Zyklus und Prozess: Joseph Haydn und die Zeit
 9783205791775, 9783205785149

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WIENER VERÖFFENTLICHUNGEN ZUR MUSIKGESCHICHTE 10 Herausgegeben von Markus Grassl und Reinhard Kapp

MARIE-AGNES DITTRICH · MARTIN EYBL REINHARD KAPP (HG.)

Zyklus und Prozess Joseph Haydn und die Zeit

Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar

Gedruckt mit der Unterstützung durch  :

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung in Wien

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http  ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78514-9 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, ­insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbil­dungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf ­fotomechanischem oder ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in ­Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur ­auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2012 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. & Co. KG, Wien · Köln · Weimar http  ://www.boehlau-verlag.com Umschlagabbildung  : Taschenuhr in Privatbesitz, Foto: Iby-Jolande Varga Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck  : XPrint, Tschechische Republik

VORWORT

Die Vorbereitungen des Instituts für Analyse, Theorie und Geschichte der Musik der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien auf das Haydn-Jahr 2009 begannen im Sommersemester 2006 mit vergnüglichen Gesprächen und Analyse-Sitzungen, aus denen neben der Planung einer Ringvorlesung auch mehrere Themenvorschläge für einen Kongreß hervorgingen. Die Wahl fiel auf Martin Eybls Anregung, im Anschluß an Forschungen zur sich im Verlauf des 18. Jahrhundert ändernden Zeitwahrnehmung (etwa von Reinhart Koselleck zur „Sattelzeit“ um 1800) der Zeitgestaltung in Haydns Werken nachzugehen. Von Anfang an stand die interdisziplinäre Ausrichtung fest – auch durch die Kooperation mit dem Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Wien. Wissenschafts-, Kunst- oder Alltagsgeschichte sollten mit spezifisch musikalischen Aspekten wie der Ablösung zyklischer Gestaltungen durch zielorientierte Prozesse in Verbindung gebracht werden. Die Aktualität unseres Themas wurde durch die erfreulich große Resonanz auf unseren Call for Papers bestätigt – vermutlich auch, weil inzwischen Karol Bergers viel diskutiertes Buch Bach’s Cycle, Mozart’s Arrow. An Essay on the Origins of Musical Modernity (2007) erschienen war. Bedauerlich war nur, daß wir durch die Vielzahl der Einsendungen in Konflikt mit einem anderen Vorhaben gerieten: Wir wollten die Konferenz klein genug halten, um auf Parallelveranstaltungen verzichten zu können und allen die Teilnahme an jedem Vortrag und den informellen Gesprächen zu ermöglichen, die die Seele jedes Kongresses sind. Bei der Auswahl der Referate strebten wir Themenvielfalt an. Allen, deren Beiträge nicht berücksichtigt werden konnten, sei an dieser Stelle ebenso herzlich gedankt wie den Autorinnen und Autoren, die ihre Manuskripte für diese Publikation rechtzeitig zur Verfügung gestellt haben. Das Programm unserer Tagung befindet sich im Anhang des Bandes. Die HaydnSinfonietta Wien (Manfred Huss) und Herbert Lachmayer vom Da-Ponte-Institut Wien haben damals für ein repräsentatives Rahmenprogramm gesorgt. Ihnen haben wir ebenso zu danken wie dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (Gerhard Pfeisinger), der Niederösterreichischen Landesregierung (Erwin Pröll), der Stadt Wien (Hubert Christian Ehalt), dem Verein WeltStadtWien (Johannes Hahn), dem Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (Helmut Lethen), der Internationalen Musikforschungsgesellschaft und dem Konzerthaus Wien (Erwin Barta), dem Rektorat der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (Werner

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Vorwort

Hasitschka, Rudolf Hofstötter) und der Leitung des Instituts für Analyse, Theorie und Geschichte der Musik (Cornelia Szabó-Knotik, Markus Grassl) dafür, dass sie die Veranstaltung ideell und finanziell unterstützt sowie die Drucklegung des Berichts ermöglicht haben. Marie-Agnes Dittrich Martin Eybl Reinhard Kapp

INHALT

Martin Eybl Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   9

i Karol Berger Time’s Cycle and Time’s Arrow in Music . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  15 ii Reinhard Kapp Haydns persönliche Zeiterfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  25 iii Richard Heinrich Zeit und Orientierung bei Kant und Hölderlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  69 iv Federico Celestini Joseph Haydn und die Gestaltung des Augenblicks . . . . . . . . . . . . . . . . . .  85 v Roger Mathew Grant Situating Time in Haydn’s Die Schöpfung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  97 vi Markus Rathey Haydns Entdeckung (und Zerstörung) der Langsamkeit. Zyklizität und Zeitstrukturen in den Sieben letzten Worten . . . . . . . . . . . . . . . 117 vii Sarah Day-O’Connell “The Clock Still Points Its Moral to the Heart”. Singing about Time in Haydn’s London. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 viii Christine Siegert Zur Vergegenwärtigung von Vergangenem in Joseph Haydns Opern . . . . . . . . 179 ix Hans-Ulrich Fuß Ein Laurence Sterne der Musik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

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Inhalt

x Markus Neuwirth Re-investigating the Primary-Theme Zone in Haydn’s Early Symphonies. Periods, Sentences, Loops, and Their Temporal Implications. . . . . . . . . . . . . 237 xi Ernst Strouhal Eins sein mit allem, was tickt. Bewegungskontrolle und Zeitdisziplin am Beispiel des ­Schachautomaten von Wolfgang von Kempelen. . . . . . . . . . . 275 xii Helmut Kowar Musik als Experiment  ? Zu Haydns Stücken „für das Laufwerk“ . . . . . . . . . . . 293

Zyklus und Prozess. Haydn und die Zeit Programm der Tagung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Abstracts der Vorträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Orte und Sachen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Martin Eybl

EINFÜHRUNG

Gleich zu Beginn seines Ersten Londoner Notizbuches (1791–92) machte Joseph Haydn Eintragungen zu verschiedenen Einkäufen. Vermerkt sind Geschenke für Freunde, Kleidung sowie ein Zeitmesser  : eine goldene Uhr („watch from gold“)1. In einem späteren Eintrag berichtet er über einen Besuch beim Prinzen von Wales in einem Schloss außerhalb Londons Ende November 1791  : „wür machten durch 2 tag des abends 4 stund Music, das ist von 10 uhr bis 2 uhr nach Mitternacht, alsdann Soupierte man und um 3 uhr gienge man zu beth.“2 Im Dritten Londoner Notizbuch aus den Jahren 1794 und 1795 zeichnet Haydn schließlich mehrfach Geschwindigkeit und Fahrtdauern von Postkutschen auf, etwa  : „die Mail Coach macht in 12 stunden 110, das ist hundert und zehn Englische Meil“.3 Die „Epoche Haydns“, also die Epoche der Aufklärung, der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der Französischen Revolution, war von gewaltigen Umwälzungen und Umbrüchen geprägt. Über einen Zeitraum von fast 20 Jahren erschien die von d’Alembert und Diderot herausgegebene Encyclopédie  ; Haydn war 40 Jahre alt, als 1772 der letzte Band erschien. Zwölf Jahre später (1784) veröffentlichte Immanuel Kant seine berühmte „Beantwortung der Frage  : Was ist Aufklärung  ?“. Haydn war 44, als die 13 britischen Kolonien in Amerika sich von ihrem Mutterland lossagten. Beim Sturm auf die Bastille war er 57. Jahrzehntelang hatte man sich im 18. Jahrhundert bemüht, zur genaueren Ortbestimmung auf hoher See die Präzision der Schiffschronometer zu steigern. Als eine von John Harrison gebaute Uhr 1761 auf einer zweimonatigen Reise nach Jamaica nur 9 Sekunden Verspätung aufwies, wurde dies als Durchbruch gefeiert.4 Haydn war damals noch keine 30. Den politischen und technischen Veränderungen entsprachen wirtschafts- und sozialgeschichtliche Entwicklungen, die das Musikleben unmittelbar betrafen. Neben die höfische Musikkultur trat allmählich eine bürgerliche. Kulturelle Aktivitäten der sogenannten Zweiten Gesellschaft aus Intellektuellen, Beamtenadel und Wohlhabenden 1 Joseph Haydn, Gesammelte Briefe und Aufzeichnungen, hg. von Dénes Barta (Kassel [u.a.]  : Bärenreiter, 1965), 481. 2 Ibid., 508. Ganz ähnlich, wiederum mit genauer Angabe der Uhrzeit, erzählt er von dem Besuch in einem Brief an die Wiener Freundin Marianne von Genzinger einen Monat später (20. 12. 1791), ibid. 268. 3 Ibid., 531, ähnlich wieder 539, 2.8.1794. 4 Rudolf Wendorff, Zeit und Kultur. Geschichte des Zeitbewusstseins in Europa (Opladen  : Westdeutscher Verlag, 1980), 267.

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entfalteten sich nachhaltig und verursachten einen Boom neuer Märkte, Märkte für Musikalien, für Instrumente, für privaten Musikunterricht. Der Historiker Reinhart Koselleck hat in den vergangenen 30 Jahren am nachdrücklichsten darauf hingewiesen, dass Zeit speziell in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in allen möglichen Lebensbereichen einen signifikant höheren Stellenwert erhielt als vordem. „Verzeitlichung“ lautet ein Stichwort, das er in Anlehnung an Arthur O. Lovejoy5 in die Debatte einbrachte, ein weiteres die „Beschleunigung“ als mentalitätsgeschichtliche Kategorie.6 Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung wurde Zeit zu einem wertvollen Gut, das sich allzu schnell verflüchtigt und mit dem ein sorgsamer Umgang angeraten ist. Taschenkalender und Taschenuhren kamen vermehrt in Gebrauch. Uhren wurden als hochwertige Geschenke verteilt. Der alte Haydn soll etwa seinem Bruder eine goldene Uhr geschickt und selbst von Lord Nelson eine wertvolle Uhr erhalten haben.7 Der Komponist, der einen streng geregelten Tagesablauf befolgte8, registrierte den verschwenderischen Umgang mit Zeit, den seine Gastgeber aus der englischen Hocharistokratie pflegten. Während er selbst zu Hause täglich um 7 Uhr, im Sommer eine halbe Stunde früher, aufstand, wurde in der Gesellschaft des Prinzen von Wales, wie eingangs beschrieben, bis zwei Uhr nachts musiziert und anschließend noch gespeist. Mit dieser „Beschleunigungserfahrung“9 verbindet sich eine neue Konzeption von Geschichte. Geschichte wird nicht mehr als zyklische Wiederkehr des immer Gleichen, sondern als Prozess, als Bewegung in eine „offene Zukunft“ 10 verstanden. Damit wird Fortschritt möglich und als vielleicht radikalste und wirkungsmächtigste Ausprägung einer solchen Bewegung  : Revolution. In der zeitgenössischen Geschichtsschreibung ist ein „Niedergang der Chronologie und die Abkehr von naturalen Zeitvorstellungen“ zu beobachten.11 Phänomene werden zunehmend aus ihrer Geschichte, nicht mehr durch   5 Stefanie Stockhorst, „Zur Einführung  : Von der Verzeitlichungsthese zur temporalen Diversität“, Das achtzehnte Jahrhundert 30/2 (2006) (Zeitkonzepte. Zur Pluralisierung des Zeitdiskurses im langen 18. Jahrhundert), 157–64, hier 157.   6 Siehe etwa  : Reinhart Koselleck, „Zeitverkürzung und Beschleunigung. Eine Studie zur Säkularisation“, ders., Zeitschichten. Studien zur Historik (Frankfurt/M.  : Suhrkamp, 2000), 177–202.   7 Ignaz Ferdinand Arnold, Gallerie der berühmtesten Tonkünstler des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts  : ihre kurzen Biografieen, karakterisirende Anekdoten und ästhetische Darstellung ihrer Werke, Erster Teil (Erfurt  : Müller, 1810, Reprint Amsterdam  : Knuf, 1984), 102  ; Carl Ferdinand Pohl und Hugo Botstiber, Joseph Haydn, Bd. 3 (Leipzig  : Breitkopf & Härtel, 1927), 165.   8 Johann Elßler (zugeschrieben), „Tagesordnung des Sel. Herrn v. Haydn“, Salzburg Mozarteum, zitiert nach  : Pohl und Botstiber, Joseph Haydn, Bd. 3, 293 f.   9 Koselleck, „Zeitverkürzung und Beschleunigung“, 196. 10 Ibid., 190. 11 Wolf Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts (München  : Hanser, 1976), 16.

Einführung

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Ableitung aus Prinzipien erklärt. „Anstelle von Tableaus beschrieb man nun vorzugsweise Prozesse.“12 Die Geschichte selbst wird im 18. Jahrhundert erstmals, so Koselleck, als übergreifend, alle Einzelgeschichten in sich aufnehmend, betrachtet. Wenngleich, wie sich durch neuere Forschungen13 herausstellte, die Idee eines ,Kollektivsingulars Geschichte‘ (die Rede von „der Geschichte“) älter ist, als Koselleck angenommen hatte, erhält sie doch im 18. Jahrhundert eine neue, unvergleichliche Relevanz. Beschleunigung, Fortschritt, offene Zukunft bilden neue Leitbegriffe der Ära Haydns. In welchen sozialen Gruppierungen und in welchem Ausmaß sie sich durchsetzten, bleibt vorerst unentschieden. Joseph Haydns Verortung in diesem Diskurs ist einer der Gegenstände des vorliegenden Sammelbandes. Das traditionelle Weltbild einer primär agrarisch geprägten Gesellschaft war dem Komponisten, der aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammte, wohl ebenso vertraut wie die Ideen der Aufklärung und die Auswirkungen technischen Fortschritts. Die hier versammelten Aufsätze mögen zu einer Klärung der Frage beitragen, wieweit zyklische oder prozesshafte Zeitkonzeptionen, die in Haydns Lebenszeit koexistierten, sein Denken und sein Komponieren prägten. Den skizzierten mentalitätsgeschichtlichen Veränderungen entsprechend betreffen auch neue Entwicklungen in der Musiktheorie des späteren 18. Jahrhunderts die temporale Struktur der Musik, worauf Wilhelm Seidel nachdrücklich aufmerksam gemacht hat.14 Das mittelalterliche Mensuralsystem, das bis ins 18. Jahrhundert hinein zumindest in den Grundlagen wirksam blieb, ist top down strukturiert  : Kleinere Zeiteinheiten ergeben sich durch Teilung größerer. Johann Matthesons Verständnis des Taktes ruht auf dieser Voraussetzung. Die sogenannte Akzenttheorie, die Johann Georg Sulzer im Artikel Rhythmus seiner Allgemeinen Theorie der Schönen Künste (1771 ff.) erstmals entwickelte, baut dagegen die Temporalstruktur der Musik von unten auf. Der Takt wird bottom up durch Zusammensetzung aus kleineren Einheiten, elementaren Impulsen, aufgebaut. Eine solche Impulsfolge und ihre Strukturierung durch regelmäßige Akzente suggerieren Bewegung. Und genau dieser Bewegung gilt das kompositorische Interesse von Haydn und seinen Zeitgenossen. Sie erkunden extreme Tempi, zeigen etwa besondere Lust an der Schnelligkeit. Auch hier dokumentiert sich ein Bewusstsein der Beschleunigung. Johann Joachim 12 Daniel Fulda, „Rex ex historia. Komödienzeit und verzeitlichte Zeit“, Das achtzehnte Jahrhundert 30/2 (2006), 179–92, hier 180. 13 Arno Seifert  : „Verzeitlichung. Zur Kritik einer neueren Frühneuzeitkategorie“, Zeitschrift für historische Forschung 10 (1983), 447–477  ; Jan Marco Sawilla  : „,Geschichte‘  : Ein Produkt der deutschen Aufklärung  ? Eine Kritik an Reinhart Kosellecks Begriff des ,Kollektivsingulars Geschichte‘“, Zeitschrift für historische Forschung 31 (2004), 381–428. 14 Zum Folgenden siehe Wilhelm Seidel  : „Division und Progression. Der Begriff der musikalischen Zeit im 18. Jahrhundert“, Il Saggiatore Musicale 2 (1995), 47–65.

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Quantz schreibt 1752  : „Was in vorigen Zeiten recht geschwind gehen sollte, wurde fast noch einmal so langsam gespielet, als heutiges Tages. Wo Allegro assai, Presto, Furioso, u. d. m. dabey stund, das war eben so geschrieben, und wurde fast nicht geschwinder gespielet, als man heutiges Tages das Allegretto schreibt und ausführet. Die vielen geschwinden Noten, in den Instrumentalstücken der vorigen deutschen Componisten, sahen alle viel schwerer und gefährlicher aus, als sie klungen.“15 Dazu passt, dass die Mehrzahl der Sinfonien Haydns mit Presto endet, oft gesteigert zum Presto assai oder Prestissimo, Tempovorschreibungen, die man bei Johann Stamitz oder bei Mozart ähnlich häufig findet. Charakteristisch für die Musik dieser Periode ist der Einsatz von Trommelbässen, also eine anhaltende Repetition von kürzeren Tönen gleicher Dauer im Bassregister, oder das Auftreten anderer monotoner Begleitfiguren wie beispielsweise Alberti-Bässen. Hier erklingen Impulsfolgen, Töne in primär rhythmischer Funktion, als wäre es reine Bewegung. Manche Sätze Haydns sind geradezu Bewegungsstudien. Dazu gehört etwa das Andante aus der Sinfonie Nr. 101, jener Satz, der der Sinfonie bereits zu Lebzeiten des Komponisten den Beinamen „Die Uhr“ eintrug. Die kontinuierlich gleichförmige, gleichsam tickende Bewegung wird durch die merkwürdig forcierte Instrumentation wie karikierend hervorgehoben. Ein ähnliches unentwegtes Hin und Her zwischen zwei Positionen realisiert das Adagio cantabile der Sinfonie Nr. 68. Hier lässt sich die allmähliche Verwandlung einer mechanischen, eckigen und unbeholfenen Bewegung in eine runde und organische verfolgen. Unterstützt wird dieser Prozess durch die dürftige Begleitung und die harmonische Monotonie, von denen der Satz ausgeht, um Schritt für Schritt bis zum Ende der Durchführung die Instrumentation und die Harmonik auf wunderbare Weise anzureichern und zu beleben. Man mag dabei an die Automaten denken, die die Zeitgenossen Haydns so liebten, etwa an den Flöte spielenden Schäfer oder die mechanische Ente (beide 1738) eines Jacques de Vaucanson (1709–1782) oder an die Figuren des Wiener Erfinders Wolfgang von Kempelen (1737– 1804). Musikalische Bewegung konstituiert sich nicht nur durch Impulsfolgen und ihre regelmäßige Akzentuierung (Metrum), sondern auch auf höherer Ebene in der Anordnung und Gewichtung der Takte (musikalische Syntax). Eines der Geheimnisse des erwähnten Adagios aus Sinfonie Nr. 68 besteht nun darin, dass es nicht unser Vorurteil bestätigt, demzufolge eine regelmäßige Folge von Vier- und Achttaktern mechanisch und schematisch wirke. Nein, umgekehrt  : die eckige Bewegung wird durch unregelmäßige Taktgruppen, Fünftakter und eingeschobene Einzeltakte umgesetzt, während eine fließende Bewegung erst dort zustande kommt, wo regelmäßige Vier- und Achttakter das Geschehen bestimmen. 15 Johann Joachim Quantz, Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen (Berlin  : Voß, 1752), Kapitel XVII, VII, § 50, 263.

