Akten des Deutschen Hispanistentages, Göttingen 1991 9783964568106

Mit einer Umfrage zu Lage und Perspektiven der______________ deutschsprachigen Hispanistik (1990 Manfred Tietz).

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Akten des Deutschen Hispanistentages, Göttingen 1991
 9783964568106

Table of contents :
Inhalt
Zum Geleit
Vorwort
Hispanistik heute (Sektion IV)
Umfrage zu Lage und Perspektiven der deutschsprachigen Hispanistik (1990)
Bildforschung und Hispanistik
Der komparatistische Ertrag neuerer romanistischer Arbeiten. Ein Beitrag zur "Hispanistik-Diskussion"
Sancho Pansa als Liebesbote Die Don-Quijote-Übersetzungen von Tieck, Braunfels, Thorer und Rothbauer
Die hispanistische Sprachwissenschaft in Deutschland und die kleinen Universitäten
Hispanistik-Studium und Beruf. Ergebnisse einer Umfrage
Das Spanische vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert: Sprachbetrachtung und Sprachpolitik diesseits und jenseits des Atlantiks (Sektion V)
Die 'Gramática de la lengua castellana' von Nebrija als Bezugspunkt späterer Grammatiken
Sprache als Instrument der Politik - Sprache als Gegenstand der Politik. Zur sprachpolitischen Auffasung Antonio de Nebrijas in der 'Gramática de la lengua castellana'
Spanische Liviusübersetzungen vor 1600
Zur Entwicklung von Kontakten zwischen indianischen Sprachen Südamerikas und dem Spanischen aus historischer Sicht unter besonderer Berücksichtigung des Quechua
Para mercaderes e hidalgos: Spanische Sprachlehrwerke im 16. und 17. Jhdt.
Forschendes Lernen: Ergebnisse des Projekts "Spanische Sprachwissenschaft in den Siglos de Oro"
Zur Soziologie der Renaissance-Sprachwerke in Spanien 1492-1630
Norm und Varietät in den Sprachlehrwerken von Bartolomé Jiménez Patón und Gonzalo Correas
Cazadores de gazapos. Die 'dianormativen' Wörterbücher zum Spanischen im 19. und frühen 20. Jahrhundert
Sprachpolitik und Sprachbewußtsein in Kuba im 19. Jahrhundert
Lusitanistik (Sektion III)
Portugiesische Grammatikschreibung im 18. Jahrhundert
Linguagem jurídica - culta ou oculta?
Sprachkontakt: Wie redet die zweite Generation der Immigranten in Hamburg Portugiesisch?
Syntaktische Besonderheiten des angolanischen Portugiesisch aus der Sicht des Zweitsprachenerwerbs
Galegisch/Galicisch als Brückensprache zwischen Portugiesisch und Kastilisch
Der Mißbrauch der großen geographischen Entdeckungen für politische Zwecke - Analyse eines Beispieltextes
Deutsch-portugiesische Kulturbeziehungen im europäischen Kontext. Überlegungen zur interdisziplinären Perspektivierung eines problematischen Forschungsbereichs
Textsorte 'Folhetim' Zur Trilogia dos cafés' von Alvaro Guerra

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Christoph Strosetzki (Hrsg.) Akten des Deutschen Hispanistentages 1991

STUDIA HISPANICA Herausgegeben von Christoph Strosetzki Band 2

STUDIA HISPANICA Christoph Strosetzki (Hrsg.)

Akten des Deutschen Hispanistentages Göttingen 28.2.-3.3.1991

VERVUERT VERLAG • FRANKFURT AM MAIN 1993

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufhahme Deutscher Hlspanlstentag : Akten des Deutschen Hispanistentages : Güttingen, 28.2. - 3.3.1991 / Christoph Strosetzki (Hrsg.). - Frankfurt am Main : Vervuert, 1993 (Studia Hispanica ; Bd. 2) ISBN 3-89354-452-6 NE: Strosetzki, Christoph [Hrsg.]; GT © Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1993 Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany

Inhalt Hispanistik heute (Sektion IV) Manfred Tietz (Bochum): Umfrage zu Lage und Perspektiven der deutschsprachigen Hispanistik (1990) Gustav Siebenmann (St. Gallen): Bildforschung und Hispanistik Christoph Rodiek (Bonn): Der komparatistische Ertrag neuerer romanistischer Arbeiten. Ein Beitrag zur "Hispanistikdiskussion" Jürgen von Stackelberg (Göttingen): Sancho Panza als Liebesbote Johannes Kramer (Siegen): Die hispanistische Sprachwissenschaft in Deutschland und die kleinen Universitäten Stefanie Karg und Jutta Schütz (Saarbrücken): Hispanistik-Studium und Beruf. Ergebnisse einer Umfrage

Das Spanische vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert: Sprachbetrachtung und Sprachpolitik diesseits und jenseits des Atlantiks (Sektion V) Gerda Haßler (Halle): Die 'Gramática de la lengua castellana' von Nebrija als Bezugspunkt späterer Grammatiken Petra Braselmann (Düsseldorf): Sprache als Instrument der Politik - Sprache als Gegenstand der Politik. Zur sprachpolitischen Auffasung Antonio de Nebrijas in der 'Gramática de la lengua castellana' Peter Stein (Regensburg): Spanische Livius-Übersetzungen vor 1600

VI Sabine Koppe (Rostock): Zur Entwicklung von Kontakten zwischen indianischen Sprachen Südamerikas und dem Spanischen aus historischer Sicht unter besonderer Berücksichtigung des Quechua

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Christine Bierbach (Göttingen): Para mercaderes e hidalgos: Spanische Sprachlehrwerke im 16. und 17. Jahrhundert

160

Gabriele Berkenbusch, Wiebke Müller, Bettina Scholz (Bielefeld): Forschendes Lernen: Ergebnisse des Projekts "Spanische Sprachwissenschaft in den Siglos de Oro"

193

Wolfgang Pöppinghaus (Göttingen): Zur Soziologie der Renaissance-Sprachwerke in Spanien 1492-1630

201

Ingrid Neumann-Holzschuh (Bamberg): Norm und Varietät in den Sprachlehrwerken von Bartolomé Jiménez Patón und Gonzalo Correas

223

Franz Lebsanft (Tübingen): Cazadores de gazapos: Die dianormativen Wörterbücher zum Spanischen im 19. und frühen 20. Jahrhundert

251

Matthias Perl (Leipzig): Sprachpolitik und Sprachbewußtsein in Kuba im 19. Jahrhundert

270

Lusitanistik (Sektion III) Barbara Schäfer (Bayreuth): Portugiesische Grammatikschreibung im 18. Jahrhundert

277

Lutz Franzke (Berlin): Linguagem jurídica - culta ou oculta?

298

Maria de Fátima Brauer-Figueiredo (Hamburg): Sprachkontakt: Wie redet die 2. Generation der Immigranten in Hamburg Portugiesisch?

307

Annette Endruschat (Leipzig): Syntaktische Besonderheiten des angolanischen Portugiesisch aus der Sicht des Zweitsprachenerwerbs

328

Sabine Albrecht (Jena): Galegisch/Galicisch als Brückensprache zwischen Portugiesisch und Kastilisch José Luis Azevedo do Campo (Rostock): Der Mißbrauch der großen geographischen Entdeckungen für politische Ziele - Analyse eines Beispieltextes Alfred Opitz (Lissabon): Deutsch-portugiesische Kulturbeziehungen im europäischen Kontext. Überlegungen zur interdisziplinären Perspektivierung eines problematischen Forschungsbereichs Helmut Siepmann (Aachen): Textsorte 'Folhetim'. Zur 'Trilogia dos cafés' von Alvaro Guerra

Zum Geleit Nachdem die Vorlagen der Sektion I schon 1991 erschienen waren (D. Ingenschay / HJ. Neuschäfer [Hg.]: Aufbrüche. Die Literatur Spaniens seit 1975. Berlin [Tranvia]) und inzwischen auch die der Sektion VI veröffentlicht sind (Encuentro y Desencuentro 1492. Vorträge der Sektion "1492" des Deutschen Hispanistentags, Göttingen 1991. Herausgegeben von M. Rössner und Chr. Strosetzki, 3 Bde, Kassel 1992 [Edition Reichenberger, Acta Columbina]), freue ich mich, daß mit dem vorliegenden Band die Publikation der Göttinger Akten fast abgeschlossen ist. (Die Vorlagen der Sektion II werden in Kürze folgen.) Im Namen des DHV danke ich Christoph Strosetzki - einmal mehr - für die Übernahme der Herausgebermühen. Hans-Jörg Neuschäfer

Vorwort Der vorliegende Band umfaßt die Sektionen Hispanistik heute, Das Spanische vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert: Sprachbetrachtung und Sprachpolitik diesseits und jenseits des Atlantiks und Lusitanistik des Deutschen Hispanistentages 1991 in Göttingen. Die Beiträge sind den jeweiligen Sektionen zugeordnet und folgen der Reihenfolge des Programms des Hispanistentages. Für die freundliche Mithilfe bei der Korrektur der Fahnen sei an dieser Stelle den Autoren der einzelnen Beiträge gedankt. Unser Dank gilt desweiteren meinen Mitarbeiterinnen Susanne Hubald und Michaela Peters für ihren unermüdlichen Emsatz bei der drucktechnischen Realisierung. Christoph Strosetzki

Umfrage zu Lage und Perspektiven der deutschsprachigen Hispanistik (1990)

Manfred Tietz (Bochum)

I Ausgangspunkt und Ansatz der Umfrage Jede Reflexion zur Lage und zu den Perspektiven der deutschsprachigen Hispanistik muß sowohl in wissenschaftskonzeptioneller als auch in verbandspolitischer Hinsicht vom Begriff der Romanistik ausgehen, in die die akademische Disziplin "Hispanistik" an den Universitäten organisatorisch und personell zutiefst eingebunden ist. Den Ausgangspunkt der vorliegenden Überlegungen bildet die Feststellung, daß die Hochschuldisziplin "Romanistik" in den vergangenen Jahrzehnten in immer stärkerem Maß ein "unmögliches Fach"1 geworden ist - falls sie dies nicht schon immer war. Denn gewiß wird kein "Romanist" mehr von sich behaupten können, daß er alle Teildisziplinen dieses riesigen Fachs in Forschung und Lehre umfassend und, was vielleicht noch schwieriger ist, angemessen zu vertreten vermag, werden doch romanische Sprachen von insgesamt 500 Millionen Menschen als Muttersprachen gesprochen, was nicht weniger als ein Zehntel der gesamten Menschheit ausmacht. Daraus ergibt sich eine Informationsflut, die kaum noch zu bewältigen ist, selbst wenn man sich auf deren sprach-, literatur- und landeswissenschaftliche Aspekte beschränkt. Der ideale Romanist traditionell philologischer Prägung müßte als Französist, Italianist und Hispanist zumindest drei "große", als Katalanist, Lusitanist und Rumänist drei weitere, wenn auch nur "kleine" Nationalphilologien vertreten, wobei noch viel - und keineswegs nur der hispanoamerikanische Bereich oder die 'neue Romania' - durch dieses Raster gefallen ist. Faktisch hat sich das Gesamtfach "Romanische Philologie" seit den 60er Jahren aus Gründen der Machbarkeit Der Begriff ist dem Titel des Sammelbandes entlehnt, in dem die Plenarvorträge und die Zusammenfassungen der einzelnen Sektionen des Siegener Romanistentages 1985 abgedruckt sind: Bin > unmögliches Fachc Bilanz und Perspektiven der Romanistik. Hg. von Fritz Nies und Reinhold R. Grimm. Tübingen: Narr 1988. Wenngleich alle Plenarvorträge die Problematik, die Romanistik noch als ein Fach in den Griff zu bekommen, thematisieren (am deutlichsten vielleicht Wolf-Dieter Stempel, "Die schwierige Einheit der Romanistik", 41-58 und Harald Weinrich, "Mein Schloß in der Provence: Ein Weg durch die Romanistik", 59-65), so war der Titel von den Herausgebern des Bandes jedoch eher als werbewirksamer 'Aufhänger' denn als eine wissenschaftstheoretische Infragestellung der Romanistik gemeint.

2 Manfred Tietz und unumgänglicher Arbeitsteilung in eine sprach- und eine literaturwissenschaftliche Richtung gespalten, die durch Lehrstühle institutionell getrennt trotz vieler offizieller Klagen kaum noch voneinander Kenntnis nehmen und sich organisatorisch in aller Regel nur noch in den mündlichen Examina mit gegenseitig häufig wenig interessierenden Fragestellungen gegenübersitzen. Weitere Arbeitsteilungen - wie die in romanistische Landeswissenschaften oder romanistische Fachdidaktik - sind über Ansätze in den 70er Jahren hinaus nicht flächendeckend vollzogen worden. Es ist dies eine Entwicklung, wie sie sich im wesentlichen in allen größeren Philologien an den deutschen Universitäten vollzogen hat, sieht man einmal davon ab, daß die Germanistik darüber hinaus einen weiteren eigenen Bereich, den der "Mediävistik", ausgegliedert hat. Der Fall der Romanistik ist jedoch insofern partikulär, als hier innerhalb der grundsätzlichen Trennung in Sprach- und Literaturwissenschaft der jeweilige Fachvertreter sich nicht auf eine einzige Nationalphilologie beschränkt wie der Germanist oder der Anglist2, sondern in Forschung und Lehre aufgrund seiner Venia legendi und seiner Bestallungsurkunde nicht nur idealiter alle romanische Sprachen vertreten darf und dies in der Praxis in aller Regel zumindest im Fall von zwei, eher in Ausnahmefällen auch in drei oder mehr Sprachen auch tatsächlich tut. Damit aber nimmt die deutschsprachige Romanistik innerhalb der 'Romanistiken' vergleichbarer Länder eine Sonderstellung ein: in England, Frankreich, Italien oder den USA kennt man den Romanisten nicht mehr (oder hat ihn nie gekannt), sondern nur den auf eine Nationalphilologie beschränkten Französisten, Hispanisten oder Italianisten.3 Dabei ist allerdings anzumerken, daß die Sprachwissenschaft (soweit sie historische Aspekte berücksichtigt) naturgemäß eher mehrsprachig romanistisch orientiert ist als die Literatur- und Landeswissenschaften, die einzelsprachlich ausgerichtet sind. An den deutschen Universitäten stellt die Romanistik mit ihrem globalen Fachverständnis innerhalb vergleichbarer Disziplinen keinen völligen Ausnahmefall dar: auch in der Slavistik befaßt sich ein Fachvertreter in aller Regel mit mehreren Sprachen oder Literaturen. Dieses umfassendere Fachverständnis ist in beiden Fällen jedoch keineswegs das Ergebnis einer bewußten wissenschaftskonzeptionellen Entscheidung. Vielmehr wurde hier wohl eher aus der Not eine Tugend gemacht, wenn man bedenkt, daß es 1954 in der ganzen BRD zudem zerstreut über die gesamten 'alten Universitäten' und mit einer nur sehr 2

Faktisch ist in der Anglistik eine Trennung zwischen einer auf GB zentrierten Anglistik und einer auf die USA bezogenen Amerikanistik vollzogen worden, was sich auch in der klaren Unterscheidung in "British" und "American Studies" manifestiert. Nur in Italien gibt es noch eine "filologia romanza", eine noch die sprach- und literaturwissenschaftlichen Aspekte berücksichtigende Mediävistik, die die Romania als Einheit sieht. Die Vertretung mehrerer Sprachen durch einen Stelleninhaber findet sich höchstens in Kombinationen wie "Spanisch und Katalanisch", "Französisch und Okzitanisch". Natürlich schließt dies die persönliche Kenntnis mehrerer romanischer Sprachen und Kulturen keineswegs aus.

Die deutschsprachige Hispanistik

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geringen Mitarbeiterzahl - nur 12 Slavistik- und nicht mehr als 33 Romanistikprofessuren gab.4 In Anbetracht dieser Zahlen war selbst an eine effektive, organisatorisch klar abgegrenzte Binnendifferenzierung der Romanistik, wollte man sie weiterhin an allen Universitäten 'in vollem Umfang' vertreten, überhaupt nicht zu denken. Bis 1984 stieg dann jedoch die Zahl der Romanistikprofessuren in der BRD auf 310 (in der Slavistik im übrigen nur auf 69) .5 Diese nicht unerhebliche Steigerung wurde wohl überwiegend dazu verwandt, um die - unter dem Einfluß der Systemlinguistik immer stärker - als unumgehbar angesehene Differenzierung in Sprach- und Literaturwissenschaft stellenmäßig abzusichern, um an den großen Universitäten durch Parallelprofessuren die enorm gestiegenen Studentenzahlen aufzufangen8 und um an den Neugründungen ein romanistisches Grundangebot zu gewährleisten. Sie wurden auf jeden Fall nicht dazu verwandt, um eine förmliche Binnendifferenzierung des Faches Romanistik im Sinne einer Spezialisierung auf einzelne Nationalphilologien7 durchzuführen. Dabei stand traditionsgemäß im Zentrum aller Professuren das Französische und zwar aus rein pragmatischen Gründen: zumindest seit dem Bestehen der BRD war das Französische als einziges flächendeckendes Schulfach aus dem Bereich der Romanistik auch das einzige Staatsexamensfach; französische Sprache, Literatur und Landeskunde waren daher das ganz vorrangige Lehrund Prüfungsgebiet jedweden Romanischen Seminars, das keineswegs nur in den Augen der Administrationen häufig als ein "Französisches Seminar" in Analogie zum Englischen oder Deutschen Institut verstanden wurde. Dies hinderte allerdings nicht, daß die einzelnen Professoren als - begeisterte - Hispani4

Cf. den sehr informativen Band von Peter Weingart, Wolfgang Prinz, Maria Kastner, Sabine Maasen, Wolfgang Walter: Die sog. Geisteswissenschaften: Außenansichten. Die Entwicklung der Geisteswissenschaften in der BRD 1954-1987. Frankfurt/M. 1991 (stw965). Im Vordergrund der Analysen stehen die Facheinheiten Germanistik, Anglistik/Amerikanistik, Geschichte und Orientalische Wissenschaften. Der Band liefert jedoch auch für die Romanistik ausführliches statistisches Material. Zu den angeführten Zahlen cf. S. 98. Der Parallelband {Die sog. Geisteswissenschaften: Innenansichten. Hg. v. Wolfgang Prinz und Peter Weingart. Frankfurt/M. 1990 (stw 84) enthält auch zwei knappe Beiträge aus der Feder von Romanisten, die sich jedoch eher mit methodologischen Fragen befassen (Wolf-Dieter Stempel, "Zur Entwicklung der Sprachwissenschaft in der Bundesrepublik nach 1945,161-174 und Friedrich Wolfzettel, "Zur Situation der Romanischen Literaturwissenschaft", 254-258). In der Anglistik und Germanistik stiegen die Zahlen im gleichen Zeitraum proportional stärker als in der Romanistik: von 24 auf 310 Professuren in der Anglistik und von 59 auf 610 in der Germanistik. Diese Zahlen sind vor der Steigerung der Gesamtzahl geisteswissenschaftlicher Professuren in der BRD zu sehen: 357 (1954) und 2918 (1984), was einer Steigerung um 685% entspricht. Außenansichten, 83.

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1954 gab es in der BRD 16.055 Studierende der Geisteswissenschaften, 1984 mehr als das 13-fache: 213.677. Außenansichten, 108. Es bedarf sicher keines Hinweises, daß dieser Terminus nur wissenschaftskonzeptionell im Sinne einer "machbaren Größe" verwandt ist und keineswegs irgendwelchen (neuerwachten) europäischen Nationalismen das Wort reden will. Im Sinne der Machbarkeit wäre im übrigen zumindest in der Literaturwissenschaft auch an andere Spezialisierungen etwa nach Epochen zu denken: "Romanische Renaissance-Forschung", "Romanische Aufklärungs-Forschung" etc.

4 Manfred. Tietz sten, Italianisten oder Rumänisten über den Bereich des bisweilen als corvée empfundenen Französische hinaus forschten und lehrten - wenngleich hier vor einer eher kleinen Zahl von Interessierten oder aber vor (auch das gab es) mehr oder minder 'zwangsrekrutierten' Examenskandidaten des Französischen. Diese Situation änderte sich tiefgehend - und vielleicht ohne daß es eigentlich beabsichtigt war -, als Mitte der 60er Jahre Magisterstudiengänge eingeführt wurden, die - prinzipiell unabhängig vom Französischen - eine Spezialisierung der Studierenden in einer anderen einzelnen romanischen Sprache erlaubten. Die Folge war der allmähliche Ausbau von eigenen Studiengänge und Lehrangeboten in konzeptionell eigenständigen Fächern wie Hispanistik, Italianistik, Lusitanistik oder Rumänistik, ohne daß dies auf Seiten der Lehrenden zu einer analogen Ausdifferenzierimg geführt hätte. Die Hispanistikstudierenden wurden vom Romanistikprofessor (mit Schwerpunkt Französisch) mitversorgt, was sicher so lange möglich war, wie die Zahl dieser Studierenden recht gering war und sie im Grunde mit dem Hauptfach "Romanistik" letztendlich doch vom Französischen her kamen. Diese Situation wiederum änderte sich grundsätzlicher erst Mitte der 80er Jahre für eine größere Anzahl romanischer Seminare: zu diesem Zeitpunkt ließen die meisten Bundesländer neben dem Französischen fast generell das Spanische und, wenngleich in geringerem Umfang, auch das Italienische als förmliches Fach an den weiterbildenden Schulen zu und erwarteten, daß die Hochschulen die entprechende Lehrerausbildung übernahmen. Die einzelnen Romanischen Seminare versagten sich - sicher zu Recht - dieser im Grunde neuen und von ihnen bisdahin noch nicht systematisch geleisteten Aufgabe. Es galt nunmehr, neben dem Lehramtsstudiengang Französisch analoge, ebenso umfassende Lehramtsstudiengänge für die Fächer Spanisch und Italienisch zu konzipieren und mit - besonders im Bereich der Hispanistik - rasch ansteigenden Studentenzahlen in die Praxis umzusetzen. All diese Entwicklungen haben zur Folge, daß die Romanischen Seminare heutzutage die einzigen Lehr- und Forschungseinheiten in den Hochschulen sind, die drei - wie jeder Kenner der Materie gegenüber manchen Vorurteilen zugesteht - prinzipiell verschiedene Lehramtstudiengänge anzubieten haben und auch praktisch durchführen, wobei sich gewiß darüber streiten ließe, ob die Lateinamerikanistik nicht zumindest in der akademischen Lehre als ein viertes Fach anzusehen wäre.8 Die Romanischen Seminare erbringen diese Leistung, ohne daß sich an ihrem Personalbestand (etwa der Zahl der Professuren) oder in der Sachmittelausstattung (von allen Staatsexamensfächern dürften die drei romanistischen diejenigen

g Es steht gleichfalls außer Zweifel, daß die Romanistik innerhalb der Geisteswissenschaften das breiteste Spektrum von Fächern im Magisterstudiengang anbietet. Es sind dies in aller Regel Romanistik als Hauptfach (mit mindestens drei Schwerpunktsetzungen) sowie als Nebenfach Französisch, Italienisch, Katalanisch, Lateinamerikanistik, Portugiesisch mit Brasilianisch, Rumänisch, Spanisch, ev. auch Rätoromanisch oder Sardisch.

Die deutschsprachige Hispanistik 5 sein, die - pro Fach gerechnet - mit Bibliotheksmitteln am schlechtesten ausgestattet sind) der breiten Aufgabenstellung Entsprechendes geändert hätte. Der sicher von allen Fachvertretern so hoch geschätzte Reichtum des Faches Romanistik, der es erlaubt, eine bereichernde 'Wechselwirtschaft' im Sinne Kierkegaards zu betreiben und die Möglichkeit eröffnet, nicht zum 'philologischen Facharbeiter' für die 1. oder 2. Hälfte irgend eines Jahrhunderts zu werden, wird in Anbetracht der mit ihm verbundenen Aufgabe spätestens hier zur Last. Tatsächlich vermag niemand mehr, auch nur in den drei großen romanistischen Fächern umfassend informiert zu sein, mit der internationalen, stark spezialisierten Forschung Schritt zu halten9 und sich in der Lehre in allen drei Studiengängen tatsächlich auf eigener Forschung basierend an der Lehre zu beteiligen. Wie nicht anders zu erwarten, hat sich daher de facto in der Romanistik in den beiden letzten Jahrzehnten jene Binnendifferenzierung zu vollziehen begonnen, wie sie bei jeder - auch personell - expandierenden Disziplin zu beobachten ist.10 Allerdings hat sich diese auf Spezialisierung beruhende Differenzierung in der Romanistik anders als in der Anglistik, der Germanistik oder der Geschichtswissenschaft vielerorts noch nicht eindeutig institutionell niedergeschlagen, etwa in der Einrichtung von faktisch selbständigen "Hispanistischen Abteilungen" innerhalb oder unabhängig vom traditionellen Romanischen Seminar, durch eindeutige Definitionen der Professuren11 oder durch eine klare, dem tatsächlichen Wissensstand der nachwachsenden Wissenschaftler(innen) entsprechende Beschränkungen der Venia legendi.12

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Ein kluger Kollege hat - sicherlich in satirischer Übertreibung, doch nicht ohne ein Körnchen Wahrheit - festgestellt, daß das Deutsche als Publikationssprache die hiesige Romanistik als eine Art Schutzwall umgibt, wo uns aufgrund der mangelnden Kenntnisse des Deutschen fast niemand mehr kritisch wahrzunehmen vermag. Er hat zugleich festgestellt, daß der deutschsprachigen Romanistik aufgrund ihrer schieren Masse (allein im romanistischen Hochschulbereich und im unmittelbaren Umfeld sind etwa 800 bis 1000 Personen tätig) eine sozusagen 'autarke Binnenkommunikation' möglich ist, die etwa der schwedischen, der finnischen oder der polnischen Romanistik nicht gegeben ist. 10 Diesen Prozeß hat der Band Die sog. Geisteswissenschaften: Außenansichten, 149 ff. sehr einsichtig beschrieben. 11 Es hat den Anschein, als ob sich die C 4-Professuren weiterhin sehr weit als "Professuren für romanische Philologie" (Sprach- oder Literaturwissenschaft) ausgeschrieben werden, während die C 3-Professuren bereits eher eng und am tatsächlichen Tätigkeitsfeld orientiert als "Professur für italienische Sprachwissenschaft" oder "Professur für hispanische Literaturwissenschaft" auf den Markt kommen. 12

Eine eindeutige Festlegung wie "Französische Literaturwissenschaft" wird in der Romanistik noch als mehr oder minder disqualifizierend empfunden und als karrierehemmend angesehen. In der Tat ermöglicht die weite Umschreibung der Venia als "Romanische Philologie" ein flexibleres Reagieren auf die Bedürfnisse des Berufungsmarktes, wo bisweilen etwa die gründliche Qualifikation im Bereich des Französischen als Bonus für eine erst in Ansätzen erkennbare Italianistenkarriere angesehen wird.

6 Manfred Tietz Ein weiterer klarer Hinweis darauf, wie brüchig letztlich doch die wissenschaftliche Gesamtdisziplin Romanistik geworden ist, illustriert auch die Tatsache, daß seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten neben dem Deutschen Romanistenverband (DRV) ein Deutscher Hispanistenverband (DHV) existiert, der als Arbeitsforum der deutschsprachige Hochschulhispanistik und als Schnittstelle zur internationalen Hispanistik hervorragend funktioniert.13 Ein weiterer Hinweis für diesen - hier gar nicht zu bewertenden - Desintegrationsprozeß ist auch die 1991 erfolgte Gründung eines Deutschen Italianistenverbandes (DIV), der seinerseits den deutschsprachigen Hochschulitalianistinnen und -italianisten als Arbeitsplattform dienen und als jener spezialisierter Ansprechpartner fungieren soll, den der DRV für die internationalen Hispanistenverbänden nicht sein kann. Konkretes Ziel der "Umfrage zu Lage und Perspektiven der Hispanistik" war es, anhand eines umfänglicheren Korpus von Fragen festzustellen, ob und inwieweit die Entwicklung des Fachs und die seiner Aufgaben innerhalb der Romanistik bereits einen Differenzierungsprozeß eingeleitet haben, welche Bedingungen für Forschung und Lehre eine "differenzierte Romanistik" hinsichtlich der personellen und der sachlichen Ausstattung mit sich bringt und wie diese neue Situation von den an den Hochschulen im Bereich der Hispanistik tätigen Stelleninhabern beurteilt wird. Es steht außer Frage, daß es keine völlig neutralen Umfragen gibt; sie sind stets (auch) vom Interesse des Fragenden (mit-) gesteuert. Dies trifft selbstverständlich auch für die vorliegende Umfrage zu, zumal ihr Initiator aus seiner Vorstellung von der - aus seiner Sicht notwendigen - Entwicklung des Fachs kein Hehl gemacht hat.14 Dabei ist allerdings vielleicht nicht deutlich genug geworden, daß die hier primär zur Debatte stehende Binnendifferenzierung einer Hochschuldisziplin eine Sache ist, die Frage nach der verbandspolitischen Struktur jedoch eine ganz andere. Die Tatsache, daß die Umfrage eine recht hohe Rücklaufquote hatte, mag als Hinweis darauf verstanden werden, daß die in ihr angesprochene Grundfrage die nach dem Verhältnis des Gesamtfachs zu seinen Einzeldisziplinen - von einer nicht geringen Zahl von Hochschulhispanistinnen und -hispanisten als be-

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Es bedarf keines besonderen Hinweises, daß der Ursprung des DHV bei seiner Gründung in Augsburg im Jahre 1972 eher die Abspaltung einer sich 'apolitisch' verstehenden Gruppe von Professoren gegenüber dem seit 1953 existierenden DRV war, der sich unter anderem auch unter stärkerer studentischer Beteiligung als auch in einer allgemein politischen Verantwortung stehend verstand. In der Folgezeit sind die Ursachen des Trennungsbeschlusses' völlig in den Hintergrund getreten. Zwischenzeitlich sind sie durch eine wissenschaftskonzeptionelle Auffassung von den verschiedenen Aufgaben der beiden Verbände verdrängt worden, wenngleich die Frage nach der Möglichkeit ihrer institutionellen Zusammenarbeit noch nicht geklärt ist. 14 "Zur Lage der Hochschulhispanistik in der Bundesrepublik Deutschland", in Tranvia. Revue der Iberischen Halbinseln. 14, Sept. 1989,42-46.

Die deutschsprachige Hispanistik 7 handelnswertes Problem empfunden und keineswegs als nur marginale Verbandsdiskussion (zwischen DRV und DHV) gesehen wird. Die Umfrage erfolgte anhand von zwei grundsätzlich verschiedenen Fragebögen, die beide im Anhang abgedruckt sind. Fragebogen I war als "objektiver Faktenteil" an die Romanischen Seminare und Institute gerichtet und sollte von den Geschäftsführungen Daten und Zahlen erfragen.15 Fragebogen II richtete sich an die einzelnen Lehrenden an den Hochschulen; als "subjektiver Teil" fragte er nach persönlichen Daten (z.B. dem hispanistischen Werdegang als Fachvertreter), nach Tätigkeitsbereichen, Einstellungen und Einschätzungen. Die Umfrage erfolgte für beide Teile anonym, um - auch gegenüber den Seminaren und Instituten - jeden Eindruck zu vermeiden, hier sollten Vergleiche o.ä. vorgenommen werden. Umfrage und Auswertung sind nicht mit aufwendiger sozialwissenschaftlicher Unterstützung durchgeführt worden. Dennoch, so glaube ich feststellen zu können, handelt es sich um eine aufschlußreiche Momentaufnahme, in der sich das Selbstverständnis der deutschsprachigen Romanistik in einer Situation neuer Aufgabenstellungen und neuer Sichtweisen darstellt.18 Es ist nicht möglich, hier das umfangreiche, sehr heterogene Datenmaterial in allen Details vorzuführen. In Zahlen, Schaubildern und knappen Verbalisierungen sollen hier jedoch die grundsätzlichen Fakten, Tendenzen und Einschätzungen der Umfrage dargestellt werden. Grundsätzlich ist in der vorliegenden Umfrage die "Hispanistik" im weiteren Wortsinn verstanden worden; es wurden daher - allerdings nur in beschränktem Maß - auch Daten zur Lage der Lusitanistik und der Katalanistik erhoben.

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Die Umfrage wurde auch an die Romanischen Seminare und die Fachvertreter in den neuen Bundesländern gerichtet.

16

Für ihre kompetente Hilfe beim Erstellen der Fragebögen und bei ihrer sehr arbeitsintensiven Auswertung bin ich insbesondere Frau Katharina Schede und Frau Claudia Wolpers zu größtem Dank verpflichtet.

Manfred Tietz

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II Ergebnisse der Umfrage: Zahlen und Stellungnahmen Allgemeiner Teil - Antworten der Seminare und Institute Die konkreten Fragen des an die Institute gerichteten Fragebogens beziehen sich auf die folgenden großen Themenbereiche: A: die institutionelle Möglichkeit eines Hispanistikstudiums an der jeweiligen Universität, die möglichen Examina, Umfang und Ausrichtung des Lehrangebots und das zur Bewältigung dieser Aufgaben vorhandene Lehrpersonal (Fragebogen Pkte. 1-5); B: die studentische Nachfrage nach hispanistischen Studiengängen, erfolgte Studienabschlüsse sowie mögliche Schwerpunktsetzungen in der Ausbildung (Fragebogen Pkte. 6-8); C: die Arbeitsbedingungen insbesondere hinsichtlich der hispanistischen Bibliotheksbestände, die Vernetzung des philologischen Fachs Hispanistik mit nicht-philologischen Fächern, die Zusammenarbeit mit Universitäten in Spanien, Hispanoamerika und Portugal sowie Austauschprogramme (Fragebogen Pkte. 9-12); D: Forschungsschwerpunkte an einzelnen Instituten (Fragebogen Pkte. 1314); Es wurden alle Romanischen Seminare und Institute an den deutschsprachigen Universitäten und Gesamthochschulen in der BRD, in Österreich und in der Schweiz angeschrieben (insgesamt 55); davon haben 38 Institutionen geantwortet. Falk die Summe der einzelnen Angaben nicht 38 ergibt, bzw. nicht immer mit der logisch zu erwartenden Gesamtsumme übereinstimmt, so beruht dies auf fehlenden, widersprüchlichen oder keine Auswertung erlaubenden Zahlenangaben einzelner Institute im jeweils konkreten Fall. Antworten zu Komplex A: 1. An 30 von 38 Instituten besteht ein gesonderter Studiengang Hispanistik (Spanisch) (78,9%). 2. 24 der 30 Institute mit Studiengang Hispanistik besitzen eine eigene Studienordnung. 3. Möglichkeiten des Studienabschlusses 3.1. An 26 der 38 Institute kann ein Staatsexamen im Fach Spanisch abgelegt werden: von den zu Fragen der Fakultas Stellung nehmenden 23 Instituten bieten insgesamt 21 die Große Fakultas an (Sekundarstufe II), von denen wiederum 6 zusätzlich die Kleine Fakultas (Sekundarstufe I) ermöglichen. Die restlichen 2 Institute bieten lediglich die Kleine Fakultas an. Obligatorische

Die deutschsprachige Hispanistik 9 Fächerkombinationen im Staatsexamen sind nur an 8 von 26 Instituten vorgegeben, davon bei 7 die Kombination mit dem Fach Englisch. 32. Der Magister-Abschluß ist an 36 der 38 Institute möglich; in 22 Fällen heißen Haupt- und Nebenfach "Romanistik", in 13 Fällen "Hispanistik". 33. Die Promotion ist an 35 Instituten möglich, dabei heißen Haupt- und Nebenfach in 22 Fällen "Romanistik", in 9 Fällen "Hispanistik". 3.4. Eine Teilung des Fachs Romanistik in unabhängige Prüfungsfächer bei Magisterabschluß und Promotion ist an 19 Instituten möglich: bei 5 ist eine Aufspaltung ausschließlich in Romanische Sprach- oder Literaturwissenschaft möglich; an 9 Instituten kann ausschließlich eine Teilung in Hispanistische Sprach- oder Literaturwissenschaft erfolgen; bei den verbleibenden 5 Instituten besteht die Möglichkeit zur Trennung sowohl in Romanische als auch in Hispanistische Sprach- und Literaturwissenschaft. 16 Institute erlauben keine Teilung in unabhängige Prüfungsfächer. Ein gesondertes Prüfungsfach Romanische bzw. Hispanistische Landeskunde wurde von keinem Institut ausgewiesen. Dort wo eine Teilung nicht erlaubt ist, sind jedoch Schwerpunktsetzungen möglich. 4. Das hispanistische Lehrangebot An 36 der 38 Institutionen besteht ein umfassendes hispanistisches Lehrangebot. 4.1. Sprachkurse 4.1.1. An 36 Instituten werden Spanischkurse für Anfänger angeboten, davon an 27 in jedem und an 9 in jedem 2. Semester. Etwa ein Drittel der Institute bietet einen 1-semestrigen Grundkurs mit 6 Semesterwochenstunden (SWS) im; bei einem zweiten Drittel umfaßt der Grundkurs 2 Semester ä 6 SWS; beim restlichen Drittel umfaßt er 3 oder 4 Semester mit bis zu 5 SWS. 10 von 36 Instituten bieten einen Ferienkurs an, wobei dieser einen Umfang zwischen 20 und 80 Stunden hat. 28 von 36 Instituten führen Sprachkurse getrennt nach Hispanistik-/Nicht-Hispanistikstudierenden durch; 17 haben Teilnehmerbeschränkungen, die jedoch in der Praxis in aller Regel nicht aufrecht erhalten werden können. Die Mehrzahl der Institute (23) schließen die Anfängerkurse mit einer obligatorischen Prüfung ab, davon 15 mit einer Klausur, 5 zusätzlich mit einer mündlichen Prüfung. Die Antworten auf die Frage nach der Existenz eines Propädeutikums im Sinne eines nur auf den Spracherwerb konzentrierten Vorsemesters wurde nicht verwertbar beantwortet, was wohl als Hinweis auf die faktische Nicht-Existenz solcher Kurse zu verstehen ist. Die sprachliche Studierfähigkeit der Hispanistikstudenten nach Absolvierung des/r Grundkurse/s wird von 19 der 34 Institute negativ beurteilt, 3 sehen eine bedingte Fähigkeit und 12 meinen, die Studierfähigkeit ist gegeben oder sollte es sein.

io

Manfred Tietz

4.12. Die Aussagen zum weiteren Aufbau des sprachpraktischen Studiums ergeben kein verwertbares Zahlenmaterial. Die erbetenen Studienordnungen wurden in der Regel nicht mitgesandt. Es wurde jedoch in freien Stellungnahmen betont, daß eine Intensivierung der sprachpraktischen Ausbildung sowie ein umfassender Auslandsaufenthalt unabdingbare Forderungen der Zukunft sind.

42. Landeskunde ist an 26 von 37 Instituten obligatorischer Bestandteil des Studiums - in je der Hälfte mit 2 SWS oder 4 SWS. An 11 Instituten ist Landeskunde kein obligatorischer Studienbestandteil, 4 bieten keinerlei landeskundliche Veranstaltungen an. Im Landeskundeangebot ist Spanien der Interessensschwerpunkt: an 30 von 34 Instituten besteht ein regelmäßiges, an 4 ein gelegentliches Angebot; hinsichtlich Hispanoamerikas besteht bei 6 Instituten kein, bei 9 ein gelegentliches und bei 19 ein regelmäßiges Lehrangebot; in bezug auf Portugal verfügen 14 Institute über kein Angebot, 5 über ein gelegentliches und 15 über ein regelmäßiges Angebot. 43. Ein spezielles und umfassendes sprachwissenschaftliches Lehrangebot existiert an 29 von 38 Instituten. Von diesen Instituten bieten 15 in jedem und 14 in jedem 2. Semester eine Einführimg in die hispanische Sprachwissenschaft an; ein regelmäßiges Angebot von Proseminaren besteht an 31 Instituten, davon an 23 in jedem, an 8 in jedem 2. Semester; für die Hauptseminare besteht das Angebot an 33 Instituten, davon an 24 in jedem, an 8 in jedem 2. Semester; ein Angebot an forschungsintensiven Oberseminaren ist nur in 5 Fällen gegeben. Ein analoges, doch etwas gestreckteres Angebot besteht für spezielle Einführungsvorlesungen: sie werden an 29 Instituten durchgeführt (davon an 9 in jedem Semester, an 10 in jedem 2., an 3 in jedem 3. Semester, an 1 in jedem 4. Semester und an 6 unregelmäßig). Die verbleibenden 9 Institute haben kein diesbezügliches Angebot. Spezielle Vorlesungen gibt es an 28 Instituten: an 11 in jedem, an 12 in jedem 2. und an 1 in jedem 3. Semester. 4 Institute haben nur ein unregelmäßiges Angebot. 4.4. Das literaturwissenschaftliche Lehrangebot ist vom Umfang her weitgehend identisch mit dem sprachwissenschaftlichen - bei leicht steigender Tendenz. 29 Institute bieten regelmäßig eine spezielle Einführung in die hispanistische Literaturwissenschaft an (16 in jedem, 13 in jedem 2. Semester); 9 tun dies nicht. Das Angebot an speziellen Proseminaren und Hauptseminaren ist an 36 Instituten gegeben (davon an 33 bzw. an 30 in jedem Semester). Ahnlich gut ist das Angebot an hispanistischen Einführungs- (an 30 Instituten) und Spezialvorlesungen (an 32 Instituten), wobei erstere allerdings nur an 12 Instituten in jedem, an 10 in jedem 2. Semester, letztere an 24 in jedem Semester durchgeführt werden.

Die deutschsprachige Hispanistik 11 4.5.1. Ein Angebot zu den anderen spanischen "lenguas nationales" besteht lediglich an 25 Instituten. Im Vordergrund des Angebotes steht das Katalanische, das an 17 Instituten regelmäßig und an 7 Instituten gelegentlich angeboten wird; das Galicische wird an 10 Instituten und auch dort nur gelegentlich angeboten. Zum Baskischen ergaben sich keine aussagekräftigen Zahlen. 4.5.2. Das Angebot an nicht-spanisch/portugiesischen Sprachen Hispanoamerikas ist erheblich geringer: 32 von 38 Instituten haben keinerlei Angebot; 6 haben ein Angebot, davon 5 für Quechua, 3 für Guarani; nur gelegentlich und ganz vereinzelt werden Yukatekisch, Tzeltal und Kreolsprachen angeboten. Veranstaltungen zu Minoritäten außerhalb der Hispania gibt es nur an 3 von 38 Instituten: an 2 für Chicano und an 1 für Judenspanisch. 4.6. Besondere Engpässe in der Lehre bestehen in allen Bereichen, jedoch mit deutlicher Abstufung: vor allem in der Sprachpraxis (an 26 von 35 Instituten: 74,3%.), in der Sprachwissenschaft (22: 62,9%), in der Landeskunde (15: 42,9%) und in der Literaturwissenschaft (14: 40%). Dabei besteht an 8 Instituten (22,8%) Personalmangel in allen 4 Bereichen, an 5 (14,3%) in 3, an 14 (40%) in 2 und an 8 (22,9%) in nur einem Bereich. In der Lehre erfolgt unter den bestehenden Umständen regelmäßig ein umfassendes Lehrangebot primär für Spanien (an 30 Instituten: 81%), dann für Hispanoamerika (20: 54%) und schließlich für Portugal (11: 29,7%). 5. Wissenschaftliches Personal Die Angaben zum wissenschaftlichen hispanistischen Personal der einzelnen Institute sind nur mit großen Vorbehalten zu verwenden. Zum einen ist außer im Bereich der eindeutig einer einzelnen Sprache zuzuordnenden Lektoren das gesamte weitere Personal in aller Regel romanistisch ausgerichtet. Zum anderen sind hinsichtlich des hispanistischen Anteils der verschiedenen Stellenkategorien und konkreten Stellen nur wenig konkrete Angaben gemacht worden. Die vorliegenden Daten sind daher durch die Selbsteinschätzungen der Stelleninhaber im Fragebogen II ("subjektiver Teil") zu ergänzen. 5.1. Die folgenden Aussagen zum Gesamtpersonalbestand sind insofern problematisch, als die außergewöhnliche Bandbreite der Angaben darauf schließen läßt, daß der Begriff unterschiedlich aufgefaßt wurde. Die 33 Institute (5 sind ohne Angaben) verfügen über folgenden Gesamtpersonalbestand: 2 haben 1-5 Lehrkräfte; 6: 6-10; 7: 11-15; 6: 16-20; 7: 21-40; 3: 4160 und 2 über 60. 52. Ausschließlich im Bereich der Hispanistik tätig sind dabei an 2 Instituten keine, an 28:1-5 und an 5: 6-10 Lehrkräfte tätig. Eine weitere präzise Auswertung nach den Bereichen Sprach- und Literaturwissenschaft sowie nach den einzelnen Stellenkategorien erlauben die

12 Manfred Uetz vorliegenden Daten nicht. Aus den vorliegenden Angaben ergibt sich jedoch, daß von den C 4-Stellen nur ein Bruchteil ausschließlich hispanistisch ausgerichtet ist (insgesamt 1 im Bereich Sprachwissenschaft, 3 im Bereich Literaturwissenschaft). Bei der Mehrzahl der (auch hispanistisch ausgerichteten) C 4Stellen scheint der hispanistische Anteil nicht über einem Drittel des Deputats zu liegen. Die Zahlenverhältnisse scheinen im Bereich der C2/C3-Stellen sowie der Hochschulassistenturen (also beim wissenschaftlichen Nachwuchses) etwas deutlicher auf eine stärkere hispanistische Ausrichtung hinzuweisen. Was die Lektorate angeht, so ergeben sich folgende Zahlen: 80% der Institute verfügen über Spanisch-Lektorate, davon etwa die Hälfte der Institute über ein, etwa ein Drittel über zwei und ein Fünftel über drei und mehr Lektorate. Immerhin verfügen ein Fünftel der Institute über kein Spanisch-Lektorat. Lediglich 5 der 35 Institute verfügen über ein Katalanisch-Lektorat (davon ein Institut sogar über 2). Über ein Portugiesisch-Lektorat verfügen 24 von 35 Instituten (davon eins über 2 und eins über 1/2 Lektorat). Ein Institut verfügt über ein spezielles Brasilianisch-Lektorat. Ein Drittel der Institute verfugen somit über kein Portugiesisch-Lektorat. 53. Quantitative Bewertung des Personalbestandes durch die Institute Ihren Personalbestand halten 30 von 37 (81%) der Institute für "nicht ausreichend"; 7 für "ausreichend" (19%), keines für "voll ausreichend". 5.4. Engpässe werden hinsichtlich der Stellenkategorien fast überall in gleichem Umfang festgestellt: bei den Professuren an 22 Instituten (62,9%), wobei 16 Institute in der Sprachwissenschaft und 6 in der Literaturwissenschaft (insgesamt 4 in beiden Bereichen) Engpässe haben; bei den wissenschaftlichen Mittelbaustellen an 26 Instituten (74,3%), wobei hier 9 nur in der Sprach-, 3 nur in der Literaturwissenschaft und 14 in beiden Bereichen Engpässe haben; bei den Lektoraten haben 25 von 35 Instituten (71,4%) Engpässe. Aus den Zahlen ergibt sich, daß 10 Institute nur in einem Bereich Defizite haben; dies betrifft insbesondere die Lektorate. 12 Institute haben Engpässe in 2 und 13 sogar in 3 Bereichen. In den "Bemerkungen" wird nachdrücklich auf besondere Defizite in der Lateinamerikanistik und der Lusitanistik hingewiesen sowie auf eine zu starke Beanspruchung durch Lehre und Prüfungen, was sich zuungunsten der Forschimg niederschlägt. Außerdem wird darauf hingewiesen, daß aufgrund fehlenden Personals die obligatorischen Lehrveranstaltungen nicht jedes Semester angeboten werden können, was zu einer Studienzeitverlängerimg bei den Studierenden der Hispanistik führt.

Die deutschsprachige Hispanistik 5.5. Schwierigkeiten bei Stellenbesetzungen

13

Schwierigkeiten, qualifizierte und spezialisierte Bewerber für die Besetzung hispanistischer Stellen zu finden, werden von 6 Instituten in bezug auf Professorenstellen, von 4 Instituten hinsichtlich der Besetzimg von Mittelbaustellen angegeben. 5.7. (i.e. 5.6.) Lektorate (Nationalität der Stelleninhaber und Befristung der Stellen) Die überwiegende Mehrzahl der Spanisch-Lektorate ist mit spanischen Staatsbürgerinnen besetzt: alle 35 Institute verfügen über mindestens eine/n spanische/n Lektor/in. An 25 Instituten sind darüber hinaus Lektoren tätig, die aus Hispanoamerika stammen: an 5 Instituten stammen die Lektoren aus Peru, an 5 aus Argentinien, an 3 aus Chile, an 3 aus Kolumbien und an je 1 Institut aus Mexiko, Paraguay oder der Dominikanischen Republik. An 7 von 35 Instituten gibt es nur befristete Lektoratsstellen, an 13 nur imbefristete und an 15 beide Stellentypen. Die Mehrheit der vereinzelten Stellungnahmen zur Frage der Befristung befürwortet eine Befristung der Lektorenstellen. Der Tätigkeitsbereich der Lektoren umfaßt neben der Sprachpraxis auch die Landeskunde (an 26 von 35 Instituten) sowie literatur- und/oder sprachwissenschaftliche Veranstaltungen auf der Grundstufe (an 12 von 35 Instituten). Der Umfang des Lehrdeputats beträgt an 30 von 37 Instituten 12-16 SWS, an 7 8-12 SWS. An 25 von 35 Instituten werden von den Lektoren keine Ferienkurse durchgeführt. Die übrigen 10 Institute führen Ferienkurse durch: an 5 dieser Institute wird die Stundenzahl mit dem Stundendeputat im Semester verrechnet, an den 5 anderen Instituten ist dies nicht der Fall. Antworten zu Komplex B: 6. Zahlen zu den Studierenden Der hier angesprochene Bereich ist wegen der mit ihm verbundenen Kapazitäts- und Auslastungsfragen sowie der sich daraus ergebenden potentiellen Stellenstreichungen besonders sensibel. Zum anderen ist es, wie jeder Insider weiß, trotz Studentenkartei und Studienbüro nicht einfach, die effektive Zahl der Studienfälle und die tatsächlich angestrebten Studienabschlüsse auch nur annähernd exakt festzustellen. Dies mag erklären, warum in diesem Komplex nur wenige Institute (insgesamt 17) Angaben gemacht haben und warum diese z.T. nur einige Fragebereiche abdecken. Dort wo nach auf Schätzungen beruhende Tendenzangaben erbeten wurden, haben sich erheblich mehr Institute zu Auskünften bereit gefunden. 6.1. 8 der 35 Institute haben zwischen 150 und 300 Hispanistikstudierende; 9 erheblich mehr, d.h. zwischen 600 und 900. In absoluten Zahlen ergibt dies für

14 Manfred Tietz das Sommersemester 1990 aufgrund der Schätzungen von 23 Instituten folgende Auflistung: - Studienziel Magister: ca. 8.800 Studierende; - Studienziel Promotion: ca. 180; - Studienziel Staatsexamen: ca. 2.300; - Studienziel Diplom: ca. 1.300. Die Angaben zu den Lusitanistik- und Katalanistikstudierenden erlauben keine konkreten Aussagen. 62. Hinsichtlich des prozentualen Anteils der jeweiligen romanistischen Einzeldisziplinen an der Gesamtzahl der Romanistikstudierenden geben an: - für das Französische (bei 10 Enthaltungen): 15 von 28 Instituten: 30% bis 50%; 13 von 28 Instituten: 51% bis 80%; - für das Italienische (bei 16 Enthaltungen): 13 von 22 Instituten: 5% bis 15%; 9 von 22 Instituten: 16% bis 30%; - für das Spanische (bei 8 Enthaltungen): 6 von 30 Instituten: 5% bis 24%; 16 von 30 Instituten: 25% bis 39%; 7 von 30 Instituten: 40% bis 50%; 1 von 30 Instituten: 90%; - für das Portugiesische: insgesamt ca. 3,5%; - für das Katalanische: insgesamt ca. 0,8%. 63. Anzahl der Studienanfänger im Fach Hispanistik im Sommersemester 1990 und im Wintersemester 1990/91: die wenigen Angaben (22 Institute nannten keine Zahlen) erlauben nur eine sehr allgemeine Tendenzangabe: bei ca. der Hälfte der Institute liegt die Anfängerzahl zwischen 25 und 100. 6.4. Mittelfristige Entwicklung der Studentenzahlen im Fach Romanistik und seinen einzelnen Disziplinen (nicht alle Institute haben zu allen Fächern Stellung genommen): - Romanistik insgesamt: steigt (26); stagniert (7); fällt (1) -Spanisch:

steigt (29); stagniert (5); fällt (0)

- Französisch:

steigt (10); stagniert (16); fällt (4)

-Italienisch:

steigt (19);stagniert (9);fällt (1)

-Portugiesisch: steigt (13); stagniert (7); fällt (0) -Katalanisch:

steigt (5); stagniert (7); fällt (1)

-Rumänisch:

steigt (3); stagniert (10); fällt (1)

Die deutschsprachige Hispanistik 15 Diese Zahlen ergeben für die drei im Vordergrund stehenden Bereiche folgende Prozentzahlen: Romanistik: an 76,5% der Institute steigende, an 20,6% stagnierende und 2,9% sinkende Zahlen. Spanisch: an 85,3% der Institute steigende, an 14,7% stagnierende und an keinem sinkende Zahlen. Französisch: an 33,3% der Institute steigende, an 53,3% stagnierende und an 13,4% fallende Zahlen. 6.5. Examina pro Semester Die angegebenen Zahlen erlauben keine genaue Auswertung, jedoch legen tendenziell insgesamt gut doppelt so viele Magisterstudenten ihr Examen ab wie Diplom- und Lehramtsstudenten, wobei die Gesamtzahl der Magisterstudenten allerdings 3,5 mal so hoch ist wie die der Diplom- und Lehramtsstudenten. 6.6. Anzahl der Studierenden mit Muttersprache Spanisch An allen Instituten, die auf diese Frage geantwortet haben (22) studieren auch muttersprachliche Studenten: an 13: 1-5; an 3: 6-10; an 4: 20-30; an 2: 50 und mehr. Die Unterscheidung nach Spaniern, Arbeitsemigranten und Hispanoamerikanern ergab keine relevanten Daten. 6.7. Studium im spanischsprachigen Ausland: An 11 von 22 Instituten (bei 16 Enthaltungen) befanden sich im Sommersemester 1990 1-5 Studenten zum Studium im Ausland: an 7: 6-10; an 3: 11-20 und an 1: über 20. 7. Form und Umfang der Examina 7.1. Zwischenprüfung: an 29 von 36 Instituten existiert eine obligatorische Zwischenprüfung (an 7 nicht). Es handelt sich um Klausur (5), mündliche (3) bzw. kumulative Prüfung (21). Der Nachweis einer zweiten romanischen Sprache ist erforderlich (19), bzw. nicht erforderlich (14).

72. Staatsexamen 7.2.1. Die Schriftliche Hausarbeit: sie wird in deutscher (19) oder spanischer (3) Sprache oder wahlweise in einer der beiden Sprachen (2) verfaßt. 7 2 2 . Klausuren: in ihnen wird an allen Instituten (24) eine Übersetzung verlangt: nur ins Spanische (14); nur ins Deutsche (1), ins Deutsche und ins Spanische (9). Der Textumfang hegt zwischen 20 und 40 Zeilen. An 15 von 24 Instituten wird ein literaturwissenschaftlicher Essay und an 8 wahlweise ein Essay oder eine sprachwissenschaftliche Klausur verlangt; 1 Institut verlangt keinen Essay. An 12 von 25 Instituten wird eine sprachwissenschaftliche Klausur ge-

16

Manfred Uetz

stellt (an 8 weiteren besteht die Möglichkeit, wahlweise einen Essay zu schreiben, wobei 2 dieser 8 Institute auch die Option für einen Stilaufsatz bieten); die Klausur ist in spanischer (9) oder deutscher (11) Sprache zu verfassen. 723. Mündliche Pr&fung: sie umfaßt zwischen 60 Minuten und 90 bis 120 Minuten. 12 von 25 Instituten verlangen nur (gleichgewichtige) sprach- und literaturwissenschaftliche Prüfungsteilgebiete; bei 3 Instituten wird die Gewichtung vom Prüfer gesetzt; 10 Institute prüfen neben Sprach- und Literaturwissenschaft auch Landeskunde und Fachdidaktik. Die Prüfung erfolgt nach Angaben von 23 Instituten in Deutsch (9), Spanisch (9) oder in beiden Sprachen (5). 73. Magister/Promotion 73.1. An 34 von 35 Instituten ist eine Schwerpunktbildung nach Sprach- oder Literaturwissenschaft möglich. 73 2. Die wissenschaftliche Arbeit: sie ist in deutscher (26) oder wahlweise in deutscher oder spanischer Sprache (8) zu verfassen. 7 3 3 . Klausuren: an 9 von 28 stellungnehmenden Instituten wird weder eine Übersetzungsklausur noch ein Essay geschrieben; an 1 besteht die Wahlmöglichkeit zwischen Übersetzung und Essay; an 8 Instituten sind Übersetzimg und Essay obligatorischer Prüfungsbestandteil; an 9 wird lediglich ein Essay, an 1 nur eine Übersetzungsklausur verlangt. 73.4. Mündliche Prüfung: sie erfolgt in deutscher Sprache (22), auf Spanisch (9) oder in beiden (1). Eine Veröffentlichung der Prüfungsaufgaben halten 12 Institute für nützlich, 16 für nicht nützlich. 8. Besondere Schwerpunktsetzungen innerhalb der Ausbildung 32 von 33 Instituten bieten keine besonderen Schwerpunktsetzungen an; ein Institut ermöglicht die Schwerpunktsetzung "Neue Romania". Antworten zu Komplex C: 9. Die hispanistischen Bibliotheksbestände 9.1.2 von 27 Instituten verfügen über bis zu 5.000 Bände; 14 über bis zu 10.000; 10 über bis zu 20.000 und 1 Institut über mehr als 20.000 Bände. Tendenziell gesehen sind die spanischen Bestände mehr als doppelt so groß wie die hispanoamerikanischen.

92. Die Frage nach der Zahl der subskribierten wissenschaftlichen Zeitschriften im Bereich des hispanistischen Bibliotheksbestandes wurde teilweise als Frage nach den insgesamt abonnierten romanistischen Zeitschriften mißver-

Die deutschsprachige Hispanistik 17 standen. Nur so lassen sich die extrem unterschiedlichen Angaben erklären. Das Datenmaterial läßt somit keine Auswertimg zu. 93. 6 von 33 Instituten abonnieren keine der spanischen, hispanoamerikanischen, portugiesischen, brasilianischen u.ä. Tageszeitungen. 17 der verbleibenden 27 Institute beziehen 1, 7 Institute 2,1 Institut 3 und 2 Institute 4 täglich erscheinende Zeitungen. 10. Hispanistische Forschung und Lehre außerhalb der Romanistik Von insgesamt 36 geben 25 Institute an, daß an ihrer Hochschule hispanistische Forschimg außerhalb der Philologie betrieben wird. An 11 Universitäten ist dies nicht der Fall. Hauptsächlich erfolgt diese Forschung in den Fächern Geographie, Geschichte, Politik und in einigen wenigen Fällen auch in Kunstgeschichte. Ein dementsprechendes, regelmäßiges Lehrangebot besteht an 10 von 24 antwortenden Universitäten, ein gelegentliches an 14. Gemeinsame Lehrveranstaltungen zwischen der philologischen Hispanistik und den nichtphilologischen Fächern finden lediglich an 6 von 29 Universitäten statt. An 32 von 36 Universitäten ist kein hispanistisch/hispanoamerikanisch orientierter Lehrstuhl oder eine entsprechende Professur außerhalb der Philologie vorhanden. Von den an 4 Universitäten vorhandenen Lehrstühlen bzw. Professuren befassen sich 3 mit lateinamerikanischer Geschichte; in je 1 Fall existieren weitere Lehrstühle für altamerikanische Sprachen und Kulturen, für Wirtschaftsgeographie und hispanoamerikanische Politik. Hinsichtlich der Fächervernetzungen besteht eine analoge Situation in den Teildisziplinen der Hispanistik: in der Katalanistik ist sie an 1 Universität und in der Lusitanistik an 2 Universitäten gegeben. 11. Partnerschaften mit spanischen, tugiesischen Universitäten

hispanoamerikanischen

und

por-

10 von 36 Universitäten besitzen keine Partnerschaften. Von den 26 anderen Universitäten haben 13 nur eine Partnerschaft (davon 10 mit Spanien, 2 mit Lateinamerika), 6 Institute haben 2 und 7 drei Partnerschaften und mehr, wobei nur innnerhalb der letzten Gruppe drei Universitäten auch Partnerschaften mit Portugal haben. 12. Erasmus-Programme im Bereich der Hispanistik 12 von 37 Instituten hatten 1990 noch keinen spanischen oder portugiesischen Erasmus-Partner. 10 der restlichen 25 Institute organisierten jeweils ein Austauschprogramm mit 1 ausländischen Universität (davon 7 mit spanischen Universitäten); 7 Institute verfügten über Programme mit 2 ausländischen Universitäten (davon 5 mit spanischen Universitäten) sowie 8 mit 3 und mehr Universitäten (davon 5 ausschließlich mit spanischen Universitäten).

Manfred Uetz

18

Antworten zu Komplex D: 13. Schwerpunktbildung der einzelnen Institute in der hispanistischen Forschung und Lehre Da hier Mehrfachantworten möglich waren, ergibt sich folgendes Bild: 34 der 37 Institute befassen sich schwerpunktmäßig mit Spanien, 23 verstärkt mit Hispanoamerika, 3 überwiegend mit spanischsprachigen Minderheiten außerhalb Europas. 12 Institute dagegen sind in erster Linie auf Portugal ausgerichtet und 6 auf Brasilien. 10 Institute geben eine doppelte Schwerpunktsetzung für Spanien und Hispanoamerika an, 6 Institute für Spanien und Portugal. Bei 8 Instituten liegt eine dreifache Schwerpunktsetzung auf Spanien, Portugal und Hispanoamerika vor. Spezielle Schwerpunktbildungen werden grundsätzlich von 18 von 31 Instituten angegeben (7 machen keine Angaben): auch Mehrfachnennungen berücksichtigend ist 6 mal das spanische Siglo de Oro angegeben, 8 mal das spanische 20. Jahrhundert und 14 mal Lateinamerika, überwiegend mit dem Schwerpunkt Argentinien und Brasilien. 14. Offizielle Forschungsprojekte mit ausschließlich hispanistischer, lusitanistischer oder katalanischer Thematik 11 von 38 Instituten führen - vereinzelt bis zu 3 - offizielle Forschungsprojekte durch. Unter den Projekten ist eine deutliche Tendenz zu lateinamerikanischen Thematiken auffallend (7 von 11) hinter der hispanistische Thematiken (4 von 11) zurückstehen; lusitanistische und katalanische Thematiken werden nur in sehr geringem Umfang berücksichtigt. Die Zahl der Mitarbeiter beträgt im Durchschnitt 2; in Ausnahmefällen fünf. An 2 von 11 Instituten wird/werden das/die Projekt(e) ausschließlich durch die Universität finanziert, an 6 ausschließlich durch Drittmittel und an 3 durch eine Mischfinanzierung aus Universitäts- und Drittmitteln. Individueller Teil - Stellungnahmen der einzelnen Fachvertreter Die konkreten Fragen des an die Dozenten gerichteten Fragebogens beziehen sich auf die folgenden großen Themenbereiche: A: die Stellenbeschreibung, die in Forschung und Lehre vertretenen romanischen Sprachen und Gebiete, die hispanistische Ausbildung und das hispanistische Selbstverständnis (Fragebogen Pkte. 1-3); B: Entwicklungstendenzen in der Romanistik und Stellungnahmen zu Einzelaspekten: dem allgemeinen Lehrangebot, dem Niveau der Hispanistikstudierenden im Staatsexamen, dem persönlichen Lehrangebot, der individuellen Einschätzung der universitätsinternen Situation der Zusammenarbeit der Verbände (DRV, DHV, DSV) (Fragebogen Pkt. 4-7).

Die deutschsprachige Hispanistik

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Die Auswertung basiert auf Fragebögen, die von 129 hispanistischen Fachvertretern zurückgesandt wurden. Eine eindeutige Relation zu den versandten Fragebögen ist nicht herzustellen, da diese global an die Seminare und Institute mit der Bitte um Weitergabe verschickt worden waren. 83 der Fachvertreter haben sich als Literatur- (L) und 46 als Sprachwissenschaftler (S) definiert. Wann immer die Summe der Stellungnahmen sich nicht auf 129 beläuft, so beruht dies auf Enthaltungen und nicht verwertbaren Stellungnahmen. Bei allen Fragen, die eine sachliche Differenzierimg zwischen Literatur- (L) und Sprachwissenschaft (S) angezeigt erscheinen ließen, ist die Auswertimg getrennt vorgenommen und ausgewiesen worden. Antworten zu Komplex A: 1. Stellenbeschreibung 1.172. Zu der Frage nach der offiziellen Stellendefinition nahmen 129 Dozenten Stellung: 93 von ihnen besetzen eine offiziell als romanistisch ausgewiesene Stelle und 36 eine offiziell als hispanistisch definierte Stelle (L: 25; S: 11). 13. Die Frage, wie die jeweilige Stelle z.Z. faktisch orientiert ist, wurde 131 mal beantwortet: - eine faktisch allgemein romanistische Orientierung ist bei 14 Stellen gegeben (L: 8; S: 6); - eine nur hispanistische Orientierung ist bei 12 Stellen gegeben (L: 2; S: 0); - eine hispanistisch/hispanoamerikanische Orientierung ist bei 21 Stellen gegeben (L: 16; S: 5); - eine lusitanistische Orientierung ist bei 3 Stellen gegeben (L: 2; S: 1). Von den verbleibenden 79 Stelleninhabern nehmen 65 (L: 35; S: 30) faktisch neben hispanistischen, lusitanistischen und hispanoamerikanischen Aufgaben auch romanistische wahr. Die restlichen 14 Stellen fallen unter "sonstige Kombinationen", die sich nicht weiter zusammenfassen lassen. 1.4. In Forschung und Lehre vertretene romanische Sprachen und Gebiete 41 von insgesamt 46 Sprachwissenschaftlern sind in der sprachwissenschaftlichen Forschung tätig: - Französisch: 33 (davon nur Französisch: 1); - Italienisch: 15 (davon nur Italienisch: 0); - Spanisch: 37 (davon nur Spanisch: 6); - Portugiesisch: 17 (davon nur Portugiesisch: 1); - Rumänisch: 9 (davon nur Rumänisch: 0).

20 Manfred Uetz 9 der Sprachwissenschaftler berücksichtigen in der Forschung 3 romanische Sprachen, 5 von ihnen berücksichtigen 4 und 6 berücksichtigen S romanische Sprachen. In der Lehre vertreten von 44 Sprachwissenschaftlern: - das Französische: 35; - das Italienische: 15; - das Spanische: 43; - das Portugiesische: 21; - das Rumänische: 9. Es vertreten 7 Sprachwissenschaftler 1 dieser Sprachen in der sprachwissenschaftlichen Lehre, 12 weitere vertreten 2, 16 vertreten 3, 3 vertreten 4 und 6 Sprachwissenschaftler vertreten 5 romanische Sprachen in der Lehre. Alle 79 Literaturwissenschaftler sind in der literaturwissenschaftlichen Forschung tätig: - Französisch: 53 (davon nur Französisch: 1); - Italienisch: 16 (davon nur Italienisch: 0); - Spanisch: 75 (davon nur Spanisch: 18); - Portugiesisch: 15 (davon nur Portugiesisch: 2); - Rumänisch: 3 (davon nur Rumänisch: 0). In der Lehre vertreten von 79 Literaturwissenschaftlern: - das Französische: 50; - das Italienische: 17; - das Spanische: 74; - das Portugiesische: 13; - das Rumänische: 3. Es vertreten 23 Literaturwissenschaftler 1 dieser Sprachen (fast ausschließlich Spanisch) in der literaturwissenschaftlichen Lehre, weitere 30 vertreten 2 Sprachen (mehrheitlich Französisch und Spanisch), 18 vertreten 3 (hier rangiert die Kombination Französisch/Italienisch/Spanisch vor der Kombination Französisch/Spanisch/Portugiesisch) und 4 Literaturwissenschaftler vertreten mehr als 3 Sprachen. Beide Disziplinen (Sprach- und Literaturwissenschaft) werden in der Forschung von 21 (18%), in der Lehre von 17 (17,7%) vertreten; dabei ist der Anteil der Sprachwissenschaftler (Forschung: 17,4%; Lehre: 15,2%) erheblich höher als der der Literaturwissenschaftler (Forschung: 3,8%; Lehre: 2,5%). Ein analoges Verhältnis ergibt sich hinsichtlich der "sonstigen Sprachen" (wie Katalanisch, Okzitanisch, Rätoromanisch, Kreolsprachen): mit ihnen befassen sich in der Forschimg und Lehre 26 von 46 (56,5%) Sprachwissenschaftlern (von ihnen wiederum 50% mit dem Katalanischen); von 79 Literaturwissenschaftlern tun dies 8 (10,1%) in der Forschung und 5 (6,3%) in der Lehre.

Die deutschsprachige Hispanistik 21 Im Vordergrund steht bei den Dozenten das Katalanische mit 9/20 Nennungen in der Forschung und 11/19 in der Lehre; es folgen Okzitanisch (Forschung: 5; Lehre: 6), Altprovenzalisch (Forschung: 1; Lehre: 2), Rätoromanisch (Forschung: 3; Lehre: 2), Galicisch (Forschung: 0; Lehre: 2), Kreolsprachen (Forschung: 4; Lehre: 1). Die Landeskunde wird unter den Dozenten von 12 Personen (bei 125 Antworten) in der Forschung und von 31 in der Lehre vertreten (wobei diese Zahlenangaben die Lektoren miteinschließen). In der Forschimg befassen sich 8 (davon 6 ausschließlich) mit der hispanistischen, 1 mit der lusitanistischen Welt, während sich in der Lehre 23 auf Spanien und 5 auf Portugal konzentrieren. An der Forschung in der Sprachpraxis beteiligen sich 5 von insgesamt 79 Literatur- und 6 von 46 Sprachwissenschaftlern. In der sprachpraktischen Lehre sind 17 (von 79) Literatur- und 14 (von 46) Sprachwissenschaftler tätig. Auch hier ist zu berücksichtigen, daß die Zahl der Lektoren bereits einbezogen wurde. Das Spanische wird von den Dozenten insgesamt sowohl in der Forschung (10/11) als auch in der Lehre (27/31) wesentlich häufiger vertreten als beispielsweise das Französische (Forschung: 2/11; Lehre: 3/31). An der fachdidaktischen Forschung beteiligen sich 2 Literatur- und 1 Sprachwissenschaftler, an der fachdidaktischen Lehre 3 Literatur- und 4 Sprachwissenschaftler. 1.5. Fachliche Orientierung Aus den 129 Antworten der Dozenten ergeben sich folgende grundsätzliche Schwerpunktsetzungen innerhalb des Fachs: 27 (20,9%) sind ausschließlich und 19 (14,8%) überwiegend sprachwissenschaftlich orientiert, wohingegen 47 (36,4%) ausschließlich und 36 (27,9%) überwiegend literaturwissenschaftlich orientiert sind. 1.6. Prüfungsberechtigungen Von den 92 Prüfungsberechtigten unter den 129 Antwortenden besitzen die Prüfungsberechtigung für das Staatsexamen: - Französisch: 76; - Italienisch: 39; - Spanisch: 80; -Portugiesisch: 18; - Rumänisch: 5. 28 besitzen sie für 1 Fach, 21 für 2 Fächer, 31 für 3 Fächer und 12 für 4 und 5 Fächer. Signifikante Unterschiede zwischen Literatur- und Sprachwissenschaftlern lassen sich nicht feststellen.

22

Manfred Hetz

1.7. Prüfungen Im Magisterexamen und bei der Promotion prüfen von 82 Berechtigten regelmäßig: - Französisch: 61; - Italienisch: 26; - Spanisch: 76; - Portugiesisch: 26; - Rumänisch: 10. 16 prüfen in nur 1 Fach, 32 in 2; 22 in 3,12 in 4 bzw. 5 Fächern. 2. Hispanistische Ausbildung 2.1. 85 von 128 Lehrenden (66,4%) besitzen einen hispanistischen Studienabschluß; von ihnen haben - ausschließlich das Staatsexamen: 4; - ausschließlich den Diplomabschluß: 4; - ausschließlich den Magister: 5; - Promotion, jedoch (noch) keine Habilitation: 30; - Promotion und Habilitation: 42. Bei den insgesamt abgelegten Staatsexamina tritt das Spanische nur in Kombination mit dem Französischen und evtl. mit einem anderen Fach auf. Von den insgesamt 129 stellungnehmenden Dozenten habilitierten sich 23 im Bereich der Hispanistik, wobei in ca. 2/3 der Fälle die Venia "Romanische Philologie", ansonsten "Romanische Sprachwissenschaft" oder "Romanistik" heißt. 14 Literaturwissenschaftler haben sich mit einem hispanistischen Thema (davon 75% mit Arbeiten über das 20. Jh.) habilitiert; desgleichen 9 Sprachwissenschaftler; ein thematischer Schwerpunkt ist jedoch nicht erkennbar. 22.21 Lehrende streben eine Habilitation an, 11 eine Promotion. 23. Auslandsaufenthalt im spanischen und portugiesischen Sprachbereich 17% der Lehrenden haben keinen, 83% der Lehrenden haben sich insbesondere während und nach dem Studium längere Zeit im spanisch- und/oder portugiesischsprachigen Ländern aufgehalten (59 in 1, 32 in 2, 13 in 3 Ländern). Ein relevanter Unterschied zwischen Sprach- und Literaturwissenschaftlern besteht nicht. Im Vordergrund der Aufenthaltsländer steht Spanien (67), gefolgt von Hispanoamerika (55) und Portugal (28). Die Kombination Spanien/Hispanoamerika ist wesentlich häufiger vertreten als die Kombination Spanien/Portugal. Die Kombination Portugal/Hispanoamerika ist selten. 2.4. Studium einzelner romanischer Sprachen Im Vordergrund des Sprachstudium aller Lehrenden steht das Französische, mit dem sich 121 von 127 befaßt haben; es folgen das Spanische (115), das Ita-

Die deutschsprachige Hispanistik

23

lienische (69), das Portugiesische (52); das Rumänische (24), das Katalanische (20) und das Altprovenzalische (4). Zwei der 4 großen Sprachen (Frz., Sp., It., Port.) studierten 47 Dozenten; 3 studierten 48 und alle 4 Sprachen 28 Dozenten. 3. Hispanistisches Selbstverständnis 3.1. Es definieren sich selbst als Romanist 66 von 129, als Hispanist 39 von 129 Dozenten. 32.1J2. Bei einer hispanistischen Orientierung ist diese Spezialisierung bei etwa 50% der Lehrenden das Ergebnis eigener Forschungs- und Lehrinteressen; bei 7,9% resultiert sie aus der studentischen Nachfrage; bei 28,9% spielt neben den Forschungs- und Lehrinteressen die studentische Nachfrage eine Rolle. Es ergeben sich keine relevanten Unterschiede zwischen Literatur- und Sprachwissenschaftlern. Auffallend ist allerdings die hohe Zahl von 53 Enthaltungen (41,1%). 323. Eine weniger spezialisierte Arbeit (d.h. weitgehende Beschränkung auf die Hispanistik) würden 21 (L: 11; S: 10) von 63 Lehrenden befürworten; 42 (L: 32; S:10) lehnen die Rücknahme der Spezialisierung ab; hier findet sich der höchste Anteil von Enthaltungen: 66, d.i. 51,%. 32.4. Eine weitergehende Spezialisierung innerhalb der Hispanistik befürworten 28 von 79 Personen (35,4%), 51 lehnen sie ab (64,6%). Es ergibt sich ein leichter Unterschied zwischen Literatur- und Sprachwissenschaftlern: letztere zeigen geringeren Ablehnungsgrad (60%) als die ersteren (69,9%). In den Stellungnahmen wird von sprachwissenschaftlicher Seite eine weitere Spezialisierung mit Hinweis auf die Diachronie abgelehnt, mit Hinblick auf die institutionelle und kurrikulare Aufwertung der Lateinamerikanistik befürwortet. 4. Entwicklungstendenzen in der Romanistik 4.1. Beurteilung faktischer Tendenzen zur BinnendifFerenzierung Für die Romanistik beurteilen von 124 Lehrenden diesen Vorgang als - sinnvoll: 27 (21,8%); - unvermeidlich: 44 (35,5%); - sinnvoll und unvermeidlich: 14 (11,3%); - abzulehnen: 30 (24,2%); - unvermeidlich doch abzulehnen: 9 (7,2%). Ein markanter Unterschied besteht zwischen Literatur- und Sprachwissenschaftlern nicht: die Binnendifferenzierung beurteilen 31,7% der Literaturwissenschaftler und 31,1% der Sprachwissenschaftler als "abzulehnen" oder "unvermeidlich, doch abzulehnen". Als "sinnvoll", "unvermeidlich" bzw. "sinnvoll und unvermeidlich" beurteilen sie 68,3% der L und 68,9% der S.

24

Manfred Tietz

In den Stellungnahmen wird hervorgehoben, daß Spezialisierungen durchaus sinnvoll sein können; die "romanistische Komponente" sollte jedoch nicht verloren gehen. 42. Für eine Binnendifferenzierung stimmen bei 65 Enthaltungen (50,4%) für eine Spezialisierung - nur in der Literaturwissenschaft: 27 Dozenten innerhalb der Gruppe der L: 48,7%; innerhalb der Gruppe der S: 30,4%; - nur in der Sprachwissenschaft: 4 innerhalb der Gruppe der L: 0% innerhalb der Gruppe der S: 17,3% und - sowohl in der Lit.- als auch in der Sprachwissenschaft: 33 innerhalb der Gruppe der L: 51,2%; innerhalb der Gruppe der S: 52,2%. 43. Der Vorteil des gegenwärtigen Romanistikkonzepts wird in der "komparatistischen Komponente" gesehen, dem Erkennen von Zusammenhängen und, in der Sprachwissenschaft, in der Möglichkeit zum diachronen Vergleich. 4.4. Eine Spezialisierung sollte nach Meinung von 77 Lehrenden (bei 52 Enthaltungen) erfolgen - nach Nationalphilologien: 50 (65,0%); - nach Themenbereichen und Epochen: 15 (19,5%); - nach einer Kombination von beidem: 12 (15,5%). Ein relevanter Unterschied zwischen Sprach- und Literaturwissenschaftlern ist nicht gegeben. 4.5. Romanistikstudierende vs. Hispanistikstudierende 4.5.1. Der frühere Zustand, daß ein Hispanistikstudent zugleich eine umfassende Französistikausbildung hat, ist nach 123 Antworten - gegeben: 9 (7,3%); - noch teilweise gegeben: 7 (5,7%); - nicht mehr gegeben: 107 (87%). 4.5.2. Die Dominanz eines neuen Typus von "Nur-Hispanisten" eventuell ohne Französisch-Kenntnisse sehen (bei 17 Enthaltungen) - als gegeben: 77 (68,8%); innerhalb der Gruppe der L: 66,66%; innerhalb der Gruppe der S: 72,9%; - als nicht gegeben: 25 (22,3%); innerhalb der Gruppe der L: 20%; innerhalb der Gruppe der S: 27,1%;

Die deutschsprachige Hispanistik - teils teils: 10 (8,9%); nur L; innerhalb dieser Gruppe: 13,33%.

25

4.53. Das Auftreten des "Nur-Hispanisten" wird für Forschung und Lehre nach Ansicht von 112 von 129 Antwortenden - keine Folgen haben: 38 (33,9%) - Folgen haben: 74 (66,1%). 75% der Sprachwissenschaftler sehen gegenüber 61,1% der Literaturwissenschaftler Konsequenzen für Forschung und Lehre. In den Stellungnahmen wird als positive Folge in der Lehre eine vertiefte Fachkenntnis in der Hispanistik und eine höhere Motivation der Studierenden erwartet; bedauert wird der Verlust eines allgemeinromanistischen sprach- und literaturwissenschaftlichen Wissens, von den L insbesondere im Bereich der historisch lange Zeit maßgeblichen französischen Literatur; die S sehen Nachteile für die historisch orientierte Sprachwissenschaft. Die Lehre, etwa im Bereich der Vorlesungen und Seminare wird "nur-hispanistisch" konzipiert werden müssen. 4.5.4. Das systematische Erlernen weiterer romanischer Sprachen durch die Studierenden (112 Stellungnahmen, 17 Enthaltungen) - erfolgt nicht: 44 (39,3%); innerhalb der Gruppe der L: 42,9%; innerhalb der Gruppe der S: 333%; - erfolgt: 65 (58%); innerhalb der Gruppe der L: 52,9%; innerhalb der Gruppe der S: 66,7%; - erfolgt unsystematisch: 3 (2,7%); nur L; innerhalb dieser Gruppe: 4,3%. Die Stellungnahmen weisen darauf hin, daß der Erlernen i.a. nur dort funktioniert, wo dies durch die Studienordnung verlangt wird. Die hohe Zahl an obligatorischen Lehrveranstaltungen lassen den Studierenden zu wenig Zeit für weiteren Spracherwerb. 4.6. Promotion und Habilitation Unter Angabe vielfältiger Kombinationen wurde bei 124 Stellungnahmen (5 Enthaltungen) im wesentlichen dafür plädiert, daß Promotion und Habilitation in Zukunft erfolgen sollen unter den Fachkonzeptionen: - Romanische Philologie: 40 (32,3%); innerhalb der Gruppe der L: 26,3%; innerhalb der Gruppe der S: 43,2%; - Romanische Sprachwissenschaft bzw. Romanische Literaturwissenschaft: je 46 (37,1%); - Einzelne Disziplinen (Hispanistik etc.): 51 (41,1%).

26 Manfred Uetz Dabei sind allerdings auch eine Reihe von Kombinationsmöglichkeiten angesprochen worden, wie z.B. "Romanische Philologie" mit einer einschränkenden Unterbezeichnung. 5. Einzelfragen 5.1. Persönliche Zufriedenheit mit dem hispanistischen Lehrangebot (im Vergleich zum Französischen) Bei 126 Stellungnahmen und 3 Enthaltungen sind mit dem Lehrangebot - voll zufrieden: 3 (2,4%); innerhalb der Gruppe der L: 1,3%; innerhalb der Gruppe der S: 4,3%; - zufrieden: 49 (38,9%); innerhalb der Gruppe der L: 27,6%; innerhalb der Gruppe der S: 43,5%; - nicht zufrieden: 74 (58,7%); innerhalb der Gruppe der L: 62,5%; innerhalb der Gruppe der S: 52,2%. In den Stellungnahmen werden für diese Situation v.a. die gestiegenen Studentenzahlen, der Personalmangel und die unzureichenden Sprachkenntnisse der Studierenden verantwortlich gemacht und die mangelnden Auswahlmöglichkeiten für die Studierenden beklagt. 52. Spezialisierungsgrad des hispanistischen Lehrangebots (im Vergleich mit dem französistischen). In den 125 Stellungnahmen (bei 4 Enthaltungen) wird die Auffassung vertreten, daß das hispanistische Lehrangebot über den gleichen Spezialisierungsgrad wie das französistische - verfügt: 49 (39,2%); innerhalb der Gruppe der L: 35,8%; innerhalb der Gruppe der S: 45,5%); - nicht verfügt: 76 (60,8%); innerhalb der Gruppe der L: 64,2%; innerhalb der Gruppe der S: 54,5%. In den Stellungnahmen werden als Gründe Personalmangel und unzureichende Sprachkenntnisse der Studierenden besonders im Grundstudium angeführt. 53. Niveau der Hispanistikstudierenden im Staatsexamen In 120 Aussagen (bei 9 Enthaltungen) wird auf die Frage, ob die Hispanistikstudenten im Staatsexamen das gleiche sprachliche und wissenschaftliche Niveau besitzen wie die Französisch- oder Englischstudierenden geantwortet:

Die deutschsprachige Hispanistik - ein vergleichbares Niveau ist gegeben: innerhalb der Gruppe der L: innerhalb der Gruppe der S: - mit Einschränkungen gegeben: innerhalb der Gruppe der L: innerhalb der Gruppe der S: - nur bedingt gegeben: innerhalb der Gruppe der L: innerhalb der Gruppe der S:

27 48 (40%); 39,0%; 42,8%; 48 (40%); 40,5%; 38,1%; 24 (20%); 20,5%; 19,1%.

Als Gründe für ein niedrigeres Niveau führen die Vertreter dieser Auffassung in erster Linie an, daß die Studierenden das Spanische erst recht spät an der Universität erlernen und daß nicht genügend Lehrpersonal vorhanden ist. Desweiteren wird auf fehlende Unterrichtsmaterialien verwiesen. 5.4. Angebot der Lehre Die 123 Lehrenden (bei 6 Enthaltungen) geben an, daß sie ihre Lehre anbieten als - romanistische Veranstaltung: 3 (2,4%); innerhalb der Gruppe der L: 0%; innerhalb der Gruppe der S: 6,8%; - einzelphilologische Veranstaltung: 106 (86,2%); innerhalb der Gruppe der L: 96,2%; innerhalb der Gruppe der S: 68,2%; - mit beiden Komponenten: 14 (11,4%); innerhalb der Gruppe der L: 3,8%; innerhalb der Gruppe der S: 25%. Als Gründe für die einzelphilologische Durchführung werden insbesondere angegeben die Vorschriften der Studienordnungen, die einzelsprachliche Veranstaltungen vorsehen, die notwendige Spezialisierung und die mangelnden Sprachkenntnisse der Studierenden. 5.5. Sprache der hispanistischen Lehrveranstaltungen 5.5.1. Von 122 Lehrenden (7 Enthaltungen) führen ihre hispanistischen Lehrveranstaltung durch in - spanischer Sprache: 14 (11,4%); - teilweise in spanischer Sprache: 49 (40,2%); - nicht in spanischer Sprache: 59 (48,4%). Ein relevanter Unterschied zwischen den Stellungnahmen der Literatur- und Sprachwissenschaftler ist nicht gegeben.

28 Manfred Tietz 5.52. Von den 34 Portugiesisch-Lehrenden führen ihre Lehrveranstaltung durch in - Portugiesisch: 4 (11,8%) - teilweise in Portugiesisch: 3 (8,8%) und - nicht in Portugiesisch: 27 (79,4%). Als Grund für den überwiegenden Gebrauch des Deutschen werden besonders im Grundstudium die mangelnden Sprachkenntnisse der Studierenden angeführt sowie die Befürchtimg, daß beim Gebrauch der Fremdsprache das wissenschaftliche Niveau absinken würde. 5.6. Vernetzung der philologischen mit der nicht-philologischen Hispanistik Stellungnahmen: 124; Enthaltungen: 5. 5.6.1. Eine Vernetzung ist - gegeben: 22 (17,7%); - nicht gegeben: 36 (29,1%); - in Ansätzen gegeben: 66 (53,2%). 5.6.2. Schaffung spezieller hispanistischer Lehrstühle und sonstiger Stellen Die Schaffung spezieller Stellen zur Sicherstellung der hispanistischen Ausbildung erachten als - notwendig: 100 (82%); innerhalb der Gruppe der L: 80,5%; innerhalb der Gruppe der S: 81%; - nicht notwendig: 21 (17,2%); innerhalb der Gruppe der L: 22,5%; innerhalb der Gruppe der S: 19%. - zum Teil notwendig: 1 (0,8%). 5.63. Aufstellung einer Prioritätenliste Die Frage war zu allgemein formuliert und wurde daher häufig nicht im Sinne der Aufstellung einer Liste von Stellen für eine nicht-philologische Hispanistik (z.B. Lehrstuhl für lateinamerikanische Geschichte; Empirische Soziologie mit Schwerpunkt Spanien) beantwortet. Es wurde daher vielfach angegeben, welche hispanistischen Länder besonders berücksichtigt werden sollten. Dabei stehen Spanien und Lateinamerika an erster Stelle, ohne daß die Aussagen genauere Schlösse zuließen. 5.6.4. Berücksichtigung hispanistischer Belange bei Stellenbesetzungen 5.6.4.1. Innerhalb der Romanischen Seminare und Institute wird dem gewachsenen hispanistischen Interesse Rechnung getragen (119 Antworten und 10 Enthaltungen): -ja: 68(57,2%); -nein: 51(42,8%).

Die deutschsprachige Hispanistik 29 5.6.4.2. Innerhalb der Gesamtuniversität (103 Antworten und 26 Enthaltungen): -ja: 21(20,4%); -nein: 82(79,6%). In den Stellungnahmen wird angeführt, daß durch den geringen Personalwechsel und die ausbleibende Neubesetzung von Lehrstühlen noch keine Möglichkeit zu einem 'Nachsteuern' besteht. 5.7. Beurteilung des hispanistischen Buchbestands 5.7.1. Seminarbibliothek 16 der insgesamt 129 Umfrageteilnehmer unterrichten an Universitäten, an denen die Seminarbibiothek nicht von der UB getrennt ist. Die Ausstattung wird beurteilt als -hervorragend: 4(3,5%); -gut: 29(25,7%); -befriedigend: 31(27,4%); - ausreichend: 27 (23,9%); - mangelhaft:

22 (19,5%).

5.72. Universitätsbibliothek Eine UB ist nicht vorhanden: 1. Die Bibliotheksbestände werden beurteilt als -hervorragend: 3(2,3%); - gut: 22 (17,2%); -befriedigend: 31(24,2%); - ausreichend: 26 (20,3%); - mangelhaft: 46 (36,0%). Es bestehen keine relevanten Unterschiede in der Beurteilung der Bibliotheksbestände zwischen Literatur- und Sprachwissenschaftlern. Von den Literaturwissenschaftlern wird allerdings insbesondere das Fehlen zeitgenössischer Literatur und der entsprechenden kritischen Literatur bemängelt. 5.73. Versorgung mit wissenschaftlichen Zeitschriften Die Versorgung mit wissenschaftlichen Zeitschriften erscheint -hervorragend: 3(2,3%); - gut: 26 (20,3%); -befriedigend: 39(30,5%; - ausreichend: 26 (20,3%); - mangelhaft: 34 (26,6%). 5.7.4. Als besondere Desiderata werden Zeitschriften im lateinamerikanischen Bereich angeführt.

30 5.7Hispanistische

Manfred Uetz Datenbanken

Am Zugang zu hispanistischen Datenbänken sind (bei 13 Enthaltungen) - interessiert: 101 (87,1%); innerhalb der Gruppe der L: 89,6%; innerhalb der Gruppe der S: 82,1%; - nicht interessiert 15 (12,9%); innerhalb der Gruppe der L: 10,4%; innerhalb der Gruppe der S: 17,9%. 5.8. Hispanistische Publikationsorgane Die deutschsprachige Hispanistik verfügt über genügende und spezialisierte Publikationsorgane (23 Enthaltungen): -ja: 67 (63,2%); innerhalb der Gruppe der L: 59,4%; innerhalb der Gruppe der S: 70,3%; - nein: 39 (36,8%); innerhalb der Gruppe der L: 40,6%; innerhalb der Gruppe der S: 29,7%. 5.9. Hispanistisches Rezensionsorgan Ein hochaktuelles, nach Fachgebieten geordnetes hispanistisches Rezensionsorgan würden begrüßen (bei 18 Enthaltungen): 98 (88,3%); - innerhalb der Gruppe der L: 88,7%; - innerhalb der Gruppe der S: 87,5%. 5.10. VerbSnde und Mitgliedschaften Angaben von 127 Lehrenden; 2 Enthaltungen. 5.10.1. Mitgliedschaft im DRV: 81 (63,8%); - innerhalb der Gruppe der L: 65,1%; - innerhalb der Gruppe der S: 61,4%. 5.10.2. Mitgliedschaft im DHV: 65 (50,8%); - innerhalb der Gruppe der L: 55,4%; - innerhalb der Gruppe der S: 43,2%. 5.103. Mitgliedschaft im DSV: 28 (21,9%); - innerhalb der Gruppe der L: 26,5%; - innerhalb der Gruppe der S: 13,6%. Mehrfachmitgliedschaften: in zwei Verbänden (i.a. DRV und DHV): 46 (36,2%); in 3 Verbänden: 17 (13,4%).

Die deutschsprachige Hispanistik

31

5.10.4. Zusammenarbeit der hispanistischen Verbände DHV und DSV Bei 35 Enthaltungen stimmten für eine - getrennte Organisation und getrennte Tagungen: 47 (50,0%); innerhalb der Gruppe der L: 53,0%; innerhalb der Gruppe der S: 35,7%; - getrennte Organisation und gemeinsame Tagungen: 31 (33,0%); innerhalb der Gruppe der L: 34,9%; innerhalb der Gruppe der S: 28,6%; - Bildung eines gemeinsamen Verbandes: 16 (17,0%); innerhalb der Gruppe der L: 12,1%; innerhalb der Gruppe der S: 35,7%. Tendenziell plädieren die Dozenten in den Stellungnahmen für getrennte Organisationen, weil - nach Ansicht der Literaturwissenschaftler - die Ausbildung von Spanisch-Lehrern nur eine Teilauf gäbe der Romanischen Seminare ist und weil fachdidaktische sowie sprach- und literaturwissenschaftliche Forschung verschiedene Zielsetzungen haben. Andererseits sprechen sich die Sprachwissenschaftler tedenziell für eine Zusammenarbeit in einigen Sektionen aus, um gemeinsame hispanistische Interessen in der Öffentlichkeit besser durchsetzen zu können. 5.11. Grfindung von FachverbSnden 5.11.1. Die Gründung und selbständige Führimg von weiteren Fachverbänden halten (bei 31 Enthaltungen) für - wünschenswert: 68 (69,4%); innerhalb der Gruppe der L: 74,2%; innerhalb der Gruppe der S: 61,1%. - nicht wünschenswert: 30 (30,6%). 5.11.2. Die Zusammenarbeit mit dem DRV (30 Enthaltungen): - für die Arbeit der einzelnen Fachverbände als Abteilungen innerhalb des DRV: 46 (46,5%); innerhalb der Gruppe der L: 48,5%; innerhalb der Gruppe der S: 41,2%. - gegen die Arbeit als Unterabteilung innerhalb des DRV: 53 (53,5%). 5.113. Begründung der Auffassungen (24 Enthaltungen): - verbandspolitisch: 24 (22,9%); - wissenschaftskonzeptionell: 67 (63,8%); - verbandspolitisch und wiss.konzeptionell: 14 (13,3%). In den Stellungnahmen wird auf die Gefahr einer fachlichen Zersplitterung hingewiesen (S); andererseits wird hervorgehoben (L), daß die faktische Bin-

32 Manfred. Tietz nendifferenzierung des Fachs am besten durch Fachverbände repräsentiert wird; die Verbände sollen jedoch intensiv zusammenarbeiten und auf ihren Fachtagungen den "romanistischen Gesamtblick" pflegen. Eine gemeinsame Außenvertretung ist zweckdienlich. Antworten zu Komplex B: 6. Beurteilung der Berufsperspektiven für Hispanisten Die Berufsperspektiven der hispanischen Hochschulabsolventen werden von den Dozenten wie folgt beurteilt: 6.1. Im akademisch/schulischen Bereich (bei 7 Enthaltungen): - gut: 5 (4,1%); innerhalb der Gruppe der L: 2,6%; innerhalb der Gruppe der S: 6,8%; - akzeptabel: 43 (35,2%); innerhalb der Gruppe der L: 33,3%; innerhalb der Gruppe der S: 38,6%; - schlecht: 74 (60,7%); innerhalb der Gruppe der, L: 64,1%; innerhalb der Gruppe der S: 54,6%. 62. In der Wirtschaft (bei 23 Enthaltungen): -gut: 15 (14,2%); innerhalb der Gruppe der L: 14,7%; innerhalb der Gruppe der S: 6,8%; - akzeptabel: 57 (53,8%); innerhalb der Gruppe der L: 50,0%; innerhalb der Gruppe der S: 60,5%; - schlecht: 34 (32%); innerhalb der Gruppe der L: 35,3%; innerhalb der Gruppe der S: 26,3%. Die Sprachwissenschaftler sehen demnach für Hispanisten sowohl im akademisch/schulischen Bereich als auch in der Wirtschaft insgesamt bessere Berufschancen als die Literaturwissenschaftler.

Die deutschsprachige Hispanistik 7. Weitere Stellungnahmen zur Umfrage und zur Lage der Hispanistik

33

Aus den zahlreichen, zum Teil sehr auf Details bezogenen Stellungnahmen sind drei Aspekte besonders hervorzuheben: 1. Eine Spezialisierung in Richtung auf eine eigenständige Hispanistik erscheint nur unter der Bedingung machbar und sinnvoll zu sein, wenn mit einer größeren Personalausstattung zu rechnen ist; sonst wäre die institutionelle Binnendifferenzierung eher kontraproduktiv. 2. Eine Binnendifferenzierung zugunsten der drei großen Fächer hätte negative Folgen für das Lehrangebot bei den sogenannten "kleinen" romanischen Sprachen. 3. Eine stärkere Spezialisierung in der Forschung muß keine Spezialisierung in der Lehre zur Folge haben. III Ergebnisse der Umfrage: Thesen und Wertungen Soweit die Fakten und Zahlen "für sich sprechen", sind sie in den folgenden knappen Auswertungen und Systematisierungen nicht gesondert berücksichtigt. Das ausführlich dargelegte Material der Umfrage hat in vielen Fällen kein anderes Ziel als die umfassende Information über die faktische Situation im Fach Hispanistik. Teil I Antworten der Institute 1. Im Hochschulfach Romanistik hat sich besonders in den letzten anderthalb Jahrzehnten eine Binnendifferenzierung vollzogen, die zur faktischen Etablierung einer eigenständigen Disziplin Hispanistik in Forschung und Lehre geführt hat. An vier Fünfteln der Romanischen Seminare und Institute wird ein Studiengang Hispanistik als Magister-, Diplom- oder Promotionsstudiengang angeboten; an zwei Dritteln besteht die Möglichkeit, das 'volle Staatsexamen' im Fach Spanisch abzulegen. Damit hat das 'neue' Fach Spanisch mit traditionellen Fächern wie Englisch, Französisch, Deutsch oder Geschichte gleichgezogen. Als Schul- und Universitätsfach befindet sich das Spanische zunehmend grundsätzlich in einer "Situation der Normalität". 2. Die studentische Nachfrage nach dem Fach Spanisch/Hispanistik steigt an fast allen Instituten (über 85%). Die restlichen Institute melden stagnierende, keines jedoch sinkende Zahlen. Der Anstieg der Studierenden im Fach Hispanistik verläuft proportional steiler als der in den anderen romanistischen Fächern. Insgesamt ist eine Verlagerung

34 Manfred Tietz von dem bisher dominierenden Studien- und Schulfach Französisch hin zum Spanischen (und in geringerem Maß zum Italienischen) festzustellen. Graphik 2 Hlttelfriatige Entwicklung der Studentenzehlen In den Fichern Ronanlatik / Speniach / Französiach (Angaben der Inatituta) In Tendenzen 100 X

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Studentenzahlen für Franzöeiach Studentenzahlan für Itallaniach

3. Die Normalität des universitären Fachs Hispanistik ist jedoch in vielfacher Hinsicht problematisch und teilweise ausgesprochen prekär. Es besteht eine erhebliche Anzahl interner Defizite. 3.1. Vier Fünftel aller Institute bezeichnen das Personal, das ihnen im Bereich der Hispanistik zur Verfügimg steht, als quantitativ nicht ausreichend. 3.2. Vier Fünftel der Institute stellt zwar fest, daß sie ein regelmäßiges hispanistisches Lehrangebot haben, was jedoch nicht gleichbedeutend mit einem umfassenden Lehrangebot ist: so kann die Hälfte der Institute kein ausreichendes Lehrangebot im Bereich Lateinamerikas anbieten. Die gravierendsten Engpässe bestehen in der Lehre im Bereich der praktischen Sprachausbildimg.

Die deutschsprachige Hispanistik 35 Doch selbst in dem am besten versorgten Bereich, dem der Literaturwissenschaft, bezeichnen noch zwei Fünftel der Institute das Lehrangebot als nicht ausreichend. Graphik 1

Besondere Engpässe in Lehrangebot aufgrund der personellen Situation (Angaben der Institute)

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Manfred Uetz

36

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Portugal

3.3. Ein Hauptproblembereich innerhalb der sprachpraktischen Ausbildung sind die sogenannten Grundkurse. Es scheint, daß die Hispanistikstudierenden 3 und mehr Semester, d.h. mehr als ein Drittel ihrer "Regelstudienzeit" mit dem Erwerb von grundlegenden Sprachkenntnissen zubringen und dadurch auch im wissenschaftlichen Bereich in Rückstand geraten. Abhilfe könnten Sprachkurse in der vorlesungsfreien Zeit oder eigens konzipierte Propädeutika schaffen, die jedoch nur in geringem Umfang durchgeführt werden.

Die deutschsprachige Hispanistik

37

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nc he bailado en é] cosa contraría a la F e ni a las buenas c o s t u m b r e s ; ame» tiene muchas mu\ útiles \ es t í llene, de « r í a y curiosa lección y detrina. P o r lo qual, y por la autoridad y erudición de la persona de) autor, tan conocida y estucada en todas p a n e s , \ porque de materia semejante h a c escrito en cada Icnpua y nación política varones muy graves y doctos, y por ser conveniente que de la propiedad, pureza j elegancia de uoa lengua se escríva en el tiempo que ella más florece, me parece te deve dar ia licencia y privilegio que K pide p a r a imprimirle. E n M a d r i d , a tres d u : del mes de mayo de 1 6 1 0 .

Pedro

de Valencia

D r u c K p r i v i leg f ü r den Teoro de la

lengua

C a s t e l l a n a o e s p a ñ o l a von C u v a r r u D i a s

(1ol1j

Zur Soziologie der Renaissance-Sprachwerke

Autor Antonio de Nebrija

Juan de Vald&s An&nyma Anímyma

Ausbildunq/Beruf Lateinstudiim in Sal arranca, Rem Pisa, Padua und Florenz. LehrStdil f. Grarmatik in Salamanca. Dienst beim Erzbisch, v. Sevilla, bei Don Juan de ZCiniga, am Hof des Königs in Sevilla als Chronist tätig.

Mäzen Erzb. v. Sev. A.de Fonseca Bisch.v.Avila H.de Talavera Juan de Züniq< Kaüi.Köniqe

Jürist, Studiun an der Universi- Marques de tät v. Alcalá. Versch. Dienste am Villena ois Hof des Marq. de Vi llena, Papst. 1528

Francisco de Navarra, Bischof von Cuidad-Rodr.

Theologiestudiim, beherrschte div. Sprachen: Hebr., Lat.,Grie., Bischof von Orient. Spr. u. alle rcmanischen Sevilla Sprachen, Chorherr in C6rctoba

Tbeologie-Studiun, Pfarrer, ErSebastian de zieher des Infante, Kgl. Capellan Felipe I I I . Covarrubias Missionar in Valencia] Dienste beim Bischof von Cuenca

Gonzalo Correas

Theologiestudiun, Professor für Griechisch, Hebräisch und Latein in Salananca

Werk Diccionario Latino-Esoanol Gramática Castel. Vocabulario Espanol-Latino Reglas de Orthográphia...

Diálogo de la lengua Util y breve inst. para aprender... Q-amática de la lengua vulgar...

mbekanrrt

Theologe, Licenciado, wahrscheinlich aus Valladolid, Cristóbal de eventuell Reise nach nach VillalGn Deutschland, nichts genaues bekannt. Bernardo de Aldrete

221

Gramática Castellana

Del origen de la lengua Castellana

Tesoro de la lengua Castellana o esparfala

Arte Kastellana Ortografía

Wolfgang Pöppinghaus

222

Erscheinungsort/jähr

Drucker/Verleqer

Salamanca 1492 Salamanca 1492 Salananca Alcaia

1495(?)

Widmunqstraaer

Isabel. Reina de Cast. Juan Varela

Don Juan de ZCiniqa

1517

1535 geschrieben in Neapel, erscheint erst 1737 (Hq. G. Mayans v Siscar) Löwen 1555

Bartholo Gravius/o

Löwen 1559

Bartholo Gravius/o

Antwerpen 1558

Gui 1 Ierro Simon, a la enseña del Abestruz

terra 1606

keine Widiunoen, da Auftraqsarbeiten tur Bartholo Gravius/o

Felipe ] I I . , Rey de España

Madrid 1611

Luis Sánchez, irrpr. del Rey

Felipe I I I . , Rey de España

Salaranca

Antonio Ramírez

Felipe IV., Rey de Esp.

Xacinto Tabemier, Inpr. de la Univers.

Felipe IV., Rey de Esp.

1627

Salamanca 1630

Norm und Varietät in den Sprachlehrwerken von Bartolomé Jiménez Patón und Gonzalo Correas Ingrid Neumann-Holzschuh (Bamberg) I.

Einleitung

Im Gegensatz zu anderen Epochen der spanischen Grammatikographie ist dem 17. Jahrhundert in neuerer Zeit relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Im Vergleich zum 15./16. und 18. Jahrhundert - Eckpunkte der Frühgeschichte der spanischen Grammatikographie sind nach wie vor die Grammatik Nebrijas sowie die Akademiegrammatik von 1771 - ist das 17. Jahrhundert zweifellos durch eine geringere Produktivität im Bereich der Grammatikschreibung gekennzeichnet. In Spanien selbst wurden in diesem Zeitraum nur drei Grammatiken gedruckt: die Institvciones de la gramatica española von Bartolomé Jiménez Patón [Ximenez Patón] (1614)1, die Trilingve de tres artes de las tres lengvas Castellana, Latina i Griega, todas en Romanze von Gonzalo Correas (Salamanca, 1627) und die Arte de la Lengua Española von Juan Villar (Valencia, 1651). Die Arte de la lengua española castellana von Correas blieb Manuskript und wurde erstmals 1903 veröffentlicht (vgl. Alarcos García 1954, XXI) 2 . Alle anderen, in diesem Jahrhundert publizierten Grammatiken des Spanischen - es handelt sich hier oft nur um kurze Abrisse von Morphologie und Orthographie - erschienen im Ausland und waren primär für Ausländer konzipiert3. Dennoch ist unbestritten, daß Autoren wie Bartolomé Jiménez Patón und Gonzalo Correas zu den wichtigsten Vertretern des vulgärsprachlichen Humanismus in Spanien und zu den bedeutendsten Grammatikographen des Siglo de Oro gehörten". Die Arte grande von Correas (1625) hat Bossong (1990, 83) mit Recht als den "abschließenden Höhepunkt der spanischen Renaissance-Gram-

2

3 4

Das Original der Institvciones weist weder Ort noch Jahr auf. "Las Institvciones fueron publicadas por primera vez en Baeza, por Pedro de la Cuesta, en 1614, juntamente con el Epítome de la ortografía latina y castellana como el mismo autor dice en el Mercurius, fol 57v" (Quilis/Rozas 1963, 82). Vgl. die Ausgabe der beiden Werke Jiménez Patóns (Epítome: 1614a, Institvciones. 1614b) durch Quilis/Rozas (1965). Nach der ersten Nennung werden die Titel der Grammatiken in der heute üblichen Schreibung wiedergegeben. Correas' Arte Kastellana (in Trilingve de tres artes [...], Salamanca 1627) ist lediglich eine Kurzfassung seines Hauptwerks Arte de la lengua española castellana, (auch Arte grande genannt), vgl. Taboada Cid (1984,10). Alarcos Garcia (1940/1941, 1954) hat die Arte grande ausführlich untersucht; seine Edition müßte jedoch vor dem Hintergrund neuerer Erkenntnisse der Grammatikographiegeschichte dringend überarbeitet werden (vgl. dazu auch die Rezension von Lope Blanch 1958). Zu Correas vgl. Padley (1985,276-282; 1988,186-189), Berkenbusch (1990, 98-103), Bossong (1990,83-90). Zu den in dieser Zeit im Ausland erschienenen spanischen Grammatiken vgl. u.a. Roldan Pérez (1976), Bierbach (1989), Niederehe (1989), Neumann-Holzschuh (1991). Für genauere bio-bibliographische Angaben zu den beiden Humanisten vgl. Alarcos Garcia (1940/1941), Quilis/Rozas (1965), Taboada Cid (1984), Berkenbusch (1990).

224

Ingrid Neumann-Holzschuh 5

matiken" bezeichnet , aber auch die Instituciones von Jiménez Patón, der vor allem durch seine Rhetorik Eloqvencia Española en Arte (Toledo, 1604) berühmt geworden ist, sind ein wichtiger Baustein innerhalb der spanischen Grammatikographie6. Beide Autoren stehen noch deutlich in der Tradition des humanistischen Partikularismus im Sinne Nebrijas7, wobei dieser Traditionsstrang bei Correas mit dem Universalismus des Brócense zusammentrifft: "[...] porque la Gramatica en lo general es común a todas las lenguas, i una mesma en todas" (1625/1954, 9-10)8. In Correas' Definition von Grammatik wird der universalistische Anspruch ganz deutlich: (1) "La Gramatica es arte, ó zienzia de hablar conzertada i propiamente en la orden de las palavras, considerada i sacada de la conformidad i conzierto del hablar natural ó usual de las xentes en sus lenguas; las quales convienen en lo xeneral, i maior parte de la Gramatica aunque sean sus vocablos i frases diferentes, i por esto pareze ser natural á los onbres su conzierto i convenienzia, i desconvienen en propiedades i cosas particulares. Arte de Gramatica se dize la que contiene i enseña los prezetos xenerales que convienen á todas las lenguas, i los particulares que pertenezen á sola aquella de que trata" (1625/1954,129) .

Correas' Hauptinteresse gilt aber nach wie vor der Einzelsprache, wenngleich er wie Jiménez Patón und die meisten Autoren des 16. Jahrhunderts grundsätzlich davon ausgeht, daß festgeschriebene Regeln für die Vulgärsprache eigentlich unnötig sind: 5

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g

Lope Blanch (1990, 63-64) bezeichnet Correas' Arte grande ebenfalls als "obra cumbre de la filología española renacentista". Bossong (1990, 90) weist darauf hin, daß Correas "in bisherigen Gesamtdarstellungen sicher zu wenig Beachtung zuteil geworden ist". Vgl. auch Abad Nebot (1986, 1): "Es llamativa la desatención que parece pesar sobre Gonzalo Correas, quizá por el mero hecho fortuito de que no es fácil encontrar ahora sus textos en el mercado". Neuauflagen der Instituciones und der Elocuencia sind enthalten in Bartolomé Jiménez Patón, Mercvrívs trímegistvs [sie], sive de tríplici eloqventia sacra, Española, Romana [...], Biatiae [Baeza] (Petro de la Cuesta Gallo) 1621. In diesem Werk von Jiménez Patón spiegelt sich die mittelalterliche Tradition der Beschreibung einer Einzelsprache in Verbindung mit einer Rhetorik. Beide beziehen sich mehrfach auf "Antonio", vgl. Correas (1625/1954, 11 [Correas zitiert hier Nebrijas Arte castellana], 243, 244) und Jiménez Patón (1614a, 66). Wie Nebrija machen sowohl Jiménez Patón als auch Correas originelle Vorschläge zur Verbesserung der spanischen Orthographie, vgl. zu Correas Zimmer (1981). Wie Aldrete unterscheidet Correas zwischen der allgemeinen Sprechfähigkeit des Menschen ("No es natural ninguna lengua á los onbres, el tener habla i hablar lo es solamente" (1625/1954, 130) und der Beherrschung einer Einzelsprache. Bossong (1990, 84) ordnet Correas zwar in die Tradition der Renaissancegrammatiker ein, bemerkt aber einschränkend, daß "es sicher auch gute Gründe gäbe, ihn als den ersten Vertreter des auf das Spanische bezogenen zweiten Universalismus einzuordnen". Zum Einfluß des Brócense und der gramática general auf Jiménez Patón, Correas und Villar vgl. vor allem YUera (1983) aber auch Ramajo Caño (1987). Bei Taboada Cid (1984,60-64) findet sich eine kurze quellengeschichtliche Untersuchung. Vgl. Yllera (1983, 664): "La mejor herencia en España de la Minerva fue el Trilingüe de las tres Artes, de Correas, y, sobre todo, su Arte de la lengua española castellana, en el que el intento explicativo y racional se une a una inusual perspicacia para el análisis de la lengua". Zur Modernität der grammatiktheoretischen Ausführungen von Correas vgl. Bossong (1990,83ff.). Correas ist in zweierlei Hinsicht zukunftsweisend: 1. Konzeption des Universellen in der Sprache; 2. Primat der Syntax ("la orazion es ojeto, sujeto i fin de la gramatica", 1625/1954,102).

Norm und Varietät

225 (2) "Bien podemos conzeder que todos saben el uso de la Gramatica en las lenguas que se crian i son naturales sin atender á prezetos ni saber que los ai, que por eso las hablan i entienden solo por el uso rrexido con la sinple i natural arte, el qual en ellas es mas poderoso que los prezetos i rreglas que del mesmo salieron" (Correas 1625/1954,130) .

Die Volkssprache11 ist für Aldrete und Correas ganz im Sinne von Erasmus der Ausdruck von Spontaneität und natürlicher Perfektion und das gemeinsame Gut aller gesellschaftlicher Gruppen, "la lengua Vulgar a todo llega" (Aldrete 1606/1972,124). Daß Correas der "arte natural" trotzdem eine "arte gramatical" überstülpt, hat mehrere Gründe: a) Anhand seiner Grammatik sollen vor allem Kinder und Ausländer lernen, das Kastilische in Wort und Schrift korrekt zu beherrschen ("hablar Castellano claro i bueno" (1625/1954, 363), denn speziell für die Kinder erleichtert sich dadurch das Studium der klassischen Sprachen. (3) "...tuve sienpre deseo años á de hazer una Arte acomodada, que sirviese ä los estranxeros de istrumento para adquirir mas bien i fazilmente el Castellano, i fuese ghia para los niños Españoles, que an de estudiar Latin, para la arte i lengua Latina, i aun para la Griega i Hebrea: porque sienpre me parezió, desde que tuve esperienzia^e enseñar estas lenguas, que se á de comenzar por la gramatica vulgar, [...]" (1625/1954,9) .

Auch Jiménez Patón hat als Zielgruppe die Ausländer im Bück: "Y porque la natural sauemos (que es primero en todas las lenguas) esta reducida a arte para enseñarla a otras naciones, conueniente cosa sera (a parecer de muchos) el trabajo presente" (Elocuencia in Mercurius [...] 1621, 52). b) Als weiteren Grund für die Kodifizierimg der Volkssprache nennt Correas wie Nebrija die Bewahrung der sich augenblicklich in einem Zustand der Perfektion befindlichen kastilischen Sprache:

Vgl. auch Aldrete (1606/1972, I, 47): "Bien cierto es, que para saber la lengua vulgar no es menester arte, ni escuela para aprenderla en la tierra donde se usa, porque las primeras palabras, que los niños forman, i las que comentando a hablar dizen, son los principios della". Das sahen die im Ausland publizierenden Grammatiker allerdings ganz anders, vgl. z.B. Juan de Luna in der Advertencia zu seiner Arte breve, y conpendiossa para aprender a leer, escreuir, pronunciar, y hablar la Lengua Española (Londres, 1623): "Esta opinion errónea de que es mejor aprender una lengua sin arte, la fomentan muchos maestros della, que no sabiendo ellos ni entendiendo las reglas, dizen ser mejor aprender que un discurso familiar que dizen mal, porque sin duda lo es para ellos, entretener los estudiantes años enteros, pudiendo en pocos meses hazerlos capazes de hablar bien y correctamente, y allí preguntarles á los tales de la bondad de una Gramatica, es como hablar de puntería, ó de colores á un ciego. Digo pues, que para aprender bien una lengua se ha de buscar una buena Gramatica, buenos libros, y un buen maestro,[...]" (zitiert nach Conde de la Viñaza, I, 547a). Zum Problem einer Grammatik in der Volkssprache vgl. auch Weinrich (1985,161-162). 11

Zum Begriff der lengua vulgar, vgl. Molina Redondo (1968, 193) und Nieto Jiménez (1972, II, 112). 12 Ähnlich äußern sich auch Jiménez Patón (1614b/1965, 106) und Villar (1651, vgl. Conde de la Viñaza 1893,1,568).

226

Ingrid Neumann-Holzschuh (4) "Viendo que nuestra lengua Castellana ä ido creziendo como suelen las lenguas con el inperio, i que floreze en estos tienpos, i que pareze aver llegado ä su cunbre enrriquezida con muchos i eszelentes libros, i que se va estendiendo por las naziones estranxeras desta corona, i otras que la estudian, [...] tuve sienpre deseo años ä de hazer una Arte acomodada, [...]" (1625/1954, 9) und "Mas con los prezetos puestos en arte d con la natural arte advertida i puesta en método, ö conzierto se entienden mexor i conservan las lenguas..." (ibid. 130) .

Welche Kriterien liegen nun der Kodifikation der lengua vulgar bei Jiménez Patón und Correas zugrunde bzw. wie schlägt sich das Verhältnis von Standard und Varietäten in den Sprachlehrwerken der beiden Autoren nieder? Diesen Fragen soll im folgenden mit dem Ziel nachgegangen werden, zu einer besseren Einschätzung der Bedeutung dieser beiden Autoren für die Geschichte der spanischen Sprachnormierung zu gelangen14. II. Sprache und Dialekt bel JIm6nez Patón und Correaa Wie bei Valdés (1535/1969, 59-62) und Aldrete (1606/1972, I, 164-165) finden sich sowohl in den Sprachlehrwerken von Jiménez Patón als auch in der Grammatik von Correas Überlegungen zur Abgrenzung von Sprache und Dialekt, die natürlich im Zusammenhang mit der das Siglo de Oro beherrschenden Sprachenfrage stehen. Jiménez Patón geht davon aus, daß "cada lengua tiene su idioma y dialetos propio, su pronunciación y ortografía" (1614a/1965, 58) und er präzisiert an anderer Stelle: (5) "Y esto en que consiste la sustancia de las lenguas llamaron los Griegos Ydioma, lo qual se diuide en Dialecto, y Frasis" (Elocuencia in Meicurius [...] 1621,50).

Auf der Iberischen Halbinsel unterscheidet Jiménez Patón "cinco maneras de lengua con diferentes dialectos", wobei er es nicht versäumt, auf das berühmte Vorbild Griechenlands hinzuweisen. Seine Behauptung, die genannten iberoromanischen Idiome stammten von der kastilischen "Ursprache" ab, ist natürlich absurd. (6) "Y asi entre los Griegos decimos auer cinco maneras de lengua con diferentes Dialectos, [...]. Y en España ai otras cinco, que son la Valenciana, Asturiana, Gallega, Portuguesa. Las quales se an deriuado desta nuestra quinta, ó principal, y primera, originaria Española diferente de la Cantabria" (ibid. 50) .

