Ahnenerbe: Von Sitte und Brauch in Altbayern
 9783486755015, 9783486755008

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsübersicht
Winter
Frühling
Sommer
Herbst
Mundartlicher Wortweiser
Quellenangabe und Literaturnachweis

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Ahnenerbe Von Gitte und Brauch in Altbayern

von

Aarl Mayrhofer

München und Berlin 1927

Druck und Verlag von X. Oldenbourg

Vorwort. vorliegendes Büchlein ist der Liebe zu unserem altbayrischen Heimland und Volkstum entsprungen. Es will unser gemütvolles Altbayernvolk, vorweg das bäuerliche in seinen überlieferten An­ schauungen, Bräuchen und Sitten bei der Arbeit sowohl als beim feiern seiner Feste durchs )ahr begleiten. Die Aufgabe des Volksbildners verlangt darnach für die pflege solch alten Volksgutes, soweit es in Stadt und Land noch lebendig und auffindbar ist, einzutreten und schon in der Jugend den Sinn und die Liebe dafür und die Ehrfurcht davor zu wecken; denn solches Tun ist wirken an den wurzeln der deutschen Seele. Unsere Lehr­ pläne für die Volksschulen veranlassen uns deshalb, den tiefen Bil­ dungsquellen, die in unserem kernigen Stammes- und Volkstum liegen, nachzugraben und ihren herzerquickenden Fluß an die fugend zu bringen. Möge dies Büchlein mithelfen die Lehrer und alle volksfreunde für diese dankenswerte Aufgabe anzuregen. Jenen aber, die abseits stehen und im vorübergehen bisher nur ein Lächeln aufbringen konnten für ein scheinbar dunkles Tun und üben, dessen Ursprünge und oft lehrreiche Zusammenhänge sie nicht verstanden oder miß­ deuteten, jenen möge es soweit Einsicht bringen, daß sie durch den grauen Altersstaub, den Jahrhunderte darüber gelegt, doch ein wert­ volles und ehrwürdiges Glänzen sehen. Daß sie zuletzt erkennen mögen, daß uns mit der Ahnenvorwelt noch tausend Seelengewebe verbinden, welche die Zeitläufte wohl gewandelt, aber nicht zer­ rissen haben. Solche Erkenntnis ist für jeden wichtig, der unser schlichtes Volk verstehen und zu seiner wahren Wertschätzung ge­ langen will. So habe ich mich bemüht, die Darstellungen des Büchleins in einer Weise zu bieten, die es selbst dem einfachen Mann in Land und Stadt ermöglichen dürfte, sich mit ihnen vertraut zu machen. Möge es mit ein Wegbereiter sein zu jener Höhe, auf der die Liebe



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wohnt: Die Liebe zu Heimat und Stamm, zu Vaterland und Volk! Das ist mein Wunsch! Zugleich begleite es mein herzlicher Dank an alle jene biederen Leute, die mir durch Wort und schönes Oben bei der Sammelarbeit ihre Unterstützung angedeihen ließen, und auch mein herzlicher Dank an die bewährten volksfreunde Herrn Oberlehrer Hans Stieglitz in Pasing, Herrn Hauptlehrer Franz Xaver Rambold in München und Herrn Stadtschulrat Wilhelm keidl in Passau, welche sich der Mühe unterzogen haben, die Arbeit durchzusehen, und sie wohlmeinend förderten.

Enzersdorf im Herbst 1927.

Der Verfasser.

Inhaltsübersicht Vorwort............................................................................................................................III

Winter Seite

Seite

3m Advent...................... Niklo.................................. Heiligabenderinnerungen. Ein Weihnachtsabend im bauernhof................. Rauhnächte...................... Alte Krippcnlieder: G Gnadenrose Helle .

... ... ...

3 8 12

Heiland, reiß' den Himmel auf! Halleluja!.................................. Frohlockt's im Himmel . . . Der ewige Hans und seine Minne Neujahr........................................... Der Sternsinger.......................... Dreikönigswechselgesang .... Lichtmeß......................................

wald-

... ...

16 27

...

31

31 32 33 34 37 40 44 45

Frühling Bäuerliche Fastnacht................. Funkensonntag.............................. palmsonntaq.................................. vom Palmesel.............................. Heimatliche Kartage................. Gsterzeichen................................... 3n April schicken.......................... Frühlingsspiele unserer Kinder .

53 58 61 64 66 70 74 76

Allerlei Kinderreime................. 82 Volksglauben und Brauch im Mai 87 3m Heimgarten.......................... 93 Um Lhristi Himmelfahrt .... 95 Die Wasservögel im unteren Baye­ rischen Wald.......................... 98 psingfihochzeiten und pfingstritte 102 Der Kranzltag i. Niederbayerischen 106

Sommer 3ohannisnacht..................... . Waldweben in uns . . . . . Der Herrgott am weg . . . Beerenzeit.............................. .

Minnebrauch.............................. . 141 waldlerische Hochzeitsbräuche. . 147 Unser tägliches Brot... . 158 Dampf im Dorf...................... . 164

. 113 . 118 . 130 . 134 Hausinschriften................................ 136

Herbst Mutter und Kind.......................... wiegenreimchen und Kitzelverse. Michael........................................... Die blaue Bergblume................. waldlerische Rockenreise . . . . Kirchweiherinnerungen . . . .

173 179 181 186 189 199

3agdzauber.................................. Der Landmann und sein Vieh . Bauernsterben u.-begrabenwerden Allerheiligen und Allerseelen . . über Toteninschristen................. Martini...........................................

204 213 222 228 232 234

Anhang: Mundartlicher Wortweiser . . (Quellenangabe und Literaturnachweis

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242 248

Winter „Dennoch mag die sonnenlose

Dunkle Zeit sich dunkler trüben, Treu der Lehre, treu der Sitte

Laßt den Väterbrauch uns üben." (5. w. Weber, vreizehnltnden, V Am Gpferstein.)

2Tkyil]ofer, Ahnenerbe

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Advene. Graue Dezembernebel umweben uns jetzt. Llockenflimmern rieselt auf Feld und Flur und schleiert die schlummernde Erde ein. wir schauen nach glanzlosen Nächten in goldene Morgenröten und atmen aus Erdental und Himmelshöhen vorweihnächtliche Sehn­ süchte, in die bereits Wachslichter, Tannreisruch und Honigkuchen duften. So umzaubert uns der Advent schon feit frühesten Jugend­ tagen. Er erfüllet nichts mit seinen bescheidenen Freuden und ver­ heißt doch den frommen alles, bereitet reizend und köstlich vor, was in einer großen heiligen Winternacht uns Menschen von oben kommen soll. „Tauet Fimmel den Gerechten, Wolken regnet ihn herab!"

Das ist sein welterschütterndes Rufen heute noch, wie es das­ selbe vor mehrtausend Jahren war. So ist uns der Advent auf die Ankunft des £?crrn würdige Vorbereitung und stille Hoffnung ge­ blieben. viertausend Jahre mußte die sündige Menschheit auf den Er­ löser warten. Diese schier unendliche, lichtlose Zeitspanne andeutend, läuten die Adventglocken vier Wochen lang durch Abendnebel und Morgendämmer und rufen durch rabenschwarze Wälder und ver­ wehte Niederungen das gläubige Volk zum Rorate oder Engelamt, wie der Altbayer seinen lieblichen Adventfrühgottesdienst nennt. Jedes Heimwesen, mag es nun winterlich einsam und verlassen in Tann und Dobl träumen, entsendet nach altem Brauch wenigstens ein Familienglied zum nächtlichen Kirchgang. Aus den Dörfern aber glimmt kichtlein um Lichtlein auf, und was nur immer gesund und rüstig in wind und Schnee stiefeln und stapfen kann, das zieht froh und freudig den lockenden Turmstimmen nach. In Morgenfackeln leuchtet nun täglich das Pfarrland. Und es will ganz scheinen, daß

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ihre Träger soviel heilige Glut und innige lvärme mitbringen, bis sich der himmlische Mitternachtsstern endlich den Gottsuchern nieder­ neigt und zur strahlenden Gnadensonne entzündet. Es ist aber nicht allein dieses Zittern und Lichtsuchen der Seele, das jetzt die Kirchen mit Andächttgen füllt. Der gemütvolle Allbayer schätzt in seinem Rorate auch die äußere Prunk- und Glanzentfaltung, ■bie nun im düsteren Gotteshause um so wundervoller wirkt und gedeiht und dem Lhristnachtsröslein morgenrein und zatt entgegen­ blüht. vom Liebfrauenattar lächelt in lvachslohen die mildeste aller Mütter, die uns nun im Advent den lveltenheiland entgegenttägt und damit nach paradiesischer Verheißung der Schlange den Kopf zertritt. Ihr Gnadenbild ist von goldenem Gitterwerk reich umfaßt, allseits rosig umrankt, und das ausgesetzte Allerheiligste brennt darunter in zwölffachem Kerzenschimmer. Dazu glosen aus dem dämmerigen Raum des Kirchenschiffes an die hundert und hundert lvachsstöcke. Ihre Flämmchen flügeln und flattern glühwürmchen­ gleich unter dem sichtbaren Gebetshauche, als wollten sie der Gottes­ mutter maienfroh entgegenschweben. Es ist eben schon die Morgen­ röte Lhristi, die ihre Strahlen aussendet — und darum ist auch das Rorate begleitet von frohlockendem Grgelgehen, Geigen und Flöten, von zärtlich wiegender Mitten- und Engelsmusik. Bei der großen Vor­ liebe des Allbayern für solch winternächtliche Kirchenfeiern ist es ganz selbstverständlich geworden, daß jedes bessere Heimwesen sein Rorate zahlt und im Pfarrkalender auf Jahre hinaus vorbezeichnet, nament­ lich dann, wenn der Namenstag des Bauern oder seiner Hauserin in die wundersame Adventzeit fällt. Die großen volksheiligen des Advents, die in unser Familien­ leben, namentlich für die Jugend, so manchen schönen Brauch ge­ pflanzt haben, sind die „heiligen Madl" Katharina und Barbara, die heilige Luzia und die Kirchenhelden Andreas, Nikolaus und Thomas. Ein bekannter Bauernspruch sagt: „Kathrein stellt den Tanz ein", und will damit ausdrücken, daß nun alle laute Lustbarkeit vor dem Ernst und der lvürde des hohen Advents zu schweigen habe. Katharina und Barbara zählen zu den vierzehn heiligen Nothelfern, die in der „geistlichen Schildwacht" gegen fiebernde Seuchen und Suchten, gegen Kriegsnot, Blitz, Feuer und plötzlichen Tod anzurufen sind. Ihre Bildnisse fehlen nur selten in den Herrgottsecken unserer altbayrischen Bauernstuben, und manches kernresche Dirndl wurde unter ihrem



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besonderen Fürspruch und zum Nachleben ihrer christlichen Tugenden aus dem Taufwasser gehoben. Am Bärbltag werden im Hausgatten die knospenden Zweige von Weichsel und Kirsch geschnitten, um sie bis zur Lhttstnacht zur Vollblüte zu entfalten, Holde, heilsame Wunderkräfte wirken dann aus ihren zatten Schneeröslein, die nach dem Volksglauben Geschwür, Wunden und Krankheiten mildern und der weihnächtlichen Legendenund Liederdichtung reichen Stoff gaben über Sttäucher und Bäume, die zur Gebuttsstunde des göttlichen Kindleins gnadenvoll in Frühlingsprächten aufsprießen. wer dächte, von diesem schönsinnigen Gedanken berühtt, nicht an unser altes deutsches Lhristmettenlied: „Lin Röslein ist entsprungen aus einer Wurzel zatt ..." Die blühen­ den Bäume der Christnacht und insbesondere der Barbarazweig und die damit verwobenen Anschauungen und Bräuche haben schließlich den Christbaum ins Leben gerufen, der ursprünglich nur mit weih­ nächtlichen Rosen und Früchten als Gnadensinnbildern behangen wurde, weiter zurück deutet der Barbarazweig in den grauen Welt­ advent vorchristlicher Zeit, wo unsere Waldväter grüne Schutzzweige einholten gegen winterliches wind- und Wehwalten der Schwarz­ alben. Noch heute mirakelt der bäuerliche Wettermacher mit ihnen auf Frühlingsbeginn, Saatengedeih und Ernten — und so ein Mägdlein in heimlicher Liebe brennt, muß es zur Erfüllung seiner Herzenswünsche aus dem Heimgatten das Barbarareis im keuschen Hemdlein brocken. Die dritte volksheilige des Advents wird aus Kindermund fcheuchtfam „Die Luz" genannt. )hr bloßer Name schon und der Mahnruf „die Luz geht um" verursacht den Kleinen kaltes Grausen und Gruseln und jagt sie zeittg in die Gänsefedern. Sie ist die Um­ geherin in den nun dicht bevölketten Rockenstuben geworden und hat als solche die Nachfolgeschaft mit auch allen Schrecken und Freuden der germanischen Berchta oder Frau Holle übernommen. Gassen­ kindern und faulen Mädchen, die sich am Spinnrädchen recken und pflegen wollen, schlitzt sie mit scharfem Schermesser die Bäuche auf und schoppt sie ihnen mit hatten Wackelsteinen voll. während in den Kunkelstuben zu Mären und Liedern geschäftig die Spinnräder surren und draußen über eisige Hufen und Heiden der wilde )äger mit kläffender Hundemeute fähtt, schaut sie hellhöttg und wachäugig durch die Fenster und hält häusliche Ordnung und Zucht im Gesinde