Einführung

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Ein letzter Hinweis gilt den narrativen Strukturen der Musik, die sich in der Ära Haydns nachhaltig veränderten. Für die Musik Haydns ist es nicht genug, Form wie Architektur zu betrachten, als Arrangement von Teilen, deren Vorher und Nachher bloß der Not entsprang, nicht alles auf einmal und simultan vorstellen zu können. Verweise auf Vergangenes und auf Zukünftiges spielen eine zentrale Rolle. Adressat der Verweise auf bereits Gehörtes ist das Gedächtnis, das durch das neu gewonnene Profil der Motive und Themen aktiviert und durch ihre fortgesetzte Veränderung in dem, was man als thematische Arbeit bezeichnet, herausgefordert wird. Die Verweise auf Zukünftiges erfolgen durch Abrufen konventioneller Muster, die die Hörerwartung steuern. In Karol Bergers anregender Studie Bach’s Cycle, Mozart’s Arrow. An Essay on the Origins of Musical Modernity werden zwei temporale Konzepte als Idealtypen einander gegenübergestellt. Auf der einen Seite steht ein zyklisches, letztlich auf die Aufhebung der Zeit gerichtetes musikalisches Denken bei Bach, ein Aufgehen der begrenzten menschlichen Zeit in der Zeit Gottes, der Ewigkeit  ; auf der anderen Seite ein prozesshaftes, dem Modell der Erzählung entsprechendes musikalisches Gestalten bei Mozart. Er wolle nachweisen, so der Autor, dass irgendwann zwischen frühem und spätem 18. Jahrhundert, zwischen Bach und Mozart, musikalische Form primär zu einem zeitlichen Phänomen wurde und dass sich die Aufmerksamkeit von Musikern (Komponisten, Interpreten und Hörer gleichermaßen) der zeitlichen Abfolge der Ereignisse zuwandte.16 Um Bergers Beobachtungen im Blick auf Haydn aufzunehmen und zu vertiefen, kann man auf bisherige Versuche aufbauen, die narrativen Strukturen speziell bei Haydn zu erfassen. Man kann wie Nicole Schwindt-Gross17 das Moment der „Diskursivität“ im Sinne von zielgerichteter motivischer Entwicklung als Besonderheit von Haydn hervorheben. Man kann wie Ethan Haimo18 die kompositorische Logik Haydns auf der Basis präzise bestimmbarer Prinzipien rekonstruieren, Prinzipien, die den Ablauf, also die Reihenfolge und die formale Position der musikalischen Gestalten bestimmen. Man kann wie Markus Bandur19 einem zugrunde liegenden Plot auf die Spur zu 16 Karol Berger, Bach’s Cycle, Mozart’s Arrow. An Essay on the Origins of Musical Modernity (Berkeley [u.a.]  : University of California Press, 2007), 14, fast gleich lautend 179  : „One of the central claims in this book is that at some point between early and late eighteenth century, between Bach and Mozart, musical form became primarily temporal, and that the center of attention for musicians – composers, performers, and listeners alike – shifted toward the temporal disposition of events.“ 17 Nicole Schwindt-Gross, Drama und Diskurs. Zur Beziehung zwischen Satztechnik und motivischem Prozess am Beispiel der durchbrochenen Arbeit in den Streichquartetten Mozarts und Haydns (Neue Heidelberger Studien zur Musikwissenschaft 15), (Laaber  : Laaber Verlag, 1989). 18 Ethan Haimo, Haydn’s Symphonic Forms. Essay in Compositional Logic (Oxford  : Clarendon Press, 1995). 19 Markus Bandur  : „Plot und Rekurs – ,eine gantz neue besondere Art‘  ? Analytische Überlegungen zum

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kommen trachten und damit innerhalb eines Werkes spezifische Abweichungen von der Konvention zu einer stimmigen linearen Struktur, einer „Geschichte“, verbinden. Man kann den aus enttäuschten Erwartungen fließenden Witz in den Blick nehmen oder die Ausschweifungen und Exkurse, die die Zeitgenossen Haydns Musik mit den narrativen Finessen eines Laurence Sterne assoziieren ließen. So wichtig die Differenzierung und Vertiefung der angesprochenen Ansätze erscheint, so sollten in die Überlegungen, die der vorliegende Band anstellen wie auch anstoßen will, weitere Aspekte einbezogen werden, die bisher vielleicht zu wenig beleuchtet wurden. Gerade die Musik Haydns, die den Zeitraum eines halben Jahrhunderts überspannt, bietet sich an, über die idealtypische Gegenüberstellung hinaus den historischen Wandel von der einen in die andere Position, also die Entwicklung eines prozessualen Denkens zu untersuchen, das sich in Haydns Frühwerk wohl auf andere Weise verwirklicht als in späteren Kompositionen. Der zweite Aspekt betrifft die historische Verortung von zyklischem und prozessualem Denken. Als Alternative zur Vorstellung einer historischen Abfolge, bei der das eine das andere mehr oder minder schnell ablöste, könnten wir die beiden Konzepte in einem dialektischen Verhältnis denken. Auch wenn sie beim reifen Haydn vielleicht nicht im Vordergrund stehen, sollte die Möglichkeit nicht außer Acht gelassen werden, dass Momente eines zyklischen Denkens weiterhin eine Rolle spielen.

Kopfsatz von Joseph Haydns Streichquartett op. 33, Nr. 1 (Hoboken III  :37)“, Haydns Streichquartette. Eine moderne Gattung, hg. von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn (Musik-Konzepte 116), (München  : edition text + kritik, 2002), 62–84.

I Karol Berger

TIME’S CYCLE AND TIME’S ARROW IN MUSIC 1. Let me begin with two short poems W. H. Auden wrote just before the war, at the end of the “low dishonest decade” of the 1930s. First, “Gare du Midi”  : A nondescript express in from the South, Crowds round the ticket barrier, a face To welcome which the mayor has not contrived Bugles or braid  : something about the mouth Distracts the stray look with alarm and pity. Snow is falling. Clutching a little case, He walks out briskly to infect a city Whose terrible future may have just arrived.

“Gare du Midi” tells a simple story  : A train arrives from the South (perhaps from somewhere near the Spanish border), bringing in a passenger whose face, if noticed at all, “distracts the stray look with alarm and pity” (perhaps a refugee from the Spanish civil war), and who “walks out briskly to infect a city whose terrible future may have just arrived.” (It is before September 1, 1939 and European cities, such as Paris or Brussels, are still at peace. But in a few months their citizens will share the fate of the refugee, as the Spanish conflict turns out to have been an overture to a European civil war.) The poem is clearly a little narrative in which the temporal succession of narrated events matters  : first the arrival of the train, then the appearance of the passenger, and finally his walking out into the city. These events might have been told in a different order, but they themselves could not occur in a different order. Not so in the “Epitaph on a Tyrant”  : Perfection, of a kind, was what he was after, And the poetry he invented was easy to understand  ; He knew human folly like the back of his hand, And was greatly interested in armies and fleets  ; When he laughed, respectable senators burst with laughter, And when he cried the little children died in the streets.

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This is a posthumous portrait of a political type alas still very common today (think of a Lukashenko, or a Mugabe), with all the characteristic features  : a utopian ideology  ; a good grasp of the realities of power  ; sycophantic hangers-on  ; complete disregard for the suffering caused. These features might be surveyed in any order. To be sure, change the order of the last two lines and the poem would be ruined  ; but the portrait would retain all of its dreadful sense. Now, every poem, every literary work, takes time to read  ; but in some the temporal succession of narrated events matters and in others it does not  ; in some, time’s flow is represented, in others it is not. The same is true of music  : All music takes time, but not all music represents temporal succession. There is music in which the temporal order of events is essential  ; and there is music in which it does not matter all that much. Let me give you the simplest and shortest possible examples of each kind. First an example of the kind of music in which the meaning of an event depends on its temporal position. Consider the ending of the transition followed by the entrance of the second subject in the Allegro of Mozart’s G-major Piano Concerto, K453 (Example 1). What you have here are two phrases, the first (mm. 29–34) preparing the arrival of the second (m. 35–42). Their order could not be changed without ruining their sense  : It is the whole meaning of the first phrase that it prepares the arrival of something. In other words, its meaning crucially depends on its temporal placement. And this is how this first phrase is used throughout the movement  : It always prepares the arrival of the second subject. It is so used, for instance, in the first solo (Example 2). But consider now the last appearance of this little idea (Example 3). In a display of wit worthy of Haydn, Mozart uses what we have learned to understand as a transitional and preparatory material in an unaccustomed and contrary role—not to prepare the arrival of something else, but to close the movement. The point of this witticism is entirely dependent on the temporal placement of the events and we would not be able to grasp this point, if we did not pay attention to this temporal placement. But there is also music in which the succession of events does not matter all that much. Consider the music that follows the exposition in the first fugue of Das Wohltemperierte Klavier (Example 4). Here Bach imitates the subject at the distance of a quarter note, first a fourth lower (mm. 7–8), and then a fifth higher (mm. 10–12). One can see why he wants these two imitations to follow directly one another  : together they demonstrate the invertibility of the counterpoint. But exactly the same point would be made if the order of the two imitations were reversed. Here the meaning of each event does not depend on its temporal position. Contrary to the widespread unexamined clichés about music as the temporal art, then, not all music is temporal in the same way. All music takes time, of course. But only some music additionally represents time, because the meaning of the events in it

Time’s Cycle and Time’s Arrow in Music

Example 1  : Mozart, Piano Concerto in G, K453, Allegro, mm. 29–43

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Example 2  : Mozart, Piano Concerto in G, K453, Allegro, mm. 133–46

is essentially dependent on their temporal positions, on their placement in the temporal succession of events. The central claim I make in my recent book, Bach’s Cycle, Mozart’s Arrow, is that it was only in the later eighteenth century that European art music began to take the flow of time from the past to the future seriously.1 Until then, music was simply “in time,” it “took time,” its successive events had to be somehow arranged one after an1 Karol Berger, Bach’s Cycle, Mozart’s Arrow  : An Essay on the Origins of Musical Modernity (Berkeley [et al.]  : University of California Press, 2007).

Time’s Cycle and Time’s Arrow in Music

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Example 3  : Mozart, Piano Concerto in G, K453, Allegro, mm. 343–49

other, but the distinction between past and future, between “earlier” and “later”, did not much matter to the way it was experienced and understood. In the later eighteenth century, a kind of music appeared that made the experience of linear time, of time’s arrow, into its essential subject matter. Such music could no longer be experienced with understanding, unless one became aware of the temporal ordering of the events. Contrary to what one often unthinkingly assumes, most music, in Europe and elsewhere, in the past and today, is not behaving this way. In most places and times, music, this supposedly quintessentially temporal art, ignores linear time, makes timelessness into its default position. Most music wants us to drop out of the incessant distraction and dispersal of everyday and historical linear time. It wants to help us grasp the Now, the present moment, before it is lost  ; it wants help us extend it and make it memorable, moving, interesting. To take linearity of time seriously, to make it into music’s subject matter, is not the norm, but the exception. And this exceptional achievement was the work of the Viennese classics.

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Example 4  : Bach, Das Wohltemperierte Klavier I, Fugue 1, mm. 6–16

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2. The second central claim I make in my book is that this change in the attitude to musical time was not a development internal to music alone, but rather an aspect of a larger transformation in the way educated Europeans began to imagine and think about time with the onset of modernity  : Just as the new experience and image of historical time as linear rather than cyclical emerged, musicians too dropped the predominantly cyclical model of time in favor of a predominantly linear one. In other words, the new interest in and valuation of linear time in music went hand in hand with the new interest in and valuation of linear time in other cultural domains. Let me sketch, in admittedly rather crude fashion, how the development of the modern outlook on man and on nature promoted a re-evaluation of linear time. I’ll begin with the new self-image of man. The traditional Judeo-Christian worldview reserved for humans a dignified place in the hierarchy of God’s creation, at the very top of earthly beings, and right below the heavenly ones. Humanity’s standing above that of other animals rested on our being the only earthly creatures with a moral status (that is, being a kind of entity whose actions can be characterized as good or evil and praised or blamed on this account), the only animals who were morally responsible for their actions because they knew what good and evil were and could choose one or the other. In other words, our standing depended on our being morally responsible, and our moral status in turn depended on our having been endowed with reason (allowing us to distinguish good and evil) and free will (allowing us in any situation to do this or something else). By the seventeenth-century at the latest, however, some thinkers (Hobbes, Locke) began to realize that free will did not provide a sufficient underpinning for moral responsibility. Here is the problem as they saw it. The theory that human actions result from decisions made by undetermined free will makes these actions appear to be arbitrary, a matter of chance rather than choice. Arbitrary actions, however, cannot be subject to moral responsibility. Morality involves following some system of norms or standards. Hence an action can be judged praiseworthy only when it was rationally chosen according to a criterion consistent with these norms, rather than simply arbitrarily or accidentally stumbled upon  : We do not impute responsibility to an irrational agent. Thus the theory of the undetermined free will seems to lead to an aporia  : on the one hand, for the agent to be morally responsible, his actions, as well as his reasons for the actions, must be free of external determination  ; on the other hand, his actions cannot result from arbitrary decisions, but rather must flow from rational choices determined by a preexistent system of moral norms.

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The historical importance of Jean-Jacques Rousseau rests primarily on his being the first one to show explicitly a way out of this dilemma. The solution depended on the distinction between an action determined by causes and one motivated by reasons. For the agent to be responsible for his action, the action had to be causally undetermined (and hence the traditional theory was correct to claim that free will was a necessary condition of responsibility), but it also had to be motivated (determined) by reasons (and hence free will could not be a sufficient condition of responsibility), and these reasons had to be the agent’s own (and hence a new theory of freedom as autonomy, or self-determination of the will, had to supplement the traditional conception of free will). Thus Rousseau supplemented the traditional concept of freedom as absence of causal determination of the will with the modern concept of freedom as autonomy or rational self-determination of the will. The effect of this change was that it made God-as-moral-legislator superfluous  : rational animals had sufficient powers to find out what good and evil were on their own, without divine revelation. Moreover, this finding out what good and evil were happened in the process of human history, by trial and error. And hence the new importance and dignity of linear human history  : History was the arena where humans, by their own efforts and gradually, discovered what was right and what was wrong. It is not that linear human history was not known before  ; on the contrary, it was an essential component of the Judeo-Christian outlook. But in the traditional Christian worldview, human time was embedded in God’s eternity, and there was a clear hierarchy between these two temporal orders  ; in the word’s of Bach’s cantata, “Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit”. The invention of autonomy emancipated human historical time from its subservience to God’s eternity, endowed it with importance and value it did not have before. Something similar was the result of the new way modern science taught us to see nature  : Modern science proposed to view nature mechanistically rather than teleologically. In Aristotelian teleology, events are explained in terms of essences and final causes. The concept of a thing captures what the thing ought to be—its eternal essence, the norm or standard of perfection toward which the actual, imperfect and mutable, thing aspires in the process of becoming. It is this perfect norm that exerts causal influence on the imperfect actuality (the causality in question being, of course, final rather than efficient). But if it is the case that a body that moves with uniform velocity will continue on its way until it encounters an external force, it stops being the case that a body moves toward a naturally preordained place at which it will come to rest, and hence its essence cannot explain the whole process  : a suspicion arises that, when it comes to explaining events, the whole idea of essence has no useful job to do. Modern science embraces a radically nominalist position whereby concepts are purely conventional

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collections of particulars rather than binding norms with objective existence, and it gives up on explanations that involve essences or final causes. Efficient causality is the only causality it recognizes  : It analyzes events into the motions of bodies and explains any correlated two events as mathematically equivalent cause and effect. The teleological way of seeing nature privileges rest and devalues motion, since it assumes that every process strives toward the point of perfection at which point it is completed. In other words, teleology privileges the eternity of being over the temporality of becoming. The mechanistic view rejects this prioritizing  : Open-ended becoming is all there is. Also here, linear time ceases to be subservient to eternity, gets emancipated from it and valued for its own sake. In short, in both of these crucial cultural domains (that of the moral reflection on man, and that of the scientific investigation of nature), one stopped thinking in terms of eternal essences, and liberated the open-endedness of becoming. Linear time came to its own.

3. But what specifically is the connection between what happened in music and what happened elsewhere in culture  ? Is this a mere analogy, mysteriously produced by the inscrutable workings of the Zeitgeist  ? I take a pragmatic view of this matter. Hegel famously claimed that art “only fulfils its supreme task when it has placed itself in the same sphere as religion and philosophy, and when it is simply one way of bringing to our minds and expressing the Divine, the deepest interests of mankind, and the most comprehensive truths of the spirit”, albeit by means specific to it, that is, by embodying these truths in sensuous images.2 If the main function of art is to provide humans with self-images, it makes sense that, as the nature of these self-images changes, artists will start to develop new means by which adequately to capture these new images, or to adapt old means to serve the new purposes. If the predominant worldview sees human history as embedded in, and subordinated to, divine eternity, it makes sense for musicians to try to develop methods by which linear time would be devalued and neutralized. Bach’s St. Matthew Passion narrates the central event in human history, of course, but it makes sure that we never forget that the whole point of this event is to bring human history to a happy end, to release it into the eternity. 2 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Aesthetics  : Lectures on Fine Art, trans. T. M. Knox, 2 vols. (Oxford  : Oxford University Press, 1975), 7.

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If, on the other hand, human history is an open-ended process of becoming, one can capture it only in music that takes temporal development and change seriously. Mozart’s Figaro, like Bach’s Passion, ends with an act of redemptive sacrifice  ; but here it is not God who gracefully sacrifices himself to release us into the eschatological future  ; rather, the very imperfect human participants of the crazy day on Count Almaviva’s estate gracefully pardon one another to make a common earthly future possible, if only for another day. Thus modern music’s newly found ability to embody the experience of linear time made it into a suitable vehicle for bringing to the minds of its contemporaries some of their deepest interests. Definitive of modernity are narratives of secular universal history, whether conceived in liberal terms of progressive continuity, or in egalitarian terms of revolutionary breakthrough. Once the transcendent divine has been brought down to earth and made immanent in the historical march of mankind toward a utopian future, those composers who were at all interested in such themes, found ready means to capture them in their musical narratives. One final note  : If we take seriously the idea that art at its best represents worldviews, embodies our self-understandings and self-images, this idea will have historiographic consequences. Namely, it will suggest that music history does not have to be always conceived as the history of musical styles (that is, musical means), but might also be conceived as the history of the represented world views (that is, the history of the changing aims these changing styles served). One can do music history in a variety of ways, of course. My recent book is an attempt to try out an alternative to the usual stylistic history, an alternative that correlates the stylistic means with the aims they were designed to serve.

II Reinhard Kapp

HAYDNS PERSÖNLICHE ZEITERFAHRUNG

„Kein Komponist der jüngeren Musikgeschichte verbirgt sich hinter seinen Werken so sehr wie Joseph Haydn. Wir wissen wenig über die Person und ihre innere Biographie, und von dem Wenigen ist Vieles unsicher.“1 Gewiss treffen die Sätze, mit denen Ludwig Finscher sein Haydn-Buch eröffnet, etwas Richtiges. Sie sind hier nicht zu diskutieren, so nötig und aussichtsreich das auch erscheinen könnte. Immerhin lenkt ein solches Statement die Aufmerksamkeit darauf, dass wir uns mit unserem Thema offenbar in einem problematischen Feld bewegen. Aber weder auf „Person“ oder auf „innere Biographie“ möchte ich irgendwelche analytische oder definitorische Arbeit verwenden, noch auf Zeit, Erfahrung oder auch Zeiterfahrung, und schon gar nicht will ich mich auf die Frage einlassen, wer oder was Haydn ist und bedeutet. Um etwas über jenen thematischen Komplex herauszufinden, den ich unter „Haydns persönliche Zeiterfahrung“ zusammengefasst habe, muss aber jedenfalls eruiert und sortiert werden, was damals überhaupt möglich gewesen wäre, was in Haydns Fall für wahrscheinlich gehalten werden mag, was konkret greifbar zu machen ist, von Zeugen zusammengetragen oder von ihm direkt artikuliert, sei es in Worten oder kompositorischen Entscheidungen und Konzeptionen. Ich kann so keine verlässlichen Beiträge zu einer Psychohistorie liefern, aber Materialbereiche bezeichnen, Fragestellungen formulieren, Deutungsvorschläge vorbringen, nicht mehr.

Zeitempfindung, Zeitmanagement Der Versuch, ein Porträt Haydns in seinem Verhältnis zur Zeit zu entwerfen, soll von dem ihm beigelegten Temperament ausgehen. „Bedächtlichkeit“ wurde ihm nicht nur von verschiedenen Gewährsleuten attestiert2 – er hat die Zuschreibung sich auch zu 1 Ludwig Finscher, Joseph Haydn und seine Zeit (Laaber  : Laaber Verlag, 2000), 82. 2 „Mit dem bedächtlichen Manne kann man aber nichts brüsquiren“, „Eben komme ich von Haydn …“. Georg August Griesingers Korrespondenz mit Joseph Haydns Verleger Breitkopf & Härtel 1799–1819, hg. von Otto Biba (Zürich  : Atlantis, 1987), 41  ; über den alten Haydn  : „aus der ganzen Physiognomie und Haltung sprach Bedächtlichkeit und ein sanfter Ernst“, Georg August Griesinger, Biographische Notizen über Joseph Haydn (Leipzig  : Breitkopf & Härtel, 1810, Reprint Leipzig  : Deutscher Verlag für Musik, 1979), 94.