13 14 15

So ähnlich formuliert es auch Jiménez Patón auf der ersten Seite seines Vorwortes zur 2. Auflage der Elocuencia:, "ella al presente se ve en tanta gloria" (in Mercuríus [...] 1621). Vgl. dazu auch die kurzen Anmerkungen in Berkenbusch (1990, 182-190), wo allerdings nicht näher auf Correas eingegangen wird. Zum Diskurs über Sprachenvielfalt im 16. Jahrhundert vgl. Schlieben-Lange (1989). Im Gegensatz zu Italien und Frankreich verhinderte in Spanien "die jahrhundertelange eigenständige Tradition des Umgangs mit mehreren schriftsprachlichen Traditionen eine solche Fixierung auf die Achse Latein und Volkssprache und machte die Annahme der Pluralität schriftsprachlicher Traditionen selbstverständlich" (1989, 19). Z u r Sprachenfrage im Siglo de Oro vgl. auch Bahner (1956) und Berkenbusch (1990).

Norm und Varietät

227

Auch Correas unterscheidet zwischen lengua und dialecto, wobei lengua offensichtlich gleichbedeutend mit Nationalsprache bzw. Staatssprache ist: (7) "Lengua se llama la habla i lenguaxe de qualquiera nazion: la nuestra se llama Castellana, porque se habla i es propia en Castilla, nazion prinzipal de España, la maior i mas mediterránea, i della se estiende ä las otras provinzias, hasta á las que tienen diferente dialecto: i como mas universal se llama tanbien Española" (1625/1954,129).

An anderer Stelle schreibt er: (8) "Lengua se llama la habla i lenguaxe de cada nazion i xente: esta se llama Castellana, porque se habla, i es propia en Castilla, nazion prinzipal i la maior de España, la que está mas en su corazon i zentro, de donde se estiende á las otras provinzias della: i como xeneral á todas se llama tanbien Española" (ibid., 137).

Die "dialectos particulares de provinzias" (1625/1954, 144) sind für Correas gleichbedeutend mit regionalen Varianten des Kastilischen, denn er spricht in diesem Zusammenhang von der "diferenzia de dialetos que se conozen en España, diferentes algo de la lengua común i Castellana" (ibid., 18). Als eigenständige Sprachen neben dem Kastilischen nennt er Portugiesisch, Galizisch, Katalanisch und Valenzianisch sowie Baskisch (ibid., 18). Was nun die Erklärung der Sprachenvielfalt anbelangt, zeigen Jiménez Patón und Correas wenig Sensibilität für Sprachwandelprozesse, und vor allem Correas kommt in seinem Bestreben, die Unabhängikeit des Kastilischen vom Lateinischen zu beweisen - "descubrir la propiedad Castellana" (Correas 1625/1954, 274) - bekanntermaßen zu sprachgeschichtlich vollkommen abwegigen Schlußfolgerungen16. Den Grund für die nun einmal nicht zu leugnende Sprachenvielfalt sieht er in der Beeinflussung des Kastilischen durch andere Sprachen lange vor der Ankunft der Römer (1625/1954, 17-18)17, ja, er benutzt an anderer Stelle die Sprachenvielfalt sogar zur Legitimation seiner These von der nicht vollzogenen Latinisierung der Iberischen Halbinsel: (9) "Fuera desto, si la lengua Latina uviera sido vulgar en España, esta que aora hablamos, que dize ser corruta de la Latina con la venida de los Godos, avia de ser una mesma en

So nennt Correas als einen der Gründe, die zum Untergang des Lateinischen geführt haben, die komplizierten Kasusendungen: "La maior causa de no se conservar la lengua Latina sin estudio, creo fué declinar los nonbres por casos, que es cosa molesta i enfadosa, i carezer de artículos, con cuia falta está manca i disminuida de una grande propiedad i claridad" (1625/1954, 22). "Seine Polemik gegen das Lateinische gipfelt in der Behauptung, diese Sprache verdanke ihr Überleben und ihre Bedeutung einzig und allein der katholischen Kirche" (Zimmer 1981, 31). Correas scheut sich nicht einmal, die Vorzüge des Spanischen gegenüber dem Griechischen, "la rreina de las lenguas" hervorzuheben (vgl. 1625/1954,174,187). 17

Anders als z.B. Valdés und Aldrete, der sich zudem Gedanken über das Verhältnis von Portugiesisch und Galizisch (vgl. 1606/1972,1, 164-165) macht, kommen Jiménez Patón und Correas nicht zu tieferen Einsichten in sprachgeschichtliche Prozesse, da sie Anhänger der "urkastilischen Theorie" von Gregorio Lopez Madera waren, der in seinen Discvrsos de ¡a certidvmbre de las teliqvias descvbiertas en Granada [...] (1601) davon ausgeht, daß das Kastilische die Ursprache Spaniens war, und daß sich das Latein auf der Pyrenäenhalbinsel nie völlig durchgesetzt hat.

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Ingrid Neumann-Holzschuh Valenzia, Cataluña, Galizia, Portugal i Castilla, i aun en Vizcaia, pues á todo se avia de estender, pues todo fué un señorío i un govierno de Rromanos, i despues un rreino de Godos. Esto no es ansi, antes vemos que son diferentes estas lenguas de la Castellana, unas mas, otras menos, i es cosa asentada i sabida que estas diferenzias las avia en tiempos de Rromanos, como lo dize Estrabon" (1625/1954,21).

Sowohl Jiménez Patón als auch Correas charakterisieren zwar die iberoromanische Sprachgemeinschaft richtig als "Vielheit in der Einheit", allerdings kommt dem Kastilischen als lengua nacional eindeutig die Vormachtstellung zu. Besonders für Correas scheint diese Vielfalt übrigens ein eher lästiges Phänomen zu sein, da speziell die regionalen Varianten des Kastilischen seiner These von der relativen Unverändertheit des Kastilischen ("que sienpre se continuó la lengua Castellana con menos mudanza que en otra ninguna nazion", 1625/1954, 24) eigentlich zuwiderlaufen. Sprachwandel wird zwar nicht geleugnet, aber die tatsächliche Variation wird eher heruntergespielt: (10) "I concluiese que la lengua Castellana ó Española desde su prinzipio se á ido continuando, haziendo según la variedad de los tienpos, i gusto de los onbres algunas diferenzias en lo azidental, i que á rrezebido vocablos de muchas, i convertidolos á su usanza, i que ä sido como una tela en que se an entretexido varías lavores, las quales todas quedaron de su color, como quedan en la mar saladas las aguas de los rrios que en ella entran" (1625/1954, 26).

So ähnlich formuliert es zwar auch Aldrete18, aber anders als Correas beschreibt er nicht nur die Sprachen- und Dialektvielfalt sprachhistorisch korrekt, nämlich als Ergebnis der Ausgliederung des hispanischen Lateins und der Reconquista (1606/1972, I, 164-166), sondern kommt auch in Bezug auf die Gründe für Sprachwandel im allgemeinen zu heute noch gültigen Ergebnissen. Jiménez Patón und Correas sprechen dem Lateinischen die Rolle als Basissprache für die iberoromanischen Idiome ab und gehen damit deutlich hinter den fortschrittlichen Erklärungsansatz Aldretes zurück. Als einigendes Element lassen sie ausschließlich das in allen Regionen bekannte Kastilische gelten: (11) "Su estension es sin conparazion maior que la de la Latina: porque fué i es común nuestra Kastellana Española á toda España, que es maior mas de un terzio que Italia: i áse estendido sumamente en estos ziento i veinte años por aquellas mui grandes provinzias del nuevo mundo de las Indias ozidentales i orientales, adonde dominan los Españoles: que

Vgl. Aldrete (1606/1972, I, 196): "De lo qual todo se concluie, a mi ver con euidencia, que son mui accidentales en qualquiera lengua los varios modos de dezir della, i no depende dellos lo principal de la lengua, por que si fuesse assi diríamos, que auia tantas lenguas como ciudades, i aun como barrios, i aun casas, que no se puede afirmar, i mucho menos, que conformándose en los modos de dezir, sea vna mesma lengua, ni que la lengua Castellana sea la mesma, que fue aora mil i quinientos años, porque conuenga en algunas maneras de dezir, que tenia entonces con las que tiene aora". Jiménez Patóns Beobachtungen zum Sprachwandel gehen in die gleiche Richtung wie die von Correas: "Porque todas las lenguas están sujetas a esta mudanza, hasta nuestra materna padece esta alteración, la qual no se a de tener por corrución, sino por perfeción" (1614a/1965,4344).

Norm und Varietät

229

casi no queda nada de orbe universo, donde no aia llegado la notizia i xente Española" (Correas 1625/1954,494)19.

Zu der Überregionalität kommt also noch die Bedeutung als Verkehrssprache in den Indias, wodurch das Kastilische endgültig den Rang einer lengua universal bekommt20. (12) "Infiera cada uno de lo dicho la opinion en que ä de tener á estas dos lenguas: ä la Latina por buena i nezesaria rrespeto de los estudios i de las zienzias, i santas escrituras i libros de santos: á la Española Kastellana por mucho mexor, por su maior cunplimiento, i ser mas grave, llena, dulze, i bien sonora, clara i distinta, i mas estendida i xeneral" (ibid., 494).

Ahnlich apologetische und nationalistische Töne finden sich auch in Jiménez Patóns Vorwort zu seiner Elocuencia21.

III. Standard und Nicht-Standard bei Jiménez Patón und Correas Welche Normkonzeption liegt nun den Grammatiken des frühen 17. Jahrhunderts zugrunde, und wie wird das Verhältnis von Standard und Nicht-Standard dargestellt22? Ich verstehe unter Norm denjenigen Regelkomplex, der den individuellen Sprachgebrauch verbindlich regelt, wobei es im engeren Sinne zwischen einer deskriptiven bzw. objektiven und einer präskriptiven Normkonzeption zu unterscheiden gilt. Grundsätzlich kann eine Einzelsprache aus so vielen deskriptiven Normen bestehen, wie es soziale Gruppen gibt, aber nur eine dieser Normen wird in der Geschichte einer Sprache zur exemplarischen Form, also zum Standard und damit zur präskriptiven Norm23. Jene räum- und schichtenspezifischen Elemente, die zwar zum usage gehören, nicht aber dem

19

Vgl. auch Alonso (1979, 86): "La visión de la lengua de Castilla extendiéndose por las diversas provincias de España, es lo que más conscientemente influye para que Correas la llame española". Correas setzt das Spanische mehrfach in Beziehung zu anderen europäischen Nationalsprachen, vor allem dem Italienischen und Französischen, er hat aber durchaus auch das Deutsche und Arabische im Blick. 20 Ganz im Sinne Maderas vergleicht Correas die Lage des Spanischen in den Indias mit der des Lateinischen auf der Iberischen Halbinsel, das seiner Ansicht nach nur Amtssprache war, jedoch nie wirklich zur Volkssprache wurde (1625/1954, 21). Im Zusammenhang mit der Universalität des Spanischen erwähnt er auch die Judenspanier: "i la tienen i usan los Xudios que salieron de España" (ibid., 25) und "Conservanla i habíanla los Xudios que salieron con sus familias desterrados de España por todas las provinzias adonde aportaron" (ibid., 494). 21 Zu Recht bemerkt Yllera (1983, 663) bezüglich der Grammatiken des 17. Jahrhunderts: "Racionalismo y nacionalismo iban mucho más unidos con frecuencia de lo que se piensa en general". 22

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Zur Darstellung der Norm in Sprachlehrwerken des 16. Jahrhunderts vgl. Pozuelo Yvancos (1984). Zur Normdiskussion vgl. u.a. Helgorsky (1982), Bédard/Maurais (1983), Koch (1988). Helgorsky (1982) unterscheidet zwischen "norme linguistique objective" (usage, "norme 1") und "norme sociale prescriptive" (bon usage, "norme 2")), und hält fest, "que la norme sociale prescriptive a sa source dans une des normes objectives, et particulièrement dans sa forme écrite" (1982,9).

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Ingrid Neumann-Holzschuh

Standard entsprechen, müssen demgegenüber als Nicht-Standard eingestuft 24 werdenr 1. Was die explizite Abgrenzung von Standard und Nicht-Standard in diatopischer Hinsicht anbelangt, konnte sich bereits Nebrija "ganz natürlich auf die etablierte kastilische Reichssprache beziehen" (Kleineidam/Schlör 1989, 136), d.h. das Kastilische und insbesondere der uso Toledos waren seit Alfons X. als exemplarische Varietät unumstritten25. "Der italienischen Questione della lingua steht also kein gleichartiger spanischer Sprachenstreit gegenüber" (Weinrich 1965, 164). Eine Veränderung deutet sich in der Arte von Correas nun insofern an, als m.W. erstmals, wenn auch nur angedeutet, Altkastilien in einer spanischen Grammatik als normgebende Region genannt wird. Für Jiménez Patón ist noch die Sprache von Toledo das "verdadero Español"26 und auch Correas beschreibt in seinem Vorwort zur Arte grande die Sprache des "Rreino de Toledo" und der "provinzias que mas se llegan al corazon i zentro de España" zwar im Vergleich zu den anderen Regionen als "mas elegante i pura" (23), in seiner Grammatik sind für ihn jedoch mehrfach die altkastilischen Formen maßgebend. So stuft er z.B. die neukastilische Verbalendung ie im Imperfekt als dialektal ein, "korrekt" im Sinne von "standardsprachlich" ist die nördliche Form ia (269) [vgl. unten Zitat Nr. 25]. Für das indefinido von ver nimmt er nur die altkastilischen Formen vi, viste, vio in das Paradigma auf, die toledanischen Formen vide, viste, vido werden lediglich als diatopische Varianten notiert (316)27. Im Bereich der Aussprache hingegen ist Correas, was die Anerkennung der altkastilischen Aussprachegewohnheiten anbelangt, eher zurückhaltend.

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Ich werde die eher wertenden Termini SupraStandard (im Sinne von literarischem, archaisierendem Standard) und Substandard als die beiden Ausprägungen des Nicht-Standard (Kleineidam/Schlör 1989, 134) im folgenden nicht verwenden. Correas enthält sich gegenüber diatopischen Varianten negativer Wertungen fast völlig und ist auch gegenüber den diastratischen Varianten mit einem abwertenden Urteil vorsichtig. Darüber hinaus sind die diachronischen Varietäten bei ihm nur eingeschränkt ein wirklicher SupraStandard mit Vorbildcharakter. Nach Kleineidam/Schlör (1989, 137) war der "uso des geschriebenen Kastilisch 250 Jahre vor Nebrija unter Alfonso X bereits im Hinblick auf eine Standardisierung geformt worden; [...]. Die Existenz eines bereits bestehenden virtuellen Standards enthebt ihn der Notwendigkeit, sich mit konkurrierenden Sprachformen auseinanderzusetzen". In Frankreich war die Diskussion um die diatopische Norm eist 1550 abgeschlossen. Wie in Kastilien wird auch hier die Sprache des Hofes vor allem deswegen zur Norm, da sie das Vorbild für die geschriebene Sprache abgab: "La norme du bon français parlé ne peut donc être autre chose que le type régional qui a servi de base au code écrit; puisqu'il est le plus répandu et qu'il se comprend partout, il est aussi le meilleur" (Schmitt 1977,222). "[...] como es cierto lo estuuo siempre en el reino de Toledo, à cuyo lenguage se da jurisdiciô para calificar el que es verdadero Español" (Elocuencia in Mercurius [...] 1621,52). Sofern nicht anders angegeben, beziehen sich die Seitenzahlen hinter den Beispielen in den folgenden Abschnitten auf Correas (1625/1954). Jiménez Patón (1614b/1965, 103) notiert übrigens für die 3. Person Singular beide Formen, ohne auf die diatopischen Unterschiede hinzuweisen.

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- bezüglich der Phoneme [v] und [b] nimmt er die altkastilische Verwechslung zwar als Faktum hin ("Tiene esta va mucha vezindad con la be, i por eso muchos las confunden en Castilla la Viexa, i fuera de España" S.74), plädiert aber für die Beibehaltung der Unterscheidimg der beiden Phoneme. Seine Orthographievorschläge, die sich explizit gegen die latinisierende Schreibung richten, sind z.T. allerdings haarspalterisch (vgl. Zimmer 1981, 29). - das h wird nach Correas (und Jiménez Patón 1614a/1965, 33) noch aspiriert, obwohl "muchos la dexan de pronunziar por mostrarse polidos, depravando las palavras, porque es letra de poca fuerza i consistenzia" (54). In seiner Ortografía nennt er Altkastilien als Ursprungsgebiet dieses "tan torpe vizio" (1630/1971, 19). - im Bereich der Sibilanten deuten Correas' Ausführungen zwar darauf hin, daß die Entsonorisierung von [z], [3] und [dz] vollzogen ist, so notiert er in der Ortografía bezüglich q und z: "ke no tienen diferenzia ninguna en el sonido" (1630/1971,10). Was die Aussprache von [$] für das Graphem < x > anbetrifft, sind Correas Beobachtungen weniger aufschlußreich als die Jiménez Patóns, der die (neue) Aussprache mit jota ausdrücklich verurteilt (1614a/1965, 66): "y assí pronuncian mal los que la pronuncian con G o jota, diciendo xaraue, páxaro, dixo. Lo qual en castellano no tengo por remediable"28. Natürlich ist Correas nicht der erste, der auf die wachsende Bedeutung Altkastiliens für die Sprachentwicklung hinweist. Schon im 16. Jahrhundert findet man in der Grammatik von Villalón (1558) einen kurzen Hinweis auf eine vorbildliche altkastilische Form (vgl. Garcia 1971, XIV, 24), vor allem aber ist hier der leonesische Arzt Francisco López de Villalobos zu nennen, der bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts das Monopol der höfischen toledanischen Norm ausdrücklich ablehnt29. Meines Wissens ist Correas aber der erste Grammatiker, der den uso von Toledo nicht mehr uneingeschränkt akzeptiert und dies auch in seinem Sprachlehrwerk am konkreten Beispiel exemplifiziert. 2. Da das Problem der exemplarischen Varietät im Bereich der Diatopie bereits historisch gelöst war, war in Spanien schon früh die soziale Varietät das 28

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Vgl. Quilis/Rozas (1965, CXXII): "Así que, resumiendo, podemos fijar como fecha por testimonio escrito de la aparición de nuestra fricativa velar sorda la de 1611". Bei Correas entspricht xdem xi Griega (52-53). Zu diesem Punkt vgl. auch Alonso (1976,1; inbesondere die Seiten 322326). Vgl. Alonso (1979,61, 64) und Menéndez Pidal (1978,53): "Y el argumento utilizado en esto por Villalobos es de gran peso: los toledanos usaban formas gramaticales y vocablos no recibidos en la literatura; luego el toledanismo no podía aspirar a una total fuerza normativa". Nach González Ollé (1987) begann die Rivalität zwischen den beiden Varianten des Kastilischen bereits zwischen 1539 und 1542. Die zunehmende Bedeutung Altkastiliens als normgebendes Zentrum hängt vermutlich weniger mit der Verlagerung des Hofes nach Madrid durch Philipp II. (Berkenbusch 1990, 118) als vielmehr mit der Bedeutung Valladolids als bevorzugter Residenzstadt der Könige bis 1561 zusammen (vgl. auch Berschin et al. 1987,114 und Kleineidam/Schlör 1989,138-139).

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eigentliche Aussonderungskriterium bei der Herausbildung des Standard. Welche Gesellschaftsschichten sind nun nach Jiménez Patón und Correas maßgebend für das korrekte Sprechen und Schreiben, also den buen uso30"} Hier gilt es zunächst zu unterscheiden zwischen gutem Sprechen und Schreiben im allgemeinen und einer bestimmten literarischen Norm, wobei Correas allerdings zwischen literarischem und nicht-literarischem Schreiben zunächst keinen Unterschied machen möchte: (13) "pero que en la Castellana no mezcle letras baldías, ni ortografías Latinas, i estrañas, porque los libros se escriven para todos, chicos i grandes, i no para solos los onbres de letras: i unos i otros mas gustan de la llaneza i 1 usura que de la afetazion, que es cansada" (90).

Die Diskrepanz zwischen Sprech- und Schriftsprache ist allerdings auch für ihn letztlich unübersehbar, denn er notiert mehrfach Formen, die man "en los libros" nicht gebraucht, wie z.B. die Augmentativsuffixe: (14) "Estos en el lenguaxe común, i familiar i en el cómico son mui mas usados que en los libios" (204)

oder bestimmte Verbformen: (15) "La terzera plural del perfeto uvieron la cortan algunos i dizen uvon, formándola de la terzera singular uvo, añidiendo n, mas tienese por grosera i tosca, i no se escrive en los libros" (253).

2.1. Zielnorm für das alltägliche Sprechen und Schreiben ist für Jiménez Patón und Correas zunächst der geographisch auf Kastilien und zeitlich auf die entsprechende Synchronie ("en nuestro siglo", Correas 1625/1954, 188) beschränkte uso común, "el dueño de la lengua", wie es Aldrete einmal formuliert, eine in Spanien seit Nebrija geläufige Normkonzeption (Schmitt 1989,131)31.

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Correas gebraucht den Terminus buen uso nur ein einziges Mal im Zusammenhang mit den Verbformen quepo und cabo, "pero ni de la una manera, ni de la otra se admite en buen uso, ni se escrive" (315). Franz Lebsanft (Tübingen) machte mich darauf aufmerksam, daß dieser Ausdruck hier vermutlich noch nicht als Name der präskriptiven Norm ("e/ buen uso") verwendet wird, wenngleich buen/mal uso in Sprachlehrwerken der Renaissance verschiedentlich im Sinne von hablar/escribir bien/mal gebraucht werden. Bei Patón findet sich lediglich der Ausdruck buen lenguaje (1614b/1965,102). Vgl. Bernardo Aldrete, Varias antigvedades de España, Africa y otras provincias, Amberes 1614, zitiert nach Molina Redondo (1968, 192). Zur Tradition der consuetudine als Richtschnur für den Sprachgebrauch vgl. Albrecht (1987) und Bader (1990). Bezügich der Orthographienorm schließen sich Jiménez Patón (1614a/1965, 71) und Correas (1625/1954,115-128; 1630/1971) dem von Nebrija (1492/1980,116) formulierten Grundsatz "tenemos de escrivir como pronunciamos" an.

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(16) "De suerte que el legislador y el maestro del hablar y del escrebir a de ser el vso. [...] Al qual vso es bien seguir, para acertar, sus leyes, y precetos y reglas. [...] Assí el hablar y el escreuir, au[n]que nos parezca que está corro[m]pido y alterado de lo que fué en su principio, sea el que fuere, se a de tener por bueno, porque la costumbre y vso le tiene por tal aprouado, pues la misma esperiencia nos lo enseña" (Patón 1614a/1965,43).

Die Berufungsinstanzen für den korrekten Sprachgebrauch sind also nicht die literarischen autoridades, und auch die ratio spielt eine dem uso letztlich untergeordnete Rolle32. Wenn es Unregelmäßigkeiten gibt, die der Logik widersprechen, muß Richtschnur für den Grammatiker stets der uso común sein. So sind die Verbformen cabo und sabo (315) oder dixon und quison (313) zwar durchaus logisch, werden aber nicht gebraucht: (17) "I aunque esta formazion en los dichos sighe rrazon i buena propoizion, no se admite, antes se rreprueva, i tienen por toscos á los que usan tales personas terzeras plurales dixon, hizon, hasta que el uso las acredite" (1625/1954,313) 3 .

Was aber ist nun dieser uso comunl Weder Jiménez Patón noch Correas haben dabei den Sprachgebrauch aller sozialen Gruppen im Bück. Im Gegenteil, wie bei Valdés wird der uso einem klaren Selektionsprinzip unterworfen, d.h. es handelt sich um den Sprachgebrauch einer ganz bestimmten Bevölkerungsschicht. In dieser Hinsicht ist Jiménez Patón nun deutlich konservativer als Correas: wie für die Autoren des 16. Jahrhunderts ist für ihn der regionale Typus des toledanischen Kastilisch noch weitgehend identisch mit dem Sprachgebrauch der Gebildeten, sofern sie am Toledaner Hof lebten. (19) "La puridad en el lenguaje se alcanza notando mui bien los que la tienen en el suyo, como son los que en la tal nación viven mas apartados del mar, los mas cortesanos, y receuidos por tales, y en la propiedad las mujeres, porque no mezclan su lenguaje con otros que se pegan de estudio o comunicaciones, esceto algunas bachilleras de monjas ó no monjas" (Brief von Jiménez Patón an D. Fernando de Ballesteros, in Mercuríus [...] 1621, 198).

Allerdings fordert er "que siempre hablemos de manera, que aquellos, que nos oyen nos entiendan todos" (ibid., 198) und plädiert für ein Sprechen "sin alteración ni afectación" (1614a/1965, 74). Correas lehnt hingegen den höfischen Sprachgebrauch ab: (19) "i al cortesano no le está mal escoxer lo que pareze mexor á su proposito como en el traxe: mas no por eso se á de entender que su estilo particular es toda la lengua entera, i xeneral, sino una parte, porque muchas cosas que él deshecha, son mui buenas i elegantes para el istoriador, anziano, i predicador, i los otros" (144)

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Für die vier von Quintilian formulierten Norminstanzen (auctoritas, antiquitas, usus, ratio) vgl. Yllera (1983, 659). Bisweilen führt der Versuch, rationalistische Überlegungen in die Sprachbeschreibung einfließen zu lassen, auch zu falschen Ergebnissen, z.B. wenn Correas im Bereich der Personalpronomen aus Gründen der Paradigmenhomogeneität den laismo propagiert (1625/1954, 187-196).

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und scheint einen mehr am populären Sprachgebrauch orientierten Standard zu propagieren. So bemerkt er bezüglich des Gebrauchs des Artikels vor Possessivdeterminant: (20) "Fué sienpre muí usado el articulo en Castellano, i lo es oi entre xente de mediana i menor talla, en quien mas se conserva la lengua i propiedad, i conforme lo pide la eleganzia de la nuestra" (144).

Aber galt nun tatsächlich auch die Sprache der "xente de menor talla" als vorbildlich für den guten Sprachgebrauch, wie es Alarcos Garcia und Padley vermuten34? Ich glaube nicht, denn meines Erachtens ist der Uio-Begriff von Correas (wie übrigens der von Valdés auch) elitärer als gemeinhin wegen dieses vielzitierten Passus angenommen wird35. Er geht nämlich keineswegs so weit, die derbe Sprache des ungebildeten Volkes oder gar die Sprache der Dorfbewohner (aldeanos) als Standard zu betrachten, denn mit Kritik am abuso des vulgo tosco spart er wahrlich nicht. Er spricht von der "inoranzia del vulgo" (56) und kritisiert z.B. den falschen Gebrauch der enklitischen Personalpronomina (194-195) sowie die Vielfalt der Verbformen, die z.T. auf die "mala ortografía que usa el tosco vulgo" (317) zurückzuführen ist. Er moniert (wie Valdés auch) Verbformen wie uvon für uvieron oder dixon für dbderon und bezüglich der Verbform quise schreibt er: "Algunos mudan la se final del perfeto i consortes en xe, i dizen quixe, mas tienese por tosco" (305). Meines Wissens ist bislang nicht hinreichend gesehen worden, daß Correas ganz deutlich zwischen dem vulgo tosco bzw. vulgo ziego und dem vulgo de "los que tienen cargo de enseñar", also zwischen ungebildeter und gebildeter Volkssprache unterscheidet. Trägerschicht des buen uso sind offensichtlich lediglich Angehörige des Bürgertums, genauer noch die Sprachlehrer: (21) "al fin este [i.e. Antonio de Nebrija, I.N-H] concluie con la sentenzia de Aristoteles que avernos de hablar como los mas, i sentir como los menos. lo añado que todo lo deven advertir los que tienen cargo de enseñar, i que an de hazer lo que pudieren por enmendar abusos, i no dexar del todo la rrienda suelta al vulgo ziego" (365).

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Nach Alarcos García akzeptiert Correas als Norm "lo tradicional y popular, y aun lo vulgar" (1954, XXXV), vgl. auch ibid., XXXIII: "Mas ¿cuál debe ser la norma lingüística? Correas parece inclinarse en favor de la lengua popular, la de los refranes, modismos y frases proverbiales, la de "la xente de mediana i menor talla, en quien mas se conserva la lengua i propiedad"" und Padley (1988,188): "If in fact Correas records usages that cultivated people might regard as lacking in refinement, it is because he believes that it is precisely among the 1 o w e r [ich sperre, I.N-H) classes that the language and its customs are best preserved. This perpetuation of the ideas of Valdés is also witness to the permanent Spanish interest in low life, and to the continuation into the seventeenth centuiy of Erasmian notions". Vgl. Braselmann (1988, 302): "Entgegen der gängigen Valdés-Rezeption ist es nämlich so, daß Valdés durchaus nicht nur deskriptiv den uso seiner Zeit (Gebrauchsnorm) beschreibt, sondern expressis verbis seinen persönlichen Gebrauch präskriptiv vermitteln will, der sich zum Teil an einem äußerst elitären uso "de los que scriven bien", "de los hombres bien hablados", "de las personas cortesanas" anlehnt. Ja, er entscheidet sich auch oft gegen die Gebrauchsnorm!" Eine andere Auffassung vertritt Pozuelo Yvancos (1984).

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Sowohl nach oben als auch nach unten findet bei Correas in bezug auf die Zielnorm eine deutliche Abgrenzung zwischen akzeptablem vs. nicht-akzeptablem sprachlichen Handeln statt36. Correas propagiert zwar kein "höfisch-distanzsprachliches Sprechen"37 mehr, wie vielleicht noch Valdés (Bader 1990, 210), andererseits wird die Distanz zwischen gesprochener und geschriebener Sprache nicht wirklich aufgehoben und der Sprachgebrauch keineswegs gänzlich liberalisiert. Man darf daher sicher davon ausgehen, daß für ihn nicht der uso común de todos (268) die letzte Instanz war, sondern daß es sich vielmehr um eine gehobene Gemeinschaftsnorm handelte, die als gemäßigt distanzsprachlich charakterisiert werden kann. Wie Valdés sieht übrigens auch Correas den uso in den volkstümlichen refranes am besten ausgedrückt38. Im Unterschied zu Valdés jedoch, bei dem die Norm des buen hablar noch eine Synthese aus den refranes und der Sprache "de los cultos" war (Braselmann 1988, 307), ist sie bei Correas eher eine Synthese aus refranes und der Sprache der gehobenen Mittelschicht38. 2.2. Von den Überlegungen zur Gebrauchsnorm nicht zu trennen sind natürlich Jiménez Patóns und Correas' Ausführungen zu der anderen Ausprägung des Standards, dem literarischen Schreiben. Das geistige Klima, in dem die beiden Autoren ihre Werke schrieben, war gekennzeichnet durch die Auseinandersetzung um die ideale lengua poética, was vor allem in den Kommentaren von Fernando de Herrera (1580) zu den Werken Garcilasos de la Vega zum Ausdruck kommt (vgl. Bahner 1956, 109-111, Alonso 1979, 64-68). Herrera wandte sich ausdrücklich gegen den uso cortesano von Toledo als Vorbild und propagierte ein elitäres, den culteranismo vorbereitendes Stilideal als Zielnorm, an der sich auch die gesprochene Sprache zu orientieren hat. Der vulgo als Maßstab für den Sprachgebrauch wäre für ihn undenkbar gewesen40. In seiner Ablehnung des uso cortesano stimmt Correas zwar mit Herrera überein, seine Propagierung des uso común im oben definierten Sinne muß aber als In Spanien wird also auch im 17. Jahrhundert die auf die antike und mittelalterliche Stillehre zurückgehende Einteilung in drei Stilarten, denen jeweils eine bestimmte Gesellschaftsschicht zugeordnet wird, nicht aufgegeben. Im 16. Jahrhundert unterscheidet Ambrosio de Morales zwischen "el hablar común", "el hablar bien" und "el hablar con afectación" (Discurso sobre la lengua castellana, Cordoba 1546, zit. nach Pastor 1929, 82); eine ähnliche Dreiteilung findet sich auch bei Valdés (vgl. Braselmann 1988,307) und bei Aldrete (Nieto Jiménez 1971, II, 114). 37 38

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Zu den Termini "Sprache der Distanz" und "Sprache der Nähe" vgl. Koch/Oesterreicher (1990). Correas ist der Verfasser eines sehr umfangreichen Vocabulario de refranes y frases (1627b). Braselmann (1988, 302) spricht hier mit Recht von zwei "konkurrierenden, sich oft widersprechenden Bezugsebenen". Bader (1990, 209) merkt femer an, daß "die refranes für Höflinge und Schriftsteller - los que bien escriben - längst aus ihrem volkssprachlichen Rahmen entbunden sind" und "nur noch distanzsprachlich-geplant verwendet werden". "Es geht Herrera darum, eine vom allgemeinen Sprachgebrauch unabhängige Dichtersprache zu gestalten, um die vorhandenen dichterischen Möglichkeiten zu erfassen und auszuschöpfen. Das Problem der "invención" wurde damit zur Grundlage einer bewußten künstlerischen Sprachgestaltung" (Bahner 1956,102). Vgl. auch Weinrich (1985,165-168).

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deutliche Reaktion auf das aristokratische Sprachideal Herreras verstanden werden. Den barocken Autoren, vor allem Góngora, wirft Correas rhetorische Stilisierung und den Verstoß gegen das Klarheitskriterium vor: (22) "No entendiendo esto algunos modernos poetas, i á su parezer cortesanos críticos, enrredan de manera su lenguaxe i conzertos que hablan en xerigonza, i huien de hablar Castellano claro i bueno, sino bastardeado con un poco de Latin ó Italiano que saben. La lengua para que es sino para darse ä entender, i declararse?" (363) .

Sowohl Jiménez Patón als auch Correas wenden sich gegen jede latinisierende Überfrachtimg der Sprache (auch in der Orthographie) und gegen die verdunkelnden Stilmittel der barocken Dichtung, "porque se deve huir de Latinizar el Rromanze, que seria torpe vizio" (Correas 1625/1954, 385)42. "Los vizios capitales de la habla son tres: barbariedad, escuridad, desorden" (386), Klarheit, Eleganz (grazia) und Verständlichkeit dagegen sind die Kennzeichen des "estilo llano", der sich deutlich von dem durch Affektiertheit und latinisierende Künstlichkeit geprägten "estilo culto i artificioso" abhebt43. Im Gegensatz zu Correas, der sich an den guten Autoren des 16. Jahrhunderts, vor allem an Garcilaso de la Vega, "que no tiene par" (494) orientiert44, zitiert Jiménez Patón bevorzugt Autoren seiner Generation, also solche Autoren des Barock, die zum Zeitpunkt des Entstehens der Elocuencia ihren literarischen Höhepunkt hatten (vgl. Rozas/Quilis 1962). Herausragendes Vorbild für Jiménez Patón ist Lope de Vega, eine geradezu programmatische Wahl. Anders als Correas hat Jiménez Patón nämlich nichts gegen eine eigenständige lengua 41

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Auch Jiménez Patón wettert in der 2. Ausgabe seiner Elocuencia, "el mejor manual de Retórica castellana que ha producido el siglo XVII" (Vilanova 1953, 661) gegen die culteranos und ihre oscuridad, "pues los poetas, que escriben para ellos solos, y no para todos, a nadie an dado gusto, y assí quedan burlados del fin para que escriben, y merecen bien que, arrojando sus libros, les digan: No quieres ser entendido, nadie te entienda. Y aun suelen quedar en pena pecuniaria en la emprenta" (Elocuencia in Mercuríus [...] 1621,58). Zu Góngora und dem Streit um den Kulteranismus vgl. Weinrich (1985,169-170).

Vgl. Jiménez Patón (1614a/1965, 72): "Debe considerar el que habla y el que escribe en qué lengua habla o escribe". Vgl. auch Correas (1625/1954, 91, 93, 95). Der Hermetismus eines Autors wie Góngora rührt oft von einer Syntax her, die die spanische Norm durch die Übernahme lateinischer Muster verfremdet. Ein schönes Beispiel in diesem Zusammenhang sind Correas' Anmerkungen zur Wortstellung (362-364), in denen er bereits Gedanken zu einer "natürlichen Serialisierung" äußert. Bezüglich der SVO-Anordnung schreibt e r "La orden i contestura natural de las palavras, ö partes, es, que el nonbre esté primero, i luego el verbo, i tras este el acusativo, que declara la azion del verbo, si es tranzitivo" (362) und "I quanto la orazion fuere guardando la dicha orden natural irá mas clara, propia, dulze i grave. I es mas lexitimo i propio estillo este de la lengua Catellana, que de la Latina i Griega, i mas conforme al umor Español" (363). Vgl. dazu auch Bossong (1990,88-89). 43 Vgl. Bader (1990, 207-208) zu dem in gewisser Weise hybriden Charakter des estilo llano. "Dem Kriterium 'Spontaneität' - wohlgemerkt: relative Spontaneität, oder weniger Planung -, das vordergründig auf den mündlichen Charakter des estilo llano verweist, stehen andere Merkmale gegenüber wie 'Prägnanz' oder 'Klarheit', die deutlich auf geplantes Schreiben und damit auf das distanzsprachliche Gepräge des "schlichten Stils" verweisen". 44 Correas zitiert auch Juan de Mena, Fray Luis de Granada, Fray Luis de León, Santa Teresa, Alonso de Erzilla (1625/1954,493-494).

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poética, sofern sie nicht gegen das Gebot der claridad verstößt. "La Elocuencia es, pues, la primera retórica barroca y lopista: artificio, pero claridad, arte para todos. Se opone claramente a la retórica de Carrillo Sotomayor, barroca y culterana: artificio para unos pocos" (Rozas/Quilis 1962, 50). Während die Normkonzeption von Correas in Bezug auf das literarische Schreiben also deutlich Züge des iberoromanischen Stilideals des 16. Jahrhunderts trägt45, ebnet Jiménez Patón den Weg für barocke Dichter wie Góngora. Damit sind die Werke von Correas und Jiménez Patón typische Produkte der Übergangszeit von der Renaissance zum Barock. 3. Was nun die Behandlung des Nicht-Standard in den zu untersuchenden Sprachlehrwerken anbelangt, versteht vor allem Correas, ähnlich wie Valdés und Aldrete, die lengua vulgar als ein aus Subsystemen bestehendes komplexes Gebilde, also als eine Menge von Varietäten48. Wenngleich Correas also nicht der erste ist, der auf diatopische und diastratische Varianten hinweist, ist seine Arte grande zumindest die erste Grammatik im eigentlichen Sinne, die die verschiedenen diasystematischen Dimensionen von Sprache erfaßt. (23) "Ase de advertir que una lengua tiene algunas diferenzias, fuera de dialectos particulares de provinzias, conforme á las edades, calidades, i estados de sus naturales, de místicos, de vulgo, de ziudad, de la xente mas granada, i de la corte, del istoriador, del anziano, i predicador, i aun de la menor edad, de muxeres, i varones: i que todas estas abraza la lengua universal debaxo de su propiedad, niervo i frase: i á cada uno le está bien su lenguaxe, i al cortesano no le está mal escoxer lo que pareze mexor á su proposito como en el traxe: mas no por eso se á de entender que su estilo particular es toda la lengua entera, i xeneral, sino una parte, porque muchas cosas que él desecha, son mui buenas i elegantes para el istoriador, anziano, i predicador, i los otros" (144).

Auch Jiménez Patón ist sich der Vielschichtigkeit der historischen Einzelsprache bewußt, führt diesen Gedanken jedoch nicht weiter aus: (24) "En esto puede auer variación según las personas que nos oyen, aun en los vocablos mui propios de nuestro lenguaje, quando son de alguna facultad y officio, que sino son los que saben de tal oficio, como vocablos de carpinteros, marineros, pintores, arquitectos, soldados, y otros artes de que algunos charlatanes hacen gran caudal, pareciéndoles que con ellos hacen mayor ostentación de su curiosidad" (Brief von Jiménez Patón an D. Fernando de Ballesteros in Mercurius [...] 1621,197).

Während die diasystematischen Anmerkungen bei Jiménez Patón insgesamt recht spärlich sind, lassen sich bei Correas die vom kastilischen Standard ab-

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Bossongs Beobachtungen (1990,96) über Valdes können m.E. auch auf Correas übertragen werden: "Es kommt Valdds nicht so sehr auf rhetorischen Schmuck an, auf äußere Eleganz und ästhetisches Raffinement, vielmehr auf Klarheit, Wahrhaftigkeit und Verständlichkeit, ein Sprachideal, das wir auch schon bei Alfonso el Sabio gesehen haben". Der Gedanke der Vielheit in der Einheit kommt deutlich bereits bei Aldrete zum Ausdruck, der schreibt "que de vna manera habla el hombre de letras, i cortesano, i de otra elque no las tiene, i el que es del Aldea i cortijo" (1606/1972, 124). Zur internen Differenzierung der Sprache bei Aldrete vgl. auch Wunderli/Braselmann (1980).

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weichenden Formen in drei Hauptgruppen einteilen: in diatopische, diachronische und diastratische Varianten47. a) Diatopische Varianten Nach Lope Blanch (1990) ist Correas der erste spanische Dialektologe, da er sich nicht nur für die kastilische Standardsprache, sondern auch für die regionalen Varianten und die anderen Primärdialekte in der Iberoromania interessiert48. In Anbetracht der eher impressionistischen Beobachtungen von Correas zur Diatopie erscheint dies allerdings ein wenig übertrieben. Correas reflektiert zwar in der Tat die regionale Differenzierung ("dialectos particulares de provinzias" S. 144), und das nicht, um wie Valdés die Varianten zu brandmarken (für Correas sind die Dialekte keine Deformation der langue commune), sondern aus durchaus genuinem Interesse an der Vielfältigkeit der sprachlichen Situation auf der Iberischen Halbinsel. Der Vorbildcharakter des Kastilischen Correas bezeichnet Kastilien als "nazion prinzipal i la maior de España" (137) wird allerdings nie in Frage gestellt. Die diatopischen Beobachtungen, die sich sowohl auf Laut- und Formenlehre als auch auf das Lexikon beziehen, sind im Vergleich zu den diastratischen Beobachtungen weniger häufig und verteilen sich in der Arte wie folgt: Portugal und Aragón führen die Liste an, wobei sich die Beobachtungen zu Portugal auf die Lautlehre beschränken; es folgen Andalusien, Valenzia, die Estremadura und das Baskenland; für Navarra, die Mancha und die Rioja habe ich jeweils nur ein Beispiel gefunden. Im Bereich der Lautlehre weist Correas z.B. auf die Verwechslung der Sibilanten in Südspanien hin: S "tiene mucha vezindad con la ze, i por eso los Sevillanos las confunden, i los zezeosos, i los Portugheses, i Valenzianos, i pudieran ahorrar de la una en su Abeze particular, mas para la diferenzia de muchas palavras en Castellano hiziera falta" (71) und "esta letra z tiene mucha afinidad con la s, i en ella la mudan en el pronunziar los Sevillanos, Portugheses, i Valenzianos" (79)49. Im Bereich der Morphologie kritisiert Correas den Ersatz von lo que durch lo qiial "en onbres criados fuera de Castilla en la Corona de Aragon, aunque per-

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P. Braselmann (1988) hat in ähnlicher Weise den Diálogo de la lengua von Valdés untersucht. Vgl. Lope Blanch (1990, 64): "Correas fue, también, nuestro primer dialectólogo; en cuanto tal, se interesa por todas las distintas hablas regionales, y así hallamos en su libro frecuentes alusiones a las peculiaridades de diversas provincias españolas, sobre todo de Aragón; asimismo, percibe nítidamente las peculiaridades lingüísticas de cada grupo social o cultural". Vgl. zum seseo und ceceo auch Jiménez Patón (1614a/1965, 33): "La C. co[n] cerilla en S., y la S. en C. en español en algunas tierras por vicio de naturaleza en algunas personas, y en otras por afeminarse, en otras por ser reciuida en la tierra, y como q[ue] naturaleza da la tal pronu[n]ciació[n], au[n]q[ue] corro[m]pida, pasa, como en Seuilla ordinariamente co[n]uierte[n] la S. en C., y pie[n]so q[ue] de vicio, dicie[n]do ceuillano, ceñor, ci. En Vale[n]cia, al co[n]trario, y aquí no es vicio, sino natural pronunciación de aquel Reyno, por C., ponen S., [...]».

Norm und Varietät 239 sonas de buen inxenio i letras, como Zespedes" (171)50. Da diese Verwechslung auch gemacht wird "por preziarse de mas cortesanos que otros" - selbst Cervantes wirft er in diesem Zusammenhang italianisierendes Sprachverhalten vor -, ist die Form lo qual abzulehnen. Ein anderes, häufig zitiertes Beispiel ist der unterschiedliche Gebrauch der Verbendungen im Imperfekt: (25) "Por dialecto particular en Castilla la Nueva, Mancha, i Estremadura i partes de Andaluzia mudan la a en e con el azento en esta forma: ie, Íes, ie, iemos, iedes, ö ieis, ien, i se usa mucho entre no letrados, como avié, aviés, avié, aviémos, aviedes, avién [...] etc., por avia, avias [...] etc., mas no está rrezibido entre los elegantes, aunque pudiere pasar por dialecto de tan nobles provinzias, demás que ansi se usó i halla en buenas istorias de los pasados, si ia en España se permitiera mas que una propiedad i puridad Castellana sin mezcla, ni bolver á lo viexo hasta que canse lo nuevo" (269).

Aus diesem Zitat wird sehr schön deutlich, daß es sich bei den Formen auf ié zwar um eine alte und durch die Norm von Toledo sanktionierte Form handelt, daß der neue Sprachgebrauch aber ia vorschreibt. Als lexikalische Regionalismen nennt er u.a. das typisch andalusische Adverb ansina 'asf (354), das er in die Rubrik "Konjunktion" einordnet, die aragonesische Wendung ä las dos oras (343), den Gebrauch in Aragón von el aquel, un aquel für el conto se llama, ö quillotro (186), die wiederum als substandardsprachlich bezeichnet werden (185), oder den ebenfalls aragonesischen Gebrauch von en comer für en comiendo (345). b) Diachronische Varianten Die folgenden Beispiele belegen, daß Correas im Rahmen der Synchronie seiner Zeit archaisch markierte Elemente bemerkt, die bereits veraltet sind oder sich auf dem Wege dahin befinden. Allerdings hat er eine durchaus ambivalente Haltung zur Funktion des Archaismus. Zum einen setzt er häufig "antiguo" mit "elegante" gleich, wie z.B. bei dem Adverb ende ('Ende es antiguo i mui elegante i sirve casi por todos los dichos: ia se á dexado sin rrazon, i queda entre rrusticos i libros viexos" 340), andererseits lehnt er z.B. etymologisierende Formen wie obstante oder Iacob ab, "mas el común por dura no la pronunzia, i dize ostante, Iaco, i es mas Castellano, aunque corrutas algo las palavras"(45)51. Sicherlich hegt seine Präferenz im Zweifelsfall bei den durch die Tradition legitimierten Formen, andererseits haben die alten Formen in dem Moment keine Legitimation mehr, in dem die neuen durch den uso akzeptiert sind. Dies gilt z.B. für die Verbformen der 2. Person Plural im Präsens und Futur auf -ades, -edes, -ides: "Pero de muchos años aca se cortan i contraen 50

51

Der Humanist Baltasar de Céspedes war akademischer Lehrer von Correas in Salamanca, vgl. Taboada Cid (1984,27). Auch Jiménez Patón (1614a, 43) schreibt: "No se a de estar a lo pulido del vocablo, a que suene mejor a nuestros oydos de ésta o de aquella suerte, que, aunque sea pronunciación o escritura corrompida, si comúnmente está recebida, assí se a de vsar".

240 Ingrid Neumann-Holzschuh por sincopa en el uso común de todos: amais, améis, temeis, temáis, consumís, consumáis" (268) oder für die Formen soi, doi, estoi, die sich gegenüber den alten Formen so, do, esto, die man "de zien años atras" (268) noch gebrauchte, durchgesetzt haben (257)52. Weitere Beispiele: - Das enklitische Objektpronomen der 2. Person Plural ist nicht mehr vos sondern os: "á vos le usavan los antiguos entero, i dura oi en escritos i libros viexos, [...]. En nuestro siglo se usa el quebrado os, no apartado sino enclitico, 6 fixado i suspenso tras el verbo" (188). - Im Falle von alternierenden Verbformen wie rrezebir, rrezibir notiert er: "Los antiguos guardaron esta rregla i mudanza mas firme que aora: mas ia en algunos pareze mexor seghir la analoxia de la i, como elixir, escrivir,flnxir,rrezibir [...]" (309). In Bezug auf das Verb iazer (iazco,...) wird er ganz deutlich: hier nennt er neben dem Infinitif nur die Präsens- und Imperfektformen: "Lo demas no se usa, porque este verbo es antiguo" (298). - Auch sein Kommentar zu den koordinierenden Konjunktionen zeigt, wie genau er Veränderungen im Sprachgebrauch registriert: "E es antigua, i duró mui usada hasta los Rreies Catolicos; despues aca á prevalezido la i en su lugar por mas suave: la e se rretiene ä vezes, i mas cuando se sighe dizion que comienza en i por evitar concurso duro de dos ies [...]" (352); - "A mesmo suelen algunos mudar la primera silaba me en mi, i dizen mismo, misma" (176); - Das Perfekt von ir ist fui, fuiste, fué, fuimos, fuistes, fueron, "aunque los antiguos le acabaron en e, como pareze, i rrefiere el Antonio, i otros: fué, fueste, fué, fuemos, fuestes, fueron. Esto agora no se usa; [...]" (313). Bereits abgeschlossene Archaisierung liegt bei folgenden Lexemen vor: -"Aquende, i allende, i lueñe son antiguos, que se usan en formulas i rrefranes, i se hallan en los libros" (342); -"Magher es antigua, i sinifica aunque" (354); - "So es antigua preposizion que sinifica debaxo de algo, i se usa en rrefranes i formulas [...]; en su lugar se usa ia este adverbio debaxo, cuio contrario es sobre" (151); - "Los antiguos dezian avedes, aiades en la segunda plural de los dos presentes, i en el futuro avredes, amarédes formando edes de eis" (252).

52

Vgl. dazu Schmitt (1989,128-129). Bei Valdds wird diese Veränderung des uso bereits registriert, und es ist erstaunlich, daß Correas immer noch beide Formen notiert und sie sogar als noch gebräuchlich hinstellt ("i se usa dellos alguna vez" S. 268).

Norm und Varietät

241

Grundsätzlich muß an dieser Stelle angemerkt werden, daß Correas' Beobachtungen zur Diachronie nur selten über das hinausgehen, was bereits Valdés beobachtet hat (vgl. Braselmann 1988). Alles in allem ist seine Grammatik, was die reine Sprachbeschreibung anbelangt, ohnehin eher "tradicionalista" (Alonso 1979, 84), d.h., sprachlichen Neuerungen steht Correas äußerst skeptisch gegenüber53. Dies wird besonders deutlich, wenn man Correas' Grammatik mit den im Ausland meist auch von Ausländern verfaßten Sprachlehrwerken, so z.B. mit César Oudins Grammaire Espagnolle (1610), vergleicht. Diese Autoren sind viel eher bereit, Innovationen aufzunehmen, so daß ihre Sprachlehren in mancher Hinsicht fortschrittlicher sind als die genuin spanischen Grammatiken54. Daß Correas aber nicht "arcaizante" (Alonso 1979, 84) war, zeigen nicht nur die vielen guten und innovativen einzelsprachlichen Beobachtungen, sondern auch die Ausführungen zur Sprachstruktur im allgemeinen, die ihn mehr als die anderen Grammatiker des Siglo de Oro als Theoretiker ausweisen55. c) Diastratische Varianten Im Vergleich zu den diatopischen und diachronischen Markierungen sind Beispiele für diese Kategorie bei Correas verhältnismäßig zahlreich, was auf die besondere Bedeutung der Diastratik bei der Bestimmung der Zielnorm hindeutet. Die Folie, vor deren Hintergrund Correas den Sprachgebrauch einzelner sprachlicher und sozialer Gruppen in Ansätzen skizziert, ist, wir erinnern uns, die gehobene Umgangssprache des gebildeten vulgo (s.o. II.2.1.). Sozial markierte Varianten sind zum einen die Sprache der místicos und der aldeanos. Als typisch für den bäuerischen Sprachgebrauch nennt Correas z.B.: - "la xente del vulgo dize un como se llama, el como se llama, quando no se acuerdan del nonbre de la cosa 6 persona que quieren nonbrar. Los rrusticos dizen el quillotro ö quillotre [...]" (185);

53

Vgl. dagegen die Großzügigkeit von Valdés bezüglich der Neologismen (Braselmann 1988,306).

54

55

Vgl. dazu Neumann-Holzschuh (1991). So notiert z.B. Oudin nurmehr die Formen doy, estoy und voy (1610, 65,125); im Gegensatz zu Correas (1625/1954, 251) differenziert er deutlich zwischen dem auxiliaren Charakter von aver und dem Nicht-mehr-Auxiliar tener (1610, 64); Artikel und Possessivdeterminant sind in der Grammatik von Oudin (1610, 35) und in der Grammatica spagnvola ed italiana von Franciosini ( 1687; vgl. Bierbach 1989, 26) nicht mehr kombinierbar. Erstaunlicherweise können nach Correas im Konditional zwischen Infinitiv und Endung noch Objektpronomina eingeschoben werden: "Mas es de notar que se desprenden i apartan las silabas desta forma de la conposizion del infinitivo muchas vezes, i se entremete otra palavra, ö palavras en medio: si me dieses el libro leerle ia [...]" (1625/1954, 269), diesen Archaismus erwähnt Oudin nicht. Vgl. Bossong (1990, 88), der die detallierte Analyse des spanischen Relativsatzes, die sorgfältige Unterscheidung von que als Relativpronomen und als subordinierende Konjunktion sowie die gute Darstellung des verbundenen Objektpronomens und seiner Textfunktionen hervorhebt. Auch die Beschreibung des personalen Akkusativs bei Correas ist zu erwähnen, wenngleich auch Jiménez Patón, dessen Elocuencia Correas kannte, in diesem Punkt bereits zu guten Beobachtungen kam. Zur Modernität der Grammatik Jiménez Patóns und zu seinem Einfluß auf Correas vgl. Quilis/Rozas (1963).

242 Ingrid Neutnann-Holzschuh - die "rrusticos" gebrauchen statt rriño die Form rringo, rriñes und im Konjunktiv rringa, rringas (309); - die Verbform fuisteis lehnt Correas ab "i esto es mas rrezebido i común en algunas tierras entre xente sin letras" (315); - bezüglich der Objektpronomen le, lo, la spricht Correas vom "abuso que tiene el vulgo en usarlos confusamente" (187), seine eigene Darstellung entspricht allerdings teilweise nicht der sprachlichen Wirklichkeit: "Está dicho i es ansi que le, les, los son masculinos; la, las, femininos; lo neutro: mas el vulgo no entendiendo lo que inporta la firme lei, i conformidad de hablar, porque se entienden todos en su lengua fácilmente, haze comunes de dos ä le, i los, i ä lo masculino trocándole por le, i por éf (194); - das Adverb de bero für "ziertamente" (348) und die konditionale Konjunktion besique (354); - die falsche Verwendimg der Anredeformen: "A este modo dizen los aldeanos su merzed por vuestra merzed (364); -"Magher es antigua, i sinifica aunque. Los aldeanos dizen aora maguera con el azento en la primera" (354); - "La segunda singular del presente quieres se abrevia en quies en común hablar, i en comicos, i rrefranes" (305). Eine weitere Gruppe bilden die cortesanos und cultos, deren sprachliche Extravaganzen und Innovationen Correas ablehnt, auch dann, wenn eine zunächst nur von dieser Gruppe verwendete Form in den allgemeinen Sprachgebrauch übergeht. So schreibt er z.B. bezüglich solcher Verben wie nacer: (26) "Los verbos de la segunda i pocos de la tercera acabados en zco tienen por letra formativa z, quitada la silaba co, porque lexitimamente son acabados en zo en el uso antiguo i común: mas los que se tienen por mas curiosos i bien hablados que el vulgo, estienden la palavra i entremeten la letra ca en la primera persona del presente indicativo, i en todo el presente suxuntivo" (294).

In sein Paradigma nimmt er aber sowohl nazo als auch nazco auf. Was die Kombination von Artikel und Possessivdeterminant anbelangt, plädiert Correas für die Formen mit Artikel wie la mi capa, la mi muía: (27) "la los quitan mui de ordinario los que se tienen por mas cortesanos, i no lo apruevo porque sighen su gusto, i no la propiedad i naturaleza de su lengua; no es buena manera de pulirla escurezerla i mancarla" (144).

Auch dieses Zitat illustriert wieder die konservative Haltung von Correas gegenüber sprachlichen Neuerungen und ist ein Beispiel dafür, daß der Sprachhistoriker gerade durch die Ablehnung bestimmter Formen in den Sprachlehren Aussagen über den aktuellen Stand der Sprache erhalten kann.

Norm und Varietät Auch Besonderheiten der Kindersprache sind Correas nicht entgangen:

243

- das Pronomen rroviñano ist selten "i muchos de poca edad no le an oido" (182) - Kinder benutzen für die 1. Person Singular der Verben caber und saber analoge Formen: cabo und sabo (315-316), das Gleiche gilt für Partizipialformen wie abrido und hazido: "Los niños por analoghia formanlos rregulares, i algunas personas por grazia y xughete, i ä vezes con descuido sin rreparar en mas de dezir su conzeto" (319). Auf die Sprache der Frauen (349), der "xente de gherra" (322) und der Juristen (327) wird ebenfalls mit je einem lexikalischen Beispiel eingegangen. Die Sprache der "Moriscos, i negros i estranxeros rrezien venidos" (386) ist in den Augen von Correas voller "barbariedades", die es zu meiden gilt.

IV. Der Beitrag von Jiménez Patón und Correas zur spanischen Sprachnormlerung Versucht man nun, die Sprachlehren von Jiménez Patón und Correas einer der drei von Chr. Schmitt (1989) skizzierten Etappen der spanischen Sprachnormierung im Bereich der Grammatiken zuzuordnen, gehören sie in die erste, nämlich "der «io-orientierten, von Nebrija bis ins 17. Jahrhundert reichenden, mit norma als Ist-Wert" (1989, 140). Correas definiert sein Ziel ganz deutlich: er will die Sprache so beschreiben, wie sie ist,"[...] mas no vamos ä sutilizar la Gramatica que avia de ser, sino ä dezir con llaneza lo que es, i se usa" (174)56. Seine Vorgehensweise ist, stärker als in früheren Grammatiken, grundsätzlich empirisch (Jiménez Patóns kurzgefaßten Instituciones sind in diesem Punkt mit der Arte von Correas nicht zu vergleichen), was z.B. die in nicht puristischer Absicht zusammengestellten diatopischen und diastratischen Varianten belegen. Für Correas und auch Jiménez Patón gilt m.E. das, was Schmitt auch für Nebrija feststellt: "der Vorwurf der Normativität oder gar der Präskriptivität trifft nur zu auf die Intention, nicht jedoch auf die Methode" (1989, 128). Im Sinne der "objektiven" Norm bemüht sich speziell Correas, auf koexistierende, konkurrierende Formen zum (alt)kastilischen Standard hinzuweisen; daß seine Grammatik trotz allem eine deutlich normative Ausrichtung hat, liegt an ihrem pädagogischen Anspruch und daran, daß sie eben nicht den Sprachgebrauch der Mehrheit zur Grundlage hat. Eindeutig präskriptiv ist Correas bei der Verurteilung eigenwilliger poetischer Stilmittel, einer übertriebenen Latinisierung der Sprache sowie bei der Ablehnung des Sprachgebrauchs des vulgo tosco. 56

Konkurrierende, aber im usovorhandene Formen sind beide akzeptabel. Den schwankenden uso dokumentiert er z.B. im Zusammenhang mit der Form des pränominalen Adjektivs: al tetzer dia ö al teizero dia (180); die Formen caigo, caio, traigo, traio "se usan de entranbas maneras algo mas ö algo menos" (301); analogen Formen gegenüber ist er sehr aufgeschlossen, so z.B. bei Partizipien (318-319) oder Perfektformen (306).

