération Internationale des Véhicules Anciens (FIVA), Charta von Turin, Anhang 1. 8 Plexigum PQ611 gelöst in Siedegrenzbenzin 100–140°C (10% w/w). 9 Pattex Stabilit Express. 10 Hostaphanfolie RN75. 1 2

Siedegrenzbenzin 100–140°C. Mobil Clean. 13 Wallmaster. 14 Holzstempel mit sterilem Samt, Petrischalen mit MalzextraktAgar als Nährmedium. 15 Owatrol Oil. 16 Spezial-Konservierungsfett D1188/1, Dr. Tillwich GmbH. 17 Vgl. Knaus wie Fußnote 1. 18 Vgl. FIVA wie Fußnote 7. 11 12

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Das Retuschieren als unerlässliche Methode der Restaurierung, auch bei technischem Kulturgut

Reduzierung der störenden hellen Ränder der Überlackierung um die originalen Initialen (links Vorzustand)

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Restaurierung von Technischem Kulturgut „Ich bin Restaurator.“ Viele haben nach dieser Aussage ein Bild vor Augen, in dem jemand meditativ im weißen Kittel, mit Lupenbrille und einer Farbpalette in Händen, großflächige vergilbte Ölgemälde retuschiert, währenddem klassische Musik im Hintergrund läuft. Der Berufsstand der Restauratorin/des Restaurators wird nur selten mit dem Erhalt von Schreibmaschinen, Hafenkränen, Computerspielkonsolen oder Fahrzeugen in Verbindung gebracht. Da die vielfältigen technischen Objekte der Kulturgeschichte rund um den Globus jedoch Einzug in museale Sammlungen gefunden haben, ist deren Erhalt nach den ICOM-Richtlinien1 Pflicht eines jeden Museums, eine entsprechend umfassend ausgebildete Fachkraft unerlässlich. Herausragende Objekte, die als mechanische Kunstwerke gesammelt wurden, wie astronomische Uhren oder barocke Automaten zur Unterhaltung des Adels, erfuhren ja schon lange eine entsprechend professionalisierte Konservierung, meist durch ursprünglich auf Metall spezialisierte Restauratoren oder Uhrmacher. Zu Beginn der 1980er Jahre entwickelte sich langsam ein Bewusstsein für die kulturhistorische Bedeutung der Sachzeugnisse, die der Massenproduktion entstammten und deren Nutzung durch die breite Schicht der Bevölkerung erfolgt war. „Die Kultur der Leute ist wichtiger als die der Herrscher und Dynastien“, forderte Hermann Glaser 1981.2 Waren schon davor historische Maschinen aus einem technischen Interesse gesammelt worden, rückte die ihnen innewohnende Bedeutung, die durch die jahrelange tägliche Arbeit an ihnen entstand, nach und nach ins Bewusstsein. So waren es auch meist pensionierte Ingenieure oder andere, den Maschinen verbundene Personen, die sich um deren Pflege bemühten, dabei manchmal etwas übereifrig mit dem Lackpinsel zu Werke gingen und sich der Maschine immer noch als einem Ding der Nützlichkeit, einem Gebrauchsgegenstand, näherten. „Die Pflege in der Kontinuität der Nutzung oder aber die komplette Renovierung waren unangefochtene Standards“,3 so Ruth Keller zur damaligen Praxis in technischen Museen und dem Ausgangspunkt für die akademische Ausbildung von RestauratorInnen

Von Bremsflüssigkeit erweichter und wieder erstarrter Bremsschlauch

mit dem Schwerpunkt „Technisches Kulturgut“ an der HTW-Berlin. Bei Fahrzeugen werden diese oft widersprüchlichen Ansätze – Erhalt der Funktion vs. Substanzerhalt – wesentlich öfter und emotionaler diskutiert. „Es heißt Fahrzeug und nicht Stehzeug“ und ähnliche Aussagen werden dann gerne getätigt und von „Artgerechter Haltung“ gesprochen. Der Punkt, um den es sich dabei eigentlich dreht, ist der Begriff der Musealisierung. Tritt ein Ding in eine museale Sammlung ein, erfährt es einen Schnitt in seinem Dasein. Es wird von einem Gebrauchsgegenstand zu einem Ding der Rezeption. Krystof Pomian benennt solche Dinge, bei deren Res-

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taurierung nicht die Maximierung des Nutzen, sondern der Bedeutung angestrebt wird, als Semiophor4 – also als Zeichenträger. Es geht bei der Musealisierung eines Fahrzeugs also um das Bewahren all seiner Bedeutungen, seiner lesbaren Zeichen und seiner materiellen Authentizität für die folgenden Generationen. So ist völlig klar, dass die Bewahrung der Vollständigkeit aller Teile und die behutsame Konservierung seiner gleichmäßig gealterten Oberflächen oberstes Ziel einer Restaurierung sein müssen. Dieses Ziel gilt es auch bei einer etwaigen Wiederherstellung der Funktion nicht aus den Augen zu verlieren, wobei klar sein muss, dass gewisse Kompromisse dabei unweigerlich eingegangen werden. Die Betriebssicherheit der elektrischen Anlage, der Bereifung, der Bremsen und nicht zuletzt des Treibstofftanks sind in jedem Fall zu gewährleisten, damit einhergehende Verluste von Originalsubstanz somit unvermeidbar. Die Diskussion um die Ziele und Folgen der Restaurierung sind vor einer Bearbeitung durch den Restaurator in Zusammenarbeit mit dem Besitzer und ggf. dem Museum in einem Konzept festzuhalten. Ein „voller Betriebszustand“ für museale Objekte ist dabei in der Regel nur selten zu rechtfertigen, meist wird ein sogenannter „eingeschränkter Betriebszustand“ angestrebt, bei dem nach der Bearbeitung gewisse Funktionen, wie z. B. die Rollfähigkeit oder eine mechanische Bremse, erhalten bleiben. Alles andere wird rein konservatorisch behandelt, um die Abbaumechanismen auf ein Minimum zu reduzieren. Die Maßnahmen werden dabei derart reversibel ausgeführt, dass theoretisch eine Wiederherstellung des vollen Betriebszustandes möglich wäre, gleiches gilt für alle eingebrachten und verwendeten Materialien. Im konkreten Fall des Berg’schen Ford A wurde dieser eingeschränkte Betriebszustand beim Eingang ins Museum hergestellt, die vor den Dreharbeiten erfolgte Wiederherstellung der Funktion wäre korrekterweise in die letzte Phase der Nutzung einzuordnen. Die dafür in Kauf genommenen Verluste erschienen im Vergleich zur Dokumentation der Funktion und die durch den Film und die abschließende Konservierung verdichteten Bedeutungen des Fahrzeugs als gerechtfertigt.

Abbauphänomen an einem Fahrzeugreifen

Abschließend darf noch bemerkt werden, dass sich Zustand und Nutzungsgeschichte eines Fahrzeugs, oder einer beliebigen Maschine, immer als einmalige Erscheinung darstellen, nie werden sich zwei idente finden lassen. Dementsprechend gibt es auch keine Standardprozeduren oder -konzepte. Jedes Ding, ob Auto, Kofferradio oder Waschmaschine, muss vor seiner Restaurierung in seiner soziokulturellen Bedeutung und seinem funktionellen Kontext durchdrungen und entsprechend des angestrebten Zustands Konzept und Maßnahmenplan entwickelt werden. Umso mehr wird deutlich, dass Pauschalaussagen wie „Ein Auto muss fahren“ genauso wenig auf eine reflektierte Auseinandersetzung mit Technischem Kulturgut schließen lassen wie Verurteilungen der Art „So was darf man doch nicht fahren“.

ICOM - The International Council of Museums, Code of Ethics for Museums. vgl. Artikel 2.18-2.26. 2 zitiert nach: A. Kierdorf und U. Hassler, Denkmale des Industriezeitalters, S. 152 3 R. Keller, Erhaltung von Sachzeugnissen der Industriekultur, in: VDR-Beiträge, Heft 1/2010, S. 86. 4 altgr. σημεῖον (sēmeĩon), „Zeichen“, und φορός (phorós), „tragend“. Vgl. K. Pomian, Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln. Berlin 1988, S. 50. 1

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Die Sonderausstellung im Technischen Museum Wien

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Auterl, Wagerl, liebster Freund Alban Berg und sein Ford A Kazuo Kandutsch

Das Technische Museum Wien präsentiert seit Ende Mai 2016 den Wagen (Ford A, Cabriolet, Baujahr 1930) des Komponisten Alban Berg und seiner Frau Helene als semipermanentes Ausstellungsmodul im Dauerausstellungsbereich zwischen der Abteilung „Musikinstrumente“ und „Mobilität“. Das Auto befindet sich weiter im Besitz der Alban Berg Stiftung und wird dem Museum als Leihgabe zur Verfügung gestellt.