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eigen gemacht. Freilich stammen diese Zeugnisse (wie die meisten) aus den späteren Jahren, sie können also vielleicht nicht ohne weiteres für den ganzen Haydn reklamiert werden. Gemeint war, dass er sich nicht gerne unter Druck setzen ließ, sondern vor Entscheidungen unter Umständen lange überlegte. Anders als bei Glücks- oder Unglücksfällen, die man hinzunehmen hat, müssen bei anstehenden Entscheidungen Gründe und Gegengründe, Vor- und Nachteile abgewogen werden, da man schließlich die Verantwortung für die Folgen trägt. Lethargisch war Haydn dabei gewiss nicht, denn er konnte ziemlich impulsiv reagieren, wenn jemand es wagte, seine Kompositionen durch willkürliche Veränderungen zu entstellen.3 Der Dienst bei den Esterházys forderte ihm zwar regelmäßige Kompositionen ab, dennoch stand ihm mit der Kapelle ein „Laboratorium“ zur Verfügung4, das ihm bei aller Zweckgebundenheit seiner „Arbeiten“ ein bedeutendes Maß an Freiheit einräumte  ; Haydn durfte bekanntlich „Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt, und was ihn schwächt, also verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen“5 – das heißt, er erhielt die Chance, Langzeitstudien zu treiben, sich in aller Ruhe zu entwickeln. Dabei muss er herausgefunden haben, dass nicht nur kaum ein neues Vorhaben im ersten Anlauf völlig gelingt, sondern jede Arbeit ihre Zeit braucht. Er muss also über beträchtliche Geduld verfügt haben. Dass bei der Herstellung eines guten Werkstücks Sorgfalt erforderlich ist, dürfte dem Sohn und Enkel eines Wagnermeisters selbst in den wenigen Jahren des Vorschulalters, die er überhaupt im väterlichen Haus verbrachte, bereits eine vertraute Erfahrung bedeutet haben. Für sein eigenes Metier scheint ihm während seiner Wiener Kapellknabenjahre eine entscheidende Lektion erteilt worden zu sein, denn er erzählte in späten Jahren gerne, wie er zu Kapellmeister Reutters Erheiterung sich an zwölf-6 oder gar sechzehnstimmigen7 Sätzen versucht habe, ohne 3 So schildert Carpani, wie er bei einer Probe zu Ausschnitten aus der Schöpfung der Sängerin Campi grob in die Parade fuhr („prorompe in un grido“), als sie es wagte, eine ausgehaltene Note zu verzieren  : Giu­ seppe Carpani, Haydn. Sein Leben, Aus dem Italienischen von Johanna Fürstauer (St. Pölten/Salzburg  : Residenz Verlag, 2009), 174 f. Übersetzung und Kommentar sind nicht immer ganz zuverlässig  ; das Original  : Le Haydine Ovvero Lettere Sulla Vita E Le Opere Del Celebre Maestro Giuseppe Haydn (Padova  : Minerva, 1823, Reprint Bologna  : Forni, 2010), 186 f. – Man denke aber auch an Haydns späte Bemerkung Baillot gegenüber, seine Frau habe ihn „oft wütend gemacht“ (nach Pohl/Botstiber 239 – die drei Bände der „klassischen“ Haydn-Biographie werden im Folgenden als Pohl I, Pohl II, Pohl/Botstiber zitiert), oder daran, dass er bei Gelegenheit einer Verstimmung zwischen ihm und van Swieten „seine Hitze nicht sogleich mäßigen“ konnte (Albert Christoph Dies, Biographische Nachrichten von Joseph Haydn [Berlin/ DDR  : Henschel, 21962], 181). 4 Finscher, Joseph Haydn, 83  ; vergleiche Gerhard J. Winkler, „Joseph Haydn’s ,experimental studio‘ in Esterháza“, Musical Quarterly 80 (1996), 341–47. 5 Griesinger, Biographische Notizen, 24. 6 Dies, Biographische Nachrichten, 28. 7 Griesinger, Biographische Notizen, 10. Carpani lässt Haydn stattdessen von einer „Messa a quattro, con se-

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erst einmal genügende Sicherheit in der Verbindung zweier Stimmen zu erwerben. Mittlerweile, nun selbst einer der angesehensten Meister seiner Kunst, hatte er nicht mehr den höfischen Gebrauchswert und nicht mehr allein den privaten Tauschwert einer Komposition im Auge, sondern deren Solidität im Sinne nicht nur von Fehlerlosigkeit der Machart, sondern von Strapazierfähigkeit und Haltbarkeit, worin er es mit Heroen wie Palestrina oder Händel aufnehmen wollte. Bemerkenswert ist dabei, dass er bereits zu einer Zeit auf Gründlichkeit aus ist, da er Musik für den Tag zu schreiben hat, die zwar vertragsgemäß Eigentum seines Fürsten bleiben soll, der dabei jedoch gerne laufenden Nachschub hat. Die dienstherrliche Zufriedenheit genügt Haydn nicht. Dass der „Stufen zum Parnass“ viele und mühselige sein würden, hat Haydn niemals davon abgehalten, auf einer jeden so lange zu verweilen, wie es nötig war, und sich keine Mühe sauer werden zu lassen, um schließlich dort anzukommen, wo Apoll samt Musen ihn mit dem Lorbeer erwartete. War der Anstieg dorthin steil und steinig, so war dies alter christlicher Überzeugung gemäß der sicherste Beweis dafür, dass er sich auf dem rechten Weg befand. Freilich ist mit Geduld allein nicht alles zu erreichen  ; Michael Kelly zitiert ein Statement „on the subject of melody“, das er freilich gerade als Sänger ein Interesse zu überliefern gehabt haben dürfte  : It is the air which is the charm of music, and it is that, which is most difficult to produce  ; – patience and study are sufficient for the composition of agreeable sounds, but the invention of a fine melody is the work of genius […].8

Das entspricht fast einem Convenu der Epoche  : der auf Horaz zurückzuführenden Gegenüberstellung von ars und natura bzw. ingenium, gebrochen oder auch konkretisiert durch die Rousseau’schen Parolen von der Melodie, die sich allein dem Genie verdankt, und dem Handwerk, das allenfalls eine korrekte und selbst angenehme Harmonie zustande bringt. Spätestens sobald eine Nachfrage entsteht, Haydn Stücke für den Musikalienhandel liefert, verliert sich der Eindruck der Kurzlebigkeit, das Verständnis der Musik als eines zum schnellen Konsum bestimmten Guts. Natürlich diente der Druck der lokalen Verbreitung, aber er stellte die Arbeiten auch auf Dauer. Vor allem wenn es sich nicht mehr nur um Stimmensätze handelte, die Aufführungen an jedem beliebigen Ort ermöglichten, sondern um Klavierauszüge und Partituren, die den privaten Nachvollzug dici parti d’orchestra“ erzählen, was sowohl die detaillierteste als auch die plausibelste Angabe sein dürfte, Carpani, Le Haydine, 26. 8 Michael Kelly, Reminiscences, ed. with an Introduction by Roger Fiske (London [et al.]  : Oxford University Press, 1975), 95.

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und das eingehende Studium durch die gesamte musikalische Welt erlaubten, und das über den Tag hinaus, schließlich auch den Bestand solcher Arbeiten sicherten, die als Manuskripte allen Gefahren und Zufällen ausgesetzt waren. Wie sehr, erfuhr Haydn bei den Bränden, denen (zweimal) sein Wohnhaus und das Theater auf Esterháza zum Opfer fielen. Und so geht es schließlich beim Komponieren selbst nicht mehr allein um Verlässlichkeit und Expertise. So erklärte er Griesinger  : Ich war nie ein Geschwindschreiber, und komponirte immer mit Bedächtlichkeit und Fleiß. Solche Arbeiten sind aber auch für die Dauer, und einem Kenner verräth sich das sogleich aus der Partitur.9

Von der Entstehung der Schöpfung berichtet Carpani  : Nel 1795 l’Haydn, contando già 63 anni di vita, vi pose la prima mano. Non meno di due anni vi sudò sopra  ; ma fece un lavoro da secoli. A chi lo sollecitava a sbrigarsi rispondeva  : „ci metto molto, perchè voglio che duri molto.“10

Soweit sich über den vielfältigen Verpflichtungen noch Zeit für etwas wie ein Privatleben erübrigen ließ, erfahren wir kaum etwas darüber. Haydn scheint Gesellschaftsspiele nicht verschmäht zu haben, aber „[d]ie Jagd und der Fischfang waren [seine] Lieblings-Erholungen während seines Aufenthalts in Ungarn“, überliefert Griesinger nebst ein wenig Haydn’schem Jägerlatein.11 Zur Zerstreuung und um der Trunksucht vorzubeugen, war den Hofmusikern das Erlegen von Niederwild (Haydn erwähnt Haselhühner, Fasanen und Hasen) in den zahlreichen eigens angelegten Revieren erlaubt – vermutlich, solange die Herrschaften nicht selbst dort zu jagen beanspruchten.12 Man darf sich also keine Teilnahme an fürstlichen Parforcejagden vorstellen (ohnehin zog Haydn den Umgang mit seinesgleichen dem mit hohen Herrschaften vor), sondern ge-

 9 Griesinger, Biographische Notizen, 116. 10 Carpani, Le Haydine, 169 f. 11 Griesinger, Biographische Notizen, 29 f. Vergleiche Carpani, Haydn. Sein Leben. 12 Stefan Körner, „Die Fürsten Esterházy und die ungarische Jagdgeschichte“, in  : Stefan Körner (Hg.), Fürstliches Halali. Jagd am Hofe Esterházy (München  : Prestel, 2008), 99. Fasane gehörten allerdings, im Unterschied zu Hasen und Kleinvögeln, zur Hohen Jagd, ibid., 86. Dass von Haydn erlegte Tiere auch einmal auf der kaiserlichen Tafel landeten, erscheint nicht ganz abwegig, wenn man liest, daß der Fürst gelegentlich Engpässe bei der Wildlieferung zu beklagen hatte, ibid., 74. – Einer der nicht authentischen Beinamen für die Sinfonie Nr. 31 „Auf dem Anstand“ kommt für unser Thema nicht in Betracht, weil es sich bei dem „Hornsignal“ im ersten Satz um ein solches der Post handelt, siehe Horst Walter, „Das Posthornsignal bei Haydn und anderen Komponisten des 18. Jahrhunderts“, Haydn-Studien IV (1976) 1, 21.

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sellige oder auch einsame Streifzüge (Pirschgänge) in Begleitung eines Hundes. Auch als Jäger, insbesondere aber als Fischer war Haydn geduldiges Warten abverlangt. Die Frage stellt sich13, ob die wiederholten Hindeutungen auf Erfordernisse, die Ausdauer, Besonnenheit, Gelassenheit und Gründlichkeit umfassen, als dezidierte Antwort auf die Beschleunigungstendenzen der Zeit gerichtet zu verstehen wären. Wie hätten sich diese auswirken müssen  ? Denkbar wären psychische Folgen (Nervosität, Unsicherheit), aber auch praktische Folgerungen wie ein kräftesparender („ökonomischer“) Umgang mit den Zeitressourcen, damit aber auch Oberflächlichkeit und Leichtherzigkeit. Davon ist wiederum nichts bekannt  ; Haydns erstaunliche künstlerische Fruchtbarkeit mag ihm bei manchen den Ruf eines Schnellschreibers eingetragen haben, die damit aber eher stilistische Einwände (gegen die „Leichtigkeit“) begründen als das Urteil, er habe beim Komponieren fünf gerade sein lassen. Andererseits war Haydn jemand, der auch im Alter „eine muntere Unterhaltung“ liebte.14 Und nicht nur geduldig – auch geistesgegenwärtig15 heißt es jedenfalls zu sein, wenn man eine Kapelle leitet16 und auf höchstem Niveau halten muss. Haydn konnte in Proben unermüdlich und unerbittlich auf Präzision dringen, damit alles ,wie am Schnürchen lief ‘, er hatte auch während der Aufführungen mit höchster Aufmerksamkeit den Ablauf zu überwachen, um gegebenenfalls korrigierend eingreifen zu können, und das in Stücken von teilweise durchaus virtuosem Zuschnitt. Haydn war ja nicht allein der Autor von Adagiosätzen, deren Ausführung einen ungewöhnlich langen Atem erforderte  ; er war auch der Erfinder eines „Prestissimo, das auszuführen sich zuvor jedes Orchester gescheut hätte“17 – in beiden Fällen bedurfte es einer gewissen Nervenstärke. Ich erinnere aber auch an das kleine Solo für den Klavieristen in der 98. Symphonie, welches Haydn zum Jubel des Publikums „mit größter Genauigkeit“ ausführte.18 Nun ist das technisch keineswegs schwierig zu nennen, Haydn war zu dem Zeitpunkt bereits ein „alter Hase“, was Auftritte in der Öffentlichkeit angeht, aber es will doch etwas heißen, am Ende eines langen Stücks, für das man Satz für Satz zwar als nomineller „conductor“ das Tempo angegeben hat (obwohl dies von Amts wegen die Aufgabe des „leader“, also des Konzertmeisters, gewesen wäre), dann jedoch mehr oder weniger untätig resp. kaum hörbar gewesen war, plötzlich ins Licht der allgemeinen Aufmerksamkeit zu treten. 13 So auch in der Diskussion nach dem Referat. 14 Dies, Biographische Nachrichten, 210. 15 „Gegenwart des Geistes“ bildet einen eigenen Paragraphen im ersten Kapitel von Knigges Ueber den Umgang mit Menschen, einem Buch, das sich in Haydns Bibliothek befand. 16 – in der Oper vom Cembalo aus, in der Kammer als Konzertmeister, in der Kirche und bei größeren Veranstaltungen als Organist oder Taktschläger. 17 Carpani, Haydn. Sein Leben (Anm. 3), 83. 18 Nach H. Robbins Landon, Das kleine Haydn-Buch (Reinbek  : Rowohlt, 1979), 82.

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In Selbstzeugnissen sind auffallend häufig Uhrzeiten angegeben oder Zeiträume bis zu Einheiten von Viertelstunden oder selbst fünf Minuten. So bemerkte er Carpani gegenüber, „daß er sich nicht erinnern könne, an einem Tag weniger als sechzehn Stunden gearbeitet zu haben, ja manchmal sogar achtzehn“.19 Unter den Londoner Notizen fällt eine über die genauen Arbeitszeiten (und Lohnspannen) von Handwerksgesellen in England auf20 – was immer Haydn daran speziell interessiert haben mag. Oder er hielt nicht nur zwei spektakulärere Brände fest, die ihn an eigene Erfahrungen erinnern mochten  ; er notierte sich auch den exakten Zeitpunkt und die Dauer.21 Die Schlösser (und Güter) der Esterházys waren in Gegenden angesiedelt, welche Haydn seine ländliche Herkunft nicht vergessen ließen – quasi naturalistische Reflexe finden sich noch in den entsprechenden Tonbildern der Jahreszeiten. Und doch scheint auch das Hofleben auf Esterháza bereits weitgehend nach der Uhr geregelt gewesen zu sein – ebenso auch das Konzert- und Theaterleben.22 Jedenfalls waren auf Esterháza zuzeiten in Abwesenheit des Fürsten wöchentlich „zwey Musicalische Accademien“, und zwar „am dienstag und donnerstag von zwey bis vier Uhr Nachmittags von gesamten Musicis zu halten“  ; während seiner Anwesenheit sollte Haydn all-täglich […] vor- und nach-Mittag in der Anti-Chambre erscheinen, und sich melden lassen, allda die Hochfürstl. Ordre, ob eine Musique seyn solle  ? abwarthen, als dann aber nach erhaltenem befehl, solchen denen Andern Musicis zu wissen machen, und nicht nur selbst zubestimmter zeit sich Accurate einfinden, sondern auch die andern dahin ernstlich anhalten, die aber zur Musique entweder spath kommen, oder gar ausbleiben, spezifice annotiren.23

In den Suiten zu den einzelnen Monaten, die der Esterházy’sche Kapellmeister Gregorius Joseph Werner 1748 unter dem Titel Neuer und sehr curios musicalischer Instrumen19 Carpani, Haydn. Sein Leben, 46. 20 1. Londoner Notizbuch, Mai/Juni 1792  : „Der Handwercksbursch arbeitet insgemein das ganze Jahr von früh 6 über [sic] bis 6 uhr abends, und hat durch diese zeit hindurch nicht mehr als anderthalb stunden zu seiner Disposition frey. Er hat die woche 1 guinee. Muß sich aber selbst verkösten. Viele werden stückweis bezahlt. Es wird Ihm aber jede Viertl stund seines ausbleibens abgerechnet. / nur die schmiedsgesellen müssen des Tages um eine stund länger arbeithen“, Joseph Haydn, Gesammelte Briefe und Aufzeichnungen, hg. von Dénes Bartha (Kassel [u.a.]  : Bärenreiter, 1965), 495. 21 1. Londoner Notizbuch  : „den 14tn Jenner 1792 brandte das Pantheon Theater um 2 uhr nach Mitternacht ab“, Haydn, Briefe, 490  ; 3. Londoner Notizbuch  : „den 23tn July 1794 brache […] bey einem schifbau Meister feuer aus […] es dauerte von 4 uhr nachmittag bis den anderten tag früch“, ibid. 541. 22 Die Arbeit auf den Landgütern dagegen könnte noch in archaischer Manier dem natürlichen Rhythmus der Tag- und Jahrzeiten gefolgt sein. 23 Laut Regulatio Chori KissMartoniensis (1765), Haydn, Briefe, 50  ; Convention und Verhaltungs-Norma des Vice-Capel-Meisters (1761), ibid. 42.

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tal-Calender zusammenstellte, suchte er die Tag-und-Nacht-Gleiche in den Monaten März und September als den Normalfall sowie die entsprechenden Abweichungen (für Januar etwa  : „Die Tageslänge 9, die Nacht 15 Stund“) durch entsprechende Taktzahlen zu „exprimiren“ und so Dauernverhältnisse zur Erzielung von Charakteristik einzusetzen  : „Die Menueten haben durchgehends im ersten Theil die Tags, im anderten aber die Nachts-Länge, und ob zwar die Ungleichheit der Tacten in Menueten nicht erlaubet ist, so wird doch der verständige Musicus keine Ungleichheit derselben vermercken“24 – generell freilich wird man bei Musikern auch in ihrem Umgang mit Zeit (nicht nur mit Intervallen25, Rhythmen, Taktarten) einen gewissen traditionellen Hang zu Proportionsberechnungen unterstellen dürfen. Dennoch zeigt bei aller Bildkräftigkeit und Empfindbarkeit, die man mittlerweile von einer charakterisierten (d.i. betitelten) Musik über das bloß Bedeutungstragende hinaus erwarten durfte26, die Penibilität, mit der er seinen Calender in puncto Zeitdauern ausarbeitete, einen Zug zur rationalen Handhabung auch der Naturzyklen an, wie ihn der Hofkapellmeister ebenso im Umgang mit den in der Landwirtschaft anfallenden Arbeiten mag beobachtet haben. Dagegen scheinen sich für diesen Hof Dokumente nicht erhalten zu haben, wie sie andernorts überliefert sind – wonach man bei Proben die Dauer von Stücken oder sogar Einzelsätzen abnahm, um einen genauen Ablaufplan für bestimmte Festakte erstellen zu können.27 Das kirchliche Leben war mit den klösterlichen Horen längst nach Stunden geordnet, und auch in seinen Wiener Jahren nach der Kapellknabenzeit wechselte Haydn zeitweilig im Stundentakt von Kirche zu Kirche, um jeweils als Geiger, Organist oder Sänger Dienst zu tun.28 Dies dürfte die Orientierung nicht nur an der Turmuhr und ihrem Schlag, sondern wohl eher an der Taschenuhr erfordert, aber auch die Internalisierung solcher Zeitstrecken, der Normaldauer der Liturgie wie der zeitlichen Bemessung etwa der gängigen Arten von Kyrie- oder Benedictus-Sätzen befördert haben. Aller24 Vorrede, zitiert nach dem Faksimile im Booklet der Gesamtaufnahme unter Paul Angerer, CD Christophorus CHR 77106. 25 Hierauf dürfte sich Leibniz’ „unbewußtes Rechnen des Geistes“ bezogen haben. 26 Darin unterscheiden sich eben Werners Monate in vielen Einzelheiten von Christopher Simpsons Zyklus für Violen-Consort Months (1650er-Jahre), und das Gleiche gilt von den diversen Jahreszeiten zwischen Vivaldi (einem Komponisten, der im Notenarchiv von Esterháza vertreten war) und Domenico Scarlatti bis zu Haydn selbst oder den komponierten Tageszeiten (vokal bei Telemann, instrumental bei Haydn, dessen Komposition vom Fürsten angeregt war – Dies, Biographische Nachrichten, 47 –, möglicherweise als lokales Gegenstück). Aber Werners Tages- und Nachtlängen, die man überdies gar nicht „vermercken“ wird, die also jedenfalls dem natürlichen Gefühl nicht widerstreiten sollen, gehören noch dem Zeitalter des primär zeichenhaften „Ausdrucks des Wortes“ an. 27 Vergleiche etwa Nicola Färber, Caroline Schleicher-Krähmer. ‚Le comble du ridicule‘, Diss. Wien (Universität für Musik und darstellende Kunst) 2008, 156. 28 Griesinger, Biographische Notizen, 17.