6 Als Torwart! des Advents gelten der heilige Andreas an seinem Ein- und der heilige Thomas an seinem Ausgang, überdies sind die „Andresi- und die Damasnacht" als Losnächte bekannt, die mit ihren wunderlichen kosbräuchen und Träumen fürwetter- und Liebes­ schicksale in die Zukunft weisen. Der volkstümliche „Dama mit' m Hamma" erinnert deutlich an die Vorstellungen von dem hammer­ schwingenden Wettergott Donar, der als Molken- und windbeherrscher, als fjüter des Hauses und der Saaten, der ausgesprochene Liebling der Germanen war und mit Berchta, der Glänzenden, den Liebesbund seiner Menschen in Huld und Holden segnete. — So ein Mägdelein im Traume will den künftigen Geliebten schauen, darf es heute nur um Mitternacht im Belllein aufknien und sprechen: „Strohsack, i drück dö, Heilig« Thomas, i bitt dö, Laß mir erscheinen, Mit dem ich mich werde auf ewig vereinen!" Der Thomastag bringt in Gäuland und Wald auch das allge­ meine Linschlachten und verwursten des weihnachters, des ehe­ maligen Iulebers, mit sich und veranlaßt zum Auftreten des „blutigen Thomas", einer Mannsperson, die ihr nacktes mit Schweineblut be­ sudeltes Bein durch die Türspalte streckt und die friedlichen Haussassen gruseln macht. Die Donnerstag-Abende im Advent gehören den Klöpflern, Buben und Mädchen, die nach Ginbruch der Dunkelheit mit handsamen Stöcken und Gabeln umgehen und mit Vorliebe die Rocken­ stuben aufsuchen. Sie klöpfeln unter neckischen Reimsprüchen, welche der Hausmutter Lob und Wohl singen, Tür und Fenster ab und emp­ fangen Kücheln und Krapfen, die man ihnen gerne auf ihre Klöpfelstäbe oder an die Zinken ihrer Gabeln steckt, wahrscheinlich hängt dieser uralte Brauch mit den Albenopfern unserer Vorfahren zu­ sammen, die sie allen schelmischen Wichten der unheimlichen Winter­ nächte zu Bann und Abwehr aussetzten. Der himmlische Kinderfreund der gnadenvollen Adventzeit ist der mit tausend Ängsten und Freuden erwartete Bote des Thristkinds, der rauhpautzige und doch so milde Nikolaus. Zu seinen Leb­ zeiten war er Bischof von Myra in Kleinasien. Die fromme Legende berichtet, daß er durch goldene Apfelgaben dem Hungerelend und Laster preisgegebene Mädchen vor Schande und Tod rettete und drei

7 Rnäblein, welche heimlich und spurlos ermordet waren, durch wunder­ bare Traumgesichte auffand und wieder zum Leben erweckte. Auch sonst erwies er sich als Wundertäter und mildherziger Vater an Rindern und Armen. Deshalb und wegen seiner Standhaftigkeit im Glauben wird er auf alten Rirchengemälden dargestellt mit einer von Goldäpfeln beladenen Bibel und drei nackichten Rnäblein, welche ihm zu Lüsten aus einem Fäßlein schlüpfen, wie der Schimmelreiter Martinus erscheint er oftmals hoch zu Roß; ja er hat von diesem nicht bloß den Gaul, sondern als fränkischer „Pelzmärtel" auch den Namen übernommen. Und hierin verweben sich wiederum christliche An­ schauungen und Vorstellungen mit heidnischen von dem Göttervater und Totenführer Wotan, der zur gerbst- und Winterzeit, zur Zeit der Volksthinge, der Gerichte und Entgeltungen mit einem f^eer von Unholden und Holden auf geflügeltem Rosse die Welt umritt, um seine Menschenkinder je nach Verdienst zu strafen oder zu be­ lohnen. Man stellte ihm mit Heu und Hafer gefüllte Lutterkörbe an die Hagetore der Höfe, damit er kurz raste und abfüttere und dem Hause für und für gnädig und gewogen bleibe. Diese Gepflogenheit übertrug sich in christlichem Sinne auch auf die Nachtfahrten des heiligen Nikolaus, der kinderfreundlich greifbare Gnaden und Gaben in Gestalt von Backwerk, Rletzen, Äpfeln und Nüssen in die ihm bereit­ gestellten Rörblein, Schifflein und Schüsseln prasseln läßt. Begleitet wird der heilige Nikolaus stets von dem bärbeißigen Rnecht Rupprecht oder Rlaubauf, der böse Buben mit der Rute zu züchtigen oder gar in den Sack zu stecken hat. Bezeichnend ist, daß er die kleinen Böse­ wichter der Sage nach stets in Weiher werfen oder auf einsame Möser und Friedhöfe vertragen soll, sie also in das düstere Schatten­ reich führt, als dessen Fürsten den Germanen die obersten Götter Wotan und seine Gattin Berchta galten. Sie sind aber aus dem lauschigen Dämmer der häuslichen Adventabende längst hinausverbannt worden in die brausende Waldnacht, wo sie nunmehr als Führer des wilden Heeres unheimlich und bösartig spuken und geistern. So hat uns der große Weltadvent, der einst düster auf Erde und Völkern lag, auch aus den lichtsuchenden Seelen unserer Ur­ vorfahren manches noch fein und schwach glimmende Fünklein erhalten, das kaum mehr erkennbar die goldene Brauchfülle des christlichen Advents durchschimmert, aber mit ihr gemeinsam hat:

8 Herzinnere Tiefinnigkeit, verzehrendes Suchen und Brennen nach einem Heiland, einem Erlöser, den die Fimmel tauen und die Wolken herab regnen sollen.

Niklo. Du kennst doch die Geschichte von den sieben tapferen Schwaben! Nun, auch unser waren sieben und vor einem Hasen sind wir noch lange nicht davongelaufen. Doch wenn einer von uns um den 6. De­ zember herum aus der hellichten Stube in die stockfinstere Winter­ nacht hinaus mußte, dann stellten sich die sechs Brüderlein hinter mich und riefen wie aus einem Hals: „Ioggele, geh du voran, du hast die längsten Stiefel an!"--------Die längsten Stiefel freilich, die hatt' ich wohl an; aber auch die längsten )ahr mit all ihren dummen Streichen hatt' ich auf dem Buckel, und da fällt das vorangehen doppelt sauer, wenn draußen vor der Tür Tod und Teufel umgeht. So hätt' ich denn am liebsten das Abendbier schon an den Nach­ mittagen heimgeholt und den Rühen die Hex ans Euter gewunschen, damit sie hätten beim Zetteln*) den Melkzuber vollgewässert und mir so das Austragen wär erspart blieben. Da ich aber meine gute Schwabenehre vor meinen sechs tapferen Brüderlein nicht beflecken wollt', so nahm ich jeden Abend das Klappern der Zinndeckel und das Scheppern der Milchkannen mit äußerem Gleichmut auf, obwohl miss durch Mark und Bein fuhr, als ob mich der Bock gestoßen hätt'. Und war das Abenteuer bestanden, ich mit Haut und Haaren wieder glücklich heimgekehtt, so kannte oft mein Großmut keine Grenzen. Um die braune Bretzel, die mir der gutmütige Witt geschentt, und um die rotbackigen Äpfelchen oder sonstigen kleinen Schleckereien, welche mir die Kaffeebäschen zugestopfl, ließ ich mich von den sechs anderen Schwaben herzhaft bestaunen. Und während sie an meinen greifbaren Verdiensten herumknappetten und knuspetten, versprach ich ihnen das Blaue vom Himmel, wenn morgen einer für mich den Gang übernehme. Aber kam der Abend wieder, so wischten sie geschwind aus wie die Bremsen und fliegen vor der Tatsche-------und ich mußt' wieder die Stiefel anschnallen und als erster der Sieben voran. )a, das hat man davon, wenn man auch sonst immer als Räuber*) Bei sämtlichen mit * bezeichneten Textstellen beachte den Anhang des Buches!

9 Hauptmann und Heldenvater mit fliegenden Lahnen in Ariegen und Schlachten vorangestiefelt ist. Nun ließen sie mich alle hängen und von Aüchenmagd und Roßknecht ins Bockshorn jagen. Dazu waren gerade die Bärbl*) und der Veit!*) aus dem rechten Holz geschnitten. Bei dem einen saß ich baumknüppeldick in der Areide von wegen meiner Aarnickelhasen, die eine ausgesprochene Vorliebe für seinen Habersack bezeigten,-------- und mit der Bärbl, da halt' ich mir erst ganz das Leben verdorben: Lin grinsender Totenschädel, wenn auch aus einem harmlosen Kürbis geschnitten und von innen mit einem lvachsstöckl geisterhaft beleuchtet, hatte sie in der Allerseelennacht vor der Bettstatt in Ohnmacht und Krämpfe geworfen. Ihre Liebe zu mir war darüber ganz in die Brüche gegangen, und selbst die schönsten Weichselruten, die ich ihr zu ihrem Tage in einem Gläschen aufs Fensterbrett gestellt, übten auf ihr nun einmal verfchüchtettes Gemüt eine höchst zweifelhafte Wirkung aus. Die kleinsten Zuckerbröckl fielen von jenem Tag an immer in meinen Milchtopf, und was mich besonders in Harnisch brachte, dem Veit! schob sie die größten Anödl und Fleischranken zu, was bei seinen erwiesenen Beziehun­ gen zum Niklo für mich eine unleugbare Gefahr zu bedeuten hatte, wo sich aber zwei Scheinheilige mit einem dritten, wahrhaftigen und echten Heiligen verbinden, da hat sich ein wackerer Schwab vorzusehen. Und so griff ich, als der entfcheidungsvolle Abend heranrückte, zum geistlichen Schild. Zwar war das ein schweres Handwerken und ich hätte mich lieber auf einen tüchttgen Schwabenspieß verlassen. Aber Niklo und Aanisi*) gehören zusammen, sind gut Freund im Himmel und auf der wett, und einer hält auf die Ehr' des andern.-----So saßen wir denn alle sieben wie die Orgelpfeifen auf der Ofenbank im Herrgottswinkel und litaneiten die Fragen und Gebete des Aanisi herunter; doch beim geringsten Geräusch, das sich draußen im Flur oder im Hofe auf dem knirschenden Schnee vernehmen ließ, blieb uns der Ton im Hals stecken und es brauchte ein langes und herzttefes Schnaufen und Atemholen, bis die alte Leier wieder ins Gehen kam. Vater schmunzelte dabei so behaglich und eigen mit zwinkernden Augen in die blauen Rauchringel der qualmenden Pfeife, und Mutter stocherte in der Herdglut herum, daß die Funken wie kleine Goldvöglein hüpften und tanzten. Uns aber wollt' diese Feier­ lichkeit und ungewohnte Stille schier das Herz abdrücken.

10 Heiliges Kreuz! Jäh fuhren wir mit dem Daumen über die heißen Stirnen, als hätte Blitz und Donner mitten in die Stube ge­ schlagen. Draußen trampelte es plötzlich. Das ganze Haus schien von tobenden Teufeln angefüllt: Kettengeklirr und bärbeißiges Brum­ men hallte dröhnend von wand und Decke wider. Und wir, alle sieben, wie vom Erdboden verschluckt, fuhren unter den Tisch und drückten uns an die Mauer. Da sprengte auch schon die Kette die Stubentür weit auf und schnell, wie eine heimtückisch springende Schlange kroch sie in allen Winkeln und Ecken herum, bis sie uns unterm Tisch aufgespürt hatte. Und da ging's nun los, das Sünden­ gezeter und Mordioschreien. Zwei mächtigen Baumstämmen gleich pflanzten sich im Nu des Niklas Beine vor uns in den Boden und versperrten jeden Ausweg, von oben herab aber brauste und grollte es wie aus Wetterwolken: „Grüaß Gott beinand! Hob mir sog'n lass'n, der Bauer hot siebn Bubn und lauter lockere vögl!"-------„wird scho so sein, Niklo, und is ma ganz recht, daß d'amol Nach­ schau hältst!"-------- So der Vater.--------- „Do is amol da Sepperl und da Girgl; da Michl und da Hans--------vo dö kloan zwoa will i nöt redn------- und vom Joggl*) wirst ja sölm scho vonumma hom, was er olles für Sachan macht! Er tät dö not ferchtn*), Hot a gestern no gsagt. Und er tät da an Sack aufschneiden, hat a gsagt, wennst 'n einösteckst, Hot a gsagt, da Joggl!"------- „werd scho no a wörtl mit eahm redn------- solln amol dö andern sechsö füra unterm Tisch" und dabei ließ der Niklo die Kette auf den Boden klirren, zog sie ganz langsam vom Tisch zur anderen Stubenecke und die sechs armen Schlucker krochen ihr nach, als ob's an ihr das feinste Wurstbeißen gäb. Und dann knieten sie in der Reih, wie die heiligen Orgel­ pfeifen, mit aufgereckten Händen und winselten und jammerten in allen Tonlagen zum Steinerweichen. Und alles, was ich in meiner Seelennot sah und hörte zwischen ihrem Schlucken und Beten, das waren sechs nasse, angstklagende Augenpaare und sechs zitterige Händlein, die sich auf mich richteten: „Niklo, der Joggel hat's ange­ stiftet! Der Joggel, Niklo, der Joggel ist uns vorangestiefelt!" Und zweimal und dreimal der Joggl, der Joggl! Und da es schließlich in der ganzen Stube „joggelte" wie in einem Froschteich um Jakobi, so blieb dem Niklo nichts anders übrig, als ihnen die Rute über Buckel und Schnäbel zu streichen und den Joggl unterm Tisch her­ vorzuholen.

