Aktionärsrechte in der deutschen SE: Kompetenzen der Hauptversammlung und Individualrechte der Aktionäre in der Europäischen Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland [1 ed.] 9783428551088, 9783428151080

Die Arbeit enthält eine systematische Übersicht und umfassende Untersuchung der Individualrechte der Aktionäre und der K

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Aktionärsrechte in der deutschen SE: Kompetenzen der Hauptversammlung und Individualrechte der Aktionäre in der Europäischen Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland [1 ed.]
 9783428551088, 9783428151080

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Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 294

Aktionärsrechte in der deutschen SE Kompetenzen der Hauptversammlung und Individualrechte der Aktionäre in der Europäischen Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland

Von

Cornelius Wilk

Duncker & Humblot · Berlin

CORNELIUS WILK

Aktionärsrechte in der deutschen SE

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 294

Aktionärsrechte in der deutschen SE Kompetenzen der Hauptversammlung und Individualrechte der Aktionäre in der Europäischen Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland

Von

Cornelius Wilk

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 0582-026X ISBN 978-3-428-15108-0 (Print) ISBN 978-3-428-55108-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-85108-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit hat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg im September 2015 als Dissertation vorgelegen. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur sind allgemein bis September 2015 und vereinzelt auch darüber hinaus berücksichtigt. Herzlicher Dank gebührt zunächst meinem Doktorvater Prof. Dr. Heribert Hirte. Er hat die Arbeit betreut und mir dabei alle Unterstützung zukommen lassen, die man sich als Doktorand wünschen kann. Prof. Dr. Peter Mankowski danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Mein Dank gilt weiterhin Prof. Dr. Roger Kiem, dem ich die Anregung zum Thema sowie wertvolles Knowhow beim wissenschaftlichen Schreiben verdanke. Nicht möglich gewesen wäre die Arbeit ferner ohne die Unterstützung und die Freiräume, die mir meine Chefs Prof. Dr. Florian Drinhausen, Stephan Oppenhoff und Dr. Christoph Schulte sowie die Sozietäten Linklaters und Flick Gocke Schaumburg gewährt haben. Prof. Dr. Reinhard Marsch-Barner danke ich für viele wertvolle Gespräche über aktuelle aktienrechtliche Themen. Ganz besonders bedanken möchte ich mich schließlich bei meiner Familie Dr. Gertrud Bader, Dr. Bernd Bader, Annette Wilk, Fiona Wilk und Julian Wilk. Sie haben mich durch alle Phasen des Promovierens begleitet und mir zuliebe alle Zumutungen ertragen, die sich ergeben, wenn eine umfangreiche wissenschaftliche Arbeit vor allem am Wochenende, im Urlaub und in den Abendstunden fertig wird. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Frankfurt am Main, im Oktober 2016

Cornelius Wilk

Inhaltsverzeichnis 1. Teil Systematik der Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

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A. Subjektive Rechte und Organkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Art. 52 SE-VO als Zentralnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Normstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Systematische Einbettung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3. Sonderfall Konzernrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Ungeschriebene Hauptversammlungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Ungeschriebene Kompetenzen auf Ebene der Verordnung vs. ungeschriebene Kompetenzen auf aktiengesetzlicher Ebene? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2. Einzelne ungeschriebene Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 a) Auflösung der SE, Art. 63 Hs. 1 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Sonstige Kompetenzfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 III. Verhältnis der Hauptversammlungskompetenzen zu den Kompetenzen anderer Organe und Gremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Verhältnis zu Kompetenzen der Geschäftsführungs- und Überwachungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3. Verhältnis zur Beteiligungs- bzw. Mitbestimmungsvereinbarung bzw. jeweiligen Auffangregelung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Beteiligung der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Uferlosigkeit des Beteiligungsbegriffs und Eingrenzungsversuche . . . . . . 44 aa) Satzungsautonomie und Mitbestimmungsrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . 45 bb) Satzungsautonomie und Mitbestimmungsrelevanz, zusätzlich Selbstbindung der Leitungen und Änderungskompetenz der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 cc) Vereinbarungsreichweite entsprechend Beteiligungsbegriff; Genehmigung durch die Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 dd) Praktische Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 ee) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 ff) Eigener Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (1) Gegenstandslosigkeit des Art. 12 Abs. 4 SE-VO in der deutschen SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

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Inhaltsverzeichnis (2) Satzungsrelevante Beteiligungsvereinbarung nur im Rahmen des Mitbestimmungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

C. Keine übergreifende Systematik der Aktionärsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

2. Teil Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

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A. Beschlussfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 B. Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I. Stimmrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Satzungsmäßige Sondergestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 a) Höchststimmrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 b) Mehrfachstimmrechtsaktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 c) Stimmrechtslose Vorzugsaktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 d) Control Enhancing Mechanisms vs. Kapitalverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . 69 3. Aktionärsseitige Sondergestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Vollmacht und Legitimationszession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 b) Überlassen der Abstimmungsentscheidung an Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 aa) Stimmbindungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 bb) Faktische oder vertragliche Bindung an Empfehlungen von institutionellen Stimmrechtsberatern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 cc) Empty Voting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 II. Stimmenabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Physisch präsenter Aktionär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Online-Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Briefwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4. Weisung an Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 III. Stimmenauszählung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Additions- und Subtraktionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Subtraktionsverfahren und moderne Formen der Hauptversammlungsteilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 IV. Erreichen der erforderlichen Mehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit, Art. 57 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Strengere, von der SE-VO vorgeschriebene Stimmenmehrheiten, Art. 57 Hs. 2 Alt. 1 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 a) Satzungsänderung, Art. 59 SE-VO, § 51 SEAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 aa) Zwei-Drittel-Stimmenmehrheit gemäß Art. 59 Abs. 1 SE-VO . . . . . . . 85

Inhaltsverzeichnis

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bb) Einfache Stimmenmehrheit gemäß § 51 Satz 1 SEAG, Art. 59 Abs. 2 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (1) Verordnungskonformität des § 51 SEAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 (2) Berechnung des Quorums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Sitzverlegung, Art. 8 Abs. 6 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 c) Geschäftsführungsmaßnahmen von grundlegender Bedeutung . . . . . . . . . . 89 aa) Zwei-Drittel-Stimmenmehrheit gemäß Art. 59 Abs. 1 SE-VO . . . . . . . 89 bb) Keine einfache Stimmenmehrheit gemäß § 51 SEAG . . . . . . . . . . . . . 90 cc) Kumulative Geltung des Kapitalmehrheitserfordernisses . . . . . . . . . . . 91 d) Keine vereinfachte Satzungsänderung nach § 113 Abs. 1 Satz 4 AktG . . . 91 3. Strengere, im Sitzstaat-Aktienrecht vorgesehene Stimmenmehrheiten, Art. 57 Hs. 2 Alt. 2, Art. 59 Hs. 2 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Zwingende Mehrheitserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Stimmenmehrheitsbezogene Satzungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 c) Dispositive Mehrheitserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4. Vom Sitzstaat-Aktienrecht vorgesehene Kapitalmehrheiten . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Ist Platz für die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse? . . . . . . . . . . . . 96 aa) Meinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (1) Nein, abschließender Charakter der Art. 57, 59 SE-VO . . . . . . . . . 96 (2) Ja, als „größere Mehrheit“ über die Verweisung in Art. 57 Hs. 2 Alt. 2, Art. 59 Abs. 1 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (3) Ja, als „größere Mehrheit“ über die Verweisung in Art. 57 Hs. 2 Alt. 2, Art. 59 Abs. 1 SE-VO, aber Umdeutung in Stimmenmehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (4) Ja, als „größere Mehrheit“ über Verweisung in Art. 57 Hs. 2 Alt. 2, Art. 59 Abs. 1 SE-VO; Satzung kann die qualifizierte Mehrheit auf Kapital oder auf Stimmen oder auf beides gleichzeitig beziehen 97 (5) Ja, uneingeschränkt über Verweisung in Art. 9 Abs. 1 c) ii) SE-VO 97 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Satzungsmäßige Gestaltbarkeit deutscher Kapitalmehrheitserfordernisse 100 c) Einzelne Kapitalmehrheitserfordernisse nach deutschem Recht . . . . . . . . . 100 V. Sonstige Beschlussvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Grundsätzliche Regelungsoffenheit der SE-VO gegenüber mitgliedstaatlichen Beschlussvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Allgemeine mitgliedstaatliche Beschlussvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Einberufung und Bekanntmachung der Einberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 b) Beschlussvorschläge der Verwaltung, § 124 Abs. 3 AktG . . . . . . . . . . . . . 104 c) Protokoll, § 130 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3. Besondere mitgliedstaatliche Beschlussvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Kein Widerspruch einer qualifizierten Minderheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Individuelle Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

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Inhaltsverzeichnis c) Materielle Beschlusskontrolle, sachlicher Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

C. Sonderabstimmung, Art. 60 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

3. Teil Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

111

A. Rechtsquellen und Systematik des SE-Beschlussmängelrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Deutsches Beschlussmängelrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II. Zusammenspiel mit Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV . . . . . . 113 1. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Vorlagepflicht im Freigabeverfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Begründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Aktivlegitimation und Anfechtungsbefugnis, § 245 Nr. 1 – 3 AktG . . . . . . . . . 119 a) Aktionärseigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Erscheinen und Nichterscheinen in der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . 120 c) Widerspruch zur Niederschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 bb) Widerspruch durch Online-Teilnehmer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 cc) Widerspruch durch Briefwähler? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Materiell-zeitliche Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Anfechtungsfrist, § 246 Abs. 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Absolute Frist für Klagen gegen Verschmelzungs-, Spaltungs- und Formwechselbeschlüsse, § 14 Abs. 1, § 122a Abs. 2, § 125 Satz 1, § 195 Abs. 1 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 bb) Klagen gegen eine SE-Gründung durch Verschmelzung, § 14 Abs. 1 UmwG, Art. 18 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 cc) Klagen gegen eine grenzüberschreitende Verschmelzung . . . . . . . . . . 129 dd) Klagen gegen eine Holding-SE-Gründung, § 14 Abs. 1 UmwG, Art. 18 SE-VO analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3. Nichtigkeitsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Einberufungsmängel, § 241 Nr. 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Inhalts- und Bekanntmachungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Unzuständigkeit des Einberufenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 cc) Einberufung durch Scheinorganmitglied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Beurkundungsmängel, § 241 Nr. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

Inhaltsverzeichnis

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c) Inhaltliche Mängel, § 241 Nr. 3 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 aa) Gläubigerschutz (Var. 2), insbesondere Sitzverlegungsbeschluss . . . . . 133 bb) Öffentliches Interesse (Var. 3), insbesondere Mitbestimmungsregeln 135 cc) Wesen der Aktiengesellschaft (Var. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (1) Deutsche Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (2) Wesen der SE? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 d) Sonstige Nichtigkeitsgründe, § 241 Hs. 1, Nr. 4 – 6 AktG . . . . . . . . . . . . . . 140 4. Ausschluss der Nichtigkeit trotz Nichtigkeitsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Heilung der Nichtigkeit, § 242 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Besondere Heilungsmöglichkeiten für Umwandlungsbeschlüsse, §§ 20 Abs. 1 Nr. 4, 131 Abs. 1 Nr. 4, 202 Abs. 1 Nr. 3 UmwG . . . . . . . . . . . . . . 143 5. Anfechtungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Verletzung des Gesetzes oder der Satzung, § 243 Abs. 1 AktG . . . . . . . . . 143 b) Sonderfall: Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses wegen Inhaltsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 6. Ausschluss der Anfechtbarkeit trotz Gesetzes- oder Satzungsverletzung . . . . 147 a) Gesetzliche Ausschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 aa) Technische Störung bei Rechtewahrnehmung auf elektronischem Wege, § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (2) Europarechtswidrigkeit des Anfechtungsausschlusses? . . . . . . . . . 148 (3) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 bb) Fehlerhafte Internetpublizität bzw. fehlerhafte Informationsweitergabe durch Kreditinstitute, § 243 Abs. 3 Nr. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 cc) Eingeschränktes Anfechtungsrecht bei fehlerhaft erteilter Information, § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 dd) Verletzung kapitalmarktrechtlicher Informationspflichten, § 30g, § 39 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 b) Vorrangigkeit konkurrierender Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 aa) Handelsrechtliches Ersetzungsverfahrens, § 243 Abs. 3 Nr. 3 AktG 153 bb) Spruchverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (1) Aktienrechtliche Strukturmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (2) Umwandlungsrechtliche Strukturmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (3) Grenzüberschreitende Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (4) Beteiligung der SE an der Gründung einer neuen SE durch Verschmelzung, Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (5) Beteiligung der SE an der Gründung einer neuen Holding-SE, § 9 Abs. 2, § 11 Abs. 2 SEAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (6) Barabfindung für ausscheidende Aktionäre bei grenzüberschreitender Sitzverlegung, § 12 Abs. 2 SEAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (7) Verletzung von aktienrechtlichen Informationspflichten mit rein monetärem Bezug, § 243 Abs. 4 Satz 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . 164

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Inhaltsverzeichnis c) Ungeschriebene Ausschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 d) Bestätigung anfechtbarer Beschlüsse, § 244 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 7. Besondere Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Wahl von Aufsichtsorganmitgliedern, §§ 250, 251 AktG . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) Verhältnis zu Art. 47 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 bb) Verhältnis zur Beteiligungsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Wahl von Verwaltungsorganmitgliedern, §§ 31, 32 SEAG, § 251 AktG . . 168 c) Verwendung des Bilanzgewinns (§§ 253, 254 AktG), Kapitalerhöhung (§ 255 AktG) und Feststellung des Jahresabschlusses (§§ 256, 257 AktG) 170

C. Freigabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 I. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Statthaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Enumerativprinzip vs. Analogiefähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Abgrenzung zu anderen Eilverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Rechtshängigkeit der Beschlussmängelklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 II. Begründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Unzulässigkeit oder offensichtliche Unbegründetheit der Hauptsacheklage, § 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG, § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Kein urkundlicher Nachweis einer Beteiligung von mindestens 1.000 Euro innerhalb einer Woche, § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG, § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Verfassungsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Beteiligungsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 aa) Bezugsgröße der 1.000 Euro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Relevanter Zeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (1) Spätestmöglicher Erwerbszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (2) Frühestmöglicher Veräußerungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 cc) Anteilsaddition? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 c) Beteiligungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 aa) Nachweisbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 bb) Statthaftigkeit eines Gegennachweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 cc) Nachweisform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 dd) Nachweisfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 ee) Nachweisinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 d) Verfahrenstaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

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3. Überwiegen des Interesses der Gesellschaft und ihrer Aktionäre gegenüber den Nachteilen für den Antragsgegner und keine besondere Schwere des Rechtsverstoßes, § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG, § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 3 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Verfassungsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 b) Normstruktur: Zweistufigkeit der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 c) Erste Stufe: Nachteilsabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 aa) Einzustellende Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (1) „Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre“ . . . . . . . . . . . 199 (2) „Nachteile für den Antragsgegner“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 bb) Gewichtung und Vergleich der Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 d) Zweite Stufe: Keine besondere Schwere des Rechtsverstoßes . . . . . . . . . . 205 III. Gerichtliche Entscheidung, Beschlusswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 IV. Schadensersatzanspruch des Aktionärs bei gegensätzlichem Ausgang von Freigabe- und Beschlussmängelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

4. Teil Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

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A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 I. Einfluss auf personelle Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 1. Abstrakt per Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 a) Gestaltung der Mitgliederzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 aa) Mindestens und grundsätzlich drei Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 bb) Höchstgrenze(n), § 17 Abs. 1 Satz 4 SEAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 cc) Dreiteilbarkeitsgrundsatz, § 17 Abs. 1 Satz 3 SEAG? . . . . . . . . . . . . . 214 dd) Hinreichende Bestimmtheit der Erhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 ee) Nicht: § 7 Abs. 1 MitbestG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 ff) Verzicht auf Satzungsregelung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter, Art. 47 Abs. 3 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Festlegung der Amtszeit, Art. 46 Abs. 1 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 d) Einschränkung der Wiederwahl, Art. 46 Abs. 2 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . 229 e) Festlegung von Entsendungsrechten, § 101 Abs. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . 230 f) Amtsniederlegungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 g) Ehrenvorsitzende und Ehrenmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Konkret per Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Wahl der Mitglieder, Art. 40 Abs. 2 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Abberufung der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 c) Suspendierung einzelner Mitglieder? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

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Inhaltsverzeichnis II. Einfluss auf innere Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 1. Satzungsregeln zur Wahl des Aufsichtsorgan-Vorsitzenden, Art. 42 SE-VO, § 107 Abs. 1 Satz 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 2. Satzungsregeln zur Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . 242 a) Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernisse im Aufsichtsorgan, Art. 50 Abs. 1 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 b) Stichentscheid des Aufsichtsorgan-Vorsitzenden, Art. 50 Abs. 2 SE-VO 248 c) Frist, Form und Verfahren der Einberufung einer Sitzung . . . . . . . . . . . . . 250 d) Beschlussfassung ohne physische Zusammenkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 3. Satzungsregeln zu Aufsichtsorgan-Ausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 4. Satzungsregeln zum Sitzungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Verschärfung der gesetzlichen Mindestsitzungsfrequenz, § 110 Abs. 3 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 b) Sitzungs-Teilnahmerecht von Dritten bei Verhinderung eines Aufsichtsorganmitglieds, § 109 Abs. 3 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 c) Arbeitssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 III. Einfluss auf die Vergütung der Aufsichtsorganmitglieder, § 113 AktG . . . . . . . . 257 1. Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 2. Art der Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 3. Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 4. Gleichbehandlungspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 IV. Gestaltung von Zustimmungsvorbehalten zugunsten des Aufsichtsrats, Art. 48 Abs. 1 SE-VO, § 19 SEAG bzw. § 111 Abs. 4 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 1. Satzungsmäßige Festlegung von Zustimmungsvorbehalten . . . . . . . . . . . . . . . 266 a) Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 b) Inhalt und Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. Ersetzung der fehlenden Zustimmung im Einzelfall, § 111 Abs. 4 Sätze 3 – 5 AktG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 V. Beschluss über vom Aufsichtsorgan vorgelegte Maßnahmen, § 119 Abs. 2 AktG analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 VI. Entlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Anwendbarkeit deutschen Aktienrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 3. Teilbarkeit des Entlastungsbeschlusses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 4. Vertagung statt Sachentscheidung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

B. Einfluss auf das Leitungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 I. Einfluss auf personelle Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 1. Abstrakt per Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 a) Zahl der Leitungsorganmitglieder, Art. 39 Abs. 4 SE-VO, § 16 SEAG, § 38 Abs. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 aa) Satzungsmäßige Festlegung der Mitgliederzahl, Art. 39 Abs. 4 SE-VO 285

Inhaltsverzeichnis

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bb) Grundkapitalabhängige Mindestzahl, § 16 Satz 1 SEAG . . . . . . . . . . . 286 cc) Mitbestimmungsabhängige Mindestzahl, § 38 Abs. 2 SEBG, § 16 Satz 2 SEAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 dd) Verzicht auf Satzungsregelung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 b) Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter, Art. 47 Abs. 3 SE-VO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 c) Festlegung der Amtszeit, Art. 46 Abs. 1 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 d) Einschränkung der Wiederwahl, Art. 46 Abs. 2 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . 293 e) Spezielle Beschlussfähigkeits- und Mehrheitserfordernisse im Aufsichtsorgan, Art. 50 Abs. 1 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 2. Konkret durch Vertrauensentzug, § 84 Abs. 3 Satz 2 Var. 3 AktG . . . . . . . . . 294 II. Einfluss auf innere Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 1. Einfluss auf den Leitungsorgan-Vorsitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 2. Satzungsregeln zur Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung des Leitungsorgans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 a) Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernisse im Leitungsorgan, Art. 50 Abs. 1 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 b) Stichentscheid des Leitungsorganvorsitzenden, Art. 50 Abs. 2 SE-VO . . . 298 3. Satzungsregeln zum Geschäftsgang, § 77 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AktG . . . . . . 300 III. Satzungsregeln zur Vertretungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 IV. Einfluss auf die Vergütung der Leitungsorganmitglieder, § 120 Abs. 4 AktG . . 302 V. Einfluss auf Geschäftsführungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 1. Regelungsoffenheit der Art. 39 Abs. 1, Art. 48 SE-VO gegenüber nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 2. Gelatine-Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 a) Entwicklung in der aktiengesetzlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 304 b) Rezeption in der Literatur und Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 c) Gelatine-Kompetenz der SE-Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 3. Nachgründungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 4. Entscheidung über sonstige Geschäftsführungsmaßnahmen auf Verlangen des Leitungsorgans, § 119 Abs. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 VI. Entlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 I. Einfluss auf personelle Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 1. Abstrakt per Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 a) Gestaltung der Mitgliederzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 aa) Mindest-, Höchst- und grundsätzliche Mitgliederzahl, § 23 Abs. 1 SEAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 bb) Kein Dreiteilbarkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 cc) Hinreichende Bestimmtheit der satzungsmäßigen Mitgliederzahl . . . . 320 dd) Mitbestimmte SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

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Inhaltsverzeichnis ee) Verzicht auf Satzungsregelung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 b) Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter, Art. 47 Abs. 3 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 c) Sonstige Satzungsbestimmungen zur personellen Zusammensetzung des Verwaltungsorgans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 2. Konkret per Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 a) Wahl der Mitglieder, Art. 43 Abs. 3 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 b) Abberufung der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 c) Suspendierung einzelner Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 d) Vertrauensentzug? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 II. Einfluss auf innere Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 1. Satzungsregeln zur Wahl des (stellvertretenden) Verwaltungsorgan-Vorsitzenden, Art. 45 SE-VO, § 34 Abs. 1 Satz 1 SEAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 2. Satzungsregeln zur Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . 331 a) Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernisse im Verwaltungsorgan, Art. 50 Abs. 1 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 b) Stichentscheid des Verwaltungsorgan-Vorsitzenden, Art. 50 Abs. 2 SE-VO 332 c) Form, Frist und Verfahren der Einberufung einer Sitzung . . . . . . . . . . . . . 334 d) Beschlussfassung ohne physische Zusammenkunft, § 35 Abs. 1, 2 SEAG 335 3. Satzungsregeln zu Verwaltungsorgan-Ausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 4. Satzungsregeln zum Sitzungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 a) Regelung der gesetzlichen Sitzungsfrequenz, Art. 44 Abs. 1 SE-VO . . . . . 337 b) Sonstige Regelungen zum Sitzungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 5. Sonstige Satzungsregeln zum Geschäftsgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 III. Einfluss auf die Vergütung der Verwaltungsorganmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . 340 1. Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 2. Art und Höhe der Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 IV. Einfluss auf Geschäftsführungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 1. Regelungsoffenheit der Art. 43 Abs. 1, Art. 48 SE-VO gegenüber nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 2. Abstrakt per Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 a) Abgrenzung zwischen Unternehmensleitung (Verwaltungsorgan, § 22 Abs. 1 SEAG) und laufenden Geschäften (geschäftsführende Direktoren, § 40 Abs. 2 Satz 1 SEAG)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 b) Einschränkung des Weisungsrechts des Verwaltungsorgans gegenüber den geschäftsführenden Direktoren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 c) Festlegung von Zustimmungsvorbehalten zugunsten des (Gesamt-)Verwaltungsorgans, Art. 48 Abs. 1 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 aa) Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 bb) Inhalt und Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345

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3. Konkret per Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 a) Gelatine-Grundsätze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 b) Keine Ersetzung der fehlenden Zustimmung des (Gesamt-)Verwaltungsorgans gemäß § 111 Abs. 4 Sätze 3 – 5 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 c) Entscheidung über sonstige Geschäftsführungsmaßnahmen auf Verlangen des Verwaltungsorgans, § 119 Abs. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 V. Entlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 D. Einfluss auf die geschäftsführenden Direktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 I. Einfluss auf personelle Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 1. Satzungsregeln über die Bestellung eines oder mehrerer geschäftsführender Direktoren durch das Verwaltungsorgan, § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG . . . . . . . . 350 2. Satzungsregeln über die Abberufung der geschäftsführenden Direktoren, § 40 Abs. 5 Satz 1 SEAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 3. Keine satzungsmäßige Festlegung von Amtsdauer und Wiederwahleinschränkungen entsprechend Art. 46 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 4. Keine satzungsmäßige Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter entsprechend Art. 47 Abs. 3 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 II. Einfluss auf innere Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 1. Keine Satzungsregeln über Beschlussfassung, Beschlussfähigkeit und Zweitstimmrecht entsprechend Art. 50 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 2. Satzungsregeln zum Geschäftsgang, § 40 Abs. 4 SEAG . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 III. Satzungsregeln zu Berichtspflichten, § 40 Abs. 6 SEAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 IV. Satzungsregeln zur Vertretungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 V. Einfluss auf die Vergütung der geschäftsführenden Direktoren . . . . . . . . . . . . . . 360 1. Festsetzung der Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 2. Vergütungsvotum analog § 120 Abs. 4 AktG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 VI. Einfluss auf Geschäftsführungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 1. Kein allgemeines Weisungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 2. Keine Entscheidung über vorgelegte Geschäftsführungsmaßnahmen entsprechend § 119 Abs. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 3. Gelatine-Grundsätze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 VII. Entlastung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 E. Selbstorganisationsrechte der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 I. Einberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 1. Bestimmung der für die Einberufung zuständigen Personen, § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 2. Beschluss über die Einberufung einer Hauptversammlung, § 124 Abs. 4 Satz 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 3. Satzungsregel über den Ort der Hauptversammlung, § 121 Abs. 5 AktG . . . . 368 4. Sonstige Bestimmungen über die Einberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370

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Inhaltsverzeichnis II. Leitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 1. Satzungsregelung zum Vorsitz in der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . 370 a) Dualistische SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 b) Monistische SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 2. Wahl und Abwahl des Versammlungsleiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 III. Geschäftsordnung, § 129 Abs. 1 Satz 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 IV. Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 V. Beschluss- und Abstimmungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 VI. Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 1. Vertagung der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 2. Satzungsregeln zur Bild- und Tonübertragung, § 118 Abs. 3, 4 AktG . . . . . . 379 3. Einrichtung weiterer Organe und Gremien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 a) Meinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380

F. Verfolgung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 I. Anwendbarkeit deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 II. Aktive Verfolgung von Ersatzansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 III. Verzicht auf bzw. Vergleich über Ersatzansprüche der Gesellschaft . . . . . . . . . . 385 1. Ersatzansprüche in Bezug auf Gründung und Geschäftsführung . . . . . . . . . . . 385 2. Ersatzansprüche im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 3. Ansprüche gegen Aktionäre auf Leistung der Einlagen? . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 G. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen . . . . . 388 I. Satzungsänderung, Art. 59 SE-VO, § 179 AktG, § 51 SEAG . . . . . . . . . . . . . . . 389 1. Begriff der Satzungsänderung: Art. 59 SE-VO vs. § 179 Abs. 1 AktG . . . . . . 389 2. Legislative Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 a) Mindestinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 b) Gleichlaufgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 c) Satzungsstrenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 aa) Zweifache Satzungsstrenge in der deutschen SE . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 bb) Gesetzes- bzw. verordnungsergänzende Satzungsregeln . . . . . . . . . . . 396 cc) Satzungsstrenge und -freiheit im Bereich der Ausführungsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 II. Wechsel der Organisationsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 III. Verpflichtung zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens, § 179a AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 IV. Finanzierungs- und Kapitalmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 V. Umwandlungsmaßnahmen (ohne SE-Gründung gemäß Art. 2 f. SE-VO) . . . . . . 406 1. Vorab: Umwandlungsfähigkeit der deutschen SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 a) Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406

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b) Sperrwirkung der Art. 2 f. SE-VO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 aa) Meinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 c) Sperrwirkung des Art. 66 SE-VO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 aa) Abschließende Regelung des gesamten nationalen Umwandlungsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 bb) Abschließende Regelung des Rück-Umwandlungsrechts? . . . . . . . . . . 411 cc) Abschließende Regelung des Rück-Formwechselrechts? . . . . . . . . . . . 413 dd) Abschließende Regelung nur des Rück-Formwechsels in eine nationale AG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 d) Analoge Anwendung der Zwei-Jahres-Frist aus Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SEVO auf nationales Umwandlungsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 aa) Meinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 2. Inländische Umwandlungsvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 3. Grenzüberschreitende Umwandlungsvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 VI. Beteiligung an der Gründung einer neuen SE gemäß Art. 2 f. SE-VO . . . . . . . . 425 VII. Ausschluss von Minderheitsaktionären („Squeeze-Out“) und Eingliederung . . . 425 VIII. Unternehmensverträge, §§ 291 ff. AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 IX. Zustimmung zum Plan über eine grenzüberschreitende Sitzverlegung . . . . . . . . 428 H. Jahresabschluss und Gewinnverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 I. Dualistische SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 II. Monistische SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 I. Einfluss auf die Gestaltung der Beteiligung der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 I. Vorbehaltene Genehmigung bzw. Ablehnung der Beteiligungsvereinbarung, Art. 23 Abs. 2 SE-VO, § 122g Abs. 1 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 1. Mehrheitserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 2. Sachliche Reichweite eines installierten Genehmigungsvorbehalts . . . . . . . . 435 II. Ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit für den Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437

5. Teil Die Individualrechte des SE-Aktionärs

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A. Verfügung über die Aktie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 I. Übereignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 II. Zivilrechtliche Übertragungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 III. Öffentlichrechtliche Übertragungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 IV. Fungibilitätsbegünstigende Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442

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Inhaltsverzeichnis

B. Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Verwaltungsorgane . . . . . . . . . . . . 442 I. Antrag auf Durchführung eines Statusverfahrens, § 98 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AktG 443 1. Mitbestimmung kraft Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 2. Vereinbarte Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 II. Antrag auf gerichtliche Abberufung eines entsendeten Aufsichts- bzw. Verwaltungsorganmitglieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 C. Rechte im Vorfeld der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 I. Einberufungs- und Ergänzungsantrag, Art. 55, 56 SE-VO, § 50 SEAG . . . . . . . 446 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 2. Außergerichtlicher Einberufungsantrag, Art. 55 Abs. 1, 2 SE-VO, § 50 Abs. 1 SEAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 a) Antragsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 aa) Beteiligungsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 bb) Relevanter Zeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 b) Antragsform, -inhalt und -adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 c) Materielle Rechtfertigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 d) Entscheidung des Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 3. Gerichtlicher Einberufungsantrag, Art. 55 Abs. 3 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . 458 a) Antragserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 b) Antragsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 aa) Beschränkung auf Antragssteller erster Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 bb) Beteiligungsschwelle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 c) Antragsfrist? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 d) Entscheidung des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 4. Außergerichtlicher Antrag auf Ergänzung der Tagesordnung, Art. 56 SE-VO, § 50 Abs. 2 SEAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 a) Antragsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 aa) Beteiligungsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 bb) Relevanter Zeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 cc) Konkurrierende Ergänzungsbefugnis des SE-Beteiligungsorgans? . . . 465 b) Antragsform, -inhalt und -adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 c) Zeitfenster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 d) Entscheidung des Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 5. Gerichtlicher Antrag auf Ergänzung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 II. Einbringung und Veröffentlichung von Gegenanträgen und Wahlvorschlägen, §§ 126, 127 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 III. Erteilung eines Dispenses vom Cooling-Off-Zeitraum gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 1. Dualistisches Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 2. Monistisches Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476

Inhaltsverzeichnis

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IV. Veröffentlichung einer Aufforderung im Aktionärsforum des Bundesanzeigers, § 127a AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 V. Zugang zu schriftlichen Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 D. Rechte während der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 I. Teilnahme- und Stimmrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 II. Rede- und Fragerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 2. Subjektive Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 3. Sachliche Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 4. Auskunftsverweigerung und drohende Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 5. Regulierung und Beschränkung, § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . 486 III. Gestaltung des Verfahrensgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 E. Rechte im Nachgang zur Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 I. Recht auf Mitteilung der Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 II. Anspruch auf Ausschüttung des Gewinnanteils, § 174 Abs. 2 Nr. 2 AktG . . . . . 488 III. Gerichtliche Geltendmachung von Beschlussmängeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 IV. Auskunftserzwingungsverfahren, § 132 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 F. Bezugsrecht bei Kapitalmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 G. Prüfungs- und Verfolgungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 H. Recht auf gesetzlich regulierte Abfindungs-, Ausgleichs- und Zuzahlungen . . . . . . . . 492 I. Regulierte Zahlungen nach zwangsweiser Veräußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 1. Abfindung beim aktienrechtlichen Squeeze-Out, § 327b AktG . . . . . . . . . . . 493 2. Abfindung bei Eingliederung der Gesellschaft in eine andere Gesellschaft, § 320b AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 3. Abfindung beim übernahmerechtlichen Squeeze-Out, § 39a WpÜG . . . . . . . 495 4. Einziehungsentgelt nach kapitalherabsetzender Zwangseinziehung, § 237 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 II. Regulierte Zahlungen nach freiwilliger Veräußerung und regelmäßiger Ausgleich gemäß § 304 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 1. Ausgleich oder Abfindung bei Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags, §§ 304 f. AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 2. Abfindung bei rechtsforminkongruenter Verschmelzung, § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 3. Abfindung bei grenzüberschreitender Verschmelzung, § 122i UmwG . . . . . . 498 4. Abfindung bei Beteiligung an der Gründung einer ausländischen SE durch Verschmelzung, § 7 SEAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 5. Abfindung bei Beteiligung an der Gründung einer ausländischen oder abhängigen (§ 17 AktG) gemeinsamen Holding-SE, § 9 Abs. 1 SEAG . . . . . . . 501

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Inhaltsverzeichnis 6. Abfindung bei grenzüberschreitender Sitzverlegung, § 12, § 7 Abs. 2 – 7 SEAG, Art. 8 Abs. 5 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 7. Kaufpreis bei Annahme eines öffentlichen Übernahmeangebots . . . . . . . . . . 502 III. Regulierte Zuzahlungen nach Aktientausch im Rahmen einer Strukturmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503

I. Sonderrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 I. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 II. Individualvertragliche Begründung besonderer Aktionärsrechte . . . . . . . . . . . . . 504 1. Weisungsrecht aufgrund Beherrschungsvertrag, § 308 AktG . . . . . . . . . . . . . 504 a) Abhängige dualistische SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 b) Abhängige monistische SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 aa) Weisungsrecht vs. Geschäftsleitungsbefugnis des Verwaltungsorgans 506 bb) Weisungsrecht vs. Zustimmungsvorbehalte gemäß Art. 48 Abs. 1 SEVO, § 19 SEAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 cc) Weisungen an das Verwaltungsorgan der abhängigen SE? . . . . . . . . . 509 2. Sonstige Verträge zwischen SE und Aktionär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 III. Korporationsrechtliche Begründung besonderer Aktionärsrechte . . . . . . . . . . . . 511 IV. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 1. Finanzmarktstabilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 2. Weisungsrecht von Gebietskörperschaften gegenüber Organmitgliedern? . . . 512 J. Ausschluss, Suspendierung und Einschränkung von Aktionärsrechten . . . . . . . . . . . . 514 I. Gesetzlicher Vollrechts- und Stimmrechtsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 II. Gewillkürter Vollrechtsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 III. Aufhebung und Einschränkung von Sonderrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515

6. Teil Auswirkungen einer Sitzverlegung

516

A. Grenzüberschreitende Mobilität ausländischer Gestaltungen oder Anpassung an zwingendes deutsches Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 I. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 II. Bestandsschutz durch Niederlassungsfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 1. Persönlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 a) Wortlaut des Art. 54 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 b) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 2. Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 III. Bestandsschutz durch SE-VO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 1. Ganz herrschende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525

Inhaltsverzeichnis

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B. Zeitlich gestreckte Rechtsvorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527

7. Teil Zusammenfassung

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A. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte . . . . . . . . . . . . 529 B. Der SE-Hauptversammlungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 C. Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 I. Rechtsquellen und Systematik des SE-Beschlussmängelrechts . . . . . . . . . . . . . . 533 II. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 III. Freigabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 D. Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 I. Einfluss auf das Aufsichtsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 II. Einfluss auf das Leitungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 III. Einfluss auf das Verwaltungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 IV. Einfluss auf die geschäftsführenden Direktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 V. Selbstorganisationsrechte der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 VI. Verfolgung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 VII. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen 548 VIII. Jahresabschluss und Gewinnverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 IX. Einfluss auf die Gestaltung der Beteiligung der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . 551 E. Die Rechte des SE-Aktionärs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 F. Auswirkungen einer Sitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605

1. Teil

Systematik der Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte A. Subjektive Rechte und Organkompetenzen Welche Berechtigungen gewinnt eine Person hinzu, die Aktionär einer deutschen SE wird? Die Antwort fällt differenzierter aus, als für die übrigen Kompetenzträger und Organe im Binnenbereich einer SE. Denn anders als die Berechtigungen der Verwaltungsorgane, bei denen es sich fast durchweg um Kompetenzen des jeweiligen Organs handelt, haben der Gesetz- bzw. der Verordnungsgeber die Rechte der Aktionäre sowohl als subjektive Individualrechte als auch als gesellschaftsverfassungsrechtliche Organkompetenzen ausgestaltet. So ist beispielsweise jeder Aktionär individuell berechtigt, während der Debatte in der Hauptversammlung das Wort zu ergreifen oder im Anschluss an die Hauptversammlung eine Anfechtungsoder Nichtigkeitsklage zu erheben; dagegen kann nur die Hauptversammlung als solche eine Satzungsänderung beschließen oder die Verwaltung entlasten. An wieder anderen Stellen werden Aktionärsrechte und Hauptversammlungskompetenzen ineinander verschränkt, wie etwa bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Verwaltungsmitglieder oder bei der Bestimmung der Mitglieder des Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgans. Gleichzeitig reicht der Kompetenztitel allein aus Sicht des Aktionärs bzw. der Hauptversammlung häufig nicht aus, um von der entsprechenden Berechtigung tatsächlich profitieren zu können – nämlich dann nicht, wenn die Berechtigung an das Erreichen eines qualifizierten Stimm- und Machtgewichts geknüpft ist. So können viele Hauptversammlungskompetenzen nur von qualifizierten Mehrheiten ausgeübt werden und viele Aktionärsrechte nur dann, wenn der jeweilige Aktionär mit einem bestimmten Mindestanteil an der SE beteiligt ist. Die Antwort auf die Eingangsfrage lässt sich also letztlich nicht treffender beantworten als mit: „Es kommt darauf an.“ Die ausführlichere Fassung dieser Antwort findet sich auf den nachfolgenden Seiten. Auf den ersten (formell-systematischen) Blick scheint Aktionärsrechte und Hauptversammlungskompetenzen mehr zu trennen als zu verbinden. Denn Träger der Hauptversammlungskompetenzen ist gerade nicht der einzelne Aktionär, sondern das Gesamtorgan. Auch tritt die Hauptversammlung bei der Ausübung einer Kompetenz nicht in ein Außenrechtsverhältnis zur Gesellschaft – anders als ein Aktionär, der beispielsweise Aktien- oder Gewinnbezugsrechte geltend macht. Berechtigungen der Hauptversammlung dienen in erster Linie dazu, die Binnen-

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

verfassung der SE zu ordnen, während für Aktionärsrechte regelmäßig die Gesellschaft als solche passivlegitimiert ist. Entsprechend kann die Hauptversammlung über ihre Kompetenzen auch nicht in derselben Weise und mit denselben Freiheiten verfügen wie die Aktionäre über ihre individuellen Berechtigungen. Denn wer über eine Hauptversammlungskompetenz verfügt, der gestaltet dabei stets auch die Gesellschaftsverfassung um, während beispielsweise der Anspruch auf eine Dividendenzahlung in der Regel problemlos vom Aktionär an beliebige Dritte abgetreten werden kann, ohne dass sich dies innerhalb der Gesellschaft auswirken würde. Materiell sind die beiden Bereiche dennoch untrennbar miteinander verbunden. Denn die Hauptversammlung und die Gesamtheit der Aktionäre stehen sich gerade nicht als Gegenspieler mit typischerweise widerstreitenden Positionen gegenüber, sondern verfolgen – sieht man von Konflikten zwischen Mehrheits- und Minderheitsbelangen ab – grundsätzlich gleichgerichtete Interessen. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Gesamtheit der Aktionäre weitgehend personenidentisch mit dem Kreis derjenigen Personen ist, die an der Hauptversammlung teilnehmen dürfen. Im Verhältnis zu den Interessen der Aktionäre haben subjektive Aktionärsrechte und Hauptversammlungskompetenzen mithin dieselbe dienende Funktion.1 Die Existenzberechtigung der Hauptversammlung ergibt sich denn auch in erster Linie aus der Notwendigkeit, den Einfluss der Anteilseigner auf die Geschicke der Gesellschaft formell zu kanalisieren. Gäbe man die Trennung zwischen Aktionärsrechten und Hauptversammlungskompetenzen auf und überließe man auch Letztere den Aktionären zur individuellen Ausübung, so würde zwar die materielle Legitimation des Ausübenden kaum leiden – liegt doch in beiden Fällen die Berechtigung in der Hand derselben Person bzw. Personenmehrheit. Ohne den institutionalisierten Rahmen der Hauptversammlung würde sich jedoch der für eine koordinierte Rechtsausübung erforderliche Aufwand enorm erhöhen, oder die Rechtsausübung würde sogar ganz blockiert, wenn die Gesellschaft über einen unbeständigen und unüberschaubar weit verstreuten Anteilseignerkreis verfügt. Auch bei Hauptversammlungskompetenzen handelt es sich damit in materieller Hinsicht um Aktionärsrechte; allein das formelle Kleid ihrer Ausübung ist anders. Es ergibt sich also kein unselbstständiges Nebeneinander von Aktionärsrechten und Hauptversammlungskompetenzen; vielmehr bilden die Hauptversammlungskompetenzen eine Teilmenge der Aktionärsrechte ab. Oder, angelehnt an die in § 118 Abs. 1 Satz 1 AktG gewählte Formulierung: Alle Hauptversammlungskompetenzen 1 Das Gegenteil ergibt sich nicht daraus, dass der Gesetzgeber Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte in einigen Bereichen explizit gegeneinander ausgerichtet hat – z. B. im Recht der Sonderprüfung, wo ein oder mehrere Einzelaktionäre unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt sind, einen ablehnenden Beschluss der Hauptversammlung zu übergehen. Denn in Wahrheit wird hier nicht ein Konflikt zwischen zwei voneinander abgeschiedenen Interessenträgern aufgelöst, sondern ein Konflikt zwischen Aktionärsmehrheit und -minderheit. Die individuelle Berechtigung des Aktionärs ist lediglich das Instrument, mit dem der Gesetzgeber der grundsätzlich legitimen Durchsetzungskraft der Aktionärsmehrheit Grenzen aufzeigt.

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen

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sind „Rechte [der Aktionäre] in den Angelegenheiten der Gesellschaft“, aber nicht alle Aktionärsrechte sind auch Kompetenzen der Hauptversammlung. Warum ist es dennoch sinnvoll, Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechten in einer wissenschaftlichen Abhandlung gesonderte Kapitel zu widmen? Die Antwort gibt der Verordnungsgeber in Art. 52 SE-VO2 und der deutsche Gesetzgeber in §§ 118, 119 AktG. Alle drei Normen bilden jeweils den Ausgangspunkt für eine größtenteils systematisch angelegte Kodifizierung des Rechts der Hauptversammlung und ihrer Kompetenzen, einschließlich des allgemeinen Beschlussund Beschlussmängelrechts. Einen derart allgemeinen Teil der sonstigen Aktionärsrechte gibt es nicht, und auch eine in anderer Weise übergreifende Systematik existiert kaum, sieht man einmal von gruppenspezifischen Ähnlichkeiten verwandter Rechte ab, wie z. B. den Berechnungsgrundlagen bei regulierten Abfindungsansprüchen. Insgesamt stellen sich die Kompetenzen der Hauptversammlung damit zum großen Teil als Katalog dar, dessen Bestandteile eine Vielzahl gemeinsamer Merkmale verbindet, während es sich bei den nicht versammlungsgebundenen Rechten um eine auch historisch weitgehend zusammenhanglos gewachsene Vielfalt von Einzelstücken handelt, aus denen sich die Aktionäre individuell und anlassbezogen bedienen können.3 Sowohl dem Beschlussrecht (§ 2) als auch dem Beschlussmängelrecht der SE-Hauptversammlung (§ 3) werden daher nachfolgend gesonderte Kapitel gewidmet, bevor auf die einzelnen Hauptversammlungskompetenzen (§ 4) und Aktionärsrechte (§ 5) eingegangen wird.

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen I. Art. 52 SE-VO als Zentralnorm Nach Art. 52 SE-VO beschließt die Hauptversammlung über Angelegenheiten, die ihr entweder unmittelbar in der Verordnung oder durch nationale Ausführungsvorschriften zur SE-RL4 zur alleinigen Zuständigkeit überwiesen werden (Unterabs. 1), sowie über solche Angelegenheiten, für die die Hauptversammlung nach dem jeweiligen Sitzstaat-Aktienrecht oder nach den mit dem Sitzstaat-Aktienrecht in Einklang stehenden Satzungsregeln zuständig ist (Unterabs. 2). Die Norm ist der Schlüssel zu allen SE-Hauptversammlungskompetenzen.

2 Verordnung (EG) Nr. 2157 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG L 294 vom 10. November 2001, S. 1. 3 Siehe auch unten Abschnitt „Keine übergreifende Systematik der Aktionärsrechte“, S. 35. 4 Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl. EG L 294 vom 10. November 2001, S. 22.

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

1. Normstruktur Obwohl die beiden Unterabsätze ihrer Formulierung nach aus einem Guss wirken, könnte ihr rechtlicher Charakter kaum unterschiedlicher sein: Mit dem Verweis auf die in der Verordnung enthaltenen Kompetenzen (lit. a)) bzw. die Ausführungsvorschriften zur SE-RL (lit. b)) hat Unterabs. 1 letztlich rein klarstellende Bedeutung; beide Kompetenzgruppen wären ohnehin auf die SE anwendbar. Unterabs. 2 dagegen fungiert konstitutiv als Brücke ins Recht der nationalen AG-Hauptversammlung, welches andernfalls wohl nur über die generelle Verweisung in Art. 9 Abs. 1 SE-VO Anwendung fände. Schnittstellen oder Konflikte zwischen den beiden Normen sind daher von vornherein ausgeschlossen. Insbesondere kommt es nicht zu Überschneidungen zwischen Art. 52 Unterabs. 1 lit. b) (Ausführungsvorschriften zur SE-RL) und Unterabs. 2 SE-VO (mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften).5 2. Systematische Einbettung Im Gesamtgefüge der Verordnung passt sich Art. 52 SE-VO stimmig in die von Art. 9 SE-VO grundsätzlich vorgegebene Normenhierarchie ein. Primäre Rechtsquelle ist nach beiden Vorschriften die Verordnung (Art. 52 Unterabs. 1 lit. a) bzw. Art. 9 Abs. 1 lit. a) SE-VO), gefolgt von der mitgliedstaatlichen Ausführungsgesetzgebung (Art. 52 Unterabs. 1 lit. b) SE-VO in Bezug auf Ausführungsgesetze zur SE-RL bzw. Art. 9 Abs. 1 lit. c) i) SE-VO), den Vorschriften, die auf nationale Aktiengesellschaften des jeweiligen SE-Sitzstaats Anwendung finden (Art. 52 Unterabs. 2 Alt. 1 bzw. Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO), und schließlich individuelle Satzungsbestimmungen, die auf dem allgemeinen Aktienrecht des SE-Sitzstaats beruhen (Art. 52 Unterabs. 2 Alt. 2 bzw. Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO). Trotz der Verknüpfung seiner beiden Unterabs. durch die Wendung „außerdem“ ordnet Art. 52 SE-VO die genannten Rechtsquellen damit nicht nebeneinander in denselben Rang, sondern ebenso hierarchisch wie Art. 9 SE-VO.6 Ausführungsvorschriften zur SE-Verordnung, wie sie von Art. 9 Abs. 1 lit. c) i) SE-VO mit umfasst sind, existieren im Bereich des Art. 52 SE-VO nicht. Denn die Verordnung ermächtigt die Mitgliedstaaten an keiner Stelle, SE-spezifische Hauptversammlungszuständigkeiten vorzusehen, abzubedingen oder zu modifizieren; und auch Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO, der Satzungsbestimmungen betrifft, die auf einer Ermächtigung aus der SE-Verordnung beruhen, hat innerhalb des Art. 52 SEVO kein Gegenstück, da die Verordnung im Bereich der Hauptversammlungs-

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A.A. Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 7, der Unterabs. 1 lit. b) als Spezialgesetz zu Unterabs. 2 Alt. 1 einordnet, dabei aber nicht in Rechnung stellt, dass Unterabs. 2 nicht nationale Vorschriften schlechthin umfasst, sondern nur solche, die für nationale Aktiengesellschaften gelten. Dazu gehören die in Unterabs. 1 lit. b) genannten Ausführungsvorschriften zur SE-RL natürlich nicht. 6 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 120 f.

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen

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kompetenzen auch keine an den Satzungsgeber gerichteten Ermächtigungen bereit hält. Ob sich die Anwendbarkeit einer Bestimmung im Einzelfall aus Art. 9 oder Art. 52 SE-VO ergibt, richtet sich nach dem Lex-specialis-Grundsatz: Art. 52 gilt speziell für Hauptversammlungszuständigkeiten, außerhalb dessen (und soweit keine andere Spezialverweisung greift) kann auf Art. 9 SE-VO zurückgegriffen werden. 3. Sonderfall Konzernrecht Einen Sonderfall bildet das Konzernrecht mitsamt der darin enthaltenen Hauptversammlungskompetenzen.7 Im Ergebnis ist zunächst klar, dass auf eine deutsche SE, die keinem grenzüberschreitenden Konzern angehört – also weder Tochtergesellschaft eines ausländischen Unternehmens ist, noch selbst über ausländische Tochtergesellschaften verfügt –, weitgehend deutsches Konzernrecht anwendbar ist, dass für eine deutsche SE, die von einem ausländischen Unternehmen abhängig ist, die deutschen konzernspezifischen Schutzvorschriften gelten, und dass eine deutsche SE, die ein ausländisches Unternehmen beherrscht, die entsprechenden ausländischen Schutzvorschriften zu beachten hat.8 Umstritten ist dagegen, ob der Weg zu diesem Ergebnis über die SE-Verordnung9 (also insbesondere über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) und Art. 52 SE-VO) oder über international-privatrechtliche Grundsätze10 führt. Für die Geltung international-privatrechtlicher Grundsätze und die Nichtanwendbarkeit der SE-Verordnung (sogenannte Exklusionstheorie) werden die Erwägungsgründe 15 bis 17 ins Feld geführt, die für konzernrechtliche Sachverhalte ausdrücklich auf die „allgemeinen Grundsätze des internationalen Privatrechts“ 7

Z. B. § 293 AktG für die Zustimmung zu einem Unternehmensvertrag. Zu den verschiedenen Konstellationen siehe Marsch-Barner, in: Lutter/Bayer, HoldingHdb, 5. Aufl. (2015), Rn. 18.84 – 18.88; Maul, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 457, 473 – 498. 9 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), SE-VO Schlussanh. II Rn. 15 – 27; Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 9 SE-VO Rn. 26; Schürnbrand, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 9 SE-VO Rn. 30 f., 36 f.; Schwarz, SE-VO (2006), Einl Rn. 173 – 175; Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.660; dies., in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 457, 466 f.; dies., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 249, 250. 10 Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 9 SE-VO Rn. 12; Veil, in: KKAktG, 3. Aufl. (2012), Art. 9 SE-VO Rn. 22; Habersack/Verse, Europ GesR, 4. Aufl. (2011), § 13 Rn. 11, 49 f.; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 154; Koke, Finanzverfassung (2005), S. 104 f.; Blanquet, ZGR 2002, 20, 51; Casper, in: FS Ulmer (2003), S. 51, 66 f.; Habersack, ZGR 2003, 724, 726 – 728; Hirte, DStR 2005, 700, 704; ders., NZG 2002, 1, 10; Hommelhoff, AG 2003, 179, 183 f.; wohl auch Schulz/Geismar, DStR 2001, 1078, 1081; ebenso für die italienische SE: Ferrarini, in: Baums/Cahn, Die Europäische Aktiengesellschaft (2004), S. 79, 88 – 90. 8

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

(Erwägungsgrund 15) verweisen; „eine Sonderregelung für die SE [sei] hier gegenwärtig nicht erforderlich“ (Erwägungsgrund 16).11 Die Gegenansicht bezieht das Konzernrecht in den Anwendungsbereich der SE-Verordnung ein. Dass der Verordnungsgeber auch das Konzernrecht habe regeln wollen, ergebe sich aus Art. 32 Abs. 6, Art. 31, Art. 34 und Art. 61 f. SE-VO, die allesamt konzernspezifische Regelungen enthielten bzw. die Mitgliedstaaten hierzu ermächtigten.12 Beide Ansichten enthalten wohl einen Teil der Wahrheit. Zunächst lassen sich international-privatrechtliche Grundsätze sicher nicht vollständig ignorieren. Hierfür spricht neben dem ausdrücklichen Hinweis in den Erwägungsgründen auch die Tatsache, dass die verordnungstypischen Verweisungsnormen, einschließlich Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) und Art. 52 SE-VO, den SE-Sitz gleichsam als Anker verwenden, um eine SE mitgliedstaatlichen Vorschriften zu unterwerfen. Diese Verweisungstechnik ist untauglich, um die Anwendbarkeit nationaler Konzernrechtsvorschriften auf eine Verbindung zwischen mehreren SEs zu koordinieren. Denn jedenfalls in grenzüberschreitenden Konstellationen können sich über die Sitzorientierung Berührungspunkte zu mehreren Mitgliedstaaten ergeben. Die Verordnung enthält keinen Mechanismus, der dieses Aufeinandertreffen mehrerer nationaler Konzernrechte ordnen würde, so dass nur ein Rückgriff auf dieselben international-privatrechtlichen Grundsätze bleibt, die auch für die grenzüberschreitende Beziehung zwischen mehreren Aktiengesellschaften nationaler Rechtsform gelten würden. Auch die Autoren, nach deren Ansicht das Konzernrecht von der SE-Verordnung mit umfasst ist, beziehen bei näherem Hinsehen letztlich doch auch international-privatrechtliche Grundsätze in ihre Lösungsvorschläge ein, allerdings nur innerhalb des Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO.13 Der in der SE-Verordnung bestimmten Normenhierarchie und den verordnungstypischen Verweisungen auf das SE-Sitzstaatsrecht kommt dennoch auch im Konzernrecht Bedeutung zu. Denn die international-privatrechtlichen Grundsätze vermögen nicht mehr zu leisten, als den Konflikt zwischen den zwei oder mehreren nationalen Konzernrechtsordnungen aufzulösen, über die sich die jeweilige Unternehmensverbindung erstreckt. Das ist beispielsweise für die Verbindung einer deutschen AG, einer französischen S.A. und einer niederländischen N.V. ausreichend – kommt es doch in aller Regel nur darauf an, den horizontalen Konflikt zwischen deutschem, französischem und niederländischem Aktienrecht zu entschärfen. Für die 11

Siehe die Nachweise im 1. Teil unter Fn. 10. So insbesondere Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), SE-VO Schlussanh. II Rn. 15; Schürnbrand, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 9 SE-VO Rn. 31. 13 Siehe z. B. Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), SE-VO Schlussanh. II Rn. 25 – 27 (Erwägungsgrund 15 als „Auslegungshinweis, der verdeutlicht, dass auf die abhängige SE nach Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) nur die konzernrechtlichen Sachnormen des Sitzstaats anzuwenden sind, die für abhängige Gesellschaften gelten.“); Schürnbrand, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 9 SE-VO Rn. 37 (Erwägungsgrund 15 als „Auslegungshilfe“, die „zum Ausdruck bringen [solle], dass das Ergebnis der Generalverweisung des Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) kein anderes sein soll, als sich bei Anwendung kollisionsrechtlicher Grundsätze ergäbe.“). 12

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen

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SE ist es darüber hinaus jedoch erforderlich, den vertikalen Konflikt zwischen den verschiedenen in Art. 9 Abs. 1 und Art. 52 SE-VO genannten Rechtsquellen aufzulösen. So ist beispielsweise noch wenig gewonnen, wenn international-privatrechtliche Grundsätze dazu führen, dass sich in Bezug auf einen bestimmten Gesichtspunkt in der Verbindung zwischen einer deutschen und einer spanischen SE das deutsche Recht gegenüber dem spanischen Recht durchsetzt. Denn darüber hinaus ist zu klären, inwieweit sich das betreffende deutsche Recht gegenüber der SE-Verordnung und den Satzungsregelungen der SE durchsetzt. Erst aus der Normenhierarchie der Verordnung folgt z. B., dass die für eine SE-Verschmelzungsgründung geltenden Formalia im Fall einer konzerninternen Up- bzw. Downstream-Verschmelzung primär durch Art. 31 SE-VO vereinfacht werden und allenfalls sekundär durch vergleichbare nationale Vorschriften (z. B. § 8 Abs. 3, § 62 UmwG). Auch die Vertreter der Ansicht, nach der konzernrechtliche Normen nur über internationalprivatrechtliche Grundsätze auf die SE anwendbar sind, beziehen diese vertikale Hierarchie zumindest stillschweigend mit ein. Insbesondere geht keiner der Autoren so weit, dem nach internationalem Privatrecht einschlägigen nationalen Konzernrecht den Vorzug vor widersprechenden Normen der SE-Verordnung zu geben. Bei Lichte besehen unterscheiden sich die beiden oben genannten Meinungen also kaum voneinander – und im Ergebnis wohl gar nicht. Beide Ansichten führen zur Erkenntnis, dass ein horizontaler und ein vertikaler Normenkonflikt aufzulösen ist, um das auf eine grenzüberschreitende SE-Konzernverbindung anwendbare Recht zu identifizieren: Horizontal ist zwischen den verschiedenen, von den Konzerngesellschaften berührten mitgliedstaatlichen Konzernrechtsordnungen zu trennen und vertikal zwischen dem Mitgliedstaatsrecht und den übrigen für die SE relevanten Rechtsquellen. Die Entscheidung darüber, welcher Konflikt im Einzelfall zuerst aufzulösen ist, wird weder in der SE-Verordnung noch im internationalen Privatrecht vorgegeben und bleibt im Ergebnis wohl durchweg ohne Auswirkung.14 Sie kann daher vom Rechtsanwender im Einzelfall getroffen werden. Abschließend sei bemerkt, dass die häufig im selben Zusammenhang anzutreffende These, die SE sei „genuiner Konzernbaustein“, da sie wegen des Numerus Clausus der Gründungsformen nur von juristischen Personen gegründet werden könne,15 aus wissenschaftlicher Sicht einleuchtender ist als aus praktischer Sicht. Sie beruht nämlich auf der Annahme, dass die rechtliche Gründung und wirtschaftliche Inbetriebnahme der SE stets gleichzeitig stattfinden – was wohl eher den Vorstellungen der Wissenschaft und des Gesetzgebers entspricht als denen der Rechtspraxis. Letztere wird inzwischen auch im Bereich der SE beeinflusst durch Erwerb und 14 Anders Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), SE-VO Schlussanh. II Rn. 17, der eine Relevanz für die wohl eher exotische Konstellation bejaht, in der eine deutsche SE ihren Verwaltungssitz entgegen Art. 7 Satz 1 SE-VO in einen Nicht-EWR-Staat verlegt. 15 Hommelhoff, AG 2003, 179, 179; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), SE-VO Schlussanh. II Rn. 2; Schwarz, SE-VO (2006), Einl. Rn. 163; in der Sache ebenso Maul, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005) S. 249, 249; Merkt, ZGR 2003, 650, 675; Habersack/Verse, Europ GesR, 4. Aufl. (2011), § 13 Rn. 49.

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

wirtschaftliche Neugründung vorab gegründeter Vorratsgesellschaften.16 Die personelle Beschränkung des SE-Gründerkreises auf juristische Personen betrifft aber nur den rechtlichen Gründungsakt und nicht den möglichen Kreis der Erwerber einer Vorrats-SE. Aus wirtschaftlicher Sicht kann eine SE damit sowohl von natürlichen als auch von juristischen Personen und sowohl innerhalb als auch außerhalb eines Konzernverbunds in Betrieb genommen werden. Das Konzernrecht hat für die SE damit keinen größeren Stellenwert als für eine Aktiengesellschaft nationaler Rechtsform.

II. Ungeschriebene Hauptversammlungskompetenzen 1. Ungeschriebene Kompetenzen auf Ebene der Verordnung vs. ungeschriebene Kompetenzen auf aktiengesetzlicher Ebene? Was die Beschreibung des sachlichen Zuständigkeitsbereichs der SE-Hauptversammlung betrifft, führen Art. 52 SE-VO und §§ 118 ff. AktG zum Enumerativprinzip. Weder auf Verordnungsebene noch auf Ebene des allgemeinen oder SEspezifischen deutschen Aktienrechts findet sich eine Allzuständigkeit der Hauptversammlung, eine Kompetenz-Kompetenz der Hauptversammlung oder eine Generalklausel, die der Hauptversammlung ein ähnlich breites Zuständigkeitsfeld eröffnet wie Art. 39 Abs. 1 SE-VO und § 76 Abs. 1 AktG dem Leitungsorgan bzw. dem Vorstand. Vielmehr ergibt sich eine Hauptversammlungskompetenz für eine bestimmte Angelegenheit grundsätzlich nur dann, wenn der Hauptversammlung gerade für diese Angelegenheit ein gesetzlicher Kompetenztitel verliehen wurde. Ungeachtet des Enumerativprinzips und des grundsätzlichen Erfordernisses einer ausdrücklichen Einzelzuweisung existieren nach mittlerweile ganz herrschender – und zutreffender – Ansicht auch ungeschriebene SE-Hauptversammlungskompetenzen.17 Unterschieden wird im Bereich ungeschriebender SE-Hauptversammlungskompetenzen regelmäßig zwischen Kompetenzen auf Ebene der SE-Verordnung und solchen auf Ebene des deutschen Aktienrechts,18 was allerdings nur eingeschränkt überzeugt. Denn es liegt in der Natur ungeschriebener Rechtsgrundsätze, dass sie jedenfalls unmittelbar nicht mit einer bestimmten Kodifikation in Verbindung stehen. Allenfalls bei Analogiebildungen oder richterrechtlichen Entwicklungen mag 16

Eidenmüller/Engert/Hornuf, AG 2008, 721, 726, 729. Siehe die Nachweise in den nachfolgenden Fußnoten. 18 Grundlegend Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 122 – 124; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 Rn. 14, 34 – 36; dem Ansatz folgend auch die neuere Kommentarliteratur zu Art. 52 SEVO; z. B. Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Rn. 15 – 19, 42; Kiem, in: KKAktG, 3. Aufl. (2010), Rn. 21 – 23, 36; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Rn. 15, 22; nicht streng zwischen den Ebenen trennt dagegen Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 228 – 232. 17

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen

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man daran denken, ungeschriebene Rechtssätze einem bestimmten geschriebenen Regelungskomplex oder Normgeber zuzuordnen. Doch auch solche ungeschriebenen SE-Hauptversammlungskompetenzen, denen eine Annex- oder Analogiebildung auf Verordnungs- bzw. Mitgliedstaatsebene zugrunde liegt, müssen sich letztlich auf allen relevanten Regelungsebenen bewähren. So kann eine im Zusammenhang mit mitgliedstaatlichen Normen gebildete ungeschriebene Kompetenz nur dann auf die SE übertragen werden, wenn sie sich auch stimmig in die Verordnungsregelungen einpasst; umgekehrt wird eine im Zusammenhang mit Verordnungsregelungen gebildete ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz Bedenken ausgesetzt sein, wenn sie mit mitgliedstaatlichen Gesetzen oder individuellen Satzungsbestimmungen kollidiert, die ihrerseits auf ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlagen aus der Verordnung beruhen; und schließlich sind jedenfalls theoretisch auch ungeschriebene Hauptversammlungskompetenzen denkbar, die sich auf allen Ebenen gleichermaßen verankern lassen. Zwischen ungeschriebenen SE-Hauptversammlungskompetenzen auf Mitgliedstaats- und Verordnungsebene zu differenzieren erweist sich daher letztlich ebenso wenig zielführend wie eine Differenzierung zwischen ungeschriebenen AG-Hauptversammlungskompetenzen auf Ebene der verschiedenen Abschnitte des Aktiengesetzes. Schon im Ansatz eher verwirrend als weiterführend wirkt denn auch die teilweise aufgeworfene Frage, ob Richter- und sonstiges nicht kodifiziertes Recht als Ziel eines Verweises der Verordnung auf nationales Recht in Frage kommt.19 Denn soweit ungeschriebene Hauptversammlungskompetenzen für AG und SE gleichermaßen gelten, geschieht dies nicht, weil ein AG-exklusiver Rechtssatz per Verweis in das Recht der SE inkorporiert wurde, sondern weil die Erwägungen, auf denen der jeweilige Rechtssatz basiert, für AG und SE gleichermaßen zutreffen. Geht es um die Anwendbarkeit einer in der deutschen AG-Rechtsprechung entwickelten Hauptversammlungskompetenz auf die SE, so lautet die Kontrollfrage daher nicht „Ist der Rechtssatz von einem Verweis der Verordnung gedeckt?“ oder „Lässt die Verordnung Platz für den deutschen Rechtssatz?“, sondern: „Wären die maßgeblichen Gerichtsentscheidungen ebenso ausgefallen, wenn es um eine deutsche SE gegangen wäre?“ Rechtstechnisch geht es also nicht um den Transport eines Rechtssatz-Pakets von einer Regelungsebene (deutsche AG) auf die andere (SE), sondern darum, den

19

Dahingehend Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 9 SE-VO Rn. 15; ders., in: FS Ulmer (2003), S. 51, 68 f.; Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 9 SE-VO Rn. 18; Schwarz, SE-VO (2006), Einl Rn. 134; Brandt/Scheifele, DStR 2002, 547, 553; Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 5, 20 – 22; Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.070 a.E.; J. Wagner, NZG 2002, 985, 987; speziell in Bezug auf ungeschriebene Hauptversammlungskompetenzen Göz, ZGR 2008, 593, 615 f.; Schroeter, AG 2007, 854, 860; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 226; Teichmann, ZGR 2002, 383, 398 f.; Theisen/ Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 281 – 283; J. Wagner, NZG 2002, 985, 987.

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

betreffenden Rechtssatz unter Einbeziehung aller in Art. 9 Abs. 1, Art. 52 SE-VO aufgeführten Regelungsebenen neu zu erfinden.20 Die oben genannte Differenzierung zwischen Verordnungs- und Mitgliedstaatsebene und die Diskussion über eine „Übertragung“ ungeschriebener AG-Hauptversammlungskompetenzen auf die SE ist daher wohl weniger Ausdruck eines abstrakt stimmigen Konzepts, sondern eher Folge der mit Einführung der SE-Verordnung intuitiv-untechnisch aufgeworfenen Frage, inwieweit sich ein unbeschriebenes Blatt mit Altbekanntem füllen lässt. Im Folgenden soll die Differenzierung daher nicht weiter vertieft werden. 2. Einzelne ungeschriebene Kompetenzen Welche ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenzen sind für die SE im Einzelnen anzuerkennen? Diskutiert werden in erster Linie eine auflösungs- und liquidationsbezogene Kompetenz, eine Kompetenz für Geschäftsführungsmaßnahmen von grundlegender Bedeutung sowie Zuständigkeiten im Bereich der Mitbestimmung – insbesondere in Hinblick auf den Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung. In Literatur und Rechtsprechung noch kaum wahrgenommen, aber ebenso diskussionswürdig ist ferner eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit für die Abberufung der Aufsichts- bzw. Verwaltungsorganmitglieder. a) Auflösung der SE, Art. 63 Hs. 1 SE-VO Vertreten wird zunächst die These, Art. 63 Hs. 2 SE-VO („… dies gilt auch für die Vorschriften hinsichtlich der Beschlussfassung durch die Hauptversammlung.“) lasse auf eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz für die Entscheidung über die Auflösung der SE schließen.21 Denn neben Art. 63 Hs. 1 SE-VO, der „[h]insichtlich der Auflösung, Liquidation, Zahlungsunfähigkeit, Zahlungseinstellung und ähnlicher Verfahren“ umfassend auf Sitzstaatsrecht verweist, ergebe Hs. 2 nur Sinn, wenn ihm über seinen unmittelbaren Regelungsgehalt hinaus eine ge20

Zutreffend der Ansatz von Kiem, ZHR 171 (2007), 713, 723 f., der seine Ausführungen (in Bezug auf eine mutmaßliche ungeschriebene SE-Hauptversammlungskompetenz) auf den Boden der „Grundsätze der aktienrechtlichen Kompetenzordnung“ stellt, ohne an einer bestimmten Regelungsebene zu haften. In dieselbe Richtung geht der Ansatz von Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 122 – 135, der es zunächst ablehnt, die deutschen HolzmüllerGrundsätze auf die SE zu „übertragen“, und anschließend die Entwicklung eines SE-spezifischen Schutzkonzepts für denselben Themenbereich vorschlägt; ähnlich Spindler, in: Lutter/ Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005) S. 223, 230 („Der dieser [Holzmüller-] Rechtsprechung zugrunde liegende Gedanke … kann auch für die SE-VO verallgemeinert werden.“). 21 Grundlegend Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 123, 140; im Anschluss Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 233; ders., in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 23; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 4.

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen

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meinschaftseinheitliche ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz entnommen werden könne.22 Die Gegenansicht entnimmt Art. 63 Hs. 2 SE-VO in dieser Hinsicht keine Festlegung.23 Der Verordnungsgeber gehe lediglich stillschweigend davon aus, dass entsprechende geschriebene Hauptversammlungskompetenzen im nationalen Aktienrecht bestünden. Für diesen Fall ordne er die Geltung der jeweiligen nationalen Beschlussregeln an.24 Zustimmung verdient nur die letztgenannte Ansicht. Schon im Ansatz wird sich die Frage stellen, ob es der erstgenannten Ansicht nicht eher um eine geschriebene als um eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz geht;25 denn die „Beschlussfassung durch die Hauptversammlung“ wird in Art. 63 Hs. 2 SE-VO immerhin ausdrücklich angesprochen. Die Antwort kann jedoch dahinstehen, da die Norm in keinerlei Hinsicht eine Hauptversammlungskompetenz enthält oder auf eine solche schließen lässt. Hierfür spricht ein Umkehrschluss zu Art. 115 Abs. 1 SEVOV 1989 und Art. 115 Nr. 2 SE-VOV 1991. Dort hieß es noch ausdrücklich: „Die SE kann durch Beschluss der Hauptversammlung … aufgelöst werden“ bzw. „Die SE wird aufgelöst … durch Beschluss der Hauptversammlung der Aktionäre …“ Hätte der Verordnungsgeber eine solche Hauptversammlungskompetenz vorsehen wollen, so hätte nichts näher gelegen, als die Formulierung aus den Entwurfsfassungen zu übernehmen oder sich wenigstens an sie anzulehnen. Die Entscheidung des Verordnungsgebers, dies nicht zu tun, würde missachtet, wollte man die nur in den Entwurfsfassungen ausformulierte Kompetenz nun als ungeschriebene Kompetenz weiterführen. In Bezug auf die Auflösungskompetenz der Hauptversammlung enthält Art. 63 Hs. 2 SE-VO also nicht mehr als eine gleichsam deklaratorische Harmonisierung – also eine Erwartung des Verordnungsgebers, dass die Auflösungsentscheidung nach den nationalen Aktienrechtsordnungen stets in den Händen der Hauptversammlung und nie in denen der Verwaltung liegt. Diese Erwartung wird wohl in keinem Mitgliedstaat enttäuscht; für die deutsche SE ergibt sich dies aus § 119 Abs. 1 Nr. 8, § 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG, Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO.

22

Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 140. Schwarz, SE-VO (2006), Art. 63 Rn. 13 mit dortiger Fn. 20; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 63 Rn. 18; Bachmann, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 63 SEVO Rn. 79 a.E.; Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 52 SE-VO Rn. 16; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 638 mit dortiger Fn. 2959. 24 J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 638 mit dortiger Fn. 2959. 25 In diese Richtung auch die etwas unklare Beschreibung von Brandts Ansicht bei Schwarz, SE-VO (2006), Art. 63 Rn. 13 Fn. 20 („ungeschriebene gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit gemäß Art. 63 Hs. 2 iVm. Art. 52 Unterabs. 1“). 23

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

b) Sonstige Kompetenzfelder Zuständig ist die SE-Hauptversammlung für die Abberufung der Aufsichts- bzw. Verwaltungsorganmitglieder, für Geschäftsführungsmaßnahmen von grundlegender Bedeutung – zu deutsch: „Holzmüller/Gelatine“ – und teilweise auch im Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung. Die entsprechenden, nicht immer ungeschriebenen Kompetenzen sollen nachfolgend im jeweiligen Zusammenhang erörtert werden.26

III. Verhältnis der Hauptversammlungskompetenzen zu den Kompetenzen anderer Organe und Gremien 1. Allgemeines Welche grundlegenden Muster sind zu erkennen, wenn sich Aktiengesetzgeber daran machen, die Kompetenzen der Gesellschaftsorgane zu strukturieren und insbesondere die Zuständigkeiten der Verwaltung (im weiteren Sinne) von denen der Hauptversammlung und der Aktionäre abzugrenzen bzw. ineinander zu verschränken? Setzen sie ähnlich charakteristische Akzente wie Staatsverfassungsgeber Akzente bei der Gewaltenteilung, -verschränkung und -konzentration auf die bzw. im Verhältnis zwischen den verschiedenen Exekutiv-, Legislativ- und Administrativorganen? Lassen sie sich anhand dieser Akzente – ähnlich wie Staatsstrukturen – in verschiedene Kategorien einteilen? Und, falls ja, in welche Kategorie fällt die deutsche SE? Ein Blick auf die Aktienrechtsordnungen der entwickelten und sich entwickelnden Volkswirtschaften zeigt zunächst ein wesentlich geringeres Maß an Vielfalt und Extremen als es wohl in den staatlichen Strukturen der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zu finden wäre. Fokussiert man sich auf Gesellschaften, die die klassischen Funktionen einer Aktiengesellschaft erfüllen – also Rechtspersönlichkeit, Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen, Kapitalaufbringung durch Aktionäre, übertrag- und handelbare Anteile, Unternehmensverwaltung durch ein oder zwei Verwaltungsorgane27 – und nimmt insbesondere Gesellschaften aus, deren Verfassung trotz AG-Firmierung von staats- und verwaltungsrechtlichen Strukturen überlagert wird,28 so zeigt sich beispielsweise, dass kein Modell existiert, das mit einer staatlichen Diktatur oder Monarchie vergleichbar wäre, in der sich alle 26 Verwiesen sei auf die Abschnitte „Abberufung der Mitglieder“, S. 210, „Abberufung der Mitglieder“ S. 301, „Einfluss auf Geschäftsführungsmaßnahmen“, S. 279, „Gelatine-Grundsätze?“, S. 340, und „Einfluss auf die Gestaltung der Beteiligung der Arbeitnehmer“, S. 409. 27 In Anlehnung an Armour/Hansmann/Kraakman, in: Kraakman/Armour/Davies et al., The Anatomy of Corporate Law, 2. Aufl. (2009), S. 5 – 16 (legal personality, limited liability, transferable shares, delegated management with a board structure, investor ownership). 28 Ein typisches Beispiel sind Staatsunternehmen, -betriebe und -monopolisten, die unter der regulierenden Aufsicht des Staates schrittweise an Privatinvestoren, Kapitalmarkt und Wettbewerb herangeführt werden.

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen

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wesentlichen Berechtigungen auf eine Person oder ein Gremium von Personen konzentrieren.29 Denn mit der absoluten Aufwertung der Führungsrolle ginge eine absolute Entwertung der Anteilseignerrolle einher, so dass der Anteilseignerkreis kaum mehr als freiwilliger Zusammenschluss Bestand hätte, sondern allenfalls durch ebenso autoritäre Maßnahmen zusammen gehalten werden könnte. Auf der anderen Seite wird man auch vergeblich nach Strukturen suchen, die eine maximale Zerstreuung und Dezentralisierung der Machtbefugnisse vorsehen. Tatsächlich wird regelmäßig ein Mittelweg gewählt, der es den Anteilseignern ermöglicht, sich von der alltäglichen Verwaltung des Gesellschaftsvermögens fernzuhalten, und die Macht der Verwaltungsmitglieder gleichzeitig durch ein mehr oder weniger ausgeprägtes System von „Checks and Balances“ einschränkt. Fraglich ist nun, ob sich zwischen den Mittelwegen der verschiedenen Aktienrechtsordnungen Unterschiede ausmachen lassen, die eine sinnvolle Kategorisierung erlauben. Ein Versuch, die Aktienrechte der EG-Mitgliedstaaten anhand ihrer Kompetenzstruktur zu ordnen, wurde direkt im Anschluss an das Inkrafttreten der SE-Verordnung unternommen, als die eigentümliche Verweisungstechnik der Verordnung die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Aktienrechte ins Blickfeld der rechtsvergleichenden Forschung rückte. Insbesondere im Anschluss an die Dissertation Brandts hat sich eine Einteilung in sogenannte Hierarchie- und Nebenordnungsmodelle (oder auch Gleichordnungsmodelle) entwickelt.30 Prägend für Nebenordnungsmodelle sei, so die Autoren, dass sowohl die Geschäftsführung als auch die Hauptversammlung ihre jeweiligen Zuständigkeiten gleichrangig aus dem Gesetz ableiteten. Das Gesetz enthalte etwa eine Kompetenznorm, die dem Geschäftsführungsorgan die Geschäftsführung zuweise, sowie weitere Zuständigkeitsvorschriften, die der Hauptversammlung mehr oder weniger fest umrissene Grundlagenentscheidungen übertragen. Sowohl Verwaltung als auch Hauptversammlung erhielten so ihre eigenen, nebeneinander stehenden Kompetenzfelder. Prägend für das Hierarchiemodell dagegen sei eine Unterordnung der Verwaltung im Verhältnis zur Hauptversammlung. Die Hauptversammlung werde als oberste Entscheidungsinstanz installiert, deren Zuständigkeit sich auch auf die nicht rein grundsätzliche Gestaltung des Geschäftsführungsbereichs erstrecke – beispielsweise 29 Nicht ausgeschlossen ist allerdings eine Konzentration aller Entscheidungsrechte auf wenige Personen, wie beispielsweise die Einteilung der Aktien in mehrere, unterschiedlich stimmberechtigte Klassen. Werden die besonders starken Aktienklassen nur an Verwaltungsmitglieder ausgegeben, so haben die übrigen Anteilseigner unter Umständen auch bei einer Kapitalmehrheit keine Möglichkeit, sich bei stimmrechtsbasierten Entscheidungsfindungen gegen die Verwaltungs-Aktionäre durchzusetzen; ihre Position ist weitgehend auf das Gewinnbezugsrecht reduziert. Die prominentesten Beispiele hierfür finden sich im amerikanischen Kapitalmarkt (z. B. die A- und B-Aktien von Facebook und ähnliche Strukturen bei Google, LinkedIn, Zynga und Groupon). 30 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 67 – 120. Die Kategorisierung wird aufgegriffen von Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 52 SE-VO Rn. 7, und Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 52 SE-VO Rn. 6. Zweifelnd dagegen Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 1.

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

durch eine Allzuständigkeit, eine allgemeine Kompetenz-Kompetenz oder Weisungsrechte gegenüber der Verwaltung. Das Geschäftsführungs- bzw. Verwaltungsorgan leite seine Kompetenzen dann nicht primär aus der gesetzlichen Aufgabenzuweisung ab, sondern aus dem Freiraum, den ihm die Hauptversammlung mehr oder wenig großzügig einräume.31 Vor dem Hintergrund der beschriebenen Zweiteilung wird die deutsche AG allgemein dem Nebenordnungsmodell zugeordnet.32 Dasselbe gilt nach wohl herrschender Meinung für die SE, und zwar unabhängig vom Einfluss der unterschiedlichen nationalen Aktienrechtsordnungen.33 Denn bereits die SE-Verordnung sehe eine alleinige und originäre Geschäftsführungsbefugnis des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans vor. Diese Einordnung von AG und SE als Nebenordnungsmodell ist ohne Zweifel zutreffend. Grundlage der Einordnung ist jedoch richtigerweise bereits ihr Charakter als Aktiengesellschaft und nicht bestimmte Merkmale, die sie von Aktiengesellschaftsformen in anderen Mitgliedstaaten unterscheiden. Die Existenzberechtigung einer gesonderten „Hierarchie“-Kategorie unter den Aktiengesellschaften leuchtet bei näherem Hinsehen nämlich nicht ein.34 So halten selbst die von Brandt als „Hierarchie“-Beispiele angeführten belgischen, luxemburgischen und griechischen AG-Varianten (N.V., S.A. bzw. AE) wenigstens teilweise autonome Entscheidungsspielräume für die Verwaltung bereit.35 Ohne diese Freiräume wird eine Aktiengesellschaft auch praktisch kaum funktionieren. Denn die Installation der Anteilseignerversammlung als Spitzenorgan, von dem sich alle Berechtigungen der Verwaltungsorgane ableiten, ergibt nur für solche Gesellschaften Sinn, in denen die Anteilseigner strukturell überhaupt in der Lage sind, einen entsprechend dominanten Willen und eigene Initiativen auszubilden. Dies wird in Aktiengesellschaften jedenfalls typischerweise nicht der Fall sein. Denn mit ihren einfach übertrag- und handelbaren Anteilen und der delegierten Verwaltung stellen sie innerhalb ihrer 31 Zum Ganzen siehe Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 68 – 70, mit weiteren Nachweisen in Fn. 435. 32 Siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 76 Rn. 5, § 119 Rn. 1; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 118 Rn. 10 a.E.; Hoffmann, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 118 Rn. 6; jeweils mit weiteren Nachweisen. 33 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 104 – 118; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 52 SE-VO Rn. 7; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 52 SE-VO Rn. 6; Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 52 SE-VO Rn. 7; etwas offener J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 640 („In Abhängigkeit von ihrem Sitzstaat gelten … für die Machtverteilung zwischen Verwaltung und Hauptversammlung … ganz unterschiedliche Regeln und Direktiven.“). 34 Den Sinn einer Unterscheidung zwischen Nebenordnung und Hierarchie ebenfalls bezweifelnd (ohne dies näher auszuführen) Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 1. 35 Vgl. Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 81, zur griechischen AE: „Die grundsätzliche Omnipotenz der Hauptversammlung ist jedenfalls dahingehend beschränkt, dass sie sich nicht systematisch in die Geschäftsführung einmischen darf und diese so ersetzt.“

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen

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jeweiligen Jurisdiktion typischerweise die Gesellschaftsform mit dem größten und diversifiziertesten Anteilseignerkreis dar – insbesondere dann, wenn die Anteile börslich gehandelt werden. Mit einer Börsennotierung bzw. dem Potenzial hierfür werden Aktiengesellschaften zudem gerade für solche Investoren attraktiv, die von vornherein nur an Dividenden, Kurs- und Spekulationsgewinnen interessiert sind, ohne sich über die Verwaltung des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens ansatzweise Gedanken zu machen, bzw. für Anleger, bei denen sogar dieses rein wirtschaftliche Interesse nur mittelbarer Natur ist, wie z. B. Verwalter von Pensionskassen und Investmentfonds. Allein diese Kombination aus großer Zahl und mangelndem Geschäftsführungsinteresse der Anteilseigner wird die Ausbildung einer gegenüber der Verwaltung dominierenden Anteilseignerposition regelmäßig mit prohibitiv hohen Transaktionskosten belasten, ohne dass es auf die gesetzliche Ausgestaltung ankäme.36 Nur in Sonderkonstellationen können Aktionäre zum selbstständigen Machtfaktor werden, nämlich bei Existenz eines beherrschenden Ankeraktionärs oder einer Verhaltenskoordination durch professionelle Stimmrechtsberater.37 Ein Ankeraktionär wird die Größe seiner Beteiligung freilich kaum dazu benutzen, um sich das Verwaltungsorgan von außen unterzuordnen, selbst wenn der Gesetzgeber die entsprechenden „hierarchischen“ Befugnisse vorsähe. Er wird seinen Einfluss stattdessen nutzen, um mit eigenem Personal in das Verwaltungsorgan eindringen und das Organ als weitere Säule seiner Macht zu etablieren. Quelle des dominanten Einflusses ist dann selbst in einem „Hierarchiemodell“ nicht die Hauptversammlung, sondern die persönliche Präsenz in der Verwaltung, während sich die Bedeutung der Hauptversammlungsdominanz größtenteils darin erschöpft, die entscheidende Präsenz im Verwaltungsorgan abzusichern. Zu einem nennenswerten, selbstständigen Faktor bei der Willensbildung wird die Hauptversammlung allenfalls dann, wenn gleichartige Empfehlungen desselben Stimmrechtsberaters an mehrere kleinere Anteilseigner dazu führen, dass verstreut gehaltene Stimmrechte koordiniert in dieselbe Richtung ausgeübt werden. Auch dann beschränkt sich der Einfluss jedoch darauf, einzelne, von der Verwaltung vorgelegte Angelegenheiten auf Basis allgemeiner Richtlinien punktuell gut zu heißen oder abzulehnen. Zur Entfaltung einer eigenen unternehmerischen Initiative oder gar Dominanz, die sich mit der der Verwaltung messen könnte, sind weder Stimmrechtsberater noch ihre einzelnen Kunden strukturell in der Lage. Die These, dass Aktienrechtsordnungen mit echten hierarchischen Strukturen existieren, in der die Verwaltung ihre gesamten Befugnisse von einer wenigstens theoretisch allmächtigen Hauptversammlung ableitet, scheint daher kaum vereinbar 36

In dieselbe Richtung auch Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 71 („Die Abgrenzung wird … dadurch erschwert, dass unabhängig von der Struktur der Gesellschaft der Verwaltung in der Praxis die zentrale Entscheidungsgewalt zukommt.“), der dennoch an der Einteilung in Hierarchie- und Nebenordnungsmodell festhalten will. 37 Zur Rolle von Stimmrechtsberatern siehe auch unten Abschnitt „Faktische oder vertragliche Bindung an Empfehlungen von institutionellen Stimmrechtsberatern“, S. 50.

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

mit der Rolle, die Aktiengesellschaften in der Realität zukommt. Denn egal ob das Gesetz eine Hierarchie oder eine Nebenordnung vorgibt: Die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft wird praktisch nie in der Lage sein, die unternehmerische Dominanz und Initiative an sich zu ziehen. Selbst wenn sich ein Aktiengesetzgeber also daran machen würde, eine umfassende Hierarchie zwischen SE-Hauptversammlung und -Verwaltung zu kodifizieren, so würde – von Sonderkonstellationen abgesehen – keine Rechtswirklichkeit existieren, die ein solches Aktiengesellschaftsmodell zum Leben erwecken könnte. Sowohl Verordnung und Gesetz als auch die normative Kraft des Faktischen legen die SE folglich auf eine Nebenordnungsstruktur fest, in der sich Verwaltung und Hauptversammlung bzw. Aktionäre mit eigenen, normativ zugewiesenen Kompetenzbereichen gleichgeordnet gegenüber stehen.38 Eine auf die Kompetenzverteilung bezogene Kategorisierung in Hierarchie- und Nebenordnungsmodelle bezeichnet damit weniger eine Trennlinie innerhalb der Familie der Aktiengesellschaften, sondern vielmehr die Trennlinie zwischen offenen Großkapitalgesellschaften mit potenzieller Börsennotierung und geschlossenen, personalistisch geprägten Kleinkapitalgesellschaften. Im Recht der Aktiengesellschaften hat der Hierarchiegedanke nur auf Ebene der Kompetenzausübung Bedeutung – nämlich in dem Sinne, dass das Wohl der Aktionäre wichtigste Leitlinie bei der Ausfüllung der Verwaltungskompetenzen und bei der retrospektiven Bewertung von Organhandeln sein muss. 2. Verhältnis zu Kompetenzen der Geschäftsführungsund Überwachungsorgane Fraglich ist, nach welchen allgemeinen Grundsätzen und auf welcher Regelungsebene sich die Trennung der Kompetenzbereiche der SE-Hauptversammlung und der SE-Verwaltung vollzieht. Einer letztlich vereinzelt gebliebene Ansicht entnimmt die Kompetenzgrenze zwischen Hauptversammlung und Geschäftsleitung allein der SE-Verordnung, und zwar auf Basis der Art. 39 Abs. 1, Art. 43 Abs. 1 SE-VO, einerseits, und des Art. 52 SE-VO, andererseits.39 Geschäftsführungsangelegenheiten seien allein Sache des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans („in eigener Verantwortung“), während die Hauptversammlung auf die Kompetenzen beschränkt sei, für die ihr außerhalb des Geschäftsführungsbereichs die „alleinige Zuständigkeit übertragen“ sei; eine Mitwirkung der Hauptversammlung an Entscheidungen der Geschäftsleitung komme 38 Treffend für die deutsche AG: Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. A. Rn. 7: „Im Hinblick auf die gesetzlich konzipierte Struktur der Aktiengesellschaft und die potenziell sehr hohe Zahl der an der Beschlussfassung teilnehmenden Aktionäre kann die Hauptversammlung nicht für alle Angelegenheiten, die die Gesellschaft und ihre Geschäfte betreffen, zuständig sein“ (keine Kursivierung im Original). 39 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 106 – 115, 123; zustimmend Marsch-Barner, in: FS Happ (2006), S. 165, 171.

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen

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nicht in Frage.40 In dieselbe Richtung weise der in Erwägungsgrund 6 enthaltene Hinweis darauf, dass „Struktur und Funktionsweise“ der SE „durch eine unmittelbar geltende gemeinschaftsrechtliche Verordnung geregelt“ werde.41 Insbesondere könne die SE-Hauptversammlung nicht wie in der deutschen AG gemäß § 119 Abs. 2 AktG über vorgelegte Geschäftsführungsmaßnahmen beschließen.42 Die Gegenansicht entnimmt der SE-Verordnung keine abschließende Kompetenzabgrenzung.43 Der insofern offen stehende Freiraum für Vielfalt auf Mitgliedstaatsebene korrespondiere in rechtspolitischer Hinsicht mit dem Fehlen einer Strukturrichtlinie, die diesen Bereich auf Ebene der nationalen Aktiengesetze harmonisiert hätte.44 Über die Zuweisung des Geschäftsführungsbereichs an das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan hinaus enthalte die Verordnung keine Aussage darüber, welche Aufgaben diesem Bereich zuzurechnen seien und welche nicht.45 Die Abgrenzung zwischen den Organkompetenzen in der deutschen SE orientiere sich damit an denselben Grundsätzen wie in der deutschen AG. Einer vorwiegend in der Kommentarliteratur vertretenen dritten Ansicht zufolge ist der SE-Verordnung keine abschließende Kompetenzabgrenzung zu entnehmen, sondern (nur) eine Strukturvorgabe.46 Über Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO seien auch solche nationalen Hauptversammlungskompetenzen auf die SE anwendbar, die die Kompetenzen der Verwaltung einschränkten.47 Die von der SE-Verordnung einheitlich vorgegebene Organstruktur dürfe auf Mitgliedstaatsebene jedoch nicht 40

Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 107 f. Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 89. 42 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 123; ausführlich zu § 119 Abs. 2 AktG unten Abschnitte „Beschluss über vom Aufsichtsorgan vorgelegte Maßnahmen, § 119 Abs. 2 AktG analog“, S. 247, „Entscheidung über sonstige Geschäftsführungsmaßnahmen auf Verlangen des Leitungsorgans, § 119 Abs. 2 AktG“, S. 291, „Entscheidung über sonstige Geschäftsführungsmaßnahmen auf Verlangen des Verwaltungsorgans, § 119 Abs. 2 AktG“, S. 324, und „Keine Entscheidung über vorgelegte Geschäftsführungsmaßnahmen entsprechend § 119 Abs. 2 AktG“, S. 339. 43 Hirte, NZG 2002, 1, 8; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 229 f. (wohl etwas abweichend dann aber ders., in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 9 f.); Theisen/Hölzl, in: Theisen/ Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 281, 289. 44 Hirte, NZG 2002, 1, 8; Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 281. 45 Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 229. 46 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 Rn. 18 – 20, 35; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 52 SE-VO Rn. 10; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 9 f.; in dieselbe Richtung ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 228 f.; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 52 SE-VO Rn. 11, 15; auch Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 120 f., erkennt in der SE-VO insofern eine Strukturvorgabe, entnimmt dieser aber letztlich einen weitgehenderen Regelungsgehalt als die zuvor zitierten Autoren. 47 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 Rn. 19; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 10. 41

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

grundsätzlich in Frage gestellt werden, wie etwa durch eine völlige Übertragung der Geschäftsführung auf die Hauptversammlung.48 Richtigerweise ist die Verordnung gegenüber Kompetenzabgrenzungen auf nationaler Ebene nahezu vollständig regelungsoffen. Insbesondere der allgemeinen Zuweisung des Geschäftsführungsbereichs an das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan lässt sich keine abschließende Regelung dahingehend entnehmen, dass der Hauptversammlung geschäftsführungsnahe Kompetenzbereiche von vornherein entzogen wären. Die These, die SE-Verordnung ordne alle Kompetenzfelder, die die Geschäftsführung im Sinne des Art. 39 Abs. 1, Art. 43 Abs. 1 SE-VO beträfen, absolut und ausnahmslos dem Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan zu und stehe einer Hauptversammlungskompetenz gemäß Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO in Verbindung mit nationalem Recht ebenso absolut entgegen, erweist sich letztlich als Leerformel. Denn die Begriffe der „Geschäftsführung“ und der „Überwachung“ (Art. 40 Abs. 1 SE-VO) sind bei weitem zu unbestimmt, um einen europäisch einheitlichen (aus Sicht der Hauptversammlung: negativen) Kompetenzkatalog zu entwickeln. Überdies hat der Verordnungsgeber gerade darauf verzichtet, den Geschäftsführungs- und Überwachungsbegriff in ein Vorrangverhältnis zu Art. 52 SE-VO zu setzen. Bei Art. 39 Abs. 1, Art. 40 Abs. 1 und Art. 43 Abs. 1 SE-VO handelt es sich daher im Kern weniger um Kompetenztitel, die bestimmte Entscheidungsfelder für die Verwaltung reservieren, sondern vielmehr um programmatische Leitformeln, die die Eckpunkte des dualistischen und monistischen Verwaltungssystems markieren. Ob der SE-Verordnung wenigstens eine Strukturvorgabe zu entnehmen ist, wie es die Vertreter der an dritter Stelle genannten Ansicht annehmen, kann letztlich dahinstehen. Denn die Annahme, ein Mitgliedstaat könne Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO möglicherweise nutzen, um das aktienrechtliche Verwaltungssystem auf den Kopf zu stellen, indem er beispielsweise die Hauptversammlung als primäres Geschäftsführungsorgan installiert, ist bei Lichte besehen ein Gedankenspiel, das den akademischen Bereich kaum verlassen wird. Ein solcher Mitgliedstaat müsste zunächst seine eigenen nationalen Aktiengesellschaften mit einer derart absurden Struktur versehen, damit sich das Modell über Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO auf eine dort ansässige SE auswirken könnte. Entsprechend enthält auch der Verweis in Erwägungsgrund 6 auf eine europaweit einheitliche SE-Struktur nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit und taugt nicht als Grundlage für eine spürbare Einschränkung des Anwendungsbereich des Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO. Insgesamt gelten für die Abgrenzung zwischen den Verwaltungs- und Hauptversammlungskompetenzen damit dieselben Grundsätze wie im Recht der deutschen AG: Dem Recht der Verwaltung, eigenverantwortlich die Geschäftsführung und Überwachung der Geschäftsführung zu besorgen, stehen eine Reihe von Grundlagenkompetenzen der Hauptversammlung gegenüber. Geschäftsführungs- und Überwachungsangelegenheiten fallen damit grundsätzlich in die Zuständigkeit des 48 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 Rn. 19; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 10.

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen

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jeweiligen Verwaltungsorgans, ohne dass punktuelle Einflussnahmen der Hauptversammlung gänzlich ausgeschlossen sind. 3. Verhältnis zur Beteiligungs- bzw. Mitbestimmungsvereinbarung bzw. jeweiligen Auffangregelung? Unterliegt die Gesellschaft einer Mitbestimmungsregelung, so verteilen sich Macht, Einfluss und Kompetenztitel im Binnenbereich der Gesellschaft nicht nur zwischen Hauptversammlung und Verwaltung, sondern auch auf die Vertreter der Arbeitnehmer. Entschieden wird die Verteilung in der Regel nicht auf gesetzlichem Wege. Primäre Rechtsgrundlage des Arbeitnehmereinflusses ist vielmehr die für jede SE individuell gestaltbare Beteiligungsvereinbarung nach § 21 SEBG, Art. 4 SE-RL. Diese wiederum ist das Ergebnis des Verhandlungsverfahrens zwischen den Leitungen der Gründungsgesellschaften und dem besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer gemäß §§ 11 – 20 SEBG. Es erscheint daher nicht ausgeschlossen, dass sich Leitungen und Arbeitnehmervertreter auf eine Vereinbarung einigen, die Zuständigkeitsbereiche der (am Verhandlungsverfahren nicht beteiligten) Hauptversammlung berührt oder gar in diese eingreift. Auch Art. 12 Abs. 4 SE-VO weist auf dieses Konfliktpotenzial hin, indem er anordnet, dass die Satzung „zu keinem Zeitpunkt im Widerspruch zu der ausgehandelten Vereinbarung stehen“ dürfe und die Satzung zu ändern sei, falls eine neue Beteiligungsvereinbarung mit ihr in Widerspruch stehe. Es stellt sich also die Frage, wo die Linie zwischen möglichen Vereinbarungsthemen und denjenigen Bereichen verläuft, deren Regelung exklusiv der Hauptversammlung bzw. dem Satzungsgeber überlassen sind. a) Beteiligung der Arbeitnehmer Gemäß Art. 4 Abs. 1 SE-RL (umgesetzt unter anderem in § 21 SEBG) verhandeln Leitungen und Arbeitnehmervertreter miteinander, „um zu einer Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer innerhalb der SE zu gelangen.“ § 2 Abs. 8 SEBG, Art. 2 lit. h) SE-RL definieren die „Beteiligung der Arbeitnehmer“ als „Verfahren – einschließlich der Unterrichtung, der Anhörung und der Mitbestimmung –, durch das die Vetreter der Arbeitnehmer auf die Beschlussfassung innerhalb der Gesellschaft Einfluss nehmen können.“ Im Gegensatz zu den Regelungen in Gesetz und Verordnung, die mögliche Satzungsinhalte und Hauptversammlungskompetenzen betreffen, wird der Beteiligungsbegriff also nicht enumerativ, sondern durch eine Generalklausel ausgefüllt, welche mit dem Begriff der „Beschlussfassung innerhalb der Gesellschaft“ zudem recht breit angelegt ist. Konkretisiert wird der mögliche Vereinbarungsinhalt zwar in § 21 Abs. 1 – 4 SEBG, Art. 4 Abs. 2 SE-RL, die einige zwingende und fakultative Regelungsfelder aufführen (z. B. Geltungsbereich und -dauer der Vereinbarung, Zusammensetzung des Betriebsrats, Zahl der Arbeitnehmervertreter in Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan). Im selben Atemzug stellen SEBG und SE-RL jedoch klar, dass der Auflistung kein abschließender Charakter

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

zukommt („unbeschadet der Autonomie der Parteien im Übrigen“, „insbesondere“). Auch ungenannte Bereiche wie die Größe des Verwaltungs- bzw. Aufsichtsorgans, dessen innere Ordnung, die Bildung von Ausschüssen und die Festlegung von Zustimmungsvorbehalten werden daher teilweis als Elemente der „Beteiligung“ diskutiert.49 Ist die vorgenannte Definition auch identisch mit der potenziellen Reichweite der Regelungskompetenz von Leitungen und Arbeitnehmervertretern im Verhandlungsverfahren? Die Formulierung der § 21 SEBG, Art. 4 Abs. 1 SE-RL macht dies nicht ganz deutlich, da sie den Beteiligungsbegriff nicht verwendet, um im Stil einer Kompetenznorm die subjektive Zuständigkeit der Verhandlungsparteien zu beschreiben, sondern den Begriff auf die Vereinbarungsinhalte selbst bezieht. Eine echte Zuständigkeitskonkurrenz zu den Hauptversammlungskompetenzen wird dem Wortlaut nach also nicht etabliert. Zu bedenken ist dabei freilich, dass es dem Richtlinien- bzw. Gesetzgeber schon rechtstechnisch nicht möglich war, an dieser Stelle ein Kompetenzgegengewicht zu anderen Gesellschaftsorganen zu bilden. Denn bei den Verhandlungsparteien in ihrer Gesamtheit handelt es sich weder um ein ständiges Gremium noch um ein Organ, dem in einer Weise Kompetenzen hätten verliehen werden können, wie sie mit §§ 118 ff. AktG, Art. 39 Abs. 1, Art. 40 Abs. 1, Art. 43 Abs. 1 SE-VO vergleichbar wäre. Insofern war es erforderlich, die mögliche Reichweite der Beteiligungsvereinbarung an der Vereinbarung selbst fest zu machen und nicht an den Kompetenzen der Verhandelnden. Bei der Reichweitenbestimmung und beim Abgleich zwischen der Vereinbarung, einerseits, und den Kompetenzen anderer SE-Organe, andererseits, führt daher jedenfalls im Ausgangspunkt kein Weg an der Beteiligungsdefinition aus § 2 Abs. 8 SEBG, Art. 2 lit. h) SE-RL vorbei. Wie sich dieser Begriff zur Satzungskompetenz der Hauptversammlung verhält, soll nachfolgend untersucht werden. b) Uferlosigkeit des Beteiligungsbegriffs und Eingrenzungsversuche Mit der „Beteiligung der Arbeitnehmer“ im Sinne der § 2 Abs. 8 SEBG, Art. 2 lit. h) SE-RL ist den Verhandlungsparteien ein außerordentlich weites Betätigungsfeld eröffnet, ohne dass der Normtext eine Rückkoppelung an eine Hauptversammlungsentscheidung vorschreibt und ohne dass die Hauptversammlung den Gang der Verhandlungen unmittelbar beeinflussen könnte. Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1 SE-VO, wonach die Satzung nicht im Widerspruch zur Vereinbarung stehen darf und ggf. anzupassen ist, scheint den Verhandlungsparteien sogar das Recht zu verleihen, den SE-Satzungsgeber unmittelbar zu gängeln. Nur Art. 23 Abs. 2, Art. 32 Abs. 6 SE-VO erwähnen eine nachträgliche Genehmigung der Beteiligungsvereinbarung durch die Hauptversammlungen der Gründungsgesellschaften – dies jedoch nur für den Fall, dass sich die Hauptversammlungen die Genehmigung zuvor ausdrücklich ausbedungen haben. 49

Vgl. Teichmann, Der Konzern 2007, 89, 94.

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen

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Diese augenscheinliche Machtfülle von Leitungen und Arbeitnehmervertretern wirkt insbesondere aus deutscher Sicht befremdlich. Denn der Satzungsgeber als oberste Instanz der Unternehmensverfassung ist hier über den Grundsatz der Satzungsstrenge an einen engen gesetzlichen Rahmen gebunden, und der gemäß § 76 Abs. 1 AktG in „eigener Verantwortung“ tätige AG-Vorstand darf selbst Geschäftsführungsentscheidungen nicht ohne Votum der Hauptversammlung treffen, soweit diese unter die sogenannten Gelatine-Grundsätze50 fallen. Hinzu kommt, dass (in der dualistischen SE) die Unternehmensleitungen im Verhandlungsverfahren regelmäßig nicht nur als Makler der Aktionäre und Gegenspieler der Arbeitnehmerseite auftreten, sondern auch selbst Arbeitnehmerinteressen wahrnehmen werden.51 Denn ihre eigene Bestellung und ihre Anstellungsbedingungen hängen jedenfalls unmittelbar nicht vom Wohlwollen der Hauptversammlung ab, sondern von dem des potenziell mitbestimmten Aufsichtsorgans.52 Sie unterliegen damit gerade beim Abschluss der Beteiligungsvereinbarung einem Interessenkonflikt, der die Aktionärsinteressen zusätzlich gefährdet. Sind die Unternehmensleitungen und die Arbeitnehmervertreter damit berechtigt, die Corporate Governance der Gesellschaft weitgehender zu gestalten, als dies dem Satzungsgeber gestattet ist? Das gesellschaftsrechtliche Bauchgefühl spricht dagegen. Denn warum sollten die Unternehmensleitungen als Sachwalter der Aktionärsinteressen zu weitgehenderen Eingriffen in die Grundlagen der Gesellschaft berechtigt sein als die Aktionäre selbst, wenn sie schon im Geschäftsführungsbereich einige wichtige Maßnahmen nicht ohne Zustimmung der Hauptversammlung vornehmen dürfen? Allein die Tatsache, dass die Leitungen mit den Arbeitnehmervertretern zusammenwirken, reicht nicht aus, um einen solchen Ausbau der Verwaltungs- zu Lasten der Hauptversammlungskompetenzen einleuchtender erscheinen zu lassen. Auf der anderen Seite fällt es in Anbetracht des ausdrücklich weit gefassten Beteiligungsbegriffs, der offenen Beschreibung möglicher Vereinbarungsgegenstände und des in Art. 12 Abs. 4 SE-VO angeordneten Zurückweichens der Satzung bei Konflikten mit der Vereinbarung schwer, die möglichen Betätigungsfelder der Verhandlungsparteien auf ein Maß zu reduzieren, das mit dem vorgenannten Bauchgefühl kompatibel ist. Die bisherigen Lösungsvorschläge sehen wie folgt aus: aa) Satzungsautonomie und Mitbestimmungsrelevanz Der erste Versuch einer systematischen Eingrenzung möglicher Vereinbarungsgegenstände stammt von Habersack. Anlass war eine Anfrage aus der Praxis,53 die 50

Zur Anwendbarkeit dieser Grundsätze auf die SE siehe unten Abschnitte „Einfluss auf Geschäftsführungsmaßnahmen“, S. 279, und „Gelatine-Grundsätze?“, S. 340. 51 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 12 SE-VO Rn. 62; ders., ZHR 171 (2007), 713, 718; ders., ZHR 173 (2009), 156, 178. 52 Kiem, ZHR 171 (2007), 713, 718. 53 Vgl. die erste Fußnote bei Habersack, AG 2006, 345.

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

offenbar die Frage betraf, inwieweit in der Beteiligungsvereinbarung die Größe und innere Ordnung des Aufsichtsorgans geregelt werden kann. Habersacks zentrale These hierzu lautet, dass „Mitbestimmungsvereinbarungen nur insoweit anzuerkennen [sind], als sie sich im Rahmen der Satzungsautonomie bewegen und zusätzlich Fragen der Mitbestimmung zum Gegenstand haben.“54 Dass die Satzungsautonomie notwendige Voraussetzung der Mitbestimmungsautonomie sei, ergebe sich aus Art. 12 Abs. 4 Sätze 1 und 2 SE-VO, wonach die Satzung der SE zu keinem Zeitpunkt im Widerspruch zu der ausgehandelten Mitbestimmungsvereinbarung stehen dürfe und ggf. an eine neue Mitbestimmungsvereinbarung anzupassen sei. Der Verordnungsgeber trage damit „dem Umstand Rechnung, dass sich die Mitbestimmung in dem Aufsichtsorgan der SE und damit in einem der Regelung durch die Satzung zugänglichen … Teil der Organisation einer SE vollziehe.“ Dem entspreche es, dass Art. 9 SE-VO die Mitbestimmungsvereinbarung nicht erwähne „und damit klar zum Ausdruck bring[e], dass [jene] keine eigenständige Rechtsquelle [sei], sondern erst mit Überführung in die Satzung und als Teil derselben normative Wirkung“ entfalte. Der Grundsatz der Satzungsstrenge gelte daher auch für die Verhandlungsparteien.55 Darauf, dass neben der Satzungsautonomie auch Mitbestimmungsrelevanz gegeben sein müsse, weise der Gegensatz zwischen Art. 40 Abs. 3, Art. 43 Abs. 2 SEVO, einerseits, und Art. 40 Abs. 2, Art. 43 Abs. 3 SE-VO, andererseits, hin. Während Art. 40 Abs. 3, Art. 43 Abs. 2 SE-VO die Gesamtzahl der Aufsichts- bzw. Verwaltungsorganmitglieder beträfen und mögliche Mitbestimmungsvereinbarungen unerwähnt ließen, enthielten Art. 40 Abs. 2, Art. 43 Abs. 3 SE-VO, die die Bestellung der Organmitglieder durch die Hauptversammlung bzw. Satzung betreffen, einen ausdrücklichen Hinweis auf abweichende Regelungen in einer Mitbestimmungsvereinbarung. Dies lasse darauf schließen, dass in Hinblick auf die Festlegung der Gesamtzahl der Organmitglieder keine Vereinbarungsautonomie bestehe. Nicht widerlegt werde dieser Befund durch Art. 12 Abs. 4 Satz 1 SE-VO. Dieser sei nämlich nicht als Kompetenznorm zu interpretieren, sondern setze lediglich anderweitig eingeräumte Vereinbarungsfreiheiten voraus.56 Im Schrifttum ist Habersacks Ansicht überwiegend positiv aufgenommen worden.57 54

Habersack, AG 2006, 345, 351; ders., ZHR 171 (2007), 613, 629 – 631; ders./Verse, Europ GesR, 4. Aufl. (2011), § 13 Rn. 39. 55 Zum Ganzen Habersack, AG 2006, 345, 348; ders., ZHR 171 (2007), 613, 628 f. 56 Zum Ganzen Habersack, AG 2006, 345, 350 f.; ders., ZHR 171 (2007), 613, 630 f. 57 Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 12 SE-VO Rn. 20; Feuerborn, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), § 21 SEBG Rn. 47 f.; Jacobs, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), § 21 SEBG Rn. 14, ders., in: FS K. Schmidt (2009), S. 795, 802 – 804; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 12 SE-VO Rn. 61; ders., Der Konzern 2010, 275, 276 f., 279; Austmann, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 4. Aufl. (2015), § 85 Rn. 40; S. Schneider, AG 2008, 887, 890; wohl Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 40 SE-VO Rn. 102 – 105; Weller, in: Deutsches Aktieninstitut, Finanzplatz Sept. 2009, Nr. 5, S. 10, 11 f.; ähnlich Henssler, in: Ulmer/Ha-

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen

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bb) Satzungsautonomie und Mitbestimmungsrelevanz, zusätzlich Selbstbindung der Leitungen und Änderungskompetenz der Hauptversammlung An den Lösungsvorschlag Habersacks knüpft Kiem an und stellt ihm ein Konzept zur Seite, das die Berücksichtigung des Aktionärswillens bei den Beteiligungsverhandlungen absichern soll:58 Weder der fakultative Genehmigungsvorbehalt aus Art. 23 Abs. 2, Art. 32 Abs. 6 SE-VO noch eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz sei der statthafte Weg zur Einbindung der Hauptversammlung.59 Letztere lasse sich weder aus Art. 12 Abs. 4 SE-VO noch aus dem allgemeinen Grundsatz herleiten, nach dem die Unternehmensleitung nicht über die Zusammensetzung des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans entscheiden dürfe.60 Denn Art. 12 Abs. 4 SE-VO betreffe nur den Fall, dass sich Satzung und Mitbestimmungsvereinbarung kreuzten; zu einer solchen Überschneidung komme es aber häufig gar nicht.61 Die genannten allgemeinen Grundsätzen seien allenfalls am Rande berührt, da die Verhandlungsparteien über die Mitbestimmungsvereinbarung nicht auf die konkrete personelle Zusammensetzung des Aufsichtsorgans Einfluss nähmen, sondern diese nur mittelbar und in abstrakter Weise regelten („Spielregeln“).62 Aus der in Art. 12 Abs. 4 SE-VO genannten Korrektur der Satzung durch den Satzungsgeber folge vielmehr ein Letztentscheidungsrecht des Satzungsgebers.63 Lehne er die Anpassung der Satzung an die Mitbestimmungsvereinbarung ab, so bleibe die Vereinbarung ohne Anwendungsbereich.64 Die Hauptversammlung werde damit in jeder Variante eines Konflikts zwischen Vereinbarung und Satzung eingebunden: Im Gründungsstadium segne die Hauptversammlung die Vereinbarung dergestalt ab, dass die Unternehmensleitung der Hauptversammlung gegenüber mitteile, bersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 3. Aufl. (2013), § 21 SEBG Rn. 29 – 34 (dessen These, die Vereinbarungsparteien seien nicht an die Satzungsautonomie, sondern an zwingendes Gesellschaftsrecht gebunden, wohl eher als Präzisierung denn als Ablehnung des Ansatzes von Habersack verstanden werden kann). 58 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 12 SE-VO Rn. 56 – 83; ders., ZHR 171 (2007), 713, 719 – 730; ders., ZHR 173 (2009), 156, 175 – 178; vgl. ferner ders., ZHR 172 (2008), 484, 486 f; weitgehend auf derselben Linie Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 12 SE-VO Rn. 20; Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 12 SE-VO Rn. 34 f.; Schürnbrand, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 12 SE-VO Rn. 29 – 31. 59 Kiem, ZHR 171 (2007), 713, 722 – 724. 60 Kiem, ZHR 171 (2007), 713, 722 – 724. 61 Kiem, ZHR 171 (2007), 713, 722. 62 Kiem, ZHR 171 (2007), 713, 722 – 724. 63 Kiem, ZHR 173 (2009), 156, 177; ebenso in Bezug auf die grenzüberschreitende Verschmelzung ders., in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 122g UmwG Rn. 16. 64 Kiem, ZHR 173 (2009), 156, 177; ebenso in Bezug auf die grenzüberschreitende Verschmelzung ders., in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 122g UmwG Rn. 16.

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

welche Mitbestimmungslösung angestrebt werde, und die Hauptversammlung die Unternehmensleitung per Zustimmungsbeschluss (zur Gründung) auf dieses Verhandlungsziel verpflichte.65 Setze sich die Unternehmensleitung nicht durch und ergebe sich deswegen ein Konflikt zwischen dem von der Hauptversammlung (als Bestandteil des Gründungsplans) verabschiedeten Satzungsentwurf und dem an die Vereinbarung angepassten Satzungsentwurf, so sei die Unternehmensleitung gemäß § 83 Abs. 2 AktG verpflichtet, erneut einen Hauptversammlungsbeschluss – diesmal zum geänderten Satzungsentwurf – einzuholen.66 Ergebe sich ein Konflikt erst später, weil die Beteiligungsvereinbarung nachträglich geändert werde, so sei ein satzungsändernder Beschluss der Hauptversammlung einzuholen. Die Hauptversammlung sei jedoch bei ihrer Entscheidung frei: Lehne sie die Satzungsanpassung ab und verweigere sie der Vereinbarung so ihre Zustimmung, so müssten die Vereinbarungsparteien einen neuen Vorschlag erarbeiten oder die Auffangregelung finde Anwendung.67 Ergebe sich der Konflikt aus einer nachträglichen Satzungsänderung, so sei dieser Satzungsänderungsbeschluss gemäß § 241 Nr. 3 AktG nichtig. Das Leitungsorgan sei verpflichtet, diese Nichtigkeit per Anfechtungsklage geltend zu machen. Bleibe das Leitungsorgan untätig und werde die Satzungsänderung eingetragen, so komme eine Heilung der Nichtigkeit gemäß § 242 Abs. 1 Satz 1 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO in Betracht.68 Schließlich sei denkbar, dass sich der Konflikt aus einem nachträglichen Eingreifen der gesetzlichen Auffanglösung ergebe. In diesem Fall sei die Unternehmensleitung verpflichtet, der Hauptversammlung die entsprechende Satzungsänderung vorzuschlagen. Lehne die Hauptversammlung die Änderung ab, so ergebe sich ein Widerspruch zwischen Satzung und zwingendem Gesetzesrecht; die Unternehmensleitung sei dann verpflichtet, die Satzungsänderung per positiver Beschlussfeststellungsklage durchzusetzen.69 cc) Vereinbarungsreichweite entsprechend Beteiligungsbegriff; Genehmigung durch die Hauptversammlung Dem Ansatz Habersacks ist namentlich Teichmann entgegengetreten,70 der die eingangs festgestellte Weite des Beteiligungsbegriffs aus § 2 Abs. 8 SEBG, Art. 2 65 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 12 SE-VO Rn. 79; ders., ZHR 171 (2007), 713, 725 – 728; ebenso in Bezug auf die grenzüberschreitende Verschmelzung ders., in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), § 122g UmwG Rn. 15. 66 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 12 SE-VO Rn. 76. 67 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 12 SE-VO Rn. 81. 68 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 12 SE-VO Rn. 82. 69 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 12 SE-VO Rn. 83. 70 Teichmann, Der Konzern 2007, 89, 94 f.; ders., AG 2008, 797, 800 – 807; ders., in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 36 – 40; Hom-

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen

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lit. h) SE-RL unmittelbar auf die potenzielle Reichweite einer Beteiligungsvereinbarung überträgt. An den Grundsatz der Satzungsstrenge seien die Vereinbarungsparteien nicht gebunden; Satzungsautonomie sei also keine notwendige Voraussetzung der Vereinbarungsautonomie.71 Das Gegenteil könne nicht aus Art. 12 Abs. 4 SE-VO hergeleitet werden. Die Vorschrift zeige nämlich nur, dass es Überschneidungen zwischen Satzung und Beteiligungsvereinbarung geben könne. Sie enthalte jedoch nicht die Aussage, das die Vereinbarung nur das behandeln dürfe, was auch dem Satzungsgeber offen stehe.72 Die Beteiligungsvereinbarung entfalte ferner bereits für sich Wirkung und nicht erst durch ihre Überführung in die Satzung. Sie sei auf Rechtsvorschriften gestützt, „die die Mitgliedstaaten in Anwendung der speziell die SE betreffenden Gemeinschaftsmaßnahmen erlassen“ (Art. 9 Abs. 1 lit. c) i) SE-VO), und lasse sich damit in die Rechtsquellenhierarchie der Verordnung einordnen. Die Vereinbarung stehe damit im Rang über dem mitgliedstaatlichen Aktienrecht und dem deutschen Verständnis von Satzungsstrenge.73 Auch Mitbestimmungsrelevanz gehöre nicht zu den Voraussetzungen der Beteiligungsvereinbarung. Die Beteiligungsvereinbarung sei sachlich nämlich gerade nicht auf die Regelung der „Mitbestimmung“ im Sinne der § 2 Abs. 12 SEBG, Art. 2 lit. k) SE-RL beschränkt, sondern betreffe die „Beteiligung der Arbeitnehmer“ im Sinne der § 2 Abs. 8 SEBG, Art. 2 lit. h) SE-RL und damit „jedes Verfahren – einschließlich der Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung –, durch das die Vertreter der Arbeitnehmer auf die Beschlussfassung in der Gesellschaft Einfluss nehmen können.“74 Zudem gelte die in § 21 Abs. 1 SEBG, Art. 4 Abs. 4 SE-RL verwendete Formulierung „[u]nbeschadet der Autonomie der Parteien“ für sämtliche Beteiligungsbereiche.75 Es ergebe sich „notwendigerweise ein Einbruch in angemelhoff/Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 9 SE-VO Rn. 58 (anders noch Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 5, 16: „… wird man aus [Art. 12 Abs. 4] schließen dürfen, dass die Vereinbarung … nur dort eingreifen darf, wo Satzungsautonomie besteht …“); in dieselbe Richtung bereits zuvor Heinze/Seifert/Teichmann, BB 2005, 2524, 2525 f.; Teichmann, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 691, 732; zustimmend Drygala, in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 40 SE-VO Rn. 20; gegen eine Bindung der Vereinbarungsparteien an die Satzungsstrenge auch Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 9 SE-VO Rn. 32 f.; Kiefner/Friebel, NZG 2010, 537, 539 f.; auch die recht knapp begründete Entscheidung des LG Nürnberg-Fürth, ZIP 2010, 372, 373 („GfK“) ist wohl nur mit der Auffassung Teichmanns kompatibel. 71 Teichmann, Der Konzern 2007, 89, 94; ders., AG 2008, 797, 801 – 803. 72 Teichmann, Der Konzern 2007, 89, 94; ders., AG 2008, 797, 803. 73 Teichmann, Der Konzern 2007, 89, 94 f.; ders., AG 2008, 797, 802 f.; ebenso wohl bereits Kübler, in: Baums/Cahn, Die Europäische Aktiengesellschaft (2004), S. 1, 3 f. 74 Teichmann, Der Konzern 2007, 89, 95; ders., AG 2008, 797, 804. 75 Teichmann, AG 2008, 797, 804.

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

stammte Bereiche des Gesellschaftsrechts.“76 Von der Vereinbarungsautonomie ausgeschlossen seien nur Bereiche, die keinen Bezug zur Einflussnahme der Arbeitnehmervetreter auf die Beschlussfassung in der Gesellschaft hätten und/oder diejenigen Bereiche der inneren Ordnung der SE beträfen, welche die SE-VO abschließend und zwingend regelten.77 Den Einbruch in die Kompetenzen der Hauptversammlung sucht Teichmann dadurch abzumildern, dass er das Verhandlungsergebnis an eine Beschlussfassung der Hauptversammlung koppelt. Liege die Vereinbarung bei der Beschlussfassung über die SE-Gründung bereits vor, so könne die Hauptversammlung sie unmittelbar in ihren Willen aufnehmen. Bei Abschluss der Vereinbarung im Nachgang zur Gründung könne sich die Hauptversammlung eine nachträgliche Genehmigung vorab ausbedingen. Werde eine bestehende Beteiligungsvereinbarung geändert, so werde man „hier zumindest eine ungeschriebene Zuständigkeit der Hauptversammlung annehmen müssen. Alternativ [sei] die satzungsmäßige Festlegung eines entsprechenden Zustimmungsvorbehaltes [nach Art. 48 SE-VO] denkbar“ oder eine Regelung in der Beteiligungsvereinbarung, wonach die Hauptversammlung an Änderungen der Vereinbarung zu beteiligen sei.78 dd) Praktische Konkordanz Eine dritte Ansicht79 schließlich sucht die Lösung über eine praktische Konkordanz zwischen der Satzungsautonomie der Hauptversammlung und der Privatautonomie der Vereinbarungsparteien. Ausgemacht werden zunächst eine Reihe von Regelungsgegenständen, die zum Kernbereich der Satzungsautonomie bzw. der Beteiligungsvereinbarung bzw. der Organisationsautonomie der Gesellschaftsorgane gehörten und damit einer Regelung durch den jeweils anderen Regelungsgeber absolut entzogen seien. Dazu gehörten beispielsweise der Unternehmensgegenstand, das Grundkapital und die Aufsichtsorganvergütung (Satzungsautonomie) bzw. die Regelungen zum SE-Betriebsrat und zu Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren (Beteiligungsvereinbarung).80 Außerhalb dieser Kernbereiche lägen Gegenstände, die sowohl für die Satzungsautonomie als auch für die Beteiligungsvereinbarung und

76

Teichmann, Der Konzern 2007, 89, 95. Teichmann, AG 2008, 797, 804 f. 78 Zum Ganzen Teichmann, AG 2008, 797, 806. 79 Forst, AG 2010, 350, 352 – 354; Seibt, ZIP 2010, 1057, 1060 f.; Hohenstatt/MüllerBonanni, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 21 SEBG Rn. 21; anderer, Parteiautonomie-freundlicherer Ansatz noch bei Seibt, AG 2005, 413, 422 f. („… knappe Katalog der Mindestinhalte der Mitbestimmungsvereinbarung unterstreicht das von den europäischen Rechtsakten erstrebte Primat der Verhandlungslösung, der zufolge die Inhalte einer Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitgeber ,weitgehend frei ausgehandelt werden [können]‘.“). 80 Seibt, ZIP 2010, 1057, 1060 f. 77

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen

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die Organisationsautonomie relevant seien.81 Diese Gegenstände seien per Wertungsentscheidung einem der Regelungsorte zuzuweisen.82 ee) Stellungnahme Keine der vorgenannten Ansichten erscheint restlos überzeugend. An der überwiegenden, von Habersack begründeten Ansicht ist zunächst – mit Teichmann83 – zu bemängeln, dass die Argumentationslinie am Begriff der „Mitbestimmungsvereinbarung“ bzw. „Mitbestimmung“ im Sinne des § 2 Abs. 12 SEBG, Art. 2 lit. k) SE-RL ansetzt, während es in der Vereinbarung tatsächlich um den weiter ausgreifenden Begriff der „Beteiligung“ aus § 2 Abs. 10 SEBG, Art. 2 lit. h) SE-RL geht. Die Verengung des Vereinbarungsspielraums auf „mitbestimmungsrelevante“ Gegenstände ist in erster Linie Folge dieser vorschnellen Fokussierung auf den Mitbestimmungsbegriff. Habersack versäumt es zu erklären, wie sich der abschließende Charakter seiner Formel zum nicht abschließenden Charakter des „Beteiligung“-Begriffs und dem eben so wenig abschließenden Charakter der Auflistung möglicher Vereinbarungsgegenstände in § 21 Abs. 1 – 4 SEBG, Art. 4 Abs. 2 SE-RL verhält. Auch das Argument, aus der Notwendigkeit, eine Änderung der Beteiligungsvereinbarung in der Satzung gemäß Art. 12 Abs. 4 SE-VO nachzuvollziehen, ergebe sich, dass die Beteiligungsvereinbarung nur das enthalten dürfe, was auch dem Satzungsgeber erlaubt sei („Satzungsautonomie“), ist nicht logisch zwingend. Denn Art. 12 Abs. 4 SE-VO ordnet gerade keine Komplettübernahme der Vereinbarung in die Satzung an, sondern schreibt eine Anpassung der Satzung nur insoweit vor, als sich Konflikte mit der Beteiligungsvereinbarung ergeben. Soweit die Vereinbarungsparteien aber in Bereichen tätig werden, die einer satzungsmäßigen Gestaltung entzogen sind, ist eine Überschneidung zwischen Vereinbarung und Satzung ausgeschlossen. Der Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 4 SE-VO ist dann gar nicht eröffnet. Nicht überzeugend erscheint schließlich Habersacks These, die Mitbestimmungsvereinbarung entfalte erst durch ihre Überführung in die Satzung überhaupt Wirkung, da sie in der Normenhierarchie des Art. 9 SE-VO nicht genannt werde. Art. 9 SE-VO lässt nämlich nicht nur die Mitbestimmungsvereinbarung unerwähnt, sondern auch sämtliche andere, auf dem Gebiet des Kollektivarbeitsrecht denkbaren Vereinbarungen wie etwa Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge. Daraus den Schluss zu ziehen, eine deutsche SE sei von vornherein nicht an Tarifverträge gebunden, wäre natürlich abwegig; und ebenso wenig ergibt sich aus der Nichterwähnung der Mitbestimmungs- bzw. Beteiligungsvereinbarung in Art. 9 SE-VO, 81 82 83

Seibt, ZIP 2010, 1057, 1060 f. Seibt, ZIP 2010, 1057, 1060 f. Teichmann, Der Konzern 2007, 89, 95.

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

dass Letztere erst in Satzungsform gegossen werden müsste, um Wirksamkeit zu entfalten. Eine Komplettübernahme in die Satzung wäre auch gar nicht möglich, da ein Großteil der in § 21 Abs. 1 – 4 SEBG, Art. 4 Abs. 2 SE-RL genannten möglichen Vereinbarungsgegenstände gar keiner Satzungsregelung zugänglich sind84 (z. B. Geltungsbereich und -dauer der Vereinbarung, Einrichtung und Zusammensetzung eines Betriebsrats). Denselben Bedenken ist die an Habersacks Formel ansetzende Lösung Kiems ausgesetzt. Hinzu kommt, dass Kiems These, die Hauptversammlung sei bei ihrer Entscheidung, die Satzung an widersprechende Vereinbarungsbestimmungen anzupassen, völlig frei und könne mit einer Ablehnung der Satzungsänderung sogar nachträglich die Beteiligungsvereinbarung zu Fall bringen, sich kaum mit dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 4 Satz 1 SE-VO vereinbaren lässt. Dort wird der Konflikt zwischen Satzung und Vereinbarung nämlich eindeutig dahingehend aufgelöst, dass die Satzung zu ändern ist. Diese Änderung ist zudem klar als Pflicht formuliert („… ist diese … zu ändern.“), und die passivische Formulierung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hier nur um eine Pflicht der Hauptversammlung gehen kann. Eine Möglichkeit für die Hauptversammlung, gleichsam den Spieß herumzudrehen, um mit einer Ablehnung der Satzungsänderung die Parteien des Verhandlungsverfahrens unter Änderungsdruck zu setzen, kann es daher nicht geben.85 Der Vorschlag von Kiem ist zudem in hohem Maße auf einen Rückgriff auf nationales Recht angewiesen (z. B. Vorlagepflicht der Unternehmensleitung aus § 83 Abs. 2 AktG, Nichtigkeit einer nachträglichen Satzungsänderung nach § 241 Nr. 3 AktG). Der Kern des Problems – nämlich das Verhältnis zwischen den Kompetenzen der Hauptversammlung und denen der Vereinbarungsparteien – befindet sich aber auf Ebene der Verordnung bzw. der Richtlinie. Angesichts der häufigen Benennung des Verhältnisses zwischen Satzung und Vereinbarung auf europäischer Ebene erscheint es schwer vorstellbar, dass der Verordnungs- bzw. Richtliniengeber die Auflösung des Problems in derart hohem Maße den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber überlassen wollte. Der Gegenentwurf Teichmanns wählt mit dem Begriff der „Beteiligung“ zwar den zutreffenden Ansatz zur Ermittlung möglicher Vereinbarungsgegenstände. Nicht überzeugend wirkt dagegen das Konzept einer Kopplung zwischen der Beteiligungsvereinbarung und einer Beschlussfassung der Hauptversammlung. So lässt 84

Zutreffend Forst, AG 2010, 350, 352. Noch klarer ergibt sich dies für Mitgliedstaaten, die von der Ermächtigung aus Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 2 SE-VO Gebrauch gemacht haben und in denen Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan entsprechend berechtigt sind, die in Art. 12 Abs. 4 Satz 2 angesprochene Satzungsänderung selbst vorzunehmen. Sie würden durch eine Ablehnung nämlich das Ergebnis von Verhandlungen ablehnen, an denen sie selbst beteiligt waren. Das erscheint bereits in sich widersprüchlich; zudem erhielte das Ablehnungsrecht damit eine völlig andere, mit der SE-RL kaum vereinbare Funktion – nämlich die eines Vetorechts der Unternehmensleitung –, und hätte mit einer (von den deutschen Autoren so herbeigesehnten) Einbindung der Aktionäre nichts mehr zu tun. 85

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen

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Teichmanns Konzept insbesondere die Frage offen, warum bei erstmaligem Abschluss der Beteiligungsvereinbarung eine Hauptversammlungszustimmung nur fakultativ, bei späteren Änderungen dagegen zwingend (und auf ungeschriebener Rechtsgrundlage) vorgesehen sein soll. Zudem bleibt unklar, warum und unter welchen Umständen als Ersatz für die letztgenannte, grundsätzlich zwingend erforderliche Hauptversammlungszustimmung eine Zustimmung des Aufsichtsorgans nach Art. 48 SE-VO in Frage kommt. Mit der weiten Reichweite des Beteiligungsbegriffs („Verfahren …, durch das die Vetreter der Arbeitnehmer auf die Beschlussfassung innerhalb der Gesellschaft Einfluss nehmen können“) und der nur losen Ankoppelung an einen Hauptversammlungsbeschluss öffnet Teichmanns Konzept die Beteiligungsvereinbarung zudem für offensichtlich absurde Regelungen. Sollen die Verhandlungsparteien tatsächlich vereinbaren können, „dass bestimmte Rechtsgeschäfte der SE der Zustimmung des SE-Betriebsrats bedürfen“86? Oder dass die Hauptversammlung vom Betriebsratsvorsitzenden geleitet wird? Auch Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in der Hauptversammlung wären wohl von einem derart weit verstandenen Begriff der Beteiligungsvereinbarung gedeckt. Dies würde die Aktionäre aus ihrer Rolle als Satzungsgestalter und Träger von Grundlagenentscheidungen herausdrängen und zu Statisten degradieren; die Satzung verlöre ihre angestammte Funktion als konstitutiver Dreh- und Angelpunkt der Corporate Governance.87 Teichmann befürwortet derart weitgehende Regelungen nicht – er zeigt aber auch keinen geeigneten Weg auf, um sie zu verhindern. Der Vorschlag, eine Abgrenzung per praktischer Konkordanz vorzunehmen, entfernt sich dann schlicht zu weit vom Verordnungs- und Gesetzestext. Gerade der Verordnungsgeber macht in Art. 12 Abs. 4 und Art. 40 Abs. 2, Art. 43 Abs. 3 SE-VO deutlich, dass die Abgrenzung einem trennscharfen Vor- bzw. Nachrangigkeitsprinzip folgt; ein Abwägungsspielraum ist auf Gesetzes-, Verordnungs- und Richtlinienebene nicht ansatzweise angedeutet. Überdies wird sich eine Abgrenzung per Abwägung kaum mit dem Bedürfnis der Rechtspraxis nach einer klaren Umgrenzung potenzieller Vereinbarungs- bzw. Satzungsgegenstände vereinbaren lassen.88 Alle genannten Autoren versäumen es schließlich, ihre Lösungsvorschläge mit dem Szenario abzugleichen, in dem das Verwaltungs- bzw. Leitungsorgan per Gesetz dazu ermächtigt ist, die nach Art. 12 Abs. 4 SE-VO erforderliche Satzungsänderung selbst vorzunehmen. Dies mag aus deutscher Sicht hypothetisch erscheinen, nicht jedoch aus Sicht der Verordnungsgebers, der die Mitgliedstaaten zu einem solchen 86

Beispiel nach Kiem, ZHR 172 (2008), 484, 486. Zutreffend die Kritik von Forst, AG 2010, 350, 351 (in ähnlichem Zusammenhang): „… weil sonst die Arbeitnehmer mehr Gestaltungsmacht hätten als die Anteilseigner. Das ist aber unvereinbar mit dem Grundsatz, dass der die Vorteile haben soll, der das wirtschaftliche Risiko trägt (commodum eius esse debet, cuius periculum est).“ 88 Die Praxistauglichkeit einer Abgrenzung per Abwägung ebenfalls bezweifelnd Schürnbrand, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 12 SE-VO Rn. 32; Kiem, Der Konzern 2010, 275, 279. 87

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

Gesetz ausdrücklich ermächtigt hat. Ein Konzept, das einerseits der Einbindung der Aktionäre zentrale Bedeutung beimisst und andererseits bei der Begründung dieser Einbindung darauf baut, dass der Gesetzgeber nicht von der Ermächtigung aus Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 2 SE-VO Gebrauch macht, erscheint daher zumindest näher erläuterungsbedürftig. Denn auch auf Verordnungsebene ist die Hauptversammlung als primäre Gestalterin der Satzung installiert. Es lohnt sich daher, über eine Alternative zu den genannten Vorschlägen nachzudenken. ff) Eigener Lösungsvorschlag (1) Gegenstandslosigkeit des Art. 12 Abs. 4 SE-VO in der deutschen SE Zu den wichtigsten Elementen der vorgenannten Lösungsvorschläge gehört eine aufwändige Interpretation des Art. 12 Abs. 4 SE-VO – sei es zur Begründung der Satzungsautonomie als notwendige Voraussetzung der Vereinbarungsautonomie oder als Beleg dafür, dass es zu Überschneidungen zwischen Satzung und Vereinbarung kommen könne. Zu merkwürdig erscheint die darin angeordnete Pflicht des Satzungsgebers, einer Vereinbarung zwischen der Leitung der SE und ihren Arbeitnehmern widerspruchslos Folge zu leisten.89 Die (durchweg nicht in Frage gestellte) Prämisse der Interpretationen lautet freilich, dass Art. 12 Abs. 4 SE-VO und das darin aufgelöste Problem der Überschneidung von Satzung und Vereinbarung überhaupt einen Anwendungsbereich in der deutschen SE hat. Dies erscheint durchaus zweifelhaft. Angemerkt sei zunächst, dass die These, eine Rechtsvorschrift habe keinen Anwendungsbereich, auf Ebene der SE-Verordnung weniger abwegig ist als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Das Konzept der Verordnung als Rumpfkodifikation mit großzügigen Verweisen ins Recht der Mitgliedstaaten brachte es nämlich mit sich, dass der Verordnungsgeber eine ganze Reihe nationaler Besonderheiten zu berücksichtigen hatte. Teilweise geschah dies in Form von Vorschriften, die nicht für alle (teilweise sogar nur für die wenigsten) Mitgliedstaaten relevant sind.90 So sind auch für die deutsche SE eine ganze Reihe an SE-Verordnungsregelungen schlicht unbeachtlich, wie etwa Art. 43 Abs. 1 Satz 2 SE-VO, der die Mitgliedstaaten ermächtigt, für das monistische System vorzusehen, „dass ein oder mehrere Geschäftsführer die laufenden Geschäfte in eigener Verantwortung unter denselben Voraussetzungen, wie sie für Aktiengesellschaften mit Sitz im Hoheitsgebiet des

89

Vgl. exemplarisch Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 12 SE-VO Rn. 15 („unglücklich formulierte Vorschrift“). 90 Jedenfalls in rechtspolitischer Hinsicht wird man ferner die gesamte SE-RL als Berücksichtigung einer deutschen Besonderheit deuten dürfen.

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen

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betreffenden Mitgliedstaates gelten, führt bzw. führen“;91 Art. 47 Abs. 1 SE-VO, der die Einsetzung einer juristischen Person als Organwalter ermöglicht;92 und Art. 54 Abs. 2 SE-VO, soweit dieser die Einberufung der Hauptversammlung durch eine Behörde vorsieht.93 Einiges spricht auch dafür, dass auch Art. 12 Abs. 4 SE-VO für die deutsche SE unbeachtlich ist: Die überwiegend vorzufindende Unterstellung, er betreffe Situationen, in denen die Beteiligungsvereinbarung in Bereiche übergreife, die allgemeine Corporate-Governanve-Fragen beträfen und/oder die normalerweise dem Satzungsgeber vorbehalten seien, passt zunächst nicht zu der Anordnung, dass die Satzung geändert werden muss, soweit sie mit einer neuen Vereinbarung im Widerspruch steht (Art. 12 Abs. 4 Satz 2). Denn ein solcher Eingriff in die Satzungskompetenz der Hauptversammlung wäre in der Tat „bahnbrechend“94 – und zwar nicht nur nach den Maßstäben des deutschen Aktienrechts, sondern vor allem nach denen der SE-Verordnung selbst. Das Recht der Hauptversammlung, über Satzungsänderungen zu entscheiden, ist nämlich (nicht zu knapp) in Art. 59 SE-VO kodifiziert, der in Hinblick auf die Beteiligungsvereinbarung keine Ausnahmen enthält und auch sonst in keinem erkennbaren Zusammenhang zu Art. 12 Abs. 4 SEVO steht. Noch nicht einmal ein Mitbestimmungsvorbehalt nach dem Muster der Art. 40 Abs. 2, Art. 43 Abs. 3 SE-VO findet sich in oder um Art. 59 SE-VO. Systematisch hat der Verordnungsgeber Art. 12 Abs. 4 SE-VO vielmehr als einen Nebenaspekt der Eintragung eingeordnet. Ihm eine Bedeutung zuzumessen, die aus den Verhandlungsparteien gleichsam einen zweiten Satzungsgestalter machen würde,95 ist daher nicht einleuchtend. Einen weiteren Hinweis darauf, dass Art. 12 Abs. 4 SE-VO bei weitem nicht die Bedeutung zukommt, die der Vorschrift im deutschen Schrifttum zugemessen wird, gibt die in Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 2 SE-VO enthaltene Möglichkeit für die Mit91 Siehe nur Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 2; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 28; Neye/Teichmann, AG 2003, 168, 176; jeweils mit weiteren Nachweisen; eine (nur) mittelbare Bedeutung der Vorschrift für die deutsche SE bejahend dagegen Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 43 SE-VO Rn. 7, 15; zur im älteren Schrifttum vertretenen Ansicht, die eine direkte Verbindung zwischen Art. 43 Abs. 1 Satz 2 SE-VO und den geschäftsführenden Direktoren im Sinne des § 40 SEAG zieht, siehe Hoffmann-Becking, ZGR 2004, 355, 372 f. 92 Siehe nur Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 47 SE-VO Rn. 1, mit weiteren Nachweisen. 93 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 54 Rn. 10; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 54 SE-VO Rn. 3 mit dortiger Fn. 7; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 54 SE-VO Rn. 19; Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 54 SE-VO Rn. 16; a.A. (Pflicht des deutschen Gesetzgebers zur Benennung einer zuständigen Behörde) Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 181; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 241. 94 So (in ähnlichem Zusammenhang) Kiem, ZHR 173 (2009), 156, 176. 95 In diese Richtung ohne nähere Begründung Gößl, Satzung der SE (2010), S. 187 („Insofern stellt Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 2 eine Ausnahme zu Art. 59 dar, …“).

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

gliedstaaten, eine gesetzliche Befugnis des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans vorzusehen, diese Satzungsänderung eigenmächtig vorzunehmen. Ginge es hier um bedeutende Satzungsänderungen, so hätte sie der Verordnungsgeber kaum in die Hände der Verwaltung gelegt, welche zuvor selbst am Zustandekommen der Vereinbarung beteiligt war. Es kann sich bei den in Art. 12 Abs. 4 SE-VO angesprochenen Satzungsänderungen also nur um Änderungen handeln, die (1) trotz ihres verpflichtend-exekutiven Charakters die in Art. 59 SE-VO enthaltene Satzungskompetenz der Hauptversammlung nicht substanziell in Frage stellen, (2) sich systematisch stimmig als Nebenaspekt der Eintragung einordnen lassen und (3) ausreichend nicht-grundlegenden Charakter aufweisen, dass sie im Kompetenzbereich des Geschäftsführungsorgans nicht als Fremdkörper erscheinen. Ein solches Verständnis des Art. 12 Abs. 4 SE-VO wird möglich, wenn man den Blick von der deutschen Satzungsstrenge abwendet und die vielfältigen Möglichkeiten einbezieht, die beispielsweise einem englischen Satzungsgeber offen stehen.96 Bewegt sich der Satzungsgeber in einem regulatorischen Umfeld, das auch in Hinblick auf die innere Organisation der Gesellschaft nur wenig zwingende Vorschriften enthält – wie insbesondere das englische Recht97 –, so besteht nicht nur die dem deutschen Gesellschaftsrechtler vertraute Gefahr, dass die Beteiligungsvereinbarung in die Satzungsautonomie übergreift, sondern auch die umgekehrte Gefahr, dass der Satzungsgeber in Mitbestimmungs- und Beteiligungsfragen hineinregiert.98 Letzterer Konflikt wird auf Ebene der SE-RL nicht aufgelöst, da dem dortigen Positivkatalog für mögliche Vereinbarungsgegenstände (Art. 4 Abs. 2) kein an den Satzungsgeber gerichteter Negativkatalog gegenüber steht. Ein solcher Negativkatalog findet sich auch in der Verordnung nicht. Allein Art. 12 Abs. 4 SE-VO enthält den passenden Konfliktlösungsmechanismus – nämlich eine generelle Verdrängung der Satzung durch die Beteiligungsvereinbarung. Die entsprechende Anpassung der Satzung kann per Gesetz nach Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 2 SE-VO auch problemlos der Verwaltung anvertraut werden. Denn die SE-RL und die jeweilige Ausführungsgesetzgebung (Art. 9 Abs. 1 lit. c) i) SE-VO) legen die Regelung der Arbeitnehmerbeteiligung und -mitbestimmung ohnehin uneingeschränkt in die Hände der Verhandlungsparteien. Eine Satzungskompetenz für diesen Bereich ließe sich nur aus allgemeinem nationalen Aktienrecht – und damit aus einer in der Normenhierarchie unterlegenen Rechtsquelle (Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO) – ableiten. Das Zurückweichen der Satzung in Mitbestimmungs96 Vgl. hierzu die Ausführungen zum englischen Recht bei Schröder, in: Manz/Mayer/ Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 9 SE-VO Rn. 119; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 78 („Satzungsautonomie nahezu grenzenlos“). 97 J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 78. 98 Ebenso wie die deutsche Satzungsstrenge, so gilt eine im nationalen Recht verankerte Satzungsfreiheit über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO auch für die in der jeweiligen Jurisdiktion beheimatete SE.

B. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen

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und Beteiligungsfragen vollzieht also lediglich auf formeller Ebene nach, was materiell in Art. 4 Abs. 2 SE-RL und Art. 9 Abs. 1 lit. c) SE-VO vorgegeben ist. Eine spürbare Beeinträchtigung der Hauptversammlungskompetenz aus Art. 59 SE-VO ergibt sich nicht.99 (2) Satzungsrelevante Beteiligungsvereinbarung nur im Rahmen des Mitbestimmungsbegriffs Fällt Art. 12 Abs. 4 SE-VO damit als Konfliktlösungsmechanismus für ein Übergreifen der Beteiligungsvereinbarung in satzungsrelevante Bereiche aus, so schließt sich die Frage an, auf welcher Basis ein solches Übergreifen stattdessen aufgelöst werden kann. Auch hier kann zunächst unmittelbar auf den Verordnungstext zurückgegriffen werden: Art. 40 Abs. 2, Art. 43 Abs. 3 SE-VO ordnen bei der Bestellung der Aufsichts- bzw. Verwaltungsorganmitglieder durch die Hauptversammlung bzw. den Satzungsgeber einen Vorrang der Beteiligungsvereinbarung an, soweit letztere ein Recht der Arbeitnehmer vorsieht, „einen Teil der Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu wählen oder zu bestellen“ (§ 2 Abs. 12 Nr. 1 SEBG, Art. 2 lit. k) SE-RL) oder „die Bestellung eines Teils oder aller Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu empfehlen“ (§ 2 Abs. 12 Nr. 2 SEBG, Art. 2 lit. k) SE-RL). Doch was ist mit sonstigen Arbeitnehmer-Einflussnahmen, die nicht vom Mitbestimmungsbegriff aus § 2 Abs. 12 SEBG, Art. 2 lit. k) SE-RL umfasst sind, sondern nur vom Begriff der „Beteiligung der Arbeitnehmer“ aus § 2 Abs. 8 SEBG, Art. 12 lit. h) SE-RL? Geht man mit Teichmann davon aus, dass unter dem Banner des Beteiligungsbegriffs jedes Verfahren vereinbart werden kann „– einschließlich der Unterrichtung, der Anhörung und der Mitbestimmung –, durch das die Vertreter der Arbeitnehmer auf die Beschlussfassung innerhalb der Gesellschaft Einfluss nehmen können,“ so ergeben sich hier besonders vielfältige Möglichkeiten für die Verhandlungsparteien, in den Satzungsbereich überzugreifen, und ein besonders großes Bedürfnis nach einem sinnvollen Konfliktlösungsmechanismus. Aufgelöst werden kann der Konflikt freilich bereits auf Ebene der SE-RL bzw. des SEBG. So fällt auf, dass zwar der Beteiligungsbegriff aus § 2 Abs. 8 SEBG, Art. 12 lit. h) SE-RL und auch die darin enthaltenen Begriffe der „Unterrichtung“ (§ 2 Abs. 10 SEBG, Art. 2 lit. i) SE-RL) und der „Anhörung“ (§ 2 Abs. 11 SEBG, Art. 2 lit. j) SE-RL) recht offen definiert sind, der Mitbestimmungsbegriff dagegen um so enger und abschließender gefasst ist. Er ist auf die vorgenannten, in § 2 Abs. 12 SEBG, Art. 2 lit. k) SE-RL ausdrücklich genannten Einflussnahmealternativen begrenzt; die an anderer Stelle verwendeten Worte „insbesondere“ und „einschließlich“ finden sich nicht. Die in § 2 Abs. 12 SEBG, Art. 2 lit. k) SE-RL genannten 99 Umgekehrt ergäbe sich freilich eine spürbare Beschränkung der Vereinbarungsfreiheit der Verhandlungsparteien, wenn man dem Satzungsgeber gestatten wollte, mit einer satzungsmäßigen Regelung der Arbeitnehmermitbestimmung und -beteiligung das Verhandlungsverfahren zu präkludieren.

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1. Teil: Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte

Mitbestimmungs-Einflussnahmen sind zudem die einzigen ihrer Art, die von der Verordnung ausdrücklich in ein bestimmtes Verhältnis zur Satzung gerückt werden. Dieser rigide Ausschluss weiterer Einflussnahmen, welche sich einem offen definierten Mitbestimmungsbegriff möglicherweise ebenfalls hätten zuordnen lassen können (z. B. direkte Einflussnahme der Arbeitnehmervertreter auf Ausschusseinrichtungen und -besetzungen; Gestaltung eines Arbeitsdirektorenamts), ergibt aber nur dann Sinn, wenn für solche andere Einflussnahmen nicht ohne weiteres auf den allgemeineren Begriff der „Beteiligung“ zurückgegriffen werden kann. Nur dann ergibt sich auch ein stimmiges Verhältnis zur Zielsetzung des SEBG, das ausweislich § 1 Abs. 2 Satz 1 SEBG der „Sicherung des Rechts auf grenzüberschreitende Unterrichtung, Anhörung, Mitbestimmung und sonstige Beteiligung der Arbeitnehmer“100 dient (keine Hervorhebung im Original). Die von Teichmann befürwortete und von der Gegenmeinung karikierte101 These, auf Basis des allgemeinen Beteiligungsbegriffs könnten in die Beteiligungsvereinbarung eine uferlose, nur von der Phantasie der Verhandlungsparteien begrenzte Vielfalt an Arbeitnehmer-Mitbestimmungsrechten aufgenommen werden, stellt daher nichts anderes dar als einen systematisch unzulässigen Rückgriff auf die lex generalis innerhalb des Anwendungsbereichs des Spezialgesetzes. Richtigerweise umschreibt der in § 2 Abs. 12 SEBG, Art. 2 lit. k) SE-RL verwendete Mitbestimmungsbegriff abschließend den Rahmen, in dem die Vereinbarungsparteien ein „MitBestimmen“ der Arbeitnehmervertreter vereinbaren können. Sonstige Übergriffe in die allgemeine, vom Satzungsgeber fixierte Corporate Governance sind den Vereinbarungsparteien schon nach dem SEBG bzw. der SE-RL nicht gestattet. Werden sie trotzdem vereinbart, sind sie wegen ihrer Gesetzes- und Richtlinienwidrigkeit schlicht unbeachtlich.102 Der Verordnungsgeber konnte daher insoweit darauf verzichten, einen besonderen Konfliktlösungsmechanismus für eine Schnittmenge zwischen Satzung und Beteiligungsvereinbarung vorzusehen. (3) Zusammenfassung Konflikte durch ein Übergreifen der Beteiligungsvereinbarung in satzungsrelevante Regelungsbereiche können nur insoweit verursacht werden, als die Beteiligungsvereinbarung Regelungen über die „Mitbestimmung“ im Sinne des § 2 Abs. 12 SEBG, Art. 2 lit. k) SE-RL enthält. Diese Konflikte werden gemäß Art. 40 Abs. 2, Art. 43 Abs. 3 SE-VO zugunsten der Beteiligungsvereinbarung aufgelöst. Sonstige Vereinbarungsbestandteile, die ein Mit-Bestimmen der Arbeitnehmervertreter vorsehen, welches nicht unter den Mitbestimmungsbegriff des § 2 Abs. 12 SEBG, Art. 2 100 Auf diesen Wortlaut hinweisend auch Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 40 SE-VO Rn. 104. 101 Kiem, ZHR 172 (2008), 484, 486 („… so könnte die Mitbestimmungsvereinbarung beispielsweise vorsehen, dass bestimmte Rechtsgeschäfte der SE der Zustimmung des SEBetriebsrats bedürfen.“). 102 Für die deutsche SE folgt dies aus § 134 BGB.

C. Keine übergreifende Systematik der Aktionärsrechte

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lit. k) SE-RL fällt, sind rechtswidrig und damit unbeachtlich. Das gilt insbesondere für Vereinbarungen über die absolute Zahl der Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgansitze. Konflikte, die dadurch verursacht werden, dass der Satzungsgeber in Regelungsbereiche vordringt, die nach der SE-RL der Beteiligungsvereinbarung vorbehalten sind, werden in Art. 12 Abs. 4 SE-VO ebenfalls zugunsten der Beteiligungsvereinbarung aufgelöst. Da derart weit ausgreifenden Satzungsbestimmungen nach deutschem Aktienrecht bereits der Grundsatz der Satzungsstrenge entgegensteht, hat Art. 12 Abs. 4 SE-VO in Bezug auf die deutsche SE keinen Anwendungsbereich.

C. Keine übergreifende Systematik der Aktionärsrechte Im Gegensatz zu den Kompetenzen der Hauptversammlung folgt die Kodifikation der subjektiven Aktionärsrechte weder auf Ebene der SE-Verordnung noch auf der des Aktiengesetzes einem einheitlichen System oder eine katalogartigen Ordnung. Ein gesonderter Abschnitt zu den Rechten der Aktionäre fehlt ebenso wie eine § 119 AktG oder Art. 52 SE-VO vergleichbare Zentralnorm. Die unterschiedlichen Berechtigungen sind stattdessen lose auf verschiedene Abschnitte des jeweiligen Normtextes verteilt. Um die deutsche SE für die im Aktiengesetz enthaltenen Aktionärsrechte zu öffnen, kann der Spezialverweis aus Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO SE-VO auch nicht entsprechend herangezogen werden. Sein Wortlaut und seine Position am Beginn des Abschnitts 4 „Hauptversammlung“ beschränken sich zu eindeutig auf Organkompetenzen.103 Als Verweisnorm in Betracht kommt jedoch Art. 53 SE-VO, soweit sich aktiengesetzliche Aktionärsrechte auf die Organisation oder den Ablauf der Hauptversammlung oder auf das dortige Abstimmungsverfahren beziehen. Im Übrigen bleibt nur ein Rückgriff auf Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO.

103 Im Ergebnis ebenso Bungert/Beier, EWS 2002, 1, 4 („Außen vor gelassen wurden im Statut dagegen die Individualrechte der Aktionäre.“); zu den noch im SE-VOV 1991 enthaltenen, ausführlicheren Regelungen im Bereich der Aktionärsrechte siehe Schwarz, ZIP 2001, 1847, 1857.

2. Teil

Der SE-Hauptversammlungsbeschluss Das erfolgreiche Zustandekommen eines Beschlusses erfordert im Grundsatz die aus dem deutschen Hauptversammlungsrecht (und aus dem Recht sonstiger beschließender Gremien) bekannten drei Elemente: Beschlussfähigkeit, Stimmabgabe der Stimmberechtigten sowie hinreichendes Überwiegen der Ja-Stimmen. Auch der SE-Hauptversammlungsbeschluss ist damit ein mehrseitiges, von den Einzelstimmen ihrer Mitglieder getragenes Rechtsgeschäft eigener Art, in dem die Hauptversammlung ihren Willen zum Ausdruck bringt.1

A. Beschlussfähigkeit Anforderungen an die Beschlussfähigkeit der Hauptversammlung finden sich auf Ebene der SE-Verordnung nicht. Insbesondere eine Mindestpräsenz ist nicht vorgesehen, und auch das deutsche Aktienrecht enthält hierzu keine gesetzliche Vorgabe. Die Hauptversammlung ist daher grundsätzlich bereits dann beschlussfähig, wenn nur ein einziger Aktionär an der Beschlussfassung teilnimmt.2 Die Enthaltsamkeit der SE-Verordnung im Bereich der Beschlussfähigkeit könnte Raum schaffen für eine Übertragung des in § 133 Abs. 1 Hs. 2 Alt. 2 AktG eröffneten Satzungsfreiraums auf die deutsche SE über Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO. Gemäß § 133 Abs. 1 Hs. 2 Alt. 2 AktG darf die AG-Satzung in Bezug auf das Zustandekommen von Hauptversammlungsbeschlüssen „weitere Erfordernisse bestimmen“ – wozu nach allgemeiner Ansicht3 auch Anforderungen an die Beschlussfähigkeit zählen. Gilt derselbe Freiraum auch für den Satzungsgeber einer deutschen SE? Eine im älteren Schrifttum vertretene Ansicht lehnt dies ab; Art. 57 SE-VO sei insofern

1 Allgemein zur Rechtsnatur des AG-Hauptversammlungsbeschlusses Schröer, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2013), § 133 Rn. 3. 2 Ganz h.M.; siehe nur Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 57 SE-VO Rn. 5 a.E.; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 9 a.E.; Kubis, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2012), Art. 57, 58 SE-VO Rn. 1 a.E., jeweils mit weiteren Nachweisen. 3 Siehe nur Liebscher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 133 AktG Rn. 5; Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 133 Rn. 11; Schröer, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2013), § 133 Rn. 55.

A. Beschlussfähigkeit

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abschließend.4 Wenn der Satzungsgeber schon keine abweichenden Mehrheitserfordernisse festlegen dürfe, so sei es ihm erst recht untersagt, zusätzliche Abstimmungsvoraussetzungen aufzustellen.5 In systematischer Hinsicht ergebe sich der abschließende Charakter des Art. 57 SE-VO aus einem Umkehrschluss zu Art. 50 SE-VO, der für das Leitungs-, Aufsichts- und Verwaltungsorgan Regeln bzw. Ermächtigungen zur Beschlussfähigkeit ausspreche, sowie zu Art. 59 Abs. 2 SE-VO, der für eine Sonderkonstellation ein Hauptversammlungsquorum enthalte.6 Dasselbe ergebe sich aus der Historie des Art. 57 SE-VO: Gemäß Art. 91 Abs. 3 SE-VOV 1970 habe der Satzungsgeber für einfache Beschlussfassungen nur die Mehrheitserfordernisse erhöhen können; weitere satzungsmäßige Beschlussvoraussetzungen seien nur in Bezug auf Satzungsänderungen gemäß Art. 243 Abs. 3 SE-VOV 1970 statthaft gewesen. Letztere Option sei bereits im SE-VOV 1975 nicht mehr vorgesehen gewesen. Bei der einfachen Beschlussfassung seien daher auch nach heutigem Recht keine satzungsmäßigen Beschlussfähigkeitsregeln zulässig.7 Dagegen wendet sich die mittlerweile herrschende Ansicht, die eine Anwendbarkeit des Satzungsspielraums aus § 133 Abs. 1 Hs. 2 Alt. 2 AktG auf die deutsche SE bejaht.8 Hierfür spreche ein Abgleich mit früheren Verordnungsentwürfen, die zunächst ein Quorum vorgesehen hätten, was später aufgegeben worden sei, ohne dass durch Schweigen eine abschließende Regelung geschaffen werden sollte.9 Ein Rückgriff auf nationale Beschlussfähigkeitsregeln sei auch nicht durch einen Umkehrschluss zu Art. 59 Abs. 2 SE-VO versperrt, da jener nur eine Öffnungsklausel für Mitgliedstaaten bei satzungsändernden Beschlüssen vorsieht.10 Auch sei es nicht plausibel, Art. 57 SE-VO in Bezug auf nationale Satzungsspielräume zur Be-

4 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 57 Rn. 16 f., 19 f.; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 228 – 234. 5 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 57 Rn. 17. 6 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 230 f.; abweichend insofern Schwarz, SE-VO (2006), Art. 57 Rn. 20 mit dortiger Fn. 19. 7 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 57 Rn. 17; abweichend insofern Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 231 f., der die Normhistorie eher als Argument gegen den abschließenden Charakter des Art. 57 SE-VO einordnet. 8 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 57 SE-VO Rn. 5 f.; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 57, 58 SE-VO Rn. 2; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 9; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 57, 58 SEVO Rn. 1; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 44; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 57 SE-VO Rn. 6; ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 245; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 281 f., 292 f.; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 682. 9 Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 245, unter Hinweis auf „etwa Art. 84 SE-VO-E 1989 und die Streichung 1991.“ 10 Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 57 SE-VO Rn. 6.

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2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

schlussfähigkeit als abschließend zu interpretieren, gleichzeitig aber zwingende nationale Beschlussfähigkeitsregeln auf die SE anzuwenden.11 Die besseren Gründe sprechen gegen eine Anwendbarkeit des deutschen Satzungsspielraums aus § 133 Abs. 1 Hs. 2 Alt. 2 AktG. Keinen Aufschluss gibt zunächst die Normgeschichte. Denn einerseits überzeugt der Hinweis auf Art. 84 SE-VOV 1989 und dessen Streichung im SE-VOV 199112 nicht, da die Vorschrift nicht die Beschlussfähigkeit, sondern die Einberufungsmodalitäten behandelte. Andererseits erscheint es auch nicht möglich, einen Unterschied zwischen den SE-VOV 1970 und 1975 als Argument für die Auslegung des heutigen Verordnungstextes zu verwerten. Denn das in diesen beiden Entwürfen enthaltene Hauptversammlungsrecht folgt einem völlig anderen Konzept als das der SE-Verordnung; insbesondere der Verzicht auf eine Vollkodifikation im Anschluss an die beiden 1970er-Entwürfe13 eröffnete völlig neue Möglichkeiten für eine ergänzende Anwendung nationalen Rechts. Gegen eine Anwendbarkeit des § 133 Abs. 1 Hs. 2 Alt. 2 AktG spricht aber der Umkehrschluss zu den Beschlussfähigkeitsregeln aus Art. 50 SE-VO. Hätte der Verordnungsgeber eine vollständige Regelungsoffenheit des SE-Hauptversammlungsrechts gegenüber nationalen Beschlussfähigkeitsregeln im Sinn gehabt, so hätte er den normierten Beschlussfähigkeitsregeln im Recht der SE-Verwaltung wohl einen ausdrücklichen Verweis auf nationales Recht im Recht der Hauptversammlung zur Seite gestellt – beispielsweise durch Aufnahme der Beschlussfähigkeit in Art. 53 SE-VO, der für andere Elemente des Hauptversammlungsrechts auf Sitzstaatrecht verweist. Ein ähnlicher Umkehrschluss zu Art. 59 Abs. 2 SE-VO ist wohl nicht möglich; dennoch weist auch diese an die Mitgliedstaaten gerichtete Ermächtigung auf die Nichtgeltung nationaler Beschlussfähigkeitsregeln hin. Denn die in Art. 59 Abs. 2 geregelte Befugnis der Mitgliedstaaten, bei Präsenz der Hälfte des Kapitals eine Satzungsänderung per einfachem Mehrheitsbeschluss zu erlauben, würde deplaziert wirken, wenn gleichzeitig Platz wäre für nationale Vorschriften, die die Präsenz der Hälfte des Kapitals als allgemeine Beschlussfähigkeitsvoraussetzung definieren. Beizupflichten ist der herrschenden Meinung insoweit, als einer gespaltenen Auslegung des Art. 57 SE-VO – offen für zwingende Beschlussfähigkeitsregeln, abschließend in Hinblick auf beschlussfähigkeitsbezogene Satzungsspielräume14 – die Grundlage fehlt. Hieraus die völlige Regelungsoffenheit des Art. 57 SE-VO abzuleiten, wäre freilich ebenso deplatziert. 11

Gößl, Satzung der SE (2010), S. 282; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 682. 12 Siehe oben 2. Teil, Fn. 9. 13 Siehe nur Drinhausen, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Einl. SE-VO Rn. 21 f., sowie unten 4. Teil, Fn. 901. 14 Nachweise siehe oben 2. Teil, Fn. 4.

B. Beschlussfassung

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Richtigerweise ist Art. 57 SE-VO daher in Hinblick auf Beschlussfähigkeitsanforderungen vollständig abschließend auszulegen. Eine Anwendung des Satzungsspielraums aus § 133 Abs. 1 Hs. 2 Alt. 2 AktG kommt ebenso wenig in Betracht wie zwingende Beschlussfähigkeitsregeln in den Aktienrechten anderer Mitgliedstaaten.

B. Beschlussfassung I. Stimmrecht 1. Allgemeines Die SE-Verordnung enthält ebenfalls keine allgemeine, das Stimmrecht der Aktionäre begründende oder gestaltende Vorschrift.15 Es bietet sich daher auf den ersten Blick an, für die deutsche SE auf § 12 Abs. 1 Satz 1 AktG zurück zu greifen, wonach jede Aktie das Stimmrecht gewährt. Einschlägige Verweisungsnorm wäre wohl Art. 5 SE-VO, der unter anderem „für … die Aktien“ auf das Recht des SESitzstaats verweist.16 Mindestens ebenso nahe liegt es aber wohl, die elementare Verbindung zwischen Aktie und Stimmrecht bereits aus der Verordnung selbst abzuleiten. Denn insbesondere in Abschnitt 4 („Hauptversammlung“) geht der Verordnungsgeber durchweg stillschweigend davon aus, dass das Stimmrecht in der Hauptversammlung ausschließlich Aktionären zusteht. Letztlich wird man sich mit dem Befund zufrieden geben können, dass das Stimmrecht der Aktionäre in der Hauptversammlung innerhalb wie außerhalb der Europäischen Gemeinschaft einen ganz wesentlichen Eckpfeiler der AG-Struktur darstellt, dessen Bedeutung jedenfalls im Grundsatz von keinem Normgeber in Frage gestellt wird.17 Ähnlich hohe Bedeutung kommt dem Grundsatz der Proportionalität zwischen Kapitalbeteiligung und Stimmgewicht („one share, one vote“) zu. In Deutschland ist er in § 12 Abs. 1 Satz 1, § 134 Abs. 1 Satz 1 AktG verwurzelt,18 und auch in anderen Mitgliedstaaten gilt zumindest im Grundsatz, dass das Aktieneigentum ein Stimmrecht vermittelt, dessen Gewicht dem Umfang der Kapitalbeteiligung ent15

Anders noch Art. 92 SE-VOV 1991; hierzu Schwarz, ZIP 2001, 1847, 1857. So die wohl herrschende Meinung: Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 57 SE-VO Rn. 7; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 10; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 57, 58 SE-VO Rn. 4; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 5 Rn. 54; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 57 SE-VO Rn. 8; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. P. Rn. 15; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 236; a.A. Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. 70 (Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO einschlägig); J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 683 (Art. 53 SE-VO einschlägig). 17 Rechtsvergleichend Armour/Hansmann/Kraakman, in: Kraakman/Armour/Davies et al., The Anatomy of Corporate Law, 2. Aufl. (2009), S. 14 – 16. 18 Siehe nur Heider, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2008), § 12 Rn. 8. 16

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2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

spricht.19 Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen allerdings bei der Frage, inwieweit die Proportionalität im Einzelfall verschoben werden darf (z. B. durch Mehrfachstimmrechte) – was letztlich auch der Grund dafür war, dass eine europäische Vereinheitlichung des Proportionalitätsprinzip gescheitert ist.20 Dass für die deutsche SE über Art. 5 SE-VO gerade das deutsche Proportionalitätsprinzip gilt, ist daher durchaus von Bedeutung. 2. Satzungsmäßige Sondergestaltungen Zur Variation des Proportionalitätsprinzips eröffnet das Aktiengesetz dem AGSatzungsgeber verschiedene Wege, darunter Höchststimmrechte nach § 134 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 5 Abs. 7 EGAktG, Mehrfachstimmrechtsaktien nach § 5 Abs. 1 – 6 EGAktG, § 12 Abs. 2 AktG, und stimmrechtslose Vorzugsaktien nach §§ 139 ff. AktG. Sie kommen grundsätzlich in derselben Weise für die deutsche SE in Betracht; einschlägige Verweisungsnorm ist auch hier Art. 5 SE-VO.21 a) Höchststimmrechte Höchststimmrechte bedeuten eine Obergrenze für das Stimmrecht des einzelnen Aktionärs. Ansetzen kann diese Begrenzung beim Kapitalanteil (z. B. keine Stimmberechtigung, soweit Kapitalanteil fünf Prozent übersteigt), beim Aktiennennbetrag (z. B. keine Stimmberechtigung, soweit der Gesamtnennbetrag der vom Aktionär gehaltenen Aktien 1.000 Euro übersteigt) oder bei der Zahl von Stückaktien (z. B. keine Stimmberechtigung, soweit der Aktionär mehr als 1.000 Aktien hält).22 An Stelle einer einheitlichen Deckelung kann die Satzung das Stimmrecht mit wachsender Beteiligung auch degressiv abstufen (z. B. halbe Stimmberechtigung, soweit der Aktionär mehr als 1.000 Stückaktien hält; keine Stimmberechtigung, soweit der Aktionär mehr als 10.000 Stückaktien hält).23 Nicht zulässig ist es dagegen, die Beschränkung bzw. Abstufung des Stimmrechts an Kriterien außerhalb 19 Zutreffend Stöber, NZG 2010, 977, 978, mit Nachweisen zum britischen, französischen, italienischen, spanischen und niederländischen Recht. 20 Fischer zu Cramburg, NZG 2007, 539; ders., NZG 2007, 859; vgl. auch den Hinweis von Schwarz, SE-VO (2006), Art. 5 Rn. 54 Fn. 105, auf die in den SE-VO-Vorentwürfen noch enthaltenen ausdrücklichen Regeln hierzu. 21 Siehe nur Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 57, 58 SE-VO Rn. 3; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 12; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 236 f. 22 Siehe nur Schröer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 134 Rn. 9. 23 Der umgekehrte Mechanismus – ein überproportional wachsender Stimmrecht mit steigender Beteiligung – stellt ein Mehrfachstimmrecht dar und fällt daher nicht unter § 134 Abs. 1 Satz 2 AktG; zutreffend Holzborn, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 134 Rn. 5; Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 134 Rn. 16; Schröer, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2013), § 134 Rn. 10.

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der Beteiligung anzuknüpfen (z. B. an Warenlieferungen)24 oder auf bestimmte Aktionäre zu beschränken (§ 134 Abs. 1 Satz 5 AktG).25 Bei der Ermittlung von Kapitalmehrheiten bleiben Höchststimmrechte außer Betracht (§ 134 Abs. 1 Satz 6 AktG). Um zu verhindern, dass ein Aktionär die Stimmrechtsbeschränkung durch Verteilung der Aktien auf verschiedene, nur formell selbstständige Unternehmen oder Personen verteilt, kann die Satzung gemäß § 134 Abs. 1 Sätze 3 und 4 AktG bestimmte Zurechnungen regeln, z. B. bei Verteilung mehrerer Aktien über mehrere Konzerngesellschaften. Stimmbindungsverträge und auch sonstige „Acting-inconcert“-Tatbestände sind allerdings nicht erfasst,26 und auch sonst bleibt der Variantenreichtum der Zurechnungen deutlich hinter dem modernerer Vorschriften (insbesondere § 22 WpHG, § 30 WpÜG) zurück, was wohl auch Zeugnis über die geringe Praxisrelevanz von Höchststimmrechten in deutschen Aktiengesellschaften ablegt. Seit dem KonTraG 199827 können Höchststimmrechte nur noch in nicht börsennotierten Gesellschaften (§ 3 Abs. 2 AktG) eingeführt werden.28 Zum damaligen Zeitpunkt bestehende Höchststimmrechte in börsennotierten Gesellschaften traten gemäß § 5 Abs. 7 EGAktG zum 1. Juni 2000 – also lange vor Gründung der ersten SE – außer Kraft. Gegenwärtig börsennotierte Gesellschaften können also weder neue Höchstimmrechte einführen noch alte beibehalten.29 Die vorgenannten Grundsätze und Einschränkungen gelten über Art. 5 SE-VO30 auch für die deutsche SE. Auch hier ist zwischen börsennotierten und nicht bör-

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Beispiel nach Hüffer/Koch, 11. Aufl. (2014), § 134 Rn. 6; in der Sache ebenso Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 134 Rn. 15; Schröer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 134 Rn. 9. 25 Z. B. Angehörige bestimmter Familienstämme (Schröer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 134 Rn. 12). Um familieninterne Entscheidungsstrukturen zu ordnen, wird sich aus Gründen der Diskretion und Flexibilität freilich ohnehin eher eine Stimmbindungsvereinbarung als eine Satzungsregelung anbieten. 26 Schröer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 134 Rn. 9. 27 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 27. April 1998, BGBl. I, S. 786. 28 Kritisch hierzu Hüffer, AktG, 10. Aufl. (2012), § 134 Rn. 5; Hüffer/Koch, 11. Aufl. (2014), § 134 Rn. 5; Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 134 Rn. 16, die für Satzungsfreiheit plädieren; Satzungsfreiheit in diesem Bereich tendenziell ablehnend dagegen die Teilnehmer einer „Experten-Umfrage“ der Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer LLP aus dem Jahr 2011 (hierzu Seibt, ZIP 2012, 1, 6). 29 Nicht ausdrücklich geregelt ist dagegen das Schicksal von Höchststimmrechten in Gesellschaften, deren Aktien bei Einführung des Höchststimmrechts nicht börsennotiert waren, später jedoch (bei unveränderter Satzung) in einen geregelten Börsenhandel einbezogen werden. 30 Siehe die Nachweise in obiger Fn. 21.

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sennotierten Gesellschaften zu differenzieren.31 Da die aktiengesetzlichen Kapitalmehrheitserfordernisse als solche auch für die deutsche SE gelten, müssen SEHöchststimmrechte insofern nicht einschränkend ausgelegt werden,32 um die in § 134 Abs. 1 Satz 6 AktG angeordnete Nichtgeltung nachzuvollziehen. Wegen ihrer diskriminierungsfreien Wirkung33 werfen Höchststimmrechte auf europarechtlicher Ebene grundsätzlich keine Bedenken in Hinblick auf die Kapitalverkehrsfreiheit aus Art. 63 AEUVauf.34 Sie sind insbesondere nicht geeignet, die Durchsetzungsstärke eines bestimmten staatlichen Anteilseigners zu verstärken oder in anderer Weise Investitionen zu hemmen oder abzuschrecken. Soweit der EuGH in der Vergangenheit im Zusammenhang mit Höchststimmrechten Verstöße gegen die Kapitalverkehrsfreiheit bejahte, ging es jeweils um atypische Konstellationen: So erachtete der EuGH im Jahr 2007 einzelne Bestimmungen des damaligen VWGesetzes, darunter auch das Höchststimmrecht aus § 2 Abs. 1 VW-Gesetz a.F., für unvereinbar mit der Kapitalverkehrsfreiheit. Die mittlerweile aufgehobene Vorschrift sah ein Höchststimmrecht von 20 Prozent vor, was der Beteiligungsquote der Bundesrepublik Deutschland entsprach bzw. weiterhin der des Landes Niedersachsen entspricht. Gerügt wurde vom EuGH jedoch ausdrücklich nur „das Zusammenspiel von § 2 Abs. 1 und § 4 Abs. 3 VW-Gesetz.“35 Letztere Vorschrift sah und sieht weiterhin eine Erhöhung der gesetzlichen Dreiviertel-Kapitalmehrheitserfordernisse auf „mehr als vier Fünftel“ vor. Das Höchststimmrecht aus § 2 Abs. 1 VW-Gesetz, so der EuGH, „vervollständig[e] … einen rechtlichen Rahmen, der diesen öffentlichen Akteuren die Möglichkeit einräum[e], mit einer … geringen Investition wesentlichen Einfluss auszuüben.“36 Auch mache es einen erheblichen Unterschied, dass das Höchststimmrecht per Gesetz und nicht gemäß § 134 Abs. 1 AktG per Satzung eingeführt worden sei.37 Da zum beschriebenen Stimmrechtsar31 Die für § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG vertretene Ansicht, die SE sei wegen ihrer Konzeption als Großunternehmen immer den Vorschriften für börsennotierte Gesellschaften zu unterwerfen (siehe unten Abschnitt „Protokoll, § 130 AktG“, S. 80, Fn. 196), ist auch an dieser Stelle nicht zu folgen. 32 So aber Schwarz, SE-VO (2006), Art. 5 Rn. 54, der die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse für die SE in Stimmenmehrheitserfordernisse umdeutet (ders., a.a.O., Art. 59 Rn. 15; hierzu ausführlich unten Abschnitt „Ist Platz für die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse?“, S. 72) und diese umgedeuteten Stimmenmehrheitserfordernisse vom Geltungsbereich satzungsmäßiger Höchststimmrechte ausnehmen will. 33 Vgl. (in anderem Zusammenhang) Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 60 SE-VO: „Die Festsetzung eines Höchstbetrags bzw. von Abstufungen gilt für alle Aktionäre gleichermaßen, auch wenn sie sich nur für die Anteileigner mit besonders hoher Beteiligung auswirkt.“ 34 Pessimistischer noch zur Vereinbarkeit von Höchststimmrechten mit der sogenannten Golden-Shares-Rechtsprechung des EuGH Schwarz, SE-VO (2006), Art. 5 Rn. 55. 35 EuGH, NJW 2007, 3481, 3484 (Kommission/Deutschland), ähnlich a.a.O., 3486; hierzu auch Schröer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 133 Rn. 2 mit dortiger Fn. 1; Rubner, GWR 2012, 8. 36 EuGH, NJW 2007, 3481, 3484. 37 EuGH, NJW 2007, 3481, 3483.

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rangement in der deutschen Unternehmenslandschaft keine Parallen existieren, haben auch die Ausführungen des EuGH zu § 2 Abs. 1 VW-Gesetz nur singuläre Bedeutung. Ebenso wenig Bedenken in Hinblick auf Höchststimmrechte wirft ein Urteil des EuGH zu den satzungsmäßigen Höchststimmrechten bei Energias de Portugal38 auf. Dort ging es um eine Begrenzung des Stimmrechts auf fünf Prozent, von der nur der mit rund 26 Prozent beteiligte staatliche Anteilseigner ausgenommen war. Nicht das Höchststimmrecht als solches, sondern die Ausnahmeregelung wurde vom EuGH – neben weiteren staatlichen Privilegien – als ausschlaggebend für den Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit zu eingeordnet.39 b) Mehrfachstimmrechtsaktien Ebenfalls dem KonTraG 1998 zum Opfer fielen die bis dahin aufgrund ministerieller Ausnahmegenehmigung gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 AktG a.F.40 für die AG im Einzelfall zulässigen Mehrstimmrechte. Sie sind seither generell unzulässig (§ 12 Abs. 2 AktG); die Beibehaltung alter Mehrstimmrechtsaktien konnte noch bis zum 31. Mai 2003 durch die Hauptversammlung der jeweiligen AG beschlossen werden (§ 5 Abs. 1 EGAktG), wovon nur wenige der wenigen betroffenen Aktiengesellschaften Gebrauch machten.41 Über Art. 5 SE-VO42 gelten die vorgenannten Regeln theoretisch auch für die deutsche SE; sie sind jedoch aus zeitlichen Gründen ohne Bedeutung. c) Stimmrechtslose Vorzugsaktien Der in deutschen Aktiengesellschaften beliebteste – wenn auch nicht übermäßig gebräuchliche43 – Weg, das Proportionalitätsprinzip abzubedingen, ist die Ausgabe 38

EuGH, ZIP 2010, 2340 (Kommission/Portugal). EuGH, ZIP 2010, 2340, 2341 f. 40 „Die für Wirtschaft zuständige oberste Behörde des Landes, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, kann Ausnahmen zulassen, soweit es zur Wahrung überwiegender gesamtwirtschaftlicher Belange erforderlich ist.“ Zu dieser, planwirtschaftliche Romantik versprühenden Voraussetzung noch ausführlich Zöllner, in: Kölner Kommentar AktG, 2. Aufl. (1986), § 12 Rn. 9 – 27. 41 Siehe Vatter, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 12 Rn. 23. 42 Siehe die Nachweise in obiger Fn. 21. 43 Das Vorkommen von Vorzugsaktien in deutschen Aktiengesellschaften ist rückläufig (abgeschafft z. B. bei Fresenius & Co. KGaA, Rhön-Klinikum AG). Grund für die Abschaffung von Vorzugsaktien mag der administrative Aufwand sein, den der Unterhalt zweier Aktiengattungen und Börsennotierungen mit sich bringt, sowie der Wunsch nach einer erhöhten Liquidität der Stammaktie. Eine Zusammenlegung der Aktiengattungen erleichtert es der Gesellschaft ferner, die marktkapitalisierungs- und umsatzbezogenen Aufnahmekriterien für bekannte Aktienindizes zu erfüllen, die regelmäßig auf die einzelne Aktiengattung und nicht auf die Identität der Emittentin abstellen. 39

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stimmrechtsloser Vorzugsaktien nach §§ 139 ff. AktG. Wegen des fehlenden Stimmrechts der Vorzugsaktionäre bemisst sich das Stimmgewicht der Stammaktionäre in diesem Fall nicht nach dem Verhältnis ihres jeweiligen Anteils zum gesamten Grundkapital, sondern nach dem Verhältnis zu dem durch Stammaktien verkörperten Teil des Grundkapitals. Je geringer der Anteil von Stammaktien im Verhältnis zum gesamten Grundkapital ausfällt, desto stärker wird daher das Proportionalitätsprinzip zugunsten der Stammaktionäre verzerrt. Um eine völlige Abschaffung des Proportionalitätsprinzips auf diesem Weg zu vermeiden (z. B. durch Ausgabe nur einer einzigen Ein-Euro-Stammaktie), beschränkt § 139 Abs. 2 AktG die Ausgabe von Vorzugsaktien auf die Hälfte des Grundkapitals. Ausgeschlossen werden kann44 nur das Stimmrecht, nicht jedoch die übrigen Aktionärsrechte,45 welche auch den Vorzugsaktionären in vollem Umfang zustehen (§ 140 Abs. 1 AktG). Das Stimmrecht kann nur vollständig ausgeschlossen werden; ein teilweiser Ausschluss für bestimmte Beschlussgegenstände, eine Ausnahme bestimmter Beschlussgegenstände vom vollständigen Ausschluss oder eine bloße Reduzierung der Stimmkraft der Vorzugsaktionäre sind nicht statthaft.46 Dies folgt aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 139 Abs. 1 AktG sowie dem Verbot von Mehrstimmrechtsaktien, welche durch ein bloß reduziertes Stimmrecht der Vorzugsaktionäre faktisch eingeführt würden.47 Das Stimmrecht der Vorzugsaktionäre ist nicht absolut ausgeschlossen. § 139 Abs. 1, § 140 Abs. 2 AktG sehen vielmehr ein Aufleben des Stimmrechts aus den Vorzugsaktien vor, wenn der Vorzugsbetrag „in einem Jahr nicht oder nicht vollständig gezahlt und der Rückstand im nächsten Jahr nicht neben dem vollen Vorzug dieses Jahres nachgezahlt“ wird. Trotz Ausschlusses des Stimmrechts ordnet der Gesetzgeber Vorzugsaktionäre schon begrifflich nicht als Aktionäre zweiter Klasse ein. Die Position von Vorzugsaktionären soll nicht die von Stammaktionären ohne Stimmrecht sein; vielmehr soll das fehlende Stimmrecht durch den „Vorzug“, also eine höhere Priorität bei der Gewinnverwendung kompensiert werden: Vorzugsaktionäre erhalten über die Vorzugsdividende auch dann eine jährliche Dividende, wenn der Bilanzgewinn nicht ausreicht, um Ausschüttungen an alle Aktionäre vorzunehmen; reicht der Bilanz44 Nicht „muss“: Es können auch stimmberechtigte Vorzugsaktien ausgegeben werden (siehe nur Schröer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 139 Rn. 7 mit weiteren Nachweisen). Faktisch handelt es sich dabei eher um Stammaktien mit Vorzugsrecht als um eine Variante der in §§ 139 ff. AktG beschriebenen Aktiengattung. 45 Siehe nur Holzborn, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 139 Rn. 4. 46 Mittlerweile wohl ganz h.M.: Bormann, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 139 Rn. 31; Holzborn, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 139 Rn. 4; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 139 Rn. 13; Liebscher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 139 Rn. 7; Schröer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 139 Rn. 6; Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 139 Rn. 4. 47 Siehe nur Hüffer/Koch, 11. Aufl. (2014), § 139 Rn. 13; Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 139 Rn. 4.

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gewinn auch nicht für die Vorzugsdividende, so ist diese im Folgejahr nachzuzahlen (vgl. § 140 Abs. 2 Satz 1 AktG). Manche Gesellschaften gewähren ihren Vorzugsaktionären darüber hinaus eine Mehrdividende, also einen Aufschlag gegenüber der an die Stammaktionäre ausgeschütteten Dividende. Der Kapitalmarkt honoriert diese Gleichordnungsbemühungen indes nicht immer. So werden Vorzugsaktien teilweise mit einem deutlichen Abschlag gegenüber Stammaktien derselben Gesellschaft gehandelt.48 In der deutschen SE können Vorzugsaktien in derselben Weise verwendet werden wie in der AG. Sie können aus der Zeit vor der SE-Gründung weiter geführt oder auch neu eingeführt werden, beispielsweise durch eine Kapitalerhöhung oder eine Umwandlung bestehender Stammaktien in Vorzugsaktien per Satzungsänderung.49 Besondere Probleme wirft hier allein die grenzüberschreitende Sitzverlegung auf, wenn die Zielrechtsordnung keine Vorzugsaktien anerkennt bzw. wenn eine ausländische SE zuzieht, die Vorzugsaktien ausgegeben hat, deren Ausstattung ganz oder teilweise inkompatibel mit dem Konzept der §§ 139 ff. AktG ist.50 d) Control Enhancing Mechanisms vs. Kapitalverkehrsfreiheit Ziel von Verzerrungen des Proportionalitätspinzips ist es regelmäßig, den Einfluss eines bestimmten Ankeraktionärs (z. B. des Staats) oder einer bestimmten Aktionärsgruppe (z. B. Familie, Unternehmensgründer) abzusichern, ohne die Anteilsmehrheit dem Kapitalmarkt vorenthalten zu müssen. Um dieses Ziel zu erreichen, bieten sich grundsätzlich verschiedene Alternativen an, wie beispielsweise die Ausstattung bestimmter Aktien oder Aktionäre mit Zustimmungs-, Veto- und Entsendungsrechten. Auf europäischer und internationaler Ebene haben sich hierfür die Begriffe „Control Enhancing Mechanisms“ und „Golden Shares“ etabliert.51 In deutschen AGs und SEs kommen als „Control Enhancing Mechanism“ (nur) Entsendungsrechte sowie die Aufteilung des Grundkapitals in Vorzugs- und Stammaktien in Betracht. Mehrfachstimmrechte, punktuelle Ausnahmen einzelner Aktionäre von Höchststimmrechten und Vetorechte von Minderheitsaktionären in der Hauptversammlung sind dagegen bereits nach allgemeinen Regeln verboten und kommen daher auch nicht als Mittel zur Privilegierung staatlicher oder privater 48

Z. B. Metro AG, BMW AG und RWE AG. Zu den verschiedenen Einführungsvarianten und den jeweiligen Zustimmungserfordernissen Bormann, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 139 Rn. 32 – 38; Schröer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 139 Rn. 5. 50 Hierzu ausführlich unten Abschnitt „Grenzüberschreitende Mobilität ausländischer Gestaltungen oder Anpassung an zwingendes deutsches Recht?“, S. 516. 51 Zu Control Encancing Mechanisms auf Gemeinschaftsebene sieh auch die von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie „Proportionality between Ownership and Control in EU Listed Companies“ vom 18. Mai 2007; abrufbar über die Website der Kommission unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/shareholders/indexb_de.htm; dazu Fischer zu Cramburg, NZG 2007, 529; ders., NZG 2007, 859. 49

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Ankeraktionäre in Betracht,52 sieht man einmal von sondergesetzlich gestalteten Gesellschaften wie der Volkswagen AG53 ab. Unter den Begriff „Golden Shares“ werden auch eine Reihe von EuGH-Urteilen gefasst, die die Vereinbarkeit staatlicher Sonderrechte in Kapitalgesellschaften mit der Kapitalverkehrsfreiheit zum Gegenstand haben.54 Betroffen waren jeweils Gesellschaften, die aus ehemals staatlichen Monopolbetrieben hervorgegangen waren. Gemein ist den Urteilen die Erwägung, dass Regelungen, die einem staatlichen Aktionär überproportionalen Einfluss gewähren, anderweitige Direktinvestitionen in dieselbe Gesellschaft weniger attraktiv machen, da der Investor keine Aussicht darauf hat, über den Aufbau einer Kapitalbeteiligung auch ein proportionales Mehr an Kontrolle über die Zielgesellschaft zu erwerben.55 Auch die Attraktivität von Portfolioinvestitionen würde gemindert, da die Investoren damit rechnen müssten, dass der Staat seinen Sondereinfluss gegen die unternehmerischen Interessen der Gesellschaft in Stellung bringen könnte.56 Es liege daher insoweit ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit vor. Im Einzelfalls haben die Entscheidungen jeweils zu einer Reduzierung der staatlichen Privilegien und einem entsprechend höheren Einfluss der privaten Kapitalmarktteilnehmer geführt. Erkennt man den Nutzen einer solchen Öffnung und Privatisierung an – wofür gute Argumente sprechen –, so erscheint die Linie des EuGH dennoch nicht unproblematisch. Denn bei seinen Erwägungen legte das Gericht jeweils nur eine statische Momentaufnahme des betreffenden Stimmrechtsund Machtgefüges zugrunde. Nicht zugunsten der Mitgliedstaaten verwertete der EuGH dagegen die der Situation zugrunde liegende, fortschreitende Privatisierungsentwicklung – was durchaus nahe gelegen hätte. Denn aus Sicht privater Investoren bedeutet es einen erheblichen Unterschied, ob die staatliche Privilegierung durch Eingriffe in vormals vollständig private Strukturen zustande kam oder lediglich einen Überrest staatlichen Einflusses aus vormals vollständig öffentlichrechtlich geprägten Strukturen darstellt. Bei ersterem Szenario nämlich handelt es sich um den möglicherweise ersten Schritt zur Verstaatlichung, beim letztgenannten Szenario dagegen um einen der letzten Schritte auf dem Weg zur Vollprivatisierung. Und auch aus Sicht des Mitgliedstaats wäre eine entwicklungsbezogene Sichtweise wünschenswert gewesen. Denn die Privatisierung staatlicher Betriebe wird vielfach 52

S. 67. 53

Siehe oben Abschnitte „Höchststimmrechte“, S. 64, und „Mehrfachstimmrechtsaktien“,

Siehe oben Abschnitt „Höchststimmrechte“, S. 64. Vgl. die oben im 2. Teil unter Fn. 35 und 38 genannten Urteile; ferner EuGH, NJW 2002, 2303 (Kommission/Belgien); EuGH, NZG 2002, 632 (Kommission/Portugal); EuGH, NZG 2003, 679 (Kommission/Spanien); EuGH, NZG 2006, 942 (Kommission/Niederlande); EuGH, NZG 2010, 983 (Kommission/Portugal). 55 Siehe nur EuGH, NZG 2006, 942, 943; EuGH, NZG 2010, 983, 986; EuGH, NJW 2007, 3481, 3484; Stöber, NZG 2010, 977, 978. 56 Siehe EuGH, NZG 2006, 942, 943 f.; EuGH, NZG 2010, 983, 986; EuGH, NJW 2007, 3481, 3484; Stöber, NZG 2010, 977, 978. 54

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leichter fallen und auf weniger Ressentiments stoßen, wenn der staatliche Einfluss zunächst über „Control Enhancing Mechanisms“ schrittweise zurückgenommen werden kann und die Unternehmensstrukturen nicht auf einen Schlag uneingeschränkt für private Investoren geöffnet werden müssen. Eine beschränkte, vergleichsweise unattraktive Gelegenheit zur Investition und Partizipation wird schließlich auch aus Sicht des privaten Kapitalmarkts wünschenwerter sein als der vollständige Verbleib des Unternehmens in der staatlichen Sphäre. Es spricht daher viel dafür, dass der EuGH mit seinen Golden-Shares-Entscheidungen insoweit über sein Ziel hinausgeschossen ist. Zu hoffen bleibt, dass zukünftige Entscheidungen nicht nur die Privatisierung im Einzelfall, sondern auch die Rechtssicherheit für noch bevorstehende Privatisierungen in den Blick nehmen. Die ohnehin bestehenden Einschränkungen für „Control Enhancing Mechanisms“ im deutschen Aktien- und SE-Recht führen dazu, dass die vorgenannte Rechtsprechungslinie nur wenig einschränkende Wirkung im deutschen Rechtsraum entfaltet. Insbesondere bei der Verankerung von Entsendungsrechten und sonstigen Sonderrechten zugunsten staatlicher Aktionäre wird sie jedoch zu beachten sein. Denn auch solche nichtstimmrechtsbezogenen Rechtspositionen eignen sich, um staatliche Privilegien zu konservieren. Ins Blickfeld rücken damit wohl nicht nur Beteiligungen, die Mitgliedstaaten zuzurechnen sind, sondern auch solche, die von Drittstaaten bzw. den ihnen zuzurechnenden Investitionsvehikeln (z. B. Staatsfonds) gehalten werden. Nicht an der Kapitalverkehrsfreiheit zu messen sind dagegen Entsendungsrechte, die privaten Aktionären (z. B. Familienaktionären) gewährt werden57 oder die private Aktionäre einem staatlichen Investor einräumen. 3. Aktionärsseitige Sondergestaltungen a) Vollmacht und Legitimationszession Stimmrechtsvollmachten kann der SE-Aktionär grundsätzlich unter denselben Voraussetzungen erteilen, die auch für einen AG-Aktionär gelten. Auch hier greift der Verweis aus Art. 5 SE-VO;58 Sondervorschriften auf Ebene der SE-Verordnung finden sich nicht (mehr59). Auch § 135 AktG (Ausübung des Stimmrechts durch Kreditinstitute und Aktionärsvereinigungen), § 16 Abs. 4 Satz 6 WpÜG (Vollmachtserteilung vor einer „Übernahme-Hauptversammlung“) und § 134 Abs. 3

57 Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 101 Rn. 8; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 101 Rn. 53; zurückhaltend in Bezug auf eine horizontale Wirkung der Kapitalverkehrsfreiheit auch Schroeter, AG 2007, 854, 856 f. 58 Siehe die Nachweise oben im 2. Teil unter Fn. 16; a.A. (Art. 53 SE-VO als einschlägige Verweisung) insofern noch Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 244. 59 Vorschriften zur Stimmrechtsvertretung waren noch in Art. 87 SE-VOV 1989 und 1991, Art. 88 SE-VOV 1970 und 1975 sowie Art. IV-3 – 5 Sanders Vorentwurf enthalten.

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Satz 5 AktG (Bevollmächtigung von Stimmrechtsvertretern der Gesellschaft)60 finden in den jeweiligen Sonderkonstellationen Anwendung. Will ein Aktionär sein Stimmrecht durch einen Dritten ausüben lassen, so steht ihm als Alternative zur Vollmachtserteilung die Vornahme einer Legitimationsübertragung an den betreffenden Dritten zur Verfügung (vgl. § 129 Abs. 3, § 135 Abs. 6 Satz 1 AktG, Art. 5 SE-VO). Letzterer ist dann kraft Ermächtigung im Sinne des § 185 BGB befugt, das Stimmrecht im eigenen Namen auszuüben.61 b) Überlassen der Abstimmungsentscheidung an Dritte Im Zuge einer Stimmrechtsvollmacht oder einer Legitimationszession gibt der betreffende Aktionär in der Regel nicht die materielle Kontrolle über die Abstimmungsentscheidung aus der Hand. Insbesondere Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft sind kaum mehr als der verlängerte Arm des Aktionärs – in der technischen Abwicklung ergeben sich viele Parallelen zur Briefwahl. Der Aktionär kann jedoch auch die inhaltliche Entscheidung über die Abstimmung auf verschiedene Weise fremden Einflüssen unterwerfen. aa) Stimmbindungsverträge Stimmbindungsverträge entkoppeln die Art und Weise der Stimmrechtsausübung von der Willkür des einzelnen Aktionärs und binden sie an einzelvertraglich vereinbarte Entscheidungsmechanismen, beispielsweise einen Mehrheitsentscheid der Vertragspartner. Sie sind „nach absolut herrschender Meinung grundsätzlich zulässig“62 und mittlerweile auch indirekt im Gesetz verankert. So zielen die kapitalmarktrechtlichen Zurechnungstatbestände in § 22 Abs. 2 Satz 1 WpHG und § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG gerade auf eine Stimmrechtskoordination per Vereinbarung.63 Hintergrund von Stimmbindungsverträgen zwischen Aktionären ist in der Regel das Bedürfnis, die Beteiligung verschiedenen Individuen zuzuordnen (was durch die vorgenannten Zurechnungstatbestände teilweise relativiert wird) und gleichzeitig bei Abstimmungen die Reihen gegenüber außenstehenden Aktionären geschlossen zu halten. Typischer Anwendungsbereich sind Beteiligungen, die von mehreren Mitgliedern derselben Familie gehalten werden.

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Hierzu noch unten Abschnitt „Weisung an Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft“, S. 56. Zur Legitimationszession in der AG siehe nur Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 129 Rn. 35 f.; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. C. Rn. 16 f., Abschn. E. Rn. 73 f. 62 So Schröer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 136 Rn. 64 mit weiteren Nachweisen. Die Grundsätzlichkeit bezieht sich nicht auf ein Spannungsverhältnis zu Gegenansichten, sondern auf die gesetzliche Ausnahme in § 136 Abs. 2 AktG (hierzu sogleich). 63 Siehe nur Bayer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2008), § 22 WpHG Rn. 41; Noack/Zetzsche, in: Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechtskommentar, 4. Aufl. (2010), § 30 WpÜG Rn. 35. 61

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Rechtswidrig und unwirksam gemäß § 136 Abs. 2 AktG sind Stimmbindungsverträge, in denen sich ein AG-Aktionär verpflichtet, nach Weisung der Gesellschaft, des Vorstands oder des Aufsichtsrats der Gesellschaft oder nach Weisung eines abhängigen Unternehmens abzustimmen oder für die Vorschläge von Vorstand bzw. Aufsichtsrat zu stimmen. Hintergrund ist die Erwägung, dass eine derartige Einflussnahme der Verwaltung auf die Hauptversammlung mit der gesetzlich konzipierten Organverfassung nicht kompatibel wäre.64 Auch ein SE-Aktionär darf sich daher nicht vertraglich an die Weisungen oder Vorschläge der Gesellschaft, des Leitungs-, Aufsichts- oder Verwaltungsorgans binden. Aufmerksamkeit erfahren hat § 136 Abs. 2 AktG in jüngerer Zeit durch die Praxis bedeutender Aktionäre und Bieter in öffentlichen Übernahmeverfahren, sogenannte Investorenvereinbarungen mit der Verwaltung der Zielgesellschaft zu schließen.65 Soweit sich die vertraglichen Pflichten des Investors auf ein Abstimmungsverhalten in der Hauptversammlung beziehen, gerät die betreffende Klausel leicht in den Anwendungsbereich des § 136 Abs. 2 AktG. Das gilt insbesondere für Besetzungsabreden, in denen sich die Parteien auf eine bestimmte Zusammensetzung des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans verständigen oder für Abreden über die Durchführung oder Nichtdurchführung bestimmter Maßnahmen, die in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen.66 Fraglich ist, ob analog § 136 Abs. 2 AktG auch eine Bindung an Weisungen oder Vorschläge der geschäftsführenden Direktoren untersagt ist. Hierfür könnte die Erwägung sprechen, dass die Direktoren auf diesem Weg Einfluss auf die Ernennung der Verwaltungsorganmitglieder erhalten würden, also auf das Organ, das für ihre eigene Bestellung, Anweisung und Abberufung verantwortlich ist. Andererseits ist zu bedenken, dass es sich bei den geschäftsführenden Direktoren gerade nicht um ein Organ der SE handelt.67 Die Organstruktur bliebe daher unberührt. Und auch nach der Wertung des § 22 Abs. 6 SEAG stehen die geschäftsführenden Direktoren – bezogen auf die AG-Struktur – der zweiten Führungsebene näher als dem Vorstand. Vom Verbot aus § 136 Abs. 2 AktG sind sie daher nicht erfasst.

64

Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 136 Rn. 25; Schröer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 136 Rn. 74. 65 Z. B. Investorenvereinbarung zwischen der Continental AG und der Schaeffler-Gruppe; hierzu LG Hannover, Beschluss vom 12. März 2009, Az. 21 T 2/09, BeckRS 2009, 13891; ausführlich ferner Kiem, AG 2009, 301; Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195. 66 In dieselbe Richtung Kiem, AG 2009, 301, 308 – 310; etwas großzügiger in Bezug auf Besetzungsabreden Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 204 f. 67 Siehe unten Abschnitt „Antragsform, -inhalt und -adressat“, S. 427, mit den Nachweisen in Fn. 64.

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2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

bb) Faktische oder vertragliche Bindung an Empfehlungen von institutionellen Stimmrechtsberatern Steigender Beliebtheit insbesondere bei größeren Portfolioinvestoren erfreuen sich sogenannte institutionelle Stimmrechtsberater. Sie beraten Aktionäre, die über ein außergewöhnlich großes und diversifiziertes Portfolio unterschiedlicher Beteiligungen an Kapitalgesellschaften verfügen, nicht aber über die Kapazitäten, die erforderlich wären, um das Stimmrecht aus diesen Beteiligungen allein auf Basis selbst angestellter Erwägungen auszuüben. Die Stimmrechtsberater wiederum halten in der Regel keine Beteiligungen, sondern erarbeiten auf Basis selbst erstellter Richtlinien und Prinzipien Empfehlungen für die Stimmrechtsausübung durch ihre Kunden. Letzteren wird so eine reflektierte Stimmrechtsausübung ermöglicht, ohne dass sie die hierfür erforderlichen Informationen selbst verarbeiten müssten. In aktienrechtlicher Hinsicht wirft die Beauftragung von Stimmrechtsberatern kaum Probleme auf, da das Stimmrecht beim auftraggebenden Aktionär verbleibt und häufig auch von ihm selbst ausgeübt wird.68 Noch nicht abschließend geklärt ist dagegen, ob die Beauftragung desselben Stimmrechtsberaters durch mehrere Aktionäre zur Folge hat, dass den Auftraggebern ihre jeweiligen Beteiligungen gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 WpHG, § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG wechselseitig zuzurechnen sind.69 Dagegen spricht, dass keine bewusste horizontale Abstimmung zwischen mehreren Aktionären stattfindet, wie sie insbesondere für Stimmbindungsverträge prägend ist.70 Häufig werden die unterschiedlichen Auftraggeber nicht einmal von dem jeweils anderen Beratungsverhältnis Kenntnis haben.71 Andererseits kommt es auch in diesen Situationen aus Sicht der Gesellschaft und der nicht beteiligten Aktionären dazu, dass die von den verschiedenen Auftraggebern gehaltenen Aktien als einheitlicher Machtfaktor in die Abstimmung eingehen. Das hierdurch entstehende Stimmgewicht hat sich bereits in der Rechtspraxis bemerkbar gemacht.72 68 Die Stimmrechtsvertretung ist zwar in der Produktpalette vieler Stimmrechtsberater enthalten, spielt dort aber nur eine untergeordnete Rolle; siehe Schneider/Anzinger, NZG 2007, 88, 91. 69 Dagegen Süßmann, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 30 Rn. 31 a.E.; Kocher/Heydel, AG 2011, 543, 543 – 545; dafür Schneider/Anzinger, NZG 2007, 88, 94, 95 (jedenfalls bei längerfristiger Bindung an die Empfehlungen); erwägend auch Vaupel, AG 2011, 63, 75 f. Soweit ersichtlich, vertrauen die praktisch betroffenen Kapitalmarktteilnehmer bislang darauf, dass Stimmrechtsberatung keine Zurechnung von Stimmrechten zur Folge hat. 70 So auch Schneider/Anzinger, NZG 2007, 88, 94. 71 Zutreffend Vaupel, AG 2011, 63, 76. 72 Aufsehen erregte beispielsweise die Auseinandersetzung zwischen dem Stimmrechtsberater Institutional Shareholder Services (ISS) und der Deutschen Lufthansa AG im Vorfeld der Hauptversammlung 2013. Eine gute Portion Selbstbewusstsein lässt auch ein Interview mit dem IVOX-Mitarbeiter Juschus, HV-Magazin 2011, 10, erkennen („Wir versuchen nicht nur repressiv, sondern vor allem präventiv zu agieren. Die Unternehmen sollen eine gute Corporate Governance haben.“). In dieselbe Richtung Licharz/Strempel, HV-Magazin, Jan. 2011, Sonderausgabe HV-Recht 2011 (2. Jg.), 22, die davon berichten, dass 61,5 Prozent der durch Stimmechtsberater kritisierten Tagesordnungspunkte in der HV-Saison 2009 auch tatsächlich

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Letztlich bleibt nur die Feststellung, dass eine Situation, in der die Abstimmungsentscheidung weder vom Stimmrechtsinhaber noch von dessen Vertreter getroffen wird, im deutschen Aktien- und Kapitalmarktrecht nicht ansatzweise berücksichtigt ist. Eine befriedigende Lösung obliegt daher dem Gesetzgeber;73 bis dahin sind die Gerichte dazu aufgerufen, die unklare und angesichts der Konsequenzen einer wechselseitigen Zurechnung höchst relevante Rechtslage zu ordnen. cc) Empty Voting Eine weitere Sonderkonstellation ergibt sich, wenn beim sogenannten Empty Voting die normalerweise über die Mitgliedschaft gewährleistete Verknüpfung zwischen Stimmrecht und wirtschaftlichem Risiko aufgelöst oder gelockert wird. In diesem Fall sichert sich ein Dritter per gezielter, record-date-bezogener Wertpapierleihe (sogenannte Record-Date-Capture) oder durch Hedging einer dauerhaften Beteiligung das Stimmrecht in der Hauptversammlung, ohne sich einem dem Stimmgewicht entsprechenden wirtschaftlichen Risiko auszusetzen. Anders als bei der Stimmrechtsberatung liegen hier also Aktieneigentum und Abstimmungsentscheidung in einer Hand; lediglich die mit beidem verbundene Risikoposition wird auf einen Dritten übertragen. Auf den ersten Blick naheliegende Bedenken in Hinblick auf das Abspaltungsverbot, § 405 Abs. 3 Nr. 2 AktG (entgeltliche Nutzung fremder Aktien zur Stimmrechtsausübung) und allgemeine Treuepflichten des Aktionäre sind in aller Regel nicht begründet.74

II. Stimmenabgabe 1. Physisch präsenter Aktionär Von den unterschiedlichen Varianten der Stimmenabgabe bildet die des physisch präsenten Aktionärs in der Hauptversammlung den Regelfall. Möglich ist beispielsweise die Verwendung maschinenlesbarer Stimmkarten oder die Ausgabe elektronischer Abstimmungsgeräte, mit denen die Aktionäre per Knopfdruck ababgelehnt wurden. Einen anderen Eindruck dagegen vermittelt ein Interview mit der BlackRock-Mitarbeiterin Edkins, HV-Magazin 2011, 30, 31 („Wir schauen uns die Empfehlungen … an. Aber wir folgen [ihnen] nie blind und folgen ihnen selbst dann nicht, wenn keiner der Advisor ein Thema als kritisch markiert hat und die Punkte auch im Sinne unserer Richtlinien sind.“). Abseits derart anekdotischer Evidenz befindet sich hier aus empirischer Sicht noch einiges im Dunkeln. 73 Zu möglichen Regulierungsstrategien siehe Fleischer, AG 2012, 2, 7 – 11; ders., ZGR 2011, 155, 172 – 174; sowie zuletzt der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Einbeziehung der Aktionäre sowie der Richtlinie 2013/34/EU in Bezug auf bestimmte Elemente der Erklärung zur Unternehmensführung vom 9. April 2014, COM(2014) 213 final. 74 Ausführlich hierzu Osterloh-Konrad, ZGR 2012, 35, 43 – 49.

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2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

stimmen; bei überschaubarem Teilnehmerkreis bietet sich ferner die Abstimmung per Handzeichen an.75 Die statthafte Form der Stimmabgabe kann entweder gemäß § 134 Abs. 4 AktG, Art. 53 SE-VO in der Satzung oder – bei Fehlen einer satzungsmäßigen Festlegung – durch den Versammlungsleiter bestimmt werden. Nicht möglich ist dagegen eine Regelung per Geschäftsordnung (§ 129 Abs. 1 Satz 1 AktG, Art. 53 SE-VO) oder gar per Ad-hoc-Beschluss.76 Der von der herrschenden Meinung im aktiengesetzlichen Schrifttum größtenteils bemühten Interpretation von § 134 Abs. 4 AktG als Kompetenzzuweisung zugunsten der Hauptversammlung77 steht der eindeutige Wortlaut der Norm entgegen, der nur den Weg einer satzungsmäßigen Regelung eröffnet. Hinzu kommt, dass jedenfalls eine Ad-hoc-Regelung per Hauptversammlungsbeschluss im praktischen Regelfall mehr Verwirrung als Nutzen stiften würde und eher Einfallstor für gezielte Störungen als für konstruktive Beiträge wäre.78 2. Online-Teilnehmer Gemäß § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG kann die Satzung vorsehen oder den Vorstand dazu ermächtigen vorzusehen, dass die Aktonäre an der Hauptversammlung auch ohne Anwesenheit an deren Ort und ohne einen Bevollmächtigten teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können. Über Art. 53 SE-VO profitieren von dieser mit dem ARUG 2009 eingeführten Option auch Aktionäre einer deutschen SE. Zu den Aktionärsrechten, die im Wege elektronischer Kommunikation ausgeübt werden können, gehört insbesondere das Stimmrecht. Die elektronisch abgegebenen Stimmen zählen dann gleichberechtigt zu den „abgegebenen Stimmen“ im Sinne der Art. 57 – 59 SE-VO.79

75 Zur AG-Hauptversammlung siehe nur Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. E. Rn. 111 – 114; Fischer/Pickert, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 9 Rn. 200 – 202. 76 Zutreffend für die AG: Von der Linden, NZG 2012, 930, 931 f.; dagegen die herrschende Meinung: Hirschmann, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 134 Rn. 63; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 134 Rn. 34; Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 134 Rn. 80; Schröer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 134 Rn. 81; Spindler, in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 134 Rn. 72; Wicke, NZG 2007, 771, 772; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. E. Rn. 102; Schaaf, in: Schaaf, Praxis der HV, 3. Aufl. (2011), Rn. 559 f.; wohl auch Liebscher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 134 AktG Rn. 12. 77 So insbesondere Schaaf, in: Schaaf, Praxis der HV, 3. Aufl. (2011), Rn. 560. 78 In praktischer Hinsicht hält auch Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. E. Rn. 102, „[d]ie flexible Regelung durch den Versammlungsleiter“ für optimal. 79 Vgl. in Bezug auf § 133 AktG: RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 27; Seibert/ Florstedt, ZIP 2008, 2145, 2146.

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In der Praxis hat sich ein internetbasierter Ablauf bewährt, bei dem sich der Aktionär mit persönlichen Zugangsdaten in das Portal eines Hauptversammlungsdienstleisters einwählt und dort ein umfragenähnliches Internetformular ausfüllt. Dieser Ansatz wird vielen Aktionären bereits von anderen personalisierten Internetangeboten vertraut sein und ist daher grundsätzlich zu begrüßen. Unausgereift wirkt allein die bei manchen Gesellschaften bzw. deren Dienstleistern anzutreffende80 Praxis, den Online-Teilnehmern die Stimmabgabe ausschließlich parallel zum Abstimmungsvorgang in der physischen Hauptversammlung zu ermöglichen. Das ist insbesondere dann unglücklich, wenn die Gesellschaft gleichzeitig alle weiteren Aktionärsrechte von der elektronischen Ausübung ausschließt und nur eine eingeschränkte Bild- und Tonübertragung (§ 118 Abs. 4 AktG, Art. 53 SE-VO) anbietet. Dem Online-Teilnehmer bleibt dann nichts anderes übrig, als sich kurz vor dem vermuteten Abstimmungszeitpunkt einzuwählen und tatenlos vor dem unbewegten Bildschirm zu verharren, bis sich das Zeitfenster für die Abstimmung öffnet. Hier läge es wohl nahe, sich entweder von vornherein auf ein internetbasiertes Briefwahlangebot zu konzentrieren oder ein internetspezifisches Abstimmungsverfahren anzubieten, bei dem die Abstimmung für die Onlineteilnehmer beispielsweise innerhalb eines vorab publizierten Zeitfensters bereits vor Beginn der Abstimmung in der physischen Hauptversammlung geöffnet wird.81 3. Briefwahl Eine echte Möglichkeit, die Stimme außerhalb der Hauptversammlung abzugeben, ist – ebenfalls seit dem ARUG 2009 – in § 118 Abs. 2 AktG vorgesehen. Danach kann die Satzung vorsehen oder den Vorstand dazu ermächtigen vorzusehen, dass Aktionäre ihre Stimmen, auch ohne an der Versammlung teilzunehmen, schriftlich oder im Wege elektronischer Kommunikation abgeben dürfen (Briefwahl). Gemäß Art. 53 SE-VO gilt dies auch für den SE-Aktionär. Anders als § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG beschränkt § 118 Abs. 2 AktG die Einbindung des Aktionärs nicht auf elektronische Mittel, so dass theoretisch eine ganze Reihe von Wahlmedien in Betracht kommen, bis hin zum handgeschriebenen Brief oder der selbst formulierten E-Mail.82 Praktisch empfehlenswert und mittlerweile bewährt ist indes eine Briefwahl, bei der sich der Aktionär – ähnlich wie bei einer Online-Teilnahme – mit persönlichen Zugangsdaten in das Internetportal eines Hauptversammlungsdienstleisters einwählt und seine Stimme dort per Internetformular abgibt. Bietet die Gesellschaft sowohl Briefwahl als auch Online-Teilnahme 80

29.

Vgl. von Nussbaum, HV-Magazin Jan. 2011, Sonderausgabe HV-Recht 2011 (2. Jg.), 28,

81 Vor Beginn der Hauptversammlung kann ein Online-Teilnehmer dagegen selbstverständlich nicht abstimmen – insofern kommt nur einer Vorab-Briefwahl in Frage; vgl. Seibert/ Florstedt, ZIP 2008, 2145, 2146. 82 Vgl. M. Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 358; Schaaf/Slowinski, ZIP 2011, 2444, 2446.

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2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

an, so können in der Regel beide Optionen über dasselbe Portal und mit denselben Zugangsdaten abgewickelt werden; auch eine Verbindung mit weiteren Internetservices für Aktionäre (z. B. Weisung an Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft, Download von Geschäftsberichten, Bild- und Tonübertragung) ist so möglich.83 Als Alternative erhalten insbesondere Namensaktionäre häufig personalisierte Papierformulare zugesandt, die eine Briefwahl in traditioneller Form per Kreuz, Unterschrift und Rückumschlag erlauben. Insgesamt scheint sich die Briefwahl im Verhältnis zur Online-Teilnahme als die beliebtere Form der internetbasierten Stimmabgabe durchzusetzen.84 Mit der Briefwahl sieht das Aktiengesetz erstmals ein Stimmabgabeverfahren vor, bei dem zwischen der Stimmabgabe und dem Abstimmungsvorgang in der physischen Hauptversammlung ein längerer Zeitraum verstreichen kann. Es stellt sich daher die Frage, ob der Aktionär in dieser Zwischenzeit auch noch durch nachträgliche Änderung, Rücknahme oder Widerruf über seine Stimme disponieren kann. Dies wird teilweise bejaht;85 auch in der Praxis gestatten viele internetbasierte Hauptversammlungsangebote eine Stimmänderung bis zum Hauptversammlungstag.86 Da es sich bei der Stimmabgabe im Kern um eine Willenserklärung handele, die allgemeinen Regeln unterliege, könne der Aktionär von der zugangsabhängigen Widerrufsmöglichkeit nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB Gebrauch machen.87 Der Zugang in diesem Sinne erfolge erst zum Zeitpunkt der Abstimmung in der physischen Hauptversammlung;88 in der Zwischenzeit könne ein Briefwähler seine Stimmabgabe widerrufen. Angedeutet wird eine Widerrufsmöglichkeit zwischen Stimmabgabe und Ergebnisermittlung auch in Erwägungsgrund 9 der Aktionärsrechte-RL (die der Einführung der Briefwahl im Aktiengesetz zugrundelag). Danach 83

Z. B. die „Internethauptversammlung“ der Siemens AG; hierzu Steininger, HV-Magazin 2011, 22. 84 Vgl. die jeweils punktuellen Andeutungen bei Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 118 Rn. 23; M. Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 357 mit dortiger Fn. 88 (zur HV-Saison 2011); Marsch-Barner, Corporate Finance Law 1/2011, 35 Fn. 4 (Munich Re Hauptversammlung 2010); Mörlein/Balling, HV-Magazin Jan. 2011, Sonderausgabe HV-Recht 2011 (2. Jg.), 26 (ebenfalls Munich Re Hauptversammlung 2010); Steininger, HV-Magazin 2011, 22, 23 (Siemens Hauptversammlung 2010); von Nussbaum, HV-Magazin Jan. 2011, Sonderausgabe HV-Recht 2011 (2. Jg.), 28 (HV-Saison 2010). 85 M. Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 358; C. Horn, ZIP 2008, 1558, 1565; Schaaf/ Slowinski, ZIP 2011, 2444, 2446; a.A. Noack, WM 2009, 2289, 2291 (Widerrufsrecht nur soweit durch Satzung oder Vorstand ausdrücklich eingeräumt); Seibert, ZIP 2008, 906, 908 („vor der Hauptversammlung verbindlich“); Höreth/Pickert, in: Semler/VolhardReichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 7 Rn. 75; die Frage offen lassend A. Arnold, Der Konzern 2009, 88, 93. 86 Noack, WM 2009, 2289, 2291; Steininger, HV-Magazin 2011, 22, 23; von Nussbaum, HV-Magazin Jan. 2011, Sonderausgabe HV-Recht 2011 (2. Jg.), 28, 29. 87 M. Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 358; C. Horn, ZIP 2008, 1558, 1565; Schaaf/ Slowinski, ZIP 2011, 2444, 2446. 88 M. Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 358; Schaaf/Slowinski, ZIP 2011, 2444, 2446; wohl auch C. Horn, ZIP 2008, 1558, 1565.

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„sollte es den Mitgliedstaaten unbenommen bleiben, Vorschriften zu erlassen um sicherzustellen, dass die Ergebnisse der Abstimmung die Absichten der Aktionäre unter allen Umständen widerspiegeln, und zwar auch Vorschriften für den Fall, dass neue Umstände auftreten oder bekannt werden, nachdem ein Aktionär sein Stimmrecht per Brief oder auf elektronischem Wege ausgeübt hat.“Andererseits geht die Aktionärsrechte-RL in Erwägungsgrund 1289 und Art. 12 Abs. 190 ersichtlich davon aus, dass der Stimmabgabevorgang grundsätzlich bereits im Vorfeld der Hauptversammlung abgeschlossen ist. Vorschriften über einen Widerruf, wie sie in Erwägungsgrund 9 für statthaft erklärt werden, hat der deutsche Gesetzgeber gerade nicht in das ARUG aufgenommen (und musste dies auch nicht tun). Ferner deutet der Begriff der „Briefwahl“ eine Parallele zur öffentlichrechtlichen Briefwahl an, bei der ein Widerruf oder eine Änderung der Stimmabgabe zwischen Absendung und Wahltermin ebenfalls nicht vorgesehen sind. Und schließlich wird man den Zugangszeitpunkt kaum in den Abstimmungszeitpunkt der physischen Hauptversammlung verlegen können, wenn die Briefwahlstimmen bereits zuvor elektronisch verarbeitet wurden und am Hauptversammlungstag das Briefwahlergebnis lediglich mit dem restlichen Abstimmungsergebnis verbunden wird.91 Wenigstens wird man der Gesellschaft gestatten müssen, einen nachträglichen Widerruf oder eine Änderung der Stimmabgabe auszuschließen (z. B. per Geschäftsordnung), bzw. dem Aktionär, auf eine solche Möglichkeit vorab zu verzichten.92 Geht man davon aus, dass ein Briefwähler seine Stimme nicht mehr zurücknehmen kann bzw. dass eine Rücknahmemöglichkeit individuell ausgeschlossen werden kann, ergibt sich möglicherweise eine Situation, in der ein bestimmtes Abstimmungsergebnis bereits vor der Hauptversammlung feststeht bzw. mehr oder weniger wahrscheinlich wird. Mangels Rechtsgrundlage ginge es dann zwar zu weit, den Aktionären ein Recht zuzubilligen, im Vorfeld der Abstimmung in der Hauptversammlung Auskunft über das Briefwahlergebnis zu verlangen,93 oder gar eine Pflicht der Verwaltung anzunehmen, ähnlich § 23 WpÜG von sich aus „Wasser-

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„… vor der Hauptversammlung per Brief oder auf elektronischem Wege abgegebenen Stimmen …“ 90 „… per Brief vor der Hauptversammlung abzustimmen.“ 91 Für einen frühen Zugangszeitpunkt wohl auch Noack, WM 2009, 2289, 2289, 2291 („… können Stimmen im Vorfeld der HV,eingesammelt‘ werden …“ „Wird […] keine Möglichkeit zum Widerruf eingeräumt, so gilt: Die Stimmabgabe ist eine Willenserklärung und nach Zugang beim Erklärungsgegner wirksam.“). 92 Einen Ausschluss bzw. eine Befristung des Widerrufsrechts für möglich halten auch M. Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 358; C. Horn, ZIP 2008, 1558, 1565; Schaaf/Slowinski, ZIP 2011, 2444, 2446. 93 Gegen ein Auskunftsrecht auch Schaaf/Slowinski, ZIP 2011, 2444, 2447; grundsätzlich ebenso M. Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 359 f. („Allenfalls kann man eine Informationsobliegenheit des Versammlungsleiters annehmen, …“); Noack, WM 2009, 2289, 2291 („Eine gesetzliche Pflicht besteht nicht; die Satzung ist frei darin, eine solche Offenlegung vorzusehen.“).

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2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

standsmeldungen“ über die Tendenz der laufenden Briefwahl abzugeben.94 Erfüllt aber die frühe Information über ein wegen der Briefwahl sicher zu erwartendes, allgemein dagegen unerwartetes Abstimmungsergebnis die Kriterien einer Insiderinformation aus § 13 WpHG, so wird die Verwaltung einer börsennotierten Gesellschaft nicht umhinkommen, ihren Informationsvorsprung gegenüber dem Kapitalmarkt durch eine Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 Abs. 1 WpHG auszugleichen oder die Möglichkeit einer Selbstbefreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG zu nutzen. Die frühe Briefwahl eines Ankerinvestors kommt insoweit durchaus als taktisches Mittel in Frage, um im Vorfeld der Hauptversammlung die Stimmungslage zu beeinflussen. Wird ein Abstimmungsergebnis schon allein durch die Briefwahl vorgegeben, so wird sich ferner die Anfechtung des betreffenden Beschlusses kaum mit Fehlern begründen lassen, die in der physischen Hauptversammlung wurzeln (z. B. Verletzung des Rede- und Auskunftsrechts). Denn insoweit ist eine Kausalität zwischen Rechtsverstoß und Beschlussfassung absolut ausgeschlossen, so dass der Fehler auch nach den Maßstäben der Relevanztheorie nicht ins Gewicht fallen kann.95 Eine entsprechend große Briefwahlbeteiligung vorausgesetzt, könnte sich der Schwerpunkt der Hauptversammlung dann sogar grundsätzlich ändern – nämlich von einem debattengeprägten Entscheidungsfindungsverfahren hin zu einem Verfahren der Entscheidungsfeststellung.96 4. Weisung an Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft Eine Alternative zur Stimmabgabe durch persönliche Präsenz in der Hauptversammlung stellt eine Weisung an den Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft dar. Sie wird im Gesetz nur ansatzweise geregelt (§ 134 Abs. 3 Satz 5 AktG, Art. 53 SE-VO), von börsennotierten Gesellschaften wegen Ziffer 2.3.2. DCGK aber in aller Regel angeboten. Aus rechtlicher Sicht mag sie einen Unterfall der Bevollmächtigung eines Dritten zur Stimmrechtsausübung darstellen; praktisch wird sie indes eher als alternative Form der Stimmabgabe wahrgenommen.97 Denn wegen der absoluten Weisungsgebundenheit wird der Bevollmächtigte gleichsam maschinell tätig; seine Identität ist aus Sicht des Aktionärs völlig irrelevant. Entsprechend bieten die führenden Hauptversammlungsdienstleister in ihren Onlineformularen zur Stimmab94

Im Ergebnis auch M. Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 359 f.; offener (jedenfalls de lege ferenda) Noack, WM 2009, 2289, 2291 („bedarf weiterer Diskussion“). 95 In dieselbe Richtung Noack, NZG 2008, 441, 445 (noch auf Basis des RefE ARUG); ders., WM 2009, 2289, 2292; im Anschluss Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 118 Rn. 61; offen lassend A. Arnold, Der Konzern 2009, 88, 93; etwas skeptischer Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. Q. Rn. 12 mit dortiger Fn. 19; Herrler/Reymann, DNotZ 2009, 815, 822 mit dortiger Fn. 38; Marsch-Barner, in: MarschBarner/Schäfer, Hdb börsennotierte AG, 3. Aufl. (2014), § 33 Rn. 19b. 96 Vgl. Noack, WM 2009, 2289, 2289, 2294; allgemein auch Hofstetter, ZGR 2008, 560, 584 – 592. 97 In dieselbe Richtung Paschos/Goslar, AG 2008, 605, 610.

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gabe die Weisung zumeist in demselben Dialog an, in dem sich der Aktionär auch für eine Stimmabgabe per Briefwahl oder per Online-Teilnahme entscheiden kann.

III. Stimmenauszählung 1. Additions- und Subtraktionsverfahren Mit dem Additions- und Subtraktionsverfahren haben sich in der deutschen Aktienrechtspraxis zwei auf Basis des § 133 AktG grundsätzlich gleichberechtigte Verfahren der Stimmenauszählung entwickelt: Beim Additionsverfahren, dem intuitiv wohl naheliegendsten Verfahren, werden die Ja- und Nein-Stimmen jeweils getrennt ausgezählt; aus dem Verhältnis der beiden Ergebnisse zueinander wird dann die erreichte Mehrheit bzw. Minderheit errechnet. Das Subtraktionsverfahren konzentriert sich in der Regel auf die Auszählung der Nein-Stimmen und Enthaltungen; die Zahl der Ja-Stimmen – und hierüber das Abstimmungsergebnis – wird durch Subtraktion der Nein-Stimmen und Enthaltungen von der Gesamtteilnehmerzahl ermittelt. Alternativ können im Rahmen des Subtraktionsverfahrens auch nur JaStimmen und Enthaltungen ausgezählt werden; indirekt ermittelt wird dann die Zahl der Nein-Stimmen.98 Nach weit überwiegender Meinung sind auch in der deutschen SE-Hauptversammlung beide Verfahren möglich.99 Die SE-Verordnung enthalte insoweit keine Festlegung;100 über Art. 53 SE-VO sei daher nationales Recht zur Anwendung berufen.101 Nur vereinzelt wird die Statthaftigkeit des Subtraktionsverfahrens in der SE bezweifelt.102 Das Verfahren sei mit Art. 58 Var. 1 SE-VO unvereinbar, da es dazu 98 Zu beiden Verfahren ausführlich Fischer/Pickert, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 9 Rn. 228, 230; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 1 Rn. 399 f. 99 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 57 SE-VO Rn. 11 – 14; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 57, 58 SE-VO Rn. 3, 6; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 57, 58 SE-VO Rn. 6; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 45; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 58 SE-VO Rn. 6; ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Geselschaft (2005), S. 223, 245; Baatz/Weydner, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG (2005), 6. Kap. Rn. 138 (im Anschluss Fürst/Klahr, a.a.O., in der 2. Aufl. (2014), Rn. 146); Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.605; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 235; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 691. 100 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 57, 58 SE-VO Rn. 6; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 58 Rn. 6; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Geselschaft (2005), S. 223, 245; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 235. 101 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 57 SE-VO Rn. 11, 13; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 58 Rn. 6; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 245; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 235. 102 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 20.

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2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

führe, dass die bloße Anwesenheit von nicht mitstimmenden Aktionären im Präsenzbereich als Ja-Stimme gewertet werde.103 Gemäß Art. 58 Var. 1 SE-VO aber dürften zu den für Art. 57, 59 SE-VO relevanten „abgegebenen Stimmen“ nicht diejenigen Stimmen zählen, die mit Aktien verbunden seien, deren Inhaber nicht an der Abstimmung teilgenommen hätten. Letztere Ansicht fußt auf der Prämisse, dass ein Aktionär, der untätig im Präsenzbereich verharrt, nicht an der Abstimmung teilnimmt. Von dieser Wertung – also der zwingenden Gleichsetzung eines Fernbleibens von der Abstimmung mit der Nichtteilnahme an der Abstimmung – hat sich das Recht der AG-Hauptversammlung allerdings mittlerweile gelöst. So war gegen die Zulässigkeit des Subtraktionsverfahren vor einigen Jahren noch vereinzelt eingewendet worden, dem Schweigen des untätigen Aktionärs werde so unzulässigerweise der Erklärungswert einer Ja-Stimme entnommen und ein anwesender Aktionär werde damit unzulässigerweise zur Teilnahme an der Abstimmung (durch ausdrückliche Enthaltung) gezwungen.104 Beide Einwände griffen und greifen weiterhin nicht durch. Denn wegen des engen Mitgliedschaftsverhältnisses zwischen Aktionär und Gesellschaft und der besonderen Situation der Hauptversammlung bedeutet es für den Aktionär, der ohnehin in der Hauptversammlug präsent ist, keine unzumutbare Last, mit „Enthaltung“ zu stimmen, wenn dies seiner Meinung zum betreffenden Beschlussgegenstand entspricht.105 Hat der Versammlungsleiter vor der Abstimmung zudem deutlich darauf hingewiesen, dass ein Fernbleiben von der Abstimmung als Ja-Stimme gewertet wird,106 so muss sich ein untätiger Aktionär an diesem Schweigen festhalten lassen.107 Die Ansicht, das Subtraktionsverfahren sei mit Art. 58 SE-VO nicht vereinbar, weil sie eine Nichtteilnahme zur Ja-Stimme erkläre, eröffnet also letztlich eine Schlacht, die im aktiengesetzlichen Kontext längst geschlagen ist. Auch für die deutsche SE gilt daher, dass ein untätiger Aktionär durchaus zu den an der Abstimmung teilnehmenden Aktionären – hier im Sinne der Art. 57 bis 59 SE-VO – zählen kann. Die Wertung der Untätigkeit eines präsenten Aktionärs als Teilnahme per Ja-Stimme verstößt dann nicht gegen Art. 58 Var. 1 SE-VO. Auch in der SEHauptversammlung steht damit sowohl das Additions- als auch das Subtraktionsverfahren zur Stimmenauszählung zur Verfügung.

103

Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 20. OLG Karlsruhe, NNJW-RR 1991, 553, 556. 105 Fischer/Pickert, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 9 Rn. 232; Schaaf, in: Schaaf, Praxis der HV, 3. Aufl. (2011), Rn. 585. 106 Siehe etwa den Formulierungsvorschlag von Schwartzkopff, Vorbereitung und Durchführung der HV (2012), Anhang B Rn. 53. 107 Fischer/Pickert, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 9 Rn. 234; Schaaf, in: Schaaf, Praxis der HV, 3. Aufl. (2011), Rn. 582 – 584, 586. 104

B. Beschlussfassung

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2. Subtraktionsverfahren und moderne Formen der Hauptversammlungsteilnahme Bei der Stimmenauszählung per Subtraktionsmethode ist der Hauptversammlungsleiter auf eine sichere Ermittlung der Gesamtteilnehmerzahl angewiesen. Denn sie ist die entscheidende Variable, wenn per abschließender Subtraktion die JaStimmen ermittelt werden. Am einfachsten gestaltet sich die Ermittlung der Teilnehmerzahl in der klassischen Präsenzhauptversammlung, bei der sich alle Abstimmenden bzw. deren Vertreter physisch in einen Raum begeben, um gleichzeitig ihre Stimme abzugeben. Seit Einführung der Briefwahl (§ 118 Abs. 2 AktG) und der Teilnahme im Wege der elektronischen Kommunikation (sogenannte Online-Teilnahme, § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG) im Zuge des ARUG 2009 ist dieses Leitbild freilich veraltet. An der Zulässigkeit des Subtraktionsverfahrens rüttelt zwar auch das ARUG nicht,108 jedoch wird es erheblich verkompliziert, sobald sich eine Gesellschaft der neuen Teilnahme- bzw. Abstimmungsformen bedient. Noch verhältnismäßig gering ist der Aufwand bei einer Teilnahme von Briefwählern. Hier wird auf die Stimmenauszählung im physischen Präsenzbereich regelmäßig eine organisatorisch abgesetzte Briefwahl-Stimmenauszählung folgen, bei der die per Briefwahl eingegangenen Ja- und Nein-Stimmen dem zuvor ermittelten Zwischenergebnis hinzu addiert werden.109 Aufwändiger wird es bei der Einbindung von Online-Teilnehmern gemäß § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG. Ist die elektronische Teilnahme über eine Einwahl vom privaten Computer des Aktionärs eröffnet, so wird ein laufendes Schwanken der OnlineTeilnehmerzahl kaum zu vermeiden sein – sei es durch ein aktives Ein- und Ausloggen der Aktionäre, durch Verbindungsprobleme auf Seiten der Aktionäre oder schlicht dadurch, dass der Aktionär zeitweise nicht vor dem Computer sitzt.110 Hinzu kommt, dass die Online-Teilnehmer regelmäßig nicht absolut synchron abstimmen werden. Zumindest über einige Sekunden werden sich die Abstimmungshandlungen in der Regel hinziehen, so dass den einzelnen Abstimmungshandlungen leicht unterschiedliche Gesamtteilnehmerzahlen zugrunde liegen werden. Das Subtraktionsverfahren stößt hier an praktische Grenzen, so dass auch insoweit ein gesondertes Additionsverfahren neben dem Subtraktionsverfahren in der physischen Hauptver108 Ausdrücklich die Weitergeltung des Subtraktionsverfahrens bejahend RegE ARUG, BTDrucks. 16/11642, S. 26 f.; ebenso Holzborn, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 133 Rn. 12; Fischer/Pickert, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 9 Rn. 236. 109 Holzborn, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 133 Rn. 12 a.E.; M. Arnold/ Carl/Götze, AG 2011, 349, 359; T. Wagner, HV-Magazin Jan. 2011, Sonderausgabe HV-Recht 2011 (2. Jg.), 48, 49. 110 Tendenziell a.A. M. Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 361, die anzunehmen scheinen, die Online-Präsenz könne durch technische Voraussetzungen, welche „während des Abstimmungsvorgangs ein Einloggen und Ausloggen unmöglich machen,“ stabil gehalten werden. Dies ist aber für die Gesellschaft unmöglich, wenn sich der Aktionär über seinen privaten Internetanschluss zuschaltet.

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2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

sammlung (und ggf. neben dem Briefwahl-Additionsverfahren) durchzuführen ist.111 Hierbei wird es sich empfehlen, die Enthaltungen und die Ja- und Nein-Stimmen jeweils umfassend gesondert auszuzählen und die reine Untätigkeit eines eingewählten Online-Teilnehmers als Nichtteilnahme zu bewerten. Die Wertung der bloßen Untätigkeit in eine bestimmte Richtung dagegen wird sich auch nach einer entsprechenden Belehrung verbieten. Denn die Ursachen für eine Untätigkeit des Online-Teilnehmers sind erheblich vielfältiger als bei der physischen Präsenzteilnahme und aus Sicht der Versammlungsleitung häufig auch gar nicht feststellbar (z. B. Abwesenheit vom eingewählten Computer oder Ablenkung im privaten Bereich).

IV. Erreichen der erforderlichen Mehrheit 1. Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit, Art. 57 SE-VO Als Zentralnorm über die Beschlussfassung per Mehrheitsentscheid nimmt Art. 57 SE-VO eine ähnliche Rolle ein wie § 133 AktG im Recht der deutschen AG. Danach bedarf ein Hauptversammlungsbeschluss grundsätzlich einer Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen, sofern die Verordnung oder das Aktienrecht des SESitzstaats nicht eine größere Mehrheit vorschreibt. Für eine erfolgreiche Beschlussfassung muss die Zahl der abgegebenen Ja-Stimmen folglich die Zahl der abgegebenen Nein-Stimmen um mindestens eine Stimme übersteigen; Stimmenthaltungen (Art. 58 Var. 2 SE-VO) und ungültige Stimmen (Art. 58 Var. 3) zählen nicht zu den abgebenen Stimmen und fallen daher auf keiner Seite ins Gewicht. Ein Beschlussvorschlag ist abgelehnt, wenn entweder die Zahl der Nein-Stimmen die der Ja-Stimmen übersteigt oder ebenso viele Ja-Stimmen wie Nein-Stimmen abgegeben werden.112 Art. 57 SE-VO gilt für sämtliche Willensäußerungen der Hauptversammlung in Beschlussform – also auch für Wahlen und reine Verfahrensbeschlüsse.113 Kein Gleichlauf zwischen Art. 57 SE-VO und § 133 AktG besteht, soweit die Normen dem Gesetz- bzw. Satzungsgeber gestatten, im Einzelfall vom Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit abzuweichen. Nach § 133 Abs. 1 Hs. 2 AktG können Gesetz- und Satzungsgeber für Beschlüsse „eine größere Mehrheit oder weitere 111

Abzulehnen die Erwägung von M. Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 361, „die zu Beginn der Abstimmung vorhandene Online-Präsenz [könne] für die gesamte Dauer des Abstimmungsvorgangs zugrunde gelegt [werden] und zwischenzeitliche Änderungen außer Betracht bleiben.“ Von der Möglichkeit, eine stabile Online-Gesamtpräsenz zu ermitteln scheint auch der Gesetzgeber ausgegangen zu sein; vgl. RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 26 f. 112 Allgemeiner Rechtsgrundsatz; siehe nur Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 57 SE-VO Rn. 22 mit den Nachweisen in der dortigen Fn. 51. 113 Ganz h.M.; siehe nur Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 57 SE-VO Rn. 3; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 57, 58 SE-VO Rn. 3; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 57 SE-VO Rn. 5.