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dings gibt es selbst aus jenen Jahren, in denen Haydn auch für die Kirchenmusik auf Esterháza verantwortlich zeichnete, nicht den geringsten Hinweis darauf, dass für ihn die kirchlichen Tages- oder Jahreszeiten eine besondere Bedeutung gewonnen hätten.29 Um die verschiedenen Obliegenheiten und Bedürfnisse in Balance zu halten, aber auch, um den dienstlichen Verpflichtungen pünktlich nachkommen zu können, später wohl auch um sich selbst ein gewisses Pensum aufzuerlegen – „[a]us Liebe zur Ordnung“, wie Dies schreibt –, „hatte Haydn seine Studier- und Geschäftsstunden genau bestimmt, und er sah es ungern, wenn die Notwendigkeit ihn zu einer Abänderung zwang. Doch war er keineswegs ein Mann nach der Uhr zu nennen.“30 Der letzte Satz zitiert den Titel eines Lustspiels Theodor von Hippels (1766)31, dessen pünktlichkeitsfanatischer Held nach Kant modelliert sein soll. Gemeint war wohl, dass bei Haydn diese strenge Ordnung nichts Wahnhaftes gehabt habe.32 Der minutiöse Tagesablauf, wie er von verschiedenen Gewährsleuten skizziert wird, bezieht sich nicht nur auf die noch aktive Zeit nach der Verabschiedung als Hofkapellmeister, was ihn gewissermaßen entschuldigen, ja als grundvernünftig rechtfertigen würde, nach Carpani galt er „[s]eit Haydns Eintritt in das Haus Esterházy“33, und er wurde auch nach der Pensionierung, von jahreszeitlich bedingten kleinen Modifikationen abgesehen, eisern durchgehalten.34 Erst in der letzten Zeit, bei zunehmenden Krankheiten und allgemeiner Schwäche, begann es zu bröckeln. Verzögerung verärgerte Haydn ebenso sehr wie überstürzte Aktivitäten.35 Wie wohl jeder sah er „mit Ungeduld“ sehnlich erwarteten Entscheidungen entgegen, wie etwa 29 Hielt er die Fasten ein  ? Hatten für ihn die kirchlichen Feiertage eine grundsätzlich andere Bedeutung als die Hoffeste mit ihrem Anteil an kirchlichem Zeremoniell  ? Beachtete er das Aveläuten  ? Besuchte er außerhalb seiner Dienstgeschäfte Gottesdienste  ? (Dass er erst „nach angehörter H  : Meß in das schif [nach Dover] stiege“, bezeichnet wohl nicht unbedingt die Regel.) Betete er den Rosenkranz auch dann, wenn ihn keine Schaffenskrisen heimsuchten  ? Wäre der Schluss aus der entsprechenden Erzählung erlaubt, dass er außerhalb seiner Dienstgeschäfte eine eher private Religiosität pflegte  ? Was bedeutet die Freundschaft zu den Barmherzigen Brüdern in Eisenstadt (für die die sog. Kleine Orgelsolomesse bestimmt war)  ? Genierte ihn in London sein anglikanisches Umfeld  ? 30 Dies, Biographische Nachrichten, 297. 31 Wie Gerhard Dohrn-van Rossum in der Diskussion erklärte, waren sowohl die minutiösen Zeitangaben als auch die strikte Tageseinteilung für die Haydn-Zeit insgesamt charakteristische Erscheinungen. 32 Knigge widmet dem Thema „Sei pünktlich, ordentlich, fleißig  !“ einen eigenen Paragraphen im Ersten Teil seines Umgangs mit Menschen  ; es kommt auch im Abschnitt „Wie man sich zu betragen habe, wenn man die Direktion über Tonkünstler und Schauspieler führt  ?“ des Dritten Teils vor. 33 Carpani, Le Haydine (Anm. 3), 224  : „Entrato l’Haydn in casa Esterhazy, si può dire che, conosciuto il tenore di vita d’uno de’ suoi giorni, quello si conoscesse di tutto l’anno.“ 34 Vergleiche auch die Mitteilungen seines Hausdieners Johann Elßler über die Tage vor Haydns Tod, Pohl/ Botstiber 385 ff. 35 Haydn, Briefe (Anm. 20), 115 „Ihrer übereilten Ankündigung“  ; 120 „der Verzögerung wegen verdrießlich geworden“.

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der Anstellung beim Fürsten Esterházy.36 Gelegenheiten gab es dennoch genug, sich in geduldiger Ergebung und Vertrauen auf die Vorsehung zu üben  : In dem bei seinem Amtsantritt beim Fürsten Esterházy von Haydn unterschriebenen Vertragsdokument „Convention und Verhaltens-Norma des Vice-Capel-Meisters“ war die Expektanz auf die Oberkapellmeisterstelle festgeschrieben – angesichts des fortgeschrittenen Alters des Oberkapellmeisters darf angenommen werden, dass die fünf Jahre bis zum Tod Werners 1766 Wartejahre waren. Das Haydn abverlangte täglich zweimalige Antreten in der Antichambre in Erwartung fürstlicher Entschließungen, wie strikt es im Lauf der Jahre auch eingehalten worden sein mag, wollte ebenfalls durchgestanden sein. Trotz reicher Erfahrung solcher Art war ihm das Benehmen eines (freilich notorisch unzuverlässigen) englischen Adeligen so auffallend, dass er es Griesinger erzählte  : Bey dem Prinzen von Wallis [= Wales] dirigirte er sechs und zwanzig Musiken, und das Orchester mußte oft mehrere Stunden warten, bis der Prinz von der Tafel aufgestanden war. Da diese Bemühung überdies ganz unbelohnt blieb, schickte Haydn auf den Rath seiner Freunde von Deutschland aus eine Rechnung von hundert Guineen ein, als das Parlament die Schulden des Prinzen bezahlte und er erhielt diese Summe ohne Verzug.37

Hier ist nun ausgesprochenermaßen auch ein ökonomisches Motiv ins Spiel gebracht, aber das war es nicht allein, was Haydn verdross. Der Adel, zumindest jener mit kleinerer Hofhaltung, machte nicht nur die Nacht zum Tage38 – ein üblicher Kritikpunkt von bürgerlicher Seite –, er erwies sich auch als kaum berechenbar. Haydn war es zur Zeit seiner Englandreisen nicht mehr gewohnt, dass man ihn warten ließ. Seine Berühmtheit erschien ihm wohl als von der Art, dass man auch ihm ein Mindestmaß an Respekt schuldete – und er durfte sich durch kleine Aufmerksamkeiten und subtile Veränderungen im Benehmen seines Fürsten ihm gegenüber bestätigt fühlen. Vermutlich hatte er ein Geschick entwickelt, sich unangenehmere Dinge vom Hals zu halten. In späteren Jahren kümmerten ihn die chronischen Krankheiten und die da­ raus entspringende Übellaunigkeit seiner Frau „già […] non […] di niente, finiranno una volta questi guai“39. Wenn er jedoch schreibt  : „questo destino bisogna dunque lasciare alla Providenza“40 – ist das Gottvertrauen, oder sucht er seine Polzelli, die ihm ihrerseits mit Forderungen zusetzt, zu vertrösten und hinzuhalten  ? 36 Carpani, Haydn. Sein Leben (Anm. 3), 98. 37 Griesinger, Biographische Notizen, 59 (Tagebuch  ?)  : „zwey Tage hindurch wurde von Abends um zehn Uhr bis um zwey Uhr nach Mitternacht Musik gemacht.“ 38 Griesinger, Biographische Notizen, 43  : Beim Herzog von York. 39 An Luigia Polzelli, Eisenstadt 20.6.1793, Haydn, Briefe (Anm. 20), 295. 40 An Luigia Polzelli, London 13.6.1792, ibid. 288.

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Selbst auf diesen Bediensteten schlugen die kapitalistischen Verwertungsgesetze durch  : Zeit ist Geld (Verzögerungen schaden auch materiell, Müßiggang ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch dem Erwerb feindlich  : „… ich bin der Verzögerung wegen verdrießlich geworden, weil ich für diese 5 Stück von ein andern Verleger 40 Ducaten haben könnte, und Sie machen so viele weitläuffigkeiten von einer Sache was Ihnen bey so kurzen Stücken 30fachen Nutzen verschaffet.“41 Bei einem voll gepackten Terminkalender wird Haydn immer wieder unter Zeitdruck geraten sein, jedenfalls klagt er öfters über Zeitmangel – nicht wie jemand, der wieder einmal den Umfang der anfallenden Arbeiten unterschätzt hat oder dem etwa der Trubel des Theaterlebens so notwendig ist wie die Luft zum Atmen, sondern eher wie ein im Netz seiner Verpflichtungen zappelnder Hofmann oder bürgerlicher Unternehmer  : „dazu aber wird mir die zeit zu kurtz“  ; „meine überhäufte arbeithen“  ; „Aus mangl der Zeit“  ; „wobey ich sehr viel zeit verliehre“.42 Wenn Beethoven erklärt, er habe bei Haydn (wohlgemerkt  : dem Lehrer, nicht etwa dem Komponisten) nichts gelernt, der sei immer mit anderem beschäftigt gewesen43, so bedeutet dies, dass Haydn für die sorgfältige Besprechung und Kritik seiner Schülerarbeiten einfach keine Zeit fand. Je mehr mit zunehmender Berühmtheit der Betrieb, seine Auftraggeber auf dem freien Markt oder sein Impresario von ihm Lieferung erwarten, desto bedrängender wird die Zeitnot  : 1792 an Marianne von Genzinger  : [I]ch Erkene und beckene, daß ich nicht so saumseelig seyn sollte in meinem versprechen, allein, wenn Euer gnaden seheten, wie ich hier in London Seccirt werde in allen denen privat Musicken beyzuwohnen, wobey ich sehr viel zeit verliehre, und die menge deren arbeithen so man mir aufbürdet, würden Sie […] mit mir und über mich das gröste Mittleyd haben, ich schriebe zeit lebens nie in Einen Jahr so viel als im gegenwärtig verflossenen, bin aber auch fast ganz Erschöpft […] ich arbeite gegenwärtig für Salomons Concert, und bin bemüßigt mir all erdenckliche mühe zu geben, weil unsere gegner die Professional versammlung meinen schüller Pleyel von Straßburg haben anhero komen lassen, um Ihre Concerten zu Dirigiren.44

1799 an Breitkopf  :

41 Ibid., 120. 42 Ibid., 130, 135, 172 und 274. 43 Nach Alexander Wheelock Thayer, Ludwig van Beethovens Leben. 1. Band (3Leipzig  : Breitkopf & Härtel, 1917), 352. 44 Haydn, Briefe (Anm. 20), 274.

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Ich schäme mich in der that, einen Mann, welcher mich schon so oft auf die verehrungswürdigste arth ohne es verdient zu haben mit seinen zuschriften beehrte, mit meiner späten and­worth beleydiget zu wissen, es ist nich saum[seelig]keit, sondern die menge der geschäfte schuld daran, welche, wie älter ich werde, desto mehr sich täglich vermehren, nur bedaure ich, daß ich vermög meines hochanwachsenden Alters, und bei (leyder) abnehmenden geistes kräften den wenigsten theil derselben befriedigen kann.45

Doch stand Haydn natürlich so weit über den Dingen, dass er auch scherzweise ein „Lob der Faulheit“ (nach Lessing) anstimmen konnte46. Dass man die zugemessene Zeit nicht nutzlos verstreichen lassen dürfe, war seine festgegründete Überzeugung. Zu Griesinger  : „Ich weiß es, daß mir Gott einen Antheil [scil. an Begabung] verliehen hat und erkenne es mit Dank  ; ich glaube auch meine Schuldigkeit gethan und der Welt durch meine Arbeiten genützt zu haben  ; mögen nun Andere dasselbe thun.“47 Haydn lässt offen, welche Art Nutzen er gestiftet zu haben meint – wir dürfen spekulieren, ob er das Vergnügen seiner Hörer oder die Erbauung der Christgläubigen, die Befriedigung der Kenner oder die Grundlegung des modernen Komponierens im Sinne hat. Jedenfalls hofft er seinem Schöpfer nichts schuldig geblieben zu sein und mit seinem Talent nach Kräften gewuchert – d.h. von seiner Zeit den besten Gebrauch gemacht zu haben. Dass eine Aufführung der Schöpfung einer Stiftung für die Armen einen Betrag von 2000 Talern eingebracht habe48, erfüllt ihn mit Befriedigung. Aber nachdem im Alter die Zeiten der Tätigkeit weitgehend zu leeren Zeiten geworden waren und er von Langerweile bedroht war, für die der Stolz auf das Geleistete wohl nur unzureichend Kompensation bot, klagte er Griesinger  : „Ich bin der Welt zu nichts mehr nütze, […] es wäre wol Zeit, daß mich Gott zu sich rief  !“49

Haydn überblickt und erzählt sein Leben 1776 aufgefordert, für ein Sammelwerk seine Autobiographie zu verfassen, erklärt er, für die Ausarbeitung „keine Zeit“ zu haben, gibt aber wenigstens in knappen Sätzen einen kurzen Überblick  :

45 Ibid., 319. 46 Lieder für das Clavier II, Hob. XXVIa  :22 (1780 ff.). 47 Pohl II 31 f. 48 Bericht Ifflands, Pohl/Botstiber 264 f. 49 Griesinger, Biographische Notizen, 96.

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[…] Gott der allmächtige (welchen ich alleinig so unermessene gnade zu dancken) gab mir besonders in der Music so viele leichtigkeit, indem ich schon in meinen 6ten Jahr ganz dreist einige Messen auf den Chor herab sang, auch etwas auf dem Clavier und Violin spielte  : / in den 7ten Jahr meines alters hörete der Seel  : Herr Capell Meister v. Reutter in einer Durchreise durch Hainburg von ungefähr meine schwache doch angenehme stime, Er nahme mich alsogleich zu sich in das Capell Hauß, allwo ich nebst dem Studiren die sing kunst, das Clavier, und die Violin von sehr guten Meistern erlehrnete. Ich sang allda sowohl bey St  : Stephan als bey Hof mit großen Beyfall bis in das 18te Jahr meines alters den Sopran. Da ich endlich meine stimme verlohr, muste ich mich in unterrichtung der Jugend ganzer 8 Jahr kumerhaft herumschleppen (NB  : durch dieses Elende brod gehen viele genien zu grund, da ihnen die zeit zum studiren manglet) die Erfahrung trafte mich leyder selbst, ich würde das wenige nie erworben haben, wan ich meinen Compositions Eyfer nicht in der nacht fortgesezt hätte, ich schriebe fleissig, doch nicht ganz gegründet, bis ich endlich die gnade hatte von dem berühmten Herrn Porpora (so dazumahl in Wienn ware) die ächten Fundamente der sezkunst zu erlehrnen50  : endlich wurde ich durch Reccomendation des Sel  : Herrn v. fürnberg (von welchen ich besondere gnaden genossen) bey Herrn grafen v. Morzin als Directeur, von da aus als Capell Meister bey S  : Durchl. Dem fürsten an und aufgenohmen, allwo ich zu leben und zu sterben mir wünsche.51

Die abschließende Formulierung gibt etwas preis von dem ,Lebensplan‘, dem Haydn sich verpflichtet hatte. Denn so gern er später von der Zeit der Not und des Daseinskampfes erzählte, im Hause Esterházy war er wie im Hafen angekommen, und unter dem Patronat seines Fürsten war er gesonnen, sein Leben auch zu beschließen. Dies mochte eine letzte Phase bei eingeschränkten Kräften und demzufolge reduzierten Ansprüchen umfassen, wie er dies an seinem Amtsvorgänger Werner hatte beobachten können – eine Pensionistenexistenz, eine Zeit der Freistellung von allen Amtspflichten und der Behauptung auf dem freien Markt mit all seinen Unwägbarkeiten und Zufällen war da noch nicht in Sicht. Umso bemerkenswerter, wie schnell sich Haydn schließlich 1790 in die neue Lage fand  ; kaum überraschend dagegen, dass er sich nach der zweiten Englandreise nochmals ins ,Joch‘ begab, zumal es diesmal einigermaßen komfortabel gepolstert war. Aber ein völliger Bruch mit seinen Dienstherren, und damit auch mit dem Selbstentwurf als in Gnaden stehend, bei seinem Fürsten wie bei den Himmlischen, wäre wohl zu viel verlangt gewesen. Und während der weltläufige Mozart ihn

50 In der gedruckten (und redigierten) Version des Lebenslaufs in de Luccas Das gelehrte Österreich (Bd. I, 3. Stück [1778], 309) steht, es seien die Schriften Porporas gewesen, die ihm einen Begriff von reinem Satze vermittelt hätten. 51 Haydn, Briefe (Anm. 20), 77. Bis hierher geht der eigentliche Lebenslauf, dann spricht Haydn über Erfolge und seine Kompositionen.

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in der kurzen Zeit ihrer intensiven Bekanntschaft wohl nie hat spüren lassen, dass er ein ,freier‘ Künstler war (zumal auch ihm ein finanziell ergiebigerer kaiserlicher Titel durchaus erwünscht gewesen wäre)52, wirkte Beethoven, mit dem er ja fast bis zuletzt Umgang pflog und den er als Musiker und als einen Mann von Urteil schätzte, auf ihn hochfahrend (wie ein „Großmogul“53), als ein die gottgegebene Ordnung der Dinge verachtender, verantwortungslos in den Tag hineinlebender Bohemien. Dass er nicht wie Haydn selbst aufgrund fast im Übermaß geleisteter Dienste von seiner Herrschaft mit einer großzügig bemessenen Rente ausgestattet war, sondern von Mäzenen unterstützt und schließlich ohne Verpflichtungen vom Wiener Adel für vielleicht zu erwartende Meisterwerke subventioniert wurde, muss sich damals wie eine rätselhafte, vielleicht auch ein wenig Neid erregende Anomalie, ein seltenes Naturspiel ausgenommen haben.54 Vielleicht wäre Haydn auch für eine derart riskante Art Lebensführung zu ängstlich gewesen. In der autobiografischen Skizze weist zunächst die Formulierung „von ungefähr“ einen gewissen Zeitbezug auf. Mag es Zufall heißen, oder mag der Wiener Hofkapellmeister hundertmal auf der Suche nach rekrutierbaren Knaben gewesen sein – für Haydn zeigt sich darin, dass man, was immer einem widerfährt, in Gottes Hand ist. Es ist wohl als glückliche Koinzidenz zu betrachten, dass er im richtigen Augenblick aus den zur Verwahrlosung tendierenden Zuständen im Hainburger Schulrektorat herausgerissen wurde. Insofern ist dies eine Parallelstelle zu den beiden späteren, wo ihm explizit „Gnaden“ erwiesen wurden. In dem „alsogleich“ scheint noch die Verwunderung über einen so unvermuteten Wechsel der Umstände nachzuklingen. Weiterhin ist die Phase nach dem Stimmbruch von Interesse. Die Notwendigkeit, mit allerlei Brotarbeiten für sein Auskommen sorgen zu müssen, raubt ihm die „zeit zum studiren“, und Gleiches hindert viele Begabungen daran, sich zu entfalten, es tötet den Genius in vielen Musikern vor der Zeit ab. Hier hat Haydn aus eigener Initiative sich im Selbststudium manches anzueignen und kompositorische Erfahrung zu sammeln versucht, ohne dass er durch nennenswerte Aufträge dazu angehalten worden wäre, aber auch ohne fachliche Anleitung. Aus dieser Situation, in der er ganz auf sich selbst gestellt ist und in der manch anderer untergegangen wäre, wird er durch eine doppelte Gnade emporgehoben  : die Begegnung mit Porpora, von dem er offensichtlich nicht nur etwas über Gesang und Begleitung, sondern auch über Komposition lernen konnte, und die Empfehlung an namhafte Herrschaften. 52 Über Haydns Umgang mit dem in den letzten Wiener Jahren tatsächlich freischaffend tätigen Johann Baptist Vanhal wissen wir zu wenig. 53 Ignaz von Seyfried, Ludwig van Beethoven’s Studien im Generalbasse, Contrapunkte und in der CompositionsLehre (Wien  : T. Haslinger, 1832), 24. 54 Diese Entwicklung dürfte Haydn aber nicht mehr zu vollem Bewusstsein gekommen sein. Der Vertrag wurde am 1. März 1809 ausgefertigt  ; am 10. Mai stand Napoleon vor Wien, am 31. starb Haydn.