11 Wie ich vorkam, wüßt ich heul selber nicht mehr zu sagen. )ch zappelte urplötzlich wie ein Bär an des Niklas langer Kette und beim ersten Riß war mir Herz und Spieß in die Hose gefallen und alle Erleuchtungen des hl. Kanisi hätten mir nicht viel geholfen vor der Allwissenheit und dem feuersprühenden Zorn des Niklo. Daß ich dem Stallbuben Ziegelstein unter'? £?eu in die Kirm geladen, daß ich unseren braven Kater ins Vogelhaus gesperrt, daß ich für meine Karnickel Rüben und Haber stahl und selbst die Geister aus dem Grabe schreckte, kurzum, alles das und hundert andere heimliche Sünden wußt er auf meinen Kopf.--------„Do Baua," so brummte er fuchtelwild den Vater an-------- , „halt ma mein Sack brav auf! Der Zoggl is nix nutz auf der Welt; den nimm ö mit mir! Host ja no sechs Buam, dö da's Leben gnua vadroißn!*)" Und wie sehr ich wahrhaftig und gewiß Besserung versprach, bat, rang, mich wand, stieß und wehrte-------- eingesteckt würd' ich in den Sack, und nicht einmal der lNutter drückte es das Herz ab. Auch sie kam nicht wie ein rasender Erzengel mir zu £?ilfe. Nun ging's in die Nacht hinaus, Hinter mir sank weinen und Beten unter. Bald fühlte ich, wie mich der Niklo etlichemal in den kühlen, weichen Schnee fallen ließ, mich hoch emporhob und in einen viereckigen Kasten lud, als ging nun die Fahrt mit Roß und wagen weiter, weiß Gott, wohin! Vater! lNutter! Doch ringsum stille, undurchdringliche Nacht. Aber keine Bewegung erschütterte mich, und als ich auch nicht fror, sondern eine gar behagliche Wärme um mich her spürte, da löste sich auch wieder die entsetzliche Starrheit in meinem Blute und ganz heimlich streifte ich die leichte Hülle von meinem Leib. Und--------ein Schwabe hat doch immer Glück! Durch ein Ast­ loch der Bretterwand bemerkte ich ein ganz dünnes kichtbächlein zu mir herein ins Dunkel fließen. Behutsam tastete ich empor und äugte wie eine Maus vor'm Loch--------und beinah hätte mich der Schlag gerührt. Da saß ja der Niklo ganz seelenvergnügt und gemütlich auf dem Tränkeimer zu hinterst im Stalle und hatte die Bärbl auf dem Schoß und die kraulte ihm den Bart, derweil ich drinn im Haberkasten steckte. Doch, als ich ein halb Stündlein später wieder im Licht der trau­ lichen Stube saß und sie alle hören wollten, wie es mir in des Niklas Reich ergangen sei, da kaute ich wie ein selig wissender meine Apfel

12 und blieb die Antwort schuldig. Dafür aber trug ich als biederer Schwabe Sorge, daß fortan die größten Zuckerbrocken und Fleischranken auch in meine Schüssel fielen. Und als der veitl mit der Bärbl längst Hochzeit gemacht und mir der Vater wegen meiner Schwaben­ streiche wieder einmal mit dem Niklo drohen wollt', da lachte ich ibm tapfer ins Gesicht: „DenNiklo Hot die Bärbl mitgenommen!"------und er lachte mit.

Heiligabend-Ermrterrmgeit. Weihnacht! welch holdselige Fülle von lieben Kindheits­ erinnerungen weckst du in allen Herzen. In denen, die dir freudig und friedvoll entgegenschlagen, wie auch in jenen armen Kerzen, die Heimweh und unstet wandern und deinen beglückenden Fimmels­ frieden verloren haben. Gerade sie zuvörderst werden unter deinem heiligen wehn an ihre Kindertage zurückdenken, an das Heim ihrer jugendlichen Seligkeiten, wo Segen und Liebe ausging von allem, was sie berührte, Muttermund und Vaterhand, Altäre und Gräber, deren Wesen und weben sich unaustilgbar in die kindliche Seele prägte, und die nun wegemüd gewordene mit weihnächtlichem Heim­ weh erfüllen wird------- denn Kinderweihnacht ist himmlische Selig­ keit, die unser armes Grdenleben nur einmal gibt, deren Abglanz aber durchs ganze Leben nachzittert und jedes Gemüt, sei's noch so alt und spät, froh durchklärt und wieder kindlich macht. wie innig und gerne denke ich an sie zurück, dankbar, an meine Kinderweihnacht! Goldene Traumgesichte und Bilder dämmern auf. Zungen beseelen sich und Herzen atmen, die längst zerstäubt. Hände segnen, die lange welk und verdorrt. Neue Gnadenwunder blühn von Hochaltären, die im Lebenssturm zerbarsten, entweiht und verschüttet wurden.

(D kinderselige Weihnacht, heiliger Abend, laß dich noch einmal durchleben! Schließ' ich nur die Augen, so trink ich all deine Wonnen mit wachen Sinnen: Tannreisruch und kichterduft... Fackeln von Sternen und Goldgespinst... huschen und Heimlichtun hinter Riegel und Tür... Falterrauschen und Flockenfall aus weichen Gefiedern... hellhöriges Glöckeln ... und endlich liedjauchzender Iubelschwall.-------

13 Mit brennenden Bäcklein und schmachtenden Augen lagen wir in der kühlen Morgenfrühe des heiligen Abends wach. Der fahl erlöschende Silbermond ruckte immer näher an Haus und Dach und sickerte durch Spalten und Fenster, bis er uns traf mit gefalteten fänden und unser Ahnen und Sehnen erfüllte: „Aus Weihnachtsmond und Sternenschein Bau'n Brücken alle Lngelein Für Maria und ihr Rind." wir fühlten ihre heilige Nähe im Dämmern der Stube. Es waren nicht allein in leeren Dunst zerrinnende Mondbäche, die aus Dielen­ fugen und verborgenen Winkeln fpinnwebfein flimmerten und glitzten, es war auch echtes und köstliches weihnachtsgold darunter, das die Englein uns Kindern zur Spannung und Freude nächtens ausgestreut. Bloßfüßig und im Hemdchen schlüpften wir darum den Boden ab und jubelten erregt über die zierlichen Spuren, die Stube und Flur durchzogen. Hier ein Lärchen, dort ein Fläumchen zerstäubt aus den Faltern, karfunkelnde Geschmeidsplitter von Sternen und Kugeln oder Leckstücke von Zuckerwerk und Gebäck, die aus den prall gefüllten Weihnachtssäcken gebrochen waren. Es wob und spann durchs ganze Haus bis zum heimlichen Gemach, das noch hinter Schloß und Riegel lag und nicht einmal das Schlüssel­ loch freigab für unser Lauschen und horchen.-------Das Lhristkindbrieflein, welches wir alle der Reihe nach mit den Schnörkeln und Zeichen unserer Herzwünsche sorgsam bekleckst und mit sinnigen Bildern beklebt hatten, war längst nach der Milchstraße abgegangen und dem Lhristkind standen somit die verborgensten Falten unserer freudenhungrigen Seelchen offen. Eines Vogels Schmaltritt am beschneiten Fenstersims, wo wir das Btteflein hinter­ legt, erzählte uns Wunder und Märchen von der Himmelspost und bangvoll sorgten wir tagelang, ob der kleine Bote auch bis zum heiligen Fest durch Wolkenwände und blumige Sternwiesen das Lhristkind erschwebe. Heut in der Morgenfrühe atmeten wir dessen aller Ängste und Beklemmungen ledig-------- das Vöglein hatte es erschwungen, sonst durchstünden nicht Gnadenspuren allenthalben das Haus. Aber wir begehrlich lauerndes wuzelvolk fanden im Hause nur wenig Raum; allüberall standen wir heul' im weg und so mußten wir es uns gerne gefallen lassen, daß wir den Tag über ausgetrieben wurden.

14 Bis zum „fastenden Mittag"*) wurde unter Großmutters Lüh­ rung durch fast sämtliche Kirchen des Städtchens große Krippenreife gemacht. Aus traulich dämmernden Nischen glänzte hier schon der Mitternachtsstern und das feuersprühende Wunder der Verkündung auf den weiten Ebenen und weiden vor Bethlehem, während abseits noch das einsame Mutterglück allerliebst von Hchslein und Eslein be­ haucht in heiligem Frieden träumte. Großmutter hatte für die Opferbüchsen, die an allen Krippen angebracht waren, ein dickes Beutelchen voller Kupfergroschen mit, und nachdem wir andächtig geschaut und gebetet, durfte jedes durch Einwurf die Büchse klingeln lassen. Besonders eifrig warfen wir unser Kreuzer! zu Sankt ). ein, wo über der Büchse ein schwarzes Heidenkind als Nickmännchen thronte, das für jeden Einwurf wohlgezogen und dankbar seinen kohlkrausen Struwelkopf neigte. )ch kann mich noch heute eines kindlichen Lächelns nicht entwöhnen, wenn ich an jenen heiligen Abend denke, wo ich dies Mohrenkindl unausgesetzt und so lange mit meinen Sparpfennigen fütterte, bis ihm der Halswirbel knackste und es traurig wie ein erfroren Spätzlein den Gupf*) hängen ließ. Mir war's nicht wohl, als Großmutter dazu erklätte, das )esukind in der Krippe weine darob und flöge abends an unserem ffaufe vorüber, weil ich den kleinen ffeiben gemordet. Doch der gütige Kustos, der inzwischen herangetreten war, belehtte uns, daß nur das Büchslein überladen, stülpte es aus und hauchte damit dem Mechanismus wieder altes Spiel und Leben ein. Und nun sahen wir doch das )esukind holdselig lächeln. wir selber hatten eine wundervolle, uralte Hauskrippe mit fast puppengroßen Wachsfigürchen und allen bethlehemitischen Krippen­ tieren von den kämmlein der ffirten angefangen bis zu den prunk­ geschirrten Dromedaren der königlichen Reiter aus dem Morgen­ lande. Da aber die Krippe zwei spannenlange Tische belegte und somit den Raum zu sehr beschräntte, wurde sie nur für den heiligen Abend und die beiden Festtage aufgestellt. Für die Weihnacht erschloß sie uns die fromme Anbetung durch fftrten und für den zweiten Festtag den Einzug der drei Könige unter der Lohe des wegweisenden Schweifgestirns. Dann wurde unser ffausfrtpperl wieder abgegebrochen, behutsam in Tücher geschlagen und in Kisten gepackt, und nun konnten die Krippenmännchen unterm Dachgestühl wieder in Vergessenheit schlafen, bis es abermals weihnachtete und schon im

15 grauen Advent ein Büblein auf Schleichpfoten die Bodenstiege er­ klomm und mit ihnen im schummrigen Dachwinkel seliges weihnachtsvorspiel trieb. Der Heiligabend-Nachmittag spann unsere Thriftnachtsstimmung mit lebendigem Krippenzauber zärtlich weiter. )n den Kinderheimen und Waisenhäusern der Stadt wurde uns jetzt das Weihnachtswunder in Bühnenspiel und tiefklärendem Wort von armen Kindern vor­ geführt. Die bethlehemitische Gnadenstunde selbst und ihr ewig fort­ währendes Ausstrahlen der Gottliebe in das so wechselvolle Menschen­ leben. Das hohe Lied der Weihnacht schwang über allem, über dem verstoßenen Bettelkind, das in schmutziger Gasse erfror und an Jesu­ leins fänden zum Paradies entschwebte, über dem alten Land­ streicher, der unter verschneitem Tannenbaum ein hold Kindheitsträumlein erfuhr und sich seinem Herrgott versöhnte. es war eine ganze „Schüag*)" Kinder da, also wär der Sterb' ein richtiges Elend gewesen. Da nahm ihr jungfräulich Dirndl ein längst abgedorrtes Myttenstäudlein aus dem Brautkranz der Mutter und wandette damit in der Mettenwandelstund bloßfuß zum nahen Frauenbrünnl, um alldott im heiligen Wasser das Reis zu letzen und im vollgeschöpften Krüglein es heimzuttagen. Bald blühten im harschen Schnee in ihren Stapfen rote Flecken von Blut. Am Brünnl schöpfte sie den Krug voll, taute die HTyrte im (Quell und mit dem Reis int Gefäß wandette sie in den alten Stapfen wieder heim. Aus ihnen schwanden nun bei jedem Tritt die Blutspuren und im Schreiten wuchs Blatt um Blatt aus dem Stäudlein und zuletzt brachen aus den Spitzen goldstrahlende Röslein hervor. So betrat das Kind die Krankenstube. Das Gesicht ihrer Mutter verklätte sich und als sie gar aus dem Krüglein trank, stand sie auf, frisch und gesund; denn das Wasser im Krug war in himmlischen wein verwandelt.------So wußte jedes andere Geschichten. Die Zeit verging im Flug, und ehe es die Waldhofleute dachten, war es elf Uhr geworden. Da fingen auf einmal alle Glocken zu Tittling durch die heilige Nacht zu gehen an. Der waldhofbauer erhob sich und sprach: „So, jetzt is' Zeit, daß wir dem lieben Lhristkindl die göttliche Ehre antun!" Damit standen alle auf und machten sich zum Kirchgang bereit. Nur das alte Basl*) und die jüngsten Kinderlein blieben im Waldhof zurück. Der Stöffl*) hatte derweil ein Stallicht aufgezündet. Das sollte den nächtlichen Kirchgängern den weg durch den verschneiten Wald und die Schneefelder erhellen. Das Basl aber sagte noch, bevor sie den waldhof verließen: „Tuats a von mir 's Gottskindl freindlö grüaß'n und dann bringts an guat'n Hunga mit, daß hernachn d'Mettenwürst nöt übrigbleiben!" Und alle lachten und ver­ sprachen der Alten beides von Herzen. Dann ging's in die Winter­ nacht hinaus und das Stallichtlein leuchtete ihnen in der Finsternis, wie einst den drei Weisen der Stern geleuchtet hat nach Bethlehem. Und wie einst die Lnglein den Hirten die frohe Botschaft ins Herz sangen, so sangen heute die Lhristnachtsglocken durch den Wald in ihre Herzen. Überall krachten und knallten Böller und Büchsen drein und tanzende Lichter gingen auf allen wegen dem Tittlinger Gottes-

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Hause zu. Wie strahlte es dort bereits in Hellem Kerzenglanz von den Altären und wie inbrünstiglich hatten alle die Hände aufgehoben zum Jesulein, das dott in der Krippe lag! Doch als die Glocken wandelten, da brannten mit einem Male die Lichter aus und es war dunkle Nacht wie in Bethlehems Stall. Durch die Finsternis kam es aber wie Engelsstimmen und Schalmeien: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, Friede auf Erden allen, die eines guten Willens sind!" Dann setzte die Orgel ein und all Volk stimmte mit ein in das Wiegenliedchen für das nackte, schlafende Jesulein: „Sttlle Nacht, heilige Nacht, Alles schläft, einsam wacht Nur das traute, hochheilige paar — Holder Knabe im lockigen Haar Schlafe in himmlischer Ruh!" Als das heilige Lied verklungen war, da flammten die Lichter wieder auf und es wurde morgenhell im Hause von Bethlehem. Beim Kerzenschimmer leuchtete nun in manchem Mutterauge die Liebe mit feuchtem Schein. Die Waldhoferin hatte aber noch nie so tief und warm aus dem Herzen für ihre Kinder gebetet als zu dieser Stunde. Weihnachtsfriede lag auf allen, als sie ihren Hütten und Höfen zuwanderten. Als die Waldhofleute heimkamen, da stand's Basl schon unter der Tür und sagte: „’s war nettas schö, weil eure G'sichta wia da Mondschei glanzen, und Hunga habts a, dös seh i eng an. Setzt euch nur her iatzt und langts zua" — und das ließen sie sich nicht zweimal schaffen. Beim schweinernen Schmaus da brachte der Stöffel die Red auch aufs Fackerl und meinte: „völli dabarmt hat mi's Viecherl, weil ich mei Freid dro g'hobt ho, hob's do a aufzog'n, bis so kuperlfett g'wen is. Aber für die Heilinga Zeit'n da müffn halt gar soviel viecherl sterb'n. Dafür hoaßt ma's a .Weihnacht«'!" Da lachten alle über diese Grabpredigt und der )oggl rief: „San leicht d'Würscht not guat, weilst gar so wehleidi daherredst? Cua’s halt her nachan, i wer scho firtt für zwo!" Da schmunzelte der Knecht und aß für drei. Als er hernach in seine Kammer Hinaufstieg, da schleckte er noch immer und schnalzte mit der Zunge; dann brummte er: „völli träuma tuat's ma davon heut Nacht, dös is g'wiß!" Ob er das Lhristkindl meinte oder die Mettenwürst, das wußte nur der gute Herrgott im Himmel. Und als letzter blies der Stöffel im Waldhof das Weihnachtslicht aus.