B. Beschlussfassung

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Erfordernisse bestimmen“, und in Bezug auf Wahlen darf der Satzungsgeber „andere Bestimmungen treffen.“ Dagegen lässt Art. 57 Hs. 2 SE-VO vom Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit nur ab, „sofern diese Verordnung oder gegebenenfalls das im Sitzstaat der SE für Aktiengesellschaften maßgebliche Recht … eine größere Mehrheit vorschreibt.“ Daraus ergeben sich die folgenden Variationen: 2. Strengere, von der SE-VO vorgeschriebene Stimmenmehrheiten, Art. 57 Hs. 2 Alt. 1 SE-VO a) Satzungsänderung, Art. 59 SE-VO, § 51 SEAG aa) Zwei-Drittel-Stimmenmehrheit gemäß Art. 59 Abs. 1 SE-VO Art. 57 Hs. 2 Alt. 1 SE-VO erlaubt114 Abweichungen vom Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit, soweit die SE-VO selbst eine „größere Mehrheit“ vorschreibt. Hierunter fällt insbesondere Art. 59 Abs. 1 SE-VO, der die Änderung der SE-Satzung grundsätzlich vom Erreichen einer Zwei-Drittel-Stimmenmehrheit abhängig macht. Hinzu kommt das deutsche Kapitalmehrheitserfordernis.115 bb) Einfache Stimmenmehrheit gemäß § 51 Satz 1 SEAG, Art. 59 Abs. 2 SE-VO Die nach Art. 59 Abs. 1 SE-VO erhöhte Zwei-Drittel-Mehrheit wird ihrerseits variiert durch Art. 59 Abs. 2 SE-VO. Danach kann jeder Mitgliedstaat bestimmten, dass für eine Satzungsänderung die einfache Stimmenmehrheit ausreicht, sofern mindestens die Hälfte des gezeichneten Kapitals vertreten ist. Der deutsche Gesetzgeber hat hiervon in § 51 Satz 1 SEAG Gebrauch gemacht, indem er den Satzungsgeber ermächtigt, die einfache Mehrheit vorzusehen;116 Satz 2 enthält eine Rückausnahme für die Änderung des Unternehmensgegenstands, für den (Sitzverlegungs-)Beschluss nach Art. 8 Abs. 6 SE-VO sowie „für Fälle, für die eine höhere Kapitalmehrheit zwingend vorgeschrieben ist.“ Bei letzteren Beschlüssen greift also unabhängig von der Präsenz wieder das Zwei-Drittel-Mehrheitserfordernis aus Art. 59 Abs. 1 SE-VO. Ziel war es, einen Gleichlauf mit der Gestaltungsoption aus § 179 Abs. 2 Satz 2 AktG herzustellen,117 was jedoch nur teilweise gelang (bzw. gelingen konnte).118 114

Gesetzessystematisch wäre die Öffnungsklausel nicht notwendig gewesen, da sich der Vorrang der in Art. 8 Abs. 6 und Art. 59 Abs. 1 SE-VO bestimmten Mehrheitserfordernisse bereits aus allgemeinen Grundsätzen (lex specialis) ergibt. 115 Hierzu ausführlich Abschnitt „Ist Platz für die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse?“, S. 72. 116 Vgl. die Beispielklausel bei Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 § 27 Abs. 1 Satz 2, Rn. 98.850 § 26 Abs. 1 Satz 2. 117 RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 40; ebenso der vorhergehende Vorschlag von Teichmann, ZIP 2002, 1109, 1115.

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2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

(1) Verordnungskonformität des § 51 SEAG Die Vereinbarkeit von § 51 SEAG mit Art. 59 Abs. 2 SE-VO wird in verschiedener Hinsicht bezweifelt. Gerügt wird zunächst die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, den einzelnen Satzungsgeber zu ermächtigen, die vereinfachte Mehrheit vorzusehen, während Art. 59 Abs. 2 SE-VO seinem Wortlaut nach nur eine an die Mitgliedstaaten gerichtete Ermächtigung enthalte („Jeder Mitgliedstaat kann jedoch bestimmen, dass …“).119 Unstimmig wirkt dies freilich nur, wenn man Art. 59 Abs. 2 SE-VO isoliert betrachtet. Bezieht man Abs. 1 mit ein, der ausdrücklich zwischen einer Ermächtigung des Mitgliedstaats zum Gesetzeserlass („vorsehen“) und einer Ermächtigung des Mitgliedstaats zur Ermächtigung des Satzungsgebers („zulassen“) unterscheidet, so wird deutlich, dass sich der Verordnungsgeber in Abs. 2 („bestimmen“) gerade für eine neutrale Formulierung entschieden hat, die für eine unmittelbare gesetzliche Regelung und ein Weiterreichen der Ermächtigung an den Satzungsgeber gleichermaßen Platz lässt.120 Verfehlt ist auch der vereinzelt erhobene121 Vorwurf, § 51 Satz 2 SEAG stelle ein verbotenes SE-Sonderaktienrecht dar. Hintergrund des Vorwurfs ist das aus Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii), Art. 10 SE-VO abgeleitete, an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbot, jenseits der ausdrücklichen Regelungsermächtigungen eine besondere, vom allgemeinen Aktienrecht abweichende Gesetzeslage für die SE zu schaffen. Ein solche diskriminierende Gesetzeslage, so der Vorwurf, schaffe § 51 SEAG, weil er entgegen dem Ziel des Ausführungsgesetzgebers von der aktiengesetzlichen Parallelregelung in § 179 Abs. 2 Satz 2 AktG abweiche. Richtigerweise ist das genannte Diskriminierungsverbot hier allerdings gar nicht einschlägig, da der deutsche Gesetzgeber mit § 51 SEAG gerade kein Sonderrecht geschaffen hat, das als Fremdkörper neben der SE-VO und dem Aktiengesetz steht.122 § 51 SEAG füllt vielmehr gezielt eine in der Verordnung enthaltene Ermächtigung aus. Nur an der Vereinbarkeit mit dieser Ermächtigungsgrundlage bemisst sich die Verordnungskonformität, nicht aber an einem mehr oder weniger ausgeprägten Gleichlauf mit dem deutschen Aktiengesetz. 118 Art. 59 SE-VO, § 51 SEAG stellen auf eine Stimmenmehrheit und deren Absenkung ab; § 179 AktG dagegen auf eine Kapitalmehrheit und deren Variation nach oben oder unten; vgl. Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 59 SE-VO Rn. 25. 119 Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 246 f.; zweifelnd auch Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 247; ders., DStR 2003, 1208, 1212 f. 120 Zutreffend Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 59 SE-VO Rn. 22 f.; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 695; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 59 SE-VO Rn. 14; im Ergebnis auch Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 59 SE-VO Rn. 20; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 59 SE-VO Rn. 5; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 59 SE-VO Rn. 7; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 59 Rn. 18; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 305 f. 121 So Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 246 f.; ders., NZG 2002, 991, 993 f.; ders., DStR 2003, 1208, 1212. 122 A.A. insoweit wohl Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 59 SE-VO Rn. 7.

B. Beschlussfassung

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Und selbst wenn man in Hinblick auf § 51 SEAG von einem Gleichlaufgebot ausgehen wollte, bliebe zu berücksichtigen, dass eine völlige Deckungsgleichheit mit § 179 Abs. 2 Satz 2 AktG rechtstechnisch gar nicht möglich war, weil sich die Ausgangsnormen grundlegend unterscheiden: Während Art. 59 Abs. 1 SE-VO auf eine Stimmenmehrheit abstellt, geht es in § 179 Abs. 2 Satz 1 AktG nur um eine Kapitalmehrheit. Und auch die in § 179 Abs. 2 Satz 2 AktG vorgesehene Möglichkeit eines strengeren Mehrheitserfordernisses konnte der Gesetzgeber in § 51 SEAG nicht übernehmen, da Art. 59 Abs. 2 SE-VO nur eine Absenkung der ZweiDrittel-Mehrheit erlaubt. § 51 SEAG ist daher auch mit Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii), Art. 10 SE-VO vereinbar.123 Zu denken wäre schließlich an eine spezifische Unvereinbarkeit des § 51 Satz 2 SEAG mit Art. 59 Abs. 2 SE-VO. Denn letzterer scheint ein Ausführungsgesetz mit generellem einfachem Mehrheitserfordernis, also eine unqualifizierte Ausnahme zu Art. 59 Abs. 1 SE-VO im Blick zu haben. So heißt es in Abs. 2 ausdrücklich „… kann jedoch bestimmen, dass die einfache Mehrheit … ausreicht“ und nicht etwa „… kann Beschlussgegenstände bestimmen, für die die einfache Mehrheit ausreicht.“ Der deutsche Gesetzgeber dagegen gestaltet die von Art. 59 Abs. 2 SE-VO erlaubte Vereinfachung in § 51 Satz 2 SEAG weiter aus, indem er bestimmte Beschlussfassungen von der in Satz 1 angeordneten Erleichterung ausnimmt. Hieraus eine Verordnungswidrigkeit abzuleiten,124 wäre dennoch zu spitzfindig. Mit der Verordnung in Einklang bringen lässt sich nämlich ebenso die Annahme, dass der Verordnungsgeber eine eingeschränkte Ausführungsgesetzgebung nach Art des § 51 SEAG lediglich nicht bedachte, ohne sie mit seiner Wortwahl verbieten zu wollen. Und auch funktional stellt § 51 SEAG viel eher ein Weniger als ein Aliud gegenüber einer vollständigen Ausfüllung der Ermächtigungsgrundlage dar.125 Auch insoweit bestehen an der Verordnungskonformität des § 51 SEAG daher keine Zweifel. (2) Berechnung des Quorums Zweifellos vertreten ist die „Hälfte des gezeichneten Kapitals“ (Art. 59 Abs. 2 SE-VO) bzw. die „Hälfte des Grundkapitals“ (§ 51 Satz 1 SEAG), wenn sich die Inhaber von Aktien, die mindestens die Hälfte des Kapitals repräsentieren, mit einer Ja- oder Nein-Stimme an der Beschlussfassung beteiligen. Weniger eindeutig ist dagegen, ob das Quorum auch dann erfüllt ist, wenn die erforderliche Hälfte nur erreicht wird, wenn neben den mit „Ja“ und „Nein“ stimmenden Aktionären auch diejenigen Aktionäre hinzu addiert werden, die mit

123 Im Ergebnis ebenso Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 59 SE-VO Rn. 21, 26; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 59 Rn. 18 mit dortiger Fn. 30; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 304 f. 124 In diese Richtung Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 247; Schindler, Europäische Aktiengesellschaft (2002), S. 78. 125 Zutreffend J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 695.

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2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

„Enthaltung“ stimmen.126 Hiergegen spricht zunächst ein Vergleich mit der Parallelformulierung in § 179 Abs. 2 Satz 1 AktG. Denn für die dortigen „drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Kapitals“ sind nur diejenigen Kapitalanteile relevant, die mit Ja oder Nein abgestimmt werden; Enthaltungen fließen weder auf Seiten der „drei Viertel“ noch auf Seiten des „bei der Beschlussfassung vertretenen Kapitals“ mit ein.127 Hintergrund dessen ist freilich weniger der Gesetzeswortlaut als die Erkenntnis, dass die Vorschrift ein Mehrheitserfordernis enthält und Stimmenthaltungen daher faktisch in Ja- bzw. Nein-Stimmen verwandelt würden, wenn man sie auf der einen oder anderen Seite berücksichtigen wollte. Diese Bedenken ergeben sich im Rahmen des § 51 SEAG nicht. Denn der dort bezeichnete Kapitalanteil bezeichnet nicht den Maßstab eines Mehrheitserfordernisses, sondern ein Beschlussfähigkeitskriterium.128 Entsprechend ist es für das Verhältnis zwischen Jaund Nein-Stimmen ohne Belang, ob Stimmenthaltungen zur „Hälfte des Grundkapitals“ zählen. Die Ähnlichkeit zwischen § 179 Abs. 2 Satz 2 AktG und § 51 SEAG scheidet daher als Argument gegen eine Berücksichtigung von Stimmenthaltungen aus.129 Und auch Art. 58 Var. 2 SE-VO, wonach Enthaltungen nicht zu den „abgegebenen Stimmen“ im Sinne der Art. 57, Art. 59 Abs. 1 SE-VO zählen, spricht nicht gegen eine Einbeziehung von Enthaltungen.130 Hält man sich vor Augen, dass sich Stimmenthaltungen zwar neutral in Bezug auf die zur Abstimmung stehenden Positionen verhalten, zur Legitimität der Versammlung und der Abstimmung als solcher jedoch durchaus einen Beitrag leisten (im Gegensatz zu Aktionären, die weder teilnehmen noch abstimmen), sprechen sogar die besseren Gründe dafür, im Rahmen des Quorums nach § 51 SEAG auch Stimmenthaltungen zu berücksichtigen. Das Quorum ist damit auch dann erfüllt, wenn die „Hälfte des Grundkapitals“ im Sinne des § 51 Satz 1 SEAG nur durch Addition von Ja-Stimmen, Nein-Stimmen und Enthaltungen erfüllt wird. Zu weit ginge es jedoch, auch solche Kapitalanteile zu berücksichtigen, die einem zeitweiligen oder dauerhaften Stimmrechtsausschluss oder sogar einem Vollrechtsausschluss unterliegen (z. B. § 71b, § 139 Abs. 1 AktG). Denn jenen fehlt nicht nur die Relevanz in Bezug auf die gegensätzlichen Abstimmungspositionen, sondern auch in Bezug auf die Abstimmung als solcher.

126

Dagegen Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 59 SE-VO Rn. 27. Ganz h.M.; siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 179 Rn. 14; Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 179 Rn. 28, jeweils mit weiteren Nachweisen. 128 Dies übersieht offenbar Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 59 SE-VO Rn. 15, der anmerkt, das Abstellen von Art. 59 Abs. 2 SE-VO auf einen Kapitalanteil solle „vor allem den Einfluss von Mehrstimmrechtsaktien begrenzen, die in der Hauptversammlung sonst übergroßes Gewicht erlangen könnten.“ 129 A.A. Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 59 SE-VO Rn. 27 mit dortiger Fn. 66. 130 In diese Richtung aber Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 59 SE-VO Rn. 27. 127

B. Beschlussfassung

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b) Sitzverlegung, Art. 8 Abs. 6 SE-VO Gemäß Art. 8 Abs. 6 Satz 2 SE-VO muss der Beschluss, mit dem die Hauptversammlung einem Plan über eine grenzüberschreitende Sitzverlegung zustimmt, „unter den in Artikel 59 vorgesehenen Bedingungen gefasst werden.“131 Das dort enthaltene Zwei-Drittel-Stimmenmehrheitserfordernis gilt daher auch für den Sitzverlegungsbeschluss. Eine präsenzabhängige Absenkung des Mehrheitserfordernisses gemäß Art. 59 Abs. 2 SE-VO, § 51 Satz 1 SEAG ist wegen § 51 Satz 2 SEAG ausgeschlossen. c) Geschäftsführungsmaßnahmen von grundlegender Bedeutung aa) Zwei-Drittel-Stimmenmehrheit gemäß Art. 59 Abs. 1 SE-VO Auch Geschäftsführungsmaßnahmen von grundlegender Bedeutung, für die die SE-Hauptversammlung entsprechend den im deutschen Aktienrecht entwickelten Gelatine-Grundsätzen zuständig ist,132 fallen unter das Mehrheitserfordernis aus Art. 59 SE-VO. Auch wenn der BGH es in „Gelatine“ ablehnte, die von ihm bejahte ungeschriebene Kompetenz auf eine Analogie zu geschriebenen Kompetenzen zu stützen (wie etwa der zur Satzungsänderung nach § 179 AktG),133 rückte er seine Ausführungen zur erforderlichen Mehrheit ausdrücklich in die Nähe zu geschriebenen Mehrheitserfordernissen: Erforderlich sei eine Drei-Viertel-Mehrheit, da „der Gegenstand der Beschlussfassung eine Maßnahme [sei], die zwar noch keine Satzungsänderung erforder[e], ihr aber angesichts der tief in die mitgliedschaftliche Stellung der Aktionäre eingreifenden Wirkung so nahe komm[e], dass die an sich gegebene Gestaltungsmacht des Vorstands hinter der gebotenen Mitwirkung der Hauptversammlung zurücktreten [müsse]. In diesem Sinne [habe] der Gesetzgeber auch für andere nicht die Verfassung, sondern Geschäftsführungsmaßnahmen im weiteren Sinn betreffende Angelegenheiten – etwa für den Abschluss von Unternehmensverträgen … oder für die inhaltlich verwandten Umstrukturierungen nach dem Umwandlungsgesetz von 1994 – nicht nur die Zustimmung der Hauptversammlung überhaupt angeordnet, sondern bestimmt, dass eine qualifizierte Mehrheit hierfür erreicht werden müsse.“134 Aus der gesetzgeberischen Entscheidung, bestimmte, mit den Gelatine-Maßnahmen vergleichbare Maßnahmen nicht nur in den 131

Zur Differenzierung zwischen dem Sitzverlegungsbeschluss nach Art. 8 SE-VO und dem korrespondierenden Satzungsänderungsbeschluss nach Art. 59 SE-VO siehe unten Abschnitt „Zustimmung zum Plan über eine grenzüberschreitende Sitzverlegung“, S. 404. 132 Zur entsprechenden Geltung der Grundsätze für die deutsche SE siehe unten Abschnitte „Einfluss auf Geschäftsführungsmaßnahmen“, S. 279, und „Gelatine-Grundsätze?“, S. 340. 133 Stattdessen „Ergebnis einer offenen Rechtsfortbildung“; BGH NZG 2004, 571, 574; NZG 2004, 575, 578. 134 BGH NZG 2004, 571, 574 f.; NZG 2004, 575, 579.

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2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung zu verlagern, sondern auch einem gegenüber § 133 AktG qualifizierten Mehrheitserfordernis zu unterwerfen – im deutschen Recht die Drei-Viertel-Kapitalmehrheit –, folgerte der BGH also, dass auch Gelatine-Maßnahmen in dieses qualifizierte Mehrheitserfordernis hochzustufen seien. Überträgt man die vorgenannten Erwägungen135 auf die SE-Ebene, so ist zunächst zu berücksichtigen, dass das zentrale Gegensatzpaar aus einfachem und qualifiziertem Mehrheitserfordernis nicht von einem einfachen Stimmenmehrheitserfordernis (§ 133 AktG) und einem Drei-Viertel-Kapitalmehrheitserfordernis (§ 179 Abs. 2 Satz 1, § 293 Abs. 1 Satz 2 AktG und entsprechende Mehrheitserfordernisse im Umwandlungsgesetz) gebildet wird, sondern von einem einfachen Stimmenmehrheitserfordernis (Art. 57 SE-VO) und einem Zwei-Drittel-Stimmenmehrheitserfordernis (Art. 8 Abs. 6, Art. 59 Abs. 1 SE-VO). Hätte der BGH bei seinen Gelatine-Entscheidungen über eine SE zu befinden gehabt, so hätte die von ihm angenommene Hochstufung des Mehrheitserfordernisses auf Ebene der SE-Verordnung daher nicht zu einem Drei-Viertel-Kapitalmehrheitserfordernis, sondern zu einem Zwei-Drittel-Stimmenmehrheitserfordernis geführt. Für Gelatine-Maßnahmen in einer deutschen SE gilt daher ein Zwei-DrittelStimmenmehrheitserfordernis nach dem Vorbild der Art. 8 Abs. 6, Art. 59 Abs. 1 SE-VO.136 bb) Keine einfache Stimmenmehrheit gemäß § 51 SEAG Auch für die Frage, ob der Satzungsgeber gemäß § 51 Satz 1 SEAG, Art. 59 Abs. 2 SE-VO das qualifizierte Zwei-Drittel-Mehrheitserfordernis auf ein präsenzabhängiges einfaches Stimmenmehrheitserfordernis absenken kann, ist von den Erwägungen des BGH in „Gelatine“ auszugehen. So verneinte der BGH dort „[a] ngesichts der Schwere der möglichen Beeinträchtigung der Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre“ ausdrücklich eine Befugnis des Satzungsgebers, das Drei-ViertelKapitalmehrheitserfordernis entsprechend § 179 Abs. 2 Satz 2 AktG abzusenken.137 Vielmehr sei „das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit hier nicht anders als z. B. in den Fällen der §§ 179a I 2, 293 I 3, 319 II 3 AktG zwingend.“138 Innerhalb der Gruppe der qualifizierten Drei-Viertel-Mehrheitserfordernisse entschied sich der BGH also dafür, die Gelatine-Maßnahmen den besonders wichtigen Maßnahmen 135 Auch insofern geht es nur um eine Übertragung der Erwägungen, nicht dagegen um eine Übertragung des Gesamtkonzepts; siehe bereits oben Abschnitt „Ungeschriebene Kompetenzen auf Ebene der Verordnung vs. ungeschriebene Kompetenzen auf aktiengesetzlicher Ebene?“, S. 32. 136 Im Ergebnis ebenso Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 247. 137 BGH NZG 2004, 571, 575; BGH NZG 2004, 575, 579. 138 BGH NZG 2004, 571, 575; BGH NZG 2004, 575, 579.

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zuzuordnen, bei denen eine satzungsmäßige Abbedingung der Qualifikation nicht in Betracht kommt. In der deutschen SE stehen § 51 Sätze 1 und 2 SEAG für den Gegensatz zwischen abbedingbaren und zwingenden qualifizierten Mehrheitserfordernissen. So nimmt der Gesetzgeber in § 51 Satz 2 SEAG einzelne Beschlüsse, für die ansonsten das qualifizierte Mehrheitserfordernis aus Art. 8 Abs. 6, Art. 59 Abs. 1 SE-VO und die Möglichkeit einer satzungsmäßigen Vereinfachung nach § 51 Satz 1 SEAG, Art. 59 Abs. 2 SE-VO gleichermaßen gegolten hätten, von der Möglichkeit einer satzungsmäßigen Vereinfachung aus. Dieser Gruppe von Beschlüssen sind – entsprechend der Einordnung des BGH – auch Gelatine-Maßnahmen in der deutschen SE zuzuordnen. Das Zwei-Drittel-Stimmenmehrheitserfordernis gilt daher zwingend.139 cc) Kumulative Geltung des Kapitalmehrheitserfordernisses Neben dem zwingenden Stimmenmehrheitserfordernis nach dem Vorbild der Art. 8 Abs. 6, Art. 59 Abs. 1 SE-VO, § 51 SEAG gilt für Gelatine-Maßnahmen in der deutschen SE auch das Erfordernis einer Drei-Viertel-Kapitalmehrheit, wie es in der BGH-Rechtsprechung zur AG aus „den Fällen der §§ 179a I 2, 293 I 3, 319 II 3 AktG“ entwickelt wurde.140 Die Erwägungen des BGH aus „Gelatine“ lassen sich insoweit unmittelbar übertragen, da auch die zitierten geschriebenen Mehrheitserfordernisse unmittelbar für die deutsche SE gelten. Art. 59 Abs. 1 SE-VO steht nicht entgegen, da Art. 57, 59 SE-VO regelungsoffen gegenüber Kapitalmehrheitserfordernissen aus mitgliedstaatlichem Recht sind.141 Insgesamt haben die „Gelatine“-Erwägungen des BGH zum Mehrheitserfordernis für die deutsche SE also eine doppelte Bedeutung: Auf der Verordnungsebene führen sie zu einem Wechsel vom einfachen zum qualifizierten Stimmenmehrheitserfordernis; und auf Ebene des nationalen Rechts führen sie zur Begründung eines kumulativ geltenden Kapitalmehrheitserfordernisses nach dem Vorbild der § 179a Abs. 1 Satz 1, § 293 Abs. 1 Satz 3, § 319 Abs. 2 Satz 3 AktG. d) Keine vereinfachte Satzungsänderung nach § 113 Abs. 1 Satz 4 AktG Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 AktG kann die AG-Hauptversammlung eine Satzungsänderung, durch welche eine satzungsmäßig festgesetzte Aufsichtsratsvergütung herabgesetzt wird, mit einfacher Stimmenmehrheit beschließen. Für diese 139 Im Ergebnis ebenso Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 247, jedoch mit nicht ganz schlüssiger Begründung, wonach die ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz im deutschen Aktienrecht aus einer „Analogie zur Satzungsänderung“ folge. 140 Siehe oben 2. Teil, Fn. 138. 141 Hierzu sogleich Abschnitt „Ist Platz für die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse?“, S. 72.

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Vereinfachung ist in der deutschen SE kein Platz, da Art. 59 SE-VO keine einschlägige Öffnungsklausel enthält; die Anwendbarkeit des § 113 Abs. 1 Satz 4 AktG ist damit gesperrt. Hieraus folgt zugleich, dass für eine satzungsmäßige Festsetzung der SE-Aufsichtsorganvergütung nach § 113 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AktG nur sehr eingeschränkt Platz ist.142 3. Strengere, im Sitzstaat-Aktienrecht vorgesehene Stimmenmehrheiten, Art. 57 Hs. 2 Alt. 2, Art. 59 Hs. 2 SE-VO a) Zwingende Mehrheitserfordernisse Auch aus nationalem Aktienrecht kann sich gemäß Art. 57 Hs. 2 Alt. 2 SE-VO eine Abweichung vom Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit ergeben. Danach sind auf die deutsche SE diejenigen aktienrechtlichen Vorschriften anwendbar, die eine „größere Mehrheit vorschreib[en].“ Eingeschlossen vom Verweis sind ohne weiteres Mehrheitserfordernisse, die den Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit zwingend verschärfen. b) Stimmenmehrheitsbezogene Satzungsspielräume Fraglich ist, inwieweit auf die deutsche SE diejenigen Vorschriften des AktG Anwendung finden, welche dem Satzungsgeber erlauben, gesetzlich vorgesehene Stimmenmehrheitserfordernisse zu variieren – also jene zu verschärfen und/oder abzumildern. Einer generellen Übertragung der einschlägigen deutschen Vorschriften auf die SE steht zunächst Art. 57 Hs. 2 SE-VO entgegen. Danach sind Abweichungen vom Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit auf Basis des SE-Sitzstaatrechts nur erlaubt, soweit letzteres die größere Mehrheit „vorschreibt“. Dass damit nur solche aktiengesetzlichen Normen umfasst sind, die die Mehrheit unmittelbar definieren, und nicht solche, die diese Definition dem Satzungsgeber überlassen, ergibt sich im Umkehrschluss aus Art. 59 Abs. 1 Hs. 2 SE-VO. Letzterer schließt ausdrücklich auch nationale Satzungsermächtigungen ein („vorsehen oder zulassen“).143 Nicht anwendbar auf die deutsche SE ist daher insbesondere die in § 103 Abs. 1 Satz 3 AktG vorgesehene Möglichkeit, für die Abberufung eines Aufsichtsorganmitglieds eine „andere Mehrheit“ als die in § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG vorgesehene 142

Ausführlich hierzu unten „Kompetenz“, S. 233. Dieser Ausgangspunkt entspricht mittlerweile der ganz h.M. (nicht jedoch die Konsequenzen; vgl. Nachweise zur jeweils a.A. in den folgenden Fn.); siehe nur Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 40 mit Fn. 87; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 57, 58 SE-VO Rn. 8; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 57 Rn. 11, 15; Spindler, in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 57 SE-VO Rn. 14; ders., in: Lutter/ Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 246; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 693. 143

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Drei-Viertel-Stimmenmehrheit zu bestimmen.144 Ebenso nicht möglich ist es, in der Satzung eine „andere Mehrheit“ im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 3 SEAG für die Abberufung eines Verwaltungsorganmitglieds fest zu legen.145 Zur Verankerung dieses Satzungsspielraums war der deutsche Gesetzgeber nicht berechtigt.146 Auch die dem AG-Satzungsgeber offen stehende Möglichkeit, den Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit aus § 133 Abs. 1 Hs. 1 AktG durch eine „größere Mehrheit“ zu ersetzen (§ 133 Abs. 1 Hs. 2 AktG), steht dem SE-Satzungsgeber nicht offen.147 Und ebenso wenig kann der Satzungsgeber auf Basis des § 133 Abs. 2 AktG für Wahlen strengere Mehrheitserforderniss aufstellen als in Art. 57 Hs. 1 SE-VO vorgesehen.148 Nicht ausgeschlossen ist dagegen eine satzungsmäßige Verschärfung des qualifizierten Mehrheitserfordernisses für Satzungsänderungen aus Art. 59 Abs. 1 Hs. 2 SE-VO. Denn anders als Art. 57 SE-VO verweist Art. 59 Abs. 1 SE-VO auch auf die nach nationalem Recht bestehenden Satzungsspielräume.149 Dieser Verweis trifft im deutschen Recht auf § 133 Abs. 1 Hs. 2 AktG.150 Jener ist im Rahmen des Art. 59 144 A.A. wohl Drygala, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 40 SE-VO Rn. 23 a.E.; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 40 SE-VO Rn. 58. 145 In diese Richtung auch Schwarz, SE-VO (2006), Art. 43 Anh Rn. 148, der aber auch die Verordnungskonformität des § 29 Abs. 1 Satz 2 SEAG bezweifelt und daher die einfache Mehrheit aus Art. 57 Hs. 1 SE-VO für den Abberufungsbeschluss genügen lassen will; a.A. (Gültigkeit des § 29 Abs. 1 Satz 3 SEAG) Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SEKo., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 29 SEAG) Rn. 11; Nagel, NZG 2004, 833, 835; wiederum abweichend (einschränkende Auslegung des § 29 Abs. 1 Satz 3 SEAG: nur satzungsmäßige Absenkung des Mehrheitserfordernisses erlaubt) Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 57 SE-VO Rn. 20; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 29 SEAG Rn. 6 – 8. 146 Ähnlich Schwarz, SE-VO (2006), Art. 43 Anh Rn. 148 („schwerwiegende Bedenken“); Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 81 Fn. 151; a.A. Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 29 SEAG) Rn. 11. 147 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 40 mit Fn. 87; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 57 Rn. 15. 148 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 57 SE-VO Rn. 24; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 57, 58 SE-VO Rn. 3; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SEVO Rn. 38; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 57 Rn. 21 f.; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 57 SE-VO Rn. 5; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 257; a.A. (jeweils ohne Begründung) Drygala, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 40 SE-VO Rn. 6; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 40 SE-VO Rn. 29; Baatz/Weydner, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG (2005), 6. Kap. Rn. 148 (ebenso Fürst/Klahr, a.a.O., in der 2. Aufl. (2014), Rn. 156). 149 Im Ausgangspunkt wohl ganz h.M.; siehe nur Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 59 SE-VO Rn. 13; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 59 SE-VO Rn. 6; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 245; Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 385 f. 150 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 59 SE-VO Rn. 13; zur höchst umstrittenen Frage, ob auch nationale Kapitalmehrheitserfordernisse „größere Mehrheiten“ im Sinne des

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Abs. 1 SE-VO freilich nur insoweit anwendbar, als er zur Festlegung eines strengeren Stimmenmehrheitserfordernisses als zwei Drittel – also einer „größere[n] Mehrheit“ im Sinne des Art. 59 Abs. 1 SE-VO – ermächtigt. Anders als im Recht der deutschen AG – wo § 133 Abs. 1 Hs. 2 AktG an den Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit aus § 133 Abs. 1 Hs. 1 AktG anknüpft – ermächtigt § 133 Abs. 1 Hs. 2 AktG in Verbindung mit Art. 59 Abs. 1 Hs. 2 SE-VO den Satzungsgeber also nur zu einer Verschärfung des bereits qualifizierten Zwei-Drittel-Stimmenmehrheitserfordernisses aus Art. 59 Abs. 1 Hs. 1 SE-VO.151 c) Dispositive Mehrheitserfordernisse Umstritten ist, ob sich der Verweis in Art. 57 Hs. 2 Alt. 2 SE-VO darüber hinaus auch auf solche nationalen Vorschriften erstreckt, die den Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit zwar verschärfen, gleichzeitig aber den Satzungsgeber dazu ermächtigen, das verschärfte Mehrheitserfordernis seinerseits zu variieren (z. B. durch Zurückführen auf ein einfaches Mehrheitserfordernis).152 Gegen eine Erstreckung des Verweises auf derart dispositive Mehrheitserfordernisse wird teilweise der differenzierte Wortlaut von Art. 57 SE-VO einerseits und Art. 59 Abs. 1 SE-VO andererseits ins Feld geführt: Während Art. 59 Abs. 1 zwingende und dispositive Mehrheitserfordernisse gleichermaßen erfasse („… größere Mehrheit vorsehen oder zulassen.“), beziehe sich Art. 57 nur auf zwingende Mehrheiten („… größere Mehrheit vorschreibt.“).153 Dem ist für sich wenig entgegen zu setzen.154 Und dennoch spricht im Ergebnis mehr für eine Erstreckung. Bei genauem Hinsehen bezeichnet die Ausgangsfrage nämlich ein Scheinproblem: Gemäß Art. 57 Hs. 2 SE-VO („vorschreibt“) finden nationale Vorschriften, die den AG-Satzungsgeber zu stimmenmehrheitsbezogenen Regelungen ermächtigen, auf die SE überhaupt keine Anwendung.155 Die Tatsache, dass ein verschärftes, aktiengesetzliches Stimmenmehrheitserfordernis von einem AG-Satzungsgeber variiert werden könnte, ist daher für die Frage der Anwendbarkeit dieses Stimmenmehrheitserfordernisses auf die SE völlig ohne Belang. Mit anderen Art. 59 Abs. 1 SE-VO sind, siehe unten Abschnitt „Ist Platz für die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse?“, S. 72. 151 Im Ergebnis ebenso Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 59 SE-VO Rn. 13 f. 152 Bejahend: Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 57 Rn. 28; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 29 SEAG) Rn. 2; wohl auch Spindler, in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 57 SE-VO Rn. 12; a.A. Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 81; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 40 Rn. 65, Art. 57 Rn. 11; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 40 SE-VO Rn. 55 a.E.; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 243. 153 Siehe etwa Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 81. 154 Siehe bereits Abschnitt „Stimmenmehrheitsbezogene Satzungsspielräume“, S. 92, mit den Nachweisen in Fn. 143. 155 Siehe bereits Abschnitt „Stimmenmehrheitsbezogene Satzungsspielräume“, S. 92.

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Worten: Ist des richtig, dass der Satzungsspielraum aus § 103 Abs. 1 Satz 3 AktG (Abberufung eines Aufsichtsratsmitglied) für die deutsche SE nicht gilt, so kann die Anwendbarkeit des verschärften gesetzlichen Stimmenmehrheitserfordernisses aus § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG auf die SE nicht mit dem Argument verneint werden, jenes stehe gemäß § 103 Abs. 1 Satz 3 AktG zur Disposition des Satzungsgebers.156 Richtigerweise findet auf die deutsche SE daher auch das verschärfte Stimmenmehrheitserfordernis aus § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG Anwendung; für die SE gilt es zwingend.157 Die Frage, ob der ähnlich strukturierte Satzungsspielraum aus § 111 Abs. 4 Satz 5 AktG für die deutsche SE gilt, stellt sich hingegen erst gar nicht, da bereits die Hauptversammlungszuständigkeit aus § 111 Abs. 4 Satz 3 AktG nicht auf die SE übertragbar ist.158 Fraglich ist schließlich, ob auch das SEAG zu dem „im Sitzstaat der SE für Aktiengesellschaften maßgebliche[n] Recht“ gehört. Dagegen spricht auf den ersten Blick die Tatsache, dass es sich beim SEAG um ein SE-spezifisches Gesetz handelt, das für deutsche Aktiengesellschaften völlig unmaßgeblich ist. Insbesondere das Erfordernis einer Drei-Viertel-Stimmenmehrheit für die Abberufung eines Verwaltungsorganmitglieds (§ 29 Abs. 1 Satz 2 SEAG) wäre danach nicht von Art. 57 Hs. 2 Alt. 2 SE-VO abgedeckt. Ein derart enges Verständnis des Art. 57 Hs. 2 Alt. 2 SE-VO erscheint jedenfalls mit Blick auf § 29 Abs. 1 Satz 2 SEAG überzogen. Denn das darin enthaltene Erfordernis einer Drei-Viertel-Stimmenmehrheit hat der Gesetzgeber nur deshalb als SE-Sonderrecht kodifiziert, weil die Option einer monistischen Verwaltungsstruktur für die deutsche AG nicht vorgesehen ist. Zudem handelt es sich aus rechtspolitischer Sicht bei § 29 Abs. 1 Satz 2 SEAG schon gar nicht um SE-Sonderrecht, da die Vorschrift bewusst dem für das AG-Aufsichtsorgan maßgeblichen § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG nachgebildet ist. Auch wenn es sich beim SEAG daher grundsätzlich nicht um „für Aktiengesellschaften maßgebliche[s] Recht“ im Sinne des Art. 57 Hs. 2 SE-VO handelt, so erstreckt sich der Verweis dennoch auch auf § 29 Abs. 1 Satz 2 SEAG.159

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So aber dezidiert etwa Schwarz, SE-VO (2006), Art. 40 Rn. 65; Seibt, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 40 SE-VO Rn. 55. 157 So auch im Ergebnis: Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 57 Rn. 28; wohl auch Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 57 SE-VO Rn. 12. 158 Siehe unten Abschnitt „Ersetzung der fehlenden Zustimmung im Einzelfall, § 111 Abs. 4 Sätze 3 – 5 AktG?“, S. 245. 159 Ähnlich Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 29 SEAG) Rn. 2 a.E.; im Ergebnis ebenso Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 29 SEAG) Rn. 8.

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4. Vom Sitzstaat-Aktienrecht vorgesehene Kapitalmehrheiten a) Ist Platz für die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse? aa) Meinungsbild Die Frage, ob und ggf. auf welche Weise die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse – allen voran § 179 Abs. 2 Satz 1 AktG – auch für die deutsche SE gelten, bewegt das deutsche SE-Schrifttum bereits seit Inkrafttreten des SEAG, ohne dass sich bislang eine der Zahl ihrer Vertreter nach herrschende Ansicht herausgebildet hätte. Das Meinungsbild ist von fünf, sich in Ansatz und Ergebnis teilweise überschneidenden Ansichten geprägt. (1) Nein, abschließender Charakter der Art. 57, 59 SE-VO Einer Ansicht160 nach sind die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse auf die SE nicht anwendbar. Die stimmenbezogenenen Mehrheitserfordernisse aus Art. 57, 59 SE-VO seien abschließend und sperrten die parallele Geltung andersartiger Mehrheitserfordernisse nach mitgliedstaatlichem Recht. (2) Ja, als „größere Mehrheit“ über die Verweisung in Art. 57 Hs. 2 Alt. 2, Art. 59 Abs. 1 SE-VO Einer zweiten Ansicht161 zufolge sind die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse von den Verweisen aus Art. 57 Hs. 2 Alt. 2, Art. 59 Abs. 1 SE-VO gedeckt. Danach gelten für die SE mitgliedstaatliche Vorschriften, die eine „größere Mehrheit“ vorschreiben bzw. vorsehen oder zulassen. Unter diesen, teilweise weit ausgelegten162 Mehrheitsbegriff fielen auch die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse.

160 Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 4. Abschn., § 4 Rn. 65, 68; dies., in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.610 f. (anders aber wohl dies., a.a.O. Rn. 47.615 a.E. „Gegenstände, für die eine höhere Kapitalmehrheit gesetzlich zwingend vorgeschrieben ist“; Rn. 47.870 „der [Umwandlungs-]Beschluss hat also mit einer Mehrheit von drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals zu erfolgen (§ 65 Abs. 1 UmwG)“; Anhang Rn. 98.845, Mustersatzung § 27 Abs. 1 „bei Erfordernis einer Kapitalmehrheit“); wohl auch Bayer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 59 SE-VO Rn. 16; Waclawik, DB 2006, 1827, 1831. 161 Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 10, Art. 59 SE-VO Rn. 18 f.; Baatz/Weydner, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG (2005), 6. Kap. Rn. 139, 142 f. (im Anschluss Fürst/Klahr, a.a.O., in der 2. Aufl. (2014), Rn. 147, 150 f.); Blanquet, ZGR 2002, 20, 50; Heckschen, DNotZ 2003, 251, 267; Kalss, ZGR 2003, 593, 602; Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2482; Wicke, MittBayNot 2006, 196, 204 mit Fn. 118. 162 Vgl. etwa Kalss, ZGR 2003, 593, 602 („Da Art. 59 SE-VO ausdrücklich auf strengeres nationales Recht verweist …“).

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(3) Ja, als „größere Mehrheit“ über die Verweisung in Art. 57 Hs. 2 Alt. 2, Art. 59 Abs. 1 SE-VO, aber Umdeutung in Stimmenmehrheit Eine weitere Ansicht163 fasst die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse ebenfalls unter die Verweise aus Art. 57 Hs. 2 Alt. 2, Art. 59 Abs. 1 SE-VO, deutet sie für die SE aber in Stimmenmehrheitserfordernisse um. Nur so ließe sich der grundsätzlich abschließende Charakter der Art. 57, Art. 59 Abs. 1 SE-VO mit dem – durch die Verweise auf eine „größere Mehrheit“ zum Ausdruck kommenden – Willen des Verordnungsgebers vereinbaren, „nationale Besonderheiten auch im Rahmen der SE“ zu berücksichtigen.164 (4) Ja, als „größere Mehrheit“ über Verweisung in Art. 57 Hs. 2 Alt. 2, Art. 59 Abs. 1 SE-VO; Satzung kann die qualifizierte Mehrheit auf Kapital oder auf Stimmen oder auf beides gleichzeitig beziehen Eine Verbindung zwischen den Verweisen aus Art. 57 Hs. 2 Alt. 2, Art. 59 Abs. 1 SE-VO und den deutschen Kapitalmehrheitserfordernissen stellt auch eine vierte Ansicht165 her. Dem Satzungsgeber stehe es allerdings offen, die qualifizierte Mehrheit auf das Kapital, auf die Stimmen oder auf beides gleichzeitig zu beziehen. Dies sei zweckmäßig, „[d]a unklar [sei], ob sich das gesetzliche Dreiviertelmehrheitserfordernis auf das vertretene Grundkapital oder die abgegebenen Stimmen bezieh[e].“ (5) Ja, uneingeschränkt über Verweisung in Art. 9 Abs. 1 c) ii) SE-VO Von einer fünften Ansicht schließlich werden die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse uneingeschränkt auf die SE übertragen, dies allerdings nicht als „größere Mehrheit“ im Sinne der Art. 57 Hs. 2 Alt. 2, Art. 59 Abs. 1 SE-VO, sondern über die allgemeine Verweisung aus Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO.166 Art. 57, 59 SEVO mitsamt dem restlichen Verordnungsabschnitt zur SE-Hauptversammlung seien gegenüber mitgliedstaatlichen Kapitalmehrheitserfordernissen nämlich völlig re-

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Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 57, 58 SE-VO Rn. 5, Art. 59 SE-VO Rn. 4; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 57, 58 SE-VO Rn. 7, Art. 59 SE-VO Rn. 6; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 57 Rn. 10, Art. 59 Rn. 15; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 57 SE-VO Rn. 13; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 247 – 251; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 302; Koke, Finanzverfassung (2005), S. 127 – 129; Witten, Minderheitenschutz (2011), S. 96. 164 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 57 Rn. 10; ähnlich Koke, Finanzverfassung (2005), S. 127 – 129. 165 Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 385 f. 166 J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 692; im Ergebnis ebenso, aber ohne die einschlägige Verweisungsnorm zu benennen Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 57 SE-VO Rn. 28, Art. 59 SE-VO Rn. 18; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 36 – 39, Art. 59 SE-VO Rn. 16 f.; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko. (2008), Art. 59 SE-VO Rn. 7 f.

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2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

gelungsoffen. Deren Anwendung sei von Art. 57, 59 SE-VO daher weder gesperrt noch angeordnet. Weitere Autoren sprechen sich für eine Anwendung der deutschen Drei-ViertelKapitalmehrheiten auf die SE aus, ohne die Rechtsgrundlage der Anwendbarkeit näher zu bezeichnen.167 Und auch der deutsche Gesetzgeber scheint beim Entwurf des SEAG davon ausgegangen zu sein, dass die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse, die er in § 51 Satz 2 SEAG ausdrücklich anspricht, auf die SE anwendbar sind.168 bb) Stellungnahme Richtigerweise gelten die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse uneingeschränkt für die deutsche SE, und zwar über den allgemeinen Verweis in Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO. Abzulehnen ist zunächst die erstgenannte Ansicht, wonach für Kapitalmehrheitserfordernisse auf Ebene der SE kein Platz sei. Auf das Gegenteil deutet zunächst ein Vergleich zwischen der SE-VO und Art. 40 Abs. 1 der Kapital-RL hin.169 Letzterer überlässt es ausdrücklich den Mitgliedstaaten, zu entscheiden, ob die in der Richtlinie angesprochenen Hauptversammlungsbeschlüsse mit einem Kapital- oder einer Stimmenmehrheitserfordernis unterlegt werden. Dieses Wahlrecht würde gleichsam durch die Hintertür wieder abgeschafft, wollte man die Fixierung der Art. 57, 59 SE-VO auf Stimmenmehrheiten insofern als abschließende Regelung interpretieren.170 Der Versuch, eine derart EG-einheitliche Regelung der Satzungsänderung einzuführen (Strukturrichtlinie), ist auf rechtspolitischer Ebene zudem gerade gescheitert. Dieselbe Harmonisierung per Norminterpretation herbeizuführen, würde daher ein Ergebnis vorwegnehmen, für das dem europäischen Normgeber ersichtlich der Wille fehlt.171 167 Wenz, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 189, 239; Zang, Sitz und Verlegung des Sitzes (2005), S. 183 f. 168 Vgl. § 51 Satz 2 Var. 3 SEAG: „… Fälle, für die eine höhere Kapitalmehrheit gesetzlich zwingend vorgeschrieben ist.“ Auch der RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 40, geht auf Kapitalmehrheiten ein, missversteht dabei jedoch Art. 59 Abs. 2 SE-VO („Grundlage [von § 51 SEAG] ist Artikel 59 Abs. 2 der Verordnung, der den Mitgliedstaaten gestattet, für Satzungsänderungen eine geringere Kapitalmehrheit als die in Artikel 59 Abs. 1 genannte zuzulassen.“). 169 Mit vollem Namen: Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, und diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten; ABl. EG L 26 vom 31. Januar 1977, S. 1. 170 Ähnlich Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 39. 171 Zum Verhältnis zwischen der fehlenden Vereinheitlichung der SE-Satzungsänderung und dem Fehlen einer Strukturrichtlinie siehe Hirte, DStR 2005, 700, 704.

B. Beschlussfassung

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Ebenso fehl geht die These der an zweiter, dritter und vierter Stelle genannten Ansichten, die deutschen Kapitalmehrheiten seien von den Verweisen auf eine mitgliedstaatliche „größere Mehrheit“ in Art. 57 Hs. 2 Alt. 2, Art. 59 Abs. 1 SE-VO erfasst. Die Wendung „größere“ macht nämlich deutlich, dass als mitgliedstaatliche Mehrheit nur ein Wert in Frage kommt, der in ein Majoritätsverhältnis zu den in Art. 57, Art. 59 Abs. 1 SE-VO genannten Stimmenmehrheiten gesetzt werden kann.172 Das ist bei einer Kapitalmehrheit gerade ausgeschlossen. Denn ob es für das Erreichen einer bestimmten Kapitalmehrheit der Zustimmung von mehr oder weniger Aktionären bedarf als für das Erreichen einer ebenso hohen Stimmenmehrheit, lässt sich auf generell-abstrakter Ebene gar nicht klären, sondern nur mit Blick auf den Einzelfall (der z. B. von Höchststimmrechten geprägt sein mag). Erst recht kein Platz ist damit für ein Wahlrecht des Satzungsgebers, die deutschen Kapitalmehrheiten auf das Kapital, auf die Stimmen oder auf beides zu beziehen. Für die an dritter Stelle genannte Ansicht, die die deutschen Kapitalmehrheiten auf SE-Ebene in Stimmenmehrheiten umdeuten will, kommt hinzu, dass sie dem Verweisungssystem der SE-Verordnung zuwider läuft. Denn sowohl die allgemeinen (Art. 9 Abs. 1 SE-VO) als auch die speziellen Verweisungen (z. B. Art. 53 SE-VO) sehen nur eine unveränderte Übernahme des nationalen Rechts vor. Der Schaffung eines SE-spezifischen Sonderaktienrechts auf mitgliedstaatlicher Ebene dagegen steht die SE-Verordnung, insbesondere Art. 10 SE-VO, ausdrücklich skeptisch gegenüber.173 Überdies würde eine Umdeutung die gerade auf die Unterschiede zwischen Stimmen- und Kapitalmehrheiten abzielende Wirkung von Höchststimmrechten (§ 136 Abs. 1 Satz 6 AktG) beseitigen. Die Wirkung bliebe nur dann erhalten, wenn man der Umdeutung der Kapital- in Stimmenmehrheiten eine zweite korrigierende Auslegung hinzufügt – nämlich eine Herausausnahme der umgedeuteten Kapitalmehrheiten aus dem Anwendungsbereich satzungsmäßiger Höchststimmrechte.174 Spätestens dann wird die Entfernung zum Normtext aber zu groß. Richtige Verweisungsnorm auf die deutschen Kapitalmehrheiten ist stattdessen Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO. Die einzig in Betracht kommende Alternative, der speziellere Art. 53 SE-VO, bezieht sich nur auf das „Abstimmungsverfahren.“ Die Mehrheitserfordernisse aber gehören nicht zum Abstimmungsverfahren selbst, sondern zu den Parametern, deren Ermittlung das Abstimmungsverfahren zum Ziel hat. Es bleibt damit nur der Rückgriff auf die allgemeine Verweisung.

172 Ausdrücklich dagegen Bayer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 59 SE-VO Rn. 16. 173 Hierzu bereits oben Abschnitt „Verordnungskonformität des § 51 SEAG“, S. 86, mit den Nachweisen in Fn. 121. 174 So konsequenterweise Schwarz, SE-VO (2006), Art. 5 Rn. 54. Hierzu auch oben Abschnitt „Höchststimmrechte“, S. 64, mit Fn. 32.

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2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

b) Satzungsmäßige Gestaltbarkeit deutscher Kapitalmehrheitserfordernisse Da die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse nicht über Art. 57, Art. 59 Abs. 1 SE-VO, sondern über den allgemeinen Verweis in Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO auf die SE Anwendung finden,175 bereitet das Hinzunehmen der im deutschen Recht vorgesehenen Satzungsspielräume keine Probleme; einschlägige Verweisungsnorm ist Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO. Insbesondere die Beschränkung der Verweise aus Art. 57, Art. 59 Abs. 1 SE-VO auf „größere“ Mehrheiten und das Fehlen eines Verweises auf Satzungsspielräume in Art. 57 SE-VO wirkt sich nicht aus.176 Anwendbar ist damit insbesondere § 179 Abs. 2 Satz 2 AktG, wonach der Satzungsgeber das Drei-Viertel-Mehrheitserfordernis aus § 179 Abs. 2 Satz 1 AktG grundsätzlich nach oben oder unten variieren kann.177 Das Mehrheitserfordernis für satzungsändernde Beschlüsse liegt damit grundsätzlich bei einer Zwei-DrittelStimmenmehrheit (Art. 59 Abs. 1 SE-VO) und einer Drei-Viertel-Kapitalmehrheit (§ 179 Abs. 2 Satz 1 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO); es kann vom Satzungsgeber auf eine einfache Stimmenmehrheit (§ 51 Satz 1 SEAG, Art. 59 Abs. 2 SE-VO) und eine einfache Kapitalmehrheit (§ 179 Abs. 2 Satz 2 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO) abgesenkt werden. c) Einzelne Kapitalmehrheitserfordernisse nach deutschem Recht Kapitalmehrheitserfordernisse gelten folglich insbesondere für Beschlüsse der SE-Hauptversammlung über die eigene Geschäftsordnung (§ 129 Abs. 1 Satz 1 AktG), über die Satzungsänderung, einschließlich der grenzüberschreitenden Sitzverlegung (§ 179 Abs. 2 Satz 1 AktG), über die Auflösung der Gesellschaft (§ 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG), über die Fortsetzung der Gesellschaft nach Auflösung, (§ 274 Abs. 1, 2 AktG), über die Rückumwandlung in eine deutsche Aktiengesellschaft (Art. 66 Abs. 6 Satz 2 SE-VO, Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 1 Richtlinie 2011/35/EU, vormals Richtlinie 78/855/EWG, § 65 Abs. 1 Satz 1 UmwG), über Geschäftsführungsmaßnahmen von grundlegender Bedeutung (sogenannte Gelatine-Grundsätze178), über Nachgründungsverträge (§ 52 Abs. 5 AktG), über eine Ermächtigung zu Verhinderungsmaßnahmen gegen ein öffentliches Übernahmeangebot (§ 33 Abs. 3, § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 WpÜG), über die Verpflichtung zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens (§ 179a Abs. 1 AktG),179 über die Eingliederung der SE in eine andere Gesellschaft (§§ 319 f. AktG), über einen aktienrechtlichen 175

Siehe oben Abschnitt „Stellungnahme“, S. 98. Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 59 SE-VO Rn. 18. 177 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 59 SE-VO Rn. 18; a.A. Kubis, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2012), Art. 59 SE-VO Rn. 6. 178 Siehe oben Abschnitte „Einfluss auf Geschäftsführungsmaßnahmen“, S. 279, und „Gelatine-Grundsätze?“, S. 340. 179 Hierzu näher unten Abschnitt „Verpflichtung zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens, § 179a AktG“, S. 379. 176

B. Beschlussfassung

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(§§ 320, 327a AktG, § 12 Abs. 4 FMStBG) und übernahmerechtlichen Squeeze-Out (§§ 39a, 39b WpÜG), über einen Unternehmensvertrag (§ 293 Abs. 1, Abs. 2, § 295 Abs. 1 AktG), über den Ausschluss des gesetzlichen Bezugsrechts (§ 186 Abs. 3 – 5 AktG) sowie über den Ausschluss des umgekehrten Bezugsrechts (beim Erwerb eigener Aktien unter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, § 186 Abs. 3 AktG analog180). Dasselbe gilt für Beschlussfassungen über Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz181 – also Verschmelzung auf eine andere Gesellschaft deutscher Rechtsform (§§ 13, 65 Abs. 1, 73 UmwG), grenzüberschreitende Verschmelzung (§ 122a Abs. 2 UmwG), Spaltung (§ 125 Satz 1 UmwG), Vermögensübertragung (§ 176 Abs. 1, § 177 Abs. 1 UmwG) und Formwechsel nach deutschem Recht (§§ 193, 233, 240, 242, 252 UmwG) – und für Beschlussfassungen über die verschiedenen Maßnahmen von Eigenkapital- und eigenkapitalrelevanter Finanzierung, insbesondere eine ordentliche Kapitalerhöhung gegen Sach- oder Bareinlagen (§ 182 Abs. 1 Satz 1 AktG), eine bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 1 AktG), eine Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital (§ 202 Abs. 2 AktG), eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§ 207 Abs. 1 AktG), eine eigenkapitalnahe Aufnahme von Fremdkapital (Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte, § 221 AktG), eine ordentliche und vereinfachte Kapitalherabsetzung (§ 222 Abs. 1, § 229 AktG), eine kapitalherabsetzende Zwangseinziehung von Aktien (§ 237 Abs. 2, 4, § 71 Abs. 1 Nr. 6 AktG) sowie eine Ermächtigung der Verwaltung zum Erwerb eigener Aktien (§ 71 Abs. 1 Nr. 7, 8 AktG). Deutsche Kapitalmehrheitserfordernisse gelten schließlich auch für Hauptversammlungsbeschlüsse über die Beteiligung der SE an der Gründung einer neuen SE durch Verschmelzung gemäß Art. 17 – 31 SE-VO und an einer Holding-SE-Gründung gemäß Art. 32 SE-VO. Für die Verschmelzungsgründung ergibt sich dies aus Art. 18, Art. 23 Abs. 1 SE-VO, § 65 Abs. 1 Satz 1, § 73 UmwG.182 Im Fall der Holding-SE-Gründung ist die einschlägige Verweisungsnorm weniger leicht zu identifizieren, da Art. 32 SE-VO nicht in der Art der Art. 18, Art. 37 Abs. 7 Satz 2 SE-VO ausdrücklich auf harmonisiertes Verschmelzungsrecht verweist. Dass auch hier ein Drei-Viertel-Kapitalmehrheitserfordernis greift, ist im Ergebnis dennoch weithin anerkannt183 (lässt man die Stimmen184 außen vor, die die deutschen Kapi180 Vgl. zur Rechtslage in der AG: Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 1 Rn. 441. 181 Zur Fähigkeit der deutschen SE, sich an Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz zu beteiligen, siehe unten Abschnitt „Vorab: Umwandlungsfähigkeit der deutschen SE“, S. 382. 182 Siehe nur Marsch-Barner, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 23 SE-VO Rn. 13; Kalss, ZGR 2003, 593, 602, 619; Teichmann, ZGR 2002, 383, 425. 183 Siehe die Nachweise 2. Teil, in Fn. 185 bis 187; a.A. (keine qualifizierte Stimmen- oder Kapitalmehrheit erforderlich) nur Casper, in: FS Ulmer (2003), 51, 60 f.; ebenso noch MarschBarner, in: Lutter, Holding-Hdb, 4. Aufl. (2004), § 15 Rn. 64 (für ein qualifiziertes Mehrheitserfordernis nunmehr ders., in: Lutter/Bayer, Holding-Hdb, 5. Aufl. (2015), Rn. 18.54).

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2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

talmehrheiten generell für unanwendbar auf die SE halten). Teilweise wird unmittelbar auf § 10 Abs. 1 SEAG abgestellt,185 teilweise auch auf eine Analogie zu § 65 UmwG186 oder auf eine Analogie zu Art. 18, Art. 37 Abs. 7 Satz 2 SE-VO.187 Vorzugswürdig ist es, die auf Verordnungsebene bestehende Regelungslücke auch auf Verordnungsebene zu schließen, also über eine Analogie zu Art. 18, Art. 37 Abs. 7 Satz 2 SE-VO,188 die für die deutsche SE wiederum zu § 65 Abs. 1 UmwG führt.189 § 10 Abs. 1 SEAG bleibt mangels Ermächtigungsgrundlage in der SE-VO (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. c) i) SE-VO) und mangels Geltung für die deutsche AG (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO) ohne Anwendungsbereich.190 Anzumerken bleibt schließlich, dass der SE-Hauptversammlungsbeschluss über die Beteiligung der SE an der Gründung einer neuen SE nicht den mitgliedstaatlichen Stimmenmehrheitserfordernissen (insbesondere § 133 AktG), sondern den Stimmenmehrheitserfordernissen aus der Verordnung (Art. 57, Art. 59 SE-VO) gerecht werden muss. Der grundsätzlich umfassende Verweis in Art. 18 SE-VO auf nationales Beschlussrecht ist entsprechend teleologisch zu reduzieren, da er nicht dem Fall Rechnung trägt, dass sich eine bestehende SE an einer SE-Gründung beteiligt.

V. Sonstige Beschlussvoraussetzungen 1. Grundsätzliche Regelungsoffenheit der SE-VO gegenüber mitgliedstaatlichen Beschlussvoraussetzungen Auch was sonstige, nicht mehrheitsbezogene Wirksamkeitsvoraussetzungen betrifft, ist die SE-Verordnung grundsätzlich offen für eine entsprechende Anwendung des mitgliedstaatlichen Beschlussrechts. So macht der Verweis in Art. 53 SEVO ausdrücklich Platz für die entsprechende Anwendung nationaler Regeln über 184

Siehe oben 2. Teil, Fn. 160. Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 32 SE-VO Rn. 119; Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 32 SE-VO Rn. 94; N. Horn, DB 2005, 147, 148; Spitzbart, DNotZ 2006, 369, 407. 186 Heckschen, DNotZ 2003, 251, 262; wohl auch Kalss, ZGR 2003, 593, 602, 632. 187 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 32 SE-VO Rn. 115 – 119; wohl auch Schindler/Teichmann, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 739, 766 f.; Teichmann, ZGR 2002, 383, 435. 188 Allgemein zur analogen Geltung des Art. 18 SE-VO im Rahmen der Holding-SEGründung siehe auch Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 32 SE-VO Rn. 4; Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 32 SE-VO Rn. 3; Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 32 SE-VO Rn. 10; Scheifele, Gründung (2004), S. 46 f. 189 Auf demselben Weg gelangt auch die Monatsfrist aus § 14 Abs. 1 UmwG im Rahmen der Holding-SE-Gründung zur Anwendung; siehe unten Abschnitt „Klagen gegen eine HoldingSE-Gründung, § 14 Abs. 1 UmwG, Art. 18 SE-VO analog“, S. 105. 190 A.A. wohl Teichmann, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 691, 711 f. 185

B. Beschlussfassung

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„die Organisation und den Ablauf der Hauptversammlung“ und über „die Abstimmungsverfahren.“ Zudem fällt auf, dass Art. 52 – 60 SE-VO selbst nahezu gar keine Beschlussvoraussetzungen formulieren, sieht man von den Regeln zur erforderlichen Stimmenmehrheit (Art. 57 – 59 SE-VO), den Regeln zur Sonderabstimmung bestimmter Aktionärsgruppen (Art. 60 SE-VO) und dem Verweis auf die harmonisierten Publizitätspflichten (Art. 13, Art. 59 Abs. 3 SE-VO) ab. Ein insofern abschließender Charakter der Verordnung hätte daher die ersichtlich unsinnige Konsequenz, dass ein Hauptversammlungsbeschluss über das Erreichen der erforderlichen Mehrheit und ggf. eine Sonderabstimmung bzw. eine Publikation hinaus keinen weiteren Wirksamkeitsvoraussetzungen unterläge. Zu Recht ist daher etwa allgemein anerkannt, dass SE-Hauptversammlungsbeschlüsse, die in eine geschützte Rechtsposition eines Aktionärs eingreifen (z. B. Aufhebung eines satzungsmäßigen Entsendungsrechts) oder einem Aktionär eine Sonderlast auferlegen (z. B. Einführung einer Nebenverpflichtung oder Vinkulierung), zu ihrer Wirksamkeit gemäß § 35 BGB analog bzw. § 180 AktG der Zustimmung des jeweils belasteten Aktionärs bedürfen.191 Aber auch jenseits von diesen Zustimmungserfordernissen und jenseits der in Art. 53 SE-VO genannten „Organisation“, „Ablauf“ und „Abstimmungsverfahren“ ist Platz für die entsprechende Anwendung mitgliedstaatlicher Beschlussvoraussetzungen. Soweit nicht Art. 53 oder Art. 54 Abs. 2 SE-VO nicht bereits ihrem Wortlaut nach einschlägig sind, ist der Verweis in Art. 53 SE-VO entsprechend weit auszulegen; ein Rückgriff auf Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) bzw. iii) SE-VO ist nicht erforderlich. 2. Allgemeine mitgliedstaatliche Beschlussvoraussetzungen a) Einberufung und Bekanntmachung der Einberufung Die Einberufung der AG-Hauptversammlung und deren Bekanntmachung wird im Aktiengesetz umfassend reglementiert. So muss die Einberufung etwa gemäß § 121 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AktG die Firma, den Sitz der Gesellschaft, Zeit und Ort der Hauptversammlung sowie die Tagesordnung enthalten. Der Tagesordnung beizugeben sind gemäß § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG Beschlussvorschläge des Vorstands und des Aufsichtsrats bzw. – zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern und Prüfern – nur des Aufsichtsrats. Ist die AG börsennotiert, so kommen gemäß § 121 Abs. 3 Satz 3 AktG ausführliche Informationen zu Teilnahme- und Abstimmungsvoraussetzungen hinzu. Auf welche Weise die Einberufung gegenüber den Aktionären und in den Medien bekannt zu machen ist, wird in § 121 Abs. 4, 4a AktG reguliert. 191 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 41; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko. (2008), Art. 59 SE-VO Rn. 5; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SEKo., 2. Aufl. (2015), Art. 59 SE-VO Rn. 13; ebenso in Bezug auf § 180 AktG: Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 57 SE-VO Rn. 30; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 57 SE-VO Rn. 17; und in Bezug auf § 35 BGB: Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 59 SE-VO Rn. 20.

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2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

Verstöße hiergegen – § 121 Abs. 4a AktG ausgenommen192 – können über § 241 Nr. 1 bzw. § 243 Abs. 1 AktG zur Unwirksamkeit der betroffenen Beschlussfassungen führen. Dasselbe gilt gemäß Art. 54 Abs. 2 SE-VO grundsätzlich auch für die Einberufung der SE-Hauptversammlung. b) Beschlussvorschläge der Verwaltung, § 124 Abs. 3 AktG Gemäß § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG haben Vorstand und Aufsichtsrat der Hauptversammlung zu jedem Gegenstand der Tagesordnung, über den die Hauptversammlung beschließen soll, einen Beschlussvorschlag zu unterbreiten; für die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern und Prüfern ist nur der Aufsichtsrat dazu berufen. Auch hier steht einer Übertragung auf die SE gemäß Art. 53 SE-VO nichts im Wege.193 An die Stelle des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 124 Abs. 3 Satz 1 AktG) treten Leitungs- und Aufsichtsorgan. Allein für die monistische SE ergibt sich die Besonderheit, dass die in § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG vorgenommene Differenzierung zwischen Vorschlägen zur Wahl von Aufsichtsorganmitgliedern und Prüfern einerseits (Vorschlag nur des Aufsichtsorgans) und sonstigen Beschlussfassungen andererseits (gemeinsamer Vorschlag von Leitungs- und Aufsichtsorgan) wegfällt. Denn gemäß § 22 Abs. 6 SEAG vereinigt das Verwaltungsorgan grundsätzlich alle Kompetenzen auf sich, die im dualistischen System zwischen Vorstand und Aufsichtsorgan aufgeteilt werden. Für eine Unterscheidung zwischen gemeinsamen Kompetenzen von Geschäftsführungs- und Überwachungsorgan und exklusiven Kompetenzen des Überwachungsorgans ist im monistischen Modell daher kein Platz. c) Protokoll, § 130 AktG Für die Form der Beschlussfassung gilt § 130 AktG entsprechend; einschlägige Verweisungsnorm ist Art. 53 SE-VO.194 Anwendung finden damit insbesondere die Vorschriften über den Inhalt der Beschlussfassung in § 130 Abs. 2 AktG. 192

Vgl. § 243 Abs. 3 Nr. 2 AktG. Ganz h.M.; siehe nur Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 54 SEVO Rn. 24 – 31; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 54 SE-VO Rn. 23 – 33; Fürst/Klahr, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), Kap. 6, Rn. 68; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 185 f. 194 So auch die überwiegende Ansicht: Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 53 SE-VO Rn. 21; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 53 SE-VO Rn. 20; Mayer, in: Manz/ Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 53 SE-VO Rn. 6; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 8 Rn. 32; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 53 SE-VO Rn. 29; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 226; Hirte, NZG 2002, 1, 8; ders., DStR 2005, 700, 702; Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 386; a.A. (Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO als einschlägige Verweisungsnorm) Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 8 SE193

B. Beschlussfassung

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Auch die Formerleichterungen für nichtbörsennotierte Gesellschaften aus § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG finden auf die SE Anwendung.195 Die teilweise vertretene Ansicht, die Formerleichterung komme für die SE „angesichts der Konzeption der SE als Rechtsform für Großunternehmen und des komplexen Nebeneinanders von europäischen und nationalem Recht“,196 ist abzulehnen. Eine derart variierte Anwendung deutschen Aktienrechts auf die SE ist vom Verweis in Art. 53 SE-VO nicht ansatzweise abgedeckt und widerspricht klar dem Diskriminierungsverbot aus Art. 10 SE-VO. Nicht einmal als rechtspolitischer, an den deutschen Gesetzgeber gerichteter Gestaltungsvorschlag hätte die genannte Mindermeinung daher eine Chance. Nach § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG, Art. 53 SE-VO reicht eine vom Vorsitzenden des Aufsichtsorgans zu unterzeichnende Niederschrift aus, soweit keine Beschlüsse gefasst werden, für die das Gesetz eine Dreiviertel- oder größere Mehrheit bestimmt. Tatsächlich gemeint ist nach herrschender Meinung im deutschen Schrifttum zur AG nicht der Aufsichtsratsvorsitzende, sondern der Versammlungsleiter. Der Gesetzgeber gehe stillschweigend davon aus, dass der Aufsichtsratsvorsitzende die Leitung übernehme.197 Folgt man dieser Argumentation, so ist auch in der SE nur der Versammlungsleiter zuständig. Relevanz hat die Auslegungfrage in der AG und in der dualistischen SE indes kaum, da die Leitung der Hauptversammlung durch den Aufsichtsrats- bzw. Aufsichtsorganvorsitzenden dem praktischen Regelfall entspricht.198 Anders gestaltet sich die Lage in der monistischen SE. Hier wird teilweise explizit davon abgeraten, dem Verwaltungsorganvorsitzenden die Leitung der Hauptversammlung zu übertragen.199 Die Tatsache, dass § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG die entscheidende Grenze bei der Drei-Viertel-Mehrheit einzieht, während die nach der SE-Verordnung qualifizierte Mehrheit bei zwei Dritteln liegt (Art. 59 Abs. 1 SE-VO), wirft keine Probleme auf.200 VO Rn. 12 a.E.; Diekmann, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 8 SE-VO Rn. 52; Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 8 SE-VO Rn. 58; wiederum abweichend (Art. 10 SEVO als Verweisungsnorm) Oechsler, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 8 SE-VO Rn. 27. 195 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 53 SE-VO Rn. 34; Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 130 Rn. 26; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 53 SE-VO Rn. 21; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 53 SE-VO Rn. 85; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 53 Rn. 18; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 226; Göz, ZGR 2008, 593, 612; Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 386. 196 Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 130 Rn. 37; ders., MittBayNot 2006, 196, 204; in dieselbe Richtung Heckschen, DNotZ 2003, 251, 267 f. 197 Siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 130 Rn. 14e, mit weiteren Nachweisen. 198 Siehe unten Abschnitt „Dualistische SE“, S. 346, mit den Nachweisen in Fn. 711. 199 Ausführlich hierzu unten Abschnitt „Monistische SE“, S. 346. 200 Unnötig daher die von Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 226, Fn. 1260, vorgeschlagene SE-spezifische Auslegung des § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG und die hieran anknüpfende Diskussion bei Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 53 SE-VO Rn. 20; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 53 SE-VO Rn. 30.

106

2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

Wegen der parallelen Geltung der deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse201 existiert nämlich faktisch keine Beschlussfassung, für die nicht neben dem europäischen Zwei-Drittel-Stimmenmehrheitserfordernis auch das deutsche Drei-Viertel-Kapitalmehrheitserfordernis gilt. 3. Besondere mitgliedstaatliche Beschlussvoraussetzungen a) Kein Widerspruch einer qualifizierten Minderheit Bestimmte Beschlussfassungen sind nach deutschem Aktienrecht nicht nur davon abhängig, dass eine bestimmte Mehrheit zustande kommt, sondern auch davon, dass keine bestimmte Minderheit Widerspruch erhebt. Das gilt gemäß § 50 AktG für den Verzicht auf bzw. den Vergleich über gründungsbezogene Ersatzansprüche der Gesellschaft (§§ 46 – 48 AktG), gemäß § 93 Abs. 4, § 116 Satz 1 AktG für den Verzicht auf bzw. den Vergleich über Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen Vorstand und Aufsichtsrat und gemäß § 309 Abs. 3 AktG für den Verzicht auf bzw. Vergleich über Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen die gesetzlichen Vertreter eines herrschenden Unternehmens. In allen drei Fällen ist die Beschlussfassung davon abhängig, dass nicht eine Kapitalminderheit von mindestens zehn Prozent Widerspruch nur Niederschrift erhebt. Diese besonderen Voraussetzungen gelten auch für die deutsche SE. Einschlägige Verweisungsnorm ist auch hier Art. 53 SE-VO und nicht etwa Art. 51 SE-VO.202 Letzterer sieht vor, dass die SE-Verwaltungsmitglieder „gemäß den für Aktiengesellschaften maßgeblichen Rechtsvorschriften für den Schaden [haften], welcher der SE durch eine Verletzung der ihnen bei der Ausübung ihres Amtes obliegenden gesetzlichen, satzungsmäßigen oder sonstigen Pflichten entsteht.“ Mit der Begründetheit von Schadensersatzansprüchen stehen die oben genannten Widerspruchsmöglichkeiten aber nur mittelbar in Zusammenhang. Unmittelbar beziehen sie sich nur auf die Wirksamkeit der Beschlussfassung und damit auf den Anwendungsbereich des Art. 53 SE-VO. b) Individuelle Zustimmung SE-Hauptversammlungsbeschlüsse, die in eine geschützte Rechtsposition eines Aktionärs eingreifen (z. B. Aufhebung eines satzungsmäßigen Entsendungsrechts) oder einem Aktionär eine Sonderlast auferlegen (z. B. Einführung einer Nebenverpflichtung oder Vinkulierung) bedürfen zu ihrer Wirksamkeit gemäß § 35 BGB analog bzw. § 180 AktG, jeweils in Verbindung mit Art. 53 SE-VO, der Zustimmung 201

S. 96.

Siehe oben Abschnitt „Ist Platz für die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse?“,

202 Für den Weg über Art. 51 SE-VO (jedenfalls in Bezug auf §§ 93, 116 AktG) aber wohl Drinhausen, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 51 SE-VO Rn. 7.

B. Beschlussfassung

107

des jeweils belasteten Aktionärs.203 Um eine derartig einseitige, die individuelle Rechtsposition des Aktionärs schwächende Maßnahme zu legitimieren, reicht die Stimmen- bzw. Kapitalmehrheit der übrigen Aktionäre nicht aus. Keine individuelle Zustimmung ist dagegen erforderlich, soweit sich die Benachteiligung nicht auf die individuelle Rechtsposition eines oder mehrerer bestimmter Aktionäre auswirkt, sondern auf die mit einer bestimmten Aktiengattung verknüpften Rechte und Pflichten. In diesem Fall ist (nur) eine Sonderabstimmung der betroffenen Aktionärsgruppe gemäß Art. 60 SE-VO erforderlich.204 c) Materielle Beschlusskontrolle, sachlicher Grund Über eine Missbrauchskontrolle hinaus wird für den Hauptversammlungsbeschluss über den Ausschluss des gesetzlichen Bezugsrechts nach § 186 Abs. 3 – 5 AktG ein sachlicher Grund gefordert (sogenannte materielle Beschlusskontrolle). Hintergrund ist die vom BGH eingeführte Erwägung, dass das Erreichen der erforderlichen Mehrheit und die Erfüllung der übrigen formellen Beschlussvoraussetzungen in bestimmten Fällen nicht ausreichend sei, um den Einschnitt in die Rechte der vom Ausschluss betroffenen Aktionäre materiell zu rechtfertigen.205 Die entsprechende Geltung der materiellen Beschlusskontrolle für die deutsche SE ist unbestritten; als Rechtsgrundlage wird teilweise auf Art. 5 SE-VO206, teilweise auf Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO207 und teilweise auf beide Normen208 abgestellt. Da es sich – ebenso wie bei den sogenannten Gelatine-Grundsätzen – nicht um Gesetzesrecht, sondern um die Übernahme von Rechtsprechungsgrundsätzen handelt, ist der Weg über eine Verweisungsnorm freilich entbehrlich. Entscheidend ist vielmehr, ob sich die Rechtsprechung genauso entschieden hätte bzw. entscheiden würde, wenn sie es mit einer SE zu tun (gehabt) hätte.209 Das ist ohne Zweifel der Fall, da es für die Verwässerung der von einem Bezugsrechtsausschluss betroffenen Minderheitsaktionäre ohne Belang ist, ob Letztere Anteile an einer deutschen SE oder AG halten.

203

Ganz h.M.; siehe die Nachweise 2. Teil unter Fn. 191. Hierzu noch unten Abschnitt „Sonderabstimmung, Art. 60 SE-VO“, S. 107. 205 BGH NJW 1978, 1316, 1317 („Kali+Salz“), bestätigt in BGH NJW 1982, 2444, 2444 f. 206 Koke, Finanzverfassung (2005), S. 160 f. 207 Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 53 SE-VO Rn. 32. 208 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 47. 209 Vgl. zu den ähnlichen Erwägungen in Bezug auf „Holzmüller/Gelatine“ oben Abschnitt „Gelatine-Kompetenz der SE-Hauptversammlung“, S. 286. 204

108

2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

C. Sonderabstimmung, Art. 60 SE-VO Existieren mehrere Aktiengattungen, so bedarf ein Hauptversammlungsbeschluss, der die spezifischen Rechte einer oder mehrerer Aktiengattungen berührt, gemäß Art. 60 Abs. 1 SE-VO zusätzlich einer gesonderten Abstimmung der betroffenen Aktionärsgruppe bzw -gruppen. Auch wenn hierbei häufig von einem „Sonderbeschluss“ die Rede ist,210 handelt es sich dogmatisch nicht um einen selbstständigen Beschluss, sondern um ein Element der Beschlussfassung des Plenums. Gemäß Art. 60 Abs. 2 SE-VO findet ein für den Hauptversammlungsbeschluss gültiges qualifiziertes Stimmenmehrheitserfordernis auch auf Ebene der gesonderten Abstimmung Anwendung. Auf Verordnungsebene wird die Sonderabstimmung außerhalb von Art. 60 SEVO nicht weiter reguliert. Insbesondere die Ausfüllung des Begriffs der „Aktiengattung“ vollzieht sich daher auf einzelstaatlicher Ebene. Die Brücke ins nationale Recht wird insoweit nicht von Art. 53 SE-VO geschlagen, sondern von Art. 5,211 da hier die mit der Aktie verbundenen Rechte im Mittelpunkt stehen; um die Voraussetzungen eines Hauptversammlungsbeschlusses geht es nur im Rahmen des Art. 60 SE-VO. Ebenso auf nationaler Ebene zu klären – hier aber im Rahmen des Verweises aus Art. 53 SE-VO – ist die Abgrenzung zwischen gattungsspezifischen Sonderabstimmungserfordernissen und aktien- bzw. aktionärsspezifischen Zustimmungserfordernissen gemäß § 180 AktG und § 35 BGB analog. Der in Art. 60 SE-VO unausgesprochene Verweis auf mitgliedstaatliche Gattungsbegriffe zielt für die deutsche SE auf § 11 Satz 2 AktG.212 Danach bilden Aktien mit gleichen Rechten eine Gattung. Der Kreis möglicher gattungsspezifischer Differenzierungsmerkmale ist vom deutschen Aktiengesetz allerdings eng gezogen; es zählen hinzu: stimmrechtslose und stimmberechtigte Vorzugsaktien (§§ 139 ff. AktG), Aktien mit anderweitig besonderer Beteiligung am Gewinn oder Liquidationserlös (§ 11 Satz 1 Hs. 2 AktG) und Aktien mit Nebenleistungspflichten (§ 55 AktG) – einer bunteren Vielfalt von Gattungsmerkmalen steht der Grundsatz der Satzungsstrenge entgegen. Nicht zu den Aktiengattungen, sondern zur Gruppe der mit Sonderrechten verbundenen Aktien zählen Aktien, die ein satzungsmäßiges Entsendungsrecht verleihen (§ 101 Abs. 2 Satz 3 AktG). Wird die Entsendebe210 Etwa bei Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 60 SE-VO Rn. 1; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 60 SE-VO Rn. 1; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 60 SE-VO Rn. 6. Auch die aktiengesetzliche Terminologie verwendet die Begriffe „Beschluss“ und „Abstimmung“ in dieser Hinsicht freilich teilweise synonym; siehe etwa § 141 AktG. 211 Im Ergebnis nahezu unstreitig; siehe nur Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 60 SE-VO Rn. 5; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 60 SE-VO Rn. 4; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 60 Rn. 5; jeweils mit weiteren Nachweisen. 212 Ganz h.M.; siehe nur Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 60 SEVO Rn. 5; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 60 SE-VO Rn. 4; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 60 Rn. 5.

C. Sonderabstimmung, Art. 60 SE-VO

109

rechtigung also per Hauptversammlungsbeschluss geändert oder aufgehoben, so ist hierfür die mehrheitliche Zustimmung der entsendeberechtigten Aktionäre nicht ausreichend; vielmehr muss jeder einzelne Entsendeberechtigte zustimmen. Gemäß Art. 60 Abs. 1 ist eine Sonderabstimmung immer dann erforderlich, wenn die gattungsspezifischen Rechte „durch den Beschluss berührt werden.“ Das ist in erster Linie dann der Fall, wenn sich der fragliche Beschluss auf die gattungsspezifischen Rechte negativ auswirkt, sie also verkürzt oder ganz aufhebt.213 Dasselbe gilt bei einer Umgestaltung von Rechten, auch wenn sie ihrem wirtschaftlichen Ergebnis nach positive Auswirkungen hat (z. B. Austausch einer niedrigen Bargegen einer höherwertige Sachdividende).214 Nur bei Beschlussfassungen, die die gattungsspezifischen Rechte einseitig positiv verändern (z. B. betragsmäßige Anhebung einer Vorzugs-Bardividende), ist eine Sonderabstimmung der betreffenden Aktionärsgruppe entbehrlich. Der etwas zu weit geratene deutsche Wortlaut des Art. 60 Abs. 1 SE-VO („berührt“) ist für diese Fälle teleologisch zu reduzieren, weil die gruppenspezifische Schutzwirkung der Sonderabstimmung bei reinen Begünstigungen ihren Sinn verliert.215 Die verschiedenen, über das Aktien- und Umwandlungsgesetz verteilten Anknüpfungspunkte für gattungsspezifische Sonderabstimmungen haben für die deutsche SE jedenfalls unmittelbar keine Bedeutung. Das gilt insbesondere für § 141, § 179 Abs. 3, § 182 Abs. 2, § 193 Abs. 1 Satz 3, § 202 Abs. 2 Satz 4, Abs. 3, § 222 Abs. 2, § 229 Abs. 3, § 295 Abs. 2 AktG, § 65 Abs. 2 UmwG. Sie werden durch die (in dieser Art im deutschen Aktienrecht nicht vorhandene) Generalklausel in Art. 60 Abs. 1 SE-VO verdrängt.216 Im Ergebnis ergeben sich dennoch kaum Unterschiede, da das Aktiengesetz Sonderabstimmungen in der Regel gerade für diejenigen Fälle anordnet, in denen die gattungsspezifischen Rechte im Sinne des Art. 60 Abs. 1 SE-VO „berührt werden“ (z. B. Aufhebung oder Beschränkung des Vorzugs nach § 141 AktG). 213 Insoweit übereinstimmend Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 60 SE-VO Rn. 7; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 60 SE-VO Rn. 3; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 60 SE-VO Rn. 6; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 60 SE-VO Rn. 4; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 60 SE-VO Rn. 8; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 60 Rn. 8; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 60 SE-VO Rn. 8; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 259 f.; Koke, Finanzverfassung (2005), S. 88; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 699 f. 214 Ebenso Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 60 SE-VO Rn. 8; die übrigen im 2. Teil unter Fn. 213 zitierten Autoren beziehen hierzu nicht Stellung. 215 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 60 SE-VO Rn. 6; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 60 Rn. 8; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 259 f.; Koke, Finanzverfassung (2005), S. 88; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 699 f.; a.A. wohl Mayer, in: Manz/ Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 60 SE-VO Rn. 8. 216 Im Ergebnis ebenso Gößl, Satzung der SE (2010), S. 308 f.; in dieselbe Richtung Koke, Finanzverfassung (2005), S. 86 („abschließende Regelung, soweit es um das Erfordernis eines Sonderbeschlusses aufgrund des Eingriffs in gattungsspezifische Rechte geht“); Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 60 SE-VO Rn. 3 mit dortiger Fn. 10.

110

2. Teil: Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

Das Mehrheitserfordernis, das für die Sonderabstimmung gilt, spiegelt grundsätzlich das Mehrheitserfordernis für den Beschluss der Hauptversammlung wider. So gilt gemäß Art. 60 Abs. 2 SE-VO für die Sonderabstimmung zu einem satzungsändernden Beschluss das Zwei-Drittel-Mehrheitserfordernis aus Art. 59 Abs. 1 SE-VO bzw. das vereinfachte Mehrheitserfordernis aus Art. 59 Abs. 2 SEVO, § 51 SEAG. Ob sich das Mehrheitserfordernis für eine Sonderabstimmung zu einem nicht satzungsändernden Beschluss aus Art. 57 SE-VO ergibt oder aus Sitzstaatrecht in Verbindung mit Art. 53 SE-VO, ist umstritten.217 Wegen des Fehlens eines Verweises von Art. 60 Abs. 2 auf Art. 57 SE-VO sprechen die besseren Gründe wohl für den Rückgriff auf nationales Recht.218 Aus praktischem Blickwinkel betrachtet jagt die Literatur an dieser Stelle aber möglicherweise einem Phantom hinterher. Denn die unausgesprochene Annahme, es gebe Hauptversammlungsbeschlüsse, die Sonderrechte beeinträchtigen ohne die Satzung zu ändern, erscheint bei Lichte besehen höchst fraglich. Als Rechtsgrundlage für gattungsspezifische Rechte und Pflichten kommt im deutschen Aktienrecht nämlich nur die Satzung in Betracht (vgl. § 23 Abs. 2 Nr. 4 AktG).219 Dementsprechend wird für die Hauptversammlung, will sie per Beschluss in die verliehenen Rechtspositionen eingreifen, in aller Regel kein Weg an einer Satzungsänderung vorbei führen. Sonderabstimmungen, die nicht unter das Mehrheitserfordernis aus Art. 59 Abs. 1, Abs. 2, Art. 60 Abs. 2 SE-VO fallen, wird es in der deutschen SE daher faktisch kaum geben.

217

Die Anwendung des Art. 57 SE-VO befürwortend Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 60 SE-VO Rn. 22; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 60 SE-VO Rn. 17; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 60 SE-VO Rn. 6; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 60 Rn. 10; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 60 SE-VO Rn. 13 f.; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 261 f.; Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.620 a.E.; dies., in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. 73 a.E.; für einen Rückgriff auf nationales Recht dagegen Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 60 SE-VO Rn. 13; J. Schmidt, Deutsch vs. britische SE (2006), S. 701; wohl auch El Mahi, Europäische Aktiengesellschaft (2004), S. 95; wiederum anders Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 60 SE-VO Rn. 4 (modifizierte Anwendung der Art. 57 f. SE-VO über § 138 Abs. 2 AktG, Art. 53 SE-VO). 218 Überzeugend J. Schmidt, Deutsch vs. britische SE (2006), S. 701. 219 Siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 23 Rn. 29; Pentz, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2008), § 23 Rn. 124.

3. Teil

Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss A. Rechtsquellen und Systematik des SE-Beschlussmängelrechts I. Deutsches Beschlussmängelrecht Dass für die deutsche SE-Hauptversammlung grundsätzlich das Beschlussmängelrecht des Aktiengesetzes Anwendung findet, liegt auf der Hand. Auf Verordnungsebene existiert kein vergleichbares Angebot,1 und auch de lege ferenda liegt ein EG-weit vereinheitlichtes Beschlussmängelrecht wohl mehr als in weiter Ferne. Bereits innerhalb der deutschen Rechtswissenschaft wird seit vielen Jahren erfolglos um einen Konsens zur Frage gerungen, ob und ggf. wie das deutsche Beschlussmängelrecht in einem großen oder kleinen Wurf reformiert werden könnte.2 Vor dem Hintergrund der weitgehenden Verweise aus der SE-Verordnung auf Mitgliedstaatsrecht und der Tatsache, dass für die deutsche SE damit in weiten Teilen nicht europäisches, sondern deutsches Aktienrecht gilt, wäre ein einheitliches SEBeschlussmängel auch nicht unbedingt ein Gewinn.3 Denn bei der rechtlichen Behandlung von Beschlussmängeln überschneiden sich Rechtsfragen der gesellschaftsinternen Kompetenzordnung, des Zivilprozessrechts und des materiellen Aktienrechts in besonders hohem Maße. Alle drei Regelungsbereiche unterliegen nach dem Konzept der SE-Verordnung in weiten Teilen mitgliedstaatlichem Recht. 1 SE-spezifische Beschlussmängelvorschriften waren letztmalig in Art. 100 SE-VOV 1989 enthalten. 2 Siehe etwa die Reformvorschläge der Länder Baden-Württemberg und Sachsen, BRDrucks. 901/07 (hierzu Goll/Schwörer, ZRP 2008, 245), des Arbeitskreises Beschlussmängelrecht, AG 2008, 617, von Bayer/Fiebelkorn, ZIP 2012, 2181, 2187 – 2192, Hirte, in: FS Meilicke (2010), S. 201, 212 – 220, und Fleischer, AG 2012, 765, 777 – 783, die einschlägigen Diskussionen auf dem 63. und 67. Juristentag, die Dissertationen von Dornbach, Die aktienrechtliche Anfechtungsklage zwischen subjektivem Rechtsschutz und objektiver Rechtskontrolle (2013), Fiebelkorn, Die Reform der aktienrechtlichen Beschlussmängelklagen (2013), und Schatz, Missbrauch der Anfechtungsbefugnis durch den Aktionär und die Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts (2012), die Thesen von K. Schmidt, AG 2009, 248, 254 – 259, sowie die Andeutungen von Seibert/Florstedt, ZIP 2008, 2145, 2151 f. 3 Harmonisierte Beschlussmängelregeln befürwortet dagegen Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 43, 48 Fn. 102; tendenziell auch Raiser, in: FS Semler (1993), S. 277, 294 (unter dem Eindruck des Wegfalls von SE-Beschlussmängelregeln im SE-VOV 1991); Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 266.

112

3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

Bereits die in Art. 100 SE-VOV 1989 enthaltenen Beschlussmängelregeln kamen daher nicht ohne Verweise auf nationales Recht aus. Eine Teilharmonisierung des SE-Beschlussmängelrechts unter Beibehaltung der sonst umfangreichen Verweise ins nationale Recht hätte wohl eher zu mehr Unstimmigkeiten als zu mehr Rechtssicherheit geführt, da die Beschlussmängelkonzepte der Mitgliedstaaten zu deutlich voneinander abweichen. Und auch die Rechtspraxis scheint mit dem umfassenden Verweis auf deutsches Beschlussmängelrecht gut zu Recht zu kommen: Unter den Gesellschaften, die etwa im Jahr 2010 Ziel einer Beschlussmängelklage waren, befanden sich auch zehn deutsche SEs,4 ohne dass die zu diesen SEs bislang ergangenen Gerichtsentscheidungen ein erhöhtes, SE-spezifisches Maß an Komplexität erkennen lassen.5 Allenfalls im Rahmen einer Vollkodifikation des SERechts erschiene daher ein SE-spezifisches Beschlussmängelrecht möglich und sinnvoll. Ein solcher Kodifikationsansatz wurde aber bereits im Anschluss an den SE-VOV 1975 verworfen. Welcher Verweis zur Anwendbarkeit des deutschen Beschlussmängelrechts führt, ist umstritten. Die weit überwiegende Ansicht will hier auf Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SEVO abstellen,6 an anderer Stelle wird dem Weg über die spezielle Verweisung in Art. 53 SE-VO der Vorzug gegeben,7 und auch Art. 15 SE-VO wird vereinzelt ins Spiel gebracht.8 Der letztgenannte Verweis ist allerdings schon auf den ersten Blick nicht einschlägig. Er interpretiert das Beschlussmängelrecht als Teil des Gründungsrechts und ist damit ungeeignet, die Anwendbarkeit der §§ 241 ff. AktG im laufenden SE-Betrieb zu begründen. Für die SE-Gründung durch nationale Gesellschaften dagegen braucht es erst gar keinen Verweis auf nationales Beschlussmängelrecht, da Letzteres bereits unmittelbar Anwendung findet. Von den verblei4

Bayer/Hoffmann, AG-Report 2011, R175, R175 f. Vgl. Bungert/Gotsche, ZIP 2013, 649, 654. 6 BGH, NJW 2012, 3235, 3235 („Fresenius“); BGH, NJW 2015, 336, 337; OLG Frankfurt, NZG 2010, 824, 824 („Die Anwendbarkeit des § 246a AktG auf die Europäische Gesellschaft (SE) folgt aus Art. 9 Ic, 10 SE-Verordnung“); Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 53 SE-VO Rn. 38, Art. 57 SE-VO Rn. 31; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 57, 58 SE-VO Rn. 7; Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 246 Rn. 4a; ders., ZGR 2008, 593, 609; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 43; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 53 SE-VO Rn. 22; Mayer, in: Manz/ Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 15 (anders aber dies., a.a.O., Art. 53 SE-VO Rn. 6); Schwarz, SE-VO (2006), Art. 53 Rn. 21; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 53 SE-VO Rn. 32, Art. 57 SE-VO Rn. 16; ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 247; Veil, in: KKAktG, 3. Aufl. (2010), Art. 8 SE-VO Rn. 62; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 702; Hirte, DStR 2005, 700, 703; ders., NZG 2002, 1, 8; Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 386; Liebscher, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 49 Rn. 34; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 1 Rn. 3; wohl auch Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 285. 7 Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 53 SE-VO Rn. 6 (anders dann aber dies., a.a.O., Art. 57 SE-VO Rn. 15). 8 Göz, ZGR 2008, 593, 600 f. 5

A. Rechtsquellen und Systematik des SE-Beschlussmängelrechts

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benden Art. 53 und Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO verdient der speziellere Art. 53 SEVO den Vorzug. Denn auch das Beschlussmängelrecht lässt sich noch unter den weit auszulegenden Begriff des „Abstimmungsverfahrens“ fassen.9 Insbesondere im Bereich der Rechtsbehelfe gegen fehlerhafte Beschlüsse der Hauptversammlung ist es freilich geboten, den Verweis der Verordnung ins nationale Sitzstaatsrecht nicht unkritisch als legislativen Copy&Paste-Befehl auszulegen. Denn auch wenn die Schnittmenge zum Recht der Aktiengesellschaft groß ist, bildet der Verweis in Art. 53 SE-VO auch einen Ausgangspunkt, um anerkannte Grundsätze auf SE-Ebene neu zu hinterfragen und vor allem ihre Anwendbarkeit auf die SE im Einzelnen zu überprüfen.10

II. Zusammenspiel mit Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV 1. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage Das Fehlen eines europäischen Beschlussmängelrechts hat nicht zur Folge, dass EG-Verfahrensrecht im Beschlussmängelprozess einer deutschen SE bedeutungslos wäre. Denn mit dem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV ergibt sich eine wichtige Schnittstelle: Gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 AEUV darf ein mitgliedstaatliches Gericht, das für seine Entscheidung auf die Auslegung eines europäisches Sekundärrechtsakts angewiesen ist, diese Auslegungsfrage dem EuGH vorlegen. Handelt es sich um eine letztinstanzliche Entscheidung – kann die Entscheidung des Gerichts also nicht mehr mit regulären Rechtsmitteln angefochten werden –, so ist das Gericht gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV sogar verpflichtet, die Frage vorzulegen. Von dieser Vorlagepflicht macht der EuGH nur Ausnahmen, soweit die Antwort auf die Auslegungsfrage derart offenkundig ist, dass kein Raum für vernünftige Zweifel bleibt („acte claire“), oder der EuGH die betreffende Auslegungsfrage bereits in einem gleichgelagerten Fall entschieden hat („acte éclairé“).11 Das Vorabentscheidungsverfahren nimmt damit auf europäischer Ebene eine ähnliche Rolle ein wie die Richtervorlage zum Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 GG auf Ebene des deutschen Rechts. Art. 267 AEUV gilt auch für ein deutsches Gericht, das mit einer Anfechtungsoder Nichtigkeitsklage gegen einen SE-Hauptversammlungsbeschluss befasst ist. Da ein SE-Hauptversammlungsbeschluss nicht nur dann anfechtbar ist, wenn er gegen ein Gesetz oder gegen die Satzung verstößt (§ 243 Abs. 1 AktG), sondern auch dann, 9

Explizit dagegen: Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 53 SE-VO Rn. 32. 10 Vgl. Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005) S. 223, 224. 11 Siehe nur Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. (2011), Art. 267 AEUV Rn. 32 mit weiteren Nachweisen.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

wenn er gegen die Verordnung verstößt, ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich ergebnisrelevante Zweifel über die Auslegung von Gemeinschaftsrecht ergeben, hier sogar um ein Vielfaches größer als im Beschlussmängelverfahren einer deutschen AG. Beschließt die Hauptversammlung einer deutschen SE beispielsweise eine Satzungsänderung mit einer Mehrheit, die zwar das Zwei-Drittel-Stimmenmehrheitserfordernis aus Art. 59 Abs. 1 SE-VO erfüllt, nicht aber die Drei-ViertelMehrheit aus § 179 Abs. 2 Satz 1 AktG,12 und wird der Beschluss deswegen angefochten, so spricht viel für eine Vorlagebefugnis des mit der Sache befassten Landgerichts nach Art. 267 Abs. 2 AEUV bzw. für eine Vorlagepflicht des BGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV. 2. Vorlagepflicht im Freigabeverfahren? Weniger klar auf der Hand liegt das Verhältnis zwischen dem Vorabentscheidungsverfahren und dem aktienrechtlichen Freigabeverfahren nach § 246a, § 319 Abs. 6 AktG, § 16 Abs. 3 UmwG.13 Letzteres ist vom deutschen Gesetzgeber als besonderes Eilverfahren positioniert,14 das unter bestimmten Voraussetzungen für eine zügige Eintragung eines Hauptversammlungsbeschlusses noch während der Rechtshängigkeit eines Beschlussmängelverfahrens sorgt. Von dieser Einordnung ausgehend bestünde daher allenfalls eine Vorlagebefugnis des Oberlandesgerichts nach Art. 267 Abs. 2 AEUV. Ein mit einem Eilverfahren befasstes Gericht kommt nämlich grundsätzlich auch dann nicht als letztinstanzliches Gericht in Frage, wenn die Eilentscheidung selbst unanfechtbar ist. Denn den Parteien steht es dann offen, das Hauptsacheverfahren weiter zu führen, dessen Ergebnis durch die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht präkludiert wird. Die in der „Morson“-Entscheidung des EuGH begründete Leitformel hierzu lautet, „dass ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, nicht verpflichtet ist, dem Gerichtshof eine Auslegungsfrage im Sinne von Absatz 1 dieses Artikels vorzulegen, wenn sich die Frage in einem Verfahren der einstweiligen Anordnung stellt und die zu erlassende Entscheidung das Gericht, dem der Rechtsstreit danach in einem Hauptsacheverfahren vorgelegt wird, nicht bindet, sofern es jeder Partei unbenommen bleibt, … ein Hauptsacheverfahren, in dem jede in summarischen Verfahren vorläufig entschiedene Frage des Gemeinschaftsrechts erneut geprüft werden 12 Zum Streit über die Frage, ob und ggf. in welcher Weise die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse für die SE gelten, siehe oben Abschnitt „Ist Platz für die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse?“, S. 96. 13 Die in § 246a, § 319 Abs. 6 AktG und § 16 Abs. 3 UmwG enthaltenen Freigabevorschriften sind inhaltlich weitgehend deckungsgleich. Der Lesbarkeit halber beschränken sich die nachfolgenden Gesetzeszitate daher auf § 246a AktG. Soweit nicht anders angegeben, sind damit jeweils auch die Parallelregelungen in § 319 Abs. 6 AktG und § 16 Abs. 3 UmwG gemeint. 14 Ausführlich hierzu unten Abschnitt „Nachweisbedürftigkeit“, S. 166, mit Fn. 299.

A. Rechtsquellen und Systematik des SE-Beschlussmängelrechts

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und den Gegenstand einer Vorlage nach Artikel [267] bilden kann, entweder selbst einzuleiten oder dessen Einleitung zu verlangen.“15 Anders als die Verfahren nach §§ 916 ff., 935 ff. ZPO ist das Eilverfahren jedoch darauf angelegt, die Entscheidung in der Hauptsache teilweise vorwegzunehmen. Das Rechtsschutzziel eines Anfechtungsklägers erschöpft sich nämlich in der Regel nicht darin, eine umfassende gerichtliche Prüfung des kritischen Beschlusses sowie ggf. die Feststellung von Beschlussmängeln und eigene, hierauf aufbauende Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Im Vordergrund steht vielmehr regelmäßig das Begehren, den Beschluss für unwirksam erklären zu lassen (§ 248 AktG) und damit seine Eintragung zu verhindern oder rückgängig zu machen. Gerade dies ist nach einem positiven Freigabeentscheid aber nicht mehr möglich (§ 246a Abs. 4 Satz 2 AktG). Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist zwar auch sonstigen zivilrechtlichen Eilverfahren nicht völlig fremd,16 etwa wenn ein Herausgabeanspruch geltend gemacht wird oder über ein termingebundenes Ereignis gestritten wird. Die Vorwegnahme ergibt sich dort allerdings stets aus den Umständen des Einzelfalls und stellt stets einen besonders zu begründenden Ausnahmefall dar. Im Freigabeverfahren dagegen bildet die beschriebene Teil-Vorwegnahme den gesetzlich angeordneten Regelfall. Das Freigabeverfahren schränkt damit zwar nicht den Prüfungsrahmen in der Hauptsache ein, wohl aber die möglichen Rechtsfolgen einer stattgebenden Entscheidung. Fraglich ist, ob das mit einem Freigabeverfahren befasste Gericht deswegen als letztinstanzliches Gericht im Sinne des Art. 267 Abs. 3 AEUV einzuordnen ist. Als bisher einziges Gericht hatte das OLG Frankfurt am Main Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.17 Den Anlass bildete der Antrag einer beklagten SE, die Eintragung des auf der zurückliegenden Hauptversammlung beschlossenen Formwechsels der SE in eine KGaA freizugeben. Die Antragsgegner wendeten unter anderem ein, Art. 66 SE-VO stehe der beschlossenen Umwandlung entgegen.18 Sie vertraten deshalb die Ansicht, das Oberlandesgericht sei gemäß Art. 267 Abs. 3 SE-VO verpflichtet, den EuGH zur Auslegung des Art. 66 SE-VO zu befragen. In seiner Entscheidung verneinte das Oberlandesgericht eine Vorlagepflicht und berief sich dabei unter anderem auf die vorgenannten Grundsätze des EuGH: In Eilverfahren gebe es keine Vorlagepflicht, wenn die Parteien die Möglichkeit hätten, die Streitsache im Hauptsacheverfahren weiter zu betreiben. Dass ein Hauptsacheverfahren wegen einer möglicherweise bereits freigegebenen Eintragung des Formwechsels ein an15

EuGH, verb. Rs. 35/82 und 36/82, Slg. 1982, 3723 Rn. 10; im Anschluss BVerfG, WM 2006, 2326, 2327. 16 Siehe nur Haertlein, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 2. Aufl. (2013), Vorbem. zu §§ 916 – 945 Rn. 68. 17 OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 2. Dezember 2010, Az. 5 Sch 3/10, BeckRS 2011, 16034 (= NZG 2012, 351, allerdings ohne die hier relevanten Passagen). 18 Zum in der Tat umstrittenen Verhältnis zwischen Art. 66 SE-VO und den Umwandlungsmaßnahmen des deutschen Umwandlungsgesetzes siehe unten Abschnitt „Vorab: Umwandlungsfähigkeit der deutschen SE“, S. 382.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

deres Regelungsziel hätte als das Freigabeverfahren, sei nicht störend. Denn die Vorlagepflicht diene nur der Sicherung einer einheitlichen Auslegung von Gemeinschaftsrecht in den Mitgliedstaaten. Diesem Ziel sei genügt, wenn die in dem Eilverfahren vorgenommene Auslegung des Gemeinschaftsrechts in einem Hauptsacheverfahren erneut zur Prüfung gestellt werden könne.19 In der Literatur20 wird die Entscheidung des Oberlandesgerichts kritisiert. Eine Interpretation der „Morson“-Entscheidung des EuGH dahingehend, dass die Vorlagepflicht nur der Sicherung einer einheitlichen Auslegung von Gemeinschaftsrecht in den Mitgliedstaaten diene, sei unzutreffend. Vielmehr stelle der EuGH auch auf eine einheitliche Anwendung ab und mache die Befreiung von der Vorlagepflicht davon abhängig, dass das betreffende Eilverfahren nur in eine vorläufige Entscheidung münde. Das Freigabeverfahren aber sei auf eine endgültige Entscheidung gerichtet, nämlich derjenigen über die Eintragung; diese Entscheidung könne im Hauptsacheverfahren nicht revidiert werden. Bei der Freigabe einer Eintragung handele es sich daher bereits um eine „Anwendung“ von Gemeinschaftsrecht, die nur einheitlich erfolgen solle.21 Gemessen an den Maßstäben des EuGH sprechen wohl die besseren Gründe gegen eine Vorlagepflicht. Bewegt man sich Schritt für Schritt durch die „Morson“Formel, so trifft man auf kein Kriterium, dem das Freigabeverfahren nicht gerecht würde: So wird man das Freigabeverfahren als „Verfahren der einstweiligen Anordnung“ im Sinne von „Morson“ interpretieren dürfen, da es dem EuGH bei der Formulierung ersichtlich nur darum ging, zwischen Hauptsache – und Eilverfahren abzugrenzen. Ferner steht fest, dass „die zu erlassende [Eil-]Entscheidung das Gericht, dem der Rechtsstreit danach in einem Hauptsacheverfahren vorgelegt wird, nicht bindet.“ Denn gebunden ist nur das Registergericht (§ 246a Abs. 3 Satz 5 AktG) – sieht man einmal von der Begrenzung der Schadensersatzfolge in § 246 Abs. 4 Satz 2 Hs. 2 AktG ab, welche in erster Linie Folge der Bindung des Registergerichts ist und keine eigenständige Bindung des Prozessgerichts darstellt. Und schließlich bleibt es jeder Partei „unbenommen … ein Hauptsacheverfahren, in dem jede in summarischen Verfahren vorläufig entschiedene Frage des Gemeinschaftsrechts erneut geprüft werden und den Gegenstand einer Vorlage nach Artikel [267] bilden kann, entweder selbst einzuleiten oder dessen Einleitung zu verlangen.“ Die Rechtshängigkeit des Hauptsacheverfahrens zählt gemäß § 246a Abs. 1 Satz 1 AktG sogar zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Freigabeentscheidung.22 Insgesamt führt die Fokussierung der Morson-Entscheidung auf das Verhältnis zwischen Eilverfahrens- und Hauptsachegericht und die Nichtberücksichtigung des Verhältnisses zwischen Eilverfahrens- und Registergericht also dazu, dass eine

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OLG Frankfurt am Main, BeckRS 2011, 16034. Reiner, Der Konzern 2011, 135. Zum Ganzen Reiner, Der Konzern 2011, 135, 150 – 152. Siehe auch unten Abschnitt „Rechtshängigkeit der Beschlussmängelklage“, S. 152.

A. Rechtsquellen und Systematik des SE-Beschlussmängelrechts

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Befreiung von der Vorlagepflicht im deutschen Freigabeverfahren wenigstens gut vertretbar erscheint. Hinzu kommt, dass bereits die geschriebenen Kriterien des Art. 267 Abs. 3 AEUV im Freigabeverfahren häufig nicht erfüllt sein werden. Zu diesen gehört nämlich auch die Entscheidungserheblichkeit der potenziell vorlagepflichtigen Auslegungs- bw. Gültigkeitsfrage für die Entscheidung des potenziell vorlegenden Gerichts. Materielle Rechtsfragen sind aber überhaupt nur dann relevant für eine positive Freigabentscheidung, wenn die Entscheidung auf Basis des § 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG ergeht („Klage unzulässig oder offensichtlich unbegründet“) oder soweit bei einer Freigabeentscheidung nach § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG (Nachteilsabwägung; keine besondere Schwere des Rechtsverstoßes) die Art und Existenz eines materiellen Rechtsverstoßes in Rede steht. Völlig außer Betracht bleiben die im Hauptsacheverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen dagegen bei einer Freigabeentscheidung nach § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG (Bagatellquorum). Selbst wenn das mit dem Freigabeverfahren befasste Gericht also in Hinblick auf die Mangelhaftigkeit des freizugebenden Hauptversammlungsbeschlusses europarechtliche Auslegungs- oder Gültigkeitszweifel hätte, so wäre es nicht in der Lage, eine zulässige Vorlagefrage zu formulieren, soweit es für die Freigabeentscheidung gar nicht auf die Mangelhaftigkeit des Beschlusses ankommt. Völlig ausgeschlossen erscheint eine Vorlagepflicht im Freigabeverfahren jedoch nicht. So ist der vorstehend zitierten Kritik in der Literatur durchaus zuzugeben, dass es im Freigabeverfahren (jedenfalls in den Fällen des § 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG) dem Eilverfahrensgericht atypischerweise offen stehen kann, irreversible Rechtsfolgen auf eine eigenständige Bewertung der Hauptsache-Erfolgsaussichten zu stützen. Dass die Entscheidung dennoch den Kriterien der „Morson“-Entscheidung gerecht wird, mag auch daran liegen, dass der EuGH noch keine Gelegenheit hatte, sich zu einem Eilverfahren zu äußern, das gerade auf die Teil-Vorwegnahme der Hauptsache ausgelegt ist. Es käme daher wohl nicht völlig überraschend, wenn der EuGH den Kriterienkatalog in einer Folgeentscheidung um die Frage erweitern würde, inwieweit das Eilverfahren gerade darauf ausgelegt ist, in Hinblick auf die Rechtsfolgen der Hauptsacheentscheidung vollendete Tatsachen zu schaffen. Bis dahin freilich wird es – insbesondere aus Sicht der nationalen Gerichte – bei der Maßgeblichkeit der „Morson“-Grundsätze bleiben.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG I. Zulässigkeit Was die Zulässigkeit einer Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage betrifft, ergeben sich wenige SE-spezifische Besonderheiten. Die in §§ 241 ff. AktG enthaltenen Kriterien lassen sich größtenteils unverändert übertragen: Auch für die deutsche SE bleibt es bei der ausschließlichen Zuständigkeit des Landgerichts, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (§ 246 Abs. 3 Satz 1, § 249 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die auf Landesebene bestehende Möglichkeit einer örtlichen Zuständigkeitskonzentration nach § 148 Abs. 2 Sätze 3 und 4, § 246 Abs. 3 Satz 3 AktG23 greift für AG und SE gleichermaßen. Eine gespaltene Konzentrationsanordnung würde wohl auch de lege ferenda gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 10 SE-VO verstoßen. Zu richten ist die Klage gegen die Gesellschaft (§ 246 Abs. 2 Satz 1 AktG), welche im Prozess durch das Leitungs- und das Aufsichtsorgan (§ 246 Abs. 2 Satz 2 AktG) bzw. – bei Klage des Leitungsorgans oder eines Leitungsorganmitglieds – durch das Aufsichtsorgan (§ 246 Abs. 2 Satz 3 AktG) vertreten wird. Nur auf die monistische SE ist die in § 246 Abs. 2 Satz 2 AktG angeordnete Passivvertretungsbefugnis von Vorstand und Aufsichtsrat nicht unmittelbar übertragbar. Und ebenso wenig einschlägig ist § 41 Abs. 1 Satz 1 SEAG, wonach die monistische SE „gerichtlich und außergerichtlich“ von den geschäftsführenden Direktoren vertreten wird. Konzipiert wurde die Vorschrift nämlich als Gegenstück zu § 78 AktG,24 der die Vertretung der AG durch den Vorstand regelt. Auch dort ist davon die Rede, dass der AG-Vorstand die Gesellschaft „gerichtlich und außergerichtlich“ vertritt; im Beschlussmängelprozess wird die Vorschrift jedoch durch den insofern spezielleren § 246 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AktG verdrängt.25 Dass ein monistisches Gegenstück zu § 246 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AktG fehlt, lässt nicht darauf schließen, dass § 41 SEAG gegenüber § 78 AktG einen größeren Anwendungsbereich erhält. Das Fehlen ist vielmehr der Tatsache geschuldet, dass das SEAG überhaupt kein allgemeines Beschlussmängelrecht der monistischen SE enthält. Eine analoge Anwendung des § 246 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AktG über § 22 Abs. 6 SEAG verdient daher den Vorzug gegenüber einer extensiven Auslegung des § 41 SEAG. Danach wird die monistische SE nur vom Verwaltungsorgan vertreten; die ge-

23 Zu den jeweiligen Rechtsverordnungen auf Landesebene siehe Baums/Drinhausen/ Keinath, ZIP 2011, 2329, 2330 mit dortiger Fn. 18. 24 Vgl. RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 39; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO Rn. 5. 25 Siehe nur Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 78 AktG Rn. 6.

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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schäftsführenden Direktoren spielen bei der Vertretung der SE im Beschlussmängelverfahren keine Rolle.

II. Begründetheit 1. Aktivlegitimation und Anfechtungsbefugnis, § 245 Nr. 1 – 3 AktG Was die Anfechtungsbefugnis des SE-Aktionärs betrifft, führt der Weg über Art. 53 SE-VO zu § 245 Nr. 1 – 3 AktG. Danach sind vor allem solche Aktionäre zur Klage befugt, die in der Hauptversammlung erschienen sind, ihre Aktien vor Bekanntmachung der Tagesordnung erworben haben und gegen den angefochtenen Beschluss Widerspruch zur Niederschrift eingelegt haben (§ 245 Nr. 1 AktG). Weniger relevant sind die in § 245 Nr. 2 und Nr. 3 AktG geregelten Fälle, in denen ein Aktionär zu Unrecht nicht zur Versammlung zugelassen wurde oder in denen die der Beschlussfassung vorangegangene Einberufung oder Bekanntmachung unter Mängeln leidet bzw. in denen der Beschluss wegen unzulässigerweise ersuchter Sondervorteile angefochten wird. Die Anfechtungsbefugnis bildet auch für den SEAktionär ein Kriterium der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit der Beschlussmängelklage.26 Die Befugnis zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage ergibt sich aus § 249 Abs. 1 Satz 1 AktG, Art. 53 SE-VO. Sie ist – über die Aktionärseigenschaft des Klägers bei Klageerhebung hinaus – von keinen besonderen Voraussetzungen abhängig, die mit den in § 245 Nr. 1 – 3 AktG enthaltenen vergleichbar wären. a) Aktionärseigenschaft Die in § 245 Nr. 1 und Nr. 3 AktG geregelten Fallgruppen setzen voraus, dass der Aktionär seine Aktionärsstellung spätestens vor Bekanntmachung der auf die kritische Beschlussfassung hinführenden Tagesordnung erworben und frühestens nach Klageerhebung veräußert hat.27 Im Fall des § 245 Nr. 2 AktG tritt an die Stelle der 26 Für die AG siehe nur: BGH NJW-RR 2006, 1110, 1112; Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 245 Rn. 5; Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 245 Rn. 3; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 245 Rn. 2; Hüffer., in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 245 Rn. 3; Semler, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 3. Aufl. (2007), § 41 Rn. 46; Weber/Kersjes, HVBeschlüsse vor Gericht (2010), § 1 Rn. 78; a.A. (ausgehend von einem grundsätzlich anderen Verständnis der Anfechtungsklage) K. Schmidt, in: GK-AktG, 4. Aufl. (1995), § 245 Rn. 6; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 245 Rn. 2. 27 Siehe nur Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 245 Rn. 19; Göz, in: Bürgers/ Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 245 Rn. 6; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 245 Rn. 7; abweichend, im Ergebnis aber wohl ähnlich der Ansatz von Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 1 Rn. 81 – 83 (grundsätzlich Halten bis zur letzten mündlichen Verhandlung erforderlich; ausnahmsweise § 265 ZPO analog).

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

Bekanntmachung der Zeitpunkt der Beschlussfassung. Verliert der anfechtende Aktionär seine Aktionärsstellung noch vor Zustellung der Klage, so verliert er daher grundsätzlich auch den Prozess. Nur ausnahmsweise bleibt die Anfechtungsbefugnis des Klägers von einem Wegfall der Aktionärseigenschaft vor Rechtshängigkeit unberührt. Das ist dann der Fall, wenn der Kläger per aktienrechtlichem Squeeze-Out ausgeschlossen wird, welcher ohne gerichtliche Freigabe zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit (also unter Missachtung der Registersperre aus § 319 Abs. 5 Satz 1, § 327e Abs. 2 AktG) eingetragen wird.28 Andernfalls hätte der Aktionär gerade wegen der Übertragung keine Chance, die Unwirksamkeit dieser Übertragung geltend zu machen; der Rechtsschutz gegen die Maßnahme wäre durch die Maßnahme selbst ausgehebelt. Von der fortgeltenden Anfechtungsbefugnis nicht mehr erfasst ist dagegen ein späterer Bestätigungsbeschluss, mit dem der neue Alleinaktionär einen Verfahrensfehler heilt, der dem Squeeze-Out-Beschluss ursprünglich anhaftete.29 In keinem Fall anfechtungsbefugt ist schließlich ein Kläger, der seine Aktionärsstellung bereits vor Anhängigkeit der Beschlussmängelklage oder gar vor der Beschlussfassung selbst verloren hat.30 b) Erscheinen und Nichterscheinen in der Hauptversammlung Nach § 245 Nr. 1 AktG anfechtungsbefugt sind nur Aktionäre, die in der kritischen Hauptversammlung erschienen sind. Darunter fallen nach allgemeiner – und richtiger – Ansicht auch Aktionäre, die zwar räumlich abwesend sind, aber ihre Stimme über einen präsenten Vertreter, über einen Legitimationsaktionär oder als sogenannte Online-Teilnehmer auf elektronischem Wege (§ 118 Abs. 1 Satz 2 AktG) abgeben.31 Ein nicht erschienener Aktionär kann nach § 245 Nr. 2 AktG anfechtungsbefugt sein, wenn er zu Unrecht nicht zur Hauptversammlung zugelassen wurde oder wenn der Verwaltung bei der Einberufung oder Bekanntmachung der Hauptversammlung ein Fehler unterlief. § 245 Nr. 2 AktG trägt damit dem Gesichtspunkt Rechnung, dass nicht nur der Wille des einzelnen Aktionärs, sondern Rechtsfehler der Verwaltung Einfluss darauf haben können, ob der betreffende Aktionär zur Hauptversammlung erscheint – ohne freilich eine Kausalität zwischen dem Rechtsfehler und dem Nichterscheinen zu verlangen. Die im Zuge des ARUG 2009 eingeführte Möglichkeit, gemäß § 118 Abs. 2 AktG per Briefwahl abzustimmen, wirft die Frage auf, ob auch ein Aktionär, der diese 28 BGH, NZG 2011, 669, 669 f.; BVerfG, NJW-RR 2010, 1474, 1476 (verfassungskonforme Auslegung des § 245 Nr. 1 AktG); Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 245 Rn. 7. 29 BGH, NZG 2011, 669, 671 f. 30 OLG München, NZG 2010, 503, 504; Hohl/Auerbach, BB 2011, 1411, 1415. 31 Siehe nur Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 245 Rn. 34 f.; Ruppert, in: Schaaf, Praxis der HV, 3. Aufl. (2011), Rn. 1312, 1315; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 1 Rn. 92; jeweils m.w.N.

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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Möglichkeit nutzt, anfechtungsbefugt sein kann und, falls ja, ob diese Anfechtungsbefugnis aus § 245 Nr. 1 oder Nr. 2 AktG folgt. Nach wohl ganz herrschender Meinung zählt der Briefwähler nicht zu den erschienenen Aktionären und ist damit jedenfalls nach § 245 Nr. 1 AktG nicht anfechtungsbefugt.32 Die Gesetzesbegründung leitet das Nichterscheinen kommentarlos aus dem (in § 118 Abs. 2 AktG ausdrücklich enthaltenen) Ausschluss der Briefwähler vom Teilnehmerkreis („auch ohne an der Versammlung teilzunehmen“) ab;33 die Literatur schließt sich dem – ebenso kommentarlos – an.34 Bei näherem Hinsehen wirkt die Annahme, der Briefwähler sei nicht im Sinne des § 245 Nr. 1 AktG „erschienen“, jedoch nicht stimmig. Nicht berücksichtigt wird insbesondere die schon vor Inkrafttreten des ARUG 2009 allgemein anerkannte weite Auslegung des Merkmals, nach der auch nicht räumlich präsente Aktionäre zu den erschienen Aktionären zählen, solange sie nur über einen Mittelsmann an der Abstimmung teilnehmen.35 Mit diesem Gleichlauf von Erscheinen (im Sinne des § 245 Nr. 1 AktG) und Stimmabgabe würde ein Ausschluss der Briefwähler vom Kreis der Erschienenen erstmals brechen. Zu erwarten wäre dann auch, dass wenigstens in Frage gestellt wird, ob Briefwähler zum vertretenen Grundkapital im Sinne des § 179 Abs. 2 AktG bzw. Art. 59 Abs. 2 SE-VO, § 51 SEAG zählen. Tatsächlich aber wird eine Einbeziehung der Briefwähler an dieser Stelle von allen Seiten wie selbstverständlich bejaht.36 Dass Briefwähler aber auch in Hinblick auf das Erscheinen im Sinne des § 245 Nr. 1 AktG wie andere Aktionäre zu behandeln sind, die ihre Stimme abgeben, ohne die Versammlung persönlich aufzusuchen, legt auch ein Blick auf den technischen Ablauf des Abstimmungsverfahrens nahe: So bieten Gesellschaften, die eine Abstimmung ohne physisches Erscheinen des Aktionärs oder seines persönlichen Vertreters oder Legitimationsaktionärs zulassen (also: Online-Teilnahme, Briefwahl oder Bevollmächtigung eines Stimmrechtsvertreters der Gesellschaft), die Briefwahl in aller Regel in demselben organisatorischen Rahmen an, in dem – soweit eröffnet – auch eine Online-Teilnahme oder eine

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Siehe die Nachweise im 3. Teil unter Fn. 33 und 34. RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 27. 34 Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 245 Rn. 10 a.E.; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 118 Rn. 15; Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 245 Rn. 34 a.E.; Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 118 Rn. 58; Drinhausen/Keinath, BB 2009, 2322, 2326; Noack, WM 2009, 2289, 2291; Paschos/Goslar, AG 2008, 605, 610; Schaaf/Slowinski, ZIP 2011, 2444, 2447; Seibert/Florstedt, ZIP 2008, 2145, 2146; ebenso Habersack/Verse, Europ GesR, 4. Aufl. (2011), § 7 Rn. 21 (die andererseits eine Anfechtungsbefugnis des Briefwählers nach § 245 Nr. 2 AktG bejahen wollen, wenn „die Stimme des Briefwählers zu Unrecht nicht mitgezählt wurde“); C. Horn, ZIP 2008, 1558, 1565 (der ersatzweise eine Anfechtungsbefugnis nach § 245 Nr. 2 und 3 AktG in Erwägung zieht). 35 Siehe die Nachweise im 3. Teil unter Fn. 31. 36 Siehe nur RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 27; Drinhausen/Keinath, BB 2009, 2322, 2326; Noack, WM 2009, 2289, 2291; Seibert/Florstedt, ZIP 2008, 2145, 2146. 33

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

Bevollmächtigung des Stimmrechtsvertreters der Gesellschaft angeboten werden.37 Aus Sicht aller Beteiligter steht der Briefwähler damit der physischen Hauptversammlung ebenso nahe oder fern wie alle anderen Aktionäre, die den Hauptversammlungsort nicht persönlich aufsuchen, sich aber dennoch in die Abstimmung einbringen. Wollte man eine Abstufung vornehmen, so wäre der Briefwähler an der Versammlung und der Abstimmung sogar „näher dran“ als ein Aktionär, der über einen Vertreter abstimmt, weil er seine Stimme persönlich abgibt.38 Und schließlich steht eine Einordnung der Briefwähler als „erschienene“ Aktionäre auch im Einklang mit dem Verständnis des Art. 8 Abs. 1 lit. c) Aktionärsrechte-RL, auf den § 118 Abs. 2 AktG zurückgeht.39 Das dort genannte „Verfahren, das die Ausübung des Stimmrechts vor oder während der Hauptversammlung ermöglicht, ohne dass ein Vertreter ernannt werden muss,“ wird in der amtlichen Überschrift nämlich ausdrücklich als „Teilnahme an der Hauptversammlung“ eingeordnet.40 Die besseren Gründe sprechen daher dafür, auch Briefwähler zu den in der Hauptversammlung erschienenen Aktionären im Sinne des § 245 Nr. 1 AktG zu zählen.41 c) Widerspruch zur Niederschrift aa) Allgemeines Das Erfordernis, Widerspruch zur Niederschrift einzulegen, stellt die aktienund beschlussmängelrechtliche Ausprägung des venire-contra-factum-propriumGrundsatzes dar: Wer bis zum Schluss der Hauptversammlung keine Absicht äußert, die Gültigkeit der gefassten Beschlüsse in Frage zu stellen, der kann Beschlussmängel nicht nachträglich auf gerichtlichem Wege geltend machen.42 Hieraus folgt gleichzeitig, dass die Vorschrift teleologisch zu reduzieren ist – ein Widerspruch also entbehrlich ist –, wenn die Mangelhaftigkeit der Beschlussfassung erst nach der 37 In der Regel ein vom Hauptversammlungsdienstleister eingerichtetes Internetportal, in dem sich die Aktionäre mit persönlichen Zugangsdaten einwählen können; siehe bereits oben Abschnitt „Briefwahl“, S. 77. 38 Gänzlich zur Farce gerät die Differenzierung zwischen einem „Erscheinen“ des OnlineTeilnehmers und einem Nichterscheinen des Briefwählers, wenn die Rechte der Online-Teilnehmer, wie praktisch üblich, auf das Stimmrecht beschränkt sind. 39 § 118 Abs. 2 AktG basiert sowohl auf Art. 8 Abs. 1 lit. c) als auch auf Art. 12 Aktionärsrechte-RL; vgl. Ochmann, Aktionärsrechte-RL (2009), S. 142; Noack, NZG 2008, 441, 445 mit dortiger Fn. 35. 40 Gleichwohl würde eine Ausklammerung der Briefwähler aus dem Kreis der (im Sinne des § 245 Nr. 1 AktG) erschienenen Aktionäre wohl keine Verletzung der Aktionärsrechte-RL bedeuten. Letztere betrifft nämlich nur die verschiedenen Formen der Teilnahme, nicht dagegen die Verknüpfung zwischen der Teilnahme und der Befugnis, Beschlussmängel geltend zu machen. 41 Zur Frage, ob Briefwähler auch Widerspruch zur Niederschrift einlegen können, siehe sogleich Abschnitt „Widerspruch zur Niederschrift“. 42 Siehe nur Leuering, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 44 Rn. 74, mit weiteren Nachweisen.

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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Hauptversammlung erkennbar wird oder wenn die Versammlungsleitung den Aktionären mit einem abrupten Schluss der Versammlung die Gelegenheit nimmt, rechtzeitig Widerspruch einzulegen.43 Inhaltlich ist der Widerspruch nicht gesetzlich normiert, er muss jedoch „zur Niederschrift“ erklärt werden – also dem Protokollführer zur Kenntnis gebracht werden. Auch das Widerspruchserfordernis wirft Fragen in Hinblick auf die modernen Teilnahme- bzw. Stimmabgabeformen auf: Können und müssen etwa Online-Teilnehmer Widerspruch zur Niederschrift einlegen? Und wie gestaltet sich die Situation der Briefwähler? bb) Widerspruch durch Online-Teilnehmer? So wird dem Online-Teilnehmer teilweise grundsätzlich die Fähigkeit abgesprochen, Widerspruch zur Niederschrift zu erklären; er sei daher auch nicht gemäß § 245 Nr. 1 AktG anfechtungsbefugt.44 Das gelte insbesondere dann, wenn dem Online-Teilnehmer die technischen Möglichkeiten fehlten, während der Hauptversammlung den protokollführenden Notar zu erreichen.45 Andere erwähnen die Möglichkeit, das Widerspruchsrecht des Online-Teilnehmers durch oder auf Basis einer Satzungsregelung nach § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG auszuschließen.46 Überzeugend ist dies nicht. Verfehlt ist zunächst die Annahme, es gehe um ein „Recht“ zum Widerspruch, das den Online-Teilnehmern gewährt bzw. entzogen werden könne. Denn bei der Widerspruchseinlegung handelt es sich nicht um eine Rechtsausübung (ähnlich § 574 BGB), eine Rechtsbehelfseinlegung (ähnlich § 69 VwGO, § 694, § 924 ZPO) oder die Erfüllung einer Rechtspflicht, sondern um eine reine Obliegenheitserfüllung. Da es sich beim Widerspruch nach § 245 Nr. 1 AktG um eine Ausprägung des venire-contra-factum-proprium-Grundsatzes handelt (der Aktionär sich mit dem Widerspruch also vom Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens entlastet), würde die Verwaltung im Beschlussmängelprozess ihrerseits widersprüchlich handeln, wenn sie sich einem Widerspruch technisch oder rechtlich verschließt und einer Anfechtungsklage dann den Einwand entgegenhielte, der 43 Mittlerweile wohl ganz h.M.; siehe nur Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 245 Rn. 30; Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 245 Rn. 37; Schwab, in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 245 Rn. 15 f.; jeweils mit weiteren Nachweisen. 44 Marsch-Barner, in: Handbuch börsennotierte AG, 3. Aufl. (2014), § 33 Rn. 19b; Habersack/Verse, Europ GesR, 4. Aufl. (2011), § 7 Rn. 20; Drinhausen/Keinath, BB 2009, 2322, 2326; Noack, WM 2009, 2291, 2293, 2294; in dieselbe Richtung RegE ARUG, BT-Drucks. 16/ 11642, S. 27. 45 Habersack/Verse, Europ GesR, 4. Aufl. (2011), § 7 Rn. 20; Noack, WM 2009, 2291, 2293; in dieselbe Richtung A. Arnold, Der Konzern 2009, 88, 92; von einem satzungsdisponiblen rechtlichen Hindernis ausgehend dagegen offenbar der RegE ARUG, BT-Drucks. 16/ 11642, S. 27 („… die Satzung kann [dem Online-Teilnehmer] die Möglichkeit einräumen, online Widerspruch zur Niederschrift zu erklären.“). 46 M. Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 360.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

Kläger sei wegen fehlenden Widerspruchs nicht anfechtungsbefugt. Erhofft sich eine Gesellschaft daher, das Anfechtungsrecht von Online-Teilnehmern einzuschränken, indem sie per Satzungsklausel das „Recht zum Widerspruch ausschließt“, spricht viel dafür, dass der Schuss nach hinten losgeht: Der Online-Teilnehmer könnte sich gerade wegen der fehlenden Widerspruchsmöglichkeit auf eine widerspruchsunabhängige Anfechtungsbefugnis nach § 245 Nr. 1 AktG berufen. Richtigerweise obliegt es daher auch dem Online-Teilnehmer, Widerspruch zur Niederschrift einzulegen, will er im Anschluss eine Anfechtungsbefugnis aus § 245 Nr. 1 AktG herleiten. Ist er hierzu aus Gründen, die im Verantwortungsbereich der Gesellschaft liegen, nicht in der Lage, so ist das Widerspruchserfordernis in derselben Weise teleologisch zu reduzieren wie bei verborgenen Beschlussmängeln oder einem abrupten Versammlungsabbruch.47 Das gilt insbesondere dann, wenn die Gesellschaft den elektronischen Zugang des Online-Teilnehmers so ausgestaltet hat, dass jener den Protokollführer nicht erreichen kann. Der Online-Teilnehmer hat den Widerspruch in diesem Fall jedoch im Anschluss an die Versammlung unverzüglich nachzuholen.48 cc) Widerspruch durch Briefwähler? Dieselben Erwägungen wie für Online-Teilnehmer gelten möglicherweise auch für Briefwähler. Denn auch sie – die ebenfalls zu den „erschienenen“ Aktionären zählen49 – haben in der Regel mangels Anwesenheit in der laufenden Versammlung keine Möglichkeit, rechtzeitig Widerspruch zu erklären. Anders als die OnlineTeilnahme ist die Briefwahl jedoch bereits vom Gesetzgeber als einmalige Einwegverbindung zwischen Aktionär und Versammlung angelegt. Die Möglichkeit, über die reine Stimmabgabe hinaus einen Widerspruch anzubringen, ist daher nicht nur faktisch erschwert, sondern überhaupt nicht vorgesehen. Ist § 245 Nr. 1 AktG für den Briefwähler daher immer teleologisch zu reduzieren? Jedenfalls ein entgegenstehender Wille des Gesetzgebers ist nicht ersichtlich. Denn der ARUG-Gesetzgeber50 ging (und die herrschende Literaturansicht51 geht immer noch) davon aus, dass Briefwähler bereits nicht zu den „erschienenen“ Aktionären zählen. Mit der Frage eines Widerspruchs durch Briefwähler befasste er sich daher erst gar nicht. Über das Ziel, eine angemessene Widerspruchsmöglichkeit für 47

Zutreffend Kersting, NZG 2010, 130, 134; Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 118 Rn. 60; ausdrücklich dagegen M. Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 361. 48 A.A. im Ergebnis Hoffmann, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 118 Rn. 38 (Anfechtungsbefugnis des Online-Teilnehmers nach § 245 Nr. 2 AktG analog bei fehlender technischer Möglichkeit zur Widerspruchseinlegung). 49 Siehe oben Abschnitt „Erscheinen und Nichterscheinen in der Hauptversammlung“, S. 120. 50 Siehe oben 3. Teil Fn. 33. 51 Siehe oben 3. Teil Fn. 34.

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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Briefwähler zu gewährleisten, würde eine generelle Ausnahme der Briefwähler vom Widerspruchserfordernis nach § 245 Nr. 1 AktG aber hinausschießen. Denn auch Briefwählern ist es möglich und zumutbar, sich im Anschluss an die Hauptversammlung unverzüglich mit Ergebnis und Verfahren der Versammlung zu befassen und ggf. Bedenken in Hinblick auf kritische Beschlussfassungen anzubringen. Auch für Briefwähler ist § 245 Nr. 1 AktG daher nur insoweit zu reduzieren, als der Widerspruch nicht in der laufenden Hauptversammlung, sondern unverzüglich im Anschluss eingelegt werden muss. Für Online-Teilnehmer und Briefwähler gleichermaßen gilt schließlich die widerspruchsunabhängige Anfechtungsbefugnis nach § 245 Nr. 2 und Nr. 3 AktG. 2. Materiell-zeitliche Beschränkungen a) Anfechtungsfrist, § 246 Abs. 1 AktG Nach § 246 Abs. 1 AktG muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach der Beschlussfassung erhoben werden. Die Anfechtungsfrist findet über Art. 53 SEVO ebenfalls uneingeschränkt auf die deutsche SE Anwendung. Auch im SE-Kontext gilt: Es handelt sich nicht um eine verfahrensrechtliche Klage- sondern um eine materielle Ausschlussfrist, deren Nichteinhaltung zur Unbegründetheit der Anfechtungsklage führt.52 Ebenso wie die Anfechtung einer Willenserklärung schlicht unwirksam ist, wenn die in § 121 BGB bestimmten Anfechtungsfristen verstrichen sind, so entsteht auch mit Ablauf der Frist aus § 246 Abs. 1 AktG ein absolutes Hindernis für die Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses. Nicht in Frage kommen insbesondere eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Fristversäumnis (§ 233 ZPO), eine Hemmung des Fristlaufs (§§ 203 ff. BGB), eine Fristverlängerung durch das Gericht (§ 224 ZPO), ein rügeloses Einlassen der beklagten Gesellschaft und eine einverständliche Verlängerung der Frist durch Abrede der Parteien.53 Die Frist beginnt gemäß § 187 Abs. 1 BGB an dem auf die „Beschlussfassung“ folgenden Tag. Die Frage, ob bei einer mehrtägigen Hauptversammlung auf den Tag der fraglichen Beschlussfassung54 oder auf den letzten Tag der Hauptversammlung55 52

K. Schmidt, in: GK-AktG, 4. Aufl. (1995), § 246 Rn. 12 – 15; Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 246 Rn. 36 – 38; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 1 Rn. 122 – 124. 53 Siehe nur Wilk, in: MüHdB-GesR, Bd. 7, 5. Aufl. (2015), § 29 Rn. 69, mit weiteren Nachweisen. 54 Henn, AG 1989, 230, 232; Semler, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 2. Aufl. (1999), § 41 Rn. 72 (a.A. dann aber ders., a.a.O., in der 3. Aufl., siehe unten 3. Teil Fn. 55). 55 So die mittlerweile h.M.: K. Schmidt, in: GK-AktG, 4. Aufl. (1995), § 246 Rn. 16; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 246 Rn. 22; Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 246 Rn. 39; Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246 Rn. 14; Göz, in: Bürgers/ Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 246 Rn. 8; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

abzustellen ist, musste bislang (und wird wegen der absoluten Unüblichkeit derart langer Versammlungen voraussichtlich auch in Zukunft) nicht gerichtlich entschieden werden. Für ein Abstellen auf den letzten Hauptversammlungstag wird in der Literatur teilweise ins Feld geführt, dass bis zu diesem Tag auch ein Widerspruch zur Niederschrift (§ 245 Nr. 1 AktG) eingelegt werden könne56 oder dass erst mit diesem Zeitpunkt „die Beschlussfassung durch ihre notarielle oder privatschriftliche Beurkundung beendet“ sei.57 Beim Widerspruch zur Niederschrift handelt es sich freilich gerade nicht um ein Element der Beschlussfassung, sondern eher um das Gegenteil, nämlich den ersten Schritt zur Kassation des Beschlusses. Ein Abstellen auf die Widerspruchsmöglichkeit ergäbe insbesondere bei denjenigen Anfechtungsklagen keinen Sinn, die nicht von präsenten Aktionären erhoben werden, und für die die Einlegung eines Widerspruchs daher völlig irrelevant ist. Und auch der Abschluss der Beurkundung ist nicht gleichbedeutend mit dem Abschluss der Beschlussfassung – ebenso wenig wie der Beginn der Beurkundung gleichbedeutend mit dem Beginn der Beschlussfassung ist. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Norm spricht damit mehr für ein Anknüpfen an den Tag der jeweiligen Beschlussfassung. Gewahrt wird die Frist durch Klageerhebung, also ggf. bereits mit der Einreichung der Klage, wenn die Zustellung „demnächst“ im Sinne des § 167 ZPO erfolgt.58 Auch eine irrtümlicherweise zum unzuständigen Gericht erhobene Klage vor einem unzuständigen Gericht wahrt grundsätzlich die Frist, wenn der Kläger die Verweisung an das zuständige Gericht beantragt (§ 281 ZPO).59

(2015), § 246 Rn. 10; Englisch, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 246 Rn. 22; Austmann, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 4. Aufl. (2015), § 42 Rn. 99; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 1 Rn. 125; Leuering, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 44 Rn. 90; ebenso, in der Sache aber etwas zurückhaltend Semler, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 3. Aufl. (2007), § 41 Rn. 70 mit dortiger Fn. 197 („Die gegenteilige Auffassung der Vorauflage wird wegen der Bedeutung der Rechtssicherheit gerade in Fristenfragen im Hinblick auf die überwiegende Meinung in der Literatur aufgegeben.“). 56 So aber K. Schmidt, in: GK-AktG, 4. Aufl. (1995), § 246 Rn. 16. 57 Semler, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 3. Aufl. (2007), § 41 Rn. 70. 58 Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246 Rn. 15; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 246 Rn. 23; Wilk, in: MüHdB-GesR, Bd. 7, 5. Aufl. (2015), § 29 Rn. 75. 59 LG Köln, Der Konzern 2012, 139, 141 („Solarworld“; Kläger übersieht Zuständigkeitskonzentration nach § 246 Abs. 3 Satz 3 AktG); Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 1 Rn. 128; ähnlich OLG Dresden, NZG 1999, 403, 404; keine Fristwahrung allerdings bei einer Klageerhebung in Kenntnis der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts; hierzu LG Köln, AG 2009, 593, 594 (Kläger wandte sich an das unzuständige LG Berlin mit der Bitte um Verweisung, da die Faxnummer des zuständigen LG Köln während der letzten Stunde der Anfechtungsfrist belegt war).

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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b) Absolute Frist für Klagen gegen Verschmelzungs-, Spaltungsund Formwechselbeschlüsse, § 14 Abs. 1, § 122a Abs. 2, § 125 Satz 1, § 195 Abs. 1 UmwG aa) Allgemeines Gemäß § 14 Abs. 1 UmwG muss eine Klage gegen die Wirksamkeit eines Verschmelzungsbeschlusses binnen eines Monats nach der Beschlussfassung erhoben werden. Dasselbe gilt gemäß § 122a Abs. 2, § 125 Satz 1, § 195 Abs. 1 UmwG für Klagen, die sich gegen die Wirksamkeit eines Beschlusses über eine grenzüberschreitende Verschmelzung, gegen einen Spaltungsbeschluss bzw. gegen einen Formwechselbeschluss richten. Anders als § 246 Abs. 1 AktG gilt die Monatsfrist damit für Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gleichermaßen; auch die allgemeine Feststellungsklage aus § 256 ZPO wird mit erfasst.60 Ebenso wie bei der Anfechtungsfrist handelt es sich bei der Befristung nach § 14 Abs. 1, § 195 Abs. 1 UmwG um eine materielle Ausschlussfrist; nach Fristablauf erhobene Klagen sind daher nicht unzulässig, sondern unbegründet.61 Gegen eine entsprechende Anwendung der § 14 Abs. 1, § 122a Abs. 2, § 195 Abs. 1 UmwG auf die SE bestehen keine Bedenken. Denn § 6 SEAG enthält in Abs. 1 nur eine Parallelregelung zu § 14 Abs. 2 UmwG, nicht dagegen zu § 14 Abs. 1 UmwG, und Art. 66 SE-VO entfaltet keine Sperrwirkung.62 Einschlägige Verweisungsnorm ist auch hier Art. 53 SE-VO. Der Monatsfrist unterliegen damit insbesondere Klagen gegen Beschlüsse über einen Formwechsel der SE in eine Gesellschaft deutscher Rechtsform, über eine Verschmelzung der SE mit einer anderen Gesellschaft deutscher Rechtsform und über eine grenzüberschreitende Verschmelzung mit einer ausländischen Gesellschaft.63 bb) Klagen gegen eine SE-Gründung durch Verschmelzung, § 14 Abs. 1 UmwG, Art. 18 SE-VO Die Frist aus § 14 Abs. 1 UmwG findet nicht nur über Art. 53 SE-VO Anwendung auf Maßnahmen, durch die die SE nach dem deutschen Umwandlungsgesetz umgewandelt wird. Sie gilt auch, wenn sich eine SE gemäß Art. 17 – 31 SE-VO an der Verschmelzungsgründung einer neuen SE beteiligt.64 Einschlägige 60

Siehe nur Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013), § 14 Rn. 6, 9. Siehe nur Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013), § 14 Rn. 2. 62 Ausführlich zum Verhältnis zwischen Art. 66 SE-VO und deutschem Umwandlungsrecht unten Abschnitt „Vorab: Umwandlungsfähigkeit der deutschen SE“, S. 382. 63 Näher zu den einzelnen Umwandlungsoptionen unten Abschnitt „Umwandlungsmaßnahmen (ohne SE-Gründung gemäß Art. 2 f. SE-VO)“, S. 382. 64 Für die Anwendung des § 14 Abs. 1 UmwG im Rahmen der Verschmelzungsgründung auch Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), Art. 24 SE-VO Rn. 13 a.E.; Göz, ZGR 2008, 593, 601. 61

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Verweisungsnorm ist dann Art. 18 SE-VO,65 der insofern gegenüber Art. 53 SE-VO spezieller ist. Problematisch an der Anwendbarkeit des § 14 Abs. 1 UmwG im Rahmen der Verschmelzungsgründung ist, dass potenzielle Anfechtungskläger, die die Rechtmäßigkeit des im Beschluss fixierten Umtauschverhältnisses bezweifeln, nicht immer binnen eines Monats nach Beschlussfassung absehen können, welcher Rechtsbehelf statthaft ist. Eine Anfechtungsklage kommt nämlich nur dann in Frage, wenn nicht der Anfechtungsausschluss nach § 6 Abs. 1 SEAG, Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO greift. In letzterem Fall ist allein ein Antrag im Spruchverfahren nach § 6 Abs. 4 SEAG, § 1 Nr. 5 SpruchG statthaft. Das Eingreifen des Anfechtungsausschlusses wiederum ist gemäß § 6 Abs. 1 SEAG, Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO davon abhängig, dass die ausländischen Verschmelzungspartner, deren Mitgliedstaaten kein Spruchverfahren oder ähnliches Verfahren vorsehen, im Zustimmungsbeschluss ausdrücklich akzeptieren, dass die Aktionäre der deutschen Gründungsgesellschaft auf das Spruchverfahren zurückgreifen.66 Stimmen die ausländischen Verschmelzungspartner nicht binnen eines Monats, nachdem der deutsche Verschmelzungspartner beschlossen hat, zu, so stehen deutsche Aktionäre, die sich per Beschlussmängelklage gegen das Umtauschverhältnis wenden wollen, vor dem Dilemma, dass erst nach Ablauf der Monatsfrist aus § 14 Abs. 1 UmwG klar wird, ob der fristgebundene Rechtsbehelf überhaupt statthaft ist. Als Lösung wird vorgeschlagen, den Beginn der Monatsfrist ausnahmsweise nicht an den Beschluss der deutschen Gesellschaft zu knüpfen, sondern an den Tag, an dem der letzte ausländische Gründungspartner seinen Zustimmungs- und (Nicht-)Akzeptanzbeschluss gemäß Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO gefasst hat.67 An anderer Stelle findet sich die an die potenziellen Kläger gerichtete Empfehlung, „vorsorglich gegen die Verschmelzung zu stimmen und Widerspruch zur Niederschrift zu erklären.“68 Letztere Option ist freilich unzureichend, da die Kläger bzw. die Antragssteller die Monatsfrist nicht per Widerspruch, sondern erst durch die Klageerhebung selbst wahren können. Zu denken wäre daher allenfalls an eine vorsorgliche Anfechtung, mit der den Anfechtungsklägern jedoch das Kostenrisiko eines späteren Unterliegens bzw. einer späteren Erledigterklärung oder Klagerücknahme aufgebürdet würde. Den Vorzug verdient daher der Vorschlag, den Fristbeginn an den spätesten Zustimmungsbeschluss nach Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO anzuknüpfen. Der Wortlaut des § 14 Abs. 1 UmwG lässt für eine solche SE-spezifische Auslegung des § 14 Abs. 1 UmwG ohne weiteres Platz, da der deutsche Gesetzgeber gerade nicht ausdrücklich festlegt, auf wessen Beschlussfassung es ankommt. Die Wendung 65

Insofern zutreffend Göz, ZGR 2008, 593, 601. Hierzu auch unten Abschnitt „Spruchverfahren“, S. 130. 67 Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), Art. 24 SE-VO Rn. 13 a.E. 68 Jannott, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 3. Kap. Rn. 119 Fn. 238. 66

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„binnen eines Monats nach der Beschlussfassung“ ist im Fall der SE-Verschmelzungsgründung also auf die Beschlussfassung desjenigen Gründungspartners zu beziehen, der als letzter beschließt. cc) Klagen gegen eine grenzüberschreitende Verschmelzung Das vorgenannte Problem, dass Aktionäre eines deutschen Verschmelzungspartners, die die Rechtmäßigkeit des Umtauschverhältnisses gerichtlich überprüfen lassen wollen, nicht immer innerhalb eines Monats nach dem deutschen Zustimmungsbeschluss Gewissheit darüber erlangen können, ob das Spruchverfahren oder eine Beschlussmängelklage statthaft sind, stellt sich ebenso im Rahmen der grenzüberschreitenden Verschmelzung. Auch hier ist der Anfechtungsausschluss (und die gleichzeitige Eröffnung des Spruchverfahrens) gemäß § 14 Abs. 2, § 122h Abs. 1 UmwG davon abhängig, dass die ausländischen Verschmelzungspartner die Möglichkeit eines Spruchverfahrens akzeptieren – ggf. erst nach Ablauf der Monatsfrist aus § 14 Abs. 1, § 122a Abs. 2 UmwG. Und auch hier führt die einzig sinnvolle Lösung zu einer alternativen Anknüpfung des Fristbeginns an den zeitlich letzten Verschmelzungs- und (Nicht-)Akzeptanzbeschluss.69 dd) Klagen gegen eine Holding-SE-Gründung, § 14 Abs. 1 UmwG, Art. 18 SE-VO analog Anders als im Rahmen der Verschmelzungs- und der Umwandlungsgründung (Art. 18 bzw. Art. 37 Abs. 7 Satz 2 SE-VO) verweist der Verordnungsgeber für die Holding-SE-Gründung (Art. 32 SE-VO) nicht ausdrücklich auf harmonisiertes Verschmelzungsrecht. Gleichzeitig fehlt im deutschen Aktienrecht ein der HoldingSE-Gründung vergleichbarer Umwandlungs- oder Gründungsvorgang, dessen Rechtsgrundlagen analog angewendet werden könnten. Der Verordnungsgeber hat die Holding-SE-Gründung dennoch ebenso lückenhaft geregelt wie die übrigen Gründungsvarianten. Im deutschen Rechtsraum bleibt daher keine andere Möglichkeit, als über Art. 18 SE-VO analog Verschmelzungsrecht anzuwenden.70 Hierüber gelangt § 14 Abs. 1 UmwG auch im Rahmen der Holding-SE-Gründung zur Anwendung.71 Die über § 6 Abs. 1, § 11 Abs. 2 SEAG, Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE69

Ebenso Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), § 122h Rn. 8; Kiem, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 122h Rn. 10 a.E.; Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013), § 122h Rn. 5; Polley, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 122h UmwG Rn. 4. 70 Ebenso für eine analoge Anwendung des Art. 18 SE-VO: Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 32 SE-VO Rn. 4; Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 32 SE-VO Rn. 3; Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 32 SE-VO Rn. 10; Scheifele, Gründung (2004), S. 46 f. 71 Fast derselbe Weg führt zur Anwendbarkeit des § 65 Abs. 1 UmwG im Rahmen des Holding-SE-Gründung (abgestellt wird dort überwiegend auch auf Art. 37 Abs. 7 Satz 2 SE-VO

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VO auch hier entstehende Problematik einer Verfristung vor Klärung des Anfechtungsausschlusses ist auf demselben Weg – also per alternativer Anknüpfung des Fristbeginns – zu lösen wie im Rahmen der Verschmelzungsgründung und der grenzüberschreitenden Verschmelzung.72 3. Nichtigkeitsgründe a) Einberufungsmängel, § 241 Nr. 1 AktG Gemäß § 241 Nr. 1 AktG ist ein Hauptversammlungsbeschluss nichtig, wenn die Versammlung „unter Verstoß gegen § 121 Abs. 2 und73 3 Satz 1 oder Abs. 4 einberufen worden war.“ § 121 Abs. 2 AktG wiederum bestimmt, wer für die Einberufung der Hauptversammlung zuständig ist. Primär ist dies der Vorstand (Satz 1), ferner Personen, die (nur) im Handelsregister als Vorstand eingetragen sind (Satz 2), sowie Personen, denen per Gesetz oder Satzung das Recht verliehen wurde, die Versammlung einzuberufen (Satz 3). § 121 Abs. 3 Satz 1 AktG nennt Firma und Sitz der Gesellschaft sowie Zeit und Ort der Versammlung als notwendige Bestandteile einer Einberufung; und § 121 Abs. 4 AktG regelt die Bekanntmachung der Einberufung. aa) Inhalts- und Bekanntmachungsfehler Verhältnismäßig unkompliziert gestaltet sich die Anwendung des § 241 Nr. 1 AktG auf die SE, soweit Einberufung inhaltlich nicht den Anforderungen aus § 121 Abs. 3 Satz 1 AktG gerecht wird oder die Bekanntmachtung nicht den Anforderungen aus § 121 Abs. 4 AktG. Zu beiden Regelungsbereichen enthält die SE-Verordnung keine eigenen Vorschriften; deutsches Aktienrecht findet daher umfassend Anwendung. bb) Unzuständigkeit des Einberufenden Nicht auf der Hand liegt dagegen die Antwort auf die Frage, welche Rechtsfolgen sich an eine Einberufung der Hauptversammlung durch eine unzuständige Person anschließen. Die grundsätzlich alleinige Zuständigkeit des Vorstands für die Einanalog); siehe oben Abschnitt „Einzelne Kapitalmehrheitserfordernisse nach deutschem Recht“, S. 100, mit Fn. 188. 72 Siehe die vorhergehenden Abschnitte „Klagen gegen eine SE-Gründung durch Verschmelzung, § 14 Abs. 1 UmwG, Art. 18 SE-VO“, S. 127, und „Klagen gegen eine grenzüberschreitende Verschmelzung“, S. 129. 73 Nach allgemeiner Ansicht ist „und“ an dieser Stelle korrigierend als „oder“ auszulegen. Die Nichtigkeit ergibt sich also bereits, wenn die Einberufung entweder gegen Abs. 2 oder gegen Abs. 3 Satz 1 verstößt; ein gleichzeitiger Verstoß gegen beide Vorschriften ist nicht erforderlich; siehe nur Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 241 Rn. 25 mit weiteren Nachweisen.

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berufung (§ 121 Abs. 2 Satz 1 AktG) lässt sich auf die deutsche SE nämlich ebenso wenig übertragen wie die Möglichkeit einer satzungsmäßigen Ermächtigung von „Personen“ zur Einberufung (§ 121 Abs. 2 Satz 3 AktG).74 Stattdessen gilt allein Art. 54 Abs. 2 SE-VO, der den Kreis der Einberufungsberechtigten für die SEHauptversammlung abschließend definiert. Die SE-Hauptversammlung kann danach „jederzeit vom Leitungs-, Aufsichts- oder Verwaltungsorgan oder von jedem anderen Organ oder jeder zuständigen Behörde nach den für Aktiengesellschaften im Sitzstaat der SE maßgeblichen einzelstaatlichen Vorschriften einberufen werden.“ Art. 54 Abs. 2 SE-VO aber gehört nicht zu den Normen, auf die § 241 Nr. 1 AktG verweist. Es stellt sich daher die Frage, ob ein Verstoß gegen Art. 54 Abs. 2 SE-VO – also die Einberufung der Hauptversammlung durch eine unberechtigte Person – dennoch einen Nichtigkeitsgrund begründen kann. Die wohl ganz herrschende Ansicht bejaht dies.75 Die Nichtigkeit ergebe sich aus Art. 9 Abs. 1 lit. c) SE-VO, § 241 Nr. 1 AktG; eine weitere Begründung findet sich nicht. Abgesehen davon, dass nationales Beschlussmängelrecht richtigerweise von Art. 53 und nicht von Art. 9 Abs. 1 lit. c) SE-VO zur Anwendung berufen wird,76 löst der unkommentierte Verweis auf § 241 Nr. 1 AktG freilich nicht das Problem des fehlenden Verweises von § 241 Nr. 1 AktG auf Art. 54 Abs. 2 SE-VO. Zur Nichtigkeitsfolge gelangt man nämlich nur durch eine SE-spezifische Umdeutung des § 241 Nr. 1 AktG: Der Verweis auf § 121 Abs. 2 AktG würde durch einen ungeschriebenen Verweis auf Art. 54 Abs. 2 SE-VO ergänzt und teilweise – soweit die deutsche Vorschrift nicht greift – ersetzt. Gegen einen derart ungeschriebenen Verweis spricht jedoch die in Art. 9 Abs. 1, Art. 52 ff. SE-VO angelegte Systematik der Verweise auf nationale Hauptversammlungsvorschriften. Darin wird entweder allgemeines mitgliedstaatliches Aktienrecht unverändert auf die SE übertragen (z. B. Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii), iii), Art. 52 Unterabs. 2, Art. 53 SE-VO) oder SE-spezifisches mitgliedstaatliches Aktienrecht durch spezifische Ermächtigung ermöglicht (z. B. Art. 59 Abs. 2 SE-VO). Ein mitgliedstaatliches SE-Sonderrecht außerhalb dieser Ermächtigungsgrundlagen oder eine SE-spezifische Modifizierung oder Umdeutung allgemeinen Aktienrechts da74 Ausführlich zur Nichtanwendbarkeit des § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG auf die deutsche SE siehe unten Abschnitt „Bestimmung der für die Einberufung zuständigen Personen, § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG?“, S. 342. 75 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 54 SE-VO Rn. 18; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 54 SE-VO Rn. 22; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 54 Rn. 13; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 54 SE-VO Rn. 11; unklar dagegen Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 54 SE-VO Rn. 1 („Nach § 241 Nr. 1 AktG führt lediglich ein Verstoß gegen § 121 Abs. 2 und 3 oder 4 AktG zur Nichtigkeit, wogegen andere Mängel den Beschluss nur anfechtbar machen.“). 76 Hierzu bereits oben Abschnitt „Deutsches Beschlussmängelrecht“, S. 117. Vor dem Hintergrund der allgemein bejahten Einschlägigkeit von Art. 9 Abs. 1 lit. c) SE-VO (siehe oben 3. Teil Fn. 6) ist der vorstehend zitierte Verweis freilich konsequent.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

gegen ist nicht vorgesehen und verstößt im Allgemeinen auch gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 10 SE-VO.77 Letztlich sprechen wohl dennoch die besseren Gründe dafür, auch bei Einberufung der SE-Hauptversammlung durch eine unberechtigte Person eine Nichtigkeit nach § 241 Nr. 1 AktG zu bejahen. Das Gegenteil hätte nämlich zur Folge, dass auch gröbste Verstöße gegen die Einberufungszuständigkeit nur zu einer Anfechtbarkeit – und nach einem Monat zu einem wirksamen Beschluss (§ 246 Abs. 1 AktG) – führen würden. Der Einberufungsfehler würde SE-spezifisch und entgegen der in §§ 241 ff. AktG angelegten Wertung herabgestuft. Gerade mit einer solchen ersatzlosen Abschaffung des Nichtigkeitsgrunds aus § 241 Nr. 1, § 121 Abs. 2 Satz 1 AktG würde das deutsche Beschlussmängelrecht in modifizierter und diskriminierender Weise auf die SE angewendet. Dem Diskriminierungsverbot aus Art. 10 SE-VO ist im Rahmen des § 241 Nr. 1, § 121 Abs. 2 Satz 1 AktG also ausnahmsweise gerade durch eine SE-spezifische Umdeutung deutschen Aktienrechts am besten genüge getan.78 Wird die SE-Hauptversammlung also von einer unzuständigen Person einberufen, so sind die in der Versammlung gefassten Beschlüsse gemäß § 241 Nr. 1 AktG analog, Art. 53 SE-VO in Verbindung mit Art. 54 Abs. 2 SE-VO nichtig. cc) Einberufung durch Scheinorganmitglied Wird die AG-Hauptversammlung von einer unzuständigen Person einberufen, so ergibt sich ausnahmsweise keine Nichtigkeit der dort gefassten Beschlüsse, wenn die betreffende Person „in das Handelsregister als Vorstand eingetragen“ war und ihre Einberufungsbefugnis damit nach § 121 Abs. 1 Satz 2 AktG fingiert wird. Gegen die Übertragung dieser Regel auf die deutsche SE werden teilweise Bedenken angemeldet.79 Es ergebe sich eine unzulässige Erweiterung des Kreises der nach Art. 54 Abs. 2 SE-VO Einberufungsberechtigten. Bei Lichte besehen ist diese Sorge unbegründet. Richtigerweise wird der Kreis der Einberufungsberechtigten durch § 121 Abs. 1 Satz 2 AktG erst gar nicht erweitert. Denn bereits im Recht der deutschen AG nimmt der nach § 121 Abs. 1 Satz 2 AktG Schein-Einberufungsberechtigte keine eigene Einberufungskompetenz in Anspruch; er profitiert lediglich von der Kompetenz des tatsächlichen Organmitglieds in Verbindung mit der Legitimationswirkung des unrichtigen Handelsregistereintrags. Zur Reichweite dieser 77

Zum Verbot eines SE-Sonderaktienrechts auf mitgliedstaatlicher Ebene siehe bereits oben Abschnitt „Verordnungskonformität des § 51 SEAG“, S. 86. 78 In rechtspolitischer Hinsicht ist diese Lösung Flickwerk. Angemessen wäre stattdessen ein ausdrücklicher Verweis in § 241 Nr. 1 AktG auf Art. 54 Abs. 2 SE-VO (oder die Aufnahme einer entsprechenden Vorschrift in das SEAG). Das Diskriminiserungsverbot aus Art. 10 SEVO richtet sich nämlich auch an den nationalen Gesetzgeber – und gibt ihm an dieser Stelle auf, Beschlussmängel wegen fehlender Zuständigkeit des Einberufenden in AG und SE gleich zu behandeln. 79 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 182 f.; wohl auch Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 54 SE-VO Rn. 6.

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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Legitimationswirkung enthält Art. 54 Abs. 2 SE-VO aber keine Aussage; er entfaltet daher auch keine Sperrwirkung.80 Auch für die SE-Hauptversammlung ergibt sich damit kein Nichtigkeitsgrund, wenn der unzuständige Einberufende im Handelsregister noch als Leitungsorganmitglied eingetragen ist. Dasselbe gilt gemäß § 22 Abs. 6 SEAG analog in der monistischen SE, wenn der Einberufende fehlerhafterweise als Verwaltungsorganmitglied eingetragen ist. b) Beurkundungsmängel, § 241 Nr. 2 AktG Gemäß § 241 Nr. 2 AktG ist ein Hauptversammlungsbeschluss nichtig, wenn er nicht nach § 130 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 AktG beurkundet ist. Die genannten Regelungen aus § 130 AktG gelten über Art. 53 SE-VO uneingeschränkt auch für die deutsche SE,81 so dass die parallele Anwendung des § 241 Nr. 2 AktG keine Probleme aufwirft. c) Inhaltliche Mängel, § 241 Nr. 3 AktG Nichtig sind nach § 241 Nr. 3 AktG ferner Hauptversammlungsbeschlüsse, die mit dem „Wesen der Aktiengesellschaft“ nicht zu vereinbaren sind (Var. 1), gläubigerschützende Vorschriften verletzen (Var. 2) oder gegen Vorschriften verstoßen, die „sonst im öffentlichen Interesse“ gegeben sind (Var. 3). Die Übertragung aller drei Nichtigkeitsgründe auf die SE steht grundsätzlich nicht in Frage, da auf Verordnungsebene keine Vorschriften existieren, die § 241 Nr. 3 AktG inhaltlich Konkurrenz machen würden. Welche Normen und Grundsätze jedoch im Einzelnen als wesensrelevant, gläubigerschützend oder im öffentlichen Interesse liegend in Betracht kommen, bestimmt sich für die SE teilweise anders als für die deutsche AG. Grund hierfür ist vor allem das gegenüber der AG abweichende Normenfundament. aa) Gläubigerschutz (Var. 2), insbesondere Sitzverlegungsbeschluss Noch am ehesten Ähnlichkeit zur Rechtslage in der AG weisen die SE-gläubigerschützenden Vorschriften auf, deren Verletzung in § 241 Nr. 3 Var. 2 AktG sanktioniert wird. Der Kreis von Normen, die aus Sicht der deutschen AG dazu zählen, ist nahezu unumstritten: Es handelt sich vor allem um das Verbot der Ein80

Im Ergebnis übereinstimmend: Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 54 SE-VO Rn. 17; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 54 SE-VO Rn. 21; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 54 Rn. 12 a.E.; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 54 SE-VO Rn. 15; ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 242; Göz, ZGR 2008, 593, 612. 81 Siehe bereits oben Abschnitt „Protokoll, § 130 AktG“, S. 104.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

lagenrückgewähr (§ 57 AktG), die Grenzen für den Erwerb eigener Aktien (§§ 71 ff. AktG), die Regeln für die Kapitalherabsetzung (§§ 222 ff. AktG) und die gläubigerschützende Komponente von Umwandlungs- und sonstigen Strukturbeschlüssen (z. B. §§ 22, 133 f., 204 UmwG, §§ 303, 321 AktG).82 Die scharfe Nichtigkeitsfolge trägt dem Umstand Rechnung, dass die Gläubiger mangels eigener Anfechtungsbefugnis keine Möglichkeit haben, die Fehlerhaftigkeit eines Beschlusses geltend zu machen.83 Auf den vorgenannten Normen gründet auch der Gläubigerschutz in der deutschen SE. Hinzu kommen die spezifisch SE-gläubigerschützenden Normen: Art. 8 Abs. 15, Art. 24 Abs. 1 lit. a) und b) SE-VO sowie §§ 8, 13 SEAG. Verstöße gegen sie lassen den SE-Hauptversammlungsbeschluss gemäß § 241 Nr. 3 Var. 2 AktG nichtig werden.84 Umstritten ist, ob sich eine Nichtigkeit nach § 241 Nr. 3 Var. 2 AktG auch ergibt, wenn bei der Beschlussfassung über eine Sitzverlegung die Wartefrist aus Art. 8 Abs. 6 Satz 1 SE-VO verletzt wird. Eine Nichtigkeit wird teilweise mit dem Argument bejaht, auch die Wartefrist ziele auf den Gläubigerschutz.85 Die überwiegende Ansicht86 spricht sich allerdings gegen eine Nichtigkeit aus. Argumentiert wird, es handele sich insofern um einen reinen Verfahrensverstoß, der keine inhaltliche Missbilligung nach § 241 Nr. 3 Var. 2 AktG verdiene.87 Auch stehe der Gläubigerschutz nicht im Mittelpunkt des Schutzzwecks des Art. 8 Abs. 6 SE-VO, wie es § 241 Nr. 3 Var. 2 AktG verlange („überwiegend zum Schutze der Gläubiger“).88 Dass Art. 8 Abs. 6 SE-VO nicht primär den Gläubigerschutz im Auge hat, trifft zu. Auf der anderen Seite steht aber auch nicht der Schutz der Aktionäre derart im Mittelpunkt, dass die Beschränkung auf eine Anfechtbarkeit angemessen erschiene. 82 Nahezu übereinstimmend Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 241 Rn. 32; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 241 Rn. 18; Hüffer, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2011), § 241 Rn. 54 f.; Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 241 Rn. 210. 83 Siehe nur Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 241 Rn. 210. 84 Eine Nichtigkeit bei Verstößen gegen Art. 8 Abs. 15 SE-VO bejahend auch die ganz h.M.: Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 8 SE-VO Rn. 13; Diekmann, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 8 SE-VO Rn. 57; Oechsler, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 8 SE-VO Rn. 33; Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 8 SE-VO Rn. 59; Göz, ZGR 2008, 593, 627. 85 Oechsler, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 8 SE-VO Rn. 33 (anders aber ders., a.a.O., Rn. 26); ebenso eine Nichtigkeit befürwortend, diese jedoch unmittelbar aus der Verordnung ableitend Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 8 SEVO Rn. 67. 86 Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 8 SE-VO Rn. 12; Diekmann, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 8 SE-VO Rn. 51; Göz, ZGR 2008, 593, 626. 87 Göz, ZGR 2008, 593, 626. 88 Diekmann, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 8 SE-VO Rn. 51 (anders aber ders., a.a.O., Rn. 49).

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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Der Schutzzweck ist vielmehr breit angelegt und umfasst sowohl Aktionäre als auch Gläubiger und darüber hinaus auch Arbeitnehmer und Behörden, deren Belange bzw. Zuständigkeitsbereiche von der Sitzverlegung berührt werden,89 wie etwa die jeweiligen Aufsichtsbehörden im Fall eines Kreditinstituts oder eines Versicherungsunternehmens. Gerade wegen dieses breiten Schutzzwecks ist die Zwei-Monats-Frist nach ganz herrschender Meinung auch für die Aktionäre nicht verzichtbar.90 Die herrschende Meinung verdient daher zwar insoweit Zustimmung, als sie eine Nichtigkeit nach § 241 Nr. 3 Var. 2 AktG verneint. Folge hiervon ist aber nicht etwa, dass die Fehlerfolge auf eine reine Anfechtbarkeit zurückfiele; vielmehr ist Art. 8 Abs. 6 SE-VO als „sonst im öffenlichen Interesse“ gegebene Norm im Sinne des § 241 Nr. 3 Var. 3 AktG einzuordnen. Verletzt der Sitzverlegungsbeschluss daher die Wartefrist nach Art. 8 Abs. 6 SE-VO, so ist er richtigerweise nach § 241 Nr. 3 Var. 3 AktG nichtig. Keine Nichtigkeit des Sitzverlegungsbeschlusses ergibt sich schließlich bei Verletzung der Einsichtnahmefrist aus Art. 8 Abs. 4 SE-VO.91 Denn hier werden ausschließlich die Rechte von interessierten Aktionären verletzt, die sich gemäß § 245 AktG ohne weiteres selbst gegen die Gültigkeit des Beschlusses zur Wehr setzen können. Dass die Verletzung der Einsichtnahmefrist nur die Anfechtbarkeit des nachfolgenden Beschlusses zur Folge hat, entspricht auch der in Bezug auf die Parallelregelung in § 63 UmwG vertretenen allgemeinen Ansicht.92 bb) Öffentliches Interesse (Var. 3), insbesondere Mitbestimmungsregeln Bei der Frage, welche Vorschriften sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind, erweitert sich der Begriff des „öffentlichen Interesses“ im Zusammenhang mit der SE zunächst inhaltlich von der nationalen auf die europäische Ebene. Auch auf dieser Ebene geht darum, per Nichtigkeitssanktion Interessenträger zu schützen, deren Belange von einem Hauptversammlungsbeschluss tangiert werden können, die aber nicht zu den anfechtungsberechtigten Personen im Sinne des § 245 AktG zählen.93 89

Zutreffend Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 8 SEVO Rn. 65; Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 8 SE-VO Rn. 55; zu eng dagegen Ringe, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 8 SE-VO Rn. 42 (nur „Warnfunktion für die Aktionäre“). 90 Siehe nur Diekmann, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 8 SE-VO Rn. 49; Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 8 SE-VO Rn. 66; Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 8 SE-VO Rn. 55 a.E. 91 Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 8 SE-VO Rn. 10, 12; Diekmann, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 8 SE-VO Rn. 51; Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 8 SE-VO Rn. 56; Zang, Sitz und Verlegung des Sitzes (2005), S. 171. 92 Siehe nur Diekmann, in: Semler/Stengel, UmwG, 3. Aufl. (2012), § 63 Rn. 26; Junker, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 63 UmwG Rn. 8; Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013), § 63 Rn. 16. 93 Vgl. für die Rechtslage in der AG: Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 241 Rn. 214 f.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

Auf deutscher Ebene gehören in erster die §§ 25 ff. MitbestG, der Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG), die Grenzen der Hauptversammlungskompetenzen dazu sowie nach – zutreffender – herrschender Ansicht der Grundsatz der Satzungsstrenge.94 Nichtig sind daher insbesondere Beschlüsse, mit denen sich die Hauptversammlung unzulässigerweise in den Geschäftsführungsbereich des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans einmischt.95 Auch auf europäischer Ebene verfügen der Gleichbehandlungsgrundsatz, die gesellschaftsinterne Kompetenzordnung und der Grundsatz der Satzungsstrenge über ausreichend Gewicht, um die Nichtigkeitsfolge zu rechtfertigen.96 Hinzu kommt speziell für den Sitzverlegungsbeschluss die Wartefrist aus Art. 8 Abs. 6 SE-VO.97 Problematisch ist, ob auch mitbestimmungsrechtliche Verstöße eine Nichtigkeit nach § 241 Nr. 3 Var. 3 AktG rechtfertigen können. Hierfür spricht zunächst die funktionelle Deckungsgleichheit der Mitbestimmungsregeln in AG und SE: Auch wenn auf europäischer Ebene mit dem Verhandlungsverfahren ein größerer Spielraum besteht, gestalten die Mitbestimmungsregeln letztlich auf beiden Ebenen die Art und Weise, in der die Arbeitnehmer im Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrat vertreten sind (vgl. § 2 Abs. 12 SEBG).98 Soweit die Gesellschaft also mitbestimmt ist, wird die Lücke, die das – auf die SE nicht anwendbare – Mitbestimmungsgesetz hinterlässt, von den Auffangregeln aus §§ 34 – 39 SEBG (Mitbestimmung kraft Gesetzes) bzw. von den mitbestimmungsrelevanten Teilen der Beteiligungsvereinbarung geschlossen. Es erschiene vor diesem Hintergrund plausibel, dass Hauptversammlungsbeschlüsse, die gegen Mitbestimmungsregeln verstoßen, in AG und SE gleichermaßen gemäß § 241 Nr. 3 Var. 3 AktG nichtig sind. Gegen eine undifferenzierte Übertragung der Nichtigkeitsfolge auf die SE spricht allerdings die Tatsache, dass die Mitbestimmungsregeln in der SE nicht gesetzlich determiniert sind. Soweit die Verhandlungsparteien die Mitbestimmung in eine 94 Siehe nur Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 241 Rn. 17; Wilk, in: MüHdB-GesR, Bd. 7, 5. Aufl. (2015), § 29 Rn. 103 – 105; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 1 Rn. 186 f.; speziell zum Verhältnis zwischen § 241 Nr. 3 Var. 3 und § 23 Abs. 5 AktG siehe Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 241 AktG Rn. 34 f.; Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 241 Rn. 212, 216, sowie Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 241 Rn. 15 (der eine Nichtigkeit sowohl nach Var. 1 als auch nach Var. 3 bejaht), und Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 241 Rn. 60 f. (mit differenzierendem Standpunkt). 95 Ausführlich Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 241 Rn. 62. 96 Für die Nichtigkeit von SE-Hauptversammlungsbeschlüssen, die gegen den Grundsatz der Satzungsstrenge verstoßen oder mit denen die Hauptversammlung ihre Kompetenzen überschreitet, Göz, ZGR 2008, 593, 613 f.; andeutungsweise auch Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 44. 97 Hierzu bereits oben Abschnitt „Gläubigerschutz (Var. 2), insbesondere Sitzverlegungsbeschluss“, S. 133. 98 Zur Bedeutung des Mitbestimmungsbegriffs aus SEBG und SE-RL für das Verhältnis von Satzung und Beteiligungsvereinbarung siehe oben Abschnitt „Verhältnis zur Beteiligungsbzw. Mitbestimmungsvereinbarung bzw. jeweiligen Auffangregelung?“, S. 43.

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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Beteiligungsvereinbarung aufgenommen haben, ist die Rechtsgrundlage sogar vollständig vertraglicher Natur. § 241 Nr. 3 Var. 3 AktG dagegen setzt ausdrücklich „Vorschriften“ voraus und stellt damit nach wohl ganz herrschender Meinung auf den Rechtsnormbegriff des § 2 EGBGB ab99 – worunter die Beteiligungsvereinbarung ersichtlich nicht fällt. Eine erweiternde, SE-spezifische Auslegung fällt an dieser Stelle schwer. Denn es widerspräche den Grundsätzen des deutschen Beschlussmängelrechts, wenn das Ergebnis privatautonom geführter Verhandlungen auf eine Stufe mit den in §§ 241 ff. AktG unverzichtbaren Eckpfeilern des Aktienrechts gehoben würde und damit strenger geahndet würden als Gesetzesverstöße im Sinne des § 243 Abs. 1 Alt. 1 AktG. Überdies sind die Partner der Beteiligungsvereinbarung nicht in derselben hilflosen Lage gegenüber einem Hauptversammlungsbeschluss wie die Gläubiger der Gesellschaft. Denn jedenfalls die Unternehmensleitung kann sich gemäß § 245 Nr. 4 AktG bzw. (in der monistischen SE) gemäß § 22 Abs. 6 SEAG, § 245 Nr. 4 AktG durchaus gegen einen Beschluss zur Wehr setzen. Soweit ein SE-Hauptversammlungsbeschluss also gegen eine Mitbestimmungsvereinbarung im Sinne des § 21 SEBG verstößt, kann jedenfalls aus diesem Vereinbarungsverstoß keine Nichtigkeitsfolge gemäß § 241 Nr. 3 Var. 3 AktG, Art. 53 SEVO abgeleitet werden. Die Folgen der fehlenden Nichtigkeit sind weniger gravierend als es auf den ersten Blick scheint. Das liegt vor allem daran, dass sich Übergriffe der Hauptversammlung in die Mitbestimmungsvereinbarung faktisch kaum anders als in Form von Satzungsänderungen vollziehen werden, beispielsweise durch mitbestimmungswidrige Umgestaltung der Aufsichtsratsregeln. Soweit hierdurch gegen den Grundsatz der Satzungsstrenge verstoßen wird – was mangels mitbestimmungsspezifischer Ermächtigung des Satzungsgebers regelmäßig der Fall sein wird –, ergibt sich die Nichtigkeit des Beschlusses ohne weiteres aus § 23 Abs. 5 in Verbindung mit § 241 Nr. 3 Var. 3 AktG. Keine Nichtigkeit ergibt sich (nur) dann, wenn der fragliche Hauptversammlungsbeschluss gleichzeitig die Mitbestimmungsvereinbarung verletzt und dem Grundsatz der Satzungsstrenge gerecht wird. In diesem Fall erwerben die Arbeitnehmervertreter, deren Mitbestimmungsrechte beeinträchtigt werden, allerdings einen Nebenanspruch aus der Beteiligungsvereinbarung gegen die Unternehmensleitung darauf, dass die Unternehmensleitung von ihrer Anfechtungsbefugnis aus § 245 Nr. 4 AktG, ggf. in Verbindung mit § 22 Abs. 6 SEAG, Gebrauch macht, um gegen den Beschluss der Hauptversammlung vorzugehen. Im Ergebnis ergibt sich für die kraft Vereinbarung mitbestimmte SE damit kein geringeres Schutzniveau in Bezug auf Mitbestimmungsrechte als in der AG oder in einer gesetzlich mitbestimmten SE.

99

Siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 241 Rn. 19.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

cc) Wesen der Aktiengesellschaft (Var. 1) (1) Deutsche Aktiengesellschaft Die Nichtigkeitsanordnung für Beschlüsse, die „mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht zu vereinbaren“ sind, bildet im System des § 241 AktG den Auffangund gleichzeitig den begrifflich unschärfsten Tatbestand. Die teilweise verwendete Formel, nach der § 241 Nr. 3 Var. 1 AktG diejenigen Fälle bezeichnet, „in denen das von der Hauptversammlung Beschlossene ersichtlich keinen Bestand haben kann, ohne dass sich dieses Ergebnis auf bestimmte Vorschriften stützen ließe“,100 vermag der gesetzlichen Umschreibung nur wenig Konkretes hinzuzufügen. Die begriffliche Unschärfe in Verbindung mit der einschneidenden Nichtigkeitsfolge zwingt dazu, den Tatbestand restriktiv auszulegen.101 Ob dem „Wesen der Aktiengesellschaft“ im Beschlussmängelrecht überhaupt eine eigenständige Bedeutung zukommt, ist im aktiengesetzlichen Schrifttum umstritten. Als Beispiele für wesenswidrige Beschlüsse genannt werden teilweise perplexe Beschlüsse,102 Verstöße gegen den Grundsatz der Satzungsstrenge103 sowie Kompetenzüberschreitungen der Hauptversammlung.104 Andere lassen diese Beispiele nicht gelten und erkennen in § 241 Nr. 3 Var. 1 AktG eher eine Facette der Var. 3 als einen eigenständigen Nichtigkeitsgrund.105 So ergebe sich die Unwirksamkeit perplexer Beschlüsse bereits aus allgemeinen Grundsätzen und habe nichts mit dem Wesen der Aktiengesellschaft zu tun.106 Soweit die Hauptversammlung gegen den Grundsatz der Satzungsstrenge verstoße oder die eigenen Kompetenzen überschreite, sei § 241 Nr. 3 Var. 3 AktG einschlägig.107 Tatsächlich spricht aus Sicht einer deutschen AG vieles gegen einen eigenständigen Anwendungsbereich der Var. 1. Insbesondere die Fälle der Perplexität lassen sich nicht hierunter fassen. Sie einem bestimmten Nichtigkeitstatbestand zuzuord100 Hüffer, AktG, 10. Aufl. (2012), § 241 Rn. 21; inhaltlich ähnlich Drescher, in: Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 241 Rn. 37; Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 241 Rn. 14 (zitiert von OLG München, AG 2013, 173, 175). 101 Im Grundsatz übereinstimmend OLG München, AG 2013, 173, 175 („W.E.T. II“); Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 241 Rn. 14. 102 Englisch, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 241 Rn. 70; Hüffer, AktG, 10. Aufl. (2012), § 241 Rn. 21; ders., in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 241 Rn. 67; Weber/Kersjes, HVBeschlüsse vor Gericht (2010), § 1 Rn. 183. 103 K. Schmidt, in: GK-AktG, 4. Aufl. (1995), § 241 Rn. 56. 104 K. Schmidt, in: GK-AktG, 4. Aufl. (1995), § 241 Rn. 57; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 1 Rn. 183. 105 Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 241 Rn. 205 – 209; in dieselbe Richtung Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 241 Rn. 14; Leuering, in: Semler/ Volhard/Weber, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 44 Rn. 20; zweifelnd auch Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 241 Rn. 37. 106 Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 241 Rn. 14; K. Schmidt, in: GK-AktG, 4. Aufl. (1995), § 241 Rn. 64. 107 Siehe die Nachweise im 3. Teil in Fn. 94.

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nen, ergäbe nur dann Sinn, wenn ihre Unwirksamkeit zur Disposition des Gesetzgebers stünde. Die rechtliche Unwirksamkeit und Unbeachtlichkeit von Äußerungen, die mehrere, einander widersprechende Inhalte umfassen, ohne dass sich der Widerspruch durch Auslegung beseitigen lässt, ist aber bereits eine Folge der Äußerung selbst. Es existiert schlicht kein ermittelbarer Inhalt, deren Wirksamkeit per Gesetz zum Durchbruch verholfen werden könnte.108 Ein perplexer Hauptversammlungsbeschluss könnte daher auch nicht nach § 242 Abs. 2 AktG geheilt werden. (2) Wesen der SE? Für die SE fällt die inhaltliche Annäherung an § 241 Nr. 3 Var. 1 AktG ähnlich vorsichtig aus. Konsens besteht zunächst darüber, dass nicht auf das „Wesen der Aktiengesellschaft“, sondern auf das „Wesen der SE“ abzustellen ist.109 Das ist wohl selbstverständlich, ließen sich doch andernfalls aus SE-wesensfremden Gesichtspunkten Nichtigkeitsgründe für SE-Hauptversammlungsbeschlüsse ableiten. Als Wesenselemente Erwähnung finden der Grundsatz der Satzungsstrenge, der supranationale Charakter der SE und die Möglichkeit einer monistischen Struktur.110 Eine Nichtigkeit nach § 241 Nr. 3 Var. 1 AktG ergebe sich ferner bei groben Verletzungen der Organisationsstruktur der SE.111 Richtigerweise findet der Grundsatz der Satzungsstrenge (und damit auch die Eckpunkte der SE-Organisationsstruktur) allerdings bereits im Rahmen des § 241 Nr. 3 Var. 3 AktG Berücksichtigung.112 Der supranationale Charakter der SE wird kaum die Nichtigkeit eines SE-Hauptversammlungsbeschlusses rechtfertigen können; denn die dauerhafte Beibehaltung des grenzüberschreitenden Elements der Gründung (vgl. die verschiedenen Varianten in Art. 2 SE-VO) ist gerade nicht Voraussetzung für das rechtmäßige Fortbestehen einer SE. Die monistische Struktur schließlich mag im Rahmen des § 241 Nr. 3 Var. 1 AktG insofern eine Rolle spielen, als sie die Nicht-Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen begründet, die wegen ihres spezifisch monistischen Charakters in der dualistischen deutschen AG nichtig wären. Zu einer SE-spezifischen Erweiterung des § 241 Nr. 3 Var. 1 AktG führt die monistische Option dagegen kaum.

108 Auf den Punkt K. Schmidt, in: GK-AktG, 4. Aufl. (1995), § 241 Rn. 64 a.E. („Der Beschluss ist nichtig, weil dies vernünftigerweise nicht anders sein kann.“). 109 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 57 SE-VO Rn. 32; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 44; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 53 SE-VO Rn. 22; in dieselbe Richtung Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SEKo., 2. Aufl. (2015), Art. 53 SE-VO Rn. 32 a.E. 110 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 44; für eine Berücksichtigung der monistischen Struktur auch Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 57 SE-VO Rn. 32. 111 Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 248. 112 Siehe oben 3. Teil, Fn. 94 und 96.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

Insgesamt spricht daher viel dafür, dass die „Wesen“-Variante des § 241 Nr. 3 AktG auch im Beschlussmängelrecht der deutschen SE keine eigenständige Bedeutung hat. Im Auge zu behalten ist freilich, dass das, was zum „Wesen der SE“ gehört, zuvorderst auf europäischer Ebene und nur mittelbar durch § 241 Nr. 3 Var. 1 AktG definiert wird. Es ist daher für die Zukunft nicht ausgeschlossen, dass der Nichtigkeitsgrund allein aufgrund (auch nicht beschlussmängelspezifischer) Änderungen in der Verordnung an Relevanz hinzu gewinnt. Konkret in Sicht sind solche Änderungen allerdings nicht. d) Sonstige Nichtigkeitsgründe, § 241 Hs. 1, Nr. 4 – 6 AktG Gemäß § 241 Nr. 4 – 6 AktG sind Hauptversammlungsbeschlüsse nichtig, die gegen die guten Sitten verstoßen, oder die aufgrund vorhergehender gerichtlicher Entscheidung gelöscht bzw. für nichtig erklärt wurden. Die in § 241 Hs. 1 AktG ausdrücklich aufgeführten Rechtsverstöße schließlich betreffen Beschlüsse, die einer bedingten Kapitalerhöhung entgegenstehen (§ 192 Abs. 4 AktG), die einer verhältnismäßigen Anteilszuteilung bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln entgegenstehen (§ 212 Satz 2 AktG), ferner die Nichtigkeit von Kapitalerhöhungs- und Gewinnverwendungsbeschlüssen wegen verspäteter Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses bei Beteiligung der Kapitalerhöhungs-Teilnehmer am Vorjahresgewinn (§ 217 Abs. 2 Satz 4 AktG), die Nichtigkeit von KapitalschnittBeschlüssen wegen verspäteter Eintragung der Kapitalerhöhung (§ 228 Abs. 2 Satz 1 AktG), die Nichtigkeit des rückwirkenden Kapitalherabsetzungsbeschlusses und eines betroffenen Beschlusses über die Feststellung des Jahresabschlusses wegen verspäteter Eintragung des Kapitalherabsetzungsbeschlusses (§ 234 Abs. 3 Satz 1 AktG) und die Nichtigkeit der rückwirkenden Kapitalschnitt-Beschlüsse und des betroffenen Beschlusses über die Feststellung des Jahresabschlusses wegen verspäteter Eintragung des Kapitalschnitts (§ 235 Abs. 2 Satz 1 AktG). Gemein ist den vorgenannten Beschlüssen und Beschlussmängeln, dass sie keine Spezifika enthalten oder betreffen, die auf Ebene der SE eine andere Bewertung als in der deutschen Aktiengesellschaft rechtfertigen würden.113 Die verschiedenen Nichtigkeitstatbestände lassen sich daher uneingeschränkt auf die deutsche SE übertragen.114 4. Ausschluss der Nichtigkeit trotz Nichtigkeitsgrund a) Heilung der Nichtigkeit, § 242 AktG Die Nichtigkeit von Beschlüssen kann grundsätzlich ohne zeitliche Begrenzung geltend gemacht werden. Als Ausnahme von diesem ungeschriebenen Grundsatz formuliert § 242 AktG eine Reihe von Voraussetzungen, unter denen ein nichtiger 113 Zur Rechtslage in der AG siehe nur Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 241 Rn. 22 – 24, 68 – 88; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 1 Rn. 188 – 214. 114 Ebenso Göz, ZGR 2008, 593, 616 f.

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Beschluss geheilt werden kann. Welche Voraussetzungen im Einzelnen zu erfüllen sind, bemisst sich nach dem jeweils einschlägigen Nichtigkeitstatbestand. So kann die Nichtigkeit von Beschlüssen, die wegen mangelhafter Beurkundung unter § 241 Nr. 2 AktG fallen, gemäß § 242 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht mehr geltend gemacht werden, wenn der Beschluss in das Handelsregister eingetragen ist. Fällt der Beschluss (evt. darüber hinaus) wegen eines Einberufungsmangels, eines inhaltlichen Mangels oder wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten unter § 241 Nr. 1, 3 oder 4 AktG, so kommt gemäß § 242 Abs. 2 Satz 2 AktG eine Heilung nur in Betracht, wenn der Beschluss eingetragen ist und seitdem mindestens drei Jahre verstrichen sind. Einfacher gestaltet sich die Heilung eines nach § 241 Nr. 1 AktG nichtigen Beschlusses nur dann, wenn der Beschluss allein gegen § 121 Abs. 4 Satz 2 AktG verstößt – wenn also die Aktionäre einzeln per eingeschriebenem Brief zur Hauptversammlung eingeladen wurden und dabei ein Fehler unterlief – und der vom Fehler betroffene (z. B. beim Einladungsversand übergangene) Aktionär die Beschlussfassung genehmigt (§ 242 Abs. 2 Satz 4 AktG). Dasselbe Ergebnis ließe sich wohl bereits aus allgemeinen Grundsätzen der Beschlussfassung in Kollegialorganen ableiten. Eine Heilung im weiteren Sinne betrifft auch § 242 Abs. 2 Satz 5 AktG, der mithilft, die bestandssichernde Wirkung einer positiven Freigabeentscheidung abzusichern. Danach ist die Eintragung eines stattgebenden Anfechtungsurteils, wie sie § 248 Abs. 1 Satz 3 AktG vorschreibt, ausgeschlossen, wenn die Eintragung des Beschlusses zuvor gemäß § 246a Abs. 1 AktG gerichtlich freigegeben wurde. Für die Eintragung nach § 248 Abs. 1 Satz 3 AktG besteht in diesem Fall auch kein Anlass, da das stattgebende Anfechtungsurteil auf Rechtsfolgenseite nur noch inter partes für die Schadensersatzfolge nach § 246a Abs. 4 Satz 1 AktG relevant ist und die Wirksamkeit des Beschlusses erga omnes unberührt lässt. Ebenfalls nur eine Heilung im weiteren Sinne betrifft § 242 Abs. 3 AktG, der die entsprechende Anwendung des Abs. 2 für eine Reihe von Fällen anordnet, in denen die Wirksamkeit einer kapitalrelevanten Maßnahme nicht nur vom Handelsregistereintrag als solchem abhängt, sondern auch davon, dass dieser Eintrag innerhalb einer bestimmten Frist erfolgt. Sinn ergibt der etwas zu pauschal geratene Verweis allerdings nur in Bezug auf Abs. 2 Satz 1. Danach sind die vorgenannten Maßnahmen trotz Fristversäumung wirksam, wenn nach der verspäteten Eintragung drei Jahre verstrichen sind.115 Die übrigen Voraussetzungen und Elemente des Abs. 2 gelten nicht; insbesondere eine Genehmigung durch einzelne Aktionäre (Abs. 2 Satz 4) ist im Rahmen des Abs. 3 ohne Belang.116

115 So auch das Verständnis von Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 242 Rn. 27; Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 242 Rn. 6; Hüffer, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2011), § 242 Rn. 27; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 1 Rn. 294. 116 Gegen die Geltung des § 242 Abs. 2 Satz 4 AktG im Rahmen des Abs. 3 auch Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 242 Rn. 27 a.E.; Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 242 Rn. 27.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

Für die SE gelten die vorgenannten Heilungsmöglichkeiten nach § 242 AktG, Art. 53 SE-VO grundsätzlich entsprechend.117 Nicht abschließend geklärt ist allerdings, ob eine Heilung auch dann in Betracht kommt, wenn die Nichtigkeit auf einem Verstoß gegen die SE-Verordnung beruht. In diesem Fall, so wird vertreten,118 sei keine Heilung nach § 242 Abs. 2 AktG möglich. Denn der Effet-Utile-Grundsatz gebiete es, dass solche Mängel ohne zeitliche Begrenzung auch noch nach Eintragung ins Handelsregister geltend gemacht werden könnten. Die Herstellung des gemeinschaftsrechtlich gebotenen Zustands dürfe nicht durch nationales Recht praktisch unmöglich gemacht werden. Zutreffend ist an der Argumentation, dass der mitgliedstaatliche Gesetzgeber außerhalb spezifischer Ermächtigungen nicht über Geltung und Nichtgeltung unmittelbar anwendbarer Verordnungsbestimmungen disponieren darf. Diese Selbstverständlichkeit lässt sich am Effet-Utile-Grundsatz festmachen – also dem an die Mitgliedstaaten gerichteten und in Art. 4 Abs. 3 AEUV verankerten Gebot, die praktische Wirksamkeit von Gemeinschaftsrecht zu gewährleisten. Nicht aus Art. 4 Abs. 3 AEUV ableiten lässt sich hingegen eine Pflicht der Mitgliedstaaten, die maximale Wirksamkeit von Gemeinschaftsrecht zu gewährleisten. Es gilt stattdessen das Diskriminierungs- und Effizienzgebot: „[I]m nationalen Rect vorgesehene Modalitäten [dürfen] nicht darauf hinauslaufen, dass die Verwirklichung der Gemeinschaftsregelung praktisch unmöglich wird, und das nationale Recht [ist] im Vergleich zu Verfahren, in denen über gleichartige, rein nationale Streitigkeiten entschieden wird, ohne Diskriminierung anzuwenden:“119 Beidem ist mit der grundsätzlich undifferenzierten Einbettung von Verordnungsverstößen in das deutsche Beschlussmängelrecht genüge getan; eine Hochstufung von Verstößen gegen europäisches Recht in Form einer unheilbaren Beschlussnichtigkeit ist nicht erforderlich. Wollte man aus dem Effet-Utile-Grundsatz tatsächlich eine einschränkende Auslegung des § 242 AktG herauslesen, so dürfte man denn auch die Anfechtungsfrist aus § 246 Abs. 1 AktG, die Sonderfristen aus § 14 Abs. 1, § 122a Abs. 2, § 195 Abs. 1 UmwG und generell sämtliche Beschränkungen des Anfechtungsrechts auf Verordnungsverstöße nicht anwenden. Das wird bezeichnenderweise und zu Recht von keiner Seite vertreten. Für nichtige SE-Hauptversammlungsbeschlüsse bestehen daher dieselben Heilungschancen nach § 242 AktG wie für Hauptver117 Im Ergebnis ebenso (auf Basis von Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO): Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 57 SE-VO Rn. 34; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 57, 58 SE-VO Rn. 7; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 45 f.; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 100; Casper, in: FS Ulmer (2003), S. 51, 69 f.; Göz, ZGR 2008, 593, 617 f.; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 703; einschränkend dagegen Schwarz, SE-VO (2006), Art. 6 Rn. 118, Art. 59 Rn. 26 a.E. 118 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 6 Rn. 118, Art. 59 Rn. 26 a.E. 119 So die grundlegende, im Zusammenhang mit der Rückforderung gemeinschaftswidriger Beihilfen nach deutschem Verwaltungsverfahrensrecht entwickelte Formel aus EuGH, NJW 1984, 2024, 2025 („Deutsches Milchkontor“), sowie aus jüngerer Zeit EuGH, EuZW 2007, 438, 440.

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sammlungsbeschlüsse in der deutschen AG. Eine Differenzierung zwischen Verstößen gegen deutsches und europäisches Recht ist nicht angezeigt.120 b) Besondere Heilungsmöglichkeiten für Umwandlungsbeschlüsse, §§ 20 Abs. 1 Nr. 4, 131 Abs. 1 Nr. 4, 202 Abs. 1 Nr. 3 UmwG „Der Mangel der notariellen Beurkundung“ des Beschlusses und „gegebenenfalls erforderlicher Zustimmungs- oder Verzichtserklärungen einzelner Anteilsinhaber“ wird allein durch die Eintragung der beschlossenen Maßnahme geheilt, wenn die Beschlussfassung eine Verschmelzung (§ 20 Abs. 1 Nr. 4 UmwG), eine grenzüberschreitende Verschmelzung (§ 122a Abs. 2 UmwG), eine Spaltung (§ 131 Abs. 1 Nr. 4 UmwG) oder einen Formwechsel (§ 202 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) betrifft. Dies alles gilt auch für eine SE, die an einer der genannten Umwandlungsmaßnahmen teilnimmt. Darüber hinaus gilt § 20 Abs. 1 Nr. 4 UmwG auch für SE-Hauptversammlungsbeschlüsse, die der Gründung einer neuen SE durch Verschmelzung (Art. 18 SE-VO) oder durch Holding-Gründung (Art. 18, Art. 37 Abs. 7 Satz 2 SE-VO analog121) 5. Anfechtungsgründe a) Verletzung des Gesetzes oder der Satzung, § 243 Abs. 1 AktG Ein Hauptversammlungsbeschluss ist gemäß § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar, wenn er gegen das Gesetz oder die Satzung verstößt. Das gilt auch für den SE-Hauptversammlungsbeschluss. Der Gesetzesbegriff greift hier jedoch weiter aus: Neben Verstößen gegen deutsche Gesetze fallen auch Verordnungsverstöße unter § 243 Abs. 1 Alt. 1 AktG.122 Auch an dieser Stelle ist es freilich nicht angezeigt, Verordnungsverstöße strenger zu ahnden als Verstöße gegen deutsches Recht – etwa durch eine generelle Hochstufung zum Nichtigkeitsgrund oder durch Verzicht auf bestimmte Anfechtungsbeschränkungen und -befristungen.123

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Zutreffend Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 57 SE-VO Rn. 34; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 46. 121 Zur analogen Anwendung deutschen Verschmelzungsrechts im Rahmen der HoldingSE-Gründung siehe bereits oben Abschnitt „Einzelne Kapitalmehrheitserfordernisse nach deutschem Recht“, S. 100, mit den Nachweisen unter Fn. 188. 122 Z. B. Zustimmung zu einer Sitzverlegung unter Missachtung der Einsichtnahmefrist aus Art. 8 Abs. 4 SE-VO; siehe oben Abschnitt „Gläubigerschutz (Var. 2), insbesondere Sitzverlegungsbeschluss“, S. 133. 123 Hierzu bereits oben Abschnitt „Heilung der Nichtigkeit, § 242 AktG“, S. 140.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

b) Sonderfall: Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses wegen Inhaltsfehler Auch in der SE ist es Aufgabe der Hauptversammlung, gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 3, § 120 Abs. 1 – 3 AktG über die Entlastung des Leitungs- und Aufsichtsorgans bzw. des Verwaltungsorgans zu beschließen.124 Dieser Beschluss nimmt im Rahmen des Beschlussmängelrechts eine Sonderposition ein. Denn weder knüpft das Aktiengesetz ein positives oder negatives Votum an bestimmte Voraussetzungen, noch schließen sich an die Beschlussfassung – wie auch immer sie ausfällt – bestimmte Rechtsfolgen. Bei unbefangener Lektüre des Gesetzestextes liegt daher der Gedanke nahe, in der Entlastung eine reine Ermessensentscheidung der Hauptversammlung zu erkennen und eine Anfechtung des Entlastungsbeschlusses allenfalls auf Basis von Verfahrensfehlern zuzulassen. Zu diesem Ergebnis gelangen auch ein Teil der aktiengesetzlichen Literatur125 und wenige ältere instanzgerichtliche Entscheidungen.126 Nach mittlerweile wohl ständiger Rechtsprechung127 und überwiegender Auffassung im Schrifttum128 kommt eine Anfechtbarkeit eines positiven Entlastungsbeschlusses allerdings auch auf Basis inhaltlicher Kriterien in Betracht. Soweit Gegenstand der Entlastung ein Verhalten sei, das eindeutig einen schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstelle, verstoße der Entlastungsbeschluss gegen das Gesetz und sei damit anfechtbar. Denn in der Entlastung liege die Erklärung der Hauptversammlung, das Verwaltungshandeln als im Großen und Ganzen gesetzesund satzungsmäßig zu billigen. Ließe man den positiven Entlastungsbeschluss passieren, so könne „eine zur Billigung rechtsbrechenden Verhaltens entschlossene Mehrheit gegen den Widerstand einer gesetzes- und satzungstreuen Minderheit eine Entlastung der Verwaltung jederzeit durchsetzen. Das widerspr[eche] nicht nur der Regelung des § 243 Abs. 1 AktG, sondern [sei] auch mit dem Gesichtspunkt der Treupflicht der Mehrheit gegenüber der Minderheit nicht vereinbar.“129

124 Siehe unten Abschnitte „Entlastung“, S. 249, „Entlastung“, S. 292, und „Entlastung“, S. 324. Kein Entlastungsbeschluss ergeht dagegen in Bezug auf die geschäftsführenden Direktoren (siehe unten Abschnitt „Entlastung?“, S. 341). 125 Mülbert, in: GK-AktG, 4. Aufl. (1999), § 120 Rn. 76; Kubis, NZG 2005, 791,793 – 796; ders., in: MüKo-AktG, 2. Aufl. (2004), § 120 Rn. 15 (die Frage offen lassend nunmehr ders., a.a.O., in der 3. Aufl.); Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 120 Rn. 18. 126 OLG Düsseldorf, AG 1996, 273, 274; OLG München, NZG 2002, 187. 127 Grundlegend BGH NJW 2003, 1032, 1033 („Macrotron“); ebenso später BGH, NJW 2012, 3235, 3235 („Fresenius“); OLG Frankfurt am Main, WM 2011, 221, 234 f. 128 Hoffmann, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 120 Rn. 27; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014) § 120 Rn. 12; Reger, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 120 Rn. 5; Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 120 Rn. 33; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. I. Rn. 47; Volhard, in: Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 16 Rn. 4; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 1 Rn. 414. 129 BGH NJW 2003, 1032, 1033.

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Gegen eine Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses spricht freilich die Tatsache, dass das Aktiengesetz für die Aufdeckung, Behandlung und Ahndung fehlerhaften Verwaltungshandelns bereits eine breite Palette von Maßnahmen bereit hält. Angefangen bei der Sonderuntersuchung, über die Bestellung eines besonderen Vertreters oder eine Aktionärsklage, bis hin zum Abschluss eines Vergleichs zwischen Gesellschaft und (ehemaligem) Organmitglied ergibt sich ein nahezu geschlossenes System, das in gesetzlich dosiertem Maße dem Einfluss von Hauptversammlung und Aktionären unterliegt. Eine Möglichkeit für einzelne Aktionäre, Pflichtwidrigkeiten der Verwaltung per Anfechtungsklage nachzugehen, findet sich darin nicht. Und ebenso wenig lassen sich die vorstehend zitierten Grundsätze stimmig darin einzufügen: Ergebnis ist allenfalls, dass in anderem Zusammenhang (z. B. einer Schadensersatzklage wegen Pflichtverletzung eines Verwaltungsmitglieds) geschlagene Schlachten im Zusammenhang mit der Anfechtungsklage gegen die Entlastung erneut vor Gericht ausgetragen werden (z. B.: War die Pflichtverletzung erheblich und offensichtlich?), ohne dass sich ein Erkenntnisgewinn ergäbe oder ein rechtswidriger Zustand beseitigt würde.130 Hinzu kommt, dass die Voraussetzungen, die die herrschende Ansicht für die nachträgliche Aufhebung des Entlastungsbeschlusses ausreichen lässt, in Konflikt mit den gesetzlichen Voraussetzungen geraten, die das Aktiengesetz an die Wählbarkeit eines Vorstands- bzw. Leitungsorganmitglieds stellt (§ 76 Abs. 3 AktG, Art. 47 Abs. 2 SE-VO). Behält man im Auge, dass ein positiver Entlastungsbeschluss ein in die Zukunft gerichtetes Vertrauensvotum der Hauptversammlung beinhaltet, so liegt an sich der Schluss nahe, dass ein Organwalter, der in das bereits versehene Amt wiedergewählt werden kann, erst Recht entlastet werden kann – denn ein deutlicheres Vertrauens- und Zufriedenheitszeugnis als die Wiederwahl ist schwer vorstellbar. Tatsächlich aber sind die richterrechtlich entwickelten Voraussetzungen für die Entlastungsanfechtung und die gesetzlichen Anforderungen an die (Wieder-) Wählbarkeit nicht ansatzweise aufeinander abgestimmt. So beziehen sich die auf vergangenes Verhalten bezogenen Ausschlussgründe aus § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 AktG nur auf wenige Straftaten und Berufsverboten, während die Entlastung bereits aus wesentlich geringfügigeren Gründen – beispielsweise wegen einer fehlerhaften Compliance-Erklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK)131 – angefochten werden kann. Es ist daher möglich, dass dasselbe Leitungsorganmitglied zunächst von der Hauptversammlung anfechtbar entlastet wird und kurz darauf vom Aufsichtsorgan unanfechtbar im Amt bestätigt wird. Die nachträgliche Aufhebung der Entlastung bewirkt hier nichts anderes, als dass der Hauptversammlung durch Gesellschaftsexterne eine dem Aufsichtsorgan widersprechende Entscheidung aufgenötigt wird. Warum in dieser Situation nur die Ak130 In dieselbe Richtung Kubis, NZG 2005, 791, 795 f.; a.A. K. Schmidt, NZG 2003, 601, 605, der im Nebeneinander von Schadensersatzklage nach § 147 AktG und Anfechtung des Entlastungsbeschlusses wegen Pflichtwidrigkeiten „ein gestuftes Rechtsschutzsystem“ erkennen will. 131 BGH, WM 2009, 459, 462 – 464.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

tionärsmehrheit, nicht aber das Aufsichtsorgan gegen eine Treuepflicht verstoßen soll, bleibt das Geheimnis der Vertreter der herrschenden Meinung. Offen lässt die herrschende Ansicht auch die Frage, wem mit einer gerichtlichen Aufhebung des Entlastungsbeschlusses tatsächlich geholfen ist. Wird der klagenden Aktionärsminderheit mit dem stattgebenden Anfechtungsurteil wirklich eine unzumutbare Last abgenommen? Und wiegt diese immaterielle Last ggf. schwerer als die wirtschaftliche Belastung aus den Prozesskosten, die immerhin aus den Taschen der Aktionärsgesamtheit beglichen werden? Wer beide Fragen bejaht, der wird sich auch mit der Frage befassen müssen, ob ein Geschäftsleiter, dem ungerechtfertigterweise (z. B. wegen letztlich unbegründeter Pflichtverletzungsvorwürfe) die Entlastung verweigert wurde, nicht ebenso ein Weg zu eröffnen ist, die Entlastungsverweigerung auf gerichtlichem Weg ungeschehen zu machen. Denn dass ein negatives Entlastungsvotum für den betroffenen Geschäftsleiter in aller Regel eine höhere Last darstellt, als ein positives Entlastungsvotum für die überstimmten Aktionäre, dürfte außer Zweifel stehen. Nach mittlerweile wohl ganz herrschender Ansicht132 jedoch führt selbst eine willkürliche, auf evident unbegründeten Vorwürfen beruhende Entlastungsverweigerung als solche nicht zu einer justiziablen Rechtsverkürzung auf Seiten des betroffenen Verwaltungsmitglieds. Denn „[s]oweit es um Vertrauen geht, versteht es sich von selbst, dass es nicht erzwungen werden kann.“133 Das ist natürlich richtig. Genauso richtig ist es aber auch, dass ein positives Entlastungsvotum für einen Gesetzesbrecher keinen Aufhebungsanspruch auf Seiten der überstimmten Aktionäre entstehen lässt. Oder, in den Worten der vorstehend zitierten Entscheidung: Wo Vertrauen ausgesprochen wird, versteht es sich von selbst, dass Misstrauen nicht erzwungen werden kann. Letztlich suggeriert die Ansicht, der Entlastungsbeschluss der Hauptversammlung sei nach inhaltlich-materiellen Kriterien justiziabel, nichts anderes als eine Justiziabilität von unternehmerischem Führungserfolg und eine Justiziabilität der Richtigkeit des Vertrauen in die Fortdauer dieses Erfolges. Tatsächlich aber ist dieser Bereich in derselben Weise dem juristischen Urteil entzogen wie die Bewertung von unternehmerischen Entscheidungen (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). Genauso wie es der Verwaltung nicht absolut untersagt ist, einem unteren Angestellten, der sich eine erhebliche Pflichtwidrigkeit zu schulden kommen lässt, aufgrund anderweitiger Verdienste weiter zu vertrauen, darf es den Aktionären nicht absolut untersagt sein, 132

Siehe nur: BGH, NJW 1986, 129, 130 (eine GmbH betreffend, jedoch ausdrücklich mit Geltung auch für die AG); Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 120 Rn. 32 f.; Hoffmann, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 120 Rn. 35 f.; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 120 Rn. 39 f.; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. I. Rn. 46; Semler, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 3. Aufl. (2007), § 34 Rn. 31 (im Anschluss Bungert, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 4. Aufl. (2015), § 35 Rn. 38; Volhard, in: Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 16 Rn. 20 mit dortiger Fn. 39; a.A. noch Mülbert, in: GK-AktG, 4. Aufl. (1999), § 119 Rn. 49 (für den Fall, dass es „bei der Entlastungsentscheidung allein um die Billigung der Geschäftsführung für die vergangene Entlastungsperiode geht, nicht aber ihre zukunftsbezogene Vertrauenskomponente in Frage steht“). 133 BGH, NJW 1986, 129, 130.

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einer Unternehmensführung ihr Vertrauen auszusprechen, deren Mitglieder sich im abgelaufenen Geschäftsjahr rechtswidrig verhalten haben. Mit der Differenzierung zwischen schwerwiegenden und nicht schwerwiegenden Pflichtwidrigkeiten maßt sich die Rechtsprechung zudem ein externes Urteil darüber an, unter welchen Umständen das persönliche Vertrauen der Aktionärsmehrheit zu ihrem Verwaltungspersonal erschüttert ist. Ein sinnvolles juristisches Urteil hierüber ist aber ebenso unmöglich wie ein Urteil des Familiengerichts über die Frage, ob das Maß der Erschütterung einer Ehe die Scheidung rechtfertigt. Genauso wie es einem Ehepartner unbenommen ist, einem ehebrechenden Partner weiter zu vertrauen, muss es einer Aktionärsmehrheit ohne gerichtliche Einmischung möglich sein, einer Unternehmensführung ihr Vertrauen auszusprechen, der erhebliche Pflichtwidrigkeiten zur Last fallen. Vor dem Hintergrund des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ist die Stimmabgabe beim Entlastungsbeschluss gleichsam als unternehmerische Entscheidung des kleinen Mannes einzuordnen; sie verdient denselben Respekt und dieselbe richterliche Zurückhaltung wie unternehmerische Entscheidungen der Verwaltung. Richtigerweise ist der Entlastungsbeschluss der Hauptversammlung daher – in AG und SE – nicht auf Basis inhaltlicher Kriterien anfechtbar. Als mögliche Anfechtungsgründe verbleiben nur Verfahrensfehler. 6. Ausschluss der Anfechtbarkeit trotz Gesetzesoder Satzungsverletzung a) Gesetzliche Ausschlüsse aa) Technische Störung bei Rechtewahrnehmung auf elektronischem Wege, § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG (1) Allgemeines Gemäß § 243 Abs. 3 Nr. 1 Hs. 1 AktG kann die Anfechtung nicht gestützt werden auf eine durch eine technische Störung verursachte Verletzung von Rechten, die nach § 118 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und § 134 Abs. 3 AktG auf elektronischem Wege wahrgenommen worden sind, es sei denn, der Gesellschaft ist grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorzuwerfen. Der Verschuldensmaßstab kann in der Satzung gemäß § 243 Abs. 3 Nr. 1 Hs. 2 AktG verschärft werden, etwa auf einfache Fahrlässigkeit. Die Formulierung der Verschuldensanknüpfung („es sei denn“) stellt klar, dass die Beweislast bei den Anfechtungsklägern liegt. Beide Regelungen sind ohne weiteres auf die SE übertragbar, und zwar § 243 Abs. 3 Nr. 1 Hs. 1 AktG über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO und der Satzungsspielraum aus § 243 Abs. 3 Nr. 1 Hs. 2 AktG über Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

(2) Europarechtswidrigkeit des Anfechtungsausschlusses? Eingeführt wurde die Regelung im Zuge des ARUG 2009, das auf Basis der Art. 8, 12 Aktionärsrechte-RL die Möglichkeit einer Stimmabgabe per Briefwahl (§ 118 Abs. 2 AktG) und einer elektronischen Ausübung von Aktionärsrechten in der Haupversammlung (§ 118 Abs. 1 Satz 2 AktG) einführte. Mit dem erstmals im ARUG RegE vorgesehenen Anfechtungsausschluss reagierte der Gesetzgeber auf Befürchtungen unter anderem von Beraterseite, die im RefE skizzierten neuen Möglichkeiten elektronischer Kommunikation und ihre dünne gesetzliche Regulierung könnten erhebliche Rechtsunsicherheiten mit sich bringen und die Gesellschaft insbesondere gegenüber Berufsklägern verwundbar machen.134 Anders als die neuen Wege der Rechtsausübung ist der Anfechtungsausschluss nicht in der Richtlinie angelegt, sondern – im Gegenteil – an den dort formulierten Voraussetzungen für Rechtseinschränkungen zu messen. Dazu gehören Art. 4 und Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie. Gemäß Art. 4 Aktionärsrechte-RL muss die Gesellschaft für alle Aktionäre, die sich bei der Teilnahme an der Hauptversammlung und der Ausübung der Stimmrechte in der Hauptversammlung in der gleichen Lage befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen. Aktiengesetzliches (und umfassenderes) Gegenstück hierzu ist § 53a AktG, der das in Art. 42 der Kapital-RL verankerte Gleichbehandlungsgebot überschießend umsetzt und damit auch den Anwendungsbereich der Aktionärsrechte-RL mit abdeckt.135 Adressatin des Gleichbehandlungsgebots ist die Gesellschaft.136 Speziell in Bezug auf elektronische Mittel der Hauptversammlungsteilnahme bestimmt Art. 8 Abs. 2 Aktionärsrechte-RL, dass „ihr Einsatz nur solchen Anforderungen oder Beschränkungen unterworfen werden darf, die zur Feststellung der Identität der Aktionäre und zur Gewährleistung der Sicherheit der elektronischen Kommunikation erforderlich sind, und dies nur in dem Maße, wie sie diesen Zwecken angemessen sind.“ Hat der deutsche Gesetzgeber gegen seine Richtlinien-Umsetzungspflicht verstoßen, indem er den Gesellschaften in § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG einen Weg eröffnete, einer Sanktion für elektronisch zustande gekommene Aktionärsrechtsverletzungen zu entgehen?137 Oder ist § 243 Abs. 3 Nr. 1 Hs. 2 AktG möglicherweise richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass die Gesellschaft verpflichtet ist, vom Satzungsfreiraum nach § 243 Abs. 3 Nr. 1 Hs. 2 AktG Gebrauch zu machen, um elektronische und physisch präsente Teilnehmer nicht ungleich zu behandeln? 134

Vgl. DAI-Stellungnahme zum ARUG RefE, S. 16; Drinhausen/Keinath, BB 2008, 1238, 1240; Drinhausen/Keinath, BB 2009, 64, 67. 135 Ochmann, Aktionärsrechte-RL (2009), S. 30 f.; vgl. auch Habersack/Verse, Europ GesR, 4. Aufl. (2011), § 7 Rn. 5 f. 136 Für § 53a AktG siehe nur Westermann, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 53a Rn. 3, mit weiteren Nachweisen. 137 So Hellgardt/Hoger, ZGR 2011, 38, 78 f. mit Fn. 221, die in § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG einen Verstoß gegen Art. 4 Aktionärsrechte-RL erkennen; a.A. Habersack/Verse, Europ GesR, 4. Aufl. (2011), § 7 Rn. 20.

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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Die naheliegendste Antwort lautet wohl, dass die elektronische Form der Rechtsausübung einen in der physischen Versammlung nicht vorhandenen Unsicherheitsfaktor beinhaltet, der als sachlicher Grund eine Differenzierung – und damit eine Schlechterstellung der elektronisch abstimmenden Aktionäre – rechtfertigt. Dem wird man freilich entgegnen können, dass auch das Gelingen rein physischer Hauptversammlungen mittlerweile in derart hohem Maße von elektronischen Kommunikationsmitteln abhängig sind (z. B. Backoffice-Kommunikation, elektronische Abstimmgeräte, automatisierte Verarbeitung von papierenen Stimmkarten), dass die Einbindung einer Rechteausübung nach § 118 Abs. 1 Satz 2, § 118 Abs. 2 oder § 134 Abs. 3 AktG kaum zuätzlich ins Gewicht fällt. Auch ist es nach dem aktiengesetzlichen Konzept der elektronischen Teilnahme und Briefwahl nicht ausgemacht, dass die Gesellschaft ein geringeres Maß an Einfluss auf die Kommunikationsmittel hat als bei der physischen Stimmenübermittlung. So fiele ein Aktionär, der ein von der Gesellschaft ausgegebenes elektronisches Abstimmgerät im Präsenzbereich bedient, nicht unter § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG, während ein Aktionär, der dasselbe Abstimmungsgerät außerhalb des Präsenzbereichs bedient, von § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG massiv in seinen Rechten beschnitten würde. Diese Ungleichbehandlung – und vor allem das Maß der Ungleichbehandlung – will nicht recht einleuchten. Insgesamt wird die gesetzgeberische Einschätzung, nach der eine elektronische Rechteausübung ihrer Natur nach mit mehr Unsicherheiten behaftet ist als die bewährte physische Rechteausübung aber wohl nicht derart klar von der Hand zu weisen sein, dass sich eine Verletzung der Gleichbehandlungspflicht ergäbe – unabhängig davon, ob man diese dem deutschen Gesetzgeber, dem Satzungsgeber im Einzelfall oder beiden aufgibt. Die Differenzierung steht vielmehr in einer Reihe mit ähnlichen Regelungsmodellen im deutschen Recht, die die elektronische Form einer Rechtsausübung als grundsätzlich, aber nicht vollkommen gleichwertig mit der jeweils bewährten Form akzeptieren. Zu den bekanntesten gehören § 126 Abs. 3 BGB (Gleichwertigkeit der elektronischen Form mit der Schriftform, soweit „sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt“, also z. B. nicht bei der Erteilung eines Zeugnisses nach § 630 Satz 3 BGB oder der Erklärung einer Bürgschaft nach § 766 Satz 2 BGB) und § 3a VwVfG (Übermittlung elektronischer Dokumente im Verwaltungsverfahren nur, soweit der Empfänger einen Zugang dafür eröffnet). Hier wie dort ist der Abbau von Unterschieden zwischen elektronischer und bewährter Form in erster Linie eine Aufgabe der Rechtspolitik. (3) Kritik Aus rechtspolitischer Sicht ergeben sich gute Gründe, die Fassung des neuen § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG noch einmal gründlich zu überarbeiten. Vor allem der überzogene Anwendungsbereich der Vorschrift sollte sinnvoll reduziert werden. Denn während der Gesetzgeber wohl in erster Linie Störungen im Blick hatte, die nur einzelne Aktionäre betreffen und denen im Rahmen der gesamten Beschlussfassung entsprechend geringe Bedeutung zukommt, erfasst der Wortlaut auch massivste

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

Störungen, die in ihrer Qualität Nichtigkeitsgründen nahe kommen und die bei Nichtbeachtung grobe Verzerrungen des Stimmergebnisses zur Folge hätten, wie etwa eine versehentliche Nicht- oder Mehrfachwertung der elektronisch übermittelten Stimmen, eine versehentliche Einbeziehung von Nichtaktionären oder eine von dritter Seite gezielt provozierte technische Störung. Überdies werden Störungen bei der Internet-Bevollmächtigung eines Stimmrechtsvertreters erfasst (§ 134 Abs. 3 AktG), obwohl nichts darauf hindeutet, dass der Vorgang bislang außergewöhnlich anfällig für technische Probleme oder missbräuchliche Anfechtungsklagen gewesen ist.138 Die Regelung legt insgesamt Zeugnis über einen Gesetzgebungsprozess ab, der von Rechtsberatern und -politikern intensiver begleitet wurde als von IT-Sachverständigen. Sie atmet den Geist einer Berufsgruppe, der es immer noch schwer fällt, computer- und internetbasierte Vorgänge nachzuvollziehen, und die im Bereich der Kommunikationssicherheit über keine nennenswerte Qualifikation verfügt. Anders ist es nicht zu erklären, dass der Gesetzgeber in § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG Gesellschaften Verständnis entgegen bringt, die mit einfacher Fahrlässigkeit die Rechte ihrer Aktionäre verletzen, wenn die Rechtsverletzung nur auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation stattfand. Grotesk ist die in Gesetz gegossene These, deutschen Großunternehmen sei es nicht zumutbar, die Störungsfreiheit ihrer elektronischen Hauptversammlungskommunikation nach verkehrsüblichen Sorgfaltsmaßstäben zu verantworten. Die laienhafte und wohl eher im Privatanwenderbereich existierende Vorstellung, dass es in Computer- und Internetdingen auch bei sorgfältigen Menschen manchmal einfach nicht mit rechten Dingen zugehe und es daher ein legitimes gesetzgeberisches Ziel sei, pauschal „die Anfechtbarkeit wegen technischer Störungen zu vermeiden“139, steht in krassem Gegensatz zur Professionalität und Sicherheit, mit der elektronische Kommunikation in deutschen Großunternehmen gegenwärtig betrieben wird. Als irreführend erweist sich auch die Erwägung, das Haftungsprivileg setze einen wünschenswerten Anreiz zum Einstieg in die elektronische Hauptversammlungskommunikation und verhindere, „dass aus lauter Angst vor Anfechtungsklagen und Komplikationen von den neuen Möglichkeiten nicht Gebrauch gemacht wird.“140 Denn zum einen exististiert kein Gegensatz zwischen einem rechtspolitischen Wunsch nach der verstärkten elektronischen Ausübung von Aktionärsrechten und einer individual-unternehmerischen Abneigung dagegen, der durch einen legislativen Anreiz zu überwinden wäre. Und zum anderen sinkt umgekehrt proportional zum genannten Anreiz die Attraktivität der elektronischen

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Vgl. Noack, NZG 2008, 441, 444. So der RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 40; in dieselbe Richtung der zuständige Abteilungsleiter im Justizministerium Seibert, in: Seibert/Florstedt, ZIP 2008, 2145, 2146. 140 So der zuständige Abteilungsleiter im Justizministerium Seibert, in: Seibert/Florstedt, ZIP 2008, 2145, 2146; ebenso Drinhausen/Keinath, BB 2009, 64, 68, 71. 139

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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Kommunikationsformen aus Aktionärssicht.141 Die Hoffnung des Gesetzgebers, dass einzelne Gesellschaften bzw. deren Mehrheitsaktionäre das Geschenk zurückgeben und eine Satzungsregelung nach § 243 Abs. 3 Nr. 1 Hs. 2 AktG aufnehmen – also die Verantwortlichkeit der Gesellschaft und die Anfechtungsmöglichkeit der Einzelaktionäre per Satzungsregelung wieder auf Normalmaß setzen –, hat sich sogar in der Technologiebranche nicht erfüllt. Die damit allgegenwärtige gesetzliche Regelung schießt vor allem im Ergebnis über ihr Ziel hinaus. Denn das Zusammenwirken der Beweislastumkehr zugunsten der veranstaltenden Gesellschaft und der Beschränkung auf eine Verantwortlichkeit der Gesellschaft für grobe Fahrlässigkeit macht es dem elektronisch teilnehmenden Aktionär faktisch unmöglich, gegen elektronische Kommunikationsmängel mit dem scharfen Schwert der Anfechtungsklage vorzugehen.142 Entsprechend senkt der Gesetzgeber ohne Not den Anreiz für die Gesellschaft, mit ihren Aktionären ebenso sorgfältig zu kommunizieren wie mit allen anderen Dritten, zu denen sie potenziell haftungsrelevante Rechts- und Kommunikationsbeziehungen unterhält. De lege ferenda ist das Haftungsprivileg daher ersatzlos zu streichen. Die Aufgabe, Verantwortungsbereiche zu definieren, sorgfältiges von sorglosem Verhalten abzugrenzen und sachgerechte Beweis- und Vermutungsgrundsätze aufzustellen, sollte in gerichtlicher Hand liegen.143 Für den Technologiestandort Deutschland ist die gegenwärtige Regelung schlicht peinlich. bb) Fehlerhafte Internetpublizität bzw. fehlerhafte Informationsweitergabe durch Kreditinstitute, § 243 Abs. 3 Nr. 2 AktG Auf eine längere Historie blickt der Anfechtungsausschluss aus § 243 Abs. 3 Nr. 2 AktG zurück. Var. 1 nimmt Bezug auf § 121 Abs. 4a AktG, wonach börsennotierte Gesellschaften, die Inhaberaktien ausgegeben haben und ihre Aktionäre nicht einzeln zur Hauptversammlung einladen, die Einberufung spätestens am Tag der Bekanntmachung europaweit verbreiteten Medien zur Veröffentlichung zuzuleiten 141

Dies einräumend auch Seibert/Florstedt, ZIP 2008, 2145, 2146 Fn. 10. Schaaf/Slowinski, ZIP 2011, 2444, 2449 („schwer darstellbar“). 143 So auch der Bericht der Regierungskommission Corporate Governance in Bezug auf die bereits damals vorgeschlagene Online-Hauptversammlungsteilnahme: Auf der Grundlage der technischen Standards aus dem Publikationsjahr 2001 (zur Erinnerung: Viele Gesellschaften hatten gerade zum ersten Mal eine Internetseite eingerichtet, Festnetz-Telefonanschlüsse waren noch verbreiteter als E-Mailadressen, Internetverbindungen kamen über piepsende, an die analoge Telefonleitung angeschlossene Modems zustande und Begriffe wie „Voice-over-IP“ oder „Video-Livestreaming“ waren noch nicht erfunden) resümierte die Regierungskommission in Rn. 117 knapp: „Besondere Anfechtungsrisiken aufgrund technischer Störungen der Kommunikation sind nicht gegeben. Die Verteilung des Risikos bei technischen Störungen richten sich nach allgemeinen Grundsätzen. Störungen technischer Kommunikationsmittel durch Dritte, die von der Gesellschaft nicht – namentlich wegen Unterlassens der Einrichtung geeigneter Sicherheitsvorkehrungen – zu vertreten sind, begründen demgemäß nicht die Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen. Regulierungsbedarf besteht insoweit nicht.“ 142

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

haben. Verstöße hiergegen werden bereits gemäß § 405 Abs. 3a Nr. 1 AktG als Ordnungswidrigkeit sanktioniert; auf eine zweite Ahndung im Rahmen des Beschlussmängelrechts verzichtet der Gesetzgeber. Ähnliches gilt für § 243 Abs. 3 Nr. 2 Var. 2 AktG, der auf die Pflicht der Gesellschaft aus § 124a AktG, auf ihrer Internetseite bestimmte Kerninformationen zu einer bevorstehenden Hauptversammlung bereit zu halten; auch hier werden Verstöße bereits als Ordnungswidrigkeit erfasst (§ 405 Abs. 3a Nr. 2 AktG). § 243 Abs. 3 Nr. 2 Var. 3 AktG schließlich nimmt Bezug auf § 128 AktG, der die Pflichten depotführender Kreditinstitute bei der Weiterleitung einer Hauptversammlungseinberufung betrifft. Da die Institute nicht dem Einfluss der Gesellschaft unterliegen, dem Einfluss des jeweiligen Aktionärs aber um so mehr, ist es gerechtfertigt, Aktionären zu untersagen, eine Anfechtungsklage mit dem Argument zu begründen, das von ihnen selbst ausgewählte Kreditinstitut habe einen Fehler gemacht habe. cc) Eingeschränktes Anfechtungsrecht bei fehlerhaft erteilter Information, § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG Gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG kann eine Anfechtungsklage nur dann wegen unrichtiger, unvollständiger oder verweigerter Erteilung von Informationen angefochten werden, „wenn ein objektiv urteilender Aktionär die Erteilung der Information als wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte angesehen hätte.“ Hauptanwendungsfall ist die Anfechtungsklage wegen verweigerter oder mangelhaft erteilter Auskünfte nach § 131 AktG. Danach hat jeder Aktionär das Recht, die Verwaltung in der Hauptversammlung über die Angelegenheiten der Gesellschaft im Zusammenhang mit dem jeweils behandelten Tagesordnungspunkt zu befragen. Verweigert werden darf die Auskunft nur, soweit einer der in § 131 Abs. 3 Satz 1 AktG abschließend aufgeführten Verweigerungsgründe einschlägig ist.144 § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG greift die früheren Rechtsprechungsgrundsätze zur sogenannten Relevanztheorie auf.145 Danach kommt es für die Anfechtbarkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses wegen fehlerhaft erteilter Auskünfte nicht darauf an, ob der Fehler für das Beschlussergebnis ursächlich war; entscheidend sei vielmehr, ob die Gesellschaft beweisen kann, dass der Fehler „bei einer wertenden Betrachtung schlechthin nicht relevant geworden sein kann.“146 Vorgebeugt wird damit insbesondere dem möglichen Einwand einer beklagten Gesellschaft, der vom Anfechtungskläger gerügte Fehler bei der Auskunftserteilung sei nicht kausal für die 144 Ausführlich hierzu unten Abschnitt „Auskunftsverweigerung und drohende Nachteile“, S. 460. 145 RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 53. 146 BGH, NZG 2005, 69, 71, im Anschluss an BGH, NJW 2002, 1128, 1129.

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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angefochtene Beschlussfassung gewesen, weil der (an der Auskunft uninteressierte) Mehrheitsaktionär auch bei korrekter Auskunft nicht anders abgestimmt hätte. dd) Verletzung kapitalmarktrechtlicher Informationspflichten, § 30g, § 39 WpHG Gesetzlich ausgeschlossen sind gemäß § 30g WpHG schließlich Anfechtungsklagen, die sich auf eine Verletzung der kapitalmarktrechtlichen Informations- und Publizitätspflichten aus §§ 30a – 30f WpHG stützen. Sanktioniert werden solche Verstöße stattdessen als Ordnungswidrigkeiten gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 5, Nr. 6 und Nr. 12 – 14 WpHG. b) Vorrangigkeit konkurrierender Verfahren Eine Reihe weiterer Anfechtungsausschlüsse dienen dazu, die Reichweite des Beschlussmängelrechts mit der potenziellen Reichweite konkurrierender Verfahrensarten abzustimmen, welche ebenfalls beschlussrelevante Fehler betreffen, diese jedoch nicht in Form eines Beschlussmangels aufarbeiten. Die Entscheidung, der jeweils anderen Verfahrensart den Vorrang vor dem Beschlussmängelverfahren zu geben, beugt zum einen der Verschwendung gerichtlicher Resourcen vor und verhindert zum anderen widersprüchliche Bewertungen desselben rechtlichen Gesichtspunkts. Mit der Auskoppelung der nachfolgend aufgeführten Beschlussmängel aus dem allgemeinen Beschlussmängelrecht verfolgt der Gesetzgeber also letztlich ein ähnliches Anliegen wie mit der formellen Konzentrationswirkung im Verwaltungsverfahrensrecht: Der verfahrensrechtliche Rahmen ändert sich, der materielle Maßstab bleibt gleich. aa) Handelsrechtliches Ersetzungsverfahrens, § 243 Abs. 3 Nr. 3 AktG Gemäß § 243 Abs. 3 Nr. 3 AktG kann die Anfechtung zunächst nicht auf Gründe gestützt werden, die ein handelsrechtliches Ersetzungsverfahren nach § 318 Abs. 3 HGB rechtfertigen. Letzteres Verfahren dient dazu, den (in SE und AG per Hauptversammlungsbeschluss) bereits bestellten Abschlussprüfer auszutauschen, weil dieser sich als befangen im Sinne der § 319 Abs. 2 – 5, §§ 319a, 319b HGB erwiesen hat. Der Hauptversammlungsbeschluss, mit dem der Abschlussprüfer bestellt wurde, bleibt dagegen von der Befangenheit unberührt, soweit er nicht aus anderen Gründen anfechtbar ist. Auch insofern greift der Gesetzgeber eine in der Rechtsprechung vorgezeichnete Entwicklung auf.147 147 Siehe zunächst LG Köln, AG 1997, 431, 431 f. (Ersetzungsverfahren verdrängt Anfechtungsklage nach dem Spezialitätsgrundsatz); ebenso noch LG München I, AG 2000, 235, 235 f.; a.A. dann aber OLG Hamburg, AG 2002, 460, 462 f. (Ersetzungsverfahren und An-

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

bb) Spruchverfahren In einer Reihe anderer Fälle wird die Anfechtungsklage zugunsten des Spruchverfahrens nach § 1 SpruchG ausgeschlossen. Betroffen sind stets Fehler eines strukturändernden Beschlusses, die sich ausschließlich auf die Höhe einer gesetzlich regulierten Ausgleichs-, Abfindungs- oder Zuzahlung auswirken. Ziel der Kläger bzw. der Antragssteller ist in diesen Fällen also regelmäßig nicht der Stopp der Strukturmaßnahme selbst, sondern lediglich der Schutz vor den als unrechtmäßig empfundenen wirtschaftlichen Bedingungen der Maßnahme. Anfechtungsausschluss und Spruchverfahren tragen dieser Interessenlage dadurch Rechnung, dass sie den Fortgang der Strukturmaßnahme freigeben und gleichzeitig eine volle gerichtliche Überprüfung der geltend gemachten Beschlussmängel mit ggf. späterer wirtschaftlicher Nachjustierung der Strukturmaßnahme gewährleisten. Der Ausschluss der Anfechtungsklage und die Eröffnung des Spruchverfahrens sind dabei stets miteinander verbunden. Es ergibt sich mithin keine Rechtsschutzlücke zu Lasten der jeweiligen Antragssteller, so dass an der Verfassungsmäßigkeit der jeweiligen Anfechtungsausschlüsse kein Zweifel bleibt.148 (1) Aktienrechtliche Strukturmaßnahmen Eröffnet ist das Spruchverfahren zunächst für die im Aktiengesetz geregelten Strukturmaßnahmen, soweit mit ihnen eine regulierte Ausgleichs- oder Abfindungsleistung an außenstehende Aktionäre einhergeht. Im Spruchverfahren überprüfbar sind also der Ausgleich und/oder die Abfindung bei Abschluss eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrags (§ 304 Abs. 3 Satz 3 AktG, § 305 Abs. 4 Satz 3, Abs. 5 Satz 2 AktG, § 1 Nr. 1 SpruchG), die Abfindung bei Eingliederung der SE (§ 320b Abs. 2 Sätze 2, 3 AktG, § 1 Nr. 2 SpruchG) und die Abfindung beim aktienrechtlichen Squeeze-Out (§ 327f Sätze 2, 3 AktG, § 1 Nr. 3 SpruchG). Mit den jeweiligen Verfahrenseröffnungen korrespondieren die Anfechtungsausschlüsse aus § 304 Abs. 3 Satz 2, § 305 Abs. 5 Satz 1 AktG, § 320b Abs. 2 Satz 1 AktG, § 327f Satz 1 AktG. (2) Umwandlungsrechtliche Strukturmaßnahmen Auch im Rahmen einiger umwandlungsrechtlicher Strukturmaßnahmen werden außenstehende Aktionäre auf das Spruchverfahren verwiesen. Das gilt zunächst – spiegelbildlich zum aktienrechtlichen Squeeze-Out – für die Abfindung beim umwandlungsrechtlichen Squeeze-Out (§ 327f Sätze 2, 3 AktG, § 62 Abs. 5 Satz 8 UmwG), für das Umtauschverhältnis bzw. die bare Zuzahlung zugunsten der Aktionäre einer übertragenden SE bei einer inländischen Verschmelzung (§ 15 Abs. 1 Satz 2 UmwG), für die Barabfindung an ausscheidende Aktionäre einer übertrafechtungsklage nebeneinander statthaft), und später auch BGH, NJW 2003, 970, 973 f.; zum ganzen auch Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 243 Rn. 112. 148 So auch BVerfG, NJW 2007, 3268, 3271.

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genden SE bei Verschmelzung zur Aufnahme mit einem Rechtsträger anderer Rechtsform und/oder bei Verschmelzung zur Aufnahme der börsennotierten SE auf eine nicht börsennotierte SE (§ 34 UmwG, § 1 Nr. 4 SpruchG), für die Gegenleistung an ausscheidende Aktionäre einer übertragenden SE bei einer Vermögensvollübertragung (§ 34, § 176 Abs. 2 UmwG, § 1 Nr. 4 SpruchG), für die Bemessung der Beteiligung der SE-Aktionäre am neuen Rechtsträger bei einem Formwechsel der SE in eine andere Gesellschaft deutscher Rechtsform (§ 196 UmwG, § 1 Nr. 4 SpruchG) und für die Abfindung an ausscheidende SE-Aktionäre bei einem Formwechsel der SE in eine andere Gesellschaft deutscher Rechtsform (§ 212 UmwG). Die korrespondierenden Anfechtungsausschlüsse finden sich in § 327f Satz 1 AktG, § 62 Abs. 5 Satz 8 UmwG, § 14 Abs. 2, § 32, § 176 Abs. 1, § 195 Abs. 2, § 210 UmwG. In Bezug auf den umwandlungsrechtlichen Squeeze-Out gestaltet sich die Anwendung des Spruchverfahrens freilich nicht ganz unproblematisch, da sich die einschlägigen (und verhältnismäßig neuen) UmwG-Vorschriften darauf beschränken, auf die Regelungen zum aktienrechtlichen Squeeze-Out zu verweisen, letztere jedoch unzureichend auf die Besonderheiten der neuen Squeeze-Out-Variante abgestimmt sind. Unpassend ist insbesondere § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SpruchG, wonach beim Squeeze-Out die dreimonatige Spruchverfahrens-Antragsfrist mit dem Tag der „Eintragung des Übertragungsbeschlusses“ beginnen soll. Anders als im Rahmen der §§ 327a ff. AktG markiert dieser Tag im Rahmen des umwandlungsrechtlichen Squeeze-Out nämlich nicht den Zeitpunkt, an dem der Ausschluss in Kraft tritt. Die Eintragung des Übertragungsbeschlusses ist vielmehr gemäß § 62 Abs. 5 Satz 7 UmwG mit dem Vermerk zu versehen, dass der Beschluss erst mit der Eintragung des Verschmelzungsbeschlusses wirksam wird. Der Sinn und Zweck des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SpruchG, beim Squeeze-Out auf den Tag der Wirksamkeit des Ausschlusses abzustellen,149 lässt sich nur erhalten, indem man die Lücke, die § 4 SpruchG in Hinblick auf den umwandlungsrechtlichen Squeeze-Out lässt, durch eine korrigierende Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SpruchG schließt, und zwar dergestalt, dass die Antragsfrist mit Bekanntmachung des Verschmelzungsbeschlusses gemäß § 10 HGB wirksam wird.150 (3) Grenzüberschreitende Verschmelzung Grundsätzlich ebenfalls im Anwendungsbereich des Spruchverfahrens liegen Umwandlungsmaßnahmen, die über die deutschen Grenzen hinausgreifen. Im Spruchverfahren überprüfbar sind das Umtauschverhältnis bzw. die bare Zuzahlung zugunsten der Aktionäre einer übertragenden deutschen SE bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (§§ 15, 122h Abs. 1 UmwG) und die Abfindung an ausscheidende Aktionäre der übertragenden SE bei grenzüberschreitender Ver149

§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SpruchG geht sillschweigend vom zeitlichen Gleichlauf zwischen Eintragung und Wirksamwerden des Beschlusses aus; vgl. nur Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2010), § 4 SpruchG Rn. 7. 150 So auch Schockenhoff/Lumpp, ZIP 2013, 749, 756.