Alban Berg schreibt oft und liebevoll über sein Auto: Mein Ford ist sehr brav. (August 1930) Der blaue Vogel ist brav, wie immer. Das ist mein liebster Freud, mein Wagerl. (September 1930) Mit seinen 40 PS bezwinge ich jede Bergstraße mit Leichtigkeit. (Oktober 1930) Seit ich ein Auto hab’, hab ich kein Asthma mehr. (Jänner 1931)

Was macht nun dieses Auto, das – im Gegensatz zu den meisten anderen Objekten der eigenen Sammlung des TMW aus der Frühzeit des Motorisierung – in sehr hohen Stückzahlen hergestellt wurde, für eine Ausstellung im Technischen Museum Wien interessant? Alban Bergs Auto ist ein Glücksfall, neben dem umfangreichen Autozubehör (von der Anlasskurbel bis zur damals modischen Autokappe) ist es gerade auch der umfangreiche schriftliche Nachlass des Komponisten, der Bergs Leidenschaft zu seinem Auto in all seinen Facetten dokumentiert. Alban Berg verbrachte viel Zeit mit der Recherche und Aneignung von Fachwissen zu Kraftfahrzeugen, wie viele Aufzeichnungen in Form von z. B. Notizbüchern belegen.

Gerade das vielschichtig Persönliche am und um das Auto von Alban Berg macht dieses Objekt für eine museale Präsentation besonders interessant und weckt bei den Museumsbesucherinnen und Museumsbesuchern an Hand der vielen kleinen Details, die es zu entdecken gibt, Neugier.

Das Fotografieren sowie das Anfertigen und Verschicken von Ansichtskarten mit Abbildungen des Ford A und seiner Besitzer Alban und Helene Berg zeigen deren Freude am Bewältigen der schwierigen Bergtouren einerseits und den Besitzerstolz beziehungsweise die Identifikation mit dem eigenen Auto. Das Posieren vor dem eigenen Wagen ist in den 1920er und 1930er Jahren ein vielstrapaziertes Bild, nicht nur in Fachzeitschriften, und lässt die Wertigkeit erkennen: Wer Geld und Zeit hat, leistet sich zu dieser Zeit den Luxus eines Automobils.

Von den Museums-Dingen In den meisten Museen ist es gängige Praxis, einer Öffentlichkeit Gegenstände zu zeigen, die je nach Ausrichtung des Museums historische Objekte, Alltagsobjekte, Kunstwerke oder wissenschaftliche Exponate sein können. Museale Exponate haben eine doppelte Funktion, sie sind Dokument und Reizobjekt: „Museumsdinge haben eine rationale und eine emotionale Seite: Sie speichern Wissen und berühren Sinne.“1 Zentraler Gegenstand der Ausstellung ist zweifelsfrei das Auto: der Ford A von Alban Berg. Daneben galt es, aus den umfangreichen Beständen der Alban Berg Stiftung weitere Objekte und schriftliche Dokumente auszuwählen, diese in eine schlüssige Erzählung einzubauen und mit den Mitteln der Inszenierung museal aufzubereiten. Daniel Tyradellis gibt über die Gefahr

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Entwurf: Peter Karlhuber, Kurator: Kazuo Kandutsch

174 des bloßen Anhäufens in seinem Buch „Müde Museen“ pointiert zu bedenken: „Eine bloße Ansammlung von Dingen ist das Gegenteil einer Ausstellung in unserem Sinne. Nur wenn sich aus der Kombination der Dinge im Raum ein Mehrwert ergibt, der über die Versammlung der einzelnen Dinge hinausgeht, handelt es sich um eine Ausstellung.“2

Inszenierung und Technik Die wesentliche Aufgabe in der Gestaltung einer Ausstellung ist das Schaffen von Erlebnisräumen, die eine Interaktion zwischen Objekten, Raum und Besucherinnen und Besuchern ermöglichen. Gestalterisch spannt Peter Karlhuber mit seinem Entwurf zur Ausstellung den Bogen zwischen Musik- und Automobilgeschichte: ein stilisierter Geigenkasten schützt und präsentiert den Protagonisten der Ausstellung, das Kleinod in der Schmuckschatulle: Alban Bergs Ford A. Das Zubehörfach des Geigenkastens beinhaltet eine Hörstation mit einem repräsentativen Querschnitt zu Alban Bergs musikalischem Œuvre. Der von der Alban Berg Stiftung in Auftrag gegebene Dokumentarfilm von Wolfgang Hackl und Axel Wolf soll einen kurzen Eindruck von Bergs Biographie geben und die einzigartige Geschichte des Autos und dessen Weg in das Technische Museum Wien widerspiegeln. Der Film wird auf einem Screen unterhalb des Haupttextes der Ausstellung gezeigt. Bewusst wurde auf umfangreiche Texttafeln verzichtet, um die Wirkung des Raumes, der Ausstellungsarchitektur und der Exponate im Ausstellungsbereich nicht zu beeinträchtigen. Stattdessen sind vertiefende Texte, Audio- und Videofiles über eine App abrufbar.

zip einzelner Kapitel, sondern versteht sich als Verband dreier gleichberechtigter Themenfelder. Das Publikum des Technischen Museums Wien ist heterogen, daher bedurfte es eines breiten Angebots auch auf der Textebene. Drei zentrale Erzählstränge bzw. Hauptkapitel beantworten Fragen, wie Wer war der Autobesitzer Alban Berg? Was ist „Wiener Schule“, die Gruppe um Arnold Schönberg? Was ist „Tonalität“, „Atonalität“ (Wozzeck), „Dodekaphonie“ (Lulu)? Was ist ein Ford A? 1 Musik – Der Komponist Alban Berg und sein Werk Biographisches, 12-Ton-Musik, Die Wiener Schule Vermittlung: räumlich im Bereich „Zubehörfach“ des Geigenkastens, der als Zuschauerraum eines Konzertsaals mit Blick auf die „Bühne“ mit dem Auto fungiert. Hörstation: Ziel ist es, das Publikum an das Werk von Alban Berg heranzuführen. Hierbei werden ausschließlich Hörproben aus den umfangreichen Beständen der Österreichischen Mediathek eingesetzt. • Violinkonzert (Ausschnitte) • Wozzeck (Ausschnitte) • Lyrische Suite für Streichquartett, 2. Satz: Andante amoroso, 4. Satz: Adagio appassionato • Kammerkonzert für Klavier, Violine und 13 Bläser • Vortrag von Theodor W. Adorno über Alban Berg 2 Technik

Erzählung

• Ford A, das Nachfolgemodell des Ford T • Die Ford Motor Company, Fordismus, technische Beschreibung

Das Format einer kulturgeschichtlichen Ausstellung verlangt in der Regel nach dem Angebot einer „Storyline“, welche die Besucherinnen und Besucher begleitet. Die Erzählung folgt nicht einem linearen, aufbauenden Prin-

Vermittlung: räumlich im Bereich vor bzw. neben dem Auto, bzw. hinter dem Geigenkasten am Fahrzeugheck mit Ausstellungsobjekten der Gattung „Originalzubehör“ (wie z. B. Anlasskurbel, Zündkerzen, Dose mit

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Projektbesprechung im Technisches Museum Wien: (v. l. n. r.) Peter Karlhuber (Planung), Maximilian Eiselsberg (Präsident Alban Berg Stiftung), Gabriele Zuna-Kratky (Direktorin TMW)

Kolloidalgraphit-Ölzusatz, auf einer „Werkbank“ ausgestelltem Ersatzrad und diversem Werkzeug). Außerdem kann man das Auto „zum Leben erwecken“, indem authentische Geräusche abgespielt werden können: Starten, laufender Motor bzw. Fahren, Schalten, Bremsen, Abstellen – Hupe – Klaxon. 3 Automobilität Automobilität in den späten 1920er und beginnenden 1930er Jahren: Freizeitkultur, das Genießen der gesteigerten Bewegungsfreiheit, die Selbstinszenierung, wie es durch „Posing“ vor dem Auto auf den von Alban und Helene Berg versandten Postkarten, das Anbringen des Monogramms „AHB“ auf beiden Fahrzeugtüren illustriert wird, sowie auch die Darstellung der allgemeinen,

rechtlichen Rahmenbedingungen der Automobilität: • 1930 Einführung der allgemeinen Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge in Österreich • Rechts- und Linksverkehr in Österreich • Zuschreibungen: Frauen/Männer am Steuer • Unfälle: Vom Scheitern (Beispiel Unfall mit Personen 1931 in Südtirol; Parkschaden Villach 1931) Vermittlung: räumlich im Bereich zwischen „Zubehörfach“ des Geigenkastens und des Korpus für den Wagen mit Ausstellungsobjekten. Bei der Titelfindung war Alban Berg höchstpersönlich beteiligt. Was lag näher, als die in der Korrespondenz des Komponisten verwendeten Kosenamen für sein Vehikel in den Ausstellungstitel aufzunehmen?

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Danksagung Auch sichtbar kleine Ausstellungsprojekte bedürfen des Einsatzes einer Vielzahl an Personen, die für eine reibungslose Umsetzung notwendig sind: Walter Szevera (Ausstellungsproduktion), Peter Karlhuber (Gestaltung), Ursula Emesz (Grafik), Aufbauteam und Werkstätten des TMW, Team Konservierung und Restaurierung des TMW, Axel Wolf (Projektleitung „Ford A“/Alban Berg Stiftung), Daniel Ender (wissenschaftliche Beratung/ Alban Berg Stiftung), Eberhard Zwölfer (wissenschaftliche Beratung).

Thomas Thiemeyer, Die Sprache der Dinge. Museumsobjekte zwischen Zeichen und Erscheinung. In: Leo von Stieglitz, Thomas Brune (Hg.). Hin und her – Dialoge in Museen zur Alltagskultur. Aktuelle Positionen zur Besucherpartizipation. Transcript Verlag: 2015. S. 46 2 Daniel Tyradellis, Müde Museen. Oder: Wie Ausstellungen unser Denken verändern könnten. edition Körber-Stiftung: 2014. S.161–162 1

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31

Der restituierte Fiat 522C der Rosa Glückselig.

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Historische Kennzeichen und Datenbank des TMW

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Die KFZ-Datenbanken des TMW Christian Klösch

Im Jahr 2008 restituierte das Technische Museum Wien einen Personenwagen der Type „Fiat 522 C“ an den in Buenos Aires lebenden Sohn der ehemals aus Wien stammenden Jüdin Rosa Glückselig. Die SA beschlagnahmte dieses Fahrzeug im März 1938 bei einer Hausdurchsuchung. Nachdem das Fahrzeug mit dem damaligen Kennzeichen „A10.887“ als Dienstwagen von der SA benutzt worden war, verkaufte sie es 1939 an die damalige „Gartenverwaltung Schönbrunn“, die den Fiat wiederum im Jahr 1950 dem Technischen Museum Wien schenkte. Der Oldtimer konnte 2008 von den Erben angekauft und rechtmäßig in die Sammlung des Museums aufgenommen werden. Die ehemalige Besitzerin, Rosa Glückselig, konnte nur identifiziert werden, weil es in der Zwischenkriegszeit von den Automobilklubs der Bundesländer regelmäßig publizierte Verzeichnisse der KraftfahrzeugbesitzerInnen gab. Dieses Quellenmaterial stellt heute für die Forschung einen wertvollen Bestand zur Frühgeschichte der Auto-Mobilität in Österreich dar. In ihnen finden sich nicht nur Angaben zum Kraftfahrzeug (Kennzeichen, Type und Marke), sondern auch zum Kraftfahrzeughalter, sei es eine natürliche Person (Vorname, Nachname, Adresse, Beruf) oder eine Firma. Der Druck von Kraftfahrzeugverzeichnissen setzte aber das Vorhandensein von Kraftfahrzeugkennzeichen voraus. In der Frühphase des Automobilismus gab es jedoch noch keine Nummerntafeln. Jeder und Jede, die es sich leisten konnte, konnte sich ein Fahrzeug zulegen und mit ihm fahren oder fahren lassen. Eingeschult wurden die FahrerInnen von den Mitarbeitern der Automobilfabriken – Führerscheine und Kennzeichentafeln gab es bis 1906 noch nicht.

Die Ausgabe von „Erkennungszeichen“ für Kraftfahrzeuge ab 1906 In den Jahren nach 1900 wuchs die Zahl der Kraftfahrzeuge an. Schon bald waren in Wien mehrere hundert Kraftfahrzeuge unterwegs, allerdings wusste man lange nicht die genaue Zahl, da sie nicht registriert werden mussten. Erst mit Beginn des Jahres 1906 wurden per Gesetz für den österreichischen Teil der k. u. k Monarchie weiße „Erkennungszeichen“ mit schwarzer Schrift für Kraftfahrzeuge eingeführt. Jedes Kronland bekam einen eigenen Buchstaben; die beiden Großstädte Wien und Prag bekamen als einzige sogar eigene Kennzeichenbuchstaben zugeteilt. Die Kennzeichen setzten sich aus dem Buchstaben des Kronlandes und einer Ziffer zusammen und wurden der Reihe nach von 1 bis zur Zahl 999 ausgeben, dann setzte man eine römische Ziffer davor und begann von Neuem wieder von 1 bis 999 zu zählen. Mit dem Kennzeichen wurde auch gleichzeitig die Führerscheinpflicht eingeführt. Eine Kommission, bestehend aus sechs Herren des Österreichischen Automobilklubs, nahm in Wien für die Fahrer aus Niederösterreich und Wien ab Jänner 1906 die praktische Fahrprüfung vor. Diese bestand zunächst aus einer Fahrt „in den wenig frequentierten Partien nächst des Praterspitzes, und daran schloss sich eine Tour durch die Straßen Wiens an.“ Bis zum 19. Jänner 1906 stellten sich an die „600 Herren“ dieser Prüfung, von ihnen bestanden nur zwei nicht und es gab „nicht die geringste Carambolage“, wie die „Neue Freie Presse“ in einem Artikel vermerkte. Im Jänner 1906 wurden für Wien und Niederösterreich insgesamt 737 Nummerntafeln, darunter 401 für Automobile und 336 für Motorräder ausgegeben. Im „festen Besitz“ waren 306 Automobile und 275 Motorräder, die

181

Kronland

Kennzeichen

Kronland

Kennzeichen

Kronland

Kennzeichen

A

Kärnten

F

Böhmen

O

Niederösterreich B

Steiermark

H

Mähren

P

Oberösterreich

C

Krain

J

Österr.-Schlesien

R

Salzburg

D

Küstenland

K6

Galizien

S

Tirol

E

Dalmatien

M

Bukowina

T

Vorarlberg

W

Prag

N

Wien

Tabelle1: Kraftfahrzeugkennzeichen der Kronländer der österreichischen Reichshälfte

restlichen Fahrzeuge (95 Automobile und 51 Motorräder) befanden sich im Besitz von Auto- und Motorradhändlern, die ihre in den Geschäftsräumen lagernden Fahrzeuge ebenfalls anmelden mussten. Insgeheim hatte man mit einer größeren Anzahl an Fahrzeugen gerechnet und war überrascht, dass die Schätzungen um etwa ein Drittel geringer waren als erwartet. Auch die Kraftfahrzeugsteuer wurde eingeführt: Pro Kennzeichen mussten 5 Kronen für ein Motorrad und 50 Kronen für eine Automobil pro Jahr bezahlt werden. Nach heutigem Wert entspricht dies einer jährlichen Steuer von ca. 30 Euro für Motorräder und 300 Euro für Automobile. Das gemischte System der Kennzeichnung aus Buchstaben, römischen und arabischen Ziffern wurde bis Ende der 1920er Jahre beibehalten – dann stieß es an seine Grenzen. Am 1. August 1930 gab man in Wien das Kennzeichen A XXVIII 447 für einen Steyr Lastwagen aus. Die Zahl der Fahrzeuge hatte sich so weit erhöht, dass die Nummerntafeln immer unübersichtlicher und auch größer wurden, deshalb stellte man ab August 1930 das System um. Die römischen Ziffern wurden weggelassen und stattdessen nur mehr Kennzeichen mit arabischen Nummern ausgegeben. Außerdem wechselte die Farbe des Kennzeichens: War vor 1930 das Kennzeichen weiß und die Schrift schwarz, wurde nun die Tafel schwarz und die Schrift weiß.

Victor Silberer’s Kraftfahrzeugverzeichnisse der 1910er und 1920er Jahre Der Besitz eines Kraftfahrzeugs war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch etwas Außergewöhnliches. Oft bedeutete ein Automobil, das auf der Straße gesichtet wurde, noch eine Sensation. Die Herren- und Damenfahrer waren Angehörige einer sozialen und ökonomischen Elite, die schon bald ihre eigene Club- und Festkultur entwickelte. Schon Ende der 1890er Jahre bildeten sich in den einzelnen Kronländern der Monarchie die ersten Autofahrerclubs, die sich schnell zu größeren Vereinigungen zusammenschlossen. Das Kraftfahrzeug wurde schon bald ein fixer Bestandteil im sozialen und gesellschaftlichen Leben der bürgerlichen und aristokratischen Eliten. Genauso wie man sich zu Pferderennen traf, kam man jetzt zu Autowettfahrten zusammen. Es gab sogar „Fuchsjagden“ mit dem Automobil: Ein Fahrzeug war der „Fuchs“, den die anderen TeilnehmerInnen der Jagd irgendwo aufspüren mussten. Es wurden auch Ballonverfolgungsfahrten mit dem Auto- oder dem Motorrad veranstaltet. Und irgendwann bürgerte es sich ein, sich anstatt mit der Kutsche nun mit dem Auto am traditionellen Blumenkorso im Prater zu beteiligen.

182 Zum „Club-Leben“ gehörten natürlich auch eigene Club-Zeitschriften und Jahrbücher. Der Journalist, Schriftsteller und Politiker Victor Silberer (1846–1924) war sowohl ein Pionier der Luftfahrt als auch des Automobilismus. Als Herausgeber des „Wiener Salonblattes“ und der „Allgemeinen Sport-Zeitung“ propagierte er den Automobilismus von seiner ersten Stunde an. Silberer führte in Österreich mit den Kraftfahrzeugverzeichnissen eine neue Publikationsform ein. Es war eine Art Adressverzeichnis der Kraftfahrzeugbesitzer, vergleichbar mit dem Wiener „Adressbuch Lehman“. Das erste publizierte Verzeichnis erschien als „Nummernliste der Automobile von Wien und Niederösterreich“ am 22. Dezember 1907 als Sonderbeilage. Es beinhaltet Angaben zu 1344 AutomobilbesitzerInnen Wiens und 83 AutomobilbesitzerInnen Niederösterreichs. Die Wiener Kennzeichen reichen darin von A 1 – A 999 und von A-I 1 – A-I 186. Neben Name und Adresse wurde teilweise noch der Beruf gelistet. Die Aufstellung gibt allerdings keine Auskunft, ob es sich um einen Personenwagen oder Lastwagen handelt. Auch fehlen die Motorräder und die verschiedenen Fahrzeugmarken. Die Liste gibt aber einen interessanten Einblick in die soziale Gliederung und regionale Verteilung der frühen AutomobileigentümerInnen, jedoch mit einer entscheidenden Einschränkung: Wer ein Automobil besaß, war noch lange nicht selbst Automobilist, da sich damals noch viele von einem Chauffeur fahren ließen. Dieser musste auch die Fähigkeit haben, das Automobil in Schuss zu halten und die häufig auftretenden Pannen selbst beheben zu können. Am 25. April 1908 – vier Monate nach der Veröffentlichung der ersten Liste – erschien in der „Allgemeinen Sportzeitung“ ein erster Nachtrag zur Nummernliste der Automobile von Wien und Niederösterreich. Der Nachtrag umfasst insgesamt 93 neu in Wien angemeldete Fahrzeuge mit den Kennzeichen von A-I 356 – A-I 448. In diesen drei Monaten hatte sich somit der Fahrzeugbestand in Wien um 7% erhöht! In Niederösterreich hingegen wurde in dieser Zeit kein neues Fahrzeug angemeldet. Es dauert bis zum Dezember 1913, bis Victor Silberer erneut ein Kraftfahrzeugverzeichnis, diesmal nicht als Sonderbeilage seiner Zeitschrift, son-

dern als eigenes Buch – unter dem Titel „Die Wiener Auto-Nummern 1914“ – herausgab. Im November 1914 folgte schließlich eine Neuauflage, die auch Niederösterreich umfasste. Im Vorwort zu dieser Ausgabe führte er aus, dass die Ausgabe von Dezember 1913 „sehr viele Unrichtigkeiten“ enthielt, da die „fortwährend zahlreichen Veränderungen, wie Besitz- oder Wohnungswechsel, der Behörde niemals gemeldet wurden.“ Erst im Laufe des Jahres 1914 haben die Behörden viele Berichtigungen vorgenommen. In Wien hätten in dieser Zeit auch „mehr als die Hälfte der Nummern bedeutende Veränderungen erfahren“, sodass eine vollständige Neuauflage erforderlich geworden sei. Offenbar hatten es die Kraftfahrzeugbesitzer und die Polizei nach der Einführung der Kraftfahrzeugkennzeichen mit der Registrierung nicht mehr so genau genommen und über die Jahre hatte man den Überblick verloren, welches Fahrzeug nun auf welche Person und an welcher Adresse gemeldet war. Im Oktober 1911 war bereits eine Aufforderung an alle Automobilbesitzer in Wien versendet worden, bei den Bezirksämtern die aktuellen Daten zu Fahrzeug und Person bekannt zu geben. Zweck war es damals, eine amtliche Zählung der Motorfahrzeuge vorzunehmen. Auf vielfachen Wunsch hatte Silberer nun auch die Autonummern Niederösterreichs hinzugefügt. In Wien war man im November 1914 nun mittlerweile mit einigen Nummernkreisen fertiggeworden und neben A 1 – A 999 und A-I 1 – A-I 999 war man mittlerweile schon bei der Nummer A-VII 182 gelandet. Unter Berücksichtigung von nicht vergebenen Nummern waren zu diesem Zeitpunkt etwa 5.800 Automobile in Wien gemeldet. Im Vergleich zu Ende 1907 hatte sich damit der Kraftfahrzeugbestand in diesen sieben Jahren mehr als vervierfacht. Auch in Niederösterreich hatte sich der Bestand signifikant erhöht, wenn auch von einem wesentlich geringerem Niveau aus. Die 1000-Fahrzeug-Grenze hatte man aber mittlerweile auch hier überschritten und lag nun bei rund 1050 Fahrzeugen. Im Vergleich zu 1907 bedeutete dies eine Verzwölffachung des Fahrzeugbestandes. Trotz dieser Steigerung gab es aber mit Zwettl immer noch einen Bezirk, in dem kein einziges Kraftfahrzeug gemeldet war.

183 Vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab es neben Wien und Niederösterreich nur noch in der Steiermark gedruckte KFZ-Verzeichnisse. In den Jahren 1910 bis 1913 gab der „Klub alpenländischer Automobilisten Graz“ ein Handbuch heraus, in welchem zunächst nur die Mitgliederliste des Klubs veröffentlicht wurde. Ab 1914 waren dann auch die Namen der übrigen KraftfahrzeugbesitzerInnen der Steiermark verzeichnet. Das Herzogtum umfasste damals auch noch die Untersteiermark, die ab 1918 Teil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen wurde. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde der Druck dieser Verzeichnisse eingestellt. Erst im Jahr 1923 erschien wieder ein KFZ-Verzeichnis, bei dem Wien wieder den Anfang machte. Der „Österreichische Touringklub“ übernahm nun die Herausgeberschaft und in Victor Silberers „Allgemeiner Sportzeitung“ erschienen bis 1927 in 72 Fortsetzungen Listen mit den Kraftfahrzeugneuzulassungen. Auch nach dem Tode Silberers im Jahr 1924 wurde die Veröffentlichung der Verzeichnisse weitergeführt. 1927 gab Edgar Steinkraus ein Nummernverzeichnis sämtlicher Wiener Automobile und Motorräder heraus. Dies war eine Besonderheit, da ein komplettes Verzeichnis aller in Wien zugelassenen Motorräder und deren BesitzerInnen niemals vorher und auch nicht in den Folgejahren veröffentlicht wurde! Von November 1929 bis Dezember 1932 veröffentlichte die Zeitschrift „Auto Wirtschaft“ zweimal im Monat alle in Wien neu zugelassenen Fahrzeuge. In der Ausgabe vom 1. September 1930 ist auch der Ford A des Komponisten Alban Berg mit dem Kennzeichen A 30576 verzeichnet. In den anderen noch erhaltenen Verzeichnissen ist dieses Auto allerdings nicht mehr zu finden. Das Verzeichnis von 1932 ist nur mehr fragmentarisch erhalten, in der Nationalbibliothek zwar im Katalog verzeichnet, aber seit 1952 verschollen … 1936 und 1937 erschien dann auch noch ein Nummernverzeichnis aller in Wien angemeldeten Kraftfahrzeuge, allerdings findet sich darin das Auto Alban Bergs nicht mehr, da es wohl nach seinem Tod im Jahr 1935 abgemeldet wurde. In den 1930er Jahren erhöhte sich der Bestand der Kraftfahrzeuge von 87.732 (1931) auf 119.585 (1937). Mit rund

28.000 Personenwagen waren 1937 jedoch nur ca. 9.000 mehr zugelassen als zu Beginn des Jahrzehnts. Dies war eine Folge der Wirtschaftskrise, die sich auch in der Anzahl der LKWs, die in diesem Zeitraum sogar von 14.170 auf 13.817 zurückging, bemerkbar machte. Nur die Zahl der Motorräder erhöhte sich von 37.649 auf 54.501 signifikant. Im Vergleich zu den westeuropäischen Staaten geriet Österreich bezüglich der Kraftfahrzeugmobilisierung ins Hintertreffen. Allein in Hamburg, einer Stadt mit damals rund 1,1 Millionen Einwohnern und somit nur etwa halb so groß wie Wien, waren 1938 mit 39.421 Personenwagen mehr Fahrzeuge gemeldet als in ganz Österreich. Das erklärt auch, warum in den meisten europäischen Ländern die Tradition der Veröffentlichung von Kraftfahrzeuglisten bereits in den 1920er Jahren aufgegeben wurde: Das Führen der Listen wurde einfach zu unübersichtlich und zu komplex, zumal mit Drucklegung ein Großteil der Angaben bereits veraltet war. Die Tradition der Kraftfahrzeugverzeichnisse wurde in den meisten europäischen Ländern vor dem Zweiten Weltkrieg aufgegeben. In Österreich hingegen wurden noch in den 1950er Jahren einzelne regionale Verzeichnisse von den Automobilklubs herausgegeben, das letzte Verzeichnis erschien 1977 für Vorarlberg.

Die KFZ-Verzeichnisse von damals im Internet von heute Die jahrzehntelange Veröffentlichung von Kraftfahrzeugverzeichnissen in Österreich ist ein Glücksfall für die Mobilitätsforschung von heute. Seit Mai 2013 sind zwei Datenbanken zum Kraftfahrzeugbesitz in Österreich vor 1938 und zum Raub der Kraftfahrzeuge in der NS-Zeit über die Website des TMW abrufbar. Die „Datenbank der historischen Kraftfahrzeuge“ enthält rund 79.000 Einträge von Kraftfahrzeugen, die in Österreich vor 1938 zugelassen waren. In der „NS-KFZ-Raub Datenbank“ sind derzeit ca. 5.000 Kraftfahrzeuge gelistet, die in der NSZeit in Österreich von der Gestapo oder Gliederungen der NSDAP beschlagnahmt und entzogen wurden. Die Digitalisierung der Daten erlaubt es, die sozio-ökonomischen Auswirkungen der Motorisierung der österreichischen Gesellschaft im Zeitraum von 1930–1955 erstmals quantitativ und qualitativ darzustellen. Die

184 Veröffentlichungen der beiden Datenbanken verfolgten unterschiedliche Zwecke: Die „NS-KFZ-Raub Datenbank“ dient nun auch öffentlichen und privaten Museen sowie Auktionshäusern und dem Oldtimerhandel zur Überprüfung der Provenienz von Kraftfahrzeugen. Somit erfüllt sie im Bereich des Handels mit historischen Kraftfahrzeugen dieselbe Funktion wie die Lostart-Datenbank (http://www.lostart.de) oder die Looted-Art (http://www. lootedart.com/) Datenbank im Bereich des Kunsthandels. Kontinuierlich soll die Datenbank durch Einträge von entzogenen Kraftfahrzeugen aus anderen Teilen des „Dritten Reiches“ ergänzt werden. Im Bereich der Provenienzforschung wurde nun erstmals der Themenkomplex des Entzugs und der Restitution von Kraftfahrzeugen während und nach der NS-Zeit untersucht. Seitdem die beiden Datenbanken online sind, haben über 17.000 Personen in den Datenbanken nach Fahrzeugen aus den 1930er Jahren gesucht. Dem Aufruf Mobilitätsgeschichten und Fotos an das Technische Museum zur Erweiterung der Datenbank zu schicken, folgten bereits viele. Bis jetzt haben über 135 Personen rund 500 Fotos eingeschickt und die Geschichten dazu erzählt. Durch diese von den UserInnen zur Verfügung gestellten Dokumente, Fotos und Erzählungen werden die beiden Datenbanken nun auch zu einer Plattform der Dokumentation der Mobilitätsgeschichte Österreichs in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Somit werden durch diese Zusammenarbeit private Quellen erschlossen, die sonst nicht der Forschung zugänglich wären, und wird die Öffentlichkeit in die Forschungs- und Sammlungstätigkeit des Museums eingebunden. Einige dieser Geschichten wollen wir im Folgenden präsentieren. Die Informationen, die dem Technischen Museum Wien zu Verfügung gestellt worden sind, sind sehr unterschiedlich. Neben historischen Aufnahmen zu einzelnen Fahrzeugen waren es auch unterschiedlichste Dokumente zur Kraftfahrzeuggeschichte. Die Bandbreite reicht dabei von Unterlagen und Fotos, die die alltägliche Arbeit in einer KFZ-Werkstätte in den 1930er Jahren dokumentieren, bis hin zur Fotodokumentation der Geschichte eines Fuhrwerksunternehmens von den 1920er bis in die 1950er Jahre. Ein anderer User stellte uns die illustrierte Automobilitätsgeschichte seiner Familie vom Kauf des ersten Autos in den 1900er Jahren bis in die 1970er Jah-

ren zu Verfügung. Aber auch über skurrile Funde wurden wir informiert: Die Wasserrettung vom Attersee machte uns auf ein am Seegrund liegendes Wrack eines Steyr 50 mit einer Kennzeichentafel aus der NS-Zeit aufmerksam. Und ein Mann aus Sachsen-Anhalt informierte uns über den Fund eines KFZ-Kennzeichens in einem Waldstück nahe der Zonengrenze in der ehemaligen DDR, das in der NS-Zeit in Linz ausgegeben worden war.

Der Steyr 50 von Sigmund Freud … In der Öffentlichkeit wurden die Datenbanken durch die von der Gestapo entzogenen Automobile von Sigmund Freud bekannt. Auf den Gründer der Psychoanalyse waren 1938 zwei Automobile zugelassen, die beide beschlagnahmt wurden. Ein Kurier-Artikel mit dem Titel „Der größte Autoraub der Geschichte“ informierte über den seit damals verschollenen Steyr 50 der Familie Freud. Als Reaktion auf diesen Artikel meldete sich die Tochter des ehemaligen Chauffeurs von Prof. Freud, die nicht nur ein Foto eines der Fahrzeuge, sondern auch die Beschlagnahmebestätigung der Gestapo vorweisen konnte. Dieses Dokument sowie die Fotos veröffentlichte der Kurier in einem weiteren Artikel. Zahlreiche nationale und internationale Medien berichteten hierauf über die Online-Datenbank. Sogar Zeitungen aus dem Emirat Katar und Thailand brachten Artikel über Sigmund Freuds Auto. Die Berichterstattung führte zu vielen Anfragen von Angehörigen von Vertriebenen, die mehr über das Schicksal ihrer Familie nach dem Anschluss wissen wollten und auch neue Hinweise oder Fotos von entzogenen Fahrzeugen zur Verfügung stellten.

… und jener der Mutter des Nobelpreisträgers Martin Karplus Im Frühjahr 2015 besuchte auch der Nobelpreisträger für Chemie des Jahres 2013 Professor Martin Karplus das Technische Museum Wien, um ein Steyr Baby zu besichtigen, da seine Mutter die gleiche Type vor dem „Anschluss“ in Wien gefahren war, bevor das Auto von der Gestapo beschlagnahmt wurde. In einem Aufsatz aus dem Jahr 2006 erinnerte sich Karplus an das Auto: „In the early 1930s, when owning an automobile was still

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Screenshot aus der KFZ-Datenbank

Martin Karplus vor dem Steyr Baby im Technischen Museum Wien

186 kostete beim Kauf 1927 9.400,- Schilling – nach heutigem Wert ca. 32.000 Euro. Ein Liter Benzin kostete damals etwas mehr als 2 Euro.

May Keller am Steuer eines Fiat, ihre Lebensgefährtin Smaragda (Alban Bergs Schwester) stehend – die Datenbank des TMW verrät den Eigentümer

relatively rare, we already had a small car, a ‚Steyr Baby’ one day when it was parked in front of our house, I scooted into the driver’s seat and pretended to drive. I inadvertently released the brake, and the car started approached a pit at the end of the street. Miraculously, I steered the car so it turned just before reaching the pit and stopped. I recall the slope of the hill as being steep and the pit as very deep. Forty-five years later on a visit to Vienna with my family, we went to see my childhood home, which had been appropriated by the Nazis during Second World War. I discovered that the ‚steep’ hill was a very gentle slope and the ‚pit’ a shallow ditch, so that the danger was more in my young mind than in reality.“

Die Lastwägen der Kongregation der Barmherzigen Schwestern Schwester Helene, Archivarin der Kongregation der Barmherzigen Schwestern von Wien Gumpendorf berichtete über die Geschichte der ersten beiden Lastkraftwägen – eines Steyr XII und eines Steyr 40 – der Kongregation: Der Steyr XII war vier Jahre lang bis 1931 in Betrieb und wurde dafür eingesetzt, landwirtschaftliche Produkte zwischen dem Betrieb in Laab am Walde und dem Mutterhaus zu transportieren. Der Steyr XII

Da von den Nonnen selbst niemand einen Führerschein besaß, stellten sie den ehemaligen Schlossergehilfen, Josef Schachner als Chauffeur ein, dem auch der Führerschein bezahlt wurde. Auch über den Preis des Fahrkurses führte die Kongregation genau Buch: 263 Schilling, nach heutigem Wert ca. 900 Euro, kostete die Ausbildung. Bis November 1931 legte der Steyr XII 166.000 km zurück, bevor er um 2000 Schilling (6800 Euro) weiterverkauft wurde. Schwester Helene fand in der Chronik des Mutterhauses folgenden Eintrag dazu: „Die vielen, weiten Transporte, welche das Mutterhausauto leisten muss, nützten dasselbe schon so aus, dass jeden Augenblick eine große Reparatur notwendig war. Zudem erwies es sich als zu klein, es konnten nur 800 kg geladen werden. Um allen Anforderungen entsprechen zu können, wie auch die Unsummen an Reparaturkosten zu ersparen, entschloss sich ehrwürdige Mutter ein neues, größeres Lastenauto anzuschaffen. Herr Ingenieur Lichtenberg von den Steyrer Werken brachte ein Auto zur Besichtigung. Dasselbe ist bedeutend größer, mit 1.500 kg Ladegewicht, fasst 16 bis 18 Personen, naturbraune Wagenverkleidung, Type 40 und mit 17 – 18 Liter Benzinverbrauch. Kaufpreis 13.200 Schilling“. Der Steyr 40, der nach heutiger Kaufkraft etwa 45.000 Euro kostete – tat für die Kongregation in den folgenden Jahren gute Dienste bis zum 23. Juni 1945. An diesem Tag wurde der LKW von russischen Soldaten beschlagnahmt und weggeführt. Eine Beschwerde bei der russischen Kommandantur blieb erfolglos, ebenso wie die Suche nach dem Wagen in den Straßen von Wien.

Der verschwundene Tatra 77a der Familie Segal Der Gutsbesitzer Dr. Arnold Segal lebte bis zu seiner Flucht vor den Nazis am 15. Mai 1938 in Wien 3, Reisnerstraße 27. Als Jude wurde er nach dem „Anschluss“ verfolgt. Es gelang ihm noch im Frühjahr 1938, nach Prag zu fliehen. Er musste seinen ganzen Besitz zurücklassen, der dann von den Nazis konfisziert wurde. In seiner Vermögensanmeldung gab er an, ein Kraftfahrzeug der

187 Marke „Tatra“ zu besitzen, das in Wien mit dem Kennzeichen „A784“ registriert war. Im Sommer 2015 meldete sich sein Urenkel Jérôme Segal beim Technischen Museum Wien, um mehr über das Auto herauszufinden, da er unter dem Titel „Die Reise, die mit einem Schrank begann” einen Film über seine Familiengeschichte vorbereitet. Mit Hilfe des Technischen Museum Tatra in Kopřivnice, das die Verkaufsbücher aller Tatra-Fahrzeuge besitzt, gelang es, genauere Informationen herauszufinden: So konnte festgestellt werden, dass sein Urgroßvater am 11. August 1936 eine Tatra 77a Limousine mit der Motornummer 201643 und der Fahrgestellnummer 33903 bestellt hatte. Bereits einen Monat später am 17. September 1936 wurde ihm das Auto, das damals rund 27.000 Schilling kostete – was einem heutigen Wert von 95.000 Euro entsprechen würde – in Wien übergeben. An dem Auto, das vom österr. Konstrukteur Hans Ledwinka konzipiert wurde und damals als Stromlinienlimousine berühmt war, konnte sich Arnold Segal nur kurze Zeit erfreuen. Bei der Flucht nach Prag musste er sein Auto zurücklassen. Ob es beschlagnahmt wurde oder er es noch verkaufen konnte, ist derzeit noch unbekannt. Fest steht jedoch, dass das Auto im Jahr 1942 im Eigentum des Werbegrafikers Fritz Bernhard war, der vor allem für seine Werbeplakate für österr. Wintersportorte in den 1930er Jahren berühmt wurde. Das „Reichsverkehrsblatt“ berichtet darüber, dass er seinen Kraftfahrzeugbrief lautend auf einen Tatra mit der Motornummer 201643 und der Fahrgestellnummer 33903 und mit dem Kennzeichen W20725 am 24. April 1942 verloren hatte. Kein Zufall kann es sein, dass er sein Atelier in der Naglergasse 2 hatte – genau dort wo auch Arnold Segal sein Büro bis 1938 hatte. Wie Fritz Bernhard in den Besitz des Wagens kam, ist unklar, es kann sein, dass er ihn von Arnold Segal legal übernommen hat, es kann aber auch sein, dass das Fahrzeug beschlagnahmt wurde und er es der SA oder der Gestapo abkaufte. Im Februar 2016 meldete sich erneut das Technischen Museum Tatra in Kopřivnice: In der Slowakei wurde eine weiteres „Lebenszeichen“ des Autos gefunden. Der Tatra 77a von Arnold Segal wurde in den letzten Kriegsmonaten von der Deutschen Wehrmacht (Kennzeichen WH-833617) und später von der slowakischen Armee (Kennzeichen V-2-177) als Dienstfahrzeug benutzt! In Italien, irgendwann kurz vor Kriegsende, verliert sich dann die Spur

Der begeisterte Automobilist Julius Lenhart

des Autos – vorerst. Viele Fragen bleiben noch offen und es bleibt spannend.

Das Auto des Olympiasiegers Julius Lenhart (1875–1962) Der Name von Ing. Julius Lenhart ist in Österreich weitgehend unbekannt. Zu Unrecht, denn immerhin ist er nach wie vor der erfolgreichste österreichische Turner bei olympischen Spielen und auch ein früher „Herrenfahrer“ im Wien der 1910er Jahre. 1903 ging der studierte Maschinenbauingenieur zur Fortbildung in die USA und bekam eine Anstellung in einer Maschinenfabrik in Philadelphia. Der begeisterte Turner schrieb sich in den deutschen Turnverein in Phila-

188 delphia ein, mit dem er 1904 an den Olympischen Spielen in St. Louis teilnahm. Im Turnen gewann er zweimal Gold (Mehrkampf-Einzel und -Mannschaft) sowie eine Silbermedaille (Neunkampf-Einzel). Jahrzehntelang zählten seine Medaillen, da er für einen amerikanischen Verein gestartet war, aber nicht für Österreich, sondern für die Vereinigten Staaten. Erst 1972 – zehn Jahre nach seinem Tod – wurden seine Medaillen dem österreichischen Medaillenspiegel hinzugezählt. Lenhart kehrte bereits 1906 nach Wien zurück. Seine in den USA erlangten beruflichen Fähigkeiten brachte er in das seit 1869 bestehende Unternehmen „Lenhart & Wögerbauer“, eine Riemenfabrik in Wien 6, Mariahilfer Straße 45, ein, das bis 2012 noch am selben Standort existierte. Julius Lenhart, so erinnert sich seine heute 90 Jährige Schwiegertochter Hedwig Lenhart, war schon sehr früh ein begeisterter Automobilist. Bereits 1915 waren auf ihn und seine Firma zwei Autos zugelassen, die mit den Kennzeichen A 128 und A-III 67 in Victor Silberers Buch „Die Autonummern von Wien und Niederösterreich“ verzeichnet sind. Frau Lenhart übermittelte uns eine Aufnahme aus den 1910er Jahren von einem dieser Fahrzeuge, auf dem Julius Lenhart am Fahrersitz zu sehen ist. Welches Fahrzeug Herr Lenhart gefahren hat, ist noch unbekannt.

Das Projekt „Datenbank zu den historischen Kraftfahrzeugverzeichnissen“ Die Online-Datenbanken haben sich als hervorragende Medien zur Verbreitung der wissenschaftlichen Ergebnisse herausgestellt. Daneben dienen sie als Hilfsmittel zur Sammlung und Erschließung neuer privater Quellen, die sonst nicht der wissenschaftlichen Forschung zugänglich wären. Insgesamt stellten in den letzten Jahren 135 Personen über 500 Fotografien und Dokumente zu Verfügung, die zusammen mit persönlichen Mobilitätsgeschichten in die Datenbanken aufgenommen wurden und sie so zu einer stetig wachsenden Online-Ausstellung zur österreichischen Mobilitätsgeschichte der Zwischenkriegszeit machen.

In der Datenbank zu den historischen Kraftfahrzeugverzeichnissen waren beim Projektstart 67.918 Kraftfahrzeuge verzeichnet. Das entsprach einem Erfassungsgrad von 76% bei Personen- und Lastwagen und von 41% bei den Motorrädern, die 1936/37 in Österreich zugelassenen waren. In den Jahren 2009–2013 konnten im Laufe des Projekts zwar der Großteil, aber bei Weitem nicht alle recherchierten Quellen digitalisiert werden. Auf Grund der Medienberichterstattung und in Folge eines öffentlichen Aufrufs haben sich jedoch zwei Freiwillige gemeldet, die in ihrer Freizeit nun am Projekt mitarbeiten und bei der Digitalisierung der historischen Kraftfahrzeugverzeichnisse mithelfen: Durch die Arbeit von Peter Johann Brunner und Ing. Peter Gaider ist die Datenbank nun um weitere 8.400 Tiroler und Vorarlberger Kraftfahrzeuge sowie 3.300 Kraftfahrzeuge aus den niederösterreichischen Bezirken Tulln, Korneuburg, Krems und Waidhofen an der Ypps erweitert worden. Die nun über 79.000 Datensätze decken 85% aller damals in Österreich gemeldeten Personen- und Lastkraftwagen und 53% der zugelassenen Motorräder ab, sodass der Erfassungsgrad sich insgesamt auf ca. 69% erhöht hat. Ohne die Arbeit der beiden Freiwilligen wäre es nicht möglich gewesen, das Projekt „Autos mit Vergangenheit“ fortzusetzen. Nachdem die Digitalisierung der Kraftfahrzeugverzeichnisse aus den späten 1930er Jahren abgeschlossen ist, kann jetzt mit Hilfe der Freiwilligen das Projekt auf die Digitalisierung von Kraftfahrzeugverzeichnissen aus den 1910er und 1920er Jahren ausgeweitet werden. Die neu digitalisierten Kraftfahrzeugverzeichnisse und erschlossenen Quellen werden kontinuierlich auf der Website des Technischen Museums Wien veröffentlicht. Das Projekt „Datenbank zu den historischen Kraftfahrzeugverzeichnissen“ ist somit auch ein Beispiel für den neuen Trend in der Forschung, Laien in der Erschließung und Erfassung von wissenschaftlichen Daten einzubinden, wodurch Forschung in vielen Fällen überhaupt erst ermöglicht wird.

189 Einen historischen Abriss der Entwicklung der Kraftfahrzeugverzeichnisse in Österreich findet man auf der von Oskar A. Wagner betreuten Website http://members.a1.net/oswag/wago01.html, 23.9.2016. 2 Neue Freie Presse, 19.1.1906, S. 2. 3 Neue Freie Presse, 19.1.1906, S. 2. 4 Bereits 1908 wurde die Steuer für Motorräder auf 10 Kronen verdoppelt und für Automobile auf 60 Kronen erhöht, dazu kam dann noch eine motorbezogene Abgabe von etwa 4–7 Kronen pro Pferdestärke. Allgemeine Automobilzeitung, 8.12.1907, S. 21. 5 https://www.oenb.at/docroot/inflationscockpit/waehrungsrechner.html, 11.10.2016. 6 Anm.: Ab 1925 wurden Kraftfahrzeugkennzeichen mit dem Buchstaben „K“ für die steirische Landeshauptstadt Graz ausgegeben. 7 Vgl. Sonderbeilage der Allgemeinen Sportzeitung von Victor Silberer, 22.12.1907, S.1–4. 8 Automobilismus 1. Nachtrag zur Nummernliste der Automobile von Wien und Niederösterreich in: Allgemeine Sportzeitung, 25.4.1908, S. 446. 9 Victor Silberer, Die Wiener Auto-Nummern 1914. Verzeichnis der Wiener Automobilbesitzer mit deren Adressen, nach den Erkennungsnummern geordnet, Wien 1915. 10 Victor Silberer, Die Autonummern von Wien und Niederösterreich 1915. Verzeichnis der Automobilbesitzer von Wien und Niederösterreich mit deren Adressen, nach Erkennungsnummern geordnet, Wien 1915, S. 5. 11 Allgemeine Automobilzeitung, 29.10.1911, S. 58. 12 Anm.: Eine genauere Analyse des Verzeichnisses kann erst nach der Digitalisierung der Einträge vorgenommen werden. 13 Victor Silberer, Die Autonummern von Wien und Niederösterreich 1915. Verzeichnis der Automobilbesitzer von Wien und Niederösterreich mit deren Adressen, nach Erkennungsnummern geordnet, Wien 1915, S. 133. 14 Handbuch des Klubs alpenländischer Automobilisten Graz. Graz, 1914. 15 Die Wiener Auto-Nummern – Ein Verzeichnis sämtlicher Wiener Automobile und Motorräder mit den Erkennungszeichen, Namen und Wohnung der Besitzer sowie der Wagenmarke, abgeschlossen im August 1927, Wien 1927. 16 Auto Wirtschaft, 10.10.1929, erscheint am 10. und 25. jeden Monats. Ab 1.1.1930: 1. und 15. jeden Monates. Ab Nr. 4. 25.11.1929–31.12.1932: Das Verzeichnis enthält die neuen Kraftwagen, die vom Verkehrsamt der Polizeidirektion Wien ausgegebenen wurden. 17 Die Wiener Auto-Nummern. Verzeichnis der in Wien angemeldeten Kraftfahrzeuge mit d. Erkennungszeichen, Adressen d. Besitzer u. Wagen-Marken, Wien 1932. 18 Wiener Autonummern-Verzeichnis nach den amtlichen, von der Wiener Polizei-Direktion zur Verfügung gestellten Unterlagen, Ausgabe 1936, Wien 1936 und Verzeichnis der Autonummern der Polizei-Direktion Wien, Ausgabe 1937. Abgeschlossen Ende März, Wien 1937. 19 Statistik der Kraftfahrzeuge in Österreich nach dem Stande vom 30. September 1937, Wien 1938. 20 Reichsverband der Automobilindustrie (Hg.), Tatsachen und Zahlen aus der Kraftverkehrswirtschaft 1938, Berlin 1939. 21 Vgl.: www.technischesmuseum.at/datenbanken-zu-kraftfahrzeugen-in-oesterreich-in-den-1930er-und-1940er-jahren. 1

Vgl.: http://historische-kfz-verzeichnisse.technischesmuseum. at/?page_id=2. 23 Vgl.: http://historische-kfz-verzeichnisse.technischesmuseum. at/?page_id=9. 24 Sieh auch: Christian Klösch, Inventarnummer 1938. Provenienzforschung am Technischen Museum Wien, Wien 2015, S. 76-95. 25 Vgl. dazu die Einträge in der KFZ-Datenbank zu den Wiener Fuhrwerksunternehmen Blessl und Ecker. 26 Vgl. dazu die Einträge in der KFZ-Datenbank zu den Fahrzeugen der Fam. Grösswang. 27 Kurier, 3.5.2013. 28 Kurier, 9.7.2013. Anm.: Die Dokumente sind auch in der NS-KFZRaub-Datenbank bei den Einträgen zu Sigmund Freud zu finden. 29 Martin Karplus, Spinach on the Ceiling. A theoretical Chemist’s Return to Biology. In: The Annual Review of Biophysics and Biomolecular Structure, 2006, S. 1–47, S. 2. 30 Anm.: Nach den Datensätzen mit Fotografien kann in der Datenbank mit dem Eintrag „Foto“ im Anmerkungsfeld gesucht werden. 31 „Citizen Science“ bezeichnet eine Methode durch die Forschung ausschließlich oder mit Unterstützung von AmateurInnen durchgeführt werden kann. Vgl.: http://www.citizen-science.at/. 22

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Die Alban Berg Stiftung Geschichte ALBAN BERG (1885–1935) war einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Einerseits bedingungslos der Moderne verpflichtet, andererseits unmittelbarem Gefühlsausdruck zugeneigt, schuf er mit seinen Opern Wozzeck und Lulu, seinem Violinkonzert, seiner Orchester- und Kammermusik sowie seinen Liedern zahlreiche Meisterwerke, die Eingang ins Opern- und Konzertrepertoire gefunden haben. DIE ALBAN BERG STIFTUNG wurde 1968 von Helene Berg (1885–1976) gegründet. Der Stiftungssitz beherbergt das original erhaltene Arbeitszimmer von Alban Berg. Die wichtigsten Stiftungszwecke sind die Förderung der Neuen Musik, die Unterstützung von begabten Studierenden der Musik und die Pflege des Andenkens an Alban Berg und seine Werke.

Forschung und Alban Berg Gesamtausgabe Als private Forschungsstätte hat die Alban Berg Stiftung die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Wiener Schule von Beginn an intensiv begleitet. Als eigenes zentrales Projekt entsteht seit 1985 die auf zwölf Bände angelegte Alban Berg Gesamtausgabe, für die sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Trauttmansdorffgasse sowie eine Reihe externer Editoren tätig sind. Bis zum Jahr 2020 wird die Gesamtausgabe fertiggestellt sein.

Foto aus 1924: Alban Berg mit Gemälde von Arnold Schönberg

Alban Berg in seinem Arbeitszimmer

192 Nach der Auflösung des ALBAN BERG QUARTETTS hat sich die Stiftung neben der Förderung ausgewählter Projekte wieder zur Patronin eines musikalischen Kollektivs gemacht und unterstützt seit 2016 das neu gegründete ALBAN BERG ENSEMBLE WIEN, das in seinem Kern aus den Musikern des Hugo Wolf Quartetts besteht und seit der Saison 2016/17 einen Zyklus im Brahms-Saal des Wiener Musikvereins bestreitet.

Das Alban Berg Denkmal vor der Wiener Staatsoper Angeregt vom Klang und Schriftbild der Partituren der Wiener Schule, schufen Wolf D. Prix von Coop Himmelb(l)au und Sophie Grell ein Denkmal für Alban Berg sowie Arnold Schönberg, Anton Webern und Hofoperndirektor Gustav Mahler. Arbeit an der Gesamtausgabe

Darüber hinaus hat die Stiftung in jüngster Zeit ihre Veranstaltungs- und Publikationstätigkeit, die in der Vergangenheit viel beachtete Ausstellungen und Kongresse hervorgebracht hat, wieder aufgenommen. Im März 2017 fand eine Tagung über Helene Berg statt. Es gibt internationale Konferenzen rund um Alban Berg, um die Auseinandersetzung mit diesem Meister der Wiener Schule und seinem Umfeld weiter aktiv anzuregen und mitzutragen.

Förderungen Gemäß ihrem Zweck unterstützt die Stiftung unter gezielter Einsetzung ihrer Mittel Musiker und Ensembles, die sich besonders der Aufführung der Werke von Berg und der Wiener Schule widmen, und sieht sich darüber hinaus der Förderung zeitgenössischer Musik verpflichtet. Unter diesem Zeichen stand bereits die Unterstützung des 1970 gegründeten ALBAN BERG QUARTETTS, dem Helene Berg selbst nach einer Aufführung der Lyrischen Suite in ihrer Wohnung die Erlaubnis gab, diesen Namen zu führen.

Seine drei raumgreifenden Schleifen stehen auf einem Sockel aus zwölf Stufen, die die zwölf Töne versinnbildlichen. Das Denkmal wurde von der Alban Berg Stiftung initiiert und aus ihren Mitteln finanziert. Es ist das erste und einzige Denkmal für die Wiener Schule in Wien. Als Material für das Denkmal mit einem Gesamtgewicht von mehr als 2,5 Tonnen wurde eine hochwertige, in der Autoindustrie bewährte Legierung verwendet. Der verschweißte, polierte und geschliffene Aluminiumhohlguss stammt von Becker Guss (Mödling).

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Das Alban Berg Ensemble Wien, 2017

Das Alban Berg Denkmal vor der Wiener Staatsoper

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Bildnachweis Vorwort

6: Alban Berg Stiftung

Noten, Zahlen und das Unerhörte 10: Alban Berg Stiftung 8 u. 12/13: Sebastian Postl

Biographie Alban Berg – Zeitleiste 1885–1935

B 1885: Alban Berg Stiftung B 1895: Alban Berg Stiftung B 1900: Österreichische Nationalbibliothek, F21 Berg 3 B 1902: Dagmar Schilling B 1907: Arnold Schönberg Center, PH 1184 B 1909: Österreichische Nationalbibliothek, F21 Berg 62 B 1910: Österreichische Nationalbibliothek, F21 Berg 135 B 1912: Alban Berg Stiftung B 1914: Österreichische Nationalbibliothek, F21 Berg 479/34 B 1915: Alban Berg Stiftung B 1918: Alban Berg Stiftung B 1924: Archiv Familie Scherchen, commons.m.wikimedia. org/wiki/file:SCHERCHEN.jpg B 1925: Alban Berg Stiftung B 1926: Universal Edition 8780 B 1927: Arnold Schönberg Center, PH 1578 B 1928: Österreichische Nationalbibliothek, F21 Berg 80/VII B 1929: Alban Berg Stiftung, Österreichische Nationalbibliothek, F21 Berg 25/I B 1931: Österreichische Nationalbibliothek, F21 Berg 479/34 B 1931: Alban Berg Stiftung B 1935: Alban Berg Stiftung G 1902: Österreichische Galerie Belvedere G 1904: George Eastman Museum, 1974:0056:0410 G 1906: commons.m.wikimedia.org/wiki/file: Sanfranciscoearthquake1906.jpg#mw-j T 1885: Mercedes-Benz Classic, Nr. 97941

T 1895: commons.m.wikimedia.org/wiki/file: X-ray_by_ Wilhelm_Röntgen_of_Albert_von_Kölliker's_hand__18960123-01.jpg T 1900: Technisches Museum Wien T 1908: Technisches Museum Wien T 1909: Technisches Museum Wien T 1910: Technisches Museum Wien T 1911: Technisches Museum Wien T 1914: Technisches Museum Wien T 1915: commons.m.wikimedia.org/wiki/file: Junkers_J_1_at_Döberitz_1915.jpg T 1918: Technisches Museum Wien T 1913: Ford Motor Company T 1921: commons.m.wikimedia.org/wiki/file: Einstein1921_by_F_Schmutzer_4.jpg#mv T 1922: Technisches Museum Wien T 1924: Historisches Archiv MAN Truck & Bus AG T 1926: NASA-ID GPN-2002-000132 T 1928: General Motors Austria GmbH T 1930: Technisches Museum Wien T 1935: Salzburger Landesarchiv, Sign.: SLA, NL Franz Wallack, Fotoalbum 1935/XIIa

Alban Berg und der Blaue Vogel Der „… Erfolg der ja in dem Luxus unseres Wagerls’ gipfelt …“ 24/25: Alban Berg Stiftung 26: Thomas Rossipaul 27: Alban Berg Stiftung 29 oben: Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, F21.Berg.3432/4 29 unten: Alban Berg Stiftung 30 u. 33: Alban Berg Stiftung 34: F21.Berg.2862 35: F21.Berg.432.26, 54'-55 36: F21.Berg.3304/3; F21.Berg.428/21 37: F21.Berg.2863 39: F21.Berg.432/26, 63'-64 40: Wienbibliothek, HIN-185710; HIN-185711 41: Alban Berg Stiftung 42: F21.Berg.432/26, 66'-67

195

43: Wienbibliothek, HIN-184061 46 u. 47: Alban Berg Stiftung 48: F21.Berg.1541/2 49: F21.Berg.480/528; ABS 50: F21.Berg.432/27, 63'-64 51: F21.Berg.469/1 52: F21.Berg.942/2; F21.Berg.480/194 53: Alban Berg Stiftung 54: F21.Berg.1590/16 56 u. 58: F21.Berg.1590/16 61: F21.Berg.3423 62: F21.Berg.705/2 63: F21.Berg.3353

Auto-Prospekte aus der Sammlung Berg

Sämtliche Prospekte: Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung F21.Berg.3048 66: F21.Berg.3155 67: Axel Wolf

Links oder rechts?

91: Salzburger Landesarchiv, Sign.: SLA, HS 592

Wer T sagt, muss auch A sagen

(jeweils im Uhrzeigersinn) 92/93: Norbert Kaiping 95: Mercedes-Benz Classic, Nr. U71961A 95: Udo Becker 96, 97 u. 98: Ford Motor Company 101: Thomas Rossipaul 102 u. 104: Axel Wolf, Thomas Rossipaul 106: Axel Wolf, RD Classics 108: Ford Motor Company 109: Thomas Rossipaul, Axel Wolf 111, 112, 113 u. 116: Ford Motor Company 114: Artikel „Die Brüsseler Automobil-Ausstellung“ Allgemeine Automobil-Zeitung, Nr. 24, 1927, S. 59, Technisches Museum Wien 115: Artikel „Das neue Ford-Modell „A“ in Wien“ Allgemeine Automobil-Zeitung, Nr. 3, 1929, S. 32, Technisches Museum Wien 117: Alban Berg Stiftung 118: Norbert Kaiping 119: Axel Wolf 120: Mario Engels 121: Andreas Henke, Axel Wolf 122: Mario Engels 123: RD Classics 124: Thomas Billicsich, Axel Wolf

125: Thomas Rossipaul, Uli Buchta 126 u. 127: Axel Wolf 128: Axel Wolf 129: Ford Motor Company, RD Classics 130 u. 131: Uli Buchta, Wolfgang Buchta 132: Thomas Rossipaul, Udo Becker, Ford Motor Company 133: Ueli Grenacher 134 bis 137: Ford Motor Company 138 u. 139: Axel Wolf

Das zweite Leben eines besonderen Autos

140/142: Thomas Rossipaul 143: Manfred Schmid 144: Konrad Dorner 147: Uli Buchta, Norbert Kaiping, Thomas Rossipaul 148: Axel Wolf 149, 150,151 u. 152: Thomas Rossipaul 153: Technisches Museum Wien

Museale Aufbereitung und Konservierung 154/155 u. 156: Thomas Rossipaul 157: Georg Kräutel-Höfer 158: Thomas Rossipaul, Georg Kräutel-Höfer 159: Thomas Rossipaul, Georg Kräutel-Höfer 160: Georg Kräutel-Höfer 161: Thomas Rossipaul 162: Georg Kräutel-Höfer 163, 164, 165: Thomas Rossipaul 166: Alban Berg Stiftung 167: Axel Wolf, Georg Kräutel-Höfer 169: Georg Kräutel-Höfer

Die Sonderausstellung im Technischen Museum Wien 170/171: Technisches Museum Wien 173: Peter Karlhuber 175: Thomas Rossipaul 176 u. 177: Technisches Museum Wien

Historische Kennzeichen und Datenbank des TMW 178/179 u. 185, 187: Technisches Museum Wien 186: Österreichische Nationalbibliothek

Die Alban Berg Stiftung

190: Alban Berg Stiftung 191: Arnold Schönberg Center, PH 8449 192 u. 193: Alban Berg Stiftung / Gerhard Flekatsch