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Das unscheinbare Wörtchen „endlich“ liefert so etwas wie einen Schlüssel. Haydn gebraucht es bei einigen anderen Erzählungen als Dramaturg seines Lebens. In eher banalem Sinn, wenn (in zwei Fällen) im Theater lange Auseinandersetzungen im Publikum das gegebene Stück unterbrechen, bis schließlich im Positiven oder Negativen eine Entscheidung fällt und die Vorstellung fortgesetzt wird55  ; tiefer reichend, wenn bei der Überfahrt nach Dover erst nach einigen meteorologischen Komplikationen an Land gegangen werden kann56  : fast existenziell aber, da ihm die Inspiration, nachdem sie ihm tagelang versagt geblieben war, was ihn schon „in die traurigste Lage“ hat „verfalle[n]“ lassen, schließlich von der Vorsehung doch wieder gewährt wird.57

55 2. Londoner Notizbuch (10.12.1791) über einen Besuch der Oper The Woodman  : „[D]er gemeine Pöbl in denen gallerien ist durchaus in allen Theatern sehr impertinent, er giebt mit allem ungestüm den Ton, und macht Repetiren und nicht Repetiren nach Ihrem tobsin […]. der Parterre und alle logen haben manchmal sehr vil zu klatschen, um etwas gutes Repetiren zu machen, es ware eben heute abends der fall mit den duett in 3.tn Act, welches sehr schön war und es gienge fast ein Viertlstund mit pro und contra vorüber, bis endlich das parterre und die logen überwunden, und man das Duo repetirte. die beyden performers stunden ganz ängstlich auf der bühne, bald giengen Sie zurük, bald wider vorwärts […]“, Haydn, Briefe (Anm. 20), 510. – 3. Londoner Notizbuch (28.3.1795)  : „[E]s ware das 3te mahl, da [Aci e Galatea von Francesco Bianchi] aufgeführt wurde und alles war unzufrieden. Es Ereignete sich dabey daß, da man den 2ten Ballet anfieng, das ganze publicum auf einmal unzufrieden ausruft off – off – off –, weil man wünschte den neuen Ballet, so Madam Gillisberg 2 Tag vorher zu Ihrer Benefice producirte, zu sehen. – alles war in Verlegenheit, es wurde eine Pause von einer halben Stunde lang, bis Endlich ein Tänzer hervor kam, und in aller Submißion sagte, ladys and gentelman  ! Da man den performer H. Taylor nicht finden kann, so verspricht die ganze tantz gesellschaft nächste Woche den anverlangten Ballet zu zu geben, för welchen aber der H. Impressair 300 Pfund der Madam Hillisberg bezahlen muß. Man war damit zufrieden und dan ruffte man go on – go on, und der alte Ballet wurde dan pruducirt.“ Ibid. 536, Hervorhebungen R.K. 56 An Marianne von Genzinger, London 8.1.1791  : „[A]nfangs hatten wür 4 ganze stund fast gar keinen wind, und das schif gieng so langsam, daß wür in diesen 4 stunden nicht mehr als eine einzige Englische Meile machten […] zum glück aber hub sich der Wind gegen halb 12 uhr so günstig, daß wür bis 4 uhr 22 Meilen zurück legten, da wür aber wegen der eben einfallenden Ebbe mit unsern großen schife nicht an das gestatt komen konten, so liefen schon von weiten 2 kleinere schiffe gegen uns, in welche wür uns samt unser Pagage übersetzten, und endlich unter ein klein sturmwind doch glücklich anlandeten, das grosse schif blieb noch 5 stunden darnach in Meer, bis es endlich nach angeckomener fluth einlaufen konte.“ Ibid., 251, Hervorhebungen R.K. 57 (1799) „[D]ie welt macht mir zwar täglich viele Complim. über das feuer meiner letzteren arbeithen, aber niemand will mir glauben  ; mit welcher mühe und anstrengung ich dasselbe hervorsuchen muß, indem mich manchen Tag die schwache gedächtnüß und Nachlassung der Nerven dermaßen zu boden drückt daß ich in die traurigste Laage verfalle, und hiedurch viele Täge nachero außer stand bin nur eine einzige Idee zu finden, bis ich endlich durch die vorsicht aufgemuntert mich wider an das Clavier setzen, und dan zu kratzen anfangen kann“, Ibid., 319 f. – Vergleiche Griesinger, Biographische Notizen, 99  : „Wenn es mit dem Komponiren nicht so recht fort will, hörte ich ihn sagen, so gehe ich im Zimmer auf und ab, den Rosenkranz in der Hand, bete einige Ave, und dann kommen mir die Ideen wieder.“ Zu den Themen „im Feuer der Komposition“ bzw. „das Feuer meiner Arbeiten“ wie auch „Ideen“ und die Suche danach existieren jeweils noch weitere Zeugnisse.

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In der Autobiografie gliedert das „endlich“ den Ablauf der Schicksale, indem es jeweils eine Lebensphase abschließt und zusammenfasst. Auch hier wird unterschiedlich nuanciert  : Zweimal bezeichnet die Vokabel den lang erwarteten glücklichen Ausgang für einen nicht sonderlich ersprießlichen Zeitabschnitt, eine Wende in seinen Lebensumständen  : Nachdem er bis dahin regellos und naturwüchsig verfahren ist, wird seine Schreibweise nun auf sicherere Fundamente gestellt  ; nachdem er sich mit Gelegenheitsarbeiten hat über Wasser halten müssen, findet er ein festes Anstellungsverhältnis. Das „von ungefähr“ ist dabei mit der „Vorsicht“ (Vorsehung) zu einem Gedankenkomplex zu verbinden  : Das eine betrifft den äußeren Anschein, das andere die eigentliche Wirkursache. Mit dem „endlich“ verbindet sich dem Gläubigen ein Endzweck. In beiden Fällen werden ihm „Gnaden“ erwiesen  : nicht nur durch von Fürnberg (den Paten von Haydns ersten Streichquartetten), sondern auch dadurch, dass Porpora ihm ebenso „von ohngefähr“ in Wien über den Weg läuft wie vorher Reutter in Hainburg. Damit ist auch hier die göttliche „Vorsicht“ ins Spiel gebracht, die ihre Pläne mit Haydn verfolgt und der er sich dankbar verpflichtet weiß. Die seiner Begegnung mit Porpora vorausgegangene Periode hat Haydn später mit einer Erläuterung versehen. Zu den von Reutter wie engagiert auch immer beaufsichtigten Nachahmungen und Adaptionen der gängigen Kirchenstücke und dem Selbststudium des Fux’schen Lehrbuches merkt er an  : „Das Talent lag freylich in mir  : dadurch und durch vielen Fleiß schritt ich vorwärts.“ 58 Mit dieser Himmelsgabe zu wuchern, sie sich auch anzueignen war seine Christenpflicht  ; es ist zugleich eine der Voraussetzungen dafür, dass er Fortschritte machen konnte. Aber erst Porpora vermittelte ihm einen Begriff von reinem Satz.59 Das erste „endlich“ scheint von anderer Art. Es beendet eine relativ erfolgreiche Periode, auf welche eine unendlich mühselige folgt. Allerdings keine ganz sinnlose. Wenn man sie als Periode der „Prüfung“ betrachtet, ist sie natürlich noch immer im Heilsplan enthalten. Ohne eigentlich gefördert zu sein, sucht er aus dem ihm verliehenen Talent etwas zu machen. Und wird schließlich belohnt. Das soll heißen, jedenfalls 1776  : Man ist nicht Herr seiner Zeit – man ist verpflichtet, sie zu nutzen. Förderliche Umstände wie die Anerkennung seines Herrn und die Abgeschlossenheit in Esterháza sind freilich anzuerkennen  : „Und so mußte ich original werden.“60 Dies alles zusammengenommen ergibt keine Kette von Hindernissen, an denen er sich bewähren darf, sondern eine allmähliche Verbesserung der Lebensumstände, 58 Griesinger, Biographische Notizen, 10  ; vergleiche 102, 104. 59 Siehe Anm. 50. 60 Griesinger, Biographische Notizen, 25.

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Erweiterung des Radius seiner künstlerischen Tätigkeit, immer vollkommenere Beherrschung des Metiers und zunehmende Tiefe und Reichweite der musikalischen Konzeptionen – kein Stationendrama, sondern einen Entwicklungsroman. Über seinen weiteren Lebensgang nach Antritt der Stelle in Esterháza haben wir keine vergleichbaren zusammenhängenden Äußerungen von Haydn selbst  ; dass er seine künstlerische Entwicklung damit nicht abgeschlossen sah, zeigen gelegentliche Statements, welche die Biografie, den Prozess des original Werdens, mit dem Weg kurzschließen, den die Musik selbst eingeschlagen hatte.

Entwicklung der Musik und des Geschmacks Ob sich Haydn, Zeitgenosse der Entstehung einer „Geschichtsphilosophie […] im strengen Wortsinn“61, in die Bände von Burneys Musikgeschichte, die ihm vom Autor zugeschickt worden waren, auch vertieft hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Ebenso, in welchem Umfang und mit welchen Aufgaben Haydn an dem seit 1792 betriebenen, aber nicht zustande gekommenen Projekt einer 50-bändigen Geschichte der Musik in Denkmälern von der ältesten bis auf die neueste Zeit hätte beteiligt werden sollen, zusammen mit Albrechtsberger, Forkel, Salieri und von Sonnleithner. Weniger sein Nachleben – das ihn ebenfalls beschäftigt – als das weitere Schicksal der Musik im Blick setzt der alte Haydn zu so etwas wie einer Serie von Letzten Worten an  : an Breitkopf „bey Uebersendung seiner Schöpfung“ – also nach Abschluss jenes Werkes, dem er insbesondere Dauer zu verleihen gewünscht hatte  : Leider vermehren sich meine Geschäfte, wie sich meine Jahre vermehren  : und doch ist es fast, als ob mit der Abnahme meiner Geisteskräfte meine Lust und der Drang zum Arbeiten zunähme. O Gott, wie viel ist noch zu thun in dieser herrlichen Kunst, auch schon von einem Manne, wie ich gewesen  !62

Griesinger überliefert  : Man staunt über eine so seltene Fruchtbarkeit […] Dennoch äußerte er, der schon so vieles geleistet hatte, an seinem 74sten Geburtstage  : ,sein Fach sey gränzenlos  ; das, was in der Musik noch geschehen könne, sey weit größer, als das, was schon darin geschehen sey  ; ihm

61 Reinhart Koselleck, „Zur Begriffsgeschichte der Zeitutopie“, ders., Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen sozialen Sprache (Frankfurt/M.  : Suhrkamp, 2006), 252. 62 Griesinger, Biographische Notizen, 122 – vergleiche dazu jedoch den Kommentar in Haydn, Briefe (Anm. 20), 320.

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schweben öfters Ideen vor, wodurch seine Kunst noch viel weiter gebracht werden könnte, aber seine physischen Kräfte erlauben es ihm nicht mehr, an die Ausführung zu schreiten.‘63

Und dem jungen Kalkbrenner gegenüber  : „In meinem Alter habe ich erst gelernt, die Blasinstrumente zu gebrauchen  ; nun da ich’s verstehe, muß ich fort und kann es nicht anwenden.“64 Dass die Musik seit dem Anfang seines, des 18. Jahrhunderts einen weiten Weg zurückgelegt hatte, konnte man unmittelbar erfahren, da einige Meister der Vergangenheit allmählich wieder ins Bewusstsein rückten, so in den Konzerten, die van Swieten organisierte. Wir wissen nicht, was Haydn mit dem Exemplar von Bachs h-Moll-Messe in seinem Besitz angefangen hat. In Aufführungen konnte er jedenfalls ältere Musik immer wieder hören und sich daran ein Urteil bilden. Händel begegnete ihm auch in Wien hie und da, in London war er allgegenwärtig. Dabei war eine gewisse Ambivalenz zu spüren  : Zum einen gehörte Händel zu den Agenda der Society for Ancient Music, andererseits wurde er als noch immer aktuelle Kirchenmusik oder in normalen Konzerten gepflegt – woran Haydn sogar als Dirigent teilnahm.65 Carpani erzählte er auch von jenen Londoner Konzerten, und durch den etwas betulichen Filter des Berichterstatters (der zudem Referat und Kommentar ganz offenkundig recht sorglos ineinander übergehen lässt) erkennt man die Umrisse einer authentisch Haydn’schen Reflexion  : An bestimmten Tagen wurden hier die besten Werke dieser Meister aufgeführt. Zur Ehre ihres Gedächtnisses stellte man äußerst nützliche Vergleiche zwischen ihren Werken und denen unserer modernen Komponisten an. Man bemerkte die Veränderung, welche allmählich in der Kunst und im Geschmack vor sich gegangen war, und verzögerte durch diese Beispiele die Dekadenz, von der wir heute infolge der Extravaganz der Stile, durch die Sintflut von Noten, die fortgesetzte Fremdartigkeit der Modulationen und eine geradezu süchtige Verschwendung verschiedenartiger Ausdrucksmittel bedroht sind. Dieser Mißbrauch, der in unseren Kompositionen vorherrscht, bewirkt, daß sie sehr selten ein Ganzes, eine Einheit, ein komplexes Gefühl ausdrücken. Die sehr reine Schule der alten Meister hatte, wie Sie wissen, keines dieser Laster. Allerdings ist es, wie ich schon in einem meiner anderen Briefe ausgeführt habe, richtig, daß man in der Musik der Neuheit bedarf  ; und so gestand mir Haydn inmitten seiner Lob63 Griesinger, Biographische Notizen, 4. 64 Zitiert nach Pohl II 32. 65 Bei seinem zweiten Londoner Aufenthalt wurde er vom König aufgefordert, einen Psalm (d.h. ein Anthem) von der Orgel aus zu leiten, Griesinger, Biographische Notizen, 57. Oder er suchte bei einem Kompetenzstreit unter den leitenden Londoner Musikern salomonisch zu entscheiden, wer bei der Aufführung eines solchen Stück welche Rolle zu spielen habe, Haydn, Briefe (Anm. 20), 552.

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preisungen auf eine derartige Institution, daß diese Kompositionen, die ihn beinahe in den Himmel geführt hatten, als er sie in seiner Jugend zum ersten Mal gehört hatte, nun viel weniger Vergnügen für ihn geboten hätten, da er sie viele Jahre später von neuem hörte.

Und Carpani fügt erläuternd hinzu  : [W]iewohl diese Schönheit weder ihre Formen noch ihre Farben verändert, wiewohl sie also für sich immer dieselbe bleibt, altert sie doch in ihrer Beziehung zu uns.66

Zum Verständnis seiner eigenen kompositorischen Entwicklung gibt Haydn in der autobiografischen Skizze einen Wink  : Der Vater ware von Natur aus ein großer liebhaber der Music. Er spielte ohne eine Notte zu kennen die Härpfe, und ich als ein knab von 5 Jahren sang ihm alle seine simple kurze stücke ordentlich nach.

Mit der bereits zitierten Angabe zusammengenommen, „schon in [s]eine[m] 6ten Jahr“ habe er als Chorknabe „einige Messen“, wenn auch vielleicht noch nicht als Solist, in der Kirche zu singen gewusst, bedeutet das wohl, dass man in seiner musikalischen Ausbildung von der Auffassung einfacher kurzer zu der immer längerer und komplizierterer fortschreiten muss, aber auch, dass es für den Komponisten darauf ankommt, immer umfangreichere und weiter untergliederte Formen in der Vorstellung, im Entwurf und in der Ausarbeitung überblicken zu können. Die Originalitätsdebatte seiner Jugendjahre hatte ihn dahin geführt, dass er nicht nur versuchte, den Standards seiner Zeit zu genügen, sondern dass er auch mit jeder individuellen Wendung die Musik stilistisch über sich hinausführte. Nicht bei jeder seiner zahlreichen ungewöhnlichen Lösungen dürfte er die geschichtliche Dimension seines Projekts im Auge gehabt haben, aber es ist doch auffallend, wie oft er statt des historisch sozusagen erwartbaren Imprévu, der geistreichen Abweichung vom Gewohnten, die Kategorie des Neuen ins Spiel bringt. So sei es ihm bei dem berühmten Paukenschlag der Sinfonie Nr. 94 gewiss nicht um eine erzieherische Maßnahme gegangen, sondern darum, „das Publikum durch etwas Neues zu überraschen“.67 Oder gegen Albrechtsbergers „Handwerksfesseln“ gerichtet  :

66 Carpani, Haydn. Sein Leben (Anm. 3), 211 f. 67 Griesinger, Biographische Notizen, 55 f. – Vergleiche dagegen (aus demselben Jahr) Dies, Biographische Nachrichten, 94 f.

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Das Ohr, versteht sich ein gebildetes, muß entscheiden, und ich halte mich befugt wie irgend einer, hierin Gesetze zu geben. Solche [theoretischen] Künsteleyen haben keinen Werth  ; ich wünschte lieber, daß es Einer versuchte, einen wahrhaft n e u e n Menuet zu komponiren.68

Von Zeit zu Zeit kommt es auch auf dem eigenen Schaffensweg zu wirklichen Fortschritten, sei es, dass man endlich die Grundsätze der Komposition vermittelt bekommt, sei es, dass man selbst sein Komponieren auf neue Grundlagen stellt. Eben dies akzentuieren die beiden bekannten erhaltenen Pränumerationsschreiben über die Quartette op. 33 von 1781 – an Lavater  : „von einer Ne u, gantz be sonde re r Art, denn Zeit 10 Jahr habe keine geschrieben“69  ; an Fürst Kraft Ernst zu ÖttingenWallerstein  : „sie sind auf eine gantz neue besondere art, denn zeit 10 Jahren habe Keine geschrieben.70 Es braucht hier nicht ein weiteres Mal die Diskussion belebt zu werden, ob es sich bei diesen Formulierungen um einen bloßen Werbeslogan handelt – ich persönlich sehe eine tatsächliche Veränderung71, mir ist für unseren Zusammenhang das „denn“ wichtig, weil es bedeutet, dass Haydn davon überzeugt ist (und annimmt, dass das auch seinen Adressaten plausibel sein dürfte), dass nach einer so langen Pause im Quartettkomponieren die neuen Stücke fast automatisch verändert ausfallen müssen. Von außen – wie es sich dem Betrachter darstellt – ließen sich Beispiele für die immer noch weitergehende Entwicklung des späteren und späten Haydn beibringen  : seine Rezeption Mozarts und selbst die Aufmerksamkeit für Beethoven. In der zunehmenden Klangfülle der letzten Londoner Sinfonien lässt sich nicht nur ein Eingehen auf die Bedürfnisse der Konzerte für eine bedeutende Zuhörerschaft, sondern wohl auch der direkte oder indirekte Reflex der französischen Revolutionsmusik erkennen. Anton Reicha, der zwischen 1802 und 1808 in Wien lebte und offenbar ziemlich engen Kontakt zum alten Haydn hatte72, fasst in einem unveröffentlichen um 1814/15 in Paris geschriebenen Traktat zusammen  : „Haydn étudiait son art sans cesse. […] Après 68 Griesinger, Biographische Notizen, 114. 69 Haydn, Briefe (Anm. 20), 106. 70 Ibid., 107. 71 – bei der mir das Primäre die grundsätzliche Umstellung auf periodischen Bau zu sein scheint. 72 Von seinen Unterhaltungen mit Haydn, dessen „theoretische [ ] Raisonnements“ doch „höchst einfach“ gewesen sein sollen (Griesinger, Biographische Notizen, 113), berichtet Reicha  : „l’entendre, causer sur la composition, était tout ce que j’avais désiré […] nos leçons se passaient en causant et elles n’étaient pas moins instructives pour moi.“ (Antoine Reicha, Écrits inédits et oubliés/Unbekannte und unveröffentlichte Schriften I, hg. von Hervé Audéon et al., Hildesheim  : Georg Olms Verlag, 2011, S. 76). Reichas Anhänglichkeit ging so weit, dass er ein Angebot des Prinzen Louis Ferdinand, mit der Aussicht auf die Hof kapellmeisterstelle nach Berlin zu gehen, ausschlug, gewiss auch, weil er wenig Lust verspürte, sich mit dem spielsüchtigen Prinzen die Nächte um die Ohren zu schlagen, vor allem aber  : „j’ai voulu profiter de mon séjour à Vienne et rester plus long-temps avec Haydn“, ibid.

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avoir fait beaucoup d’ouvrages, il recommença à 40 ans, le cours complet de la composition, pour s’affermir dans son art, et en connaître mieux les secrets.“73 Und schließlich überblickt er das Ganze als Historiker seiner selbst. Rochlitz lässt ihn resümieren  : Eigentliche Lehrer habe ich nicht gehabt. Mein Anfang war überall gleich mit dem Praktischen – erst im Singen und Instrumentenspiel, hernach auch in der Composition. In dieser habe ich Andere mehr gehört als studirt  : ich habe aber auch das Schönste und Beste in allen Gattungen gehört, was es in meiner Zeit zu hören gab. Und dessen war damals in Wien viel  ! o wie viel  ! Da merkte ich nun auf und suchte mir zu Nutze zu machen, was auf mich besonders gewirkt hatte und was mir als vorzüglich erschien. Nur daß ich es nirgends blos nachmachte  ! So ist nach und nach, was ich wußte und konnte, gewachsen.74

Dies enthält ein ganzes Bündel von Erklärungen  : In der Komposition (anders als in Gesang, Violin- und Klavierspiel) bezeichnet er sich als Autodidakten  ; weder bei Porpora noch bei Reutter75 hatte er geregelten Unterricht. Aber einen Reutter’schen Rat scheint er dennoch befolgt zu haben, wenn er „es nirgends blos nachmachte“  : nämlich „die Vespern und Motetten, die in der Kirche aufgeführt wurden, zu variiren“ 76. Diese Kompositionen erschloss er sich durch Hören und praktischen Umgang, nicht durch Lektüre und systematische Zergliederung der Partituren. Allerdings richtet er seine Aufmerksamkeit auf wirksame und besonders gelungen erscheinende Stellen und sucht sie sich anzueignen. Er heftet sich den Meistern auf die Fersen, und wenn er das Talent, das in ihm liegt, „nach und nach“ sich entfalten lässt, so schreitet er doch „durch vielen Fleiß […] vorwärts“.77 Und diese Hartnäckigkeit, dieser Verbesserungsdrang sucht Rat bei den Autoritäten der „theoretischen Musik“, so dass Haydn schließlich auch lernt, über jeden einzelnen seiner Schritte Rechenschaft abzulegen. Sodann ist die Zeitenfolge interessant. „[W]as ich wußte und konnte“ spielt bereits in ferner Vergangenheit. Noch weiter gehend sprechen die Formulierungen „in meiner Zeit“ und „damals“ Haydns formative Jahre an, um sie unversehens einer eigentümlichen Ambivalenz auszusetzen  : Er ist in einer musikalischen Glanzzeit groß geworden, wie es sie so leicht nicht wieder geben wird, aber er hat sich selbst überlebt, ist Zeitgenosse einer bereits vergangenen Periode. Obwohl er „versicher[n]“ wird, „dass das, was er vor 40 Jahren geschrieben hat, ihm noch so gegenwärtig sey, als wenn er es vor ei73 Zitiert nach Finscher, Joseph Haydn (Anm. 1), 262. 74 Zitiert nach Pohl I, 63. 75 – von dem er „nur zwey Lektionen“ „[i]n der theoretischen Musik“ erhalten zu haben sich erinnerte, Griesinger, Biographische Notizen, 10, 9. 76 Zitiert nach Pohl I, 66. 77 Siehe oben Anm. 58.

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nigen Wochen geschrieben hätte“78, ist ihm die zeitliche Distanz bisweilen unbequem, weil sie ihm die weite Wegstrecke vor Augen führt, die er in seiner kompositorischen Entwicklung zurückgelegt hat und die ihm seine früheren Werke in ungünstigem Licht erscheinen lässt  : Als er 1803 eine „alte Sinfonie (genannt Die Zerstreute)79“ zugesandt haben will, „indem Ihro Majestät die Kayserin den alten Schmarn zu hören ein verlangen trägt“80, oder wenn er im selben Jahr dem Verleger ein Konzert für Orgel und Violine mit dem Hinweis zusagt, „welch einen alten Bart es habe“81, so ist das zugleich im Bewusstsein einer gewaltigen Entwicklung gesprochen, welche die Musik insgesamt zurückgelegt hat. So deutet es Griesinger 1804  : Das Konzert „ist vom Jahre 1756, also vielleicht über die82 Epoche des heutigen Geschmaks, aber in seiner Art und dem Sammler Haydnscher Musik gewis merkwürdig“.83 Als 1801 Pleyels Ausgabe der Streichquartette erscheint, berichtet Griesinger  : „Haydn ist damit sehr zufrieden, nicht nur wegen des schönen Papiers und Druks, sondern weil man aus der geschikten Anordnung sein stufenweises Fortschreiten in der Kunst84 bemerken könne“85. So ist auch die Rührung zu deuten, die ihn bei der Wiederentdeckung einer Messe aus seinen frühen Jahren befiel, einem „Werkchen“, an dem ihm „die Melodie und ein gewisses jugendliches Feuer“ „besonders gef[iel]“.86 Die Hinzufügung von Blasinstrumenten schlug einen Bogen von seinen frühen in seine späten Jahre, sein frühestes Werk sollte zugleich sein letztes werden – zugleich nostalgisches Gedenken und der Versuch, einem allzu bescheidenen Stück auf die Sprünge zu helfen, ohne es eingreifend zu bearbeiten, auf diese Weise aber auch beides  : Exempel für das weiterhin beliebte Sinnbild der symmetrisch auf- und absteigenden Treppe der Lebensalter, und Musterfall bewussten Umgangs mit einem historischen Dokument. Haydn erschloss sich ja nicht nur durch Arrangements neue und erweiterte Absatzmärkte (wie bei den verschiedenen Fassungen der Sieben Worte), er trachtete auch bestimmten dem mittlerweile veralteten Geschmack geschuldeten Eigenheiten beizukommen, indem er Stücke (bei Gelegenheit von Wiederaufführungen oder später Veröffentlichung) modernisierte. Da der Markt auf die geänderten Bedürfnisse und Vor-

78 Griesingers Korrespondenz (Anm. 2), 51. 79 Nr. 60, auch als Bühnenmusik zu dem gleichnamigen Stück verwendet. 80 Haydn, Briefe (Anm. 20), 426. 81 Griesingers Korrespondenz, 204 (30.7.1803). 82 Bedeutet so viel wie  : jenseits der  ? 83 Griesingers Korrespondenz, 226. Der Herausgeber Otto Biba diskutiert die Frage, ob das „Orgelkonzert“ an dieser Stelle mit dem oben erwähnten Doppelkonzert identisch sei – für unseren Zusammenhang genügt, dass Griesinger davon ausgeht. 84 Gradūs ad Parnassum … 85 Griesingers Korrespondenz (Anm. 2), 106. 86 Dies, Biographische Nachrichten, 74 f.

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stellungen zu antworten hat, galt es auf die Veränderung der Hörgewohnheiten und Erwartungen mit neuen Kunstmitteln und mit behutsamer Adaptierung des Alten zu reagieren  : etwa damit, dass in einer Oper die eine oder andere Kürzung vorgenommen oder eine Nummer durch eine gänzlich neue ersetzt wurde.87 Ebenso wollte (und durfte) Neukomm mit seiner Einrichtung des Tobia das Oratorium für die gegenwärtigen Hörer kommensurabel zu machen suchen.88 In all diesen Fällen wird dem Heute ein Früher entgegengestellt, das nicht nur ein Noch-nicht an Beherrschung des Handwerks bedeutet, sondern auch eine weniger verfeinerte Stufe des ästhetischen Bewusstseins, eine Station nicht nur der eigenen Entwicklung, sondern des kompositorischen Denkens insgesamt. Im selben Sinne einer Modernisierung verstand Haydn auch den Auftrag Thomsons, „alte schottische Lieder, deren Melodie meistens grell und widrig ist, zu bearbeiten, und für den heutigen Geschmack genießbar zu machen“.89

Generation Er selbst weiß sich seinen wirklichen und imaginären Lehrern dankbar verpflichtet, erinnert sich mit Stolz an die aufmunternden und anerkennenden Worte von Hasse, Gluck, Carl Philipp Emanuel Bach, und hebt insbesondere die Rolle der Werke des Bach-Sohnes für seine Selbstausbildung hervor. Und so, wie Mozart von diesem Meister erklärt haben soll  : „Er ist der Vater  ; wir sind die Bub’n. Wer von uns was Rechts kann, hat von ihm gelernt“90, und das als Auskunft über alle seine Kollegen verstanden haben dürfte, Haydn eingeschlossen, so wurde der Ehrentitel bereits zu Haydns Lebzeiten auf diesen übertragen  : Franz Niemetschek widmete 1798 seine Mozart-Biographie „[d]em Vater der edlern Tonkunst, dem Lieblinge der Grazien Jose ph Hayde n […] aus besonderer Verehrung“.91 In gleichem Sinne spricht Carl Bertuch 1805 anlässlich eines Besuches bei Haydn 1805 von „dem Altvater der jetzt lebenden deutschen Musiker“.92 „Vater der Harmonie“, „einer der Väter der Musik“ – das waren auch die Titel, die ihm beigelegt wurden, wenn die renommiertesten Institute aus aller Welt ihn mit Ehrungen bedachten. 87 So bei L’Isola disabitata  : Griesinger, Biographische Notizen, passim – siehe das dortige Register. 88 Auf den Fall ist zurückzukommen. 89 Griesinger, Biographische Notizen, 77. 90 Friedrich Rochlitz, Für Freunde der Tonkunst Bd. 4 (Leipzig  : Cnobloch, 1832), 308. 91 Franz Niemtschek [sic], Leben des K. K. Kapellmeisters Wolfgang Gottlieb Mozart, nach Originalquellen beschrieben (Prag  : Herrling, 1798)  ; Neudruck u. d. T. Ich kannte Mozart. Die einzige Biografie von einem Augenzeugen, hg. von Jost Perfahl (München  : LangenMüller, 2005). 92 Bemerkungen auf einer Reise aus Thüringen nach Wien im Winter 1805 bis 1806, Weimar 1808, zitiert nach Willi Reich (Hg.), Joseph Haydn. Chronik seines Lebens in Selbstzeugnissen (Zürich  : Manesse, 1962), 292.

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Die offizielle heimische Bestätigung lieferte die Tonkünstler-Societät, indem sie ihn (schon um peinliche Vorfälle der Vergangenheit ungeschehen zu machen) gegen den Wortlaut ihrer Statuten „mit Nachlaß aller Einlagen“ aufnahm „u. wegen der außerordentl. Verd[ienste] als der Vater u. Reformator d. edlen Tonkunst zum [perpetuierlichen] assessor [senior] soc[ietatis]“ ernannte, denn, wie ihr Aktuar Wranitzky als Antragsteller formuliert hatte, müsse sie „sich geehrt fühlen, einen so außerordentlichen Mann, der in der Tonkunst so unerreichbare Vorschritte gemacht […], als ihr Mitglied betrachten zu können“. Der Bericht über die feierliche Einführung fand Aufnahme in die Wiener Hofzeitung.93 Die Rede vom „Papa Haydn“ hatte also eine gleichsam amtliche Dimension, wonach ihm historische Bedeutung zugeschrieben wurde. Sie konnte emotional aufgeladen werden wie in Collins Gedicht „Haydn’s Jubelfeyer“ über das letzte öffentliche Auftreten des Komponisten und den „Vatersegen“ beim Abschied.94 Durch seine Stellung zu einer ganzen Reihe von namhaften Schülern gewann sie aber auch einen sozusagen familiären Zug, und da er in patriarchalischen Verhältnissen groß geworden war, konnte er mangels leiblicher Kinder irgendwann als „Vater“ seiner Kapelle, seiner Schüler, seines Zieh-„Sohn[es]“ Antonio Polzelli95, seiner jüngeren Besucher und seiner Hausangestellten figurieren, die er verschiedenen Berichten zufolge „Kinder  !“ zu titulieren pflegte, wie es auch heißt, dass er für die Dorfjugend allezeit offene Taschen gehabt habe.96 Der um 24 Jahre jüngere Mozart „nannte ihn oft seinen Lehrer“97  ; Haydn selbst erwähnt  : „er nannte mich auch seinen Papa.“98 In der Öffentlichkeit vermeidet die Widmung der Haydn-Quartette die entsprechende Titulatur und beschränkt sich darauf, den arrivierten Älteren als „il suo migliore Amico“ anzureden. Stattdessen spricht er von sich selbst als dem Vater dieser seiner (Geistes-)Kinder, die er Haydn als „Padre,“ (der damit quasi in die Position eines ideellen Großvaters rückt,) „Guida ed Amico“ ans Herz legt. Aber in der Schilderung des jungen Carl Maria von Weber hat man das volle Bild der letzten Jahre  : Ich war schon einigemal bei Haydn. Die Schwäche des Alters ausgenommen, ist er immer munter und aufgeräumt, spricht sehr gerne von seinen Begebenheiten und unterhält sich be93 Pohl/Botstiber, 121 ff. 94 Pohl/Botstiber, 400. 95 Haydn, Briefe (Anm. 20), 468. 96 Pohl I, 221. 97 Niemetschek, ibid., 37. 98 Griesinger, Biographische Notizen, 31 (geäußert 1799 beim Erscheinen der ersten Hefte von Mozarts Oeuvres Complettes).

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sonders mit jungen Künstlern gern. […] Es ist rührend, die erwachsenen Männer kommen zu sehen, wie sie ihn Papa nennen und ihm die Hand küssen.“99

Dies war die vertrauliche Anrede  ; es gibt auch die förmliche Variante. So äußert sich Haydn mit Genugtuung über seinen Schüler Pleyel, der in London zu ihm in Konkurrenz treten soll, aber stattdessen die Loyalität wahrt  : „Er weis seinen vatter zu schätzen“100, und Cherubini gegenüber  : „Erlauben Sie, daß ich mich Ihren musikalischen Vater, und Sie meinen Sohn nenne.“101 Das Verhältnis zu Beethoven blieb gespannt – es gab von beiden Seiten Misstrauen und Vorbehalte, wohl auch grundsätzliche Differenzen102  ; gleichwohl war es kollegial  : Beethoven trat in einigen von Haydns Wiener Konzerten auf103 und er wurde in Fragen der Textwahl konsultiert.104 Und während Haydn noch manchen Aspekt an den Kompositionen des Jüngeren interessant gefunden zu haben scheint, widmete ihm Beethoven seinerseits nicht nur sein erstes Sonatenheft, was vielleicht als bloßer Nachweis guter Manieren oder gar als Spekulation mit dem berühmten Namen gedeutet werden könnte – er studierte auch fleißig Haydns Werke bis in die Zeit der Vorbereitung der Missa solemnis hinein.

Nachleben Die oben zitierte Formulierung „in meiner Zeit“105, aber auch dass Haydn sich unnütz vorkam, zeigt, dass er von gelegentlichen Anwandlungen, sich selbst überlebt zu haben, nicht verschont blieb. Dabei hätte er allein schon als Vaterfigur der modernen Musik und mit einer ganzen Reihe von teilweise recht erfolgreichen Schülern, dazu be 99 Pohl/Botstiber, 221. 100 17. Januar 1792 an Marianne von Genzinger, Haydn, Briefe (Anm. 20), 275. 101 Griesinger, Biographische Notizen, 104. Vergleiche Carpani, Haydn. Sein Leben (Anm. 3), 244. Siehe auch Pohl III 244 f. 102 Eine von Karl Holz überlieferte Anekdote scheint insofern zumindest gut erfunden zu sein, als sie anlässlich einer von Haydn besuchten Aufführung von Viganos Ballett Die Geschöpfe des Prometheus mit der Beethoven’schen Musik zwei weltanschauliche Positionen idealtypisch einander gegenüberstellt  : die prometheische Auflehnung und Selbstherrlichkeit gegen die Demut vor dem Schöpfer des Autors einer Schöpfung  : Siehe Reinhard Kapp, „Die Schumann-Generation“, Matthias Wendt (Hg.), Robert und Clara Schumann und die nationalen Musikkulturen des 19. Jahrhunderts (Schumann Forschungen 9), (Mainz  : Schott, 2005), 47–94, hier 53. 103 So beispielsweise 1795 bei einer Akademie im Kleinen Redoutensaal, in deren Verlauf Haydn einige seiner neuen Londoner Symphonien vorstellte und Beethoven sein B-Dur-Konzert vortrug. 104 Griesingers Korrespondenz, 212–17. 105 Vergleiche Mozarts „ein bisschen durch die Nase“ zu singendes Lied Die Alte.

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deutenden Komponisten, die erklärten, ihm vieles zu verdanken, über sein Andenken beruhigt sein müssen. „Non omnis moriar“ – dass er nicht ganz sterben werde, bildete so etwas wie das Lebensmotto des späten Haydn.106 Schon zu Lebzeiten wurde er zum Denkmal seiner selbst, oder sich selbst zum Denkmal. Der kleine Denkstein, der in Rohrau errichtet worden war, nicht um die Erinnerung an einen großen Mann wachzuhalten, die Verehrung für ihn öffentlich zu dokumentieren und seine Gestalt ins Monumentale zu erheben, sondern um den bescheidenen Ort zu bezeichnen, von dem eine die musikalische Welt umspannende Bewegung ihren Ausgang genommen hatte107, verfehlte seinen Eindruck auf ihn nicht, und er trug im Testament Sorge für die fernere Erhaltung. 1804 gab er zum Gedächtnis seines Amtsvorgängers Werner (der zu diesem Zeitpunkt bereits 38 Jahre tot war) 6 Präludien und Fugen aus dessen Oratorien für Streichquartett eingerichtet heraus. Dass dadurch, dass die Werke immer wieder gespielt und gesungen werden, der Musik so etwas wie Ewigkeit zuwachse, entsprach seiner Überzeugung, er war aber auch um seinen Nachruhm besorgt und suchte seine Kompositionen von vornherein entsprechend einzurichten (derart sorgfältig gemacht „sind [sie] aber auch für die Dauer“108). Bereits 1799 avisierte Breitkopf eine vollständige Ausgabe seiner Werke. Dass sein Ruhm seine Zeit weit überdauern werde, wurde ihm von maßgeblicher Stelle wiederholt bestätigt und sollte nach seinem Ableben zunächst allgemeine Überzeugung werden.109 In den 3- und 4-stimmigen Gesängen, die Haydn aus eigenem Antrieb und bloß noch zum eigenen Vergnügen verfasst hat, gibt es mehrere, die sich auf Zeit beziehen, so etwa  : „Der Augenblick“, „Alles hat seine Zeit“, „Abendlied zu Gott“110. Nicht zuletzt „Der Greis“111  : „Hin ist alle meine Kraft, alt und schwach bin ich […] Der Tod klopft an meine Tür, unerschreckt mach ich ihm auf, Himmel, Himmel habe Dank  ! Ein harmonischer Gesang war mein Lebenslauf.“ Die Harmonie der Sphären, die den Abgeschiedenen empfängt, ist der Widerschein eines abgerundeten und erfüllten Lebens. Dies ist mit der Visitenkarte und dem Abdruck des Anfangszitats im Streichquar106 Pohl/Botstiber, 185, 222, 290. 107 So wurde Beethoven auf seinem Sterbelager von einer Abbildung des Haydn’schen Geburtshauses tief ergriffen. 108 Griesinger, Biographische Notizen, 114. Vergleiche auch Haydns Einschätzung von „so vielen unserer neuen Komponisten“  : „es bleibt auch nichts im Herzen sitzen, wenn man es angehört hat“ (ibid.). 109 So wenn Michael Kelly in Reminiscences (Anm. 8), erschienen in seinem Todesjahr 1826, den Namen oder die Werke Haydns fast gewohnheitsmäßig mit dem Attribut „immortal“ verbindet bzw. von seinem Ghostwriter verbinden lässt (95, 110 und 111). 110 Hob. XXVc  :1, 3, 9. Auch unter den englischen Canzonetten  : „Recollection“ Hob. XXVIa  :26. Unter einigen fragmentarischen Liedentwürfen von 1806 findet sich noch als Nr. 45  : „Drum stark vermorschte Knochen, Steine, so die Zeit gebrochen“, Pohl/Botstiber, 250. 111 Hob. XXVc  :5.

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tettfragment op. 103 impliziert. Also nicht nur Ausdruck der Schwäche, sondern auch des Selbstbewusstseins und der Gewissheit, für die Ewigkeit geschaffen zu haben. In diesem Sinne hat Maximilian Stadler in einem kleinen Duett auf die Resignation des Greises den Sopran jeweils erwidern lassen  : „Doch, was sie“ – die Kraft – „erschuf, bleibt stets“  ; „Ewig währt dein Ruhm“ – dessen, der nun alt und schwach ist.112 Dies war nicht die einzige Form, in der sich Haydns vertrauter Umgang mit dem Phänomen und mit dem Problem Zeit niederschlug.

Künstlerische Artikulation der Zeiterfahrung Diese Artikulation muss natürlich durch die Person erfolgen  ; aber es fragt sich doch  : Inwieweit kann dann von Artikulation persönlicher Zeiterfahrung die Rede sein  ? Vielleicht eher von Zeitvorstellungen oder Zeitkonzepten. Zu Haydns Lebzeiten macht die „Vermessung der Welt“ rapide Fortschritte  : Die Schallgeschwindigkeit in der Luft wird ermittelt, es werden die Grundlagen der Photometrie (der Bestimmung der Lichtintensität) gelegt, Meter und Pferdestärke als Maßeinheiten bestimmt, neue Gradeinteilungen für das Thermometer vorgeschlagen (Réaumur, Celsius), Wand-Neigungswaage, Marinechronometer, Strohhalmelektrometer, Haarhygrometer und Cyanometer erfunden, schließlich das Prinzip Metronom entwickelt, das Maelzel 1816, um eine Skala ergänzt, patentieren lassen wird. Auch in dynamisierten Bereichen setzt sich die Vorstellung einer Gradation, der Möglichkeit exakter Messung durch.113 Selbst die Empfindungskraft wurde als skalierbar angesehen, nachdem Kant postuliert hatte  : „In allen Erscheinungen hat das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, intensive Größe, d.h. einen Grad.“114 In seinem Gefolge erklärte Schiller  : „Wir wissen, daß die Sensibilität des Gemüths ihrem Grade nach von der Lebhaftigkeit, ihrem Umfange nach, von dem Reichthum der Einbildungskraft abhängt.“115 Und in Laurence Sternes Sentimental Journey konnte Haydn 112 Siehe Pohl/Botstiber 248. 113 Hierzu siehe Erich Kleinschmidt, Die Entdeckung der Intensität. Geschichte einer Denkfigur im 18. Jahrhundert (Göttingen  : Wallstein, 2004) (mit weiteren Beispielen aus Pierre Bouguer, Albrecht von Haller, Johann Heinrich Lambert, Novalis und Johann Joachim Winckelmann). Für die Naturwissenschaften verweise ich noch auf die „gradus suavitatis“ (Konsonanzgrade) bei Leonhard Euler, Tentamen novae theoriae musicae ex artissimis harmoniae principiis dilucide expositae (St. Petersburg  : Typographia Academiae Scientiarum, 1739), Kap. 2, insb. die Tabelle S. 41. 114 Kritik der reinen Vernunft, I. Transzendentale Elementarlehre, Zweiter Teil, 1. Abt., 2. Buch, 2. Hauptstück, 3. Abschnitt, 2. (Riga  : Hartknoch, 21787), zitiert nach Kant, Werke in zwölf Bänden, Bd. 3 (Frankfurt/M.  : Suhrkamp, 1977), 208. 115 Friedrich Schiller, Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen (1795), Sechster Brief, Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd. 20  : Philosophische Schriften, Erster Teil (Weimar  : Böhlau, 1962),

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ein Doppelkapitel „Die Remisenthüre“ finden, in dem fein abgestuft wachsende und schrumpfende Gefühle in subtiler Ironie mit pseudoexakten Zeitangaben verrechnet werden.116 Dass Haydn auf Fuxens Gradus ad Parnassum von 1725 als Grundbuch der musikalischen Theorie immer wieder zurückkommt – nicht nur skeptisch, was die Berufung auf das Regelwerk in jeder satztechnischen Situation betrifft, sondern respektvoll, mag daran liegen, dass es sich um einen Lehrgang in Schritten oder Stufen handelt, dass man darin durch zahlreiche Stationen zur Meisterschaft emporgeführt wird. In Gradationen, distinkten Werten, die sowohl quantitativ als auch qualitativ bestimmt sind, denkt Haydn auch Zeitmaß und Dynamik. So heißt es in den bekannten aufführungspraktischen Hinweisen zur Applausus-Kantate 1768  : Erstens Bitte ich, daß das Tempo in allen Arien und Recitativen genau in obacht genommen werde […] 4tens daß die forte und piano durchgehends richtig geschrieben, und selbe in ihren werth genau Betrachtet werden, dan es ist ein sehr großer unterscheid zwischen piano und pianissimo, forte und fortiss  : zwischen crescendo und forzando und dergleichen.117 325 f.  : „Es lag“ bei diesen Bestimmungen „auf “ dem „Wege“ von Schillers Untersuchung, „die nachteilige Richtung des Zeit-Charakters und ihre Quellen aufzudecken, nicht die Vortheile zu zeigen wodurch die Natur sie vergütet. Gerne will ich Ihnen eingestehen, daß so wenig es auch den Individuen bey dieser Zerstückelung ihres Wesens wohl werden kann, doch die Gattung auf keine andere Art hätte Fortschritte machen können.“ 116 Haydn besaß (laut Maria Hörwarthner, „Joseph Haydns Bibliothek – Versuch einer literarhistorischen Rekonstruktion“, Joseph Haydn und die Literatur seiner Zeit, hg. von Herbert Zeman, Jahrbuch für Österreichische Kulturgeschichte 6 [1976], 157–207) merkwürdigerweise eine in Wien gedruckte englische Ausgabe von 1798  ; ich zitiere hier nach der damals gängigen Bode’schen Übersetzung  : „Gewiß, schöne Dame, sagt’ ich, und hob ihre Hand, so wie ich begann, ein wenig leicht in die Höhe […] Wie sie dieß sagte, zog sie ihre Hand mit einem Blicke zurück, den ich für eine hinlängliche Erklärung des Textes hielt […] Die Triumphe eines wahren weiblichen Herzens sind über dergleichen Niederlagen kurz. In sehr wenig Secunden legte sie ihre Hand auf den Aufschlag meines Kleides, um ihre Antwort fortzusetzen […] Der lebhafte Tackt der Pulsadern längst meinen Fingern, welche sich um die ihrigen schmiegten, sagte ihr, was in mir vorging […] Es folgte ein Stillschweigen von etlichen Augenblicken. / Ich muß in dieser Pause einiges leichtes Bestreben geäussert haben, ihre Hand fühlbarer zu drücken, wie ich von einer subtilen Bewegung, die ich in meiner eignen Hand empfand, fürchtete…. Nicht als ob sie die ihrige wegzog … sondern als ob sie darauf dächte  : … und ich hätte sie unfehlbar zum zweytenmale verloren, hätte nicht mehr Instinkt als Vernunft mir das letzte Hülfsmittel in dergleichen Gefahren an die Hand gegeben … sie loser zu halten, so als ob ich sie alle Augenblick von selbst los lassen würde. Auf diese Art ließ sie es gut seyn, bis Monsieur Dessein mit dem Schlüssel zurück kam  ; und in der Zeit überlegte ich, wie ich die schlimmen Eindrücke wieder auslöschen könnte, welche die Historie des armen Mönchs, wenn er ihr solche erzählet hätte, wider mich in ihre Brust gepflanzt haben müßte.“ Laurence Sterne, Yoricks empfindsame Reise durch Frankreich und Italien, nebst einer Fortsetzung von Freundeshand. Aus dem Englischen von J. J. Chr. Bode (41776 f.), Neuausgabe (Die andere Bibliothek 18) (Nördlingen  : Greno, 1986), 46 ff. 117 Haydn, Briefe (Anm. 20), 58 f.

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Es scheint sich unter „dergleichen“ Angaben eine gewisse Systematik eingestellt zu haben, mit jeweils zwei dynamischen Stufen in beiden Richtungen und einem imaginären Mittelwert, aber der Möglichkeit, Zwischenwerte zu bilden und gelegentlich Extreme ins Auge zu fassen. In späterer Zeit  : [I]ch lasse […] gehorsamst bitten, von beeden Sinfonien eine Probe zu halten, weil Sie sehr Delicat sind, besonders das lezte Stück in D. in welchem ich das allerkleinste piano anempfehle und mit einem sehr geschwinden Tempo.118

Offenbar war die Vorschrift p am Beginn des Finales der Sinfonie Nr. 96 nicht genügend  ; aus einer gedachten Reihe von Reduktionen der Lautstärke sollte die am weitesten gehende angestrebt werden  ; ebenso war Vivace assai119 anscheinend lediglich als Aufforderung zu (besonderer) Lebhaftigkeit des Vortrags, aber nicht unbedingt auch als Angabe eines ,absoluten‘ Tempos aufgefasst worden – hier war eine erheblich gesteigerte von mehreren möglichen Abstufungen des Schnellen gemeint.120 118 Ibid., 265. 119 Das assai steht lediglich in einigen (Ober-)Stimmen, die hier ,das Tempo machen‘, vielleicht als spätere Hinzufügung. 120 Als unteren Grenzpunkt der Dynamik gibt es auch sozusagen den Wert 0, wenn in „Die Beredsamkeit“ aus den späten vierstimmigen Gesängen das Wort „stumm“ in den letzten Takten zunächst in der (unbezeichneten) normalen, d.h. wohl auf einem mittleren Level variierenden Lautstärke des Stücks, dann p, und schließlich nurmehr pantomimisch (notiert als leerer Takt mit einer Anmerkung zur Ausführung) ,ausgesprochen‘ wird, mit der besonderen Pointe, dass sich auch die harmonische Auflösung in der Lautlosigkeit verliert. Im Largo sostenuto des Quartetts op. 33,2 kommen alle vier Normal-Lautstärkegrade vor, dazu noch fz. Darüber hinaus begegnen Differenzierungen wie dolce (etwa op. 50,1 I) oder sotto und mezza voce (etwa op. 50,2 I  ; op. 42 III). „mezzo forte“, „poco piano“, „più piano“ und „piano assai“ finde ich nur in op. 20, wo die vielfältigen in Worten ausgeschriebenen Vortragsangaben als Indiz dafür gelesen werden müssen, dass sich zwar ein Differenzierungsprozess anbahnt, aber noch keine stabilen dynamischen Grade eingestellt haben. Später gibt es gelegentlich noch „più forte“ wie im Adagio sostenuto von op. 76,1, aber auch poco f (etwa in op. 33,5 I) und, obwohl sich fz wie jeder Akzent in der Regel relativ zur umgebenden Lautstärke versteht, selbst poco fz (op. 64,1 I), mf dagegen überhaupt nicht. Das „Pianiss.“ nach einigen Takten im pp (op. 64,3 IV) aber zeigt an, dass Haydn das pp als „più p“ versteht (vergleiche op. 71,2 IV nach dem Beginn der Reprise, den man sich im p zu denken hat), es sich also bei „Pianiss.“ in Wirklichkeit um ein ppp handelt (analog bedeutet ff eigentlich so viel wie più f, während „Fortiss.“, das Haydn, soviel ich sehe, als die Schönheitsgrenze überschreitend normalerweise nicht verwendet, durch fff ausgedrückt werden müsste  ; der Terremoto-Satz der Sieben letzten Worte ist überschrieben „Presto con tutta la forza“, im Menuett-Trio von op. 77,1 heißt es „forte assai“). Wenn allerdings im Menuet von op. 76,1 p und ff einander gegenübergestellt werden, dürfte es sich bereits um einen fixen dynamischen Grad, keine bloße Steigerungsstufe handeln, ebenso wenn in der Fantasia von op. 76,6 ein Crescendo von pp nach p führt. Und am Ende des Andante von op. 77,2 dürfte „pianiss.“ und pp in jeweils zwei Stimmen mittlerweile dasselbe besagen. Dagegen ist in op. 76,6 II „più f “, auf „pianissimo“ resp. p folgend, wohl eher relativ zum Vorhergehenden zu verstehen und nicht als quasi absolute Zwischenstufe zwischen f und ff.

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Das In-Obacht-Nehmen des Tempos bezieht sich wohl nicht allein auf die sorgfältige Unterscheidung der Tempograde – in Die sieben letzten Worte wird zwischen den „sieben Adagios“ nach Taktarten, aber auch nach Maestoso ed Adagio, Grave, Largo, Adagio und Lento differenziert, fast als ob eine Klassifikation à la Linné vorausgesetzt würde –, sondern auch auf die Einhaltung des Tempos. Wenn der alte Haydn „versicherte, seine Sinfonie [Nr. 100, die sogenannte Militär-Sinfonie] nie mit solcher Präzision aufgeführt gehört zu haben“ wie von einem Mälzel’schen Orgelwerk oder Panharmonicon121, so dürfte er neben der Akuratesse des Zusammenspiels auch das Gleichmaß der Bewegung im Auge gehabt haben. Freilich – wenn das Federwerk der gebräuchlichen Taschenuhren (wie wohl auch der kleineren Musikautomaten und noch der ersten Metronome) vielleicht keine Gleichlaufprobleme verursacht haben dürfte122, wohl aber allmähliche Veränderungen der absoluten Laufgeschwindigkeit123, so wird man mit einem gewissen (schwer zu bestimmenden) Spielraum, wie bei der Synchronisierung des täglichen Lebens (nicht zuletzt der verschiedenen örtlichen Uhrzeiten)124, so auch in der Bemessung des Tempos zu rechnen haben. Selbst im „Ausdruck der Empfindungen“, der noch immer als vordringlich anerkannten Aufgabe jeglicher Musik (ein Umschlag erfolgt erst bei Beethoven125), findet sich der Bezug auf Zeit  : Zu gestalten sind Erwartung, Spannung, Furcht, gedehnte Zeit, Gelassenheit, Zuständlichkeit, die erfreute oder erschütterte Betrachtung der Naturphänomene, andererseits der beschleunigte Pulsschlag, die Raserei des Zornes, das Vergleiche zu dem gesamten Komplex die kurzen Artikel „forte“ und „piano“ im Waltherschen Lexikon. – Einen Extremfall an Nuancierung stellt das Largo assai von op. 74,3 dar, wo in 64 Takten „mezza voce“, „crescendo“, „fortissimo“ (  !), p, f, „pianissimo“, „più forte“, fz, p, „forz.“/fz, , fz/ff, p, f, p, f, „pianissimo“, f, pp, fz und „pianissimo“ aufeinander folgen. Das volle Spektrum wird von Haydn tatsächlich wohl nur im Streichquartett wirklich ausgeschöpft (nur noch im langsamen Eröffnungssatz der Ch. G. Breitkopf gewidmeten Klaviersonate C-Dur Hob. XVI  :48 von 1789/90, freilich einem Andante con espressione, finde ich Verhältnisse wie im erwähnten Quartett op. 33,2 vor). Ob und inwiefern für Orchestermusik andere (etwa praktische) Bedingungen gelten, kann ich im Augenblick noch nicht sagen. 121 Zeitung für die elegante Welt 21.8.1806, zitiert nach Henrike Leonhardt, Der Taktmesser. Johann Nepomuk Mälzel – Ein lückenhafter Lebenslauf (Hamburg  : Kellner, 1990), 75. 122 So gut wie jeder Befürworter des Metronoms wird neben der Möglichkeit, das gewünschte Tempo exakt anzugeben, auch den pädagogischen Wert für die Angewöhnung eines gleichmäßigen Spiels ins Feld führen. 123 Den Hinweis verdanke ich Manfred Huss, der sich eine entsprechende Beobachtung von dem gelernten Uhrmacher Josef Mertin bestätigen ließ. 124 Siehe das Kapitel „Die Standardisierungsbewegung“ in  : Robert Levine, Eine Landkarte der Zeit. Wie Kulturen mit der Zeit umgehen (Originalausgabe 1997  : A Geography of Time) (München  : Piper, 22004), 101 ff. Das Problem dürfte allerdings erst mit zunehmender Reisegeschwindigkeit, sprich  : mit der Eisenbahn, akut geworden sein. Bei Haydns Zeitangaben geht es eher um die Dauer als um den exakten Zeitpunkt. 125 Siehe Reinhard Kapp, „Zur Geschichte des musikalischen Ausdrucks“, Claus Bockmaier (Hg.), Beiträge zur Interpretationsästhetik und zur Hermeneutik-Diskussion (Schriften zur musikalischen Hermeneutik 10) (Laaber  : Laaber Verlag, 2009), 143–79.

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„Rollen“ des Donners oder der Wellen und wofür im Busen sie stehen. Fast so etwas wie Haydns Spezialität sind Situationen der bangen Erwartung  : vor der Erschaffung des Lichts, beim allmählichen Aufgang der Sonne in Die Schöpfung  ; die Morgendämmerung, die brütende Hitze zur Pansstunde ebenso wie die unheimliche Stille vor dem Sturm im Sommerteil der Jahreszeiten.126 Das ist nicht mehr bloßer „Ausdruck des Wortes“ wie (eindrucksvoll genug) im Credo von Bachs h-Moll-Messe bei „Et expecto“, sondern vielmehr Ausdruck der Empfindung127, als solcher aber fast unabhängig vom Wort. Und so kann es auf reine Instrumentalmusik übertragen werden – nicht nur in der entsprechend charakterisierten „Vorstellung des Chaos“ zu Beginn der Schöpfung, auch in zahllosen langsamen Einleitungen, die zum einen auf das Folgende vorbereiten, dabei aber die Zeit dehnen und die Spannung steigern. Vielleicht wird auch die Kategorie der Überraschung neu gedacht  ; es geht darum, keine Langeweile aufkommen lassen, die Effekte zu dosieren, das ,Timing‘ zu beachten. Es gibt eine Haydn’sche „Entdeckung der Langsamkeit“  : echte Adagiosätze von langem Atem und bedeutender Extension. Aber ebenso eine Entdeckung der Geschwindigkeit  : „die sehr schnellen Tempi vor allem der Finalsätze“, die Finscher unter die „drei wesentliche[n] Momente“ rechnet, „die den Stil Haydns schon in [der] Zeit“ des op. 2 „so unverwechselbar prägen“128, stellen gewiss auch eine Erschwernis für die Ausführung dar, vor allem aber eine spezielle Aufgabenstellung bei der Komposition.

Schaffensprozess Im Jahre 1770 (das ist jetzt keine Nachricht vom „alten“ Haydn) bekam Johann Abraham Peter Schulz auf seine verwunderte Frage, wie es zu der großen Zahl von Werken kommen konnte, zur Antwort  : Ja, sehen Sie, ich stehe früh auf, und sobald ich mich angekleidet habe, fall’ ich auf meine Knie und bete zu Gott und zur heiligen Jungfrau, daß es mir heute wieder gelingen möchte. Hab’ ich dann etwas gefrühstückt, so setze ich mich an’s Klavier und fange an zu suchen. Find’ ich’s bald, dann geht es auch ohne viele Mühe leicht weiter. Will es aber nicht vorwärts, dann sehe ich, daß ich die Gnade durch irgend einen Fehltritt verwirkt habe, und dann bete ich wieder so lange um Gnade bis ich fühle, daß mir verziehen ist.129 126 Vergleiche den Beginn der „Tempesta“ in der als Le soir anzusprechenden Sinfonie Nr. 8. 127 Erwartung wäre auch kein (barocker) Affekt gewesen, wohl aber ist es ein Seelenzustand modernen Typs. 128 Finscher, Joseph Haydn (Anm. 1), 115 – die anderen sind „der rhythmische Elan“ und „die motivische Arbeit“. 129 Johann Abraham Peter Schulz nach Reichardts Erzählung, Pohl II 27 – nebenbei bemerkt ein Hinweis darauf, daß das religiöse Leben einerseits an die bürgerliche Tageseinteilung, andererseits an bestimmte Situationen der schöpferischen Arbeit angeschlossen wird, ohne Verankerung in kirchlichen Abläufen.

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Eine Bestätigung aus späteren Jahren liefert der Bericht Griesingers  : Wenn es mit dem Komponiren nicht so recht fort will, hörte ich ihn sagen, so gehe ich im Zimmer auf und ab, den Rosenkranz in der Hand, bete einige Ave, und dann kommen mir die Ideen wieder.130

Ob die Inspiration sich einstellt oder nicht, ob die Gedanken fließen oder nicht, ob das Werk gelingt oder nicht, hängt davon ab, wieweit Haydn mit sich und den himmlischen Mächten im Reinen ist. Jedenfalls in der Wiedergabe durch Schulz und Griesinger scheint das mehrmalige „dann“ eine Zeitfolge und eine Schlussfolgerung anzuzeigen  : Der Arbeitsprozess beginnt mit der Suche, einem ziellosen Sich-im-Ungefähr-Bewegen auf der Tastatur, nicht mit einem spontanen Einfall. Ist der für geeignet erkannte Gedanke erst geboren, bedeutet seine Ausarbeitung in der Regel keine sonderliche Mühe. Will ein solcher sich nicht einfinden oder gerät die Arbeit ins Stocken, so muss die Ursache außerhalb der kompositorischen Aufgabenstellung liegen. Modern gesprochen, bringen Psychotechniken die Sache wieder in Schwung  ; dabei scheint mit regelmäßiger Bewegung  : dem Aufund-ab-Gehen, der Aneinanderreihung der Gebete und dem Abgreifen der Rosenkranzperlen auch die kombinatorische Leichtigkeit sich wieder herzustellen. Wie die strikte Ordnung im Tagesablauf sind auch solche Methoden der Autosuggestion ein Gegenmittel gegen emotionale Ausnahmezustände, wie sie das Hof- und Privatleben, der praktische Musikbetrieb und das Komponieren immer wieder mit sich bringen. Mit „Ideen“ sind demnach sowohl die zugrunde liegenden Themen als auch Möglichkeiten der Fortführung gemeint. Mit solchen Ideen verhält es sich aber wie mit der Begabung  : sie sind ein Lehen. Im Rückblick schildert Haydn die Sache denn doch etwas anders, und dabei kommt ein doppelter Gesichtspunkt ins Spiel, der Haydn je länger, desto mehr beschäftigt  : einerseits die persönliche Färbung der Gedanken und der eigene Anteil am Gelingen, andererseits die Dauerhaftigkeit der Wirkung  : Ich setzte mich hin, fing an zu phantasiren, je nachdem mein Gemüth traurig oder fröhlich, ernst oder tändelnd gestimmt war. Hatte ich eine Idee erhascht, so ging mein ganzes Bestreben dahin, sie den Regeln der Kunst gemäß auszuführen und zu souteniren [d.i. aufrechterhalten, unterstützen, behaupten]. So suche ich mir zu helfen, und das ist es, was so vielen unserer neuen Komponisten fehlt  ; sie reihen ein Stückchen an das andere, sie brechen ab, wenn sie kaum angefangen haben  ; aber es bleibt auch nichts im Herzen sitzen, wenn man es angehört hat.131 130 Griesinger, Biographische Notizen, 99. Auch diese Äußerung habe ich bereits herangezogen, siehe Anm. 57. 131 Griesinger, Biographische Notizen, 114.

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Die Meisterschaft erweist sich darin, dass sich die Musik folgerichtig und kontinuierlich entwickelt  ; nur dann, wenn der Komponist nicht von Hölzchen auf Stöckchen gerät, besteht die Chance, dass der Zuhörer etwas davon behält und von der einheitlich durchgeführten Empfindung affiziert wird. Dafür, dass sich die Ideen nicht kommandieren ließen, es aber auch nicht allein auf die entsprechende ,Stimmung‘ ankam, haben wir eine Bestätigung in Dies’ Bericht  : Nicht lange nach Haydns Ankunft in London erhielt er einen Besuch von einem Offizier, der […] wünschte, daß ihm Haydn zwei militärische Märsche komponieren möchte. Haydn entschuldigte sich, daß ihm die Oper Orfeo keine Zeit übriglasse, daß er nur schriebe, wenn er sich bei guter Laune fände, folglich nicht wissen könne, ob er das estro musicale [die Inspiration] früh oder spät bekommen würde […] „Der Klang des Goldes [mit dem der Offizier in den Taschen absichtsvoll klimperte]“, sagte Haydn, „erinnerte mich, daß England das Land meiner Ernte sein könne. Ich fragte daher, wieviel Zeit er mir lasse, um das estro abzuwarten  ?“132

Die musikalischen Ideen (Gedanken) sind kein Material, sondern etwas, über das Verständigung möglich ist. Die durch Musik dargestellten wie bei den Hörern ausgelösten Empfindungen sollten nicht bloß flüchtig vorübergehen, sondern selbst einprägsam gestaltet sein, dann aber auch durch sorgfältige Ausarbeitung über einen gewissen Zeitraum festgehalten werden. Schließlich sollten ja die „mit Bedächtlichkeit und Fleiß“ verfertigten „Arbeiten […] auch“ in dem Sinne „für die Dauer“ sein133, als die vermittelten Eindrücke „im Herzen sitzen“ bleiben sollen. Gegen die Auflösung, die Gedankenflucht, wie sie im Gefolge der Empfindsamkeit um sich gegriffen hatte, wird Folgerichtigkeit aufgeboten. Die Monothematik vieler Sätze wurde von der Berliner Kritik getadelt – Haydn erinnert sich der Einwände als solcher gegen „Monotonie“134. Mag es sich bei dieser ausgeprägten Neigung um Ausfluss und Spielart einer nicht sprunghaften, sondern beständigen Anlage (eines ausgeglichenen Temperaments) gehandelt haben, mag sich darin auch so etwas wie ein bäuerliches Erbe niedergeschlagen haben – in jedem Fall war es Programm. Zwei Sätzen in Nr. 2 und 5 der „Auenbrugger“-Sonaten von 1780 legt er dasselbe Thema zugrunde, lässt aber in einem „Avertissement“ eigens auf „den Unterschied der Ausführung“, d.i. die Ausarbeitung, und damit zugleich auf den Unterschied zwischen einem „Scherzo“ und einem Sona-

132 Dies, Biographische Nachrichten, 121 f. 133 Griesinger, Biographische Notizen, 114 – und „einem Kenner verräth sich“ das eine wie das andere „sogleich aus der Partitur“. 134 In dem Brief mit der Autobiographischen Skizze vom 6.7.1776, Haydn, Briefe (Anm. 20), 76.

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ten-Eröffnungssatz (bei gleichbleibender Vortragsangabe) hinweisen135 – Mannigfaltigkeit in der Einheit als besondere Herausforderung für Komponist und Spieler. Wenn Haydn den Charakter der Ideen mit der jeweiligen Stimmung seines Gemüts in Verbindung bringt, so bedeutet das natürlich weder, dass er damit „sich“ habe ausdrücken wollen, noch dass er bei der Prägung von Themen für erste Allegros, Adagios, Menuette oder Finalsätze von entsprechenden Stimmungen abhängig gewesen sei, sondern lediglich, dass diese sich auf die Prägung der Charaktere ausgewirkt haben mögen oder sogar eine einheitliche Färbung sich über alle charakteristischen Differenzen hinweg durchsetzen dürfte. Aber gleichviel, worin die Aufgabe gerade bestand, kam es zunächst darauf an, den wie immer gefärbten Gedanken tragfähig zu machen, ihn über einen längeren Zeitraum hinweg ohne Monotonie zu entfalten, ihn von den verschiedensten Seiten zu beleuchten. Die zu diesem Zweck aufgefundenen Techniken müssen ihm mit der Zeit in Fleisch und Blut übergegangen sein. In späten Jahren konnte sich das verselbstständigen und ihn quälen  : So zitiert ihn Dies  : Gewöhnlich verfolgen mich musikalische Ideen bis zur Marter. Ich kann sie nicht loswerden, sie stehen wie Mauern vor mir. Ist es ein Allegro, das mich verfolgt, dann schlägt mein Puls immer stärker, ich kann keinen Schlaf finden. Ist es ein Adagio, dann bemerke ich, daß der Puls langsam schlägt. Die Phantasie spielt mich, als wäre ich ein Klavier.136

Kompositionstechnische Entsprechungen 137 Die Regelmäßigkeit liegt nicht nur der Musik zugrunde – im Takt, in der periodischen Ordnung –, sie tritt auch immer wieder als das ausdrücklich herausgehobene Moment besonders in Erscheinung  : so im fast einen Typus vertretenden Allegretto-Thema des Finales von op. 33,6, im Andante der Symphonie Nr. 101, das dem Werk nicht von ungefähr den Beinamen „Die Uhr“ eingetragen hat, oder dem der Symphonie Nr. 94 („mit dem Paukenschlag“). Schon in Lo Speziale nach Goldoni (1768) hatte die Auftritts­ arie des Apothekergesellen „Tutto il giorno pista, pista“ das enervierend langweilige Arbeiten mit dem Stößel im Mörser ironisch thematisiert. Ganz ohne diesen pointiert klopfenden Charakter gibt es auch einen Fall wie das Poco Adagio aus dem Klaviertrio

135 Pohl II 173 f. 136 Dies, Biographische Nachrichten, 111. 137 Im Folgenden muss die Methode eine andere sein – an die Stelle möglichst sorgfältiger Lektüre der wenigen Lebenszeugnisse haben einige allgemeine Hinweise angesichts eines kaum zu überschauenden kompositorischen Gesamtwerks zu treten.

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Es-Dur (Hob XV/22) von 1794, wo das Gleichmaß der ohne Unterbrechung fortlaufenden Achtel sich erst allmählich ins Bewusstsein einschleichen dürfte. Das Ersinnen und Durchhalten weit gespannter, ,echter’ Adagios scheint die Zeit stillzustellen und ist doch gerade das Ausreizen des Grenzbereichs zum Stillstand, Umgang mit einem unter Umständen bis zum äußersten gedehnten Zeitmaß, dabei dennoch nicht bloße Nervenprobe, sondern der Versuch, auch unter so erschwerten Bedingungen noch großräumig zu denken und zu gestalten. Als Extrem hat man sich eine gleichsam zuständliche Musik vorzustellen, gespannt, aber nicht mehr gleichmäßig schreitend. Die bereits erwähnte „Vorstellung des Chaos“ ist wohl auch in diesem Zusammenhang zu sehen. Schließlich ist beim späteren Haydn ein ,abstrakter‘ Zeitbegriff zu unterstellen. Ich verstehe darunter einen kontinuierlichen Zeitverlauf (von eigener Beobacht- und Messbarkeit), unabhängig davon, was währenddessen alles vorfällt und wie er sich der Empfindung darstellt. Wenn Bachtin im „Chronotopos“ des antiken (und barocken) Romans der Zeit wie dem Raum eine gewisse Abstraktheit zuspricht, so meint er, dass die geschilderten Abenteuer gar keine bestimmte Dauer haben, keinen bestimmten Zeitraum einnehmen können.138 Vielleicht wäre es richtiger, an dieser Stelle von konkreter Zeit zu sprechen, nämlich einer, die gar nicht anders vorhanden ist als in Verbindung mit den einzelnen Vorgängen, nicht unabhängig von ihnen.139 Was sich als Abstraktionsprozess darstellt, ist die allmähliche gedankliche Ablösung des Zeitverlaufs von den konkreten Naturzyklen und Arbeitsabläufen. Dabei entsteht auch so etwas wie ein gemeinsames Maß für die verschiedenen und verschiedenartigen Aktivitäten, Ereignisse und Prozesse.140 (In diesem Zusammenhang wird Voltaire den barocken

138 Michail M. Bachtin, Chronotopos (Frankfurt/M.  : Suhrkamp, 2008), passim. 139 Günter Dux nennt in seiner Rekonstruktion der Entwicklung der Zeit bzw. der Zeitbegriffe dieses das Stadium der „Handlungslogik“ bzw. der „Handlungszeit“, Die Zeit in der Geschichte. Ihre Entwicklungslogik vom Mythos zur Weltzeit (Frankfurt/M.  : Suhrkamp, 1989), passim. 140 In Dux’ Interpretation der neuzeitlichen Lage, ibid. 342 f.  : „Die Geschichte bewegt sich […] durch den Zugewinn an Organisationskompetenz über die Außenwelt, über die Sozialwelt so gut wie über die Natur. […] Das Netz der konstanten Beziehungen, mit dem der Mensch die Welt überzieht, wird dichter und dichter. […] Es ist ersichtlich, dass die […] ,Relationierung der Zeit‘, nämlich die Koordinierung aller überhaupt möglichen Ereignisse in der Gleichzeitigkeit des ,Jetzt‘, mit der Eliminierung der Handlungslogik in eins geht. […] Zeit wird jetzt als die Dauer eines Systems gedacht, dessen zuständliche Dynamik es unablässig umstellt. Das Universum wird autonom. In diesem historischen Prozeß ist die metaphysische Zeit als Zeit der Welt überwunden. Nicht ganz.“ In der Musik erlaubt ein allen Ereignissen (gleich welche Stelle sie in einer Phrase einnehmen, welche Wichtigkeit ihnen zukommt, wie stark oder schwach sie akzentuiert sind, in welcher Schicht sie sich befinden usw.) gemeinsames „Jetzt“, unterschiedliche Verläufe, Geschwindigkeiten, Ordnungen zu koordinieren, oder profilierte Bewegungstypen abwechselnd mit einem hörbar gemachten Zeitraster zusammenfallen zu lassen und sie davon abgelöst frei zu versetzen.

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Romanen ironisch das völlig fiktive Zeitmanagement vorhalten.141) Die künstlerische Reaktion auf diese Erkenntnis kann im bewussten Festhalten und Artikulieren von Zeitmaßen bestehen, aber auch in der Erfassung und Ausfüllung eines definierten Zeitraums, in dessen bewusster Durchmessung oder lebendiger Gestaltung. Bei Haydn bildet sich etwa eine Vorstellung von der Angemessenheit einer bestimmten Aufführungsdauer für bestimmte Sätze oder ganze Werke heraus142, nachdem man in früheren Jahren offenbar über alle Zeit der Welt hatte verfügen können. Dies lässt es mehrfach angezeigt scheinen, ältere Stücke durch Kürzung für die Gegenwart zu retten. 17 Jahre trennen Haydn von L’isola disabitata, als er 1802 Griesinger erklärt  : „[S]o habe ich alle Rezitative instrumentirt“ (d.h. die Accompagnatos aus- oder umgearbeitet), nur am Finale, einem Quartett, muss ich etwas ändern, weil es zu lang ist.“143 Schließlich aber lässt er dem Verleger einerseits ausrichten, „daß er die Oper mit dem Originaltext das heißt dem Italiänischen, gedrukt wünscht“, also den ursprünglichen Text und seine Vertonung erhalten sehen möchte. „Was er ausgestrichen hat, soll“ andererseits „nicht wieder aufgenommen werden  ; seinem alten Fürsten für den er diese Oper componiren mußte, sey nichts zu lang gewesen  ; das lezte Quartett ist ganz neu.“144 Demselben Gewährsmann verdanken wir die Mitteilung  : Die Unterredung fiel auf „Tobias“, Haydns ältestes Oratorium. Er war der Meinung, Herr Neukomm sei genötigt gewesen145 die viel zu langen Chöre dem jetzigen Zeitalter anzupassen und dieselben abzukürzen. „Wie ich“, sagte er, „das Oratorium schrieb, galten die langen Noten noch etwas, jetzt wimmelt alles von Vierundsechzigteilen. Es verhält sich damit wie mit dem Gelde. Vorzeiten lief nichts als schweres Gold und Silber herum, jetzt sieht man nur Kupferkreuzer und Pfennige.“146

Merkwürdiger Vergleich. Vielleicht sollte man die Wirtschaftsgeschichte jener Zeit heranziehen – Haydn seufzt wie wohl alle Menschen, seit es Geldwirtschaft gibt  : „meine umstände und die dermahlige Theuerung“.147 Aber es handelt sich bei dieser Art Entwertung doch gewiss nicht um Inflation, sonst würden die kleinen Münzen vom Markt 141 – dadurch, dass in Candide die Verliebten erst dann zueinanderfinden, nachdem die bestandenen Abenteuer ihnen alle Reize der Jugend genommen haben. Den Hinweis verdanke ich Bachtin, Chronotopos, 13 f. 142 Aber er konnte Carpani auch verraten, dass ihn „[e]ine Symphonie […] einen Monat Arbeit und eine Messe mehr als zwei“ koste, Carpani, Haydn. Sein Leben (Anm. 3), 205. 143 Griesingers Korrespondenz (Anm. 2), 139. 144 Ibid., 151. Die Neufassung verzichtet auf alles, was den Gang der Musik des Finales aufhält, insbesondere die obligaten Soloinstrumente. 145 Nach anderen Zeugnissen ging die Initiative dazu von Haydn aus. 146 Griesinger, Biographische Notizen, 154. 147 Haydn, Briefe (Anm. 20), 236.

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verschwinden. Auch das Umgekehrte kann nicht gemeint sein. Eher würde vielleicht passen  : dass die Münzen ihren Metallwert eingebüßt haben  ? Dann würde der Wert sich fiktionalisiert haben. In der Musik kann man die langen Notenwerte nicht mehr „aushalten“, d.h. ertragen und in voller Länge ausführen – man ist zu nervös für sie, lässt sie nicht gelten, sondern ersetzt sie durch ein Gewimmel von kleinen. Auch wenn es „nur“ Diminutionen sind und nicht immer weitere Unterteilung, d.h. immer kleinteiligere Bewegung, führt es insgesamt zu einer Verlangsamung (die generelle Tendenz in der Notationsgeschichte), also keine Einbuße an Geltung im mechanisch mathematischen Sinn der Dauer, sondern in dem Sinn, dass die großen Werte nicht mehr für sich allein schon etwas sind. (Man vergleiche Griesinger über die Sängerin Mildner  :­ „[S]ie giebt, da ihr Lehrer Neukomm aus der Haydnschen Schule ist, lange kräftige Noten ohne Schnörkel und überladene Verzierungen.“148) Da jedenfalls die empfundene Dauer der langen Noten größer geworden ist, vielleicht sogar das Tempo langsamer, was der Empfindung der „Leere“ sogar ein gewisses materielles Substrat verleihen würde, muss man wohl tatsächlich kürzen, wenn man nicht als Bearbeiter in die kompositorische Substanz eingreifen will. Freilich kann es zu einem Widerspruch zwischen der Rücksicht auf ein gegenwärtiges Publikum und dem Wunsch kommen, den Musikern vom Fach die ursprüngliche Komposition in ihrer Integrität zum Studium zu hinterlassen (1807)  : Haydn hat durch seinen geliebten Schüler Neukomm in Petersburg sein erste[s] Oratorium Il ritorno di[ ] Tobia, in vollständiger Partitur überarbeiten und dem heutigen Geschmak in der Musik angemessener zustuzen lassen, um es hier bey den jährlichen großen Concerten für die Wittwen und Waisen der Musiker aufführen zu lassen. Haydn ist mit Neukomms Arbeit nicht ganz zufrieden, weil er mehrere gute Stellen ausgelassen habe und in dieser Gestalt möchte Er es in vollständiger Musik [d.i.  : in Partitur] nicht geben. Er glaubt aber, daß dieses Werk im Clavierauszug sein Glük machen könnte.149

Das betrifft nicht nur die Gesamtdauer von einzelnen Sätzen, sondern auch von ganzen Stücken  : Ein Text zu dem jüngsten Gericht liegt dem alten Papa noch sehr am Herzen. Haydn will durch seinen Schüler Kranz, der kürzlich hier war und Capellmeister in Weimar ist noch einmahl Wieland und Goethe darum ansprechen lassen. Der Text soll reich an Bildern, aber nur nicht lang seyn, so daß die Aufführung höchstens 1½ Stunden dauert.150 148 Griesingers Korrespondenz (Anm. 2), 213. Vergleiche die oben herangezogene Anekdote aus einer Probe zur Schöpfung. 149 Ibid., 249 f. 150 Ibid., 171 f. Der tatsächlich angesprochene Wieland winkte ab.

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Freilich ist nicht eindeutig zu entscheiden, ob sich dies auf die schier endlose Detailmalerei bezieht, die ihm in Die Jahreszeiten abgenötigt worden war, auf die eigenen schwindenden Kräfte, die ihn eine vielleicht Jahre in Anspruch nehmende Arbeit nicht mehr wagen ließen, oder auf das gegenwärtige Publikum, das realistisch eingeschätzt für überlange Stücke alten Stils die Geduld nicht mehr aufbringen würde. Dass die Länge zum Problem wird, dürfte auch damit zusammenhängen, dass die Disposition über die große Form von Haydn immer bewusster gehandhabt wird, dass bloß additive Reihung ihn ebenso unbefriedigt lässt wie symmetrische (sozusagen räumliche) