Aktionsforschung: Forschungsstrategien, Forschungsfelder und Forschungspläne 3779905086

Dieser Band mit Beiträgen von Projektgruppen und jungen Sozialwissenschaftlern wendet sich primär an die Projektemacher,

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Aktionsforschung: Forschungsstrategien, Forschungsfelder und Forschungspläne
 3779905086

Table of contents :
I. Aktionsforschungsstrategien 9
Rainer Vagt:
Forschungspraxis und Forschungsobjekt 9
Fritz Haag:
Sozialforschung als Aktionsforschung 22
Fachbereich Sozialpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Berlin:
Überlegungen zur Handlungsforschung in der Sozialpädagogik 56
Jürgen Klüver / Helga Krüger:
Aktionsforschung und soziologische Theorien . . . . 76
Richard Pieper:
Aktionsforschung und Systemwissenschaften 100
II. Aktionsforschungsfeider 117
Hans-Heinrich Henke / Susanne Karstedt:
Institutionsberatung und Aktionsforschung 117
Johannes Wildt / Gerd Gehrmann / Jürgen Bruhn:
Aktionsforschung als hochschuldidaktische Forschungsstrategie 137
Wiltrud Schwärzel / Johannes Wildt:
Gruppendynamische Aktionsforschung in Arbeitsgruppen 160
Sabine Hering:
Randgruppenstrategien und Aktionsforschung . . . . 176
Gerhard Rehn / Lieselotte Pongratz:
Probleme der Zielfindung in einem Aktionsforschungsprojekt im Strafvollzug 189
III. Aktionsforsdiungspläne 205
Projekt Osdorfer Born, Hamburg:
Projektstudium im sozialwissenschaftlichen Bereich . . . 205
Margret Bülow / Heinz-Peter Fricke / Alfred Windisch:
Sozialisation von Gastarbeiterkindern 227Christa Cremer / Jos Gerwin / Henning Haft / Wolf
Klehm / Franz-Josef Krafeld / Ursula Lambrou / Wolfgang Ronge / Barbara Schaeffer:
Bericht über ein Aktionsforsdiungsprojekt zur politischen
Bildung an der Hauptschule 243
Hilke Peters / Irmgard Schleier:
Aktionsforsdiungsprojekt des Arbeitskreises für programmierte Instruktion in der Architekturlehre (APIA) . . . 253
Nachwort 275
Literaturverzeichnis 279

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Haag / Krüger Schwärzel/Wildt Aktionsforschung Fors chungs Strategien, Forschungsfelder und Forschungspläne

Juirenta Paperback

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Klaus Allerbeck / Leopold Rosenmayr: Aufstand der Jugend? Soziologische Daten und Theorien zu den Jugendrevolten Dieter Baacke: Jugend und Subkultur Eine Herausforderung an die Pädagogik der Erwachsenen Günther Bittner: Psychoanalyse und soziale Erziehung Grundlagen und Perspektiven psychoanalytischer Pädagogik Hermann Giesecke: Einführung in die Pädagogik Zur Aufklärung pädagogischer Probleme und Konflikte Hermann Giesecke u. a.: Politische Aktion u. politisches Lernen Fünf Antworten auf die neue Politisierung der Jugend Hermann Glaser: Kybernetikon Neue Modelle der Information und Kommunikation in Theorie und Praxis Helmut Kentier u.a.: Für eine Revision der Sexualpädagogik Ziele und Methoden einer nichtrepressiven Sexualerziehung Diethart Kerbs u. a.: Das Ende der Höflichkeit Für eine politisch begründete Revision der Anstandserziehung

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Manfred Liebel u. a.: Jugendwohnkollektive Berichte aus neun Kollektiven. Analysen, Strategien, Konzepte Klaus Mollenhauer: Erziehung und Emanzipation Theorie und Praxis einer emanzipatorischen Pädagogik C. Wolfgang Müller / Peter Nimmermann: Stadtplanung und Gemeinwesenarbeit Texte und Dokumente Paul H. Müssen: Einführung in die Entwicklungspsychologie Die wichtigsten Forschungsergebnisse der Kinderpsychologie Hedwig Ortmann: Arbeiterfamilie und sozialer Aufstieg Kritik einer bildungspolitischen Leitvorstellung Amelie Schmidt-Mummendey u. a.: Aggressives Verhalten Ein Überblick über neue psychologische Forschungsergebnisse Wilbur Schramm u. a.: Grundfragen der Kommunikationsforschung Eine Einführung Herbert Stubenrauch: Die Gesamtschule im Widerspruch des Systems Begründungen und Konzeptionen

F. Haag / H. Krüger W. Schwärzel / J. Wildt (Hg.)

Aktionsforschung Forschungsstrategien, Forschungsfelder und Forschungspläne

Juventa Verlag München

ISBN 3-7799-0508-6 1972 © Juventa Verlag München Printed in Germany Druckerei: Mühlberger, Augsburg

INHALT I. Aktionsforschungsstrategien

9

Rainer Vagt: Forschungspraxis und Forschungsobjekt

9

Fritz Haag: Sozialforschung als Aktionsforschung

22

Fachbereich Sozialpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Berlin: Überlegungen zur Handlungsforschung in der Sozialpädagogik

56

Jürgen Klüver / Helga Krüger: Aktionsforschung und soziologische Theorien

. . . .

76

Richard Pieper: Aktionsforschung und Systemwissenschaften

100

II. Aktionsforschungsfeider

117

Hans-Heinrich Henke / Susanne Karstedt: Institutionsberatung und Aktionsforschung

117

Johannes Wildt / Gerd Gehrmann / Jürgen Bruhn: Aktionsforschung als hochschuldidaktische Forschungsstrategie

137

Wiltrud Schwärzel / Johannes Wildt: Gruppendynamische Aktionsforschung in Arbeitsgruppen

160

Sabine Hering: Randgruppenstrategien und Aktionsforschung

176

.

.

.

.

Gerhard Rehn / Lieselotte Pongratz: Probleme der Zielfindung in einem Aktionsforschungsprojekt im Strafvollzug

189

III. Aktionsforsdiungspläne

205

Projekt Osdorfer Born, Hamburg: Projektstudium im sozialwissenschaftlichen Bereich .

.

Margret Bülow / Heinz-Peter Fricke / Alfred Windisch: Sozialisation von Gastarbeiterkindern

.

205 227

Christa Cremer / Jos Gerwin / Henning Haft / Wolf Klehm / Franz-Josef Krafeld / Ursula Lambrou / Wolfgang Ronge / Barbara Schaeffer: Bericht über ein Aktionsforsdiungsprojekt zur politischen Bildung an der Hauptschule

243

Hilke Peters / Irmgard Schleier: Aktionsforsdiungsprojekt des Arbeitskreises für programmierte Instruktion in der Architekturlehre (APIA) . . .

253

Nachwort

275

Literaturverzeichnis

279

Dieser Band mit Beiträgen von Projektgruppen und jungen Sozialwissenschaftlern wendet sich primär an die Projektemacher, die alltägliche Praxis über eine Neubestimmung wissenschaftlichen Arbeitens durch wissenschaftliche Praxis mit verändern wollen: Projekt- und Arbeitsgruppen an Hochschulen und Fachhochschulen, politische Aktionsgruppen, Planungsgruppen, therapeutische Gruppen, Wohngruppen usw. Die gesellschaftspolitischen Ziele bei der Entwicklung von Aktionsforsdiungsstrategien lassen sich auf die konkrete Erfahrung von Abhängigkeitsverhältnissen und die Auseinandersetzung mit Widersprüchen der spätkapitalistischen Gesellschaft festlegen. Daraus bestimmt sich als wissenschaftspolitisches Ziel, daß Wissenschaftler ihre eigene soziale Lage, d. h. ihre bildungspolitisch bedingte Eingebundenheit in die Widersprüche gegenwärtiger gesellschaftlicher Struktur, erfahren und über die Einschätzung der eigenen Interessen sich mit den Abhängigkeitsverhältnissen auseinandersetzen, die für sie selbst gelten. Die methodische Konsequenz daraus ist, daß Forschung als wissenschaftliche Praxis nicht mehr nur als technologischer Prozeß der Datengewinnung begriffen werden kann, sondern daß sie als offenes soziales System aufgebaut werden muß, in dem »Daten« lediglich medialen Charakter haben. Die Ziele dieses Sammelbandes, mit dem die Entwicklung von Aktionsforsdiungsstrategien vorangetrieben werden soll, sind die Neuthematisierung des Theorie-/Praxis- und des Theorie-/Empirie-Verhältnisses auf dem Hintergrund bisheriger Projekterfahrungen in Hamburg, Berlin und Münster. Es geht dabei vor allem um eine Zusammenstellung von Texten, Materialien und Hinweisen für die Arbeit an einer neuen Forschungsstrategie im sozialwissenschaftlichen Bereich, nicht um die Darstellung fertiger Konzepte. Insofern behält dieser Band Werkstattcharakter. 7

Wir haben diesen Band in drei Teile gegliedert: Im ersten Teil haben wir unter Aktionsforschungsstrategien Beiträge zusammengestellt, die sich generell mit gesellschaftspolitischen, wissenschaftspolitischen, wissenschaftstheoretischen und wissenschaftsmethodischen Problemen bei der Entwicklung von Aktionsforschungsstrategien beschäftigen. Im zweiten Teil werden Aktionsforschungsfelder analysiert, in denen gegenwärtig der Versuch gemacht wird, mit Aktionsforschungsstrategien zu arbeiten. Als Materialien sind kurzgefaßte Aktionsforschungspläne, die in der gegenwärtigen Diskussion entwickelt worden sind, im dritten Teil zusammengestellt. Fritz Haag/Helga Krüger Wildtrud Schwärzel/Johannes Wildt

I. Aktionsforschungsstrategien

Rainer Vagt Forschungspraxis und Forsdiungsobjekt Einige Thesen zu Defiziten soziologiegeschichtlicher Rekonstruktion

Wir haben den Akt der Entfremdung der praktischen menschlichen Tätigkeit, der empirischen Sozialf orschung, nach zwei Seiten hin betrachtet. 1) Das Verhältnis des Sozialwissenschaftlers zum Produkt der Forschung als fremdem und über ihn mächtigen Gegenstand ... 2) Das Verhältnis der Sozialwissenschaften zum Akt der Produktion innerhalb der Forschung. Dieses Verhältnis ist das Verhältnis des Forschers zu seiner eigenen Tätigkeit, ... sein persönliches Leben — denn was ist Leben anderes als Tätigkeit — als eine wider ihn selbst gewendete, von ihm unabhängige, ihm nicht gehörige Tätigkeit. Die Selbstentfremdung . . . Die entfremdete Sozialf orschung macht also: 3) das Gattungswesen des Menschen, sowohl die Natur als sein geistiges Gattungsvermögen, zu einem ihm fremden Wesen ... 4) Eine unmittelbare Konsequenz davon, daß der Mensch dem Produkt seiner Forschung, seiner Lebenstätigkeit, seinem Gattungswesen entfremdet ist, ist die Entfremdung des Menschen von dem Menschen. . . . Was von dem Verhältnis des Menschen zu seiner Forschung, zum Produkt seiner Arbeit und zu sich selbst, das gilt von dem Verhältnis des Menschen (des Forschers) zum anderen Menschen (seinem Forschungsobjekt), wie zu der Arbeit und dem Gegenstand der Arbeit des anderen Menschen. (Textvariante zu: Marx 1966, Bd. 2, S. 55 ff.) I.

Textvarianten zu bekannten und klassischen Texten selbst herzustellen (hier nach Friedrichs 1970, S. 281 f.) scheint ein sinnvoll didaktisches Spiel zu sein. Vergleicht man nun unsere Variante mit dem Marxschen Original, wird vielleicht deutlich: Will Aktionsforschung ganz allgemein »die Verhältnisse ändern«, so setzt das voraus, daß ganz be9

stimmte Verhältnisse oder Relationen auch verändert werden — die vom Wissenschaftler (Forscher) zum Forschungsprodukt, zur Forschungspraxis und zum Forschungsobjekt. Aus der Perspektive empirischer Sozialforschung sind dies Verhältnisse ihrer Praxis — Tätigkeit — Arbeit. Einer dialektisch-materialistischen Soziologie ist >Arbeit< ebenso zentrales Thema historischer Analyse, wie es einer empirischen Sozialforschung Objekt von Aussagen ist, in jedem Fall jedoch als »Arbeit des anderen Menschen«. Meine erste These gibt so die Definition der Situation: Soziologische oder sozialwissenschaftliche Aussagen, welcher wissenschaftstheoretischen Provenienz audi immer, über Praxis — Tätigkeit — Arbeit von Menschen konstituieren eine irreversible, asymmetrische Subjekt-Objekt-Beziehung zwischen dem Aussagenden und dem, über den etwas ausgesagt wird. Diese Situation wird in anderen Beiträgen zu diesem Band genauer analysiert und auf ihre Veränderbarkeit hin untersucht. Im Rahmen empirischer Forschungspraxis gilt sie als Problem methodologischer Legitimation und methodischer Finesse; sie bedeutet freilich für den im vielberufenen »Feld« oder im Labor Arbeitenden auch eine besondere Qualität subjektiven Erlebens. Ihm sind eine Reihe von Interview- oder Testsituationen erinnerbar, in denen die Disparitäten von Erwartung, Motivation, Kommunikationsmöglichkeit und Handlungsbereitschaft zwischen Forscher und >Objekt< so deutlich erlebt wurden (oft von beiden!), daß — setzt er den Abwehrmechanismus einer ironisch-pragmatischen Distanzierung einmal außer Kraft — die Formulierung »Entfremdung des Menschen von dem Menschen« nicht pathetischer Ausruf, sondern Ausdruck der Erfahrung in der eigenen Forschungspraxis ist. II. Die Verfahrensregeln der empirischen Sozialforschung (z. B. die verschiedenen Kanones zum Interviewerverhalten) normieren diese Erfahrung so, daß die Dissonanzen 10

der Untersuchungssituation die eigene Praxis, das Verhalten in dieser Situation, im nachhinein begründen und stabilisieren. Erfahrungen der eigenen Praxis und die ihrer Veränderbarkeit aber sind entscheidende Momente im Konzept von Aktionsforschung, im Selbstverständnis und in der Selbstverständigung der daran Arbeitenden. Selbstverständigung über Praxis (und wir verlassen damit unsere einleitende Situationsskizze) heißt zugleich auch ihre Historizität begreifen. Spekulieren >Aktionsforscher< nicht auf eine ahistorische Originalität, müssen sie ihr Interesse an Geschichte, z. B. an »Geschichte der Soziologie« (Klages 1969), auf die wir uns hier beschränken wollen1, neu bestimmen: als Notwendigkeit einer historischen Rekonstruktion sozialwissenschaftlicher Praxis! Wir verstehen solches Interesse nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel der Kommunikation über die eigene Praxis und über die von anderen; als den Versuch, diese als »ein geschichtliches Produkt... (zu sehen), (als) das Resultat der Tätigkeit einer ganzen Reihe von Generationen, deren jede auf den Schultern der vorhergehenden stand« (Marx, Engels 1957 ff., Bd. 3, S. 43). Wenden wir diesen allgemeinen Satz wieder auf die hier zur Diskussion stehende Wissenschaft, die Soziologie, an, so liegt die Frage nahe: Woraus bestand denn die Tätigkeit einer ganzen Reihe von Generationen von Soziologen? Nun wird nicht nur jeder, den wir solches fragen, verschieden antworten, vielmehr wird die Antwort auch das je eigene Interesse an Soziologiegeschichte zeigen. Mustern wir einmal die bisher vorliegenden Arbeiten zu unserer Frage, fällt jedoch ein Interesse auf, über das Konsensus zu bestehen scheint, es nicht zu haben: das Interesse an der Praxis empirischer Sozialforschung. Einem soziologiegeschichtlich orientierten Denken (und Gesellschaftstheorie ist dies qua Anspruch) zeigt sich die Tätigkeit früherer Soziologen vornehmlich als das Konsumieren und Produzieren von Büchern usw. (also: Lesen, Material zusammenstellen, Denken, Schreiben), gelegentlich unterbrochen durch Tagungen, Vereinssitzungen und politische Aktivität. 11

Zugegeben, dies Bild ist tendenziös; aber ich halte die Tendenz, die meine zweite These behauptet, für nachweisbar: Bei der historischen Rekonstruktion ihrer Entwicklung unterschlägt Soziologie die Analyse eines bestimmten Bereichs ihrer Tätigkeit oder Arbeit — ihre Praxis als empirische Sozialforschung. In diesem Sinne bezeichne ich soziologiegeschichtlich geleitetes Denken als defizitär. III. Natürlich läßt sich ein so einfach gezeichnetes Bild durch eine Reihe von Versuchen zur Geschichte der Sozialforschung relativieren (s. Lecyer/Oberschall 1968, Maus 1967, auch den noch immer lesenswerten Aufsatz von H. Zeisel »Zur Geschichte der Soziographie«, 1933, in: Jahoda, Lazarsfeld, Zeisel 1960). Angeregt von Paul F. Lazarsfeld, einem der wenigen empirisch arbeitenden Soziologen, für die die eigene Wissenschaftsgeschichte relevant bleibt (Lazarsfeld 1962), entstand an der Columbia Universität (USA) ein Projekt zur »history of social research«, in welchem deren Entwicklung in den einzelnen Ländern untersucht wird. Die einzige Arbeit über die Entstehung soziologischer Forschung in Deutschland stammt aus diesem Kreis (Oberschall 1965). So wichtig die Themen solcher Arbeiten — außer- und innerwissenschaftliche Interessen an empirischer Forschung, Schwierigkeiten ihrer Institutionalisierung, kumulativer Methodenzuwachs, Selektion von Forschungsthemen usw. — auch für das sind, was wir historische Rekonstruktion sozialwissenschaftlicher Praxis genannt haben, vernachlässigen sie doch oft eines der hier zu Anfang erwähnten >VerhältnisseForschungsobjektForschungsobjektKritik der empirischen Sozialforschung< an, so ist damit zumeist die Frage gemeint, welche außerwissenschaftliche Interessen sich sozialwissenschaftlicher Praxis und Information bedienen. Es ist, so kann man es vielleicht nennen, die Frage nach dem »Camelot-Syndrom«r3 empirischer Forschung, nach den Parametern also, die ihr durch die Zielbestimmung von Staat und gesellschaftlichen Gruppen vorgegeben werden. In fast unzulässiger Vereinfachung läßt sich nun für den Beginn empirischer Sozialforschung ein solches Syndrom in zwei Interessenkomplexen bestimmen4. Erstens kann man 13

— seit der Herausbildung der europäischen National- und Territorialstaaten — ein zunehmendes Interesse der Inhaber staatlicher Herrschaftspositionen beobachten, soziale Daten (Informationen über Steuer- und Militärpotential, Bevölkerungsentwicklung usw.) als Grundlage administrativer Lenkung zu erheben. Diesem fortschreitenden Ausbau einer Verwaltungsstatistik läuft parallel — und zum Teil die hier gesammelten Daten benutzend — die wissenschaftliche Entwicklung einer zusammenfassend so genannten »Moralstatistik«, deren Höhepunkt der Entwurf einer rein quantitativen Sozialwissenschaft (»physique sociale«) bei Qu&elet (1796—1874) bildet. Wichtiger für die Entstehung einer Sozialforschung im eigentlichen Sinne ist jedoch — zweitens — die im Verlauf einer zunehmenden Industrialisierung sich bei großen Teilen des Bürgertums herausbildende Irritation über die sozialen Folgen dieser Entwicklung, was sowohl ein starkes Informationsbedürfnis als auch verschiedene Reformbemühungen auslöst. Die hier einsetzenden (privaten und staatlichen) Untersuchungen haben zum Thema die Lebensverhältnisse einer einzigen Klasse, des Proletariats. Die große Zeit dieser frühen surveys ist in England die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, als von Royal Commissions, staatlichen Fabrikinspektoren und anderen Stellen ein reichhaltiges Material zusammengetragen wird, das eine Reihe von Sozialgesetzen zur Folge hat. Engels in »Die Lage der arbeitenden Klasse in England« (1845) und Marx im »Kapital« (vgl. das Literaturverzeichnis der MEW-Ausgabe) haben versucht, dieses Material innerhalb ihres theoretischen Bezugsrahmens auszuwerten. Auch in Frankreich entstehen zu dieser Zeit mehrere Arbeiten zur »Pauperismusforschung« (z. B. die verschiedenen Untersuchungen von Villerm^s um 1840); deutlicher freilich als in England zeigt sich in ihnen und ihren Interpretationen die enge Verbindung von philanthropischem Reformeifer und dem bürgerlichen Legitimationsbedürfnis gegenüber der bestehenden Ordnung. Ein Zeitgenosse (Vidal) schreibt dazu 1846: 14

»Die Pauperisten und die Philanthropen haben die Wirkungen des Elends sorgfältig analysiert und auf das genaueste beschrieben; dann haben sie den Reichen Almosen und Wohltätigkeit, den Armen Geduld, Ergebenheit, moralische Beschränkung und Sparsamkeit angeraten (Sparsamkeit für Leute, die nicht einmal das Notwendigste zum Leben verdienen)« (zit. nach Weiß 1959, S. 85).

In Frankreich wird dann auch zum ersten Male die folgenschwere Trennung von Sozialismus und empirischer Sozialforschung sichtbar5. Machten Sozialisten zur Zeit der Julimonarchie (1830—1848) noch mehrmals den — erfolglosen — Versuch, eine staatlich-offizielle Untersuchung (orientiert am englischen Vorbild der Royal Commissions) der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse zu erreichen, so entsteht nach 1848 bei fast allen sozialistischen Strömungen eine tiefe Abneigung gegenüber der Sozialforschung. Lecyer und Oberschall (1968, S. 47) fassen das in ihrer Übersicht so zusammen: »Die auf der Beobachtung von Fakten basierende Sozialforschung wurde mit einer gemäßigten und konservativen bürgerlichen Ideologie gleichgesetzt und daher von den verschiedenen sozialistischen Strömungen abgelehnt. Der offene Widerstand der Sozialisten gegen eine solche Forschung hielt sich bis in die Zeit von Dürkheim und seiner Schule« (Übers, d. Verf.).

Eine Ausnahme bildet der 1880 von der »Revue Socialiste« unternommene Versuch einer »Eriqu&te Ouvriere«, deren Fragebogen von Marx stammt; das Unternehmen scheitert, wohl nicht zuletzt am Desinteresse der Arbeiter selbst6. Abgesehen von einigen früheren Untersuchungen setzt in Deutschland, der notorisch »verspäteten Nation« (H. Plessner), eine sozialwissenschaftliche Erforschung des Pauperismus erst gut eine Generation später als in England und Frankreich ein, hier jedoch fast ohne staatliche Unterstützung und vor allem auch ohne — oder gegen — das Interesse der institutionalisierten Wissenschaft (s. die ausführliche Darstellung bei Oberschall 1965). Die hier entstehen15

den Arbeiten sind daher überwiegend die von Einzelpersonen (z.B. A. Levenstein7) oder privaten Vereinigungen, wie dem »Verein für Socialpolitik«, an dessen (teilweisem und zeitweiligem) Bemühen um empirische Forschung Max Weber entscheidenden Anteil hat. Nebenbei bemerkt: Diesen Bereich der Tätigkeiten des Vereins und Webers, also Reflexion über Sinn und Methode empirischer Forschung, ihre Praxis (und ihr Scheitern!), neu zu diskutieren, schiene mir mindestens ebenso lehrreich zu sein wie die immer neuen Variationen zu den Themen »Werturteilsstreit«, »Idealtypus« usw. Wir brechen unseren kursorischen Überblick hier ab. Eine historische Analyse des Camelot-Syndroms zu Beginn empirischer Sozialforschung würde eine Reihe von Themen näher erläutern müssen. Neben den Machtinteressen des Staates und gesellschaftlicher Gruppen, der Trennung von Sozialismus und Sozialforschung (die Geschichte ihres Verhältnisses steht ja noch aus), dem Widerstand der akademischen Wissenschaft gegenüber Empirie gehörte dazu vor allem dies: Die Entwicklung empirischer Sozialforschung (auch in den USA, vgl. Scheuch 1965) ist zum einen gekennzeichnet durch ein stetiges Interesse eines bürgerlichen Reformismus an ihr, durch eine oft mit inhaltlicher Schärfe und zunehmender methodischer Qualifikation vorgenommene Diagnose gesellschaftlicher Zustände — und zum anderen durch eine sich verbreitende Ablehnung gegenüber eigener sozialer Praxis des Forschers. Diese Ablehnung bedeutet zugleich den Verzicht, wissenschaftliche Kompetenz auch für die Initiierung, Durchsetzung und empirische Kontrolle von Veränderungen solcher Zustände zu erarbeiten. Es gab freilich — und auch dies hätte eine revidierte Soziologiegeschichte neu zu thematisieren — sehr früh die Idee einer anderen Art von Sozialforschung. Wir meinen hier das Modell einer »experimentellen sozialen Praxis«, die Verbindung von Entwürfen neuer Lebensformen mit den Standards wissenschaftlicher Forschung bei Charles Fourier, Robert Owen und anderen (Pages 1967, 16

S. 419 ff.). In diesen Vorstellungen — historisch vielleicht zu Recht von Marx als »utopischer Sozialismus« disqualifiziert8 — könnte Aktionsforschung Vorformen dessen finden, was sie neu zu kreieren meint: soziale Innovation, experimentelles Subsystem usw. Davon ausgehend könnte sie sich selbst als historisches Produkt verstehen, indem sie die Wirkungsgeschichte der angedeuteten Vorstellungen (einschließlich der verschiedenen Realisationsversuche) nachzeichnete, wie auch deren Neufindung bei J. L. Moreno und K. Lewin, ihre Abdrängung in den Bereich der Arbeit mit Probanden und Patienten (»therapeutic community«) und ihre Reformulierung heute. Als Zusammenfassung meine vierte These: Einer unter dem Aspekt der Aktionsforschung revidierten Soziologiegeschichte wird als ein zentrales Thema gestellt, die Inhalte, Ursachen und Folgen der »historischen Korrelation< zwischen der Entwicklung bestimmter Interessen an empirischer Sozialforschung einerseits und der Ausbildung bzw. Unterdrückung spezifischer Forschungspraxen andererseits zu klären. V. Die Bestimmung von Soziologie durch heteronome Interessen ist jedoch nur ein Leitmotiv gängiger Kritik, ein anderes hängt damit zusammen: ihr konservativen oder affirmativen Charakter zu bescheinigen. Wird das dann anhand der historischen Entwicklung dieser Wissenschaft erläutert, so bezieht sich solche Kritik — wir erinnern uns an die zweite These — üblicherweise auf soziologische Theorien und deren historische Funktion: gegebene Sozial Verhältnisse zu bewahren (Tjaden 1969). Unterschlägt ein soziologiegeschichtlich geleiteter Konservativismusvorwurf also die historische Praxis der Forschung — nicht: die Praxis der historischen Forschung9 —, so scheint die aus ihm abgeleitete Forderung nach Veränderung nur konsequent zu sein, wenn auch sie empirische Forschung ausläßt:

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»Die Soziologen aber, denen ihre affirmative Wissenschaft nicht paßt, sollten sich daran machen, sie im Hinblick auf das Problem der Entfaltung, Verfestigung und Überwindung gesellschaftlicher Formationen — darunter auch der gegenwärtigen — zu begreifen und zu entwerfen. Eine solche Überwindung der affirmativen Einseitigkeit der Soziologie aber fiele mit dem Vollzug ihrer theoretischen Grundlegung zusammen, der lange genug aussteht« (Tjaden 1969, S. 41) 1 0 .

Werden damit die Schwerpunkte der zu leistenden Arbeit gesetzt, tendiert — und einiges in der jüngsten (?) sozialwissenschaftlichen Diskussion innerhalb der Linken deutet darauf hin — die Forderung nach »theoretischer Grundlegung« (Kurzformel: Rekonstruktion der Kritik der politischen Ökonomie) dazu, sich von empirischer Forschung überhaupt oder zumindest zeitweise zu absentieren. Hier jedoch eine Alternative (sei's nur im Sinne zeitlicher Priorität) zu akzeptieren, fällt um so leichter, je geringer man den Status von Aussagen der >Forschungsobjekte< im Erkenntnisprozeß ansetzt und je weniger strategischen Wert man ihnen bei der Theoriekonstruktion zumißt. Polemisch formuliert: Gelten die Bedürfnisse und Interessen von Subjekten, deren Artikulation Sozialforschung ermöglichen soll, nur als Epiphänomene einer objektiv-ökonomischen Struktur, deren Theorie auch ohne sie zu konstruieren sei, so verbleibt empirischer Forschungspraxis kaum mehr als eine gründlich-liebevolle Ausmalung von Details. Nun ist hier jedoch nicht der Ort, die Diskussion über Probleme der Theoriekonstruktion zu führen (von welchem Ausgangspunkt diese Diskussion neu aufzunehmen wäre, soll unsere letzte These angeben), darum sei nur hinzugefügt: Die strategische Irrelevanz der Aussagen von Subjekten in wie auch immer konzipierter Forschungspraxis kennzeichnet nicht nur eine dialektisch-materialistische Orthodoxie, sondern ebenso die allgemeinen »Paradigmata« bürgerlicher Soziologie, die Handlungs- und Systemtheorien11. Die oben bezeichnete Alternative zwischen »theoretischer Grundlegung« und empirischer Forschung akzeptiert Aktionsforschung nicht; ihr gilt, daß »die Überwindung der 18

affirmativen Einseitigkeit der Soziologie« eben auch mit dem »Vollzug« sozialwissenschaftlicher Forschungspraxis zusammenfällt. In unserem Kontext hat das zwei Konsequenzen: Erstens bleibt der Vorwurf des affirmativen Charakters von Soziologie so lange defizitär, wie er sich allein auf Theorien oder Interpretationen bezieht, die historische Analyse der Forschungspraxis als den »Akt der Datenermittlung selbst« (Scheuch 1965, S. 7) oder als den »Akt der Produktion« (s. Textvariante) aber ausklammert. Zweitens — und als fünfte These: Revision von Soziologiegeschichte meint neben der historischen Rekonstruktion der Forschungspraxis selbst und der Darstellung ihrer je spezifischen Ausprägung in Abhängigkeit zu den sie begleitenden Interessen auch, die Beziehungen zwischen Theorie und empirischer Forschung neu zu diskutieren. VI. Damit haben wir uns, so scheint es, von unserem Anfangsthema, dem Verhältnis von Forscher und »Forschungsobjekts ein gutes Stück entfernt und sind nun beim traditionellen Theorie-Empirie-Problem gelandet. Eine nichtdefizitäre Soziologiegeschichte jedoch bezöge ihre historische Analyse der »soziologischen Tätigkeit oder Arbeit< ja nicht auf die Praxis der Forschung allein, sondern ebenso auf die »Praxis der Theorie« (Luhmann 1970, S. 253 ff.) und auf beider Verhältnis zueinander. Darüber sich zu verständigen könnte für die Aktionsforschung voraussetzen, eine ihr gemäße Definition von Theorie zu entwickeln — zusätzlich zu den bestehenden, wie: Theorien seien Aussagensysteme zur Generierung von empirisch überprüfbaren Tatsadienbehauptungen; oder: Theorien seien Sinn konstituierende Systeme zur Erfassung und Reduktion sozialer Komplexität usw.12. Für ein wissenschaftsgeschiditliches Programm — wir haben versucht, es hier zu skizzieren — ist ein anderer Weg vorzuschlagen: gegebene Theorien auf ihre »Praktikabilit ä t hin zu befragen. Bleibt unser vorrangiges Ziel die 19

Kommunikation über eigene Praxis und über die von anderen, wie es zu Anfang hieß, so muß sich audi die Verständigung über Theorien daran orientieren. Daher lautet meine sechste These: Für Aktionsforschung bedeutet theoretische Verständigung vor allem, die aus der jeweiligen Theorie ableitbaren Regeln zu rekonstruieren, nach denen sich die Situationen möglicher Forschungspraxis überhaupt erst hervorbringen oder generieren lassen13. Erst wenn wir die im Rahmen einer Theorie möglichen Untersuchungsoder Handlungssituationen kennen, können wir die Kommunikationschancen zwischen Wissenschaftler und »dem anderen Menschen« in einem theoretisch angeleiteten Forschungsprozeß bestimmen. Soll in diesem Prozeß sowohl »solidarisches Handeln< (»action«) als auch Forschung (»research«) realisiert werden, sind nichtaffirmative Handlungssituationen und Theorien zugleich zu entwerfen.

Anmerkungen 1 Einige Hinweise zum Problem der Forschungspraxis im Rahmen der Psychologiegeschichte finden sich in den Arbeiten von K. Holzkamp, s. z. B. Holzkamp 1972, S. 35 ff. 2 Man vergleiche, wie dieses Verhältnis heute z. B. beim Interview als »verbaler Interaktionsprozeß« beschrieben wird; s. Reschka 1971. 3 »Project Camelot« war der Name eines counter-insurgency-Forschungsprojekts der US-Regierung in Südamerika, das für die Diskussion über die Interessengebundenheit sozialwissenschaftlicher Forschung zu einer Art exemplarischem Fall wurde, s. dazu Horowitz 1967. 4 Literatur findet sich im Text unter Abschnitt III; s. zusätzlich: Weiß 1959, Scheuch 1965, Klages 1969. 5 In England dagegen bleiben bestimmte Verbindungen bestehen, z. B. durch B. und S. Webb. 6 Der Fragebogen, der übrigens nur sozialstatistische, aber keine Einstellungsfragen enthält, ist abgedruckt in: Marx / Engels 1957 ff., Bd. 19, S. 230 ff., und in: Weiß 1959. Hilde Weiß (ebd.) interpretiert den Fragebogen anhand seiner didaktisdi-agitatorisdien Qualitäten. — Nebenbei: »Desinteresse der Arbeiter« ist auch ein methodisches Problem, und ein in der Sozialforschung erfahrener englischer Zeitgenosse hätte Marx darauf hinweisen können, daß eine schriftliche Befragung kaum großen Erfolg bei den Arbeitern haben würde.

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7 Um wenigstens auf eine — sehr lesenswerte — Originalarbeit hinzuweisen, sei hier der Versuch einer Untersudiung von Einstellungen bei Industriearbeitern von dem wissenschaftlichen Autodidakten Levenstein genannt: Adolf Levenstein, Die Arbeiterfrage, München 1912. 8 Unser einschränkendes »vielleicht« soll hier nicht Marxens Geschichtsauffassung bekritteln, sondern an das problematische Verhältnis von Sozialismus und sozialem Experiment und sozialer Utopie< erinnern. 9 Symptomatisch im oben im Text gemeinten Sinne ist die Arbeit über Max Weber von W. Lefevre, die unter dem Titel »Zum historisdien Charakter und zur historisdien Funktion der Methode bürgerlicher Soziologie« ausführlich Webers Theorie, Politik und historische Forschung diskutiert, seine empirische Forschungspraxis aber nicht einmal erwähnt; s. Lef&vre 1971. 10 Hervorhebung von mir — gegen die Methoden der Sozialforsdiung hat Tjaden keine Einwände » — würden sie nur reflektiert gehandhabt« (ebd., S. 34). 11 Unter wissenschaftsdidaktischem Aspekt scheint mir der Unterschied marxistisch-leninistischer Schulungskurse< zu üblichen Proseminaren über Parsons so groß nicht zu sein. — Die »Paradigmata« (der Begriff wurde von Kuhn in die wissenschaftsgeschichtliche Diskussion eingeführt) der amerikanischen Soziologie versucht Friedrichs (1970) aufzuzeigen. 12 Solche Formeln können die Auseinandersetzung mit den dahinterstehenden Positionen natürlich nicht ersetzen; zum Verhältnis von Theorien und Aktionsforschung s. die Aufsätze von Klüver, Krüger und von Pieper in diesem Band. 13 Vgl. dazu Habermas' »Theorie der kommunikativen Kompetenz«, S. 102, in: Habermas/Luhmann 1971.

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Fritz Haag Sozialforsdiung als Aktionsforsdiung

1 Die Erfahrung gesellschaftlicher Widersprüche in der Hochschule »The current status of the social scientist is a comfortablet middle-class position with role requirements stressing verbal behavior« (Fairweather 1967, S. V).

Die zunehmende Mechanisierung und Automation der Produktionsverhältnisse verlangen eine erhöhte Mobilität und Disponibilität der Arbeitskräfte, d. h. eine verstärkte Entwicklung prozeßungebundener Eignungsmerkmale in der Qualifikationsstruktur, die auf verschiedene konkrete Arbeitsbereiche übertragbar sind: die Fähigkeit der schnellen Anpassung an neue Arbeitsgegebenheiten, die Fähigkeit zum kausalen, abstrahierenden und hypothetischen Denken, die Fähigkeit zur Wahrnehmung von Veränderungen in einem komplexen Signalsystem, die Fähigkeit zum Einfühlen in komplexe technische Zusammenhänge und die Fähigkeit zu einem gewissenhaften, zuverlässigen und selbständigen Arbeitsverhalten. Diese generellen Veränderungen in der Qualifikationsstruktur der Arbeitskraft in den Industrieländern und die besondere Situation der BRD mit dem Ende der wirtschaftlichen Rekonstruktionsphase in der Rezession der sechziger Jahre sowie mit der Notwendigkeit, den technologischen Rückstand zu anderen auf dem Weltmarkt führenden Industrieländern durch eine Intensivierung der Forschung aufzuholen, haben das politische Interesse an dem bis dahin wenig problematisierten Bildungssystem geweckt. »Das Bildungssystem bestimmt auf weite Sicht nicht nur den Stand der Forschung, sondern auch den der Qualifikationsstruktur der Arbeitskraft, d. h. die Realisierbarkeit von Forschungsund Entwicklungsergebnissen. Es mußte daher den neuen wirtschaftlichen Erfordernissen angepaßt werden; ein Prozeß, der

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als Rationalisierung und Effektivierung des Bildungswesens in den beginnenden technokratischen Reformen seinen Ausdruck fand« (Schöbel et al. 1972, S. 49 f.).

Das Interesse des nach immer wieder neuen Vermeidungsimperativen handelnden politischen »Krisenmanagements« des »politisch regulierten« Spätkapitalismus (Bergmann et al. 1969) ist hierbei in sich widersprüchlich. Unter dem Zwang zur Erhaltung der privaten Verfügungsmacht über Produktionsmittel haben die politisch regulierenden Investitionen und Interventionen der öffentlichen Hand im Bildungsbereich und für Wissenschaft und Forschung nur komplementäre bzw. subsidiäre Funktionen, insofern sie die infrastrukturellen Voraussetzungen für eine Expansion privatwirtschaftlicher Interessen schaffen. Dabei stellt sich ein Widerspruch sowohl auf gesamtwirtschaftlicher als audi auf einzelwirtschaftlicher Ebene her. Gesamtwirtschaftlich liegt ein Widerspruch in der notwendigen Veränderung und Verbesserung der Qualifikationsstruktur einerseits und dem Interesse an der Minimierung dieser unproduktiven Kosten andererseits. Einzelwirtschaftlich besteht ein Widerspruch zwischen der Notwendigkeit zur Erzielung von Profit durch technische Neuerungen einerseits und dem Zwang zu möglichst kurzfristigem Rückfluß des dafür eingesetzten Kapitals andererseits. Diese gesamtgesellschaftlichen Widersprüche im politischökonomischen System spätkapitalistischer Prägung produzieren im Hochschulbereich eine Vielzahl von Widersprüchen, die dort konkret erfahren werden können. 1.1 Widersprüche im Lehrbereich Die Widersprüche im Hochschulbereich, die sich insbesondere in der Lehre stellen, sind in Zusammenhang mit der Diskussion der Hochschulreformplanung und der Hochschuldidaktik schon relativ breit thematisiert worden (vgl. u. a. Hirsch 1971 und Hirsch und Leibfried 1971). Die Hauptwidersprüche, die dabei in den konkreten wissenschaftlichen Vermittlungsprozessen erfahren werden, 23

seien hier noch einmal kurz angerissen. Sie zeigen sich (1) in der Forderung nach komprimierten, berufsbezogenen Ausbildungsgängen und Qualifizierungsstufen bei frühzeitiger Berufsentscheidung gegenüber der Forderung nach höherer Mobilität und Disponibilität einer flexiblen beruflichen Anpassung an neue Arbeitsgegebenheiten, (2) in der Forderung nach Studienzeitverkürzung und Straffung der Ausbildungsgänge gegenüber der Forderung nach einem verbreiterten Grundwissen, (3) in der Forderung nach einer Trennung von forschungsorientierten und anwendungsorientierten Ausbildungsgängen gegenüber der Tatsache, daß ersteres nicht ohne entsprechende Praxis, das zweite nicht ohne entsprechende methodische Fähigkeiten zu realisieren ist, und (4) in der Forderung nach verstärktem Leistungsdruck gegenüber der Forderung nach erhöhter Selbständigkeit. 1.2 Widersprüche im Forschungsbereich Der Hauptwiderspruch, der sich im Hochschulbereich in der Forschung stellt, ist der Widerspruch zwischen der Notwendigkeit eines Forschungsgesamtplanes für den infrastrukturellen Ausbau der BRD gegenüber den von Partialinteressen ausgehenden Forschungsstrategien einer sich monopolisierenden Großindustrie mit der dabei zunehmenden Gefahr, »daß gesellschaftlich unproduktive Doppelarbeiten geleistet, sinnlose oder schädliche Entwicklungen vorangetrieben und anwendungsreife Ergebnisse aus Profitinteresse zurückgehalten werden, vor allem aber, daß gesellschaftlicher Nutzen eher als Nebenprodukt denn als Ziel des Forschungsprozesses erscheint« (Hirsch 1971, S.

236).

»Rund 40°/o der gesamten Wissenschaftsausgaben werden von der gewerblichen Wirtschaft aufgebracht. . . . Im Gegensatz zu den Mitteln der öffentlichen Verwaltung, die auch die Mittel für die akademische Lehre und Studienförderung einschließen, kommen diese Ausgaben ausschließlich der Forschung und Entwicklung zugute« (Bundesforschungsbericht III 1969). »Angesichts

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dieser Größen- und Machtverhältnisse erschiene jede staatliche Technologiepolitik von vornherein als illusorisch, die sich in einen ernsthaften Gegensatz zu den Investitions- und Expansionsplänen der Großindustrie stellte. Unter diesen Bedingungen hängt die »Effektivität« staatlicher Forschungsförderung viel eher davon ab, ob sie die Forschungs- und Entwicklungsstrategien der großen Konzerne wirksam ergänzt und unterstützt, gegebenenfalls auch Vorarbeiten auf profitversprechenden neuen Gebieten leistet. Es dürfte daher kaum übertrieben sein, den finanziellen Hauptteil der staatlichen Anstrengungen auf dem Gebiet der Wissenschafts- und Forschungpolitik als eine Verlängerung und Absicherung privatwirtschaftlicher Forschungsstrategien zu betrachten« (Hirsch 1971, S. 232 f.).

Ein weiterer Widerspruch, der hier diskutiert werden muß, liegt in der Gegenüberstellung von »reiner« und »angewandter« bzw. »technologischer« Forschung. »The academic belief system often emphasizes >pure< rather than >applied< research; hence >pure< research is defined as >basic< and is therefore assumed to have far more importance than >applied or dependent variables, and one or more independent variables« (Hyman 1966, S. 66).

Obgleich survey research von seinem Ursprung her demographisch-soziographische Daten, Meinungs- bzw. Einstellungsdaten wie auch Verhaltensdaten (im Sinne »äußerer« Verhaltensabläufe) einbezogen hat, konzentrieren sich survey-Untersuchungen gegenwärtig fast ausschließlich auf Einstellungsanalysen (vgl. dazu insbesondere Kapitel 5 in 36

Krech et al. 1962, S. 137—179 über »The Nature and Measurement of Attitudes«). Dieses vorrangige Interesse am »verbal behavior« wird auch in den methodologischen Arbeiten zum survey research deutlich, obgleich daraus keine eindeutig verbindliche Definition des »survey« herauslesbar ist (vgl. Moser 1958; Hyman 1966; Kerlinger 1967; Phillips 1968; Dean et al. 1969); in der Praxis der empirischen Sozialforschung ist dieses einseitige Interesse dagegen ganz eindeutig ablesbar (vgl. Dubin 1962; Tausky und Piedmont 1968; Hartmann 1970). Einstellungen haben nach Krech et al. (1962) eine aus kognitiven Elementen (Wissen, Wertvorstellungen), emotionalen Qualitäten und Handlungstendenzen zusammengesetzte und interdependente, systemartige Struktur. »Einstellungen . . . sind hypothetische Variable, mittels deren wir aus den beobachtbaren Stellungnahmen eines Individuums auf dessen meist als relativ dauerhaft betrachtete Dispositionen zurückschließen« (Hofstätter 1963, S. 165; vgl. auch Ehrlich 1969).

Neben besonderen Skalierungsverfahren (Thurstone scale, Likert scale, Guttman scale usw.) und speziellen Techniken (projective technique, error-choice technique, semantic differential usw.) sind hauptsächlich Fragebogen- und Interview-Techniken die wichtigsten Instrumente bei der Messung von Einstellungen (vgl. Krech et al. 1962). Obgleich gerade in dieser Forschungsstrategie sehr viel methodische und mathematisch-statistische Entwicklungsarbeit geleistet worden ist, hat hier angesichts der auftretenden großen Schwierigkeiten doch ein Prozeß der Ernüchterung eingesetzt. Diese Schwierigkeiten beziehen sich neben semantischen Problemen und den Problemen der mehrdimensionalen Skalierung vor allem 1. auf die situationsspezifischen Effekte bei der Einstellungsmessung (den eindrucksvollsten Katalog dieser Schwierigkeiten geben hier Webb et al. 1966; vgl. audi Pfeil und Friedrichs 1967) und 2. auf das Ausmaß der Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit von Einstellungen und tatsächlichem Verhalten. »Wenn man sich an

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die Ergebnisse der Forschung selbst hält, erweist sich der Vorwurf, aus Haltungen lasse sich wenig über Verhalten ableiten, als besonders beunruhigend« (Hartmann 1970, S. 59; vgl. auch Guilford 1970; Ehrlich 1969; Linn 1965).

3 Probleme bei der Entwicklung einer neuen Forschungsstrategie: Aktionsforschung (action research) Sozialwissenschaftler, die die gesellschaftlichen Widersprüche in ihrer Forschungspraxis erfahren, sich diese Widersprüche bewußt machen und sie durch das Interesse an einer eigenen Repräsentanz in gesellschaftlicher Praxis entfalten wollen, kommen bei dem Versuch, eine diesem Interesse adäquate, neue Forschungsstrategie zu entwickeln, in vielfältige Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten lassen sich als gesellschafts- und wissenschaftspolitische Probleme, als wissenschaftstheoretische, als forschungsstrategische, methodologische und methodische Probleme festmachen. Es wird viel forschungspraktische Entwicklungsarbeit notwendig sein, um diese Probleme zu lösen, aber sie sollen hier benannt werden. In der gegenwärtigen Situation der Forschungspraxis führt die einseitige Vorliebe für survey-Studien, in denen Einstellungsanalysen einen zentralen Stellenwert haben, während demgegenüber gleichzeitig demographisch-soziographische Forschungen relativ vernachlässigt und aus dem akademischen Bereich in den Bereich der amtlichen und nichtamtlichen Statistik gedrängt werden, zu der zunehmenden Gefahr eines Eskapismus ins Methodische. Dies gilt insbesondere für die Psychologie, aber eingeschränkt auch für die Sozialpsychologie und als Gefahr für die Soziologie, wobei diese Reihenfolge aus der zunehmenden »Nähe« der Forschungspraxis zur Analyse gesellschaftlicher Probleme zu erklären ist. In dieser für die hier ausgebrachten Interessen unbefriedigenden forschungspraktischen Situation muß zunächst zur Orientierung ein Fluchtpunkt für die Entwicklung einer neuen Forschungsstrategie im sozialwissenschaftlichen Be38

reich gefunden werden. Historisch interessant wäre es sicherlich, diesen Fluchtpunkt für die Entwicklung einer wissenschaftlich-experimentellen gesellschaftlichen Praxis bei den »utopischen Sozialisten« des frühen 19. Jahrhunderts — bei Saint-Simon, Babeuf, Blanc, Cabet, bei Owen und Weitling, insbesondere aber bei Fourier (vgl. Pages 1967; Klages 1969) — festzumachen; naheliegender ist es jedoch, diesen Fluchtpunkt bei den im Vergleich zu den frühen wissenschaftlichen Standards und Interventionstechniken der utopischen Sozialisten weiterführenden forschungsstrategischen und methodologischen Überlegungen Kurt Lewins (1953; 1963) anzusetzen. Lewin, auf den die Bezeichnung dieser zu entwickelnden Forschungsstrategie als »action research« zurückgeht, formuliert 1946 in einem Aufsatz über »Tat-Forschung und Minderheitenprobleme«: »Die für die soziale Praxis erforderliche Forschung läßt sich am besten als eine Forschung im Dienste sozialer Unternehmungen oder sozialer Technik kennzeichnen. Sie ist eine Art Tat-Forschung (»action research«), eine vergleichende Erforschung der Bedingungen und Wirkungen verschiedener Formen des sozialen Handelns und eine zu sozialem Handeln führende Forschung. Eine Forschung, die nichts anderes als Bücher hervorbringt, genügt nicht« (Lewin 1953, S. 280).

3.1 Gesellschafts- und wissenschaftspolitische Probleme Lewin kommt im Rahmen der Sozialpsychologie von einem humanistischen Anspruch her zu Konsequenzen für wissenschaftlich-gesellschaftliche Praxis und setzt hier bei der »Verbesserung von Intergruppenbeziehungen« an. »Ein Versuch, die Intergruppenbeziehungen zu verbessern, sieht sich einer Fülle von Aufgaben gegenüber. Die Probleme, mit denen er es zu tun hat, betreffen das Verhalten und die gängigen Urteile in bezug auf andere Gruppen und die eigene Gruppe, das Entstehen von Verhaltensweisen und Benehmen während der Kindheit und Pubertät, Wohnungsfragen und die Veränderung der gesetzlichen Struktur der Gemeinde. Weitere Probleme, mit denen er es zu tun hat, betreffen Rang und Kaste, wirtschaftliche Diskriminierung, politische Führung und Führung an vielen

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Stellen des Lebens in der Gemeinde. Er hat auch zu tun mit der kleinen sozialen Körperschaft der Familie, eines Klubs oder eines Freundeskreises, mit der größeren sozialen Körperschaft einer Schule oder eines Schulsystems, mit Nachbarschaftskreisen und mit den sozialen Körperschaften von der Größe einer Gemeinde, des Staates, einer Nation und mit internationalen Problemen. Wir beginnen zu sehen, daß es hoffnungslos ist, eine dieser Seiten der Intergruppenbeziehungen ohne Berücksichtigung der anderen in Angriff zu nehmen. Das gilt gleichermaßen für die praktischen wie für die wissenschaftlichen Seiten der Frage« (Lewin 1953, S. 281).

Lewin hat in wissenschaftlichen Produktionsverhältnissen gearbeitet, die durch die human-technologischen Laborund Feldexperimente der Kleingruppenforschung bestimmt waren. Von dorther kommend, weiß er zwar von den gesellschafts- und wissenschaftspolitischen Gefahren, mit denen eine neue Forschungspraxis zu kämpfen hat, aber er unterwirft sie keiner eingehenderen Analyse, um deren Ergebnisse schon in seine wissenschaftliche Praxis strategisch einbeziehen zu können. »Intergruppenbeziehungen sind zweifellos eine der problematischsten Seiten im nationalen und internationalen Leben. Wir wissen heute besser als je zuvor, daß sie dynamitgeladen sein können. Die Strategie der Sozialforschung muß die möglichen Gefahren in Rechnung stellen. Wir müssen wohl von außen kommende Schwierigkeiten und Grenzen für die Sozialwissenschaft und die inneren Gefahren der Forschungsmethoden unterscheiden. Zu den ersten gehört eine Gruppe von Menschen, die die Vorstellung zu unterschreiben scheinen, daß wir nicht noch mehr Sozialwissenschaft brauchten. Unter diesen Bewunderern des gesunden Menschenverstandes finden wir Praktiker aller Arten, Politiker und College-Präsidenten . . . Eine zweite Bedrohung der Sozialwissenschaft kommt von »Gruppen, die an der Macht sindEin Zeichen h a t . . . eine triadische Relation zu seinem Objekt und zu seinem InterpretantenVerständigungSprachspiel< nennen« (Wittgenstein 1960, S. 293), und: »Das Wort >Sprachspiel< soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform« (1960, S. 300). »Jede Sprache trägt nun ihre transparent zu machende Ordnung als natürliche Grammatik in sich. Diese Grammatiken können

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nur >von innen< geklärt werden, d. h. unter Anwendung dieser Grammatiken selbst. Eben dieser Zirkel verweist logisch zwingend auf den Zusammenhang der Sprache mit Praxis« (Habermas 1967, S. 140). »Weil die Umgangssprache letzte Metasprache ist, enthält sie selber die Dimension, in der sie gelernt werden kann; darum ist sie aber auch nicht >nur< Sprache, sondern zugleich Praxis« (S. 142).

Diese soziolinguistischen Reflexionen haben forschungslogische Konsequenzen, denn: »Einen Satz verstehen, heißt, eine Sprache verstehen. Eine Sprache verstehen, heißt, eine Technik beherrschen« (Wittgenstein 1960, S. 381). »Darum ist >der Regel folgen< eine Praxis« (S. 382). »Freilich genügt es nicht, einer Folge beobachtbarer Verhaltenssegmente eine Regel bloß zu imputieren. Wir sind erst sicher, ein regelgeleitetes Verhalten identifiziert zu haben, wenn wir selbst anstelle des Handelnden die Verhaltensserie fortsetzen könnten, ohne auf Widerspruch zu stoßen« (Habermas 1967, S. 135). »Die Intersubjektivität der Geltung von Kommunikationsregeln bewährt sich an der Reziprozität von Handlungen und Erwartungen. Ob diese Reziprozität sich einstellt oder mißlingt, kann nur von den beteiligten Partnern selbst erfahren werden; aber sie machen diese Erfahrung intersubjektiv: einen Dissens darüber kann es nicht geben, weil diese Erfahrung in der Übereinstimmung der Partner über Gelingen oder Mißlingen der Interaktion sich erst bildet« (S. 148).

Auf der kommunikativen Ebene ist Forschungspraxis nach »soziolinguistischer Selbstreflexion« eine Tätigkeit: »Ihre >Ergebnisse< lassen sich genaugenommen nicht aussprechen, sondern nur vollziehen, nämlich als Hilfen benützen, um jeweils das Arbeiten oder den Leerlauf eines bestimmten Sprachspiels zu sehen« (Habermas 1967, S. 142; vgl. Wittgenstein 1960, S. 323 f. und S. 344 ff.). Auf dieser Stufe müßte die wissenschaftstheoretische Diskussion in der wissenschaftlichen Praxis weitergeführt werden auf eine dritte, praktische Stufe der Selbstkritik des logischen Positivismus: die historische Selbstreflexion, »die den Interpreten und seinen Gegenstand als Momente desselben Zusammenhangs begreift« (Habermas 1967, S. 176). 45

»Das hermeneutisdie Verstehen ist seiner Struktur nach darauf angelegt, aus Traditionen ein möglichst handlungsorientierendes Selbstverständnis sozialer Gruppen zu klären. Es ermöglicht eine Form des Konsensus, von dem kommunikatives Handeln abhängt. Es bannt die Gefahren des Kommunikationsabbruchs in beiden Richtungen: in der Vertikale der eigenen Überlieferung und in der Horizontale der Vermittlung zwischen Überlieferungen verschiedener Kulturen und Gruppen« (Habermas 1967, S. 170).