244

Ingrid Neumann-Holzschuh

Seine Grammatik ist somit im Sinne eines bon usage durchaus normativ, sie ist aber nicht puristisch. Bei dem Versuch, die Position der beiden Grammatiker des frühen 17. Jahrhunderts mit Hilfe der Parameter "Kontinuität" und "Bruch"57 zusammenfassend zu umreißen, zeichnet sich folgendes Ergebnis ab: in den Bereichen Normkonzeption, Methode und Stilideal ist die Kontinuität mit dem 16. Jahrhundert und den anderen Renaissance-Grammatiken weitestgehend gewahrt. Was hingegen die Erklärung der Sprach- und Dialektvielfalt anbelangt, stellen die Sprachlehrwerke von Jiménez Patón und Correas insbesondere gegenüber Aldretes Del origen y principio [...] eher einen Rückschritt dar. Die streng an der Synchronie ausgerichtete Norm ist der sogenannte uso común, wobei Jiménez Patón als soziolektales Aussonderungskriterium noch den höfischen Sprachgebrauch, Correas hingegen bereits die gehobene Mittelschichtsprache im Blick hat. In Spanien kann also auch zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch nicht die Rede von einem einheitlichen und verbindlichen Standard sein, darüber hinaus erhält der sprachnormative Diskurs, anders als z.B. in Frankreich, in diesem Jahrhundert keine für seine Geschichte und das aktuelle Sprachbewußtsein wirklich entscheidende Prägung58. Eine verbindliche, durch staatliche Autorität sanktionierte Norm wird es in Spanien erst im 18. Jahrhundert geben59. Ein gewisser Bruch deutet sich in der Grammatik von Correas, der mehr als Jiménez Patón die Schnittstelle zwischen Tradition und Moderne verkörpert, nun allerdings doch an. Seine Ablehnung des uso cortesano, das konsequente deskriptive Vorgehen und seine zumindest im Ansatz vorhandene Sicht der Sprache als mehrdimensionaler Raum60, vor allem aber seine am Gedankengut des Brócense orientierten universalistischen Beobachtungen räumen der Arte 57

Vgl. Schlieben-Lange (1983,465): "Ich bin davon überzeugt, daß die beiden skizzierten Konzeptionen von (Sprach-)Wissenschaftsgeschichte, wie unvereinbar sie auch auf den ersten Blick zu sein scheinen: Geschichte der Kontinuität vs. Geschichte der Brüche, die beiden notwendigen Seiten jeder Wissenschaftsgeschichte sind. Man kann nur feststellen, was sich verändert hat, wenn man weiß, was gleich geblieben ist". 58 Zur Situation in Frankreich vgl. Schmitt (1977) und Settekorn (1988,459). 59

Es sei an dieser Stelle noch angemerkt, daß die Instituciones von Jiménez Patón sowie die Trilingüe de tres artes von Correas (1627a) zu den von der Real Academia benutzten Quellen bei der Abfassug der Akademiegrammatik von 1771 gehörten (vgl. Real Academia Española 1771/1984, 103). Die Akademie setzt sich mit Jiménez Patón und Correas z.B. im Zusammenhang mit der Anzahl der Redeteile auseinander; während Jiménez Patón fünf und Correas in Anlehung an den Brócense drei Redeteile postuliert, geht die Akademiegrammatik letztlich doch noch von neun partes de oración aus (1771/1984, 105; vgl. diesbezüglich auch die einführenden Bemerkungen von Ramón Sarmiento in dieser Ausgabe der Akademiegrammatik, 5360). 60 Wie Jiménez Patón geht es auch Correas im Prinzip noch um einen uso constante, der nicht durch individuelle Variation relativiert wird. Seine diasystematischen Anmerkungen weisen allerdings voraus auf die moderne Grammatikographie, die die grammatischen Erscheinungen zunehmend in diachronischer, diatopischer, registerspezifischer und diafrequentativer Hinsicht differenziert; vgl. Kleineidam/Schlör (1989,165).

Norm und Varietät

245

de la lengua española castellana einen besonderen Platz unter den Grammatiken des 16. und 17. Jahrhunderts ein61. Im Bereich der grammatischen Theoriebildung hat die Arte de la lengua española castellana eindeutig innovatorischen Charakter und weist weit über die Gramática de la lengua castellana der Real Academia von 1771 hinaus, in der die deskriptive Sicht zunehmend "zugunsten logizistischer und puristischer Parameter" (Schmitt 1989, 135) verdrängt wird.

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1

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Cazadores de gazapos. Die 'dianormativen' Wörterbücher zum Spanischen im 19. und frühen 20. Jahrhundert Franz Lebsanft (Tübingen)

O. Einleitung 0.1 El mundo visto a los ochenta años. Impresiones de un arteriosclerótico heißt der Titel eines merkwürdigen Buches, das der 1852 geborene Santiago Ramón y Cajal in seinem letzten Lebensjahr 1934 veröffentlichte. Der berühmte Physiologe schildert darin, wie ihm im Alter die vertraute Welt seiner Jugend allmählich abhanden kommt. Die wachen Augen und Ohren des unbestechlichen Naturwissenschaftlers registrieren minuziös die Veränderungen, mit denen er nicht mehr Schritt halten kann und die er deswegen ablehnt. Zu den Dingen, deren Veränderung er mißtrauisch beobachtet, zählt Ramón y Cajal auch die Sprache. "Ha experimentado", notiert er (41942, 67), "grandes y no siempre gratas transformaciones". Die Sprache verschlechtere sich, aber niemand trete dem Übel mehr entgegen. Sprachkritiker wie Baralt, Clarín, Cavia, Valbuena, Mir, Huidobro und Cejador hätten keine Nachfolger gefunden, niemand mache sich mehr auf die Jagd nach Sprachschnitzern, es fehle in der Gegenwart - 1934 - der "pintoresco cazador de gazapos, desdeñado por Unamuno" ("1942, 69).1 In der Tat war Miguel de Unamuno (1864-1936) bereits am Ausgang des 19. Jahrhunderts gegen die zeitgenössische Sprachbewertung durch Dilettanten mit der ganzen Schärfe seiner Polemik aufgetreten. Die Sprache, so hatte er 1899 in der Zeitschrift La Vida literaria festgestellt, gehorche keinen von Gebildeten auferlegten Gesetzen, deren Befolgung sich einfordern lasse. Diese irrige Auffassung, so der damals noch junge und schon streitbare Gelehrte, überlasse er (1958, vol. VI, 421) den "cazadores de gazapos gramaticales", für deren Jagd "carencia de sentido científico, en lo que al lenguaje se refiere, y hartazgo de casuísmo y de gramática empírica" genüge. Unamunos Verdikt entspringt einer Sprachauffassung, die in diesem Punkt ganz der junggrammatischen Lehre von der 'natürlichen' und 'unverfälschten' 'Volkssprache' als der angeblich einzig 'lebendigen' verpflichtet ist.2 Aber diese zur Zeit der Jahrhundertwende in Spanien 'moderne' Auffassung hat inzwischen auch Patina angelegt und sollte einen heute nicht mehr davon abhalten, sich mit der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auftretenden Figur des cazador de gazapos zu beschäftigen.

1

2

Ramón y Cajals Sprachauffassung ist von der Linguistik bisher noch viel zu wenig gewürdigt worden; cf. erste wertvolle Hinweise bei González Ollé (1984, besonders 364s.) Cf. zu den Junggrammatikern Christmann (1978), zu Unamunos Sprachauffassung Blecua (1975, 165 [Bibliographie])

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Franz Lebsanft

Wer einen Beitrag zur Geschichte der neueren spanischen Schriftsprache leisten möchte, kommt nämlich - ganz unabhängig von seiner eigenen Sprachauffassung - einfach nicht darum herum, sich mit Sprachkritikern wie den von Ramón y Cajal genannten zu beschäftigen. Denn wenn sie auch auf die Sprache und ihre Sprecher wohl weniger eingewirkt haben, als sie das selbst wünschten, so doch genug, um das sprachliche Normbewußtsein der gebildeten Spanier bis heute ganz nachhaltig zu beeinflussen. 0.2 Diese bisher noch viel zu wenig in Angriff genommene Aufgabe möchte ich hier angehen.3 Dabei halte ich es für angebracht, aus sachlichen Gründen das Thema nach drei Richtungen hin ein- und abzugrenzen. Erstens. In räumlicher Hinsicht beschränke ich mich weitgehend auf die Diskussion in Spanien, mit Ausblicken auf Spanischamerika nur dort, wo das für Spanien wichtig ist. Zweitens. In inhaltlicher Hinsicht konzentriere ich mich auf diejenigen Sprachkritiker, die als Verfasser von sogenannten 'dianormativen' Wörterbüchern auftreten.4 Dabei unterscheide ich die selektiven von den globalen dianormativen Wörterbüchern. Die selektiven Wörterbücher betrachten unter dem Blickwinkel der präskriptiven Norm nur einen systematischen bzw. diasystematischen Gesichtspunkt, die globalen Wörterbücher dagegen mehrere. Drittens. In zeitlicher Hinsicht gehe ich etwas über das 19. Jahrhundert hinaus. Der zeitliche Horizont, den Ramón y Cajal eröffnet, entspricht nicht nur seiner eigenen Lebensspanne, sondern auch einem sinnvollen Abschnitt in der Ge3

4

Als Vorarbeit sind einzelne Passagen aus Malkiel (1958-59, 1959-60) anzusehen. Aussagen zu den von mir behandelten Wörterbüchern finden sich vor allem 1959-60, 121s. Der 'typologische' Ansatz Malkiels führt zu dem verzeihlichen historischen Irrtum, die dianormativen Wörterbücher (zur Terminologie cf. infra, n. 4) seien "especially around 1900" entstanden. Der völlig negativen Bewertung ihrer Verfasser als mediokre "self-appointed watchdogs of conservatism" - als Ausnahme läßt Malkiel nur Orellana ( 1891) gelten - wird hier ausdrücklich widersprochen. Malkiel (1989) geht in bezug auf die Verhältnisse in Spanien über das in den beiden früheren Aufsätzen Gesagte nicht hinaus. - Der verdienstvolle neue Überblick über die spanische Lexikographie von Haensch (1990) geht auf die dianormativen Wöterbücher nicht ein. Das Wörterbuch von Antolin y Sâez (1867) wird bei ihm (1990,1743) irrtümlicherweise als Ergänzungsschrift zum DRAE eingeordnet. In Wirklichkeit handelt es sich um ein (hier nicht behandeltes, cf. infra) dianormatives Wörterbuch zum Umgangs- und Vulgärspanischen Valladolids. Als solches wird es von Colin (1990) zwar nicht analysiert, aber doch wenigstens in der (zusammen mit Franz Josef Hausmann verfaßten) Bibliographie genannt. Die Terminologie der Wörterbuchkunde ('Metalexikographie') ist nicht einheitlich. Ich lehne mich aus rein praktischen Gründen eng an Hausmann (1977) an. Die von ihm anhand französischer Wörterbücher gewonnenen Begriffe des 'dianormativen' und 'diaintegrativen' (cf. infra) Wöterbuchs sind von Haensch et al. (1982) für die Beschreibung entsprechender spanischer Wörterbücher der Gegenwart übernommen worden. - Das neue Handbuch von Hausmann et al. (1990, vol. II, 1153ss.) verwendet diese Termini allerdings wenig. Hier werden die entsprechenden Wörterbuchtypen unter der Rubrik «Spezialwörterbücher zu markierten Lemmata der Standardsprache» als «Fremdwörterbuch» (Kirkness 1990) bzw. «Schwierigkeitenwörterbuch» («Dictionnaire de difficultés», Colin 1990)) abgehandelt. - Weder der Germanist Kirkness (1990) noch der Galloromanist Colin (1990) informieren über spanische Verhältnisse.

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schichte der dianormativen Wörterbücher. Er reicht grosso modo von der Mitte des 19. Jahrhunderts - 1855 erscheint als erstes bekannteres dianormatives Wörterbuch Rafael María Baralts diaintegrativer Diccionario de galicismos5 - bis zu der epochalen Zäsur, welche der heraufziehende Bürgerkrieg auch für meinen Gegenstand bedeutet.6 Ich gehe hier allein auf die selektiven Wörterbücher ein und behandle ausschließlich den Typ des 'diaintegrativen' Wörterbuchs, welches das Spanische vor dem Einfluß fremder Sprachen schützen möchte.7 Chronologisch betrachtet betreffen die in Spanien entstandenden diaintegrativen Wörterbücher zunächst die nicht in Spanien gesprochenen Fremdsprachen, d.h. vor allem das Französische, dann auch das Englische (1.: 1.1 Baralt 1855/1874, 21890, 31906; 1.2. Mir y Noguera 1908); in zweiter Linie die romanischen Regionalsprachen (2.), also das Galicische (2.1.: Alvarez Giménez 1870, 1890) und das Katalanische (2.2.1.: Casanovas y Ferrán 1883, 21884; 2.2.2. Marcet Carboneil 1885,21892, 31930).

1. Spanisch, Französisch (und Englisch) 1.1 Rafael María Baralts (1810-1860) Diccionario de Galicismos (1855) ist das für ein spanisches Publikum geschriebene Werk eines in Madrid wirkenden und in Spanien naturalisierten Venezolaners (Mourelle-Lema 1968, 252ss.). Der barock anmutende Untertitel legt Absicht und Methode des Werkes offen: "[Diccionario] de las voces, locuciones y frases de la lengua francesa que se han introducido en el habla castellana moderna, con el juicio crítico de las que deben adoptarse, y la equivalencia castiza de las que no se hallan en este caso."

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6

Nicht gesehen habe ich den handschriftlich überlieferten Diccionario antibárbaro von Huerta, von dem R. Foulché-Delbosc (1909) eine Handschrift besaß. - Antonio Rotondos Diccionario de ¡a buena sociedad von 1837 (35 S.) habe ich bisher ebenfalls nicht einsehen können. Nach Viñaza (1893, Nr. 1569) handelt es sich um ein dianormatives Wörterbuch. Während ich Frau Prof. Suzanne Fleischman für die Lokalisierung von zwei Exemplaren in den USA danken kann, waren eigene Recherchen in den Madrider Bibliotheken des Ateneo, des Consejo Superior de Investigaciones Científicas, der Real Academia Española, der Real Academia de la Historia sowie in der Biblioteca Nacional ebenso erfolglos wie eine freundlicherweise von Dr. Frank Baasner durchgeführte Recherche in der Biblioteca del Palacio. Noch 1927 sah Mulertt (1927, 603), daß "das Interesse eines größeren dilettantischen Publikums für eine wohlbeschaffene, in Ehren gehaltene Muttersprache nach wie vor anhält". Die Zäsur des Bürgerkrieges konnte er natürlich nicht voraussehen. Aus diesem Grund behandle ich von den bei Ramón y Cajal erwähnten Sprachliebhabern ijji folgenden nur Rafael María Baralt und Juan Mir y Noguera. Eduardo Huidobro (1903, 1908, 1915) und Francisco José Orellana (1871, 21878, 31882, 41891) sind Verfasser globaler dianormativer Wörterbücher. Leopoldo Alas 'Clarín' (1852-1901), Mariano de Cavia (1855-1920), Antonio de Valbuena (1844-1929) und Julio Cejador y Frauca (1864-1927) traten nicht als Verfasser dianormativer Wörterbücher hervor.

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Es läßt sich unschwer erkennen, daß Bar alt damit in der bekannten Tradition des antifranzösischen Purismus des 18. Jahrhunderts steht.8 Die althergebrachte, im 16. Jahrhundert überhaupt noch nicht mit puristischer Zielsetzung gemachte Unterscheidung zwischen 'notwendigen' und 'überflüssigen' Fremdwörtern9 ist bei ihm wie bei seinen Vorgängern das Instrument zur Bekämpfung des Gallizismus als eine Form des Barbarismus.10 W i e Baralt es einsetzt, läßt sich am besten anhand eines Beispiels verdeutlichen. Der (semantische) Gallizismus pasar desapercibido "unbeachtet, unbemerkt bleiben, lassen" (cf. franz. passer inaperçu) sei abzulehnen, weil das Wort im 'richtigen' Spanisch allenfalls desprevenido, desprovisto de lo necesario para alguna cosa bedeute. Das Spanische drücke die 'französische' Bedeutimg von desapercibido mit pasar no visto, no advertido, inadvertido, ignorado aus. Das erste Argument macht deutlich, daß Baralt auch den Gallizismus apercibir(se) "beachten, bemerken" (statt "[sich] bereithalten") bekämpft. Das zweite, in meinem Zusammenhang wichtigere Argument erweist mit der Angabe 'spanischer' Synonyme die 'Überflüssigkeit' von desapercibido "unbeachtet". Baralts immer wieder neu aufgelegtes Wörterbuch beherrschte die spanische Diskussion um den Gallizismus in der ganzen zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In der bisherigen Darstellung der Wirkungsgeschichte (Mourelle-Lema 1968, 252ss.) wird nicht recht deutlich, daß das Neue an Baralt vor allem die Tatsache ist, daß er dem antifranzösischen Purismus ein bis dahin fehlendes Referenzwerk schafft, ein Referenzwerk, das zwar in vielen Einzelheiten kritisiert wird, dessen Ansatz man aber grundsätzlich billigt. Die genauesten Kritiker, die übrigens aus dem Ausland kommen, nämlich Andrés Bello (1781-1865; [nach 1855]/1951) und (der von Mourelle-Lema nicht erwähnte) H. Peseux-Richard (1879), weisen Baralt zwar zahlreiche Detailfehler nach. Dabei legen sie seine mangelnde Kenntnis des Französischen und seine zu geringen Einsichten in die Geschichte und in das Funktionieren des Spanischen offen. Aber weder der eine noch der andere stellen die Legitimität von Baralts Vorhaben, also das Herausfiltern sogenannter 'überflüssiger' Gallizismen aus dem guten Sprachgebrauch, in Frage. Im Gegenteil, gerade Bello bestätigt Baralt, wenn er die "necesidad o utilidad" als - wie er sagt - traditionell anerkannte Bedingung für das Akzeptieren von Neologismen hinstellt (1951, 188).

8

9

10

Cf. dazu vor allem Lázaro Carreter (21985, 255ss.) und Lapesa (®1981,427ss., 454ss. [mit Bibliographie]). 2

Fernando de Herrera unterscheidet (cf. Gallego Morell 1972, 527) Neologismen « p o r necesidad» und « p o r ornamento» und empfiehlt beide gleichermaßen zur Bereicherung des Spanischen; cf. dazu Nougué (1968-72,470). ^ur antiken rhetorischen Tradition, die sich der spanische Purismus zueigen macht, cf. Lausberg ( 1976, § § 107 [barbarismus, soloecismusals Verstöße gegen die punías], 115,116 [nccessitas als Lizenz für Neologismen und Fremdwörter]).

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1.2 Erst nach der Jahrhundertwende wurde die Auseinandersetzung um den Gallizismus durch den dickleibigen, zweibändigen Prontuario de hispanismo y barbañsmo des mallorkinischen Jesuitenpaters Juan Mir y Noguera (1840-1917; 1908) auf eine neue Stufe gestellt. Wer sich ein Bild von Juan Mirs extrem puristischer Sprachauffassimg machen möchte, vergegenwärtige sich, daß Unamuno den bekannteren Bruder Juans, also Miguel Mir y Noguera (1841-1912), Mitglied der R A E seit 1886, wegen seines übertriebenen Purismus als "una de las mayores calamidades lingüísticas que padecemos" (1907/1958, vol. VI, 493) apostrophierte. Nun, dieser "Kalamität", also seinem Bruder, warf Juan vor, ein übler gallizistischer Sprachverderber zu sein!11 In der umfangreichen Einleitung zum Prontuario erläutert Juan Mir (1908, vol. I, C X X V ) sein Vorhaben so: "Examinar el lenguaje corriente, á la luz del castizo tomado en la fuente original, para deslindar lo extraño, por quedarnos con lo propio". Das bedeutet praktisch, daß Juan Mir genauso wie Baralt als Barbarismus den Gallizismus, darüber hinaus übrigens auch schon den Anglizismus bekämpft. Der Ansatz ist derselbe wie bei Baralt, die Ausführung freilich völlig verschieden. Wenn nämlich der Padre Mir den Rückgriff auf das 'reine' Spanisch predigt, dann unternimmt er den wahrhaft donquichottesken Versuch, die Sprache der Ordensschriftsteller des 17. bis 19. Jahrhunderts systematisch wiederzubeleben. Nun gab es zwar gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Versuche, Archaismen für den modernen Sprachgebrauch verfügbar zu machen,12 doch war natürlich niemand bereit, sich die Hände schmutzig zu machen an den verstaubten Scharteken völlig in Vergessenheit geratener Augustiner, Franziskaner, Karmeliter, Dominikaner, Benediktiner, Piaristen und Jesuiten. Juan Mir, der wie viele andere unter Berufung auf Quintilian seinen guten Sprachgebrauch als "Konsens der Gebildeten" (consensus eruditorum, 1908, vol. I, X C I ) legitimieren wollte, übersah ganz einfach, daß ein Konsens in seinem Sinne nicht existierte und daß nicht die geringste Aussicht bestand, ihn herzustellen.13 Es wäre freilich ungerecht, Juan Mir allein zu messen an seinen oft wütenden Attacken gegen die modernen galiparlistas und den selbst seinen Verteidigern Cf. Juans Brief an Miguel vom 3.12.1912 (Bayern y Bertomeu 1919, 38ss.) wenige Tage vor dessen Tod am 29.12.1912. Anlaß des Briefs waren Miguels Attacken gegen den Jesuitenorden, den dieser Jahre zuvor im Streit verlassen hatte. Mehr als diese Attacken störte Juan aber ganz offensichtlich, daß die R A E Miguel einen "autor castizo" genannt hatte: "Quien usa como tú las frases ¡levar a cabo, tomar parte en, el porvenir, referente a, y otras incorrecciones parecidas, no merece la honra de castizo y puro, si ya no es por adulación y donaire." 12

13

Cf. Monlau (1870 [Vortrag von 1863]). Der D R A E 111869 strich bei zahlreichen Einträgen die vorher bestehende Markierung «anticuado» in der Absicht, diese Archaismen wiederzubeleben; cf. Seco (1988,565). Vergleiche das Urteil von Amunátegui Reyes (1915,17) über Mir:"[...] propone el celoso purista que se canonicen como maestros de la lengua una numerosa falanje de autores cuyas obras, por mas primorosas que sean, jamas han logrado salir del rincón mas oscuro de una biblioteca conventual."

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und Apologeten nicht ganz geheuren Vorschlägen (Bayerri y Bertomeu 1919, 304ss.) zur Wiederherstellung des 'reinen' Sprachgebrauchs. Wenn auch nur allmählich, so verbreitet sich doch in unseren Tagen bei Fachleuten eine Erkenntnis, an der Sprachliebhaber nie zweifelten, nämlich die, daß sich der Jesuitenpater in der Analyse des Sprachgebrauchs ganz ohne Zweifel als ein außerordentlich guter Kenner der schriftsprachlichen Sprachtradition erweist. Ich gebe für Juan Mirs sprachliche Sensibilität und Kenntnisse zwei Beispiele. Sie sollen veranschaulichen, daß seine Beobachtungen noch in den normativen Diskussionen unserer Tage von Wert sind. Das erste Beispiel bezeugt, daß Mir nicht punktuell und atomistisch urteilt, sondern in Zusammenhängen, 'strukturell' denkt. Das zweite Beispiel zeigt darüber hinaus, wie ihn seine ganz ungewöhnliche Belesenheit vor sprachgeschichtlichen Kurzschlüssen bewahrt. Erstes Beispiel. Im Artikel "Desapercibido" lehnt Mir natürlich wie Baralt ab, das Wort in der Bedeutung "unbeachtet, unbemerkt" zu gebrauchen. Er weist aber viel deutlicher als Baralt darauf hin, daß diese Ablehnung letztlich nicht aufrecht erhalten werden kann, wenn man es 'durchgehen' lasse, das Verb apercibir in der Bedeutung "beachten, bemerken" zu gebrauchen. Tue man das nämlich, dann sei gegen die gallizistische Bedeutung von desapercibido überhaupt nichts einzuwenden, denn das Wort sei völlig korrekt gebildet. Die R A E hält noch heute ( D R A E 1984, s.v.) daran fest, desapercibido allein die Bedeutung "desprevenido, desprovisto de lo necesario" zu geben; gleichzeitig räumt sie aber ein, daß das Verb apercibir auch die Bedeutung "3. percibir, observar, caer en la cuenta" hat, selbst wenn sie dazu eine ihrer recht seltenen normativen Bemerkungen macht: "Este uso galicista se considera vulgar y descuidado". Obwohl einige neuere und einflußreiche sprachpflegerische Werke die Haltung der R A E weiterhin verteidigen,14 so gibt es doch Anzeichen dafür, daß die puristische Front abzubröckeln beginnt. Das beweist ein Blick in die achte Auflage des wichtigen Diccionario de dudas y dificultades de la lengua española von Manuel Seco (81979, s.v.). Hier wird pasar desapercibido für pasar inadvertido toleriert. In unserem Zusammenhang hegt die Pointe von Secos Haltung darin, daß sie von genau dem sprachlichen Befund ausgeht, den Juan Mir in seinem (von Seco benutzten) Prontuario geliefert hatte. Nur kehrt Seco die puristische Argumentation von Mir einfach um, wenn er erklärt: "Si apercibir significa, entre otras cosas, 'percibir, observar' (Acad.), ¿qué dificultad hay en admitir que desapercibido signifique 'no percibido, no observado, no advertido'?"15 14

15

Cf. z.B. die Libros de estila Agencia EFE (51989), El País (31990), La Vanguardia (1986), jeweils s.v. 9

Seco ( 1986) führt ein Stichwort desapercibido bereits nicht mehr auf; für desapercibido "inadvertido" spricht sich auch Gómez Torrego (1989, II, 384) aus.

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Zweites Beispiel. Valentín García Yebra, Mitglied der R A E seit 1985, hat in jüngster Zeit die normative Diskussion um die von ihm (1988, 252ss.) so genannte "silepsis preposicional" Wiederaufleben lassen, eine Konstruktion, bei der zwei oder mehr (an ein oder mehrere Verben gebundene) Präpositionen unter Beibehaltung ihrer Einzelbedeutung dieselbe Ergänzung regieren. Es war wohl Vicente Salvá, der in seiner Grammatik (1830/121897, 324) als erster diese Konstruktion mit Beispielen aus Jovellanos buchte: "providencias momentáneas exigidas por y acomodadas al estado actual de la nación", "todo lo cual fue consultado a y obtuvo la aprobación de la Junta Superior", "la razón de entradas en y salidas de la tesorería". García Yebra setzt sich für diese bei Salvá noch geduldete, seit Bello aber immer wieder abgelehnte Konstruktion ein, weil er sie als syntaktische Bereicherimg des Spanischen empfindet. Dabei ist ihm übrigens wahrscheinlich nicht bewußt, daß er es Salustiano Olózaga (1805-1873) gleichtut, der bereits 1871 in seiner Antrittsrede vor der R A E eine - damals vergebliche - Lanze für die präpositionale Syllepse brach (1871, 534ss.) Die ablehnende Haltung zu dieser Konstruktion wurde wesentlich dadurch bestimmt, daß sie seit Salvá und Bello immer wieder auf englischen Einfluß zurückgeführt wurde. Wenn heute Garcia Yebra mit vielleicht mehr Aussicht auf Erfolg für sie plädieren kann, so deswegen, weil er unter Berufung auf Fernando González Ollé (1979) zeigen kann, daß die präpositionale Syllepse zwar sicherlich durch englischen Einfluß verstärkt wurde, jedoch auch in anderen Sprachen vorkommt und sogar autochthone spanische Wurzeln hat. Und damit bin ich nach einem kleinen Umweg wieder beim Jesuitenpater Juan Mir angelangt. Denn der Artikel "Preposiciones" seines Prontuario enthält zur präpositionalen Syllepse den Hinweis (1908, vol. II, 512) "cuando los ingleses madrugaron con esa invención, estaban los españoles hartos de dormir sobre ella, tan dormidos y olvidados, como si nunca hubiesen tenido nuevas de su antigüedad." Mir zitiert dann zum Beweis ein Beispiel aus El místico serafín de S. Buenaventura von J.P. Fons aus dem Jahr 1622, das nach ihm Fernando González Ollé (1979, 148) wieder anführt. Man versteht, warum dieser exzellente Philologe mit wirklichem Bedauern vor einigen Jahren ausrief (1986, 334): "¿Cuántos años tardé en conocer el Prontuario de hispanismo y barbarismo de [Juan Mir]?"...

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2. Spanisch und Regionalsprechen 2.0 In einem viel beachteten Aufsatz konstatierte Vicente García de Diego (1950,107), daß das Spanische arm an Dialekten, aber reich an Dialektalismen sei. Das hänge mit der «conciencia defensiva» des Spanischen zusammen, die sich nicht gegen seine Dialekte, sondern - sieht man von den 'Fremdsprachen Französisch und Englisch ab - allein gegen das Galicische und das Katalanische richte. Wie zutreffend diese Aussage ist, beweisen auch die Wörterbücher, welche die verschiedenen regionalen Ausprägungen des Spanischen betreffen. Die im 19. Jahrhundert entstehenden Wörterbücher zum Spanischen etwa in Aragonien sind keineswegs normativ. Autoren wie Mariano Peralta (1836, z1853) oder Gerónimo Borao (1859, z1908) geht es nicht darum, regionale oder dialektale Formen zu stigmatisieren. Im Gegenteil, sie wollen die spanische Schriftsprache um diese Formen bereichern, und zwar ganz in der von der RAE bereits in ihrem Diccionario de Autoridades (1726, vol. I, V) vorgezeichneten Weise.18 Ganz anders liegen die Dinge in bezug auf das Spanische Galiciens und Kataloniens. Hier wirkt eben die «conciencia defensiva», und hier entstehen entsprechende dianormative Wörterbücher, welche den Einfluß der regionalen Substratsprachen auf die Schriftsprache eindämmen möchten. Daß die «conciencia defensiva» gegen das Galicische und Katalanische sich gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Form von Wörterbüchern niederschlägt, hat, so darf man vermuten, einen (schul)politischen Grund. Den völligen Durchbruch zur von allen Spaniern zu erlernenden Sprache, zum «idioma patrio», gelang dem Spanischen erst durch die sogenannte Ley 'Moyano', die berühmte Ley de Instrucción Pública vom 9.9.1857. Sie führte die allgemeine Schulpflicht ein und erhob, nach allgemeiner (vom Gesetzestext aber gar nicht gedeckter) Auffassung, das Spanische zur alleinigen Unterrichtssprache.17 Dieser Umstand zeigt auch, daß die Gründe für die Abwehr der Regionalsprachen andere sind als die für die Abwehr der internationalen Sprachen Französisch und Englisch. Im letzteren Fall soll die Abwehr eine - wie man im 20. Zu Peralta und Borao cf. bereits Monge (1951) und neuerdings Alvar Ezquerra (1986, 186ss.) Ganz negativ als "tendencia rapiña del vocabulario autóctono" bewertet Francho Nagore Laín (1986, s.p.), der das moderne Aragonesisch zu einer dem Spanischen ebenbürtigen Schriftsprache ausbauen möchte, die Bereicherung des Spanischen durch den Dialekt. 17

Cf. González Ollé (1985,354s.). - Tatsächlich wurde das Spanische als Unterrichtssprache bereits durch die Real Cédula Karls III. vom 23.6. 1768 festgeschrieben, 1. Lüdtke (1991). - Über das spanische Schulwesen im 19. Jahrhundert informieren vorzüglich Cossio/Luzuriaga ( 1915). Die Ley 'Moyano' hatte in ihren Grundzügen bis zur Ley General de Educación vom 4.8.1970 Bestand und ist noch heute Bezugspunkt der Diskussion um die Reform des Unterrichtswesens; cf. Ministerio de Educación y Ciencia (Hg.), (1989,13).

Cazadores de gazapos 259 Jahrhundert sagen wird (Castro 1924,109) - «Internationalisierung» des Spanischen verhindern. Das Spanische müsse seine Eigenarten bewahren, argumentiert man, es sei anderen Sprachen ebenbürtig, auch ohne sich ihnen anzupassen. Bei der Abwehr der eigenen Regionalsprachen geht es hingegen darum, eine Parzellierung und Provinzialisierung der spanischen Schriftsprache zu verhindern. 2.1 Emilio Alvarez Giménez,18 1830 in der Provinz Zamora geboren, kam 1857 als Oberschullehrer (catedrático de instituto) für Latein und Spanisch nach Pontevedra. Er wirkte in seiner Wahlheimat bis zu seinem Tode 1911, und zwar nicht nur als Lehrer, sondern auch als Journalist, Schriftsteller und Lokalpolitiker. Sein Estudio sobre las faltas de lenguaje que se cometen en Galicia erschien 1870 und erlebte zwanzig Jahre später eine umgearbeitete, noch im 20. Jahrhundert nachgedruckte Neuauflage (Alvarez Giménez 1870, 1890). Das Werkchen ist gut bekannt und besonders von Armando Cotarelo y Valledor (1927) und Manuel Rabanal (1967) in ihren Arbeiten zum galicischen Regionalspanisch, dem castellano agallegado, ausgiebig benutzt worden. Bei diesen Benutzern des Estudio ersetzte freilich der deskriptive den präskriptiven Ansatz. Dieser war Alvarez Giménez' eigentliches Anliegen. Er bestand darin, dem Sprecher des galicischen Regionalspanisch ein Hilfsmittel in die Hand zu geben, mit dem er die überregionale Form der Schriftsprache erlernen konnte. Und das tat Alvarez Giménez mit den traditionellen normativen Mitteln der Rhetorik, der José Gómez Hermosilla (1826, 21839) für seine Zeit den für den Schulgebrauch gültigen Ausdruck gegeben hatte. Das bedeutet, daß Alvarez Giménez die von der Schriftsprache verschiedenen regionalen Formen nur als fehlerhafte Abweichungen ansehen konnte. Diese betreffen sowohl die voces (Wörter: Barbarismen), d.h. die Paradigmatik, wie di e frases (Sätze: Solözismen), also die Syntagmatik. Gómez Hermosilla (21839, 169ss.) hatte hier von Verstößen gegen die «pureza en los términos» bzw. «en las construcciones» gesprochen.10 Im folgenden beziehe ich mich allein auf die Wortfehler, und hier wiederum auf die «inhaltlichen», die Alvarez Giménez von den «materiellen» trennt.20 Zu beiden Fehlertypen stellt der Autor alphabetisch geordnete Wortlisten - kleine Wörterbücher innerhalb des Estudio - zusammen. Die «inhaltliche» Liste umfaßt 1870 sechsundzwanzig, 1890 dreißig Seiten. Die von Alvarez Giménez kritisierten Wörter sind entweder «palabras impuras» oder «palabras impropias». 18

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Über ihn cf. ABEPI (39/83ss.), EUI (1930, Apéndice 1,465s.) und Couceiro Freijomil (1951, s.v., mit ausführlicher Bibliographie seiner Schriften). Cf. supra, n. 10. Eine Liste materieller Wortfehler enthält auch A.G. Vázquez Queipo (1884), cf. García González (1985,117).

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Im ersten Fall geht es um lexikalische, im zweiten Fall um semantische Entlehnungen aus dem Galicischen. Das vorherrschende Anliegen des Autors ist es, den Sprecher des Regionalspanischen auf Provinzialismen aufmerksam zu machen und ihn vor ihrer Verwendung zu warnen. Im Gegensatz zum antifranzösischen bzw. später zum antikatalanischen Purismus geschieht das in einer völlig nüchternen Sprache, wenn es von diesem oder jenem Wort nur heißt «no es» bzw. «no se usa en castellano» oder bei der auf Galicien beschränkten Bedeutung eines durchaus spanischen Wortes «se emplea impropiamente». Der Verzicht auf Polemik läßt sich vielleicht damit erklären, daß das Galicische als Konkurrent des Spanischen nicht wirklich ernstgenommen wird. Trotz der Milde im Ton erlaubt Alvarez Giménez in der Sache freilich keinerlei Konzessionen. Die Frage, ob ein Galleguismus 'notwendig' oder 'überflüssig' sei, stellt sich für ihn überhaupt nicht: Es gibt keinen einzigen Regionalismus, dessen Übernahme in die Schriftsprache er zu empfehlen bereit wäre.21 Das gilt also auch für Wörter, die nach Meinung von Alvarez Giménez kein Äquivalent in der Schriftsprache besitzen - wie z.B. empetar "guardar dinero en una hucha [...] en el sentido de economizar para aumentar el caudal"22 -, und die somit eigentlich das puristische Kriterium des 'erlaubten' weil 'notwendigen' Fremdwortes erfüllten. Der präskriptive Ansatz des Schulmannes aus Pontevedra ist in den Augen eines deskriptiv vorgehenden heutigen Erforschers des castellano agallegado wie Manuel Rabanal (1867, 16) hoffnungslos veraltet. Vom Standpunkt der Pflege der Schriftsprache ist er es nicht in demselben Maße. Und da geschieht es ironischerweise, daß so, wie Rabanal den 'präskriptiven' in einen 'deskriptiven' Alvarez Giménez verwandelt, ein heutiger Sprachpfleger wie Manuel Seco aus dem 'deskriptiven' einen 'präskriptiven' Rabanal macht! Ich möchte das wenigstens mit einem kleinen Beispiel belegen. Alvarez Giménez (1870, 29ss., 1890, 31ss.) bezeichnet den von der Schriftsprache abweichenden Gebrauch von sacar und quitar durch Galizier als «confusión».23 Rabanal (1967, 48) deutet zumindest an, der Gebrauch sei auf der Ebene der Regionalsprache durchaus sinnvoll, wenn er schreibt: "Desenredar un poco el enredo significativo [de sacar y quitar] ya rebasaría el espacio [de un capítulo]". Und 21

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Die RAE erweist sich á la longue als etwas toleranter. Von den bei ihm kritisierten gut vierzig portera und Bedeutungen der Buchstaben A bis C sind inzwischen in ihr Wörterbuch (DRAE 1984) aufgenommen worden: acarretar, alpendre, altear "elevar", angazo "rastro", aprender "enseñar", caramujo "especie de caracol", cernidor (DRAE: cernedor), clarear "irse abriendo y disipando el nublado", corrosco (DRAE: corrusco).

Ein schriftsprachliches 'Äquivalent', an das Alvarez Giménez offenbar nicht dachte, ist allerdings ahuchar, cf. DRAE ( 1984, s.v.). 23 9 Es handelt sich um ein klassisches Merkmal des galicischen Regionalspanisch, cf. Lapesa ( 1981, 476).

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Seco ( 1986, S.V. quitar) sagt wiederum: «confusión». Der Wechsel der Beurteilung ist nichts anderes als ein Wechsel des Maßstabs und der Perspektive. Alvarez Giménez und Seco sprechen vom Standpunkt der überregionalen Schrift, Rabanal dagegen vom Standpunkt der Regionalsprache. 2.2.1 Der mir nicht weiter bekannte Katalane Joaquín Casanovas y Ferrán24 veröffentlichte 1883 in Barcelona seine Colección de vocablos y modismos usados por los catalanes cuando hablan castellano y tomados al oído ó leídos en los periódicos. Der Verfasser (1883, 7) bezeichnet sein Büchlein als die erste derartige Sammlung speziell für Katalanen. Voraus geht ihr freilich zumindest das erste globale dianormative Wörterbuch von Francisco José Orellana (18201891; unter dem Pseudonym Ana-Oller 1871; Orellana 41891), in dem dieser in Barcelona ansässige Andalusier (Rahola/Estasén 1892) zahlreiche Katalanismen bespricht.25 Wie Alvarez Giménez stellt Casanovas 'Abweichungen' des katalanischen Regionalspanisch gegenüber der überregionalen Schriftsprache zusammen. Das ist wenigstens die vorherrschende Perspektive. Hin und wieder kommt es jedoch auch vor, daß er den Standpunkt des nach Katalonien einwandernden Spaniers wählt und gemeinsprachliche in regionalsprachliche Formen 'übersetzt'. So behauptet er z.B. beim Eintrag almendro, die Katalanen sagten almendreroEntsprechend findet sich die 'Übersetzung' después de ayer unter anteayer, tocino unter cerdo. Casanovas beruft sich bei seinen Korrekturen auf die Autorität der RAE. Dennoch ist ganz offensichtlich, daß er, anders als die RAE, die überregionale Schriftsprache regional verankern möchte, und zwar ... in Andalusien, wo man angeblich besser spreche als in der Haupstadt Madrid. Diese Auffassung zeigt etwa der Eintrag chocar. Nur Katalanen und Madrilenen (das ist allerdings nicht richtig, cf. infra) gebrauchten das Wort in der Bedeutimg "gefallen" {agradar), Andalusier dagegen in der (richtigen) Bedeutung "belästigen, langweilen" (reventar). Der immer wiederkehrende Hinweis auf die Andalusier, die chamegos der Katalanen, ist zweifellos als antikatalanische Spitze zu verstehen. Auch sonst verhehlt Casanovas seine antikatalanische Haltung nicht, wenn er bei seinen Korrekturen des öfteren mit doch recht dümmlichen nationalen Stereotypen arbeitet.

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Über ihn wenig aussagekräftig ABEPI (188/226) und EUI (vol. 12,1911,60). Es scheint wenigstens eine vor Casanovas y Ferrán (1883) veröffentlichte spezielle Sammlung von Katalanismen zu geben, und zwar ein (von mir bisher nicht eingesehenes) anonymes Compendio (1862). Tatsächlich ist almendrero eine^icht nuj im katalanischen Sprachgebiet vorkommende Nebenform zu almendro, cf. DRAE 1884, 1899 und 1984, jeweils s.v. (ohne regionale Indizierung).

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Ebenso wie Alvarez Giménez liegt Casanovas der Gedanke fern, das Spanische durch das Katalanische zu bereichern. Das gilt selbst dort, wo sich eine Brücke schlagen ließe vom Katalanismus zum Regionalismus einer benachbarten Region, wie z.B. in den Fällen chocar "gefallen" (agradar) oder tocino "Schwein" (cerdo). Beide Bedeutungen sind auch in Aragonien belegt, nämlich bei Borao (1859, jeweils s.v.).27 In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, daß Casanovas die hybride Form agua naf "Orangenblüten-, Pomeranzenblütenwasser" in agua de azahar korrigiert, während der zeitgenössiche DRAE (121884, s. agua und nafa; so auch noch DRAE 201984) die Form agua de nafa als 'Provinzialimus' aus Murcia toleriert. 2.2.2 Casanovas läßt sich nur in seiner polemischen Haltung mit Juan Mir y Noguera vergleichen. Denn er verfügt bei weitem nicht über die Gelehrsamkeit des Mallorkiners, ja nicht einmal über das biedere Handwerk eines Alvarez Giménez. Das blieb den Zeitgenossen nicht verborgen. Miguel Marcet Carbonell, über den ebenfalls wenig bekannt ist,28 machte sich daran, in seinem soliden Vocabulario de catalanismos von 1885, das noch 1930 eine dritte Auflage erlebte, die zahlreichen Irrtümer Casanovas mit ständigem Blick auf die RAE zu korrigieren. Das gilt etwa auch für agua-naf, wenn Marcet Carbonell (21892, s.v.) nur nüchtern konstatiert, in Kastilien sage man agua de azahar, in Murcia agua de nafa oder agua-nafa. Natürlich korrigiert auch Marcet Carbonell zahlreiche Katalanismen; tatsächlich gehört er zu den Mitbegründern einer sachlichen, unpolemischen Pflege des Schriftspanischen im katalanischen Sprachgebiet. Aber in der Auseinandersetzung mit Casanovas und anderen kann Marcet zeigen, daß das katalanische Regionalspanisch stärker mit der überregionalen Schriftsprache übereinstimmt, als das die Puristen vom Schlage Casanovas' wahrhaben wollen, und zwar deswegen, weil der Abstand zwischen Katalanisch und Spanisch geringer ist, als diese meinen.

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Weitere Katalanismen Casanovas', die bei Borao als Aragonesismen verzeichnet sind: aguja de cabeza "alfiler" (kat. agulla de cap), escopetada "escopetazo". Der D R A E ( 1984) verzeichnet tocino "cerdo" als Aragonesismus; cf. dazu auch ALEANR (vol. 5, 1980, Lámina 740 [Mapa 644]). Über ihn wenig aussagekräftig ABEPI (555/288).

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3. Schluß Anhand des diaintegrativen Wörterbuchs habe ich einen Ausschnitt dargestellt aus der Geschichte des dianormativen Wörterbuchs in Spanien in der zweiten Hälfte des 19. und im frühen 20. Jahrhundert. Eine vorurteilslose Beschäftigung mit diesen Schriften, deren Verfasser zum Typ des von Unamuno abfällig cazador de gazapos genannten Sprachliebhabers gehören, kann sie nicht nur für ihre Zeit, sondern auch im Hinblick auf ihre Nachwirkung angemessener würdigen,.als dies bisher geschehen ist. Mit ihren immer wieder aufgelegten Wörterbüchern haben die Sprachliebhaber ganz ohne Zweifel das normative Sprachbewußtsein ihrer Zeit entscheidend geprägt. Wer sich für die Geschichte der spanischen Schriftsprache interessiert, darf deshalb an ihnen nicht achtlos vorübergehen, selbst dann, wenn er ihnen ablehnend gegenübersteht. Bei näherer Betrachtung der Sprachliebhaber stellt sich allerdings heraus, daß das zum Teil heute noch fortwirkende negative Urteil Unamunos zeitbedingt ungerecht und einseitig war. So habe ich wenigstens punktuell zeigen können, daß die Sprachbetrachtung der cazadores de gazapos durchaus Elemente enthält, welche noch die heutige, sich teilweise als wissenschaftlich verstehende Sprachpflege aufnimmt. Ramón y Cajals elegischer Abgesang auf den cazador de gazapos war also doch wohl verfrüht. Freilich konnte der berühmte Gelehrte nicht ahnen, daß gerade sein ubi sunt den Anstoß gab zu einem der ersten dianormativen Wörterbücher nach dem Bürgerkrieg, nämlich Andrés Santamarías bis heute immer wieder aufgelegten Diccionario de incorrecciones von 1956.29 In dieser (bisher auch noch kaum untersuchten) 'zweiten Epoche' des dianormativen Wörterbuchs führt ein inzwischen recht breiter und langer Weg von Santamaría über Manuel Seco und andere bis hin zu den neuesten Libros de estilo in Presse, Rundfunk und Fernsehen...30

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Voraus geht das Wörterbuch von Díaz Retg (1951), das in der unpaginierten Advertencia preliminar fälschlicherweise als "primer Diccionario de Dificultades que se publica en España" bezeichnet wird. 30 Zu einem ersten Bericht über die Libros de estilo cf. Lebsanft (1990,8s. und 1991).

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Sprachpolitik und Sprachbewußtsein in Kuba im 19. Jahrhundert Matthias Perl (Leipzig)

Für die erste Phase der spanischen Kolonialexpansion in Kuba gibt es m.W. keine Dokumente, die direkte Informationen zur Sprachsituation bzw. zur Sprachpolitik der spanischen Krone enthalten. Dennoch trifft auch für Kuba die Vermutung Milans1 zu, daß die spanischen Eroberer mit der festen Absicht in die neu entdeckten Gebiete kamen, dort auch ihre Sprache zu verbreiten, die 1492 Antonio de Nebrija in einer fünfbändigen Grammatik ausführlich beschrieben hatte und wo er im letzten Band direkt auf die Sprecher eingeht, die Spanisch als Fremdsprache erlernen sollten.2 Die mit Nebrija begonnene Kodifizierung des Spanischen kann heute als erste, wenn auch indirekte, sprachpolitische Maßnahme der spanischen Krone angesehen werden, die die Verbreitung des Spanischen in den neu eroberten Gebieten in Amerika und Asien erleichtern sollte. Henríquez Ureña (1963) gibt an, daß 1505 in Santo Domingo die erste Schule Amerikas gegründet wurde. 1513 werden die ersten spanischen Verordnungen erlassen, um ausgewählte Indianer der Antillen Latein zu lehren. Realisiert werden diese 'disposiciones' aber weniger auf den Antilleninseln als vielmehr in Mexiko, Peru und Guatemala, wo später die Schulen Universitätsniveau erhalten und sogar Kurse für Indianersprachen für Theologen und Prediger anbieten. In Kuba entwickelt sich das Bildimgswesen langsamer und steht unter stärkerer Kontrolle der spanischen Geistlichkeit. Dihigo 3 führt an, daß durch päpstliche Bulle von Hadrian VI. vom 28. April 1522 und durch einen Hirtenbrief des Bischofs White aus dem Jahre 1525 in der Kathedrale von Santiago de Cuba der Lateinunterricht aufgenommen wird. Gleiches wird im Testament des Capitán Paradas (15. Mai 1571) für Bayamo angeordnet, aber erst 150 Jahre später realisiert. Obwohl es in den historischen Quellen keine expliziten Hinweise auf die Lehre des Spanischen gibt, kann man davon ausgehen, daß ab 1578 in den Klöstern Santo Domingo und San Francisco Elementarunterricht zur Vermittlung der spanischen Sprache gehalten wurde. Mit der Einwanderung von Spaniern aus den unterschiedlichsten Regionen der Iberischen Halbinsel und von den Kanarischen Inseln entwickelte sich eine sozial determinierte Sprachvarietät

1

Milan 1983, S. 126.

2

Vgl. Milan 1983, S. 124.

3

Dihigo 1977, S. 254.

Sprachpolitik und Sprachbewußtsein

271

(español vulgar) der Seeleute, Händler, Bauern und Gewerbetreibenden, die neben der Standardvarietät zunehmend an Bedeutung gewann. Im 18. Jahrhundert wird in den "escuelitas de amigas" Spanischunterricht für weiße und schwarze Kinder von freien Mulatten gehalten. Neben den nun entstehenden offiziellen Schulen sind die genannten Nachbarschaftsschulen eine nicht zu unterschätzende Quelle für die Sprachentwicklung, besonders der kubanisch geprägten Umgangssprache. Die Kinder der reichen Schichten studieren in Spanien, Mexiko, an der Universität von Santo Domingo und in Venezuela und kehren nicht nur mit neuen Ideen, besonders des europäischen Humanismus, sondern auch mit einer sich von der Masse der Bevölkerung unterscheidenden sozial determinierten Sprachvarietät zurück. Es ist diese Sprachvarietät, die nicht nur in Kuba, sondern viel stärker u.a. in Argentinien und Brasilien4 Ausdruck der sich nun herausbildenden kulturellen Identität und somit Zielscheibe der auf das Iberospanische eingeschworenen Puristen wird. Die kubanischen Intellektuellen schwanken im 18. Jahrhundert noch zwischen der Weiterführung eines normativen kastilischen Spanisch und der reichen Ausdrucksweise der sich nun verstärkt entwickelnden kubanischen Varietät. Noch sind es Klassenzugehörigkeit, rassische Überlegenheitsgefühle und Albozentrismus, die die vollständige Anerkennung des kubaspezifischen Spanisch verhindern. Mit der Gründung der "Real Sociedad Patriótica de Amigos del País" (1793) als erster Kulturinstitution des Landes wird auch ein Gremium geschaffen, wo Fragen der Sprachentwicklung diskutiert werden. Bereits 1795 tragen Fray Pedro Espinola und Fray José Maria Peñalver Stellungnahmen vor, die als Memoria sobre los defectos de pronunciación de nuestro idioma y medios de corregirlos bzw. Memoria que promueve la edición de un diccionario de la Isla de Cuba veröffentlicht werden und den Grundstein für die Sprachdiskussion darstellen. Die genannte Vereinigimg und das regelmäßige Erscheinen der Zeitschrift Papel periódico de La Habana (ab 1790), die nicht nur Nachrichten enthielt, sondern auch literarische Texte veröffentlichte, können für Kuba als die wichtigsten Faktoren für eine Einflußnahme auf die Sprachentwicklung vermittelt über das Bildungswesen und die Presse - angesehen werden.5 Die Unabhängigkeitsideale im 19. Jahrhundert fanden auch ihren Ausdruck im Kampf gegen das scholastische spanische Denken. Der Pater Félix Varela, Lehrer am "Colegio Seminario de San Carlos", kann als Pionier der Reformen auf den Gebieten der Philosophie, Kultur und des Erziehungswesens angesehen werden, die u.a. zur Abschaffung des Lateins als Unterrichtssprache an der Universität und zur Verwendung des Spanischen führen. Der Übergang zum Spanischen hatte zunächst das Erscheinen von zahlreichen Schulgrammatiken 4

Vgl. Abeille 1900 und Pimentel Pinto 1978.

5

Vgl. Perl 1988, S. 32.

Matthias Perl zur Folge, die von Kubanern geschrieben wurden, aber exakt die Vorgaben der "Real Academia de la Lengua Española" befolgten. Das puristische Sprachideal wurde somit in der Lehre konsequent durchgesetzt. Lediglich auf lexikographischem Gebiet wurde der sich entwickelnden kubanischen Spanischvarietät Rechnung getragen. Esteban Pichardo y Tapia legte 1836 sein Diccionario provincial casi razonado de vozes y frases cubanas vor. Dieses Wörterbuch enthält auch Hinweise zur Phonetik, zu Aussprachefehlern, typisch kubanischen grammatischen Strukturen, zu Unterschieden der sprachlichen Niveaus, etc.

272

Pichardos Wörterbuch stellt den Beginn der kubanischen Lexikographie dar und ist gleichzeitig Ausdruck eines Sprachbewußtseins, das zwischen kastilischer Norm und Anerkennimg kubaspezifischer Realitäten schwankt; eine Position, die noch bis heute anzutreffen ist. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts steigt das Interesse an der Beschreibung der nationalen Sprachvarietät stark an. Autoren wie Bachiller y Morales (1977), De Armas (1977) und Ramos y Duarte (1977) untersuchen die Quellen, die zur Herausbildung des kubanischen Spanisch führten. Dabei werden auch Einflüsse genannt, die später als irrelevant oder sogar unzutreffend angesehen werden. De Armas (1977, 186) bewertet das kubanische Spanisch sogar positiver als das kastilische und zeigt, daß im Rahmen der sich entwickelnden Unabhängigkeitsbestrebungen nun auch auf kulturellem und damit auch sprachlichem Gebiet der bis dahin anzutreffende Schuldkomplex eines Sprechers, der die kastilische Norm nicht ausreichend gut beherrscht, in ein Gefühl des nationalen Stolzes und der Überlegenheit uminterpretiert werden kann. "Si en América predomina el uso de millares de palabras que trajeron los conquistadores; se rije entre nosotros la misma pronunciación que ellos tenían, no podrá decirse con justicia que hemos corrompido la lengua de nuestros padres; i por el contrario, si en la Península han caido en desuso dichas palabras, no por eso ha de negársenos el derecho de usarlas, con tanta más razón cuanto que los fieles a la tradición i a la pureza somos en mayor número, casi el doble, de los que en España han olvidado el vocabulario i la pronunciación más clásica, más antigua."

Die Eigenständigkeit des kubanischen Spanisch und dessen positive Bewertung zeigen sich in den Schlußbemerkungen des gleichen Autors: "No puede el esfuerzo humano contener la formación, el enriquecimiento i el gradual perfeccionamiento del lenguaje criollo." (De Armas 1977,186).

Auch Merchán (1977), inspiriert durch die Arbeit Apuntaciones críticas sobre el lenguaje bogotano des Kolumbianers D. Rufino José Cuervo, denkt über die Besonderheiten des Spanischen in Kolumbien und Kuba nach und unterstreicht die Bedeutung der autochthonen Entwicklung der spanischen Sprache in verschiedenen Ländern Amerikas. Es ließen sich noch mehrere Autoren anführen, die entweder als Vertreter einer puristischen, nach Spanien blickenden Richtung, oder der sich entwickelnden, kubanische Phänomene positiv bewerten-

Sprachpolitik und Sprachbewußtsein 273 den Gruppe zugerechnet werden können. Dennoch muß an dieser Stelle festgestellt werden, daß die Sprachdiskussion in Kuba im 19. Jahrhundert in keiner Weise ein herausragendes Problem der kulturellen Entwicklung war, wie z.B. in Argentinien oder Brasilien. Kritisch ist die Position des prominentesten kubanischen Intellektuellen José Martí gegenüber der spanischen Real Academia. Martí betrachtet die amerikanischen Sprachakademien als "agencia hábil de España en América para defender sus míseras posesiones" an, die nur "ciencia de momia" verbreiten.8 Martí sieht die Arbeit der Real Academia als Behinderung der Sprachentwicklung an, die die spanische Sprache ärmer macht. Als Verteidiger der amerikanischen Kultur wendet er sich auch gegen die spanischen Bestrebungen, die indigenen Sprachen und Kulturen zu mißachten. Auch die Lehre des Lateins wird von Marti in Frage gestellt, da er lateinisch- und griechischsprechende "Herren" als Bürgerüche ansieht, die sich darauf beschränken, über das Wohl Amerikas zu philosophieren.7 Obwohl Marti die Verschiedenheit des Spanischen in Amerika positiv bewertet, warnt er aber vor Deformationen, die die sprachliche Einheit gefährden. In seinem Artikel "El castellano en América" in der uruguayischen Zeitschrift La Nación (Montevideo 1889) kritisiert er diejenigen Intellektuellen, die Lateinkenntnisse als Ausdruck von Gelehrtheit ansehen. Im gleichen Aufsatz vertritt er auch Positionen, die die Eigenständigkeit des amerikanischen Spanisch insgesamt positiv bewerten. Die Aufwertung der als "lenguaje criollo" bezeichneten kubanischen Sprachvarietät einerseits und das latente Gefühl eines "sprachlichen Inferioritätskomplexes" gegenüber Spanien andererseits sind besonders für das 19. Jahrhundert in Kuba typisch. Unmittelbar vor der siegreichen Beendigung des Unabhängigkeitskrieges gegen Spanien intervenierten die USA in Kuba. Im Vertrag von Paris mußte Spanien am 10. Dezember 1898 u.a. auf seine Herrschaft in Kuba verzichten. Als am 1. Januar 1899 die spanische Armee Kuba verließ, übergab der Generalkapitän das Land an den ersten US-amerikanischen Gouverneur. Dieser Zustand blieb bis zum 20. Mai 1902 bestehen, als Kuba seine Unabhängigkeit erklärte, de facto aber US-amerikanische Halbkolonie blieb, da durch die von den USA 1901 erzwungene Verfassungsergänzung (Enmienda Platt) das Interventionsrecht der USA in Kuba festgeschrieben wurde. Wie in Puerto Rico,8 versuchten die USA auch in Kuba, direkten Einfluß auf die Sprachpolitik zu nehmen. Bereits 1900 erarbeitete der US-Amerikaner A.E. Frye in Zusammenarbeit mit kubanischen Autoren ein Manual para maestros, das in Die Hinweise auf die Positionen Martis verdanken wir M.A. Domínguez (Havanna), die sich im Rahmen ihrer noch nicht veröffentlichten Dissertation mit Äußerungen zur Sprachpolitik in den Arbeiten von José Martí beschäftigt. Ebenfalls entnommen aus dem noch nicht veröffentlichten Dissertationsmanuskript von M.A. Domínguez. 8

Vgl. Perl 1985, S. 131.

Matthias Perl Havanna in englischer und spanischer Sprache erschien und bis 1924 gültig war. Obwohl weiterhin Spanisch Nationalsprache blieb, wurde ab September 1900 der obligatorische Englischunterricht in allen Schulen für alle Niveaus eingeführt.

274

Im genannten Handbuch wird die Sprachpolitik seitens der USA gegenüber Kuba durch folgendes Zitat deutlich: "El idioma del hogar y de la escuela será y debe ser, la armoniosa, sencilla y bella lengua patria de Cuba. Esta es la única que en la actualidad [Hervorhebung von mir] conseguirá despertar en el discípulo, el padre y el maestro esa íntima simpatía tan necesaria para la formación del carácter de los niños; es el idioma que habla al corazón y á la inteligencia de los cubanos..." Aber: "no se debía pasar por alto el hecho de que todos los cubanos, sin distinción de clases, al menos en los grandes centros mercantiles, se afanaban por adquirir el idioma inglés, unos porque comprendan su gran importancia comercial, otros por razón de sus tesones científicos y literarios".

Von den kubanischen Lehrern wurde gefordert, daß sie ab 1900 elementaren Englischunterricht geben können, was Teil ihres Diploms sein sollte.10 Zwar gab es in Kuba zu dieser Zeit keine offiziellen Schritte, wie z.B. in Puerto Rico oder auf den Philippinen, das Spanische als Nationalsprache zurückzudrängen, dennoch ist der Inhalt eines 1899 in der New York Sun erschienenen Artikels aufschlußreich: "Uno de los medios más poderosos de transformación social y política que podemos emplear en nuestras nuevas posesiones españolas será la introducción del idioma inglés en ellas por conducto de nuestro sistema de escuelas públicas."

Die Anstrengungen der für die Schulbildung zuständigen US-amerikanischen Beamten konzentrierten sich nicht nur auf die Schüler selbst. Zahlreiche kubanische Lehrer wurden in den USA ausgebildet oder nahmen an Sommerkursen teil. Die kubanischen Lehrer sollten "sin pérdida de tiempo dedicarse al conocimiento del inglés porque Cuba habría de ser el lazo de Unión de las dos Américas".12 Der von den USA-Behörden begonnene Prozeß der kulturellen und damit auch sprachlichen Assimilierung Kubas führte nicht zum Erfolg, da die ausgeprägte nationale Identität nicht gebrochen werden konnte. Erst 1926, d.h. fast 50 Jahre nach Gründung der ersten nationalen Sprachakademien in Amerika, wird die Academia Cubana de la Lengua gegründet, die jedoch erst 1952 offiziell durch Regierungsbeschluß bestätigt wird. Die späte Gründung

9

Frye 1900, S. 82. Vgl. Fiye 1900, S.82. 11 Vgl. De Granda 1974, S. 39. 12 Frye 1900, S. 100.

10

Sprachpolitik und Sprachbewußtsein 275 läßt sich mit der in Kuba bis 1898 währenden Kolonialzeit und der darauf folgenden US-amerikanischen Besetzung erklären. Die sich bereits im 19. Jahrhundert zeigenden Widersprüche zwischen positiver Bewertung der nationalen Sprachvarietät einerseits und Selbsthaßgefühlen andererseits haben sich bis heute erhalten.13 Die Gründe hierfür sind vielfältig. Die Einbettung des Landes in kaiibische Traditionen, die Anlehnung an spanische Normen sowie die Angst vor einer kulturellen Übermacht der USA sind hier zu nennen.*

* Der Vortrag ist Ergebnis der Zusammenarbeit mit Hispanisten der Universität Havanna, besonders mit Juan J. Fernández Marrero, dessen Informationen zur US-amerikanischen Bildungspolitik gegenüber Kuba besonders erwähnt werden sollten.

Bibliographie: Abeille, Lucien, El idioma nacional de los argentinos, Paris 1900 Armas, Juan I. de, "Oríjenes del lenguaje criollo", in: Gladys Alonso, Angel L. Fernández (Hg.), Antología de lingüística cubana, Bd. I, La Habana 1977, S. 115-186 Bachiller y Morales, Antonio, "Desfiguración á que está expuesto el idioma castellano al contacto y mezcla de las razas", in: Gladys Alonso, Angel L. Fernández (Hg.), Antología, Bd. I, La Habana 1977, S. 229-321 Domínguez, María A., Preocupaciones lingüísticas en la obra de José Martí, Diss. in Vorbereitung, Havanna Frye, A.E., Manual para maestros, La Habana 1900 García González, José, Matthias Perl, "La conciencia lingüística en Cuba. Resultados de una encuesta realizada en Santa Clara", in: Revista de Filología Románica IV, Madrid 1986, S. 323-327

13

Vgl. García González/Perl 1986.

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Matthias Perl

Granda, Germán de, Transculturación e interferencia lingüística en el Puerto Rico contemporáneo 1898-1968, La Habana 1974 Merchán, Rafael M., "Estalagmitas del lenguaje", in: Gladys Alonso, Angel L. Fernández (Hg.), Antología, Bd. I., S. 189-211 Milan, William G., "Contemporary Models of Standardized New World Spanish: Origin, Development, and Use", in: Juan Cobarrubias, Joshua A. Fishman (Hg.), Progress in Language Planning. International Perspectives, Berlin, New York, Amsterdam 1983, S. 121-144 Perl, Matthias, Studien zur Herausbildung der kubanischen Variante der spanischen Sprache (unter besonderer Berücksichtigung der nichtspanischen Einflüsse), Leipzig 1980 Perl, Matthias, "La politique linguistique des Etats-Unis à l'égard de Porto Rico", in: A. Winther (Hg.), Problèmes de Glottopolitique. Symposium International Mont-Saint-Aignan, Rouen 1985, S. 131-136 Perl, Matthias, Kapitel: "Arreallinguistik (Spanisch) V. Karibik (Inselwelt)", in: Günther Holtus, Michael Metzeltin, Christian Schmitt (Hg.), Lexikon der romanistischen Linguistik, Tübingen 1991, im Druck Pichardo y Tapia, Esteban, Diccionario provincial casi razonado de vozes y frases cubanas, La Habana 1976. (Nachdruck der 4. Auflage von 1875, 1. Auflage 1836) Pimentel Pinto, Edith, O Portugués do Brasil. Textos críticos e teóricos. 1 1820/1920 - Fontes para a teoria e a historia, Säo Paulo 1978 Ramos y Duarte, Félix, "Orígenes del lenguaje cubano", in: Gladys Alonso, Angel L. Fernández (Hg.), Antologa, Bd. I, La Habana 1977, S. 215-226

Portugiesische Grammatikschreibung im 18. Jahrhundert Barbara Schäfer (Bayreuth) 0. Einleitung Wenn man eine portugiesische Grammatik definiert als eine auf Portugiesisch über Portugiesisch verfaßte Monographie, die eine systematische Beschreibung der Wortarten enthält, so fällt die Bibliographie für das 18. Jahrhundert kurz aus. Nach meinen Recherchen handelt es sich um insgesamt sechs Werke1. Ein Grund, wahrscheinlich der Hauptgrund für diese geringe Zahl hegt darin, daß der muttersprachliche Unterricht in Portugal (wie anderswo in Europa, vgl. Padley 1985: 320) bis ins 18. Jahrhundert keine Rolle in den Schulen spielt:2 "Grammatik" ist gleichbedeutend mit "lateinischer Grammatik". So erklärt es sich, daß die erste portugiesische Grammatik des 18. Jahrhunderts, die Regias da lingua portugueza, espelho da lingua latina (1721) von Jerónimo Contador de Argote, ihre Existenzberechtigung daraus ableitet, eine Hilfestellung beim Lateinlernen bieten zu können.3 Erst mit der Bildungsreform des Marqués de Pombai bekommt der muttersprachliche Unterricht einen - wenn auch bescheidenen (vgl. Carvalho 1985: 455) - Platz in den Schulen eingeräumt. Zum offiziellen Portugiesischlehrbuch für die Classes de Letras wird per Erlaß vom 30.9.1770 die Arte da Grammatica da Lingua Portuguesa von António José dos Reis Lobato bestimmt (Andrade 1981: II, 20; s. 1.2.). Den in den folgenden Jahren publizierten Grammatiken hegen unterschiedliche Absichten und Verfahrensweisen zu Grunde. Als Grammatica Philosophica sieht sich das Werk des Franziskaners Bernardo de Jesus Maria bzw. Bernardo de Lima e Melo Bacelar von 1783. Sein Versuch einer "philosophischen" Beschreibung der portugiesischen Sprache, wohl nach französischem Vorbild, wurde von seinen Zeitgenossen wenig honoriert. Inocencio da Silva (I, 378-79) schreibt über die Rezeption des Diccionario da lingua portugueza, in den die Grammatik integriert war: "A obra, logo que sahiu á luz,

2

In chronologischer Reihenfolge: Argote (1721); Lobato (1771); Bacelar (1783); Compendio breve (1786); Casimire (1789; mir liegen bisher nur zwei Auflagen von 1811 und 1822 vor); Fonseca (1799); Figueiredo (1799). Bei InocSncio da Silva VI wird außerdem noch eine frühe außerhalb Portugals erschienene Grammatik genannt: Dal, Nicolau: Primeira parte da grammatica portugueza, para uso da eschola portugueza de Trangambar (1725) und Segunda parte... (1726). Trangambar: Officio da Real Missäo de Dinamarca. Dieses sicher hochinteressante Werk, von Inocßncio da Silva als "obra mui rara" bezeichnet, konnte ich bisher nicht ausfindig machen. Die Klage darüber zieht sich leitmotivisch durch die portugiesische Grammatik vom 16. bis zum 19. Jahrhundert (vgl. Schäfer 1990) Auch diese Idee ist nicht neu; sie findet sich bereits bei Nebrija in Spanien sowie in Portugal bei Joäo de Barros und Amaro de Roboredo.

278

Barbara Schäfer

começou a servir de alvo aos apodos e sarcasmos dos críticos; e ha quem diga que a auctoridade publica interviera, mandando retirar da circulaçâo os exemplares...". Von 1786 stammt das Breve Compendio da Gramatica Portugueza para o uso das meninas que se educad no Mosteiro da Vizitaçaô de Lisboa, das dem Titel gemäß als Lehrbuch für Klosterschülerinnen gedacht war. Die anonyme Autorin, eine Nonne, verfolgt wie Argote und Lobato in erster Linie die Absicht, das Fremdsprachenlernen durch muttersprachlichen Unterricht zu erleichtern. Da es sich um ein weibliches Zielpublikum handelt, tritt allerdings das Lateinische hinter dem Französischen und Italienischen zurück. Das Erscheinungsjahr 1789 des Methodo grammatical resumido da lingua portugueza von Joäo Joaquim Casimiro ist bei Inocêncio da Silva in, 389 mit einem Fragezeichen versehen. Auf jeden Fall stammt die zweite Auflage von 1803, und es folgen diverse weitere, von denen mir die dritte Auflage von 1811 vorliegt. Balbi (1822: II, C X X V I I ) schreibt über eine Grammatica portugueza Casimiros, mit der er vermutlich den Methodo grammatical meint: "Son plus grand défaut est d'être trop concise; néanmoins elle est assez bonne." Unverständlicherweise findet Casimiro trotz der offensichtlichen Verbreitung seiner Werke keine Erwähnimg bei anderen Grammatikern. Schließlich erschienen 1799 zwei weitere Grammatiken: Die Arte da grammatica portugueza von Pedro José de Figueiredo (Inocêncio da Silva VI, 417) und die Rudimentos da grammatica portugueza von Pedro José da Fonseca (a.a.O. 422). Jerónimo Soares Barbosa gibt im Vorwort seiner um 1803 entstandenen (vgl. Cardoso 1986: 69) Gramática filosófica (1822 postum publiziert, hier zitiert nach der 3. Aufl. 1862) einen Überblick über die bisherige Grammatikschreibung. Aus dem 18. Jahrhundert nennt er dabei Argote, Lobato und die anonym erschienenen Rudimentos von Fonseca (S. XIII); Figueiredos Arte findet kritische Erwähnung im Text. In dem 1888 erstmals veröffentlichten Überblick über die Filología portuguesa von Leite de Vasconcelos (1929: 867-68) figurieren nur Argote und Lobato. Auf diese beiden Grammatiken möchte ich meine Darstellung im folgenden beschränken, da sie einerseits am meisten Beachtung gefunden haben, andererseits zeitlich als repräsentativ gelten können: sie datieren jeweils aus der Mitte der beiden Jahrhunderthälften.

Portugiesische Grammatikschreibung

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1. Die Autoren: Leben und Werk 1.1. Jerónimo Contador de Argote Jerónimo Contador de Argote wurde 1676 in Colares geboren und starb 1749 in Lissabon. Er war Theatinermönch und veröffentlichte außer den Regras, seinem ersten Werk, theologische und philologische Schriften. Die Regras da lingua portuguesa erschienen zuerst 1721 unter dem Pseudonym Caetano Maldonado da Gama. Eine zweite, erweiterte und verbesserte Auflage mit dem richtigen Namen stammt von 1725 (Inocêncio da Silva III, 260). Erst diese zweite Auflage, nach der ich hier zitiere, enthält das Kapitel zur portugiesischen Dialektologie, das bei Silva Neto (1986: 561-64) abgedruckt ist (vgl. Leite de Vasconcelos 1929: 868). 12. António José dos Reis Lobato Über Lobatos Leben gibt es nur wenige Informationen. Laut Inocencio da Silva (I, 175) war er Ritter des Christusordens und Bakkalaureat der Universität Coimbra. Er soll in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts, vermutlich vor 1804, gestorben sein. Leite de Vasconcelos (1929: 867) charakterisiert Lobato als "em gramática um instrumento do Marqués de Pombai ñas obras de reforma contra o ensino jesuítico" (s.o.). So ist auch die Arte da grammatica da lingua portugueza dem Staatsmann gewidmet, und die einzige sonstige bei Inocêncio da Silva angeführte Veröffentlichung trägt den Titel Elogio ao Ill.m° e Ex.m° sr. Sebastiäo José de Carvalho e Mello, Marquez de Pombai (Lissabon 1771). Die Datierung der Arte ist nicht ganz eindeutig. Laut Inocêncio da Silva (a.a.O.) werden außer 1771 auch 1761 und 1770 als Datum der Erstveröffentlichung genannt, und tatsächlich wäre es wahrscheinlicher, daß das 1770 zum offiziellen Lehrbuch deklarierte Werk nicht erst ein Jahr später erschien. Doch, so Inocêncio da Silva a.a.O.: "Seja o que for, näo conheço ediçâo mais antiga da referida Grammatica que a de 1771". Bei dem Datum 1721, das bei Leite de Vasconcelos (1929: 867) genannt wird, handelt es sich eindeutig um einen Druckfehler: erstens war Lobato zu diesem Zeitpunkt aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht geboren, und zweitens hätte er 1721 unmöglich "um instrumento do Marqués de Pombai" sein können. Lobatos Grammatik war als Lehrbuch offenbar weit verbreitet. Inocêncio da Silva verzichtet auf die genauen Angaben zu den zahlreichen Reimpressionen "que säo assás conhecidas e andam nas mäos de todos" (a.a.O.). Ich zitiere das Vorwort nach der 8. Auflage von 1807, den Text nach einer auch in der Paginierung unveränderten Ausgabe von 1824, die das Vorwort nicht enthält.

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2. Die Grammatiken: Ein Vergleich 2.1. Motivation 2.1.1. Argote Wie einleitend bereits gesagt, erhofft sich Argote durch das Studium der Muttersprache eine Vereinfachung des Lateinunterrichts. Der Verstand zeige, daß ein großer Teil der Regeln im Portugiesischen und Lateinischen gleich seien: E assim sabidas as primeyras [regras] tem vencido o Estudante, quando entra a aprender o Latim, a mayor parte das suas regras... ([2])

In einer "Kartenspielparabel" setzt Argote die grammatischen Regeln mit den Spielregeln, die Wörter mit den Bildern gleich; wer die Regeln beherrsche, könne das Spiel auch schnell mit fremden Karten spielen lernen. ([2]) Auch die Römer hätten die Grammatik ihrer eigenen Sprache gelernt, um sich leichter die Prestigesprache ihrer Zeit, das Griechische, aneignen zu können ("como entre os nobres, e sabios estava muy valido o uso da lingua Grega, para a aprenderem sem dificuldade aprendiaö primeyro na puericia a Grammatica Latina", [4]). Bei dem Anspruch auf universelle Regeln fällt auf, daß Argote nicht nur die Universalien im Sinne der Allgemeinen Grammatik ([8]), sondern auch die genetische Verwandtschaft für die Ähnlichkeiten verantwortlich macht: Die Methode, vor dem Lateinischen die Grammatik der Muttersprache zu lernen, wird besonders für die romanischen Länder für sinnvoll gehalten ("as Nagös, cujas linguas vulgares saö filhas da Latina, assim como a Portugueza, Castelhana, Italiana, e Franceza", [2]). Die portugiesische Grammatik als Mittel zum Zweck des Lateinlernens - darin sieht Argote explizit die einzige Aufgabe seines Werks: Este pois he o intento desta Arte ensinar as regras da lingua Portugueza para facilitar aos meninos a percepqaö, e o uso da Grammatica Latina. ([4])

2.2.2. Lobato Lobato nennt in seiner Introducgäo zwei Gründe für das Studium der muttersprachlichen Grammatik: primeira, para se fallar sem erros; segunda para se saberem os fundamentos da lingua, que se falla usualmente (VI).

4

Die Beteuerung, keine portugiesische Grammatik, sondern ein Hilfsmittel zum Lateinlernen anbieten zu wollen, wirkt fast plakativ, wenn ein vor die Lizenzen eingeschobener zweiseitiger Prologo mit den Worten beginnt: "A presente Grammatica he Portugueza no nome, nas palavras, e nas regras; porem no intento, e effeyto, para que se compoz, he Latina".

Portugiesische

Grammalikschreibung

281

Der normative Aspekt (also die eigene Sprache richtig, der Norm gerecht, zu sprechen), der bei den Renaissancegrammatikern präsent gewesen war, bei Roboredo im 17. Jahrhundert aber bereits hinter der fremdsprachendidaktischen Absicht zurückblieb und bei Argote überhaupt keine Rolle mehr spielte, tritt hier wieder in den Vordergrund. Seine Autoritäten für den muttersprachlichen Grammatikunterricht sucht Lobato nicht nur in der Antike - er stellt ebenfalls die Gleichung "Portugiesisch verhält sich zu Latein wie Latein zu Griechisch" auf (VIII) -, sondern auch bei den zeitgenössischen "na^öes cultas" (VII). Als Vorgänger in Portugal nennt Lobato Fernäo de Oliveira, Joäo de Barros, Amaro de Roboredo, Bento Pereira und Argote, was dem Totum der bis dahin veröffentlichten Grammatiken entspricht. Die "fundamentos" der Muttersprache zu erlernen, ist allerdings auch bei Lobato kein Selbstzweck. Auch ihm geht es darum, eine Vorbereitung für den Lateinunterricht zu bieten:5 por quanto na Grammatica materna, de que ja o uso nos tem ensinado a prdtica das suas regras, sem difficuldade se aprendem muitos principios, que säo communs a todas as linguas" (VIII-IX)6

Dennoch scheint bei Lobato letztendlich die Vermittlung der muttersprachlichen Grammatik um ihrer selbst willen Vorrang zu besitzen: a primeira, e indispensavel obrigagäo, que cada hum tem, depois da perfeita noticia da Religiäo, he o saber bem a lingua, que aprendeo desde o bercjo, e juntamente a historia do Paiz em que nasceo (XII)

22. Aufbau In beiden Grammatiken steht die Beschreibung der Wortarten, die traditionelle Etymologia, an erster Stelle und nimmt den größten Raum ein (183 S. bei Argot e, 171 bei Lobato). Im Verhältnis zur Etymologie wird die Syntax bei Argote (105 S.) ausführlicher abgehandelt als bei Lobato (57 S.). Ein Kapitel zur Orthographie findet sich nur bei Argote. Lobato kündigt im Vorwort (XXXI) ein separates Tratado an, das aber offenbar nie erschien.7 5

6

Laut Carvalho (1985: 455) wurde der Portugiesischunterricht Ende des 18. Jahrhunderts nicht von den 'mestres de 1er", den Elementarschullehrern, sondern von den "professores de Latim" erteilt. Lobato (XI-XII) beklagt, daß die meisten mestres nicht in der Lage seien, Grammatik zu unterrichten. Lobato zitiert in diesem Zusammenhang längere Passagen aus Roboredos Methodo grammatica! para todas as linguas (1619), in dem die Besonderheit des muttersprachlichen Unterrichts als Basis des Fremdsprachenunterrichts ausführlich theoretisch begründet wird. Der Ausgabe von 1824 ist ein zeitgenössisches Tratado tforthografìa beigefügt, dessen Autor, José Joaquim Bordalo, einleitend schreibt: "Lamentando a falta consideravel da prezente Grammatica, em que o seu Author omittio està Primeira Parte, täo necessaria ao complemento instructivo da Lingua Materna, me resolvi auxiliala sómente nesta Impressäo com a propria Or-

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Während Etymologie, Syntax und Orthographie zur Standardausstattung der Grammatik gehören, stellen Argotes erst in der zweiten Auflage hinzugefügte Kapitel über Idiotismos, Dialectos und Construigaö eine Besonderheit dar, auf die ich am Ende meiner Darstellung noch näher eingehen werde. Argotes Grammatik bietet außerdem die Besonderheit, wie Donats Ars Grammatica (ed. Keil 1864) in Frage- und Antwortform verfaßt zu sein, und zwar als Dialog zwischen mestre und discípulo, wobei ersterer die Fragen stellt (z.B. "Dizeyme, e que cousa he lingua Portugueza?", 2), letzterer sie beantwortet. 23. Die Definition von "Grammatik" Argote verzichtet auf eine einleitende Definition. Bei Lobato heißt es auf Seite 1: A Grammatica Portugueza he a Arte, que ensina a fazer sem erros a oraQäo Portugueza. [Fußnote:] Desta definiqäo se collige ser a oraQäo portugueza o fim das regras da Grammatica portugueza.

Diese Definition dürfte direkt von Sanctius übernommen sein,8 den Lobato neben dessen Kommentatoren Perizonius, Vossius und Schopp sowie dem PortRoyal-Autor Lancelot im Vorwort (XXVIII) als wichtige Vorbilder anführt. 2.4. Die Wortarten 2.4.1. Die Einteilung Bei der Einteilung der Wortarten (partes orationis) sind Systeme von drei bis zehn Kategorien üblich (vgl. Gómez Asencio 1981: 96-103, Calero Vaquera 1986: 54-66), wobei die Skala nach oben prinzipiell offen ist. Wenn eine Grobeinteilung in zwei Gruppen, z.B. "deklinabel" und "indeklinabel", vorgenommen wird, werden diese Gruppen weiter differenziert. Argote unterscheidet acht Wortarten: Nomen, Pronomen, Verb, Partizip, Adverb, Präposition, Konjunktion und Interjektion. Lobato fügt als weitere Kategorie den Artikel hinzu, den Argote unter den Nomina (5) abhandelt. Abgesehen von Joäo de Oliveira, der dem Artikel ein besonderes Kapitel widmet (vgl. Buescu 1978: 27), ist Lobato der erste portugiesische Grammatiker, der den Artikel als eigene Wortart anerkennt.

thographia da minha nova Arte Portugueza, que brevemente darei á luz; nao tratando porém de tudo aquillo, que o nosso Sapiente Lobato já traz definido nesta sua Arte." (1) 8

f. 9 r "Sed oratio sive syntaxis est finis grammaticae... Grammatica est ars recte loquendi."

Portugiesische Grammatikschreibung 2.4.2. Definitionen Bei den hier vorliegenden Wortartendefinitionen kann man vier Kriterien unterscheiden: 1. morphologisch z.B. "besitzt Numerus und Kasus" (Nomen) 2. semantisch

z.B. "bezeichnet eine Person oder Sache" (Nomen)

3. syntaktisch

z.B. "kann allein im Satz stehen" (Substantiv)/"ersetzt ein Nomen" (Pronomen)"

4. logisch

z.B. "macht eine Aussage über das Subjekt" (Verb) 9

Häufig werden mehrere Definitionskriterien miteinander kombiniert. Der Vergleich der Wortartdefinitionen bei Argote und Lobato zeigt, daß Argote überwiegend morphologische und syntaktische Definitionen verwendet. Das semantische Kriterium findet sich nur (in Kombination mit anderen) beim Nomen und beim Adverb, das logische fehlt ganz. Bei Lobato hingegen enthält die Mehrzahl der Wortarten eine semantische bzw. logische Komponente, und das morphologische Kriterium spielt nur eine untergeordnete Rolle (eigenartigerweise taucht es nur in seiner negativen Ausprägung "indeklinabel" auf). Beim Vergleich der Autoren in Hinblick auf einzelne Definitionen stellen wir fest, daß nur wenige völlig identisch bezüglich der verwendeten Kriterien sind: Nur Pronomen [SYN], Adverb [MOR, SEM, SYN] und Interjektion [SEM] stimmen bei Argote und Lobato exakt überein. Bei Nomen, Substantiv, Adjektiv, Präposition und Konjunktion ist die Beziehung inklusiv, d.h., die Definition eines der beiden Autoren enthält außer dem identischen ein oder mehrere weitere Kriterien. Z.B. definiert Lobato das Nomen semantisch als "huma voz, com que se nomeäo as cousas, e suas qualidades" (9), Argote, unter Hinzufügung des morphologischen Kriteriums, "huma palavra, que significa alguma cousa; tem numeros, e se declina por casos" (3). Bei der Definition von Verb

9

Vgl. Gómez Asencio (1981: 92-93); Calero Vaquera (1986: 109) rechnet das Kriterium 4 als "semántico intradiscursivo" zum Kriterium "semantisch". Sarmiento (1984: 61) unterscheidet für die Gramática de ¡a Real Academia Española zwischen "nocional", "formal" und "sintáctico" und spricht im Zusammenhang mit der Definition des Verbs in der Grammatik von Port-Royal von einer "función lógica" (63). Bei Auroux (1988:111) gehört das logische Kriterium wie das syntaktische und distributioneile zum"entere fonetionner.

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und Partizip fehlt jede Übereinstimmung: Argote verwendet in beiden Fällen das morphologische, Lobato das logische bzw. semantische Kriterium. Die meisten der gegebenen Definitionen sind mit denen der antiken Tradition (Priscian, Donat, vgl. Padley 1976: 264-66) kompatibel. Argotes Darstellung stimmt außerdem auffällig mit der des Jesuiten Manuel Alvares überein, dessen De Institutione Grammatica Libri Très (1572, zahlreiche weitere Auflagen) bis zur pombalinischen Reform in Portugal als Lehrbuch dienten. Das völlige Fehlen von Definitionen nach dem Vorbild der französischen Grammaire Générale überrascht deswegen, weil Argote sich im Vorwort explizit auf Autoren wie Lancelot und den Pater Lamy bezieht: Tambem advirto que alguns poderaö estranhar a explicaçaô, que dou a alguns pontos da Grammatica Portugueza, porèm os que forem versados na liçaô do novo methodo dos Padres da Congregaçaô de Portoroial, e da Grammatica discursada do Padre Lami, veraö que na explicaçaô da Grammatica Portugueza observo a mesma doutrina, que elles observàraô a respeyto da Latina. ([8]-[9])

Der "novo methodo" läßt sich als die Nouvelle Méthode pour apprendre facilement et en peu de temps la langue latine von Claude Lancelot (11644) identifizieren, wobei der Plural "dos Padres..." nahelegt, daß sich Argote auf eine jüngere Ausgabe der Méthode bezieht, an der außer Lancelot auch dessen Kollegen Arnauld und Nicole beteiligt waren (vgl. Padley 1985: 397). Mit der Grammatica discursada dürfte der Art de parier von Bernard Lamy (1675) gemeint sein; dann bleibt allerdings offen, was Argote mit dem "a respeyto da Latina" meint, denn Lamys^lrt bezieht sich auf das Französische. Während in der Nouvelle Méthode von Claude Lancelot systematische Wortartendefinitionen fehlen, hält sich Lamy (1676: 10-25) ganz an die überwiegend semantischen und logischen Definitionen der Grammaire Générale et Raisonnée von Port-Royal. Im Gegensatz zu Argote weicht Lobato in einigen Punkten von der Tradition ab: - Artikel: Zunächst einmal fällt auf, daß Lobato anders als Argote den Artikel als eigene Wortart, ja sogar als erste von neun (statt acht) Klassen präsentiert. Außerdem definiert er ihn nicht wie seine Vorgänger im 16. und 17. Jahrhundert primär morphologisch (als "Kasusersatz"), sondern semantisch, und zwar offensichtlich nach dem Vorbild des Enzyklopädisten Dumarsais bzw. eines seiner Epigonen (vgl. Schäfer). - Verb: Statt einer morphologischen Definition tritt bei Lobato erstmalig in der portugiesischen Grammatikgeschichte eine logische Definition auf, die aus der französischen Grammaire Générale in der Tradition der Grammatik von Port-Royal entlehnt sein dürfte, wo das Verb definiert wird als "un mot dont le principal usage est de signifier l'affirmation" (Arnauld/Lancelot 1660: 95).

Portugiesische Grammatikschreibung 285 Insofern repräsentiert Lobato in Portugal den zögernden Übergang von der lateinischen Grammatiktradition zum Logizismus der Grammaire Générale. 2.5. Syntax Argote und Lobato definieren die Syntax und ihre Teilgebiete folgendermaßen: Argote Lobato i. Syntaxe Syntaxe he a boa ordern, e disposiçaô das palavras. (184)

Syntaxe he a recta composiçâo das partes da oraçâo entre si. (172)

i.i. Syntaxe simples He a que ensina as regras de ordenar bem as palavras na ordern natural. (185)

Sintaxe simples, ou regular he a composito das partes da oragáo, ordenada conforme as regras geraes da Grammatica. (173)

i.i.i. Syntaxe de concordar/de concordancia He a que ensina as regras de concordar os Verbos com os nomes, ou pronomes, e a concordar os nomes adjectivos com os substantivos. (186)

Syntaxe de concordancia, he a uniâo de duas, ou mais partes da oraçâo, que sendo da mesma, ou diversa especie, comvém em alguma cousa. (173)

i.i.ii. Syntaxe de reger/de regencia He a que ensina em que caso haó de estar na Oragaó os nomes, e em que modos, e tempos haó de estar os verbos. (188)

Syntaxe de regencia he, quando certas partes da oraçâo por força do seu modo de significar regem o nome, e o determinäo, para que se ponha neste, ou naquelle caso. (174)

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i.ii. Syntaxe figurada He a que ensina quando estaó bem ordenadas as palavras, ainda que estejaó fóra da ordem natural.

Syntaxe figurada he a composiçâo das partes da oraçâo ordenada fóra das regras da Syntaxe simples, conforme o uso, o estilo da lingua. (210)

Abgesehen davon, daß Lobato sich um abstraktere (und nicht unbedingt besser verständliche) Definitionen der Syntax bemüht, sind hier keine grundlegenden Unterschiede zwischen den beiden Autoren festzustellen. Beide gehen davon aus, daß es eine reguläre Syntax gibt und eine, die die zulässigen Unregelmäßigkeiten beschreibt. Bei Lobato fällt auf, daß er für die oraçâo im Gegensatz zu Argote eine Definition angibt, nämlich "certa composiçâo de palavras, com que de huma cousa se affirma, ou nega outra" (172), womit er zwar auf den Logizismus der Grammaire Générale anspielt, jedoch nicht näher darauf eingeht. 2.5.1. Ellipse Die syntaxe figurada fällt in der Tradition Quintilians üblicherweise in den Bereich der Rhetorik. Sie beschreibt, was von den üblichen Regeln abweicht, aber durch die consuetudo sanktioniert ist (vgl. Breva-Claramonte 1986: XXII). Doch dient eine rhetorische Figur wie die Ellipse beispielsweise Sanctius dazu, scheinbare Irregularitäten der Syntax mit Hilfe einer Art "Tiefenstruktur" zu erklären. Was Sanctius hier von seinen Vorgängern unterscheidet ist laut Padley (1985: 272) folgendes: "... he promûtes the doctrine of elliptic suppletion to the status of a necessary component of linguistic theory", d.h., bei ihm stellt die Ellipse keine Abweichung von der ratio dar, sondern sie gehört notwendig dazu. Argote definiert die Ellipse: He a falta de alguma palavra na Oraçâo (242)

und nennt neben anderen folgende Beispiele: Recebi a de vm. = Recebi a carta de vm. Arno a Pedro, e naö a Francisco = Arno a Pedro, e naö amo a Francisco O Conde Governador o mandou = O Conde, que he Governador, o mandou Amo a Pedro = Eu amo a Pedro.

Die Figur der Ellipse dient Argote dazu, Abweichungen von der sintaxe simples zu erklären, wobei er präzise Regeln formuliert, wie z.B. im Fall des Relativsatzes. Den Beispielsatz Repito as palavras, que lhe disse

Portugiesische Grammatikschreibung kommentiert er folgendermaßen:

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Nesta Oraqaö a palavra Que he relativo, e val o mesmo, que o relativo Qual, e faltalhe o substantivo Palavras, com quem concorda em caso. Repito as palavras, as quaes palavras lhe disse. C5 o relativo Que he obriga^áo úsala [ = a ellipse], com o relativo Qual pode-se usar, ou nao usar. (246)

Doch weist er in anderen Fällen, z.B. wo es um die Komplementation der Verben geht, darauf hin, daß nur der uso als Leitlinie gilt. Zur Behandlung der Ellipse bei Lobato bemerkt Leite de Vasconcelos (1929: 906) sarkastisch: Singular filosofía esta de Lobato, que reduzia quási tóda a sintaxe a elipses e outras figuras de gramática!

Tatsächlich bringt Lobato die Ellipse schon in seinem Vorwort ins Spiel, wo er Argote dafür kritisiert, sie nicht ausreichend zur Klärung syntaktischer Unregelmäßigkeiten eingesetzt zu haben. Z.B. gäbe es keine Regel "alguns adverbios pedem nominativos", sondern es müsse heißen: "todo o nominativo he de Verbo, que na oragáo, quando nao está claro, se entende occulto" (XXV). Argotes Beispielsatz Eis-aqui o ladräo

sei dann in Wirklichkeit eine elliptische Form des Satzes Eis-aqui está o ladräo.

Das Beispiel Argotes für einen "Nominativus absolutus" Posto eu á meza, deo meio dia,

wird von Lobato aufgelöst in Posto eu á meza, ouvi o relogio, que fez o sinal de ser passado o meio dia (XXVI),

was allerdings nichts an der Partizipialkonstruktion, wie immer man sie nennt, ändert. Als Autoritäten für diese Analysen (sie dürften für das Urteil Leite de Vasconcelos' verantwortlich sein) nennt Lobato Sanctius, Perizonius und Vossius: Se a alguem causar novidade este supplemento de palavras, será por desconhecer o uso da figura Grammatical Ellipse; e se lhe parece muito extenso, maiores admittem os Grammaticos Latinos de melhor nota, pois usäo de frases compridas, e ás vezes duras, para reduzirem á Syntaxe simples as ora^öes figuradas, como se póde ver em Sanches, Perizonio e Vossio. (XXVI)

Mit dem expliziten Anspruch, die Stilfiguren auf die sintaxe simples zu reduzieren, setzt sich Lobato deutlich von der Ellipse als rhetorischem Konzept ab. Jede Konstruktion ist regulär insofern, als sie als Ellipse eines den Regeln ent-

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sprechenden Ausgangssatzes betrachtet werden kann. Einzelsprachliche syntaktische "Idiotismen" wie bei Argote gibt es deshalb für ihn nicht. Allerdings läßt Lobato im Kapitel "Da Syntaxe figurada" diesen Aspekt wieder beiseite, indem er die Stilfiguren als Abweichungen von der regulären Syntax definiert, "conforme o uso, e estilo da lingua" (210). 2.6. Argotes Kapitel zu 'Idiotismos', 'Dialectos' und 'Construi^äo' Argotes Grammatik enthält in der zweiten Auflage von 1725 einige Kapitel, die über die üblichen Abhandlungen zu Morphologie und Syntax hinausgehen. Wie er in der Einleitung bemerkt, kann ein Schüler beim Lateinlernen den größten Teil der Grammatikregeln der Muttersprache auf die Fremdsprache übertragen: Istopelo qpertence äsregras, em que convem huma, e outra Grammatica; e pelo que pertence äs regras, em que differem, como saö poucas, facilmente virä no conhecimento dellas. ([3])

Argote setzt also neben den universellen auch einzelsprachliche Regeln an. In den Kapiteln zu Etymologie und Syntax wird der Schwerpunkt auf die Parallelitäten zwischen Latein und Portugiesisch gelegt. Das System der Wortarten sowie die Rektions- und Konkordanzsyntax gelten als universell und lassen bei geeigneter Darstellung in vielen Fällen Gleichungen zwischen den beiden verwandten Sprachen zu, wobei der Maßstab immer das Lateinische ist. Die Regeln des Portugiesischen, die Argote für unvereinbar mit den lateinischen hält, behandelt er im Kapitel "Idiotismos" (258 ff.). 2.6.1. 'Idiotismos' Zu den Idiotismen des Portugiesischen zählt Argote beispielsweise den Gebrauch des Artikels, das Fehlen von Kasusendungen, die Existenz von reflexiven Verben, die zusammengesetzten Zeiten und die Verwendung von finiten Verbformen anstelle von A.c.I.-Konstruktionen. Außer morphologischen und syntaktischen Besonderheiten nennt er auch lexikalische: [...] as palavras muytas vezes significaö huma cousa, e querem dizer outra (272)

Als Beispiel nennt er den Abschiedsgruß A Deos, der in Wirklichkeit Ficay com bem oder Deos vos guarde bedeute (273). Lobato kritisiert diese Darstellung und erklärt den Ausdruck - natürlich - mit einer Ellipse. Der vollständige Satz müsse etwa die Form A Deos peqo que fique na vossa companhia haben (XXVII). Bei dieser Diskussion wird die unterschiedliche Auffassung der beiden Autoren zur Syntax deutlich. Während Argote die Ellipse zur Erklärimg syntaktischer Auffälligkeiten nur dort einsetzt, wo eine "Tiefenstruktur" evident und meist auch an der Oberfläche realisierbar ist, möchte Lobato keine

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Ausnahmen von den Regeln zulassen, was auch die Künstlichkeit vieler seiner Rekonstruktionen "elliptischer" Sätze erklärt. Übrigens sollen laut Argote die Idiotismen im Unterricht nicht näher behandelt werden. Um Verwirrung zu vermeiden, soll nur auf die Abweichungen hingewiesen werden, doch soll der Lehrer diese keinesfalls erklären, es sei denn die ganz einfachen den allerbesten Schülern (273-74). 2.6.2. Die 'Dialectos da lingua portugueza' Argotes Kapitel über die Dialekte stellt den einzigen Teil seiner Grammatik dar, der in neuerer Zeit Beachtung gefunden hat, und zwar wegen seiner Aussagen über den Lautstand der portugiesischen Regionalvarianten im frühen 18. Jahrhundert (vgl. Silva Neto, s.o.). Argote versteht aber unter "dialecto" nicht nur die regionalen ("dialectos locaes"), sondern auch die historischen Varianten ("dialectos do tempo") und verschiedene "dialectos de profissäo" (was sich, wie zu sehen sein wird, nicht mit "Fachsprachen" wiedergeben läßt) (292). Bei den dialectos locaes unterscheidet Argote die Regionen Estremadura, Entre-Douro-e-Minho, Beira, Algarve und Trás-os-Montes, wobei er den Dialekt der Estremadura, also Lissabons, als den unmarkierten behandelt. Diese Aufteilung entspricht weitgehend der klassischen Darstellung von Leite de Vasconcelos, der die portugiesischen Dialekte in interamnense (Entre-Douro-eMinho), transmontano (Trás-os-Montes), beiräo (Beira) und die südlichen Dialekte estremenho (estremadura), alentejano, algarvio und insulano untergliedert (vgl. Cámara 1985: 95). Die dialectos de tempo unterteilt Argote in antiquissimo (bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts), antigo (bis 1578, der Niederlage D. Sebastiäos) und moderno (bis in seine Zeit) (296). Hier finden sich Parallelen zu der Einteilung Silva Netos, der den período arcaico in eine fase trovadoresca (bis 1350 oder 1385) und eine fase da prosa histórica (1385 - 16. Jahrhundert) unterteilt (Silva Neto 1986: 398). Unter dialectos de profissäo versteht Argote in erster Linie Prosa und Vers (197), doch dehnt er den Begriff auch auf diastratische Varianten aus wie den dialecto rustico, die Sprache des ungebildeten Volks, die er äußerst negativ qualifiziert (299); auf die überseeischen Varianten, denen er "muytos termos das linguas barbaras, e muytos vocabulos do Portuguez antigo" (300) bescheinigt; und auf die girias der Stadt Lissabon. Seine Beschreibung bezieht sich also, in moderner Terminologie, auf die diatopischen, diachronischen und diastratischen Varianten seiner Muttersprache. 2.6.3. Construicäo Argote definiert construigaö folgendermaßen:

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Barbara Schäfer He declarar com as palavras de huma lingua, ou Dialecto o que estâ escrito, ou dito em palavras de outra lingua, ou Dialecto; assim como declarar com palavras Portuguezas o que estâ dito, ou escrito com palavras I-atinas. Ou declarar com palavras do Dialecto de prosa Portugueza o que estä escrito, ou dito no Dialectico [sie] Poetico. (301)

Die Gleichsetzung von verschiedenen Varietäten einer Sprache mit verschiedenen Sprachen erlaubt Argote eine "Übersetzung" innerhalb des Portugiesischen vom prosaischen zum poetischen Stil. Die didaktische Absicht dabei liegt offensichtlich in der Vorbereitung der Übersetzung aus dem Lateinischen, denn das Prinzip, so Argote, sei jeweils das gleiche: Die Wörter der Ausgangssprache müßten durch Wörter der Zielsprache ersetzt und in die richtige Reihenfolge gebracht werden, wobei die richtige Reihenfolge die ordern natural, SV-O, ist. Aus dem poetischen No solio rutilante o fulgor reverberava

wird dann prosaisch A luz fazia reflexo no throno resplandecente.

3. Zusammenfassung. Einordnung Argote verfolgt mit seinen Regras ausdrücklich das Ziel, auf Grund einer angenommenen Universalität grammatischer Regeln durch den muttersprachlichen Grammatikunterricht das Lateinlernen zu erleichtern. Seine Vorgehensweise kann dabei durchaus als konsequent angesehen werden. Die Einteilung und Beschreibimg der Wortarten sowie der größte Teil der Syntax sind für ihn universell. Morphosyntaktische Abweichungen des Portugiesischen vom Lateinischen handelt er in einem speziellen Kapitel ("Idiotismos") ab. Ein besonderer Status kommt der Wortstellung zu: Sie variiert, so Argote, nicht nur zwischen verschiedenen Sprachen, sondern auch zwischen verschiedenen Stilebenen derselben Sprache. Die Differenzierung zwischen universellen und einzelsprachlichen Regeln, offenbar aus Argotes didaktischem Anspruch hervorgegangen, entspricht im Prinzip der von der französischen Grammaire Générale vorgenommenen Unterscheidung zwischen grammaire générale und particulière (vgl. z.B. Beauzée 1974:1, X). Lobato sieht in der Vorbereitung des Lateinunterrichts nur den sekundären Zweck seiner Grammatik. Seine Vorstellungen von Universalität beinhalten nicht wie bei Argote die Möglichkeit einzelsprachlicher Regeln. Statt Idiotismen zuzulassen, versucht er wie sein Vorbild Sanctius mit möglichst wenigen Regeln auszukommen und Abweichungen durch elliptische Konstruktionen zu erklären. Diese Vorgehensweise wird dadurch erleichtert, daß er sich, ebenfalls wie Sanctius, auf eine einzige Sprache beschränkt und daher der Schwierigkeit entgeht, gemeinsame Regeln für divergierende einzelsprachliche Strukturen

Portugiesische Grammalikschreibung

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finden zu müssen. Die Nichtberücksichtigung des Lateins erleichtert andererseits die Lösung vom lateinischen Beschreibungsmodell, wie sie sich z.B. an der Einführung des Artikels als neunte Wortart zeigt. Wenn man die Beschreibung der Wortarten als Indikator für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Grammatiktradition ansieht, kann Argote mit seinen primär morphologischen Definitionen der lateinischen Tradition, repräsentiert von Priscian, Donat, Manuel Alvares, aber im Bereich der Wortartendefinitionen auch Sanctius, zugerechnet werden. Morphologische Definitionen eignen sich für Grammatiken mit universellem Anspruch nur sehr bedingt, da Kategorien wie Kasus oder Genus nicht in allen Sprachen formale Entsprechungen besitzen. Sowohl die mittelalterlichen Modisten als auch die Grammatiker der Grammaire Générale verwenden stattdessen semantische bzw. logische Definitionen, die einer größeren Anzahl von Sprachen gerecht werden können. Lobato, der die Werke der französischen Grammaire Générale kennt (s.o.), bleibt z.T. den alten Traditionen verhaftet, übernimmt aber auch Innovationen, wenn er z.B. das Konzept der logischen Proposition einführt und das Verb nach seiner Funktion darin definiert. Insofern nimmt Lobato eine Zwischenstellung ein zwischen der lateinischen Tradition und der der allgemeinen oder philosophischen Grammatik, die ab der Wende zum 19. Jahrhundert in Portugal dominiert. Interessant dabei ist, daß Lobato 1771, also mehr als 100 Jahre nach dem Erscheinen der Grammatik von Port-Royal, die französischen Publikationen zwar zur Kenntnis nimmt, letztlich aber deren wichtige Quelle Sanctius als vorrangig ansieht.

292

Barbara Schäfer Anhang: Die Wortartend eflnltlonen bei Argote und Lobato

Argote Artikel

Lobato

[In der Kategorie Nomen] Artigo he huma palavrinha, ou particula, que se poem antes do nome. (5)

Artigo he huma palavra, que por si só nao significa cousa alguma completamente; mas posta na ora^áo antes do nome Appelativo, ou Commum, lhe restringe, e determina a sua significado geral, fazendo-a pertencer a huma só pessoa, ou cousa. (8) [SEM, SYN]

Nomen Nome he huma palavra, que significa alguma cousa; tem números, e se declina por casos. (3)

Nome he huma voz, com que se nomeäo as cousas, e suas qualidades (9) [SEM]

[SEM, MOR] (Substantiv) Nome Substantivo he aquelle, que per si só sem ajuda de outrem pòde estar na Ora$áo (21) [SYN]

Substantivo he aquelle, que por si só, isto he, sem dependencia do adjectivo, significa completamente huma cousa (10) [SEM, SYN]

(Adjektiv) Nome Adjectivo he aquelle, que naó pòde estar na Oragaó sem outro nome, ou clara, ou occultamente (21) [SYN]

O Nome Adjectivo he aquelle, que significa a qualidade da cousa que significa o Nome Substantivo; pelo que delle depende para fazer sentido completo (11) [...] depende de se ajuntar a hum Nome Substantivo (12) [SEM, SYN]

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Pronomen [Pronome] He huma palavra, que se poem em lugar de Nome (36) [SYN]

Pronome he aquelle, que na ora§äo se pöe em lugar de outro nome (32) [SYN]

Verb Verbo he huma palavra significativa, que tem pessoas, números, modos, tempos, e nao se declina por casos (50) [MOR]

Verbo he huma palavra, que na oragáo affirma alguma cousa (55) [LOG]

Partizip Participio he huma palavra, que tem casos, e tempos (61) [MOR]

Participio he hum nome adjectivo, que participa (do que lhe provém o nome) do verbo, de que se deriva a propriedade de mostrar tambem o tempo, em que se obra a cousa, que significa (150) [SEM]

Adverb Adverbio he huma palavra, que naó tem tempos, nem se declina por casos, e junta a outra palavra determina, e declara a sua significalo (169) [MOR, SEM, SYN]

Adverbio he huma voz indeclinavel que por si só nao significa nada completamente, mas junta na oragáo a outra palavra, lhe declara o modo da sua significagáo (153) [MOR, SEM, SYN]

Präposition Preposigaö he huma palavra, que se poem antes das outras palavras, ou junta, ou separada (172) [SYN]

Preposieáo he huma voz indeclinavel, que por si só nao tem significagáo completa; mas posta na oragáo antes do nome, rege a este para estar no caso, que ella pede (151) [MOR, SEM, SYN]

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Konjunktion Conjunçaô he huma partícula, que serve de unir o sentido, e palavras da Oraçaô (176) [SYN]

Conjunto he huma voz indeclinavel, que por si só nao tem significagáo completa; mas posta no discurso, serve de ajuntar os membros, ou parte delle[s], de que lhe provém o nome (155) [MOR, SEM, SYN]

Inteijektion [Inteijeyçaô] He huma partícula, que mostra os affectos do animo (178) [SEM]

Inteijeiçâo he huma voz indeclinavel, que serve para exprimir as varias paixöes da nossa alma (156) [SEM]

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Barbara Schäfer

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Linguagem jurídica - culta ou oculta? Lutz Franzke (Berlin) No seio da discussâo relacionada às linguagens técnico-científicas, em foco desde os fins dos anos 60, a linguagem jurídica, ou seja o jurolecto, merece ainda maior atençâo. Valerá estipular traços gérais e característicos deste género de discurso ressalvando-o de outros tecnolectos, bem como de textos literários, de imprensa etc.. Nao há nenhuma linguagem técnica medida da mesma forma pela sua materializaçâo discursiva. Netto pondera este fenómeno de seguinte modo: "Jamais como no direito o refráo popular 'te pego pela palavra' teve tantos foros de verdade." (74:12) A linguagem jurídica - na acepçâo restrita - é o instrumento de comunicaçâo entre os técnicos do vasto campo do Direito. Produtores e destinatários dos enunciados dispóem de experiências e conhecimentos comparáveis na matèria técnica - recolhidos por via de formaçâo específica e de carreira profissionai parecidas; movimentam os meios lingüísticos relevantes (de lexicais a estilísticos) tirados de um dispositivo inventariado relativamente restrito sendo generalizado entre os profissionais.1 Devido ao grau planificado e pré-estabelecido dos enunciados em geral, nao achamos conveniente distinguir entre os meios (Medien) do discurso sendo o oral vs. o escrito. Basta assistir às alegaçôes de um procurador numa sessâo de julgamento para se convencer de que se trata propriamente de um texto escrito oralizado.2 Seguindo as observaçôes feitas por Koch/Oesterreicher, o jurolecto, seja no meio oral seja no meio escrito, é prova eloquente do "discurso de distância" (90:12 "Distanzsprechen"). Antes de elaborarmos traços essenciais do jurolecto portugués, será necessàrio distinguir entre diferentes categorias técnico-jurídicas. Contràrio ao dualismo proposto por vários lingüistas de linguagem de direito e linguagem de juristas, sugerimos as très categorias seguintes: 1. A linguagem legislativa do direito codificado, isto é, as normas legáis consagradas na Lei fundamental, nos diferentes Códigos, Decretos e Regulamentos sendo p.ex. o Código Civil, o Código de Processo Penal etc.. Sidou constata para os anos 60 urna "impressionante vastidáo de nossa floresta legislativa" (85:257) com umas 120 mil leis e actos normativos. 2. A linguagem forense - instrumento de juízes, procuradores e advogados no foro do tribunal. A linguagem forense segue necessariamente certas estratégias de argumentaçâo e tradiçôes discursivas evoluídas diacronicamente. A lingua1

2

Kocourek (82:31) "consensus d'usage au sein de la communauté des spécialistes" Koch/Oesterreicher (90:24) "elaborierte Mündlichkeit"

Linguagem jurídica - culta ou oculta? 299 gem em foro é acompanhada por urna sèrie de elementos extra-linguísíicos, desde o cerimonial duma audiéncia de julgamento, o hábito dos profissionais, as togas, os impressos a preencher pelas partes até aos interiores e mobiliário da sala de julgamento - elementos que sublinham o carácter oficial e extraordinàrio dos actos sendo marcantes em favor do discurso de distáncia. 3. A linguagem jurídica aplicada em textos relevantes sendo o meio constituinte de contratos, procuragóes, testamentos erguidos por notário ou o cadastro. A escolha dos meios lingüísticos das respectivas categorías varia em dependencia das intengóes e estratégias dos textos assim como da situado comunicativa concreta (sub-níveis diafásicas). No seio de urna categoria, poderá ser verificada urna gradagáo devida ao específico do destinatàrio e/ou aos papéis assumidos pelos locutores no discurso: Constituido

= > comunidade nacional inteira = > condensalo sintáctica e terminologia reduzidas

Código de Processo Civil = > profissionais em tribunal = > condensalo sintáctica e terminologia máximas necessárias Linguagem forense

= > a) interrogatòrio do relativamente livre

argüido

= >

sintaxe

= > b) sentenza despachada = > sintaxe altamente normalizada As très categorías supramencionadas apresentam determinados critérios justificando os textos serem reconhecíveis na comunicado como jurídicos. Devem compreender meios constitutivos que nao sejam característicos em outros tipos de texto (veja Helbig, 86:171).3 O jurolecto portugués revela traaos característicos, tais como os seguintes: 1. Documenta o portugués padráo público e compreende o menor possível de espontaneidade e um elevad(íssim)o grau de planificado. Produz manif e s t a r e s exemplares da variagáo diafásica segundo Coseriu. 2. O jurolecto é formulado num nivel fortemente abstracto e generalizante. Fora da linguagem forense, sao excluidos obrigatoriamente os meios de afectividade e de expressividade. O grau de condensalo pressupóe urna larga escala

3

Focalizando a discussäo, Mounin afirma näo haver urna pròpria linguagem de Direito. "Au sens propre, il n'existe pas de langue du droit en soi mais seulement, à l'intérieur de la langue française, un vocabulaire de droit et sans doute quelques tours syntaxiques spécifiques." (79:13) A presente conclusäo dependerá mormente da ponderáncia atribuida a certos fenómenos lingüísticos.

Lutz Franzke de inferencias o que dificulta a recepçâo e compreensäo dos textos pelos näoprofissionais do ramo.4

300

3. Conforme os jurisconsultos, as características básicas do jurolecto seräo clareza, précisäo e brevidade5 (Xavier, 84:136). Além de um léxico conciso, reconhecemos igualmente urna restriçâo na implementaçâo de meios gramaticais. Em relaçâo à linguagem literária e à linguagem corrente falada, predominam elementos padronizados, isto é, normas congeladas evocando no recipiente näo-profissional urna certa impressäo de serem arcáicas. (A): O contrato pelo quai, a título de esponsais, desposónos ou qualquer outro, duas pessoas de sexo diferente se comprometerem a contrair matrimònio näo dà direito a exigir a celebraçâo do casamento, nem a reclamar, na falta do cumplimento, outras indemnizaçôes que näo sejam as previstas no artigo 1594°, mesmo quando resultantes de cláusula penal. (Artigo 1591.° CCP) 4. Na terminologia reflecte-se urna exactidáo que ainda excede a das ciências naturais e técnicas. Kocourek (82:12) reconhece com respeito às linguagens técnicas: "Son idéal est la biunivocité, c'est-à-dire l'absence des synonymes, des homonymes et de la polysémie." Os casos raros de lexemas bissémios, como p.ex. autor, sao desambiguados por meio do contexto/tipo de texto em autor de crime (direito penai) e autor de urna obra artística (direito de autor). Os termos técnicos com a sua definiçâo exacta sao as palavras-chave de qualquer texto técnico evidenciando no jurolecto urna frequência característica. Por um lado, configuram termos de emprego exclusivo no campo jurídico, sendo a inimputabilidade (Unzurechnungsfähigkeit), o usucapido (Ersitzung) e o fideicomissário (Treuhänder). Por outro lado, na base dos respectivos conceitos jurídicos, os termos assumem um significado específico em relaçâo à linguagem corrente6 pensando em contrato, culpa ou roubo. Para usos no discurso familiar, os respectivos lexemas sao largamente re- ou desmotivados. Será igualmente preciso distinguir os conceitos subjacentes nos termos como posse (Besitz), usofruto (Nießbrauch) e propriedade (Eigentum) pertencentes ao mesmo campo léxico-semántico horizontal. Termos simples, termos compostos (unidades lexicais complexos ou sintagmas lexicalizados) e oraçôes normalizadas formam um conjunto inseparável. Em caso de omitir ou trocar elementos singulares de expressöes sintagmáticos, ha4

Este facto pode ser aproveitado por advogados ou elementos da Polícia Judiciária para conhecer da verdade em interrogatórios. Estudando p.ex. o Código Civil Portugués, näo é difícil notar urna larga extensäo das frases acompanhada de valéncias saturadas dos verbos e um grau hipotáctico elevado provando as afinagöes tecnolectais. "Was nun die Hypotaxe betrifft, so kommt sie zweifellos den Erfordernissen und Möglichkeiten des Distanzsprechens entgegen." (Koch/Oesterreicher, 90:98) A brevidade näo é, porém, o critèrio decisivo, mas sim a rigorosa inequivocidade do enunciado. Aguardamos a publicado dos estudos de Blumenthal/Rovere sobre as valéncias tecnolectais no jurolecto italiano e alemäo.

Linguagem jurídica - culta ou oculta?

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verá defeitos na comunicaçâo - fatais particularmente na vida judicial. Urna pena privativa de liberdade nao é sinónimo de urna pena de prisâo, urna sentença transitada em julgado nao é equivalente a urna sentença definitiva. Ainda mais complexos sao enunciados estereotipadas tais como Justificam o facto (Der Tatbestand ist gegeben) ou Cusías na forma da lei, que sem análises de direito comparado nao seráo traduzidos de modo equivalente. As oraçôes generalizadas por uso e norma sao actantes básicos da legislaçâo e do jurolecto aplicados em sentenças, acórdáos, procuraçôes e contratos: (B): Acordam, em sessáo da Terceira Cámara Civil do Tribunal de Justiça de Sao Paulo, por maioria de votos e adotado o relatório de fl...., completando pelo de fl. ..., negar provimento à apelaçâo para confirmar a sentença recorrida por seus fundamentos, concordes com a prova e o direito. (Acórdáo, Netto, 74:189) (C): Em nome da República Popular de Moçambique, o Tribunal Popular Distrital da Matóla ... julga improcedente a acusaçâo e extinto o procedimento criminal, ordenando que estes autos, cumpridas que forem as formalidades legáis, sejam arquivados. (Sentença, Justiça Popular, n° 11, Junio 1986, p. 23) Xavier comenta: "A redaçâo das diversas peças que integram um processo obedece a urna sistemática até certo ponto preestabelecida." (84:246) O dominio da linguagem jurídica nao é questáo de estudar direito durante alguns anos. Os juristas aprendem e memorizam os conceitos técnicos com alta consciência linguistica no seio do respectivo ambiente comunicativo - junto com os moldes da estilística jurídica crescida históricamente. Partilhamos a observaçào de Xavier: "Em linguagem forense, há fórmulas consagradas pelo uso e pela praxe". (idem:247) Para os juristas se familiarizaren! com uso e praxe, ou seja, com os enunciados estereotipados, os estágios assumem urna importância significativa. Cursos de retórica forense sao indispensáveis para entrar na matèria e para saber satisfazer as normas discursivas vigentes. Em seguida, referimos traços estilísticos ou sintácticos essenciais do jurolecto portugués manifestando-se na frequência e preferência de determinados meios de expressâo: a) Os objectivos visados e o elevado grau orientador e abstracto da mensagem condicionam urna deixis em que preponderara os meios sintácticos da visâo prospectiva - em proposiçôes primárias, o presente do indicativo, - em proposiçôes derivadas ou secundárias, o futuro imperfeito. O mesmo caso verificarse-á na distribuiçâo do subjuntivo do presente vs. os subjuntivos do futuro simples e do futuro composto. O futuro com a sua força ilocutiva nao é fenómeno recente a pensarmos nos catecismos como: Nao matarás. Para exemplificar, citamos o Artigo 261° do CPP que diz respeito a interrogatórios:

Lutz Franzke (D): As perguntas nao seráo sugestivas ... nem acompanhadas de dolosas persuasóes, falsas promessas ou ameagas. 302

Salvo em interven$óes das partes em tribunal, as restrigóes do encadeiamento textual diminuem o emprego dos meios de expressáo da retrospectiva (Maisque-Perfeito, Perfeito Simples, Imperfeito) e dos meios da probabilidade hipotética (Condicional, subjuntivo do Imperfeito ou do Mais-que-Perfeito). b) Sobretudo na linguagem legislativa, constatamos a abundancia de oragóes condicionáis reais. A prótase (condicionante) é formulada no presente do indicativo na acepgáo mais generalizada ou no subjuntivo do futuro em requisitos particulares. A fungáo da perspectiva deíctica secundária do ante-futuro muito frequente na legislagáo e raríssimo em textos extra-jurídicos - é desempenhada pelo subjuntivo do futuro composto. A apódose (condicionado), portadora da proposigáo necessariamente real e remática, é formulada no presente do indicativo (acepgáo geral) e no Futuro imperfeito (circunstancias particulares), respectivamente. (E): Se da inspecgao resultar a detecgáo de factos passíveis de procedimento disciplinar ou criminal, o inspector dará conhecimento imediato deles á entidade competente. (Diploma ministerial, Min. da Justina, 14/85, Maputo, 1985, p. 7) (F): Se o falecido nao tiver disposto válida e eficazmente, no todo ou em parte, dos bens de que podia dispor para depois da morte, sao chamados á sucessáo desses bens os herdeiros legítimos. (Artigo 2131° CCP) c) A brevidade de enunciados jurídicos manifesta-se no emprego elevado de formas nomináis do verbo, especialmente de gerúndios e participios. É característica a queda de conjungóes subordenativas, de pronomes relativos e de verbos auxiliares, copulativos e passivos. As redugóes sintácticas sao consideradas exemplares para obter a elegantia juris (NASCIMENTO, 87:244) ou a beleza funcional (XAVIER, 84:152, SIDOU, 85:262) (G): Aguarda que sejam os requerimentos deferidos. Aguarda # Aguarda #

serem os requerimentos deferidos. #

deferidos os requerimentos. (Nascimiento:239)

(Comparem igualmente os exemplos B e C) d) Na linguagem jurídica revela-se urna acentuada frequéncia de oragóes relativas restritivas sendo consequéncia natural o largo emprego dos subjuntivos do presente, do futuro e do futuro composto além do aproveitamento das formas nomináis do verbo. (H): Podem testar todos os individuos que a lei nao declare incapazes de o fazer. (Artigo 2188° CCP)

Linguagem jurídica - culta ou oculta? 303 (I): Aquele que perfizer dezoito anos de idade adquire plena capacidade de exercício de direitos. (Artigo 130° CCP) (J): Sao moqambicanos, desde que hajam nascido em Mogambique: [...] aqueles a quern já tiver sido concedida a nacionalidade originària pelo Presidente da República. (Artigo 11° Constituidlo Mozambicana) e) No jurolecto codificado reflecte-se urna preponderancia expressa do paciente7 com urna elevada quota da voz da passiva e de meios similiares bem como a r e d u j o do paradigma flexional à 3a pessoa (discurso despersonalizado). (K): A personalidade adquire-se no momento do nascimento completo e com vida. (Artigo 66° CCP) f) Na linguagem forense permanece instrumento estilístico - o emprego de brocardos jurídicos do direito romano e de locu§5es latinas. Pensamos em Dormientibus non succurit jus (Xavier, 84:167) bem como ab irato (em estado de ira) (idem: 172). Voltemos ao título do presente artigo. O jurolecto, seja portugués, espanhol ou alemáo, dispóe de urna linguagem específica em respeito à escolha dos meios de expressáo disponíveis. Ele é consistente face a inovagòes lingüísticas permanecendo num nivel relativamente arcàico. A consistencia é, porém, indispensável para garantir urna comunicagáo inequívoca entre os profissionais do ramo. Dentro da varialo diafásica ou ainda mais convencente por via do conceito da linguagem de distància, a linguagem técnica assegura a criagáo duma atmosfera de oficialidade.8 O jurolecto é instrumento de juristas. Vendo os participantes num processo em tribunal, será preciso diferenciar entre os profissionais (juízes, advogados, procuradores) e os náo-profissionais (partes, argüido, réu, testemunhas, júri), que empregam as suas variedades lingüísticas na base de códigos sócio-culturais diferentes. Particularmente no contacto entre juristas e leigos podem surgir graves defeitos na comunica§áo. Santos (88:37) refere-se a um processo criminal nos Estados Unidos em que, despachada a sentenza, o réu nao sabia se fora condenado ou absolvido. Estudando a linguagem administrativa, Landowski (85:7) constata "la pesadez y el carácter falsamente majestuoso" e tira a conclusáo de eia "no debe ser ni cotidianamente hablada ni perfectamente comprendida por todos." (idem: 11) 7

8

com Thielemann (89:44) "das unpersönliche, sachbezogene und sachverhaltsverwobene Textprofil der Rechtssprache" vide Santos, 88:34

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A apreciaçâo de a linguagem jurídica ser culta ou oculta depende do ángulo de visáo. De certo, a maioria dos individuos considera-a de acesso difícil, pouco compreensível ou oculta. Este critèrio, no entanto, é linguisticamente irrelevante. Alguns lingüistas fai am de urna "linguagem ultra-especializada" (Santos, 88:35) ou dum "esoterismo linguistico" (Landowski, 85:11). Nós näo negamos um certo esoterismo ou "estilo elitário" do jurolecto cultivado pelos representantes duma "profissáo eleita" (Xavier, 84:11). É, porém, urna linguagem exacta que cumpre perfeitamente as funçôes e metas a se atingir no vasto campo do Direito. No nosso entender, o jurolecto é um instrumento propicio para os profissionais. Nos moldes da sua aplicaçâo é e continua a ser urna variedade explícitamente culta.

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Sprachkontakt: Wie redet die zweite Generation der Immigranten in Hamburg Portugiesisch? Maria de Fätima Brauer-Figueiredo (Hamburg) 1. Untersuchung »gegenständ Gegenstand meines Projektes zum gesprochenen Portugiesisch, das seit 1984 an der Universität Hamburg läuft, ist die Untersuchung einiger Aspekte der Herkunftssprache portugiesischer Immigrantenkinder in einer Situation des Sprachkontaktes.1 Mein Interesse galt ursprünglich der Zweisprachigkeit, aber später habe ich meine Untersuchimg auf die gesprochene Sprache erweitert, denn es wurde mir sehr schnell klar, daß Phänomene, die ich im ersten Moment durch die Zweisprachigkeit zu erklären versucht hatte, nichts anderes als Merkmale der gesprochenen Sprache waren.2

2. Zur Situation der Portugiesen In Hamburg Zwischen 1960 und 1973 immigrierten ca. 169.000 Portugiesen nach Deutschland. 130.900 übten einen Beruf aus. Zwischen 1974 - dem Jahr der Revolution - und 1985 sind viele nach Portugal zurückgekehrt. Gemäß der deutschen Volkszählung wohnten 1987 ca. 79.000 Portugiesen in Deutschland, und 47% davon wohnten hier schon länger als fünfzehn Jahre. Die Mehrheit der portugiesischen Immigranten in Deutschland kommt aus der Küstengegend (Bezirke Porto, Lissabon und Leina), nämlich 58%. Aus Viseu und Braga kommen ca. 27%.3 1984 waren 16% aller Ausländer, die in Hamburg lebten, Portugiesen, und zwar 6.000. 1990 lebten 8.700 Portugiesen in Hamburg oder in unmittelbarer Nähe von Hamburg. Die Hälfte übte einen Beruf aus. Es gibt in Hamburg zwei portugiesischen Vereine und eine Folkloregruppe, und außerdem eine katholische Mission, die auch Jugendgruppen fördert. 927 portugiesische Jugendliche besuchten 1984 die portugiesische Schule. 1990 waren es 850. Die portugiesische Schule umfaßt die erste bis neunter Klasse; die Schüler sind zwischen sechs und fünfzehn Jahren alt.4

1

2 3

4

S. Brauer de Figueiredo (1991) und Idem (1992). In diesem Beitrag werde ich nur Phänomene der Zweisprachigkeit ansprechen. Zum Gesprochenen Portugiesisch s. Brauer de Figueiredo (1992): 27ff. S. Retrato das Comunidades portuguesas no mundo, in: O Emigrante (Wochenzeitung) Lissabon, 7.10.1991: 38. S. Brauer de Figueiredo (1991): 808.

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Die Eltern - die erste Generation - kamen aus sozio-ökonomischen Gründen im Erwachsenenalter nach Deutschland. Sie kamen vorwiegend aus einem ländlichen Milieu, und sie hatten keinen Beruf erlernt. Wenn überhaupt, hatten sie höchstens vier Jahre lang die Dorfschule besucht. Ihre Sprache war geprägt vom ländlichen Milieu, aus dem sie stammten. Sie lebten in Portugal im Kreis der Großfamilie, in Deutschland hingegen ist die Familie in der Regel auf die Kernfamilie reduziert. Normalerweise arbeiten hier beide Elternteile. In den meisten Fällen sind ihre Deutsch-Kenntnisse minimal, sogar nach zwanzig Jahren noch. Sie hatten ursprünglich vor, nach einigen Jahren nach Portugal zurückzukehren.

3. Zweisprachigkeit und Muttersprache In der Immigration Allgemein konnte ich in Hamburg feststellen, daß portugiesische Kinder und Jugendliche ihre Herkunftssprache ablehnen. Sie vermeiden es, Portugiesisch in Gegenwart von Fremden zu benutzen, egal, ob es sich um Deutsche oder um Portugiesen handelt. Dies ist allerdings ein allgemeines Phänomen, das in allen Immigrantengruppen beobachtet wird.5 Für Kinder und Jugendliche allgemein ist die komplette Zugehörigkeit zu einer Gruppe sehr wichtig. Dabei folgen sie gerne dem Uniformitätsdruck der Gruppe. Die Kenntnis einer von den anderen nicht gesprochenen Sprache wird von den Immigrantenkindern als Stigma empfunden. Außerdem gelten bestimmte Sprachen als typische Gastarbeitersprachen, weshalb die Kinder und Jugendlichen sich wegen allgemein verbreiteter Klisch6vorstellungen bei ihrer Benutzung als sozial gering eingestuft vermuten. Einige der portugiesischen Immigrantenkinder haben kaum Kontakt zu Portugiesen und haben nur einen deutschen Freundeskreis. In den im Rahmen meines Projektes untersuchten Fällen handelt es sich all diesen Bedingungen entsprechend um Zweiprachigkeit mit starker Dominanz des Deutschen. Der Erwerb des Portugiesischen findet für meine Informanten innerhalb der Familie statt. Man muß aber bedenken, daß beide Elternteile normalerweise arbeiten, und so können die Kinder durch sie kaum gezielte intellektuelle Förderung erhalten. Ihre Portugiesisch-Kenntnisse werden besonders während kurzer Aufenthalte in der Heimat verbessert. Auf jeden Fall ist die zweite Generation, anders als die erste, in die deutsche Gesellschaft integriert. Mit dem Erwerb des Deutschen - im Kindergarten oder in der Schule - findet dann der Abbau der Muttersprache statt. Viele entfremden sich schnell der Heimatkultur, sie wollen sich mit der portugiesischen Kultur nicht identifizieren. Wenn sie sechs oder sieben Jahre alt werden, bekommen die meisten zweimal pro Woche Portugiesisch-Unterricht in der portugiesischen Schule, weil ihre Eltern es so wünschen. Auch dort reden sie aber normalerweise Deutsch miteinander, wie ich mehrfach feststellen konnte. 5

S. Idem.

Sprachkontakt: die zweite Generation portugiesischer Immigranten

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4. Zur Wahl der Informanten Das Corpus bilden fünfzig Interviews mit portugiesischen Jugendlichen, die hauptsächlich 1984 bis 1989 in Hamburg von angeleiteten Studenten meiner Linguistik-Seminare nach einer vorgegebenen thematischen Orientierung durchgeführt wurden. Da die meisten keinen Kontakt zu Portugiesen hatten, wurde ihnen empfohlen, die Informanten an einer der portugiesischen Schulen zu suchen. Diejenigen, die junge Portugiesen in ihrem Bekanntenkreis hatten, fanden da die Informanten. Selbstverständlich kamen für die Interviews nicht alle Immigranten der zweiten Generation in Frage. Es gibt nämlich einige, die kein Portugiesisch können, und auch viele, die Portugiesisch zwar verstehen, aber nicht sprechen können. Die "Suche" an den portugiesischen Schulen eignete sich insofern, als alle Schüler, die man da traf, in Frage kommen würden. Die portugiesische Schule ist nämlich nicht obligatorisch, und die Tatsache, daß die Eltern ihre Kinder hinschicken, ist schon ein Indiz für die Verbindung zu Portugal und zur portugiesischen Kultur. Der Ort "portugiesische Schule" gewährleistete außerdem, daß der Informant dort überhaupt bereit war, sich auf Portugiesisch zu unterhalten. Eine Studentin versuchte z.B. an einer Gesamtschule dreizehn- und vierzehnjährige portugiesische Schüler zu interviewen, die gut Portugiesisch konnten, sich dort aber strikt weigerten, mit ihr Portugiesisch zu reden. Unter meinen Informanten sind übrigens auch einige, die in einer Phase der starken Ablehnung der Herkunftssprache überhaupt nicht Portugiesisch sprachen (aber verstanden); sie fingen zum Teil erst an der Universität an, Portugiesisch zu lernen oder haben sich gar entschlossen, Lusitanistik als Hauptoder Nebenfach zu studieren. Nach einigen Jahren (und Studienaufenthalten in Portugal) ist bisher eine Informantin perfekt zweisprachig geworden. Die Fülle von bemerkenswerten Phänomenen, die bei der Durchsicht der Transkriptionen zu beobachten waren, die Mängel, die das von Immigrantenkindern gesprochene Portugiesisch aufwies sowie die sowohl in Deutschland als auch in Portugal feststellbare allgemeine Unkenntnis über das Portugiesisch der Immigranten der zweiten Generation veranlaßten mich dann, dieses Projekt anzufangen.

5. Zweisprachigkeit Obwohl das Phänomen der Zweisprachigkeit offenbar seit mehr als sechzig Jahren immer einmal wieder ins Blickfeld der Linguisten gerät, ist man bis heute zu keinem einheitlichen Verständnis dieses Begriffs gelangt. Für Bloomfield war Zweisprachigkeit "the native-like control of two languages".6 Bloomfield sprach von Zweisprachigkeit, wenn eine Fremdsprache so gut gelernt 6

In Language (1935), nach Clyne: 66.

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wurde, daß man sie wie ein Native-speaker sprach und die eigene Mutterprache nicht verlor. Haugen bemängelt diese Definition: "It put bilingualism in the paradoxical position of being either invisible or nonexistent: if a speaker is bilingual, he must then be indistinguishable from natives of each language; if he is distinguishable, he can not be a bilingual! However, when bilingualism surfaced as a social or personal problem, it was nearly always because of some disability or handicap imposed on one or the other of the languages in contact. The bilingual was observed to fall short of the norms in one or both languages, and his failure was rightly or wrongly attributed to his knowledge of the other."

Für ihn war Zweisprachigkeit nicht die vollständige Beherrschung der neuen Sprache; sie begann vielmehr für ihn "at the point where the speaker of one language can produce complete, meaningful utterances in the other language. From here it may procede through all possible gradations up to the kind of skill that enables a person to pass as a native in more than one linguistic environment".

Für Weinreich ist Zweisprachigkeit "die Praxis, abwechselnd zwei Sprachen zu gebrauchen" und "die an solcher Praxis beteiligten Personen werden zweisprachig genannt".9 Meine Informanten sind zweisprachig in dem Sinne, daß sie sowohl Deutsch als auch Portugiesisch regelmäßig im Alltag gebrauchen, anders z.B. als ihre Eltern. Der Begriff Zweisprachigkeit wird hier unabhängig vom Grad der Beherrschimg beider Sprachen angewandt. Nur die Fähigkeiten Sprechen und Verstehen werden hier untersucht, da die Grundlage der Untersuchung Interviews sind. Gaarder unterschied Zweisprachigkeit der Elite und der Bevölkerung, wobei die Elite sich bewußt in einem von ihr kontrollierten Erziehungssystem um Zweisprachigkeit bemüht, während ethnische Gruppen unfreiwillig in einem Erziehungssystem zweisprachig werden, das von anderen kontrolliert wird.10 Schließlich muß noch zwischen Zweiprachigkeit der ersten und der zweiten Generation unterschieden werden, wie schon Haugen und andere es getan haben.11 Aus der Vielzahl von Aspekten, die die Einschränkungen der portugiesischen Sprachkompetenz der zweiten Generation aufweist, wähle ich einige, um hier über sie zu berichten.

7

Haugen (1978): 3f.

8

Haugen (1969): 6f, nach Grosjean: 232.

9

Weinreich (1977): 15.

10

In diesem Sinne berichtete Paulston von Gaarders Unterscheidung (nach Tosi: 3).

11

S. u.a. Clyne: 67.

Sprachkontakt: die zweite Generation portugiesischer Immigranten

311

5.1 Allgemeine Beobachtungen In meinem Corpus habe ich allgemein festgestellt: a) daß meine Informanten lange nicht alle Strukturen der portugiesischen Sprache korrekt lernen, aber andererseits Merkmale geprochener Sprache mit erstaunlicher Vollständigkeit übernehmen b) daß die meisten Informanten Schwierigkeiten bei der Verbalisierung komplexer oder abstrakter Zusammenhänge haben c) daß innerhalb der Interferenzen besonders folgendes hervortritt: - fast ausschließlich Antwort mit dem Adverb "sim" - Setzung von Subjektpronomen mit sehr hoher Frequenz, und zwar weder zur Disambiguierung noch mit Hervorhebungsfunktion. 12 52 Die Interferenz Interferenzerscheinungen sind für Weinreich die "Fälle der Abweichung von den Normen der einen wie der anderen Sprache, die in der Rede von Zweisprachigen als Ergebnis ihrer Vertrautheit mit mehr als einer Sprache, d.h. als Ergebnis des Sprachkontakts vorkommen."

Weinreich unterscheidet zwei Stadien der Interferenz, und zwar in der Rede und in der Sprache: "In Rede kommt sie in den Äußerungen des zweisprachigen Sprechers als Resultat seiner persönlichen Kenntnis der anderen Sprache vor, wobei selbst die gleiche Interferenz jedesmal wieder eine neue Erscheinung ist. In der Sprache hingegen finden sich Interferenzerscheinungen, die, nachdem sie des häufigeren in der Rede Zweisprachiger vorgekommen sind, zur festen Gewohnheit wurden und sich institutionalisiert haben. Ihr Gebrauch 14 ist nicht mehr von Zweisprachigkeit abhängig".

Grosjean 15 unterscheidet zwischen "borrowing at the individual level" - er nennt dies "speech borrowing" - und "borrowing at the Community or national language level" - er nennt dies "language borrowing". In meiner Untersuchung geht es selbstverständlich um das Rede-Stadium von Interferenz. Für Grosjean ist Interferenz "the involuntary influence of one language on the other".16 Wenn aber ein Zweisprachiger im Gespräch mit anderen Zweisprachigen bewußt Elemente der anderen Sprache benutzt oder vollständig in die 12

S. hierzu Brauer de Figueiredo (1991): 811f.

13

Weinreich (1977): 15.

14

Weinreich (1977): 28.

15

Grosjean: 292.

18

Idem: 299.

312 M. de Fätima Brauer-Figueiredo andere Sprache wechselt, spricht er von "borrowing"oder "code-switching"17. Dabei gilt für das Code-switching: "the switched element is not integrated; instead there is a total shift to the other language"18, während es sich beim "borrowing" um phonologisch und morphologisch Integriertes handelt. Haugen unterscheidet zwischen "loanwords" und "loanshifts": "Loanwords": "imported in part or whole from the other language and adapted phonetically and morphologically into the base language". "Loanshifts": "The m e t i n g of a word or group of words in the base language is extended to cover a new concept".

Clyne20 hält es für irreführend, daß "Interferenz" "sowohl die Sache wie auch die Ursache meint". Und weil es nicht immer möglich ist, "festzustellen, ob das Modell einer Sprache mit dem der anderen Sprache in Verwirrung gebracht wird, ob der Sprecher es vorläufig oder überhaupt vergessen hat, oder ob er das Äquivalent in der Empfängersprache niemals gekannt hat",

gebraucht Clyne "Transferenz" für die "Übernahme von Elementen, Merkmalen und Regeln aus einer anderen Sprache" und bezeichnet jede Transferenzerscheinung als "Transfer". S3 Codewechsel und Entlehnung In ihrer 1991 erschienenen Einführung in die Sprachkontaktforschung erwähnen Bechert und Wildgen den Begriff Interferenz überhaupt nicht und definieren a) Codewechsel oder codeswitching als "Gebrauch von zwei oder mehr Varietäten (d.h. Sprachen, Dialekten, Soziolekten, Stilvarianten usw.) in einer und derselben Interaktion".21 b) Entlehnimg ("borrowing") als die Anpassimg eines Wortes an die andere Sprache mit morphologischen Mitteln.22 Sie übernehmen also die Definition von Grosjean, sprechen aber nicht an, ob Codewechsel und Entlehnung freiwillig und mit Bewußtsein geschehen. Bechert und Wildgen unterscheiden unter den Entlehnungen im lexikalischen Bereich Lehnwörter, Lehnbildungen und Lehnbedeutungen, und zwar im folgenden Sinn:23

17

Idem: 145fund289.

18

Idem: 146.

19

S. Grosjean: 313f.

20

Clyne: 16.

21

Bechert/Wildgen: 59.

22

Idem: 68.

23

Idem: 69ff.

Sprachkontakt: die zweite Generation portugiesischer Immigranten 313 Lehnwörter ("loanwords"): übernommene Wörter aus der anderen Sprache. Lehnbildungen ("creations", "loan-translations" oder "calques"): "Wörter der eigenen Sprache, die nach fremdem Muster neu gebildet werden". Sie nennen sie "Lehübersetzungen", wenn es sich um "Wiedergaben von hoher Detailgenauigkeit" handelt. Lehnbedeutungen ("Loanshifts", "extensions"): "ein bereits gebräuchliches Wort der eigenen Sprache erhält unter dem Einfluß eines fremden Musters eine neue Bedeutung".24 Beardsmore, der auch die Klassifikation von Haugen darstellt,25 unterscheidet in der Erklärung von Entlehnungen und Interferenzen folgende Faktoren: 1. Bei einem Gegenstand, der normalerweise vor allem in einer Sprache behandelt wird, liegt es nahe, daß wegen der gewohnheitsmäßigen, leichten lexikalischen Verfügbarkeit Termini dieser Sprache benutzt werden, auch wenn der Gegenstand einmal in der anderen Sprache besprochen wird. 2. Wenn ein Zweisprachiger auf einem bestimmten Aktivitätsfeld häufiger Kontakt mit der einen seiner Sprachen hat, wird er deren Begriffe leicht automatisch in die andere Sprache mit übernehmen, auch wenn in dieser gleichwertige Begriffe zur Verfügung stehen. 3. Bei einem Zweisprachigen, der seine Sprachen unterschiedlich häufig benutzt, tendiert die seltener benutzte Sprache zu Interferenzen und "borrowings". 6. Interferenzerechelnungen Im morphosyntaktlschen Bereich 26 Im folgenden Teil werde ich als Beispiel einige Interferenzerformen darstellen, die in meinem Corpus häufig vorkommen.27 Allen angeführten Beispielen begegnete ich bei verschiedenen Informanten.28 6.1 Überflüssige Possessivrelation Vou lá brinco com a minha amiga vou nadar entreti-me com os meus amigos

24

25

[statt com urna amiga] [statt com amigos]

S. auch Grosjean: 317f. Beardsmore: 46f.

26

Unter Interferenz soll hier wie bei Grosjean der unfreiwillige Einfluß der Ausgangssprache auf die Empfängersprache verstanden werden.

27

S. auch Brauer de Figueiredo (1991): 812ff.

28

Die Informanten werden in diesem Beitrag aus Platzgründen nicht identifiziert.

314 M. de Fátima Brauer-Figueiredo 62 Verwechslung von Adjektiven und Adverbien, mangelndes Bewußtsein über das Relationswort näo vivem todos distante Assim a política näo é assim muito bem Tenho amigos pertos Também näo sei falar muito bom portugués aqui é melhor organizado tudo

[statt distantes] [statt boa] [statt perto] [statt bem] [statt mais bem]

6 3 Gebrauch von Indikativ- statt Konjunktivformen Obgleich die präskriptive Norm in sehr vielen Fällen den Konjunktiv verlangt, konnte ich in meinen empirischen Untersuchungen allgemein feststellen, daß in Portugal im gesprochenen Portugiesisch der Konjunktiv Präsens häufig zugunsten des Indikativ Präsens zurücktritt. Die unten angeführten Beispiele stellen jedoch unabhängig von dieser Tendenz in Portugal auf jeden Fall Interferenzen dar. se os pais disseram "Nao quero que ele vá nao vai"

[statt disserem]

todos estäo a espera que eu caso

[statt case]

Se calhar quando eu sou velhote

[statt for]

agora vou acabar a minha escola depois mais tarde talvez eu iria para Portugal mais os meus pais e a minha irmâ

[statt vá]

talvez lá chego

[statt chegue]

talvez eu gostava de ser Schiffbauingeneur assim de barcos e depois quando acabasse a décima classe da Realschule ir para a escola also tirar o curso

[statt gostasse]

Dieser Informant gebraucht allerdings die richtige Konjunktivform im dann folgenden Nebensatz.

Sprachkontakt: die zweite Generation portugiesischer Immigranten

315

6.4 Unfreiwillige Benutzung des portugiesischen Pretlrito Perfeito Simples in Analogie zum deutschen Perfekt Im Deutschen werden Präteritum und Perfekt besonders in der gesprochenen Sprache immer häufiger als gleich in Bedeutimg und Funktion benutzt. In der gesprochenen Sprache wird das Perfekt dabei zunehmend bevorzugt.28 Darin liegt wahrscheinlich der Grund, warum meine Informanten das Pret6rito Perfeito Simples benutzen, auch da, wo das, was sie meinen, mit dem Imperfekt ausgedrückt werden müßte. Fui ä praia andei de bicicleta entreti-me com os meus amigos

[statt ia / andava / entretinha]

"Ia, andava und entretinha" sind repetitives Imperfekt. Mas eu até agora sempre fui ao Algarve com eles

[statt tenho ido]

"Tenho ido" ist ein Pretérito Perfeito Composto, welches zur Bezeichnung eines Geschehens dient, das in der Vergangenheit einsetzt und bis in die Gegenwart hinein wiederholt wird.30 6.5 Satznegation nach deutschem Muster mas percebe nada como eu eles estäo a aprender nada sô falava nada

[statt näo ... nada]

Wenn ein negatives Indefinitpronomen in einem Satz dem Verb nachgestellt ist, muß der Satz außer der Negation, die durch die Bedeutung des negativen Pronomens schon gegeben ist, noch ein weiteres Wort zum Ausdruck der Negation enthalten, und zwar unbedingt vor dem Verb. Es entsteht also eine für Deutsche ungewohnte doppelte Negation. Für das Verständnis des Portugiesen hebt aber die eine Negation die andere nicht auf.31 Andererseits kommt aber auch folgende Aussage vor: näo pagamos luz nem nix" e näo sempre se esquece

29

Jude: 72. Brauer/Brauer: 191, Cunha/Cintra: 453, Hundertmark: 180.

31

Brauer/Brauer: 85.

[statt nem sempre]

316 M. de Fàtìma Brauer-Figueiredo Nem muß statt näo gebraucht werden in den Ausdrücken: nem sequer, nem todos, nem tudo, nem um, nem sempre, nem ainda, nem mesmo, nem por isso.32 6.6 Wörtliche Übersetzungen Ele explicava tudo como se chamava

er erklärte, wie alles hieß

[statt o que significava]

como dito

wie gesagt

[statt como (já) disse]

vxm como crianza

ich kam als Kind

[statt vim em crianga]

cada vez quando vou a Portugal

Jedesmal, wenn ich nach P. fahre

[statt cada vez que vou a Portugal]

Quanto eu sei säo ...

Soviel ich weiß...

[statt Que eu saiba]

Que se há de dizer mais

Was soll man noch sagen

[statt Que hei de dizer mais?]

às vezes gosto às vezes também nao

manchmal... manchmal

[statt urnas vezes.-.outras vezes...]

um que se vai embora

einer, der weggeht

[statt uma pessoa que se vä embora]

tem as mesmas liberdades como tu?

die gleichen Freiheiten wie Du

[statt as mesmas liberdades que tu]

32

S. Hundertmark: 410.

Sprachkontakt: die zweite Generation portugiesischer Immigranten E ela tamb6m veio contigo näo e?

... nicht wahr?

[statt näo veio?]

E tu ainda te lembras do tempo quando vivias em Portugal?

an die Zeit als

[statt do tempo em que...]

317

6.7 Überflüssige Setzung vom Subjektpronomen Fernando Pessoa? Sei que ele morreu em 1935 e que ele nasceu em 1888 e ele morreu novo ele näo era muito velho33 6.8 Präpositionen Falscher Gebrauch von Präpositionen, wie er beeinflußt von der Ausgangssprache zustande kommt, wird von vielen Autoren, die sich mit Zweisprachigkeit befassen, festgestellt.34 a) Nicht zusammengesetzt por as estradas / por o ano / por a ultima vez

[statt pelas -, pelo -, pela -]

b) Fehlende Präposition gostaria regressar e a minha mäe veio 1966

[statt gostaria de] [statt em 1966]

c) Überflüssige Präposition 6 raro de ir lä tentar de fazer devo de estranhar d) Deutscher Präpositionsgebrauch wird wörtlich übernommen regressar p'a Portugal fiz uma excursäo para os A$ores uma pessoa näo pertence aqui neste pais

33 34

S. S. hierzu auch Seite 311 dieses Beitrags. S. hierzu u.a. auch Grosjean: 305f.

[statt a] [statt a] [statt a]

318

típico para Portugal professor em Matemática Assim sobre o ano todo estou sempre aqui nunca pensei sobre isso Viemos primeiro só para um ano para a Alemanha Mas é só para quatro semanas ou é mais? à volta das 2 horas através dos trabalhos escritos duas horas na semana seis semanas no ano eu nao sou lá muito para o sal A maior parte da minha familia 6 p'rö Benfica

M. de Fátima Brauer-Figueiredo [statt de] [statt de] [statt durante] [statt em] [statt por] [statt por] [statt por] [statt por] [statt por] [statt por] [statt pelo] [statt pelo]

e) A und para werden nicht unterschieden vamos para bailes P'ra Portugal na ültima vez fui estas fdrias E tu tamb6m s6 vais de f6rias para Portugal? E porque 6 que vieram cä? Para jä näo tenho a ideia de ir jä a Portugal porque cä eu vou tentar de fazer o Abitur jä era para ir no ano passado a Portugal mas resolvi continuar aqui na escola e se correr bem daqui a dois anos devo ir a Portugal junto com os meus pais Die Informantin im letzten Beispiel meint etwas ganz anderes, als sie ausdrückt. In den ersten vier Beispielen ist das Gemeinte immerhin implizit enthalten. Die Präpositionen "a" und "para" sind im Portugiesischen nämlich nicht beliebig austauschbar: Sagt ein Satz aus, daß man sich auf ein Ziel zu bewegt oder bewegen wird, an dem man sich aus bestimmten Gründen längere Zeit aufhalten wird, so ist die Präposition "para" einzusetzen. Drückt ein Satz hingegen aus, daß man sich auf ein Ziel zu bewegt, um dort etwas schnell oder jedenfalls in verhältnismäßig kurzer Zeit zu erledigen, so wird man die Präposition "a" benutzen.35

35

Brauer/Brauer: 178.

Sprachkontakt: die zweite Generation portugiesischer Immigranten 7.

319

Codewechael

Meine Informanten wechseln im Gespräch mit Zweisprachigen mitunter für ein Wort, einen Ausdruck oder einen Satz vollständig in die Ausgangssprache. Sie tun dies mit Bewußtsein. 7.1 In den folgenden drei Fällen taten sie dies, weil sie das Substantiv nicht kannten oder es ihnen im ersten Moment nicht einfiel. O meu pai 6 pedreiro e a minha mäe näo sei como 6 que se chama aquilo 6 Technische Arbeiterin Eu vejo aqui um como 6 que se dizum See Uma pessoa näo pode como 6 que se diz? auf Deutsch verharmlosen Es kommt aber auch vor, daß ihnen doch das fehlende Wort oder eine Lehnübersetzung einfällt: Quem 'tiver lä como 6 que se diz como eu hei-de dizer quem 'tiver inscrito na escola acho que sim E o grupo de vez em quando tamböm faz wie heißt denn das? faz tamb6m viagens de fim de semana näo 6 72 Sie verwenden deutsche Begriffe, die sie von Portugal her nicht kennen: Arbeitsamt - Schiffbauingeneur - Realschule - Abitur - Psycholinguistik

M. de Fátima Brauer-Figueiredo 73 Unintegrierte Morpheme wie Satzwörter und Interjektionen werden "nachgerade nach Belieben transferierbar sein", mutmaßte Weinreich36 offenbar zu Recht; jedenfalls gibt es in meinem Corpus eine Unmenge von Beispielen für solchen Transfer, von denen im folgenden ein paar aufgeführt sind. 320

Eu oh Mann mas tenho de dizer agora em alemäo? Tja tenho avös ir para escola also tirar o curso Porque? Porque... na warum? Na escola natürlich Desistiram ja Penso que sim doch ja Um ja um

8. Entlehnungen Im lexikalischen Bereich In meinem Corpus kommen Fälle von Entlehnungen vor, die mit Bewußtsein entstanden sind. Das ist aber im allgemeinen nicht der Fall. Ich teile die Meinimg von Grosjean nicht ganz, wenn er Entlehnungen grundsätzlich als freiwillige Leistungen von Zweisprachigen ansieht. 8.1 Lehnwörter 8.1.1 Leio romanos ou crime Das deutsche Wort Roman [romance] ist hier morphologisch ans Portugiesische angepaßt, während Krimi [filme ou romance policial] nur phonologisch integriert ist. 8.1.2 conservativa / idealistica

[statt conservadora, idealista]

Beide Wörter, die ja in der Ausgangssprache und in der Empfängersprache ähnlich klingen, werden morphologisch angepaßt. 8.13 biologuia invalida fabricas

36

Weinreich (1977): 56.

[statt biologia] [statt inválida] [statt fábricas]

Sprachkontakt: die zweite Generation portugiesischer Immigranten 321 Biología behählt die deutsche Aussprache bei, während die Betonung von inválida und fábricas den deutschen Betonungsregeln folgt. Diese drei Wörter sind also morphologisch angepaßt aber phonologisch nicht. 8.2 Lehnbedeutungen Lehnbedeutungen bilden das umfangreichste Entlehnungsphänomen, wie dies mehrfach festgestellt wurde.37 8.2.1 Esses também tinham crianzas e com essas crianzas eu na parte entäo da tarde conversava com elas e assim Zuerst wird criancas hier unter dem deutschen Einfluß statt filhos benutzt, im weiterem Satz dann in der gebräuchlichen portugiesischen Bedeutung. 8 22 igual ligáo (hier Unterrichtsstunde) conversado (hier Unterhaltung) irritados (nicht in der portugiesischen Bedeutung von "geärgert" sondern deutsch "irritiert")

[statt indiferente] [statt aulas] [statt conversa]

83. Lehnbildungen trabalhos de escola (für Schularbeiten) viagens de Gm de semana (für Wochenendreisen) Beide Ausdrücke sind durch wörtliche Übersetzung nach dem deutschen Muster gebildet.

37

S. u.a. Grosjean: 317.

M. de Fátima Brauer-Figueiredo

322

9. SchluBbemerkung "I will stress once more that a bilingual will develop his or her languages to the level of fluency that is needed for communication. For some this is near perfect and equal flupncy in both languages; others do not need to be as fluent in one language as in the other."

Diesen Bemerkungen von Grosjean wird man kaum widersprechen wollen. Aber man wird nicht unbedingt den Schluß aus ihnen ziehen, man könne die Entwicklung der Kommunikationsfähigkeit der Zweisprachigen getrost sich selbst überlassen. Aus der Beschreibung und Bewußtmachung der Phänomene, die bei Sprachkontakt zweier bestimmter Sprachen in der Situation der Zweisprachigkeit in einer der beteiligten Sprachen auftreten, läßt sich auf jeden Fall Gewinn ziehen. Der Portugiesisch-Unterricht für Immigranten der zweiten Generation kann sicherlich profitieren und der Portugiesisch-Unterricht für Deutsche in bestimmten Umfang auch. Die Ergebnisse, die die Analyse der untersuchten Corpora erbringen wird, können sicher deutschen Lusitanisten motivieren, besondere Aspekte in vertiefter Weise zu erforschen.

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38

S. u.a. Grosjean: 307.

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Syntaktische Besonderheiten des angolanischen Portugiesisch aus der Sicht des Zweitsprachenerwerbs Annette Endruschat (Leipzig) 0. Vorbemerkungen In Untersuchungen zum Zweitsprachenerwerb und zum Sprachwandel stellt sich immer wieder die Frage nach den sprachlichen Universalien. Im Anfangsstadium des Erwerbs einer Zweitsprache (L2) läßt sich feststellen, daß der erreichte Sprachstand stark den vereinfachten Strukturen der Muttersprache ähnelt. In diesem Kontext vermag die Untersuchung natürlich erworbener L2 wichtige Erkenntnisse darüber zu vermitteln, inwieweit sprachliche Universalien bei diesem Prozeß wirksam werden und welche Faktoren darüberhinaus den Sprachstand determinieren. Aus diesem Grund soll in dem vorliegenden Aufsatz der Frage nachgegangen werden, ob und inwiefern uns die Untersuchimg morphosyntaktischer Besonderheiten im angolanischen Portugiesisch bei der Theoretisierung der oben angeschnittenen Probleme ein Stück weiter bringen kann. 1. Das angolanische Portugiesisch als natürlich erworbene L2 Eine Fremdsprache kann als Zweitsprache im natürlichen Kontext (z.B. in einer Sprachkontaktsituation) oder über den Fremdsprachenunterricht vermittelt erworben werden. Im ersten Fall ist es häufig so - und das gilt auch für den Portugiesischerwerb in Angola -, daß beide Arten gekoppelt auftreten. Dies ist die typische Konstellation für diglossische Kommunikationsgemeinschaften, in denen die offizielle Verkehrssprache nicht die Muttersprache aller Mitglieder repräsentiert, also nicht dominant ist.1 Ein Staat, der einer solchen Sprachsituation gegenübersteht, muß zur Förderung der gesamtstaatlichen Integration auf allen sozialen Gebieten Anstrengungen zur Durchsetzung der Verkehrssprache unternehmen. Wie es das Beispiel Angolas jedoch zeigt, vollzieht sich der Spracherwerb stärker "auf der Straße" als über den schulischen Weg. Dieser von Spontaneität geprägte Prozeß hat evidente Auswirkungen auf die erworbenen Kenntnisse in der L2. Wie jede Lernersprache setzt sich das auf solche Weise von den Angolanern erworbene Portugiesisch aus Elementen der zu erlernenden Sprache - dem Hochportugiesischen - zusammen, ohne mit letzterer identisch zu sein, es ist Es ist davon auszugehen, daß das Portugiesische in Angola gegenwärtig von etwa der Hälfte der Bevölkerung (vorwiegend betrifft das die junge Generation in den Städten als LI beherrscht wird, allerdings nicht (immer) auf hochsprachlichem Niveau.

Syntaktische Besonderheiten des angolanischen Portugiesisch

329

durch einen nicht konstanten und nicht bei allen Individuen gleichermaßen vorhandenen Bestand gekennzeichnet, denn Spracherwerb muß als variabler Prozeß verstanden werden. Auch wenn sich diachronische von synchronischen Phänomenen nicht trennen lassen, können wir dennoch von einem aktuellen Sprachstand ausgehen. Es ist demnach legitim, wenn wir typische syntaktische Merkmale des angolanischen Portugiesisch auflisten, ohne die generelle Variabilität im Erwerbsprozeß aus dem Auge zu verlieren. Die vorzustellenden syntaktischen Besonderheiten gewinnen auch dadurch an Repräsentanz, daß sie aus dem offiziellen Sprachregister stammen. Basierend auf Hymes' Untersuchungen zu Pidgin- und Kreolensprachen gelangte die Spracherwerbsforschung zu der Erkenntnis, daß Parallelen zwischen der Aneignung von Lernersprachen und der Verbreitung von Pidgin- bzw. Kreolensprachen existieren. Es läßt sich nicht nur nachweisen, daß es strukturell-sprachliche Gemeinsamkeiten gibt (reduzierte Lexik, Weglassen redundanter Elemente etc.), sondern daß der Prozeß des Erwerbs selbst in ähnlicher (jedoch keineswegs identischer) Weise verläuft. Daß das Portugiesische in Angola semikreolische Merkmale aufweist, ist wiederholt nachgewiesen worden.2 Während jedoch der Zweitsprachenerwerb (insbesondere der gesteuerte) neben pragmatischen Zielen vor allem die Entwicklung der Sprachkompetenz anpeilt und demzufolge ein voranschreitender Prozeß ist, stellt eine Pidgin- oder Kreolensprache das Endergebnis eines Erwerbsprozesses dar und weist sogenannte "fossilisierte", stabilisierte Merkmale auf, die aus den vornehmlich kommunikativen Bestrebungen des Erwerbs resultieren. In diesem Kontext nimmt man mit Interesse die Arbeiten von Da Costa (1988) zum Portugiesischen als L2 in Angola zur Kenntnis, in denen der Autor über den Beitrag reflektiert, den Schule und Forschung leisten müssen, damit die portugiesische Sprache zum universellen Kommunikationsmittel für alle Angolaner werden kann. Dabei ist für ihn die Kopplung von sprachlicher und kommunikativer Kompetenz wichtig, denn das Portugiesische wird von den Angolanern zunächst und in erster Linie aus pragmatischen Gründen erlernt, auf dieser Stufe sollte der Spracherwerb jedoch nicht stehen bleiben. Trotz all dieser Überlegungen muß konstatiert und soll hier nachgewiesen werden, daß dem angolanischen Portugiesisch nahezu regelhafte Fossilisierungserscheinungen eignen.

2

V o n einer Kreolensprache in Ubereinstimmung mit der modernen Kreolistikforschung wird dennoch nicht zu sprechen sein, denn hierfür fehlt das Moment der Muttersprachlichkeit und des landesweiten universellen Gebrauchs.

Annette Endruschat

330

2. Das Portugiesische In Angola als sozlollngulstlsche Varletfit des Portugiesischen Im Landesmaßstab gesehen existiert eine breite Palette im Kenntnisstand, angefangen bei nur rudimentären, supraethnisch notwendigen bis hin zu annähernd perfekten Kenntnissen in portugiesischer Sprache. Der konkrete Stand ist sozial determiniert (soziale und regionale Herkunft, Bildungsniveau, berufliche Situation u.a.) und dementsprechend individuell sehr unterschiedlich ausgebildet. Ist es dann überhaupt gerechtfertigt, von einem Konstrukt "angolanisches Portugiesisch" auszugehen? Bickerton (1981) wies nach, daß beim L2-Erwerb parametrische Variationen auftreten, Merkmale, die trotz voranschreitenden Erwerbsprozesses persistieren, und speziell für das angolanische Portugiesische gelang es Dolbeth e Costa (1982), eine Liste solcher persistenter Erscheinungen auf syntaktischem Gebiet bei unterschiedlichen Kenntnisständen sowie verschiedener sozialer und beruflicher Herkunft der Sprecher aufzustellen. Die aufgeworfene Frage nach der Allgemeingültigkeit des Untersuchungsgegenstandes soll darauf aufbauend bereits an dieser Stelle bejaht werden, auch wenn erst die späteren Abschnitte versuchen werden, Indizien für eine Bejahimg zu liefern. Es soll angefügt werden, daß, wenn wir den L2-Erwerb in Angola als variablen und voranschreitenden Prozeß auffassen, der zwar kreolisierende Faktoren in sich birgt, aber dennoch sich im Fluß befindet, die normabweichenden Phänomene nicht als Fehler aufgefaßt werden dürfen. Sie stellen synchrone Sprachstände dar und sind in einem aktuellen Lernersprachensystem beschreibbar.

3. Zur Bedeutung der Sprachsituation für den L2-Erwerb In Untersuchungen zum Spracherwerb wird immer wieder betont, daß der sprachlichen Situation mehr Aufmerksamkeit zukommen muß, d.h. daß u.a. psycholinguistische, individualspezifische, historisch-soziale Faktoren der Erwerbssituation berücksichtigt werden müssen. Dementsprechend ist es notwendig, folgende Gesichtspunkte hervorzuheben: - historisch hat sich das Portugiesische zur Verkehrssprache entwickelt und koexistiert mit 12 großen afrikanischen Muttersprachen;3 - psycho-sozial genießt das Portugiesische ein ungebrochen hohes Prestige, emotionale Vorbehalte ihm gegenüber sind abgebaut, dafür hat sich eine Art Verleugnung der ethnischen Identität entwickelt;

3

Zur Sprachsituation vgl. Endruschat 1987,1990.

Syntaktische Besonderheiten des angolanischen Portugiesisch 331 - ökonomisch besteht ein Druck, sich die Verkehrssprache als "Fenster zur Welt" anzueignen. - individualspezifisch müssen ethnisch-regionale Herkunft, Alter und gesellschaftliche Position bei der Beurteilung des Erwerbsprozesses berücksichtigt werden. In Kommunikationsgemeinschaften mit einer ethnisch verwurzelten Sprachkontaktsituation wird der L2-Erwerb in starkem Maße von Interferenzeinflüssen geprägt. Neben diesen Interferenzen aus der jeweiligen Muttersprache läßt sich aber auch beobachten, daß es unter den beteiligten Sprachen oft zu einer Aufteilung der Kommunikationssphären kommt. Das bedeutet, daß Funktion und Sprachstoff in der L2 verfestigen können, woraus sich nicht selten hemmende Auswirkungen auf den weiteren Erwerbsprozeß ergeben (vgl. die erwähnten Fossilisierungen). Wir halten zwei den Sprachstand wesentlich beeinflussende Faktoren fest: -

Sprachkontaktsituation kommunikativ-pragmatische Funktionen des Portugiesischen in Angola

Auf den ersten Faktor kommen wir im sprachpraktischen Abschnitt zurück, der zweite Faktor soll im folgenden im Hinblick auf seine Auswirkungen auf den Spracherwerb beleuchtet werden.

4. Reglsterkenntnla und -wähl Aus der spezifischen Situation des Portugiesischen in Angola ergibt sich, daß das Portugiesische als Verkehrssprache v.a. zu dem Zweck erworben wird, sich im offiziellen Bereich (Beruf, Handel, Administration, Armee, Schule etc.) verständlich machen zu können. Nur selten fungiert beim Durchschnittsbürger das Portugiesische daneben auch als vollwertiges expressives und stilistisches Ausdrucksmittel. So ergibt sich das folgende Bild: dem Kommunikationszweck genügen pragmatisch-kommunikativ erworbene Kenntnisse, von ofßziell-staatlicher Seite besteht kein Druck, sich das Portugiesische in seiner ganzen Registerbreite anzueignen, so daß es auch im informellen Bereich als universelles Ausdrucksmittel einsetzbar wäre.4 Im Ergebnis dessen entsteht beim Lerner nur eine schmale Registerkenntnis. Die Mehrheit der Angolaner - so könnte man resümieren - verwendet die portugiesische Sprache vorwiegend im formellen Bereich, ohne das formelle Register mündlich und schriftlich exakt zu beherrschen. Die Dichotomien münd4

Vgl. Petruck 1991, S. 42-43.

332

Annette Endruschat

lich-schriftlich und formell-informell sind also keinesfalls deckungsgleich. Während der mündliche Sprachgebrauch sich v.a. im Alltagsregister (dem informellen) vollzieht, aber auch in das formelle Register hineinreicht (Diskussionen, Reden, Vorträge), bleibt dem schriftlichen Gebrauch in der Regel das formelle Register (abgesehen von privaten Korrespondenzen) vorbehalten. Gerade aber in Kommunikationsgemeinschaften wie der der lusophonen Angolaner, in denen die Mehrheit das formelle Register nicht beherrscht, kann nicht postuliert werden, daß die Mitglieder sich schriftlich - sofern sie überhaupt alphabetisiert sind - im formellen Register bewegen können. Andererseits wird gerade die Umgangssprache von vielen angolanischen Schriftstellern in den schriftlichen Bereich transponiert.5 Dennoch ist zu beobachten, daß sich mit dem Registerwechsel nach oben das Sprachverhalten, die Struktur und die Lexik ändern, was nicht a priori zu korrekten Formen führt. Mitunter ist das Ergebnis der Registeranpassung ein hyperkorrekter Gebrauch. Der Versuch, das germanistische Modell der soziolinguistischen Dreiteilung der Sprache in Hochsprache, Umgangssprache und Dialekte auf das Portugiesische in Angola zu übertragen, würde folgendes Bild ergeben: 1) Hochsprache: die von Portugal übernommene Norm, die nur eine schmale Basis in Angola und de facto keine überregionale Gültigkeit hat; eng an die Hauptstadt als wirtschaftlich-kulturelles Zentrum gebunden; 2) Umgangssprache: die von der Mehrheit der Bevölkerung als einzige beherrschte Varietät des Portugiesischen, die in vielen sozial markierten Formen existiert; 3) Dialekte: die Entwicklung angolatypischer Dialekte des Portugiesischen konnte bisher nicht nachgewiesen werden, dazu fehlt die nötige Verbreitung und Verwurzelung im Landesmaßstab. Es können lediglich ein höheres und ein abstrahiertes niedrigeres Register postuliert werden, was der Einteilung Fergusons in H-Varietät und L-Varietät entspricht. In der hier betrachteten Kommunikationsgemeinschaft deckt das niedrigere Register gleichzeitig (zu einem erheblichen Teil) den Verwendungsbereich der H-Varietät ab und dient auch der Vermittlung von Weltsichten und objektiven Sachverhalten. Die Bedingungen für eine landesweite Verbreitung der H-Varietät über Schule, Massenmedien und Öffentlichkeit sind gegenwärtig nicht gegeben. Darüber hinaus besteht, wie bereits beschrieben, nicht die Notwendigkeit, das formelle Register vollkommen zu beherrschen, was den

5

In diesem Aufsatz muß die Frage der Register notwendigerweise sehr kurz abgehandelt werden. Wohl wissend, daß natürliche Sprachen in eine Vielzahl von Registern auf den unterschiedlichsten Ebenen zu untergliedern wären, begnüge ich mich hier mit einer pauschalen Differenzierung zwischen dem informellen und dem formellen Register.

Syntaktische Besonderheiten des angolanischen Portugiesisch 333 Aufwand für dessen Erwerb rechtfertigen würde. Das informelle Register entzieht sich per definitionem jeglicher Planung und Normierung, es ist daher heterogen ausgebildet. Es ist dennoch nicht so, daß der Durchschnittsangolaner zwischen mehreren Varianten wählen kann, er beherrscht eine Stufe innerhalb des informellen Registers. Hieraus erhellt, daß wir notwendigerweise syntaktischen Abweichungen oder besser Spezifika sowohl im informellen als auch im formellen Sprachgebrauch begegnen.

5. Begründung das gewählten Ausschnitts Syntax aus dem Sprachayatem Die skizzierte Tatsache, daß sich trotz erhöhter sprachlicher Kompetenz eine begrenzte Registerkenntnis mit teilweise fossilisierten Spezifika aus der kreolensprachenähnlichen Situation des Portugiesischen in Angola ableiten läßt, kann auf dem Gebiet der Syntax überzeugend nachgewiesen werden. Während Analysen zur Lexik des angolanischen Portugiesisch6 gezeigt haben, daß man mit Recht von einem angolatypischen Lexembestand ausgehen kann, sind adäquate Aussagen zur Syntax vergleichsweise selten anzutreffen, was sich aus der Tatsache ableitet, daß grammatische Strukturen gegenüber Sprachwandelsprozessen als resistenter gelten. Bisherige Abhandlungen zur Syntax des angolanischen Portugiesischen griffen immer wieder auf den Zweig der Belletristik zurück, in dem mündliche Sprache eingefangen wurde, nur selten wurden auch authentische mündliche Texte einbezogen.7 Das formelle Register blieb weitestgehend ausgespart, da zu vermuten war, daß gemäß den Bestrebungen angolanischer Sprachpolitik dort normgerecht kommuniziert würde. Eine Analyse des schriftlichen formellen Gebrauchs zeigt jedoch, daß diese Vermutung nicht zutrifft.

6. Zur Bewertung syntaktischer Spezifika In den bisherigen Untersuchungen zum angolanischen Portugiesisch Die Syntax ist kein nur oberflächenstrukturell erklärbares Phänomen. Syntaktisch manifestierte Erscheinungen lassen sich oft nur im Rückgriff auf die logisch-semantische Struktur, teilweise sogar im phonologischen Bereich ausdeuten, syntaktische Normabweichungen sind daher äußerst komplex angelegt und schwer zu erklären.8

6

Vgl. Correia Mendez 1985, Endruschat 1984, Faria 1970, Milheiros 1972.

7

Gärtner 1983, Jaruskin 1984.

8

So läßt sich der Ausfall bestimmter Elemente im angolanischen Portugiesischen darauf zurückführen, daß sie synsemantisch/ redundant sind.

Annette Endruschat Daneben beobachtet man das Einfließen solcher bantusprachiger Elemente in das Portugiesische, die eine Identifikation mit dem portugiesischen Sprachsystem erlauben, die kontaminierbar sind.9

334

Das bedeutet, daß nicht nur in die portugiesische Sprache bantusprachige Strukturen eingeführt, sondern auch diejenigen portugiesischen, mitunter latenten Strukturen verstärkt, die einen bantusprachigen Widerhall finden. Diese Sichtweise ist in den bisherigen Untersuchungen zur portugiesischen Syntax in Angola noch selten anzutreffen.Generell muß konstatiert werden, daß der afrikanische Einfluß auf die Syntax europäischer Sprachen (auch in der Kreolistik!) sehr heterogen bewertet und oft negiert wird. Meist wird eine Erklärung syntaktischer Abweichungen in den jeder Sprache innewohnenden Archaisierungs- und Innovationsprozessen gesucht, die ohne Zweifel in starkem Maße am Sprachwandel beteiligt sind. Da die Bantusprachen Angolas jedoch nach wie vor die Muttersprachen einer Bevölkerungsmehrheit darstellen, ein starker natürlicher Einfluß auf das Portugiesische direkt oder indirekt gegeben ist, bleiben daraus resultierende Veränderungen nicht auf die Lexik und nicht auf den informellen mündlichen Bereich begrenzt, sondern dehnen sich auf den offiziellen und schriftlichen Gebrauch aus. Es scheint mir daher notwendig zu sein, bei der Interpretation auftretender Spezifika von einer Plurideterminiertheit, einem Konvergieren mehrerer Faktoren auszugehen; für eine syntaktische Veränderungen können Archaisierung, Vereinfachimg und Analogiebildung zu der zugrundeliegenden Bantusprache gemeinsam zuständig gewesen sein. Dieses Herangehen soll im folgenden an zwei Beispielen demonstriert werden. 7. Sprachpraktlsche Analyse 7.1. Korpus Die zu analysierenden Beispiele stammen alle aus dem offiziellen schriftsprachlichen Bereich. Im einzelnen wurden folgende Quellen benutzt: - Texte aus dem "Jornal de Angola" der Jahre 1986-1990 - Fernseh- und Rundfunksendungen im gleichen Zeitraum - offizielle Korrespondenzen und amtliche Mitteilungen

g Vgl. das Kontaminationsmodell in der Kreolistik: in Kontaktsituationen werden insbesondere die Strukturen transferiert, die phonetisch, syntaktisch und/oder semantisch identifizierbar sind.

Syntaktische Besonderheiten des angolanischen Portugiesisch

335

12. Analyseergebnisse Verständlicherweise kann in diesem eher theoretisch ausgerichteten Aufsatz nicht auf alle beobachteten Spezifika eingegangen werden. Zwei als repräsentativ erachtete Beispiele werden hinsichtlich der Faktoren untersucht, die ihre Manifestierung im Erwerbsprozeß determiniert haben könnten. D Der Gebrauch der Präposition "em" Während die Präposition "em" heute i.A. ein örtliches Sich-Befinden ausdrückt, bringt es in Aussagen wie "Vou na cidade "die Richtung einer Bewegung zum Ausdruck, eine Funktion, die im Standardportugiesischen den Präpositionen "a" oder "para" zukommt. Diese Bedeutungsveränderung von "em" war auch im Altportugiesischen bekannt, jedoch wurde es später in dieser Funktion endgültig durch "a" abgelöst. Somit kann als eine erste Interpretationsmöglichkeit die a) Aktivierung eines älteren Sprachzustandes gelten.10 Im Beispiel (1) Os novos métodos na prática permitem um maior afluxo de jovens nos centros de apresentacäo.

steht "em" ebenfalls anstelle von "a" in richtungsweisender Funktion. Es kann auch "para" ersetzen: (2) ...factor que contribuí sobremaneira no alcance de grandes éxitos no combate contra os bandos armados.

Betrachten wir zwei weitere Beispiele: (3) Vem o Secretariado Geral solicitar urna bolsa de tratamento a favor do Camarada ... que vem sofrendo há bastante tempo, apesar de vários tratamentos em que foi submetido. (4) No inicio do acto, foi lido um compromisso de honra dos alunos no qual comprometeram-se em aplicar-se com afinco na assisténcia ás aulas.

Hier handelt es sich um keine eigentüch örtüchen Angaben, und dennoch ist b) eine semantische Affinität zum nachfolgenden Substantiv im örtlichen Sinn erkennbar und klarer als eine Begründung im Rektionsbereich des Verbs. Offenbar spielt auch das Streben nach c) Sprachökonomie und Einfachheit eine Rolle, und "em" entwickelt sich allmählich zu einer Art Universalpräposition. Nicht zu unterschätzen ist des weiteren die Bedeutung des d) bantusprachigen Einflusses. Im Kimbundu, vom Status her einflußreichste Sprache Angolas, gibt es drei Lokativpräfixe, die jeweils nicht zwischen Bewegung und Ortsangabe differenzieren. Schließlich ließe sich noch anfügen, daß eventuell auch die 10

Auch im Dialekt von Träs-os-Montes hat sich die Präposition diese Funktion bewahrt.

336

Annette Endruschat

e) phonologische Ähnlichkeit von den Verschmelzungen der Präposition "em" mit dem bestimmten Artikel zu "no"/"na" im Portugiesischen und dem bantusprachigen Lokalpräfix "na-" zu der spezifischen Verwendung von "em" beitragen mag. Keine der angeführten Interpretationen kann das Phänomen hinreichend erklären. Wichtig für den Lusitanisten ist es zu wissen, daß eine Modellwirkung der Bantusprachen auch möglich ist. II) Gebrauch des direkten und indirekten Obiektanschlusses Es seien zunächst einige Beispiele zitiert, in denen der Anschluß der Objektvollform unkorrekt, d.h. nicht der Norm entsprechend, vorgenommen wurde: (5) Referindo-se aaplicacao de medidas por parte da RFA ao regime de Pretòria... (6) Devido o problema com que se debate o referido hospital...

Bei der Fülle diesbezüglicher Belege ist kaum zu vermuten, daß es sich lediglich um Schreib- oder Druckfehler handelt. Da das diakritische Zeichen Gravis zur Markierung des indirekten Anschlusses a) synsemantisch ist und der Junktor "a" ebenfalls semantisch schwach ist, haben wir bereits eine Andeutung dafür, warum diese Differenzierung für den L2-Lerner schwierig sein kann. Noch deutlicher jedoch wird die Nichtunterscheidung im pronominalen Bereich: (7) Por näo saber a sua disponibilidade de tempo volto a contactar-Mena quarta-feira. (8) Recomendaram-flo a viajar ñas próximas semanas por se encontrar cansado. (9) De acordo com a composicäo da delegacäo gostaria informar-/Aeo seguirne...

Auch im europäischen Portugiesisch sind heute in Auswirkung des jahrhundertelangen Schwankens zwischen direktem und indirektem Anschluß noch bei einigen Verben beide Rektionen möglich (z.B. bater, obedecer), die Möglichkeit einer b) systemimmanenten Erscheinung kann angenommen werden. Betrachten wir nun die zugrundeliegenden Bantusprachen, so stellen wir fest: Die Verben bestehen aus einem Subjekt-, einem Tempus-Aspekt- und einem Objektmerkmal, die alle in Form von Präfixen auftreten. Das Objektpräfix konkordiert dabei mit dem Bezugswort,eine Differenzierung etwa zwischen direktem und indirektem Anschluß wird nicht markiert. Die im Portugiesischen existente Erscheinung ist irrelevant. Daraus ergeben sich bei der Verwendung des Portugiesischen als L2 Unsicherheiten im Umgang mit diesen in der Muttersprache unbekannten Kategorien. Ein

Syntaktische Besonderheiten des angolanischen Portugiesisch

337

c) bantusprachiger Einfluß liegt vermittelt auch hier vor. So oder ähnlich würde die Analyse von Ursachen anderer syntaktischer Spezifika ausfallen (z.B. Stellung der Pronomina, Artikelgebrauch, Pluralmarkierung). Oft läßt sich ein altportugiesisches Fundament ermitteln, ein direktes Nachwirken älterer Sprachzustände indes ist weitestgehend auszuschließen, da ein enger Sprachkontakt zu den lusophonen Siedlern in Angola erst ab der Mitte des 19. Jh. gegeben war. Vielmehr verhält es sich so, daß unter bestimmten äußeren Bedingungen potentielle Strukturen des Portugiesischen aktiviert werden. 73. Schlußfolgerungen Nicht nur im (vorwiegend formellen) mündlichen Gebrauch und auf relativ niedrigem Beherrschungsniveau, sondern auch im schriftsprachlichen formellen Bereich können syntaktische Spezifika im angolanische^ Portugiesisch nachgewiesen werden, die typisch sind für verschiedene Sprachstände lusophoner Angolaner. Auf die beschriebenen Strukturen wird nachweislich auch dann rekurriert, wenn eine hohe sprachliche Kompetenz gegeben ist. Das bestätigt die Annahme innerhalb der Spracherwerbsforschung, daß muttersprachlich angelegte (und kognitiv nachwirkende) Strukturen die Produktion in der L2 beeinflussen, und das nicht nur im ersten Erwerbsstadium, sondern in Form von Fossilisierungen auch möglicherweise dauerhaft. Und die sprachlichen Universalien? Diese verdienten einen gesonderten Aufsatz, dennoch soll hier darauf verwiesen werden, daß sich selbst in einem so kleinen Untersuchungsausschnitt aus dem schriftsprachlichen Bereich, (der wie nachgewiesen wesentlich durch den Sprachkontakt geprägt ist) sprachliche Universalien nachweisen lassen, die aus dem L2-Erwerbsprozeß resultieren. Dazu gehören z.B. der Verzicht auf redundante Elemente, eine allgemeine Tendenz zur Anpassung an muttersprachliche Strukturen, Bevorzugung analytischer Formen u.v.a. Ein Vergleich der hier getroffenen Erkenntnisse mit den Ergebnissen einer Analyse des Portugiesischen bei portugiesischen Emigranten der zweiten Generation von Figueiredo-Brauer zeigt, daß diese unter verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen erworbenen Sprachstände ähnliche bis identische syntaktische Spezifika aufweisen.11 Die Erklärung für diese Parallelentwicklung ist u.a. darin zu sehen, daß Portugiesen der zweiten Generation in Deutschland zwar zweisprachig aufwachsen, Deutsch aber aufgrund der gesamten sozialen Umgebung (Kindergarten, Schule, Freundeskreis etc.) ihr universelles Kommunikations- und Ausdrucks11

Vgl. den Beitrag von Frau Figueiredo-Brauer zum Portugiesischen portugiesischer Emigranten der zweiten Generation. (Vgl. S. 307-327)

Annette Endruschat mittel darstellt, während Portugiesisch sich immer stärker auf den Kreis der Familie limitiert und oft erst später als L2 übernommen wird. Für den Erwerb einer hohen sprachlichen Kompetenz fehlt ihnen - ähnlich wie den Angolanern - der gesellschaftliche Druck, die Motivation. Auch in diesem Fall wird lediglich die Fähigkeit erworben, sich im informellen Register zu bewegen, und aus der Sprachkontaktsituation ergeben sich kreolensprachentypische Sprachwandelerscheinungen. Eine nähere Beschäftigung mit den skizzierten Gemeinsamkeiten beider Erwerbssituationen würde die Hypothese über das Auftreten sprachlicher Universalien beim L2-Erwerb stützen, die sich in der Universalientheorie innerhalb der Kreolistik bereits mehrfach erhob und die durch die Tatsache des Einwirkens konkreter basissprachlicher Strukturen nicht in Frage gestellt, sondern eher ergänzt wird.

338

8. Schlußfolgerungen für den L2-Unterricht Letztendlich sollen sich die Erkenntnisse der Spracherwerbsforschung in einer Theorie des Fremdsprachenunterrichts wiederfinden. Dementsprechend wäre hier die Frage zu stellen, welche Konsequenzen wir aus dem Festgestellten für die Lehre des Portugiesischen in Angola (im Dienste der landesweiten Verbreitung der Verkehrssprache Portugiesisch) ziehen können. Mit dieser Problematik beschäftigt sich erfreulicherweise in Angola selbst eine Gruppe von Wissenschaftlern.12 Guerra Márquez und Dolbeth e Costa plädieren für ein Präventivmodell, das dem Lehrer einen Katalog zu erwartender Normabweichungen beim Lerner in die Hand geben möchte und sie mittels dieser Sensibilisierung befähigen will, die auftretenden "Fehler" gezielt abzubauen. Sie bestätigen somit zwar das Auftreten angolatypischer Spezifika, möchten sie jedoch durch vorbeugende Unterrichtsstrategien ausgemerzt wissen. Die Lehrenden in Angola sind jedoch keineswegs dieser sprachnormierenden Berufung gewachsen, da selbst ihr Sprachgebrauch "angolanisch" markiert ist.13 Davon abgesehen scheint der Erfolg eines solchen präventiven Unterrichts schon allein durch die gegebenen Determinanten der Spracherwerbssituation in Frage gestellt zu sein, wenn wir nur daran zurückdenken, was zur Vervollkommnung sprachlicher Kompetenz festgehalten wurde: Erst wenn die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft spüren, daß universelle Kenntnisse in der zu erwerbenden Sprache landesweit gefordert sind, fühlen sie sich motiviert und ist das nötige Umfeld vorhanden, damit die Sprache nicht nur als kommunikatives Vehikel, sondern auch als expressives und funktionalstilistisches Mittel erlernt wird. Nicht die Schule allein, sondern die gesamte Gesellschaft bilden den Rahmen für den L2-Erwerb. Darüberhinaus stellt ein Erwerbsprozeß, wie bereits beschrieben, ein äußerst kompliziertes und psychologisch-kognitiv de12

Guerra Márquez 1985. Dolbeth e Costa 1982, Da Costa 1988.

13

Dolbeth e Costa 1982.

Syntaktische Besonderheiten des angolanischen Portugiesisch 339 terminiertes Zusammenwirken vielfältiger Faktoren dar, so daß allein mit den vorgeschlagenen Strategien nicht das abgebaut werden kann, was sich erwerbsprozeßbedingt im Lerner fossilisiert hat. Dennoch ist die Forderung nach Berücksichtigung lernersprachlicher Spezifika im Schulunterricht generell zu begrüßen, zumal sie Lerner und Lehrer sensibilisieren und zur Autokorrektur befähigen. Derartige Strategien helfen dem L2Lerner, sich bei der Anwendung der zu erlernenden Sprache immer mehr von seiner Muttersprache zu lösen und sich die Strukturen der Fremdsprache bewußt zu machen.

Galegisch/Galicisch als Brückensprache zwischen Portugiesisch und Kastilisch Sabine Albrecht (Jena)

1. Einleitung Die Stellung des Galegischen in der Romania ist in den vergangenen Jahren im deutschsprachigen Raum wiederholt Gegenstand linguistischer Diskussion geworden. Angesichts der großen materiellen und personellen Einsatzes in Galicien für den Fortgang des sprachlichen Normalisierungsprozesses seit der Sanktionierung des orthographisch-morphologischen Abkommens (AOM-82) 1982 mag diese Tatsache kaum Verwunderung hervorrufen. Betrachtet man nim diese Ausführungen zunächst unter diachronem Aspekt, zeichnet sich weitgehende Übereinstimmung darüber ab, daß sich das Galegische aus dem Latein der römischen Kolonisatoren Galiciens entwickelte. Dabei fand eine gleichzeitige Durchdringung des Lateinischen aus zwei Richtungen statt: einer südlichen, die von der Bética im Süden der Iberischen Halbinsel über Lusitania nach Gallaecia reichte, und einer östlichen Romanisierungsströmung, die von zwei militärischen Niederlassungen, Asturica Augusta und Lucus Augusti, ausgingAus dem Latein Galiciens gingen schließlich zwei romanische Sprachen im Westen der Halbinsel hervor: das Galegisch/Galicische und das Portugiesische, die im Mittelalter eine gemeinsame Entwicklungsstufe durchliefen. Die sog. galego-portugiesische Phase zeichnete sich durch eine relative sprachliche Einheitlichkeit nördlich und südlich des Miño aus, die in notariellen und literarischen Schriftstücken belegt ist. Das bedeutendste kultur- und sprachhistorische Zeugnis jener Zeit ist die galego-portugiesische Literatursprache des 13. und 14. Jahrhunderts, in der die Iberische Troubadourlyrik geschrieben wurde. Diesen historischen Umstand kleidet Galiciens Dichter Alfonso Rodríguez Castelao (1886-1950) in folgende Worte: Wir haben es satt zu wissen, daß das galegische Volk seine eigene Sprache spricht, ein Kind des Lateinischen, Bruder des Kastilischen und Vater des Portugiesischen (1977,445). Während in bezug auf die Klassifizierung der älteren Sprachzustände des Galegischen kaum Zweifel bestehen, wirft die synschrone Beschreibung zahlreiche Fragen auf, u.a. die, ob es sich um eine Sprache oder einen Dialekt handelt. Geht man heutzutage von einem rein linguistischen Standpunkt aus, wird diesseits und jenseits des Miño die gleiche Sprache gesprochen, denn die transmontanen Dialekte und die aus dem Gebiet des Miño sind eine Fortsetzung der galegischen Mundarten, mit denen sie Gemeinsamkeiten aufweisen, die sie aber wiederum vom Zentrum und Süden Portugals unterscheiden (Rei

Galegisch/Galicisch als Brückensprache

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1990:17). Aber auf der Ebene der Standardsprache und aus soziolinguistischer Sicht existieren - nach Rei - im Westen der Halbinsel zwei moderne Sprachen mit phonetischen, morphosyntaktischen und lexikalischen Unterschieden, die die gegenseitige Verständigung nicht behindern, so daß zwischen dem Galegischen und Portugiesischen ebenso wie zwischen dem Katalanischen und Okzitanischen oder Dänisch und Norwegisch ein inhärenter Bilinguismus besteht. Um der Sprache-Dialekt-Relation im Falle des Galegischen nachgehen zu können, ist es notwendig, vorher zwei andere Fragen zu beleuchten: Welcher Status wird dem Galegischen in den Gesetzestexten zugeschrieben? Wie beurteilt die Soziolinguistik und die Dialektologie die Stellung des Galegischen? Die Antwort auf die erste Frage ist kurz und eindeutig: Sowohl die Spanische Verfassung von 1978 als auch das Autonomiestatut Galiciens von 1980 und nachgeordnete gesetzliche Verfügungen wie das Gesetz zur sprachlichen Normalisierung von 1983 (Lexislación 1989) betrachten das Galegische als Sprache, die durch die entsprechenden Kompetenzbereiche der Xunta de Galicia (Regionalregierung) im Rahmen der sprachlichen Normalisierung zu fördern ist.

2. Galeglsch: Spreche oder Dialekt? Ausgehend von der traditionellen Dialektologie wird das Galegische sowohl in portugiesischen Arbeiten eines Leite de Vasconcelos (1897: Ko-Dialekt) als auch in spanischen bei Garcia de Diego (1962) als Dialekt beschrieben. Während die Klassifizierung der portugiesischen Dialektologen nach Maßgabe eigentlich linguistischer Kriterien durchaus berechtigt ist, scheint die Zuordnung Garcia de Diegos absurd, wenn er Galegisch, Katalanisch und Baskisch auf dieselbe Stufe der Dialektebene stellt wie die nichtkastilischen Dialekte Aragonesisch und Asturisch-Leonesisch. Einen ähnlichen Versuch praktiziert Montes Giraldo (1986), indem er zwischen "traditionellen" bzw. "historisch-strukturellen" und "durch Subordinierung entstandenen Dialekten" unterscheidet. Für eine zweckmäßige Klärung der Sprache-Dialekt-Problematik sollte der Terminus 'Dialekt' sich ausschließlich auf territoriale Varietäten ein und derselben Sprache innerhalb eines sprachgeographisch abgrenzbaren Gebietes beziehen. Ansonsten läuft man Gefahr, die Unterscheidung für eine wilkürliche Sache zu halten, die August Schleicher einst bemerken ließ: "Was die einen Sprache nennen, das nennen die anderen Dialekt, und umgekehrt." (1863:19). Abgesehen von der offensichtlichen Relativität des Dialektbegriffes verschafft sich die galegische Dialektologie zunehmend Gehör, wenn sie darauf verweist, daß zwischen der Existenz von Dialekten in einer nichtnormalisierten und im Ausbau ihres Standards befindlichen Sprache sowie Dialekten von normalisierten und über einen seit Jahrhunderten ausgebauten Standard verfügenden Sprachen differenziert werden muß. Lindley Cintra (1983) und Mira Mateus et. al. (1989) - in der Tradition der portugiesischen Dialektologie stehend - skizzieren das

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Sabine Albrecht

Galegische als Dialekt, der sich von den nordportugiesischen Dialekten durch phonetische Merkmale wie die fehlenden stimmhaften Sibilanten und den ebenfalls nicht vorhandenen stimmhaften Reibelaut /37 abhebt (vgl. Cunha ; Lindley Cintra 1987, Mira Mateus et. al. 1989:36). Obwohl die Existenz morphologischer, syntaktischer und lexikalischer Besonderheiten eingeräumt wird, verzichten die Autoren auf eine präzise Darstellung aufgrund großer Varianz und Unregelmäßigkeiten in der Verteilung. Demgegenüber beziehen die galegischen Dialektologen wie Santamarina und Rei spätestens seit dem Atlas Lingüistico Galego und der Dialectoloxia da Lingua Galega von REI (1990) konsequent alle Ebenen des Sprachsystems - nachfolgende Beispiele belegen das - in die Betrachtung ein. Noch wichtiger jedoch scheint die Tatsache zu sein, daß sich bei Untersuchungen unter Galegischsprechern in Galicien keine Dialektzuschreibung nachweisen ließ, dafür aber ein klares Bewußtsein, eine vom Kastilischen und, in den südlichen Gebieten, eine vom Portugiesischen unterschiedliche Sprache zu sprechen (Rei 1990:35). Mit welchen Kriterien läßt sich nun das Galegische als Sprache aus soziolinguistischer Sicht bestimmen, wenn linguistische Kriterien i.e.S. zur Differenzierung von Dialekt nicht mehr ausreichen? a) Das Auftreten bestimmter struktureller sprachlicher Besonderheiten, die aus rein linguistischer Sicht irrelevant erscheinen mögen (vgl. Ausführungen unter 3.; Rei 1990). b) Das Vorhandensein eines operativen Sprachbewußtseins innerhalb einer ethnisch, historisch-sozial und kulturell eigenständigen Gemeinschaft ("sprachliche Individuation", Marcellesi 1985:18) c) Der eingeleitete sprachliche Normalisierungsprozeß, in dessen Verlauf die Kodifizierung einer supradialektalen Standardnorm 1982 zunächst eine wichtige Zwischenstufe für die soziale Extension des Galegischen und für seinen funktionalstilistischen Ausbau ist. d) Die gesetzliche Anerkennung des Sprachstatus im Rahmen der Verfassung und des Autonomiestatuts. Aufgrund dieser Aspekte kann das Galegische, das - nach Rei (1990:36) - ein kompliziertes System von Mundarten darstellt, aber nicht dialektal fragmentiert ist, als Sprache definiert werden.

3. Zur Bedeutung dee Begriffs 'Brückensprache' Der von Badia i Margarit (1975:49) im Zusammenhang mit der Stellung des Katalanischen zwischen Gallo- und Iberoromania in die Diskussion gebrachte Begriff der Brückensprache (lengua puente) kann m.E. die synchrone Sprachsituation des Galegischen aus sprachpolitischer Sicht charakterisieren. Damit

Galegisch/Galicisch als Brückensprache

343

bietet er den Rahmen zur Untersuchung der Orthographie und der Kodifizierung des Galegischen. Mit dem Terminus 'Brückensprache' wird folglich eine Sprache im soziolinguistischen Sinne bezeichnet, die im Verlauf des soziokulturellen Emamzipationsprozesses der betreffenden Sprachgemeinschaft die interkulturelle Kommunikation vermitteln kann. Der sich vom östlichen Teil Galiciens bis zur portugiesischen Algarve erstreckende Sprachraum gehört dem zeitlichen und räumlichen Kontinuum der Romania an, das Zwischenformen kennt, die aufgrund ihrer Randlage Brückencharakter und Polymorphismus aufweisen (vgl. Bochmann 1989:9). Letzterer ist nahezu charakteristisch für das Galegische in allen Epochen seiner Sprachgeschichte (Maia 1986:892). Diese interessante Erscheinung resultiert aus einm altbekannten und vieldiskutierten Problem: der fehlenden sprachlichen Einheit der Literatur- bzw. Standardsprache als Folge der Nichtkodifizierung der Sprachnorm in der Vergangenheit. Der Übergangscharakter impliziert gleichzeitig ein Spannungsverhältnis, wenn jede sprachpolitische Entscheidimg in bezug auf das Galegische immer auch als Bewegung auf einer Achse zugunsten eines der beiden Endpunkte, des Portugiesischen oder Kastilischen, gedeutet werden kann. Darin liegt der Nachteil der Situation als Brückensprache, der durch das insgesamt keineswegs sichere kollektive Bewußtsein der Sprecher noch verstärkt wird. Die Bestimmung des Galegischen als Brückensprache trägt m.E. den derzeitigen Gegebenheiten Rechnung. Einerseits ermöglicht dieses Konzept, die Besonderheiten der galegischen Standardnorm gegenüber beiden Nachbarsprachen herauszustellen, und andererseits bietet es einen pragmatischen Rahmen für dialektologische Untersuchungem im Iberischen Nordwesten, um das Sprachgebiet des Galegischen geographisch vom westlichen "Leonesisch" und vom nördlichen Portugiesisch abzugrenzen. Wenn die hier vorgenommene Klassifizierung (vgl. Bochmann 1989; Albrecht 1990) auch scheinbar einem Kompromiß gleichkommt, ist sie doch in erster Linie das Ergebnis eines historischen Entwicklungsprozesses extra- und intralinguistischer Faktoren, für die man die Beispiele nicht lange zu suchen braucht. 3.1. Zu einigen phonetischen und morphosyntaktischen Besonderheiten des Galegischen Trotz der engen Verwandtschaft des Galegischen mit dem Portugiesischen kann man beobachten,"... wie sich ersteres im Laufe der Geschichte vom letzteren entähnlicht. Zwischen dem 13. und dem 15. Jahrhundert wird die Stimmhaftigkeit in der Reihe der Sibilanten in einem breiten Querstreifen von Galicien bis Valencia aufgegeben (gal. doce, kast. doce, Valencia apitxat /dose/)",

Sabine Albrecht dagegen bewahrt das Portugiesische (und das Katalanische) die Opposition stimmhaft/stimmlos (Metzeltin 1990:2).

344

Während sich im Portugiesischen zwischen dem 10. und 15. Jahrhundert die Nasalierung der Vokale vor nasalen Konsonanten (Bsp. ontem, hörnern) ausprägte, wurden im Galegischen Galiciens mit Ausnahme des östlichen Teils die Nasalvokale nicht nasciliert (velare Aussprache des implosiven -n). Eine Eigentümlichkeit des Galegischen stellt zweifellos die aspirierte pharyngale Ausprache des 'g', die "gheada" dar. Bis in die jüngste Vergangenheit galt sie oft als sprachliches Stigma der unteren gesellschaftlichen Schichten. Dank der umfangreichen Arbeiten zur galegischen Dialektologie u.a. von Rei wird die Ursache dieses Phänomens dem phonetischen und phonologischen System des Galegischen zugeschrieben. Danach ist die Lautverengung und anschließende Aspiration des 'g' in Beziehung zu setzen mit der Sonorisierung des lateinischen c /k/ bei 'g' und der Vereinfachung der Doppelkonsonanten des klassischen Latein. Was die Erscheinung der "gheada" für die Phonetik darstellt, ist für die Morphologie u. a. die historische Herausbildung zweier kombinatorischer Varianten des bestimmten Artikels, dessen allomorphe Form -lo(s), -la(s) nur nach den Endkonsonanten -r oder -s gebraucht wird. Im Unterschied zum Portugiesischen und Kastilischen differenziert das Galegische bei den unbetonten Pronomen zwischen "che" als indirektem und "te" als direktem Objekt. Wenngleich die zitierten Beispiele eher Besonderheiten repräsentieren, so unterstreichen die folgenden dessen Brückencharakter. In der 3. Person des Pret¿rito Perfecto (starkes Perfekt) konnten im Altgalegischen die Endungen -o und -e abwechseln (ouvo/ouve), so daß dieses Idiom eine Stellung zwischen dem Portugiesischen (houve) und dem Kastilischen (hubo) einnahm. Die Aufgabe der Variante -e hat - wie Maia (1986:746) belegt - das Galegische vom Portugiesischen entfernt. Metzeltin spricht im Fall der Beseitigung der Polymorphie in der 3. Person des starken Perfekts von Rationalisierung, für die es mehrere Belege im westhispanischen Raum gibt. Dazu gehört der noch im Mittelalter in allen Sprachen nachweisbare Konjunktiv Futur, dessen regelmäßiger Gebrauch heute nur im Portugiesischen bewahrt ist. Im Kastilischen ist er meistens durch den Konjunktiv ersetzt worden. Auch in diesem Fall nimmt das Galegische wieder eine Zwischenposition ein, indem es auf den Konjunktiv oder sogar auf den Indikativ Präsens zurückgreift (Metzeltin 1990:2). Diese u.a. morphosyntaktischen Untersuchungen veranlassen Metzeltin (ebd.) zur Feststellung, daß die Geschwindigkeit des Galegischen zur Rationalisierung im Sprachsystem zwischen der schnellen des Kastilischen und der langsameren des Portugiesischen liegt und durch einen entsprechenden Grad an redundantem Polymorphismus geprägt ist.

Galegisch/Galicisch als Brückensprache 345 3.2. Das galego-portugiesische Sprachgebiet nördlich bzw. südlich des Mino Die Gesamtheit der nordportugiesischen und der regionalen Varianten des Galegischen weisen besonders in der Phonetik gemeinsame Merkmale auf, wie die Diphthonge ei, ou, die Affrikate ch /tf/ oder der fehlende stimmhafte labiodentale Reibelaut /v/, die sie von den zentralen und südportugiesischen Dialekten unterscheiden (Monophthongisierung von ei, ou; Existenz des stimmhaften Reibelauts /v/; ch IS! als Reibelaut). Im lexikalischen Bereich greifen das Galegische und das Nordportugiesische bei vielen Bezeichnungen auf lateinische oder westgotische Termini zurück, während weiter südlich der arabische Wortschatz dominiert; dem nordportugiesischen 'soro' für Molke steht im Süden z.B. 'o almece' gegenüber (vgl. Rei 1990:24). Außer diesen recht allgemeinen Erscheinungen treten sprachliche Charakteristika auf, die den transmontanen wie den Dialekten aus dem Gebiet des Miño, teilweise dem Standardportugiesischen und den südgalegischen Mundarten gemeinsam sind: die Formen 'cuatro' und 'cuando' (gal. Standard: catro, cando), das Personalpronomen 'tu' (gal. Standard: ti) und in geringerem Umfang die Verbformen der 2. Person Plural Präsens 'cantais' (gal. Standard: cantades). Die Beispiele ließen sich auch in Hinblick auf Gemeinsamkeiten der südgalegischen und nordportugiesischen Dialekte gegenüber anderen regionalen Varianten des galego-portugiesischen Sprachgebietes fortsetzen (vgl. ebd., 28). Obgleich der Festlegung einer Sprachgrenze zwischen Galegisch und Portugiesisch stets der Stempel der Relativität aufgedrückt werden kann, hat sie vor allem linguistische Bedeutung, die in der Ermittlung und Beobachtimg von Isoglossen relevanter sprachlicher Besonderheiten besteht. Solche Aspekte sind im vorliegenden Fall der orale Vokalbestand des Galegischen, die "gheada" und die stimmlosen galegischen Sibilanten. 33. Das galego-teonesische Sprachgebiet Im östlichen Teil grenzt das Galegische an das westliche "Leonesische", das in Asturien und in Kastilien-León gesprochen wird. Dialektologische Studien belegen sprachliche Gemeinsamkeiten: die Diphthonge ei, ou in Wörtern wie 'primeiro, touro', die Bewahrung des lateinischen Anfangsbuchstaben F- wie in 'facer', die Palatalisierung der lateinischen Konsonantengruppen PI, Cl-, Fl- in Formen wie 'chover, cheirar' und die Vereinfachung des Doppelkonsonanten NN' in 'paño, ano'. Im Gegensatz dazu beeinflussen sprachliche Eigenheiten abenso das östliche Galegisch wie es z.B. mit der Palatalisierung des L- und LL- bei 'llobo, caballo' im Galegischen Asturiens geschieht. Die Untersuchung von Isoglossen sprachlicher Erscheinungen hat dazu geführt, daß die Sprachgrenze in Asturien noch westlich des Flusses Navia liegt, in der Provinz León den Flußläufen Gúa und Sil folgt, bis sie im Süden mit der administrativen Trennlinie zusammenfällt. Daraus ergibt sich notwendigerweise die Schlußfolgerung, daß das galegische Sprachgebiet im Süden wie im Osten über die politische bzw. administrative Grenze hinausreicht. Während sich die Sprecher

Sabine Albrecht nordportugiesischer Dialekte ebenso wie ihre übrigen Landsleute auf die etablierte schriftsprachliche Norm des Portugiesischen stützen, die Galegischsprecher der Provinz Galicien mit der um ihre Normalisierung ringenden Standardnorm leben können, bleibt die Frage: Welche Perspektiven hat das Galegische jenseits der Grenzen Galiciens, wo - wie überall auch - das Kastilische dominiert? 346

Eine erschöpfende Antwort kann an dieser Stelle nicht gegeben werden. Doch sollte man sich vergegenwärtigen, daß beinahe im Schatten der sprachlichen Normalisierung in Galicien ab Mitte der 80er Jahre vor allem in Asturien mit der Vereinigimg MDGA (Mesa prá Defensa del Galego de Asturias e da Cultura da Comarca) eine Plattform entstanden ist, die das Sprachbewußtsein der Galegischsprecher in Asturien, León und Zamora sensibilisieren und sich in den allgemeinen Prozeß der sprachlichen Normalisierung des Galegischen einschalten will. Diesem nunmehr zweiten Normierungsvorhaben liegt die aus der galegischen Dialektologie stammende These zugrunde, daß die Mundarten im Westen Asturiens eine Variante des östlichen Galegisch darstellen, insofern bezieht man sich in den im Sommer 1990 veröffentlichten Normen "Normas ortográficas e morfolóxicas del galego de Asturias" auf die gegenwärtige offizielle galegische Norm von 1982 mit dem einer Rückversicherung gleichkommenden Hinweis auf den Gebrauch des katalanischen Standards außerhalb Kataloniens. Wenn man davon ausgeht, daß dieser Vorschlag die ohnehin z.T. umstrittene Standardnorm lokal zu revolutionieren versucht und eine "norma del galego común asturiano" proklamiert wird, so mag man sich in bezug auf das Galegische vielleicht sogar berechtigterweise fragen: Quo vadis? Bibliographie: Albrecht, Sabine 1990: Untersuchungen zum Sprachwandel in Galicien: die Herausbildung der galegischen Standardnorm, Diss. Leipzig. Alvarez, Rosario; Regueira, Xosé Luis; Monteagudo, Henrique 1986: Gramática Galega, Vigo. Badia i Margarit, Antonio Maria 1975: Llengua i cultura als Paisos catalans, Barcelona. Bochmann, Klaus 1985: "Zum theoretischen Status und ideologischen Wert des Variationsbegriffes in der Romanistik", in: Linguistische Arbeitsberichte 51, Leipzig, 2-15. ders. 1989: Regional- und Nationalitätensprachen in Frankreich, Italien und Spanien, Leipzig.

Galegisch/Galicisch als Brückensprache

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Cunha, Celso; Lindley Cintra, Luis F. 1987: Nova Gramática do Portugués Contemporáneo, Lisboa. Garcia de Diego, V. 1962: Manual de dialectología española, Madrid. Gran Enciclopédia Gallega, o. Jg. Lapesa, Rafael 1966: Historia de la lengua española, Madrid. Lexislación actualizada sobre la lingua galega 1989, Vigo. Lindley Cintra, Luis F. 1983: "Nova proposta de classificagäo dos dialectos galego-portugueses", in: Boletim de Filología XXII, Lisboa, 81-109. Marcellesi, Jean-Baptiste 1985: "Der aktuelle Prozeß der Entstehung von Sprachen in der Romania, in: Linguistische Arbeitshefte 51, Leipzig, 17-25. Maia, Clarinda de Azevedo 1986: História do Galego-Portugués, Coimbra. Metzeltin, Michael 1990: Normierungsschwierigkeiten schwach divergierender Sprachen: ein Beispiel aus dem Galegischen, (Manuskript) Wien. Mira Mateus, Maria H. et al 1989: Gramática da lingua portuguesa, Lisboa. Montes Giraldo, José J. 1986. "Lengua-dialecto una vez más", in: Thesaurus: Boletín del Instituto Caro y Cuervo Bogotá, XXII, 23-40. Normas ortográficas e motfolóxicas do idioma galego 1982, Vigo. Rei, Francisco F. 1990: Dialectoloxía da lingua galega, Vigo. Schleicher, August 1863: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft, Weimar.

Der Mißbrauch der großen geographischen Entdeckungen für politische Zwecke - Analyse eines Beispieltextes José Luis Azevedo do Campo (Rostock) I. Das portugiesische Volk hat allen Grund, auf die von seinen berühmten Seefahrern vollbrachten Leistungen stolz zu sein. Bedeutend war der Beitrag der großen geographischen Entdeckungen vor allem für die Entstehung des modernen europäischen Denkens, zur Entwicklung des Humanismus, zur Herausbildung des kritischen Geistes, zur Abschaffung des Prinzips der Autorität in der Wissenschaft und in der Philosophie, zum Sieg der Vernunft über den Aberglauben. Duarte Pacheco Pereira faßte in seinem Esmeraldo de situ orbis die neue Einstellung des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt in folgender Weise zusammen: "die Erfahrung ist die Mutter aller Dinge und durch sie haben wir die ganze Wahrheit gewonnen."1 Trotz dieses guten Vorsatzes schlug das neue Denken in Portugal selbst keine Wurzeln. In der Universität Coimbra beispielsweise wurde nach wie vor auf der Grundlage des Prinzips der Autorität eine praxisfremde Lehre weitergeführt. Gewiß hat eine Reihe von Faktoren wie Inquisition, Zensur, Konterreformation während des 16. Jahrhunderts sowie der Befreiungskrieg gegen Spanien irti 17. Jahrhundert keine geringe Rolle bei der Blockierung der von den Entdeckungen entfesselten kulturellen Dynamik gespielt.2 Entscheidend war aber die von Anfang an von der portugiesischen Krone verfolgte Politik der Ausbeutimg und Plünderung der neueroberten Territorien. Das auf diese Art und Weise angehäufte merkantile Kapital war Handelsmonopol des Königs und beherrschte somit das Kaufmannskapital, das sich nicht zum industriellen Kapital verwandeln konnte, sondern zur Finanzierung des Luxuslebens der Krone diente oder einfach gehortet wurde. Mit dieser Politik haben sich die absolute Monarchie und die feudalklerikale Reaktion durchgesetzt, während die bürgerlich-plebejische Opposition so gut wie keinen Einfluß mehr auf das Geschehen hatte. Die Bereicherung der Krone und der feudalen Oberschicht stand schon im 16. Jahrhundert im schreienden Gegensatz zur Armut der Bevölkerung. Diese Situation hat sich während des 17. Jahrhunderts verschärft. Anfang des 18. Jahrhunderts stagnierte die gewerbliche Produktion und der Ackerbau ging zugunsten des Weinbaus zurück. Als Ergebnis dieser ökonomischen Mißstände mußte noch mehr Getreide importiert werden, und das Land geriet verstärkt in Abhängigkeit vom britischen Kapital. England konnte sein wirtschaftliches Übergewicht bis zum zweiten Weltkrieg behaupten. Danach wurde seine dominierende Rolle durch die Un-

1

2

Vgl. Sérgio, A.: Breve Interpretaqäo da História de Portugal, Sä da Costa, Lisboa, 1975, S. 84,85. Vgl. Silva Dias, J.S.: Os Descobrimentos Presenta, Porto, 1982, S. 270.

e a Problemàtica Cultural do Siculo XVI, Editorial

Der Mißbrauch der großen geographischen Entdeckungen

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terwerfung Portugals unter das internationale Kapital abgelöst.3 Angesichts dieser historischen Entwicklung hat schon Alexandre Herculano, der bekannte portugiesische Historiker und Schriftsteller, diejenigen, die dieses Kapitel der Geschichte Portugals immer wieder zu verfälschen versuchen, scharf kritisiert: "Was bedeutet eigentlich dieses aufgeblasene Gerede von Regeneration durch die Tradition? Das sind nichts anderes als leere Worte ohne jeglichen Inhalt. Aber nehmen wir an, daß diese Erinnerungen das Volk erreichen würden. Können sie ihm als Beispiel und Lektion für seine gegenwartigen Bedürfnisse dienen? In einem Land, wo der vergängliche Reichtum die Arbeitsgewohnheiten und somit die Volkswirtschaft zerstört, die Energie des Herzens durch Elend erlahmt hat, ein Elend, das das unvermeidliche Ergebnis einer illusionären Prosperität war?!"

Diese kritischen Worte Herculanos stehen im krassen Widerspruch zu den merkwürdigen Ansichten von Oliveira Salazar, dem Architekten des autoritären Regimes 'O Estado Novo'. In einer 1961 von ihm vor der Nationalversammlung gehaltenen Rede erklärte er: "Als sich die portugiesische Nation allmählich herausbildete und sich über die anderen Kontinente ausbreitete, normalerweise unbewohnte und nichtkultivierte Territorien nutzend, war sie die Trägerin von sich von anderen Siedlungsformen völlig unterscheidenden Gedanken, die sie den Völkern, mit denen sie in Berührung kam, vermitteln wollte. Denjenigen, die den Begriff Vaterland noch nicht hatten, bot sie eines-, denjenigen, die verstreut lebten und sich nicht untereinander verstehen konnten, bot sie eine überlegene Ausdrucksweise - die Sprache; denjenigen, die miteinander in tödliche Kämpfe verwickelt waren, sicherte sie den Frieden..."

II.

Beide gegensätzlichen Positionen sollen als Basis für die Untersuchung des nachfolgenden journalistischen Textes dienen, der aus Anlaß der Fünfhundertjahresfeierlichkeiten der großen geographischen Entdeckungen verfaßt wurde. Der Text stammt aus der Lissaboner Abendzeitung^! Capital und trägt das Datum vom 24.4.1987. Es handelt sich um einen poütischen Text. Sein politischer Autor (PA) setzt sich mit dem Thema der geographischen Entdeckungen auseinander, indem er die politische Aktualität dieser Problematik im Lichte der Geschichte betrachtet. Historische Vergangenheit und gegenwärtige politische Situation werden dabei nicht nur in Beziehung gesetzt, sondern auch verglichen bzw. gegenübergestellt. Mit dieser Vorgehensweise will PA den Leser auf den traditionellen Mißbrauch der geographischen Entdeckungen für politische Zwecke aufmerksam machen bzw. ihn dazu bewegen, darüber nachzudenken, um eine unvoreingenommene Meinung zu bilden und danach zu handeln:

3

Vgl. Loth, H.: Das portugiesische Kolonialreich, Berlin 1982, S. 16,17. g Zit. nach Sérgio, A., Educalo Civica, Ministério da Educalo, Lisboa, 1984, S. 87. Oliveira Salazar, A. de O.: Portugal e a Campanha Anticolonialista, S.N.I., Lisboa 1960, S. 11. 4

350

J.L. de Azevedo do Campo 1. Os descobrimentos säo normalmente agitados como bandeira da consciéncia nacional, de patriotismo e glòria de um país que, há cinco séculos para cá, ainda näo conseguili criar outros momentos dignos de o impor como grande. 2. Lembramo-nos com toda a certeza do verdadeiro cavalo de batalha que constituíram os descobrimentos para o regime autoritàrio e repressivo de Salazar e Caetano, que, aproveitando-se de täo nobres acontecimentos, os transformaran! em base de apoio a manuteng o das entäo colónias; com urna 'justificado' histórica mantinha-se uma injustificada guerra. 3. Hoje, um novo estado de coisas, atira para a frente slogans baseados na época expansionista, exaltando virtudes, levantando bandeiras, criando ilusöes que, de forma alguma, podem ser alimentadas porque irreais e desprovidas de boas intencjöes.

Betrachtet man den Text als pragmatische Handlungsstruktur, so ist er das Endprodukt eines Haupthandlungstyps, d.h. des dominierenden Kommunikationsverfahrens (KV) Anregen. So aufgefaßt ist das KV Anregen das Endergebnis der ihm zugrundeliegenden KV Gegenüberstellen bzw. KV Vergleichen und der jeweiligen Haupt- und Teiloperationen (HOP; TOP). Diese Teilhandlungen fungieren als Nebenhandlungstypen und bilden "hierarchisch gegliederte Ganzheiten, deren Abfolge, Zusammenhang, und innere Ordnung durch die Bezogenheit auf das (Haupt)handlungsziel bzw. daran gebundene Teilziele determiniert wird."8 Ihre sprachliche Realisierung erfolgt auf der Grundlage von komplexen und einfachen Sätzen (KV) sowie von Teilsätzen (HOP; TOP). Als eine wichtige Vermittlungsinstanz zwischen KV bzw. darin einbezogenen HOP und TOP, und sprachlichen Möglichkeiten ihrer Realisierung gelten die funktional-kommunikativen Merkmale (FKM). FKM sind verallgemeinerte Abbildelemente sprachlicher Handlungen, die Typen von KV und der jeweiligen HOP bzw. TOP charakterisieren. Sie haben mit den sprachlichen Merkmalen den Abbildcharakter und die Invarianz gemeinsam. Aber sie unterscheiden sich von sprachlichen Merkmalen, weil diese nicht Typen sprachlich-kommunikativen Handelns, sondern die sprachliche Bedeutung von Einheiten einer natürlichen Sprache repräsentieren.7

III. Textpragmatische Struktur Mit der ersten Äußerung setzt PA das KV Gegenüberstellen ein, indem er die HOP Festellend-charakterisieren mit der ihr untergeordneten TOP Feststellend-explizieren in Beziehung setzt und dabei die gegensätzlichen Merkmale beider Operationen hervorhebt: HOP Feststellend-charakterisieren - Os descobrimentos säo normalmente agitados como bandeira da consciéncia nacional, de patriotismo e glòria de um país... TOP Feststellend- explizieren ... que há cinco séculos para cá nao mais 6

Grundfragen der Kommunikationsbefähigung. G. Michel, Leipzig 1985, S. 34.

7

Ebenda., S. 77ff.

Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von

Der Mißbrauch der großen geographischen Entdeckungen 351 conseguiu criar outros momentos dignos de o impor como grande. (Die geographischen Entdeckungen werden fast immer als Fahne des Nationalbewußtseins, des Patriotismus und des Ruhms in diesem Land hochgehalten, welches seit fünfhundert Jahren keine anderen Spitzenleistungen hervorgebracht hat, um wieder als Großmacht anerkannt zu werden.) HOP Feststellend-charakterisieren. Streng beurteilend konstatiert PA, daß die geographischen Entdeckungen in der Regel als Symbole der Verbundenheit und Zugehörigkeit zur Nation, der Liebe zum Vaterland und der weltweiten Anerkennung dargestellt und dabei übermäßig betont werden. Damit realisiert PA nicht nur die auf sachliche und sachgemäße Darstellung der Fakten gerichteten FKM 'konstativ5, 'deskriptiv", 'allgemein üblich', sondern auch das subjekt-betonte FKM 'mit Distanz die nationalistische Propaganda abschätzend'. Die systematische politisch-ideologische Einwirkimg der nationalistischen Propaganda auf die Volksmassen wird hierbei durch den Einsatz des Verbs - agitar - negativ dargestellt bzw. durch die Verwendung des unbestimmten Artikels - um (pais) - mit großem Abstand betrachtet. Dieser Einstellung zum Kommunikationsgegenstand von PA liegt die Tatsache zugrunde, daß das falsche Nationalbewußtsein, der entartete Patriotismus bzw. der grundlose Nationalruhm "mit dem Vorwand, daß alles schon getan wurde, jedes weitere Unternehmen unterbindet, die Nation in die illusionäre Vergangenheit zurückführend lähmt und sie somit darin hindert, für die Zukunft zu arbeiten."8 TOP Feststellend-explizieren: Seine Darstellung weiterführend, konstatiert PA, daß Portugal seit den geographischen Entdeckungen nichts Großes vor der Welt vorweisen kann. Damit bringt PA die sachbetonten FKM 'konstativ', 'von der Vergangenheit bis in die Gegenwart hineinreichend', 'explikativ-verifikativ' und das subjekt-betonte FKM 'die Rückentwicklung Portugals bewertend' hervor. Diese negative Bewertung ist das logische Ergebnis des von PA festgestellten Abstiegs Portugals. Wie Herculano treffend formuliert hat, führte die expansionistische Kolonialpolitik dazu, daß "der Staatsschatz der Ersatz für die Handlungen der Menschen war".9 Damit wurde dem Volk nicht nur die Arbeit, sondern auch die Ausbildung und die Initiative verweigert. Diese sozio-ökonomischen und kulturellen Mißstände konnten bis heute nur teilweise beseitigt werden. Mit dem In-Beziehung-Setzen der von beiden Operationen dargestellten Gegensätzlichkeiten verwirklicht PA das umfassende komparative FKM 'gegensätzlich'. Dadurch wird das KV Gegenüberstellen belegt und somit der Widerspruch zwischen den glänzenden Leistungen von damals und dem beE^a de Queiroz, J.M.: Notas Contemporäneas, artigos 'Brasil' e 'Portugal'. S. 72. Zit. nach SÄrgio, a.a.O., S. 86. 9

Zit. nach Sergio, a.a.O., S. 24.

352 J.L. de Azevedo do Campo ständigen Abstieg bis heute verwirklicht. Der Leser soll hierbei zur nüchternen Betrachtung der Geschichte veranlaßt werden, um sich nicht durch manipulierende politische Losungen irreführen zu lassen. Mit der 2. und 3. Äußerung realisiert PA das KV Vergleichen, indem er beide entsprechenden Operationsstrukturen verwirklicht und dabei ihre ähnlichen Merkmale hervorhebt: Operationsstruktur der 2. Äußerung HOP Feststellend-beurteilen - Lembramo-nos com toda a certeza do verdadeiro cavalo de batalha que constituíram os descobrimentos para o regime autoritàrio e repressivo de Salazar e Caetano ... TOP Explizieren-beurteilen ... que, aproveitando-se de tao nobres acontecimentos, os transformaram em base de apoio a manutengäo das entäo colónias;... TOP Zusammenfassend-beurteilen ... com urna 'justificagäo' histórica mantinha-se urna injustificada guerra. (Gewiß haben wir noch nicht vergessen, wie das autoritäre Regime von Salazar und Caetano die Entdeckungen hochgespielt hat, um solche großen Ereignisse als Unterstützung für die Erhaltung der ehemaligen Kolonien mißbrauchen zu können; ein ungerechter Krieg wurde somit historisch 'gerechtfertigt'.) HOP Feststellend-beurteilen: Sich mit seinen Lesern identifizierend erinnert PA an die von dem diktatorischen Regime Salazars und Caetanos betriebene Politik in bezug auf die geographischen Entdeckungen und konstatiert dabei, wie unangemessen stark das Thema in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt wurde. Auf diese Art und Weise realisiert PA die sachbetonten FKM 'in Erinnerung rufend', 'konstativ', 'Erkenntnisresultate vermittelnd' und die subjektbetonten FKM 'sich mit dem Leser identifizierend', 'das Regime von Salazar und Caetano als autoritär und repressiv charakterisierend und seine übermäßige Betonung der geographischen Entdeckungen negativ bewertend.' Die Kolonialpolitik Salazars basierte auf der angeblich schon errungenen Unabhängigkeit und Gleichheit der Kolonien innerhalb der portugiesischen nationalen Einheit. Diese schon von den Vorfahrern angestrebte Einheit wurde, so Salazar, zum politischen und juristischen Faktum, da sie eine soziale und historische Realität darstellte, die in den Verfassungen Portugals verankert war.10 TOP Explizierend-beurteilen: PA erklärt, daß die großen geographischen Entdeckungen als Begründung für den Erhalt der Kolonien angegeben und somit mißbraucht wurden. Hierbei realisiert PA die sachbetonten FKM 'explikativ5, 'kausal', 'zu einem Folgesachverhalt führend', 'vergangen' und das subjektbetonte FKM 'den Mißbrauch der 10

Salazar, ebenda.

Der Mißbrauch der großen geographischen Entdeckungen 353 geographischen Entdeckungen für den Erhalt der Kolonien bewertend'. Salazar vertrat nämlich die Meinung, daß Portugal als alte Nation fest an seine Traditionen gebunden war und deswegen sein überliefertes Erbe aus der Vergangenheit unter schweren Opfern verteidigen wollte. Diese Aufgabe betrachtete er als menschliche Mission, d.h. als Kolonisation, die im Gegensatz zu Kolonialismus stand. Kolonialismus war seiner Ansicht nach das Unternehmen zur ökonomischen Entwicklung, das nur durchgeführt wird, solange es Profit bringt.11 TOP Zusammenfassend-beurteilen: Zusammenfassend mißbilligt PA die sogenannte historische Begründung eines tatsächlich ungerechtfertigten Kolonialkrieges. Hiermit belegt er die sachbetonten FKM 'die Grund-Folge-Beziehung synthetisch darstellend', 'vergangen' und das subjektbetonte 'den Kolonialkrieg als ungerechtfertigt bewertend, seine angeblich historische Beründung mit Distanz betrachtend'. Für Salazar war die alte portugiesische Nation verpflichtet, die anderen Völker zu zivilisieren und somit die Aufgaben der Kolonisation im Schweiße ihres Angesichts zu bezahlen.12 Diese Politik forsetzend betonte auch Caetano bei jeder Gelegenheit, daß die Portugiesen in Afrika die 'Zivilisation' verteidigten. Unter ihm gewann die Propaganda der pseudowissenschaftlichen Theorie vom 'Lusotropicalismus', von der 'zivilisatorischen Mission' des portugiesischen Kolonialismus neue Dimensionen.13 Operationsstruktur der 3. Äußerung HOP Feststellend-beurteilen - Hoje, um novo estado de coisas, atira para a frente slogans baseados na 6poca expansionista, exaltando virtudes, levantando bandeiras, criando ilusöes... TOP Begründend-beurteilen ... que, de forma alguma, podem ser alimentadas porque irreais e desprovidas de boas intengöes. (Heute, unter neuen Bedingungen, werden expansionistische Losungen gerufen, die Tugenden preisen, Fahnen erheben und Illusionen wecken, die auf keinen Fall genährt werden dürften, einfach weil sie unrealistisch sind und die wahren Absichten verbergen.) HOP Feststellend-beurteilen: Bewertend konstatiert PA, daß gegenwärtig ebenfalls eine Politik betrieben wird, die die expansionistische Epoche nutzend trügerische Losungen verbreitet, um die Volksmassen irrezuführen. PA realisiert hierbei die sachbetonten FKM 'konstativ5, 'deskriptiv', 'gegenwärtig' und das subjektbetonte FKM 'die kursierenden politischen Losungen über die geographischen Entdeckungen 11

Ebenda.

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Ebenda.

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Zit. nach Loth, a.a.O., S. 189.

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J.L. de Azevedo do Campo

mißbilligend'. Damit macht PA den Leser auf die Fortsetzung einer schon in der Vergangenheit verfolgten Politik aufmerksam, welche die Entwicklung des Landes stark beeinträchtigt hat. Denn Portugal ist mit seinen gravierenden ökonomischen Problemen noch heute eines der ärmsten Länder Europas. Das erkennt selbst der rechtsorientierte amtierende Ministerpräsident in einem der nordamerikanischen Zeitimg Los Angeles Times gewährten Interview.14 Hierbei erwähnt er beispielsweise die Tatsache, daß die Leistungen der Landwirtschaft für europäische Verhältnisse zu niedrig sind. Auch das Haushaltsdefizit ist nach wie vor hoch und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit blieb bis heute erfolglos. Gewachsen sind vor allem die Auslandsinvestitionen. 1987 lagen sie um das Dreifache höher, was deutlich die Fortsetzung der Politik der Abhängigkeit vom internationalen Kapital zeigt. TOP Begründend-beurteilen: Unumwunden erklärt PA, daß die illusionären Losungen unhaltbar sind, weil sie im Widerspruch zur Wirklichkeit stehen und reine Täuschungsmanöver darstellen. Dadurch werden die sachbetonten FKM 'kausal', 'zu einem Folgesachverhalt führend', 'gegenwärtig' und das subjektbetonte FKM 'die illusionären Losungen wegen ihrer Falschheit und ihres trügerischen Charakters kategorisch ablehnend' belegt. PA zieht somit die Lehre aus der Geschichte und betrachtet die aktuelle Politik als eine Wiederholung dessen, was in der Vergangenheit Portugal zu einem beständigen Abstieg führte. Mit dem In-Beziehung-Setzen der von den jeweiligen Operationen beider Äußerungen (2+3) dargestellten Parallelitäten realisiert PA das umfassende komparative FKM 'ähnlich'. Somit wird das KV Vergleichen zustandegebracht. Dabei will PA dem Leser zeigen, daß gestern wie heute die gleichen trügerischen politischen Ziele von den Machthabern verfolgt werden. Als Ergebnis der pragmatischen Verknüpfung der Teilhandlungen und der daran gebundenen Teilziele entsteht die geschlosssene textpragmatische Struktur, woraus das von PA verfolgte Hauptziel zu entnehmen ist. Hierbei stellt man fest, daß Pa seine Leser zum Denken stimulieren will, damit sie zunächst eine Meinung über die aktuellen politischen Verhältnisse in Beziehung auf die vergleichend dargestellte Problematik bilden und danach in ihrem eigenen Interesse bewußt handeln können. Daraus lassen sich die FKM 'inzitativ', 'Aktion futur allgemein', 'nützlich für L', 'ungezwungen' ableiten. Das FKM 'inzitativ' kommt dadurch zum Ausdruck, daß PA dem Leser einen Anstoß zum Denken über den traditionellen Mißbrauch der geographischen Entdeckungen für politische Zwecke geben will. Das FKM 'Aktion futur allgemein' deutet auf die eventuelle Bereitschaft vom Leser zum politischen Handeln hin, nachdem er über die von PA erörterte Sachlage eigene Einsichten gewonnen hat. Das FKM 'nützlich für den Leser' äußert sich darin, daß es im 14

Zit. nach OJornal,

31.12.1987, S. 11.

Der Mißbrauch der großen geographischen Entdeckungen

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Interesse vom Leser liegt, nicht nur eine kritische Einstellung zur Expansionspolitik einzunehmen, sondern auch danach politisch auf die mderne Zeit einzuwirken. Das FKM 'ungezwungen' resultiert aus der Tatsache, daß PA den Leser nicht direkt zum Handeln auffordert. Er will beim Leser das politische Denken über den Kommunikationsgegenstand fördern, und zwar als Unterstützung für das politische Handeln.

IV. Der Beitritt Portugals zur EG ist seit dem 1.1.1987 eine politisch vollendete Tatsache. In ICALP hat Jacinto Nunes15 dazu Stellung genommen und festgestellt, daß Portugal in der Integrationsphase schwierige Aufgaben im Bereich der Ökonomie, der Sozial- und Kulturpolitik zu erfüllen hat. Dafür, fügt der Autor hinzu, ist es aber notwendig, daß Portugal als Mitglied der EFTA eine sehr günstige Frist von 15 Jahren für die Umstrukturierung seiner Industrie hatte, jedoch nicht nutzte. Daraus kann man erkennen, wie schwer es Portugal fällt, die Vergangenheit zu bewältigen, um endlich das eigene Land zu 'entdecken'.

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Jacinto Nunes, M.: A economía Portuguesa e as Comunidades Económicas Europeias, in: ICALP - Revista, Outubro/1987, n. 9, S. 108ff.

Deutsch-portugiesische Kulturbeziehungen im europäischen Kontext. Überlegungen zur interdisziplinären Perspektivierung eines problematischen Forschungsbereichs Alfred Opitz (Lissabon) Wenn sich heutzutage feststellen läßt, daß die portugiesische Germanistik (wie auch die Komparatistik) zunehmend auf dem Feld der sogenannten Kulturbeziehungsforschung operiert,1 dann ist damit noch nicht gesagt, daß diese Tendenz auf die entsprechenden theoretischen Grundlagen zurückgreifen kann. Die älteren Arbeiten auf diesem Gebiet weisen erhebliche ideologische Belastungen auf, und neuere Studien beschränken sich zumeist auf empirische und monographische Fragestellungen. Dieses Theoriedefizit, das in gewisser Weise dem von Hess 1979 bemängelten Methoden-Traditionalismus der deutschen Lusitanistik entspricht,2 beruht im wesentlichen auf zwei Ursachen. Zum einen ist den Textsorten, die andere Kulturen thematisieren (wie Reiseberichte, Memoiren- und Briefliteratur, Jugend* und Sachbücher, Feuilleton usw.) noch in den 50er Jahren das Recht auf literaturwissenschaftliche Behandlung bestritten worden. Dieses von Wellek provozierte Trauma hat vor allem der Komparatistik lange genug zu schaffen gemacht,3 wenn auch inzwischen, in den Zeiten einer blühenden Text- und Diskurstheorie, die Frage nach der Legitimität eines erweiterten Literaturbegriffs ziemlich obsolet erscheint. Nachhaltiger wirkte sich besonders bei der Reiseliteratur eine andere Prämisse aus, die bisher nur ansatzweise überwunden wurde, nämlich die Festlegung der nicht-fiktionalen Literatur auf ihren mimeti-

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Mit den deutsch-portugiesischen Kulturbeziehungen beschäftigen sich zwei Vortragsreihen der Goethe-Institute in Portugal (1979 und 1985/86) und ein Kolloquium des Deutsch-portugiesischen Vereins für Wissenschaft und Kultur (Lissabon 1990); an der Universidade Nova de Lisboa, wo sich eine Arbeitsgruppe zur "Interkulturellen Kommunikation im Europa des 19. Jahrhunderts" konstituiert hat, sind bereits 5 Mestrado-Arbeiten zur deutschen Reiseliteratur über Portugal vorgelegt worden, und mehrere in Lissabon, Coimbra und Aveiro in Vorbereitung befindliche Doktorarbeiten behandeln Themen aus dem Bereich der interkulturellen Rezeptionsforschung. Rainer Hess, "Deutsche Studien zur portugiesischen Literatur (1960-1979)", in: Marion Ehrhardt, Rainer Hess, Jürgen Schmidt-Radefeldt, Portugal - Deutschland. Beiträge zur Aufnahme der portugiesischen Kultur und Sprache in Deutschland, Coimbra 1980, S. 99ff. Vgl. dazu Hugo Dyserinck, Komparatistik. Eine Einführung, Bonn 1977, S. 125ff., sowie Manfred S. Fischer, Nationale Images als Gegenstand vergleichender Kulturgeschichte. Untersuchungen zur Entstehung der komparatistischen Imagologie, Bonn 1981; Peter Boerner, "Das Bild vom anderen Land als Gegenstand literarischer Forschung", in: Deutschlands literarisches Amerikabild, hrsg. von Alexander Ritter, Hildesheim, New York 1977, S. 28-36; Werner Rieck, "Poetische Bilder von Völkern als literaturwissenschaftliches Problem", in: Weimarer Beiträge 32 (1986), S. 48-68.

Deutsch-portugiesische Kulturbeziehungen 357 sehen Realitätsbezug,4 der auch in der komparatistischen Imagologie, wie sie z.B. Dyserinck und Fischer vertreten, mit dem Ideal der Objektivität zum wertenden und terminologiebildenden Kriterium wird. Die Fixierung der Imagologie auf den Abbildcharakter der "Bilder vom anderen Land" verdeckt jedoch die Tatsache, daß jede "image" auch eine "auto-image" ist und damit erst komplexeren Funktionsanalysen zugänglich wird. Aufschlußreicher sind dagegen neuere kultursemiotische Ansätze5 und die von der Interkulturellen Germanistik vielstimmig proklamierte Hermeneutik der Fremde,6 wenn auch mit den gebotenen kritischen Vorbehalten, wie sie u.a. Peter J. Brenner formuliert.7 Neue Perspektiven, die auch für die engere literaturwissenschaftliche Rezeptionsforschimg nutzbar gemacht werden können, eröffnet der strukturalistisch orientierte Forschungsbericht von Harbsmeier,8 der die Reiseliteratur "als eine Art unfreiwilliger kultureller Selbstdarstellung der Ausgangskultur" für mentalitätsgeschichtliche Untersuchungen auswertet. Seine Hypothese eines "geschlossenen Totalhaushalts utopisch-ethnographischer Vorstellungskomplexe und Bilder" wie auch der von Kosellek inspirierte Hinweis auf die strukturelle Relevanz asymmetrischer Grundbegriffe bei der Darstellung fremder Kulturen und Gesellschaften ermöglichen die Konstitution einer sozialgeschichtlich fundierten Semantik des neuzeitlichen Fremdverstehens, das mit dem späten 18. Jahrhundert endgültig in die Dynamik eines universalhistorischen Bewußtseins integriert wird. Wie schwer es jedoch fällt, auf die mechanistischen Implikationen tradierter Modelle zu verzichten, zeigt sich u.a. darin, daß auch Harbsmeier nicht auf die Spiegel-Methapher verzichten mag, die in erster Linie eine dubiose Personifikation bewirkt, wie sie auch dem 4

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In diesem Sinne noch neuerdings Klaus Weissenberger, der die nicht-fiktionale Kunstprosa auf eine literarisch modalisierte Relation zwischen einem real existierenden Aussagesubjekt und einer authentischen Wirklichkeit zurückführt. "Allen Gattungsarten der nicht-fiktionalen Kunstprosa ist auch ein betonter Wahrheitsgehalt gemeinsam, da es ja keine Fiktionalisierungselemente gibt. Jeder Ansatz zu diesem (sie) wäre bereits eine Lüge" [Klaus Weissenberger (Hrsg.), Prosakunst ohne Erzählen: Die Gattungen der nicht-fiktionalen Kunstprosa, Tübingen 1985, S. 2f.]. Dieser bornierten Sichtweise, die mit unqualifizierten Ausfällen gegen die moderne Textlinguistik verbunden ist, entspricht die diffuse Behandlung der Gattung Reisebericht durch Josef Strelka, der z.B. Goethes hochgradig fiktionalisierte Italienische Reise als "lebendige Objektivierung des Reiseerlebnisses" preist (S. 174). Götz Großklaus, "Symbolische Raumorientierung als Denkfigur des Selbst- und Fremdverstehens", in: Perspektiven und Verfahren interkultureller Germanistik, hrsg. von Alois Wierlacher, München 1987, S. 377403. Neben den verschiedenen Publikationen der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik s. dazu vor allem Dietrich Krusche, Alois Wierlacher (Hrsg.), Hermeneutik der Fremde, München 1990. Peter J. Brenner, "Interkulturelle Hermeneutik. Probleme einer Theorie kulturellen Fremdverstehens", in: "Interkulturelle Germanistik": Dialog der Kulturen auf Deutsch?, hrsg. von Peter Zimmermann, Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris, 1989, S. 35-55. Michael Harbsmeier, "Reisebeschreibungen als mentalitätsgeschichtliche Quellen: Überlegungen zu einer historisch-anthropologischen Untersuchung frühneuzeitlicher deutscher Reisebeschreibungen", in: Reiseberichte als Quellen europäischer Kulturgeschichte, hrsg. von Antoni Maqzak und Hans Jürgen Teuteberg, Wolfenbüttel 1982, S. 1-31.

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Alfred Opitz

letzthin fast schon inflationären Topos des "Kulturdialogs" und der "Kulturbegegnung" zugrundeliegt.9 Reduktionistische Wunschvorstellungen dieser Art sind nicht weniger problematisch als das seinerzeit dominierende Paradigma der Fluxus-Metaphern, das die Literatur- und Kulturgeschichte in "Einflüsse" und "Strömungen" zu verwandeln pflegte. Ohne den heuristischen Wert eines unbegrifflichen Denkens bestreiten zu wollen, muß hier doch festgehalten werden, daß der Ersatz von Begriffen durch Metaphern oft genug ideologische Klischees statt am Text verifizierbarer Analysen produziert und damit multifaktorielle Prozesse versimpelt, die sich gerade bei vergangenen Epochen nicht mehr bis in alle Einzelheiten rekonstruieren lassen. Trotz der pragmatischen Evidenz methodologischer Reduktionen sollten die schwerwiegenden Nachteile, die sich für eine aktuelle Kulturbeziehungsforschung aus der thematischen Beschränkung auf einzelne Länder, der ausschließlich binären Perspektive, dem Repräsentationsdogma und dem programmatischen Korsett "Völkerverständigung" ergeben, nicht unterschätzt werden. Um die Komplexität interkultureller Prozesse und die spezifische Problematik diesbezüglicher Untersuchungen noch etwas deutlicher aufzuzeigen, möchte ich hier kurz drei Beispiele anführen: die Rezeption der Entdeckungsreisen in der Aufklärung, die deutsche Portugal-Berichterstattung im Vormärz und das Portugal-Bild Friedrich Sieburgs.

1. Philosophie und historische Dynamik Der aufklärerische Publizist und Geograph Theophil Friedrich Ehrmann veröffentlicht 1791 eine dreibändige Geschichte der merkwürdigsten Reisen welche seit dem zwölften Jahrhunderte zu Wasser und zu Lande unternommen worden sind, ein Werk, das als "unterhaltsames, lehrreiches, nüzliches, dem Publikum angenehmes Lesebuch" konzipiert ist. Merkwürdig sind dem Verfasser diejenigen "Reisen, welche die grosse Revolution in der Sittlichkeit, Aufklärung, Handlung, Schiffahrt und Erdkunde bewirkt haben".10 Die Darstellung der portugiesischen "Grosthaten" im 2. Band ist, wie die gesamte Rezeption der iberischen Entdeckungsreisen in der Aufklärung, zutiefst ambivalent. Zum einen rühmt Ehrmann den "schönen, edeln, erhabenen Karakter unsers verehrten Prinz Heinrichs von Portugal"11 - das Possessivpronomen signalisiert die vorher schon in Frankreich praktizierte Vereinnahmung des philosophischen g

Diese Metaphern lassen sich vor allem in den Publikatioen der interkulturellen Germanistik nachweisen, aber auch beispielsweise in dem von Klaus von See hrsg. Neuen Handbuch der Literaturwissenschaft (vgl. den Artikel von Hans-Joachim Lope, "'Der Reiz des Fremden': Exotismus der Ferne und Exotismus der Nähe in den europäischen Literaturen", in: Europäische Romantik III, Wiesbaden 1985, S. 619-648. 10 Theophil Friedrich Ehrmann, Geschichte der merkwürdigsten Reisen welche seit dem zwölften Jahrhunderte zu Wasser und zu Land unternommen worden sind, 3 Bde., Frankfurt am Main, 1791, Bd. I, S. Ulf. 11

Ebenda, Bd. II, S. 135.

Deutsch-portugiesische Kidturbeziehungen 359 Regenten für die europäische Aufklärung -; zum andern kann der kritische Geschichtschreiber nach Herder und Raynal die unerfreulichen Begleitumstände der Entdeckungsreisen nicht mehr ignorieren. "O Europäer! Wie theuer habt ihr eure Reichthümer, eure Kenntniß ferner Länder erkauft!"12 klagt Ehrmann und macht sich damit zum Echo der Kritik Herders, der schon in Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit höhnt: "Küsten erobert voll Gold, Silber, Edelstein, Gewürz und Tod! Menschen in Bergwerke, Sklavenmühlen und Lastersitten hineinbekehrt oder hinein kultiviert!"13 In einer Fußnote läßt sich Ehrmann dann deutlicher über dieses Dilemma des eurozentrischen Forschritts aus. "Man halte (ich widerhole es) das Betragen der Portugiesen gegen das Verhalten der Mauren und Neger, und dann urtheile man, ob so rohe Völker nicht zu entschuldigen sind, wenn sie jedes Mittel zur Selbstvertheidigung gegen solche Anfälle ergreifen? - Schade, daß diese Völker nicht auch ihre Geschichtsschreiber haben, wir würden gewiß hübsche Sachen von diesen portugiesischen Expedizionen zu lesen bekommen!"14 Ein Standpunkt, den auch der französische General Dumouriez versuchsweise in seinem Historisch-Statistischen Gemälde von Portugall einnimmt, wenn er sich vorstellt, wie die Portugiesen reagiert haben würden, wenn die Araber und Inder "an den Mündungen des Tejo und Duero Citadellen angelegt, sie zur Beschneidung gezwungen, ihre Cathedralkirchen in Moscheen verwandelt" und "ihnen die Schiffahrt und den Handel untersagt" hätten.15 Ehrmann ist sich jedoch bewußt, daß er mit seinem "Audiatur & altera pars!" schwankenden Boden betritt; sein diskursiver "Prozeß der Mauren und Neger contra die portugiesischen Geschichtsschreiber puncto injuriam1,16 verwahrt sich daher ausdrücklich gegen rassistische Völkertypologien, wie die des Göttinger Philosophen Meiners, der zur selben Zeit gegen die Forderung zu Felde zieht, Juden und Negern "dieselbigen Vorrechte und Freyheiten" wie Christen und Weißen einzuräumen.17 12

Ebenda., S. 124.

13

Johann Gottfried Herder, Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit, in: Sturm und Drang. Kritische Schriften, Plan und Auswahl von Erich Loewenthal, Heidelberg s.d. (1949), S. 579-670, Zitat S. 626. 14 Ehrmann, op. dt., S. 124n. 15

Des Generals Dümouriez Historisch-Statistisches Gemälde von Portugall. Aus dem Französischen übersetzt, und mit einigen Zusätzen begleitet von Bernhard Reith, Leipzig 1797, S. 130f. 16 Ehrmann, op. cit., S. 129n, 131n. Dieser Haltung entspricht auch die Autwertung des Königs "Johannes von Portugal", der "tolerant und staatsklug" genug gewesen sei, "die Juden, die aus Spanien vertrieben wurden, mit allen ihren Schäzzen in seine Staaten aufzunehmen, und zu schüzzen", während sein Nachfolger sie dann von neuem unterdrückt und verfolgt habe (S. 295n.). 17

Carl Meiners, "Ueber die Natur der Afrikanischen Neger, und die davon abhängende Befreyung, oder Einschränkung der Schwarzen", in: Göttingisches Historisches Magazin, 1790, S. 385-456, Zitat S. 387. Der von Ehrmann relativierte Eurozentrismus dominiert bei Meiners: "Der Mensch

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Alfred Opitz

Die Ambivalenz der geschichtsphilosophischen Perspektive wird bei Ehrmann durch eine komplexe Quellenlage vermittelt; der Autor benutzt vor allem Sprengeis Geschichte der ersten portugiesischen Entdeckungen, aber auch frühere Autoren wie Gebauer und den französischen Jesuiten Lafitau, sowie die Allgemeine Historie der Reisen [...], eine deutsche Version der englischen Astley-Collection.18 Die spezifische Tendenz dieser aufklärerischen Aktualisierung der Entdeckungsreisen läßt sich nur durch einen ausführlichen Quellenvergleich herausarbeiten, der nicht nur die Kompilationen, die Ehrmann ausschreibt, sondern auch die ihnen zugrundeliegenden portugiesischen Werke einbeziehen müßte. Dabei sollte aber nicht die sekundäre Frage nach dem dokumentarischen Wert der Quellen im Vordergrund stehen, sondern die Voraussetzungen und Bedingungen der Konstruktion von geschichtlichen Entwicklungslinien und deren vielschichtiger Funktionszusammenhang. Ehrmanns Portugal-Bild ist nur adäquat zu verstehen im Kontext globalerer Diskurse über die progressive Dynamik der Weltgeschichte im Spannungsfeld von Säkularisation und Messianismus der Vernunft, die sich in ihrer deutschen Variante eines allgemeineuropäischen Sendunsbewußtseins über den politischen Imperialismus der Nachbarländer erhaben fühlt.

2. Portugal In der deutschen Presse des Vormlrz Der erweiterte und aktualisierte Literaturbegriff, den die jungdeutsche Publizistik in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts verkündet, reagiert auf ein wachsendes Informationsbedürfnis des rapide zunehmenden Lesepublikums. In "dem Grade, wie das Interesse für die Außenwelt zunimmt, vermehren sich auch die Mittel es zu befriedigen", heißt es in einer Annonce des Auslands von 1828. Nur wer das "innere Leben der Nationen" kenne, ihre "geistigen und sittlichen Springfedern", könne die "wahrscheinliche Entwicklung einer nahen Zukunft" voraussehen. "Spanien und Portugal, Rußland und die Türkei haben gezeigt, wie jede Berechnung der Politik täuscht, wenn sie nicht auf jene Basis gestüzt ist".18 Insofern ist die ausführliche Portugal-Berichterstattung in der deutschen Presse dieser Jahre nicht nur auf die neuen dynastischen Beziehungen zwischen beiden Ländern oder auf politische Sympathien legitimistischer und liberaler Tendenz zurückzuführen; sie wird von einem öffentlichen Resonanzraum getragen, der eine bisher unbekannte thematische und formale Diversifikation erlaubt und befördert.

gegen das Glück und Unglück anderer, und so reich an Künsten, Wissenschaften, und Tugenden, als in Europa" (S. 393). 18

Allgemeine Historie der Reisen zu Wasser und Lande [...], hrsg. von Johann Joachim, 21 Bde., Leipzig 1747-1774; George Christian Gebauers Portugisische Geschichte stammt aus dem Jahr 1759, die Histoire des découvertes et conquêtes des portugais dans le Nouveau monde von Joseph François Lafitau aus dem Jahr 1733. 19 Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, November 1828, Literarische Anzeigen (o.S.).

Deutsch-portugiesische Kulturbeziehungen 361 Der rührigste deutsche Portugal-Korrespondent dieser Jahre ist zweifelsohne der Geologe und Architekt Wilhelm von Eschwege, der durch mehrere Bücher und hunderte von bisher noch nicht ausgewerteten Zeitungsartikeln maßgeblich zur öffentlichen Meinungsbildung über Portugal und Brasilien beiträgt. Auch er integriert sich mit seiner literarischen Arbeit ausdrücklich in das Selbstverständnis einer Publizistik, die sich seit der Aufklärung als Motor des gesellschaftlichen Fortschritts versteht. "Der Zustand der Civilisation einer Nation ist doch wol unstreitig aus den Productionen ihres wissenschaftlichen Wirkens und ihrer Presse zu erkennen", behauptet Eschwege zu Beginn seines Artikels über den "Gegenwärtigen Zustand der Literatur in Portugal", den die von Brockhaus hrsg. Blätter für literarische Unterhaltung 1838 veröffentlichen.20 Die portugiesischen Zustände sieht Eschwege auf dem Gebiet der Wissenschaften durch "Geistesschwäche" und "Unwissenheit" charakterisiert, das "Feld der Romane und Gedichte" sei "ebenso schlecht bestellt". "Kaum daß man jetzt ein erbärmliches Sonett zusammenschmiedet, und übrigens behilft man sich mit schlechten Übersetzungen ins Portugiesische".21 Trotz dieser kritischen Haltung ist Eschwege wohl einer der ersten, die in der deutschen Presse nachdrücklich auf Alexandre Herculano hinweisen, "ein talentvoller junger Mann von außerordentlicher Belesenheit der Werke anderer Nationen, besonders der Deutschen, deren größter Verehrer er ist". Er werde durch sein Talent - und durch seine nordischen Qualitäten - "gewiß noch Epoche unter den ernsten Schriftstellern Portugals" machen, "besonders da er einen unermüdlichen Fleiß und eine Ausdauer besitzt, die selten unter den Portugiesen angetroffen wird".22 Nicht nur mit dieser Wertung erhebt Eschwege einen Objektivitätsanspruch, den ihm auch sein Hamburger Verleger Campe attestiert, wenn er in einem Brief vom 27. Mai 1831 über sein Pamphlet gegen Dom Miguel sagt, daß es "nicht wie viele andere nur einen augenblicklichen Werth besitzt, sondern, daß auch ein historischer darin begründet ist". Diese Perspektivierung der Tagespolitik äußert sich noch einmal in dem Brief vom 28. Oktober 1831, den der Verleger mit dem frommen Wunsch beschließt: "Gott gebe Dom Pedro Glück, damit ein beßeres Loos über jenes unglückliche Land kommen möge!"23 Der unveröffentlichte Briefwechsel Eschweges mit seinen Verlegern liefert noch 20

21

(Wilhelm von Eschwege), "Gegenwärtiger Zustand der Literatur in Portugal", in: Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 115 vom 25.4.1838, S. 467f.

Ebenda., S. 467. Die Portugalkritik wird beispielsweise in Oito Sáculos de História Luso-Alemä von E.A. Strasen und Alfredo Gándara (Berlin 1944, S. 293ff.) völlig unterschlagen. Die Autoren, die sich durchaus als Historiker verstehen, arrangieren die Biographie Eschweges unter dem Gesichtspunkt des großen "Gelehrten", was wiederum dem romantisierten Paradigma der militärischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Heldentaten auf beiden Seiten entspricht, das der 22Studie zugrundeliegt. (Wilhelm von Eschwege), "Mittheilungen aus Lissabon", in: Blätter für literarische Unterhaltung, 1838, Nr. 240, S. 974-976. 23 Briefe Campes an Eschwege vom 27. Mai 1831 und vom 28. Oktober 1831, Hessisches Staatsarchiv Marburg, Bestand 340 Wilhelm von Eschwege.

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Alfred Opitz

eine Fülle von Details über die schwierigen Bedingungen der liberalen Publizistik im Vormärz; auch das Portugal-Bild dieser Epoche ist Teil einer sich quantitativ und qualitativ rapide entwickelnden Auslandsberichterstattung, wie sie nicht nur das von Cotta lancierte Ausland repräsentiert. Der Untertitel dieser Zeitschrift, "Tagblatt für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker", wie auch die programmatischen Verlautbarungen der Herausgeber, lassen eine in dieser Form neue Informationsstruktur erkennen, die auch die Vorgaben für das deskriptive und thematische Arsenal der PortugalKorrespondenzen liefert. Daß die historischen Voraussetzungen und journalistischen Paradigmen zur selben Zeit in Portugal differieren, mag auch das antiquierte und rudimentäre Deutschland-Bild erklären, das der angeblich so gut informierte Herculano in der von ihm hrsg. Zeitschrift O Panorama propagiert.24

3. Reise und Propaganda Die besonders in den ersten Jahren nach der Machtergreifung von 1933 lautstark beschworene "Wahlverwandtschaft"25 zwischen Deutschland und Portugal läßt sich, wie das Beispiel Friedrich Sieburgs zeigt, nicht ohne weiteres als ein Produkt politischer Propaganda abtun. Der nationalistische Kosmopolitismus und die Belesenheit dieses Autors, die ebenso elegant wie problemlos in Plagiat und Geschichtsklitterung übergeht, dokumentieren die Endzeit einer in ihrer Medienwirkung aufgehenden Intelligenz, die in erster Linie ihre eigene Geschwätzigkeit zelebriert. Es ist schon beeindruckend, mit welchem literarischem Aufwand Sieburg im Jahre 1937, mit Goethes "Mignonlied" und Odysseus im Sinn, dem "lautlosen Zauber" des "schönen südländischen Namens Oliveira Salazar" erliegt und eine Apologie der "portugiesischen Diktatur" liefert, die in Buchform unter dem Titel Neues Portugal und in Artikeln der Frankfurter Zeitung breiteste Resonanz beim deutschen Publikum findet. Besonders peinlich an diesem Werk ist der hymnische Führerkult, der sich in der devoten Beschreibung Salazars bis zur Lächerlichkeit decouvriert.28 Die 24

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Zu erwähnen ist auch, daß Herculano im Panorama eine positive Besprechung des Portugal-Buches von Eschwege veröffentlicht (Nr. 62,7. Juli 1838, S. 213ff.), der sie dann auszugsweise in den Blättern für literarische Unterhaltung übersetzt und als Beweis dafür wertet, "daß die Portugiesen der völligen Emancipation entgegengehen, indem sie schon Wahrheiten auch aus dem Munde eines Ausländers anhören können und ihm Recht geben [...]". (Nr. 240,1838, S. 975).

Gustavo Cordeiro Ramos, seinerzeit Ehrensenator der Universität Köln und Ehrendoktor der Universität Heidelberg, spricht als deutsch-portugiesischer Vermittler von der "Wahlverwandtschaft unseres tiefstinneren Wesens" (Portugals Erneuerung. Portugal und Deutschland. Reden und Aufsätze, Lissabon s.d. (1940), S. 77), und E.A. Strasen stellt seit 1933 in beiden Völkern "ein noch tieferes Verstehen und eine stärkere gegenseitige Achtung" fest, die vor allem durch den gemeinsamen Kampf gegen die Todfeinde "der europäischen Zivilisation" befördert werden (Portugal. Einführung für deutsche Besucher, Lissabon 1943, S. 170f.). 26 Friedrich Sieburg, Neues Portugal - Bildnis eines alten Landes, Frankfurt am Main 1937. Über Salazar vgl. S. 179ff. "Sein schmaler, brauner Kopf wird durch die lang herabgezogene Nase be-

Deutsch-portugiesische Kulturbeziehungen

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Perspektive einer autoritären "sozialen und politischen Neuordnung Europas" löst auch in den deskriptiven Teilen des Buches die portugiesische Realität in die Antinomie von Traum und Tat auf, in die Unvereinbarkeit von melancholischer Folklore und politischem Erneuerungswillen. Als kuriose Fußnote zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen sei nur ganz beiläufig vermerkt, daß die französische Übersetzimg dieses Werkes von Pierre Klossowski stammt, der in den letzten Jahren nicht nur in Frankreich, sondern auch hierzulande in Mode gekommen ist.27 Während Klossowski jedoch seine frühen Arbeiten verleugnet, kann Sieburg auch nach dem unrühmlichen Ende der von ihm verherrlichten neuen Ordnung nicht umhin, seine Publikationen der 30er Jahre noch einmal zu vermarkten. Die Reiseberichte z.B. werden revidiert und in dem Sammelband Geliebte Ferne von 1952 zusammengefaßt.28 Bei dieser Überarbeitung eliminiert Sieburg natürlich die faschistische Propaganda von 1937, auch die Darstellung Salazars wird jetzt auf ein bundesrepublikanisches Akzeptanzniveau herabgeschraubt. Während sich der Reisende seinerzeit durch den "politischen Zustand dieses alten Landes" angesprochen gefühlt hatte, schwärmt er 1952 nur noch von einer vagen Vision: "ein Stück erträumten Himmels, ein Augenpaar, das mich im Geiste anbückte, ein Fetzen Melodie, der nicht zu greifen war".29 Nichts Kompromittierendes also, wie auch die folgenden Kapitel, welche die frühere Kritik am portugiesischen Landschafts- und Volkscharakter zu romantisierten Tableaus verharmlosen.

stimmt und erhält durch sie eine gewisse Kühnheit, die der gelehrtenhaften Bescheidenheit seiner Kopfhaltung reizvoll widerstreitet. Der Mund ist ganz Bitterkeit und Strenge" (S. 188). 27

Friedrich Sieburg, Le nouveau Portugal. Portrait d'un vieux pays. Traduit de l'allemand par Pierre Klossowski, Paris, Les Éditions de France, 1938. Klossowski übersetzte außerdem noch die folgenden Bücher von Sieburg: Die rote Arktis. "Malygins" empfindsame Reise = Sur un brise-glace soviétique (1932), Es werde Deutschland = Défense du nationalisme allemand (1933), Robespierre (1935). Die Bibliographie der Schriften Klossowskis erwähnt unter den Übersetzungen diese Titel nicht, es werden nur unverfängliche Autoren wie Kafka, Hamann, Nietzsche und Wittgenstein aufgeführt (L'Arc 43 (1970), S. 93). Im Gegensatz zum deutschen Text des Portugal-Buches endet die französische Fassung mit einem politischen Aufruf: "En avant Portugal, n'écoute point les appels du rossignol qui veulent la nuit, entends l'alouette annoncer le début d'un nouveau jour car c'est parce que tu sauras te vaincre toi-même que tu sauras être vainqueur. Va-t-en sur le chemin de ta renaissance, je te suivrai bientôt, je suis ton ami, tu le sais. Laisse-moi seul un instant, laisse-moi à l'ombre de mes nostalgies portugaises" (S. 246). Diese Sätze lassen vermuten, daß Sieburg zu dieser Zeit bereits entschlossen war, in nationalsozialistische Dienste zu treten. Friedrich Sieburg, Geliebte Ferne, Frankfurt am Main 1952. Der Autor versucht jetzt auch eine quasi religiöse Verklärung der deutschen Expansionsgelüste: "Aber vielleicht wären wir nie so unbequeme und unberechenbare Erdenbürger geworden, wenn die Erde uns offengestanden und niemand versucht hätte, uns die Enge als die uns gebührende Lebensform einzureden. Wie dem auch sei, damals wie heute war die Weite eine köstliche Speise, die uns vorenthalten wurde. Wir hungern aufs neue nach ihr und werden stets nach ihr verlangen" (S. 19). 29 Ebenda., S. 27. Auch die Behauptung, er habe "allen politischen Komplikationen entrinnen wollen" (S. 194), wirkt reichlich zynisch angesichts der Tatsache, daß sich Sieburg wenig später in den Dienst der nationalsozialistischen Diplomatie stellen sollte.

364 Alfred Opitz Darüber hinaus betreibt Sieburg eine penetrante Mystifizierung der eigenen Vergangenheit, wenn er sich eine "verhängnisvolle Ergebung in den Gang der Welt" zuschreibt, "von der nicht nur ich, sondern ganz Europa erfaßt war. Es ist nichts zu machen - das war unsere Krankheit. So ging unser Leben seine Bahn, dunklen Prüfungen und Demütigungen entgegen". Geschichte als Schicksal, und die Reisen als Flucht, während "die finsteren Helfer des Bösen" bereitstanden und "die unheilverkündenden Wolken in immer schnellerer Folge" über das kranke Europa hinwegzogen.30 Auch dieses Buch wird ein Publikumserfolg; mit seinem Kriege und Dikatoren überdauernden Opportunismus steht Sieburg auf der Höhe der Zeit und im Zentrum des bundesdeutschen Kulturbetriebs. Aber auch seine selbstherrliche Instrumentalisierung des Portugal-Themas, so ließe sich der Befund verallgemeinern, ist Teil einer medialen Verwertungsstrategie, die das Bild der Welt nach den Bedürfnissen des Augenblicks zurechtmodelt und jeden beliebigen Inhalt in eine permanente Selbstdarstellung der eigenen Institution integriert. Diese Beispiele lassen zumindest ansatzweise erkennen, daß eine adäquate wissenschaftliche Aufarbeitimg der innereuropäischen Kulturbeziehungen, über die noch immer defizitäre Inventarisierung des Quellenmaterials hinaus, vor allem folgende Leitlinien im Rahmen einer möglichst weitgehenden interdisziplinären Zusammenarbeit berücksichtigen sollte: - die Substitution der binären Perspektive durch globalere Kontextualisierungen, mit denen die historischen Voraussetzungen und die ländertypischen Manifestationen von Interkulturalität reflektiert werden können. Die thematische Beschränkung auf deutsch-portugiesische Kulturbeziehungen ist nur ideologisch und nicht epistemologisch begründbar. - die kommunikationstheoretische, ideologiekritische und sozialpsychologische Absicherung von literatur- und kulturgeschichtlichen Fragestellungen, - die systemtheoretisch orientierte Analyse von Informations- und Rezeptionsprozessen, - die Ausarbeitung kultursemiotischer Modelle (Variablen der Raum- und Zeitorientierung, signifikative Wahrnehmungs- und Beschreibungsmuster usw.), allerdings ohne die von Großklaus intendierte Anwendung im Rahmen einer kulturellen Supertechnologie der Zukunft,31 und

30

31

Ebenda, S. 82, 12. Sieburg habe "als eleganter Reiseschriftsteller soziologische und historische Porträts verschiedener Länder" geliefert, heißt es dazu in dem von Manfred Brauneck hrsg. Autorenlexikon deutschsprachiger Literatur des 20. Jahrhunderts (Hamburg 1984, S. 550). Großklaus, op. cit, S. 400.

Deutsch-portugiesische Kulturbeziehungen 365 - die Abgrenzung gegen kulturpolitische Kontaminationen und eine möglichst große Zurückhaltung bei dem schon von Brenner kritisierten "Denken in subventionsträchtigen Kategorien der Weltverbesserung".32 Daß der voluntaristische Kurzschluß von diskursiver Erkenntnis und sozialem Handeln gerade heutzutage wieder Konjunktur hat, ist in erster Linie auf den traditionellen Legitimationskomplex der Geisteswissenschaften zurückzuführen, die sich nicht von der Überzeugung freimachen können, ihre gesellschaftliche Relevanz immer wieder unter Beweis stellen zu müssen. Die Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln aber läßt sich auch durch die schönsten Phrasen über verständnisvolle Kulturbegegnungen und vernünftiges "Gemeinschaftshandeln" über alle Grenzen hinweg nicht zukleistern. Diese Verständigungseuphorie vergißt nur allzu gern, was schon Herder den Wahrheits- und Aufklärungsspielen seiner Zeit vorwirft. Für ihn ist die Verwechslung von Bücherwissen und allgemein verbreiteten Grundsätzen mit dem lebendigen "Triebwerk des Jahrhunderts" ein "erbärmlicher Fehlschluß", und das "Hauptgeschäfte" der Schriftsteller und Gelehrten sieht er vor allem darin, "gut einzukleiden" und die "unkräftige Pille nur schön zu versilbern".33 Diese Medienbildung und "Papierkultur" hat sich inzwischen in dem Maße globalisiert, wie die Okzidentalisierung zum weltweit herrschenden Standard geworden ist. Daß dieser Prozeß paradoxerweise auch die Wissenschaften ermöglicht, die seine Grundlagen analysieren und infragestellen, sollte die Kulturtheorie nicht daran hindern, die Universalität des traditionellen Wahrheitsund Wirklichkeitsbegriffs zu problematisieren, von dem sich die Ethnographie z.B. schon seit einiger Zeit zu distanzieren beginnt.34 Was jedoch das zunehmende Auseinanderdriften von Erkenntnis und Praxis als "Resultat tausend mitwürkender Ursachen" betrifft, die komplexe Vermittlung von Denken und Handeln in den "tausendgestaltigen Anlässe(n) und Fügungen des menschlichen Lebens", da läßt sich einstweilen nur mit Herder schließen: "ihr Götter, welche andre Welt von Fragen!"35

32

Brenner, op. cit., S. 51.

33

Herder, op. cit., S. 632.

34

Magie. Die sozialwissenschaftüche Kontroverse über das Verstehen fremden Denkens, hrsg. von Hans G. Kippenberg und Brigitte Luchesi, Frankfurt am Main 1987, S. 9ff.

35

Herder, op. cit., S. 631f.

Textsorte 'Folhetim' Zur Trilogia dos cafés' von Alvaro Guerra Helmut Siepmann (Aachen) Alvaro Guerra ist in der portugiesischen Öffentlichkeit wieder im Gespräch. Ein neuer Roman Crimes Imperfeitos1 ist erschienen, die Kaffeehaus-Trilogie wird für das Fernsehen vorbereitet. Wir haben es mit einem Autor und einem Werk von beträchtlicher Breitenwirkung zu tun. Guerras Trilogie ist als Ausdruck des gefilterten Zeitverständnisses gleichzeitig wieder mentalitätsbestimmend, d.h. prägend für das Bild, das die Portugiesen von ihrer eigenen Geschichte im 20. Jahrhundert bewahren werden. Neben ein literaturwissenschaftliches Interesse im engeren Sinn stellt sich bei der Begegnung mit diesem Autor die Frage nach der mentalitätsbestimmenden Funktion seiner Romane, nach der Wirkung, die das Werk im Selbstverständnis eines Volkes hinterläßt. Der 1937 geborene Schriftsteller, Journalist und Diplomat, der Portugal im Augenblick als Botschafter in Indien vertritt, stammt aus Vila Franca de Xira, das den Hintergrund für die fiktive Stadt Vila Velha in den 3 Bänden der Kaffeehaus-Trilogie darstellt. Als er 1982 mit Café República den ersten Band seines "Folhetim do mundo vivido em Vila Velha" veröffentlichte, lagen bereits 6 Romane vor, die Guerra zwischen 1966 und 1976 publiziert hatte: Os Mastins, O Disfarce, A Lebre, A Memòria, O Capitäo Nemo e Eu und Do General ao Cabo mais Ocidental. Das Vorwort des ersten Romans deutet die Grundpositionen seines frühen Schaffens an: es ist von Alves Redol, dem sich Guerra auch in der Kaffeehaus-Trilogie noch sehr verbunden weiß. Die neorealistische Spiegelung der gesellschaftlichen Verhältnisse der Salazarzeit und des Kolonialkriegs wurde dann später abgelöst von den experimentellen Romanen, die in der Zeit des französischen Exils nach 1969 entstanden. Im Mittelpunkt der drei Romane steht jeweils ein Café oder eine Bar, ein Ort also, an dem unterschiedliche Bewohner einer Kleinstadt in der Nähe von Lissabon sich treffen. Das von einem Galizier (und später von dessen Sohn) geführte Kaffeehaus wird zum Kristallisationspunkt der dort in Gesprächen sich reflektierenden politischen Ereignisse vom Ende der Monarchie bis zum Erscheinen des letzten Bandes im Jahre 1987. Das republikanische Café wird im Estado Novo zum Café Central, um dann nach 1974 in Café 25 de Abril umbenannt zu werden. Was geschieht im Roman? Es geschieht nicht mehr und nicht weniger, als was ein kollektives Gedächtnis einer Epoche zurückbehält. Der erste Weltkrieg bringt die ersten schwerwiegenden Konsequenzen der europäischen Politik in den Ort der Handlung, d.h. 1

Alvaro Guerra, Crimes Imperfeitos, Lisboa (O Jornal) 1990. Zuletzt: Alvaro Guerra, Razöes de Coragäo, Lisboa (D. Quixote) 1991.

367 Textsorte 'Folhetim' nach Vila Velha. Der eine kommt im Zinnsarg von der belgischen Front zurück, der andere behält als Folge der in Flandern verwendeten Giftgase einen mentalen Schaden zurück. Danach zeigen die Unruhen der russischen Revolution ihre Auswirkungen auf die Stadt. Man formiert sich auch hier in Revolutionäre, Reformer und Reaktionäre. Ein Onkel der Familie Castro bringt die Berichte von seinen kolonialen Erfahrungen ein: In Goa war er beteiligt an der Ausrufung der Republik, in Afrika heiratete er eine schwarze Schönheit. In Vila Velha hält zu diesem Zeitpunkt das Kino Einzug, und der Apotheker Soares macht von geheimen Liebesabenteuern mit seiner späteren Frau von sich reden, die nach allem, was man sagt, nicht nur ihm ergeben war. Die exotischen Liebesabenteuer des kolonialen Onkels erklärt man in Vila Velha dagegen zu einer Folge seines Sumpffiebers: es hat ihm den Verstand geraubt.

Mit verhaltener Melancholie wird das Schicksal des Judite Castro geschildert, deren Jugendträume um einen Märchenprinzen Träume bleiben, die sich schließlich dem Revolutionär Pedro Neves hingibt, ihm, der von der Geheimpolizei des Estado Novo gesucht wird, ein Versteck bereitet und - obwohl die Tochter eines Fabrikanten - selbst die sozialistischen Gedanken einer humaneren Gesellschaft verinnerlicht, den unsteten Weltverbesserer aber nicht an sich binden kann und als unverheiratete Tante ihrem als Schriftsteller tätigen Neffen ein üebenswerter Gesprächspartner wird. Dieser kann ihr schließlich im 3. Band der Trilogie mit Tränen in den Augen vom Erfolg der Revolution der Nelken berichten. Dazwischen liegt das Erlebnis des Salazarismus mit Deportationen nach Guinea oder Timor, Konspirationen, Plebisziten und Wahltäuschungen sowie das Eingreifen der jugendlichen Gegner des Estado Novo in den spanischen Bürgerkrieg. Der eine oder andere verschwand: verhaftet, gefangen oder auch wieder freigelassen, aber auf jeden Fall verschüchtert. Politische Gegnerschaften formieren sich bis in die Familien Man identifiziert sich mit den großen ausländischen Vorbildern: mit Stalin, Hitler oder dem Duce und verfolgt mit Schrecken die Etappen des 2. Weltkriegs. Der deutsche Jude Funk hatte sich nach Vila Velha geflüchtet und konnte die Verhältnisse in Europa aus erster Hand interpretieren. Die Rationalisierung von Lebensmitteln und Strom kontrastiert mit dem Luxus der Besitzer von Wolframgruben, die das Kriegsgeschehen beeinflussen, obwohl Salazar und - wie es heißt - die Jungfrau von Fätima die Neutralität Portugals dekretiert hatten. Die Billigung der englischen Besetzung der Azoren und militärische Patrouillen in Vila Velha säen wieder Zweifel unter den Bewohnern, ob Salazar oder die Jungfrau bei ihren Dekreten bleiben. Man erlebt und kommentiert in gleicher Weise den Ost-West-Konflikt des Kalten Krieges, der sich in nuce auch in Vila Velha abspielt. Hoffnungen auf ein Ende des Faschismus in Portugal werden vom Militär beendet, patriotische Frauenorganisationen leisten das Ihre. Die Beerdigimg eines der letzten Paria-

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mentarier der ersten Republik geschieht mit der ausdrücklichen Auflage, daß politische Reden am Grab unerwünscht seien. In literarischen Zirkeln der Stadt kommentiert man die Neuerscheinungen zwischen Modernismus und Neorealismus, später begeistert man sich für die Einführung des Fernsehens und setzt die UNO-Debatten über die portugiesischen Kolonien im Kaffeehaus fort. Damit der Leser nicht die Übersicht verliert, fügt Alvaro Guerra seiner Trilogie ab dem zweiten Band Stammbäume der 7 einflußreichsten Familien seiner fiktiven Stadt im Anhang bei. Die Kaffehaus-Trilogie besteht aus dem zitierten Café República2, dem Café Centra? und dem Café 25 de Abril*. Ihr Untertitel benennt die Textsorte als "Folhetim do mundo vivido em Vila Velha". Der Begriff der crónica und des cronista, den der Erzähler hier und da verwendet, mag in die Irre führen. Auf keinen Fall handelt es sich um die Chronik politischer Ereignisse zwischen 1911 und 1987, sondern, wie der Untertitel andeutet, eher um die Chronik einer erlebten Wirklichkeit, die Chronik der Ereignisse, so wie sie durch die Bewohner von Vila Velha erlebt wurden. Das ist ein erster Schritt der Fiktionalisierung. Dabei wird der Autor als Erzähler selbst zu einer fiktionalen Figur, die über ihre Stellung zu den referierten Ereignissen reflektiert und über ihren emotionsfreien und distanzierten Bericht nachdenkt (II, S. 30):5 Ao ágil folhetim do mundo vivido em Vila Velha näo pode o autor extirpar a nostalgia que, vinda de longe, se infiltra na prosa de quando em vez, com fraquezas bairristas e saudosas. Näo fora a distäncia, no tempo e no espago, e haveria o leitor de aguentar épicos louvores aos heróis vila-velhenses do firn da década 40. Eies häo-de aparecer, mas reduzidos ao seu tamanho natural que é a dimensäo mais humana, maldita por todas as histórias oficiáis. Die problematische Entscheidung, was der zitierte tamanho natural ist, nimmt uns der Autor ab. Sie gehört in die Fiktionalisierung, ist deshalb aber nicht weniger wichtig, denn für den die Lebenswirklichkeit aufspürenden Leser sind die Dinge an sich weniger relevant als die Erfahrung der Dinge durch den sie erlebenden Menschen. Der in der Trilogie anwesende allwissende Erzähler sorgt also für die menschliche Dimension, oder anders gesagt die Wahrscheinlichkeit, die seinen Bericht von der Wahrheit der Geschichtsschreibung abhebt. Alvaro Guerra betont denn auch in einem Interview die Bedeutung der zeitlichen und räumlichen Distanz, die er durch seine Abwesenheit von Portugal haben konnte: é que a distäncia no espago e no tempo permite urna postura que eu diria mais imparcial, mais rigorosa, do que quando estamos em cima das coisas. A memòria para mim é o meu principal material. Nunca tomo notas de nada, a 2 3 4

5

Idem, CaféRépublica, Lisboa (O Jornal) 31984 (11982). Idem, Café Central, Lisboa (O Jornal) 21985 (11984). Idem, Café 25 de Abril (as ruinas), Lisboa (O Jornal) 1987. Zitiert wird mit Angabe der Bände der Trilogie in römischen Ziffern (I = Café República; II = Café Central; III = Café25 de Abril) und mit Angabe der Seitenzahlen in arabischen Ziffern.

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memòria, que a distància agudiza também funciona como um meio de selecqäo. Isto foi importante nafeitura da "Trilogia dos Cafés"6. Der allwissende auktoriale Erzähler kennt die Zukunft seiner Figuren, auf die er zu gegebenem Zeitpunkt verweist7, und er kann die Bedeutung der einen und der anderen jederzeit steigern oder abschwächen. Eine gewisse Sympathie mit dieser oder jener Figur (z.B. mit dem Schriftsteller David Castro oder dem neorealistischen Romancier Veloso Nunes) hindert nicht, die Stimmenvielfalt eines Gemeinwesens im Kampf um das eigene Überleben und in der Auseinandersetzung mit der Weltpolitik erstehen zu lassen. Sein Held ist die Gesamtheit der Meinungen von Vila Velha, Meinungen, die der Autor aus Quellenstudien und aus der mündlichen Überlieferung kannte und in paradigmatischen Figuren verdichtete: Lembrava-me de muitas histórias que ouvi contar, quer em relaqäo a acontecimentos quer a personagens típicas, paradigmáticas de urna Vila como aquela [Vila Franca de Xira]8. Ein "kollektiver Held" entsteht so aus der Vielzahl von Stimmen, die das Spektrum einer Stadt wie Vila Velha ausmachen. Formal überwiegt die direkte Rede, die den koordinierenden Erzähler zeitweise auszuschalten scheint, aber auch der personale Erzählstil, in den die Reflexionen der Figuren übergehen, bis dann wieder der Erzähler mit einer Regiebemerkung vom Typ: sem querer anticipar contos sobre a carreira de [...], tranquilize-se o leitor [...] (II, S. 33) die Fäden aufnimmt, nicht ohne sie kurz darauf wieder aus der Hand zu geben. Dazu das folgende Beispiel (II, S. 25): Em Novembro, Luis Moráis, que prosseguia a já longa carreira de boémio (Erzähler) [...] foi parar ao Hospital de S. José [...] com um traumatismo craniano e très costelas partidas. No dia seguinte, recebeu pelo menos dois pijamas, mais um, portanto, além daquele que a esposa chorosa, com os filhos pela mäo, Ihe foi levar. Indiscrigóes anónimas (der "kollektive Held" erzählt) permitiram apurar que o pijama excedente fora amorosamente entregue pela bailarina Vera Rios, aliás Marília Sales [...]. Os comentários variam (Aufspaltung des kollektiven Helden) entre o solene farisaísmo do despeitado Mauricio Santos (Paradigmatische Figur) e o fácil trocadilho do "Século" (anderes Paradigma). [...] O dr. Sales (dritte Einzefigur) deixou defalar ao Alfonso Moráis, considerando que a educaqäo paterna tinha [...] que ver com o comportamento dissoluto do malvado [...], enquanto o Tainho Rico (vierte Einzelfigur) puriha reservas a tal atitude, com urna palmada muito pouco diplomático ñas costas do lavrador: - Deixe lá, ó Moráis ... Em todo o negócio sao precisos dois tratantes. D. Susana Sales [...] courtou relaqöes com todos os Moráis (Erzähler). Ein anderes Beispiel: E comeqou a falar-se (der kollektive Held) da ponte sobre 6

Jornal de Letras 440, Ano X, 11 - Lisboa, 18.12.1990, S. 16.

7

Vgl. I, S. 43 unten.

8

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o Rio Grande, um sonho que os incrédulos tinham pudor de referir (einzelne paradigmatische Figuren) [...]. No "Coreio de Vila Velha" o punho do Silva cego fazia-se mais firme (Teil der Kollektivität) [...], exaltando as obras públicas do Estado Novo. - O Silva é cego mas nao é gago. Isto é qu'é prosa! - Reconhecia o Piedade (Bewertung der vorherigen Aussage durch eine Figur) [...]. Almoqa na Quinta das Toupeiras urna vez por semana - denunciava o Dr. Mouräo (Bewertung durch andere Einzelfigur) [...]. D. Lurdes Paiva Soares (dritte Einzelfigur) [...] despoletavapolémicas, emudicia réplicas, secava argumentos (II, S. 28). Der auktoriale Erzähler (Sigamos, pois, o peu percurso [ = a viagem de Josué Castro] através dessas sintéticas mensagens - I, S. 43) ist der Organisator der Vielfalt von Quellen die bereits als Wertungen der fiktiven Figuren in direkter oder indirekter Rede vorgeführt wurden. Hinzu kommen Briefe, die kommentarlos aneinandergereiht mit Ort und Datum Reiseroute und Reisedauer der Bewohner von Vila Velha abstecken oder über die veränderte weltpolitische Konstellation berichten, wie ein Brief eines politischen Sträflings aus den letzten Kriegsmonaten in Timor (I, S. 208). Auch Zeitungsberichte (I, S. 224) werden zur Textstrukturierung herangezogen und historische Dokumente, Plakate, Programme von gesellschaftlichen Veranstaltungen, die im Annex veröffentlicht sind. Hinzukommen Lektürezitate der Figuren oder kolportierte Meldungen der öffentlichen Medien. Die Textur verschiedener Stimmen, die der cronista zusammenstellt, läßt hier und da auch sprachliche Unvollkommenheiten zu (etwa im Brief des Viriato Bexiga aus dem spanischen Bürgerkrieg an seine Gesinnungsfreunde): orthographische Fehler in Briefen werden übernommen, Anakoluthe fmden Platz, und der deutsche Jude Funk wird mit seiner starren Aussprache notiert9. Das ist ein Hinweis auf den Realismus der Darstellung. Dennoch wird die Fiktion nicht zur Realität erklärt. Die Fiktion bleibt stets als solche durchsichtig. Es schälen sich ideologische Positionen heraus, die Intransigenz und Starrheit in den politischen Außenseiterpositionen aufweisen, oder Stimmen, die durch persönliche Erfahrungen und sich wandelnde Überzeugungen geläuterte Haltungen einnehmen, sowie jene menschliche Indifferenz, die Voraussetzimg für jede Form von Manipulation und Mitläufertum ist. Die Paradigmen sozialen Verhaltens werden mit Vertretern einiger eingesessener Familien besetzt: Os Castro, Fabrikantenfamilie, die sich schließlich auf ihre Landwirtschaftsgüter zurückzieht, Os Lencastre, monarchischen Ursprungs, die sich dem Estado Novo öffnet, Rechtsanwälte und Notare, Apotheker, Kaffehausbetreiber, der Pfarrer, die rigiden Marxisten (Neves) usw. Sie artikulieren sich in Cafés, in der Apotheke, auf Parteiversammlungen, Pfarrfesten und bei privaten Gelegenheiten. Größere Familien setzen durch ihre Verzweigungen und ihre Dauer über

9

Vgl. I, S. 149; 151; 167; 176; 231f.

Textsorte 'Folhetim' 371 Generationen die notwendige Kontinuität auf die der zur Fiktion gehörende Chronist aufmerksam macht. Inhalt der Gespräche, Kommentare und Wertungen ist die Reaktion Vila Velhas auf die politischen Verflechtungen wie dem Verhalten gegenüber dem europäischen Faschismus in Italien, Deutschland und Spanien, dem Bürgerkrieg im Nachbarland und vor allem dem 2. Weltkrieg sowie der immer beschworenen Bedrohung durch den Bolschewismus. Die bedeutsamen Konflikte haben ihre tragischen Konsequenzen, die mit den Opfern des 1. Weltkriegs an der belgischen Gasfront beginnen, die Legionäre im spanischen Bürgerkrieg umfassen, die autoritäre Repression jedweder Opposition im Estado Novo betreffen, Gefängnis, Internierung in den Überseegebieten sowie deren Verwicklung in den 2. Weltkrieg und die Kolonialkriege berühren. Immer wird die Verbindimg dieser Ereignisse mit den Bewohnern von Vila Velha bis hin zu einzelnen, durchaus tragischen Konsequenzen sichtbar. Die Erzählsequenzen umfassen jeweils 4 bis 5 Seiten, gruppieren sich um 2 bis 3 Themen, die zumeist zwischen den Ebenen der weltpolitischen Ereignisse, der nationalen Politik, den sozialen Vorkommnissen in Vila Velha und den individuellen Problemen der Familien und der Einzelpersonen hin und her pendeln. Die klassische Chronologie des Ablaufs in der Erzählung bleibt gewahrt, dafür werden die Ereignisse selbst unterschiedlich bewertet, so daß die im Neorealismus gepflegte dogmatische Schwarzweißmalerei ausbleibt. Natürlich stellt die Erzähltechnik eine Fortführung des Neorealismus dar10. Die Idee des kollektiven Helden stammt jedenfalls aus Alves Redols Gaibéus. Alvaro Guerra übernimmt Strukturen der Organisation und Formen des Erzählens (das Aufteilen in Dialogsentenzen und Gesprächselemente), doch er verweigert sich dem neorealistischen Dogma: Quanto a essa questäo do neo-realismo eu sempre entendí que o mundo é colorido e näo épreto e brancou. Durch das unterschiedliche Gewicht, das den Quellen beigemessen wird, fühlt sich der Leser verunsichert über das Ausmaß des Geschehens und die Glaubwürdigkeit der Aussagen. Manchmal werden widersprechende Angaben referiert (etwa über die Zahl der Opfer eines Zyklons in Vila Velha -1, S. 200), so daß der eine Bericht den anderen in Frage stellt. Unsicherheit und Zweifel werden zum Prinzip der Vermittlung der Fakten, über deren Zusammenstellung wird der Leser keineswegs im unklaxen gelassen. Sie dient allein den Fiktionalisierungsabsichten des Autors: De facto, nenhuma das personalidades que percorrem as páginas desta crónica foi arrebatada pelo ciclone de 1941. Näo se trata de urna feliz coincidencia, mas de urna premeditaqäo do autor que, por sinal, condiz com a condiqäo dos sobreviventes e dos desaparecidos (I, S. 198). Helmut Siepmann, Konzeptionen und Strukturen des Romans im portugiesischen Modernismus und Neo-Realismus, in: Aspekte derHispania im 19. und 20. Jahrhundert, Akten des Deutschen Hispanistentages 1983, hrsg. von Dieter Kremer, Hamburg (Buske) 1983, S. 131-148. 11

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Der Erzähler, der sich und seine Figuren so den Absichten des Autors unterordnet, ist allerdings nicht immer so weitsichtig, um die Intentionen des Autors zu durchschauen. Er gleicht damit seinem großen Vorbild Lazarillo, der ebenfalls in seiner naiven Aufrichtigkeit die Intentionen seines Verfassers nicht bemerkt. Eine durchgehende Intention ist die Ironie, mit der weltpolitische Ereignisse mit Nichtigkeiten aus Vila Velha verknüpft werden. Eine einfache Parallelisierung der militärischen Aktionen des Überfalls auf Polen mit Organisationsfragen in Vila Velha macht das deutlich (I, S. 176): Náfrente de Vila Velha, a actividade dos stukas no céu de Polònia, a marcha das divisöes blindadas de Guderian, a competencia dos estados maiores dos generáis Bock e Rundstedt e as langas da cavalaria Pomorska, näo puderam deter o impeto de D. Lurdes Paiva Soares nos preparativos do Baile das Vindimas no Clube Vila Velhense. [...] D. Lurdes, presidenta de urna commissao organizadora, tinha o poder de fogo de duas panzer divizionen. Comandando D. Isaura Mouräo, D. Aurora Campos e D. Adeleide Moráis, a esposa do farmacèutico aprontava os planos da ofensiva outonal, colocando um concurso de danga ñas primeiras linhas e urna avantajada ceia como reserva estratégica. Por seu lado, o José da Costa pareceu redobrar de frenesim naquela linha Maginot que era a casa nova, asaltado por urna grande urgencia de querer mudar-se antes do ataque do Inverno. (I, S. 176f.) Den Stukas am polnischen Himmel, den Divisionen Guderians, der Kompetenz der Generale Bock und von Rundstedt wird die Apothekersfrau mit ihren Vorbereitungen zum Baile das Vindimas gegenübergestellt: mit der Feuerkraft von zwei Panzerdivisionen und 3 weiblichen Kommandanten plant sie die Herbstoffensive mit Tanzwettbewerben in der ersten Linie und dem Abendessen als strategischer Reserve. Der Chronist spricht von der grandeza de Vila Velha onde o mundo é täo pequeño que cabe numa conversa de café (I, S. 126), und er besteht auf einer metapoetischen Reflexion, die die Distanzierung und Illusionszerstörung verstärkt: A realidade näo é a sua narritiva [...]. Jamais apalavra coincide com o justo valor da verdade (ebda). Wir sind weit entfernt von der mimetischen Ästhetik des Realismus und Naturalismus und auch vom documento humano, als das Mário Dionisio die Literato des Neorealismo umschreibt12 und als dessen Vertreter der Chronist den berühmten Sohn von Vila Velha Veloso Nunes mit seinem Estudo Sobre Urna Comunidade Rural do Sul (I, S. 120) zu Wort kommen läßt. Die unvermittelte und kommentarlose Gegenüberstellung von zwei extremen Weltanschauungen, die sich auf eine gleichwertige Devise zur Durchsetzung ihrer Ziele beziehen, ist formal ebenfalls ein Mittel der Ironie, wie z.B. Sim, o camarada Estáline nunca se enganava und - Il Duce ha sempre ragione (I, S. 68), 12

Zum Neo-Realismus, vgl. Alexandre Pinheiro Torres, O movimento neo-realista em Portugal na sua primeira fase, Lisboa (Instituto de Cultura Portuguesa) 1977 und Carlos Reis (Hrsg.), Textos teóricos do Neo-Realismo Portugués, Lisboa (Seara Nova - Comunicado) 1981.

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bedeutet aber im Kontext der metapoetischen Reflexion den Verzicht auf die Gewißheit, die Sicherheit, die Wahrheit. Wenn die Figuren in ihrem Verhalten den Vorüberlegungen des Autors entsprechen (s.o.), dann ist nicht nur ihre Rede, sondern auch ihr Tun für die Intention des Autors bezeichnend. Die Flucht vor der Verantwortung, die sie nicht übernehmen müssen, kennzeichnet auch viele Figuren. Die Erregung über den Überfall auf Polen am 1.9.1939 (Rebentou a Guerra -1, S. 175 und Grrande catastrrofe -1, S. 176) endet natürlicherweise mit dem Herannahen der Mittagszeit: As discussöes arrefeceram subitamente. Os estómagos davam horas. Foram almoçar (ebda). Ein solcher natürlicher Rückzug aus der Weltgeschichte ist eher Resignation vor der Banalität des Alltäglichen und unerträglich angesichts der Leiden eines Teils der Bevölkerung unter dem repressiven System des salvador da nacäo, Salazar. Die auktoriale Kritik richtet sich auf jene, die über die großen Probleme der Welt mit der Geschäftigkeit des Banalen hinweggehen. Zu ihnen gehört auch der Rechtsanwalt Mauricio Santos, der seinen emotionalen Nachholbedarf bei einer sich per Annonce meldenden Ausländerin kompensieren will: No dia em que Mussolini atacou a Grècia, o advogado de Vila Velha marchou sobre Lisboa, de comboio, animado de um outro espirito de conquista, predisposto à paixäo e à mudança. Chegou ao Café Paladium [...] com vinte minutos de avanço sobre a hora H, empunhando ostensivamente o "Diario de Notícias" enrolado em canudo como um óculo de almirante perscrutando o oceano das mesas, à cata da rosa vermelha que haveria de emergir qual periscòpio de um submarino aliado. A rosa do código chegou com ligeiro atraso, mas arvorada no vasto convés de um contratorpedeiro inimigo navegando ao seu encontro. Mauricio vacilou, esteve tentado a bater em retirada e recusar o combate. Mas, tendo à ré o balcäo hostil, era a manobra difícil e arriscada, pelo que, fazendo das fraquezas forças, aproou à matrona que parecía tê-lo localizado e rumava nitidamente na sua direcçâo. Era holandesa, chamava-se Margaretta, Magi para os amigos, pesava mais de oitenta quilos e media um metro e setenta e cinco (I, S. 192f.). Die Ironie liegt in der humorvollen Verbindimg der kriegerischen Ereignisse des Weltkriegs mit den privaten Ambitionen. Diese Verquickung ist durch die sprachliche Verlagerung der lexikalischen Elemente aus der Erstebene in die metaphorische möglich geworden und eine durchgehende stilistische Erscheinung. Die Ironie kann sich auch zum Sarkasmus weiten, wenn eine nicht lokalisierte Stimme unter dem Stimmenmosaik der Leute aus Vila Velha - oder ist es sogar der Chronist - dem toten Adolf Hitler ein Anrecht auf eine Flagge auf Halbmast zubilligt: Há excitaçâo na Vila, juntam-se grupos à porta do café, no Largo da Estaçâo, na Praga do Municipio. Percebe-se um misto de alegría e alivio. Mas, subitamente, surge na varanda da Cámara a bandeira nacional a meia haste. - Quem morreu? - interroga, estupefacto, o Piedade. - Filhos da puta! - exclama o dr. Mourâo, und es folgt der Satz: Um dos maio-

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Helmut Siepmanrt

res criminosos da Histöria moderna tinha, portanto, direito a luto em Vila Velha (I, S. 230). Der Autor Alvaro Guerra kann auch als Romanautor seinen Beruf als Journalist nicht verleugnen. Als Romancier brilliert er im Umgang mit Informationen unterschiedlicher Art. Der Fiktionaüsierung liegt hauptsächlich ein Hang zur trockenen Ironie zugrunde, mit dem alle Gruppen der öffentlichen Meinung bedacht werden. So wird jede Tendenz zum positiven Heldentum abgebaut, und der Kampf für eine Ideologie vermieden. Das bedeutet nicht, daß dem Autor der Einsatz für menschliche Werte abginge. Der letzte, kommentarlose Satz des ersten Teils der Trilogie mag das mit seiner ganzen Wucht belegen. Er betrifft das Jahr 1945: Em Vila Velha, faltava um pouco mais de päo. E toda a liberdade (I, S. 232). Die Trilogie fängt eine alltägliche Realität ein, die die Realität vieler ist, nicht die Ausnahmesituation, die - wenn sie vorhanden ist - auf die Ebene derer, die sie erleiden oder mitverantworten, projiziert wird. Dem Leser erschließen sich nicht nur historische Kontinuitäten und Brüche vom Ende der Monarchie über die erste Republik, den Estado Novo zur Demokratie von heute, sondern Denkweisen und Lebensformen einer Kleinstadt, die trotz der distanzierenden Ironie liebevoll beschrieben wird.