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Rauhnächte. Rauhnächte nennt das deutsche Volk die zwölf Nächte vom Christ­ abend bis zum Feste der heiligen Drei Könige. Die geheimnisvolle Bedeutung und der gemütvolle Zauber dieser lvinternächte haben ihre Wurzel in den Uranschauungen der Germanen. Ihren Göttern war eine Menge von Licht- und Schwarzalben beigesellt, die ihnen zum Gedeih oder Verderb des Menschengeschlechtes dienstbar sein mußten. Eine schier unbeschränkte Macht auf das Schicksal des ein­ zelnen sprach der germanische Götterglaube diesen Wesen besonders um die Zeit der Wintersonnenwende zu, wo ja Wotan, der All­ waltende, selbst, auf weißem Rosse durch die Wolken einhersprengte und in tobendem Lüftesturm mit seinen walhallgenossen die wett umritt. Des Volkes Glaube hat sich bis in unsere Tage herauf von dieser urgermanischen Anschauung nicht ganz zu lösen vermocht, wenn auch das Lhristentum im Wandel der Jahrhunderte die alten Gottheiten stürzte und viele der religiösen Anschauungen und Ge­ pflogenheiten unserer germanischen vorfahren mit christlichem Inhalt erfüllte. So ist an Stelle des einäugigen Germanengottes der wilde Jäger getreten, der ewig ruhelos und unselig mit einer kläffenden Hundemeute und allerlei lichtscheuem Getier des Nachts den Winterwald durchstürmt. In ähnlicher Weise, wie sich die christ­ liche Weltanschauung aus dem Wotansritt die Sage vom wilden Jäger formte, setzte sie an Stelle der unzähligen Erd-, Luft- und Wasser­ geister der Germanen die Zerrgestalten von Teufeln und Hexen, deren bösem Zauber gerade zur Weihnachtszeit Tür und Tor ge­ öffnet ist. Unsere christlichen Urväter glaubten, daß man durch Er­ zeugung eines ungewöhnlichen Lärmes die bösen Geister von Haus und Hof abhalten oder vertreiben könne. Daraus erklärt sich das heute noch allerorten übliche Hexenaustuschen mit peitschen, das Böllern und Schießen zur Rauhnachtszeit. Aber das christgläubige Landvolk hält neben all diesem Aberglauben auch daran fest, daß ge­ rade in diesen Tagen höllischer Spuk und gefährliche, Leib und Seele bedräuende Einflüsse am erfolgreichsten zu bekämpfen seien. Und so entsprechen dem Geiste christlichen Erlösungswerkes die zahlreichen zu diesem Zwecke üblichen Segnungen und Räucherungen, die vom Volk vorgenommen werden, vollkommen, wenn dabei auch hie und da ein gut Stück! Aberglauben mit im Spiele sein mag.

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Jn unserer Gegend spricht das landläufige Volk gewöhnlich nicht von den „zwölf Rauhnächten", da nur drei von ihnen in hohem Ansehen stehen. Diese drei Rauhnächte werden auch als Losnächte bezeichnet, weil in diesen Nächten alle bösen Geister zur Lrdenfahrt losgelassen sind. Doch wird der Name auch so gedeutet, daß während der drei Nächte Leid und Freud, Liebe und Streit, Glück und Tod, die für uns möglicherweise in der nächsten Zukunft liegen, sich durch das Losen mit den verschiedensten Dingen vorher bestimmen lassen sollen. Als derlei Losungen sind anzusehen: Bleigießen, Apfel­ brechen, Schalenwerfen, das Schleudern von Pantoffeln u. dgl. m. Alle diese Schicksalslosungen, so mannigfach sie auch an Art und Zahl sein mögen,' erinnern an den germanischen Brauch, aus ausgewor­ fenen Runenstäben die Zukunft zu enthüllen. Besondere pflege erfahren sie in den Landstrichen des unteren Waldes in der Thomasnacht, am 2t. Dezember, in der Christnacht und am Vorabend des festes der heiligen Drei-König. )n der sogen. „Damasnacht" ist sowohl bei Manns- wie auch Weibsleuten das Prügelwerfen auf einen Zwetschgenbaum allgemein üblich, wobei der Prügelwerfer um Mitternacht unter dem Rufe--------„ksundal, bell, bell! woher kimmt der £)ell?"*)--------ein Stück Scheitholz in die Baumkrone schleudert, Fängt daraufhin in einem der umliegenden Gehöfte der Hund zu kläffen an, so soll das den Ort bezeichnen, von dem sich der Bursche seine Braut oder die Maid sich ihren Bräu­ tigam holen wird. Um den Beginn des Gottmenschentums Christi, den die Kirche um die Mitternachtsstunde des 25. Dezembers feiert, reiht sich der Blütenkranz der sinnigsten Bräuche. Last in jedem chttstlichen waldlerhaus wird am Heiligabend das Kripperi aufgestellt, wobei unter dem Glanze von Wachslichtlein das göttliche Jesulein an­ gebetet und besungen wird. Leider noch nicht allgemein eingebürgert hat sich bei dem waldler der ursprünglich städtische Brauch ein Lhristbäumchen aufzustecken. Dieser Mangel am Verständnis für die Lhristbaumpoesie mag jedoch seinen Grund darin haben, daß der waldler in seiner derben Urwüchsigkeit in der rauhpautzigen Gestalt desNiklo ein Stück eingewurzeltes Volkstum sieht, das seinem Charakter mehr entspricht als das zatt-duftige Symbol der Weihnachts­ tanne. Aus diesen Gründen heraus erklätt es sich auch, daß die aller» orten übliche Lhristbescherung, die ja in ihrem tiefreligiösen Sinn

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ohne den Thristbaum kaum zu denken ist, für die Waldbauernkinder nur in bescheidenem Umfange geübt wird. Uleist sind es nur Früchte des eigenen Baumgärtleins, einfaches Hausgebäck und Erzeugnisse der heimatlichen woll- und Leinenwirkerei, die beschert werden. Doch auch den ganz armen Kindern bringt altes Herkommen ein Stücklein Weihnachtsfreude. Sie ziehen als sogenannte Bettelsinger von Haus zu Haus, wobei sie mit ihren schwermutsvoll eintönigen Gesängen um milde Gaben flehen. Die dritte und volkstümlichste der winterlichen Losnächte ist die Dreikönigsrauhnacht, wie schon der Name besagt, gilt sie der Verehrung der heiligen Drei-Könige als der besonderen Beschützer der Reisenden und Wallfahrer und als Hüter des Dauses. Im „geist­ lichen Schild gegen geistliche und leibliche Gefährlichkeiten" werden sie gegen die Fallsucht angerufen. Ihre Bedeutung kommt am besten zum Ausdruck in dem Gebrauche der Kirche, am Nachmittag vor Heiligen Drei-König Weihrauch, Wasser und Kreide zu weihen, womit dann vom Volke unter Gebeten am Abend sämtliche Räume der Häuser gesegnet werden. Das „Ränken*)", wie es der Be­ wohner des unteren Waldes heißt, geschieht in der weise, daß auf eine Pfanne mit glühenden Kohlen Weihrauchkörner gestreut werden und dann in Stuben und Kammern, in Ställen, Kellern und Boden­ räumen geräuchert wird. Der „Käufer” wird dabei von zwei Personen begleitet. Die eine spritzt mit einem Zweiglein vom Segenbaum den „Dreikönigsweihbrunn" aus, während die andere an Türen, Bettläden und Kästen mit der geweihten Kreide den Dreikönigssegen aufschreibt: 19 K+M+B 28. wie in der Thristnacht, so wird auch an diesem Abend dem Vieh nach der Fütterung geweihtes Brot, Kraut, Salz und Wasser verabreicht. Auch noch ein anderer Brauch wird geübt. Der Hausvater stellt inmitten der Wohnstube ein Räucher­ becken auf, dessen glimmende Kohlenglut er mit Weihrauch bestreut. Vater, Mutter, Ahnl*), Kinder und Gesinde setzen sich im Kreise herum und „raufen" sich über dem Becken die entblößten Füße und Hände, wobei sie halblaut ein „Vaterunser" beten. Nach altem Volksglauben sollen dadurch die Glieder neu gekräftigt und vor Schaden bewahrt werden. Das geheimnisvolle Rauhnachtsweben erfährt in der Dreikönigs­ nacht nochmals einen Aufstieg zu goldechter Volkspoesie, während bisher Sang und Brauch mehr auf den engen Kreis am Herde be-

30 schränkt blieben oder doch scheu verheimlicht wurden, sobald es sich dabei um ein Stückl Aberglauben drehte, werden sie heute vor alle Gffentlichkeit hinausgetragen auf Straßen und Gassen der Dörfer und Märkte. So ist die letzte Rauhnacht des Singens und Klingens voll. Das „Rauhanudl-*)" oder „Sternsingen", wie es im unteren Walde genannt wird, war vor 40 bis 50 Jahren hier noch allgemein üblich. Dabei beteiligten sich neben den in wilden Scharen herumziehenden Kindern vornehmlich Greise, die als Drei Könige verkleidet meist aus weit entlegenen armen Waldflecken heranzogen und ihre wunder­ vollen, alten Rauhnachtslieder sangen. «Liner Gruppe voraus schritt häufig ein weißgekleideter Sternsinger, der auf hohem Stabe ein drehbares Sternkästlein trug, in dem ein Wachslichtlein aufgezündet werden konnte. Nicht selten war der Sternstange eine Drehscheibe mit den kunstvoll geschnitzten und bemalten Figuren der heiligen Drei-Könige aufgesetzt, vor den Verbergen entspann sich unter fort­ währendem Drehen des Sternes ein Wechselgesang zwischen Stern* finget, Herodes und den Drei Königen. Heute sind fast alle die schönen Rauhnachtsgesänge-------- und wer weiß, wie viele perlen schlichtechter Volkspoesie darunter ge­ wesen sind-------- mit den alten liederkundigen Sängern ausgestorben oder doch verschollen. Und wenn sich der Brauch des Sternsingens auch noch da und dort erhalten hat, so ist er mehr oder weniger nur ein schwacher Abklatsch seiner einstigen Form, und nur äußerst selten ist unter den Dreikönigssängern noch einer anzutreffen, der wieder eine alte, schöne und herzinnige, von den Vätern ererbte Weise anstimmt. Mit dem „Rauhanudl-" oder „Sternsingen" hat sich der Blüten­ kranz all des Rauhnachffingens und -sagens geschlossen und die gemütvollste Zeit des Wahres ihren Abschluß gefunden. Mögen auch all die Bräuche, die während der zwölf geheimnisvollen Winternächte geübt werden, da und dort voneinander abweichende Formen an­ genommen haben, sie alle haben denselben tiefen Sinn, da sie wie eine weitverästelte Blütenkrone aus einem Stamm hervorgewachsen sind: Uraltes Stammes- und Volkstum hat ihnen den Gehalt, die Scholle der Heimat trauliche Wärme und Farbe verliehen.

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Alre Krippenlieber. (Aus den Eiebern meiner Großmutter.)

I.

G Gnadenrose Helle, lvach' auf im Morgenrot Und treib' von Tür und Schwelle Den Teufel und den Tod! G Gnadenrose Helle! Maria ist die Röte — was ihr im Schoße lag Und alle Menschheit flehte, Das springt allnu zum Tag. G Gnadenrose Helle!

Gott willt uns all begnaden: All Lieb er uns verlieh, Hat er ihr aufgeladen Und wandelt her durch sie: E) Gnadenrose Helle!