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schmelzung mit einem Rechtsträger, der nicht dem deutschen Recht unterliegt (§§ 34, 122i Abs. 2 UmwG). Die Anfechtungsausschlüsse hierzu finden sich in § 14 Abs. 2, § 122h Abs. 1 UmwG, § 32, § 122i Abs. 2 UmwG. Anders als bei inländischen Verschmelzungen greifen Spruchverfahren und Anfechtungsausschluss im grenzüberschreitenden Kontext jedoch nur dann, wenn die Reziprozitätsklausel aus § 122h Abs. 1 bzw. § 122i Abs. 2 Satz 1 UmwG erfüllt ist. Danach finden Spruchverfahren und Anfechtungsausschluss nur dann Anwendung, wenn „die Anteilsinhaber der an der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Gesellschaften, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaats (…) unterliegen, dessen Rechtsvorschriften ein Verfahren zur Abfindung von Minderheitsgesellschaftern nicht vorsehen, im Verschmelzungsbeschluss ausdrücklich zustimmen.“ Die Aktionäre einer deutschen SE können den Verschmelzungsbeschluss also durchaus allein wegen Bewertungsmängeln anfechten, wenn nur ein einziger ausländischer Verschmelzungspartner einem Gesellschaftsrecht unterliegt, das kein „Verfahren zur Abfindung von Minderheitsgesellschaftern“ vorsieht, und gleichzeitig die Gesellschafter dieses ausländischen Verschmelzungspartners keine Zustimmung zum deutschen Spruchverfahren erklären. Dies scheint den Anwendungsbereich des Spruchverfahrens bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen erheblich einzuschränken. Denn die Vermutung liegt nahe, dass die Aktionäre des ausländischen Verschmelzungspartners – käme es auf ihre Zustimmung an – nur selten gewillt sind, mit ihrer Zustimmung den Weg zu einer nachträglichen, einseitigen Begünstigung der deutschen Aktionäre frei zu machen.151 Die Konsequenz wäre, dass eine Bewertungsrüge der deutschen Aktionäre regelmäßig ausreichen würde, um die Registersperre aus § 16 Abs. 2, § 122k Abs. 1 Satz 2 UmwG und damit einen Stopp der gesamten Verschmelzung auszulösen. Auf die Zustimmung kommt es jedoch nur insoweit an, als die für den jeweiligen ausländischen Rechtsträger einschlägige Rechtsordnung kein Verfahren im Sinne des § 122h Abs. 1, § 122i Abs. 2 Satz 1 UmwG bereit hält. Die Frage, wie verbreitet diese Verfahren innerhalb der Gemeinschaft sind, verdient daher eine nähere Betrachtung. Unter welchen Voraussetzungen zählen mitgliedstaatliche Abfindungs- und Beschlussmängelverfahren zu den Verfahren im Sinne des § 122h Abs. 1, § 122i Abs. 2 Satz 1 UmwG? Die Antwort hierfür liegt nicht nur in der vom deutschen Gesetzgeber gewählten Formulierung, sondern auch in der zugrundeliegenden152 Regelung aus Art. 10 Abs. 3 IntVerschmelzungs-RL. Dort ist – deutlich ausführlicher – die Rede von einem „Verfahren zur Kontrolle und Änderung des Umtauschverhältnisses der 151

Polley, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 122h UmwG Rn. 5; offener Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, 3. Aufl. (2012), § 122h Rn. 2; Oechsler, NZG 2006, 161, 164. Empirische Befunde liegen allerdings – soweit ersichtlich – nicht vor. 152 Zur Verbindung zwischen Art. 10 Abs. 3 IntVerschmelzungs-RL und den zitierten deutschen Vorschriften siehe Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, 3. Aufl. (2012), § 122h Rn. 2.

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Aktien oder sonstigen Anteile oder zur Abfindung von Minderheitsgesellschaftern (…), das jedoch der Eintragung der grenzüberschreitenden Verschmelzung nicht entgegensteht.“ Und schließlich ist auch der teleologische Hintergrund der Reziprozitätsklausel mit einzubeziehen. Dieser liegt darin, dass im deutschen Spruchverfahren – wäre es zustimmungsfrei eröffnet – gegen einen Abfindungs- bzw. Zuzahlungsschuldner prozessiert würde – nämlich gegen den aufnehmenden, ausländischen Rechtsträger –, der außerhalb des subjektiven Anwendungsbereichs deutschen Gesellschaftsrechts liegt und dessen übrigen Anteilseignern im Vorfeld der Verschmelzung kein vergleichbares Kontrollverfahren offen steht. Die Zustimmung der übrigen Verschmelzungspartner bzw. die Existenz einer parallelen Verfahrensart öffnet den übernehmenden Rechtsträger daher gleichsam für den möglichen Anspruch der Aktionäre der übertragenden deutschen Gesellschaft. Ein Verfahren im Sinne des Art. 10 Abs. 3 IntVerschmelzungs-RL ist daher ein Verfahren, das (1.) die Eintragung der Verschmelzung nicht verhindert, (2.) den Aktionären einer übertragenden Gesellschaft offen steht, (3.) diese Aktionäre einseitig zu Lasten der übernehmenden Gesellschaft begünstigt und in dem (4.) diesen Aktionären möglicherweise ein Anspruch gegen den übernehmenden Rechtsträger auf eine nachträgliche wirtschaftliche Korrektur der Verschmelzungsbedingungen zuerkannt wird. Dass diesen Kriterien nur das Spruchverfahren deutscher und österreichischer Art gerecht wird, wie im deutschen Schrifttum nahezu einhellig vertreten wird,153 ist nicht so selbstverständlich wie es auf den ersten Blick erscheint. Zugrunde liegt dieser Ansicht nämlich die Vorstellung, dass es sich bei einem „Verfahren“ im Sinne des Art. 10 Abs. 3 IntVerschmelzungs-RL stets um ein Verfahren handeln muss, welches innerhalb des nationalen Beschlussmängelrechts eine Sonderrolle einnimmt.154 Das ist aber keineswegs zwingend. Denn das „Verfahren“ im Sinne des Art. 10 Abs. 3 wird vom Richtliniengeber (und auch vom deutschen Gesetzgeber in § 122h Abs. 1, § 122i Abs. 2 Satz 1 UmwG) beinahe ausschließlich mit Blick auf die Verfahrens-Rechtsfolgen beschrieben (mögliche Änderung des Umtauschverhältnisses, mögliche Abfindung der Aktionäre, keine Eintragungs-Blockade) und nicht mit Blick auf sein Verhältnis zum übrigen nationalen Beschlussmängelrecht. In letzterem Fall hätte es denn auch nahe gelegen, von einem „besonderen“ oder „se153

Bayer, in: Lutter, UmwG, 5. Aufl. (2014), § 122h Rn. 6, 10; Drinhausen, in: Semler/ Stengel, UmwG, 3. Aufl. (2012), § 122h Rn. 2; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), § 122h Rn. 6; Kiem, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 122h Rn. 7 a.E.; Polley, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 122h UmwG Rn. 6 a.E.; Müller, Der Konzern 2007, 81, 85 („soweit ersichtlich“); Oechsler, NZG 2006, 161, 164; weitergehend Simon/Rubner, Der Konzern 2006, 835, 842, die auch im portugiesischen Gesellschaftsrecht ein taugliches Verfahren ausmachen, ohne dies jedoch näher bezeichnen. 154 So ausdrücklich Kiem, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 122h Rn. 7; wohl auch Bayer, in: Lutter, UmwG, 5. Aufl. (2014), § 122h Rn. 21 f.; noch enger Simon/Rubner, Der Konzern 2006, 835, 840 (Spruchverfahren zustimmungsunabhängig nur dann statthaft, „wenn auch die ausländische Rechtsordnung ein Spruchverfahren vorsieht“).

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

paraten“ Verfahren zu sprechen155 – was kaum sinnvoll gewesen wäre, da in diesem Fall der nationale Gesetzgeber indirekt über die Reichweite der Reziprozitätsklausel hätte disponieren können. So ist jedenfalls im deutschen Aktienrecht die wirtschaftliche Kontrollfunktion des Spruchverfahrens nur deshalb aus dem Recht der Anfechtungsklage ausgekoppelt, weil letztere mit einer Registersperre verbunden ist. Hätte der deutsche Gesetzgeber auf die Kodifikation eines Spruchverfahrens verzichtet und stattdessen die Rechtsfolgenseite des allgemeinen Beschlussmängelrechts erweitert – etwa in Form einer gerichtlichen Zwischenentscheidung, dass die Klage wegen ihrer rein wirtschaftlichen Bedeutung der Eintragung nicht entgegensteht156 –, so käme man wohl nicht umhin, die deutsche Anfechtungsklage nach § 243 AktG als „Verfahren“ im Sinne des Art. 10 Abs. 3 IntVerschmelzungs-RL einzuordnen.157 Tatsächlich umgesetzt ist eine solche Rechtsfolgen-Offenheit des Beschlussmängelverfahrens durchaus in Gesellschaftsrechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten. So sieht der englische Companies Act 2006 in Part 30, auf den Aktionäre Klagen wegen unfairer Benachteiligung im Rahmen der Verschmelzung stützen können („Protection of members against unfair prejudice“), eine Breite gerichtlicher Entscheidungskompetenzen vor, wie sie im Rahmen des deutschen Beschlussmängelrechts wohl unvorstellbar wäre.158 Und es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass eine (noch ausstehende159) rechtsvergleichende Betrachtung der Beschlussmängelrechte weiterer Mitgliedstaaten ähnliche Verfahrensoptionen zu Tage befördern würde, in denen Aktionäre einer übertragenden Gesellschaft die Gelegenheit haben, die wirtschaftlichen Parameter der Verschmelzung anzugreifen, ohne dabei die Eintragung der Verschmelzung aufzuhalten. Denn das Gegenteil – also die Einzigartigkeit der im deutschen und österreichischen Spruchverfahren gebotenen Überprüfungsmöglichkeit – würde nichts anderes bedeuten, als dass die Aktionäre in allen anderen Mitgliedstaaten entweder keine Möglichkeit hätten, die Angemessenheit von Abfindung bzw. Umtauschverhältnis anzugreifen, oder durch ein Gebrauchmachen von dieser Möglichkeit immer auch die Eintragung der Verschmelzung aufhalten

155 Vgl. Bayer, in: Lutter, UmwG, 5. Aufl. (2014), § 122h Rn. 21 f., der von einem „speziellen Verfahren“ spricht, allerdings ohne diese selbst gewählte und vom Richtlinien- bzw. Gesetzestext abweichende Formulierung näher zu erläutern. 156 Vgl. den (in anderem Zusammenhang stehenden) Vorschlag einer Zwischenentscheidung im Beschlussmängelverfahren von Arbeitskreis Beschlussmängelrecht, AG 2008, 618, 619 f., 624 f. (§ D Abs. 3 des Kodifikationsvorschlags). 157 A.A. (jedoch ohne Begründung) Kiem, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 122h Rn. 7: „Ein Verfahren im Rahmen der allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle der Verschmelzung, wie sie Art. 11 [IntVerschmelzungs-RL] vorsieht, ist nicht gemeint.“ 158 Zur Anwendbarkeit des Part 30 im grenzüberschreitenden Kontext siehe Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 24 SE-VO Rn. 75 f., Art. 25 SE-VO Rn. 58. 159 In Ansätzen siehe Fleischer, AG 2012, 765, dessen rechtsvergleichender Rundblick jedoch nicht die hier aufgeworfene Problematik streift.

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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müssten. Ob sich dies wohl im Rechtsvergleich ergeben würde?160 Wahrscheinlicher erscheint die Hypothese, dass die eintragungsunabhängigen Überprüfungsmöglichkeiten, welche Aktionären einer übertragenden deutschen Gesellschaft im Spruchverfahren offen stehen, grundsätzlich auch Aktionären ausländischer Verschmelzungspartner offen stehen – allerdings in einem weit unauffälligeren Rechtsrahmen. Die These, „Verfahren“ im Sinne des Art. 10 Abs. 3 IntVerschmelzungs-RL gebe es nur im deutschen und österreichischen Gesellschaftsrecht erscheint daher wenigstens unwahrscheinlich. Weitaus einleuchtender erscheint die Hypothese, dass die Mehrzahl der übrigen Mitgliedstaaten zwar kein gesondertes Spruchverfahren vorsehen, aber bereits mit ihrem allgemeinen Beschlussmängelrecht ein „Verfahren zur Kontrolle und Änderung des Umtauschverhältnisses der Aktien oder sonstigen Anteile oder zur Abfindung von Minderheitsgesellschaftern (…), das jedoch der Eintragung der grenzüberschreitenden Verschmelzung nicht entgegensteht“, bieten. Legt man letztere Hypothese zugrunde, so verbleibt kaum ein Anwendungsbereich für das oben genannte Zustimmungserfordernis. Das deutsche Spruchverfahren wäre im Fall der grenzüberschreitenden Verschmelzung nahezu in derselben Weise anwendbar wie auf inländische Verschmelzungen. Und selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Meinung bzw. Vermutung von einem regelmäßigen Ausschluss des Spruchverfahrens bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung ausgehen wollte, so ist zu bedenken, dass sich hieraus keine ebenso regelmäßige Blockademöglichkeit für die Aktionäre der deutschen Gesellschaft ergibt. Denn auch die Registersperre aus § 16 Abs. 2, § 122k Abs. 1 Satz 2 UmwG kann im Freigabeverfahren nach § 16 Abs. 3, § 122k Abs. 1 Satz 2 UmwG überwunden werden.161 (4) Beteiligung der SE an der Gründung einer neuen SE durch Verschmelzung, Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO Ähnlichen Einschränkungen wie im Rahmen der grenzüberschreitenden Verschmelzung unterliegt die Anwendung des Spruchverfahrens, soweit es um die Beteiligung der SE an der Verschmelzungsgründung einer neuen SE geht.

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In diese Richtung möglicherweise der Bericht von Neye, ZIP 2005, 1893, 1897, über die Verhandlungen zur IntVerschmelzungs-RL („… war den Vertretern der anderen Mitgliedstaaten Sinn und Funktionsweise des Spruchverfahrens nur mit großer Mühe verständlich zu machen.“), der aber ebenso nur Spiegelbild der jeweils nationalen Perspektiven der Verhandlungsparteien sein könnte. 161 Ebenso Schwarz, SE-VO (2006), Art. 25 Rn. 31 a.E., und Witten, Minderheitenschutz (2011), S. 153 – 157, jeweils in Bezug auf das Verhältnis zwischen der Reziprozitätsklausel in Art. 25 Abs. 3 SE-VO und dem Freigabeverfahren nach § 16 Abs. 3 UmwG. Die pessimistische Einschätzung von Müller, Der Konzern 2007, 81, 84 („In das Freigabeverfahren … sollte man in diesem Zusammenhang keine allzu großen Hoffnungen setzen.“), ist seit der erheblichen Ausweitung der Freigabemöglichkeiten im Zuge des ARUG 2009, wohl überholt.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

Die Parallelnorm zu Art. 10 Abs. 3 IntVerschmelzungs-RL findet sich in Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO:162 „Ist nach dem Recht eines Mitgliedstaats, dem eine sich verschmelzende Gesellschaft unterliegt, ein Verfahren zur Kontrolle und Änderung des Umtauschverhältnisses der Aktien zur Abfindung von Minderheitsaktionären vorgesehen, das jedoch der Eintragung der Verschmelzung nicht entgegensteht, so findet ein solches Verfahren nur dann Anwendung, wenn die anderen sich verschmelzenden Gesellschaften in Mitgliedstaaten, in denen ein derartiges Verfahren nicht besteht, bei der Zustimmung zu dem Verschmelzungsplan gemäß [Art. 23 Abs. 1 SE-VO] ausdrücklich akzeptieren, dass die Aktionäre der betreffenden sich verschmelzenden Gesellschaft auf ein solches Verfahren zurückgreifen können.“ Die Anwendbarkeit des Spruchverfahrens auf den Gründungsbeschluss einer deutschen Gesellschaft wird also auch hier davon abhängig gemacht, dass entweder die Rechtsordnungen der übrigen Verschmelzungspartner ein „derartiges Verfahren“ vorsehen oder, soweit dies nicht der Fall ist, die übrigen Verschmelzungspartner dem Spruchverfahren in der deutschen Gesellschaft zustimmen. Die Brücke zwischen Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO und den deutschen Spruchverfahrensregelungen wird in § 6 Abs. 1, 4 (Überprüfung von Umtauschverhältnis bzw. barer Zuzahlung zugunsten ausscheidender Aktionäre einer übertragenden deutschen SE) und § 7 Abs. 5, 7 SEAG (Überprüfung der Abfindung an ausscheidende Aktionäre einer übertragenden deutschen SE), jeweils in Verbindung mit § 1 Nr. 5 SpruchG, geschlagen, die das Spruchverfahren für die SE-Verschmelzungsgründung ausdrücklich eröffnen und den korrespondierenden Anfechtungsausschluss enthalten. Auch hier wird im Schrifttum überwiegend die Ansicht vertreten, nur das deutsche und österreichische Spruchverfahren komme als „derartiges Verfahren“ in Betracht.163 Die damit regelmäßig erforderliche Zustimmung der übrigen Verschmelzungspartner sei unwahrscheinlich,164 ein Spruchverfahren sei daher nur selten statthaft.165 Diese Ansicht ist denselben Bedenken ausgesetzt wie im Rahmen 162 Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO ist dabei die ältere Norm und war Vorbild für Art. 10 Abs. 3 IntVerschmelzungs-RL; siehe Neye, ZIP 2005, 1893, 1897. 163 Marsch-Barner, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 25 SE-VO Rn. 29; Kalss, ZGR 2003, 593, 623; wohl ähnlich Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), Art. 25 SE-VO Rn. 18; weitergehend Maul, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 25 SE-VO Rn. 26, und Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), Abschn. 4 § 3 Rn. 44, die auch im tschechischen Recht ein taugliches Verfahren ausmachen, ohne dieses jedoch näher zu bezeichnen. Ausführlich zur portugiesischen Rechtslage Koppensteiner, RIW 2006, 103, 104 mit Fn. 7, der den dortigen Mechanismus der Abfindungskontrolle erläutert und darin kein Verfahren im Sinne des Art. 25 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 SEVO erkennt. Zur Rechtslage in Finnland Kocher, RIW 2006, 168, 168 f., allerdings ohne zum Verhältnis zwischen der dortigen Abfindungskontrolle und Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO Stellung zu nehmen. 164 Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 25 SE-VO Rn. 12; Scheifele, Gründung (2004), S. 219; Casper, ZHR 173 (2009), 181, 199; Teichmann, ZGR 2002, 383, 428; in dieselbe Richtung Kalss, ZGR 2003, 593, 623. 165 Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 24 SE-VO Rn. 11; Scheifele, Gründung (2004), S. 219 („faktisch eine Sperre des Spruchverfahrens“).

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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des Art. 10 Abs. 3 IntVerschmelzungs-RL, § 122h Abs. 1, § 122i Abs. 2 Satz 1 UmwG. Denn auch nach Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO kommt es ganz entscheidend auf die Rechtsfolgen des fraglichen Verfahrens an und nicht auf eine Sonderrolle innerhalb des nationalen Beschlussmängelrechts oder gar eine ausdrückliche Bezeichnung als „Spruchverfahren“. Es steht daher auch hier zu vermuten, dass den Kriterien des Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO deutlich mehr nationale Beschlussmängelverfahren gerecht werden als nur das deutsche und das österreichische. Die Reichweite des Anfechtungsausschlusses aus § 6 Abs. 1, § 7 Abs. 5 SEAG würde sich entsprechend vergrößern. Eine rechtsvergleichende Studie steht auch in dieser Hinsicht noch aus. Anders als in Art. 10 Abs. 3 IntVerschmelzungs-RL, § 122h Abs. 1, § 122i Abs. 2 Satz 1 UmwG, ist in Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO nicht von einer Zustimmung der „Anteilsinhaber“ die Rede, sondern von einer Zustimmung der „anderen sich verschmelzenden Gesellschaften“. Dies lässt auf den ersten Blick Raum für die Annahme, dass die Zustimmung selbst nur vom jeweiligen Vertretungsorgan zu erklären und diese allenfalls intern an die Zustimmung der Hauptversammlung zu koppeln ist. Richtigerweise ging jedoch das deutsche Schrifttum von Beginn an (allerdings ohne nähere Begründung) davon aus, dass die Zustimmung auch im Rahmen des Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO ausschließlich Sache der Anteilseigner ist.166 Hierauf deutet zum einen der Wortlaut der Norm hin, der von einer Zustimmung „bei der Zustimmung zu dem Verschmelzungsplan gemäß Artikel 23 Absatz 1“ spricht (welche nur von der Hauptversammlung ausgesprochen wird). Und auch die wirtschaftlichen Folgen der Zustimmung – also eine mögliche Korrektur der Verschmelzung zugunsten der Aktionäre der übertragenden deutschen Gesellschaft – treffen nur die Anteilseigner. So kann die vorgenannte Wortwahl in Art. 10 Abs. 3 IntVerschmelzungs-RL wohl auch als nachträgliche Präzisierung des Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO verstanden werden.167 (5) Beteiligung der SE an der Gründung einer neuen Holding-SE, § 9 Abs. 2, § 11 Abs. 2 SEAG Die Spruchverfahrenseröffnung und der korrespondierende Anfechtungsausschluss aus § 6 Abs. 1, 4, § 7 Abs. 5, 7 SEAG finden gemäß § 9 Abs. 2, § 11 Abs. 2 SEAG grundsätzlich auch im Rahmen einer Holding-SE-Gründung Anwendung. In der SE-Verordnung ist dies jedenfalls unmittelbar nicht vorgegeben, da Art. 25 Abs. 3 Satz 1 nur die Verschmelzungsgründung betrifft und der Holding-SE-Abschnitt (Art. 32 – 34 SE-VO) weder eine Parallelnorm noch einen einschlägigen Verweis enthält. Auf den ersten Blick ließe sich daher daran denken, dass es sich 166

Siehe nur Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013), Anhang Rn. 63; Maul, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 25 SE-VO Rn. 26; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 25 Rn. 26; Scheifele, Gründung (2004), S. 218; Kalss, ZGR 2003, 593, 623; Reichert, Der Konzern 2006, 821, 830 f. 167 Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO war Vorbild für den jüngeren Art. 10 Abs. 3 IntVerschmelzungs-RL; siehe oben 3. Teil, Fn. 162.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

bei § 9 Abs. 2, § 11 Abs. 2 SEAG um überobligatorische Ausführungsgesetzgebung handeln könnte, möglicherwiese sogar um unzulässiges SE-Sonderaktienrecht.168 Es spricht allerdings viel dafür, dass Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO für die HoldingSE-Gründung entsprechend gilt.169 Denn ein deutsches Spruchverfahren zu Lasten der Aktionäre eines ausländischen Rechtsträgers zu eröffnen, der außerhalb des subjektiven Anwendungsbereichs deutschen Gesellschaftsrechts liegt und dessen Anteilseignern kein vergleichbares Kontrollverfahren offen steht, ist im Rahmen der Holding-SE-Gründung denselben Bedenken ausgesetzt wie im Rahmen einer Verschmelzungsgründung.170 Und dass die Art. 32 – 34 SE-VO für die Holding-SEGründung nur eine lückenhafte Rechtsgrundlage bieten, tritt auch in anderem Zusammenhang171 zu Tage. Nur vereinzelt172 wird eine analoge Geltung des Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO für die Holding-SE-Gründung bezweifelt. Anders als im Rahmen der Verschmelzungsgründung bleibe die deutsche Gründungsgesellschaft bei der Holding-Gründung bestehen; das Spruchverfahren müsse daher nicht von der neu gegründeten SE und zu Lasten der Aktionäre der ausländischen Gründungsgesellschaften geführt 168 Zur Unzulässigkeit mitgliedstaatlicher, SE-spezifischer Rechtsvorschriften, die nicht von einer Ermächtigungsgrundlage in der Verordnung abgedeckt sind, siehe oben Abschnitt „Verordnungskonformität des § 51 SEAG“, S. 86. 169 Für eine analoge Anwendung auch die herrschende Meinung: Bayer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 34 SE-VO Rn. 12; Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 34 SE-VO Rn. 2, 4; ders., in: FS Ulmer (2003), S. 51, 60; ders., ZHR 173 (2009), 181, 205; Heckschen, in: Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Loseblattsammlung (Stand 02/2011), Anhang 14 Rn. 315 f.; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), Art. 34 SE-VO Rn. 1; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 34 SE-VO Rn. 9; Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 34 SE-VO Rn. 4; Schwarz, SEVO (2006), Art. 34 Rn. 6; Kalss, ZGR 2003, 593, 633; Marsch-Barner, in: Lutter/Bayer, Holding-Hdb, 5. Aufl. (2015), Rn. 18.78 f.; Scheifele, Gründung (2004), S. 345, 349; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 322 f.; Teichmann, ZIP 2002, 1109, 1113; ders., ZGR 2002, 383, 437 (zweifelnd dann aber ders., in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 691, 714; hierzu sogleich). 170 Ebenso („dieselbe Interessenlage“) Scheifele, Gründung (2004), S. 345; Teichmann, ZIP 2002, 1109, 1113; zum Hintergrund der Reziprozitätsklausel im Rahmen der Verschmelzungsgründung siehe bereits oben Abschnitt „Beteiligung der SE an der Gründung einer neuen SE durch Verschmelzung, Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO“, S. 159. 171 So z. B. in Bezug auf die Kapitalmehrheitserfordernisse für den Gründungsbeschluss (siehe oben 2. Teil, Fn. 185 bis 187), die Frist für Beschlussmängelklagen gegen den Gründungsbeschluss (siehe oben Abschnitt „Klagen gegen eine Holding-SE-Gründung, § 14 Abs. 1 UmwG, Art. 18 SE-VO analog“, S. 129) und die Informationsrechte der Aktionäre im Vorfeld der Gründungs-Hauptversammlung (siehe unten 5. Teil, Fn. 169). 172 Teichmann, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 691, 714; ebenso Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 34 SE-VO Rn. 5 (der § 11 Abs. 2 SEAG jedoch in jedem Fall von Art. 34 SE-VO abgedeckt sieht); Zweifel klingen auch in den mündlichen Reaktionen auf Kalss, ZGR 2003, 593, 633, an; vgl. den Bericht zur Diskussion a.a.O., 649.

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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werden. Aus wirtschaftlicher Sicht lässt dieser Befund aufmerken: Lösen sich im Rahmen der Holding-Gründung die wirtschaftlichen Nachteile für die Aktionäre der ausländischen Gründungsgesellschaften tatsächlich in Luft auf, während die Aktionäre der deutschen Gründungsgesellschaften aus dem Spruchverfahren dieselben Vorteile ziehen können wie bei der Verschmelzungsgründung? Natürlich nicht. Denn die deutsche Gründungsgesellschaft wird im Zuge der Holding-Gründung zur Tochtergesellschaft der neu gegründeten SE. Dadurch, dass bei der Holding-Gründung nicht unmittelbar die neu gegründete SE, sondern die deutsche Gründungsgesellschaft Schuldnerin des Abfindungs- bzw. Zuzahlungsanspruchs wird, verringert sich im Ergebnis also nicht die wirtschaftliche Belastung der Aktionäre der neu gegründeten SE. Lediglich ihre Ursache ändert sich. Während es bei der Verschmelzungsgründung der Zahlungsanspruch gegen die neu gegründete SE selbst ist, der die Aktionäre dieser SE belastet, ist es im Rahmen der Holding-Gründung der Zahlungsanspruch gegen die Tochtergesellschaft, der den Wert der von der neu gegründeten SE gehaltenen Anteile mindert – und der damit ebenfalls den Aktionären der neu gegründeten SE zur Last fällt. Die Unterschiede zwischen Verschmelzungs- und Holding-Gründung rechtfertigen in Hinblick auf Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO also keine Differenzierung. § 9 Abs. 2, § 11 Abs. 2 SEAG haben damit ebenso exekutiven Charakter wie § 6 Abs. 1, 4, § 7 Abs. 5, 7 SEAG. (6) Barabfindung für ausscheidende Aktionäre bei grenzüberschreitender Sitzverlegung, § 12 Abs. 2 SEAG Ähnlich wie im Rahmen der Holding-SE-Gründung stellt sich die gesetzliche Situation bei der grenzüberschreitenden Sitzverlegung einer deutschen SE dar: Während der Verordnungsgeber keine dem Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO entsprechende Reziprozitätsklausel in Art. 8 SE-VO aufgenommen hat, sieht der deutsche Ausführungsgesetzgeber eben jenes Reziprozitätserfordernis in § 12 Abs. 2 SEAG vor, der auf § 7 Abs. 5, 7 SEAG verweist. Danach kann „unter den Voraussetzungen des Artikels 25 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung“ eine gegen den Sitzverlegungsbeschluss gerichtete Anfechtungsklage nicht damit begründet werden, die Barabfindung der ausscheidenden Minderheitsaktionäre sei zu niedrig bemessen; stattdessen führt der Weg über § 7 Abs. 7 SEAG ins Spruchverfahren. Tatsächlich sind die Voraussetzungen des Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO im Fall des Sitzverlegungsbeschlusses weder sinnvoll noch erfüllbar. Denn die beschlossene Maßnahme trifft einzig die deutsche Gesellschaft; einen ausländischen Partner, dessen Gesellschafter eine Zustimmung zum deutschen Spruchverfahren erteilen könnten oder dessen Gesellschaftsrecht auf ein entsprechendes Verfahren hin untersucht werden könnte, gibt es nicht. Richtigerweise ist Art. 12 Abs. 2 SEAG daher korrigierend auszulegen. Der zu weit geratene Verweis auf § 7 Abs. 5, 7 SEAG ist nur auf den dort normierten Anfechtungsausschluss bzw. die Spruchverfahrenseröffnung

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

zu beziehen, nicht dagegen auf den dortigen weiteren Verweis auf Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO.173 (7) Verletzung von aktienrechtlichen Informationspflichten mit rein monetärem Bezug, § 243 Abs. 4 Satz 2 AktG Ergänzt werden die vorgenannten Spruchverfahrenseröffnungen durch § 243 Abs. 4 Satz 2 AktG, der Informationsmängel mit rein monetärem Bezug umfasst. Danach kann eine Anfechtungsklage nicht auf unrichtige, unvollständige oder unzureichende Informationen in der Hauptversammlung über die Ermittlung, Höhe oder Angemessenheit von Ausgleich, Abfindung, Zuzahlung oder über sonstige Kompensationen gestützt werden, wenn das Gesetz für Bewertungsrügen ein Spruchverfahren vorsieht.174 Statthaft bleibt die Anfechtungsklage demnach bei völligem Fehlen der jeweiligen Information und bei Informationsmängeln, die außerhalb der Hauptversammlung begründet sind. Ebenso wie die Relevanzformel aus § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG175 gilt auch Satz 2 für Aktiengesellschaft und SE gleichermaßen.176 c) Ungeschriebene Ausschlüsse Den vorgenannten gesetzlichen Anfechtungsausschlüssen zur Seite stehen im deutschen Aktienrecht eine Reihe von Aussschlüssen, die nicht spezialgesetzlich kodifiziert sind, sich jedoch aus allgemeinen Grundsätzen des Gremien-Beschlussrechts ergeben. Ausgeschlossen ist die Anfechtungsklage danach insbesondere dann, wenn die Fehlerhaftigkeit eines Beschlusses aus Verfahrensfehlern folgt, die für das Beschlussergebnis weder relevant noch kausal sind, und wenn der Anfechtende dem angegriffenen Beschluss in Kenntnis der geltend gemachten Rechtsmängel zugestimmt hat.177 Beide Fallgruppen gelten auch für die deutsche SE. Die Kausalitätsbetrachtung ist im Beschlussmängelrecht der Hauptversammlung zwar zunächst mit den Rechtsprechungsgrundsätzen zur Relevanztheorie und später

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In dieselbe Richtung Kalss, ZGR 2003, 593, 612; Witten, Minderheitenschutz (2011), S. 107. 174 Siehe nur Hüffer, AktG, 10. Aufl. (2012), § 243 Rn. 47c; rechtsvergleichend Hellgardt/ Hoger, ZGR 2011, 38, 73 f. 175 Hierzu bereits oben Abschnitt „Eingeschränktes Anfechtungsrecht bei fehlerhaft erteilter Information, § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG“, S. 152. 176 Marsch-Barner, in: Lutter/Bayer, Holding-Hdb, 5. Aufl. (2015), Rn. 18.79. 177 Zu letzterem Ausschlussgrund siehe BGH, NZG 2010, 943, 947; Drescher, in: Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 245 AktG Rn. 8; den Ausschlussgrund ablehnend Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 245 Rn. 25; Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 245 Rn. 12; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 245 Rn. 13; Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 245 Rn. 36.

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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mit Einführung des § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG178 etwas in den Hintergrund getreten. Dennoch gibt es – jenseits von Informations- und Auskunftsrechtsverletzungen – weiterhin Verfahrensfehler, die allein wegen ihrer fehlenden Kausalität für das Beschlussergebnis nicht als Anfechtungsgründe in Frage kommen. Das gilt insbesondere bei fehlerhafter Wertung oder Nichtwertung von Stimmen, die bei korrektem Verfahrensgang nichts am Erreichen oder Verfehlen des entscheidenden Mehrheitserfordernisses geändert hätten.179 d) Bestätigung anfechtbarer Beschlüsse, § 244 AktG Schließlich kann die Hauptversammlung auch eigeninitiativ für einen Anfechtungsausschluss sorgen, indem sie im Nachgang zur kritischen Beschlussfassung einen Bestätigungsbeschluss gemäß § 244 AktG fasst. Danach kann die Anfechtung nicht mehr geltend gemacht werden, wenn die Hauptversammlung den anfechtbaren Beschluss durch einen neuen Beschluss bestätigt hat und dieser Beschluss innerhalb der Anfechtungsfrist nicht angefochten oder die Anfechtung rechtskräftig zurückgewiesen worden ist. Das gilt in AG und SE gleichermaßen.180 Leidet der Ausgangsbeschluss allerdings nicht (nur) unter Verfahrensmängeln, sondern (auch) unter inhaltlichen Fehlern, so setzen sich diese im Bestätigungsbeschluss fort; letzterer ist dann ebenso anfechtbar wie der Ausgangsbeschluss.181 Praktisches Anwendungsgebiet des Bestätigungsbeschlusses sind daher in erster Linie Verletzungen von Rede- und Informationsrechten.182 7. Besondere Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe Neben dem allgemeinen Beschlussmängelrecht aus §§ 241 ff. AktG sehen das Aktiengesetz und das SEAG in Bezug auf bestimmte Beschlussgegenstände besondere Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe vor, die die allgemeinen Gründe teilweise ergänzen und teilweise an ihre Stelle treten. So gelten speziell für die Wahl von Aufsichtsorganmitgliedern die Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe aus §§ 250, 251 AktG, für die Wahl von Verwaltungsorganmitgliedern die §§ 31, 32 SEAG, für die Anfechtung des Beschlusses über die Verwendung des Bilanzgewinns 178 Zu beidem bereits oben Abschnitt „Eingeschränktes Anfechtungsrecht bei fehlerhaft erteilter Information, § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG“, S. 152. 179 Vgl. OLG München, ZIP 2013, 931, 934 („Siemens/Osram“); Noack, WM 2009, 2289, 2292. 180 Ausdrücklich Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010) Art. 57 SE-VO Rn. 45. 181 Siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 244 Rn. 2a; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 1 Rn. 539. 182 Ein bekanntes Beispiel aus jüngerer Zeit sind die Bestätigungsbeschlüsse der außerordentlichen Hauptversammlung der Deutsche Bank AG vom 11. April 2013, mit denen die Gesellschaft auf das stattgebende Anfechtungsurteil des LG Frankfurt am Main, AG 2013, 178, reagierte.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

die §§ 253, 254 AktG, für die Anfechtung eines Kapitalerhöhungsbeschlusses § 255 AktG und für die Feststellung des Jahresabschlusses die §§ 256, 257 AktG. a) Wahl von Aufsichtsorganmitgliedern, §§ 250, 251 AktG aa) Verhältnis zu Art. 47 SE-VO § 250 AktG modifiziert in erster Linie die allgemeinen Nichtigkeitsgründe aus § 241 AktG, indem er nur die dortigen Nr. 1, 2 und 5 für anwendbar erklärt und im Übrigen einen eigenen Katalog von Nichtigkeitsgründen enthält. § 251 AktG tritt als Spezialgesetz teilweise an die Stelle der §§ 243 ff. AktG. Beide Vorschriften gelten auch für die Wahl von SE-Aufsichtsorganmitgliedern und werden insbesondere nicht von Art. 47 Abs. 2 SE-VO überdeckt. Die dortige Formulierung lässt zwar bei unbefangenem Lesen an eine besonders strikte Beschlussmängel-Rechtsfolgenanordnung denken („Personen, die …, können weder Mitglied eines Organs der SE noch … sein.“);183 sie ist jedoch ersichtlich nicht als besonderes Beschlussmängelrecht konzipiert. Art. 47 SE-VO beschränkt sich vielmehr darauf, die Tatbestandsseite der aufgeführten Kompatibilitäten und Inkompatibilitäten bei der Organbesetzung zu beschreiben, während die Rechtsfolgenseite den nationalen Rechtsordnungen überlassen bleiben. Alles andere – etwa eine Interpretation als einheitliche Nichtigkeitsanordnung184 – ließe sich auch praktisch kaum mit der Vielgestaltigkeit der nationalen Beschlussmängelrechte vereinbaren. § 250 AktG steht zu Art. 47 Abs. 2 SE-VO im Recht der SE also in einem ähnlichen Verhältnis wie zu § 100 AktG im Recht der AG. Auch § 100 AktG formuliert die Amts-Inkompatibilitäten nur scheinbar rigoros (z. B. Abs. 2: „Mitglied des Aufsichtsrats kann nicht sein, wer …“), ohne die in §§ 250 f. AktG ausdifferenzierten Rechtsfolgen vorwegzunehmen.185 bb) Verhältnis zur Beteiligungsvereinbarung Die Tatsache, dass die §§ 250 f. AktG auch vom Mitbestimmungsregime der deutschen AG geprägt sind – insbesondere in § 250 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AktG – wirft die Frage auf, ob sich bei Anwendung der Norm auf die deutsche SE auch eine Verbindung zwischen § 250 AktG und einer Beteiligungsvereinbarung nach § 21 SEBG ergeben kann. So könnte beispielsweise die Arbeitnehmerseite daran interessiert sein, besonders strenge Sanktionen für Wahlbeschlüsse der Hauptversamm183 So Schwarz, SE-VO (2006), Art. 47 Rn. 36 („Die Nichtigkeitsfolge ergibt sich unmittelbar aus Art. 47 Abs. 2, da die Norm die Mitgliedschaft in dem Organ untersagt.“). 184 Siehe 3. Teil, Fn. 183. 185 Gegen eine Ableitung der Nichtigkeitsfolge unmittelbar aus Art. 47 Abs. 2 SE-VO auch Drinhausen, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 47 SE-VO Rn. 23; Reichert/ Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 47 SE-VO Rn. 39; Teichmann, in: Lutter/ Hommelhoff, SE-Ko. (2008), Art. 47 SE-VO Rn. 16; Göz, ZGR 2008, 593, 622; implizit auch der deutsche Gesetzgeber in § 17 Abs. 3 Satz 2 SEAG.

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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lung vorzusehen, die die Repräsentanz der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsorgan beeinträchtigen; und umgekehrt könnte den verhandelnden Unternehmensleitungen daran gelegen sein, derartige Beeinträchtigungen eher milde zu sanktionieren. Einordnen ließen sich derartige Vereinbarungsklauseln möglicherweise unter den in § 2 Abs. 12 SEBG, Art. 2 lit. k) SE-RL umrissenen Begriff der „Mitbestimmung“ oder den Begriff der „Beteiligung der Arbeitnehmer“ gemäß § 2 Abs. 8 SEBG, Art. 2 lit. h) SE-RL, die beide in § 21 Abs. 3 SEBG verwendet werden, um den möglichen Inhalt einer Beteiligungsvereinbarung beschreiben.186 Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass dem Beschlussmängelrecht der deutschen Hauptversammlung eine privatautonome Ausgestaltung grundsätzlich fremd ist. Insbesondere die Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe bilden ein festes Korsett, das weder vom Satzungsgeber noch – im Nachhinein – von richterlichem Ermessen variiert werden kann. Sogar vor dem Einfluss privater Schiedsgerichte ist das AG-Beschlussmängelrecht weitgehend abgeschirmt.187 Die Verbindung zwischen Beschlussmängel- und Mitbestimmungsrecht in § 250 AktG fügt sich in dieses gesetzlich-zwingend ausgestaltete Modell ein, da das AG-Mitbestimmungsrecht selbst kaum individuelle Gestaltungsmöglichkeiten bietet.188 Nicht einfügen würde sich dagegen eine ähnliche Verbindung zwischen § 250 AktG und den privatautonom gestaltbaren Elementen des SE-Mitbestimmungsrechts. Insbesondere privatautonom vereinbarte Nichtigkeitsgründe würden den Charakter des deutschen Beschlussmängelrechts fundamental ändern, ohne dass sich dies an einer Entscheidung des Gesetz- oder Verordnungsgebers festmachen ließe. Die Art und Weise, wie der Gesetzgeber § 250 Abs. 1 AktG mit § 31 Abs. 1 SEAG auf die monistische SE übertragen hat – nämlich unter Wegfall des Nichtigkeitsgrundes aus § 250 Abs. 1 Nr. 2 AktG189 –, lässt viel eher darauf schließen, dass die Mitbestimmungsbezüge in §§ 250 f. AktG nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch im Recht der dualistischen deutschen SE keine Einbruchstellen für privatautonome Regelungen bieten sollen. Und schließlich erschiene es nicht sachgerecht, die Gestaltung von Nichtigkeitsgründen in ein Verfahren zu verlegen, das ausschließlich von Arbeitnehmerund Leitungsvertretern geführt wird, und von der Hauptversammlung – als dem einzig betroffenen Organ – nur indirekt beeinflusst werden könnte. Die besseren Gründe sprechen daher dagegen, den Verhandlungsparteien einen wie auch immer gearteten Einfluss auf das SE-Beschlussmängelrecht zuzuerkennen. 186

Ausführlich zu Inhalt, Reichweite und Verhältnis der beiden Begriffe bereits oben Abschnitt „Verhältnis zur Beteiligungs- bzw. Mitbestimmungsvereinbarung bzw. jeweiligen Auffangregelung?“, S. 43. 187 Siehe nur Wilk, in: MüHdB-GesR, Bd. 7, 5. Aufl. (2015) § 29 Rn. 24, mit weiteren Nachweisen. 188 Zu den wenigen Optionen Seibt, AG 2005, 413, 415 – 422, Teichmann, AG 2008, 797, 798 f. 189 Einige Autoren wollen § 250 Abs. 1 Nr. 2 AktG zwar – zu Unrecht – analog auf die monistische SE anwenden (siehe unten 3. Teil, Fn. 191); als Indiz für eine Verbindung zwischen Beteiligungsvereinbarung und SE-Beschlussmängelrecht wird dies jedoch von keiner Seite gewertet.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

b) Wahl von Verwaltungsorganmitgliedern, §§ 31, 32 SEAG, § 251 AktG Die weitgehend parallel zu §§ 250 f. AktG formulierten §§ 31, 32 SEAG enthalten besondere Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsgründe für die Wahl zum Verwaltungsorgan. Die Anlehnung an §§ 250 f. AktG geht dabei auf eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zurück.190 Kaum ein Unterschied ergibt sich denn auch zwischen den Nichtigkeitsgründen aus § 250 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 AktG einerseits und denen aus § 31 Abs. 1 Nr. 1 – 3 SEAG andererseits – und noch weniger in Hinblick auf § 31 Abs. 2 und § 32 SEAG, die ausdrücklich auf § 250 Abs. 2 bzw. § 251 AktG Bezug nehmen. Nicht abschließend geklärt ist jedoch das Verhältnis zwischen § 31 Abs. 1 SEAG und dem Nichtigkeitsgrund aus § 250 Abs. 1 Nr. 2 AktG, wonach eine Aufsichtsorganwahl nichtig ist, wenn die Hauptversammlung eine nicht vorgeschlagene Person wählt, obwohl sie an Wahlvorschläge nach §§ 6, 8 MontanMitbestG gebunden ist. Spiegelbild des § 6 MontanMitbestG im Recht der SE ist § 36 Abs. 4 SEBG. Danach ist die Hauptversammlung einer kraft Gesetzes mitbestimmten SE daran gebunden, die nach dem anwendbaren Wahlverfahren vorgeschlagenen Arbeitnehmervertreter zu bestellen. Auf § 36 Abs. 4 SEBG wird in § 31 Abs. 1 SEAG jedoch nicht verwiesen; eine dem § 250 Abs. 1 Nr. 2 AktG entsprechende Regelung ist in § 31 Abs. 1 SEAG nicht enthalten. Nach überwiegender Ansicht ist diese Lücke per Analogie zu § 250 Abs. 1 Nr. 2 AktG zu schließen.191 Das Fehlen einer korrespondierenden Regelung in § 31 Abs. 1 SEAG sei ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers.192 Darauf lasse das „Schweigen der Gesetzesbegründung“ an dieser Stelle schließen.193 „Ein nachvollziehbarer Grund, warum hier die Missachtung der Bindung an den Wahlvorschlag andere Konsequenzen haben sollte, als im Anwendungsbereich des § 250 Abs. 1 Nr. 2 AktG, [sei] nicht ersichtlich.“194 Die Gegenansicht, wonach eine Analogie zu § 250 Abs. 1 Nr. 2 AktG nicht in Frage kommt, 190 Vgl. RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 38, mit den dortigen Bezugnahmen auf §§ 250 f. AktG. 191 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 32 mit dortiger Fn. 112; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 98; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 43 SE-VO Rn. 32; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 31 SEAG) Rn. 6; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 31 SEAG Rn. 7; Göz, ZGR 2008, 593, 623. 192 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 32 mit dortiger Fn. 112; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 43 SE-VO Rn. 32; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 31 SEAG) Rn. 6; Göz, ZGR 2008, 593, 623. 193 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 43 SE-VO Rn. 32; im Anschluss Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 32 mit dortiger Fn. 112; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 31 SEAG) Rn. 6. 194 Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 31 SEAG Rn. 7.

B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG

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wird – soweit ersichtlich – nur von Siems vertreten, der das Fehlen einer entsprechenden Regelung in § 31 Abs. 1 SEAG für „eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung“ hält.195 Richtigerweise ist eine Analogie zu § 250 Abs. 1 Nr. 2 AktG abzulehnen; es bleibt also bei den in § 31 Abs. 1 SEAG ausdrücklich aufgeführten Nichtigkeitsgründen. Das Gegenteil – also das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke – lässt sich insbesondere nicht mit der Gesetzesbegründung belegen. So enthält die Begründung zum Regierungsentwurf, auf die sich beide Ansichten wohl beziehen, in Hinblick auf § 31 SEAG die knappe Bemerkung: „Die Vorschrift entspricht weitgehend § 250 Aktiengesetz. Neben den dort genannten Stellen ist auch der SE-Betriebsrat parteifähig.“196 Hieraus ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers in Bezug auf § 250 Abs. 1 Nr. 2 AktG abzuleiten, fällt schwer. Naheliegender ist wohl die Annahme, dass der Begründung überhaupt keine Aussagekraft in Hinblick auf die Absichten hinter der Regelungslücke zukommt. Der Blick fällt daher wieder zurück auf den Gesetzestext, der ebenfalls kaum mehr offenbart als eine schlichte Regelungslücke in Hinblick auf § 250 Abs. 1 Nr. 2 AktG und der – wenn man ihm denn Aussagekraft in Hinblick auf die vorliegende Frage zumessen will – wohl eher gegen die Planwidrigkeit dieser Lücke spricht. Denn § 31 SEAG und § 250 AktG sind nahezu vollständig parallel aufgebaut und die Verweise von § 31 SEAG auf das AG-Beschlussmängelrecht ausgesprochen detailverliebt – nach Absätzen und einzelnen Sätzen differenzierend – ausgestaltet. Sollte der Gesetzgeber hier schlicht übersehen haben, dass § 250 Abs. 1 AktG aus (seinerzeit) vier Ziffern und § 31 Abs. 1 SEAG aus nur drei Ziffern besteht? Näher liegt wohl die Annahme, dass der Gesetzgeber es schlicht nicht für erforderlich hielt, das Verhältnis der beiden Vorschriften ausführlich zu erläutern. Denn bereits der im Vorfeld des Regierungsentwurfs publizierte SEEG-Diskussionsentwurf enthielt in § 35 Abs. 1 eine mit § 31 Abs. 1 SEAG nahezu deckungsgleiche Regelung, die nur aus drei Ziffern bestand, also keine dem § 250 Abs. 1 Nr. 2 AktG entsprechende Norm enthielt.197 An dieser Lücke nahm in der Zeit bis zum Inkrafttreten des SEAG, soweit ersichtlich, niemand Anstoß. Der SEEG-RegE-Verfasser und der Gesetzgeber durften also davon ausgehen, dass der Gesetzeswortlaut (auch) ohne begleitende Erläuterung respektiert werden würde. Rechtspolitisch mag es durchaus Sinn ergeben, auch § 250 Abs. 1 Nr. 2 AktG in § 31 Abs. 1 SEAG zu spiegeln – etwa durch die Formulierung: „… die Hauptversammlung, obwohl sie an Wahlvorschläge gebunden ist (§ 36 Abs. 4 SEBG), eine nicht vorgeschlagene Person wählt, …“ Aufgerufen hierzu ist jedoch allein der Gesetzgeber. Für eine außergesetzliche Rechtsfortbildung bietet die Erwägung, ein nachvollziehbarer Grund für ein Nicht-Abweichen vom Gesetzestext sei nicht ersichtlich,198 allein keine tragfähige Grundlage. 195 196 197 198

Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SEAG (§§ 31 – 33 SEAG) Rn. 5. RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 38. AG 2003, 204, 208. Siehe oben 3. Teil, Fn. 194.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

c) Verwendung des Bilanzgewinns (§§ 253, 254 AktG), Kapitalerhöhung (§ 255 AktG) und Feststellung des Jahresabschlusses (§§ 256, 257 AktG) Nur auf Ebene des Aktiengesetzes finden sich schließlich Sonderregelungen für die Beschlüsse über die Verwendung des Bilanzgewinns, über die Kapitalerhöhung gegen Einlagen und über die Feststellung des Jahresabschlusses. Für die SE gelten sie über Art. 53 SE-VO entsprechend, ohne dass sich SE-spezifische Besonderheiten ergeben.199

C. Freigabeverfahren I. Zulässigkeit 1. Statthaftigkeit a) Enumerativprinzip vs. Analogiefähigkeit Anders als das allgemeine zivilrechtliche Eilverfahren nach §§ 916 ff., 935 ff. ZPO sind die Vorschriften über das Freigabeverfahren nicht in einem einzigen, allgemein gehaltenen Regelungskomplex zusammengefasst, sondern sowohl systematisch als auch dem Wortlaut nach enumerativ ausgewählten Beschlussarten zugeordnet. Freigegeben werden können danach gemäß § 246a AktG Hauptversammlungsbeschlüsse „über Maßnahmen der Kapitalbeschaffung, der Kapitalherabsetzung (§§ 182 bis 240) oder einen Unternehmensvertrag (§§ 291 bis 307)“, gemäß § 319 Abs. 6 AktG Beschlüsse über die Eingliederung in eine andere Aktiengesellschaft, gemäß § 327e Abs. 2, § 319 Abs. 6 AktG Beschlüsse über einen aktienrechtlichen Squeeze-Out und gemäß § 16 Abs. 3, § 122k Abs. 1 Satz 2, § 125 Satz 1, § 176 Abs. 1, § 198 Abs. 3 UmwG Beschlüsse über inländische und grenzüberschreitende Verschmelzungen, über Spaltungen, Formwechsel und Vermögensübertragungen.200 All’ diese Beschlüsse können auch von der Hauptversammlung einer deutschen SE gefasst werden,201 so dass einer Anwendung der jeweiligen Freigabevorschriften gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO grundsätzlich nichts im

199 Ebenso Göz, ZGR 2008, 593, 624, der den Verweis aus Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO für einschlägig hält (hierzu bereits oben Abschnitt „Deutsches Beschlussmängelrecht“, S. 117. 200 Die in § 246a, § 319 Abs. 6 AktG und § 16 Abs. 3 UmwG enthaltenen Freigabevorschriften sind inhaltlich weitgehend deckungsgleich. Der Lesbarkeit halber beschränken sich die nachfolgenden Gesetzeszitate daher weitgehend auf § 246a AktG. Soweit nicht anders angegeben, sind damit jeweils auch die Parallelregelungen in § 319 Abs. 6 AktG und § 16 Abs. 3 UmwG gemeint. 201 Siehe etwa unten Abschnitt „Finanzierungs- und Kapitalmaßnahmen“, S. 380.

C. Freigabeverfahren

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Weg steht.202 Allein bei der Beteiligung einer deutschen SE an der Gründung einer neuen SE durch Verschmelzung203 wird Art. 18 SE-VO die einschlägige Verweisungsnorm sein.204 Aus dem Enumerativcharakter der Freigabevorschriften wird im aktiengesetzlichen Schrifttum ganz überwiegend der Schluss gezogen, eine analoge Anwendung des Freigabeverfahren auf sonstige eintragungsbedürftige Hauptversammlungsbeschlüsse komme nicht in Frage.205 Insbesondere die Eintragung eines Satzungsänderungs- oder einer Auflösungsbeschlusses könne nicht freigegeben werden.206 Dem gegenüber steht eine im SE-rechtlichen Schrifttum vielfach vertretene Ansicht, die eine analoge Anwendung des Freigabeverfahrens auf den Beschluss einer SE-Hauptversammlung über die grenzüberschreitende Sitzverlegung nach Art. 8 SE-VO207 und auf den Beschluss der Hauptversammlung über eine SE-Holdinggründung nach Art. 32 Abs. 6 SE-VO208 befürwortet. Die Eintragung beider Beschlüsse ist in § 10 Abs. 2 bzw. § 14 SEAG nämlich mit Negativerklärungen verknüpft, in denen die jeweils Anmeldenden versichern müssen, dass eine Beschlussmängelklage „nicht oder nicht fristgemäß erhoben oder eine solche Klage rechtskräftig abgewiesen oder zurückgenommen worden ist“; ein Freigabeverfahren ist gesetzlich nicht vorgesehen. Es sei aber kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, dass Beschlussmängelklagen hier eine größere Blockadewirkung entfalten sollten als beispielsweise im Rahmen einer SE-Verschmelzungsgründung.209 Die Gesetzes202 Die Anwendbarkeit befürwortend auch OLG Frankfurt am Main, BeckRS 2011, 16034 (Anwendbarkeit des Freigabeverfahrens nach § 16 Abs. 3 UmwG beim Formwechsel einer SE in eine KGaA); Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 57 SE-VO Rn. 37; implizit auch Witten, Minderheitenschutz (2011), S. 115 f. 203 Hierzu näher unten Abschnitt „Beteiligung an der Gründung einer neuen SE gemäß Art. 2 f. SE-VO“, S. 401. 204 Da sich die Freigaberegelungen in § 246a, § 319 Abs. 6, AktG, § 16 Abs. 3 UmwG nicht unterscheiden 205 Siehe nur Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 1; Weber/ Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 13; jeweils m.w.N. 206 Siehe die Nachweise im 3. Teil in Fn. 205. 207 Diekmann, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 8 SE-VO Rn. 59; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 8 Rn. 33 (eine analoge Geltung des Freigabeverfahrens im Rahmen der Holding-SE-Gründung aber ablehnend; Art. 33 Rn. 47 a.E.); Göz, ZGR 2008, 593, 606 f., 627; Witten, Minderheitenschutz (2011), S. 118 f.; Zang, Sitz und Verlegung des Sitzes (2005), S. 188; erwägend auch Hunger, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 9. Kap. Rn. 137. 208 Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 33 SE-VO Rn. 18; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 33 SE-VO Rn. 109 f.; Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 33 SE-VO Rn. 30; Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 32 SE-VO Rn. 101; Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 33 SEVO Rn. 45 a.E.; Marsch-Barner, in: Lutter/Bayer, Holding-Hdb, 5. Aufl. (2015), Rn. 18.75; Göz, ZGR 2008, 593, 606 f.; Witten, Minderheitenschutz (2011), S. 117 f. 209 Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 32 SE-VO Rn. 101; in dieselbe Richtung Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 33 SE-VO Rn. 109 f.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

materialien zum SEEG ließen nicht darauf schließen, dass ein Freigabeverfahren insofern ausgeschlossen sein solle.210 Hintergrund des Fehlens einer gesetzlichen Regelung sei vielmehr die Fehlvorstellung des Gesetzgebers gewesen, dass das Freigabeverfahren insoweit ebenso wie bei der Verschmelzungsgründung bereits ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung anwendbar sei.211 Auch sei eine HoldingGründung bzw. eine Sitzverlegung ohne Freigabeverfahren praktisch nicht handhabbar. Dies verstoße gegen das Gebot des Effet-Utile-Grundsatzes, jede Rechtsnorm so auszulegen, dass sie ihre volle Wirksamkeit entfalten könne.212 Freilich wird auch im SE-rechtlichen Schrifttum die Auffassung vertreten, das Freigabeverfahren sei auf die Sitzverlegung und Holding-SE-Gründung nicht analog anwendbar.213 Zur Begründung wird auf mehrere Stellungnahmen in der Literatur214 aus der Zeit zwischen dem Erlass der SE-Verordnung und dem Inkraftrreten des SEAG verwiesen, die dem Gesetzgeber nahe legten, für die beiden vorgenannten Beschlüsse ein Freigabeverfahren vorzusehen bzw. auf die bereits kodifizierten Verfahren zu verweisen. Die gesetzgeberische Entscheidung, diesen Vorschlägen nicht Folge zu leisten, sei zu akzeptieren.215 Die für eine entsprechende Anwendbarkeit vorgetragenen Argumente scheinen auf den ersten Blick überzeugend. Für das Erfordernis einer Negativerklärung ohne Freigabemöglichkeit, wie es in § 10 Abs. 2, § 14 SEAG vorgesehen ist, findet sich in der Tat kein Vorbild im deutschen Aktien- und Umwandlungsrecht.216 Vor dem Hintergrund der konsequenten Parallelität von Negativerklärung und Freigabever210 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 33 SE-VO Rn. 110 Fn. 182; Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 33 SE-VO Rn. 30; Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SERecht (2013), Art. 32 SE-VO Rn. 101. 211 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 33 SE-VO Rn. 110; Schäfer, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2012), Art. 33 SE-VO Rn. 30; Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 32 SE-VO Rn. 101; Witten, Minderheitenschutz (2011), S. 118. 212 Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 32 SE-VO Rn. 101; Göz, ZGR 2008, 593, 606 f. 213 Bayer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 33 SE-VO Rn. 54; Heckschen, in: Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Loseblattsammlung (Stand 02/ 2011), Anh 14 Rn. 328 f.; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 33 Rn. 47 a.E. (eine analoge Geltung des Freigabeverfahrens im Rahmen der Sitzverlegung aber befürwortend; a.a.O., Art. 8 Rn. 33); Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 8 SE-VO Rn. 63; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 335; Jannott, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 3. Kap. Rn. 186 a.E.; Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 4. Abschn., § 3 Rn. 33; Teichmann, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 7. Abschn., Rn. 38; Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 411. 214 Marsch-Barner, in: Lutter, Holding-Hdb, 4. Aufl. (2004), § 15 Rn. 84; DAV Handelsrechtsausschuss, NZG 2004, 957, 958 f.; Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749, 1753; Teichmann, AG 2004, 67, 70. 215 Bayer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 33 SE-VO Rn. 54; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 335. 216 Vgl. die zutreffende Bemerkung von Göz, ZGR 2008, 593, 607 Fn. 54, es existiere „im nationalen Recht kein Erfordernis einer Negativerklärung ohne Freigabeverfahren.“

C. Freigabeverfahren

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fahren in § 319 Abs. 5, Abs. 6, § 327e Abs. 2 AktG, § 16 Abs. 2, Abs. 3 UmwG erscheinen § 10 Abs. 2, § 14 SEAG daher als systemwidrige Fremdkörper, die es per Analogie in die allgemeinen Regelungsgedanken des deutschen Aktienrechts einzupassen gilt. Weniger überzeugend erscheint dagegen die Bezugnahme auf den Effet-UtileGrundsatz, geht es doch bei der Reichweite des Freigabeverfahrens nicht um die Auslegung von europäischem, sondern deutschem Recht. Noch zweifelhafter ist die Planwidrigkeit der mutmaßlichen Regelungslücke. Denn die These, der Gesetzgeber habe schlicht übersehen, dass er die Anwendbarkeit des Freigabeverfahrens hätte gesetzlich anordnen müssen, überzeugt vor dem Hintergrund der zahlreichen, eine gesetzliche Regelung anregenden Stellungnahmen in der Literatur217 nicht. Insbesondere die Tatsache, das der Gesetzgeber an anderen Stellen durchaus ein offenes Ohr für Anregungen aus der Literatur bewies,218 macht es unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber gerade in dieser Hinsicht Anregungen übersah und dazu noch den Fehler machte, von einer ohnehin gegebenen Anwendbarkeit des Freigabeverfahrens auszugehen. Wäre dies tatsächlich so gewesen, so hätte der Gesetzgeber im Rahmen des ARUG 2009, das gerade für das Freigabeverfahren weitreichende Änderungen vorsah, nachbessern können. Wie schon 2004 verzichtete der Gesetzgeber jedoch auch 2009 darauf, für den Sitzverlegungsund Holding-SE-Gründungsbeschluss eine Freigaberegelung vorzusehen. Und auch in der Literatur wurde die Ansicht, das Freigabeverfahren sei auch ohne gesetzliche Anordnung auf die Sitzverlegung und Holding-SE-Gründung anwendbar, bezeichnenderweise erst vertreten, seitdem klar war, dass der Gesetzgeber keine dahingehende gesetzliche Regelung in das SEAG aufnehmen würde.

217

Siehe die Nachweise im 3. Teil unter Fn. 214. Vgl. die Anregungen für ein deutsches Ausführungsgesetz zur SE-Verordnung von Teichmann, AG 2002, 1109, die sich zu einem bedeutenden Teil im SEAG wieder finden (z. B. Barabfindungsrecht und Spruchverfahren bei Sitzverlegung, Ausfüllung der Regelungsermächtigung aus Art. 40 Abs. 3 SE-VO in Anlehnung an § 95 AktG). 218

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

Vor diesem Hintergrund reicht der Systembruch als solcher, den die § 10 Abs. 2, § 14 SEAG ohne Zweifel beinhalten, nicht aus, um eine außergesetzliche Analogie zu begründen. Denn bereits im Rahmen des UMAG 2005 zeigte sich der Gesetzgeber zu einem solchen Systembruch bereit, als er mit § 246a AktG erstmals eine Freigabemöglichkeit für Beschlüsse vorsah, deren Eintragung nicht von einer Negativerklärung abhängt. Dass in Bezug auf die SE nun auch Beschlussarten existieren, deren Eintragung von einer Negativerklärung abhängt, ohne dass eine Freigabemöglichkeit existiert, ist dementsprechend kein Anlass, um den Boden des Gesetzestextes zu verlassen. Aus Sicht der betroffenen Gesellschaften wäre es allerdings ohne Zweifel höchst willkommen, wenn der Gesetzgeber die Anregungen aus der Literatur noch einmal überdenken und auch im Rahmen der § 10 Abs. 2, § 14 SEAG eine Freigabemöglichkeit vorsehen würde.219 b) Abgrenzung zu anderen Eilverfahren Die Positionierung des Freigabeverfahrens als besonderes Eilverfahren220 wirft die Frage auf, in welchem Umfang auf das allgemeine zivilprozessuale Eilverfahren nach §§ 916 ff., 935 ff. ZPO zurückgegriffen werden kann, wenn es um die Eintragung eines Hauptversammlungsbeschlusses geht. Klar ist zunächst, dass innerhalb des Anwendungsbereichs des Freigabeverfahrens kein Platz für eine parallele Anwendbarkeit der §§ 916 ff., 935 ff. ZPO bleibt, und zwar weder aus Sicht des Antragsstellers noch aus der des Antragsgegners. Der Antragssteller kann keine einstweilige Verfügung mit dem Inhalt beantragen, dass die Eintragung eines freigabefähigen Hauptversammlungsbeschlusses zu erfolgen habe,221 und der Antragsgegner kann eine positive Freigabeentscheidung nicht blockieren, indem er eine einstweilige Verfügung mit dem Inhalt beantragt, die Anmeldung bzw. Eintragung zu unterlassen.222 Für den Antragssteller folgt dies aus dem allgemeinen lex-specialis-Grundsatz.223 Für den Antragsgegner hält § 246a AktG zwar kein besonderes Eilverfahren bereit; dass die Freigaberegelungen auch aus seiner Sicht grundsätzlich abschließend sind, folgt jedoch aus dem besonderen, zugunsten des Antragsstellers verschobenen Begründetheitsmaßstab in § 246a Abs. 2 AktG. Anders als im allgemeinen Eilverfahren kommt es hier nicht auf ein Glaubhaftmachen von Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund an; vielmehr ist bereits ein überwiegendes Freigabeinteresse des Antragsstellers oder eine niedrige Beteiligung des Antragsgegners ausreichend, um 219

Etwa in Form eines Verweises auf § 16 Abs. 3 UmwG. Siehe unten 3. Teil, Fn. 299. 221 Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 246a Rn. 39; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 15. 222 Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 246a Rn. 39. 223 Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 246a Rn. 28; Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 246a Rn. 39; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 15. 220

C. Freigabeverfahren

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eine positive Freigabeentscheidung zu erwirken, und zwar selbst dann (jedenfalls im Fall des § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG), wenn der Antragsgegner in der Hauptsache voraussichtlich obsiegt. Die glaubhafte Aussicht, in der Hauptsache zu obsiegen, wäre für den Antragsgegner aber häufig ausreichend, um eine einstweilige Verfügung nach §§ 916 ff., 935 ff. ZPO gegen die Eintragung zu erwirken – die gesetzgeberische Entscheidung, den Begründetheitsmaßstab im Freigabeverfahren zugunsten des Antragsstellers zu verschieben, wäre neutralisiert. Dies kann nur vermieden werden, indem der Anwendungsbereich des Freigabeverfahrens gegen einstweilige Verfügungen zugunsten des Antragsgegners abgeschirmt wird. Die Belange des Antragsgegners kommen stattdessen im Rahmen des § 246a Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 AktG zum Tragen. Nur ausnahmsweise kann ein (potenzieller) Antragsgegner eine einstweilige Verfügung gegen einen freigabefähigen Hauptversammlungsbeschluss in Stellung bringen – nämlich dann, wenn der Anfechtungsbeklagte die Eintragung beantragt hat, er kein Freigabeverfahren eingeleitet hat (oder ein laufendes Freigabeverfahren noch nicht abgeschlossen ist) und dennoch eine Eintragung zu erwarten ist.224 Beantragt der Anfechtungsbeklagte auf eine derartige einstweilige Untersagung der Eintragung hin jedoch die Freigabe des Beschlusses (oder endet das laufende Freigabeverfahren zugunsten des Antragsstellers), so setzt sich eine positive Freigabeentscheidung wiederum gegen die einstweilige Verfügung durch, und die Eintragung kann erfolgen.225 Grundsätzlich Platz für einstweilige Verfügungen nach §§ 916 ff., 935 ff. ZPO ist dagegen in Hinblick auf Hauptversammlungsbeschlüsse, die eintragungsbedürftig, aber nicht freigabefähig sind – also insbesondere Satzungsänderungen. Abhängig von der Stoßrichtung seines Rechtsschutzbegehrens stehen dem Aktionär hier zwei Antragsvarianten zur Verfügung. Zum einen kann er beantragen, dem Leitungsorgan bzw. den geschäftsführenden Direktoren aufzugeben, die Anmeldung zu unterlassen und gegebenenfalls eine bereits eingereichte Anmeldung wieder zurück zu ziehen; die einstweilige Verfügung richtet sich dann gegen den Anmeldenden.226 Zum anderen kann der Anfechtungskläger beantragen, die Eintragung für unzulässig zu erklären; die einstweilige Verfügung richtet sich dann unmittelbar gegen den Registerrichter, dem auf einen Widerspruch des Anfechtungsklägers hin gemäß § 16 224 Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 246a Rn. 39; ähnlich Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 65. Denkbar ist dies nur für die in § 246a Abs. 1 AktG genannten Beschlussarten. Für die Eintragung aller weiteren freigabefähigen Beschlüsse ist eine Erklärung des Anmeldenden erforderlich, dass keine Beschlussmängelklagen anhängig sind (vgl. § 319 Abs. 5 AktG, § 16 Abs. 2 UmwG). 225 Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 246a Rn. 28; Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 246a Rn. 39. Wohl contra legem der Ansatz von Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 66, der wiedersprüchliche Entscheidungen durch eine Verbindung von Freigabe- und Verfügungsverfahren in einem einheitlichen Eilverfahren vor dem Oberlandesgericht verbinden will. 226 Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 16.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

Abs. 2 HGB die Hände gebunden sind.227 Beide Anträge können auch nebeneinander gestellt werden. 2. Zuständigkeit Gemäß § 246a Abs. 1 Satz 3 AktG entscheidet ein über Freigabeantrag ein Senat des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. Den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Abschaffung der Eingangsinstanz auf Ebene des Landgerichts (welches mit der Hauptsache befasst ist) im Zuge des ARUG 2009 ist in Rechtsprechung und Literatur zu Recht eine klare Absage erteilt worden.228 Durch Landesrecht kann die Zuständigkeit gemäß § 13a GVG auf ein einziges Oberlandesgericht konzentriert werden.229 Gebrauch gemacht von dieser Möglichkeit hat bislang nur Bayern, wo gemäß § 11b BayAGGVG das Oberlandesgericht Nürnberg auch im Bezirk des Oberlandesgerichts Bamberg für Freigabeverfahren nach § 246a AktG230 zuständig ist. 3. Rechtshängigkeit der Beschlussmängelklage Freigegeben werden kann nur ein Hauptversammlungsbeschluss, der spätestens im Zeitpunkt der Freigabeentscheidung mit einer rechtshängigen – also zugestellten – Beschlussmängelklage angegriffen worden ist.231 Dies ergibt sich deutlich aus dem Gesetzeswortlaut des § 246a Abs. 1 Satz 1 („Klage erhoben“), der nicht nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten umgedeutet werden kann.232 Nicht ausreichend ist dagegen die in der Klagebegründung geäußerte Behauptung des Anfechtungsklägers, auch nicht angefochtene Beschlüsse derselben Hauptversammlung seien rechtswidrig.233 Eingeleitet werden kann das Freigabeverfahren aber bereits bei Anhängigkeit der entgegenstehenden Beschlussmängelklage, also dem Eingang der

227 Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 243 Rn. 156; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 16. 228 Siehe nur KG Berlin, NZG 2010, 224; Schall/Habbe/Wiegand, NJW 2010, 1789. 229 Baums/Drinhausen/Keinath, ZIP 2011, 2329, 2330, 2351; Wilk, in: MüHdB-GesR, Bd. 7, 5. Aufl. (2015), § 29 Rn. 268; a.A. Verse, NZG 2009, 1127, 1128; Weber/Kersjes, HVBeschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 19. 230 Eine Konzentration der Freigabeverfahren nach § 319 Abs. 6 AktG, § 16 Abs. 3 UmwG wird nicht angeordnet. 231 OLG München, ZIP 2013, 931 („Siemens/Osram“); Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 246a Rn. 5. 232 A.A. (Freigabeentscheidung bereits bei Anhängigkeit der Klage möglich) Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 246a Rn. 3; Stohlmeier, NZG 2010, 1011, 1012. 233 OLG Frankfurt am Main, ZIP 2010, 2500, 2501.

C. Freigabeverfahren

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Klage bei Gericht; eine Freigabeentscheidung kann dann auf die Zustellung der Klage hin ergehen.234

II. Begründetheit Der Freigabeantrag ist gemäß § 246a Abs. 2 AktG begründet, wenn die Beschlussmängelklage unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (Nr. 1), wenn der Kläger nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Antrags durch Urkunden nachgewiesen hat, dass er seit Bekanntmachung der Einberufung einen anteiligen Betrag von mindestens 1.000 Euro hält (Nr. 2), oder wenn das alsbaldige Wirksamwerden des Hauptversammlungsbeschlusses vorrangig erscheint, weil die vom Antragssteller dargelegten wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Antragsgegner überwiegen, es sei denn, es liegt eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vor (Nr. 3). Am häufigsten wird die Freigabeentscheidung auf den fehlenden Nachweis des Bagatellquorums (Nr. 2) gestützt.235 1. Unzulässigkeit oder offensichtliche Unbegründetheit der Hauptsacheklage, § 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG, § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 AktG Ähnlich wie die Eilverfahren nach §§ 916 ff. ZPO eine Inzidentprüfung des in der Hauptsache geltend gemachten Anspruchs beinhalten (Arrest- bzw. Verfügungsanspruch), so nimmt ein Gericht, das eine positive Freigabeentscheidung auf § 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG stützen will, eine weitgehende Inzidentprüfung der in der Hauptsache rechtshängigen Beschlussmängelklage vor.236 Während die Antwort auf die Frage, welchen Prüfungsmaßstab das Gericht in Bezug auf die Zulässigkeit der Hauptsacheklage anlegen muss, noch recht nahe liegt, findet sich für die Art und Intensität, mit der das Gericht die „offensichtliche“ (Un-) Begründetheit der Hauptsacheklage zu überprüfen hat, unterschiedliche Ansätze.237 In Literatur und Rechtsprechung haben sich eine ganze Reihe von Formeln für das

234 So geschehen bei OLG München, ZIP 2013, 931 („Siemens/Osram“): Zustellung am 8. April 2013, Freigabeentscheidung am 10. April 2013. Ebenso Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 246a Rn. 5; Wilk, in: MüHdB-GesR, Bd. 7, 5. Aufl. (2015), § 29 Rn. 271; a.A. Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 37. 235 Jedenfalls für die ersten beiden Jahre nach Inkrafttreten des ARUG: Baums/Drinhausen/ Keinath, ZIP 2011, 2329, 2349. 236 Siehe nur OLG München, AG 2012, 45, 47; OLG München, Beschluss v. 14. 12. 2011, Az. 7 AktG 3/11 (Juris), Rn. 27 – 56; Wilsing/Saß, DB 2011, 919, 920 f. 237 Vgl. nur die ausführlichen Nachweise bei Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 40 f.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

Prüfungsprogramm entwickelt. Danach ist die Hauptsacheklage dann offensichtlich unbegründet, wenn: „… nach eingehender rechtlicher Würdigung die Rechtslage so eindeutig ist, dass sich die Anfechtungsklage als zweifelsfrei unbegründet darstellt und eine andere rechtliche Beurteilung nicht vertretbar erscheint.“238 „… sie nach der Rechtsauffassung des Gerichts aufgrund des unstreitigen Sachverhalts unbegründet ist oder sie, sofern ihr Erfolg von einer Beweisaufnahme abhängt, bei Würdigung der vorgelegten Beweise (Abs. 3 Satz 2 verlangt nur Glaubhaftmachung) mit eindeutig überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird.“239 „… sich die Unbegründetheit der Klage mit hoher Sicherheit vorhersehen lässt.“240 „… das Gericht bei umfassender rechtlicher Würdigung des gesamten Sachverhalts und der glaubhaft gemachten Tatsachen eine andere Beurteilung für nicht oder kaum vertretbar hält.“241 „… sich ohne weitere Aufklärung in der Sache die Überzeugung gewinnen lässt, dass die Klage voraussichtlich abzuweisen ist und auch in der Berufungs- bzw. Revisionsinstanz keine Erfolgsaussichten bietet.“242 „… das Gericht auf der Grundlage der unstreitigen oder der entsprechend glaubhaft gemachten Tatsachen ohne weitere tatsächliche Ermittlung zu der Überzeugung kommt, dass die Klage zweifelsfrei unbegründet ist.“243 „… das Gericht auf der Grundlage der unstreitigen oder (…) glaubhaft gemachten Tatsachen ohne weitere sachliche Ermittlungen und ohne schwierige rechtliche Überlegungen zu der Überzeugung kommt, dass die Klage zweifelsfrei unbegründet ist.“244

Eine echte Hilfestellung für Rechtsanwender und Gerichte, die sich mit der Frage auseinandersetzen, welche Gesichtspunkte im Einzelfrall Bestandteil des Prüfungsprogramms sind und welche nicht, leisten die vorgenannten Formulierungen größtenteils nicht. Die Übersetzung von „Offensichtlichkeit“ in „mit hoher Sicherheit vorhersehen“ beispielsweise trägt kaum zur inhaltlichen Präzisierung bei; die Wendung „mit eindeutig überwiegender Wahrscheinlichkeit“ ist wohl bereits in sich nicht frei von Widersprüchen; und die These, eine abweichende Rechtsansicht dürfe nicht vertretbar sein, wird für die Klausurbearbeitung hilfreicher sein als für eine richterliche Entscheidung – denn das Zugeständnis, eine abweichende Rechtsansicht sei vertretbar, ist richterlichen Eil- und Hauptsacheverfahren gleichermaßen wesensfremd. Ebenso wird kaum ein Gericht einen Gesichtspunkt mit 238

Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 25; ähnlich Decher, in: Lutter, UmwG, 5. Aufl. (2014), § 16 Rn. 43. 239 Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 246a AktG Rn. 5. 240 Heidinger, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 16 UmwG Rn. 21; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 3. 241 St. Rspr. des OLG München; vgl. ZIP 2010, 84, 85; Beschluss v. 14. 12. 2011, Az. 7 AktG 3/11 (Juris), Rn. 28; AG 2012, 45, 47; AG 2013, 173, 174 („W.E.T. II“). 242 Wilsing/Saß, DB 2012, 919, 920. 243 Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), § 16 Rn. 56. 244 Bork, in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. (2009) § 16 Rn. 22.

C. Freigabeverfahren

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dem Argument ignorieren, es bedürfe hierfür „schwieriger rechtlicher Überlegungen“. Tatsächlich wird eine abstrakt-generelle Definition der offensichtlichen Unbegründetheit, die sich nicht in Leerformeln erschöpft und dennoch allen Einzelfällen gerecht wird, nicht gelingen. Denn welche Gesichtspunkte der Begründetheit ein Gericht im Einzelfall für offensichtlich erachten wird bzw. zu erachten hat, lässt sich losgelöst von den Umständen des Einzelfalls nicht sinnvoll beurteilen. Sogar das Geschick der jeweiligen Parteivertreter wird letztlich eine erhebliche Rolle für die Willigkeit des Gerichts spielen, sich zugunsten der einen oder anderen Partei mehr oder weniger aufwändig mit den relevanten rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten zu befassen. Auf abstrakt-genereller Ebene trägt das Merkmal der offensichtlichen Unbegründetheit eine abschließende Definition bereits selbst in sich. Auch wenn das Merkmal der offensichtlichen Unbegründetheit einer präzisierenden Definition nicht zugänglich ist, so können doch bestimmte Vorbringen des Klägers bzw. Antragsgegners als offensichtlich unbegründet eingeordnet werden – mit der Folge, dass eine Beschlussmängelklage, die sich ausschließlich auf diese Vorbringen stützt, stets als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG eingeordnet werden kann. Offensichtlich unbegründet ist die Klage beispielsweise insoweit, als sie sich auf die Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm stützt, deren Verfassungsmäßigkeit bereits auf höchstrichterlicher Ebene festgestellt ist.245 Dasselbe gilt, wenn der in der Hauptsache angefochtene Hauptversammlungsbeschluss durch einen neuen Beschluss nach § 244 Satz 1 AktG bestätigt wurde und dieser Beschluss innerhalb der Anfechtungsfrist nicht angefochten wurde.246 Und auch eine Anfechtungsklage, die sich ausschließlich auf das Vorbringen stützt, die im angegriffenen Hauptversammlungsbeschluss enthaltene, gesetzlich regulierte Abfindungs-, Ausgleichs- bzw. Zuzahlung247 sei unangemessen niedrig bemessen, ist offensichtlich unbegründet, wenn für die Angemessenheitskontrolle das Spruchverfahren zur Verfügung steht.248

245 Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 42; vgl. auch BGH, NZG 2006, 117 (jeweils zum Vorbringen, §§ 327a ff. AktG seien verfassungswidrig). 246 OLG Frankfurt am Main, NZG 2008, 78, 79; Decher, in: Lutter, UmwG, 5. Aufl. (2014), § 16 Rn. 49; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 42. 247 Zu den einzelnen Fällen siehe unten Abschnitt „Recht auf gesetzlich regulierte Abfindungs-, Ausgleichs- und Zuzahlungen“, S. 468. 248 Vgl. Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 42.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

2. Kein urkundlicher Nachweis einer Beteiligung von mindestens 1.000 Euro innerhalb einer Woche, § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG, § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 UmwG a) Verfassungsmäßigkeit Kann einem Aktionär nur aufgrund seiner verhältnismäßig niedrigen Beteiligungshöhe das Recht abgesprochen werden, die Eintragung eines angefochtenen Hauptversammlungsbeschlusses aufzuhalten, ohne verfassungsmäßige Rechte des betroffenen Aktionärs zu verletzen? Seit Einführung der 1.000-Euro-Schwelle als gesonderter249 Freigabetatbestand im Rahmen des ARUG ist dies umstritten. Bereits vor Einsetzen der verfassungsrechtlichen Diskussion um § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG mit Veröffentlichung des ARUG-Referentenentwurfs vom 6. Mai 2008 wurde die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Beschränkung des Anfechtungsrechts auf Aktionäre mit einer bestimmten Mindestbeteiligung für problematisch erachtet.250 So sei fraglich, ob sich ein Bagatellquorum mit der Funktion der Anfechtungsklage als Instrument des individuellen Rechtsschutzes des Aktionärs vertrage.251 Denn die Anerkennung eines legitimen Zweckes falle schwer, wenn rechtswidrige Beschlüsse ungeachtet der Bedeutung der verletzten Norm und der Schwere der Rechtsverletzung unter Hinweis auf die Funktionstüchtigkeit der Gesellschaft und das vorrangige Vollzugsinteresse der Mehrheit gegen Beschlussmängelklagen abgeschirmt würden. Schadensersatzansprüche der betroffenen Kleinaktionäre eigneten sich nicht zur Kompensation des Rechtsverlusts, soweit die gerügten Verstöße zu keinem individuellen Schaden beim einzelnen Aktionär führten (z. B. Informationspflichtverletzungen). § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG wird teilweise gleich in mehrfacher Hinsicht für verfassungswidrig erachtet. Zum einen ergebe sich ein Verstoß gegen die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Gesetzesbindung der Rechtsprechung (Art. 20 Abs. 3 GG).252 Denn für den Fall, dass ein Kleinaktionär eine offensichtlich erfolgversprechende Anfechtungsklage gegen einen mit schweren Rechtsverstößen behafteten Hauptversammlungsbeschluss erhebe, zwinge § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG das Gericht, diesem Hauptversammlungsbeschluss zur Bestandskraft zu verhelfen. Die Funktion des Freigabeverfahrens als Mittel des einstweiligen Rechtsschutzes werde damit in ihr Gegenteil verkehrt. Es ginge insofern nicht um die Sicherung von 249 Schon vor Inkrafttreten des ARUG wurde die Beteiligungshöhe des Antragsgegners teilweise als Kriterium der Freigabeentscheidung eingeordnet. Dies allerdings nicht im Rahmen eines eigenständigen Freigabetatbestands, sondern als Element der Abwägung zwischen Eintragungsinteresse der Gesellschaft und Suspensivinteresse des Antragsgegners; siehe nur Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 4. 250 Baums/Drinhausen, ZIP 2008, 1145, 148 f. 251 Baums/Drinhausen, ZIP 2008, 1145, 148 f.; in dieselbe Richtung die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage vom 26. Oktober 2007, BT-Drucks. 16/6845, S. 4 („würde zur Aufgabe des Anfechtungsrechts als Individualrechtsschutz führen“). 252 Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 8.

C. Freigabeverfahren

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Rechtspositionen in einem vorläufigen Verfahren, sondern um die endgültige Durchsetzung von Unrecht.253 Damit einher gehe ein Verstoß gegen das Gebot der Normklarheit.254 Denn den Gerichten würden für das Hauptsacheverfahren einerseits und für das Freigabeverfahren andererseits stark divergierende Entscheidungsparameter an die Hand gegeben. Die deutlich überwiegende Ansicht dagegen hält das Bagatellquorum für verfassungsrechtlich unbedenklich.255 Die unter das Bagatellquorum fallenden Aktionäre würden nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt. § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG sei eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Da es verfassungsrechtlich unbedenklich sei, Minderheitsaktionären per Squeeze-Out-Beschluss gemäß §§ 327a ff. AktG ihre Mitgliedschaftsrechte vollständig zu entziehen und insofern auf eine finanzielle Kompensation zu beschränken, verdiene der Gesetzeszweck, Behinderungen des Hauptaktionärs durch die Inhaber von Kleinstanteilen zu verhindern, erst recht Anerkennung, wenn es darum gehe, solchen Kleinstaktionären die Möglichkeit einer Beschlusskassation zu nehmen und sie stattdessen auf Schadensersatzansprüche zu verweisen.256 Es sei gerechtfertigt, eine Kassationsmöglichkeit „nur solchen Aktionären zu gewähren, die ein nicht unwesentliches Investment in eine Gesellschaft getätigt haben und dadurch auch Interesse an der nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens vermuten lassen.“257 Gegenüber einer Beschränkung des Klagerechts selbst sei § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG das mildere Mittel.258 Die Beschränkung sei auch verhältnismäßig, da dem Kläger der Schadensersatzanspruch aus § 246a Abs. 4 Satz 2 AktG bleibe.259 Als weitere Elemente des Gesetzeszwecks werden die Abwehr rechtsmissbräuchlicher Klagen räuberischer Aktionäre genannt,260 die Verhinderung 253

Diesen Gesichtspunkt ebenfalls kritisierend, jedoch ohne den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit zu erheben: Emmerich, AG 2013, 268 („Vorschrift, die den totalen Sieg der Industrielobby über den demokratischen Gesetzgeber markiert.“); Schall/Habbe/Wiegand, NJW 2010, 1789, 1791, 1792; Verse, NZG 2009, 1127, 1129. 254 Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 8. 255 OLG Stuttgart, NZG 2010, 27, 28 f.; OLG Hamburg, AG 2010, 214, 215 („Conergy“); OLG Frankfurt am Main, ZIP 2010, 2500, 2502; OLG Nürnberg, ZIP 2010, 2498, 2499; Verse, NZG 2009, 1127, 1129. 256 OLG Stuttgart, NZG 2010, 27, 28; OLG Hamburg, AG 2010, 214, 215 („Conergy“). 257 OLG Stuttgart, NZG 2010, 27, 28; OLG Hamburg, AG 2010, 214, 215 („Conergy“); jeweils in Anlehnung an die ähnliche (aber wohl nicht auf die verfassungsrechtliche Dimension bezogene) Formulierung in der Beschlussempfehung ARUG, BT-Drucks. 16/13098, S. 41. In dieselbe Richtung Förster, AG 2011, 362, 372 („zumindest ein minimales finanzielles Engagement in der betreffenden Gesellschaft sichergestellt“). 258 OLG Frankfurt am Main, ZIP 2010, 2500, 2502. 259 OLG Frankfurt am Main, ZIP 2010, 2500, 2502. 260 OLG Nürnberg, ZIP 2010, 2498, 2499; Seibert, ZIP 2010, 906, 910 (noch zu dem im ARUG RefE vorgesehenen 100-Euro-Quorum: „In diesen Fällen steht [der] Anfechtungsklage der Missbrauch so deutlich auf der Stirn geschrieben, dass es von vornherein ausgeschlossen sein soll, dass [der Kläger] mit seiner Klage die Eintragung (…) wichtiger Hauptversammlungsbeschlüsse verhindern kann.“); Schwanna, in: Semler/Stengel, UmwG, 3. Aufl. (2012),

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

einer „Atomisierung“ der Anfechtungsbefugnis261 sowie die Absicht, „das Aufspringen von Trittbrettfahrern zu erschweren, die sich mit sehr geringem Aktienbesitz (…) an andere Kläger anschließen und dadurch zu einer zahlenmäßigen Aufblähung der Verfahren beitragen, die die Gerichtsverwaltung vor organisatorische Probleme stellt und alleine deshalb zu Verzögerungen führt.“262 Das Bundesverfassungsgericht hatte noch keine Gelegenheit, die Verfassungsmäßigkeit zu beurteilen. Richtigerweise stehen § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen. Das von der herrschenden Ansicht gefundene Ergebnis trifft zu; die Begründung überzeugt jedoch nicht durchweg. Nicht ableiten lässt sich die Verfassungsmäßigkeit des Bagatellquorums zunächst aus der anerkannten263 Verfassungsmäßigkeit des aktienrechtlichen Squeeze-Outs nach §§ 327a ff. AktG. Denn während der betroffene Minderheitsaktionär beim Squeeze-Out eine volle finanzielle Kompensation für das entzogene Mitgliedschaftsrecht enthält, wird die aus § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG folgende Beschränkung des Kassationsrechts durch den Schadensersatzanspruch des Aktionärs aus § 246a Abs. 4 Satz 1 AktG wohl nicht adäquat aufgewogen. Kompensiert wird gemäß § 246a Abs. 4 Satz 1 AktG nämlich nicht die Verkürzung des Kassationsrechts, sondern der individuelle Schaden, den der Anfechtungskläger aus der Eintragung des angefochtenen Beschlusses erleidet. Ebenso wie der angefochtene Beschluss selbst berühren Beschlussmängel aber typischerweise gerade nicht die Rechtsposition des einzelnen Aktionär, sondern die Gesellschaft als solche.264 Es wird daher eher die Ausnahme als die Regel darstellen, dass ein Kleinaktionär, der im Freigabeverfahren wegen § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG unterliegt, in der Hauptsache dagegen obsiegt, über den Ersatz der Verfahrenskosten hinaus eine nennenswerte finanzielle Ersatzleistung erhält.265

§ 16 Rn. 31a; Wilsing/Saß, DB 2011, 919, 921; in dieselbe Richtung Bachmann, AG 2011, 181, 190. Diesen Gesetzeszweck explizit in Abrede stellend aber die Beschlussempfehung ARUG, BT-Drucks. 16/13098, S. 41. 261 RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 42; RefE ARUG vom 6. Mai 2008, S. 64; Seibert/Florstedt, ZIP 2008, 2145, 2153. 262 Beschlussempfehung ARUG, BT-Drucks. 16/13098, S. 41; auf diesen Gesetzeszweck abhebend ebenfalls OLG Hamburg, AG 2010, 214, 214 („Conergy“); OLG Nürnberg, ZIP 2010, 2498, 2499; RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 42; Wilsing/Saß, DB 2011, 919, 921. 263 BVerfG, NJW 2007, 3268, 3269 – 3271; in dieselbe Richtung bereits zuvor BVerfG, NJW 1999, 3769, 3770 („DAT/Altana“); BVerfG, NJW 1962, 1667, 1667 – 1669 („Feldmühle“). 264 Daher hängt auch die Zulässigkeit der Anfechtungsklage nicht von einer individuellen Rechtsverletzung des Klägers ab. 265 Näher zum Schadensersatzanspruch aus § 246a Abs. 4 Satz 1 AktG unten Abschnitt „Schadensersatzanspruch des Aktionärs bei gegensätzlichem Ausgang von Freigabeund Beschlussmängelverfahren“, S. 185.

C. Freigabeverfahren

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Auch mit der Abwehr von räuberischen Aktionären als gesetzgeberisches Ziel lässt sich die Verfassungsmäßigkeit des Bagatellquorums kaum begründen. Denn aus der Erkenntnis, dass räuberische Aktionäre keine Großaktionäre sind, folgt nicht umgekehrt, dass alle Kleinaktionäre räuberische Aktionäre sind.266 Es spricht daher viel dafür, dass eine am Grundkapitalanteil orientierte Beteiligungsschwelle schlechthin ungeeignet ist, um redliche von unredlichen Aktionären zu trennen.267 Nicht zutreffend ist schließlich auch das Argument, die Freigabe eines offensichtlich rechtswidrigen Hauptversammlungsbeschlusses verstoße gegen das Gebot der richterlichen Gesetzesbindung. Denn ein Gericht, das zuerst eine positive Freigabeentscheidung auf § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG stützt und anschließend ein stattgebendes Anfechtungsurteil auf die Rechtswidrigkeit des Hauptversammlungsbeschluss, entfernt sich weder vom Buchstaben noch vom Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften. Die Möglichkeit eines völlig gegensätzlichen Ausgangs von Hauptsache- und Freigabeverfahren ist in § 246a AktG – insbesondere in dessen Abs. 4 – vielmehr klar angelegt. Abzustellen ist es stattdessen allein auf das gesetzgeberische Ziel, nicht mehr jedem „Atom“ aus der Masse der Aktionäre das Recht einzuräumen, Hauptversammlungsbeschlüsse gerichtlich kassieren zu lassen: Nur wer in nennenswertem Umfang am Unternehmensrisiko der Gesellschaft partizipiert, soll auch zur Kassation von Beschlüssen der Hauptversammlung berechtigt sein.268 Hierbei mag es sich aus Sicht des einzelnen Kleinaktionärs zwar um eine finanziell nicht vollständig kompensierte Rechtsverkürzung handeln; allein hieraus verfassungsrechtliche Bedenken abzuleiten,269 wäre jedoch verfehlt und ließe insbesondere die Rechtspositionen der übrigen Aktionäre und der Organwalter unberücksichtigt. Der Rechtsverkürzung auf Seiten der Kleinstaktionäre gegenüber steht nämlich eine Rechtserweiterung auf Seiten des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans. Dessen Recht, die Eintragung ohne Aufsicht durch konkurierende Organe voranzutreiben, wird in demselbem Maße gestärkt, in dem das Recht der Kleinstaktionäre, die Eintragung aufzuhalten, beschnitten wird.270 Anders als bei der Ausschließung von Aktionären nach §§ 327a ff. AktG handelt es sich bei § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG also im Kern um eine Änderung der Kompetenz- und Kräfteverhältnisse zwischen den weiterhin in der Gesellschaft miteinander verbundenen Personen – vergleichbar etwa mit einer Er266 So aber offenbar Seibert, ZIP 2010, 906, 910 („… Missbrauch so deutlich auf der Stirn geschrieben …“; siehe oben 3. Teil, Fn. 260). 267 In dieselbe Richtung Hirte, in: FS Meilicke (2010), S. 201, 206 f.; Förster, AG 2011, 362, 371; sowie (in anderem Zusammenhang) Schmolke, ZGR 2011, 398, 424 f., der fixe Schwellenwerte zu Recht als „ein vergleichsweise krudes Mittel zur Eindämmung missbräuchlicher Klagen“ bezeichnet, das „einerseits überschießende, andererseits defizitäre Wirkung zeitigen kann.“ 268 Diesen Gedanken aufnehmend insbesondere OLG Nürnberg, ZIP 2010, 2498, 2500. 269 In diese Richtung Baums/Drinhausen, ZIP 2008, 1145, 148. 270 Vgl. Hirte, in: FS Meilicke (2010), S. 201, 207 (Verwaltung wird insoweit „von einer Kontrolle durch die Aktionäre als Eigentümer der Gesellschaft entbunden.“).

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

höhung des Ein-Prozent-Quorums aus § 148 Abs. 1 Satz 1 AktG auf fünf Prozent. Die Gestaltung der Kompetenzordnung im Binnenbereich der Gesellschaft aber steht dem Gesetzgeber grundsätzlich offen, ohne dass er dabei verfassungsrechtlichen Beschränkungen unterliegen würde. Es spricht daher viel dafür, dass § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG schon gar keinen Rechtseingriff im verfassungsrechtlichen Sinne darstellt. In keinem Fall handelt es sich um eine Grundrechtsverletzung.271 Hinzu kommt, dass die Nichtberücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache im Rahmen des Bagatellquorums nicht dazu führt, dass das Leitungsorgan bzw. die geschäftsführenden Direktoren insoweit von ihrer Legalitätspflicht entbunden wären. Selbstverständlich dürfen sie nicht die bestandskräftige Eintragung eines Hauptversammlungsbeschlusses durchsetzen, wenn eine dagegen erhobene Anfechtungsklage offensichtlich Aussicht auf Erfolg hat.272 Tun sie dies dennoch und mit der Folge, dass der Anfechtungskläger einen Schadensersatzanspruch gegen die Gesellschaft aus § 246a Abs. 4 Satz 1 AktG erwirbt, so spricht alles dafür, dass die Gesellschaft die Anmelder bzw. Antragssteller wegen Verletzung ihrer Geschäftsleiterpflichten in Regress nehmen kann.273 Darüber hinaus steht es den Aktionären frei, die Pflichtverletzung im Rahmen eines Entlastungsbeschlusses zu würdigen. b) Beteiligungsschwelle aa) Bezugsgröße der 1.000 Euro Die nachzuweisende Beteiligungsschwelle bezieht sich auf „einen anteiligen Betrag von 1.000 Euro.“ Bei unbefangenem Lesen der Formulierung ließe sich zwar 271 Nicht verfassungsrechtlich, wohl aber rechtspolitisch fragwürdig erscheint die im Zusammenhang mit dem Gesetzesziel anzutreffende These, Aktionäre unterhalb der 1.000-EuroSchwelle tätigten kein „ökonomisch nachvollziehbares Investment“ und ließen kein „Interesse an der nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens vermuten“, und mit der 1.000-EuroSchwelle werde „zumindest ein minimales finanzielles Engagement in der betreffenden Gesellschaft sichergestellt“ (Nachweise siehe oben 3. Teil, Fn. 257). Denn wenn man mit den Autoren der These gleichzeitig davon ausgeht, dass die Schwelle von 1.000 Euro „bei normalen Börsenwerten im Mittelmaß (…) etwa 10.000 bis 20.000 Euro Anlagevolumen“ entspricht (hierzu sogleich unter Abschnitt „Bezugsgröße der 1.000 Euro“, S. 184), bedeutet dies nichts weniger, als dass ein Aktionär, der nur (?) einen vierstelligen Euro-Betrag in eine einzelne Aktie investiert, in den Augen der Autoren weder ein ökonomisch sinnvolles Investment tätigt noch an der langfristigen Entwicklung der Gesellschaft interessiert ist. Stammte diese Aussage von einem Unternehmensvertreter, man könnte wohl eine Parallele zur „Peanuts“-Aussage von Hilmar Kopper aus dem Jahr 1994 ziehen. Aber auch den Richtern, Wissenschaftlern und Rechtspolitikern, aus deren Feder die vorgenannte These stammt, stünde ein größeres Maß an Respekt vor den Belangen von Kleinaktionären gut zu Gesicht. 272 Fehlgehend daher Ziemons, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 319 Rn. 41, die beklagt, wegen der Freigabemöglichkeit würde aus einer zwingenden Norm „de facto eine mehr oder minder verbindliche Empfehlung.“ 273 Ähnliche Gründe sprechen für die Verfassungsmäßigkeit der Nachteilsabwägung gemäß § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG; siehe unten Abschnitt „Verfassungsmäßigkeit“, S. 174.

C. Freigabeverfahren

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daran denken, der Betrag beziehe sich auf die notwendige Investition des Aktionärs, also auf den Kaufpreis oder denjenigen Betrag, den der Depotauszug als Wert hinter der entsprechenden Position ausweist. Tatsächlich gemeint ist jedoch der Anteil am Grundkapital, den die vom Antragsgegner gehaltene Position vermittelt.274 Entlehnt ist die auf einen „anteiligen Betrag“ abstellende Formulierung nämlich den § 122 Abs. 2 Satz 1, § 142 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1, § 148 Abs. 1 Satz 1, § 254 Abs. 2 Satz 3, § 260 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 4, § 265 Abs. 3 Satz 1 AktG, die die Formulierung allesamt klar auf das Grundkapital beziehen.275 Auch die parlamentarischen Dokumente aus der Entstehungsgeschichte der Norm belegen, dass der Gesetzgeber das Grundkapital als alleinige Bezugsgröße der 1.000-Euro-Schwelle im Blick hatte.276 Die Wahl des Betrags erscheint in rechtspolitischer Hinsicht durchaus fragwürdig. Empirisch und ökonomisch völlig aus der Luft gegriffen ist zunächst die häufig vertretene These, ein Aktionär demonstriere erst dann ein ernsthaftes Interesse an den Belangen der Gesellschaft und tätige erst dann eine wirtschaftlich sinnvolle Investition, wenn sein Grundkapitalanteil mindestens 1.000 Euro betrage. Sie suggeriert, dass unter das Bagatellquorum nur ein kleiner Anteil von Aktionären fällt, deren außerordentlich niedrige Beteiligungshöhe allein bereits die Annahme rechtfertigt, dass der einzige Zweck der Beteiligung in der rechtsmissbräuchlichen Ausübung von Aktionärsrechten liegt. Bereits der Gesetzgeber aber geht offenbar davon aus, dass ein Aktionär „etwa 10.000 bis 20.000 Euro“ investieren muss, um die Beteiligungsschwelle zu erreichen;277 an anderer Stelle wird eine Investition „von bis zu einer Million Euro“ genannt.278 Diesen Wert wird von einer großen Zahl privat anlegender Aktionäre nicht erreicht, hinter deren Investition alles andere steckt als die Absicht, der Gesellschaft durch Missbrauch der erworbenen Mitgliedschaftsrechte Schaden zuzufügen. Auch wenn sich hieraus nicht die Verfassungswidrigkeit des § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG ableiten lässt,279 so wirft die vorgenannte Behauptung doch die Frage auf, ob in das Gesetzgebungsverfahren zutreffende Vorstellungen von den üblichen Kosten und Renditen einer Aktieninvestition einflossen und/oder nicht 274 Ganz h.M. Siehe nur OLG Frankfurt am Main, ZIP 2010, 2500, 2501 f.; OLG Hamburg, AG 2010, 214, 214; Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 26; Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 246a AktG Rn. 6; Göz, in: Bürgers/ Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 246a Rn. 4; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 4; Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), § 16 Rn. 61; Hirte, in: FS Meilicke (2010), S. 201, 204; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. F, Rn. 6; Ruppert, in: Schaaf, Praxis der HV (2011), 3. Aufl. (2011), Rn. 1379. 275 Demgegenüber hat der Gesetzgeber die in § 318 Abs. 3 Satz 1 HGB enthaltene 500.000Euro-Beteiligungsschwelle ausdrücklich auf den Börsenwert bezogen. 276 RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 41 f.; RefE ARUG vom 6. Mai 2008, S. 63 f. 277 Beschlussempfehung ARUG, BT-Drucks. 16/13098, S. 41; dieser Einschätzung folgend Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 4; Baums/Drinhausen/ Keinath, ZIP 2011, 2329, 2330. 278 Hirte, in: FS Meilicke (2010), S. 201, 205. 279 Siehe oben Abschnitt „Verfassungsmäßigkeit“, S. 180.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

eher eine unangemessene Geringschätzung der Belange von Klein- und Privatanlegern, die sich mit den Belangen der Gesellschaft teilweise intensiver befassen als ein institutioneller Portfolioinvestor. Auch unabhängig von der Wahl eines höheren oder niedrigeren Betrags erscheint die betragsmäßige Anknüpfung an die Grundkapitalziffer nicht recht durchdacht. Sie wäre nur dann sinnvoll, wenn zwischen dem anteiligen Grundkapitalbetrag und dem Verkehrswert der Beteiligung ein typisierbarer Zusammenhang bestünde. Tatsächlich wird sich aber kaum ein Investor, Händler oder Analyst, bei der Einschätzung eines Beteiligungswerts für die Frage interessieren, welchen anteiligen Grundkapitalbetrag die Beteiligung vermittelt. Zu Recht im Vordergrund steht vielmehr die Frage nach dem wirtschaftlichen Ertrag der Gesellschaft und der Partizipation der Beteiligung hieran, ausgedrückt typischerweise in Form vergleichbarer Kennzahlen wie „Ergebnis pro Aktie“ oder „Umsatz pro Aktie.“ Kaum ein Analyst wird sich daher veranlasst sehen, für zwei gleich ertragsstarke Aktien nur deshalb unterschiedliche Verkehrswerte anzugeben, weil die beiden Aktien unterschiedlich hohe Grundkapitalbeträge repräsentieren.280 Das Verhältnis zwischen dem Verkehrswert einer Beteiligung und dem durch die Beteiligung vermittelten anteiligen Grundkapitalbetrag ist daher weitgehend zufälliger Natur, und die Beteiligungsquote, die erforderlich ist, um die entscheidenden 1.000 Euro zu erreichen, wird von Gesellschaft zu Gesellschaft stark variieren, ohne dass dies mit einem höheren oder niedrigeren Bedürfnis nach Freigabe von Hauptversammlungsbeschlüssen einherginge. De lege ferenda würde es sich daher lohnen, Art und Höhe des Schwellenwerts noch einmal zu überdenken. Auch nichtjuristischer Sachverstand sollte in eine solche Überarbeitung mit einfließen. bb) Relevanter Zeitraum (1) Spätestmöglicher Erwerbszeitpunkt Nachzuweisen hat der Antragsgegner das Bestehen des Beteiligungsquorums „seit Bekanntmachung der Einberufung.“ Daraus wird überwiegend und zu Recht abgeleitet, dass der Antragsgegner die Beteiligungsschwelle spätestens an dem Tag erreichen muss, an dem die Einberufung gemäß § 121 Abs. 4 bzw. Abs. 4a AktG bekannt gemacht wird.281 Die Gegenansicht, wonach die Beteiligungsschwelle be280 Allenfalls bei Banken und Versicherungsunternehmen wird dies im Einzelfall anders sein, soweit die Höhe des Grundkapitals Bedeutung für die Höhe der Eigenmittel bzw. des Kernkapitals (vgl. § 53c Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VAG, § 10 Abs. 2a Satz 1 Nr. 2 KWG) und damit für die Stabilität des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens hat. 281 OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 2. Dezember 2010, BeckRS 2011, 16034; Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 246a Rn. 24; Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013), § 41a f.; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 45; Ruppert, in: Schaaf, Praxis der HV, 3. Aufl. (2011), Rn. 1379; den Gesetzeswortlaut („seit Bekanntmachung der Einberufung“) wiederholend auch KG Berlin, ZIP 2011, 172, 173; OLG München, ZIP 2010, 84, 86; OLG München, AG 2012, 45, 46 (möglicherweise abwei-

C. Freigabeverfahren

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reits vor der Bekanntmachung erreicht sein muss, ist mit dem Gesetzeswortlaut unvereinbar und überzeugt auch in der Sache nicht. So äußern deren Vertreter die Befürchtung, ein Aktionär könne gerade in Hinblick auf die Ankündigung einer Strukturmaßnahme noch am Tag der Bekanntmachung ausreichend Aktien zuzukaufen; ein solcher Erwerb deute darauf hin, dass mit dem Erwerb „lediglich partikularistische, vom Gesetz nicht als schützenswert angesehene Interessen verfolgt würden“, und dürfe daher bei der Berechnung des Quorums nicht berücksichtigt werden.282 Bei Lichte besehen wird an einem solchen Erwerb aber selbst dann nichts auszusetzen sein, wenn es der Aktionär tatsächlich gerade auf die Erfüllung des Beteiligungsquorums abgesehen hat. Denn er ist mit seinem Anteil in derselben Weise von dem ggf. freizugebenden Hauptversammlungsbeschluss betroffen wie ein Aktionär, dessen Anteilshöhe bereits vor der Bekanntmachung die 1.000-EuroSchwelle überschritten hat. Auch fordert § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG keine sachliche Rechtfertigung des Beteiligungserwerbs dergestalt, dass nur solche Anteile zu berücksichtigen sind, die der Aktionär ohne Rücksicht auf mögliche Freigabeverfahren erwirbt. Genauso wie die Gesellschaft selbst ihre Rechtsverhältnisse gezielt umgestalten kann, um sich neue rechtliche Möglichkeiten zu eröffnen, steht es daher einem Aktionär offen, das Gewicht seiner Beteiligung gezielt zu erhöhen, um sich das damit erhöhte Maß an rechtlichem Einfluss auf die Belange der Gesellschaft zu erkaufen. (2) Frühestmöglicher Veräußerungszeitpunkt Weniger deutlich macht der Gesetzeswortlaut, bis zu welchem Zeitpunkt der Aktionär seine Beteiligung über 1.000 Euro halten muss, um eine Freigabe nach § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG zu verhindern. So vertritt das OLG Nürnberg die Ansicht, der Zeitraum, über den das Quorum bestehen bleiben müsse, erstrecke „sich jedenfalls bis zum Hauptversammlungsdatum, möglicherweise sogar bis zur Einleitung des Freigabeverfahrens.“283 Einer anderen Ansicht zufolge muss die Beteiligung bis zum Ende der in § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG bestimmten Wochenfrist gehalten werden.284 Eine dritte Ansicht verlangt ein Halten bis zum Nachweiszeitpunkt, welcher seinerseits innerhalb der Wochenfrist liegen müsse.285 Und einer weiteren, nicht unbedingt abweichenden Ansicht zufolge muss das Quorum „jedenfalls den chend dann aber OLG München, ZIP 2013, 931, 932); Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 246a Rn. 4; A. Arnold, Der Konzern 2009, 88, 95. 282 OLG Nürnberg, ZIP 2010, 2498, 2500; Wilsing/Saß, DB 2011, 919, 921 f.; möglicherweise ebenso zu verstehen OLG München, ZIP 2013, 931, 932 („bei Bekanntmachung der Einberufung“). 283 OLG Nürnberg, ZIP 2010, 2498, 2500; in dieselbe Richtung später auch OLG Nürnberg, ZIP 2012, 2052, 2053 f. 284 Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013), § 16 Rn. 41b a.E.; Schwanna, in: Semler/Stengel, UmwG, 3. Aufl. (2012), § 16 Rn. 31c a.E.; Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/ Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), § 16 Rn. 70. 285 Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 246a Rn. 6; auf den Tag der Nachweisausstellung abstellend auch OLG Saarbrücken, ZIP 2011, 469, 469 f.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

Zeitraum bis zur Einleitung des Freigabeverfahrens umfassen“ und „mindestens bis zur Ausstellung bzw. Erbringung des Nachweises“ fortdauern.286 Richtigerweise kommt es nur auf den Tag der Nachweisausstellung an; eine weitere Fortdauer – etwa bis zur Einleitung des Freigabeverfahrens oder bis zum Ende der Wochenfrist – muss nicht nachgewiesen werden. Eine Ausweitung des Nachweiserfordernisses bis zu einem Zeitpunkt nach Ausstellung des Nachweises selbst ließe sich praktisch nur bewältigen, wenn man neben dem Beteiligungsnachweis als solchem ein Versprechen des Ausstellers erwarten wollte, das Gericht bis zum relevanten Zeitpunkt (z. B. Ablauf der Wochenfrist) über Änderungen der Beteiligung des Antragsgegners zu unterrichten. Eine solche Anforderung gilt für den Nachweis nach § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG aber gerade nicht. Auch wird man nicht verlangen können, dass der Antragsgegner sich den Nachweis erst innerhalb der Wochenfrist besorgen kann. Praktisch würde dies nämlich bedeuten, dass die Bearbeitungszeit für die Ausstellung des Nachweises deutlich unter einer Woche liegen müsste. Zu einer so schnellen Reaktion aber wird nicht jeder potenzielle Aussteller in der Lage sein.287 cc) Anteilsaddition? Fraglich ist, wie sich die 1.000-Euro-Schwelle bei der Beteiligung mehrerer Antragsgegner berechnet. Nach klar herrschender Ansicht ist eine Anteilsaddition ausgeschlossen.288 Danach kann ein Freigabebeschluss nach § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG immer dann ergehen, wenn die Anteile der Antragsgegner jeweils unter 1.000 Euro liegen, ohne dass es auf die Gesamtsumme ankommt. Teilweise wird sogar darüber hinaus gefordert, jeder Antragsgegner müsse das Quorum erfüllen.289 Zur Begründung angeführt wird auf den Wortlaut der Norm verwiesen, der nur auf den einzelnen Kläger abstelle,290 sowie auf einen Umkehrschluss zu § 142 Abs. 2, § 148 Abs. 1, § 254 Abs. 2 Satz 3 AktG, die ausdrücklich auch eine Erfüllung der dortigen Quoren durch

286

Wilsing/Saß, DB 2011, 919, 922. Zum Ganzen Wilk, in: MüHdB-GesR, Bd. 7, 5. Aufl. (2015), § 29 Rn. 281. 288 OLG Frankfurt am Main, ZIP 2010, 2500, 2502; OLG Hamburg, AG 2010, 215, 215 („Tipp24“); Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht (2011), § 246a Rn. 6; MarschBarner, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013), § 16 Rn. 41b; Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/ Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), § 16 Rn. 67; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 48; Schall/Habbe/Wiegand, NJW 2010, 1789, 1791; Verse, NZG 2009, 1127, 1129; Wilsing/Saß, DB 2011, 919, 921; von einer gesonderten Berechnung für jeden Antragsgegner ausgehend auch Beschlussempfehlung ARUG, BT-Drucks. 16/13098, S. 41. 289 Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013), § 16 Rn. 41b; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 48. 290 OLG Hamburg, AG 2010, 215, 215 („Tipp24“); Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 48. 287

C. Freigabeverfahren

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Addition mehrerer Anteile vorsehen.291 Auch das gesetzgeberische Ziel, sogenannte Trittbrettfahrer zu verhindern, verbiete eine Addition.292 Mehreren Kleinaktionären stehe es offen, die 1.000-Euro-Schwelle durch Bündelung ihrer Anteile in einem gemeinsamen Rechtsträger zu erreichen.293 Nach anderer Ansicht kommt eine Anteilsaddition in Frage. Dies folge aus einer verfassungskonform engen Auslegung der Norm.294 Jedenfalls im Ergebnis verdient die herrschende Meinung Zustimmung. Die Ansicht, jeder Antragsgegner müsse das Beteiligungserfordernis erfüllen, schießt allerdings übers Ziel hinaus. Das Bagatellquorum wirft in keinerlei Hinsicht verfassungsrechtliche Bedenken auf.295 Verfassungsrechtliche Argumente taugen daher nicht, um den Anwendungsbereich des § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG über Gebühr einzuschränken. Nicht zutreffend ist zunächst die Behauptung, bereits der Wortlaut des § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG selbst schließe eine Anteilsaddition aus. Denn den Fall, dass sich der Freigabeantrag gegen mehrere Antragsgegner richtet, hat der Gesetzgeber bei der Formulierung des § 246a AktG ersichtlich überhaupt nicht berücksichtigt. „Kläger“, „Klage“ und „Antragsgegner“ begegnen einem dort durchweg nur im Singular, obwohl ein einzelner Hauptversammlungsbeschluss natürlich auch von mehreren Klägern gleichzeitig angefochten werden kann. Die Verwendung des Singular („Kläger“) in § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG gibt daher keinen Aufschluss über die Frage einer Anteilsaddition.296 Treffend ist dagegen der Umkehrschluss zu § 142 Abs. 2, § 148 Abs. 1, § 254 Abs. 2 Satz 3 AktG. So darf die Entscheidung des Gesetzgebers, im Freigabeverfahren gerade keine Möglichkeit zur Zusammenrechnung vorzusehen, nicht durch eine außergesetzliche Addition konterkariert werden. Eine entsprechende Anwendung der anderweitig vorgesehenen Zusammenrechnungsmöglichkeiten ließe sich allenfalls auf den Sinn und Zweck des § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG stützen, wenn man die Bekämpfung rechtsmissbräuchlicher Beschlussmängelklagen als Element des Gesetzeszweckes einordnen wollte.297 Denn ein Erreichen der 1.000-Euro-Schwelle durch einen Zusammenschluss meh291

Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 48. OLG Frankfurt am Main, ZIP 2010, 2500, 2502 f.; Schall/Habbe/Wiegand, NJW 2010, 1789, 1791; Verse, NZG 2009, 1127, 1129; Wilsing/Saß, DB 2011, 919, 921. 293 Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 48; Verse, NZG 2009, 1127, 1129. Praktisch wohl ein schwacher Trost, da die Beteiligungsschwelle bereits bei Einberufung erreicht sein muss und daher eine gezielte Bündelung in Hinblick auf einen Hauptversammlungsbeschluss bzw. eine Anfechtungsklage in aller Regel zu spät kommt. 294 Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 12. 295 Siehe bereits oben Abschnitt „Verfassungsmäßigkeit“, S. 180. 296 Dies einräumend auch OLG Frankfurt am Main, ZIP 2010, 2500, 2502. 297 Zu der dahingehenden Ansicht siehe die Nachweise im 3. Teil in Fn. 260. 292

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rerer Kleinaktionäre böte sicher eine mindestens ebenso hohe Gewähr für die fehlende Rechtsmissbräuchlichkeit wie das Erreichen der Schwelle durch einen einzelnen Aktionär. Richtigerweise besteht der Sinn und Zweck des Bagatellquorums jedoch allein darin, eine Atomisierung der Kassationsbefugnis zu verhindern; nur noch maßgeblich beteiligte Aktionäre sollen das Recht erhalten, die Beschlusseintragung zu suspendieren.298 Auf eine mehr oder minder große Gewähr für die fehlende Rechtsmissbräuchlichkeit der Beschlussmängelklage kommt es nicht an. Nicht zutreffend ist jedoch die weiter gehende Ansicht, jeder einzelne Kläger bzw. Antragsgegner müsse die Beteiligungsschwelle erreichen. Denn dies würde bedeuten, dass eine Freigabe stets sicher wäre, wenn nur ein einziger Antragsgegner nicht die Beteiligungsschwelle erreicht – was wiederum die kuriose Folge hätte, dass ein Großaktionär die Eintragung nur dann aufhalten könnte, wenn er alleiniger Anfechtungskläger wäre, nicht aber dann, wenn sich Kleinaktionäre seiner Klage anschließen. Mit einer Verhinderung der „Atomisierung“ der Kassationsbefugnis hätte dies nichts mehr zu tun. c) Beteiligungsnachweis aa) Nachweisbedürftigkeit Fraglich ist, ob der Antragsgegner den Beteiligungsnachweis in jedem Fall erbringen muss oder ob Ausnahmen existieren, in denen ein Nachweis entbehrlich ist. Der Gesetzgeber scheint sich einer klaren Antwort zu enthalten. So gibt § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG mit der Formulierung „wenn der Kläger nicht … nachgewiesen hat“ jedenfalls seinem Wortlaut nach dem Antragsgegner auf, dem Gericht von sich aus und unabhängig vom Vortrag des Antragsstellers einen Nachweis über seine Beteiligungshöhe zu vorzulegen. Andererseits wird das Freigabeverfahren in § 246a Abs. 3 AktG als besonderes zivilprozessual-kontradiktorisches, an §§ 916 ff. ZPO angelehntes Eilverfahren positioniert.299 Dort gilt grundsätzlich der Verhandlungsund Beibringungsgrundsatz: Es ist Sache der Parteien, die für die jeweils begehrte Entscheidung wesentlichen Tatsachen in den Prozess einzuführen; dem Richter steht es weder zu, privat erlangte Sachkenntnisse zu verwerten, noch darf er wesentliche und von den Parteien übereinstimmend vorgetragene Tatsachen ignorieren und auf eigene Initiative Ermittlungen anstellen.300 Beweisbedürftig ist der Sachvortrag einer 298

Hierzu bereits oben Abschnitt „Verfassungsmäßigkeit“, S. 180. OLG München, ZIP 2010, 84, 87 („spezielles Eilverfahren“); RegE UMAG, BTDrucks. 15/5092, S. 28; Hüffer, in MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 246a Rn. 4; Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 10; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 1. Parallelen ergeben sich beispielsweise zwischen § 920 Abs. 2 ZPO und § 246a Abs. 3 Satz 3 AktG (Glaubhaftmachung der erheblichen Tatsachen), zwischen §§ 922, 944 ZPO und § 246a Abs. 3 Satz 2 AktG (keine mündliche Verhandlung in dringenden Fällen) sowie zwischen § 945 ZPO und § 246a Abs. 4 AktG (Schadensersatzanspruch bei gegensätzlichem Ausgang von Eil- und Hauptsacheverfahren). 300 Siehe nur Musielak, in: Musielak, ZPO, 10. Aufl. (2013), Einleitung Rn. 37. 299

C. Freigabeverfahren

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Partei nur insoweit, als er von der Gegenseite bestritten wird (§ 138 Abs. 3 ZPO). Soweit Tatsachen dagegen zugestanden oder offenkundig sind, bedürfen sie gemäß § 288 Abs. 1, § 291 ZPO keines Beweises, und das Gericht muss sie seiner Entscheidung ohne weiteres zugrunde legen.301 Ist ein Beteiligungsnachweis also entbehrlich, wenn eine ausreichende Beteiligungshöhe des Antragsgegners offenkundig, unbestritten oder ausdrücklich zugestanden ist? Bejaht wird dies zuvorderst vom OLG Frankfurt am Main, das in zwei Entscheidungen die Auffassung vertrat, ein Beteiligungsnachweis sei entbehrlich, wenn unstreitig sei, dass der Antragsgegner die erforderlichen 1.000 Euro erreiche.302 Form und Frist des Nachweises dienten allein der Verfahrensbeschleunigung; materielle Freigabevoraussetzung sei das Nichterreichen des Quorums selbst.303 Letzteres folge aus einer verfassungskonformen Auslegung der Norm. Ziel des Gesetzes sei es nämlich, die Gesellschaft vor Störungen durch Kleinstaktionäre zu schützen.304 Über dieses Ziel schieße eine Auslegung hinaus, die das Gericht auch dann zu einer positiven Freigabeentscheidung wegen Nichterreichen des Beteiligungsquorums zwinge, wenn die Gesellschaft das Erreichen des Bagatellquorums nicht bestreite.305 Es sei nicht ersichtlich, „weshalb bei fehlendem Streit über das Erreichen des Quorums ein urkundlicher Nachweis noch materiell-rechtlich sinnhaft sein [könne].“306 Dagegen sprechen sich das KG Berlin, die Oberlandesgerichte Hamm, Köln und Nürnberg sowie die Literatur auch bei Unstreitigkeit des Beteiligungsquorums für ein Nachweiserfordernis aus.307 Der Wortlaut der Vorschrift sei eindeutig. Er ver301 Das gilt auch in Eilverfahren nach §§ 916 ff. ZPO: Der Antragssteller muss den Arrestbzw. Verfügungsgrund und -anspruch nur insoweit gemäß § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft machen, als die wesentlichen Tatsachen nicht offenkundig sind oder vom Antragsgegner unbestritten gelassen oder anderweitig zugestanden wurden; siehe nur Drescher, in: Münchener Kommentar ZPO, 4. Aufl. (2012), § 920 Rn. 12. 302 OLG Frankfurt am Main, NZG 2010, 824, 826; OLG Frankfurt am Main, AG 2012, 414, 414 f. (noch offen lassend OLG Frankfurt am Main, ZIP 2010, 2500, 2503); andeutungsweise auch OLG Frankfurt am Main, BeckRS 2011, 16034; ebenso noch das OLG Nürnberg, ZIP 2010, 2498, 2499 (später ausdrücklich aufgegeben: OLG Nürnberg ZIP 2012, 2052, 2053 f.); zustimmend Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 246a AktG Rn. 7a. 303 OLG Frankfurt am Main, NZG 2010, 824, 826. 304 OLG Frankfurt am Main, NZG 2010, 824, 826. 305 OLG Frankfurt am Main, NZG 2010, 824, 826. 306 OLG Frankfurt am Main, AG 2012, 414, 414 f. 307 KG Berlin, ZIP 2011, 172, 173 f.; OLG Hamm, NZG 2011, 1031, 1032; OLG Köln, BeckRS 2012, 03266; ebenso OLG Nürnberg, ZIP 2012, 2052, 2053 – 2056 (a.A. noch OLG Nürnberg, ZIP 2010, 2498, 2499), das jedoch inkonsequenterweise trotzdem die Frage der Offenkundigkeit der Beteiligungshöhe diskutiert (a.a.O., 2057). Dem KG Berlin folgend auch Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 246a Rn. 4; Drinhausen, BB 2011, 468; Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013), § 16 Rn. 41b; Wilsing/Saß, DB 2011, 919, 922 f. Wohl in beide Richtungen interpretierbar OLG München, ZIP 2013, 931, 932 („Siemens/Osram“).

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

lange den Nachweis als solchen und stelle nicht unmittelbar auf die Beteiligungsverhältnisse ab.308 Dasselbe folge aus dem systematischen Zusammenhang mit § 246a Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 AktG, die ebenfalls materiellrechtliche Freigabekriterien enthielten.309 Für eine Deutung des Nachweises als materiellrechtliches Freigabekriterium und gegen eine Einordnung als bloße Verfahrensvorschrift spreche zudem die für die Beibringung des Nachweises vorgesehene, nicht verlängerbare Wochenfrist. Letztere verliere ihre Bedeutung, wenn es ausreiche, dass das Erreichen der Beteiligungsquote erst in einer späteren mündlichen Verhandlung unstreitig werde.310 Wenn das Verstreichenlassen der Frist eine vom Gesetzgeber zwingend angeordnete Rechtsfolge nach sich ziehe, könne dies nicht zur Disposition der Parteien stehen.311 Schließlich sei auch vor dem Hintergrund des Gesetzeszwecks keine teleologische Reduktion der Vorschrift geboten. Denn neben dem Schutz der Gesellschaft vor Verzögerungen durch Kleinaktionärsklagen ziele die Vorschrift auch auf die Beschleunigung des Freigabeverfahrens. Dieser Beschleunigungseffekt aber ginge verloren, wenn das Gericht auch nach Ablauf der Wochenfrist noch damit rechnen müsse, dass die Freigabevoraussetzungen aus § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG wegfielen.312 Die besseren Gründe sprechen dafür, § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG mit der zuletzt genannten Ansicht wörtlich zu nehmen und dem Antragsgegner in jedem Fall aufzugeben, innerhalb einer Woche den Beteiligungsnachweis in Urkundenform zu erbringen – also auch dann, wenn eine ausreichende Beteiligungshöhe des Antragsgegners das gesamte Verfahren über offenkundig ist (§ 291 ZPO) oder der Antragssteller die ausreichende Beteiligungshöhe des Antragsgegners ausdrücklich zugesteht (§ 288 Abs. 1 ZPO). In diese Richtung deutet zunächst in der Tat der Wortlaut der Norm, der eben nicht auf die Beteiligungshöhe als solche abstellt, sondern darauf, dass diese „nachgewiesen“ wurde. Die Wahl der Formulierung wiegt umso schwerer, als die § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens, nämlich zwischen Referenten- und Regierungsentwurf, gerade an dieser Stelle geändert wurde313 – begleitet von einer ausführlichen Begründung im Regierungsentwurf. Eine korrigierende, die Grenzen des Wortlauts überschreitende Auslegung, nach der die Frage, ob, 308 KG Berlin, ZIP 2011, 172, 173; dem folgend OLG Hamm, NZG 2011, 1031, 1032; OLG Köln, BeckRS 2012, 03266; OLG Nürnberg, ZIP 2012, 2052, 2053 f.; Drinhausen, BB 2011, 468. 309 OLG Nürnberg, ZIP 2012, 2052, 2054. 310 KG Berlin, ZIP 2011, 172, 173; in dieselbe Richtung OLG Nürnberg, ZIP 2012, 2052, 2054 f. 311 OLG Köln, BeckRS 2012, 03266. 312 OLG Nürnberg, ZIP 2012, 2052, 2055. 313 Vgl. RefE ARUG, 8. Mai 2008, S. 18 („Ein Beschluss nach Abs. 1 darf nur ergehen, wenn … die Anteile des Klägers seit Bekanntmachung der Einberufung einen anteiligen Betrag von 100 Euro unterschritten haben …“) gegenüber dem RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 13, der erstmals explizit auf einen Nachweis als Freigabevoraussetzun abstellt.

C. Freigabeverfahren

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wann und wie der Antragsgegner einen Beteiligungsnachweis zu erbringen hat, uneingeschränkt zur Disposition der Parteien steht, wird sich daher kaum dem Vorwurf entziehen können, dem erklärten Willen des Gesetzgebers zuwiderzulaufen. Entgegen der Ansicht des OLG Frankfurt am Main steht ein wörtliches Verständnis des Gesetzestextes auch nicht im Widerspruch zum Schutzzweck der Norm. Zutreffend ist zwar die Bemerkung des OLG Frankfurt am Main, die Freigabeentscheidung im Fall des § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG werde im Kern nicht durch ein Formoder Fristversäumnis des Antragsgegners legitimiert, sondern durch die Erwägung, dass eine Kleinstbeteiligung nicht ausreichen dürfe, um die Gesellschaft und die Mehrheit der übrigen Aktionäre bei einer bedeutenden Strukturmaßnahme zu blockieren.314 Wertungsmäßig und systematisch steht daher wohl eher die Kleinstbeteiligung als solche – und nicht der Nachweis hierüber – auf einer Stufe mit den alternativen Freigabegründen aus § 246a Abs. 2 Nr. 1 (mangelnde Erfolgsaussichten in der Hauptsache) und Nr. 3 (überwiegendes Freigabeinteresse der Gesellschaft) AktG; und die These, das Gericht könne (und müsse ggf.) die Gesellschaft auch dann unter Berufung auf die Kleinstbeteiligung des Antragsgegners schützen, wenn sich die Parteien über die Gewichtigkeit der Beteiligung des Antragsgegners einig seien, erscheint auf den ersten Blick bedenklich formalistisch. Ein echter Widerspruch zum Schutzzweck der Norm ergäbe sich allerdings nur dann, wenn das Gericht der Gesellschaft einen Rechtsschutz zusprechen müsste, den jene gar nicht beantragt hat. Das ist nicht der Fall, wenn die Gesellschaft ungeachtet der zugestandenen oder offenkundigen Beteiligungshöhe an ihrem Freigabebegehren festhält. Denn eine Begrenzung des Freigabeantrags dahingehend, dass eine Freigabe nur gemäß § 246a Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 3 AktG, nicht aber nach Nr. 2 beantragt wird, ist rechtlich ausgeschlossen und in der Regel auch nicht beabsichtigt. Ein eigeninitiatives Überschreiten des vom Antragssteller vorgetragenen Rechtsschutzbegehrens findet nicht statt. Verletzt der Antragsgegner also seine Obliegenheit, binnen einer Woche einen urkundlichen Beteiligungsnachweis vorzulegen, kann das Gericht auch dann eine positive Freigabeentscheidung erlassen, wenn es niemanden gibt, der durch den Nachweis überzeugt werden müsste. Der Nachweis ist auch dann nicht entbehrlich. bb) Statthaftigkeit eines Gegennachweises Ebenso wie das Gericht eine positive Freigabeentscheidung allein deswegen erlassen muss, weil der Antragsgegner den in § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG bestimmten Formalia nicht gerecht geworden ist, könnte das Gericht allein deswegen daran 314 Vgl. OLG Nürnberg, ZIP 2010, 2498, 2499: „Die insoweit eingeschränkte Kassationsmacht von Aktionären beruht auf der Erwägung, dass bei Kleinstaktienbesitz, der das Bagatellquorum nicht erreicht, (…) die Nachteile für den Aktionär (falls dessen Anfechtungsklage erfolgreich wäre) vom Gesetzgeber geringer gewichtet werden als die Nachteile, die die AG infolge der durch die erhobene Anfechtungsklage bewirkten Registerblockade (…) erleidet.“

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gehindert werden, eine positive Freigabeentscheidung auf § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG zu stützen, weil der Antragsgegner den Formalia gerecht wurde. Denn für den Fall, dass der Antragsgegner den Beteiligungsnachweis frist- und formgerecht vorlegt, sieht § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG keine Möglichkeit für den Antragssteller vor, die Gültigkeit des vorgelegten Nachweises in Zweifel zu ziehen. Würde man die Vorschrift in diesem Sinne wörtlich und abschließend verstehen, so müsste der Antragssteller innerhalb der Wochenfrist nur irgendeine Urkunde beibringen, aus deren Gedankeninhalt sich die notwendige Beteiligungsquote ergibt, um eine auf § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG gestützte Freigabeentscheidung endgültig zu verhindern. Die Entscheidung über Vorliegen oder Nichtvorliegen der Freigabevoraussetzungen aus § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG stünde immer eine Woche nach Zustellung des Freigabeantrags fest. Der Preis auf Seiten der materiellen Gerechtigkeit, der für eine derart hohe, formalienbasierte Entscheidungsgeschwindigkeit zu zahlen wäre, wäre jedoch zu hoch. Stünde dem Antragssteller kein Weg zur Verfügung, um Zweifel an der Gültigkeit des vorgelegten Nachweises zu substantiieren, wäre der Antragssteller gleichsam eingeladen, bei der Beschaffung oder Erstellung des Nachweises außergewöhnlich nachlässig vorzugehen (z. B. keine Überprüfung der Ausstellungsbefugnis des Ausstellers) oder die Urkunde sogar plump zu fälschen. Diese Gefahr wird verstärkt durch die fehlende aktienrechtliche Strafbarkeit einer solchen Fälschung. Denn §§ 399 ff. AktG, die die Erfüllung nahezu sämtlicher aktienrechtlicher Nachweis- und Vorlageerfordernisse mit einer Strafandrohung absichern, enthalten keinen Tatbestand, der einen im Rahmen des § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG vorsätzlich mangelhaft geführten Nachweis sanktionieren würde. Richtigerweise bedeutet das Fehlen eines formalen Rahmens für den Gegennachweis des Antragsstellers daher nicht, dass eine solcher Gegennachweis unstatthaft wäre. Die ersichtlich unbeabsichtigte Regelungslücke in § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG ist stattdessen durch Rückgriff auf allgemeine Regeln zu schließen. Dem Antragssteller steht es daher offen, die Gültigkeit des Nachweises durch Glaubhaftmachung gemäß § 246a Abs. 3 Satz 3 AktG auch außerhalb der Wochenfrist und in anderer Form als durch Urkunden in Zweifel zu ziehen. Möglich ist beispielsweise die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung.315 Will der Antragsgegner hierauf entgegnen und seinerseits die Gültigkeit des Gegennachweises angreifen, ist auch er nicht mehr an die Form und Frist aus § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG gebunden. Ein Unterschied zum allgemeinen Eilverfahrens-Beweisrecht ergibt sich dann kaum mehr.

315 Hiervon ausgehend wohl auch OLG München, AG 2012, 45, 46: „Der Senat hält in Hinblick auf (…) die Tatsache, dass die Antragsstellerin keine konkreten Anhaltspunkte hat vortragen können, die Anlass zu Zweifeln an dem in der kopierten Bankbestätigung genannten Anteilsbesitz geben, (…) den erforderlichen Nachweis für erbracht.“

C. Freigabeverfahren

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cc) Nachweisform Seine Beteiligungshöhe hat der Antragsgegner gemäß § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG „durch Urkunden“ nachzuweisen. Da § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG auch insoweit keine Sonderregeln bereit hält, die den Begriff der Urkunde näher umschreiben, kann auch insoweit gemäß § 246a Abs. 1 Satz 2 ZPO auf allgemeine Regeln zurückgegriffen werden; es gilt der prozessuale Urkundenbegriff der §§ 415 ff. ZPO.316 Statthaft ist daher insbesondere die Vorlage einer Urkunde, die von einer zuständigen öffentlichen Behörde oder von einem Notar ausgestellt wurde (öffentliche Urkunde, § 415 ZPO, z. B. bei behördlicher Verwahrung der Aktienurkunden), oder einer sonstigen Urkunde, die eine Gedankenerklärung durch Schriftzeichen verkörpert und vom Aussteller unterzeichnet wurde (Privaturkunde, § 416 ZPO, z. B. bei Depotführung durch eine Privatbank).317 Praktisch wird es sich für den Antragsgegner regelmäßig anbieten, seine depotführende Bank damit zu beauftragen, eine unterzeichnete Bestätigung über die Höhe und den Zeitpunkt der Beteiligung auszustellen.318 Handelt es sich bei der maßgeblichen Beteiligung um Namensaktien, so steht das bei der Gesellschaft gemäß § 67 AktG geführte Aktienregister als weitere Nachweisquelle zur Verfügung.319 Dessen Schwäche sind freilich mögliche Eintragungsverzögerungen, die einem Antragsgegner, der die entscheidende Beteiligung erst kurz vor Einberufung erworben hat, zum Verhängnis werden können. Wird der Antragsgegner nämlich erst nach der Einberufung im Aktienregister eingetragen,320 so taugt der Registerauszug nicht, um den Nachweis einer ausreichenden Beteiligung zu führen (und auch ebenso wenig dazu, eine unzureichende Beteiligung des Antragsgegners nachzuweisen321). Der Antragsgegner ist auch nicht berechtigt, von der Gesellschaft die Vorlage eines Beteiligungsnachweises aus dem Aktienregister zu verlangen.322 Gemäß § 421 in Verbindung mit § 422 bzw. § 423 ZPO ist eine Partei nämlich nur verpflichtet, den von der Gegenseite angetretenen Urkundsbeweis durch Vorlage einer Urkunde aus eigenem Besitz zu unterstützen, wenn die Gegenseite einen materiellrechtlichen Anspruch auf Her316

Ebenso OLG Frankfurt am Main, NZG 2010, 824, 826; OLG Nürnberg, ZIP 2012, 2052, 2056; Englisch, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 246a Rn. 25; a.A. wohl Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 246a Rn. 7. 317 Vgl. zum Begriff der öffentlichen bzw. privaten Urkunde: M. Huber, in: Musielak, ZPO, 10. Aufl. (2013), § 415 Rn. 4, und ders., a.a.O., § 416 Rn. 1 f. 318 Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 246a Rn. 24; Wilsing/Saß, DB 2011, 919, 922; vgl. auch OLG München, AG 2012, 45, 46; OLG Frankfurt am Main, NZG 2010, 824, 826; OLG Frankfurt am Main, BeckRS 2011, 16034; OLG Saarbrücken, BeckRS 2011. 319 Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 246a Rn. 7; Wilk, in: MüHdB-GesR, Bd. 7, 5. Aufl. (2015), § 29 Rn. 282; vgl. auch OLG Nürnberg, ZIP 2012, 2052, 2056. 320 So etwa der Sachverhalt bei OLG München, ZIP 2013, 931 („Siemens/Osram“). 321 OLG München, ZIP 2013, 931, 932 („Siemens/Osram“). 322 Ebenso wohl OLG Hamm, NZG 2011, 1031, 1033; a.A. OLG Nürnberg, ZIP 2012, 2052, 2056.

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ausgabe oder Vorlage hat (§ 422 ZPO) oder wenn die Partei selbst auf die Urkunde Bezug genommen hat (§ 423 ZPO).323 Beides ist in der Situation des § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG regelmäßig nicht der Fall. Denn § 67 Abs. 6 Satz 1 AktG gewährt dem Aktionär nur einen Anspruch auf „Auskunft“ über seinen Eintrag im Aktienregister, den die Gesellschaft auch auf elektronischem oder telefonischem Weg erfüllen kann.324 Und ein Anspruch aus § 242 BGB wird jedenfalls dann nicht in Frage kommen, wenn der Antragsgegner sich mit der Bitte um Ausstellung ebenso leicht an seine Bank wenden könnte. In keinem Fall ausreichend ist ein Auszug aus dem Teilnehmerverzeichnis der kritischen Hauptversammlung, selbst wenn er unterzeichnet sein sollte. Denn er belegt seinem Gedankeninhalt nach nur die Teilnahme des Antragsgegners an der Hauptversammlung und nicht die Beteiligungshöhe zum Einberufungszeitpunkt.325 dd) Nachweisfrist Vorzulegen ist der Nachweis binnen einer Woche nach Zustellung des Antrags. Es handelt sich um eine materielle Ausschlussfrist, die nicht nach § 224 ZPO verlängert werden kann; auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO kommt nicht in Betracht.326 Fristwahrend ist der Eingang des Nachweises bei Gericht.327 ee) Nachweisinhalt Inhaltlich muss der Nachweis belegen, dass der Antragsgegner „seit Bekanntmachung der Einberufung einen anteiligen Betrag von mindestens 1.000 Euro hält.“ Abgedeckt werden muss also (1) der Zeitraum zwischen dem Tag der Einberufung und dem Tag der Ausstellung des Nachweises, (2) die Höhe der Beteiligung in diesem Zeitraum und (3) die „Halten“-Verbindung zwischen den relevanten Aktien und dem Antragsgegner in diesem Zeitraum. Darüber hinaus ergeben sich keine inhaltlichen Anforderungen. Insbesondere muss ein in Form einer Bankbestätigung vorgelegter Nachweis kein Versprechen des Ausstellenden beinhalten, das Gericht laufend über Änderungen der Beteiligung des Antragsgegners zu informieren; das dahingehende Erfordernis im Zusammenhang mit dem Sonderprüfungsantrag nach § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG gilt nicht im Rahmen

323

Über dieses Erfordernis hinweggehend OLG Nürnberg, ZIP 2012, 2052, 2056. Siehe nur Cahn, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 67 Rn. 110. 325 Zutreffend OLG Hamm, NZG 2011, 1031, 1032 f. 326 Ganz h.M.; siehe nur OLG Nürnberg, ZIP 2010, 2498, 2500; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 246a Rn. 20; Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 246a Rn. 23 f.; Wilsing/Saß, DB 2011, 919, 922. 327 Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 246a Rn. 24. 324

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des § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG.328 Denn hätte der Gesetzgeber eine entsprechende Anwendbarkeit beabsichtigt, so hätte nichts näher gelegen, als in § 246a AktG einen ebenso deutlichen Verweis auf § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG aufzunehmen wie in § 122 Abs. 1 Satz 3 AktG. Und auch in der Sache ergäbe eine entsprechende Anwendbarkeit keinen Sinn. Denn Hintergrund der laufenden Benachrichtigung des Gerichts über die Beteiligungshöhe ist im Fall des § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG die Tatsache, dass die dortige Antragsbefugnis auch noch im laufenden Verfahren mit der Beteiligungshöhe steht und fällt.329 Demgegenüber setzt sich ein Antragsgegner im Freigabeverfahren, dessen Beteiligung zwischen Nachweiszeitpunkt und Freigabeentscheidung des Gerichts unter 1.000 Euro absinkt, nicht der Gefahr einer positiven Freigabeentscheidung nach § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG aus. Denn für das Erreichen der dortigen Beteiligungsschwelle kommt es nur auf die Zeit zwischen Einberufung und Nachweiszeitpunkt an.330 d) Verfahrenstaktik Die Pflicht des Gerichts, in jedem Fall einen positiven Freigabebeschluss gemäß § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG zu erlassen, wenn der Antragsgegner keinen Beteiligungsnachweis einreicht, in Verbindung mit der weitreichenden Wirkung einer positiven Freigabeentscheidung (§ 242 Abs. 2 Satz 5, § 246a Abs. 3 Satz 5, Abs. 4 Satz 2 AktG) mag aus Sicht mancher Gesellschaft verlockende Perspektiven eröffnen. So könnte eine Gesellschaft die endgültige Bestandskraft selbst offensichtlich nichtiger Hauptversammlungsbeschlüsse herbeiführen, indem sie einen beliebigen Aktionär dazu veranlasst, sofort nach der Versammlung Beschlussmängelklage zu erheben und auf den Freigabeantrag der Gesellschaft hin eine Woche lang untätig zu bleiben.331 Der Hauptversammlungsbeschluss wäre damit unter Umständen bereits vor Ablauf der Anfechtungsfrist gegen eine Kassation immunisiert. Ob die Erwägung, die Bindungswirkung einer Freigabeentscheidung reiche nur soweit, wie eine Prüfung durch das Prozessgericht stattgefunden hat, einen sicheren Weg eröffnet, um den Wirkungskreis einer derartig provozierten Freigabeentscheidungen auszuhebeln,332 darf bezweifelt werden. Denn der kooperierende Aktionär würde im Hauptsacheverfahren selbstverständlich alle wesentlichen Beschlussmängel vortragen und so für eine umfassende Prüfung durch das Prozessgericht sorgen. Der Entscheidung in der Hauptsache wäre damit ebenso umfassend die (kassatorische) Spitze genommen wie bei einer nicht durch die Gesellschaft veranlassten Kleinaktionärsklage. 328 Im Ergebnis ebenso OLG Saarbrücken, ZIP 2011, 469, 469 f.; Wilsing/Saß, DB 2011, 919, 922. 329 Siehe nur Hirschmann, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 142 Rn. 144. 330 Siehe oben Abschnitt „Relevanter Zeitraum“, S. 186. 331 So die Befürchtung von Noack, NZG 2008, 441, 446. 332 So Noack, NZG 2008, 441, 446.

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Letztlich wird sich eine derart provozierte Freigabe nur auf Basis allgemeiner Rechtsmissbrauchserwägungen aufhalten lassen. Einem Freigabeantrag, der an eine provozierte Beschlussmängelklage anknüpft, fehlt in der Regel schlicht das Rechtsschutzbedürfnis. Erkennt das Oberlandesgericht eine solche Konstellation vor Erlass des Freigabebeschlusses – und in diesem rechtzeitigen Erkennen wird das größte Problem bestehen –, so hat es den Antrag daher als unzulässig abzulehnen. 3. Überwiegen des Interesses der Gesellschaft und ihrer Aktionäre gegenüber den Nachteilen für den Antragsgegner und keine besondere Schwere des Rechtsverstoßes, § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG, § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 3 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 UmwG a) Verfassungsmäßigkeit § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG sieht sich aus ähnlichen Gründen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt wie das Bagatellquorum aus Nr. 2. Auch hier ergebe sich ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip und das Gebot der Gesetzesbindung des Gerichts, wenn die Gesellschaft ein großes Interesse an der Eintragung des angegriffenen Hauptversammlungsbeschlusses habe und jener zwar offensichtlich rechtswidrig sei, jedoch mit keinem besonders schweren Rechtsverstoß verbunden sei.333 Für die Verfassungsmäßigkeit der Nachteilsabwägung sprechen jedoch ähnliche Gründe wie für die Verfassungsmäßigkeit des Bagatellquorums. So handelt es sich auch bei § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG im Kern nicht um eine einseitige Verkürzung von Aktionärsrechten, sondern vielmehr um eine Kompetenzverschiebung innerhalb der Gesellschaftsverfassung zugunsten der Verwaltung. Letztere bleibt auch im Rahmen des § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG an ihre Legalitätspflicht gebunden. Ist die Anfechtungsklage also offensichtlich erfolgversprechend, so bleibt es zwar dabei, dass das Leitungsorgan bzw. die geschäftsführenden Direktoren unter Umständen gemäß § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG eine sofortige und bestandskräftige Eintragung durchsetzen können – sie dürfen es aber nicht.334 Betreiben sie dennoch die Eintragung mit der Folge, dass der Anfechtungskläger einen Schadensersatzanspruch gegen die Gesellschaft aus § 246a Abs. 4 Satz 1 AktG erwirbt, so spricht alles dafür, dass die Gesellschaft die Anmelder wegen Verletzung ihrer Geschäftsleiterpflichten in Regress nehmen kann.

333 Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 25 – 27. Diesen Gesichtspunkt ebenfalls kritisierend, jedoch ohne den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit: A. Arnold, Der Konzern 2009, 88, 96 (aus systematischer Sicht „unglücklich“); Noack, NZG 2006, 441, 446; Schall/Habbe/Wiegand, NJW 2010, 1789, 1792; Zöllner, in: FS Westermann (2008), S. 1631, 1645 f.; aus europarechtlicher Sicht Reiner, Der Konzern 2011, 135, 151 f. 334 Siehe bereits oben Abschnitt „Verfassungsmäßigkeit“, S. 180.

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b) Normstruktur: Zweistufigkeit der Prüfung Ob ein Hauptversammlungsbeschluss gemäß § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG freigegeben werden kann, ist im Zuge einer zweistufigen335 Prüfung zu ermitteln: Auf erster Stufe ist zu prüfen, ob „die vom Antragssteller dargelegten wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Antragsgegner [aus einem alsbaldigen Wirksamwerden des Beschlusses] überwinden.“ Ist dies nicht der Fall, so scheidet eine Freigabe von vornherein aus. Andernfalls, also bei einem Überwiegen zu Lasten des Antragsgegners, schließt sich auf zweiter Stufe die Frage an, ob „eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes“ vorliegt. c) Erste Stufe: Nachteilsabwägung aa) Einzustellende Belange (1) „Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre“ Auf Antragsstellerseite sind die „wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre“ in die Abwägung einzustellen. Nicht aus dem Wortlaut, wohl aber aus dem systematischen Zusammenhang ergibt sich, dass Nachteile im Sinne des § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG (nur) solche Nachteile sind, die kausal auf den Suspensiveffekt der Anfechtungsklage zurückgehen. Gemeint sind also die Verzögerungsnachteile, die die Gesellschaft erleidet, wenn der Beschluss erst nach rechtskräftiger Beendigung der Anfechtungsklage eingetragen wird und nicht bereits unmittelbar nach der Hauptversammlung. Nicht erforderlich ist, dass die Nachteile mit den konkreten Umständen des Einzelfalls verknüpft sind; berücksichtigungsfähig sind vielmehr auch Nachteile, die sich typischerweise jedes Mal ergeben, wenn ein Beschluss der jeweils streitgegenständlichen Art angefochten wird. Die vereinzelt vertretene Gegenauffassung336 findet sich weder im Gesetzeswortlaut noch im Sinn und Zweck der Norm wieder und 335 Ebenso OLG München, Beschluss v. 14. 12. 2011, Az. 7 AktG 3/11 (Juris), Rn. 57 – 59; OLG Hamm, BeckRS 2010, 25899; OLG Frankfurt am Main, AG 2012, 414, 417; Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 246a AktG Rn. 8 – 9; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 246a Rn. 21; Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013), § 16 Rn. 43; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 19; Schwanna, in: Semler/Stengel, UmwG, 3. Aufl. (2012), § 16 Rn. 32 – 42; Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/ Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), § 16 Rn. 78 – 83; Verse, NZG 2009, 1127, 1130; Wilsing/Saß, DB 2011, 919, 923; Wilk, in: MüHdB-GesR, Bd. 7, 5. Aufl. (2015), § 29 Rn. 283. In umgekehrter Reihenfolge (1. Besondere Schwere des Rechtsverstoßes, 2. Abwägung), die der Gesetzessystematik wohl zuwiderläuft, aber natürlich zu denselben Ergebnissen führt: OLG Frankfurt, NZG 2010, 824, 826 f.; Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 27 – 34. 336 LG Heidelberg, AG 2006, 760, 760 (noch auf Basis der alten Gesetzesfassung): „Wesentliche Nachteile … können … nicht Nachteile sein, die zwangsläufig mit jedem SqueezeOut-Verfahren, welches in Anfechtungsklagen mündet, verbunden sind.“

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

würde zudem eine praktisch kaum zu bewältigende Differenzierung zwischen gewöhnlichen und ungewöhnlichen Nachteilen erfordern. Auf der anderen Seite sind aber solche Verzögerungsnachteile nicht erfasst, die sich zwar typischerweise ergeben, wenn ein Beschluss der streitgegenständlichen Art angefochten wird, im konkreten Fall aber ausnahmsweise keine Rolle spielen.337 Nicht umfasst sind weiter Nachteile, die die Gesellschaft dadurch erleidet, dass der Beschluss – bei Erfolg der Anfechtungsklage – überhaupt nicht eingetragen wird.338 Denn andernfalls wäre der Antragssteller genötigt, in Hauptsache- und Freigabeverfahren widersprüchlich vorzutragen: Während er im Hauptsacheverfahren die Unzulässigkeit oder Unbegründetheit der Anfechtungsklage geltend machen würde, müsste er im Freigabeverfahren zu seinen Gunsten die Zulässigkeit und Begründetheit der Hauptsacheklage unterstellen, um die Nachteile eines endgültigen Scheiterns der Eintragung in die Waagschale werfen zu können. Zudem wären bereits geringfügige Nachteile schnell ins Unermessliche multiplizierbar, soweit sie sich aus regelmäßig wiederkehrenden Belastungen zusammen setzen. In persönlicher Hinsicht sind grundsätzlich nur Nachteile „für die Gesellschaft und ihre Aktionäre“ einzubeziehen. Letztere fallen insbesondere dann ins Gewicht, wenn es um die Freigabe eines Squeeze-Out-Beschlusses geht, der regelmäßig dem beherrschenden Mitaktionär des Anfechtungsklägers zugute kommt. Aus der parallelen Erwähnung von Gesellschaft und Aktionären wird deutlich, dass Nachteile, die sonstige Stakeholder der Gesellschaft betreffen, grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig sind. Ausgeklammert werden damit insbesondere die Belange der Arbeitnehmer, Geschäftspartner und Fremdkapitalgeber sowie Belange der sonstigen Gläubiger und der sonstigen Beteiligten der klageweise angegriffenen Strukturmaßnahme339, wie beispielsweise Belange des Partners einer angestrebten Unternehmensverbindung340 oder Belange dritter Personen, die als Übernehmer der 337

A.A. ohne nähere Begründung insoweit OLG Frankfurt am Main, NZG 2010, 824, 826 f. in Hinblick auf Eintragung eines genehmigten Kapitals: „Die Notwendigkeit, schnell und flexibel zu handeln, besteht in erhöhtem Maß im heutigen Wirtschaftsleben. (…) Deshalb vermag … der Umstand, dass kein konkreter Finanzierungsbedarf geltend gemacht worden ist, die Interessen der AG an der Bereitstellung diese Finanzierungsinstruments nicht entscheidend zu schmälern.“ 338 Zutreffend insoweit OLG Hamm, BeckRS 2010, 25899 (nur einmaliges Ansetzen der a.a.O. für relevant erachteten jährlichen Kosten); Baums/Drinhausen/Keinath, ZIP 2011, 2329, 2330 („Nachteile eines Aufschubs der Eintragung“); a.A. OLG München, AG 2013, 173, 177 („aus der Nichteintragung oder der Verzögerung der Eintragung [drohende] Nachteile“); OLG München, Beschluss v. 14. 12. 2011, Az. 7 AktG 3/11 (Juris), Rn. 60; ebenso Noack, NZG 2008, 441, 446, und Zöllner, in: FS Westermann (2008), 1631, 1643, die ihren Befund a.a.O. jeweils zum Anlass für Kritik auf rechtspolitischer Ebene nehmen („begründete Anfechtung verursacht bei der Gesellschaft einen Nachteil, der dann bei § 246a AktG dazu dient, die Anfechtbarkeit wieder zu beseitigen“; „Stück aus dem Tollhaus“). 339 Diese ohne Begründung einbeziehend Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), § 16 Rn. 79 („Nachteile … für alle beteiligten Rechtsträger“). 340 Diese zutreffenderweise ausklammernd OLG München, AG 2013, 173, 177 f. („W.E.T. II“).

C. Freigabeverfahren

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neuen Aktien aus einer Kapitalerhöhung vorgesehen sind. Auch die persönlichen Belange der Organwalter der Gesellschaft spielen grundsätzlich keine Rolle. Nur ausnahmsweise können sich insofern mittelbar berücksichtigungsfähige Nachteile ergeben – nämlich insoweit, als Nachteile Dritter reflexartig auf die Gesellschaft oder deren Aktionäre zurückwirken. Das ist beispielsweise denkbar, wenn die Verzögerung der Eintragung Dritten Anlass gibt, gegen die Gesellschaft voraussichtlich erfolgreiche Klagen zu erheben. Seinem sachlichen Umfang nach greift der Nachteilsbegriff weit aus – insbesondere weiter, als es ein Schadensbegriff getan hätte. Umfasst sind damit nicht nur solche Nachteile, die sich in konkreten Vermögenseinbußen niederschlagen, sondern auch ideelle Beeinträchtigungen341 wie etwa die Schädigung der Reputation der Gesellschaft oder die Störung der Geschäftsverbindungen zwischen der Gesellschaft und ihren Kunden und Partnern. Aus der Formulierung, nach der die „wesentlichen“ Nachteile berücksichtigt werden sollen, ergibt sich keine Einschränkung dahingehend, dass auf Seiten des Antragsgegners nur besonders gewichtige Belange in die Abwägung einfließen dürfen.342 Denn es folgt aus der Rechtsnatur des Abwägungsvorgangs und seines Ziels – nämlich ein Überwiegen der einen oder anderen Seite zu ermitteln –, dass eine Gewichtung der Belange nicht absolut, sondern nur jeweils relativ zu den Belangen der Gegenseite erfolgt. In Literatur und Rechtsprechung zur Nachteilsabwägung wurden bislang – zu Recht – für abwägungsrelevant erachtet: Insolvenzgefahr,343 Kosten einer weiteren Hauptversammlung,344 Kosten einer Börsennotierung,345 Zinseffekte346 sowie Synergieeffekte eines geplanten Unternehmenszusammenschlusses.347 Ebenfalls relevant sind „,nicht direkt bezifferbare Nachteile‘ im Geschäftsverkehr, wie sie durch ,Irritationen am Markt‘ und durch die ,Verunsicherung bei Geschäftspartnern‘ eintr[e]ten.“348 Auch die mit der Mitbestimmung der Arbeitnehmer verbundenen Kosten 341 Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 31; Wilk, in: MüHdB-GesR, Bd. 7, 5. Aufl. (2015), § 29 Rn. 284. 342 A.A. OLG München, AG 2013, 173, 177 („W.E.T. II“); OLG München, Beschluss v. 14. 12. 2011, Az. 7 AktG 3/11 (Juris), Rn. 60. 343 OLG Nürnberg, ZIP 2011, 172, 174; Beschlussempfehlung ARUG, BT-Drucks. 16/ 13098, S. 42; Schall/Habbe/Wiegand, NJW 2010, 1789, 1790. 344 OLG Hamm, BeckRS 2010, 25899; OLG Nürnberg, ZIP 2011, 172, 174; Schall/Habbe/ Wiegand, NJW 2010, 1789, 1790; jeweils in Anlehnung an Beschlussempfehlung ARUG, BTDrucks. 16/13098, S. 42. 345 Bzgl. Squeeze-Out-Beschluss, der zu einem sogenannten kalten Delisting führen würde: OLG Hamm, BeckRS 2010, 25899; a.A. wohl LG Heidelberg, AG 2006, 760, 760. 346 Beschlussempfehlung ARUG, BT-Drucks. 16/13098, S. 42. Offenlassend bzgl. Zinsaufwand für die Vorhaltung einer Bankgewährleistung gemäß § 327b Abs. 3 AktG: OLG Hamm, BeckRS 2010, 25899. 347 OLG München, Beschluss v. 14. 12. 2011, Az. 7 AktG 3/11 (Juris), Rn. 61 – 63; wohl ebenso OLG München, AG 2013, 173, 177 f. („W.E.T. II“), das lediglich eine Berücksichtigung der außerhalb der Gesellschaft entstehenden Synergieeffekte ablehnt. 348 Offen gelassen von OLG Hamm, BeckRS 2010, 25899.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

und Behinderungen wird man ansetzen können, wenn eine Strukturmaßnahme angegriffen wird, die die Mitbestimmung beseitigt oder reduziert (z. B. grenzüberschreitende Outbound-Verschmelzung auf einen ausländischen Rechtsträger). Andererseits kann die Tatsache, dass der Antragssteller den Freigabeantrag nicht unmittelbar auf die Zustellung der Anfechtungsklage hin stellt, sondern zunächst einige Wochen oder gar Monate zuwartet, nicht per se einen Ausschlag zu Lasten des Antragsstellers geben.349 Denn auch wenn einige Zeit verstrichen ist, ohne dass dem Antragssteller wesentlichen Nachteile entstanden sind, ist es alles andere als ausgeschlossen, dass dem Antragssteller gerade aus einem weiteren Zuwarten erhebliche Nachteile entstehen, beispielsweise wenn der durch eine Kapitalerhöhung zu deckende Finanzierungsbedarf zwar nicht in den ersten Wochen nach Klageerhebung besteht, aber um so dringender für die Zeit danach. Ein Anfechtungsbeklagter, der von den Erfolgsaussichten eines Freigabeantrags kein klares Bild hat, kann daher etwa ein erstinstanzliches Hauptsacheurteil abwarten, um während des Rechtsmittelverfahrens einen Freigabeantrag zu stellen (und darin ggf. das zu seinen Gunsten ergangene Urteil zu verwerten). (2) „Nachteile für den Antragsgegner“ Die sachliche Reichweite des Nachteilsbegriffs auf Seiten des Antragsgegners entspricht der des Nachteilsbegriffs auf Seiten des Antragsstellers. Auch insofern sind daher nicht nur Vermögenseinbußen relevant, sondern auch rein ideelle Beeinträchtigungen. Zu den Nachteilen für den Antragsgegner gehören auch und insbesondere solche Vermögenseinbußen, die der Antragsgegner – den Erfolg der Hauptsacheklage vorausgesetzt – als Schadensersatz gemäß § 246a Abs. 4 Satz 1 AktG von der Gesellschaft erstattet erhalten würde. Berücksichtigungsfähig sind diejenigen Nachteile, die sich aus der freigabetypischen Beschleunigung und Bestandskraft der Eintragung ergeben. Zu saldieren ist mithin die Lage, wie sie sich bei sofortiger Eintragung darstellen würde, mit der Lage, die sich ergäbe, wenn der Beschluss – auf einen Erfolg der Hauptsacheklage hin – überhaupt nicht eingetragen würde. In zeitlicher Hinsicht greift der Nachteilsbegriff auf Seiten des Antragsgegners also weiter als auf Antragsstellerseite. In persönlicher Hinsicht wird der Kreis dagegen deutlich enger gezogen als auf der Seite des Antragsstellers: Berücksichtigungsfähig sind nur Nachteile, die der Antragsgegner selbst erleidet, nicht jedoch Nachteile, die Mitaktionäre erleiden.350 Auch die Frage, inwieweit der Anfechtungskläger Zustimmung und Rückhalt bei den

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So aber OLG München ZIP 2010, 84, 87 f. (Hauptversammlungsbeschluss am 2. März 2009, Zustellung der Anfechtungsklage am 15. April 2009, Antrag auf Freigabe am 1. September 2009); a.A. OLG Frankfurt am Main, NZG 2010, 824, 827; Wilsing/Saß, DB 2011, 919, 923 f. 350 Dies hervorhebend Seibert/Florstedt, ZIP 2008, 2145, 2152 mit der dortigen Fn. 99, sowie Beschlussempfehlung ARUG, BT-Drucks. 16/13098, S. 42.

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übrigen Aktionären findet, ist ohne Relevanz.351 Mit anderen Worten: Soweit sich aus der Verzögerung der Eintragung Nachteile für Mitaktionäre ergeben, fallen sie zugunsten des Antragsstellers ins Gewicht; soweit sich aber aus der sofortigen und bestandskräftigen Eintragung des Beschlusses Nachteile für die Mitaktionäre ergeben, fallen sie überhaupt nicht ins Gewicht. Die Rolle der Anfechtungsklage als (auch) altruistische Klage, die der Anfechtungskläger auch im Interesse seiner Mitaktionäre erheben kann, ohne ein individuelles Interesse nachweisen zu müssen, setzt sich im Freigabeverfahren also nicht fort.352 Vielmehr ist es im Freigabeverfahren der Anfechtungsbeklagte, der nach der Vorstellung des Gesetzgebers typischerweise die Interessen der nicht verfahrensbeteiligten Aktionäre vertritt. Als verwertbarer Nachteil in Betracht kommt beispielsweise der Verwässerungseffekt einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss.353 In finanzieller Hinsicht wird der Verkehrswert der vom Antragsgegner gehaltenen Beteiligung regelmäßig die absolute Obergrenze für die berücksichtigungsfähigen Nachteile bilden. Denn einschneidendere Nachteile als den dauerhaften Entzug des gesamten Mitgliedschaftsrechts wird ein Aktionär aus einem Hauptversammlungsbeschluss kaum erleiden können. Nur ausnahmsweise sind darüber hinausgehende Nachteile denkbar – nämlich dann, wenn der angefochtene Beschluss den Antragsgegner nicht nur in seiner Rolle als Aktionär, sondern auch in einer anderen Eigenschaft trifft. Ist der Antragssteller beispielsweise sowohl Aktionär als auch Verwaltungsmitglied der Gesellschaft und würde sein Organamt in Folge der angegriffenen Strukturentscheidung wegfallen, so fallen zu seinen Gunsten auch solche Nachteile ins Gewicht, die er aus dem Verlust seines Organamtes erleiden würde (z. B. Verdiensteinbußen). Die Beteiligungsquote des Antragsgegners ist somit im Rahmen der Abwägung durchaus – aber auch nur – mittelbar relevant: Soweit auf Seiten des Antragsgegners Nachteile ins Gewicht fallen, die sich aus einer Beeinträchtigung von Rechten ergeben, die ihrerseits von der Höhe der Beteiligung abhängen (z. B. Gewinnbezugsrechte), verleiht die Beteiligungsquote des Antragsgegners den Nachteilen ein höheres oder geringeres Gewicht. Nicht relevant ist die Beteiligungsquote dagegen in Bezug auf Beeinträchtigungen von Mitgliedschaftsrechten, die dem jeweiligen Aktionär unabhängig von seiner Beteiligungsquote zustehen (z. B. Informationsrechte, Entsendungsrechte). Und noch weniger kommt eine unmittelbare Berücksichtigung der Beteiligungsquote als selbstständiges Abwägungskriterium in Betracht.354 Die Anregung des Bundesrats, das ARUG zu nutzen, um die Beteili351 Anders wohl noch der RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 41 (vgl. nunmehr aber die Nachweise in obiger Fn. 350). 352 Vgl. Baums/Drinhausen/Keinath, ZIP 2011, 2329, 2330. 353 Vgl. KG Berlin, ZIP 2011, 172, 174; OLG Nürnberg, ZIP 2011, 172, 174. 354 Ebenso Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 33; Schall/Habbe/ Wiegand, NJW 2010, 1789, 1790; Zöllner, in: FS Westermann (2008), S. 1631, 1644; vgl. auch (in anderem Zusammenhang) LG München I, AG 2011, 263, 264; tendenziell a.A. Seibert, ZIP 2008, 906, 910; RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 41.

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

gungshöhe des Antragsgegners als Abwägungselement zu verankern,355 hat sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt. Unmittelbare relevant ist die Höhe der Beteiligung vielmehr allein im Rahmen des § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG. Ebenso wenig zu berücksichtigen sind die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage.356 Die Nachteile, die der Antragsgegner aus einer sofortigen und bestandskräftigen Eintragung erleidet, erhöhen sich also nicht dadurch, dass seine Hauptsacheklage voraussichtlich Erfolg hat, und verringern sich umgekehrt auch nicht dadurch, dass die Anfechtungsklage voraussichtlich abzuweisen sein wird. bb) Gewichtung und Vergleich der Belange Sind die abwägungsrelevanten Belange auf beiden Seiten zusammengestellt, sind sie abwägend miteinander ins Verhältnis zu setzen. Dabei genießt das Gericht erhebliche Freiheiten („nach freier Überzeugung“). Insbesondere feste Vor- und Nachrangigkeiten sind gesetzlich nicht vorgegeben, so dass das Gericht beispielsweise rein ideellen Nachteilen auf der einen Seite ein größeres Gewicht beimessen kann als erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen auf der anderen Seite. Die in rechtspolitischer Hinsicht teilweise geäußerte Kritik, das Gericht müsse im Rahmen des § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG „inkomparable Größen“ miteinander ins Verhältnis setzen,357 trifft daher insoweit nicht zu, als das Gericht im Rahmen der Abwägung gerade dazu befugt ist, Inkomparabilitäten zwischen relevanten Belangen nach eigenem Ermessen zu überbrücken. Allein dann, wenn auf beiden Seiten ausschließlich finanziell messbare Nachteile eine Rolle spielen, wird das Gericht nicht umhin können, derjenigen Seite Recht zu geben, der die Eintragung bzw. die Verzögerung der Eintragung am teuersten zu stehen käme. Fraglich ist, ob der Abwägung ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugrunde gelegt werden kann, demzufolge von einem regelmäßigen Überwiegen der Belange einer bestimmten Seite oder von der Auflösung eines non-liquet zu Lasten einer bestimmten Seite auszugehen ist. Verbreitet wird hierzu die Auffassung vertreten, wegen der in persönlicher Hinsicht größeren Reichweite des Nachteilsbegriffs auf Antragsstellerseite ergebe sich regelmäßig ein Überwiegen zugunsten des Antragsstellers.358 An anderer Stelle findet sich wiederum die Ansicht, wegen der regelmäßigen Suspensivwirkung der Anfechtungsklage sei eine Freigabe nur im Ausnahmefall zu bejahen; die Nach355 Stellungnahme des Bundesrats und Gegenäußerung der Bundesregierung zum RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 49, 54, 59. 356 OLG Hamm, BeckRS 2010, 25899; Hüffer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), § 246a Rn. 27; a.A. (noch auf Basis der alten Rechtslage) Halfmeier, WM 2006, 1465, 1469. 357 Zöllner, in: FS Westermann (2008), S. 1631, 1641. 358 In diese Richtung Baums/Drinhausen/Keinath, ZIP 2011, 2329, 2330; Bayer/Fiebelkorn, ZIP 2012, 2181, 2185; Grobecker, NZG 2010, 165, 170; Hellgardt/Hoger, ZGR 2011, 38, 74 f.

C. Freigabeverfahren

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teilsabwägung müsse daher im Regelfall eher zugunsten des Antragsgegners ausfallen.359 Beide Seiten überzeugen (nur) teilweise. So kommt der Ausnahmecharakter einer Freigabe nach § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG durchaus auch in der Vorschrift selbst zum Ausdruck, die eine Freigabe nur beim Überwiegen der Antragssteller-Belange gestattet und nicht bereits dann, wenn die Antragsgegner-Belange die Belange des Antragsstellers nicht überwiegen. Im Ergebnis wird die Abwägung freilich dennoch häufiger zugunsten des Antragsstellers ausgehen als zugunsten des Antragsgegners. Dies liegt zum einen an der einseitigen Einbeziehung von Gesellschafts- und Mitaktionärs-Nachteilen zugunsten des Antragsstellers, zum anderen aber auch an der regelmäßigen Deckelung der Antragsgegner-Nachteile durch den Verkehrswert seiner Beteiligung. Insbesondere Kleinstaktionären wird ihre niedrige Beteiligung, wenn nicht bereits im Rahmen des Bagatellquorums nach § 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG, dann doch spätestens in der Abwägung nach § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG zum Verhängnis werden. Letztlich folgt zwar aus dem Ausnahmecharakter der Freigabe und der Formulierung des § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG, dass das Gericht bei einem Nachteils-Patt oder einer nicht auflösbaren Ungewissheit über die relevanten Nachteile kein Überwiegen zugunsten des Antragsstellers feststellen wird; gleichzeitig werden die auf Seiten des Antragsgegners relevanten Belange in aller Regel gar nicht erst gewichtig genug sein, um ein solches Patt zu erreichen. d) Zweite Stufe: Keine besondere Schwere des Rechtsverstoßes Die im zweiten Schritt zu überprüfende Schwere des Rechtsverstoßes setzt sich ihrerseits aus zwei Elementen zusammen, nämlich der abstrakt-generellen Bedeutung der verletzten Normen und dem Ausmaß der Rechtsverletzung im Einzelfall.360 Die besondere Schwere des Rechtsverstoßes kann sich aus der abstrakt-generellen Bedeutung der Norm allein, aus dem konkreten Ausmaß der Rechtsverletzung allein oder aus beiden Elementen gemeinsam ergeben. Geht man von der Begründung des ARUG-Regierungsentwurfs aus, so bemisst sich die abstrakt-generelle Bedeutung der verletzten Vorschriften nach der gesetzlichen Kategorisierung der Fehlerfolgen: Eine Rechtsverletzung, die einen Nichtigkeitsgrund nach § 241 AktG erfüllt, wiegt schwerer als eine Rechtsverletzung, die den Beschluss nur anfechtbar macht; und eine durch Bestätigungsbeschluss oder Eintragung heilbare Rechtsverletzung wiegt weniger schwer als eine unheilbare

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LG Heidelberg, AG 2006, 760, 760. Siehe nur OLG Hamm, BeckRS 2010, 25899; Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 28; RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 41. Kritisch zur Unschärfe des Merkmals der besonderen Schwere Noack, NZG 2008, 441, 446; Zöllner, in: FS Westermann (2008), S. 1631, 1642 f. (deren Argumentation auch auf Basis der gegenwärtigen Gesetzeslage noch aktuell ist). 360

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3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

Rechtsverletzung.361 Gleichzeitig ist freilich weitgehend anerkannt, dass nicht jeder Nichtigkeitsgrund die besondere Schwere des Rechtsverstoßes im Sinne des § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG begründet;362 und umgekehrt wird auch nicht jeder (bloße) Anfechtungsgrund von vornherein ungeeignet sein, um einen besonders schweren Rechtsverstoß zu begründen.363 Richtigerweise bietet die fehlerfolgenorientierte Einordnung daher in aller Regel nur einen ersten Anhaltspunkt.364 Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, in welchem Maße der Rechtsverstoß durch Schadensersatz angemessen zu kompensieren wäre365 und in welchem Maße er Aktionärsrechte beeinträchtigt. Die zweite Stufe betrifft Art und den Umfang des konkreten Rechtsverstoßes. Ein einheitlicher Maßstab oder sonstige allgemeinen Grundsätze, aus denen sich eine scharfe Trennlinie zwischen besonders schwerwiegenden und weniger schwerwiegenden Einzelfallumständen ableiten ließe, liefert freilich weder das Gesetz noch die begleitenden Erläuterungen in den den Gesetzesmaterialien. Letztere beschränken sich weitgehend auf anekdotische Beispiele für besonders schwerwiegende Einzelfallumstände. So soll die besondere Schwere des Rechtsverstoßes etwa zu bejahen sein, wenn die fragliche Beschlussfassung in einer Geheimversammlung stattfand, die bewusst zu diesem Zweck einberufen worden war, wenn die Hauptversammlung einer börsennotierten AG nicht beurkundet wurde, wenn absichtlich und mit schweren Folgen gegen das Gleichbehandlungsgebot und Treuepflichten verstoßen wurde oder wenn das Grundkapital einer AG endgültig unterhalb von 50.000 Euro festgesetzt wird.366 Umgekehrt sollen formale, von professionellen Klägern provo361 RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 41; ähnlich Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 28; dagegen wohl Zöllner, in: FS Westermann (2008), S. 1631, 1645 (dessen Argumentation auch auf Basis der gegenwärtigen Gesetzeslage noch aktuell ist). 362 RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 41; OLG Hamm, BeckRS 2010, 25899; KG Berlin, ZIP 2011, 172, 174; Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 28; Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 246a Rn. 4; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 7. Aufl. (2013), § 319 AktG Rn. 38; Seibert/ Florstedt, ZIP 2008, 2145, 2152; wohl etwas abweichend Noack, NZG 2008, 441, 446 (noch auf Basis des RefE ARUG), der bei Nichtigkeit „grundsätzlich“ einen besonders schweren Rechtsverstoß bejahen will. Die Freigabe nichtiger Beschlüsse ablehnend Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 27. 363 Vgl. OLG Frankfurt am Main, AG 2012, 414, 417 („Verfolgung von Sondervorteilen nach § 243 Abs. 2 AktG“ und „Verletzung der verschmelzungsrechtlichen Wertäquivalenz“ als bedeutsame Verstöße). 364 Ähnlich Seibert/Florstedt, ZIP 2008, 2145, 2152 mit der dortigen Fn. 102. 365 Beschlussempfehlung ARUG, BT-Drucks. 16/13068, S. 42; RegE ARUG, BTDrucks. 16/11642, S. 41; vgl. auch OLG Frankfurt am Main, AG 2012, 414, 417; Seibert/ Florstedt, ZIP 2008, 2145, 2152. 366 Beschlussempfehlung ARUG, BT-Drucks. 16/13068, S. 42; RegE ARUG, BTDrucks. 16/11642, S. 41; im Anschluss OLG Hamm, BeckRS 2010, 25899; OLG Frankfurt am Main, AG 2012, 414, 417; OLG Frankfurt am Main, BeckRS 2011, 16034 (besondere Schwere des Rechtsverstoßes auch dann, „wenn der Umwandlung [einer SE] die rechtliche Grundlage ganz fehlen würde“).

C. Freigabeverfahren

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zierte Beschlussfehler nie geeignet sein, um die besondere Schwere zu begründen.367 Deutlich wird damit, dass der Gesetzgeber gänzlich außergewöhnliche Konstellationen im Auge hatte, in denen der Rechtsverstoß atypisch schwerwiegende Folgen zeitigt, in denen die Verantwortlichen absichtlich rechtswidrig handeln oder eine offensichtlichen Rechtsverstoß ignorieren oder übersehen oder in denen dem fraglichen Beschluss in anderer Hinsicht ein Rechtsverstoß gleichsam auf die Stirn geschrieben steht.368 Umgekehrt werden Art und Ausmaß des Rechtsverstoßes im Einzelfall auch Anlass bieten, um einen abstrakt-generell schwerwiegenden Rechtsfehler im Einzelfall unter die Schwelle des schwerwiegenden Rechtsverstoßes zurück zu stufen. Der Ausnahmecharakter der besonderen Schwere der Rechtsverletzung liegt damit auf der Hand; er wird durch den Gesetzeswortlaut („es sei denn“) unterstrichen, der dem Antragsgegner gleichzeitig die Beweislast aufgibt.369 Insgesamt wird die besondere Schwere des Rechtsverstoßes nur in krassen, praktisch kaum vorstellbaren Ausnahmefällen zu bejahen sein. Noch seltener werden Fälle sein, in denen der Schwere des Rechtsverstoßes eine entscheidende Bedeutung zukommt. Denn in Fällen besonders krasser Rechtsverletzungen wird häufig bereits die Nachteilsabwägung zugunsten des Antragsgegners ausfallen.370

III. Gerichtliche Entscheidung, Beschlusswirkung Der Freigabebeschluss ergeht als gebundene, unanfechtbare Entscheidung. Liegen die Voraussetzungen des § 246a Abs. 2 Nr. 1, 2 oder 3 AktG vor, so hat das Gericht die Freigabe zu beschließen; sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, darf die Eintragung nicht freigegeben werden.371 Aus Sicht des Registergerichts ist eine positive Freigabeentscheidung gemäß § 319 Abs. 6 Satz 1 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 1 UmwG gleichbedeutend mit der nach § 319 Abs. 5 AktG bzw. § 16 Abs. 2 UmwG erforderlichen Negativerklärung. Deren 367

Beschlussempfehlung ARUG, BT-Drucks. 16/13068, S. 42. Nicht ausgeschlossen wird die besondere Schwere dagegen sein, soweit ein professioneller Kläger einen nicht provozierten Beschlussfehler rügt. 368 In dieselbe Richtung (und in Anlehnung an die Beschlussempfehlung ARUG, BTDrucks. 16/13098, S. 42) OLG Hamm, BeckRS 2010, 25899 („… in denen es für die Rechtsordnung unerträglich wäre, den Beschluss ohne vertiefte Prüfung im Hauptsacheverfahren eintragen und umsetzen zu lassen. Gemeint sind ,massive Verletzungen elementarer Aktionärsrechte, die durch Schadensersatz nicht angemessen korrigiert werden können‘ …“). 369 Schwab, in: K. Schmidt/Lutter/AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 21 a.E.; Drinhausen/ Keinath, BB 2009, 64, 68; Beschlussempfehlung ARUG, BT-Drucks. 16/13098, S. 42. Bedeutung hat die Beweislast freilich nur in Hinblick auf die Art und den Umfang des Rechtsverstoßes, da die abstrakte Bedeutung der verletzten Norm eine reine Rechtsfrage darstellt. 370 Vgl. OLG Frankfurt am Main, AG 2012, 414, 417, welches die besondere Schwere des Rechtsverstoßes nur per obiter dictum bejaht. 371 Seibert/Florstedt, ZIP 2008, 2145, 2152.

208

3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

Fehlen steht der Registereintragung mithin nicht mehr im Weg. Auch ein Freigabebeschluss gemäß § 246a Abs. 1 AktG ist „für das Registergericht bindend“ (§ 246a Abs. 3 Satz 5 Hs. 1 AktG). Die Bindungswirkung der positiven Freigabeentscheidung bedeutet freilich nicht, dass das Registergericht auf einen positiven Beschluss hin die Eintragung immer vornehmen müsste. Stattdessen ist zu differenzieren: Klar ist zunächst, dass eine positive Freigabeentscheidung den Anmelder nicht davon entbindet, die Regeln des Registerverfahrens einzuhalten. Enthält die Anmeldung daher Formfehler – beispielsweise weil die Beglaubigung nach § 12 Abs. 1 HGB fehlt –, so wird das Registergericht die Eintragung unabhängig vom Freigabebeschluss verweigern.372 Ferner muss das Registergericht die Eintragung ablehnen, wenn der fragliche Beschluss gegen zwingendes Gesetzesrecht verstößt, das (ggf. auch) öffentliche Interessen, Gläubigerinteressen oder die Interessen künftiger Aktionäre schützt. Das gilt auch dann, wenn das freigebende Gericht den entscheidenden Beschlussmangel in seine Prüfung mit aufgenommen hat – ihn also beispielsweise verneint und deswegen die offensichtliche Unbegründetheit der Anfechtungsklage nach § 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG bejaht hat.373 In diesem Fall wäre es das Registergericht nämlich auch dann zur Ablehnung der Eintragung verpflichtet, wenn nie eine Anfechtungsklage gegen den Beschluss erhoben worden worden wäre.374 Wenn die Mangelhaftigkeit des Beschlusses aber schon durch das vollkommene Unterlassen einer Anfechtungsklage nicht unbeachtlich wird, dann erst recht nicht durch einen Freigabebeschluss, der lediglich die Blockadewirkung einer erhobenen Anfechtungsklage beseitigt. Mit anderen Worten: Beschlussmängel, über deren Eintragungsrelevanz die Parteien nicht einmal einverständlich durch Rücknahme der Anfechtungsklage disponieren können, werden durch die gerichtliche Eilfeststellung, dass eine erhobene Anfechtungsklage der Eintragung nicht entgegensteht, nicht unbeachtlich. Andernfalls hätte das Nicht-Entgegenstehen der Anfechtungsklage eine stärkere Wirkung als die vollständige Klagerücknahme, und Antragssteller und -gegner könnten gleichsam über die Hintertür des Freigabeverfahrens in Rechte Dritter eingreifen. Wird dagegen ein Beschluss freigegeben, dessen mutmaßliche Mangelhaftigkeit öffentliche Interessen, Gläubigerinteressen oder die Interessen künftiger Aktionäre unberührt lässt, so hat das Registergericht den Beschluss einzutragen. 372

Siehe nur RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 27; Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 246a Rn. 5; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, 7. Aufl. (2013), § 319 AktG Rn. 42. 373 Anders die h.M.: RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 27 f.; Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 37; Grunewald, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2010), § 319 Rn. 44; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 7. Aufl. (2013), § 319 AktG Rn. 42; Leuering/Goertz, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 319 Rn. 59; Weber/Kersjes, HV-Beschlüsse vor Gericht (2010), § 3 Rn. 75. 374 So die mittlerweile zu Recht h.M.; siehe nur Körber, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 181 Rn. 22 mit weiteren Nachweisen.

C. Freigabeverfahren

209

IV. Schadensersatzanspruch des Aktionärs bei gegensätzlichem Ausgang von Freigabeund Beschlussmängelverfahren Wird der angegriffene Hauptversammlungsbeschluss aufgrund einer positiven Freigabeentscheidung eingetragen und obsiegt der Antragsgegner später in der Hauptsache, so erwirbt der Antragsgegner einen Anspruch gegen die Gesellschaft aus § 246a Abs. 4 Satz 1 AktG auf Ersatz des Schadens, der ihm aus der Eintragung entstanden ist. Gegen diese Schadensersatzpflicht wird teilweise der Vorwurf erhoben, der Antragsgegner finanziere seinen eigenen Anspruch teilweise mit. Denn der Mittelabfluss aus dem Gesellschaftsvermögen beeinträchtige den Wert jeder einzelnen Aktie – also auch den Wert derjenigen Aktien, die vom Antragsgegner gehalten würden.375 Eine derartiger Finanzierungskreislauf ergibt sich allerdings nicht, wenn die anmeldenden Organwalter mit der Durchsetzung der Eintragung im Wege des Freigabeverfahrens schuldhaft ihre Legalitätspflicht verletzt haben. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn im Zeitpunkt des Freigabeantrags abzusehen war, dass die Anfechtungsklage Erfolg haben würde. Die Gesellschaft erwirbt dann gegen die verantwortlichen Organwalter einen Schadensersatzanspruch aus § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG in der Höhe, in der sie vom Antragsgegner in Anspruch genommen werden. Ist unklar oder umstritten, ob im Zeitpunkt des Freigabeverfahrens absehbar war, dass die Anfechtungsklage Erfolg haben würde, müssen sich die Organwalter gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG entlasten. Ist ein Regressanspruch nicht begründet, so kommt es in der Tat zu einer finanziellen Beteiligung des Antragsgegners an seinem eigenen Anspruch. Eine derart faktische Anspruchskürzung stellt jedoch letztlich nichts anderes dar als die Teilnahme des Aktionärs am Unternehmensrisiko der Gesellschaft. Ein Wertungswiderspruch ergibt sich nicht. Regelmäßig wird dem Antragsgegner kein ersatzfähiger Schaden entstanden sein, sieht man von den Verfahrenskosten ab, die ihm im Rahmen des Freigabeverfahrens zur Last gefallen sind.376 Denn es liegt in der Natur eines Hauptversammlungsbeschlusses, dass er regelmäßig nur die Gesellschaft bzw. die Aktionäre in ihrer Gesamtheit berührt; entsprechend berühren Beschlussmängel typischerweise nicht die Rechtsposition des einzelnen Aktionärs, sondern die Gesellschaft als solche. Eine Ausnahme ergibt sich beispielsweise dann, wenn der Aktionär, der gleichzeitig Organwalter ist, in Folge der Eintragung einer Strukturmaßnahme sein Amt verliert und Verdienstausfall geltend macht. 375

Hirte, in: FS Meilicke (2010), S. 201, 207 f. Göz, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 246a Rn. 5; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 246a Rn. 26. Streng wörtlich verstanden, würde § 246a Abs. 4 Satz 1 AktG wohl noch nicht einmal die Kosten des Freigabeverfahrens umfassen; denn jene haben mit der Eintragung jedenfalls unmittelbar nichts zu tun, sondern beruhen nur auf dem Unterliegen im Freigabeverfahren. An einer Ersatzpflicht besteht dennoch auch insoweit kein Zweifel (zutreffend Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 246a Rn. 60. 376

210

3. Teil: Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

In keinem Fall verlangen kann der Aktionär schließlich Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB in Gestalt einer Rückgängigmachung der angegriffenen Strukturmaßnahme. Dies schließt § 246a Abs. 4 Satz 2 AktG ausdrücklich aus.

4. Teil

Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan Zu den grundlegendsten Kompetenzen der Hauptversammlung gehört es, Einfluss auf diejenigen Personen auszuüben, denen der gewinnbringende Einsatz des von den Aktionären bereitgestellten Kapitals anvertraut ist. Im dualistischen System ist es das Aufsichtsorgan, das in jeder Hinsicht am stärksten und unmittelbarsten dem Einfluss der Aktionäre ausgesetzt ist.

I. Einfluss auf personelle Zusammensetzung Die SE-Hauptversammlung steuert die personelle Zusammensetzung des Aufsichtsorgans sowohl mittelbar über die einschlägigen Satzungsregeln als auch unmittelbar über die Wahl der Organmitglieder. 1. Abstrakt per Satzung a) Gestaltung der Mitgliederzahl Gemäß Art. 40 Abs. 3 Satz 1 SE-VO werden die Zahl der Mitglieder des Aufsichtsorgans oder die Regeln für die Festlegung der Zahl durch die Satzung bestimmt. Dem nationalen Gesetzgeber steht es gemäß Satz 2 offen, die Satzungsfreiheit einzuschränken, indem er selbst eine bestimmte Mitgliederzahl oder eine Höchstund/oder Mindestzahl festlegt. Der deutsche Gesetzgeber hat hierzu § 17 Abs. 1 SEAG erlassen, der dem für die Aktiengesellschaft geltenden § 95 AktG bewusst nachempfunden ist.1 aa) Mindestens und grundsätzlich drei Mitglieder Eine Satzungsregel über die Zahl der Aufsichtsorgansitze muss gemäß § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SEAG mindestens drei Sitze vorsehen. Zur Bestimmung dieser 1 RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 36; in dieselbe Richtung bereits der Vorschlag von Teichmann, ZIP 2002, 1109, 1114.

212

4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

gesetzlichen Untergrenze war der deutsche Gesetzgeber gemäß Art. 40 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 SE-VO ermächtigt. Zweifelhaft erscheint dagegen die These, bereits aus der SE-VO ergebe sich eine Mindestgröße von drei Sitzen. Bejaht wird dies teilweise mit dem Argument, ein Aufsichtsorgan mit weniger als drei Mitgliedern könne nicht „aus seiner Mitte einen Vorsitzenden“ wählen (Art. 42 SE-VO) und das Zweitstimmrecht des Vorsitzenden gemäß Art. 50 Abs. 2 SE-VO verwandele sich im zweiköpfigen Aufsichtsorgan faktisch in ein Alleinentscheidungsrecht.2 Die besseren Gründe sprechen gegen eine solche Auslegung der Verordnung. Denn ein Vergleich zwischen der offenen Formulierung in Art. 40 SE-VO und den entsprechenden Passagen in Art. IV-2 – 2 Abs. 1 Satz 1 Sanders-Vorentwurf3 und Art. 74 Abs. 1 Satz 2 SE-VOV 19704, die beide noch eine Mindestzahl vorsahen,5 legt eher den Schluss nahe, dass der Verordnungsgeber ganz bewusst auf die Festlegung einer Mindestgröße verzichtete. Würde die gesetzliche Untergrenze fehlen, wäre der Satzungsgeber daher wohl frei, ein einoder zweiköpfiges Organ vorzusehen.6 Die genannten Unstimmigkeiten wären dann durch eine teleologische Reduktion der Art. 42, 50 Abs. 2 SE-VO aufzulösen: Bei weniger als drei Sitzen entfiele sowohl die in Art. 42 SE-VO vorgesehene Pflicht zur Wahl eines Organvorsitzenden als auch – soweit dennoch ein Vorsitzender gewählt wird – das Zweitstimmrecht des Vorsitzenden gemäß Art. 50 Abs. 2 SE-VO. Angesichts der eindeutigen Regelung für die deutsche SE in § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SEAG und fehlender Änderungsabsichten von Seiten des Gesetzgebers ist dies alles freilich von rein theoretischer Bedeutung. Fraglich erscheint auf den ersten Blick, ob § 17 Abs. 1 Satz 1 SEAG auch insofern von der Ermächtigungsgrundlage abgedeckt ist, als er die genannten drei Sitze als satzungsdispositive Grundregel festschreibt. Ausdrücklich ermächtigt Art. 40 Abs. 3 Satz 2 SE-VO nämlich nur zur Festlegung einer „Zahl“ oder einer „Höchst- und/oder Mindestzahl“, nicht dagegen zur Verankerung einer Grundregel, auf die die Gesellschaft bei Schweigen der Satzung7 zurückfällt. Richtigerweise umfasst die Ermächtigung zur Festlegung einer zwingenden, bestimmten Sitzzahl aber auch Festlegung einer satzungsdispositiven, bestimmten Sitzzahl. Letztere Variante ist sowohl ihrer Art als auch ihrer Eingriffsintensität nach ein Weniger gegenüber den

2 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 40 Rn. 72; dem folgend Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 97; ebenso Kiefner/Friebel, NZG 2010, 537, 538. 3 „Der Aufsichtsrat besteht aus mindestens drei Mitgliedern.“ 4 „[Die Zahl der Mitglieder des Aufsichtsrats] beträgt mindestens zwölf Mitglieder, wenn die S. E. Betriebsstätten in mehreren Mitgliedstaaten hat.“ 5 Beide Passagen erkennt auch Schwarz, SE-VO (2006), Art. 40 Rn. 72, lässt sie jedoch bei seiner Argumentation außen vor. 6 Vgl. J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 558 (gesetzliche Mindestzahl von zwei Aufsichtsorganmitgliedern in der britischen SE). 7 Hierzu ausführlich sogleich unter Abschnitt „Verzicht auf Satzungsregelung?“, S. 194.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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von Art. 40 Abs. 3 Satz 2 SE-VO unmittelbar erfassten Eingriffen in die Satzungsfreiheit.8 bb) Höchstgrenze(n), § 17 Abs. 1 Satz 4 SEAG Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 4 SEAG darf die Satzung einer SE mit einem Grundkapital von bis zu 1.500.000 Euro nicht mehr als neun Aufsichtsorgansitze festlegen. Bei mehr als 1.500.000 Euro und bis zu 10.000.000 Euro beträgt die Höchstzahl fünfzehn und bei mehr als 10.000.000 Euro einundzwanzig. Ob Art. 40 Abs. 3 Satz 2 SE-VO eine derartige Begrenzung erlaubt, erscheint unter zwei Gesichtspunkten zweifelhaft: Erstens ließe sich daran zu denken, dass der deutsche Gesetzgeber sich mit der Festlegung einer absoluten Zahl in § 17 Abs. 1 Satz 1 SEAG selbst der Möglichkeit beraubt hat, eine zusätzliche Höchstgrenze zu bestimmen. Denn Art. 40 Abs. 3 Satz 2 SE-VO berechtigt den nationalen Gesetzgeber zur Festlegung einer absoluten Zahl „oder“ einer Höchst- und/oder Mindestzahl. Richtigerweise liegt in dieser alternativen Verknüpfung der beiden Optionen jedoch keine Beschränkung des Regelungsspielraums für den nationalen Gesetzgeber; der Normtext ist an dieser Stelle vielmehr Ausdruck der Vorstellung des Verordnungsgebers, nach der die gleichzeitige Festlegung einer bestimmten Zahl und einer Höchst- und/oder Mindestgrenze widersprüchlich wäre.9 Den vom deutschen Gesetzgeber gewählten Weg einer gesetzlich bestimmten, aber satzungsdispositiven Zahl in Verbindung mit einer zwingenden Höchstgrenze bedachte er dabei nicht. Die Formulierung steht der Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 4 SEAG daher nicht im Weg. Bedenklich erscheint zweitens die Tatsache, dass der deutsche Gesetzgeber die gesetzliche Höchstzahlbestimmung mit mehreren grundkapitalabhängigen Zahlen variabel gestaltet hat, während die SE-VO von einer „Höchst- und/oder Mindestzahl“ spricht und damit jeweils eine einzige, allgemein gültige Zahl im Auge zu haben scheint. Ebenfalls in diese Richtung weisen die Parallelregelungen in Art. 39 Abs. 4 Satz 2 („eine Mindest- und/oder Höchstzahl“) und Art. 43 Abs. 2 Satz 2 SE-VO („eine Mindestzahl und erforderlichenfalls eine Höchstzahl“), die die Sitzzahl im Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan betreffen. Zwingend ist eine derart enge Lesart freilich nicht. Denn alle drei Regelungen lassen sich auch dahingehend deuten, dass der nationale Gesetzgeber die in seinem Hoheitsgebiet ansässigen SE jeweils nur an eine einzige gesetzliche Höchstzahl binden darf. Solange sich die Gesellschaften nach objektiven Kriterien den verschiedenen Höchstzahlgeboten zuordnen lassen und es zu keinen Überschneidungen zwischen den gesetzlichen Regelungen kommt, ist der Ermächtigungsgrundlage daher genüge getan.10 Eine derart klare Kategori8

Ebenso Schwarz, SE-VO (2006), Art. 40 Rn. 78. Ähnlich Schwarz, SE-VO (2006), Art. 40 Rn. 79. 10 Ähnlich die Erwägungen von Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 81 f., in Bezug auf Art. 43 Abs. 2 Satz 2 SE-VO. 9

214

4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

sierung wird durch eine grundkapitalabhängige Abstufung der gesetzlichen Höchstzahl, wie sie § 17 Abs. 1 Satz 4 SEAG vorsieht, ermöglicht; Art. 40 Abs. 3 Satz 2 SE-VO ist daher auch insofern nicht verletzt. Lediglich aus rechtspolitischer Sicht bietet es sich an, die Annahme zu überprüfen, nach der die Höhe des Grundkapitals einen sinnvollen Anknüpfungspunkt für die Reglementierung der Aufsichtsorgangröße bietet. cc) Dreiteilbarkeitsgrundsatz, § 17 Abs. 1 Satz 3 SEAG? Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 SEAG muss eine satzungsmäßig festgelegte Sitzzahl durch drei teilbar sein. Nimmt man die Mindest- und Höchstzahlregelungen in § 17 Abs. 1 Sätze 1, 2 und 4 SEAG hinzu, so ergibt sich nach der Vorstellung des Gesetzgebers faktisch ein Wahlrecht des einzelnen Satzungsgebers zwischen 3, 6, 9, 12, 15, 18 und 21 Sitzen. Fraglich ist jedoch, ob der deutsche Gesetzgeber zu einer derartigen Verengung der in Art. 40 Abs. 3 Satz 1 SE-VO gewährten Satzungsfreiheit berechtigt war. Anders als die Festlegung des satzungsdispositiven Grundsatzes aus § 17 Abs. 1 Satz 1 SEAG ist das Dreiteilbarkeitsgebot nämlich kein Minus gegenüber der ausdrücklich zugelassenen Festlegung einer bestimmten Zahl bzw. einer Mindest-/ Höchstzahl, sondern ein Aliud.11 Zwar bedeutet das Dreiteilbarkeitsgebot letztlich ebenfalls einen weniger intensiven Eingriff in die Satzungsfreiheit aus Art. 40 Abs. 3 Satz 1 SE-VO als die gesetzliche Festlegung einer zwingenden, bestimmten Zahl wie sie Art. 40 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 SE-VO ausdrücklich gestattet. Zu beachten ist jedoch, dass Art. 40 Abs. 3 Satz 2 SE-VO eine mitgliedstaatliche Reglementierung der Satzungsfreiheit in erster Linie nicht ihrer Intensität nach, sondern ihrer Art und Weise nach beschränkt. Ließe sich eine mitgliedstaatliche Regelung schon allein deshalb auf Art. 40 Abs. 3 Satz 2 SE-VO stützen, weil sie weniger intensiv in die Satzungsfreiheit eingreift als die gesetzliche Festlegung einer bestimmten Sitzzahl,12 so wären mitgliedstaatlichen Regelungen über die Sitzzahl überhaupt keine Grenzen gesetzt. In die Freiheit des Satzungsgebers, über die Zahl der Aufsichtsorgansitze zu entscheiden, kann der Gesetzgeber nämlich überhaupt nicht intensiver eingreifen als durch die Festlegung einer einzigen, allgemein verbindlichen Zahl. Eine allgemeine Regelungsermächtigung des nationalen Gesetzgebers enthält Art. 40 Abs. 3 Satz 2 SE-VO aber gerade nicht. Der Gesetzgeber des SE-Sitzstaats ist daher darauf beschränkt, die Sitzzahl absolut festzulegen und/oder die Sitzzahl nach unten und/oder oben zu begrenzen. Zu einer weiteren Reglementierung dahingehend, dass der Satzungsgeber die Sitzzahl nur in bestimmten Schritten erhöhen und absenken darf, ist der nationale Gesetzgeber nicht berechtigt.13 Das Dreiteilbarkeitsgebot aus § 17 11

A.A. Schwarz, SE-VO (2006), Art. 40 Rn. 80. In diese Richtung Schwarz, SE-VO (2006), Art. 40 Rn. 80. 13 Ebenfalls zweifelnd Oetker, ZIP 2006, 1113, 1118; a.A. Schwarz, SE-VO (2006), Art. 40 Rn. 80. Ohne Begründung bejaht wird die Geltung des Dreiteilbarkeitsgebots für das Auf12

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

215

Abs. 1 Satz 3 SEAG14 ist daher von Art. 49 Abs. 3 Satz 2 SE-VO nicht abgedeckt und findet auf die deutsche SE keine Anwendung.15 dd) Hinreichende Bestimmtheit der Erhöhung Gemäß Art. 40 Abs. 3 Satz 1 SE-VO kann die Satzung entweder eine fixe Zahl an Sitzen festlegen – die Bestimmtheit der Erhöhung ist dann kaum problematisch16 – oder sich auf eine indirekte Steuerung der Mitgliederzahl beschränken, indem sie nur „Regeln für ihre Festlegung“ vorgibt. Einer solchen indirekten Regelung steht insbesondere § 17 Abs. 1 Satz 2 SEAG nicht entgegen, wonach die Satzung „eine bestimmte höhere Zahl festsetzen“ kann. Art. 40 Abs. 1 Satz 2 SE-VO gestattet dem nationalen Gesetzgeber nämlich nicht, die in Satz 1 gewährte Satzungsfreiheit auf eine andere Weise einzuschränken als durch die Festlegung einer bestimmten Zahl und/oder die Festlegung zahlenmäßiger Ober- und/oder Untergrenzen.17 § 17 Abs. 1 Satz 2 SEAG ist daher verordnungskonform als nicht abschließend auszulegen. Welche Gestalt Satzungsklauseln im Einzelnen annehmen können, die „Regeln“ im Sinne des Art. 40 Abs. 3 Satz 1 SE-VO vorgeben, ist umstritten. Überwiegend für unzulässig gehalten werden zunächst Klauseln, die die Mitgliederzahl in das Ersichtsorgan der deutschen SE auch von Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 12 SE-VO Rn. 71; ders., Der Konzern 2010, 275, 280; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SEVO Rn. 105; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 40 SE-VO Rn. 67; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 40 SE-VO Rn. 65; ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 78; Habersack, ZHR 171 (2007), 613, 632; Reichert, in: GS Gruson (2009), S. 321, 333; Gößl, Satzung der SE, S. 115, 225; implizit wohl auch LG Nürnberg-Fürth, ZIP 2010, 372, 373; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SERecht (2013), Art. 43 SE-VO Rn. 3. 14 Dasselbe gilt für die portugiesische Regelung, nach der die Zahl der Aufsichtsorganmitglieder stets ungerade sein muss; vgl. Koppensteiner, RIW 2006, 103, 106. 15 Anders Oetker, ZIP 2006, 1113, 1118, der auch bei Nichtvereinbarkeit des Dreiteilbarkeitgebots mit Art. 40 Abs. 3 Satz 2 SE-VO nicht von der Anwendung des Gebots für die deutsche SE ablassen will. Tatsächlich haben mittlerweile etwa die GfK SE (10 Mitglieder; § 9 Abs. 1 der Satzung 2012) und die MAN SE (16 Mitglieder; § 7 Abs. 1 der Satzung vom Juni 2013) jeweils eine nicht durch drei teilbare Zahl von Aufsichtsratssitzen gewählt. 16 Vgl. die Musterklauseln bei Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 § 13 Abs. 1 Satz 1; Reichert, in: Happ, Konzern- und Umwandlungsrecht (2012), S. 1172, § 9 Abs. 1. 17 Siehe bereits oben Abschnitt „Dreiteilbarkeitsgrundsatz, § 17 Abs. 1 Satz 3 SEAG?“, S. 214. Anders als die – richtigerweise bestehende – Möglichkeit, in der Satzung eine nicht durch drei teilbare Sitzzahl festzulegen, ist die Möglichkeit, satzungsmäßige Sitzzahl-Regeln an Stelle einer bestimmten Sitzzahl vorzusehen, ganz überwiegend anerkannt; siehe nur Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 95; Manz, in: Manz/Mayer/ Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 16; Seibt, ZIP 2010, 1057, 1058 f.; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 168; Gößl, Satzung der SE, S. 225 f.; Scheifele, Gründung (2004), S. 169; unklar Drinhausen, in: Handbuch zur Europäischen Gesellschaft (2007), 5. Abschn., § 2 Rn. 20, der kommentarlos den Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 2 SEAG referiert.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

messen der Hauptversammlung stellen,18 darunter insbesondere „variable Angaben“, die Ober- und Untergrenzen enthalten, innerhalb derer die Hauptversammlung per einfachem Beschluss die Mitgliederzahl festlegt.19 Dies folge im Umkehrschluss aus Art. 40 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 SE-VO, wonach die Festlegung von Ober- und Untergrenzen dem mitgliedstaatlichen Gesetzgeber vorbehalten sei.20 Die Mitgliederzahl müsse vielmehr stets exakt berechenbar sein.21 Zulässig sei daher beispielsweise eine dem Vorbild des § 7 Abs. 1 MitbestG folgende Anknüpfung der Mitgliederzahl an die Zahl der beschäftigen Arbeitnehmer22 oder eine Verbindung mit der Zahl der Unternehmenssegmente im Sinne der Segmentberichterstattung nach IFRS 8.23 Andere Autoren erachten eine Beschränkung der Satzung auf die Festlegung von Ober- und Untergrenzen dagegen für zulässig.24 Denn andernfalls ergebe sich ein Gleichlauf mit § 95 Satz 2 AktG („bestimmte höhere Zahl“), der mit der offeneren Formulierung in Art. 40 Abs. 3 Satz 1 SE-VO („Die Zahl der Mitglieder … oder die Regeln für ihre Festlegung …“) gerade unvereinbar sei.25 Vereinzelt wird sogar eine Satzungsklausel für zulässig gehalten, die gleichzeitig eine bestimmte Zahl und eine Regelung zur Bestimmung einer alternativen Zahl durch die Hauptversammlung enthält. Dies ergebe sich ungeachtet des Wortlauts („oder“) aus dem Sinn und Zweck der Norm.26 Richtigerweise erlaubt Art. 40 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SE-VO dem Satzungsgeber auch Klauseln, die an dynamische Kriterien und/oder Entscheidungen einzelner Gesellschaftsorgane anknüpfen. Eine stets exakte Berechenbarkeit nach rein statisch-objektiven Kriterien ist nicht erforderlich. Dies entspricht dem Normtext, der gerade nicht Regeln für die „Berechnung“, sondern für die „Festlegung“ der Mitgliederzahl fordert.27 Abzulehnen ist die von den Vertretern der Gegenansicht ins 18

1058. 19

Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 96; Seibt, ZIP 2010, 1057,

Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 96; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 40 SE-VO Rn. 66; Frodermann, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 86; Seibt, ZIP 2010, 1057, 1059; a.A. wohl Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 4. 20 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 96; Seibt, ZIP 2010, 1057, 1059. 21 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 96. 22 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 96; Seibt, ZIP 2010, 1057, 1058. 23 Seibt, ZIP 2010, 1057, 1059. 24 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 40 Rn. 71; Gößl, Satzung der SE, S. 225 f. 25 Gößl, Satzung der SE, S. 226. 26 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 40 Rn. 71; ablehnend Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 96. 27 Ob dasselbe Ergebnis auch auf einen Vergleich zwischen Art. 40 Abs. 3 Satz 1 SE-VO und § 95 Satz 2 AktG gestützt werden kann, erscheint dagegen fraglich. Denn die Abweichung der Formulierungen voneinander ließe nur dann auf unterschiedliche Norminhalte schließen,

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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Feld geführte Behauptung, wegen der Ermächtigung der nationalen Gesetzgeber zum Erlass gesetzlicher Ober- und Untergrenzen in Art. 40 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SEVO sei es ausgeschlossen, Art. 40 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SE-VO dahingehend auszulegen, dass auch der Satzungsgeber zu Ober- und Untergrenzen ermächtigt sei. Denn beide Ermächtigungen können unproblematisch miteinander konkurrieren. So ist der Satzungsgeber einer deutschen SE selbstverständlich auch bei der Festlegung von „Regeln“ an die in § 17 Abs. 1 SEAG enthaltenen Ober- und Untergrenzen gebunden. Der in § 17 Abs. 1 SEAG gewährte Spielraum kann in der Satzung also nur enger gefasst und nicht ausgeweitet werden. Zulässig ist folglich insbesondere die satzungsmäßige Verankerung von Oberund Untergrenzen, innerhalb derer die Hauptversammlung eine bestimmte Zahl festlegen kann.28 Die Satzung kann die Entscheidung auch vollständig auf die Hauptversammlung übertragen. Die Abarbeitung des Tagesordnungspunkts „Wahl der Aufsichtsorganmitglieder“ wird dann regelmäßig mit einer Entscheidung über die Zahl der zu besetzenden Sitze beginnen. Trotz der Offenheit des Art. 40 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SE-VO darf der Satzungsgeber freilich nicht „Regeln“ verankern, die die zwingenden Grundsätze der Kompetenzverteilung innerhalb der Gesellschaft auf den Kopf stellen. Die Entscheidung über die Zahl der Aufsichtsorgansitze darf daher nicht an außenstehende Dritte, an das zu beaufsichtigende Leitungsorgan oder an Arbeitnehmergremien (z. B. Betriebsrat) delegiert werden. ee) Nicht: § 7 Abs. 1 MitbestG Anders als in der Aktiengesellschaft wird die Mitgliederzahl nach unten weder unmittelbar noch mittelbar durch die hohen Mindestzahlen aus § 7 Abs. 1 MitbestG beschränkt, und zwar auch dann nicht, wenn die paritätische Mitbestimmung einer deutschen SE-Gründungsgesellschaft über die mitbestimmungsrechtliche Auffangregelung in § 35 SEBG konserviert wird. Bestandsschutz genießt nämlich nur der Anteil der Arbeitnehmervertreter-Sitze an der Gesamtzahl der Sitze im Aufsichtsorgan, nicht dagegen die absolute Zahl der Arbeitnehmervertreter-Sitze.29 wenn die beiden Vorschriften vom selben Normgeber stammen würden. Das ist gerade nicht der Fall. 28 Empfehlen wird sich eine absolute Untergrenze insbesondere für Gesellschaften, in denen mehr als ein Aufsichtsorgansitz auf Basis einer Entsendungsberechtigung (§ 101 Abs. 2 AktG) besetzt wird. Andernfalls bestünde im Einzelfall die Gefahr, dass die Hauptversammlung entgegen § 101 Abs. 2 Satz 4 AktG für die Wahl von weniger als zwei Drittel aller Aufsichtsorganmitglieder zuständig ist. 29 Feuerborn, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), § 35 SEBG Rn. 11 f., 18 f.; Habersack, in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl. (2006), § 35 SEBG Rn. 6, 11; ders., AG 2006, 345, 346 f.; Jacobs, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), § 35 SEBG Rn. 9, 12; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 99 f.; Schwarz, SE-VO (2006), Einleitung Rn. 311; Eidenmüller/Engert/Hornuf, AG 2008, 721, 728 (mit Hinweis auf die

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

ff) Verzicht auf Satzungsregelung? Fraglich ist schließlich, ob es dem Satzungsgeber auch freisteht, sich einer Regelung über die Aufsichtsorgangröße vollständig zu enthalten. Dies legt der Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 1 SEAG nahe, der drei Sitze nicht nur als Mindestmaß, sondern auch als satzungsdispositive Grundregel festschreibt. Die wohl herrschende Ansicht hält eine satzungsmäßige Bestimmung der Mitgliederzahl für zwingend.30 Dies ergebe sich aus Art. 40 Abs. 3 Satz 1 SE-VO, wonach die Bestimmung der Mitgliederzahl zwingender Satzungsbestandteil sei. Die Gegenauffassung31 verneint einen solchen Regelungszwang für die deutsche SE. Denn soweit der nationale Gesetzgeber von seiner Ermächtigung zur Festlegung einer bestimmten Mitgliederzahl gemäß Art. 40 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 SE-VO Gebrauch gemacht habe, sei ein Fortbestehen der Verpflichtung zur Satzungsregelung nicht mehr sinnvoll.32 Letztere Ansicht überzeugt. Denn soweit eine bestimmte Mitgliederzahl bereits gesetzlich fixiert ist, kann eine Satzungsklausel zur Mitgliederzahl keine eigene Regelungswirkung mehr entfalten. Ein Zwang zur deklaratorischen, gesetzeswiederholenden Satzungsklausel wäre innerhalb der SE-VO einmalig und würde vermutlich eher Verwirrung erzeugen als Nutzen stiften. Zwar stellt Art. 40 Abs. 3 SEVO den Regelungszwang nicht ausdrücklich zur Disposition des nationalen Gesetzgebers; eine entsprechende Ermächtigung ist aber in Art. 40 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 SE-VO („Zahl der Mitglieder“) stillschweigend enthalten. Möchte es der Satzungsgeber einer deutschen SE daher bei der gesetzlichen Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 SEAG belassen, so kann er die Norm entweder wörtlich wiedergeben, auf sie verweisen33 oder sich einer Regelung vollständig enthalten. b) Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter, Art. 47 Abs. 3 SE-VO Um für die Bestellung in ein SE-Aufsichtsorgan in Frage zu kommen, müssen potenzielle Kandidaten zunächst die zwingenden Eignungsvoraussetzungen aus § 100 Abs. 1, 2, § 105 AktG erfüllen, welche gemäß Art. 47 Abs. 2 lit. a) SE-VO Praxisbeispiele Allianz SE, BASF SE und MAN Diesel SE); Henssler/Sittard, KSzW 2011, 359, 365 – 368; Gößl, Satzung der SE, S. 226 – 228. 30 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 95; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 40 SE-VO Rn. 66; Seibt, ZIP 2010, 1057, 1058. Ebenso Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 169; Scheifele, Gründung (2004), S. 165 (beide jedoch vor Inkrafttreten des § 17 Abs. 1 Satz 1 SEAG). Bemerkenswerterweise überwiegt in Bezug auf die Parallelfrage zur Verwaltungsorgangröße die Gegenansicht (siehe unten Abschnitt „Verzicht auf Satzungsregelung?“, S. 298), was keiner der genannten Autoren zu bemerken scheint. 31 Gößl, Satzung der SE, S. 115; wohl auch Kiem, ZHR 171 (2007), 713, 722. 32 Gößl, Satzung der SE, S. 115. 33 „Die Anzahl der Sitze bestimmt sich nach § 17 Abs. 1 Satz 1 SEAG.“

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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auch für die SE gelten.34 Daneben steht es dem Satzungsgeber gemäß Art. 47 Abs. 3 SE-VO offen, für Organmitglieder, die die Aktionäre vertreten, „in Anlehnung an die für Aktiengesellschaften geltenden Rechtsvorschriften des Sitzstaats der SE besondere Voraussetzungen für die Mitgliedschaft“ festzulegen. Der Verweis auf das Sitzstaatrecht bezieht sich in Deutschland auf § 100 Abs. 4 AktG, wonach die Satzung persönliche Voraussetzungen für solche Aufsichtsratsmitglieder fordern darf, die von der Hauptversammlung ohne Bindung an Wahlvorschläge gewählt oder auf Grund der Satzung in den Aufsichtsrat entsandt werden. Die Formulierung „in Anlehnung“ ist eng auszulegen. Zulässig sind danach nur solche Satzungsregeln, die auch nach nationalem Aktienrecht möglich wären.35 Der englische, französische, spanische, italienische und niederländische Verordnungswortlaut macht dies deutlicher als die unscharf formulierte deutsche Fassung.36 Welche Voraussetzungen die Satzung im Einzelnen aufstellen kann, ist nicht abschließend geklärt. Eine Regelung etwa, nach der eine bestimmte Staatsangehörigkeit Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Aufsichtsorgan ist, wird teilweise für problematisch gehalten, da sie gegen die insofern horizontal wirkenden Grundfreiheiten verstoße.37 An anderer Stelle wird die deutsche Staatsangehörigkeit oder ein Domizil in Deutschland zu den zulässigen Voraussetzungen gezählt, soweit „keine willkürliche Diskriminierung vorliegt.“38 Weitgehend Einigkeit herrscht zwar dahingehend, dass die Voraussetzungen nicht so eng gefasst werden dürfen, dass die grundsätzlich freie Auswahl durch die Hauptversammlung beseitigt wird und ein verdecktes Entsendungsrecht vorliegt.39 Die Frage aber, unter welchen Umständen eine Formulierung als zu eng einzuordnen ist, wird allenfalls fallgruppenartig an34

Weiterführend hierzu und zu der Frage, welche SE-Organämter für die Höchstgrenzen nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AktG relevant sind: Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 47 SE-VO Rn. 11 – 22; Schwarz, SE-SE (2006), Art. 47 Rn. 28 – 31. 35 Ganz h.M.; siehe Schwarz, SE-VO (2006), Art. 47 Rn. 40 f.; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 47 SE-VO Rn. 28; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SEKo., 2. Aufl. (2015), Art. 47 SE-VO Rn. 17, 19; Drinhausen, in: Habersack/Drinhausen, SERecht (2013), Art. 47 SE-VO Rn. 25; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 47 SE-VO Rn. 9; Gößl, Satzung der SE, S. 131; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 557. 36 „In accordance with“; „à l’instar de“; „De confirmidad con“; „alla stregua di“; „overeenkomstig“; die verschiedenen Fassungen vergleichend auch Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 47 SE-VO Rn. 28; Gößl, Satzung der SE, S. 131. 37 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 47 SE-VO Rn. 31; Manz, in: Manz/Mayer/ Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 47 SE-VO Rn. 17; Drinhausen, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 47 SE-VO Rn. 27. 38 Gößl, Satzung der SE, S. 131 Fn. 153; die Zulässigkeit satzungsmäßiger NationalitätenQuoten voraussetzend auch Hirte, Der Konzern 2011, 519, 524. 39 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 47 SE-VO Rn. 32; Teichmann, in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 47 SE-VO Rn. 19; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 47 SE-VO Rn. 24; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 47 SE-VO Rn. 17; Gößl, Satzung der SE, S. 131 Fn. 153.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

gesprochen. Für zulässig erachtet werden etwa die Aktionärseigenschaft,40 der Nachweis besonderer Kenntnisse und Qualifikationen41 und geordnete Vermögensverhältnisse;42 ebenso die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie.43 Für die nachträgliche Einführung besonderer Voraussetzungen für entsandte Aufsichtsorganmitglieder wird schließlich teilweise die Zustimmung des Entsendungsberechtigten gefordert.44 Ähnlich fallgruppenorientiert stellt sich das Meinungsbild zu § 100 Abs. 4 AktG dar. Als ein zu enges Kriterium eingeordnet wird etwa die Inhaberschaft einer bestimmten Aktiengattung;45 ebenso die Beschränkung auf bestimmte Personen46 oder von bestimmten Personen bzw. Gremien vorgeschlagene Personen47 und – überwiegend – die Beschränkung auf Angehörige einer bestimmten Familie.48 Zulässige Kriterien sollen dagegen sein: Staatsangehörigkeit,49 Konfession,50 Alter,51 Ge-

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Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 47 SE-VO Rn. 17; Drinhausen, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 47 SE-VO Rn. 28. 41 Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 47 SE-VO Rn. 17; Drinhausen, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 47 SE-VO Rn. 28. 42 Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 47 SE-VO Rn. 17. 43 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 47 SE-VO Rn. 24. 44 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 47 Rn. 43. 45 Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 36; Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 100 Rn. 54; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 105; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 47. 46 Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 36; Hopt/Roth, in: GKAktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 105 f. 47 Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 105 f. 48 Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 36; Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 100 Rn. 54; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 105; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 47; Henssler, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 100 AktG Rn. 13; ähnlich Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 100 Rn. 20 a.E. (Unzulässigkeit im Regelfall); ebenso Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 105, der die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie aber als Ausschlussgrund für zulässig erachtet (a.a.O. Rn. 104); a.A. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 1 Rn. 24 a.E. 49 Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 100 Rn. 54; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 100 Rn. 20 (deutsche Staatsangehörigkeit); Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 47 (deutsche Staatsangehörigkeit); einschränkend Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 104 (sachlicher Grund erforderlich); a.A. Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 36 (horizontale Wirkung des Art. 56 AEUV). 50 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 47. 51 Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 100 Rn. 54; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 104; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 47 (einschränkend aber ders., a.a.O., unter Rn. 11); Henssler, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 100 AktG Rn. 13; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 1 Rn. 24.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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schlecht,52 Fehlen von Vorstrafen,53 geordnete Vermögensverhältnisse,54 Aktionärseigenschaft,55 besondere fachliche Qualifikationen56 und besondere Sprachkenntnisse.57 Auch stehe es dem Satzungsgeber offen, die zwingenden Inkompatibilitätsregeln aus § 100 Abs. 2 AktG gezielt zu verschärfen, z. B. durch einen generellen Ausschluss ehemaliger Vorstandsmitglieder,58 eine Begrenzung der Zahl der Wahlperioden59 und eine weitere Begrenzung der Zahl und/oder der Art anderweitiger Organämter.60 In Hinblick auf entsandte Aufsichtsratsmitglieder könne die Satzung sogar unbeschränkt Voraussetzungen aufstellen, da dem Satzungsgeber schon die Schaffung von Entsendungsrechten als solches völlig frei stehe.61 Nachträglich eingeführt erforderten solche Voraussetzungen jedoch stets die Zustimmung des Entsendeberechtigten.62 Gesondert angesprochen und für unzulässig befunden wird ferner das satzungsmäßige Reservieren einer bestimmten Sitzanzahl für die 52 Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 100 Rn. 54; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 100 Rn. 20; ähnlich Redenius-Hövermann, ZIP 2010, 660, 663 f. (Frauenquote zulässig); einschränkend Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 104 (sachlicher Grund erforderlich). Praktisch werden sich geschlechtsspezifische Satzungsvorgaben wegen der gesetzlichen Vorgaben in § 96 Abs. 3 AktG erledigt haben. 53 Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 36; Hopt/Roth, in: GKAktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 104. 54 Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 104; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 100 Rn. 20; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 47. 55 Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 36; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 100 Rn. 20; differenzierend (zulässig nur, wenn die Größe des Aktionärskreises eine echte Auswahlmöglichkeit gewährleistet) Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 100 Rn. 54; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 105; Henssler, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 100 AktG Rn. 13. 56 Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 36; Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 100 Rn. 54; Henssler, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 100 AktG Rn. 13; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 104; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 1 Rn. 24. 57 Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 100 Rn. 54; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 1 Rn. 24; Dreher, in: FS Lutter (2000), S. 357, 365; einschränkend Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 104 (sachlicher Grund erforderlich). 58 Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 100 Rn. 54. 59 Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 100 Rn. 54; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 104; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 47. 60 Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 36; Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 100 Rn. 54; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 104; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 47 a.E.; Henssler, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 100 AktG Rn. 13. 61 Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 36; Hopt/Roth, in: GKAktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 102; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 48. 62 Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 102; Henssler, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 100 AktG Rn. 13.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Arbeitnehmer der Gesellschaft.63 Anwendung finde ferner das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG).64 Wählt man an Stelle der fallgruppenorientierten Literaturansichten einen abstrakt-generellen Ansatzpunkt, so ist zunächst festzuhalten, dass nur solche Voraussetzungen gemäß Art. 47 Abs. 3 SE-VO, § 100 Abs. 4 AktG in die Satzung aufgenommen werden können, die nach beiden Normen zulässig sind. Die Reichweite des Zulässigen ist also gleichbedeutend mit der Schnittmenge aus „besonderen Voraussetzungen für die Mitgliedschaft“ im Sinne des Art. 47 Abs. 3 SE-VO und „persönlichen Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder“ im Sinne des § 100 Abs. 4 AktG. Daran anschließend ist – zunächst unabhängig von bestimmten Sachkriterien – zu klären, inwieweit beide Normen an die Einzelmitglieder und/oder an die Gesamtheit der Organmitglieder anknüpfen. Mit anderen Worten: Erlauben die Vorschriften nur allgemeine Voraussetzungen für den Zugang zum Organamt oder können auch Voraussetzungen verankert werden, die nur ein bestimmter Teil der Organmitglieder erfüllen muss, z. B. durch eine Beschränkung auf entsandte Organmitglieder oder quotenmäßige Vorgaben? Für die erstgenannte Alternative spricht zunächst der Wortlaut beider Normen: Art. 47 Abs. 3 SE-VO hat Voraussetzungen für „die Mitgliedschaft“ als solche im Auge – nicht etwa nur für bestimmte Mitglieder –, und auch § 100 Abs. 4 AktG spricht von Voraussetzungen „für Aufsichtsratsmitglieder“, ohne Differenzierungsmöglichkeiten anzudeuten. Zudem legt das Abstellen auf „persönliche Voraussetzungen“ nahe, dass nur solche Eigenschaften verlangt werden können, die vom einzelnen Aufsichtsorganmitglied erfüllt werden können, und nicht Kriterien, an denen das Gesamtorgan gemessen werden müsste. Dieses Verständnis wird bestätigt durch die systematische Einordnung der in beiden Normen verwendeten Formulierungen. So knüpft der Begriff der „persönlichen Voraussetzungen“ in § 100 Abs. 4 AktG an die Art der Voraussetzungen an, die in den drei vorhergehenden Absätzen definiert werden. Dort ist durchweg die Rede von Anforderungen, die alle Organmitglieder gleichermaßen erfüllen müssen. Und auch die dem Art. 47 Abs. 3 SE-VO vorausgehenden beiden Absätze enthalten nur (Ausschluss-)Kriterien, die für sämtliche Organmitglieder gleichermaßen gelten.65 Richtigerweise können daher 63 Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 100 Rn. 52; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 100 Rn. 105; Seibt, AG 2005, 413, 415. 64 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 11; Habersack, in: MüKoAktG, 4. Aufl. (2014), § 100 Rn. 15; Redenius-Hövermann, ZIP 2010, 660, 663 f.; Lutter, BB 2007, 725, 730; wohl auch Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 36. 65 Widerlegt wird dieser Befund nicht durch § 100 Abs. 5 AktG, der Voraussetzungen explizit nur in Hinblick auf ein einziges Organmitglied formuliert (unabhängiger Finanzexperte). Denn zum einen wurde Abs. 5 erst jüngst im Rahmen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG, 2009) angehängt und folgt dem vierten Absatz nach, so dass er eher als Ausnahmetatbestand denn als Unterfall einzuordnen sein könnte; zum anderen besitzt er als rein deutsche Norm keine Relevanz in Hinblick auf die Auslegung des europarechtlichen Art. 47 Abs. 3 SE-VO.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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auch gemäß Art. 47 Abs. 3 SE-VO, § 100 Abs. 4 AktG nur solche Kriterien verankert werden, die in der Person jedes einzelnen Organmitglieds erfüllt werden können und müssen; weder die Fixierung bestimmter Quoten (z. B. Ausländer- oder Deutschenquote) noch die Formulierung spezifischer Voraussetzungen in Hinblick auf bestimmte Organmitglieder oder Gruppen von Organmitgliedern (z. B. entsendete Mitglieder) ist zulässig.66 Die Frage, ob eine nachträgliche Einführung von spezifischen Anforderungen für entsandte Aufsichtsorganmitglieder nur mit Zustimmung der Entsendeberechtigten möglich ist, stellt sich daher erst gar nicht. Fraglich ist weiter, ob der Satzungsgeber diese allgemeinen Kriterien so zu formulieren hat, dass der Hauptversammlung (bzw. den für die Aufsichtsorganwahl Vorschlagsberechtigten) im Einzelfall ein hinreichend großer Pool an Kandidaten zur Verfügung steht. Dies wird gemeinhin mit der Erwägung gerechtfertigt, das Auswahlermessen der Hauptversammlung müsse erhalten bleiben und es dürfe kein verdecktes Entsendungsrecht verankert werden.67 Übersehen wird dabei jedoch, dass den Art. 47 Abs. 3 SE-VO, § 100 Abs. 4 AktG auf der einen Seite eine Beschränkung des Auswahlermessens der Hauptversammlung immanent ist und auf der anderen Seite keine Vorschrift existiert, die der Hauptversammlung ein bestimmtes oder unbestimmtes Maß an Freiheit gegenüber derartigen satzungsmäßigen Vorfestlegungen garantiert. Insbesondere § 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG, der von manchen Autoren68 in diesem Zusammenhang genannt wird, begründet lediglich die formelle Beschlusszuständigkeit der Hauptversammlung und keinen besonderen Freiraum materieller Art. Deutlich wird dies beim Vergleich des § 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG einerseits mit der Nr. 2 (wonach die Hauptversammlung für die Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinns zuständig ist, aber wegen § 174 Abs. 1 Satz 1 AktG keine materiellen Entscheidungsfreiräume genießt) und andererseits mit § 119 Abs. 2 AktG, der der Hauptversammlung ganz ausdrücklich ein Ermessen einräumt („kann“). Überdies ist es die Hauptversammlung selbst, die per Satzungsänderung eine zu eng empfundene Festlegung aufheben kann. Und auch die vielfach geäußerte Befürchtung, dass mit besonders eng formulierten persönlichen Voraussetzungen die Anforderungen umgangen werden könnten, die gemäß § 101 Abs. 2 AktG für ein Entsendungsrecht gelten, erweist sich bei näherem Hinsehen als unbegründet. Denn auch extrem enge satzungsmäßige Festlegungen nach Art. 47 Abs. 3 SE-VO, § 100 Abs. 4 AktG könnten nur den Kreis der passiv Wahlberechtigten beschränken, während ein Entsendungsrecht nur den Kreis der aktiv Wahlberechtigten beschränkt. Verzichtet man auf das Erfordernis, dass eine Klausel im Sinne des Art. 47 Abs. 3 SE-VO, § 100 Abs. 4 AktG im Einzelfall eine hinreichende Auswahlmöglichkeit gewährleisten muss, so vermeidet man schließlich auch die praktischen Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn eine anfänglich unzulässige 66

Anders wohl implizit die ganz h.M.; siehe oben (insbesondere die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 52 und 61). 67 Vgl. die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 39. 68 Vgl. die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 39; insbesondere Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 100 Rn. 54 („das in § 119 Nr. 1 AktG vorausgesetzte Wahlrecht“).

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Klausel aufgrund tatsächlicher Ereignisse nachträglich unzulässig wird (bzw. umgekehrt oder hin und her).69 Die besseren Gründe sprechen daher dafür, dem Satzungsgeber das Recht einzuräumen, persönliche Voraussetzungen gemäß Art. 47 Abs. 3 SE-VO, § 100 Abs. 4 AktG auch so eng zu formulieren, dass eine Auswahl zwischen mehreren geeigneten Kandidaten im Einzelfall ausgeschlossen ist.70 Unbedenklich ist folglich eine Klausel, die den Kreis der Aufsichtsorganmitglieder auf Angehörige einer bestimmten Familie, auf Inhaber einer bestimmten Aktiengattung oder auf Aktionäre im Allgemeinen beschränkt, auch wenn dies im Einzelfall bedeutet, dass die Hauptversammlung nicht die Wahl zwischen mehreren Kandidaten hat. Selbst dann, wenn die Zahl tauglicher Kandidaten unter die Zahl der zu besetzenden Aufsichtsorgansitze fallen sollte, bleibt es bei der Zulässigkeit der jeweiligen Satzungsklausel. Die nach der Satzungsklausel nicht besetzbaren Aufsichtsorgansitze sind dann analog § 275 Abs. 1 BGB ohne Bindung an die aufgestellten Voraussetzungen zu besetzen. Nicht zulässig wäre freilich eine satzungsmäßige Beschränkung auf Kandidaten, die von bestimmten Personen oder Gremien vorgeschlagen werden. Denn hierdurch würde in der Tat ein faktisches Entsendungsrecht unter Umgehung der in § 101 Abs. 2 AktG bestimmten Anforderungen verankert; die in Art. 39 Abs. 2 Satz 1 SEVO enthaltene ausschließliche Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Bestellung der Aufsichtsorganmitglieder wäre umgeleitet. Und ebenso wenig kann der Satzungsgeber per konkret-individueller Festlegung die wählbaren Kandidaten mit Namen, Geburtsdatum und Adresse benennen. Denn dabei würde es sich rechtlich und faktisch nicht mehr um Voraussetzungen handeln, denen die wählbare Person gerecht werden muss, sondern – im Gegenteil – um die nicht an Voraussetzungen gebundene Individualisierung bestimmter Personen. Bei der Festlegung persönlicher Voraussetzungen hat der Satzungsgeber ferner das Benachteiligungsverbot aus § 1, § 7 Abs. 1 AGG zu beachten. Danach dürfen Beschäftigte grundsätzlich nicht „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ benachteiligt werden. Der Anwendungsbereich des Benachteiligungsverbots ist sowohl in sachlicher als auch in persönlicher Hinsicht eröffnet: Sachlich betreffen Satzungsklauseln nach Art. 47 Abs. 3 SE-VO, § 100 Abs. 4 AktG den Zugang zum Organamt – also die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit und den beruflichen Aufstieg im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG. Und der persönliche Schutzbereich des Benachteiligungsverbots wird von § 6 Abs. 3 AGG ausdrücklich auf „Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer oder Geschäftsführerinnen und Vorstände“, erstreckt. Dazu 69 Beispielsweise würde eine Klausel, die auf eine spezifische Familienmitgliedschaft abstellt, nachträglich unzulässig, sobald das vorletzte Familienmitglied verstirbt, und dann wieder zulässig, sobald neue Nachkommen des letzten Familienmitglieds zur Verfügung stehen. 70 Anders die ganz h.M.; siehe insbesondere die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 39 und 45.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

225

gehören auch Aufsichtsorganmitglieder.71 Insbesondere die im aktienrechtlichen Schrifttum teilweise recht pauschal für unbedenklich erklärten72 geschlechts-, altersund konfessionsbezogenen Zugangsbeschränkungen bedürfen daher in Wirklichkeit einer sachlichen Rechtfertigung gemäß §§ 8 – 10 AGG. Kann der Satzungsgeber die Aufsichtsorgansitze für Angehörige bestimmter Nationalitäten reservieren oder würde eine solche Beschränkung die im AEUV enthaltenen Grundfreiheiten verletzen? Eine sachgrundlose Beschränkung auf Inländer – sei es durch Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit oder durch das Erfordernis eines inländischen Wohnsitzes – dürfte mit Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit)73 in der Tat nur schwer in Vereinbarung zu bringen sein. Auch wenn derartige Klauseln noch nicht Gegenstand der europäischen Rechtsprechung waren, stünde eine ablehnende richterliche Enscheidung wohl im Einklang mit der jüngeren „Golden-Shares-Rechtsprechung“ des EuGH.74 Denn auch durch eine Beschränkung der Aufsichtsorgansitze auf Inländer ergäbe sich eine mitgliedstaatenspezifische Kanalisierung des unternehmerischen Einflusses auf die Gesellschaft. Überdies würden ausländische Erwerbsinteressenten abgeschreckt, da ggf. erst der Erwerb einer satzungsändernden Kapitalmehrheit an der SE eine wunschgemäße Besetzung des Aufsichtsorgans ermöglichen würde. Keine Bedenken aufwerfen würde dagegen eine Klausel, die eine außereuropäische Staatsangehörigkeit zur Voraussetzung der Organmitgliedschaft machen würde, da die Abschreckungswirkung dabei aus Sicht aller Mitgliedstaaten gleich hoch wäre. Ähnliche Erwägungen könnten auch für eine Klausel gelten, die von den Organmitgliedern besondere Sprachkenntnisse verlangt. Denn mittelbar könnte der Satzungsgeber auch hierdurch mitgliedstaatsspezifisch diskriminieren. Diese Erwägung tritt freilich zumindest bei solchen Sprachen in den Hintergrund, die in der Gemeinschaft besonders häufig als Fremdsprachen erlernt werden und sich daher als lingua franca einer SE besonders gut eignen, also insbesondere Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch. Und auch bei regional geprägten SE dürfte in aller Regel ein legitimes Interesse daran bestehen, der besonderen Verwurzelung in einem Mitgliedstaat dadurch Ausdruck zu verleihen, dass die Beherrschung der jeweiligen Landessprache als Voraussetzung für die Aufsichtsorganmitgliedschaft festgeschrieben wird. Keine Bedenken ergeben sich wiederum bei der (eher praxisfernen) Anknüpfung an einen außereuropäischen Sprachraum.75 71

Ebenso in Bezug auf AG-Aufsichtsratsmitglieder: Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 100 Rn. 11; Lutter, BB 2007, 725, 730; Redenius-Hövermann, ZIP 2010, 660, 663 f. 72 Siehe die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 50, 51 und 52. 73 Nicht einschlägig ist wohl Art. 45 AEUV über die Arbeitnehmerfreizügigkeit, da Aufsichtsorganmitglieder den Arbeitnehmerbegriff nicht erfüllen; anders offenbar Siems, in: KKAktG, 3. Aufl. (2009), Art. 47 SE-VO Rn. 31 Fn. 36. 74 Hierzu näher siehe Abschnitt „Control Enhancing Mechanisms vs. Kapitalverkehrsfreiheit“, S. 69. 75 Z. B. Chinesisch, Japanisch, Hindi oder Russisch.

226

4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

In Bezug auf die in der Literatur diskutierten Fallgruppen ergibt sich zusammengefasst Folgendes: Kriterium

Zulässigkeit

Aktionärseigenschaft (allgemein oder bestimmte Aktiengattung)

Ja

Familienzugehörigkeit

Ja

Fehlen von Vorstrafen

Ja

Geordnete Vermögensverhältnisse

Ja

Fachliche Qualifikation

Ja

Sprachkenntnisse

Ja

Ausschluss ehemaliger Leitungsorganmitglieder

Ja

Begrenzung der Anzahl der Wahlperioden

Ja, gemäß Art. 46 Abs. 2 SEVO76

Begrenzung der Zahl und/oder der Art anderweitiger Organämter

Ja

Staatsangehörigkeit

Rechtfertigungsbedürftig

Konfession, Religion, Weltanschauung

Rechtfertigungsbedürftig

Alter

Rechtfertigungsbedürftig

Geschlecht

Rechtfertigungsbedürftig

Ethnische Herkunft, „Rasse“, Behinderung, sexuelle Identität

Rechtfertigungsbedürftig

Bestimmte Person (Individualisierung z. B. durch Namensnennung)

Nein

Von bestimmten Personen bzw. Gremien vorgeschlagene Person

Nein

Spezifische Voraussetzungen für entsandte Mitglieder

Nein

Festlegung von Quoten (z. B. Deutsche, Ausländer)

Nein

c) Festlegung der Amtszeit, Art. 46 Abs. 1 SE-VO Gemäß Art. 46 Abs. 1 SE-VO muss77 die Satzung die – höchstens sechsjährige – Amtszeit der Organmitglieder festlegen. Die vom Satzungsgeber bestimmte Amtszeit gilt dabei auch für die Mitglieder des ersten Aufsichtsorgans; § 30 Abs. 3 AktG kommt nicht zur Anwendung.78 Letztere 76

Siehe unten 4. Teil, Fn. 88. Zwingender Satzungsbestandteil; siehe nur Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 46 SE-VO Rn. 3; Gößl, Satzung der SE, S. 118 f.; jeweils mit weiteren Nachweisen. 78 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 40 SE-VO Rn. 52, Art. 46 SEVO Rn. 11 (anders noch die Voraufl.); Schwarz, SE-VO (2006), Art. 40 Rn. 53; Siems, in: KK77

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

227

Vorschrift sieht vor, dass die Mitglieder des ersten Aufsichtsrats einer AG nicht für eine längere Zeit als bis zur Beendigung der Hauptversammlung bestellt werden können, die über die Entlastung für das erste Geschäftsjahr beschließt. Eine derartige Sonderamtszeit für das erste Aufsichtsorgan hat der Verordnungsgeber nicht vorgesehen, und zwar weder über eine unmittelbare Regelung noch über eine Öffnung des Art. 46 SE-VO für einschlägige nationale Vorschriften.79 Zudem würde der Sinn und Zweck des § 30 Abs. 3 AktG in der SE verfehlt. Sichergestellt werden soll durch die verkürzte Amtszeit nämlich ein möglichst früher Einzug der Arbeitnehmervertreter in den anfänglich mitbestimmungsfreien (§ 30 Abs. 2 AktG) Aufsichtsrat.80 Ein solches Sicherungsbedürfnis existiert für die deutsche SE nicht, da für das erste Aufsichtsorgan gerade keine Mitbestimmungsfreiheit vorgesehen ist.81 Anders als bei der Gestaltung der Mitgliederzahl82 steht es dem Satzungsgeber in Bezug auf die Amtszeit nicht offen, eine Berechnungsformel oder ein Festsetzungsverfahren an Stelle einer absoluten Zahl anzugeben.83 Dies folgt aus dem eindeutigen Wortlaut des Art. 46 Abs. 1 SE-VO einerseits und des Art. 40 Abs. 3 Satz 1 SE-VO andererseits.84 Dazu setzt Art. 46 Abs. 2 SE-VO eine in der Satzung abschließend fixierte Amtszeit voraus. Abzulehnen ist daher insbesondere die These, der Satzungsgeber dürfe sich auf die Festlegung eines Höchstzeitraums beschränken, den die Hauptversammlung im konkreten Bestellungsbeschluss ganz oder teilweise ausschöpfen könne.85 Einen derartigen Freiraum genießt zwar der AG-SatzungsAktG, 3. Aufl. (2009), Art. 46 SE-VO Rn. 9; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 25 a.E.; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 494; Frodermann, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 98; Jannott, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 3. Kap. Rn. 87, 165, 216, 260, 285; Habersack, Der Konzern 2008, 67, 73 f.; a.A. Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 8; Drygala, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 40 SE-VO Rn. 28; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. (2010), Art. 46 SE-VO Rn. 5a (zurückhaltender nunmehr ders., a.a.O., in der 3. Aufl. (2015)); Paefgen, in KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 71 – 73; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 139. 79 Zutreffend Jannott, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 3. Kap. Rn. 87. 80 Siehe nur Pentz, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2008), § 30 Rn. 4. 81 Zutreffend Habersack, Der Konzern 2008, 67, 74. 82 Siehe oben Abschnitt „Hinreichende Bestimmtheit der Erhöhung“, S. 215. 83 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 46 SE-VO Rn. 12; Teichmann, in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 4; Austmann, in: MüHdB-GesR, Bd.4, 4. Aufl. (2015), § 86 Rn. 4; ebenso AG Hamburg, ZIP 2005, 2017, 2018 („Zoll Pool Hafen Hamburg SE“) für das Verwaltungsorgan; wohl auch Manz, in: Manz/Mayer/ Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 46 SE-VO Rn. 2. Satzungsklauseln mit absoluten Zeitvorgaben schlagen auch vor: Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 § 13 Abs. 2 Satz 1. 84 Zutreffend Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 4; Austmann, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 4. Aufl. (2015), § 86 Rn. 4. 85 So aber Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 5; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 46 SE-VO Rn. 3; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 46 Rn. 13 – 15; Drinhausen, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 46

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

geber bzw. die AG-Hauptversammlung bei der Bestellung des Aufsichtsrats gemäß § 102 Abs. 1 AktG, der den Bestellungsbeschluss ausdrücklich mit einer zeitlichen Höchstgrenze in Verbindung bringt.86 § 102 Abs. 1 AktG findet auf die deutsche SE jedoch keine Anwendung, weil Art. 46 Abs. 1 SE-VO insofern eine abschließende Regelung enthält. Fraglich ist, ob Art. 46 Abs. 1 SE-VO dem Satzungsgeber das Recht einräumt, für die einzelnen Organmitglieder unterschiedlich lange Amtszeiten festzulegen und/ oder eine Staffelung der Amtszeiten vorzusehen („staggered board“). Beides wird in der Literatur87 bejaht, eine Begründung sucht man jedoch vergebens, und der Verordnungswortlaut scheint eher auf das Gegenteil hinzudeuten („Die Mitglieder … werden für einen … Zeitraum … bestellt.“). Eine wörtlich-enge Auslegung lässt sich jedoch weder durch systematische Gesichtspunkte noch durch die Historie der Vorschrift verifizieren. Auch ist kein Normzweck erkennbar, der etwa einer Sonderregelung für Ersatzmitglieder oder einer Staffelung der Amtszeiten entgegenstünde. Angesichts der internationalen Üblichkeit differenzierter Amtszeiten – wenigstens in Hinblick auf Ersatzmitglieder – und der hohen Praxisrelevanz gestaffelter Amtszeiten wird man davon ausgehen müssen, dass der Verordnungsgeber ein Verbot klar im Normtext verankert hätte, wenn er es denn tatsächlich beabsichtigt hätte. Die besseren Gründe sprechen daher eher für eine offene Handhabung der Satzungsermächtigung. SE-VO Rn. 10 – 12; ders., in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 2 Rn. 10 f., 24; Kolster, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG (2005), 4. Kap. Rn. 84 (ebenso Hagemann/Tobies, a.a.O., in der 2. Aufl. (2014), Rn. 95); Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 19 Rn. 1365; Gößl, Satzung der SE, S. 208 – 210; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 494; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 74; Drinhausen/Nohlen, ZIP 2009, 1890, 1892 – 1894; HoffmannBecking, ZGR 2004, 355, 364; Frodermann/Jannott, ZIP 2005, 2251. Dagegen zu Recht: AG Hamburg, ZIP 2005, 2017, 2018 („Zoll Pool Hafen Hamburg SE“); Teichmann, in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 4; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 46 SE-VO Rn. 12; Austmann, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 3. Aufl. (2007), § 85 Rn. 5 (etwas zurückhaltender nunmehr wohl ders., a.a.O., in der 4. Aufl. (2015), § 86 Rn. 5). 86 Siehe nur Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 102 Rn. 10. 87 Für die Zulässigkeit satzungsmäßig gestaffelter Amtszeiten: Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 46 SE-VO Rn. 8; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 74; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 494. Die Zulässigkeit satzungsmäßiger Differenzierungen zwischen den Organmitgliedern befürwortend: Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 5 (Differenzierung zulässig bei sachlichem Grund); Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 46 SE-VO Rn. 8 (Differenzierung zwischen abhängigen und unabhängigen Mitgliedern), Rn. 17 (Differenzierung zwischen Erst- und Zweitbestellung); Schwarz, SE-VO (2006), Art. 46 Rn. 10 – 12 (Differenzierung „bei Vorliegen sachlicher Erwägungen zulässig“); Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 4 a.E. (Differenzierung zwischen ersten und späteren Mitgliedern sowie zwischen regulären und Ersatzmitgliedern). Zwischen regulären und Ersatzmitgliedern differenziert auch die Musterklausel von Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 § 13 Abs. 2.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

229

d) Einschränkung der Wiederwahl, Art. 46 Abs. 2 SE-VO Art. 46 Abs. 2 SE-VO gewährt dem Satzungsgeber das Recht, die grundsätzlich unbeschränkte Wiederbestellbarkeit der Organmitglieder einzuschränken. Die Satzung kann insbesondere die Zahl der Amtsperioden beschränken88 und dabei auch zwischen den Aufsichtsorganmitgliedern differenzieren.89 Der weit gefasste Wortlaut („Vorbehaltlich in der Satzung festgelegter Einschränkungen …“) steht dem nicht entgegen; und auch eine Kollision mit europarechtlichen oder deutschen Gleichbehandlungsgeboten (z. B. AGG) ist praktisch kaum vorstellbar. So kann die Satzung beispielsweise für unabhängige und abhängige Mitglieder eine unterschiedlich hohe Maximalzahl an Amtsperioden vorsehen. Art. 46 Abs. 2 SE-VO erlaubt nur „Einschränkungen“ der Wiederwahl. Nicht möglich sind daher Satzungsklauseln, die dem bestellten Organwalter das Verbleiben im Organamt erleichtern, beispielsweise durch eine automatische Erneuerung oder Verlängerung der Amtsperiode.90 Dies gilt auch dann, wenn die Erneuerung bzw. die Verlängerung der Amtsperiode nicht zu einer Verletzung der Sechs-Jahres-Obergrenze aus Art. 46 Abs. 1 SE-VO führen würde.91 Nicht auf Art. 46 Abs. 2 SE-VO stützen lassen sich schließlich Satzungsklauseln, die die Wählbarkeit an bestimmte persönliche Eigenschaften knüpfen.92 Diese können sich zwar im Einzelfall gerade auf die Wiederwahl eines Organmitglieds beschränkend auswirken (z. B. Altersgrenze), verlieren dadurch jedoch nicht ihren Charakter als allgemeine Voraussetzungen der Organmitgliedschaft. Rechtsgrundlage für diese sind allein Art. 47 Abs. 3 SE-VO, § 100 Abs. 4 AktG.93

88 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 6; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 46 Rn. 19; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 9. Teilweise wird eine satzungsmäßige AmtsperiodenBegrenzung auch auf Art. 47 Abs. 3 SE-VO, § 100 Abs. 4 AktG gestützt (siehe oben 4. Teil, Fn. 59) – richtigerweise ist allein Art. 46 Abs. 2 SE-VO einschlägig. 89 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 46 SE-VO Rn. 17. 90 Ähnlich Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 46 SE-VO Rn. 12. Mit abweichender Begründung (Sinn und Zweck des Art. 46 Abs. 1 steht automatischer Verlängerung entgegen) Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 46 SE-VO Rn. 17; ähnlich Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 6; Manz, in: Manz/ Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 46 SE-VO Rn. 4; Teichmann, in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 9. 91 A.A. Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 10. 92 A.A. (Altersgrenze als mögliche Einschränkung im Sinne des Art. 46 Abs. 2) Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 6; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 47 Rn. 19; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 9. 93 Siehe oben Abschnitt „Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter, Art. 47 Abs. 3 SE-VO“, S. 218.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

e) Festlegung von Entsendungsrechten, § 101 Abs. 2 AktG Zuständig für die Bestellung eines anteilseignervertretenden AG-Aufsichtsratsmitglieds kann nicht nur die Hauptversammlung sein, sondern gemäß § 101 Abs. 1 Alt. 2 AktG auch ein Einzelaktionär, wenn die Satzung gemäß § 101 Abs. 2 Satz 1 AktG für bestimmte Aktionäre oder Inhaber bestimmter Aktien ein Entsendungsrecht vorsieht. Voraussetzung ist, dass die Hauptversammlung für die Wahl von mindestens zwei Dritteln der Aufsichtsratsmitglieder zuständig bleibt (Satz 4) und dass – bei Entsendungsberechtigung für Inhaber bestimmter Aktien – die Gesellschaft vinkulierte Namensaktien ausgegeben hat (§ 101 Abs. 2 Satz 2 AktG). Nach demselben Muster kann auch die Satzung einer deutschen SE ein Entsendungsrecht gewähren. Denn gemäß Art. 47 Abs. 4 SE-VO bleiben „[e]inzelstaatliche Rechtsvorschriften, die … einer Minderheit von Aktionären oder anderen Personen oder Stellen die Bestellung eines Teils der Organmitglieder erlauben, … von dieser Verordnung unberührt.“ Ein Entsendungsrecht im Sinne des § 101 AktG kann sowohl für Minderheitsaktionäre als auch für „andere Personen“ und „Stellen“ vorgesehen werden, sofern der jeweils Berechtigte Aktionär der Gesellschaft ist. Die grundsätzlich umfassende Kompetenz der Hauptversammlung zur Wahl der Aufsichtsorganmitglieder ist dann gemäß Art. 40 Abs. 2 Satz 3 SE-VO entsprechend eingeschränkt. Die Gestaltung des einzelnen Entsendungsrechts bleibt weitgehend dem Satzungsgeber überlassen. Zu Recht anerkannt sind insbesondere eine Befristung,94 eine Bedingung (z. B. Halten einer bestimmten Mindestzahl an Aktien),95 eine bedingte Suspendierung (z. B. bei eigener Organmitgliedschaft des Berechtigten)96 und eine Pflicht zur Ausübung des Entsendungsrechts.97 Nicht festsetzen kann die Satzung dagegen persönliche Voraussetzungen für die Person des zu Entsendenden. Hierdurch würde unzulässigerweise eine nur für einen Teil der Aufsichtsorganmitglieder geltende persönliche Voraussetzung im Sinne des Art. 47 Abs. 3 SE-VO, § 100 Abs. 4 AktG geschaffen.98 94 Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 101 Rn. 60; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 101 Rn. 52. 95 Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 101 Rn. 59 f.; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 101 Rn. 49. 96 Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 101 Rn. 59 a.E.; Spindler, in: Spindler/ Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 101 Rn. 52. Teilweise wird sogar angenommen, ein Entsendungsrecht werde automatisch suspendiert, wenn der Berechtigte Organmitglied werde; siehe Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 101 Rn. 109. 97 Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 101 Rn. 60; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 101 Rn. 124. 98 Anders die ganz h.M.; siehe etwa Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 101 Rn. 123, 129; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 101 Rn. 51; sowie die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 60. Zum Ganzen ausführlich oben Abschnitt „Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter, Art. 47 Abs. 3 SE-VO“, S. 218.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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Anders als die Einführung des Entsendungsrechts steht die Aufhebung desselben nicht (allein) zur Disposition der satzungsändernden Hauptversammlungsmehrheit. Denn beim Entsendungsrecht handelt es sich um ein Sonderrecht im Sinne des § 35 BGB, zu dessen Aufhebung es der Zustimmung des Berechtigten bedarf. f) Amtsniederlegungsrecht Sowohl entsandte als auch gewählte AG-Aufsichtsratsmitglieder sind dazu berechtigt, ihr Organamt einseitig niederzulegen.99 Die im aktienrechtlichen Schrifttum hierzu entwickelten Grundsätze lassen sich auf die SE übertragen.100 Denn ebenso wie das Aktiengesetz enthält die Verordnung keine ausdrückliche Regelung zur Amtsniederlegung und lässt daher Platz für eine Übertragung der im deutschen Aktienrecht entwickelten ungeschriebenen Rechtsgrundsätze.101 Danach kann der Satzungsgeber das Amtsniederlegungsrecht zwar nicht ausschließen oder an die Zustimmung der Hauptversammlung binden.102 Er kann es jedoch ausgestalten – also insbesondere die Form und den Adressaten der Niederlegungserklärung bestimmen, einen wichtigen Grund fordern, Beispiele für wichtige Gründe nennen und eine angemessene Frist bestimmen.103 g) Ehrenvorsitzende und Ehrenmitglieder Die SE-Satzung kann ebenso wie die Satzung einer deutschen Aktiengesellschaft104 Regelungen über die Verleihung von Ehrentiteln enthalten. Insbesondere kann der Satzungsgeber sich dazu äußern, welches Organ für die Verleihung der Titel zuständig sein soll.105

99 Mittlerweile ganz h.M.; siehe nur Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 103 Rn. 59; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl., (2005), § 103 Rn. 82 – 87; Spindler, in: Spindler/ Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 103 Rn. 63; jeweils mit weiteren Nachweisen. 100 In dieselbe Richtung Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 93; Reichert, in: Happ, Konzern- und Umwandlungsrecht (2012), S. 1238. 101 Rechtsgrundlage ist Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO; vgl. nur Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 9 SE-VO Rn. 18. 102 Ganz h.M. für den AG-Aufsichtsrat; siehe nur Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 103 Rn. 62; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl., (2005), § 103 Rn. 90; jeweils mit weiteren Nachweisen. 103 So zum AG-Aufsichtsrat: Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 103 Rn. 62; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl., (2005), § 103 Rn. 90. Entsprechende Musterklauseln für die SE-Satzung finden sich bei Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 § 13 Abs. 4; Reichert, in: Happ, Konzern- und Umwandlungsrecht (2012), S. 1173, § 9 Abs. 5. 104 Hierzu Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 107 Rn. 168 – 171. 105 Ebenso für die deutsche Aktiengesellschaft Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 107 Rn. 168.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Rechtliche Bedeutung haben jedoch weder die Ehrentitel noch ggf. die einschlägigen Satzungsbestimmungen. Denn anders als mit der regulären Mitgliedschaft und dem regulären Vorsitz sind mit dem Ehrentitel keine justiziablen Rechte und Pflichten verbunden.106 Daran kann auch die Satzung nichts ändern.107 Denn der Grundsatz der Satzungsstrenge steht insbesondere einer satzungsmäßigen Einbindung des Geehrten in die Aufsicht oder gar Leitung der Gesellschaft (z. B. über besondere Teilnahme- und Informationsrechte) entgegen. Insgesamt hat die Ernennung zum Ehrenvorsitzenden bzw. Ehrenmitglied also mit einer regulären Berufung in ein Organamt weit weniger zu tun als mit einem besonders herzlichen Glückwunsch zum Grund der Ehrung. Als höchst problematisch einzuordnen sind daher Satzungsbestimmungen, die besondere, regelmäßige Zahlungen an den Geehrten vorsehen (z. B. „Ehrensold“, Auslagenersatz).108 Denn mangels Einbindung des Geehrten in die rechtliche Binnenordnung der Gesellschaft verpflichtet die Verleihung des Ehrentitels als solche nicht, der Gesellschaft irgendeine geldwerte Gegenleistung zu erbringen. Zahlungen – egal in welcher Form – werden daher in der Regel Schenkungscharakter haben. 2. Konkret per Beschluss a) Wahl der Mitglieder, Art. 40 Abs. 2 SE-VO Kernkompetenz der Hauptversammlung in personeller Hinsicht ist es, unter Beachtung der gesetzlichen und satzungsmäßigen Vorgaben die einzelnen Aufsichtsorganmitglieder zu wählen. Für jeden Aufsichtsorgansitz ist dabei ein reguläres Mitglied zu wählen. Gemäß § 101 Abs. 3 Satz 1 AktG, der für das SE-Aufsichtsorgan gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO entsprechend gilt, ist die Wahl stellvertretender Aufsichtsorganmitglieder nicht statthaft.109 Daran ändert auch Art. 50 Abs. 1 SE-VO nichts. Der dortige Hinweis auf eine Vertretungsregelung bezieht sich für die deutsche SE auf 106 In dieselbe Richtung die Ansichten zum AG-Aufsichtsrat: Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 107 Rn. 62 – 64 (der aber Satzungsregeln zu einem „Ehrensold“ für zulässig hält); Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 107 Rn. 29; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. J, Rn. 88 (der aber Satzungsregeln über besondere Rechte und Pflichten für möglich erachtet); Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 11 Rn. 686 (jedenfalls in Bezug auf das Verhältnis zum Aufsichtsrat). 107 A.A. wohl Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. J, Rn. 88. 108 In dieselbe Richtung Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. J, Rn. 88 (der aber offenbar Satzungsregeln hierzu für möglich erachtet). Keine Probleme erkennen Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 107 Rn. 170; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 107 Rn. 64. 109 Ganz h.M.; siehe nur Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 62 f.; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 40 SE-VO Rn. 36 f.; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 40 Rn. 54.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

233

eine Vollmachtserteilung im Einzelfall und nicht auf ein von der Hauptversammlung verliehenes Stellvertreteramt.110 Die Hauptversammlung kann jedoch anlässlich der Wahl des regulären Mitglieds ein Ersatzmitglied wählen, das (nur) bei Ausscheiden des regulären Mitglieds in das Aufsichtsorgan einrückt, ohne hierfür noch einmal gewählt werden zu müssen (§ 101 Abs. 3 Sätze 2, 3 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SEVO). Einer satzungsmäßigen Grundlage hierfür bedarf es nicht.111 Erforderlich und ausreichend ist nach Art. 57 SE-VO immer die einfache Stimmenmehrheit; die Satzung kann keine anderen Mehrheiten (§ 133 Abs. 1 Hs. 2 AktG) oder „andere Bestimmungen“ (§ 133 Abs. 3 AktG) vorsehen.112 Bereits amtierende Mitglieder können vorbehaltlich satzungsmäßiger Einschränkungen113 wiedergewählt werden (Art. 46 Abs. 2 SE-VO). Auch bei völligem Fehlen von Einschränkungen dürfen Wiederbestellungen freilich nicht dazu führen, dass sich die Amtszeit eines Aufsichtsorganmitglieds über den satzungsmäßig bestimmten Zeitraum (oder gar über die in der Verordnung festgelegte Obergrenze von sechs Jahren) hinaus ausdehnt. Dies folgt unmittelbar aus dem Sinn und Zweck des Art. 46 Abs. 1 SE-VO. Nicht einschlägig sind demgegenüber die zu § 102 Abs. 1 AktG entwickelten Rechtsgrundsätze.114 Letztere gelten für die deutsche SE nicht, da wegen Art. 46 SE-VO bereits § 102 Abs. 1 AktG selbst keine Anwendung findet. Im Ergebnis fällt dies freilich nicht ins Gewicht. In jedem Fall unzulässig ist es daher beispielsweise, ein Mitglied, das für eine vierjährige Amtzeit erstmals bestellt wird, nach einem Jahr für eine weitere, an die laufende Amtsperiode anschließende vierjährige Amtszeit zu bestellen. Denn das betreffende Mitglied hätte dann entgegen Art. 46 Abs. 1 SE-VO und der einschlägigen Satzungsbestimmung eine siebenjährige Amtszeit vor sich, ohne in dieser Zeit wiederbestellt werden zu müssen. Statthaft ist ein Wiederbestellungsbeschluss dagegen, wenn die Dauer der neuen Amtszeit um die noch verbleibende alte Amtszeit gekürzt wird. Beispielsweise kann ein Mitglied, das für eine vierjährige Amtszeit erstmals bestellt wird, nach einem Jahr wieder bestellt werden, wenn die neue Amtszeit um die noch verbleibenden drei Jahre der alten Amtszeit gekürzt wird.

110

Zutreffend Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 62. Die Musterklausel bei Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 § 13 Abs. 3, hat daher nur deklaratorische Bedeutung. 112 Siehe oben Abschnitt „Strengere, im Sitzstaat-Aktienrecht vorgesehene Stimmenmehrheiten, Art. 57 Hs. 2 Alt. 2, Art. 59 Hs. 2 SE-VO“, S. 92. 113 Hierzu oben Abschnitt „Einschränkung der Wiederwahl, Art. 46 Abs. 2 SE-VO“, S. 229. 114 J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 494 f.; anders die wohl h.M.; siehe Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 46 SE-VO Rn. 7; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 46 SEVO Rn. 12; Frodermann, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 246; wohl auch Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 6. Wiederum anders (§ 84 Abs. 1 Satz 3 AktG analog) Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 46 SE-VO Rn. 21. 111

234

4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Die Kompetenz der Hauptversammlung für die Bestellung der anteilseignervertretenden Aufsichtsorganmitglieder konkurriert nicht nur mit ggf. in der Satzung verankerten Entsendungsrechten,115 sondern auch mit der Zuständigkeit des Amtsgerichts, in den Fällen des § 104 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AktG einzelne Aufsichtsratsmitglieder zu bestellen.116 Die Mitglieder des ersten Aufsichtsorgans können zudem unmittelbar in der Satzung bestellt werden (Art. 40 Abs. 2 Satz 1 SEVO). b) Abberufung der Mitglieder Fraglich ist, ob die Hauptversammlung auch für eine Abberufung der Aufsichtsorganmitglieder zuständig ist.117 Hieran ließe sich mit Blick auf den Wortlaut des Art. 40 Abs. 2 SE-VO zweifeln, der nur von einer Bestellungskompetenz der Hauptversammlung spricht. Auch Art. 46 Abs. 1 SE-VO sieht keine Entscheidungsbefugnis der Hauptversammlung über ein vorzeitiges Ende der dort geregelten regulären Amtszeit vor.118 Systematisch liegt ein Umkehrschluss zu Art. 39 Abs. 2 115

Hierzu oben Abschnitt „Festlegung von Entsendungsrechten, § 101 Abs. 2 AktG“, S. 230. 116 Ganz h.M.; siehe nur Drygala, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 40 SE-VO Rn. 22; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 49; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG (2012), Art. 40 SE-VO Rn. 39; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 40 Rn. 57 – 59; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 50 SE-VO Rn. 2 a.E. Verbreitet wird von einer Anwendbarkeit gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO ausgegangen; richtigerweise greift die Spezialverweisung aus Art. 47 Abs. 4 SE-VO (Gericht als „Stelle“); so auch Paefgen, a.a.O. Rn. 82. 117 Dafür die weit überwiegende Ansicht: Drygala, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SEKo., 2. Aufl. (2015), Art. 40 SE-VO Rn. 23; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 40 SE-VO Rn. 9; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 103 Rn. 106; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 79 f.; Reichert/Brandes, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2012), Art. 46 SE-VO Rn. 13; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 46 SEVO Rn. 2; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 40 SE-VO Rn. 55; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 13 f., 27; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 146 – 148; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 564; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 234; Theisen/ Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 292; Schindler, Europäische Aktiengesellschaft (2002), S. 62; El Mahi, Europäische Aktiengesellschaft (2004), S. 89; Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn. § 2 Rn. 25; Frodermann, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 103; Kolster, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 1. Aufl. (2005), 4. Kap. Rn. 63; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2015), § 19 Rn. 1361; Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.580; Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 377; Habersack/Verse, Europ GesR, 4. Aufl. (2011), § 13 Rn. 32; eine Abberufungskompetenz verneinen dagegen Hommelhoff, AG 2001, 279, 283; Hirte, NZG 2001, 1, 5; ders., DStR 2005, 653, 657; Schwarz, ZIP 2001, 1847, 1855 (eine Abberufungskompetenz befürwortend dann aber Schwarz, SE-VO (2006), Art. 40 Rn. 64). 118 Hieraus das Fehlen einer Abberufungskompetenz ableitend Hirte, NZG 2001, 1, 5; Hommelhoff, AG 2001, 279, 283.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

235

SE-VO nahe, wonach die Mitglieder des Leitungsorgans vom Aufsichtsorgan „bestellt und abberufen“ werden. Und auch die Normhistorie scheint gegen eine Abberufungskompetenz der Hauptversammlung zu sprechen: So enthielten der Sanders-Vorentwurf119 und die Vorentwürfe von 1970120, 1975121, 1989122 und 1991123 noch eine ausdrückliche Abberufungskompetenz der Hauptversammlung. Diese ausdrückliche Kompetenzzuweisung fiel in Art. 39 Abs. 2 Satz 1 SE-VOV 1998 – dessen Wortlaut dem in Kraft getretenen Art. 40 Abs. 2 Satz 1 SE-VO entspricht – ersatzlos weg.124 Aus historischem Blickwinkel spricht aber auch einiges für eine Abberufungskompetenz der Hauptversammlung. So findet sich in den Erläuterungen der Europäischen Kommission zu Art. 75 Abs. 1 SE-VOV 1989 der Hinweis: „Im allgemeinen geht die Zuständigkeit zur Bestellung der Mitglieder des Aufsichts- und Verwaltungsorgans mit der Zuständigkeit zur Abberufung ad nutum einher.“125 Dieselbe Vorstellung könnte auch den weiter entwickelten Formulierungen zugrunde gelegen haben, in denen die Abberufungskompetenz nicht mehr ausdrücklich erwähnt wird. Gegen eine Deutung der Normhistorie dahingehend, dass der Verordnungsgeber mit Streichung der ausdrücklichen Abberufungskompetenz im Normtext auch in der Sache eine Streichung der Abberufungskompetenz im Sinn hatte, spricht auch ein Blick auf die nationalen Aktienrechtsordnungen der Mitgliedstaaten und ähnlich entwickelter außereuropäischer Staaten. So enthält deutsches, britisches, spanisches, französisches, griechisches, japanisches und amerikanisches (Delaware und Revised Model Business Corporation Act) Aktienrecht durchweg eine Kompetenz der Hauptversammlung zur Abberufung der Aufsichts- bzw. Verwaltungsorganmitglieder126 – teilweise ohne dies ausdrücklich gesetzlich zu regeln.127 Die Kongruenz 119 Art. IV-2 – 3 Abs. 2 Satz 1: „[Die Mitglieder des Aufsichtsrats] können jederzeit durch die Hauptversammlung abberufen werden.“ 120 Art. 75 Abs. 2: „Die von der Hauptversammlung bestellten Mitglieder des Aufsichtsrats können jederzeit durch diese abberufen werden.“ 121 Art. 75 Abs. 3: „Die durch die Hauptversammlung oder durch die Satzung bestellten Mitglieder des Aufsichtsrats können jederzeit durch die Hauptversammlung ersetzt werden.“ 122 Art. 75 Abs. 1: Die Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans können von denselben Organen, Personen oder Personengruppen, die nach diesem Statut oder der Satzung der SE für ihre Bestellung zuständig sind, abberufen werden.“ 123 Art. 63 Abs. 2 Satz 1: „Die Mitglieder des Aufsichtsorgans werden von der Hauptversammlung bestellt und abberufen.“ 124 Ausführlich zur Normhistorie Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 146. 125 SE-VOV 1989, BT-Drucks. 11/5427, S. 12. Darauf hinweisend auch Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 146; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 79 Fn. 147. 126 Vgl. Enriques/Hansmann/Kraakman, in: Kraakman/Armour/Davies et al., The Anatomy of Corporate Law, 2. Aufl. (2009), S. 60 – 62 (rechtsvergleichend zu Deutschland, Großbritannien, Italien, Japan und den Vereinigten Staaten mit Verweisen auf die jeweils ein-

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

von Bestellungs- und Abberufungskompetenz der Hauptversammlung ist daher nicht etwa eine vereinzelte Idee mitgliedstaatlicher Gesetzgeber, sondern ohne Zweifel ein allgemeiner Rechtsgrundsatz von internationaler Bedeutung.128 Hätte der Verordnungsgeber tatsächlich mit ihm brechen wollen, so hätte nichts näher gelegen als eine ausdrückliche Regelung dieser außergewöhnlichen Rechtslage im Verordnungswortlaut. Umgekehrt lässt sich aus dem Fehlen einer Regelung nicht das Fehlen der Abberufungskompetenz ableiten. Die Regelungslücke ist vielmehr Ausdruck der Selbstverständlichkeit, mit der der Verordnungsgeber von einer entsprechenden Hauptversammlungskompetenz ausging. Richtigerweise steht der SE-Hauptversammlung daher eine Abberufungskompetenz zu. Rechtsgrundlage der Abberufungskompetenz ist die SE-VO selbst. Da Art. 40 Abs. 2 Satz 1 SE-VO gerade keine ausdrückliche Regelung enthält, handelt es sich um eine ungeschriebene Annexkompetenz auf Verordnungsebene.129 Nicht einschlägig als Kompetenztitel ist dagegen § 103 AktG, und zwar weder über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii)130 noch über Art. 52 Satz 2131 oder Art. 57 SE-VO132. Zulässig wäre ein Rückgriff auf nationales Recht nur bei einer entsprechenden Lückenhaftigkeit der Verordnung an dieser Stelle. Hintergrund der Streichung der noch in den Vorentwürfen enthaltenen ausdrücklichen Abberufungskompetenz war jedoch gerade nicht die Absicht des Verordnungsgebers, sich zugunsten nationaler Eigentümlichkeiten einer einheitlichen Regelung zu enthalten. In den Augen des Verordnungsgebers waren Bestellungs- und Abberufungskompetenz vielmehr so selbstverständlich miteinander verbunden, dass eine ausdrückliche Regelung entbehrlich erschien.133 Die ungeschriebene Abberufungskompetenz der SE-Hauptschlägigen Vorschriften); Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 147 (mit Nachweisen zu Spanien und Griechenland). 127 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 147 (zu Spanien und Griechenland). 128 Auf den Punkt Enriques/Hansmann/Kraakman, in: Kraakman/Armour/Davies et al., The Anatomy of Corporate Law, 2. Aufl. (2009), S. 60: „Removal rights follow appointment rights.“ 129 Ähnlich Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 40 SE-VO Rn. 9 Fn. 40 („Annexkompetenz zu Art. 40 Abs. 2 Satz 1 SE-VO“); inkonsequent dann aber ders., a.a.O., Art. 43 SE-VO Rn. 34 (Abberufungskompetenz in Bezug auf das Verwaltungsorgan „ergibt sich … aus § 29 Abs. 1 SEAG“). 130 So aber Schwarz, SE-VO (2006), Art. 40 Rn. 64; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 46 SE-VO Rn. 2; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 40 SEVO Rn. 13 f., 27; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 564; Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 377; El Mahi, Europäische Aktiengesellschaft (2004), S. 89; Liebscher, in: Semler/Volhard/ Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 49 Rn. 7. 131 So aber Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 80; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 40 SE-VO Rn. 55; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 234; Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/ Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn. § 2 Rn. 25. 132 So aber Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 46 SE-VO Rn. 13. 133 Siehe oben; insbesondere die Erläuterungen zum SE-VOV 1989 (4. Teil, Fn. 125).

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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versammlung steht damit genau so wenig wie ihre geschriebene Bestellungskompetenz zur Disposition des nationalen Gesetzgebers. Während das „Ob“ der Hauptversammlungszuständigkeit damit abschließend auf Verordnungsebene geregelt ist, bleibt das „Wie“ im Rahmen des Art. 57 SE-VO dem nationalen Gesetzgeber überlassen. Erforderlich für eine Abberufungsentscheidung in der deutschen SE ist damit gemäß § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG, Art. 57 Hs. 2 Alt. 2 SE-VO eine Drei-Viertel-Stimmenmehrheit.134 Die dem AG-Satzungsgeber offen stehende Möglichkeit, ein abweichendes Mehrheitserfordernis nach § 103 Abs. 1 Satz 3 AktG festzusetzen, existiert in der deutschen SE nicht.135 Die Abberufungskompetenz konkurriert wie die Bestellungskompetenz mit der Zuständigkeit entsendungsberechtigter Aktionäre für die Abberufung „ihres“ jeweiligen Aufsichtsorganmitglieds und mit der Zuständigkeit des Amtsgerichts für die Abberufung aus wichtigem Grund.136 Faktisch zur Abberufung sämtlicher Aufsichtsorganmitglieder führt auch ein Wechsel vom dualistischen ins monistische System per Satzungsänderung.137 c) Suspendierung einzelner Mitglieder? An Stelle einer endgültigen Abberufung aus dem Organamt könnte die Hauptversammlung auch dazu berechtigt sein, die Organzugehörigkeit eines anteilseignervertretenden Aufsichtsorganmitglieds zu suspendieren, das Mitglied also vorübergehend von der Amtsführung zu entheben. Die Verordnung hält weder eine positive noch eine negative Regelung hierzu bereit und auch im deutschen Aktienrecht ist die Suspendierung eines Aufsichtsratsmitglieds nicht bekannt. Durchaus diskutiert wird die Suspendierung von AG-Vorstandsmitgliedern durch den AG-Aufsichtsrat; eine allgemein anerkannte Linie hat sich dabei noch nicht herausbgebildet.138 Die Bedenken, die gegen ein Recht des AG-Aufsichtsrats, ein Vorstandsmitglied zu suspendieren, vorgebracht werden, gehen dabei zumeist auf die Gefahr einer Umgehung der gesetzlichen Abberufungsvoraussetzungen zurück. Denn gemäß § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG darf der Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied nur aus wichtigem Grund abberufen, weswegen die Zulässigkeit eines außergesetzlich begründeten Suspendierungsrechts teilweise bezweifelt139 bzw. an die in § 84 Abs. 3

134 Siehe oben Abschnitt „Strengere, im Sitzstaat-Aktienrecht vorgesehene Stimmenmehrheiten, Art. 57 Hs. 2 Alt. 2, Art. 59 Hs. 2 SE-VO“, S. 92. 135 Siehe oben Abschnitt „Stimmenmehrheitsbezogene Satzungsspielräume“, S. 92, mit den Nachweisen in Fn. 144. 136 Hierzu ausführlich Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 82 f, 85. 137 Hierzu unten Abschnitt „Wechsel der Organisationsverfassung“, S. 377. 138 Zum Meinungsstand siehe Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 84 Rn. 136. 139 So insbesondere Spindler, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 84 Rn. 154 f.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

AktG bestimmten Voraussetzungen geknüpft140 wird. Eine derartige Umgehung droht jedoch im Verhältnis zwischen der SE-Hauptversammlung und dem Aufsichtsorgan nicht. Für die Abberufungsentscheidung bedarf es dort nämlich gerade keines wichtigen Grundes. Dass Wissenschaft und Rechtsprechung im deutschen Rechtsraum auch keine Kompetenz der AG-Hauptversammlung entwickelt haben, ein Aufsichtsratsmitglied zu suspendieren, dürfte vor allem der Tatsache geschuldet sein, dass der AG-Aufsichtsrat gemäß § 95 Abs. 1 AktG immer über eine ganz bestimmte, satzungs- oder gesetzesmäßig fixierte Mitgliederzahl verfügt und die Abberufung, das Einrücken neuer Mitglieder bzw. die gerichtliche Ersatzbestellung in § 101 Abs. 3, § 102 Abs. 2, §§ 103 f. AktG entsprechend engmaschig reglementiert sind. Dieses Regelwerk könnte leicht ausgehebelt werden, wenn die Hauptversammlung berechtigt wäre, Aufsichtsratsmitglieder per einfachem Beschluss zu supendieren. In der SE dagegen kann die Satzung die Festlegung der Mitgliederzahl gemäß Art. 40 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SE-VO sogar vollständig in das Ermessen der Hauptversammlung stellen141 und hierdurch den Boden für ein flexibles An- und Abwachsen der Mitgliederzahl bereiten. Gewährt die Satzung der Hauptversammlung eine derartige Freiheit, so entfällt gleichzeitig die Gefahr der Umgehung gesetzlicher oder satzungsmäßiger Vorschriften, wenn die Hauptversammlung Aufsichtsratsmitglieder temporär von ihrer Amtsführung enthebt. Die Hauptversammlung rückt dann in eine ähnliche Position (im Verhältnis zum Aufsichtsorgan) wie sie der Aufsichtsrat in der AG (im Verhältnis zum Vorstand) innehat.142 Insgesamt ist damit kein Grund ersichtlich, warum das Abberufungsrecht der SEHauptversammlung nicht auch ein Recht zur Suspendierung enthalten sollte. Die ungeschriebene Zuständigkeit zur Abberufung der Aufsichtsorganmitglieder berechtigt die Hauptversammlung daher auch, zum milderen Mittel einer nur zeitweise wirkenden Suspendierung zu greifen.

140 In diese Richtung insbesondere Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 84 Rn. 136 f. (Verdacht eines wichtigen Grundes aber ausreichend); ähnlich Seibt, in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 84 Rn. 59 (Suspendierung zulässig „z. B. zur Klärung von Vorwürfen, die bei Richtigkeit als wichtiger Grund gelten“); Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des AR, 5. Aufl. (2008), § 7 Rn. 380 („gewichtige Anhaltspunkte für die Existenz eines Abberufungsgrundes“). 141 Siehe oben Abschnitt „Hinreichende Bestimmtheit der Erhöhung“, S. 215. 142 Auch der AG-Aufsichtsrat bestimmt – in den Grenzen der gesetzlichen und ggf. satzungsmäßigen Vorgaben (§ 76 Abs. 2 AktG) – die konkrete Zahl der Vorstandsmitglieder; siehe nur Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 76 Rn. 111; Seibt, in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 76 Rn. 31.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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II. Einfluss auf innere Ordnung 1. Satzungsregeln zur Wahl des Aufsichtsorgan-Vorsitzenden, Art. 42 SE-VO, § 107 Abs. 1 Satz 1 AktG Anders als § 107 Abs. 1 AktG enthält Art. 42 SE-VO nur eine Rumpfregelung zur Wahl des Aufsichtsorganvorsitzenden, die sich auf die Festschreibung von drei Eckpunkten der Vorsitzenden-Wahl beschränkt, nämlich die Pflicht zur Wahl eines Organvorsitzenden, die Pflicht, diesen Vorsitzenden aus der „Mitte“ des Aufsichtsorgans zu wählen, und die Beschränkung des Kreises der passiv Wahlberechtigten auf die Anteileignervertreter143 im paritätisch144 mitbestimmten Aufsichtsorgan. Dass diese Regelung in vielerlei Hinsicht keinen abschließenden Charakter hat, versteht sich von selbst.145 Als Rechtsgrundlage für eine Schließung der Regelungslücken bietet sich Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO an – soweit die Regelungsdichte des deutschen Rechts über die des Art. 42 SE-VO hinausgeht – und Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO, soweit das deutsche Recht dem Satzungsgeber Freiheiten einräumt, die den drei vorgenannten Eckpunkten nicht entgegenstehen. Unter den von Art. 42 SE-VO offen gelassenen Fragen sind aus Sicht des Satzungsgebers insbesondere relevant die Stellvertreterwahl, die Amtszeit des Vorsitzenden, seine Abberufung und Amtsniederlegung sowie die Frage, ob und ggf. unter welchen Umständen der Vorsitzende wiedergewählt werden kann bzw. muss. § 107 Abs. 1 Satz 1 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO schreibt zunächst die Wahl mindestens eines stellvertretenden Aufsichtsorganvorsitzenden vor.146 Die Satzung kann diese Pflicht nicht abbedingen und die Wahl auch nicht durch eine Satzungsregelung präjudizieren, die eine oder mehrere Stellvertreterfunktionen für 143

Trotz seines missverständlichen Wortlauts („nur ein von der Hauptversammlung der Aktionäre bestelltes Mitglied“) bezieht sich Art. 42 Satz 2 SE-VO nicht auf die Arbeitnehmervertreter. Jene werden zwar technisch gesehen ebenfalls von der Hauptversammlung gewählt; letzterer bleibt dabei aber gar nichts anderes übrig, als den verbindlichen Vorschlag der Arbeitnehmerseite zu exekutieren (§ 36 Abs. 4 Satz 2 SEBG). Hierzu ausführlich mit weiteren Nachweisen Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 42 SE-VO Rn. 11; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 42 Rn. 5 f. 144 A.A. entgegen dem klaren Verordnungswortlaut Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 50 SE-VO Rn. 18 („Unabhängig von dem gewählten Mitbestimmungsverfahren darf ein Vertreter der Arbeitnehmerschaft nicht zum Vorsitzenden gewählt werden.“). 145 Vgl. auch Drygala, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 42 SE-VO Rn. 1 („ansatzweise Regelung“); Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 42 SEVO Rn. 4 („nur eine fragmentarische Regelung“). 146 Drygala, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 42 SE-VO Rn. 8; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 42 SE-VO Rn. 3; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 107 Rn. 499; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 42 SE-VO Rn. 9; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 42 SE-VO Rn. 33; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 42 SE-VO Rn. 18; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 42 Rn. 20; Kiem, ZHR 173 (2009), 156, 169; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 570 f.; S. Schneider, AG 2008, 887, 888.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

die Arbeitnehmerseite reserviert;147 sie kann allerdings die Hierarchie zwischen mehreren Stellvertretern bestimmen.148 Auch für die Frage, wann und unter welchen Umständen der einmal gewählte Aufsichtsorganvorsitzende wieder aus seinem Vorsitzendenamt scheidet, kann teilweise auf die im deutschen Recht gefundenen Grundsätze zurückgegriffen werden. Statthaft ist danach zunächst eine eigeninitiative Amtsniederlegung des Vorsitzenden.149 Der Satzungsgeber kann dieses Amtsniederlegungsrecht zwar nicht ausschließen, aber ähnlich gestaltend eingreifen wie in Bezug auf das Recht zur Niederlegung des Organamts (z. B. Definition der Form und des Adressaten der Niederlegungserklärung).150 Auch gegen seinen Willen kann der Vorsitzende vom Plenum abberufen werden.151 Das Recht hierzu ergibt sich als spiegelbildliche Annexkompetenz unmittelbar aus Art. 42 Satz 1 SE-VO; es kann vom Satzungsgeber ebenso wenig ausgeschlossen oder delegiert werden wie die Bestellungskompetenz selbst. Die Satzung kann die Abberufung aber erschweren, etwa durch das Erfordernis eines wichtigen Grundes oder durch besondere Anforderungen an die Beschlussfassung und/oder -fähigkeit (Art. 50 Abs. 1 SE-VO).152 Schließlich kann auch die reguläre Länge der Amtszeit gemäß § 107 Abs. 1 Satz 1 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO in der Satzung festgelegt werden.153 Die sechsjährige Höchstgrenze aus Art. 46 Abs. 1 SE-VO gilt zwar nicht unmittelbar für die Vorsitzendenfunktion, da jene keine Organmitgliedschaft begründet;154 mittelbar ist die Grenze jedoch von Bedeutung, da die Dauer der Organmitgliedschaft in zeitlicher Hinsicht die absolute 147 Habersack, AG 2006, 345, 349; Kiem, ZHR 173 (2009), 156, 169; anders die von Heinze/Seifert/Teichmann, BB 2005, 2524, 2528, vorgeschlagene Mustersatzung (§ 18 Abs. 1 Satz 2). 148 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 42 SE-VO Rn. 33; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 42 SE-VO Rn. 18. 149 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 42 SE-VO Rn. 29; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 42 SE-VO Rn. 16; Frodermann, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 120. 150 Zur Niederlegung des Organamts siehe oben Abschnitt „Amtsniederlegungsrecht“, S. 231. 151 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 42 SE-VO Rn. 23; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 42 SE-VO Rn. 16; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 42 Rn. 14; Frodermann, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 120. 152 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 42 SE-VO Rn. 26; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 42 SE-VO Rn. 16; Frodermann, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 120. 153 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 42 SE-VO Rn. 19; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 42 SE-VO Rn. 16; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 42 SE-VO Rn. 4; Frodermann, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 119. 154 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 42 SE-VO Rn. 18; Manz, in: Manz/Mayer/ Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 42 SE-VO Rn. 3; irreführend der Hinweis von Paefgen, a.a.O., Fn. 49, auf eine „a.A.“ von Schwarz, SE-VO (2006), Art. 42 Rn. 13. Schwarz bezieht Art. 46 Abs. 1 SE-VO ausdrücklich nur auf die „Amtszeit als Organmitglied“.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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Obergrenze für die Dauer des Vorsitzendenamtes bildet.155 Soweit die Satzung zur Vorsitzendenamtszeit keine Entscheidung trifft, bleibt ihre Regelung als Angelegenheit der inneren Organisation dem Aufsichtsorgan selbst überlassen, und zwar entweder ad hoc im Bestellungsbeschluss oder abstrakt-generell in der Geschäftsordnung.156 Einer Wiederwahl des Vorsitzenden nach dem regulären Ende seiner Amtsperiode setzen grundsätzlich weder der Verordnungsgeber noch das deutsche Aktienrecht Grenzen. Insbesondere Art. 46 Abs. 2 SE-VO, der sich nur auf das Organamt bezieht, taugt nicht als Rechtsgrundlage für satzungsmäßige Wiederwahleinschränkungen.157 Zu beachten ist aus Sicht des Satzungsgebers jedoch, dass die Vorsitzendenamtszeit weder per Satzungsregelung noch per Hauptversammlungsbeschluss an die Dauer des Organamtes gekoppelt werden kann. Die in Art. 42 Satz 1 SE-VO ausschließlich dem Aufsichtsorgan übertragene Wahlzuständigkeit würde damit durchbrochen. Anders als in der deutschen AG kann die Satzung daher keine automatische Verlängerung der Vorsitzendenfunktion auf Basis der Wiederwahl als Organmitglied vorsehen.158 Von Art. 42 SE-VO offen gelassen werden ferner die Einzelheiten des Verfahrens und der erforderlichen Mehrheiten bei der Vorsitzendenwahl. Statt unmittelbar auf nationales Recht ist insofern auf Art. 50 SE-VO zurückzugreifen, der als Zentralnorm die Regelungen bzw. Regelungsermächtigungen zur Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung im Aufsichts-, Leitungs- und Verwaltungsorgan bündelt.159 Weder dem Satzungsgeber noch dem Aufsichtsorgan selbst ist es gestattet, die Vorsitzendenfunktion auf zwei gleichberechtigte Personen aufzuteilen („Doppelspitze“) oder das Amt des Vorsitzenden durch einen „Sprecher“ zu ersetzen. Bei der Möglichkeit einer Sprecherwahl handelt es sich vielmehr um eine spezifische Besonderheit des deutschen AG-Vorstands, für den der Gesetzgeber nur eine fakultative Vorsitzendenwahl vorsieht (§ 84 Abs. 2 AktG). Im SE-Aufsichtsorgan dagegen führt gemäß Art. 42 Satz 1 SE-VO kein Weg an der Wahl eines Vorsitzenden vorbei; für eine alternative Leitungsstruktur bleibt kein Platz. Und auch einer Aufteilung der Vorsitzendenfunktion auf zwei gleichberechtigte Personen steht der im Singular gehaltene Wortlaut des Art. 42 Satz 1 SE-VO entgegen. Die Konzentration des Vorsitzendenamtes auf eine Einzelperson ist überdies Voraussetzung für die Funktion des Zweitstimmrechts gemäß Art. 50 Abs. 2 SE-VO. 155

So wohl auch Schwarz, SE-VO (2006), Art. 42 Rn. 13. Siehe nur Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 42 SE-VO Rn. 19; Reichert/ Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 42 SE-VO Rn. 16; jeweils m.w.N. 157 Unklar Schwarz, SE-VO (2006), Art. 42 Rn. 13, der Art. 46 Abs. 2 direkt mit der Vorsitzenden-Wiederwahl in Verbindung zu bringen scheint. 158 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 42 SE-VO Rn. 20; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 42 SE-VO Rn. 16. 159 Zu den Satzungsspielräumen, die Art. 50 SE-VO eröffnet, sogleich unter Abschnitt „Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernisse im Aufsichtsorgan, Art. 50 Abs. 1 SEVO“, S. 218. 156

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Welche spezifischen Rechte und Pflichten der gewählte Aufsichtsorganvorsitzende übernimmt, ergibt sich schließlich ganz überwiegend aus aktiengesetzlichen Vorschriften, die gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO auch für die SE gelten und keiner Satzungsgestaltung zugänglich sind (z. B. § 107 Abs. 2 Satz 1, § 109 Abs. 2, § 110 Abs. 1 Satz 1 AktG). Prominente Ausnahmen sind das Zweitstimmrecht aus Art. 50 Abs. 2 SE-VO160 sowie die Möglichkeit, dem Vorsitzenden die Leitung der Hauptversammlung zu übertragen.161 2. Satzungsregeln zur Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung a) Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernisse im Aufsichtsorgan, Art. 50 Abs. 1 SE-VO Gemäß Art. 50 Abs. 1 lit. a) SE-VO ist das Aufsichtsorgan grundsätzlich beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der Organmitglieder anwesend oder vertreten sind. Beschlüsse werden gemäß Art. 50 Abs. 1 lit. b) SE-VO grundsätzlich „mit der Mehrheit der anwesenden oder vertretenen Mitglieder“ gefasst. Beide Grundsätze stehen gemäß Art. 50 Abs. 1 Hs. 1 SE-VO unter dem Vorbehalt abweichender Regelungen in der Verordnung und in der Satzung – nicht jedoch unter dem Vorbehalt mitgliedstaatlicher Regelungen. Allein Art. 50 Abs. 3 SE-VO eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die in Abs. 1 gewährten Satzungsfreiheiten in Bezug auf mitbestimmte Aufsichtsorgane gesetzlich zu reglementieren. Der deutsche Gesetzgeber hat davon aber keinen Gebrauch gemacht.162 Die Tatsache, dass Art. 50 Abs. 1 SE-VO in Inhalt und Wortlaut deutlich von seiner aktiengesetzlichen Parallelnorm (§ 108 Abs. 1 AktG) abweicht und dem Satzungsgeber weitgehende Freiheiten einräumt, beflügelt seit Inkrafttreten der Verordnung die Phantasien deutscher Autoren – das Meinungsbild über zulässige und unzulässige Satzungsgestaltungen ist entsprechend vielfältig. Diskutiert werden insbesondere verschärfte Quoren und Mehrheitserfordernisse, Einstimmigkeitsregeln, Anwesenheitserfordernisse, Mehrfachstimmrechte, Alleinentscheidungs- und Vetorechte, Regeln über das (Nicht-)Einfließen von Stimmenthaltungen und ungültigen Stimmen in das Abstimmungsergebnis sowie nicht sitzungsgebundene Beschlussfassungen. Als mögliche Einschränkungen der Satzungsfreiheit genannt werden auf der anderen Seite die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertreter, die Eigentumsgarantie der Anteilseigner sowie der kollegiale Charakter des Aufsichtsorgans. Im Einzelnen: 160 Hierzu sogleich unten Abschnitt „Stichentscheid des Aufsichtsorgan-Vorsitzenden, Art. 50 Abs. 2 SE-VO“, S. 224. 161 Zur Leitung der AG-Hauptversammlung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden: Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. D, Rn. 8 f. 162 Zum Hintergrund ausführlich Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 50 SE-VO Rn. 1 f.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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Zu Recht allgemein anerkannt ist zunächst die Zulässigkeit von Satzungsregeln, die eine eindeutige Antwort auf die (in Art. 50 Abs. 1 lit. b) SE-VO etwas unscharf geregelte163) Frage geben, ob Stimmenthaltungen und ungültige Stimmen als NeinStimmen zählen oder unberücksichtigt bleiben.164 Im Grundsatz Einigkeit besteht auch über die Zulässigkeit von Verschärfungen des in Art. 50 Abs. 1 lit. a) SE-VO bestimmten Anwesenheitsquorums165 und des in lit. b) enthaltenen grundsätzlich einfachen Stimmenmehrheitserfordernisses,166 beispielsweise durch Einführung eines Einstimmigkeits- oder Drei-Viertel-Mehrheitserfordernisses.167 Die Satzung kann die Anforderungen generell verschärfen oder dergestalt differenzieren, dass die verschärften Anforderungen nur für besonders bedeutende Beschlussgegenstände Anwendung finden.168 Auch eine zeitliche Abstufung ist denkbar – etwa in der Form, dass die verschärften Beschlussfähigkeitsanforderungen nicht gelten, wenn sie in der unmittelbar vorhergehenden Sitzung zur Beschlussunfähigkeit geführt haben. Umgekehrt können die Beschlussfähigkeits- und Mehrheitserfordernisse auch abgesenkt werden.169 Möglich ist beispielsweise ein relatives Mehrheitserfordernis oder die Beschlussfähigkeit einer Versammlung von weniger als der Hälfte aller Organmitglieder.170 Die aktiengesetzlichen Mindestanforderungen an die Beschlussfähigkeit aus § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG (mindestens drei Teilnehmer an der 163

Ausführlich hierzu Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 12 – 16. 164 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 21; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2015), § 19 Rn. 1370; Gößl, Satzung der SE, S. 231 f. Siehe auch die Musterklausel bei Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 (§ 17 Abs. 2 Satz 2). 165 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, 3. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 10; Siems, in: KKAktG, 3. Aufl. (2009), Art. 50 SE-VO Rn. 13; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 77; wohl auch Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 5; vgl. auch RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 38. Gegen die Zulässigkeit einer Klausel, nach der die Beschlussfähigkeit die Anwesenheit aller Organmitglieder voraussetzt, aber: Schwarz, SE-VO (2006), Art. 50 Rn. 19; Gößl, Satzung der SE, S. 230 („zumindest bei größeren Aufsichtsorganen“). 166 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 22 – 26; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 50 Rn. 16; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 50 SE-VO Rn. 13; Reichert, in: GS Gruson (2009), S. 321, 328; ders., Der Konzern 2006, 821, 823; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 77; vgl. auch RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 38. 167 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 22 f. 168 Gößl, Satzung der SE, S. 232. Der leicht missverständliche Wortlaut des Art. 50 Abs. 1 („Sofern … nichts anderes bestimmt ist, …“) ist insofern korrigierend auszulegen („Soweit … nichts anderes bestimmt ist, …“). 169 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 5; Schwarz, SEVO (2006), Art. 50 Rn. 19; Gößl, Satzung der SE, S. 230. 170 Ablehnend in Bezug auf ein Beschlussquorum unterhalb der Hälfte der Mitglieder Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 8.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Beschlussfassung) finden dabei keine Anwendung171 (können aber natürlich in Satzungsform gegossen werden172); und auch der nur im Zusammenhang mit § 108 Abs. 1 AktG entwickelte ungeschriebene Rechtsgrundsatz, wonach der Aufsichtsrat wenigstens über diejenigen Aufgaben mit einfacher Mehrheit beschließen können muss, die ihm gesetzlich zugewiesen sind,173 beschränkt die Satzungsfreiheit aus Art. 50 Abs. 1 SE-VO nicht.174 Kritischer wird teilweise eine Verschärfung des Mehrheitserfordernisses im mitbestimmten Aufsichtsorgan gesehen, wenn sie zur Folge hat, dass für eine erfolgreiche Beschlussfassung mehr Stimmen notwendig sind als Anteilseignervertretersitze im Aufsichtsorgan existieren.175 Eine derartige Sperrminorität der Arbeitnehmervertreter wird teilweise als unvereinbar mit der Eigentumsgarantie und dem Rechtsgedanken des Art. 50 Abs. 2 Satz 2 SE-VO angesehen. Sie mache es den Anteilseignervertretern nämlich auch bei geschlossener Abstimmung unmöglich, sich gegen die Arbeitnehmerseite durchzusetzen.176 Im paritätisch mitbestimmten Aufsichtsorgan müsse daher die einfache Mehrheit für eine erfolgreiche Beschlussfassung ausreichen.177 Aus denselben Gründen könne kein Anwesenheitsquorum eingeführt werden, das den Arbeitnehmervertretern ermögliche, durch geschlossenes Fernbleiben von der Sitzung eine Beschlussfassung zu verhindern.178 Die Gegenansicht hält verschärfte Mehrheitserfordernisse auch im mitbestimmten Aufsichtsorgan für zulässig. Verwiesen wird auf die systematische Stellung des Art. 50 Abs. 2 Satz 2 SE-VO, der nur die in Abs. 2 Satz 1 gewährte Satzungsfreiheit beschränke; für die in Abs. 1 gewährte Satzungsfreiheit liege ein Umkehr171 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, 3. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 4; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 5; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 50 SE-VO Rn. 2; Gößl, Satzung der SE, S. 230; Kocher, AG 2016, 351, 352; Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2007, 509, 513. 172 So die von Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845, vorgeschlagene Musterklausel (§ 17 Abs. 3 Satz 1). Eine solche Regelung empfiehlt auch Gößl, Satzung der SE, S. 230. 173 Siehe nur Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 108 Rn. 24 m.w.N. 174 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 26; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 77; Gößl, Satzung der SE, S. 232; a.A. ohne Begründung Eberspächer, in: Spindler/Stilz, 3. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 10. 175 Gegen die Zulässigkeit solcher Mehrheitserfordernisse Eberspächer, in: Spindler/Stilz, 3. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 10; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 24 f.; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 50 Rn. 18, 43; Gößl, Satzung der SE, S. 230; Reichert, Der Konzern 2006, 821, 823. 176 Gößl, Satzung der SE, S. 232 f.; ähnlich Schwarz, SE-VO (2006), Art. 50 Rn. 18, 43; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 24 (Art. 50 Abs. 2 SEVO als „Strukturentscheidung des europäischen Normgebers“). 177 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 50 Rn. 18; Gößl, Satzung der SE, S. 232 f. 178 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, 3. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 5; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 5; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 19 Rn. 1370.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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schluss zu Abs. 2 Satz 2 näher.179 Zudem sei Art. 14 Abs. 1 GG nicht beeinträchtigt. Rechtsgrundlage einer Arbeitnehmer-Sperrminorität sei nämlich nicht das Gesetz, sondern die Satzung, deren Gestaltung in den Händen der Anteilseigner liege.180 Der letztgenannten Ansicht ist jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen. Beide Seiten übersehen freilich, dass der aus der Mitbestimmungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts181 vertraute Art. 14 Abs. 1 GG auf die SE-VO als EG-Rechtsakt gar keine Anwendung findet.182 Zu messen ist die SE-VO stattdessen allein an den gemeinschaftsrechtlichen Grundrechten wie sie etwa in der Grundrechtscharta zum Ausdruck kommen. Der im dortigen Art. 17 enthaltene Eigentumsschutz hat noch keine mitbestimmungsspezifische Ausformung erfahren. Einer Einführung verschärfter Mehrheitserfordernisse – bis hin zur Einstimmigkeit – steht nach alledem auch im mitbestimmten Aufsichtsorgan nichts im Wege. Fraglich ist, ob Art. 50 Abs. 1 SE-VO dem Satzungsgeber auch gestattet, die Stimmgewichte der Aufsichtsorganmitglieder zu verzerren, etwa durch Vetorechte, Mehrfachstimmrechte oder gar Alleinentscheidungsrechte einzelner Mitglieder. Gegen die Zulässigkeit von Alleinentscheidungs- und Mehrfachstimmrechten wird teilweise vorgebracht, es sei mit den Grundsätzen der Beschlussfassung durch Mehrheitsentscheid nicht vereinbar, wenn eine Minderheit sich mit ihrem Stimmgewicht gegen die Mehrheit der übrigen Mitglieder durchsetzen könne.183 Zudem folge aus der Regelung zum doppelten Stimmrecht des Vorsitzenden in Art. 50 Abs. 2 SE-VO, dass Art. 50 Abs. 1 SE-VO sich nicht als Rechtsgrundlage für die Begründung von Mehrfachstimmrechten eigne.184 Vetorechte einzelner Mitglieder schließlich werden teilweise für unvereinbar mit dem „Charakter des Aufsichtsorgans als Kollegialorgan“ erachtet.185 All’ diese Bedenken greifen letztlich nicht durch. So lässt sich die Behauptung, eine Aufsichtsorganentscheidung müsse stets von der Mehrheit der abstimmenden Mitglieder getragen sein, weder am Wortlaut noch am System der SE-VO festma179

Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 50 SE-VO Rn. 15. Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 50 SE-VO Rn. 15. 181 Insbesondere BVerfGE 50, 290 = NJW 1979, 699. 182 Vgl. BVerfGE 73, 339 ff. = NJW 1987, 577 („Solange II“); ausführlich zur Nichtanwendbarkeit des Art. 14 Abs. 1 GG auf Akte der Gemeinschaftsorgane Papier, in: Maunz/ Dürig, GG, 65. Ergänzungslieferung (Stand 2012), Art. 14 Rn. 288 – 294. 183 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, 3. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 9; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 27; in dieselbe Richtung Hagemann/ Tobies, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 4. Kap. Rn. 115, 152. 184 Wohl so zu verstehen Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SEVO Rn. 35; Kolster, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 1. Aufl. (2014), 4. Kap. Rn. 97. 185 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 33; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 50 Rn. 32; Reichert, Der Konzern 2006, 821, 823; dem folgend Eberspächer, in: Spindler/Stilz, 3. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 10; ähnlich Seibt, in: Lutter/ Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 78 („Gebot einer effektiven Aufsicht durch gleichberechtigte Organmitglieder“); Gößl, Satzung der SE, S. 230, 235. 180

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

chen.186 Sie steht vielmehr im Gegensatz zum offen gehaltenen Wortlaut des Art. 50 Abs. 1 SE-VO („anderes bestimmt“). Jener ermächtigt den Satzungsgeber – anders als die enger gefasste, hauptversammlungsbezogene Satzungsermächtigung in Art. 59 Abs. 1 SE-VO („größere Mehrheit vorsehen oder zulassen“) – nicht nur dazu, die erforderlichen Abstimmungsmehrheiten zu variieren, sondern lässt gerade auch Platz für Satzungsregeln, die den Einfluss der einzelnen Mitglieder auf das Abstimmungsergebnis individuell gestalten. Dass es sich bei der Gleichwertigkeit aller Stimmen nicht um einen allgemeinen Grundsatz des Beschlussrechts handelt, belegt überdies die rechtspolitische Kontroverse um den Grundsatz „One-share-one-vote“ im Recht der Hauptversammlung.187 Und auch Art. 50 Abs. 2 SE-VO entfaltet grundsätzlich188 keine Sperrwirkung für stimmgewichtsverzerrende Satzungsregeln. Der darin enthaltene Grundsatz des Vorsitzenden-Letztentscheidungsrechts bei Pattsituationen steht nämlich grundsätzlich ebenso zur Disposition des Satzungsgebers wie die in Art. 50 Abs. 1 lit. a) und b) SE-VO enthaltenen Beschluss- und Beschlussfähigkeitsprinzipien. Schließlich charakterisiert die SE-VO das Aufsichtsorgan auch nicht in einer solchen Weise als Kollegialorgan, dass Vetorechte einzelner Mitglieder generell ausgeschlossen wären. Bei dem in Teilen der Literatur behaupteten Widerspruch zwischen Vetorechten und Kollegialcharakter handelt es sich daher nicht um einen europarechtlich fundierten Rechtssatz, sondern um den Versuch, einen ausschließlich auf Basis des § 108 Abs. 1 AktG entwickelten Rechtsgrundsatz auf die SE zu übertragen.189 Für ungeschriebene Grundsätze des deutschen Aktienrechts ist im Rahmen des Art. 50 Abs. 1 SE-VO aber ebenso wenig Platz wie für die geschriebenen Regeln des deutschen Aktiengesetzes190 – zumal es bereits nach der Grundregelung aus Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO (Letztentscheidungsrecht des Vorsitzenden bei Pattsituationen) zu einem Alleinentscheidungsrecht kommen kann, wenn das Organ nur aus zwei Mitgliedern besteht.191 186 Einen solchen Versuch unternehmen die im 4. Teil in Fn. 183 aufgeführten Autoren auch nicht, sondern belassen es bei der bloßen Behauptung. 187 Sie hierzu oben Abschnitt „Allgemeines“, S. 63. 188 Eine Ausnahme gilt für das in Art. 50 Abs. 2 Satz 2 SE-VO zwingend vorgesehene Vorsitzenden-Zweitstimmrecht im mitbestimmten Aufsichtsorgan. Auf Art. 50 Abs. 1 SE-VO lässt sich daher keine Satzungsregel stützen, die das Vorsitzenden-Zweitstimmrecht im paritätisch mitbestimmten Aufsichtsorgan aufheben oder faktisch entwerten würde (z. B. Kompensation des Zweitstimmrechts durch Mehrfachstimmrechte der Arbeitnehmervertreter). 189 Treffend Bachmann, ZGR 2008, 779, 793 (in Bezug auf die Parallelfrage im Recht des Verwaltungsorgans): Die Satzungsfreiheit aus Art. 50 SE-VO sollte „nicht voreilig dadurch verschlossen werden, dass bei der Norminterpretation ungeschriebene Gestaltungsschranken, wie sie für den deutschen Aufsichtsrat entwickelt wurden, unbesehen in das SEAG eingeschleust werden.“ 190 Vgl. hierzu auch Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 5, 16. 191 Siehe unten Abschnitt „Stichentscheid des Verwaltungsorgan-Vorsitzenden, Art. 50 Abs. 2 SE-VO“, S. 308; anders als das Aufsichtsorgan kann das Verwaltungsorgan einer deutschen SE auch aus weniger als drei Mitgliedern bestehen (siehe unten Abschnitt „Gestaltung der Mitgliederzahl“, S. 293).

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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Richtigerweise kann der Satzungsgeber daher für die Entscheidungsfindung im Aufsichtsorgan Vetorechte, Mehrfachstimmrechte und Alleinentscheidungsrechte vorsehen.192 Die Vetoposition eines Mitglieds kann ferner verstärkt werden, indem die Satzung die Beschlussfähigkeit des Gremiums an die Anwesenheit dieses Mitglieds knüpft.193 Ferner kann die Satzung sachliche Differenzierungen enthalten, etwa ein Alleinentscheidungsrecht auf einen fest umrissenen Aufgabenkatalog beschränken.194 Stimmgewichtsverzerrungen im mitbestimmten Aufsichtsorgan sind allerdings nur statthaft, soweit sie die in der Mitbestimmungsregelung fixierte Machtverteilung zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmerseite nicht beeinflussen.195 Eine einseitige Verzerrung zugunsten der Anteilseignerseite196 würde in erster Linie § 38 Abs. 1 SEBG verletzen, wonach den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat die gleichen Rechte zustehen wie den Anteilseignervertretern.197 Entgegen steht überdies der Rechtsgedanke des „Vorher-Nachher-Prinzips“, wie er etwa in § 35 Abs. 1 SEBG zum Ausdruck kommt. Stimmgewichtsverzerrende Satzungsregeln dürfen vom Satzungsgeber daher nicht genutzt werden, um auf Umwegen die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertreter zu beeinträchtigen.198 Insgesamt eröffnet Art. 50 Abs. 1 SE-VO damit vor allem aus Sicht von bedeutenden Minderheitsaktionären reizvolle Möglichkeiten. So kann ein vom Minderheitsaktionär entsendetes Mitglied mit Mehrfachstimmrechten und/oder einem Vetorecht ausgestattet werden und so einen überproportionalen Einfluss auf die Entscheidungen des Aufsichtsorgans erhalten. Theoretisch denkbar wäre es sogar, einem einzelnen Aktionär ein „Durchregieren“ zu ermöglichen, indem die Satzung einem von ihm entsendeten Aufsichtsorganmitglied ein Alleinentscheidungsrecht in Bezug 192 So auch Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 50 SE-VO Rn. 13 f. Alleinentscheidungsrechte befürwortend auch Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 2 Rn. 37 a.E.; differenzierend Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 8, 25 (Vetorechte ja, Alleinentscheidungsrechte nein). 193 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 50 SE-VO Rn. 13; ähnlich Schwarz, SE-VO (2006), Art. 50 Rn. 19 (in Bezug auf die Anwesenheit des Vorsitzenden). Anders konsequenterweise Gößl, Satzung der SE, S. 230, der bereits die Zulässigkeit von Vetorechten ablehnt; ebenso Eberspächer, in: Spindler/Stilz, 3. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 5. 194 Derartige Einschränkungen werden sich in der Regel empfehlen, da eine zu starke Machtkonzentration auf eine Person – etwa durch ein umfassendes Alleinentscheidungsrecht, das die übrigen Organmitglieder weitgehend zu Statisten degradiert – nur in Ausnahmefällen einer sinnvollen Unternehmensführung dienlich sein wird. 195 Unzulässig daher z. B. ein Alleinentscheidungsrecht eines Anteilseigner-Vertreters. Zulässig dagegen z. B. Zweitstimmrechte für einzelne Mitglieder, wenn sich die Zweitstimmrechte im selben Verhältnis auf Anteilseigner- und Arbeitnehmerseite verteilen wie die Anzahl der Sitze nach der Mitbestimmungsregelung. 196 Z. B. Verdoppelung des Stimmgewichts aller Anteilseignervertreter. 197 Insofern zutreffend Gößl, Satzung der SE, S. 235. 198 Im Ergebnis ebenso Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 50 SE-VO Rn. 15; Kolster, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 1. Aufl. (2014), 4. Kap. Rn. 97.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

auf die Wahl der Leitungsorganmitglieder verleiht. Und selbst wenn man Vetorechte, Mehrfachstimmrechte und Alleinentscheidungsrechte entgegen der hier vertretenen Ansicht für unzulässig halten wollte, könnte die Satzung einzelnen Aktionären ein faktisches Vetorecht verleihen, indem sie Entsendungsrechte mit verschärften Mehrheitserfordernissen kombiniert (z. B. Entsendungsrechte für ein Drittel aller Organsitze in Verbindung mit einem Drei-Viertel-Mehrheitserfordernis).199 Vorsicht ist dagegen bei Satzungsgestaltungen geboten, die dazu dienen, den Einfluss eines staatlichen Einzelaktionärs abzusichern oder gar überproportional auszubauen.200 Schließlich steht es dem Satzungsgeber auch frei, seine Zuständigkeit für die in Art. 50 Abs. 1, 2 SE-VO geregelten Bereiche auf das Aufsichtsorgan selbst zu übertragen.201 Denn auch durch eine solche Ermächtigung wird letztlich etwas „anderes bestimmt“ (Art. 50 Abs. 1 SE-VO). Regelungsstandort ist dann die Geschäftsordnung des Aufsichtsorgans. b) Stichentscheid des Aufsichtsorgan-Vorsitzenden, Art. 50 Abs. 2 SE-VO Gemäß Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO gibt die Stimme des Organvorsitzenden den Ausschlag, wenn sich in einer Abstimmung eine Pattsituation ergibt. Der Satzungsgeber darf auch hier gestaltend eingreifen – allein bei paritätischer Mitbestimmung des Organs gilt Satz 1 zwingend (Art. 50 Abs. 2 Satz 2 SE-VO). Sichergestellt werden soll so, dass die Anteilseignervertreter einen Beschluss auch dann fassen können, wenn die Arbeitnehmerseite geschlossen dagegen stimmt.202 Die dem Satzungsgeber in Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO eingeräumten Freiheiten reichen grundsätzlich ähnlich weit wie die in Abs. 1 gewährten. Insbesondere stehen die Satzungsregeln nicht unter dem Vorbehalt mitgliedstaatlicher Regelungen, so dass sich die aktien- und mitbestimmungsrechtlichen Eigenheiten des deutschen AGAufsichtsratsrechts auch hier nicht einschränkend auswirken. Zu den möglichen Satzungsregeln gehören insbesondere ein Ausschluss des Letztentscheidungsrechts203 oder eine Übertragung auf ein anderes Organmitglied. So ist es etwa möglich, das Letztentscheidungsrecht bei der Wahl des Vorsitzenden (Art. 42 Satz 1 SE-VO) auf den an Lebensjahren ältesten Anteilseignervertreter zu 199

Vgl. Reichert, Der Konzern 2006, 821, 823. Siehe hierzu oben Abschnitt „Control Enhancing Mechanisms vs. Kapitalverkehrsfreiheit“, S. 69. Ohne Problembewusstsein offenbar Reichert, in: GS Gruson (2009), S. 321, 328. 201 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 50 Rn. 27 a.E. (jedenfalls in Bezug auf Art. 50 Abs. 1); a.A. offenbar Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 50 SE-VO Rn. 18. 202 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 50 Rn. 30, 41; Gößl, Satzung der SE, S. 233 f. Aus rechtspolitischer Sicht hätte es dieser Verengung der Satzungsfreiheit nicht bedurft, da die Satzungsgestaltung ihrerseits ausschließlich in den Händen der Anteilseigner liegt. 203 Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 50 SE-VO Rn. 17. 200

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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übertragen.204 Durch Kombination mit einem Entsendungsrecht kann der Satzungsgeber ferner dafür sorgen, dass die Auflösung von Pattsituationen einem bestimmten Aktionär zufällt. Ebenso kann das Letztentscheidungsrecht auf Konstellationen beschränkt werden, in denen sich die Stimmengleichheit aus dem jeweils einheitlichen Abstimmen von Anteileigner- und Arbeitnehmerseite ergibt. Ein vollständiger Ausschluss des Letztentscheidungsrechts dagegen wird sich anbieten, wenn das Aufsichtsorgan über eine ungerade Mitgliederzahl verfügt und Pattsituationen damit bereits durch vollzähliges Erscheinen der Organmitglieder vermieden werden können. Ferner kann der Satzungsgeber das Letztentscheidungsrecht in ein Zweitstimmrecht umwandeln.205 Der Vorsitzende kann dann bei Stimmengleichheit selbst entscheiden, ob er die Ablehnung der Beschlussvorlage akzeptiert oder mit Abgabe einer zweiten Stimme den Befürwortern zum Erfolg verhilft. Ebenso kann dem Vorsitzenden das Recht eingeräumt werden, eine zweite Stimme abzugeben, wenn erst hierdurch Stimmengleichheit – und damit die Ablehnung einer Beschlussvorlage – erreicht wird.206 Schließlich wird es sich regelmäßig empfehlen, in der Satzung die von der Verordnung offen gelassene207 Frage zu klären, ob und ggf. auf welche Art und Weise sich das Stimmgewicht des stellvertretenden Vorsitzenden verstärkt, wenn der Vorsitzende verhindert ist. Möglich ist beispielsweise ein Dreifachstimmrecht des stellvertretenden Vorsitzenden.208 Eine solche Klausel – mag sie klarstellenden oder regelnden Charakter haben – ist auch im paritätisch mitbestimmten Organ möglich, solange die Satzung sicherstellt, dass das Patt-Entscheidungsrecht nicht entgegen Art. 50 Abs. 2 Satz 2 SE-VO der Arbeitnehmerseite zufällt.209 204 So auch Kiem, ZHR 173 (2009), 157, 168 (mit Verweis auf existierende Praxisbeispiele); Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 42 SE-VO Rn. 16; Reichert/Brandes, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2012), Art. 42 SE-VO Rn. 12a. 205 Etwas missverständlich Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 2 Rn. 26, 38 (der die Begriffe „Zweitstimmrecht“ und „Letztentscheidungsrecht“ synonym verwendet). 206 Entgegen Drinhausen, in: SE-Recht (2013), Art. 50 SE-VO Rn. 26, ist die Frage, ob es sich bei Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO um ein Zweitstimm- oder Letztentscheidungsrecht handelt, daher nicht „lediglich akademischer Natur“. 207 Ausführlich hierzu Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 42 SE-VO Rn. 35. 208 Das Dreifachstimmrecht sollte dann auch unabhängig von Pattsituationen gelten. Denn zu letzteren wird es bei Fehlen des Vorsitzenden in der Regel gar nicht erst kommen. Anders jedoch die Musterklausel bei Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 (§ 17 Abs. 5 Satz 2). 209 Nach verbreiteter Ansicht folgt bereits aus der Verordnung selbst, dass der Stellvertreter nur Anteileignervertreter sein kann und dass er bei Verhinderung des Vorsitzenden dessen Letztentscheidungsrecht übernimmt (siehe nur Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 42 SE-VO Rn. 35 f.; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 42 SE-VO Rn. 13, 18; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 50 Rn. 38 – 40). Übersehen wird dabei freilich, dass sich eine Stimmengleichheit zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmerlager nur noch schwerlich er-

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Schließlich steht es dem Satzungsgeber auch frei, sich einer Regelung zum Letztentscheidungsrecht vollständig zu enthalten. Der Vorsitzende verfügt dann bei Stimmengleichheit über ein Letztentscheidungsrecht kraft Verordnung.210 Er wird also nicht erst durch die Satzungsregelung damit ausgestattet.211 c) Frist, Form und Verfahren der Einberufung einer Sitzung Die an den Satzungsgeber gerichtete Ermächtigung zum Erlass von Beschlussfähigkeitsregeln deckt auch Regeln über die Modalitäten der Einberufung einer Aufsichtsorgansitzung mit ab. Denn auch eine formal korrekte Einberufung gehört zu den Voraussetzungen der Beschlussfähigkeit der versammelten Organmitglieder. Der Satzungsgeber hat auch hier die Wahl zwischen einer unmittelbaren Verankerung der Einberufungsregeln im Satzungstext212 und einer Ermächtigung des Aufsichtsorgans zum Erlass entsprechender Regeln in der Geschäftsordnung. Letztere Variante dürfte regelmäßig einschlägig sein, wenn die Satzung überhaupt keine einschlägige Regelung enthält. Und auch bei einer abschließenden Regelung der Einberufungsmodalitäten in der Satzung steht es den Aufsichtsorganmitgliedern frei, sich im Einzelfall einvernehmlich über die Satzungsregeln hinwegzusetzen, etwa durch rügeloses Einlassen auf eine satzungswidrig einberufene Vollversammlung. Insgesamt ergibt sich daher weitgehend dasselbe Bild wie für die Einberufung einer AG-Aufsichtsratssitzung.213 Keine Anwendung findet Art. 50 Abs. 1 SE-VO hingegen in Bezug auf die Frage, wer dazu berechtigt ist, die für die Einberufung zuständige Person verbindlich aufzufordern, eine außerordentliche Aufsichtsorgansitzung einzuberufen. Es handelt sich dabei um ein dem Einberufungsverfahren vorgelagertes Verfahren, dessen Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit ohne Einfluss auf die Beschlussfähigkeit der einberufenen Sitzung bleibt. Auch außerhalb des Art. 50 SE-VO enthält die SE-VO keine einschlägige Regelung.214 Für die deutsche SE ist daher gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO auf § 110 Abs. 1 Satz 1 AktG zurückzugreifen215, wonach „[j]edes Aufsichtsratsmitglied oder der Vorstand unter Angabe des Zwecks und der Gründe geben wird, wenn die Stimme des Vorsitzenden ganz wegfällt und sich damit ein Anteilseignervertreter weniger an der Abstimmung beteiligt (siehe 4. Teil, Fn. 208). 210 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 50 SE-VO Rn. 25. 211 Missverständlich Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 76. 212 Vgl. die Musterklausel bei Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 (§ 16 Abs. 2 – 4). 213 Hierzu ausführlich Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 110 Rn. 15 – 21. 214 Diese Regelungsoffenheit der Verordnung bejahend auch Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 44 SE-VO Rn. 12. 215 Die Anwendung des § 110 AktG auf die dualistische SE pauschal bejahend Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 110 Rn. 3; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 110 Rn. 88.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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verlangen [kann], dass der Vorsitzende des Aufsichtsrats unverzüglich den Aufsichtsrat einberuft.“ Weist die SE-Satzung die Einberufungszuständigkeit im Einzelfall einer anderen Person als dem Organvorsitzenden zu, so ist diese Person auch für das Einberufungsverlangen nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AktG passivlegitimiert. Nicht anwendbar sind dagegen Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 des § 110 AktG, die vorschreiben, dass die Sitzung binnen zwei Wochen nach der gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 AktG initiierten Einberufung stattzufinden hat, bzw. dem Absender des Einberufungsverlangens das Recht verleihen, die Sitzung selbst einzuberufen, wenn der Adressat des Verlangens untätig geblieben ist.216 Denn sowohl die besondere Einberufungsfrist als auch die Sonderregelung zur Einberufungszuständigkeit betreffen Elemente der Beschlussfähigkeit, für deren Regelung nach Art. 50 Abs. 1 SEVO ausschließlich der Verordnungs- und der Satzungsgeber sind. Macht ein Aufsichtsorganmitglied oder das Leitungsorgan daher von seinem Initiativrecht aus § 110 Abs. 1 Satz 1 AktG Gebrauch, richtet sich das anschließende Einberufungsverfahren allein nach den auf Basis des Art. 50 Abs. 1 SE-VO erlassenen Regeln. d) Beschlussfassung ohne physische Zusammenkunft Gemäß § 108 Abs. 4 AktG sind „[s]chriftliche, fernmündliche oder andere vergleichbare Formen der Beschlussfassung des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse … vorbehaltlich einer näheren Regelung durch die Satzung oder eine Geschäftsordnung des Aufsichtsrats nur zulässig, wenn kein Mitglied … widerspricht“; der vorhergehende Abs. 3 ermöglicht schriftliche Stimmabgaben. Art. 50 SE-VO dagegen enthält weder vergleichbare Regelungen noch einen Verweis auf mitgliedstaatliches Recht, der eine Regelungsoffenheit gegenüber § 108 Abs. 3 und 4 AktG signalisieren würde. Was sich hieraus für die SE ergibt, ist nicht abschließend geklärt. Die herrschende Ansicht bejaht eine Anwendung des § 108 Abs. 3, 4 AktG auf Basis des allgemeinen Verweises auf nationales Recht in Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO.217 Begründet wird dies mit der Normhistorie. So enthielten die Vorentwürfe von 1970218, 1975219 und 216

A.A. offenbar Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 110 Rn. 3; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 110 Rn. 88. 217 Drinhausen, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 50 SE-VO Rn. 11; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 2; Manz, in: Manz/ Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 50 SE-VO Rn. 24; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 50 SE-VO Rn. 24; ebenso jedenfalls in Bezug auf § 108 Abs. 4 AktG: Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 53; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 50 Rn. 20; in dieselbe Richtung RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 38. 218 Art. 77 Abs. 5 SE-VOV 1970: „Im Rahmen der Satzungsbestimmungen ist eine schriftliche Beschlussfassung inbesondere auch durch Austausch von Telegrammen oder Fernschreiben über einen bestimmten Punkt der Tagesordnung zulässig, sofern kein Mitglied gegen ein solches Verfahren Einspruch erhebt.“ 219 Art. 77 Abs. 5 SE-VOV 1975 (nahezu wortgleich mit Art. 77 Abs. 5 SE-VOV 1970; siehe 4. Teil, Fn. 218).

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

1989220 noch Passagen, die mit § 108 Abs. 3, 4 AktG vergleichbar waren. Gestrichen wurden diese im Vorentwurf von 1991, und zwar laut Begründung „zugunsten der Anwendbarkeit einzelstaatlichen Rechts“.221 Folglich – so die herrschende Ansicht – sei auch Art. 50 SE-VO in dieser Hinsicht nicht abschließend.222 Die Gegenansicht sieht wegen des Fehlen eines Verweises auf nationales Recht in Art. 50 SE-VO keinen Raum für eine Anwendung der deutschen Regelungen.223 Richtigerweise ist § 108 Abs. 3, 4 AktG auf die deutsche SE nicht anwendbar. Denn auch Regelungen über schriftliche Stimmabgaben und über die Beschlussfassung ohne Sitzung betreffen „die Beschlussfähigkeit und die Beschlussfassung“, für die nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 50 Abs. 1 SE-VO nur der Verordnungs- und der Satzungsgeber zuständig sind. Den auf Satzung und Verordnung beschränkten Spezialverweis in Art. 50 Abs. 1 SE-VO per Rückgriff auf den Generalverweis in Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO zu erweitern, verbietet sich bereits nach allgemeinen methodischen Grundsätzen. Dass der Verordnungsgeber nicht von einer Regelungsoffenheit des Abs. 1 gegenüber nationalem Recht ausging, belegt der eng gehaltene Verweis auf mitgliedstaatliches Recht in Art. 50 Abs. 3 SE-VO. Und auch mit der Normhistorie lässt sich eine Regelungsoffenheit des Art. 50 Abs. 1 SEVO, wie sie Voraussetzung für Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO wäre, nicht begründen. Denn die von den Vertretern der herrschenden Ansicht zitierte Bemerkung aus der Begründung zum Vorentwurf 1991 beschränkt sich auf einen einzigen, kurzen Satz, der in der anschließenden, immerhin zehnjährigen Verordnungshistorie weder wiederholt noch begründet oder anderweitig ausgeführt wurde. Hinzu kommt, dass der vom Verordnungsgeber letztlich verabschiedete Art. 50 SE-VO in Aufbau und Wortlaut ganz erheblich von Art. 76 SE-VOV 1991 abweicht, auf den sich die zitierte Bemerkung bezieht. Letzterer kommt daher kein ausreichendes Gewicht zu, um die Auslegung des heutigen Art. 50 SE-VO in eine Richtung zu lenken, die von Systematik und Wortlaut des letztlich verbindlichen Verordnungstextes nicht mehr abgedeckt ist. Im Ergebnis genießt der Satzungsgeber bei der Einführung nicht sitzungsgebundener Beschlussfassungsvarianten daher dieselben Freiheiten wie bei der Gestaltung der Beschlussfähigkeits- und Mehrheitsregeln im Übrigen. Möglich ist insbesondere eine an den Wortlaut des § 108 Abs. 3, 4 AktG angelehnte Klausel oder gemischte Beschlussfassungsformen, bei denen sich z. B. die nicht physisch prä220 Art. 76 Abs. 4 SE-VOV 1989: „Im Rahmen der Satzungsbestimmungen der SE kann jedes Organ auch schriftlich durch Fernschreiben, Telegramm, Telefon oder durch jedes andere Telekommunikationsmittel Beschlüsse fassen, sofern alle Mitglieder über das vorgesehene Abstimmungsverfahren unterrichtet sind und kein Mitglied gegen ein solches Verfahren Einspruch erhebt.“ 221 Begründung zum SE-VOV 1991, BT-Drucks. 12/1004, S. 9 a.E. 222 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 50 Rn. 20; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 50 SE-VO Rn. 21 f. 223 Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 6 (jedenfalls in Bezug auf § 108 Abs. 4 AktG).

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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senten Organmitglieder per Videokonferenz zuschalten.224 Die Satzung kann aber auch das Aufsichtsorgan ermächtigen, die einschlägigen Regeln selbst in seiner Geschäftsordnung zu verankern. 3. Satzungsregeln zu Aufsichtsorgan-Ausschüssen Fraglich ist, ob der Satzungsgeber in Bezug auf die innere Ordnung von Aufsichtsorgan-Ausschüssen dieselben Befugnisse genießt wie sie ihm Art. 50 SE-VO in Bezug auf das Gesamtorgan verleiht. Zu denken wäre zunächst an eine analoge Anwendung des Art. 50 SE-VO. Hierfür spräche die Erwägung, dass das Aufsichtsorgan ansonsten leicht in der Lage wäre, eigeninitiativ über die satzungsmäßig vorgegebenen Beschlussregeln zu disponieren, indem es seine Entscheidungen umfassend auf Ausschüsse delegiert. Andererseits erscheint es fernliegend, dem Verordnungsgeber zu unterstellen, in Art. 50 SE-VO eine derart bedeutende planwidrige Regelungslücke gelassen zu haben, zumal die Normgeber auf nationaler und europäischer Ebene regelmäßig mit Fragen zur Einrichtung und zu den Aufgaben von Verwaltungs- und Aufsichtsorganausschüssen befasst sind.225 Also möglicherweise eine bewusste Öffnung des Art. 50 SE-VO für die Anwendung mitgliedstaatlichen Aktienrechts über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO? Dies erscheint sinnvoll in Bezug auf nationale Regeln über mögliche Ausschussthemen und zwingende Plenarvorbehalte wie sie etwa in § 107 Abs. 3 AktG enthalten sind, nicht aber in Bezug auf Ausschuss-Verfahrensregeln. Denn eine Aufspaltung der Kompetenzen dergestalt, dass sich die Verfahrensregeln im Ausschuss nach nationalem Recht richten und die Verfahrensregeln im Gesamtorgan nach der Satzung, wäre wenig funktional. Hinzu kommt, dass es auch insofern im Ermessen des Aufsichtsorgans stünde, durch gezielte Delegation oder Nichtdelegation seiner Aufgaben auf Ausschüsse sich selbst den jeweils genehmen Regelungsrahmen auszuwählen. Ein solches Wahlrecht ist in Art. 50 SE-VO ersichtlich nicht angelegt. Sinnvoll und funktional erscheint ein Mittelweg dergestalt, dass sich die Kompetenz des Satzungsgebers aus Art. 50 Abs. 1, 2 SE-VO nur auf solche Ausschüsse erstreckt, denen das Aufsichtsorgan eigene Aufgaben zur Beschlussfassung überwiesen hat.226 Die Begründung einer Analogie ist hierfür nicht notwendig, da es sich 224 Vgl. die Musterklausel bei Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2478 f. (§ 10 Abs. 9). 225 Vgl. Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 23. 226 Dahingehend auch Schwarz, SE-VO (2006), Art. 50 Rn. 24 – 26; wohl auch Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 23; ohne diese Differenzierung die Möglichkeit von Satzungsregeln befürwortend Habersack, AG 2006, 345, 350. Vgl. auch Kocher, AG 2016, 351, 353, zum Fehlen derartiger Satzungsregelungen in der Rechtswirklichkeit.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

bei diesen Ausschuss-Beschlussfassungen im Organ-Außenverhältnis ebenfalls um Beschlussfassungen des Aufsichtsorgans handelt, für deren Regelung der Satzungsgeber die Ermächtigungen aus Art. 50 Abs. 1, 2 SE-VO in Anspruch nehmen kann. Möglich sind daher insbesondere nähere Bestimmungen über ein Letztentscheidungsrecht des Ausschussvorsitzenden und die Einführung ausschussspezifischer qualifizierter Mehrheitserfordernisse. Nicht in der Satzung vorgesehen werden können solche Regeln dagegen in Bezug auf Ausschüsse, die nur dazu berechtigt sind, an das Plenum gerichtete Empfehlungen auszusprechen oder dessen Beschlüsse anderweitig vorbereiten. Da auch das deutsche Aktienrecht keine spezifischen Verfahrensregeln für vorbereitende Aufsichtsratsausschüsse bereit hält, kann dieser Bereich uneingeschränkt in der Aufsichtsorgan-Geschäftsordnung geregelt werden. Ebenfalls nicht zum Bereich der Beschlussfähigkeits- und Beschlussvoraussetzungen im Sinne des Art. 50 Abs. 1 SE-VO zählt die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang überhaupt Auschüsse eingerichtet werden; auch insofern ist das Aufsichtsorgan zur Selbstorganisation aufgerufen, etwa per Geschäftsordnung.227 4. Satzungsregeln zum Sitzungsverfahren In Hinblick auf den organisatorischen Rahmen der Beschlussfassung im Aufsichtsorgan enthält die SE-VO weder eigene Regeln228 noch eine spezielle Verweisung auf mitgliedstaatliches Recht. Nicht einschlägig ist insbesondere Art. 50 SE-VO, der mit den Begriffen der „Beschlussfassung“ und „Beschlussfähigkeit“ ersichtlich nur die Elemente einer rechtmäßigen Beschlussfassung adressiert und nicht deren Begleitumstände. Für die deutsche SE kommt damit über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO abermals allgemeines deutsches Aktienrecht zum Zuge. a) Verschärfung der gesetzlichen Mindestsitzungsfrequenz, § 110 Abs. 3 AktG § 110 Abs. 3 AktG findet über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO uneingeschränkt auf die deutsche SE Anwendung.229 Danach muss das Aufsichtsorgan einer börsennotierten SE mindestens zwei Sitzungen pro Kalenderhalbjahr abhalten; in nichtbörsennotierten Gesellschaften kann sich das Aufsichtsorgan auf eine Sitzung beschränken. Die insofern bestehende Regelungsoffenheit der Verordnung für natio227 Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 23; Habersack, AG 2006, 345, 349; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 73. 228 Für die monistische SE findet sich in Art. 44 Abs. 1 SE-VO dagegen eine unmittelbare Regelung der Sitzungsfrequenz (siehe unten Abschnitt „Regelung der gesetzlichen Sitzungsfrequenz, Art. 44 Abs. 1 SE-VO“, S. 313). 229 Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 110 Rn. 3; ders., AG 2006, 345, 350; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 110 Rn. 88; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 169.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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nales Recht wird nicht durch die Sitzungsfrequenz-Regelungen aus Art. 44 Abs. 1 SE-VO eingeschränkt, der sich seinem Wortlaut und seiner systematischen Einordnung nach nur auf das Verwaltungsorgan bezieht. Übertragbar sind gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO ferner die im Zusammenhang mit § 110 Abs. 3 AktG anerkannten Satzungsspielräume. Danach kann der Satzungsgeber die vorgegebene Sitzungsfrequenz nur erhöhen und nicht absenken.230 b) Sitzungs-Teilnahmerecht von Dritten bei Verhinderung eines Aufsichtsorganmitglieds, § 109 Abs. 3 AktG Gemäß § 109 Abs. 3 AktG kann die Satzung zulassen, „dass an den Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse Personen, die dem Aufsichtsrat nicht angehören, an Stelle von verhinderten Aufsichtsratsmitgliedern teilnehmen können, wenn diese sie hierzu in Textform ermächtigt haben.“ Ensprechendes gilt gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii), iii) SE-VO für die deutsche SE. Obwohl § 109 AktG Dritten grundsätzlich nur auf Basis einer Satzungsregelung nach Abs. 3 die Teilnahme an der Sitzung gestattet und den Teilnehmerkreis im übrigen streng auf Organmitglieder, Sachverständige und Auskunftspersonen beschränkt (§ 109 Abs. 1 AktG),231 wird gegen die Anwesenheit von Simultandolmetschern232, technischem Hilfspersonal233 (z. B. beim Zuschalten einzelner Organmitglieder per Videokonferenz), organexternen Protokollführern234 und persönlichen Assistenten235 grundsätzlich nichts einzuwenden sein. Die Satzung kann hierfür eine klare Rechtsgrundlage schaffen oder – umgekehrt – diesen Personenkreis kategorisch von der Sitzung ausschließen.

230 Habersack, AG 2006, 345, 350; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 169. Nur für eine nichtbörsennotierte SE eignet sich daher die Musterklausel bei Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 (§ 16 Abs. 1; „mindestens alle sechs Monate“). 231 § 109 Abs. 1 AktG ist trotz seines missverständlichen Wortlauts („soll“) zwingend und abschließend; siehe nur Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 109 Rn. 4 m.w.N. 232 Die Anwesenheitsmöglichkeit befürwortend Dreher, in: FS Lutter (2000), S. 357, 367 – 370; vgl. auch Hoffmann-Becking, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 4. Aufl. (2015), § 31 Rn. 53. 233 Die Anwesenheitsmöglichkeit befürwortend Dreher, in: FS Lutter (2000), S. 357, 368. 234 Die Anwesenheitsmöglichkeit befürwortend Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 107 Rn. 76; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 107 Rn. 13, § 109 Rn. 5; Böttcher, NZG 2012, 809, 809 f. 235 A.A. Böttcher, NZG 2012, 809, 810.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

c) Arbeitssprache Im Gegensatz zu anderen Rechts- und Regelungsbereichen, die von der sprachlichen Kommunikation der betroffenen Personen geprägt werden,236 enthält das Recht des SE-Aufsichtsorgans und das Recht des deutschen AG-Aufsichtsrats keine Norm, die eine bestimmte Sprache als allgemein verbindlich festlegt. Vor diesem Hintergrund wird teilweise eine Kompetenz des Satzungsgebers befürwortet – andere halten eine Sprachregelung in der Geschäftsordnung für statthaft, und auch die Beteiligungsvereinbarung wird als Regelungsstandort ins Spiel gebracht.237 Der Wirklichkeit hält wohl nur eine organintern abgestimmte Geschäftsordnungsregelung stand. So scheint aus streng juristischer Perspektive eine Satzungsregelung zur Aufsichtsorgansprache zwar denkbar – etwa als „Einzelfrage der Geschäftsordnung“ entsprechend § 77 Abs. 2 Satz 2 AktG.238 Tatsächlich wird und muss sich die Sprache, in der die Organmitglieder miteinander kommunizieren, aber allein nach den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit, Verständlichkeit und Sprachkompetenz der Organmitglieder richten, die niemand besser beurteilen kann als diese Organmitglieder selbst. Versuche des Satzungsgebers, den Organmitgliedern eine Arbeitssprache vorzuschreiben, die jene nicht bereits selbst als Arbeitssprache gewählt hätten (etwa weil die Mehrheit der Mitglieder sie nicht beherrscht), sind weder praktisch vorstellbar noch durchsetzbar. Die Sinnhaftigkeit und Erfolgsaussichten einer solchen Satzungsregelung würden sich in der Realität wohl ähnlich gestalten wie die einer Schulordnung, die in einer von ausländischen Muttersprachlern dominierten Schule Deutsch als Pausenhofsprache vorschreibt. Hier wie dort gilt, dass die Sprache, die ein überschaubarer Kreis von persönlich miteinander bekannten Personen zum freien Gedankenaustausch verwendet, nur von den Beteiligten selbst sinnvoll geregelt werden kann. Eine externe, allgemein verbindliche Sprachregelung gewinnt nur dort an Bedeutung, wo die Kommunikationsteilnehmer zahlreich und nicht miteinander bekannt sind und eine Selbstregulierung Verwirrung stiften würde bzw. – ökonomisch betrachtet – mit prohibitiv hohen Transaktionskosten verbunden wäre. Das gilt insbesondere in Konstellationen, für die bereits der Gesetzgeber eine Sprachregelung bereithält, also z. B. Gerichtsverhandlungen, Handelsregistereinträge, Jahresabschlüsse und Wertpapierprospek-

236 Vgl. etwa § 184 GVG (Gerichtssprache), § 5 BeurkG (Urkundensprache), § 244 HGB (Jahresabschluss), § 19 Abs. 1 Satz 1 WpPG (Wertpapierprospekt). 237 Eine Satzungsregelung befürwortend: Habersack, AG 2006, 345, 350. In Bezug auf den AG-Aufsichtsrat eine Regelung in der Geschäftsordnung befürwortend (ersatzweise durch den Aufsichtsratsvorsitzenden), dagegen: Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 107 Rn. 53, 175; Hoffmann-Becking, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 4. Aufl. (2015), § 31 Rn. 53; Rodewald/Ternick, BB 2011, 910, 910 f.; wohl auch Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 107 Rn. 99. Für eine Regelung in der Beteiligungsvereinbarung: Jacobs, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), § 21 SEBG Rn. 19d. Wiederum anders Dreher, in: FS Lutter (2000), S. 357, 359 – 361 (sowohl Satzungs- als auch Geschäftsordnungsregelung möglich). 238 In diese Richtung auch Dreher, in: FS Lutter (2000), S. 357, 360.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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te,239 nicht dagegen im Aufsichtsorgan einer SE. Die Geschäftsordnung des Aufsichtsorgans bliebe daher selbst dann der allein statthafte Standort für eine Sprachregelung, wenn eine Satzungsregelung formaljuristisch das höhere Gewicht besäße.

III. Einfluss auf die Vergütung der Aufsichtsorganmitglieder, § 113 AktG 1. Kompetenz Wer bestellt, der regelt die Bezahlung. Auch wenn ein allgemeines Konnexitätsprinzip jedenfalls im dualistisch geprägten Aktienrecht nicht existiert, so kommt ihm § 113 AktG doch recht nahe: Die Norm legt die Entscheidung über die Aufsichtsratsvergütung in dieselben Hände wie die Entscheidung über die Bestellung der potenziellen Vergütungsempfänger – nämlich in die der Aktionäre. Da die SE-VO sich einer Aussage zur Vergütung der Aufsichtsorganmitglieder enthält, gilt § 113 AktG über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO grundsätzlich auch in der deutschen SE.240 Das ist auch in der Sache sinnvoll. Denn eine Vergütungsbestimmung durch das Leitungsorgan würde das Aufsichtsorgan in eine gefährliche finanzielle Abhängigkeit zum Objekt seiner Aufsichtstätigkeit bringen, und eine Bestimmung durch das Aufsichtsorgan selbst könnte zur übermäßigen Selbstbedienung zu Lasten der Aktionäre verführen, ohne dass dies strukturell unumgänglich wäre.241 Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 AktG kann die Vergütung des AG-Aufsichtsrats entweder in der Satzung festgesetzt (Alt. 1) oder von der Hauptversammlung bewilligt werden (Alt. 2). Zumindest Letzteres gilt zweifelsohne auch für das Aufsichtsorgan einer deutschen SE. Ob auch eine satzungsmäßige Vergütungsregelung im Sinne der Alt. 1 gewählt werden kann, erscheint dagegen fraglich. Denn die in § 113 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AktG vorgesehene Möglichkeit einer Satzungsregelung wird in § 113 Abs. 1 Satz 4 AktG weiter ausgestaltet. Danach kann die Hauptversammlung eine Satzungsän239

Siehe die Nachweise im 4. Teil in Fn. 934. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), Rn. 1404. In dieselbe Richtung (aber unnötig einschränkend) formulieren Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 152 f. (§ 113 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 AktG anwendbar); Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.580, Anhang Rn. 98.845 (§ 21) (§ 113 Abs. 1 AktG anwendbar); Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 283 (§ 113 Abs. 1 Satz 2 AktG anwendbar); Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 235 (§ 113 Abs. 1 Satz 2 AktG anwendbar). 241 Kaum vermeiden lässt sich die Zuständigkeit der Gremienmitglieder für die Regelung ihrer eigenen Bezahlung zumeist in allgemein gewählten Parlamenten und Legislativorganen, da die (Steuer-)Zahlenden hierfür kaum eine sinnvoll beschlussfähige Versammlung bilden können. Zum Sinn und Zweck des § 113 AktG im Gefüge des deutschen Aktienrechts siehe Lutter/Kremer, ZGR 1992, 82, 92. 240

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

derung, durch welche die Vergütung herabgesetzt wird, mit einfacher Mehrheit beschließen. Letztere Regelung aber ist auf die deutsche SE nicht übertragbar. Denn Art. 59 SE-VO, der das Prozedere der SE-Satzungsänderung auf Verordnungsebene regelt, lässt weder in Abs. 1 („größere Mehrheit“) noch in Abs. 2 („einfache Mehrheit … ausreicht, sofern mindestens die Hälfte des gezeichneten Grundkapitals vertreten ist.“) für ein derart abgesenktes Mehrheitserfordernis Platz.242 Mit der Nichtgeltung des § 113 Abs. 1 Satz 4 AktG aber entfällt die teleologische Grundlage für eine Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AktG. Letzterer erlaubt nämlich nur deswegen eine satzungsmäßige Fixierung der Vergütung, weil sich die Hauptversammlung der Klausel unter vereinfachten Voraussetzungen wieder entledigen kann, wenn die Lage der Gesellschaft – z. B. ein finanzieller Engpass – es erfordert.243 Die Vergütung des SE-Aufsichtsorgans kann daher der Höhe nach nur per Bewilligungsbeschluss der Hauptversammlung (§ 113 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 AktG) festgelegt werden. Die Satzung kann allenfalls Rahmenbestimmungen enthalten, die sich nicht unmittelbar auf die absolute Höhe der Vergütung auswirken. Weitere gesetzliche Bestimmungen über die Aufsichtsratsvergütung finden sich in § 113 Abs. 2 AktG. Die Frage, ob § 113 Abs. 2 Satz 1 AktG (satzungsmäßige Vergütungsregelung für den ersten Aufsichtsrat ausgeschlossen) auf das SE-Aufsichtsorgan Anwendung findet, erübrigt sich jedoch, da die Höhe der Vergütung der SE-Aufsichtsorganmitglieder wie gezeigt generell nicht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AktG in der Satzung geregelt werden kann. Klärungsbedürftig ist dagegen die Frage, ob der Bewilligungsbeschluss für die erste Aufsichtsorganvergütung auch in der SE gemäß § 113 Abs. 2 Satz 2 AktG erst in derjenigen Hauptversammlung gefasst werden kann, die über die Entlastung der Mitglieder des ersten Aufsichtsorgans beschließt. Im Zusammenspiel mit § 30 Abs. 3 Satz 1 AktG bewirkt § 113 Abs. 2 Satz 2 AktG, dass ein AG-Aufsichtsrat 242

Anderer Ansatz in Bezug auf das monistische System bei Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 38 SEAG Rn. 5, und Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 38 SEAG) Rn. 3, die für die Satzungsänderung nach § 113 Abs. 1 Satz 4 AktG ein einfaches Mehrheitserfordernis analog Art. 59 Abs. 2 SE-VO befürworten, wenn mindestens die Hälfte des Grundkapitals vertreten ist. 243 Vgl. Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 113 Rn. 33; Hopt/Roth, in: GKAktG, 4. Aufl. (2005), § 113 Rn. 95; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 35. Die unausgesprochene Annahme, dass die Aufsichtsratsvergütung für die Gesellschaft einen erheblichen Kostenfaktor darstellt und dass ihre Reduzierung die Gesellschaft im Krisenfall daher nennenswert entlastet, ist freilich völlig praxisfern. Tatsächlich werden sich im Geschäftsbetrieb einer SE oder AG (und ggf. in einem Restrukturierungskonzept) regelmäßig eine ganze Reihe finanzieller Faktoren finden, für deren flexible Handhabung der Gesetzgeber keine Vorsorge getroffen hat, die aber ein erheblich höheres Einsparpotential bieten als die Aufsichtsorganvergütung. Die Herabsetzung der Vergütung gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 AktG wird daher als Maßnahme der Krisenbewältigung regelmäßig einen ebenso rein (aber immerhin) symbolisch-emotionalen Stellenwert haben wie die Begrenzung der Organvergütung auf 500.000 Euro gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 3 FMStFG, § 5 Abs. 2 Nr. 4 lit. a) FMStFV in Banken, die Stabilisierungsmaßnahmen des Finanzmarktstabilisierungsfonds in Anspruch nehmen bzw. nahmen.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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während des ersten Bestellzeitraums, der nicht länger als bis zu der an das erste Geschäftsjahr anschließenden Hauptversammlung dauern darf, zunächst unentgeltlich arbeitet und erst im Nachhinein eine Vergütung zugesprochen bekommen kann. Welcher Sinn hinter der Regelung steht und warum der Gesetzgeber gerade die ersten Aktionäre einer AG für ungeeignet befindet, die Vergütung der von ihnen bestellten Aufsichtsratsmitglieder zu regeln, wird nicht recht deutlich. Allgemein wird zwar davon ausgegangen, die Norm bezwecke, den Einfluss der Gründer auf die Vergütung des ersten Aufsichtsrats auszuschalten.244 Bei näherem Hinsehen wird jedoch klar, dass es sich dabei um eine in der aktiengesetzlichen Kommentarliteratur über Jahre hinweg wiederholte, schlichte Behauptung handelt, die an keiner Stelle auch nur ansatzweise begründet wird245 – sieht man von den zirkulären Verweisen auf die jeweils anderen Kommentarpassagen ab. Ebenso unbegründet bleibt die vereinzelt anzutreffende These, § 113 Abs. 2 Satz 2 AktG diene „dem Schutz vor Schwindelgründungen.“246 Auch hier bleibt offen, auf welche Art und Weise und zugunsten welcher Personen sich eine Schutzwirkung entfalten soll, zumal es sich bei „Schwindelgründungen“ um ein vom Gesetzgeber bereits im 19. Jahrhundert adressiertes Problem handelt,247 dessen Priorität in der heutigen Unternehmenslandschaft nicht recht einleuchten will. Lässt sich damit bereits für die deutsche Aktiengesellschaft kein stimmiger Normzweck ermitteln, so spricht kaum etwas dafür, den Anwendungsbereich der Norm auszudehnen, indem man ihn über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO auf die SE erstreckt. Hinzu kommt, dass § 30 Abs. 3 Satz 1 AktG für die deutsche SE nicht gilt.248 Letztere Vorschrift ist aber essenziell für die Funktion des § 113 Abs. 2 Satz 2 AktG, da sie den Zeitraum, für den der Aufsichtsrat vergütungsfrei vorleisten muss, auf das erste Geschäftsjahr beschränkt. Auf die SE angewendet könnte249 § 113 Abs. 2 Satz 2 AktG mithin dazu führen, dass das Aufsichtsorgan über eine volle erste Amtszeit – also bis zu sechs Jahre (Art. 46 Abs. 1 SE-VO) – hinweg tätig sein muss, ohne dass die Aktionäre für eine Vergütung sorgen könnten. Eine derartige Intensivierung der Normwirkung ist durch keines der gesetzgeberischen Anliegen zu rechtfertigen, die

244 Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 23; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 113 Rn. 115; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 113 Rn. 8; Semler, in: MüKo-AktG, 2. Aufl. (2004), § 113 Rn. 164 (ebenso Habersack, a.a.O., in der 4. Aufl. (2014), Rn. 54); Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 58; Hoffmann-Becking, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 4. Aufl. (2015), § 33 Rn. 39. 245 Ursprünglich stammt die These offenbar von Mertens, in: Kölner Kommentar AktG, 2. Aufl. (1995), § 113 Rn. 4. 246 So Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 23. 247 „Periode des Aktienschwindels“ in den 1870er und 1880er Jahren; siehe Habersack, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2008), Einleitung Rn. 16 f. 248 Siehe oben Abschnitt „Festlegung der Amtszeit, Art. 46 Abs. 1 SE-VO“, S. 226. 249 Voraussetzung ist insofern, dass man § 30 Abs. 3, § 113 Abs. 2 AktG eine Gesamtaussage entnimmt, nach der erst am Ende der Amtszeit des ersten Aufsichtsrats entschieden wird, ob die Tätigkeit vergütet wird; vgl. Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 113 Rn. 8.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

mit § 113 Abs. 2 Satz 2 AktG in Verbindung gebracht werden. Auf die deutsche SE findet § 113 Abs. 2 Satz 2 AktG daher keine Anwendung. 2. Art der Vergütung Was die Bestandteile der Vergütung betrifft, ergibt sich für die deutsche SE grundsätzlich nichts anderes als für die AG: Ein Fixbetrag ist zulässig250 – ebenso wie eine Beteiligung am Jahresgewinn der Gesellschaft (vgl. § 113 Abs. 3 AktG). Auch sonstige variable Vergütungsarten sind zulässig (vgl. § 5.4.6 Abs. 2 Satz 1 DCGK); als Anknüpfungspunkte werden in der Literatur etwa vorgeschlagen: „Vorsteuerergebnis“251, „Entwicklung im Konzern“252, Cash Flow253, EBIT254, EBITDA255, ROI256 und ROCE257; und aus der bunten Vielfalt unternehmensrelevanter Kennzahlen ergibt sich noch eine ganze Reihe weiterer Möglichkeiten, z. B. Cash Flow aus operativer Geschäftstätigkeit, Gewinn pro Aktie, Gewinn pro Mitarbeiter und Gesamt-/Eigenkapitalrendite.258 Auch erscheint es denkbar, branchenspezifische Größen mit einzubeziehen wie z. B. möglichst niedrige Unfallzahlen bei gefahrgeneigten Tätigkeiten im Rohstoffsektor, möglichst geringe Umweltbelastungen bei öl- und gasfördernden Unternehmen oder möglichst geringe Maschinenausfallzeiten bei industrieller Güterfertigung. Fraglich erscheint dagegen, ob die Dividendenausschüttung als vergütungsrelevanter Faktor einbezogen werden darf oder sollte.259 Die Höhe der Ausschüttung ist 250

Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 113 Rn. 10; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 113 Rn. 32 – 34; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 13; vgl. auch Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 11. 251 Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 28, 32. 252 Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 28, 32. 253 = Jahresüberschuss + Abschreibungen + Erhöhung der langfristigen Rückstellungen. Vorgeschlagen von Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 113 Rn. 16. 254 = Jahresüberschuss +/– außerordentliches Ergebnis + Minderheiten + Steuern +/– Finanzergebnis. Vorgeschlagen von Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 113 Rn. 16; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 12 Rn. 856. 255 = Jahresüberschuss +/– außerordentliches Ergebnis + Minderheiten + Steuern +/– Finanzergebnis + Abschreibungen. Vorgeschlagen von Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 113 Rn. 16; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 12 Rn. 856. 256 = (Gewinn/Umsatz) x (Umsatz/Gesamtkapital) x 100 %. Vorgeschlagen von Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 12 Rn. 856. 257 = (EBIT/(Netto-Anlagevermögen + Working Capital)) x 100 %. Vorgeschlagen von Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 12 Rn. 856. 258 Vgl. zu diesen und den vorgenannten Kennziffern: Wiehle/Diegelmann et al., IFRS Kennzahlen, 5. Aufl. (2010). 259 Vorgeschlagen von Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 33, 37; Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 113 Rn. 15; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 12 Rn. 855.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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nämlich nicht zwangsläufig ein Indikator für das wirtschaftliche Wohlergehen des Unternehmens,260 da die ausgeschütteten Mittel auch aus aufgelösten Rücklagen stammen können. Eine Verknüpfung zwischen Dividendenhöhe und Organvergütung kann sich deshalb im Einzelfall sogar kontraproduktiv auswirken, wenn sie die Organmitglieder motiviert, ein Unternehmen, dessen langfristiger Erfolg von der regelmäßigen Reinvestition eines Teils der Gewinne abhängt, übermäßig mit Ausschüttungen zu belasten. Die besseren Gründe sprechen daher dafür, die Dividendenhöhe nicht zu den zulässigen Faktoren einer variablen, am Unternehmenswohl orientierten Aufsichtsorganvergütung zu zählen. Keinesfalls möglich ist schließlich die Gewährung von Aktienoptionen.261 Jene könnten weder aus einem bedingten Kapital noch aus eigenen Aktien bedient werden, da ein bedingtes Kapital gemäß § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG bzw. ein Erwerb eigener Aktien gemäß §§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5, 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG nur beschlossen werden darf, um Bezugsrechte „an Arbeitnehmer und Mitglieder der Geschäftsführung“ zu gewähren. Ein derart kategorischer Ausschluss mag aus unternehmerischer Sicht nicht immer sinnvoll sein; wegen des klaren Gesetzeswortlauts ist er freilich hinzunehmen. Ein generelles Verbot aktienkursorientierter Vergütungsparameter kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden.262 Vertragsbestimmungen, die den Mechanismus von Aktienoptionen wirtschaftlich nachbilden,263 sind daher zulässig. Entscheidet sich die Hauptversammlung gegen eine Festsetzung bzw. Bewilligung, so erhalten die Aufsichtsorganmitglieder für ihre Tätigkeit keine Vergütung.264

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Eine ganze Reihe anerkannt erfolgreicher Unternehmen verfolgt sogar gezielt die Strategie, unabhängig vom Jahresgewinn auf Dividendenausschüttungen völlig zu verzichten, und die Mittel stattdessen zu reinvestieren und/oder zum Aufbau finanzieller Reserven zu nutzen. Prominente Beispiele hierfür sind eBay und Berkshire Hathaway. Gelingt es solchen Unternehmen, das einbehaltene Kapital effizienter anzulegen, als es den Aktionären möglich wäre (und den Unternehmenswert entsprechend zu steigern), so ist dies für alle Beteiligten günstiger als eine hohe Dividendenrendite. 261 BGH, NJW 2004, 1109, 1109 f.; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 34 f.; Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 113 Rn. 14, 17 – 19; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 12 Rn. 849 f.; Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. (2015), § 5 Rn. 23 f. 262 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 54 f.; in dieselbe Richtung Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 113 Rn. 12; a.A. Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. (2010), § 113 Rn. 36; Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 113 Rn. 14, 19; zweifelnd auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 12 Rn. 851. 263 Gängige Bezeichnungen sind „Phantom Stocks“, „Stock Appreciation Rights“ oder „virtuelle Optionen“; vgl. Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 53. 264 Ganz h.M.; siehe nur Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 113 Rn. 27; Hopt/ Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 113 Rn. 9; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 6; Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. (2015), § 5 Rn. 19; jeweils mit weiteren Nachweisen.

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§ 113 Abs. 1 AktG verdrängt § 612 BGB insofern als Spezialgesetz,265 und zwar auch dann, wenn im Einzelfall der immense Umfang des SE-Geschäftsbetriebs und der hohe Überwachungsaufwand eine Vergütung als selbstverständlich erscheinen ließe. Nicht von § 113 Abs. 1 AktG gesperrt sind dagegen die allgemeinen Aufwendungsersatzbestimmungen aus §§ 670, 675 Abs. 1 BGB; sie gelten auch für das ehrenamtlich tätige Aufsichtsorganmitglied.266 Zu beachten ist schließlich, dass auch die § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG, § 2 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG und § 10 Nr. 4 KStG als steuerrechtliche Gegenstücke zu § 113 AktG auf das SE-Aufsichtsorgan anwendbar sind.267 Danach ist die Vergütung einerseits in voller Höhe einkommensteuerpflichtig und in vollem Umfang von der Umsatzsteuer erfasst, andererseits aber nur zur Hälfte als Betriebsausgabe absetzbar. Ziel der nur hälftigen Absetzbarkeit ist es, überhöhte Vergütungszahlungen zu verhindern;268 und auch die Vorstellung vom Aufsichtsorgan als Honoratiorengremium, welches für den Geschäftsbetrieb nur eine untergeordnete Rolle spielt, war bei dem schon einige Jahrzehnte zurückliegenden Erlass der Norm möglicherweise mit ausschlaggebend. Beides wirkt vor dem Hintergrund der heutigen Unternehmensrealität anachronistisch. Überhöhte Aufsichtsratsvergütungen sind nicht in Sicht; und die zunehmende Professionalisierung und die Schlüsselrolle, die dem Aufsichtsrat bzw. -organ nach modernem Corporate-Governance-Verständnis zukommt und die sich finanziell unmittelbar in der Vergütung niederschlagen soll,269 widerlegt die Vorstellung, bei der Aufsichtsorganvergütung handele es sich nur zum Teil um eine Betriebsausgabe. Der im neueren Schrifttum deutlich geäußerten rechtspolitischen Kritik an der Regelung270 ist daher in vollem Umfang beizupflichten. 265

Wohl auch Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 113 Rn. 27; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 113 Rn. 9; a.A. wohl Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. (2015), § 5 Rn. 19 („Vermutung des § 612 Abs. 1 BGB ist durch § 113 Abs. 1 Satz 2 AktG widerlegt.“). 266 Vgl. ausführlich zum Aufwendungsersatzanspruch des AG-Aufsichtsratsmitglied: Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 12 Rn. 845 f. 267 Vgl. Erwägungsgrund 20 SE-VO. Zur Anwendung der Vorschriften auf die Aufsichtsratsvergütung in der AG ausführlich Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 113 Rn. 131 – 137. 268 Dritter Bericht des Finanzausschusses zum RegE eines Dritten Steuerreformgesetzes, BT-Drucks. 7/5310, S. 8: „… ist es … wünschenswert, die Höhe der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Aufsichtsratsvergütungen einzugrenzen; dieser Vorschlag ist geeignet, das Interesse an überhöhten Aufsichtsratsvergütungen zu mindern …“ 269 Vgl. § 5.4.6 Satz 2 DCGK: „[Die Vergütung] trägt der Verantwortung und dem Tätigkeitsumfang der Aufsichtsratsmitglieder sowie der wirtschaftlichen Lage und dem Erfolg des Unternehmens Rechnung.“ 270 Rechtspolitische Bedenken äußern insbesondere Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 39; Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 113 Rn. 53; Hopt/ Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 113 Rn. 131 („steuerrechtlich systemwidrig“); Hüffer/ Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 113 Rn. 7 („steuerrechtlich eingekleidete Bevormundung der Unternehmen, die abgeschafft werden sollte“); Mertens, in: Kölner Kommentar AktG, 2. Aufl.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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3. Angemessenheit Eine von der Hauptversammlung bewilligte Vergütung soll gemäß § 113 Abs. 1 Satz 3 AktG in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben der Aufsichtsorganmitglieder und zur Lage der Gesellschaft stehen. Das damit kodifizierte Angemessenheitsgebot wird man allerdings deutlich zurückhaltender handhaben müssen als die Parallelvorschrift im Recht der Vorstandsvergütung (§ 87 Abs. 1 Satz 1 AktG). Darauf deutet schon der Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 3 AktG hin („soll“).271 Hinzu kommt, dass sich eine Unangemessenheit der Vergütung in beiden Fällen nicht aus abstrakt-generellen Maßstäben oder gar den Vorstellungen der Bevölkerungsmehrheit von einer anständigen Bezahlung ergeben kann, sondern allein aus der Unangemessenheit der Belastung derjenigen, die die Vergütung bezahlen. Haben letztere selbst die Vergütung bestimmt – wie es im Verhältnis zwischen Aufsichtsorgan und Hauptversammlung der Fall ist – so kann diese Vergütungsentscheidung selbst bei besonders großzügigen Zahlungen kaum wegen Unangemessenheit annuliert werden. Denn für eine unangemessen hohe Vergütung büßt niemand anderes als die in der Hauptversammlung versammelten Aktionäre selbst. Je breiter der Rückhalt für die Vergütungsentscheidung im Aktionärskreis war, desto eher wird man also von einer Angemessenheit der Vergütung ausgehen können, und bei einstimmiger Bewilligung der Vergütungshöhe ist ein Unangemessenheitsurteil von dritter Seite absolut ausgeschlossen. Umgekehrt wird für eine kritischere Angemessenheitsbeurteilung (nur) dann Platz sein, wenn die Entscheidung der Aktionäre besonders knapp und kontrovers ausfiel. 4. Gleichbehandlungspflicht? Nach verbreiteter Auffassung hat die Hauptversammlung in Hinblick auf Art und Höhe der Vergütung ferner den Grundsatz der Gleichbehandlung der Aufsichtsorganmitglieder zu beachten.272 Differenzierungen seien anhand der Leistung und der Funktion der Mitglieder statthaft – etwa in Form einer erhöhten Vergütung für den Vorsitzenden, dessen Stellvertreter sowie Ausschussvorsitzende und -mitglieder.273 (1995), § 113 Rn. 39 („skandalöse Bestimmung“, „verfassungswidrig“); Spindler, in: Spindler/ Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 66 („schlichtweg anachronistisch“). 271 Den „Soll“-Charakter der Vorschrift betonend auch Spindler, in. Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 27 f. 272 Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 18; Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 113 Rn. 38; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 113 Rn. 67; Mertens, in: Kölner Kommentar AktG, 2. Aufl. (1995), § 113 Rn. 9; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 12 Rn. 843. 273 Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 113 Rn. 68; Mertens, in: Kölner Kommentar AktG, 2. Aufl. (1995), § 113 Rn. 9. Differenzierungsmöglichkeiten anhand der Funktion befürwortend ebenfalls Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 18;

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Dies ergebe sich aus allgemeinen Grundsätzen und aus dem Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 1 („… für ihre Tätigkeit …“) und Satz 3 AktG („… in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben der Aufsichtsratsmitglieder …“).274 Teilweise wird der Gleichbehandlungsgrundsatz auch mit der Gesetzeshistorie in Verbindung gebracht.275 Nicht zulässig sei dagegen eine Differenzierung anhand des Marktwertes oder der persönlichen Qualifikation eines Mitglieds.276 Die grundsätzlich gleiche Bezahlung diene der Homogenität des Aufsichtsrats.277 Die Gültigkeit und der Sinn eines solchermaßen als Gleichbezahlungsgrundsatz verstandenen Gleichbehandlungsgrundsatzes muss stark bezweifelt werden.278 Schon das Wortlautargument leuchtet nicht ein, da die zitierten Passagen des § 113 Abs. 1 AktG ersichtlich nicht darauf abzielen, finanzielle Differenzierungsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Mitgliedern einzuschränken. Auch mit der Gesetzeshistorie lässt sich ein Gleichbezahlungsgebot nicht begründen. Zwar ging der Gesetzgeber bei der Entwicklung des § 107 AktG im Rahmen der Aktiengesetzreform von 1965 in der Tat von einem „Grundsatz“ aus, „dass … alle Aufsichtsratsmitglieder … die gleichen Rechte und Pflichten haben sollen.“279 Hintergrund der Formulierung war jedoch die Befürchtung, die Hauptversammlung oder die Anteilseignermehrheit im Aufsichtsrat könnte sich zu einer gruppenbezogenen Benachteiligung der Arbeitnehmervertreter hinreissen lassen;280 die Sorge um eine Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 113 Rn. 39; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 29. 274 Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 113 Rn. 68; in dieselbe Richtung Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 30. 275 Mertens, in: Kölner Kommentar AktG, 2. Aufl. (1995), § 107 Rn. 5 f. 276 Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 113 Rn. 39; Hopt/Roth, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 113 Rn. 70; Mertens, in: Kölner Kommentar AktG, 2. Aufl. (1995), § 113 Rn. 9. Differenzierungsmöglichkeiten anhand des Marktwerts ablehnend auch Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 18 („… zudem ist [der Marktwert] kein Kriterium, das der Satzungsgeber oder die Hauptversammlung bei der Festsetzung der Vergütung sachgemäß beurteilen könnte.“); Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 113 Rn. 30. 277 In diese Richtung wohl Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), vor § 95 Rn. 14, § 113 Rn. 38. 278 Kritisch auch Haarmann, in: FS Hüffer (2010), S. 243, 247 – 250. 279 Mertens, in: Kölner Kommentar AktG, 2. Aufl. (1995), § 107 Rn. 5, mit Verweis auf die Gesetzesmaterialien. 280 Mertens, in: Kölner Kommentar AktG, 2. Aufl. (1995), § 107 Rn. 5, mit Verweis auf die Gesetzesmaterialien: „Im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses zu § 107 [AktG] wurde darüber diskutiert, ob den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat im Hinblick darauf, dass diese nach dem BetrVG 1952 eine Minderheit bildeten, eine Sonderstellung eingeräumt werden sollte. (…) Der Rechtsausschuss und der Wirtschaftsausschuss, denen der Bundestag gefolgt ist, wandten sich gegen diesen Vorschlag mit der ausdrücklichen Begründung, er verstoße gegen den ,Grundsatz, dass … alle Aufsichtsratsmitglieder unabhängig davon, von wem sie bestellt sind, die gleichen Rechte und Pflichten haben sollen und keiner Gruppe von Aufsichtsratsmitgliedern besondere Vorrechte eingeräumt werden dürfen.‘“ Vgl. auch Habersack, in: MüKoAktG, 4. Aufl. (2014), vor § 95 Rn. 14, der wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes „ins-

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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gleichmäßige Bezahlung aller Anteilseignervertreter spielte keine Rolle. Ferner ist kein Gegensatz zwischen einer angeblich erlaubten leistungsorientierten und einer angeblich verbotenen marktwert- und qualifikationsorientierten Differenzierung erkennbar. In der Realität verschwimmen die genannten Kriterien vielmehr miteinander, da sich der Marktwert eines Kandidaten in der Regel nach nichts anderem richten wird als nach der erwarteten Leistung und die erwartete Leistung wiederum ganz erheblich nach der persönlichen Qualifikation. Auch dem Gesellschaftswohl ist es kaum zuträglich, wenn Kandidaten, die aufgrund ihrer hervorragenden beruflichen oder persönlichen Qualifikationen von außergewöhnlich hohem Nutzen für die Gesellschaft wären, nur deshalb nicht angeworben werden könnten, weil ihnen keine höhere Vergütung gewährt werden darf als den übrigen Organmitgliedern. Wieso sollte es etwa SAP-Aktionären verboten sein, einen besonders hohen Betrag zu investieren, um als Neumitglied des Aufsichtsrats Bill Gates oder die Bundeskanzlerin zu gewinnen, wenn sich für die Vergütung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder nur der Walldorfer Bürgermeister als Interessent meldet? Am merkwürdigsten schließlich mutet das Argument an, eine gleichmäßige Bezahlung diene der Homogenität des Aufsichtsrats. So steht bereits die unausgesprochene Annahme, Homogenität sei ein erstrebenswertes Ziel, in Gegensatz zu modernen Erkenntnissen über die positiven Auswirkungen eines vielfältig zusammengesetzten Gremiums und zu den jüngsten Anstrengungen des Gesetzgebers, diese Vielfalt sogar durch gesetzlichen Zwang durchzusetzen. Und selbst wenn man die Förderung von Homogenität im Einzelfall für sinnvoll halten wollte, leitet sich daraus nicht zwingend ein Gebot gleichmäßiger Bezahlung ab. Denn wie bei einer Profifußballmannschaft so ist es auch bei einem Aufsichtsgremium eine Frage des Einzelfalls und der Unternehmensphilosophie, ob eine homogene Zusammensetzung und ein harmonisches Miteinander eher über eine streng gleichmäßige Bezahlung erreicht werden oder eher über eine Differenzierung zwischen den Mitgliedern anhand ihres Marktwerts und/oder der Unentbehrlichkeit ihrer Qualifikation und Erfahrung. Sowohl rechtlich als auch in der Sache ist es daher sinnvoll, die Aktionäre darüber entscheiden zu lassen, ob die Aufsichtsorganvergütung gleichmäßig oder in unterschiedlicher Höhe über die einzelnen Mitglieder verteilt wird. Allein den Arbeitnehmervertretern wird man das Recht einräumen müssen, eine Gleichbehandlung im Verhältnis zu den sonstigen Organmitgliedern einzufordern.

besondere eine Unterscheidung zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern [für] unstatthaft“ hält, aber keine weiteren Beispiele aufführt.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

IV. Gestaltung von Zustimmungsvorbehalten zugunsten des Aufsichtsrats, Art. 48 Abs. 1 SE-VO, § 19 SEAG bzw. § 111 Abs. 4 AktG 1. Satzungsmäßige Festlegung von Zustimmungsvorbehalten a) Rechtsgrundlage Als Rechtsgrundlage für die satzungsmäßige Festlegung von Zustimmungsvorbehalten im Verhältnis zwischen Aufsichts- und Leitungsorgan kommen auf den ersten Blick sowohl Art. 48 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SE-VO als auch § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG in Betracht. Nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SE-VO werden in der SE-Satzung diejenigen Geschäfte aufgeführt, für die das Aufsichtsorgan dem Leitungsorgan seine Zustimmung erteilen muss. Ergänzend hierzu bestimmen Art. 48 Abs. 1 Satz 2 SE-VO, § 19 SEAG, dass das Aufsichtsorgan selbst bestimmte Arten von Geschäften von seiner Zustimmung abhängig machen kann. Gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG hat die AG-Satzung oder der Aufsichtsrat zu bestimmen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit der Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden dürfen. Richtigerweise wird § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG von Art. 48 Abs. 1 SE-VO, § 19 SEAG jedoch vollständig verdrängt.281 Denn § 48 Abs. 1 SE-VO, § 19 SEAG regeln den von § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG erfassten Regelungsbereich abschließend und lassen insoweit keinen Raum für ein subsidiäres Zurückgreifen auf nationales Recht gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO. Auch die verschiedenen, zu § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG entwickelten ungeschriebenen Grundsätze können daher nicht unmittelbar auf die SE übertragen werden.282 Im Ergebnis ergeben sich freilich viele Parallelen, da sich die Vorschriften in Wortlaut und Inhalt sehr nahe sind. b) Inhalt und Reichweite Fraglich ist, welche Anforderungen Art. 48 Abs. 1 SE-VO, § 19 SEAG an satzungsmäßige Zustimmungsvorbehalte stellen. Potenzielle Regelungsgegenstände sind zunächst „Arten von Geschäften“. Im Vergleich zu § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG („bestimmte Arten von Geschäften“) scheint Art. 48 Abs. 1 Satz 1 SE-VO damit bereits dem Wortlaut nach weniger strenge 281 Siems, in: Kölner Kommentar AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 48 SE-VO Rn. 6 – 8; etwas unscharf dagegen Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 268, 294 („Die nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG erforderliche Zustimmung des Aufsichtsorgans zu bestimmten Arten von Geschäften findet nach Art. 48 Abs. 1 SE-VO bzw. § 19 SEAG auch für die SE Anwendung.“); Seibt, ZIP 2010, 1057, 1061 („Mindestkatalog zustimmungspflichtiger Geschäfte i.S.v. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG“). 282 Auf keinen Fall realisierbar ist daher der im Rahmen des SEAG-Gesetzgebungsprozesses geäußerte Wunsch von Teichmann, ZGR 2002, 383, 454 Fn. 251: „… um Interpretationszweifeln aus dem Weg zu gehen, sollte die Anwendbarkeit von § 111 Abs. 4 AktG … ausdrücklich angeordnet werden.“

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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Anforderungen an die Genauigkeit zu stellen, mit der die Zustimmungsvorbehalte in der Satzung beschrieben werden.283 Zwingend ist dieses Verständnis jedoch nicht, da Verordnungs- und Gesetzestext von zwei verschiedenen Normgebern stammen, die nicht erkennbar aufeinander Bezug nehmen und daher mit unterschiedlichen Begriffen in der Sache durchaus dasselbe gemeint haben könnten. Von größerer Bedeutung ist insofern der Kontrast zwischen Art. 48 Abs. 1 Satz 1 („Arten“) und Satz 2 SE-VO („bestimmte Arten“), der belegt, dass der Verordnungsgeber dem Satzungsgeber allgemein gehaltenere Zustimmungsvorbehalte erlaubt als dem Aufsichtsorgan.284 Ebenfalls ein Hinweis darauf, dass Art. 48 Abs. 1 Satz 1 SE-VO verhältnismäßig geringe Anforderungen an die Bestimmtheit der Beschreibung stellt, enthalten die in den anderen Sprachfassungen gewählten Formulierungen285, die ins Deutsche wohl nicht mit „Arten“, sondern treffender mit „Kategorien“ zu übersetzen gewesen wären. „Kategorien“ bzw. „Arten“ von Geschäften im Sinne des Art. 48 Abs. 1 Satz 1 SE-VO können daher beispielsweise auch „alle grundlegenden Geschäfte“ sein oder – in Anlehnung an Ziffer 3.3 Satz 2 DCGK – alle „Entscheidungen oder Maßnahmen, die die Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage des Unternehmens grundlegend verändern“; der Satzungsgeber ist nicht verpflichtet, derartige Formulierungen näher zu konkretisieren.286 Eine Parallele zwischen Art. 48 Abs. 1 SE-VO, § 19 SEAG und § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG ergibt sich insofern als dass die Zustimmungsvorbehalte auch in der deutschen SE nicht so extensiv formuliert werden dürfen, dass die Geschäftsführungsmaßnahmen des Leitungsorgans durchweg oder fast durchweg einer Zustimmung der Aufsichtsorgans bedürfen. Das Leitungsorgan wäre dann nicht mehr in der Lage, die Geschäfte der SE in eigener Verantwortung zu führen, wie es Art. 39 Abs. 1 SE-VO zwingend vorschreibt.287 Dem Satzungsgeber steht es schließlich nicht frei, auf die Festlegung von Zustimmungsvorbehalten vollständig zu verzichten. Letztere gehören zu den zwingenden und nicht zu den fakultativen Satzungsinhalten.288 Dies lässt sich wohl bereits 283

In diese Richtung wohl Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 48 SE-VO Rn. 6 – 8. Zutreffend Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 48 SE-VO Rn. 24, mit Verweis auf einige andere Sprachfassungen, in denen sich dieselbe Differenzierung findet. 285 „Categories“, „catégories“, „categorías“, „categorie“, „categorieën“. 286 A.A. Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 48 SE-VO Rn. 8; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 48 SE-VO Rn. 8; Manz, in: Manz/Mayer/ Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 48 SE-VO Rn. 13; wohl auch Schwarz, SE-VO (2006), Art. 48 Rn. 13. Zur Unzulässigkeit derart generalklauselartiger Zustimmungsvorbehalte im Rahmen des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG: Habersack, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 111 Rn. 106 f. 287 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 48 SE-VO Rn. 5; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 48 Rn. 15; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 48 SEVO Rn. 8. 288 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 48 Rn. 9; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 48 SE-VO Rn. 4 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 48 SE-VO Rn. 2; 284

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

aus dem deutschen Wortlaut ableiten („werden … aufgeführt“) und ergibt sich noch eindeutiger aus der englischen Sprachfassung („An SE’s statutes shall list …“).289 Und auch die Tatsache, dass der deutsche Gesetzgeber von der Ermächtigung aus Art. 48 Abs. 1 Satz 2 SE-VO Gebrauch gemacht und in § 19 SEAG vorgesehen hat, dass das Aufsichtsorgan selbst „bestimmte Arten von Geschäften“ von seiner Zustimmung abhängig machen kann, lässt die Zustimmungsvorbehalte nicht zum fakultativen Satzungsbestandteil werden.290 Hierfür spricht zwar auf den ersten Blick der Wortlaut des Art. 48 Abs. 1 Satz 2 SE-VO („Die Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen, dass … das Aufsichtsorgan selbst bestimmte Arten von Geschäften von seiner Zustimmung abhängig machen kann.“), der einen Gegensatz („jedoch“) zum Satzungszwang aus Satz 1 anzudeuten scheint.291 Nahe liegen würde eine dahingehende Auslegung aber nur dann, wenn Satz 2 als echte Alternative zu Satz 2 formuliert wäre (z. B.: „… können jedoch stattdessen vorsehen, dass … das Aufsichtsorgan … muss.“), was nicht der Fall ist. Viel näher liegt daher eine Parallele zu einem in verschiedenen anderen Passagen des Verordnungstitels III verwendeten Formulierungsmuster, in denen der Verordnungsgeber ebenfalls im ersten Satz einen Regelungsauftrag an den Satzungsgeber und in einem zweiten „jedoch“-Satz eine Regelungsermächtigung an den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber ausspricht.292 Hier wie dort hebt die auf Basis des jeweils zweiten Satzes erlassene Ausführungsgesetzgebung – soweit vorhanden – nicht den Regelungsauftrag aus dem jeweils ersten Satz auf, sondern ergänzt oder lenkt jenen lediglich. Schließlich wäre auch in der Sache eine an den Aufsichtsrat gerichtete Regelungsermächtigung kein sinnvoller Ersatz für den in Art. 48 Abs. 1 Satz 1 SE-VO an den Satzungsgeber gerichteten Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 48 SE-VO Rn. 5; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 48 SE-VO Rn. 2; Frodermann, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 257; Gößl, Satzung der SE, S. 119 – 124; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 79; Habersack, AG 2006, 345, 354; Hirte, NZG 2002, 1, 5 f.; Reichert/Brandes, ZGR 2003, 767, 796; a.A. jedoch dies., in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 48 SE-VO Rn. 1. 289 Zutreffend Schwarz, SE-VO (2006), Art. 48 Rn. 9; a.A. Reichert/Brandes, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2012), Art. 48 SE-VO Rn. 1, die sowohl dem deutschen als auch dem englischen Wortlaut eine nur unverbindliche Bedeutung beilegen. 290 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 48 Rn. 30 Fn. 31; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SERecht (2013), Art. 48 SE-VO Rn. 4, 22; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 48 SE-VO Rn. 22 – 25; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 48 SE-VO Rn. 7; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 48 SE-VO Rn. 17, ders., in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 691, 731; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 546; Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749, 1753 Fn. 59. 291 Eine solche Auslegung befürwortend DAV Handelsrechtsausschuss, NZG 2004, 75, 81; Hoffmann-Becking, ZGR 2004, 355, 365; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 79; Wicke, MitBayNot 2006, 196, 202; in dieselbe Richtung Spitzbart, DNotZ 2006, 369, 378; Teichmann, ZGR 2002, 383, 454 mit Fn. 251 (Teichmann vertritt mittlerweile das Gegenteil; siehe Nachweise oben 4. Teil, Fn. 290). 292 Z. B. die jeweils ersten beiden Sätze von Art. 39 Abs. 4, Art. 40 Abs. 3, Art. 43 Abs. 2.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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Regelungsauftrag. Auch der deutsche § 19 SEAG berechtigt den Aufsichtsrat daher nur dazu, über die immer zwingend vorzusehenden satzungsmäßigen Zustimmungsvorbehalte hinaus weitere Vorbehalte zu erlassen. 2. Ersetzung der fehlenden Zustimmung im Einzelfall, § 111 Abs. 4 Sätze 3 – 5 AktG? Legt ein AG-Vorstand dem Aufsichtsrat ein zustimmungsbedürftiges Geschäft gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG vor und verweigert der Aufsichtsrat die Zustimmung, so steht es dem Vorstand offen, ersatzweise gemäß § 111 Abs. 4 Sätze 3 – 5 AktG die Hauptversammlung um Zustimmung zu ersuchen. Fasst die Hauptversammlung mit (satzungsdispositiver) Dreiviertel-Mehrheit einen zustimmenden Beschluss, so darf der Vorstand das Geschäft ungeachtet des Vetos aus dem Aufsichtsrat ausführen. Eine vergleichbare Möglichkeit, per Hauptversammlungsbeschluss eine verweigerte Zustimmung des Aufsichtsorgans zu ersetzen bzw. zu überwinden, enthalten Art. 48 SE-VO, § 19 SEAG nicht. Es ließe sich folglich daran denken, § 111 Abs. 4 Sätze 3 – 5 AktG über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) oder Art. 52 Satz 2 SE-VO entsprechend anzuwenden. Ob Art. 48 SE-VO hierfür Raum lässt, ist umstritten. Die überwiegende Ansicht bejaht eine Regelungsoffenheit des Art. 48 SE-VO und eine entsprechende Anwendbarkeit des Hauptversammlungsentscheids gemäß § 111 Abs. 4 Satz 3 AktG, Art. 52 Satz 2 SE-VO.293 Art. 48 SE-VO sei keine abschließende Norm und die Hauptversammlung daher berechtigt, gemäß § 119 Abs. 2 AktG, Art. 52 Satz 2 SE-VO über vorgelegte Geschäftsführungsmaßnahmen zu beschließen. Es entspreche ferner „der hierarchischen Gleichordnung des Leitungsorgans und des Aufsichtsorgans, wenn in einer Frage, bei der die Mitwirkung beider Organe erforderlich ist, diese sich aber untereinander nicht einigen können, die Hauptversammlung als drittes gleichberechtigtes Organ die Entscheidung fällt.“294 Dasselbe

293 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 48 Rn. 29; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 48 SE-VO Rn. 16; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 48 SEVO Rn. 19; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko. (2008), Art. 48 SE-VO Rn. 14 (anders nunmehr ders., a.a.O., in der 2. Aufl.); Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 52 SE-VO Rn. 33; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 48 SE-VO Rn. 8, Art. 52 SE-VO Rn. 9; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 48 SE-VO Rn. 24 (anders noch die Vorauflage); Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 29; Hopt, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 111 Rn. 856; Baatz/Weydner, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG (2005), 6. Kap. Rn. 25 (im Anschluss Fürst/Klahr, a.a.O., in der 2. Aufl. (2014), Rn. 25); Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. 28; dies., in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.580; Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 384; Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 282; in dieselbe Richtung Teichmann, ZGR 2002, 383, 454. 294 So Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 48 SE-VO Rn. 16.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Ergebnis wird teilweise auf das Argument gestützt, Art. 52 SE-VO sei als Spezialnorm gegenüber Art. 48 SE-VO vorrangig.295 Der von Brandt begründeten Gegenansicht nach lässt Art. 48 SE-VO keinen Platz für einen Hauptversammlungsentscheid nach § 111 Abs. 4 Satz 3 AktG.296 Zum Beleg für den insofern abschließenden Charakter des Art. 48 SE-VO beruft sich Brandt auf die Verordnungsgeschichte. Schon der Vorgänger des Art. 48 SE-VO im SE-VOV 1970 habe kein Letztentscheidungsrecht der Hauptversammlung vorgesehen, woraufhin sich unter anderem der Wirtschafts- und Sozialausschuss für eine solche Regelung stark gemacht habe. In den SE-VOV 1975 sei dann jedoch kein Letztentscheidungsrecht aufgenommen worden. Ebenso wenig habe der SE-VOV 1989 ein Letztentscheidungsrecht enthalten – trotz zwischenzeitlich erneuter Anregung von Seiten des Wirtschafts- und Sozialausschusses. Da auch in der Folgezeit bis hin zum Entwurf des letztlich in Kraft getretenen Verordnungstextes ein Letztentscheidungsrecht der Hauptversammlung nicht mehr aufgenommen wurde, könne in Art. 48 SE-VO keine dahingehende Regelungsoffenheit hineingedeutet werden. Der letztgenannten Ansicht ist im Ergebnis beizupflichten, auch wenn Brandts historische Argumentation nicht vollständig überzeugt. Richtig ist zunächst, dass es für den Fall, dass der Verordnungsgeber die Möglichkeit eines Letztentscheidungsrechts der Hauptversammlung in Erwägung gezogen hätte, nahe gelegen hätte, sich auf die dahingehenden Vorschläge einzulassen, sei es durch unmittelbare Regelung in der Verordnung oder durch einfachen Verweis auf das Sitzstaat-Aktienrecht. Doch ob aus der wohl zutreffenden These, der Verordnungsgebers habe auf eine solche Regelung oder einen Spezialverweis bewusst verzichtet, zwingend abgeleitet werden kann, dass ein Rückgriff auf Basis der allgemeinen Verweisungsnormen nicht in Frage kommt, erscheint zweifelhaft. Denn anders als die SE-VOV von 1970, 1975 und 1989 erhebt die SE-VO gerade nicht mehr den Anspruch einer umfassenden gesellschaftsrechtlichen Kodifikation mit abschließend-enumerativ aufgeführten Hauptversammlungskompetenzen.297 So könnte der Regelungsverzicht ebenso dahingehend interpretiert werden, dass der Verordnungsgeber eine Lösung auf Basis der in Art. 9 Abs. 1, Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO angelegten, allgemeinen (und in den genannten Vorentwürfen noch nicht enthaltenen) Verweisungssystematik bevorzugte.298 295

Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 40 SE-VO Rn. 29. Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 150 – 152; ebenso Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 52 SE-VO Rn. 20; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 48 SE-VO Rn. 19; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 37; ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 235; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 48 SE-VO Rn. 14; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 546. 297 Zutreffend insoweit Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. 16, 28. 298 Diese Interpretation befürwortend Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. 28. 296

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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Richtigerweise ist der abschließende Charakter des Art. 48 SE-VO am Wortlaut der Norm fest zu machen. Ein Recht der Hauptversammlung, die verweigerte Zustimmung zu ersetzen, würde das in Art. 48 SE-VO skizzierte Kompetenzgefüge nämlich nicht nur ergänzen, sondern umgestalten. Die in Art. 48 Abs. 1 Satz 1 SEVO genannten Geschäfte wären bei Anwendung des § 111 Abs. 4 Satz 3 AktG eben nicht mehr solche, „für die .. das Aufsichtsorgan … seine Zustimmung erteilen muss …“, wenn die Erlaubnis ersatzweise auch durch die Hauptversammlung erteilt werden könnte. Mit anderen Worten: Die Zustimmung des Aufsichtsorgans wäre nicht mehr notwendige und hinreichende Voraussetzung der Geschäftsvornahme, wie es Art. 48 Abs. 1 SE-VO zwingend vorsieht, sondern nur noch hinreichende Voraussetzung. Die von der herrschenden Meinung ins Spiel gebrachten Gesichtspunkte der Organhierarchie und des Lex-specialis-Grundsatzes widerlegen dieses Verständnis nicht. So ist eine Rolle der Hauptversammlung als Schlichterin zwischen Leitungsund Aufsichtsorgan zwar grundsätzlich nicht unsinnig, wie ja schon die Kodifikation in § 111 Abs. 4 Satz 3 AktG zeigt – zwingend im Sinne eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist sie jedoch nicht. Vielmehr bedürfte es nach dem in § 119 AktG, Art. 52 Satz 2 SE-VO verankerten Enumerativprinzip einer ausdrücklichen Kompetenzzuweisung, die für die SE gerade fehlt. Und auch das Argument, Art. 52 SE-VO sei als Spezialgesetz gegenüber Art. 48 SE-VO vorranging, führt nicht weiter. Denn Art. 52 Satz 2 SE-VO ist zwar allein als Rechtsgrundlage einschlägig, um aktiengesetzliche Hauptversammlungskompetenzen auf die deutsche SE zu erstrecken. Über Art. 52 Satz 2 SE-VO finden aber natürlich nur solche deutschen Hauptversammlungskompetenzen Anwendung, die nicht im Widerspruch zu Regelungen auf Verordnungsebene stehen. Ein solcher Widerspruch ergibt sich wie gezeigt zwischen einer Letztentscheidungskompetenz der Hauptversammlung einerseits und dem in Art. 48 Abs. 1 SE-VO beschriebenen Charakter der Aufsichtsorgan-Zustimmung als notwendige Voraussetzung der Geschäftsvornahme andererseits. Verweigert das Aufsichtsorgan also eine Zustimmung im Sinne des Art. 48 Abs. 1 SE-VO, so kann die Hauptversammlung sich hierüber nicht gemäß § 111 Abs. 4 Satz 3 AktG hinwegsetzen. Das Leitungsorgan darf das zustimmungsbedürftige Geschäft dann nicht tätigen und kann allenfalls erneut um die Zustimmung des Aufsichtsorgans werben.

V. Beschluss über vom Aufsichtsorgan vorgelegte Maßnahmen, § 119 Abs. 2 AktG analog Fraglich ist, ob die Hauptversammlung über einzelne Maßnahmen aus dem Kompetenzbereich des Aufsichtsorgans entscheiden kann, die ihr vom Aufsichtsorgan zur Entscheidung vorgelegt werden. Das wäre dann der Fall, wenn § 119 Abs. 2 AktG entsprechend auf Vorlagen des SE-Aufsichtsorgans Anwendung findet.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Unmittelbar bestimmt § 119 Abs. 2 AktG, dass die Hauptversammlung einer AG (nur) dann über Fragen der Geschäftsführung entscheiden darf, wenn der Vorstand es verlangt. Voraussetzung für eine Anwendung auf Vorlagen des SE-Aufsichtsorgans wäre also eine doppelte Analogie: Zum einen müsste die Norm überhaupt auf die deutsche SE Anwendung finden und zum anderen müssten nicht nur Geschäftsleitungsmaßnahmen aus dem Vorstandsbereich betroffen sein, sondern auch Maßnahmen aus dem Kompetenzbereich des Aufsichtsorgans. Bei letzteren ist zuvorderst an Entscheidungen über die Vergütung der Leitungsorganmitglieder (§ 87 AktG), an Entscheidungen bei der Vertretung der SE gegenüber Leitungsorganmitgliedern (§ 112 AktG) und an Entscheidungen über Maßnahmen zu denken, die das Leitungsorgan dem Aufsichtsorgan gemäß Art. 48 Abs. 1 SE-VO, § 19 SEAG zur Zustimmung vorgelegt hat. Die erste Schwelle der Analogie – also die Geltung auf SE-Ebene – wird von § 119 Abs. 2 AktG mühelos genommen: Grundsätzlich gilt die Vorschrift über die Verweisung aus Art. 52 Satz 2 SE-VO auch für die deutsche SE. Das Leitungsorgan ist daher berechtigt, für Entscheidungen über einzelne Maßnahmen aus seinem Kompetenzbereich das Votum der Hauptversammlung einzuholen.299 Und auch auf zweiter Ebene – also der Erstreckung der Vorlagebefugnis vom Leitungs- auf das Aufsichtsorgan – wird man die Analogie zu bejahen haben.300 Die Gründe dafür, dass bestimmte Geschäftsführungsentscheidungen nicht vom Leitungsorgan, sondern vom Aufsichtsorgan getroffen werden, haben nämlich nichts mit einer mehr oder weniger großen Eignung für eine Vorlage an die Hauptversammlung zu tun. Vielmehr sind die Leitungsorganmitglieder nur deshalb nicht befugt, über ihre Vergütung zu befinden oder die Gesellschaft sich selbst gegenüber zu vertreten, weil sie dabei einem erheblichen Interessenkonflikt unterliegen würden; und die Arten von Geschäftsführungsmaßnahmen, die die Satzung oder das Aufsichtsorgan an die Zustimmung des Aufsichtsorgans gemäß Art. 48 Abs. 1 SE-VO, § 19 SEAG gebunden haben, sind dem Leitungsorgan nur deswegen aus den Händen genommen, weil der Satzungsgeber bzw. das Aufsichtsorgan die betreffenden Geschäfte für zu bedeutend und außergewöhnlich erachtet, als dass die Entscheidung hierüber der Geschäftsführung allein zugetraut wird. Legt das Aufsichtsorgan die jeweilige Entscheidung der Hauptversammlung vor, so bedeutet dies sogar eine noch sicherere Entschärfung des Interessenkonflikts bzw. eine noch intensivere Würdigung des außergewöhnlichen Geschäftscharakters. Das Aufsichtsorgan darf für die Ent299

Hierzu ausführlich unten Abschnitt „Entscheidung über sonstige Geschäftsführungsmaßnahmen auf Verlangen des Leitungsorgans, § 119 Abs. 2 AktG“, S. 291. 300 Eine Vorlagebefugnis des AG-Aufsichtsrats gemäß § 119 Abs. 2 AktG analog zu Recht befürwortend: Schüppen, ZIP 2010, 905, 909 f.; Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 119 Rn. 15 a.E.; a.A. Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 119 Rn. 13; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 119 Rn. 20; Mülbert, in: GK-AktG, 4. Aufl. (1999), § 119 Rn. 44; Liebscher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 119 AktG Rn. 8; Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 119 Rn. 13; Hoffmann/Lieder, AG-Report 2011, R135, R137.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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scheidung über die Leitungsorganvergütung, für Entscheidungen im Rahmen der Vertretung der SE gegenüber Leitungsorganmitgliedern und für Entscheidungen über zustimmungsbedürftige Geschäfte301 daher einen Beschluss der Hauptversammlung nach § 119 Abs. 2 AktG analog, Art. 52 Satz 2 SE-VO einholen. Nicht statthaft ist dagegen eine Anrufung der Hauptversammlung durch das Aufsichtsorgan in Bezug auf Maßnahmen, über die an sich nur das Leitungsorgan zu entscheiden hätte. Andernfalls könnte der Aufsichtsrat über die (nicht unbegrenzt mögliche) Festlegung von Zustimmungsvorbehalten nach Art. 48 Abs. 1 Satz 2 SEVO, § 19 SEAG hinaus nahezu beliebig in die Befugnisse des Leitungsorgan eingreifen. Mit der Führung der Geschäfte durch das Leitungsorgan „in eigener Verantwortung“ (Art. 39 Abs. 1 Satz 1 SE-VO) wäre dies nicht vereinbar. Geschäftsführungsmaßnahmen aus dem Kompetenzbereich des Leitungsorgans können daher nur durch das Leitungsorgan selbst der Hauptversammlung vorgelegt werden. Generell gilt daher, dass das Recht, der Hauptversammlung eine bestimmte Maßnahme gemäß § 119 Abs. 2 AktG (ggf. analog), Art. 52 Satz 2 SE-VO zur Entscheidung vorzulegen, immer und nur demjenigen Organ zusteht, welches nach dem Gesetz, der Verordnung bzw. der Satzung normalerweise selbst zur Entscheidung berufen wäre.

VI. Entlastung 1. Anwendbarkeit deutschen Aktienrechts Gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2, § 120 Abs. 1 – 3 AktG ist die AG-Hauptversammlung für die Entlastung des Aufsichtsrats zuständig, und es fragt sich, ob auf dieser Basis auch eine Zuständigkeit der SE-Hauptversammlung für die Entlastung des Aufsichtsorgans zu bejahen ist. Gegen einen Entlastungsbeschlusses in der deutschen SE gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2, § 120 Abs. 1 – 3 AktG wendet sich allein Brandt.302 Ähnlich wie zur Begründung seiner ablehnenden Haltung gegenüber einer Letztentscheidungskompetenz der SE-Hauptversammlung aus § 111 Abs. 3 Sätze 3 – 5 AktG beruft sich Brandt auch hier auf die Verordnungshistorie: Der Sanders-Vorentwurf habe zu301

Mülbert, in: GK-AktG, 4. Aufl. (1999), § 119 Rn. 41, 53, schlägt vor, dem AG-Vorstand das Recht einzuräumen, für zustimmungsbedürfte Geschäfte an Stelle der Zustimmung des Aufsichtsrats gemäß § 111 Abs. 3 Satz 2 AktG die Zustimmung der Hauptversammlung gemäß § 119 Abs. 2 AktG einzuholen. Denn die Hauptversammlung könne nach § 111 Abs. 3 Satz 3 AktG auch die verweigerte Zustimmung des Aufsichtsrats ersetzen; das Dreiviertel-Mehrheitserfordernis aus § 111 Abs. 3 Satz 4 AktG gelte dann im Rahmen des § 119 Abs. 2 AktG. Selbst wenn man diese Argumentation in Bezug auf die AG nachvollzieht, so trifft sie doch in keinem Fall für die deutsche SE zu. § 111 Abs. 3 Sätze 3 – 5 AktG finden auf sie nämlich keine Anwendung (siehe oben Abschnitt „Gestaltung von Zustimmungsvorbehalten zugunsten des Aufsichtsrats, Art. 48 Abs. 1 SE-VO, § 19 SEAG bzw. § 111 Abs. 4 AktG“, S. 266). 302 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 148 – 150.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

nächst eine ausdrückliche Entlastungskompetenz vorgesehen,303 während die späteren SE-VOV 1970 und 1975 nur mittelbar auf eine Entlastungskompetenz hindeuteten.304 Der SE-VOV 1989 habe dann ebenso wenig wie der SE-VOV 1991 eine Entlastungskompetenz vorgesehen, obwohl sowohl das Europaparlament als auch der Wirtschafts- und Sozialausschuss in ihren Stellungnahmen zum SE-VOV 1989 eine solche Kompetenz angeregt hätten. Es sei daher von einer abschließenden Regelung auf Verordnungsebene auszugehen; die Anwendbarkeit der aktiengesetzlichen Vorschriften sei gesperrt. Für eine abschließende Regelung spreche überdies ein Vergleich mit den übrigen europäischen Gesellschaftsrechtsformen, die ebenfalls keine Regelungen zur Entlastung vorsähen.305 Befürwortet wird eine Entlastungskompetenz der SE-Hauptversammlung und eine entsprechende Anwendung der § 119 Abs. 1 Nr. 3, § 120 Abs. 1 – 3 AktG im Ergebnis von allen übrigen Autoren.306 Die Begründungen fallen unterschiedlich aus. So wird die historisch begründete Schlussfolgerung Brandts von Spindler mit dem Argument in Zweifel gezogen, gerade der Entlastungsbeschluss habe in Bezug auf 303 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 149, unter Hinweis auf Art. VI-6 – 2 Sanders Vorentwurf. In jenem heißt es: „Die Hauptversammlung … entscheidet über die Entlastung der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats. Über die Entlastung eines einzelnen Mitglieds wird gesondert abgestimmt, wenn ein Viertel der vertretenen Aktionäre es verlangt.“ Die anschließenden beiden Absätze befasst.“ Die anschließenden beiden Absätze befassen sich mit den Rechtsfolgen der Entlastung. 304 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 149, unter Hinweis auf Art. 92 Abs. 3 (kein Stimmrecht des Aktionärs bei Entscheidung über eigene Entlastung), Art. 216 Abs. 3 (Jahresunterlagen dienen der Hauptversammlung u. a. als Grundlage für die Entlastungsentscheidung), Art. 218 SE-VOV 1970 und Art. 71 Abs. 4, Art. 81 Abs. 3 SE-VOV 1975 (keine haftungsbefreiende Wirkung des Entlastungsbeschlusses für den Vorstand bzw. den Aufsichtsrat). Tatsächlich übernimmt der SE-VOV 1970 in Art. 218 allerdings fast wortlautgetreu die ausführlich und unmittelbar kodifizierte Entlastungskompetenz aus Art. VI-6 – 2 Sanders Vorentwurf (siehe 4. Teil, Fn. 1001). Die unmittelbare Regelung entfiel erst im SE-VOV 1975. 305 Letzteres Argument wird wohl widerlegt durch § 104 Abs. 2 Nr. 3 AktG (Österreich), wonach auch die Hauptversammlung der österreichischen Aktiengesellschaft ausdrücklich über die Entlastung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder beschließt. Dasselbe gilt für die Hauptversammlung der österreichischen SE; vgl. Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 52 SE-VO Rn. 35. 306 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 52 SE-VO Rn. 26 f.; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 52 SE-VO Rn. 28; Kubis, in: MüKo-AktG, 2. Aufl. (2012), Art. 52 SE-VO Rn. 19; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 52 SE-VO Rn. 13; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 Rn. 30; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 236; ders., in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SEKo., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 30; Baatz/Weydner, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG (2005), 6. Kap. Rn. 24 (im Anschluss Fürst/Klahr, a.a.O., in der 2. Aufl. (2014), Rn. 24); Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. 16; dies., in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.580; Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 282; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 645; Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 383; Wicke, MittBayNot 2006, 196, 203; vgl. auch Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 (§ 23 Abs. 4 Satz 1 der Mustersatzung).

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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die Vorentwürfe eine „wechselvolle Geschichte“ hinter sich, und aufgrund der „potentiellen Verkoppelung von Schadensersatzsystem und Entlastungsbeschlüssen und der grundsätzlichen Abstinenz der SE-VO gegenüber den Klage- und Haftungsinstrumenten [spreche] viel dafür, hier eine Lückenfüllung durch die Mitgliedstaaten nach Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO anzunehmen.“307 Ähnlich argumentiert Schwarz: Weil sich gemäß Art. 51 SE-VO die Haftung der Organmitglieder allein nach dem Sitzstaatrecht richte und dieses Sitzstaatrecht eine Entlastung durchaus mit einer Enthaftung verbinden könne, stehe die Verordnung einem solchen Entlastungsbeschluss nicht entgegen.308 Für dasselbe Ergebnis spreche, dass „hinsichtlich der Abberufung der Organmitglieder das nationale Recht zu Anwendung“ komme und die „verweigerte Entlastung … für die Abberufung aus wichtigem Grund ausreichen“ könne.309 Kiem deutet im selben Zusammenhang die verweigerte Entlastung als „quasi eine Vorstufe zur Vorbereitung der Abberufung.“310 Zudem seien „im Hinblick auf die in rechtlicher Hinsicht beschränkten Folgen einer Entlastung der Verwaltung keine zwingenden Gründe ersichtlich, die einer Etablierung der Entlastungsentscheidung der Hauptversammlung im Recht der deutschen SE entgegenstehen würden.“311 Maul schließlich hebt den Unterschied zwischen dem Prinzip der enumerativen Aufzählung von Hauptversammlungskompetenzen in den Vorentwürfen bis 1989 einerseits und der Verweisungstechnik in der SE-VO andererseits hervor: Wegen dieses Systemwechsels könne aus der Tatsache, dass im SE-VOV 1989 keine Entlastungskompetenz der Hauptversammlung vorgesehen sei, nicht abgeleitet werden, dass die heutige SE-VO in Hinblick auf mitgliedstaatliche Entlastungskompetenzen nicht regelungsoffen sei.312 Im Ergebnis sprechen die besseren Gründe für eine Entlastungskompetenz der Hauptversammlung. Denn selbst wenn man mit Brandt davon ausgehen wollte, dass der Verordnungsgeber sich den Anregungen des Europaparlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses ganz bewusst verweigerte, so kann aus diesem Regelungsverzicht nicht ein insofern abschließender Charakter der SE-VO abgeleitet werden. Denn anders als die SE-VOV von 1970, 1975 und 1989 erheben der SE-VOV 1991 und die SE-VO gerade nicht mehr den Anspruch einer umfassenden gesell307 Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 236; etwas abweichend dann aber ders., in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 30. 308 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 Rn. 30; ebenso Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 30; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 52 SE-VO Rn. 28. 309 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 Rn. 30; ebenso Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 30; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 52 SE-VO Rn. 28. 310 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 52 SE-VO Rn. 28. 311 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 52 SE-VO Rn. 28. 312 Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. 16; parallel hierzu ihre Argumentation zur angeblichen Anwendbarkeit des § 111 Abs. 3 Sätze 3 – 5 AktG auf die deutsche SE (siehe oben 4. Teil, Fn. 297.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

schaftsrechtlichen Kodifikation mit abschließend-enumerativ aufgeführten Hauptversammlungskompetenzen.313 Mit der Nichtaufnahme der Anregungen zum SEVOV 1989 kann der Verordnungsgeber also ebenso darauf abgezielt haben, die Entlastungskompetenz über den (im SE-VOV 1991 erstmals in Ansätzen vorhandenen) allgemeinen Verweisungsmechanismus einer Regelung durch die Mitgliedstaaten zu überlassen.314 Diese Schwachstelle in Brandts ansonsten schlüssiger historischer Argumentationslinie deckt Maul zutreffend auf. Und auch in der Sache ergibt die Entlastungsentscheidung in der SE Sinn. Denn begrifflich und historisch ist die Entlastung kein Sonderfall des deutschen Aktienrechts, dessen Erstreckung auf verwandte Rechtsbereiche einer besonderen Begründung bedürfte, sondern – im Gegenteil – eng verwoben mit der allgemeinen Rechenschaftspflicht des Geschäftsleiters,315 die wiederum ihre Wurzeln in § 666 BGB hat und von dort aus in das gesamte deutsche Verbands- und Kapitalgesellschaftsrecht,316 einschließlich des Rechts der deutschen SE, ausstrahlt. Die Entlastungsentscheidung nimmt dem Entlasteten gleichsam die durch § 666 BGB auferlegte Last von den Schultern, für den betreffenden Zeitraum darüber Rechenschaft ablegen zu müssen, wie er mit dem von den Aktionären zur Verfügung gestellten Kapital gewirtschaftet hat. Diese Last obliegt den Mitgliedern eines SE-Aufsichtsorgans nicht weniger als denen eines AG-Aufsichtsrats. Es ist daher richtig und stimmig, auch das Gegenstück dieser Belastung als Bestandteil des Rechts der deutschen SE anzuerkennen. Nicht begründen lässt sich die Erstreckung der Entlastungsvorschriften auf die deutsche SE dagegen mit dem von Schwarz und Spindler in Bezug genommenen Art. 51 SE-VO. Danach haften die SE-Organmitglieder gemäß Sitzstaat-Aktienrecht für den Schaden, den sie der SE durch eine Pflichtverletzung zufügen. Zum deutschen Konzept der Entlastung ergeben sich keine Berührungspunkte, weil eine Entlastung wegen § 120 Abs. 2 Satz 2 AktG für Schadensersatzansprüche gegen das 313 Zutreffend Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. 16. Siehe auch bereits oben Abschnitt „Ersetzung der fehlenden Zustimmung im Einzelfall, § 111 Abs. 4 Sätze 3 – 5 AktG?“, S. 269. 314 Siehe bereits oben Abschnitt „Ersetzung der fehlenden Zustimmung im Einzelfall, § 111 Abs. 4 Sätze 3 – 5 AktG?“, S. 269. 315 Zum historischen Zusammenhang zwischen Rechnungslegungspflicht und Entlastung: Mülbert, in: GK-AktG, 4. Aufl. (1999), § 120 Rn. 1 f. Jedenfalls ungenau dagegen Kubis, in: Münchener Kommenar AktG, 2. Aufl. (2004), § 120 Rn. 4; Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 120 Rn. 19, die die Verbindung zwischen Entlastungsentscheidung und Rechnungslegung als (nur?) „faktisch“ bezeichnen. 316 Ausprägungen finden sich etwa in § 93 Abs. 2 Satz 2 (Beweisbelastung des Vorstands hinsichtlich der Sorgfältigkeit seiner Geschäftsführung) und § 131 AktG (Frage- und Auskunftsrecht der Aktionäre gegenüber der Verwaltung), die beide für die deutsche SE gelten. Auch im Recht der öffentlichen Körperschaften findet sich der Zweiklang aus Rechenschaftspflicht und Entlastung wieder (vgl. Art. 114 GG, § 77 Abs. 1 SGB IV, § 79 Abs. 3 Nr. 5 SGB V). Und möglicherweise ergibt sich sogar eine Verbindung zwischen dem deutschen Entlastungsbegriff (im Schweizer Aktienrecht: „Décharge“) und dem militärischen Begriff der „Honorable Discharge“, also der ehrenvollen Entlassung aus dem Dienst.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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Organmitglied gerade keine Bedeutung hat. Allein die abstrakte Möglichkeit einer Verknüpfung der beiden Rechtsbereiche per Gesetzesänderung in der Zukunft rechtfertigt es nicht, die deutschen Entlastungsvorschriften bereits in ihrer gegenwärtigen Fassung als Teil des von Art. 51 SE-VO erfassten bzw. mit ihm in Verbindung stehenden Regelungsbereichs einzuordnen. Auch Schwarz und Spindler stützen die Entlastungskompetenz denn auch letztlich auf Art. 52 Satz 2 SE-VO und nicht auf die in Art. 51 SE-VO enthaltene Verweisung.317 Und auch die These, die Entlastung (bzw. deren Verweigerung) sei mit den mitgliedstaatlichen Regelungen über die Abberufung verknüpft und daher ebenso wie diese Abberufungsvorschriften auf die SE anzuwenden, geht fehl. Denn zum einen richtet sich die Zuständigkeit der SE-Hauptversammlung für die Abberufung der Aufsichtsorganmitglieder gerade nicht nach mitgliedstaatlichem Recht (nur für das „Wie“ der Abberufung gilt teilweise mitgliedstaatliches Recht),318 und zum anderen sind die Entlastungsentscheidung und der „wichtige Grund“ für eine Abberufung nach § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG schon im deutschen Aktienrecht nicht miteinander verknüpft: Aufsichtsrats- bzw. Aufsichtsorganmitglieder kann die Hauptversammlung ohnehin unabhängig von einem wichtigen Grund abberufen und entlasten; und auch ein Vorstands- bzw. Leitungsorganmitglied kann nicht deshalb (oder unter erleichterten Voraussetzungen) abberufen werden, weil ihm die Entlastung verweigert wurde. Allenfalls faktisch kann sich ein Zusammenhang ergeben, wenn die Kenntnis von dem Sachverhalt, der beispielsweise den Tatbestand eine groben Pflichtverletzung (§ 84 Abs. 3 Satz 1 Var. 1 AktG) ausfüllt, gleichzeitig die Aktionäre dazu motiviert, dem betreffenden Organmitglied die Entlastung zu verweigern, oder wenn die Aktionäre einen kritischen Sachverhalt zum Anlass nehmen, einem Organmitglied sowohl die Entlastung zu verweigern als auch das Vertrauen zu entziehen und durch den Vertrauensentzug wiederum einen wichtigen Grund zur Abberufung schaffen (§ 84 Abs. 3 Satz 1 Var. 3 AktG). Zu einem Element der Abberufung im rechtlichen Sinne wird die Entlastung auch dann natürlich nicht. Ungeachtet der vorgenannten Bedenken bleibt es freilich im Ergebnis bei der Anwendbarkeit der aktiengesetzlichen Entlastungskompetenz aus § 119 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2, § 120 Abs. 1 – 3 AktG auf die deutsche SE. Einschlägig ist die Spezialverweisung in Art. 52 Satz 2 SE-VO, da es sich um eine Angelegenheit handelt, „für die der Hauptversammlung einer dem Recht des Sitzstaats unterliegenden Aktiengesellschaft die Zuständigkeit … aufgrund der Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats … übertragen worden ist.“319 317 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 Rn. 30; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 30; jeweils a.E. 318 Hierzu ausführlich oben Abschnitt „Abberufung der Mitglieder“, S. 234. 319 Für Art. 52 Satz 2 SE-VO ebenfalls Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 Rn. 30; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 236; ders., in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 30; Maul, in: Van Hulle/ Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. 16; a.A. nur Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 383 (Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO).

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

2. Allgemeines § 119 Abs. 1 Nr. 3, § 120 Abs. 1 – 3 AktG bilden den gesetzlichen Rahmen für die Entlastung des SE-Aufsichtsorgans ebenso wie für die des AG-Aufsichtsrats. Unterschiede zur Rechtslage in der AG ergeben sich daher kaum: Der Beschluss ist alljährlich in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahres zu fassen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 AktG) – praktisch also regelmäßig im Rahmen der ordentlichen Hauptversammlung. Statthaft ist grundsätzlich ein Gesamtentlastungsbeschluss in Bezug auf alle Organmitglieder; über die Entlastung eines Einzelmitglieds ist gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 AktG Beschluss zu fassen, wenn die Hauptversammlung es beschließt oder wenn eine Minderheit es verlangt (Grundkapitalanteil 10 % und/oder 10 Mio. Euro). Rechtswirkungen zeitigt grundsätzlich weder die erfolgreiche noch die verweigerte Entlastung: Weder beinhaltet die verweigerte Entlastung einen Vertrauensentzug oder gar eine Abberufungsentscheidung,320 noch liegt in der erfolgreichen Entlastung ein Verzicht auf Ersatzansprüche wegen Pflichtverletzungen im Entlastungszeitraum (§ 120 Abs. 2 gegenüber § 93 Abs. 4, § 116 Satz 1 AktG). Der Entlastungsbeschluss wird gemäß Art. 57 SE-VO mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst. In persönlicher Hinsicht umfasst die Entlastungsentscheidung sämtliche Mitglieder des Aufsichtsorgans – einschließlich ggf. entsendeter Mitglieder und Arbeitnehmervertreter –, die während des gesamten abgelaufenen Geschäftsjahres oder während eines Teils dieses Geschäftsjahres Mitglied des Organs waren.321 In zeitlicher Hinsicht enthält die Entlastung ein zukunfts- und ein vergangenheitsbezogenes Element. Zum einen billigt die Hauptversammlung mit ihrem Entschluss die Tätigkeit der Entlasteten im zurückliegenden Geschäftsjahr322 „als im Großen und Ganzen gesetzes- und satzungsmäßig“323 und bringt damit wohl auch in nichtjuristischer Hinsicht eine gewisse Zufriedenheit und Anerkennung zum Ausdruck. Zum anderen spricht sie dem Entlasteten ihr Vertrauen und ihre Zuversicht aus, dass das positive Bild von seiner Verwaltungstätigkeit auch in der Zukunft Bestand haben werde.324 Insgesamt hat die positive Entlastungsentscheidung der 320

Siehe oben Abschnitt „Anwendbarkeit deutschen Aktienrechts“, S. 273. Ebenso für den AG-Aufsichtsrat: Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 120 Rn. 19; Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 120 Rn. 6, 21. 322 Zur Beschränkung des Entlastungsurteil auf den jeweiligen Entlastungszeitraum vgl. OLG Köln, ZIP 2011, 2102, 2106 („Periodenbezogenheit der Entlastungsbeschlüsse“). 323 So die vielfach anerkannte Formel für den Entlastungsbeschluss der AG-Hauptversammlung: BGH NJW 2003, 1032, 1033 („Macrotron“); Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 120 Rn. 12; Volhard, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 16 Rn. 2; a.A. (Entlastung nur auf Zweckmäßigkeit des Handelns und Vertrauenskundgabe bezogen) Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 120 Rn. 17 f.; Mülbert, in: GKAktG, 4. Aufl. (1999), § 120 Rn. 25, jeweils mit weiteren Nachweisen zu älterer Rechtsprechung und älterem Schrifttum; in dieselbe Richtung Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 120 Rn. 18. 324 Siehe die Nachweise unter obiger Fn. 323 sowie OLG Düsseldorf, AG 1996, 273, 274. 321

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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Hauptversammlung damit einen ähnlichen Bezugspunkt wie das gewerberechtliche Zuverlässigkeitsurteil einer Genehmigungsbehörde – mit dem Unterschied freilich, dass sich an die Entlastung unmittelbar keine spürbaren Rechtsfolgen anschließen. 3. Teilbarkeit des Entlastungsbeschlusses? Fraglich ist, inwieweit die Hauptversammlung an Stelle der in § 120 Abs. 1 Satz 1 AktG als Grundfall vorgesehenen Gesamtentlastung aller Organmitglieder mehrere Teilentlastungsbeschlüsse fassen kann. Zu denken ist an eine Aufspaltung in persönlicher, zeitlicher und sachlicher Hinsicht. Am wenigsten Probleme wirft zunächst eine Teilung nach persönlichen Kriterien auf, also eine Einzelentlastung der verschiedenen Organmitglieder oder eine separate Beschlussfassung über die Entlastung eines bestimmten Mitglieds nebst Gesamtentlastung aller übrigen Mitglieder. Die Zulässigkeit ergibt sich aus § 120 Abs. 1 Satz 2 AktG, und auch praktisch ist es der Hauptversammlung in der Regel ohne weiteres möglich, sich über unterschiedliche Personen unterschiedliche Meinungen zu bilden. Schon problematischer erscheint eine Differenzierung nach sachlichen Kriterien. Mit anderen Worten: Darf die Hauptversammlung ein positives oder negatives Entlastungsurteil auf bestimmte Tatsachen oder Vorgänge beschränken oder bestimmte Tatsachen oder Vorgänge davon ausklammern? Die in Bezug auf den AGEntlastungsbeschluss wohl herrschende Meinung erachtet eine Aussonderung bestimmter Vorgänge für zulässig, wenn jene klar abgrenzbar sind und nicht den Kernbereich der Amtsführung betreffen; unzulässig sein soll es dagegen, nur hinsichtlich bestimmter Einzelvorgänge Entlastung zu erteilen.325 Nur vereinzelt wird die Zulässigkeit einer derart sachlich geteilten Entlastung mit dem Argument bezweifelt, die Amtsführung der Organmitglieder könne nur insgesamt gebilligt bzw. missbilligt werden.326 Richtigerweise ist eine sachliche Aufteilung der Entlastungsentscheidung fundamental unvereinbar mit der in der Entlastung liegenden allgemeinen Billigung und 325 Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 120 Rn. 12a; Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 120 Rn. 24; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. I, Rn. 14; Sethe, ZIP 1996, 1321, 1323 – 1325; Döll, WM 2010, 103, 105, 111, 112; ebenso, aber etwas zurückhaltender Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 120 Rn. 23 f.; Schick, ZIP 2011, 593, 599. Nicht zum Beleg taugt das für diese Auffassung teilweise zitierte Urteil des OLG Düsseldorf, AG 1996, 273, in dem es a.a.O., 274, heißt: „… entspricht es nicht ,ganz herrschender Auffassung in der Literatur‘, dass eine Teilentlastung aktienrechtlich zulässig ist. Jedenfalls schließt sich der Senat dieser Auffassung … nicht an, …“ (siehe auch 4. Teil, Fn. 328). 326 Ebenfalls in Bezug auf die AG: Schüppen, ZIP 2010, 905, 907; wohl auch OLG Düsseldorf, AG 1996, 273, 274 f. (siehe 4. Teil, Fn. 325, 328); Grobecker, NZG 2010, 165, 168 f. („… dass dem deutschen Aktienrecht eine ,Teilentlastung‘ der Aufsichtsratsmitglieder im Bezug auf einzelne Verantwortlichkeiten fremd ist.“).

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Vertrauensbekundung. Denn die Frage, ob die Hauptversammlung dem betreffenden Organmitglied „im Großen und Ganzen“ vertraut und sein vergangenes Handeln allgemein billigt, lässt sich schlichtweg nicht sinnvoll mit „Ja, aber …“ beantworten.327 Sind die Aktionäre nur mit einzelnen, vergangenen Handlungen des zu Entlastenden unzufrieden, im Übrigen aber zufrieden, so steht es ihnen nicht zu, die missbilligten Aktionen bei einem grundsätzlich positiven Entlastungsvotum auszuklammern. Vielmehr haben sich die Aktionäre zu entscheiden, ob sie die kritischen Handlungen zum Anlass nehmen wollen, dem betreffenden Organwalter insgesamt die Entlastung zu verweigern, oder ob sie die Entlastung trotz der (also nicht: abgesehen von den) kritischen Aktionen erteilen.328 Ähnlich wie Vertrauensbekundungen in anderen, von persönlichem Vertrauen geprägten Lebensbereichen erlaubt auch die Entlastung mithin nur eine Entscheidung, die das gesamte Handeln der betreffenden Person umfasst. Die Entlastung ist daher in sachlicher Hinsicht immer umfassend zu erteilen oder umfassend zu verweigern. Fraglich ist schließlich, ob die Hauptversammlung in zeitlicher Hinsicht differenzieren darf. Das betrifft zum einen Entlastungsbeschlüsse, die den Entlastungszeitraum in mehrere Zeiträume zerlegen und für jene Zeiträume unterschiedliche Urteile fällen. Zum anderen erscheint denkbar, über das vergangenheitsbezogene und das in die Zukunft blickende Element der Entlastung jeweils separat zu beschließen. Hinsichtlich einer Zerlegung des Entlastungszeitraums in mehrere, unterschiedlich zu würdigende Einzelepisoden gilt dasselbe wie hinsichtlich einer sachlichen Aufteilung: Entgegen der wohl herrschenden Meinung in der aktiengesetzlichen Kommentarliteratur329 hat sich der Entlastungsbeschluss auf sämtliche Handlungen des zu Entlastenden im Entlastungszeitraum zu erstrecken; jene sind bei der Beschlussfassung zusammenfassend und nicht separat voneinander zu würdigen. Eine Differenzierung nach sachlichen oder zeitlichen Kriterien – mag sie auch noch so deutlich möglich sein – ist unstatthaft. Anderes kann allenfalls bei einer Zerlegung des Entlastungsbeschlusses in einen rückblickenden und einen in die Zukunft gerichteten Teil gelten. Denn folgt man den 327 Ähnlich, aber in anderem Zusammenhang J. Hoffmann, NZG 2010, 290, 292: „Bei der Entlastung handelt es sich um eine Billigung der gesamten Verwaltungstätigkeit im Entlastungszeitraum, nicht um die Würdigung einzelner Pflichtverletzungen.“ 328 In diesem Sinne auch OLG Düsseldorf, AG 1996, 273, 275: „Soweit [ein Autor] ausführt, es sei auch möglich, die Entlastung eingeschränkt zu erteilen, etwas derart, dass man zwar die Entlastung erteile oder die Geschäftsführung im allgemeinen billige, aber ausdrücklich erkläre, mit der Behandlung der einen oder anderen bestimmten Angelegenheit nicht einverstanden zu sein, liegt in Wahrheit keine Teilentlastung vor. Vielmehr liegt dann eine Billigung der Geschäftsführung im allgemeinen und insgesamt vor, obwohl, was zulässig ist, zu bestimmten Angelegenheiten die Missbilligung erklärt wird. Dennoch liegt dann eine Gesamtbeurteilung und damit der Sache nach eine – vollständige – Entlastung vor, allerdings verbunden mit Missfallensäußerungen in Einzelpunkten, die aber die Entlastung als solche nicht beeinträchtigen (siehe auch bereits oben 4. Teil, Fn. 325). 329 Siehe die Nachweise unter obiger Fn. 325.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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Rechtsprechungsgrundsätzen zur Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses wegen grober Gesetzes- oder Satzungsverstöße,330 so wird man der Hauptversammlung auch das Recht zubilligen müssen, den Entlastungsbeschluss in einen Bestandteil der rückblickenden Billigung und einen Bestandteil des in die Zukunft gerichteten Vertrauensausspruches aufzuspalten. Andernfalls wäre die Hauptversammlung zu einer widersprüchlichen Beschlussfassung genötigt, wenn die Wiederwahl und die Entlastung eines Organmitglieds ansteht, das sich in der Vergangenheit einen schweren Gesetzes- oder Satzungsverstoß zu Schulden kommen lassen hat, aber dennoch weiterhin das Vertrauen der Aktionärsmehrheit genießt: Die Hauptversammlung würde der betreffenden Person per Wiederwahl das Vertrauen für die Zukunft aussprechen, müsste ihr aber wegen der zurückliegenden Verfehlung den in der Entlastung liegenden Vertrauensausspruch für die Zukunft verweigern. Sinnvoll wird die Beschlussfassung nur dann, wenn die Hauptversammlung dem Organmitglied sowohl per Wiederwahl als auch per zukunftsbezogener Entlastung das Vertrauen auszusprechen kann und gleichzeitig die Möglichkeit erhält, die vergangenheitsbezogene Entlastung zu verweigern. 4. Vertagung statt Sachentscheidung? Fraglich ist schließlich, ob es der Hauptversammlung frei steht, an Stelle eines Beschlusses in der Sache eine Vertagung der Entlastungsentscheidung beschließen. Dies wird in Bezug auf die deutsche AG teilweise mit dem Argument bejaht, eine Vertagung sei zweckmäßig, „wenn eine abschließende Bewertung aller entscheidungserheblichen Umstände innerhalb der Entlastungsperiode – z. B. wegen einer andauernden Sonderprüfung – nicht möglich ist.“331 Gegen die Zulässigkeit einer Vertagung wird geltend gemacht, eine Vertagung über die Acht-Monats-Frist aus § 120 Abs. 1 Satz 1 AktG hinaus sei mit dem Wortlaut der Norm nicht vereinbar, der eine Sachentscheidung innerhalb der Frist fordere.332 Den Vorzug verdient die letztgenannte Ansicht. Das gewichtigste – wenn auch nicht einzige – Argument hierfür ist richtigerweise der Wortlaut des § 120 Abs. 1 Satz 1 AktG („… beschließt … über die Entlastung …“), der wohl nur mit Mühe dahingehend zu interpretieren ist, dass ein bloßer Verfahrensbeschluss zur Frist330 Hierzu oben Abschnitt „Sonderfall: Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses wegen Inhaltsfehler“, S. 144. 331 So Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 120 Rn. 27; ebenso Mülbert, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 120 Rn. 92; Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 120 Rn. 25; Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 120 Rn. 43; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. I, Rn. 12 f. Wohl auf Basis derselben Erwägung hat etwa die Hauptversammlung der Siemens AG 2008 beschlossen, die Entscheidung über die Entlastung von elf der zwölf Vorstandsmitglieder sowie des Aufsichtsratsvorsitzenden von Pierer für das Geschäftsjahr 2006/07 zu vertagen. Die Hauptversammlung 2009 vertagte die Entscheidung abermals hinsichtlich vier der Vorstandsmitglieder. 332 Hoffmann, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 120 Rn. 6.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

wahrung genügt. Welchen Sinn sollte die Frist auch sonst haben, als die, eine zeitnahe Entscheidung in der Sache sicherzustellen? Hinzu kommt, dass ein Hinausschieben der Entlastungsentscheidung bis zur nächsten ordentlichen Hauptversammlung (und noch mehr ein Hinausschieben über mehrere Jahre hinweg – wo sollten die Grenzen liegen?) die Entlastungsentscheidung erheblich erschwert und gleichzeitig in der Sache entwertet. Denn bereits bei Beachtung der Acht-Monats-Frist aus § 120 Abs. 1 Satz 1 AktG wird sich häufig die Situation ergeben, dass einige abstimmende Aktionäre ihre Mitgliedschaft gerade erst erworben haben und mit dem Wohl- oder Fehlverhalten der von ihnen zu entlastenden Organmitglieder weder zeitlich noch wirtschaftlich etwas zu tun haben. Ließe man eine Vertagung der Entlastungsentscheidung zu, so würde sich dieses Problem ganz erheblich verschärfen, und eine jahrelange Verzögerung der Entscheidung hätte möglicherweise zur Folge, dass längst ausgeschiedene Organmitglieder von Aktionären entlastet werden, die an den Geschehnissen des relevanten Geschäftsjahres gänzlich uninteressiert sind, weil sie ihre Aktien erst viel später erworben haben. Eine echte rückblickende Billigung des Organhandelns durch die Aktionäre wäre kaum möglich und verkäme zur reinen Formsache. Noch weniger kann ein nachgeholter Entlastungsbeschluss das in die Zukunft gerichtete Element der Entlastung beinhalten. Denn spätestens mit der Wiederwahl des betreffenden Organmitglieds im Zuge der ordentlichen Hauptversammlung, die eigentlich über die Entlastung dieses Organmitglieds hätte beschließen sollen, und erst recht mit der Entlastung für einen späteren Zeitraum bzw. einem späteren Ausscheiden desselben Mitglieds wird die in der Entlastung liegende, zukunftsgerichtete Vertrauenserklärung obsolet. Gegen eine zwingend zeitnahe Sachentscheidung spricht auch nicht die Erwägung, dass die Hauptversammlung unter Umständen über die Entlastung beschließen muss, bevor alle entscheidungserheblichen Tatsachen bekannt sind. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass den Aktionären zur ordentlichen Hauptversammlung noch nicht alle Fakten bekannt sind, die ein Wohl- oder Fehlverhalten der zu entlastenden Organmitglieder im zurückliegenden Geschäftsjahr belegen. So wird den Aktionären auf der einen Seite die Klugheit wichtiger strategischer Entscheidungen erst auf lange Sicht deutlich werden – ebenso wie die Aktionäre von kriminellen Vorgängen auf Verwaltungsebene regelmäßig nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung erfahren werden. Die Annahme, in der regulären Entlastung für das zurückliegende Geschäftsjahr liege eine „abschließende Bewertung aller entscheidungserheblichen Umstände innerhalb der Entlastungsperiode“333 (bzw. es könne ein Zeitpunkt abgewartet werden, zu dem dies der Fall sei), erweist sich daher bei Lichte gesehen als Illusion. Das Gegenteil ist der Fall: Die der Entlastungsentscheidung zugrunde liegende Erkenntnislage ist immer nur Momentaufnahme und die Entlastungsentscheidung dementsprechend nie ein abschließendes Endurteil über die Qualitäten des betroffenen Organmitglieds. Die Ungerechtigkeiten, die sich daraus ergeben (Ent333

Vgl. oben 4. Teil, Fn. 331.

A. Einfluss auf das Aufsichtsorgan

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lastung von Hochstaplern und Kriminellen bzw. keine Entlastung langfristig erfolgreicher Organwalter aufgrund kurzfristiger Rückschläge), gründen in der Natur des vom Gesetzgeber vorgesehenen jährlichen Beschlussintervalls und sind daher hinzunehmen. Auch erscheint es zweifelhaft, ob eine Vertagung überhaupt geeignet ist, die Qualität und Aussagekraft der Entlastung zu verbessern. Denn in der Regel ist der Qualität auch bei erheblichen Erkenntnislücken mit einem zeitnahen Beschluss unmittelbar betroffener und interessierter Aktionäre mehr gedient als mit einem späten Beschluss uninteressierter Aktionäre auf Basis eines formell-vollständig aufgeklärten Sachverhalts. Die Aussagekraft des Entlastungsbeschlusses basiert damit nicht nur auf seiner Tatsachengrundlage, sondern auch auf dem frühen Zeitpunkt des Beschlusses und dem unmittelbaren Eindruck der zurückliegenden Ereignisse, unter dem die Aktionäre abstimmen. Das gilt auch für Fälle offensichtlicher Erkenntnislücken, wie beispielsweise einer zum Hauptversammlungstermin noch nicht abgeschlossenen Sonderprüfung: Denn in demselben Maße, in dem die Lücken durch die Sonderprüfung gefüllt werden, entstehen durch schlichten Zeitablauf und verblassende und verwischte Erinnerung neue Lücken – mit dem Ergebnis, dass eine länger als acht Monate verzögerte Entlastung wohl praktisch keine andere Tatsachengrundlage mehr hätte als die kurze Episode, auf die sich ein Prüfungsbericht bezieht. Der Weg einer Vertagung des Entlastungsbeschlusses sollte schließlich auch aus Missbrauchsgesichtspunkten abgeschnitten werden. Denn unabhängig von der Lückenhaftigkeit der Erkenntnislage wird wohl kein rational handelnder Organwalter die Verschiebung seiner Entlastung anregen, wenn gerade diese Lückenhaftigkeit ein positives Bild für ihn zeichnet. Ein Organwalter dagegen, dem erhebliche Pflichtverletzungen oder unternehmerische Fehlschläge vorgeworfen werden, wird ungleich stärker versucht sein, mit der (schwer objektiv überprüfbaren) Behauptung, es seien noch nicht alle relevanten Tatsachen bekannt, eine Vertagung zu erreichen. Wird die Vertagung aber praktisch nur unter dem Eindruck eines bevorstehenden negativen Abstimmungsergebnisses vorgeschlagen, so liegt in ihr kein Erkenntnisoder Gerechtigkeitsgewinn, sondern nicht mehr als eine außergesetzliche Chance, sich ein unangenehmes Votum der Hauptversammlung zu ersparen. Es entstünde sogar die Gefahr, dass die Hauptversammlung gerade in kritischen Fällen letztlich gar nicht mehr über die Entlastung befindet. Denn ist die Sachentscheidung erst um ein oder zwei Hauptversammlungen vertagt, so sinkt die Zahl derer, die noch ein Interesse an der Entlastungsentscheidung haben, rapide ab. Die Gefahr einer Abfolge von Sonderprüfungsbeginn, Vertagung der Entlastung, Abberufung, Sonderprüfungsbericht, Vergleichsschluss (§ 93 Abs. 4 AktG) und schließlich dauerhaftem, stillschweigendem Verzicht auf den Entlastungsbeschluss wird auch durch die Rechtspraxis nicht widerlegt. Über die Entlastung – und zwar in der Sache – ist nach alledem zwingend innerhalb der Acht-Monats-Frist aus § 120 Abs. 1 Satz 1 AktG zu beschließen. Eine

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Vertagung der Sachentscheidung kommt nur in Betracht, soweit die Sachentscheidung noch innerhalb der Acht-Monats-Frist erfolgt. Zu einem weitergehenden Aufschub der Entlastungsentscheidung ist die Hauptversammlung nicht berechtigt. Beschließt sie ihn dennoch, so spricht viel dafür, den Beschluss als Verweigerung der Entlastung auszulegen.

B. Einfluss auf das Leitungsorgan In der Natur des dualistischen Systems deutscher Prägung liegt es, dass der Einfluss der Hauptversammlung auf das Leitungsorgan deutlich weniger intensiv ausfällt als die Hauptversammlungskompetenzen in Bezug auf das Aufsichtsorgan. Primär zuständig für die Gestaltung der rechtlichen Verhältnisse des Leitungsorgans ist vielmehr das Aufsichtsorgans, welches insbesondere die einzelnen Leitungsorganmitglieder ernennt, überwacht und abberuft. Soweit der Hauptversammlung dennoch einige wichtige Kompetenzen verbleiben, so beziehen sich diese zumeist auf die satzungsmäßige Gestaltung der Rahmenbedingungen.

I. Einfluss auf personelle Zusammensetzung 1. Abstrakt per Satzung a) Zahl der Leitungsorganmitglieder, Art. 39 Abs. 4 SE-VO, § 16 SEAG, § 38 Abs. 2 SEBG Gemäß Art. 39 Abs. 4 Satz 1 SE-VO werden die Zahl der Mitglieder des Leitungsorgans oder die Regeln für ihre Festlegung durch die Satzung bestimmt. Dem nationalen Gesetzgeber steht es gemäß Satz 2 offen, den Spielraum des Satzungsgebers durch Vorgabe einer Mindest- und/oder einer Höchstzahl zu beschränken. In Hinblick auf Satz 2 hat der deutsche Gesetzgeber § 16 Satz 1 SEAG erlassen, wonach das Leitungsorgan bei Gesellschaften mit einem Grundkapital von mehr als drei Millionen Euro aus mindestens zwei Personen zu bestehen hat, es sei denn, die Satzung bestimmt etwas anderes. Ferner sehen § 38 Abs. 2 SEBG, § 16 Satz 2 SEAG vor, dass Gesellschaften, die unter die „Mitbestimmung kraft Gesetzes“ (§§ 34 – 38 SEBG) fallen, über mindestens zwei Leitungsorganmitglieder zu verfügen haben, von denen einer für den Bereich Arbeit und Soziales zuständig ist (sogenannter Arbeitsdirektor). Ähnlich wie bei der Öffnungsklausel in Art. 40 Abs. 3 Satz 2 SE-VO (Zahl der Aufsichtsorganmitglieder)334 hat der deutsche Gesetzgeber auch die Ermächtigung in Art. 39 Abs. 4 SE-VO zum Anlass genommen, um einen weitgehenden Gleichlauf 334

Siehe oben Abschnitt „Gestaltung der Mitgliederzahl“, S. 211.

B. Einfluss auf das Leitungsorgan

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mit dem Recht der deutschen Aktiengesellschaft herzustellen: § 16 SEAG entspricht dabei § 76 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AktG,335 und § 38 Abs. 2 SEBG ist ersichtlich den §§ 33 MitbestG, 13 MontanMitbestG und 13 MitbestErgG nachempfunden.336 aa) Satzungsmäßige Festlegung der Mitgliederzahl, Art. 39 Abs. 4 SE-VO Soweit die SE weder einer Mitbestimmung kraft Gesetzes unterliegt noch über ein Grundkapital von mehr als drei Millionen Euro verfügt, bestimmen sich die Möglichkeiten der Hauptversammlung, auf die Mitgliederzahl Einfluss zu nehmen, allein nach Art. 39 Abs. 4 SE-VO. Zur Wahl stehen danach eine absolute Fixierung der Mitgliederzahl auf eine bestimmte Zahl oder eine indirekte Bestimmung der Mitgliederzahl über die Verankerung von „Regeln für ihre Festlegung.“ Obwohl Art. 39 Abs. 4 und Art. 40 Abs. 3 SE-VO (Zahl der Aufsichtsorganmitglieder) weitgehend parallel formuliert sind, ist das Maß an Bestimmtheit, dem eine satzungsmäßige Festlegungsregel in Hinblick auf die Leitungsorganmitglieder gerecht werden muss, weit weniger umstritten als die Parallelfrage zur Bestimmtheit der Festlegungsregel bei der Zahl der Aufsichtsorganmitglieder.337 So ist allgemein anerkannt, dass die Satzung sich auf die Festsetzung von Ober- und Untergrenzen beschränken kann, innerhalb derer das Aufsichtsorgan frei ist.338 Auch eine vollständige Delegation der Festlegungsentscheidung auf das Aufsichtsorgan wird akzeptiert.339 Die Satzung könne sich beispielsweise auf die Aussage beschränken, dass „das Leitungsorgan aus einer oder mehrerer Personen“ zu bestehen habe – das Aufsichtsorgan sei dann frei, die genaue Zahl zu bestimmen.340 335

Vgl. bereits den dahingehenden Vorschlag von Teichmann, ZIP 2002, 1109, 1114. Jedenfalls die zuerst genannte Parallele geht auf eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zurück; vgl. RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 35. 337 Zu Festlegungsregeln über die Zahl der Aufsichtsorganmitglieder siehe oben Abschnitt „Hinreichende Bestimmtheit der Erhöhung“, S. 215. 338 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 39 SE-VO Rn. 76; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 39 SE-VO Rn. 20; Drygala, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 39 SE-VO Rn. 50; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 39 SE-VO Rn. 10; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 50; Gößl, Satzung der SE, S. 204 f. 339 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 39 Rn. 71; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 39 SE-VO Rn. 76; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 50; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, Recht der SE (2013), Art. 39 SE-VO Rn. 39; Drygala, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 39 SE-VO Rn. 50; Gößl, Satzung der SE, S. 204 f.; Hommelhoff, in: FS Ulmer (2003), S. 267, 274. 340 Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 39 SE-VO Rn. 39; ders., in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko., 1. Aufl. (2008), Art. 39 SE-VO Rn. 38; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 39 SE-VO Rn. 20; ähnlich der Formulierungsvorschlag von Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 § 9 Abs. 1 Satz 2 („Mindestens besteht der Vorstand jedoch aus einer Person.“). 336

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Der herrschenden Meinung ist größtenteils beizupflichten. Denn gefordert ist nach dem eindeutigen Verordnungswortlaut auch an dieser Stelle nur eine Regel für die „Festlegung“. Es muss sich damit gerade nicht um eine willkürfreie, an abstraktgenerellen Kriterien festgemachte Berechnungsformel handeln. Der Hauptversammlung steht es insbesondere offen, auch solche Satzungsregeln zu erlassen, die die Entscheidung über die Mitgliederzahl teilweise oder in vollem Umfang einem Beschluss des Aufsichtsorgans unterwerfen. Auch eine Delegation an die Hauptversammlung ist möglich. Kritisch zu sehen ist allein der Vorschlag, eine Regelung in die Satzung aufzunehmen, nach der „das Leitungsorgan aus einer oder mehreren Personen“ besteht. Denn diese Formulierung allein geht kaum über den Regelungsgehalt des Art. 39 Abs. 4 Satz 1 SE-VO hinaus, welcher (mit anderer Wortwahl) ebenfalls ein ein- oder mehrköpfiges Leitungsorgan erlaubt. Wie eine solche Satzungsklausel zur Ausfüllung der in derselben Vorschrift enthaltenen Regelungsermächtigung geeignet sein soll, will daher auf den ersten Blick nicht recht einleuchten. Tatsächlich im Blick hat die Formulierung (bzw. haben die Autoren, die diese vorschlagen) freilich nicht eine bloße Wiederholung des Art. 39 Abs. 4 Satz 1 SE-VO, sondern eine – zulässige – Delegation der Festlegungskompetenz auf das Aufsichtsorgan. Inspiriert ist der Vorschlag vom nahezu identischen Wortlaut des § 76 Abs. 2 Satz 1 AktG.341 Diesen kann der AG-Satzungsgeber nach allgemeiner Ansicht übernehmen, um den Regelungsauftrag aus § 23 Abs. 3 Nr. 6 AktG342 zu erfüllen; dann sei der AG-Aufsichtsrat abschließend dafür zuständig, die genaue Zahl der Vorstandsmandate festzulegen.343 Hier wie dort drängt sich freilich die Frage auf, warum der Satzungsgeber die Festsetzungskompetenz des Aufsichtsrats bzw. -organs nicht etwas klarer zum Ausdruck bringen kann – insbesondere durch Nennung des zuständigen Organs –,344 so dass nicht erst im Wege der Auslegung deutlich wird, wer innerhalb der Gesellschaft für die Festlegung der Zahl zuständig ist. bb) Grundkapitalabhängige Mindestzahl, § 16 Satz 1 SEAG Gemäß § 16 Satz 1 SEAG hat das Leitungsorgan bei Gesellschaften mit einem Grundkapital von mehr als drei Millionen Euro aus mindestens zwei Personen zu bestehen, es sei denn, die Satzung bestimmt, dass es aus einer Person bestehen soll. Das in Art. 39 Abs. 4 SE-VO vorgesehene Verhältnis zwischen Satzung und Gesetz (grundsätzlich satzungsmäßige Festlegung; fakultative gesetzliche Mindest-/ Höchstzahl-Festlegung) wird damit scheinbar umgekehrt. Eine echte Einschränkung 341

„Der Vorstand kann aus einer oder mehreren Personen bestehen.“ „Die Satzung muss bestimmen … die Zahl der Mitglieder des Vorstands oder die Regeln, nach denen diese Zahl festgelegt wird.“ 343 Siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 76 Rn. 55; Spindler, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 76 Rn. 97; jeweils mit den dortigen Nachweisen. 344 So etwa der Vorschlag von Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 39 SE-VO Rn. 10. 342

B. Einfluss auf das Leitungsorgan

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der Satzungsfreiheit aus Art. 39 Abs. 4 Satz 1 SE-VO, die an Satz 2 desselben Artikels zu messen wäre,345 ergibt sich jedoch in Anbetracht der leichten satzungsmäßigen Abdingbarkeit der Mindestzahl nicht: Die Mindestzahl wird nach allgemeiner Ansicht bereits durch eine Klausel wirksam abbedungen, nach der „das Leitungsorgan aus einer oder mehreren Personen“ besteht.346 Das für die Festsetzung zuständige Organ hat dann die Möglichkeit, auch einen Einzelvorstand zu ernennen. cc) Mitbestimmungsabhängige Mindestzahl, § 38 Abs. 2 SEBG, § 16 Satz 2 SEAG Gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SEBG hat das Leitungsorgan in einer SE, für die die „Mitbestimmung kraft Gesetzes“ gilt (§§ 34 – 38 SEBG) mindestens aus zwei Personen zu bestehen. Eines der Leitungsorganmitglieder hat gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 SEBG die Zuständigkeit für den Bereich „Arbeit und Soziales“ zu übernehmen. Im Gegensatz zu § 16 Satz 1 SEAG enthält § 38 Abs. 2 Satz 1 SEBG damit eine zwingende Mindestzahl, die der Satzungsgeber auch durch explizite Anordnung nicht unterschreiten darf. Die Vereinbarkeit der Mindestzahl mit Art. 39 Abs. 4 Satz 2 Alt. 1 SE-VO lässt sich ohne weiteres bejahen. Denn mit der Einführung einer nur bei einem bestimmten Mitbestimmungsregime eingreifenden Mindestzahl hat der Gesetzgeber ein milderes Mittel im Verhältnis zu einer allgemein verbindlichen Mindestzahl gewählt. Zu letzterer wäre er gemäß Art. 39 Abs. 4 Satz 2 Alt. 1 SE-VO ohne Zweifel ermächtigt gewesen. dd) Verzicht auf Satzungsregelung? Fraglich ist schließlich, ob der Satzungsgeber auf eine Regelung der Mitgliederzahl des Leitungsorgans auch verzichten kann. Von der wohl ganz herrschenden Meinung wird dies zu Recht verneint.347 Entscheidend ist zum einen der Wortlaut des 345

So die Begründung zum RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 35; vgl. auch Teichmann, ZIP 2002, 1109, 1114. 346 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 39 SE-VO Rn. 75; Seibt, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 39 SE-VO Rn. 39; ders., in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko., 1. Aufl. (2008), Art. 39 SE-VO Rn. 38. Siehe ferner Gößl, Satzung der SE, S. 206 f., der in Anlehnung an BGH NZG 2002, 817, 818 („Sachsenmilch IV“) auch eine bloße Übertragung der Festlegungskompetenz an das Aufsichtsorgan als wirksame Abbedingung der Mindestzahl aus § 16 Satz 1 SEAG erachtet. 347 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 39 Rn. 71; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 39 SE-VO Rn. 10; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 39 SE-VO Rn. 75; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 39 SE-VO Rn. 39; Drygala, in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 39 SE-VO Rn. 50; Gößl, Satzung der SE, S. 114 f., 204; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 50; im Ergebnis ebenso Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 39 SE-VO Rn. 20, die jedoch auf den – hier nicht einschlägigen – § 23 Abs. 3 Nr. 6 AktG abstellen wollen.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Art. 39 Abs. 4 Satz 1 SE-VO, der die Regelung der Mitgliederzahl als zwingenden Satzungsbestandteil einordnet, und zum anderen der Verzicht des deutschen Gesetzgebers auf eine satzungsdispositive Festlegung der Mitgliederzahl nach dem Vorbild des § 17 Abs. 1 Satz 1 SEAG.348 b) Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter, Art. 47 Abs. 3 SE-VO? Gemäß Art. 47 Abs. 3 SE-VO kann die Satzung „für Mitglieder, die die Aktionäre vertreten, in Anlehnung an die für Aktiengesellschaften geltenden Rechtsvorschriften des Sitzstaats der SE besondere Voraussetzungen für die Mitgliedschaft festlegen.“ Die Formulierung „in Anlehnung“ ist dabei dahingehend zu verstehen, dass nur solche Satzungsregeln zulässig sind, die auch nach dem nationalen Aktienrecht des SE-Sitzstaats zulässig wären.349 Satzungsmäßige Eignungsvoraussetzungen für Leitungsorganmitglieder einer deutschen SE sind also nur insoweit zulässig, als sie sowohl von Art. 47 Abs. 3 SE-VO als auch vom Recht des deutschen AG-Vorstands abgedeckt werden. Nach nahezu einhellig vertretener Ansicht kann der deutsche SE-Satzungsgeber auf Basis des Art. 47 Abs. 3 SE-VO für Mitglieder des Leitungsorgans Eignungsvoraussetzungen aufstellen, soweit dem Aufsichtsorgan bei der Bestellung noch ein gewisses Auswahlermessen verbleibt.350 Es gelte insofern dasselbe wie in Hinblick auf den AG-Vorstand.351 Dass Art. 47 Abs. 3 SE-VO Eignungsvoraussetzungen nur für Organmitglieder erlaube, „die die Aktionäre vertreten“, stehe dem nicht entgegen, da der Verordnungsgeber an dieser Stelle lediglich eine Regelungskompetenz in

348

Durch die Festsetzung einer absoluten Leitungsorgan-Mitgliederzahl (satzungsdispositiv nach dem Vorbild des § 17 Abs. 1 Satz 1 SEAG oder zwingend) hätte der deutsche Gesetzgeber den in Art. 39 Abs. 4 Satz 1 SE-VO vorgesehenen Regelungszwang aushebeln können; vgl. Gößl, Satzung der SE, S. 114 f., sowie oben Abschnitt „Verzicht auf Satzungsregelung?“, S. 218. 349 Ganz h.M.; siehe oben Abschnitt „Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter, Art. 47 Abs. 3 SE-VO, S. 218, mit den Nachweisen im 4. Teil in Fn. 35. 350 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 47 SE-VO Rn. 9; Siems, in: Kölner Kommentar AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 47 SE-VO Rn. 30 – 32; Teichmann, in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 47 SE-VO Rn. 18; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 47 SE-VO Rn. 8; Drinhausen, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 47 SE-VO Rn. 26; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 47 SE-VO Rn. 18 f.; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 510; wohl auch Schwarz, SE-VO (2006), Art. 47 Rn. 46; Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes, 5. Abschn., § 2 Rn. 7; zurückhaltender Gößl, Satzung der SE, S. 131; a.A. möglicherweise Scheifele, Gründung (2004), S. 166. 351 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 47 SE-VO Rn. 9; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 47 SE-VO Rn. 18.

B. Einfluss auf das Leitungsorgan

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Bezug auf Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan habe ausschließen wollen.352 Das erscheint aus zwei Gründen zweifelhaft. Denn zum einen ist das genannte Verständnis der Wendung „Mitglieder, die die Aktionäre vertreten“, nicht zwingend; zum anderen lässt sich eine Regelungskompetenz des Satzungsgebers auch im Recht des deutschen AG-Vorstands nicht ohne weiteres begründen. Zumindest angreifbar ist zunächst die These, die Formulierung in Art. 47 Abs. 3 SE-VO, wonach der Satzungsgeber „für Mitglieder, die die Aktionäre vertreten,“ besondere Voraussetzungen festlegen kann, entfalte nur in Hinblick auf potenziell mitbestimmte Aufsichts- und Verwaltungsorgane eine beschränkende Wirkung. Gelingen kann eine solche Auslegung nämlich nur dann, wenn Leitungsorganmitglieder gleichsam zwingend Aktionärsvertreter im Sinne des Art. 47 Abs. 3 SE-VO sind oder – und so sind die Vertreter der herrschenden Ansicht wohl zu verstehen – wenn Art. 47 Abs. 3 SE-VO dahingehend teleologisch reduziert werden kann, dass sich die Formulierung nur auf solche SE-Organe bezieht, die sich aus Anteilseignerund Arbeitnehmervertretern zusammensetzen. Die erste Variante erscheint nicht vereinbar mit der wohl herrschenden Prämisse, nach der ein AG-Vorstand gerade nicht einseitig auf die Interessen der Anteilseigner („shareholder value“) ausgerichtet ist, sondern auf ein Unternehmensinteresse, in das auch Arbeitnehmer- und Gemeinwohlinteressen einfließen können („stakeholder value“).353 Und auch der zweite Begründungsansatz erscheint zweifelhaft. So lässt der Wortlaut354 des Art. 47 Abs. 3 SE-VO keinesfalls darauf schließen, dass sich einerseits die Regelungsermächtigung schrankenlos auf alle SE-Verwaltungsorgane erstreckt und sich andererseits die Aktionärsvertreter-Wendung nur auf potenziell mitbestimmte Organe bezieht. Denn die Vorschrift ist gerade nicht als Generalermächtigung unter Ausklammerung der Arbeitnehmervertreter formuliert, sondern als von vornherein auf Aktionärsvertreter beschränkte Ermächtigung. So lässt der Wortlaut ebenso Raum für die These, dass die Hauptversammlungskompetenz, Eignungsvoraussetzungen für Organmitglieder aufzustellen, denselben personellen Anwendungsbereich hat wie ihre Kompetenz, Organmitglieder konkret-individuell auszuwählen. Da die Mitglieder des Leitungsorgans nur vom Aufsichtsorgan bestellt werden, wären satzungsmäßige Eignungsvoraussetzungen insofern unzulässig. Letzteres Verständnis des Art. 47 Abs. 3 SE-VO ergibt wohl vor allem aus Sicht solcher Mitgliedstaaten Sinn, in denen die Mitbestimmung der Arbeitnehmer keine besondere Tradition hat und in denen es dementsprechend 352 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 47 Rn. 46; Siems, in: Kölner Kommentar AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 47 SE-VO Rn. 30; Drinhausen, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 47 SE-VO Rn. 26; jeweils ohne Begründung. 353 Siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 76 Rn. 30 – 33; das shareholder-valueModell zu Recht verteidigend Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 76 Rn. 30 – 39. 354 Aus anderen Sprachfassungen lassen sich insofern keine Erkenntnisse ableiten, die sich nicht auch aus dem deutschen Text ergäben.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

schwer fallen wird, in Art. 47 Abs. 3 SE-VO eine ungeschriebene, mitbestimmungsspezifische Besonderheit hineinzulesen – zumal andere organisationsrechtliche SE-VO-Vorschriften, die auf die Mitbestimmung der Arbeitnehmer abstellen, durchweg ausdrücklich Bezug auf die „Mitbestimmung der Arbeitnehmer“ bzw. die SE-RL (z. B. Art. 40 Abs. 2 Satz 3, Art. 43 Abs. 3 Satz 3 und Art. 50 Abs. 3) nehmen. Ein britischer Rechtsanwender beispielsweise wird in die Wendung „for members representing the shareholders“ nicht ohne weiteres eine Positivangrenzung (nur) gegenüber Organmitgliedern, die von Arbeitnehmern gewählt werden, hineinlesen. Insgesamt sprechen damit die besseren Gründe dafür, dass bereits Art. 47 Abs. 3 SE-VO keine satzungsmäßigen Eignungsvoraussetzungen für Leitungsorganmitglieder erlaubt. Und selbst wenn man Art. 47 Abs. 3 SE-VO mit der herrschenden Ansicht auch auf Eignungsvoraussetzungen für Leitungsorganmitglieder beziehen wollte, erscheint deren Zulässigkeit in der deutschen SE fraglich. Denn es käme dann darauf an, ob solche Voraussetzungen für den deutschen AG-Vorstand zulässig wären, was – anders als die zitierten Stellungnahmen suggerieren – nicht abschließend geklärt ist. Die überwiegende Ansicht bejaht die Zulässigkeit verbindlicher Vorgaben mit der genannten Einschränkung, dass dem Aufsichtsrat ein gewisser Ermessensspielraum verbleiben müsse.355 Denn der Satzungsgeber könne die Leitungsautonomie des Vorstands auch über den Unternehmensgegenstand eingrenzen; er sei daher ebenso berechtigt, „durch Satzungsregelung die Verwirklichung dieser inhaltlichen Ziele durch entsprechende personelle Maßnahmen zu erreichen.“356 Auch historisch – nämlich auf Basis des HGB-Aktienrechts – habe eine solche Kompetenz des Satzungsgebers nie in Zweifel gestanden.357 Verstoße der Aufsichtsrat gegen eine satzungsmäßige Vorgabe, so könne er das betroffene Vorstandsmitglied aus wichtigem Grund abberufen (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG).358

355

Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 76 Rn. 127 f.; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 76 Rn. 60; Kort, in: GK-AktG, 5. Aufl. (2015), § 76 Rn. 274, 276; Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 76 Rn. 37; Spindler, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 76 Rn. 110, § 84 Rn. 28; Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 3. Aufl. (2013), § 31 MitbestG Rn. 13 f.; Weber, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 76 Rn. 76; Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 76 Rn. 17; Wiesner, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 4. Aufl. (2015), § 20 Rn. 6. 356 Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 76 Rn. 25; inhaltlich ebenso Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 76 Rn. 127; Weber, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 76 Rn. 76 a.E. 357 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 76 Rn. 127 mit Verweis auf Literaturstimmen aus dem ersten Drittel des letzten Jahrhunderts. 358 Kort, in: GK-AktG, 5. Aufl. (2015), § 76 Rn. 276; Spindler, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 84 Rn. 36.

B. Einfluss auf das Leitungsorgan

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Die Gegenansicht verneint die Zulässigkeit derartiger Eignungsvorgaben.359 Die Rechtsmacht des AG-Aufsichtsrats in Bezug auf die Vorstandsbestellung sei vom Aktiengesetz systematisch umfassend abgesichert und werde nur insofern punktuell durchbrochen, als dass die Hauptversammlung per Vertrauensentzug einen wichtigen Abberufungsgrund schaffen (§ 84 Abs. 3 Satz 2 Var. 3 AktG) oder über die Ernennung bzw. Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder indirekt Einfluss ausüben könne.360 Auch die Tatsache, dass die Zulässigkeit satzungsmäßiger Vorstands-Eignungsvoraussetzungen zur Zeit des HGB-Aktienrechts nicht in Frage gestellt wurde, lasse keinen Rückschluss auf die gegenwärtige Rechtslage zu; denn seinerzeit sei der Satzungsgeber sogar dafür zuständig gewesen, das für die Vorstandsbestellung zuständige Organ zu benennen.361 Zulässig seien allenfalls unverbindliche Vorgaben.362 Richtigerweise sind satzungsmäßige Eignungsvoraussetzungen für AG-Vorstandsmitglieder unzulässig. Da sie im Aktiengesetz nicht ausdrücklich zugelassen sind, kämen sie allenfalls als ergänzende Bestimmung gemäß § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG in Betracht.363 Danach sind (gesetzes-)ergänzende Satzungsbestimmungen zulässig, es sei denn, dass das Aktiengesetz eine abschließende Regelung enthält.364 Eine solche abschließende Regelung trifft das Aktiengesetz für Vorstands-Eignungsvoraussetzungen. Deutlich wird dies insbesondere mit Blick auf die möglichen Rechtsfolgen bei Verfehlen der Voraussetzungen: So enthält das Gesetz einerseits in § 76 Abs. 3 AktG einen abschließenden Katalog an Gründen für die Nichtigkeit einer Vorstandsbestellung, der sich einer satzungsmäßigen Gestaltung entzieht; und andererseits ist in § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG bestimmt, dass die Hauptversammlung einen wichtigen Grund für den Widerruf der Vorstandsbestellung setzen kann, indem sie dem betreffenden Vorstandsmitglied individuell das Vertrauen entzieht; auch hier ist von einer abstrakt-generellen Gestaltung sonstiger wichtiger Gründe nicht die Rede.365 Gewicht gewinnt das Schweigen des Gesetzes in § 76 Abs. 3, § 84 Abs. 3 AktG dadurch, dass die satzungsmäßige Gestaltung von Aufsichtsrats-Eignungsvoraussetzungen in § 100 Abs. 4 AktG ausdrücklich erlaubt wird: Gemessen an der Tatsache, dass es der Gesetzgeber an dieser Stelle für notwendig hielt, eine aus359

Grundlegend Hommelhoff, BB 1977, 322; ebenso Mertens/Cahn, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), § 76 Rn. 116; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 7 Rn. 341. 360 Hommelhoff, BB 1977, 322, 324 f. 361 Hommelhoff, BB 1977, 322, 323. 362 Mertens/Cahn, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), § 76 Rn. 116; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 7 Rn. 340. 363 Hommelhoff, BB 1977, 322, 323; unzutreffend dagegen Spindler, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 84 Rn. 28, der die hier vertretene Ansicht „mit Blick auf die Satzungsfreiheit als zu restriktiv“ ablehnt. 364 Zur Satzungsstrenge in der deutschen SE siehe unten Abschnitt „Satzungsstrenge“, S. 371. 365 Nach wohl ganz h.M. kann der AG-Satzungsgeber denn auch nicht definieren, was als wichtiger Grund im Sinne des § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG in Frage kommt; siehe nur Spindler, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 84 Rn. 126; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), § 84 Rn. 123, mit den dortigen Nachweisen.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

drückliche Gesetzesgrundlage für satzungsmäßige Eignungsvoraussetzungen zu schaffen, mit denen die Hauptversammlung ihr eigenes Bestellungsermessen einschränkt, wäre es verfehlt, der Hauptversammlung das Recht zuzubilligen, mit satzungsmäßigen Eignungsvoraussetzungen auf ungeschriebener Gesetzesgrundlage in das Bestellungsermessen eines anderen Organs – nämlich des Aufsichtsrats – einzugreifen. Eine solche Satzungsbestimmung hätte nicht ergänzenden, sondern umgestaltenden Charakter. Sowohl Art. 47 Abs. 3 SE-VO als auch die „Anlehnung“ an das Recht des deutschen AG-Vorstands stehen damit satzungsmäßigen Eignungsvoraussetzungen für SE-Leitungsorganmitglieder entgegen. c) Festlegung der Amtszeit, Art. 46 Abs. 1 SE-VO Ebenso wie die Amtszeit der Aufsichtsorganmitglieder so wird auch die Amtszeit der Leitungsorganmitglieder gemäß Art. 46 Abs. 1 SE-VO unmittelbar in der Satzung und auf höchstens sechs Jahre festgelegt. In beiden Fällen handelt es sich um einen obligatorischen Satzungsbestandteil,366 der eine absolute Zahl enthalten muss und sich nicht auf eine Berechnungsformel, ein Festsetzungsverfahren oder eine Delegation der Entscheidungskompetenz beschränken darf.367 Es gelten dieselben Erwägungen wie zur Festlegung der Aufsichtsorgan-Amtszeit.368 Dem Satzungsgeber steht es also insbesondere nicht offen, die Kompetenzordnung der deutschen AG nachzubilden, in der der Aufsichtsrat (in den Grenzen des § 84 Abs. 1 AktG) nach eigenem Ermessen über die Amtszeit des Vorstands entscheidet.369

366

Siehe oben 4. Teil, Fn. 77. Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 46 SE-VO Rn. 12; Teichmann, in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 4; Austmann, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 4. Aufl. (2015), § 86 Rn. 4; ebenso AG Hamburg, ZIP 2005, 2017, 2018 („Zoll Pool Hafen Hamburg SE“) für das Verwaltungsorgan; wohl auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. (2014), § 19 Rn. 1396 (anders dagegen unter Rn. 1365); a.A. Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 46 SE-VO Rn. 5; Reichert/ Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 46 SE-VO Rn. 3; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 46 Rn. 13 – 15; Drinhausen, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 46 SE-VO Rn. 10 – 12; ders., in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes, 5. Abschn., § 2 Rn. 10 f.; Kolster, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG (2005), 4. Kap. Rn. 84 (ebenso Hagemann/ Tobies, a.a.O., in der 2. Aufl. (2014), Rn. 95); Marsch-Barner, in: Handbuch börsennotierte AG, 3. Aufl. (2014), § 3 Rn. 47; Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 § 9 Abs. 3; Gößl, Satzung der SE, S. 208 – 210; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 494; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 74; Drinhausen/Nohlen, ZIP 2009, 1890, 1892 – 1894; Hoffmann-Becking, ZGR 2004, 355, 364; Frodermann/Jannott, ZIP 2005, 2251. 368 Siehe oben Abschnitt „Festlegung der Amtszeit, Art. 46 Abs. 1 SE-VO“, S. 226. 369 Nicht mit Art. 46 Abs. 1 SE-VO vereinbar daher die von Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845, unter § 9 Abs. 3 vorgeschlagene Klausel („Der Aufsichtsrat bestimmt die Amtszeit des Vorstands bei dessen Bestellung.“). 367

B. Einfluss auf das Leitungsorgan

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Übertragbar aus dem Recht der deutschen AG ist dagegen der Grundsatz, nach dem die Untergrenze der Amtszeit bei einem Jahr liegt.370 Eine kürzere Amtszeit würde bedeuten, dass das Schicksal des Leitungsorgans auch im laufenden Geschäftsjahr weitgehend in den Händen des Aufsichtsorgans läge, welches laufend über Ende oder Verlängerung des Organverhältnisses zu befinden hätte, ohne wichtige Gründe nach § 84 Abs. 3 AktG berücksichtigen zu müssen.371 Zu einer eigenverantwortlichen Tätigkeit, wie sie Art. 39 Abs. 1 Satz 1 SE-VO im Blick hat, wäre das Leitungsorgan dann nicht mehr in der Lage. Praktisch befriedigend ist die absolute Festlegung der Amtszeit per Satzung nicht. Denn insbesondere bei Erstbestellungen, in Übergangs- und Überbrückungssituationen sowie bei Kollision der regulären Amtszeit mit Ruhestands- und Altersgrenzen wird es sich aus Sicht des AG-Aufsichtsrat anbieten, für den betreffenden Vorstandskandidaten ausnahmsweise eine verkürzte Amtszeit zu bestimmen. Dem SE-Aufsichtsorgan dagegen sind auch in Sondersituationen die Hände gebunden. Angesichts des gegenwärtig klaren Verordnungswortlauts steht es freilich allein in der Macht des Verordnungsgebers, hier das wünschenswerte Mehr an Flexibilität zu schaffen. d) Einschränkung der Wiederwahl, Art. 46 Abs. 2 SE-VO Gemäß Art. 46 Abs. 2 SE-VO können SE-Organmitglieder vorbehaltlich in der Satzung festgelegter Einschränkungen einmal oder mehrmals für den gemäß Art. 46 Abs. 1 SE-VO festgelegten Zeitraum wiederbestellt werden. Auch hier gilt nichts anderes als für die Wiederwahl von Aufsichtsorganmitgliedern:372 Zulässig ist danach insbesondere eine satzungsmäßige Begrenzung der Amtsperioden,373 nicht aber eine Satzungsklausel, die eine automatische Verlängerung oder Erneuerung der Amtsperioden anordnet.374 e) Spezielle Beschlussfähigkeits- und Mehrheitserfordernisse im Aufsichtsorgan, Art. 50 Abs. 1 SE-VO Die Hauptversammlung kann schließlich indirekten Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Leitungsorgans ausüben, indem sie in die Satzung gemäß Art. 50 Abs. 1 SE-VO Regeln zur Beschlussfassung und -fähigkeit des Aufsichtsorgans aufnimmt, die sich speziell auf die Berufung von Leitungsorganmitgliedern 370

Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 46 SE-VO Rn. 5; Theisen/ Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 287. 371 In dieselbe Richtung zum AG-Vorstand: Mertens/Cahn, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), § 84 Rn. 24. 372 Siehe oben Abschnitt „Einschränkung der Wiederwahl, Art. 46 Abs. 2 SE-VO“, S. 293. 373 Siehe die Nachweise im 4. Teil in Fn. 88. 374 Siehe die Nachweise im 4. Teil in Fn. 90.

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beziehen. So kann die Satzung beispielsweise besonders strenge oder milde Mehrheitserfordernisse vorsehen oder dem Aufsichtsorganvorsitzenden das Recht verleihen, Kandidaten für das Leitungsorgan zu nominieren oder ein Veto gegen anderweitig vorgeschlagene Kandidaten einzulegen.375 2. Konkret durch Vertrauensentzug, § 84 Abs. 3 Satz 2 Var. 3 AktG Eine konkret-individuelle Einflussnahme auf die personelle Zusammensetzung des Leitungsorgans ist der Hauptversammlung grundsätzlich nicht möglich. Lediglich indirekt kann die Hauptversammlung für die Abberufung sämtlicher Leitungsorganmitglieder sorgen, indem sie per Satzungsänderung einen Wechsel vom dualistischen ins monistische System vollzieht.376 Zur Abberufung berechtigt ist stattdessen das Aufsichtsorgan gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 1 SE-VO. Die an die Mitgliedstaaten gerichtete Ermächtigung aus Art. 39 Abs. 2 Satz 2 SE-VO, der Hauptversammlung das Recht zu verleihen, entsprechend nationalem Recht selbst über die Berufung und Abberufung der Leitungsorganmitglieder zu entscheiden, hat für die deutsche SE keine Bedeutung, da eine entsprechende Regelung im deutschen Aktienrecht fehlt.377 Die Hauptversammlung kann eine Abberufungsentscheidung jedoch indirekt beeinflussen, indem sie dem betreffenden Leitungsorganmitglied per Beschluss gemäß § 84 Abs. 3 Satz 2 Var. 3 AktG das Vertrauen entzieht und so einen wichtigen Grund für die Abberufung durch das Aufsichtsorgan schafft. Denn nach herrschender und richtiger Ansicht ist die Abberufung eines Leitungsorganmitglieds durch das Aufsichtsorgan in materieller Hinsicht ebenso von einem wichtigen Grund abhängig wie die Abberufung eines AG-Vorstandsmitglieds durch den Aufsichtsrat.378 An375 Allgemein zu diesen und weiteren denkbaren Beschluss- und Beschlussfähigkeitsregeln im Aufsichtsorgan siehe oben Abschnitt „Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernisse im Aufsichtsorgan, Art. 50 Abs. 1 SE-VO“, S. 242. 376 Hierzu unten Abschnitt „Wechsel der Organisationsverfassung“, S. 377. 377 Siehe nur Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 40. 378 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 39 Rn. 62 f.; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 69 f.; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 39 SE-VO Rn. 33; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 39 SE-VO Rn. 25; Drygala, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 39 SE-VO Rn. 37; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 39 SE-VO Rn. 9; Manz, in: Manz/Meyer/ Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 74 f.; Drinhausen., in: Van Hulle/ Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes, 5. Abschn., § 2 Rn. 14; Frodermann, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 23; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 514 f.; Wicke, MittBayNot 2006, 196, 202, mit der dortigen Fn. 103; implizit wohl auch Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.580; a.A. (freie Abberufbarkeit) Schindler, Europäische Aktiengesellschaft (2002), S. 68 f.; Theisen/Hölzl, in: Theisen/ Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 288 (die jedoch a.a.O., 282, dennoch einen Vertrauensentzug gemäß § 84 Abs. 3 AktG für möglich erachten).

B. Einfluss auf das Leitungsorgan

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wendbar ist § 84 Abs. 3 AktG über Art. 9 Abs. 1 lit. a) ii) SE-VO, da die in Art. 39 Abs. 2 Satz 1 SE-VO enthaltenen Abberufungsregeln in dieser Hinsicht regelungsoffen sind und Platz für die Übertragung der mitgliedstaatlichen Voraussetzungen lassen.379 Dies ergibt sich zwar nicht eindeutig aus dem Wortlaut der Vorschrift, der wohl ebenso dahingehend interpretiert werden könnte, dass die Abberufung von Leitungsorganmitgliedern an überhaupt keine materiellen Voraussetzungen gebunden ist. Aufschluss gibt aber die Historie der Vorschrift:380 Die entsprechende Passage in den Art. 62 Abs. 2 SE-VOV 1989 sahen nämlich noch ausdrücklich eine jederzeitige Abberufungsmöglichkeit vor.381 Die Kritik an dem hieraus drohenden Abhängigkeitsverhältnis zwischen Leitungs- und Aufsichtsorgan382 nahmen die Verfasser der späteren SE-VOV zum Anlass, die Wendung „jederzeit“ ersatzlos zu streichen und sich auf die Verleihung eines rein formellen Kompetenztitels an das Aufsichtsorgan zu beschränken.383 Wollte man diese auch in Art. 39 Abs. 2 Satz 1 SE-VO übernommene Beschränkung aufs Formale nun dahingehend auslegen, dass für die Übertragung mitgliedstaatlich-materieller Abberufungsvoraussetzungen kein Platz wäre, so würde man im Ergebnis zur „jederzeitigen“ Abberufbarkeit zurückkehren, von der sich der Verordnungsgeber gerade verabschieden wollte.

379

Schwarz, SE-VO (2006), Art. 39 Rn. 63; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 70; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 39 SE-VO Rn. 25; Drygala, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 39 SE-VO Rn. 37; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 39 SE-VO Rn. 9; Drinhausen., in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes, 5. Abschn., § 2 Rn. 14; Frodermann, in: Jannott/ Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 23; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 515. 380 Ausführlich Schwarz, SE-VO (2006), Art. 39 Rn. 63; dem folgend Paefgen, in: KKAktG, 3. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 70; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 39 SE-VO Rn. 25; ders., in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko., 1. Aufl. (2008), Art. 39 SE-VO Rn. 24. 381 „Die Mitglieder des Leitungsorgans werden vom Aufsichtsorgan bestellt und können jederzeit von diesem abberufen werden.“ 382 Siehe etwa Hommelhoff, AG 1990, 422, 427; sowie die Stellungnahme des Wirtschaftsund Sozialausschusses, ABl. EG C 124 vom 21. Mai 1990, S. 34, 39: „Mit der notwendigen Kontinuität in der Geschäftspolitik einer Gesellschaft ist es nicht vereinbar, dass die Mitglieder des Leitungsorgans gemäß Artikel 62 Absatz 2 ,jederzeit‘ abberufen werden können. Die notwendige Unabhängigkeit der Mitglieder des Leitungsorgans setzt voraus, dass sie nur aus wichtigem Grund abberufen werden können.“ 383 Siehe Art. 62 Abs. 2 SE-VOV 1991 („Das oder die Mitglieder des Leitungsorgans werden vom Aufsichtsorgan bestellt und abberufen.“); fast wortgleich Art. 38 Abs. 2 Satz 1 SERatsE 1998.

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II. Einfluss auf innere Ordnung 1. Einfluss auf den Leitungsorgan-Vorsitz Anders als für das Aufsichts- und Verwaltungsorgan (Art. 42, 45 SE-VO) enthält die Verordnung keine Regeln über das Amt eines Leitungsorganvorsitzenden, und auch ein Leitungsorgansprecher oder eine ähnliche Hervorhebung eines einzelnen Mitglieds ist von der Verordnung nicht vorgesehen. Hieraus den Schluss zu ziehen, dass derartige Ämter und Funktionen im Leitungsorgan nicht eingerichtet werden können, wäre jedoch verfehlt. Denn die Stichentscheidregel in Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO gilt für alle SE-Organe gleichermaßen und räumt gerade der „Stimme des Vorsitzenden“ eine ausschlaggebende Bedeutung ein. Hinsichtlich der Art und Weise, auf die der Vorsitzende des Leitungsorgans gekürt werden kann, und hinsichtlich des Einflusses, den die Hauptversammlung dabei ausüben kann, ist die Verordnung mithin völlig offen für die Übertragung mitgliedstaatlicher Grundsätze gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. a) ii) SE-VO.384 Für die deutsche SE gilt § 84 Abs. 2 AktG entsprechend; danach kann nur das Aufsichtsorgan einen Leitungsorgan-Vorsitzenden ernennen.385 Die Hauptversammlung bleibt auf die Möglichkeit beschränkt, die Rolle des Ernannten über satzungsmäßige Regeln zur Beschlussfassung und Beschlussfähigkeit (Art. 50 SEVO) auszugestalten.386 Auch kann das Aufsichtsorgan nicht per Satzung gezwungen oder davon abgehalten werden, einen Vorsitzenden zu ernennen.387 Das Aufsichtsorgan ist gemäß § 84 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. a) ii) SE-VO auch für die Abberufung des Leitungsorgan-Vorsitzenden zuständig. Die Hauptversammlung kann hier (nur) insofern Einfluss nehmen, als sie eine Abberufungsentscheidung des Aufsichtsorgans mit einem Vertrauensentzug nach § 84 Abs. 3 Satz 2 Var. 3 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. a) ii) SE-VO legitimiert.

384 Zutreffend Schwarz, SE-VO (2006), Art. 39 Rn. 94; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 30; Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 286; Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes, 5. Abschn., § 2 Rn. 15. 385 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 39 Rn. 94; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 30; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 39 SE-VO Rn. 31; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 39 SE-VO Rn. 9; Drygala, in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 39 SE-VO Rn. 20 Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 286; Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes, 5. Abschn., § 2 Rn. 15. 386 Hierzu näher sogleich unter Abschnitt „Satzungsregeln zur Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung des Leitungsorgans“, S. 273. 387 Vgl. Mertens/Cahn, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), § 84 Rn. 101; nicht als zwingend auszulegen daher wohl die von Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 § 9 Abs. 2, vorgeschlagene Satzungsregel.

B. Einfluss auf das Leitungsorgan

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An Stelle eines Vorsitzenden kann auch ein Leitungsorgansprecher gewählt werden.388 Möglichkeiten und Grenzen dieses Amtes ergeben sich primär389 aus der Geschäftsordnung des Leitungsorgans.390 2. Satzungsregeln zur Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung des Leitungsorgans a) Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernisse im Leitungsorgan, Art. 50 Abs. 1 SE-VO Auch für das Leitungsorgan gilt der Grundsatz: Beschlussfähigkeit liegt vor, wenn mindestens die Hälfte der Organmitglieder anwesend oder vertreten ist (Art. 50 Abs. 1 lit. a) SE-VO), und Beschlüsse werden „mit der Mehrheit der anwesenden oder vertretenen Mitglieder“ gefasst (Art. 50 Abs. 1 lit. b) SE-VO). Abweichendes kann in der Satzung, nicht aber in einer mitgliedstaatlichen Regelung vorgesehen werden (Art. 50 Abs. 1 Hs. 1 SE-VO). Art. 50 Abs. 1 Hs. 1 SE-VO räumt dem Satzungsgeber insofern erheblich mehr Freiheiten ein als das deutsche Aktiengesetz dem AG-Satzungsgeber. Geregelt werden können insbesondere die Art der Behandlung ungültiger Stimmen und Stimmenthaltungen, eine Verschärfung oder Absenkung des in Art. 50 Abs. 1 SE-VO bestimmten Anwesenheitsquorums und des Grundsatzes der einfachen Stimmenmehrheit (allgemein oder differenziert nach Beschlussgegenständen, z. B. Nachbildung des § 77 Abs. 2 Satz 3 AktG), Vetorechte, Mehrfachstimmrechte und Alleinentscheidungsrechte.391 Der Satzungsgeber kann seine Regelungskompetenz aus Art. 50 Abs. 1 Hs. 1 SE-VO auch auf das Leitungsorgan übertragen, das Beschlussfähigkeits- und Beschlussregeln dann in seine Geschäftsordnung aufnehmen kann.392 Keine Anwendung finden dagegen § 77 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 AktG, wonach einer Minderheit von Organmitgliedern nicht das Recht eingeräumt werden kann, sich gegen die Mitgliedermehrheit durchzusetzen,393 und § 77 Abs. 2 Satz 3 AktG, 388 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 39 Rn. 94; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 33; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 39 SE-VO Rn. 31; Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes, 5. Abschn., § 2 Rn. 15. 389 Zur Möglichkeit, dem Leitungsorgansprecher in der Satzung ein Stichentscheidrecht nach Art. 50 Abs. 2 SE-VO zu verleihen siehe unten Abschnitt „Stichentscheid des Leitungsorganvorsitzenden, Art. 50 Abs. 2 SE-VO“, S. 274. 390 Hierzu näher unten Abschnitt „Satzungsregeln zum Geschäftsgang, § 77 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AktG“, S. 276. 391 Siehe oben Abschnitt „Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernisse im Aufsichtsorgan, Art. 50 Abs. 1 SE-VO“, S. 242, mit den dortigen Nachweisen. 392 Siehe oben Abschnitt „Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernisse im Aufsichtsorgan, Art. 50 Abs. 1 SE-VO“, S. 242, mit Fn. 201. 393 Die Anwendbarkeit des § 77 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 AktG auf die deutsche SE befürwortend dagegen Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 76; Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269,

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

wonach Vorstandsbeschlüsse über die Geschäftsordnung nur einstimmig gefasst werden können.394 Praktisch kann die organinterne Willensbildung in der deutschen SE damit deutlich stärker auf Minderheiten oder einzelne Organmitglieder zugespitzt werden als es in einer AG möglich wäre.395 Realistisch ist beispielsweise die Installation eines Führungstandems aus Leitungs- und Aufsichtsorganvorsitzenden, denen für eine Vielzahl der jeweiligen Organkompetenzen Veto- und Alleinentscheidungsrechte eingeräumt werden. In Verbindung mit einem Entsendungsrecht für die entsprechende Aufsichtsorganposition kann somit sogar einem Minderheitsaktionär ein „Durchregieren“ bis auf die oberste Führungsebene ermöglicht werden. b) Stichentscheid des Leitungsorganvorsitzenden, Art. 50 Abs. 2 SE-VO Dass Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO, wonach die Stimme des Organvorsitzenden bei Stimmengleichheit den Ausschlag gibt, auch auf das Leitungsorgan Anwendung findet, ließe sich auf den ersten Blick bezweifeln. Denn insbesondere in Verbindung mit Art. 50 Abs. 2 Satz 2 SE-VO sichert die Vorschrift den Anteilseignervertretern die Entscheidungskompetenz in Pattsituationen, wenn das Organ zur Hälfte mit Arbeitnehmervertretern besetzt ist. Auf das Leitungsorgan, dem jedenfalls typischerweise keine Arbeitnehmervertreter angehören, scheint dies nicht zu passen.396 Überdies ist in Art. 50 Abs. 2 Satz 2 SE-VO ausdrücklich nur die Rede vom „Aufsichtsorgan“, was darauf schließen lassen könnte, dass sich auch Satz 1 nur auf das Aufsichtsorgan bezieht.

288; wohl auch Frodermann, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 75; Wicke, MittBayNot 2006, 196, 202; wenigstens im Grundsatz auch Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 39 SE-VO Rn. 29. 394 Gegen eine Anwendung des § 77 Abs. 2 Satz 3 AktG auf die deutsche SE auch Schwarz, SE-VO (2006), Art. 39 Rn. 95 a.E.; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 39 SE-VO Rn. 9; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 50 SE-VO Rn. 11, Anh Art. 51 SE-VO § 34 SEAG Rn. 10; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 39 SE-VO Rn. 28 a.E.; derselben Auffassung war offenbar der deutsche Gesetzgeber, der § 77 Abs. 2 AktG für das monistische SE-Modell in § 34 Abs. 2 SEAG nachbildete und auf eine Übertragung des § 77 Abs. 2 Satz 3 AktG verzichtete; vgl. Begründung zum RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 38. Eine Anwendbarkeit befürwortend dagegen wohl Frodermann, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 75; Wicke, MittBayNot 2006, 196, 202. 395 In dieselbe Richtung Reichert, in: GS Gruson (2009), S. 321, 328, 330; ders., Der Konzern 2006, 821, 823; zum Spielraum des AG-Satzungsgebers in Bezug auf die Rechte des Vorstandsvorsitzenden bzw. -sprechers siehe Simons/Hanloser, AG 2010, 641, 645 – 647. 396 Die Anwendbarkeit des Art. 50 Abs. 2 SE-VO auf das Leitungsorgan ablehnend daher noch Casper/Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 1. Aufl. (2007), Art. 50 SE-VO Rn. 7 (anders nunmehr Eberspächer, a.a.O., in der 2. und 3. Aufl.).

B. Einfluss auf das Leitungsorgan

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Die besseren Gründe sprechen dennoch für eine Anwendbarkeit.397 Denn eine Hervorhebung der Rolle des Vorsitzenden ergibt auch in einem nicht mitbestimmten Organ Sinn. So ist die paritätische Mitbestimmung nur einer von mehreren denkbaren Gründen, aus denen es bei gerader Mitgliederzahl zu Pattsituationen kommen kann. Auch in nicht mitbestimmten Organen können sich Vertreter zweier Lager unversöhnlich gegenüber stehen, beispielsweise wenn es zum Streit zwischen zwei Familienstämmen oder zwei Joint-Venture-Partnern kommt oder das Organ nur aus zwei Mitgliedern besteht.398 In dieselbe Richtung deutet der Wortlaut („des jeweiligen Organs“) und die systematische Einordnung der Vorschrift. Auch die Freiheiten, die Art. 50 Abs. 2 SE-VO dem Satzungsgeber bei der Gestaltung des Stichentscheidrechts einräumt, finden daher auf das Leitungsorgan Anwendung. Möglich ist etwa ein Ausschluss des Stichentscheidrechts, eine Übertragung des Rechts auf ein anderes Organmitglied, eine sachliche Einschränkung, eine Umwandlung in ein Zweit- oder Mehrfachstimmrecht sowie eine Vertretungsregelung bei Abwesenheit des Vorsitzenden.399 Einem Leitungsorgansprecher, den das Leitungsorgan aus seiner Mitte wählt, steht grundsätzlich kein Stichentscheidrecht zu.400 Auch die Geschäftsordnung des Leitungsorgans kann den Sprecher insofern nicht auf die Stufe eines (gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 1 SE-VO vom Aufsichtsorgan zu wählenden) Vorsitzenden heben.401 Verliehen werden kann das Stichentscheidrecht dem Sprecher allerdings gemäß Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO durch den Satzungsgeber. Denn wegen der offen gehaltenen Satzungsermächtigung in Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO stünde jenem auch eine anderweitige Übertragung des Stichentscheidrechts offen. Der Einwand Paefgens, eine Übertragung des Stichentscheidrechts auf den Leitungsorgansprecher sei „[u]nvereinbar mit der Stellung des Sprechers als primus inter pares“,402 mag zwar semantisch zutreffen und den Satzungsgeber im Einzelfall motivieren, von einer Übertragung abzusehen. Gegen die rechtliche Befugnis, eine Übertragung vorzu397 Für eine Anwendbarkeit auch die mittlerweile ganz h.M. (ohne nähere Begründung): Schwarz, SE-VO (2006), Art. 50 Rn. 36; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 3; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 50 SE-VO Rn. 25; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 7; Drinhausen, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 50 SE-VO Rn. 26. 398 Zur Anwendbarkeit des Art. 50 Abs. 2 SE-VO auf ein zweiköpfiges Organ siehe nur Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 24, mit den dortigen Nachweisen. 399 Hierzu ausführlich bereits oben Abschnitt „Stichentscheid des Aufsichtsorgan-Vorsitzenden, Art. 50 Abs. 2 SE-VO“, S. 248. 400 Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes, 5. Abschn., § 2 Rn. 15; implizit ebenso Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 33; Reichert/ Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 39 SE-VO Rn. 31; wohl auch Schwarz, SE-VO (2006), Art. 39 Rn. 94. 401 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 33; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 39 SE-VO Rn. 31. 402 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 33.

300

4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

nehmen, spricht er allerdings nicht. Denn wegen Art. 50 Abs. 1 Hs. 1, Abs. 2 Satz 1 SE-VO liegt es gerade in der Hand des Satzungsgebers, die Rolle des Sprechers bei der leitungsorganinternen Willensbildung aufzuwerten und faktisch der eines Vorsitzenden anzunähern.403 Ein Leitungsorgan, das unter diesen Umständen auf einen echten „primus inter pares“ nicht verzichten will, kann hierauf reagieren, indem es von der Wahl eines Sprechers absieht und per Geschäftsordnung ein alternatives Amt schafft.404 3. Satzungsregeln zum Geschäftsgang, § 77 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AktG Neben den Vorschriften in Art. 50 SE-VO zur Beschlussfassung und Beschlussfähigkeit enthält die Verordnung keine Regeln über den internen Geschäftsgang des Leitungsorgans. Bei ein- und zweiköpfigen Leitungsorganen mag dies nicht ins Gewicht fallen; in größeren Organen und börsennotierten Gesellschaften dagegen liegt das Bedürfnis für eine formale Regelung des eigenen Geschäftsgangs auf der Hand.405 Soweit die Verordnung keine Vorgaben enthält, ist Platz für die Übertragung des aktiengesetzlichen Rechtsrahmens aus § 77 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AktG gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. a) ii) bzw. iii) SE-VO.406 Der Satzungsgeber kann danach auf zwei verschiedene Arten in die Geschäftsordnung eingreifen: Zum einen kann er gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG den Aufsichtsrat verbindlich damit beauftragen, eine Geschäftsordnung für das Leitungsorgan zu erlassen. Der in derselben Vorschrift bestimmte Grundsatz, wonach das Leitungsorgan sich selbst eine Geschäftsordnung geben kann, wenn das Aufsichtsorgan nicht eigeninititativ eine vorrangige Geschäftsordnung erlässt, wird damit abbedungen. Zum anderen kann der Satzungsgeber „Einzelfragen der Geschäftsordnung“ gemäß § 77 Abs. 2 Satz 2 AktG unmittelbar regeln. Dabei darf er die Gestaltung der Geschäftsordnung allerdings nicht mit derselben Intensität an sich ziehen wie das 403

Praktisch wird es dann freilich häufig näher liegen, gemäß § 84 Abs. 2 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. a) ii) SE-VO einen echten Vorsitzenden zu installieren. 404 Letzteres nur soweit dem Leitungsorgan eine Befugnis zum Erlass einer Geschäftsordnung verbleibt; hierzu sogleich Abschnitt „Satzungsregeln zum Geschäftsgang, § 77 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AktG“, S. 300. 405 Vgl. Ziffer 4.2.1 DCGK, dessen Empfehlung, in der Geschäftsordnung auch „die erforderliche Beschlussmehrheit bei Vorstandsbeschlüssen“ zu regeln, jedoch ersichtlich nicht auf Art. 50 Abs. 1 SE-VO abgestimmt ist. 406 Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 39 SE-VO Rn. 8; wohl auch Siems, in: KK-AktG, Anh Art. 51 SE-VO § 34 SEAG Rn. 10 f.; Frodermann, in: Jannott/ Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 75; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 501. Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes, 5. Abschn., § 2 Rn. 17; Frodermann, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 79 – 83.

B. Einfluss auf das Leitungsorgan

301

Aufsichtsorgan gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG. Insbesondere darf er den Inhalt der Geschäftsordnung nicht derart umfassend vorwegnehmen, dass dem Leitungs- bzw. Aufsichtsorgan kein nennenswerter eigener Regelungsspielraum mehr verbleibt.407 Dies folgt sowohl aus dem Normtext („Einzelheiten“) als auch aus der grundsätzlichen Organisationsautonomie der AG- bzw. SE-Verwaltung gegenüber der Hauptversammlung.408 Etwas anderes gilt nur dann, wenn die jeweiligen Satzungsregeln die Beschlussfähigkeits- und Beschlussvoraussetzungen regeln (z. B. Form, Frist und Verfahren der Einberufung); denn einschlägige Rechtsgrundlage ist dann nicht § 77 Abs. 2 Satz 2 AktG, sondern grundsätzlich Art. 50 Abs. 1 Hs. 1 SEVO, der dem Satzungsgeber keine vergleichbaren Einschränkungen auferlegt. Zu den denkbaren „Einzelfragen der Geschäftsordnung“ gehören etwa die Vorgabe, an Stelle eines Leitungsorganvorsitzenden einen Leitungsorgansprecher zu wählen,409 sowie die Bestimmung von Ressortzuständigkeiten. Eingeengt wird der Spielraum des Satzungsgebers (und auch der des Aufsichts- bzw. Leitungsorgans gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG) gegebenenfalls durch § 38 Abs. 2 SEBG, § 16 Satz 2 SEAG. Danach haben Gesellschaften, die unter die „Mitbestimmung kraft Gesetzes“ (§§ 34 – 38 SEBG) fallen, über mindestens zwei Leitungsorganmitglieder zu verfügen, von denen einer für den Bereich Arbeit und Soziales zuständig ist (sogenannter Arbeitsdirektor). Vorbild dieser Regelung waren § 76 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AktG, § 33 MitbestG, § 13 MontanMitbestG und § 13 MitbestErgG.410

III. Satzungsregeln zur Vertretungsbefugnis Auch zu der Frage, wie eine dualistisch verfasste SE gegenüber Dritten vertreten wird, bezieht die SE-VO nicht ausdrücklich Stellung. Aus Art. 39 Abs. 1 Satz 1 SEVO in Verbindung mit den allgemeinen Grundsätzen einer dualistischen Unternehmensverfassung wird man jedoch ableiten können, dass die organschaftliche Vertretung grundsätzlich Sache des Leitungsorgans ist und wenigstens alle Leitungsorganmitglieder gemeinsam für die SE handeln können.411 Keine direkte Aussage trifft die Verordnung dagegen zur Frage, inwieweit die SE auch von einzelnen Leitungsorganmitglieder vertreten werden kann und welche Gestaltungsspielräume dabei dem Satzungsgeber offen stehen. Nach mittlerweile ganz herrschender Meinung kann insofern gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. a) ii) bzw. iii) SE407 Siehe nur Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 77 Rn. 67; Mertens/ Cahn, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), § 77 Rn. 61; jeweils mit weiteren Nachweisen auch zu der im älteren Schrifttum vertretenen Gegenansicht. 408 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 77 Rn. 67; Mertens/Cahn, in: KKAktG, 3. Aufl. (2010), § 77 Rn. 61. 409 Vgl. Simons/Hanloser, AG 2010, 641, 642. 410 Siehe oben 4. Teil Fn. 336. 411 In dieselbe Richtung J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 501.

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VO uneingeschränkt auf mitgliedstaatliches Recht zurückgegriffen werden.412 Hintergrund dieser offenen Interpretation des Art. 39 Abs. 1 Satz 1 SE-VO ist die Tatsache, dass die SE-Vorentwürfe bis 1991 noch ausdrückliche Regelungen zur Vertretung enthielten, die später ersatzlos wegfielen.413 Für die deutsche SE gilt daher § 78 AktG.414 Nach dessen Abs. 2 Sätze 1 und 2 wird die SE aktiv grundsätzlich von sämtlichen Leitungsorganmitgliedern gemeinschaftlich vertreten und passiv von den Einzelmitgliedern. Dem Satzungsgeber bleibt gemäß § 78 Abs. 3 AktG die Option, Einzelvertretungsbefugnisse auch für die Aktivvertretung vorzusehen oder das Aufsichtsorgan zu ermächtigen, bestimmten Leitungsorganmitgliedern Einzelvertretungsmacht zu verleihen.415

IV. Einfluss auf die Vergütung der Leitungsorganmitglieder, § 120 Abs. 4 AktG Gemäß § 120 Abs. 4 Satz 1 AktG kann die Hauptversammlung einer börsennotierten Gesellschaft „über die Billigung des Systems der Vergütung der Vorstandsmitglieder“ beschließen. Obwohl die Vorschrift in Satz 2 eine Bindungswirkung des Beschlusses für die vergütungsbezogenen Pflichten des Aufsichtsrats ausschließt, insoweit also gerade keine rechtlich erhebliche Hauptversammlungskompetenz installiert wird, handelt es sich bei § 120 Abs. 4 Satz 1 AktG um eine „Zuständigkeit“ im Sinne des Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO, die sich jedenfalls auf die dualistische SE problemlos übertragen lässt. Denn wenigstens die Zuständigkeit für eine bestimmte Beschlussfassung wird der Hauptversammlung in § 120 Abs. 4 Satz 1 AktG übertragen – mag sie sich materiell auch kaum auswirken.

412 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 39 Rn. 14; ders., ZIP 2001, 1847, 1857; Drygala, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 39 SE-VO Rn. 16; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 39 SE-VO Rn. 10; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 36; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 39 SE-VO Rn. 8 mit dortiger Fn. 16; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 17; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 39 SE-VO Rn. 5 a.E.; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 501 f. 413 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 39 Rn. 14; ders., ZIP 2001, 1847, 1857; im Anschluss Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 17; ; Drygala, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 39 SE-VO Rn. 16; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 39 SE-VO Rn. 10; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 39 SE-VO Rn. 36. 414 Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes, 5. Abschn., § 2 Rn. 17; Frodermann, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 79 – 83; Wicke, MittBayNot 2006, 196, 202; sowie die Nachweise im 4. Teil in Fn. 412. 415 Siehe die Beispielklausel bei Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 § 11.

B. Einfluss auf das Leitungsorgan

303

Ebenso wie der Entlastungsbeschluss416 lässt sich auch der Beschluss über die Billigung des Vergütungssystems nicht sachlich aufteilen. Der Hauptversammlung steht es also nicht zu, für die Billigung einzelne Bestandteile des zur Abstimmung gestellten Vergütungssystems auszuklammern oder – umgekehrt – nur einzelne Elemente des Systems zu billigen.417 Denn § 120 Abs. 4 Satz 1 AktG lässt nur eine systembezogene Billigung zu; vergütungsbezogene Initiativ- und Gestaltungsbefugnisse, die sich aus einer sachlichen Aufteilung mittelbar ergeben würden, stehen der Hauptversammlung gerade nicht zu.

V. Einfluss auf Geschäftsführungsmaßnahmen 1. Regelungsoffenheit der Art. 39 Abs. 1, Art. 48 SE-VO gegenüber nationalem Recht Einfluss auf Geschäftsführungsmaßnahmen zu nehmen, ist der Hauptversammlung nicht generell verwehrt. Insbesondere die Zuweisung des Geschäftsführungsbereichs an das Leitungsorgan in Art. 39 Abs. 1 SE-VO markiert keine abschließende und ausschließliche Kompetenz des Leitungsorgans, sondern ist Ausdruck einer selbstverständlichen und international üblichen Grundvorstellung von der Aufgabenverteilung in der Aktiengesellschaft. Auf die Funktion einer programmatischen Leitformel beschränkt lässt Art. 39 Abs. 1 SE-VO damit ausreichend Raum für das Eingreifen der verschiedenen, punktuellen Hauptversammlungskompetenzen, die das deutsche Aktienrecht für den Geschäftsführungsbereich bereit hält.418 Auch ungeschriebene Kompetenzen der SE-Hauptversammlung (nicht nur) in diesem Bereich sind möglich.419 2. Gelatine-Grundsätze Zu den prominentesten Kompetenzen der AG-Hauptversammlung im Geschäftsführungsbereich zählt die ungeschriebene Zuständigkeit für Geschäftsführungsmaßnahmen von grundlegender Bedeutung nach den sogenannten Gelatine-, vormals Holzmüller-Grundsätzen. Hintergrund sind drei BGH-Entscheidungen aus den Jahren 1982 („Holzmüller“420) und 2004 („Gelatine I“,421 „Gelatine II“422), die 416

Siehe oben Abschnitt „Teilbarkeit des Entlastungsbeschlusses?“, S. 279. Reger, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 120 Rn. 21 a.E.; Fleischer/Bedkowski, AG 2009, 677, 683; von Falkenhausen/Kocher, AG 2010, 623, 627; offener Döll, WM 2010, 103, 109. 418 Siehe oben Abschnitt „Verhältnis zu Kompetenzen der Geschäftsführungs- und Überwachungsorgane“, S. 40. 419 Allgemein zur Möglichkeit ungeschriebener Kompetenzen der SE-Hauptversammlung siehe bereits oben Abschnitt „Ungeschriebene Hauptversammlungskompetenzen“, S. 32. 420 BGH, NJW 1982, 1703. 417

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

sich jeweils mit der Frage befassten, inwieweit die Hauptversammlung mit Geschäftsführungsmaßnahmen zu befassen ist, die – ungeachtet ihres grundlegenden Charakters – nach dem Buchstaben des Aktiengesetzes an sich in die Kompetenz des Vorstands fallen. Das Schrifttum nahm die vom BGH entwickelte Leitlinien überwiegend positiv auf; zu den vom BGH bislang offen gelassenen Einzelheiten herrscht im Schrifttum freilich keine Einigkeit. a) Entwicklung in der aktiengesetzlichen Rechtsprechung Die „Holzmüller“-Entscheidung betraf die Entscheidung des Vorstands der beklagten AG, einen von der AG betriebenen Seehafen, der den weitaus wertvollsten Teil des Betriebsvermögens ausmachte, auf eine vollständig beherrschte Tochtergesellschaft zu verlagern. Die Hauptversammlung hatte der Vorstand nicht befragt. Ein Aktionär sah sich darin in seinen Rechten verletzt und erhob Feststellungsklage unter anderem mit dem Ziel, die Nichtigkeit der Verlagerung oder wenigstens eine Rückverlagerungspflicht festzustellen. Das Gericht bejahte eine Pflicht des Vorstands gemäß § 119 Abs. 2 AktG analog, ausnahmsweise auch dann eine Entscheidung der Hauptversammlung einzuholen, wenn kein geschriebener Kompetenztitel einschlägig sei, die kritische Maßnahme aber den schriftlich fixierten Hauptversammlungskompetenzen außergewöhnlich nahe komme. In der bis heute am häufigsten zitierten und – jedenfalls bis 2004 – gleichsam Gesetz gewordenen Passage heißt es: „[D]ort, wo die Voraussetzungen [schriftlicher Kompetenztitel] nicht voll erfüllt sind, aber ein ihnen nahekommender oder durch die Satzung nicht gedeckter Sachverhalt gegeben ist, kann für den Vorstand eine Vorlage an die Hauptversammlung ausnahmsweise zur Pflicht werden. Zwar steht es, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, grundsätzlich im Ermessen des Vorstands, ob er nach § 119 Abs. 2 AktG eine Entscheidung der Hauptversammlung herbeiführen will (…). Es gibt jedoch grundlegende Entscheidungen, die durch die Außenvertretungsmacht des Vorstands, seine gem. § 82 Abs. 2 AktG begrenzte Geschäftsführungsbefugnis wie auch durch den Wortlaut der Satzung formal noch gedeckt sind, gleichwohl aber so tief in die Mitgliedsrechte der Aktionäre … eingreifen, dass der Vorstand vernünftigerweise nicht annehmen kann, er dürfe sie in ausschließlich eigener Verantwortung treffen, ohne die Hauptversammlung zu beteiligen. In solchen Fällen verletzt der Vorstand seine Sorgfaltspflicht, wenn er von der Möglichkeit des § 119 Abs. 2 AktG keinen Gebrauch macht (…). Eine Maßnahme von solcher Tragweite … war die Abspaltung des Seehafenbetriebs (…) und seine Verlagerung auf die neu gegründete Tochtergesellschaft. Denn sie spielte sich im Kernbereich der Unternehmenstätigkeit ab, betraf … den wertvollsten Betriebszweig und änderte die Unternehmensstruktur von Grund auf. Damit ging sie über den gewöhnlichen Rahmen von Handlungen der Geschäftsführung … weit hinaus. Für die Rechtsstellung der Aktionäre war eine solche ,Ausgliederung‘ von einschneidender Bedeutung (…). Der 421 422

BGH, NZG 2004, 571. BGH, NZG 2004, 575.

B. Einfluss auf das Leitungsorgan

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Vorstand durfte sie daher nicht durchführen, ohne dass ihr die Hauptversammlung der Bekl. zugestimmt hatte.“423

Insbesondere auf den Mediatisierungseffekt der Verlagerung ging das Gericht ein: „[Die Aktionäre] verlieren [durch die Verlagerung] namentlich die Möglichkeit, im Rahmen der gem. § 119 AktG der Hauptversammlung vorbehaltenen Befugnisse den Einsatz des abgespaltenen Betriebskapitals, das Risiko seines Verlusts und die Verwendung seiner Erträge unmittelbar zu beeinflussen. Denn alle Gesellschafterrechte im Tochterunternehmen übt … der Vorstand der Obergesellschaft aus, für den hierbei formal – unbeschadet seiner Verantwortlichkeit gem. § 93 AktG – weder die Satzung der Tochtergesellschaft noch verschärfte Mehrheitserfordernisse ein unüberwindbares Hindernis bilden und der beispielsweise bei der Verwendung des Jahresüberschusses praktisch keinen Beschränkungen unterliegt. Wichtige Entscheidungen werden auf diese Weise mit dem übertragenen Geschäftsvermögen aus der Ober- in die Tochtergesellschaft verlegt.“424

Die vorgenannten, schnell als „Holzmüller“-Grundsätze etablierten und diskutierten Leitsätze entwickelte der BGH in den beiden „Gelatine“-Entscheidungen aus dem Jahr 2004 weiter. Gegenstand der beiden weitgehend inhaltsgleichen Urteile war die Entscheidung eines AG-Vorstands, drei bedeutende, bislang unmittelbare Beteiligungen der AG in eine 100 %ige Tochter-GmbH einzubringen, sie also von Tochter- zu Enkelgesellschaften der Konzernmutter herabzustufen. Anders als in „Holzmüller“ holte der Vorstand zwar ein Hauptversammlungsvotum nach § 119 Abs. 2 AktG ein; der Streit entzündete sich jedoch an der Frage, ob die erreichte einfache Mehrheit ausreichend war oder ob es – wie vom klagenden, überstimmten Aktionär vertreten – einer qualifizierten Dreiviertel-Mehrheit bedurft hätte. Der BGH nutzte die Gelegenheit nicht nur zur Klärung des einschlägigen Mehrheitserfordernisses, sondern auch, um sich erneut zu den Voraussetzungen der ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz zu äußern. Dabei trennte er sich insbesondere von der Verankerung in § 119 Abs. 2 AktG und erteilte auch anderweitigen Analogiebildungen eine Absage: „In der ,Holzmüller‘-Entscheidung hat der Senat die Rechtsgrundlage für die Einbeziehung der Hauptversammlung in den Entscheidungsprozess aus § 119 Abs. 2 AktG hergeleitet (…). Im Schrifttum hat diese Herleitung der ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit überwiegend Kritik erfahren (…). Die in der Literatur überwiegend befürwortete Analogie zu allen oder einzelnen aktienrechtlichen Vorschriften, die die Mitwirkung der Hauptversammlung bei bestimmten Maßnahmen anordnen (…), mag zwar auf der tatbestandlichen Seite eher geeignet sein, die in Betracht kommenden Fälle einer ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz festzulegen, sie sieht sich aber dem Einwand ausgesetzt, dass die gesetzlich geregelten Fälle von der Rechtsfolge her nicht passen, weil sie dem Vorstand nicht nur die Geschäftsführungsbefugnis nehmen, sondern die von ihm getroffenen Maßnahmen wegen fehlender Vertretungsmacht als nichtig behandeln. Vorzugwürdig (…) erscheint es deswegen, die Grundlage für ein ungeschriebenes Mitwirkungsrecht der Aktionäre bei Geschäftsführungsmaßnahmen weder aus § 119 Abs. 2 423 424

BGH, NJW 1982, 1703, 1705. BGH, NJW 1982, 1703, 1706.

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AktG noch aus einer Gesetzesanalogie herzuleiten, sondern die zutreffenden Elemente beider Ansätze, nämlich die bloß das Innenverhältnis betreffende Wirkung einerseits und die Orientierung der in Betracht kommenden Fallgestaltungen an den gesetzlich festgelegten Mitwirkungsbefugnissen auf der anderen Seite, aufzunehmen und diese besondere Zuständigkeit der Hauptversammlung als Ergebnis einer offenen Rechtsfortbildung anzusehen.“425

In Hinblick auf die genauen Tatbestandsvoraussetzungen blieb der BGH vage und äußerte sich insbesondere nicht zu Art und Höhe der Finanzkennziffern, die im Einzelfall erfüllt sein müssen, um eine Hauptversammlungskompetenz auszulösen: „[E]ine im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehene Mitwirkung der Hauptversammlung bei Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands [kann] nur in engen Grenzen, nämlich dann in Betracht kommen, wenn sie an die Kernkompetenz der Hauptversammlung, über die Verfassung der Gesellschaft zu bestimmen, rühren und in ihren Auswirkungen einem Zustand entsprechen, der allein durch eine Satzungsänderung herbeigeführt werden kann. Die Überschreitung der im Schrifttum in diesem Zusammenhang genannten Schwellenwerte – sie beziehen sich auf unterschiedliche Parameter und schwanken zwischen 10 % und 50 % (…) – kann danach nicht ausreichen; die beschriebenen Voraussetzungen, die zur Durchbrechung der vom Gesetz vorgesehenen Kompetenz- und Arbeitsteilung führen, werden vielmehr regelmäßig erst dann erfüllt sein, wenn der Bereich, auf den sich die Maßnahme erstreckt, in seiner Bedeutung für die Gesellschaft die Ausmaße der Ausgliederung in dem vom Senat entschiedenen ,Holzmüller‘-Fall erreicht.“426

Auf „Gelatine“ folgte im Jahr 2006 noch ein Nichtannahmebeschluss des BGH, der die Veräußerung eines Geschäftsbetriebs an ein konzernexternes Unternehmen betraf. Die materiellrechtlichen Ausführungen des Gerichts hätten kaum knapper ausfallen können: „Ein Mediatisierungseffekt wie in den Fällen der so genannten ,Gelatine‘-Rechtsprechung … ist bei der hier vorliegenden Beteiligungsveräußerung nicht gegeben; die Grenze des § 179a AktG wird … nicht überschritten. (…) Von einer näheren Begründung wird gem. § 544 IV 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.“427

Dem Fehlen klarer, im Einzelfall messbarer Vorgaben ist es wohl zu verdanken, dass die Frage, inwieweit außergewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands der Hauptversammlung vorgelegt werden müssen, auch in der Folgezeit die Gerichte (wenn auch nicht mehr den BGH) beschäftigte. So befasste sich das OLG Köln im Jahr 2009 mit der Frage, ob eine Beteiligungsveräußerung innerhalb des Strabag-Konzerns eines Hauptversammlungsvotums bedurft hätte. Beklagte war die Strabag AG, deren Anteile mehrheitlich von der Strabag SE gehalten wurden. Der Kläger, ein Minderheitsaktionär der Strabag AG, wandte sich mit seiner Feststellungsklage unter anderem gegen die Veräußerung der von der AG betriebenen Hoch- und Ingenieursbausparte im Wege des Asset-Deals an 425 426 427

BGH, NZG 2004, 571, 573 f.; BGH, NZG 2004, 575, 578. BGH, NZG 2004, 571, 574; BGH, NZG 2004, 575, 579. BGH, NZG 2007, 234.

B. Einfluss auf das Leitungsorgan

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eine Tochtergesellschaft der Strabag SE (also an eine Schwestergesellschaft der AG). Die vom Kläger geltend gemachte ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz wurde vom Gericht verneint. Entscheidend kam es dem Gericht dabei auf das Fehlen eines Mediatisierungseffektes an; zur zahlenmäßigen Kalkulierbarkeit der ungeschriebenen Kompetenz trug die Entscheidung dagegen kaum etwas bei: „Diese [Gelatine-]Grundsätze betreffen nur eine solche Auslagerung der Geschäftstätigkeit auf Tochtergesellschaften, die mit einer Verlagerung von Zuständigkeiten verbunden ist (sog. Mediatisierungseffekt). Während die Verwaltung des Kapitals der Kontrolle und Beeinflussung durch die Aktionäre unterliegt, ist die Ausübung der Rechte aus einer – an die Stelle des investierten Vermögens getretenen – Beteiligung Sache des Vorstands. Ein solcher Mediatisierungseffekt ist durch den Verkauf der Hoch- und Ingenieurbausparte nicht eingetreten (…). Darüber hinaus hat das LG zu Recht festgestellt, dass die Erheblichkeitsschwelle von um die 80 % nicht erreicht ist. Auch unter dem Gesichtspunkt eines ,Grundlagengeschäfts‘ oder einer grundlegenden Veränderung der Struktur der Gesellschaft durch die Konzentration auf den Straßen- und Tiefbau ergibt sich keine ungeschriebene Zuständigkeit der Hauptversammlung. Eine solche ungeschriebene Zuständigkeit … ist im Wege der Rechtsfortbildung nur in engen Grenzen anzuerkennen bei Sachverhalten, die dem Holzmüller-Fall vergleichbar sind. Der hierfür anzunehmende Schwellenwert liegt bei 70 – 80 % und ist im vorliegenden Fall nicht erreicht. Für eine ungeschriebene Zuständigkeit der Hauptversammlung für strukturändernde Maßnahmen innerhalb des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstands und unterhalb dieses Schwellenwertes fehlt eine Rechtsgrundlage.“428

Die jüngste prominentere Entscheidung zur ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz erging dann im Jahr 2010 durch das OLG Frankfurt am Main. Beklagte war die Commerzbank AG, Kläger einige ihrer Aktionäre. Den Anlass des Streits bildete die Übernahme der Dresdner Bank AG durch die Commerzbank um die Jahreswende 2008/2009, die der Commerzbank-Vorstand und -Aufsichtsrat in Eigenregie betrieben hatten, ohne die Hauptversammlung zu befragen. Die Kläger sahen hierin eine Verletzung der ungeschriebenen Hauptversammlungskompenz, mithin eine Pflichtverletzung des Vorstands und Aufsichtsrats, und fochten die Entlastungsbeschlüsse der ordentlichen Hauptversammlung Anfang 2009 an. Recht behielt letztlich die Beklagte. Weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht erkannte das OLG in der Übernahme eine Gelatine-Maßnahme; die Übernahme sei vielmehr von der Konzernöffnungsklausel in der CommerzbankSatzung gedeckt.429 In Bezug auf die Qualität der Maßnahme notierte das Gericht einerseits das Fehlen eines Mediatisierungseffektes, ließ andererseits aber ausdrücklich die Frage dahinstehen, ob ein solcher notwendige Voraussetzung für eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz sei.430 Auch eine Neustrukturierung und Neuausrichtung des Geschäfts der Beklagten sei mit der Übernahme nicht 428 OLG Köln, ZIP 2009, 1469, 1471; die anschließende Verfassungsbeschwerde der Kläger wurde nicht zur Entscheidung angenommen, siehe BVerfG, ZIP 2011, 2094. 429 OLG Frankfurt am Main, DB 2010, 2788, 2790. 430 OLG Frankfurt am Main, DB 2010, 2788, 2790.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

verbunden.431 In Bezug auf die Quantität der Maßnahme sei die einschlägige „Schwelle nach der Holzmüller-Entscheidung, also 80 % der Aktiva“, unter keinem Gesichtspunkt erreicht.432 Ins Verhältnis zu setzen seien hierfür „die Größenverhältnisse des erworbenen Unternehmens (D) zum hypothetisch gedachten kombinierten Unternehmen nach Erwerb (Beklagte und D).“433 Bei der nachfolgenden Berechnung ging das Gericht dann nicht nur auf das Verhältnis der Bilanzsummen ein, sondern auch auf das Verhältnis der gutachterlich ermittelten Unternehmenswerte, der Mitarbeiterzahlen, der Kreditvolumina und des jeweils bilanzierten Eigenkapitals.434 Schließlich ergebe sich auch in der Gesamtschau aller Übernahmeschritte und Kriterien kein Gelatine-Fall.435 b) Rezeption in der Literatur und Perspektive Die in den referierten Urteilen implizit ausgesprochene Einladung an die Wissenschaft, die Voraussetzungen der ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz weiter zu präzisieren, wurde seit 1982 von einer ganzen Reihe an Autoren aufgenommen. Ein Mehr an Rechtsklarheit ergab sich allerdings kaum, da die aktiven Autoren über die grundsätzliche Zustimmung zu den richterlich skizzierten Eckpunkten hinaus bis heute zu keiner einheitlichen Linie gefunden haben. Kann die Kompetenz auch Erwerbsgeschäfte der Gesellschaft betreffen?436 Sind Veräuße-

431

OLG Frankfurt am Main, DB 2010, 2788, 2790. OLG Frankfurt am Main, DB 2010, 2788, 2791. 433 OLG Frankfurt am Main, DB 2010, 2788, 2791. 434 OLG Frankfurt am Main, DB 2010, 2788, 2791. 435 OLG Frankfurt am Main, DB 2010, 2788, 2791. 436 Hierzu etwa Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 7. Aufl. (2013), Vor § 311 Rn. 42 (Ja, „insbesondere kommt es auch durch den Beteiligungserwerb zu dem erwähnten Mediatisierungseffekt.“); Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 119 Rn. 21 (Ja, ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz „zu bejahen bei Beteiligungserwerb von hinreichend quantitativem Ausmaß.“); Liebscher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 119 AktG Rn. 14 (Nein, „da in diesem Fall keine Mediatisierung bereits bestehender Beteiligungen betrieben wird.); Reger, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 119 Rn. 17 (Nein, da Erwägungen des BGH in den Holzmüller/GelatineEntscheidungen nicht passen und „keine allgemeine Mittelverwendungskontrolle“ existiert.); Kiefner, ZIP 2011, 545, 547 f. (Nein, weil keine „faktische ,Entfremdung‘ der HV von einem bestimmten bereits bestehenden und besonders wichtigen Unternehmensteil.“); Lorenz/Pospiech, DB 2010, 1925, 1928 f. (Ja, wenn der Erwerb „die quantitative Bezugsgröße in Form eines Schwellenwertes von rund 75 % bis 80 %“ erreicht.); Nikoleyczik/Gubitz, NZG 2011, 91 (Nein, „mangels vergleichbarer Mediatisierung von Mitverwaltungsrechten“; „[d]em Schutzbedürfnis der Aktionäre [werde] durch das Erfordernis einer satzungsmäßigen Ermächtigung zum Beteiligungserwerb hinreichend Rechnung getragen.“); Priester, AG 2011, 654, 656 – 661 (Grundsätzlich ja, wenn Schwellenwert von 75 % in Bezug auf „Umsatz, Bilanzsumme und Arbeitnehmerzahl“ sowie – wenn sie „zu einem realitätsnäheren Urteil führen“ – „im Einzelfall andere Parameter“ erreicht sind; maßgebend sei allerdings „am Ende eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände.“). 432

B. Einfluss auf das Leitungsorgan

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rungen an Konzernexterne umfasst?437 Ist zwischen Asset- und Beteiligungsübertragungen zu differenzieren? Inwieweit sind Maßnahmen umfasst, die – unabhängig von ihrem Erwerbs- oder Veräußerungscharakter – fundamental in die Unternehmensstrategie eingreifen?438 Gehört der in „Holzmüller“ beschriebene Mediatisierungseffekt zu den Voraussetzungen der ungeschriebenen Kompetenz439 – und, falls ja, zu den notwendigen oder zu den hinreichenden? Welche Rolle spielt ggf. eine allgemeine Konzernöffnungsklausel in der Satzung?440 Und vor allem: Lassen sich über die seit „Holzmüller“ etwas lieblos durchgeschleppten „80 % der Aktiva“ hinaus Kriterien fixieren, die eine auf gebräuchlichen Finanzkennzahlen basierte Kalkulation künftiger Grenzfälle erlauben? Zu wenigen dieser Fragen finden sich auch nur zwei Autoren, die exakt dieselbe Ansicht vertreten, und keine der seit 1982 437 Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 119 Rn. 21 (Nein, unter Berufung auf BGH, NZG 2007, 234); Hoffmann, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 119 Rn. 31 (Ja. Sofern die Voraussetzungen des § 179a AktG nicht erfüllt sind, „kann die Veräußerung aber den größten Teil des Gesellschaftsvermögens betreffen und somit unter die ungeschriebene HVKompetenz fallen.“); Liebscher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 119 AktG Rn. 14 (Nein, „da die an die Stelle der Beteiligung tretende Gegenleistung der vollen Kontrolle der Aktionäre unterliegt.“); Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 119 Rn. 35 (Nein, denn „[f]ür die Veräußerung von Unternehmensteilen oder Beteiligungen fehlt es an einem … Mediatisierungseffekt.“); Krieger, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 4. Aufl. (2015), § 70 Rn. 10 (Nein, denn es „steht die Wertung des § 179a AktG entgegen, außerdem spielt der Gedanke der Mediatisierung … keine Rolle.“). 438 Hierzu Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 119 Rn. 21 (Möglicherweise mit erfasst, denn „Schutz der Mitgliedsrechte als tragender Grund für Ermessensreduktion erlaubt es … grds., über Konzernbildung hinauszugehen und Vorlagepflicht auch in anderen vergleichbar evidenten Übermaßfällen anzunehmen.“); Priester, AG 2011, 654, 659 (Möglicherweise mit erfasst, da es „eben einen Unterschied [mache], ob neben einem organischen Wachstum auch überschaubare Zukäufe stattfinden oder durch einen großvolumigen Erwerb mit einem Schlag bei wirtschaftlicher Betrachtung ein neues Unternehmen – salopp gesagt: ein ,neuer Laden‘ – entsteht.“) 439 Hoffmann, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 119 Rn. 30b (Nein); Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 119 Rn. 21 (Nein; siehe die im 4. Teil in Fn. 438 zitierte Passage); Liebscher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 119 AktG Rn. 13 f. (Ja, unmittelbar unter Berufung auf die Holzmüller/Gelatine-Entscheidungen); Lutter, ZIP 2012, 351 (Mediatisierungseffekt jedenfalls kein notwendiges Kriterium); Priester, AG 2011, 654, 657 f. („Eine Mediatisierung ist … nicht einziger Grund für eine ungeschriebene Zuständigkeit der Hauptversammlung.“). 440 Hierzu etwa Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 119 Rn. 73 („Die Legitimation der Konzernbildung durch die Satzung ist nur eine notwendige, jedoch keine ausreichende Bedingung für eine uneingeschränkte Vorstandsautonomie bei konzernleitenden Maßnahmen.“); Kiefner, ZIP 2011, 545, 547 („Die ,Holzmüller‘-Entscheidung des BGH spricht dafür, dass die Konzernklausel … keine hinreichende Bedingung ist, eine ,Holzmüller‘-Pflichtigkeit zu verneinen. (…) Eine Ausnahme wird man aber … machen müssen, wenn es – anders als im Commerzbank-Fall – nicht um eine Konzernklausel im Sinne eines typischen Annexes zum satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand geht, sondern der Unternehmensschwerpunkt als solcher … in der Zuweisung einer Holding-Funktion … besteht.“); Priester, AG 2011, 654, 660 („Eine derartige Routinebestimmung kann den Aktionären ihre ungeschriebenen Mitwirkungsbefugnisse in bestimmten strukturändernden Geschäftsführungsfragen nicht nehmen.“).

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

veröffentlichten Stellungnahmen hat ein Gewicht erreicht, das den von der Rechtsprechung entwickelten Leitlinien nahe käme. Dass die Weiterentwicklung der Gelatine-Grundsätze in der Zukunft maßgeblich von der Literatur getragen sein wird, ist daher nicht zu erwarten. Und das ist möglicherweise kein Nachteil, stammt doch ein Großteil der aktiven Autoren (und auch der Autor dieser Zeilen) aus dem Kreis der eher verwaltungsnahen Rechtsberater. Selbst eine zahlenmäßig herrschende Literaturansicht könnte daher wohl kein Ergebnis erzielen, das es in seiner Ausgewogenheit und Unparteilichkeit mit der Rechtsprechung oder dem Gesetzgeber aufnehmen könnte. Überdies spricht viel dafür, dass eine wirklich überzeugende, wissenschaftlich fundierte und praktisch verwertbare Lösung auf mehr als juristischem Sachverstand aufbauen müsste. So wird sich insbesondere die 80 %-Formel nur unter Einbindung der Finanzwissenschaften und unter Berücksichtigung branchenspezifischer Eigenheiten der relevanten Kennzahlen absichern und sinnvoll weiterentwickeln lassen. Also eine gesetzgeberische Einfassung der Rechtsprechungsgrundsätze? Vorbilder gäbe es – denkt man etwa an die vom BGH in „ARAG/Garmenbeck“441 entwickelte Business Judgement Rule und ihre Fortsetzung in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG oder an die in § 243 Abs. 4 AktG jedenfalls berücksichtigte Relevanzformel aus der älteren BGH-Rechtsprechung.442 In Bezug auf „Gelatine“ zeigt der Gesetzgeber freilich bis heute keine Bereitschaft, die von der Rechtsprechung geprägte Entwicklung in die eigene Hand zu nehmen. Und angesichts der Vielgestaltigkeit der diskutierten und entschiedenen Sachverhalte erscheint es auch ausgesprochen schwierig, eine Formel zu finden, die einerseits ausreichend im Abstrakten bleibt und andererseits ein (im Vergleich zu den Rechtsprechungslinien) gewinnbringendes Maß an Rechtssicherheit für die Entscheidung künftiger Einzelfälle beinhaltet. Der Ball wird daher voraussichtlich noch eine ganze Weile im Feld der Rechtsprechung liegen – aus Sicht der Betroffenen sicher die schmerzhafteste Variante, da der schrittweise Gewinn an Rechtssicherheit von einem steten Geldfluss aus den Taschen der Gesellschaften und Investoren in die Kassen der jeweils beteiligten Gerichte und Rechtsberater begleitet werden wird. Welche Richtung der BGH dabei in „Gelatine III“ einschlagen wird, ist nach der Vielstimmigkeit der begleitenden Literaturstimmen kaum absehbar. c) Gelatine-Kompetenz der SE-Hauptversammlung Nach deutlich überwiegender Ansicht steht auch der Hauptversammlung einer deutschen SE in derselben Weise wie einer deutschen AG eine ungeschriebene

441

BGH, NJW 1997, 1926. Siehe oben Abschnitt „Eingeschränktes Anfechtungsrecht bei fehlerhaft erteilter Information, § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG“, S. 152, mit Fn. 145 und 146. 442

B. Einfluss auf das Leitungsorgan

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Kompetenz nach den Grundsätzen der Gelatine-Entscheidungen zu.443 Denn der Verweis auf nationale Hauptversammlungskompetenzen in Art. 52 Unterabs. 2 SEVO erfasse auch Richterrecht.444 Die mitgliedstaatliche Ebene könne nur dann sinnvolle Lösungen anbieten, wenn sie in ihrer Gesamtheit zur Anwendung kommt.445 Auch stehe die Gelatine-Rechtsprechung nicht im Widerspruch zu den verbindlichen Vorgaben der SE-VO;446 ein vergleichbares und ggf. vorzugswürdiges Schutzkonzept auf Verordnungsebene existiere nicht.447 Bei den Gelatine-Grundsätzen gehe es letztlich nicht um die Verteilung von Geschäftsführungsaufgaben, sondern um die von der Verordnung offen gelassene Abgrenzung zwischen Geschäftsführung und Grundlagenkompetenzen.448 Die Vertreter der von Brandt449 begründeten Gegenansicht450 befinden sich in der Minderheit. Aus Sicht Brandts ist die Ablehnung einer „Holzmüller“-Kompetenz konsequent, da er die Abgrenzung zwischen dem Kompetenzbereich der Haupt443 Grundlegend Schwarz, SE-VO (2006), Art. 3 Rn. 31, Art. 6 Rn. 9, Art. 52 Rn. 35; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 12; Casper, in: FS Ulmer (2003), S. 51, 69; Habersack, ZGR 2003, 724, 741 f.; Scheifele, Gründung (2004), S. 444; im Anschluss Bayer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 3 SE-VO Rn. 14; Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 52 SE-VO Rn. 42; Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwG, Loseblattsammlung (Stand 02/11), Anh 14 Rn. 341 a.E., 348 – 368; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 52 SE-VO Rn. 36; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 52 SE-VO Rn. 10, 17 – 24; Baatz/ Weydner, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG (2005), Kap. 6, Rn. 20, 34 – 45 (im Anschluss Fürst/Klahr, a.a.O., in der 2. Aufl.); Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. 37; dies., in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.580 a.E.; dies., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 249, 255; Bungert/Gotsche, ZIP 2013, 649, 654; Schroeter, AG 2007, 854, 860; Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 283; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 381 (deren ablehnende Stellungnahme a.a.O., S. 640 f., sich auf die SE also solche – also unabhängig von ihrer jeweiligen nationalen Verankerung – bezieht); Wicke, MittBayNot 2006, 196, 203; im Ergebnis ebenso, jedoch eine konzernrechtliche Anknüpfung vorschlagend Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 39 SE-VO Rn. 10; vgl. auch die Konzernklausel bei Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2474 (§ 2 Abs. 2 Satz 2 der Muster-SE-Satzung). 444 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 12; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 Rn. 35; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 52 SE-VO Rn. 10, 17; Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.580 a.E.; siehe auch die Nachweise im 1. Teil unter Fn. 19. 445 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 Rn. 35. 446 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 Rn. 35. 447 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 12. 448 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 12. 449 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 123 – 133. 450 Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 52 SE-VO Rn. 22; Spindler, in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 46 (etwas offener noch ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005) S. 223, 228 – 230: „Der dieser [Gelatine-]Rechtsprechung zugrunde liegende Gedanke … kann auch für die SE verallgemeinert werden.“); Marsch-Barner, in: FS Happ (2006), S. 165, 171.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

versammlung, einerseits, und dem der Geschäftsleitung, andererseits, vollständig und abschließend auf Ebene der Verordnung vollzieht451 und bereits die Möglichkeit einer Vorlage von Geschäftsführungsentscheidungen nach § 119 Abs. 2 AktG ablehnt.452 Den Begründungsansatz, nach dem die SE-VO abschließende Vorgaben für die innere Ordnung der Gesellschaft enthält und daher ungeschriebene Hauptversammlungskompetenzen nach nationalem Recht nicht in Frage kommt, verfolgen im Anschluss auch Kubis453 und Marsch-Barner.454 Darüber hinaus merkt Kubis an, auch der Aspekt der Rechtssicherheit dürfe für die SE nicht unterschätzt werden; die Holzmüller- und Gelatine-Entscheidungen seien „in ihrer Dimension schon für die nationale Praxis derart überraschend [gewesen], dass eine gemeinschaftsrechtliche Adaption gänzlich vereitelt [werde].“ Spindler dagegen macht geltend, dass der Worlaut des Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO entgegenstehe, da nur geschriebene Regelungen „übertragen“ werden könnten.455 Gemeinsam verweisen Brandt und Spindler stattdessen auf ein gemeinschaftseinheitliches Schutzkonzept, das die Aufgabe der Holzmüller- und Gelatine-Grundsätze in Bezug auf die SE übernehme456 bzw. auf Basis einer zukünftigen Rechtsentwicklung übernehmen könne.457 Die zuerst genannte Ansicht verdient jedenfalls im Ergebnis den Vorzug; „Gelatine“ gilt daher auch zugunsten der Hauptversammlung einer deutschen SE. Bereits im Ansatz fehl geht die These der Gegenansicht, die Kompetenzbereiche von Hauptversammlung und Leitungs-, Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan seien bereits auf Verordnungsebene abschließend voneinander abgegrenzt.458 Auch das Argument, die Nichtanwendung der Gelatine-Grundsätze dienten der Rechtssicherheit, vermag nichts auszurichten; es ist wohl eher an die zur Weiterentwicklung der Grundsätze berufenen Stellen gerichtet als an den Anwender der geltenden Grundsätze. Und schließlich hilft auch der von beiden vorgenannten Ansichten ins Feld geführte Wortlaut des Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO nicht weiter, da die Anwendung der vorgenannten Grundsätze auf die SE jedenfalls unmittelbar nicht von der mehr oder minder großen Reichweite eines Verweises der Verordnung auf na451

Hierzu bereits oben Abschnitt „Verhältnis zu Kompetenzen der Geschäftsführungs- und Überwachungsorgane“, S. 40. 452 Siehe unten Abschnitt „Entscheidung über sonstige Geschäftsführungsmaßnahmen auf Verlangen des Leitungsorgans, § 119 Abs. 2 AktG“, S. 291. 453 Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), Art. 52 SE-VO Rn. 22. 454 Marsch-Barner, in: FS Happ (2006), S. 165, 171. 455 Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 45. 456 Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 45 a.E.: „… sorgen bereits die ungeschriebenen Zuständigkeiten nach der SE-VO für den nötigen Schutz der Aktionäre, so dass sich im Ergebnis bei einer EU-freundlichen Auslegung keine großen Differenzen zwischen den Auffassungen ergeben sollten.“ Hierzu bereits zuvor ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005) S. 223, 228 – 230. 457 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 132 – 135. 458 Hierzu bereits oben Abschnitt „Verhältnis zu Kompetenzen der Geschäftsführungs- und Überwachungsorgane“, S. 40.

B. Einfluss auf das Leitungsorgan

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tionales Recht abhängt (und damit auch nicht von der Frage, ob ein Verweis der Verordnung auch Richterrecht umfasst). Stattdessen kann es allein darum gehen, ob die maßgeblichen Entscheidungen ebenso ausgefallen wären, wenn es jeweils um eine deutsche SE gegangen wäre.459 Wie hätte der BGH also entschieden, wenn es in „Holzmüller“ und „Gelatine“ jeweils nicht um eine AG, sondern um eine deutsche SE gegangen wäre? Wohl genauso. Zwar hatte der BGH bislang noch nicht Gelegenheit, die Grundsätze seiner „offenen Rechtsfortbildung“460 auf die SE zu erstrecken, und auch Instanzgerichte waren hiermit noch nicht befasst – umgekehrt sind aber auch keine höchst- oder instanzgerichtlichen Äußerungen bekannt, die für eine Beschränkung auf die deutsche AG sprächen. Und auch in der Sache spricht nichts für eine Sonderbehandlung der SE. Denn die Kompetenzverteilung zwischen Hauptversammlung und Verwaltung einer deutschen SE folgt jedenfalls in den kritischen Themenbereichen weitgehend dem deutschen Aktienrecht: Auf der einen Seite die enumerativ aufgeführten Hauptversammlungskompetenzen, auf der anderen Seite der generalklauselartig umrissenene Zuständigkeitsbereich des Leitungsorgans. Das vom BGH aufgegriffene Dilemma, nach dem der Buchstabe des Gesetzes dem AG-Vorstand in Ausnahmefällen unangemessen weitgehende Kompetenzen einräumt – insbesondere in Bezug auf eines Mediatisierung von Aktionärsrechten und bei sonstigen, vom Gesetz- bzw. Verordnungsgeber nicht bedachten Grundlagenentscheidungen – stellt sich daher in AG und SE in derselben Weise. Ob man die Gelatine-Kompetenz der SE-Hauptversammlung als ein SE-spezifisches Schutzkonzept oder als ein auf die SE übertragenes AG-spezifisches Konzept einordnen will, ist letztlich belanglos. Denn wegen der Parallelität der Problemstellung ist die Tatsache, dass sich die oben dargestellte richterrechtliche Entwicklung nur in Bezug auf die AG und nicht in Bezug auf die deutsche SE vollzog, nur dem späten Inkrafttreten der SE-Verordnung sowie dem Zufall geschuldet, dass es die Gerichte jeweils mit einer AG und nicht mit einer deutschen SE zu tun hatten. Sowohl im geschriebenen Recht der AG als auch in dem der deutschen SE stellt das Gelatine-Konzept des BGH einen vom Gesetz- bzw. Verordnungsgeber nicht vorgesehenen Fremdkörper dar, dessen Existenzberechtigung auf dieselben legitimen Erwägungen zurückgeführt werden kann. Das macht die Grundsätze einerseits für den Moment deckungsgleich und schließt andererseits für die Zukunft nicht aus, dass der BGH seinen Ausführungen in Bezug auf die AG eine neue Facette hinzufügt, die sich mit der Verordnung nicht in Einklang bringen lässt. Und umgekehrt könnte der EuGH die Vorlagefrage eines deutschen Gerichts zum Anlass nehmen, um der Linie des BGH eine neue Wende zu geben. Dann würde sich – umgekehrt – die Frage stellen, ob das SE-spezifisch entwickelte Richterrecht auch im Fall einer deutschen AG Bestand hätte. 459 Siehe bereits oben Abschnitt „Ungeschriebene Kompetenzen auf Ebene der Verordnung vs. ungeschriebene Kompetenzen auf aktiengesetzlicher Ebene?“, S. 32. 460 Siehe oben 4. Teil Fn. 425.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Die hier vertretene Auffassung, nach der die Gelatine-Kompetenz der AGHauptversammlung denselben Umriss hat wie die Gelatine-Kompetenz der SEHauptversammlung, ist daher nicht mehr als ein Zwischenstand, der den derzeitigen Stand der außergesetzlichen Rechtsentwicklung reflektiert. Es erscheint alles andere als ausgeschlossen, dass die beiden Bereiche auf Basis zukünftiger, konträrer Entwicklungen im deutschen und europäischen Gesellschafts-Richterrecht auseinanderdriften. 3. Nachgründungsverträge Ebenfalls in den Bereich der Geschäftsführungsmaßnahmen fallen der Abschluss von sogenannten Nachgründungsverträgen zwischen der Gesellschaft und ihren Gründern bzw. Großaktionären, nach denen die Gesellschaft vorhandene oder herzustellende Anlagen oder andere Vermögensgegenstände für eine den zehnten Teil des Grundkapitals übersteigende Vergütung erwerben soll, und die in den ersten zwei Jahren seit Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister geschlossen werden. Sie werden vom deutschen Gesetzgeber traditionell als besonders gefährlich eingeordnet; nach gängiger Auffassung droht eine Umgehung der Sachgründungsvorschriften und damit eine unzureichende Kapitalaufbringung.461 § 52 Abs. 1 AktG macht die Wirksamkeit von Nachgründungsverträgen daher unter anderem von der Zustimmung der Hauptversammlung abhängig. Nach ganz herrschender – und zutreffender – Auffassung gilt die Hauptversammlungskompetenz aus § 52 Abs. 1 AktG auch für die deutsche SE.462 Zur Begründung wird insbesondere auf den mittlerweile auf europarechtlicher Ebene verankerten Geltungsgrund der Vorschrift verwiesen.463 Zu bedenken ist freilich, dass § 52 Abs. 1 AktG an die Gründung anknüpft und für die SE in Art. 2 Abs. 1 – 4 SE-VO besondere Gründungsarten vorgesehen sind, die ihrem Charakter nach Umwandlungsmaßnahmen näher stehen als einem Gründungsvorgang, wie er in §§ 23 – 53 AktG kodifiziert ist. Anders als die übliche 461 Siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 52 Rn. 1, sowie ausführlich zur (bis ins 19. Jahrhundert zurückreichenden) Historie der Vorschrift Pentz, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2008), § 52 Rn. 1 – 3. 462 Übereinstimmend Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 52 SE-VO Rn. 40; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 52 Rn. 10; Kiem, in: KKAktG, 3. Aufl. (2010), Art. 52 SE-VO Rn. 37; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 52 SE-VO Rn. 21; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 44 a.E.; Baatz/Weydner, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG (2005), Kap. 6, Rn. 26 (im Anschluss Fürst/Klahr, a.a.O., in der 2. Aufl.); Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. 23; dies., in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.580; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 144; Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 282; Wicke, MittBayNot 2006, 196, 203; wohl ebenso Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 Rn. 29. 463 Exemplarisch Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 144.

B. Einfluss auf das Leitungsorgan

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Kommentierung des § 52 AktG im Rahmen des Art. 52 SE-VO464 suggeriert, führt der Weg zur Anwendbarkeit der Hauptversammlungskompetenz aus § 52 Abs. 1 AktG daher etwa im Rahmen der Verschmelzungsgründung nicht über Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO, sondern über Art. 18 SE-VO in Verbindung mit deutschem Verschmelzungsrecht. Über § 32 Abs. 2 UmwG aber gelangt § 52 AktG nicht uneingeschränkt, sondern nur nach Maßgabe des § 67 UmwG zur Anwendung. Der Verweis aus Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO ist nur dann einschlägig, wenn eine SE gemäß Art. 3 Abs. 2 SE-VO durch eine bereits existierende SE gegründet wird (sogenannte Sekundärgründung). 4. Entscheidung über sonstige Geschäftsführungsmaßnahmen auf Verlangen des Leitungsorgans, § 119 Abs. 2 AktG Über die zwingenden Hauptversammlungszuständigkeiten im Geschäftsführungsbereich hinaus steht es dem Leitungsorgan auch frei, von sich aus Geschäftsführungsmaßnahmen aus dem eigenen Zuständigkeitsbereich gemäß § 119 Abs. 2 AktG der Hauptversammlung zur Entscheidung vorzulegen. Die – von der nahezu ganz herrschenden Ansicht anerkannte465 – Übertragbarkeit dieser Möglichkeit auf die deutsche SE lässt sich auf Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO stützen. Allein Brandt466 lehnt eine entsprechende Anwendung des § 119 Abs. 2 AktG auf die deutsche SE ab. Die Abgrenzung zwischen den Kompetenzbereichen der Hauptversammlung einerseits und der Verwaltung andererseits sei auf Verordnungsebene abschließend geregelt; es fehle daher an einer Regelungslücke, die Voraussetzung für einen Rückgriff auf mitgliedstaatliches Recht sei.467 Gegen die Anwendbarkeit des § 119 Abs. 2 AktG spreche auch die Verordnungshistorie: Ein Vorschlag des Europäischen Parlaments zum SE-VOV 1989, eine Vorlagebefugnis unmitelbar in der SE-Verordnung zu verankern, sei nicht berücksichtigt worden. Daraus sei „zu folgern, dass eine solche Verschränkung im Bereich der Geschäftsführungskompetenz eben nicht beabsichtigt ist.“468 464

Siehe die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 462. Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 52 SE-VO Rn. 33; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 9; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 52 SE-VO Rn. 27; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 52 SE-VO Rn. 20; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 52 SE-VO Rn. 15; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 SE-VO Rn. 24 f.; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 27 (noch etwas unentschlossener ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 229 f. mit dortiger Fn. 34); Baatz/Weydner, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG (2005), Kap. 6, Rn. 25 (im Anschluss Fürst/Klahr, a.a.O., in der 2. Aufl.); Kalss, ZGR 2003, 593, 616; Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 (§ 12 Abs. 1 Satz 2 der Mustersatzung). 466 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 114 f. 467 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 114 f. 468 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 114 f. 465

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Die besseren Gründe sprechen freilich gegen die These, die Kompetenzen von Hauptversammlung und Verwaltung seien auf Verordnungsebene abschließend geregelt.469 Und auch das historische Argument Brandts greift letztlich nicht durch. Denn anders als der SE-VOV 1989 verfolgt die SE-Verordnung nicht mehr das Konzept einer Vollkodifikation des SE-Rechts mit abschließend, unmittelbar und enumerativ geregelten Hauptversammlungskompetenzen. Die Tatsache, dass der Vorschlag des Europäischen Parlaments nicht berücksichtigt wurde, taugt daher nicht als Beleg für einen negativen Regelungswillen des Verordnungsgebers, sondern kann ebenso als Hinweis darauf interpretiert werden, dass der Verordnungsgeber eine Lösung auf Basis der in Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO enthaltenen (und im SE-VOV 1989 noch nicht enthaltenen) Verweisung den Vorzug bevorzugte.470

VI. Entlastung Über den Verweis in Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO findet die Entlastungskompetenz der AG-Hauptversammlung aus § 119 Abs. 1 Nr. 3, § 120 Abs. 1 – 3 AktG auch auf die SE Anwendung.471 Genauso wie die AG-Hauptversammlung über die Entlastung des Vorstands abstimmt, beschließt die SE-Hauptversammlung also über die Entlastung der Leitungsorganmitglieder. Dabei gelten dieselben Grundsätze wie bei der Entlastung des SE-Aufsichtsrats; insbesondere kann an Stelle einer Gesamtentlastung gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 AktG Einzelentlastung verlangt werden, es gilt das einfache Stimmenmehrheitserfordernis aus Art. 57 SE-VO, und eine Aufteilung der Entlastung nach sachlichen oder zeitlichen Kriterien ist ebenso unstatthaft wie eine Vertagung der gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 AktG zeitnah zu treffenden Sachentscheidung.472

C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan Während sich im dualistischen System die Personalkompetenzen der Hauptversammlung primär auf das Aufsichtsorgan beziehen, ist es im monistischen System das Verwaltungsorgan, das – im Vergleich zu den geschäftsführenden Direktoren – besonders intensiv dem Einfluss der Hauptversammlung unterliegt.

469 Hierzu bereits oben Abschnitt „Verhältnis zu Kompetenzen der Geschäftsführungs- und Überwachungsorgane“, S. 40. 470 Vgl. bereits oben Abschnitt „Ersetzung der fehlenden Zustimmung im Einzelfall, § 111 Abs. 4 Sätze 3 – 5 AktG?“, S. 269, mit Fn. 298. 471 Ausführlich zur Anwendbarkeit deutschen Rechts bereits oben Abschnitt „Anwendbarkeit deutschen Aktienrechts“, S. 273. 472 Siehe oben Abschnitt „Entlastung“, S. 273.

C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan

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I. Einfluss auf personelle Zusammensetzung 1. Abstrakt per Satzung a) Gestaltung der Mitgliederzahl Gemäß Art. 41 Abs. 2 Satz 1 SE-VO werden die Zahl der Mitglieder des Verwaltungsorgans oder die Regeln für ihre Festlegung in der Satzung der SE festgelegt. Gemäß Satz 2 dürfen die Mitgliedstaaten eine Mindestzahl und „erforderlichenfalls“ eine Höchstzahl festsetzen. In Hinblick auf diese Ermächtigung hat der deutsche Gesetzgeber § 23 Abs. 1 SEAG erlassen, der sich inhaltlich einerseits teilweise an § 95 AktG (AG-Aufsichtsrat) und § 17 Abs. 1 SEAG (SE-Aufsichtsorgan) anlehnt und andererseits bewusst vom Recht des AG-Vorstands (§ 76 Abs. 2 AktG) abhebt.473 aa) Mindest-, Höchst- und grundsätzliche Mitgliederzahl, § 23 Abs. 1 SEAG Was die gesetzliche Mindestgröße des Verwaltungsorgans betrifft, füllt § 23 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SEAG die Ermächtigung aus Art. 43 Abs. 2 Satz 2 SE-VO etwas anders aus als § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SEAG die parallele Ermächtigung aus Art. 40 Abs. 3 Satz 2 SE-VO. So gilt die absolute Untergrenze von drei Organmitgliedern gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SEAG nur für Gesellschaften mit einem Grundkapital von mehr als drei Millionen Euro. Dieselbe Mindestgröße von drei Sitzen gilt gemäß Art. 43 Abs. 2 Satz 3 SE-VO für mitbestimmte Gesellschaften. Nach oben hin begrenzt § 23 Abs. 1 Satz 3 SEAG die Mitgliederzahl ebenso grundkapitalabhängig. Danach darf die Satzung einer SE mit einem Grundkapital von bis zu 1.500.000 Euro nicht mehr als neun Verwaltungsorgansitze festlegen; bei mehr als 1.500.000 Euro und bis zu 10.000.000 Euro Grundkapital beträgt die Höchstzahl fünfzehn und bei mehr als 10.000.000 Euro einundzwanzig Sitze. Innerhalb dieser Grenzen kann der Satzungsgeber die allgemein als Grundsatz verankerte Dreiköpfigkeit des Verwaltungsorgans (§ 23 Abs. 1 Satz 1 SEAG) sowohl nach oben als auch nach unten variieren. Dabei kann die Organgröße – eine entsprechende Satzungsgestaltung vorausgesetzt – auch bis auf einen einzigen Sitz schrumpfen.474 Die in Bezug auf das Aufsichtsorgan vorgetragene – und richtiger473 Vgl. RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 37; in dieselbe Richtung bereits der Vorschlag von Teichmann, ZIP 2002, 1109, 1114. 474 Ganz h.M.: Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 25; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 25; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 43 Rn. 75; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 44, Anh Art. 51 SE-VO Rn. 5 f.; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh Art. 43 SE-VO (§ 23 SEAG) Rn. 4; ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 195, 208 f.; ders., BB 2004, 53, 54; Verse, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 43 SE-VO Rn. 18; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 237; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S 593; Bachmann, ZGR 2008, 779, 787; N. Horn,

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

weise abzulehnende – Ansicht, aus der Verordnung ergebe sich eine allgemeine Mindestgröße von drei Sitzen, da das Organ andernfalls nicht „aus seiner Mitte einen Vorsitzenden“ wählen könne (Art. 42 bzw. 45 SE-VO) und sich das Zweitstimmrecht des Vorsitzenden (Art. 50 Abs. 2 SE-VO) im zweiköpfigen Organ faktisch in ein Alleinentscheidungsrecht verwandele,475 wird in Bezug auf das Verwaltungsorgan von keiner Seite vertreten.476 Grund hierfür mag insbesondere die ausdrücklich nur auf mitbestimmte Verwaltungsorgane bezogene Mindestgrößenanordnung in Art. 43 Abs. 2 Satz 3 SE-VO sein. Sie wäre überflüssig, wenn bereits allgemein eine Mindestgröße von drei Sitzen gelten würde. Gleicht man die Ausführungsvorschrift mit der Ermächtigungsgrundlage ab, so ließe sich die Verordnungskonformität des § 23 Abs. 1 SEAG jedenfalls auf den ersten Blick gleich unter drei Gesichtspunkten bezweifeln. Zum einen enthält § 23 Abs. 1 SEAG gleich mehrere Höchst- und Mindestzahlen, während Art. 43 Abs. 2 Satz 2 SE-VO dem nationalen Gesetzgeber nur „eine“ Mindest- bzw. Höchstzahl zugesteht; zum anderen erscheint fraglich, ob der deutsche Gesetzgeber zur Festlegung einer absoluten Zahl in § 23 Abs. 1 Satz 1 SEAG berechtigt war. Und schließlich wird nicht recht deutlich, welche Bedeutung der Erforderlichkeitsklausel in Art. 43 Abs. 2 Satz 2 SE-VO zukommt und in welcher Weise die deutsche Regelung der Klausel gerecht wird. Am einfachsten ausräumen lassen sich noch die Bedenken hinsichtlich der variablen Art der deutschen Mindest- und Höchstzahlbestimmung. Ebenso wie Art. 39 Abs. 4 Satz 2, Art. 40 Abs. 3 Satz 2 SE-VO ist auch Art. 43 Abs. 2 Satz 2 SE-VO genüge getan, wenn sich die einzelne SE nach objektiven Kriterien nur nach einer einzigen Höchst- bzw. Mindestzahl richten muss. Für die Gesamtheit der SEs eines Mitgliedstaats gelten dann zwar unterschiedliche Mindest- und Höchstgrenzen, die einzelne SE ist aber nur an „eine Mindestzahl“ und „eine Höchstzahl“ gebunden.477 Schon problematischer erscheint die Festlegung der satzungsdispositiven RegelOrgangröße von drei Mitgliedern, wie sie § 23 Abs. 1 Satz 1 SEAG vornimmt. Während sich die Parallelregelung im Recht des SE-Aufsichtsorgans (§ 17 Abs. 1 Satz 1 SEAG) noch auf die Erwägung stützen lässt, die Ermächtigung aus Art. 40 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 SE-VO („Die Mitgliedstaaten können … die Zahl der Mitglieder des Aufsichtsorgans … festlegen.“) enthalte als Minus gegenüber einer verbindlichen Zahl erst recht die Ermächtigung zur Verankerung einer satzungsdispositiven Zahl, ist dieser Weg im Rahmen des Art. 43 Abs. 2 SE-VO versperrt. Denn Letzterer DB 2005, 147, 151; Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2477; Merkt, ZGR 2003, 650, 676. 475 Siehe oben Abschnitt „Mindestens und grundsätzlich drei Mitglieder“, S. 211. 476 Erwägend nur Schwarz, SE-VO (2006), Art. 43 Rn. 75. 477 Ähnlich Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 81 f., sowie im Anschluss Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 43 SE-VO Rn. 20; siehe auch die parallelen Erwägungen zu Art. 43 Abs. 2 Satz 2 SE-VO unter Abschnitt „Höchstgrenze(n), § 17 Abs. 1 Satz 4 SEAG“, S. 213.

C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan

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ermächtigt nur den Satzungsgeber, nicht aber die Mitgliedstaaten zur Festlegung einer absoluten Zahl. Die Regelgrößen-Anordnung als verordnungswidrig einzuordnen, ginge dennoch zu weit. Denn zum einen lässt sich die Regelgröße wohl auch als Minus gegenüber verbindlichen Höchst- und Mindestgrenzen einordnen – und damit unter die Ermächtigung aus Art. 43 Abs. 2 Satz 2 SE-VO fassen.478 Zum anderen erwächst aus der Regelgröße letztlich für keinen Betroffenen eine Belastung, die sich auf eine legislative Ermächtigungsgrundlage zurückführen lassen müsste. Es handelt sich vielmehr um eine reine Hilfestellung des deutschen Gesetzgebers, die die Freiheit des Satzungsgebers in keinerlei Hinsicht einschränkt. Auch § 23 Abs. 1 Satz 1 SEAG ist daher mit der Verordnung vereinbar. Schließlich fragt sich, welche Art von Einschränkung der Verordnungsgeber mit der einschränkenden Bemerkung im Sinn hatte, die Mitgliedstaaten dürften eine Höchstzahl nur „erforderlichenfalls“ festsetzen. Die Formulierung als rein sprachliche Spielerei ohne rechtlichen Inhalt abzutun, erscheint kaum möglich, da der Verordnungsgeber dieselbe Formulierung in den ansonsten weitgehend parallel gehaltenen Art. 39 Abs. 4 Satz 2, Art. 40 Abs. 3 Satz 3 SE-VO nicht verwendet; ähnliche Wortlaut-Unterschiede finden sich in anderen Sprachfassungen wieder;479 und auch innerhalb des Art. 43 Abs. 2 Satz 2 SE-VO scheint der Verordnungsgeber zu differenzieren, indem er die Erforderlichkeitsklausel ausdrücklich nur auf die Höchstzahl und nicht auf die Mindestzahl bezieht. Der Inhalt der Erforderlichkeitsprüfung bleibt freilich im Dunkeln. Die Erwägungsgründe enthalten insofern keine Hinweise und auch die Vorgängerregelungen in den Vorentwürfen zeichnen keine Rechtsentwicklung, die über die vom Verordnungsgeber gewählte Formulierung Aufschluss geben könnte. Also eine Erforderlichkeitsprüfung nach deutscher Rechtstradition, ansetzend beim legitimen Ziel des Gesetzgebers?480 Oder bedarf es eines sachlichen Grundes für eine Höchstzahlregelung?481 Auch hierdurch würde der Erforderlichkeitsklausel wohl kaum eine inhaltliche Bedeutung zuwachsen. Denn die Einschätzung eines nationalen Gesetzgebers, es bedürfe einer Höchstzahlanordnung – etwa um die Arbeitsfähigkeit des Gremiums zu gewährleisten oder um eine Angleichung an die Verhältnisse in nationalen Aktiengesellschaften vorzunehmen – wird sich kaum jemals als unsachlich oder illegitim erweisen; und selbst wenn dies einmal der Fall sein sollte, wären wohl die mitgliedstaatlichen Gerichte am besten in der Lage, dies zu erkennen, und nicht der zur Auslegung der Verordnung berufene EuGH.

478 So Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 78; in dieselbe Richtung Gößl, Satzung der SE (2010), S. 116. 479 Vgl. etwa die englische Fassung („where necessary“) sowie die im 4. Teil in Fn. 482 wiedergegebenen Formulierungen. 480 In diese Richtung Schwarz, SE-VO (2006), Art. 43 Rn. 74. 481 So Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 1. Aufl. (2005), Art. 43 SE-VO Rn. 26 (anders nunmehr die 2. Aufl., siehe 4. Teil, Fn. 483).

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Die besseren Gründe sprechen daher letztlich dafür, die Erforderlichkeitsklausel nicht auf den Erforderlichkeitsbegriff der deutschen Rechtsdogmatik zu beziehen, sondern im Sinne eines „möglicherweise“ oder „gegebenenfalls“ auszulegen. Hierfür bieten die in anderen Sprachfassungen gewählten Formulierungen durchaus eine Grundlage.482 So verstanden weist die Erforderlichkeitsklausel lediglich auf die Einschätzungsprärogative der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber hin483 und entfaltet keine materiell einschränkende Wirkung für die Ausführungsgesetzgebung. Die vom deutschen Gesetzgeber in § 23 Abs. 1 SEAG gewählte Kombination aus Mindest-, Höchst- und Regel-Organmitgliederzahl ist daher vollumfänglich von der Ermächtigungsgrundlage in Art. 43 Abs. 2 Satz 2 SE-VO abgedeckt. bb) Kein Dreiteilbarkeitsgrundsatz Eine Parallelregelung zum sogenannten Dreiteilbarkeitsgrundsatz aus § 95 Abs. 1 Satz 3 AktG und § 17 Abs. 1 Satz 3 SEAG hat der deutsche Gesetzgeber in § 23 Abs. 1 SEAG nicht aufgenommen. Er wäre hierzu auch nicht berechtigt gewesen, da Art. 43 Abs. 2 Satz 2 SE-VO die Mitgliedstaaten nur zur Fixierung von Mindest- und Höchstmitgliederzahlen ermächtigt, nicht jedoch zu einer Regelung, die dazu führt, dass der Satzungsgeber die Mitgliederzahl nur in Dreierschritten absenken und erhöhen darf.484 cc) Hinreichende Bestimmtheit der satzungsmäßigen Mitgliederzahl Von seinem Gestaltungsspielraum Gebrauch machen kann der Satzungsgeber gemäß Art. 43 Abs. 2 Satz 1 SE-VO entweder durch Bestimmung einer absoluten Mitgliederzahl oder durch Fixierung von „Regeln für ihre Festlegung.“ Der offener formulierte § 23 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 SEAG („Die Satzung kann etwas anderes be-

482 Vgl. etwa die französische („le cas échéant“), die italienische („se del caso“), die niederländische („in voorkomend geval“), die spanische („en su caso“), die rumänische („dupa˘ caz“) und die schwedische („i förekommande fall“) Fassung. 483 In dieselbe Richtung geht das Auslegungsergebnis von Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh Art. 43 SE-VO (§ 23 SEAG) Rn. 3 (dem sich Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE.VO Rn. 26, und Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 43 SE-VO Rn. 19, anschließen), wonach die Erforderlichkeitsklausel darauf hinweist, dass ein Mitgliedstaat der eine Mindestzahl festlege, nicht zwingend auch eine Höchstzahl bestimmen müsse. 484 Es gelten insofern dieselben Erwägungen, die die Unvereinbarkeit des § 17 Abs. 1 Satz 3 SEAG mit Art. 40 Abs. 3 Satz 2 SE-VO begründen (siehe oben Abschnitt „Dreiteilbarkeitsgrundsatz, § 17 Abs. 1 Satz 3 SEAG?“, S. 214); eine Befugnis zur Verankerung des Dreiteilbarkeitsgrundsatzes in Bezug auf das Verwaltungsorgan verneinend auch Verse, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 43 SE-VO Rn. 3. Nicht im Einklang mit der Verordnung steht daher etwa die von Koppensteiner, RIW 2006, 103, 106, referierte portugiesische Ausführungsbestimmung, nach der die Mitgliederzahl zwingend ungerade sein muss.

C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan

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stimmen; …“) ändert hieran nichts, sondern ist verordnungskonform eng auszulegen. Zur Frage, welche Satzungsbestimmungen als „Regeln“ im Sinne des Art. 43 Abs. 2 Satz 1 SE-VO in Betracht kommen, finden sich im Schrifttum weit weniger Stellungnahmen als zur Parallelfrage im Rahmen des Art. 40 Abs. 3 Satz 1 SEVO.485 Die wenigen Ansichten liegen inhaltlich weit auseinander. Auf der einen Seite findet sich die – schon vom Verordnungswortlaut klar widerlegte – Ansicht, der Satzungsgeber dürfe nur „eine fixe Zahl“ nennen;486 auf der anderen Seite heißt es, es reiche aus, wenn die Satzung ein Festlegungsverfahren vorschreibe.487 Eine dritte Ansicht entnimmt Art. 43 Abs. 2 Satz 1 SE-VO in dieser Hinsicht überhaupt keine materiellen Vorgaben; es sei daher etwa denkbar, dass das aktuelle Verwaltungsorgan ermächtigt werde, die Mitgliederzahl des neu zu wählenden Verwaltungsorgans festzulegen.488 Auch die Hauptversammlung könne zur Festlegung der Zahl ermächtigt werden.489 Und schließlich findet sich der Vorschlag, die Mitgliederzahl an die Anzahl der Geschäftssparten oder (ehemaligen) Vorstandsressorts anzuknüpfen.490 Richtigerweise reicht die Satzungsfreiheit in Bezug auf „Regeln“ im Sinne des Art. 43 Abs. 2 Satz 1 SE-VO ebenso weit wie in Bezug auf „Regeln“ zur Festsetzung der Aufsichtsorgan-Mitgliederzahl (Art. 40 Abs. 3 Satz 1 SE-VO). Die Vorgaben der Verordnung sind absolut deckungsgleich, und es verwundert, dass beide Vorschriften im Schrifttum durchweg getrennt voneinander erläutert werden und auch die beiden Meinungsbilder nicht zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Inhaltlich gilt das Folgende: Erlaubt sind sowohl Klauseln, die eine Berechnung der Zahl an statischobjektive Kriterien anknüpfen, als auch offenere Regelungen, die an dynamische Kriterien und/oder sogar an die Entscheidungen einzelner Gesellschaftsorgane (z. B. der Hauptversammlung) anknüpfen. Ebenso kann die Satzung feste Ober- und Untergrenzen vorgeben, innerhalb derer die Hauptversammlung die Zahl festlegen kann. Nicht zulässig ist dagegen eine Delegation der Entscheidung an außenstehende Dritte, an Arbeitnehmergremien (z. B. Betriebsrat) oder an die geschäftsführenden Direktoren.491

485

Zu letzteren siehe oben Abschnitt „Hinreichende Bestimmtheit der Erhöhung“, S. 215. Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 43 SE-VO Rn. 60. 487 Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 25. 488 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 43. 489 Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2477 (mit einem entsprechenden Formulierungsvorschlag in § 8 Abs. 1 der dortigen Mustersatzung). 490 Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2477. 491 Zur Begründung siehe oben Abschnitt „Hinreichende Bestimmtheit der Erhöhung“, S. 215. 486

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

dd) Mitbestimmte SE Unterliegt die SE der Mitbestimmung, so hat das Verwaltungsorgan gemäß Art. 43 Abs. 2 Satz 3 SE-VO aus mindestens drei Mitgliedern zu bestehen. Unter keinen Umständen Anwendung finden dagegen die in § 7 Abs. 1 MitbestG enthaltenen Mindestgrößen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die paritätische Mitbestimmung einer deutschen SE-Gründungsgesellschaft über die Mitbestimmung kraft Gesetzes in der SE fortsetzt (§ 35 SEBG).492 ee) Verzicht auf Satzungsregelung? Umstritten ist, ob der Satzungsgeber die Verwaltungsorgangröße zwingend regeln muss oder ob er schweigen und sich auf das Eingreifen der Regelgröße aus § 23 Abs. 1 Satz 1 SEAG verlassen darf. Für einen Regelungszwang scheint der Wortlaut des Art. 43 Abs. 2 Satz 1 SE-VO zu sprechen („Die Zahl der Mitglieder … oder die Regeln … sind in der Satzung der SE festgelegt.“); dem entgegen steht der Charakter des § 23 Abs. 1 Satz 1 SEAG als Regelvorgabe, mit der der deutsche Gesetzgeber gezielt Fälle aufgreifen wollte, in denen die Satzung keine Regelung enthält.493 Die Dinge liegen also genauso wie in Bezug auf die Aufsichtsorgangröße, wo Art. 40 Abs. 3 SE-VO („Die Zahl der Mitglieder … oder die Regeln … werden durch die Satzung bestimmt.“) und § 17 Abs. 1 Satz 1 SEAG (drei Sitze als satzungsdispositive Regelgröße) ebenso in unterschiedliche Richtungen deuten.494 Die überwiegende Ansicht spricht sich dort für einen Regelungszwang aus,495 während sich das Meinungsbild in Bezug auf das Verwaltungsorgan zahlenmäßig umgekehrt und argumentativ weniger tiefgehend darstellt.496 Soweit zur Frage überhaupt Stellung genommen wird, begnügen sich die Autoren jeweils mit einem bloßen Hinweis auf § 23 Abs. 1 Satz 1 SEAG bzw. Art. 40 Abs. 3 SE-VO, ohne auf den Konflikt zwischen den beiden Normen zu sprechen zu kommen. 492 Siehe Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 26, sowie oben Abschnitt „Nicht: § 7 Abs. 1 MitbestG“, S. 217, mit den Nachweisen in Fn. 29. 493 RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 37: „… reduziert es den Regelungsaufwand der Satzung, denn im gesetzlichen Regelfall muss dort nichts geregelt werden.“ 494 Siehe oben Abschnitt „Verzicht auf Satzungsregelung?“, S. 218. 495 Siehe die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 30. 496 Gegen einen Regelungszwang: Schwarz, SE-VO (2006), Art. 43 Rn. 68, 73; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 116 f., 237; RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 37 (siehe oben 4. Teil, Fn. 493); Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2477; wohl ebenso Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 25, und Verse, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), § 23 SEAG Rn. 2, die die vorgenannte Passage des RegE SEEG jeweils kommentarlos referieren; einen Regelungszwang befürwortend nur Manz, in: Manz/ Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 25; in dieselbe Richtung äußern sich zwar auch Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 169 mit dortiger Fn. 950, und Scheifele, Gründung (2004), S. 165; beide konnten jedoch aus zeitlichen Gründen nicht von dem erst Ende 2004 in Kraft getretenen § 23 SEAG Notiz nehmen.

C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan

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Auflösen lässt sich die Frage auf dieselbe Weise wie in Hinblick auf die Größe des Aufsichtsorgans:497 Erkennt man an, dass von der Ermächtigungsgrundlage in Art. 43 Abs. 2 Satz 2 SE-VO auch eine satzungsdispositive Regelgröße gedeckt ist – wofür die besseren Gründe sprechen498 –, so ergibt ein an den Satzungsgeber gerichteter Regelungszwang keinen Sinn. Ein Satzungsgeber, der es bei der gesetzlichen Regelgröße in § 23 Abs. 1 Satz 1 SEAG belassen will, kann daher auf eine Größenbestimmung völlig verzichten. b) Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter, Art. 47 Abs. 3 SE-VO Um für die Aufnahme in das Verwaltungsorgan einer deutschen SE in Frage zu kommen, müssen Kandidaten zunächst die in § 27 SEAG beschriebenen, zwingenden Eignungsvoraussetzungen erfüllen.499 Darüber hinaus steht es dem Satzungsgeber gemäß Art. 47 Abs. 3 SE-VO offen, für Organmitglieder, die die Aktionäre vertreten, „in Anlehnung an die für Aktiengesellschaften geltenden Rechtsvorschriften des Sitzstaats der SE besondere Voraussetzungen für die Mitgliedschaft“ festzulegen. Der Verweis führt auch für die monistische deutsche SE500 zu § 100 Abs. 4 AktG, wonach die Satzung persönliche Voraussetzungen für solche AG-Aufsichtsratsmitglieder fordern darf, die von der Hauptversammlung ohne Bindung an Wahlvorschläge gewählt oder auf Grund der Satzung in den Aufsichtsrat entsandt werden. Sie gilt entsprechend für das Verwaltungsorgan.501 Als satzungsmäßige Kriterien kommen in Betracht: Aktionärseigenschaft (allgemein oder bestimmte Aktiengattung), Familienzugehörigkeit, Fehlen von Vorstrafen, geordnete Vermögensverhältnisse, fachliche Qualifikation, Sprachkenntnisse, eine Begrenzung der Anzahl der Wahlperioden (nach Maßgabe des Art. 46 Abs. 2 SE-VO) sowie eine Begrenzung der Zahl und/oder der Art anderweitiger Organämter. Möglich, aber rechtfertigungsbedürftig sind Voraussetzungen, die an die Staatsangehörigkeit, Konfession, Religion, Weltanschauung, an das Alter, das Geschlecht, die ethnische Herkunft, eine (Nicht-)Behinderung oder an die sexuelle Identität anknüpfen. Nicht möglich sind dagegen Voraussetzungen, die eine be497

Siehe oben Abschnitt „Verzicht auf Satzungsregelung?“, S. 218. Siehe oben Abschnitt „Mindest-, Höchst- und grundsätzliche Mitgliederzahl, § 23 Abs. 1 SEAG“, S. 317. 499 Weiterführend hierzu Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 47 SEVO Rn. 25 – 36; zur Nichtgeltung des § 100 Abs. 1 Nr. 4 AktG (sogenannter Cooling-OffZeitraum) in der monistischen SE siehe unten Abschnitt „Monistisches Modell“, S. 452. 500 Zur Anwendbarkeit des § 100 Abs. 4 AktG auf die dualistische deutsche SE bereits oben Abschnitt „Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter, Art. 47 Abs. 3 SE-VO“, S. 218. 501 Ganz h.M.; siehe nur Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 47 SEVO Rn. 8; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 47 SE-VO Rn. 37; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 47 SE-VO Rn. 20. 498

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

stimmte Person individualisieren (z. B. durch Namensnennung), Voraussetzungen, die sich spezifisch auf entsendete Mitglieder beziehen, sowie die Festlegung von Quoten (z. B. Deutsche, Ausländer).502 Speziell für die monistische SE kommt eine Festlegung in Frage, nach der die Verwaltungsorganmitglieder nicht gleichzeitig geschäftsführende Direktoren derselben SE sein dürfen.503 c) Sonstige Satzungsbestimmungen zur personellen Zusammensetzung des Verwaltungsorgans Ebenfalls in die Satzung aufgenommen werden können Regelungen über die Amtsdauer, über die Wiederwahl und über Entsendungsrechte. Die hierfür einschlägigen Art. 46 SE-VO und § 101 Abs. 2 AktG gelten – im letzteren Fall über § 28 Abs. 2 SEAG – für die monistische SE ebenso wie für die dualistische Variante. Auch das Amtsniederlegungsrecht, das Verwaltungsorganmitgliedern bereits nach allgemeinen Regeln zusteht,504 kann in der Satzung näher ausgestaltet werden.505 2. Konkret per Beschluss a) Wahl der Mitglieder, Art. 43 Abs. 3 SE-VO Auch in Bezug auf das Verwaltungsorgan bildet die Zuständigkeit für die Wahl der Organmitglieder den Kern der Personalkompetenz der Hauptversammlung. Die Zuständigkeit ergibt sich unmittelbar aus Art. 43 Abs. 3 Satz 1 SE-VO. Für jeden Verwaltungsorgansitz ist ein reguläres Mitglied zu wählen. Die Wahl von stellvertretenden Organmitgliedern ist gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 SEAG unstatthaft. Die Vorschrift beruht auf der allgemeinen Ermächtigung in Art. 43 Abs. 4 SE-VO und ist funktionell deckungsgleich mit § 101 Abs. 3 Satz 1 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO im Recht der dualistischen SE; auch hier ergibt sich kein Konflikt mit Art. 50 Abs. 1 SE-VO.506 Eine ähnliche Parallele ergibt sich in Hinblick auf die Wahl von Ersatzmitgliedern, die § 28 Abs. 3 Sätze 2 – 5 SEAG, Art. 43 Abs. 4 502 Zum Ganzen ausführlich bereits oben Abschnitt „Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter, Art. 47 Abs. 3 SE-VO“, S. 218; Formulierungsvorschläge für entsprechende Klauseln im monistischen Umfeld finden sich bei Lutter/Kollmorgen/ Feldhaus, BB 2005, 2473, 2477 f.; Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.850. 503 Die herrschende Meinung würde eine solche Satzungsklausel wohl auf § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG stützen; siehe unten Abschnitt „Satzungsregeln über die Bestellung eines oder mehrerer geschäftsführender Direktoren durch das Verwaltungsorgan, § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG“, S. 326, mit den Nachweisen in Fn. 627. 504 Auch hierzu bereits oben Abschnitt „Amtsniederlegungsrecht“, S. 231. 505 Exemplarisch Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.850 (§ 9 Abs. 4 der Muster-SE-Satzung). 506 Zur Parallelsituation in der dualistischen SE siehe oben Abschnitt „Wahl der Mitglieder, Art. 40 Abs. 2 SE-VO“, S. 232.

C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan

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SE-VO ausdrücklich gestatten;507 letztere Vorschriften treten hier an die Stelle von § 101 Abs. 3 Sätze 2 – 4 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO. In rechtspolitischer Hinsicht hat sich der Gesetzgeber also für eine enge Orientierung am Recht des AGAufsichtsrats entschieden. Ebenso möglich und sinnvoll wäre es gewesen, § 28 SEAG entsprechend dem AG-Vorstandsrecht zu konzipieren508 oder ein völlig neues, spezifisch-monistisches Konzept zu entwerfen. Für die Wahlen zum Verwaltungsorgan gilt das einfache Stimmenmehrheitserfordernis aus Art. 57 SE-VO;509 der Verweis auf die Verordnung in § 28 Abs. 1 SEAG hat nur klarstellende Bedeutung.510 Ein abweichendes Mehrheitserfordernis (§ 133 Abs. 1 Hs. 2 AktG) oder „andere Bestimmungen“ (§ 133 Abs. 3 AktG) können in der Satzung nicht vorgesehen werden.511 Wiederbestellungen bereits amtierender Verwaltungsorganmitglieder sind gemäß Art. 46 Abs. 2 SE-VO grundsätzlich statthaft. Es gilt dasselbe wie in Bezug auf die Wiederwahl von Aufsichtsorganmitgliedern, die sich ebenfalls nach Art. 46 Abs. 2 SE-VO richtet.512 Die Mitglieder des ersten Verwaltungsorgans können gemäß Art. 43 Abs. 3 Satz 2 SE-VO unmittelbar in der Satzung bestellt werden. In Konkurrenz zur Personalkompetenz der Hauptversammlung können sowohl einzelne, entsendeberechtigte Aktionäre als auch das zur Ersatzbestellung von Organmitgliedern befugte Amtsgericht treten. Die gerichtliche Kompetenz richtet sich nach § 30 SEAG, der insofern dieselbe Funktion übernimmt wie § 104 AktG im Recht des SE-Aufsichtsorgans. b) Abberufung der Mitglieder Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 SEAG ist die Hauptversammlung berechtigt, Mitglieder des Verwaltungsorgans vor Ablauf ihrer regulären Amtszeit abzuberufen. Wirft man einen vergleichenden Blick auf den Wortlaut des Art. 43 Abs. 3 Satz 1 SEVO und den Meinungsstand zur Abberufungskompetenz im dualistischen Modell, so ließe sich die Verordnungskonformität der Vorschrift durchaus in Frage stellen. So ist 507 Vgl. die von Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.850 (§ 9 Abs. 3) vorgeschlagene Ersatzmitglieder-Klausel, der freilich nur deklaratorische Bedeutung zukommt (siehe auch oben 4. Teil, Fn. 111). 508 Hierfür noch plädierend Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 141. 509 Ganz h.M.; siehe nur Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 43; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 43 SEVO Rn. 25, § 28 SEAG Rn. 4. 510 Ebenso Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 28 SEAG) Rn. 1; wohl unnötig differenziert insofern das Verständnis von Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 28 SEAG) Rn. 1 a.E., der den Verweis nur auf Art. 46 f., nicht dagegen auf Art. 57 SE-VO bezieht. 511 Siehe oben Abschnitt „Strengere, im Sitzstaat-Aktienrecht vorgesehene Stimmenmehrheiten, Art. 57 Hs. 2 Alt. 2, Art. 59 Hs. 2 SE-VO“, S. 92. 512 Hierzu bereits oben Abschnitt „Wahl der Mitglieder, Art. 40 Abs. 2 SE-VO“, S. 232.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

in Art. 43 Abs. 3 Satz 1 SE-VO nur von einer Bestellungskompetenz der Hauptversammlung die Rede. Eine damit korrespondierende Abberufungskompetenz wird nicht erwähnt; und auch eine darauf abzielende Ermächtigung an die Mitgliedstaaten fehlt. Parallelregelungen zur Abberufung des SE-Aufsichtsorgans sind ebenso wenig in Sicht – woraus einzelne Autoren folgern, eine vorzeitige Abberufung der Aufsichtsorganmitglieder sei ausgeschlossen.513 Konsequenterweise käme dann auch eine Abberufung der Verwaltungsorganmitglieder nicht in Betracht514 und § 29 Abs. 1 Satz 1 SEAG wäre verordnungswidrig. Richtigerweise gilt jedoch auch in Bezug auf das Verwaltungsorgan, dass die Abberufungskompetenz der Hauptversammlung ein ungeschriebenes, vom Verordnungsgeber als selbstverständlich vorausgesetztes Gegenstück zur geschriebenen Bestellungskompetenz aus Art. 43 Abs. 3 Satz 1 SE-VO darstellt.515 Es handelt sich mithin um eine ungeschriebene Annexkompetenz der Hauptversammlung. § 29 Abs. 1 Satz 1 SEAG verstößt daher zwar einerseits nicht gegen die Verordnung; die Vorschrift entfaltet andererseits aber auch keine eigenständige Regelungswirkung, da die vom deutschen Gesetzgeber formulierte Zuständigkeit bereits auf Verordnungsebene abschließend und deckungsgleich verankert ist.516 Erforderlich für die Abberufung ist gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 SEAG, Art. 57 Hs. 2 Alt. 2 SE-VO eine Drei-Viertel-Stimmenmehrheit.517 Sie gilt für die SE zwingend; entgegen § 29 Abs. 1 Satz 3 SEAG darf die Satzung nicht „eine andere Mehrheit“

513

Siehe die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 117. So auch (jeweils noch ohne Bezugnahme auf das SEAG) Hirte, NZG 2002, 1, 5; Hommelhoff, AG 2001, 279, 283; Schwarz, ZIP 2001, 1847, 1855. 515 Ausführlich zu Begründung und Charakter der ungeschriebenen AufsichtsorganAbberufungskompetenz der Hauptversammlung siehe oben Abschnitt „Abberufung der Mitglieder“, S. 234; die dortigen Erwägungen gelten in Bezug auf das Verwaltungsorgan entsprechend. 516 Die herrschende Meinung stützt die Abberufungskompetenz dagegen ausschließlich auf § 29 Abs. 1 Satz 1 SEAG: Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SEVO Rn. 34; Reichert/Brandes, MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 43 SE-VO Rn. 47 f.; Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 143, 146; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 62, Anh. Art. 51 SE-VO Rn. 1; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 29 SEAG) Rn. 3; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 43 SE-VO Rn. 36, § 29 SEAG Rn. 4; Lutter/ Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2478; Frodermann, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 5. Kap. Rn. 150; Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.580; Nagel, NZG 2004, 833, 835; Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 304 f.; wohl auch Spindler, in: Lutter/ Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 234; widersprüchlich Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 32, 49 (Abberufungskompetenz nach § 29 Abs. 1 SEAG; gleichzeitig Anwendbarkeit nationalen Rechts nach Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO)). 517 Siehe oben Abschnitt „Dispositive Mehrheitserfordernisse“, S. 94, mit den Nachweisen in Fn. 159. 514

C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan

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vorsehen. Denn zur Einführung eines derartigen Satzungsspielraums war der deutsche Gesetzgeber gemäß Art. 57 Hs. 2 SE-VO nicht befugt.518 c) Suspendierung einzelner Mitglieder Die ungeschriebene Abberufungskompetenz der Hauptversammlung deckt auch eine zeitweise Suspendierung einzelner Verwaltungsorganmitglieder von ihrem Amt ab. Es handelt sich insofern um ein gegenüber der Abberufung milderes Mittel, dem auch auf Ebene des deutschen Rechts519 keine Bedenken entgegen stehen. d) Vertrauensentzug? Fraglich ist, ob die Hauptversammlung einem Verwaltungsorganmitglied auch gemäß § 84 Abs. 3 Satz 2 Var. 3 AktG das Vertrauen entziehen kann. Als Brücke zwischen dem Recht des AG-Vorstands und dem des SE-Verwaltungsorgans ließe sich etwa an § 22 Abs. 6 SEAG analog denken. Auch die ungeschriebene Abberufungskompetenz käme möglicherweise als Rechtsgrundlage für einen Vertrauensentzug in Betracht, wenn man im Vertrauensentzug ein milderes Mittel gegenüber Abberufung und Suspendierung erblicken will. Zu bedenken ist freilich, dass § 84 Abs. 3 Satz 2 Var. 3 AktG den Vertrauensentzug nicht als Alternative zur Abberufung eines Vorstandsmitglieds vorsieht, sondern als Voraussetzung der Abberufung. Die Abberufung selbst kann dann (nur) durch den AG-Aufsichtsrat erfolgen, dem die Hauptversammlung mit dem Vertrauensentzug den nötigen wichtigen Grund liefert. Die Norm ist daher Ausdruck der spezifischen Gewaltenverschränkung im dualistischen Verwaltungssystem und im monistischen Umfeld, wo die Hauptversammlung selbst über die Abberufung der Verwaltungsorganmitglieder entscheidet, fehl am Platz. Auch die ungeschriebene Abberufungskompetenz scheidet als Rechtsgrundlage aus. Denn beim Vertrauensentzug handelt es sich im Verhältnis zur Abberufung oder Suspendierung nicht um ein „Weniger“, sondern um ein vollkommen anderes Mittel. In der Sache bringt ein den Vertrauensentzug beschließendes Organ zum Ausdruck, mit der Leistung des betroffenen Verwaltungsmitglieds in hohem Maße unzufrieden zu sein und keine Zukunft für eine weitere Zusammenarbeit zu sehen. Eine solche Erklärung ergibt aber nur dann Sinn, wenn eine andere Stelle dafür zuständig ist, die Konsequenz aus diesem Signal zu ziehen. Liegt die Entscheidung über die Abberufung des betroffenen Verwaltungsmitglieds in den Händen des beschließenden Organs selbst, ist für die Hilferuf-Funktion des Vertrauensentzugs kein Platz.

518 Siehe bereits oben Abschnitt „Stimmenmehrheitsbezogene Satzungsspielräume“, S. 92, mit den Nachweisen in Fn. 145 und 146. 519 Hierzu ausführlich oben Abschnitt „Suspendierung einzelner Mitglieder?“, S. 237.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Der Vertrauensentzug ist daher im Abberufungsentschluss regelmäßig enthalten;520 isoliert ist er dagegen nicht statthaft.

II. Einfluss auf innere Ordnung 1. Satzungsregeln zur Wahl des (stellvertretenden) Verwaltungsorgan-Vorsitzenden, Art. 45 SE-VO, § 34 Abs. 1 Satz 1 SEAG Gemäß Art. 45 SE-VO wählt das Verwaltungsorgan „aus seiner Mitte“ einen Vorsitzenden, der in einer paritätisch mitbestimmten SE aus dem Lager der Anteilseigner stammen muss. Ebenso wie bei Art. 42 SE-VO521 handelt es sich hierbei um eine Rumpfregelung, die nach vielen Seiten hin offen für Ergänzungen auf nationaler Ebene ist. Rechtsgrundlage dieser Ergänzungen ist für die deutsche SE freilich nicht Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) bzw. iii) SE-VO, sondern die Spezialermächtigung aus Art. 43 Abs. 4 SE-VO.522 Denn eine monistische AG-Struktur, deren Regeln übernommen werden könnten, hält das deutsche Recht nicht bereit. Art. 43 Abs. 4 SE-VO selbst formuliert keine Einschränkungen für die gesetzliche Ausgestaltung des monistischen Systems; dennoch bleibt es natürlich dabei, dass auf ihn keine Vorschriften gestützt werden können, die den zwingenden Eckpunkten aus Art. 45 SE-VO widersprechen. Der deutsche Gesetzgeber hat seinen Spielraum genutzt, um in § 34 Abs. 1 Sätze 1 – 3 SEAG das Recht des Verwaltungsorganvorsitzenden weitgehend dem des AG-Aufsichtsratsvorsitzenden (und damit auch dem des SE-Aufsichtsorganvorsitzenden) anzugleichen.523 Das Verwaltungsorgan hat danach „neben dem Vorsitzenden nach näherer Bestimmung der Satzung aus seiner Mitte mindestens einen Stellvertreter zu wählen“, der bei Verhinderung des regulären Vorsitzenden dessen Rechte und Pflichten übernimmt. Im eingliedrigen Verwaltungsorgan rückt das einzige Mitglied gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 SEAG in die Rechte und Pflichten des Vorsitzenden ein. Der Satzungsgeber kann die Stellvertreterwahl weder völlig ab-

520

In diese Richtung wohl auch Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 150. Die beiden Vorschriften sind nahezu wortgleich. Ökonomischer wäre es daher wohl gewesen, nur einen einzigen Artikel für beide Systeme zu verfassen, der im allgemeinen Abschnitt 3 („Gemeinsame Vorschriften …“) hätte verortet werden können. 522 Siehe nur Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 3; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO § 34 SEAG Rn. 1; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 34 SEAG Rn. 1; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 195, 201. 523 Vgl. RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 38; anders der ambitionierte Vorschlag von Teichmann, ZIP 2002, 1109, 1114 f., der deutsche Gesetzgeber möge im Rahmen des Art. 43 Abs. 4 SE-VO „in Anlehnung an europäische Vorbilder eine moderne Regelung“ erlassen. 521

C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan

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bedingen524 noch durch eine alternative Führungsstruktur (z. B. Doppelspitze oder Verwaltungsorgansprecher) ersetzen;525 statthaft ist dagegen eine satzungsmäßige Hierarchie zwischen mehreren Stellvertretern.526 Auch wenn § 34 Abs. 1 Sätze 1 – 3 SEAG damit § 107 Abs. 1 Sätze 1 und 3 AktG ersichtlich nachempfunden ist, fallen zwei Unterschiede ins Auge. Der auffälligere – die im Recht des Aufsichtsrats fehlende Sonderregelung für das einköpfige Verwaltungsorgan – erklärt sich daraus, dass ein Aufsichtsrat oder -organ mit nur einem Mitglied gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 AktG bzw. § 17 Abs. 1 Satz 1 SEAG, Art. 40 Abs. 3 Satz 2 SE-VO gar nicht zulässig und damit auch nicht regelungsbedürftig ist.527 Der weniger auffälligere liegt im jeweiligen Satz 1: Während die Gestaltungsbefugnis des Satzungsgebers im dualistischen Modell sowohl auf die Vorsitzenden- als auch auf die Stellvertreterwahl bezogen ist, bezieht sie sich im monistischen Modell nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 1 Satz 1 SEAG nur auf die Stellvertreterwahl. Eine spezifisch monistische Einengung des Satzungsspielraums hatte der Gesetzgeber damit allerdings nicht im Sinn. Vielmehr unterlag er der Fehlvorstellung, die Vorsitzendenwahl sei bereits abschließend in Art. 45 SE-VO geregelt und ein Satzungsspielraum nach nationalem Recht daher ausgeschlossen.528 Tatsächlich aber hat Art. 45 SE-VO – ebenso wie Art. 42 SE-VO529 – gerade keinen abschließenden Charakter; für die Übertragung des Satzungsspielraums aus § 107 Abs. 1 Satz 1 AktG wäre daher in vollem Umfang Platz gewesen. Da über dieses 524

Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 45 SE-VO Rn. 5; Verse, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), § 34 SEAG Rn. 4. 525 Gegen die Möglichkeit eines Sprecheramts auch Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/ Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 3 Rn. 14; vgl. auch die Erwägungen in Bezug auf die Aufsichtsorgan-Führungsstruktur (hierzu oben Abschnitt „Satzungsregeln zur Wahl des Aufsichtsorgan-Vorsitzenden, Art. 42 SE-VO, § 107 Abs. 1 Satz 1 AktG“, S. 239). 526 Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 195; sogar eine Pflicht zur Installation einer Hierarchie im Fall mehrerer Stellvertreter befürwortend Verse, in: Habersack/Drinhausen, SERecht (2013), § 34 SEAG Rn. 4. 527 Hierzu bereits oben Abschnitt „Mindestens und grundsätzlich drei Mitglieder“, S. 211. 528 Vgl. RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 38 („[§ 34 Abs. 1 SEAG] lehnt sich eng an § 107 Abs. 1 AktG an. Die Wahl des Vorsitzenden ist allerdings unmittelbar in Artikel 45 der Verordnung geregelt.“); der dortigen Fehlvorstellung folgend auch Manz, in: Manz/Mayer/ Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 107, und wohl auch Siems, in: KKAktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO § 34 SEAG Rn. 8; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§§ 34, 54 SEAG) Rn. 4; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 34 SEAG Rn. 3; Seibt, AG 2005, 413, 426; ebenso Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2478, die ihren Satzungs-Regelungsvorschlag für ein vorzeitiges Ende der Vorsitzenden-Amtszeit und für die folgende Vorsitzenden-Neuwahl (§ 9 Abs. 3 der Mustersatzung) nur auf Art. 46 Abs. 1 SE-VO stützen und § 34 Abs. 1 Satz 1 SEAG unerwähnt lassen. 529 Dass Art. 42 SE-VO für eine Übertragung des Satzungsspielraums aus § 107 Abs. 1 Satz 1 AktG Platz lässt, entspricht zu Recht der wohl ganz herrschenden Ansicht (siehe oben Abschnitt „Satzungsregeln zur Wahl des Aufsichtsorgan-Vorsitzenden, Art. 42 SE-VO, § 107 Abs. 1 Satz 1 AktG“, S. 239); der wortgleiche Art. 45 SE-VO kann daher eine vollumfängliche Nachbildung desselben Satzungssspielraums im monistischen System nicht sperren.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Missverständnis hinaus keine Gründe für eine Differenzierung zwischen monistischem und dualistischem System ersichtlich sind und es dem deutschen Gesetzgeber gerade darum ging, eine Parallele zwischen dualistischem und monistischem System zu etablieren, sollte die missglückte Formulierung des § 34 Abs. 1 Satz 1 SEAG über eine korrigierende Auslegung gerade gerückt werden. Der für die Stellvertreterwahl ausdrücklich eröffnete Satzungsspielraum ist daher entsprechend § 107 Abs. 1 Satz 1 AktG auch auf die Wahl des Vorsitzenden zu beziehen.530 Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SEAG, Art. 43 Abs. 4 SE-VO fällt in die Kompetenz des Satzungsgebers insbesondere der Zeitpunkt der Vorsitzendenwahl531 sowie die Frage, wie lange der Vorsitzende nach der Wahl regulär im Amt verweilt.532 Nach oben und unten sind dabei grundsätzlich keine zeitlichen Grenzen gesetzt. Mittelbar freilich wirkt sich die für das Organamt bestimmte sechsjährige Höchstgrenze aus Art. 46 Abs. 2 SE-VO auch auf das Vorsitzendenamt aus, da ein Kandidat nur für einen solchen Zeitraum ins Vorsitzendenamt berufen werden kann, der auch von seiner Amtszeit als Organmitglied abgedeckt ist.533 Auch kann die Satzung keine automatische Fortdauer des Vorsitzendenamts für den Fall vorsehen, dass der betreffende Kandidat von der Hauptversammlung im Organamt bestätigt wird;534 denn für die Vorsitzendenwahl und -wiederwahl führt gemäß Art. 45 Satz 1 SE-VO kein Weg an einer Entscheidung des Verwaltungsorgans vorbei. Spiegelbildlich zur Vorsitzendenwahl fällt auch die vorzeitige Abberufung des Vorsitzenden in die Zuständigkeit des Verwaltungsorgan-Plenums.535 Die Kompetenz fußt ebenfalls unmittelbar auf Art. 45 SE-VO536 und kann vom Satzungsgeber weder innerhalb des Verwaltungsorgans auf einen Ausschuss konzentriert werden noch nach außen auf andere Organe oder gar Dritte außerhalb des Verwaltungsorgans 530 Auf diesem Verständnis aufbauend auch die Muster-Satzungsklausel bei Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.850 (§ 10 der Mustersatzung). 531 Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2478, einschließlich § 9 Abs. 1 der dortigen Mustersatzung (Vorsitzendenwahl im Anschluss an die Wahl der Organmitglieder durch die Hauptversammlung). 532 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 45 SE-VO Rn. 9; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 45 SE-VO Rn. 8. 533 Im Ergebnis ebenso Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 45 SE-VO Rn. 9. 534 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 45 SE-VO Rn. 9; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 45 SE-VO Rn. 8. 535 Im Ergebnis unstreitig, zu den unterschiedlichen Begründungsansätzen siehe die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 536. 536 Etwas unschärfer, aber wohl in dieselbe Richtung: Schwarz, SE-VO (2006), Art. 45 Rn. 11; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 45 SEVO Rn. 5 („Abberufung ist als actus contrarius nach denselben Regeln wie die Wahl möglich.“); Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 45 SE-VO Rn. 9; a.A. Manz, in: Manz/ Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 45 SE-VO Rn. 3, 6 („davon auszugehen, dass über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii), iii) SE-VO nationales Recht zur Anwendung kommt“); wohl auch Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 45 SE-VO Rn. 6 a.E.

C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan

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verlagert werden. Ebenso wenig satzungsdispositiv ist das Recht des Vorsitzenden, sein Amt eigeninitiativ niederzulegen. Sowohl für die Abberufung als auch für die Amtsniederlegung kann der Satzungsgeber allerdings das Verfahren vorgeben, z. B. die jeweiligen Fristen und Erklärungsadressaten bestimmen. 2. Satzungsregeln zur Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung a) Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernisse im Verwaltungsorgan, Art. 50 Abs. 1 SE-VO Wiederum im gemeinsamen Abschnitt von monistischem und dualistischen System verortet sind die Regeln zur Beschlussfähigkeit und zu den Mehrheitserfordernissen im Verwaltungsorgan. Da Art. 50 Abs. 1 Hs. 1 SE-VO nur eine Öffnungsklausel zugunsten des Satzungsgebers enthält, nicht dagegen zugunsten des nationalen Gesetzgebers, ergeben sich auch aus dem deutschen Aktienrecht und der deutschen SE-Ausführungsgesetzgebung keine Besonderheiten. Es gelten daher exakt dieselben Grundsätze wie im dualistischen System: Der Satzungsgeber darf regeln, ob Stimmenthaltungen und ungültige Stimmen als Nein-Stimmen zählen oder unberücksichtigt bleiben,537 er darf die Stimmgewichte der verschiedenen Organmitglieder durch Veto-, Alleinentscheidungs- und Mehrfachstimmrechte verzerren,538 und er darf das in Art. 50 Abs. 1 lit. a) SE-VO bestimmte Anwesenheitsquorum und das einfache Mehrheitserfordernis aus lit. b) verschärfen539 oder abmildern540 – entweder generell oder differenziert nach Beschlussgegenständen541 –, ohne an die im AG-Aufsichtsrats- und Vorstandsrecht geltenden Mindeststandards (z. B. § 77 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2,542 Abs. 2 Satz 3,543 § 108 Abs. 2 Satz 3 537 Siehe die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 164; exemplarisch Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.850 (§ 13 Abs. 4 Satz 2 der Mustersatzung). 538 Ausführlich hierzu oben Abschnitt „Satzungsregeln zur Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung“, S. 242, sowie die Nachweise unter Fn. 192; die Möglichkeit eines Alleinentscheidungsrechts des Verwaltungsorganvorsitzenden befürwortend auch Bachmann, ZGR 2008, 779, 789, 793; Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2007, 509; a.A. Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 45 SE-VO Rn. 8; Reichert/Brandes, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2012), Art. 45 SE-VO Rn. 21, 23; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 247 – 249; Kolster, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG (2005), 4. Kap. Rn. 97 (ebenso Hagemann/ Tobies, a.a.O., in der 2. Aufl. (2014), Rn. 152); Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67 S. 81 f. 539 Siehe die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 166 und 167 sowie Eder, NZG 2004, 544, 545, der eine Regelung vorschlägt, nach der die Beschlussfähigkeit an die Anwesenheit des Verwaltungsorganvorsitzenden geknüpft wird. 540 Siehe die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 169. 541 Siehe oben 4. Teil, Fn. 168. 542 Es gelten dieselben Erwägungen wie in Bezug auf das Leitungsorgan; siehe oben Abschnitt „Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernisse im Leitungsorgan, Art. 50 Abs. 1 SEVO“, S. 297, mit den Nachweisen in Fn. 393.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

AktG544) gebunden zu sein. In mitbestimmten Verwaltungsorganen können Anwesenheitsquorum und Mehrheitserfordernisse dergestalt verschärft werden, dass eine Beschlussfassung nur bei Anwesenheit und mit Unterstützung der Arbeitnehmervertreter möglich sind.545 b) Stichentscheid des Verwaltungsorgan-Vorsitzenden, Art. 50 Abs. 2 SE-VO Ähnliche Freiheiten wie in Bezug auf Beschlussfassung und -fähigkeit (Art. 50 Abs. 1 SE-VO) genießt der Satzungsgeber in Bezug auf die Ausgestaltung des Vorsitzendenrechts aus Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO, Pattsituationen per Letztentscheidungsrecht aufzulösen. Allein in paritätisch mitbestimmten Gesellschaften verfestigt sich das Letztentscheidungsrecht zur zwingenden Regelung (Art. 50 Abs. 2 Satz 2 SE-VO). Neben der knappen, im gemeinsamen monistisch-dualistischen Abschnitt verankerten Verordnungsregelung und der darin enthaltenen, breiten Satzungsermächtigung bleibt kein Platz für gesetzliche Regelungen auf Mitgliedstaatsebene, und zwar weder in Gestalt einer SE-spezifischen Ausführungsgesetzgebung noch durch Übertragung allgemeinen Aktienrechts.546 Nicht befugt war deutsche Gesetzgeber daher insbesondere zur Einführung des § 35 Abs. 3 SEAG.547 Danach steht dem Verwaltungsorganvorsitzenden eine zusätzliche Stimme zu, wenn ein geschäftsführendes Verwaltungsorganmitglied aus 543

Hierzu ebenfalls bereits oben Abschnitt „Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernisse im Leitungsorgan, Art. 50 Abs. 1 SE-VO“, S. 297, mit den Nachweisen in Fn. 394; ausdrücklich in Bezug auf das monistische System Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2478, mit § 10 Abs. 1 Satz 1 a.E. der dortigen Mustersatzung (Geschäftsordnungserlass mit einfachem Mehrheitsbeschluss). 544 Die Geltung der Vorschrift im monistischen System zu Recht ablehnend Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2007, 509, 513. 545 Ausführlich hierzu oben Abschnitt „Satzungsregeln zur Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung“, S. 242, sowie die Nachweise unter Fn. 179-180. 546 Im Ausgangspunkt ebenso Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 209; abweichend Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 35 SEAG) Rn. 5 (Art. 50 Abs. 2 betreffe „eine andere Konstellation. Außerdem bl[ie]ben Fragen der Befangenheit und des Stimmrechtsausschlusses in Art. 50 gerade ungeregelt, weshalb in diesem Bereich eine mitgliedstaatliche Regelung möglich [sei].“); Siems, in: KKAktG, 3. Aufl. (2010), Art. 50 SE-VO Rn. 23, Anh. Art. 51 SE-VO § 35 SEAG Rn. 1; ders., NZG 2007, 129, 129 f. (kein abschließender Charakter des Art. 50 SE-VO in Bezug auf Befangenheitsregelungen und das Stimmrecht des Vorsitzenden). 547 Anders (mit jeweils unterschiedlicher Begründung) die wohl ganz h.M.: Manz, in: Manz/ Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 115; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 43; Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 209; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 35 SEAG) Rn. 5; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 50 SE-VO Rn. 23, Anh. Art. 51 SE-VO § 35 SEAG Rn. 1; ders., NZG 2007, 129, 129 f.; Verse, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), § 35 SEAG Rn. 2; implizit wohl auch Eberspächer, in: Spindler/ Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 8.

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rechtlichen Gründen daran gehindert ist, an der Beschlussfassung teilzunehmen. Hintergrund war die Befürchtung des deutschen Gesetzgebers, die Mehrheitsverhältnisse im mitbestimmten Verwaltungsorgan könnten zugunsten der Arbeitnehmerseite kippen, wenn ein geschäftsführender Anteilseignervertreter wegen seines Geschäftsführungsamts einem Stimmrechtsausschluss unterliege.548 Nahezu dieselbe Erwägung steht hinter Art. 50 Abs. 2 SE-VO,549 der bereits das VorsitzendenStimmrecht verstärkt. Diese Verstärkung erhielte durch § 35 Abs. 3 SEAG eine spezifisch deutsche Erweiterung (und das an derselben Stelle verankerte Gestaltungsrecht des Satzungsgebers eine spezifisch deutsche Einschränkung), obwohl der Verordnungsgeber ausdrücklich nur dem Satzungsgeber gestattet, die einheitlichen Vorgaben aus Art. 50 Abs. 2 SE-VO zu variieren.550 Auch ein Rückgriff auf die allgemeine Ermächtigung zur Einfürung eines monistischen Systems in Art. 43 Abs. 4 SE-VO hilft hier nicht weiter; denn auch auf sie kann der deutsche Gesetzgeber keine Regeln stützen, die anderweitigen, zwingenden Vorgaben der Verordnung widersprechen.551 Insgesamt ist § 35 Abs. 3 SEAG daher als verordnungswidrige Ausführungsgesetzgebung unanwendbar. Allein dem Satzungsgeber steht es zu, der Regelung zur Gültigkeit zu verhelfen, indem er sie im Einzelfall in die Satzung übernimmt. Da Art. 50 Abs. 2 SE-VO für das Verwaltungs- und das Aufsichtsorgan gleichermaßen gilt und keine Einmischung seitens des nationalen Gesetzgebers duldet, genießt der Satzungsgeber bei der Gestaltung des VerwaltungsorganvorsitzendenLetztentscheidungsrecht grundsätzlich dieselben Befugnisse wie in Bezug auf das dualistische Aufsichtsorgan:552 Er darf das Letztentscheidungsrecht ausschließen553 oder auf ein anderes Organmitglied übertragen (z. B. auf ein von einem bestimmten Aktionär entsandtes Mitglied); er darf und sollte die von der Verordnung nicht erfasste Sondersituation regeln, in der das vorsitzendenlose Organ über die Wahl des Vorsitzenden beschließt (z. B. durch Zweitstimm- oder Letztentscheidungsrecht des

548

Vgl. Beschlussempfehlung SEEG, BT-Drucks. 15/4053, S. 59. Im Wortlaut des § 35 Abs. 3 SEAG, der mitbestimmte und nicht mitbestimmte Verwaltungsorgane gleichermaßen erfasst, findet sich dieses Motiv allerdings nicht wieder. 549 Siehe oben Abschnitt „Stichentscheid des Aufsichtsorgan-Vorsitzenden, Art. 50 Abs. 2 SE-VO“, S. 248, mit Fn. 202. In dieser Deckungsgleichheit der Motive sehen Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 50 SE-VO Rn. 43, offenbar den entscheidenden Grund für die angebliche Verordnungskonformität des § 35 Abs. 3 SEAG. 550 A.A. (Art. 43 Abs. 4 SE-VO als taugliche Ermächtigungsgrundlage) ausdrücklich: Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 209; Siems, NZG 2007, 129, 129 f. 551 Unschlüssig daher die Ansicht von Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 209: „Rechtsgrundlage des § 35 SEAG ist Art. 43 Abs. 4. Zwar betrifft § 35 SEAG den Normgehalt des Art. 50, der ebenfalls die Beschlussfassung regelt. Art. 50 ermächtigt jedoch nicht zum Erlass SE-spezifischen mitgliedstaatlichen Rechts.“ 552 Hierzu ausführlich bereits oben Abschnitt „Stichentscheid des Aufsichtsorgan-Vorsitzenden, Art. 50 Abs. 2 SE-VO“, S. 248. 553 Siehe bereits oben 4. Teil, Fn. 203.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

ältesten Organmitglieds);554 dasselbe gilt für die Frage, welches Stimmgewicht dem stellvertretenden Vorsitzenden zufällt, wenn der Vorsitzende verhindert ist.555 Schließlich darf der Satzungsgeber das Letztentscheidungsrecht auch in ein Zweitstimmrecht umwandeln.556 Enthält die Satzung keine einschlägige Regelung, so bleibt es bei dem Letztentscheidungsrecht des Vorsitzenden aus Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO.557 Dieselbe Regelung kann in Bezug auf das Verwaltungsorgan allerdings eine völlig andere Wirkung entfalten als für das Aufsichtsorgan. Anders als das Aufsichtsorgan kann das Verwaltungsorgan nämlich auch nur aus zwei Mitgliedern bestehen. Belässt es der Satzungsgeber in dieser Situation bei der Grundregelung nach Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO,558 so kommt es bei Beschlussfassungen faktisch nur auf die Stimme des Vorsitzenden an. Denn auch bei einer Nein-Stimme des Nichtvorsitzenden reicht dann die Stimme des Vorsitzenden aus, um einen Beschluss des Gesamtorgans zu fassen. c) Form, Frist und Verfahren der Einberufung einer Sitzung Parallel zur Rechtslage im dualistischen Modell deckt die Satzungsermächtigung aus Art. 50 Abs. 1 Hs. 1 SE-VO auch Regelungen ab, die sich mit Form, Frist und Verfahren einer Verwaltungsorgansitzung befassen. Denn auch hierbei handelt es sich um Elemente der Beschlussfähigkeit.559 Nicht zu den Elementen der Beschlussfähigkeit zählt dagegen die Frage, wer unter welchen Umständen dazu berechtigt ist, verbindlich zur Einberufung einer außerordentlichen Sitzung aufzufordern. Im dualistischen System gelangt man daher über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO zu § 110 Abs. 1 Satz 1 AktG, wonach „[j]edes 554

Siehe die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 204. Siehe oben 4. Teil, Fn. 207 bis 209 mit den dortigen Nachweisen; exemplarisch Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.850 (§ 13 Abs. 5 Satz 2 der Mustersatzung). 556 Siehe oben 4. Teil, Fn. 205 und 206; abweichend Eder, NZG 2004, 544, 545, der bereits die Grundregelung in Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO als „Zweitstimmrecht“ bezeichnet. 557 Siehe oben die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 210 und 211; missverständlich Reichert, Der Konzern 2006, 821, 822 (Verwaltungsorganvorsitzender kann mit dem Letztentscheidungsrecht „ausgestattet werden“). 558 Die Gültigkeit des Art. 50 Abs. 2 SE-VO im zweiköpfigen Verwaltungsorgan wird einhellig – und zu Recht – bejaht: Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 50 SE-VO Rn. 15; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 24; Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2479. 559 Siehe oben Abschnitt „Frist, Form und Verfahren der Einberufung einer Sitzung“, S. 250; exemplarisch die Muster-Satzungsklauseln bei Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.850 (§ 12), sowie bei Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2478 f. (§ 10 Abs. 4), die jedoch § 34 Abs. 2 Satz 2 SEAG als Rechtsgrundlage für einschlägig halten (hierzu noch unten Abschnitt „Sonstige Satzungsregeln zum Geschäftsgang“, S. 315). 555

C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan

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Aufsichtsratsmitglied oder der Vorstand“ die Einberufung verlangen kann.560 Derselbe Weg ließe sich möglicherweise für die Einberufung von Verwaltungsorgansitzungen einschlagen, wenn der deutsche Gesetzgeber nicht mit § 37 Abs. 1 Satz 1 SEAG eine unmittelbar einschlägige Spezialregelung geschaffen hätte, deren Regelungsgehalt sich ersichtlich an § 110 Abs. 1 Satz 1 AktG anlehnt.561 Danach ist jedes Verwaltungsorganmitglied berechtigt, unter Angabe des Zwecks und der Gründe zu verlangen, dass der Vorsitzende des Verwaltungsorgans unverzüglich eine Sitzung einberuft. Dem Vorbild des § 110 AktG folgend nahm der deutsche Gesetzgeber in § 37 SEAG allerdings nicht nur die Berechtigung zur Aufforderung als solche auf, sondern bildete in § 37 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 SEAG jeweils auch § 110 Abs. 1 Satz 2 bzw. Abs. 2 AktG nach. Danach muss die Sitzung binnen zwei Wochen nach der Einberufung stattfinden, und der Auffordernde darf die Sitzung selbst einberufen, wenn seinem Verlangen nach Abs. 1 Satz 1 nicht entsprochen wird. Beide Regelungen betreffen unmittelbar die Frage, ob die einberufene Sitzung beschlussfähig ist, und fallen daher in den Anwendungsbereich des Art. 50 Abs. 1 SE-VO. Letzterer lässt für eine ausführungsgesetzliche Regelung ebenso wenig Platz wie – im Rahmen des dualistischen Systems – für eine Übertragung des § 110 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AktG über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO.562 § 37 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 SEAG sind daher nicht anwendbar;563 stattdessen ist allein der Satzungsgeber im Einzelfall dazu berufen, auf Basis des Art. 50 Abs. 1 Hs. 1 SE-VO regelnd einzugreifen, etwa durch eine schlichte Wiedergabe der in Gesetzesform unanwendbaren Regelung. d) Beschlussfassung ohne physische Zusammenkunft, § 35 Abs. 1, 2 SEAG In § 35 Abs. 1, 2 SEAG bildete der deutsche Gesetzgeber – vermeintlich auf Basis des Art. 43 Abs. 4 SE-VO – die aus dem Recht des AG-Aufsichtsrats bekannten § 108 Abs. 3, 4 AktG ab, welche unter bestimmten Voraussetzungen schriftliche, „fernmündliche“ und ähnliche Beschlussfassungen ohne physische Zusammenkunft ermöglichen und auch dem Satzungsgeber einen Teil dieses Regelungsfelds überlassen. Auch insofern versuchte sich der deutsche Gesetzgeber also daran, angelehnt 560 Siehe oben Abschnitt „Frist, Form und Verfahren der Einberufung einer Sitzung“, S. 250. 561 Vgl. RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 38 („entspricht im Wesentlichen § 110 AktG“). 562 Zur Nichtanwendbarkeit des § 110 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AktG auf das SE-Aufsichtsorgan siehe oben Abschnitt „Frist, Form und Verfahren der Einberufung einer Sitzung“, S. 250. 563 Anders die ganz h.M., die keinen Zweifel an der Verordnungskonformität des gesamten § 37 SEAG aufkommen lässt (ohne freilich die Vereinbarkeit mit Art. 50 SE-VO zu hinterfragen): Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 119; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 43 Rn. 235; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO Rn. 1; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 37 SEAG) Rn. 1 f., 6; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 37 SEAG Rn. 1.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

an das Recht des AG-Aufsichtsrats für den SE-Verwaltungsrat Beschlussfähigkeitsund Beschlussvoraussetzungen per Ausführungsgesetz einzuführen, obwohl Art. 50 Abs. 1 SE-VO diesen Bereich für Verordnungs- und Satzungsregelungen reserviert und gerade nicht für die mitgliedstaatliche Ausführungsgesetzgebung öffnet.564 Es gelten daher dieselben Erwägungen, die gegen eine Anwendung des § 108 Abs. 3, 4 AktG über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO auf das SE-Aufsichtsorgan sprechen.565 Auch in Hinblick auf das Verwaltungsorgan steht es gemäß Art. 50 Abs. 1 Hs. 1 SEVO (nur) dem Satzungsgeber zu, einschlägige Regelungen zu erlassen,566 die auch in einer Wiedergabe des § 35 Abs. 1, 2 SEAG bestehen können. 3. Satzungsregeln zu Verwaltungsorgan-Ausschüssen In Bezug auf Organausschüsse bietet Art. 50 SE-VO nur teilweise eine Rechtsgrundlage für Satzungsregeln, nämlich in Bezug auf Beschlussfähigkeits- und Beschlussregeln für beschließende Ausschüsse. In Bezug auf vorbereitende Ausschüsse sowie für die Frage, ob und in welchem Umfang überhaupt Ausschüsse eingerichtet werden, greift dagegen uneingeschränkt das Selbstorganisationsrecht des Verwaltungsorgans.567 Es gelten insofern dieselben Erwägungen wie in Bezug auf Satzungsregeln zu Aufsichtsorgan-Ausschüssen.568 564 An der Regelungsoffenheit der Verordnung zweifeln auch RegE SEEG, BT-Drucks. 15/ 3405, S. 38; sowie Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 35 SEAG) Rn. 2, Art. 50 SE-VO Rn. 9 (der sich letztlich mit der Überlegung hilft, der Ausführungsgesetzgeber gewähre dem Satzungsgeber vor allem Satzungsfreiheit; ob sich letztere auf SE-VO oder SEAG stütze, sei nicht entscheidend); im Übrigen wird § 35 Abs. 1, 2 SEAG jedoch überwiegend für verordnungskonform gehalten: Drinhausen, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 50 SE-VO Rn. 11; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 114, Art. 50 Rn. 7; Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 212, 214, Art. 50 Rn. 20; Verse, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), § 35 SEAG Rn. 2; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 598. 565 Siehe oben Abschnitt „Beschlussfassung ohne physische Zusammenkunft“, S. 251. 566 Exemplarisch die Muster-Satzungsklauseln bei Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2478 f. (§ 10 Abs. 8); Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.850 (§ 13 Abs. 2). 567 In dieselbe Richtung Eder, NZG 2004, 544, 546 (Satzungsgeber darf „keine Regelung betreffend Bildung und Besetzung des Exekutivausschusses vorsehen“); a.A. Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2479 („Denkbar wäre auch, bestimmte Ausschüsse … in der Satzung vorzuschreiben, so etwa die Einrichtung eines Exekutivausschusses und eines Bilanzausschusses …“); wiederum abweichend Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 86 (der – ohne Differenzierung zwischen vorbereitenden und beschließenden Ausschüssen – die Einrichtung und Besetzung dem Verwaltungsorgan überlassen will, den Satzungsgeber aber für befugt hält, „Verfahrensregeln für die Ausschussarbeit [zu erlassen] sowie Formulierungen, die keinen Zwang zur Bildung eines Ausschusses nach sich ziehen, jedoch eine Übertragung bestimmter Befugnisse auf den Ausschuss für den Fall vorsehen, dass ein solcher vom Verwaltungsrat gebildet wird.“). 568 Siehe oben Abschnitt „Satzungsregeln zu Aufsichtsorgan-Ausschüssen“, S. 253, mit den Nachweisen in Fn. 226 und 227.

C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan

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4. Satzungsregeln zum Sitzungsverfahren a) Regelung der gesetzlichen Sitzungsfrequenz, Art. 44 Abs. 1 SE-VO Anders als im dualistischen Modell wird die Sitzungsfrequenz des Verwaltungsorgans unmittelbar auf Verordnungsebene geregelt. Gemäß Art. 44 Abs. 1 SEVO tritt das Verwaltungsorgan „in den durch die Satzung bestimmten Abständen, mindestens jedoch alle drei Monate zusammen, um über den Gang der Geschäfte der SE und deren voraussichtliche Entwicklung zu beraten.“ Es handelt sich, mit anderen Worten, um die ordentlichen Sitzungen des Organs. Für eine entsprechende Anwendung des § 110 Abs. 3 AktG ist daneben kein Platz, und der deutsche Gesetzgeber sah in Anbetracht der Verordnungsregelung auch davon ab, die aktiengesetzliche Bestimmung im SEAG nachzubilden.569 Umstritten ist, ob Art. 44 Abs. 1 SE-VO den Satzungsgeber zu einer Regelung verpflichtet oder ob es dem Satzungsgeber auch zusteht, auf eine Regelung der Sitzungsfrequenz zu verzichten und sich auf ein Eingreifen der Drei-Monats-Regelung aus Art. 44 Abs. 1 SE-VO zu verlassen. Eine Regelungspflicht wird von einigen Autoren bejaht, die sich zumeist auf den Wortlaut der Norm stützen.570 Teilweise wird auch die englische und die französische Fassung der Vorschrift in dieselbe Richtung gedeutet.571 Die Vertreter der Gegenansicht verneinen eine Verpflichtung des Satzungsgebers.572 Die fakultative Natur der Ermächtigung ergebe sich aus der Normhistorie. So sei in Art. 67 Abs. 1 SE-VOV 1989573 noch deutlicher zum Ausdruck gekommen, dass es sich um eine satzungsdispositive Grund- und Mindestregelung handele. Mit der späteren Änderung der Formulierung habe der Verordnungsgeber in dieser 569 Vgl. RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 38; dagegen sieht Merkt, ZGR 2003, 650, 655, offenbar Spielraum für eine gesetzliche Regelung. 570 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 44 Rn. 6; im Anschluss Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 44 SE-VO Rn. 4; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 44 SE-VO Rn. 5; Hagemann/Tobies, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 4. Kap. Rn. 139; im Ergebnis ebenso Verse, in: Habersack/Drinhausen, SERecht (2013), Art. 44 SE-VO Rn. 2; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 169; Scheifele, Gründung (2004), S. 165 mit dortiger Fn. 190. 571 Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 44 SE-VO Rn. 2; ebenso, jedoch im Ergebnis anders Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG (2010), Art. 44 SE-VO Rn. 2. 572 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 44 SE-VO Rn. 2; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG (2010), Art. 44 SE-VO Rn. 2; Reichert/Brandes, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2012), Art. 44 SE-VO Rn. 7; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 117 f.; Hommelhoff, in: FS Ulmer (2003), S. 267, 275; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 71. 573 „Das Verwaltungsorgan tritt mindestens alle drei Monate zusammen, um über die Führung und Gang der Geschäfte der Gesellschaft einschließlich der von ihr beherrschten Unternehmen sowie über die Lage und die voraussichtliche Entwicklung zu beraten.“

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Hinsicht keine Änderung im Sinn gehabt.574 Auch Zweckmäßigkeitsüberlegungen legten ein Verständnis des Art. 44 SE-VO als nicht verpflichtende Satzungsermächtigung nahe.575 Der erstgenannten Ansicht ist im Ergebnis beizupflichten, auch wenn die vorgebrachten Argumente nicht ganz überzeugen. So ist der Wortlaut in allen Sprachfassungen wohl schlicht unergiebig für die Lösung der vorliegenden Frage. Die Entscheidung zwischen Befugnis und Verpflichtung zur Bestimmung lässt der Gesetzgeber grammatikalisch offen, indem er das Wort „bestimmen“ durchweg in der Adjektivform verwendet. Das gilt insbesondere für die deutsche („in den durch die Satzung bestimmten“), englische („at intervals laid down by the statutes“) und französische („une périodicité fixée par les statuts“) Fassung. Auf der anderen Seite überzeugt auch das historische Argument überzeugt nicht. Denn die Behauptung, dem Verordnungsgeber sei es bei der Wortlautänderung nicht um die Einführung einer Verpflichtung gegangen, lässt sich anhand der Verordnungsgeschichte zwar nicht widerlegen – verifizieren lässt sie sich aber ebenso wenig. Deutlicher in die Richtung einer verpflichtenden Satzungsermächtigung weist dagegen ein Abgleich der Formulierung mit Parallelformulierungen aus benachbarten Verordnungspassagen, die den Satzungsgeber zu einer Regelung ermächtigen. Hier fällt auf, dass der Verordnungsgeber nichtverpflichtende Ermächtigungen regelmäßig durch absolut klare Formulierungen kennzeichnet (z. B. Art. 40 Abs. 2 Satz 1, Art. 43 Abs. 3 Satz 2 („können“), Art. 46 Abs. 2 („Vorbehaltlich in der Satzung festgelegter Einschränkungen“), Art. 47 Abs. 1 Satz 1 („Die Satzung der SE kann vorsehen“), Art. 47 Abs. 3 („Die Satzung der SE kann … festlegen.“), Art. 50 Abs. 1 („Sofern in … der Satzung nicht anderes bestimmt ist“), Art. 50 Abs. 2 („Sofern die Satzung keine einschlägige Regelung enthält“)), während sich verpflichtende Ermächtigungen häufig hinter weniger eindeutigen Formulierungen verbergen, die ihren zwingenden Charakter erst auf den zweiten Blick offenbaren (z. B. Art. 38 lit. b) a.E. („entsprechend der in der Satzung gewählten Form“), Art. 39 Abs. 4 Satz 1, Art. 40 Abs. 3 Satz 1 („werden durch die Satzung bestimmt“), Art. 43 Abs. 2 Satz 1 („sind in der Satzung … festgelegt“), Art. 46 Abs. 1 („für einen in der Satzung festgelegten Zeitraum“)). Die These, die zweideutige Formulierung des Art. 44 Abs. 1 SE-VO lasse auf eine nicht verpflichtende Ermächtigung schließen, steht daher im Widerspruch zu den Formulierungsgewohnheiten des Verordnungsgebers im Rest der SE-VO. Die besseren Gründe sprechen daher für eine Regelungspflicht des Satzungsgebers. Angesichts der bereits in der Verordnung enthaltenen Mindestfrequenz mag dies in der Tat unzweckmäßig sein; in eine andere Richtung lässt sich Art. 44 Abs. 1 SE-VO aber kaum deuten. Feste Intervalle muss die Satzung allerdings nicht vor-

574 575

Gößl, Satzung der SE (2010), S. 117 f. Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG (2010), Art. 44 SE-VO Rn. 2.

C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan

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geben; sie kann sich darauf beschränken, einen Mindestturnus festzulegen, der vom Verwaltungsorgan eingehalten oder verschärft werden kann.576 b) Sonstige Regelungen zum Sitzungsverfahren § 36 Abs. 3 SEAG spiegelt die für Aufsichtsrat und -organ geltende Satzungsermächtigung aus § 109 Abs. 3 AktG. Danach kann die Satzung zulassen, „dass an den Sitzungen des Verwaltungsrats und seiner Ausschüsse Personen, die dem Verwaltungsrat nicht angehören, an Stelle von verhinderten Mitgliedern teilnehmen können, wenn diese sie in Textform ermächtigt haben.“ Auch in Hinblick auf das Verwaltungsorgan ist die Verordnung insofern offen für mitgliedstaatliche Regeln; Ermächtigungsgrundlage ist hier Art. 43 Abs. 4 SE-VO. Inhaltlich gelten dieselben Erwägungen wie im Rahmen des § 109 Abs. 3 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii), iii) SE-VO.577 Auch in Bezug auf die Frage, inwieweit der Satzungsgeber berechtigt ist, die Arbeitssprache des Verwaltungsorgans festzulegen, gelten dieselben Grundsätze wie in Bezug auf das Aufsichtsorgan:578 Selbst wenn man formal-juristisch von einer Kompetenz des Satzungsgebers ausgehen wollte, ist die Geschäftsordnung des Verwaltungsorgans der einzig sinnvolle und statthafte Ort für Sprachregelungen. 5. Sonstige Satzungsregeln zum Geschäftsgang Inwieweit der Satzungsgeber im Übrigen regelnd in den Geschäftsgang des Verwaltungsorgans eingreifen darf, bestimmt sich nach § 34 Abs. 2 Satz 2 SEAG. Danach kann die Satzung „Einzelfragen der Geschäftsordnung bindend regeln.“ Als Vorbild diente an dieser Stelle also nicht das Recht des AG-Aufsichtsrats, sondern die nahezu identische Regelung aus § 77 Abs. 2 Satz 2 AktG, die dem Satzungsgeber dieselbe Kompetenz in Bezug auf den AG-Vorstand und – über Art. 9 Abs. 1 lit. a) iii) SE-VO579 – auch in Bezug auf das Leitungsorgan einer deutschen SE verleiht. Auch im monistischen Umfeld gilt, dass der Satzungsgeber nur solche Vorgaben für die Geschäftsordnung machen darf, die dem Verwaltungsorgan einen nennenwerten Autonomiebereich belassen.580 Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die jeweiligen Satzungsregeln die Beschlussfähigkeits- und Beschlussvorausset-

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So die Musterklausel bei Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2478 (§ 10 Abs. 2). 577 Siehe oben Abschnitt „Sitzungs-Teilnahmerecht von Dritten bei Verhinderung eines Aufsichtsorganmitglieds, § 109 Abs. 3 AktG“, S. 255. 578 Siehe oben Abschnitt „Arbeitssprache“, S. 256. 579 Siehe die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 406. 580 Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 198.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

zungen regeln (z. B. Form, Frist und Verfahren der Einberufung581); denn einschlägige Rechtsgrundlage ist dann nicht § 34 Abs. 2 Satz 2 SEAG, sondern grundsätzlich Art. 50 Abs. 1 Hs. 1 SE-VO, der dem Satzungsgeber keine vergleichbaren Einschränkungen auferlegt.582

III. Einfluss auf die Vergütung der Verwaltungsorganmitglieder 1. Kompetenz „Für die Vergütung der Mitglieder des Verwaltungsrats“ verweist § 38 Abs. 1 SEAG pauschal auf § 113 AktG. Bezweckt war damit ein Gleichlauf zwischen dualisischem und monistischem System.583 Die unausgesprochene Annahme, dass § 113 AktG auf die dualistische SE Anwendung findet, trifft jedoch nur teilweise zu.584 Entsprechend ist auch der Verweis in § 38 Abs. 1 SEAG einzuschränken: Für Aufsichts- und Verwaltungsorgan gleichermaßen gilt zunächst die grundsätzliche Möglichkeit, eine Vergütung zu gewähren (§ 113 Abs. 1 Satz 1 AktG), sowie die Kompetenz der Hauptversammlung, diese zu bewilligen (§ 113 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 AktG).585 Nicht zulässig ist dagegen eine satzungsmäßige Festsetzung der Vergütung gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AktG,586 da die darauf bezogenen Erleichterungen für eine Satzungsänderung aus § 113 Abs. 1 Satz 4 AktG nicht auf die SE übertragbar sind.587 Allenfalls Rahmenbestimmungen über die Vergütung können in die Satzung aufgenommen werden. Mit der fehlenden Möglichkeit, die Vergütung entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AktG in der Satzung festzusetzen, erledigt sich gleichzeitig die Frage nach der Anwendbarkeit des hierauf bezogenen § 113 Abs. 2 Satz 1 AktG. Und auch § 113 Abs. 2 Satz 2 AktG findet keine An581 Siehe bereits oben Abschnitt „Form, Frist und Verfahren der Einberufung einer Sitzung“, S. 334; abweichend Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2478 f. (§ 10 Abs. 4 der Mustersatzung), die sich auch insofern auf § 34 Abs. 2 Satz 2 SEAG berufen. 582 Vgl. auch oben Abschnitt „Satzungsregeln zum Geschäftsgang, § 77 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AktG“, S. 300. 583 RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 38; diese Entscheidung des Gesetzgebers kritisierend Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 248. 584 Siehe oben Abschnitt „Einfluss auf die Vergütung der Aufsichtsorganmitglieder, § 113 AktG“, S. 257. 585 Übereinstimmend insofern Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 38 SEAG) Rn. 3; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SERecht (2013), § 38 SEAG Rn. 4; wohl auch Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 247; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 38 SEAG) Rn. 5. 586 A.A. Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 38 SEAG) Rn. 3; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 38 SEAG Rn. 5; implizit ebenso Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2480, die eine entsprechende Satzungsklausel vorschlagen (§ 12 Abs. 1 – 2 der Mustersatzung). 587 Zum Konflikt zwischen Art. 59 SE-VO und § 113 Abs. 1 Satz 4 AktG siehe oben Abschnitt „Kompetenz“, S. 257.

C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan

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wendung; es gelten dieselben Erwägungen, die gegen die Anwendung der Vorschrift auf das SE-Aufsichtsorgan sprechen.588 2. Art und Höhe der Vergütung Was die Art und die Höhe der Vergütung betrifft, gelten dann weitgehend dieselben Grundsätze wie im dualistischen System: Möglich ist sowohl eine fixe als auch eine variable Vergütung;589 auch Aktienoptionen können gewährt werden, da es sich bei sämtlichen Mitgliedern des Verwaltungsorgans um „Mitglieder der Geschäftsführung“ im Sinne des § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG handelt.590 Allein eine Verknüpfung zwischen der Vergütungshöhe und der Höhe der Dividendenausschüttung ist nicht statthaft.591 Bewilligt die Hauptversammlung überhaupt keine Vergütung, so ist auch keine geschuldet. Die Verwaltungsorganmitglieder sind dann ehrenamtlich tätig; auf § 612 BGB kann nicht zurückgegriffen werden.592 Der Hauptversammlung steht es weiter grundsätzlich frei, die Verwaltungsorganmitglieder unterschiedlich zu vergüten, solange es nicht zu einer gezielten Diskriminierung der Arbeitnehmervertreter kommt; eine allgemeine Gleichbehandlungspflicht existiert nicht.593 Ebenso wenig besteht Anlass, aus dem Angemessenheitsgebot in § 113 Abs. 1 Satz 3 AktG wesentliche materielle Einschränkungen der Festsetzungsfreiheit abzuleiten. Denn mit der Vergütungskompetenz der Hauptversammlung nach § 113 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 38 Abs. 1 SEAG ist sichergestellt, dass über die Höhe der Vergütung nur (und alle) Diejenigen entscheiden, aus deren Taschen die Vergütung geleistet wird; diese Entscheidung wird in aller Regel bereits ein positives Angemessenheitsurteil in sich tragen.594 Insbesondere für eine analoge Anwendung des § 87 AktG auf die Vergütung des SE-Verwaltungsorgans besteht daher kein Anlass.595

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Siehe oben Abschnitt „Kompetenz“, S. 257; die Geltung des § 113 Abs. 2 AktG für das Verwaltungsorgan bezweifeln ebenfalls Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 38 SEAG Rn. 7. 589 Ebenso Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 38 SEAG) Rn. 7 f. 590 Siehe unten Abschnitt „Finanzierungs- und Kapitalmaßnahmen“, S. 380, mit den Nachweisen in Fn. 842. 591 Vgl. die parallelen Erwägungen zur Aufsichtsorgan-Vergütung unter Abschnitt „Art der Vergütung“, S. 260. 592 Siehe bereits oben Abschnitt „Angemessenheit“, S. 263. 593 Siehe die parallelen Erwägungen zur Aufsichtsorgan-Vergütung unter Abschnitt „Gleichbehandlungspflicht?“ S. 263. 594 Vgl. die parallelen Erwägungen zur Aufsichtsorgan-Vergütung unter Abschnitt „Angemessenheit“, S. 263; etwas offener für eine materielle Vergütungskontrolle durch die Gerichte offenbar Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 38 SEAG Rn. 10, der „eindeutig überzogene Vergütungsregelungen“ für anfechtbar hält. 595 A.A. Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 250.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

IV. Einfluss auf Geschäftsführungsmaßnahmen 1. Regelungsoffenheit der Art. 43 Abs. 1, Art. 48 SE-VO gegenüber nationalem Recht Die Tatsache, dass Art. 43 Abs. 1 SE-VO die Geschäftsführung im monistischen System in die Hände des Verwaltungsorgans legt, bedeutet nicht, dass der Geschäftsführungsbereich vom Einfluss der Hauptversammlung absolut abgeschnitten ist. Genauso wie Art. 39 Abs. 1 SE-VO596 handelt es sich bei der Vorschrift vielmehr um eine programmatische Leitformel, die einer Übertragung der verschiedenen, punktuellen Geschäftsführungskompetenzen der Hauptversammlung nach nationalem Recht nicht entgegen steht.597 Auch ungeschriebene Hauptversammlungskompetenzen sind insofern nicht ausgeschlossen.598 2. Abstrakt per Satzung a) Abgrenzung zwischen Unternehmensleitung (Verwaltungsorgan, § 22 Abs. 1 SEAG) und laufenden Geschäften (geschäftsführende Direktoren, § 40 Abs. 2 Satz 1 SEAG)? Anstelle des Nebeneinanders von Aufsichtskompetenz des Aufsichtsorgans und Geschäftsführungskompetenz des Leitungsorgans stehen sich in der monistischen SE die umfassende Geschäftsführungs- und Aufsichtskompetenz des Verwaltungsorgans (Art. 43 Abs. 1 Satz 1 SE-VO, § 22 Abs. 1 SEAG) und die Zuständigkeit der geschäftsführenden Direktoren für die laufenden Geschäfte (§ 40 Abs. 2 Satz 1 SEAG) gegenüber. Dieses im deutschen Aktienrecht neuartige Kompetenzpaar hat bei manchen Autoren den Wunsch nach Abgrenzungsmöglichkeiten im Einzelfall geweckt. So wird die Ansicht vertreten, dem Satzungsgeber obliege es (oder stehe es jedenfalls offen), zu definieren, welche Themen in der einzelnen SE zum laufenden Geschäft gehörten und welche zu den grundlegenderen, nur dem Verwaltungsorgan obliegenden Geschäftsleitungsaufgaben.599 Die Gegenansicht verneint eine derartige Abgrenzungskompetenz des Satzungsgebers.600 Neben den Zustimmungsvorbehalten gemäß Art. 48 Abs. 1 SE-VO seien allenfalls erläuternde Regeln statthaft.

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Hierzu bereits oben Abschnitt „Regelungsoffenheit der Art. 39 Abs. 1, Art. 48 SE-VO gegenüber nationalem Recht“, S. 303. 597 Siehe oben Abschnitt „Verhältnis zu Kompetenzen der Geschäftsführungs- und Überwachungsorgane“, S. 40. 598 Allgemein zur Möglichkeit ungeschriebener Kompetenzen der SE-Hauptversammlung siehe bereits oben Abschnitt „Ungeschriebene Hauptversammlungskompetenzen“, S. 32. 599 Schroeter, AG 2007, 854, 859, unter Berufung auf Bungert/Beier, EWS 2002, 1, 4, und Merkt, ZGR 2003, 650, 662. 600 Kallmeyer, ZIP 2003, 1531, 1532; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 84.

C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan

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Die besseren Gründe sprechen gegen eine Abgrenzungskompetenz des Satzungsgebers. Eine solche wäre nämlich weitgehend funktionslos. Denn anders als die Kompetenzbereiche von Leitungs- und Aufsichtsorgan im dualistischen System bilden die Kompetenzbereiche von Verwaltungsorgan und geschäftsführenden Direktoren im monistischen System nicht zwei weitgehend voneinander getrennte Bereiche, die den beiden Seiten jeweils zur eigenverantwortlichen Erledigung überantwortet sind. Vielmehr handelt es sich beim Kompetenzbereich der geschäftsführenden Direktoren zum allergrößten601 Teil um eine Teilmenge aus der allumfassenden Geschäftsleitungs- und Überwachungskompetenz des Verwaltungsorgans. Der Bereich der „laufenden Geschäfte“ wird von den Direktoren also gerade nicht ähnlich eigenverantwortlich wahrgenommen wie die Geschäftsführung vom Leitungsorgan; vielmehr darf das Verwaltungsorgan auch in diesem Bereich uneingeschränkt von seinem Weisungsrecht aus § 44 Abs. 2 SEAG Gebrauch machen und die Direktoren bei der laufenden Geschäftsführung nahezu nach Belieben gängeln.602 Auch der Satzungsgeber kann an dieser umfassenden und zwingenden603 Weisungsabhängigkeit der Direktoren nichts ändern; letztere sind auch insofern eher mit der ersten Führungsebene unter dem AG-Vorstand vergleichbar als mit dem AGVorstand selbst.604 Auch wenn man den Satzungsgeber daher für befugt halten wollte, die laufenden Geschäfte per Definition oder Katalog von der Oberleitungskompetenz des Verwaltungsorgans zu separieren, hätte dies keine Auswirkungen auf die Allzuständigkeit des Verwaltungsorgans. Insbesondere ließe sich auf diesem (und auch auf anderem) Wege kein weisungsfreier Bereich zugunsten der geschäftsführenden Direktoren aus der Verwaltungsorgankompetenz abspalten. Es ist vielmehr allein Sache des Verwaltungsorgans, darüber zu entscheiden, wie viel Freiheiten die geschäftsführenden Direktoren im Einzelfall genießen. b) Einschränkung des Weisungsrechts des Verwaltungsorgans gegenüber den geschäftsführenden Direktoren? Gemäß § 44 Abs. 2 SEAG sind die geschäftsführenden Direktoren verpflichtet, unter anderem die Weisungen des Verwaltungsorgans zu beachten. Die Vorschrift wird ganz überwiegend als Rechtsgrundlage für eine umfassende Weisungsbefugnis des Verwaltungsorgans eingeordnet, vergleichbar mit derjenigen der GmbH-Ge601

Eine wichtige Ausnahme ist die unabdingbare Außenvertretungskompetenz der geschäftsführenden Direktoren gemäß § 41 SEAG, die das Verwaltungsorgan nicht selbst wahrnehmen kann. 602 Vgl. Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 29. 603 H.M.; siehe nur Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 44 SEAG Rn. 9 m.w.N., und sogleich Abschnitt „Einschränkung des Weisungsrecht des Verwaltungsorgans gegenüber den geschäftsführenden Direktoren?“, S. 343. 604 Zu dieser Einordnung auch unten Abschnitt „Entlastung?“, S. 341.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

sellschafterversammlung gegenüber dem GmbH-Geschäftsführer.605 Nur vereinzelt wird dem Satzungsgeber die Befugnis zugesprochen, die Weisungsbefugnis des Verwaltungsorgans einzuschränken oder gänzlich auszuschließen.606 Dagegen hält die überwiegende Ansicht die Weisungsbefugnisse des Verwaltungsorgans aus § 44 Abs. 2 SEAG für unabdingbar607 – und dies zu Recht. Denn eine Rechtsgrundlage für Satzungsregeln in diesem Bereich findet sich nicht, und eine ungeschriebene Rechtsgrundlage anzunehmen, wird sich angesichts des völligen Fehlens dahingehender Anhaltspunkte und der enormen Folgen für die Binnenorganisation der Gesellschaft verbieten. Auch die vorstehend zitierten Vertreter der Mindermeinung machen nicht recht deutlich, worauf die Kompetenz des Satzungsgebers beruhen soll. Möglicherweise missdeuten sie schlicht den Wortlaut des § 44 Abs. 2 SEAG, der zwar von aus der Satzung stammenden „Beschränkungen“ spricht – dies jedoch nur in Bezug auf die geschäftsführenden Direktoren selbst und nicht in Bezug auf die Weisungen des Verwaltungsorgans an die Direktoren. Der Satzungsgeber darf das Weisungsrecht daher nicht einschränken. c) Festlegung von Zustimmungsvorbehalten zugunsten des (Gesamt-)Verwaltungsorgans, Art. 48 Abs. 1 SE-VO aa) Rechtsgrundlage Auch im monistischen System obliegt es dem Satzungsgeber gemäß Art. 48 Abs. 1 SE-VO, Zustimmungsvorbehalte zu installieren – hier nicht zugunsten eines separaten Aufsichtsorgans, sondern zugunsten des Verwaltungsorgan-Plenums. Rechtsgrundlage ist auch hier allein Art. 48 Abs. 1 SE-VO, der für eine entsprechende Anwendung des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG keinen Platz lässt.608 Von einer spezifisch monistischen Nachbildung des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG im Rahmen des SEAG sah der deutsche Gesetzgeber zu Recht ab.

605 Siehe nur RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 39 („… gestaltet die Position des geschäftsführenden Direktors in Anlehnung an diejenige des GmbH-Geschäftsführers.“); Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 15; Verse, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), § 44 SEAG Rn. 1. 606 Eine Ausschlussmöglichkeit befürwortend Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 1. Aufl. (2005), Art. 43 SE-VO Rn. 41 (keine Stellungnahme mehr hierzu in der 2. Aufl.); satzungsmäßige Einschränkungen für möglich haltend Marsch-Barner, in: GS Bosch (2006), S. 99, 105. 607 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 15 mit dortiger Fn. 49; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO Rn. 4; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 44 SEAG Rn. 9; Ihrig, ZGR 2008, 809, 819 f. 608 Zur fehlenden Regelungsoffenheit des Art. 48 Abs. 1 SE-VO bereits oben Abschnitt „Rechtsgrundlage“, S. 266.

C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan

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bb) Inhalt und Reichweite Für die Frage, mit welcher Bestimmtheit die Satzung die „Arten von Geschäften“ bezeichnen muss, die einem Zustimmungsvorbehalt unterfallen sollen, gilt dasselbe wie im dualistischen System: Der Satzungsgeber kann sich hier darauf beschränken, (ggf. gesellschaftsspezifisch) einzelne Maßnahmen hervorzuheben (z. B. Gründung und Erwerb von Tochtergesellschaften und Zweigniederlassungen in einem bestimmten Land oder in einer bestimmten Branche), oder per interpretationsbedürftiger Generalklausel weiter ausholen (z. B. Entscheidungen oder Maßnahmen, die die Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage des Unternehmens grundlegend verändern).609 Wegen der umfassenden Oberleitungskompetenz des Verwaltungsorgans gelten die ungeschriebenen Grenzen für die Installation von Zustimmungsvorbehalten, die sich aus der eigenverantwortlichen Geschäftsleitungskompetenz des Leitungsorgans im dualistischen Modell ergeben, nicht für das monistische Modell.610 Theoretisch könnte der Satzungsgeber daher sogar bestimmen, dass das VerwaltungsorganPlenum sich mit allen Geschäftsführungsentscheidungen befassen muss – eine Option, die angesichts der absurden Folgen für die Unternehmenspraxis wohl ein akademisches Gedankenspiel bleiben wird. Auch im monistischen Umfeld ist der Satzungsgeber zur Regelung von Zustimmungsvorbehalten verpflichtet; Art. 48 Abs. 1 SE-VO hat auch insofern zwingenden Charakter.611 Anders als im dualistischen System, in dem § 19 SEAG, Art. 48 Abs. 1 Unterabs. 2 SE-VO dem Aufsichtsorgan ausdrücklich das Recht einräumen, eigenständig Zustimmungsvorbehalte zu erlassen, scheint die Kompetenz des monistischen Satzungsgebers mit keiner entsprechenden Kompetenz des Verwaltungsorgans zu konkurrieren. Ein Gegenstück zu § 19 SEAG findet sich im Recht der monistischen SE nicht, und die Ermächtigung aus Art. 48 Abs. 1 Unterabs. 2 SE-VO bezieht sich ausdrücklich nur auf das Aufsichtsorgan. Nach mittlerweile wohl ganz herrschender – und zutreffender – Ansicht612 besteht das in § 19 SEAG, Art. 48 Abs. 1 Unterabs. 2 609 Siehe oben Abschnitt „Inhalt und Reichweite“, S. 266, mit den Nachweisen zur (überwiegenden) Gegenansicht in Fn. 286. 610 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 48 SE-VO Rn. 10; Marsch-Barner, in: GS Bosch (2006), S. 99, 111; Maul, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 249, 256 f.; dies., ZGR 2003, 743, 750; a.A. Schwarz, SE-VO (2006), Art. 48 Rn. 16 (Zustimmungsvorbehalt nur für außergewöhnliche Geschäfte); Velte, WM 2010, 1635, 1638; einschränkend für satzungsmäßige Zustimmungsvorbehalte auch Eberspächer, in: Spindler/ Stilz, AktG, 2. Aufl. (2010), Art. 48 SE-VO Rn. 5; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 48 SE-VO Rn. 10; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 48 SEVO Rn. 11. 611 Siehe die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 288. 612 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 48 SE-VO Rn. 3; Reichert/ Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 48 SE-VO Rn. 10; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 48 Rn. 33 – 35 (anders noch ders., ZIP 2001, 1847, 1856: „… entfallen ist diese Möglichkeit für das Verwaltungsorgan im monistischen System.“); Seibt, in: Habersack/Drinhau-

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

SE-VO begründete Konkurrenzverhältnis dennoch auch in der monistischen SE. Als Rechtsgrundlage für Zustimmungsvorbehalte, die eigenständig durch das Verwaltungsorgan festgelegt werden (z. B. per Geschäftsordnung) reichen die Oberleitungskompetenz aus Art. 43 Abs. 1 Satz 1 SE-VO, § 22 Abs. 1 SEAG und die Weisungsbefugnis aus § 44 Abs. 2 SEAG aus, da sie die Befugnis des Verwaltungsorgans beinhaltet, Geschäftsführungsentscheidungen nach Belieben an sich zu ziehen. Ob und inwieweit das Verwaltungsorgan diese Befugnis konkret-einzelfallbezogen in Form von Weisungen oder abstrakt-generell in Form von geschriebenen Zustimmungsvorbehalten ausübt, bleibt ihm überlassen. 3. Konkret per Beschluss a) Gelatine-Grundsätze? Die hauptsächlich in den BGH-Entscheidungen „Gelatine“613 und „Holzmüller“614 entwickelte ungeschriebene Kompetenz der AG-Hauptversammlung für Geschäftsführungsentscheidungen von besonderer Bedeutung gilt nach weit überwiegender – und zutreffender – Ansicht grundsätzlich auch zugunsten der Hauptversammlung einer deutschen SE.615 Ebenso deutlich überwiegen die Stimmen, die sich explizit für eine Übertragung der ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz auf die monistische SE aussprechen.616 Letzteres geschieht freilich ohne vertiefte Auseinandersetzung mit den Besonderheiten des monistischen Modells und insbesondere ohne die in Rechtsprechung und Literatur diskutierten Begründungsansätze mit den Gegebenheiten in der monistischen SE abzugleichen. Dabei lohnt es sich durchaus, die Frage aufzuwerfen, ob die Erwägungen des BGH zum Mediatisierungseffekt auch für Geschäftsführungsmaßnahmen des SEVerwaltungsorgans passen. So kam es insbesondere in „Holzmüller“ dem BGH entscheidend darauf an, dass der dortige AG-Vorstand den Seehafenbetrieb durch die Ausgliederung auf die Tochtergesellschaft aus dem unmittelbaren Einfluss- und sen, SE-Recht (2013), Art. 48 SE-VO Rn. 5; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 48 SEVO Rn. 21; Merkt, ZGR 2003, 650, 662 f.; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 195, 211 f.; Velte, WM 2010, 1635, 1638; exemplarisch die in der Muster-Geschäftsordnung bei Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2007, 509, 514, enthaltenen Zustimmungspflichten. 613 BGH, NZG 2004, 571; BGH, NZG 2004, 575. 614 BGH, NJW 1982, 1703. 615 Ausführlich hierzu oben Abschnitt „Gelatine-Grundsätze“, S. 303, mit den Nachweisen zum Meinungsstand in Fn. 443, 449 und 450. 616 Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 42, 61, 165 a.E.; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 43 SE-VO Rn. 11; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 44 SEAG) Rn. 6; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 44 SEAG Rn. 4, 6; Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn. § 3 Rn. 29; Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2482 mit Fn. 121.

C. Einfluss auf das Verwaltungsorgan

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Einsichtsbereich der Hauptversammlung der Muttergesellschaft entfernte. Hätte ein ähnliches Entfernen stattgefunden, wenn in „Holzmüller“ an Stelle des AG-Vorstands ein SE-Verwaltungsorgan gehandelt hätte? Dafür spräche einerseits, dass die (SE-)Hauptversammlung auch dann Kompetenzen eingebüßt hätte: Grundlegende Entscheidungen über den Betrieb, die in der Ausgangssituation möglicherweise eine geschriebene Hauptversammlungskompetenz in der Muttergesellschaft ausgelöst hätten, wären im Anschluss an die Ausgliederung allenfalls in die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung der Tochtergesellschaft – und damit in die des Verwaltungsorgans der Muttergesellschaft – gefallen. Andererseits würde die SE-Hauptversammlung nach der Ausgliederung über kaum weniger Einfluss auf die mediatisierten Vermögensgegenstände verfügen als die AG-Hauptversammlung vor der Ausgliederung: Denn während der Aktionärseinfluss auf Vermögensgegenstände, die unmittelbar vor der Ausgliederung von einer AG gehalten werden, über zwei Stufen gemittelt wird – nämlich über den (vom Aufsichtsrat gewählten, aber nicht weisungsabhängigen) Vorstand und den (von der Hauptversammlung gewählten, aber nicht weisungsabhängigen) Aufsichtsrat –, sind bei den nach der Ausgliederung mediatisierten Assets im monistischen SE-Szenario ebenfalls nur zwei Stufen zwischen Assets und Aktionäre geschaltet, nämlich die (vom Verwaltungsorgan bzw. den Direktoren der Mutter-SE ernannte) Verwaltung der Tochtergesellschaft und das (von der Mutter-Hauptversammlung gewählte) SEVerwaltungsorgan. Der Einfluss ist in letzterem Szenario sogar noch stärker, wenn es sich bei der Tochtergesellschaft um eine GmbH handelt, deren Geschäftsführung umfassend weisungsabhängig von der Verwaltung der Mutter-SE ist. Mit anderen Worten: Sowohl im monistischen SE-Szenario nach der Ausgliederung als auch im dualistischen AG-Szenario vor der Ausgliederung wählen die Aktionäre dasjenige Organ, welches die Verwalter der entscheidenden Vermögensgegenstände ernennt (und diese Verwalter im SE-Szenario möglicherweise sogar anweisen darf). Ordnet man den Mediatisierungseffekt daher als notwendige und hinreichende Voraussetzung der ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz ein – was nach der bisherigen Entwicklung der Rechtsprechung weder ausgeschlossen noch sicher ist –, so finden sich durchaus Anhaltspunkte dafür, dass sich die Rechtsprechungsgrundsätze aus „Holzmüller“ und „Gelatine“ nur auf die dualistische SE übertragen lassen und nicht auch auf die monistische SE. Ebenso wenig ausgeschlossen ist es, dass die Rechtsprechung den vorgenannten Grundsätzen eine neuartige, spezifisch monistische Kontur verleiht. Eine derartige Weiterentwicklung ist freilich noch weniger deutlich absehbar als die ohnehin kaum berechenbare Entwicklung der AGbezogenen Rechtsprechungsgrundsätze. b) Keine Ersetzung der fehlenden Zustimmung des (Gesamt-)Verwaltungsorgans gemäß § 111 Abs. 4 Sätze 3 – 5 AktG Verweigert ein AG-Aufsichtsrat dem Vorstand die Zustimmung zu einem gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG vorgelegten Geschäft, so kann der Vorstand gemäß § 111

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Abs. 4 Sätze 3 – 5 AktG ersatzweise die Hauptversammlung um Zustimmung ersuchen. Mangels Regelungsoffenheit der Verordnung – insbesondere des Art. 48 Abs. 1 – scheidet eine entsprechende Anwendung dieser Ersetzungsbefugnis bereits in der dualistischen SE aus.617 Noch weniger kommt eine entsprechende Anwendung des § 111 Abs. 4 Satz 3 – 5 AktG auf die monistische SE in Frage. Denn hätten es die geschäftsführenden Direktoren in der Hand, eine vom Verwaltungsorgan-Plenum verweigerte Zustimmung ersatzweise von der Hauptversammlung einzuholen, so wäre ihre im Übrigen umfassende Weisungsabhängigkeit vom Verwaltungsorgan durchbrochen. Maßnahmen, für die ein Zustimmungsvorbehalt nach Art. 48 Abs. 1 SE-VO (und damit auch eine Ersetzungsbefugnis nach § 111 Abs. 4 Satz 3 – 5 AktG) gilt, wären damit sogar weniger stark der Kontrolle des Verwaltungsorgans unterworfen als alle weiteren Geschäftsführungsentscheidungen, die das Verwaltungsorgan gemäß § 44 Abs. 2 SEAG nach Belieben an sich ziehen kann. c) Entscheidung über sonstige Geschäftsführungsmaßnahmen auf Verlangen des Verwaltungsorgans, § 119 Abs. 2 AktG Ebenso wie das Leitungs-618 und das Aufsichtsorgan619 ist auch das Verwaltungsorgan berechtigt, Maßnahmen aus dem eigenen Kompetenzbereich entsprechend § 119 Abs. 2 AktG der Hauptversammlung zur Entscheidung vorzulegen. Zur Regelungsoffenheit der Verordnung gelten dieselben Erwägungen wie im dualistischen System. Was die Rechtsgrundlage der entsprechenden Anwendbarkeit betrifft, so kann in Bezug auf die Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung auf Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO zurückgegriffen werden, und aus Sicht des Verwaltungsorgans gilt § 22 Abs. 6 SEAG, Art. 43 Abs. 4 SE-VO. Danach steht die im dualistischen System über zwei Organe verteilte Vorlagebefugnis im monistischen System einheitlich dem Verwaltungsorgan zu.620

V. Entlastung Auch wenn die Entlastungskompetenz der Hauptversammlung aus § 119 Abs. 1 Nr. 3, § 120 Abs. 1 – 3 AktG, Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO unmittelbar nur für das 617 Siehe oben Abschnitt „Ersetzung der fehlenden Zustimmung im Einzelfall, § 111 Abs. 4 Sätze 3 – 5 AktG?“, S. 269, mit den Nachweisen zum Meinungsstand in Fn. 293 und 296. 618 Siehe oben Abschnitt „Entscheidung über sonstige Geschäftsführungsmaßnahmen auf Verlangen des Leitungsorgans, § 119 Abs. 2 AktG“, S. 315. 619 Siehe oben Abschnitt „Beschluss über vom Aufsichtsorgan vorgelegte Maßnahmen, § 119 Abs. 2 AktG analog“, S. 271. 620 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 43 SE-VO Rn. 10.

D. Einfluss auf die geschäftsführenden Direktoren

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dualistische System konzipiert ist,621 gilt sie auch in Bezug auf das Verwaltungsorgan einer monistischen SE. Das ist im Ergebnis unumstritten;622 der Rechtsgedanke des § 22 Abs. 6 SEAG schlägt in diesem Fall die Brücke zwischen Monismus und Dualismus. Die bereits oben ausgebreiteten Erläuterungen zur Gesamt- und Einzelentlastung, zum einfachen Stimmenmehrheitserfordernis und der Unstatthaftigkeit einer Vertagung und einer sachlichen oder zeitlichen Aufteilung des Entlastungsbeschlusses gelten bei der Entlastung der Verwaltungsorganmitglieder entsprechend.623

D. Einfluss auf die geschäftsführenden Direktoren Nimmt man den Einfluss der Hauptversammlung auf Aufsichts-, Leitungs- und Verwaltungsorgan zum Maßstab, so stehen der Hauptversammlung in Bezug auf die geschäftsführenden Direktoren eher wenige Befugnisse zu. Hauptgrund hierfür ist die Einordnung der geschäftsführenden Direktoren als umfassend weisungsabhängiges Gremium unterhalb des Verwaltungsorgans. Die Verwaltungsorganmitglieder sind – soweit sie nicht selbst die Geschäftsführung innehaben – gleichsam die unmittelbaren Vorgesetzten der geschäftsführenden Direktoren. In dieses enge Abhängigkeitsverhältnis kann sich die Hauptversammlung nur vereinzelt einschalten. Rechtsgrundlage hierfür ist dabei ausschließlich deutsches Rechts, da die geschäftsführenden Direktoren im Sinne des § 40 SEAG eine Erfindung des deutschen Gesetzgebers sind und auf Verordnungsebene keine Erwähnung finden.

621

Zur Übertragbarkeit der § 119 Abs. 1 Nr. 3, § 120 Abs. 1 – 3 AktG auf die deutsche SE bereits oben Abschnitte „Anwendbarkeit deutschen Aktienrechts“, S. 273, und „Entlastung“, S. 316. 622 Ohne nähere Begründung insoweit jeweils Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 52 SE-VO Rn. 28; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 52 SE-VO Rn. 28 a.E.; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 52 SE-VO Rn. 13; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 Rn. 30 a.E.; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 30 a.E.; Maul, in: Van Hulle/Maul/ Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. 16; dies., in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.850 (§ 22 Abs. 3 Satz 1 der Mustersatzung); Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 282; Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2482 (§ 19 Abs. 2 der Mustersatzung); a.A. nur Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 148 – 150, der allerdings bereits für die dualistische SE eine Entlastungskompetenz der Hauptversammlung ablehnt. 623 Siehe oben Abschnitt „Entlastung“, S. 273.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

I. Einfluss auf personelle Zusammensetzung 1. Satzungsregeln über die Bestellung eines oder mehrerer geschäftsführender Direktoren durch das Verwaltungsorgan, § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG Bestellt und abberufen werden die geschäftsführenden Direktoren allein vom Verwaltungsorgan, ohne dass die Hauptversammlung von sich aus ein Veto einlegen oder eine Weisung aussprechen kann.624 Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG kann die Satzung jedoch „Regelungen über die Bestellung eines oder mehrerer geschäftsführender Direktoren treffen.“ Zur Frage, welche bestellungsbezogenen Regeln der Satzungsgeber auf Basis des § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG erlassen kann, findet sich eine ganze Reihe von Vorschlägen. Für statthaft gehalten werden Vorschriften über die Anzahl der zu bestellenden Direktoren,625 über deren Amtszeit und Wiederwahl,626 Regelungen, nach denen das Verwaltungsorgan nur externe geschäftsführende Direktoren berufen darf oder – umgekehrt – nur amtierende Verwaltungsorganmitglieder,627 und Regelungen, nach denen der Verwaltungsorganvorsitzende stets auch zum geschäftsführenden Direktor zu berufen ist,628 nach denen dem „CEO“ ein Vorschlagsrecht für die Bestellung der weiteren Direktoren zusteht,629 nach der eine Bestellung der im Ver624 Faktisch kann die Hauptversammlung allerdings für die Abberufung sämtlicher geschäftsführender Direktoren sorgen, indem sie per Satzungsänderung einen Wechsel vom monistischen ins dualistische System vollzieht; hierzu unten Abschnitt „Wechsel der Organisationsverfassung“, S. 377. 625 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 37; Reichert/ Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 43 SE-VO Rn. 118; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 45; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 7; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 40 SEAG Rn. 10, 18; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 608; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 83. 626 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 45; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 40 SEAG Rn. 17 f. 627 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 37; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 137; Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 273; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 45; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 7; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 40 SEAG Rn. 18; Frodermann, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), Kap. 5, Rn. 170; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 255; Kallmeyer, ZIP 2003, 1531, 1533; Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2007, 509, 511 mit dortiger Fn. 28; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 83. 628 Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 40 SEAG Rn. 18; Seibt, in: Lutter/ Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 88; Eder, NZG 2004, 544, 546; Thamm, NZG 2008, 132, 134. 629 Eder, NZG 2004, 544, 546; wohl auch Reichert, in: GS Gruson (2009), S. 321, 329; ders., Der Konzern 2006, 821, 822 f.; a.A. Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51

D. Einfluss auf die geschäftsführenden Direktoren

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waltungsorgan präsenten Arbeitnehmervertreter zu geschäftsführenden Direktoren ausgeschlossen ist630 oder nach denen die geschäftsführenden Direktoren besondere persönliche Eignungsvoraussetzungen erfüllen müssen, um für das Amt in Frage zu kommen (z. B. Alter, Ausbildung).631 Letztere Voraussetzungen seien allerdings nur insoweit statthaft, als sie „sachbezogen und nicht diskriminierend“ wirkten632 und das Auswahlermessen des Verwaltungsorgans nicht unangemessen einengten.633 Erwogen wird schließlich auch die satzungsmäßige Einführung besonderer – insbesondere englischsprachiger – Bezeichnungen für die von den geschäftsführenden Direktoren auszufüllenden Ämter (z. B. CEO, CFO, COO, President, Managing Director, Vorsitzender der Geschäftsleitung).634 Eine nähere Begründung, warum derartige Bestimmungen von § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG gedeckt sein sollten, findet sich freilich nicht – ebenso wenig wie ein Versuch, die Reichweite der Satzungsermächtigung auf abstrakt-genereller Ebene einzugrenzen oder den beispielhaft genannten Regelungsoptionen Bestimmungen entgegen zu setzen, die nicht mehr unter § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG gefasst werden können. Hebt man die vorstehend zitierten, fallgruppenorientierten Ansichten auf eine abstrakt-generelle Ebene, so ergibt sich eine weitgehende Deckungsgleichheit zwischen der Satzungsermächtigung aus § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG und derjenigen aus § 100 Abs. 4 AktG.635 Letztere erlaubt dem Satzungsgeber, persönliche Voraussetzungen für die von der AG-Hauptversammlung zu wählenden Aufsichtsratsmitglieder zu installieren. Die Vorschrift gilt über Art. 47 Abs. 3 SE-VO auch für das Aufsichts- und Verwaltungsorgan.636 Aber stehen dem Satzungsgeber dieselben

SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 44; lediglich ein unverbindliches Vorschlagsrecht in Betracht ziehend Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 37. 630 Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 40 SEAG Rn. 14, 18; Bachmann, ZGR 2008, 779, 804; a.A. Gößl, Satzung der SE (2010), S. 255 (wegen Verstoß gegen Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 38 Abs. 1 SEBG). 631 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 43 SE-VO Rn. 110; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 45; Verse, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), § 40 SEAG Rn. 18; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 259; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 610 (die insoweit Art. 47 Abs. 3, Art. 43 Abs. 4 SE-VO iVm § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG als Rechtsgrundlage heranzieht). 632 J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 610. 633 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 37; Reichert/ Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 43 SE-VO Rn. 110; Verse, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), § 40 SEAG Rn. 18; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 610. 634 Eder, NZG 2004, 544, 546; Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2476; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 88. 635 Es verwundert, dass keiner der vorstehend zitierten Autoren diese Parallele benennt. 636 Ausführlich hierzu oben Abschnitte „Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter, Art. 47 Abs. 3 SE-VO“, S. 218, und „Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter, Art. 47 Abs. 3 SE-VO“, S. 323. Zur Nichtanwendbarkeit der Vorschrift auf die geschäftsführenden Direktoren siehe unten Abschnitt „Keine

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Möglichkeiten auf Basis des § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG in Bezug auf die geschäftsführenden Direktoren zu? Die besseren Gründe sprechen dagegen. Denn hätte der Gesetzgeber tatsächlich eine Übertragung des Satzungsspielraums aus § 100 Abs. 4 AktG im Sinn gehabt, so wäre ein ausdrücklicher Verweis auf die Vorschrift oder eine spezifisch monistische Nachbildung wohl der naheliegendste Weg gewesen. So findet sich beispielsweise im Recht des Verwaltungsorgans (§ 27 Abs. 1 – 2 SEAG) eine spezifisch monistische Nachbildung der AG-Aufsichtsrats-Eignungsregeln aus § 100 Abs. 2 – 3 AktG, und § 40 Abs. 1 Satz 4 SEAG legt für (externe637) geschäftsführende Direktoren per Verweis denselben Eignungsmaßstab an wie § 76 Abs. 3 AktG für AG-Vorstandsmitglieder. § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG dagegen ist weder seiner Formulierung nach an die vorgenannten Bestimmungen angelehnt noch verweist er auf sie, und auch in der Gesetzesbegründung findet sich kein Hinweis auf einen Bezug zu den Eignungsvoraussetzungen, wie sie kraft Gesetzes oder Satzung für die Mitglieder von Aufsichts-, Leitungs- und Verwaltungsorgan gelten können.638 Noch deutlichere Argumente gegen die Richtung der herrschenden Meinung und für eine enge Auslegung finden sich, wenn man den Blick auf den Wortlaut und die systematische Platzierung des § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG richtet. So wird die Reichweite der Satzungsermächtigung mit den Worten „Regelungen über die Bestellung eines oder mehrerer geschäftsführender Direktoren“ umschrieben. Hierunter lassen sich die weitgehenden Regelungsvorschläge der herrschenden Meinung nur dann subsumieren, wenn man die Betonung auf die Worte „über die Bestellung“ legt und den übrigen Wortlaut als unbedeutenden Anhang einordnet. Eine solche Gewichtung würde aber die Tatsache ignorieren, dass die Satzungsermächtigung insgesamt den Wortlaut des § 40 Abs. 1 Satz 1 SEAG spiegelt, der mit der Wendung „einen oder mehrere geschäftsführende Direktoren“ mehr als nur nebenbei eine wichtige Entscheidungsbefugnis des Verwaltungsorgan bezeichnet. Nicht in Satz 5 gespiegelt wird dagegen beispielsweise die in Satz 2 genannte Befugnis des Verwaltungsorgans, geschäftsführende Direktoren auch aus den eigenen Reihen zu bestellen. Die Wortlautparallele zu Satz 1 legt daher nahe, dass der Gesetzgeber mit der Satzungsermächtigung in Satz 5 gerade dieses – aber auch nur dieses – Wahlrecht des Verwaltungsorgans aus Satz 1 im Auge hatte. Überdies würde die Satzungsermächtigung aus § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG – würde man einseitig auf die Wendung „Regelungen über die Bestellung“ abstellen – letztlich ganz erheblich weiter reichen als die Möglichkeiten, die dem Satzungsgeber satzungsmäßige Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter entsprechend Art. 47 Abs. 3 SE-VO“, S. 333. 637 Zur Frage, ob § 76 Abs. 3 AktG auch für interne geschäftsführende Direktoren gilt, siehe nur Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 27 SEAG Rn. 3 – 5, § 40 SEAG Rn. 15, mit weiteren Nachweisen. 638 Vgl. RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 39; dagegen wird a.a.O., S. 37 f., in Bezug auf § 27 SEAG ausdrücklich die Parallele zu § 100 AktG hervorgehoben.

D. Einfluss auf die geschäftsführenden Direktoren

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in Bezug auf die Besetzung des Aufsichts- und Verwaltungsorgans zustehen. Während die Satzung für letztere – jeweils auf Basis ausdrücklicher, dahingehender Ermächtigungen – im Wesentlichen nur persönliche Voraussetzungen, Entsendungsrechte sowie Amtszeit- und Wiederwahleinschränkungen festlegen darf, ließe sich auf die Generalklausel „Regelungen über die Bestellung“ wohl eine weitaus größere Vielfalt an Vorgaben für die Bestellung stützen, z. B. Quotenregelungen, ein Vorschlagsrecht externer Gremien oder Personen oder gar die Individualisierung eines bestimmten Kandidatenpools per Namensnennung.639 Allenfalls das von der herrschenden Meinung unscharf bezeichnete „Auswahlermessen des Verwaltungsorgans“ würde eine Grenze bilden. Im Ergebnis hätte der Satzungsgeber damit auf die Bestellung der (an sich nur vom Verwaltungsorgan abhängigen) geschäftsführenden Direktoren einen weitaus größeren abstrakt-generellen Einfluss als auf die Bestellung der von ihm selbst bestellten Verwaltungsorganmitglieder. Die besseren Gründe sprechen daher dafür, den deutschen Gesetzgeber in § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG beim Wort zu nehmen. Dem Satzungsgeber stehen danach danach nur solche Vorgaben zu, die sich auf die Zahl der geschäftsführenden Direktoren beziehen (z. B. bestimmte Zahl, Ober- oder Untergrenzen). Dagegen darf er nicht die bereits in § 40 Abs. 1 Satz 2 SEAG eingeschränkte Befugnis des Verwaltungsorgans, darüber zu entscheiden, inwieweit interne oder externe Direktoren bestellt werden, weiter einschränken.640 Und noch weniger können auf § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG pauschal sonstige, noch weiter gehende Vorgaben gestützt werden. Nicht statthaft sind danach insbesondere Entsendungsrechte, Vorschlagsrechte, ein Ausschluss von Arbeitnehmervertretern, Amtszeit- und Wiederwahleinschränkungen, verbindliche Vorschlagsrechte, Quotenregelungen und Eignungsvoraussetzungen nach Art des Art. 47 Abs. 3 SE-VO, § 100 Abs. 4 AktG. Gegen die Zulässigkeit alternativer Amtsbezeichnungen wird dagegen nichts einzuwenden sein. Mangels rechtlicher Relevanz müssen sie wohl erst gar nicht auf eine explizite Ermächtigungsgrundlage zurückgeführt werden und könnten wohl auch in der Geschäftsordnung des Verwaltungsorgans geregelt werden. So kann beispielsweise der Vorsitzende des Verwaltungsorgans, der gleichzeitig zum geschäftsführenden Direktor gewählt wird, ohne weiteres als „CEO“ bezeichnet werden, ohne dass sich ein Konflikt mit Rechtsvorschriften oder das Bedürfnis er639 Derartige Regelungen werden von keinem der vorstehend zitierten Autoren ausdrücklich für möglich gehalten, aber auch nirgends ausdrücklich abgelehnt – jedenfalls das „Auswahlermessen des Verwaltungsorgans“ stünde Quotenmodellen oder punktuellen Entsendungsrechten wohl nicht im Weg. 640 Nicht aus den Augen zu verlieren ist hier freilich die Befugnis des Satzungsgebers, gemäß Art. 47 Abs. 3 SE-VO, § 100 Abs. 4 AktG Eignungsvoraussetzungen für Verwaltungsorganmitglieder aufzustellen. Insoweit kann die Satzung beispielsweise bestimmen, dass amtierende geschäftsführende Direktoren nicht für die Wahl in das Verwaltungsorgan in Frage kommen (siehe oben Abschnitt „Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter, Art. 47 Abs. 3 SE-VO“, S. 323). Die Satzung kann die beiden Ämter daher durchaus für miteinander inkompatibel erklären – nur nicht auf Basis des § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

gibt, eine derartige Bezeichnung auf eine spezifische Ermächtigungsgrundlage zu stützen. 2. Satzungsregeln über die Abberufung der geschäftsführenden Direktoren, § 40 Abs. 5 Satz 1 SEAG Gemäß § 40 Abs. 5 Satz 1 SEAG können die geschäftsführenden Direktoren jederzeit vom Verwaltungsorgan abberufen werden, „sofern die Satzung nichts anderes regelt.“ Trotz der auf den ersten Blick offenen Formulierung bezieht sich die Satzungsermächtigung nur auf die sachlichen Voraussetzungen der Abberufung und nicht auf die Frage, wer für die Abberufung zuständig ist. Eine satzungsmäßige Verlagerung der Abberufungskompetenz auf eine andere Stelle (z. B. Hauptversammlung oder Verwaltungsorgan-Vorsitzender) wäre sinnlos, da das korrespondierende Berufungsrecht gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SEAG zwingend in der Hand des Verwaltungsorgan-Plenums liegt. Und die Frage, ob die Abberufungsentscheidung auf einen Ausschuss ausgelagert wird, kann dem insoweit zur Selbstorganisation berechtigten Verwaltungsorgan vom Satzungsgeber nicht vorgegeben werden.641 Auf Basis des § 40 Abs. 5 Satz 1 SEAG kann der Satzungsgeber die grundsätzlich freie und autonome Entscheidung des Verwaltungsorgans daher nur – aber immerhin – an bestimmte sachliche Kriterien binden. Zu Recht allgemein anerkannt ist etwa die Beschränkung auf eine Abberufung aus wichtigem Grund642 und ggf. eine Präzisierung dieses Grundes.643 Alternativ kann der Satzungsgeber auch einen festen, an die Berufung anknüpfenden Zeitraum bestimmen, innerhalb dessen der betreffende geschäftsführende Direktor nur aus wichtigem Grund abberufen werden kann und außerhalb dessen eine freie Abberufung nach § 40 Abs. 5 Satz 1 Hs. 1 SEAG 641 A.A. (mögliche satzungsmäßige Delegation der Abberufungsentscheidung gemäß § 40 Abs. 5 Satz 1 SEAG auf Exekutivausschuss): Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 78; Eder, NZG 2004, 544, 546; Seibt, in: Lutter/ Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 86. Zur weitgehend fehlenden Kompetenz des Satzungsgebers, Regeln in Bezug auf Verwaltungsorgan-Ausschüsse zu erlassen, siehe bereits oben Abschnitt „Satzungsregeln zu Verwaltungsorgan-Ausschüssen“, S. 336. 642 Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 147; Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 286; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 79 f.; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 7, 48; Verse, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), § 40 SEAG Rn. 54; Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749, 1758; Kallmeyer, ZIP 2003, 1531, 1533; Kolster, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG (2005), 4. Kap. Rn. 82 (ebenso Hagemann/Tobies, a.a.O., in der 2. Aufl. (2014), Rn. 171); MarschBarner, in: GS Bosch (2006), S. 99, 105; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 85, 88; im Ergebnis ebenso, aber mit (ungerechtfertigten) Bedenken in rechtspolitischer Hinsicht Gößl, Satzung der SE (2010), S. 264 f. 643 Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 40 SEAG Rn. 54.

D. Einfluss auf die geschäftsführenden Direktoren

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möglich ist.644 Auch eine komplette satzungsmäßige Nachbildung des aus der AG bekannten Vorstands-Abberufungsmechanismus (§ 84 Abs. 3 AktG) ist möglich – einschließlich der Möglichkeit für die Hauptversammlung, einem geschäftsführenden Direktor ausdrücklich das Vertrauen zu entziehen645 –, ebenso wie eine Pflicht des Verwaltungsorgans, den betreffenden geschäftsführenden Direktor vor der Abberufung anzuhören,646 eine Pflicht, die Abberufungsentscheidung förmlich zu begründen, oder eine Klärung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein geschäftsführendes Verwaltungsorganmitglied nach einer Abberufung aus dem Verwaltungsorgan noch im Direktorenamt verbleiben kann. Mit § 40 Abs. 5 Satz 1 SEAG in Verbindung gebracht wird ferner die Einführung qualifizierter Mehrheits- oder gar Einstimmigkeitserfordernisse für den Abberufungsbeschluss des Verwaltungsorgans647 – wogegen im Ergebnis nichts spricht; einschlägige Rechtsgrundlage ist insofern aber allein Art. 50 Abs. 1 Hs. 1 SE-VO und nicht das SEAG.648 Nicht auf § 40 Abs. 5 Satz 1 SEAG gestützt werden kann schließlich ein vollständiger Ausschluss des Abberufungsrechts. Denn wenigstens aus wichtigem Grund muss das Verwaltungsorgan einen geschäftsführenden Direktor abberufen können.649 3. Keine satzungsmäßige Festlegung von Amtsdauer und Wiederwahleinschränkungen entsprechend Art. 46 SE-VO Da es sich bei den geschäftsführenden Direktoren nicht um ein Organ der SE handelt, finden die gemeinsamen Vorschriften für die dualistischen und monistischen 644

Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 43 SE-VO Rn. 114 f.; Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn. § 3 Rn. 34; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 260 f. 645 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 80 f.; ähnlich Reichert/Brandes, MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 43 SE-VO Rn. 137; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 40 SEAG Rn. 54, die einen Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung aber auch ohne einschlägige Satzungsklausel zulassen möchten. 646 Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 286; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 264. 647 Reichert/Brandes, MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 43 SE-VO Rn. 138; Siems, in: KKAktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 78; Teichmann, in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 7, 48; Eder, NZG 2004, 544, 546; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 88. 648 Zutreffend Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 286. Durchweg abgelehnt werden satzungsmäßig verschärfte Mehrheitserfordernisse von Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 38. 649 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 38; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 147; Reichert/Brandes, MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 43 SE-VO Rn. 134; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 7, 48; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 265.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Leitungs-, Aufsichts- bzw. Verwaltungorgane aus Art. 46 – 51 SE-VO auf die Direktoren insgesamt keine Anwendung.650 Die Ausgestaltung ihrer Rechtsstellung ist stattdessen allein Sache ihres Erfinders – also des deutschen Gesetzgebers. Letzterem hätte es wohl durchaus offen gestanden, einzelne Verordnungsregeln über die SE-Organe für entsprechend anwendbar zu erklären. Dass er dies – insbesondere im Fall der Amtsdauer – nicht tat, kann nicht im Wege der Analogie korrigiert werden.651 Denn zu einem Teil der Verwaltungs-Organstruktur werden die geschäftsführenden Direktoren wegen ihrer umfassenden, arbeitnehmerähnlichen Abhängigkeit vom Verwaltungsorgan gerade nicht. Ihre Rechts- und Interessenlage entspricht viel eher der von leitenden Angestellten als der Position von Mandatsträgern an der Spitze der SE.652 Die an den Satzungsgeber gerichtete Ermächtigung aus Art. 46 SE-VO, Amtszeit und Wiederwahl-Einschränkungen festzulegen, gilt folglich nicht in Bezug auf die geschäftsführenden Direktoren.653 Rechtsgrundlage für eine satzungsmäßige Regelung der Amtszeit der geschäftsführenden Direktoren ist stattdessen nur § 40 Abs. 5 Satz 1 Hs. 2 SEAG.654 Das hat für den Satzungsgeber zwei gewichtige Vorteile: Zum einen ist er nicht an die in Art. 46 Abs. 1 SE-VO bestimmte Höchstgrenze von sechs Jahren gebunden; zum anderen verfügt er über die Freiheit, von einer Satzungsregelung abzusehen. Denn anders als bei Art. 46 Abs. 1 SE-VO handelt es sich bei § 40 Abs. 5 Satz 1 Hs. 2 SEAG um eine nicht zwingende Ermächtigung. Kein Gegenstück auf Ebene des SEAG existiert schließlich für die nach Art. 46 Abs. 2 SE-VO möglichen Wiederwahl-Einschränkungen. Insbesondere § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG kommt nicht als Grundlage für den Satzungsgeber in Frage, um die

650

Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Vorb. Art. 46 SE-VO Rn. 3, Anh Art. 51 SE-VO § 40 SEAG Rn. 7 f.; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 40 SEAG Rn. 6; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 257 – 259; a.A. Schwarz, SE-VO (2006), Art. 39 Rn. 53, Art. 43 Rn. 40; tendenziell wohl auch Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2007, 509, 510 mit dortiger Fn. 20; wiederum abweichend Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SEKo., 2. Aufl. (2015), Vor Art. 46 SE-VO Rn. 3 („… von Fall zu Fall zu entscheiden, ob die Rechtsgedanken der Art. 46 ff. anwendbar sind.“). 651 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh Art. 51 SE-VO § 40 SEAG Rn. 8. 652 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Vorb. Art. 46 SE-VO Rn. 3. 653 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 115; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 7, Art. 46 SE-VO Rn. 8; Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn. § 3 Rn. 34; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 260; im Ergebnis ebenso Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 43 SE-VO Rn. 39, Art. 46 SE-VO Rn. 1 („bewusste Regelungslücke auf Verordnungsebene“); a.A. Manz, in: Manz/Mayer/ Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 134; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 39 Rn. 53 f., Art. 43 Rn. 40, Art. 46 Rn. 7; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 83 mit dortiger Fn. 53. 654 Siehe oben Abschnitt „Satzungsregeln über die Abberufung der geschäftsführenden Direktoren, § 40 Abs. 5 Satz 1 SEAG“, S. 354, mit den Nachweisen in Fn. 644.

D. Einfluss auf die geschäftsführenden Direktoren

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Wiederwahl der geschäftsführenden Direktoren einzuschränken.655 Die Entscheidung über die Wiederwahl ist stattdessen gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SEAG allein Sache des Verwaltungsorgans. 4. Keine satzungsmäßige Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter entsprechend Art. 47 Abs. 3 SE-VO Die fehlende Organqualität der geschäftsführenden Direktoren656 hat zur Folge, dass der Satzungsgeber auch nicht gemäß Art. 47 Abs. 3 SE-VO Eignungsvoraussetzungen für die geschäftsführenden Direktoren einführen kann.657 Ebenso wenig kommt § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG als Rechtsgrundlage in Betracht.658 Die Entscheidungsfreiheit des Verwaltungsorgans kann auch an dieser Stelle nicht eingeengt werden.

II. Einfluss auf innere Ordnung 1. Keine Satzungsregeln über Beschlussfassung, Beschlussfähigkeit und Zweitstimmrecht entsprechend Art. 50 SE-VO Beruft das Verwaltungsorgan mehrere geschäftsführende Direktoren gleichzeitig, so kann der Satzungsgeber für die Beschlussfassung des Direktorenkollegiums keine Regeln gemäß Art. 50 SE-VO erlassen.659 Auch hier kommt die fehlende Organqualität der geschäftsführenden Direktoren und die daran anknüpfende Unanwendbarkeit der Art. 46 – 51 SE-VO660 zum Tragen. Einfluss auf die innere Ordnung der geschäftsführenden Direktoren kann der Satzungsgeber allerdings gemäß § 40 Abs. 4 SEAG nehmen: 655 Siehe oben Abschnitt „Satzungsregeln über die Bestellung eines oder mehrerer geschäftsführender Direktoren durch das Verwaltungsorgan, § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG“, S. 350, mit den Nachweisen zur Gegenansicht in Fn. 626. 656 Siehe die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 650. 657 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 47 SE-VO Rn. 1 a.E.; Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 47 SE-VO Rn. 3; a.A. Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 47 SE-VO Rn. 21; wohl ebenso J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 610. 658 Siehe oben Abschnitt „Satzungsregeln über die Bestellung eines oder mehrerer geschäftsführender Direktoren durch das Verwaltungsorgan, § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG“, S. 350, mit den Nachweisen zur Gegenansicht in Fn. 631. 659 Drinhausen, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 50 SE-VO Rn. 8; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 3; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 50 SE-VO Rn. 4; a.A. auch hier Schwarz, SE-VO (2006), Art. 50 SE-VO Rn. 1. 660 Siehe bereits oben Abschnitt „Keine satzungsmäßige Festlegung von Amtsdauer und Wiederwahleinschränkungen entsprechend Art. 46 SE-VO“, S. 355, mit den Nachweisen in Fn. 650.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

2. Satzungsregeln zum Geschäftsgang, § 40 Abs. 4 SEAG Gemäß § 40 Abs. 4 Satz 1 SEAG steht es dem Satzungsgeber offen, den Erlass einer Geschäftsordnung für die geschäftsführenden Direktoren, zu dem die geschäftsführenden Direktoren grundsätzlich auch selbst berechtigt sind, an das Verwaltungsorgan zu delegieren. „Einzelfragen der Geschäftsordnung“ kann die Satzung gemäß § 40 Abs. 4 Satz 2 SEAG auch unmittelbar regeln. Der Gesetzgeber orientierte sich also ersichtlich an § 77 Abs. 2 AktG661 und § 34 Abs. 2 SEAG, die mögliche Satzungsregeln zum Geschäftsgang im AG-Vorstand, SE-Leitungsorgan bzw. SE-Verwaltungsorgan beschreiben. Insbesondere § 77 Abs. 2 AktG findet sich in § 40 Abs. 4 Satz 1 SEAG nahezu wortgleich wieder. Der Satzungsgeber kann für die geschäftsführenden Direktoren danach beispielsweise Ressortzuständigkeiten bestimmen662 oder ihnen aufgeben, einen Vorsitzenden oder Sprecher zu wählen.663 Auch insofern sind die Befugnisse des Satzungsgebers jedoch nicht unbegrenzt. Einschränkend wirkt sich zum einen der Wortlaut des § 44 Abs. 4 Satz 2 SEAG aus, der von „Einzelfragen“ spricht, und zum anderen die konkurrierende Kompetenz des Verwaltungsorgans, den Geschäftsgang der Direktoren gemäß § 40 Abs. 4 Satz 1 SEAG zu organisieren und allgemein in eigener Verantwortung über die Leitung der Gesellschaft zu wachen (Art. 43 Abs. 1 Satz 1 SE-VO, § 22 Abs. 1 SEAG).664 Wenigstens bedenklich erscheinen vor diesem Hintergrund Satzungsregeln, die nicht nur einen Direktoren-Vorsitzenden oder -Sprecher verlangen, sondern den Direktoren auch eine weitergehende, hierarchische Struktur vorgeben, in der beispielsweise der Vorsitzende Alleinentscheidungsbefugnisse genießt.665 Derartige satzungsmäßige Vorgaben kommen wohl allenfalls dann in Betracht, wenn sie ausdrücklich unter den Vorbehalt einer abweichenden Entscheidung des Verwaltungsorgans gestellt werden.

III. Satzungsregeln zu Berichtspflichten, § 40 Abs. 6 SEAG Gemäß § 40 Abs. 6 SEAG gilt für die Berichtspflicht der geschäftsführenden Direktoren gegenüber dem Verwaltungsorgan § 90 AktG entsprechend, „sofern die Satzung oder die Geschäftsordnung nicht anderes vorsieht.“ Verglichen mit dem dualistischen System stehen dem Satzungsgeber hier also erheblich mehr Gestal661

So ausdrücklich der RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 39. Thamm, NZG 2008, 132, 134; vgl. auch oben Abschnitt „Satzungsregeln zum Geschäftsgang, § 77 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AktG“, S. 300. 663 Thamm, NZG 2008, 132, 134; vgl. auch oben Abschnitt „Satzungsregeln zum Geschäftsgang, § 77 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AktG“, S. 300, mit Fn. 409. 664 Nicht als Konkurrenz in Frage kommt dagegen ein Selbstorganisationsrecht der geschäftsführenden Direktoren selbst; denn jenen stehen überhaupt keine Organkompetenzen zu, die tauglich wären, um den Satzungsgeber in die Schranken zu weisen. 665 Optimistischer dagegen Thamm, NZG 2008, 132, 134. 662

D. Einfluss auf die geschäftsführenden Direktoren

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tungsmöglichkeiten offen. Hintergrund der Flexibilisierung mag die Erwägung gewesen sein, dass das Verhältnis zwischen Verwaltungsorgan und geschäftsführenden Direktoren auch im Übrigen deutlich vielfältiger ausgestaltet werden kann als das Verhältnis zwischen AG-Vorstand und -Aufsichtsrat, insbesondere was die Möglichkeit (oder den Ausschluss) personeller Überschneidungen zwischen den beiden Gremien betrifft. Gebrauch machen kann der Satzungsgeber von der Ermächtigung beispielsweise durch Erlass einer Informationsordnung, die die in § 90 AktG skizzierten Verfahrensvorgaben ganz oder teilweise666 ersetzt.667 Insbesondere grenzüberschreitenden Konzernen wird dies zu Gute kommen, da diese durch die Loslösung von den gesetzlichen Vorgaben ein erhöhtes Maß an grenzüberschreitender, konzerntyischer Einheitlichkeit erreichen können.668 Überwiegend ebenso für möglich gehalten wird eine individuelle Einschränkung der Berichtspflichten, z. B. auf eine jährliche Lagebesprechung669 oder auf eine Berichterstattung nur an den Exekutivausschuss des Verwaltungsorgans670 – wobei jedoch teilweise zu Bedenken gegeben wird, ob die betroffenen Amts- und Organwalter dann noch ihren Sorgfaltspflichten genügen.671 In der Tat wirft § 40 Abs. 5 Satz 1 SEAG die Frage auf, wie das Verwaltungsorgan und die geschäftsführenden Direktoren zu verfahren haben, wenn ihnen der Satzungsgeber eine untaugliche Informationsordnung an die Hand gibt oder wenn eine zunächst taugliche Informationsordnung wegen geänderter Umstände untauglich wird. Dürfen sie die Versäumnisse des Satzungsgebers in einem Organhaftungsverfahren zu ihrer Entlastung ins Feld führen? Müssen sie eine Satzungsänderung anregen? Oder müssen sie sich eigeninitiativ über die untauglichen Satzungsregeln hinwegsetzen?672 Letzteres erscheint insbesondere bei offensichtlichen Fehlleistungen des Satzungsgebers plau666 Das in § 40 Abs. 5 Satz 1 SEAG verwendete Wort „sofern“ ist korrigierend als „soweit“ zu lesen. 667 So der Vorschlag von Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 40; vgl. auch Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2007, 509, 510 (§ 2 Abs. 1 Satz 2 der Muster-Geschäftsordnung). 668 In diese Richtung bereits Schwarz, ZIP 2001, 1847, 1859, lange Zeit vor Inkrafttreten des SEAG. 669 Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 149 a.E.; Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 281; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 70 a.E.; Marsch-Barner, in: GS Bosch (2006), S. 99, 110 f.; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 195, 210; a.A. wohl Merkt, ZGR 2003, 650, 669. 670 Eder, NZG 2004, 544, 546. 671 Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 40 SEAG Rn. 42; Marsch-Barner, in: GS Bosch (2006), S. 99, 111 (die aber beide offenbar nur den Fall von Versäumnissen des Geschäftsordnungsgebers bedenken); Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 195, 210 f. 672 Möglicherweise in diese Richtung zu verstehen Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 195, 210 f., 213.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

sibel; auf der anderen Seite wären die betroffenen Amts- und Organwalter mit erheblichen Rechtsunsicherheiten bei der Anpassung ihrer Berichts- und Informationsverhaltens belastet, da auch § 90 AktG im monistischen Umfeld nicht in jedem Fall Orientierung bietet. Der Rechtssicherheit und Flexibilität wird daher letztlich am besten gedient sein, wenn der Satzungsgeber sich an dieser Stelle so weit wie möglich zurückhält und den Erlass einer Informationsordnung denjenigen Stellen überlässt, die auch im Übrigen die Verantwortung für die Organisation tragen.

IV. Satzungsregeln zur Vertretungsbefugnis Wiederum deutlich an das Recht des AG-Vorstands bzw. des SE-Leitungsorgans angelehnt sind die Befugnisse des Satzungsgebers in Bezug auf die Vertretungsmacht der geschäftsführenden Direktoren. Ähnlich § 78 Abs. 2 und 3 AktG673 stellt § 41 Abs. 2 und 3 SEAG dem gesetzlichen Grundsatz der aktiven Gesamtvertretungs- und passiven Einzelvertretungsbefugnis eine an den Satzungsgeber gerichtete Befugnis zur Seite, einzelnen geschäftsführenden Direktoren aktive Einzelvertretungsmacht einzuräumen.674

V. Einfluss auf die Vergütung der geschäftsführenden Direktoren 1. Festsetzung der Vergütung Jedenfalls für die unmittelbare Festsetzung der Vergütung der geschäftsführenden Direktoren ist nicht die Hauptversammlung, sondern ausschließlich das Verwaltungsorgan zuständig.675 Dies wird im SEAG nicht ausdrücklich bestimmt, ergibt sich jedoch klar aus einem Abgleich zwischen § 38 Abs. 1 SEAG, der für die Verwaltungsorgan-Vergütung auf § 113 AktG verweist, und § 40 Abs. 7 SEAG, der unter anderem auf § 87 AktG verweist, welcher wiederum die Leitlinien enthält, nach denen der AG-Aufsichtsrat die Vorstandsvergütung festzulegen hat. Ist ein Verwaltungsorganmitglied gleichzeitig geschäftsführender Direktor, so spaltet sich seine Vergütung (sofern beide Ämter vergütet werden) daher in zwei Teile auf, von denen der eine Teil von der Hauptversammlung nach § 113 AktG

673

Hierzu bereits oben Abschnitt „Satzungsregeln zur Vertretungsbefugnis“, S. 301. Exemplarisch Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2477 (§ 7 Abs. 1 Satz 1 der Mustersatzung); Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.850 (§ 20 der Mustersatzung). 675 Im Ergebnis wohl unstreitig; siehe nur RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 39; Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 289; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 40 SEAG Rn. 63. 674

D. Einfluss auf die geschäftsführenden Direktoren

361

festgesetzt wird und der andere Teil vom Verwaltungsorgan.676 Zu einer rechtlichen Vereinheitlichung dieser beiden Vergütungselemente oder der Regeln, nach denen sie sich bemessen, kommt es nicht. Eine solche Vereinheitlichung wäre auch wenig funktional, da die Regeln über die Amtszeiten in den beiden Ämtern ebenfalls unterschiedlichen Regeln folgen. Ein praktisches Bedürfnis, zwischen Direktoren- und Verwaltungsorgan-Vergütung zu trennen, liegt daher spätestens dann auf der Hand, wenn ein geschäftsführendes Verwaltungsorganmitglied aus einem seiner beiden Ämter ausscheidet, ohne das andere aufzugeben. Individualvertraglich können die beiden Vergütungselemente jedoch miteinander verknüpft werden, z. B. indem das Ruhen der Verwaltungsorganvergütung während der Tätigkeit als geschäftsführender Direktor vereinbart wird.677 Letzteres ist auch steuerrechtlich attraktiv, wenn man sich der umstrittenen Ansicht678 anschließen will, nach der die Verwaltungsorganvergütung entsprechend § 10 Nr. 4 KStG nur zur Hälfte als Betriebsausgabe absetzbar ist. 2. Vergütungsvotum analog § 120 Abs. 4 AktG? Weitgehend offen ist schließlich die Frage, ob der Hauptversammlung analog § 120 Abs. 4 AktG ein Votum über das für die geschäftsführenden Direktoren gültige Vergütungssystem abgeben kann.679 Hiergegen spricht auf den ersten Blick die Tatsache, dass § 40 Abs. 7 SEAG für die Vergütung der Direktoren nur auf § 87 AktG verweist und § 120 Abs. 4 AktG unerwähnt lässt. Dem Gesetzgeber von 2004 war es freilich bereits aus zeitlichen Gründen unmöglich, einen solchen Verweis aufzunehmen, da § 120 Abs. 4 AktG erst im Zuge des VorstAG 2009 eingeführt wurde. Letzteres Gesetz schenkte der Rechtslage der deutschen SE – ganz anders als noch das vorhergehende ARUG – keine Aufmerksamkeit und enthielt insbesondere keine SE-spezifischen Vorschriften, obwohl es gute Gründe hierfür ge-

676

Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 251, 290; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 57; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 40 SEAG Rn. 65; a.A. Manz, in: Manz/Mayer/ Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 Rn. 121. 677 Zutreffend Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 57. 678 Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 38 SEAG Rn. 16; Büsching, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 14. Kap. Rn. 203; a.A. (§ 10 Nr. 4 KStG auf alle SE-Verwaltungsorganmitglieder unanwendbar) Schön, in: Lutter/Hommelhoff, SEKo., 2. Aufl. (2015), Teil D Rn. 42 f.; ausführlich auch ders., in: FS Haarmann (2015), S. 875 ff.; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 38 SEAG) Rn. 9; differenzierend Preißer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Teil D, Kap. 1 Rn. 127 (§ 10 Nr. 4 KStG nur für nichtgeschäftsführende Verwaltungsorganmitglieder). 679 Gestreift wird die Frage, soweit ersichtlich, nur von Forst, ZIP 2010, 1786, 1788 (Anwendung des § 120 Abs. 4 AktG folge „den allgemeinen Regeln“).

362

4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

geben hätte.680 Die Tatsache, dass in § 40 Abs. 7 SEAG kein Verweis auf § 120 Abs. 4 AktG aufgenommen wurde, lässt daher kaum auf eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers schließen, sondern könnte ebenso dem allgemeinen Fehlen SE-spezifischer VorstAG-Elemente und damit einer reinen Gedankenlosigkeit des Gesetzgebers geschuldet sein. Gegen eine entsprechende Anwendung des § 120 Abs. 4 AktG auf die geschäftsführenden Direktoren spricht jedoch der in § 22 Abs. 6 SEAG enthaltene Grundsatz, wonach sich Vorstand- und Aufsichtsratskompetenzen im Verwaltungsorgan vereinigen, während die geschäftsführenden Direktoren weitgehend die Rolle der ersten Führungsebene unterhalb des AG-Vorstands übernehmen, ohne selbst Organqualität zu gewinnen.681 Auch wenn der Freiheit des Verwaltungsorgans, über die Vergütung der geschäftsführenden Direktoren zu entscheiden, in § 40 Abs. 7 SEAG, § 87 AktG gewisse materielle Schranken aufgezeigt werden, entspricht sie ihrem Charakter nach eher der Freiheit des Vorstands, über die Vergütung der ihm untergebenen AG-Angestellten zu entscheiden, als der Freiheit des Aufsichtsrats, über die Vorstandsvergütung zu entscheiden. Zu einer entsprechenden charakterlichen Änderung des Vergütungsvotums käme es, wollte man § 120 Abs. 4 AktG analog auf die Direktorenvergütung anwenden. In systematischer Hinsicht handelt es sich bei dem fehlenden Verweis des § 40 Abs. 7 SEAG auf § 120 Abs. 4 AktG damit um eine Regelungslücke, deren Planwidrigkeit unklar ist, für die eine vergleichbare Interessenlage jedoch ausgeschlossen werden kann. Die Hauptversammlung beschließt daher nicht analog § 120 Abs. 4 AktG über die Vergütung der geschäftsführenden Direktoren.

VI. Einfluss auf Geschäftsführungsmaßnahmen 1. Kein allgemeines Weisungsrecht Auf welchem Weg kann die Hauptversammlung auf die Geschäftsführungsmaßnahmen der Direktoren Einfluss nehmen? Blickt man unbefangen auf den Wortlaut des § 44 Abs. 2 SEAG, so scheint die Antwort auf der Hand zu liegen. Denn die Rede ist dort von einer Pflicht der geschäftsführenden Direktoren, „die Anweisungen und Beschränkungen zu beachten, die im Rahmen der für die SE geltenden Vorschriften die Satzung, der Verwaltungsrat, die Hauptversammlung und die Geschäftsordnungen des Verwaltungsrats und der geschäftsführenden Direktoren für

680

Völlig offen ließ der Gesetzgeber etwa die Frage, inwieweit die ebenfalls neu eingeführte Karenzzeit nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG auch für die monistische SE gilt; hierzu näher Abschnitt „Monistisches Modell“, S. 452. 681 Siehe oben Abschnitt „Keine satzungsmäßige Festlegung von Amtsdauer und Wiederwahleinschränkungen entsprechend Art. 46 SE-VO, S. 355, mit den Nachweisen in Fn. 650 und 652.

D. Einfluss auf die geschäftsführenden Direktoren

363

die Geschäftsführungsbefugnis getroffen haben.“682 Das scheint darauf hinzudeuten, dass die Hauptversammlung gegenüber den geschäftsführenden Direktoren dasselbe Weisungsrecht genießt wie das Verwaltungsorgan. Zwingend ist dieses Verständnis des Satzbaus jedoch nicht, da auch „Anweisungen“ selbstverständlich nicht aus der Satzung und den Geschäftsordnungen stammen können, welche in § 44 Abs. 2 SEAG ebenfalls als limitierende Faktoren genannt werden. Blickt man auf den Rest des Kompetenzdreiecks zwischen Verwaltungsorgan, Hauptversammlung und geschäftsführenden Direktoren, so spricht noch mehr gegen eine Weisungsabhängigkeit der geschäftsführenden Direktoren gegenüber der Hauptversammlung. Denn bereits das Verwaltungsorgan – als dessen verlängerter, ausführender Arm die geschäftsführenden Direktoren fungieren – ist nicht abhängig von Weisungen der Hauptversammlung. Noch weniger kann die Hauptversammlung daher berechtigt sein, am Verwaltungsorgan vorbei unmittelbar Weisungen an die vom Verwaltungsorgan abhängigen Direktoren zu erteilen.683 Überdies würde eine Auslegung des § 44 Abs. 2 SEAG als generalklauselartige Geschäftsführungskompetenz der Hauptversammlung die enumerative, auf katalogisierte Einzelermächtigungen beruhende Systematik der Hauptversammlungskompetenzen grundlegend umgestalten. Darauf, dass der deutsche Gesetzgeber dies im Sinn gehabt haben könnte – zumal an einem derart unscheinbaren Regelungsort –, deutet nichts hin. Der in § 44 Abs. 2 SEAG verwendete Begriff „Anweisungen“ bezieht sich daher richtigerweise nur auf das Verwaltungsorgan, auch wenn dies in der unnötig komplexen Formulierung auf den ersten Blick anders erscheint.684 Die allgemeine Ansicht, nach der die Hauptversammlung den geschäftsführenden Direktoren keine Weisungen erteilen darf,685 verdient folglich Zustimmung. 2. Keine Entscheidung über vorgelegte Geschäftsführungsmaßnahmen entsprechend § 119 Abs. 2 AktG Anders als das Verwaltungsorgan sind die geschäftsführenden Direktoren nicht berechtigt, entsprechend § 119 Abs. 2 AktG eine Entscheidung der Hauptversammlung einzuholen. Denn auch im monistischen Umfeld besteht eine Vorlagebefugnis nur insoweit, als die vorgelegte Maßnahme in den originären Kompe682

Kein Kursivdruck im Original. Zutreffend Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 165; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 44 SEAG Rn. 6. 684 Zutreffend Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 44 SEAG Rn. 6. 685 Im Ergebnis übereinstimmend Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 43 SE-VO Rn. 165; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 44 SEAG) Rn. 9; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 44 SEAG) Rn. 6; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 44 SEAG Rn. 6; Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn. § 3 Rn. 27 f.; Ihrig, ZGR 2008, 809, 818 f. 683

364

4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

tenzbereich des Vorlegenden fällt. § 119 Abs. 2 AktG kann – mit anderen Worten – von keinem Organ bzw. Gremium genutzt werden, um eine bestimmte Maßnahme, die in den Kompetenzbereich einer anderen Stelle fällt, diesem Kompetenzbereich zu entnehmen und in die Hände der Hauptversammlung zu legen. Gerade hierzu würde es aber bei Vorlage einer Maßnahme durch die geschäftsführenden Direktoren kommen. Denn wegen der umfassenden Oberleitungskompetenz des Verwaltungsorgans (Art. 43 Abs. 1 Satz 1 SE-VO, § 22 Abs. 1 SEAG) und der ebenso umfassenden Abhängigkeit der geschäftsführenden Direktoren vom Verwaltungsorgan steht den Direktoren kein autonomes Betätigungsfeld zu, in den sich das Verwaltungsorgan nicht einmischen dürfte. Dieses Gefüge wäre durchbrochen, wenn es den Direktoren zustünde, sich nach eigenem Ermessen in Bezug auf einzelne Maßnahmen dem Einfluss des Verwaltungsorgans zu entziehen und stattdessen einem Hauptversammlungsbeschluss zu unterwerfen. Den geschäftsführenden Direktoren steht es daher allenfalls offen, eine Vorlage durch das Verwaltungsorgan anzuregen. 3. Gelatine-Grundsätze? Sofern und soweit man die in den BGH-Entscheidungen „Gelatine“686 und „Holzmüller“687 entwickelten ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz auch für die monistische SE anerkennen will,688 werden davon in erster Linie Maßnahmen erfasst sein, die nach der geschriebenen Kompetenzordnung Sache des Verwaltungsorgans gewesen wären. Denn typischerweise betroffen ist gerade nicht der Bereich der laufenden Geschäftsführung, sondern Entscheidungen über die „Grundlinien“ der Gesellschaft (vgl. § 22 Abs. 1 SEAG), wie etwa die Übertragung zentraler Assets und Aktivitäten auf Tochtergesellschaften. Gänzlich unbeachtlich sind die Gelatine-Grundsätze aus Sicht der geschäftsführenden Direktoren jedoch ebenfalls nicht. Denn bei grundlegenden Geschäftsführungsmaßnahmen obliegt es ihnen gemäß § 41 Abs. 1 SEAG wenigstens, die Gesellschaft nach außen hin zu vertreten (z. B. beim Abschluss der entscheidenden Kauf- und Übertragungsverträge). Eine solche Vertretungshandlung bedarf zu ihrer Rechtmäßigkeit (nicht aber zu ihrer Wirksamkeit) in derselben Weise eines Hauptversammlungsbeschlusses wie die vorherige Entscheidung des Verwaltungsorgans.689

686 687 688 689

Rn. 6.

BGH, NZG 2004, 571; BGH, NZG 2004, 575. BGH, NJW 1982, 1703. Hierzu bereits oben Abschnitt „Gelatine-Grundsätze?“, S. 346. In dieselbe Richtung Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 44 SEAG

D. Einfluss auf die geschäftsführenden Direktoren

365

VII. Entlastung? Die Entlastungskompetenz der Hauptversammlung aus § 119 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2, § 120 Abs. 1 – 3 AktG gilt über Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO auch für die deutsche SE, und zwar sowohl für die dualistische als auch für die monistische Verfassung.690 Nicht recht deutlich wird jedoch, ob die Hauptversammlung auch über die Entlastung der geschäftsführenden Direktoren beschließt. Dies wird teilweise wie selbstverständlich bejaht,691 teilweise offen gelassen692 und so gut wie nirgends ausdrücklich abgelehnt.693 Soweit ein Entlastungsbeschluss der Hauptversammlung auch in Bezug auf die geschäftsführenden Direktoren für statthaft gehalten wird, mag dem die Vorstellung einer Parallelität zwischen dem Vorstand-Aufsichtsrats-Dualismus, einerseits, und der Aufgabenverteilung zwischen Verwaltungsorgan und geschäftsführenden Direktoren, andererseits, zugrunde liegen. § 22 Abs. 6 SEAG spricht jedoch eine andere Sprache: Danach verschmelzen im monistischen System die Kompetenzen von AGVorstand und -Aufsichtsrat grundsätzlich beim dem Verwaltungsorgan; die geschäftsführenden Direktoren dagegen werden gerade nicht als eine Art monistischer Vorstand positioniert, sondern sind viel eher vergleichbar mit der zweiten Führungsebene einer deutschen AG.694 Ferner ist die Entlastung im Aktiengesetz ausschließlich als Element der organschaftlichen Beziehung zwischen Hauptversammlung und Verwaltung installiert. Eine solche Beziehung besteht aber nicht zwischen der SE-Hauptversammlung und den geschäftsführenden Direktoren (mangels Organqualität letzterer695). Eine Anwendung der § 119 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2, § 120 Abs. 1 – 3 AktG auf die geschäftsführenden Direktoren würde dem aktiengesetzlichen Entlastungskonzept daher eine

690 Siehe oben Abschnitte „Entlastung“, S. 273, „Entlastung“, S. 316, und „Entlastung“, S. 348. 691 Ohne nähere Begründung insoweit jeweils Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 Rn. 30 a.E.; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 30 a.E.; Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.850 (§ 22 Abs. 3 Satz 1 der Mustersatzung); offenlassend dagegen dies., in: Van Hulle/Maul/ Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. 16. 692 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 52 SE-VO Rn. 28; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2009), Art. 52 SE-VO Rn. 28 a.E.; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 52 SE-VO Rn. 13; Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2482 (§ 19 Abs. 2 der Mustersatzung); Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 282. 693 Die einzige Gegenstimme stammt von Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 148 – 150, der eine Entlastungskompetenz der SE-Hauptversammlung allerdings durchweg ablehnt. 694 Vgl. bereits oben Abschnitt „Monistische SE“, S. 346. 695 Siehe bereits oben Abschnitt „Keine satzungsmäßige Festlegung von Amtsdauer und Wiederwahleinschränkungen entsprechend Art. 46 SE-VO“, S. 355, mit den Nachweisen in Fn. 650.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

neue Dimension verleihen, für die sich weder im Gesetzes- und Verordnungstext noch in den begleitenden Materialien eine Grundlage findet. Und auch in der Sache ergäbe die mit dem Entlastungsbeschluss verbundene Zufriedenheits- und Vertrauenskundgabe in Bezug auf die geschäftsführenden Direktoren nur eingeschränkt Sinn. Denn jene leiten die Gesellschaft gerade nicht in eigener Verantwortung, sondern versehen die Geschäftsführung in dem vom Verwaltungsorgan vorgegebenen organisatorischen Rahmen. Jede Zufriedenheits- oder Unzufriedenheitsäußerung mit der Arbeit der geschäftsführenden Direktoren fiele daher zu einem ganz erheblichen Teil auf das Verwaltungsorgan zurück, über dessen Entlastung die Hauptversammlung ohnehin beschließt. Die besseren Gründe sprechen daher gegen eine Entlastungskompetenz der Hauptversammlung in Bezug auf die geschäftsführenden Direktoren. Die Zufriedenheit mit den geschäftsführenden Direktoren stellt sich aus Sicht der Aktionäre vielmehr als Element der Zufriedenheit mit dem Verwaltungsorgan dar. Zu dessen Aufgaben gehört es, fähige Direktoren zu bestellen, zu überwachen und ggf. anzuweisen oder auszuwechseln. Eine gute (oder schlechte) Leistung der geschäftsführenden Direktoren im Geschäftsjahr rechtfertigt daher aus Sicht der Aktionäre nicht mehr und nicht weniger als eine Entlastung bzw. Nichtentlastung des Verwaltungsorgans.

E. Selbstorganisationsrechte der Hauptversammlung Innerhalb des Binnenbereichs der Gesellschaft beeinflusst die Hauptversammlung nicht nur die Besetzung, das Handeln und die Ordnung der Verwaltung, sondern auch ihre eigene Organisation.

I. Einberufung 1. Bestimmung der für die Einberufung zuständigen Personen, § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG? Gemäß § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG kann die Satzung einer deutschen AG auch solchen Personen eine Einberufungsberechtigung verleihen, die nach dem Gesetz nicht dafür zuständig wären. Diese Option für den Satzungsgeber wird teilweise auf die deutsche SE übertragen. Art. 54 Abs. 2 Var. 4 SE-VO lasse hierfür Platz, indem er die Einberufung auch „jedem anderen Organ … nach den für Aktiengesellschaften im Sitzstaat der SE maßgeblichen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften“ gestatte. Der SE-Satzungsgeber sei daher nur insoweit eingeschränkt, als er gemäß § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG, Art. 54 Abs. 2 Var. 4 SE-VO die Einberufungsberechtigung nur an Organe verleihen dürfe.

E. Selbstorganisationsrechte der Hauptversammlung

367

Gremien ohne Organqualität, einzelne Organmitglieder oder sonstige Einzelpersonen dürften wegen des Wortlauts des Art. 54 Abs. 2 SE-VO nicht ermächtigt werden.696 Eine weitere Ansicht697 will § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG sogar in vollem Umfang anwenden. Art. 54 Abs. 2 SE-VO sperre die mitgliedstaatlichen Einberufungskompetenzen nämlich nicht. Ein dritte Ansicht698 spricht sich gegen diese Möglichkeit aus. Wegen der Weite der Ermächtigung in § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG und der Verengung der Einberufungsberechtigung nach Art. 54 Abs. 2 SE-VO auf SE-Organe gelte § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG insgesamt nicht für die SE. Eine wiederum andere Ansicht699 vertritt die Auffassung, „andere Organe“ im Sinne des Art. 54 Abs. 2 Var. 4 SE-VO, die der SE-Satzungsgeber im Einzelfall einrichte, seien durch Art. 54 Abs. 2 SE-VO bereits ohne weiteres zur Einberufung berechtigt. Sie müssten nicht erst durch eine Satzungsbestimmung im Sinne des § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG hierzu ermächtigt werden. Andere „Personen“ im Sinne des § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG, denen keine Organqualität im Sinne des Art. 54 Abs. 2 Var. 4 SE-VO zukomme, könnten auf SE-Ebene dagegen nicht ermächtigt werden, da Art. 54 Abs. 2 SE-VO den Kreis der Einberufungsberechtigten abschließend beschreibe. § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG finde auf die deutsche SE daher keine Anwendung. Die beiden zuletzt genannten Ansichten verdienen im Ergebnis den Vorzug. Entgegen steht der Anwendbarkeit des § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG auf die SE allerdings nicht der Gesichtspunkt, dass § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG („Personen“) und Art. 54 Abs. 2 Var. 4 („jedem anderen Organ“) einen unterschiedlichen Kreis potenziell Einberufungsberechtigter im Auge haben – in diesem Fall wäre in der Tat daran zu denken, über § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG wenigstens eine satzungsmäßige Einrichtung und Ermächtigung solcher Gremien zuzulassen, die als „anderes Organ“ im Sinne des Art. 54 Abs. 2 Var. 4 SE-VO in Frage kommen. Entscheidend ist vielmehr, dass Art. 54 Abs. 2 Var. 4 SE-VO in der deutschen SE überhaupt keinen Anwendungsbereich hat. Dem deutschen SE-Satzungsgeber ist es nämlich nicht gestattet, neben den in Art. 38 SE-VO aufgeführten zwingenden SE-Organen weitere 696

Schwarz, SE-VO (2006), Art. 54 Rn. 12. Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 54 SE-VO Rn. 9, dessen Verweis auf eine „ganz h.M.“ freilich fehl geht. 698 Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 54 SE-VO Rn. 15. 699 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 182; im Anschluss Bücker, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 54 SE-VO Rn. 15 (der dem Satzungsgeber aber die Möglichkeit geben will, einem fakultativen SE-Organ seine Einberufungskompetenz abzuerkennen); im Ergebnis wohl ebenso Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 54 SE-VO Rn. 3; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 54 SE-VO Rn. 20; Mayer, in: Manz/ Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 54 SE-VO Rn. 8 f., 22. 697

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Organe einzurichten.700 Art. 54 Abs. 2 Var. 4 SE-VO taugt daher nicht als Grundlage, um die entsprechende Geltung des § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG für die SE zu rechtfertigen. Im Gegenteil: Da allein die in Art. 54 Abs. 2 SE-VO ausdrücklich benannten Organe (Leitungs-, Aufsichts- und Verwaltungsorgan) berechtigt sind, die Hauptversammlung einer deutschen SE einzuberufen, ist der Weg über Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO zur aktiengesetzlichen Satzungsfreiheit versperrt. § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG ist damit auf die deutsche SE vollständig unanwendbar. Der Satzungsgeber darf die Einberufungsberechtigung des Leitungs- und Aufsichtsorgans bzw. des Verwaltungsorgans nicht durch Einberufungsberechtigungen weiterer Personen, Organe oder Gremien ergänzen. 2. Beschluss über die Einberufung einer Hauptversammlung, § 124 Abs. 4 Satz 2 AktG Aus § 124 Abs. 4 Satz 2 AktG geht hervor, dass die AG-Hauptversammlung auch über ihre eigene Einberufung beschließen kann, etwa wenn die laufende Hauptversammlung vertagt werden soll.701 Gemäß Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO kann diese Kompetenz ohne weiteres auf die Hauptversammlung einer deutschen SE übertragen werden.702 Keine Verbindung besteht dagegen zwischen § 124 Abs. 4 Satz 2 AktG und den in Art. 54 Abs. 2, Art. 55 SE-VO geregelten Einberufungszuständigkeiten. Denn die betreffende Hauptversammlung wird nicht unmittelbar durch den Beschluss nach § 124 Abs. 4 Satz 2 AktG einberufen; vielmehr richtet sich der Beschluss inhaltlich an das jeweils für die Einberufung zuständige Organ, das anschließend selbstständig die Einberufung vornimmt und dessen Einberufungszuständigkeit durch den Hauptversammlungsbeschluss nicht berührt wird. 3. Satzungsregel über den Ort der Hauptversammlung, § 121 Abs. 5 AktG Gemäß § 121 Abs. 5 AktG, der über Art. 53 SE-VO auch für die deutsche SE gilt,703 steht es dem Satzungsgeber zunächst frei, den Ort der Hauptversammlung zu 700 Hierzu ausführlich unten Abschnitt „Einrichtung weiterer Organe und Gremien?“, S. 355. 701 Siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 124 Rn. 29; Rieckers, in: Spindler/ Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 124 Rn. 50. 702 Ebenso, aber ohne Nennung der einschlägigen Verweisungsnorm: Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 284. 703 Ganz h.M.; siehe nur Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 53 SEVO Rn. 8; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 53 SE-VO Rn. 7; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 53 Rn. 10; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 237 f.; jeweils mit weiteren Nachweisen.

E. Selbstorganisationsrechte der Hauptversammlung

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regeln. Entscheidet sich der Satzungsgeber für eine Regelung, so darf er sich einerseits nicht mit einer bloßen Delegation an die Verwaltung begnügen und andererseits nicht durch allzu außergewöhnliche Anforderungen unzumutbaren Anreisehürden für die Aktionäre aufstellen.704 Zulässig und beliebt ist es dagegen beispielsweise, als Hauptversammlungsort eine Stadt zu bestimmen, die eine bestimmte Mindesteinwohnerzahl erreicht.705 Auch ein Ort im Ausland kann gewählt werden,706 solange er ähnlich gut erreichbar ist wie ein deutscher Ort. Das gilt in jedem Fall für Orte in Nachbarstaaten und sonstige europäische Großstädte mit Bahn-, Autobahn- und Flughafenanbindung.707 Mit dem häufig ins Feld geführten708 europäischen Charakter der SE hat dies freilich nichts zu tun, da die Rechtsform nicht als Garant für einen besonders reisefreudigen oder im Ausland ansässigen Aktionärskreis taugt. AG und SE genießen hier vielmehr dieselben Freiheiten.709

704 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 53 SE-VO Rn. 8; illustrativ Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 53 SE-VO Rn. 9 (kein „abgelegenes Gebirgsdorf“). 705 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 53 SE-VO Rn. 8 Fn. 17 mit Praxisbeispielen. 706 Für die SE ganz h.M.: BGH, NJW 2015, 336, 337 f.; Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 53 SE-VO Rn. 10; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 53 SE-VO Rn. 4; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 53 SE-VO Rn. 9; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 53 SE-VO Rn. 10; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 53 Rn. 10; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 53 SE-VO Rn. 9; ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 238 f.; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 176 f.; dasselbe kann mittlerweile wohl auch für die deutsche AG als gesicherte Erkenntnis verbucht werden: Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 121 AktG Rn. 44; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 121 Rn. 15; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 121 Rn. 88, 92 f.; Liebscher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 121 AktG Rn. 25; Reger, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 121 Rn. 24; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. B. Rn. 14; Biehler, NJW 2000, 1243; Bungert, AG 1995, 26; die wenigen Gegenstimmen zur AG (siehe die Nachweise bei Brandt, a.a.O., S. 175 Fn. 978) stammen aus den 70er, 80er und frühen 90er Jahren und dürften allein wegen der geänderten tatsächliche Verhältnisse überholt sein. 707 Zu eng Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 121 Rn. 92, der eine Flug- oder Seereise für unzumutbar hält und daher beispielsweise keine satzungsmäßige Verlagerung auf die deutschen Nord- und Ostseeinseln erlauben will (aber wohl keine Bedenken gegen eine Verlagerung nach London hätte). 708 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 53 Rn. 10 (§ 121 Abs. 5 AktG sei „SE-spezifisch auszulegen, um jedenfalls für die SE eine gemeinschaftsweite Präsenz zu ermöglichen.“); Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 237 f. („EU-freundliche Auslegung des § 121 Abs. 5 AktG“); ebenso noch Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. (2010), Art. 53 SE-VO Rn. 4. 709 Zutreffend BGH, NJW 2015, 336, 337; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 53 SEVO Rn. 9.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

4. Sonstige Bestimmungen über die Einberufung Auch im Übrigen stehen der SE-Hauptversammlung bzw. dem SE-Satzungsgeber nahezu dieselben Kompetenzen zu wie ihren Pendants in der deutschen AG. Das gilt insbesondere für die Gestaltung eines Anmeldeerfordernisses und Satzungsbestimmungen über die Teilnahme- und Stimmberechtigung. Die einschlägigen Satzungsermächtigungen aus § 123 Abs. 2 – 3 AktG gelten gemäß Art. 53 SE-VO ohne weiteres auch für die deutsche SE.710

II. Leitung 1. Satzungsregelung zum Vorsitz in der Hauptversammlung a) Dualistische SE Für die satzungsmäßige Bestimmung des Hauptversammlungsleiters in der dualistischen SE ergeben sich gegenüber dem Recht der deutschen AG keine Besonderheiten: Zulässig und beliebt sind etwa die Übertragung der Leitung auf den Vorsitzenden des Aufsichtsorgans,711 eine Wahl durch das Aufsichtsorgan712 oder eine Wahl nur durch die Anteilseignervertreter des Aufsichtsorgans.713 b) Monistische SE Problematisch ist dagegen, ob die Satzung auch dem Verwaltungsorganvorsitzenden einer monistischen SE die Hauptversammlungsleitung übertragen kann.714 In der Literatur wird eine solche Übertragung teilweise für unzulässig erachtet, da die

710 Ganz h.M.: Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 53 SE-VO Rn. 14; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 53 SE-VO Rn. 5; Kiem, in: KKAktG, 3. Aufl. (2010), Art. 53 SE-VO Rn. 15; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), Art. 53 SE-VO Rn. 13; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 223; exemplarisch Lutter/Kollmorgen/ Feldhaus, BB 2005, 2473, 2481 (§ 14 Abs. 1 – 3 der Mustersatzung); Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.850 (§ 24 der Mustersatzung). 711 Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.850 (§ 26 der Mustersatzung); für die AG: Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. B. Rn. 9; Fischer/Pickert, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 9 Rn. 4; Wicke, NZG 2007, 771; sowie der rechtstatsächliche Befund bei Bayer/ Hoffmann, AG-Report 2012, R339 (Aufsichtsratsvorsitzender als primärer Leiter der Hauptversammlung lt. Satzungen von 101 aus 105 DAX-, MDAX- und TecDAX-Gesellschaften). 712 Für die AG siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl (2014), § 129 Rn. 18. 713 Für die AG: Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl (2014), § 129 Rn. 18; exemplarisch § 19 Abs. 1 Satzung Deutsche Bank AG; hierzu OLG Frankfurt am Main, WM 2011, 221, 226 f. 714 Zur Bedeutung dieser Frage im Rahmen des § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG, Art. 53 SE-VO siehe oben Abschnitt „Protokoll, § 130 AktG“, S. 104.

E. Selbstorganisationsrechte der Hauptversammlung

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Funktionen von AG-Vorstand und SE-Verwaltungsorgan vergleichbar seien.715 Andere Stimmen wollen – noch weitergehend – „aus Gründen der Neutralität“ sämtliche Verwaltungsorganmitglieder vom Amt des Versammlungsleiters ausschließen.716 Wiederum andere halten eine Übertragung auf den Vorsitzenden (und wohl auch auf andere Mitglieder) für zulässig, raten jedoch der guten Corporate Governance wegen von ihr ab.717 Von einer vierten Ansicht wird eine satzungsmäßige Übertragung der Versammlungsleitung an den Verwaltungsorganvorsitzenden bedenkenlos empfohlen.718 Und eine fünfte Ansicht schließlich will nur eine Übertragung auf die nicht geschäftsführenden Verwaltungsorganmitglieder zulassen.719 Nicht schlüssig erscheint zunächst die erstgenannte Ansicht, nach der nur der Vorsitzende des Verwaltungsorgans se von der Versammlungsleitung ausgeschlossen ist, nicht aber die übrigen Organmitglieder. Denn wenn man dem Argument folgt, nach dem AG-Vorstand und SE-Verwaltungsorgan funktional vergleichbar sind, kann der Ausschluss das SE-Verwaltungsorgan nur insgesamt und nicht nur teilweise betreffen. Die Bedenken an einer generellen Inkompatibilität zwischen Verwaltungsorganund Versammlungsleiteramt indes erscheinen auf den ersten Blick einleuchtend. Es trifft nämlich zu, dass die Verwaltungsorganmitglieder in der Hauptversammlung genauso wie der AG-Vorstand zuvorderst Rechenschaft gegenüber den Aktionären abzulegen haben; dieses Rechenschaft-Ablegen erscheint nicht recht vereinbar mit der Rolle eines neutralen Moderators der Veranstaltung. Andererseits stehen in der monistischen SE keine Organmitglieder zur Verfügung, die – ähnlich den AGAufsichtsratsmitgliedern – nur eine überwachende Funktion ausüben und als Versammlungsleiter einspringen könnten. Vielmehr hat der deutsche Gesetzgeber die Geschäftsführungsaufgaben des AG-Vorstands und die Überwachungsaufgaben des AG-Aufsichtsrats in § 22 Abs. 6 SEAG auf das SE-Verwaltungsorgan konzentriert; der Platz zwischen Geschäftsleitung und Aktionären bleibt in der monistischen Corporate Governance also leer. Das Argument, das SE-Verwaltungsorgan entspreche funktional dem AG-Vorstand und seine Mitglieder seien daher von der Versammlungsleitung ausgeschlossen, wird daher gleichsam neutralisiert durch die Tatsache, dass das Verwaltungorgan funktional ebenso dem AG-Aufsichtsrat ent-

715 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. (2010), Art. 45 SE-VO Rn. 6 (zurückhaltender nunmehr ders., a.a.O., in der 3. Aufl.). 716 Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko., 1. Aufl. (2008), Art. 53 SE-VO Rn. 26 (etwas zurückhaltender ders., a.a.O., in der 2. Aufl.); ebenso Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), Art. 53 SE-VO Rn. 18. 717 Bachmann, ZGR 2008, 779, 789 f.; Casper, ZHR 173 (2009), S. 181, 216. 718 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 45 SE-VO Rn. 16; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 45 SE-VO Rn. 14 a.E.; Eder, NZG 2004, 544, 546; Lutter/ Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2481 (§ 15 Abs. 1 der Mustersatzung); Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.850 (§ 25 der Mustersatzung). 719 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 53 SE-VO Rn. 22.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

spricht und seine Mitglieder unter diesem Blickwinkel durchaus in den Kreis möglicher Versammlungsleiter aufgenommen werden können. Hinzu kommt, dass die Alternative, einen nicht organangehörigen Versammlungsleiter zu bestellen, wenig sinnvoll erscheint. Denn in Frage käme wohl nur ein Aktionärsvertreter oder ein externer Dienstleister wie beispielsweise ein Rechtsanwalt oder Notar. In beiden Fällen würde der Verzicht auf eine verwaltungsinterne Verwurzelung des Versammlungsleiters nicht durch ein Plus an Neutralität aufgewogen: Auftraggeber des externen Dienstleisters wäre nämlich wiederum das Verwaltungsorgan, und ein Aktionärsvertreter sähe sich zu leicht dem Vorwurf ausgesetzt, die Aktionärsinteressen asymetrisch zu vertreten, nämlich zugunsten der eigenen Position und zu Lasten der übrigen Aktionäre – was insbesondere dann eine Rolle spielen würde, wenn die Aktionäre in zwei oder mehrere Lager gespalten sind (z. B. Ankeraktionär und Streubesitz). Richtigerweise darf der Satzungsgeber in der monistischen SE daher auch Verwaltungsorganmitglieder, einschließlich des Organvorsitzenden, zum Leiter der Hauptversammlung bestimmen. Ob bereits die Zeit gekommen ist, die ein oder andere Entscheidung des Satzungsgebers in dieser Hinsicht für mehr oder weniger vereinbar mit den Grundsätzen guter Unternehmensführung zu halten, erscheint angesichts der immer noch eingeschränkten Praxisrelevanz der monistischen SE zweifelhaft. Vorzugswürdig ist es daher, den Gestaltungsideen der Praxis freien Raum zu lassen und erst auf Basis konkreter Erfahrungswerte Empfehlungen auszusprechen. 2. Wahl und Abwahl des Versammlungsleiters Auch wenn eine Satzungsbestimmung zur Person des Hauptversammlungsleiters zu den beliebtesten Satzungsbestandteilen gehört, darf sich der Satzungsgeber auch einer Regelung enthalten. Fehlt es gleichzeitig an einer einschlägigen Regelung in der Geschäftsordnung, so stellt sich die Frage, ob und auf welche Weise das Wahlrecht in die Hände der Hauptversammlung fällt. Ebenso ist fraglich, ob die Hauptversammlung berechtigt ist, einen bereits amtierenden Hauptversammlungsleiter abzuwählen. Was zunächst die Wahl des Leiters betrifft, so ist die Hauptversammlung nicht nur berechtigt, sondern in aller Regel auch verpflichtet, eine fehlende Satzungsklausel durch Beschluss zu ersetzen.720 Ein besonderes Mehrheitserfordernis gilt hierfür nicht; es greift vielmehr Art. 57 SE-VO.721 Eine Ausnahme von der Pflicht zur Wahl eines Leiters macht die herrschende Meinung nur in der Ein-Personen-Gesell720

Ganz h.M.; siehe nur Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 119 Rn. 106; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. B. Rn. 10; Wicke, NZG 2007, 771. 721 Zum Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit siehe bereits oben Abschnitt „Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit, Art. 57 SE-VO“, S. 84.

E. Selbstorganisationsrechte der Hauptversammlung

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schaft,722 und auch bei zwei Aktionären wird man in aller Regel auf eine formelle Wahl verzichten können. In größeren Gesellschaften mit einer höheren Aktionärszahl ist die Wahl eines Leiters dagegen (nur) dann verzichtbar, wenn nur ein einziger oder zwei Aktionäre an der Hauptversammlung teilnehmen.723 Einen amtierenden Versammlungsleiter kann die Hauptversammlung jedenfalls dann abwählen, wenn bereits die Ernennung auf einem Beschluss der Hauptversammlung beruht.724 Theoretisch ebenfalls möglich ist eine ausdrückliche satzungsmäßige Ermächtigung der Hauptversammlung zur Abwahl.725 Ergibt sich die Person des Versammlungsleiters dagegen bereits aus der Satzung, so kann diese Satzungsregel von der Hauptversammlung grundsätzlich nicht ad-hoc durch Abwahl des amtierenden und Wahl eines neuen Versammlungsleiters durchbrochen werden. In diesem Fall kann der Leiter nur aus wichtigem Grund abberufen werden.726 Ebenso sicher vor einem Abberufungsbeschluss ist ein Versammlungsleiter, der sein Amt einer Gerichtsentscheidung entsprechend § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG727 verdankt.728 Denn das in der gerichtlichen Bestimmung zum Ausdruck kommende Minderheitenrecht wäre ausgehebelt, würde man das Amt des Leiters am Tag der Hauptversammlung zur Disposition der Mehrheit stellen.

722 Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 119 Rn. 105; Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Anh § 119 Rn. 1; ders., NZG 2007, 771; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. B. Rn. 12. 723 Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Anh § 119 Rn. 1; noch großzügiger ders., NZG 2007, 771 (keine zwingende Leiter-Wahl bei „kleinem Teilnehmerkreis“); a.A. Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. B. Rn. 12 a.E. (Leiter-Wahl auch dann zwingend). 724 Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Anh § 119 Rn. 4; Wilsing/von der Linden, ZIP 2010, 2321, 2328. 725 Wilsing/von der Linden, ZIP 2010, 2321, 2327; praktisch freilich kaum sinnvoll angesichts der Anfälligkeit gerade dieser Beschlussfassung (und ggf. der Aussprache hierzu) für querulatorische, rechtsmissbräuchliche und unverhältnismäßig zeitraubende Beiträge. 726 Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Anh § 119 Rn. 4; wohl ebenso Fischer/ Pickert, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 9 Rn. 22 – 27; a.A. Wilsing/von der Linden, ZIP 2010, 2321, 2328 (Antrag auf Abwahl des statuarisch bestimmten Versammlungsleiters immer unzulässig). 727 Zur Anwendbarkeit des § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG auf die deutsche SE siehe unten Abschnitt „Entscheidung des Gerichts“, S. 437. 728 Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Anh § 119 Rn. 4; noch strenger die wohl herrschende Meinung (Antrag auf Abwahl des gerichtlich bestimmten Versammlungsleiters immer unzulässig) Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 119 Rn. 118; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. B. Rn. 13 Fn. 22; Fischer/Pickert, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 9 Rn. 28; Wilsing/von der Linden, ZIP 2010, 2321, 2328.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

III. Geschäftsordnung, § 129 Abs. 1 Satz 1 AktG Gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 AktG kann sich die Hauptversammlung mit einer qualifizierten Dreiviertel-Kapitalmehrheit und einer einfachen Stimmenmehrheit (Art. 57 SE-VO) eine Geschäftsordnung „mit Regeln für die Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung“ geben. Einschlägige Verweisungsnorm ist auch hier Art. 53 SE-VO („Organisation … der Hauptversammlung“). Regeln könnte die Geschäftsordnung beispielsweise eine Bild- und Tonübertragung der Hauptversammlung (§ 118 Abs. 4 AktG), eine Beschränkung des Frage- und Rederechts (§ 131 Abs. 2 Satz 2 AktG), die Person des Hauptversammlungsleiters oder den Zugang Dritter zur Hauptversammlung (z. B. Journalisten, Gäste und Abschlussprüfer)729 und möglicherweise auch die Art des Abstimmungsverfahrens.730 Tatsächlich hat sich seit Einführung der Vorschrift im Rahmen des KonTraG 1998 kaum eine AG- oder SE-Hauptversammlung eine Geschäftsordnung gegeben; es handelt sich bei § 129 Abs. 1 Satz 1 AktG faktisch um totes Recht.731 Das mag zum einen daran liegen, dass wohl kein potenzieller Regelungsbereich existiert, der nicht ebenso per Satzungsbestimmung oder ad-hoc durch den Versammlungsleiter geregelt werden könnte, und zum anderen daran, dass der Gesetzgeber für Erlass und Änderung der Geschäftsordnung dasselbe qualifizierte Mehrheitserfordernis installiert hat wie für eine Satzungsänderung. Anders als die Auslagerung einer Satzungsregelung in die Geschäftsordnungen des Leitungs-, Aufsichts- oder Verwaltungsorgans bedeutet die Auslagerung in eine Geschäftsordnung der Hauptversammlung daher keinen Flexibilitätsgewinn.732 Dass sich an dieser Situation etwas ändern wird, ist weder auf Verordnungsebene noch auf Ebene des Aktiengesetzes abzusehen.

729 Jeweils wohl ganz h.M.; siehe nur die Übersichten bei Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 129 Rn. 12; Reger, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 129 Rn. 7; Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 129 Rn. 5, mit weiteren Nachweisen. 730 Dafür: Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 129 Rn. 12; Reger, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 129 Rn. 7; dagegen: Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 129 Rn. 1c a.E. 731 Zutreffend Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 129 Rn. 3; ähnlich Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. B. Rn. 19 mit Hinweis auf die VBH Holding AG als einzigem Fall, in dem eine börsennotierte AG über eine Geschäftsordnung für die Hauptversammlung verfügt. 732 Ähnlich Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 129 Rn. 3, der die fehlende Popularität ebenfalls mit auf das Dreiviertel-Mehrheitserfordernis zurückführt. Andere berufen sich – wohl zu Unrecht – auf den allgemein geringen individuellen Regelungsspielraum im deutschen Aktienrecht (der für die Geschäftsordnungen der Verwaltung nicht bedeutend größer ausfällt): Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 129 Rn. 1 a.E.; Wicke, in: Spindler/ Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 129 Rn. 1; ähnlich Wilsing/von der Linden, ZIP 2010, 2321, 2329 („Nur wenige Geschäftsordnungsfragen fallen in die Entscheidungszuständigkeit der Hauptversammlung.“).

E. Selbstorganisationsrechte der Hauptversammlung

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IV. Tagesordnung Die Tagesordnung wird grundsätzlich nicht (erst) von der Hauptversammlung, sondern bereits im Zuge des Einberufungs- und Bekanntmachungsverfahrens verbindlich aufgestellt. Gemäß § 124 Abs. 4 Satz 1 AktG ist dies sogar Voraussetzung für eine Beschlussfassung über die einzelnen Tagesordnungspunkte. Von Seiten der Aktionäre können Tagesordnungspunkte daher grundsätzlich nur über ein Ergänzungsverlangen nach Art. 56 SE-VO oder ein Einberufungsverlangen nach Art. 55 SE-VO eingebracht werden. Nur ausnahmsweise kann die Tagesordnung einer einberufenen Hauptversammlung durch die Hauptversammlung selbst variiert werden. Gemäß § 124 Abs. 4 Satz 2 AktG gilt dies für den „in der Versammlung gestellten Antrag auf Einberufung einer Hauptversammlung“, für Anträge, „die zu Gegenständen der Tagesordnung gestellt werden“, sowie für „Verhandlungen ohne Beschlussfassung.“ In diesem Sinne „zu Gegenständen der Tagesordnung gestellt“ werden können insbesondere Geschäftsordnungsanträge sowie Gegenanträge und Wahlvorschläge im Sinne der §§ 126 f. AktG.733 Fraglich ist jedoch, inwieweit die Hauptversammlung berechtigt ist, die von der einberufenden Verwaltung oder von einer Aktionärsminderheit eingebrachten Tagesordnungspunkte wieder abzusetzen oder zu vertagen.734 Der Meinungsstand im Recht der deutschen AG reicht hierbei von der Anerkennung einer freien Absetzbarkeit durch einfachen Mehrheitsbeschluss735 über die zusätzliche Erforderlichkeit eines wichtigen Grundes736 bis hin zur gänzlichen Verneinung einer Absetzbarkeit, wenn der betreffende Gegenstand per Ergänzungsverlangen nach § 122 Abs. 2 AktG eingebracht wurde und die dahinter stehenden Aktionäre der Absetzung nicht zustimmen.737 733 Siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 124 Rn. 29; Liebscher, in: Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 124 AktG Rn. 8; Reger, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 124 Rn. 25. 734 Der Unterschied zwischen „Absetzung“ und „Vertagung“ hat keine rechtliche Relevanz. Denn der Einberufende der nachfolgenden Hauptversammlung ist bei der Zusammenstellung der Tagesordnungspunkte weder zur Aufnahme eines zuvor „vertagten“ Gegenstands noch zur Nichtaufnahme eines zuvor „abgesetzten“ Tagesordnungsgegenstands verpflichtet; siehe nur Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. D. Rn. 82. 735 Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. D. Rn. 82; Schwartzkopff, Vorbereitung und Durchführung der HV (2012), Rn. 393; wohl auch Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Anh. § 119 Rn. 8; Schaaf, in: Schaaf, Praxis der HV, 3. Aufl. (2011), Rn. 525. 736 Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 119 Rn. 141; Semler, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 3. Aufl. (2007), § 36 Rn. 46; Wilsing/von der Linden, ZIP 2010, 2321, 2322 f. 737 Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 119 Rn. 141; Semler, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 3. Aufl. (2007), § 36 Rn. 46; a.A. Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. D. Rn. 83 (freie Absetzbarkeit, aber antragsstellende Minderheit muss angemessene „Gelegenheit zur Darlegung ihrer Position“ erhalten); Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Anh. § 119 Rn. 8 Fn. 85 (Zustimmung „oder“ wichtiger Grund erforderlich); Wilsing/ von der Linden, ZIP 2010, 2321, 2323 (wichtiger Grund für Absetzung erforderlich, aber kein Zustimmungserfordernis).

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Richtigerweise kommt eine Absetzung nur ausnahmsweise aus wichtigem Grund in Frage. Ob die in diesem Zusammenhang aufgestellte These, nach der „jeder Aktionär bei entsprechender Bekanntmachung eine Sachentscheidung erwarten“ könne,738 oder die Gegenthese, nach der „[d]ie Mehrheit der Hauptversammlung … zur Vertagung ebenso wie zu einer Sachentscheidung grundsätzlich uneingeschränkt in der Lage sein“ müsse,739 zur Klärung der Frage hilfreich ist, lässt sich mangels näherer Begründung bzw. Auseinandersetzung mit der jeweils anderen These, nicht recht beurteilen. Auch im Gesetz oder in der Verordnung findet sich keines der beiden behaupteten Rechte wieder. Sicher feststellen lässt sich allein, dass Gesetz und Verordnung allein die Entscheidung in der Sache als Weg vorsehen, um aufgerufene Tagesordnungspunkte zu erledigen. Ein Ausbruch aus dieser Vorstellung kann daher nur auf Basis außergewöhnlicher, vom Gesetz- bzw. Verordnungsgeber nicht antizipierter Umstände im Einzelfall anerkannt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn eine sinnvolle Beschlussfassung über den betreffenden Gegenstand gar nicht mehr möglich ist, z. B. bei tatsächlicher Unmöglichkeit der in Aussicht genommenen Gelatine-Maßnahme, bei Beschlussfassung über einen Unternehmensvertrag mit einem Partner, der vom Vertragsschluss in der Zwischenzeit endgültig Abstand genommen hat, oder bei Beschlussfassung über einen aktienrechtlichen Squeeze-Out (§ 327a Abs. 1 AktG) zugunsten eines Hauptaktionärs, der sich zwischenzeitlich sowohl von seiner Beteiligung als auch von seinem Ausschlusswunsch verabschiedet hat. Einschlägige Rechtsgrundlage für die Absetzung sind dabei die allgemeinen Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, wie sie beispielsweise in § 313 BGB zum Ausdruck kommen. Abgesehen von diesen ausgesprochen seltenen Fällen dürfte ein Recht der Hauptversammlung, die Tagesordnung nach Belieben zu verkürzen, kaum begründbar sein. Denn ein derartiges Recht griffe in das ausdrücklich kodifizierte Recht der Verwaltung (bzw. der Antragssteller hinter einem Ergänzungsantrag) auf Erstellung der Tagesordnung ein und würde ein erhebliches Potenzial für Störungen und Verzögerungen der laufenden Versammlung durch einzelne Aktionäre beinhalten. Ohne eine wenigstens ansatzweise kodifizierte Rechtsgrundlage kommt eine derartige Kompetenzverschiebung nicht in Frage. Für die Absetzung von Tagesordnungspunkten, die auf ein Ergänzungsverlangen oder einen Einberufungsantrag nach Art. 55, 56 SE-VO zurückgehen, ist darüber hinaus die Zustimmung der jeweiligen Antragssteller erforderlich. Denn andernfalls stünde das jeweilige Minderheitenrecht zur Disposition der für die Absetzung stimmenden Hauptversammlungsmehrheit. Das hiergegen teilweise vorgebrachte Argument, das Ergänzungs- und Einberufungsrecht sei gerade kein reines Minderheitenrecht und löse vielmehr einen Konflikt zwischen Aktionärsseite (egal, ob

738 Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 119 Rn. 141; im Anschluss Wilsing/von der Linden, ZIP 2010, 2321, 2323; in dieselbe Richtung Fischer/Pickert, in: Semler/Volhard/ Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 9 Rn. 84 („Mit der Bekanntmachung haben die Aktionäre einen Anspruch auf Behandlung aller Tagesordnungspunkte …“). 739 Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. D. Rn. 83.

E. Selbstorganisationsrechte der Hauptversammlung

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Minderheit oder Mehrheit) und Verwaltung,740 verfängt nur auf den ersten Blick. Denn bei Art. 55, 56 SE-VO handelt es sich zwar nicht um ein reines Minderheitenrecht, von dem ein Mehrheitsaktionär ausgeschlossen wäre und das die Rechte des Mehrheitsaktionärs unmittelbar verkürzt, wohl aber um ein typisches Minderheitenrecht. Denn dem praktischen Regelfall entspricht es, dass die Verwaltungsmitglieder das Vertrauen der Aktionärsmehrheit genießen. Diese Vertrauensbeziehung könnten die Verwaltungsmitglieder gegen einen Ergänzungs- bzw. Einberufungsantrag in Stellung bringen, wenn es der Aktionärsmehrheit allein aufgrund ihrer Mehrheitsmacht gestattet wäre, einzelne Punkte von der Tagesordnung zu streichen. Die Unterstellung, ein für die Absetzung votierender Mehrheitsaktionär stünde in derselben kritisch-unbefangenen Distanz zur Verwaltung wie die Antragssteller, wird sich im praktischen Regelfall nicht bestätigen. Dieselben Erwägungen lassen es auch zweifelhaft erscheinen, ob Art. 55, 56 SE-VO überhaupt regelungsoffen in Bezug auf ein ungeschriebenes, im Rahmen des § 122 AktG entwickeltes Absetzungsrecht der Aktionärsmehrheit wären. Gänzlich ausgeschlossen ist eine Absetzung per Mehrheitsentscheid nur dann, wenn die Abhandlung des betreffenden Tagesordnungspunkts gesetzlich zwingend vorgegeben ist. Das gilt insbesondere für die Beschlussfassung über die Entlastung der Verwaltung (§ 120 Abs. 1 Satz 1 AktG), über die Bestellung des Abschlussprüfers (§ 318 Abs. 1 HGB) und über die Verwendung des Bilanzgewinns (§ 174 Abs. 1 AktG). Möglich sind hier allenfalls Gegenanträge nach § 126 AktG.

V. Beschluss- und Abstimmungsverfahren Auf den Gang des Beschluss- und Abstimmungsverfahrens kann die Hauptversammlung oder eine mindestens zehnprozentige Minderheitsfraktion zunächst dadurch Einfluss nehmen, dass sie gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 AktG eine Einzelentlastung an Stelle einer Gesamtentlastung der Aufsichts-, Leitungs- bzw. Verwaltungsorganmitglieder verlangt741 oder gemäß § 137 AktG verlangt, dass über einen aktionärsseitigen Wahlvorschlag vor dem verwaltungsseitigen Wahlvorschlag abgestimmt wird. Im Übrigen gehört die Gestaltung des Beschluss- und Abstimmungsverfahrens grundsätzlich zu den Kernaufgaben der Versammlungsleitung und ist einer Hauptversammlungsentscheidung nicht zugänglich. Das gilt insbesondere für die Wahl zwischen einem Sammelgang und einer sukzessiven Abstimmung über die einzelnen Tagesordnungspunkte und für die Entscheidung, ob ein verwaltungsseitiger Antrag oder ein aktionärsseitiger Gegenantrag zuerst zur Abstimmung

740

Wilsing/von der Linden, ZIP 2010, 2321, 2323. Hierzu sowie allgemein zur Entlastung ausführlich oben Abschnitte „Entlastung“, S. 273, „Entlastung“, S. 316, „Entlastung“, S. 348, und „Entlastung?“, S. 365. 741

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

gestellt wird.742 Eine Einmischung der Hauptversammlung wäre auch in der Sache nicht hilfreich, da auch das hierfür nötige Beschluss- und Abstimmungsverfahren selbst in sinnvolle Bahnen gelenkt werden müsste. Stünden der Hauptversammlung insofern Mitspracherechte zu, so ergäbe sich in Versammlungen, die von aktivistischen oder räuberischen Aktionären besucht und von auf Rechtssicherheit bedachten Leitern geführt werden, leicht eine lähmende Kaskade an Verfahrensbeschlüssen, die allenfalls Partikularinteressen dienlich wären. Einfluss nehmen können die Aktionäre freilich über die Satzung, die beispielsweise Vorgaben über eine Einzel- bzw. Blockwahl der Verwaltungsmitglieder enthalten kann.743

VI. Sonstiges 1. Vertagung der Hauptversammlung Für die Vertagung der Hauptversammlung gelten grundsätzlich dieselben Voraussetzungen wie für die Absetzung einzelner Tagesordnungspunkte. Denn materiell stellt die Vertagung der gesamten Hauptversammlung nichts anderes dar als die Absetzung jedes einzelnen Tagesordnungspunktes. Ein Hauptversammlungsbeschluss ist daher notwendige, nicht aber hinreichende Voraussetzung der Vertagung. Hinzukommen muss ein wichtiger Grund, der nur in außergewöhnlichen Fällen anzuerkennen sein wird (z. B. Bombendrohung, Erkrankung der Vorstandsmitglieder), sowie ggf. die Zustimmung der Aktionäre, die einen Antrag auf Einberufung oder Ergänzung der Tagesordnungs gestellt haben.744 Nie statthaft ist die Vertagung auf einen Tag, für den eine rechtmäßige Einberufung aus Rechtsgründen nicht möglich ist.745

742

Jeweils h.M.; siehe nur Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 119 Rn. 152 – 155; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. D. Rn. 45; M. Arnold/Carl/ Götze, AG 2011, 349, 355 f. 743 BGH, WM 2009, 459, 464 („Kirch/Deutsche Bank“); M. Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 356; Austmann/Rühle, AG 2012, 805, 805 f.; exemplarisch Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 (§ 27 Abs. 2 der Mustersatzung) und Rn. 98.850 (§ 26 Abs. 2). 744 Ebenso Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 119 Rn. 141; Semler, in: MüHdBGesR, Bd. 4, 3. Aufl. (2007), § 36 Rn. 46; insgesamt großzügiger wohl die überwiegende Ansicht: Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. D. Rn. 82 f. (grundsätzlich nur Mehrheitsbeschluss erforderlich); Schaaf, in: Schaaf, Praxis der HV, 3. Aufl. (2011), Rn. 525 (wichtiger Grund oder Zustimmung nur bei vorhergehendem Minderheitsverlangen erforderlich); Wilsing/von der Linden, ZIP 2010, 2321, 2325 f. (nur Beschluss und wichtiger Grund erforderlich). 745 Z. B. wegen Nichteinhaltung der Einberufungsfrist; zutreffend Wilsing/von der Linden, ZIP 2010, 2321, 2325.

E. Selbstorganisationsrechte der Hauptversammlung

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2. Satzungsregeln zur Bild- und Tonübertragung, § 118 Abs. 3, 4 AktG Ob und inwieweit die Hauptversammlung in Bild und Ton übertragen wird oder die Mitglieder des Aufsichtsorgans im Wege der Bild- oder Tonübertragung teilnehmen dürfen, kann gemäß § 118 Abs. 3, 4 AktG der Satzungsgeber regeln. Die dortigen Regeln sind gemäß Art. 53 SE-VO auf die SE nahezu uneingeschränkt übertragbar.746 Allein die in § 118 Abs. 3 AktG ermöglichte Fernteilnahme von Aufsichtsorganmitgliedern wird sich im monistischen System nicht entsprechend verwirklichen lassen.747 Die dem AG-Vorstand obliegende Rolle als unmittelbar rechenschaftspflichtiges und daher zur unmittelbaren Teilnahme verpflichtetes748 Geschäftsleitungsorgan wird im monistischen System nämlich vom gesamten Verwaltungsorgan übernommen (§ 22 Abs. 1 SEAG). Eine Identifizierung einzelner Mitglieder als reine Überwacher, für die § 118 Abs. 3 AktG analog angewendet werden könnte, ist daher nicht möglich. 3. Einrichtung weiterer Organe und Gremien? Fraglich ist, ob der SE-Satzungsgeber neben den in Art. 38 SE-VO ausdrücklich genannten Organen (Hauptversammlung, Leitungs-, Aufsichts- und Verwaltungsorgan) zusätzliche Organe schaffen kann. a) Meinungsbild Die wohl ganz überwiegende Ansicht749 spricht sich – jedenfalls im Grundsatz – für eine solche Befugnis des Satzungsgebers aus. Obwohl Art. 38 SE-VO insofern 746 Exemplarisch Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2480 f. (§ 10 Abs. 4 der Mustersatzung); Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 (§ 24 Abs. 5 der Mustersatzung). 747 A.A. Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2480 f., die eine entsprechende Satzungsklausel zugunsten der Verwaltungsorganmitglieder vorschlagen (§ 10 Abs. 4 der Mustersatzung). 748 Eine Fernteilnahme von Vorstandsmitgliedern gemäß § 118 Abs. 3 AktG analog ist nicht zulässig; siehe nur Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 118 Rn. 104; Reger, in: Bürgers/ Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 118 Rn. 9 a.E. 749 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 38 SE-VO Rn. 8, Art. 54 SEVO Rn. 3; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 38 SE-VO Rn. 17 – 19; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 54 SE-VO Rn. 9 mit dortiger Fn. 9; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 38 SE-VO Rn. 37; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 38 Rn. 5; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 38 SE-VO Rn. 44 f.; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 118 f., 182; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 241; wohl auch Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 54 SE-VO Rn. 20 a.E.; Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SERecht (2013), Art. 38 SE-VO Rn. 11 f.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

keine Öffnungsklausel enthalte, sei er nicht abschließend. Denn Art. 54 Abs. 2 Var. 4 SE-VO setze die Möglichkeit, weitere Organe einzurichten, stillschweigend voraus, indem er vorsehe, dass die Hauptversammlung auch „von jedem anderen Organ“ einberufen werden könne.750 Einschränkend wird teilweise angemerkt, dass in der deutschen SE insofern nur ein geringer Spielraum bestehe. Denn das Aktiengesetz sehe keine zwingenden oder fakultativen Organe vor, die nicht schon in Art. 38 SE-VO genannt seien, und der Grundsatz der Satzungsstrenge verbiete satzungsmäßige Eingriffe in die durch Aktiengesetz und Verordnung ausgestaltete Zuständigkeitsverteilung zwischen den ausdrücklich aufgeführten Organen.751 Andere wollen die Möglichkeiten des Satzungsgebers von vornherein darauf beschränken, rein unterstützende und beratende Gremien einzurichten.752 Die Befugnis, solche Gremien einzurichten, wird teilweise gleichberechtigt dem Satzungsgeber und der Verwaltung zugesprochen.753 Inwieweit solchen Gremien dennoch Organcharakter – insbesondere im Sinne des Art. 54 Abs. 2 SE-VO – zukommen soll, bleibt allerdings unklar.754 b) Stellungnahme Die besseren Gründe sprechen gegen die Möglichkeit, per Satzung zusätzliche „Organe“ einzurichten – also Gremien oder Personen, die nicht nur in eine schuldrechtliche Beziehung zur Gesellschaft treten, sondern organschaftlich-gesellschaftsrechtliche Rechte und Pflichten im Binnenbereich der Gesellschaft wahrnehmen. Zutreffend ist zwar, dass Art. 38 SE-VO insofern nicht abschließend ist, als er nicht der Einberufungskompetenz eines anderen „Organs“ im Sinne des Art. 54 Abs. 2 Var. 4 SE-VO entgegensteht. Es ginge jedoch zu weit, hieraus auch eine 750 Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 38 SE-VO Rn. 17; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 38 Rn. 5; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SEKo., 2. Aufl. (2015), Art. 38 SE-VO Rn. 44 Fn. 104; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 118; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 241. 751 Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 38 SE-VO Rn. 37 f.; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 38 Rn. 5; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 119. 752 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 38 SE-VO Rn. 28; Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 38 SE-VO Rn. 12. 753 Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 38 SE-VO Rn. 30; Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 38 SE-VO Rn. 13. 754 Vgl. etwa Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 38 SE-VO Rn. 27 – 30 („Etablierung weiterer Gremien“ zulässig; „derartigen fakultativen Zusatzorganen“ dürften aber nur „beraten“ und „unterstützen“); Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 38 SE-VO Rn. 12 (zulässig: „fakultative Gremien, welche die Organe beraten oder anderweitig in ihrer Aufgabenerfüllung unterstützen“ wegen Art. 54 Abs. 2 SE-VO, „der die Existenz weiterer Organe voraussetzt“).

E. Selbstorganisationsrechte der Hauptversammlung

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Kompetenz des Satzungsgebers abzuleiten, solche zusätzlichen Organe (die dann auch zur Einberufung der Hauptversammlung zuständig wären) einzurichten. Die besseren Gründe sprechen stattdessen dafür, aus Art. 54 Abs. 2 Var. 4 SE-VO nur eine Öffnung für solche Organe abzuleiten, die in Art. 38 SE-VO nicht genannt, nach nationalem Aktienrecht aber zwingend vorgesehen sind:755 Dies deckt sich zunächst mit dem allgemeinen Verständnis des Art. 54 Abs. 2 Var. 5 SE-VO. Danach darf die SE-Hauptversammlung auch von „jeder zuständigen Behörde“ einberufen werden. Da das deutsche Aktienrecht keine behördliche Einberufungszuständigkeit enthält, ist Art. 54 Abs. 2 Var. 5 SE-VO für die deutsche SE richtigerweise gegenstandslos.756 Andere wollen eine Pflicht des deutschen Gesetzgebers erkennen, eine zuständige Behörde gesetzlich zu benennen.757 Der unausgesprochene Konsens besteht darin, aus Art. 54 Abs. 2 Var. 5 SE-VO jedenfalls keine Befugnis des Satzungsgebers abzuleiten, eine behördliche Einberufungskompetenz einzurichten oder gar eine Behörde einzurichten. Ebenso fern liegt es dann aber, aus Art. 54 Abs. 2 Var. 4 SE-VO eine Befugnis des Satzungsgebers abzuleiten, ein zusätzliches, einberufunsberechtigtes Organ einzurichten. Darauf, dass Art. 38 SE-VO regelungsoffen hinsichtlich solcher Organe ist, die nach nationalem Aktienrecht zwingend einzurichten sind, gleicheitig aber für eine gleichgerichtete Befugnis des Satzungsgebers keinen Raum lässt, deutete auch die in Art. 38 lit. b) SE-VO selbst enthaltene Satzungsermächtigung hin. Danach steht es dem Satzungsgeber offen, zwischen dem monistischen und dem dualistischen System zu wählen. Hätte der Verordnungsgeber den Satzungsgeber darüber hinaus ermächtigen wollen, das gewählte System durch Schaffung zusätzlicher Organe zu variieren, hätte nichts näher gelegen, als die genannte Ermächtigung entsprechend weit zu fassen. Die Enge des Wortlauts der Ermächtigung in Art. 38 lit. b) SE-VO gewinnt zusätzlich an Aussagekraft für die hier zu klärende Frage, wenn man die ältere Parallelregelung in Art. 16 Abs. 1 Satz 2 EWIV-Verordnung758 mit in den Blick nimmt. Dort heißt es: „Der Gründungsvertrag kann andere Organe vorsehen; er bestimmt in diesem Fall deren Befugnisse.“ Eine solche (oder auch nur ähnliche) Formulierung fehlt in der SE-VO.759

755

Beispielsweise der im englischen Gesellschaftsrecht vorgesehene „Company Secretary“; vgl. Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 119. 756 Siehe die Nachweise im 1. Teil unter Fn. 93. 757 Nachweise ebenfalls im 1. Teil unter Fn. 93. 758 Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25. Juli 1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV), ABl. EG Nr. L 199 vom 31. Juli 1985, S. 1. 759 Auf die zitierte Vorschrift hinweisend auch Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 118, der die Möglichkeit einer satzungsmäßigen Organeinrichtung letztlich dennoch aus Art. 54 Abs. 2 SE-VO ableiten möchte.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Insgesamt fehlt dem SE-Satzungsgeber daher die Kompetenz, zusätzliche Organe einzurichten; Art. 54 Abs. 2 Var. 4 SE-VO ist für die deutsche SE daher gegenstandslos.760 Möglich ist allein die Einschaltung beratender und unterstützender Gremien auf Basis schuldrechtlicher Vereinbarung (z. B. Beratungsverträge mit den Mitgliedern eines Beirats). Bei der schuldrechtlichen Natur dieser Gremien bleibt es auch dann, wenn sich ihre Einrichtung in der Satzung niederschlagen sollte.761

F. Verfolgung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft I. Anwendbarkeit deutschen Rechts Gemäß Art. 51 SE-VO haften die Mitglieder des Leitungs-, Aufsichts- oder Verwaltungsorgans gemäß Sitzstaat-Aktienrecht für den Schaden, welcher der SE durch eine Verletzung der ihnen bei der Ausübung ihres Amtes obliegenden gesetzlichen, satzungsmäßigen oder sonstigen Pflichten entsteht. Der Verordnungsgeber entschied sich damit dafür, von der Konstruktion eines gemeinschaftseinheitlichen Haftungskonzepts maximalen Abstand zu nehmen und stattdessen umfassend auf die vorhandenen Konzepte der Mitgliedstaaten zurückzugreifen. In Art. 51 SE-VO ist nicht weniger als ein solcher umfassender Spezialverweis für die Organhaftung enthalten – aber auch nicht mehr: Insbesondere Versuche, in die Vorschrift einen eigenen, rahmen- oder mindeststandardartigen Regelungsgehalt in Hinblick auf Anspruchsvoraussetzungen hineinzulesen, führen nicht weiter. So wird teilweise vertreten, Art. 51 SE-VO setze für die Haftung eine Pflichtverletzung voraus, diese Haftung werde durch die Bezugnahme auf amtsbezogene Pflichten eingeschränkt, und der Gesellschaft müsse schließlich ein Schaden entstanden sein.762 Teilweise wird in Art. 51 SE-VO sogar eine „Business Judgment Rule“ hineingedeutet, die nicht zur Disposition des mitgliedstaatlichen Gesetzgebers stehe.763 Tatsächlich verwechseln die vorstehend zitierten Autoren die Voraussetzungen der Verweisungsnorm mit den Voraussetzungen der Anspruchsgrundlagen, auf die verwiesen wird.764 Denn ließe sich die Erwähnung amtsgezogener Pflichten in Art. 51 SE-VO tatsächlich als Haftungseinschränkung interpretieren, so hätte dies wohl insbesondere die absurde Konsequenz, dass sich eine „Haftung“ der Verwal760

Siehe auch oben Abschnitt „Bestimmung der für die Einberufung zuständigen Personen, § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG?“, S. 366. 761 Insofern zutreffend Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 38 SE-VO Rn. 30; Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 38 SE-VO Rn. 14. 762 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 51 Rn. 5, 10 – 13; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 51 SE-VO Rn. 2 – 4. 763 So ausdrücklich Schwarz, SE-VO (2006), Art. 51 Rn. 14; dagegen zu Recht Drinhausen, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 51 SE-VO Rn. 16. 764 Gegen eine Ableitung von Haftungs-Tatbestandsmerkmalen aus der Verordnung auch Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 51 SE-VO Rn. 9.

F. Verfolgung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft

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tungsmitglieder einer deutschen SE nie aus allgemeinem Delikts- oder Bereicherungsrecht ergeben könnte. Das wird mit Recht von keiner Seite vertreten. Das Verständnis des Art. 51 SE-VO als Spezialverweisung im Bereich der Geschäftsleiterhaftung führt im deutschen Recht zunächst dazu, dass sich das entsprechende AG-Haftungsregime – allen voran §§ 93, 116 AktG – auf die dualistische SE erstreckt. Eingeschlossen sind ferner die mit den Anspruchsgrundlagen verflochtenen Hauptversammlungskompetenzen über die Rechtsverfolgung, beginnend bei der Sonderprüfung (§ 142 AktG), über die Aufforderung nach § 147 Abs. 1 AktG und die Bestellung besonderer Vertreter (§ 147 Abs. 2 Satz 1 AktG) bis hin zur Genehmigung von Vergleichs- und Verzichtsvereinbarungen nach § 93 Abs. 4 AktG und den dorthin verweisenden Parallelnormen.765 Keine Bedeutung hat Art. 51 SE-VO dagegen für die Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen die Gründer aus § 46 AktG, gegen die anderen „Personen neben des Gründern“ aus § 47 AktG, gegen Personen, die schädlichen Einfluss nehmen, aus § 117 Abs. 1 AktG, gegen die gesetzlichen Vertreter des vertraglich herrschenden Unternehmens aus § 309 Abs. 2 AktG, § 49 SEAG, gegen das faktisch herrschende Unternehmen und dessen gesetzliche Vertreter aus § 317 Abs. 1, 3 AktG und gegen die Verwaltungsmitglieder der abhängigen Gesellschaft aus § 310 Abs. 1 AktG, obwohl diese Vorschriften aus deutscher Sicht strukturell in das Konzept der Geschäftsleiterhaftung eingebettet sind. Das bedeutet freilich nicht, dass diese Regeln unanwendbar wären; vielmehr wechselt allein die einschlägige Verweisnorm: Für die gründungsbezogenen Ansprüche gilt der Verweis aus Art. 15 Abs. 1 SE-VO766 und für die konzernrechtlichen Ansprüche der allgemeine Verweis aus Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO, ggf. in Verbindung mit international-privatrechtlichen Grundsätzen.767

II. Aktive Verfolgung von Ersatzansprüchen Die Hauptversammlung kann sich aktiv in die Verfolgung mutmaßlicher Ersatzansprüche der Gesellschaft aus der Gründung oder der Geschäftsführung einschalten, indem sie gemäß § 142 Abs. 1 AktG einen Sonderprüfer zur Untersuchung problematischer Vorgänge bestellt, die Verwaltung gemäß § 147 Abs. 1 AktG verbindlich auffordert, Ersatzansprüche geltend zu machen, oder erforderlichenfalls gemäß § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG einen besonderen Vertreter zur Geltendmachung der Ansprüche bestellt. 765 A.A. (Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO als einschlägige Verweisungsgrundlage): Drinhausen, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 51 SE-VO Rn. 19; wohl auch Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 153. 766 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 153; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005) S. 223, 235 f. 767 Zum Zusammenspiel zwischen Verweisungsnormen und internationalem Privatrecht im SE-Konzernrecht siehe bereits oben Abschnitt „Sonderfall Konzernrecht“, S. 29.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Auf die dualistische SE lassen sich diese Hauptversammlungskompetenzen unproblematisch übertragen.768 Nicht unmittelbar aus dem Gesetzestext ergibt sich jedoch, ob der Hauptversammlung einer monistischen SE die Rechte aus § 142 Abs. 1, § 147 AktG auch bei der Verfolgung von Ersatzansprüchen gegen geschäftsführende Direktoren zustehen. Würde man Letztere als echte Organe der SE einordnen,769 so wäre eine Erstreckung der Hauptversammlungskompetenzen wohl ohne weiteres begründbar. Doch auch unabhängig davon wird eine Geltung zumindest des § 147 AktG in Bezug auf die geschäftsführenden Direktoren teilweise bejaht:770 Zwar obliege die Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegen die Direktoren grundsätzlich dem Verwaltungsorgan; es bestehe jedoch insoweit ein Durchsetzungsdefizit, da das Verwaltungsorgan Gefahr laufe, im Zuge der Durchsetzung eigene Überwachungspflichtverletzungen aufzudecken.771 Dieses Defizit sei durch eine entsprechende Anwendung (unter anderem) der Hauptversammlungskompetenz aus § 147 AktG zu beheben.772 Die besseren Gründe sprechen gegen eine Anwendung der § 142 Abs. 1, § 147 AktG auf die geschäftsführenden Direktoren. In diese Richtung deutet zunächst § 40 Abs. 8 SEAG, der für die „Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der geschäftsführenden Direktoren“ nur auf § 93 AktG verweist und weitere Haftungs- bzw. Durchsetzungsregeln unerwähnt lässt. Einer solchen Verweisung hätte es bedurft, da es sich bei den geschäftsführenden Direktoren gerade nicht um ein Organ der SE handelt.773 So werden die geschäftsführenden Direktoren etwa (nur) in Bezug auf die konzernrechtliche Rechtsverfolgung in § 49 Abs. 1 SEAG mit dem Vorstand gleichgesetzt. Die Erwägung, es bestehe ein Durchsetzungsdefizit, da das Verwaltungsorgan aufgrund der Befürchtung, eigene Überwachungspflichtverletzungen aufzudecken, von einer an sich gebotenen Verfolgung von Ansprüchen gegen die geschäftsführenden Direktoren absieht, mag allenfalls rechtspolitisch ins Gewicht fallen. Wäre es geeignet, eine entsprechende Anwendung der § 142 Abs. 1, § 147 AktG zu begründen, so müsste man die Hauptversammlungskompetenzen wohl auch auf Ersatzansprüche gegen die erste Führungsebene unterhalb des AG-Vorstands bzw. SELeitungsorgans erstrecken. Denn auch insofern könnte der zur Geltendmachung 768 So auch Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.580; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005) S. 223, 235 f.; Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 283. 769 Siehe die Nachweise im 4. Teil unter Fn. 650. 770 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 90 f.; im Anschluss Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 40 SEAG Rn. 82. 771 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 90. 772 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 40 SEAG) Rn. 91. 773 Siehe oben Abschnitt „Keine satzungsmäßige Festlegung von Amtsdauer und Wiederwahleinschränkungen entsprechend Art. 46 SE-VO“, S. 355, mit den Nachweisen in Fn. 650.

F. Verfolgung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft

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berufene Vorstand bzw. das Leitungsorgan versucht sein, durch eine Nichtdurchsetzung von eigenen Versäumnissen abzulenken. Eine derart uferlose Ausweitung wird jedoch zu Recht von keiner Seite befürwortet. In Bezug auf Ersatzansprüche gegen die geschäftsführenden Direktoren bleibt es daher bei der alleinigen Durchsetzungszuständigkeit des Verwaltungsorgans; die Hauptversammlung kann sich nicht gemäß § 142 Abs. 1, § 147 AktG einschalten.

III. Verzicht auf bzw. Vergleich über Ersatzansprüche der Gesellschaft 1. Ersatzansprüche in Bezug auf Gründung und Geschäftsführung Gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG kann die AG nur dann auf Ersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder verzichten oder sich über sie vergleichen, wenn die Hauptversammlung zugestimmt hat und nicht eine Minderheit, die mit mindestens zehn Prozent am Grundkapital beteiligt ist, widerspricht. Dasselbe gilt gemäß § 116 Satz 1 AktG in Bezug auf Ersatzansprüche gegen Aufsichtsratsmitglieder, gemäß § 117 Abs. 4 AktG in Bezug auf Ersatzansprüche gegen Einfluss nehmende Dritte und gemäß § 50 Satz 1 AktG in Bezug auf Ersatzansprüche aus der Gründung. Die Übertragung dieser Zustimmungserfordernisse auf die SE bereitet keine Probleme – auch nicht in der monistischen SE, für die § 39, § 40 Abs. 8 SEAG ausdrücklich auf § 93 AktG verweisen. 2. Ersatzansprüche im Konzern Parallel zum Verweis der §§ 39, 40 Abs. 8 SEAG auf § 93 AktG verweist § 49 Abs. 1 SEAG auf § 309 Abs. 3 AktG, der Verzichts- und Vergleichsabschlüsse über Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen die gesetzlichen Vertreter des vertraglich herrschenden Unternehmen ebenfalls von einem zustimmenden Hauptversammlungsbeschluss und dem Nichtbestehen einer zehnprozentigen Minderheitsopposition abhängig machen. Vom Verweis in § 49 Abs. 1 SEAG sind ferner § 310 Abs. 4, § 317 Abs. 4 AktG eingeschlossen, die wiederum auf § 309 Abs. 3 AktG verweisen, soweit der Verzicht bzw. Vergleich Ersatzansprüche gegen Verwaltungsmitglieder einer abhängigen Gesellschaft bzw. gegen ein faktisch herrschendes Unternehmen und dessen gesetzliche Vertreter betrifft. Die Situation der geschäftsführenden Direktoren hat auch in § 49 Abs. 1 SEAG eine eindeutige Regelung erfahren. Die Direktoren treten danach jeweils an die Stelle, die die §§ 308 bis 318 AktG für den Vorstand vorsehen. Das bedeutet freilich nicht, dass konzernrechtliche Ersatzansprüche der SE gegen das Verwaltungsorgan einer monistischen SE ohne Zustimmung der Hauptversammlung verzichtbar wären.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Hier greift vielmehr der allgemeine Verweis aus § 22 Abs. 6 SEAG, der dem Verwaltungsorgan in die Rechtsposition von Vorstand und Aufsichtsrat einrücken lässt.774 3. Ansprüche gegen Aktionäre auf Leistung der Einlagen? Problematisch sind schließlich Vergleichsverträge zwischen der SE und ihren Aktionären, die den Anspruch der SE auf Einlageleistung (§ 54 AktG, Art. 5 SE-VO) zum Gegenstand haben. Ihnen steht zwar nicht bereits § 66 Abs. 1 AktG entgegen, der eine Befreiung der Aktionäre von ihrer Leistungspflicht nach § 54 AktG verbietet.775 Denn dem Verbot unterfallen anerkanntermaßen nur Erlassverträge im Sinne des § 397 Abs. 1 BGB und Rechtsgeschäfte, die wirtschaftlich einem Erlass zumindest nahe kommen – also insbesondere ein negatives Schuldanerkenntnis (§ 397 Abs. 2 BGB), eine direkte oder indirekte Finanzierung des Einlagebetrags aus dem Gesellschaftsvermögen und eine den Aktionär befreiende Schuldübernahme durch einen Dritten (§§ 414, 415 BGB).776 Umstritten ist dagegen die Frage, ob ein den Einlageanspruch regelnder Vergleich der Zustimmung der Hauptversammlung bedarf. Bejaht wird eine Hauptversammlungskompetenz von einer im Schrifttum vertretenen Ansicht.777 In Hinblick auf einlagebezogene Vergleichsverträge bestünde eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz, die durch eine Analogie zu § 50 Satz 1, § 93 Abs. 4 Satz 3, § 116, § 117 Abs. 4 AktG zu schließen sei.778 Denn für die Festlegung der Nennkapitalausstattung der Gesellschaft seien die Aktionäre zuständig, die dementsprechend auch darüber zu befinden hätten, ob und in welcher Weise die Geschäftsleiter die Einlageansprüche geltend zu machen hätten.779 Auch eine vergleichbare Interessenlage sei zu bejahen. Denn die von den genannten Vorschriften unmittelbar adressierte Gefährdungslage – ein mögliches Zusammenwirken zwischen den Geschäftsleitern und dem betreffenden Gläubiger zum Nachteil des Gesellschaftsvermögens – existiere auch bei Vergleichsverträgen zwischen Gesellschaft und Aktionär.780 Wegen des Kapitalaufbringungsgrundsatzes sei der 774 Vgl. Maul, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 457, 488 f., 492. 775 Ganz h.M. Siehe nur BGH, AG 2012, 87, 88 f. („Babcock Borsig“); Bayer, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2008), § 66 Rn. 23; Cahn, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 66 Rn. 16; Solveen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 66 Rn. 5. 776 Hierzu und zu sonstigen Fallgruppen ausführlich Bayer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2008), § 66 Rn. 10 – 28. 777 Cahn, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 66 Rn. 16; Priester, AG 2012, 525, 527 – 529. 778 Priester, AG 2012, 525, 527. 779 Priester, AG 2012, 525, 527. 780 Cahn, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 66 Rn. 16; Priester, AG 2012, 525, 528.

F. Verfolgung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft

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Einlageanspruch sogar noch sensibler als die in von § 50 Satz 1, § 93 Abs. 4 Satz 3, § 116, § 117 Abs. 4 AktG unmittelbar betroffenen Ersatzansprüche.781 Überdies sei es „ungereimt“, in den Fällen des § 93 Abs. 3 Nr. 1, 2 und 5 AktG nur die Vergleichsverträge zwischen Gesellschaft und Geschäftsleitung von einer Zustimmung der Hauptversammlung abhängig zu machen, nicht aber die zwischen Gesellschaft und begünstigtem Aktionär.782 Die Rechtsprechung verneint eine Zuständigkeit der Hauptversammlung.783 Eine Analogie zu § 50 Satz 1, § 93 Abs. 4 Satz 3, § 116, § 117 Abs. 4 AktG scheitere bereits am Erfordernis einer planwidrigen Regelungslücke. Das Aktiengesetz unterscheide gerade zwischen einem Verzicht in § 66 Abs. 1 AktG einerseits und einem Vergleich in § 50 Satz 1, § 93 Abs. 4 Satz 3 andererseits. Auch seien § 50 Satz 1, § 93 Abs. 4 Satz 3, § 116, § 117 Abs. 4 AktG ihrem Zweck nach nicht einschlägig. Denn die Gefahr einer „kollegialen Verschonung“ bestehe nicht, weil sich der Einlageanspruch gegen den Aktionär richte. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der unter § 93 Abs. 3 Nr. 1, 2, 4 und 5 AktG fallenden Vergleichsverträge mit der Geschäftsleitung, einerseits, und der Vergleichsverträge mit Aktionären über die Einlageleistung, andererseits, ergebe sich nicht. Denn im Gegensatz zu § 50 Satz 1 AktG, der ebenfalls die Kapitalaufbringung sichere, betreffe § 66 Abs. 1 AktG „unabhängig von einem Verschulden die Einlagepflicht selbst.“ Richtigerweise besteht keine Zuständigkeit der Hauptversammlung. Das von der Rechtsprechung gefundene Ergebnis trifft zu, auch wenn die dortige Begründung nicht in jeder Hinsicht überzeugt. So belegt die Tatsache, dass § 66 Abs. 1 AktG neben dem Verzicht nicht auch den Vergleich erwähnt, lediglich das Vorliegen einer Regelungslücke, nicht aber die Planwidrigkeit derselben. Und auch die Erkenntnis, dass § 50 Satz 1, § 93 Abs. 4 Satz 3, § 116, § 117 Abs. 4 AktG allesamt verschuldensabhängige Ansprüche betreffen, die Einlagepflicht der Aktionäre aber – als gesellschaftsvertraglicher Primäranspruch selbstverständlich – verschuldensunabhängig besteht, ist für das vorliegende Problem unerheblich. Auf der anderen Seite geht freilich auch die im Schrifttum entwickelte Ansicht fehl, wenn sie den Gegensatz zwischen der Unverzichtbarkeit des von § 66 Abs. 1 AktG betroffenen Einlageanspruchs, einerseits, und der Disponibilität der von § 50 Satz 1, § 93 Abs. 4 Satz 3, § 116, § 117 Abs. 4 AktG betroffenen Ersatzansprüchen, andererseits, zum Anlass nimmt, die letztgenannten Vorschriften im Wege des Erstrecht-Schlusses auf den Einlageanspruch zu erstrecken. Denn Hintergrund der Vergleichsreglementierung in § 50 Satz 1, § 93 Abs. 4 Satz 3, § 116, § 117 Abs. 4 AktG ist nicht die Stärke oder Sensibilität der betroffenen Ansprüche, sondern die in den erfassten Situationen typischerweise erhöhte Gefahr, dass die auf Seiten der

781

Priester, AG 2012, 525, 528. Cahn, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 66 Rn. 16. 783 BGH, AG 2012, 87, 89 („Babcock Borsig“); zustimmend Wienecke, NZG 2012, 136, 138; wohl auch Weng, DStR 2012, 862, 864. 782

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Gesellschaft mit der Anspruchsverfolgung betrauten Personen sich zu einer übermäßigen Schonung des potenziellen Gläubigers hinreißen lassen.784 Diese Gefahr ist es auch, die entscheidend gegen die Planwidrigkeit der von beiden Ansichten richtigerweise bejahten Regelungslücke und gegen eine vergleichbare Interessenlage spricht, wie sie Voraussetzung für eine analoge Geltung der § 50 Satz 1, § 93 Abs. 4 Satz 3, § 116, § 117 Abs. 4 AktG wären. Ursache der Gefahr ist nämlich das typischerweise enge Näheverhältnis zur Leitung und zum Vermögen der Gesellschaft, das die potenziellen Gläubiger in den Fällen der § 50 Satz 1, § 93 Abs. 4 Satz 3, § 116, § 117 Abs. 4 AktG verbindet: Erfasst sind Gründer, Leitungsund Aufsichtsorganmitglieder (§ 50 Satz 1, § 93 Abs. 4 Satz 3, § 116 AktG) und Personen mit besonderem Einfluss auf die Gesellschaft und ihre Geschäftsleiter (§ 117 AktG). In einem derart persönlich gefärbten, intensiven Näheverhältnis zur Gesellschaft und ihren Geschäftsleitern steht der von § 66 Abs. 1 AktG betroffene Aktionär als Investor typischerweise nicht. Dies mag im Einzelfall zwar anders sein, wenn ein Großaktionär einen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft ausübt. Eine Analogie zu § 50 Satz 1, § 93 Abs. 4 Satz 3, § 116, § 117 Abs. 4 AktG wäre gerade in diesem Fall jedoch unstatthaft, da ein Vergleichsschluss dann bereits unmittelbar in § 309 Abs. 3 Satz 1, § 317 Abs. 4 AktG reglementiert wird.785 Aus systematischer und teleologischer Sicht ist es daher nicht angezeigt, im Wege der Analogie eine Hauptversammlungskompetenz für den Vergleich über die Einlageforderung zu konstruieren.

G. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen Neben der Einflussnahme auf das Verwaltungspersonal gehört die Steuerung fundamentaler Änderungen zu den zentralen Kompetenzen der Hauptversammlung. An erster Stelle steht hier die auf europäischer wie aktiengesetzlicher Ebene verankerte Satzungsänderungskompetenz. Von ihr leiten sich mittelbar und unmittelbar eine ganze Reihe verwandter Zuständigkeiten ab – beispielsweise in Hinblick auf Kapital- und Umwandlungsmaßnahmen, eine Sitzverlegung und einen Wechsel der Organisationsverfassung –, die allesamt mit einer Satzungsänderung einhergehen. Dabei grenzen die einschlägigen Hauptversammlungskompetenzen nicht selten unmittelbar an ähnliche Kompetenzen der Verwaltung, wobei auf beiden Seiten Generalklauseln zum Einsatz kommen (z. B. generelle Zuständigkeit der Hauptversammlung für Satzungsänderungen nach Art. 59 SE-VO, § 179 Abs. 1 Satz 1 AktG vs. ausnahmsweise Zuständigkeit der Verwaltung für reine Fassungsände784

Siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 93 Rn. 78 m.w.N. Die Möglichkeit, dass § 309 Abs. 3 Satz 1, § 317 Abs. 4 AktG eingreifen, erkennt auch Priester, AG 2012, 525, 528, zieht jedoch keine Verbindung zu den Voraussetzungen der von ihm behaupteten Analogie. 785

G. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen 389

rungen nach § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG; generelle Zuständigkeit der Verwaltung für die Veräußerung von Gesellschaftsvermögen gemäß Art. 39 Abs. 1 Satz 1, Art. 43 Abs. 1 Satz 1 SE-VO, § 40 Abs. 2 Satz 1, § 41 SEAG vs. ausnahmsweise Zuständigkeit der Hauptversammlung, soweit es um die „Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens“ im Sinne des § 179a AktG geht). In der Balance gehalten wird dabei, einerseits, die Unfähigkeit der Hauptversammlung für schnelle, häufige und qualifizierte Einzelfallentscheidungen (und ihr Desinteresse daran) und, andererseits, die fehlende Legitimation des Verwaltungspersonals, der Investitionsentscheidung der Aktionäre eine grundlegend andere Richtung zu geben. Die Art und Weise, wie einzelne Gesellschaftsrechtsordnungen diese Balance finden, wird in rechtsvergleichenden Studien gerne generalisierend als „shareholder“-zentriert oder „board“-zentriert klassifiziert.786 Um das methodische Gegenteil – nämlich eine nuancierte, auf die deutsche SE fokussierte Ausmessung der Balance – soll es nachfolgend gehen.

I. Satzungsänderung, Art. 59 SE-VO, § 179 AktG, § 51 SEAG 1. Begriff der Satzungsänderung: Art. 59 SE-VO vs. § 179 Abs. 1 AktG Keine Satzungsänderung ohne Hauptversammlungsbeschluss. Dieses Dogma schreiben der europäische und der deutsche Gesetzgeber in Art. 59 SE-VO bzw. § 179 Abs. 1 Satz 1 AktG wenigstens grundsätzlich im Gleichschritt fest. Der deutsche Gesetzgeber fügt jedoch in § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG sogleich eine Ausnahme hinzu. Danach kann die Hauptversammlung den Aufsichtsrat pauschal ermächtigen Satzungsänderungen vorzunehmen, „die nur die Fassung betreffen.“ Eine weitere, finanzsektorspezifische Ausnahme war zeitweise in § 3 Abs. 6 FMStBG enthalten, der eine Befugnis des Aufsichtsrats vorsah, bei Ausübung eines gesetzlich genehmigten Kapitals die Satzung ohne Hauptversammlungsbeschluss anzupassen. Die Verordnung enthält keine Parallelregelung und öffnet die in Art. 59 SE-VO festgeschriebene Satzungskompetenz der Hauptversammlung auch nicht per Spezialverweisung für etwaige mitgliedstaatlichen Ausnahmen. Mit Art. 12 Abs. 4 Satz 2 SE-VO existiert lediglich eine an die Mitgliedstaaten gerichtete Spezialermächtigung, von der der deutsche Gesetzgeber allerdings keinen Gebrauch gemacht hat und die auch sonst keine Berührungspunkte zu den vorgenannten deutschen Ausnahmeregelungen aufweist.787 Fraglich ist, ob dieser Regelungsverzicht Raum lässt, um die mitgliedstaatlichen Ausnahmeregelungen über die allgemeinen Verweisnormen anzuwenden, oder ob er – im Gegenteil – den Entschluss des Verord786 Siehe nur Rock/Davies/Kanda/Kraakman, in: Kraakman/Armour/Davies et al., The Anatomy of Corporate Law, 2. Aufl. (2009), S. 183 – 224, mit weiteren Nachweisen. 787 Zutreffend Habersack, ZHR 171 (2007), 613, 628.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

nungsgebers dokumentiert, die Entscheidung über eine Satzungsänderung ausschließlich und abschließend der Hauptversammlung zuzuweisen. Die von Brandt788 begründete und mittlerweile wohl ganz herrschende Meinung789 wendet § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO auf die deutsche SE an. Hierfür spreche zunächst die Entstehungsgeschichte des Art. 59 SE-VO. Im Sanders-Vorentwurf und den SE-VOV 1970 und 1975 sei die Satzungsänderungskompetenz der Hauptversammlung zunächst klar als ausschließliche Zuständigkeit formuliert worden und parallel dem Vorstand eine (nicht als Ausnahme formulierte) Satzungsänderungskompetenz für den Fall eingeräumt worden, dass jener ein genehmigtes Kapital ausnutzte. Im SE-VOV 1989 sei der weiterhin ausschließlich formulierten Hauptversammlungskompetenz aus Art. 95 Abs. 1 („Jede Änderung der Satzung …“), Art. 97 dann in Art. 95 Abs. 2 SE-VOV 1989 eine ausdrückliche Ausnahme zur Seite gestellt worden. Dieses Konzept sei mit der ersatzlosen Streichung der in Art. 95 SE-VOV 1989 verwendeten Formulierung im SE-VOV 1991 jedoch sogleich wieder aufgegeben worden. Übrig geblieben sei die nicht mehr klar als ausschließliche Kompetenz formulierte Regelung in Art. 97 SE-VOV 1991 („Die Änderung der Satzung …“), welche sich im Wesentlichen unverändert im heutigen Art. 59 Abs. 1 SE-VO wiederfinde. Die Streichung der ausdrücklichen Ausnahmeregelung in Art. 95 Abs. 2 SE-VOV 1989 sei insofern „als Regelungslücke in Art. 59 SE-VO zu verstehen, die durch mitgliedstaatliches Recht … zu füllen sei.“790 Hinzu kämen Zweckmäßigkeitsüberlegungen.791 So seien etwa die gemeinschaftsweit üblichen bedingten Kapitalerhöhungen erheblich schwieriger durchzuführen, wenn die Hauptversammlung nach Art. 59 SE-VO ausnahmslos auch für Fassungsände788

Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 136 f. Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 59 SE-VO Rn. 3; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), Art. 59 SE-VO Rn. 3; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 59 Rn. 9; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 290 – 292; ebenso, jedoch ohne Bezeichnung der einschlägigen Verweisungsnorm: Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 59 SE-VO Rn. 14; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 59 SE-VO Rn. 3; Kolster, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 1. Aufl. (2005), 4. Kap. Rn. 106; Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. 6; eine dem § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG entsprechende Musterklausel wird vorgeschlagend dies., in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 (§ 19 Abs. 3), Rn. 98.850 (§ 15 Abs. 3); a.A. noch Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 1. Aufl. (2005), Art. 59 SE-VO Rn. 2, 8 mit dortiger Fn. 2 (nunmehr wohl auf Linie der h.M. dies., a.a.O., 2. Aufl. (2010), Rn. 2, 26); möglicherweise in dieselbe Richtung zu verstehen J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 638 f. 790 So die Argumentationslinie von Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 136 f.; zustimmend Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 59 SE-VO Rn. 14; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 59 Rn. 9; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 290 f.; Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. 6; ausdrücklich gegen diesen historischen Begründungsansatz Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), Art. 59 SE-VO Rn. 3. 791 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 137; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 291 f.; allein auf Zweckmäßigkeitsüberlegungen abstellend (ohne diese freilich näher zu bezeichnen) Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), Art. 59 SE-VO Rn. 3. 789

G. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen 391

rungen zuständig sei.792 Und schließlich verlange das Diskriminierungsverbot aus Art. 10 SE-VO insofern nach einem Gleichlauf zwischen SE- und AG-Recht.793 Allein Spindler äußert(e)794 Zweifel an einer entsprechenden Anwendbarkeit des § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG. Hierfür sprächen zwar die Normgeschichte und Praktikabilitätserwägungen. Doch lasse der Wortlaut des Art. 59 SE-VO kaum Raum für eine derartige Auslegung, und die ggf. in Frage kommende Übertragung der Änderungsbefugnis auf das Verwaltungsorgan im monistischen System sei nicht vergleichbar mit der Delegation an einen AG-Aufsichtsrat. Rundum überzeugend wirkt die herrschende Ansicht nicht. Am wenigsten einschlägig ist zunächst das Diskriminierungsverbot aus Art. 10 SE-VO. Denn es würde allenfalls Schutz bieten, wenn die Nichtanwendung des § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG auf die deutsche SE vom deutschen Rechtsraum ausgehen würde. Vorliegend geht es aber um eine möglicherweise vom deutschen Aktienrecht abweichende Behandlung der SE durch den europäischen Verordnungsgeber. Zu behaupten, diesem sei es wegen Art. 10 der Verordnung untersagt, für die SE andere Regeln aufzustellen, als sie für die jeweilige Sitzstaat-AG gelten, ist ersichtlich unzutreffend. Die Normgeschichte breitet Brandt zwar zutreffend aus – sie lässt sich aber wohl ebenso gegen die von ihm vertretene Ansicht verwenden. Denn mit der ausdrücklichen Formulierung einer Ausnahmeregelung in Art. 95 Abs. 2 SE-VOV 1989 und deren ebenso ausdrücklich ersatzlosen Streichung795 könnten die Entwurfsverfasser bzw. der Verordnungsgeber ebenso im Sinn gehabt haben, die Satzungskompetenz der Hauptversammlung als ausnahmslos zu markieren. Das Hin und Her der Formulierungen lässt insofern keine klare Linie erkennen, sondern ähnelt eher dem Verhalten eines Autofahrers, der erst links, dann rechts und schließlich überhaupt nicht mehr blinkt. Für die Klärung der Frage, wohin die Reise gehen soll(te), begibt man sich daher wohl besser auf die Suche nach anderen Gesichtspunkten. Zu diesen anderen Gesichtspunkten zählen die von der herrschenden Meinung ebenfalls ins Feld geführten Zweckmäßigkeitserwägungen. Diesen Erwägungen ist insofern beizupflichten, als dass § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG tatsächlich eine Reihe von Satzungsanpassungen beschleunigt, die durch ein gesondertes Einschalten der Hauptversammlung ganz erheblich mit formalem Ballast beladen würden, ohne dass dies in der Sache gerechtfertigt erschiene. Welchen materiellen Gewinn wollte man beispielsweise aus einem Hauptversammlungsbeschluss ziehen, der eine ohnehin gegenstandslos und unwirksam gewordene Klausel aufhebt? Auf der anderen Seite wirken reine Zweckmäßigkeitsüberlegungen, angestellt vor dem Hintergrund der deutschen Rechtslage, zu schwach, um die Auslegung des europaweit gültigen 792

Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 137. Gößl, Satzung der SE (2010), S. 292; zustimmend Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 59 SE-VO Rn. 9; wohl auch Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 59 SE-VO Rn. 14. 794 Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 233. 795 Vgl. SE-VOV 1991, BT-Drucks. 12/1004, S. 58 („entfällt“). 793

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Art. 59 SE-VO verbindlich zu steuern. Denn wer wollte sicher ausschließen, dass sich vor dem Hintergrund anderer nationaler Aktienrechtsordnungen Zweckmäßigkeitserwägungen ergeben, die gerade in die entgegengesetzte Richtung deuten? Hinzu kommt, dass die zahlenmäßige Übermacht der herrschenden Meinung unter maßgeblicher Beteiligung von Rechtsberatern zustande gekommen ist, die der pragmatischen Sichtweise womöglich etwas mehr abgewinnen können, als dies aus wissenschaftlicher Perspektive gerechtfertigt wäre. Im Ergebnis wird ein rigoros-ausschließliches Verständnis der Satzungskompetenz aus Art. 59 SE-VO dennoch nicht gerechtfertigt sein – zumindest, soweit es um die praktisch besonders bedeutsamen Fälle der Ausübung genehmigter und bedinger Kapitalia geht. Denn in diesem Fall übt die Verwaltung bei Vornahme der Satzungsänderung in materieller Hinsicht kaum eigene Machtbefugnisse aus, sondern wird viel eher als verlängerter Arm der Hauptversammlung tätig, die mit ihren Ermächtigungs- bzw. Kapitalerhöhungsbeschlüssen die gesamte Kapitalmaßnahme autorisiert hat. Das deutsche Konzept, wonach die Verwaltung in diesem Fall ermächtigt ist (bzw. sein kann), die Kapitalmaßnahme im Satzungstext nachzuvollziehen, stellt sich insofern weniger als Einbruch in eine Hauptversammlungskompetenz dar, sondern eher als sukzessive Variante der Exekution eines bereits klar und umfassend artikulierten Willens der Hauptversammlung. In materieller Hinsicht wird die Satzungsänderungskompetenz aus Art. 59 SE-VO nicht verkürzt, so dass sich die Frage nach einer Regelungsoffenheit der Vorschrift wohl gar nicht erst stellt. Anders sieht es freilich aus, soweit es um die Streichung gegenstandslos oder unwirksam gewordener Satzungspassagen geht, die üblicherweise unter § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG gefasst wird. Insofern handelt es sich um eine echte, wenn auch rechtlich wenig bedeutsame Verkürzung der Satzungsänderungskompetenz der Hauptversammlung. Nicht einmal von der ausdrücklich formulierten Ausnahmeregelung in Art. 95 Abs. 2 SE-VOV 1989 wäre eine solche Initiative der Verwaltung zur Satzungsänderung wohl abgedeckt gewesen. Denn auch dort wird die Satzungsänderungskompetenz der Verwaltung wohl796 als beschlussausführend und nicht als eigeninitiativ charakterisiert. Erst recht kann sie nach dem ambivalenten Wortlaut des Art. 59 SE-VO nicht zulässig sein. Aus praktischer Sicht mag dies wenig zweckmäßig erscheinen; das Konzept der Verordnung eröffnet an dieser Stelle aber wohl keinen Weg, um die in Art. 59 SE-VO verlangte Beschlussfassung der Hauptversammlung zu umgehen.

796 Der Satzbau ist grammatikalisch verunglückt, so dass nicht vollkommen klar wird, inwieweit die angesprochene „Ausführung eines Beschlusses“ gerade auf eine Beschlussfassung der Hauptversammlung zurückgehen muss.

G. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen 393

2. Legislative Vorgaben Ebenso wie die AG-Hauptversammlung hat auch die Hauptversammlung einer deutschen SE bei der Gestaltung der Satzung nicht vollständig freie Hand, sondern ist an die einschlägigen legislativen Vorgaben gebunden. Gesetz- und Verordnungsgeber schreiben dem Satzungsgeber dabei auf der einen Seite bestimmte Mindestinhalte vor, die zwingend in der Satzung zu regeln sind, und auf der anderen Seite – über den Grundsatz der Satzungsstrenge – ein nicht zu überschreitendes Höchstmaß. Speziell für die SE kommen teilweise sogenannte Gleichlaufgebote der Verordnung hinzu, die dem Satzungsgeber aufgeben, von der jeweiligen, auf Verordnungsebene verankerten Ermächtigung nur auf dieselbe Weise Gebrauch zu machen wie der Satzungsgeber einer nationalen Aktiengesellschaft. Insgesamt führt diese nationale Färbung der Vorgaben zu einer ähnlich starken Einengung der Gestaltungsmöglichkeiten wie in der deutschen AG – gleichzeitig aber auch zu praktischen Ergebnissen, die regelmäßig knapper, übersichtlicher und lesbarer ausfallen als Satzungen aus dem Common-Law-Rechtsraum.797 a) Mindestinhalte Mindestens enthalten muss die SE-Satzung zunächst die in § 23 Abs. 3, 4 AktG für die AG aufgeführten Eckdaten, also Firma und Sitz (Abs. 3 Nr. 1), Unternehmensgegenstand (Abs. 3 Nr. 2), Höhe des Grundkapitals (Abs. 3 Nr. 3), Erläuterungen zur Einteilung des Grundkapitals in Namens- bzw. Inhaberaktien, Nennbetrags- bzw. Stückaktien und ggf. verschiedene Gattungen (Abs. 3 Nr. 4, Nr. 5) sowie Bestimmungen über die Form der Bekanntmachungen der Gesellschaft (Abs. 4). Einschlägige Verweisungsnorm ist insofern Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) bzw. – soweit man die Gründungssatzung als gesonderten Regelungsgegenstand einordnen will – Art. 15 Abs. 1 SE-VO.798 Nicht anwendbar ist allein § 23 Abs. 3 Nr. 6 (Zahl der Mitglieder des Vorstands oder Regeln für die Festlegung dieser Zahl), der von Art. 39 Abs. 4 Satz 1 SE-VO verdrängt und ersetzt wird.799 Die von Verordnungsseite vorgegebenen Mindestinhalte sind nicht katalogisiert, sondern ihrem jeweiligen Regelungszusammenhang entsprechend über die Verordnung verteilt. Zwingend zu regeln sind danach die Entscheidung zwischen monistischem und dualistischem Verwaltungsmodell (Art. 38 lit. b) SE-VO),800 die

797 Beobachten lässt sich dies am Beispiel der Tipp24 SE, deren Hauptversammlung 2013 eine Sitzverlegung von Deutschland nach England beschloss und deren Satzungsumfang mit der Verlegung in den englischen Rechtsraum regelrecht explodierte. 798 Auf beide Normen zugleich abstellend Gößl, Satzung der SE (2010), S. 158; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 71. 799 Zutreffend Gößl, Satzung der SE (2010), S. 159. 800 Siehe unten Abschnitt „Wechsel der Organisationsverfassung“, S. 377.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Mitgliederzahl des Leitungsorgans (Art. 39 Abs. 4 Satz 1 SE-VO),801 die Amtszeit der Organmitglieder (Art. 46 Abs. 1 SE-VO)802 und die Festlegung von Zustimmungsvorbehalten803 (Art. 48 Abs. 1 SE-VO).804 Nicht zwingend zu regeln sind dagegen Verfahren und Fristen für den Tagesordnungs-Ergänzungsantrag nach Art. 56 Satz 2 SE-VO,805 und auch auf einen Gleichlauf mit der Beteiligungsvereinbarung nach Art. 12 Abs. 4 SE-VO kommt es für den deutschen SE-Satzungsgeber nicht an.806 b) Gleichlaufgebot Ein besonderes Merkmal der SE-VO sind Satzungsermächtigungen mit Gleichlaufgeboten. Gewährt wird der jeweilige Satzungsspielraum dabei zwar auf europäischer Ebene; die Reichweite der Ermächtigung und die potenziellen Regelungsinhalte ergeben sich jedoch allein aus dem Recht des jeweiligen Sitzstaats. Der Satzungsgeber einer deutschen SE darf von der jeweiligen europäischen Satzungsermächtigung daher nur in dem Umfang Gebrauch machen, wie es der Satzungsgeber einer deutschen AG dürfte. Dies betrifft satzungsmäßige Hauptversammlungskompetenzen (Art. 52 Unterabs. 2 Alt. 2 SE-VO),807 niedrigere Mindestquoren für Ergänzungs- und Einberufungsverlangen (Art. 55 Abs. 1 Hs. 2 Alt. 1, Art. 56 Satz 2 Alt. 2 SE-VO)808 und auch die Möglichkeit, satzungsmäßige Eignungsvorausset801

Siehe oben Abschnitt „Verzicht auf Satzungsregelung?“, S. 287. Nicht zwingend sind dagegen Regeln zur Mitgliederzahl des Aufsichts- und Verwaltungsorgans; siehe oben Abschnitte „Verzicht auf Satzungsregelung?“, S. 218, und Verzicht auf Satzungsregelung?“, S. 322. 802 Siehe oben Abschnitte „Festlegung der Amtszeit, Art. 46 Abs. 1 SE-VO“, S. 226, und „Festlegung der Amtszeit, Art. 46 Abs. 1 SE-VO“, S. 292. 803 Siehe oben Abschnitte „Satzungsmäßige Festlegung von Zustimmungsvorbehalten“, S. 266, und „Festlegung von Zustimmungsvorbehalten zugunsten des (Gesamt-)Verwaltungsorgans, Art. 48 Abs. 1 SE-VO“, S. 344. 804 Insofern übereinstimmend Gößl, Satzung der SE (2010), S. 157; Hommelhoff, in: FS Ulmer (2003), S. 267, 274 f.; Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.155; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 70 f.; Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 386 f.; Wicke, MittBayNot 2006, 196, 204 f. 805 Da insofern weitgehend deutsches Gesetzesrecht eingreift; vgl. hierzu unten Abschnitt „Antragsform, -inhalt und -adressat“, S. 441; ebenso Gößl, Satzung der SE (2010), S. 124 f.; 157; a.A. Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 71. 806 Wegen der Gegenstandslosigkeit des Art. 12 Abs. 4 SE-VO für die deutsche SE. Hierzu ausführlich oben Abschnitt „Verhältnis zur Beteiligungs- bzw. Mitbestimmungsvereinbarung bzw. jeweiligen Auffangregelung?“, S. 43; a.A. Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.155; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 70, 72 f. 807 Allgemein zur Struktur des Art. 52 SE-VO siehe bereits oben Abschnitt „Art. 52 SE-VO als Zentralnorm“, S. 57. 808 Hierzu ausführlich unten Abschnitte „Beteiligungsschwelle“, S. 423, und „Beteiligungsschwelle“, S. 438.

G. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen 395

zungen für Organmitglieder zu definieren, obwohl dies Art. 47 Abs. 3 SE-VO scheinbar unverbindlicher formuliert („in Anlehnung an die für Aktiengesellschaften geltenden Rechtsvorschriften“).809 Sieht der nationale Aktiengesetzgeber in Bezug auf eine vom Verordnungsgeber vorgesehene Satzungsermächtigung überhaupt keinen Satzungsspielraum vor, so läuft die europäische Satzungsermächtigung leer. Der SE-Satzungsgeber aus dem jeweiligen Sitzstaat darf dann von der Ermächtigung keinen Gebrauch machen. Aus Sicht des deutschen SE-Satzungsgebers betrifft dies nur Art. 47 Abs. 1 SE-VO, der die Möglichkeit nennt, in der Satzung die Organmitgliedschaft juristischer Personen oder rechtsfähiger Gesellschaften zu erlauben. Eine derartige Option steht dem AGSatzungsgeber nicht offen (§ 76 Abs. 3 Satz 1, § 100 Abs. 1 Satz 1 AktG), so dass eine entsprechende Satzungsbestimmung auch für die deutsche SE nicht in Frage kommt. Für die Mitgliedstaaten ergibt sich im Rahmen des Gleichlaufgebots weder unmittelbar noch mittelbar ein SE-spezifischer Regelungsspielraum. Insbesondere ist es ihnen nicht möglich, den für die AG eröffneten Satzungsspielraum SE-spezifisch zu verengen. Denn dabei würde es sich um SE-Sonderaktienrecht ohne Ermächtigungsgrundlage handeln, welches nach verbreiteter Ansicht gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 10 SE-VO verstößt bzw. wohl bereits gar nicht zur Anwendung gelangt (und damit nicht in Konkurrenz zu Verordnungsregelungen gerät), da für die SE nur die in Art. 9 Abs. 1 lit. c) i), ii) SE-VO mitgliedstaatlichen Gesetze gelten – also zum einen das SE-unspezifische, allgemeine Aktienrecht und zum anderen die SE-spezifische, auf Gemeinschaftsebene autorisierte Ausführungsgesetzgebung.810 Auch SE-spezifische Erweiterungen der genannten Satzungsspielräume sind daher nicht möglich.811 c) Satzungsstrenge aa) Zweifache Satzungsstrenge in der deutschen SE Der Grundsatz der Satzungsstrenge gilt für die deutsche SE in zweifacher Hinsicht: Gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO unterliegt eine SE den Bestimmungen ihrer Satzung, „sofern die vorliegende Verordnung dies ausdrücklich zulässt“; und gemäß § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG, der über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii), iii) SE-VO auch für die deutsche SE gilt, darf die Satzung „von den Vorschriften [des AktG] nur abweichen, wenn es ausdrücklich zugelassen ist.“ Die hierzu vorliegenden Stellungnahmen 809 Zur verbindlichen Auslegung der unverbindlichen Formulierung und weiteren Merkmalen der Ermächtigung siehe bereits oben Abschnitt „Festlegung von Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter, Art. 47 Abs. 3 SE-VO“, S. 218. 810 Zum Verbot eines nationalen SE-Sonderaktienrechts bereits oben Abschnitt „Verordnungskonformität des § 51 SEAG“, S. 86. 811 A.A. Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 69 f., der entscheidend auf den Diskriminierungsschutz und Art. 10 SE-VO abstellt.

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vermitteln teilweise den Eindruck, für die deutsche SE gelte so ein besonders hohes Maß an („doppelter“) Satzungsstrenge.812 Das trifft tatsächlich nicht zu. Denn die gemeinschaftsrechtliche Satzungsstrenge betrifft nur die auf Verordnungsebene unmittelbar gewährten Satzungsspielräume, während § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG nur die aktiengesetzlichen Satzungsspielräume betrifft, die über Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO entsprechend für die deutsche SE gelten.813 Zu einer Überschneidung, Verdoppelung oder anderweitigen Summierung der beiden Normen kommt es also gerade nicht. Vielmehr schließt jeweils die eine Norm eine Lücke, die von der jeweils anderen gelassen wird – die eine Satzungsstrenge wäre ohne die andere kaum etwas wert. bb) Gesetzes- bzw. verordnungsergänzende Satzungsregeln Kein Gegenstück auf Verordnungsebene existiert zu § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG, der dem Satzungsgeber einer deutschen AG „[e]rgänzende Bestimmungen der Satzung“ gestattet, „es sei denn, dass dieses Gesetz eine abschließende Regelung enthält.“ Welche Rolle diese Öffnungsklausel im Normengefüge des Rechts der deutschen SE einnimmt, ist umstritten. Im Mittelpunkt der vorliegenden Stellungnahmen steht dabei die Frage, ob Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO wörtlich-restriktiv auszulegen ist – der Satzungsgeber also stets von einer ausdrücklichen Ermächtigung in der Verordnung abhängig ist – oder ob die Vorschrift stillschweigend auch ergänzende Satzungsregelungen erlaubt. Die Mehrzahl der Autoren, die sich unmittelbar zur Satzungsstrenge in der SE äußern, spricht sich für eine wörtliche Auslegung des Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO aus.814 Die Vorschrift erlaube dem Satzungsgeber weder Abweichungen von der 812

Vgl. etwa Schürnbrand, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 9 SE-VO Rn. 51 („Die Beschneidung der Gestaltungsfreiheit der Aktionäre [nach Art. 9 Abs. 1 lit. b)] geht in ihrer Rigidität über die in § 23 Abs. 5 AktG angeordnete Satzungsstrenge noch hinaus, obwohl diese sich im rechtsvergleichenden Rundblick schon als sehr restriktiv erweist …“); Habersack, AG 2006, 345, 348 („Dieser für die AG in § 23 Abs. 5 AktG geregelte Grundsatz [der Satzungsstrenge] gilt für das Recht der SE in noch strengerem Maße.“); Hommelhoff, AG 2001, 279, 287; ders., in: FS Ulmer (2003), S. 267, 272 (Art. 9 Abs. 1 lit. b) als „Programmsatz, der in seiner einengenden Kargheit um keinen Deut hinter dem Grundsatz der Satzungsstrenge im deutschen Aktienrecht zurückbleibt, ja noch über diesen hinausgeht.“). 813 Auf den Punkt Lutter, BB 2002, 1, 4: Eine deutsche SE „unterliegt mit den von der VO geregelten Teilen Art. 9 und mit den Teilen des nationalen Rechts § 23 Abs. 5 AktG.“ 814 Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 9 SE-VO Rn. 5; Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 9 SE-VO Rn. 26; Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SERecht (2013), Art. 38 SE-VO Rn. 5; Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 9 SE-VO Rn. 47; Schürnbrand, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 9 SE-VO Rn. 51; Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 9 SE-VO Rn. 77; Casper, in: FS Ulmer (2003), S. 51, 71; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 87 – 99; Habersack, AG 2006, 345, 348; Wagner, NZG 2002, 985, 988; Wicke, MittBayNot 2006, 196, 196 f.; wohl auch Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 69; ebenso Schwarz, SE-VO (2006), Art. 9 Rn. 41 (verordnungsergänzende Satzungsregeln erwägend aber ders., a.a.O., Einl

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Verordnung noch Ergänzungen.815 Satzungsbestimmungen seien nur auf Basis einer ausdrücklichen Ermächtigung zulässig. Im Wege der Auslegung oder Rechtsfortbildung lasse sich eine Regelungsbefugnis des Satzungsgebers auf Verordnungsebene nicht begründen.816 Dabei wird freilich nicht immer deutlich, ob die wörtliche Auslegung des Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO dazu führen soll, dass auch ergänzende Bestimmungen gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO, § 23 Abs. 5 Satz 2 SE-VO unzulässig sind,817 oder ob insoweit allein nationales Recht gelten soll.818 Nur vereinzelt vertreten wird die Ansicht, Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO erlaube auch satzungsmäßige Ergänzungen zur SE-Verordnung.819 Ziel der gemeinschaftsrechtlichen Satzungsstrenge sei es, so die Argumentation, Konflikte zwischen dem Satzungsgeber und dem mitgliedstaatlichen Gesetzgeber vorzubeugen, die sich leicht ergäben, wenn es sowohl dem Satzungs- als auch dem Gesetzgeber erlaubt sei, mit ergänzenden Bestimmungen in Regelungslücken der Verordnung vorzustoßen.820 Soweit eine solche Konkurrenz ausgeschlossen sei, spreche nichts gegen verordnungsergänzende Satzungsklauseln.

Rn. 160 a.E.). Die optimistisch-liberale Einschätzung von Schwarz, ZIP 2001, 1847, 1860 („In Hinblick auf die interne Organisation … überwindet die SE-VO die Satzungsstrenge des deutschen Aktienrechts … und gewährt weitreichende Gestaltungs- und Satzungsfreiheit. (…) „… räumt [die SE-VO] auch in wichtigen Sachfragen den Unternehmen mehr gemeinschaftsrechtliche Satzungsautonomie ein, wie z. B. bei der Wahl zwischen dem monistischen und dem dualistischen System.“) ist wohl durch den deutschen SEAG-Geber erheblich relativiert worden. 815 Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 9 SE-VO Rn. 5; Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 9 SE-VO Rn. 26; Schürnbrand, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 9 SE-VO Rn. 51; Habersack, AG 2006, 345, 348; Wicke, MittBayNot 2006, 196, 196 f.; ebenso Schwarz, SE-VO (2006), Art. 9 Rn. 41 (a.A. wohl ders., a.a.O., Einl Rn. 160 a.E.). 816 Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 9 SE-VO Rn. 47; Schürnbrand, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 9 SE-VO Rn. 51; Wagner, NZG 2002, 985, 988; ebenso Schwarz, SE-VO (2006), Art. 9 Rn. 41 (a.A. wohl ders., a.a.O., Einl Rn. 160 a.E.). 817 So interpretieren Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 69, Fn. 8, und Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 387, die Ansichten von Hommelhoff, in: FS Ulmer (2003), S. 267, 272, und von Wicke, MittBayNot 2006, 196, 196 f. 818 So ausdrücklich Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 9 SE-VO Rn. 5; Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 9 SE-VO Rn. 26; Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 9 SE-VO Rn. 77 f.; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 99, 150; wohl auch Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 387. 819 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 162 f.; ebenso Schwarz, SE-VO (2006), Einl Rn. 160 a.E. (a.A. dann aber wohl ders., a.a.O., Art. 9 Rn. 41); erwägend auch Hommelhoff, AG 2001, 279, 287; ders., in: FS Ulmer (2003), S. 267, 272; ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 5, 18. 820 Diesen Aspekt im Sinne der herrschenden Ansicht deutend Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 9 SE-VO Rn. 77; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 96 f.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. So ist es zunächst wohl prinzipiell ausgeschlossen, Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO stillschweigend um eine Ergänzungsklausel nach dem Vorbild des § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG zu erweitern. Denn eine Ergänzung der Verordnung bzw. eine Ausfüllung der dortigen Lücken durch den Satzungsgeber widerspräche – von der zuletzt genannten Ansicht zutreffend erkannt – dem in Art. 9 Abs. 1 lit. c) SE-VO vorgezeichneten System. Danach ist für Bereiche, die weder von einer Verordnungsbestimmung noch von einer auf Verordnungsebene angesiedelten, ausdrücklichen Satzungsermächtigung erfasst werden, der Reihe nach auf (i) die Ausführungsgesetzgebung, (ii) das nationale Aktienrecht und (iii) die auf nationalen Satzungsermächtigungen beruhenden Satzungsregeln abzustellen. Diese drei Rechtsquellen würden in dem Maße zurückgedrängt, in dem man eine auf Ebene des Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO angesiedelte Ergänzungskompetenz des SE-Satzungsgebers bejahen wollte. Über das Ziel hinaus schießt aber wohl die These, eine verordnungsbasierte Satzungskompetenz lasse sich nicht durch Auslegung der fraglichen Ermächtigungsnorm begründen. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass die Reichweite der in der Verordnung enthaltenen Satzungsermächtigungen nicht an allen Aspekten und aus Sicht aller Mitgliedstaaten und Rechtsanwender klar auf der Hand liegt. Vielmehr wird die Übertragung der Ermächtigungen in die Realität stets mit einer mehr oder weniger intensiven Auslegung einhergehen.821 Und auch im deutschen Schrifttum wird man sich mit Blick auf die konkreten Satzungsermächtigungen mitunter schnell über ein weite Auslegung einig, ohne dass die jeweiligen Autoren ein schlechtes Gewissen in Bezug Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO zu plagen scheint.822 Ebenso wenig in Betracht kommt es, dem Satzungsgeber unter Berufung auf das Fehlen einer Ergänzungsklausel in Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO die Befugnis abzusprechen, gemäß § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG ergänzende Satzungsregeln zu erlassen. Denn von Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO und einem engeren oder weiteren Verständnis der Norm betroffen sind nur diejenigen Satzungsfreiheiten, die unmittelbar in der Verordnung gewährt werden.823 Die Frage, wie weit die über Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO gewährten, nationalen Satzungsfreiheiten reichen, bleibt unberührt. Ebenso wie es einem englischen SE-Satzungsgeber zusteht, außerhalb der Verordnungsvorgaben von der nahezu uferlosen Gestaltungsbefugnis Gebrauch zu machen, die ihm das englische Aktienrecht verleiht, kann ein deutscher SE-Satzungsgeber daher ohne weiteres ergänzende Klauseln nach § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG erlassen. 821 Treffend Gößl, Satzung der SE (2010), S. 99: „An die Feststellung, dass eine Satzungsregelung auf Verordnungsebene immer einer ausdrücklichen Ermächtigung bedarf, schließt sich die Frage an, welche Normen der SE-VO eine solche Ermächtigung enthalten. Dies ist durch Auslegung zu ermitteln.“ 822 Vgl. etwa oben Abschnitt „Festlegung der Amtszeit, Art. 46 Abs. 1 SE-VO“, S. 226, zur Frage, ob Art. 46 Abs. 1 SE-VO („Die Mitglieder … werden für einen Zeitraum … bestellt.“) auch satzungsmäßige Differenzierungen und Staffelungen der verschiedenen Amtszeiten zulässt. 823 Siehe bereits oben Abschnitt „Zweifache Satzungsstrenge in der deutschen SE“, S. 395.

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Kann Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO wenigstens – wie vorgeschlagen – um eine verengte Ergänzungskompetenz des Satzungsgebers erweitert werden, soweit kein Konflikt mit dem in lit. c) angelegten System droht? Hiergegen spricht zum einen der abgeschlossene Charakter der in lit. c) genannten Rechtsquellen. Der ausnahmslose subsidiäre Rückgriff auf das gesamte nationale Aktienrecht lässt es kaum vorstellbar erscheinen, dass noch weiße Flecken auf der Landkarte verbleiben, die von einem Satzungsgeber gefüllt werden könnten, der nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO ergänzend tätig wird. Auch die vorstehend zitierten Autoren, die sich im Grundsatz für eine eingeschränkte Ergänzungskompetenz aus Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO aussprechen, bleiben letztlich eine Antwort auf die Frage schuldig, welche Regelungen denn konkret gemeint sein könnten. Zum anderen wird jedenfalls in der deutschen SE kaum jemals ein praktisches Bedürfnis für eine Ergänzungskompetenz nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO entstehen. Denn ein deutscher Satzungsgeber, der ergänzend tätig wird, wird sich in aller Regel bereits auf § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO berufen können.824 Etwas anderes könnte allein für Satzungsbestimmungen gelten, die nur vor dem Hintergrund der Verordnung und nicht vor dem des nationalen Aktienrechts ergänzenden Charakter haben (und die gleichzeitig nicht die in Art. 9 Abs. 1 lit. c) SE-VO genannten Rechtsquellen zurückdrängen). Auch insofern scheitert die These von der eingeschränkten Ergänzungskompetenz aus Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO wohl am Praxistest. Insgesamt sprechen daher die besseren Gründe dafür, Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO wörtlich auszulegen und ihm keine ungeschriebene (enge oder weite) Ergänzungskompetenz beizugeben. Ergänzende Satzungsregeln lassen sich stattdessen in aller Regel – aber auch nur – auf § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG stützen lassen. Praktisch ergibt sich somit im Vergleich zur AG keine restriktivere Rechtslage.825 cc) Satzungsstrenge und -freiheit im Bereich der Ausführungsgesetzgebung Satzungsfreiräume sind für den deutschen SE-Satzungsgeber nicht nur unmittelbar nach der Verordnung und nach dem allgemeinen deutschen Aktienrecht vorgesehen, sondern auch im SEAG. Die Satzung entscheidet beispielsweise gemäß § 34 Abs. 2 Satz 2 SEAG über Einzelfragen der Geschäftsordnung des Verwaltungsorgans, gemäß § 36 Abs. 3 SEAG über die Berechtigung Dritter, an Verwal824 In dieselbe Richtung Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 69 („verdeckter Regelungsspielraum für ergänzende Satzungsbestimmungen“). 825 Wie hier im Ergebnis wohl Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 9 SEVO Rn. 5; Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 9 SE-VO Rn. 26; Schröder, in: Manz/ Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 9 SE-VO Rn. 47; Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 9 SE-VO Rn. 77 f.; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 87 – 99, 149 – 152; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67, 69.

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tungsorgansitzungen teilzunehmen, und gemäß § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG über die Bestellung eines oder mehrerer geschäftsführender Direktoren. Bei diesen Ermächtigungen handelt es sich weder um Freiräume auf Verordnungsebene (Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO), noch um solche auf Ebene des allgemeinen Sitzstaat-Aktienrechts (Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO), so dass auf den ersten Blick daran gezweifelt werden könnte, ob sie in der Normenpyramide des Art. 9 Abs. 1 SE-VO Platz haben und ob sie vom Grundsatz der Satzungsstrenge erfasst sind.826 Praktisch hätte eine Unzulässigkeit freilich zur Konsequenz, dass die Ausführungsgesetzgebung durchweg auf feste Regelungsvorgaben beschränkt wäre und keine Handlungsfreiräume an den einzelnen Satzungsgeber weiterreichen könnte. Insbesondere das monistische System der deutschen SE (Art. 43 Abs. 4 SE-VO) müsste gleichsam in Beton gegossen werden und wäre damit erheblich unflexibler als die dualistische Alternative. Dass es der Verordnungsgeber hierauf abgesehen haben könnte, wird zu Recht von keiner Seite vertreten. So gelten für die deutsche SE selbstverständlich auch Satzungsfreiräume, die in Ausführungsgesetzen gewährt werden, auch wenn sich dies aus Art. 9 SE-VO nicht unmittelbar ableiten lässt. Wollte man eine Einordnung der SEAG-Satzungsfreiheiten in die dortige Normenhierarchie vornehmen, so wäre wohl Abs. 1 lit. c) i) die zutreffendste Kategorie. Praktisch wird man auf eine genaue Einordnung jedoch verzichten können, da weder ein Konflikt mit Verordnungsregeln (innerhalb derer sich der Ausführungsgesetzgeber bewegt) noch mit allgemeinem Aktienrecht (das vom Ausführungsgesetz variiert und erweitert wird und insofern zurückweicht) droht. Für die SEAG-Satzungsfreiräume gilt weder der gemeinschaftsrechtliche noch der aktiengesetzliche Grundsatz der Satzungsstrenge: Auf keinen Fall in Frage kommt Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO, da das SEAG in keiner Verbindung zu den unmittelbar in der Verordnung gewährten Satzungsspielräumen steht; und auch § 23 Abs. 5 AktG ist wohl nicht einschlägig.827 Denn die Ausführungsgesetzgebung ihrerseits ist gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) i) SE-VO streng an den Rahmen der Ermächtigungsgrundlagen aus der Verordnung gebunden, so dass nationales Recht nicht maßgeblich darüber entscheiden kann, welche Freiheiten dem Satzungsgeber bei der weiteren Ausgestaltung der Ausführungsgesetzgebung zustehen. Für den Satzungsgeber gelten daher letztlich dieselben Grenzen wie für den Ausführungsgesetzgeber bei Einführung der SEAG-Satzungsspielräume: Betrifft eine an die Mitgliedstaaten gerichtete Ermächtigung nur einen engen Bereich, so darf auch ein 826

Zweifelnd in Bezug auf letzteren Aspekt noch Hommelhoff, in: FS Ulmer (2003), S. 267, 277 (vor Inkrafttreten des SEAG), der eine ausdrückliche Erstreckung des § 23 Abs. 5 AktG auf das SEAG voschlägt. Ähnlich Gößl, Satzung der SE (2010), S. 147, der einer derartigen Regelung jedoch nur klarstellenden Charakter beimisst und § 23 Abs. 5 AktG wohl unmittelbar für einschlägig hält (siehe sogleich 4. Teil, Fn. 827). 827 A.A. (Geltung des § 23 Abs. 5 AktG auch für SEAG) Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 9 SE-VO Rn. 26; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 147 („Art. 9 Abs. 1 Buchst. c Ziff. iii überträgt gewissermaßen das Systemverständnis der deutschen Satzungsstrenge auf die Vorschriften des SEAG …“).

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Satzungsgeber, der vom entsprechenden Ausführungsgesetz ermächtigt wird, nicht über diesen engen Bereich hinausgehen – auch nicht per „ergänzender“ Bestimmung im Sinne des § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG. Gewährt eine Ermächtigungsgrundlage dem nationalen Gesetzgeber dagegen mehr Raum (wie insbesondere Art. 43 Abs. 4 SEVO), so hat es der Gesetzgeber auch in der Hand, dem Satzungsgeber weitgehende Freiheiten einzuräumen. Allein hier wäre an eine Ergänzungskompetenz des deutschen Satzungsgebers entsprechend § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG zu denken, wobei jedoch ebenfalls die Ermächtigungsgrundlage aus der Verordnung die absolute Grenze setzt. Im Ergebnis gilt für Satzungsermächtigungen, die auf Ausführungsgesetzen basieren, damit gleichsam ein dritter, auf Art. 9 Abs. 1 lit. c) i) SE-VO basierender Grundsatz der Satzungsstrenge.

II. Wechsel der Organisationsverfassung Gemäß Art. 38 lit. b) SE-VO hat der Satzungsgeber darüber zu entscheiden, ob die SE von einer monistischen oder von einer dualistischen Verwaltung geführt wird. Die anfängliche Festlegung wirkt dabei nicht endgültig, sondern kann für eine existierende SE laufend neu getroffen werden.828 Auch gibt es keinen Mindestzeitraum, über den ein gewähltes System beibehalten werden müsste.829 Allenfalls faktisch ergeben sich aus der Eintragungsbedürftigkeit des Wechsels und aus den Einberufungsfristen für die satzungsändernde Hauptversammlung gewisse zeitliche Mindestabstände zwischen zwei Systemwechseln. Darüber hinaus liegen Zeitpunkt und Häufigkeit des Wechsels grundsätzlich allein im Belieben der Hauptversammlung. Beschränkt sein könnte die Wechselkompetenz aber durch die Amtszeit der Organmitglieder. Denn diese endet automatisch mit dem Wechsel des Verwaltungssystems.830 Gleichzeitig ist der Beschluss über den Systemwechsel gemäß Art. 59 SE-VO, § 51 SEAG unter Umständen an geringere Mehrheitsvoraussetzungen gebunden als ein Beschluss über die Abberufung der betroffenen Organmitglieder,831 und zur Abberufung der Leitungsorganmitglieder ist die Hauptver828 Ganz h.M.; siehe nur Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 38 SEVO Rn. 7; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 38 SE-VO Rn. 15; Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 38 SE-VO Rn. 29; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 38 Rn. 10; Hirte, NZG 2002, 1, 5; ders., DStR 2005, 653, 657; Nagel, NZG 2004, 833, 835; Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 280; Thoma/Leuering, NJW 2002, 1449, 1451; Waclawik, DB 2006, 1827, 1830; Wicke, MittBayNot 2006, 196, 202. 829 Zutreffend Waclawik, DB 2006, 1827, 1830. 830 Ganz h.M.; siehe nur Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 38 SEVO Rn. 29; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 38 Rn. 10; jeweils mit weiteren Nachweisen. 831 Zum Drei-Viertel-Stimmenmehrheitserfordernis beim Abberufungsbeschluss siehe oben Abschnitte „Abberufung der Mitglieder“, S. 234, und „Abberufung der Mitglieder“, S. 325.

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sammlung sogar überhaupt nicht in der Lage. Um eine Umgehung des strengeren Mehrheitserfordernisses bzw. der fehlenden Abberufungskompetenz in Bezug auf das Leitungsorgan zu verhindern, ließe sich daher erwägen, den Systemwechsel nur mit Ablauf der jeweils betroffenen Amtszeiten zuzulassen. Andererseits entstünden so unter Umständen ganz erhebliche Einschränkungen der Wechselkompetenz, wenn die Organmitglieder für mehrere Jahre bestellt sind; gar kein nahtloser Wechsel wäre möglich, wenn sich die Amtszeiten der verschiedenen Organmitglieder überschneiden („staggered board“).832 Konsequent angewendet würde der vorstehend beschriebene Umgehungsschutz das Verwaltungsmodell daher in einem Maße änderungsresistent werden lassen, das die Änderungskompetenz des Satzungsgebers grundlegend in Frage stellen würde. Die besseren Gründe sprechen daher dafür, einen Systemwechsel per Satzungsänderung auch dann zuzulassen, wenn sich die Amtszeiten der betroffenen Organwalter durch den Systemwechsel außerplanmäßig verkürzen. Angesichts des Aufwandes und der breiten Auswirkungen eines Wechsels dürfte das Risiko, dass die Hauptversammlung ihre Wechselkompetenz gezielt zur Durchsetzung einer sonst nicht durchsetzbaren Abberufung missbraucht, praktisch nicht ins Gewicht fallen. Tatsächlich eingeschränkt kann die Hauptversammlung jedoch sein, wenn die Satzung Entsendungsrechte gemäß § 101 Abs. 2 AktG gewährt. Denn auch diese entfallen automatisch mit Wegfall des jeweiligen Organs. Neben der satzungsändernden Mehrheit bedarf es daher jedenfalls dann der Zustimmung des entsendungsberechtigten Aktionärs, wenn das Entsendungsrecht im Zuge des Systemwechsels ersatzlos gestrichen wird,833 wenn es geschwächt wird (z. B. für weniger Sitze gewährt wird)834 oder wenn ein Verwaltungsorgan-Entsendungsrecht in ein Aufsichtsorgan-Entsendungsrecht umgewandelt wird. In letzterem Fall ergibt sich eine zustimmungspflichtige Einschränkung des Entsendungsrechts, da ein Sitz im geschäftsführungs- und überwachungsbefugten Verwaltungsorgan weder rechtlich noch unternehmerisch denselben Einfluss vermittelt wie ein Sitz im ausschließlich überwachungsbefugten Aufsichtsorgan.835 Keine individuelle Zustimmung des Entsendungsberechtigten ist dagegen erforderlich, wenn umgekehrt ein Aufsichtsorgan-Entsendungsrecht in ein Verwaltungsorgan-Entsendungsrecht umgewandelt wird. Denn wegen der erweiterten Befugnisse des Verwaltungsorgans im Vergleich zum Aufsichtsorgan erfährt die betroffene Entsendungsberechtigung in diesem Fall grundsätzlich keine Einschränkung, sondern – im Gegenteil – eine reine Begünstigung. Spricht sich ein Entsendungsberechtigter in dieser Situation dennoch gegen einen Systemwechsel 832

Zur Zulässigkeit einer Staffelung der Amtszeiten siehe oben Abschnitt „Festlegung der Amtszeit, Art. 46 Abs. 1 SE-VO“, S. 226. 833 Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 38 SE-VO Rn. 32. 834 Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 38 SE-VO Rn. 32. 835 A.A. Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 38 SE-VO Rn. 32, der allein auf die Anzahl der Organsitze abstellt.

G. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen 403

aus, so wird sein Einwand daher kaum von der Sorge um sein Sonderrecht getragen sein, sondern von allgemeinen Bedenken in Bezug auf den Wechsel, welche ihn nicht in seiner Rolle als Sonderrechtsinhaber, sondern in seiner Rolle als Aktionär betreffen. Diese Bedenken mag er bei der Diskussion und Abstimmung wie jeder andere Aktionär einbringen; aus der potenziellen Verbesserung seiner Entsendungsberechtigung eine Vetoposition zu konstruieren, ist dagegen nicht gerechtfertigt.836

III. Verpflichtung zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens, § 179a AktG Gemäß § 179a Abs. 1 Satz 1 AktG bedarf ein Vertrag, durch den sich eine AG „zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens verpflichtet“, der Zustimmung der Hauptversammlung. Die Kompetenz lässt sich gemäß Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO problemlos auf die deutsche SE übertragen.837 Was die Mehrheitserfordernisse betrifft, verweist § 179a AktG ausdrücklich auf die Vorschriften zur Satzungsänderung aus § 179 AktG, einschließlich der DreiViertel-Kapitalmehrheit (§ 179 Abs. 2 Satz 1) und der Möglichkeit diese in der Satzung zu variieren (§ 179 Abs. 2 Satz 2 AktG). Beides gilt gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii), iii) SE-VO auch für die deutsche SE.838 Gemäß § 179a Abs. 1 Satz 2 AktG kann der Satzungsgeber die Kapitalmehrheit jedoch nicht absenken, sondern nur verschärfen. Neben die Drei-Viertel-Kapitalmehrheit tritt ein einfaches Stimmenmehrheitserfordernis nach Art. 57 SE-VO. Denn um eine Satzungsänderung im Sinne des Art. 59 SE-VO handelt es sich bei der Verpflichtung nach § 179a AktG gerade nicht – auch wenn der deutsche Gesetzgeber ihr ein vergleichbares Gewicht beimisst, wie die systematische Einordnung der Vorschrift und der Verweis auf § 179 AktG zeigen. Diese Einordnung zum Anlass für eine analoge Geltung der Zwei-Drittel-Stimmenmehrheit aus Art. 59 SE-VO zu nehmen, kommt ebenso wenig in Betracht. Denn noch nicht einmal zu einer ausdrücklichen Erhöhung der Stimmenmehrheit per SEAG-Vorschrift wäre der deutsche Gesetzgeber berechtigt gewesen.839 836

Im Ergebnis ebenso Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 38 SE-VO Rn. 32. 837 Ebenso ausdrücklich wohl nur Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 52 SE-VO Rn. 16; Baatz/Weydner, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 1. Aufl. (2005), Kap. 6, Rn. 26 (im Anschluss Fürst/Klahr, a.a.O., in der 2. Aufl.); Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.580; das Gegenteil wird freilich nirgends vertreten. 838 Hierzu ausführlich oben Abschnitt „Ist Platz für die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse?“, S. 96. 839 Vgl. Art. 57 Hs. 2 Alt. 2 SE-VO, der das einfache Stimmenmehrheitserfordernis nur für „das im Sitzstaat der SE für Aktiengesellschaften maßgebliche Recht“ öffnet.

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IV. Finanzierungs- und Kapitalmaßnahmen Durchweg in die Kompetenz der Hauptversammlung fallen ferner eine ganze Reihe von Finanzierungs- und Kapitalmaßnahmen, die sich auf die Eigenkapitalbasis und damit auch auf die Beteiligungsstruktur auswirken. Jedenfalls auf die dualistische deutsche SE lassen sich die einschlägigen Kompetenztitel aus dem Aktiengesetz problemlos übertragen. Die SE-Hauptversammlung ist danach zuständig für die Beschlussfassung über eine ordentliche Kapitalerhöhung gegen Sach- oder Bareinlagen (§ 182 Abs. 1 Satz 1 AktG),840 für eine bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 1 AktG), für die Autorisierung einer Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital (§ 202 Abs. 2 AktG), für die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§ 207 Abs. 1 AktG), für die eigenkapitalnahe Aufnahme von Fremdkapital (§ 221 AktG; insbesondere Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen, Genussrechte); für die ordentliche und vereinfachte Kapitalherabsetzung (§ 222 Abs. 1, § 229 AktG), für die kapitalherabsetzende Zwangseinziehung von Aktien (§ 237 Abs. 2, 4, § 71 Abs. 1 Nr. 6 AktG) und für die Ermächtigung des Leitungsorgans zum Erwerb eigener Aktien (§ 71 Abs. 1 Nr. 7, 8 AktG). Nicht deutlich wird auf den ersten Blick, ob eine bedingte Kapitalerhöhung auch beschlossen werden kann, um Verwaltungsorganmitgliedern Aktienoptionen zu gewähren. Denn § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG sieht nur insofern nur „Arbeitnehmer und Mitglieder der Geschäftsführung“ als potenziell Begünstigte vor, so dass insbesondere Aufsichtsrats- bzw. Aufsichtsorganmitglieder außen vor bleiben.841 Entsprechend kategorisch könnten auch Verwaltungsorganmitglieder von Aktienoptionsprogrammen ausgenommen sein, da auch sie Überwachungsaufgaben übernehmen (vgl. § 22 Abs. 1 SEAG). Mindestens gleichberechtigt daneben stehen jedoch die Geschäftsführungsaufgaben des Verwaltungsorgans, die von den geschäftsführenden Direktoren nur in abhängiger Funktion wahrgenommen werden. Verglichen mit dem AG-Vorstand bzw. dem SE-Leitungsorgan gestalten sich die Geschäftsführungsbefugnisse des Verwaltungsorgans sogar noch stärker und umfassender, da das Verwaltungsorgan nicht punktuell auf die Zustimmung Organexterner angewiesen ist wie die Vorstand und Leitungsorgan im dualistischen System gemäß § 111 Abs. 4 AktG bzw. Art. 48 SE-VO. Auch nach den Maßstäben des § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG ist das Verwaltungsorgan daher als Geschäftsführungsorgan einzuordnen; eine bedingte Kapitalerhöhung zugunsten der Mitglieder ist daher möglich.842 840

Auch für die deutsche SE gilt, dass sich das gesetzliche Regel-/Ausnahme-Verhältnis zwischen ordentlicher Kapitalerhöhung einerseits und der Kapitalerhöhung aus genehmigtem und bedingten Kapital andererseits in der Praxis umkehrt; vgl. Marsch-Barner, in: Bürgers/ Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 182 Rn. 3; Seibert/Florstedt, ZIP 2008, 2145, 2150 (ordentliche Sachkapitalerhöhung als „weitgehend totes Recht“). 841 Siehe oben Abschnitt „Art der Vergütung“, S. 260, mit den Nachweisen in Fn. 261. 842 Ebenso Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 38 SEAG) Rn. 8; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 38 SEAG) Rn. 8; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 38 SEAG Rn. 13 – 15; Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2480; siehe auch oben Abschnitt „Einfluss

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Übertragen auf das monistische System lassen sich auch die Regeln zum genehmigten Kapital. Die Ermächtigung zur Aktienausgabe (§ 202 Abs. 1 AktG), zur Ausgestaltung der Emissionsbedingungen (§ 204 AktG) und ggf. zum Ausschluss des Bezugsrechts (§ 203 Abs. 2 Satz 1 AktG) richtet sich dann entsprechend § 22 Abs. 6 SEAG an das Verwaltungsorgan.843 Das Zustimmungserfordernis aus § 204 Abs. 1 Satz 2 AktG fällt in Folge der Kompetenzkonzentration gemäß § 22 Abs. 6 SEAG im monistischen System ersatzlos weg. Abzulehnen – auch de lege ferenda – sind die im deutschen Schrifttum unternommenen Versuche, für die Ausübung und Gestaltung des genehmigten Kapitals eine Art Mini-Dualismus zu kreieren, in dem liebgewonnene Elemente der dualistischen Verfassung weiter gelten. Vertreten wird etwa die These, der Verwaltungsorganvorsitzende trete an die Stelle des Vorstands und das Verwaltungsorgan an die Stelle des ggf. zustimmenden Aufsichtsrats,844 oder auch die Auffassung, das Verwaltungsorgan könne seine Ermächtigung an die geschäftsführenden Direktoren weiter reichen;845 wieder andere lassen die geschäftsführenden Direktoren an die Stelle des Vorstands treten und das Verwaltungsorgan an die des ggf. zustimmenden Aufsichtsrats.846 All’ diese Ideen widersprechen klar § 22 Abs. 6 SEAG, wonach sich die Kompetenzen von Vorstand und Aufsichtsrat auf das Verwaltungsorgan konzentrieren, und missverstehen darüber hinaus wohl auch grundlegend das monistische System, in dem eine institutionalisierte Trennung zwischen Geschäftsführungsund Überwachungsaufgaben gerade nicht stattfindet. Als einschlägige Verweisungsnorm für die vorgenannten Hauptversammlungskomptenzen wird teilweise Art. 5 SE-VO herangezogen, der „für das Kapital der SE, dessen Erhaltung und dessen Änderungen“ auf Sitzstaat-Aktienrecht verweist.847 Aus systematischer Sicht sprechen freilich die besseren Gründe dafür, auch hier auf Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO als die für Hauptversammlungskompetenzen speziellere Verweisung zu setzen und Art. 5 SE-VO nur insoweit heranzuziehen, als es um die

auf die Vergütung der Verwaltungsorganmitglieder“, S. 340; a.A. Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 5 SE-VO Rn. 4; Oechsler, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 5 SE-VO Rn. 32; ders., NZG 2005, 449, 450 f. 843 Zutreffend Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2475 f. (mit Formulierungsvorschlag in § 5 der Mustersatzung); wohl auch Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 5 SE-VO Rn. 66; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 5 Rn. 36 f. 844 Oechsler, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 5 SE-VO Rn. 31. 845 Schwintowski, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), Kap. 8, Rn. 101; hiergegen zu Recht Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 5 SE-VO Rn. 66. 846 Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 5 SE-VO Rn. 4; Diekmann, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 5 SE-VO Rn. 20; Fleischer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 5 SE-VO Rn. 8 a.E. 847 So Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), Art. 52 SE-VO Rn. 17.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Übertragung der nicht kompetenzbezogenen Kapitalregeln geht.848 Im Ergebnis bleibt die Entscheidung für die eine oder die andere Verweisquelle ohne Belang.

V. Umwandlungsmaßnahmen (ohne SE-Gründung gemäß Art. 2 f. SE-VO) 1. Vorab: Umwandlungsfähigkeit der deutschen SE a) Rechtsgrundlage Fraglich ist zunächst, welche Rechtsgrundlage als Brücke in Frage kommt, um ggf. Vorschriften aus dem deutschen Umwandlungsrecht auf die SE zu erstrecken. Vorgeschlagen werden hierfür Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO,849 Art. 10 SE-VO850 und § 3 Abs. 1 Nr. 2 UmwG;851 an anderer Stelle wird auf Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii), Art. 10 SE-VO und § 3 UmwG gemeinsam abgestellt852 oder auf Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO mit § 3 Abs. 1 Nr. 2 UmwG;853 wiederum andere stützen die Anwendbarkeit des AG-Umwandlungsrechts auf „Art. 15 Abs. 1 bzw. Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO“854 oder auf Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii), Art. 10 SE-VO direkt und Art. 66 SE-VO analog.855 Eine nähere Begründung für die eine oder andere Wahl findet sich bei den zitierten Autoren nicht. Richtigerweise führt der Weg über § 3 Abs. 1 Nr. 2 UmwG, der die AG als umwandlungsfähigen Rechtsträger einordnet, und über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SEVO, der das für die AG geltende deutsche Recht auf die SE erstreckt.856 Keine Rolle spielen demgegenüber Art. 15 Abs. 1 SE-VO, der die Gründung einer neuen SE und nicht die Umstrukturierung einer bestehenden betrifft, und Art. 10, Art. 66 SE-VO, die keine bzw. keine ausreichend umfassenden Verweise auf nationales Recht ent848

So wohl implizit Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 8; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 52 SE-VO Rn. 37 a.E. 849 Heckschen, NZG 2010, 1041, 1041; Kiefner/Brügel, AG 2011, 525, 532 (alternativ darauf abstellend, „dass die SE eine ,Aktiengesellschaft‘ i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 UmwG“ sei); Schwarz, ZIP 2001, 1847, 1858 f. 850 J. Wagner, DStR 2010, 1629, 1635; Wicke, MittBayNot 2006, 196, 201. 851 Kiefner/Brügel, AG 2011, 525, 532 (die Verschmelzungsfähigkeit ergebe sich aber „auch aus Art. 9 Abs. 1 lit. c ii) SE-VO“). 852 Casper, AG 2007, 97, 102; wohl auch Schwarz, SE-VO (2006), Art. 3 Rn. 33 f.; Reichert, Der Konzern 2006, 821, 833. 853 Drygala, in: Lutter, UmwG, 5. Aufl. (2014), § 3 Rn. 20; Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013), § 3 Rn. 11; in dieselbe Richtung bereits ders., in: FS Happ (2006), S. 165, 173. 854 Waclawik, DB 2006, 1827, 1831. 855 Oplustil/Schneider, NZG 2003, 13, 16; Vossius, ZIP 2005, 741, 748. 856 Zutreffend daher Drygala, in: Lutter, UmwG, 5. Aufl. (2014), § 3 Rn. 20; MarschBarner, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013), § 3 Rn. 11.

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halten. Das Diskriminierungsverbot aus Art. 10 SE-VO ist auch nicht erforderlich, um die SE als AG im Sinne des Umwandlungsgesetzes zu behandeln,857 denn dies ergibt sich bereits aus Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO. b) Sperrwirkung der Art. 2 f. SE-VO? Nationales Umwandlungsrecht kann über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO nur insoweit zur Anwendung gelangen, als die SE-VO hierfür nicht bereits eine abschließende Regelung enthält. Fraglich ist daher, ob und wie sich die Tatsache auswirkt, dass der Verordnungsgeber mit den verschiedenen SE-Gründungsvarianten in Art. 2 f. SE-VO eine Reihe von Umstrukurierungsmaßnahmen regelt, deren Mechanismen teilweise den im Umwandlungsgesetz geregelten Maßnahmen entsprechen. Namentlich die SE-Gründung durch Verschmelzung (Art. 2 Abs. 1, Art. 17 – 31 SE-VO) und durch Formwechsel (Art. 2 Abs. 4, Art. 37 SE-VO) lehnen sich an nationale Vorbilder an (vgl. §§ 2 – 122 l bzw. §§ 190 – 304 UmwG), auf die in Art. 18 SE-VO sogar explizit verwiesen wird. Gleichzeitig sind die Gründungsvarianten in Art. 2 f. SE-VO als Numerus Clausus konzipiert, der den nationalen Gesetzgebern keinen Raum lässt, um konkurierende Gründungsvarianten zu entwerfen.858 aa) Meinungsbild Die herrschende Meinung entnimmt den Art. 2 f. SE-VO eine abschließende Regelung des SE-Umwandlungsrechts insoweit, als eine Umwandlungsmaßnahme zum erstmaligen Entstehen einer SE führt.859 Nationale Umwandlungsmaßnahmen, die zum selben Ergebnis führen würden, sind ausgeschlossen. Dies führe dazu, dass sich eine SE zwar grundsätzlich an einer Verschmelzung nach § 2 UmwG beteiligen könne, an einer Verschmelzung zur Neugründung (§ 2 Nr. 2 UmwG) jedoch nur dann, wenn es sich bei dem übernehmenden Rechtsträger nicht um eine SE handele.860 Auch die Spaltung (§ 123 UmwG) einer existierenden SE dürfe grundsätzlich nicht dazu führen, dass eine neue SE entstehe. Ausgeschlossen sei daher die Aufspaltung und die Abspaltung zur Neugründung einer oder mehrerer SE (§ 123 Abs. 1

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So aber Schwarz, SE-VO (2006), Art. 3 Rn. 34. Ganz h.M.; siehe nur Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 2 SE-VO Rn. 2; MarschBarner, in: FS Happ (2006), S. 165, 167; Scheifele, Gründung (2004), S. 11; jeweils mit weiteren Nachweisen. 859 So ausdrücklich Schwarz, SE-VO (2006), Art. 3 Rn. 33 – 38 mit dortiger Fn. 53; Casper, AG 2007, 97, 103; Grambow, Der Konzern 2009, 97, 98; Kossmann/Heinrich, ZIP 2007, 164, 168; Marsch-Barner, in: FS Happ (2006), S. 165, 167 – 173; implizit auch die Mehrzahl der weiteren nachfolgend zitierten Autoren. 860 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 3 Rn. 35; Casper, AG 2007, 97, 103; Marsch-Barner, in: FS Happ (2006), S. 165, 173 – 175; Oplustil/Schneider, NZG 2003, 13, 16. 858

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Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 UmwG).861 Zulässig dagegen sei die Ausgliederung zur Gründung einer neuen SE (§ 123 Abs. 3 Nr. 2 UmwG), da es sich insofern um einen Unterfall der Gründung einer Tochter-SE nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO handele, für den Art. 15 Abs. 1 SE-VO auf nationales Gründungsrecht verweise.862 Zur vereinzelt und ausnahmsweise wird eine SE-Neugründung nach nationalem Umwandlungsrecht für zulässig erachtet, nämlich bei Verschmelzung zweier bestehender SE zur Neugründung einer dritten SE.863 An anderer Stelle wird eine Aufspaltung zur SE-Neugründung für zulässig erachtet, da der Begriff der Tochtergesellschaft aus Art. 3 Abs. 2 SE-VO insofern „untechnisch“ zu verstehen sei.864 Andere Stimmen wollen sowohl eine Auf- als auch eine Abspaltung zur Neugründung einer SE zulassen; denn abschließend sei in der Verordnung bloß geregelt, wie sich nationale Gesellschaften an einer SE-Gründung beteiligen könnten.865 An wiederum anderer Stelle werden – etwas weitergehend als die herrschende Meinung – nicht nur sämtliche SE-Neugründungen nach nationalem Umwandlungsrecht für unzulässig erachtet, sondern auch solche verordnungsexternen Umwandlungsvorgänge ausgeschlossen, deren Endprodukt eine (nicht unbedingt neue) SE sei und bei denen Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten grenzüberschreitend fusionierten.866 Denn grenzüberschreitende Verschmelzungen seien in der SE-VO insofern abschließend geregelt, als das Endprodukt eine SE sei. Wiederum andere Autoren wollen sämtliche Umwandlungsvorgänge ausschließen, deren Endprodukt eine SE sei.867 Und schließlich findet sich auch die Ansicht, 861 Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 2, 3 SE-VO Rn. 18, 40; ders., AG 2007, 97, 104; ders., ZHR 173 (2009), 181, 192 f.; Habersack, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 3 SE-VO Rn. 12; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), Art. 3 SE-VO Rn. 7; Kossmann/Heinrich, ZIP 2007, 164, 168; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 3 Rn. 36; Marsch-Barner, in: FS Happ (2006), S. 165, 172. 862 Marsch-Barner, in: FS Happ (2006), S. 165, 169 f.; Scheifele, Gründung (2004), S. 442 f.; im Anschluss Bayer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 3 SE-VO Rn. 16; Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. (2010), Art. 2, 3 SE-VO Rn. 18, 40; ders., AG 2007, 97, 104; Habersack, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 3 SE-VO Rn. 12; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), Art. 3 SE-VO Rn. 7; Maul, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 3 SE-VO Rn. 5, 34; dies., in: Van Hulle/Maul/ Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 4. Abschn., § 6 Rn. 8; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 3 Rn. 36; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 382; Kossmann/Heinrich, ZIP 2007, 164, 168. 863 Veil, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 1. Aufl. (2005), Kap. 10, Rn. 19. 864 Oechsler, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 3 SE-VO Rn. 6 a.E. 865 Oplustil/Schneider, NZG 2003, 13, 17. 866 Reichert, Der Konzern 2006, 821, 834; Simon/Rubner, Der Konzern 2006, 835, 836 f.; RegE MgVG, BT-Drs. 16/2922, S. 20 („… wird dem Umstand Rechnung getragen, dass aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung … keine europäische, sondern eine nationale Rechtsform (zum Beispiel AG, GmbH) hervorgeht.“) 867 Oechsler, in: MüKo-AktG, 2. Aufl. (2006), Vor Art. 1 SE-VO Rn. 19; implizit auch ders., NZG 2006, 697, 699 f. (keine Verschmelzung einer deutschen AG auf eine deutsche SE möglich, weil die Gesellschaften nicht das Mehrstaatlichkeitserfordernis aus Art. 2 Abs. 2

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sämtliche Spaltungsvarianten, die zu einer SE-Neugründung führten – einschließlich der Ausgliederung –, seien ausgeschlossen.868 bb) Stellungnahme Richtigerweise ist dem Ansatz der herrschenden Ansicht ohne Ausnahme zu folgen, wonach Art. 2 f. SE-VO nationales Umwandlungsrecht nur – aber auch immer – dann sperren, wenn es um die Neugründung einer SE geht. Innerhalb der Verordnung lässt sich dies an den Erwägungsgründen 7, 10 und 11 festmachen, die hervorheben, dass und wie die Verordnung die Varianten der SE-Gründung reguliert und nicht etwa die Varianten der Beteiligung nationaler Gesellschaften an einer SEGründung. Will man den abschließenden Charakter der in Art. 2 SE-VO genannten Gründungsvarianten nicht bereits aus der Vorschrift selbst ableiten, so bietet sich ein Umkehrschluss zu Art. 3 Abs. 1 SE-VO an, der die Gründungsvorgänge aus Art. 2 SE-VO nur für den Fall erweitert, dass zu den Gründungsgesellschaften eine SE zählt und darüber hinaus keine Öffnungsklausel zugunsten nationaler Rechtsvorschriften enthält. Auch aus der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit lässt sich die exklusive Zuständigkeit des europäischen Gesetzgebers für die Regelung der SENeugründung ableiten. Denn nach den vom EuGH in „Daily Mail“ entwickelten und im deutschen Rechtsraum teilweise als „Geschöpftheorie“ bezeichneten Grundsätzen „werden Gesellschaften aufgrund einer Rechtsordnung, beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts aufgrund einer nationalen Rechtsordnung,869 gegründet. Jenseits der jeweiligen nationalen Rechtsordnung, die ihre Gründung und ihre Existenz regelt, haben sie keine Realität.“870 Ist danach ein Mitgliedstaat exklusiv dafür zuständig, die Voraussetzungen für den Zugang zu seinen nationalen Gesellschaftsformen zu regulieren, so ist auch niemand anderes als der europäische Gesetzgeber dafür zuständig, festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Gründer Zugang zur europäischen SE-Rechtsform erhalten. Ebenso wie es also dem deutschen Gesetzgeber nicht zusteht, selbstständig einen Weg zur Gründung einer niederländischen B.V. oder einer französischen S.A. zu eröffnen, ist es ihm ausnahmslos unmöglich, den Art. 2 f. SE-VO eigeninitiativ weitere SE-Gründungsvarianten zur Seite zu stellen.

lit. a), Art. 3 Abs. 1 SE-VO erfüllen); wohl offener nunmehr ders., in MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Vor Art. 1 SE-VO Rn. 19. 868 So ohne Begründung Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 2 SE-VO Rn. 2. 869 An dieser Stelle scheint der EuGH bereits die Möglichkeit europäischer Gesellschaftsformen zu antizipieren. 870 EuGH, Urteil v. 27. September 1988, Rs. 81/87, NJW 1989, 2186, 2187; später wiedergegeben in EuGH, Urteil v. 16. Dezember 2008, Rs. C-210/06, Rn. 104 („Cartesio“).

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Beizupflichten ist der herrschenden Meinung grundsätzlich auch insoweit, als sie die Spaltung zur SE-Neugründung nur in Form der Ausgliederung (§ 123 Abs. 3 Nr. 2 UmwG) zulässt, nicht dagegen zur Ab- oder Aufspaltung (§ 123 Abs. 1, Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 UmwG). Denn letztere Fälle können – jedenfalls aus der Perspektive der gespaltenen SE – nicht als Gründung einer Tochter-SE nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO qualifiziert werden, da die neue SE der gespaltenen SE nicht untergeordnet, sondern als Schwestergesellschaft nebengeordnet wird.871 Ausnahmsweise zulässig wird die Ab- oder Aufspaltung zur SE-Neugründung jedoch sein, wenn die gespaltene SE ihrerseits 100 %-Tochtergesellschaft einer Mutter-SE ist. Denn in diesem Fall stellt sich die Ab- oder Aufspaltung zur Neugründung zwar aus der Perspektive der 100 %Tochtergesellschaft nicht als Tochtergründung im Sinne des Art. 3 Abs. 2 SE-VO dar, wohl aber aus der Perspektive der Mutter-SE, die gemäß § 123 Abs. 1 a.E. bzw. Abs. 2 a.E. alle Anteile an der neu gegründeten SE übernimmt. c) Sperrwirkung des Art. 66 SE-VO? Neben den Art. 2 f. SE-VO könnte auch Art. 66 SE-VO eine mehr oder weniger große Sperrwirkung für nationales Umwandlungsrecht entfalten. Unmittelbar betrifft Art. 66 SE-VO nur die „Umwandlung“ einer SE in eine nationale Aktiengesellschaft, also einen „Formwechsel“ im Sinne der deutschen Terminologie, und fordert hierfür etwa einen Umwandlungsplan und -bericht (Abs. 3), eine Offenlegung derselben (Abs. 4) sowie eine Beschlussfassung der Hauptversammlung (Abs. 6). aa) Abschließende Regelung des gesamten nationalen Umwandlungsrechts? Erwägen ließe sich zunächst, Art. 66 SE-VO als abschließende Regelung in Hinblick auf das gesamte oder nahezu das gesamte872 Umwandlungsrecht einzuordnen. Umwandlungsarten aus dem Sitzstaat-Aktienrecht ließen sich dann grundsätzlich nicht über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO auf die SE anwenden. Auf eine derart weit ausgreifende Sperrwirkung könnte die Bezeichnung des Vorgangs als „Umwandlung“ hindeuten. Auch die Verordnungsgeschichte könnte eine weite Auslegung nahe legen, enthielten doch die Vorentwürfe bis zum SE-VOV 1991 ausführliche Regelungen auch zu Verschmelzungen der SE innerhalb ihres jeweiligen Sitzstaats. Dies könnte darauf hindeuten, dass der europäische Gesetzgeber auch die Beteiligung der SE an rein nationalen Umwandlungsvorgängen für rege-

871

Marsch-Barner, in: FS Happ (2006), S. 165, 172; über diesen Unterschied hinweggehend dagegen Oplustil/Schneider, NZG 2003, 13, 17. 872 In diese Richtung (Umwandlung der SE nach nationalem Recht nur in Form einer Verschmelzung mit einer anderen SE oder AG): Veil, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 1. Aufl. (2005), Kap. 10, Rn. 16 – 19; ebenso noch Schäfer, in: MüKo-AktG, 2. Aufl. (2006), Art. 66 SE-VO Rn. 1 (offener dann aber ders., a.a.O., in der 3. Aufl.).

G. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen 411

lungsbedürftig erachtete, und dem weitgehenden Schweigen der SE-VO einen entsprechend beredten Charakter verleihen.873 Auf der anderen Seite fehlt dem Wortlaut des Art. 66 SE-VO jeder weitere Hinweis auf einen abschließenden Charakter der Vorschrift, wie beispielsweise das Wort „nur“. Auch die systematische Platzierung der Norm am Ende der Verordnung und zum Schluss eines Titels, dessen Überschrift („Auflösung, Liquidation, Zahlungsunfähigkeit und Zahlungseinstellung“) mit herkömmlichen Umwandlungen nichts gemein hat, erschiene angesichts einer derart wichtigen Bedeutung der Norm merkwürdig. Die These, Art. 66 SE-VO stehe einer Teilnahme der SE an nationalen Umwandlungsvorgängen entgegen, würde schließlich im Ergebnis zu einer uferlosen und kaum mehr sinnvoll eingrenzbaren Sperrwirkung führen. Denn für die Antwort auf die Frage, welche „Umwandlungen“ genau von der Sperrwirkung betroffen sein könnten, bietet Art. 66 SE-VO nicht viel mehr an als den Begriff der „Umwandlung“ selbst. Mit materiellem Inhalt gefüllt wird er in Art. 66 SE-VO gerade nicht – sieht man einmal von dem dort geregelten Fall des Formwechsels ab, der ja nach der vorstehenden These gerade nicht gleichbedeutend mit sämtlichen von Art. 66 SE-VO betroffenen Umwandlungsvarianten wäre. Ebenso wenig käme es in Betracht, eine Sperrwirkung auf all jene „Umwandlungen“ zu beziehen, die in den nationalen Aktienrechtsordnungen als solche bezeichnet werden. Denn in diesem Fall würde die Sperrwirkung in jedem Mitgliedstaat unterschiedlich und in zufälliger Abhängigkeit von den Formulierungen der jeweiligen Aktien- und Umwandlungsgesetze ausfallen. Und eine Sperrung sämtlicher Umwandlungs- und umwandlungsartigen Strukturmaßnahmen, die ihrer materiellen Bedeutung nach unter einen grenzüberschreitenduntechnisch verstandenen Umwandlungsbegriff gefasst werden könnten, würde leicht auch wichtige Kapitalmaßnahmen, Unternehmensverträge, Eingliederungen und Squeeze-Outs erfassen und geriete so in Konflikt mit Art. 5 SE-VO, der die für die Regelung der Aktienbasis und des Kapitals der SE „und dessen Änderungen“ auf Sitzstaat-Aktienrecht verweist. Eine umfassende oder weitgehende Sperrung des nationalen Umwandlungsrechts kann aus Art. 66 SE-VO daher nicht abgeleitet werden. bb) Abschließende Regelung des Rück-Umwandlungsrechts? Gilt Art. 66 SE-VO wenigstens abschließend in dem Sinne, dass zwar grundsätzlich nationales Umwandlungsrecht auf die SE anwendbar ist, aber diejenigen nationalen Umwandlungsvorgänge gesperrt sind, die zu einem Untergang der SE führen würden? Rück-Umwandlungen in nationale Gesellschaftsformen wären dann nur auf Basis des Art. 66 SE-VO und nur als Formwechsel in eine nationale AG möglich, nicht dagegen beispielsweise als Verschmelzung auf eine nationale Ge873 So Schäfer, in: MüKo-AktG, 2. Aufl. (2006), Art. 66 SE-VO Rn. 1; Veil, in: Jannott/ Frodermann, Hdb EuropAG, 1. Aufl. (2005), Kap. 10, Rn. 17.

412

4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

sellschaftsform oder als Formwechsel in eine nationale GmbH oder Personengesellschaft). Der Numerus Clausus für SE-Neugründungsvarianten aus Art. 2 f. SEVO wäre gleichsam umgekehrt.874 Auch die vorgenannte These findet sich jedoch weder im Wortlaut des Art. 66 SEVO noch in der Verordnungssystematik wieder. Hätte der Verordnungsgeber Art. 66 SE-VO als eine Art Ausgangs-Numerus-Clausus spiegelbildlich zum EingangsNumerus-Clausus aus Art. 2 f. SE-VO angelegt, so hätte nichts näher gelegen, als die beiden Regelungskomplexe auch systematisch miteinander in Verbindung zu bringen, beispielsweise durch eine unmittelbare Aneinanderreihung, durch eine Parallele in Formulierung und Überschrift oder durch eine Hervorhebung des Art. 66 SE-VO in einem separaten Titel oder Abschnitt – parallel zum Gründungs-Titel II (Art. 15 – 37). Nach dem tatsächlichen Aufbau der Verordnung könnte der Abstand zum Gründungsrecht aber wohl kaum größer sein und die systematische Abwertung des Art. 66 SE-VO gegenüber dem Gründungsrecht kaum stärker ausfallen. Aus historischem Blickwinkel hätte sich allenfalls aus den Vorentwürfen bis zum SE-VOV 1991 eine Spiegelbildlichkeit von Eingangs- und Ausgangs-NumerusClausus ablesen lassen können. Denn dort war dem Formwechsel- und Verschmelzungsrecht jeweils noch ein separater Titel gewidmet. Dessen Inhalt fiel zwar mit der Zeit immer weniger detailverliebt aus; die systematische Einordnung maß den jeweiligen Regelungskomplexen aber immerhin noch formell dasselbe Gewicht wie dem Gründungsrecht zu, dem ebenfalls durchweg ein eigener Titel gewidmet war. Mit dem letztlich in Kraft getretenen Art. 66 SE-VO nahm der Verordnungsgeber diese formelle Gewichtung zurück und degradierte die verbliebenen umwandlungsbezogenen Vorschriften zum Bestandteil des Insolvenz- und Auflösungstitels V. Art. 66 SE-VO kann daher auch keine beschränkte Sperrwirkung dahingehend entnommen werden, dass nur solche nationalen Umwandlungsmaßnahmen gesperrt sind, die aus der SE-Rechtsform heraus- und in eine nationale Rechtsform hineinführen. Insbesondere darf eine existierende deutsche SE daher auf eine andere Gesellschaft deutscher Rechtsform verschmolzen werden.

874

In diese Richtung tendierend wohl Reiner, Der Konzern 2011, 135, 137 – 149, der seinen Befund an die historische Argumentation von Veil und Schäfer (siehe oben 4. Teil, Fn. 872) anknüpft: „Die Kommission hat die Verschmelzung der SE mit einer nationalen Gesellschaft, die nicht Aktiengesellschaft ist, in keinem ihrer Entwürfe vorgesehen und, mehr noch, auch nicht nach Maßgabe nationaler Rechtsordnungen für möglich gehalten“ (a.a.O., S. 146). Mit Blick auf die SE-VOV 1989 und 1991 ließe sich ferner „u. U. eine Beschränkung auf Aktiengesellschaften als Zielgesellschaften [eines Formwechsels] begründen …, was aber keinesfalls evident [sei]“ (a.a.O., S. 148). Letztlich beschränkt sich Reiner allerdings auf die eng gefasste Feststellung, es gebe vernünftige Zweifel daran, dass Art. 66 SE-VO den Formwechsel einer SE in eine KGaA zulasse.

G. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen 413

cc) Abschließende Regelung des Rück-Formwechselrechts? Sperrt Art. 66 SE-VO danach weder das gesamte nationale Umwandlungsrecht noch das Rück-Umwandlungsrecht, so könnte ihm wenigstens eine abschließende Regelung in dem Sinne zu entnehmen sein, dass diejenigen nationalen Umwandlungsvorgänge gesperrt sind, welche einen Formwechsel der SE in eine nationale Gesellschaftsform regeln würden. Ein Formwechsel der SE in eine nationale Rechtsform wäre dann nur auf Basis des Art. 66 SE-VO und nur als Formwechsel in eine nationale AG möglich. Nicht möglich wäre dagegen beispielsweise ein direkter Formwechsel in eine GmbH, in eine KGaA oder in eine Personengesellschaft. Eine im älteren Schrifttum vertretene Ansicht875 befürwortet eine derart beschränkte Sperrwirkung des Art. 66 SE-VO. Durch die in Art. 66 SE-VO enthaltenen Umwandlungsvoraussetzungen sollte Missbräuchen vorgebeugt und insbesondere verhindert werden, „dass der Formwechsel zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung außerhalb der Voraussetzungen des Art. 8 bzw. der ,Umweg‘ über die SE nach deren Sitzverlegung zur Flucht aus der Mitbestimmung missbraucht [werde].“876 In dieselbe Richtung gedeutet wird die wechselvolle Historie des Rück-Umwandlungsrechts aus Art. 66 SE-VO in Verbindung mit Art. 69 SE-VO, der die Kommission mandatiert(e), fünf Jahre nach Inkrafttreten der SE-VO über die Anwendung der Verordnung zu berichten und ggf. Änderungen vorzuschlagen, insbesondere in Hinblick auf eine mögliche Ausweitung des im SE-Gründungsrecht verwendeten Verschmelzungsbegriffs. Hieraus werde deutlich, dass die mit der SE-VO geschaffene Rechtslage nach dem Willen des Verordnungsgebers vorläufigen Charakter haben solle und „dass nur solche Möglichkeiten einer Umwandlung anerkannt werden können, die in der verabschiedeten SE-VO ausdrücklich genannt sind.“877 Die herrschende Ansicht878 spricht sich gegen die oben genannte Sperrwirkung aus und beruft sich unter anderem auf das Diskriminierungsverbot aus Art. 10 SE875 Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. (2007), Einl. C Rn. 63 (a.A. dann zwar Drinhausen, a.a.O., in der 3. Aufl. (2012), und ders., in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 66 SE-VO Rn. 7; in Rechnung zu stellen ist dabei aber redlicherweise, dass die Sozietät des Autoren Drinhausen im Jahr 2011 den Formwechsel der Fresenius SE in eine KGaA beriet, dessen Zulässigkeit gerade unter Berufung auf Art. 66 SE-VO gerichtlich angegriffen wurde; siehe OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 2. Dezember 2010, BeckRS 2011, 16034, sowie Artikel „Streit beigelegt: Fresenius zieht Rechtsformwechsel mit Hengeler und Linklaters durch“, Juve Rechtsmarkt vom 1. Februar 2011, abrufbar unter www.juve.de); Schäfer, in: MüKo-AktG, 2. Aufl. (2006), Art. 66 SE-VO Rn. 1, 3, 14 (a.A. dann ders., a.a.O., in der 3. Aufl. (2012)); Veil, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 1. Aufl. (2005), Kap. 10, Rn. 20; Vossius, ZIP 2005, 741, 748 f. (a.A. dann ders., in: Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Loseblattsammlung (Stand 9/2010), § 20 UmwG Rn. 404); erwägend auch Waclawik, DB 2006, 1827, 1833. 876 So Schäfer, in: MüKo-AktG, 2. Aufl. (2006), Art. 66 SE-VO Rn. 1, 3 (einschränkend dann ders., a.a.O., in der 3. Aufl. (2012). 877 Veil, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 1. Aufl. (2005), Kap. 10, Rn. 17, 20. 878 OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 2. Dezember 2010, BeckRS 2011, 16034; Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 2, 3 SE-VO Rn. 39; Heckschen, in:

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

VO.879 Auch würde die vom Verordnungsgeber erstrebte Attraktivität der SERechtsform eingeschränkt, wenn nur die AG als Zielrechtsform einer Rück-Umwandlung in Frage komme.880 Und schließlich sei eine Beschränkung auf die AG als Zielrechtsform unpraktikabel, da der Gesellschaft im Anschluss an die Rückumwandlung in die AG sowieso alle weiteren nationalen Rechtsformen offen stünden; der Zwischen-Formwechsel in eine AG wäre dann reiner Formalismus.881 Im Ergebnis ist der herrschenden Meinung beizupflichten, auch wenn die genannten Argumente wohl nicht den Ausschlag geben. Insbesondere die Erwägung, eine zwingende Zwischenumwandlung in die AG sei unpraktikabel, weswegen eine offenere Interpretation des Art. 66 SE-VO vorzugswürdig sei, leuchtet nicht recht ein. Denn auch bei der Neugründung einer SE durch Formwechsel oder Verschmelzung müssen die Gründungsgesellschaften nach dem Konzept der Art. 2 f. SE-VO zwingend das AG-Stadium durchlaufen, und ebenso wenig gelingt die Gründung einer gemeinsamen Tochter- oder Holding-SE, wenn die Gründungsgesellschaften nicht zuvor in eine AG formwechseln. Dieser Schritt bleibt auch solchen Gründungsgesellschaften nicht erspart, die den Formwechsel in die AG allein deswegen vollziehen, um dem Buchstaben der SE-VO zu genügen, und in einem zweiten Schritt sofort in die SE-Rechtsform weiter zu wechseln. Weder in der Literatur, noch in der Rechtsprechung oder Rechtspraxis wird dieser – tatsächlich fragwürdige – Formalismus als anstößig empfunden bzw. zum Anlass genommen, de lege lata den abschließenden Charakter der Gründungsvarianten aus Art. 2 f. SE-VO in Frage zu stellen. Ebenso wenig eignen sich Praktikabilitätserwägungen aber, um einen nicht abschließenden Charakter des Art. 66 SE-VO und die Zulässigkeit al-

Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Loseblattsammlung (Stand 2/2011), Anhang 14 Rn. 516.1; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 66 SE-VO Rn. 11; Schröder, in: Manz/ Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 66 SE-VO Rn. 9; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 66 Rn. 29 f.; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko., 1. Aufl. (2008), Art. 66 SE-VO Rn. 3; ders., in: Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Loseblattsammlung (Stand 9/2010), § 20 UmwG Rn. 404 (a.A. noch ders., ZIP 2005, 741, 748 f.); J. Schmidt, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 66 SE-VO Rn. 7 f.; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 154 f.; Kossmann/Heinrich, ZIP 2007, 164, 168; Marsch-Barner, in: FS Happ (2006), S. 165, 177; Oplustil/Schneider, NZG 2003, 13, 15 f.; nunmehr auch Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 66 SE-VO Rn. 1, 3, und Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, 3. Aufl. (2012), Einl. C Rn. 63 (a.A. beide noch in den Vorauflagen; siehe 4. Teil, Fn. 875). 879 Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 66 SE-VO Rn. 9. 880 OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 2. Dezember 2010, BeckRS 2011, 16034; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko., 1. Aufl. (2008), Art. 66 SE-VO Rn. 3. 881 In diese Richtung OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 2. Dezember 2010, BeckRS 2011, 16034; Drinhausen, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 66 SE-VO Rn. 7; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 66 Rn. 29 a.E.; Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko., 1. Aufl. (2008), Art. 66 SE-VO Rn. 3; J. Schmidt, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 66 SE-VO Rn. 7; Kossmann/Heinrich, ZIP 2007, 164, 168; Oplustil/ Schneider, NZG 2003, 13, 15.

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ternativer, dort nicht ausdrücklich vorgesehener Rück-Formwechselvarianten zu begründen.882 Auch das Diskriminierungsverbot aus Art. 10 SE-VO kann die Auslegung des Art. 66 SE-VO nicht steuern. Denn mit ihm wendet sich der Verordnungsgeber selbstverständlich nicht an sich selbst – die gesamte SE-Verordnung wäre in diesem Fall wohl hinfällig –, sondern allein an die Mitgliedstaaten.883 Ebenso wenig einleuchtend ist es freilich, aus der wechselvollen Geschichte des SE-Rück-Umwandlungsrechts und Art. 69 SE-VO eine Sperrwirkung des Art. 66 SE-VO in seiner letztlich verabschiedeten Fassung herzuleiten. Schon im Ansatz fehl geht die Behauptung, die Verordnung habe „vorläufigen Charakter“. Denn eine Befristung im Rechtssinne enthält die Verordnung gerade nicht, und auch in rechtspolitischer Hinsicht enthält Art. 69 SE-VO nichts, was auf ein untechnisches Verfallsdatum hindeuten würde. Die Tatsache, dass sich der Verordnungsgeber selbst eine Pflicht zur Überprüfung der Verordnung auferlegte, ist für die Beantwortung der Frage, ob die verabschiedete Formulierung offen oder abschließend zu verstehen ist, daher völlig unergiebig – zumal die in Art. 69 SE-VO genannten Überprüfungsschwerpunkte mit Art. 66 SE-VO nichts gemein haben.884 Auch wird nicht recht deutlich, welchen Missbräuchen mit einer abschließenden Wirkung des Art. 66 SE-VO vorgebeugt werden könnte. Schäfer885 scheint auf die Konstellation anzuspielen, in der eine mitbestimmte deutsche AG sich zunächst in eine deutsche SE umwandelt, anschließend ihren Sitz in einen Mitgliedstaat verlegt, der keine gesetzliche Mitbestimmung kennt, und schließlich per Umwandlung in die dortige nationale AG-Rechtsform die Mitbestimmung abstreift.886 Selbst wenn man einen Willen des Verordnungsgebers erkennen wollte, dieses Vorgehen abzuwehren,887 wäre die beschriebene Sperrwirkung aber kein geeignetes Abwehrmittel. Denn ob sich die SE im Ziel-Mitgliedstaat in die dortige AG-Rechtsform umwandelt oder eine andere nationale Rechtsform wählt, ist für die Mitbestimmung belanglos – sie endet in jedem Fall. Richtigerweise führt kein Weg an dem Befund vorbei, dass sich weder ein abschließender Charakter des Art. 66 SE-VO noch ein nicht abschließender Charakter eindeutig belegen lässt. Die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Art. 66 SE-VO und nationalem Umwandlungsrecht wird hierdurch freilich nicht unmöglich, sondern schlicht auf den unverbogenen Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO 882 883 884 885 886

227 f.

In dieselbe Richtung die zutreffende Kritik von Reiner, Der Konzern 2011, 135, 143. Zutreffend Reiner, Der Konzern 2011, 135, 141 f. Letzteres bemerkend auch Reiner, Der Konzern 2011, 135, 144. Siehe oben 4. Teil, Fn. 876. Eine Beschreibung dieses Szenarios findet sich bereits bei Kübler, ZHR 167 (2003), 222,

887 Tatsächlich lässt sich ein solcher Wille nicht belegen; siehe sogleich Abschnitt „Analoge Anwendung der Zwei-Jahres-Frist aus Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO auf nationales Umwandlungsrecht?“, S. 393.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

zurückgeworfen. Danach unterliegt die SE „in Bezug auf die nicht durch diese Verordnung geregelten Bereiche oder, sofern ein Bereich nur teilweise geregelt ist, in Bezug auf die nicht von dieser Verordnung erfassten Aspekte, den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die auf eine nach dem Recht des Sitzstaats der SE gegründete Aktiengesellschaft Anwendung finden würden.“ Mit anderen Worten: Regelt die Verordnung einen Bereich nicht oder nur teilweise und wird hierdurch die Frage aufgeworfen, ob die Verordnung nationale Vorschriften sperrt, die in die Regelungslücke stoßen würden, so liegt die Begründungslast bei denjenigen, die eine Sperrwirkung der Verordnung bejahen bzw. eine Regelungsoffenheit verneinen. Lassen sich Zweifel an der Regelungsoffenheit nicht ausräumen, so bleibt es bei der Lückenfüllung durch nationales Recht. So liegt es auch in Bezug auf Art. 66 SE-VO: Der Formwechsel der SE in die jeweilige nationale AG-Rechtsform wird unmittelbar geregelt; der Formwechsel der SE in alle anderen nationale Rechtsformen bleibt dagegen völlig ungeregelt. In Hinblick auf letzteren Aspekt schlüpft die SE daher über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SEVO in die Rolle einer nationalen Aktiengesellschaft. Art. 66 SE-VO sperrt daher auch nicht diejenigen nationalen Umwandlungsvorgänge, die einen Formwechsel der SE in eine nationale Gesellschaftsform regeln. Einer deutschen SE stehen stattdessen gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO dieselben Formwechsel-Optionen offen wie einer deutschen AG. Insbesondere kann eine deutsche SE direkt in eine GmbH, in eine KGaA oder in eine Personengesellschaft formwechseln, ohne auf eine Zwischen-Umwandlung in eine AG angewiesen zu sein. dd) Abschließende Regelung nur des Rück-Formwechsels in eine nationale AG? Gilt Art. 66 SE-VO also wenigstens insofern abschließend als diejenigen nationalen Umwandlungsregeln gesperrt sind, die einen Formwechsel der SE in eine nationale AG regeln würden? Dies wird in der Literatur teilweise bejaht; eine deutsche SE könne daher nicht nach §§ 190 ff. UmwG in einer deutsche AG formwechseln.888 Das trifft zu – und ist gleichzeitig völlig ohne Belang. Denn gesetzliche Vorschriften über den Formwechsel einer deutschen SE in eine nationale AG sind bereits nach Art. 9 SE-VO ausgeschlossen. Weder ermächtigt der Verordnungsgeber die Mitgliedstaaten, solche Regeln zu erlassen (wie es Voraussetzung für eine Normgeltung nach Art. 9 Abs. 1 lit. c) i) SE-VO wäre), noch kommt eine Anwendbarkeit nach Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO in Betracht; denn eine „auf eine nach dem Recht des Sitzstaats gegründete Aktiengesellschaft“ anwendbare Vorschrift, die einen Formwechsel in eine ebensolche Sitzstaat-Aktiengesellschaft regelt, kann es je888

Casper, AG 2007, 97, 104.

G. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen 417

denfalls in Deutschland nicht geben, da nur eine einzige deutsche AG-Rechtsform existiert.889 Letztlich entfaltet Art. 66 SE-VO daher überhaupt keine Sperrwirkung für nationales Umwandlungsrecht. Stattdessen wirkt die Vorschrift als Mindestnorm, die unabhängig von nationalen Vorschriften sicherstellt, dass wenigstens ein identitätswahrender Weg aus der SE heraus existiert, der an den in Art. 63 – 65 SE-VO angesprochenen Auflösungs- und Liquidationsverfahren vorbei führt.890 d) Analoge Anwendung der Zwei-Jahres-Frist aus Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO auf nationales Umwandlungsrecht? Gemäß Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO darf der Hauptversammlungsbeschluss über den Rück-Formwechsel frühestens zwei Jahre nach Eintragung der SE oder nach Genehmigung der ersten beiden Jahresabschlüsse gefasst werden. Stellt man in Rechnung, dass die SE nicht nur nach Art. 66 SE-VO, sondern auch nach nationalem Recht an Umwandlungsmaßnahmen – einschließlich Formwechseln – teilnehmen kann, stellt sich die Frage, ob die Zwei-Jahres-Frist aus Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO analog gilt, wenn die SE nach nationalem Umwandlungsrecht rück-umgewandelt wird. aa) Meinungsbild Die herrschende Meinung bejaht eine entsprechende Anwendbarkeit.891 Sinn und Zweck der Zwei-Jahres-Frist sei es, eine rechtsmissbräuchliche Flucht aus der Mitbestimmung zu verhindern.892 Bezug genommen wird dabei auf die Begrün889

In anderen Mitgliedstaaten, die mehr als eine nationale AG-Rechtsform – und damit möglicherweise auch einen Formwechsel von der AG in die AG – ermöglichen, mag die Frage schwieriger zu beantworten sein. 890 Ähnlich Casper, AG 2007, 97, 104; Oplustil/Schneider, NZG 2003, 13, 14 f., 16, und Reichert, Der Konzern 2011, 821, 833 f., die den Mindestnorm-Charakter jedoch nicht als Ergebnis ihrer Untersuchung einordnen, sondern als Argument gegen einen abschließenden Charakter des Art. 66 SE-VO verwerten wollen. 891 Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 2, 3 SE-VO Rn. 39; ders., AG 2007, 97, 103 f., 105; ders., ZHR 173 (2009), 181, 194 f.; Drinhausen, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 66 SE-VO Rn. 12; ders., in: Semler/Stengel, UmwG, 3. Aufl. (2012), Einl. C Rn. 63; Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 66 SE-VO Rn. 1, 5; J. Schmidt, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 66 SE-VO Rn. 9; Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 66 SE-VO Rn. 9 a.E.; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 3 Rn. 35, Art. 66 Rn. 20, 31; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 155; Drinhausen/Keinath, BB 2011, 2699, 2704; Marsch-Barner, in: FS Happ (2006), S. 165, 171, 175 f., 177; Reichert, Der Konzern 2006, 821, 833 f.; Reiner, Der Konzern 2011, 135, 144, 146 f.; Simon/Rubner, Der Konzern 2006, 835, 836; jedenfalls im Grundsatz ebenso Kossmann/Heinrich, ZIP 2007, 164, 167, 168; wohl auch Heuschmid/ Schmidt, NZG 2007, 54, 56. 892 Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 66 SE-VO Rn. 4; ders., AG 2007, 97, 103 f.; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 66 Rn. 20, 31; Drinhausen/Keinath,

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

dungen der Kommission zu Art. 264 SE-VOV 1970 und 1975.893 In letzterem heißt es ausdrücklich, die (damals noch bei drei Jahren liegende) Wartefrist verhindere „dass die SE nur als Mittel für einen Formwechsel gebraucht wird. Ein solcher Gebrauch und die daraus herrührenden Missbrauchsgefahren wären dem Erfolg der neuen Rechtsform abträglich. Mit Rücksicht auf die Schutzvorschriften für den Bestand der Mitbestimmung erscheint es aber nicht mehr erforderlich, der Forderung des Wirtschafts- und Sozialausschusses nach einer Verlängerung dieser Frist auf fünf Jahre zu entsprechen.“894 Anknüpfend an den vorgenannten Schutzzweck befürworten einige Autoren eine teleologische Reduktion des Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO für Formwechsel, bei denen ein Missbrauch der SE zur Beseitigung von Mitbestimmungsrechten von vornherein nicht in Frage komme.895 Das sei beispielsweise der Fall, wenn eine deutsche SE aus einer deutschen AG entstanden sei und später wieder in die deutsche AG-Rechtsform zurück wechsele.896 Die Gegenansicht, wonach Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO nicht entsprechend für Umwandlungsvorgänge außerhalb des Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO gilt,897 verfolgt unterschiedliche Begründungsansätze. Zum einen wird geltend gemacht, die Norm diene (nur) dem Schutz vor einer Umgehung der Nachgründungsvorschriften, wie sie in Art. 11 Kapital-RL898 für die AG harmonisiert sind.899 An anderer Stelle wird ein Zusammenhang zwischen Art. 66 SE-VO und dem Mitbestimmungsrecht mit dem Argument verneint, die Verordnung sei – soweit nicht ausdrücklich anders angeBB 2011, 2699, 2704; Heuschmid/Schmidt, NZG 2007, 54, 56; Reiner, Der Konzern 2011, 135, 144, 146 f. 893 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 66 Rn. 20; Reiner, Der Konzern 2011, 135, 146 f.; ebenso, jedoch mit abweichender Schlussfolgerung (siehe sogleich) Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, SEKo., 1. Aufl. (2008), Art. 66 SE-VO Rn. 20; Oplustil/Schneider, NZG 2003, 13, 14 f. 894 SE-VOV 1975, BT-Drucks. 7/3713, S. 248. 895 Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko., 1. Aufl. (2008), Art. 66 SE-VO Rn. 20; Oplustil/ Schneider, NZG 2003, 13, 15; ablehnend Schwarz, SE-VO (2006), Art. 66 Rn. 21. 896 Seibt, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko. (2008), Art. 66 SE-VO Rn. 20; Oplustil/ Schneider, NZG 2003, 13, 15. 897 Im Ergebnis übereinstimmend Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 66 SE-VO Rn. 5, 13; ders., in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 122b UmwG Rn. 7; Heckschen, in: Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Loseblattsammlung (Stand 2/2011), Anhang 14 Rn. 521.1; Vossius, in: Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Loseblattsammlung (Stand 9/ 2010), § 20 UmwG Rn. 404; ders., ZIP 2005, 748 f.; Wicke, MittBayNot 2006, 196, 201. 898 Zweite Richtlinie des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (77/91/EWG), ABl. L 26 vom 31. Januar 1977, S. 1. 899 Vossius, in: Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Loseblattsammlung (Stand 9/2010), § 20 UmwG Rn. 404; ausdrücklich dagegen Schwarz, SE-VO (2006), Art. 66 Rn. 31; Oplustil/ Schneider, NZG 2003, 13, 15 f.

G. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen 419

geben – generell mitbestimmungsneutral; mit dem Schutz der Arbeitnehmer, der Arbeitnehmervertretungen und ihrer Rechte befasse sich allein die SE-RL.900 bb) Stellungnahme Die besseren Gründe sprechen für eine Mitbestimmungsneutralität des Art. 66 SE-VO und gegen eine entsprechende Anwendung auf sonstige Umwandlungsvorgänge. Die These der herrschenden Ansicht, die Wartefrist habe einen mitbestimmungsspezifischen Schutzzweck, lässt sich tatsächlich nicht über die zitierten Entwurfsbegründungen hinaus weiter verfolgen. Denn der dort diskutierte Art. 264 entfiel bereits im nachfolgenden SE-VOV 1989 ersatzlos. Erst in Art. 64b Abs. 1 Satz 2 SE-VOV 1998 wurde wieder eine Wartefrist für die Rück-Umwandlung eingeführt, die mit den Wartefristen aus den 1970er Jahren allerdings nicht viel mehr gemeinsam hat, als die Tatsache, dass es sich um eine Wartefrist für die RückUmwandlung handelt. Anhaltspunkte dafür, dass die beiden Wartefristkonzepte dasselbe Ziel verfolgten, finden sich nicht, sieht man von den dahingehenden Behauptungen der Vertreter der herrschenden Meinung ab. Solcher Anhaltspunkte bedürfte es aber, wollte man den zitierten Schutzzweck über einen derart langen Zeitraum hinüberretten, in dem gerade bei den umwandlungsbezogenen Vorschriften der Verordnung, bei der Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Verordnung und nationalem Recht901 und im Recht der SE-Mitbestimmung kein Stein auf dem anderen blieb.902 Ferner ist zu bedenken, dass die Zwei-Jahres-Frist bereits innerhalb ihres unmittelbaren Anwendungsbereichs nicht durchweg geeignet ist, eine mitbestimmungsschützende Wirkung zu entfalten. Denn ebenso wie sich der Wechsel von einer nationalen Rechtsform in die SE sowohl mitbestimmungserhöhend als auch -mindernd auswirken kann, so kann auch die Rück-Umwandlung sowohl positive als auch negative Folgen für die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer mit sich bringen. Die herrschende Meinung fokussiert sich stillschweigend auf den Fall einer deutschen AG, die im Rahmen einer SE-Gründungsverschmelzung auf eine englische Gesellschaftsform verschmolzen wird. Die aufnehmende, in England ansässige SE sei dann mittels expansiver Auslegung der Sperrfrist vor einer mitbestimmungsvernichtenden Rück-Umwandlung in eine PLC zu bewahren. Dabei übersehen die oben zitierten Autoren den umgekehrten Fall, in dem eine mitbestimmungsfreie englische Gesellschaft im Rahmen einer SE-Gründung auf eine deutsche SE oder AG 900

Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 66 SE-VO Rn. 5, 13. Insbesondere enthielt der SE-VOV 1989 in Art. 7 erstmals einen allgemeinen, subsidiären Verweis auf das mitgliedstaatliche Aktienrecht; das noch 1970 und 1975 verfolgte Konzept einer Vollkodifikation wurde damit aufgegeben; siehe auch oben 2. Teil, Fn. 13. 902 A.A. Reiner, Der Konzern 2011, 135, 148 f., der die wenigen Parallelen zwischen Art. 264 SE-VOV 1970/1975 und Art. 66 Abs. 1 SE-VO (Möglichkeit des Formwechsels in nationale Aktiengesellschaft, Zwang zur Sitzkontinuität, Wartefrist) für ausreichend erachtet. 901

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

verschmolzen wird, die sich für eine Fortführung der Mitbestimmungsfreiheit entscheidet. Hier würde sich eine analoge Anwendung des Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO auf jegliche Rück-Umwandlung der SE in eine Kapitalgesellschaft deutscher Rechtsform nicht mitbestimmungsfördernd auswirken, sondern würde – ganz im Gegenteil – das Eingreifen der für die deutsche Kapitalgesellschaft obligatorischen Mitbestimmungsregeln hinauszögern. Gegen die behauptete Schutzrichtung des Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO spricht auch die Entscheidung des europäischen und deutschen Gesetzgebers, mitbestimmungsspezifische SE-Missbrauchsfälle generalklauselartig in Art. 11 SE-RL bzw. in den diesen Art. 11 umsetzenden § 18 Abs. 3, § 43 SEBG zu erfassen. Danach ist es ausschließlich Sache der Mitgliedstaaten, missbrauchsverhindernde Vorschriften zu erlassen. Die These, bei der Sperrfrist aus Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO handele es sich um einen Unterfall, ein Regelbeispiel oder eine Typisierung dieser Missbrauchsfälle, ist mit diesem Ansatz inkompatibel. Eine erweiterte Auslegung des Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO würde die Vorschrift letztlich zum verlängerten Arm des in § 15 Abs. 3, 5, § 34 Abs. 1, § 35 Abs. 1 SEBG geregelten Vorher-Nachher-Prinzips machen. Sollte der Gemeinschaftsgesetzgeber aber tatsächlich im Sinn gehabt haben, das bei der SE-Gründung zustande gekommene Mitbestimmungsregime per Rück-Umwandlungsverbot über zwei Jahre hinweg zu konservieren, so hätte es nahe gelegen eine Regelung dieses Bestandsschutzes in die SE-RL und in die entsprechenden Ausführungsgesetze selbst aufzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist die von den Vertretern der herrschenden Meinung in den Raum gestellte Annahme, der Gemeinschaftsgesetzgeber habe mit der Sperrfrist aus Art. 66 SE-VO eine umfassende Umwandlungsfestigkeit des geltenden Mitbestimmungsregimes im Sinn gehabt, nur haltbar, wenn man davon ausgehen wollte, der Verordnungsgeber habe in Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO versehentlich eine Regelungslücke für alle Umwandlungsfälle gelassen, die nicht unter den engen Tatbestand des Rück-Formwechsels in die AG fallen. Ein derart grobes Versehen gerade im SE-Mitbestimmungsrecht, das wie kein anderer Bestandteil des SE-Rechts jahrzehntelang im politischen Rampenlicht stand? Das erscheint kaum denkbar. Auch der Vorschlag, Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO direkt oder analog immer dann anzuwenden, wenn eine missbräuchliche Mitbestimmungsbeeinträchtigung droht, und gleichzeitig diejenigen Fälle aus dem vom Wortlaut erfassten Anwendungsbereich auszusondern, in denen kein solcher Missbrauch droht, hilft nicht weiter. Eine derartige teleologische Reduzierung und Erweiterung derselben Vorschrift könnte nur auf der Unterstellung fußen, der Verordnungsgeber habe Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO einerseits irrtümlicherweise lückenhaft gelassen (nämlich in Hinblick auf diejenigen Renationalisierungs-Fälle, die nicht vom Wortlaut erfasst sind, obwohl eine Beeinträchtigung des Mitbestimmungsregimes droht) und andererseits (nämlich in Hinblick auf die bereits vom Wortlaut erfassten Fälle, in denen keine Missbrauchsgefahr droht) irrtümlich zu weit gefasst. Auch diese Unterstellung stünde in

G. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen 421

krassem Widerspruch zu den enormen politischen Mühen, die gerade auf das SEMitbestimmungsrecht verwendet wurden, und zu der geradezu exzessiven Detailverliebtheit, mit der insbesondere das Vorher-Nachher-Prinzip in SE-RL und SEBG geregelt ist. Überdies ließe sich die vorgeschlagene teleologische Reduzierung und Erweiterung faktisch nur durch eine vollständige Auswechselung der eng formulierten Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO gegen eine mitbestimmungsspezifische Missbrauchs-Generalklausel bewältigen. Die Grenzen der außergesetzlichen Rechtsfortbildung würden dabei wohl überschritten. In der Annahme, Art. 66 Abs. 1 Satz 2 UmwG bezwecke den Schutz des in einer SE bestehenden Mitbestimmungsregimes, liegt daher wohl nichts anderes als ein Schluss von einem Rechtsreflex (der zudem nur in manchen Rück-Umwandlungsfällen auftritt) auf die dahinter stehende gesetzgeberische Zweckbestimmung. Ohne identifizierbaren Gesetzeszweck aber verliert die Diskussion einer extensiven Auslegung des Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO ihre Grundlage.903 Richtigerweise ist die Sperrfrist daher frei von materiellen Erwägungen und ähnlich streng am Wortlaut auszulegen wie das grenzüberschreitende Element im Rahmen der SE-Gründung.904 Ebenso wie letztere Regelung enthält die Sperrfrist eine formelle Vorgabe, die ihren materiellen Gehalt – sofern ein solcher jemals vorhanden war – im Laufe der langen Entstehungsgeschichte der Verordnung eingebüßt hat, wegen der Eindeutigkeit des Verordnungswortlauts aber nicht ignoriert werden kann.905 Das zweijährige Warten auf die Rückumwandlung einer aus einer deutschen AG entstandenen SE in eine deutsche AG mag materiell sinnlos sein, aber auch nicht weniger sinnvoll als das allgemein achselzuckend akzeptierte Erfordernis für eine rein innerdeutsch tätige AG, eine ausländische Vorratsgesellschaft auf sich zu verschmelzen, um eine SE zu gründen, die damit zwar auf dem Papier ein grenzüberschreitendes Element aufweist, materiell aber ebenso deutsch geprägt ist wie eine SE, die einen formell rein nationalen (und daher verbotenen) Formwechsel in eine SE vollzogen hätte. Ebenso wenig wie das grenzüberschreitende Element Umgehungsschutz genießt906 ist es geboten, die Zwei-Jahres-Frist aus Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO auf sogenannte Umgehungsfälle auszudehnen. Beide Transaktionen von ihrem formellen Ballast zu befreien oder die nutzlosen Formalien materiell sinnvoll auszugestalten, ist allein Aufgabe des Verordnungsgebers. Der interpretierende Gesetzesanwender ist weder dazu legitimiert, die Gültigkeit der Vorschrift

903

Treffend in ähnlichem Zusammenhang: Oechsler, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 2 SE-VO Rn. 4 a.E.: „Dort, wo eine ,Umgehungsstrategie‘ kein identifizierbares Normtelos verletzen kann, kann der Umstand der Umgehung allein kein Verbot begründen.“ 904 Vgl. zum grenzüberschreitenden Element Teichmann, ZGR 2002, 383, 410 – 413. 905 Zum ursprünglich mitbestimmungsbezogenen Schutzzweck des Numerus-ClaususPrinzips und dem Festhalten am Prinzip trotz zwischenzeitlichen Entfallens des materiellen Schutzzwecks: Oechsler, NZG 2005, 697, 698 f. 906 Oechsler, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 2 SE-VO Rn. 4 a.E.; ders., NZG 2005, 697, 698 f.; Reichert, Der Konzern 2006, 821, 828 – 830 mit dortiger Fn. 74.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

zu ignorieren, noch dazu, ihren formellen Gehalt zugunsten eines außerparlamentarisch ersonnenen Gesetzeszwecks zu verzerren. 2. Inländische Umwandlungsvarianten Über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO stehen einer deutschen SE grundsätzlich dieselben Umwandlungsmaßnahmen offen wie einer deutschen AG. Möglich – und regelmäßig von der Hauptversammlung zu autorisieren – sind daher ein Formwechsel der SE in eine Gesellschaft deutscher Rechtsform (§§ 193, 233, 240, 242, 252 UmwG; nur für beim Formwechsel in die AG greift Art. 66 SE-VO), eine Verschmelzung der SE zur Neugründung oder als übertragender Rechtsträger zur Aufnahme auf eine Gesellschaft deutscher Rechtsform (§ 13, § 65 Abs. 1, § 73 UmwG), eine Verschmelzung einer Gesellschaft deutscher Rechtsform als übertragender Rechtsträger zur Aufnahme auf eine existierende SE (§ 65 Abs. 1 UmwG; auch eine GmbH kann so auf eine SE verschmolzen werden907), eine Verschmelzung zweier deutscher SE zur Aufnahme (§ 13, § 65 Abs. 1, § 73 UmwG), eine Spaltung (§ 123 UmwG; in der Form der Aufspaltung und Abspaltung jedoch nur dann, wenn es sich bei den übernehmenden Rechtsträgern nicht um SE handelt) und eine Vermögensübertragung (§ 176 Abs. 1, § 177 Abs. 1 UmwG). Ebenso wie in der deutschen AG bedarf der Beschluss einer einfachen Stimmen- und einer Drei-ViertelKapitalmehrheit.908 Eines Hauptversammlungsbeschlusses bedarf es dagegen nicht, wenn sich die SE als übernehmender Rechtsträger an einer Konzernverschmelzung nach § 62 Abs. 1 UmwG oder als übertragender Rechtsträger an einer Konzernverschmelzung nach Abs. 4 derselben Vorschrift beteiligt. Danach ist ein Verschmelzungsbeschluss einer übernehmenden Aktiengesellschaft nicht erforderlich, wenn diese mindestens 90 Prozent des Kapitals der übertragenden Kapitalgesellschaft hält; und (ggf. auch) ein Beschluss der übertragenden Kapitalgesellschaft ist nicht erforderlich, wenn deren Kapital vollständig von der übernehmenden Aktiengesellschaft gehalten wird. 3. Grenzüberschreitende Umwandlungsvarianten Das Einrücken der SE in die umwandlungsrechtliche Rolle einer deutschen AG gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO hat ferner zur Folge, dass sie sich wie eine AG an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligen kann.909 Die Tatsache, 907

Zutreffend Casper, AG 2007, 97, 103; Oplustil/Schneider, NZG 2003, 13, 16. Siehe oben Abschnitt „Erreichen der erforderlichen Mehrheit“, S. 84. 909 Mittlerweile h.M.; siehe nur RegE 2. UmwGÄndG, BT-Drucks. 16/2919, S. 14; Bayer, in: Lutter, UmwG, 5. Aufl. (2014), § 122b Rn. 7; Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, 3. Aufl. (2012), § 122b Rn. 4; Kiem, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 122b UmwG Rn. 7; Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013) § 122b Rn. 3; Casper, AG 2007, 97, 104; Casper/Weller, NZG 2009, 681, 685 f.; Grambow, Der Konzern 2009, 97, 908

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dass die SE nicht ausdrücklich in der IntVerschmelzungs-RL genannt ist, fällt dabei nicht ins Gewicht.910 Denn wegen Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO konnte sich der Richtliniengeber darauf verlassen, dass die AG-bezogene Umsetzungsgesetzgebung automatisch auch die im jeweiligen Mitgliedstaat ansässigen SE erfasst. Ein Auftrag, die Richtlinie auch SE-spezifisch umzusetzen, wäre überdies sinnlos gewesen, da eine entsprechende, SE-spezifische Richtlinien-Umsetzungsgesetzgebung keinen Platz in der Normenpyramide des Art. 9 SE-VO gefunden hätte und daher auf die SE gar nicht anwendbar gewesen wäre. Eines zusätzlichen Rückgriffs auf das Diskriminierungsverbot (Art. 10 SE-VO), das von der herrschenden Meinung etwas unreflektiert neben Art. 9 bs. 1 lit. c) ii) SE-VO zitiert wird,911 bedarf es allerdings nicht. Die Hauptversammlung ist grundsätzlich ebenso zur Mitwirkung aufgerufen wie bei inländischen Verschmelzungen. Das gilt namentlich für eine Outbound-Verschmelzung zur Aufnahme als übertragender Rechtsträger mit einer ausländischen SE oder mit einer Kapitalgesellschaft ausländischer Rechtsform (§ 122a Abs. 2, § 13, § 65 Abs. 1 UmwG), für eine Outbound-Verschmelzung zur Neugründung einer Kapitalgesellschaft ausländischer Rechtsform (§ 122a Abs. 2, § 13, § 65 Abs. 1, § 73 UmwG), oder – in umgekehrter Richtung – für eine Inbound-Verschmelzung zur Aufnahme als übernehmender Rechtsträger mit einer ausländischen SE oder mit einer Kapitalgesellschaft ausländischer Rechtsform oder für eine Inbound-Verschmelzung zur Neugründung eines übernehmenden deutschen Rechtsträgers. Wiederum kein Hauptversammlungsbeschluss ist erforderlich, wenn sich die SE als übernehmender Rechtsträger an einer Konzernverschmelzung nach § 62 Abs. 1 UmwG oder als übertragender Rechtsträger an einer Konzernverschmelzung nach Abs. 4 derselben Vorschrift beteiligt; beide Ausnahmen gelten über § 122a Abs. 2 UmwG auch für die grenzüberschreitende Verschmelzung. Konkurrierende Regelungen auf Ebene der Verordnung existieren nicht (mehr912). Insbesondere die in der SE-VO vorgesehene Möglichkeit, eine SE durch grenzüberschreitende Verschmelzung neu zu gründen, sperrt nicht die Teilnahme einer existierenden SE an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung außerhalb der SE-

98 f.; jeweils mit weiteren Nachweisen; a.A. (noch zum Richtlinienentwurf) Marsch-Barner, in: FS Happ (2006), S. 165, 169; Müller, ZIP 2004, 1790, 1792; die ablehnende Ansicht von Oplustil/Schneider, NZG 2003, 13, 16, ist wegen des zwischenzeitlichen Inkrafttretens der (dort bereits in Aussicht genommenen) IntVerschmelzungs-RL überholt. 910 A.A. wohl Müller, ZIP 2004, 1790, 1792. 911 Bayer, in: Lutter, UmwG, 5. Aufl. (2014), § 122b Rn. 7; Drinhausen, in: Semler/ Stengel, UmwG, 3. Aufl. (2012), § 122b Rn. 4; Kiem, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 122b UmwG Rn. 7; Casper/Weller, NZG 2009, 681, 685; siehe auch oben Abschnitt „Abschließende Regelung des Rück-Formwechselrechts?“, S. 413, mit den Nachweisen in Fn. 879 und 883. 912 Art. 132 Abs. 2 SE-VOV 1991 sah noch eine Regelung der grenzüberschreitenden Verschmelzung zweier SE vor; vgl. Schwarz, ZIP 2001, 1847, 1859.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

VO. Auch hier gilt jedoch, dass eine SE-Neugründung nur auf Basis der SE-VO möglich ist und nicht nach verordnungsexternem Umwandlungsrecht. Die Frage, ob und ggf. unter welchen Umständen sich eine SE schließlich an grenzüberschreitenden, gemeinschaftsinternen Umwandlungen beteiligen kann, deren Statthaftigkeit der EuGH in den vergangenen Jahren unmittelbar aus dem Primärrecht abgeleitet hat, die sich aber (noch) außerhalb des Anwendungsbereichs der SE-Verordnung und der IntVerschmelzungs-RL befinden, wird im deutschen Umwandlungsgesetz und im europäischen Sekundärrecht nicht geklärt. Das betrifft namentlich den grenzüberschreitenden Formwechsel in eine Gesellschaftsform eines anderen Mitgliedstaats913 und die grenzüberschreitende Verschmelzung unter Beteiligung einer Körperschaft oder Gesellschaft, die nicht von der Definition in Art. 2 Nr. 1 IntVerschmelzungs-RL erfasst wird, sich aber im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit und damit auch der sogenannten Sevic-Grundsätze914 befindet (insbesondere Personengesellschaften). Geht man davon aus, dass sich eine SE ebenso im persönlichen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit befindet wie eine Gesellschaft nationaler Rechtsform,915 so spricht nichts dagegen, die Zulässigkeit dieser Umwandlungsvarianten auch für die SE zu bejahen. Da ein unmittelbar einschlägiges Verfahrensrecht nicht existiert, lassen sich die Voraussetzungen und Details der jeweiligen Transaktionen nur aus Analogieschlüssen zu bestehenden Umwandlungsvorschriften ableiten. Für den grenzüberschreitenden Formwechsel einer deutschen SE am nächsten liegt hier eine Kombination aus den Vorschriften über die SE-Sitzverlegung aus Art. 8 SE-VO, §§ 12 – 14 SEAG und dem nationalen Formwechsel-Recht des jeweils betroffenen Mitgliedstaats;916 und bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung unter Beteiligung von Personengesellschaften wird man die jeweiligen nationalen Verschmelzungsregeln über Personengesellschaften mit dem in der IntVerschmelzungs-RL enthaltenen Konzept einer grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften zu vereinigen haben.917 Die erheblichen Rechtsunsicherheiten, die mit diesen Hilfskonstruktionen einhergehen, dürften einer Umsetzung in die Praxis regelmäßig entgegenstehen, zumal mit den bereits geregelten Umwandlungsvarianten ähnliche Ergebnisse erzielt werden können.918

913

EuGH, ZIP 2012, 1394 („Vale“). Nach EuGH Urteil v. 13. 12. 2005, Rs. C-411/03 („Sevic“). 915 Hierzu ausführlich unten Abschnitt „Grenzüberschreitende Mobilität ausländischer Gestaltungen oder Anpassung an zwingendes deutsches Recht?“, S. 516 916 In diese Richtung auch Casper/Weller, NZG 2009, 681, 685 f.; Drygala, EWiR 2012, 263, 264. 917 Simon/Rubner, Der Konzern 2006, 835, 842 f. 918 Z. B. kann sich eine grenzüberschreitende Verschmelzung mit einer ausländischen Vorratsgesellschaft als Alternative zu einem grenzüberschreitenden Formwechsel in dieselbe Ziel-Rechtsform anbieten; vgl. Eidenmüller/Engert/Hornuf, AG 2008, 721, 722. 914

G. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen 425

VI. Beteiligung an der Gründung einer neuen SE gemäß Art. 2 f. SE-VO Ebenfalls in den Kompetenzbereich der SE-Hauptversammlung fallen kann die Beteiligung der SE an der Gründung einer neuen SE gemäß Art. 2 f. SE-VO. Zu einer solchen Beteiligung ist eine existierende SE gemäß Art. 3 Abs. 1 SE-VO ebenso in der Lage wie die in Anhang I zur SE-VO aufgeführten nationalen Aktiengesellschaften. Eine Hauptversammlungskompetenz gilt für die Verschmelzungsgründung nach Art. 23 SE-VO und die Holding-Gründung nach Art. 32 Abs. 3, 6 SE-VO. Nicht entsprechend anwendbar ist dabei § 62 Abs. 1 UmwG, wonach ein Hauptversammlungsbeschluss der übernehmenden AG bei einer Konzernverschmelzung entbehrlich ist; Art. 31 SE-VO enthält insofern eine abschließende Regelung bzw. keinen ausreichenden Verweis.919 Dagegen fallen eine SE-Sekundärgründung nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO und die Gründung einer gemeinsamen Tochter-SE nach Art. 35 f. SE-VO grundsätzlich in die Geschäftsführungskompetenz des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans. Allenfalls dann, wenn die Tochtergründung die Kriterien der sogenannten Gelatine-Rechtsprechung erfüllt, kann sich eine Zuständigkeit der Hauptversammlung ergeben.920

VII. Ausschluss von Minderheitsaktionären („Squeeze-Out“) und Eingliederung Ebenso wie in der deutschen AG liegt es auch in den Händen der SE-Hauptversammlung bzw. des Mehrheitsaktionärs, Minderheitsaktionäre gegen Abfindung aus der Gesellschaft auszuschließen. Die Hauptversammlungskompetenzen für die Eingliederung (§§ 319 ff. AktG, § 49 SEAG) und den aktienrechtlichen SqueezeOut (§ 327a Abs. 1 AktG) gelten gemäß Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO auch für die deutsche SE.921 Materiell handelt es sich freilich weniger um eine Befugnis der 919

Mittlerweile wohl ganz h.M.; siehe nur Bayer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SEKo., 2. Aufl. (2015), Art. 31 SE-VO Rn. 14; Marsch-Barner, in: Habersack/Drinhausen, SERecht (2013), Art. 31 SE-VO Rn. 13; Maul, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 31 SE-VO Rn. 14; Heckschen, NZG 2011, 2390, 2395; Scheifele, Gründung (2004), S. 285 f.; a.A. noch Teichmann, ZGR 2002, 383, 431. 920 Siehe nur Heckschen, DNotZ 2003, 251, 263 („Umgehung der strengen Gründungsvorschriften der Verschmelzung“); N. Horn, DB 2005, 147, 148; Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Rn. 47.345; Schindler/Teichmann, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 739, 767; allgemein zur Geltung der Gelatine-Rechtsprechung für die SE bereits oben Abschnitte „Einfluss auf Geschäftsführungsmaßnahmen“, S. 303, und „Gelatine-Grundsätze?“, S. 364. 921 Vgl. zur Eingliederung Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 154. Darüber blendet die SE-Literatur diese Hauptversammlungskompetenzen bemerkenswerterweise völlig aus, was wohl vor allem die Problemlosigkeit der Übertragung unterstreicht und nicht als Ausdruck eines Zweifels hieran zu werten ist.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Hauptversammlung, die sich ins Verhältnis zu den Kompetenzen anderer Organe setzen lassen könnte, sondern viel eher um eine Erweiterung der Herrschaftsrechte des Mehrheitsaktionärs gegenüber den Minderheitsaktionären. Die Rolle der Verwaltung beschränkt sich weitgehend darauf, den vom Mehrheitsaktionär initiierten und durchgesetzten Ausschluss auszuführen. An den aktienrechtlichen Squeeze-Out lehnt sich der Mechanismus des umwandlungsrechtlichen Squeeze-Out nach § 62 Abs. 5 UmwG ausdrücklich an, der über Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO ebenfalls für die deutsche SE gilt.922 Danach kann die Hauptversammlung einer übertragenden Aktiengesellschaft innerhalb von drei Monaten nach Abschluss eines Verschmelzungsvertrags den Ausschluss der Minderheitsaktionäre beschließen, wenn die übernehmende Gesellschaft mindestens 90 Prozent des Grundkapitals der übertragenden Gesellschaft hält. Dasselbe gilt gemäß § 122a Abs. 2 UmwG im Rahmen einer grenzüberschreitenden OutboundVerschmelzung der SE zur Aufnahme auf eine ausländische SE oder auf einen Rechsträger ausländischer Rechtsform.923 Im Rahmen einer SE-Verschmelzungsgründung kann ein verschmelzungsrechtlicher Squeeze-Out nach § 62 Abs. 5 UmwG dagegen nicht durchgeführt werden, da Art. 31 SE-VO nicht ausreichend regelungsoffen gestaltet ist.924 Entsprechend für die SE gelten schließlich die Regeln zum übernahmerechtlichen Squeeze-Out nach §§ 39a, 39a WpÜG. Hierbei handelt es sich freilich sowohl in formeller als auch materieller Hinsicht nicht um eine Zuständigkeit der SE-Hauptversammlung, sondern um ein subjektives Recht des Mehrheitsaktionärs; an die Stelle des Hauptversammlungsbeschlusses nach § 327a Abs. 1 AktG tritt der gerichtliche Übertragungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main nach § 39a Abs. 5 WpÜG. Einschlägige Verweisungsnorm ist daher nicht Art. 52, sondern allein Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO.

VIII. Unternehmensverträge, §§ 291 ff. AktG Kann sich eine deutsche SE ebenso an Unternehmensverträgen nach §§ 291 ff. AktG beteiligen wie eine AG?

922 Austmann, NZG 2011, 684, 686; Kiefner/Brügel, AG 2011, 525, 532 (die jeweils auf Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO verweisen und dabei wohl die Squeeze-Out-Vorschriften außerhalb des reinen Hauptversammlungs-Kompetenztitels im Auge haben). 923 Kiefner/Brügel, AG 2011, 525, 532 f. 924 Skeptisch auch Marsch-Barner, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 31 SE-VO Rn. 17 a.E.; eine Anwendbarkeit des § 62 Abs. 5 UmwG auf die SE-Gründung befürwortend dagegen Heckschen, NJW 2011, 2390, 2395.

G. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen 427

Blickt man ins ältere Schrifttum, so finden sich durchaus zweifelnde Stellungnahmen.925 Es sei europarechtlich ausgeschlossen, so heißt es, eine SE als abhängige Gesellschaft in einen Vertragskonzern zu integrieren. Denn die in der Verordnung festgeschriebene Leitungsbefugnis und -verantwortung von Leitungs- und Verwaltungsorgan lasse keinen Platz für ein Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens. Der Verordnung liege ferner der „selbstverständliche Gedanke“ zugrunde, „dass jede Gesellschaft ihren vorgegebenen Zweck verfolg[e] und dabei ihren eigenen Interessen dien[e]“; eine vertragliche Unterwerfung unter das Interesse des herrschenden Unternehmens bzw. des Konzerns sei nicht vorgesehen. Und schließlich sei zumindest fraglich, ob Art. 5 SE-VO, der „für das Kapital der SE, dessen Erhaltung und dessen Änderungen“ auf das Mitgliedstaatsrecht verweise, auch die Durchbrechungsregel in § 291 Abs. 3 AktG ermögliche, wonach das Kapital „gerade nicht erhalten [werde], sondern vollständig frei abgezogen werden“ dürfe.926 Für das Gegenteil spricht sich die mittlerweile herrschende Meinung927 aus. Die SE-VO sei in Bezug auf eine Weisungsabhängigkeit regelungsoffen, so dass die Leitungsmacht aus § 308 Abs. 1 AktG bedenkenlos auch gegenüber einer SE ausgeübt werden könne.928 Dies ergebe sich aus Erwägungsgrund 15929 bzw. 16.930 Auch die vertragliche Ausrichtung auf ein Konzerninteresse verstoße nicht gegen die Verordnung, da es den Mitgliedstaaten obliege, jeweils die Balance zwischen den Eigeninteressen der Gesellschaft und ggf. einem Konzerninteresse zu finden.931 § 291 Abs. 3 AktG schließlich genüge in Bezug auf die AG ebenso wie in Bezug auf

925 Hommelhoff, AG 2003, 179, 182 – 184; ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 5, 20 (ausdrücklich aufgegeben von Hommelhoff/Lächler, AG 2014, 257, 267); Merkt, ZGR 2003, 650, 675 f. 926 Zum Ganzen Hommelhoff, AG 2003, 179, 182; mit denselben Zweifeln Merkt, ZGR 2003, 650, 675. 927 LG München I, Beschluss v. 12. Mai 2011, BeckRS 2011, 19892; Habersack/Verse, Europ GesR, 4. Aufl. (2011), § 13 Rn. 49; Marsch-Barner, in: Lutter/Bayer, Holding-Hdb, 5. Aufl. (2015), Rn. 18.85, 18.87; Maul, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 457, 466 – 468; dies., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 251 f.; Schwarz, SE-VO (2006), Einl Rn. 167; Verse, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), § 49 SEAG Rn. 5. 928 Habersack/Verse, Europ GesR, 4. Aufl. (2011), § 13 Rn. 49; Maul, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 457, 467 f. mit dortiger Fn. 1; dies., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 251 mit dortiger Fn. 10; Schwarz, SE-VO (2006), Einl Rn. 167; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 49 SEAG Rn. 5. 929 Habersack/Verse, Europ GesR, 4. Aufl. (2011), § 13 Rn. 49. 930 Maul, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 457, 467 f. mit dortiger Fn. 1; dies., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 251 mit dortiger Fn. 10; Schwarz, SE-VO (2006), Einl Rn. 167; Verse, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), § 49 SEAG Rn. 5. 931 Maul, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 457, 468; dies., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 251.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

die SE den Anforderungen der Kapital-RL, so dass sich auch insofern keine Bedenken ergäben.932 Das trifft zu und ergibt sich wohl auch aus Erwägungsgrund 17, der wie die vorhergehenden Erwägungsgründe 15 und 16 die völlige Regelungsoffenheit der SE-Verordnung gegenüber nationalem Konzernrecht unterstreicht. Die Regelungen über die Leitungsverantwortung des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans (Art. 39 Abs. 1 Satz 1, Art. 43 Abs. 1 Satz 1 SE-VO) dagegen garantieren dem jeweiligen Geschäftsführungsorgan keinen abschließend definierten Freiraum, der dem Einfluss Dritter oder dritter Organe absolut entzogen wäre. Sie dienen vielmehr als programmatische Leitformeln, die die Eckpunkte des jeweiligen Verwaltungssystems markieren, ohne nationale Vorschriften über die Details der Kompetenzverteilung zu sperren.933 Was die Interessenausrichtung betrifft, mag der Verordnung zwar in der Tat die Vorstellung zugrunde liegen, dass die SE nicht gesellschaftsexterne Interessen in den Mittelpunkt ihres Unternehmens stellt – dies freilich nur als Grundsatz, ohne die ebenso selbstverständliche Annahme zu widerlegen, dass sich juristische Personen auch zu Gruppen zusammenschließen und vertraglich auf ein gemeinsames Ziel einschwören können. Die auf Unternehmensverträge bezogenen Hauptversammlungskompetenzen aus §§ 293 ff. AktG gelten daher über Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO, ggf. in Verbindung mit internationalem Privatrecht,934 auch für die deutsche SE. Vom Verweis eingeschlossen sind namentlich die Zustimmung der Hauptversammlung der Untergesellschaft zum Abschluss eines Unternehmensvertrags (§ 293 Abs. 1 AktG), die Zustimmung der Hauptversammlung der Obergesellschaft zum Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags (§ 293 Abs. 2 AktG) sowie die Zustimmung zu Vertragsänderungen (§ 295 Abs. 1 AktG).

IX. Zustimmung zum Plan über eine grenzüberschreitende Sitzverlegung Auch die grenzüberschreitende Sitzverlegung einer SE nach Art. 8 SE-VO bedarf der Zustimmung der Hauptversammlung. Das ist im Ergebnis unbestritten. Nicht abschließend geklärt ist allein der genaue Ort des Kompetenztitels. Denn anders als Art. 59 Abs. 1 SE-VO weist Art. 8 SE-VO der Hauptversammlung nicht ausdrücklich eine Beschlusszuständigkeit zu, sondern beschreibt in Abs. 4 und 6 nur einige 932 Maul, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 457, 468; dies., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 251. 933 Siehe auch oben Abschnitte „Verhältnis zu Kompetenzen der Geschäftsführungs- und Überwachungsorgane“, S. 40, und „Regelungsoffenheit der Art. 39 Abs. 1, Art. 48 SE-VO gegenüber nationalem Recht“, S. 303. 934 Zur Stellung des Konzernrechts in der Rechtsquellenhierarchie der SE-VO ausführlich oben Abschnitt „Sonderfall Konzernrecht“, S. 29.

G. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen 429

äußere Bedingungen des Verlegungsbeschlusses. Die wohl herrschende Meinung lässt diese Bezugnahme ausreichen und leitet den Kompetenztitel unmittelbar aus Art. 8 SE-VO ab.935 Andere nennen Art. 8 und Art. 59 SE-VO insoweit in einem Zug; denn der Beschluss über die Sitzverlegung habe gleichzeitig satzungsändernden Charakter.936 Und wiederum andere wollen zwischen dem Sitzverlegungsbeschluss nach Art. 8 SE-VO und dem (angeblich erst hierdurch mandatierten) Satzungsänderungsbeschluss nach Art. 59 SE-VO trennen.937 Hierfür spreche die ausdrückliche Unterscheidung zwischen der Sitzverlegung und der mit ihr einhergehenden Satzungsänderung in Art. 8 Abs. 10 SE-VO sowie die Verweisung des Art. 8 Abs. 6 Satz 2 SE-VO auf Art. 59 SE-VO, welche überflüssig wäre, wenn der Sitzverlegungsbeschluss unmittelbar satzungsändernden Charakter hätte.938 Ganz unbedeutend ist die genaue Verortung des Kompetenztitels nicht. Handelt es sich beim Sitzverlegungsbeschluss nämlich um einen satzungsändernden Beschluss (und gelten Art. 8 und Art. 59 SE-VO daher kumulativ), so gilt neben der ZweiDrittel-Mehrheit aus Art. 59 Abs. 1 SE-VO auch das Drei-Viertel-Kapitalmehrheitserfordernis aus § 179 Abs. 2 Satz 2 AktG.939 Ist dagegen zwischen der Sitzverlegung und der korrespondierenden Satzungsänderung zu trennen, so bleibt es beim Zwei-Drittel-Mehrheitserfordernis aus Art. 59 Abs. 1 SE-VO. Erst für die folgende Satzungsänderung wäre die Drei-Viertel-Kapitalmehrheit nötig. Der in dogmatischer Hinsicht makelloseste Weg ist eine Trennung zwischen Sitzverlegungs- und Satzungsänderungsbeschluss, wie sie die zuletzt genannte Ansicht vornimmt. Der im Wortlaut des Art. 8 Abs. 6 Satz 2 und Abs. 10 SE-VO verankerten Argumentation ist nicht viel entgegenzusetzen; von den Vertretern der herrschenden Meinung wird sie schlicht ignoriert.

935 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 52 SE-VO Rn. 12; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 4; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 52 SE-VO Rn. 13; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), Art. 52 SE-VO Rn. 14; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 8 Rn. 32; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 12; ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 232; Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 8 SE-VO Rn. 54; Brandt, Hauptversammlung (2004), Art. 135 f.; Zang, Sitz und Verlegung des Sitzes (2005), S. 177 f. 936 Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 52 SE-VO Rn. 4; Wenz, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 189, 239 mit Fn. 3; Witten, Minderheitenschutz (2011), S. 96. 937 Bungert/Beier, EWS 2002, 1, 6; implizit wohl auch Diekmann, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 8 SE-VO Rn. 46; erwägend auch Zang, Sitz und Verlegung des Sitzes (2005), S. 177 f. 938 Zang, Sitz und Verlegung des Sitzes (2005), S. 178 (der diesen Argumenten aber letztlich keine ausschlaggebende Bedeutung zumisst). 939 Ausführlich zur Anwendbarkeit deutscher Kapitalmehrheitserfordernisse auf die deutsche SE oben Abschnitt „Ist Platz für die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse?“, S. 96.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

Gegen eine Trennung sprechen Praktikabilitätserwägungen – allerdings nur auf den ersten Blick. Dass die Sitzverlegung und die entsprechende Satzungsänderung auf zwei unterschiedliche Kompetenztitel zurückgehen und unter zwei unterschiedliche Mehrheitserfordernisse fallen, bedeutet nämlich nicht, dass die Hauptversammlung mit dem Gesamtvorgang zweimal zu befassen oder gar zweimal einzuberufen wäre.940 Stattdessen können beide Beschlussfassungen selbstverständlich in derselben Hauptversammlung abgehandelt und sogar in einem einzigen Tagesordnungspunkt und einer einzigen Abstimmung vereinigt werden.941 Richtigerweise folgt die Hauptversammlungskompetenz für die Sitzverlegung daher allein aus Art. 8 SE-VO und die Kompetenz für die korrespondierende Satzungsänderung allein aus Art. 59 SE-VO. Der Hauptversammlung steht es im Einzelfall aber frei, über die beiden Gesichtspunkte der Sitzverlegung gemeinsam zu beschließen.

H. Jahresabschluss und Gewinnverwendung I. Dualistische SE Jedenfalls im dualistischen Modell reicht die Zuständigkeit der SE-Hauptversammlung über den Verweis aus Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO ebenso weit wie die der AG-Hauptversammlung. Sie ist gemäß § 318 Abs. 1 HGB, § 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG zuständig für die Bestellung des Abschluss- bzw. Konzernabschlussprüfers und gemäß § 58 Abs. 3, § 174, § 119 Abs. 1 Nr. 2 AktG für die endgültige Entscheidung über die Verwendung des Bilanzgewinns. Über die vorhergehende Feststellung des Jahresabschlusses beschließt die Hauptversammlung gemäß § 173 Abs. 1 AktG nur ausnahmsweise – nämlich dann, wenn Leitungs- und Aufsichtsorgan dies beschließen oder das Aufsichtsorgan den vom Leitungsorgan vorgelegten Jahresabschluss nicht gebilligt hat.942 940

In diese Richtung aber Zang, Sitz und Verlegung des Sitzes (2005), S. 178. Vgl. den Beschlussvorschlag zur Sitzverlegung der Tipp24 SE in der Einladung zur Hauptversammlung am 28. Juni 2013, S. 3: „Der Sitz der Tipp24 SE wird nach Maßgabe des Verlegungsplans vom 19. April 2013 nach London, Vereinigtes Königreich, verlegt, und die Satzung wird in Form des Statutes wie aus der Anlage zum Verlegungsplan ersichtlich neu gefasst.“ Wollte man die Dogmatik auf die Spitze treiben, so ließe sich der Beschlussvorschlag wohl aufteilen in (1) eine unbedingte Beschlussfassung über die Satzungsänderung und (2) eine aufschiebend auf den Satzungsänderungsbeschluss bedingte Beschlussfassung über die Sitzverlegung. 942 Wohl ganz h.M.; siehe nur Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 52 SE-VO Rn. 29 f.; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 52 Rn. 31 f.; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 52 SE-VO Rn. 31 f.; ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 237; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 145, 153 f.; Wicke, MittBayNot 2006, 196, 203. Wohl nur missverständlich teilweise die Kommentierungen zu Art. 61 SE-VO, die suggerieren, §§ 172 bis 176 AktG seien insgesamt vom 941

H. Jahresabschluss und Gewinnverwendung

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Daneben eröffnen §§ 58 – 60 AktG eine Reihe von abschluss- und gewinnverwendungsbezogenen Regelungsmöglichkeiten für den Satzungsgeber, wie beispielsweise die in § 58 Abs. 2 Satz 2 AktG angesprochene Ermächtigung an das Leitungs- und Aufsichtsorgan, einen größeren oder kleineren Teil als die Hälfte des Jahresüberschusses in andere Gewinnrücklagen einzustellen,943 oder die in § 58 Abs. 5 AktG vorgesehene Möglichkeit, eine Sachdividende auszuschütten.944 Über Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO gelten diese Satzungsfreiräume auch für die deutsche SE. Nicht einschlägig – jedenfalls für die vorgenannten Kompetenzen der Hauptversammlung bzw. des Satzungsgebers – sind dagegen die Verweise aus Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) und Art. 61 SE-VO. Letzterer ordnet als Spezialverweisung nur die Anwendung derjenigen nationalen Vorschriften an, die die „Aufstellung“, die „Prüfung“ und die „Offenlegung“ des Jahresabschlusses betreffen. Der anschließende Schritt der Feststellung und Gewinnverwendung ist davon nicht erfasst, sondern liegt grundsätzlich im Anwendungsbereich des allgemeinen Verweises aus Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO.945 Letzterer wird jedoch seinerseits von Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO verdrängt, soweit es um die entsprechende Anwendung nationaler Hauptversammlungskompetenzen geht.

II. Monistische SE In der monistischen SE beschließt die Hauptversammlung ebenfalls gemäß § 318 Abs. 1 HGB, § 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG, Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO über die Bestellung des Abschluss- bzw. Konzernabschlussprüfers und gemäß § 58 Abs. 3, § 174, § 119 Abs. 1 Nr. 2 AktG über die vorgeschlagene Gewinnverwendung. Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO führt auch hier zur Anwendbarkeit der Satzungsfreiräume aus §§ 58 – 60 AktG. Nicht einschlägig ist demgegenüber § 173 Abs. 1 AktG. Die ausnahmsweise Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Feststellung des Jahresabschlusses bemisst sich stattdessen nach der speziell-monistischen (und daher auf Art. 43 Abs. 4 Verweis aus Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO erfasst; vgl. Schwarz, SE-VO (2006), Art. 61 Rn. 27 („Über Art. 9 Abs. 1 Buchst. c Ziffer ii sind die §§ 172 bis 176 AktG anzuwenden.“), und die weiteren Nachweise im 4. Teil unter Fn. 945. 943 Exemplarisch für die monistische Struktur: Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2481 f. (§ 20 der Mustersatzung). 944 Exemplarisch Maul, in: Memento, Gesellschaftsrecht für die Praxis 2009, Anhang Rn. 98.845 (§ 29 Abs. 5 der Mustersatzung). 945 Wohl h.M.; siehe nur Fischer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 61 SE-VO Rn. 12; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko. (2008), Art. 61 SE-VO Rn. 3; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 61 Rn. 27; Wenz, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 61 SE-VO Rn. 27; unklar Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 61, 62 SE-VO Rn. 3; Habersack, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 61 SE-VO Rn. 3 (der auf Fischer, Kleindiek und Wenz verweist und die §§ 172 ff. AktG über „Art. 9 Abs. 1 lit. c) i)“ anwenden will).

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

SE-VO beruhenden946) Regelung aus § 47 Abs. 6 SEAG. Danach ist die Hauptversammlung für die Feststellung zuständig, wenn das Verwaltungsorgan dies beschließt oder das Verwaltungsorgan den von den geschäftsführenden Direktoren vorgelegten Jahresabschluss nicht billigt. Nur auf den ersten Blick führt § 47 Abs. 6 SEAG insofern zu einer Deckungsgleichkeit von monistischem und dualistischem System. Denn die Tatbestandsmerkmale der dort und in § 173 Abs. 1 AktG enthaltenen Hauptversammlungskompetenz (und die Möglichkeit einer Nichtbilligung des vom Leitungsorgan bzw. den geschäftsführenden Direktoren aufgestellten Jahresabschlusses) sind zwar ersichtlich aneinander angelehnt; anders als dem Aufsichtsorgan steht dem Verwaltungsorgan jedoch bereits im Vorfeld der Entscheidung über die formelle Billigung oder Nichtbilligung ein nahezu unbegrenztes Instrumentarium zur Verfügung, um die geschäftsführenden Direktoren anzuleiten und zu maßregeln.947 Grundlage hierfür ist das allgemeine Weisungsrecht aus § 44 Abs. 2 SEAG, welches dem Aufsichtsorgan gegenüber dem „in eigener Verantwortung“ (Art. 39 Abs. 1 Satz 1 SE-VO) handelnden Leitungsorgan nicht zusteht. Noch intensiver ist der Einfluss des Verwaltungsorgans, wenn sämtliche geschäftsführende Direktoren dem Verwaltungsorgan angehören. Die zum Entwurf des § 47 SEAG gefallene Bemerkung, in der monistischen SE werde „das im Aktiengesetz angelegte ,Vier-Augen-Prinzip‘ bei Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses gewahrt“,948 ist daher nur aus formalem Blickwinkel zutreffend.949 Auch bei erheblichen Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit der Aufstellung des Jahresabschlusses wird die formelle Missbilligung des Jahresabschlusses durch das Verwaltungsorgan einen deutlich krasseren Ausnahmefall darstellen als eine Missbilligung durch das dualistische Aufsichtsorgan.950 Handelt es sich bei dieser erheblichen Einschränkung des Vier-Augen-Prinzips um einen Missstand, der (im Wege einer Gesetzesänderung951 oder durch eine korrigierende Auslegung des § 47 Abs. 5 SEAG952) dahingehend korrigiert werden 946 Übereinstimmend Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 363; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO Rn. 1. 947 Zutreffend Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 47 SEAG) Rn. 10 f., 17. 948 RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 39 f. 949 Abweichend wohl Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO (§ 47 SEAG) Rn. 6; Verse, in: Drinhausen/Habersack, SE-Recht (2013), § 47 SEAG Rn. 1, 8, jeweils mit dem Argument, die geschäftsführenden Direktoren dürften „nur sorgfalspflichtgemäße Weisungen umsetzen“ (was zutrifft, den Direktoren aber gleichwohl keine dem Leitungsorgan vergleichbare Unabhängigkeit einräumt). 950 In dieselbe Richtung Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 47 SEAG) Rn. 16 f., der die Befassung der Hauptversammlung gemäß § 47 Abs. 6 SEAG zu Recht weniger als Gegenstück zu § 173 Abs. 1 AktG, sondern eher in der Nähe des § 119 Abs. 2 AktG verortet. 951 In diese Richtung Schwarz, SE-VO (2006), Anh Art. 43 Rn. 371. 952 So Velte, WM 2010, 1635, 1639.

I. Einfluss auf die Gestaltung der Beteiligung der Arbeitnehmer

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sollte, dass die Hauptversammlung der monistischen SE regelmäßig über die Feststellung des Jahresabschlusses beschließt? In diese Richtung lässt sich wohl allein die vorstehend zitierte Bemerkung aus der Gesetzeshistorie verwenden, die aber möglicherweise in Wirklichkeit ein Missverständnis des Entwurfsverfassers offen legt. Im Übrigen erweist sich der Verlust einer institutionalisiert-unabhängigen, dem Aufsichtsorgan vergleichbaren Instanz schlicht als Wesensmerkmal des monistischen Systems, wie es sich auch in der anderen Bereichen der monistischen Führungsstruktur wieder findet. Ebenso wenig wie beispielsweise im regulären Geschäftsbetrieb die Vereinigung von Leitungs- und Überwachungsaufgaben auf das Verwaltungsorgan die Annahme rechtfertigt, die die unabhängige Überwachungsfunktion des Aufsichtsorgans müsse auf die Hauptversammlung ausgelagert oder in sonstiger Weise nachgebildet werden, ist es angezeigt, die spezielle Kontrollfunktion des Aufsichtsorgans bei der Feststellung des Jahresabschlusses im monistischen System in irgendeiner Weise nachzubilden. Mit einer obligatorischen Feststellung des Jahresabschlusses durch die Hauptversammlung wäre auch materiell nichts gewonnen, da die Befassung der Hauptversammlung eher eine Alternative als ein funktional gleichwertiger Ersatz für die Feststellung durch das dualistische Aufsichtsorgan wäre. Auch im monistischen System bleibt es daher dabei, dass die Hauptversammlung nur ausnahmsweise über die Feststellung des Jahresabschlusses beschließt.953

I. Einfluss auf die Gestaltung der Beteiligung der Arbeitnehmer I. Vorbehaltene Genehmigung bzw. Ablehnung der Beteiligungsvereinbarung, Art. 23 Abs. 2 SE-VO, § 122g Abs. 1 UmwG Gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2, Art. 32 Abs. 6 Unterabs. 2 SE-VO steht es der Hauptversammlung einer SE-Gründungsgesellschaft offen, sich das Recht vorzubehalten, die Eintragung der SE davon abhängig zu machen, dass die geschlossene Vereinbarung von ihr – der Hauptversammlung – genehmigt wird. Die Regelung stand Pate für die jüngere Regelung in § 122g Abs. 1 UmwG, Art. 9 Abs. 2 IntVerschmelzungs-RL, die denselben Vorbehalt beim grenzüberschreitenden Zusammengehen mehrerer Gesellschaften durch Verschmelzung vorsehen.954

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Im Ergebnis ebenfalls gegen eine Regelzuständigkeit der Hauptversammlung Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO Rn. 3; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 47 SEAG Rn. 1. 954 Siehe nur Neye, AG 2005, 1893, 1896.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

1. Mehrheitserfordernis Für den Beschluss über die Installation des Genehmigungsvorbehalts gilt mangels Sonderregeln das einfache Mehrheitserfordernis aus Art. 57 SE-VO.955 Eine Analogiebildung zu qualifizierten Mehrheitserfordernissen, wie sie für Strukturmaßnahmen und Satzungsänderungen gelten, ist nicht statthaft. Insbesondere die vereinzelt ins Feld geführte „Nähe zum Verschmelzungsbeschluss“956 reicht nicht aus, um die qualifizierten Mehrheitserfordernisse des Verschmelzungsbeschlusses auf den Beschluss über die Installation des Genehmigungsvorbehalts zu erstrecken. Denn strukturändernden Charakter hat der Genehmigungsvorbehalt allein gerade nicht. Auch Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber eine unbeabsichtigte Regelungslücke gelassen hätte, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Hätte der deutsche oder europäische Gesetzgeber tatsächlich eine qualifizierte Mehrheit im Sinn gehabt, so wäre eine solche wohl im Rahmen des jüngeren § 122g Abs. 1 UmwG bzw. Art. 9 Abs. 2 IntVerschmelzungs-RL ausdrücklich vorgesehen worden. Denn als diese Vorschriften im Laufe des Jahres 2005 erarbeitet wurden, hatte sich die herrschende Ansicht in Bezug auf Art. 23 Abs. 2 Satz 2 SE-VO bereits gegen ein qualifiziertes Mehrheitserfordernis positioniert. Fraglich ist, ob auch der spätere Beschluss über die Genehmigung der Beteiligungsvereinbarung dem einfachen Mehrheitserfordernis unterliegt. Das Meinungsbild gestaltet sich hier ähnlich wie beim vorhergehenden Beschluss über die Installation des Genehmigungsvorbehalts: Die wohl überwiegende Ansicht957 spricht 955 Zu Art. 23 Abs. 2 Satz 2, Art. 32 Abs. 6 SE-VO: Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 23 SE-VO Rn. 6, Art. 32 SE-VO Rn. 22; Marsch-Barner, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 23 SE-VO Rn. 20; Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012) Art. 23 SE-VO Rn. 11; Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 32 SE-VO Rn. 105; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 23 Rn. 27; Scheifele, Gründung (2004), S. 215, 345; Witten, Minderheitenschutz (2011), S. 101; ebenso in Bezug auf § 122g Abs. 1 UmwG: Bayer, in: Lutter, UmwG, 5. Aufl. (2014), § 122g Rn. 30; Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, 3. Aufl. (2012), § 122g Rn. 10; a.A. Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), Art. 23 SE-VO Rn. 13; Maul, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 23 SE-VO Rn. 17; Teichmann, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 4. Abschn. § 2 Rn. 64; ähnlich (Bestätigungsvorbehalt als unselbstständiger Teil des Zustimmungsbeschlusses) in Bezug auf § 122g Abs. 1 UmwG: Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), § 122g Rn. 8; Kiem, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 122g UmwG Rn. 10; Polley, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 122g UmwG Rn. 6; Zimmermann, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013), § 122g Rn. 16. 956 Teichmann, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 4. Abschn. § 2 Rn. 64; ähnlich Maul, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 23 SE-VO Rn. 17 a.E. 957 Bayer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 23 SE-VO Rn. 20; Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 23 SE-VO Rn. 7; MarschBarner, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 23 SE-VO Rn. 22; Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012) Art. 23 SE-VO Rn. 12; Scholz, in: Habersack/Drinhausen, SERecht (2013), Art. 32 SE-VO Rn. 105; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 23 Rn. 32; Teichmann, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 4. Abschn. § 2 Rn. 64; Scheifele, Gründung (2004), S. 217; Witten, Minderheitenschutz (2011), S. 101 f.; ebenso in Bezug auf § 122g

I. Einfluss auf die Gestaltung der Beteiligung der Arbeitnehmer

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sich für die Geltung der allgemeinen Regeln – also einem einfachen Mehrheitserfordernis – aus, während eine Gegenansicht958 die Regeln über strukturändernde Beschlüsse analog anwenden will. Tatsächlich besteht wohl gar kein Bedürfnis, der Hauptversammlung an dieser Stelle feste Vorgaben in die eine oder andere Richtung zu machen. Das Fehlen legislativer Mehrheitserfordernisse kann vielmehr ohne weiteres dahingehend interpretiert werden, dass die Hauptversammlung bei Installierung des Genehmigungsvorbehalts selbst bestimmen kann, welche Mehrheit sie für angemessen hält, um das im Verhandlungsverfahren verabschiedete Beteiligungsregime zu ratifizieren.959 So kann ein Einstimmigkeits- oder qualifiziertes Mehrheitserfordernis beispielsweise bewirken, dass eine Beteiligungsvereinbarung nicht gegen die Stimme eines Ankeraktionärs, der nicht über die absolute Mehrheit verfügt, genehmigt werden kann. Nur wenn sich die Hauptversammlung nicht zum gewünschten Mehrheitserfordernis äußert, wird Platz sein für ein Eingreifen der allgemeinen Regeln – also des einfachen Mehrheitserfordernisses aus Art. 57 SE-VO.960 2. Sachliche Reichweite eines installierten Genehmigungsvorbehalts Ähnliches gilt in Bezug auf die Frage, inwieweit ein per Beschluss installierter Genehmigungsvorbehalt auch dann ausgelöst wird, wenn ein Beteiligungsregime auf anderem Weg als durch Vereinbarung installiert wird oder wenn eine Beteiligungsvereinbarung geschlossen wird, die keine Mitbestimmung vorsieht. Geht man vom jeweiligen Normtext aus, so greift ein Vorbehalt nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 SEVO dann, wenn eine Beteiligungsvereinbarung geschlossen wird – egal, ob diese eine Mitbestimmungskomponente enthält oder nicht („… dass die geschlossene Vereinbarung … genehmigt wird.“) –, und ein Vorbehalt nach § 122g Abs. 1 UmwG dann, wenn es zu einer Mitbestimmung der Arbeitnehmer kommt – egal ob diese Abs. 1 UmwG: Bayer, in: Lutter, UmwG, 5. Aufl. (2014), § 122g Rn. 33; Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, 3. Aufl. (2012), § 122g Rn. 11. 958 Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), Art. 23 SE-VO Rn. 13; Maul, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 23 SE-VO Rn. 20; ebenso in Bezug auf § 122g Abs. 1 UmwG: Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), § 122g Rn. 10; Kiem, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 122g UmwG Rn. 11; Polley, in: Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 122g UmwG Rn. 6; Zimmermann, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013) Rn. 20. 959 Einen solchen Spielraum in Bezug auf § 122g Abs. 1 UmwG befürwortend Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), § 122g Rn. 10; Klein, RNotZ 2007, 565, 597; Simon/Rubner, Der Konzern 2006, 835, 839; ebenso in Bezug auf Art. 23 Abs. 2 Satz 2, Art. 32 Abs. 6 SE-VO: Oplustil, 4 German Law Journal (2003), 107, 118; ablehnend Kiem, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 122g UmwG Rn. 11. 960 In dieser Hinsicht abweichend (Zurückfallen auf das für den Verschmelzungsbeschluss gültige, qualifizierte Mehrheitserfordernis) Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 6. Aufl. (2013), § 122g Rn. 10; Klein, RNotZ 2007, 565, 597; Oplustil, 4 German Law Journal (2003), 107, 118; Simon/Rubner, Der Konzern 2006, 835, 839.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

gemäß § 22, § 23 Abs. 1 Nr. 1 MgVG auf eine Vereinbarung, gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 2 MgVG auf das Scheitern einer Vereinbarung oder gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 3 MgVG auf eine einseitige Entscheidung der beteiligten Leitungen zurückgeht („… dass die Art und Weise der Mitbestimmung der Arbeitnehmer … bestätigt wird.“). Anhaltspunkte dafür, dass hinter dieser Wortlautabweichung eine bewusste Differenzierung steht, ergeben sich jedoch nicht. So wird in Bezug auf Art. 23 Abs. 2 Satz 2 SE-VO und § 122g Abs. 1 UmwG gleichermaßen allgemein davon ausgegangen, dass der Vorbehalt unabhängig davon greift, ob das eingreifende Mitbestimmungsregime auf eine Vereinbarung oder auf das Gesetz zurück geht.961 Auch die Frage, ob der Vorbehalt auch dann gilt, wenn eine Beteiligungsregelung ohne Mitbestimmungskomponente greift, wird wohl überwiegend bejaht.962 Tatsächlich kann auch hier darauf verzichtet werden, eine feste legislative Schablone aufzulegen; stattdessen ist es zuvorderst Sache der Hauptversammlung, im Beschluss über die Installation des Vorbehalts darüber zu entscheiden, für welche Arten der Beteiligung oder Mitbestimmung sie sich eine Genehmigung vorbehält. So kann sie sich etwa darauf beschränken, nur eine Mitbestimmungsvereinbarung von ihrer Zustimmung abhängig zu machen und den Verhandlungsparteien im Übrigen freie Hand zu lassen. Ebenso möglich ist ein abgestufter Vorbehalt – etwa dergestalt, dass für die Genehmigung einer Beteiligungsvereinbarung die einfache Mehrheit ausreicht, während ein Mitbestimmungsregime, gleich welcher Art, nur mit qualifizierter Mehrheit genehmigt werden kann. Mit dem Gesetzes- bzw. Verordnungswortlaut ist diese flexible Lösung ohne weiteres vereinbar. Denn wenn es richtig ist, dass die Hauptversammlung problemlos einen Totalvorbehalt für das Eingreifen jeglicher Beteiligungs- oder Mitbestimmungsregime beschließen kann, dann ist erst recht ein eingeschränkter Vorbehalt möglich. Ein Totalvorbehalt ergibt sich nur dann, wenn die Hauptversammlung es ausdrücklich wünscht oder sich nicht zur sachlichen Reichweite eines beschlossenen Vorbehalts äußert. Insgesamt entscheidet die Hauptversammlung daher zunächst gemäß Art. 57 SEVO mit einfacher Mehrheit über das Ob und Wie eines Genehmigungsvorbehalts. Primär aus dem Inhalt dieses Beschlusses ergibt sich die Antwort auf die Frage, welches Mehrheitserfordernis für den Genehmigungsbeschluss gilt und welche 961 Bayer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 23 SE-VO Rn. 15; Marsch-Barner, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 23 SE-VO Rn. 21; Maul, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 23 SE-VO Rn. 15; Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 23 SE-VO Rn. 9; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 23 Rn. 30; Scheifele, Gründung (2004), S. 215 f.; Witten, Minderheitenschutz (2011), S. 100 f. 962 Eine ausdrückliche Stellungnahme findet sich hierzu – soweit ersichtlicht – nicht. Für einschlägig gehalten wird der Vorbehalt jedoch dann, wenn die Verhandlungsparteien einen Nichtverhandlungsbeschluss nach § 16 Abs. 1 SEBG fassen und damit weder ein SE-Betriebsrat kraft Gesetzes noch eine Mitbestimmung kraft Gesetzes entsteht (Marsch-Barner, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 23 SE-VO Rn. 21; wohl auch Schwarz, SE-VO (2006), Art. 23 Rn. 30; Scheifele, Gründung (2004), S. 215 f.). Erst recht dürften sich die zitierten Autoren daher für ein Eingreifen des Vorbehalts aussprechen, wenn es nur zur Installation eines Betriebsrats oder alternativer Beteiligungsarten kommt.

I. Einfluss auf die Gestaltung der Beteiligung der Arbeitnehmer

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Beteiligungs- oder Mitbestimmungsmodalitäten vom Vorbehalt erfasst sind. Trifft der Beschluss hierzu keine Aussage, so ist jegliche Art der Beteiligung oder Mitbestimmung von einem mit einfacher Mehrheit zu fassenden Hauptversammlungsbeschluss abhängig.

II. Ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit für den Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung? Kaum Anhänger hat die These gefunden, die Hauptversammlung sei auf ungeschriebener Rechtsgrundlage allgemein für die Ratifizierung der Beteiligungsvereinbarung zuständig.963 Begründet wird sie mit der Erwägung, Art. 23 Abs. 2 Satz 2, Art. 32 Abs. 6 SE-VO regelten „einen verallgemeinerungsfähigen Seitenaspekt“; dasselbe ergebe sich aus dem in Art. 12 Abs. 4 SE-VO enthaltenen Gleichlaufprinzip zwischen Satzung und Beteiligungsvereinbarung.964 Einleuchtend (und möglicherweise sogar zwingend erforderlich) ist eine derartige ungeschriebene Kompetenz wohl nur dann, wenn man aus Art. 12 Abs. 4 SE-VO eine Pflicht des Satzungsgebers ableitet, die Satzung an möglicherweise widersprechende Regelungen einer Beteiligungsvereinbarung anzupassen und gleichzeitig den Verhandlungsparteien weitgehende Befugnisse einräumt, satzungsrelevante Regelungsbereiche selbst in die Hand zu nehmen.965 Richtigerweise ist Art. 12 Abs. 4 SEVO für die deutsche SE jedoch gegenstandslos, so dass die Norm auch nicht geeignet ist, um eine ungeschriebene Kompetenz der deutschen SE-Hauptversammlung zu begründen. Überdies finden sich keine Anhaltspunkte, die eine verallgemeinernde Auslegung des Art. 23 Abs. 2 Satz 2, Art. 32 Abs. 6 SE-VO stützen würde, zumal auch die jüngere Parallelregelung in Art. 9 Abs. 2 IntVerschmelzungs-RL ähnlich einschränkend formuliert ist. Die besseren Gründe sprechen daher gegen eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit.966 Und auch de lege ferenda dürfte kein Bedürfnis bestehen, eine derart generelle Genehmigungskompetenz der Hauptversammlung in Bezug auf den Abschluss und ggf. spätere Änderungen der Beteiligungsvereinbarung

963

Seibt, AG 2005, 413, 418; in dieselbe Richtung noch Henssler, in: Ulmer/Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl. (2006), Einl SEBG Rn. 185; eine Zuständigkeit bei Änderung einer bestehenden Beteiligungsvereinbarung befürwortend Teichmann, AG 2008, 797, 806 (diese Kompetenz lasse sich allerdings „nur mit Mühe aus dem allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Kompetenzgefüge ermitteln“). 964 Seibt, AG 2005, 413, 418. 965 So insbesondere die Ansicht von Teichmann; siehe oben Abschnitt „Vereinbarungsreichweite entsprechend Beteiligungsbegriff; Genehmigung durch die Hauptversammlung“, S. 48. 966 Ebenso ablehnend Kiem, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 122g UmwG Rn. 14; ders., ZHR 171 (2007), 713, 721 – 724.

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4. Teil: Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

einzuführen.967 Denn das Konfliktpotential im Verhältnis zwischen Satzung und Beteiligungsvereinbarung ist weit weniger groß als es den Anschein hat.968

967 Anders Arbeitskreis Aktien- und Kapitalmarktrecht, ZIP 2010, 2221, 2223 f., und ZIP 2011, 1841, 1843 – 1845 (mit entsprechenden Regelungsvorschlägen); Teichmann, AG 2008, 797, 807 f.; in dieselbe Richtung Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 69 SE-VO Rn. 17; Weller, in: Deutsches Aktieninstitut, Finanzplatz Sept. 2009, Nr. 5, S. 10, 12. 968 Hierzu ausführlich oben Abschnitt „Eigener Lösungsvorschlag“, S. 54.

5. Teil

Die Individualrechte des SE-Aktionärs A. Verfügung über die Aktie Dass der Erwerber einer SE-Aktie mit dem Erwerb in erster Linie das Recht erwirbt, die Aktie wieder zu veräußern, ist aus rechtlicher Sicht trivial, aus wirtschaftlicher Sicht aber zentral. Denn die für Großkapitalgesellschaften typischerweise erleichterte Fungibilität der Anteile und die entsprechend niedrigen Transaktionskosten stehen für viele Investoren – insbesondere für Kleinanleger und Anleger, die auf einen erhöhten Wiederverkaufspreis spekulieren – im Mittelpunkt ihrer Investitionsentscheidung. Der vom Gesetz- und Verordnungsgeber im Grundsatz erleichterten Fungibilität zur Seite stehen eine Reihe von fakultativen Übertragungsbeschränkungen und eine Reihe von Möglichkeiten, die Fungibilität noch weiter zu erhöhen.

I. Übereignung Vorschriften über das Ob und Wie der Aktien-Übereignung finden sich auf Ebene der Verordnung nicht, so dass in vollem Umfang nationales Sachenrecht und internationales Privatrecht zur Anwendung gelangt.1 Für die Frage, welche Sachenrechtsordnung im Einzelfall einschlägig ist, gilt nichts anderes als bei der Übertragung von Anteilen an Gesellschaften nationaler Rechtsform. Angeknüpft wird also nicht einheitlich und stets an das Recht des SE-Sitzstaats oder an dessen Gesellschaftsstatut; vielmehr ist jeweils diejenige Rechtsordnung einschlägig, deren Sachenrecht nach international-privatrechtlichen Grundsätzen auf den Gegenstand des Übertragungsgeschäfts anwendbar ist. Gemäß Art. 43 Abs. 1 EGBGB unterfällt etwa eine in Deutschland belegene SE-Aktienverbriefung dem deutschen Sachenrecht, und zwar auch dann, wenn die betroffene SE in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist. Umgekehrt werden Anteile an einer deutschen SE, deren Aktienverbriefungen sich in einem anderen Mitgliedstaat befinden, nur nach dem Sachenrecht dieses Mitgliedstaates übereignet.2 Letzteres ist regelmäßig dann von Bedeutung, wenn die Übertragungsparteien mit der Übertragung Ziele verfolgen, die die Grenzen 1 2

Hirte, DStR 2005, 700, 703. Vgl. Wilk, ZIP 2013, 1549, 1550.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

des deutschen Sachenrechts sprengen, wie etwa bei Einlegung der Aktien in einen angelsächsischen Trust.3 Soweit deutsches Sachenrecht gilt, werden Inhaberaktien (§ 10 Abs. 1 Alt. 1 AktG, Art. 5 SE-VO) wie andere bewegliche Sachen durch Einigung und Übergabe bzw. Übergabesurrogat nach §§ 929 ff. BGB übereignet;4 bei einzeln verbrieften Aktien also beispielsweise durch einverständliche Aushändigung der Aktienurkunden. Namensaktien (§ 10 Abs. 1 Alt. 2 AktG, Art. 5 SE-VO) dagegen werden durch Indossament, Begebungsvertrag und Übergabe bzw. Übergabesurrogat gemäß § 68 Abs. 1 AktG, Art. 12 f. WechselG und §§ 929 ff. BGB analog übertragen;5 alternativ – hierauf spielt das „auch“ in § 68 Abs. 1 Satz 1 AktG an – ist eine Übertragung des verbrieften Rechts gemäß §§ 398, 413 BGB möglich.6 Befinden sich die Aktien in Sammelverwahrung (§ 6 DepotG) oder sind die Aktien in einer Sammelurkunde bei einer Wertpapiersammelbank hinterlegt (§ 9a DepotG), so bilden nicht die einzelnen Aktienverbriefungen, sondern die entsprechenden Miteigentumsanteile den Gegenstand des Übertragungsgeschäfts. Zu einer Übertragung im Rechtssinne kommt es regelmäßig auch dann, wenn die Parteien eine sogenannte Wertpapierleihe vereinbaren. Denn anders als der Begriff nahelegt, ergeben sich dabei regelmäßig keine Berührungspunkte zu §§ 598 ff. BGB. Vielmehr erwirbt der Entleiher grundsätzlich Volleigentum und übernimmt gleichzeitig die Verpflichtung, dem Entleihenden zu einem späteren Zeitpunkt Aktien derselben Gesellschaft und Gattung zurück zu übereignen.7

II. Zivilrechtliche Übertragungsbeschränkungen Soweit es sich bei den Aktien einer deutschen SE um Namensaktien handelt, kann der Satzungsgeber die Übertragung gemäß § 68 Abs. 2 Satz 1 AktG, Art. 5 SE-VO zunächst von der Zustimmung der Gesellschaft abhängig machen. Erteilt wird die Zustimmung in der dualistischen SE grundsätzlich vom Leitungsorgan (§ 68 Abs. 2 Satz 2 AktG), sofern die Satzung die Zuständigkeit nicht auf das Aufsichtsorgan oder die Hauptversammlung überträgt (§ 68 Abs. 2 Satz 3 AktG). In der monistischen SE fällt die Aufgabe über § 22 Abs. 6 SEAG grundsätzlich an das Verwaltungsorgan;8 auch hier kann der Satzungsgeber aber gemäß § 68 Abs. 2 Satz 3 AktG die Haupt3

Hierzu Wilk, ZIP 2013, 1549, 1550. Allgemein Eder, NZG 2004, 107, 108; speziell zur SE Merkt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 179, 190. 5 Eder, NZG 2004, 107, 108 f.; Merkt, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 179, 190 f. 6 Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 68 Rn. 3; Eder, NZG 2004, 107, 109. 7 Siehe nur Osterloh-Konrad, ZGR 2012, 35, 38, auch zur Rolle der Wertpapierleihe beim sogenannten Empty Voting. 8 Die von Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2475, vorgeschlagene Satzungsklausel („Die Zustimmung erteilt der Verwaltungsrat.“) hat daher nur klarstellende Bedeutung. 4

A. Verfügung über die Aktie

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versammlung für zuständig erklären.9 Eine Zuständigkeit der geschäftsführenden Direktoren dagegen ergibt sich nicht und kann auch nicht durch den Satzungsgeber angeordnet werden.10 Faktische Übertragungsbeschränkungen können sich aus sogenannten Changeof-Control-Klauseln in den Vertragsbeziehungen der Gesellschaft ergeben. Hierunter gefasst werden üblicherweise Vorbehalte, Sonderkündigungsrechte, auflösende Bedingungen und Konditionsverschlechterungen, die in wesentlichen Vertragsbeziehungen der Gesellschaft verankert sind (z. B. Finanzierungsverträge, Arbeits- und Anstellungsverträge) und die durch bestimmte, besonders großvolumige Übereignungs- und Verfügungstatbestände ausgelöst werden (z. B. Erwerb einer Kontrollbeteiligung durch einen bislang unbeteiligten Dritten).11 Gemessen an der Gesamtzahl der Kapitalmarktteilnehmer sind Change-of-Control-Klauseln daher nur für eine verhältnismäßig kleine Zahl potenzieller Erwerber von Bedeutung – für diese spielen sie freilich häufig eine zentrale Rolle, wenn ein Kontrollerwerb ins Auge gefasst wird, der nicht im Vorfeld mit der Verwaltung der Zielgesellschaft abgestimmt ist.

III. Öffentlichrechtliche Übertragungsbeschränkungen Sollen Anteile an einer SE übertragen werden, die ein Versicherungsunternehmen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 VAG) oder ein Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut (§ 1 Abs. 1, Abs. 1a KWG) betreibt, so können sich auch aufsichtsrechtliche Übertragungsbeschränkungen ergeben. Das gilt insbesondere dann, wenn der Erwerb einer bedeutenden Beteiligung gemäß § 7a Abs. 2 Satz 3 VAG bzw. § 2c Abs. 1 Satz 1 KWG geplant ist. Der Erwerbsinteressent hat in diesen Fällen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gemäß § 104 VAG bzw. § 2c KWG seine Absichten anzuzeigen. Die BaFin kann daraufhin den Erwerb komplett untersagen (§ 104 Abs. 1b VAG, § 2c Abs. 1b KWG), dem Erwerber die Ausübung der erworbenen Stimmrechte untersagen (§ 104 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 VAG, § 2c Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 KWG) oder anordnen, dass der Erwerber über die erworbenen Anteile nur mit Zustimmung der BaFin verfügen darf (§ 104 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 VAG, § 2c Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 KWG).

9

Schroeter, AG 2007, 854, 859. A.A. Schroeter, AG 2007, 854, 859, der auch allgemein für die Möglichkeit eintritt, die Aufgabenbereiche von Verwaltungsorgan und geschäftsführenden Direktoren in der Satzung abzugrenzen. Richtigerweise ist dies im Allgemeinen wie im Speziellen abzulehnen; siehe bereits oben Abschnitt „Abgrenzung zwischen Unternehmensleitung (Verwaltungsorgan, § 22 Abs. 1 SEAG) und laufenden Geschäften (geschäftsführende Direktoren, § 40 Abs. 2 Satz 1 SEAG)?“, S. 342. 11 Vgl. § 19 FMStBG, der sicherstellt, dass Maßnahmen des Finanzmarktstabilisierungsfonds nicht durch Change-of-Control-Vereinbarungen behindert werden. 10

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

IV. Fungibilitätsbegünstigende Rechte Die Übertragung der Anteile wird zunächst in denjenigen Fällen erleichtert, in denen der Veräußerungswillige das Recht erhält, seine Anteile gegen eine gesetzlich regulierte Abfindung12 anzudienen. Ein derart umgekehrtes Bezugsrecht findet sich regelmäßig dann, wenn die Gesellschaft einen tiefgreifenden Strukturwechsel erfährt, der geeignet ist, die Investitionsentscheidung der Aktionäre grundlegend zu erschüttern. Das ist der Fall, wenn die Gesellschaft sich als abhängige Gesellschaft in einen Vertragskonzern integriert (§ 305 AktG), wenn die Gesellschaft eingegliedert wird (§ 320b AktG), wenn sie auf einen inländischen Rechtsträger anderer Rechtsform oder – als börsennotierte SE – auf eine nicht börsennotierte AG oder SE verschmolzen wird (§ 29 UmwG), wenn sie ihre Rechtsform wechselt (§ 207 UmwG), wenn sie grenzüberschreitend verschmilzt (§ 122i UmwG), wenn sie sich an einer SE-Verschmelzungsgründung oder an der Gründung einer Holding-SE beteiligt (§§ 7, 9 SEAG), wenn sie ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt (§ 12 SEAG) sowie im Anschluss an ein besonders erfolgreiches öffentliches Übernahmeangebot (§ 39c WpÜG). Außerhalb von Sondersituationen können Aktionäre einer SE, deren Anteile weder zum Handel im regulierten Markt zugelassen noch in den regulierten Markt einbezogen sind, die Fungibilität erhöhen, indem sie gemäß § 48 BörsG in Verbindung mit der jeweiligen Handelsordnung den Betrieb eines Freiverkehrs beantragen.13

B. Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Verwaltungsorgane Grundsätzlich ist allein die Hauptversammlung befugt, auf die personelle Zusammensetzung des Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgans Einfluss zu nehmen. Das gilt grundsätzlich auch insoweit, als einzelne Aktionäre das Recht erhalten, Mitglieder ihrer Wahl zu entsenden; denn auch Entsendungsrechte können allein durch den Satzungsgeber verliehen werden.14 Echte individuelle und nicht von einer Verleihung abhängige Berechtigungen in Bezug auf die Organbesetzung stehen den Aktionären nur in wenigen Ausnahmefällen zu, nämlich zum einen im Statusverfahren und zum anderen bei der gerichtlichen Abberufung eines Organmitglieds. Auch in diesen Fällen kommt es freilich nicht zu einem unmittelbaren, gestaltenden 12 Zu den jeweiligen Abfindungsrechten näher unten Abschnitt „Recht auf gesetzlich regulierte Abfindungs-, Ausgleichs- und Zuzahlungen“, S. 468. 13 Einschlägig für den Frankfurter Freiverkehr ist etwa § 10 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutsche Börse AG für den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse (Stand 26. Juli 2013); vgl. auch VG Frankfurt am Main, ZIP 2013, 317. 14 Siehe oben Abschnitt „Festlegung von Entsendungsrechten, § 101 Abs. 2 AktG, S. 230.

B. Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Verwaltungsorgane

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Eingriff des Aktionärs. Allein die vom Aktionär in Gang gesetzte Gerichtsentscheidung wirkt sich auf die personelle Zusammensetzung aus.

I. Antrag auf Durchführung eines Statusverfahrens, § 98 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AktG 1. Mitbestimmung kraft Gesetzes Ist streitig oder ungewiss, nach welchen gesetzlichen Vorschriften ein AG-Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist, so entscheidet darüber gemäß § 98 Abs. 1 AktG auf Antrag das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. Zu den Antragsberechtigten gehört gemäß § 98 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AktG auch „jeder Aktionär“. Beides gilt über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO jedenfalls im Grundsatz auch für die dualistische deutsche SE.15 Dasselbe gilt gemäß § 26 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Nr. 2 SEAG für die Zusammensetzung des SE-Verwaltungsorgans. Gemeinsam mit dem Status-Quo-Prinzip aus § 96 Abs. 4 AktG, § 24 Abs. 2 SEAG dient das Statusverfahren der Rechtssicherheit und sorgt dafür, dass eine fehlerhafte Organzusammensetzung auf geordnetem Wege korrigiert werden kann, ohne zwischenzeitlich die Beschlussfähigkeit des Organs zu beeinträchtigen.16 Eine Anwendung der Statusverfahrensregeln auf die SE ist daher jedenfalls dann unproblematisch, wenn es sich um eine SE handelt, die nach dem Vorbild des deutschen Mitbestimmungskonzepts gesetzlich mitbestimmt ist (§§ 34 – 38 SEBG). 2. Vereinbarte Mitbestimmung Anders als die Zusammensetzung eines AG-Aufsichtsrats kann sich die Zusammensetzung des Aufsichts- und Verwaltungsorgans einer SE freilich nicht nur aus „gesetzlichen Vorschriften“ (§ 98 Abs. 1 AktG), sondern auch aus einer Beteiligungsvereinbarung gemäß § 21 SEBG ergeben. Soweit sich dort auch Mitbestimmungsregeln finden bzw. sofern die Verhandlungsparteien sich auf die Mitbestimmungsfreiheit der Gesellschaft einigen, ist für eine Mitbestimmung kraft Gesetzes kein Platz mehr. Dem hat der Gesetzgeber in § 24 Abs. 2 („Nach anderen als den zuletzt angewandten vertraglichen oder gesetzlichen Vorschriften …“) und § 26 Abs. 1 SEAG („nach welchen Vorschriften“) Rechnung getragen, und auch in 15 LG Nürnberg-Fürth, ZIP 2010, 372, 372 f.; Hopt/Roth/Peddinghaus, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 98 Rn. 54; Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 40 SE-VO Rn. 4, 74; ders., ZIP 2010, 1057, 1064; Kiefner/Friebel, NZG 2010, 537; implizit wohl auch der deutsche Gesetzgeber, der die §§ 96 ff. AktG in §§ 24 ff. SEAG für das monistische System nachbildet, ohne auf ein dualistisches Statusverfahren einzugehen; einschränkend Kiem, Der Konzern 2010, 275, 282 f. 16 Siehe nur Bürgers/Israel, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 96 Rn. 11; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 24 SEAG Rn. 2; Seibt, ZIP 2010, 1057, 1063.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

§§ 96 ff. AktG ist diese abweichende Formulierung hineinzulesen, soweit sie auf die SE angewendet werden.17 In diesem Fall kann das Statusverfahren auch beantragt werden, um einen Konflikt zwischen den vereinbarten Mitbestimmungsregeln und der tatsächlichen Zusammensetzung des betroffenen Organs geltend zu machen, z. B. wenn die Verhandlungsparteien eine paritätische Mitbestimmung vereinbart haben, tatsächlich aber die Anteilseigner- oder die Arbeitnehmerseite eine Mehrheit der Organmitglieder stellt. Weiter kann im Statusverfahren die Frage geklärt werden, ob die vereinbarte Mitbestimmung überhaupt eingreift oder stattdessen die gesetzlichen Auffangregelungen aus §§ 34 – 38 SEBG zum Tragen kommen.18 Relevant ist dies beispielsweise dann, wenn Streit oder Ungewissheit über die Beendigung einer vereinbarten Mitbestimmung entsteht oder nicht klar ist, ob die Schwellenwerte aus § 34 SEBG einer vereinbarten Mitbestimmung entgegenstehen. Auch dann, wenn eine existierende Mitbestimmungsvereinbarung durch eine neue, abweichende Mitbestimmungsvereinbarung abgelöst wird, kann die Änderung nur in Folge einer Bekanntmachung nach § 97 AktG bzw. § 25 SEAG und – bei Streit oder Ungewissheit über die Änderung – eines Statusverfahrens umgesetzt werden. Auch in diesem Fall geht es stets um die Bestimmung der für die Organbesetzung einschlägigen Regeln. Ob sich das Statusverfahren auch eignet um die Satzung der SE an eine entgegenstehende Mibestimmungsregelung anzupassen, ist dagegen umstritten. Ausgangspunkt des Streits bildete ein Beschluss des LG Nürnberg-Fürth vom 8. Februar 2010 zur Änderung der Beteiligungsvereinbarung der GfK SE.19 In der Änderungsvereinbarung hatten die Verhandlungsparteien festgelegt, dass das Aufsichtsorgan nicht mehr – wie in der damaligen Satzung bestimmt – aus neun Mitgliedern bestehen solle, sondern aus zehn. An die Stelle der zuvor vereinbarten Drittelbeteiligung trat eine Regelung, nach der vier der zehn Organsitze an die Arbeitnehmervertreter fielen. Per Statusverfahren sollten die Änderungen umgesetzt werden. In einer kurz gehaltenen Entscheidung bejahte das Gericht nicht nur die grundsätzliche Anwendbarkeit des Statusverfahrens auf die dualistische SE, sondern befand das Verfahren auch für geeignet, um die der Satzung widersprechende Vereinbarungspassage über die Organgröße durch- und umzusetzen. Die Satzung sei – so die knappe Bemerkung des Gerichts – „gem. Art. 12 Abs. 4 SE-VO, der die Vorrangigkeit der Beteiligungsvereinbarung festschreibt, anzupassen.“20 Auf Widerspruch stieß die Entscheidung namentlich bei Kiem, dessen These, Art. 12 Abs. 4 SE-VO lasse im Fall von Widersprüchen zwischen Satzung und 17 Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 40 SE-VO Rn. 4, 74; ders., ZIP 2010, 1057, 1064. 18 Kiem, Der Konzern 2010, 275, 282. 19 LG Nürnberg-Fürth, ZIP 2010, 372. 20 LG Nürnberg-Fürth, ZIP 2010, 372, 373 a.E.

B. Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Verwaltungsorgane

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Vereinbarung auf ein Letztentscheidungsrecht des Satzungsgebers schließen,21 vom Gericht ohne nähere Begründung oder Bezugnahme vom Tisch gewischt wurde: Soweit die Verhandlungsparteien sich auf Regelungen einigten, die einer Umsetzung in der Satzung bedürften, sei – so Kiem – das Leitungsorgan gehalten, der Hauptversammlung die Änderungen vorzuschlagen. Die Hauptversammlung sei dann frei, dem Vorschlag zu folgen oder ihn abzulehnen und damit die entsprechende Vereinbarungspassage scheitern zu lassen.22 Per Statusverfahren dürfe die Satzungsänderung nicht durchgesetzt werden, da so „schlicht die Kompetenzordnung innerhalb der SE auf den Kopf“ gestellt würde.23 Weniger kritische Worte finden sich dagegen Seibt, der auch in Bezug auf die Einordnung des Art. 12 Abs. 4 SE-VO ein anderes Konzept als Kiem verfolgt. Im Wege des Statusverfahrens könne nicht nur die tatsächliche Organbesetzung mit der vereinbarten bzw. gesetzlich einschlägigen Mitbestimmungsregelung abgeglichen werden, sondern auch überprüft werden, ob Vereinbarungsbestimmungen über die Größe und Zusammensetzung des Aufsichtsorgans überhaupt wirksam seien.24 Das bedeute „auch die Möglichkeit der Verhandlungsparteien (…), das an sich bestehende Letztentscheidungsrecht der Hauptversammlug in der Frage der Zusammensetzung des Aufsichtsorgans auszuhöhlen. Denn mit Abschluss des Statusverfahrens [sei] die Satzung zwingend an dessen Ergebnis anzupassen.“25 Dies sei nach Corporate-Governance-Gesichtspunkten durchaus problematisch; es sei allerdings Sache des Gesetzgebers, sich einer sinnvollen Alternativlösung anzunehmen.26 Richtigerweise sind die Verhandlungsparteien gar nicht erst befugt, in der Beteiligungsvereinbarung die absolute Zahl der Aufsichtsorgansitze zu bestimmen. Denn eine solche Regelung wird nicht vom Begriff der Mitbestimmung abgedeckt, wie er in § 2 Abs. 12 SEBG, Art. 2 lit. k) SE-RL definiert ist.27 Stattdessen ist gemäß Art. 40 Abs. 3 Satz 1 SE-VO nur der Satzungsgeber für die Festlegung der Sitzzahl zuständig.28 Widersprechende Vereinbarungsregelungen sind schlicht rechtswidrig

21 Siehe bereits oben Abschnitt „Satzungsautonomie und Mitbestimmungsrelevanz, zusätzlich Selbstbindung der Leitungen und Änderungskompetenz der Hauptversammlung“, S. 47, mit den Nachweisen in Fn. 63 und 64. 22 Kiem, Der Konzern 2010, 275, 283. 23 Kiem, Der Konzern 2010, 275, 283. 24 Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 40 SE-VO Rn. 4, 74; ders., ZIP 2010, 1057, 1064; jeweils unter Bezugnahme auf Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff, SEKo., 1. Aufl. (2008), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 25 SEAG) Rn. 13 f., der sich a.a.O. aber weniger deutlich äußert. 25 Seibt, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 40 SE-VO Rn. 4, 74; ders., ZIP 2010, 1057, 1064. 26 Seibt, ZIP 2010, 1057, 1064; mit ähnlichen Bedenken Forst, AG 2010, 350, 357. 27 Ausführlich hierzu oben Abschnitt „Eigener Lösungsvorschlag“, S. 54. 28 Siehe bereits oben Abschnitt „Gestaltung der Mitgliederzahl“, S. 211, auch zu den vom Satzungsgeber insoweit einzuhaltenden gesetzlichen Vorgaben.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

und unwirksam;29 ein Statusverfahren zu ihrer Durchsetzung kommt von vornherein nicht in Betracht. Mit Art. 12 Abs. 4 SE-VO hat dies alles nichts zu tun; denn die Vorschrift betrifft nur den in der deutschen SE kaum vorstellbaren Fall, in dem der Satzungsgeber in Bereiche übergreift, die nach der SE-RL den Verhandlungsparteien vorbehalten sind.30

II. Antrag auf gerichtliche Abberufung eines entsendeten Aufsichts- bzw. Verwaltungsorganmitglieds Ein Aktionär oder eine Aktionärsgruppe ist ferner gemäß § 103 Abs. 3 Satz 3 AktG, § 29 Abs. 3 Satz 3 SEAG berechtigt, die gerichtliche Abberufung eines entsendeten Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan aus wichtigem Grund zu beantragen. Ebenso wie in der AG müssen der oder die Antragssteller hierfür jedoch ein Quorum von zehn Prozent des Grundkapitals oder anteilig eine Million Euro erreichen. SEspezifische Besonderheiten ergeben sich insofern nicht.

C. Rechte im Vorfeld der Hauptversammlung I. Einberufungs- und Ergänzungsantrag, Art. 55, 56 SE-VO, § 50 SEAG 1. Allgemeines Sowohl die SE-Verordnung als auch das Aktiengesetz sehen ein Recht der Aktionäre vor, eigeninitiativ für die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung zu sorgen oder die Tagesordnung einer von der Verwaltung einberufenen Versammlung zu ergänzen. § 122 AktG enthält in dieser Hinsicht eine Komplettregelung. Art. 55, 56 SE-VO dagegen haben nicht abschließenden Charakter, sondern ermächtigen nationale Gesetz- und Satzungsgeber ausdrücklich zu ergänzenden Regelungen; sie äußern sich ferner nicht zu sämtlichen Eckpunkten des Einberufungs- und Ergänzungsrecht, was teilweise zum Anlass für einen Rückgriff auf die detaillierteren aktiengesetzlichen Vorschriften genommen wird. Letzteres hatte auch der deutsche Gesetzgeber im Sinn, als er von den Ermächtigungen aus Art. 55 Abs. 1 Hs. 2 und Art. 56 Satz 2 SE-VO „zur Herstellung des Gleichlaufs mit dem allgemeinen Aktienrecht“ Gebrauch machte.31 29

Siehe auch hierzu oben Abschnitt „Eigener Lösungsvorschlag“, S. 54. Siehe oben Abschnitt „Gegenstandslosigkeit des Art. 12 Abs. 4 SE-VO in der deutschen SE“, S. 54. 31 RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 40, dem Vorschlag von Teichmann, ZIP 2002, 1109, 1115, folgend; vgl. auch Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 284. 30

C. Rechte im Vorfeld der Hauptversammlung

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Gleichzeitig handelt es sich bei Art. 55, 56 SE-VO um Mindeststandards. Weder nationale Gesetzgeber noch der Satzungsgeber haben es also in der Hand, das Einberufungs- und Ergänzungsrecht durch zusätzliche Erschwernisse unter den in der SE-Verordnung gesetzten Standard abzusenken.32 Einer Lückenfüllung durch aktiengesetzliche Vorschriften ist insoweit stets die Kontrollüberlegung voranzustellen, ob noch der Standard gewahrt bleibt, den der Verordnungsgeber im Blick hatte. Das Verhältnis zwischen Mindeststandard-Charakter und partieller Regelungsoffenheit der Art. 55, 56 SE-VO ist nicht frei von Unstimmigkeiten. So ist nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich, ob die entsprechende Anwendung nationalen Rechts eine verkürzende oder lediglich ausgestaltende Wirkung auf das Konzept des Verordnungsgebers hat bzw. hätte. Das gilt etwa für Inhalt und Form des Antrags, die im deutschen Recht wesentlich detaillierter geregelt sind als in der Verordnung, ohne dass hierin aus deutscher Sicht eine besondere Erschwernis der Antragsstellung erkannt wird. Hinzu kommt, dass die Schnittstellen zwischen Art. 55, 56 SE-VO und deutschem Aktienrecht auch rechtstechnisch nicht aufeinander abgestimmt sind. So ist der nationale Gesetzgeber dem Verordnungswortlaut nach etwa dazu ermächtigt, für die zur Antragsberechtigung nötige Beteiligungsschwelle „einen niedrigeren Prozentsatz“ vorzusehen; § 122 Abs. 2 AktG und der daran angelehnte § 50 Abs. 2 SEAG dagegen sehen eine alternative Anknüpfung an einen absoluten Schwellenwert vor. Auch die Entwicklung, die die relevanten aktiengesetzlichen Normen seit Inkrafttreten der SE-Verordnung genommen haben (insbesondere durch das ARUG 2009), vollzog sich ohne Rücksicht auf den SE-spezifischen Anwendungsbereich des Aktiengesetzes. Eine allgemeingültige Formel für die Abstimmung zwischen Art. 55, 56 SE-VO und deutschem Aktienrecht ist daher nicht in Sicht. Die genannten Spannungen sind stattdessen in Hinblick auf jeden einzelnen Regelungsbereich gesondert aufzulösen. 2. Außergerichtlicher Einberufungsantrag, Art. 55 Abs. 1, 2 SE-VO, § 50 Abs. 1 SEAG a) Antragsberechtigung aa) Beteiligungsschwelle Typischerweise – jedoch nicht zwingend – handelt es sich beim Einberufungsrecht um ein Recht der Minderheitsaktionäre.33 In jedem Fall antragsberechtigt sind gemäß § 50 Abs. 1 SEAG, Art. 55 Abs. 1 Hs. 2 SE-VO Aktionäre, die einzeln oder 32 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 1, Art. 56 SE-VO Rn. 1; Liebscher, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 49 Rn. 22. 33 Ebenso zu § 122 AktG: König/Römer, DStR 2003, 219; Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494, 495.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

gemeinsam mit weiteren Antragsstellern mit mindestens fünf Prozent am Grundkapital der SE beteiligt sind. Der deutsche Gesetzgeber hat damit von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, für die Antragsbefugnis „unter denselben Voraussetzungen, wie sie für Aktiengesellschaften gelten“, einen niedrigeren Prozentsatz als die in Art. 55 Abs. 1 Hs. 1 SE-VO vorgegebenen zehn Prozent vorzusehen. Der Fünf-Prozent-Wert entspricht der für die deutsche AG gültigen Beteiligungsschwelle aus § 122 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AktG. Im Einzelfall kann der Antrag von Aktionären gestellt werden, die zwar die gesetzliche Marke von fünf Prozent verfehlen, aber einen geringeren, per Satzung festgesetzten Prozentsatz erfüllen. Zur Verankerung einer solchen Erleichterung ist der deutsche Satzungsgeber gemäß Art. 55 Abs. 1 Hs. 2 SE-VO befugt. Nicht möglich ist dagegen eine satzungsmäßige Erhöhung des Mindestkapitalanteils auf einen Wert zwischen fünf und zehn Prozent.34 Denn auch der Satzungsgeber darf den in der Verordnung festgesetzten Zehn-Prozent-Wert nur „unter denselben Voraussetzungen, wie sie für Aktiengesellschaften gelten“, absenken – und § 122 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 AktG lässt nur eine Absenkung auf einen unter fünf Prozent liegenden Wert zu.35 Das Abstellen auf das „gezeichnete Kapital“ (Art. 55 Abs. 1 SE-VO) bzw. Grundkapital (§ 50 Abs. 1 SEAG) macht deutlich, dass grundsätzlich auch die von Vorzugsaktionären gehaltenen Kapitalanteile in die Berechnung einzubeziehen sind,36 und zwar sowohl im Zähler als auch im Nenner. Gehören zu den Antragsstellern auch Vorzugsaktionäre, so sind deren Anteile daher in derselben Weise wie Stammaktien geeignet, dem Antrag über die entscheidende Schwelle zu verhelfen; und auf der anderen Seite ist ein von Stammaktionären gestellter Einberufungsantrag unzulässig, wenn er die erforderliche Prozentmarke zwar in Bezug auf den Stimmrechtsanteil erfüllt, nicht jedoch in Bezug auf die Kapitalbeteiligung. Dasselbe gilt in Bezug auf Kapitalanteile, die noch nicht voll eingezahlt sind und für die daher gemäß § 134 Abs. 2 AktG noch kein Stimmrecht besteht,37 sowie in Bezug auf alle weiteren Kapitalanteile, die einem Stimmrechtsausschluss unterliegen. Nur dann, wenn sich der Kreis der Antragssteller ausschließlich aus Aktionären zusammen34

Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 3; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 6; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 19; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 662 mit dortiger Fn. 3092; a.A. Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 3; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 194 f. Vgl. auch das parallele Meinungsbild zur Satzungsermächtigung aus Art. 56 Satz 3 SE-VO im 5. Teil in Fn. 101. 35 Zutreffend Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 6; Mayer, in: Manz/ Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 19; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 662 mit dortiger Fn. 3092. 36 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 3 a.E.; ebenso die ganz h.M. zu § 122 Abs. 1 AktG, siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 122 Rn. 2 f.; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 122 Rn. 3; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. B. Rn. 103. 37 Siehe die Nachweise im 5. Teil in Fn. 36.

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setzt, deren Stimmrecht ausgeschlossen ist, mögen sich Zweifel in Bezug auf die Zulässigkeit des Antrags ergeben – dies jedoch aus anderen Gesichtspunkten.38 Nur im Nenner einzuberechnen sind dagegen Aktien, für die ein gesetzlicher Vollrechtsausschluss gilt, also insbesondere eigene Aktien (§ 56 Abs. 3 Satz 3, § 71b, § 71d Satz 4 AktG) und Aktien, deren Inhaber Melde- oder Angebotspflichten verletzt haben (§ 20 Abs. 7, § 21 Abs. 4 AktG, § 28 Satz 1 WpHG, § 59 WpÜG). Mit dem Verlust der übrigen Aktionärsrechte verfällt in diesen Fällen also auch die Berechtigung, einen Einberufungsantrag zu stellen.39 bb) Relevanter Zeitraum Der oder die Antragssteller müssen spätestens im Zeitpunkt der Antragsstellung die jeweils gültige Beteiligungsquote erfüllen. Eine Mindestvorbesitzzeit, wie sie für die deutsche AG gilt (§ 122 Abs. 1 Satz 3 AktG, § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG), ist in Art. 55 SE-VO nicht angeordnet. Und auch eine entsprechende Anwendung der aktiengesetzlichen Regelungen kommt nicht in Frage, da das Einberufungsrecht auf diesem Weg einer europarechtlich nicht vorgesehenen Einschränkung unterworfen würde.40 Zu welchem Zeitpunkt die Antragssteller ihre Aktien frühestens veräußern dürfen, ohne die Einberufung der beantragten Hauptversammlung zu gefährden, ist umstritten. Nach einer Ansicht müssen die Antragssteller das Quorum ununterbrochen bis zur Einberufungsentscheidung des Adressaten erfüllen.41 Eine Aktionärsminderheit, die gar nicht erst antragsberechtigt gewesen wäre, sei auch nicht berechtigt, das Verfahren weiter zu führen.42 Dies ergebe sich zwar nicht aus einer analogen Anwendung der aktiengesetzlichen Regeln, wohl aber aus einer autonomen, am Schutzzweck orientierten Auslegung des Art. 55 SE-VO.43 Ein Kleinstaktionär könne das Beteiligungserfordernis also insbesondere nicht dadurch umgehen, dass er sich für den Antragszeitpunkt kurzzeitig mit Aktien eindecke, die er gleich darauf wieder veräußere.44 38

Siehe unten Abschnitt „Materielle Rechtfertigung?“, S. 430. Ebenso für das Verhältnis zwischen § 122 AktG und § 20 AktG, § 28 WpHG: Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 122 Rn. 3. 40 Ganz h.M.; siehe nur Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SEVO Rn. 11; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 17; Kubis, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2013), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 6; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 189 f; Liebscher, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 49 Rn. 22. 41 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 12; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 8. 42 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 8. 43 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 12. 44 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 8. 39

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Die Gegenansicht verlangt keinen Fortbestand des Quorums über den Zeitpunkt der Antragsstellung hinaus, solange die Antragssteller ihre Aktionärsstellung nicht gänzlich aufgegeben hätten.45 Ein Fortbestehenserfordernis lasse sich aus der Verordnung nicht ableiten.46 Auch dürfe die Mindesthaltedauer nicht von der Reaktionsgeschwindigkeit des Einberufenden abhängen.47 Die besseren Gründe sprechen für die letztgenannte Ansicht. So erscheint das Argument der zuerst genannten Ansicht, eine Minderheit dürfe ein Einberufungsverfahren nicht fortführen, wenn sie nicht zur Antragsstellung berechtigt gewesen wäre, bei näherem Hinsehen als petitio principii. Denn um die Frage, ob das für die Antragsstellung erforderliche Quorum auch über die Antragsstellung hinaus erfüllt werden muss, geht es ja gerade. Auch die Behauptung, das Fortbestehenserfordernis ergebe sich aus dem Schutzzweck der Norm, überzeugt nicht. Denn Gesichtspunkte, die für einen solchen Schutzzweck sprechen würden, werden an keiner Stelle vorgetragen, und der Normtext („… können … beantragt werden, sofern sein/ihr Anteil … beträgt.“) deutet wohl eher in die andere Richtung. Vor allem in praktischer Hinsicht ergibt nur die zuletzt genannte Ansicht Sinn. Eine Quorumsfortdauer über den Antragszeitpunkt hinaus ließe sich nämlich nur über einen Mechanismus durchsetzen, der es dem Adressaten ermöglicht, die Beteiligungsquote der Antragssteller laufend im Auge zu behalten. Bei Namensaktien kann das Aktienregister diese Funktion übernehmen; bei Inhaberaktien aber sind grundsätzlich nur der Aktionär selbst und dessen Depotbank laufend über Beteiligungsänderungen im Bilde.48 Der Antragsadressat ließe sich nur einbeziehen, wenn man dem Antragssteller aufgeben wollte, seinen Aktienbestand mit einem Sperrvermerk zu versehen oder die Depotbank zur laufenden Unterrichtung des Antragsadressaten zu verpflichten. Entsprechendes ist in § 142 Abs. 2 Satz 2, § 122 Abs. 2 Satz 3 AktG geregelt, nicht aber in Art. 55 SE-VO.49 Gleichzeitig scheidet 45 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 3; Kubis, in: MüKo-AktG, 2. Aufl. (2013), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 6; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 9; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 55 SE-VO Rn. 9; wohl auch Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 4. Abschn., § 4 Rn. 59. 46 Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 55 SE-VO Rn. 9. 47 Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 6; Manz, in: Manz/ Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 9; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 55 SE-VO Rn. 9. 48 Dies einräumend auch Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 8 mit der dortigen Fn. 7. 49 A.A. Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 12 f., der das Sperrvermerk- bzw. laufende Nachweiserfordernis einer „autonomen, am Schutzzweck des Art. 55 orientierten Auslegung“ entnehmen will. Es ist aber widersprüchlich, eine Anwendung der § 122 Abs. 1 Satz 3, § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG auf die SE mit dem Argument abzulehnen, es ergebe sich so eine unzulässige Antragserschwernis (ganz h.M.; siehe 5. Teil, Fn. 50), und gleichzeitig exakt denselben Regelungsgehalt unmittelbar aus Art. 55 SE-VO abzuleiten.

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eine Übertragung der genannten aktiengesetzlichen Regeln aus, da durch sie das Einberufungsrecht an eine zusätzliche, in Art. 55 SE-VO nicht vorgesehene Bedingung geknüpft würde.50 Ein Fortdauererfordernis zu postulieren, das sich weder im Verordnungswortlaut wiederfindet noch praktisch umsetzen lässt, ist jedoch mehr als fernliegend. Ebenfalls keine Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten des Antrags hat ein Stimm- oder Vollrechtsausschluss, der den oder die Antragssteller zwischen Antragsstellung und antragsgemäßer Einberufung trifft, beispielsweise wegen der Verletzung von Melde- und Angebotspflichten. Und erst recht geht die Antragsberechtigung nicht verloren, wenn die Antragssteller auf Initiative des Antragsadressaten verwässert werden, beispielsweise bei gezielter Ausübung eines genehmigten Kapitals ohne Bezugsrecht. Richtigerweise reicht es nach alledem aus, wenn der Antragssteller im Moment des Antrags eine ausreichende Beteiligung nachweist. Hierauf folgende Änderungen im Beteiligungsbestand oder zeitweilige Rechtsausschlüsse lassen die Antragsberechtigung nicht rückwirkend entfallen. b) Antragsform, -inhalt und -adressat Inhaltlich muss der Antragssteller gemäß Art. 55 Abs. 2 SE-VO die „Punkte für die Tagesordnung“ liefern. Hieraus wird teilweise abgeleitet, der Antrag müsse eine ohne weitere Bearbeitung zur Einberufung taugliche Tagesordnung enthalten.51 Dies erscheint angesichts des großzügiger gehaltenen Verordnungswortlauts52 nicht zwingend; erforderlich ist aber in jedem Fall ein erhöhtes Maß an Bestimmtheit, welches es dem Adressaten ermöglicht, ohne jede Rückfragen beim Antragssteller die Tagesordnung aufzustellen. Außerdem müssen die „Punkte“, soweit sie Beschlussfassungen vorsehen, selbstverständlich in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen.53 Eine bestimmte Form verlangt Art. 55 SE-VO nicht. Nach herrschender Meinung gilt jedoch über Art. 53 SE-VO das deutsche Schriftformerfordernis aus § 122 Abs. 1

50 Ganz h.M.; siehe nur Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SEVO Rn. 11; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 8, 17; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 662 f. mit dortiger Fn. 3099. 51 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 13; Manz, in: Manz/Mayer/ Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 23; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 55 Rn. 10 („förmliche Tagesordnung mit Beschlussanträgen“); in dieselbe Richtung Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 15; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 191. 52 Die Wendung „Punkte für …“ findet sich in ähnlicher Weise auch in anderen Sprachfassungen („items to be put on …“; „les points à faire figurer à …“; „punten op de agenda“). 53 Siehe nur Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 15, mit weiteren Nachweisen.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

Satz 1 AktG, §§ 126, 126a Abs. 1 BGB entsprechend.54 Auch dies erscheint indes nicht zwingend. Zwar wird ein mündlicher, telefonischer oder ähnlich informellunverkörperter Antrag in aller Regel bereits wegen des inhaltlichen Bestimmtheitserfordernisses aus Abs. 2 ausscheiden. Eine Antragsstellung per E-Mail, per Fax oder auf einem anderen unter die Textform nach § 126b BGB fallenden Weg erscheint jedoch durchaus möglich, wenn die mit einer händischen Unterschrift verbundene Sicherheit und Authentizität55 auf anderem Wege gewährleistet ist (z. B. weil beide Seiten persönlich miteinander bekannt oder anwaltlich vertreten sind). Die notwendige Form kann daher unmittelbar aus der Verordnung abgeleitet werden, ohne dass es eines Rückgriffs auf § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG bedarf. Danach reicht zur Wirksamkeit des Ergänzungsverlangens eine textformäquivalente Verkörperung aus. Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Beweisbarkeit im Streitfall wird sich häufig dennoch eine Antragsstellung durch dokumentierte Übersendung eines unterschriebenen, papierenen Dokuments empfehlen. Einer Antwort auf die teilweise aufgeworfene Frage, ob die analoge Anwendung des deutschen Schriftformerfordernisses eine Erschwernis des Einberufungsrechts bedeuten würde,56 bedarf es nach dem Vorgenannten nicht. Das bedeutet gleichzeitig, dass die in § 122 Abs. 1 Satz 2 AktG vorgesehene (praktisch aber ohnehin kaum relevante) Möglichkeit, die Antragsform in der Satzung zu bestimmen, auf die SE ebenfalls keine Anwendung findet.57 Adressiert werden kann der Einberufungsantrag in der dualistischen SE in jedem Fall an das Leitungsorgan, welches gemäß Art. 54 Abs. 2 SE-VO zur Einberufung befugt ist und hierzu regelmäßig auch praktisch am besten in der Lage sein wird.58 Ob auch das Aufsichtsorgan als Adressat in Frage kommt, ist umstritten. Die Befürworter weisen darauf hin, dass das Aufsichtsorgan zum Kreis der nach Art. 54 Abs. 2 54

Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 4 a.E.; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 9; Manz, in: Manz/Mayer/ Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 23; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 55 SE-VO Rn. 13; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 191; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 663; Maul, in: Van Hulle/Maul/ Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 4. Abschn., § 5 Rn. 53; im Ergebnis ebenso, jedoch unter Berufung auf Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO als Verweisungsnorm: Bücker, in: Habersack/ Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 18; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 15; ohne Nennung einer Verweisungsnorm Schwarz, SE-VO (2006), Art. 55 Rn. 9. 55 Die mit der Schriftform verbundene Rechtssicherheit als Argument für die analoge Geltung der § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG, §§ 126, 126a Abs. 1 BGB anführend Kubis, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2013), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 9. 56 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 15. 57 Anders konsequenterweise die h.M.: Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 18; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 15; Manz, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 23. 58 Ganz h.M.; siehe nur Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SEVO Rn. 14; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 10; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 55 SE-VO Rn. 6.

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SE-VO Einberufungsberechtigen gehört und Art. 55 SE-VO insofern keine Einschränkung zu entnehmen sei.59 Der wohl überwiegenden Gegenansicht zu Folge kann der Antrag nicht an das Aufsichtsorgan gerichtet werden.60 Denn dieses trete nicht häufig genug zusammen, um zu einer ausreichend schnellen Einberufung – insbesondere innerhalb der in Art. 55 Abs. 3 SE-VO bestimmten Zwei-Monats-Frist – in der Lage zu sein.61 Letzteres Argument erscheint aus praktischer Sicht naheliegend; andererseits darf die grundsätzliche Eilbedürftigkeit des Antrags nicht überbewertet werden. Ist beispielsweise im Einzelfall eine ausreichend schnelle Befassung gewährleistet (z. B. Antragseingang kurz vor einer Sitzung, atypisch kurze Sitzungsintervalle), so kann das Aufsichtsorgan eine schnelle Befassung sicher nicht mit dem Argument ablehnen, es sei hierfür typischerweise nicht in der Lage. Und auch in anderen Fällen erscheint es denkbar, dass ein Antragssteller gerade eine Einberufung durch das Aufsichtsorgan wünscht und hierfür eine weniger zeitnahe Einberufung gerne in Kauf nimmt. Die Auswahl des Aufsichtsorgans als Antragsadressat wird damit zwar regelmäßig weniger nahe liegen als eine Antragsstellung zum Leitungsorgan; in rechtlicher Hinsicht ausgeschlossen ist sie jedoch nicht. Das Fristerfordernis aus Art. 55 Abs. 3 SE-VO ist dann ggf. korrigierend auszulegen.62 Zeitliche Probleme in Hinblick auf die Zwei-Monats-Frist aus Art. 55 Abs. 3 SEVO scheinen auch in der monistischen SE vorgezeichnet, wenn der Einberufungsantrag an das einzig einberufungsberechtigte Verwaltungsorgan gerichtet wird. Jenes tritt nämlich gemäß Art. 44 SE-VO unter Umständen nur quartalsweise zusammen, während die laufende Geschäftsführung in der Zwischenzeit in den Händen der geschäftsführenden Direktoren liegt. Andererseits verpflichtet § 22 Abs. 5 Satz 1 SEAG – analog zur Vorstandspflicht aus § 92 Abs. 1 AktG – das Verwaltungsorgan freilich auch, bei Verlust der Hälfte des Grundkapitals „unverzüglich“ eine Hauptversammlung einzuberufen. Jedenfalls in der deutschen SE muss das Verwaltungsorgan daher organisatorische Vorkehrungen treffen, um auch außerhalb des regulären Sitzungsturnus zur unverzüglichen Einberufung der Hauptversammlung in der Lage zu sein. Diese Kapazitäten muss das Verwaltungsorgan auch bei Eingang eines Einberufungsantrags nach Art. 55 SE-VO aktivieren. 59

Schwarz, SE-VO (2006), Art. 55 SE-VO Rn. 6; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 190 f. 60 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 14; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 10 – 12; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 7; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 55 SE-VO Rn. 10; im Ergebnis ebenso Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 4; wohl auch Fürst/Klahr, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), 6. Kap. Rn. 59. 61 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 14; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 12; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 7; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 55 SE-VO Rn. 10. Dass sich dieselbe zeitliche Problematik bei der Antragsstellung zum Verwaltungsorgan einer monistischen SE ergibt, wird von keinem Autor angesprochen. 62 Siehe unten Abschnitt „Entscheidung des Adressaten“, S. 432.

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Nicht als Antragsadressaten in Frage kommen dagegen die geschäftsführenden Direktoren.63 Sie zählen nicht zu den in Art. 54 Abs. 2 SE-VO ausdrücklich genannten einberufungsberechtigen Stellen und können auch nicht unter die dortige Wendung „von jedem anderen Organ“ gefasst werden. Denn schon die Organqualität fehlt ihnen.64 Angesichts der im Übrigen umfassenden und unbeschränkbaren Passivvertretungskompetenz der geschäftsführenden Direktoren wäre es jedoch nicht gerechtfertigt, jeden bei ihnen eingehenden Einberufungsantrag für unbeachtlich zu erklären. Stattdessen ist er von den geschäftsführenden Direktoren an das Verwaltungsorgan weiter zu leiten. In welcher Sprache dürfen die Aktionäre ihren Antrag verfassen? Ein Zwang zur deutschen Sprache scheint mit dem europäischen Charakter der SE nicht vereinbar; ebenso wenig in Frage kommt freilich eine freie Wahl unter allen EG-Amtssprachen. Richtigerweise wird daher neben der deutschen Sprache regelmäßig nur diejenige(n) Sprache(n) in Frage kommen, die in dem Mitgliedstaat gesprochen wird bzw. werden, über den die Gründung der SE im Einzelfall ihren grenzüberschreitenden Charakter gewann und mit dem die SE daher in besonderer Weise verbunden ist. Die entsprechende Sprachwahl durch die Antragssteller wird in der Regel selbst Ausdruck dieser besonderen Verbindung sein. Nicht möglich ist diese Sprachwahl jedoch, wenn die betreffende SE zwischenzeitlich das bei Gründung vorhandene grenzüberschreitende Element aufgegeben hat (z. B. durch Schließung der einzigen ausländischen Niederlassung) oder das Kriterium von vornherein nur auf formelle Weise erfüllte (z. B. bei einer Verschmelzungsgründung mit einer ausländischen Vorratsgesellschaft). In Hinblick auf die Tatsache, dass es den Antragsstellern häufig nicht schwer fallen wird, die Sprachkenntnisse und -unkenntnisse der Adressaten zu ermitteln, erscheint schließlich auch etwas unjuristischer Common Sense nicht fehl am Platz. c) Materielle Rechtfertigung? Das Recht, die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung zu verlangen, stellt eines der stärksten Aktionärsrechte dar. Das gilt insbesondere für größere börsennotierte SEs, in denen eine außerordentliche Hauptversammlung regelmäßig große Aufmerksamkeit auf sich ziehen und eine schnelle Reaktion auf einen Einberufungsantrag mit einer hohen organisatorischen Belastung einhergehen wird. Da das Gesetz nur formelle, recht schematisch erfüllbare Kriterien für die 63 A.A. Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. 54 („aus Praktikabilitätsgründen“). 64 Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh Art. 51 SE-VO § 40 SEAG Rn. 7; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 40 SEAG Rn. 6; Gößl, Satzung der SE (2010), S. 257 – 259; jeweils auch mit Verweisen auf die Vertreter der Gegenansicht, von denen jedoch – bis auf Schwarz, SE-VO (2006), Art. 39 Rn. 53 – keiner soweit geht, die geschäftsführenden Direktoren als einberufungsberechtigte Organe im Sinne des Art. 54 Abs. 2 SE-VO einzuordnen.

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Rechtmäßigkeit eines Einberufungsverlangens vorsieht, ist in der Literatur verschiedentlich der Versuch unternommen worden, unter der Überschrift „Rechtsmissbrauch“ Fallgruppen zu entwickeln, in denen der Adressat das Einberufungsverlangen aus materiellen Gründen ablehnen kann. Genannt werden zunächst Fälle, in denen die Antragssteller sachfremde Ziele verfolgen, wie etwa den Bezug von Sondervorteilen oder eine Einmischung in die Geschäftsleitung.65 Auch darüber hinaus könne der Adressat die Einberufung ablehnen, wenn er keine besonderen Gründe für eine zeitnahe Einberufung geltend mache, eine ordentliche Hauptversammlung ohnehin bevorstehe und ein Zuwarten bis dahin zumutbar sei66 oder wenn die angestrebte Beschlussfassung bereits Gegenstand einer zurückliegenden Hauptversammlung gewesen und eine erneute Beschlussfassung nicht veranlasst sei67 Als Hinweis auf eine rechtsmissbräuchliche Antragsstellung könne es im Einzelfall auch gewertet werden, wenn der Antragssteller die erforderliche Beteiligung erst kurz vor Antragsstellung oder sogar gerade in Hinblick auf die Antragsstellung erworben habe.68 Grundsätzlich ist bei der Ablehnung der Einberufung wegen Rechtsmissbrauchs jedoch größte Zurückhaltung angezeigt. Insbesondere darf die Weite möglicher Fallgruppen nicht soweit gehen, dass der Antragssteller faktisch seinen Antrag materiell rechtfertigen muss, um durchzudringen. An ein derart ungeschriebenes Rechtfertigungserfordernis ließe sich nur dann denken, wenn mit dem Einberufungsrecht der Aktionäre eine Rechtsverkürzung an anderer Stelle einherginge. Die Erwägung, dass die übrigen Aktionäre durch den erheblichen Einberufungsaufwand anteilig wirtschaftlich belastet werden, reicht hierfür nicht aus. Dieselbe Belastung entstünde nämlich auch bei einer von der Verwaltung einberufenen außerordentlichen Hauptversammlung, für deren Zulässigkeit zu Recht keine materiellen Schranken gelten. Überdies ist zu bedenken, dass inhaltliche Mängel einer vorgeschlagenen Beschlussfassung grundsätzlich nur im Nachgang zur Hauptversammlung – nämlich im Rahmen eines Beschlussmängelverfahrens – zum Tragen kommen, und daher in der Regel keinen Vorabausschluss möglicher Tagesordnungspunkte oder gar ganzer Versammlungen rechtfertigen.69 Und schließlich ist auch kein 65 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 21 („z. B. Antrag auf Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds wegen einer Privatfehde ohne jeglichen Bezug zur Gesellschaft“); Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 25 a.E.; vgl. auch Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 122 Rn. 15; Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494, 498. 66 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 25; vgl. auch Kubis, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2013), § 122 Rn. 19; Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494, 498. 67 Zu § 122 Abs. 1 AktG: Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 122 Rn. 6; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 122 Rn. 20 („querulatorische Wiederholung inhaltsgleicher Diskussionen“); zurückhaltender OLG Düsseldorf, NZG 2013, 546, 548. 68 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 25. 69 Zutreffend (in Bezug auf § 122 AktG): Reger, NZG 2013, 536, 537 f. mit weiteren Nachweisen in der dortigen Fn. 21.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

rechtspraktisches Bedürfnis für eine spürbare, außergesetzliche Einschränkung des Einberufungsrechts ersichtlich. Denn trotz der Gewichtigkeit einer außerordentlichen Hauptversammlung hat sich das Einberufungsrecht in der Vergangenheit deutlich weniger missbrauchsanfällig erwiesen als beispielsweise das Fragerecht oder das Anfechtungsrecht. In der Rechtsprechung sind Fälle, in denen ein Antragsadressat wegen Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrags von einer Einberufung absah und im anschließenden gerichtlichen Verfahren recht behielt, jedenfalls weder in Bezug auf Art. 55 SE-VO noch in Bezug auf § 122 Abs. 1 AktG bekannt. Dass die einzelnen, im Schrifttum diskutierten Fallgruppen einmal über akademische Kreise hinaus Bedeutung gewinnen, erscheint daher unwahrscheinlich. Am nahe liegendsten erscheint noch eine Ablehnung im unmittelbaren Vorfeld einer ohnehin angesetzten Hauptversammlung. Ferner wird man in der Regel einen Einberufungsantrag ablehnen können, der ausschließlich von nicht stimmberechtigten Vorzugsaktionären unterstützt wird. Denn sie wären von der angestrebten Beschlussfassung ausgeschlossen. Statthaft wird dagegen ein Antrag sein, der die Rückgängigmachung einer früheren Beschlussfassung zum Ziel hat, selbst wenn sich in der Zwischenzeit die Sachlage nicht wesentlich geändert hat.70 Zurückhaltung ist ferner geboten, soweit es um die Ablehnung auf Basis einer Inhaltskontrolle der angestrebten Beschlussfassung geht. So wird eine Ablehnung wegen Verfolgung von Sondervorteilen oder sachfremden Zwecken nur in evidenten Fällen zulässig sein; im Übrigen wird ein nachträgliches Beschlussmängelverfahren der angemessenere Prüfungsrahmen für derartige Vorwürfe sein. Und schließlich sind auch solche Aktionäre grundsätzlich uneingeschränkt antragsberechtigt, die ihre Beteiligung nur kurzfristig oder gar explizit in Hinblick auf die erforderliche Beteiligungsschwelle aufgestockt haben. Denn ein formelles, dem § 142 Abs. 2 Satz 2, § 122 Abs. 1 Satz 3 AktG entsprechendes Vorbesitz- oder Haltenserfordernis gilt im Rahmen des Art. 55 SE-VO gerade nicht71 und kann daher auch nicht auf materiellrechtlichem Umweg auf die SE übertragen werden.72 d) Entscheidung des Adressaten Erreicht das Leitungs-, Aufsichts- oder Verwaltungsorgan ein rechtmäßiger Einberufungsantrag, ist das jeweilige Organ verpflichtet, unverzüglich eine außerordentliche Hauptversammlung mit den begehrten Tagesordnungspunkten anzu-

70

Vgl. (in Bezug auf § 122 Abs. 1 AktG): OLG Düsseldorf, NZG 2013, 546, 548. Siehe bereits oben Abschnitt „Relevanter Zeitraum“, S. 449. 72 In diese Richtung aber Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 25, der die Nichterfüllung des aktiengesetzlichen Drei-Monats-Vorbesitzerfordernisses auf SE-Ebene „im Einzelfall als Hinweis auf einen [rechtsmissbräuchlichen] Hintergrund des Antrags“ deuten will. 71

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setzen. Ein Ermessensspielraum besteht nicht.73 Auch eine Delegation der Einberufung zwischen Leitungs- und Aufsichtsorgan kommt nicht in Frage. Umgekehrt ist das Organ jedoch nicht verpflichtet, ein Einberufungsverlangen abzulehnen, wenn dieses nicht alle Rechtmäßigkeitskriterien erfüllt.74 Praktische Bedenken werden teilweise in Bezug auf die Zwei-Monats-Frist aus Art. 55 Abs. 3 SE-VO angemeldet. Die darin indirekt enthaltene Pflicht, die Hauptversammlung binnen zwei Monaten nach Antragsstellung abzuhalten, verkenne „völlig die Realitäten zumindest größerer börsennotierter Gesellschaften.“75 So sei Art. 55 Abs. 3 SE-VO teleologisch auf ein „angemessenes“ Fristerfordernis zu reduzieren, soweit es der Gesellschaft aus organisatorischen Gründen nicht möglich sei, eine Hauptversammlung in dieser kurzen Zeit und unter Berücksichtigung der einmonatigen Ladungsfrist aus § 123 Abs. 1 AktG einzuberufen.76 Bewältigen lässt sich das im Kern zutreffend erkannte Problem aber auch ohne eine Umdeutung des Normtextes. Denn Art. 55 Abs. 3 SE-VO enthält gerade nicht unmittelbar eine Zwei-Monats-Frist für das Abhalten der Versammlung, sondern bestimmt lediglich den Zeitpunkt, zu dem frühestens eine gerichtliche Einberufungsanordnung ergehen kann. Dem Antrag auf eine solche gerichtliche Anordnung wird aber das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, wenn der Adressat des außergerichtlichen Antrags die Hauptversammlung bereits einberufen hat. Mehr als die Einberufung anzuordnen bzw. dazu zu ermächtigen, könnte das Gericht nämlich auch nicht. Auch wenn sich die Zwei-Monats-Frist ausdrücklich auf den Zeitraum zwischen außergerichtlichem Antrag und Abhalten der Hauptversammlung bezieht, ergibt sich damit indirekt keine Abhalten-Frist, sondern eine Einberufungsfrist. Es ist daher ausreichend, wenn der Antragsadressat die Hauptversammlung innerhalb der Zwei-Monats-Frist einberuft; sie muss nicht auch innerhalb dieser zwei Monate stattfinden. Eine teleologische Reduktion des Art. 55 Abs. 3 SE-VO ist nur dann angezeigt, wenn sich der Einberufungsantrag an das Aufsichtsorgan richtet und dessen Sitzungsturnus keine Befassung innerhalb des Zwei-Monats-Zeitraums ermöglicht. Das Aufsichtsorgan hat in diesem Fall unverzüglich im Anschluss an seine Sitzung für die Einberufung einer Hauptversammlung zu sorgen.

73 Ganz h.M.; siehe nur Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 11, Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 26. 74 Zu § 122 AktG: OLG Düsseldorf, NZG 2013, 546, 547 f.; a.A. Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 122 Rn. 37; Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494, 499. 75 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 28; dem folgend Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 24; in dieselbe Richtung (jedoch ohne Art. 55 Abs. 3 SE-VO teleologisch zu reduzieren): Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. P. Rn. 8 mit der dortigen Fn. 12. 76 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 28; dem folgend Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 24.

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3. Gerichtlicher Einberufungsantrag, Art. 55 Abs. 3 SE-VO a) Antragserfordernis Um dem außergerichtlichen Einberufungsantrag auf gerichtlichem Wege Nachdruck zu verleihen, bedarf es eines Antrags.77 Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des Art. 55 Abs. 3 SE-VO, wohl aber aus dessen Sinn und Zweck. Denn mit dem Einberufungsantrag verfolgen die antragsstellenden Aktionäre in aller Regel keine öffentlichen Interessen, sondern – legitimerweise – ihre eigenen Partikularinteressen gegenüber der nicht von sich aus zur Einberufung bereiten Verwaltung.78 Das Verfahren hat damit kontradiktorischen Charakter und rechtfertigt kein gerichtliches Tätigwerden von Amts wegen. b) Antragsberechtigung aa) Beschränkung auf Antragssteller erster Stufe Nach wohl ganz herrschender Meinung sind nur diejenigen Aktionäre antragsberechtigt, die bereits hinter dem außergerichtlichen Antrag standen.79 Dies entspricht der Rechtslage in der deutschen AG,80 ist jedoch mit Blick auf die Aktienrechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten nicht selbstverständlich.81 So kann die Beschränkung auf die ursprünglichen Antragssteller nicht allgemein aus der (wohl bereits für sich etwas zu weit gehenden) Erwägung hergeleitet werden, nur die in eigenen Rechten verletzte bzw. anderweitig betroffene Aktionärsminderheit solle das gerichtliche Einberufungsrecht erhalten.82 Richtigerweise ist auf den Wortlaut des Art. 55 Abs. 3 SE-VO abzustellen, der die Stellung des außergerichtlichen Antrags („Wird die Hauptversammlung … nicht spätestens zwei Monate nach dem Zeitpunkt, zu dem der in Absatz 1 genannte Antrag gestellt worden ist, abgehalten, …“) begrifflich unmittelbar mit dem Kreis derjenigen Aktionäre in Verbindung bringt, die vom Gericht zur Einberufung ermächtigt werden können („… so kann das … Gericht 77 Ganz h.M.; siehe nur Schwarz, SE-VO (2006), Art. 55 Rn. 22; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 35; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 203. 78 Vgl. Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 35 („Schutzgesetz zugunsten der Aktionärsminderheit“); dem folgend Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 29. 79 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 37; Mayer, in: Manz/Mayer/ Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 13; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 55 Rn. 23; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 55 SE-VO Rn. 22; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 203 f. 80 Siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 122 Rn. 10, mit weiteren Nachweisen. 81 Vgl. den Hinweis von Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 203 mit dortiger Fn. 1132, auf Mitgliedstaaten, in denen die Antragsstellung auf gerichtlicher Ebene auch solchen Aktionären offen steht, die am außergerichtlichen Antrag nicht beteiligt waren. 82 So aber Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 55 SE-VO Rn. 22; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 203 f.

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… die Aktionäre, die den Antrag gestellt haben, … dazu ermächtigen.“).83 Dieselbe begriffliche Verknüpfung findet sich auch in anderen Sprachfassungen.84 Nicht erforderlich ist jedoch eine absolute Deckungsgleichheit des Kreises der Antragssteller auf erster und zweiter Ebene. Denn insbesondere Anträgen, die auf erster Stufe von einer großen Zahl von Kleinstaktionären getragen wurden, würde man damit den Übergang ins gerichtliche Verfahren unverhältnismäßig erschweren. Bereits das Abhandenkommen ganz weniger Mitantragssteller würde ausreichen, um die Einberufung zum Scheitern zu bringen. Richtigerweise reicht es daher aus, wenn sich nur ein Teil der ursprünglichen Antragssteller am gerichtlichen Antrag beteiligt.85 bb) Beteiligungsschwelle? Fraglich ist, ob die (ggf. verbleibenden) Antragssteller zu Beginn und/oder während des gerichtlichen Verfahrens über die jeweils gültige Mindestkapitalbeteiligung verfügen müssen. Für das aktiengesetzliche Einberufungsverlangen ergibt sich dies ohne weiteres aus § 122 Abs. 1 Satz 3, § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG; eine Parallelregelung hierzu in Art. 55 Abs. 3 SE-VO existiert jedoch nicht. Teilweise wird dennoch ein Quorum für erforderlich gehalten, da die auf erster Stufe aktive Minderheit die Kontrolle über ihren Antrag verliere, wenn bereits einzelne Aktionäre aus dieser Minderheit die Einberufung auf gerichtlicher Ebene weiter verfolgen könnten.86 Im Wortlaut des Art. 55 Abs. 3 SE-VO findet sich dies jedoch nicht wieder; eine analoge Anwendung der § 122 Abs. 1 Satz 3, § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG wäre vielmehr eine erhebliche Erschwernis des Einberufungsantrags. Es gelten insoweit dieselben Erwägungen, die bereits gegen Vorbesitz- und Haltenserfordernisse im außergerichtlichen Verfahren sprechen. Hinzu kommt, dass eine „Kontrolle“ der (Mehrheit der?) Minderheit über ihren Antrag – sofern man eine solche Kontrolle überhaupt für gerechtfertigt halten wollte – durch ein erneutes Quorumserfordernis auf gerichtlicher Ebene gar nicht gewährleistet wäre. Wird der außergerichtliche Antrag nämlich beispielsweise von 25 Prozent der Aktionäre 83

Zutreffend Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 33. „If, following a request made under paragraph 1, a general meeting is not held in due time … the competent judicial … authority … may … authorise … the shareholders who have requested it …“; „Si, à la suite de la demande fomulée selon le paragraph 1, l’assemblée générale n’est pas tenue en temps utile …, l’autorité judiciaire … peut … donner autorisation des la convoquer, soit aux actionnaires qui en ont fomulé la demande …“ 85 So im Ergebnis auch die ganz h.M.; siehe nur Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SERecht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 33; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 37. 86 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 34; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 37; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, Europ AG, 2. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 13; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 55 Rn. 24 f.; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 199 f. 84

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unterstützt, so wäre auch nach der vorgenannten Ansicht in jedem Fall ein Fünftel dieser Minderheit (also fünf Prozent aller Aktionäre) ausreichend, um den Antrag auf gerichtlicher Ebene weiter zu verfolgen. Von einer Kontrolle der ursprünglichen 25 Prozent der Aktionäre über den gerichtlichen Antrag kann insofern keine Rede sein. Richtigerweise bleibt es daher dabei, dass die Antragssteller nur bei Stellung des außergerichtlichen Antrags nachweisen müssen, dass sie die vorgeschriebene Mindestkapitalbeteiligung erreichen. Ein erneuter Nachweis bei Stellung des gerichtlichen Antrags nach Art. 55 Abs. 3 SE-VO ist nicht erforderlich. Es reicht der Nachweis darüber, dass die Antragssteller bereits auf erster Stufe dabei waren. c) Antragsfrist? Der Einberufungsantrag nach Art. 55 Abs. 3 SE-VO unterliegt keiner gesetzlichen oder in der Verordnung bestimmten Antragsfrist. Da andererseits eine zeitlich unbegrenzte Antragsmöglichkeit zu Recht als unbefriedigend empfunden wird, fordert die wohl ganz herrschende Ansicht eine Antragsstellung innerhalb angemessener Zeit,87 wobei der für angemessen erachtete Zeitraum zwischen „sechs bis acht Wochen“,88 „zwei Monaten“89 und „drei Monaten“90 schwankt. Nach Ablauf dieser Frist sei der Antrag unzulässig.91 Die Entwicklung einer derart prozessual wirkenden Antragsfrist außerhalb des Normtextes erscheint jedoch nicht unproblematisch. Zunächst ist zu bedenken, dass die Gefahr einer zeitlich unbegrenzten Antragsmöglichkeit nicht so groß ist, wie sie auf den ersten Blick scheint. Denn spätestens wenn die Verwaltung die ordentliche Hauptversammlung einberufen hat, wird ein parallel betriebenes gerichtliches Einberufungsverfahren nicht mehr in Frage kommen. Die ursprünglichen Antragssteller werden ihr Rechtsschutzbegehren dann allenfalls im Rahmen eines Ergänzungsantrags nach Art. 56 SE-VO weiter verfolgen können. Selbst wenn man eine Fristbindung der Antragsstellung also rundum verneinen wollte, würde es den Antragsstellern auf keinen Fall gelingen, mit dem Übergang ins gerichtliche Verfahren länger als ca. zehn Monate zu warten.

87 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 32; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 9; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 36; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 55, 56 SEVO Rn. 15; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 55 Rn. 32; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 204; vgl. zum ähnlichen Meinungsbild im Rahmen des § 122 Abs. 3 AktG: Kubis, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2013), § 122 Rn. 49; Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494, 500. 88 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 36. 89 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 32. 90 Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 204. 91 So ausdrücklich Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 55 SE-VO Rn. 36; wohl auch Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 32.

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Hinzu kommt, dass die Frage, welche zeitliche Verzögerung noch tolerierbar ist, von derart vielen Umständen des Einzelfalls abhängt, dass sich durch die literaturbasierte Entwicklung einer angemessenen Antragsfrist kaum etwas an Rechtssicherheit gewinnen ließe. Die vorhandenen Stellungnahmen zur Länge des angemessenen Zeitraums reichen denn auch inhaltlich selten über gleichsam in die Runde geworfene Behauptungen hinaus. Auch ist zu bedenken, dass das gerichtliche Verfahren nach Art. 55 Abs. 3 SE-VO seiner Rechtsnatur nach kontradiktorischer ist als andere Verfahren der aktienrechtlichen freiwilligen Gerichtsbarkeit. Es liegt daher nahe, sich bei der Bemessung des Zeitraums von einem absoluten Angemessenheitsbegriff zu lösen und stattdessen auch die subjektive Perspektive des Adressaten des außergerichtlichen Einberufungsantrags einzubeziehen. Dogmatisch zu bewältigen ist dies über die Grundsätze der Verwirkung (§ 242 BGB), ohne dass es einer ungeschriebenen Antragsfrist bedarf. Ein zu langes Zögern oder ein anderweitiges Hervorrufen eines Vertrauenstatbestandes auf Seiten der Verwaltung lässt den gerichtlichen Antrag nach Art. 55 Abs. 3 SE-VO damit nicht unzulässig, sondern unbegründet werden.92 d) Entscheidung des Gerichts Geht bei Gericht ein rechtmäßiger Einberufungsantrag an, so ergeht die gerichtliche Entscheidung grundsätzlich ebenso gebunden wie die Entscheidung auf außergerichtlicher Ebene. Nur die Wahl zwischen den beiden in Art. 55 Abs. 3 SEVO vorgegebenen Entscheidungsalternativen (Anordnung der Einberufung oder Ermächtigung der Antragssteller zur Einberufung) bleibt dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts überlassen. Zwischen den beiden Alternativen besteht kein Vorund Nachrang- oder Regel- und Ausnahmeverhältnis. Darüber hinaus ist das Gericht befugt, analog § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG zugleich den Versammlungsleiter zu bestimmen. Eine entsprechende Befugnis ist auf europäischer Ebene zwar nicht ausdrücklich normiert. Andererseits sind keine Gründe ersichtlich, die gegen eine Anwendung über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO sprechen – will man eine entsprechende Befugnis des Gerichts nicht bereits als Annexkompetenz unmittelbar aus Art. 55 Abs. 3 SE-VO ableiten. Bejaht man Letztere, so spricht auch einiges für die Möglichkeit einer isolierten Bestimmung des Versammlungsleiters durch das Gericht.93

92 In dieselbe Richtung Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 15 (anders aber ders., in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 122 Rn. 49: „… durch Zeitablauf unzulässig.“). Ebenso den Verwirkungsbegriff verwenden Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 9 („Antrag nach einer angemessenen Frist wegen Verwirkung unzulässig“), und Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 204; sie verstehen ihn aber offenbar nur im untechnischen Sinne. 93 Eine solche Möglichkeit wird im Rahmen des § 122 Abs. 3 AktG zu Recht bejaht: OLG Hamburg, AG 2012, 294, 294 f.; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 122 Rn. 60.

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4. Außergerichtlicher Antrag auf Ergänzung der Tagesordnung, Art. 56 SE-VO, § 50 Abs. 2 SEAG a) Antragsberechtigung aa) Beteiligungsschwelle Art. 56 SE-VO sieht für den Ergänzungsantrag – ähnlich wie Art. 55 Abs. 1 SEVO für den Einberufungsantrag – eine gestufte Regelung des für die Antragsberechtigung maßgeblichen Mindestkapitalanteils vor. Art. 56 SE-VO gibt eine allgemeinverbindliche Zehn-Prozent-Schwelle vor, die von den Mitgliedstaaten und von den Satzungsgebern entsprechend den jeweiligen nationalen Aktienrechtsordnungen auf „einen niedrigeren Prozentsatz“ heruntergesetzt werden kann. Die Möglichkeit, die entscheidende Schwelle bei zehn Prozent zu belassen, ist in rechtspolitischer Hinsicht wohl überholt. Denn jedenfalls in Hinblick auf börsennotierte nationale Aktiengesellschaften ist den Mitgliedstaaten in Art. 6 Abs. 2 der Aktionärsrechte-RL94 mittlerweile eine einheitlicher Schwellenwert von fünf Prozent vorgegeben. Ausgerechnet für die SE als einzige unmittelbar europäische AGForm gilt dieser Wert nicht. Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit § 50 Abs. 2 SEAG dafür entschieden, den Zehn-Prozent-Wert an die minderheitenfreundlicheren Regelungen in § 122 Abs. 2 AktG anzupassen. Danach kann die Ergänzung der Tagesordnung von Aktionären beantragt werden, deren Beteiligung mindestens fünf Prozent des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von 500.000 Euro erreicht. Die Europarechtskonformität der 500.000-Euro-Schwelle wird im älteren Schrifttum teilweise in Zweifel gezogen: Der Verordnungsgeber ermächtige in Art. 56 Satz 3 SE-VO ausdrücklich nur zur Absenkung per „Prozentsatz“, nicht jedoch zur Verknüpfung der Antragsberechtigung mit einem absoluten Betrag. § 50 Abs. 2 Alt. 2 SEAG sei daher europarechtswidrig.95 Die besseren Gründe sprechen allerdings gegen diese etwas zu eng am Wortlaut haftende Auffassung. So steht hinter Art. 56 Satz 3 SE-VO erkennbar der Wille des Verordnungsgebers, nationalen Gesetzgebern eine Anpassung des Mindestkapitalanteils an minderheitenfreundlichere nationale Regelungen zu ermöglichen. Der Gedanke, dass dies nur in Form eines niedrigeren Prozentsatzes geschehen kann, der mit dem in Art. 56 Satz 1 SE-VO vorgegebenen Zehn-Prozent-Wert unmittelbar in 94 Richtlinie 2007/36/EG vom 11. Juli 2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, ABl. L 184/17 vom 14. Juli 2007. 95 Zuerst Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 209 – 211 (noch zum SEEG-Diskussionsentwurf); im Anschluss Schwarz, SE-VO (2006), Art. 56 Rn. 7 – 9; Spindler, in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 56 SE-VO Rn. 9; ders., in: Lutter/ Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 243. Auch die Verfasser des RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 40, waren sich offenbar nicht vollkommen sicher („… erscheint es zulässig …“).

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ein „Weniger“-Verhältnis gesetzt werden kann, lag nahe und hat den Verordnungsgeber wohl zur gewählten Formulierung der Ermächtigung verleitet. Nicht nahe liegt hingegen die Annahme, der Verordnungsgeber habe die ProzentwertAbsenkung nur in einem ganz bestimmten formalen Rahmen zulassen wollen. Vielmehr hatte der europäische Gesetzgeber die deutsche Besonderheit einer alternativen Anknüpfung an Prozentsatz und absolutem Nennbetragswert wohl schlicht nicht im Blick.96 Und selbst wenn man die Ermächtigungsgrundlage wörtlich interpretieren wollte, ließen sich die deutschen Schwellenwerte mit ihr in Einklang bringen. Denn ein niedrigerer „Prozentsatz“ ist auch im 500.000-Euro-Schwellenwert enthalten. Letzterer greift nämlich nur dann ein, wenn die Antragssteller weniger als fünf Prozent der Kapitalanteile halten. An Stelle des letztlich an § 122 Abs. 2 AktG angelehnten Wortlauts hätte der deutsche Gesetzgeber daher auch formulieren können: „… sofern sein oder ihr Anteil 5 Prozent des Grundkapital oder einen niedrigeren Prozentsatz, der einem anteiligen Betrag von mindestens 500.000 Euro entspricht, erreicht.“ Am Regelungsinhalt hätte sich hierdurch nichts geändert;97 die Vereinbarkeit mit der Ermächtigungsgrundlage hätte aber wohl noch deutlicher auf der Hand gelegen. Auch gegen die tatsächlich Gesetz gewordene Fassung des § 50 Abs. 2 SEAG ist daher nichts einzuwenden. Nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt wäre dagegen eine Vorschrift, die die Antragsberechtigung ausschließlich am anteiligen Grundkapital-Betrag festmacht oder an andere, von Prozentzahlen völlig losgelöste Kriterien knüpft, soweit hierdurch Minderheiten ausgeschlossen werden (können), die mindestens zehn Prozent der Kapitalanteile halten.98 Aus diesem Grund war es beispielsweise dem englischen Gesetzgeber nicht möglich, für die dortige SE Erleichterungen analog Sec. 314 (2)(b) Companies Act 2006 vorzusehen, der die Antragsberechtigung von „at least 100 Members who have a relevant right to vote and hold shares in the company on which there has been paid up an average sum, per member, of at least 100 GBP“ vorsieht.99

96

Ebenso für eine weite Auslegung der Ermächtigungsgrundlage die mittlerweile überwiegende Ansicht: Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 56 SE-VO Rn. 9; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 11; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 8; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 19; Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. Rn. 58; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 668; ebenso noch zum SEEG-Diskussionsentwurf: DAV Handelsrechtsausschuss, NZG 2004, 75, 85. Die Idee, einen Gleichlauf zu § 122 Abs. 2 AktG vorzusehen, stammt von Teichmann, ZIP 2002, 1109, 1115. 97 Vgl. J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE, S. 668 („nur eine andere mathematische Ausdrucksweise“). 98 Zutreffend Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 56 SE-VO Rn. 9; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 8. 99 Vgl. Davies, in: Baums/Cahn, Die Europäische Aktiengesellschaft (2004), S. 10, 26.

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Der Satzungsgeber einer deutschen SE darf die Beteiligungsschwelle per Satzung noch weiter herabzusetzen; es gilt grundsätzlich dasselbe wie im Rahmen des Einberufungsverlangens nach Art. 55 Abs. 1 SE-VO.100 Auch hier darf der Satzungsgeber nur die vom deutschen Gesetzgeber bereits reduzierten Werte weiter herabsetzen.101 Der Satzungsgeber kann also sowohl eine unter fünf Prozent liegende Prozentzahl angeben als auch an einen unter 500.000 Euro liegenden anteiligen Grundkapitalbetrag anknüpfen. Entscheidet er sich nur für Ersteres, so bleibt die gesetzliche Antragsbefugnis einer 500.000-Euro-Minderheit, die die gewählte Prozentzahl nicht erreicht, unberührt; und entscheidet er sich nur für Letzteres, so bleibt die gesetzliche Antragsberechtigung einer Fünf-Prozent-Minderheit, die den gewählten, anteiligen Grundkapitalbetrag nicht erreicht, unberührt.102 bb) Relevanter Zeitraum Für die Frage, wann die Antragssteller den erforderlichen Mindestkapitalanteil spätestens erwerben müssen und wann sie ihn frühestens veräußern dürfen, gilt dasselbe wie im Rahmen des Einberufungsverlangens nach Art. 55 SE-VO:103 Da Art. 56 SE-VO kein Vorbesitz- oder Haltenserfordernis enthält und eine entsprechende Anwendung der aktiengesetzlichen Regeln aus § 122 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1, § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG ausscheidet, müssen die Antragssteller nur im Antragszeitpunkt nachweisen, dass sie die Beteiligungsschwelle erreichen.104 Die Antragssteller können ihre Beteiligung für diesen Zeitpunkt gezielt auf- und sofort danach wieder abbauen, ohne die Erfolgsaussichten ihres Antrags zu beeinträchtigen.

100

Siehe oben Abschnitt „Beteiligungsschwelle“, S. 447. Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 11; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 7; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 8; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 667 f. mit dortiger Fn. 3131 a.E.; a.A. (zwischen deutschen und europäischen Vorgaben liegender Wert möglich) Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 2; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 56 SE-VO Rn. 6; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 56 SE-VO Rn. 6; ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 243; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 211 f.; vgl. auch das parallele Meinungsbild zur Satzungsermächtigung aus Art. 55 Abs. 1 SE-VO in obiger Fn. 34. 102 Im Ergebnis ebenso Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 7 f. 103 Siehe oben Abschnitt „Relevanter Zeitraum“, S. 464. 104 Ebenso Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 11; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 19; Spindler, in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 55 SE-VO Rn. 8 f., Art. 56 SE-VO Rn. 10; a.A. (Fortdauer der Beteiligung bis zur Hauptversammlung erforderlich) auch hier Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 56 SE-VO Rn. 12; Kiem, in: KKAktG, 3. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 14; vgl. auch das parallele Meinungsbild zum Einberufungsverlangen in obigen Fn. 41 und 45; zum Meinungsbild im Rahmen des § 122 Abs. 2 AktG siehe Merkner/Schmidt-Bendun, DB 2012, 98, 104. 101

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cc) Konkurrierende Ergänzungsbefugnis des SE-Beteiligungsorgans? Vereinzelt wird die Möglichkeit diskutiert, in der Beteiligungsvereinbarung einer mitbestimmten SE auch dem SE-Beteiligungsorgan ein begrenztes Recht auf die Einbringung von Tagesordnungspunkten einzuräumen105 – dies freilich ohne Begründung, so dass nicht recht klar wird, auf welcher Rechtsgrundlage die Befugnis basieren soll und in welchem Verhältnis sie zum Ergänzungsverlangen nach Art. 56 SE-VO stehen soll. Tatsächlich wäre eine solche Regelung in der Beteiligungsvereinbarung nicht mit Art. 56 SE-VO vereinbar. Letzterer sieht einen singulären Einbruch in die Tagesordnungskompetenz des einberufenden Leitungs-, Verwaltungs- bzw. Aufsichtsorgans vor, der nur per Gesetz oder Satzung und nur insoweit näher ausgestaltet werden kann, als dass das Recht der Aktionärsminderheit an geringere Voraussetzungen geknüpft werden kann. Nicht vorgesehen sind konkurrierende Ergänzungsrechte anderer Organe. Der Verordnungs- bzw. Gesetzgeber hat das Verhältnis zwischen den Tagesordnungskompetenzen des Einberufenden und der Aktionärsminderheit in Art. 56 SE-VO und § 50 Abs. 2 SEAG vielmehr abschließend aufeinander abgestimmt und nur punktuell für satzungsmäßige Ausgestaltungen im Einzelfall geöffnet. Eine Öffnung für Regelungen der Beteiligungsvereinbarung ist – anders als beispielsweise in Art. 40 Abs. 2 Satz 2, Art. 43 Abs. 3 Satz 2 SE-VO – nicht vorgesehen. Und auch aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten erscheint es überflüssig, die Hauptversammlung mit Tagesordnungspunkten zu befassen, an deren Behandlung weder die Verwaltung noch die Aktionäre ein Interesse signalisiert haben. Richtigerweise konkurriert das Ergänzungsrecht der Aktionäre daher nur mit der Tagesordnungskompetenz des einberufenden Leitungs-, Verwaltungs- bzw. Aufsichtsorgans. Daneben kann kein anderes Organ oder Gremium auf die Gestaltung der Tagesordnung Einfluss nehmen. b) Antragsform, -inhalt und -adressat Statthafte Form des Ergänzungsantrags ist nach ganz herrschender – und richtiger – Ansicht grundsätzlich die Schriftform gemäß § 122 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, AktG, §§ 126, 126a Abs. 1 BGB.106 Dies folgt aus dem Verweis in Art. 56 Satz 2 SE105

Heinze/Seifert/Teichmann, BB 2005, 2524, 2527, schlagen folgende Musterklausel vor: „Das SE-Beteiligungsorgan hat das Recht, der Hauptversammlung die Durchführung einer Sonderprüfung zu Vorgängen der Geschäftsführung vorzuschlagen. Das Vorschlagsrecht bezieht sich auch auf die Person des Sonderprüfers. Die Hauptversammlung entscheidet über den Antrag nach den allgemeinen aktienrechtlichen Regeln.“ 106 Insoweit übereinstimmend Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 56 SE-VO Rn. 16; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 17; Kubis, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2012), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 9, 19; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 56 Rn. 13; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 56 SE-VO Rn. 14; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 203 mit dortiger Fn. 1172; Maul, in: Van Hulle/Maul/ Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 4. Abschn., § 5 Rn. 59.

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VO, der für die „Verfahren und Fristen für diesen Antrag“ primär auf das Recht des SE-Sitzstaats verweist.107 Der dortige Verfahrensbegriff ist untechnisch weit und nicht im Sinne der im deutschen Rechtsraum geläufigen Differenzierung zwischen „Verfahren“ und „Form“ zu verstehen. Nicht einschlägig sind demgegenüber die Verweise aus Art. 53108 (der sich auf den Ablauf der Hauptversammlung bezieht) und Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO109 (der nur subsidiär zur hier einschlägigen Spezialverweisung eingreifen kann). Im Ergebnis hat die Entscheidung zwischen diesen drei Verweisungswegen ohnehin keine Bedeutung; Ziel ist in jedem Fall das deutsche Schriftformgebot. Dem Satzungsgeber steht es gemäß § 122 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. b), Art. 56 Satz 2 SE-VO offen, eine weniger strenge Form zu bestimmen.110 Inhaltlich müssen die Antragssteller analog Art. 55 Abs. 2 SE-VO die „Punkte für die Tagesordnung“ liefern, soweit sie eine Ergänzung wünschen. Ein darüber hinausgehendes Begründungserfordernis existiert nicht – insbesondere für eine entsprechende Anwendung der aktiengesetzlichen Begründungserfordernisse aus § 122 Abs. 1 Satz 1111 („Angabe des Zwecks und der Gründe“) und § 122 Abs. 2 Satz 2 AktG112 („Jedem neuen Gegenstand muss eine Begründung oder eine Beschlussvorlage beiliegen.“) ist kein Platz. Denn der in Art. 56 Satz 2 SE-VO enthaltene Verweis auf nationales Recht („Verfahren und Fristen“) ist zwar einerseits nicht streng am Wortlaut orientiert auszulegen, wäre aber andererseits überdehnt, wollte man ihn auch auch auf die inhaltliche Ausgestaltung des Antrags beziehen. Zudem würde die Anwendung mitgliedstaatlicher Begründungserfordernisse auf das Ergänzungsverlangen ein Ungleichgewicht zwischen Art. 55 und 56 SE-VO hervorrufen. Das Verlangen nach Einberufung einer Hauptversammlung, einschließlich Aufstellung der gesamten Tagesordnung, müsste so nämlich weniger ausführlich begründet werden („Punkte für die Tagesordnung“) als das Verlangen nach bloßer Ergänzung der bereits aufgestellten Tagesordnung einer bereits einberufenen 107 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 56 Rn. 13; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 11; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 203 mit dortiger Fn. 1172; Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 4. Abschn., § 5 Rn. 59. 108 Für Art. 53 SE-VO als einschlägige Verweisung aber Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 9, 19; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 56 SE-VO Rn. 14. 109 Für Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO als einschlägige Verweisung aber Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 17. 110 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 56 SE-VO Rn. 16; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 17. 111 Hierauf abstellend Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 19; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 56 Rn. 13; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 56 SE-VO Rn. 13; ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 242; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 192, 203; Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 4. Abschn., § 5 Rn. 59. 112 Hierauf abstellend Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 56 SE-VO Rn. 16.

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Hauptversammlung. Die besseren Gründe sprechen damit dafür, dass die inhaltlichen Anforderungen an das Ergänzungsverlangen nach Art. 56 SE-VO nicht über das hinausgehen darf, was für das Einberufungsverlangen nach Art. 55 Abs. 1, 2 SE-VO gilt.113 Richtiger Adressat des Ergänzungsverlangens ist das einberufende Organ, sofern die Hauptversammlung bereits einberufen worden ist, bzw. (im Fall des Art. 55 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SE-VO) die zur Einberufung ermächtigte Aktionärsminderheit, sofern eine solche Ermächtigung bereits ausgesprochen wurde. Im Vorfeld der Einberufung haben die Antragssteller in der dualistischen SE die Wahl zwischen dem Leitungs- und dem Aufsichtsorgan.114 Richtet sich der Antrag an das Leitungsorgan und wird die Hauptversammlung tatsächlich vom Aufsichtsorgan einberufen (oder umgekehrt), so hat der Adressat den Antrag im Vorfeld der Einberufung weiter zu leiten. In derselben Weise ist ein Ergänzungsantrag, der sich an die geschäftsführenden Direktoren einer monistischen SE richtet, von diesen an das einberufende Verwaltungsorgan weiter zu leiten. Was die Sprache des Antrags betrifft, erscheint auch hier grundsätzlich eine Wahl zwischen mindestens zwei Landessprachen möglich – analog dem im Rahmen der SE-Gründung zu erfüllenden grenzüberschreitenden Kriterium. Ist die Hauptversammlung aber bereits einberufen worden, so haben sich die Antragssteller an die von der Verwaltung gewählte Sprache zu halten. Andernfalls würde sich die Tagesordnung aus zwei in unterschiedlichen Sprachen verfassten Teilen zusammensetzen, was mehr Verwirrung als Nutzen stiften würde. Den Antragsstellern ist die Orientierung an der Sprachwahl der Verwaltung in aller Regel auch zumutbar, müssten sie sich doch spätestens in der Hauptversammlung selbst auf diese Sprache einlassen. c) Zeitfenster Einen zu frühen Antragszeitpunkt gibt es nicht. Seinem Wortlaut nach hat Art. 56 SE-VO („Die Ergänzung der Tagesordnung für eine Hauptversammlung …“) zwar 113

Im praktischen Ergebnis wohl ähnlich Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 22; Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 6, J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 666, die ein Begründungserfordernis jeweils ablehnen. 114 Anders die herrschende Meinung, die das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan für allein empfangsbefugt erachtet, teilweise unter (überflüssigem) Rückgriff auf § 122 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AktG: Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 19; Mayer, in: Manz/ Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 11; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 212 f.; und teilweise unter Berufung auf die allgemeine SE-Kompetenzordnung: Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 55 SE-VO Rn. 14, Art. 56 SEVO Rn. 14; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 56 Rn. 12; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 56 SE-VO Rn. 11; ebenso ohne Begründung Fürst/ Klahr, in: Jannott/Frodermann, Hdb EuropAG, 2. Aufl. (2014), Kap. 6, Rn. 93; Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 4. Abschn., § 5 Rn. 59.

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die Situation im Blick, in der die Aktionärsminderheit auf eine von der Verwaltung bereits aufgestellte Tagesordnung reagiert. Darüber hinaus kann der Ergänzungsantrag aber auch bereits im Vorfeld einer Einberufung gestellt werden, um die Verwaltung zu veranlassen, die Tagesordnung von vornherein mit den gewünschten Punkten bekannt zu machen.115 Andernfalls wären die Aktionäre gezwungen, entweder auf einen Einberufungsantrag auszuweichen116 oder zunächst die Bekanntmachung der aus ihrer Sicht unvollständigen Tagesordnung abzuwarten. Beides würde das Verfahren deutlich aufwändiger gestalten, ohne dass in der Sache etwas gewonnen wäre. Gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 AktG, Art. 56 Satz 2 SE-VO muss das Ergänzungsverlangen spätestens 24 Tage, bei börsennotierten Gesellschaften spätestens 30 Tage vor der Hauptversammlung zugehen.117 d) Entscheidung des Adressaten Erreicht das einberufende Organ nach Bekanntmachung einer Tagesordnung ein rechtmäßiger Ergänzungsantrag, so ist die Ergänzung der Tagesordnung gemäß § 124 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AktG, Art. 56 Satz 2 SE-VO unverzüglich bekannt zu machen. Bei der Bemessung der Unverzüglichkeit ist dem Adressaten regelmäßig ein angemessener Prüfungszeitraum einzuräumen; vorgeschlagen werden im Schrifttum zwischen drei und fünf Tagen.118 War die kommende Hauptversammlung dagegen noch nicht einberufen, so kann der Ergänzungsantrag zunächst zurückgestellt und zu gegebener Zeit im Zuge der regulären Einberufung bekannt gemacht werden (§ 124 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AktG, Art. 56 Satz 2 SE-VO). Eine besondere Eile allein wegen des Ergänzungsantrags ist dabei nicht geboten. 5. Gerichtlicher Antrag auf Ergänzung der Tagesordnung Art. 56 enthält kein Gegenstück zu Art. 55 Abs. 3 SE-VO, der für den Einberufungsantrag auf zweiter Stufe ein gerichtliches Verfahren vorsieht. Gleichzeitig ist allgemein anerkannt, dass auch den Antragsstellern im Rahmen des Art. 56 SE-VO 115 Ganz h.M.; siehe nur Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 56 SEVO Rn. 17; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 15; Spindler, in: Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 56 SE-VO Rn. 16; jeweils mit weiteren Nachweisen. 116 Dieser wäre wegen fehlender Dringlichkeit möglicherweise nicht erfolgreich; siehe oben Abschnitt „Materielle Rechtfertigung?“, S. 454. 117 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 56 SE-VO Rn. 17; die abweichenden, im älteren Schrifttum vertretenen Ansichten sind wegen der Neufassung des § 122 Abs. 2 AktG im Rahmen des ARUG 2009 überholt. 118 Vgl. Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 56 SE-VO Rn. 17, sowie (zu § 124 AktG) Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 122 Rn. 38, § 124 Rn. 4; Drinhausen/Keinath, BB 2010, 3, 5 f.; C. Horn, ZIP 2008, 1558, 1562.

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ein gerichtliches Verfahren zur Verfügung stehen muss, um einem legitimen Ergänzungsverlangen Nachdruck zu verleihen. Als Rechtsgrundlage hierfür wird überwiegend Art. 55 Abs. 3 SE-VO analog herangezogen.119 Hiefür spreche die „teleologische und systematische Nähe des Art. 56 zu Art. 55“120 sowie die Tatsache, dass das Ergänzungsverfahren auch insoweit europaweit vereinheitlicht werde.121 Auch bestehe bei Rückgriff auf nationales Recht jedenfalls theoretisch die Gefahr, dass auf mitgliedstaatlicher Ebene gar kein einschlägiges Gerichtsverfahren zur Verfügung stehe.122 Eine andere Ansicht wendet über den Verweis in Art. 56 Satz 2 SE-VO das Gerichtsverfahren nach § 122 Abs. 3 AktG an.123 Auch ein Gerichtsverfahren zähle nämlich zu den dort bezeichneten „Verfahren“.124 Die besseren Gründe sprechen für eine Anwendung des § 122 Abs. 3 AktG über Art. 56 Satz 2 SE-VO. Eine Analogie zu Art. 55 Abs. 3 SE-VO erscheint wenig einleuchtend, da die dort bestimmte Zwei-Monats-Frist im Rahmen des Ergänzungsverlangens keinen Sinn ergäbe und eine unbewusste Regelungslücke kaum vorstellbar ist. Gerade die „teleologische und systematische Nähe des Art. 56 zu Art. 55“ spricht gegen eine solche Lücke. Denn angesichts der zahlreichen strukturellen Parallelen zwischen Art. 55 und Art. 56 erscheint es kaum denkbar, dass die Durchbrechung der Parallelität gerade in Hinblick auf das Gerichtsverfahren einem Versehen des Verordnungsgebers geschuldet ist, zumal die genannte Durchbrechung bereits in Art. 84 f. SE VOV 1991 enthalten war. Näher liegt es daher, den „Verfahren“-Begriff aus Art. 56 Satz 2 auch auf das gerichtliche Verfahren zu beziehen. Auch Parallelformulierungen in anderen Sprachfassungen125 lassen diese Interpretation zu. Die Gefahr, dass ein Mitgliedstaat das Ergänzungsverfahren leerlaufen lässt, indem er auf ein gerichtliches Verfahren verzichtet, erscheint angesichts des allgemeinen und speziellen Effektivitätsgrundsatzes (Art. 68 Abs. 1 SE-VO) gering.126 119 Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 12; Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 25 f.; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 55, 56 SE-VO Rn. 22 a.E.; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 56 Rn. 26; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 56 SE-VO Rn. 21; ders., in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 243 f.; Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 221; tendenziell ebenso Liebscher, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die HV, 3. Aufl. (2011), § 49 Rn. 27. 120 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 56 SE-VO Rn. 22; ähnlich Schwarz, SE-VO (2006), Art. 56 Rn. 26. 121 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 25. 122 Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 25. 123 Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 56 SE-VO Rn. 13; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 668 f.; Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropGes (2007), 5. Abschn., § 4 Rn. Rn. 59. 124 J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 668 f. 125 „Les procédures“; „The procedures“; „Los procedimientos“. 126 Dies einräumend auch Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 57 SE-VO Rn. 25 mit dortiger Fn. 47. Ein vollständig stimmiges Bild ergibt sich freilich auch bei Anwendung des

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II. Einbringung und Veröffentlichung von Gegenanträgen und Wahlvorschlägen, §§ 126, 127 AktG §§ 126, 127 AktG sind einschlägig, soweit es den Aktionären nicht darum geht, die von der Verwaltung bekannt gemachte Tagesordnung um neue „Punkte“ zu ergänzen (Art. 56 SE-VO), sondern lediglich darum, den von der Verwaltung gemäß § 124 Abs. 3 AktG, Art. 53 SE-VO unterbreiteten Wahl- und Beschlussvorschlägen eigene Vorschläge bzw. Kandidaten entgegen zu setzen. Einschlägige Verweisungsnorm ist Art. 53 SE-VO, da das Gegenantragsrecht der Aktionäre unmittelbar mit Organisation und Ablauf der Hauptversammlung zusammenhängt.127 Insgesamt handelt es sich beim Gegenantragsrecht um den kleinen Bruder des Ergänzungsverlangens nach Art. 56 SE-VO.128 Sowohl was die Voraussetzungen als auch was das Erreichbare betrifft, bleibt der Gegenantrag nach § 126 AktG hinter dem Ergänzungsverlangen zurück: Antragsberechtigt ist jeder Aktionär unabhängig von Beteiligungshöhe und Stimmgewicht. Weder im Antragszeitpunkt noch zur Hauptversammlung muss der Antragssteller einen Mindestkapitalanteil halten. Es ist daher grundsätzlich ausreichend, wenn der Aktionär bei Antragsstellung eine einzige Aktie hält. Auch Aktionäre, deren Stimmrecht teilweise (z. B. § 136 Abs. 1 AktG), zeitweise (z. B. § 67 Abs. 2 Satz 2 AktG) oder dauerhaft vollständig (z. B. Vorzugsaktionäre nach § 139 Abs. 1 AktG) ausgeschlossen ist, dürfen Gegenanträge stellen.129 Nicht antragsberechtigt sind dagegen Aktionäre, die nicht zur Teilnahme an der fraglichen Hauptversammlung berechtigt sind, also insbesondere Aktionäre, die ihre Aktien erst nach dem Record Date erworben haben oder die von einem Vollrechtsausschluss (z. B. § 71b AktG, § 28 Satz 1 WpHG) betroffen sind.130 Eine Frist – nämlich 14 Tage zurückgerechnet vom Tag der Hauptversammlung – hat der Antragssteller (nur dann) zu beachten, wenn er Wert auf eine Bekannt- und Zugänglichmachung nach § 126 Abs. 1 AktG legt. Stellt der Antragssteller seinen

Art. 56 Satz 2 SE-VO nicht. Denn dieser verweist nicht nur auf nationale Gesetze, sondern auch auf die SE-Satzung, welche als Regelungsstandort für ein gerichtliches Verfahren wohl völlig ungeeignet ist. 127 Ebenso ohne Begründung Wicke, MittBayNot 2006, 196, 203. 128 Treffend Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 126 Rn. 1, in Bezug auf das Verhältnis zwischen § 122 und § 126 AktG. 129 Siehe nur Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 126 Rn. 5; Kubis, in: MüKoAktG, 3. Aufl. (2013), § 126 Rn. 3; Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 122 Rn. 6. 130 Nahezu ganz h.M.; siehe nur Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 126 Rn. 5; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 126 Rn. 5; Reger, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 126 Rn. 3; Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 122 Rn. 6; a.A. nur Ziemons, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 126 Rn. 15.

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Antrag nach Ablauf dieser Frist oder gar erst am Hauptversammlungstag, so obliegt es ihm selbst, ihn den anderen Aktionären bekannt zu machen.131 Beinhalten muss der Antrag gemäß § 126 Abs. 1 Satz 1 AktG den Beschlussvorschlag selbst, den Namen des Aktionärs und eine Begründung. Das Begründungserfordernis wirkt auf den ersten Blick etwas deplatziert, da das „größere“ Recht aus Art. 55, 56 SE-VO kein Begründungserfordernis enthält. Das liegt in erster Linie daran, dass die beiden Rechtsquellen nicht aufeinander abgestimmt sind, lässt sich jedoch auch in der Sache rechtfertigen. Denn das Begründungserfordernis in § 126 Abs. 1 Satz 1 AktG kompensiert die erhebliche Ausweitung des Kreises der Antragsberechtigten, indem es sicher stellt, dass auch Anträge von unprofessionell agierenden Aktionären einem Mindestmaß an Ernsthaftigkeit gerecht werden. Entbehrlich ist eine Begründung gemäß § 127 Satz 2 AktG nur bei Wahlvorschlägen, für die sich jedoch weitere inhaltliche Voraussetzungen aus § 127 Satz 3 in Verbindung mit § 124 Abs. 3 Satz 4 (Name, ausgeübter Beruf und Wohnort des Vorgeschlagenen) und § 125 Abs. 1 Satz 5 AktG (Angaben zu Mitgliedschaften in anderen Aufsichtsorganen, -räten und vergleichbaren Kontrollgremien) ergeben. Hat der Antragssteller alle Voraussetzungen erfüllt und liegt keiner der in § 126 Abs. 2 AktG abschließend aufgeführten Ablehnungsgründe vor, so ist die Verwaltung der SE verpflichtet, den Gegenantrag gemäß § 125 Abs. 1 – 3 AktG bzw. – bei börsennotierten SEs – über die Internetseite der SE zugänglich zu machen. Während für die dualistische SE damit weitgehend auf die Rechtsgrundlagen zurückgegriffen werden kann, die für die deutsche AG gelten, ist die Situation der monistischen SE nur unvollkommen geregelt. So betrifft das Wahlvorschlagsrecht nach § 127 Satz 1 AktG unmittelbar nur den Aufsichtsrat bzw. das Aufsichtsorgan; ein Gegenstück zur monistischen SE in Abschnitt 4 des SEAG fehlt. Angelehnt an den Rechtsgedanken des § 22 Abs. 6 SEAG dürfen Wahlvorschläge aber auch für das Verwaltungsorgan einer monistischen SE eingereicht werden. Das Ziel des § 127 AktG, neben der Verwaltung auch die Aktionäre in die Kandidatenkür einzubeziehen, ist für das dualistische und monistische System gleichermaßen einschlägig, und es ist nirgends ersichtlich, dass dem Fehlen eines dahingehenden gesetzlichen Wahlvorschlagsrechts eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zugrunde liegt. Kein Vorschlagsrecht der Aktionäre existiert dagegen in Bezug auf die geschäftsführenden Direktoren, für deren Bestellung gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SEAG ausschließlich das Verwaltungsorgan zuständig ist.

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Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 126 Rn. 1 a.E.

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III. Erteilung eines Dispenses vom Cooling-Off-Zeitraum gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG 1. Dualistisches Modell Gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG, Art. 47 Abs. 2 lit. a) SE-VO132 darf nicht Mitglied des Aufsichtsorgans sein, wer in den vorhergehenden zwei Jahren Leitungsorganmitglied derselben börsennotierten SE war, es sei denn, seine Wahl erfolgt auf Vorschlag von Aktionären, die mehr als 25 Prozent der Stimmrechte an der Gesellschaft halten. Ziel der im Rahmen des VorstAG 2009 eingeführten Regelung ist es, den vom Gesetzgeber für problematisch erachteten direkten Wechsel eines Vorstandsmitglieds in den Aufsichtsrat derselben AG intensiver an das Votum der Aktionäre zu koppeln. Der Wechsel in den Aufsichtsrat sei „für ehemalige Vorstände häufig eine Prestigefrage“, weshalb es dem Aufsichtsrat allein schwer falle, dem Wunsch nicht nachzugeben.133 Gleichzeitig bestehe in börsennotierten Gesellschaften mit einem erhöhten Streubesitzanteil „ein systematisches Kontrolldefizit durch die Eigentümergesamtheit.“134 Auf den ersten Blick nahe liegt es, den „Vorschlag“ mit dem Wahlvorschlag nach § 127 AktG, Art. 53 SE-VO in Verbindung zu bringen, und auch der Wortlaut des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG scheint darauf hinzudeuten. Praktikabel wird dieser Weg jedoch eher selten sein. Er setzt nämlich voraus, dass das Aufsichtsorgan bei seinem Wahlvorschlag nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG zunächst einen anderen Kandidaten benennen müsste. Insbesondere dann, wenn die Kandidatur des ehemaligen Leitungsorganmitglieds auch vom Aufsichtsorgan unterstützt wird, läge hierin eine überflüssige Formalie, und selbst ein von allen Seiten unterstützter Kandidaten müsste so formal als Außenseiter eingeführt werden. Richtigerweise kann der „Vorschlag“ daher auch auf informellem Weg im Vorfeld der Einberufung an das Aufsichtsorgan herangetragen werden. Das Aufsichtsorgan kann den von den Aktionären vorgeschlagenen Kandidaten dann von Beginn an in seinen eigenen Vorschlägen berücksichtigen.135 Anders als beispielsweise Art. 55, 56 SE-VO, § 50 SEAG stellt § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG für die Berechnung und Zusammensetzung des Quorums nicht auf Kapitalanteile, sondern auf Stimmrechte ab. Das ist systematisch nicht unbedingt stimmig, da es letztlich auch bei einem Einberufungs- und Ergänzungsantrag um die

132 Zur Übertragbarkeit des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG auf die dualistische SE siehe nur Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 47 SE-VO Rn. 17a, sowie Forst, ZIP 2010, 1786, 1788 (der die Anwendbarkeit auf Art. 10 SE-VO stützt). 133 Beschlussempfehlung VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 11. 134 Beschlussempfehlung VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 11. 135 So auch die Vorstellung des Gesetzgebers; vgl. Beschlussempfehlung VorstAG, BTDrucks. 16/13433, S. 11; ebenso Bürgers/Israel, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 100 Rn. 6a; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014) § 100 Rn. 18.

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Einbringung von Abstimmungsgegenständen durch Aktionäre geht, ist jedoch angesichts des eindeutigen Normtextes hinzunehmen. Erfüllt sein muss das Quorum in jedem Fall spätestens zum Zeitpunkt des Vorschlags. Darüber hinaus wird überwiegend angenommen, die Vorschlagenden müssten die 25-Prozent-Schwelle bis zur Beschlussfassung in der Hauptversammlung halten.136 Der Gesetzgeber habe die Wahl ehemaliger Vorstandsmitglieder in den Aufsichtsrat vor Ablauf der Karenzzeit nur zulassen wollen, wenn sie dem Willen wesentlicher Eigentümer entspreche; aus teleologischen Gründen könne ein früherer Wille daher nicht ausreichen.137 Im Gesetzestext hat sich dies jedoch nicht niedergeschlagen. Anders als in § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG ist in § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG weder ein längeres Halten der Beteiligung als Dispensvoraussetzung genannt, noch ein Mechanismus installiert, der eine laufende Kontrolle der Beteiligungshöhe über einen längeren Zeitraum hinweg ermöglichen würde. Da sich der 25-Prozent-Anteil auf die gesamten Stimmrechte und nicht auf die in der Hauptversammlung vertretenen bezieht, ist wohl noch nicht einmal erforderlich, dass die Teilnehmenden an der Hauptversammlung teilnehmen. Es reicht daher aus, wenn das Quorum punktuell im Vorschlagszeitpunkt erfüllt und nachgewiesen wird.138 Fraglich ist weiter, welchen Nachweis die Aktionärsminderheit für die Höhe ihrer Beteiligung erbringen muss. Im Gesetz findet sich hierzu nichts. Zu bedenken ist jedoch, dass der Art und der Form des Beteiligungsnachweises im Rahmen des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG eine andere und höhere Bedeutung zukommt als dem Beteiligungsnachweis im Rahmen eines Einberufungs- oder Ergänzungsverlangens, eines Gegenantrags oder eines Wahlvorschlags. Denn letztere betreffen Aktionärsinitiativen, die den Plänen der Verwaltung zuwiderlaufen oder darin zumindest nicht vorgesehen sind. Die Adressaten der jeweiligen Initiativen sind daher regelmäßig von sich aus an einer sorgfältigen Prüfung der eingereichten Unterlagen interessiert. Das ist beim Dispens vom Cooling-Off-Zeitraum anders. Regelmäßig genießt der Kandidat bei seinem Wechsel in den Aufsichtsrat nämlich nicht nur die Unterstützung der Aktionäre, sondern vor allem die der übrigen Organwalter, welche gleichzeitig damit betraut sind, die Voraussetzungen des Dispenses zu überprüfen. Es sind die Interessen der außenstehenden Aktionäre, denen die Kandidatur möglicherweise zuwiderläuft, die aber in die relevanten Abläufe nicht unmittelbar eingebunden sind. Ihnen muss es daher möglich sein, wenigstens nachträglich zu kontrollieren, ob hinter der Aktionärsinitiative tatsächlich die erforderlichen 25 Prozent der Stimmrechte standen. Der Beteiligungsnachweis muss seiner Art und seiner Form nach eine solche Kontrolle zulassen. In Frage kommt damit regelmäßig nur ein schriftlicher, von der jeweils depotführenden Stelle ausgestellter Nachweis, der die Identität des Aktionärs sowie die Höhe seiner Beteiligung am Tag des Vorschlags dokumentiert. 136 137 138

Krieger, in: FS Hüffer (2010), S. 521, 526; Löbbe/Fischbach, AG 2012, 580, 586. Krieger, in: FS Hüffer (2010), S. 521, 526; Löbbe/Fischbach, AG 2012, 580, 586. Im Ergebnis ebenso Bungert/Wansleben, DB 2012, 2617, 2619.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

Nach wohl ganz herrschender Ansicht kann das Quorum nicht durch die erfolgreiche Wahl selbst erfüllt werden.139 Dies ergebe sich sowohl aus dem Wortlaut der Vorschrift („Wahl erfolgt auf Vorschlag“) als auch aus deren Sinn und Zweck, der ein zweistufiges Verfahren bzw. den Vorschlag als „weiteres Prüfkriterium“ vorsehe.140 Und in der Tat erschiene es aus rechtspraktischer Sicht merkwürdig, wenn in der erfolgreichen Wahl gleichzeitig ein Vorschlag im Sinne des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Hs. 2 AktG liegen könnte. Das Quorum hätte damit nämlich praktisch nur eine sehr geringe Bedeutung: Bei erfolgreicher Wahl wäre das 25-Prozent-Quorum in aller Regel automatisch erfüllt;141 und bei Unterliegen des Kandidaten wäre es im Nachhinein ohne Belang, ob wenigstens 25 Prozent der Stimmen hinter ihm standen. Andererseits erschiene es ebenso seltsam, wenn eine erfolgreiche Wahl, bei der mehr als 25 Prozent aller Stimmrechte auf der „Ja“-Seite stehen, mit dem Argument für ungültig erklärt werden könnte, der Vorschlag sei nicht von mehr als 25 Prozent aller Stimmrechte unterstützt worden. Eine darauf folgende Wiederholung der Wahl mit vorgeschaltetem Vorschlag verkäme zur leeren Förmelei. Hält man sich die hohe faktische Bindungswirkung eines Wahlvorschlags vor Augen, so ergibt das vorgeschaltete 25-Prozent-Quorum aber durchaus Sinn. Denn gerade in börsennotierten Gesellschaften mit nennenswertem Streubesitz entspricht es dem Regelfall, dass für einen freien Sitz nur ein einziger, vorab intern abgestimmter Kandidat ins Rennen geht, der von den Aktionären mit großer Mehrheit gewählt wird. Bereits das Lancieren eines von der Verwaltung mitgetragenen Vorschlags lässt damit die Wahl des vorgeschlagenen Kandidaten praktisch höchst wahrscheinlich werden.142 Da die entscheidende Hürde für den Kandidaten damit in der Regel im Vorfeld der Hauptversammlung liegt, war es aus Sicht des Gesetzgebers durchaus konsequent, die formellen Anforderungen an den Dispens von der Regel-Inkompatibilität nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG in diese Vorbereitungsphase zu verlegen und nicht in den Wahlgang (z. B. durch ein erhöhtes Mehrheitserfordernis). Allein in gesetzessystematischer Hinsicht ließe sich darüber streiten, ob es nicht näher gelegen hätte, das 25-Prozent-Quorum mit der Gültigkeit des Wahlvorschlags zu verknüpfen und nicht als persönliche Voraussetzung für die Wahl zu definieren. Der vorgenannte Sinn und Zweck ist auch bei der praktischen Erfüllung des Quorumserfordernisses im Einzelfall zu berücksichtigen. Unzulässig ist daher die im

139

Simons, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 100 Rn. 27; Bungert/Wansleben, DB 2012, 2617, 2620; Krieger, in: FS Hüffer (2010), S. 521, 526 f. 140 Bungert/Wansleben, DB 2012, 2617, 2620. 141 Eine erfolgreiche Wahl gemäß Art. 57 SE-VO ohne Überschreiten der 25-ProzentSchwelle ist nur dann möglich, wenn die Hauptversammlungspräsenz bei höchstens 25 Prozent liegt oder der Kandidat bei einer Hauptversammlungspräsenz zwischen 25 plus 1 Prozent und 50 Prozent mit nicht einstimmigen Beschluss gewählt wird. 142 Bungert/Wansleben, DB 2012, 2617, 2621; Krieger, in: FS Hüffer (2010), S. 521, 531; Löbbe/Fischbach, AG 2012, 580, 585.

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Schrifttum teilweise empfohlene143 Vorgehensweise, unmittelbar vor der Wahl des Mitglieds eine Verfahrensabstimmung durchzuführen, bei der die Verwaltung die Aktionäre auffordert, den von ihnen benannten Kandidaten per „Ja“-Stimme vorzuschlagen. Denn aus Aktionärssicht ist es unerheblich, ob die Verwaltung ihren Wunschkandidaten unmittelbar per Wahlvorschlag nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG kührt oder indirekt per Wahlvorschlag-Vorschlag. Eine faktische Bindungswirkung des Vorschlags ergibt sich in beiden Fällen – insbesondere, wenn die Verwaltung keinen echten Alternativkandidaten präsentiert. Denn die Gesellschaft, deren Verwaltung und der abgelehnte Kandidat würden bei Ablehnung des WahlvorschlagVorschlags ein ebenso unglückliches Bild abgeben wie bei einem Scheitern des Wahlvorschlags selbst. Auch Aktionäre, die sich im Vorfeld der Wahl gegen das ehemalige Leitungsorganmitglied ausgesprochen hätten, werden daher häufig zähneknirschend zustimmen; eine echtes Legitimationsplus für den Kandidaten – wie es der Gesetzgeber im Auge hatte – ergäbe sich nicht. Als Wahlvorschlag im Sinn des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Hs. 2 AktG kommt stattdessen nur eine echte Aktionärsinitiative in Frage, die von außen an die Verwaltung herangetragen wird. Das Aufsichtsorgan kann eine solche Initiative im Vorfeld der Hauptversammlung anregen und koordinieren,144 z. B. durch informelle Kommunikation mit stimmgewichtigen Aktionären und Stimmrechtsberatern, wie sie auch bei Kandidaten nahe liegt, die nicht unter § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG fallen. Eine Pflicht zu Neutralität und Unparteilichkeit steht dem nicht entgegen.145 Auch der potenzielle Kandidat kann selbstverständlich für seine eigene Kandidatur werben.146 Je höher der Streubesitzanteil unter den Aktionären liegt und desto weniger Ankeraktionäre existieren, desto eher wird ein Dispens faktisch sogar gar nicht anders zu erreichen sein als durch ein derart beim Aufsichtsorgan bzw. Kandidaten zentralisiertes Einwerben der Unterstützerstimmen. Die Vorstellung, die Aktionäre könnten sich in einer solchen Situation über das Aktionärsforum nach § 127a AktG selbst organisieren,147 wird wegen der praktisch nicht vorhandenen Akzeptanz des Aktionärsforums in der Wirklichkeit148 allerdings nicht mehr als ein frommer Wunsch von Gesetzgeber und Kommentarautoren bleiben. 143 Hüffer, AktG, 10. Aufl. (2012), § 100 Rn. 7b (zurückhaltender nunmehr aber Hüffer/ Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 100 Rn. 18); Simons, in: Hölters, AktG , 2. Aufl. (2014), § 100 Rn. 30a; Bungert/Wansleben, DB 2012, 2617, 2621; wohl auch Krieger, in: FS Hüffer (2010), S. 521, 531, jeweils mit weiteren Nachweisen. 144 Löbbe/Fischbach, AG 2012, 580, 581 f. 145 Zutreffend Löbbe/Fischbach, AG 2012, 580, 582: „… widersprüchlich, wenn der Aufsichtsrat einen Kandidaten zwar zur Wahl vorschlagen dürfte, es ihm aber zugleich untersagt wäre, bei den Aktionären für die Herbeiführung der Wahlvoraussetzungen zu werben.“ 146 Löbbe/Fischbach, AG 2012, 580, 583 f. 147 Simons, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 100 Rn. 31; Bungert/Wansleben, DB 2012, 2617, 2620. 148 Hierzu sogleich unter Abschnitt „Veröffentlichung einer Aufforderung im Aktionärsforum des elektronischen Bundesanzeigers, § 127a AktG“, S. 452.

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2. Monistisches Modell Die Frage, ob ein Dispens nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Hs. 2 AktG auch in einer monistischen SE erteilt werden kann, stellt sich nur dann, wenn sich die Karenzzeit aus Hs. 1 überhaupt auf das monistische Modell übertragen lässt. Zu denken wäre auf den ersten Blick an eine Übertragung des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Hs. 1 AktG dergestalt, dass geschäftsführende Direktoren im Anschluss an ihr Direktorenamt nur unter Beachtung der Karenzfrist in das Verwaltungsorgan wechseln dürfen. Stützen ließe sich die Übertragung möglicherweise auf Art. 47 Abs. 2 lit. a) SE-VO oder auf Art. 43 Abs. 4 SE-VO, § 27 SEAG analog. Nicht berücksichtigt würde hierbei jedoch, dass geschäftsführende Direktoren bereits vor Aufgabe ihres Direktorenamtes einen Verwaltungsorgansitz übernehmen können – ebenso wie bisherige Verwaltungsorganmitglieder nicht ihren Ratssitz aufgeben müssen, um geschäftsführender Direktor zu werden. Eine strenge personelle Trennung zwischen Geschäftsleitung und Überwachung, wie sie im dualistischen Modell vorgesehen ist und wie sie in § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG vertieft wird, findet sich im monistischen SE-Modell gerade nicht. Eine Mindestübergangszeit zwischen Geschäftsleitungs- und Überwachungsamt ergibt aber keinen Sinn, wenn Geschäftsleitungs- und Überwachungsaufgaben gleichzeitig von denselben Personen ausgeübt werden können.149 § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG findet in der monistischen SE daher keine Anwendung;150 die Erteilung eines Dispenses ist damit weder möglich noch erforderlich.

IV. Veröffentlichung einer Aufforderung im Aktionärsforum des Bundesanzeigers, § 127a AktG Gemäß § 127a Abs. 1 AktG haben Aktionäre und Aktionärsvereinigungen das Recht, im Aktionärsforum des Bundesanzeigers andere Aktionäre aufzufordern, gemeinsam oder in Vertretung einen aktiengesetzlichen Antrag oder ein Verlangen zu stellen (z. B. Sonderprüfung) oder in einer Hauptversammlung das Stimmrecht auszuüben. Es spricht nichts dagegen, gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO auch die Aktionäre einer deutschen SE in den Anwendungsbereich des § 127a AktG einzubeziehen. Auch ihnen steht es daher theoretisch offen, Aufforderungen ins Aktionärsforum einzustellen. Praktische Bedeutung hat dieser Kommunikationsweg freilich weder für die SE noch für die AG. Seit seiner Einrichtung im Jahr 2005 brachte es das Forum im Jahr 149

In dieselbe Richtung Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 47 SE-VO Rn. 31a. 150 Im Ergebnis ebenso Reichert/Brandes, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 47 SE-VO Rn. 31a; Forst, ZIP 2010, 1786, 1789.

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2013 auf nur knapp über 100 Einträge.151 Setzt man diese Zahl ins Verhältnis zur Gesamtzahl der direkten Aktionäre in Deutschland, die in der Zeit zwischen 2005 und 2013 zwischen 3,4 und 4,9 Millionen schwankte,152 liegt die Vermutung nahe, dass die überwältigende Mehrheit der Aktionäre und Aktionärsvereinigungen der Bockwurst in der Hauptversammlung eine größere Bedeutung beimisst. Die Hoffnung des Gesetzgebers, Aktionäre würden durch das Forum zu einer aktiveren Rolle finden,153 hat sich damit ebenso wenig erfüllt wie die Befürchtung, Aktiengesellschaften würden durch beleidigende und kriminelle Aufforderungen geschädigt.154 Das unter den Stichworten „rationelle Apathie“ und „Collective-Action-Problem“ diskutierte Dilemma, dass die Vernetzung und Koordination einer Vielzahl von Kleinaktionären höhere Kosten verursacht als Nutzen stiftet,155 hat auch das Aktionärsforum nicht aufgelöst. Insbesondere die aus Sicht des Aktiengesetzes und der SE-Verordnung relevanten Beteiligungsquoten156 werden allein auf Initiative eines Kleinaktionärs weiterhin nicht erreicht werden können.157 Tatsächlich gibt es wohl eine ganze Reihe von Gründen für das Scheitern des Aktionärsforums. Unter anderem wird man sich fragen müssen, ob es erfolgversprechend ist, für einen schmucklosen, umfassend reglementierten und zwingend mit Klarnamen zu versehenden Eintrag in einem kaum bekannten Forum 25 Euro Gebühr (zzgl. Umsatzsteuer) zu erheben.158 Auch die Vielzahl mehr oder weniger erfolgreich geführter nicht-staatlicher Aktionärsforen,159 gegenüber denen sich das Aktionärsforum allenfalls durch die Einblendung des Bundesadlers positiv abhebt, 151 Bayer/Hoffmann, AG-Report 2013, R61, R61 f., zählen 103 Einträge in der Zeit zwischen Gründung und Januar 2013. Zum Nutzen, Sinn und Risiko des Aktionärsforums finden sich in der rechtswissenschaftlichen Literatur daher wohl insgesamt mehr Wortmeldungen als Einträge im Aktionärsforum selbst. 152 Deutsches Aktieninstitut (DAI), Kurzstudie 1/2013 „Zahl der Aktionäre geht weiter zurück“, S. 1; abrufbar unter www.dai.de. 153 Vgl. Begründung RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 15. 154 DAV Handelsrechtsausschuss, NZG 2005, 555, 558. 155 Vgl. Jaspers, ZRP 2010, 8, 9, mit Verweis auf Berle/Means, The Modern Corporation & Private Property (1932). 156 Z. B. 1 Prozent oder 100.000 Euro Grundkapital-Beteiligung für die Bestellung eines Sonderprüfers gemäß § 142 Abs. 2 AktG. 157 Die Vorstellung des Gesetzgebers war offenbar, dass auf die Aufforderung eines Kleinaktionärs im Aktionärsforum hin eine so große Zahl weiterer Kleinaktionäre in dieselbe Richtung aktiv wird, dass die Schwellenwerte erreicht werden; vgl. Begründung RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 15; Seibert, WM 2005, 157, 158. In dieselbe Richtung Simons, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 100 Rn. 31, und Bungert/Wansleben, DB 2012, 2617, 2620, die das Aktionärsforum als möglichen Ausgangspunkt für einen Vorschlag nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Hs. 2 AktG nennen. 158 Allgemeine Geschäftsbedingungen für das „Aktionärsforum“ im Bundesanzeiger, Stand 1. Januar 2013. 159 Z. B. die kommerziell betriebene Website „wallstreet-online.de“ und das von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) unter „hauptversammlung.de“ betriebene Forum.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

mag Aktionäre von einer Teilnahme abhalten.160 Und schließlich wird man die grundsätzliche Frage stellen müssen, ob die Amtsstuben des Gesetzgebers und die Büros der beteiligten Rechtsanwälte, Professoren und Verbände die geeigneten Orte waren, um ein Projekt zu ersinnen, dessen Erfolg von einer breiten Akzeptanz unter Internetnutzern abhängt. Wenn jetzt Möglichkeiten für eine „Revitalisierung“ des Forums bzw. eine Erweckung aus dem „Dornröschenschlaf“ diskutiert werden,161 sollte die Option einer ersatzlosen Abschaltung des Forums nicht von vornherein verworfen werden.162 Denn bei Lichte besehen handelt es sich beim Aktionärsforum nicht um ein unentdecktes Juwel, sondern um eine von Beginn an unpopuläre, technisch veraltete und optisch wenig ansprechende Website, die ihr Weiterbestehen in erster Linie einer gesetzlichen Anordnung, wissenschaftlichem Interesse und der Finanzierung durch Steuergelder zu verdanken hat. Praktisch nutzen aktivistische Investoren längst andere Wege zur Hauptversammlungsvorbereitung;163 private Kleinaktionäre tun ihre Meinung, wenn überhaupt, in einem weniger regulierten Umfeld kund;164 und auch das Interesse der Autoren, die sich im rechtswissenschaftlichen Schrifttum für ein Fortbestehen des Aktionärsforums einsetzen, scheint rein akademischer Natur zu sein – sie selbst haben das Aktionärsforum in den vergangenen acht Jahren nämlich ebenfalls nie genutzt. Außerhalb des rechtswissenschaftlichen Schrifttums bliebe das Verschwinden des Aktionärsforums daher voraussichtlich ebenso unbemerkt wie seine Einrichtung im Jahr 2005.

V. Zugang zu schriftlichen Informationen Neben den vorgenannten Initiativrechten haben die Aktionäre im Vorfeld der Hauptversammlung zudem eine Reihe von Informationsrechten, die sich weitgehend aus dem deutschen Aktienrecht ergeben und deren genauer Umfang von den Gegenständen der Tagesordnung abhängt. Unmittelbar aus der SE-Verordnung ergeben sich nur noch wenige Informationsrechte, die sich jeweils auf SE-spezifische Gegenstände wie die Sitzverlegung (Art. 8 Abs. 4) beziehen. Weitergehende und generelle Regelungen, wie sie teilweise noch in den SE-VO-Vorentwürfen enthalten waren,165 existieren nicht. 160

Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 127a Rn. 2. Bayer/Hoffmann, AG-Report 2013, R61, R63. 162 In diese Richtung auch Noack, „Aktionärsforum im Bundesanzeiger: ein Flop“, Unternehmensrechtliche Notizen vom 26. März 2013, abrufbar unter http://notizen.duslaw.de. 163 DAV Handelsrechtsausschuss, NZG 2011, 936, 939. 164 Interessant in diesem Zusammenhang die These von Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 127a Rn. 2, ein Wettbewerbsvorteil des Aktionärsforum liege darin, dass private Foren „chaotisch organisiert sind, während das Aktionärsforum seine Einträge nach der Firmierung der betroffenen Gesellschaft alphabetisch sortiert.“ 165 Siehe Art. 81a, 89 SE-VOV 1991, Art. 89 SE-VOV 1989. 161

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In jedem Fall informationsberechtigt sind die Aktionäre vor der ordentlichen Hauptversammlung in Bezug auf die jährliche Finanzplanung und -berichterstattung (§ 175 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 48 Abs. 2 Satz 1 SEAG). Der gesetzlich als Regelfall eingeordnete Informationsweg – die körperliche Aushändigung von Kopien der Unterlagen166 – stammt ersichtlich aus länger zurückliegenden Zeiten, in denen eine allgemein verfügbare elektronische Downloadmöglichkeit per Website noch nicht vorstellbar war. Letzterer Weg ist nunmehr in § 175 Abs. 2 Satz 4 AktG als alternativer (und praktisch mittlerweile allein relevanter) Zugangsweg vorgesehen und liegt insbesondere bei Einbindung von Online-Teilnehmern auf der Hand. Bei Aufnahme entsprechender Beschlussgegenstände in die Tagesordnung erstrecken sich die Informationsrechte ferner auf einen oder mehrere der folgenden Gegenstände: Nachgründungsvertrag (§ 52 Abs. 2 Satz 3 AktG), Vertrag zur Übertragung des gesamten Gesellschaftsvermögens (§ 179a Abs. 2 Satz 2 AktG167), Unterlagen zur Eingliederung der Gesellschaft in eine andere Gesellschaft (§ 320 Abs. 3 Satz 2 AktG), Unterlagen zum Abschluss eines Unternehmensvertrags (§ 293f Abs. 2 AktG), Unterlagen zum aktienrechtlichen Squeeze-Out (§ 327c Abs. 4 AktG), Verlegungsplan (Art. 8 Abs. 4 SE-VO), Unterlagen zu einer Umwandlungsmaßnahme, also Verschmelzung (§ 62 Abs. 3 Sätze 6, 7, § 63 Abs. 3, § 73, § 122a Abs. 2 UmwG),168 Spaltung (§ 63 Abs. 3, § 73, § 125 Satz 1 UmwG), Vermögensübertragung (§ 176 Abs. 1 UmwG) und Formwechsel (§ 230 Abs. 2 Satz 2, § 238, § 251 Abs. 1 Satz 1 UmwG), sowie Unterlagen zu einer Verschmelzungs-SE-Gründung (§ 63 Abs. 3, § 73 UmwG, Art. 18 SE-VO) und Holding-SEGründung (§ 63 Abs. 3 UmwG, Art. 18 SE-VO analog169). Auch hier findet sich vielfach die Möglichkeit, eine körperliche Auslage, Übersendung oder Aushändigung der betreffenden Dokumente durch ein Einstellen auf die Internetseite der Gesellschaft zu ersetzen (z. B. § 52 Abs. 2 Satz 4 AktG, § 179a Abs. 2 Satz 3 AktG). Relevant werden können Internetinformationen ferner, wenn Aktionäre in der laufenden Hauptversammlung Informationen abfragen, die schon über die Internetseite der Gesellschaft zugänglich sind. Diese Fragen müssen gemäß § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AktG nicht beantwortet werden.170

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Vgl. auch die Muster-Satzungsklausel bei Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2482 (§ 18 Abs. 2). 167 Zur Anwendbarkeit der Vorschrift auf die SE: Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 154. 168 Vgl. Kiefner/Brügel, AG 2011, 525, 529 – 531. 169 Marsch-Barner, in: Lutter/Bayer, Holding-Hdb, 5. Aufl. (2015), Rn. 18.49. 170 Zum Auskunftsrecht siehe unten Abschnitt „Rede- und Fragerecht“, S. 456.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

D. Rechte während der Hauptversammlung I. Teilnahme- und Stimmrecht Anders als noch Art. 86 SE-VOV 1991171 regelt die SE-VO nicht mehr unmittelbar das Recht der Aktionäre, an der Hauptversammlung teilzunehmen. Über Art. 53 SE-VO ist stattdessen im vollen Umfang nationales Aktienrecht anwendbar,172 was für die deutsche SE in erster Linie zu §§ 118, 123 AktG führt. Zur Teilnahme hat ein Aktionär danach insbesondere satzungsmäßige Anmelde- und Nachweiserfordernisse (§ 123 Abs. 1, 2 AktG) zu beachten;173 vom Besitz einer Eintrittskarte ist die Teilnahme dagegen nicht abhängig.174 Auch die Ausübung des Stimmrechts richtet sich über Art. 53 SE-VO weitgehend nach nationalem Recht, einschließlich möglicher Sondergestaltungen wie einer Stimmabgabe per Briefwahl oder Online-Teilnahme.175

II. Rede- und Fragerecht 1. Allgemeines Rechtsgrundlage des Rede- und Fragerechts der SE-Aktionäre sind §§ 131 f., § 293g Abs. 3, § 319 Abs. 3 Satz 5 AktG, Art. 53 SE-VO.176 Ebenso wie in der AG soll das Rede- und Fragerecht auch in der SE-Haupversammlung dazu dienen, den Aktionären die sachgerechte Ausübung der Mitgliedschaftsrechte im Zusammenhang mit der konkreten Tagesordnung zu ermöglichen.177 Aus praktischer Sicht ist das Fragerecht aus § 131 AktG ein Anachronismus und dringend reformbedürftig. Es ist Ausdruck der veralteten Vorstellung, nach der die Hauptversammlung in erster Linie der Entscheidungsfindung dient und nur zum Schluss der Entscheidungsfeststellung. Die Aktionäre, so die Vorstellung des Ge171

Dort hieß es schlicht: „Jeder Aktionär kann an der Hauptversammlung teilnehmen.“ Der Entwurf markiert damit den Endpunkt einer Entwicklung, die über Art. 87 f. SE-VOV 1970, Art. 87 f. SE-VOV 1975 und Art. 86 SE-VOV 1989 hinweg von einem stetigen Rückbau der teilnahmebezogenen Verordnungsregeln gekennzeichnet war. 172 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 53 Rn. 22; ders., ZIP 2001, 1847, 1857. 173 Siehe bereits oben Abschnitt „Sonstige Bestimmungen über die Einberufung“, S. 370. 174 M. Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 352 f. 175 Siehe oben Abschnitt „Stimmenabgabe“, S. 75. 176 Zur Anwendbarkeit deutschen Aktienrechts siehe BGH, NJW 2012, 3235, 3238 („Fresenius“); Brandt, Hauptversammlung (2004), S. 224; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 53 SE-VO Rn. 16; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 244; Wicke, MittBayNot 2006, 196, 204. 177 OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. 02. 2012, Az. 20 W 5/11 (juris), Rn. 357; Hüffer/ Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 131 Rn. 1; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 131 Rn. 1.

D. Rechte während der Hauptversammlung

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setzgebers, informieren sich in der Hauptversammlung durch Fragen an die Verwaltungsmitglieder, streiten in eigenen Redebeiträgen um die richtige Entscheidung und stimmen anschließend auf Basis der erhaltenen Informationen und der gehaltenen Reden ab. Tatsächlich richten sich natürlich die wenigsten Aktionäre ihre Stimmabgabe spontan an den Inhalten von Hauptversammlungsreden und den mündlichen Auskünften in der Hauptversammlung aus. Dies gilt insbesondere für größere institutionelle Investoren178 und noch mehr für diejenigen Aktionäre, die ihre Stimme schon vor dem Beginn der Hauptversammlung abgeben (§ 118 Abs. 2 AktG). Praktisch dient die Hauptversammlung daher fast ausschließlich der Entscheidungsfeststellung und allenfalls in untergeordneten Aspekten der Entscheidungsfindung. Eine gesetzliche Neuregelung sollte dies berücksichtigen, das mit unvollkommenen Antworten verknüpfte Anfechtungsrisiko senken und damit einem informelleren und unbefangeren Austausch zwischen Verwaltung und Investoren den Weg bereiten. Und möglicherweise bietet es sich sogar an, die Auskunftstätigkeit der Verwaltung gänzlich aus dem aktienrechtlich greifbaren Bereich zu lösen und als das wahrzunehmen, was sie wohl für die Mehrzahl der nicht juristisch vorgebildeten Aktionäre ist: Eines von vielen Ausstellungsstücken im Investor-Relations-Schaufenster, das die Verwaltung mit brauchbaren, zutreffenden und interessanten Informationen bestückt, um das Vertrauen der Investoren zu gewinnen und zu erhalten. Eine Verwaltung, die diese Aufgabe vernachlässigt, etwa indem sie fehlerhafte Auskünfte erteilt oder sich übermäßig verschlossen zeigt, und darüber das Vertrauen der Investoren verliert, wird in aller Regel bereits wirtschaftlich und beruflich für die Versäumnisse büßen müssen, ohne dass es einer Verknüpfung mit dem Beschlussmängelrecht bedarf.

178 Anschaulich etwa die Beschreibung der Entscheidungsfindung bei BlackRock Investment Management im Interview mit Michelle Edkins (Head of Corporate Governance), HVMagazin 2011, 30, 31 (Frage: „Wie erreichen Sie Ihre Abstimmungsentscheidung.“ Antwort: Der Prozess beginnt mit der Durchsicht der Research-Reporte. Der Governance-Analyst verschafft sich den ersten Überblick und recherchiert je nach Bedarf weiter. Bei unkritischen Hauptversammlungen führt er dann auch die Abstimmung aus, was bei ca. 70 % der Fall ist. Die anderen werden dann an unsere Senior-Analysten und/oder Portfolio-Manager zur weiteren Bearbeitung oder zum Dialog mit der Gesellschaft weitergeleitet.“ Und später: „Wir bevorzugen einen direkten und privaten Dialog mit dem Unternehmen, mit dem wir normalerweise eine lange Beziehung als Investor haben. (…) Dabei reicht das Spektrum von einem einmaligen Telefongespräch bis zu mehrfachen Treffen über einen Zeitraum von 18 bis zu 24 Monaten. Wir mögen es, wenn Unternehmen uns frühzeitig über aufkommende kritische Themen informieren. Und wir finden es gut, wenn Unternehmen Dienstleister haben, die sich auskennen … Die Unternehmen müssen verstehen, dass wir die Tagesordnung gelesen haben und auch verschiedene externe Dienstleister im Entscheidungsfindungsprozess nutzen. (…) Wir schauen uns die Empfehlungen von ISS, Glass Lewis und dem lokalen Dienstleister an, das ist in Deutschland IVOX.“).

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

2. Subjektive Reichweite Gläubiger des Rede- und Auskunftsrechts ist der in § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG jeweils individuell berechtigte Aktionär. Schuldner ist nach wohl ganz herrschender Meinung179 die Gesellschaft. Letzteres erscheint mit Blick auf den Wortlaut des § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG freilich nicht ganz eingängig, stellt dieser doch ausdrücklich auf den Vorstand als Auskunftsperson ab. Die These, es handele sich hierbei nur um eine gesellschaftsintern wirkende Zuständigkeitsregel,180 lässt sich mit dem Wortlaut des § 132 Abs. 1 AktG („Ob der Vorstand die Auskunft zu geben hat, entscheidet …“) nicht vereinbaren. Die besseren Gründe sprechen daher wohl für eine Passivlegitimation des AG-Vorstands bzw. des SE-Leitungsorgans. Praktisch auswirken wird sich dies allerdings regelmäßig nicht, da wegen des Auskunftserzwingungsverfahrens nach § 132 AktG eine Leistungsklage auf Auskunftserteilung – gegen wen auch immer – unzulässig ist.181 Im monistischen System geht die Passivlegitimation gemäß § 22 Abs. 6 SEAG auf das Verwaltungsorgan über.182 Geschäftsführende Direktoren, die nicht zugleich dem Verwaltungsorgan angehören, sind dagegen nicht zur Auskunft verpflichtet. Ähnlich wie die Mitglieder des Aufsichtsorgans können sie aber die Gelegenheit erhalten, zu Fragen Stellung zu nehmen, die ihre Tätigkeit betreffen; das Verwaltungsorgan kann sich die Stellungnahme im Anschluss zu eigen machen.183

179 Decher, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2001), § 131 Rn. 90; Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 131 Rn. 6; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 131 Rn. 5; Kersting, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), § 131 Rn. 70 f.; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 131 Rn. 19; Liebscher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 131 Rn. 4; Reger, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 131 Rn. 5; Siems, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 131 Rn. 16; Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 131 Rn. 16; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. G. Rn. 26; Semler, in: MüHdBGesR, Bd. 4, 3. Aufl. (2007), § 37 Rn. 5 (ebenso Hoffmann-Becking, a.a.O., in der 4. Aufl. (2015), § 38 Rn. 6); Merkner/Schmidt-Bendun, AG 2011, 734, 735; ebenso zur SE: Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 53 SE-VO Rn. 59. 180 Kersting, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), § 131 Rn. 71; Reger, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 131 Rn. 5. 181 Ganz h.M.; siehe nur Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 132 Rn. 1; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 132 Rn. 64; Reger, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 132 Rn. 1. 182 Bücker, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 53 SE-VO Rn. 31; Eberspächer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 53 SE-VO Rn. 6; Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwG, Loseblattsammlung (Stand 2/2011), Anhang 14 Rn. 504; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005) S. 195, 204; a.A. (Auskunft nur durch geschäftsführende Direktoren) Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 53 SE-VO Rn. 16; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 53 SE-VO Rn. 22. 183 Vgl. zur Parallelsituation einer Auskunftserteilung durch den AG-Aufsichtsrat: Kersting, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), § 131 Rn. 72.

D. Rechte während der Hauptversammlung

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3. Sachliche Reichweite Auskunft kann über die Angelegenheiten der Gesellschaft, einschließlich der Beziehungen zu verbundenen Unternehmen, verlangt werden, soweit die Auskunft „zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist“ (§ 131 Abs. 1 Sätze 1, 2 AktG). Hat die Hauptversammlung über einen Unternehmensvertrag, eine Eingliederung oder eine Verschmelzung zu beschließen, kommen die für den Vertragsschluss wesentlichen Angelegenheiten des Vertragspartners (§ 293g Abs. 3 AktG), die für die Eingliederung wesentlichen Angelegenheiten der einzugliedernden Gesellschaft (§ 320 Abs. 3 Satz 5 AktG) bzw. die für die Verschmelzung wesentlichen Angelegenheiten der übrigen Verschmelzungspartner (§ 64 Abs. 2 UmwG) hinzu. Geht es um die Beteiligung der SE an einer SE-Verschmelzungsgründung oder an einer SE-Holding-Gründung, erstreckt sich das Auskunftsrecht auch auf die für die Gründung wesentlichen Angelegenheiten der übrigen Gründungspartner (Art. 18 SE-VO direkt bzw. analog, § 64 Abs. 2 UmwG).184 In Hinblick auf die Erforderlichkeit hat sich entsprechend der passivisch formulierten Erforderlichkeitsklausel ein objektiver, vom individuellen Kenntnisstand und Interesse des einzelnen Aktionärs abgekoppelter Maßstab entwickelt: Erforderlich sind nach herrschender Ansicht diejenigen Informationen, die ein objektiv denkender Durchschnittsaktionär, der sich aus öffentlichen Quellen über die Gesellschaft unterrichtet hat, noch benötigt, um den jeweiligen Tagesordnungspunkt sachgemäß zu beurteilen.185 Praktisch brauchbar ist diese Formel freilich nur eingeschränkt. Sie suggeriert eine nach objektiven Maßstäben eingrenzbare Basis an Informationen, deren Komplettierung dazu führt, dass das zuvor unsachgemäße Urteil des Informierten in ein sachgemäßes umschlägt. Tatsächlich existiert wohl kein Tagesordnungspunkt, für den sich die Sachgemäßheit derart mechanisch ableiten lässt. Insbesondere bei Entlastungsbeschlüssen und Wahlen werden sich wohl regelmäßig keine zwei Aktionäre finden, die exakt dieselben Informationen zur jeweiligen Person für relevant halten.186 Wer wollte beispielsweise einem Aktionär ein objektiv unsachgemäßes Urteil vorwerfen, der einen Kandidaten allein wegen 184 Für die Holding-Gründung: Marsch-Barner, in: Lutter/Bayer, Holding-Hdb, 5. Aufl. (2015), Rn. 18.51 a.E. 185 Siehe nur BGH, WM 2009, 459, 465 („Kirch/Deutsche Bank“); OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Februar 2012, Az. 20 W 5/11 (juris) Rn. 354 – 356; Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 131 Rn. 10; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 131 Rn. 12; Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 131 Rn. 30, jeweils mit weiteren Nachweisen. 186 Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 131 Rn. 58, behilft sich mit der These, bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern bestehe eine „nahezu unbeschränkte Auskunftspflicht“, und gibt die einschränkende Funktion des Erforderlichkeitskriterium damit wohl faktisch auf: „Wer als Kandidat die Bereitstellung derartiger Auskünfte … scheut, möge auf seine Kandidatur verzichten.“ Tatsächlich wird aber wohl nicht der durchschnittliche Aktionär, sondern nur ein winziger Teil der Aktionäre daran interessiert sein, die Persönlichkeit des Kandidaten detailliert und durch mündlich vorgetragene Fragen zu erforschen.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

einer einzelnen besonders herausragenden Leistung in der Vergangenheit oder allein aufgrund eines positiven privat-persönlichen Eindrucks unterstützt und sich für die übrige Vita des Kandidaten nur oberflächlich interessiert? Die (wohl nur unter Juristen verwertbare) Kunstfigur des „objektiv denkenden Durchschnittsaktionär“ ist bereits in sich widersprüchlich und lässt sich im konkreten Fall wohl häufig nur mit dem höchst subjektiven Denken der zuständigen Richter ausfüllen.187 Lediglich – aber immerhin – offensichtlich überflüssige Informationsverlangen (z. B. mündliche Wiederholungen öffentlich zugänglicher Finanzpublikationen der Gesellschaft) lassen sich mit der oben genannten Formel rechtssicher bewältigen. Die stetige Wiederkehr des Durchschnittsaktionär-Textbausteins in Urteilen und Kommentarliteratur ist daher substanziell kaum mehr als als ein liebgewonnenes Ritual, um den durch Case Law geprägten Gerichtsentscheidungen und Literaturansichten einen objektiv erscheinenden Rahmen zu verleihen. Darüber hinaus sollte man die Formel nicht allzu ernst nehmen und ihr insbesondere keine rechtssicher subsumierbare Bedeutung beimessen. Denn würde man sich tatsächlich daran machen, in einer repräsentativen Studie zu erforschen, wie der durchschnittliche Aktionär über den sachgerechten Umfang des Rede- und Frage-Reigens in deutschen Hauptversammlungen denkt, so würde sich der juristische Meinungsstand über dieselbe Frage wohl kaum bestätigen lassen. 4. Auskunftsverweigerung und drohende Nachteile Ein Auskunftsverlangen, das den Anforderungen des § 131 Abs. 1 AktG gerecht wird, darf das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan nur dann zurückweisen, wenn einer der in § 131 Abs. 3 Satz 1 AktG katalogisierten Verweigerungsgründe einschlägig ist. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Erteilung der Auskunft nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung geeignet ist, der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen (§ 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG) oder die begehrte Information schon seit mindestens sieben Tagen online und in der Hauptversammlung offline zugänglich ist (§ 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AktG). Der Unschärfe der in § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG verwendeten Begrifflichkeiten („vernünftig“, „kaufmännisch“, „nicht unerheblich“) ist es wohl zu verdanken, dass sich die Nachteilszufügung zu einem der praktisch beliebtesten, streitanfälligsten und auch wissenschaftlich mit besonders großer Aufmerksamkeit bedachten Ablehnungsgründe entwickelt hat. Der Nachteilsbegriff als solcher lässt sich dabei wohl noch am leichtesten mit Inhalt füllen. Denn bereits die Tatsache, dass die versammelten Aktionäre und Verwaltungsmitglieder dem Fragenden einen Teil ihrer Arbeits- oder Freizeit schenken und erhebliche Ressourcen darauf verwenden,

187 Kritisch auch Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 131 Rn. 12 a.E.: „Entscheidend ist daher Konkretisierung. Fülle der insoweit vorhandenen Judikatur ist kein gutes Zeichen.“

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sämtliche Auskünfte binnen Minuten zu erteilen, wird regelmäßig Belastungen der Gesellschaft mit sich bringen, die sich als Nachteil verbuchen lassen. Doch unter welchen Umständen handelt es sich „nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung“ um einen „nicht unerheblichen“ Nachteil? Nach allgemeiner Auffassung ist auch hier ein objektiver Maßstab anzulegen; die mit der Auskunft verbundenen Vor- und Nachteile seien gegeneinander abzuwägen, jedoch nur insoweit, als sie die Gesellschaft betreffen.188 Letztere Einschränkung überzeugt freilich nicht, da das Auskunftsrecht – nach ebenso unbestrittener Ansicht – gerade auf den individuellen Nutzen des fragenden Aktionärs abzielt189 und daher gerade auch dann legitim ausgeübt werden kann, wenn die begehrte Auskunft einzig und allein vom fragenden Aktionär (und selbstverständlich dem „objektiv denkenden Durchschnittsaktionär“) für hilfreich erachtet wird. Andererseits wird sich ein individueller Vorteil des Fragenden nur schwer in ein sinnvoll abwägbares Verhältnis zu Nachteilen der Gesellschaft setzen lassen. Denn während es auf Seiten der Gesellschaft regelmäßig um messbare (z. B. Vertragsstrafen aus Vertraulichkeitsvereinbarung) oder wenigstens offensichtlich alle Stakeholder betreffende Einbußen (z. B. Reputations- und Vertrauensverlust bei Geschäftspartnern) gehen wird, liegt es in der Natur des eigennützig ausgeübten Auskunftsrechts, dass eine erteilte Auskunft nicht mehr Vorteile bezwecken kann, als einem oder mehreren Aktionären die sinnvolle Ausübung ihrer hauptversammlungsgebundenen Aktionärsrechte zu ermöglichen. Auflösen lässt sich das Dilemma wohl nur, indem man den Mechanismus der neueren Abwägungsformel aus § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG zu Hilfe nimmt. Auch dort gibt der Gesetzgeber dem Gericht eine schon im Ansatz schiefe Abwägung zwischen kollektivem Gesellschaftsinteresse und individuellem Aktionärsinteresse auf, erleichtert dem Gericht jedoch die Aufgabe, indem es kein objektiv über alle Zweifel erhabenes Abwägungsurteil verlangt, sondern lediglich eine Abwägung „nach freier Überzeugung des Gerichts“ fordert.190 Eine ähnlich subjektive Färbung der Abwägung wird man auch bei der hier gefragten Nachteils- und Vorteilsabwägung zulassen müssen – freilich mit dem Unterschied, dass die Überzeugungsbildung dem Versammlungsleiter obliegt und sich das ggf. anschließend angerufene Gericht insofern auf ein reines Vertretbarkeitsurteil zu beschränken hat.

188 Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 131 Rn. 27; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 131 Rn. 111; Reger, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 131 Rn. 20; Siems, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 131 Rn. 39; Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 131 Rn. 76; Semler, in: MüHdB-GesR, Bd. 4, 3. Aufl. (2007), § 37 Rn. 31 (ebenso Hoffmann-Becking, a.a.O., in der 4. Aufl. (2015), § 38 Rn. 44). 189 Siehe oben Abschnitt „Allgemeines“, S. 480, mit den Nachweisen in Fn. 177. 190 Siehe oben Abschnitt „Gewichtung und Vergleich der Belange“, S. 204.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

5. Regulierung und Beschränkung, § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG Die Satzung oder die Geschäftsordnung kann gemäß §§ 129, 131 Abs. 2 Satz 2 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii), Art. 53 SE-VO den Versammlungsleiter ermächtigen, das Frage- und Rederecht des Aktionärs zeitlich angemessen zu beschränken, und Näheres dazu bestimmen. Eingeführt wurde die Gestaltungsmöglichkeit im Zuge des UMAG 2005 und erstmals getestet in der Hauptversammlungssaison 2006. Nachdem eine einschlägige Satzungspassage der Biotest AG Anfang 2010 auch die höchstrichterliche Bewährungsprobe bestanden hat,191 kann es als gesicherte Erkenntnis gelten, dass der Satzungsgeber nach § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG dem Versammlungsleiter Orientierungswerte für die Gesamtdauer der Hauptversammlung, für die Dauer der einzelnen Wortmeldungen und für den Zeitpunkt des Debattenschlusses an die Hand geben kann (z. B. „Der Versammlungsleiter kann die Redeund Fragezeit eines Aktionärs je Wortmeldung auf 15 Minuten beschränken.“192).193 Noch nicht abschließend geklärt ist dagegen die Zulässigkeit starrer Zeitvorgaben, die den Versammlungsleiter ohne Rücksicht auf die Umstände der einzelnen Hauptversammlung und ohne ermessensabhängige Abweichungsmöglichkeiten auf einen bestimmten zeitlichen Rahmen festlegen (z. B. „Die Rede- und Fragezeit eines Aktionärs je Wortmeldung beträgt höchstens 15 Minuten.“).194 Eine solche Regelung derartige Verpflichtung dürfte zwar nicht vom Wortlaut des § 131 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 AktG abgedeckt sein, der nur von einer Ermächtigung des Versammlungsleiters – und nicht von einer Verpflichtung – spricht. Vertretbar erscheint es allerdings, derart starre Vorgaben als nähere Bestimmung im Sinne des Hs. 2 einzufügen. Hieraus eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG abzuleiten,195 erscheint bei weitem übertrieben; sogar eine unmittelbare gesetzliche Regulierung der Redezeit wäre wohl verfassungsrechtlich unbedenklich.

191

BGH, NJW 2010, 1604 („Biotest“). Vgl. § 20a Abs. 1 lit. c) der Satzung der Biotest AG. 193 Die Ausführungen des BGH, NJW 2010, 1604, 1605 – 1607, sind in der Literatur überwiegend positiv aufgenommen worden; siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2011), § 131 Rn. 22c; Liebscher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 131 AktG Rn. 13; Angerer, ZGR 2011, 27, 33 – 36; ebenso (bereits zur erstinstanzlichen Entscheidung) Wicke, NZG 2007, 771, 772 – 774; kritisch dagegen Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 131 Rn. 100, der die Biotest-Satzung aber wohl etwas zu streng und den höchstrichterlichen Segen des Urteils zu weitgehend darstellt („unmittelbare Regelungen für die ,zeitliche Angemessenheit‘ (im Sinne einer verbindlichen Definition derselben)“, die der Versammlungsleiter „lediglich exekutieren kann und je nach Bindung der Ermächtigung ggf. auch muss“). 194 Ausdrücklich offen lassend BGH, NJW 2010, 1604, 1606 („Biotest). 195 So das OLG Frankfurt am Main, NZG 2010, 432, 433 f., als Vorinstanz zu BGH, NJW 2010, 1604. 192

E. Rechte im Nachgang zur Hauptversammlung

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III. Gestaltung des Verfahrensgangs Gestaltet wird der Geschäftsgang der Hauptversammlung grundsätzlich allein durch den Versammlungsleiter. Die Hauptversammlung könnte zwar theoretisch per Geschäftsordnung Vorgaben erlassen; praktisch wird von der entsprechenden Ermächtigung in § 129 Abs. 1 Satz 1 AktG jedoch kaum Gebrauch gemacht.196 Der Einfluss, den Aktionäre individuell auf den Geschäftsgang ausüben können, ist sowohl theoretisch als auch praktisch limitiert. Nur punktuell finden sich hierzu Regelungen: Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 AktG können Aktionäre mit einer Beteiligung von mindestens zehn Prozent oder anteilig einer Million Euro durchsetzen, dass über die Entlastung eines einzelnen Mitglieds des Aufsichtsrats einzeln abgestimmt wird; mindestens zehn Prozent Beteiligung bedarf es auch, um eine vorgezogene Beschlussfassung über den Wahlvorschlag eines Aktionärs zum Aufsichtsrat gemäß § 137 AktG durchzusetzen; und nach § 130 Abs. 2 Satz 3 Hs. 2 AktG kann ein einzelner Aktionär widersprechen, wenn der Versammlungsleiter einer börsennotierten AG bei der Feststellung über die Beschlussfassung auf die Detailangaben nach § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG verzichtet. Dass hiervon Gebrauch gemacht wird, ist praktisch die Ausnahme.197 Alle drei Möglichkeiten gelten über Art. 53 SE-VO auch für die SE-Hauptversammlung. Dass das SEAG keine spezifisch monistische Variante der Verlangen nach Einzelentlastung nach § 120 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 AktG und vorgezogener Beschlussfassung nach § 137 AktG enthält, ist wohl entweder auf ein Versehen zurückzuführen oder auf das stillschweigende Vertrauen, dass die Regelungen für die Wahl bzw. Entlastung der Verwaltungsorganmitglieder ohne weiteres entsprechend gelten. Letzterem steht nichts entgegen.

E. Rechte im Nachgang zur Hauptversammlung I. Recht auf Mitteilung der Beschlüsse Sowohl präsente Aktionäre als auch solche, die der Hauptversammlung ferngeblieben sind, können von der Gesellschaft gemäß § 125 Abs. 4 AktG verlangen, dass ihnen die in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse mitgeteilt werden. Und hat die Hauptversammlung über eine Verschmelzung beschlossen, so muss die Gesellschaft gemäß § 13 Abs. 3 Satz 3 UmwG jedem Aktionär auf dessen Verlangen und auf dessen Kosten unverzüglich eine Abschrift des Vertrags oder seines Entwurfs und der Niederschrift des Beschlusses erteilen. Dasselbe gilt beim Beschluss über 196

Siehe bereits oben Abschnitt „Geschäftsordnung, § 129 Abs. 1 Satz 1 AktG“, S. 374. Vgl. die pragmatische Sichtweise von Biedermann, HV-Magazin Jan. 2011, Sonderausgabe HV-Recht 2011 (2. Jg.), 50, 51, zu § 131 Abs. 2 Satz 3 AktG: „Für alle Aktionäre ist die verkürzte Beschlussfeststellung zudem ein Garant, schneller ans Essen zu kommen.“ 197

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

eine Spaltung (§ 13 Abs. 3 Satz 3, § 125 Satz 1 UmwG), über einen Formwechsel (§ 193 Abs. 3 Satz 2 UmwG) und wohl auch dann, wenn sich die SE an einer Verschmelzungs- oder Holdinggründung beteiligt (Art. 18 SE-VO). Welche Bedeutung diesen Mitteilungspflichten noch zukommt, seitdem sich die hauptversammlungsbezogene Kommunikation zwischen Gesellschaft und Aktionären jedenfalls in größeren Gesellschaften weitgehend auf die Investor-RelationsInternetseite der Gesellschaft verlagert hat, wird nicht recht klar. Denn gegenüber einem Abruf per Internet verspricht eine Einzel- oder gar physische Zusendung keinen funktionellen Gewinn. Es spricht daher viel dafür, dass die – jeweils bereits länger als zehn Jahre unverändert bestehenden – Normen schlicht übersehen wurden, als der Gesetzgeber ähnliche Informations- und Mitteilungspflichten im Vorfeld der Hauptversammlung durch eine internetseitenbasierte Alternative ergänzte (z. B. § 52 Abs. 2 Satz 4 AktG, § 179a Abs. 2 Satz 3 AktG). So wird in Bezug auf § 13 Abs. 3 Satz 3 UmwG mit Recht die Ansicht vertreten, § 63 Abs. 4 UmwG – der von den hauptversammlungsvorbereitenden Informationspflichten weitgehend befreit, wenn die Gesellschaft die Unterlagen zur Verschmelzung auf ihre Internetseite stellt – sei auf § 13 Abs. 3 Satz 3 UmwG analog anwendbar.198 Man wird sogar noch weiter gehen können und parallele Befreiungsmöglichkeiten auch für die Mitteilungspflichten aus § 125 Abs. 4 AktG und § 193 Abs. 3 Satz 3 UmwG bejahen können, etwa analog § 230 Abs. 2 Satz 4 UmwG.199

II. Anspruch auf Ausschüttung des Gewinnanteils, § 174 Abs. 2 Nr. 2 AktG Schlagen Leitungs- und Aufsichtsorgan bzw. geschäftsführende Direktoren und Verwaltungsorgan der Jahreshauptversammlung die Ausschüttung einer Dividende vor (§ 170 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 47 Abs. 1 Satz 2 SEAG) und stimmt die Hauptversammlung zu, so erwerben die Aktionäre im Anschluss an den Beschluss einen entsprechenden Auszahlungsanspruch. In der Regel wird die entsprechende Buchung am folgenden Bankarbeitstag ausgeführt. SE-spezifische Besonderheiten ergeben sich nicht.200 198 Drygala, in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. (2009), § 13 Rn. 22 (nicht mehr vertreten von Lutter/Drygala, a.a.O., in der 5. Aufl.). 199 A.A. Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 125 Rn. 11; Ziemons, in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 125 Rn. 52; Butzke, Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. (2011), Abschn. B. Rn. 187; jeweils unter Hinweis auf die zurückhaltende Formulierung im RegE NaStraG, BT-Drucks. 14/4051, S. 13 („Wenn die Gesellschaft die Beschlüsse auf der Homepage der Gesellschaft … einsehbar macht, wird es in der Praxis ohnehin nur noch wenige Fälle eines Verlangens nach einer ausdrücklichen Mitteilung geben.“); diese lässt sich aber aus zeitlichen Gründen (§ 63 Abs. 4, § 230 Abs. 2 Satz 4 UmwG gelten erst seit 2009; der RegE NaStraG stammt aus 2000) nicht gegen die hier vertretene Analogie verwenden. 200 Hirte, DStR 2005, 700, 703.

E. Rechte im Nachgang zur Hauptversammlung

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III. Gerichtliche Geltendmachung von Beschlussmängeln Juristische Gefechte im Nachgang zur Hauptversammlung einer deutschen AG werden in den allermeisten Fällen auf dem Feld des Beschlussmängelrechts ausgetragen, und auch deutsche SEs waren bereits Gegenstand entsprechender Entscheidungen.201 Dem SE-Beschlussmängelrecht ist daher ein gesonderter Abschnitt gewidmet, auf den an dieser Stelle verwiesen sei.202

IV. Auskunftserzwingungsverfahren, § 132 AktG Ist das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan in der Hauptversammlung einem Auskunftsverlangen nach § 131 AktG nicht oder nur unzureichend nachgekommen, so steht es dem betroffenen Aktionär und jedem Aktionär, der gegen den mit dem Auskunftsverlangen zusammenhängenden Beschluss Widerspruch zur Niederschrift eingelegt hat, gemäß § 132 AktG offen, die begehrte Auskunft gerichtlich zu erzwingen. Über Art. 53 SE-VO gilt das Auskunftserzwingungsverfahren auch für die deutsche SE.203 Auch für die SE ergibt sich bei Verletzungen des Auskunftsrechts somit eine zweigleisige Rechtsdurchsetzung. Zum einen kann der Aktionär die Verletzung des § 131 AktG zum Anlass nehmen, um den Hauptversammlungsbeschluss, über den die Verwaltung fehlerhaft informiert hat, anzufechten; zum anderen kann der Aktionär das Auskunftserzwingungsverfahren nutzen, um die Auskunft als solche einzuklagen. Der eine Antrag schließt den anderen nicht aus, und auch die jeweiligen Entscheidungen präkludieren sich nicht wechselseitig.204 Eine streitige Leistungsklage auf Auskunft außerhalb des Auskunftserzwingungsverfahrens ist dagegen nicht statthaft, sondern wird von § 132 AktG gesperrt.205

201

Vgl. BGH, NJW 2012, 3235 („Fresenius“); OLG Frankfurt, NZG 2010, 824. Abschnitt „Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss“, S. 111. 203 Zur Rolle des Art. 53 SE-VO als Brücke zwischen SE-VO und deutschem Beschlussmängelrecht siehe bereits oben Abschnitt „Deutsches Beschlussmängelrecht“, S. 117. 204 BGH WM 2009, 459, 465 („Kirch/Deutsche Bank“); Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 132 Rn. 2; Kubis, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2013), § 132 Rn. 60 f.; Liebscher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2014), § 132 Rn. 2; Reger, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 132 Rn. 1, 7; a.A. (Bindungswirkung der Entscheidung im Auskunftserzwingungsverfahren für den Anfechungsprozess) Drinhausen, in: Hölters, AktG, 2. Aufl. (2014), § 132 Rn. 2. 205 Siehe die Nachweise im 5. Teil unter Fn. 181. 202

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

F. Bezugsrecht bei Kapitalmaßnahmen Beschließt die Hauptversammlung eine ordentliche Erhöhung des Grundkapitals, so haben die Altaktionäre gemäß § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG grundsätzlich Anspruch auf Bezug der neuen Aktien, und zwar jeweils zu dem Anteil, der ihrem bestehenden Anteil am Grundkapital entspricht. Dasselbe gilt in den Sonderfällen der Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital (§ 203 Abs. 1 Satz 1 AktG) und der Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie Genussrechten (§ 221 Abs. 4 Satz 2 AktG). Unter der Voraussetzung, dass alle Aktionäre ihr Bezugsrecht voll ausüben, bleibt die Kapitalerhöhung also ohne Auswirkung auf die Beteiligungsverhältnisse. Der Verwässerungsschutz gehört zu den Elementen des AG-Kapitalrechts, die durch die Kapital-RL206 harmonisiert sind,207 so dass der Verordnungsgeber kein neues, einheitliches Regelungskonzept entwerfen musste, sondern es in Art. 5 SE-VO bei einem allgemeinen Verweis auf nationales Aktienrecht belassen konnte. Aktionären einer deutschen SE stehen die genannten Bezugsrechte daher ebenfalls zu.208

G. Prüfungs- und Verfolgungsrechte Die Überwachung der Geschäftsführung, die Prüfung kritischer Vorgänge und ggf. die anschließende Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gehört grundsätzlich zu den wichtigsten Aufgaben der Verwaltungsmitglieder selbst. Die Hauptversammlung oder einzelne Aktionäre sind hierzu in der Regel weder motiviert noch strukturell in der Lage. Jedenfalls nach dem gesetzlichen Regelfall ist es im dualistischen System daher in erster Linie Sache des Aufsichtsorgans, das Leitungsorgan zu überwachen und ggf. Ansprüche gegen dessen Mitglieder geltend zu machen (§ 112 AktG), und umgekehrt obliegt es in erster Linie dem Leitungsorgan, die Gesellschaft gegenüber pflichtvergessenen Aufsichtsorganmitgliedern zu vertreten (§ 78 AktG). Eine parallele Situation ergibt sich im Verhältnis zwischen geschäftsführenden Direktoren und Verwaltungsorgan jedenfalls insoweit, als diese ebenfalls gemäß § 41 Abs. 1 bzw. § 41 Abs. 5 SEAG wechselseitig Ansprüche der Gesellschaft geltend machen können. Geltungs-

206 Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, und diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten; ABl. EG L 26 vom 31. Januar 1977, S. 1. 207 Für das Bezugsrecht gilt Art. 29 Kapital-RL. 208 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 5 Rn. 20 f., 38; Koke, Finanzverfassung (2005), S. 152 f., 196.

G. Prüfungs- und Verfolgungsrechte

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grundlagen der Vorschriften sind im monistischen System Art. 43 Abs. 4 und im dualistischen System Art. 51 SE-VO.209 Versagt dieser Mechanismus – etwa weil die persönliche Beziehung zwischen den Organmitgliedern stärker wirkt als die Motivation, an sich gerechtfertigte Untersuchungen oder Rechtsstreitigkeiten in Angriff zu nehmen –, so stehen die Hauptversammlungskompetenzen aus § 142 Abs. 1, § 147 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AktG als zweite Verteidigungslinie zur Verfügung. Die Hauptversammlung ist danach berechtigt, einen Sonderprüfer zur Untersuchung problematischer Vorgänge zu bestellen, die Verwaltung verbindlich aufzufordern, Ersatzansprüche geltend zu machen, oder erforderlichenfalls einen besonderen Vertreter zur Geltendmachung der Ansprüche zu bestellen.210 Erst an dritter Stelle sind die Aktionäre individuell berechtigt, sich der Untersuchung und Verfolgung mutmaßlich schädigenden Verhaltens auf Verwaltungsebene anzunehmen. Relevant ist dies insbesondere in Gesellschaften, die von einem Mehrheitsaktionär dominiert werden, der mit dem mutmaßlich pflichtwidrig handelnden Verwaltungspersonal persönlich vertraut ist und entsprechend leicht dazu neigen wird, eine Hauptversammlungsmehrheit zugunsten kritischer Prüfungen zu verhindern. Anders als die Prüfungs- und Verfolgungsrechte der Hauptversammlung ist die Geltendmachung der entsprechenden Aktionärsrechte jedoch durchweg daran geknüpft, dass bestimmte sachliche Voraussetzungen erfüllt sind (z. B. erhöhte Verdachtsmomente gemäß § 142 Abs. 2 Satz 1, § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AktG oder das fruchtlose Verstreichen einer Frist zur Klageerhebung gemäß § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AktG) und die aktiven Aktionäre allein oder gemeinsam bestimmte Beteiligungsschwellen erreichen. Im Mittelpunkt stehen damit Aktionäre, die einerseits mit deutlich211 weniger als 50 Prozent und andererseits mit mehr als einem Prozent beteiligt sind, bei deutschen börsennotierten Gesellschaften also vor allem PrivateEquity-, Staats- und Pensionsfonds. In der dualistischen SE gelten dieselben Prüfungs- und Verfolgungsrechte wie in der AG: Aktionäre, die mit mindestens zehn Prozent oder einer Million Euro am Grundkapital beteiligt sind, können die gerichtliche Bestellung eines besonderen Vertreters zur Anspruchsdurchsetzung beantragen (§ 147 Abs. 2 Satz 2 AktG); Aktionäre, die mit mindestens fünf Prozent am Grundkapital beteiligt sind, können bei einer ungeprüften Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen die gerichtliche Bestellung eines Prüfers beantragen (§ 183a Abs. 3 AktG); und Aktionäre, die eine geringere Beteiligung halten, aber immerhin mindestens ein Prozent oder 209 Zur weiten Auslegung des Art. 51 SE-VO, die sowohl die materiellen Anspruchsgrundlagen als auch die Modalitäten der Rechtsverfolgung umfasst, siehe bereits oben Abschnitt „Anwendbarkeit deutschen Rechts“, S. 387. 210 Zu diesen Hauptversammlungskompetenzen und ihrer Geltung für die SE über Art. 51 SE-VO siehe oben Abschnitt „Verfolgung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft“, S. 382. 211 Auch Aktionäre, die keine Mehrheit am Grundkapital halten, sondern beispielsweise nur 30 – 40 Prozent, sind bei niedrigen und mittleren Hauptversammlungspräsenzen in der Lage, einen Mehrheitsbeschluss zu erwirken, und damit nicht auf Minderheitenrechte angewiesen.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

100.000 Euro, können die gerichtliche Bestellung eines Sonderprüfers beantragen (§ 142 Abs. 2 Satz 2, § 258 Abs. 2 Satz 3, § 315 Satz 2 AktG), die gerichtliche Auswechslung eines von der Hauptversammlung bestellten Sonderprüfers (§ 142 Abs. 4, § 315 Satz 7 AktG) und die Zulassung einer Klage, in der sie selbst im Namen der Gesellschaft gründungs- oder geschäftsführungsbezogene Ersatzansprüche geltend machen (§ 148 AktG). Unabhängig von ihrer Beteiligungshöhe können nur Aktionäre einer vertraglich abhängigen Gesellschaft deren Ersatzansprüche gegen die gesetzlichen Vertreter der herrschenden Gesellschaft (§ 309 Abs. 4 AktG) sowie gegen die gesetzlichen Vertreter der eigenen Gesellschaft geltend machen (§ 309 Abs. 4, § 310 Abs. 4 AktG). Einschlägige Verweisungsnorm ist Art. 51 SE-VO, soweit die Aktionäre gegen die Organmitglieder ihrer eigenen Gesellschaft wegen Amtspflichtverletzungen vorgehen; Art. 15 SE-VO greift als Spezialverweis, soweit gegen dieselben Organmitglieder wegen gründungsbezogener Ersatzansprüche vorgegangen wird; und für konzernrechtliche Ansprüche gilt der allgemeine Verweis aus Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO, ggf. in Verbindung mit international-privatrechtlichen Grundsätzen.212 In der monistischen SE stehen den Aktionären die Prüfungs- bzw. Verfolgungsmöglichkeiten aus § 142 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4, § 147 Abs. 2 Satz 2 AktG nur insoweit zu, als es um Ansprüche gegen das Verwaltungsorgan geht; Ersatzansprüche gegen die geschäftsführenden Direktoren dagegen werden ausschließlich vom ihnen übergeordneten Verwaltungsorgan geltend gemacht; für die konzernrechtliche Rechtsverfolgung auf Basis der § 309 Abs. 4, § 310 Abs. 4, § 315 Satz 7 AktG rücken die geschäftsführenden Direktoren dagegen gemäß § 49 Abs. 1 SEAG in die Position des AG-Vorstands.

H. Recht auf gesetzlich regulierte Abfindungs-, Ausgleichs- und Zuzahlungen Als Gegenstück zum Recht der Hauptversammlungsmehrheit, die Gesellschaft fundamentalen Änderungen zu unterziehen, findet sich im deutschen Aktienrecht an mehreren Stellen ein Recht der Minderheit, kompensierende Zahlungen zu erhalten. Systematisch unterscheiden lassen sich dabei (1) Abfindungszahlungen, die Aktionäre als Gegenleistung für die zwangsweise Veräußerung ihrer Beteiligung erhalten, (2) Zahlungen, die Aktionäre erhalten, die sich als Reaktion auf eine fundamentale Richtungsänderung freiwillig dazu entschließen, ihre Beteiligung zu veräußern, (3) Zuzahlungen, die Aktionäre erhalten, wenn ein Gericht im Nachgang zu einem strukturändernden Aktientausch feststellt, dass das vereinbarte Umtauschverhältnis unangemessen war, und (4) jährliche Ausgleichszahlungen, die 212 Es gilt damit dieselbe Kaskade an Verweisungsnormen wie für die entsprechenden Hauptversammlungskompetenzen; siehe oben Abschnitt „Anwendbarkeit deutschen Rechts“, S. 387, mit den Nachweisen in Fn. 765, 766 und 767.

H. Recht auf Abfindungs-, Ausgleichs- und Zuzahlungen

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Minderheitsaktionäre einer vormals unabhängigen Gesellschaft erhalten, wenn Letztere als abhängige Gesellschaft in einen Vertragskonzern eingegliedert wird. Über Art. 9 Abs. 1 lit. b) ii) SE-VO fließen die jeweiligen Anspruchsgrundlagen auch in das Recht der deutschen SE ein.

I. Regulierte Zahlungen nach zwangsweiser Veräußerung 1. Abfindung beim aktienrechtlichen Squeeze-Out, § 327b AktG Beschließt der Mehrheitsaktionär, die verbliebenen Minderheitsaktionäre im Wege eines aktienrechtlichen Squeeze-Outs nach § 327a AktG zwangsweise auszuschließen,213 erhalten letztere im Gegenzug einen Anspruch auf Barabfindung gemäß § 327b AktG. Festgelegt wird die Barabfindung primär durch den Mehrheitsaktionär – nur auf Antrag der Minderheitsaktionäre (praktisch aber nicht selten) überprüft ein Gericht die Angemessenheit der Zahlung im Spruchverfahren gemäß § 327f AktG, § 1 Nr. 3 SpruchG214 und passt sie ggf. nachträglich an. Wie hoch die Abfindung ausfällt, regelt das Gesetz nur unscharf. Gemäß § 327b Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AktG muss die Abfindung „die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung berücksichtigen.“ Anders als etwa die Angemessenheitsformeln aus § 10 Abs. 1 Satz 1 KWG und § 53c Abs. 1 Satz 1 VAG wird der in § 327b Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AktG enthaltene Grundsatz nicht per Gesetz und Rechtsverordnung näher konkretisiert. Der Aufgabe, im Einzelfall aus der Generalklausel eine konkrete Abfindungssumme abzuleiten, hat sich daher die Rechtsprechung angenommen. Etabliert hat sich dabei ein Nebeneinander von Experten- und Marktmeinung: Maßgeblich ist im Ausgangspunkt der Unternehmenswert, den eine professionelle Unternehmensbewertung nach der Ertragswertmethode (IDW Standard S1215) ergibt.216 Dabei werden die wahrscheinlichen, zukünftigen Erträge des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens in die Zukunft projiziert, kapitalisiert, auf den Zeitpunkt der Bewertung abgezinst und auf die einzelnen, von den Minderheitsaktionären gehaltenen Anteile umgelegt. Die Ertragswertmethode bleibt auch dann statthaft, wenn in der Zeit vor dem Squeeze-Out ein Beherrschungsvertrag (ohne Gewinnabführungsvertrag) bestand.217 Maßgeblich für die Kalkulation der künftigen Erträge ist dann nicht die fiktive Planung eines unabhängigen Unterneh213 Hierzu bereits oben Abschnitt „Ausschluss von Minderheitsaktionären („Squeeze-Out“) und Eingliederung“, S. 425. 214 Hierzu bereits oben Abschnitt „Aktienrechtliche Strukturmaßnahmen“, S. 154. 215 OLG Düsseldorf, NZG 2007, 36, 37. 216 BGH NJW 2010, 2657, 2657 f. („Stollwerck“); BGH Urteil vom 21. 12. 2010, BeckRS 2011, 03054; vgl. auch BVerfG, NJW 1999, 3769, 3771 („DAT/Altana“, in Bezug auf Abfindung bei Eingliederung). 217 OLG Stuttgart, AG 2010, 510, 511.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

mens, sondern die tatsächliche Planung als beherrschtes Unternehmen.218 Nicht statthaft ist die Ertragswertmethode dagegen, wenn in der Zeit vor dem Squeeze-Out ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bestand; an die Stelle des (abzuführenden) Ertragswerts tritt dann der Barwert der Ausgleichsansprüche aus dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag.219 Auch bei Unternehmen, die sich in der Abwicklung befinden oder aus anderen Gründen kein operatives Geschäft mehr betreiben, wäre das Ertragswertverfahren von vornherein fehl am Platz; an seine Stelle tritt daher eine Bewertung nach Liquidationswerten.220 Ist die Gesellschaft börsennotiert, tritt eine marktorientierte Unternehmensbewertung als Untergrenze hinzu, und zwar grundsätzlich in Gestalt des umsatzgewichteten221 Durchschnitts-Börsenpreises innerhalb eines dreimonatigen Referenzzeitraums vor Bekanntgabe222 des Squeeze-Outs: Liegt der in der Expertenmeinung ermittelte Wert darunter, so richtet sich der abfindungsrelevante Unternehmenswert allein nach der Marktmeinung; liegt er darüber, so ist allein die Expertenmeinung ausschlaggebend.223 Zu korrigieren ist der marktbasierte Bewertungsansatz (nur) dann, „wenn der Börsenkurs ausnahmsweise nicht den Verkehrswert der Aktien widerspiegelt“,224 also insbesondere bei außergewöhnlicher Marktenge225 entsprechend § 5 Abs. 4 WpÜG-AngebVO226, bei Marktpreismanipulation227 und bei er218

OLG Stuttgart, AG 2010, 510, 511. LG Frankfurt am Main, Der Konzern 2006, 553, 555 f.; vgl. auch KG, NZG 2003, 644, 644 f. (bzgl. Berechnung der Wertrelation iRd § 15 UmwG); a.A. (Ertragswertverfahren auch bei vorhergehendem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag) OLG München, ZIP 2007, 375, 376 f. 220 OLG Düsseldorf, NZG 2007, 36, 37. 221 Für die früher teilweise vertretene Ansicht, es sei ein ungewichteter Durchschnittskurs zugrunde zu legen, vgl. OLG Düsseldorf, NZG 2005, 1012, 1015 (bzgl. Abfindung bei Eingliederung). 222 Für die vor dem „Stollwerck“-Urteil in der Rspr. vorherrschenden Ansicht, die auf den Tag der Hauptversammlung abstellte, siehe OLG Düsseldorf, NZG 2005, 1012, 1015; LG Frankfurt am Main, Der Konzern 2006, 553, 554 f.; jeweils mit weiteren Nachweisen. 223 BGH NJW 2010, 2657, 2658 – 2660 („Stollwerck“); BGH Urteil vom 21. 12. 2010, BeckRS 2011, 03054; BGH ZIP 2011, 1708, 1709; vgl. auch BVerfG, NJW 1999, 3769, 3771 f. („DAT/Altana“, in Bezug auf Abfindung bei Eingliederung), sowie die dem „Stollwerck“Urteil vorausgehenden Vorlagebeschlüsse OLG Düsseldorf, NZG 2009, 1427; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 30. 03. 2010, BeckRS 2010, 11181; OLG Stuttgart, ZIP 2010, 274, 277 – 280. 224 OLG Düsseldorf, NZG 2007, 36, 39; vgl. auch OLG Stuttgart, ZIP 2010, 274, 277 (bzgl. Abfindung gemäß § 305 AktG). 225 BGH NJW 2010, 2657, 2658 („Stollwerck“); vgl. auch BVerfG, NJW 1999, 3769, 3772 („DAT/Altana“, in Bezug auf Abfindung bei Eingliederung); OLG Düsseldorf, NZG 2007, 36, 39; zurückhaltender noch LG Frankfurt am Main, Der Konzern 2006, 553, 554 („Marktenge … nicht mehr als ein Indiz für die Möglichkeit einer nicht nach den Gesetzen von Angebote und Nachfrage zustande gekommenen Kursbildung und nicht etwa schon für sich ein Grund, um den Börsenkurs bei der Bemessung der Abfindung außer Betracht zu lassen.“). 226 OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 30. 03. 2010, BeckRS 2010, 11181; OLG Stuttgart, ZIP 2010, 274, 277, 280. 219

H. Recht auf Abfindungs-, Ausgleichs- und Zuzahlungen

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heblichem Anstieg des Referenz-Börsenindex in einem besonders langen Zeitraum zwischen Bekanntgabe und Beschluss der Maßnahme.228 2. Abfindung bei Eingliederung der Gesellschaft in eine andere Gesellschaft, § 320b AktG Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn der Hauptaktionär beschließt, die Gesellschaft gemäß § 320 AktG einzugliedern:229 Den Abfindungswert legt zunächst einseitig der Hauptaktionär fest (§ 320 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AktG); erst beim Übergang ins Spruchverfahren gemäß § 320b Abs. 2 AktG, § 1 Nr. 2 SpruchG230 kommt es zu einer gerichtlichen Angemessenheitskontrolle. Den Ausgangspunkt bildet dabei ebenfalls eine professionelle Unternehmensbewertung; bei börsennotierten Gesellschaften kommt die marktorientierte Bewertung als Untergrenze hinzu.231 3. Abfindung beim übernahmerechtlichen Squeeze-Out, § 39a WpÜG War die Gesellschaft Ziel eines öffentlichen Übernahmeangebots und hält der Bieter bei Abschluss des Angebotsverfahrens mindestens 95 Prozent des stimmberechtigten Grundkapitals, so kann der Bieter beim Landgericht Frankfurt am Main gemäß § 39a WpÜG den Ausschluss der verbliebenen außenstehenden Aktionäre gegen angemessene Abfindung beantragen. Die Höhe dieses Abfindungsanspruchs bemisst sich gemäß § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG ausschließlich nach der im Rahmen des Übernahmeangebots gewährten Gegenleistung, wenn der Bieter gerade aufgrund dieses Angebots mindestens 90 Prozent des Grundkapitals der Zielgesellschaft erwarb bzw. – mit anderen Worten – wenn das unterbreitete Angebot derart erfolgreich war, dass allein die weit überwiegend positive Resonanz der übrigen Aktionäre Gewähr für die Angemessenheit der Gegenleistung bietet. 4. Einziehungsentgelt nach kapitalherabsetzender Zwangseinziehung, § 237 AktG Ein Aktionär hat schließlich auch dann Anspruch auf eine angemessene Entschädigungsleistung, wenn er seine Aktien im Zuge einer kapitalherabsetzenden 227

OLG Düsseldorf, NZG 2007, 36, 39. BGH NJW 2010, 2657, 2660 („Stollwerck“); BGH Urteil vom 21. 12. 2010, BeckRS 2011, 03054; in diese Richtung auch bereits der dem „Stollwerck“-Urteil vorausgehende Vorlagebeschluss des OLG Stuttgart, ZIP 2010, 274, 280. 229 Zur Eingliederung siehe bereits oben Abschnitt „Ausschluss von Minderheitsaktionären („Squeeze-Out“) und Eingliederung“, S. 425. 230 Hierzu bereits oben Abschnitt „Aktienrechtliche Strukturmaßnahmen“, S. 154. 231 Siehe nur BVerfG, NJW 1999, 3769, 3771 f. („DAT/Altana“). 228

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

Zwangseinziehung gemäß § 237 AktG verliert. Sie ist gemäß § 237 Abs. 1 Satz 2 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO nur auf Grundlage einer einschlägigen Satzungsregel zulässig und liegt dann in der Zuständigkeit des Leitungsorgans (vgl. § 237 Abs. 6 AktG). Die Angemessenheit des Einziehungsentgelts orientiert sich grundsätzlich ähnlich an Experten- und Marktmeinung wie die gesetzlich geregelten Abfindungsansprüche, wobei die entsprechende Satzungsregel – soweit vorhanden – jedoch weniger strengen Maßstäben unterliegt als die einseitigen Festsetzungen nach § 305 Abs. 1, § 320 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG. Möglich sind unter bestimmten Voraussetzungen daher auch Festsetzungen unterhalb oder oberhalb des inneren Werts der betroffenen Aktien,232 und sogar ein vollständiger Ausschluss des Einziehungsentgelts wird teilweise für zulässig erachtet.233

II. Regulierte Zahlungen nach freiwilliger Veräußerung und regelmäßiger Ausgleich gemäß § 304 AktG 1. Ausgleich oder Abfindung bei Abschluss eines Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrags, §§ 304 f. AktG Wird die SE als abhängiges Unternehmen auf Basis eines Beherrschungs- und/ oder Gewinnabführungsvertrags in einen Konzern eingegliedert,234 so muss der Vertrag den außenstehenden Aktionären gemäß § 305 AktG die Gelegenheit bieten, gegen angemessene Abfindung aus der Gesellschaft auszuscheiden.235 Für die Höhe der Abfindung gilt dasselbe Nebeneinander von experten- und marktorientierter Bewertung wie im Rahmen des aktienrechtlichen Squeeze-Outs.236 Zugunsten derjenigen Aktionären, die sich für einen Verbleib in der konzernierten Gesellschaft entscheiden, hat der Vertrag gemäß § 304 AktG regelmäßige Ausgleichszahlungen vorzusehen.237 Auch bei der Berechnung dieses Ausgleichs werden nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG die zukünftig zu erwartenden Erträge der Gesellschaft zugrunde gelegt. Sie werden jedoch nicht auf den Bewertungszeitpunkt abgezinst, sondern als jährliches Fixum ausgezahlt.

232

Siehe nur Becker, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 237 Rn. 25 f. Siehe nur Becker, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. (2014), § 237 Rn. 25 f.; Kreklau/ Schmalholz, BB 2011, 778, 779. 234 Zu dieser Möglichkeit bereits oben Abschnitt „Unternehmensverträge, §§ 291 ff. AktG“, S. 426. 235 Zur Anwendbarkeit der Abfindungspflicht auf die deutsche SE knapp Maul, in: Lutter/ Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 249, 252. 236 Siehe nur BVerfG, NJW 1999, 3769, 3771 f. („DAT/Altana“); BGH, ZIP 2011, 1708, 1709; OLG Stuttgart, ZIP 2010, 274, 276 f.; sowie oben Abschnitt „Abfindung beim aktienrechtlichen Squeeze-Out, § 327b AktG“, S. 493. 237 Auch hierzu Maul, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 249, 252. 233

H. Recht auf Abfindungs-, Ausgleichs- und Zuzahlungen

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2. Abfindung bei rechtsforminkongruenter Verschmelzung, § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG An einer inländischen Verschmelzung kann sich die SE grundsätzlich beteiligen, ohne Abfindungs- oder Ausgleichsansprüche zugunsten opponierender Minderheitsaktionäre auszulösen. Letztere erhalten gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG nur ausnahmsweise das Recht gegen angemessene Abfindung auszuscheiden, wenn ihre Gesellschaft auf einen „Rechtsträger anderer Rechtsform“ oder – wenn die Gesellschaft börsennotiert ist – auf eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft verschmolzen wird. Die Vorschrift trägt damit dem Umstand Rechnung, dass der Charakter der Beteiligung und die entsprechende Investitionsentscheidung der Aktionäre von einem Rechtsformwechsel ähnlich fundamental berührt wird wie in anderen Fällen gesetzlicher Abfindungsregelungen.238 Ein Abfindungsanspruch ist damit insbesondere dann vorzusehen, wenn die SE zur Aufnahme auf eine Personengesellschaft verschmilzt. Als Rückausnahme bestimmt § 78 Abs. 1 Satz 4 UmwG jedoch, dass AG und KGaA wechselseitig nicht als „Rechtsträger anderer Rechtsform“ im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG anzusehen sind. Verschmilzt also eine AG zur Aufnahme auf eine KGaA, so wird die Abfindungspflicht nicht ausgelöst, obwohl die Gesellschaft ihre Rechtsform ändert. Fraglich ist, wie sich die SE in dieses Konzept fügt. Ausgehend von der Prämisse, dass auf die deutsche SE über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO grundsätzlich auch im Umwandlungsrecht diejenigen Regeln anzuwenden sind, die für eine AG gelten,239 kann die SE gemäß § 78 Abs. 1 Satz 4 UmwG zunächst auf eine KGaAverschmolzen werden, ohne die Abfindungspflichten nach § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG auszulösen. Dasselbe gilt bei Verschmelzung einer KGaA auf eine deutsche SE. Abfindungspflichten entstehen dagegen beispielsweise bei der Verschmelzung einer SE auf eine GmbH.240 Unter Berufung auf Art. 10 SE-VO wird teilweise auch die Verschmelzung einer SE auf eine deutsche AG bzw. einer AG auf eine deutsche SE von § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG ausgenommen.241 Die SE sei danach wie eine inländische AG zu behandeln; der Erlass abweichender Vorschriften sei dem europäischen Gesetzgeber vorbehalten.242 Tatsächlich wird sich dasselbe Ergebnis wohl bereits aus Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO ergeben, der die SE im nationalen Rechtsrahmen und insbesondere im deutschen Umwandlungsrecht weitgehend mit einer AG gleichsetzt. Überdies bietet sich ein Erst-recht-Schluss zu § 78 Abs. 1 Satz 4 UmwG an. Denn wenn der Weg zwischen AG und KGaA nicht weit genug ist bzw. den Charakter der 238

Siehe nur Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013), § 29 Rn. 2. Art. 2 f., 66 SE-VO entfalten insofern keine Sperrwirkung; siehe oben Abschnitt „Vorab: Umwandlungsfähigkeit der deutschen SE“, S. 406. 240 Wälzholz, in: Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Loseblattsammlung (Stand 5/ 2013), § 29 Rn. 13.2. 241 Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, 5. Aufl. (2013), § 29 Rn. 2; Simon, in: KKUmwG (2009), § 29 Rn. 14. 242 Simon, in: KK-UmwG (2009), § 29 Rn. 14. 239

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

Beteiligung nicht tiefgreifend genug ändert, um Abfindungspflichten auszulösen, so kann im Verhältnis zwischen SE und AG – die grundsätzlich mehr Eigenschaften miteinander teilen als AG und KGaA – nichts anderes gelten. Zu einer Ungleichbehandlung, der mit Hilfe des Diskriminierungsverbots aus Art. 10 SE-VO gegengesteuert werden könnte, kommt es daher erst gar nicht. 3. Abfindung bei grenzüberschreitender Verschmelzung, § 122i UmwG Mit § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG eng verwandt ist § 122i UmwG, wonach Aktionären einer übertragenden Gesellschaft eine Abfindung anzubieten ist, wenn deren Gesellschaft grenzüberschreitend auf eine Gesellschaft ausländischen Rechts verschmolzen wird. Der deutsche Gesetzgeber ordnet damit – auf Basis des Art. 4 Abs. 2 Satz 2 IntVerschmelzungs-RL243 – den Wechsel in eine ausländische Rechtsform als ähnlich fundamentale Änderung des Beteiligungscharakters an wie einen inländischen Wechsel in eine GmbH oder Personengesellschaft.244 Andernfalls wäre wohl ungewiss geblieben, ob beispielsweise die Verschmelzung einer deutschen AG auf eine britische PLC wegen der Parallelität der Rechtsformen (Publikums-Kapitalgesellschaft) von § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG auszunehmen wäre oder der grenzüberschreitende Charakter der Verschmelzung allein ausreicht, um das Merkmal „Rechtsträger anderer Rechtsform“ zu erfüllen. Über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO findet § 122i UmwG grundsätzlich auch auf eine deutsche SE Anwendung. Eine Abfindung ist daher beispielsweise dann geschuldet, wenn eine deutsche SE auf eine französische S.A. verschmolzen wird. Nicht auf den ersten Blick deutlich wird, ob auch die Verschmelzung einer deutschen SE zur Aufnahme245 auf eine ausländische SE unter § 122i UmwG fällt. Hiergegen spricht die Erwägung, dass die beiden Verschmelzungspartner ihrer Firmierung nach gerade keiner unterschiedlichen Rechtsform unterliegen. Anders als bei allen anderen Konstellationen, die unter § 29 Abs. 1 Satz 1, § 122i UmwG fallen, handelt es sich daher um eine rechtsformkongruente Verschmelzung. Für eine Anwendung des § 122i UmwG spricht andererseits wohl der Wortlaut der Norm. Denn dieser stellt gerade nicht auf den Erhalt der Firmierung in der übernehmenden Gesellschaft ab, sondern darauf, dass „die übernehmende … Gesellschaft nicht dem deutschen Recht“ unterliegt. Mit dem deutschen Recht hat die übernehmende, im Ausland ansässige SE nichts mehr gemein. Hinzu kommen Gesichtspunkte des 243 Siehe nur Kiem, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 122i UmwG Rn. 2; Gegenstück auf Ebene der SE-VO ist Art. 24 (hierzu sogleich Abschnitt „Abfindung bei Beteiligung an der Gründung einer ausländischen SE durch Verschmelzung, § 7 SEAG“, S. 475). 244 Die Parallele zwischen § 29 Abs. 1 Satz 1 und § 122i UmwG hervorhebend auch RegE 2. UmwGÄndG, BT-Drucks. 16/2919, S. 16; Müller, Der Konzern 2007, 81, 86. 245 Für die Verschmelzung zur Neugründung einer SE wird nationales Umwandlungsrecht durch das SE-Gründungsrecht aus Art. 2 f. SE-VO gesperrt; siehe oben Abschnitt „Sperrwirkung der Art. 2 f. SE-VO?“, S. 407.

H. Recht auf Abfindungs-, Ausgleichs- und Zuzahlungen

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Umgehungsschutzes. Funktional stellt die grenzüberschreitende Outbound-Verschmelzung einer deutschen SE auf eine ausländische SE nämlich eine Alternative zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung der deutschen SE dar, welche gemäß § 12, § 7 Abs. 2 – 7 SEAG, Art. 8 Abs. 5 SE-VO zwingend mit einem Abfindungsangebot versehen werden muss. Wäre die Outbound-Verschmelzung nicht von § 122i UmwG erfasst, ergäbe sich damit eine Schutzlücke, die dem Konzept des deutschen Gesetzgebers zuwiderliefe. Insgesamt sprechen damit die besseren Gründe dafür, den Aktionären einer deutschen SE auch dann ein Abfindungsrecht nach § 122i UmwG zuzusprechen, wenn die SE nach nationalem Umwandlungsrecht auf eine ausländische SE verschmilzt. 4. Abfindung bei Beteiligung an der Gründung einer ausländischen SE durch Verschmelzung, § 7 SEAG Ebenfalls eine Fortsetzung des Konzepts aus § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG findet sich in § 7 SEAG, der opponierenden Minderheitsaktionären einen Abfindungsanspruch zuspricht, wenn die Hauptversammlung einer übertragenden deutschen AG oder SE beschließt, sich an der Gründung einer ausländischen SE durch Verschmelzung zu beteiligen. Rechtspolitisch handelt es sich gleichsam um einen Erst-recht-Schluss zur Abfindungspflicht aus § 29 UmwG: Wenn schon die Verschmelzung auf einen Rechtsträger anderer inländischer Rechtsform Abfindungspflichten zugunsten der Minderheitsaktionäre auslöst, dann muss dasselbe gelten, wenn der übernehmende bzw. neue Rechtsträger im Ausland ansässig ist.246 Eine unzulässige Diskriminierung von SE-Gründungen mit Auslandsbezug und damit ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit aus Art. 49, 54 AEUV ergibt sich daher nicht.247

246 In dieselbe Richtung RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 32 f.; N. Horn, DB 2005, 147, 149; Neye, in: Baums/Cahn, Die Europäische Aktiengesellschaft (2004), S. 131, 134. Zu Recht kritisch in Bezug auf § 7 SEAG-DiskE (AG 2003, 204), der – im Einklang mit den vorhergehenden Erwägungen von Teichmann, ZGR 2002, 383, 425 f. – noch Abfindungspflichten für jede SE-Verschmelzungsgründung vorsah: Kalss, ZGR 2003, 593, 625. Grundlegend in Frage gestellt wird das Abfindungsrecht anlässlich Auslandsverlagerung jedoch bei Kalss, ZGR 2003, 593, 647 f. (Bericht zur Diskussion): „Die SE-Verordnung beruhe auf dem Gedanken, dass die Sitzverlegung in ein anderes Land kein Wechsel der Rechtsform sei. Daher sei es systemwidrig, hier ein Austrittsrecht zu gewähren.“ 247 Mittlerweile wohl h.M.: Bayer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 24 SE-VO Rn. 48; Marsch-Barner, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 24 SE-VO Rn. 53; Neye, in: Baums/Cahn, Die Europäische Aktiengesellschaft (2004), S. 131, 134; Teichmann, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Hdb EuropAG (2007), 4. Abschn., § 2 Rn. 84; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 229 f.; Witten, Minderheitenschutz (2011), S. 163 f.; ebenso zum parallelen Abfindungsrecht im Rahmen der grenzüberschreitenden Verschmelzung nach der IntVerschmelzungs-RL Müller, Der Konzern 2007, 81, 86 f.; kritisch noch Schindler/Teichmann, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 739, 771 f.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

Rechtsgrundlage ist nach wohl ganz herrschender Meinung248 Art. 24 Abs. 2 SEVO, der die Mitgliedstaaten ermächtigt, „in Bezug auf die sich verschmelzenden Gesellschaften, die seinem Recht unterliegen, Vorschriften zu erlassen, um einen angemessenen Schutz der Minderheitsaktionäre, die sich gegen die Verschmelzung ausgesprochen haben, zu gewährleisten.“ Ganz eindeutig ist dies freilich nicht, wenn man die Vorschrift mit Art. 25 Abs. 3 SE-VO abgleicht, der vorsieht, dass nationale „Verfahren zur Kontrolle und Änderung des Umtauschverhältnisses der Aktien oder zur Abfindung von Minderheitsaktionären“ entsprechend auf die SE-Verschmelzungsgründung anwendbar sind. Ordnet man das Abfindungsrecht der Minderheitsaktionäre im Zuge der Verschmelzung – wie es in § 29 Abs. 1 Satz 1, § 122i UmwG vorgesehen ist – als ein nationales „Verfahren … zur Abfindung von Minderheitsaktionären ein“, so würde die allgemein gehaltenere Ermächtigung in Art. 24 Abs. 2 SE-VO („Schutz der Minderheitsaktionäre“) wohl verdrängt. Darüber hinaus könnte eine Abfindung nur gewährt werden, wenn die übrigen Verschmelzungspartner gemäß Art. 25 Abs. 3 SEVO ihre Zustimmung erteilt hätten.249 Letzteres spricht gleichzeitig gegen eine Verbindung zwischen Art. 25 Abs. 3 SE-VO, einerseits, und dem Abfindungsrecht nach dem Konzept der § 29 Abs. 1 Satz 1, § 122i UmwG, § 7 SEAG, andererseits. Denn der Abfindungsanspruch nach § 7 SEAG richtet sich allein gegen den übertragenden deutschen Rechtsträger; die Interessen der ausländischen Verschmelzungspartner werden nicht berührt, so dass eine Zustimmung keinen Sinn erfüllen würde. Auch lehnt sich der neuere Art. 4 Abs. 2 Satz 2 IntVerschmelzungs-RL, der denselben nationalen Abfindungsverfahren die Tür öffnet,250 nicht an Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO, sondern an Art. 24 Abs. 2 SE-VO an, was dafür spricht, dass auch der europäische Normgeber mit Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO keine Abfindungsregelungen nach Art der § 29 Abs. 1 Satz 1, § 122i UmwG, § 7 SEAG im Blick hatte. Richtigerweise basiert § 7 SEAG daher auf Art. 24 Abs. 2 SE-VO. Der Wortlaut des Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO ist insofern korrigierend zu lesen („Verfahren zur Kontrolle und Änderung des Umtauschverhältnisses … oder der Abfindung von Minderheitsaktionären“).

248 Ausgehend von der dahingehenden Einordnung in RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 32 f.: Bayer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 24 SE-VO Rn. 27, 31; Marsch-Barner, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 24 SE-VO Rn. 43; Maul, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 24 SE-VO Rn. 2. 249 Zur Rolle dieses Zustimmungserfordernisses für die Eröffnung des deutschen Spruchverfahrens siehe oben Abschnitt „Beteiligung der SE an der Gründung einer neuen SE durch Verschmelzung, Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO“, S. 159. 250 Siehe bereits oben Abschnitt „Abfindung bei grenzüberschreitender Verschmelzung, § 122i UmwG“, S. 498, mit Fn. 1909.

H. Recht auf Abfindungs-, Ausgleichs- und Zuzahlungen

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5. Abfindung bei Beteiligung an der Gründung einer ausländischen oder abhängigen (§ 17 AktG) gemeinsamen Holding-SE, § 9 Abs. 1 SEAG Parallel zu § 7 SEAG schreibt § 9 SEAG auch bei der Holding-SE-Gründung ein Austritts- und Abfindungsrecht der Minderheitsaktionäre vor; Ermächtigungsgrundlage ist dabei Art. 34 SE-VO. Im Gegensatz zu § 7 SEAG sieht § 9 SEAG eine Abfindung allerdings nicht nur für den Fall vor, dass die künftige SE ihren Sitz im Ausland nimmt, sondern auch dann, wenn diese abhängig im Sinne des § 17 AktG sein wird. Auch in letzterem Fall ändert sich nach Vorstellung des Gesetzgebers also der Charakter der Beteiligung derart grundlegend, dass den überstimmten Minderheitsaktionären ein besonderes Recht zur Aufgabe ihrer Aktien gewährt werden muss; allein der Umtausch der Anteile in Holding-SE-Aktien bietet danach keinen ausreichenden Minderheitenschutz.251 Die originelle Bemerkung von Koppensteiner, es handele sich bei der Abfindungspflicht wegen künftiger Abhängigkeit nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SEAG um eine „Misstrauenskundgebung des Gesetzgebers gegenüber seiner eigenen Regelung“ in §§ 311 ff. AktG252 ist wohl nicht ganz von der Hand zu weisen. Denn das Recht des Nicht-Vertragskonzerns in §§ 311 ff. AktG zielt gerade darauf ab, den möglicherweise negativen Einfluss des faktisch herrschenden Unternehmens auf die beherrschte Gesellschaft einzuschränken und dadurch zu verhindern, dass die Beteiligung der außenstehenden Aktionäre ihren Charakter ändert. Ein vergleichbarer, ausschließlich an der erstmaligen, faktischen Abhängigkeit der Gesellschaft festgemachter Minderheitenschutz findet sich auf Ebene des Aktiengesetzes denn auch nicht; für börsennotierte Gesellschaften ergibt sich allein aus dem Kapitalmarktrecht (insbesondere § 35 WpÜG) ein gewisser Schutz. Kein überzeugendes Bild ergibt sich zudem, wenn man berücksichtigt, dass die Regelung offensichtlich auch für solche Gründungsgesellschaften gelten soll, die sich bereits in Abhängigkeit befinden, und dass im Vorfeld der Gründung häufig noch nicht sicher absehbar sein wird, ob die künftige SE abhängig sein wird.253 So nahtlos wie sich § 9 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SEAG daher in das von § 29 Abs. 1 Satz 1, § 122i UmwG, § 7 SEAG vorgezeichnete Konzept einpassen lässt,254 so sehr wirkt die zweite Alternative des § 9 Abs. 1 Satz 1 SEAG in ihrer gegenwärtigen Fassung als Fremdkörper.255 De lege ferenda spricht daher viel dafür, die Passage ersatzlos zu streichen. 251 RegE SEEG, BT-Drucks. 15/3405, S. 34; Neye, in: Baums/Cahn, Die Europäische Aktiengesellschaft (2004), S. 131, 135. 252 Koppensteiner, RIW 2006, 103, 105 Fn. 17; vgl. auch Spitzbart, DNotZ 2006, 369, 411. 253 Zutreffend Bayer, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Art. 34 SE-VO Rn. 17; J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 320 f.; Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749, 1752. 254 Auch diese Alternative kritisierend J. Schmidt, Deutsche vs. britische SE (2006), S. 321. 255 In dieselbe Richtung mit anderen Worten Marsch-Barner, in: Lutter/Bayer, HoldingHdb, 5. Aufl. (2015), Rn. 18.31 („rechtliches Novum“); die Regelung verteidigend dagegen

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

6. Abfindung bei grenzüberschreitender Sitzverlegung, § 12, § 7 Abs. 2 – 7 SEAG, Art. 8 Abs. 5 SE-VO Gemäß § 12, § 7 Abs. 2 – 7 SEAG, Art. 8 Abs. 5 SE-VO sind schließlich auch Aktionäre einer deutschen SE, die ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, austritts- und abfindungsberechtigt. Das gesetzgeberische Gesamtkonzept, nach dem Aktionären immer dann ein reguliertes Austrittsrecht anzubieten ist, wenn sich die Gesellschaft kraft mehrheitlicher Entscheidung in eine ausländische Gesellschaftsrechtsordnung begibt, wird damit abgerundet. Setzt man in dieser Hinsicht auch den Wechsel in eine ausländische Rechtsform mit dem Wechsel in eine andere inländische Rechtsform gleich,256 so reiht sich die Regelung auch widerspruchsfrei neben § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG ein. 7. Kaufpreis bei Annahme eines öffentlichen Übernahmeangebots Zu den regulierten Abfindungszahlungen bei freiwilliger Aktienveräußerung gehört – jedenfalls im weiteren Sinne – auch die Zahlung des Kaufpreises durch den Bieter im Anschluss an ein öffentliches Übernahmeangebot nach §§ 10 ff. WpÜG. Hintergrund der Tatsache, dass dieser Kaufpreis einer spezifischen und engmaschigen Regulierung unterliegt, während sich sonstige Aktienkäufe und -verkäufe grundsätzlich völlig unreguliert vollziehen, ist der außergewöhnlich große Adressatenkreis und der knapp bemessene zeitliche Rahmen des öffentlichen Übernahmeangebots. Eine unregulierte Preisbildung würde dem Bieter einige Möglichkeiten bieten, die Angebotsadressaten erheblich zu übervorteilen, beispielsweise durch bevorzugte Behandlung eines kontrollierenden Aktionärs, durch eine intransparente Informationspolitik oder durch gezieltes Ausnutzen der individuellen Befürchtung, als letzter außenstehender Aktionär in einer einseitig beherrschten Zielgesellschaft zu verbleiben. Die entsprechenden Schutzvorschriften sind ausschließlich im Kapitalmarktrecht verankert und haben auch materiell wenig mit den vorgenannten umwandlungs- und aktienrechtlichen Abfindungspflichten gemein (z. B. Gleichbehandlungspflicht gemäß § 3 Abs. 1 WpÜG; Angemessenheit gemäß § 31 Abs. 1 – 3 WpÜG, §§ 3 ff. WpÜG-AngebVO; gegenleistungsrelevante Nacherwerbe des Bieters, § 31 Abs. 4 – 6 WpÜG).

Teichmann, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 691, 713. 256 Hierzu bereits oben Abschnitt „Abfindung bei grenzüberschreitender Verschmelzung, § 122i UmwG“, S. 498, mit den Nachweisen in Fn. 244.

I. Sonderrechte

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III. Regulierte Zuzahlungen nach Aktientausch im Rahmen einer Strukturmaßnahme Entscheidet sich die SE für eine Strukturmaßnahme, die mit einem Aktientausch verbunden ist – also eine Verschmelzung nach nationalem Umwandlungsrecht (§§ 2 ff. UmwG), eine SE-Verschmelzungsgründung (Art. 2 Abs. 1 SE-VO) oder eine Holding-SE-Gründung (Art. 32 – 34 SE-VO) – und dringen Aktionäre im Spruchverfahren mit dem Standpunkt durch, das im Gründungs- bzw. Verschmelzungsplan festgelegte Umtauschverhältnis sei zu niedrig bemessen, so erwirbt jeder Aktionär der Gründungs- bzw. übertragenden Gesellschaft einen Anspruch auf Ausgleich der Differenz durch bare Zuzahlung. Die entsprechenden Anspruchsgrundlagen finden sich für die inländische Verschmelzung in § 15 UmwG, für die SEVerschmelzungsgründung in § 6 Abs. 2 – 4 SEAG und für die Holding-SE-Gründung in § 11, § 6 Abs. 3, 4 SEAG. Auch hier nutzte der Gesetzgeber die Ermächtigungsgrundlagen in Art. 24 Abs. 2, Art. 34 SE-VO, um die SE-Gründung mit einem ähnlichen Minderheitenschutzkonzept zu versehen wie die Verschmelzung nach nationalem Recht.257

I. Sonderrechte I. Begriff Ebenso wie AG-Aktionäre können auch Aktionäre einer deutschen SE in den Genuss von Sonderrechten im Sinne des § 35 BGB kommen. Eine einheitliche Normierung oder ein allgemeines gesetzliches Leitbild hierfür findet sich weder auf Verordnungsebene noch im deutschen Recht; stattdessen gestaltet der Gesetzgeber die verschiedenen Sonderrechte im jeweiligen Sachzusammenhang aus. Eine gemeinsame Systematik oder Historie liegt den einzelnen Rechten nicht zugrunde. Allein § 35 BGB, der als allgemeiner Grundsatz das gesamte Recht der Körperschaften durchzieht, wirkt als Klammer und enthält zugleich eines der wichtigsten Merkmale aller Sonderrechte: Einmal eingeräumt können sie dem jeweils Begünstigten nicht ohne dessen Zustimmung wieder entzogen werden. Ein individuelles Zustimmungserfordernis analog § 35 BGB gilt auch dann, wenn das Sonderrecht per Hauptversammlungsbeschluss beeinträchtigt oder entzogen werden soll, z. B. im Rahmen einer Satzungsänderung. Art. 57, 59 SE-VO sind in dieser Hinsicht regelungsoffen.258

257 Vgl. Nagel, NZG 2004, 833, 834; Teichmann, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 691, 705 – 709. 258 Siehe oben Abschnitte „Grundsätzliche Regelungsoffenheit der SE-VO gegenüber mitgliedstaatlichen Beschlussvoraussetzungen“, S. 102, und „Individuelle Zustimmung“, S. 106, mit den Nachweisen in Fn. 191.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

Im Gegensatz zu Sonderrechten kennzeichnen die gattungsspezifischen Merkmale einer Aktiengattung (Art. 60 SE-VO, § 11 Satz 2 AktG) nicht die individuelle Rechtsposition von Aktionären, sondern bilden die gemeinsame Eigenschaft einer Mehrzahl von Aktien bzw. Aktionären ab.259 Über sie kann die Hauptversammlung per Beschluss und Sonderabstimmung nach Art. 60 SE-VO disponieren, ohne dass es der individuellen Zustimmung jedes einzelnen Gattungsaktionärs bedarf. Über das individuelle Zustimmungserfordernis hilft ein Mehrheitsbeschluss nach Art. 60 SEVO dagegen unter keinen Umständen hinweg, und zwar auch dann nicht, wenn einer Gruppe von Aktionären gleichartige Sonderrechte zustehen. Ebenfalls nicht mit § 35 BGB in Verbindung stehen besondere Rechte, die einem Aktionär aufgrund eines Vertrags mit der SE oder aufgrund öffentlichen Rechts zustehen. Wegen der funktionalen Nähe zu Sonderrechten im Sinne des § 35 BGB soll auf sie dennoch nachfolgend im selben Zusammenhang eingegangen werden.

II. Individualvertragliche Begründung besonderer Aktionärsrechte 1. Weisungsrecht aufgrund Beherrschungsvertrag, § 308 AktG Prägendes Merkmal eines Beherrschungsvertrags im Sinne der § 291 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, §§ 308 – 310 AktG ist das Recht des herrschenden Unternehmens, dem Vorstand der abhängigen Gesellschaft Weisungen zu erteilen. Auch eine deutsche SE kann sich – mit Zustimmung ihrer Hauptversammlung nach § 293 AktG – als abhängige Gesellschaft in einen Vertragskonzern integrieren.260 a) Abhängige dualistische SE Begibt sich eine dualistische deutsche SE in vertragliche Abhängigkeit, so ergeben sich kaum Unterschiede zur Situation einer abhängigen AG. Das Leitungsorgan rückt ohne weiteres in die Weisungsabhängigkeit des AG-Vorstands ein. Fraglich ist allein, ob sich der Mechanismus aus § 308 Abs. 3 AktG auf die SE übertragen lässt. Danach muss ein AG-Vorstand, der zur Vornahme eines Geschäfts angewiesen wird, „das nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats der Gesellschaft vorgenommen werden darf“, zunächst diese Zustimmung einholen, bevor er die Weisung ausführen darf. Verweigert der Aufsichtsrat die Zustimmung, so muss der Vorstand das herrschende Unternehmen darauf aufmerksam machen. Die Ge259

Im Recht der deutschen SE: Stimmrechtslose und stimmberechtigte Vorzugsaktien (§§ 139 ff. AktG), Aktien mit anderweitig besonderer Beteiligung am Gewinn oder Liquidationserlös (§ 11 Satz 1 Hs. 2 AktG) und Aktien mit Nebenleistungspflichten (§ 55 AktG); siehe oben Abschnitt „Sonderabstimmung, Art. 60 SE-VO“, S. 108. 260 Siehe bereits oben Abschnitt „Unternehmensverträge, §§ 291 ff. AktG“, S. 426, mit den Nachweisen zum Meinungsstand in Fn. 925 und 927.

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schäftsleitung des herrschenden Unternehmens kann sich dann durchsetzen, indem sie die Weisung wiederholt – was jedoch wiederum der Zustimmung des Aufsichtsrats im herrschenden Unternehmen bedarf, soweit ein solcher dort vorhanden ist. Im Recht der AG spielt dieser Mechanismus auf die Zustimmungsvorbehalte im Sinne des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG an.261 Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, sicher zu stellen, dass die im Aufsichtsrat präsenten Arbeitnehmervertreter in jedem Fall in die Entscheidung über zustimmungspflichtige Geschäfte eingebunden sind.262 Dennoch greift die Vorschrift auch bei fehlender Mitbestimmung.263 Im Recht der deutschen SE könnte § 308 Abs. 3 AktG aus zwei Gründen deplatziert wirken. Zum einen ist § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG nicht anwendbar, da die Vorschrift vollständig von Art. 48 Abs. 1 SE-VO, § 19 SEAG verdrängt wird, welche die alleinige Rechtsgrundlage für Zustimmungsvorbehalte bilden.264 Zum anderen scheint der mitbestimmungsspezifische Hintergrund die Vorschrift in die Nähe zum Mitbestimmungs- und Beteiligungsbegriff aus § 2 Abs. 12 SEBG, Art. 2 lit. h), lit. k) SE-RL265 zu rücken und damit zur potenziellen Verhandlungsmasse einer Beteiligungsvereinbarung. In Bezug auf § 2 Abs. 12 SEBG, Art. 2 lit. h), lit. k) SE-RL ist der vorgenannte Sinn und Zweck des § 308 Abs. 3 AktG freilich ohne Belang. Denn die SE-rechtliche Mitbestimmungs- und Beteiligungsdefinitionen spielen nicht auf die gesetzgeberische Motivation hinter einer bestimmten Regelung an, sondern auf deren materiellen Gehalt. Da § 308 Abs. 3 AktG völlig unabhängig von Vorhandensein und Ausgestaltung eines Mitbestimmungsregimes gilt, kann er mit dem SEBG, der SE-RL und ggf. einer Mitbestimmungsvereinbarung nicht in Verbindung gebracht werden. Und auch das Fehlen des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG im Recht der deutschen SE wirkt sich letztlich nicht aus. Denn für die Funktion des § 308 Abs. 3 AktG ist lediglich davon abhängig, dass satzungsmäßige oder vom Aufsichtsorgan erlassene Zustimmungsvorbehalte im Verhältnis zwischen Aufsichts- und Leitungsorgan existieren, und nicht von der Identität der gesetzlichen Grundlage, auf die diese Zustimmungsvorbehalte zurückgehen. Art. 48 Abs. 1 SE-VO, § 19 SEAG bieten somit einen in jeder Hinsicht ausreichenden Anknüpfungspunkt, um die Funktion des § 308 Abs. 3 AktG unverfälscht zu erhalten. Auch eine Sperrwirkung lässt sich 261

Siehe nur Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 7. Aufl. (2013), § 308 AktG Rn. 70 f.; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 308 Rn. 23. 262 Altmeppen, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2010), § 308 Rn. 160; Emmerich, in: Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 7. Aufl. (2013), § 308 AktG Rn. 70, 72; Hirte, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 308 Rn. 64; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 308 Rn. 39. 263 Altmeppen, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2010), § 308 Rn. 160; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), § 308 Rn. 39. 264 Siehe oben Abschnitt „Satzungsmäßige Festlegung von Zustimmungsvorbehalten“, S. 266, mit den Nachweisen in Fn. 281. 265 Zu diesen Begriffen siehe bereits oben Abschnitt „Verhältnis zur Beteiligungs- bzw. Mitbestimmungsvereinbarung bzw. jeweiligen Auffangregelung?“, S. 43.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

Art. 48 Abs. 1 SE-VO nicht entnehmen, da die Vorschrift ebenso wie alle anderen Verordnungsregelungen gegenüber nationalem Konzernrecht völlig regelungsoffen ist.266 § 308 Abs. 3 AktG lässt sich daher jedenfalls auf die dualistische abhängige SE uneingeschränkt übertragen.267 b) Abhängige monistische SE Für die monistische SE bestimmt § 49 Abs. 1 SEAG, dass in Bezug auf §§ 308 bis 318 AktG die geschäftsführenden Direktoren an die Stelle des Vorstands treten. Das herrschende Unternehmen kann seine Weisungen also direkt an die Direktoren richten, ohne zunächst das Verwaltungsorgan anweisen zu müssen, die Weisung über das Weisungsrecht nach § 44 Abs. 2 SEAG an die Direktoren weiter zu leiten.268 aa) Weisungsrecht vs. Geschäftsleitungsbefugnis des Verwaltungsorgans Fraglich ist, wie sich dieses Direkt-Weisungsrecht zur Leitungsbefugnis des Verwaltungsorgans in der abhängigen SE verhält. Ausgehend von der Prämisse, dass der Umfang des beherrschungsvertraglichen Weisungsrechts im dualistischen System grundsätzlich deckungsgleich mit dem Umfang der Vorstands-Geschäftsführungskompetenz ist, ließe sich erwägen, im monistischen System das Weisungsrecht auf den – deutlich kleineren (vgl. § 40 Abs. 2 Satz 1 SEAG) – Zuständigkeitsbereich der geschäftsführenden Direktoren zu erstrecken und für alle übrigen Bereiche der Leitungsbefugnis des Verwaltungsorgans den Vortritt zu lassen. Dies hätte allerdings die kuriose Konsequenz, dass das Verwaltungsorgan der abhängigen SE über die Reichweite des vertraglichen Weisungsrechts des herrschenden Unternehmens disponieren könnte.269 Denn die Entscheidung darüber, ob die geschäftsführenden Direktoren eine Vielzahl an Aufgaben weitgehend nach eigenem Ermessen ausfüllen oder – umgekehrt – sich das Verwaltungsorgan in jedes Detail der Geschäftsführung einmischt, ist selbst Teil der Leitungskompetenz des Verwaltungsorgans.270 Anders als dem Vorstand (im Verhältnis zum Aufsichtsrat) ist den geschäftsführenden Direktoren (im Verhältnis zum 266

Siehe oben Abschnitt „Sonderfall Konzernrecht“, S. 29. So auch die ganz herrschende Meinung, die keine spezifischen Probleme in Bezug auf § 308 Abs. 3 AktG ausmacht: Hirte, in: GK-AktG, 4. Aufl. (2005), § 308 Rn. 74; Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Schlussanh. II Rn. 59; Schwarz, SE-VO (2006), Einl Rn. 203; Maul, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), 457, 491; dies., ZGR 2003, 743, 749. 268 Letzteren Weg de lege ferenda erwägend Ihrig, ZGR 2008, 809, 827 f. 269 Zutreffend Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Schlussanh. II Rn. 67. 270 Auch der Satzungsgeber kann hier nicht regulierend eingreifen; siehe bereits oben Abschnitt „Abgrenzung zwischen Unternehmensleitung (Verwaltungsorgan, § 22 Abs. 1 SEAG) und laufenden Geschäften (geschäftsführende Direktoren, § 40 Abs. 2 Satz 1 SEAG)?“, S. 342. 267

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Verwaltungsorgan) also kein gesetzlich umrissener und garantierter Kompetenzbereich zur eigenverantwortlichen Erledigung zugewiesen. Entsprechend bietet der Aufgabenbereich der geschäftsführenden Direktoren keinen Ansatzpunkt, um Rückschlüsse auf die Reichweite des beherrschungsvertraglichen Weisungsrechts zu ziehen. Das beherrschungsvertragliche Weisungsrecht erstreckt sich stattdessen im monistischen und dualistischen System gleichermaßen auf den gesamten Geschäftsführungsbereich. Ob das Verwaltungsorgan die betreffende Aufgabe im Einzelfall an die geschäftsführenden Direktoren delegiert hat, ist für die Reichweite des vertraglichen Weisungsrechts ohne Belang. Die Geschäftsleitungsbefugnis des Verwaltungsorgans aus § 22 Abs. 1 SEAG, Art. 43 Abs. 1 Satz 1 SE-VO wird insoweit genauso zurückgedrängt wie die Leitungsbefugnis des AG-Vorstands aus § 76 Abs. 1 AktG.271 bb) Weisungsrecht vs. Zustimmungsvorbehalte gemäß Art. 48 Abs. 1 SE-VO, § 19 SEAG Soweit das herrschende Unternehmen die geschäftsführenden Direktoren anweist, ein gemäß Art. 48 Abs. 1 SEAG zustimmungspflichtiges Geschäft vorzunehmen, will die herrschende Ansicht § 308 Abs. 3 AktG entsprechend anwenden. Das Verwaltungsorgan trete insofern gemäß § 22 Abs. 6 SEAG an die Stelle des AGAufsichtsrats. Soweit ein geschäftsführender Direktor auch dem Verwaltungsorgan angehöre, sei dieser nur in seiner Direktorenfunktion gemäß § 49 Abs. 1 SEAG an die Weisung des herrschenden Unternehmens gebunden – im Verwaltungsorgan sei er dagegen frei, gegen eine möglicherweise nötige Zustimmung zu stimmen. Erteile das Verwaltungsorgan des abhängigen Unternehmens die Zustimmung nicht, so müsse das herrschende Unternehmen die Weisung nach § 308 Abs. 3 Satz 2 AktG wiederholen.272

271

Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Schlussanh. II Rn. 67; Schwarz, SE-VO (2006), Einl Rn. 208; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO § 49 SEAG Rn. 7; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 49 SEAG) Rn. 5; Maul, ZGR 2003, 743, 747 f.; dies., in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), 457, 490; jedenfalls im Ausgangspunkt auch Ihrig, ZGR 2008, 809, 828; a.A. offenbar Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 49 SEAG Rn. 26. 272 Grundlegend Maul, ZGR 2003, 743, 749; dies., in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), 457, 491 f.; zustimmend Paefgen, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Schlussanh. II Rn. 69 f.; Schwarz, SE-VO (2006), Einl Rn. 208; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO § 49 SEAG Rn. 8; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SERecht (2013), § 49 SEAG Rn. 26; Ihrig, ZGR 2008, 809, 829 f.; wohl auch Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Ko., 2. Aufl. (2015), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 49 SEAG) Rn. 5; etwas zurückhaltender Marsch-Barner, in: GS Bosch (2006), S. 99, 111.

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Das wirkt im Zusammenhang mit der vorgenannten, ebenfalls von der herrschenden Ansicht unterstützten273 These, die Geschäftsleitungsbefugnis des Verwaltungsorgans aus § 22 Abs. 1 SEAG, Art. 43 Abs. 1 Satz 1 SE-VO werde durch das vertragliche Weisungsrecht zurückgedrängt, nicht stimmig. Denn die Entscheidung, in welchem Umfang die geschäftsführenden Direktoren Zustimmungsvorbehalten unterliegen, ist ebenfalls Element der Geschäftsleitungsbefugnis des Verwaltungsorgans.274 Hinzu kommt, dass die ungeschriebenen Grenzen für die Installation von Zustimmungsvorbehalten, die sich aus der eigenverantwortlichen Geschäftsleitungskompetenz des Leitungsorgans im dualistischen Modell ergeben, wegen der umfassenden Abhängigkeit der geschäftsführenden Direktoren nicht für das monistische Modell gelten; theoretisch könnte der Satzungsgeber sogar bestimmen, dass das Verwaltungsorgan-Plenum sich mit sämtlichen Geschäftsführungsentscheidungen befassen muss.275 In diesem Fall würde das Direkt-Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens aus § 49 Abs. 1 SEAG vollständig leerlaufen und durch den aufwändigen Mechanismus aus § 308 Abs. 3 AktG ersetzt. Geht man dann noch davon aus, dass das Verwaltungsorgan der abhängigen SE bei seiner Entscheidung über die Zustimmung gemäß § 308 Abs. 3 Satz 1 AktG völlig ungebunden ist, so würde sich das vertragliche Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens also gerade nicht gegen die Geschäftsleitungskompetenz des Verwaltungsorgans durchsetzen. Möglicherweise könnte das Verwaltungsorgan in der abhängigen SE das vertragliche Weisungsrecht sogar vollständig unterlaufen, wenn es die wiederholte Weisung nach § 308 Abs. 3 Satz 2 AktG immer wieder durch neue Ad-hoc-Zustimmungsvorbehalte kontert. Richtigerweise ist es bereits im Ansatz fehlgehend, für die Frage, inwieweit sich das vertragliche Weisungsrecht gegen die Geschäftsleitungsbefugnis des Verwaltungsorgans durchsetzt, danach zu differenzieren, ob die Geschäftsleitungsbefugnis in Form eines Zustimmungsvorbehalts oder in anderer Form geltend gemacht wird. Denn auch die Entscheidung über diese Form liegt in der Hand des Verwaltugsorgans der abhängigen SE, welches entsprechend die – dem Vertragskonzernrecht grundlegend zuwiderlaufende – Möglichkeit erhielte, das vertragliche Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens zu beschneiden. Stattdessen greift auch hier die umfassende Weisungsbefugnis des herrschenden Unternehmens in Geschäftsführungsangelegenheiten. § 308 Abs. 3 AktG ist daher auf die monistische SE jedenfalls insoweit nicht anwendbar, als die Zustimmungsvorbehalte auf Entscheidungen des Verwaltungsorgans der abhängigen SE zurückgehen.

273

Siehe die Nachweise im 5. Teil unter Fn. 271. Siehe oben Abschnitt „Festlegung von Zustimmungsvorbehalten zugunsten des (Gesamt-)Verwaltungsorgans, Art. 48 Abs. 1 SE-VO“, S. 344, mit den Nachweisen Fn. 612. Konkurrenz erwächst dem Verwaltungorgan nur von Seiten des Satzungsgebers, der gemäß Art. 48 Abs. 1 SE-VO ebenfalls Zustimmungsvorbehalte festlegen kann (und muss). 275 Siehe oben Abschnitt „Festlegung von Zustimmungsvorbehalten zugunsten des (Gesamt-)Verwaltungsorgans, Art. 48 Abs. 1 SE-VO“, S. 344, mit den Nachweisen in Fn. 610. 274

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cc) Weisungen an das Verwaltungsorgan der abhängigen SE? Fraglich ist, ob das herrschende Unternehmen auch berechtigt ist, das Verwaltungsorgan der abhängigen SE verbindlich anzuweisen. Hiergegen scheint der Wortlaut des § 49 Abs. 1 SEAG zu sprechen, der die geschäftsführenden Direktoren für die Anwendung der §§ 308 bis 318 AktG „an die Stelle des Vorstands“ der abhängigen Gesellschaft rücken lässt. Die herrschende Ansicht276 interpretiert dies ohne nähere Problematisierung als abweichende Regelung im Sinne des § 22 Abs. 6 SEAG, der normalerweise das Verwaltungsorgan in die Position des AG-Vorstands einrücken lässt. Während in der AG allein der Vorstand passivlegitimiert für Weisungen sei, gelte dies in der monistischen SE allein für die geschäftsführenden Direktoren. Gänzlich unangreifbar erscheint diese These jedoch nicht. Denn ebenso erscheint denkbar, dass § 49 Abs. 1 SEAG die Grundregel aus § 22 Abs. 6 SEAG nicht verdrängt, sondern nur ergänzt. Das herrschende Unternehmen wäre dann zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet, seine Weisung direkt an die geschäftsführenden Direktoren zu richten. Es könnte sich ebenfalls an das Verwaltungsorgan wenden, welches die Weisung ggf. an die Direktoren weiter zu reichen hätte. Auch in Bereichen, die einem satzungsmäßigen Zustimmungsvorbehalt nach Art. 48 Abs. 1 SEVO unterlägen, könnte das herrschende Unternehmen so durchregieren, ohne auf das Verfahren nach § 308 Abs. 3 AktG angewiesen zu sein. Für eine rein ergänzende Funktion des § 49 Abs. 1 SEAG spricht, dass das vertragliche Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens sich materiell ohnehin umfassend gegen die Geschäftsleitungsbefugnis des Verwaltungsorgans aus § 22 Abs. 1 SEAG, Art. 43 Abs. 1 Satz 1 SE-VO durchsetzt.277 Ein Wahlrecht des herrschenden Unternehmens, sich entweder an die geschäftsführenden Direktoren oder an das Verwaltungsorgan zu wenden, würde diese Situation verfahrenstechnisch spiegeln. Auch leuchtet es nicht recht ein, dem Verwaltungsorgan einerseits das Recht zu geben, sich den Weisungen des herrschenden Unternehmens gegenüber zu verschließen, dem Verwaltungsorgan aber andererseits die Befugnis abzusprechen, sich seinen geschäftsführenden Direktoren in den Weg zu stellen, wenn jene dieselben Weisungen ausführen. Es entstünde eine ähnlich seltsame Situation, wie wenn das herrschende Unternehmen berechtigt wäre, ausschließlich die führenden Mitarbeiter einer abhängigen AG anzuweisen, nicht jedoch den AG-Vorstand selbst. Hätte der Gesetzgeber dies im Sinn gehabt, so hätte eine klarere Formulierung in § 49 Abs. 1 SEAG wohl nahe gelegen.

276

Schwarz, SE-VO (2006), Einl Rn. 208; Siems, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Anh. Art. 51 SE-VO § 49 SEAG Rn. 7, 9; Verse, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), § 49 SEAG Rn. 2; Maul, ZGR 2003, 743, 749 (noch mit Bezug auf die Entwurfsfassung des SEAG). 277 Siehe bereits oben Abschnitt „Weisungsrecht vs. Geschäftsleitungsbefugnis des Verwaltungsorgans“, S. 506, mit den Nachweisen in Fn. 271.

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

Auf der anderen Seite würde eine Weisungsabhängigkeit des Verwaltungsorgans satzungsmäßige Zustimmungsbehalte in der abhängigen SE völlig ihrer Funktion berauben. Denn mit einer parallel an Verwaltungsorgan und Direktoren gerichteten Weisung könnte das herrschende Unternehmen auch die Entscheidung über Erteilung oder Verweigerung der Zustimmung an sich ziehen. Die Pflicht, in der Satzung Zustimmungsvorbehalte vorzusehen, verkäme zur leeren Formalie. Ob Art. 48 Abs. 1 SE-VO, der den Satzungsgeber verpflichtet, solche Zustimmungsvorbehalte zu verankern, für mitgliedstaatliches Konzernrecht offen ist, welches dieselben Zustimmungsvorbehalte zur leeren Formalie degradiert, erscheint durchaus fragwürdig. Oder setzen sich auch insofern die programmatischen Leitsätze aus den Erwägungsgrunden 15 – 17 durch, wonach das SE-Konzernrecht ausschließlich Sache der Mitgliedstaaten ist? Insgesamt sprechen wohl die besseren Gründe für eine Weisungsabhängigkeit auch des Verwaltungsorgans. Abschließende Klarheit kann sich freilich erst nach einer Präzisierung des § 49 Abs. 1 SEAG und ggf. einer Stellungnahme des EuGH zur Regelungsoffenheit bzw. Sperrwirkung des Art. 48 Abs. 1 SE-VO ergeben. 2. Sonstige Verträge zwischen SE und Aktionär Auch sonstige, nicht gesetzlich reglementierte Verträge zwischen Gesellschaft und Aktionär eignen sich möglicherweise, um dem Aktionär besondere Berechtigungen zu verleihen. Wachsender Beliebtheit in der Praxis erfreuen sich insbesondere sogenannte Investorenvereinbarungen mit Ankeraktionären.278 Als mögliche Regelungsgegenstände diskutiert werden insbesondere die Vereinbarung strategischer Unternehmensziele, die Organbesetzung und die unternehmerische Unabhängigkeit der Gesellschaft vom Ankeraktionär.279 Soweit per Investorenvereinbarung konkret in Organkompetenzen oder in die Corporate Governance der Gesellschaft eingegriffen werden soll, ist indes höchste Zurückhaltung geboten. So wird etwa eine Klausel, in der sich ein Aktionär verpflichtet, einer bestimmten Verwaltungs- bzw. Aufsichtsorganbesetzung seine Zustimmung zu erteilen, regelmäßig gegen § 136 Abs. 2 AktG verstoßen.280 Und auch Abreden, die oberflächlich betrachtet allgemein-unscharferen Inhalt haben, indem sie beispielsweise den Charakter der unternehmerischen Beziehung zwischen Gesellschaft und Aktionär beschreiben, können Bedenken ausgesetzt sein, wenn sie darauf abzielen, den Belangen des Aktionärs eine besondere Rolle bei den laufenden Geschäftsleitungserwägungen in der Gesellschaft zuzuweisen. Denn an der Festlegung der Geschäftsleitung auf das 278 Erstmals prominent in Erscheinung trat eine solche Vereinbarung im Fall Schaeffler/ Continental 2008 und den anschließenden Rechtsstreitigkeiten (vgl. LG Hannover, NZG 2010, 744). Speziell zur deutschen SE Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 269, 284 f. (die allerdings nicht viel mehr als die Zulässigkeit solcher Verträge konstatieren). 279 Kiem, AG 2009, 301, 303 f.; Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 201 – 209. 280 Siehe oben Abschnitt „Stimmbindungsverträge“, S. 72.

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Wohl der Gesellschaft und damit der Gesamtheit ihrer Aktionäre kann auch die Investorenvereinbarung nicht rütteln. Hinzu kommt, dass die umfassende gesetzliche Reglementierung des Vertrags- und Nicht-Vertragskonzernrechts in §§ 291 ff. AktG kaum Platz dafür lässt, eine Gesellschaft außerhalb eines Beherrschungsvertrags mit den Interessen ihres Ankeraktionärs in Verbindung zu bringen. Eine Investorenvereinbarung mit verbindlichem Inhalt zu füllen und gleichzeitig in die zwingenden Vorgaben des Aktiengesetzes einzupassen, wird daher praktisch größtes Fingerspitzengefühl verlangen. Die rechtswissenschaftliche Aufarbeitung dieses Phänomens hat im deutschen Rechtsraum gerade erst begonnen.

III. Korporationsrechtliche Begründung besonderer Aktionärsrechte Auch in der Satzung können einem Aktionär besondere Rechte eingeräumt werden. Das gilt in erster Linie für das Recht auf Entsendung einzelner Aufsichtsorganmitglieder gemäß § 101 Abs. 2 AktG, Art. 47 Abs. 4, Art. 40 Abs. 2 Satz 3 SEVO281 bzw. einzelner Verwaltungsorganmitglieder gemäß § 101 Abs. 2 AktG, § 28 Abs. 2 SEAG.282 Jedenfalls in der Nähe eines satzungsmäßigen Sonderrechts befindet sich ferner das Weisungsrecht, welches die Hauptgesellschaft gemäß § 323 Abs. 1 AktG im Zuge der Eingliederung einer SE erwirbt. Der dortige Verweis auf § 308 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, §§ 309, 310 AktG führt zu einem weitgehenden Gleichlauf zum Weisungsrecht im Vertragskonzern. Dieser Gleichlauf setzt sich in § 49 Abs. 2 SEAG fort, der – parallel zu § 49 Abs. 1 SEAG – die geschäftsführenden Direktoren in die Rolle des Vorstands der eingegliederten Gesellschaft einrücken lässt und damit insbesondere zu tauglichen Adressaten einer Weisung macht. Die Erwägungen zum beherrschungsvertraglichen Weisungsrecht283 gelten daher entsprechend, insbesondere was die Frage der Anwendbarkeit des § 308 Abs. 3 AktG auf eine eingegliederte SE betrifft.

281 Hierzu bereits oben Abschnitt „Festlegung von Entsendungsrechten, § 101 Abs. 2 AktG“, S. 230. 282 Hierzu bereits oben Abschnitt „Sonstige Satzungsbestimmungen zur personellen Zusammensetzung des Verwaltungsorgans“, S. 324. 283 Siehe oben Abschnitt „Weisungsrecht aufgrund Beherrschungsvertrag, § 308 AktG“, S. 504.

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IV. Sonderfälle 1. Finanzmarktstabilisierung Handelt es sich bei der abhängigen SE um ein Unternehmen des Finanzsektors im Sinne des § 1 FMStFG, welches Stabilisierungsmaßnahmen des Finanzmarktstabilisierungsfonds in Gestalt eines Beteiligungserwerbs nach § 5a FMStFG in Anspruch nimmt, so ist der neue staatliche Aktionär gemäß § 10 FMStFG, § 5 FMStFV berechtigt, der SE per Vertrag, Selbstverpflichtung oder Verwaltungsakt bestimmte Bedingungen für die Inanspruchnahme der Stabilisierungsmaßnahmen zu diktieren. Zu den bekanntesten gehört dabei die Möglichkeit, die Vergütung der „Organmitglieder und Geschäftsleiter auf ein angemessenes Maß zu begrenzen“ (§ 5 Abs. 2 Nr. 4 FMStFV); aber auch die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen und deren Konditionen kann gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 2 FMStFV beeinflusst werden. Die vorgenannten Befugnisse sind nicht an eine bestimmte Rechtsform des stabilisierten Unternehmens gebunden. Sie fügen sich daher nicht in die aktien- bzw. SE-rechtliche Kompetenzordnung ein, sondern stehen als öffentlichrechtliche Befugnisse selbstständig neben ihr.284 Problemen, die sich bei einer gesellschaftsrechtlichen Verankerung der Befugnisse und deren Verhältnis zu einer mehr oder weniger großen Regelungsoffenheit der SE-VO ergeben hätten, ging der Gesetzgeber damit aus dem Weg. 2. Weisungsrecht von Gebietskörperschaften gegenüber Organmitgliedern? Ebenfalls auf der Schnittstelle zwischen Aktienrecht und öffentlichem Recht liegt schließlich die Frage, inwieweit Gebietskörperschaften, die an der Gesellschaft beteiligt sind, Weisungsrechte gegenüber einzelnen Verwaltungsmitgliedern zustehen können. Relevant ist dies insbesondere dann, wenn die Gebietskörperschaft eigene Beamte in das Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan entsendet oder über eine herkömmliche Nominierung und Wahl für deren Berufung in das Organamt sorgt. In diesem Fall kann die beamtenrechtliche Folgepflicht (z. B. § 62 Abs. 1 BBG) mit der aktienrechtlichen Festlegung der Organmitglieder auf das Wohl der Gesellschaft kollidieren. Auch landesrechtliche Vorschriften, die die Vertreter im Rahmen ihres Organamtes pauschal auf das Interesse und die Beschlüsse der Gebietskörperschaft festlegen,285 würden die betreffenden Aufsichts- bzw. Verwaltungsorganmitglieder von den Interessen der Gesellschaft und der außenstehenden Aktionäre abkoppeln.

284

Cannivé, NZG 2009, 445, 447. Z. B. § 113 Abs. 1 Satz 1 GO NRW („Die Vertreter der Gemeinde in … Aufsichtsräten oder entsprechenden Organen von juristischen Personen …, an denen die Gemeinde unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, haben die Interessen der Gemeinde zu verfolgen. Sie sind an die Beschlüsse des Rates und seiner Ausschüsse gebunden.“). 285

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Die Gebietskörperschaft erhielte eine dementsprechend herausgehobene Rechtsposition. Soweit landesrechtliche Vorschriften in Konflikt mit der aktiengesetzlichen Festlegung der Verwaltung auf das Gesellschaftswohl geraten, wird der Konflikt wohl bereits über Art. 31 GG („Bundesrecht bricht Landesrecht.“) aufgelöst. Dem Landesgesetzgeber steht es danach nicht zu, das Aktiengesetz in Bezug auf die Beteiligungen der Gebietskörperschaften durch ein landesspezifisches Sonderaktienrecht zu variieren.286 Teilweise finden sich zudem in den einschlägigen Landesgesetzen Öffnungsklauseln zugunsten gesellschaftsrechtlicher Pflichtenbindungen.287 Und auch im Verhältnis zur bundesrechtlichen Folgepflicht aus § 62 Abs. 1 Satz 2 BBG behält die gesellschaftsrechtliche Pflichtenbindung die Oberhand. Denn gemäß § 62 Abs. 1 Satz 3 BBG gilt sie nur vorbehaltlich anderweitiger Regelungen in „besonderen gesetzlichen Vorschriften.“ Als eine solche fungiert der aktiengesetzlich fixierte Grundsatz der Weisungsungebundenheit der Aufsichtsratsmitglieder.288 Auch verbeamtete Aufsichts- bzw. Verwaltungsorganmitglieder einer deutschen SE können danach nicht aufgrund öffentlichen Rechts an die Weisungen ihres Dienstherrn gebunden werden, sondern haben wie die übrigen Organmitglieder die Interessen der Gesellschaft zu verfolgen. Die Vorstellung, nach der die Organe der SE grundsätzlich auf die Interessen der Gesellschaft ausgerichtet sind, lässt sich zudem wohl bereits auf Verordnungsebene festmachen. Aus praktischer Sicht ist freilich zu bedenken, dass es regelmäßig Mitglieder der ersten oder zweiten Führungsebene (z. B. Oberbürgermeister, Ministerpräsident, Minister) sein werden, die eine Gebietskörperschaft in einem Aufsichts- oder Verwaltungsgremium vertreten werden. In diesen Fällen wird die Weisungsgebundenheit in erster Linie politischer Art sein und sich damit einer rechtlichen Bewertung und Beschränkung weitgehend entziehen.

286

Vgl. Oetker, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. (2015), § 394 Rn. 19. Z. B. § 125 Abs. 1 Satz 3 GO Hessen („Alle Vertreter des Gemeindevorstands [die die Gemeinde in der jeweiligen Gesellschaft vertreten] sind an die Weisungen des Gemeindevorstands gebunden, soweit nicht Vorschriften des Gesellschaftsrechts entgegenstehen.“); vgl. auch Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 394 Rn. 30 a.E. (zu § 113 Abs. 1 Satz 4 GO NRW). 288 Schürnbrand, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2011), Vor § 394 Rn. 41; Spindler, ZIP 2011, 689, 694; zur teilweise abweichenden Auffassung im öffentlichrechtlichen Schrifttum siehe die Nachweise bei Schürnbrand, a.a.O., Rn. 38. 287

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5. Teil: Die Individualrechte des SE-Aktionärs

J. Ausschluss, Suspendierung und Einschränkung von Aktionärsrechten I. Gesetzlicher Vollrechts- und Stimmrechtsausschluss Regelungen, nach denen ein Aktionär seine Aktionärsrechte, einschließlich des Stimmrechts, vollständig verliert, ohne aus der Gesellschaft auszuscheiden, finden sich in der SE-VO nicht. Für die deutsche SE gelten daher dieselben gesetzlichen Regeln wie in der AG. Zu einem vollständigen Rechtsausschluss kommt es danach, wenn ein Aktionär seine aktienrechtlichen Mitteilungspflichten verletzt (§ 20 Abs. 7, § 21 Abs. 4 AktG), wenn ein Aktionär junge Aktien für Rechnung der Gesellschaft übernimmt (§ 56 Abs. 3 Satz 3 AktG), wenn die Gesellschaft eigene Aktien erwirbt (§ 71b AktG), wenn ein Aktionär seine Aktien für Rechnung der Gesellschaft hält (§ 71d Satz 4 AktG), wenn ein Aktionär wertpapierrechtliche Mitteilungspflichten verletzt (§ 28 WpHG), wenn ein Aktionär einer börsennotierten SE eine Kontrollerlangung nicht anzeigt (§ 35 Abs. 1, § 59 WpÜG) oder wenn er die Pflicht zur Abgabe eines Übernahmeangebots verletzt (§ 35 Abs. 2, § 59 WpÜG). Ferner kommt es gemäß § 328 Abs. 1 AktG zu einer gesetzlichen Rechtsbeschränkung auf ein Viertel der jeweils gehaltenen Aktien, sofern es sich bei der SE und ihrem Aktionär um wechselseitig beteiligte Unternehmen handelt. Einschlägige Verweisungsnorm ist grundsätzlich Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO – im Fall des § 328 Abs. 1 AktG kommen ggf. international-privatrechtliche Grundsätze hinzu.289 Die spezielle Verweisung aus Art. 53 SE-VO greift dagegen, soweit es nach deutschem Aktienrecht zu reinen Stimmrechtsausschlüssen kommt.290 Denn auch diese fallen unter den weit zu interpretierenden291 „Abstimmungsverfahren“-Begriff. In der Sache ergibt sich auch hier ein Gleichlauf zwischen SE und AG. Das Stimmrecht wird danach ausgeschlossen, wenn der als Aktionär Eingetragene eine satzungsmäßige Höchstgrenze für Aktienregister-Eintragungen im eigenen Namen für Aktien, die einem anderen gehören, verletzt (§ 67 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AktG) bzw. die satzungsmäßige Pflicht zur Offenlegung, dass die Aktien einem anderen gehören, verletzt (§ 67 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AktG), wenn der als Aktionär Eingetragene bzw. der von ihm Bezeichnete ein Verlangen der Gesellschaft nach Auskunft über den wahren Aktieninhaber nicht fristgerecht erfüllt (§ 67 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 2, Satz 3 AktG),292 bei ungenügender Einlagenleistung (§ 134 Abs. 2 AktG), bei der Entlastung eines Aktionärs, der zugleich Organmitglied ist, bei der Befreiung des Aktionärs von einer Verbindlichkeit oder bei der Geltendmachung eines Anspruchs 289 Zum Geltungsgrund des deutschen Konzernrechts für die deutsche SE siehe bereits oben Abschnitt „Sonderfall Konzernrecht“, S. 29. 290 Wohl auch Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 223, 244. 291 Siehe bereits oben Abschnitt „Deutsches Beschlussmängelrecht“, S. 117. 292 Zur möglichen Rolle dieser Funktion des § 67 AktG als Verteidigungsmaßnahme gegen eine feindliche Übernahme siehe Klemm/Reinhardt, NZG 2010, 1006, 1009 f.

J. Ausschluss, Suspendierung und Einschränkung von Aktionärsrechten

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gegenüber dem Aktionär (§ 136 Abs. 1 AktG), bei der Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit dem Aktionär oder der Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen der SE und dem Aktionär (§ 34 BGB), bei Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (§ 139 Abs. 1 AktG), im Rahmen der Wahl des Aufsichtsorgans bei bekannter wechselseitiger Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft (§ 328 Abs. 3 AktG) und bei der Beschlussfassung über die Bestellung von Sonderprüfern in Bezug auf Vorgänge, die mit der Entlastung des Aktionärs als Leitungs- oder Aufsichtsorganmitglied oder mit der Einleitung eines Rechtsstreits zwischen der SE und dem Aktionär als Leitungsorgan- oder Aufsichtsorganmitglied zusammenhängen (§ 142 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 AktG). Obwohl auf letztere Vorschrift im SEAG nicht verwiesen wird, gilt sie entsprechend für die monistische SE, soweit es um die Entlastung des Aktionärs als Verwaltungsorganmitglied bzw. um die Einleitung eines Rechtsstreits zwischen der SE und dem Aktionär als Verwaltungsorganmitglied geht.

II. Gewillkürter Vollrechtsausschluss In wenigen Fällen erlaubt das Aktiengesetz Vollrechtsausschlüsse auf Basis individueller Entscheidungen. So kann der Vorstand einer AG Aktionäre „ihrer Aktien und der geleisteten Einzahlungen für verlustig“ erklären, wenn diese ihre Einlage mangelhaft leisten (§ 64 AktG), Aktionäre selbst können im Aufgebotsverfahren die gerichtliche Kraftloserklärung abhandengekommener oder vernichteter Aktienurkunden beantragen (§ 72 AktG), und auch der Vorstand kann mit gerichtlicher Genehmigung Aktien für kraftlos erklären, die „durch eine Veränderung der rechtlichen Verhältnisse unrichtig geworden“293 sind (§ 73 AktG). Zu einem echten Verlust von Mitgliedschaftsrechten kommt es freilich nur im Fall des § 64 AktG, während die Kraftloserklärungen nur der betreffenden Verbriefung ihre Wertpapiereigenschaft nehmen und die Mitgliedschaftsrechte des jeweils berechtigten Aktionärs unberührt lassen. Für die SE ergeben sich keine Besonderheiten. Allein in der monistischen SE gehen die Befugnisse des Vorstands im Rahmen des § 64 AktG gemäß § 22 Abs. 6 SEAG auf das Verwaltungsorgan über.

III. Aufhebung und Einschränkung von Sonderrechten Sonderrechte eines Aktionärs können entsprechend § 35 BGB nur mit Zustimmung des betroffenen Aktionärs eingeschränkt oder aufgehoben werden.294 293 Das ist etwa der Fall bei Formwechseln, Firmen- und Sitzänderungen oder Wechseln von Inhaber- auf Namensaktien (siehe nur Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. (2014), § 73 Rn. 2) und geschieht regelmäßig zur Freude von Aktionären und Liebhabern, für die der Sammelwert der Urkunde im Vordergrund steht. 294 Hierzu bereits oben Abschnitt „Begriff“, S. 513.

6. Teil

Auswirkungen einer Sitzverlegung A. Grenzüberschreitende Mobilität ausländischer Gestaltungen oder Anpassung an zwingendes deutsches Recht? I. Problemaufriss Insbesondere den breit angelegten Verweisen auf nationales Recht in Art. 52 Unterabs. 2 und Art. 53 SE-VO ist es zu verdanken, dass die Aktionärsrechte und Hauptversammlungskompetenzen in der SE in weiten Teilen vom Aktienrecht des jeweiligen Mitgliedstaats geprägt sind. Sogar die wenigen Regelungsbereiche, denen sich der Verordnungsgeber unmittelbar annimmt – wie etwa der Einberufungs- und Ergänzungsantrag (Art. 55 f. SE-VO) und die Mehrheitserfordernisse bei Hauptversammlungsbeschlüssen (Art. 57, 59 SE-VO) – kommen nicht ohne punktuelle Verweise auf Sitzstaatrecht aus (vgl. Art. 55 Abs. 1 Hs. 2, Art. 56 Sätze 2 und 3, Art. 57 Hs. 2, Art. 59 Abs. 1 Hs. 2, Abs. 2 SE-VO). Denselben nationalen Eigenheiten unterworfen ist die Frage, wieviel Freiraum Gesellschaft und Satzungsgeber bei der Einführung individueller Sondergestaltungen genießen, wie etwa Abweichungen vom Prinzip „One share one vote“1, Vorzugsaktien2 oder sogenannter redeemable shares.3 Schon auf grundsätzlicher Ebene ergeben sich hier große Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, etwa in Hinblick auf das Gegenüber von deutscher Satzungsstrenge4 und den weitgehenden Freiheiten, die ein englischer SESatzungsgeber genießt.5 Eine SE, die von den spezifischen Gestaltungsoptionen ihres Sitzstaat-Aktienrechts intensiv Gebrauch macht, kann ihrer Corporate Governance damit in vielerlei Hinsicht einen ganz spezifisch auf den Sitzstaat zugeschnittenen Charakter geben und damit fast ebenso fest mit dem nationalen Aktienrecht verwachsen wie eine nationale Aktiengesellschaft. 1

Siehe oben Abschnitte „Allgemeines“, S. 63, und „Satzungsmäßige Sondergestaltungen“, S. 64. 2 Siehe oben Abschnitt „Stimmrechtslose Vorzugsaktien“, S. 67. 3 Rückerwerbbare Aktien sind im englischen und spanischen Aktienrecht (und damit auch im Recht der englischen und spanischen SE) zulässig, nicht aber im deutschen Aktienrecht; siehe Fleischer, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 169, 173 f. 4 Siehe oben Abschnitt „Satzungsstrenge“, S. 395. 5 Zu möglichen französischen Spezialitäten Rontchevsky, in: Baums/Cahn, Die Europäische Aktiengesellschaft (2004), S. 51, 58; zu den spanischen Enriques, ZGR 2004, 735, 746 – 750; Ferrarini, in: Baums/Cahn, Die Europäische Aktiengesellschaft (2004), S. 79, 80, 91.

A. Grenzüberschreitende Mobilität ausländischer Gestaltungen

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Auf der anderen Seite ist jede SE gemäß Art. 8 SE-VO berechtigt, ihren Sitz von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlegen. Auch einer SE, die von den Möglichkeiten einer liberalen Aktienrechtsordnung Gebrauch gemacht hat, steht es grundsätzlich offen, ihren Sitz in einen Mitgliedstaat zu verlegen, dessen nationales Aktienrecht einen restriktiveren Ansatz verfolgt. Als problematisch erweist sich dann die Frage, wie der Konflikt zwischen den restriktiven Vorgaben des Zielstaats einerseits und den ausschweifenden und (aus Sicht des Zielstaats) spezifisch ausländischen Sondergestaltungen in der zuziehenden SE aufzulösen ist. Genießen die Sondergestaltungen Bestandsschutz? Oder ist die zuziehende SE verpflichtet, ihre Corporate Governance ebenso umfassend auf die Vorgaben des Zielstaats auszurichten, wie sie es hätte tun müssen, wenn sie von vornherein im Zielstaat gegründet worden wäre? Zur Auflösung des Problems lohnt sich ein Blick sowohl auf die Vorgaben der Niederlassungsfreiheit als auch auf die SE-VO selbst.

II. Bestandsschutz durch Niederlassungsfreiheit? Weitgehend Klarheit ergäbe sich bereits auf primärrechtlicher Ebene, wenn sich das Recht einer SE, ihre satzungsmäßigen Sondergestaltungen unverändert in den Zielstaat zu transportieren, unmittelbar aus der Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) ableiten ließe. Voraussetzung hierfür wäre, dass sich die SE im persönlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit befindet und dass sich die Mobilität satzungsmäßiger Sondergestaltungen dem sachlichen Schutzbereich zuordnen lässt. 1. Persönlicher Schutzbereich Die SE fällt in den persönlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit, wenn sie zu den „nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften“ im Sinne des Art. 54 AEUV gehört, die in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit dieselben Rechte genießen wie natürliche Personen, die einem Mitgliedstaat angehören. Dies wird teilweise ohne nähere Erörterung bejaht6 – tatsächlich wirft die Beziehung zwischen der SE und Art. 54 AEUV aber mehrere Probleme auf.

6 Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 7 SE-VO Rn. 2; Eidenmüller, in: Baums/Cahn, Die Europäische Aktiengesellschaft (2004), S. 164, 186; Maul/Wenz, in: Lutter/ Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 261, 272; Ziemons, ZIP 2003, 1913, 1918; implizit Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 7 SE-VO Rn. 7; Teichmann, ZGR 2003, 367, 399 f.; wohl auch Zang, Sitz und Verlegung des Sitzes (2005), S. 34; offen lassend dagegen Altmeppen, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 26; Casper/ Weller, NZG 2009, 681, 682, 686.

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6. Teil: Auswirkungen einer Sitzverlegung

a) Wortlaut des Art. 54 AEUV Mit Blick auf den Wortlaut scheint eine Aufnahme der SE in den persönlichen Schutzbereich zunächst klar auszuscheiden. Denn ihre Gründung vollzieht sich primär nach Art. 2 f., 15 – 37 SE-VO.7 Über diesen Befund hinweg hilft auch nicht die Erwägung, dass für die SE-Gründung subsidiär und ausschnittsweise auch mitgliedstaatliches Gründungsrecht gilt und die SE nach Art. 10 SE-VO vorbehaltlich der Verordnungsregeln wie eine nach mitgliedstaatlichem Recht gegründete Aktiengesellschaft zu behandeln ist.8 Denn Art. 54 AEUV stellt gerade nicht auf die rechtliche Behandlung der bereits gegründeten SE ab, sondern auf die Herkunft der Rechtsvorschriften, nach denen sich die Gründung vollzieht – und diese liegt im Fall der SE jedenfalls primär auf europäischer Ebene. Gerade für das Gründungsrecht greift daher auch der Vorbehalt in Art. 10 SE-VO, wonach das Gleichbehandlungsgebot gerade nicht für Bereiche gilt, denen sich der Verordnungsgeber selbst angenommen hat.9 Andererseits ist zu bedenken, dass das Regelungskonzept, nach dem das SEGründungsrecht in erster Linie auf Verordnungsebene geregelt ist und sich nur zu einem kleineren Teil aus den Verweisen der SE-VO auf nationales Recht ergibt, allein auf eine Entscheidung des Verordnungsgebers zurück geht. Der Verordnungsgeber hätte sich wohl ebenso für eine weitgehende Verweisung auf die Gründungsrechte der Mitgliedstaaten entscheiden können. Die SE-Gründung hätte sich dann „nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats“ gerichtet, was dem Wortlaut des Art. 54 AEUV deutlich näher gekommen wäre. Die Reichweite des primärrechtlichen Schutzes der SE von der vorgenannten Entscheidung des Verordnungsgebers abhängig zu machen, erscheint bedenklich. Denn die hier entscheidenden primärrechtlichen Bindungen richten sich ggf. auch an den Verordnungsgeber selbst. Sie würden ausgehölt, hätte es der Verordnungsgeber in der Hand, indirekt darüber zu entscheiden, ob die SE überhaupt in den Schutzbereich des Art. 54 AEUV aufgenommen wird. Ausräumen lassen sich diese Bedenken auch nicht durch die Ausführungen des EuGH in „Cartesio“, wonach ein Mitgliedstaat grundsätzlich frei über die Anknüpfungskriterien entscheiden kann, „die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen [zu] werden und damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit gelangen zu können.“10 Denn anders als ein 7

Offenbar allein danach eine Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit auf die SE verneinend Ulmer, NJW 2004, 1201, 1203, 1210. 8 So aber Eidenmüller, in: Baums/Cahn, Die Europäische Aktiengesellschaft (2004), S. 164, 186. 9 Zutreffend Ringe, Sitzverlegung der SE (2006), S. 51. 10 EuGH Urteil vom 16. 12. 2008 („Cartesio“), Rs. C-210/06, Rn. 110. Eine Verbindung zwischen dieser Passage und der Schutzbereichseröffnung für die SE bejahend offenbar Oechsler, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 7 SE-VO Rn. 2; Schäfer, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 64 SE-VO Rn. 3.

A. Grenzüberschreitende Mobilität ausländischer Gestaltungen

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Mitgliedstaat, der die Verknüpfung einer bestimmten Gesellschaft mit seiner Rechtsordnung für nicht ausreichend befindet (und sie damit von der Definition in Art. 54 AEUV ausnimmt), würde der europäische Normgeber, der dasselbe Urteil über die SE fällt, jene nicht gleichzeitig seiner eigenen Regelungsbefugnis entziehen, sondern die Gestaltungshoheit über die Rechtsform behalten. Eine derart isolierte Entziehung des Primärrechtsschutzes hatte der EuGH in „Cartesio“ wohl kaum im Sinn. Zudem ist der Grad der Harmonisierung des SE-Gründungsrechts und die Frage, inwieweit sich der Gründungsvorgang eher an Sitzstaat-Aktienrecht oder eher an Verordnungsregelungen orientiert, materiell schlicht ohne Belang für die Frage, ob die SE im Anschluss an ihre Gründung den Schutz der Niederlassungsfreiheit verdient. Allein am Wortlaut des Art. 54 AEUV lässt sich daher nicht festmachen, ob für die SE der persönliche Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet ist. b) Teleologische Auslegung Für die Frage, ob die SE in den Schutzbereich des Art. 54 AEUV fällt, liegt es folglich nahe, eine in erster Linie an der Interessenlage, der Funktion und dem Sinn und Zweck der Niederlassungsfreiheit orientierte Abgrenzung des Schutzbereichs vorzunehmen.11 Vor diesem Hintergrund wird für eine Einbeziehung der SE in den Schutzbereich etwa die Erwägung in die Waagschale geworfen, dass sich die Grundfreiheiten grundsätzlich an die Mitgliedstaaten und an die Gemeinschaft gleichermaßen richten und erst auf Ebene der Eingriffsrechtfertigung für die Gemeinschaft mildere Voraussetzungen gelten.12 Ebenso sei möglicherweise ein Erstrecht-Schluss zur Situation nationaler Gesellschaften gerechtfertigt, da die SE als supranationale Rechtsform noch mehr als nationale Gesellschaften auf eine Mobilität im Binnenmarkt angewiesen sei.13 Und schließlich befinde sich die SE als supranationale Gesellschaft „sowohl gegenüber der Gemeinschaft als auch gegenüber den Mitgliedstaaten in einer strukturell vergleichbaren Gefährdungslage, was Beeinträchtigungen ihrer wirtschaftlichen Transaktionen und ihrer Mobilität im Binnenmarkt anbelangt.“14 Ganz überzeugend wirken allerdings auch diese Gesichtspunkte nicht. Zunächst ist die Erkenntnis, dass die Grundfreiheiten auch den Gemeinschaftsgesetzgeber binden, für die hier zu klärende Frage, ob sich die SE im persönlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit befindet, ohne Gewinn. Denn die Bindung des Ge11 So auch der Ansatz von Schwarz, SE-VO (2006), Einl Rn. 33 f.; de Diego, EWS 2005, 446, 448 f., und Ringe, Sitzverlegung der SE (2006), S. 49 – 55. 12 In diese Richtung Ringe, Sitzverlegung der SE (2006), S. 52 – 54. 13 Schwarz, SE-VO (2006), Einl Rn. 34; wenigstens erwägend Ringe, Sitzverlegung der SE (2006), S. 51; in dieselbe Richtung Wymeersch, in: Baums/Cahn, Die Europäische Aktiengesellschaft (2004), S. 62, 72. 14 de Diego, EWS 2005, 446, 449.

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6. Teil: Auswirkungen einer Sitzverlegung

meinschaftsgesetzgebers an die Grundfreiheiten bedeutet selbstverständlich nicht, dass sich sämtliche Rechtssubjekte, die Gegenstand einer Gemeinschaftsnorm sind, gegenüber dem Gemeinschaftsgesetzgeber auch auf die Grundfreiheiten berufen können. Auch die These, die SE sei wegen ihrer Supranationalität in noch stärkerem Maße auf Mobilität und Niederlassungsfreiheit angewiesen als nationale Gesellschaften, lässt sich nicht verifizieren. Denn der supranationale Charakter der SE ergibt sich in erster Linie aus der in Art. 9 Abs. 1 SE-VO angeordneten Vermischung von europäischem Verordnungs- und mitgliedstaatlichem Gesetzesrecht. Die Fähigkeit zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung mag zwar ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der SE sein. Die Verlegung als solche hat jedoch weniger supranationalen als bilateralen Charakter, da die SE den Grenzübertritt nicht als gleichsam über den nationalen Rechtsordnungen schwebendes Rechtssubjekt vollzieht, sondern sich stattdessen – der Normenhierarchie aus Art. 9 Abs. 1 SE-VO folgend – in die jeweiligen Rechtsordnungen einfügt bzw. von ihnen ablöst. Und selbst wenn man in der SE-Sitzverlegung supranationale Züge erkennen wollte, wäre zu berücksichtigen, dass die Sitzverlegung im laufenden Betrieb der SE eine besonders einschneidende Strukturmaßnahme und eine absolute Ausnahme darstellt, die von den allermeisten SE wohl niemals unternommen wird. Es kann insbesondere keine Rede davon sein, dass es der europäische Normgeber mit dem SE-Sitzverlegungskonzept darauf angelegt hätte, die SE als eine Art körperschaftlichen Wanderunternehmer zu konzipieren, der regelmäßig von einem Mitgliedstaat zum nächsten zieht. Die Sitzverlegung ist damit auch für die SE ein atypischer Vorgang und kein prägendes Element ihres rechtlichen Charakters. Ein mutmaßlich supranationaler Charakter der Sitzverlegung taugt daher nicht, um ein Bedürfnis der SE nach Mobilität im Binnenmarkt zu belegen, welches sich von dem der übrigen Marktteilnehmer abhebt. Ein Erst-recht-Schluss zur Behandlung nationaler Gesellschaften in Art. 54 AEUV scheidet daher aus. Die Behauptung, die SE befinde sich im Verhältnis zum europäischen Normgeber in einer ähnlichen Gefährdungslage wie nationale Gesellschaften im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten, überzeugt schließlich ebenfalls nicht. Denn Ziel der Niederlassungsfreiheit ist es im Kern, den jeweils Begünstigten zu ermöglichen, in jedem Mitgliedstaat eine dauerhafte, selbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen und auszuüben.15 Die Niederlassungsfreiheit wirkt damit einer ganzen Reihe von Anreizen öffentlicher Stellen entgegen, dieser Freiheit Hindernisse in den Weg zu stellen. So erleichtern Mobilitätseinschränkungen etwa die Besteuerung der jeweils Erwerbstätigen, mildern den Wettbewerbsdruck für die Produktpreise inländischer Unternehmen und den Lohn inländischer Arbeitnehmer, lassen nationale Mitbestimmungsregime ungehindert zur Geltung kommen, erschweren einen qualitätiven Vergleich zwischen den wirtschaftsrechtlichen Konzepten und Regulierungsmaß15 Siehe nur Altmeppen, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 27.

A. Grenzüberschreitende Mobilität ausländischer Gestaltungen

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nahmen der Mitgliedstaaten und geben dem nationalen Normgeber damit allgemein mehr Befugnisse in die Hand, seine gesellschafts-, unternehmens- und gewerberechtlichen Vorstellungen ungestört zu verwirklichen. Gemein ist diesen Anreizen, dass sie grundsätzlich nur für die Mitgliedstaaten gelten und nicht für die Gemeinschaft. Insbesondere was den Schutz juristischer Personen durch die Niederlassungsfreiheit betrifft, waren es stets mitgliedstaatliche Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit nationaler Gesellschaften, die dem EuGH Anlass gaben, der Niederlassungsfreiheit in einer Serie von wegweisenden Entscheidungen Konturen zu verleihen – beginnend bei „Daily Mail“16 im Jahr 1988, über „Centros“17, „Überseering“18, „Inspire Art“19, „Sevic“20 und „Cartesio“21, bis hin zur Entscheidung „Vale“22 aus 2012. Mit gemeinschaftsrechtlichen Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit musste sich der EuGH dagegen, soweit ersichtlich, noch nicht befassen. Es sind – im Gegenteil – regelmäßig Vertreter der Gemeinschaft, die eine erleichterte Mobilität von Gesellschaften und juristischen Personen im Binnenmarkt anmahnen und entsprechende Liberalisierungsmaßnahmen vorantreiben.23 Die These, vom europäischen Normgeber gingen dieselben Gefahren für die Niederlassungsfreiheit aus wie von den nationalen Mitgliedstaaten, ist daher unzutreffend. Vielmehr erscheint die Gemeinschaft als der natürliche Verbündete mobilitätsaffiner Marktteilnehmer. Als Gesellschaftsform, die primär der Regelungskompetenz des europäischen Normgebers untersteht, befindet sich die SE damit – jedenfalls im Verhältnis zur Gemeinschaft – gerade nicht in einer Gefährdungslage, die mit derjenigen nationaler Gesellschaften im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten vergleichbar wäre. Allenfalls im Verhältnis zwischen der SE und den Mitgliedstaaten könnte sich eine Gefährdungslage der SE ergeben, die dem Verhältnis zwischen nationalen Gesellschaften und Mitgliedstaaten nahe kommt. SE-spezifische Einschränkungen sind jedoch bereits durch das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art. 10 SE-VO und durch das Verbot eines SE-Sonderaktienrechts außerhalb ausdrücklicher Regelungsermächtigungen ausgeschlossen. Und auch das Gefahrenpotenzial von Einschränkungen, die sich aus dem allgemeinen, auf nationale Aktiengesellschaften anwendbaren Recht (Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO) ergeben, ist für die SE bei 16

EuGH Urteil vom 27. September 1988, Rs. 81/87, NJW 1989, 2186. EuGH Urteil vom 9. März 1999, Rs. C-212/97. 18 EuGH Urteil vom 5. November 2002, Rs. C-208/00. 19 EuGH Urteil vom 30. September 2003, Rs. C-167/01. 20 EuGH Urteil vom 13. Dezember 2005, Rs. C-411/03. 21 EuGH Urteil vom 16. Dezember 2008, Rs. C-210/06. 22 EuGH Urteil vom 12. Juli 2012, Rs. C-378/10, ZIP 2012, 1394. 23 Auf dieses Bestreben zurück geht etwa die IntVeschmelzungs-RL, das SE-Sitzverlegungskonzept sowie der gescheiterte Entwurf eines Sitzverlegungsrichtlinie. Die jüngsten Pläne zu Mobilitätserleichterungen breitet die Kommission in ihrem „Aktionsplan: Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance“ aus (z. B. neue Initiative für eine Sitzverlegungsrichtlinie, Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Spaltungen). 17

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6. Teil: Auswirkungen einer Sitzverlegung

weitem geringer als für die unmittelbar betroffenen nationalen Aktiengesellschaften. Denn der europäische Gesetzgeber hat es in der Hand, einen kritischen Regelungsbereich an sich zu ziehen, indem er eine seinen Vorstellungen entsprechende Alternativregelung in die Verordnung aufnimmt und die mitgliedstaatlichen Konzepte damit verdrängt (Art. 9 Abs. 1 lit. a) SE-VO). Es sprechen damit gute Gründe dafür, die SE vom persönlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit auszunehmen – freilich nicht mit der Folge, dass die SE zu einer besonders freiheitsbeschränkten Rechtsform degradiert würde. Die SE-VO und die SE-Rechtsform als solche sind vielmehr als spezifische Ausgestaltung und Erweiterung der Niederlassungsfreiheit einzuordnen, über die die als SE verfassten Gesellschaften besondere, niederlassungsfreiheitsspezifische Vorteile erlangen können, nicht aber das Recht, auf Basis der Niederlassungsfreiheit noch weitere Freiräume einzufordern. 2. Sachlicher Schutzbereich Selbst wenn man die SE unter den persönlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit fassen wollte, so würde sich die Frage anschließen, ob die Niederlassungsfreiheit in sachlicher Hinsicht den Wunsch einer zuziehenden SE schützt, vorhandene, mitgliedstaatlich geprägte Satzungsbestandteile unverändert in den Zielstaat zu transportieren. Auf den ersten Blick nahe liegt es dabei, die Grundsätze heranzuziehen, die der EuGH für die Mobilität des grenzüberschreitenden Verwaltungssitzes entwickelt hat. Danach darf ein Mitgliedstaat einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft (auch dann) nicht sein eigenes Gesellschaftsrecht oder gar eine Neugründung aufzwingen, wenn diese Gesellschaft ihre hauptsächliche Geschäftstätigkeit per Zweigniederlassung im erstgenannten Mitgliedstaat ausübt. Stattdessen hat er auch in diesem Fall die mit dem ausländischen Gründungsakt begründete Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft anzuerkennen.24 Eine Gesellschaft darf also den Schwerpunkt ihrer unternehmerischen Tätigkeit in einen anderen Mitgliedstaat verlegen, ohne dass der Zielstaat – etwa in Anwendung der Sitztheorie – die weitere Anerkennung ihrer Rechtspersönlichkeit davon abhängig machen kann, dass sie sich den im Zielstaat-Gesellschaftsrecht zur Verfügung gestellten Rechtsformen anpasst. Die gesellschaftsrechtliche Anknüpfung an den Wegzugsstaat (z. B. das Fortbestehen einer „Ltd.“-Firmierung und -Corporate-Governance) genießt damit bei der Verwaltungssitzverlegung Bestandsschutz. In derselben Weise könnte eine SE möglicherweise geltend machen, der Zielstaat dürfe die grenzüberschreitende Sitzverlegung des Satzungs- und Verwaltungssitzes nach Art. 7 Satz 1 SE-VO nicht zum Anlass nehmen, eine umfassende Unterwerfung 24 Grundlegend EuGH Urteil vom 9. März 1999, Rs. C-212/97 („Centros“); EuGH Urteil vom 5. November 2002, Rs. C-208/00 („Überseering“) Rn. 81, 93.

A. Grenzüberschreitende Mobilität ausländischer Gestaltungen

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unter seine Rechtsordnung einzufordern.25 Versteht man die Niederlassungsfreiheit als allgemeines Recht von Marktakteuren, „für ihre Unternehmungen von allen in der Gemeinschaft angebotenen Gesellschaftsformen diejenige zu verwenden, die ihnen hinsichtlich der rechtlichen Ausgestaltung als für den jeweils verfolgten Zweck am besten angepasst erscheint“,26 so erscheint es in der Tat nicht abwegig, die Niederlassungsfreiheit als Schutzschild der SE gegenüber dem neuen Regelungsumfeld im Zielstaat in Stellung zu bringen. Andererseits ist zu bedenken, dass es der EuGH bislang ausschließlich mit Fällen zu tun bekam, in denen eine Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegte; der Satzungssitz blieb dabei stets im Mitgliedstaat der Gründung. Dieser Fokus ist zwar in erster Linie der Tatsache geschuldet, dass ein allgemeiner Regelungsrahmen, nach dem nationale Gesellschaften ihren Verwaltungs- und Satzungssitz verlegen können, nicht existiert. Dass der EuGH einen solchen Rechtsrahmen (z. B. in Form einer Sitzverlegungs-Richtlinie oder -Verordnung) zum Anlass nehmen könnte, seine Rechtsprechung zur Sitzverlegung dahingehend fortzuentwickeln, dass Gesellschaften auch bei kombinierten Verwaltungs- und Satzungssitzverlegungen aus der Niederlassungsfreiheit das Recht ableiten können, die Anknüpfung am Wegzugstaat-Gesellschaftsrecht beizubehalten, deutet sich jedoch nicht an. So merkte der EuGH etwa in „Cartesio“ wie selbstverständlich an, dass die grenzüberschreitende Sitzverlegung nach der SE-VO „die Änderung des auf die betreffende Einheit anwendbaren nationalen Rechts mit sich bringt“ (ohne dass in „Cartesio“ über diesen Aspekt gestritten wurde).27 Ähnlich deutlich wird der EuGH in „Vale“, wo er ausdrücklich die tatsächliche wirtschaftliche Ansiedlung in den Mittelpunkt der Niederlassungsfreiheit einer zuziehenden, potentiell schutzwürdigen Gesellschaft rückt.28 Jedenfalls nach dem gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts und der richterrechtlichen Ausformung der Niederlassungsfreiheit in der Rechtsprechung des EuGH erscheint es daher kaum denkbar, die grenzüberschreitende Mobilität einer mitgliedstaatsspezifischen Sondergestaltung in der Satzung einer zuziehenden SE dem sachlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit zuzuordnen.29

25 Diese Gleichstellung de lege ferenda (Sitzverlegungsrichtlinie) befürwortend Eidenmüller, in: Baums/Cahn, Die Europäische Aktiengesellschaft (2004), S. 164, 187; vgl. auch N. Horn, DB 2005, 147, 153 (SE-Statutenwechsel bei Sitzverlegung „in bemerkenswertem Kontrast zur Rechtsprechung des EuGH“). 26 de Diego, EWS 2005, 446, 449. 27 EuGH Urteil vom 16. Dezember 2008, Rs. C-210/06, Rn. 117 f. 28 EuGH Urteil vom 12. Juli 2012, Rs. C-378/10, Rn. 34; ZIP 2012, 1394, 1396; noch weitgehender die Interpretation der Passage durch Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398, 1399 („durch die Niederlassungsfreiheit … nur die physische und nicht zugleich die rechtliche Mobilität von Gesellschaften im Binnenmarkt geschützt“). 29 Im Ergebnis ebenso Zang, Sitz und Verlegung des Sitzes (2005), S. 209 – 213, 233.

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6. Teil: Auswirkungen einer Sitzverlegung

Primärrechtlich ergibt sich damit keine Vorgabe, den Konflikt zwischen restriktiven Vorgaben eines Zielstaats und spezifisch ausländischen Sondergestaltungen einer zuziehenden SE in eine bestimmte Richtung aufzulösen.

III. Bestandsschutz durch SE-VO? 1. Ganz herrschende Ansicht Um den vorgenannten Konflikt aufzulösen, sieht der Verordnungsgeber in Art. 8 Abs. 9 Hs. 2 SE-VO vor, dass die SE im Zielstaat erst dann eingetragen werden kann, wenn „die Erfüllung der für die Eintragung in dem neuen Sitzstaat erforderlichen Formalitäten nachgewiesen wurde.“ Die wohl ganz herrschende Ansicht30 leitet hieraus (ohne auf den primärrechtlichen Rahmen einzugehen) vor allem ein Recht der für die Eintragung zuständigen Zielstaat-Behörde ab, die Satzung der zuziehenden SE auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Zielstaats hin zu überprüfen. Das gelte insbesondere für die Firma der SE (die dem Firmenrecht des Zielstaats gerecht werden müsse),31 die Zahl der Leitungs-, Aufsichts- bzw. Verwaltungsorganmitglieder (für die über Art. 39 Abs. 2 Satz 2, Art. 40 Abs. 3 Satz 2 bzw. Art. 43 Abs. 2 Satz 2 SE-VO möglicherweise neue Vorgaben gelten),32 für die von der SE ausgegebenen Aktiengattungen (die auch im Zielstaat anerkannt sein müssten)33 und die Satzungssprache (die der Sprache des Zielstaats entsprechen müsse).34 Für unzulässige Aktiengattungen wird teilweise sogar eine automatische Anpassung erwogen.35 Insgesamt spricht Art. 8 Abs. 9 SE-VO also gegen einen Bestandsschutz für 30 Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 8 SE-VO Rn. 20; Diekmann, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 8 SE-VO Rn. 94 – 97; Manz, in: Manz/Mayer/ Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 8 SE-VO Rn. 98; Oechsler, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 8 SE-VO Rn. 50; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 8 Rn. 53 f.; Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 8 SE-VO Rn. 95; Wenz, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Auf. (2005), S. 189, 254 f.; Zimmer/Ringe, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko. (2008), Art. 8 SE-VO Rn. 74; Zang, Sitz und Verlegung des Sitzes (2005), S. 235 f.; in dieselbe Richtung Hirte, DStR 2005, 653, 655; N. Horn, DB 2005, 147 („Der SE ist es … nicht gestattet, beim Wegzug ihr nationales Gesellschaftsstatut mitzunehmen.“); Schindler/Teichmann, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (2005), S. 739, 782. 31 Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. (2015), Art. 8 SE-VO Rn. 20; Manz, in: Manz/ Mayer/Schröder, EuropAG, 2. Aufl. (2010), Art. 8 SE-VO Rn. 98; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 8 Rn. 53; Zimmer/Ringe, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Ko. (2008), Art. 8 SE-VO Rn. 74; Ringe, Sitzverlegung der SE (2006), S. 144 f.; Zang, Sitz und Verlegung des Sitzes (2005), S. 235; offener Kiem, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2010), Art. 11 SE-VO Rn. 9. 32 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 8 Rn. 53; Zang, Sitz und Verlegung des Sitzes (2005), S. 235. 33 Diekmann, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 8 SE-VO Rn. 95; Schwarz, SE-VO (2006), Art. 8 Rn. 54; Zang, Sitz und Verlegung des Sitzes (2005), S. 235. 34 Diekmann, in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht (2013), Art. 8 SE-VO Rn. 95; Zang, Sitz und Verlegung des Sitzes (2005), S. 235. 35 Schwarz, SE-VO (2006), Art. 8 Rn. 54.

A. Grenzüberschreitende Mobilität ausländischer Gestaltungen

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Sondergestaltungen, die (nur) im Recht des Wegzugsstaats wurzeln. In der Literatur wird die Sitzverlegung daher häufig als aufwändiger, formwechsel- oder gar gründungsähnlicher Vorgang bezeichnet.36 2. Stellungnahme Über jeden Zweifel erhaben ist das einseitige Abstellen der herrschenden Ansicht auf Art. 8 Abs. 9 Hs. 2 SE-VO nicht. Denn eine umfassende Pflicht zur Satzungsanpassung wird darin gerade nicht angeordnet. Überdies lassen sich an anderen Stellen der SE-VO durchaus Anhaltspunkte ausmachen, die sich gegen eine strenge Anpassungspflicht an das Zielstaat-Regime verwenden lassen. So bestimmt Art. 8 Abs. 16 SE-VO, dass die SE „in Bezug auf alle Forderungen, die vor dem Zeitpunkt der Verlegung … entstanden sind, als SE mit Sitz im [Wegzugsstaat] gilt, auch wenn sie erst nach der Verlegung verklagt wird“; und in Erwägungsgrund 24 Satz 3 heißt es noch allgemeiner: „Vor der Verlegung entstandene Ansprüche dürfen durch eine solche Verlegung nicht berührt werden.“ Gilt dies auch dann, wenn die Ansprüche gerade auf kritischen Sondergestaltungen beruhen (z. B. auf einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, auf einer Eingliederung oder auf besonderen Rechtsausstattungen der ausgegebenen Aktiengattungen)? Oder lässt sich der Vorschrift sogar ein allgemeiner Rechtsgrundsatz entnehmen, der auf die Kontinuität bestimmter Sondergestaltungen hindeutet? Weiter findet sich in Erwägungsgrund 5 die (im kunstvollen Satzbau etwas untergehende) Wendung, nach der die Mitgliedstaaten „verpflichtet [sind], dafür zu sorgen, dass die Bestimmungen, die auf Europäische Aktiengesellschaften anwendbar sind, weder zu einer Diskriminierung … führen …, noch unverhältnismäßig strenge Auflagen für … die Verlegung [des SE-]Sitzes mit sich bringen.“ Unverhältnismäßig in diesem Sinne könnte insbesondere die zuständige Zielstaat-Eintragungsbehörde handeln, wenn sie den Zuzug einer SE, die intensiv von Gestaltungsfreiheiten in einem liberalen Wegzugsstaat Gebrauch gemacht hat, davon abhängig macht, dass die SE sämtliche Sondergestaltungen, die mit dem restriktiveren Zielstaat-Aktienrecht nicht vereinbar sind, aufgibt oder anpasst. Denn je umfangreicher die abverlangte Anpassungspflicht ausfällt, desto eher wird sie sich für die zuzugswillige SE als prohibitives Sitzverlegungshindernis auswirken.

36 Bungert/Beier, EWS 2002, 1, 6; Merkt, BB 1992, 652, 655 (noch zum SE-VOV 1991: „Was hier organisatorisch erforderlich wäre, grenzt an eine Neu- oder Umgründung.“); Oechsler, AG 2005, 373, 374 („Die umfangreichen Verweisungen der SE-VO auf das Recht des Mitgliedstaates, in dem die SE ihren Sitz hat, führen ferner dazu, dass sich eine Sitzverlegung praktisch wie ein Rechtsformwechsel auswirkt.“); Reichert, Der Konzern 2006, 821, 825 („… wirkt sich eine Sitzverlagerung praktisch wie ein Rechtsformwechsel aus …“).

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6. Teil: Auswirkungen einer Sitzverlegung

In Art. 8 Abs. 9 SE-VO eine umfassende Pflicht zur Anpassung der Satzung hineinzudeuten wirkt schließlich auch merkwürdig vor dem Hintergrund, dass eine Beteiligungsvereinbarung durchaus Bestandsschutz genießt.37 Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass nach Art. 9 Abs. 1 SE-VO nur das Recht des jeweils gegenwärtigen Sitzstaats subsidiär auf die SE Anwendung findet, nicht dagegen das Recht eines ehemaligen Sitzstaats. Hiervon bliebe nicht mehr viel übrig, wollte man gezielte Vorrats-SE-Gründungen und -Sitzverlegungen zulassen, bei denen die restriktiven Vorgaben eines bestimmten Mitgliedstaats auf breiter Front ausgehebelt werden, indem die jeweilige Vorrats-SE nach Gründung in einer liberalen Gesellschaftsrechtsordnung ihren Sitz in ein restriktiveres Regelungsumfeld verlegt. Eine mehrstufige Wanderung derselben SE durch mehrere eher liberale Rechtsordnungen könnte sogar zu SE-Mischformen in unbegrenzter Vielfalt führen, wie sie in der SE-VO ersichtlich nicht angelegt ist. Die „SE“-Firmierung“ würde als Kennzeichen einer bestimmten Rechtsform wertlos, da ein Außenstehender erst mit geschultem Blick auf die Satzung und die Registerhistorie erkennen könnte, welche nationale Rechtsordnung bzw. welche Mischform aus mehreren nationalen Rechtsordnungen für die einzelne SE gilt. Ferner wird ein SE-Satzungsgeber, der sich eng an die Spezifika des Sitzstaatsrechts anlehnt, im Regelfall vorhersehen können, inwieweit die Sitzverlegung Probleme aufwerfen könnte. Hat er eine solche im Auge, so ist es ihm anzuraten und auch zumutbar, sich durch eine vorausschauende Satzungsgestaltung den nötigen Freiraum zu schaffen – ebenso wie es einem mittelständischen Unternehmen, das langfristig einen Börsengang plant, anzuraten sein wird, rechtzeitig die Weichen für einen Formwechsel in eine AG, SE oder KGaA zu stellen. Insgesamt wiegt die Gefahr, dass ein Bestandsschutz zu rechtsmissbräuchlichen Umgehungen und chaotischen Rechtszuständen führt, damit schwerer als die Gefahr, dass eine umfassende Anpassungspflicht zu unverhältnismäßigen Einschränkungen der Sitzverlegungsfreiheit führt. Auf Basis des Art. 8 Abs. 9 Hs. 2 SE-VO kann daher die zuständige Behörde im jeweiligen Zielstaat eine umfassende Anpassung der Satzung an die Vorgaben des Zielstaats verlangen. Gleichzeitig steht es einem Zielstaat selbstverständich offen, einer zuziehenden SE Einlass in seinen Rechtsraum zu gewähren, ohne allzu strengen Gebrauch vom Formalitäten-Kontrollrecht nach Art. 8 Abs. 9 Hs. 2 SE-VO zu machen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass es ausschließlich die Zielstaat-Rechtsordnung ist, die gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO auf die zugezogene SE anwendbar ist. Soweit Satzungselemente hiermit inkompatibel sind und die für die Formalitätenkontrolle zuständige Zielstaat-Behörde über die Inkompatibilität gnädig hinwegsieht, kann es 37

Für einen solchen Bestandsschutz Teichmann, AG 2008, 797, 801 f.; dagegen konsequenterweise Habersack, AG 2006, 345, 348 f., der die Reichweite der Beteiligungsvereinbarung von „Satzungsautonomie und Mitbestimmungsrelevanz“ abhängig macht (siehe oben Abschnitt „Satzungsautonomie und Mitbestimmungsrelevanz“, S. 45); einen Wegfall der Geschäftsgrundlage der Beteiligungsvereinbarung diskutierend Oechsler, AG 2005, 373, 376 f.

B. Zeitlich gestreckte Rechtsvorgänge

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für die SE dennoch ein böses Erwachen geben, wenn die Inkompatibilität in einem Zivilrechtsstreit geltend gemacht wird.

B. Zeitlich gestreckte Rechtsvorgänge Die Pflicht einer SE, ihre Sondergestaltungen an das Recht des Zielstaats anzupassen, ermöglicht zwar für die Satzung einen klaren Einschnitt, klärt aber nicht auf, was mit zeitlich gestreckten Rechtsvorgängen geschieht, die die Rechtsverhältnisse der SE prägen und sich an die Spezifika des Wegzugstaats-Rechtsrahmens anlehnen. Das gilt insbesondere für die Amtszeit der bestellten Organmitglieder, für Ermächtigungen, die auf einen Zeitpunkt nach der Sitzverlegung befristet sind, für sonstige rechtlich relevanten Zeiträume, die den Zeitpunkt der Sitzverlegung einschließen (z. B. Drei-Jahresfrist für Zustimmung zum Vergleich über Ersatzansprüche nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG), sowie für laufende Gerichtsverfahren im Binnenbereich der Gesellschaft (z. B. Beschlussmängelverfahren). Was zunächst die Amtszeit der Organwalter betrifft, so müssen diese im Zuge der Sitzverlegung nicht neu bestellt werden. Denn anders als beispielsweise bei einer Verschmelzung oder Spaltung, die die Organmandate in den betroffenen Gesellschaften beenden,38 bleiben die Existenz und die Integrität der Gesellschaft von einer Sitzverlegung unberührt.39 Auch der Drei-Jahreszeitraum aus § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG wird nicht erst mit der Sitzverlegung einer ausländischen SE nach Deutschland beginnen können, sondern bereits davor. Denn Ziel der Wartezeit ist es, einen Vergleich bzw. Verzicht zu einem Zeitpunkt zu verhindern, in dem sich die Auswirkungen der schädigenden Handlung noch nicht klar überblicken lassen.40 Dies wird auch dann erreicht, wenn nicht über den gesamten Zeitraum hinweg deutsches Recht auf die SE anwendbar war. Hat sich ein Organmitglied einer deutschen SE also zu einem Zeitpunkt schadensersatzpflichtig gemacht, der länger als drei Jahre zurückliegt, so kann sich die SE auch dann über den Anspruch vergleichen oder auf ihn verzichten, wenn die SE vor weniger als drei Jahren in das deutsche Handelsregister eingetragen wurde. Umgekehrt kann eine aus Deutschland weggezogene SE einen Vergleich oder Verzicht vor Ablauf der DreiJahresfrist beschließen, wenn die Rechtsordnung des Zielstaats dies zulässt. Mit der Sitzverlegung beendet werden dagegen befristete Ermächtigungen an die Verwaltung zur Durchführung von Kapitalmaßnahmen, zum Ausschluss des Be38 Vgl. §§ 20, 131 UmwG; siehe nur Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. (2015), § 5 Rn. 43. 39 Ganz h.M.; siehe nur Oechsler, in: MüKo-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 8 SE-VO Rn. 55; Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 23 Aufl. (2015), Art. 8 SE-VO Rn. 23; Veil, in: KK-AktG, 3. Aufl. (2012), Art. 8 SE-VO Rn. 103. 40 Siehe nur Spindler, in: MüKo-AktG, 4. Aufl. (2014), § 93 Rn. 251 mit weiteren Nachweisen.

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6. Teil: Auswirkungen einer Sitzverlegung

zugsrechts und zur Ausgabe von Options- und Wandlungsrechten, wie sie etwa nach deutschem Recht statthaft sind. Denn würde die Verwaltung im Zuzugstaat von einer im Wegzugstaat erteilten Ermächtigung Gebrauch machen, so würde sie der Rechtsordnung des Zuzugstaats eine durch ausländisches Recht geregelte Kapitalmaßnahme aufzwingen. Dies widerspräche insbesondere Art. 5 SE-VO, der der SEKapitalverfassung ausschließlich das jeweils gegenwärtige Sitzstaat-Aktienrecht zugrunde legt. Die nahe liegende Erwägung, nach der eine Fortgeltung der Ermächtigung in Frage kommt, soweit die jeweilige Kapitalmaßnahme und die Ermächtigung sowohl im Wegzugs- als auch im Zuzugsstaat bekannt sind, wird wohl theoretisch bleiben. Denn eine absolute Ähnlichkeit aller Eckpunkte der Maßnahme (z. B. Höchtsgrenze für Befristung, Information der Hauptversammlung und Aktionäre, Publizität von Ermächtigung und Ausübung, Beschluss- und Mehrheitserfordernisse für Ermächtigung und Ausübung) wird es praktisch nie geben.41 Auch laufende, die Binnenordnung der Gesellschaft betreffende Gerichtsverfahren werden sich nach der Sitzverlegung kaum fortführen lassen. Denn um das Urteil auszuführen, müsste man dem Zielstaat ebenfalls einen grenzüberschreitenden, auf den Regeln des Wegzugsstaats aufsetzenden Eingriff in die Corporate Governance der SE zumuten, insbesondere soweit das Verfahren Beschlussmängelklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse betrifft. Eine solcher Verwendung strukturell relevanter Gerichtsverfahren als Korridor für materiellrechtliche Umgestaltungen würde dem Recht der zuständigen Behörde im jeweiligen Zielstaat zuwiderlaufen, auf Basis des Art. 8 Abs. 9 Hs. 2 SE-VO eine umfassende Anpassung der Satzung an die Vorgaben des Zielstaats verlangen. Insgesamt bleibt einer in besonders hohem Maße mitgliedstaatlich geprägten SE damit nichts anderes übrig als diese Prägung aufzugeben, sofern sie per Sitzverlegung den Weg in einen anderen Mitgliedstaat antreten will. Die Tatache, dass sich weder aus der Verordnung noch aus der Niederlassungsfreiheit ein struktureller Bestandsschutz ableiten lässt, mag einer solchen Sitzverlegung daher in manchen Fällen ganz erhebliche Hindernisse in den Weg stellen. Gleichzeitig verhindert der fehlende Bestandsschutz jedoch auch ein exzessives Forum-Shopping, welches möglich wäre, wenn sich eine SE über die gezielte Durchwanderung bestimmter Mitgliedstaaten ein ganz individuelles, von den Vorstellungen des einzelnen Sitzstaats weitgehend abgelöstes Rechtskleid zulegen könnte. Auch deutsche SEs werden daher immer (aber auch nur) dann einheitlich in dem vorstehend beschriebenen Maße von deutschem Aktienrecht geprägt sein, solange sie ihren Sitz in Deutschland unterhalten.

41 Siehe etwa den kurzen rechtsvergleichenden Rundblick von Enriques, ZGR 2004, 735, 746 – 748.

7. Teil

Zusammenfassung A. Systematik der Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte Ähnlich wie § 119 AktG im Recht der deutschen AG bildet Art. 52 SE-VO den Ausgangs- und Schlüsselpunkt für einen Großteil der SE-Hauptversammlungskompetenzen. Unterabs. 1 verweist klarstellend auf die in der Verordnung enthaltenen Kompetenzen (lit. a)) bzw. auf die Ausführungsvorschriften zur SE-RL (lit. b.)), und Unterabs. 2 fungiert als Brücke ins Recht der AG-Hauptversammlung. Trotz der Verknüpfung beider Unterabs. durch die Wendung „außerdem“ ordnet Art. 52 SE-VO die genannten Rechtsquellen nicht nebeneinander in denselben Rang, sondern ebenso hierarchisch wie Art. 9 SE-VO. Eine Sonderrolle nehmen konzernrechtliche Sonderbefugnisse der Hauptversammlung ein. Hier ist in der Regel ein horizontaler und ein vertikaler Normenkonflikt aufzulösen, um das auf eine grenzüberschreitende SE-Konzernverbindung anwendbare Recht zu identifizieren: Horizontal ist zwischen den verschiedenen, von den Konzerngesellschaften berührten mitgliedstaatlichen Konzernrechtsordnungen zu trennen und vertikal zwischen dem Mitgliedstaatsrecht und den übrigen für die SE relevanten Rechtsquellen. Der erstgenannte Konflitk ist nach international-privatrechtlichen Grundsätzen aufzulösen und der an zweiter Stelle genannte Konflikt entsprechend der in Art. 9 Abs. 1 und Art. 52 SE-VO angelegten Normenhierarchie. Der sachliche Zuständigkeitsbereichs der SE-Hauptversammlung wird sowohl nach Art. 52 SE-VO als auch nach §§ 118 ff. AktG vom Enumerativprinzip bestimmt. Dennoch bestehen auch einzelne ungeschriebene SE-Hauptversammlungskompetenzen, für die sich teilweise Parallelen zu ungeschriebenen Rechtsgrundsätzen im Recht der AG ergeben. Was das Verhältnis der Kompetenzen der Hauptversammlung zu denen der übrigen Gesellschaftsorgane betrifft, sind sowohl SE als auch AG dem sogenannten Nebenordnungsmodell zuzuordnen, welches allgemein als Gegensatz zu einer hierarchischen Corporate Governance verstanden wird. Grundlage dieser Einordnung ist der Charakter als Aktiengesellschaft und nicht bestimmte Merkmale, die sie von Aktiengesellschaftsformen in anderen Mitgliedstaaten unterscheiden. Gegenüber Kompetenzabgrenzungen auf nationaler Ebene ist die Verordnung nahezu vollständig regelungsoffen. Insbesondere der allgemeinen Zuweisung des

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7. Teil: Zusammenfassung

Geschäftsführungsbereichs an das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan lässt sich keine abschließende Regelung dahingehend entnehmen, dass der Hauptversammlung geschäftsführungsnahe Kompetenzbereiche von vornherein entzogen wären. Bei der eher unbestimmten Einordnung von „Geschäftsführung“ und „Überwachung“ in Art. 39 Abs. 1, Art. 40 Abs. 1 und Art. 43 Abs. 1 SE-VO handelt es sich vielmehr um programmatische Leitformeln, die die Eckpunkte des dualistischen und monistischen Verwaltungssystems markieren, ohne fest definierte Entscheidungsfelder für die Verwaltung zu reservieren. Durch ein Übergreifen der Beteiligungsvereinbarung in satzungsrelevante Regelungsbereiche können insoweit Kompetenzkonflikte verursacht werden, als die Beteiligungsvereinbarung Regelungen über die „Mitbestimmung“ im Sinne des § 2 Abs. 12 SEBG, Art. 2 lit. k) SE-RL enthält. Diese Konflikte werden gemäß Art. 40 Abs. 2, Art. 43 Abs. 3 SE-VO zugunsten der Beteiligungsvereinbarung aufgelöst. Sonstige Vereinbarungsbestandteile, die ein Mit-Bestimmen der Arbeitnehmervertreter vorsehen, welches nicht unter den Mitbestimmungsbegriff des § 2 Abs. 12 SEBG, Art. 2 lit. k) SE-RL fällt, sind rechtswidrig und damit unbeachtlich. Konflikte, die – umgekehrt – dadurch verursacht werden, dass der Satzungsgeber in Regelungsbereiche vordringt, die nach der SE-RL der Beteiligungsvereinbarung vorbehalten sind, werden in Art. 12 Abs. 4 SE-VO ebenfalls zugunsten der Beteiligungsvereinbarung aufgelöst. Da derart weit ausgreifenden Satzungsbestimmungen nach deutschem Aktienrecht bereits der Grundsatz der Satzungsstrenge entgegensteht, hat Art. 12 Abs. 4 SE-VO in Bezug auf die deutsche SE keinen Anwendungsbereich.

B. Der SE-Hauptversammlungsbeschluss Anforderungen an die Beschlussfähigkeit der Hauptversammlung, z. B. eine Mindestpräsenz, finden sich auf Ebene der SE-Verordnung nicht. Art. 57 SE-VO ist insoweit vollständig abschließend auszulegen. Der für die AG bestehende Satzungsspielraum (§ 133 Abs. 1 Hs. 2 Alt. 2 AktG) gilt nicht für die SE. Die SE-Verordnung enthält ebenfalls keine allgemeine, das Stimmrecht der Aktionäre begründende oder gestaltende Vorschrift, geht in Abschnitt 4 („Hauptversammlung“) aber stillschweigend davon aus, dass das Stimmrecht in der Hauptversammlung ausschließlich Aktionären zusteht. Dasselbe folgt aus Art. 5 SEVO in Verbindung mit § 12 Abs. 1 Satz 1 AktG. Die nach deutschem Recht bestehenden Möglichkeiten einer Variation des Proportionalitätsprinzips, z. B. Höchststimmrechte und stimmrechtslose Vorzugsaktien, finden über Art. 5 SE-VO grundsätzlich auf die deutsche SE Anwendung. In Hinblick auf die Kapitalverkehrsfreiheit aus Art. 63 AEUV werfen Höchststimmrechte wegen ihrer diskriminierungsfreien Wirkung grundsätzlich keine Bedenken auf.

B. Der SE-Hauptversammlungsbeschluss

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Auch in Hinblick auf sonstige „Control Enhancing Mechanisms“ führen die im deutschen Aktien- und SE-Recht ohnehin geltenden Einschränkungen dazu, dass die sogenannte „Golden Shares“-Rechtsprechungslinie des EuGH nur wenig einschränkende Wirkung im deutschen Rechtsraum entfaltet. Stimmrechtsvollmachten und Legitimationsübertragungen an Dritte kann ein SEAktionär grundsätzlich unter denselben Voraussetzungen erteilen bzw. vornehmen, die auch für einen AG-Aktionär gelten. Und auch inhaltlich kann ein SE-Aktionär seine Abstimmungsentscheidung auf ähnliche Weise fremden Einflüssen unterwerfen wie ein AG-Aktionär – z. B. auf Basis eines Stimmbindungsvertrags oder einer Investorenvereinbarung. Die Einschränkungen aus § 136 Abs. 2 AktG gelten hierbei grundsätzlich entsprechend – jedoch nicht für Bindungen an Weisungen oder Vorschläge der geschäftsführenden Direktoren in einer monistischen SE. Die statthafte Form der Stimmabgabe kann entweder gemäß § 134 Abs. 4 AktG, Art. 53 SE-VO in der Satzung oder – bei Fehlen einer satzungsmäßigen Festlegung – durch den Versammlungsleiter bestimmt werden. Nicht möglich ist dagegen eine Regelung per Geschäftsordnung oder gar per Ad-hoc-Beschluss. Das Stimmrecht gehört weiter zu den Aktionärsrechten, die per Briefwahl und im Wege elektronischer Kommunikation ausgeübt werden können; die so abgegebenen Stimmen zählen dann gleichberechtigt zu den „abgegebenen Stimmen“ im Sinne der Art. 57 – 59 SE-VO. Per Briefwahl abgegebene Stimmen können jedenfalls dann nicht mehr widerrufen werden, wenn die Gesellschaft dies vorab ausgeschlossen hat oder der Aktionär auf ein Widerrufsrecht verzichtet. Steht deswegen im Einzelfall ein bestimmtes Abstimmungsergebnis bereits vor der Hauptversammlung fest, so wird sich eine Beschlussanfechtung kaum mit Fehlern begründen lassen, die in der physischen Hauptversammlung wurzeln. Für die Stimmenauszählung stehen sowohl das Additions- als auch das Subtraktionsverfahren zur Verfügung. Die Wertung der Untätigkeit eines präsenten Aktionärs als Teilnahme per Ja-Stimme verstößt nicht gegen Art. 58 Var. 1 SE-VO. Der Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit aus Art. 57 SE-VO gilt für sämtliche Willensäußerungen der SE-Hauptversammlung in Beschlussform, also auch für Wahlen und reine Verfahrensbeschlüsse. Art. 57 Hs. 2 Alt. 1 SE-VO erlaubt Abweichungen vom Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit, soweit die SE-VO selbst eine „größere Mehrheit“ vorschreibt. Hierunter fallen insbesondere Art. 59 Abs. 1 SE-VO (Satzungsänderung) und Art. 8 Abs. 6 Satz 2 SE-VO (Sitzverlegung). Dasselbe erhöhte Stimmenmehrheitserfordernis gilt für Geschäftsführungsmaßnahmen von grundlegender Bedeutung, für die die SE-Hauptversammlung entsprechend den im deutschen Aktienrecht entwickelten Gelatine-Grundsätzen zuständig ist. Die nach Art. 59 Abs. 1 SE-VO erhöhte Zwei-Drittel-Mehrheit wird ihrerseits variiert durch Art. 59 Abs. 2 SE-VO. Danach kann jeder Mitgliedstaat bestimmen, dass für eine Satzungsänderung die einfache

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7. Teil: Zusammenfassung

Stimmenmehrheit ausreicht, sofern mindestens die Hälfte des gezeichneten Kapitals vertreten ist. Der deutsche Gesetzgeber hat hiervon in § 51 SEAG Gebrauch gemacht. Auch aus nationalem Aktienrecht kann sich gemäß Art. 57 Hs. 2 Alt. 2 SE-VO eine Abweichung vom Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit ergeben. Danach sind auf die deutsche SE diejenigen aktienrechtlichen Vorschriften anwendbar, die eine „größere Mehrheit vorschreib[en].“ Eine Übertragung von Vorschriften des AktG, welche dem Satzungsgeber erlauben, gesetzlich vorgesehene Stimmenmehrheitserfordernisse zu variieren – also jene zu verschärfen und/oder abzumildern –, ist grundsätzlich ausgeschlossen. Nicht anwendbar auf die deutsche SE sind daher insbesondere die Satzungsspielräume aus § 103 Abs. 1 Satz 3 AktG („andere Mehrheit“ für Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds), § 29 Abs. 1 Satz 3 SEAG („andere Mehrheit“ für Abberufung eines Verwaltungsorganmitglieds), § 133 Abs. 1 Hs. 2 AktG („größere Mehrheit“) und § 133 Abs. 2 AktG (abweichende Mehrheitserfordernisse für Wahlen). Nicht ausgeschlossen ist dagegen eine satzungsmäßige Verschärfung des qualifizierten Mehrheitserfordernisses für Satzungsänderungen aus Art. 59 Abs. 1 Hs. 2 SE-VO. Der Verweis in Art. 57 Hs. 2 Alt. 2 SE-VO erstreckt sich auch auf solche nationalen Vorschriften, die den Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit zwar verschärfen, gleichzeitig aber den Satzungsgeber dazu ermächtigen, das verschärfte Mehrheitserfordernis seinerseits zu variieren (z. B. § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG) – dies allerdings dergestalt, dass das einfache Mehrheitserfordernis für die SE zwingend gilt. Die deutschen Kapitalmehrheitserfordernisse, die jeweils zugehörigen Satzungsspielräume und die sonstigen, nach deutschem Aktienrecht zu erfüllenden, nicht mehrheitsbezogenen Wirksamkeitsvoraussetzungen für Beschlüsse sind über die allgemeine Verweisung aus Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) bzw. iii) SE-VO uneingeschränkt auf die SE übertragbar. Gemäß Art. 60 Abs. 1 ist eine Sonderabstimmung immer dann erforderlich, wenn gattungsspezifische Rechte „durch den Beschluss berührt“ werden. Das gilt nur dann nicht, wenn die Änderung rein begünstigenden Charakter für die jeweilige Aktiengattung hat. Für die Sonderabstimmung gilt grundsätzlich dasselbe Mehrheitserfordernis wie für den Beschluss der Hauptversammlung.

C. Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

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C. Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss I. Rechtsquellen und Systematik des SE-Beschlussmängelrechts Für die deutsche SE-Hauptversammlung gilt gemäß Art. 53 SE-VO grundsätzlich das Beschlussmängelrecht des Aktiengesetzes. Die Regeln über das Vorabentscheidungeverfahren nach Art. 267 AEUV gelten auch für ein deutsches Gericht, das mit einer Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage gegen einen SE-Hauptversammlungsbeschluss befasst ist. Da ein solcher Beschluss auch dann anfechtbar sein kann, wenn er gegen die SE-VO verstößt, ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich ergebnisrelevante Zweifel über die Auslegung von Gemeinschaftsrecht ergeben, sogar höher als im Beschlussmängelverfahren einer deutschen AG. Weitgehend ungeklärt ist dagegen das Verhältnis zwischen dem Vorabentscheidungsverfahren und dem aktienrechtlichen Freigabeverfahren.

II. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, §§ 241 ff. AktG Anfechtungsbefugt gemäß § 245 Nr. 1 AktG sind auch Briefwähler (§ 118 Abs. 2 AktG), ohne dass diese einen Widerspruch zur Niederschrift einlegen müssen. Online-Teilnehmern obliegt es dagegen grundsätzlich, Widerspruch einzulegen, wenn sie eine Anfechtungsbefugnis aus § 245 Nr. 1 AktG herleiten wollen. Nur wenn sie hierzu aus Gründen, die im Verantwortungsbereich der Gesellschaft liegen, nicht in der Lage sind, ist der Widerspruch entbehrlich. Die Anfechtungsfrist nach § 246 Abs. 1 AktG beginnt auch bei einer mehrtägigen Hauptversammlung am Tag der Beschlussfassung und nicht erst am letzten Versammlungstag. Die Monatsfrist für Klagen gegen Verschmelzungs-, Spaltungs- und Formwechselbeschlüsse (§ 122a Abs. 2, § 125 Satz 1, § 195 Abs. 1 UmwG) gilt auch, wenn sich eine SE gemäß Art. 17 – 31 SE-VO an der Verschmelzungsgründung einer neuen SE, an einer sonstigen grenzüberschreitenden Verschmelzung oder an einer Holding-SE-Gründung beteiligt. Der Beginn der Monatsfrist ist dann ausnahmsweise nicht an den Beschluss der deutschen Gesellschaft zu knüpfen, sondern an den Tag, an dem der letzte ausländische Gründungs- bzw. Verschmelzungspartner seinen Zustimmungs- und (Nicht-)Akzeptanzbeschluss in Hinblick auf die Anerkennung des Spruchverfahrens (Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO) gefasst hat. § 241 Nr. 1 AktG, wonach sich die Nichtigkeit einer Beschlussfassung unter anderem dann ergeben kann, wenn die Hauptversammlung durch eine unzuständige Person einberufen wurde, gilt auch für die deutsche SE, obwohl § 241 Nr. 1 AktG nur auf die – für die SE grundsätzlich nicht geltende – Einberufungszuständigkeit nach

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7. Teil: Zusammenfassung

§ 121 Abs. 2 AktG verweist. Die Nichtigkeit ergibt sich für die SE ggf. aus § 241 Nr. 1 AktG analog, Art. 53 SE-VO in Verbindung mit Art. 54 Abs. 2 SE-VO. Nichtig sind nach § 241 Nr. 3 AktG ferner Hauptversammlungsbeschlüsse, die mit dem „Wesen der Aktiengesellschaft“ nicht zu vereinbaren sind (Var. 1), gläubigerschützende Vorschriften verletzen (Var. 2) oder gegen Vorschriften verstoßen, die „sonst im öffentlichen Interesse“ gegeben sind (Var. 3). Die Übertragung aller drei Nichtigkeitsgründe auf die SE steht grundsätzlich nicht in Frage, da auf Verordnungsebene keine Vorschriften existieren, die § 241 Nr. 3 AktG inhaltlich Konkurrenz machen würden. In Hinblick auf Nichtigkeitsgründe nach § 241 Nr. 3 Var. 1 AktG ist nicht auf das „Wesen der Aktiengesellschaft“, sondern auf das „Wesen der SE“ abzustellen. Wie im Recht der Aktiengesellschaft ergibt sich auch im Beschlussmängelrecht der deutschen SE aber letztlich keine eigenständige Bedeutung der „Wesen“-Variante des § 241 Nr. 3 AktG. Gläubigerschützende Normen im Sinne des § 241 Nr. 3 Var. 2 AktG sind in Hinblick auf die deutsche SE auch Art. 8 Abs. 15, Art. 24 Abs. 1 lit. a) und b) SE-VO sowie §§ 8, 13 SEAG. Soweit eine deutsche SE eine vollständig vertragliche Rechtsgrundlage für die Mitbestimmung geschaffen haben, begründet ein Verstoß eines Hauptversammlungsbeschlusses gegen das jeweils begründete Mitbestimmungsregime keinen Nichtigkeitsgrund nach § 241 Nr. 3 Var. 2 AktG. Zu den „sonst im öffenlichen Interesse“ gegebenen Normen im Sinne des § 241 Nr. 3 Var. 3 AktG zählt die Wartefrist aus Art. 8 Abs. 6 Satz 1 SE-VO. Die Heilung eines an sich nichtigen Hauptversammlungsbeschlusses gemäß § 242 AktG ist auch in der deutschen SE möglich. Das gilt auch dann, wenn die Nichtigkeit auf einem Verstoß gegen die SE-Verordnung beruht. Ein SE-Hauptversammlungsbeschluss ist gemäß § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar, wenn er gegen das Gesetz oder die Satzung verstößt. Neben Verstößen gegen deutsche Gesetze fallen auch Verordnungsverstöße unter § 243 Abs. 1 Alt. 1 AktG. Die herrschende Ansicht, nach der die Anfechtbarkeit eines positiven Entlastungsbeschlusses auch auf Basis inhaltlicher Kriterien in Betracht kommt – nämlich dann, wenn Gegenstand der Entlastung ein Verhalten ist, das eindeutig einen schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstellt – ist abzulehnen. Die Entlastung stellt stattdessen eine reine Ermessensentscheidung der Hauptversammlung dar. Der Anfechtungsausschluss aus § 243 Abs. 3 Nr. 1 Hs. 1 AktG (technische Störung bei elektronischer Rechteausübung), gilt auch für die deutsche SE. Aus rechtspolitischer Sicht ergeben sich gute Gründe, die Norm gründlich zu überarbeiten und das gegenwärtige Haftungsprivileg ersatzlos zu streichen. Wie für die AG so ist auch für die deutsche SE unter bestimmten Voraussetzungen die Anfechtungsklage zugunsten des Spruchverfahrens nach § 1 SpruchG ausge-

C. Der fehlerhafte SE-Hauptversammlungsbeschluss

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schlossen. Betroffen sind stets Fehler eines strukturändernden Beschlusses, die sich ausschließlich auf die Höhe einer gesetzlich regulierten Ausgleichs-, Abfindungsoder Zuzahlung auswirken. Anders als bei inländischen Verschmelzungen greifen Spruchverfahren und Anfechtungsausschluss bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen nur dann, wenn die Reziprozitätsklausel aus § 122h Abs. 1 bzw. § 122i Abs. 2 Satz 1 UmwG erfüllt ist. Auf die dort angesprochene individuelle Zustimmung der ausländischen Verschmelzungspartner kommt es jedoch nur insoweit an, als die für den jeweiligen ausländischen Rechtsträger einschlägige Rechtsordnung kein Verfahren im Sinne des § 122h Abs. 1, § 122i Abs. 2 Satz 1 UmwG bereit hält. Hierunter zu verstehen ist ein Verfahren, das (1) die Eintragung der Verschmelzung nicht verhindert, (2) den Aktionären einer übertragenden Gesellschaft offen steht, (3) diese Aktionäre einseitig zu Lasten der übernehmenden Gesellschaft begünstigt und in dem (4) diesen Aktionären möglicherweise ein Anspruch gegen den übernehmenden Rechtsträger auf eine nachträgliche wirtschaftliche Korrektur der Verschmelzungsbedingungen zuerkannt wird. Es spricht viel dafür, dass die Mehrzahl der übrigen Mitgliedstaaten im Rahmen ihres allgemeinen Beschlussmängelrecht ein Kontrollverfahren anbieten, das diesen Kriterien gerecht wird. Trifft dies zu, so verbleibt kaum ein Anwendungsbereich für das oben genannte Zustimmungserfordernis. Dieselben Erwägungen gelten in Hinblick auf die Anwendbarkeit des Spruchverfahrens und den entsprechenden Anfechtungsausschluss bei Beteiligung einer deutschen SE an einer SE-Verschmelzungsgründung und an einer Holding-SEGründung. Für die Holding-SE-Gründung gilt die Reziprozitätsklausel aus Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO analog. Keine Funktion entfalten kann die Reziprozitätsklausel dagegen im Rahmen einer SE-Sitzverlegung. Neben dem allgemeinen Beschlussmängelrecht aus §§ 241 ff. AktG gelten speziell für die Wahl von Aufsichtsorganmitgliedern die Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe aus §§ 250, 251 AktG, für die Wahl von Verwaltungsorganmitgliedern die §§ 31, 32 SEAG, für die Anfechtung des Beschlusses über die Verwendung des Bilanzgewinns die §§ 253, 254 AktG, für die Anfechtung eines Kapitalerhöhungsbeschlusses § 255 AktG und für die Feststellung des Jahresabschlusses die §§ 256, 257 AktG. Insbesondere werden §§ 250, 251 AktG nicht durch Art. 47 Abs. 2 SE-VO verdrängt. § 250 Abs. 1 Nr. 2 AktG, wonach eine Aufsichtsorganwahl nichtig ist, wenn die Hauptversammlung eine nicht vorgeschlagene Person wählt, obwohl sie an Wahlvorschläge nach §§ 6, 8 MontanMitbestG gebunden ist, findet in § 31 Abs. 1 SEAG keine Entsprechung. Die Regelungslücke ist hinzunehmen; eine Analogie zu § 250 Abs. 1 Nr. 2 AktG kommt nicht in Betracht.

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7. Teil: Zusammenfassung

III. Freigabeverfahren Die aktien- und umwandlungsgesetzlichen Freigabeverfahren gelten grundsätzlich auch für die deutsche SE. Eine analoge Anwendung des Freigabeverfahrens auf die SE-Sitzverlegung und die Holding-SE-Gründung kommt nicht in Betracht, wäre jedoch rechtspolitisch höchst wünschenswert. Innerhalb des Anwendungsbereichs des Freigabeverfahrens bleibt grundsätzlich kein Platz für eine parallele Anwendbarkeit der §§ 916 ff., 935 ff. ZPO, und zwar weder aus Sicht des Antragsstellers noch aus der des Antragsgegners. In Hinblick auf das Bagatellquorum aus § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG ergeben sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Es spricht viel dafür, dass die Norm schon gar keinen Rechtseingriff im verfassungsrechtlichen Sinne darstellt. Die Wahl eines anteiligen Grundkapitalbetrags von 1.000 Euro als entscheidende Schwelle erscheint in rechtspolitischer Hinsicht jedoch fragwürdig. Der Antragssteller muss die Beteiligungsschwelle spätestens an dem Tag erreichen, an dem die Einberufung gemäß § 121 Abs. 4 bzw. Abs. 4a AktG bekannt gemacht wird, und muss seine Beteiligung mindestens bis zum Tag der nach § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG erforderlichen Nachweisausstellung über 1.000 Euro halten. Ein Beteiligungsnachweis obliegt dem Antragsgegner auch dann, wenn eine ausreichende Beteiligungshöhe des Antragsgegners das gesamte Verfahren über offenkundig ist (§ 291 ZPO) oder der Antragssteller die ausreichende Beteiligungshöhe des Antragsgegners ausdrücklich zugesteht (§ 288 Abs. 1 ZPO). Für den nach § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG beizubringenden Nachweis gilt der prozessuale Urkundenbegriff aus §§ 415 ff. ZPO. Auch das Aktienregister (§ 67 AktG) kommt theoretisch als Nachweisquelle in Betracht. Ob ein Hauptversammlungsbeschluss gemäß § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG freigegeben werden kann, ist im Zuge einer zweistufigen Prüfung zu ermitteln: Auf erster Stufe wägt das Gericht die Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre mit den Nachteilen für den Antragsgegner ab; auf zweiter Stufe untersucht das Gericht die Schwere des jeweiligen Rechtsverstoßes. Auf Seiten der Gesellschaft und ihrer Aktionäre sind (nur) solche Nachteile sind, die kausal auf den Suspensiveffekt der Anfechtungsklage zurückgehen. Nachteile, die sonstige Stakeholder der Gesellschaft betreffen, sind grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig. Berücksichtigungsfähig auf Seiten des Antragsgegners sind diejenigen Nachteile, die sich aus der freigabetypischen Beschleunigung und Bestandskraft der Eintragung ergeben. Bei der Abwägung der relevanten Nachteile genießt das Gericht erhebliche Freiheiten. Es ist insbesondere dazu befugt, ggf. Inkomparabilitäten zwischen relevanten Belangen nach eigenem Ermessen zu überbrücken. Aus Sicht des Registergerichts ist eine positive Freigabeentscheidung gleichbedeutend mit der nach § 319 Abs. 5 AktG bzw. § 16 Abs. 2 UmwG erforderlichen Negativerklärung. Deren Fehlen steht der Registereintragung mithin nicht mehr im

D. Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

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Weg. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Registergericht auf einen positiven Beschluss hin die Eintragung in jedem Fall vornehmen müsste.

D. Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung I. Einfluss auf das Aufsichtsorgan Gemäß Art. 40 Abs. 3 Satz 1 SE-VO werden die Zahl der Mitglieder des Aufsichtsorgans oder die Regeln für die Festlegung der Zahl durch die Satzung bestimmt. Dem nationalen Gesetzgeber steht es gemäß Satz 2 offen, die Satzungsfreiheit einzuschränken, indem er selbst eine bestimmte Mitgliederzahl oder eine Höchstund/oder Mindestzahl festlegt. Der deutsche Gesetzgeber hat hierzu § 17 Abs. 1 SEAG erlassen, der § 95 AktG bewusst nachempfunden ist. Danach muss eine Satzungsregel über die Zahl der Aufsichtsorgansitze mindestens drei Sitze vorsehen und in Abhängigkeit von der Grundkapitalziffer die jeweils einschlägige Höchstgrenze beachten. Auch der Dreiteilbarkeitsgrundsatz wird in § 17 Abs. 1 Satz 3 SEAG auf die SE erstreckt. Zu Letzterem war der deutsche Gesetzgeber allerdings nicht befugt. Denn das Dreiteilbarkeitsgebot ist kein Minus gegenüber der in der Verordnung ausdrücklich zugelassenen Festlegung einer bestimmten Zahl bzw. einer Mindest- oder Höchstzahl, sondern ein Aliud. Gemäß Art. 40 Abs. 3 Satz 1 SE-VO kann die Satzung entweder eine fixe Zahl an Sitzen festlegen oder sich auf eine indirekte Steuerung der Mitgliederzahl beschränken, indem sie nur Regeln für ihre Festlegung vorgibt. Erlaubt sind danach auch Klauseln, die an dynamische Kriterien und/oder Entscheidungen einzelner Gesellschaftsorgane anknüpfen. Eine stets exakte Berechenbarkeit nach rein statisch-objektiven Kriterien ist nicht erforderlich. Auch ein Regelungsverzicht des Satzungsgebers ist möglich. Es greift dann der in § 17 Abs. 1 Satz 1 SEAG niedergelegte Grundsatz von drei Sitzen. Um für die Bestellung in ein SE-Aufsichtsorgan in Frage zu kommen, müssen potenzielle Kandidaten zunächst die zwingenden Eignungsvoraussetzungen aus § 100 Abs. 1, 2, § 105 AktG erfüllen, welche gemäß Art. 47 Abs. 2 lit. a) SE-VO auch für die SE gelten. Daneben steht es dem Satzungsgeber gemäß Art. 47 Abs. 3 SE-VO offen, für Organmitglieder, die die Aktionäre vertreten, „in Anlehnung an die für Aktiengesellschaften geltenden Rechtsvorschriften des Sitzstaats der SE besondere Voraussetzungen für die Mitgliedschaft“ festzulegen. Der Verweis auf das Sitzstaatrecht bezieht sich in Deutschland auf § 100 Abs. 4 AktG, wonach die Satzung persönliche Voraussetzungen für solche Aufsichtsratsmitglieder fordern darf, die von der Hauptversammlung gewählt oder von Aktionären in den Aufsichtsrat entsandt werden. Sowohl nach Art. 47 Abs. 3 SE-VO als auch nach § 100 Abs. 4 AktG kann die Satzung nur solche Kriterien vorsehen, die in der Person jedes einzelnen Organ-

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7. Teil: Zusammenfassung

mitglieds erfüllt werden können und müssen. Weder die Fixierung bestimmter Quoten (z. B. Ausländer- oder Deutschenquote) noch die Formulierung spezifischer Voraussetzungen in Hinblick auf bestimmte Organmitglieder oder Gruppen von Organmitgliedern (z. B. entsendete Mitglieder) ist zulässig. Dem Satzungsgeber steht ferner das Recht zu, persönliche Voraussetzungen so eng zu formulieren, dass eine Auswahl zwischen mehreren geeigneten Kandidaten im Einzelfall ausgeschlossen ist. Zu beachten sind jedoch das Benachteiligungsverbot aus § 1, § 7 Abs. 1 AGG und die europarechtlichen Grundfreiheiten. Gemäß Art. 46 Abs. 1 SE-VO muss die Satzung die – höchstens sechsjährige – Amtszeit der Organmitglieder festlegen. Die vom Satzungsgeber bestimmte Amtszeit gilt dabei auch für die Mitglieder des ersten Aufsichtsorgans; § 30 Abs. 3 AktG kommt nicht zur Anwendung. Festgelegt werden können auch unterschiedlich lange Amtszeiten für die einzelnen Organmitglieder und/oder eine Staffelung der Amtszeiten („staggered board“). Anders als bei der Gestaltung der Mitgliederzahl steht es dem Satzungsgeber in Bezug auf die Amtszeit nicht offen, eine Berechnungsformel oder ein Festsetzungsverfahren an Stelle einer absoluten Zahl anzugeben. Art. 46 Abs. 2 SE-VO erlaubt dem Satzungsgeber nur „Einschränkungen“ der Wiederwahl. Nicht möglich sind dagegen Satzungsklauseln, die dem bestellten Organwalter das Verbleiben im Organamt erleichtern, beispielsweise durch eine automatische Erneuerung oder Verlängerung der Amtsperiode. Gemäß § 101 Abs. 2 Satz 1 AktG, Art. 47 Abs. 4 SE-VO kann die Satzung Entsendungsrechte zugunsten bestimmter Aktionäre oder Inhaber bestimmter Aktien vorsehen. Bei der Wahl der einzelnen Aufsichtsorganmitglieder durch die Hauptversammlung ist für jeden (dem Einfluss der Hauptversammlung unterliegenden) Aufsichtsorgansitz ein reguläres Mitglied zu wählen. Die Wahl stellvertretender Aufsichtsorganmitglieder ist nicht statthaft. Die Hauptversammlung ist auch für eine Abberufung der Aufsichtsorganmitglieder zuständig. Da Art. 40 Abs. 2 Satz 1 SE-VO gerade keine ausdrückliche Regelung enthält, handelt es sich um eine ungeschriebene Annexkompetenz auf Verordnungsebene. Die Zuständigkeit zur Abberufung der Aufsichtsorganmitglieder berechtigt die Hauptversammlung auch, zum milderen Mittel einer nur zeitweise wirkenden Suspendierung zu greifen. In Hinblick auf die Wahl des Aufsichtsorganvorsitzenden lässt Art. 42 SE-VO Platz für Satzungsregelungen über die Stellvertreterwahl, die Amtszeit des Vorsitzenden, seine Abberufung und Amtsniederlegung sowie zur Frage, ob und ggf. unter welchen Umständen der Vorsitzende wiedergewählt werden kann bzw. muss. Weder dem Satzungsgeber noch dem Aufsichtsorgan selbst ist es dagegen gestattet, die Vorsitzendenfunktion auf zwei gleichberechtigte Personen aufzuteilen („Doppelspitze“) oder das Amt des Vorsitzenden durch einen „Sprecher“ zu ersetzen.

D. Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

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Gemäß Art. 50 Abs. 1 lit. a) SE-VO ist das Aufsichtsorgan grundsätzlich beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der Organmitglieder anwesend oder vertreten sind. Beschlüsse werden gemäß Art. 50 Abs. 1 lit. b) SE-VO grundsätzlich „mit der Mehrheit der anwesenden oder vertretenen Mitglieder“ gefasst. Beide Grundsätze stehen gemäß Art. 50 Abs. 1 Hs. 1 SE-VO unter dem Vorbehalt abweichender Regelungen in der Verordnung und in der Satzung, nicht jedoch unter dem Vorbehalt mitgliedstaatlicher Regelungen. Möglich sind danach Satzungsregeln, die eine eindeutige Antwort auf die (in Art. 50 Abs. 1 lit. b) SE-VO nur unscharf geregelte) Frage geben, ob Stimmenthaltungen und ungültige Stimmen als Nein-Stimmen zählen oder unberücksichtigt bleiben, sowie Verschärfungen des in Art. 50 Abs. 1 lit. a) SE-VO bestimmten Anwesenheitsquorums und des in lit. b) enthaltenen grundsätzlich einfachen Stimmenmehrheitserfordernisses. Umgekehrt können die Beschlussfähigkeits- und Mehrheitserfordernisse auch abgesenkt werden. Entgegen teilweise in der Literatur angemeldeten Zweifeln kann die Satzung in mitbestimmten Aufsichtsorganen auch eine Sperrminorität der Arbeitnehmervertreter vorsehen sowie die Stimmgewichte der Aufsichtsorganmitglieder verzerren, etwa durch Vetorechte, Mehrfachstimmrechte oder Alleinentscheidungsrechte einzelner Organmitglieder. Stimmgewichtsverzerrungen im mitbestimmten Aufsichtsorgan sind allerdings nur statthaft, soweit sie die in der Mitbestimmungsregelung fixierte Machtverteilung zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmerseite nicht beeinflussen. Gemäß Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO gibt die Stimme des Organvorsitzenden den Ausschlag, wenn sich in einer Abstimmung eine Pattsituation ergibt. Der Satzungsgeber darf auch hier gestaltend eingreifen – allein bei paritätischer Mitbestimmung des Organs gilt Satz 1 zwingend (Art. 50 Abs. 2 Satz 2 SE-VO). Die dem Satzungsgeber in Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO eingeräumten Freiheiten reichen grundsätzlich ähnlich weit wie die in Abs. 1 gewährten. Art. 50 SE-VO enthält weder einen Verweis auf mitgliedstaatliches Recht, der eine Regelungsoffenheit gegenüber den Vorschriften aus § 108 Abs. 3 und 4 AktG über schriftliche, telefonische und andere vergleichbare Formen der Beschlussfassung des Aufsichtsrats signalisieren würde, noch eigene vergleichbare Regelungen. Der Satzungsgeber genießt daher bei der Einführung nicht sitzungsgebundener Beschlussfassungsvarianten dieselben Freiheiten wie bei der Gestaltung der Beschlussfähigkeitsregeln im Übrigen. Möglich ist insbesondere eine an den Wortlaut des § 108 Abs. 3, 4 AktG angelehnte Klausel. In Hinblick auf Aufsichtsorganausschüsse erstreckt sich die Kompetenz des Satzungsgebers aus Art. 50 Abs. 1, 2 SE-VO nur auf solche Ausschüsse, denen das Aufsichtsorgan eigene Aufgaben zur Beschlussfassung überwiesen hat. Nicht zum Bereich der Beschlussfähigkeits- und Beschlussvoraussetzungen im Sinne des Art. 50 Abs. 1 SE-VO zählt aber die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang überhaupt Ausschüsse eingerichtet werden.

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7. Teil: Zusammenfassung

In Hinblick auf den organisatorischen Rahmen der Beschlussfassung im Aufsichtsorgan enthält die SE-VO weder eigene Regeln noch eine spezielle Verweisung auf mitgliedstaatliches Recht. Nicht einschlägig ist insbesondere Art. 50 SE-VO, der nur die Elemente einer rechtmäßigen Beschlussfassung adressiert und nicht deren Begleitumstände. Für die deutsche SE kommt damit über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SEVO allgemeines deutsches Aktienrecht zum Zuge, insbesondere § 109 Abs. 3 und § 110 Abs. 3 AktG. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 AktG kann die Vergütung des AG-Aufsichtsrats entweder in der Satzung festgesetzt (Alt. 1) oder von der Hauptversammlung bewilligt werden (Alt. 2). Nur Letzteres gilt auch für das Aufsichtsorgan einer deutschen SE; nicht möglich ist für das SE-Aufsichtsorgan dagegen eine satzungsmäßige Vergütungsregelung im Sinne der Alt. 1. Ebenfalls keine Anwendung findet § 113 Abs. 2 Satz 2 AktG, wonach der Bewilligungsbeschluss für die erste Aufsichtsratsvergütung erst in derjenigen Hauptversammlung gefasst werden kann, die über die Entlastung der Mitglieder des ersten Aufsichtsrats beschließt. Eine von der Hauptversammlung bewilligte Vergütung soll gemäß § 113 Abs. 1 Satz 3 AktG in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben der Aufsichtsorganmitglieder und zur Lage der Gesellschaft stehen. Das damit kodifizierte Angemessenheitsgebot wird man allerdings deutlich zurückhaltender handhaben müssen als die Parallelvorschrift im Recht der Vorstandsvergütung (§ 87 Abs. 1 Satz 1 AktG). In Hinblick auf die Art und Höhe der Vergütung muss die Hauptversammlung die Aufsichtsorganmitglieder nicht gleich behandeln. Allein die Arbeitnehmervertreter sind berechtigt, eine Gleichbehandlung im Verhältnis zu den sonstigen Organmitgliedern einzufordern. Rechtsgrundlage für die Festlegung von satzungsmäßigen Zustimmungsvorbehalten im Verhältnis zwischen Aufsichts- und Leitungsorgan sind allein Art. 48 Abs. 1 SE-VO, § 19 SEAG, welche § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG vollständig verdrängen. „Arten“ von Geschäften im Sinne des Art. 48 Abs. 1 Satz 1 SE-VO können beispielsweise „alle grundlegenden Geschäfte“ sein oder alle „Entscheidungen oder Maßnahmen, die die Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage des Unternehmens grundlegend verändern.“ Der Satzungsgeber ist nicht verpflichtet, derartige Formulierungen näher zu konkretisieren. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG und die dort geregelte Möglichkeit, per Hauptversammlungsbeschluss eine verweigerte Zustimmung des Aufsichtsorgans zu ersetzen bzw. zu überwinden, finden auf die deutsche SE keine Anwendung. Die Hauptversammlung kann über einzelne Maßnahmen aus dem Kompetenzbereich des Aufsichtsorgans entscheiden, wenn diese ihr vom Aufsichtsorgan zur Entscheidung vorgelegt werden. § 119 Abs. 2 AktG gilt insofern doppelt analog. Die Hauptversammlung beschließt gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2, § 120 Abs. 1 – 3 AktG jährlich über die Entlastung der Aufsichtsorganmitglieder; ein-

D. Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

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schlägig ist der Verweis aus Art. 52 Satz 2 SE-VO. Teilbar ist der Entlastungsbeschluss zwar nach persönlichen Kriterien (vgl. § 120 Abs. 1 Satz 2 AktG), nicht aber nach sachlichen oder zeitlichen Kriterien. Die Hauptversammlung darf ein positives oder negatives Entlastungsurteil also nicht auf bestimmte Tatsachen oder Vorgänge beschränken oder bestimmte Tatsachen oder Vorgänge davon ausklammern. Über die Acht-Monats-Frist aus § 120 Abs. 1 Satz 1 AktG hinaus kann die Hauptversammlung den Entlastungsbeschluss nicht vertagen.

II. Einfluss auf das Leitungsorgan In der Natur des dualistischen Systems deutscher Prägung liegt es, dass der Einfluss der Hauptversammlung auf das Leitungsorgan deutlich weniger intensiv ausfällt als die Hauptversammlungskompetenzen in Bezug auf das Aufsichtsorgan. Die verbleibenden Kompetenzen beziehen sich zumeist auf die satzungsmäßige Gestaltung allgemeiner Rahmenbedingungen. Gemäß Art. 39 Abs. 4 Satz 1 SE-VO werden die Zahl der Mitglieder des Leitungsorgans oder die Regeln für ihre Festlegung durch die Satzung bestimmt. Dem nationalen Gesetzgeber steht es gemäß Satz 2 offen, den Spielraum des Satzungsgebers durch Vorgabe einer Mindest- und/oder einer Höchstzahl zu beschränken. In Hinblick auf Satz 2 hat der deutsche Gesetzgeber § 16 Satz 1 SEAG erlassen, wonach das Leitungsorgan bei Gesellschaften mit einem Grundkapital von mehr als drei Millionen Euro aus mindestens zwei Personen zu bestehen hat, es sei denn, die Satzung bestimmt etwas anderes. Ferner sehen § 38 Abs. 2 SEBG, § 16 Satz 2 SEAG vor, dass Gesellschaften, die unter die „Mitbestimmung kraft Gesetzes“ fallen, über mindestens zwei Leitungsorganmitglieder zu verfügen haben, von denen einer für den Bereich Arbeit und Soziales zuständig ist (sogenannter Arbeitsdirektor). Wie in Hinblick auf das Aufsichtsorgan, so kann sich der Satzungsgeber auch für die Zahl der Leitungsorganmitglieder auf Regeln für die Festlegung beschränken. Möglich sind daher insbesondere die Festsetzung von Ober- und Untergrenzen, innerhalb derer das Aufsichtsorgan bei der Bestellung der Leitungsorganmitglieder frei ist. Satzungsmäßigen Eignungsvoraussetzungen für SE-Leitungsorganmitglieder stehen sowohl Art. 47 Abs. 3 SE-VO als auch die dort angeordnete „Anlehnung“ an das Recht des deutschen AG-Vorstands entgegen. Ebenso wie die Amtszeit der Aufsichtsorganmitglieder so wird auch die Amtszeit der Leitungsorganmitglieder gemäß Art. 46 Abs. 1 SE-VO unmittelbar in der Satzung und auf höchstens sechs Jahre festgelegt. In beiden Fällen handelt es sich um einen obligatorischen Satzungsbestandteil, der eine absolute Zahl enthalten muss und sich nicht auf eine Berechnungsregel beschränken darf. Die Untergrenze liegt bei einem Jahr.

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7. Teil: Zusammenfassung

Eine konkret-individuelle Einflussnahme auf die personelle Zusammensetzung des Leitungsorgans ist der Hauptversammlung grundsätzlich nicht möglich. Lediglich indirekt kann die Hauptversammlung für die Abberufung sämtlicher Leitungsorganmitglieder sorgen, indem sie per Satzungsänderung einen Wechsel vom dualistischen ins monistische System vollzieht, oder einem Leitungsorganmitglied per Beschluss das Vertrauen entzieht und so einen wichtigen Grund für die Abberufung durch das Aufsichtsorgan schafft (§ 84 Abs. 3 Satz 2 Var. 3 AktG). Einen Leitungsorgan-Vorsitzenden kann nur das Aufsichtsorgan ernennen (§ 84 Abs. 2 AktG). Die Hauptversammlung bleibt auf die Möglichkeit beschränkt, die Rolle des Ernannten über satzungsmäßige Regeln zur Beschlussfassung und Beschlussfähigkeit (Art. 50 SE-VO) auszugestalten. Für die Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernisse im Leitungsorgan räumt Art. 50 Abs. 1 Hs. 1 SE-VO dem Satzungsgeber erheblich mehr Freiheiten ein als das deutsche Aktiengesetz dem AG-Satzungsgeber. Geregelt werden können insbesondere die Art der Behandlung ungültiger Stimmen und Stimmenthaltungen, eine Verschärfung oder Absenkung des in Art. 50 Abs. 1 SE-VO bestimmten Anwesenheitsquorums und des Grundsatzes der einfachen Stimmenmehrheit, Vetorechte, Mehrfachstimmrechte und Alleinentscheidungsrechte. Keine Anwendung finden dagegen § 77 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 AktG, wonach einer Minderheit von Organmitgliedern nicht das Recht eingeräumt werden kann, sich gegen die Mitgliedermehrheit durchzusetzen, und § 77 Abs. 2 Satz 3 AktG, wonach Vorstandsbeschlüsse über die Geschäftsordnung nur einstimmig gefasst werden können. Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO, wonach die Stimme des Organvorsitzenden bei Stimmengleichheit den Ausschlag gibt, gilt auch für das Leitungsorgan. Die Tatsache, dass dem Leitungsorgan typischerweise keine Arbeitnehmervertreter angehören, steht dem nicht entgegen. Die Regeln über das Vergütungsvotum nach § 120 Abs. 4 Satz 1 AktG gelten über Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO auch für die Vergütung der Leitungsorganmitglieder. Der SE-Hauptversammlung steht grundsätzlich in derselben Weise wie einer AGHauptversammlung eine ungeschriebene Kompetenz für grundlegende Geschäftsführungsentscheidungen nach den Grundsätzen der Gelatine-Entscheidungen des BGH zu. Ob man die Gelatine-Kompetenz der SE-Hauptversammlung als ein SEspezifisches Schutzkonzept oder als ein auf die SE übertragenes AG-spezifisches Konzept einordnen will, ist letztlich belanglos Zu den hauptversammlungsrelevanten Geschäftsführungsmaßnahmen gehören auch sogenannte Nachgründungsverträge im Sinne des § 52 Abs. 1 AktG sowie eigeninitiative Vorlagen des Leitungsorgans gemäß § 119 Abs. 2 AktG. Über die Entlastung der Leitungsorganmitglieder beschließt die Hauptversammlung gemäß Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO, § 119 Abs. 1 Nr. 3, § 120 Abs. 1 – 3 AktG.

D. Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

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III. Einfluss auf das Verwaltungsorgan Gemäß Art. 41 Abs. 2 Satz 1 SE-VO werden die Zahl der Mitglieder des Verwaltungsorgans oder die Regeln für ihre Festlegung in der Satzung der SE festgelegt. Gemäß Satz 2 dürfen die Mitgliedstaaten eine Mindestzahl und eine Höchstzahl festsetzen. In Hinblick auf diese Ermächtigung hat der deutsche Gesetzgeber § 23 Abs. 1 SEAG erlassen, der sich inhaltlich einerseits teilweise an § 95 AktG (AGAufsichtsrat) und § 17 Abs. 1 SEAG (SE-Aufsichtsorgan) anlehnt und andererseits bewusst vom Recht des AG-Vorstands (§ 76 Abs. 2 AktG) abhebt. Was die gesetzliche Mindestgröße des Verwaltungsorgans betrifft, füllt § 23 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SEAG die Ermächtigung aus Art. 43 Abs. 2 Satz 2 SE-VO aus. Innerhalb der grundkapital- und mitbestimmungsabhängigen Mindest- und Höchstgrenzen kann der Satzungsgeber die allgemein als Grundsatz verankerte Dreiköpfigkeit des Verwaltungsorgans (§ 23 Abs. 1 Satz 1 SEAG) sowohl nach oben als auch nach unten variieren. Von seinem Gestaltungsspielraum Gebrauch machen kann der Satzungsgeber gemäß Art. 43 Abs. 2 Satz 1 SE-VO entweder durch Bestimmung einer absoluten Mitgliederzahl oder durch Fixierung von „Regeln für ihre Festlegung.“ Ein Satzungsgeber, der es bei der gesetzlichen Regelgröße in § 23 Abs. 1 Satz 1 SEAG belassen will, kann auf eine Größenbestimmung verzichten. Gemäß Art. 47 Abs. 3 SE-VO steht es dem Satzungsgeber offen, für Organmitglieder, die die Aktionäre vertreten, „in Anlehnung an die für Aktiengesellschaften geltenden Rechtsvorschriften des Sitzstaats der SE besondere Voraussetzungen für die Mitgliedschaft“ festzulegen. Der Verweis führt auch für die monistische deutsche SE zu § 100 Abs. 4 AktG. Es gelten dieselben Grundsätze wie in Hinblick auf Aufsichtsorganmitglieder. Auch in Bezug auf das Verwaltungsorgan bildet die Zuständigkeit für die Wahl der Organmitglieder (Art. 43 Abs. 3 Satz 1 SE-VO) den Kern der Personalkompetenz der Hauptversammlung. Für jeden Verwaltungsorgansitz ist ein reguläres Mitglied zu wählen. Die Wahl von stellvertretenden Organmitgliedern ist unstatthaft. Auch in Bezug auf das Verwaltungsorgan gilt, dass die Abberufungskompetenz der Hauptversammlung ein ungeschriebenes, vom Verordnungsgeber als selbstverständlich vorausgesetztes Gegenstück zur geschriebenen Bestellungskompetenz darstellt. Es handelt sich mithin um eine ungeschriebene Annexkompetenz der Hauptversammlung. Diese ungeschriebene Abberufungskompetenz deckt auch eine zeitweise Suspendierung einzelner Verwaltungsorganmitglieder ab, nicht dagegen einen Vertrauensentzug analog § 84 Abs. 3 Satz 2 Var. 3 AktG. Gemäß Art. 45 SE-VO wählt das Verwaltungsorgan „aus seiner Mitte“ einen Vorsitzenden, der in einer paritätisch mitbestimmten SE aus dem Lager der Anteilseigner stammen muss. Der deutsche Gesetzgeber hat in § 34 Abs. 1 Sätze 1 – 3 SEAG das Recht des Verwaltungsorganvorsitzenden weitgehend dem des AGAufsichtsratsvorsitzenden angeglichen.

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7. Teil: Zusammenfassung

In Hinblick auf den weiten Spielraum, den der Satzungsgeber gemäß Art. 50 Abs. 1, 2 SE-VO in Hinblick auf Regeln zu Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernissen im Verwaltungsorgan und den Stichentscheid des VerwaltungsorganVorsitzenden genießt, gelten dieselben Grundsätze wie im dualistischen System. Nicht befugt war deutsche Gesetzgeber zur Einführung des § 35 Abs. 3 SEAG, wonach dem Verwaltungsorganvorsitzenden eine zusätzliche Stimme zusteht, wenn ein geschäftsführendes Verwaltungsorganmitglied aus rechtlichen Gründen daran gehindert ist, an der Beschlussfassung teilzunehmen. Art. 50 SE-VO enthält insofern keine Regelungsermächtigung oder Öffnungsklausel zugunsten nationalen Rechts. Ebenfalls kein Platz bleibt für § 35 Abs. 1, 2, § 37 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 SEAG. Anders als im dualistischen Modell wird die Sitzungsfrequenz des Verwaltungsorgans unmittelbar auf Verordnungsebene geregelt (Art. 44 Abs. 1 SE-VO). Für eine entsprechende Anwendung des § 110 Abs. 3 AktG ist daneben kein Platz. Die Sitzungsfrequenz zählt zu den zwingenden Satzungsbestandteilen. Inwieweit der Satzungsgeber im Übrigen regelnd in den Geschäftsgang des Verwaltungsorgans eingreifen darf, bestimmt sich – vorbehaltlich Art. 50 Abs. 1 SEVO – nach § 34 Abs. 2 Satz 2 SEAG. Danach kann die Satzung „Einzelfragen der Geschäftsordnung bindend regeln.“ Als Vorbild diente an dieser Stelle nicht das Recht des AG-Aufsichtsrats, sondern die nahezu identische Regelung aus § 77 Abs. 2 Satz 2 AktG. Für die Vergütung der Mitglieder des Verwaltungsrats verweist § 38 Abs. 1 SEAG pauschal auf § 113 AktG. Bezweckt war damit ein Gleichlauf zwischen dualisischem und monistischem System. Die unausgesprochene Annahme, dass § 113 AktG auf die dualistische SE Anwendung findet, trifft jedoch nur teilweise zu. Entsprechend ist auch der Verweis in § 38 Abs. 1 SEAG einzuschränken. Was Art und die Höhe der Vergütung betrifft, gelten weitgehend dieselben Grundsätze wie im dualistischen System. Auch Aktienoptionen können gewährt werden, da es sich bei sämtlichen Mitgliedern des Verwaltungsorgans um „Mitglieder der Geschäftsführung“ im Sinne des § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG handelt. Anstelle des Nebeneinanders von Aufsichtskompetenz des Aufsichtsorgans und Geschäftsführungskompetenz des Leitungsorgans stehen sich in der monistischen SE die umfassende Geschäftsführungs- und Aufsichtskompetenz des Verwaltungsorgans (Art. 43 Abs. 1 Satz 1 SE-VO, § 22 Abs. 1 SEAG) und die Zuständigkeit der geschäftsführenden Direktoren für die laufenden Geschäfte (§ 40 Abs. 2 Satz 1 SEAG) gegenüber. Dem Satzungsgeber steht es dabei nicht offen, zu definieren, welche Themen zum laufenden Geschäft gehörten und welche zu den grundlegenderen, nur dem Verwaltungsorgan obliegenden Geschäftsleitungsaufgaben. Auch die Weisungsbefugnis des Verwaltungsorgans gegenüber den geschäftsführenden Direktoren (§ 44 Abs. 2 SEAG) kann der Satzungsgeber nicht einschränken. Auch im monistischen System obliegt es dem Satzungsgeber gemäß Art. 48 Abs. 1 SE-VO, Zustimmungsvorbehalte zu installieren – hier nicht zugunsten eines

D. Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

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separaten Aufsichtsorgans, sondern zugunsten des Verwaltungsorgan-Plenums. Wegen der umfassenden Oberleitungskompetenz des Verwaltungsorgans gelten die ungeschriebenen Grenzen für die Installation von Zustimmungsvorbehalten, die sich aus der eigenverantwortlichen Geschäftsleitungskompetenz des Leitungsorgans im dualistischen Modell ergeben, nicht für das monistische Modell. Ordnet man den Mediatisierungseffekt als notwendige und hinreichende Voraussetzung der ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz nach den Grundsätzen der Gelatine-Rechtsprechung ein, so finden sich durchaus Anhaltspunkte dafür, dass sich die Rechtsprechungsgrundsätze aus „Holzmüller“ und „Gelatine“ nur auf die dualistische SE übertragen lassen und nicht auch auf die monistische SE. Ebenso wenig ausgeschlossen ist es, dass die Rechtsprechung den vorgenannten Grundsätzen eine neuartige, spezifisch monistische Kontur verleiht. Ebenso wie das Leitungs- und das Aufsichtsorgan ist auch das Verwaltungsorgan berechtigt, Maßnahmen aus dem eigenen Kompetenzbereich entsprechend § 119 Abs. 2 AktG der Hauptversammlung zur Entscheidung vorzulegen. Die Hauptversammlung beschließt entsprechend § 119 Abs. 1 Nr. 3, § 120 Abs. 1 – 3 AktG, Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO jährlich über die Entlastung der Verwaltungsorganmitglieder.

IV. Einfluss auf die geschäftsführenden Direktoren Nimmt man den Einfluss der Hauptversammlung auf Aufsichts-, Leitungs- und Verwaltungsorgan zum Maßstab, so stehen der Hauptversammlung in Bezug auf die geschäftsführenden Direktoren eher wenige Befugnisse zu. Hauptgrund hierfür ist die Einordnung der geschäftsführenden Direktoren als umfassend weisungsabhängiges Gremium unterhalb des Verwaltungsorgans. In dieses enge Abhängigkeitsverhältnis kann sich die Hauptversammlung nur vereinzelt einschalten. Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG kann die Satzung etwa „Regelungen über die Bestellung eines oder mehrerer geschäftsführender Direktoren treffen.“ Dem Satzungsgeber stehen danach allerdings nur solche Vorgaben zu, die sich auf die Zahl der geschäftsführenden Direktoren beziehen (z. B. bestimmte Zahl, Ober- oder Untergrenzen). Dagegen darf er nicht die bereits in § 40 Abs. 1 Satz 2 SEAG eingeschränkte Befugnis des Verwaltungsorgans, darüber zu entscheiden, inwieweit interne oder externe Direktoren bestellt werden, weiter einschränken. Und noch weniger können auf § 40 Abs. 1 Satz 5 SEAG weiter gehende Vorgaben nach Art der in Art. 47 Abs. 3 SE-VO, § 100 Abs. 4 AktG genannten Voraussetzungen installiert werden. Gemäß § 40 Abs. 5 Satz 1 SEAG können die geschäftsführenden Direktoren jederzeit vom Verwaltungsorgan abberufen werden, „sofern die Satzung nichts anderes regelt.“ Die Satzungsermächtigung bezieht sich dabei auf die sachlichen Voraussetzungen der Abberufung (z. B. wichtiger Grund).

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7. Teil: Zusammenfassung

Mangels Organqualität der geschäftsführenden Direktoren nicht statthaft sind Satzungsregelungen zur Amtszeit oder zur Wiederwahl auf Grundlage des Art. 46 SE-VO, zu Beschlussfassung, Beschlussfähigkeit und Zweitstimmrecht (Art. 50 SEVO) oder zu Eignungsvoraussetzungen für Anteilseignervertreter (Art. 47 Abs. 3 SE-VO). Eine Rechtsgrundlage für eine satzungsmäßige Regelung der Amtszeit der geschäftsführenden Direktoren bietet aber § 40 Abs. 5 Satz 1 Hs. 2 SEAG. Gemäß § 40 Abs. 6 SEAG gilt für die Berichtspflicht der geschäftsführenden Direktoren gegenüber dem Verwaltungsorgan § 90 AktG entsprechend, „sofern die Satzung oder die Geschäftsordnung nicht anderes vorsieht.“ Verglichen mit dem dualistischen System stehen dem Satzungsgeber hier erheblich mehr Gestaltungsmöglichkeiten offen. Für die unmittelbare Festsetzung der Vergütung der geschäftsführenden Direktoren ist nicht die Hauptversammlung, sondern ausschließlich das Verwaltungsorgan zuständig. Und auch ein Vergütungsvotum analog § 120 Abs. 4 AktG findet in Hinblick auf die geschäftsführenden Direktoren nicht statt. § 44 Abs. 2 SEAG enthält kein Recht der Hauptversammlung, den geschäftsführenden Direktoren Weisungen zu erteilen. Auch eigeninitiativ sind die geschäftsführenden Direktoren nicht berechtigt, einzelne Geschäftsführungsmaßnahmen analog § 119 Abs. 2 AktG der Hauptversammlung vorzulegen. Eine Hauptversammlungskompetenz nach den Grundsätzen der Gelatine-Rechtsprechung ergibt sich im Zuständigkeitsbereich der geschäftsführenden Direktoren praktisch kaum. Die Hauptversammlung beschließt schließlich auch nicht über die Entlastung der geschäftsführenden Direktoren.

V. Selbstorganisationsrechte der Hauptversammlung Der Satzungsgeber darf die Einberufungsberechtigung des Leitungs- und Aufsichtsorgans bzw. des Verwaltungsorgans nicht durch Einberufungsberechtigungen weiterer Personen, Organe oder Gremien ergänzen. § 121 Abs. 2 Satz 3 AktG ist damit auf die deutsche SE vollständig unanwendbar. Aus § 124 Abs. 4 Satz 2 AktG geht hervor, dass die AG-Hauptversammlung auch über ihre eigene Einberufung beschließen kann, etwa wenn die laufende Hauptversammlung vertagt werden soll. Gemäß Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO kann diese Kompetenz ohne weiteres auf die Hauptversammlung einer deutschen SE übertragen werden. Gemäß § 121 Abs. 5 AktG, der über Art. 53 SE-VO auch für die deutsche SE gilt, steht es dem Satzungsgeber frei, den Ort der Hauptversammlung zu regeln. Auch im Übrigen stehen der SE-Hauptversammlung bzw. dem SE-Satzungsgeber nahezu dieselben Kompetenzen zur Selbstorganisation zu wie ihren Pendants in der

D. Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

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deutschen AG. Das gilt insbesondere für die Gestaltung eines Anmeldeerfordernisses und Satzungsbestimmungen über die Teilnahme- und Stimmberechtigung. Die einschlägigen Satzungsermächtigungen aus § 123 Abs. 2 – 3 AktG gelten gemäß Art. 53 SE-VO ohne weiteres auch für die deutsche SE. Per Satzung kann auch der Hauptversammlungsleiter bestimmt werden (z. B. Vorsitzender des Aufsichtsorgans). Im monistischen Modell darf der Satzungsgeber auch Verwaltungsorganmitglieder, einschließlich des Organvorsitzenden, zum Leiter der Hauptversammlung bestimmen. Gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 AktG, Art. 53 SE-VO kann sich die Hauptversammlung eine Geschäftsordnung geben. Die Tagesordnung wird grundsätzlich bereits im Zuge des Einberufungs- und Bekanntmachungsverfahrens verbindlich aufgestellt. Von Seiten der Aktionäre können Tagesordnungspunkte daher grundsätzlich nur über ein Ergänzungsverlangen nach Art. 56 SE-VO oder ein Einberufungsverlangen nach Art. 55 SE-VO eingebracht werden. Eine Absetzung von Tagesordnungspunkten kommt nur ausnahmsweise aus wichtigem Grund in Frage. Für die Absetzung von Tagesordnungspunkten, die auf ein Ergänzungsverlangen oder einen Einberufungsantrag nach Art. 55, 56 SE-VO zurückgehen, ist darüber hinaus die Zustimmung der jeweiligen Antragssteller erforderlich. Der SE-Satzungsgeber kann neben den in Art. 38 SE-VO ausdrücklich genannten Organen (Hauptversammlung, Leitungs-, Aufsichts- und Verwaltungsorgan) keine zusätzlichen Organe schaffen – also Gremien oder Personen, die nicht nur in eine schuldrechtliche Beziehung zur Gesellschaft treten, sondern organschaftlich-gesellschaftsrechtliche Rechte und Pflichten im Binnenbereich der Gesellschaft wahrnehmen. Art. 54 Abs. 2 Var. 4 SE-VO ist für die deutsche SE daher gegenstandslos. Möglich ist allein die Einschaltung beratender und unterstützender Gremien auf Basis schuldrechtlicher Vereinbarungen.

VI. Verfolgung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft Gemäß Art. 51 SE-VO haften die Mitglieder des Leitungs-, Aufsichts- oder Verwaltungsorgans gemäß Sitzstaat-Aktienrecht für den Schaden, welcher der SE durch eine Verletzung der ihnen bei der Ausübung ihres Amtes obliegenden gesetzlichen, satzungsmäßigen oder sonstigen Pflichten entsteht. Die Norm enthält damit einen Spezialverweis auf die nationalen Regelungskonzepte zur Organhaftung. Zu den Anspruchsvoraussetzungen im Einzelnen enthält die Norm dagegen keine Aussage. Das Verständnis des Art. 51 SE-VO als Spezialverweisung im Bereich der Geschäftsleiterhaftung führt im deutschen Recht zunächst dazu, dass sich das ent-

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7. Teil: Zusammenfassung

sprechende AG-Haftungsregime – allen voran §§ 93, 116 AktG – auf die dualistische SE erstreckt. Eingeschlossen sind ferner die mit den Anspruchsgrundlagen verflochtenen Hauptversammlungskompetenzen über die Rechtsverfolgung. Dazu gehören grundsätzlich auch § 142 Abs. 1, § 147 AktG; auf mögliche Ersatzansprüche gegen geschäftsführende Direktoren sind diese jedoch nicht anwendbar. Weiter kann auch eine SE nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nur dann auf Ersatzansprüche gegen Geschäftsleiter verzichten oder sich über sie vergleichen, wenn die Hauptversammlung zugestimmt hat und nicht eine Minderheit, die mit mindestens zehn Prozent am Grundkapital beteiligt ist, widerspricht. Dasselbe gilt in Bezug auf Ersatzansprüche gegen Aufsichtsorganmitglieder (§ 116 Satz 1 AktG), Ersatzansprüche gegen Einfluss nehmende Dritte (§ 117 Abs. 4 AktG), Ersatzansprüche aus der Gründung (§ 50 Satz 1 AktG), Ersatzansprüche gegen die gesetzlichen Vertreter eines vertraglich herrschenden Unternehmen (§ 49 Abs. 1 SEAG, § 309 Abs. 3 AktG) und Ersatzansprüche gegen Verwaltungsmitglieder einer abhängigen Gesellschaft bzw. gegen ein faktisch herrschendes Unternehmen und dessen gesetzliche Vertreter (§ 49 Abs. 1 SEAG, § 309 Abs. 3 AktG, § 310 Abs. 4, § 317 Abs. 4 AktG). Ein den Einlageanspruch der Gesellschaft regelnder Vergleich dagegen bedarf nicht der Zustimmung der Hauptversammlung.

VII. Durchsetzung, Genehmigung und Verhinderung fundamentaler Veränderungen Neben der Einflussnahme auf das Verwaltungspersonal gehört die Steuerung fundamentaler Änderungen zu den zentralen Kompetenzen der Hauptversammlung. An erster Stelle steht hier die auf europäischer wie aktiengesetzlicher Ebene verankerte Satzungsänderungskompetenz. Nach Art. 59 SE-VO bedarf die Änderung der SE-Satzung zwingend eines Hauptversammlungsbeschlusses. Für eine Anwendbarkeit des § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG bleibt daher grundsätzlich kein Platz. Einen satzungsbezogenen Handlungsspielraum des Aufsichtsorgans wird man zumindest in Hinblick auf die praktisch besonders bedeutsamen Fälle der Ausübung genehmigter und bedinger Kapitalia jedoch auch in der SE anerkennen könnnen. Was den Inhalt der Satzung betrifft, so schreiben Gesetz- und Verordnungsgeber auf der einen Seite bestimmte Mindestinhalte vor, die zwingend in der Satzung zu regeln sind, und auf der anderen Seite – über den Grundsatz der Satzungsstrenge – ein nicht zu überschreitendes Höchstmaß. Speziell für die SE kommen teilweise sogenannte Gleichlaufgebote der Verordnung hinzu, die dem Satzungsgeber aufgeben, von der jeweiligen, auf Verordnungsebene verankerten Ermächtigung nur auf dieselbe Weise Gebrauch zu machen wie der Satzungsgeber einer nationalen Aktiengesellschaft. Insgesamt führt diese nationale Färbung der Vorgaben zu einer ähnlich starken Einengung der Gestaltungsmöglichkeiten wie in der deutschen AG.

D. Die Kompetenzen der SE-Hauptversammlung

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Der Grundsatz der Satzungsstrenge gilt für die deutsche SE in zweifacher Hinsicht: Gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO unterliegt eine SE den Bestimmungen ihrer Satzung, „sofern die vorliegende Verordnung dies ausdrücklich zulässt“; und gemäß § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG, der über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii), iii) SE-VO auch für die deutsche SE gilt, darf die Satzung „von den Vorschriften [des AktG] nur abweichen, wenn es ausdrücklich zugelassen ist.“ Zu einer Überschneidung, Verdoppelung oder anderweitigen Summierung der beiden Normen kommt es allerdings nicht. Denn die gemeinschaftsrechtliche Satzungsstrenge betrifft nur die auf Verordnungsebene unmittelbar gewährten Satzungsspielräume, während § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG nur die aktiengesetzlichen Satzungsspielräume betrifft, welche über Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO entsprechend für die deutsche SE gelten. Gesetzesergänzende Klauseln sind auf Verordnungsebene jedenfalls nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO nicht zugelassen, lassen sich aber in der Regel auf § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG stützen. Satzungsfreiräume sind für den deutschen SE-Satzungsgeber nicht nur unmittelbar nach der Verordnung und nach dem allgemeinen deutschen Aktienrecht vorgesehen, sondern auch im SEAG – obwohl es sich bei diesen Ermächtigungen weder um Freiräume auf Verordnungsebene (Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO), noch um solche auf Ebene des allgemeinen Sitzstaat-Aktienrechts (Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SEVO) handelt. Für die SEAG-spezifischen Satzungsfreiräume gilt weder die gemeinschaftsrechtliche noch die aktiengesetzliche Satzungsstrenge, sondern gleichsam ein dritter, auf Art. 9 Abs. 1 lit. c) i) SE-VO basierender Grundsatz der Satzungsstrenge. Gemäß Art. 38 lit. b) SE-VO hat der Satzungsgeber darüber zu entscheiden, ob die SE von einer monistischen oder von einer dualistischen Verwaltung geführt wird. Die anfängliche Festlegung wirkt dabei nicht endgültig, sondern kann für eine existierende SE laufend neu getroffen werden. Entsprechend der Rechtslage für die AG fallen in die Kompetenz der Hauptversammlung eine Reihe von Finanzierungs- und Kapitalmaßnahmen, die sich auf die Eigenkapitalbasis und damit auch auf die Beteiligungsstruktur auswirken. Dazu gehören die bedingte und die genehmigte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 1 bzw. § 202 Abs. 2 AktG). § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG erlaubt dabei auch solche bedingte Kapitalerhöhungen, die beschlossen werden, um Verwaltungsorganmitgliedern Aktienoptionen zu gewähren. Die deutsche SE unterliegt grundsätzlich ebenso dem deutschen Umwandlungsrecht wie die AG; einschlägige Verweisnormen sind § 3 Abs. 1 Nr. 2 UmwG, der die AG als umwandlungsfähigen Rechtsträger einordnet, und Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO, der das für die AG geltende deutsche Recht auf die SE erstreckt. Die Gründungsvoschriften aus Art. 2 f. SE-VO entfalten in Hinblick auf nationales Umwandlungsrecht nur – aber auch immer – insoweit eine Sperrwirkung, als es um die Neugründung einer SE geht.

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7. Teil: Zusammenfassung

Keine Sperrwirkung geht demgegenüber von Art. 66 SE-VO aus. Stattdessen wirkt die Vorschrift als Mindestnorm, die unabhängig von nationalen Vorschriften sicherstellt, dass wenigstens ein identitätswahrender Weg aus der SE heraus existiert, der an den in Art. 63 – 65 SE-VO angesprochenen Auflösungs- und Liquidationsverfahren vorbei führt. Die zweijährige Sperrfrist für Rück-Formwechsel aus Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO ist wörtlich auszulegen und auf den Anwendungsbereich des Art. 66 SE-VO zu beschränken. Eine analoge Anwendung auf sonstige Rück-Umwandlungsvorgänge kommt nicht in Betracht. Ebenfalls in den Kompetenzbereich der SE-Hauptversammlung fallen kann die Beteiligung der SE an der Gründung einer neuen SE gemäß Art. 2 f. SE-VO. Zu einer solchen Beteiligung ist eine existierende SE gemäß Art. 3 Abs. 1 SE-VO ebenso in der Lage wie die in Anhang I zur SE-VO aufgeführten nationalen Aktiengesellschaften. Ebenso wie in der deutschen AG liegt es auch in den Händen der SE-Hauptversammlung bzw. des Mehrheitsaktionärs, Minderheitsaktionäre gegen Abfindung aus der Gesellschaft auszuschließen. Die Hauptversammlungskompetenzen für die Eingliederung (§§ 319 ff. AktG, § 49 SEAG) und den aktienrechtlichen SqueezeOut (§ 327a Abs. 1 AktG) gelten gemäß Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO auch für die deutsche SE. An den aktienrechtlichen Squeeze-Out lehnt sich der Mechanismus des umwandlungsrechtlichen Squeeze-Out nach § 62 Abs. 5 UmwG ausdrücklich an, der über Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO ebenfalls für die deutsche SE gilt. Eine deutsche SE kann sich ebenso an Unternehmensverträgen nach §§ 291 ff. AktG beteiligen wie eine AG. Die auf Unternehmensverträge bezogenen Hauptversammlungskompetenzen aus §§ 293 ff. AktG gelten daher über Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO, ggf. in Verbindung mit internationalem Privatrecht, auch für die deutsche SE. Die Hauptversammlungskompetenz für eine Sitzverlegung folgt allein aus Art. 8 SE-VO und die Kompetenz für die korrespondierende Satzungsänderung allein aus Art. 59 SE-VO. Der Hauptversammlung steht es im Einzelfall aber frei, über die beiden Gesichtspunkte der Sitzverlegung gemeinsam zu beschließen.

VIII. Jahresabschluss und Gewinnverwendung Ebenso wie die AG-Hauptversammlung bestellt die Hauptversammlung einer dualistischen SE den Abschluss- bzw. Konzernabschlussprüfer (§ 318 Abs. 1 HGB, § 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG, Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO) und trifft die endgültige Entscheidung über die Verwendung des Bilanzgewinns (§ 58 Abs. 3, § 174, § 119 Abs. 1 Nr. 2 AktG). Über die vorhergehende Feststellung des Jahresabschlusses beschließt die Hauptversammlung nur dann, wenn Leitungs- und Aufsichtsorgan dies beschließen oder das Aufsichtsorgan den vom Leitungsorgan vorgelegten Jahresabschluss nicht gebilligt hat (§ 173 Abs. 1 AktG).

E. Die Rechte des SE-Aktionärs

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In der monistischen SE beschließt die Hauptversammlung ebenfalls über die Bestellung des Abschluss- bzw. Konzernabschlussprüfers (§ 318 Abs. 1 HGB, § 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG, Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO) und über die vorgeschlagene Gewinnverwendung (§ 58 Abs. 3, § 174, § 119 Abs. 1 Nr. 2 AktG. Art. 9 Abs. 1 lit. c) iii) SE-VO). Nicht einschlägig ist demgegenüber § 173 Abs. 1 AktG. Die ausnahmsweise Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Feststellung des Jahresabschlusses bemisst sich stattdessen nach § 47 Abs. 6 SEAG, der das VierAugen-Prinzip erheblich einschränkt.

IX. Einfluss auf die Gestaltung der Beteiligung der Arbeitnehmer Gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2, Art. 32 Abs. 6 Unterabs. 2 SE-VO steht es der Hauptversammlung einer SE-Gründungsgesellschaft offen, sich das Recht vorzubehalten, die Eintragung der SE davon abhängig zu machen, dass die geschlossene Vereinbarung von ihr – der Hauptversammlung – genehmigt wird. § 122g Abs. 1 UmwG, sieht denselben Vorbehalt für die grenzüberschreitende Verschmelzung vor. Für den Beschluss über die Installation des Genehmigungsvorbehalts gilt mangels Sonderregeln das einfache Mehrheitserfordernis aus Art. 57 SE-VO. Die sachliche Reichweite eines im Einzelfall installierten Genehmigungsvorbehalts und das Mehrheitserfordernis für den ergibt sich grundsätzlich aus dem jeweiligen Vorbehaltsbeschluss. Die Hauptversammlung kann insoweit frei darüber entscheiden, für welche Arten der Beteiligung oder Mitbestimmung sie sich eine Genehmigung vorbehält. Trifft der Beschluss keine Aussage, so erfasst der Vorbehalt jegliche Art der Beteiligung oder Mitbestimmung und es gilt das einfache Mehrheitserfordernis aus Art. 57 SE-VO. Eine ungeschriebene Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Ratifizierung einer Beteiligungsvereinbarung besteht nicht.

E. Die Rechte des SE-Aktionärs Der Erwerber einer SE-Aktie erwirbt mit dem Erwerb in erster Linie das Recht, die Aktie wieder zu veräußern. Der vom Gesetz- und Verordnungsgeber im Grundsatz erleichterten Fungibilität zur Seite stehen eine Reihe von fakultativen Übertragungsbeschränkungen und eine Reihe von Möglichkeiten, die Fungibilität noch weiter zu erhöhen. Vorschriften über das Ob und Wie der Aktien-Übereignung finden sich auf Ebene der Verordnung nicht, so dass in vollem Umfang nationales Sachenrecht und internationales Privatrecht zur Anwendung gelangt.

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7. Teil: Zusammenfassung

Soweit es sich bei den Aktien einer deutschen SE um Namensaktien handelt, kann der Satzungsgeber die Übertragung gemäß § 68 Abs. 2 Satz 1 AktG, Art. 5 SE-VO zunächst von der Zustimmung der Gesellschaft abhängig machen. Erteilt wird die Zustimmung in der dualistischen SE grundsätzlich vom Leitungsorgan (§ 68 Abs. 2 Satz 2 AktG), sofern die Satzung die Zuständigkeit nicht auf das Aufsichtsorgan oder die Hauptversammlung überträgt (§ 68 Abs. 2 Satz 3 AktG). In der monistischen SE fällt die Aufgabe über § 22 Abs. 6 SEAG grundsätzlich an das Verwaltungsorgan; auch hier kann der Satzungsgeber aber gemäß § 68 Abs. 2 Satz 3 AktG die Hauptversammlung für zuständig erklären. Auf die personelle Zusammensetzung des Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgans Einfluss zu nehmen, ist grundsätzlich Sache des Hauptversammlungsplenums. Der einzelne Aktionär kann jedoch gemäß § 98 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO, im Einzelfall ein Statusverfahren beantragen. Anders als die Zusammensetzung eines AG-Aufsichtsrats kann sich die Zusammensetzung des Aufsichts- und Verwaltungsorgans einer SE zwar nicht nur aus „gesetzlichen Vorschriften“ (§ 98 Abs. 1 AktG), sondern auch aus einer Beteiligungsvereinbarung gemäß § 21 SEBG ergeben. Die Verhandlungsparteien sind allerdings nicht befugt, in der Beteiligungsvereinbarung die absolute Zahl der Aufsichtsorgansitze zu bestimmen. Werden solche Regelungen dennoch aufgenommen, so sind sie rechtswidrig und unwirksam; ein Statusverfahren zu ihrer Durchsetzung kommt nicht in Betracht. Sowohl die SE-Verordnung als auch das Aktiengesetz sehen ein Recht der Aktionäre vor, eigeninitiativ für die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung zu sorgen oder die Tagesordnung einer von der Verwaltung einberufenen Versammlung zu ergänzen. § 122 AktG enthält in dieser Hinsicht eine Komplettregelung. Art. 55, 56 SE-VO dagegen haben nicht abschließenden Charakter, sondern ermächtigen nationale Gesetz- und Satzungsgeber ausdrücklich zu ergänzenden Regelungen. Das Einberufungsrecht steht gemäß § 50 Abs. 1 SEAG, Art. 55 Abs. 1 Hs. 2 SEVO jedenfalls Aktionären zu, die mit mindestens fünf Prozent am Grundkapital der SE beteiligt sind. Der deutsche Gesetzgeber hat damit von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, für die Antragsbefugnis einen niedrigeren Prozentsatz als die in Art. 55 Abs. 1 Hs. 1 SE-VO vorgegebenen zehn Prozent vorzusehen. Im Einzelfall kann der Antrag von Aktionären gestellt werden, die zwar die gesetzliche Marke von fünf Prozent verfehlen, aber einen geringeren, per Satzung festgesetzten Prozentsatz erfüllen. Der oder die Antragssteller müssen spätestens im Zeitpunkt der Antragsstellung die jeweils gültige Beteiligungsquote erfüllen; über den Zeitpunkt der Antragsstellung hinaus muss das Quorum nicht gehalten werden. Inhaltlich muss der Antragssteller gemäß Art. 55 Abs. 2 SE-VO die „Punkte für die Tagesordnung“ liefern. Erforderlich ist ein Maß an Bestimmtheit, welches es dem Adressaten ermöglicht, ohne jede Rückfragen beim Antragssteller die Tagesordnung aufzustellen.

E. Die Rechte des SE-Aktionärs

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Die notwendige Form kann unmittelbar aus der Verordnung abgeleitet werden, ohne dass es eines Rückgriffs auf § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG bedarf. Eine textformäquivalente Verkörperung reicht danach aus. Adressiert werden kann der Einberufungsantrag in der dualistischen SE in jedem Fall an das Leitungsorgan und in der monistischen SE an das Verwaltungsorgan. Die Auswahl des Aufsichtsorgans als Antragsadressat wird zwar regelmäßig weniger nahe liegen; rechtlich ausgeschlossen ist sie jedoch nicht. Bei der Ablehnung der Einberufung wegen Rechtsmissbrauchs des Antragsrechts ist größte Zurückhaltung angezeigt. Insbesondere darf die Weite einzelner denkbarer Fallgruppen nicht soweit gehen, dass der Antragssteller faktisch seinen Antrag materiell rechtfertigen muss, um durchzudringen. Erreicht das Leitungs-, Aufsichts- oder Verwaltungsorgan ein rechtmäßiger Einberufungsantrag, so ist das jeweilige Organ verpflichtet, unverzüglich eine außerordentliche Hauptversammlung mit den begehrten Tagesordnungspunkten anzusetzen. Art. 55 Abs. 3 SE-VO ist insofern keine Zwei-Monats-Frist für das Abhalten der Versammlung zu entnehmen. Vielmehr ist es ausreichend, wenn der Antragsadressat die Hauptversammlung innerhalb der Zwei-Monats-Frist einberuft. Zur Stellung eines gerichtlichen Einberufungsantrags nach Art. 55 Abs. 3 SE-VO sind nur diejenigen Aktionäre berechtigt, die bereits hinter dem außergerichtlichen Antrag standen. Nicht erforderlich ist aber eine absolute Deckungsgleichheit des Kreises der Antragssteller auf gerichtlicher und außergerichtlicher Ebene. Der Einberufungsantrag nach Art. 55 Abs. 3 SE-VO unterliegt keiner gesetzlichen oder in der Verordnung bestimmten Antragsfrist. Es gelten jedoch die Grundsätze der Verwirkung (§ 242 BGB) Die gerichtliche Entscheidung über einen rechtmäßigen Einberufungsantrag ergeht grundsätzlich ebenso gebunden wie die Entscheidung auf außergerichtlicher Ebene. Nur die Wahl zwischen den beiden in Art. 55 Abs. 3 SE-VO vorgegebenen Entscheidungsalternativen (Anordnung der Einberufung oder Ermächtigung der Antragssteller zur Einberufung) bleibt dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts überlassen. Ein Tagesordnungsergänzungsantrag kann nach Art. 56 SE-VO jedenfalls von Aktionären gestellt werden, die eine Beteiligungsquote von zehn Prozent erreichen. Der deutsche Gesetzgeber hat den ihm insoweit offen stehenden Regelungsspielraum genutzt, um den Zehn-Prozent-Wert über § 50 Abs. 2 SEAG an die minderheitenfreundlicheren Regelungen in § 122 Abs. 2 AktG anzupassen. Danach kann die Ergänzung der Tagesordnung von Aktionären beantragt werden, deren Beteiligung mindestens fünf Prozent des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von 500.000 Euro erreicht. Die Antragssteller müssen nur im Antragszeitpunkt nachweisen, dass sie die Beteiligungsschwelle erreichen.

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7. Teil: Zusammenfassung

Statthafte Form des Antrags ist grundsätzlich die Schriftform; der Satzungsgeber kann eine weniger strenge Form bestimmen (§ 122 Abs. 1, 2 AktG, §§ 126, 126a Abs. 1 BGB, Art. 9 Abs. 1 lit. b), Art. 56 Satz 2 SE-VO) Inhaltlich müssen die Antragssteller analog Art. 55 Abs. 2 SE-VO die „Punkte für die Tagesordnung“ liefern, soweit sie eine Ergänzung wünschen. Ein darüber hinausgehendes Begründungserfordernis existiert nicht. Richtiger Adressat des Ergänzungsverlangens ist das einberufende Organ, sofern die Hauptversammlung bereits einberufen worden ist, bzw. (im Fall des Art. 55 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SE-VO) die zur Einberufung ermächtigte Aktionärsminderheit, sofern eine solche Ermächtigung bereits ausgesprochen wurde. Das Ergänzungsverlangen muss spätestens 24 Tage, bei börsennotierten Gesellschaften spätestens 30 Tage vor der Hauptversammlung zugehen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 AktG, Art. 56 Satz 2 SE-VO). Der Antrag kann auch schon im Vorfeld einer Einberufung gestellt werden. Art. 56 enthält kein Gegenstück zu Art. 55 Abs. 3 SE-VO, der für den Einberufungsantrag auf zweiter Stufe ein gerichtliches Verfahren vorsieht. Die Regelungslücke ist für die deutsche SE zu schließen, indem § 122 Abs. 3 AktG über Art. 56 Satz 2 SE-VO entsprechend angewendet wird. Das Recht zur Einbringung und Veröffentlichung von Gegenanträgen und Wahlvorschlägen aus §§ 126, 127 AktG lässt sich uneingeschränkt jedenfalls auf die dualistische SE übertragen. Im monistischen Modell dürfen – angelehnt an den Rechtsgedanken des § 22 Abs. 6 SEAG – Wahlvorschläge für das Verwaltungsorgan eingereicht werden. Kein Vorschlagsrecht der Aktionäre existiert dagegen in Bezug auf die geschäftsführenden Direktoren. Gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG, Art. 47 Abs. 2 lit. a) SE-VO darf nicht Mitglied des Aufsichtsorgans sein, wer in den vorhergehenden zwei Jahren Leitungsorganmitglied derselben börsennotierten SE war, es sei denn, seine Wahl erfolgt auf Vorschlag von Aktionären, die mehr als 25 Prozent der Stimmrechte an der Gesellschaft halten. Diese Einschränkung lässt sich auf das monistische Modell nicht übertragen; die Erteilung eines Dispenses durch eine qualifizierte Aktionärsminderheit ist insoweit weder möglich noch erforderlich. Gemäß § 127a Abs. 1 AktG, Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO dürfen auch Aktionäre einer deutschen SE das Aktionärsforum nutzen. Praktische Bedeutung hat das Forum aber weder für die SE noch für die AG. Ein Recht der Aktionäre, an der Hauptversammlung teilzunehmen, ist auf Verordnungsebene nicht (mehr) geregelt. Gemäß Art. 53 SE-VO gilt insoweit stattdessen nationales Aktienrecht – für die deutsche SE also in erster Linie §§ 118, 123 AktG. Rechtsgrundlage des Rede- und Fragerechts der SE-Aktionäre ist in erster Linie § 131 AktG, Art. 53 SE-VO. Ebenso wie in der AG soll das Rede- und Fragerecht

E. Die Rechte des SE-Aktionärs

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auch in der SE-Haupversammlung dazu dienen, den Aktionären die sachgerechte Ausübung der Mitgliedschaftsrechte im Zusammenhang mit der konkreten Tagesordnung zu ermöglichen. Gläubiger des Rede- und Auskunftsrechts ist der in § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG jeweils individuell berechtigte Aktionär; Schuldner ist wohl, entgegen der herrschenden Meinung, das Leitungsorgan. Im monistischen System geht die Passivlegitimation gemäß § 22 Abs. 6 SEAG auf das Verwaltungsorgan über. Auskunft kann über die Angelegenheiten der Gesellschaft, einschließlich der Beziehungen zu verbundenen Unternehmen, verlangt werden, soweit die Auskunft „zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist“ (§ 131 Abs. 1 Sätze 1, 2 AktG). Hat die Hauptversammlung über einen Unternehmensvertrag, eine Eingliederung oder eine Verschmelzung zu beschließen, kommen die für den Vertragsschluss wesentlichen Angelegenheiten des Vertragspartners (§ 293g Abs. 3 AktG), die für die Eingliederung wesentlichen Angelegenheiten der einzugliedernden Gesellschaft (§ 319 Abs. 3 Satz 5 AktG) bzw. die für die Verschmelzung wesentlichen Angelegenheiten der übrigen Verschmelzungspartner (§ 64 Abs. 2 UmwG) hinzu. Geht es um die Beteiligung der SE an einer SE-Verschmelzungsgründung oder an einer SE-Holding-Gründung, erstreckt sich das Auskunftsrecht auch auf die für die Gründung wesentlichen Angelegenheiten der übrigen Gründungspartner (Art. 18 SE-VO direkt bzw. analog, § 64 Abs. 2 UmwG). Der Geschäftsgang der Hauptversammlung wird grundsätzlich allein durch den Versammlungsleiter gestaltet. Nur punktuell können Aktionäre individuell auf den Geschäftsgang Einfluss ausüben. Einschlägige Regelungen finden sich in § 120 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2, § 137 und § 130 Abs. 2 Satz 3 Hs. 2 AktG, welche gemäß Art. 53 SE-VO auch für die SE gelten. Im Nachgang zur Hauptversammlung stehen den Aktionären einer deutschen SE ebenfalls grundsätzlich dieselben Rechte zur Verfügung wie AG-Aktionären. Dazu gehören das Recht aus § 125 Abs. 4 AktG auf Mitteilung der gefassten Beschlüsse sowie ggf. das Recht, eine Abschrift eines Vertrags über eine Umwandlungsmaßnahme zu verlangen (§ 13 Abs. 3 Satz 3, § 125 Satz 1, § 193 Abs. 3 Satz 2 UmwG). Beschließt die Hauptversammlung eine ordentliche Erhöhung des Grundkapitals, so haben die Altaktionäre gemäß § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG grundsätzlich Anspruch auf Bezug der neuen Aktien, und zwar jeweils zu dem Anteil, der ihrem bestehenden Anteil am Grundkapital entspricht. Dasselbe gilt in den Sonderfällen der Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital (§ 203 Abs. 1 Satz 1 AktG) und der Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie Genussrechten (§ 221 Abs. 4 Satz 2 AktG). Gemäß Art. 5 SE-VO stehen die genannten Bezugsrechte auch Aktionären einer deutschen SE zu. Die Überwachung der Geschäftsführung, die Prüfung kritischer Vorgänge und ggf. die anschließende Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gehört grundsätzlich zu den Aufgaben der Verwaltungsmitglieder selbst. Jedenfalls nach

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7. Teil: Zusammenfassung

dem gesetzlichen Regelfall ist es im dualistischen System in erster Linie Sache des Aufsichtsorgans, das Leitungsorgan zu überwachen und ggf. Ansprüche gegen dessen Mitglieder geltend zu machen (§ 112 AktG), und umgekehrt obliegt es in erster Linie dem Leitungsorgan, die Gesellschaft gegenüber Aufsichtsorganmitgliedern zu vertreten (§ 78 AktG). Eine parallele Situation ergibt sich im Verhältnis zwischen geschäftsführenden Direktoren und Verwaltungsorgan jedenfalls insoweit, als diese ebenfalls gemäß § 41 Abs. 1 bzw. § 41 Abs. 5 SEAG wechselseitig Ansprüche der Gesellschaft geltend machen können. Geltungsgrundlagen der Vorschriften sind im monistischen System Art. 43 Abs. 4 und im dualistischen System Art. 51 SE-VO. Versagt dieser Mechanismus, so stehen die Hauptversammlungskompetenzen aus § 142 Abs. 1, § 147 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AktG als zweite Verteidigungslinie zur Verfügung. Erst an dritter Stelle sind die Aktionäre individuell berechtigt, sich der Untersuchung und Verfolgung mutmaßlich schädigenden Verhaltens auf Verwaltungsebene anzunehmen. Anders als die Prüfungs- und Verfolgungsrechte der Hauptversammlung ist die Geltendmachung der entsprechenden Aktionärsrechte jedoch durchweg daran geknüpft, dass bestimmte sachliche Voraussetzungen erfüllt sind und die aktiven Aktionäre allein oder gemeinsam bestimmte Beteiligungsschwellen erreichen. In der monistischen SE stehen den Aktionären die Prüfungs- bzw. Verfolgungsmöglichkeiten aus § 142 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4, § 147 Abs. 2 Satz 2 AktG nur insoweit zu, als es um Ansprüche gegen das Verwaltungsorgan geht; Ersatzansprüche gegen die geschäftsführenden Direktoren dagegen werden ausschließlich vom ihnen übergeordneten Verwaltungsorgan geltend gemacht; für die konzernrechtliche Rechtsverfolgung auf Basis der § 309 Abs. 4, § 310 Abs. 4, § 315 Satz 7 AktG rücken die geschäftsführenden Direktoren dagegen gemäß § 49 Abs. 1 SEAG in die Position des AG-Vorstands. Als Gegenstück zum Recht der Hauptversammlungsmehrheit, die Gesellschaft fundamentalen Änderungen zu unterziehen, findet sich im deutschen Aktienrecht an mehreren Stellen ein Recht der Minderheit, kompensierende Zahlungen zu erhalten. Systematisch unterscheiden lassen sich dabei (1) Abfindungszahlungen, die Aktionäre als Gegenleistung für die zwangsweise Veräußerung ihrer Beteiligung erhalten, (2) Zahlungen, die Aktionäre erhalten, die sich als Reaktion auf eine fundamentale Richtungsänderung freiwillig dazu entschließen, ihre Beteiligung zu veräußern, (3) Zuzahlungen, die Aktionäre erhalten, wenn ein Gericht im Nachgang zu einem strukturändernden Aktientausch feststellt, dass das vereinbarte Umtauschverhältnis unangemessen war, und (4) jährliche Ausgleichszahlungen, die Minderheitsaktionäre einer vormals unabhängigen Gesellschaft erhalten, wenn letztere als abhängige Gesellschaft in einen Vertragskonzern eingegliedert wird. Über Art. 9 Abs. 1 lit. b) ii) SE-VO fließen die jeweiligen Anspruchsgrundlagen auch in das Recht der deutschen SE ein. Zu den regulierten Zahlungen nach zwangsweiser Veräußerung gehören die Abfindung beim aktienrechtlichen Squeeze-Out (§ 327b AktG), die Abfindung bei

E. Die Rechte des SE-Aktionärs

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Eingliederung der Gesellschaft in eine andere Gesellschaft (§ 320b AktG), die Abfindung beim übernahmerechtlichen Squeeze-Out (§ 39a WpÜG) und das Einziehungsentgelt nach kapitalherabsetzender Zwangseinziehung (§ 237 AktG). Die Abfindungshöhe richtet sich dabei – mit Ausnahme der Abfindungshöhe nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG – nach dem aus der aktiengesetzlichen Rechtsprechung etablierten Nebeneinander von Experten- und Marktmeinung. Zu den regulierten Zahlungen nach freiwilliger Veräußerung gehören die Abfindung beim Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags (§ 305 AktG), die Abfindung bei rechtsforminkongruenter Verschmelzung (§ 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG), die Abfindung bei grenzüberschreitender Verschmelzung (§ 122i UmwG), die Abfindung bei Beteiligung an der Gründung einer ausländischen SE durch Verschmelzung (§ 7 SEAG, Art. 24 Abs. 2 SE-VO), die Abfindung bei Beteiligung an der Gründung einer ausländischen oder abhängigen gemeinsamen Holding-SE (§ 9 Abs. 1 SEAG), die Abfindung bei grenzüberschreitender Sitzverlegung (§ 12, § 7 Abs. 2 – 7 SEAG, Art. 8 Abs. 5 SE-VO) sowie der Kaufpreis bei Annahme eines öffentlichen Übernahmeangebots. Eine Sonderrolle kommt dem regelmäßigen Ausgleich nach § 304 AktG zu, der eine regulierte Zahlungspflicht enthält, die nicht mit dem Ausscheiden des jeweils berechtigten Aktionärs aus der Gesellschaft einhergeht. Entscheidet sich die SE für eine Strukturmaßnahme, die mit einem Aktientausch verbunden ist – also eine Verschmelzung nach nationalem Umwandlungsrecht (§§ 2 ff. UmwG), eine SE-Verschmelzungsgründung (Art. 2 Abs. 1 SE-VO) oder eine Holding-SE-Gründung (Art. 32 – 34 SE-VO) – und dringen Aktionäre im Spruchverfahren mit dem Standpunkt durch, das im Gründungs- bzw. Verschmelzungsplan festgelegte Umtauschverhältnis sei zu niedrig bemessen, so erwirbt jeder Aktionär der Gründungs- bzw. übertragenden Gesellschaft einen Anspruch auf Ausgleich der Differenz durch bare Zuzahlung. Ebenso wie AG-Aktionäre können auch Aktionäre einer deutschen SE in den Genuss von Sonderrechten im Sinne des § 35 BGB kommen. Auch eine deutsche SE kann sich – mit Zustimmung ihrer Hauptversammlung nach § 293 AktG – als abhängige Gesellschaft in einen Vertragskonzern integrieren. Begibt sich eine dualistische deutsche SE in vertragliche Abhängigkeit, so ergeben sich kaum Unterschiede zur Situation einer abhängigen AG. Das Leitungsorgan rückt ohne weiteres in die Weisungsabhängigkeit des AG-Vorstands ein. Der Mechanismus aus § 308 Abs. 3 AktG lässt sich dabei uneingeschränkt auf die SE übertragen. In einer vertraglich abhängigen monistischen SE kann das herrschende Unternehmen seine Weisungen direkt an die Direktoren richten (§ 49 Abs. 1 SEAG), ohne zunächst das Verwaltungsorgan anweisen zu müssen, die Weisung über das Weisungsrecht nach § 44 Abs. 2 SEAG an die Direktoren weiter zu leiten. Das Verfahren nach § 308 Abs. 3 AktG ist auf die monistische SE jedenfalls insoweit nicht anwendbar, als die jeweiligen Zustimmungsvorbehalte auf Entscheidungen des Ver-

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7. Teil: Zusammenfassung

waltungsorgans der abhängigen SE zurückgehen. Weisungsgebunden ist neben den geschäftsführenden Direktoren auch das Verwaltungsorgan. Auch in der Satzung können einem Aktionär besondere Rechte eingeräumt werden. Das gilt in erster Linie für das Recht auf Entsendung einzelner Aufsichtsorganmitglieder (§ 101 Abs. 2 AktG, Art. 47 Abs. 4, Art. 40 Abs. 2 Satz 3 SE-VO) bzw. einzelner Verwaltungsorganmitglieder (§ 101 Abs. 2 AktG, § 28 Abs. 2 SEAG). Jedenfalls in der Nähe eines satzungsmäßigen Sonderrechts befindet sich ferner das Weisungsrecht, welches die Hauptgesellschaft gemäß § 323 Abs. 1 AktG im Zuge der Eingliederung einer SE erwirbt. Der dortige Verweis auf § 308 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, §§ 309, 310 AktG führt zu einem weitgehenden Gleichlauf zum Weisungsrecht im Vertragskonzern. Dieser Gleichlauf setzt sich in § 49 Abs. 2 SEAG fort, der – parallel zu § 49 Abs. 1 SEAG – die geschäftsführenden Direktoren in die Rolle des Vorstands der eingegliederten Gesellschaft einrücken lässt und damit insbesondere zu tauglichen Adressaten einer Weisung macht. Die Erwägungen zum beherrschungsvertraglichen Weisungsrecht gelten daher entsprechend, insbesondere was die Frage der Anwendbarkeit des § 308 Abs. 3 AktG auf eine eingegliederte SE betrifft. Regelungen, nach denen ein Aktionär seine Aktionärsrechte, einschließlich des Stimmrechts, vollständig verliert, ohne aus der Gesellschaft auszuscheiden, finden sich in der SE-VO nicht. Für die deutsche SE gelten daher dieselben gesetzlichen Regeln wie in der AG. Einschlägige Verweisungsnorm ist grundsätzlich Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO.

F. Auswirkungen einer Sitzverlegung Ein Recht einer SE, bei einer Sitzverlegung nach Art. 8 SE-VO ihre satzungsmäßigen Sondergestaltungen unverändert in den Zielstaat zu transportieren, lässt sich nicht aus der Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) ableiten. Primärrechtlich ergibt sich keine Vorgabe, in dieser Situation den Konflikt zwischen restriktiven Vorgaben eines Zielstaats und spezifisch ausländischen Sondergestaltungen einer zuziehenden SE in eine bestimmte Richtung aufzulösen. Denn es sprechen gute Gründe dafür, dass die SE bereits nicht in den persönlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit fällt. Dazu fällt die grenzüberschreitende Mobilität einer mitgliedstaatsspezifischen Sondergestaltung der Satzung nicht in den sachlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit. Auf Basis des Art. 8 Abs. 9 Hs. 2 SE-VO kann die zuständige Behörde im jeweiligen Zielstaat eine umfassende Anpassung der Satzung an die Vorgaben des Zielstaats verlangen. Gleichzeitig steht es einem Zielstaat offen, einer zuziehenden SE Einlass in seinen Rechtsraum zu gewähren, ohne allzu strengen Gebrauch vom

F. Auswirkungen einer Sitzverlegung

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Formalitäten-Kontrollrecht nach Art. 8 Abs. 9 Hs. 2 SE-VO zu machen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass es ausschließlich die Zielstaat-Rechtsordnung ist, die gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO auf die zugezogene SE anwendbar ist. Soweit Satzungselemente hiermit inkompatibel sind und die für die Formalitätenkontrolle zuständige Zielstaat-Behörde über die Inkompatibilität beim Zuzug hinwegsieht, kann der Konflikt daher dennoch zu einem späteren Zeitpunkt Probleme verursachen. Organwalter müssen im Zuge der Sitzverlegung nicht neu bestellt werden, sondern bleiben grundsätzlich im Amt. Der Drei-Jahreszeitraum aus § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG beginnt nicht erst mit der Sitzverlegung einer ausländischen SE nach Deutschland beginnen können, sondern bereits davor; umgekehrt kann eine aus Deutschland weggezogene SE einen Vergleich oder Verzicht vor Ablauf der Drei-Jahresfrist beschließen, wenn die Rechtsordnung des Zielstaats dies zulässt. Mit der Sitzverlegung aus Deutschland heraus werden befristete Ermächtigungen an die Verwaltung zur Durchführung von Kapitalmaßnahmen, zum Ausschluss des Bezugsrechts und zur Ausgabe von Options- und Wandlungsrechten nach deutschem Recht beendet. Laufende, die Binnenordnung der Gesellschaft betreffende Gerichtsverfahren werden sich mit einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung regelmäßig erledigen.

Summary A. System of the general meeting’s competences and of shareholders’ rights Similar to § 119 AktG within the law of the German AG, Art. 52 SE-VO is key to the majority of the SE general meeting’s competences. Its subpara. 1 refers, by way of clarification, to the competences included in the SE regulation (lit. a)) and to the execution acts to the SE-RL (lit. b)), and its subpara. 2 functions as a bridge to the law of the AG general meeting. Although both subparagraphs are connected to each other with the word “furthermore” (“außerdem”), Art. 52 SE-VO does not rank the aforementioned sources of law equally but, like Art. 9 SE-VO, in a hierarchical order. Competences of the general meeting that relate to the law of company groups take on a special role. Here, a horizontal and a vertical conflict must be solved in order to determine the law governing a transnational group of SE companies: The horizontal aspect relates to the several, national laws of group companies that are relevant to the group companies, and the vertical aspect is about the relation between the national company law and the other SE-related sources of law. The former aspect must be solved in accordance with the principles of international private law, and the latter aspect in accordance with the hierarchy of norms established in Art. 9 para. 1, Art. 52 SE-VO. The competences of the SE general meeting are determined, pursuant to both Art. 52 SE-VO and §§ 118 ff. AktG, on the basis of the principle of enumeration (Enumerativprinzip). Nevertheless, there are several unwritten competences, for which to a certain degree, parallels can be drawn to the law of the AG. With respect to the relationship between the competences of the general meeting and the competences of the other company organs, the SE, as well as the AG, is characterized by the principle of equality (Nebenordnungsmodell) which, generally, is perceived to be the opposite to a hierarchical corporate governance. This characterization is based on the SE’s character as a stock corporation and not on specific features that distinguish the SE from stock corporation models in other Member States. When it comes to drawing a line between the general meeting’s competences and the competences of other organs, the SE-VO entirely refers to Member State law. In particular, the fact that the SE regulation allocates general management responsibilities to the management organ and to the administrative organ, respectively, does not imply that the general meeting is categorically excluded from management-

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related decisions. The vague classification of “Geschäftsführung” (“management”) and “Überwachung” (supervision) in Art. 39 para. 1, Art. 40 para. 1 and Art. 43 para. 1 SE-VO rather represents a general principle underlying the two-tier model and the one-tier model, respectively, and does not reserve certain defined decisions for the company’s administration bodies. Conflicts of competences can be the result where the involvement agreement contains co-determination rules (in terms of § 2 para. 12 SEBG, Art. 2 lit. k) SE-RL) that are relevant to the company’s articles of incorporation. According to Art. 40 para. 2, Art. 43 para. 3 SE-VO, the involvement agreement prevails in such a conflict. Other parts of the agreement that establish rights of the employee representatives to participate in decision-making within the company’s corporate governance (not in terms of § 2 para. 12 SEBG, Art. 2 lit. k) SE-RL) are unlawful and, therefore, irrelevant. If the articles of incorporation contain rules that, according to the SE-RL, can be included only in the involvement agreement, and a conflict arises from this, the involvement agreement prevails as well according to Art. 12 para. 4 SE-VO. Taking into account that, according to German corporate law, such expansive provisions cannot become part of the articles of incorporation due to the Satzungsstrenge principle (principle of formal statute stringency), Art. 12 para. 4 SE-VO has no practical scope of application in relation to a German SE. B. The resolution of the SE general meeting The SE regulation does not contain requirements as to a minimum quorum. In this respect, Art. 57 SE-VO does not allow for supplemental regulations. The possibility to include a quorum in the articles of incorporation, as provided for in § 133 para. 1 subclause 2 alt. 2 AktG, does not exist for a German SE. Also, the SE regulation does not contain a provision that would establish or regulate the shareholders’ right to vote. However, in its section 4 (“General meeting”), the regulation implies that only shareholders have a voting right in the general meeting. The same conclusion can be drawn from Art. 5 SE-VO in conjunction with § 12 para. 1 sentence 1 AktG. According to Art. 5 SE-VO, the several potential ways of varying the proportionality principle that exist under German law (e. g., capping of voting rights, non-voting shares), generally, also apply to the German SE. With respect to the freedom of movement of capital (Art. 63 AEUV), a capping of voting, generally, does not lead to concerns due to its non-discriminative functioning. Also with respect to other control enhancing mechanisms, the “Golden Shares” series of ECJ decisions does hardly have any restrictive effects since AG and SE law already include important restrictions in this regard. Proxy voting and other forms of voting another person’s share are possible in the SE, generally, under the same conditions as in an AG. Also with respect to the decision underlying the voting, an SE shareholder may become subject to other in-

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fluences in the same way as an AG shareholder – for example on the basis of a voting agreement or an investment agreement. The restrictions included in § 136 para. 2 AktG, generally, apply in the same way – but not in relation to instructions issued by the managing directors of a one-tier SE. The correct method to cast a vote can be determined either by the articles of incorporation (§ 134 para. 4 AktG, Art. 53 SE-VO) or – if no determination is made therein – by the chairman of the general meeting. It is not possible to include such a determination in the rules of procedure or in an ad-hoc resolution of the general meeting. The voting right, furthermore, is one of the shareholder rights that can be exercised by way of distance voting (Briefwahl) or by way of electronic communication; the voting rights exercised in this manner count towards the “votes cast” in terms of Art. 57 – 59 SE-VO. Votes cast by way of distance voting (Briefwahl) cannot be revoked, at least if the company has excluded revocation rights or if the shareholder has individually waived its revocation right. If, therefore, the result of a certain vote can be anticipated prior to the general meeting itself, a later contesting action (Anfechtungsklage) can hardly be based on errors that relate to the physical general meeting. For counting the votes, either the addition principle or the subtraction principle may be applied. Counting the inactivity of a present shareholder as a “Yes” does not violate Art. 58 var. 1 SE-VO. The general requirement of a simple majority of votes, as included in Art. 57 SE-VO, applies to all acts of the general meeting in the form of a resolution, including elections and procedural issues. Art. 57 subclause 2 alt. 1 SE-VO allows for deviations from the requirement of a simple majority of votes to the extent that the SE-VO itself requires a “larger majority” (“größere Mehrheit”). This relates, in particular, to Art. 59 para. 1 SE-VO (amendment to the articles of incorporation) and to Art. 8 para. 6 sentence 2 SE-VO (transfer of seat). The same qualified majority requirement applies to management decisions of fundamental importance, for which the SE general meeting is competent according to the Gelatine principles developed under German corporate law. The two-third majority requirement in Art. 59 para. 1 SE-VO is itself qualified by Art. 59 para. 2 SE-VO. The latter provides that each Member State may determine that for amending the articles of incorporation, a simple majority is sufficient, if at least half of the share capital is represented. The German legislator has used this opportunity by enacting § 51 SEAG. According to Art. 57 subclause 2 alt. 1 SE-VO, a deviation from the requirement of a simple majority of votes can also be based on Member State corporate law. Therefore, where German corporate law provides for a larger majority, these rules apply to the German SE, as well. Where German corporate law opens up an opportunity for the articles of incorporation to deviate from legally prescribed voting majority requirements, these rules cannot be applied to a German SE. Not applicable to the SE are, in particular,

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§ 103 para. 1 sentence 3 AktG (removal of supervisory board members), § 133 para. 1 subclause 2 AktG and § 133 para. 2 AktG (elections). It is possible, however, to include a provision in the articles of incorporation that replace the qualified majority requirement set out in Art. 59 para. 1 subclause 2 SEVO with a stricter majority requirement. The reference included in Art. 57 subclause 2 alt. 2 SE-VO also extends to Member State laws that intensify the general requirement of a simple majority but, at the same time, allow for provisions in the articles of incorporation that vary this intensified majority requirement (e. g., § 103 para. 1 sentence 2 AktG). In relation to an SE, however, the intensified majority requirement cannot be varied in the individual articles of incorporation. The capital majority requirements under German law, the opportunities to vary them in the articles of incorpotion and the other, not majority-related German requirements for resolutions of the general meeting, apply to the SE without any qualification. The legal basis for this is the reference included in Art. 9 para. 1 lit. c) ii), iii) SE-VO. According to Art. 60 para. 1 SE-VO, a separate vote is necessary if rights pertaining to a certain class of shares “are affected” by a resolution (“durch den Beschluss berührt”). Under these circumstance, a separate vote is unnecessary only if the relevant class of shares merely benefits from the resolution. The separate vote, generally, is subject to the same majority requirements as the main resolution of the general meeting. C. The unlawful resolution of the SE general meeting I. The sources of law and the system of the law regarding unlawful resolutions of the SE general meeting Generally, according to Art. 53 SE-VO the general meeting of a German SE is subject to the same unlawful resolutions law (Beschlussmängelrecht) as an AG. The rules on the Declaratory Judgment Action (Vorabentscheidungsverfahren) contained in Art. 267 AEUV also apply to a German court that deals with a contesting action (Anfechtungsklage) or an invalidity action (Nichtigkeitsklage) brought against an SE general meeting’s resolution. Since such resolution can also be contested due to a violation of the SE-VO, the probability for the interpretation of EC law to become decisive for the outcome of the dispute is even higher than in a contesting action regarding a German AG. On the other hand, the relationship between the Declaratory Judgment Action and the release procedure (Freigabeverfahren) is rather unclear.

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II. Contesting action (Anfechtungsklage) and invalidity action (Nichtigkeitsklage), §§ 241 ff. AktG Under § 245 no. 1 AktG also distance voters (Briefwähler, § 118 para. 2 AktG) are entitled to bring a contesting action, without the need to declare a formal objection (Widerspruch zur Niederschrift). Shareholders participating electronically must, generally, declare a formal objection if they would like to be entitled to bring a contesting action on the basis of § 245 no. 1 AktG. Only if they are unable to do so for reasons that fall within the responsibility of the company, such formal objection is not necessary. The deadline pursuant to § 246 para. 1 AktG is running from the day of the adoption of the resolution, also in case of a general meeting that lasts more than one day. The one-month deadline for actions against merger, de-merger and conversion resolutions (§ 122a para. 2, § 125 sentence 1, § 195 para. 1 UmwG) also applies if an SE participates according to Art. 17 – 31 SE-VO in the merger-foundation of a new SE, in another cross-border merger or in the foundation of a holding SE. Under these circumstances, the one-month deadline does not run from the day of the resolution within the German entity but from the day on which the last foreign partner company has adopted its approval resolution and (non-)acceptance resolution regarding the appraisal procedure (Spruchverfahren) according to Art. 25 para. 3 sentence 1 SE-VO. § 241 no. 1 AktG, pursuant to which the invalidity of a resolution can also be caused by the general meeting being convened by an incompetent person, also applies to the German SE although § 241 no. 1 AktG only refers to the competences included in § 121 para. 2 AktG which, generally, do not apply to an SE. For an SE, the legal basis of the invalidity here is an analogy to § 241 no. 1 AktG, Art. 52 SE-VO in conjunction with Art. 54 para. 2 SE-VO. Invalid, pursuant to § 241 no. 3 AktG, are general meeting resolutions that are incompatible with the fundamental characteristics of the AG (Wesen der Aktiengesellschaft, var. 1), violate laws that protect creditors (var. 2) or violate other laws that exist in the public interest (var. 3). Since the SE regulation does not provide for similar or conflicting rules, these provisions also apply to a German SE. With regard to an invalidity in terms of § 241 no. 3 var. 1 AktG the fundamental characteristics of an SE will be decisive, and not the character of the AG. Like under German corporate law, this provision does not have a relevant impact within the law of unlawful resolutions. Laws protecting creditors of an SE, in terms of § 241 no. 3 var. 2 AktG, are Art. 8 para. 15, Art. 24 para. 1 lit. a) and b) SE-VO and §§ 8, 13 SEAG. To the extent that the rules for co-determination in a German SE are of a purely contractual nature, a resolution of the SE general meeting that violates these co-determination rules cannot be declared invalid under § 241 no. 3 var. 2 AktG.

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Among the other laws that exist in the public interest, in terms of § 241 no. 3 var. 3 AktG, is the waiting period provided for in Art. 8 para. 6 sentence 1 SE-VO. A resolution that would otherwise be invalid can be validated (Heilung) in accordance with § 242 AktG. This is also possible if the invalidity had been caused by a violation of the SE-VO. An SE general meeting resolution can be contested according to § 243 para. 1 AktG if it violates the law or the articles of incorporation. Violations of the SE-VO also count as violations in terms of § 243 para. 1 alt. 1 AktG. The prevailing opinion, pursuant to which a discharge resolution (Entlastungsbeschluss) can also be contested on the basis of its material content – i. e., if the person that is to be discharged has committed a serious violation of the law or of the articles of incorporation – is incorrect. Instead, the decision is within the sole discretion of the general meeting. A contesting action can be excluded, pursuant to § 243 para. 3 no. 1 subclause 1 AktG, in case of a technical error while shareholder rights are exercised electronically. This also applies to the German SE. From a policy perspective, this provision should be revised. Like in a German AG, a contesting action is excluded under certain circumstances where the appraisal procedure becomes relevant according to § 1 SpruchG. This exception relates to errors of structural decisions adopted by the general meeting that are only relevant to the amount of a regulated compensation or additional payment. Different from domestic mergers, the appraisal procedure and the corresponding exclusion of contesting actions apply to cross-border mergers only if the reciprocity requirement included in § 122h para. 1 and § 122i para. 2 sentence 1 UmwG is satisfied. The approval of the foreign partner company, however, becomes relevant only if the foreign corporate law that is relevant to this partner company does not provide for a procedure in terms of § 122h para. 1 and § 122i para. 2 sentence 1 UmwG, i. e. a procedure that (1) does not prevent the registration of the merger, (2) is open to the shareholders of the transferring company, (3) that unilaterally benefits the shareholders to the detriment of the absorbing company, and in which (4) these shareholders may be granted a claim against the absorbing entity for a re-adjustment of the economic conditions of the merger. The majority of the corporate laws of other Member States probably provide for such a procedure within their general procedural laws. If this is the case, the aforementioned approval will be irrelevant in most transactions. The same considertions apply with respect to the appraisal procedure (and the corresponding exclusion of a contesting action) where a German SE participates in a merger SE formation or a holding SE formation. For a holding SE formation, an analogy can be drawn to Art. 25 para. 3 sentence 1 SE-VO. In the course of a seat transfer, on the other hand, the reciprocity requirement cannot have a meaningful function.

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Besides the general laws of unlawful resolutions, as contained in §§ 241 ff. AktG, special rules apply to the election of supervisory organ members (§§ 250, 251 AktG), to the election of administrative organ members (§§ 31, 32 SEAG), to contesting actions against capital increase resolutions 8§ 255 AktG) and to the approval of the annual accounts (§§ 256, 257 AktG). In particular, an application of §§ 250, 251 AktG is compatible with Art. 47 para. 2 SE-VO. § 250 para. 1 no. 2 AktG, according to which the election of a supervisory organ member is invalid if the general meeting elects a person who has not been formally nominated in accordance with §§ 6, 8 MontanMitbestG, is not mirrored in § 31 para. 1 SEAG. This situation must be accepted without applying § 250 para. 1 no. 2 AktG within § 31 SEAG on the basis of an analogy. III. Release procedure (Freigabeverfahren) The release procedure under German corporate and reorganization law, generally, applies also to a German SE. It cannot be extended, however, to a seat transfer and a holding SE formation although such an extension would be desirable. Within the release procedure’s scope of application, §§ 916 ff., 935 ff. ZPO, generally, cannot be applied – neither in favor of the applicant nor in favor of the defendant. The quorum requirement included in § 246a para. 1 no. 2 AktG does not violate the German constitution. The provision probably does not even infringe constitutional rights. The choice of EUR 1,000 as the decisive threshold, however, does not seem to make sense from a policy perspective. The defendant must reach the threshold at the latest on the day on which the invitation to the general meeting is published in accordance with § 121 para. 4, para. 4a AktG, and he must maintain his participation above the threshold at least until the day on which the threshold documentation (Beteiligungsnachweis) according to § 246a para. 2 no. 2 AktG is issued. The defendant must provide a threshold documentation even if a sufficient shareholding is evident (§ 291 ZPO) or if the applicant admits that the defendant holds such shareholding (§ 288 para. 1 ZPO). The threshold documentation is subject to the general procedural rules on deeds and documents (§§ 415 ff. ZPO). Theoretically, also the shareholders register (§ 67 AktG) can be the source of a valid threshold documentation. Whether a release procedure under § 246a para. 2 no. 3 AktG is successful depends on a two-stage determination: First, the court will weigh the disadvantages for the company and its shareholders against the disadvantages for the defendant; second, the court determines whether a grave breach of law has occurred. With respect to the company and its shareholders, (only) those disadvantages are relevant that are caused by the suspensive effect of the contesting action. Disadvantages that relate to other stakeholders of the company, generally, will not be considered. With

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respect to the defendent, those disadvantages will be considered that are caused by the acceleration and final approval of the registration. When balancing the disadvantages, the court enjoys broad freedom. In particular, the court may bridge incompatibilities between relevant aspects in its own discretion. From the perspective of the commercial register, the positive release decision is equivalent to a negative declaration pursuant to § 319 para. 5 AktG, § 16 para. 2 UmwG. The lack of such declaration then does not prevent registration. This does not imply, however, that the commercial register must execute the registration under any circumstances following a positive release decision. D. The competences of the SE general meeting I. Influence on the supervisory organ According to Art. 40 para. 3 sentence 1 SE-VO, the number of the supervisory organ members or the rules for the determination of this number is determined by the articles of incorporation. The national legislator may, according to sentence 2, restrict this freedom by prescribing a certain number of members or a maximum and/or minimum number. Taking this into account, the German legislator has enacted § 17 para. 1 SEAG, which is deliberately modelled after § 95 AktG. Pursuant to § 17 para. 1 SEAG, a provision within the articles of incorporation on the number of organ members must provide for at least three seats and must not exceed a certain maximum number, depending on the company’s share capital. § 17 para. 1 sentence 2 SEAG, furthermore, extends the German principle that the number of seats must be divisible by three (Dreiteilbarkeitsgrundsatz) to the SE. The latter is not permitted under the SE-VO since the aforementioned principle represents a characteristically different restriction as compared to the modes of restrictions permitted under Art. 40 para. 3 sentence 2 SE-VO. According to Art. 40 para. 3 sentence 1 SE-VO, the articles of incorporation may provide either for a certain number of seats or for rules that determine this number. The articles may, therefore, provide for rules that are tied to dynamic criteria and/or to decisions of other organs of the company. The number of seats does not need to be calculable on the basis of purely static and objective criteria. Also, the articles of incorporation do not necessarily need to include a provision on the number of seats and may, instead, rely on the general principle of three seats, as provided for in § 17 para. 1 sentence 1 SEAG. To be eligible, potential candidates mus fulfill the compulsory legal requirements set out in § 100 para. 1, 2, § 105 AktG that, pursuant to Art. 47 para. 2 lit. a) SE-VO, also apply to an SE. In addition, the articles of incorporation may, pursuant to Art. 47 para. 3 SE-VO, “in accordance with the law applicable to public limited-liability companies in the Member State in which the SE’s registered office is situated, lay down special conditions of eligibility for members representing the shareholders” (“in Anlehnung an die für Aktiengesellschaften geltenden Rechtsvorschriften des Sitzstaats der SE besondere Voraussetzungen für die Mitgliedschaft”). In Germany,

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this reference points to § 100 para. 4 AktG, pursuant to which the articles of incorporation may lay down certain personal requirements for those supervisory board members that are elected by the general meeting or appointed by individual shareholders. On the basis of both Art. 47 para. 3 SE-VO and § 100 para. 4 AktG, the articles of incorporation can only provide for criteria that can be fulfilled personally by each individual organ member. Neither certain quotas (e. g., foreigners, German citizens) nor specific requirements for certain members or groups of members (e. g., appointed members) are permitted. These criteria may even be so narrow as to practically restrict the choice to not more than one candidate. At the same time, however, the criteria must be compatible with the prohibition to discriminate, as set out in § 1, § 7 para. 1 AGG, and with the fundamental freedoms under EC law. According to Art. 46 para. 1 SE-VO, the articles of incorporation must determine the organ members’ terms of office, with a maximum term of six years. The terms of office provided therein also applies to the first members of the supervisory organ; § 30 para. 3 Aktg does not apply. The articles may also provide for a staggered board. Different from the regulation of the number of seats, the articles of incorporation may not limit themselves to mere rules for determining the terms of office. According to Art. 46 para. 2 SE-VO, the articles of incorporations may place certain restrictions on the re-election of supervisory organ members. What is not permitted are provisions that make it easier for an elected organ member to remain in offie, for example by way of an automatic extension or renewal of the respective term of office. § 101 para. 2 sentence 1 AktG, Art. 47 para. 4 SE-VO allow for appointment rights in favor of certain shareholders or holders of certain shares. When electing the individual supervisory board members, the general meeting must elect one regular member for each seat that is under the general meeting’s influence. It is not possible to elect deputy members. The general meeting is also competent to remove a supervisory board member from office. Since Art. 40 para. 2 sentence 1 SE-VO does not stipulate this explicitly, this competence constitutes an unwritten annex competence. It also allows the general meeting to temporarily suspend an organ member’s membership. With respect to the election of a supervisory board chairman, Art. 42 SE-VO allows for provisions in the articles of incorporation regarding the election of a deputy chairman, the chairman’s term of office, his election and removal and regarding the question of whether and under which circumstances the chairman may or must be re-elected. Neither the articles of incorporation nor the supervisory organ itself may divide the chairman’s responsibilities among two equally ranking organ members or replace the office of the chairman with a mere speaker/spokesperson position.

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According to Art. 50 para. 1 lit. a) SE-VO, a supervisory organ meeting reaches a quorum if at least half of its members are present or represented. Pursuant to Art. 50 para. 1 lit. b) SE-VO, resolutions are adopted, generally, with “a majority of the members present or represented” (“mit der Mehrheit der anwesenden oder vertretenen Mitglieder”). Both principles, according to Art. 50 para. 1 subclause 1 SEVO may be varied by provisions in the regulation or by the articles of incorporation, but not by Member State law. Permitted are, therefore, provisions in the articles of incorporation that clarify whether members abstaining from voting and invalid votes count as “No” (which is regulated only in a vague manner in Art. 50 para. 1 lit. b) SEVO itself), that contain stricter requirements regarding the quorum or that qualify the general principle of a simple majority requirement in Art. 50 para. 1 lit. a) SE-VO. On the other hand, the articles may also stipulate lower requirements. Contrary to an opinion that is taken by some legal authors, individual quorum and majority requirements may also lead to a veto position of the employees’ representatives in a codetermined supervisory organ or may distribute influence and voting rights disproportionally among organ members, for example by introducing individual veto rights, multiple voting rights or individual decision-making rights. In a co-determined organ, however, such disproportionale influence can only be provided for if the distribution of power between shareholders’ and employees’ representatives, as set out in the individual co-determination rules, is not altered in favor of the shareholders’ representatives. According to Art. 50 para. 2 sentence 1 SE-VO, the chairman casts the decisive vote in case of a stalemate. The articles of incorporation may also stipulate special rules for this situation, unless the organ is co-determined. The range of possible provisions in the articles of incorporation is similarly broad as the possibilities under para. 1. With respect to written, oral and other comparable alternative ways of passing a supervisory board resolution, Art. 50 SE-VO neither signals an openess regarding the rules contained in § 108 para. 3, 4 AktG nor provided such rules itself. The articles of incorporation may, therefore, provide for such not meeting-related decision-making without too many restrictions. In particular, the articles of incorporation may contain rules that are modelled after § 108 para. 3, 4 AktG. With respect to committees of the supervisory organ, the articles of incorporation may, under Art. 50 para. 1, 2 SE-VO, only regulate committees that are mandated with own decision-making authority regarding certain tasks of the supervisory organ. The question of whether and to what extent there should be any committees is not part of what can be regulated in the articles of incorporation under Art. 50 para. 1, 2 SEVO. As far as the organizational framework of the adoption of organ resolutions is concerned, the SE-VO neither contains rules itself nor refers explicitly to Member State law. In particular, Art. 50 SE-VO does not relate to this topic since it refers to the elements of a lawful adoption of resolutions only and not to the organizational

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framework of such lawful adoption. For the German SE, therefore, general corporate law – in particular, § 109 para. 3, § 110 para. 3 AktG – applies. According to § 113 para. 1 sentence 2 AktG, the remuneration of an AG’s supervisory board may be either determined in the articles of incorporation (alt. 1) or by the general meeting (alt. 2). Only the latter is possible in a German SE; what is not possible for an SE supervisory organ is to determine the supervisory board members’ remuneration in the articles of incorporation (alt. 1). Also not applicable to an SE is § 113 para. 2 sentence 2 AktG pursuant to which a remuneration-related resolution by the general meeting is not possible prior to the date on which the general meeting decides on the discharge of the first supervisory organ’s members. According to § 113 para. 1 sentence 3 AktG, a remuneration granted by the general meeting should be proportional in relation to the responsibilities of the supervisory board members and to the state of the company. The effects that this restriction places on the general meeting’s decision, however, are less significant than the restrictions that the comparable rule in § 87 para. 1 sentence 1 AktG contains regarding the management board’s remuneration. With respect to the amount and the type of remuneration, the general meeting does not need to treat supervisory board members equally. Only the employees’ representatives are entitled to demand equal treatment. The sole legal basis for consent requirements between the supervisory organ and the management organ, as may be stipulated in the articled of incorporation, are Art. 48 para. 1 SE-VO, § 19 SEAG. § 111 para. 4 sentence 2 AktG does not apply. “Categories” (“Arten”) of transactions in terms of Art. 48 para. 1 sentence 1 SE-VO may be, for example, “all transactions of fundamental importance” or all “decicions or transactions that fundamentally alter the company’s revenues or general financial situation.” The articles of incorporation do not need to contain more concrete terms. § 111 para. 4 sentence 2 AktG, along with the possibility to replace a denied consent by the supervisory board with an approving resolution of the general meeting, does not apply to the German SE. The general meeting may resolve on certain decisions within the supervisory organ’s sphere of competence if the supervisory organ submits such decisions to the general meeting. In this respect a double analogy can be drawn to § 119 para. 2 AktG. The general meeting, according to § 119 para. 1 no. 3 alt. 2, § 120 paras. 1 – 3 AktG, resolves on a yearly basis on the discharge of supervisory organ members. The legal basis for this is the reference contained in Art. 52 sentence 2 SE-VO. A discharge decision may be divided based on personal criteria (see § 120 para. 1 sentence 2 AktG), but not based on certain facts or periods of time. The general meeting, therefore, must not restrict its positive or negative decision to certain facts or episodes and must also not exclude certain facts or episodes from the decision. With regard to a certain person, the discharge may be granted (or not granted) only in a

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general, comprehensive manner. The general meeting may not postpone its decision beyond the eight-months period stipulated in § 120 para. 1 sentence 1 AktG. II. Influence on the management organ It lies within the nature of the German two-tier model of corporate governance that the general meeting’s influence on the management organ is much lower than its influence on the supervisory organ. The remaining competences mostly relate to setting the organ’s legal framework through the articles of incorporation. The number of organ seats or the rules for determining this number, according to Art. 39 para. 4 sentence 1 SE-VO, is to be set out in the articles of incorporation. According to sentence 2, the national legislator may restrict this choice by providing a minimum and/or a maximum number of seats. Against this background, the German legislator has enacted § 16 sentence 1 SEAG, pursuant to which the management organ in a company with a share capital above three million Euros must consist of at least two persons, unless the articles of incorporation stipulate a different number. Furthermore, according to § 38 para. 2 SEBG, § 16 sentence 2 SEAG, companies that are co-determined by operation of law must have at least two management organ members, one of which will be responsible for labor and social affairs (Arbeitsdirektor). The articles of incorporation may also restrict themselves to mere rules for determining the number of management organ members. Such rules may, for example, consist of a maximum and minimum number of seats that then must be take into account by the supervisory organ when appointing the management organ members. The articles of incorporation may not contain eligibility criteria for management organ members. Such criteria would be incompatible with Art. 47 para. 3 SE-VO and its reference to the law of the AG management board. Like the terms of office of supervisory board members, the management organ members’ terms of office are to be determined directly within the articles of incorporation, up to a maximum of six years. To enact mere rules for determining the applicable term or a total lack of a provision within the articles of incorporation is not permited. The defined term of office must be at least one year. The general meeting, generally, cannot directly and individually influence the composition of the management organ. Only indirectly, the general meeting may trigger the removal of all organ members at once by opting for the one-tier model, or the general meeting may explicitly withdraw its confidence in a resolution and, thereby, establish a justification for a removal of the affected management organ member by the supervisory organ (§ 84 para. 3 sentence 2 var. 3 AktG). Only the supervisory organ may appoint a chairman of the management organ (§ 84 para. 2 AktG). The general meeting is restricted to regulating this chairman’s legal position by including decision-making-related provisions in the articles of incorporation (Art. 50 SE-VO).

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The possibilities to include quorum- and majority-related provisions for the management organ in the articles of incorporation under Art. 50 para. 1 subclause 1 SE-VO are significantly broader than potential provisions on the same topics in an AG’s articles of incorporation. In particular, an SE’s articles of incorporation may set out rules on the significance and handling of invalid votes, on members abstaining from voting and on quorum and majority requirements that change the default rules provided for in Art. 50 para. 1 SE-VO, like higher or lower majority requirements, veto rights, multiple voting rights and individual decision-making rights. § 77 para. 1 sentence 2 subclause 2 AktG, pursuant to which a minority of management board members may not outvote a majority of the same organ’s members, and § 77 para. 2 sentence 3 AktG, pursuant to which the management board may adopt its rules of procedure only on the basis of a unanimous decision, do not apply to an SE. Art. 50 para. 2 sentence 1 SE-VO that entitles the chairman to cast the decisive vote in a stalemate also applies to the management organ although, typically, there will be no employee representatives in the management organ. The say-on-pay rules contained in § 120 para. 4 sentence 1 AktG apply – through the reference included in Art. 52 subpara. 2 SE-VO – also to the remuneration of management organ members. Generally, like an AG’s general meeting, the general meeting of a German SE has an unwritten competence to decide on management decisions of fundamental importance in accordance with the principles set out by the BGH in its Gelatine decisions. Whether the Gelatine competence of the SE general meeting is to be classified as an SE-specific concept or whether it is rather an AG-specific concept that can be extended to the SE is not relevant. Among the management-related competences of the general meeting are also socalled Nachgründungsverträge in terms of § 52 para. 1 AktG and issues submitted to the general meeting on the initiative of the management organ according to § 119 para. 2 AktG. The general meeting decides on the discharge of management organ members in accordance with Art. 52 subpara. 2 SE-VO, § 119 para. 1 no. 3, § 120 paras. 1 – 3 AktG. III. Influence on the administrative organ According to Art. 41 para. 2 sentence 1 SE-VO, the number of seats of the administrative organ or the rules that determine this number are set out in the articles of incorporation. According to sentence 2, the Member States may fix minimum and/or maximum numbers. In this resprect, the German legislator has enacted § 23 para. 1 SEAG, which is partly modelled after § 95 AktG (AG supervisory board) and § 17 para. 1 SEAG (SE supervisory organ) and clearly different from the law of the AG management board (§ 76 para. 2 AktG).

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Concerning the minimum size of the administrative organ, § 23 para. 1 sentences 1 and 2 SEAG are based on the authorization granted in Art. 43 para. 2 sentence 2 SE-VO. Within the share-capital- and co-determination-related minimum and maximum numbers, the articles of incorporation may deviate from the general principle of three seats (as provided for in § 23 para. 1 sentence 1 SEAG) in both directions. According to Art. 43 para. 2 sentence 1 SE-VO, the articles of incorporation may either stipulate a specific number or rules that determine this number. The company may also rely on the default rule of § 23 para. 1 sentence 1 SEAG. According to Art. 47 para. 3 SE-VO, the articles of incorporation may provide certain personal eligibility criteria for organ members that represent the shareholders in accordance with Member State law. Like for the supervisory organ, this reference points to § 100 para. 4 AktG which applies in the same way to a German SE’s administrative organ. Also with respect to the administrative organ, the competence to elect organ members (Art. 43 para. 3 sentence 1 SE-VO) represents one of the most important competences of the general meeting. For each seat one regular member must be elected; deputy members cannot be elected. The competence to remove administrative organ members from office functions as an annex to the written competence to elect members. It, therefore, represents an unwritten competence of the general meeting. On the basis of this unwritten competence, the general meeting may also temporarily suspend the membership of individual organ members; the general meeting may not, however, resort to a withdrawal of confidence in terms of § 84 para. 3 sentence 2 var. 3 AktG. According to Art. 45 SE-VO, the administrative organ elects “from among its members” (“aus seiner Mitte”) a chairman who, in an SE co-determined on the basis of parity, must be one of the shareholders’ representatives. Many elements of the chairman’s position, as described in § 34 para. 1 sentences 1 – 3 SEAG, are modelled after the position of the AG supervisory board chairman. With regard to the broad possibilities of including decision-making-related provisions in terms of Art. 50 paras. 1, 2 SE-VO (quorum, majority requirements, chairman’s casting vote), the same principles apply to the administrative organ as in the two-tier system. The German legislator has not been authorized to introduce § 35 para. 2 SEAG that entitles the chairman of the administrative organ to cast an additional vote if a managing member the administrative organ, for legal reasons, is prevented from participating in the vote on a resolution. In this respect, Art. 50 SE-VO does not refer or defer to Member State law. Also not applicable are § 35 paras. 1, 2, § 37 para. 1 sentence 2, para. 2 SEAG. Different from the two-tier model, the frequency of administrative organ meetings is regulated directly within the SE-VO (Art. 44 para. 1). Therefore, § 110 para. 3

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AktG cannot apply to the administrative organ. The meeting frequency is among the mandatory elements of the articles of incorporation. The extent to which the articles of incorporation may regulate other aspects of the administrative board’s affairs, is governed – subject to Art. 50 para. 1 SE-VO – by § 34 para. 2 sentence 2 SEAG. The articles of incorporation, therefore, may regulate selective issues of the rules of procedure. The provision has not been modelled after the law of the AG supervisory board but after § 77 para. 2 sentence 2 AktG which is almost identical and relates to the AG management board. With respect to the remuneration of the administrative organ’s members, § 38 para. 1 SEAG contains a general reference to § 113 AktG. To the extent § 113 AktG does not apply to the German SE, however, this reference does not fulfill the intentions of the legislator. With respect to the amount and type of remuneration, the same general principles apply as in the two-tier system. Stock options may be granted, as well, since all members of the administrative organ belong to the management in terms of § 192 para. 2 no. 3 AktG. Instead of equally ranking supervision and management competences of a supervisory organ and a management organ, respectively, the one-tier SE system is characterized by a general management and supervision competence of the administrative organ (Art. 43 para. 1 sentence 1 SE-VO, § 22 para. 1 SEAG), accompanied by a competence of the managing directors for carrying out the day-today business (Art. 40 para. 2 sentence 1 SEAG). The articles of incorporation cannot define these two categories by, for example, assigning certain topics to one or the other category. Also the general right of the administrative organ to issue binding instructions to the managing directors (§ 44 para. 2 SEAG) cannot be restricted in the articles of incorporation. The articles of incorporation may set out certain consent requirements in accordance with Art. 48 para. 1 SE-VO to the benefit of the entirety of the administrative body. The unwritten limits that apply to consent requirements between the supervisory board and the management board do not apply to consent requirements in the one-tier system because of the broad management and supervision authority of the administrative organ. If the mediatization effect (Mediatisierungseffekt) is a necessary and sufficient element of the unwritten general meeting competence established by the Gelatine principles, it could be that the case law from the Holzmüller and Gelatine decisions is applicable only to the two-tier SE and not to the one-tier SE. What is also possible, however, is that a court that deals with a Gelatine situation in a one-tier setting develops the established principles in a new, one-tier-specific direction. Like the management and the supervisory organ, the administrative organ may submit certain matters from its own sphere of competence to the general meeting (§ 119 para. 2 AktG).

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The general meting resolves on a yearly basis on the discharge of the administrative organ members (§ 119 para. 1 no. 3, § 120 paras. 1 – 3 AktG, Art. 52 subpara. 2 SE-VO. IV. Influence on the managing directors Against the background of the competences that the general meeting has in relation to the supervisory, management and administrative organ, the general meeting’s competences regarding the managing directors are limited. This is primarily due to the classification of the managing directors as a body that is subordinated almost entirely to (and dominated by) the administrative organ. Within this strict subordination, the general meeting has only very limited influence. According to § 40 para. 1 sentence 5 SEAG, the articles of incorporation may contain rules on the appointment of one or more managing directors. This allows only for rules that relate to the number of managing directors (e. g., a certain number or a minimum/maximum number). On the other hand, the articles cannot further restrict the already limited (§ 40 para. 1 sentence 2 SEAG) competence of the administrative organ to decide on the extent to which administrative organ members should be appointed as managing directors. Also not possible on the basis of § 40 para. 1 sentence 5 SEAG are further restrictions like eligibility requirements in terms of Art. 47 para. 3 SE-VO, § 100 para. 4 AktG. According to § 40 para. 5 sentence 1 SEAG, managing directors may be removed by the administrative organ any time if the articles of incorporation do not provide otherwise. This authorization can be used to establish certain removal requirements in the articles (e. g., only removal for cause). Since the managing directors do not represent an organ of the SE, the articles of incorporation cannot, on the basis of Art. 46 SE-VO, set out the details of the managing directors’ terms of office or their re-appointment. For the same reason, the articles cannot include rules on a quorum, majority requirments and a casting vote (Art. 50 SE-VO) or eligibility requirements for shareholder representatives (Art. 47 para. 3 SE-VO). A potential legal basis for provisions on the managing directors’ terms of office, however, would be § 40 para. 5 sentence 1 subclause 2 SEAG. According to § 40 para. 6 SEAG, the rules on reporting contained in § 90 AktG apply accordingly to the reporting responsibilities of the managing directors, unless the articles of incorporation or the rules of procedure do not contain other requirements. This allows for a larger variety of reporting rules as compared to the two-tier model. The direct determination of the managing directors’ remuneration is not the responsibility of the general meeting but only the administrative organ’s responsibility. Also a say-on-pay vote under § 120 para. 4 AktG ist not possible with respect to the managing directors.

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§ 44 para. 2 SEAG does not constitute a competence of the general meeting to issue binding directions to the managing directors. Even on their own initiative, managing directors may not submit certain management decisions to the general meeting according to § 119 para. 2 AktG. The general meeting’s competences under the Gelatine principles will no become practically relevant in relation to the managing directors regular responsibilities. The general meeting does not decide on the discharge of the managing directors. V. Self-organization Besides the competence of the management, supervisory and administrative organ to convene the general meeting, the articles of incorporation may not add identical competences of other persons, organs or bodies. § 121 para. 2 sentence 3 AktG, therefore, is wholly inapplicable to the German SE. As it becomes apparent from § 124 para. 4 sentence 2 AktG, also the general meeting itself may resolve on its own convention if, for example, an ongoing general meeting should be adjourned. This competence can be applied to the German SE pursuant to Art. 52 subpara. 2 SE-VO. According to § 121 para. 5 AktG, which is applicable to the German SE pursuant to Art. 53 SE-VO, the articles of incorporation may determine the place of the general meeting. Also other self-organization-related competences of the AG general meeting and potential provisions in the articles of incorporation apply almost in the same way to an SE’s general meeting. This is particularly true for the regulation of registration requirements and rules in the articles of incorporation on the shareholders’ participation and voting rights. The relevant authorizations to include such rules in the articles of incorporation, as contained in § 123 paras. 2 – 3 AktG, apply accordingly, via Art. 53 SE-VO, to a German SE. Furthermore, the articles of incorporation may determine the chairman of the general meeting (e. g., the chairman of the supervisory organ). In the one-tier SE, the articles of incorporation may also nominate members of the administrative organ, including the chairman of the organ, as chairman of the general meeting. The general meeting may adopt own rules of procedure according to § 129 para. 1 sentence 1 AktG, Art. 53 SE-VO. The meeting agenda, generally, will be already finalized when the meeting is convened and the invitation is published. The only options for shareholders, therefore, to put their own items on the agrenda, will, generally, be an amendment application (Ergänzungsverlangen, Art. 56 SE-VO) or a convention application (Einberufungsverlangen, Art. 55 SE-VO). A removal of items from the agenda of a meeting is permitted only in exceptional circumstances and must be justified. In addition, if the relevant item has been put on

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the agenda by way of an amendment application or a convention application, the removal requires the consent of the respective applicants. Besides the organs that are explicitly listed in Art. 38 SE-VO (general meeting, management, supervisory and administrative organ), the articles of incorporation cannot create new organs – i. e., bodies or persons that do not only act as contractual partners of the company but also assume rights and duties under corporate law within the company. Art. 54 para. 2 var. 4 SE-VO is meaningless in relation to a German SE. Only bodies with a consulting or supporting function may be installed on the basis of contractual agreements. VI. Realization of damage claims of the company According to Art. 51 SE-VO, the members of the management, supervisory and administrative organ are liable, according to Members State law, for the damage that the SE suffers from violations by these members of their respective statutory and other duties. The provision, thereby, establishes a special reference to the liability concepts of the Member States but does not itself set out certain claim-related requirements. The interpretation of Art. 51 SE-VO as a special reference to the concepts of director responsibility lead, within German law, to the result that the liability concept of the AG applies to the two-tier SE, in particular §§ 93, 116 AktG. Included are also the general meeting’s competences that are tied to the claims, in particular § 142 para. 1, § 147 AktG. The provision does not apply to damage claims against managing directors. An SE may, pursuant to § 93 para. 4 sentence 3 AktG, relinquish damage claims against management members or enter into settlement agreements only if the general meeting has granted its consent and if there is no objecting shareholder minority that holds at least ten percent of all shares. The same applies with respect to damage claims against supervisory body members (§ 116 sentence 1 AktG), damage claims against influencing third parties (§ 117 para. 4 AktG), damage claims relating to the initial establishment of the company (§ 50 sentence 1 AktG), damage claims against the representatives of a contractually dominating enterprise (§ 49 para. 1 SEAG, § 309 para. 3 AktG) and damage claims against the management members of a dominated company and a factually dominating company and its legal representatives (§ 49 para. 1 SEAG, § 309 para. 3 AktG, § 310 para. 4, § 317 Abs. 4 AktG). No resolution of the general meeting is necessary if the company enters into a settlement agreement regarding the shareholder’s initial equity investment obligation (Einlagepflicht). VII. Decision, approval and prevention of fundamental changes Besides influencing organ members, the control of and influence on fundamental changes belong to the most important competences of the general meeting. Primarily

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important is the competence to implement amendments to the articles of incorporation as set out in European as well as German corporate law. Pursuant to Art. 59 SE-VO, a resolution of the general meeting is necessary to amend the articles of incorporation. § 179 para. 1 sentences 2 AktG, generally, does not apply. An opportunity for the supervisory organ to amend the articles of incorporation alone and without a shareholders’ resolution probably exists in the practically quite relevant situation where the company uses an authorized or conditional capital. Regarding the content of the articles of incorporation, both the German and the European legislator prescribe certain minimum topics, i. e. topics that must be regulated in the articles, and – through the Satzungsstrenge – a maximum of regulations that must not be exceeded. In particular for the SE, certain synchronization requirements (Gleichlaufgebote) add to this, pursuant to which specific authorizations for provisions in the articles may be exercised only in the same manner as under the Member State’s national law. Taken together, this significant influence of Member State law restricts the ability of a German SE to create certain rules in the articles of incorporation in a similar intensity as in a German AG. The Satzungsstrenge principle applies to the German SE in two ways: First, according to Art. 9 para. 1 lit. b) SE-VO, an SE is governed by its articles of incorporation, “where expressly authorized by this regulation” (“sofern die vorliegende Verordnung dies ausdrücklich zulässt”); and, second, according to § 23 para. 5 sentence 1 AktG – wich applies to the SE by virtue of Art. 9 para. 1 lit. c) ii), iii) SEVO – the articles of incorporation may deviate from the provisions of the AktG only where it is explicitly permitted. Both norms, however, do not overlap with each other because the regulation-specific Satzungsstrenge principle relates only to authorizations granted within the regulation, whereas § 23 para. 5 sentence 1 AktG relates only authorizations granted within the AktG (that themselves apply to the SE by virtue of Art. 9 para. 1 lit. c) iii) SE-VO). Provisions within the articles of incorporation that merely supplement certain existing legal requirements (gesetzesergänzende Klauseln) are not permitted under Art. 9 para. 1 lit. b) SE-VO but, generally, can be based on § 23 para. 5 sentence 2 AktG. Not only the regulation and general German corporate law allows for certain decisions to be made within the articles of incorporation but also the SEAG – although the latter can neither be characterized as an authorization included in the regulation (in terms of Art. 9 para. 1 lit. b) SE-VO) nor as an authorization based on the general corporate law of the Member State in which the SE’s registered office is located (Art. 9 para. 1 lit. c) iii) SE-VO). To such SEAG-specific authorizations, neither the regulation-specific Satzungsstrenge principle nor the Satzungsstrenge principle of § 23 para. 5 AktG applies; it is rather a third principle of Satzungsstrenge that can be directly derived from Art. 9 lit. c) i) SE-VO.

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According to Art. 38 lit. b) SE-VO, the articles of incorporation determine whether the individual SE is governed by a one-tier or a two-tier administration model. Once this choice is made, the model can be changed any time. Like in an AG, the SE general meeting is competent to resolve on a number of financing and capital measures that have a direct impact on the company’s equity capital and, thereby, also on its shareholders structure. Among them are an authorized or conditional capital increase (§ 192 para. 1, § 202 para. 2 AktG). Under § 192 para. 2 no. 3 AktG a conditional capital increase can also be implemented for the purpose of granting stock options to administrative organ members. A German SE, generally, is subject to German reorganization law (Umwandlungsrecht) in the same way as an AG; the relevant reference norms are § 3 para. 1 no. 2 UmwG, that classifies the AG as a potential subject of a reorganization, and Art. 9 para. 1 lit. c) ii) SE-VO that extends German AG law to the SE. The provisions on the formation of an SE in Art. 2 f. SE-VO are a barrier to the application of Member States’ reorganization laws only (and generally) to the extent that a new formation of an SE is concerned. Art. 66 SE-VO is not a barrier to the applicability of national reorganization laws. Instead, the provision function as a fallback mechanism ensuring that at least one exit option exists for an SE that does not lead to a different corporate identity and that takes place outside of the liquidation and dissolution procedures set out in Art. 63 – 65 SE-VO. The two-year blocking period for a re-conversion that is stipulated in Art. 66 para. 1 sentence 2 SE-VO must be interpreted literally and restricted to the scope of application of Art. 66 SE-VO. It does not apply accordingly to other types of reorganization that include a change of legal form from the SE back to a national company form. Among the SE general meeting’s competences is also the decision on a participation of the SE in the formation of a new SE according to Art. 2 f. SE-VO. According to Art. 3 para. 1 SE-VO, an existing SE may participate in such a formation in the same way as the several types of national stock corporations listed in annex I to the SE-VO. Like in a German AG, it is up to the SE general meeting (and to the majority shareholder dominating the general meeting) to squeeze out minority shareholders in exchange for a monetary compensation. The general meeting competences relating to an integration (§§ 319 ff. AktG, § 49 SEAG) and to the squeeze out procedure under corporate law (§ 327a para. 1 AktG) apply accordingly to a German SE via Art. 52 subpara. 2 SE-VO. The rules on a squeeze-out under reorganization law (§ 62 para. 5 UmwG) explicitly refer to the squeeze-out procedure under corporate law and, therefore, are applicable to a German SE, as well. A German SE can become a party to an affiliation agreement in terms of §§ 291 ff. AktG in the same way as an AG. The general meeting competences relating to such affiliation agreements (§§ 293 ff. AktG), therefore, apply to a German SE, also via

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Art. 52 subpara. 2 SE-VO and, where necessary, principles of private international law. The general meeting’s competence to decide on a seat transfer is solely based on Art. 8 SE-VO while the competence to implement the corresponding amendement to the articles of incorporation is based solely on Art. 59 SE-VO. The general meeting may, however, decide on both aspects together. VIII. Annual accounts and appropriation of annual profits Like an AG general meeting, the general meeting of a two-tier SE mandates the auditor of the annual accounts and, if applicable, of the consolidated accounts (§ 318 para. 1 HGB, § 119 para. 1 no. 4 AktG) and makes the final decision on the appropriation of the balance sheet profit (§ 58 para. 3, § 174, § 119 para. 1 no. 2 AktG). The general meeting decides on the formal adoption of the annual accounts only if the management and the administrative organ grant this decision-making authority to the annual meeting or if the supervisory organ has not approved the annual accounts as set up by the management organ (§ 173 para. 1 AktG). In a one-tier SE, the general meeting also mandates the auditor of the annual accounts and of the consolidated accounts (§ 318 para. 1 HGB, § 119 para. 1 no. 4 AktG) and makes the final decision on the appropriation of the balance sheet profit (§ 58 para. 3, § 174, § 119 para. 1 no. 2 AktG, Art. 9 para. 1 lit. c) iii) SE-VO). Not relevant, however, is § 173 para. 1 AktG. Instead, the general meeting’s exceptional competence to formally adopt the annual accounts is based on § 47 para. 6 SEAG that puts significant limitations on the four-eyes principle. IX. Influence on the involvement of employees According to Art. 23 para. 2 sentence 2, Art. 32 para. 6 subpara. 2 SE-VO, the general meeting of an SE that participates in the formation of another SE may reserve the right to separately consent (or not consent) to the final involvement agreement. The same option exists under § 122 g para. 1 UmwG in case of a cross-border merger. Due to the lack of special provisions, the resolution on the installation of the consent requirement is subject to the simple majority requirement as set out in Art. 57 SE-VO. The scope of the consent requirement and the majority requirement for the consenting resolution, generally, can be determined by the resolution on the installation of the consent requirement. In this regard, the general meeting is free to decide what types of involvement or co-determination it would like to make subject to its consent. If the general meeting, in the resolution on the installation of the consent requirement, does not make this choice, the consent requirement relates to all types of involvement or co-determination and the simple majority requirement of Art. 57 SE-VO applies.

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There is no unwritten competence of the general meeting for the ratification of an involvement agreement. E. Individual shareholders’ rights By acquiring an SE share, the acquirer primarily gains the right to re-sell the share. The share’s improved transferability, as regulated by German law and by the regulation, is supplemented by a number of options to further enhance transferability and, on the other hand, by a number of optional restrictions of transferability. The regulation itself does not regulate whether and how an SE share can be assigned. Therefore, the assignment of a share is subject to the Member States’ property laws and international private law. To the extent that the shares are registered shares (Namensaktien), the articles of incorporation may make an assignment of shares dependent on the company’s approval. In a two-tier SE, such approval, generally, is granted by the management organ (§ 68 para. 2 sentence 2 AktG) unless the articles of incorporationdo not explicitly assign this competence to the supervisory board or to the general meeting (§ 68 para. 2 sentence 3 AktG). In a one-tier SE, the administrative organ will, generally, decide on the approval, and the articles of incorporation may assign this competence to the general meeting. To influence the composition of the management or administrative organ is, generally, a matter reserved to the general meeting. An individual shareholder, however, may initiate status proceedings (Statusverfahren) under § 98 para. 2 sentence 1 no. 3 AktG, Art. 9 para. 1 lit. c) ii) SE-VO. Different from the composition of the AG supervisory board, the composition of an SE supervisory organ or administrative organ may not be based not only on legal requirements (gesetzliche Vorschriften) in terms of § 98 para. 1 AktG but also on an involvement agreement pursuant to § 21 SEBG. The parties negotiating this agreement, however, are not competent do decide on a certain number of supervisory organ seats. If such rules, nevertheless, are included in a involvement agreement, they are unlawful and, therefore, irrelevant; they cannot be enforced in a status proceeding. The SE regulation as well as the German stock corporation act provide for a right of shareholders to initiate the convention of a special meeting or to amend the agenda of a meeting that has been called by the administration of the company. In this respect, § 122 AktG contains a complete set of rules, whereas the set of rules provided by Art. 55, 56 SE-VO is incomplete and, instead, authorize the national legislators and the individual articles of incorporation to provide for a supplement. The right to convene a general meeting, according to § 50 para. 1 SEAG, Art. 55 para. 1 subclause 2 SE-VO, is granted to shareholders that hold participations of at least five percent in the company’s share capital. The German legislator, thereby, has exercised its option to lower the general threshold of ten percent as it is included in Art. 55 para. 1 subsclause 1 SE-VO. The individual articles of incorporation may further lower the relevant percentage. The applicant(s) must fulfill the threshold

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requirement on the application day, at the latest; beyond this day, the participation does not need to be maintained above the threshold. The application must include the “items to be put on the agenda” (“Punkte für die Tagesordnung”). The application must be precise enough to allow for the setting up of the meeting agenda without a need for further inquiries. The necessary formalities can be inferred directly from the text of the regulation without recurring to § 122 para. 1 sentence 1 AktG. A form equivalent to textform will be sufficient. The application may be addressed to the management organ of a two-tier SE and to the administrative organ of a one-tier SE. To address the application to the supervisory body will, generally, not be practictal but also not completely excluded. The possibility of rejecting an application because of an abuse of the application right should be considered ver carefully. In particular, the scope of potential circumstances under which sch rejection is allowed must not practically require the applicant to come up with a justification of his application. If the management, supervisory or administrative organ is confronted with a lawful application, the respective organ must, without undue delay, convene a special meeting with the desired agenda items. In this regard, Art. 55 para. 3 SE-VO does not stipulate a two-month deadline for the special meeting to take place; it is rather sufficient if the addressee of the application submits an invitation to the special meeting within this two-month period. A subsequent court application to convene the special meeting (gerichtlicher Einberufungsantrag) according to Art. 55 para. 3 SE-VO may only be filed by those shareholders that had backed the preceding application to the company. It is not necessary, however, that both groups of applicants are completely identical. Neither the regulation nor German law specifies a certain deadline for the court application according to Art. 55 para. 3 SE-VO. However, a forfeiture (Verwirkung) of the right is possible in accordance with general principles (§ 242 BGB). Like the addressees of the original application, the court, generally, does not have discretion to reject or allow the application. Only the choice between a direct convention of the special meeting by the court and an authorization of the applicants to convene such meeting is within the court’s discretion. An application to amend a general meeting’s agenda pursuant to Art. 56 SE-VO may, generally, be filed by shareholders whose shareholding reaches ten percent. As authorized under Art. 56 SE-VO, the German legislator has lowered the ten percent threshold by enacting § 50 para. 2 SEAG and modelling this provision after the more minority-friendly rules contained in § 122 para. 2 AktG. Pursuant to § 50 para. 2 SEAG, the application may be filed by shareholders who participate with at least five percent or with a proportional amount of 500,000 Euros in the company’s share

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capital. The applicant(s) must prove this participation only when filing the application. The application must be in written form; a less strict form requirement may be set out in the articles of incorporation (§ 122 paras. 1, 2 AktG, §§ 126, 126a para. 1 BGB, Art. 9 para. 1 lit. b), Art. 56 sentence 2 SE-VO). The application must contain the “items to be put on the agenda” (“Punkte für die Tagesordnung”); Art. 55 para. 2 SE-VO applies accordingly in this respect. Another form of justification for the application is not necessary. The application must be addressed to the convening organ if the general meeting has already been called or (in case of Art. 55 para. 3 sentence 1 alt. 2 SE-VO) to the convening shareholders if the latter have been authorized by the court to convene the meeting. The application must reach the company at least 24 days prior to the day of the general meeting, and 30 days prior to the meeting in case of a publicly listed company (§ 122 para. 2 sentence 3 AktG, Art. 56 sentence 2 SE-VO). The application may also be filed prior to the invitation to the meeting. Unlike Art. 55 para. 3 SE-VO, Art. 56 SE-VO does not provide for a court application if the application to the company is not successful. In a German SE, therefore, the rules on the court application contained in § 122 para. 3 AktG apply accordingly by virtue of Art. 56 sentence 2 SE-VO. The right to introduce and publish a countermotion (Gegenantrag) or a proposal to elect a different candidate (Wahlvorschlag) according to §§ 126, 127 AktG applies at least to the two-tier SE. In the one-tier system, election proposals may be introduced and published with respect to the administrative organ – corresponding to the principle set out in § 22 para. 6 SEAG –, but not with respect to the managing directors. In a listed company, according to § 100 para. 2 sentence 1 no. 4 AktG, Art. 47 para. 2 lit. a) SE-VO, a person who has been a member of this company’s management organ withint the last two years cannot be a member of the same company’s supervisory organ, unless the proposal to elect the candidate has been submitted by shareholders holding more than 25 percent of voting rights. This restriction does not apply to the one-tier SE. Therefore, it is neither necessary nor possible for the shareholders to grant the aforementioned waiver in a one-tier setting. According to § 127a para. 1 AktG, Art. 9 para. 1 lit. c) ii) SE-VO, the shareholders’ forum (Aktionärsforum) is also open to shareholders of a German SE. Practically, however, the forum is irrelevant for both the SE and the AG. The regulation does not (anymore) stipulate a right of shareholders to participate in the general meeting. Instead, according to Art. 53 SE-VO, this right is determined by national company law – for the German SE primarily by §§ 118, 123 AktG.

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The legal basis of the SE shareholders’ right to speak and ask questions (Rede- und Fragerecht) in the general meeting is primarily § 131 AktG, Art. 53 SE-VO. Like in the AG, the purpose of the right to speak and ask questions is intended to allow for an informed exercise of the shareholders’ rights in connection with the respective agenda item. The right to speak and ask questions under § 131 para. 1 sentence 1 AktG is an individual entitlement of the respective shareholder. The quasi-debtor regarding the right is – in contrast to the prevailing opinion – the management organ as such and, in the one-tier system, the administrative organ in accordance with § 22 para. 6 SEAG. The shareholders may ask questions regarding the affairs of the company, including the company’s relation to affiliated companies, to the extent the answers are necessary to assess the respective agenda item (§ 131 para. 1 sentences 1, 2 AktG). If the general meeting is about to resolve on an affiliation agreement, an integration or a merger, the shareholders may also ask question regarding the relevant affairs of the respective partner company or companies (§ 293 g para. 3, § 319 para. 3 sentence 5 AktG, § 64 para. 2 UmwG). If the general meeting is about the company’s participation in a merger SE formation or a holding SE formation, the shareholders may also ask question regarding the relevant affairs of the other companies that participate in the formation (Art. 18 SE-VO, § 64 para. 2 UmwG). Generally, the procedure of the general meeting is a matter to be decided only by the chairman of the general meeting. Only under special circumstances, the general meeting itself may influence this procedure. Relevant rules are contained in § 120 para. 1 sentence 2 alt. 2, § 137 and 130 para. 2 sentence 3 subclause 2 AktG; each of these provisions applies to the SE via Art. 53 SE-VO. Following a general meeting, shareholders of a German SE, generally have the same rights as AG shareholders. Among these rights are the right to receive the adopted resolutions (§ 125 para. 4 AktG) and, if applicable, the right to receive a copy of the agreement on a reorganization of the company (§ 13 para. 3 sentence 3, § 125 sentence 1, § 193 para. 3 sentence 2 UmwG). If the general meeting resolves on a regular increase of the company’s share cpiatl, the existing shareholders, generally, have the right to subscribe to new shares (§ 186 para. 1 sentence 1 AktG) in the same proportion as they already participate in the share capital. Similar subscription rights arise in case of a capital increase from authorized capital (§ 203 para. 1 sentence 1 AktG) and in case of an issuance of convertible bonds or profit participation rights (§ 221 para. 4 sentence 2 AktG). According to Art. 5 SE-VO, SE shareholders enjoy the same subscription rights. Generally, it is the responsibility of the company’s administration itself to supervise management, to examine critical transactions and, if applicable, to enforce damage claims. In the two-tier system, it is, at least generally, primarily the responsibility of the supervisory organ to supervise the management organ and, if applicable, to enforce damage claims against the management organ’s members

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(§ 112 AktG); conversely, it is the responsibility of the management organ to represent the company in its relation to the members of the supervisory organ (§ 78 AktG). A similar relationship exists between the managing directors and the administrative organ at least insofar as both may also enforce claims against each other on behalf of the company (§ 41 para. 1 and para. 5 SEAG). The legal basis of these provisions are Art. 43 para. 4 SE-VO for the one-tier system and Art. 51 SE-VO for the two-tier system. If this mechanism fails in a certain situation, the general meeting’s competences as stipulated in § 142 para. 1, § 147 para. 1, para. 2 sentence 1 AktG function as a second line of defense for the company. Only as a third line of defense, individual shareholders can be competent to pursue the examination and enforcement of claims against members of the company’s administration. Different from the corresponding competences of the general meeting, however, these rights are subject to certain conditions and can be exercised only if the respective shareholder(s) reach(es), alone or together, certain minimum participation thresholds. In a one-tier SE, shareholders enjoy examination and enforcement rights under § 142 para. 2 sentence 2, para. 4, § 147 para. 2 sentence 2 AktG only insofar as claims against administrative organ members are concerned. Claims against managing directors may be enforced only by the supervising administrative organ. With respect to the enforcement of claims under the law of group companies (§ 309 para. 4, § 310 para. 4, § 315 sentence 7 AktG), the managing directors assume the AG management board’s position pursuant to § 49 para. 1 SEAG. As the counterpart of the right of a majority shareholder to effect fundamental changes within the company, German corporate law, in several instances, grant to minority shareholders the right to receive compensation payments. From a systematic perspective, the following compensation claims can be distinguished: (1.) Compensation payments to shareholders who are forced to give up their shares, (2.) payments to shareholders that decide to sell out as a reaction to a certain fundamental change, (3.) additional payments that must be made to shareholders if, in a share-for-share transaction, a court determines that the exchange ratio had been unfair, and (4.) yearly compensation payments that are owed to remaining shareholders in a contractually dominated company that had been independent before. By virtue of Art. 9 para. 1 lit. b) ii) SE-VO, these claims also exist with respect to a German SE. Compensation payments to shareholders who are forced to give up their shares are, for example, the compensation in the course of a squeeze-out under corporate law (§ 327b AktG) or under takeover law (§ 39a WpÜG), the compensation in the course of an integration into another company (§ 320b AktG) and the payments to be made when shares are redeemed in the course of a capital decrease (§ 237 AktG). Pursuant to established case law, the compensation amount is based on an expert opinion as well as on a market valuation.

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Payments to shareholders that decide to sell out as a reaction to a certain fundamental change can take place, for example, when a domination and profit/loss transfer agreement is entered into (§ 305 AktG), in a merger with another type of legal entity (§ 29 para. 1 sentence 1 UmwG), in a cross-border merger (§ 122i UmwG), when the SE participates in a merger SE formation (§ 7 SEAG, Art. 24 para. 2 SE-VO) or in a the formation of a foreign or dominated holding SE (§ 9 para. 1 SEAG), in case of a cross-border seat transfer (§ 12, § 7 paras. 2 – 7 SEAG, Art. 8 para. 5 SE-VO) and with respect to the share purchase price when a shareholder accepts a public takeover offer. The regular compensation payments under § 304 AktG have a special character since they represent a regulated compensation payment that does not coincide with the exclusion of the respective shareholders. If an SE implements a structural measure that includes an exchange of shares – i. e. a merger based on German reorganization law (§§ 2 ff. UmwG), a merger SE formation 8Art. 2 para. 1 SE-VO) or a holding SE formation (Art. 32 – 34 SE-VO) – and shareholders successfully prove that that the exchange ration as defined in the formation or merger plan is unfair, each shareholder of the transferring company or of the companies participating in the formation, as applicable, is entitled to a compensation in cash. Like AG shareholders, shareholders of a German SE may acquire special rights (Sonderrechte) in terms of § 35 BGB. A German SE can – with the approval of its general meeting (§ 293 AktG) – integrate itself as a dominated entity into a group of contractually affiliated companies (Vertragskonzern). If the contractually dominated SE is a two-tier SE, there will be hardly any differences to the situation of a dominated AG. In particular, the management organ must carry out binding instructions, and the mechanism described in § 308 para. 3 AktG can be implemented in an SE, as well. In a contractually dominated one-tier SE, the dominating entity may issue its instructions under the domination agreement directly to the managing directors (§ 49 para. 1 SEAG), without a need to first instruct the administrative organ to forward the respective instruction to the managing directors pursuant to § 44 para. 2 SEAG. The mechanism described in § 308 para. 3 AktG applies to a one-tier SE at least insofar as the respective consent requirement is based on a decision of the dominated SE’s administrative organ. Besides the managing directors, also the administrative organ must carry out instructions of the dominating entity. Another potential source of special shareholder rights are the articles of incorporation. The latter can confer, for example, a right to appoint certain supervisory board members (§ 101 para. 2 AktG, Art. 47 para. 4, Art. 40 para. 2 sentence 3 SEVO) or certain administrative organ members (§ 101 para. 2 AktG, § 28 para. 2 SEAG).

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In the course of integrating an SE (Eingliederung), the integrating entity acquires a right to issue binding instructions pursuant to § 323 para. 1 AktG which is at least similar to the corresponding right under a domination agreement. The reference of § 323 para. 1 AktG to § 308 para. 2 sentence 2, para. 3, §§ 309, 310 AktG leads to a great similarities between the two instruction/domination rights. The reference is continued in § 49 para. 2 SEAG which – in line with § 49 para. 1 SEAG – lets the managing directors assume the role of the management board in an integrated company and, thereby, defines the managing directors as potential receivers of binding instructions. The considerations in relation to the right to issue instructions under a domination agreement apply accordingly, in particular with respect to the applicability of § 308 para. 3 AktG to the integrated SE. The SE-VO does not contain a rules whereby certain shareholders would loose their shareholder rights, including the right to vote. Therefore, in a German SE the same rules apply as in an AG. Art. 9 para. 1 lit. c) ii) SE-VO contains the relavant reference. F. Effects of a seat transfer A right of an SE to transfer special provisions of its articles of incorporation without changes from one Member State to the other in the course of a seat transfer under Art. 8 SE-VO cannot be based on the freedom of establishment (Art. 49, 54 AEUV). Primary EC law does not require that conflicts between restrictions imposed by the Member State of destination and freedoms granted under the laws of the Member State of origin, in this respect, must be resolved in a specific manner. This is because the SE as such probably is not even protected by the freedom of establishment. In addition, the cross-border mobility of special provisions within a company’s articles of incorporation does not fall within the scope of application of the freedom of establishment. On the basis of Art. 8 para. 9 subclause 2 SE-VO, the competent authority of the Member State of destination may require the transferring SE to adapt its entire articles of incorporation to the legal environment of the Member State of destination At the same time, the Member State of destination may also grant access to the transferring SE without making too much use of its rights under Art. 8 para. 9 subclause 2 SE-VO. This, however, does not change the fact that, subsequent to the seat transfer, the transferring SE will be governed solely by the laws of the Member State of destination according to Art. 9 para. 1 lit. c) ii) SE-VO. Therefore, if some aspects of the articles of incorporation of a transferring SE are incompatible with the laws of the Member State of destination and the competent authority grants access without requesting a change of the articles, this incompatibility can still lead to difficulties at a later date. Organ members do not need to be re-elected in the course of a seat transfer but, generally, remain in office.

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If a foreign SE transfers its seat to Germany, the three-year period defined in § 93 para. 4 sentence 3 AktG can start prior to the effective date of the transfer. On the other hand, an SE that has transferred from Germany to another Member State can enter into a settlement agreement prior to the end of the three-year period if the laws of the Member State of destination allow for such an early agreement. In the course of a seat transfer to another Member State, temporary authorizations granted under German law to the company’s administration in order to carry out capital measures, to exclude shareholders’ subscription rights and to issue convertible or option bonds expire automatically. Court proceedings that relate to the constitution of a German SE will, generally, become irrelevant and will be settled once a seat transfer to another Member State becomes effective.

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Stichwortverzeichnis Abberufung von geschäftsführenden Direktoren 350, 354 f., 545 Abberufung von Mitgliedern des Aufsichtsorgans 34, 36, 92, 95, 234 ff., 238, 446, 532, 538 Abberufung von Mitgliedern des Leitungsorgans 294 f., 401 f., 542 Abberufung von Mitgliedern des Verwaltungsorgans 34, 36, 93, 325 ff., 327, 446, 532, 543 Abfindung, Abfindungsanspruch, Abfindungszahlung 27, 154 ff., 173, 179, 425, 442, 492 ff., 535, 550, 556 f. Abschlussprüfer 153, 374, 377, 430, 431, 550 f. Absetzung von Tagesordnungspunkten 375 ff., 378, 547 Abspaltung 304, 407 f., 422 Abstimmungsentscheidung 72 ff., 481, 531 Abstimmungsergebnis 79 f., 81, 242, 246, 283, 531 Abstimmungsgerät 75, 149 Abstimmungsverfahren 59, 77, 99, 103, 113, 121, 252, 374, 377 f., 514 Additionsverfahren 81 ff. Aktieneigentum 75 Aktiengattung 67 f., 107, 108, 220, 224, 226, 323 Aktienklasse 37 Aktienoption 261, 341, 404 Aktienregister 195 f., 450, 514, 536 Aktientausch 503, 556, 557 Aktienurkunde 195, 440, 515 Aktionärsforum 475, 476 ff., 554, 583 Amtsniederlegung 231, 239, 240, 324, 331, 538 Amtszeit 226 ff., 233, 234, 239 ff., 259, 292 f., 325, 329, 330, 350, 353, 356, 361, 394, 398, 401 f., 527, 538, 541, 546 Anfechtungsbefugnis 119 ff., 134, 137, 182, 533

Anfechtungsfrist 125 ff., 142, 165, 179, 197, 533 Anfechtungsgrund 143 ff., 165 ff., 206 Anfechtungsklage 25, 48, 113 f., 118 ff., 533 ff. Anhörung 43, 49, 50, 57, 58 Ankeraktionär 39, 69, 70, 372, 435, 475, 510 Anmeldung 174, 175, 208 Annexkompetenz 236, 240, 326, 461 Antragsberechtigung 447 ff., 458 ff., 462 ff. Antragsfrist 155, 460 f., 553 Antragsgegner 115, 174 f., 177, 179, 185, 186, 188 ff., 209, 536 Arbeitnehmer 36, 43 ff., 49 ff., 53, 54, 57, 58, 135, 136, 167, 200, 201, 216, 222, 245, 261, 264, 289 f., 404, 419, 433 ff., 520, 551 Arbeitnehmervertreter 43 ff., 58, 137, 167, 168, 217, 227, 239, 242, 244, 246, 247, 264, 265, 278, 289, 298, 332, 341, 351, 353, 444, 505, 530, 539, 540, 542 Arbeitssprache 256 f., 339 Auflösung der SE 34 ff., 100, 411, 417, 550 Aufsichtsorgan 166 ff., 211 ff., 293 f., 537 ff. Aufspaltung der SE 407 f., 410, 422 Ausgleichszahlung 492, 496, 556 Ausgliederung 304, 306, 346, 347, 408 ff. Auskunftserzwingungsverfahren 482, 489 Auskunftsverweigerung 484 f. Ausschluss von Aktionärsrechten 514 ff. Ausschuss eines SE-Organs 44, 58, 251, 253 f., 255, 330, 336, 339, 354, 359, 539 Bagatellquorum 117, 177, 180 ff., 536 Barabfindung 154, 163, 493 Beherrschungsvertrag 154, 428, 493, 494, 496, 504 ff., 525, 557, 558 Beirat 382 Bekanntmachung 103, 119 f., 130, 151, 155, 177, 186 f., 196, 375, 376, 393, 444, 468, 547

606

Stichwortverzeichnis

Beschlussfähigkeit 60 ff., 242 ff., 293, 297, 331, 357 Beschlussfassung 63 ff., 242 ff., 251 ff., 297, 331 ff., 357 Beschlussmängelrecht 27, 111 ff., 489, 533 Beschlussvorschlag 84, 103, 104, 430, 470, 471 Besonderer Vertreter 145, 383, 491 Bestätigung anfechtbarer Beschlüsse 165 Beteiligung der Arbeitnehmer 43 ff., 167, 433 ff., 551 Beteiligungsnachweis 190 ff. Beteiligungsschwelle 183, 184 ff., 447, 459, 462 f. Beteiligungsvereinbarung 34, 43 ff., 57 f., 58 f., 136 f., 166 f., 256, 394, 433 ff., 437 f., 443 ff., 465, 505, 526, 530, 551 f. Betriebsrat 50, 52, 53, 58, 169, 217, 321, 436 Beurkundung, Beurkundungsmangel 126, 133, 141, 143 Bezugsrecht auf Aktien, Bezugsrechtsausschluss 101, 107, 203, 261, 405, 442, 451, 490, 555, 559 Bild- und Tonübertragung 77, 78, 374, 379 Bilanzgewinn 68, 165, 170, 223, 377, 430 Börsennotierte Gesellschaft/SE, Börsennotierung 39, 40, 65, 66, 67, 80, 103, 151, 155, 201, 206, 254, 300, 302, 442, 452, 457, 462, 468, 471, 472, 474, 487, 491, 494, 495, 497, 501, 514 ,515, 554 Briefwahl, Briefwähler 72, 77 ff., 81, 83 f., 120 ff., 124, 148 ff., 480, 531, 533, 562, 564 Bundesanzeiger 476 ff. Cartesio-Entscheidung 409, 518, 519, 521, 523 Centros-Entscheidung 521, 522 Control Enhancing Mechanism 69 ff., 531, 561 Cooling-Off-Zeitraum 472 ff. Diskriminierungsverbot 86, 105, 118, 132, 391, 395, 407, 413, 415 Dividende, Dividendenzahlung 26, 39, 68 f., 109, 260 f., 341, 431, 488 Dreiteilbarkeitsgebot 214 f., 320, 537, 567

Dualistische SE, dualistisches System 139, 167, 211, 237, 284, 294, 302, 370, 430, 472 ff., 504 ff. Effet-Utile-Grundsatz 142, 172, 173 Ehrenmitglied und Ehrenvorsitzender 231 f. Eigene Aktien 101, 134, 261, 404, 449, 514 Eignungsvoraussetzungen 218 ff., 288 ff., 323 f., 351, 352, 353, 357, 537, 541, 546 Eilverfahren 114 ff., 170, 174 ff., 177, 190, 191, 194 Einberufungsantrag, Einberufungsverlangen 251, 375, 376 f., 394, 447 ff., 458 ff., 547, 576 Einberufungsfrist 251, 378, 401, 457 Einberufungsmangel 130 ff., 141 Einberufungszuständigkeit 132, 251, 368, 381, 533 Eingliederung in eine andere Gesellschaft 100, 154, 170, 411, 425 f. 479, 483, 493 ff., 495, 511, 525, 550, 555, 557 f., 587 Einlageleistung, Einlagepflicht 386 ff. Einstweilige Anordnung, einstweilige Verfügung, einstweiliger Rechtsschutz 114, 116, 174, 175 Einzelentlastung 279, 316, 349, 377, 487 Einziehung, Zwangseinziehung 101, 404, 495 f., 557 Einziehungsentgelt 495 f., 557 Empty Voting 75 Enthaltung, Stimmenthaltung 81 f., 84, 88, 242, 243, 297, 331, 539, 542 Entlastung, Entlastungsbeschluss 144 ff., 184, 227, 258, 273 ff., 303, 307, 316, 348 f., 365 f., 377, 483, 487, 514, 515, 534, 540 f., 542, 545, 546, 565 Entsendungsrecht 69, 71, 103, 106, 108, 203, 219, 221, 223, 224, 230 f., 234, 248, 249, 298, 324, 353, 402, 442, 538 Enumerativprinzip 32, 170 ff., 271, 529 Ergänzungsantrag 376, 394, 446 f., 462 ff., 472, 516, 553 Ersatzanspruch der Gesellschaft 106, 278, 382 ff., 491, 492, 527, 547 f., 556 Ersatzmitglied 228, 233, 324, 325 Erscheinen in der Hauptversammlung 120 ff.

Stichwortverzeichnis Ersetzungsverfahren 153 Erstes Aufsichtsorgan 227 Ertragswertmethode 493 f. Feststellung des Jahresabschlusses 140, 166, 170, 430 ff., 535, 550 f. Feststellungsklage, Beschlussfeststellungsklage 48, 127, 304, 306 Firma 103, 130, 393, 524 Formwechsel, Rück-Formwechsel 101, 115, 127, 143, 155, 170, 171, 407, 410 ff., 417 ff., 422, 424, 479, 488, 497, 515, 525, 526, 533, 550 Forum Shopping 528 Fragerecht 276, 374, 456, 480 ff., 554, 584 Freigabeverfahren 114 ff., 170 ff. Gebietskörperschaft 512 f. Gegenantrag 375, 377, 470 f., 473, 554, 583 Gelatine 36, 45, 89 ff., 100, 107, 303 ff., 346 f., 364, 376, 425, 531, 542, 545, 546 Genehmigtes Kapital 101, 200, 389, 390, 404, 405, 451, 490, 555 Genussrecht 101, 404, 490, 555 Geschäftsführende Direktoren 55, 73, 118, 144, 175, 184, 198, 316, 321, 324, 342 ff., 349 ff., 371, 384 f., 400, 404 f., 432, 441, 453, 454, 467, 471, 476, 482, 488, 490 ff., 506 ff., 511, 531, 544, 545 f. Geschäftsführungsmaßnahme 34, 36, 41, 89 ff., 100, 267, 269, 272, 273, 303 ff., 314 f., 315 f., 342 ff., 362 ff. Geschäftsleitungsbefugnis 506 ff. Geschäftsordnung 76, 79, 100, 241, 248, 250, 251, 253, 254, 256 f., 297 f., 299 f., 300 f., 332, 339, 346, 353, 358, 359, 362 f., 372, 374, 399, 486, 487, 531, 542, 544, 546, 547 Gewinnabführungsvertrag 154, 428, 493 f., 496, 525, 557 Gewinnausschüttung 261, 488 Gewinnschuldverschreibung 101, 404 Gläubigerschutz 133 ff., 534 Gleichbehandlungsgrundsatz 101, 136, 264, 351 Gleichbehandlungspflicht, -gebot 148, 149, 206, 229, 263 ff., 502 Gleichlaufgebot 87, 393, 394 f., 548, 578

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Gleichordnungsmodell 37 Golden Share 66, 69 ff., 225, 531, 561 Heilung der Nichtigkeit 48, 140 ff., 534, 565 Hierarchiemodell 37 ff. Höchststimmrecht 64 ff., 69, 99, 530 Holding-SE 101 f., 129 f., 143, 161 ff., 171 ff., 414, 442, 479, 501, 503, 533, 535, 536, 557 Holzmüller-Grundsätze 34, 36, 303, 304 ff., 346 ff., 364, 545, 574 Informationspflicht 153, 164, 180, 488 Informationsrecht 162, 165, 203, 232, 478, 479 Inhaberaktie 151, 393, 440, 450 Insiderinformation 80 Inspire-Art-Entscheidung 521 Jahresabschluss 140, 166, 170, 256, 417, 430 ff., 535, 550 f. Kapitalerhöhung, Kapitalerhöhungsbeschluss 69, 101, 140, 166, 170, 201, 202, 203, 390, 392, 404, 490, 491, 535, 549, 555 Kapitalherabsetzung 101, 134, 140, 170, 404 Kapitalmehrheit, Kapitalmehrheitserfordernis 37, 65, 66, 85, 86, 87, 90, 91, 96 ff., 100 ff., 106, 107, 162, 225, 374, 403, 422, 429, 532 Kapitalverkehrsfreiheit 66 f., 69 ff., 530 Kaufpreis 185, 502, 557 Konzernrecht 29 ff., 383, 384, 385, 428, 492, 506, 529, 556 Kraftloserklärung 515 Laufende Geschäfte 54, 342 f., 544 Legitimationszession 71, 72 Leitungsorgan 284 ff., 541 ff. Materielle Beschlusskontrolle 107 Materielle Rechtfertigung 454 ff. Mediatisierungseffekt 305 ff., 346, 347 Mehrfachstimmrecht 64, 67, 69, 242, 245 ff., 297, 299, 331

608

Stichwortverzeichnis

Minderheitsaktionär, Minderheitsgesellschafter 69, 107, 156, 157, 159, 160, 163, 181, 182, 247, 306, 425 f., 447, 493, 497, 499, 500, 501, 550, 556 Mindestpräsenz 60, 530 Mitbestimmung 34, 43 ff., 135 ff., 166 f., 201 f., 217, 227, 242, 245, 247, 248, 284 f., 287, 289 f., 299, 301, 322, 413, 415, 417 ff., 435 ff., 443 ff., 505, 520, 530, 534, 539, 541, 543, 551 Mitbestimmungsvereinbarung 43 ff., 137, 436, 444, 505 Mitgliederzahl 211 ff., 284 ff., 317 ff., 394, 537, 538, 543 Mitteilungspflicht 488, 514 Monistische SE, monistisches System 42, 54, 95, 104, 105, 118, 133, 137, 139, 167, 237, 254, 258, 294, 298, 316, 323 ff., 327, 328 ff., 331 ff., 339, 340, 342 ff., 355, 360, 362 ff., 370 ff., 379, 381, 384, 385, 391, 393, 397, 400, 401 ff. 405, 431 ff., 440, 443, 453, 467, 471, 476, 482, 487, 491 f., 506 ff., 515, 530 ff., 544 f., 547, 549, 551 ff., 554 ff. Morson-Entscheidung 114 ff.

Optionsanleihe 101, 404 Ort der Hauptversammlung, Versammlungsort 103, 122, 130, 368 f., 546

Nachgründung, Nachgründungsvertrag 100, 314, 418, 479, 542, 572 Nachteilsabwägung 117, 184, 198, 199 ff., 207 Namensaktie, Namensaktionär 78, 230, 440, 450, 515, 552, 581 Nebenleistungspflichten 108, 504 Nebenordnungsmodell 37 ff., 529, 560 Negativerklärung 171 f., 174, 207, 536 Nichtigkeitsgrund 130 ff., 140 ff., 150, 165, 166 ff., 205 f., 534, 535 Nichtigkeitsklage 26, 113 f., 118 ff., 533 ff. Niederlassungsfreiheit 225, 409, 424, 499, 517 ff., 528, 558 Niederschrift der Hauptversammlung 105, 106, 119, 122, 126, 128, 487, 489, 533, 564 Numerus Clausus der SE-Gründungsvarianten 31, 407, 412, 421

Sachdividende 109, 431 Sachlicher Grund 107, 319 Sammelverwahrung 440 Satzungsänderung 25, 48, 52, 53, 55, 56, 61, 62, 69, 85 ff., 89, 91 f., 93, 98, 100, 110, 114, 137, 171, 175, 223, 237, 258, 294, 306, 340, 350, 359, 374, 388, 389 ff., 402, 403, 429 f., 434, 445, 503, 531 f., 542, 548, 550 Satzungsautonomie, Satzungsfreiraum, Satzungsspielraum 45 ff., 56, 60 ff., 65, 92 ff., 100, 147, 148, 211, 213, 214, 215, 241, 242, 244, 246, 248, 255,287, 291, 321, 327, 329, 330, 336, 352, 368, 394 ff., 397, 398, 399 ff., 431, 530, 532, 537, 549 Satzungssitz 523 Satzungssprache 524 Satzungsstrenge 45 f., 49, 56, 59, 108, 136, 137, 138, 139, 232, 291, 380, 393, 395 ff., 517, 530, 548 f., 561, 578 Schadensersatz, Schadensersatzanspruch 25, 106, 115, 116, 141, 145, 180 ff., 190,

Öffentliches Interesse 135 ff. Online-Teilnahme, Online-Teilnehmer 76 ff., 81, 83 f., 120 ff., 123 f., 125, 479, 480, 533

Praktische Konkordanz 50 f. Präsenzbereich 82, 83, 149 Proportionalitätsprinzip, „one-share-onevote“ 63 f., 64 ff., 246, 516, 530 Protokoll der Hauptversammlung, Protokollführer 104 ff., 123, 124, 255 Quorum 61, 87 f., 117, 177, 180 ff., 198, 205, 243 f., 297, 331 f., 446, 449 f., 459, 472 ff., 536, 539, 542, 552, 561, 566, 569, 572, 573, 575 Rechtsmissbrauch 181, 185, 189 f., 198, 373, 417, 455 f., 526, 553 Record Date 75, 470 Rederecht 80, 165, 374, 480 ff., 554 f., 584 Redezeit 486 Registersperre 120, 156, 158, 159 Relevanztheorie 80, 152, 164 Richtervorlage 113

Stichwortverzeichnis 198, 202, 206, 209 f., 275, 276, 490 ff., 527, 555 Scheinorganmitglied 132 f. Schwere des Rechtsverstoßes 117, 177, 198 ff., 205 ff., 536 Sevic-Entscheidung, Sevic-Grundsätze 424, 521 Sitzungseinberufung 250 f., 301, 334 f., 340 Sitzungsfrequenz 254 f., 337 ff., 544 Sitzverlegung 69, 85, 89, 100, 133 ff., 135, 136, 143, 163 f., 171 ff., 388, 393, 413, 424, 428 ff., 478, 499, 502, 516 ff., 531, 535, 536, 550, 557, 558 f. Sonderabstimmung 103, 107, 108 ff., 504, 532 Sonderaktienrecht 86, 99, 132, 162, 395, 513 Sonderbeschluss 108, 109 Sonderprüfer, Sonderprüfung 26, 196, 281, 283, 383 ff., 465, 476, 477, 491, 492, 515 Sonderrecht 70, 71, 86, 95, 108, 110, 131, 231, 403, 503 ff., 515, 557, 558, 586 Sondervorteil 119, 206, 455, 456 Sperrfrist 419, 420, 421, 550 Sperrwirkung 127, 133, 246, 407 ff., 410 ff., 497, 505, 510, 549 f. Sprecher eines Organs 241, 296 f., 298 ff., 301, 329, 358, 538 Spruchverfahren 128, 129, 154 ff., 173, 179, 493, 495, 500, 503, 533, 534, 535, 557, 564 Squeeze-Out 101, 120, 154, 155, 170, 181, 182, 199, 200, 201, 376, 411, 425 f., 479, 493 ff., 495, 496, 550, 556, 557, 579, 585 Staggered Board 228, 402, 538, 568 Stammaktie, Stammaktionär 67 ff., 69, 448 Statusverfahren 442, 443 ff., 552, 581 Stichentscheid des Vorsitzenden 248 ff., 296, 297, 298 ff., 332 ff., 544 Stimmabgabe, Stimmenabgabe 60, 75 ff., 121, 123, 124, 147, 148, 251 f., 480, 481, 531 Stimmbindungsvertrag 65, 72 ff., 531 Stimmenauszählung 81 ff., 531 Stimmenmehrheit 66, 84 ff., 97 f., 99, 100, 102, 103, 106, 108, 114, 233, 237, 243,

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278, 297, 316, 325, 326, 349, 372, 374, 401, 403, 531 f., 539, 542 Stimmrecht des Aktionärs 37, 39, 63 ff., 76, 79, 88, 122, 148, 150, 212, 274, 441, 448 f., 470, 472 ff., 476, 480, 504, 514 f., 530 f., 554, 558 Stimmrechtsberater 39, 74 f., 75, 475 Stimmrechtsvertreter 71, 72, 74, 78, 80 f., 121, 122, 150 Stimmrechtsvollmacht 71, 72, 531 Streubesitz, Streubesitzanteil 372, 472, 474, 475 Stückaktie 64, 393 Subtraktionsverfahren 81 ff., 531 Suspendierung 190, 230, 237 f., 327, 514 f., 538, 543 Tagesordnung, Tagesordnungspunkt 74, 103, 104, 119, 152, 217, 251, 375 ff., 377, 378, 394, 430, 446, 451, 455, 456, 462 ff., 468 f., 470 f., 478 f., 480 f., 483, 547, 552 ff., 582, 583 Technische Störung 147 ff., 534 Teilnahmerecht 255, 480 Tochter-SE, Tochtergesellschaft 29, 163, 304, 305, 307, 345, 346 f., 364, 408, 410, 414, 425 Übereignung 439 ff. Übernahmeangebot 100, 442, 495, 502, 514, 557 Überseering-Entscheidung 521, 522 Übertragung des gesamten Gesellschaftsvermögens 479 Übertragungsbeschränkung 439, 440 f., 551 Ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz, ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit 32 ff., 47, 50, 89, 91, 131, 236 ff., 244, 303, 305, 307, 308, 309, 310, 312, 326, 327, 342, 346, 347, 364, 437 f., 529, 538, 542, 543, 545, 551 Unternehmensvertrag 29, 89, 101, 170, 184, 376, 411, 426 ff., 479, 483, 550, 555 Unterrichtung 43, 49, 50, 57, 58, 450 Vale-Entscheidung 424, 521, 523 Verbriefung 439 f., 515 Verfahrensfehler 120, 144, 147, 164, 165

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Stichwortverzeichnis

Verfassungsmäßigkeit, Verfassungswidrigkeit 154, 176, 179, 180 ff., 184, 185, 189, 198, 263 Vergütung der Aufsichtsorganmitglieder 50, 91 f., 257 ff., 512, 540 Vergütung der geschäftsführenden Direktoren 360 ff., 512, 546 Vergütung der Leitungsorganmitglieder 272 f., 302 f., 512, 542 Vergütung der Verwaltungsorganmitglieder 340 f., 512, 544 Vergütungsvotum der Hauptversammlung 361 f., 542, 546 Verhandlungsverfahren 43, 44, 45, 52, 57, 136 Versammlungsleiter 76, 79, 82, 83, 84, 105, 123, 370 ff., 374, 377, 461, 485, 486 f., 531, 547, 555 Verschmelzung 31, 47, 48, 101, 127 ff., 143, 154 f., 155 ff., 159 ff., 162, 163, 170 ff., 202, 315, 406 ff., 422 ff., 425, 426, 433, 434, 435, 442, 454, 479, 483, 487 f., 497 f., 498 f., 499 f., 503, 527, 533, 535, 551, 555, 557 Vertagung 281 ff., 316, 349, 375, 376, 378 f. Vertrauensentzug 277, 278, 291, 294 f., 296, 327 f., 355, 543 Vertretungsbefugnis 118, 301 f., 360 Verwaltungsorgan 168 f., 316 ff., 350 ff., 442 ff., 506 ff., 543 ff. Verwaltungssitz 31, 522, 523 Videokonferenz 253, 255 Vollmacht 71 f., 72, 233, 531 Vorabentscheidungsverfahren 113 ff., 533, 563 Vorbesitzzeit, Vorbesitzerfordernis 449, 456, 459, 464 Vorher-Nachher-Prinzip 247, 420, 421 Vorlage an die Hauptversammlung gemäß § 119 Abs. 2 AktG 41, 223, 269, 271 ff.,

304, 305, 312, 315 f., 348, 363 f., 432, 540, 542, 545, 546 Vorlagepflicht 52, 113, 114 ff., 309 Vorsitzender des Aufsichtsorgans 105, 212, 231 f., 239 ff., 245, 246, 247, 248 ff., 263 ff., 294, 370, 538, 539, 547 Vorsitzender des Leitungsorgans 296 f., 298 ff., 370 ff., 542 Vorsitzender des Verwaltungsorgans 318, 328 ff., 332 ff., 335, 350 f., 353, 354, 371, 405, 543 f. Vorzugsaktie, Vorzugsaktionär 64, 67 ff., 108, 448, 456, 470, 504, 515, 516, 530 Wahlvorschlag 168, 169, 219, 323, 375, 377, 470 ff., 472 ff., 487, 535, 554, 583 Wandelanleihe 101, 404, 490, 555 Wechsel der Organisationsverfassung 388, 401 ff. Weisungsrecht 38, 343 f., 362 f., 427, 432, 504 ff., 511, 512 f., 557, 558 Wertpapierleihe 75, 440 Wesen der Aktiengesellschaft, Wesen der SE 133, 138 ff., 534, 564 Wichtiger Grund 231, 237, 238, 240, 275, 277, 290, 291, 294 f., 327, 354 f., 373, 375 ff., 378, 446, 542, 545, 547 Widerspruch zur Niederschrift 119, 122 ff., 126, 128, 489, 533, 564 Wiederwahl 145, 229, 241, 281, 282, 293, 324, 325, 330, 350, 353, 355 ff., 538, 546 Zustimmungsvorbehalt 44, 50, 266 ff., 273, 342, 344 ff., 348, 394, 505, 507 f., 509 f., 540, 544 f., 557 Zuzahlung 154 ff., 179, 492 ff., 535, 556, 557 Zweitstimmrecht 212, 241, 242, 246, 247, 249, 299, 318, 333, 334, 357, 546