3.3 Forschungsstrategische Probleme Die Ortsbestimmungen einer nach aktionsforschungsstrategischen Normen aufgebauten Forschungspraxis sind noch diffus. Erstes Problem ist hier die Plazierung von »action research« zwischen »free research« und »applied research«. »Bei einer Zerlegung des Begriffs >action research< ergeben sich zweierlei Gesichtspunkte. Einerseits ist hervorzuheben, daß das Wort action als »Handlung, um etwas zu verändern< verstanden werden muß. Damit kommt der Begriff in die Nähe dessen, was im Deutschen als »soziale Praxis< bezeichnet würde. Andererseits entfernt er sich davon wieder durch die Verbindung mit der Forschung (research) als rein theoretischem Anliegen und ist darum auch nicht als »angewandte Wissenschaft zu charakterisieren« (König 1969, S. 8). Auch Fairweather (1967, S. V) versucht hier, zwischen dem »wertfrei« denkenden »hard-headed«-Wissenschaftler und dem humanitär handelnden »soft-headed«-Praktiker eine »dritte« Position durch eine Kombination von wissenschaftlichem und humanitärem Denken in der Rolle des »change agent« zu finden. Eine vergleichbare Positionsbestimmung versucht auch deBie (1968) als »problem-focused« oder »field-induced research« zwischen »free research« und »applied research«. Die projektorientierte Forschung zeichnet sich hier bei deBie als Koinzidenz zwischen praktischen Bedürfnissen und wissenschaftlichen Interessen aus.

Bei dem Versuch, vorsichtig zwischen »reiner« und »angewandter« Forschung eine Standortbestimmung in Richtung einer »projektorientierten« (»problem-focused«, »fieldinduced«) Forschung zu leisten, entstehen wiederum Orientierungsschwierigkeiten hinsichtlich einer »sozialtech46

nischen« (»engineering«) und »klinischen« (»clinical«) Forschungspraxis. Gouldner (1965) und in ähnlicher Weise auch Lee (1955) sehen den Unterschied bei diesen beiden Ansätzen vor allem darin, daß bei einer sozialtechnischen Struktur der Forschungspraxis eine im Forschungsfeld vorgegebene Problemdefinition übernommen wird, bei einer klinischen Struktur dagegen Problemdiagnose und Problemfindung mit Bestandteil der Forschungspraxis sind. Beispiele für eine überwiegend sozialtechnisch orientierte Projektforschung sind die Forschungsarbeiten von French et al. (1969) in einer norwegischen Schuhfabrik, von O'Connell (1968) in einem Versicherungsunternehmen und audi die Arbeit von Whyte und Hamilton (1965) in einem Hotel, obgleich die hier hergestellte Forschungspraxis durch die einbezogenen Kommunikationsprozesse auf verschiedenen Entscheidungsebenen bereits relativ komplex strukturiert ist. Beispiele für eine überwiegend klinisch orientierte Projektforschung sind z. B. die Forschungsarbeiten von Argyris (1962) im Management eines amerikanischen Großbetriebes, von Spencer (1964) im Rahmen eines community-work-Programms in drei Stadtvierteln von Bristol. Im Prinzip, wenn auch im Grenzbereidi zwischen »klinischen« Arbeiten und »innovatorischen« Arbeiten liegend, gehört hier Fairweathers Modell einer Forschungspraxis als »experimentelle soziale Innovation« (vgl. 1967, S. 20) über »experimentelle Subsysteme« hinein, das durch folgende Bedingungen strukturiert ist: 1. Die Definition eines dringenden sozialen Problems; 2. Feldbeobachtung zur Analyse der sozialen Parameter des Problems im gegenwärtigen Zustand; 3. Innovation neuer sozialer Subsysteme als verschiedene Möglichkeiten, das Problem zu lösen; 4. Entwurf experimenteller Konzepte zum Vergleich der Effizienz der einzelnen Subsysteme für die Problemlösung; 5. Integration der neuen Subsysteme in den ihnen zukommenden sozialen Rahmen, damit sie in ihrer natürlichen Umgebung evaluiert werden können; 6. Arbeit in den Subsystemen über einen längeren Zeitraum hin, um ausreichend Daten zu erhalten und Prozeßanalysen machen zu können; 7. Verantwortlichkeit der Wissenschaftler für die Mitglieder der Subsysteme; 8. multidisziplinärer Ansatz.

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Sozialforschung als praktische Projektforschung, in der die Problemfindung in der Forschungspraxis mit zum Bestandteil des Forschungsprozesses wird, ist noch nicht die wissenschaftliche Praxis, die den hier ausgebrachten legitimen Interessen an wissenschaftlicher Repräsentation in gesellschaftlicher Praxis und den entsprechenden wissenschaftstheoretischen Konsequenzen entspricht. Zwar finden sich in der praktischen Projektforschung, insbesondere in deren klinischer Spielart, eine Reihe von Aussagen und praktischen Hinweisen zur Strukturierung der konkreten Forschungspraxis, d. h. der Forschungsprozeß wird selbst als ein soziales System begriffen, dieses Strukturierungsproblem und die im Forschungsprozeß praktisch notwendig werdenden Umstrukturierungen dieses Systems werden aber nicht mit in die Forschungspraxis einbezogen. Die Strukturierungsprobleme eines Projektforschungssystems stellen sich auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Phasen der Forschungspraxis. Es ergibt sich hier das sogenannte »Mehrebenenproblem« (vgl. Hummell 1972), das praktisch gelöst werden muß, indem Arbeitsprozesse sowohl auf der personellen Ebene, auf der Ebene von Gruppenprozessen, auf der Ebene von Organisierungsprozessen komplexerer sozialer Systeme als auch auf der Ebene gesellschaftlicher Verflechtungen dieser Systeme angestrengt und wissenschaftlich thematisiert werden. Vom Projektablauf her lassen sich eine »Initiativphase«, in der es zur Entdeckung eines Projekts kommt, eine »Explorationsphase«, in der die erste Strukturierung eines Projekts versucht wird, und darauf folgende »Optimierungsphasen« unterscheiden, in denen die in der Explorationsphase erstmalig definierten Strukturen sukzessiv in der Forschungspraxis des Projektfeldes verändert werden. Die schwierigste Phase ist in diesem Ablauf zweifellos die zeitlich meist sehr ausgedehnte und im herkömmlichen Sinne wissenschaftlichen Arbeitens wenig systematischquantitative Information bringende Explorationsphase, in der aus der Erkennung alltäglicher praktischer Notwendigkeiten heraus wissenschaftliche Strukturierungsleistungen entwickelt werden müssen. Einen umrißhaften Überblick über die hier benannten Probleme und einen Eindruck von der Strukturierungskunst »soziotechnischer Systeme«, die »Leistungen in überwiegend experimentel-

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len Prozessen« (gegenüber »determinierenden« bzw. »probabilistischen« Prozessen) erbringen wollen, gibt Schnelle (1968, S. 19) in Matrixform: Ziele

nur Feldbeschreibung des Aktivwerdens möglich, Ziele werden erst gesucht

Beispiele für die 3 Leistungsarten

Planen, Forschen, Entwickeln

Soziotechnisdie Strukturierung (Machtverteilung)

Teambildung (keine Hierarchie) bis zum vermaschten fluktuierenden Teamkomplex

Stabilität der soziotechnischen Struktur

sofortige Auflösung des Kooperativs nach Aufgabenerfüllung

Bildung soziotechnischer Subsysteme

Grenzüberschreitung wird verlangt, Kompetenzabgrenzung wird vermieden

Leistungskontrolle

keine Kontrollmöglichkeit, Ergebniserkennung und -anerkennung nur durch Konsensusbildung

Informationelle In- und Output

freie Informationssuche, Bedarf an Dokumentation, Informationsgenerierung

Ablauf (informationelle Transformation)

experimentelle heuristische Informationsverarbeitung, Zeitvorgabe nur durch freie (normative) Setzung, Entscheidungsart D, Zuordnung von Problemen zu Teams

Personale Leistungsmerkmale

großes Vorwissen erforderlich, ständige Weiterbildung erforderlich, Teamarbeit muß geübt werden, sowie verbale und visuelle Rhetorik, Kritik und Supervisierungsfähigkeit

Projektforschungssysteme, die in ihrer Forschungspraxis jedoch nicht auf ihre eigenen Strukturierungs- und U m strukturierungsprobleme selbstreflexiv werden, können ih-

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ren eigenen Geltungsansprudi nicht legitimieren. Die aus einer Neubestimmung wissenschaftlichen Arbeitens heraus angestrengten und sich in gesellschaftlicher Praxis entwikkelnden Arbeits- und Lernverhältnisse müssen in darüber laufenden Kommunikationsprozessen aufgearbeitet, geplant und entschieden werden, wobei diese Rückkoppelungen zwischen Arbeits- und Lern- sowie Kommunikationsprozessen selbst wieder forschungspraktisch thematisiert und auf das Gesamtsystem rückbezogen werden müssen. Sprachtheoretisch gewendet heißt dies, daß die »objektsprachlichen« gesellschaftlichen Arbeits- und Lernverhältnisse in darüber laufenden Kommunikationsprozessen »metasprachlich«, d. h. theoretisch-praktisch strukturiert werden müssen und dieses Gesamtsystem von Arbeits-, Lern- und Kommunikationsverhältnissen »meta-metasprachlich«, d. h. metatheoretisch legitimiert werden muß (vgl. Knebel 1970). Erst durch diese systematische Einbeziehung metatheoretischer Prozesse, die in Teilstrukturen des sozialen Gesamtsystems forschungspraktischer Verhältnisse ausgebracht werden müssen, stellt sich ein konkreter gesellschaftspolitischer Bezug wissenschaftlicher Praxis über »Aktionsforschung« her. Aktionsforschungs-Systeme sind unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen als »schulische Systeme« für die Entwicklung wissenschaftlicher Praxis zu interpretieren. Ihre Aufgabe ist einerseits die innovative Entwicklung, andererseits die Transmission wissenschaftlicher Praxis in alltäglicher Praxis sowie die Sicherung dieser Transmissionen. 3.4 Methodologische Probleme Methodologische Probleme stellen sich in einem Aktionsforschungsprojekt auf der Ebene von Strukturierungsleistungen für den Kommunikationsprozeß über die hergestellten Arbeits- und Lernverhältnisse, d. h. auf metasprachlicher Ebene. Da es sich dabei konkret um Aufarbeitungs-, Planungs- und Entscheidungsprozesse auf der 50

Grundlage praktischer Erfahrungen handelt, stellt sich hier das Problem der »Praxis der Theorie« (Luhmann 1970), d. h., es müssen pragmatische Kommunikationsregeln definiert werden, mit denen es gelingt, einen Herstellungsprozeß zugleich als Erkenntnisprozeß zu strukturieren. Luhmann (1970) z. B. folgert die Notwendigkeit einer »praktischen Theorie« aus dem Zwang zu Reduktionsleistungen in der Forschungspraxis gegenüber dem hohen Komplexitätsgrad gegenwärtiger sozialer Systeme, die Thema sozialwissenschaftlicher Forschung sein sollten, wenn diese nicht vor ihren eigenen Aufgaben kapitulieren will. »Denn die Intersubjektivität einzelner Wahrheitsstücke ist kein Kriterium dafür, wie Komplexität reduziert werden soll.« . . . »In den gewohnten Perspektiven der Soziologie ausgedrückt, heißt dies, daß die Theorie zwar latente Funktionen entlarven und den wohltätigen Schleier der Unkenntnis anderer Möglichkeiten abziehen kann, aber nicht imstande ist, die damit zerstörten Reduktionen durch sinnvollere zu ersetzen. Und weil diese Unfähigkeit ohnehin besteht, wird sie als Prinzip bejaht und als Wertfreiheit der Wissenschaften legitimiert« (S. 256 f.). . . . »Das Prinzip der Wertfreiheit gehört, als Symbol vergangener Neurosen, in akademische Festreden, beschreibt aber nicht mehr den eigentlichen Engpaß, das, was zu tun ist. Der Engpaß findet sich in der Praxis der Theorie, in ihrer Fähigkeit zu thematischer Erfassung sehr komplex strukturierter Systeme« (S. 263). Und: »Das legt es nahe, den Theorien selbst die Form einer Auslegung der Probleme auf mögliche Antworten hin zu geben« (S. 260). Von einer anderen Richtung der Überlegungen her, dem Versuch, immanente Widersprüche des logischen Positivismus aufzudecken, kommt Holzkamp (1970) zu seiner »konstruktivistischen« Position. Ausgehend von dem Postulat des »logischen Primats des Theoretischen« und dem zentralen Motiv wissenschaftlichen Arbeitens, dem Willen zur Eindeutigkeit, kommt er zu der Schlußfolgerung: »Die Grundoperation des In-Beziehung-Setzens von Theorie und Empirie ist mithin das Auswählen oder Herstellen von realen Verhältnissen, deren Vorliegen in der übergeordneten Theorie behauptet wird« (S. 17). Und: »Sofern die in den Versuchsanordnungen gewonnenen Daten in Konsistenz mit der Theorie stehen, so gewinnt man damit keineswegs Kunde von einer unabhängigen empirischen Instanz, also >Erkenntnis< in irgendeinem Sinne, sondern man gewinnt lediglich Kunde von dem Erfolg der einschlägigen Aktivitäten des Wissenschaftlers« (S. 20).

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Das hier aus gesellschafts- und wissenschaftspolitischen Analysen legitimierte Interesse an eigener Repräsentation von Wissenschaft in gesellschaftlicher Praxis findet eine methodologische Entsprechung in den von Finan (1966) zusammengestellten Regeln empirisch-wissenscha ftlicher Herstellungsprozesse, die er (mehr aus didaktischen Gründen) den Regeln für die logische Konstruktion begrifflicher Systeme gegenüberstellt. Bei der Herstellung empirisch-praktischer Systeme geht es (1) nicht um die begrifflich-abstrakte Konstruktion logisch konsistenter Modelle, mit dem Ziel, auf der Grundlage selektierter Beobachtungen ein möglichst geschlossenes System von Parametern (Modelldimensionen) und eine hohe Generalisierbarkeit der Aussagen zu erreichen, sondern um die Entwicklung handlungsleitender, mehr alltagssprachlicher Schemata. »Der methodologische Status solcher Schemata ist eher der eines pädagogischen Hilfsmittels« (Finan 1970, S. 14) für die Herstellung operationaler Kontexte. »Formeln, wie sie hier definiert sind, spezifizieren in der Grundgleichung >output=(f)inputaction researchmehr von der Sache verstehenrichtiger< sind als die eigenen« (Mangold 1967, S. 212). Eine zweite, der genannten vorausgehende Schwierigkeit besteht in der fahrlässigen Weise des Umgangs insbesondere anglo-amerikanischer Sozialforscher mit dem Phänomen >GruppeGruppe< zu bezeichnen. Dieser grundsätzliche Fehler ist übrigens auch in den Gruppenexperimenten von Asch und Sherif enthalten, auf die wir noch zurückkommen werden. Er ist auch in die deutsche Rezeption der Gruppendiskussion durch die Frankfurter Schule eingegangen, in der das Beispiel des >Eisenbahnabteils< benutzt wird, um eine vergleichsweise unverbindliche Kommunikation zufällig zusammensitzender »Reisenden zu stimulieren (Pollack u. a. 1955). Labor-Experimente und Feld-Experimente Experimente in der Sozialforschung waren früher in aller Regel in Analogie zur naturwissenschaftlichen Forschung Labor-Experimente. In einem Forschungslabor wurden Einzelpersonen oder Personengruppen durch den Versuchsleiter oder durch eine von ihm bediente Apparatur bestimmten Reizen ausgesetzt. Ziel des Experimentes war 58

es herauszufinden, wie diese Einzelpersonen oder Personengruppen auf die Reize reagierten. Dabei wurde große Sorgfalt darauf verwendet, möglichst alle für bedeutsam gehaltenen Variablen im Labor konstant zu halten, bis auf die eine Variable, deren Wirkung auf das Verhalten der Versuchspersonen untersucht werden sollte und die deshalb kontrolliert manipuliert wurde. Die Problematik des Labor-Experimentes soll am Beispiel der Experimente mit dem sogenannten autokinetischen Effekt illustriert werden. Sherif wollte in Labor-Experimenten Mitte der dreißiger Jahre herausfinden, wie eine Versuchsperson reagiert, »wenn sie in eine objektiv instabile Situation versetzt wird, in der jegliche Vergleichsbasis, jedenfalls im Hinblick auf das externe Feld von Reizen, fehlt. Mit anderen Worten: Was wird die Versuchsperson tun, wenn der externe Bezugsrahmen (für ihre Wahrnehmungen) ausgeschaltet worden ist?« (Sherif 1936; 1958, S. 219). Versuchspersonen wurden zum Zweck der Beantwortung dieser Frage in einen abgedunkelten Raum gesetzt und sahen eine einzige, konstante Lichtquelle. Jeder Mensch gewinnt nach einiger Zeit den Eindruck, die Lichtquelle bewege sich, obwohl sie >objektiv< am selben Ort fest montiert ist. Dieses Phänomen der >Selbstbewegung< (Autokinetik) läßt sich aus der völligen Abwesenheit von Bezugspunkten für die Feststellung von Ruhe oder Bewegung erklären. Die Versuchsanordnung von Sherif bestand nun darin, Versuchspersonen entweder zuerst allein und dann in Gruppen dem autokinetischen Effekt auszusetzen oder umgekehrt. Dabei zeigte sich, daß Personen, »die wiederholt Lichtbewegungen beobachten, die keine objektive Basis für eine Schätzung des Ausmaßes dieser Bewegung besitzen, im Laufe (des Experimentes) in sich selbst einen Standard für diese Bewegung entwickeln. Dieser subjektiv gewonnene Standard dient als Bezugspunkt, mit dem jede folgende Bewegung verglichen und bewertet wird . . . « (Sherif 1958, S. 222). Bringt man die Versuchspersonen im Anschluß an die Einzelsituation zusammen mit anderen Versuchspersonen ins 59

Labor, so paßt sie sich bis zu einem gewissen Grad an die Schätzungen der anderen Versuchspersonen an. Aber »die Konvergenz ist (dann) nicht so groß, als wenn die Versuchspersonen erst in der Gruppensituation arbeiten und (deshalb) weniger Möglichkeiten haben, stabile individuelle Normen zu entwickeln« (Sherif 1958, S. 225). Asch ging 15 Jahre später einen Schritt über Sherif hinaus. Ihn interessierte es, die personalen und sozialen Bedingungen zu lokalisieren, »die Individuen dazu bringen, dem Gruppendruck zu widerstehen oder ihm nachzugeben, wenn (die Gruppenmeinungen) als gegensätzlich zu den Tatsachen wahrgenommen werden« (Asch 1958, S. 174). Acht Versuchspersonen wurden in einen Laborraum gebracht, in dem an einer Tafel eine Standard-Linie und drei Vergleichslinien angebracht worden waren. Die StandardLinie war genau so lang wie eine der Vergleichslinien, die beiden anderen Vergleichslinien waren jeweils kürzer oder länger als die Standard-Linie. Die Aufgabe der Versuchspersonen bestand darin, zu schätzen, welche der drei Vergleichslinien genau so lang sei wie die Standard-Linie. Von den acht Versuchspersonen war eine unvorbereitet (naiv), die anderen sieben waren instruiert worden, einstimmig falsche Antworten zu geben. Mit dieser Versuchsanordnung wollte Asch den Majoritätseffekt auf unterschiedliche Versuchspersonen testen. Einige wenige Versuchspersonen widerstanden dem Gruppendruck im Vertrauen auf ihre Urteilsfähigkeit. Einige zogen sich zurück und verzichteten auf spontane Reaktionen. Die Mehrheit der naiven Versuchspersonen gab dem Gruppendruck nach und begann entweder an ihrem Wahrnehmungsvermögen oder (das galt für die meisten) an ihrer Urteilsfähigkeit zu zweifeln. Die beiden Beispiele mögen verdeutlichen, worin die Gefahr von Labor-Experimenten besteht: in ihrer Künstlichkeit, um nicht zu sagen in ihrer Menschenfeindlichkeit. Abgeschnitten von ihren sozialen Alltagsbeziehungen, zusammengewürfelt mit einer Gruppe von fremden Menschen, deren Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit zu erpro60

ben sie keine Gelegenheit hatten, in falsche Sicherheit gewiegt durch den Ort des Experiments: eine akademische Forschungsstätte, irregeführt durch die zugeschriebene Glaubwürdigkeit des weißbekittelten Versuchsleiters, unterstützten sie die Hypothese der Sozialforscher, daß »Menschen unter Gruppendruck< manipulierbar seien. Formal gesprochen erkauften die Sozialforscher die zweifellos hohe statistische Zuverlässigkeit von Labor-Experimenten (Reliabilität) mit einer immer geringeren Gültigkeit der Ergebnisse (Validität) im Hinblick auf normale soziale Situationen. Labor-Experimente, so kann man vereinfachend sagen, messen immer genauer und immer zuverlässiger etwas, was zu messen sich nicht lohnt. Aus diesen (und anderen) Gründen bevorzugen andere Sozialforscher das sogenannte Feld-Experiment, das nicht im klinischen Labor, sondern in der Realität des gesellschaftlichen Lebens arrangiert wird und dessen Variablen vom Sozialforscher nicht oder nur sehr unvollkommen kontrolliert und manipuliert2 werden können. Lewin mit seinen Mitarbeitern Lippitt und White experimentierte in den vierziger Jahren mit unterschiedlichen Führungsstilen erwachsener Zeltlagerhelfer, um ihre Wirkungen auf Gruppen 10- bis 12jähriger amerikanischer Jungen herauszufinden. Er stellte fest, daß sich die Kinder in ihren sozialen Interaktionen komplementär dem Erziehungsstil der Erwachsenen anpaßten bzw. sich gegen ihn auflehnten (Lippitt und White 1939; 1958, S. 496—511). Sherif machte in den fünfziger Jahren ein ähnliches Zeltlager-Experiment mit Kindern, um herauszufinden, unter welchen Umständen man Menschen sowohl zum aggressiven Konkurrenzkampf als auch zu konstruktiver Kooperation erziehen kann (Sherif 1961). Diese Experimente — und andere — erweisen, daß es unter bestimmten Umständen ausgesprochen fruchtbar sein kann, die Zuverlässigkeit von Ergebnissen aus Labor-Experimenten zugunsten einer (erhofften) Gültigkeit von Feld-Experimenten einzuschränken. Bei der Diskussion dieser Frage ist es nicht ohne Belang, daß die meisten Sozialforscher, die sich für Feld61

Experimente entscheiden, sozial und politisch engagierte Wissenschaftler sind. Lewin etwa konzipierte seine Führungsstil-Experimente nach seiner Emigration aus dem faschistischen Deutschland, um herauszufinden, ob die Hoffnung bestehe, »das faschistische Gruppenleben in der Richtung auf die Demokratie hin zu beeinflussen« (Lewin 1943; 1953, S. 68). Sherif konzipierte sein Zeltlager-Experiment, um herauszufinden, unter welchen Umständen Rassendiskriminierung durch pädagogische Arrangements bei Kindern minimiert werden könne. In seinen letzten Lebensjahren bewegte Lewin schließlich die Frage, wie man die politische Handlungsfähigkeit von unterprivilegierten Gruppen erhöhen könne. Im Sommer 1946 organisierte er am Research Center for Group Dynamics des MIT zusammen mit der Pädagogischen Hochschule von New Britain eine Konferenz, auf der zusammen mit Afro-Amerikanern untersucht werden sollte, wie man die Einstellung dieser Gruppe zu ihrer Berufsperspektive ändern und die Veränderung im täglichen Leben verankern könne (Bradford et al., 1964). Feld-Experimente und Feld-Theorie »Die grundlegenden Sätze einer Feldtheorie heißen: a) das Verhalten muß aus einer Gesamtheit der zugleid) gegebenen Tatsachen abgeleitet werden; b) diese zugleich gegebenen Tatsachen sind insofern als ein dynamisches Feld< aufzufassen, als der Zustand jedes Teils dieses Feldes von jedem anderen Teil abhängt (Lewin 1940; 1963, S. 69)

Der Begriff >Feldforschung< bzw. >Feldtheorie< wird von Vertretern unterschiedlicher Wissenschaftsbereiche in verschiedenen Zusammenhängen mit unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Uns interessiert nur jene Fassung des Feldbegriffs in den Sozialwissenschaften, deren Autoren sich um eine Verfeinerung und Schärfung der Interpretationsmöglichkeiten menschlichen Handelns im gesellschaftlichen Zusammenhang bemühen. Wir stoßen dabei immer 62

wieder auf die Arbeiten von Lewin, einem Schüler des Gestalt-Psychologen Köhler, der >Gestalt< als ein physiologisch reales Kraftfeld oder >Wirkungssystem< auffaßte, in dem die Veränderung eines Elementes die Veränderung des Ganzen notwendig nach sich ziehen mußte. In Übereinstimmung mit Köhler und unter Berufung auf den Physiker Einstein definierte Lewin: »Eine Gesamtheit gleichzeitig bestehender Tatsachen, die als gegenseitig voneinander abhängig begriffen werden, nennt man ein Feld« (Lewin 1963, S. 27). Aber in Weiterentwicklung der letztlich organologischen Harmonie-Vorstellung Köhlers und in Abgrenzung von der funktionalen System-Auffassung der Soziologenschule um Parsöns hat Lewin vor allem zwei Charakteristika am Feldbegriff herausgearbeitet, die für uns von erheblicher Bedeutung sind: er hat ihn im Gegensatz zur traditionellen Psychologie soziologischer, und er hat ihn im Gegensatz zur konservierenden Soziologie dynamischer gefaßt. Lewin rügt »an der traditionellen... Psychologie die Wahl der Person als unauflöslicher Einheit in Verallgemeinerungsversuchen . . . Verallgemeinerungen wie >alle Kinder< führten nie zu Gesetzen, sowenig wie Galilei auf sein Gesetz des freien Falls über die Verallgemeinerung >alle Steine< jemals hätte gelangen können« (Mey 1965, S. 34). Von diesem Ansatz ausgehend sah Lewin in der sogenannten Kleingruppenforschung eine vernünftige Antwort auf die Frage nach der angemessenen Beobachtungseinheit für menschliches Verhalten im gesellschaftlichen Zusammenhang. Dynamischer als die Parsons-Schule faßte Lewin den Feldbegriff, indem er nicht vom Zielwert einer maximalen Funktionalität innerhalb eines sozialen Systems ausging, sondern von Interessen und Konflikten. Ruhe innerhalb eines sozialen Feldes bedeutete für ihn nicht Harmonie, sondern lediglich ein mühsam hergestelltes, quasi-stationäres Gleichgewicht innerhalb eines grundsätzlich »gespannten Systemsrevolutionäres< Element in die Sozialpsychologie getragen. Besonders Brown hat gesamtgesellschaftliche Konflikt-Modelle entwickelt, die von den Schwierigkeiten und Chancen des Klassenkampfes in spätkapitalistischen Mehrklassengesellschaften ausgehen (Brown 1936). Vom Stand unseres gegenwärtigen Wissens von den ökonomischen und politischen Interessen, die gesellschaftliche Prozesse in Klassengesellschaften speisen, bleiben die sehr allgemeinen Modelle Browns sicherlich hinter unseren berechtigten Erwartungen zurück. Sie zeigen jedoch gleichzeitig, in welcher Richtung eine zeitgenössische Sozialwissenschaft weiterentwickelt werden müßte, wenn sie für interessierte Pädagogen und Politiker die Funktion einer Vermittlungswissenschaft zwischen den Global-Aussagen politisch-ökonomischer Theorie und den speziellen Interventions-Wissenschaften übernehmen soll. Erweiterung des Lewinschen Konzepts von Handlungsforschung An den etablierten Forschungsmethoden der zeitgenössischen Sozialwissenschaften war in dreifacher Weise Kritik geübt worden: Sie gehen fälschlich davon aus, daß menschliches Verhalten sich erstens zureichend durch Aus64

sagen einzelner Individuen über ihre Meinungen, Überzeugungen und Haltungen erheben ließe, daß zweitens zum Zwecke einer objektiven Erhebung dieser Meinungen, Überzeugungen und Haltungen der Sozialforscher eine möglichst neutrale Rolle gegenüber den ausgeforschten Individuen spielen müsse und daß diese Individuen drittens an der Auswertung der erhobenen Daten nicht zu beteiligen seien. Dieser Kritik setzen wir ein Verfahren entgegen, das sich, basierend auf dem Feldbegriff von Lewin und seiner ansatzweise entwickelten Handlungsforschung im sozialen Feld, durch drei allgemeine Prinzipien charakterisieren läßt: Die Forscher treten erstens nicht punktuell in eine Situation ein, um Meinungen zu erfragen, sondern sie nehmen über einen längeren Zeitraum begleitend an einem sozialen Prozeß teil und helfen, ihn voranzutreiben; sie arbeiten zweitens nicht mit sozial isolierten Individuen, sondern mit Gruppen in deren gesellschaftlichen Bezügen, und sie informieren drittens diese Gruppen nicht nur über Ziel und Zweck der Untersuchungen, sondern beteiligen sie auswertend an der Einschätzung der Forschungsergebnisse. Erstes Prinzip: Beteiligung der Forscher am Prozeß Dieses Prinzip bedeutet nicht, daß die Forscher naiv in das Feld eintreten und sich von den Ereignissen treiben lassen. Es bedeutet vielmehr, daß sie von einem durch Theorie gewonnenen Vorverständnis des Feldes ausgehen. Unsere bisherige Praxis hat gezeigt, daß es zu einer Diskrepanz zwischen diesem Vorverständnis und der Entwicklung der Arbeit im Feld kommen kann. Diese Diskrepanz kann gefährlich werden, wenn die Forscher nicht wissen (oder nicht sagen), aufgrund welcher Voraussetzungen sie zu bestimmten Schlußfolgerungen kamen und woran die Korrektheit dieser Schlußfolgerungen zu messen ist. Die Diskrepanz kann ferner gefährlich werden, wenn die Forscher den im sozialen Feld verantwortlich Handelnden ihr theoretisches 65

Vorverständnis bereits als »richtiges Wissen< präsentieren. Als richtiges Wissen kann es sich erst erweisen, wenn es sich praktisch und politisch durchsetzt. Theoretische Ansätze können nicht im Sinne eines Überstülpens von Theorie über die Praxis »durchgesetzt« werden, sie müssen ihre Tragfähigkeit vielmehr jeweils im Zusammenhang mit den tatsächlichen Lernprozessen innerhalb der sozialen Gruppe im Feld erweisen. Die mögliche Diskrepanz zwischen Vorverständnis und Entwicklung der Arbeit im Feld kann durch möglichst repräsentative »Erhebung der Ausgangslage< im Feld selbst minimiert werden. Es ist selbstverständlich, daß sich die Handlungsforscher bei einer solchen Erhebung der Ausgangslage auch der quantifizierenden Methoden der empirischen Sozialforschung bedienen können. Handlungsforschung bedeutet nicht notwendig und unter allen Umständen eine materiale und methodologische Alternative zu den traditionellen Methoden der Sozialforschung, sie macht lediglich den Versuch, die traditionellen Methoden in einen neuen Zweck-Mittel-Zusammenhang einzuspannen. Das Prinzip der Beteiligung der Forscher am Prozeß bedeutet ferner nicht, daß Handlungsforscher die Differenz zwischen Forschen und Handeln aufheben können. Auch in der Handlungsforschung, wie wir sie machen, bleibt grundsätzlich die Arbeitsteilung zwischen Handelnden und Forschenden bestehen, wenn sie auch nicht so rigide durchgehalten wird wie in den traditionellen empirischen Verfahrensweisen. Dazu ein Beispiel: In der Redaktion einer Viertel-Zeitung arbeitet ein Forscher mit, um das Projekt dieser Viertel-Zeitung voranzutreiben und um die zwischenmenschlichen und politischen Aspekte der Entwicklung dieses Projektes zu dokumentieren. In einer bestimmten Situation gerät die Gruppe in Zeitnot und bittet den Forscher, ihr beim Zusammenlegen, Lumbecken und Verkaufen der Zeitung zu helfen. Es wäre weltfremd, wollte der Forscher sich dieser Aufforderung entziehen. In einem anderen Fall fehlt der Gruppe ein Schreiber, um einen wichtigen Artikel zur Frage einer an66

stehenden Exmittierung im Wohnquartier zu formulieren. Wendet sich jetzt die Gruppe hilfesuchend an den Forscher, so wird er glaubwürdig argumentieren können, daß er als nicht im Viertel Wohnender nicht in der Lage ist, einen solchen Artikel wirksam zu schreiben. Schreibt hingegen ein Bewohner des Viertels einen solchen Artikel, wendet sich aber anschließend an den Forscher, um mit ihm gemeinsam den Artikel auf formale und inhaltliche Ungereimtheiten durchzusehen, so wird sich der Forscher dieser Bitte wiederum nicht entziehen. Im ersten und dritten Fall verändert der Forscher durch seine Aktivität das Feld nicht grundsätzlich (die Zeitung würde auch ohne ihn erscheinen — aber ein paar Tage später; der Artikel würde auch ohne ihn gedruckt — aber vielleicht mit einigen Fehlern), im zweiten Fall würde sein Artikel aber eine politische Linie ziehen oder verstärken, die unter Umständen keine Basis in der arbeitenden Gruppe besitzt. Dieses Beispiel soll verdeutlichen, daß es nicht im Sinne unseres Konzeptes von Handlungsforschung ist, Menschen total unterschiedlichen Rollen zuzuordnen, sondern daß wir versuchen, das Handeln dieser Menschen gemäß den ihm innewohnenden Funktionen zu differenzieren. Das Handeln der sogenannten Forscher wird von uns in zwei wesentlichen Aspekten unterschieden: Ein Forscher, der aufgrund der ihm von der Gruppe zugewiesenen Funktionserwartungen eine Handlung vorantreibt, übt in diesem Augenblick die Rolle eines intervenierenden Forschers aus. Die nicht an der Handlung unmittelbar engagierten Mitglieder dieser Gruppe üben in diesem Augenblick die Rolle von nicht-intervenierenden Forschern aus: sie sind zwar am Ergebnis des Handelns interessiert, aber nicht an der speziellen Vorgehensweise engagiert. Die Instrumente, welche Forscher und andere Gruppenmitglieder in ihrer nicht-intervenierenden Forscher-Rolle zur Dokumentation der ablaufenden Prozesse und zur Erhebung ihrer Wirkungen benutzen, sind ohne Zweifel Rückgriffe auf das gesamte Instrumentarium der empirischen Sozialforschung. Sie reichen von der Erhebung der Sozial67

struktur durdi Fragebögen, Einzelberichte und Gruppendiskussionen über die Erhebung der Gruppenstruktur durch Anwesenheitslisten, Tagesprotokolle, Gruppendiskussionen und Rückerinnerungsdiskussionen, Tonbandund Video-Aufzeichnungen bis hin zu Rollenspielen, der Verwendung bestimmter Fragetediniken, welche die Entwicklung bestimmter Denkschritte zulassen, ohne das möglicherweise in der Frage angelegte Denkergebnis vorwegzunehmen, Lernreizen durch Medien und Teamteadiing und durch die gemeinsame Diskussion der abgelaufenen Prozesse anhand von Tonband- und Video-Material. Zweifellos stellen diese Forschungsinstrumente und ihre Anwendungen in einem konkreten gesellschaftlichen Feld Sondersituationen dar. Aber empirische Forschung als Ausfluß der gesellschaftlich vorgegebenen Trennung von >Hand- und Kopfarbeit< läßt sich durch keine noch so ausgeklügelte Forschungstechnik aufheben, solange diese Trennung gesamtgesellschaftlich besteht. Zweites Prinzip: Arbeit der Forscher mit gesellschaftlichen Gruppen Der Begriff gesellschaftliche Gruppen< soll zunächst andeuten, daß es sich hier nicht um jenes pervertierte Gruppen-Konzept handelt, das in der beschriebenen Tradition der Labor-Experimente wirksam war, sondern um Gruppen, die auch außerhalb der Forschungssituation und unabhängig von ihr als Gruppen wirksam sind. Dieser Ansatz befindet sich in Übereinstimmung mit Lewin, der sich ebenfalls gegen Labor-Experimente ausgesprochen und die Entwicklung von Forschungstechniken gefordert hat, »die uns erlauben, wirkliche Experimente innerhalb >natürlich< vorkommender sozialer Gruppen auszuführen . . . « (Lewin 1963, S. 201). Die Verwirklichung dieses Prinzips stößt auf einige Schwierigkeiten. Einmal ist es nicht sonderlich einfach, als Forscher oder als Forschergruppe in bereits arbeitende gesellschaftliche Gruppen einzutreten. Diese Schwierigkeit 68

läßt sich minimieren, wenn man entweder in einem noch vergleichsweise unstrukturierten Feld (in unserem Fall: in einem gerade bezogenen Neubauviertel) solche Gruppen bildet, oder indem man durch rückhaltlose Offenheit in der Mitteilung über die Forschungsziele bereits arbeitende Gruppen davon überzeugt, daß die Forschungsziele der Forscher wenigstens partiell den Interessen der bereits arbeitenden Gruppen entsprechen. Trotz dieser Möglichkeiten wird es nicht ausbleiben, daß die Kluft zwischen >Forschern< und >Erforschten< im Verlauf des Prozesses aufbricht oder vergrößert wird. Nach unseren Erfahrungen handelt es sich dann aber weniger um eine Kluft zwischen Menschen in einer >Forscherrolle< und Menschen in einer >Erforschten-RolleKleingruppen< zu interpretieren. Wohl gehen wir in allen unseren Teilprojekten von der kleinsten, nicht mehr teilbaren Einheit im Sinne der Feldforschung aus, nämlich von einer arbeitenden Kleingruppe, dabei stellt sich jedoch immer wieder die Frage nach der nächstgrößeren organisatorischen sozialen Einheit, in der die zu untersuchenden Gruppenmitglieder agieren oder agieren könnten. Wenn es richtig ist, daß Handlungsforschung nicht nur die »Erforschung der Bedingungen und Wirkungen verschiedener Formen des sozialen Handelns« sei, sondern audi »eine zu sozialem Handeln führende Forschung« (Lewin 1946, S. 280), dann gehört beispielsweise zu einer solchen Handlungsforschung nicht nur die Frage, unter welchen Randbedingungen Gruppen organisationsfähig 69

werden, sondern gleichzeitig die Frage nach der optimalen Organisationsform solcher Gruppen in einem Inter-Gruppen-Zusammenhang. Diese Frage ist zweifellos leichter zu stellen, als experimentell zu beantworten. Drittes Prinzip: Beteiligung der Gruppenmitglieder an der Auswertung der Forschungsergebnisse Um dieses Prinzip durchsetzen zu können, müssen die Gruppenmitglieder entweder von Anfang an oder im Laufe des Prozesses über die Forschungsabsichten der Forscher voll informiert werden. Diese Feststellung trifft zunächst auf den traditionellen Einwand, daß die Forschungsgegenstände angesichts ihrer Kenntnis des Forschungsziels und der Forschungsmethoden anders reagieren, als sie in Unkenntnis der Forschungsabsichten reagieren würden. Dieser Einwand berücksichtigt nicht die Rolle und die Bedeutung von Motivationen und Interessen der im sozialen Feld agierenden Personen. Ein Forscher beispielsweise wird nur so lange einen nachweisbaren Einfluß auf Gruppenprozesse haben, solange die an dem Prozeß Beteiligten an Ziel und Weg ihrer Gruppenarbeit nicht hinreichend interessiert sind. Dies galt und gilt für Labor-Experimente, in denen mißmutige, mißtrauische, untermotivierte und u n i formierte Versuchspersonen Aufgaben lösen sollen, deren Sinn sie nicht einsehen. In solchen Situationen genügt in der Tat das Stirnrunzeln eines Versuchsleiters, um die ablaufenden Prozesse entscheidend zu >verzerrenErforschten< und die Interessen der >Forscher< soweit homogenisiert werden konnten, daß die »Erforschtem das gleiche Interesse an den »unverfälschten« Untersuchungsergebnissen haben wie die Forscher. Dies bedeutet für die »Erforschten« ohne jeden Zweifel ein hohes Maß an Geduld, Ausdauer und Frustrations-Toleranz, es bedeutet für die »Forscher« ein hohes Maß an zusätzlicher Arbeitszeit, physischer und psychischer Absorption durch das Untersuchungsfeld und methodologischer Flexibilität. Unsere eigene Erfahrung hat uns immer wieder darüber belehrt, daß es in bestimmten Situationen notwendig ist, ohne Ressentiment auf bereitstehende Forschungsinstrumente zu verzichten, weil sie (so geeignet sie sein mochten, um bestimmte, notwendige Daten zu erheben) von den Gruppen nicht akzeptiert wurden, bzw. in der je konkreten Situation nicht akzeptiert werden konnten. Ein solches Vorgehen bedingt, mindestens zum gegenwärtigen Zeitpunkt, einen weitgehenden Verzicht auf vorschnelle Verallgemeinerung der Befunde und auf methodologische Brillanz und Raffinesse. Jeder unvorbereitete Leser, der etwa den Forschungsbericht von Oevermann (1972) mit den Tonband-Protokollen von Reidenmeister (1971) vergleicht, wird, unabhängig von einer Reihe von Faktoren, die einen solchen Vergleich problematisch erscheinen lassen, an jene Unterschiede erinnert werden, die etwa einen Kupfertiefdruck: gegenüber einem Linol-Schnitt auszeichnen. Das meinen wir mit Verzicht auf methodolo73

gische Brillanz und Raffinesse, wobei wir zögern, uns der hilfreich gemeinten Argumentation anzuschließen, es handele sich bei unserem Vorgehen ja vorerst >nur< um so etwas wie tastende Vor-Versuche, die prinzipiell, wenn die >neue Methodologiec der Handlungsforschung ihre Erprobungsphase bestanden haben werde, zu ähnlich differenzierten und brillanten Forschungs-Designs emporstilisiert werden könnten, wie andere empirische Projekte sie aufweisen. Zur Frage eines weitgehenden Verzichtes auf vorschnelle Verallgemeinerungen im Rahmen von Handlungsforschung wäre schließlich ironisch anzumerken, daß die deutsche Sozialisationsforschung in den vergangenen Jahren unausgesprochen oder ausgesprochen (und darum nicht weniger fälschlich) von der Unterstellung ausgegangen ist, man könne etwa Untersuchungen über imitatives Geschlechtsrollen-Lernen nordamerikanischer Mädchen (Lynn 1962) oder Untersuchungen über Erziehungsmittel in Familien der nordamerikanischen Unterschicht (Bronfenbrenner 1965) in ihren Ergebnissen unbeschadet auf die bundesrepublikanische Situation übertragen. Wie problematisch solche Verallgemeinerungen, deren Angemessenheit zur Ideologie empirischer Sozialforscher gehört, sind, zeigen unter anderem die jüngsten Versuche deutscher Sprachforscher, die Befunde von Bernstein an Populationen bundesrepublikanischer Kinder zu verifizieren (Bühler 1972 und Wiederhold 1972). Solange solche Versuche scheitern, ja scheitern müssen, wäre es unfair, die sich gegenwärtig entfaltende Handlungsforschung mit einem Verallgemeinerungs-Anspruch zu befrachten, welchen die Vertreter dieses Anspruchs in den Reihen traditioneller Ansätze der empirischen Sozialforschung in ihrer eigenen Forschungstätigkeit nicht einlösen können. Anmerkungen 1 Der folgende Text stellt eine Zusammenfassung des gegenwärtigen Standes von Diskussionen an der Pädagogischen Hochschule Berlin und innerhalb des »Plenums Märkisches Viertel« dar, einem Kom-

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munikationsort, an dem 16 Teilprojekte der sozialpädagogischen Handlungsforschung mit etwa 30 haupt- und ehrenamtlichen wissenschaftlichen Mitarbeitern ihre Erfahrungen auszutauschen und zu systematisieren suchen. Redaktionsschluß für diesen Text war der 1. Mai 1972. Wir verwenden den Begriff »manipuliert« in der Bedeutung »durch Eingreifen verändert« und nicht in der gängigen Bedeutung »gegen den Willen und die Interessen von Menschen gerichtet verändert«. Beispielsweise in der Bezugsgruppen-Theorie und in der Gruppendynamik. Siehe Bradford et al., 1953 und 1964, und Sherif, M., und Sherif, C., 1964. Die wichtigsten Umerziehungs-Experimente sind veröffentlicht in Maccoby et al. 1958. Roethlisberger et al., Management and the Worker. Cambridge/ Mass., Harvard University Press, 1939, und Homans, Der Bank Wiring Observation Room, in: Homans, Theorie der sozialen Gruppe, Köln 1960, S. 72—99. Kentier, H., T. Leithäuser und H . Lessing, Jugend im Urlaub, Band 1 und 2, Weinheim 1969. Wir verwenden den Begriff »gesellschaftliche Gruppe« oder »gesellschaftlich gewordene Gruppe« immer dort, wo der Alltags-Sprachgebrauch den Begriff »natürliche Gruppe« nahelegen würde, weil wir mit Gottschalch meinen, daß der Begriff »gesellschaftlich« überall dort angemessen sei, wo es um die »Natur von Menschen« geht. Siehe dazu Schramm 1954 und 1964.

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Jürgen Klüver / Helga Krüger Aktionsforschung und soziologische Theorien Wissenschaftstheoretische Überlegungen zum Erkenntnisinteresse in der Aktionsforschung

1 2,UY Problemstellung Action research läßt sich explizit auf soziale Realität ein, mit der Intention, diese zielbezogen zu verändern. Allein die Tatsache, daß dies eine Neudefinition des Theorie-Praxis-Verhältnisses in den Sozialwissenschaften beinhaltet, in dem der sozialen Realität eine neue Funktion zugewiesen wird, stellt das tradierte Selbstverständnis der Sozialwissenschaften gravierend in Frage. Aber auch die übrigen Komponenten, die action research charakterisieren, sprengen den Rahmen traditioneller sozialwissenschaftlicher Forschung. Die Postulate sind: a) Die Problemauswahl und -definition geschieht nicht vorrangig aus dem Kontext wissenschaftlicher Erkenntnisziele, sondern entsprechend konkreten gesellschaftlichen Bedürfnissen. b) Das Forschungsziel besteht nicht ausschließlich darin, soziologische theoretische Aussagen zu überprüfen oder zu gewinnen, sondern darin, gleichzeitig praktisch verändernd in gesellschaftliche Zusammenhänge einzugreifen. c) Die im Forschungsprozeß gewonnenen Daten werden nicht mehr als isolierte Daten »an sich« angesehen, sondern als Momente eines prozeßhaften Ablaufes interpretiert; sie gewinnen ihren Sinn auf der theoretischen Ebene dadurch, daß sie stets mit dem realen Prozeß als Gesamtheit zusammengedacht werden, und erhalten ihre Relevanz auf der praktischen Ebene als konstitutive Momente weiterer Prozeßabläufe. d) Die als Problem aufgenommene soziale Situation wird als Gesamtheit — als soziales Feld — angesehen, aus der nicht aufgrund forschungsimmanenter Überlegungen einzelne Variablen isoliert werden können. 76

e) Die praktischen und theoretischen Ansprüche des action research verlangen vom Forscher eine zumindest vorübergehende Aufgabe der grundsätzlichen Distanz zum Forschungsobjekt zugunsten einer bewußt einflußnehmenden Haltung, die von teilnehmender Beobachtung bis zur aktiven Interaktion mit den Beteiligten reicht. f) Entsprechend soll sich auch die Rolle der Befragten und Beobachteten verändern und ihr momentanes Selbstverständnis so festgelegt werden, daß sie zu Subjekten im Gesamtprozeß werden. Das neue Verhältnis zur Praxis, d. h. der Anspruch, die Distanz zur sozialen Realität aufzugeben und sich an sozialen Problemen zu engagieren, bedeutet für die traditionelle Forschung nicht nur per se eine Herausforderung, sondern gewinnt dadurch an Gewicht, daß hier einige der gravierendsten Kritikpunkte der Kritischen Theorie an den etablierten Sozialwissenschaften eingelöst zu werden scheinen. Indem Aktionsforschung dem Vorwurf, sozialwissenschaftliche Ergebnisse stünden jedem beliebigen instrumentellen Interesse zur Verfügung bzw. liefen Gefahr, aufgrund des ihnen inhärenten Modellplatonismus soziale Realität nicht mehr zu treffen, in der Praxis zu begegnen sucht, wird einsichtig, daß action research in der Folge der Auseinandersetzung zwischen den so bezeichneten »Positivisten« und »Kritischen Theoretikern« sich als Ausweg anbietet. Tatsächlich haben sich vor allem an den Universitäten Forschungsstrategien herausgebildet, die Züge eines action-research-Konzeptes aufweisen. Der lange Zeit von der deutschen Soziologie ausgeklammerte Ansatz scheint vor allem über Konzeptionen von Projektstudiengängen bzw. bei einer unter studentischer Beteiligung betriebenen Forschung wieder in die soziologische Diskussion integriert zu werden — als ein sich als »fortschrittlich« verstehender Ansatz, der dem Erkenntnisinteresse einer sich als kritisch definierenden Soziologie entgegenkommt. Zieht man die historische Entwicklung von Aktionsforschung (vgl. den Beitrag der PH Berlin in diesem Band) hinzu, die sich zum Teil außerhalb universitärer Verwis77

senschaftlichungsprozesse der Soziologie vollzogen hat, so verdeutlicht sich, daß Aktionsforschung — unabhängig von ihrer »Neubelebung« an den Universitäten als »kritische Forschungsstrategie« — außeruniversitär seit längerem etwa im Zusammenhang mit Betriebsführungs- und Managementproblemen an Bedeutung gewonnen hat (vgl. Henke/Karstedt in diesem Band). Aus dieser Forschungs- und Anwendungspraxis kann geschlossen werden, daß dort, wo geplanter sozialer Wandel konkret durchgeführt werden soll, der Soziologie eine auf direkte Praxis bezogene Funktion zukommt, der sie mit einem der Aktionsforschung entsprechenden Ansatz wegen der spezifischen Qualität der im Prozeß gewonnenen und in den Prozeß verlauf wieder eingegebenen Daten eher entsprechen kann als mit Vorgehensweisen, die erst über die statische Hypothesenprüfung zu Prognosen führen. Als eine für soziale Innovation geeignet scheinende Forschung, die im Prozeß Aufschluß über die Bedingungen und Wirkungen sozialen Handelns geben kann, bietet sich Aktionsforschung also auch lediglich sozialtechnologischen Veränderungsintentionen an. Durch den im action research realisierten Praxisbezug scheint also erst die eine Forderung der um das Selbstverständnis der Soziologie — unter anderen zwischen Popper und Habermas — geführten Kontroverse eingelöst zu werden (Adorno, 1970). Die andere Forderung dagegen, daß soziologische Forschung die eigene Funktion im Rahmen einer Gesellschaftstheorie zu bestimmen und zu definieren habe, um nicht unreflektiert den Verfügungsinteressen einzelner gesellschaftlicher Gruppen zu unterliegen, scheint sich durch die Praxis von action research keineswegs zwangsläufig herzustellen. Im Gegenteil: Durch die Neudefinition des empirischen Arbeitens und praktischen Handelns liegt es nahe, diesen zweiten Aspekt außer acht zu lassen, gerade weil der Vorwurf gegen die traditionelle Soziologie hier nicht mehr trifft und weil man als Wissenschaftler handelt, d. h. die eigene Rolle über die traditionelle Wissenschaftlerrolle hinaus um die des mit Personengruppen in außeruniversitären Bereichen Arbeitenden erweitert. Es besteht 78

die Gefahr, daß dann das Handeln als solches zur Legitimation für das Ausklammern der Reflexion über gesellschaftliche Zusammenhänge wird. Was erkenntnis- und wissenschaftstheoretisch, d. h. auch politisch als fortschrittlich erscheint, könnte unter der Hand zu rein pragmatischem Handeln auf instrumenteller Ebene werden. Es läge dann auf der praktischen Ebene eine ähnliche Verkürzung vor, wie sie Habermas den »Positivisten« auf der wissenschaftstheoretischen Ebene vorgeworfen hat (Adorno 1970).

Um diese Frage, die in der uns bekannten Projektarbeit1 bisher kaum eine systematische Behandlung gefunden hat, zunächst — wie hier nicht anders möglich — erst einmal in Form eines Überblicks klarzustellen, wollen wir versuchen, die Möglichkeiten der Integration von action research in die wichtigsten theoretischen soziologischen Positionen zu prüfen, und uns fragen, welche Konsequenzen aus der jeweils bezogenen Position sich für die konkrete Durchführung einer Arbeit im Sinne von action research ergeben. Unser Ziel ist es also, uns zunächst selbst die Problematik einer fehlenden wissenschafts- und erkenntnistheoretischen wie politischen Reflexion bei gleichzeitigem praktischen Handeln nach einer action-research-Strategie als solche bewußt zu machen — nicht sie auch gleichzeitig zu lösen. Um die Annahme zu prüfen, daß die jeweils existierenden wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen, ob sie dem einzelnen Forscher bewußt sind oder nicht, seine Forschungsstrategie grundlegend beeinflussen und für die Entwicklung von Aktionsforschungsansätzen, ihren Verlauf und ihre Kontrolle, von größter Bedeutung sind, werden wir action research mit unterschiedlichen theoretischen Positionen konfrontieren. Wir werden zu prüfen versuchen, ob sich bestimmte wissenschaftstheoretische Positionen per se ausschließen lassen, bzw. welche Auswirkungen die jeweiligen wissenschaftstheoretischen Annahmen für die Entwicklung einer action-research-Strategie haben können. Action research soll hierzu mit den vier wichtigsten Ansät79

zen der gegenwärtigen wissenschaftstheoretischen Diskussion konfrontiert werden, nämlich mit dem kritischen Rationalismus, der Systemtheorie, der Kritischen Theorie und dem historischen Materialismus. Hierzu seien noch einmal die vier zentralen Komponenten des action research schlagwortartig zusammengefaßt: 1. Problemauswahl und Forschungsziel, 2. Qualität der Daten, 3. Komplexität des Forschungsgegenstandes, 4. Neudefinition der Rolle der Forscher und Erforschten. 2 Action research und wissenschaflstheoretische Positionen 2.1 Kritischer Rationalismus Aktionsforschung kann als direkte Herausforderung des kritischen Rationalismus angesehen werden. Dies gilt vor allem insofern, als Aktionsforschung das im Positivismus und kritischen Rationalismus intensiv diskutierte Problem des Verhältnisses von Theorie und empirischen Daten gänzlich anders zu lösen verspricht. Speziell ist die Auffassung des klassischen Positivismus (Kraft 1950), daß Theorien als logische Zusammenfassungen vorhandener empirischer Daten zu interpretieren sind, grundsätzlich nicht mit dem Ansatz des action research zu vereinbaren. Analog wird der Rahmen des kritischen Rationalismus durch Aktionsforschung gesprengt, wenn das Erkenntnisschema des kritischen Rationalismus — Aufstellung einer Theorie, Uberprüfung der Theorie durch Daten, Korrektur der Theorie, erneute Überprüfung usw. — Ausschließlichkeit beansprucht. Dies läßt sich verdeutlichen an der Funktion der Daten für wissenschaftliche Erkenntnis, wie sie der kritische Rationalismus konzipiert: Daten werden als prinzipiell voneinander isolierte und zu isolierende angenommen und zur Überprüfung von Theorien herangezogen; dabei ist zu beachten, daß hier Daten als immer schon sprachlich-theoretisch vermittelte akzeptiert werden und es insofern die Daten »an sich« nicht mehr gibt. Durch 80

die Grundannahmen der Theorie werden die Daten logisch miteinander verknüpft und erhalten erst im Rahmen der Theorie ihren Sinn. In den Sozialwissenschaften stoßen die kritischen Rationalisten auf das Problem, daß die so in doppelter Hinsicht theoretisch vermittelten Daten als Konstrukte die Realität nicht mehr treffen könnten und die theoretischen Modelle zwar logische Verknüpfungsmöglichkeiten darstellen, aber praktisch leerlaufen2. Im kritischen Rationalismus gewinnen die Daten ihre Relevanz aus den Bedürfnissen der Theorie, im action research dagegen aus ihrer Relevanz für die Lösung des sozialen Problems. Dementsprechend können Daten nicht als isolierte oder prinzipiell isolierbare Daten betrachtet werden, sondern nur als solche, die prinzipiell mit dem situativen Zusammenhang verknüpft sind. Lediglich zu heuristischen Zwecken sind sie mit verschiedenen Daten aus beliebigen Situationen verbindbar und erhalten dadurch eine Qualität, deren Realitätsadäquatheit erst in der realen Situation überprüft werden muß. Dies ergibt sich aus der vom Forscher zu akzeptierenden Komplexität des Forschungsfeldes, die es nicht erlaubt, einzelne Momente isoliert herauszunehmen. Der Sinn einzelner Daten ergibt sich nicht über eine grundsätzlich beliebige logische Verknüpfung innerhalb einer Theorie, sondern wird aus der Gesamtheit des Prozeßablaufs in der realen sozialen Situation hergestellt. Die im action research aus der Reflexion über Realität abgeleiteten Hypothesen werden der Realität nicht mehr mit dem Ziel gegenübergestellt, sie zu bestätigen oder zu falsifizieren, sondern sie fungieren als Anweisungen für das Handeln in sozialen Situationen und werden der Uberprüfung ausgesetzt, ob sie in Hinblick: auf die Problemlösung angemessen sind oder nicht. Daten erhalten die Funktion, mit ihrer Hilfe geschehene Handlungsabläufe interpretierbar zu machen, so daß gleichzeitig neue theoretische Annahmen als Handlungen vorbereitet werden. Dies definiert den theoretischen Sinn der Daten, ihren praktischen Sinn erhalten sie dadurch, daß auf ihrer Grundlage neue Handlungsabläufe initiiert werden. 81

Die Gewinnung und Funktionszuweisung der Daten im action research widerspricht also dem rationalistischen Schema in doppelter Hinsicht: Einmal werden Daten nicht unbedingt in quasi-experimentellen, reproduzierbaren Situationen gewonnen, so daß den Daten allgemein nicht eine von der spezifischen Situation losgelöste objektive Gültigkeit zugemessen werden kann; da Daten stets mit der jeweiligen — gegebenenfalls einmaligen — Situation zusammengedacht werden müssen, ist es im Gegensatz zum rationalistischen Schema allgemein nicht möglich, von Daten für eine Theorie zu sprechen, ohne Bezug auf die Situation zu nehmen, in der sie gewonnen wurden. Zum anderen können im action research nicht beliebige Daten als prinzipiell gleichwertig angesehen werden. Dagegen ist es im Schema des kritischen Rationalismus, in dem Daten lediglich die Funktion haben, Theorien an der Realität zu überprüfen, prinzipiell gleichgültig, durch welche Daten dies geschieht, also an welchem Punkt der Realität die Theorien »festgemacht« werden. Im action research dagegen erhalten verschiedene Daten unterschiedliche Relevanz, je nachdem, inwiefern sie als konstitutive Momente für Handlungsabläufe angesehen werden können und welche Relevanz wiederum den einzelnen Handlungsabläufen für die spezifische Situation zugemessen wird. Dennoch erscheint es als möglich, den action-research-Ansatz als eine inhaltliche Komplettierung des kritischen Rationalismus aufzufassen, ohne daß die grundlegenden methodologischen Postulate aufgegeben werden müßten. Dies läßt sich dadurch erreichen, daß die Theorie des Rationalismus nicht direkt auf im action research gewonnene Daten rekurriert, sondern Daten und zugehörige Prozesse als komplexe Einheiten, als »Daten höherer Ordnung« auffaßt, an denen Theorie sich überprüfen läßt. Das bedeutet, daß nicht mehr das einzelne Datum für Theorie relevant wird, sondern der Zusammenhang, in dem Datum und Prozeß als konstituierendem Moment steht. Dieser Zusammenhang als solcher gewinnt jetzt für Theorie die Funktion eines Datums, indem er von der Theorie als los82

gelöst von den spezifischen konkreten Situationen analysiert und interpretiert wird, und erhält so die Objektivität, die Daten im rationalistischen Erkenntnisschema zugeschrieben werden müssen; zugleich sind diese neuen »Daten höherer Ordnung« auch untereinander wieder als gleichwertig anzusehen, so daß die Theorie prinzipiell an jedem Datum überprüft werden kann. Damit konstituiert sich ein theoretischer Kontext, der die im action research gewonnenen theoretischen Aussagen analytisch übergreift und zusammenbringt; die Theorien des kritischen Rationalismus erhalten die Chance, bei der Formulierung ihrer Prognosen auf in Teilbereichen experimentell gewonnene Erfahrung zurückgreifen zu können und so Realität schärfer zu treffen, als es ihnen bisher möglich war. Aktionsforschung kann also für den kritischen Rationalismus besonders wegen der Qualität der neu gewonnenen Daten interessant sein — und darauf wird sich action research, der im Sinne des kritischen Rationalismus betrieben wird, auch konzentrieren. Die übrigen Komponenten werden diesem zentralen Gesichtspunkt untergeordnet und entsprechend dem kritischen Rationalismus neu definiert werden müssen. Zwar werden die im action research behandelten Probleme aufgrund ihrer sozialen Relevanz analysiert, aber die Auswahl zwischen sozial relevanten Problemen geschieht vom Standpunkt des kritischen Rationalismus aufgrund des wissenschaftsimmanenten Kriteriums, welche der Probleme zur Überprüfung der jeweils zur Diskussion stehenden Theorie besonders wichtig sind; d. h., die sozial relevanten Probleme werden auf wissenschaftstheoretische Bedürfnisse bezogen und motivieren von daher die Forscher, sich mit diesen Problemen zu beschäftigen. Das praktische Erkenntnisinteresse, das sich auf die Erhöhung der Prognosefähigkeit der Sozialwissenschaften bezieht, läßt sich als eine spezielle Form des oben genannten Forschungsziels des action research auffassen, bzw. stellt keinen Widerspruch zu diesen Zielen dar. Die methodologische Grundkonzeption des kritischen Rationalismus beinhaltet eine grundsätzliche Subjekt-Ob83

jekt-Differenz des Forschers zu den von ihm Untersuchten. Die Relativierung dieser Differenz im action research kann deshalb für einen kritischen Rationalisten nur vorübergehend stattfinden; diese wird auf der theoretischen Ebene dadurch zurückgenommen, daß die Untersuchten, mit denen der Forscher in einem als kosubjektiv intendierten Kommunikationsprozeß3 gestanden hat, zu Objekten für analytisch vorgehende Erkenntnis werden. Die im action research auf der praktischen Ebene stattfindende Annäherung zwischen Forscher und Untersuchten wird im kritischen Rationalismus auch durch dessen praktisches Erkenntnisinteresse an der Entwicklung von Sozialtechnologie wieder aufgehoben, die die Betroffenen zum Objekt der entsprechenden technologisch induzierten Veränderungen macht4. 2.2 Systemtheorie Während der kritische Rationalismus bewußt methodologisch orientiert ist und von daher zugunsten empirisch überprüfbarer Aussagen über gesellschaftliche Teilbereiche auf die Erstellung gesamtgesellschaftlicher Theorien verzichtet, enthalten Systemtheorien das Programm einer Gesellschaftstheorie, welche Gesellschaft als übergreifendes System sozialer Subsysteme versteht. Damit muß die Systemtheorie sich auf das Problem einlassen, eine Theorie gesellschaftlicher Entwicklung und eine Theorie der Gesellschaftsstruktur zu liefern — im Gegensatz zum kritischen Rationalismus, der diese Fragen ausblendet zugunsten der Erfassung allgemeiner ahistorischer Gesetzmäßigkeiten. In einer Verallgemeinerung kybernetischer Grundbegriffe und einer Anwendung dieser auf soziale Prozesse werden in der Luhmannschen Systemtheorie hermeneutische Kategorien und speziell die Kategorie des Sinns verwandt5; dies beruht darauf, daß nach Luhmann Handeln nur durch Reduktion von Komplexität möglich ist und die Reduktion von Komplexität für soziales Handeln über Sinnkonstitution geschieht, die ihrerseits durch soziale Subsysteme bedingt ist, in denen das Individuum sein Handeln sinnlich 84

realisiert. Ihm wird die jeweilige Sinnkonstitution und damit die Reduktion von Komplexität durch die sozialen Subsysteme zum Teil abgenommen bzw. vorgeschrieben, so daß die zum Überleben notwendige Entlastung garantiert ist. Demgegenüber läßt der kritische Rationalismus lediglich Begriffe und Kategorien zu, die seinem Modell empirisch-analytischer Begriffsbildung entsprechen und hermeneutische Begriffe ausschließen. Die Notwendigkeit, Begriffe wie Sinnkonstitution einzuführen, wird durch Luhmann unter anderem damit begründet, daß es im sozialen Bereich nicht möglich ist, Komplexität eindeutig zu reduzieren; eine derartige Eindeutigkeit, und damit Entlastung, ist zwar in den Naturwissenschaften wegen des Rezeptcharakters naturwissenschaftlicher Theorien möglich, nicht aber im sozialen Bereich, wo trotz routinierten Verhaltens das Handeln in jeder Situation neu in Frage gestellt werden kann. Wenn nun aber über sozialwissenschaftliche Theorie nicht eindeutig und endgültig Komplexität reduziert werden kann, weil auch die Bedingungen der Reduktion von Komplexität in einzelnen sozialen Subsystemen sich permanent verändern, so ergibt sich für die Wissenschaft die Aufgabe, »die Probleme des Handelnden selbst zu übernehmen und sie besser zu lösen« (Luhmann 1970, S. 256). Dies kann nur bedeuten, daß die Soziologie als soziales Subsystem sich in andere Subsysteme hineinbegeben muß, um zur Lösung ihrer Probleme beizutragen. Dadurch ergibt sich dann für Theoretiker und Praktiker die gemeinsame Problematik der Komplexität, deren Reduktion nur über die Konstitution einer gemeinsamen Basis der Verständigung erreicht werden kann. Dem Theoretiker ist es also nicht mehr möglich, sich als grundsätzlich außerhalb der von ihm untersuchten sozialen Subsysteme zu definieren, sondern er muß sich im Subsystem auf eine gemeinsame Basis mit den Individuen innerhalb des Systems einlassen. Entsprechend läßt sich der Aktionsforschungsansatz als Interaktion der sozialen Subsysteme Wissenschaft und außerwissenschaftliches soziales Feld auffassen, die sich von ih85

ren Interessen her als gleichgewichtige gegenüberstehen, so daß von einem Primat des Forschungsinteresses, von dem aus Realität strukturiert wird, nicht die Rede sein kann: »Systemrationalität in diesem Sinne beruht darauf, daß die Probleme, die das System nach Maßgabe seiner Struktur zu lösen hat, als Bezugsgesichtspunkte für funktionale Analysen und für die Steuerung von Substitutionsprozessen benutzbar sind« (Luhmann 1970, S. 47 f.). Bei der Interaktion zwischen Forschung und Feld unter diesen Prämissen gewinnt das Feld den Rang eines problemgenerierenden und Lösungswege entwickelnden Systems, wodurch Forschung wie Feld verändert werden; durch die Herstellung eines Interaktions- und Kommunikationsmusters wird das gemeinsame soziale Feld Veränderungsprozessen unterworfen, die zur Entwicklung neuer Strategien der Reduktion von Komplexität führen, um innerhalb des von ihnen abgegrenzten Handlungsbereiches die angestrebten Ziele zu realisieren. Hier wird als zentrales Interesse der Systemtheorie das Anliegen deutlich, soziale Systeme und deren Interaktionsund Kommunikationsmuster im Hinblick auf deren Funktionalität zur Reduktion von Komplexität zu erfassen. Übertragen auf Aktionsforschung bedeutet dies die vordringliche Problematisierung der Beziehungsmuster der interagierenden Systeme mit dem Ziel des Aufbaus eines gemeinsamen Kommunikationsfeldes und den daraus resultierenden neuen Möglichkeiten oder, mit anderen Worten, die Problematisierung der Interaktions- und Kommunikationsmuster bezüglich der Überlagerung beider Subsysteme. In diesem Sinne rückt die Komplexität des Forschungsgegenstandes, die wir als die dritte Komponente von Aktionsforschung eingeführt hatten, in den Mittelpunkt eines unter systemtheoretischen Gesichtspunkten durchgeführten action research; dies geschieht jedoch nicht unter dem Aspekt einer Verfälschung oder Sinnentleerung von analytisch getrennten Einzeldaten, sondern unter dem Aspekt, Reduktionsmechanismen als Prozeßabläufe des Systems zu erfassen. Hierdurch eröffnet sich ein Weg, Systemtheorie 86

als Theorie des sozialen Wandels zu konkretisieren und darüber hinaus über die Auswahl einzelner Subsysteme und die Steuerung von Kommunikationskanälen sozialen Wandel planbar zu machen. Unter systemtheoretischen Gesichtspunkten ergibt sich für die übrigen Komponenten des action research: Die Problemauswahl ist prinzipiell beliebig, da grundsätzlich alle Subsysteme als gleichwertig und damit auch soziale Probleme als gleich relevant angesehen werden. Indem der Forscher sich in das soziale System begibt und die gemeinsame Verständigungsbasis mit den Individuen des Systems sucht, ist er gezwungen, die Subjekt-Objekt-Differenz zu den Erforschten in diesem Zusammenhang aufzugeben; dadurch aber, daß er die Erforschten nicht primär als Kosubjekte in einem gemeinsamen Kommunikationsprozeß betrachtet, sondern als Rollenträger im System, distanziert er sich in der systemtheoretischen Reflexion zugleich von ihnen und führt so die Trennung wieder ein. Zwar nimmt er die Subjekte in ihren jeweiligen Normen und Selbstverständnissen ernst, doch tut er dies, ohne letztere zu hinterfragen oder zu kritisieren, da er, gemäß systemtheoretischem Erkenntnisinteresse, das »wie« der ablaufenden Reduktionsmechanismen analysiert, nicht das »was«. Normen und Selbstverständnisse der im Handlungszusammenhang stehenden Individuen werden als Systemelemente relevant und damit im Hinblick auf das Subsystem verobjektiviert; die Rolle des Forschers wird zwar um die des praktisch Eingreifenden und damit aktiv politisch Handelnden erweitert, jedoch unter bewußtem Verzicht auf die Entwicklung von Wertungen oder Alternativen, die über die Optimierung der Funktionsabläufe zur Lösung akuter Probleme hinausgingen6. Eine unter diesen Prämissen realisierte Aktionsforschung liefe Gefahr, sich ebenso wie die davor beschriebene Variante von Aktionsforschung unreflektiert dem gesellschaftspolitischen Rahmen, in dem Wissenschaft wie soziales Feld jeweils konkret steht, auszuliefern, bzw. diesen auf die Bedeutung von Randbedingungen zu verkürzen. 87

Hier zeigt sich generell: Definiert man action research vorrangig aufgrund formaler Kriterien, ohne diese auf theoretische Positionen zu beziehen, bzw. begreift man — verbunden mit einem rein technischen Interesse an Einwirkung auf Prozeßabläufe — action research selbst als die Forschung legitimierende Theorie, so liegt es in der gegenwärtigen wissenschaftstheoretischen Situation besonders nahe, Aktionsforschung im Sinne einer unreflektierten Systemtheorie zu interpretieren und von daher der Gefahr zu unterliegen, unbewußt eine möglicherweise besonders subtile, da direkt anwendungsbezogene und beliebig verwendbare Sozialtechnologie zu entwickeln (vgl. Pieper in diesem Band). 2.3 Kritische Theorie Habermas hält der Systemtheorie folgendes Argument entgegen: »Anknüpfung an die »strukturgegebenen Probleme« kann doch nur bedeuten, daß sich die Systemtheorie auf die in der Gesellschaft selbst als »problematisch« empfundenen Tatbestände verpflichten läßt. Wer entscheidet aber, wann sich in der Objektivität des alltäglichen Problembewußtseins das Interesse einer herrschenden Klasse, und wann sich darin die Bestandsinteressen der Gesellschaft insgesamt durchsetzen?« (1971, S. 167). Dies trifft den bereits erwähnten Tatbestand, daß sich die Systemtheorie auf prinzipiell alle Subsysteme einlassen muß und gleichzeitig sowohl Normen wie Funktionszuschreibungen der Subsysteme nicht kritisch hinterfragen kann und will. Das Erkenntnisinteresse der Kritischen Theorie dagegen besteht gerade darin, bestehende gesellschaftliche Sachverhalte kritisch zu analysieren und speziell herrschende Normen auf ihre ideologischen Komponenten hin zu untersuchen. Dies beruht darauf, daß gemäß diesem Ansatz die Funktion der Soziologie in ihrer emanzipatorischen Leistung besteht, d. h. darin, das Individuum über unbegriffene soziale Zwänge aufzuklären und es so in die Lage zu versetzen, sich zu befreien. Mit diesem Anspruch ist inso88

fern ein praktisches Interesse verbunden, als es hiernach zu den Aufgaben der Soziologie gehört, praktisch verändernd auf Gesellschaft einzuwirken. Dieser doppelte Anspruch wird dadurch eingelöst, daß sich Kritische Theorie einmal als Ideologiekritik versteht, die aus einer Analyse der historischen Entwicklung von Gesellschaft den Rahmen für die Entwicklung konkreter Utopien gewinnt, und sich andererseits als empirische Theorie der Gesellschaft begreift, die durch Analyse des gegenwärtigen Zustandes der Gesellschaft das Individuum über seine konkrete Situation aufzuklären sucht. Empirische Daten gewinnen insofern ihre Relevanz, als sie im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Analyse gesehen werden müssen. In Teilen der Studentenbewegung wurde der Anspruch Kritischer Theorie in Frage gestellt, daß Aufklärung bereits ein Praktisch-Werden der Theorie bedeute und daß es genüge, den betroffenen Individuen die Kenntnis ihrer Situation durch institutionalisierte Wissenschaft zu vermitteln. Diese Kritik wurde speziell von Habermas mit dem Argument zurückgewiesen, daß ein spontanes Engagement in aktuellen politischen Situationen wissenschaftliche Reflexion im gesamtgesellschaftlichen Bezugsrahmen unterbinde und damit rationales Handeln unmöglich mache. Folgt man diesem Argument, so stellt sich für die Kritische Theorie das Problem, wie sie ihre Erkenntnisinteressen empirisch und praktisch verbindlich machen kann. Dies erscheint kaum anders denkbar als dadurch, daß der im Sinne der Kritischen Theorie vorgehende Wissenschaftler sich auf konkrete Situationen einläßt, um gemeinsam mit den Betroffenen die Bedingungen sozialen Handelns in dieser Situation zu analysieren, und sie im Hinblick auf gemeinsam formulierte Alternativen zu verändern sucht. Action research im Sinne Kritischer Theorie hat demnach das Ziel, die Betroffenen dadurch von konkreten sozialen Zwängen zu befreien, daß man ihnen Einsicht in soziale Zusammenhänge vermittelt. Sie werden so in die Lage versetzt, selbst zu den bisher verfolgten Strategien auch Alternativen zur Lösung ihrer Probleme zu entwickeln und zur Verände89

rung ihrer sozialen Situation beizutragen. Erst hierdurch kann das emanzipatorische Interesse der Kritischen Theorie praktisch eingelöst werden. Einer der zentralen Vorwürfe Kritischer Theorie gegenüber dem kritischen Rationalismus besagt, daß eine empirisch-analytisch verfahrende Sozialwissenschaft gesellschaftliche Subjekte als Datenlieferanten verobjektiviert. Demgegenüber betont die sich als emanzipatorische Wissenschaft verstehende Kritische Theorie, daß — erkenntnistheoretisch gesehen — Subjekte auch für die Gewinnung von Theorien nicht zu Objekten gemacht werden dürfen. Damit ergibt sich methodologisch die Notwendigkeit, Subjekte sowohl als Gegenstand der Erkenntnis wie auch als Träger von Erkenntnis aufzufassen; dies bedeutet, daß der Sozialwissenschaftler seine Informationen stets durch einen Verständigungsprozeß mit den Betroffenen erhalten muß7. Von daher ergibt sich, daß die Neudefinition des Verhältnisses zwischen Forschern und Erforschten den zentralen Bezugspunkt für die Integration von action research in die Kritische Theorie abgibt, denn erst die Herstellung eines Subjekt-Subjekt-Verhältnisses ermöglicht es der Soziologie, ihre Funktion im Sinne Kritischer Theorie als Instrument der Aufklärung wahrzunehmen; dieses Verhältnis kann auch nicht anschließend in einer übergreifenden Reflexion zurückgenommen werden — wie dies im kritischen Rationalismus und in der Systemtheorie geschieht —, wenn man nicht in Widerspruch zum eigenen Erkenntnisinteresse geraten will. Dies besagt jedoch nicht, daß der im Sinne der Kritischen Theorie vorgehende Wissenschaftler keine empirischen Daten über die Betroffenen erheben könnte; aber Theorien und Daten werden zur Beseitigung der von Forscher und Betroffenen als negativ erkannten Bedingungen sozialen Handelns erstellt und eingesetzt. Soziale Probleme der Betroffenen erhalten für den Forscher Verbindlichkeit, weil er auf dem Hintergrund einer gesamtgesellschaftlichen Analyse die Problembedingungen als Negation der Möglichkeit einer Emanzipation von Individuen ansehen muß. 90

In der Kritischen Theorie wird also die Problemauswahl durchaus nach gesellschaftlichen Relevanzkriterien bestimmt und nicht — wie im kritischen Rationalismus — danach, ob sie zur Überprüfung theoretischer Erkenntnis beiträgt. Die Relevanzentscheidung wird aber auch nicht einfach der Gesellschaft überlassen — wie in der Systemtheorie —, sondern ergibt sich aus der gesamtgesellschaftlichen Theorie, die ihrerseits am emanzipatorischen Interesse orientiert ist. Die vom kritischen Rationalismus zu erhebende mögliche Kritik an der Qualität der über eine action-research-Strategie gewonnenen Daten ist vom Standpunkt der Kritischen Theorie unerheblich, weil diese Art des Umgangs mit Daten genau den Erfordernissen der Kritischen Theorie entspricht8. Die Komplexität des Feldes bedarf als spezielles theoretisches Problem hier keiner besonderen Problematisierung; sie stellt sich als allerdings pragmatisches Problem der optimalen Kooperation von Forschern und Betroffenen in Hinblick auf das gemeinsame Ziel der Veränderung der sozialen Situation9. Mit dem Versuch der Realisierung einer Subjekt-SubjektBeziehung zwischen Forscher und Betroffenen stellt sich allerdings für eine im Sinne Kritischer Theorie vorgehende Aktionsforschung eine zentrale Problematik: die Herstellung dieser Beziehung, ohne daß sowohl Forscher wie Betroffene von ihren unterschiedlichen sozialen Rollen abstrahieren und sich in einem quasi gesellschaftsfreien Raum zu begegnen suchen. Was als pädagogisches Ziel einer Kritischen Aktionsforschung — für Forscher und Betroffene — aufgefaßt werden kann (Hering in diesem Band), bedeutet dann zugleich eine Verschleierung der gesellschaftlichen Differenzen, die zwischen Forscher und Betroffenen weiterhin bestehen. Werden diese objektiven Differenzen um der Bemühungen der Subjekt-Subjekt-Verständigung willen ausgeklammert, so besteht die Gefahr, daß die gesellschaftlichen Zwänge, denen Forscher und Betroffene unterschiedlich ausgesetzt sind und die es transparent zu machen gilt, weder thematisiert noch ansatzweise einer Veränderung ausgesetzt würden. 91

2.4 Historischer Materialismus Für den historischen Materialismus stellt sich generell das Problem, wie eine Soziologie, die sich als eigenständige Wissenschaft entwickelt hat und versteht, für den alle Sozialwissenschaften komplex konzipierenden eigenen Ansatz fruchtbar gemacht werden kann. Zentrale Frage ist es, zwischen Ideologiekritik und Politökonomie als zwei Polen historisch-materialistischer Analyse die historischkonkrete Ausformung gesellschaftlichen Handelns als sozialwissenschaftliche Problemstellung zu erkennen. In der Kritischen Theorie wird gesellschaftliche Realität als widersprüchliche begriffen; sie realisiert sich vor allem in dem Widerspruch zwischen dem einzelnen Individuum und gesellschaftlichen Zwängen, die es an seiner Emanzipation hindern. Ebenso wird auch im historischen Materialismus eine gesellschaftliche Widersprüchlichkeit angenommen, die sich hier aber als objektive zwischen Klassen realisiert, deren Mitglieder bezüglich ihrer Stellung zu den Produktionsmitteln bestimmt werden. Der Kritischen Theorie geht es demnach um das einzelne Individuum, bezogen auf die sozialen Zwänge, die seine konkrete Situation ausmachen; im historischen Materialismus dagegen wird das Individuum stets vor dem Hintergrund seiner objektiven Klassenzugehörigkeit analysiert. Hierbei werden Klassen als abstrakte Ordnungsschemata aufgefaßt, die jedoch nicht relativ beliebig wählbar sind wie etwa mathematische Strukturen, sondern eindeutig an der Realität, nämlich den verschiedenen Formen der Verfügung über Produktionsmittel und den darüber eingegangenen sozialen Beziehungen, festzumachen sind. Nun wird in der historisch-materialistischen Theorie nicht angenommen, daß sich aus der Klassenlage eines Individuums bereits unmittelbar sein konkretes Verhalten ableiten ließe. Aufgabe der Theorie ist es vielmehr, durch Analyse der konkreten Ausformungen der Klassenverhältnisse und daraus resultierenden strukturellen Lebensbedingungen das je sich darstellende, empirisch faßbare Verhalten zu erklären, das auf92

grund der Klassenzugehörigkeit und der daraus folgenden sozialen Verhältnisse konstruiert werden kann. Die Theorie hat über eine Bestimmung der konkreten materiellen Situation des Individuums sein subjektives Bewußtsein und dessen Differenz zum objektiven Interesse zu erklären10. Das Interesse der Theorie zielt also einmal auf die Analyse der Strukturbedingungen der Genese konkreten subjektiven Bewußtseins und seiner Abweichung vom der Klassenlage entsprechenden Interesse, zum anderen aber auf die Schaffung von Bedingungen für die Aufhebung dieser Differenz über konkret praktisches Handeln, d. h. auf aktive Auseinandersetzung mit der Realität, die Einsicht in die eigene Klassenlage vermittelt; erst durch konkrete revolutionäre Praxis könne die Arbeiterklasse, die in der Theorie lediglich eine Klasse an sich ist, zu einer Klasse für sich werden, d. h. Klassenbewußtsein entwickeln. In diesem Sinne ist marxistische Theorie darauf angewiesen, praktisch zu werden. Grundannahme ist, daß aufgrund des der Klassenlage entsprechenden Interesses nur diejenigen, die nicht über Produktionsmittel verfügen, die Bedingungen, die zur Entstehung eines falschen, d. h. die Fortexistenz der momentanen Verteilung der Produktionsmittel garantierenden Bewußtseins führen, real verändern können. Hieraus ergibt sich, gerade im Gegensatz zur Kritischen Theorie, eine starke Relativierung der Relevanz der Wissenschaft als Träger gesellschaftlicher Veränderung. Wenn es darum geht, eine als eigenständige Disziplin verstandene Soziologie in den historischen Materialismus zu integrieren, so stellt sich die Frage, wie eine sich historischmaterialistisch interpretierende Soziologie konkret vorzugehen hat. Gerade für diese Problematik bietet Aktionsforschung, in der sich verändernde Theorie und Praxis in einem ständigen Rückkoppelungsprozeß miteinander stehen, einen Ansatzpunkt, welcher möglicherweise Soziologie für den historischen Materialismus relevant werden läßt, und zwar insofern, als im action research die Entwicklung situationsspezifischer konkreter Handlungsstrategien, die zur Einsicht in die eigene Klassenlage führen 93

können, systematisch möglich wird. Allerdings weist die Aktionsforschung gerade für einen historisch-materialistischen Ansatz erhebliche Begrenzungen auf, die darin bestehen, daß nur punktuell einzelne Probleme in gesellschaftlichen Teilbereichen angegangen werden können; wieweit dieses Aufgreifen und Lösen von Einzelproblemen eher sozial integrativ als initiierend für gesellschaftliche Veränderungen durch Veränderung der Produktionsverhältnisse wirkt, läßt sich nicht vor, sondern erst nach dem Sicheinlassen auf die konkrete Situation entscheiden. Hieran verdeutlicht sich bereits, daß für einen im historischmaterialistischen Sinne vorgehenden action-research-Ansatz die Problemauswahl und die davon betroffenen Gruppen von zentraler Bedeutung sind. Der historische Materialismus versteht sich als eine parteiliche Wissenschaft, die sich an den Interessen des Proletariats zu orientieren sucht und von daher Forschungsziele und methodische Vorgehensweisen bestimmt. Wie im action research generell, werden von der Gesellschaft vorgegebene konkrete Problemstellungen angegangen. In der Problemauswahl muß es allerdings auch darum gehen, ob und wieweit konkrete Ansatzpunkte vorliegen, die auf eine real durchführbare Praxis im historisch-materialistischen Sinne schließen lassen. Action research kann sich hier nicht damit begnügen, im kritischen Sinne Einsichten zu vermitteln und in Notsituationen punktuell zu helfen, sondern muß darauf abzielen, daß die kritische Intention — zumindest punktuell — sich als »tatsächliche Befreiung aus undurchschauten Machtund Zwangsverhältnissen«, also als erfolgreiche Praxis im Hinblick auf Konstituierung des Klassenbewußtseins der Betroffenen realisiert (Ritsert/Becker, S. 48). Damit stellt sich die Aufgabe der Problemauswahl als Aufgabe einer konkreten Analyse der gesellschaftlichen Situation; denn nur solche Probleme werden aufgegriffen, die als Bruchstellen des Systems angesehen werden können und deren Relevanz im Hinblick auf strukturelle Veränderungen der Gesellschaft durch historisch-materialistisch angelegte Tendenzanalysen ausgewiesen worden ist. 94

Im Hinblick auf die Komplexität des Feldes läßt das Interesse an möglicher Praxis es nicht zu, einzelne Variablen als irrelevant oder als Randbedingungen aus dem Feld herauszunehmen, sondern das praktische Interesse bedingt die Notwendigkeit, sich als explizit in einem permanenten Entdeckungszusammenhang befindlich zu verstehen11. Die im action research angestrebte Neubestimmung der Subjekt-Objekt-Differenz wird von der Kritischen Theorie als vollständige Subjekt-Subjekt-Beziehung intendiert. Als Problem bleibt jedoch, daß der grundsätzliche Vorrang der Theorie über Alltagserkenntnis bestenfalls ein »pädagogisches« Verhalten des Forschers gegenüber den Betroffenen zuläßt. Vom Standpunkt des historischen Materialismus ist der Forscher einerseits genötigt, in der praktischen Interaktion mit den Betroffenen diese als Träger praktischer Erfahrung zu akzeptieren und die Distanz zwischen Forscher und Erkenntnisobjekt aufzugeben; andererseits werden die Betroffenen vom Forscher nicht als die jeweilig einzelnen Subjekte belassen, sondern als Angehörige ihrer Klasse in der theoretischen Reflexion verobjektiviert. Zum dritten aber muß der Forscher seine Beziehungen zu den Betroffenen unter dem Gesichtspunkt sehen, daß diese — und nicht er als Wissenschaftler — als die eigentlichen Träger gesellschaftlicher Veränderungen aufzufassen sind.

3 Folgerungen In der Einleitung haben wir Aktionsforschung als eine Möglichkeit für die Soziologie interpretiert, dem Vorwurf des nicht reflektierten Praxisbezugs zu entgehen — ein Vorwurf, der im Positivismusstreit eine wichtige Rolle spielte. Es wäre zu prüfen, inwiefern dieser wohl nicht zufällig erhobene Vorwurf auch auf veränderte gesellschaftliche Anforderungen an die Sozialwissenschaften zurückzuführen ist, denen sie nur dann optimal entsprechen können, wenn sie zunehmend flexibel auf soziale Konflikte eingehen, und zwar mit der Intention, Lösungsstrategien zu 95

entwickeln, die die am Konflikt Beteiligten frühzeitig in die Lage versetzen, selbst zur Lösung ihrer Konflikte beizutragen. Auch wenn sich das so verhält, so sind die Probleme der Soziologie, sich wissenschaftstheoretisch und politisch zu definieren, noch nicht dadurch beantwortet, daß die Soziologie praktisch wird; es bleibt die offene Frage, welches Ziel den gesellschaftsverändernden Intentionen einer praktisch gewordenen Soziologie zugrunde liegt. Gerade bezüglich des action research würden wir im Anschluß an die bisherigen Überlegungen die Hypothese vertreten, daß Aktionsforschung auf einer instrumentellen und nicht auf einer theoretischen Ebene anzusiedeln ist; konkret bedeutet dies, daß es bei unterschiedlicher Gewichtung der einzelnen Komponenten von action research möglich ist, ihn gemäß der jeweiligen wissenschaftstheoretischen und politischen Position instrumentalistisch einzusetzen. Er scheint kompatibel mit den von uns analysierten wichtigsten wissenschaftstheoretischen Positionen. Diese These wäre allerdings noch anhand der vorliegenden Arbeiten zum action research und einer Analyse der im Sinne des action research durchgeführten Forschungsprojekte zu überprüfen. Die Frage der wissenschaftstheoretischen und politischen Positionsbestimmung der Soziologie verlagert sich also von der wissenschaftstheoretischen Diskussion auf die Ebene der im Sinne von Aktionsforschung durchgeführten Forschungspraxis und stellt sich hier nicht weniger scharf: ein konkret durchgeführter action-research-Ansatz bedarf in seinen einzelnen Aspekten stets einer Präzisierung bezüglich seines wissenschaftstheoretischen Hintergrundes, erhält nur dadurch seine Konsistenz und ist erst auf der Folie seines jeweiligen wissenschaftstheoretischen Bezugsrahmens zu beurteilen. Da action research sich als eine Gegenposition zu den herkömmlichen Sozialwissenschaften begreift, liegt allerdings die Gefahr sehr nahe, sich mit der Tatsache, daß eine Praxis im Feld vorliegt, zu begnügen, ohne den eigenen wissenschaftstheoretischen und politischen Standort zu reflek96

tieren, zumal die praktische Arbeit im Feld diese Notwendigkeit nicht unmittelbar erfordert. Ein so verkürzt verstandener action research kann dann als Legitimation dafür dienen, auf wissenschaftstheoretische und gesellschaftliche Reflexion zu verzichten und sich unreflektiert beliebigen gesellschaftlichen Verwendungsinteressen auszusetzen. Die Notwendigkeit einer Reflexion des eigenen Standpunktes wird hier allerdings besonders deutlich, da action research — mit welchen bewußten oder unbewußten Intentionen auch immer durchgeführt — per definitionem praktisch wird und in gesellschaftliche, außerwissenschaftliche Prozesse eingreift.

Anmerkungen 1 Die Problematisierung von action research unter wissenschaftstheoretischen Gesichtspunkten erscheint uns aufgrund konkreter Erfahrungen des in Hamburg seit zwei Jahren durchgeführten Projektes »Osdorfer Born« notwendig (vgl. Projekt Osdorf er Born in diesem Band). Nach einer Reihe von Diskussionen läßt sich vermuten, daß dort aufgetretene Differenzen zum großen Teil auf unterschiedliche Interpretationen der Funktion und der Möglichkeiten von Aktionsforschung zurückzuführen sind, daß aber diese Differenzen auf der Ebene der Aktionsforschung selbst nicht auszutragen sind, wenn nicht sowohl der wissenschaftstheoretische als auch der damit verknüpfte gesellschaftspolitische Hintergrund der an der Forschung Beteiligten explizit mit einbezogen wird. Dieser Aufsatz soll die Notwendigkeit einer in diese Richtung vertiefenden Diskussion verdeutlichen, denn wir nehmen an, daß wissenschaftliches Arbeiten auf der Grundlage von Aktionsforschungsstrategien zumindest im jetzigen Stadium ihrer kaum Festlegungen verlangenden Entwicklung keine Verbindlichkeit auf wissenschaftstheoretischer und politisdi-praktischer Ebene mit sich bringt. 2 Mit dieser Hinwendung zur Praxis und der damit erfolgenden Infragestellung des traditionellen Erkenntnisinteresses der Sozialwissenschaften ergibt sich allerdings eine überraschende Parallele zu einem von C. S. Peirce explizit formulierten Erkenntnis- und Sinnprinzip, nämlich dem von ihm begründeten Pragmatismus. Hier wird sinnvolle Erkenntnis dadurch definiert, daß aus ihr praktische Konsequenzen, also Handlungsanweisungen, unmittelbar abzuleiten sind; Praxisrelevanz ist also hier nicht etwas der theoretischen Erkenntnis zusätzlidi Aufgesetztes, sondern Konstituens der Sinnhaftigkeit von Erkenntnis überhaupt. Vgl. C. S. Peirce, Schriften I., hrsg. von K. O. Apel, Frankfurt 1968.

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3 Vgl. hierzu etwa die Kritik von H. Albert, Modell-Platonismus, in: E. Topitsdi (Hrsg.), Logik der Sozialwissenschaften, Köln/Berlin 1965. Die mangelnde Realitätsbezogenheit der Modelle läßt sich darauf zurückführen, daß ceteris paribus Bedingungen in die Modelle eingeführt werden müssen und so komplexe soziale Situationen grundsätzlich nicht mehr getroffen werden. Damit können auch soziale Daten nur noch in restringierter Form interpretiert werden. Auf die grundsätzlichen Mängel dieses Verfahrens zur Datengewinnung machen allerdings bereits Autoren aufmerksam, die dem Kontext des kritischen Rationalismus angehören, wie z. B. M. Mandelbaum, Societal Facts, in: Madden (ed.), The Structure of Scientific Thought, Boston 1960. Hier wird auf die Unmöglichkeit hingewiesen, soziales Verhalten in individualpsychologischen Kategorien zu fassen, da jede Interpretation sozialer Fakten eine Kenntnis der Situation voraussetzt, die dieses Verhalten einerseits determiniert und andererseits auch erst erklärt. Interpretation sozialer Daten setzt demnach immer schon die — prinzipielle — Erfassung konkreter gesellschaftlicher Totalität voraus. Vgl. auch J. Ritsert / E. Becker, Grundzüge sozialwissenschaftlichstatistischer Argumentation, Opladen 1971, S. 32 ff. 4 Unter Kommunikation wird hier die gemeinsame Verständigung und Anerkennung zweier Subjekte verstanden, die sich gemeinsam um Sinn und Handlungsmöglichkeiten bemühen. Vgl. auch K. O. Apel, Szientistik, Hermeneutik, Ideologiekritik, in: Apel u. a., Hermeneutik und Ideologiekritik, Frankfurt 1971. 5 Einer derartigen Position ist unseres Erachtens Fairweather (1967) zuzurechnen. 6 Wenn wir im folgenden versuchen, den action research auf die Systemtheorie zu beziehen, so setzen wir uns mit der Luhmannsdien Konzeption der Systemtheorie auseinander, weil uns dieser Ansatz wegen seiner Grundannahme konstanter Funktionen der Reduktion von Komplexität bei sich entsprechend verändernden Strukturen für unsere Problemstellung besonders wichtig erscheint. 7 Als Vertreter eines systemtheoretisch orientierten action research kann z. B. Argyris (1962) angesehen werden. 8 Die Konsequenzen dieses Postulats für die empirische Sozialforschung wurden allerdings nie eindeutig eingelöst. 9 »Die empirische Sozialforschung kommt darum nicht herum, daß alle von ihr untersuchten Gegebenheiten, die subjektiven nicht weniger als die objektiven Verhältnisse, durch die Gesellschaft vermittelt sind. Das Gegebene, die Fakten, auf die sie ihren Methoden nach als auf ihr Letztes stößt, sind selber kein Letztes, sondern ein Bedingtes. Sie darf daher nicht ihren Erkenntnisgrund — die Gegebenheit der Fakten, um welche ihre Methode sich müht — mit dem Realgrund verwechseln, einem Ansichsein der Fakten, ihrer Unmittelbarkeit schlechthin, ihrem Fundamentalcharakter« (Adorno 1965, S. 523). Vgl. audi Anmerkung 2. 10 Gemäß der Intention der Kritischen Theorie begreifen etwa Bittner/Flitner (1969) ihren action-research-Ansatz. 11 Vgl. zum Begriff der materiellen Situation Marx/Engels, Deutsche

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Ideologie: »Die gesellschaftliche Gliederung und der Staat gehen beständig aus dem Lebensprozeß bestimmter Individuen hervor; aber dieser Individuen nicht, wie sie in der eigenen oder fremden Vorstellung erscheinen mögen, sondern wie sie wirklich sind, d. h., wie sie wirken, materiell produzieren, also wie sie unter bestimmten materiellen und von ihrer Willkür unabhängigen Schranken, Voraussetzungen und Bedingungen tätig sind.« MEW 3, S. 25.

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Richard Pieper Aktionsforschung und Systemwissenschaften

Innerhalb der Aktionsforschung werden wissenschaftliche Theorien nicht im engeren Sinne geprüft, sondern praktisch umgesetzt in Handlungsmaximen. Leitmotiv des Beitrages ist die Vorstellung, Aktionsforschung als interdisziplinäre, problemorientierte Innovationsstrategie zu entwickeln, die mit einer Methodologie angewandter Forschung am pragmatischen Erfolg oder Nutzen von konstruierten Systemen orientiert ist und nicht (bzw. nicht primär) an der Entwicklung allgemeiner falsifizierbarer oder verifizierbarer Theorien. Eine gewisse Allgemeingültigkeit im Sinne eines breiten, praktischen Anwendungsbereichs könnte sich aber für die Strategien innerhalb der Aktionsforschung selbst herausstellen, etwa für ein Organisationsmodell dieser Forschungspraxis in Analogie zu den Standardnetzplänen der Operationsforschung. Die damit angesprochenen methodischen und methodologischen Fragen sollen im folgenden im Vordergrund stehen. Zwei zentrale Probleme der Aktionsforschung werden ausgeklammert, nämlich das Problem der Herkunft und Legitimation von Zielen und Problemstellungen und seine politisch-gesellschaftlichen Aspekte sowie die Probleme der praktischen, aktuellen Kommunikationsprozesse in einem Aktionsforschungsprojekt. Auch auf ursprüngliche Konzeptionen dieser Forschungsstrategie (z. B. Lewin 1953, Whyte und Hamilton 1965) möchte ich nicht eingehen, von denen dieser Vorschlag einer Entwicklung von Aktionsforschung zu einer »Humantechnik« abweicht. Auf eine kurze Formel gebracht, bezeichnet Aktionsforschung eine Forschungsstrategie, durch die ein Forscher oder ein Forschungsteam in einem sozialen Beziehungsgefüge in Kooperation mit den betroffenen Personen aufgrund einer ersten Analyse Veränderungsprozesse in Gang setzt, beschreibt, kontrolliert und auf ihre Effektivität zur Lösung eines bestimmten Problems beurteilt. Produkt des 100

Forschungsprozesses ist eine konkrete Veränderung in einem sozialen Beziehungsgefüge, die eine möglichst optimale Lösung des Problems für alle Betroffenen bedeutet. Zum Unterschied von therapeutisch-klinischen Ansätzen wird in der Aktionsforschung dabei nicht von einem »gesunden Zustand« ausgegangen, der aus einem traditionsgebundenen Verständnis »normaler« oder »natürlicher« Verhältnisse hervorgeht und eine Anpassung an oder Wiederherstellung von solchen Verhältnissen anstrebt. Aktionsforschung wird auch nicht als »Krisenwissenschaft« verstanden, sondern vor dem Hintergrund einer Theorie des stetigen gesellschaftlichen Wandels werden neuartige Lösungen für geschichtlich entstandene soziale Probleme gesucht. Diese Probleme bestehen nicht nur in »Krisen«, sondern ebenso in der Verwirklichung praktischer, politischer Zukunftsvorstellungen. Probleme stellen sich auch in dem Versuch, eine grundsätzlich offene Zukunft mit konkreten Utopien auszufüllen. Aktionsforschung ist eine problemorientierte und problemlösende Forschungsstrategie. Aus der Natur ihrer charakteristischen Problemstellungen werden sich somit audi die Eigenschaften der Aktionsforschung ergeben müssen.

Zur Systemtheorie in der Aktionsforschung Zunächst sind einige begriffliche Unterscheidungen erforderlich. In Aktionsforschungsprogrammen werden die Begriffe »Feld«, »System« und »Projekt« oft synonym gebraucht. Ich möchte den Begriff »Feld« für das konkrete soziale Beziehungsgefüge reservieren, in dem die Forschungspraxis durchgeführt wird und das als realer Lebenszusammenhang von Forschern und anderen Personen, die in diesem Beziehungsgefüge stehen und es wesentlich ausmachen, durchaus unterschiedlich verstanden und abgegrenzt wird1. Dieses konkrete, komplexe Feld geht nie völlig in Modelle, Planungsgrundlagen und ähnliche Abstraktionen ein, sondern stellt den nicht für alle vollständig 101

gemeinsamen Erfahrungshintergrund her, der für Verständigung und praktisches wie wissenschaftliches Handeln unerläßlich ist. Den Begriff »System« verwende ich im folgenden, um Abstraktionen von oder Konstruktionen in diesem Feld und der Forschungspraxis zu bezeichnen, die von Forschern und anderen Personen unter bestimmten Gesichtspunkten hergestellt werden. Ein System besteht aus einer Menge von Objekten oder Personen, ausgewählten Eigenschaften und bestimmten Beziehungen oder Relationen, wobei der entscheidende Gesichtspunkt das Systemprinzip ist, d. h. die besondere Struktur oder Organisation im System durch die Relationen (Hall/Fagan 1956; Angyal 1941). Soziale Systeme müssen zudem als »offene Systeme« gedacht werden, d. h. als Systeme, die mit ihrer Umwelt in einem Austausch von Informationen und Gütern stehen. »Offene Systeme« sind immer auch selbstregulatorische Systeme in bezug auf bestimmte Systemeigenschaften. Entgegen den Einflüssen der Umwelt werden diese Eigenschaften aufrechterhalten (Struktureigenschaften) oder jeweils bei einer Störung neu hergestellt (Ziele oder Soll-Zustände). Ein »offenes System« besitzt also immer (mindestens) einen Verhaltenszyklus oder Regelkreis, der die Austauschprozesse kontrolliert. Auf die berechtigte Kritik an der Betrachtungsweise von sozialen Beziehungsgefügen oder einer Gesellschaft als selbstregulatorischen Systemen möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen. Es sei nur festgestellt, daß in der Aktionsforschung nicht vornehmlich die Frage gestellt ist, ob ein soziales Beziehungsgefüge ein selbsregulatorisches System ist, sondern wie man es in bezug auf die Lösung eines gestellten Problems dazu machen kann. Dieser praktische, technologische Gesichtspunkt läßt es sinnvoll erscheinen, das Begriffssystem der Systemtheorie und der Kybernetik zu verwenden. Audi Habermas (1971) räumt in einer kritischen Stellungnahme zur Systemtheorie die Brauchbarkeit dieses Bezugssystems für die Lösung von Steuerungsproblemen ein. Die Problemsituation in der Aktionsfor102

schung kann aber als äquivalent dem Problem der Steuerung eines »großen Systems« angesehen werden. Mit »großem System« ist gemeint, daß die Zusammenhänge so komplex sind, daß sie für eine Steuerungseinheit nicht voll überschaubar und damit natürlich audi nicht die Ziele des Systems eindeutig erkennbar und Prozesse kontrollierbar sind2. Die Einheit von Feld und Forschungspraxis stellt ein solches »großes System« dar, das von Personen des Feldes und dem Forschungsteam so gesteuert und strukturiert werden muß, daß das gestellte Problem gelöst wird. Das Problem liefert den notwendigen übergeordneten Bezugsgesichtspunkt für die funktionalistische und ganzheitliche Betrachtungsweise. Die Abgrenzung des Systems zur Umwelt hin wird sinnvollerweise entlang den Grenzen der eigenen Handlungs- und Einflußmöglichkeiten gezogen. Der funktionalistische, systemtheoretische Ansatz soll nicht vornehmlich zur Beschreibung empirischer Prozesse verwendet werden, sondern zur Strukturierung des innovativen Handelns und als ein methodisches und heuristisches Prinzip. Das »Projekt« bezeichnet nun die Steuereinheit in diesem System, die Kooperationsgemeinschaft aus Personen des Feldes und den Forschern, die das System in bezug auf das Problem erst selbstregulatorisch werden läßt. Die Steuereinheit ist auch wiederum ein selbstregulatorisches, reflexives System. Dieses Merkmal unterscheidet ein Aktionsforschungsprojekt von anderen Forschungsprojekten. Es ist zwar richtig, daß audi Prozesse in anderen Forschungsstrategien als selbstregulatorisdie Mechanismen gedeutet werden können, aber in der Aktionsforschung wird das Projekt von vornherein und bewußt als eine Steuereinheit konstruiert. Der systemtheoretische oder kybernetische Ansatz liefert somit einmal normative Modelle für die Konstruktion der Beziehungen zwischen Feld und Forschung. Nach diesem Modell werden reale Systeme konstruiert, etwa organisatorische Strukturen, und Handlungsmaximen entwickelt, wie sie sich zum Beispiel in Instruktionen für Beobachter 103

oder Regeln für Entscheidungsprozesse niederschlagen. Dabei ist zu beachten, daß die Frage, ob ein System durch ein Projekt selbstregulatorisch in bezug auf bestimmte Probleme und Eigenschaften wird, jeweils empirisch nachzuweisen ist. Damit ist unter anderem gefordert, daß in diesem Projekt bestimmte Ereignisse, speziell die Erfolgskriterien für Operationen und Innovationen, auch in einen zureichend eindeutigen Zusammenhang mit entsprechenden Maßnahmen gebracht werden können. Zum anderen wird die Systemtheorie als Heuristik und Verständigungsmittel eingesetzt. Als Heuristik dient die Systemtheorie dadurch, daß sie als ein allgemeines Ordnungskonzept oder Interpretationsmittel komplexe soziale Beziehungsgefüge und ihre Prozesse vergleichbar macht. Diese vergleichende Methode eröffnet die Möglichkeit, sich Alternativen für bestimmte Strukturen und Prozesse vorzustellen. Solche ganzheitlichen, systemtheoretischen Betrachtungen sind wirksame Informationsraffer, die nicht nur die Verständigung zwischen den Forschern, sondern besonders zwischen Feld und Forscher entscheidend erleichtern. Eine solche Funktion haben audi andere, konkretere Modelle, die von Prozessen im Feld entwickelt werden müssen und als Orientierung für die Planung von Innovation dienen. Das weitgehend heuristische Vorgehen in der Aktionsforschung erfährt über die direkten Erfahrungen des Forschers im Feld und über das Gespräch mit Personen des Feldes ständig neue und notwendige Anregungen für eine angemessene System- und Modellbildung. Wir halten also fest, daß Aktionsforschung sich dadurch auszeichnet, daß das Projekt als eine reflexive, selbstregulatorische Steuereinheit in einem komplexen System organisiert wird. Informationen und besonders die Ergebnisse wissenschaftlicher Erhebungen oder Experimente gehen direkt in Entscheidungsprozesse ein und leiten das praktische Handeln im Feld und die Strukturierung der Forschungspraxis.

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Aktionsforscbung und angewandte Systemwissenschaft3 Mit König (1969) nimmt Aktionsforschung eine Zwitterstellung zwischen reiner und angewandter Forschung ein. Einerseits sollen über gezielte und kontrollierte Innovationsprozesse, etwa in experimentellen Subsystemen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden, andrerseits stellt das Projekt einen Versuch der Anwendung und Umsetzung wissenschaftlicher Theorien in praktisches Handeln dar. Ich vertrete die Auffassung, daß für eine konsequente Entwicklung dieser Forschungsstrategie das Liebäugeln mit dem Prestige »reiner Forschung« aufgegeben werden sollte. Die Probleme angewandter Forschung stellen sich massiert in größeren Aktionsforschungsprojekten und sollten nicht durch zusätzliche Ansprüche noch kompliziert werden. Aktionsforschung sollte zu einer differenzierten »Humantechnik« ausgearbeitet werden. Den Begriff »Humantechnik« wähle ich in Anlehnung an eine Charakterisierung von Chin und Benne (1971) für Aktionsforschung und verwandte Ansätze. Methodologisch besteht zwischen Aktionsforschung als »Humantechnik« und anderen Soziotechniken kein Unterschied. Dieser neue Begriff soll nur dazu dienen, die negativen Assoziationen zu vermeiden, die sich inzwischen an den Begriff »Sozialtechnologie« aufgrund einer unreflektierten Praxis auf der Basis von unzureichenden Theorien knüpfen. Technologie bezeichnet ein System von Aussagen, das aus Theorien durch eine Transformation gewonnen werden kann, Technik hingegen eine Praxis, d. h. die Durchsetzung und Anwendung technologischer Aussagen über praktisches Handeln (Albert 1968). Sofern es soziologische Theorien gibt, verfügen wir auch über eine Sozialtechnologie. In Beiträgen zur Aktionsforschung wird leicht übersehen, daß nicht beliebige Veränderungen beabsichtigt sein können (nach dem Motto: »Es kann nur besser werden«). Für die Verwirklichung bestimmter Ziele ist aber Kontrolle und Voraussage möglicher Konsequenzen und damit technologisches Wissen er105

forderlich. Eine weitere Frage ist allerdings, ob die verfügbaren Theorien eine Sozialtechnologie und eine entsprechende Technik ermöglichen, die bestimmte, von uns als wichtig angesehene Probleme audi lösen können. Mit Ackoff (1962) können wir angewandte und reine Wissenschaft dadurch unterscheiden, daß angewandte Wissenschaft Probleme löst und reine Forschung Fragen beantwortet. Die Übergänge sind gewiß fließend, aber der Unterschied läßt sich trotzdem verdeutlichen. Von einem Problem sprechen wir, wenn wir eine Vorstellung von einem gewissen Zielzustand haben, den wir gerne verwirklichen möchten, und nach geeigneten, eventuell optimalen Mitteln zur Erreichung dieses Zielzustandes suchen. Sind die alternativen Mittel oder Wege bekannt, und geht es nur um eine Auswahl, so sprechen wir von einem evaluativen Problem oder Bewertungsproblem. Müssen solche Mittel und Wege erst gefunden werden, so stehen wir vor einem Entwicklungsproblem. Dieser zweite Fall dürfte in der Aktionsforschung die Regel sein. Probleme bestehen immer für bestimmte Personen in bestimmten Situationen, sie haben pragmatischen Charakter. Von Fragen wollen wir sprechen, wenn es nicht um die Realisation eines bestimmten Zustandes geht, sondern darum, was überhaupt möglich und was nicht möglich ist. Entsprechend der Methodologie von Popper (1934) geben Theorien und Gesetze der reinen Forschung Auskunft über die objektiven Beschränkungen (constraints) der Natur und erlauben damit »die Formulierung praktischer, technologischer Regeln, die angeben, was wir nicht tun können« (Popper 1963, S. 343). Die Ableitung, wie wir einen bestimmten Zustand verwirklichen oder ein gesetztes Ziel erreichen können, erfordert eventuell eine Kombination mehrerer Theorien und Gesetze und ihre Transformation in ein technologisches Aussagensystem. Es ergibt sich dann ein Selektionsproblem aufgrund der vielfältigen Theorien, Kombinationen und Ableitungen, die für eine Problemlösung relevant sein können. Wie Albert (1968) ausführt, erfordert die Formulierung soldier sozialtechnologischer 106

Aussagensysteme aufgrund von Theorien für bestimmte Problemstellungen eine »technologische Phantasie«. »Was sich logisch als eine tautologische Transformation theoretischer in relevante technologische Aussagen darstellt, ist also praktisch vielfach eine beachtliche Phantasieleistung. Die Begründung für diesen an sich seltsam anmutenden Tatbestand liegt darin, daß auch die Auffindung bestimmter logischer Zusammenhänge, Ableitungsmöglichkeiten und Konsequenzen in wichtigen Fällen nicht mechanisierbar ist. Man muß ein Ergebnis vielfach erst haben, um es ableiten zu können, und auch dann kann unter Umständen der Beweis der Ableitbarkeit große Schwierigkeiten machen« (Albert 1968, S. 194).

Mit diesem Hinweis auf die erfinderische Phantasie wird auch die zentrale Bedeutung des Problems für die Lösung praktischer Aufgaben hervorgehoben, denn die Problemstellung muß diese Phantasie orientieren können. Solche sozialtechnologischen Aussagensysteme und ihre Umsetzung in eine Technik zur Lösung bestimmter Probleme müssen nicht unbedingt aus Theorien gewonnen werden, sondern können das Ergebnis »sozialer Erfindungen« sein (Albert 1968). Die Erfahrungen mit der Durchführung bestimmter sozialtechnischer Projekte können sich in einem System von Maßnahmen und Anweisungen niederschlagen. In den Sozialwissenschaften besteht nun die Schwierigkeit, daß gegenwärtig nur wenige Theorien zur Verfügung stehen, die die Ableitung brauchbarer sozialtechnologischer Aussagensysteme für Projekte gestatten. Außerdem sind die verfügbaren Theorien oder Gesetze häufig unter speziellen Bedingungen, z. B. den »Standardbedingungen« von Experimenten, entwickelt und geprüft worden, die ihre direkte Umsetzbarkeit beeinträchtigen (Chapanis 1970). Dadurch wird es oft notwendig, die Theorien durch Zusatzannahmen ad hoc zu ergänzen. Die Aufforderung, Aktionsforschung zu betreiben, beinhaltet die Aufforderung, mit Hilfe der »technologischen Phantasie«, d. h. also über heuristische Verfahren, Systeme und Techniken zu erfinden und zu konstruieren, die praktische Probleme lösen. 107

Die sozialwissenschaftlichen Theorien, die erklären können, warum diese Systeme ihren Erfolg haben, können eventuell erst nachträglich entwickelt werden. Unter streng wissenschaftlichen Gesichtspunkten sind solche technischen Systeme natürlich unbefriedigend und müssen jeweils durch Theorien »eingeholt« werden. Unter praktischtechnischen Gesichtspunkten mag eine Systembildung aber notwendig und sinnvoll erscheinen, besonders dann, wenn die Umsetzungsprobleme einer Theorie sehr groß oder solche Theorien gar nicht gegeben sind. Ein weiteres Problem angewandter Forschung, das sich besonders im Rahmen von Aktionsforschungsprojekten stellt, ist das Problem der Kommunizierbarkeit von wissenschaftlichen Theorien. Die größere Generalisierbarkeit einer Theorie gegenüber einer anderen, einfacheren Theorie beinhaltet nicht notwendig, daß sie in einem begrenzten Anwendungsbereich genauere Aussagen erlaubt. Gerade wenn, wie in der Aktionsforschung, das Verständnis von Nicht-Wissenschaftlern für theoretische Zusammenhänge in einem Projekt erforderlich ist, empfiehlt es sich, eine einfachere, situations- und problemspezifische Modifikation der Theorie vorzunehmen. Diese Modifikation ist eine praktische, kreative Aufgabe, weil sie sich nicht unbedingt aus der ursprünglichen Theorie ableiten läßt. Wie schwierig dieses Problem ist, wird z. B. in Untersuchungen von Churchman und Ratoosh (Adkoff 1962) über die Bedingungen deutlich, unter denen Gruppen optimale Lösungen zu ökonomischen Problemen akzeptieren. Wie Ackoff berichtet, konnten die Autoren noch keine erfolgreiche Strategie finden, nach der ein Mitglied der Gruppe die anderen für eine optimale Lösung gewinnen konnte, obwohl die Lösung aus einem zugrunde gelegten, explizit formulierten Modell direkt ableitbar war. Komplizierte Theorien, die sich nicht in kommunizierbare, verständliche Handlungsanweisungen und Modelle für Nicht-Wissenschaftler umsetzen lassen, müssen in der angewandten Forschung oft durch Approximationen ersetzt werden. Das gleiche gilt auch für Theorien und Verfahren, die einen, auf 108

ihren Nutzen bezogen, praktisch unzulässigen Aufwand an Zeit und Kosten verlangen. Als einen letzten Punkt zur Problematik der Umsetzbarkeit wissenschaftlicher Theorien möchte ich noch auf die Schwierigkeiten interdisziplinärer Forschung hinweisen. Unsere praktischen Lebenszusammenhänge gliedern sich nicht fein säuberlich nach Fachdisziplinen. Das Problem der Kommunizierbarkeit stellt sich in diesem Falle nicht nur zwischen Feld und Forscher, sondern ebenso auf der Ebene des Inhaltes wissenschaftlicher Theorien zwischen den Forschern. Im Vollzuge einer gegenseitigen Verständigung über Inhalte, ihren Bezug aufeinander und auf das spezielle Problem und das jeweilige soziale Feld, werden wissenschaftliche Theorien eine Modifikation erfahren und erfahren müssen, wenn eine gemeinsame Umsetzung im Projekt erfolgen soll. In diesem Zusammenhang richten sich die wohl berechtigten Hoffnungen vieler Autoren (Boulding 1956; v. Bertalanffy 1962; Ackoff 1960) auf die Systemtheorie und ihre mögliche Funktion als ein integrierendes »Skelett der Wissenschaft« (Boulding 1956). Kritisch muß in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, daß der beliebte, in Fremdwörtern schwelgende Soziologenjargon zumindest in einer Aktionsforschung schlicht keinen Platz hat (sofern er überhaupt eine Existenzberechtigung hat). Eine präzise Fachsprache ist gewiß notwendig, aber in der Aktionsforschung müssen audi terminologische Entscheidungen die Gegebenheiten des Feldes berücksichtigen. Audi das Vokabular der Systemtheorie verursacht häufig Vermittlungsprobleme. Audi zu diesem Beitrag muß kritisch angemerkt werden, daß seine Sprache für die meisten Projekte zu »soziologisch« ist. Da aber interdisziplinäre, angewandte Forschung noch in den Anfängen steckt, ist eine angemessene Sprache für die Aktionsforschung vorläufig noch gar nicht entwickelt. Aus diesen Gründen ist die Transformation von sozialwissenschaftlichen Theorien in Sozialtechnologien nicht eine einfache logische Operation und ein Selektionsproblem, sondern eine praktische kreative Aufgabe. In der ange109

wandten, interdisziplinären Systemwissensdiaft und damit audi in der Aktionsforschung geht es um die Konstruktion komplizierter Schlußsysteme, die nicht im strengen Sinne über die Wirklichkeit informieren wie Theorien, sondern Instrumente sind, die praktisches Handeln leiten können. Im Rahmen der Systemwissenschaft (systems science) ziehen einige Autoren, wie Sackman (1967), Ackoff (1960) oder Chapanis (1970), recht radikale Konsequenzen für die Konstruktion von komplexen Mensch-Maschine-Systemen, die auch für die Aktionsforschung methodische und methodologische Relevanz haben, insofern die Problemstellung gleich ist. Unter entscheidungstheoretischen Gesichtspunkten stellt sich der Aktionsforschung meist ein »offenes« oder nichtoperationales Problem (Kirsch 1971), d. h., es gibt keine eindeutigen, operationalisierbaren Kriterien, die über den Erfolg des Projekts oder die Realisation des Zielzustandes entscheiden. Eine heuristische Problemlösungsstrategie muß also die Ziele mit Hilfe der verfügbaren Mittel ebenso wie die Mittel im Hinblick auf Zielvorstellungen im Verlaufe des Prozesses präzisieren. Gleichzeitig gilt es, mit einer Ausformulierung der Ziele auch operationale Kriterien für die Prüfung der Frage zu entwickeln, ob man die Ziele erreicht hat oder nicht. Solche offenen Problemsituationen ergeben sich besonders leicht, wenn eine Lösung sehr wenigen Beschränkungen unterliegt, d. h. die Zahl der möglichen Strategien sehr groß ist, oder das Ziel sehr komplex ist. Ein gutes Beispiel für ein »offenes« Problem ist die Verwirklichung der »Emanzipation des Menschen«, die als ein oberstes Ziel in von der Kritischen Theorie beeinflußten Projekten genannt wird. Eine genaue Definition des Zielzustandes ist hier unmöglich, es gelingt nur, einige notwendige Bedingungen und negative Abgrenzungen zu bezeichnen, die ihrerseits meist noch sehr vage sind. In der Aktionsforschung müssen somit häufig Entscheidungen mit Ungewißheit über die Eigenschaften des Zielzustandes, über die Art und Anzahl der möglichen Strategien, die Erfolgskriterien und über die Kosten oder den 110

Nutzen von solchen Zielen und Strategien gefällt werden. In einem solchen Entscheidungsprozeß spielen subjektive Wahrscheinlichkeiten und Bewertungen notgedrungen eine große Rolle, weil objektive Informationen und Maßstäbe fehlen. Aktionsforschung als angewandte Forschung unter Zeit- und Handlungsdruck verlangt eine Vielzahl solcher Entscheidungen, auch in bezug auf Theorien. Eine Methodologie der angewandten Forschung muß eine Beurteilung von Theorien unter dem Gesichtspunkt ihres situationsbedingten und eventuell subjektiven Nutzens erlauben. Theorien werden damit zu Mitteln oder Instrumenten zur Verwirklichung bestimmter Ziele. Ein speziell für die Aktionsforschung sehr schwieriges Nutzenproblem knüpft sich z. B. an die Frage, ob Personen im Feld bereit sind, Theorien der einen oder anderen Art als Grundlage für Handlungsmaximen und zur Beurteilung von Prozessen im Feld zu akzeptieren. Sackman (1967) stellt aus ähnlichen Überlegungen heraus die Forderung nach einem »systematischen Eklektizismus« und einer »Echtzeitwissenschaft« (real time science) auf. Seine Konzeption entwickelt er vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen mit der Konstruktion komplexer MenschMaschine-Systeme, z. B. in den amerikanischen Weltraumforschungsprojekten. Mit systematischem Eklektizismus ist gemeint, daß Theorien, Gesetze, Hypothesen und Ideen aus verschiedensten Wissensgebieten (eventuell per Analogieschluß) entlehnt und in konkreten, problemorientierten Projekten in »quick-and-dirty«-Experimenten (Chapanis 1970) auf ihre Brauchbarkeit geprüft werden. Solche Projekte werden als extrem lernfähige Mensch-MaschineSysteme mit einem extensiven Gebrauch von Computern konstruiert. Echtzeitwissenschaft bedeutet dann, daß diese Wissenschaft keine allgemeinen Theorien entwickelt, sondern durch Systembildung und über heuristische Strategien Probleme löst, so wie sie sich im konkreten Ablauf (real time) der sozialen Prozesse stellen. Um sich nicht nur reaktiv auf neue Situationen einstellen zu müssen, wird mit Hilfe von Computern ein möglichst differenziertes Modell 111

von Projekt und Umwelt gebildet und ständig verbessert. Über die verschiedensten Simulationstechniken werden dann Voraussagen und Planung möglich. Da soziale Prozesse vorläufig noch schwierig zu simulieren sind, werden solche Modelle durch Planspiele oder Entscheidungsspiele oder allgemein durch das Einbeziehen von relevanten Personen in den Simulationsprozeß ergänzt. Auch der Ansatz von Fairweather (1967) zielt teilweise in eine ähnliche Richtung. Fairweather schlägt die Lösung von Problemen über kontrollierte Experimente mit verschiedenen Lösungsversuchen in vergleichbaren »Subsystemen« vor. Diese Subsysteme sollen innerhalb des Feldes gebildet werden. Dies ist nur möglich, soweit die Struktur des Problems und des Feldes es erlauben. Häufig wird dieses Verfahren nur auf Teilprobleme anwendbar sein, weil das ganze System in der Regel nicht mit einem anderen System experimentell verglichen werden kann. Dennoch ist dieses Verfahren ein wichtiger Bestandteil der Aktionsforschung, weil meist keine Modelle hergestellt werden können, die einen adäquaten Test alternativer Lösungen für das System erlauben. Eine Vergleichsmöglichkeit mit realisierbaren Alternativen ist aber für die Beurteilung der Qualität (oder gar Optimalität) einer bestimmten Lösung unerläßlich. In dem Maße, wie die Bedingungen wissenschaftlicher Experimente verwirklicht werden können, nähern sich die Modelle und Systeme natürlich sozialwissenschaftlichen Theorien an. Eine befriedigende Methodologie für angewandte Forschung, besonders im Hinblick auf mehr oder weniger offene Probleme, gibt es zur Zeit noch nicht, wie Ackoff (1960) feststellt. Aber es gibt eine Reihe von methodischen Prinzipien, die für solche heuristischen Problemlösungssituationen auf den verschiedensten Gebieten entwickelt wurden und die auch für die Konzeption einer Aktionsforschung relevant sind. Hirshman und Lindblom (1962) fassen einige Ansätze in der Ökonomie, Wissenschaftspraxis und Politik zusammen, die sich mit Entwicklungsproblemen beschäftigen. Lindblom schlägt für diese Strategien 112

den Begriff »disjointed incrementalism« vor, d. h. ein mehr oder weniger unkoordiniertes, schrittweises Vorgehen. Die Logik dieser Strategien besteht darin, daß ein schrittweises Vorgehen anhand von erreichbaren Teilzielen eine ständige Neubeurteilung von Zielen und Strategien erlaubt. Außerdem sorgt ein gewisser Mangel an Koordination dafür, daß in einer Erarbeitung von Teilproblemen völlig neue Gesichtspunkte auftreten können, .die eine Umdefinition von Problemen und Zielen nahelegen. Ein anderes Prinzip der Autoren ist das »Durchwursteln«, d. h., Schritte in Richtung auf das Gesamtziel werden danach beurteilt, ob sie einen möglichst großen Handlungsspielraum für die Bewältigung von eventuellen Folgeproblemen der Maßnahme offenlassen. Solche Handlungsmaximen werden inzwischen innerhalb einer allgemeinen Praxeologie systematisch untersucht (Kotarbinski 1965). Die »Zweck-Mittel-Analyse«, d. h. die schrittweise Aufarbeitung von Differenzen zwischen Ziel und Teilzielen, oder die »Planungsmethode«, die in einer sukzessiven Ausdifferenzierung eines allgemeinen Lösungsentwurfes besteht, sind weitere heuristische Prinzipien (Kirsch 1971). Die »Planungsmethode« verfährt analog zum kybernetischen Prinzip der Strukturanreicherung. Gemäß diesem Prinzip wird bei der Analyse und Konstruktion von kybernetischen Systemen zunächst mit recht großen Einheiten (»Blackbox«) begonnen, deren innere Struktur zunächst vernachlässigt wird. Nur die Funktion für das Gesamtsystem wird über eine Bestimmung der Eingangswerte (Input) und Ausgangswerte (Output) dieser Einheit festgestellt oder festgelegt. Strukturanreicherung besagt dann, daß sukzessiv die interne Gliederung dieser Einheiten über eine feinere Aufteilung in neue »Blackboxen« betrachtet wird (Adam et al. 1970). Zur Funktion von Theorien in solchen komplexen Projekten angewandter Wissenschaft ist noch eine Anmerkung notwendig. Besonders bei Sackman (1967) hat es den Anschein, als wolle er auf generelle Theorien und damit auf reine Wissenschaft letztlich verzichten. Dazu ist zu sagen, 113

daß es unter dem Anspruch von Rationalität und Optimalität oder Effizienz als Merkmale wissenschaftlichen Vorgehens keine Argument gegen die Entwicklung allgemeiner Theorien gibt. Die Tatsache, daß jedes Projekt vor spezifischen Problemen der Anwendung und Umsetzung wissenschaftlicher Theorien steht, läßt eine solche Folgerung nicht zu; auch nicht der Umstand, daß angewandte, interdisziplinäre Systemwissenschaft eine Methodologie entwickeln muß, die den Nutzen und die Kosten der Forschung und der Anwendung bestimmter Theorien und ihre Umsetzungsprobleme berücksichtigt. Allgemeine Theorien haben z.B. die wichtige Funktion, die vielen Analogieschlüsse, die innerhalb eines systematischen Eklektizismus notwendig werden, einer rationalen Analyse zugänglich zu machen. Die eklektizistische Auswahl von Modellen, Analogien oder »äquivalenten Systemen« als Lösungshypothesen eines Problems ermöglicht noch keine Beurteilung ihrer Angemessenheit und empirischen Haltbarkeit. Dieses Problem jeweils neu in einem Projekt zu leisten ist keineswegs rational und kostensparend. Allgemeine Theorien erlauben zumindest die Beantwortung der Frage, ob Lösungshypothesen »Unmögliches« beinhalten. Sie geben die allgemeinen Beschränkungen (constraints) an, in deren Rahmen Problemlösungen gesucht werden können. Darüber hinaus wird sich die Lösung praktisch-technischer Probleme häufig direkt aus transformierten Theorien ableiten lassen. Eine »Echtzeitwissenschaft« nach Sackman oder auch eine Aktionsforschung als »Humantechnik« bleibt grundsätzlich auf wissenschaftliche Theorien angewiesen, sofern sie einen Begriff von Effizienz und Optimalität beinhalten soll. In der Aktionsforschung spielen z. B. Theorien über Kommunikation und Gruppendynamik eine große Rolle, die als technologisches Wissen in die Gestaltung der Praxis eingehen. Das gleiche gilt für die Vielzahl anderer Theorien, die in dieser »Humantechnik« zur Konstruktion von Systemen kombiniert werden. Die teilweise recht fortgeschrittenen Ansätze in der Systemwissenschaft sollten für die Konzeption einer Aktions114

forschung als Humantechnik genutzt werden. Die Unterschiede zu Sachtechnologien ergeben sich dabei nicht nur aus der Komplexität sozialer Prozesse, sondern auch schon aufgrund der Tatsache, daß in der Sozialwissenschaft weit weniger brauchbare Theorien zur Verfügung stehen als auf naturwissenschaftlich-technischen Gebieten. In den Wirtschaftswissenschaften und in der Operationsforschung werden aber schon recht differenzierte kybernetische und entscheidungstheoretische Modelle getestet. Auch in Aktionsforschungsprojekten muß die Entwicklung solcher Modelle vorangetrieben werden. Strukturen und Prozesse eines sozialen Beziehungsgefüges werden für die Forscher und die Personen im Feld nur in dem Maße kontrollierbar, wie sie verobjektivierbar werden, d. h. in Modellen oder Systemen repräsentiert werden können. Mit dem methodischen Schwergewicht vieler Aktionsforschungskonzeptionen auf Kommunikation oder persönlichen Kompetenzen (Argyris 1962) wird häufig übersehen oder unterschätzt, daß Kommunikationen im Rahmen komplexer Machtstrukturen, technologisch-funktionaler Zusammenhänge und institutionalisierter Werte und Normen stattfinden. Diese Strukturen können nicht nur auf der Ebene persönlicher Beziehungen problematisiert werden. Auch die Entwicklung von persönlichen Problemlösungsfähigkeiten in Trainingsgruppen oder ähnlichen »temporären Systemen« (Miles 1964), wie sie von Argyris (1962) versucht wird, vernachlässigt drei wesentliche Gesichtspunkte. Zum einen lassen sich solche Fähigkeiten, die außerhalb des problematischen Kontextes erarbeitet werden, nur eingeschränkt in diesem Kontext, etwa einer Organisation, wieder einbringen. Zum zweiten ergeben sich die meisten Probleme aus strukturellen Bedingungen, die durch ein solches Training direkt gar nicht verändert und eventuell nicht einmal angemessen problematisiert werden können, dann nämlich, wenn nicht alle Personen des Feldes einbezogen werden. Dies ist auch der Grund, weshalb Hamilton und Whyte (1964) in ihrem Bericht über ein wohl klassisches Aktionsforschungsprojekt in einem Hotelbetrieb ihren 115

strukturellen Ansatz hervorheben. Drittens wird nicht ausreichend die Komplexität des Gegenstandes, nämlich etwa einer Organisation, berücksichtigt, den diese Kommunikationsprozesse zum Inhalt haben. Nur in dem Maße, wie es gelingt, solche komplexen Zusammenhänge auch symbolisch zu repräsentieren, anschaulich und begreifbar zu machen, können gruppendynamische Kommunikationsprozesse in der Aktionsforschung ihren Zweck erreichen. Solange es nur beschränkt möglich ist, komplexere soziale Prozesse in Modellen zu repräsentieren und zu simulieren, wird es deshalb in der Aktionsforschung auch nicht möglich sein, eine längerfristige Planung von sozialen Prozessen durchzuführen. Aufgrund der Schwierigkeit sozialwissenschaftlicher Modellbildung muß man sich in der Aktionsforschung zunächst damit begnügen, anhand von einfachen Modellen und über gezielte Experimente in Teilbereichen und an Teilproblemen — in experimentellen Subsystemen (Fairweather 1967) — Veränderungen in Gang zu setzen und ihren Erfolg oder die entstehenden Folgeprobleme mit operationalisierten Kriterien zu bewerten. Die pragmatische Strategie wird also analog dem »disjointed incrementalism« von Lindblom u. a. verfahren müssen. Das Fehlen eines angemessenen Modells wird es um so notwendiger machen, daß sich Forscher und Personen des Feldes zu einer relativ risikofreundlichen Kooperationsgemeinschaft zur »Erfindung sozialer Systeme« zusammenschließen. Anmerkungen 1 Dieser Feldbegriff entspricht in etwa dem der Sozialanthropologie, nicht dem FeldbegrifF von Kurt Lewin (1953). 2 Wie auch aus dem Folgenden hervorgeht, muß ein wenn auch beschränktes Wissen über das »große System« natürlich immer vorhanden sein, sonst bleibt es eine Leerformel, die praktisch-technisches Handeln nicht leiten kann. Analoges gilt für die Struktur eines »offenen Problems«, wie es im nächsten Abschnitt angesprochen wird. 3 Unter »SystemWissenschaft« sollen hier Ansätze in der angewandten Kybernetik, Entscheidungstheorie, Systemtheorie, Operationsforschung und ähnliche Disziplinen zusammengefaßt werden.

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II. Aktionsforschungsfelder

Hans-Heinrich Henke / Susanne Karstedt Institutionsberatung und Aktionsforschung Parallelen und Differenzen zur Aktionsforschung 1 Soziologische Praxis: Institutionsberatung und Aktionsforschung Heinz Hartmann (1970, S. 194) weist darauf hin, daß gerade in Deutschland in der letzten Zeit »eine Hinwendung zu praktischen Aspekten der Soziologie« zu beobachten ist. »Dabei stehen alle Versionen des praktischen Eingriffs durch den Soziologen zur Debatte, von der beratenden Information bis hin zur eigenverantwortlichen Intervention.« »Die Sozialwissenschaftler, die sich dieser Aufgabe verpflichtet fühlen, verstehen sich als Agenten geplanter institutioneller Veränderung. Sie wollen ihren Klienten, den Institutionen, die Möglichkeit der Sozialwissenschaft zum Verständnis und zur Veränderung sozialer Systeme vermitteln und institutionelle Veränderungsprozesse stimulierend begleiten und fördern« (Eckensberger u.a. 1971, S. 339). Die Probleme, die Institutionsberater dabei als vordringlich ansehen, sind die Interaktionsformen im institutionellen Bereich und die Bedingungen der Verhaltensmotivation. Im Laufe der historischen Entwicklung der Institutionsberatung veränderte sich diese Problemorientierung nicht, wohl aber änderten sich die Methoden und Instrumente für Analyse und Interventionen. Mit der Entwicklung von differenzierten und zunehmend praxisorientierten Methoden und Instrumenten entfernte sich die Institutionsberatung von ihrer ursprünglichen Form der »be117

ratenden Information« und näherte sich der »eigenverantwortlichen Intervention«, die audi kennzeichnend für das Vorgehen des Aktionsforschers ist.

2 Entwicklung wissenschaftlicher Methoden der Institutionsberatung 2.1 Wissenschaftliche Betriebsführung Analyse, Planung und Durchführung der Arbeit in wirtschaftlichen Unternehmungen waren Ansatzpunkte des Scientific Management zu Beginn unseres Jahrhunderts. F. W. Taylor (1913), der sich ursprünglich mit der Verbesserung von Werkzeugen beschäftigt hatte, analysierte das Werkzeug »menschliche Arbeit«. Er teilte die Arbeitsabläufe in einzelne Arbeitsvorgänge. Diese Einzelelemente setzte er dann zu technisch optimalen Arbeitsvorgängen zusammen. Die Analyse machte es möglich, nun die Arbeitsvollzüge nach Plan zu gestalten. Zur Planung und Durchsetzung diente das »Funktionsmeister-System«, nach dem der einzelne Arbeiter von seinem Vorgesetzten jeden Morgen einen detaillierten Plan seines Arbeitsablaufs für den gesamten Tag erhielt. Um die exakte Durchführung der einzelnen Arbeitsgänge zu gewährleisten, riet Taylor zu monetären Anreizen (incentives). Ergänzt wurde das tayloristische System durch die Vorschläge von Frank Gilbreth, die die Mechanisierung des Arbeitsverhaltens noch besser ermöglichten. Die Arbeiten von Taylor und Gilbreth — mit ihren Zeitund Bewegungsstudien sind sie Grundlage der heute noch üblichen Rationalisierungspraxis (Refa-Verfahren) — sehen das Verhalten der Arbeiter in Fabriken unter einem mechanistisch-funktionalen Gesichtspunkt. Daß Taylor nur die technische Seite und nicht die menschliche Seite der Arbeit sah, warf ihm schon ein Unterausschuß des amerikanischen Kongresses vor. Doch ließ dieser Vorwurf außer acht, daß Taylor sehr wohl bemerkt hatte, daß weder gute 118

Spezialisierung der Arbeiter noch präzise Planung der Arbeit Erfolge bringen würden, wenn nicht genügend Anreize für den Arbeiter bestünden, anweisungsgerecht zu funktionieren. Deshalb waren die einzelnen Arbeitsvollzüge hinsichtlich ihrer Leistung normiert, und ein Belohnungssystem honorierte ihre Einhaltung. Im Schlußkapitel seines Buches über »Die Grundsätze einer wissenschaftlichen Betriebsführung« spricht Taylor über »Mehrleistung« und »Mehrlohn«, vom »Mehrwert« ist bei ihm nicht die Rede. 2.2 Human-Relations-Schule Mit den Ergebnissen der Hawthorne-Experimente von Mayo (Roethlisberger und Dickson 1954; Mayo 1950) begann in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre die Abkehr der Organisationsforschung vom scientific management. Diese Experimente waren Ausgangspunkt der grundlegenden Annahmen einer neuen Richtung, der »Human Relations in Industry«, die die Forschung bis in die Nachkriegszeit hinein bestimmte. Die Bedürfnisse, die die einzelnen Mitglieder in eine Organisation einbringen und in ihr verwirklichen können, sind die entscheidenden Faktoren für die individuelle Leistungsmotivation und bestimmen damit die Produktivität der Organisation. Die Organisation als System zwischenmenschlicher Beziehungen soll weniger durch formale Autoritäts- und Kommunikationsstrukturen als durch gemeinsame »Gefühle (sentiments) und Normen« geregelt werden, die letztlich auf individuellen psychischen Bedürfnissen beruhen. Das bedeutet, daß bei Befriedigung dieser Bedürfnisse die Ziele der Organisation allen Mitgliedern und Gruppen gemeinsam sind, weil sie auf von allen geteilten Gefühlen und Normen beruhen. Die Postulierung eines so gradlinigen Zusammenhangs zwischen der »Arbeitsmoral« (Leistungsmotivation) und der Produktivität der Organisation ermöglichte den Einsatz von Forschungs- und Interventionsstrategien, deren 119

Rückkopplungsprozesse für die geringe Komplexität der untersuchten Variablen ausreichend war: das Feldexperiment wurde als kontrollierte, experimentelle Intervention entwickelt. Dabei dienen die Rückkopplungsprozesse lediglich der Kontrolle des Zusammenhangs zwischen den Variablen, sie leiten aber keine Änderungen der Handlungsstrategien des Forschers ein. Institutionsberatung in dieser Phase der organisationssoziologischen Forschung ist Beratung und Information aufgrund der im Feld gewonnenen Daten, sowie ihre Transformation für die Verwendung in Praxis. Der Institutionsberater ist Diagnostiker, d. h., daß Institutionsberatung in dieser Form dem »abbildenden« survey research, nicht dem action research zuzurechnen ist. Diese Untersuchungen wurden fast ausschließlich in Industriebetrieben durchgeführt; ihre Ergebnisse differenzierten und erweiterten den Bereich der psychischen Bedürfnisse und *hre spezifischen Wirkungen auf die individuelle Leistungsmotivation. Die schon klassischen Hawthorne-Untersuchungen wiesen auf das Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe und die Form der Zugehörigkeit als entscheidende Faktoren der Leistungsmotivation hin. Hierbei handelte es sich um Experimente mit einer Gruppe, deren Mitglieder in ihren Arbeitsvollzügen stark voneinander abhängig waren. Vorausgegangen waren diesem Feldexperiment andere, die nach dem Schema »Allein und Zusammen« (French 1968, S. 260) vorgenommen wurden und das Ergebnis erbracht hatten, daß auch bei gleicher Tätigkeit der einzelne in einer Gruppe produktiver arbeitet als allein. Moreno (1967) stellt mit Hilfe der von ihm entwickelten Methoden der Soziometrie fest, daß die Befriedigung dieser Bedürfnisse von der Qualität der emotionalen Beziehungen der Gruppenmitglieder untereinander abhängt: Befriedigende emotionale Beziehungen innerhalb der Arbeitsgruppe erhöhen die Leistungsmotivation der Gruppenmitglieder. Weitere Bedürfnisse als motivationsbestimmende Faktoren wurden von der Psychotherapie entwikkelt, die sich zunehmend mit Gruppen beschäftigte. C. A. 120

Rogers (1965) bezeichnet als wichtigste Faktoren die des gegenseitigen Verständnisses und der »Selbstverwirklichung«. Eine Wende in der organisationssoziologischen Forschung brachten die Ergebnisse der Experimente von Lewin, Lippitt und Whyte (Lewin 1953), die die Wirkung verschiedener Führungsstile — laissez-faire, autoritär, demokratisch — auf Verhalten und Produktivität der Gruppenmitglieder untersuchten. Gegenüber dem Human-Relations-Ansatz werden dabei Strukturelemente der Gruppenbeziehungen wie Führung, Kooperation usw. als Bedingungsfaktoren der individuellen Leistungsmotivation stärker berücksichtigt. Damit begann eine neue Phase der Organisationsforschung und der Interventionsmöglichkeiten, die auf eine Veränderung der Einstellungen und des Verhaltens der Organisationsmitglieder und die Veränderungen der Arbeits- und Entscheidungsstrukturen in Organisationen zielen (Argyris 1962,1965). 2.3 Kleingruppenforsdiung Die Vertreter der Human-Relations-Schule hatten bereits auf die Bedeutung hingewiesen, die Gruppenbeziehungen für die Befriedigung psychischer Bedürfnisse haben, und damit ansatzweise zur betrieblichen Umstellung auf Gruppen- und Teamarbeit geführt. Dabei ergaben sich Probleme der Kooperation, der Führungsstile und Partizipation an Entscheidungen. Die Ergebnisse der Untersuchungen von Lewin u. a. und die Erfolge der Interventionen bestätigten die zugrunde gelegte Annahme, daß die Partizipation »der Gruppenmitglieder an Entwicklungen, die sie überschauen können (in der Kleingruppe), das Glied zwischen Motivation und Verhalten ist« (Stirn 1969, S. 30). Die auf den Ergebnissen von Lewin basierenden Feldexperimente, die French (1968, S. 259 f.) in einem Industriebetrieb durchführte, ergaben, daß die »Anwendung praktischer Tediniken

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der demokratischen Führung« durch den Gruppenleiter bei Gruppendiskussionen und Gruppenentscheidungen über Produktivitätsziele Leistungsmotivation und Gruppenproduktivität wesentlich beeinflussen. Gleichzeitig wurde die grundlegende Bedeutung des »Feedback« für Motivation und Verhalten erkannt. Codi (Codi und French 1952) zeigte, daß bei einer Änderung der Arbeitsmethoden demokratische Verfahren — Partizipation der Gruppenmitglieder an Planung und Entscheidung durch Repräsentanten oder die Gesamtgruppe — die Widerstände gegen einen Wechsel abbauen und gleichzeitig die Motivation zum Umlernen entscheidend erhöhen. Bavelas (Lewin 1953) wies aufgrund seiner Erfahrungen als Betriebspsychologe auf die Notwendigkeit von Gruppenentscheidungen bei der Lösung sozialer Konflikte hin. Seine Beobachtungen zeigen, welche Möglichkeiten der Intervention dem Sozialwissenschaftler gerade in solchen Fällen zur Verfügung stehen.

Bei den Feldexperimenten hatte sich also herausgestellt, daß die Kleingruppe nicht nur ein Instrument zur Erforschung der Beziehungen zwischen sozialen und psychologischen Faktoren der Leistungsmotivation ist, sondern auch gleichzeitig ein »Verfahren«, menschliches Verhalten zu verändern. Die Kleingruppe erscheint als geeignetes Instrument, Verhaltensänderung beim einzelnen und die Einsicht in die Notwendigkeit struktureller Veränderungen zu bewirken, ohne daß dem strukturelle Veränderungen in der Arbeitswelt vorausgegangen wären. Mit der Kleingruppenforschung erweiterte sich das Feld der Organisationsforschung und der Institutionsberatung. Als Schnittpunkt sozialer Strukturen und des Verhaltens (vgl. French 1968) des einzelnen ist die Kleingruppe ein ökonomisches Instrument der Datensammlung und leicht kontrollierbarer Ausgangspunkt zur Änderung individueller Verhaltensweisen und von Wandlungsprozessen in Organisationsstrukturen. Aus einer Vielzahl von Experimenten, ihren Hypothesen und Ergebnissen, konnte eine Theorie der Gruppendynamik formuliert werden (Cartwright und Zander 1960). Damit war Institutionsberatung nicht mehr auf ihren Aus122

gangspunkt, die Arbeitswelt und Unternehmungsorganisationen beschränkt, sondern konnte in anderen Organisationen, wie Vereinen, Schulen, Universitäten, Hospitälern und Gefängnissen, angewendet werden. Sie konnte ihr Feld auf Minoritätsprobleme (Lewin 1953) und rassische Integration erweitern. 2.4 Trainings-Laboratorien Die Kleingruppenforschung hatte gezeigt, daß die Gruppe Medium für »Lern- und Erfahrungsprozesse« (Brocher 1971) ist. Um ihre Wirksamkeit als Medium der Erwachsenenbildung, hier vor allem in Hinblick auf die Veränderung von Institutionen, zu steigern, wurden die Methoden der Trainings-Laboratorien entwickelt, deren wichtigster Bestandteil die Trainingsgruppe (T-Gruppe) ist. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die Gründung der National Training Laboratories (NTL) 1947 durch Lewin und seine Mitarbeiter. Ziel der Trainings-Laboratorien ist es, »das integrative und adaptive Reaktionsrepertoire (des Individuums) zu vermehren. Das Vermögen, angemessen zu reagieren, muß sich mit der Situationsanalyse verbinden . . . Wenn der einzelne die Moral der passiven Anpassung an äußere Gewalt aufgeben soll, muß er lernen, wie er die äußeren Umweltstrukturen dort verändern kann, wo sie seine autonome . . . Teilnahme und diejenige der anderen, deren Handlungen zu den seinen in Wechselbeziehungen stehen, behindern« (Bradford 1969, S. 39). Angestrebt wird die Independenz des Individuums und bessere interpersonaley Gruppen- und Intergruppenbeziehungen als Voraussetzungen für »partizipative Verhaltensstile« (Gibb 1964) und angemessene Problemlösungsstrategien in Organisationen (Bennis 1966). Diesen Zielen entsprechen die verschiedenen Instrumente der Laboratorien wie T-Gruppe, Intergruppen-Übung, Rollenspiel, Entscheidungsspiele und dergleichen. Dabei soll die Erkenntnisleistung der Teilnehmer in der Erfahrung und Analyse »sich gesetzmäßig strukturierender Si123

tuationen« (Brocher 1971, S. 130) bestehen. Die Entstehung von Strukturen in Gruppen und Organisationen wird dann in einem direkten Feedbackprozeß (z. B. durch Trainer) aufgedeckt. Damit ist als Zielsetzung der Trainings-Laboratorien eindeutig »organizational development« festgelegt, wie es bereits bei der Gründung der NTL geschah. »Das klar umrissene Ziel korrekt angewandter gruppendynamischer Methoden sollte das Erlernen einer Organisationsdiagnostik sein« (Brocher 1971, S. 137). Das bedeutet, daß die Organisation als Erfahrungsbereich in das Laboratorium mit einbezogen wird und »in differenzierter Form (des Lernens)« (Brocher 1971, S. 133) als Möglichkeit angeboten wird. Ein Beispiel hierfür ist die Verwendung des »Managerial Grid« (Blake und Mouton 1965) in Laboratorien. Weitergehend heißt dies, daß Teile des Laboratoriums in der Organisation selbst durchgeführt werden können. Damit sind Laboratoriumsprogramme ein fester Bestandteil der Institutionsberatung geworden (vgl. hierzu Schein und Bennis 1965). Durch die Anwendung der Kleingruppenforschung auf die Probleme der Organisationssoziologie und der daraus entwickelten Instrumente für die Institutionsberatung wurden der Blickwinkel der Organisationsforschung und die Reichweite der Interventionsstrategien aber zugleich auch eingeengt. Die Organisation wird vorwiegend unter dem Aspekt des Individuums in Gruppenbeziehungen untersucht, auf der personalen Ebene (Entfaltungsmöglichkeiten des einzelnen), der Gruppenebene (Intra-Gruppen-Beziehungen) und der Inter-Gruppen-Ebene (Intergruppen-Beziehungen) (vgl. Argyris 1965; Whyte und Hamilton 1965). Die bürokratisch-hierarchischen Strukturen werden als Wirkungsfaktoren nur auf der jeweiligen Ebene diskutiert, so daß die Gesamtstruktur der Organisation, ihre multiplen Zielsetzungen und die sich daraus ergebenden multifunktionalen Strukturen (Naschold 1971) nicht berücksichtigt werden. Durch die Beschränkung auf personale, Gruppen» und Intergruppenbeziehungen wird die Technologie 124

der Organisation, die Struktur und Arbeitsverläufe entscheidend mitbestimmt, außer acht gelassen, der Industriebetrieb nicht als »sozial-technisches« System (Cooper und Foster 1971) gesehen. Dies mag ausschlaggebend für das Versagen vieler Institutionsberatungsprojekte gewesen sein, die auf der Basis der Kleingruppenforschung und Laboratoriumsmethode durchgeführt wurden. Das noch von Lewin formulierte Ziel, daß die Werte der Demokratie vor allem im Verhalten der Mitglieder von Organisationen zum Tragen kommen müssen, läßt sich nicht allein durch Verhaltensänderung der einzelnen, sondern vor allem durch Strukturveränderungen, vorwiegend der Entscheidungsmechanismen, erreichen. Diese Sichtweise bestimmte dann die Differenzierung und Weiterentwicklung der Institutionsberatung und Laboratoriumsmethoden. In den NTL selber rückte die personale Ebene immer mehr in den Vordergrund, wobei das Instrument der T-Gruppe weitgehend therapeutischen Charakter (»Therapie für Normale«) bekam. In Europa dagegen wurde am Tavistock-Xnstitut in England schon früh, 1951, eine eigene Entwicklung eingeleitet. Dabei wurde der Industriebetrieb grundsätzlich als sozio-technisches System aufgefaßt. Und die Laboratorien wurden von vornherein auf spezifische Probleme der Organisation wie Führungsstile und Strukturierungsmerkmale von Großgruppen ausgerichtet.

2.5 Kooperation in sozio-technischen Systemen (Tavistock) Während in der Kleingruppenforschung »der Akzent etwas mehr auf individuelle und Kleingruppenprozesse gesetzt wird« (Rapoport 1972, S. 46) und die Gruppe als »Glied zwischen Motivation und Verhalten« (Spangenberg 1969) angesehen wird, rücken Forschung und Interventionsstrategien am Tavistock-Institut »die Beziehungen zwischen Individuen und größeren sozialen Systemen« in den Vordergrund (Rapoport 1972). Die Arbeiten am Tavi125

stock-Institut orientieren sich an Problembereidien wie Änderungen der Berufsrolle, Organisationswandel, Ubereinstimmung von Organisationsaufgaben und Systemen, Organisations-Umwelt-Beziehungen, Veränderungen der Technologie und ihre Auswirkung auf Motivation und Arbeitsleistung. Die Untersuchungen von Trist und Bamforth (1951) über die Auswirkungen technologischen Wandels in einem Kohlebergwerk waren »der formelle Beginn der Theorie sozio-technischer Systeme« (Cooper und Foster 1971, S. 379), die Forschung, Interventionsstrategien und Trainings-Laboratorien am Tavistock-Institut seit den fünfziger Jahren bestimmen. »Die Konzeption des soziotechnischen Systems beruht auf der einfachen Tatsache, daß jedes Produktionssystem sowohl eine Technologie als auch eine Struktur der Arbeitsbeziehungen erfordert, welche die menschlichen Arbeitskräfte zur Technologie wie untereinander in Beziehung setzt. Die Technologie stellt Anforderungen und grenzt den Typ der möglichen Arbeitsstruktur ein, während die Arbeitsstruktur soziale und psychologische Eigenschaften bewirkt, die ihrerseits spezifische Anforderungen im Hinblick auf die zu entfaltenden Aufgaben hervorbringen« (Cooper und Foster 1971, S. 384). Unter Produktionssystemen sind dabei nicht nur Industriebetriebe zu verstehen, sondern alle Organisationen, die sich einer bestimmten Technologie bedienen. Im Mensch-Maschine-System sind die menschlichen Arbeitsvorgänge nicht den mechanischen gleichzusetzen, wie in der Konzeption des scientific management, sondern »die Motivation (des Arbeitenden) ist wichtiger, leistungsbestimmender Faktor im Mensch-Maschine-System« (Cooper und Foster 1971, S. 385). Leistungsmotivation ist abhängig von dem »Herausforderungscharakter« des technologischen Systems. Kriterien dafür sind die Komplexität der Aufgaben in technologischen Systemen und die Möglichkeit, in »verantwortlicher Autonomie« (vgl. McGregor 1970) zu handeln, d. h. Verantwortung für einen Teil des technologischen Systems zu übernehmen und über Mittel zu seiner Kontrolle zu verfügen. Die »Merkmale des technischen Systems beeinflussen die sozialpsychologischen Variablen vermittels der Struktur der Arbeitsbeziehungen, welche die Arbeitenden zu der Technologie und untereinander in Beziehung setzt. Die wichtigsten Dimensionen

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der Arbeitsstruktur sind a) Rollendifferenzierung (die als Komplexität der Aufgaben des einzelnen oder der Gruppe verstanden wird), b) Aufgabenabhängigkeit und c) Zielabhängigkeit. . . . Arbeiten geringer Komplexität enthalten wenig Herausforderung und beeinträchtigen die Motivation des einzelnen, größere Rollendifferenzierung behindert gleichzeitig die Entwicklung der Gruppenkohäsion« (Cooper und Foster 1971, S. 388). Das bedeutet, daß ein Produktionssystem dann seine Ziele erreicht, wenn »das soziale und technische System gemeinsam optimiert werden« (Cooper und Foster 1971, S. 392) und Bedingungen geschaffen werden, die eine Einheit — Individuum der Gruppe — fähig machen, sich selbst zu regulieren und zu kontrollieren, ihr also »verantwortliche Autonomie« verleihen. Dabei muß die Anlage der sozio-tedinisdien Einheiten von den Minimalbedingungen ausgehen. Nach ihrer Bestimmung bleiben die weniger entscheidenden Variablen offen: damit erhält das Produktionssystem einen Variationsspielraum, ein »Element der Wahl« (Cooper und Foster 1971, S. 391). Der innovative Charakter dieser Konzeption der »Organisationsalternativen« (Cooper und Foster 1971, S. 391) »durch minimale Spezifizierung wird deutlicher, wenn man sie mit den traditionellen Theorien der Arbeitsorganisation vergleicht, die darauf beruhen, daß die beste Arbeitsleistung unter maximal spezifizierten Bedingungen entsteht« (Cooper und Foster 1971, S. 393). Damit verändert sich die »traditionelle Kontroll- und Regulationsfunktion des Managements« zu einer »stützenden Funktion, besonders für die Vermittlung der Beziehungen, welche die soziotechnisdie Einheit zum Umfeld ihrer Aufgaben unterhält« (Cooper und Foster 1971, S. 393). Die Interventionsstrategien, die auf dieser Konzeption beruhen, beginnen mit der Analyse der Arbeitsstruktur und der Spezifizierung der Minimalbedingungen (vgl. Rice 1958; Trist und Bamforth 1951, 1963), die den Bereich der »Wahlmöglichkeiten« abstecken. Der Einsatz von Instrumenten und Methoden zielt darauf, die Organisation auf allen Ebenen zu befähigen, die Wahlmöglichkeiten wahrzunehmen, sie experimentell zu kontrollieren und die Daten in einem Feedback-Prozeß zu verwerten. Die Organisation übernimmt also wesentliche Teile des Aufgabenbereichs des Institutionsberaters, indem sie den Innovationsprozeß selbst steuern und permanent weiterführen kann. 127

Dem Institutionsberater bleibt die Aufgabe, den Innovationsprozeß durch Analysen in Gang zu setzen und Modelle für Interventionsstrategien unter Einbeziehung seines eigenen Verhaltens bereitzustellen (Bennis 1966). Seine Rolle ist durch weitgehende Integration ins Feld und die unabdingbare Kontrolle aller seiner Aktionen gekennzeichnet; dies gilt besonders für das Feedback der Ergebnisse der Untersuchungen, ihre Deutung und Durcharbeitung mit dem Klienten. Voraussetzungen des Innovationsprozesses sind Veränderungen der Kommunikationsstruktur, der Entscheidungsund Kontrollmechanismen. Daher ist die »primäre Aufgabe« der am Tavistock-Institut unter Rice seit 1962 entwickelten Trainingsmethoden, »den Teilnehmern Gelegenheit zum Lernen über Führungsverhalten . . . und die Natur von Autorität zu vermitteln« (Rice 1971, S. 11). Damit verliert die Kleingruppe als Instrument der Erforschung des Handelns und, in Form der T-Gruppe, als Instrument der Veränderung des Handelns ihre zentrale Bedeutung. Zentraler Bestandteil ist nunmehr die »Großgruppe« (Rice 1971), in der die Teilnehmer die Strukturelemente der Organisation erfahren können: Führungs- und Autoritätsstruktur, Aufgaben- und Rollendifferenzierung und Struktur der Intergruppenbeziehungen, deren wichtigstes Merkmal die Repräsentation der einzelnen Gruppen ist. Führung in einer Gruppe ist die Repräsentanz ihrer Hauptfunktion oder Primäraufgabe: die Kleingruppe als aufgabenorientierte Gruppe vermittelt den Teilnehmern diese Erfahrung. So erweisen sich hier die Instrumente der Institutionsberatung gegenüber der Kleingruppenforschung als praxisorientierte Instrumente, die direkt auf die Organisation in ihrer Gesamtheit als soziotechnisches System bezogen sind. Interventionsstrategien beschränken sich daher nicht auf organisationsinterne Prozesse, sondern versuchen, auch die Beziehungen zur Umwelt einzuschließen (Miller und Rice 1967). 128

2.6 Geplante institutionelle Veränderungen und sozialer Wandel In den letzten Jahren wurden in Frankreich, wo sich eine Gruppe von Wissenschaftlern mit Gruppendynamik, Organisationssoziologie und Reformpädagogik beschäftigt, einige Ansätze entwickelt, die geeignet erscheinen, die Interventionsstrategien der Institutionsberatung hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs und ihrer Methoden zu verändern. Lapassade (1970, S. 133) versteht die Arbeiten der französischen Gruppe als »neue institutionelle Schule«, die »ein Bindeglied zwischen der Psychologie und der Organisationssoziologie und zugleich auch der erste Versuch zu einer institutionellen Pädagogik« sein soll. Ausgangspunkt seiner Kritik ist das Bemühen der Bethel-Schule, durch die oben beschriebenen Trainings-Laboratorien nur individuelles Verhalten zu verändern. »Nun erweist sich, daß die psychologische Orientierung ihre Grenze in der Schwierigkeit findet, den Strukturen und Institutionen des gesellschaftlichen Rahmens gerecht zu werden. Es erzielt eher einen Wandel von Einstellungen als einen Strukturwandel« (1970, S. 124). Deshalb schlägt Lapassade vor, »die Seminare so zu strukturieren, daß sie verkürzte Modelle wirklicher Organisationen — Betriebe, Schulen usw. — darstellen« (1970, S. 124). Als Einstieg in das Erlernen der Strukturanalyse kommt es nach Lapassade darauf an, die Strukturen des Laboratoriums zu analysieren, um die Wirkungen der Institution im Verhalten des einzelnen zu erkennen. »Doch geschieht das >in situKriminellen< für die Gesellschaft kann aufgehoben werden durch das Aufzeigen der gemeinsamen Interessen, d. h. der gemeinsamen Konfliktsituation mit gesellschaftlichen Gruppen, die von ihrer Ausbildung wie von ihrer materiellen Situation her den entlassenen Strafgefangenen gleichzustellen wären. 3. Das Ausbringen von Konflikten erfordert eine realistische Einschätzung der eigenen Interessen sowie der Machtverhältnisse in dem sozialen Feld, auf das sich die Interessen beziehen. Das Erlernen einer angemessenen Konfliktstrategie (wer ist Gegner, wer ist Partner in bezug auf ein bestimmtes definiertes Interesse?) ist eine weitere Voraussetzung zur Veränderung des Feldes. 2.3 Soziales Lernen als Strategie zur Entwicklung von Interessenartikulation Das Konzept des sozialen Lernens im Aktionsforschungsansatz: Soziales Lernen kann bei der Wahl der Strategien zur Veränderung von sozialen Teilbereichen nur als eine Möglichkeit unter anderen gelten. Die Entscheidung, soziales Lernen als zentrale Strategie zu entwickeln, beruht hier auf mehreren Vorentscheidungen. Die hohe Gewichtung der Annahme, daß Einstellungen und Verhaltensweisen, also auch Defizite, vorwiegend im sozialen Interaktionsprozeß gelernt werden und damit auch durch veränderte Interaktionsstrukturen umlernbar sind, stellt eine Vorentscheidung dar. Zum anderen soll soziales Lernen hier so verstanden werden, daß seine Ziele aus dem situativen Kontext (Feld) zu entwickeln sind, auf den der Lernprozeß sich bezieht. Dies heißt: Die Zielsetzung für eine Umstrukturierung von Organisationsformen, welche als Voraussetzung für Verhaltensveränderung gesehen wird, ist maßgeblich durch die Einschätzung der Ge182

samtsituation bestimmt. Kriterienfindung und Operationalisierung werden so leichter bestimmbar und entwickelbar als z. B. bei einer Veränderungsstrategie, die sich an Sozialisationszielen und nicht an der Situation orientiert. Die Effektivität der durch die Umstrukturierung gebildeten Teilstrukturen ist an der dadurch zu erreichenden Optimierung der Bedingungen im Feld, das den situativen Kontext darstellt, zu kontrollieren. Schließlich scheint es notwendig, das soziale Lernen, das gegenüber Methoden wie Therapie, Konditionierung oder instrumentelles Lernen von Seiten der Sozialwissenschaften kaum auf seine Möglichkeiten hin überprüft wurde, im Hinblick auf soziale Veränderungsprozesse zu operationalisieren und im Zusammenhang damit überprüfbar zu machen. Der Begriff des sozialen Lernens soll auf drei Ebenen diskutiert werden: auf der Feldebene, auf der Organisationsebene und auf der Verhaltensebene. Dabei müssen die Überlegungen darauf beschränkt bleiben, wie auf diesen Ebenen durch soziales Lernen gezielte Veränderungen zu erreichen sind. Deshalb soll im folgenden vorwiegend vom sozialen Lernen als Strategie gesprochen werden. Das Feld, die darin vorfindlichen Organisationsstrukturen und die wiederum darin vorkommenden Verhaltensweisen sind in unterschiedlichen Bezügen zueinander zu sehen. Einerseits könnte man eine bestimmte Menge von Verhaltensweisen als konstitutiv für Organisationsstrukturen bezeichnen, deren Menge ihrerseits das soziale Feld bietet. Unter einem anderen Aspekt sind die Ebenen Feld / Organisationsstruktur / Verhalten analytisch voneinander zu trennen. Die Situation des Feldes, in erster Linie Kommunikationsstrukturen und Herrschaftsstrukturen, bestimmen den Zielfindungsprozeß für die Strategie des sozialen Lernens. Ein Feld kann z. B. dadurch gekennzeichnet sein, daß eine der darin interagierenden Gruppen unter den herrschenden Kommunikationsstrukturen keine Chance auf Strukturierung der Situation gemäß ihren Interessen hat. Ziel wäre dann, die Kommunikationsbedingungen des Feldes so zu verändern, daß diese Chance gegeben ist. 183

Die Ebene, auf der sich die gefundenen Ziele niederschlagen, ist die der Organisationsstrukturen. Da diese das Reglement für die im Feld stattfindenden Interaktionen darstellen, ist es notwendig, durch Veränderungen von Organisationsstrukturen neue Regeln zu schaffen, die anderes Verhalten ermöglichen. Abhängig davon, auf welche Weise diese anderen Verhaltensweisen auf das Ziel — z. B. Verbesserung der Strukturierungschancen für die unterprivilegierte Gruppe — wirken, sind die Entscheidungen für weitere Strukturierungen auf der Organisationsebene zu treffen. Die Beschaffenheit der Lernprozesse: Nachdem kurz beschrieben wurde, welches Verständnis einer Strategie des sozialen Lernens zugrunde liegt, sind einige weitere Überlegungen zur Beschaffenheit der Lernprozesse notwendig. Zuerst soll zur Verdeutlichung eine Differenzierung der Begriffe »Soziales Lernen< und »Lernen sozialer Fähigkeiten vorgenommen werden. Das Lernen sozialer Fähigkeiten durch die Betroffenen gilt hier als ein Effekt der Strategie des sozialen Lernens neben der Veränderung struktureller Bedingungen des Feldes. Die Strategie des sozialen Lernens, die von außen ins Feld hineingetragen wird, ist damit Auslöser für soziale Lernprozesse im Feld selbst. Sie hat sich in Relation zu setzen zu den Lernprozessen, die unter den bisher gegebenen Bedingungen im Feld ablaufen. Das Lernen sozialer Fähigkeiten findet beim momentanen Stand der Sozialisationsbedingungen weitgehend in der Familie statt — gegenüber dem Lernen mehr kognitiver Fähigkeiten und instrumenteller Fähigkeiten in Schule und Beruf. Diese Situation kennzeichnet eine Grenze der Chancengleichheit, da ein direkter Zusammenhang zwischen den Fähigkeiten und den Möglichkeiten sozialen Aufstiegs anzunehmen ist. »Wenn . . . nicht allen Individuen aus der Arbeiterschicht in gleichem Maße der Weg des sozialen Aufstiegs geebnet werden soll,

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sondern nur bestimmte, im Sinne von Leistungsnormen der Mittelschicht tüchtige und leistungsfähige Individuen die Chance erhalten, die Barrieren der sozialen Schichten zu durchbrechen, führt das vermutlich zu einer verschärften Benachteiligung der schon Benachteiligten. Denn von den geforderten Qualifikationen ist bekannt, daß sie das Resultat von Sozialisationspraktiken sind, wie sie in Mittel- und Oberschicht unserer Gesellschaft in der Erziehung ihrer Kinder angewandt werden« (Ortmann 1971, S. 28).

Die Rolle der Familie in bezug auf diese Analyse scheint mir, vor allem, wenn man den Bereich der sozialen Fähigkeiten betrachtet, einen besonderen Stellenwert zu haben: Die Familie repräsentiert das individualistische Prinzip des Aufstiegs, so daß es weitgehend von den Fähigkeiten und Möglichkeiten der Eltern abhängt, was aus ihren Kindern wird. Dabei sind diese Fähigkeiten und Möglichkeiten nicht zufällig verteilt, sondern bilden die unterschiedlichen Chancen der Eltern ab, auf die sie selbst nur wenig Einfluß haben. Der einzelne, dem es gelingt, seine Sozialisationsbedingungen selbst zu erweitern, liefert deshalb keinen Beweis für eine Chancengleichheit der Arbeiterschicht gegenüber der Mittelschicht, sondern er wechselt seine Schichtenzugehörigkeit (vgl. Ortmann 1971). Es stellt sich also das Problem, die Sozialisationsbedingungen, d. h. vor allem die Faktoren, die auf die Bandbreite der sozialen Fähigkeiten Einfluß nehmen, durch soziale Interventionen zu verändern, so daß der Mechanismus einer Perpetuierung ungleicher Chancen durchbrochen werden kann. Vorschulerziehung und Gesamtschule stellen dazu einen zu überprüfenden Versuch dar. Im Bereich der Erwachsenensozialisation, also dort, wo entscheidende Phasen der Sozialisation bereits gelaufen sind, müssen neue und grundlegende Überlegungen angestellt werden. Bei den Lernprozessen, die in diesem Bereich zu initiieren sind, geht es vorerst um zwei Ansätze: das Prinzip des LernenLernens einerseits und die Fähigkeit, Lernziele zu setzen andererseits. 185

Probleme der Planung von Lernprozessen: Wesentliche Ansätze zum learning of learning sind von der Lern- und der Denkpsychologie erarbeitet worden2. Allerdings sind diese Ansätze weitgehend auf die Lernprozesse von Kindern und Jugendlichen bezogen und noch in so geringem Maße auf eine Umsetzung in Planung von Lernprozessen bezogen, daß sie in diesem Zusammenhang keine Hilfe bieten. Das situative Lernen, d. h. das Lernen in der Interaktion, enthält diesen Schwierigkeiten gegenüber Ansätze, die gerade für eine sozialwissenschaftliche Planung von Lernprozessen wesentliche, zum Teil realisierbare Aspekte aufweisen. »Eine konkrete Auffassung vom Lernen f o r d e r t . . . die Anerkennung und systematische Berücksichtigung der Tatsache, daß konkrete Lernvorkommnisse sich stets im Rahmen sozialer und kultureller Konstellationen realisieren. Lernen vollzieht sich in der Realität menschlicher Vergesellschaftung und stellt einen Vorgang dar, auf den im Interaktionsprozeß wechselseitig gerechnet wird« (Haseloff und Jorswieck 1970, S. 261).

Aus dieser Beschreibung wird deutlich, daß soziale Interaktionen ein natürlicher Katalysator für permanente Lernvollzüge sind. Ganz besonders trifft dies für das Lernen sozialer Fähigkeiten zu. Wenn wir mit dem Prinzip des Lernen-Lernens eine andere Qualität von Lernen kennzeichnen, müssen bestimmte Bedingungen darüber hinaus erfüllt sein. Da es um eine Optimierung von bestimmten Lernprozessen gegenüber >zufälligen< Lernprozessen geht, muß eine Auswahl von Situationen, die wesentlich den Lernprozeß bestimmen sollen, getroffen werden. Wichtig in diesem Lernprozeß ist unter Umständen die Herstellung dieser Situation durch den Lernenden. Weiterhin müssen Kriterien und Instrumente entwickelt werden, die dem Lernenden bei der Verarbeitung der Situation zur Verfügung stehen. Dabei ist das Ziel des Interaktionslernens nicht durch das Erreichen eines hohen Grades an Gruppenkonformität und Harmonisierung gekennzeichnet (vgl. Haseloff und Jorswieck 186

1970), sondern durch die Vorstellung optimaler sozialer Entscheidungsfähigkeit des Lernenden in der sozialen Interaktionssituation. Neben der Fähigkeit, Situationen so zu strukturieren, daß sie Lernprozesse ermöglichen, ist die Fähigkeit, die Ziele dieser Lernprozesse zu bestimmen und zu planen, Gegenstand einer Konzeption sozialer Lernprozesse. Da hier ein zentrales Problem liegt, das, wie oben bereits gesagt, als konstitutives Moment von Aktionsforschung zentral deren Strategie mitbestimmt, sollen hierzu einige abschließende, die bisherigen Überlegungen zusammenfassende Bemerkungen gemacht werden. 3 Zielfindung und Zielselbstbestimmung Für die Zielfindung und -planung gibt es zwei Subjekte: das Wissenschaftssystem und das Feld, auf welches sich die Intervention von Seiten des Wissenschaftssystems richtet. Eine Übernahme der vom Wissenschaftssystem entwickelten Ziele durch die betroffenen Gruppen des Feldes wäre eine nicht zu akzeptierende Vereinfachung des Problems; dies vor allem deshalb, weil Interventionen zwar dort stattfinden, wo soziale Verhältnisse veränderungsbedürftig erscheinen, aber eine langfristige Verbesserung dieser Verhältnisse nicht zu erreichen ist, wenn diejenigen, um deren Lebensbedingungen es geht, nicht über Lernprozesse dazu aktiviert werden können, die Veränderung ihrer Situation selbst in die Hand zu nehmen. Diese Aktivierung wird nicht über Ziele zu erreichen sein, die aus der Perspektive des Feldes fremdbestimmte sind3. Daß die Ziele des Wissenschaftssystems und die Ziele der Betroffenen zueinander in Beziehung zu setzen sind, steht dagegen außer Zweifel. Der wichtigste Bezugspunkt ist das Interesse an der Veränderung der Situation im Feld. Von daher ausgehend ist zu klären, in welcher Weise das Feld sich verändern soll, welche Interessen dafür stehen, daß es sich in dieser Weise verändert, und welche Interessen dagegen stehen. 187

Diese Klärung wird sich im Wissenschaftssystem anders vollziehen als bei den Betroffenen. Dem Wissenschaftler stehen zur Zielfindung Instrumente wie Organisationsanalyse, Analyse von Kommunikationsnetzen usw. sowie ein theoretisches Vorverständnis zur Interpretation der daraus gewonnenen Daten zur Verfügung. Die Betroffenen haben die subjektive Erfahrung von Unterdrückung und von Einengung existentieller Interessen. Bedingung für eine Zielfindung, die die Erkenntnisse aus dem Wissenschaftssystem benutzt und der Interessendurchsetzung der Betroffenen dient, ist ein von strukturellen Teilveränderungen begleiteter Kommunikationsprozeß, der den Betroffenen zunehmend die Möglichkeit bietet, Ursachen und Perspektiven ihrer Situation zu durchschauen und an den auf das Ziel gerichteten Umstrukturierungsprozessen nicht nur als Erkennende und Reagierende, sondern auch als Organisierende teilzunehmen.

Anmerkungen 1 Die unterschiedlichen Darstellungen von action research in diesem Band machen die Unsicherheiten gegenüber den Möglichkeiten dieses Instrumentariums deutlich. Die im folgenden benannten möglichen Funktionen von action research setzen einen optimal realisierten Forschungsprozeß voraus. 2 Unter diese Ansätze fallen die Divergenzhypothese, die Differenzierungshypothese und die Entwicklung generativer Lernmodelle. 3 Daß die Abnahme von Einschätzungen und die Einengung von Handlungsmöglichkeiten Faktoren sind, die Aktivierung verhindern, zeigt sich in besonderer Deutlichkeit bei entlassenen Strafgefangenen.

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Gerhard Rehn / Lieselotte Pongratz Probleme der Zielfindung in einem Aktionsforschungsprojekt im Strafvollzug 1 Das Arbeitsfeld »Übergangsvollzug« Dieser Beitrag beruht auf ersten Erfahrungen der Forschungsgruppe, die im Rahmen eines Aktionsforschungsprogramms im Übergangsvollzug für männliche Strafgefangene in Hamburg gesammelt wurden. Das vom Seminar für Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg durchgeführte Forschungsprojekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert (Pongratz und Haag 1972). Initiiert wurde es vom Strafvollzugsamt der Stadt Hamburg, das bereits im Stadium der Vorplanung der Anstalt (Sommer 1969) an das Seminar für SozialWissenschaften mit dem Vorschlag herantrat, die Entwicklung der Anstalt zu untersuchen. Die Anstalt wurde am 24.1.1972 eröffnet. In den Vollstreckungsrichtlinien heißt es: »Die Übergangsanstalt ist eine Anstalt des offenen Vollzugs. In ihr sollen erwachsene männliche Gefangene, die sich in der Regel seit mindestens zwei Jahren im Vollzug befinden . . . , in den letzten 6 bis 9 Monaten vor dem Strafende oder der bedingten Entlassung auf das Leben in Freiheit vorbereitet werden.« Sexual- und Gewalttäter sollen in der Regel nicht aufgenommen werden. Die Forschungsgruppe der Universität, zusammengesetzt aus Hochschullehrern, Forschungsassistenten und Studenten, war von Beginn an der Strukturierung der Praxis, also der Institution Übergangsanstalt, beteiligt. Die wesentlichsten Merkmale des Ubergangsvollzugs sind: die Probanden arbeiten in der Wirtschaft oder in Behörden zum vollen Lohn; sie können über ihr Geld — das zunächst auf ein Sperrkonto geht — weitgehend selbst verfügen. Die Probanden erhalten an Wochentagen außer montags (Gruppenabend) und mittwochs (Vollversammlung) bis 23.00 Uhr Ausgang. Probanden, die bereits drei Monate in 189

der Anstalt sind, bekommen bei Angabe einer Urlaubsadresse an jedem Wochenende ab Freitagabend Urlaub, in den ersten drei Monaten an jedem zweiten Wochenende. Probanden, die keine Anschrift angeben können, erhalten ab Freitagabend Ausgang, der aus rechtlichen Gründen nach jeweils acht Stunden durch Anwesenheit im Haus unterbrochen werden muß. Besucher können bis 21.00 Uhr empfangen werden. Die Probanden bewohnen Einbettund Zweibettzimmer. Die Kapazität des Hauses liegt bei 50 Probanden. Die Übergangsanstalt wird von zwei Sozialarbeitern geleitet, ihnen sind ein Aufsichtsdienstleiter und elf Aufsichtsdienstbeamte zugeordnet. Die Mitarbeiter der Forschungsgruppe sind an allen Aktivitäten im Hause beteiligt: an Einzelgesprächen und an der Gruppenarbeit mit Probanden, an der Vollversammlung, der wöchentlichen Mitarbeiterbesprechung; sie begleiten Probanden auf Wunsch bei der Arbeitssuche usw. Diese Hinweise müssen als Hintergrund für die folgenden Ausführungen genügen, bei denen es um die ausschnitthafte Mitteilung erster Erfahrungen bei der Erarbeitung und Umsetzung von Zielen und Strategien für die Anstalt geht.

2 Zielfindungsprozeß im action research Die Anwendung der Methode action research impliziert die Veränderbarkeit von Zielen der zu untersuchenden Institution und des Forschungsprojekts. Der Prozeß dieser Veränderungen ist als Zielfindungsprozeß selbst Gegenstand der Forschung. Aussagen über Ziele sind daher immer Aussagen über gegenwärtige Ziele. Aus der generellen Wandelbarkeit von Zielen ist aber nicht herzuleiten, daß Ziele von Forschung und Praxis nicht vorgegeben werden oder daß Zielsetzungen mit Aktionsforschung nicht vereinbar sind. Eine solche Prämisse — wie sie gelegentlich bei der Beschreibung von action research anzutreffen ist — wäre eine ideologische Verhüllung der faktischen Strukturen im Projekt und des Bewußtseinsstandes der in ihm han190

delnden Gruppen. Die Vorstellung, man könne zu irgendeiner Zeit den Dialog über Ziele zwischen dem Praxissystem und dem Wissenschaftssystem als gleichberechtigten Dialog einfach einsetzen, kann sich nicht erfüllen. Basis der anzustrebenden gleichberechtigten Kommunikationsprozesse müssen vielmehr die unterschiedlichen und ungleichgewichtigen gruppen- und individualtypischen Sozialisationsprozesse sein, die diesen gleichberechtigten Dialog zunächst verhindern, z. B. indem das Wissenschaftssystem schon von seinen Informationen her Ziele hat und sie audi einbringen muß und will. Der anzustrebende Dialog ist erst dann hergestellty wenn die faktischen Ungleichheiten in ihm nicht nur berücksichtigt, sondern zugleich zum Thema gemacht werden. So sind z. B. Ziele, ausgebracht als konkrete Utopien, legitim, solange in ihnen als Bedingung ihrer Erfüllung zweierlei angelegt ist: Zum einen müssen die Gruppen, mit denen veränderte Lebensformen angestrebt werden, die Chance haben, ihre Bedürfnisse als Einflußgrößen zu artikulieren. Zum anderen wäre als materielle Basis dieser Chance die Artikulationsfähigkeit der beteiligten Gruppen und Individuen zu fördern. Damit werden vorgegebene, im Sinne kritischer Gesellschaftsanalyse quasi objektive Ziele, zur kompromißreichen Praxis über das Korrektiv subjektiver Bedürfnislagen. Dieser Vorgang der ständigen Kompromißbildung wäre als Zielfindungsprozeß durchsichtig zu machen. Mit Mitteln wissenschaftlicher Kritik sind zugleich die Grenzen der Kompromißbereitschaft zu erinnern. 3 Konkretisierung der Ziele für den Übergangsvollzug Die Forschungsgruppe geht davon aus, daß die Probanden, mit denen zusammengearbeitet wird, durch ihre sozialen Felder, die sie im Laufe der Sozialisation durchlebt haben — besonders aber durch Zeiten institutioneller Unterbringung —, in ihrer Persönlichkeit durch Prozesse der Isolation, der Entfremdung und der Diffusion im Rollenspiel 191

geschädigt worden sind (Dreitzel 1968). Daraus wird als oberste Zielbestimmung hergeleitet, daß es darum gehen muß, die schrittweise Emanzipation der Probanden von äußeren (umweltbedingten, strukturellen) und inneren (psychischen, internalisierten) Zwängen zu erreichen. Um diese Emanzipation zu erreichen, müssen den Probanden mehr und qualitativ andere Kommunikationsmöglichkeiten als bisher angeboten werden — was notwendig alle anderen Gruppen wie Aufsichtsdienstbeamte, die Leitung, das Forschungsteam usw. in Wandlungsprozesse einschließt. Informationen über das »Wie« der Umsetzung dieser so ausgebrachten Ziele in Praxis liefern Erfahrungsberichte und theoretische Reflexionen über therapeutische Gemeinschaften und deren Weiterentwicklung sowie die Darstellung der Konsequenzen totaler Institutionen. Wenn in Zusammenhang mit der durch die Forschungsgruppe mitgestalteten Praxis von der Notwendigkeit gesprochen wird, ein therapeutisches Milieu herzustellen, dann zunächst im Sinne einer ausdrücklichen Zielverschiebung gegenüber dem herkömmlichen Strafvollzug. Die Ziele »Sicherung« und »Ordnung« sollen durch therapeutische Zielsetzungen ersetzt werden. Dieser Vorgang muß konkret auffindbar sein im Bereich individueller Verhaltenschancen, in den Strukturen der Institution und in der Art und Weise, wie der Zusammenhang zwischen individuellen Bedürfnissen und institutionellen Erfordernissen thematisiert wird. Auf der Ebene individuellen Verhaltens sollen allen Mitgliedern der Institution — in erster Linie aber den Probanden, für die dies alles ja veranstaltet wird — Möglichkeiten der Selbsterfahrung in einer angstfreien Atmosphäre, Möglichkeiten der Identitätsfindung in einem nicht-restriktiven Rollenmuster und Möglichkeiten der Selbstrepräsentation ohne Furcht vor negativen Sanktionen gesichert werden. Aber audi die Gruppe der Aufsichtsbeamten, der Leitung und der Mitglieder der Forschungsgruppe müssen diese Möglichkeiten haben, da alle zu Beginn dieser neuen Situation angstbesetzt arbeiten. 192

Auf der Ebene der sozialen Institution Übergangsvollzug sollen die an Individuen und Gruppen gerichteten Lernangebote institutionell abgesichert werden. Hierarchisierungsvorgänge und die damit verbundenen Rollenfixierungen müssen als Quellen von Fremdbestimmung erkannt werden. Zugleich sind Einrichtungen zu schaffen, in denen diesen Tendenzen entgegengewirkt werden kann. Ansätze zu Mit- und Selbstverwaltung, zur Interessenvertretung schlechthin, müssen aufgegriffen und institutionell abgesichert werden. Schließlich ist die systematische, sozialtherapeutisch bestimmte Arbeit mit der Umwelt der Probanden anzustreben. Damit tritt eine der Problematik des Arbeitsfeldes Übergangsanstalt gerecht werdende Orientierung der Institution nach »draußen« in den Vordergrund. Da aber die Institution Übergangsvollzug Gesetzmäßigkeiten als Pfeiler ihres Bestehens aus sich hervortreibt, die schon aufgrund ihrer größeren Starrheit gegenüber den flexibleren Strategien individueller Bedürfnisbefriedigung repressiv sein können, muß der Vermittlung zwischen beiden Ebenen in Praxis und Forschung Aufmerksamkeit zugewandt werden. Dies verlangt die möglichst weitgehende Offenheit von Kommunikations-, Informations- und Sanktionssystemen, die rationale Begründung von Regelungen und die Förderung der Lernbereitschaft im Hinblick auf den Umgang mit Regeln (Distanz zu Regeln, Ausdehnung der Verfügbarkeit über Regeln). Kompromißbildungen zwischen individuellen Bedürfnissen und institutionellen Erfordernissen sollten sowenig wie möglich auf Kosten des Individuums gehen. 4 Probleme der Zielfindung und Zielverwirklichung Wenn — wie hier — die Herstellung eines therapeutischen Milieus zum Ziel gemacht wird, zu einem Ziel übrigens, das immer audi schon Mittel sein muß, dann ist im Hinblick auf den Prozeß der Zielfindung und seiner Umsetzung in die Praxis mit drei grundsätzlichen Problemen zu rechnen: 1. mit der bisher nicht geleisteten arbeitsfeldbezo193

genen Integration relevanter Aussagen der Grundlagenwissenschaften; 2. mit der bisher kaum gelungenen Zusammenführung vorhandener, therapieorientierter Praxismethoden in Interventionspläne, die alle Ebenen und Dimensionen von Lernprozessen in Institutionen umgreifen, und schließlich 3. mit den auf je spezifischen Lernmilieus beruhenden Defiziten der miteinander agierenden Gruppen, die der Herstellung eines therapeutischen Milieus im Wege stehen. 1. Die wissenschaftliche Fundierung einer problemorientierten Disziplin wie Sozialarbeit ist bisher kaum überzeugend gelungen. Sie geht überall dort fehl, wo sie über die Anlehnung an nur eine Grundlagenwissenschaft, z. B. als angewandte Soziologie, als schematisierte Leistungsgewährung im Sinne der Sozialpolitik oder als »verdünnte« Psychoanalyse versucht wird. Ansätze der Sozialarbeit dagegen, die von den Bedürfnissen, Motivationen und Verhaltensweisen ihrer Klienten ausgehen, kommen nicht umhin, auf der Basis der Analyse von Arbeitsfeldern und geleitet durch spezifische Erkenntnis- und Handlungsinteressen alle Grundlagenwissenschaften auf relevantes Wissen hin zu befragen und dies Wissen zu Interventionsplänen zu integrieren: »Die in einer Gesellschaft vorherrschenden Konformitätsmodi des Verhaltens und die für eine Gesellschaft charakteristischen Verhaltensstörungen sind . . . einer phylogenetischen wie auch einer ontogenetischen Erklärung zugänglich, ja, die besondere Schwierigkeit sozialpathologischer Untersuchungen beruht gerade auf der Notwendigkeit einer Verbindung beider Linien . . . « (Dreitzel 1968, S. 289). Die Schwierigkeiten sind dort um so größer, wo nicht nur untersucht, sondern auch behandelt werden soll. Das Problem der Integration von Wissen tritt für die Forschungsgruppe in der Arbeit mit dem Projekt des Übergangsvollzugs immer dann auf, wenn es um Fragen der Praxiskonzeption, die Entwicklung des Forschungsplanes, die Anwendung empirischer Instrumente und um Ausbildungsfragen geht. Regelmäßig steht dabei zunächst die eigene akademische Herkunft im Wege. Das Prestige 194

des Spezialisten gewinnt der Wissenschaftler aus der Disziplin, in der er ausgebildet wurde: »Few are willing to depart from home territory« (Yinger 1965, S. 22). 2. Ein weiteres Problem bei der Entwicklung von Handlungsstrategien bezieht sich auf die in der Praxis anzuwendenden Methoden. Auch hier wird gefordert, vorhandene Ansätze in Richtung auf einen, die gesamte Institution umfassenden Interventionsplan weiterzuführen (vgl. Haag u. a. 1972). Das konkrete Handeln im Gesamtsystem eines Arbeitsfeldes vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Dimensionen. »Ebenen der Arbeit« bezieht sich dabei auf analytisch abgrenzbare Subsysteme (Person, Bezugsgruppe, Organisation, Umwelt), zugleich auf die jeweils zugehörige wissenschaftliche Perspektive (psychologische und psychoanalytische, sozialpsychologische und soziologische) und die in der Sozialarbeit üblicherweise zugeordnete Praxismethode (Casework, Groupwork, Community Organization oder Intergruppenarbeit). Damit stehen im Prozeß der Behandlung die Fragen im Vordergrund, wie Probanden sich in bestimmten Situationen verhalten, welche Erwartungen an sie herangetragen werden, welche Verhaltenschancen sie aufgrund der von ihnen erfahrenen Lernmilieus haben und wie sie dies Verhalten zu realisieren wissen. Therapie ist somit nicht etwas, das A dem B zufügt oder »schenkt«, sondern sie verwirklicht sich als Kommunikation in einem therapeutisch bestimmten Rahmen, der allen Beteiligten Lernchancen ermöglicht. »Therapie« in diesem Sinne kann zu jeder Zeit in jedem Bereich des Arbeitsfeldes stattfinden; sie ist nicht als Einzel- oder Gruppentherapie vom Gesamtfeld abtrennbar. Die Einrichtung spezieller Veranstaltungen (Einzelgespräche, Gruppengespräche, Formen der Mitverwaltung) sind in diesem Konzept Verdichtungen therapeutischer Stimuli, d. h., was an Verhalten in irgendeinem Bereich der Institution neu erlernt wurde, hat in jedem anderen Teil die Chance seiner Verwirklichung — im Gegensatz zum Regelvollzug, wo in therapeutischen Gruppen zwar möglicherweise Chancen der 195

Selbstdarstellung und Selbstverwirklichung eingeräumt werden, die aber oft in anderen Bereichen der Institution negativer Sanktionierung unterliegen. »Dimensionen der Arbeit« bezieht sich auf die Struktur von Lernprozessen und die jeweils angezielten Klassen von Inhalten. So können Lernprozesse analytisch in folgende Bestandteile zerlegt werden: Lernen durch die Vermittlung von Wissen (objektsprachliche Ebene), von Einsicht (metakommunikative Ebene, Bedürfnisse, Motivationen, Beziehungsstrukturen) und Lernen durch Sinnorientierung (Ebene der Werte). Für Lernprozesse ist obendrein entscheidend, in welcher Praxis sie sich ereignen. Prinzipiell wäre ein angst- und herrschaftsfreier Kommunikationsstil anzustreben, der Chancen auf Selbstdarstellung und Selbstverwirklichung eröffnet. Diese hier analytisch getrennten vier Dimensionen werden im Alltag der Sozialisations- und Resozialisierungsagenturen der Gesellschaft auch faktisch als jeweils getrennte Zugänge eingesetzt. Im Gegensatz dazu käme es darauf an, sie im Hinblick auf das vorliegende Arbeitsfeld nicht als voneinander unabhängige Komplexe von Verhaltensweisen und damit als die Basis der Herausbildung professioneller Rollen (etwa Lehrer, Therapeut, Politiker) zu begreifen, sondern sie, zusammen mit der Integration der Ebenen der Arbeit, im sozialtherapeutischen Prozeß zusammenzubringen. So würde z. B. ein wesentlicher Teil der Wirksamkeit der Vollversammlung verschenkt, wollte man sich in ihr auf die bloß formale Regelung hausinterner Angelegenheiten beschränken. Vielmehr kommt es darauf an, auch hier die Metaebenen jeder Kommunikation zu thematisieren. Mit diesen Sätzen ist die Richtung, in die gedacht werden muß, zugleich aber auch die Komplexität der Entwicklung von Praxisstrategien angedeutet. 3. Die hier angesprochenen theoretischen und methodologischen Überlegungen müssen zum Handwerkszeug aller beteiligten Gruppen werden. Das verlangt, daß alle am Übergangsvollzug beteiligten Gruppen die Idee der Entwicklung eines therapeutischen Milieus mittragen. Die da196

bei entstehenden Probleme sollen im folgenden unter besonderer Beachtung der spezifischen Lernmilieus und der daraus folgenden, therapeutische Zielsetzungen behindernden Defizite diskutiert und im Hinblick auf die Probanden anhand eines Tonbandauszuges etwas ausführlicher dargestellt werden. 4. Jede der am Übergangsvollzug beteiligten Gruppen hat in bezug auf die Verwirklichung der Konzeption spezifische Schwierigkeiten zu überwinden. Die Probanden sind in der Entfaltung ihrer Persönlichkeit durch Prozesse der Isolierung (Milieuverlust und Stigmatisierungen), der Entfremdung (im Sinne der von Gofman gezeigten Dehumanisationsprozesse) und der wiederholten Entlassung in für sie anomische Situationen (mangelndes Verhaltensrepertoire für die Zeit nach der Strafverbüßung) gehindert (vgl. Dreitzel 1968). Hier soll dem besonders eindrucksvollen, für die Herstellung eines therapeutischen Milieus problematischen Merkmal oft völliger Einsamkeit des wiederholt rückfällig Gewordenen nachgegangen werden. Die Deprivation der Gefangenen durch Kontaktverlust (Dreitzel) wird von der Gesellschaft durch zwei gleichlaufende Prozesse hergestellt: Zum einen dadurch, daß sie Kriminelle aus der Gesellschaft der Nichtkriminellen ausschließt und die Strafe über die Zeit der Verbüßung hinaus durch die Bildung negativer Stereotype verlängert. Zum anderen steht der Überwindung der Einsamkeit die durch die Probanden vollzogene Internalisierung des auf Individuen bezogenen Schuldgedankens entgegen. Den Prozeß in die Kriminalität begleiten Wortmarken wie dumm und schlecht, aufsässig, zu tiefen Bindungen und Empfindungen unfähig, nicht tragfähig für die Gesellschaft, unfähig sich zu bessern, kriminell, psychopathisch usw. Diese Wortmarken zielen auf Individuen und sind an Individuen festgemacht. Sie werden schließlich von den Betroffenen als Definitionen ihrer selbst übernommen, nach dem Muster: eine negative Definition und damit eine negative Identität ist besser als gar keine. Dieser Zusam197

menhang soll an einem Tonbandauszug aus einer Gruppensitzung mit sechs Probanden verdeutlicht werden: Gesprächsleiter (Gl): Man ist nicht allein verantwortlich dafür, daß man so geworden ist, wie man ist. Man kann nichts für seine Herkunft und für die Behörden, die einen herumgestoßen haben. Proband (Pb) A (38 Jahre alt): Doch ist man alleine verantwortlich! Pb B (33 Jahre): So sieht das aus! Daß ich straffällig geworden bin, dafür trägt keiner die Schuld, nur i c h . . . Pb C (34 Jahre): Die negativen Erlebnisse, die er (Pb E, 42 Jahre) gehabt h a t . . . , daran trägt er nicht allein Schuld . . . Pb D (45 Jahre): Es geht doch um Sinn oder Unsinn des X-Hauses (Name des Obergangsvollzuges). Das X-Haus hat schon einen S i n n . . . Man kann sich langsam an die Freiheit gewöhnen. . . . Das kann ich nicht, wenn ich aus Y (traditioneller Vollzug) entlassen werde. Da geht der nächste Weg in die Kneipe. Da geht es wieder lustig los — von vorn! Pb A: Ja, warum? Pb D: Ja, Warum?! Das ist doch den meisten so gegangen! Pb B: Wir wolln uns doch man eins vor die Augen halten: hier sinn jetzt schon 7 oder 8 Mann zurückgekommen (zurückverlegt worden) . . . den' hat, daß sie in der Ubergangsanstalt warn, nichts genutzt. Die hatt'n zu schwachen Willn. So! Und alle, die hierher kommen . . . die'n schwachen Willen ham, für diese Leute ist das ganze X-Haus sinnlos . . . Die ham den Willn nicht dazu offzuhörn — aus . . . Gl: Herr B, kann man es nicht auch mal andersherum sehen, daß die Anstalt zu schnell aufgegeben hat? Pb B: Nein! Diese Schuld liegt bei denjenigen selbst. Gl: Man kann Kinder zu allem möglichen erziehen . . . Pb B: Da muß ich ihnen leider widersprechen. Pb D: Wollen sie damit sagen, daß meine Eltern mich zum Verbrecher erzogen ham . . . ? Pb B: Das könn' sie nicht mit jedes Kind machen. Das gibts gar nicht. Pb D: Meine Eltern ham damit überhaupt nichts zu tun. Nichts! Pb C: Was macht denn dann einen zum Kriminellen? Pb B: Weißt du das, wodurch ein Mensch kriminell wird? Pb C: Ja, auf alle Fälle durch die Umwelt. Pb B: So? Das möcht ich aber sehr stark bezweifeln . . . Also die Umwelt kriegt die Schuld, weils du dich vielleicht mit ein paar Halbstarke abgibst... Ich bin . . . zum Verbrecher geworden und diese Schuld trag ich ganz alleine . . .

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Gl: Glauben Sie, daß Prostituiertenkinder von Geburt an schlechter als andere Kinder sind? Alle: Nein. Gl: Dennoch geraten sie mehr als andere Kinder in Schwierigkeiten. Pb A: Na gut, bei den Kindern will ich das akzeptieren. Aber in dem Moment, wo ich 21 bin und normal denken kann, da muß ich mal sagen: halt, stopp! So geht das nicht weiter. Pb B: Mir sind sieben Geschwister zu H a u s e . . . Von meinen Geschwistern ist weder einer vorbestraft noch sonst was. Die ham alle 'nen anständigen Beruf gelernt. Ich hab weder 'n Beruf, noch hab ich sonst was besonderes was geleistet. Da is keiner vorbestraft. Die ham genau dieselbe Erziehung gehabt wie ich . . . So! Ich bin straffällig geworden, nu sage nich, die Schuld liegt an die Umwelt, denn die ham genau diesen Umgang gehabt wie i c h . . . Also kann es nur an mich selbst liegen und bei kein andern. Pb C: Wenn du sagst, daß die Schuld an Umwelteinflüssen lag, bedeutet das nicht, daß du schuldlos b i s t . . . Pb E : Schuld hat man immer. Das is ganz logisch. Schuld is man ganz alleine. Pb C: Die Frage der eigenen Verantwortung bleibt immer noch bestehen. Pb D: Mir wurde immer wieder meine absolute Schuld an meinem Tun eingebläut . . . und ich hab' selbst fest daran geglaubt. . . . Es ist mir immer noch nicht gelungen, dies abzuwerfen. Manchmal hab ich richtig Minderwertigkeitskomplexe — glauben Sie das?! Alle anderen waren unschuldig, nur ich war allein schuldig...

Diese Individualisierung der Schuldproblematik verhindert, daß im Mitgefangenen etwas anderes als ein weiterer »schlechter« Mensch gesehen werden kann — um so besser, wenn dieser andere aufgrund seiner Tatmerkmale schlechter ist als man selbst — , sie verhindert auch, sich solidarisch mit dem anderen während oder nach der Strafverbüßung zu befassen; jeder will für sich allein neu anfangen. Den wenigsten gelingt das, auch ein halbes Jahr Übergangsvollzug kann hier vermutlich nichts Grundlegendes ändern, so kehren sie in die kriminelle Subkultur zurück; nicht um Verantwortung füreinander zu übernehmen, sich gegenseitig zu stützen, sondern um in einer be-

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wußtseinslosen »Kongregation der Verstoßenen« (Beck 1953) wenigstens ein minimales Gefühl dafür zu bekommen, daß sie auch jemand sind. Dieser Zusammenhang muß zerrissen werden, wenn der Vorsatz, ein therapeutisches Milieu herstellen zu wollen, eine Chance haben soll. Tatsächlich zeichnen sich aber Erfolge in dieser Richtung langsamer ab, als wir zu Beginn der Arbeit vermutet hatten. Die Ideologie des »Jeder-ist-sich-selbst-der-Nächste« ist beherrschend. Der Möglichkeit effizienterer Hilfe durch vermehrte Beziehungen untereinander — etwa über das insofern Zielcharakter gewinnende Mittel der sozialen Gruppenarbeit— steht das tiefverwurzelte Mißtrauen der Probanden untereinander im Wege. Dennoch: erste Ansätze zu solidarischerem Verhalten werden sichtbar, z. B. wenn in einer anderen Gruppenstunde sehr ernsthaft diskutiert wird, was man denn selbst dazu beigetragen habe, um Rückverlegungen zu vermeiden. 5. Für die Mitglieder der Forschungsgruppe sind ihre überwiegende Herkunft aus der Mittelschicht und ihre vorrangig durch Schule und Universität bestimmte Socialisation typisch. Wissen ist den Mitgliedern dieser Gruppe primär über individuell zurechenbare Leistung, durch Wettbewerb und durch ein ausgefeiltes System von Lob und Tadel vermittelt worden. Daneben sind Praxisferne und geringe soziale Intelligenz die negativen Resultate von Schule und Universität. Hieraus resultieren Probleme im Umgang mit Praktikern, die eine gemeinsame Sprache und kooperativsolidarisches Handeln zeitweise verhindern. An ihrer Stelle stehen oft Ungeduld und Unduldsamkeit gegenüber der Praxis. Die Forschungsgruppe ist aufgrund des in der Literatur angesammelten Wissens in der Lage, rasch Ziele für Praktiker zu formulieren, sie stößt jedoch auf Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieser Ziele in Handlung. Damit unterliegt die Forschungsgruppe denselben Gefahren, die für Praktiker schon immer galten: daß Enttäuschungen zur Resignation führen, zur Routine und zum unreflektierten Aufgeben der ursprünglichen Ziele. Dem Forscher steht ein weiterer Ausweg offen: der des schrittweisen Rückzuges 200

aus der unbewältigten Praxis überhaupt. Er muß sich aber klar darüber sein, daß er damit die gesamte Palette seiner Einflußmöglichkeiten gefährdet. Maßstab seiner Reputation in den Augen des Praktikers ist die Praxis, auf die er sich konkret eingelassen hat und die er, ohne sie zu einem besseren Ende als bisher gebracht zu haben, verläßt, um z. B. seine Ziele zu retten oder um dem Beschwernis, in einem schwierigen Feld Entscheidungen fällen zu müssen, zu entgehen. Ausweg kann hier nur sein, vorher möglichst genau den Umfang des Teils der Praxis zu bestimmen, der mitgetragen werden soll, um dann diesen Teil kontinuierlich im ständigen Dialog mit den beteiligten Gruppen zu verwirklichen. Dieser Ausgangslage, die prinzipiell durch Lernen veränderbar ist, unterliegt eine grundsätzliche Rollenproblematik: die Verbindung von Theorie und Praxis, von action und research. Sie stellt jeden Aktionsforscher vor die Aufgabe, eine alle Seiten und sich selbst überzeugende Rollendefinition zu finden. Die Praktiker erheben den Vorwurf der Praxisferne, die Wissenschaftler den der distanzlosen Praxelei. Dieser Konflikt bleibt nicht äußerlich, sondern ist als innerer Zwiespalt in wechselnden Situationen neu zu bewältigen. Die Kontinuität des Konflikts hat eine Ursache in der nur begrenzt vorhersagbaren Entwicklung in den beiden Bereichen Forschung und Praxis. So schaffen z. B. die Probanden Tatsachen, die nach zusätzlichem Zeit- und Energieaufwand — beides wahrscheinlich schon anders verplant — verlangen, will man den Verpflichtungen, die man als Audi-Praktiker eingegangen ist, gerecht werden. 6. Die Situation des Beamten im Übergangsvollzug ist ohne ihre bisherige Praxis im Regelvollzug kaum zu begreifen. Sie waren als Aufsichtsdienst dort das letzte Glied in einer hierarchisch strukturierten Kette, deren Zusammenhalt auf Über- und Unterordnungsverhältnissen beruht. Sie standen im Regelvollzug in der Konfliktzone zwischen den Aggressionen unterprivilegierter Minderheiten einerseits und hoheitlicher Machtausübung in der Form unmittelbaren Zwangs andererseits. Sie waren damit oft die Träger insti201

tutionell verankerter Dehumanisationsprozesse; dies nidit ohne Auswirkungen auf sich selbst. Die mit dem Ausschluß bestimmter Gruppen aus der Gesellschaft verbundenen Prozesse schädigen alle Beteiligten, mindern ihre »kommunikative Kompetenz« (Habermas 1971) und halten sie von der Möglichkeit angst- und herrschaftsfreier Interaktionen fern. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen — da es sich bei den im Übergangsvollzug tätigen Beamten nicht um eine Zufallsauswahl handelt —, daß zwar nur wenig konkrete Vorstellungen über die Arbeit im »neuen« Vollzug vorhanden sind, dies jedoch verbunden mit dem Willen, bessere Bedingungen für die Probanden zu schaffen. Freilich: die vorhandenen Erfahrungen sind die Erfahrungen von gestern. Sie wirkten identitätsbildend und können nicht einfach beiseite gelegt werden. Der in der Beamtenrolle angelegte Konflikt zwischen der Orientierung am Ziel Ordnung und Sicherung und am Ziel Resozialisierung und der Einrichtung eines therapeutischen Milieus wird im Regelvollzug immer zugunsten der Sicherung entschieden. Anders im Übergangsvollzug. Die therapeutischen Zielsetzungen sollen auch das Handeln der Beamten bestimmen. Da aber nach wie vor die Kontrolle der Einhaltung bestimmter formaler und technischer Regelung durch die Probanden (z. B. Ausgangs- und Besuchszeiten) bei den Beamten liegt, wird ihre Stellung prekär: der beschriebene Rollenkonflikt wird manifest. Unbehagen wird formuliert, Resignation breitet sich aus: »Wir haben doch wieder die Dreckarbeit zu machen«; »wir sitzen — wie schon vorher — zwischen Baum und Borke«. Eine solche Entwicklung steht der Einrichtung eines therapeutischen Milieus entgegen; es kann sich nur dort entwickeln, wo die dichte Kommunikation zwischen Beamten und Probanden einbezogen wird. Als Fazit gilt: Der Aufsichtsdienst muß stärker, als uns dies unter dem ersten Ansturm der Praxis gelingen konnte, in den Dialog über die Zielsetzung und Zielverwirklichung einbezogen werden. Zu der Beteiligung an der Mitarbeiterbesprechung, an der Vollversammlung, an der Gruppenarbeit und der Ausweitung von Entscheidungsbe202

fugnissen müssen intensive Fortbildungsbemühungen — besonders auf der Basis von Falldarstellungen — hinzukommen, um harmonistische, Anpassertum fordernde und fördernde Vorstellungen von der Durchführung des offenen Vollzuges abzubauen. 7. Die Leitung des Übergangsvollzuges sieht sich gegensätzlichen Erwartungen ausgesetzt. Einerseits weiß sie, daß sie von Teilen des Strafvollzugsamtes und des Regelvollzugs an den traditionellen, für den Strafvollzug insgesamt geltenden Normen gemessen wird. Nach Lage der Dinge kann das heißen, daß für die Probanden keine ausreichende Chance auf Selbstdarstellung besteht, sondern daß oberflächliche Prozesse der Anpassung gefördert werden. Das steht einem therapeutischen Milieu entgegen. Andererseits wird von der Leitung des Übergangsvollzugs gerade verlangt, daß sie das Resozialisierungsziel in den Vordergrund stellt. Damit hat sie die Chance, von den Bedürfnissen der Probanden auszugehen und zusammen mit dem Mitarbeiter-Team von dieser Basis her die Anstalt zu strukturieren. Zugleich hat die Leitung die Möglichkeit, die von der bürokratischen Struktur des Strafvollzugsamtes her gegebene individuelle Zurechenbarkeit von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im Sinne fachlich orientierter Teamarbeit zu unterlaufen. Das erschwert die Rolle der Leitung abermals: Das Team bestimmt mit, ohne in gleicher Weise wie die Leitung verantwortlich zu sein. Rollenkonflikte werden aufgrund der unterschiedlichen, höchst komplexen Erwartungen vom Strafvollzugsamt, den Probanden, den Aufsichtsdienstbeamten, der Forschungsgruppe und den Entsendeanstalten unvermeidbar sein. Zugleich sind die Chancen der Aufarbeitung dieser Konflikte im Sinne therapeutischer Zielsetzungen durch die professionelle Orientierung der Leitung (Sozialarbeiter) relativ hoch. So ist bei der Leitung Verständnis für die Zielsetzung, Herstellung eines therapeutischen Milieus, vorhanden. Aber ähnlich wie die anderen Gruppen steht auch sie sich dabei mit spezifischen Schwierigkeiten selbst im Wege. 203

5 SMußbemerkung Zielfindungs- und Zielumsetzungsprozesse stellen sich in der beschriebenen Weise nur im action research. Bei jeder anderen Forschung mit ähnlichem Forschungsgegenstand werden die Ziele des zu untersuchenden Objekts genommen und mit der Wirklichkeit — aus deren Konflikten man sich heraushält — konfrontiert. Oder es wird die Zielsetzung in Frage gestellt und anhand der untersuchten Praxis ausgewiesen, welche Ziele und Arbeitsmethoden die Praxis anstreben sollte. Diese Art Forschung hat bisher in der Praxis kaum Wirkung gehabt; es ist deshalb notwendig, konsequenzreichere Ansätze zu erproben und die methodologischen und methodischen Schwierigkeiten, die daraus resultieren, auf sich zu nehmen. Am Beispiel der Gruppen der Probanden, der Aufsichtsdienstbeamten, der Leitung und der Forschungsgruppe wurden die Schwierigkeiten benannt, die schon den Dialog über das gemeinsame Ziel immer wieder beeinträchtigen. Entstehende Konflikte zwischen den Gruppen und die Lösungsversuche setzen neben der Rückkopplung erhobener Daten den Prozeß der Zielfindung je neu in Gang. Ansprüche und Erwartungen der Gruppen an die jeweils anderen Gruppen können nur so einsichtig gemacht und relativiert werden, ein Vorgang, der sonst im Zusammenspiel Wissenschaft und Praxis, sei es in der Forschung, in der Fortbildung oder Beratung, kaum auffindbar ist. Wir gehen dabei von der Annahme aus, daß die Prozesse im action research die durch unterschiedliche soziale und berufliche Entwicklungen gekennzeichneten Gruppen befähigen, Praxis gezielt zu verändern.

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TEL Aktionsforschungspläne

Die folgenden vier Beiträge sind Kurzfassungen von Forschungsantragen, die heim Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft oder bei der VW-Stiftung gestellt worden sind. Di auszugsweise Veröffentlichung dieser Forschungspläne gibt ein beispielhaften Eindruck von den unterschiedlichen Problemati sierungsschwerpunkten innerhalb dieser Aktionsforschungspro jekte.

Projekt Osdorfer Born, Hamburg Projektstudium im sozialwissenschaftlichen Bereich 1 Darstellung des Projektes Das hochschuldidaktische Forschungsvorhaben1 basiert auf einem Praxisprojekt, das seit 1969 in dem Hamburger Neubaustadtteil Osdorfer Born mit Studenten durchgeführt wird und in dem vor allem mit Schülergruppen verschiedener Altersstufen gearbeitet wird. Dieses Projekt ist der Ausgangspunkt eines Versuches, Studienreform durch die Weiterentwicklung eines Praxisprojektes zum Projektstudium an einer traditionellen Universität unter Beteiligung aller Gruppen von Hochschulangehörigen zu praktizieren. Untersucht werden sollen die Ausgangsbedingungen und der Prozeß der curricularen und institutionellen Verankerung eines Praxisprojektes in universitäre Forschung und Ausbildung. Dazu wird die Analyse gegenwärtiger und die Neubestimmung zukünftiger interdisziplinärer Berufs- und Tätigkeitsfelder von sozialwissenschaftlich und pädagogisch Ausgebildeten im Sozialisationsbereidi wie auch die Adaptation vorliegender und Entwicklung neuer Methoden zur Datenerhebung und Evaluation gehören. Im Forschungsvorhaben soll die in der Projektpraxis im Osdorfer Born selbst bereits initiierte Forschungsstrategie der Aktionsforschung auch für hochschuldidaktische Problemstellungen nutzbar gemacht werden. Durch die bewußte Beteiligung der Betroffenen am Planungs- und Realisierungsprozeß einer Studienreform und durch gleichzeitige wissenschaftliche Untersuchung dieses Prozesses wird versucht, eine Alternative zu technokratischen Planungspraktiken zu entwickeln.

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1.1 Zur Berufsqualifikation von Sozial Wissenschaftlern Der Versuch, das Projekt »Osdorfer Born« zu einem hochschuldidaktischen Experiment zu machen, geht auf Überlegungen zurück, die sich mit den Möglichkeiten neuer Ausbildungsformen für Berufe im Sozialisationsbereidi befaßten. Bisher sind im Projekt Studenten der folgenden Fachrichtungen vertreten: Soziologie, Sozialpädagogik, Pädagogik (Lehrerstudenten und Diplompädagogikstudenten), Psychologie. Ergebnis dieser neuen Ausbildungsformen soll sein: höhere Berufsadäquanz der Kenntnisse und Befähigung zur realistischen Einschätzung der an die spätere Berufsposition geknüpften Sozialbeziehungen und Erwartungen, um frühzeitig eine möglichst exakte Bestimmung des eigenen Handlungsspielraums im Beruf zu ermöglichen. Die bisherige akademische Ausbildung geht davon aus, daß den universitären Fachdisziplinen bestimmte, klar umrissene Berufspositionen zuzuordnen sind und daß sogenannte Zwischenberufe, für die durch Zusatzstudien qualifiziert wird, die Ausnahme bilden. Zunehmende gesellschaftliche Spezialisierung, gekoppelt mit der Hervorbringung neuer Tätigkeitsfelder und Berufe, stellen dieses Bild heute fast überall in Frage, was sich schon am Verhältnis zwischen Ausbildungsgängen und Berufspositionen verdeutlicht. Darüber hinaus kann für die meisten Studiengänge angesichts der Lernstrukturen der an den Universitäten ablaufenden Ausbildungsprozesse und der dort vermittelten Inhalte kaum von einer Entsprechung von Ausbildungsinhalt und den für eine Position spezifischen Anforderungen gesprochen werden. Durch die aufgrund der kontinuierlichen Veränderungen gesellschaftlicher Problemlagen sich verändernden Arbeitsanforderungen vor allem in den für Sozialwissenschaftler zugänglichen Berufen wird diese Unbestimmtheit noch verstärkt, die sich an den Universitäten in der mangelhaften Ausweisbarkeit der zu vermittelnden skills niederschlägt. Von diesen Überlegungen her stellte sich für uns die Notwendigkeit, Modelle zu entwickeln, die berufsfeldbezogene Erfahrungen sinnvoll und rechtzeitig in die theoretische Ausbildung integrieren können und zum anderen den Studenten Ausbildungssituationen bieten, die zur Entwicklung der Fähigkeiten führen, die für eine aktive Strukturierung des eigenen Handlungsspielraums im Beruf notwendig sind. Als mögliche Alternative zum Studium auf ein scheinbar fest umrissenes Berufsfeld hin stellt sich für die Sozialwissenschaften die Erarbeitung umfassender sozialwissenschaftlicher Praxisfelder dar, innerhalb derer weitere Spezialisierungen stattfinden können. Diese Praxisfelder sollen von den Studenten bereits während der Ausbildungsphase als Problemfelder mit spezifi-

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sdien Strukturmerkmalen und entsprechend typischen Anforderungen an Wissen und Verhaltensmuster erfahren und erfaßt werden, so daß die Studierenden aufgrund der von ihnen erarbeiteten Berufsfeldanalysen sich frühzeitig auf die Anforderungen der Berufsarbeit einstellen bzw. noch während der Ausbildung unter realitätsbezogener Perspektive hierzu Alternativen entwickeln können. Das Projekt »Osdorfer Born«, das in einem Stadtteil und dort im Sozialisationsbereich angesiedelt ist, stellt eine notwendige mehrdimensionale Praxiserfahrung für alle Studenten dar, die später in Ausbildungsfunktionen in Sozialisationsprozesse eingreifen wie z.B. an Kindergärten, Vorschulen, Schulen, Universitäten, in der Erwachsenenbildung, der Jugend- und Lehrlingsarbeit, in pädagogisch-therapeutischer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Die im »Osdorfer Born« erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten gehen ebenso in alle Berufe im Sozialisationsbereich ein, die Organisations- und Planungsfunktionen für diesen Bereich übernehmen, von der Ganztagsschulplanung über die Bildungsplanung bis hin zur Stadtplanung. Die in der Auseinandersetzung mit der praktischen Arbeit im Projekt erlernte Einsicht, sich den Gesamtzusammenhang, in dem die eigene Arbeit abläuft (Sozialisationsinstanzen Schule, Eltern, Stadtteilbedingungen), als Bedienungsvariable für die langfristige Planung der Erziehungsziele ständig neu zu erarbeiten, bildet einen Erfahrungshintergrund, der davor bewahren soll, in der späteren Berufsrolle sich mit Detailkenntnissen zufriedenzugeben und entscheidende soziale Bezüge des eigenen Arbeitsfeldes zu vernachlässigen. Diese Lernprozesse sind insofern besonders wichtig, als Sozialwissensdiaftler in der Regel in solchen Organisationen arbeiten, die wegen Anpassungsschwierigkeiten entweder punktuelle Umorganisationen generieren, oder solchen, die aufgrund der Problemstrukturen der Arbeitsbereiche sich ständig verändern. Dort arbeitende Sozialwissensdiaftler müssen solche Fähigkeiten und Fertigkeiten besitzen, daß sie Innovationsleistungen nach eigener Einschätzung problem» und situationsgebunden realisieren und planen können. Eine zu erlernende Voraussetzung dafür ist es, Hypothesen im Rahmen eines Handlungszusammenhanges und von daher in Abhängigkeit von Zielsetzungen als Prozeßverlaufsaussagen zu formulieren, die den Prozeßverlauf kontrollierbar machen und bei Nichterreichen des Ziels zur Entwicklung alternativer Zielstrategien führen. Aus diesen Überlegungen ergeben sich folgende Problembereiche, deren Konkretisierung durch die neue Ausbildungsform in einem Projektstudiengang zu untersuchen ist:

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1. verbesserte berufsbezogene Ausbildung, d. h. in bezug auf die Anforderungen am Arbeitsplatz entsprechendes theoretisches und instrumentelles Wissen und die Fähigkeit der realistischen Einschätzung und aktiven Gestaltung des eigenen Handlungsspielraums; 2. verbesserte Einsicht in die eigene soziale Lage; 3. veränderte Motivation zur integrativen problemorientierten Erarbeitung theoretischer, zum Teil interdisziplinär verstreuter Bereiche; 4. Fähigkeit zur planenden und kontrollierenden Umsetzung von Wissen in Handlung; 5. Steigerung gruppenarbeitsbezogener Qualifikationen, d.h. Erweiterung sozialer Fähigkeiten. Um den Stellenwert des hochschuldidaktischen Forschungsansatzes verständlicher zu machen, sei kurz das bisher entwickelte Praxisprojekt im Osdorfer Born, in dem die Studenten gegenwärtig arbeiten, beschrieben. Es stellt die Bedingung dar, auf deren Grundlage das hochschuldidaktische Experiment erst entwickelt werden konnte. 1.2 Projektentwicklung Ursprünglicher Ausgangspunkt für die Projektarbeit war die Unterstützung der kommunalen Selbsthilfeorganisation, die ausging von einem Konzept des community work. Darunter wurde verstanden: »Ein methodischer Ansatzpunkt, von dem aus in einem angebbaren sozialen Feld Kommunikationsstrukturen mit dem Ziel reflektiert werden, diese Strukturen entweder erst aufzubauen oder zu verändern. Damit soll den in diesem Feld Handelnden die Möglichkeit eröffnet werden, über diese herzustellenden Kommunikationswege ihre gemeinsamen sozialen Probleme artikulieren und lösen zu können...« (Arbeitspapier April 1969). Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen ein solches Konzept von Stadtteilarbeit zu realisieren ist, kann bisher im Projekt noch nicht als ausdiskutiert gelten. Praktischer Ansatzpunkt jedenfalls war der Versuch, »den Aufbau einer sozialen Infrastruktur... über (ein) punktuelles Angebot zur teil weisen Lösung eines sozialen Problems« zu erreichen (Arbeitspapier, s. o.). Aufgrund der Schulmisere und der mangelhaften Spiel- und Freizeitbedingungen im Stadtteil bot sich die Arbeit mit Schülergruppen an. Dabei hat sich das Verhältnis von Arbeit mit Schulkindern und community work umgekehrt. Während ursprünglich diese Arbeit als Mittel zum community work gedacht war, hat community work — wenn man so die Arbeit mit Eltern und teilweise auch Lehrern der Schul-

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kinder bezeichnen will — Untersützungs- und Absicherungsfunktion für die Arbeit mit Schülergruppen gewonnen. Im Zuge dieser Entwicklung hat sich die Projektgruppe, die unter der Zielsetzung »kommunaler Selbstanalyse« arbeitete, frühzeitig (etwa nach einem Jahr) sowohl aus praktischen Gründen als auch aus theoretischen Bedenken gegenüber einem traditionellen Konzept von Gemeinwesenarbeit aufgelöst. Die Kommunikation mit Eltern und Lehrern wurde von den Projektgruppen getragen, die mit Schülergruppen arbeiteten. Insgesamt gibt es heute — neben einer noch in der Vorphase befindlichen Initiativgruppe — drei solcher Projektgruppen (Pi, P2, Ps), die sich rein äußerlich durch unterschiedliche Altersgruppen als Adressaten unterscheiden. Ihnen allen ist gemein, daß sie die Arbeit mit den Kindern nicht als eine Verlängerung der Schulsituation auffassen, sondern unter der generellen Zielsetzung arbeiten, Formen und Inhalte sozialen Lernens zu entwickeln. Geplant ist außerdem von einer Reihe von Projektmitgliedern eine Stadtteilanalysegruppe. 1.3 Arbeitsinhalte und -organisation der Projektgruppen (Juni 72) Projektgruppe 1 (Pi): Die Projektarbeit der Pi (zur Zeit 17 Mitglieder, vorwiegend Lehrerstudenten und Studenten des Sozialpädagogischen Zusatzstudiums mit dem Hauptfach Soziologie oder Psychologie) bezieht sich auf 17 Kinder des letzten Vorschuljahres im »Osdorfer Born«. Die praktische Arbeit basierte ursprünglich (1970) auf einer antiautoritären Erziehungskonzeption (laissez-faire-Verhalten der Erzieher, Betonung der Selbstregulierung von Kindern). Durch eigene Erfahrungen in dieser Praxis, Aufarbeitung der kompensatorischen Vorschulkonzepte, der gesellschaftlichen Implikationen von Vorschulerziehung und der vorschulischen Erziehungsarbeit in der DDR wurden Ziel Vorstellungen auf drei Ebenen entwickelt: (1) In der Arbeit mit den Kindern folgende Schwerpunkte: Lernen sozialen Verhaltens über Kleingruppenbildung und Großgruppenbildung bis hin zur institutionalisierten Kinderversammlung (unter anderem Abbau von Verhaltensweisen, die durch Konkurrenz um Besitz, Macht und Leistungsvorsprung geprägt sind); Entwicklung der Einsicht in gesellschaftliche Arbeitsteilung mit Hilfe bestimmter Material- und Rollenspiele und Exkursionen; Ausweitung der Umwelterfahrungen bis hin zur Einführung in die Schulsituation. Das Aufbrechen schon vorhandener rigider Rollenmuster und die Einzel- und Sonderförderung im sozialen, emotionalen und kognitiven Bereich werden unter die genannten Schwerpunkte subsumiert.

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(2) Bei den sich in der Projektarbeit qualifizierenden Studenten folgende Schwerpunkte: Teamarbeit; Aufbau von Curricula; Entwicklung von Strategien in der Arbeit mit Eltern, Lehrern und Behörden; Selbstorganisation und wissenschaftliche Kontrolle der eigenen Arbeits- und Lernprozesse; Entwicklung und Training eines geeigneten Erzieherverhaltens; Ausbau der Arbeits« und Lernsituation zu einem projektorientierten Studiengang. (3) In der Aufnahme von Außenkontakten folgende Schwerpunkte: Arbeit mit den Eltern; Informationsaustausch mit anderen Projektgruppen des Stadtteils; Zusammenarbeit mit Lehrern im Stadtteil; Kontakte zu Ausbildungsstätten für Vorschulerzieher und zu Arbeitsgruppen im Vorschulbereich. Die derzeitige Arbeitsorganisation ist folgendermaßen strukturiert: a) Arbeitsprogramm für die Vorschulkinder: Die Vorschularbeit mit den Kindern an fünf Vormittagen der Woche (täglich drei Stunden) wird von jeweils vier Studenten durchgeführt (zwei Studenten dreimal wöchentlich, alle anderen Studenten einmal wöchentlich). Der wöchentliche Arbeitsplan (Themen, Material-, Bewegungs- und Rollenspiele, Musik, Exkursionen und Tagesvorschläge) wird inhaltlich von einer Untergruppe der Pi vorbereitet. Drei verbindliche Funktionsaufteilungen sind zur Zeit ausgebracht: erster Beobachter, der den Tagesplan anhand des Wochenplans nach eingeholter Information über den Vortag aufstellt und während des Vormittags den Verlauf beobachtet (z.B. Gruppenzusammensetzungen, Dauer verschiedener Aktivitäten); zweiter Beobachter, der spezielle Beobachtungsaufgaben und Einzelförderungen übernimmt; zwei Gruppenerzieher, die die Gruppenarbeit gestalten. Die Elternarbeit findet auf zwei Ebenen statt: (a) Im Rahmen einer Elternbetreuung werden monatlich zwei Besuche gemacht, zwei Studenten betreuen jeweils zwei Elternpaare. Themen der Elternbesuche sind die individuellen Probleme des Kindes sowie allgemeine Probleme, die auf Elternabenden diskutiert werden sollen, (b) Im Rahmen der etwa alle sechs Wochen stattfindenden Elternabende werden sowohl Erziehungs- und Einschulungsfragen als audi Probleme des Stadtteils besprochen, die alle Bewohner betreffen. b) Studentenarbeitsprogramm: Die Vor- und Aufbereitung der praktischen Arbeit mit den Kindern und den Eltern, an der jeder Student beteiligt ist, geschieht auf der einen Seite in dem für alle verbindlichen wöchentlichen Plenum, auf der anderen Seite in kontinuierlich arbeitenden Untergruppen:

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— Pädagogikgruppe, in der folgende spezielle Aufgaben als Unterbereiche ausgebracht sind: Allgemeine Lernplanung, Erzieherverhalten, Sonderpädagogik; — Kontaktgruppe, die neben der Organisation und inhaltlichen Bestimmung der Elternkontakte audi die Außenkontakte wahrnimmt; — Forschungsgruppe, die vor allem zuständig ist für die Entwicklung, Auswertung und Rückkopplung von im action research benötigten Forschungsinstrumenten. Nach Beendigung des einjährigen Vorschuldurchgangs im Juli 1972 ist eine grundlegende Aufarbeitung geplant besonders im Hinblick auf die Vorbereitung des nächsten Durchgangs.

Projektgruppe 2 (P%): a) Arbeitsinhalte Seit der Aufnahme der praktischen Gruppenarbeit mit jüngeren Schülern des Osdorfer Born vom Februar 1970 an verfolgt die P2 das Interesse, deren Freizeit als Raum zur Initiierung sozialer Lernprozesse zu nutzen und diesen von institutionellen Zwängen relativ losgelösten Bereich auf die darin stattfindenden sozialen Interaktionen hin zu untersuchen. Seit Februar 1970 unternimmt die P2 in ihrer »Schul-Nachmittagsarbeit« den Versuch, der einseitigen Ausbildung sozialer Fähigkeiten, die der Sozialisator >Schule< anstrebt, ein alternatives Modell sozialer Lernsituationen gegenüberzustellen, das in Einzelfällen zwar auch kompensatorische, im Grundzug jedoch emanzipatorische Funktion haben soll. Diese Arbeit umfaßt seit Beginn auch das Anfertigen bzw. die Hilfe beim Anfertigen der Hausaufgaben der Schüler in einem Teilbereich der zur Verfügung stehenden Zeit. Dies geschieht nicht mit der Absicht, nun schwerpunkthaft eine dauerhafte, nur für sich existierende Freizeit-Gegeninstitution aufzubauen, sondern mit dem Ziel: den Möglichkeiten und Funktionen außerinstitutioneller Sozialisation, die im Freizeit/ Freiwilligkeits-Bereidi der Kinder sich auftun lassen, in Form spezifischer >Curricula< zu entsprechen und solche dann als Forderung an den durch laufende und geplante Ganztagsschulen mächtiger werdenden Sozialisationsapparat heranzutragen und dort durchzusetzen. Als legitimster Zugang zu diesem Sozialisationsbereich, d. h. als Einstieg in dort vorgeprägte Curriculastrukturen werden von der P2 schwerpunkthaft Antworten auf sexuelle Konfliktstoffe unter den Kindern am Nachmittag (Entsprechung in Curricula für Sexualkundeunterricht) und Antworten in bezug auf Ausbildungs- und Berufschancen (Entsprechung in Curricula für

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Arbeitslehre) gewertet und in der praktischen Arbeit mit Priorität berücksichtigt. Die P2 gliedert sich in 3 Untergruppen: 1. Untergruppe: »Schulnachmittagsarbeit« (Weiterführung der Praxis im Osdorfer Born) 2. Untergruppe: »Aufbau Planungsgruppe Ganztagsschule OB« (als Bürgerinitiative auf kommunaler Ebene im Osdorfer Born über Unterstützung und Mitarbeit der P2) 3. Untergruppe: »Praxis in einer bereits bestehenden Ganztagsschule in Hamburg« (d. h. zur Zeit Vorbereitung des Einstieges in eine Schule ab Herbst 1972). b) Arbeitsorganisation Die P2 zählt zum gegenwärtigen Zeitpunkt 12 Mitglieder (Schwerpunkt Hauptfachsoziologen und Lehrerstudenten), die Schülergruppe 15 Mitglieder (4. und 5. Klasse, Sonder- und Grundschüler). Die praktische Nachmittagsarbeit findet dreimal wöchentlich (Montag, Mittwoch, Freitag) von 14 bis 17 Uhr statt. Sie wird von 5 Gruppenmitgliedern getragen (2 von ihnen arbeiten dreimal wöchentlich, 3 von ihnen einmal wöchentlich, zusätzlich pro Nachmittag ein Hospitant). Absicherung der Arbeit innerhalb der Projektgruppe: Vorbereitung der Feldarbeit durch Programmgruppe (tagt einmal wöchentlich, macht inhaltlichen Wochenplan) einerseits; die jeweils spezielle Operationalisierung der Tagesprogramme wird von den Erziehern in 2 Stunden, vor Beginn der Gruppenarbeit, geplant; Planung und Verlauf des Nachmittags wird von einem Protokollanten auf der Grundlage einer Nachbereitungsdiskussion der Mitarbeitergruppe festgehalten. Die Aufarbeitung der gelaufenen Programme (anhand der Protokolle) findet einmal wöchentlich über eine Supervisionssitzung im Plenum statt. Darüber hinaus arbeiten theoriebildende Untergruppen, die sich spezielleren Fragestellungen zuwenden. Absicherung der Arbeit außerhalb der Projektgruppe: in Projektseminaren »Kommunikationsstrukturanalyse (Elternarbeit)«, »Ganztagsschule« und »Erzieherverhalten«. Projektgruppe 3 (Ps): Die Projektarbeit der Ps (zur Zeit 15 Mitglieder, vorwiegend Lehrerstudenten mit dem Fach Sozialkunde/Arbeitslehre, Hauptfachsoziologen mit den Spezialgebieten: Sozialisation, Organisation/Betrieb), die sich ursprünglich (1970) auf Lehrlinge im »Osdorfer Born« bezog, hat sich vor allem aufgrund von Überlegungen zum Problem des stadtteil- und nicht betriebsbezogenen Ausbaus von Lehrlingsgruppen umorientiert auf die Arbeit mit Volksschülern im letzten Schuljahr. Inhaltlicher Schwerpunkt ist der Versuch, diese Schüler so auf ihre zukünftige Berufspraxis vorzubereiten, daß sie

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in der Lage sind, eigenen Interessen entsprechend zu handeln. Voraussetzung hierzu scheint uns — neben der Vorwegnahme zukünftiger Situationen — die konkrete Erarbeitung der momentanen, familien-, schul- und stadtteilbedingten sozialen Situation der Schüler zu sein, die über eine aktive Auseinandersetzung mit Alltagserfahrungen und Umweltbedingungen erreicht werden kann. Um der Projektarbeit der Studenten einen möglichst hohen Realitätsbezug mit daraus resultierender Verbindlichkeit der Arbeit, aber auch berufsspezifischeren Erfahrungen zu geben, wurde das Projekt offiziell an einer Hauptschule des »Osdorfer Born« angesiedelt; mit Einverständnis der Schulleitung wird seit Anfang dieses Schuljahres der Arbeitslehreunterricht einer Abschlußklasse (27 Schüler) gemeinsam mit dem Klassenlehrer durchgeführt. Parallel hierzu — teils in funktionaler, teils in kompensatorischer Bezogenheit — laufen Schülerfreizeitgruppen (6 bis 8 Schüler und 2 bis 3 Studenten), die gemeinsam Kleinstprojekte durchführen. Die Arbeitsorganisation stellt sich, wie im folgenden ausgeführt, dar: a) Schülerarbeitsprogramm: Vier Wochenstunden Arbeitslehreunter riebt mit dem Lehrer und 4 Studenten (Sozialkundestudenten). Die Unterrichtseinheiten (ökonomische Lage, rechtliche Situation, soziale Situation im Betrieb, Planspiel-Simulationen) werden inhaltlich von Untergruppen der Ps vorbereitet. Die an der Vorbereitung beteiligten Studenten nehmen beobachtend, bzw. Schülerkleingruppen betreuend an der von ihnen geplanten Unterrichtseinheit teil. An Schülerfreizeitgruppen mit Kleinprojekten (in der Regel zweimal wöchentliche Sitzungen) existieren im Moment: eine Gruppe zur Vorbereitung, Durchführung und Aufarbeitung von

Betriebs- und Arbeitsplatzbesichtigungen für die Klasse, eine Gruppe, die sich mit der Informations- und Erkundungsarbeit

über die Situation der Lehrlinge in der Lehrzeit befaßt (sie leitet Gewerkschaftsgespräche, Gespräche mit Vertretern der Industrie- und Handelskammern usw. für die Klasse in die Wege), eine Gruppe, die eine Schulzeitung herstellt und auch jüngere Schüler einbezogen hat (eine erste Zeitung ist bereits erschienen). Daneben werden sporadisch Freizeitaktivitäten (Radtouren usw.) durchgeführt. b) Studentenarbeitsprogramm: Die theoretische Einbindung der praktischen Arbeit mit den Schülern (Schule/Nachmittagsarbeit), an der jeder Student beteiligt ist, geschieht in drei verschiedenen, für alle verbindlichen Gruppensitzungen:

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1. Praktische Vor- und Aufbereitung der Schülerarbeit, Programmdiskussion (diese Sitzung findet in der Schule statt, da neben dem Klassenlehrer langfristig auch die Schüler an diesen Sitzungen beteiligt werden sollen); 2. Theorieaufarbeitung (verstanden als theoretische Zuarbeit, möglichst eng gekoppelt mit Spezialisierungen, die sich unter den Studenten durch die Wahl von Examensarbeiten ergeben; im Moment auf methodische Probleme, d. h. Entwicklung und Verbesserung von im action research benötigten Kontrollinstrumenten konzentriert); 3. Selbstproblematisierung (verstanden als wissenschaftstheoretische und -politische Grundlegung und Vereinheitlichung des Selbstverständnisses der Arbeit; Aufarbeitung des Theorie-Praxisproblems unter dem Aspekt: studentische Arbeit im außeruniversitären Bereich; eigene Berufspraxis: Zieldiskussionen der Arbeit im »Osdorfer Born«). Die Projektgruppe arbeitet unter dieser Konzeption seit Mitte März. Nach Ablauf eines Jahres, d. h. der Entlassung der Schüler, soll eine intensive Aufarbeitung erfolgen, die als Grundlage zur Planung des nächsten Durchgangs gedacht ist; eine Zwischenüberprüfung erfolgt in den Sommerferien. Erste Umorganisationen haben nach Kurzanalysen des ersten Arbeitsviertels eingesetzt — als Konsequenz vor allem aus der Tatsache, daß die Studenten, die für die Schüler auf die Rolle von Freizeitgestaltern festgelegt waren, mit der Übernahme der Lehrerrolle selbst erhebliche Schwierigkeiten hatten. Die daraus resultierende Diffusität der Verhaltensebenen hatte erhebliche Verunsicherungen auf beiden Seiten zur Folge, die langsam über die Bewußtmachung von vorliegenden Rollen und Unterrichtsumstrukturierungen aufgehoben werden.

Initiativgruppe 1 (Ii): Die Ii führt die Arbeit mit den Kindern aus der Vorschulgruppe (Pi) in der ersten Klasse als Schulnachmittagsarbeit weiter (Ausrichtung auf ein Konzept der Eingangsstufe im Primarschulbereich). Sie hat den Status einer Initiativgruppe, d. h., sie befindet sich noch in dem Stadium der Exploration von Zielen, Methoden und Organisationsstrukturen. Sie schließt inhaltlich an die Vorschulerziehung der Projektgruppe 1 an und versucht, sie weiterzuführen, indem zur Eltern- und Kinderarbeit die Arbeit mit der Institution »Schule« und mit Lehrern hinzukommt. Die Arbeit von etwa 10 Studenten mit 15 Kindern findet an zwei Nachmittagen pro Woche als Freizeitgestaltung statt. Unterstützend kommen regelmäßige Hospitationen in den Klassen

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der Kinder hinzu, die in langfristiger Perspektive zum Gruppenunterricht (team-teaching) führen sollen. Inhaltlicher Schwerpunkt der Kinderarbeit ist die Verknüpfung von Erfahrungen innerhalb der Schule mit der Gestaltung der Nachmittage und ihre Aufarbeitung (z. B. im Rollenspiel) unter der allgemeinen Zielperspektive, die im Beitrag der Vorschulgruppe zum Ausdruck kommt. Die Lernmöglichkeiten der Studenten bestehen auf den verschiedenen Handlungsebenen der Gruppe und deren Integration: Lern- und Lehrprozesse in der Schule, deren Aufarbeitung in der Freizeitgestaltung der Kinder und die Zusammenarbeit mit den Eltern. Außerdem stehen Möglichkeiten intensiver Lernerfahrungen hinsichtlich Arbeitsteilung und Kooperation zur Lösung der vorhandenen Probleme im Praxisfeld und hinsichtlich der Entwicklung von Zielvorstellungen und methodischem Vorgehen zur Verfügung. Die Organisationsstruktur der Gruppe entspricht dem Stand der Entwicklung der anderen Projektgruppen: Untergruppen der Initiativgruppe Lernplanung, Elternarbeit (Kontakte) und Forschung sind in den entsprechenden Seminaren des Gesamtprojektes vertreten, wo Erfahrungen der verschiedenen Gruppen ausgetauscht, aufgearbeitet und verwertet werden. 1.4 Projektorganisation Während in der ersten Phase (bis etwa Anfang/Mitte 1971) die Arbeit der Projektgruppen relativ autonom und wenig koordiniert verlief, hat sich seit dieser Zeit eine stärkere Integration und Abstimmung ergeben. Die Einsicht in die Notwendigkeit einer stärker gemeinsamen Konzeptualisierung der Projektarbeit erwuchs u. a. daraus, daß seit Bezug eines für die Arbeit bereitgestellten Hauses (Sommer 1971) die Haushalte der Gruppen (Materialien, Einrichtung, Zeitpläne, Beschäftigungsgelder, usw.) aufeinander abgestimmt werden mußten. Damit eröffnete sich inhaltlich die Perspektive auf die Entwicklung eines Projektstudienganges für die Studenten. Zur Koordination wurde zunächst ein Projektrat gegründet, in dem alle Gruppen vertreten waren. Dessen wesentliche, in Richtung Projektstudiengang zielende, inhaltlich strukturierende Leistung war es, die projektgruppenspezifisch organisierte Aufarbeitung des theoretischen Bereiches ab Wintersemester 71/72 für das gesamte Projekt in

gemeinsame, sogenannte Problem- und Projektseminare zu ver-

lagern. In den Problemseminaren sollen übergreifende theoretische Grundlagen für die Arbeit im Projekt vermittelt werden. Sie dienen gleichzeitig der Rekrutierung von neuen Studenten für

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eine verbindliche Projektteilnahme. Die Projektseminare, in denen praktische Probleme der Schülerarbeit aufgegriffen und aufgearbeitet werden, werden fast durchweg von allen Projektgruppen beschickt, um die Rückkopplungsprozesse der Ergebnisse in die Arbeitsprozesse aller Gruppen zu gewährleisten. Diese Form der Seminare befindet sich allerdings noch im Experimentierstadium. Im Sommersemester 1972 lief erstmals der Versuch eines Einführungsseminars, das zu einer verbesserten Integration der interessierten Studenten ins Projekt führen sollte. Die Projektstruktur stellt sich heute folgendermaßen dar:

Vollversammlung Projektgruppen Pi

P2

Ps

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Projektseminare

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Curriculumentwiddung Erzieherverhalten Ganztagsschule

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Evaluationsseminar

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Motive und Interessen im Projekt

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Stadtteilarbeit Problemseminare

Verwaltungsrat Abbildung 1: Struktur des Projekts »Osdorfer Born« (Juni 1972)

Arbeitsbereiche des Projekts I II III IV V

= Bereich der Projektarbeit im Osdorfer Born = Bereich der Projektseminare = Bereich der Problemseminare = Bereich der Selbstverwaltung des Projekts = Bereich des Evaluationsseminars (hochschuldidaktische Forschung)

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2 Hocbschuldidaktische Aktionsforschung 2.1 Allgemeine Kriterien Das hochschuldidaktische Experiment versucht die Forschungsstrategie >Aktionsforschung< in zweifacher Hinsicht zu verwirklichen: Einerseits wird die Interaktion zwischen den sozialwissenschaftlichen Forschern (Dozenten und Studenten) und dem Praxisfeld (Kinder, Eltern, Lehrer, Behörden im Stadtteil) als Kommunikationssystem begriffen, in dem die Forscher selbst mitagieren und Veränderungen nicht nur bewirken, sondern auch erfahren und die Betroffenen nicht nur Untersuchungsobjekte, sondern auch Akteure sind; andererseits ist auch die Mitarbeit derjenigen, die speziell an hochschuldidaktischen Problemen des Projektes interessiert sind, als eine solche Interaktion mit den am Projekt Beteiligten insgesamt konzipiert. Dem Doppelcharakter dieser Aspekte muß auch die Präzisierung der im engeren Sinne hochschul didaktischen Methoden gerecht werden: Einerseits gilt es, das Handlungsfeld Wissenschaft/ Praxis in seinen Prozeßverläufen herzustellen und zu analysieren, andererseits müssen die jeweiligen Möglichkeiten und konkreten Verhaltensänderungen der Beteiligten erfaßt werden. In beiden Fällen müssen die Ergebnisse in den Prozeß der Fortentwicklung des Projektes im Rahmen der Aktionsforschungsstrategie wieder eingebracht werden. 2.2 Die Verlaufsstruktur des Arbeitsprozesses Die Strategie der Aktionsforschung unterscheidet sich vom klassischen experimentellen Design, wie es in jüngster Zeit von Dohmen (1972) als Paradigma für Hochschuldidaktik vorgeführt wurde, unter anderem durch die zeitliche Gliederung des Arbeitsprozesses: Zwar werden auch hier quasi experimentelle Bedingungen über einen begrenzten Zeitraum konstant gehalten und die den Bedingungen folgenden Ereignisse registriert; das Design wird aber in eine prozessuale Folge von Schritten aufgelöst, in denen jeweils Bedingungen aufgrund vorangegangener Ereignisse im Rahmen der von den Aktionsforschern kontrollierbaren Bedingungsvarianz planvoll neu gesetzt werden, um darauf folgende Ereignisse wieder als Kriterien für die weiteren Prozesse zu verwerten. In jeder Phase des Aufbauprozesses (vgl. Abb. 2) des Projektes werden deshalb Ereignisse unter jeweils veränderten Bedingungen analysiert und aus der Evaluation ihrer Verknüpfung Veränderungen vorgenommen.

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NJ 00

Aufbauphase III

1-1

srs: M 51

Analyse Evaluation Praxis Ereignisse

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Aufbauphase II

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Aufbauphase I

Qualitätsstufen

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Analyse Evaluation

Praxis Phase 0 bis WS 71/72

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Veränderung d. Beding-

Praxis Ereignisse Veränderung d. Beding.

Veränderung d. Beding.

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Phase 2 WS 72/73 Zeitphasen

Phase 3 SS 73

Phase 4 WS 73/74

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Für die Abgrenzung der zeitlichen Erstreckung einzelner Phasen kommen neben der Struktur der Verläufe im Handlungsfeld in erster Linie Art der Fragestellung, ökonomische Abgrenzbarkeit der Arbeitsschritte und Planbarkeit der Arbeitsprozesse in Betracht. Für die Entwicklung umfassender Studienorganisationsmodelle — und damit auch des Projektstudiums — erscheint in Anlehnung an die augenblickliche Lehrorganisation der Universität der Semesterzyklus als geeignetes, wenn auch relativ grobes Planungsraster. Als längerer Phasenabschnitt könnten neben anderen Forschungsfragestellungen jedoch auch beispielsweise wöchentliche Plenarsitzungen von Arbeitsgruppen gewählt werden. Die Kombination verschiedener Phasenlängen (Schrittweiten) in einem detaillierteren Netzplan des Arbeitsprozesses liegt nahe. Wenn man nicht das stationäre Gleichgewicht eines stabilisierten Systems oder einen vorweg klar definierten Output als Ziel des Arbeitsprozesses angesetzt hat, gibt es keine quasi natürliche Begrenzung der Phasenzahl. Diese ist in den meisten Fällen vermutlich selbst erst Resultat eines von vornherein nicht voll determinierten Prozesses, wenn nicht äußerliche Gründe, z . B . das Versiegen von Ressourcen, zum Abbruch zwingen. Dagegen ist es eher möglich, das Verhältnis der Phasen zueinander, d. h. die formalen Dimensionen der Veränderung anzugeben. Relativ sicher ist, daß mit zunehmender Entfernung vom jeweils aktuellen Zeitpunkt die Zielsetzungen an Präzision und Operationalisiertheitsgrad abnehmen, an Abstraktions- und Allgemeinheitsgrad hingegen zunehmen; die detaillierteste Bestimmung wird deshalb für die gerade laufende Phase vorgenommen. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß ja in jeder Phase eine Evaluation erfolgt, aufgrund deren erst eine neue Veränderung der Bedingungen eintreten soll. In formaler Hinsicht sind die mutmaßlichen Änderungen jedoch auch schon heute bestimmbar: — das Projekt wird seinem Umfang nach (Studentenzahl) laufend zunehmen; — die Handlungsstruktur wird differenzierter; — die Rollenspezifikation wird weiter ausgearbeitet; — mehr Institutionen werden einbezogen; — das Projektstudium wird zunehmend im Studienbetrieb verankert (Anrechenbarkeit in Studien- und Prüfungsordnungen von im Projekt geleisteter Arbeit); — die theoretische Arbeit und die praktischen Handlungsstrategien werden durch die Einbeziehung neuer Erfahrungen laufend verbessert; — der Output des Projekts wird ingesamt erweitert;

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— das Handlungssystem wird durch Hinzufügen neuer Elemente permanent komplexer. 2.3 Rückkopplung Das Interesse am Funktionieren des Projekts als Interaktion von Wissenschaft und Praxis und das hochsdiuldidaktische Interesse am Funktionieren als Lernorganisation fallen in einem entscheidenden Punkt zusammen, dem Moment der Rückkopplung. Damit die Teilnehmer ihre Theorie, ihre Strategie und ihr Verhalten verändern können, bedürfen sie der Rückmeldung über die Veränderungen, die sie in der Praxis bewirken, und der Veränderungen, die sich in ihrem eigenen Verhalten darstellen. Dieselben Dokumente, die solche Veränderungen festhalten und demonstrieren, geben zugleich Aufschluß darüber, welche Veränderungs- oder Lernprozesse tatsächlich stattgefunden haben. Die Diskussion darüber, wie auf solche Rückmeldungen zu reagieren ist, klärt zugleich den Stellenwert und die Kriterien, nach denen diese Veränderungs- und Lernprozesse zu beurteilen sind. Eine hochschuldidaktische Beteiligung am Projekt, die die Rückkopplung im Projekt systematisch betreut und verbessert und insofern selbst im Projekt verankert ist, erhält dadurch zugleich diejenigen Unterlagen, die zur Feststellung von Verhaltensänderungen notwendig sind. Alle angewandten Verfahren und ihre Ergebnisse haben damit immer eine doppelte Funktion: die Fortentwicklung des Projekts samt Auswertung und Beurteilung. 3 Forschungsvorhaben in der Initiativphase Gemäß den Prinzipien der Aktionsforschung lassen sich die einzelnen Schritte in der Forschungsarbeit für die jeweils früheren Phasen genauer bestimmen. Deswegen sollen im folgenden die thematischen Schwerpunkte der hochschuldidaktischen Arbeit in der ersten Aufbauphase, der sogenannten Initiativphase, genauer beschrieben werden. Die Ziele der Projektarbeit stellen Bezugsgrößen dar, auf die hin alle Abläufe und Ergebnisse von Arbeitsprozessen, Entscheidungen und Rollen bezogen und beurteilt werden müssen. Um eine ständige Orientierung an den Zielsetzungen und deren Uberprüfung zu gewährleisten, muß ein kategorialer Rahmen, ein Zielsetzungsraster entwickelt werden, in das die Ziele eingeordnet werden können. Innerhalb dieses Rasters werden im Laufe der Entwicklung des Projekts Veränderungen und Divergenzen beschrieben. Änderungen und Divergenzen in den Zielsetzungen sind gleichzeitig Gegenstand und Produkt von Rückkopplungsprozessen.

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Zur Beschreibung der formalen Seite des Arbeitsprozesses soll eine Projektdatei und Durchlaufstatistik geführt werden. Die darin enthaltenen Angaben über Zahl und Art von teilnehmenden Studenten, Fachrichtung, Semesterzahl usw., Stundendeputate von Lehrenden und Lernenden, Arten und Häufigkeiten verschiedener Arbeitsformen usw. geben Anhaltspunkte für die Ubertragbarkeit oder Implementierbarkeit des Projektstudienmodells in den >normalen< Universitätsbetrieb. Darüber hinaus stellt aber die formale Beschreibung der Aktivitäten auf den verschiedenen Handlungsebenen ein wichtiges Kriterium für die Gewichtung der Handlungsebenen in Relation zur gesamten Projektarbeit und für die Beschreibung der Rollenstrukturen dar. Die Arbeitsprozesse im Projekt vollziehen sich gegenwärtig auf verschiedenen Handlungsebenen. In der zurückliegenden Projektpraxis fanden fast ausschließlich folgende Arbeitsprozesse statt: »Feld«arbeit mit Kindern verschiedener Altersstufen und deren Vorbereitung und Nachbereitung in Untergruppen oder Projektgruppenplena, in denen auch theoretische und organisatorische Fragen behandelt wurden, sporadische Arbeit mit Eltern oder andere Außenkontakte. Inzwischen sind neue Arbeitsformen für die Behandlung theoretischer Fragestellungen entwickeltworden: »Projektseminare« und »Problemseminare« (s.o.). In der weiteren Planung ist die Erschließung neuer und Weiterentwicklung bereits teilweise wahrgenommener Praxisfelder vorgesehen: Elternarbeit, Zusammenarbeit mit Lehrern, Kontakte zur Institution Schule, Untersuchungstätigkeit im Stadtteil und der Universität, Intensivierung der Kommunikation mit extra- und intrauniversitären Institutionen usw. Mit einer solchen Erweiterung des Projekts ist einerseits eine Differenzierung des Theorie-Praxis-Bezuges und eine größere Reichhaltigkeit an Lernsituationen und Qualifikationsmöglichkeiten verbunden, andererseits die Integration der Handlungsebenen erschwert durch die Erhöhung der Komplexität des Gesamtsystems. Unter hochschuldidaktischen Gesichtspunkten sind sowohl die Abläufe und Produkte der Arbeitsprozesse auf den einzelnen Handlungsebenen zu evaluieren als auch deren Differenzierung und Integration formal und inhaltlich durch Analyse des Informationsflusses, der Teilnehmerstruktur, der Beziehung zu Zielsetzungen usw. zu untersuchen. Die Differenzierung der Handlungsebenen stellt einen Merkmalskomplex zur Definition von Rollensegmenten dar, mit dessen Hilfe die Rollen der einzelnen Projektteilnehmer oder Projektgruppen charakterisiert werden können. Bereits in der der-

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zeitigen Phase des Praxisprojektes erfordert die Überlastung der meisten Projektteilnehmer durch die gleichzeitige Wahrnehmung eines großen Teils der augenblicklich nur analytisch trennbaren Rollensegmente die Notwendigkeit einer stärkeren Rollendifferenzierung. Bisher existierte — abgesehen von einer vermutlich hohen informellen Rollendifferenzierung — formell eine durch Arbeitsteilung bestimmte Rollendifferenzierung bestenfalls nach Projektgruppen, Hilfskraft-, Studenten- und Dozentenfunktion. Bei wachsender Komplexität wird eine weitergehende Arbeitsteilung und damit die Planung einer formellen Rollendifferenzierung immer wichtiger, zumal mit der Differenzierung nach Handlungsebenen eine Differenzierung nach Fachrichtungen, zeitlicher Belastbarkeit, Zugehörigkeitsdauer zum Projekt und Interessenrichtungen einsetzen sollte. Einen Teilstudiengang wird man anhand der insgesamt durchlaufenden Rollensegmente als Rollensequenz beschreiben können. Aus den Untersuchungen zu den rollenspezifischen Qualifizierungsmöglichkeiten und Berufsperspektiven sollen Anhaltspunkte für die Integrierbarkeit der Arbeitsprozesse des Projekts in verschiedene Studiengänge der Sozialwissenschaften gewonnen werden. Diese Untersuchungen müssen in die Planung und Organisation der Arbeitsteilung im Projekt eingehen. Im Rahmen der projektbezogenen Arbeitsprozesse läßt sich die Selbstverwaltung als Entscheidungsstruktur als eine spezielle Handlungsebene ausgliedern und als Forschungsgegenstand thematisieren. Da eine auf Berufspraxis ausgerichtete Lernsituation Entscheidungs- bzw. Verantwortungskategorien mitenthalten muß, ist für das Projektstudium ein konstitutives Merkmal die Partizipation aller Beteiligten an Entscheidungen, deren Verwirklichung Bedingung für die kollektive Weiterentwicklung des Projektes ist. Bei wachsender Komplexität der Projektstruktur erfordert die Integration der Arbeitsprozesse eine verstärkte Strukturierung der Entscheidungsabläufe. Im Gegensatz zu der bisher weitgehend informellen und losen Koordination der Projektgruppen, die die wesentlichen Entscheidungskompetenzen selbst besaßen, gewinnt die Funktion des Projektrates (s. o.) mit seinen Unterausschüssen immer mehr an Bedeutung. Zu den bisherigen Entscheidungsinstanzen wie Projektrat, Projektgruppenplena, Projektseminare, Untergruppen mit den ihnen zuzuordnenden Entscheidungsfeldern und -kompetenzen werden durch die Erweiterung des Projekts neue Instanzen hinzutreten. Die Entscheidungsstruktur wird zu untersuchen sein auf das Funktionieren der formellen Entscheidungswege und -instanzen

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und auf Variablen, die die Entscheidungen mitbestimmen wie z. B. einfließende Informationen, individuelle oder gruppenspezifische Interessen und Interessengegensätze. Die Ergebnisse müssen rückgekoppelt werden und in die weitere Arbeit der Entsdieidungsinstanzen eingehen. In den folgenden Abschnitten werden die Methoden, die im einzelnen in der ersten Phase entwickelt werden, aufgeführt: 3.1 Zielsetzungsraster Ein Raster zur Kategorisierung der Zielsetzungen soll entwikkelt werden aus — einer hermeneutischen Interpretation des bisher vorliegenden Projektmaterials; — die abgesichert wird in einem permanenten Kommunikationsprozeß mit Projektteilnehmern (diese Funktion übernimmt eine von allen Projektgruppen beschickte Arbeitsgruppe); — durch Ableitung aus einer von dieser Arbeitsgruppe erstellten Beschreibung der bisherigen »Geschichte« des Projekts; — durch Konfrontation der Projektgruppe mit dieser »Geschichte« in Form von Gruppendiskussion; — zu diesem Zweck sollen Klassifikationen der Zielsetzungen, ausgehend von der Differenzierung der Handlungsebenen und Rollen, erarbeitet werden. Fortschreibung in späteren Entwicklungsstadien des Projekts ist vorgesehen durch — permanente Analyse der Produktion des Projekts auf den verschiedenen Handlungsebenen; — Gruppendiskussion über Zielfindungsprobleme (gegebenenfalls gesonderte Zielfindungsseminare); — Durchführung von Befragungen unter den Projektteilnehmern oder intersubjektive Absicherung durch Rating der Relevanz von Zielen seitens der Projektteilnehmer; — in regelmäßigen Abständen Konfrontation der Teilnehmer mit dem in solcher Weise festgestellten Zielkatalog und dessen Veränderung. 3.2 Projektdatei / Durchlaufstatistik Für die formale und quantitative Beschreibung der Arbeitsprozesse werden zwei Bezugsgrößen gewählt und die Ausgangsbedingungen in der ersten Phase unter den folgenden Aspekten erfaßt: a) der einzelne Projektteilnehmer unter den Aspekten: Sozialdaten; Bildungs- und Studiengang als derzeit vorhandene Teilnahmevoraussetzungen; Teilnahme an Arbeitsprozessen im Pro-

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jekt; Erstellung von Durchlaufdiagrammen (Sequenz der Teilnahme an Arbeitsprozessen unterschiedlicher Art); Erhebung und Analyse von Zeitbudgets; b) die einzelnen Aktivitätsarten (Veranstaltungen, Arbeitsformen) unter den Aspekten: Zeitdauer; Häufigkeit / Periodizität; Teilnahmefrequenz; formale Eingliederung in Studiengänge; personelle und organisatorische Vermasdiung mit anderen Veranstaltungen; zu fordernde Teilnahmevoraussetzungen. 3.3 Struktur der Handlungsebenen a) Auf den unterschiedlichen Handlungsebenen kommen schwergewichtig verschiedene Evaluationsinstrumente zur Anwendung mit dem Ziel, über die dort laufenden Arbeitsprozesse Aufschluß zu geben und sie durch Rückkopplung zu verbessern: Auf der Ebene der Feldpraxis: — Protokolle, die unter dem Gesichtspunkt der Analyse des Erzieherverhaltens ausgewertet werden; — Videoaufnahmen, die der unmittelbaren Rückkopplung der Erziehungspraxis dienen: — für Protokolle und Videoaufnahmen, für deren Beurteilung in der Diskussion Kriterien entwickelt werden müssen, — die als Material für eventuelle Längsschnittuntersuchungen aufbewahrt — und gleichzeitig als Material für Erziehertraining verwertet werden können. Auf der Ebene der Seminare: — durch Bewertung des Outputs (Referate, Thesen, Diskussionsprotokolle). Auf der Ebene der Selbstverwaltung: — Instrumente, die weiter unten unter dem Gesichtspunkt der Entscheidungsstruktur spezifiziert werden. Auf der Ebene der Kommunikation mit Institutionen: — inhaltliche Analyse von Protokollen; — wechselseitige Beurteilung der Teilnehmer (seitens des Projekts) in den Kommunikationsprozessen. b) Die Differenzierung und Gewichtung der verschiedenen Handlungsebenen wird untersucht nach ihrer formalen Seite hin durch die Quantifizierung der Aktivitätsarten, nach ihrer inhaltlichen Seite hin durch die Interpretation ihrer Beziehungen zu den Projektzielen durch Befragung der Teilnehmer und beteiligte Beobachtung. c) Die Integration wird erfaßt formal: — durch die personelle und organisatorische Vermasdiung der verschiedenen Aktivitätsarten;

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— durch den formalen Aspekt der Informationsflüsse (im Rahmen der Informationsbedarfsbefragung s. u.). inhaltlich: — durch Analyse des Informationsbedarfs und seiner Deckung durch Arbeitsprozesse auf verschiedenen Handlungsebenen. Dabei werden periodisch Stichproben der Projektmitglieder in offenen Interviews unter folgenden Gesichtspunkten befragt: Welche Information wird benötigt? Für welches Vorhaben? Mit welcher Priorität? Von welchen Teilen des Projekts? In welcher Zeitdauer? Mit welcher Erfolgswahrscheinlichkeit wird der Informationsbedarf befriedigt? — durch Analyse der notwendigen Arbeitsschritte mittels eines analogen Befragungsverfahrens. 3.4 Rollenstruktur Auf die mögliche und notwendige Rollendifferenzierung wird bezogen die Untersuchung der — Ausbildungsfunktionen und -möglichkeiten, — Lernerfolge in den verschiedenen Lernsituationen und — die Entwicklung von Berufsperspektiven. a) Die Ausbildungsmöglichkeiten für Studenten aus verschiedenen Studiengängen und Studienjahren durch — Analyse der geltenden Studien- und Prüfungsordnungen — und, soweit zugänglich, empirische Unterlagen zur Studienpraxis; — Expertenbefragung in den entsprechenden Fachdisziplinen, bezogen auf Themen und Teilgebiete, die im Projekt vorkommen oder aufgenommen werden können; — Zuordnung der Rollen im Osdorfer Born anhand von Zeitbudgetstudien, bezogen auf die verschiedenen Tätigkeitsarten und inhaltlich bearbeiteten Bereiche; — dazu muß eine grobe Klassifikation der Inhalte erarbeitet werden — durch Überprüfung des Output aus den verschiedenen Arbeitsprozessen im Hinblick auf Adäquanz für verschiedene Studiengänge und Studienstufen (Expertenbefragung/Rating). b) Die Evaluation des Lernerfolges erfolgt nun unter dem Gesichtspunkt des Lernfortschritts des einzelnen Projektteilnehmers, bezogen auf seine Rolle im Projekt. Besonders entwikkelt werden soll ein Zusatzverfahren, in dem der Teilnehmer nach einigen vorstrukturierenden Gesichtspunkten komplexe Zusammenhänge der Projektarbeit darstellen soll und dessen Ergebnisse einem Rating unterworfen werden sollen. c) Die Untersuchung der Berufsperspektiven der am Projekt beteiligten Studenten wird anhand eines zu entwickelnden Frage-

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bogens in insgesamt fünf Befragungen aller Projektteilnehmer durchgeführt: vor der Phase I, nach der Phase I, nach der Phase II, nach der Phase III und nach der Phase IV. Die Anzahl der Befragten wird von gegenwärtig 75 bis auf etwa 400 steigen. Randomisierung oder Quotenverfahren bei der Auswahl der Befragten ist nicht beabsichtigt — also keine Stichprobenbildung —, da der Fragebogen im Sinne eines aktivierenden Lernprogrammes entwickelt werden soll, der bewußt zu einem Kommunikationsmedium der am Projekt Beteiligten und zum Selbstanalyse-Instrument der Befragten werden soll. In Verbindung mit diesen Befragungen werden Gruppendiskussionsverfahren eingesetzt. Die erste Befragung soll als Pilotstudy angesetzt werden. 3.5 Entscheidungsstruktur Die Entscheidungsstruktur des Projekts wird nach verschiedenen Gesichtspunkten untersucht: a) dem für die anstehenden Entscheidungen notwendigen Informationsbedarf durch ein analoges Verfahren wie unter 3.c (Informationsbedarfsanalyse); b) der Umsetzung von Entscheidungen durch Rückfragen in der von der Entscheidung betroffenen Gruppe oder bei der betroffenen Person; c) der Art und Häufigkeit direkter Einflußnahme verschiedener Gruppen oder Personen auf die Entscheidungsgremien, in erster Linie Projektrat, durch Analyse und Klassifikation von Anträgen nach Herkunft, Bezug zu Handlungsebenen, Arbeitsprozessen und Zielsetzungen auf der Basis von Protokollen; d) den unterschiedlichen Interessen und Rollen in den Entscheidungsgremien durch am Ende jeden Protokolls von als Protokollanten geschulten Projektteilnehmern abgegebene Schätzungen, ob und inwieweit Entscheidungen oder ihr Nichtzustandekommen durch unterschiedliche Interessen bestimmt worden sind. Die Schulung der Protokollanten wird im Projekt geleistet. Dazu kommen in regelmäßigen Abständen Gruppendiskussionen über divergierende Interessen und Zielsetzungen auf der Grundlage der Protokolle. Anmerkung 1 Der Beitrag ist die überarbeitete Kurzfassung eines Forschungsprojektantrages, der im Oktober 1971 von Dozenten und Studenten der Universität Hamburg (Seminar für Sozialwissenschaften, Sozialpädagogisches Zusatzstudium, Interdisziplinäres Zentrum für Hodischuldidaktik) an das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft gestellt wurde. Der Antrag wurde bewilligt.

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Margret Bülow / Heinz-Peter Fricke / Alfred Windisch Sozialisation von Gastarbeiterkindern Das Beispiel eines projektorientierten Studiums in der Lehrerbildung 1 Problemstellung des Projekts Die Beteiligung von Gastarbeiterkindern am Unterricht in deutschen Schulen ist ein Faktum, das den Lehrer in seiner Berufstätigkeit tangiert. Eine angemessene Behandlung dieses Problems kann audi für den Lehrer, dem es sich aktuell im Kontext des Schulunterrichts stellt, nicht bei einer Analyse der schulischen Situation und der daraus ableitbaren Maßnahmen stehenbleiben, sondern muß als ersten Schritt die Anwesenheit von Gastarbeiterkindern an deutschen Schulen als Sekundärerscheinung der Ausländerbeschäftigung in der BRD begreifen. Diesen Schritt beansprucht auch das Projektstudium »Sozialisation von Gastarbeiterkindern« zu tun, um darauf aufbauend die schulischen Probleme, wie sie sich für Schüler und Lehrer darstellen, zu analysieren. Eine daraus abgeleitete Strategie vermag dann nicht nur auf kurzfristige Lösungen zielende Handlungsanweisungen für Lehrer zu geben, sondern kann Durchsetzungsmöglichkeiten und Arbeitsbereiche einer politischen Berufspraxis von Lehrern angeben, die Bezug nimmt auf die grundlegenden Strukturen der Gesellschaft. Die Berufstätigkeit des Lehrers erscheint dann nidit mehr auf einen isolierten Bereich »Sozialisation« beschränkt, sondern ist wesentlich bezogen auf den Produktionsbereich der Gesellschaft, dessen Voraussetzungen und Bedingungen der Lehrer durdi seine Arbeit im Reproduktionsbereich schafft. Im folgenden wird daher zunächst eine kurze Analyse der Ausländerbeschäftigung und der Schulsituation von Kindern ausländischer Arbeitnehmer gegeben, um daraus wesentliche Momente der Lehrerpraxis abzuleiten. Es wird dann aufgezeigt, wie diese Problembereiche in der Ausbildung von Lehrern aufgegriffen werden können und welche Strukturen der Lehrerausbildung daraus folgen. Dies wird dargestellt an dem konkreten Beispiel des projektorientierten Studiums »Sozialisation von Gastarbeiterkindern«1. 1.1 Die Funktionalität der Gastarbeiterbeschäftigung in der BRD In wirtschaftstheoretischen Konzepten zur Analyse der Ausländerbeschäftigung in der BRD werden Vor- und Nachteile der

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Beschäftigung von Gastarbeitern gegeneinander abgewogen, um daraus Begründungen für dieses Faktum abzuleiten. Von offizieller Seite (Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Sachverständigenrat, Bundesanstalt für Arbeit) wird ein Überwiegen der Vorteile sowohl für die BRD wie für die Herkunftsländer behauptet, was als Rechtfertigung für die Ausländerbeschäftigung dient. Im Rahmen dieser Konzepte wird die Funktionalität der Ausländerbeschäftigung anhand von Faktoren ausgewiesen, die auf die kapitalistische Struktur der BRD und das imperialistische Verhältnis zwischen BRD und Herkunftsländern verweisen, wenn man sie auf ihre ökonomischen Ursachen zurückführt — was natürlich in diesen Konzepten selbst ausgespart wird. So werden den Gastarbeitern folgende Funktionen zugeschrieben: — konjunkturelle Puffergröße; — stimulierende Wirkung auf die Arbeitsmoral (nationale Spannungen zwischen deutschen und Gast-Arbeitern werden als ein belebendes Moment bezeichnet); — Sicherung der Preisniveaustabilität (Verringerung des Kostendrucks von der Lohnseite her; Vermehrung des Güterangebots durch Produktion ohne entsprechend hohen Konsum in der BRD); — Vergrößerung des Sozialprodukts; — Entlastung der Sozialversicherung; — Erhöhung des Steueraufkommens. Als positiv für die Herkunftsländer wird die Verringerung der Arbeitslosigkeit und die Verbesserung des Lebensstandards (durch Abwanderung entsteht Verminderung des Anspruchs auf den konsumierbaren Teil des Sozialprodukts; Devisenrückfluß) gewertet (Glatzer 1971). In diesen Konzepten wird verschwiegen, daß die Funktionen der Gastarbeiter-Beschäftigung Krisen des ökonomischen Systems der BRD aufhalten, die in der kapitalistischen Struktur angelegt sind. Von daher dient die Ausländerbeschäftigung primär den Kapitalinteressen der BRD und steht damit im Widerspruch sowohl zu den Interessen der Lohnabhängigen in der BRD wie zu denen der Herkunftsländer. Die Anwerbung zumeist unqualifizierter Arbeitskräfte aus unterentwickelten Ländern und Regionen ermöglichte für die BRD Anfang der sechziger Jahre eine Erweiterung der Produktion bei gleicher organischer Zusammensetzung des Kapitals (das heißt z.B. geringere Rationalisierungsinvestitionen). Diese Erweiterung der Produktionskapazität auf gleichem technologischen Niveau war für die BRD zu diesem Zeitpunkt im Zuge

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einer expansiven Entwicklung deshalb notwendig, weil qualifizierte Arbeitskräfte für eine technologische Entwicklung in der BRD und aus der DDR (Mauerbau) fehlten2. Sobald rezessive Tendenzen für die Unternehmer 1966/67 merkbar wurden, mußten die Gastarbeiter die Funktion der »konjunkturellen Puffer« einnehmen und sich in ihr Herkunftsland zurückschicken lassen. (Die Freisetzung von Arbeitskräften betraf in dieser Krise die Gastarbeiter mehr als die inländischen Arbeiter, insbesondere diejenigen, die in den konjunkturabhängigen Industrien arbeiteten.) Hierbei wurde die Frage nach dem Nutzen für das Herkunftsland nicht mehr gestellt, da er offensichtlich mit den ökonomischen Interessen des Kapitals in der BRD kollidierte. Denn der Rückstrom der Gastarbeiter in die Herkunftsländer mußte dort Arbeitslosigkeit hervorrufen bzw. verstärken. Die Funktion der Gastarbeiter, für die BRD eine konjunkturelle Puffergröße zu sein, schließt demnach eine positive Funktion für die Herkunftsländer aus. Ebenso beruht die Funktion der Sicherung der Preisniveaustabilität auf einer Ausbeutung der ausländischen Arbeiter, die noch größer ist als die der inländischen. Der niedrige Lohn der Gastarbeiter bedeutet Vorteile für die kapitalistische Produktionsweise, die auch in der Phase technischen Fortschritts, für die qualifizierte Arbeitskräfte gebraucht werden, eine Ausländerbeschäftigung notwendig erscheinen lassen. Die Einleitung dieser Phase ist für die BRD wegen der Konkurrenz auf dem Weltmarkt unerläßlich und erfordert bezüglich der Anwerbung von Ausländern eine andere Strategie: Die für die Erweiterungsinvestitionen notwendigen unqualifizierten Arbeitskräfte verlieren an Bedeutung gegenüber qualifizierten Arbeitern für die wissenschaftlich-technische Produktivkraftentfaltung. Dieser Trend ist bereits aus den Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit ablesbar: Der Anteil der qualifizierten Arbeitskräfte an den angeworbenen Ausländern wächst. Für die Herkunftsländer bedeutet dies eine neue Stufe der Ausbeutung, die sich z. B. in Jugoslawien im akuten Mangel an Fachkräften ausdrückt. 1.2 Die Funktion des Lehrers in bezug auf die Sozialisation von Gastarbeiterkindern in deutschen Schulen Im Kontext der wirtschaftstheoretischen Betrachtungsweise taucht das Integrationsproblem von Gastarbeitern erst dann auf, wenn die Anwesenheit von ausländischen Arbeitern erhöhte Infrastruktur-Investitionen notwendig macht, wie es bei Einwanderungen der Familien der Gastarbeiter der Fall ist. Diese mit der Anwerbung auch unqualifizierter ausländischer Arbeiter verbundenen Kosten fallen deshalb besonders nega-

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tiv ins Gewicht, da sich die ökonomische Funktion der Ausländerbeschäftigung für die BRD tendenziell wandelt und der ungedämmte Zustrom von unqualifizierten Gastarbeitern zugunsten der Anwerbung fachlidi qualifizierter Ausländer beschränkt werden soll. Von einem Vertreter des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung wird dies deutlich genug ausgedrückt: »Die Ausländer haben bisher zum wirtschaftlichen Wachstum in der Bundesrepublik beigetragen. Mit ihrem längeren Aufenthalt und dem damit verbundenen Wunsch, ihre Familien nachzuholen, wachsen die Kosten für die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen wie Kindergärten, Schulen und Familienwohnungen. Ein weiteres starkes Ansteigen der Ausländerzahlen wäre — vor allem bei unqualifizierten Arbeitskräften — nicht mehr wachstumsfördernd.«3 Da der ökonomische Vorteil der Gastarbeiter ihre Mobilität (die durch Ausländergesetze aufrechterhalten wird) und ihre niedrigen Lohnkosten sind, erscheint die Anwesenheit von Gastarbeiterkindern und ihre schulische Betreuung als massive Einschränkung ihrer positiven Funktionen. Da jedoch auf die Anwerbung von Ausländern nicht verzichtet werden kann, weil sie als Arbeitskräfte für die Wirtschaft der BRD notwendig sind, werden diese Infrastrukturkosten möglichst gering gehalten. Neben Maßnahmen, die direkt die Einwanderung der Familien verhindern sollen, werden daher geringe Anstrengungen unternommen, den Gastarbeiterkindern eine Schulbildung zu ermöglichen. Hierin wird deutlich, daß der Staat, dem die Finanzierung des Ausbildungssektors obliegt, die Kapitalinteressen vertritt und daß aus diesem Grunde auch keine staatliche Planung für die Ausbildung der Gastarbeiterkinder vorliegt, sondern lediglich Defensivmaßnahmen ergriffen werden. Damit fällt das gesamte Problem der schulischen Ausbildung von Gastarbeiterkindern dem Lehrer zu, den es ebenfalls unvorbereitet trifft. Die Maßnahmen, die von offizieller Seite angeboten werden, ermöglichen allein noch keine sinnvolle Unterrichtung der Gastarbeiterkinder: — Der Förderunterricht (2 Deutschstunden pro Woche) reicht nicht aus, um den Gastarbeiterkindern eine Teilnahme am Fachunterricht zu ermöglichen. — Der zusätzlich zum Schulbesuch erforderliche Besuch des nationalstaatlichen Unterrichts überfordert die Kinder. — Der Unterricht in Vorbereitungsklassen wird in der Regel von ausländischen Lehrkräften in der Heimatsprache abgehalten und kann deshalb nur ungenügend auf den Bildungs- und Stoffplan des jeweiligen Bundeslandes tatsächlich vorbereiten.

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Die Durchführung dieses Bildungsangebotes für Gastarbeiterkinder wird teilweise dadurch erschwert, daß für diese geringen Maßnahmen auch noch Lehrkräfte fehlen. So bleibt für viele Lehrer, nehmen sie ihren Erziehungsaufrtag ernst, nur der Ausweg, Lösungsansätze in Eigeninitiative zu entwickeln. Hier stellt sich für den Lehrer der Konflikt dar, der seine Ursachen in der Funktion des Lehrers und in der Funktion von Gastarbeitern für die BRD hat. Besteht die Funktion des Lehrers darin, den Schülern die Qualifikation zu vermitteln, die sie zu funktionsfähigen Arbeitskräften gemäß den Erfordernissen des Produktionsbereichs macht, sowie in der Erziehung zur ideologischen Identifikation mit dem gesellschaftlichen System (Huisken 1971, S. 408 ff.), so stellen die Gastarbeiterkinder den Lehrer vor grundsätzliche Probleme. Denn diese für die Reproduktion der Gesellschaft notwendige Lehrertätigkeit hat in der Funktion der Gastarbeiter keine Entsprechung. Identifikation mit dem gesellschaftlichen System ist soweit auch für Gastarbeiterkinder erforderlich, daß sie keine sozialpolitischen Unruhen hervorrufen; sie hat jedoch keine eindeutige Funktion für die Eingliederung in den Produktionsbereich, da ungewiß und momentan unerwünscht ist, daß die Gastarbeiterkinder später Berufstätige in der BRD werden. (Der große kostensparende Vorteil, der in der Anwerbung bereits im Herkunftsland qualifizierter Arbeitskräfte durch die Einsparung der Ausbildungskosten besteht, ist ja bezüglich der Gastarbeiterkinder in der BRD nicht gegeben.) Aus demselben Grund ist das Ziel der Qualifikation für Gastarbeiterkinder unklar. Der Lehrer ist hier also eher als in der alltäglichen Berufspraxis gezwungen, seine Funktion zu reflektieren, und gerät selbst bei konformer Auslegung seiner Berufstätigkeit in zumindest latenten Konflikt mit den herrschenden Interessen. 2 Lösungsmöglichkeiten Rahmen bestehender des Lehrers

des Gastarbeiterkinder-Problems im Lehrerausbildung und Berufspraxis

Sieht der Lehrer seine Funktion hinsichtlich der Qualifizierung von Gastarbeiterkindern darin, daß sie das gleiche Ziel erreichen sollen wie deutsche Kinder, dann kann er sich damit begnügen, entweder die deutsche Sprache so weit an diese Kinder zu vermitteln, daß sie im Sprachverhalten wie die deutschen Kinder erscheinen, ohne allerdings in den Schulleistungen vergleichbar zu sein; oder er kann Techniken entwickeln, wie er die Gastarbeiterkinder innerhalb des Unterrichts als Störfakto-

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ren ausschaltet (die Berufsschule entläßt solche Kinder häufig), auch wenn er damit die Dequalifizierung dieser Kinder erreicht und sie in eine Isolierung treibt, die der bereits wegen der sozialen und Sprach-Barrieren vorhandenen Isolierung mindestens entspricht oder sogar noch stärker ausgeprägt ist. Rechtfertigungen solcher Einstellungen und der sich daraus ableitenden Verhaltensweisen sind leicht zu finden entweder durch den Verweis, daß diese Kinder ja doch in ihr Herkunftsland zurückkehren, oder, daß es innerhalb der Klasse auch andere Kinder gibt, die das Klassenziel nur bedingt erreichen und die aus einer vergleichbaren Bevölkerungsschicht kommen. Die Vielzahl von Problemen, von denen das Gastarbeiterkinder-Problem lediglich eines ist, kann die Lehrer zu Maßnahmen greifen lassen, die über ihre Lehrverpflichtung hinausgehen. Aber gerade bei dieser Einschätzung des Problems werden die Maßnahmen des Lehrers auf die Reduzierung von Auffälligkeiten der Gastarbeiterkinder und den Versuch, eine mit deutschen Kindern vergleichbare Qualifizierung anzustreben, beschränkt bleiben, da die Situation dieser Kinder weitgehend durch die Funktion ihrer Eltern vorbestimmt ist. Die Angleichung an das Leistungsniveau deutscher Kinder kann in der Regel nur unvollständig gelingen. Das bedeutet, daß die Gastarbeiterkinder zunächst nur Aussichten auf Hilfstätigkeiten haben, im günstigen Fall eine Lehre absolvieren können und damit ebenso sicher der Unterschicht angehören werden wie die Kinder deutscher Arbeiter. Damit werden in der Schule die staatlichen Vorstellungen verwirklicht, »daß Ausländer kinder weder in eigenen Schulen nach Nationalitätengruppen getrennt unterrichtet werden und damit automatisch sequestiert werden, noch im Schulwesen der Länder und im Schulleben mit deutschen Mitschülern völlig integriert werden und damit in ihrer nationalen Eigenständigkeit erheblich beeinträchtigt werden« (Bundesdrucksache VI/ 1299,1970). Erst derjenige Lehrer, der nicht damit einverstanden ist, daß »auf seinem Rücken« die Lasten getragen werden sollen, die entstehen, weil die Gastarbeiter die spezifische Funktionszuweisung als mobile Arbeitskräfte zur Verringerung von Krisen dieser Gesellschaft einnehmen müssen, stößt zu einem solchen Ansatzpunkt vor, der eine längerfristige Problemlösung zu ermöglichen scheint unter Berücksichtigung der objektiven Funktionen der Gastarbeiter und der Aufrechterhaltung dieser Funktionen durch staatliche Maßnahmen, oder, im Fall der Gastarbeiterkinder, durch das Fehlen von Maßnahmen. Eine Problemlösung, die diese Funktion berücksichtigt, scheint nur längerfristig und aus dem relativen Freiraum der Lehrer-

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ausbildung heraus möglich. Allerdings ist der Rahmen der Lehrerbildung an der Universität oder den Pädagogischen Hochschulen gegenwärtig nicht geeignet, den Forderungen aus der Schulpraxis adäquat zu begegnen. Zwar ist die alltägliche Konfrontation des Lehrers mit dem Gastarbeiterkinder-Problem hinreichende Voraussetzung für Motivationen zu Problemlösungsversuchen, die jedoch unter dem Handlungsdruck der Praxis ohne Einbeziehung theoretischer Möglichkeiten unvollständig bleiben; andererseits aber erfährt das Problem keine Lösung, wenn innerhalb der Lehrerbildung Lösungen erdacht werden, die erst zu einem späteren Zeitpunkt in der Praxis eingesetzt werden sollen. Lösungen werden erst dann möglich, wenn theoretische Überlegungen mit der gleichzeitigen Praxis konfrontiert werden. Wollte man den theoretischen Freiraum der Universität nutzen, um darüber zu reflektieren, wie eine Qualifikation der Gastarbeiterkinder erreicht werden kann, die auf eine Verbesserung ihrer Situation abzielt und die augenblickliche Dequalifizierung zu verhaltensgestörten Hilfsarbeitern in der BRD und bei der Rückkehr in das Herkunftsland verhindert, so würde dies folgenden Einschränkungen unterliegen: — Aus einer Theorie über die Funktion der Gastarbeiter und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Kinder kann eine stringente Handlungsebene nicht abgeleitet werden, auch wenn wesentliche Einflußfaktoren berücksichtigt werden; — das Problem der Gastarbeiterkinder verändert sich bei Veränderung der Funktionszuweisung durch offizielle Stellen, die Lernziele und Lerninhalte der Schule bestimmen; — Problemlösungen, die der Funktionszuweisung durch den Staat widersprechen, werden mit einer Vielzahl von Gegenmaßnahmen der Behörden verhindert; die Kenntnis dieser Gegenmaßnahmen ist nicht theoretisch möglich, sondern wird sich bei der praktischen Durchsetzung einstellen müssen; — kurzfristige Programme zur Integrierung der Gastarbeiterkinder, die sich im wesentlichen auf die Vermittlung der Sprache an Gastarbeiterkinder reduzieren, verringern die Bereitschaft von universitären und schulbehördlichen Institutionen zur Beschäftigung mit diesem Problem, da die Kinder dann als Störfaktor nicht mehr auftreten; — zwischen den Lehrerstudenten und den Gastarbeiterkindern bestehen Barrieren aufgrund der sozialen Unterschiede, die mit der theoretischen Beschäftigung allein nicht abzubauen sind; — die Komplexität der Aufgaben in der Schule, die durch die Anwesenheit der Gastarbeiterkinder vermehrt werden, verbietet eine vorzeitige abgeschlossene theoretische Problemlösung und macht eine dauernde Überprüfung notwendig.

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So sehr auch die theoretische Vorarbeit in der Ausbildung Voraussetzung sein könnte für eine Problembewältigung, so entschieden negativ wirken sich finanzielle und personelle Beschränkungen der zweiten Phase auf die Verwissenschaftlichung im Referendariat aus. Aus dem mit Spezialwissen ausgestatteten Lehrerstudenten wird durch den Druck der Schulpraxis ein Pragmatiker, der die Theorie in seine Arbeit nicht einbringen kann und sich damit auch nicht von dem unqualifizierten Lehrer unterscheidet. Bei dem Versuch der Klärung der objektiven Funktion der Gastarbeiter wird auf ein Wissenschaftsgebiet zurückgegriffen, das in den Fachdisziplinen der Lehrerbildung keinen Platz hat. Entweder muß daher der Student eine problemorientierte, fächerübergreifende Qualifizierung anstreben, die in den üblichen Studiengängen nicht möglich ist und deshalb als zusätzliche Arbeit anfällt neben der Absolvierung des üblichen Studiengangs. Dies ist jedoch nur bei ausreichender zeitlicher Planung möglich und muß als Zusatzbelastung getragen werden, deren Voraussetzungen sowohl finanzielle Absicherung als auch die Existenz eines Freiraums gegenüber einschränkenden Prüfungs- und Studienordnungen sind. Oder aber der ausgebildete Lehrer muß sich auf die Hilfe von Personen verlassen, die die von ihm benötigte Fachqualifikation besitzen und zudem die Anwendung ihres Spezialwissens unter dem Gesichtspunkt der Problemeinschätzung vornehmen. Für solche Personen, auch wenn mit einer solchen reflektierten Anwendung von Wissenschaft qualifiziert, findet sich jedoch in der Schule kein institutionalisierter Arbeitsbereich. Diese Möglichkeit, aus einer Reihe von Fachwissenschaften diejenigen Bereiche selektiv bearbeiten zu können, die zur Lösung des Gastarbeiterkinder-Problems beitragen könnten, ist gegenwärtig nur unter erheblichen individuellen Anstrengungen möglich und wird durch den Studiengang eher unterdrückt. Eine Institutionalisierung einer solchen Lehrerausbildung wird an Hochschulen nicht angeboten. Dort aber, wo sie in Modellen einer integrierten Lehrerausbildung möglich werden soll, scheint unter gegebenen wissenschaftstheoretischen Prioritäten der Fachdisziplinen, in die die Lehrerausbildung integriert werden soll, die interdisziplinäre Arbeit zu einer Hilfsrolle für diese Fachdisziplinen degeneriert zu werden. Dies gilt auch für solche Fächer, von denen man oberflächlich meinen sollte, daß sie aufgrund entwickelter Theorien Voraussetzung für eine Problemlösung in der Praxis sein könnten, die die künftigen Lehrer als Ausführende von Wissenschaftsmodellen, deren Grundlagen sie nicht durchschauen können, einsetzt (Strohbach 1971, Seite 15 ff.).

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»Forschendes Lernen« oder »integrierte Lehrerausbildung« sind a priori nicht geeignet, komplexe Probleme wie das vorliegende zu lösen, sondern können vielleicht Voraussetzung sein, die aber unter gegebener materieller und personeller Bedingung der Hochschulen höchstens zu einer technokratischen Ausbildung führt. Solche Modelle werden möglicherweise dazu führen, daß intelligente Gastarbeiterkinder in Einzelfällen in die Hierarchie kapitalistischer Verhältnisse aufsteigen können, die Funktionszuweisung, die sie aufgrund der Funktion der Eltern erfahren, wird damit aber nicht angetastet. Die Aneignung eines wissenschaftlichen Manuals einzelner Gebiete für Studenten kann zwar nicht aufgegeben werden, aber die Anwendung solcher oberflächlicher Daten berücksichtigt nicht die Interessen der Gastarbeiterkinder. Es mag sein, daß es ihren Interessen entspricht, daß sie rasch die deutsche Sprache erlernen, sicherlich aber entspricht es auch den Interessen der Gastarbeiterkinder, — daß sie nicht weiterhin innerhalb der Familie Aufgaben übernehmen müssen, die sie daran hindern, sich zu qualifizieren; — daß sie ständig damit rechnen müssen, in das Herkunftsland zurückzumüssen, obwohl sie dieser »Heimat« entfremdet sind, sich in der BRD aber nicht einleben können; — daß sie eine Berufsperspektive für die BRD vielleicht planen wollen, die sie nach ihrer Qualifikation und der Kurzfristigkeit der Arbeitsverträge ihrer Eltern nicht planen können; — daß die häufig berichtete Unterdrückung der Gastarbeiterkinder in der Familie nicht in dem nationalstaatlichen Unterricht fortgesetzt wird, während der Lehrer in der Schule vielleicht liberalere Erziehungsmethoden anwendet. Um diesen Interessen entgegenzukommen, wird eine Schulpraxis nicht ausreichen, die pragmatische Lösungen versucht oder bei der verbalen Unterstützung dieser Kinder stehenbleibt, sondern ein Entgegenkommen wird sich in solidarischen Handlungsformen ausweisen müssen, die sich gegen die Ursachen der Dequalifizierung und Unterdrückung wenden. Eine Veränderung von Praxis, gleichgültig ob sie theoretisch oder pragmatisch vorbereitet ist, die die Vielzahl von Interessen der Gastarbeiterkinder nicht berücksichtigt, handelt gegen die Interessen und unterstützt die behördlichen Bestrebungen, denen an einer Qualifizierung der Gastarbeiterkinder nicht gelegen ist. Gerade eine sprachliche Qualifizierung, die ein reibungsloses Einpassen der Gastarbeiterkinder in die Schule ermöglicht, beseitigt nicht die Unterprivilegierung dieser Kinder, sondern macht sie nur unauffällig. Allerdings sind die bisherigen individuellen Versuche und die geringfügigen schulbehördlichen Maßnahmen zur Inte-

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grierung reichlich ineffizient geblieben, wenn »über 60 Prozent der ausländischen Kinder . . . keinen Hauptschulabschluß (erreichen)«, wenn »weniger als 10 Prozent der berufsschulpflichtigen ausländischen Jugendlichen . . . der Berufsschulpflicht (nachkommen)« (Diamant 1972, S. 99). 3 Entwicklung und erste Realisierungsversuche einer Strategie für veränderte Lehrerpraxis im projekt orientier ten Studium »Sozialisation von Gastarbeiterkindern« Erste Ansätze zur Entwicklung einer Lehrerpraxis, die eine Dequalifizierung der Gastarbeiterkinder verhindern kann, bestanden im 1. Projektsemester in einer theoretischen und methodischen Ausdifferenzierung des Problems der Ausländerbeschäftigung in der BRD. (1) Die Projektgruppe »Klassenanalyse der BRD« versuchte die gesellschaftliche Situation der Gastarbeiter mit der bürgerlichen Schichttheorie zu analysieren. (2) Die Projektgruppe »Gastarbeiteranalyse« nahm ihren Ausgangspunkt bei der These, daß die Lage der Gastarbeiter nicht nur von der gesellschaftlichen Struktur der BRD abhängt, sondern von dem imperialistischen Verhältnis zwischen der BRD und den Anwerbeländern. Sie arbeitete deshalb Imperialismustheorien auf, die zu einem späteren Zeitpunkt die Ergebnisse der anderen Projektgruppen vervollständigen sollten. (3) Die Projektgruppe »Funktion der Schule« setzte in dem theoretischen und methodischen Rahmen der Einflußforschung an, indem sie den Einfluß von verschiedenen industriellen Interessenverbänden auf die Aufstellung von Lernzielen untersuchte. Der theoretische Kontext war die polit-ökonomische Analyse der BRD. (4) Die Projektgruppe »Schulpraxis« ging aus von den konkreten Problemen der Lehrer bei der Unterrichtung von Gastarbeiterkindern, die in der Schwierigkeit bestehen, Lernziele für Gastarbeiterkinder zu bestimmen und Maßnahmen zu ihrer Erreichung durchzusetzen, die mit der herkömmlichen Funktion des Lehrers kollidieren. Von der Aufsplitterung des Gastarbeiter-Problems her in verschiedene Arbeitsansätze war eine inhaltliche und organisatorische Verknüpfung der einzelnen Projektgruppen notwendig. Diese Kooperation sollte von einem Koordinationsausschuß organisiert werden. Da diese Koordinierung im ersten Projektsemester lediglich in einer formalen Verknüpfung bestand, die sich in additiven Berichten der Einzelgruppen erschöpfte, unterschied sich die Arbeit nicht grundlegend von üblichen Seminaren. Ob-

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wohl die formalen Kriterien der Interdisziplinarität, des Theorie-Praxis-Verhältnisses und der kooperativen Arbeitsformen erfüllt waren, bieten diese offenbar keine hinreichende Bedingung, durch die per se eine inhaltliche und organisatorische Entwicklung eines Projekts gewährleistet wird. Aufgrund dieser Mängel des ersten Projektsemesters wurde deshalb vorgeschlagen, einen Organisationsplan aufzustellen, der sowohl die äußeren (z. B. zeitlichen) Voraussetzungen berücksichtigt wie auch die inhaltlichen Arbeitsansätze der Projektgruppen und deren Koordination. Damit wurde eine weitere Planungsphase des Projekts eingeleitet. Sie bestand darin, die Arbeitsergebnisse der einzelnen Projektgruppen des vorangegangenen Semesters in die Arbeit des 2. Projektsemesters mit aufzunehmen und zu erweitern zu einem neuen Konzept, in dem die Handlungsebenen Hochschule (Zielgruppe Studenten), Schule (Zielgruppen Lehrer, Schüler, Eltern) und der außerschulische Bereich (Zielgruppe Eltern) aufeinander bezogen wurden. Dieses Konzept wurde zur Grundlage der Arbeitspläne aller Projektgruppen im 2. Projektsemester (Sommer-Semester

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Neben den Kriterien der Problemorientierung, der Interdisziplinarität, des engen Theorie-Praxis-Bezugs ist für projektorientiertes Studium die Überprüfung der eigenen Arbeit von zentraler Bedeutung. Denn als alternativer Ansatz bedeutet projektorientiertes Studium eine Praxis an der Hochschule, die sich durchzusetzen hat gegen traditionelle Strukturen der Lehrerausbildung, die nur mangelhaft auf eine konforme Lehrertätigkeit vorbereiten. Diese Praxis zu erfassen und zu analysieren ist notwendig zur Weiterentwicklung und inhaltlichen Bestimmung der Strategie, die für die Betroffenen anfängt bei universitär organisierten Lernprozessen. Die Effektivität solcher Lernprozesse, wie sie im projektorientierten Studium angelegt sind, ist allerdings nicht mit den üblichen Kriterien »Erfolg« oder »Mißerfolg« zu messen. Denn »Erfolg« bedeutet in diesem Kontext die Erreichung der gesetzten Standards, die eine Beibehaltung des Status quo sichern sollen. Zudem hat solch eine Effektivitätsmessung immer auch Disziplinierung zum Ziel, die Abweichungen von der Norm sanktioniert und so gerade eine politische Praxis, die Strukturveränderungen zum Ziel hat, niederhalten kann. Diese Formen der Kontrolle sind für projektorientiertes Studium, wie es hier praktiziert wird, also nicht nur unbrauchbar, sondern schädlich, indem durch sie gerade die Strukturen reproduziert werden, die die neue Studienform zu überwinden sucht.

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Dennoch kann auf Kontrolle nicht völlig verzichtet werden. Die Reflexion dessen, was man tut und als politische Praxis intendiert, muß gerade wegen der Barrieren, die gegen sie errichtet werden, vollzogen werden. Erst die Bewußtheit der eigenen Arbeit vermag die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Produkte der Arbeit nicht in denselben Verwertungsprozeß geraten, gegen den die Tätigkeit gerichtet ist. Es müssen daher Formen der Überprüfung gefunden werden, die nicht als Kontrolle und Sanktionierung von außen fungieren und die der politischen Strategie und Praxis nicht zuwiderlaufen. Unter dieser Zielsetzung wurde innerhalb des Projekts der Koordinationsausschuß gegründet, an dem mindestens zwei Mitglieder aus jeder Gruppe des Projekts teilnehmen sollten und der für alle Mitglieder, auch bei sporadischer Teilnahme, offen war. Die konkreten Anforderungen waren in zwei Bereiche zu unterteilen: Zum einen sollte die Einheit des Projekts gesichert sein, indem Informationen über den Arbeitsverlauf der einzelnen Arbeitsgruppen eingeholt wurden, um die Gestaltung der Plena darauf aufzubauen und die längerfristige Arbeit im Projekt planen und strukturieren zu können. Zum anderen sollten die Plenarveranstaltungen, die das Gesamtprojekt repräsentieren sollten, auf inhaltliche Vorstellungen über Projektziele und deren Veränderungen im Semesterablauf untersucht werden. Beide Aufgabenbereiche wurden mit unterschiedlichen Methoden angegangen: Der Aufgabe der kurzfristigen Planung und der längerfristigen Planung des Projektverlaufs lagen Daten und Informationen zugrunde, die durch Erinnern an die vergangenen Sitzungen unsystematisch zusammengetragen wurden und vermischt waren mit der eigenen vorgängigen Beurteilung dieser Arbeitsgruppen. Die Untersuchung der Projektziele, die im Plenum geäußert wurden, erfolgte dagegen in guter empirischer Manier. Da einerseits die intuitive Erfassung von Daten keine befriedigende Planung ermöglichte, andererseits die Durchführung empirischer Methoden der Sozialforschung als Mittel angesehen wurde, deren Beschränkungen und Problematik aufzuzeigen und erfahren zu können, wurde für die Erfassung von Aussagen im Plenum die Methode der Inhaltsanalyse gewählt. Die Anwendung dieser Methode sollte zugleich einen Ansatz für Kontrolle und Überprüfung schaffen, der nicht die oben genannten Gefahren der Disziplinierung und der Kontrolle beinhaltet, die Gefahren, die Abweichungen vom Status quo zu verhindern und die Untersuchten zu Datenlieferanten zu degradieren. Auf formaler Ebene boten sich die folgenden Möglichkeiten an,

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Inhaltsanalyse zum Instrument von Selbstkontrolle und bewußter Praxis zu machen: Beteiligung der Betroffenen (hier derjenigen, deren Aussagen analysiert und in Handlungsanweisungen uminterpretiert werden sollten, also Plenumsmitglieder) an der Erstellung des Instruments und der Auswertung der Ergebnisse; ferner gemeinsame Planung der weiteren Verwendung der Ergebnisse und ihre Umsetzung in die Planung des Projekts. In der Realität ergab sich, daß diese dem action-research-Ansatz entnommene Forschungsstrategie auf massive Schwierigkeiten stieß. Zum einen beanspruchte die Aufstellung dieses empirischen Instruments die Koordinationsmitglieder derart, daß die andere Aufgabe des Koordinationsausschusses (kurzfristige Planung der Plenarveranstaltungen, längerfristige Planung des Projektverlaufs) für den Rest des Semesters nur unvollkommen erfüllt werden konnte. Zum anderen zeigte sich, daß die mit der Anwendung empirischer Methoden verknüpften Beschränkungen und die Notwendigkeit ihrer Aufhebung durch die Beteiligung an deren Erstellung zwar verbal eingesehen waren, aber nicht umgesetzt werden konnten. Die langwierige Arbeit der Aneignung empirischer Methoden, der Kategorienfindung usw. ließen den Sinn dieser Arbeit nicht mehr erkennen. So wurde sie als außerhalb der eigentlichen Koordinationstätigkeit stehend definiert. Hierin deutet sich ein Problem an, das für die Durchführung einer Forschungsstrategie, die den Objektcharakter der Untersuchten aufheben will und Empirie als Praxis der Betroffenen begreift, relevant ist. Beteiligung der Betroffenen an Forschung setzt deren Kenntnis der im Rahmen dieser Forschung angewandten Methoden voraus. Die Beschränkungen empirischer Methoden und die dadurch verursachte Manipulierbarkeit der Ergebnisse, die eher den Interpretationsrahmen des Forschers als die intersubjektive Analyse von sozialen Tatbeständen darstellen, können nur begriffen werden, wenn diese Methoden im Detail bekannt sind. Beteiligung der Betroffenen wird zur Frage, wenn sie aufgrund mangelnder Kenntnis in dem Befolgen von Handlungsanweisungen besteht, die im immanenten Kontext der Methoden aufgestellt wurden. Die Begrenzung einer Forschungsstrategie, die sich im oben erwähnten Sinne an action research anlehnt, besteht darin, daß die Betroffenen Experten sein oder zu solchen gemacht werden müssen, soll eine Beteiligung an Forschung ermöglicht werden. Ist dies bei Studenten aufgrund ihrer Ausbildung und Interessenrichtung noch in relativ kurzem Zeitraum und anhand der vorliegenden Literatur möglich, so stellt sich dieses Problem

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grundsätzlich anders in der Zusammenarbeit mit Arbeitern, wie es dieses Projekt anstrebt. Hierfür müssen grundsätzlich andere Forsdiungsstrategien entwickelt werden, die nicht eine fast professionelle Beschäftigung mit empirischer Sozialforschung voraussetzen. Als Ausweg zeichnet sich hier ab, daß die Ergebnisse empirischer Untersuchungen, die in Expertenarbeit gewonnen wurden, an die Untersuchten rückgekoppelt werden. Allerdings setzt auch die richtige Einordnung solch rückgekoppelter Ergebnisse voraus, daß ihr Entstehungsprozeß nachvollziehbar ist, um die in ihnen enthaltenen notwendigen Verkürzungen (durch Kategorienbildung und andere Operationen zur Meßbarkeit) einschätzen zu können. Fehlt dieses Verständnis der Entstehung von Ergebnissen, so werden sie zu statischen Fakten, denen nicht mehr anzusehen ist, welche Wertvorstellungen und Interessen in sie eingegangen sind. In ihrer objektivierten Form erscheinen sie als losgelöst von den konkreten Personen, die sie schufen. Um eine Überlastung des Koordinationsausschusses zu vermeiden und dadurch eine bessere Planung der Plena und der längerfristigen Arbeit zu gewährleisten, wurde im zweiten Projektsemester die Durchführung der begleitenden Analyse des Projektverlaufs mit empirischen Methoden aus dem Tätigkeitsbereich des Koordinationsausschusses ausgegliedert und einer gesonderten Seminargruppe übertragen. An diesem Seminar nehmen viele Studenten teil, die im vorigen und audi diesem Semester den Koordinationsausschuß besuchen. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, daß ihnen die Relevanz begleitender Forschung, verstanden als Überprüfung der eigenen Arbeit, deutlicher ist als den anderen Studenten, denen sowohl diese spezifische Forderung wie die projektorientierte Arbeit im allgemeinen fremd oder allenfalls auf theoretischer Ebene bekannt ist. Dies erfordert, sowohl in das Plenum wie in die Projektgruppen diese Thematik nochmals einzubringen in der Weise, daß sie nicht als abstrakte und akademische Fragestellung, sondern als wesentliches Moment der eigenen politischen Praxis erscheint. Die Vermittlung dieser Problematik muß spätestens dann geleistet sein, wenn im Rahmen der Projektgruppen Kontakte mit Eltern, Lehrern, Schülern und Behörden aufgenommen werden (ab Mitte des Sommer-Semesters 1972), um die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit diesen Gruppen zu prüfen und zu planen. Denn hier kann unreflektierte Praxis, die zwar im Rahmen einer Strategie steht, aber nicht ständig an den konkreten Auswirkungen überprüft wird, solch negative Folgen haben, daß die weitere Arbeit verhindert wird: sei es durch Verprellung der

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Kontaktpersonen, sei es durch Konflikt mit Schulbehörde, Konsulaten usw. Zum anderen dürfen die Projektmitglieder nicht den Fehler begehen, der Formen äußerer Kontrolle immanent ist: die Personen, mit denen zusammen politische Arbeit geleistet werden muß, als Objekte ihrer Studien zu betrachten und zu behandeln, die höchstens noch manipulativ zur Erreichung der eigenen, dann allerdings fragwürdigen Ziele eingesetzt werden. Dies könnte die Umsetzung der Einsicht verhindern, die durch die theoretische Arbeit am Gastarbeiterproblem gewonnen wurde, nämlich die Notwendigkeit, die objektiven Interessen dieser innerhalb der Lohnabhängigen unterprivilegierten Arbeiter zu vertreten, die auf eine Änderung der ökonomischen Struktur der BRD und des imperialistischen Verhältnisses zwischen BRD und Herkunftsländern gerichtet sind. Deshalb ist es notwendig, in den Projektgruppen jeweils in bezug auf die Gruppe (Eltern, Lehrer, Schüler), mit der eine Zusammenarbeit geplant wird, eine Forschungsstrategie zu entwickeln, die eine politische Arbeit ermöglicht. — Die Forschungsstrategie muß solche Methoden enthalten, die das Auffinden der momentanen subjektiven Interessen von Eltern (Gastarbeitern und deutschen Eltern), Lehrern und Schülern ermöglichen. — Zudem müssen jeweils geeignete Formen angegeben werden, die eine Rückkopplung und Umsetzung dieser Ergebnisse an die Gruppe ermöglichen. — Bilden die subjektiven Interessen den Anknüpfungspunkt für die Kommunikation, so sind darüber hinaus Methoden anzugeben, die eine Transformation dieser subjektiven Interessen auf die objektive Interessenlage der jeweiligen Gruppe zulassen und aufgrund der so gewonnenen Einsicht in die eigene Klassenlage die gemeinsame Entwicklung einer Strategie ermöglichen. Die Entwicklung solcher Forschungsstrategien ist noch nicht geleistet. Ein erster Schritt dazu ist in der Erstellung von Arbeitsplänen durch die einzelnen Projektgruppen getan, die die Verknüpfung von theoretischer und praktischer Arbeit angeben. Eine Koordination der mit den verschiedenen Personengruppen (Eltern, Lehrer, Schüler) befaßten Projektgruppen wird dadurch erleichtert, daß ein genauer Zeitplan für die einzelnen Arbeitsschritte angegeben ist und die Phasen von theoretischer und praktischer Arbeit aufeinander abzustimmen sind. Denn gerade die Isolierung der für die Sozialisation relevanten Bereiche kennzeichnet die bestehende Schulstruktur, die unter massiven Konflikten für die Schüler zur Konditionierung und Anpassung an das ökonomische System der BRD führt.

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Anmerkungen 1 Das projektorientierte Studium »Sozialisation von Gastarbeiterkindern« wird an der Universität Hamburg, Fachbereich Erziehungswissenschaft, Fachausschuß Vergleichende Erziehungswissenschaft durchgeführt unter Mitarbeit des Interdisziplinären Zentrums für Hochschuldidaktik an der Universität Hamburg. Die Projektarbeit ist für vier Semester geplant und institutionell abgesichert (WS 71/ 72 bis SS 73). Die wissenschaftliche Kontrolle dieses projektorientierten Studiums erfolgt im Rahmen einer vom BMBW finanzierten Begleituntersuchung. 2 Vgl. Verlagskooperative Trikont, Proletarischer Internationalismus und das Problem der Arbeitsemigration, in: P. Cinanni, Emigration und Imperialismus, München 1971; sowie R. Becker/G. Dörr/ K. H. Tjaden, Fremdarbeiterbeschäftigung im deutschen Kapitalismus, in: Das Argument, 68, 13. Jg. 1971, Heft 9/10, S. 741—756. 3 Interview mit Dr. H. Ernst, Ministerialdirigent im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, in: DIE ZEIT, Nr. 15, 1972, S. 44.

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Christa Cremer / Jos Gerwin / Henning Haft / Wolf Klehm / Franz-Josef Krafeld / Ursula Lambrou / Wolfgang Ronge / Barbara Schaeffer Bericht über ein Aktionsforschungsprojekt zur politischen Bildung an der Hauptschule 1 Personelle Integration und Vorstrukturierung des

des Arbeitsfel-

Den ersten Anstoß zu dem nachfolgend beschriebenen Gruppenund Arbeitsprozeß gaben Gespräche einer Anzahl freundschaftlich verbundener Assistenten, Studenten und Bildungsplaner aus verschiedenen Fachgebieten, die nicht bereit waren, sich damit abzufinden, daß gemeinsame pädagogische und bildungspolitische Konzeptionen auf der vorhandenen institutionellen Basis nur mühsam und ohne Möglichkeiten gemeinsamer Kooperation durchzusetzen sind. Um einer erwünschten gemeinsamen Perspektive eine fundierte Grundlage zu schaffen, organisierte die Gruppe mit Hilfe der LAK-NRW eine fünftägige Arbeitstagung in Billerbeck, auf der die gemeinsamen Vorstellungen von Schule systematisiert und in ein erstes Konzept gebracht wurden. Nach Erstellung dieses Konzeptes zeigte sich ein auch für die weitere Entwicklung typisches gruppendynamisches Phänomen: Jeweils nach dem erfolgreichen Abschluß einer Arbeitsphase desintegrierte sich die Gruppe in der Weise, daß einige Mitglieder, zufrieden mit den erreichten Ergebnissen, ausschieden und diese Ergebnisse möglicherweise für eigene Zwecke verwandten1. Demgegenüber setzte aber ebenfalls ein vertiefender Integrationsprozeß ein: Einige Mitglieder, die im Anschluß an die genannte Tagung ein Wochenpraktikum in einer 8. Hauptschulklasse machen mußten, benutzten dieses Praktikum, um abweichend von dem ursprünglich konventionellen Konzept einer Wissensübermittlung zur politischen Bildung, Methoden zu erproben, die sich dazu eigneten, den politischen Unterricht unmittelbar an die Interessen und Vorstellungsgehalte der Schüler anzuschließen2. Dieses Praktikumsexperiment, das in der Schulklasse unerwartete Prozesse in Gang setzte und weit mehr Einsichten und Ergebnisse erbrachte, als zu Beginn erhofft werden konnte, zeigte, ebenso wie das gleichzeitig — zunächst unabhängig von der Gruppe — unternommene Experiment einer Junglehrerin mit ihrer Schulklasse3, daß sich hier praktische Ansätze finden ließen, die der von der Gruppe entwickelten Konzeption entsprachen. Andererseits zeigte sich aber auch, daß sich weder ein einzelner noch eine kurzfristige Praktikumsgruppe unter den

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gegebenen Bedingungen auf Dauer mit dem gewählten Konzept würden durchsetzen können. Zunächst versuchte die Gruppe daher, die erforderliche Sicherheit und Unterstützung für einzelne durch organisatorischen Zusammenschluß zu schaffen: Es wurde die Planungsorganisation Pädagogik (POP) mit eigenen Räumen und regelmäßigen Zusammenkünften gegründet. Aus dieser Planungsorganisation entstand in einer jetzt wieder teilweise neuen Zusammensetzung der Gruppe (s. o.) nach einer neuerlichen Phase der Diskussion ein Forschungsantrag an die VW-Sitftung, der die inzwischen vorliegenden theoretischen und praktischen Ansätze und Erfahrungen zusammenfaßte. Aus zunächst taktischen, dann aber auch inhaltlichen und organisationspolitischen Gründen wurde dieser Antrag in den Hochschulbereich zurückgeführt und die Planungsorganisation aufgelöst.

2 Zum Stand der Theorie und Methodik der politischen Bildung 1. Das längst und häufig konstatierte Versagen der politischen Bildung in den deutschen Schulen der Nachkriegsjahre (Herkommer 1966; Becker / Herkommer / Bergmann 1967) ist zum Gegenstand vielfältiger Überlegungen über Ursachen und Auswirkungen dieses Versagens geworden. Das simple Ergebnis der genannten Untersuchungen, neuerdings bestärkt durch amerikanische Untersuchungen zur politischen Sozialisation (Hess und Horney 1967) ist, daß sich der politische Unterricht im besten Fall als wirkungslos erweist und der Grad des politischen Interesses und der Stand der politischen Information der Schüler weitgehend nur vom Elternhaus beeinflußt wird. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß die konstatierte Wirkungslosigkeit funktional ist im Hinblick auf eine reibungslose Eingliederung der Heranwachsenden in vorgegebene soziale und politische Strukturen, die sich dem Anspruch auf emanzipatorische Veränderungen auch anderweitig widersetzen. Aus alledem ist dennoch nicht der Schluß zu ziehen, daß ab einem gewissen Alter beim Schüler grundlegende politische Einstellungen nicht mehr verändert werden können (Nyssen 1970), sondern vielmehr, daß Zielsetzung, Methodik und Realität des politischen Unterrichts es nur derzeit nicht vermögen, die Schüler wirksam zu erreichen. Dies liegt zunächst an der grundlegenden Diskrepanz einer politischen Bildung, die »Demokratie« als Norm und Lernziel postuliert, gleichzeitig aber in einer nicht-demokratischen Institution, der Schule, die postulierten Normen und Lernziele in der eigenen Unterrichtspraxis ständig desavouieren muß. »Der kri-

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tische Staatsbürger als gewünschtes Resultat . . . kann . . . nicht auf einer Pyramide von erworbenen Kenntnissen ausgestellt werden. Dieses steht so lange in einem Potemkinschen Dorf, als politische Bildung sich nicht selbst als kritischen Prozeß versteht: kritisch gegenüber den Beteiligten, dem didaktischen Arrangement und den Lehrgegenständen« (Baacke 1970, S. 61). Daß diese Auffassung der politischen Bildung in kaum einer Schule verwirklicht wird, darf aber nicht einfach den Lehrern angelastet werden. Nach ihrer Ausbildung, dem Stand der Literatur, die »bis in die didaktischen Theorien hinein... die Jugendlichen als bloße Objekte der politischen Bildung betrachtet« (Giesecke 1970, S. 12), und dem zwar lange beklagten (Hartmann 1966; Wiesbrock 1966), aber noch immer nicht behobenen Mangel an Versuchsforschung zur Verwirklichung eines sinnvollen politischen Unterrichts, ist der Großteil der Lehrer schlicht überfordert, wenn von ihm plötzlich verlangt wird, die herkömmliche Unterrichtsplanung aufzugeben. 2. Lewin gibt als Kriterium hoher politischer Moral die Fähigkeit an, »hohe Ziele aufzustellen und zu verfolgen und gleichzeitig den Plan für die nächste Handlung innerhalb der Grenzen des Möglichen zu halten« (Lewin 1953, S. 166). Neben Realitätssinn und Orientierungsfähigkeit sind daher für den Ausbau hoher Moral und Motivation eine gewisse Qualität der Zeitperspektive und des Zukunftserlebens wichtigste Voraussetzung (Wiesbrock 1966). Zeitperspektive und Zukunftserlebnis wiederum sind stark abhängig vom Deutungszusammenhang, in dem das Individuum Vergangenheits- und Gegenwartsbezüge erfährt, d. h. von dem Grad des Identifikationsangebotes und des fiktiven Handlungsspielraumes, den ihm die je spezifische, soziokulturelle historische Erfahrung ermöglicht. Dieser Zusammenhang wird bestätigt durch Untersuchungen, die nachweisen, daß Handlungsorientierung und Zukunftsperspektive mit der Klassenzugehörigkeit sinken (Le Shan 1952). Soll politisches Engagement und politischer Bildungswille daher auch in den unteren Schichten geweckt werden, müßten demzufolge weitreichende Konsequenzen für die inhaltliche Gestaltung des Geschichts- und des Sozialkundeunterrichts gezogen werden. Geschichtsunterricht als Geschichte der herrschenden Persönlichkeiten, Familien und Schichten, mit denen sich Kinder der unteren Klassen bestenfalls romantisch identifizieren können, entläßt diese weitgehend ohne realen geschichtlichen Erfahrungshorizont. Ähnlich ist es im politischen Unterricht, sofern er abstrakte Normen und angeblich für alle Schüler gleichermaßen bedeutsame Institutionenlehre vermittelt. »Zweifellos ist es ein Fehler fast aller bisherigen politisch-didaktischen Theorien gewesen,

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diese sdiiditspezifisdien Determinanten nicht berücksichtigt zu haben, sondern von einem abstrakt allgemeinen Begriff des Staatsbürgers ausgegangen zu sein« (Giesecke 1970, S. 43). 3. Eine Curriculum-Revision allerdings, die nur diese genannten soziokulturellen und sdiiditspezifisdien inhaltlichen Besonderheiten berücksichtigt, ohne von dem erwähnten Erfahrungskontext auszugehen, wird wieder in die Gefahr geraten, zu wirkungslosem, moralischem Appell zu erstarren. Es muß dem Unterricht daher zunächst gelingen, dem Schüler den Zusammenhang zwischen gesellschaftlich politischen Vorgängen und seiner eigenen persönlichen Situation erfahrbar zu machen. »Politische Handlungsbereitschaft entsteht jedoch nicht aus dem moralischen Appell, . . . sondern . . . in aller Regel aus der Analyse gesellschaftlicher Konflikte und aus dem Begreifen des eigenen Schicksals als einem durch die Gesellschaft bedingten« (Schmiederer 1971, S. 88). Weitgehend besteht heute bereits Einigkeit darüber, daß politische Bildung im wesentlichen nicht nur Wissensvermittlung sein kann, sondern die Ausbildung und Förderung sowohl motivationaler und sozialpsychischer als auch kognitiver Verhaltensstrukturen bewirken soll. Die Einsicht, daß jede, also auch die herkömmliche Form des Lernens und der politischen Bildung als eine Form des sozialen Handelns (Giesecke 1970, S. 18) auf den genannten drei Ebenen Persönlichkeitsbildung bewirkt, hat Untersuchungen über eben jene Wirkungsweisen mit deprimierenden Resultaten hervorgebracht: »Die Annahme ist nicht von der Hand zu weisen, daß das soziale Klima in einer größeren Anzahl von Schulen zum Teil diejenigen Vorgänge und Haltungen bei Jugendlichen begünstigt, die einem späteren Leben in einer Diktatur angemessen sind« (Tausch 1966, S. 112). Die Hauptaufgabe der politischen Bildung und im verstärkten Maße ihrer Forschung ist demnach, Methoden und Möglichkeiten zu finden, die im Unterricht stattfindenden sozialen Erfahrungen (v. Hentig 1968) mit den dort vermittelten Lerninhalten und Lernzielen in Einklang zu bringen. Es darf also in der politischen Bildung nicht mehr um die Frage gehen, wie das Lernen organisiert werden soll, damit es später zu einer, wie auch immer gearteten politischen Beteiligung führt, es müssen vielmehr Lösungen für die neue Aufgabenstellung der unmittelbaren Verschränkung von Lernprozessen und politischer Aktion gefunden werden. Politische Aktion wird hierbei im wesentlichen auf zwei Ebenen gesehen. Einmal auf der Ebene des Unterrichtsgeschehens selbst: der Unterrichtsplanung — Unterrichtsstil, Gruppengeschehen, Reflexion des Gruppenverhaltens usw. (»Das bedeutet: neben dem >Problembewußtsein< steht das >Methodenbewußt-

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sein< im Unterricht als gleichberechtigtes Lernziel«, Schmiederer 1971, S. 136) und im Anschluß daran auf der Ebene von das Klassenzimmer überschreitenden reflektierten Aktionen. Arbeitsweisen müssen entwickelt werden, die »Ausschnitte politischer Wirklichkeit mit Ernstcharakter in die Schularbeit hineinbringen« (Wiesbrock 1966, S. 172). Beide Ebenen müssen dabei in Beziehung zueinander stehen, d. h. Aktionen, die nach außen (andere Klassen, Schule, Eltern, Gemeinde) gerichtet sind, müssen aus dem Gruppenprozeß und der Motivierung der Klasse entstehen. Folgende weitere Gesichtspunkte sind bei der Auswahl und Entwicklung politischer Aktionen in erster Linie zu beachten: (1) Gruppendynamische Prozesse müssen mit Sachproblemen verbunden und im »Sinne inhaltlicher Demokratisierung« (Horn 1969, S. 280) fruchtbar gemacht werden. (2) Der Transfer politischer Inhalte und die Ausweitung der zu behandelnden Stoffe darf nicht aufgrund theoretischer Affinitäten oder Generalisierungen erfolgen (Taba und Hills 1965), sondern muß aus der Förderung des Lernens im Bereich der Einstellungen und Haltungen — »in dem, wie man längst weiß, der Transfer am größten ist« (Baacke 1970, S. 83) — erfolgen. Politische Aktionen müssen zur Stützung der Lernmotivation und zur Erleichterung des Transfers eingesetzt werden (Baacke, a. a. O.). (3) Praxis darf nicht als Gegensatz zu einseitigem »intellektuellem Drill« (Beer 1969) oder wie häufig in der herkömmlichen politischen Bildung als Caritas, Opfer oder direktes Verantwortungstraining verstanden werden. Der Zusammenhang zwischen Praxis und kognitiver Durchleuchtung muß stets gegeben sein, der politische Verstehenshorizont und damit das Begreifen der eigenen Erfahrung müssen vertieft und erweitert werden. (4) Bei Konflikten muß zur Vermeidung von »Personalisierung« eine Differenzierung zwischen angreifbaren Systemen und deren Träger angestrebt werden. Das setzt das Erlernen der Fähigkeit zur Einwirkung auf den Gegner voraus, welche wiederum den Glauben an seine prinzipielle Lernfähigkeit bedingt. 3 Lern- und Untersuchungsziele.

Interventionsstrategien

1. Eine politische Bildung, die sich zum Ziele gesetzt hat, den Prozeß der Demokratisierung solchermaßen voranzutreiben, muß auf der Grundlage der kritischen Analyse der die Schüler berührenden gesellschaftlichen Bereiche und deren historischer Ausprägung Methoden und Modelle entwickeln, die es ermögli-

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chen, bessere Alternativen zur gegenwärtigen Situation aufzuzeigen. Eine politische Bildung, will sie Kindern und Jugendlichen der Unterschicht zur Emanzipation verhelfen, muß sich daher mit deren objektiven Interessen identifizieren und ihre Klassenlage als Ausgangsbasis nehmen. Dabei hat sie sich nicht zu orientieren an traditionellen Ansprüchen oder ethischen Idealvorstellungen, die die Herrschaft weniger über viele legitimieren wollen, sondern an den Ergebnissen kritischer Forschung. Im Rahmen unserer Konzeption soll also versucht werden, adäquate pädagogische Verfahren zu entwickeln, die es ermöglichen, sowohl rationale Einsichten zu schaffen als auch die Voraussetzungen emanzipatorischen Handelns bei den Schülern zu fördern. Die eingehende Beschreibung der spezifisch psychischen Qualifikationen für emanzipatorische Handlungsfähigkeit soll hier nicht gegeben werden, da dies schon an verschiedenen anderen Stellen geleistet worden ist (siehe dazu u. a. Keller 1971). 2. Auf den folgenden Seiten 250 und 251 ist in einer Tabelle die aus unseren Vorerfahrungen und theoretisch-methodischen Voraussetzungen resultierende Forschungsstrategie dargestellt. Grundlage und Bezugssystem ist die phasenhafte Darstellung der zu erwartenden Gruppenprozesse. Zur Erläuterung dieser Tabelle sollen kurz einige Bemerkungen gemacht werden. Die schematische Darstellung darf nicht dazu verleiten, die einzelnen zu erwartenden Phasen des Gruppenprozesses in klarer Abhebung chronologisch aufeinander folgend zu interpretieren. Vorausgesetzt wird vielmehr, daß sie je nach Lernbereich und allgemeiner sowie individueller Lernsituation in unterschiedlicher Folge einsetzen und ablaufen können. Dabei ist damit zu rechnen, daß insbesondere frühere Phasen häufig wiederholt durchlaufen werden. Grundsätzlich jedoch liegen die Phasen auf steigenden Abstraktionsebenen, sie implizieren eine steigende Intensität und Komplexität der Wahrnehmungsfähigkeit sowie die zunehmende Kompetenzerweiterung aller Beteiligten. Der Zusammenhang der einzelnen Phasen kann im übrigen dadurch gekennzeichnet werden, daß die outputs (Lern- und Untersuchungsziele) der früheren die inputs (Interventionsstrategien) der jeweils folgenden Phase ausmachen. Als Beispiel sei der Uber gang von der von uns skizzierten Phase eins zur Phase zwei genannt. Als Voraussetzung für die als Lern- und Untersuchungsziele der Phase zwei genannten Initiativen (Artikulation der eigenen Schwierigkeiten und Bedürfnisse) müssen neue Kommunikationsmöglichkeiten geschaffen werden. Dies kann dadurch geschehen, daß die Beteiligten mit ihrem eigenen Sprachverhalten konfrontiert werden, was wie-

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derum nur möglich ist durch vorausgehende Anerkennung der eigenen Umgangssprache als Kommunikationsmedium (Lernund Untersuchungsziel der Phase eins). Ein erster Erfolg dieser Art hat symbolische Bedeutung im Sinne eines positiven »Reinforcement«. Die Beziehung zwischen outputs (Lern- und Untersuchungsziele) und inputs (Interventionsstrategien) der vorliegenden Tabelle ist daher als ein sich selbst regulierender Prozeß zu verstehen. Die Unterscheidung zwischen Zielen und Strategien wurde nur zum Zweck der übersichtlichen Darstellung gemacht. Dies impliziert ebenfalls, daß Interventionen nur insofern von außen (Forschungsteam) in den Gruppenprozeß eingebracht werden, als in der Gruppe selbst entstandene Motivationen und Initiativen unterstützt und verstärkt werden sollen. Für den Gesamtforschungsprozeß ergibt sich, daß die übliche Trennung von Forschungssubjekt und Forschungsobjekt im Verlauf des wissenschaftlichen Erkenntnis- und Innovationsprozesses aufgehoben und die Unterscheidung zwischen Forschungs- und Servicefunktionen aufgelöst wird. Darüber hinaus wird im gesamten Forschungsvorhaben Kooperation zwischen allen Beteiligten (Schüler, Lehrer, Forscher) auf folgender Basis angestrebt: (1) gemeinsame Festsetzung der allgemeinen Ziele sowie der Formulierung der konkreten Forschungsfragen unter Berücksichtigung der besonderen Interessen der beteiligten Gruppen; (2) gemeinsame Datenauswertung und Festsetzung der zu ziehenden Folgerungen; (3) gemeinsame Entscheidungen, um Veränderungen im Praxisfeld zu bewirken. 4 Problematik und Funktion der Kontroll- und Beobachtungsverfahren Selbstverständlich unterliegt das gesamte Forschungsvorhaben wie jedes wissenschaftliche Untersuchungsprojekt der empirischen Kontrolle. Die Problematik der Anwendung empirischer Kontrollverfahren in diesem Programm besteht darin, daß die Herauslösung einzelner zu untersuchender Variablen aus der Komplexität des Feldes die dynamische Wechselwirkung der Ganzheit der Wirkungsfaktoren nicht berücksichtigen kann, zusätzlich eine solche Herauslösung aber diese Dynamik selbst in schwer kontrollierbarer Weise beeinflussen kann. Empirische Kontrollverfahren reduzieren das Geschehen auf quantitativstatische Momente. Es müssen also Beobachtungsverfahren gewählt werden, die der Komplexität des Geschehens zumindest annähernd gerecht werden, ohne zu starke Eingriffe in den

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Modellhafte Darstellung der aus den Vorerfahrungen und theoretischen Voraussetzungen resultierenden Forsdoungsstrategien — Phasenhafte Darstellung des Gruppenprozesses Phase:

Interventionsstrategien

Lern- und Untersuchungsziele

1) Abbau der eingeschliffenen Rollenschemata

Verweigerung der Lehrerrolle Rollenspiele bezogen auf vorgefundene Lernsituation repressionsfreie Diskussion von Texten, die mit der Sozialisation der Schüler korrespondieren Übertragung von Entscheidungskompetenzen an die Klasse

Angstreduktion Anerkennung der eigenen Umgangssprache als Kommunikationsmedium

2) Frustrations- und Aggressionsphase

Konfrontation mit eigenem Verhalten, z. B. durch Video- oder Tonbandprotokolle

Artikulation der eigenen Schwierigkeiten und Bedürfnisse

3) Bewältigungsphase (Individual- und Gruppenprobleme stehen im Mittelpunkt des Interesses)

Informationen über Einstellungen und Verhalten integrationsfördernde Rollenspiele Pro- und Contra-Spiele Konfrontation mit Einzelproblemen anhand von Analogsituationen feedback-geeignete Soziogrammergebnisse

Erhöhung der sozialen Sensibilität Erkennen von Gruppenstrukturen und deren sozialer Bedingtheit Integration von Außenseitern (Erhöhung der Toleranz gegenüber abweichendem Verhalten) Konfliktbereitschaft

Phase:

Interventionsstrategien

Lern- und Untersuchungsziele

4) Stabilisierungsphase

Vorschläge über mögliche Formen der Selbstorganisation Plan- und Entscheidungsspiele

eigenverantwortliche Herstellung einer Arbeitsatmosphäre Aufstellung von ersten Formen von Selbstorganisation zum Zwecke von eigenverantwortlicher Unterrichts-Planung, -Durchführung und "Kontrolle Erweiterung des reflexiblen Sprachgebrauchs Rollenübernahme und Rollendistanz

5) Ausweitungsphase

Selbsterfahrungsspiele Angebote von Methoden, Material und Informa-

Erkennen und Vermitteln der politischen Dimension sozialer Prozesse und Gegebenheiten Konkretisierung der politischen Lernmotivation instrumentelle Handhabung von Medien (Bücher, Bibliotheken, Kameras, Filme, Fernsehen, Zeitschriften) Bereitschaft zur Übernahme sozialer Verantwortung in Teilbereichen außerhalb des sozialen Systems Schulklasse

Ablauf zu bewirken. Um die unkontrollierte Beeinflussung des Geschehens möglichst zu reduzieren, ist es erforderlich, die Kontrollergebnisse an die Beteiligten zurück zu vermitteln, d. h. ein Optimum an Transparenz für alle zu gewährleisten. Diese Rückführung der gewonnenen Daten ist selbst ein Teil des Aktionsprogrammes, der zum Bestandteil des Innovationsprozesses wird {Kontinuität). Die möglichen Kontr oll verfahren müssen daher auch darauf hin überprüft werden, ob sie geeignet sind, einer 8. Schulklasse verständlich gemacht zu werden, und ob sie kontinuierlich angewendet werden können. Die in unserem Projekt vorgesehenen Kontrollverfahren entsprechen im wesentlichen diesen genannten Maßstäben. Um den Anforderungen an Komplexität, Transparenz und Kontinuität der Verfahrensabläufe gerecht zu werden, müssen aber spezielle Beobachtungsverfahren eingesetzt werden, die wiederum einerseits dem Anspruch einer optimalen Dokumentation zur Kontrolle gerecht werden und andererseits beliebig verfügbare Innovationsmöglichkeiten bieten. Anmerkungen 1 Als Beispiel dafür die Veröffentlichung: Harry Bullens, Sozialisation und emanzipatorisches Lernen, 1970. 2 Siehe hierzu: Barbara Schaeffer und Ursula Lambrou, Politik als Unterrichtsprinzip, 1972. 3 Siehe Kap. V des Buches von Sdiaeffer/Lambrou. Dort wird gezeigt, wie es der Lehrerin in einem langfristigen Prozeß gelang, die Schüler ihrer Klasse zur Selbstbestimmung in Fragen der Disziplin, des Lehrgebiets und der anzuwendenden Arbeitsmethoden zu motivieren.

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Hilke Peters / Irmgard Schleier Aktionsforschungsprojekt des Arbeitskreises für programmierte Instruktion in der Architekturlehre (APIA) 1 Darstellung des Projektes Das APIA-Forsdiungsprojekt ( = Arbeitskreis für programmierte Instruktion in der Architekturlehre) war als hochschuldidaktisches Projekt geplant mit dem Ziel der Exploration und Produktion von Lehrprogrammen als Studienbausteine für die Architekturlehre. Die Initiatoren waren Professoren und Studenten der Architekturabteilungen an den Universitäten Berlin, Hannover, Karlsruhe, Stuttgart und der Hochschule für bildende Künste Hamburg (und der ihr angegliederten Architekturabteilung). Formaler Träger des Projektes war ein universitätsunabhängiger Verein. Er stellte den Forschungsantrag an die VW-Stiftung, die die Finanzierung für die erste Phase des über drei Jahre geplanten Projektes bewilligte. Das Projekt wurde durchgeführt von wissenschaftlichen Mitarbeitern im Angestelltenverhältnis (Architekten, Psychologen, Soziologen, Pädagogen in den vier Projektgruppen Berlin, Hamburg, Hannover, Karlsruhe). Der Projektplan sah eine 1. Phase vorbereitender Entwicklungsarbeiten vor (durchgeführt von Oktober 1970 bis Oktober 1971) und eine 2. Phase der Programmproduktion, die sich über zwei Jahre erstrecken sollte, die aber vorzeitig von Seiten der VW-Stiftung abgebrochen wurde. (Die offizielle Stellungnahme der Stiftung begründete den Abbruch mit dem Hinweis auf eine Umorientierung in der Investitionsplanung für Wissenschaftsförderung.) Die Hamburger Forschungsgruppe wurde in das Projekt zu einem Zeitpunkt einbezogen, als schon ein Forschungsplan vorlag. Nach diesem Plan sollten die Bereiche >LehrstoffanalyseDarbietungsformen< (Medien) und >Testprogramme< arbeitsteilig von den vier Hochschulen bearbeitet werden. Dabei sollten die Projektträger zwar institutionell (per Lehrstuhl) an die Hochschule gebunden werden; sie verstanden sich jedoch als intern gesondert organisierte Gruppen mit einem Forschungs- und Planungsauftrag gegenüber einem Feld (der Studentenschaft der Hochschulen), das nicht als aktiver Partner in die Forschungsplanung mit einbezogen werden sollte. Die Hamburger Gruppe setzte sich in bezug auf die Forschungsstrategie und die Thematisierung gegen die vorliegende Projektplanung ab und erreichte damit partielle Umorientierungen. Diese Gruppe verstand den vorliegenden Projektplan und die

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damit verbundenen Organisations-, Finanzierungs- und Thematisierungsvorgaben als Angebot für die Hochschule, auf antizipatorisdier Ebene ein hochschuldidaktisches Problem — das erwartbare Problem zunehmender Technologisierung des Lernangebotes durch programmierte Instruktion und absehbare Folgeprobleme — konkret zu erarbeiten und sich vorwegnehmend mit der Entwicklung übergeordneter sozialer Lernformen dagegen abzugrenzen. Zugleich konnte dieses Problem als Anlaß und Medium interdisziplinärer hochschuldidaktischer Arbeit fungieren, weil es nicht (oder nur exemplarisch in der Konkretion von Programmen und Metaprogrammen) an bestimmte Fächer gebunden ist. 2 Legitimierungsprobleme im action research »Es ist anzunehmen, daß, um eine Kommunikation zwischen Untersuchern und Untersuchten herzustellen, beide ein ihnen gemeinsames Sprachspiel entwickeln müssen, dessen Regeln dann in das jeweils eigene Sprachspiel transformiert werden können, wobei allerdings wiederum diese eigenen Sprachspiele in bestimmten Grenzen einem Veränderungsprozeß unterworfen werden. Das bedeutet aber, daß sich ein sozialer Lernprozeß zwischen Untersuchern und Untersuchten entwickeln muß« (Haag 1971, S. 43). Die folgenden Bemerkungen beziehen sich auf einen Aktionsforschungsansatz, der ein kommunikatives System mit einem zum Problemgegenstand gemachten Teilsystem >Feld< (gleich ob unter dem Aspekt von Ideologiekritik, Feld-Beratung, experimentell umstrukturierender Planung oder unter dem Aspekt der Möglichkeit, die Normen des wissenschaftlichen Systems zu reflektieren) initiiert. Dabei wird der Anspruch erhoben, beidseitig die Chance zu Innovationen mitzuplanen, bzw. Rückkopplungschancen a priori abzusichern. Sie beziehen sich auf einen solchen Anspruch, um seine Implikationen über ein kommunikatives Drittsystem aus den Habermas'schen Dimensionen kommunikativer Kompetenz (Habermas 1971) herzuleiten, weiter, um eine solche Herleitung im Hinblick auf ihre Konsistenz und Vereinbarkeit mit der im Aktionsforschungskonzept zugleich explizierten Intention wissenschaftlicher Praxisplanung zu problematisieren. Die Verwendung der Habermas'schen Begriffe hat hier die Funktion, ein Modell zu liefern, anhand dessen die Ambivalenz von Aufklärungsansprüchen {Durchsetzung von Zielen) gegenüber einem Praxisfeld auf der einen Seite und systemtheoretisch orientierter Innovationsstrategien (Zielfindungsprozesse) auf der

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anderen Seite als problematisch im Rahmen von Aktionsforschungskonzepten dargestellt werden soll. Wir wählen das Habermas'sche Modell deshalb, weil der Begriff des »kommunikativen Drittsystems< zwischen Forschung und Feld, der >Aufbau eines gemeinsamen Sprachspiels< unter gleichgewichtiger Beteiligung des Feldes, zentrale Forderung innerhalb von Aktionsforschungsstrategien ist. Wir kritisieren an dieser Forderung, daß sie, in Bezug gesetzt zu der zweiten zentralen Forderung nach >planerisch innovatorischen Praxisübergriffens dieses Modell inkonsistent verwendet oder aber nicht ausreichend problematisiert. Unsere Kritik hat, auch wenn sie innerhalb der bekannten Kontroverse zwischen >Systemtheorie< und >Gesellschaftstheorie< entwickelt wird, nicht zum Ziel, uns selbst im Sinne der Habermas'schen Position zuordbar zu machen, sondern für uns ist die Handlungsrelevanz der Standpunkte aus dieser Kontroverse nicht auf ihrer Ebene selbst entscheidbar. Wir greifen die Kontroverse insofern auf, als sie — auf beiden Seiten — ILntsdieidungsnotwendigkeit systematisiert. Die Konsequenz, die wir ziehen, ist der Versuch, eine Reduktion durch Bezug auf ein konkretes Praxisfeld zu leisten, die uns auf der einen Seite Handlungsfähigkeit ermöglicht, auf der anderen Seite aber nicht die Problematisierung der auf dieser konkreten Ebene veränderten Legitimationsmodi ausschließt. Sofern Wissenschaft sich von intern ableitbaren Rationalitätskriterien zugunsten einer praxisgebundenen Problemorientierung emanzipieren will, sofern sie darüber hinaus intern stabilisierte Wahrheits- und Geltungsansprüche, als deren gesellschaftliches Artikulationsmedium sie sich auch verstehen kann, nicht zugunsten von Anpassungsleistungen an Rationalitäts(=Effektivitäts)kriterien bestehende Praxisbereiche auflösen, sondern in >praxisinnovierende< transformieren will, muß Konsensus aller Beteiligten die Bezugsebene zur Begründung von Handlungsfähigkeit, zumindest für das wissenschaftliche Teilsystem, sein. Denn das bedeutet die aktionsforschungsspezifische Problemorientierung auf der anderen Seite: daß Praxisfelder entweder im Hinblick auf Probleme innoviert werden, die sie selbst zu artikulieren nicht in der Lage sind (also Einbringen von Problematisierungen als Einbringen von Möglichkeiten anderen Handelns), oder daß praxisintern bereits thematisierte Probleme vom Wissenschaftssystem artikuliert und auf Lösungsmöglichkeiten überprüft werden. In beiden Fällen impliziert die Problemorientierung Aufklärungsansprüche: Aufklärung über andere Möglichkeiten bzw. Absicherung der Möglichkeit von Aufklärung, d. h. systematische Absicherung selbstreflexiver Initiativen. Wenn man den Anspruch kommunikativer Planungsprozesse mit

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einem »problematischem Teilsystem auf diese beiden Begriffe »Konsensus über Problematisierungen< auf der Mittel- und »Absicherung von Aufklärungsmöglichkeiten< auf der Zielebene interpretiert, stellt er sich als verständlicher, aber — auch bekannterweise — als widersprüchlicher Anspruch. Aktionsforschung muß als »eine mit dem Problembegriff arbeitende Theorie . . . Aussagen über (ungelöste) Probleme und über Problemlösungen zugleich bereitstellen, sich also auf einen offensichtlichen Widerspruch einlassen... Man kann aus Problemen keine bestimmten Problemlösungen deduzieren, weil der Problembegriff impliziert, daß — und nur dann sinnvoll ist, wenn — es mehrere Lösungen gibt« (Luhmann 1970, S. 261). Die Verwissenschaftlichung politischer Prozesse wird allerdings erst dann in den genannten Widerspruch verwickelt, wenn es nicht um die Realisation von >nur< Aufklärung geht, die ein elitäres aufklärendes System zu politischen Strategien verarbeiten muß, um mit Bezug auf einen endlichen Prozeß der Aufhebung von Wissensdiskrepanzen zu arbeiten, sondern wenn es sich als innovierendes — und Innovationsmöglichkeiten für die Zukunft absicherndes — System begreift, das sich selbst, sein eigenes Wissen, seine eigenen Systemzusammenhänge als aufklärungsbedürftig mitbegreift. Ein solcher Partner muß daher als kommunikativ kompetenter, d. h. auf irgendeiner Ebene als konsensusfähiger Partner fungieren können, weil die Kriterien für die Adäquanz eingebrachter Problematisierungen und Problemlösungen nur durch ihn bereitgestellt werden können, bzw. planerische und innovatorische Leistungen nur im Hinblick auf ihn evaluierbar werden. Ein Aktionsforschungsansatz versucht diesen widersprüchlichen Anforderungen dadurch zu begegnen, daß er sich Vorgaben von Problemdefinitionen soweit als möglich enthält, was allerdings das Dilemma insofern nicht löst, als die Initiation einer explorierenden und planenden Kommunikation mit einem Teilsystem sein >Problematisch-Sein< voraussetzt und sich im Intersystemkontext von Wissenschaft nur wieder entweder über konsensuale Problematisierung mit öffentlichen oder politischen Instanzen rechtfertigen läßt oder über die Zugabe, daß das Wissenschaftssystem über eine Vorrangstellung in bezug auf Problematisierungsfähigkeit im Sinne des >man of knowledge< verfügt. Mit dem theoretischen Entwurf eines kommunikativen Drittsystems zwischen Forschung und Feld hält man es für möglich, die >systematisch< unterschiedlichen Verständnisse über den Sinn von Handlungen der beiden betreffenden Teilsysteme zumindest partiell zur Konvergenz zu bringen, d. h. eine konsensusfähige Partnerschaft, auf welcher Sprachebene auch immer, konkreti-

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siert herzustellen, deren Konsensus sich sowohl in Hinblick auf die Definition von Problemen als auch auf die Planung zukünftiger Problemlösungen des betroffenen Systems als tragfähig erweisen kann. Die Voraussetzungen, die an ein solches kommunikatives System gestellt werden müssen, entsprechen denen, die Habermas für sein Diskurskonzept in Anspruch nimmt, und zwar grundlegend als die Regeln, mit denen eine »ideale Sprechsituation< von den sprechenden Partnern kompetent entworfen werden kann. In dem kommunikativen Drittsystem des action-researchAnsatzes müssen die Normen wissenschaftlichen Handelns mit den Normen des zum Gegenstand gemachten Teilsystems zu einem gemeinsamen (verbal-sprachlidien oder nicht-sprachlichen) Regelsystem integriert werden. Auf der Basis dieser gemeinsam hergestellten Metaregeln soll abgesichert sein, daß beide Partner gleichberechtigt und kompetent (qua Wissen und Beteiligtsein im Prozeß der Herstellung der Metaregeln) in diesem System operieren können. Dabei ist einbezogen die mögliche Veränderung und Auflösung dieses Systems, d. h. die Gleichverteilung von Risiko und Verantwortlichkeit. Da aber der Prozeß der Etablierung solcher Metaregeln wiederum beidseitig kompetent eingeleitet werden soll, verschiebt sich die Bedingung einer vorgängig gemeinsamen Sinninterpretation und der regelhaften Operationalisierung im Drittsystem nur auf eine andere Ebene. Habermas rekurriert hierbei auf pragmatische Universalien, d. h. in sprachlichen und auch nicht-sprachlichen Ausdrücken implizierte — in jedem Fall aber sprachlich explizierbare — Regeln, mit denen eine Kommunikationssituation zwischen Partnern oder Systemen entworfen werden kann. Ein solcher, auch dem action-research-Konzept zugrunde gelegter, sprachtheoretischer Ansatz scheint so lange plausibel, als man mit dem Begriff der pragmatischen Universalien darauf rekurriert, daß die Beziehungen zwischen systeminternen Sinnzusammenhängen und ihrer verbalsprachlichen Explizierbarkeit in allen irgendwie sprachkompetenten (gleich welcher Differenzierung) Sozialsystemen universal und grundlegend ähnlich geregelt sind, d. h. darauf rekurriert, daß ein übergeordneter Sinnzusammenhang vorgängig besteht, auf dessen Basis der Vorgang der Explikation von Regeln gleichlautend interpretiert werden kann, und auf deren Basis die Explikation von Regeln wiederum regelhaft ist. Für einen action-research-Ansatz, der als Medium dieses gemeinsamen Regelungsprozesses eine durch Bezug auf ein Adressatensystem jeweils veränderte Wissenschaftssprache annimmt, würde letzteres bedeuten, daß die Funktion von Wissenschaftssprache in Hinblick auf die Explikation von Normen

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des wissenschaftlichen Teilsystems gleichgesetzt werden kann mit der Funktion von Sprache zu spezifischen Regelungsformen innerhalb eines beliebigen Adressatensystems. Denn diese funktionale Äquivalenz würde erst sowohl Möglichkeit wie Notwendigkeit zur Kommunikationsaufnahme mit einem fremden System absichern, denn sie wäre nur auf dieser Basis von beiden in gleicher Weise als sinnvoll zu betrachten und symmetrisch. Hier aber wiederholt sich der schon auf anderer Ebene oben beschriebene Widerspruch, solange man darauf beharrt, daß wissenschaftliche Normen sich gerade dadurch gegenüber anderen Systemen funktional abgrenzen lassen bzw. nur in dem Maße gegeben sind, wie sie sich reflexiv auf andere Sprach- und Regelungsebenen beziehen, um sie zu explizieren und nachzuvollziehen. Wenn auch die Kommunikation mit einem Feld mittelbar zur Klärung wissenschaftsinterner Probleme aufgenommen wird, wird der Diskurs mit dem Feld von Seiten des Wissenschaftssystems in einem Systemübergriff antizipierter, fremder Probleme hergestellt und hat nur Mittelfunktion für die interne Problematisierungsfähigkeit. Diskurse im Habermas'schen (und auch hier unterstellten Sinn) sind aber nur dann möglich und sinnvoll, wenn es für beide Partner darum geht, vorgängig konkret bestehende Geltungsansprüche über den Sinn systeminterner Handlungen gegenüber anderen zu begründen und zu problematisieren. Das setzt voraus, daß überhaupt bei beiden Partnern Geltungsansprüche bestehen, die den in Frage kommenden Kommunikationspartner betreffen, bzw. mit seinen konfligieren, weil sonst kein Anlaß zur Kommunikationsaufnahme bestünde. Da aber die Funktion eines wissenschaftlichen Teilsystems gegenüber anderen Teilsystemen zwar wohl die sein kann, übergeordnete Geltungsansprüche im Sinne eines Aufklärungskonzeptes anzumelden und in einem Prozeß >zwanglos< akzeptabel zu machen, nicht aber die ist, Geltungsansprüche des eigenen Systems mit denen des Feldes direkt zu konfrontieren, sind die Möglichkeiten zur Etablierung einer gemeinsamen Sprechsituation (gemäß dem Diskurskonzept) nicht gegeben. Denn solange nicht auf dem gleichen Niveau, d. h. unter gleicher Durchsetzungs- und Legitimationsforderung, Geltungsansprüche artikuliert werden, besteht nicht die Chance zu Konflikten zwischen Geltungsansprüchen, demnach weder Chance noch Notwendigkeit zur Problematisierung von Geltungsansprüchen in einem gemeinsamen Diskurs. Unter diesem Aspekt stellt sich das Problem einer bilateral kompetenten Kommunikationsbeziehung nicht deshalb als unmöglich, weil Diskongruenzen in Hinblick auf Wissen und Problematisierungskompetenz bestehen, sondern

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weil das initiierende System nicht für die Notwendigkeit sorgt, seine Kompetenz auf der Ebene konkreter Geltungsansprüche unter Beweis zu stellen, sondern sich dieser Möglichkeit geradezu systematisch enthält. Diese mögliche Quelle für Innovation wird funktional in den Transformationsvorgang der Feldkommunikationsergebnisse eingelagert. Nur in diesem Transformationsvorgang werden wissenschaftsinterne Geltungsansprüche aktualisiert, und nur hier wird die Konfrontation mit interpretativ aktualisierten Geltungsansprüchen des Partners angesiedelt. Der Transformationsvorgang wird per Definition gerade nicht als konkrete kommunikative Beziehung zwischen den Partnern über je intern bestehende und gemeinsam problematisierte Geltungsansprüche gesehen. Während das Feldsystem die Problematisierungen, die aus der seine Probleme betreffenden Kommunikation hervorgegangen sind, in eigene Handlungsstrategien umsetzt oder Handlungsanweisungen in systeminterne Regeln transformiert und dieser Prozeß auch kommunikativ, d. h. unter Beteiligung des Wissenschaftssystems in Grenzen erfolgen kann, transformiert das Wissenschaftssystem nur den in der gemeinsamen Kommunikation geleisteten Umgang mit fremden Problemen in seine Sprache, d. h., es bringt seine eigenen Probleme erst vor, indem es diesen Umgang als regelhaft zu beschreiben versucht. Zentrales Problem im Entwurf einer Aktionsforschungsstrategie ist die selbstgewollte Ambivalenz der Legitimationsmodi wissenschaftlichen als politischen Handelns. Es widerspräche den Vorstellungen von Aktionsforschung geradezu, wenn eine konsequente Ableitung eines Aktionsforschungskonzeptes aus gesellschafts- (implizite wissenschafts-)theoretischen Begründungszusammenhängen an dieser Stelle leistbar wäre. Das Aushalten dieser Ambivalenz, das dennoch im Sinne von handlungsze>i//ig oder reduktionsfähig Handlungsfähig-Bleiben weist zugleich am anschaulichsten unser Verständnis von Aktionsforschungsstrategien aus: nämlich einen Handlungsentwurf, einen planerischen Ubergriff auf einen Praxisbereich zu leisten, ohne zugleich die Dimensionen der Handlungskontrolle mitliefern zu können. Wir gehen also Handlungen ein mit dem Wissen, daß ihre Legitimationschancen, wenn schon sicher nicht in traditionellen Standards wissenschaftlicher Rationalität, ebenso sicher nicht in den Effektivitätskriterien des zum Gegenstand gemachten Praxisbereiches liegen, darüber hinaus auch nicht allein mit der Intention, problemorientiert zu planen und zu forschen, abgesichert sind. Der Hinweis auf problemorientierte Forschung scheint uns so, wie er in bestehenden Aktionsforschungskonzepten aufzufinden

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ist, eine als Forschungsintention zwar verständliche und notwendige, aber — ohne weitere Rückfragen — verschleiernde Interpretation des Legitimationsproblems von Systemübergriffen zu sein. Das ist der Fall, wenn durch das Stichwort »Problemorientierung< von wissenschaftlichen Teilsystemen ein Legitimationsvorgriff bezogen auf gesellschaftliche Praxis gemacht wird, indem der Prozeß der Problemfindung nicht mitgenannt wird, sondern einem »interessierendem Handlungsfeld a priori ein >Problematisch-Sein< unterstellt wird. Wenn man zugrunde legt, daß die Legitimationsstruktur eines Systems zugleich seine grundlegenden Reduktions- bzw. Problematisierungsstrategien beinhaltet, erfüllen wir allerdings mit der eben ausgesprochenen Erwartung möglicher Legitimationsunfähigkeit bezogen auf das eigene Vorgehen gerade diese Notwendigkeit nicht. Wir müssen deshalb zu anderen Reduktionsstrategien greifen: Das Legitimationsproblem stellt sich dann anders, wenn das wissenschaftliche Teilsystem nicht, wie üblich, einen wie auch immer gearteten Übergriff auf einen »Objektbereich< rechtfertigen muß, sondern wenn es ein Handlungskonzept mit dem Ziel der Selbstreflexivität erstellt und dieses nicht nur als notwendiges Nebenprodukt oder gleichwertige Dimension wissenschaftlichen Handelns, sondern als initiierendes Moment akzeptiert. Dabei sei betont, daß wir uns mit dieser Forderung, den Praxisbezug wissenschaftlichen Handelns darüber herzustellen, daß wir als Gegenstandsbereich das Feld wissenschaftlicher Sozialisation im Selbstbezug wählen, nicht zugleich den Anspruch erheben, damit einen auf die Forschungspraxis von action research generalisierbaren Entwurf einer Neufunktionsbestimmung sozialwissenschaftlichen Handelns zu erstellen, sondern wir kennzeichnen mit dieser Forderung nur, über welche Reduktionsformen wir trotz im folgenden noch zu problematisierender Widersprüche von Aktionsforschungskonzepten zu einem Projektentwurf kommen. Wir können hier keinen generellen Lösungsentwurf anbieten. Zur Darstellung unseres Projektes reicht es unter der genannten reduzierenden Dimension der Selbstreflexivität von Wissenschaft aus, wenn wir in der Lage sind, kenntlich zu machen, daß das Problem der Selbstreflexivität innerhalb des Feldes >Hochschule< thematisch ist; das Problem der Problem- bzw. Interessenantizipation und das ihrer Rechtfertigung fällt damit fort.

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3 Forschungsprogramm 3.1 Kritik des Konzepts programmierter Instruktion (P. I.) Sowohl staatliche Planungsinitiativen als auch die Entwicklungsarbeit privater Produktionsbereiche weisen darauf hin, daß die bestehende und sich ständig vergrößernde Kapazitätslücke im tertiären Ausbildungssystem erkannt wird und Konsequenzen daraus gezogen werden. Einmal deutet sich die Möglichkeit der Verlagerung von Ausbildungsfunktionen in den Produktionssektor selbst an, zum anderen wird sowohl im Hochschulbereich als auch im Produktionssektor die Chance gesehen, die notwendigen Erweiterungen über den Einsatz moderner Technologien zu realisieren. In Hinblick auf die begrenzte Kapazität staatlicher Haushalte einerseits und die Interessenlage privat produzierender Firmen und Verlage andererseits scheint die Befürchtung berechtigt, daß solche Konzeptionen qualitativer und quantitativer Veränderungen eher eine Rationalisierung — im Sinne von Verkürzung — der Studienabläufe vorsehen, als methodisch-didaktische Umstrukturierungen im Hochschulbereich einzuleiten. Die gegenwärtig einzig denkbare >Autonomie< von Hochschulen im Sinne von Verfügen über Ziele und Strukturen ihres Systems ist nur herstellbar innerhalb der Institution selbst als >MetastrukturUmgang< mit Technologien. Ein solcher Anspruch ist nicht zu verstehen als Autonomiestreben wissenschaftlicher Systeme, d. h., er besteht weder auf der Orientierung an den immanenten Notwendigkeiten einzelner Fachwissenschaften noch auf der unvermittelten Deduktion wissenschaftlicher Postulate aus dem gesellschaftlichen Kontext beruflicher Tätigkeit, sondern dieser Anspruch wird gestellt in Hinblick auf notwendige emanzipatorische Ausbildungsfunktionen des tertiären Bereichs. Solche emanzipatorischen Sozialisationsziele orientieren sich generell an folgender Hypothese: Die kompetente Ausübung gesellschaftlich notwendiger Berufe kann künftig nicht mehr allein über die Reproduktion von Wissen geleistet werden, sondern der Bedarf an generativen Fähigkeiten wird sich in allen Bereichen beruflicher Praxis permanent erhöhen. Gleiches gilt dann vor allem auch für wissenschaftliche Ausbildungssysteme, die Entwurfs- und Planungsaufgaben übernehmen bzw. die Übernahme solcher Funktionen tendenziell anstreben. Das bedeutet, daß Zielprojektionen im tertiären Bereich sich an der Konzeption innovativen Lernens orientieren müssen, d. h. an der Ausbildung von Arbeitsstrategien und Qualifikationen, die es ermöglichen, situative Kontexte tendenziell zu transzendieren.

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Mit der P. I. wird ein behavioristisches Lernkonzept wie folgend konkretisiert: Für den Lerner wird ein Kontext, eine >Binnenrealität< hergestellt und konstant gehalten, indem die Dimensionen der Interpretation von Handlungen immer gleichlautend vorgegeben und perpetuiert werden. Hier wird eine Realität ausgegrenzt, d. h. eine kommunikative Situation etabliert, in der die pragmatische Dimension von Handlungen (über sprachliche Akte hinaus) eindimensional durch ständige Reproduktion von Wahr-falsch-Interpretationen festgelegt ist. Operationen, die der Lerner konkret vollzieht, lassen selbst keine Rückkopplung auf dieser >Sinnebene< zu, sondern alle Möglichkeiten reflexiven Verhaltens sind unter der generellen Rückkopplung über die Wahrfalsch-Vorgaben subsumiert. Die kommunikative Situation in der P. I. unterscheidet sich von der asymmetrischen, über institutionell fixierte Rollendiskongruenzen determinierten LehrerLerner-Kommunikation im traditionellen Klassenkontext nur dadurch, daß die Kontrolldimensionen für erfolgreiches Handeln nicht mehr an die Position des Lehrers — und den damit (durch person-gebundene Konkretion von Kontrolle) noch gegebenen Interpretationsspielraum — geknüpft sind, sondern in übergeordneten Kontexten vorgeplant werden und damit zugleich an Durchschaubarkeit und Relativierungsmöglichkeiten einbüßen, wie sie der Lerner im Fall person-gebundener Kontrolle noch hat. Verstärkend wirkt sich dabei auf die Undurchschaubarkeit der Kontrolle ihre durch das Medium bedingte sprachliche Abstraktionshöhe aus. Die die P. I. begründende Lerntheorie basiert zwar mit der kybernetischen Betrachtungsweise von Lernsituationen auf einem grundsätzlich funktionalen Konzept, in der abgeleiteten Didaktik werden jedoch die Dimensionen für Funktionalität nicht dem aktuellen Lehrer-Lerner-System per Herstellung oder Reflexion als je zugänglich betrachtet, geschweige denn zugänglich gemacht, sondern sie werden in nicht überschaubare Kontexte hinausverlagert. Der Erwerb von Fähigkeiten, die in bestimmten Systemzusammenhängen einsetzbar sind und unter den jeweiligen Systembedingungen dann als funktionale betrachtet werden können, ist explizites Lernziel, das sprachlich vermittelt wird und sich auch in sprachliche Handlungsanweisungen und Problemstellungen im konkreten Unterrichtsprogramm umsetzt. Unberücksichtigt bleibt, daß ebenso die Regeln, über die vermittelt wird, was funktional sein kann (z. B. in der Programmplanung), so nicht lernbar sind, sondern nur durch die Notwendigkeiten in kommunikativen Situationen aktualisierbar sind. Unsere Kritik geht dabei davon aus, daß der kommunikative

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Kontext von Lehrer-Lerner und Lerner-Lerner, wenn er als wesentlichster Teil didaktischer Strategien aufgefaßt wird, ein Potential für die konkrete Simulation kommunikativer Handlungsbezüge darstellt, bzw. dieses Potential durch Erweiterung der Außenbezüge hereinholen kann. Für eine Lerntheorie, die mit dem Konzept kommunikativer Kompetenz arbeitet, bedeutet das: Wenn die pragmatischen Regeln zunächst generell umstrukturierbar sind, ist auch denkbar, daß diese Regeln vom Lerner selbst neu-strukturiert werden können, bzw. kompetent handhabbar werden können. Eine didaktische Strategie, die dies über Veränderung des Handlungskontextes einer institutionsgebundenen Lernsituation erreichen will, muß die Lernsituation so einrichten, daß sie für den Lerner relevante externe Handlungssysteme repräsentieren, bzw. exemplarisch einbeziehen kann. Das Lernsystem ist nur dann dazu fähig, möglichst unterschiedliche externe Handlungsbezüge intern zu simulieren, wenn es über überschaubare Regelungen der Kommunikations- und Rollenstrukturen verfügt, bzw. die Regeln transparent machen und mit den Beteiligten etablieren kann. Dazu muß es sich zunächst wiederum auf grundlegende Regeln berufen, an denen erst einmal der Reglungscharakter von Regeln, d. h. ihre Herstellbarkeit, exemplarisch eingeführt werden kann. Habermas stützt sich in der Behandlung dieses Problems innerhalb seines Konzeptes kommunikativer Kompetenz mit der >Konsensustheorie der Wahrheit< auf den Faktor der »experimentellen Nachprüfbarkeit< als Dimension für grundlegende, intersubjektiv >sinnvolle< Erfahrung bzw. Handlung. Die kompetente Anwendung von Handlungsregeln, d. h. die Anwendung, die die Möglichkeit der Generierung von Regeln mitbeinhaltet, erfordert im Rahmen einer Didaktik ein Angebot von Handlungszusammenhängen für den Lerner, in dem von allen Beteiligten Konsensus über die Funktion von Handlungen erreichbar ist, bzw. in dem die Möglichkeit von Konsensus durch die Beteiligten unterstellt werden kann. Die Regeln, mit denen ein Konsensus hergestellt werden kann, können auf unterschiedlichen Ebenen liegen, d. h. auf unterschiedlichen Vorverständnissen aufbauen. Die intersubjektive Interpretation von Handlungen im Bereich des Handelns mit >Objekten< ist zumeist durch beobachtbare Veränderungen von Objekten als Folge der Manipulation mit Objekten gesichert, und zwar durch Interpretation in Ursache-Wirkung-Relationen, der eine Einigung auf Beobachtungsdimensionen vorausgeht. Referenz für die Überprüfbarkeit ist also durch das >Objektsystem< selbst durch implizite oder explizite Angabe von Meßverfahren mitgeliefert und garantiert

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die Möglichkeit des Nachvollzuges durch operationalisierte Konventionen. Handlungen zwischen Subjekten, die nicht über die Mittelebene in dieser Weise meßbarer Objektveränderungen laufen, müssen, um nachvollziehbar zu sein, die Dimension des Nachvollzuges in anderer Weise mitliefern. Eine grundlegende Dimension ist z. B. die der von vornherein antizipierten Zurechnungsfähigkeit des Kommunikationspartners. Andere wären die Formen des Hintergrundsverstehens, die sich auf material konkretisierte Institutionen berufen, z.B. die Anordnung von Objekten in einem Kaufhaus, die die Dimensionen möglicher Handlungen (also >verstehbarer< Handlungen) in diesem Kontext determinieren. Ein Konzept kommunikativer Kompetenz kann sich aber positiv nur auf die Formen von Hintergrundsverstehen beziehen, die auch kompetent, d. h. als explizierbare Regeln anwendbar sind. Habermas bindet diese Kompetenz im Rahmen seiner Theorie pragmatischer Universalien an die Doppelstruktur der Verbalsprache, durch die sie auf sich selbst reflexiv werden kann. Die wesentliche Unterscheidung zwischen verbalsprachlich gesicherter Reflexivität und einer über andere Handlungsformen möglichen Reflexivität liegt aber darin, daß Sprache die immer gleichzeitige Metakommunikation auf der gleichen materialen Ebene möglich macht, d. h., daß die Regeln für den pragmatischen Sinn von Ausdrücken ebenso handhabbar und explizierbar sind wie die Ausdrücke (bzw. Handlungen) selbst. Diese Differenzierung verbalsprachlicher Leistung wirft für uns die Frage auf, mit Hilfe welcher (auch nichtsprachlicher) medialer Regelungen der pragmatische Sinn einer Kommunikation kompetent expliziert werden kann, bzw. die Kommunikationssituation konstituiert werden kann. Über eine in dieser Weise ausgeweitete Medienproblematisierung liegt wenig Material vor. Traditionelle Didaktiken orientieren sich im allgemeinen an inhaltsimmanenten Kriterien, d. h. an einer >sachlogischen Abfolge von InhaltenLernen< muß also unter medialem Aspekt neu eingegrenzt werden und auf die hochschuldidaktische Problemstellung übertragen werden. 3.2 Institutionelle Voraussetzungen Gemäß unseres Projektanspruches müssen wir nun im folgenden nachweisen, in welcher Weise diese komplexe Thematisierung von >Lernen< dem Selbstproblematisierungsstand der Hochschule entspricht und auf der Basis welcher institutionsinternen Voraussetzungen diese Thematisierung für studentische Arbeitsgruppen relevant ist. Weiter müssen wir nachweisen, in welchen for-

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mellen und informellen Strukturierungsvorsdilägen einzelne Hodisdiulgruppen diese Problematisierung schon planerisch aufgegriffen haben und in welcher Weise sich unser Projektansatz in diese bestehenden Institutionalisierungen integriert, bzw. sie erweitert. Die Kunsthochschule nimmt, gemessen an anderen universitären Ausbildungsbereichen, eine Sonderstellung ein in bezug auf die Heterogenität ihrer Mitglieder (Sozialisationsvorstruktur, Berufsperspektiven) und in bezug auf die Stringenz und Differenziertheit von Leistungsanforderungen und ihrer Umsetzung in curriculare Vorgaben: Unterbestimmtheit der Berufsrollen, entsprechend keine vorgegebenen Qualifizierungswege, unbestimmte, nicht in Studiengängen strukturierte Lehrstoffangebote. Das Fach Architektur hingegen ist, losgelöst betrachtet von seiner institutionellen Integration in eine Kunsthochschule, also im Vergleich mit seiner Ausbildungsform an technischen Universitäten, relativ determiniert bezogen auf Antizipierbarkeit traditioneller Berufsrollen und bezogen auf Paketierung und fest strukturierte zeitliche Abfolge von Lernstoffen. Hier ist also durchaus eine diesen traditionellen >Inhalten< entsprechende Übernahme von Lernangeboten durch das Medium P. I. vorstellbar. Für unseren Ansatz sichert diese Ausgangslage die Relevanz der Thematisierung von P. I. ab: sie ist, anders als in den übrigen Abteilungen der Kunsthochschule, nicht so ganz fern jeder Faktizität gestellt. Einmal ist die primär in Kursen und Vorlesungen strukturierte Lernform dieses Faches mit den Lernsituationen P. I. vergleichbar und läßt demnach ähnliche Probleme ableiten, zum anderen kann abgesehen davon das Problem der Technokratisierung über Medien als hochschuldidaktisches Problem nur über solche in der institutionellen Struktur der Hochschule festgemachten Antizipationsleistungen angegangen werden und nicht erst an faktischen Konsequenzen ansetzen. Wenn einmal Curricula von Hochschulen in Form individuell abrufbarer Informationspakete verabreicht werden, ist die Chance zu hochschulinterner Interessenartikulation und Unfriedensäußerung durch die damit — medial — hergestellte Vereinzelung von Lernern radikal eingeschränkt. Die Diskrepanz von Orientierungs- und Arbeitsformen zwischen Architekturabteilung und dem übrigen institutionellen Kontext scheint uns der Grund für die an dieser Hochschule verstärkt einsetzende Neuorientierung von Gruppenarbeitsformen zu sein. Mit einer solchen Tendenzinterpretation beziehen wir uns auf Planungen und Argumente, die hier in den letzten Jahren auf hochschulinternpolitischer Ebene artikuliert wurden. So war

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(und das lieferte organisatorisch die Ausgangsbasis für unsere Projektintegration) ein hochschuldidaktisches Tutorenexperiment vorgesehen und wurde auch durchgeführt; die viel zu hohen Erwartungen, die an seine Funktion gestellt wurden, waren auch Ursache seines Scheiterns, lassen aber darüber hinaus ablesen, wie weitgehend die Hochschule ihre interne Lernstruktur (und nicht nur die hochschulpolitischen Abhängigkeitsverhältnisse!) zu problematisieren in der Lage war und inwieweit sie fähig war, Umstrukturierungsprozesse einer Institution nicht nur als eine auf der Zielebene punktuell zu formulierende Notwendigkeit zu sehen, sondern als ein generelles Konzept institutionell abgesicherter explorativer Praxis. Daß die institutionellen Bedingungen solchen selbstreflexiven Prozessen und Antizipationsleistungen nicht nur nicht entsprechen, sondern sie eher verhindern, wird deutlich, wenn man folgende Aspekte berücksichtigt: — von Seiten der fluktuierenden Mitglieder (der Studenten) ist das Interesse an der Institution notgedrungen ein >ObergangsinteresseOrientierungsproblematik< (Lösung von Vorstrukturierungen und Adaptation hochschulspezifischer Normen), >Lernmotivation< usw. beschrieben werden kann. Diese Gruppe ist, bezogen auf den Arbeitsgegenstand, als nicht arbeitsteilig vorgesehen. Das ergibt sich daraus, daß die Klärung verschiedener Sozialisationsbezüge als Bedingung des Lernverhaltens sinnvoll nur am Individuum ansetzen kann, d. h. innerhalb einer möglichst heterogenen Gruppe in bezug auf Vorbildung (zweiter Bildungsweg, Berufsausbildung, Abitur). Das bedeutet weiter, daß der Arbeitsgegenstand dieser Gruppe exemplarisch gewählt wird und sich nicht unbedingt an einer spezielleren Fachrichtung orientieren muß. Ziel dieser Gruppe ist die Umstrukturierung des Personalsystems des Lerners zur Möglichkeitsfindung und Ausbildung von Alternativen, d. h. die Erschließung von Handlungsfeldern innerhalb der Hochschule. Der Medieneinsatz hat hier die Funktion, die Transformation der Lernergebnisse in die Struktur der Hochschule zu leisten, d. h., als Ergebnis dieser Gruppe ist die Erstellung medial strukturierter Lerneinheiten (Metaregeln für Medieneinsatz) vorgesehen. Das Problem der Reflexivität stellt sich in dieser Gruppe vor allem unter der Frage nach den Bezugspunkten, die für das Reflexivwerden im aktuellen Gruppenkontext aufgefunden oder hergestellt werden können: — die historische Dimension von Handlungszusammenhängen der einzelnen Mitglieder aus der vorinstitutionellen Phase (Schule, Beruf), — Ereignisse aus der Orientierungsphase innerhalb der Institution, — Bezugspunkte aus den bereits in der Gruppe gemeinsam erlebten Situationen,

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— oder der jeweilige Rückbezug in der aktuellen Gruppensituation. Weiter ist zu untersuchen, wie sich die Notwendigkeiten für reflexive Prozesse ergeben, ob und in welcher Form dafür Anlässe geboten oder Konflikte erzeugt werden müssen, welche Funktion die externe Verknüpfung der Mitglieder in relevanten parallelen Bezugsgruppen hat und inwieweit der Einfluß solcher »sozialem Umfelder innerhalb und außerhalb der Institution für die Forschungsgruppe einsehbar bzw. eventuell herstellbar sein kann. 3. Vorgehen: Die historische Situation der Hochschule, ihre Entstrukturiertheit, bedingt eine besondere motivationale Struktur der Untersuchungsgruppe, auf die mit entsprechend unterschiedlichem Vorgehen von Seiten der Forschung eingegangen wurde. Im Fall dieser Gruppe fanden wir eine Diskrepanz zwischen Ziel- und Handlungsebene der Studenten vor. Die von der Gruppe selbst vorgebrachten Einstellungen gegenüber Lernzielen und -formen entsprachen kaum ihren konkreten Möglichkeiten zur Realisierung der Ziele bzw. ihrem Bedarf an vorstrukturierten, übernehmbaren Angeboten, der sich real in den Gruppensitzungen manifestierte. Eine solche Konstellation schien eher reflexive Handungsformen zu verhindern und mußte daher mit Hilfe besonderer Strategien aufgebrochen werden, was dadurch erschwert wurde, daß aus diesem zwiespältigen Selbstverständnis der Gruppe paradoxe Handlungsanforderungen an die Forschungsgruppe gestellt wurden. Interventionen und Strukturierungsangebote von Seiten der Forscher konnte die Gruppe, obwohl auf der einen Ebene gewünscht, per Einstellung nicht mehr problemlos akzeptieren. Die erste Notwendigkeit war daher, über wiederholten Rollenwechsel und Spielstrategien auch auf der Feldseite die Chance zur Einbringung von Initiativen abzusichern. Gruppe 2 1. Funktion: Die Untersuchungsgruppe 2 fungierte als Explorationsgruppe zur Spezifizierung des Problembereichs, der für die zweite Phase vorgesehen war. Die Arbeit mit dieser Vorbereitungsgruppe mit Studienanwärtern für das Fach Architektur an der Kunsthochschule Hamburg lieferte erste Ergebnisse über den Informationsbedarf gegenüber der Institution, über den Problematisierungsstand von Studenten vor ihrem Eintritt in die Institution und damit vor dem Prozeß der Adaptation hochschulspezifischer Normen. 2. Thematik: Thematisiert wird das Lernverhalten in bezug zur institutionsinternen Kommunikationsstruktur. Gegenstand der

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Gruppe ist dabei die gegenseitige Darstellung der Institution: die Hodisdiulstruktur (ihre Inhalte und Ziele) transparent zu machen, irrationale Faktoren bei Entscheidungsvorgängen bezogen auf das eigene Lernverhalten, Diskongruenzen zwischen Zieldefinitionen und realem Angebot der Hochschule aufzudekken, Revision von Inhalten zu ermöglichen und Struktur und Zielrahmen der Institution darüber zu verändern. 3. Vorgehen: Anders als in der Gruppe 1 wird hier an Kommunikationsformen angesetzt, die noch weitgehend durch die Klassenstruktur der Schule determiniert sind. Das Aufbrechen solcher Strukturen kann nicht durch Überforderung der Gruppeninitiativen geleistet werden, sondern muß mit der gemeinsamen Strukturierung und Herstellung von Situationen eingeleitet werden. Uber ein Angebot von Regelungen durch die Forschung, das die Dimension ihrer Akzeption, Abweisung oder Veränderung zugleich handhabbar mitlieferte, konnten Anfangsbedingungen geschaffen werden, die Möglichkeiten des Reflexivwerdens per Mitplanung vorgaben. Dazu bedurfte es bestimmter apparativer Hilfen, deren spezielle Funktion in unterschiedlichen Dokumentationsverfahren erprobt und kritisiert werden konnte. Diese Medien werden hier einmal eingesetzt als Kommunikationsinitiatoren und -träger zwischen Hochschulmitgliedern, zum anderen wird in dem oben beschriebenen funktionalen Rahmen die Zuordnung von Inhalten zu Darstellungsformen anhand vorfindbarer und noch zu entwickelnder medialer Vorgänge geleistet. Die Absicherung der Gruppensituation durch explizite Regelungen über ein mediales Angebot von Protokollierungs- und Dokumentationsverfahren ermöglichte — ein Offenhalten gegenüber anderen Interessengegenständen, — die Gleichwertigkeit der Kommunikation: Initiativen der Gruppe konnten über das gleiche Medium eingegeben werden wie die Informationen von Seiten der Forschung, — die Einsicht in die Form der Datenerhebung durch die Gruppenmitglieder selbst, da das Dokumentationsverfahren bifunktional in Hinblick auf Datenerhebung sowie als Regelungsmedium für den Gruppenprozeß eingesetzt wurde, — ein (reduziertes) Informationsangebot über den institutionellen Kontext (in Form eines Programmangebotes, das dem primären Informationsbedarf der Gruppe entsprach) sowie in Form von Video-Aufzeichnungen über die Gremien-Kommunikation in der Hochschule. 3.4 Phasenplan der Projektorganisation Der Phasenplan der Projektorganisation ist auf den folgenden vier Seiten dargestellt.

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1. Forsdiungsphase (Oktober 1970 — Oktober 1971) INITIATIVPHASE

EXPLORATIONSPHASE

Hochschulinterne Kooperation

Darstellung des Projektes in der Hochschule (informell und über Hochschulgremien)

Institutionelle Integration des Projektes in die Hochschule

Projektinterne Kooperation mit den APIA-Gruppen

Partielle thematische und strategische Umorientierung im Rahmen des Gesamtprojektes

Kooperation mit der APIA-Karlsruhe in bezug auf Exploration des Technologiestandes

Externe Kooperation

Exploration des Technologiestandes Kooperationsaufnahme mit ähnlichen Projekten

Funktionsentwurf einer Lernmaschine und Planung gemeinsam mit dem Hersteller

Arbeitsform der Projektgruppe (intern)

Programmplanung — Arbeit mit den Gruppen — — — — Supervision — — — Interne Lerntagungen

Forschungsstrategie: Zusatzexperiment IPM

Überprüfung der Beobachtungsverfahren der Kleingruppenforsdiung als Spiel- und Kontrollinstrumente

Entwurf des experimentellen Designs der IPM

Forschungsstrategie: Gruppensituationen I und Iis Art des Problems

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Zielfindung

Exploration

Zielfindung Planung u. Organisation

Planung u. Organisation Produktion

2. Forschungsphase (1971—-73) EXPERIMENTALPHASE I

Follow-Up-Phase u. E X P E R . - P H A S E II Integration der experimentierten Lernsituationen und ihrer medialen (apparativen) Träger in das Curriculum der HfbK

Vorbereitung einer Kontrollgruppe mit gleichem didaktischen Design in der TU Hannover

Durchführung der Vergleichsgruppe

Uberprüfung und Veränderung der Gruppenlernmaschine Kooperation mit hochschulpolitischen Planungsinstanzen

Training mit Seminarleitern der Hochschule zur Durchführung des IPM-Experiments

Planung u. Organisation Produktion

Durchführung des IPM-Experiments

Exploration Produktion

271

1. Forsdiungsphase (Oktober 1970 — Oktober 1971) INITIATIVPHASE

EXPLORATIONSPHASE

Personalstruktur

Plena

Plena

Plena informelle Untergruppen

Plena

Zeitstruktur

2—3 Std. 2 X wö.

3 Std. I X wö.

keine Zeitstrukturierung I X wö.

3 Std. Substrukturierung der Zeiteinheit I X wö.

Raumstruktur

Seminarraum

Seminarraum

wechselnd

Seminarraum

besondere apparative Medien

Videotape

Gruppenlernmaschine mit SoftwareZugriff

Erfolgskontrolle

Konsensus über Planung des Gruppenprojektes

Planung der Dokumentationsverfahren

Hochschulintern mit der Abteilung Architektur

Außenbezüge

Gruppe 1

272

Gruppe 2

Gruppe 1

Gruppe 2

2. Forschungsphase (1971—73) EXPERIMENTALPHASE I

Follow-Up-Phase u. E X P E R . - P H A S E II

Plena formelle Untergruppen

Plena formelle Untergruppen

Plena

Plena

1 Tag und länger nach Absprache

3 StdV I X wö. Plenum Vi Tag/ 2 X wö. Untergruppen

V« Tag I X wö.

V2 Tag I X wö.

konstanter Gruppenraum

parallele Räume

konstanter Gruppenraum

Großgruppenraum

Film, Photo

Gruppenlernmaschine

flexible, individuell handhabbare Dokumentationsmed.

2 Videotapes

Aufhebung des Selbstbezugs, Rückkopplung über Veröffentl.

Einsatz der Dok.verfahren Rückkopplung in die HfbK

Funktionsübernahme der Gruppenmitglieder als Multiplikatoren der experimentierten Lernsituationen in der HfbK

Exploration individ. außerinstitutioneller Bezugsfelder

Hochschulint. Gremien Seminare

Handlungsfelder aus dem Thematisierungsbereich der Gruppe

Gruppe 1

Gruppe 2

Gruppe 1

Gruppe 2

273

Nachwort Die vielen an Aktionsforschung interessierten Anfragen, die während der Arbeit an diesem Band an uns gerichtet wurden, und die zum Teil dadurch zustande gekommenen Kontakte mit sozialwissenschaftlich arbeitenden Projekt- und Arbeitsgruppen haben uns deutlich gemacht, daß sich an die Forschungsstrategie »action research« hohe und unterschiedliche Erwartungen knüpfen, obwohl — oder gerade weil — Aktionsforschung den Bedingungen traditionalen sozialwissenschaftlichen Arbeitens kaum gerecht werden kann. Die Komplexität der Probleme, die durch Aktionsforsdiungsstrategien angesprochen werden, läßt auf dem bisherigen Stand der Entwicklung noch keine definitiven und den Objektbereich »Aktionsforschung« eindeutig festlegenden Aussagen zu. Die gegenwärtige Unterbestimmtheit dieser Forschungsstrategie spiegelt sich in der Bandbreite der Aufsätze in bezug auf Themenstellungen und Problemebenen. Sie sollte in diesem Band bewußt nicht aufgehoben werden. Im Gegenteil: Um zu vermeiden, durch zu frühzeitige Festlegungen einzelne Entwicklungsmöglichkeiten und Anwendungstendenzen ungerechtfertigt abzuschneiden, mußte es darum gehen, zunächst die in Verbindung mit Aktionsforschung bisher diskutierten Ansätze und Problemstellungen möglichst ohne Beschneidungen, die um der Einheitlichkeit und Konsistenz willen hätten vorgenommen werden können, zu Wort kommen zu lassen. In diesem Sammelband fällt auf, daß eine genauere Schilderung der eigenen Projektpraxis und der dort vollzogenen Lernprozesse, Planungsschritte, Evaluierungsschwierigkeiten, Umorganisationen im Rückbezug von Reflexion und Aktion usw. etwa der in den Forschungsprojekten arbeitenden Studenten und Dozenten fehlt. Obwohl theoretisch eingesehen wurde, daß diese Art von Berichten dringend zu weiterer Aufarbeitung und zur Anleitung von allen benötigt werden, die selbst in der Forschungspraxis stehen, war man leichter zu theoretisch orientierten Aufsätzen als zu Praxisberichten bereit. Einer der Gründe dafür ist in der Schwierigkeit zu sehen, den Generalisierungsgrad so festzulegen, daß in der Analyse die Entscheidungsprobleme noch sichtbar bleiben, wobei auch Fehlgeschlagenes, das zur Revidierung der eigenen Praxis geführt hat, dennoch erst einmal dargestellt wird; auf der anderen Seite müssen die Ergebnisse übertragbare Informationen liefern. Hierzu kommt als generelles Problem, daß kaum jemand in exakter, einfacher, informationsreicher Darstellung geübt ist. Diese Art der Kommunikation ist in einem

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Wissenschaftsprozeß unüblich, in dem die Höhe des Abstraktionsniveaus zum Teil als Gradmesser für Qualität und dementsprechend audi für positive Sanktionen, wie Anerkennung der Qualifikationsnachweise zur Absicherung der eigenen Karriere, dient. Es ging in solchen Berichten nicht darum, Selbsterfahrenes und Gelerntes optimal darzustellen, sondern das Material so anzubieten, daß es beim Leser Denkprozesse auslöst. Doch fehlt eine Praxissprache, in der über Alltagserfahrung berichtet werden kann, ohne daß diese Berichte der Konkurrenzund Legitimationsfunktion, die oft die Sprache von Veröffentlichungen auszeichnet, zum Opfer fielen. Auf der anderen Seite provoziert die durch Aktionsforschung bedingte Veränderung sozialwissenschaftlichen Denkens und Handelns die Gefahr der Entwicklung einer eigenen »Projektsprache«, in der Grundannahmen der eigenen Arbeit kaum mehr thematisiert werden. Aufgrund des Prozeßcharakters der Arbeit mit hohem experimentellen Anteil und dadurch bedingten relativ zahlreichen Umorientierungen entwickeln sich periodisch geltende sprachliche Symbole, die ohne ihren Projektkontext unverständlich bleiben. Da der Herstellungsprozeß eines solchen Sammelbandes eine hohe Unverbindlichkeit für die unmittelbare Praxis behält, empfanden alle Projektmitglieder die Aufforderung, die eigene Projektpraxis zu beschreiben, als inadäquat. Erst wenn der Forschungsprozeß es erfordert, etwa bei Abschluß und Aufarbeitung einer Phase, die als Grundlage für die Organisation weiterer Interventionen benötigt wird, ist diese Mühe für die im Projekt Arbeitenden praktisch notwendig und von daher begründbar zu leisten. Hieraus läßt sich zum Teil erklären, daß Beiträge fehlen, die die vertiefende Diskussion methodischer Fragen vorangetrieben hätten. Obwohl die Notwendigkeit der Kontrolle sozialen Handelns aller Beteiligten, auch der Wissenschaftler, unbestritten ist und experimentell versucht wird, stellt sich das Problem der Adaptation und Entwicklung geeigneter Instrumente, die als aktive Momente kontrolliert und kontrollierend in den Prozeßverlauf einbezogen werden könnten. Was die »Frankfurter Schule« in ihrer Kritik an der Statik üblicher Meßinstrumente als struktureller Begrenzung empirischer Methoden theoretisch abhandeln konnte, muß im Aktionsforschungsprozeß praktisch überwunden werden. Es erscheint uns jedoch sinnvoller, diese Aufgabe erst dann aufzugreifen, wenn die Diskussion über Aktionsforschung und ihre generelle Problematik über die projektinterne Diskussion hinaus aufgegriffen wird. Aktionsforschung stellt sich das bewußt und als eigene Aufgabe, was bisher in einem von der Gewinnung sozialwissenschaftlicher

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Ergebnisse abgetrennten Prozeß der Verwertung geschah: die Reintegration in die gesellschaftlichen bzw. sozialen Felder, über die sie und (bestenfalls) für die sie bisher vermeinte, denken, erheben und planen zu können (vgl. Haag; auch Vagt). Um sowohl eine grundlegendere Ortsbestimmung von Aktionsforschung als auch die Vertiefung von Detailproblemen, die dieser Ansatz beinhaltet, in Gang zu setzen, geht es zunächst darum, eine Ausdifferenzierung der Möglichkeiten und Konsequenzen von Aktionsforschung zu leisten (vgl. Haag und Fachbereich Sozialpädagogik Berlin). Das fordert eine Neureflexion der Sozialwissenschaften heraus, sowohl was einzelne Konstrukte als auch Wissenschaftstheorie und Methodologie angeht, ebenso, was die Funktionsbestimmung von Wissenschaft und deren Objektbereiche sowie die Wissenschaftlerrolle selbst betrifft. Die starke Betonung des Praxisengagements jedes einzelnen Wissenschaftlers als originäres Faktum eines jeden Aktionsforschungsansatzes kann in der momentanen Phase der notwendigen Abgrenzung gegen traditionelle Forschung leicht zu einer Überbetonung der konkreten Praxisebene der Arbeit führen, ist aber nicht prinzipiell Aktionsforschungsstrategien selbst anzulasten. Schon dadurch, daß Zielfindungsprozesse von der bisher üblichen außerwissenschaftlich vorgegebenen Setzung oder der wissenschaftsimmanenten Zieldefinition von Forschung in den Interaktionszusammenhang von Forschern und »Betroffenen« und damit in den Forschungsprozeß selbst verlagert werden, ergibt sich als Forderung an die Theorie, daß der Teilbereich, auf den sich die Veränderung beziehen soll, zum Gesamtsystem, das die Bedingungen für konkretes Handeln im Teilsystem mit setzt, ständig rückbezogen wird (vgl. Hering). Die Entwicklung handlungsorientierender und -orientierter Konstrukte, die sich auf Teilstrukturen der Gesellschaft beziehen, erhalten ihre Relevanz erst im Zusammenhang mit den sie generierenden Makrostrukturen. Die Gefahr der engagementbedingten Verkürzung sozialwissenschaftlicher Praxis auf das konkrete Praxisfeld und dessen aktuell vorfindliche Probleme stellt sich ebenso — allerdings auf anderer Ebene — für die Theorie: Interessenstandpunkt des Wissenschaftlers und herangezogene Konstrukte sind durch das Instrument action research nicht per se auf gesellschaftlich relevante Handlungsorientierungen festgelegt, so daß die Problematik der Auseinandersetzung mit Fragen der Handlungsrelevanz und -Orientierung ungelöst bleibt; daher ergibt sich auf theoretischer Seite die Notwendigkeit der Erweiterung der Reflexion um wissenschafts- und gesellschaftstheoretische Analysen, soll die

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Beliebigkeit des instrumentellen Einsatzes von Aktionsforschung reduziert werden (vgl. Klüver / Krüger). Aktionsforschung verlangt somit eine erneute Problematisierung des Theorie-Praxis-Verhältnisses auf der Ebene der Zielfindungsund Anwendungsproblematik (vgl. Rehn/Pongratz). Die daraus resultierende Neudefinition eines bisher in den Sozialwissenschaften im Rahmen einer Spezialdisziplin abgehandelten Objektbereiches — Innovation, Sozialer Wandel und damit verbundene Prozeßanaylsen — verlangt ihrerseits, daß methodologische Postulate umgedacht bzw. neubestimmt werden (vgl. Pieper).

Erste fruchtbare Konsequenzen dieses in bezug auf die Normen der Wissenschaft risikoreichen Ansatzes zeigen sich auf der Ebene sozialwissenschaftlicher Konstrukte: z . B . im Bereich der Gruppendynamik und ihrer Funktionalisierung für den Arbeitsprozeß (vgl. Schwärzel / Wildt), der Planungsmodelle für innovative Prozesse in Institutionen (vgl. Henke / Karstedt und Wildt / Gehrmann / Bruhn) oder der Theorie sozialen Lernens, die sich im Sinne von Aktionsforschung als geplante Veränderungsstrategie der Bedingungen sozialen Lernens — nicht der Lernziele — auf die Intervention in Interaktionsstrukturen und Interaktionsprozesse bezieht (vgl. Hering). Die sich aus dieser Strategie neu ergebenden Probleme, die in der bisherigen sozialwissenschaftlichen Forschung vernachlässigt werden konnten, verdeutlichen sich vor allem in den Überlegungen zur Frage der möglicherweise ungleichen Formulierungs- bzw. auch Durchsetzungschancen von Interessen in der Praxis zusammenarbeitender Gruppen. Das öffnen von Zielfindungs- und, damit verbunden, Interessenfindungsprozessen für alle Beteiligten stellt sich als zentrales Problem in einer Aktionsforschungsstrategie, die die Rolle von Macht und von Wissenschaft in der Praxis auf ihre Legitimationsbasis hinterfragt.

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