Li, seht das Knöfpletn liegen: 's ist Gottes All-Lrbarm', Auf windeln und auf wiegen Lin Rindlein bloß und arm: Kittb. Venn deutsche Meister deutsches Herdglück zeichnen, so formt sich ihrem Gemüt ein hohes Frauenbild in erdiger frische mit einer strahläugigen Kinderschar. Und so dachte sich schon der rauhe Wald­ germane sein Herdglück: Hoch und unantastbar Weib und Kind! wer des Herdes holden Kreis störte, galt als schändlichster Friedebrecher und wurde den Gewalten der Nacht ausgesetzt. Wölfe und Bären richteten ihn, wenn nicht Donar selbst mit schmetterndem Hammerwurf sein Haupt spaltete; denn Donar und die kinderliebende Berchta waren die häuslichen Schutzholden. Sie schwebte auf den Wolken mit den Scharen der abgestorbenen Kinder um die Heim­ dächer, hütete ihren Frieden und erfüllte Muttersehnen und Mutter­ glück. An ihre Stelle setzte das Lhristentum die heiligen Mutterbilder Annas und Marias und demgemäß woben fortan zwei Geisteswelten in Sage, Sitte und Brauch um die deutsche Mutter. Nach deutschem Kinderglauben beißt der Storch die Mutter ins Bein und legt ein Brüderlein oder Schwesterlein in die wiege. Gr zieht die kleinen Erdenbürger aus Gumpen oder Brunnen, die nunmehr Marien geweiht sind, während sie in germanischer Vorzeit die Türen zu Fryas oder Berchtas Nebelreich waren. Auf dem Grunde -er Flüsse und Seen lag ihr kristallener Palast und dort dehnten sich die mondbeglänzten wiesen, worauf sie mit -en noch ungeborenen Kindern mütterlich scherzte, während über den dunklen Fluten ihre heiligen Vögel ruderten, um für die Menschenmütter nach lieben Kindern niederzutauchen. Das reizende Storchenmärchen ist also eine rein heidnische Blüte, die deutsche Kinder ergötzen wird, solange Unschuld und Einfalt ihr Gemüt beglückt, viel nüchterner klingt da­ gegen die Sage vom Kinderkauf bei der „Höfangön"*), wie man sie den waldlerkindern erzählt, um schließlich die Neugier der Kleinen auch vor den unerschöpflichen Kinderbrunnen des Märchens zu führen, aus -em hier nicht der Storch sondern die Hebamme die Kinder zieht. Ein allbayerisches Kinderliedlein läßt die holde Nestbrut in Sachsen wachsen und sie von Marienkäferchen ins Land tragen. )m Gäuland holt man die Kinder aus dem Ofen — und Vater Schlicht erzählt

174 hiezu die gar lustige Geschichte von einem jungen Pfarrprovisor, der einen tüchtigen Bauernvater zum Hafner schicken wollte, weil er um die heilige Taufe mit den verblümelten Worten bat: „£?err Provisa, i tät halt schö bitt'n! Bei uns dahoam is da (Dfa eibrocha!" Eindringlich äußert sich im Kult die Frauensorge um Eheglück und Kindersegen. Unser altbayerisches Volksleben ist an solchen Äußerungen, die oftmals tief in graue Zeiten zurückgreifen, nicht arm. Neben Anrufformeln und Gebetsgängen zu den Weihestätten der großen Geburtsheiligen und Kinderfreunde — Anna, Maria, Leonhard, Nikolaus u. a. — sind es namentlich die hier gestifteten Votive, die uns wertvolle Aufschlüsse geben und Zusammenhänge mit uralten Anschauungen und daraus vererbtem Brauchgut auf­ decken. Wachsherzen und sinnige Gefäßformen sind heute häufig vorkommende Weihgebilde, die werdende Mütter auf die Altäre legen, und sind echt christliche Weihegaben, die aber doch aus heid­ nischen Opfern hervorgegangen sind. Zm Rott-, vils- und Znntal opferte man bis in die späte christliche Zeit herauf Kopfdreier, Hämmer und Nägel, um Kindersegen zu erlangen. Die Hammervotive aus Eisenguß, Holz oder wachs erinnern zu deutlich an Donars Segenshammer, von dem die Mythologie erzählt, daß man ihn Bräuten zur Vermählung als Segenssymbol in den Schoß legte, während ihn die mittelalterliche Marienminne gleichfalls übernahm und die Gottesempfängerin im Liede sprechen läßt: „der smit vom oberlande warf sinen Hammer in minen shoz". Leonhard, der als Schoßsegner und Geburtshelfer später an Donars Stelle getreten ist, schuf als Gegenstück zum Hammervotiv den „Leonhardinagel" — und daß diese Weihegaben im Niederbayerischen einst sehr verbreitet und allbekannt waren, bezeugen die erotischen Begriffe „nageln" und „hammerln", die heute im Volke noch gang und gäbe sind. Die Kopfdreier oder „kedernen Köpferl" sind Votivreste aus der römischen Zeit Altbayerns — kopfförmige Urnengebilde, die mit dreierlei Ge­ treide angefüllt der Venus und Zuno geopfert wurden und sich schließ­ lich zu gleichen Zwecken in unseren Kult herübergerettet haben, näm­ lich um Liebe zu wecken und Kindersegen zu erlangen. Dem heiligen Leonhard, dem wundertätigen Entfesseler, zu Ehren tragen hoffende Mütter häufig eiserne Kettlein um den Hals, damit er sie in seine Hut nehme, sie vor dem so gefürchteten versehen bewahre und kein ungestalt Kind unter ihrem Kerzen wachsen lasse;

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denn auch stark dämonische Einflüsse wirken auf die werdende Mutter. Entsetzen vor dem Feuer brandet mit Blutmalen oder roten Maaren das Kind; das Erschrecken vor Tieren schlägt es mit Hasenscharten, rüsselartigen Wulsten, Lappohren und anderen verzwergten oder ausgewachsenen Unfürmen, die von außenher durch seelischen Fluß in den Mutterleib getragen werden. Auch Bärlapp im Gürtel hat dämonenwehrende Kraft. Jede hoffende Frau soll ein rohes Antlaßei (vom Gründonnerstag) oder, wenn ein solches nicht zu haben ist, ein gewöhnliches Donnerstagsei samt der Schale genießen, damit sie ihr Kind gesund auszutragen vermag und das Neugeborene ohne Brüchlein zur Welt kommt. Käme es aber trotzdem bruchhaft, dann wäre es zur Behebung des Leibschadens durch einen nicht mit der Holzaxt sondern mit dem „Dunnerkeil" (Blitzstrahl) gespaltenen Lichenkloben zu ziehen. Bekannt ist der Sympathiezauber, mit dem Mütter auf ihre Leibesfrucht günstig wirken können. Das Anliebeln von Kindern öder das versenken in Kinderbildnisse überträgt Züge des betreffenden Kindes auf das Eigenkind, wie überhaupt das Seelenleben der Mutter in der hohen Zeit mächtig auf die Kinderseele einwirtt. So kann ein Vöglein im Bauer mit seinen Melodien Frohsinn und Sangesgabe erzaubern, wiewohl die Volksmeinung im allgemeinen hoffenden grauen den Umgang mit Tieren abrät und dafür alle Beschäftigung mit Erde und Wasser empfiehlt. Auch die Zeitwählerei spielt im mütterlichen Leben eine bedeut­ same Rolle. Die Donnerstagskinder stehen dem Volksglauben nach in ganz besonderer Hut, sie sind gefeit gegen Unglück und gewalt­ samen Tod. Lin Donnerstagskind kann sich nicht erfallen, kann nicht verbrennen, ersticken oder ettrinken, wenn es die Mutter nicht über­ sieht und unglücklicherweise gerade an einem Donnerstag mit dem Abstillen beginnt. Die Samstags- und Sonntagskinder erhalten alle der Muttergottes goldenen Sonnenschein mit ins Leben. Was sie anfangen, gelingt und schlägt ihnen zu eitlem Glück aus. Sie finden die Springwurz und blaue Märchenblume, mit der sich böse Zauber lösen und vergrabene Schätze heben lassen. — Als Unglückspilze gelten dagegen die Mittwoch- und Freitagskinder. Man sagt, sie gedeihen nur schwer, bereiten ihren Eltern Kummer und Sorge, und vieles im Leben mißrate ihnen. An beiden Unglückstagen haben nämlich dem Volksglauben nach die Truden und Hexen besondere Macht, und wie sie im Stalle Unheil stiften können, so auch in der

176 Kinderstube. Mittwoch- und Freitagkinder wechseln sie gerne aus und legen dafür Wechselbälge in die wiegen, viel unsinnige Rei­ merei treibt der „allwissende" Volksmund mit der Vorausbestim­ mung des Geschlechts der kleinen Erdenbürger. Man will es aus den Linien und der Äderung der Mutterhand lesen, die, wie der ganze Frauenleib, während der Segenszeit einer Umwandlung unterworfen ist Hält die Handfläche zu den neun Monden ohne merkliche Ände­ rung die Mädchenlinie, dann steht ein Töchterlein zu erwarten, andernfalls ein Knabe. Summarisch aber singt der altbayerische Volksmund: „Bal's Korn amol weg ist, baut ma d'Ruam — und bal's recht viel Nuss'n gelt, geit's a viel Buam!" — wenn sich die ersten Geburtswehen entstellen, dann hat der Altknecht per Achs die Hebamme zu holen, während der Bauer als Nothelfer und Beiständer nicht vom wehlager weichen darf. Er hat um den Arm der Wöchnerin einen Ring vom Wachsstock zu legen und Trinkschale und Löffel mit dem heiligen wachs zu betropfen. Sofort nach der Geburt wird das Kindl zum ersten Bad in ein altes pfaid des Vaters geschlagen, womit dieser seine Vaterschaft anerkennt. Ist dann der Stammhalter aus dem Sumpf, dann wirft sich der Bauer in seinen „Langen" und begibt sich der Vatergeschäfte. Zu­ nächst geht er ins „Ansagen" zum Bürgermeister und Pfarrer und dann ins „Böt'n", damit sein Bub einen standesgemäßen Taufgöd'n bekommt. Lang läßt man dem kleinen Bauern seinen Heidenschädel nicht ungewaschen. Längstens nach zwölf Stunden muß er ein Lhristenmensch sein... Und so verläßt die Taufgesellschaft — Kinds­ vater, Göd, Hebamme und Kind — gar bald das Weh- und Freudenstüberl*), nachdem man die Mutter noch tüchtig mit Weihbrunn be­ sprengt hat. Meist hält man sich an den Brauch und gibt dem Kinde den Namen der „Go'n"*) oder des „Göd'n"*). Nach der Taufe findet beim Wirt das „Kindlmahl" statt, und der G'vatter hat, nach­ dem der letzten Flasche der Hals gebrochen ist, der „Höfangön" das landübliche „Einbindgeld" zu geben. Etwa nach zwei Wochen kommen die G'vatterin und auch ansonst verwandte und bekannte weibertsn ins weiserts*) und bringen ihre Geschenke vor, die G'vatterin*) (wenn er noch nicht gegeben ist) den Tauf- oder Glücks­ taler fürs Kind und für die Mutter geflochtene Eierfladen, Eier, eine Kugl Butter, ein Hafer! voll Schmalz oder Rahm und zur Würze ein paar ausgesuchte schöne Zwiebeln. Ist alles zu Ehr' und Zu-

177 friedenheit des Dauses ausgebreitet, dann tischt die glückliche Mutter der G'vattettn das weisettsmahl auf und bei Guglhupf und Kaffee entspinnt sich ein gemütlicher plausch, dessen natürlicher Kern Mutterschaft und Kind im allgemeinen und im besonderen ist. Die zwei oder drei Wochen nach der Entbindung soll die Mutter nicht „aus dem Dach" — und dann soll ihr erster Ausgang zur Kirche sein, um dott durch Gebete und Beschwörungsformeln gereinigt und herfürgesegnet zu werden — ein alter Brauch, der früher mit Tauben­ opfern verbunden war, gemäß dem Reinigungsopfer Mattens. Kirche wie Volk hält auf dem Lande an der Hervorsegnung fest. Line Hausmutter, die noch nicht fürgesegnet ist, soll den Stall nicht betreten, da sonst das Glück aus ihm weichen könnte, auch soll sie mit bloßen Händen kein Salz berühren, weil sonst das Kind leicht von Krätzen und Ausschlag befallen werden könnte. Solange ein Weib nicht fürgesegnet ist, muß es der Mann allabends mit Weih­ wasser besprengen, sonst gewinnt der Teufel Macht über ihren Leib und ihre Seele. Die Hervorsegnung beginnt in der Vorhalle der Kirche, wo die Wöchnerin niederkniet, bis ihr der Priester die Stola um die gefalteten Hände bindet und sie stufenweise unter sinnreichen Kulthandlungen ins Gotteshaus einfühtt, zum Annen- oder Matten­ altar. Statt der Tauben opfert man nunmehr Lichter, die ebenfalls die Reinigung versinnbilden. )m Bayerischen Walde ist es da und dott noch gebräuchlich, zum kichtopfer sechs Weißbrote und einen Bund Flachs zu legen. )m Rottal stülpen sich die Wöchnerinnen, wenn sie schon wirklich vor der Hervorsegnung zu dringenden Ge­ schäften das Haus verlassen müssen, breitkrempige Hüte auf, um gegen Dämonen „unter Hut und Dach" zu sein, und der waldler erzählt sich zu diesem Kapitel eine gruselige Sage: Lin Holzbauern­ weib verschmähte die sakramentale Gnade der kirchlichen Reinigung. Als ihr Hausherr eines Tages über Mitternacht ausblieb, schlüpfte der Teufel durchs Hühnerloch in Kobel und Haus und entfühtte das laue Weib. Der darob trübsinnige Mann bot nun das letzte Mittel auf, um sein Hauskreuz zu retten. Lr begab sich mit dem Geistlichen, der ihn getraut und mit drei Musikanten, die ihm zur Hochzeit auf­ gespielt, an den nächsten Kreuzweg bei seinem Hofe, während der Priester den Kopuliersegen betete und die Musikanten dazu wie rasend fiedelten, fuhr das Weib heulend und wehklagend durch die Lust und beschrieb drei Kreise um den Bauern, vor Entsetzen aber 12 Mayrhofer, Ahnenerbe

178 vergaß er sie in der ersten Runde zu packen. Der zweite Rundflug hatte sie schon wieder der Erde enthoben, und beim dritten ver­ schlang sie der höllisch windende Sturm. — Arge Not und manch schlaflose Nacht haben die Mütter mit den ersten Krankheiten und Beschwerden ihrer Lieblinge, namentlich mit dem Fraisen und Zahnen. So manches Kindlein verhaucht darob seine kaum entzündete Seele. Diese Übel haben denn auch die Volks­ medizin mit all ihrem geheimen Zauber scharf angeregt, und sie greift in Beachtung der gänzlich hilflosen Natur des Kindes am liebsten zur Sympathieheilung. Die Kinderfraisen sind Nervenkrämpfe, die häufig in Verbindung mit der Zahnbildung auftreten. Gegen sie wendet man den Grünstein (Malachit und Nephrit), besonders gern die Koralle als Perlreif um die Ärmchen oder als Halskettchen an. Diese Amulette sind südlichen Ursprungs wie überhaupt viele Mittel unserer altbayerischen Volksmedizin. Schon die Römer benutzten sie, wie Plinius berichtet, gegen den bösen Blick, und die keltischen Land­ sassen trugen sie von den Römern übernehmend zunächst als Schmuck, weil aber das wilde Kelten- und Germanenvolk die natürlichen Zu­ sammenhänge zwischen Fraisen und Zahnen nicht erfassen konnte, glaubte man Jahrhunderte hindurch, das Leiden sei dem Kinde durch Dämonen angehext, und führte dagegen den Gebrauch der Korallen­ amulette im römischen Sinne weiter. Schon die Beobachtung allein, daß die Koralle am blutwarmen Leib ihre Farbe ändert, machte sie in den Augen der Alten zu einem wunderbaren Zauberstein, dem sie übernatürliche Kräfte zuschrieben. Sie zieht nunmehr dem Volks­ glauben nach die Bluthitze an und stillt die heißen Fraisen. Nach einem alten Fraisbriefe aus wild enranna (Bayr. Wald) unterscheidet das Volk bei Kindern und Erwachsenen siebenundsiebzig Fraisen, so z. B. die „Reißende Frais, die Rothe Fraiß, die Dorrende Fraiß, die Zitternde Fraiß, die Stoßende Fraiß, die Spreitzende Fraiß" usw. Der Brief wendet sich gegen den Teufel an die heilige Familie und ist dem Fraiskranken vierundzwanzig Stunden auf die Brust zu legen. Nach dieser Zeit muß sich sein Leiden wenden — „es seye zum Leben oder Sterben ... O JEsu — Amen". Die Anwendung der Frais­ briefe und Fraisbildchen (Jesukindlein) muß geheim sein, und sie sind von der Brust des Kranken weg sofort im Feuer zu vertilgen, höchst unappetitlich und grausig ist der Rat, den die Volksmedizin den Vätern erteilt, wenn ihre Kinder schwer zahnen: Liner lebendigen

179 Maus wäre der Kopf putzweg zu beißen und dem Kindl um den Hals zu hängen. Aber was tut die vaterliebe nicht alles?! Harmlose Kinderbeschwerden sind der Mehlhund (= mund) und der „kleine Frosch". (Ersterer wird einfach mit einem Stäbchen aus Grünholz abgekratzt und Gaumen und Zunge mit Kamille betupft. Das Speien sieht man zunächst nicht ungerne gemäß dem Spruch: „Speikinder, Gedeihkinder" — wenn es jedoch infolge von Rachen­ erkrankungen zu ständigem Speichelfluß ausartet und der Schleim des Kindes Lippen und Kinn bis zur (Entzündung rötet und schmierschlüpftig wie eine Froschhaut macht, dann schreitet die Volksmedizin dagegen ein. An einem Frauentag ist ein Frosch einzufangen, in einen Lappen zu nähen und im Kamin zu selchen. Die ausgeschwun­ dene Froschhaut wird alsdann dem Kinde um den Hals gehängt und so der Frosch vertrieben. Als „großen Frosch" oder „Frauen­ frosch" bezeichnet der Volksmund Leiden an der Gebärmutter, die ebenfalls Schleimabsonderungen zur Folge haben und bei Krebs­ erkrankungen sogar übelriechende, mißfarbene Stoffe ausscheiden wie eine eklige Kröte, wenn sie speit. Der Frauenfrosch in seiner schlimmsten Artung kann aber nur durch den Arzt geheilt werden, und fast immer wird von den Frauen seine Heilung als übernatür­ liches Wunderwerk betrachtet, weswegen sie an den Gnadenstätten der Geburtsheiligen hierfür eigene Votive stiften — und so kann man an unseren altbayerischen Kultstätten neben wächsernen Haus­ tieren, Augen, Herzen, Lungen, Gliedern, Gefäßen, Nägeln, Häm­ mern usw. auch wächserne Kröten und Frösche finden, wie kaum ein zweites Gebiet der Volkskunde so reich und man­ nigfach an uralten Überlieferungen, an Sitten und Bräuchen ist das Liebesleben des einfachen Volkes — ist es doch schlechtweg das Leben überhaupt, womit wir es erfüllen, des wird es quellen. Freuen wir uns deshalb an dem erdwüchsigen Mark und an dem tiefen Gemüt, das die deutsche Mutter und ihr Kind umhegt. (Es ist ein Teil unserer Stärke. Und stark sein heißt „leben"!

Wiegenreimchen unt> Rttzelverse. I. Schlaf, Kindlein, schlaf, Zm Garten gehn die Schaf, Die schwarzen und die weißen,

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Die tun mein Aindlein beißen! Schlaf, Aindlein, schlaf, Dein Vater ist ein Graf, I?at viele Schäflein, Hund' und Roß Und auf dem Berg ein hohes Gfchloß Schlaf, Aindlein, schlaf!

II. Ri, ra, rutsch, lvir fahren in der Autsch: Aus Gold sind ihre Rädlein, Zwei Mäuschen ziehn die Mädlein. Ri, ra, rutsch, Sie fahren dich auf eine Au, Dort sitzt am Rocken eine Frau Und spinnt in Mondenschein und lvind Ein Hemdlein für mein Kind!

III. Hutscherl und heierl! wart' du klein's Fratzerl*), Nimm's Suzerl*) ins Meierl, Sonst frißt's dös schwarz Aatzerl! Sonst kommt da Rauhwuckl*) Mit'm Rauhwackl*), Nimmt von sein'm Buckl ’s Airmal*) und 's Sack! Und tragt zum lveiher Die kleinen Iochgeier. IV. Rößerl b'schlag'n, Rößerl b'schlag'n, wieviel Nager! muß man hab'n? Eins, zwei, drei, Und a Fuder Heu Und a Fuder Mandlkern Frißt mein Rößerl gar so gern! Ist mein Rößerl b'schlag'n, Spann ich's an den wag'n, Und gib ihm auf den pitsch*) und patsch*)

181 Mit der peitsche einen Klatsch. Hü, Rößerl, hü!

V.

Beim Betzerlhüten beißen die Schnaken 's Kinder! in Wader! und in Nacken. Schiwiwiwi. Kann er nicht kratzen, der kleine Gauch*), weil er liegt auf Ärmchen und Bauch. Schiwiwiwi. Kann nur strawampeln unser Kleinchen Nach den Schnaken mit den Beinchen. Schiwiwiwi. Michael.

Die hohe Bedeutung, die Sankt Michael im deutschen Leben gewonnen hat, wurzelt einerseits in der christlichen Glaubenslehre über ihn, anderseits in beziehungsreichen, germanischen Vorstellungen, die auf ihn unschwer übertragen werden konnten und ihn somit dem deutschen Wesen besonders naherückten. In der Festlegung seines Festes zum Herbstbeginn (29. September) lag gewiß eine feine Ab­ sicht der Kirche; denn kein anderer heiliger war in allen Zügen so sehr geeignet, den alten Wotan, dessen hochfeste ja in den gerbst fielen, zu verdrängen, als gerade der Erzengel Michael. Zunächst stürzte er ihn als Segens- und (Erntegott, wie er an der Spitze der himmlischen Heerscharen Luzifer mit dem Streitruf: „Quis ut deus“ aus dem Gottesreich schmetterte. An Wotans graue Kultstätten, die meist auf Anhöhen und Bergen thronten, pflanzte er fein Sieg­ banner und ließ schon zu des heiligen Bonifazius Zeiten über den Göttersteinen zahlreiche Michaelskapellen und Michaelskirchen erstehen. Seitdem kennt der deutsche Bauer zwei große Herbstheilige und sagt von ihnen: „Der Michel mahnt, der Marti zahlt" — Martin ist nämlich der zweite, nicht minder wichtige Erbe Wotans. Ihre Namenstage am Ende des bäuerlichen Arbeitsjahres waren einst das, was Lichtmeß noch immer an seinem Eingang ist: Ziel-, Zahlund Umstehtag. Für den Bauern hieß es nun nach der Ernte sein Schuldensäckl beuteln, Gilt, Zins, Zehnt und andere Gefälle ent­ richten — und mancher Dienstbot' mußte sich den Gehstecken schneiden. Drum waren es nicht immer freundliche Gesichter, die dem Michl

182 und Marti entgegenschauten. Als Nachfolger des germanischen Wetter- und Wolkenvaters ist Michael auch bäuerlicher Wettermacher geworden, und so reimt der Bauernmund: „Wenn Michl sät, ist's nimmer z' früh und noch not z'spät", „Kommt der Michl mit 'm Reg'n, wird der Winter net gor streng", oder: „Der Michl putzt d' Latern und der Marti zünd't f an". Im Rottal heißen im Einklang mit diesem Bauernspruch die Handwerksleut den Montag nach Michaeli den „Lichtbratlmontag", weil er einst als „blauer" Montag bei Braten und Trunk gefeiert wurde, bevor am folgenden Tag in den Werkstätten die Lichtarbeit begann. Eine große Zahl altbayerischer Pfarrkirchen aus dem 8. Jahrhundert — also aus jener Zeit, wo die Ehristianisierung sich allgemein verbreitete und festigte — hat Sankt Michael zum Patron, weswegen früher die Michaelskirchweihen in unserem Volksleben hohe Bedeutung erlangt hatten. Dies kenn­ zeichnet das noch laufende Wort: „Zu Michaeli ist Kirchweih im Fimmel und auf Erden!" Heute hat der Allerweltskirta den Michelskirta verdrängt, doch zieht dieser immer noch testierende Spuren im altbayerischen Volksleben. Um Michaeli beginnen nämlich überall auf dem Lande „die letzten alten Biere" zu fließen, und eine behaglich­ herbstliche Schmauserei hebt dazu einträchtiglich an, wobei Unmengen von Gickerln, Ganserln und sammeln — übrigens lauter altgerma­ nische Ernteopfertiere — ihre Himmelfahrt machen. Der alte Wotan galt den Germanen aber auch als Totenführer, als Gott des Gerichts und Seelenwäger. Er brachte die gefallenen Krieger auf geflügeltem Sturmroß nach Walhall und tritt in der nordischen Sage, in der naturgemäß mächtig das Meer rauscht, als Fährmann auf, der die Toten über die dunklen Wasser ins jenseitige Schattenreich rudert. Mit den Geistern der unselig Abgeschiedenen und allerlei bösem Getier läßt ihn heute noch das deutsche Bergvolk als wilden Jäger im Nachtgejaid durchs herbstwinterliche Sturm­ wüten über Wälder, Seen, Weiher, Möser und zerfallene Friedhöfe brausen. — Auch sein Totenführer- und Richteramt konnte ihm der heilige Michael abnehmen; denn schon im Alten Testament lesen wir, daß er die drei Jünglinge aus dem Feuerofen führte und die Seelen der Verstorbenen auf den Altar Gottes brachte. Nach dem Berichte des Apostels Judas Thaddäus stellte sich der feurige Erzengel dem Satan entgegen und rang mit ihm im Tale Moab um den Leichnam des Moses, den Gott hier begrub, damit sein Grab ewig verborgen

183 bleibe. Der Satan stützte seinen Anspruch auf die im heiligen Moseszorn erfolgte Ermordung des Ägypters. Michael aber rang dem Teufel die Leiche ab als die eines Gerechten, die in Gottes Frieden ruhen soll. Als Seelenwäger und Richter erkennt auch der große Kirchenlehrer Basilius (gest. 379) den heiligen Michael dn, und so aufs beste ein­ geführt, tritt der Erzengel in der christlichen Liturgie, im chttstlichen Totenkult und in der mittelalterlichen Kirchenkunst auf. )m Requiem wird er vom Priester beim Offertorium also angerufen: „Lhristus befreie die armen Seelen aus dem riefen See, und du, Fahnenträger Michael, Führer der himmlischen Heerscharen, geleite sie zum heiligen Lichte!" — Auf alten Friedhöfen sind ihm vor allen anderen Heiligen Kapellen und Beinhäuser geweiht, und an vielen Seen und lveihern, wo sich die Germanen die Pforten ins Totenreich dachten, stehen Kirchen, die Sanft Michaels Schild und Namen tragen. So wurde er auch im Nebenamt zu einem unserer lvasserheiligen, in dessen Hut man besonders die Heilquellen gab. Michelsbrunn, Michaelsbuch, Michelsbach usw. sind Orte, wo vermutlich schon der uralte lvotan als Führer und Färg gefeiert wurde. Die fränkischen Gaugerichte und selbst noch viele Hofmarkgerichte wählten sich den Sanft Michaels­ tag oder seine Zeitumwende zu ihren Volksthingen und Michael hielt über der Tagung wage und Schwert. Die mittelalterliche Malkunst und auch Kirchenmaler unserer Zeit stellen St. Michael als einen Heldenjüngling dar, dem edle Be­ geisterung aus dem schönen Gesichte flammt. Sonnenhell brennt seine Brünne und stets zum Kampf gerüstet zückt er das Schwert, während aus seinem Schilde der himmlische Streitruf: „Quis ut deus“ in goldenen Lettern loht. )m Sturmschritt setzt Michael den ge­ schienten Fuß aufs giftgeifernde Drachenhaupt. Hier ist er ganz Krieger nach den Erzählungen der Kirche von seinen Satanskämpfen und seinem Ringen um Israel, dem er zuletzt in den makkabäischen Kämpfen als feuriger Reiter obsiegenden Beistand leistete. Raftael malte ihn als Richter, der in der wage Seelen wägt, und auf vielen Bildern des jüngsten Gerichtes finden wir ihn in ähnlichen Zeich­ nungen unmittelbar vor dem Heiland, der alles Fseisch zur Scheidung von Gut und Böse erweckt. Die kriegerischen Motive, die Sanft Michael ebenfalls mit dem sagenhaften Schlachtenvater lvotan teilt, machten den Mberfürsten der Engel und den Schwertträger Gottes schon'in altritterlicher Zeit

184 zum Bannerhelden und Schutzherrn Germaniens. Mit dem Schlacht­ ruf: „Hie Schwert des Herrn und Sankt Michael!" entschieden die streitbaren St.-Gallener und Reichenauer Mönche nach Lllaks Fall die Hunnenschlacht am Hohentwiel, und in der Ungarnschlacht vor Merseburg (933) und auf dem Lechfeld (955) entrollt er das Reichs­ banner, auf dem er den Höllenwurm zertritt, und führt den deutschen Troß gegen die hunnischen Teufel. Die Ritter erklärten ihn neben St. Georg zu ihrem Schwertheiligen, und unter seinem Anruf wurde der Ritterschlag vollzogen. Ritterorden bildeten sich unter seinem Namen, und mit dem heiligen Michael am Bande wurden fürderhin verdiente deutsche Männer ausgezeichnet. Seit der großen Ungarn­ schlacht auf dem Lechfelde ist er der besondere Beschützer Augsburgs geworden, und der Perlachturm mit seinem „Tura Michele" ist eine Sehenswürdigkeit, die man kennen muß, will man von Augsburg reden. Die Michaelizeit oder die Zeit der „Gnad" ist im Niederba^erischen für die Deggendorfer von großer Bedeutung geworden durch ein Gnadenwunder aus der Zeit der Judenverfolgungen. Ls wird nunmehr alljährlich in dem schönen „Festspiel vom heiligen Mirakel" weiten Volkskreisen, die zur Wallfahrt herbeiströmen, vorgefühtt. Line Steintafel in der Grabkirche besagt in gotischer Schrift: „Anno domini MCCCXXXVII des nächsten Tags nach Santt Michels Tag wurden die Juden erslagen. Di Stal sie anzunden. Da batt Gates Laichnam funden, daz sahen Fraun und Man, do hueb man daz Gotzhaus ze baun an." Die Sage, an die sich im allgemeinen auch das Mirakelspiel hält, berichtet, daß eine Dienstmagd, die den Juden ihre Kleider versetzt hatte, diese um Geldeswett nicht mehr einlösen konnte, dafür aber den Juden zehn konsekrierte Hostien verschaffte, indem sie zehnmal zum Sakramentstisch ging. Alle Versuche, die Hostien zu verunehren und zu vernichten, scheiterten, und so warfen sie dieselben schließlich in den Stadtbrunnen und vergifteten ihn. Die Wächter der Stadt erhielten von dem greulichen Doppelver­ brechen durch wunderbare Fügung Kenntnis, und so entbrannte eine schreckliche Judenverfolgung. Die heiligen Hostien wurden alsdann durch einen neugeweihten Pater von Niederalteich aus der Tiefe gehoben und über ihnen auf dem Platz der Untat die heilige Grab­ kirche erbaut. Mit der Deggendorfer „Gnad" —• der achttägigen Wallfahrtszeit — ist ein fröhlicher Jahrmarkt verbunden, und jeder

185 Besucher von auswärts kauft da seinen Lieben daheim ein Andenken, sei's ein Lebzeltenherzl, ein Ringer! oder sonst was, das er mit den Worten spendiert: „Das hab' ich dir in der ,Gnad' kauft .. Der gemütliche Altbayer rückt sich 5t. Michael, den stolzen Arie­ ger und Ernteheiligen, ganz nahe ans Herz und will ihm sein kern­ bayrisches Wesen und seine geruhsamen Züge vertrauen, indem er ihm in die Hand statt des flammenden 5iegschwertes die 5ichel drückt und aufs Haupt statt der 5onnenkrone die waschechte Zipfelhaube stülpt, von welch beiden Zeichen warme Gemütsbächlein volkstüm­ licher Art auf das Bild des Heiligen überlaufen. Der himmlische Michel ist also unter den Bauern ganz ihresgleichen geworden und muß es sich schon gefallen lassen, wenn sie ihn mit den Tausenden seiner erdigen Namensvettern fidel ang'stanzeln. Auf gut nieder­ bayrisch : „Da deitsche Michl Hot a 5ichl Und a Zipföhaum dazua — Dö zoigt a einö üba d'Ghrn Und schneid't sein woaz und drischt sei Korn Und möcht sei Ruah!"

Ebenso auf gut oberbayrisch:

„An z'rissna 5tiefö und koan Knopf am Rock, An z'brochna Hofadeckl, der net hebt, Und der Deitsch Michl mit da Zipflkapp'n Bleibt a 5chlofhaub'n, solang er lebt!" Der deutsche Michl ist aber auch über die Landesgrenzen hinaus in dieser Zeichnung bekannt als ein handfester, gutmütig-klobiger Kerl mit krachledernen Manieren, der sich nur schwer aus seiner 5teinruh aufwälzen läßt und wegen seiner biederen Ehrlichkeit um so leichter zu betrügen ist. Erwacht er aber aus dem 5chlaf, dann wird er der „heilige "Michl, dem edle Begeisterung aus dem frischen Gesichte flammt. 5onnenhell brennt dann seine Brünne und statt der fried­ lichen 5ichel zückt er das 5chwert, während aus seinem Banner allen Urteufeln und Widersachern der alte Fahnenhymnus in drohblitzenden Lettern entgegenloht:

O ma'gnae heros gloriae, dux Michael! Protector sis Germaniae!

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Die bUue Bergblume. Line der ehrwürdigsten Kulturpflanzen, welche die Germanen schon lange vor dem Getreide gekannt und gehegt haben, ist der Flachs. Dieses rauhe Gewächs unserer Berge hat wie die Weinrebe auf den Sonnenhügeln des Südens feine eigene lieder- und märchen­ umwobene Geschichte. Wenn in den goldhellen Septembertagen die Buchen den Rand der Gehölze fuchsrot umlodern und aus den Stoppeln herber Lrdgeruch weht, dann blüht aus seinen späten, blaßblauen Sternen wie ein Frühlingstraum all das Sagen und Singen auf. Nur ist davon in den siebenweisen Büchern nichts zu finden. Will man seine Geschichte hören, so muß man in die Linschicht steigen und sie den kleinen Leuten warmweg vom Munde ablesen. Und was ich von ihm erfahren konnte und was mir aus Großmutters Tagen noch heraufklingt, das sollst du hören vom Flachs, der blauen Blume unserer Berge. Ich meine, daß es auch notwendig erscheinen dürfte, hierüber einige Aufzeichnungen zu machen; denn soweit verbreitet in unseren Gegenden früher der Flachsbau auch war, heute sieht man nur mehr selten dieses heimische Gewächs. Spinnrad und Webstuhl gar, sie liegen untätig in irgendeinem Bodenwinkel — und wenn sie in geringem Maße wieder zu Ehren kamen, so haben das nur unsere lausigen Zeiten mit ihren zwingenden Notwendigkeiten verursacht. Aber die beim Spinnen und Weben dereinst so gemütvoll gepflegte Poesie der blauen Bergblume scheint für immer eingeschlafen zu sein. Und so möchten diese Blätter einen bescheidenen Beitrag liefern, sie vor gänzlicher Vergessenheit zu bewahren. vor fünfzig Jahren etwa war der Flachsbau und die mit ihm so eng verbundene Spinnerei und Leinenwirkerei im Bayerischen Walde noch allgemein verbreitet und im ganzen Lande rühmlichst bekannt. Ls gab da, namentlich im unteren Walde, keinen Bauern, der nicht alljährlich seine zwei- bis dreihundert Flachspinkel ein­ gebracht hätte. Grte wie Sonnen, Wegscheid, Breitenberg und noch manch andere haben aus diesen Zeiten her, wo doch der Wald seiner Abgeschlossenheit und Unwirtlichkeit halber als das „Bayerische Si­ birien" verschrieen war, ihren guten Klang bewahrt. In den Märkten des unteren Waldes halten sich schon frühzeitig Zünfte aufgetan, welche die Leinenweberei neben dem allerorts häuslichen Betriebe handwerksmäßig übten und zur höchsten Blüte entfalteten.

187 Und nun nach dieser kurzen Abschweifung möchte ich dich, lieber Heimatfreund, mit einigen Gepflogenheiten vertraut machen, die sich um die Arbeit am flachse knüpfen. wenn längst schon die Felder ihrer goldenen Tracht ledig ge­ worden sind und silberne Herbstnebel aus den Schollen dampfen, dann steigt der waldler in den „Hoar"*) und rupft ihn bündelweis mit Stumpf und Stiel vom Acker. Unmittelbar nach der Flachsernte wird der Flachs in der Tenne geriffelt. Dies geschieht zumeist nächt­ licherweile. Beim Geflimmer etlicher Fusellichter, die an den Pfosten herumhängen, beugen sich die sehnigen Gestalten über den Riffel­ baum und ziehen die Flachsstränge durch die Eisenkämme, bis die grünen Fruchtknoten abspringen. Daß dabei vielerlei Kurzweil und Neckerei getrieben wird, ist jedem klar, der die derbhumorvolle Art des waldlers kennt. Das Riffeln des Flachses dauert je nach dem Umfang der Ernte zwei oder mehrere Nächte lang. Der geriffelte Flachs wird auf einem Ackerstück vor dem fjaufc zum Rätzen auszebreitet, wobei aus daumendicken Haarsträngen drei Kreuze gebildet und vor die erste Breite aufs Feld gelegt werden unter Absagen folgender Segens­ formel: „Hoar, Hoar! Löß dir's fong, Kriag an Böscht*) und loß's Tong!*) Loß'n kuad*) Und wia guat!" Sonne, Tau und Reif zermürben nun die zähen Halme und machen sie brechreif. Und jetzt beginnt die wonnesame Zeit, wo in den langen Herbst- und Winternächten die blaue Bergblume in den Waldbauernstuben weiterblüht und sich in uralten Märchen und Liedern aufrankt zur Seele des bäuerlichen Volkes, während der drei „goldenen" Sonntage des Bauernjahres fängt sie ihr zauber­ volles weben an. Aber wenn die silberhaarigen Waldgroßmütter heute ihren Enkelkindern davon Kunde geben, dann leiten sie ihre Geschichte zumeist ein mit dem wehmütigen Sprüchl: „Kind, es war einmal!" — Die Haarhäuser sind vermorscht und zerfallen. Unter ihren Trümmern liegen die (Quellen verschüttet, die dereinst den ganzen Sagenstrom in Fluß gebracht. Darum kann auch meine Ge­ schichte, lieber Heimatfreund, nicht anders beginnen und ausklingen als mit dem Märchenwort: „Ach, es war einmal!" — Als der Groß-

188 vater die Großmutter nahm — da war's! Da hatte jedes Dörfl im Wald noch sein Haarhäusl, und wenn das jungfrische Blut zur Zeit der drei Goldsonntage ins Feld strich, dann wurden die Herzen wie Glocken laut bei dem lustigen Geschepper der Brechrollen. Nach altem Herkommen beschleunigte man sich, bis zum Feste Allerheiligen durchzubrecheln. Bis zu diesem Zettpuntt erscholl tagsüber durch die herbststillen Bergfluren das fröhliche Geklimper, während nachts in den Brechhäusern die buchenen Linken krachten und sich fahrendes Volk darinnen eine behagliche Herberge suchte. Durch diese Gepflogen­ heit allein schon wurden die Haarhäuschen, die meist von den Dörfern entfernt an einsamen Mösern und Waldrändern lagen, mit einem gewissen Hauch von Romantik umwoben, die sich durch allerlei gruselige Ereignisse, welche sich das Volk über diese Stätten zu er­ zählen wußte, oft bis ins Mystisch-Dämonische steigerte. So sollen mit den lustig prasselnden Feuergarben der Brechhausöfen die Teufel um die wette getanzt und nächtliche Wanderer zu einem Spielchen angelockt haben, wobei es mit Karte und Würfel um ihre Seele ging. Die abenteuerlichsten und scheußlichsten Geschichten über derlei Vor­ kommnisse gehen heute noch im Volke um und finden in den Spinn­ stuben immer wieder gläubige Zuhörer. Aber auch ein Kinderschreck von anziehendem Reize und fein ersonnenener Volkspoesie hat einst in den Brechhäusern sein Un­ wesen getrieben. Es ist dies das „Hoarhauswabal"*), das unsere waldlerkinder nur mehr aus dem Munde ihrer Großmütter kennen. Sie saß dereinst oben auf dem Haarspind der Brechhäuser und ächzte dabei, daß es über die Wälder und Möser klang. Sie war zottig wie ein Hummelchen. Aber nicht Menschenhaar bedeckte ihren hageren Leib, sondern lauter seidener, flaumiger, goldfarbener Flachs. Darein wickelte sie die bösen Kinder und drückte sie an sich, bis ihnen der Atem verging, wenn aber dann im nächsten Spätsommer der Flachs besonders große, blaublasse Blütensterne aufgesetzt hatte, dann flüsterten die Waldkinder heimlich und zitternd zueinander: „'s Hoarhauswabal muaß sö an Hirgst*) viel Buam und Dirndal g'holt Hom! Schau nur, wia s' zum Himmö aufö guck'n!" — Das Zusammenwirken all dieser äußeren und inneren Umstände machte die Haarhäuser für das kleine Volk zu wahren Hexenküchen, die von ihm auf Ackerlänge gemieden und scheu umgangen wurden. Aber auch den Großen waren sie des Raunens und Sagens voll, wann

189 während des Brechelns eine Mannsperson vorüberkam, dann eilte die eine oder andere der Mägde hinaus und „band den Burschen in den Hoar", d. h. sie umwickelte ihm den linken Fuß mit einem Strang frisch gebrechelten Flachses und tat dabei den Spruch: „'s Hoarhauswaberl laßt dö grüaß'n, Bua, jetzt muaßt an Tala büaß'n: A Tala war z'viel — Rann da schä kserr göm, was er will !" Mit einem kleinen Geldstück, oft aber, was von beiden meist vorgezogen wurde, mit holdgeprägter Liebesmünze, konnte sich der also Gefesselte loskaufen. — Line andere sinnige Gepflogenheit wurde geübt, wenn der letzte Arm voll Flachs aus dem Brechhaus geholt wurde. Man hieß dies das „Brautholen". Als Braut be­ zeichnete man den letzten Flachsbündel, den man häufig mit den da und dort noch spärlich blühenden Feldblumen aufschmückte und unter Singen und Lachen heimführte. Abends wurde denn dann auch der arbeitsreiche Tag wie ein Hochzeitstag gefeiert. Ls gab dabei ein reich gefchmalzenes Festessen mit folgender typisch gewordenen Speisenfolge: Saueres Rraut, kalte Suppe, gerösteter Grieß, gebackener Brein, Apfel- und Zwetschgenschnittel und Krapfen. Daran schloß sich zum größten Gaudium aller eine Art kleines, jedoch völlig harm­ loses Haberfeldtreiben, das der lvaldler unserer Gegend als „Brechlmüad"*) bezeichnete. Aus den Nachbardörfern zogen vermummte, oft in groteske Masken gehüllte Gestalten zur „Brechlsupp" herbei und drangen unter Johlen und Schreien in die Stube ein, wo sie den Rest des Festschmauses für sich in Anspruch nahmen. Darauf wurde wie bei jeder richtiggehenden lvaldlerhochzeit von Jungen und Alten bis spät in die Nacht hinein das Tanzbein geschwungen.

Waldlerische Rockenreise. Auf einsamer Berghöhe liegt der padlhof. Alteingesessenes Bauernblut hütet die Scholle der Väter. Drunten in den Wäldern kauert schon der Abend und spinnt seine langen grauen Fäden, womit er die Dörfer in traulichen Frieden webt. Reifsilberne Novembernebel wallen: Weißes Linnen! Wipfel­ rauschen läuft wie Surren durch die Luft! ... Gemahnt uns dies Weben der Natur nicht an das Sausen der Spinnräder und Web-

190 stühle, die in den langen Novemberabenden die wäldlerstuben mit einem Zauber ohnegleichen erfüllen? Drum komm, lieber Heimat­ freund! Der padlhof ist gerade der rechte Grt! wenn du Lust hast, führe ich dich auf die einsame Berghöhe zu den Leuten der Linschicht! Der j)adler ist zwar ein verschlossener Mann, dem das weltferne Leben den Rock bis obenauf zugeknöpft hat und der sich nicht gerne in seinen vier wänden begucken läßt. Aber mir zulieb wird er sich heute schon ein Herz nehmen, da er weiß, daß ich junger Bursche das Fleckchen Boden ehre, das er liebt. Haben wir uns doch schon oft gelängt, wenn wir in die alten Zeiten hinüberplauderten. Und jedesmal, glaube ich, merkte er's meinen Augen an, daß sie dabei ein bißchen lichter und wärmer wurden! Ja, der padler hat einen gol­ denen Kern, und wem er den einmal gezeigt, dem läßt er auch seine Haustür offen! — Da sind wir ja! Der Nebel ist mit uns zu Berge gestiegen. Massig und breit tauchen daraus die Granitmauern des Wohnhauses auf, und über dem flachen, moosüberfilzten Schindldach flirren noch die letzten rosenfarbenen Reflexe verglimmenden Abendlichtes. „Grüaß dö, padler! wirst net Harb sei, daß i an B'suach mit­ bring ! woaßt, 's is oartet vo unsra Seit'n! Gwa, was i song will! 3 hon g'hört, daß bei önk heit Rockaroas*) g'holt'n wird! Do mächt ma holt zualus'n, wenn 's dalaubt war!" Der j)adler erwidert meinen Gruß mit einem derben Bandschlag. Nachdem er wie ein Hühnervögel*) mit seinem stahlblanken Geäuge den Fremden gemustert, heißt er uns zur Rockenreis auf dem ssadlhof willkommen und schiebt uns zur Stube hinein. Geschäftig surren zwischen den vier wänden die Spinnräder und die buchenen Kloben prasseln und pinken vom Herde. Aus den nahen Walddörfern hat sich heute das ganze Jungvolk im Padlhof eingefunden. Burschen und Mägde hocken auf den Holzbänken herum, die in weitem Geviert die geräumige Bauernstube umlaufen. )m Dfenwinkel aber hat die padlerin ihren behaglichen Schlag, wie eine Glucke „reigiert"*) sie die junge Brut — und das tut auch not; denn jedes muß bis zum Feierabend einen Strang Hoar fertig spinnen — so verlangt es das Ansehen des Padlhofes und uraltes Herkommen. Da hat's halt der j)adler leicht! Er besitzt noch die alte Kunstfertigkeit im Spinnen, wie sie seinen Vätern eigen war. Das „Hawasspinnen"*) auf „zwiefädigen Rädern" ist eine große Seltenheit geworden, die man nicht

191 mehr alle Tage zu sehen kriegt. In dieser Kunst könnte sich mit ihm höchstens noch der Stöffel messen, aber dafür ist er auch unter der Fuchtel des alten, seligen padlers wie ein Bäumchen aufgeschossen und hat all sein Lebtag auf dem Hofe gewirtschaftet. Für zwei Padler Geschlechter hat er den „Hawas"*) gesponnen und daraus bräutliches Linnen gewirkt — und leider, so ist's nun einmal, wenn sich einer über seine Zeit verlängt — etliche der von ihm mit Liebe und Sorgfalt gewobenen Tücher mußten mit den alten padlern in die Grube. Davon sind dem Stöffel die Augen schwach geworden, und auch seine Finger haben den rechten Taug nimmer. Aber das „Hoarhacheln"*) versteht er immer noch wie kein zweiter, und der Padler ist mit ihm zufrieden, so spinnwebfein läuft ihm der von seinem Allknecht gehachelte „Hoar" durch die Finger. Inzwischen geht es um den Schlag der Padlerin lustig her. In ihr tiefes Glucken mischt sich das glockenhelle Kichern der Jungbrut, während die Mannerleit mit breitbehaglichem Grinsen wie geschnitzte Heiligenfiguren all das Weibergewäsch über sich ergehen lassen. Heute aber scheint die ganze Lokalchronik schon durchgehachelt zu sein. Freundchen, wir haben uns versäumt! ’s ist schade drum! — Meint doch der Paöler, zu den Frauenzimmern gewandt: „Mit euam Ratsch'« und Tratsch'n mocht's an Fried iaht! Mia Ham koa Kaffee» kranzl not, wia dö feina weibats in dö Markt und Städt'n! Dö Herrn mächt'n gwiß alto Marl und Gsangl höan, wias beira Roackaroas auf'm Padlhof der Brau is!" — Und wie es für jeden Uneingeweihten, der das Glück hat, einer Rockenreise beiwohnen zu dürfen, für schicklich befunden wird, ihn durch einige Rätsel in die Geheimnisse der Spinnstube einzuführen, so mußten auch wir der Padlerin auf ihre Sprüchl Red' und Antwort stehen. Ihr Gesicht war heiter, und ihre nußbraunen Auglein blitzten von Schelmerei, als sie uns fragte. Zum ersten:

„Brau nieda, grea auf; Blob*) drüba, brau drauf! — Wer rote?!“ Zum zweiten:

„Steht wicka*), steht wacka*), Steht auf am grean Acka: £?at a blaus Hüatal auf Und a greas Bandal drauf?"

192 Aber auch der padler wußte uns als waschechter Spinnstuben­ vater ein Rätsel vorzulegen, wobei er wie ein Ackergaul über die Verse stolperte: „An Baua möcht a schwitzat, Do weiba möcht a sitzat! Am liabst'n schmeißat man ins Feia, war a uns not teia! ?" Und als wir lachend über diese kernigen Sprüchl zur Antwort gaben: „No, dös is do gwiß derHoar!", da wurden wir als vertraute in die Spinnerrunde ausgenommen, und alle Heimlichhalterei, wie sie sonst der waldler Fremden gegenüber beobachtet, war wie weg­ geblasen. Der Urquell schlicht goldener Volkspoesie fing uns nun zu umrauschen an. Zuerst das feine, weinschwere Liedchen von der Lindenwirtin: Frau lvirtin saß unter der grünen Lind' Und tat auf den Liebsten warten. was trabt da die Straße herauf so geschwind? (Ein Reiter hält vor dem Garten! Sein Rößlein ist schwarz und die £?ufe sind rot, Als Mär' es in Rosen gegangen. „Ach Reiter, mein Reiter, bist du der Tod, Nach dem tät mein Herze verlangen?" Frau Wirtin schenket ihm roten wein, Durch's Haar ihr blasen die winde: „Du bleicher Gesell, sollst mein Liebster sein!" — Und sie küßt ihn unter der Linde. Da bricht ihr der Reiter ein Röslein ab Und hebt sie zu sich auf das Pferde; Das Rößlein wiehert und schlägt im Trab Mit seinen stufen die «Erde. „Feinsliebchen, komm, wir reiten geschwind! All Lieb und Herzeleide Sollst du verschlafen dort unter der Lind', Auf der grünen, blühenden Heide!"

Dann der schmerzliche Sang von des Müllers unglücklichem Töchterlein, von Wägern und Holzern und all den kleinen Leuten, wie sie im Walde lieben, leben und sterben:

193 Die Müllerin wird nun aussehen, was in ihrer Mühle ist geschehen. Denn das Rad blieb plötzlich stehen — Ls muß was zugrunde gehen. Die Müllerin steht in ihrer Kammer Und schlägt ihre Händ' zusammen: „Haben wir nur ein einzig Töchterlein — Und das soll ertrunken sein!" — „Liebste Eltern, auf dem Schrägen Laßt mich von sechs Jungfern tragen! Traget's mich dem Freithof zu Und wünscht mir die ewige Ruh! Da draußen in dem Rosengarten Mein Bräutigam tut auf mich warten, Hat mein Brautkleid schon bereit — )ch muß in die Ewigkeit!" Aber traurig und ohne viel Sonnenschein sind die meisten Lieder, die sich der waldler singt, wenn sein Herz vor Lust und Freude bewegt ist. )a, mein Lieber, der dunkle Bergwald wirst herbe Schatten in die Seelen seiner Leute! — Und weil dem padler unsere Rührselig­ keit nicht entging, setzte er seine „gscherzigen G'stanzerl"*) drauf, daß Kraut und Rüben schön fein in einen Topf zusammenkämen: „Hoizäpfö*)-Lisl, Zwirnspinna-Grel, Mia Ham an Kota*), der Hot an Schöl*): Ham man eahm in d'Mil einötaut, Der Kota Hot g'schaut!"

„)atz is aus, iatz is aus, Katz is ban Raufang aus, Hot sö an Stutz*) vabrennt: Der Drack*) is grennt!" „Vom woid fan ma außa; Drum fan ma so frisch, weil Winter wia Summa Der Schnee drinna is!"

194 „Auf da böhmisch'n Grenz Hot's an Fuhrmo vawaht; Dörrt schodt's owa nöt, Warum fahrt a so stad!" „3m Böhmerwoid wachelt da Wind so foit, Könna d' Vögel nimma pfeifa — Und der Schuilehra vo Didlöng*) Ka d' Grgel nimma greif«!"

„Ubroll bei do Volksfest Gibt's Gchs'n grod gnua, Und do oan, dö wean brot'n, Die andan schaung zua!"

Und so ging's ein gut halb Stündlein fort. Immer dieselbe Leier im Ton. Aber langweilig wirkten diese echten Walddudlerliedchen beileibe nicht; denn die Sänger und Gesängelchen wechselten in bunter Folge, und was Gemütliches, Gscherziges, Witziges, Spitziges und oft sogar Bissiges hatte ein jedes. — „Und aufs Gmüat kimmt's o!", wie sich der j)adler auszudrücken beliebte. — „Gwa nöt bloß da Stimmstock muaß beira richtög'n Rockaroas herhal'tn; a da Bläschl*) muaß sö umtoa. Do könna owa d'Ulanna nimma nach­ tau, dös is dö Weibats eahna Sach. Ls ist oft zum Zungobrecha! Do hamramol glei dös Marl vom Igl und da Maus. Geh, Padlarön, ruck aua damit!" So brummte der Stöffl, unterstützt von den Dirndln und Burschen. Und die Padlerin, nicht wenig stolz auf ihre Zungen­ fertigkeit, ging wie ein Hendl*) auf, das die Federn bläht, tat noch einmal einen geräuschvollen Huster und fing in einem Saus zu dreborgeln an:

Wia da Igl und d' Maus ins Birnbeiln*) ganga Han, £?ot d' Maus gsogt: „Igl, steig aufö!" -Is da Igl aufö g'stieg'n, is owag'foin, Hat fö an Bauch vonananda g'risf'n Und Hot wehleidö g'schrian — Is d' Maus zum Schusta ganga, daß an Droht kriagt, Daß an Igl an Bauch zua nahn ko. „I ko da koan Droht göm, weil i fort Borscht'n nöt ho;

195 Muaßt zu da Sau geh'!" „Sau, mir Borscht'n göm, Borscht'n an Schuasta geb'n; Schuasta mir Droht göm, daß i an Jgl an Bauch zua nahn so!" „3 ko da koa Borscht'n göm, weil i koa Trank not ho! Muaßt zu da Bäurön geh!" „Bäuron, mir Trank göm, Trank da Sau göm; Sau mir Borscht'n göm, Borscht'n an Schuasta göm, Schuasta mir Droht göm, daß i an 3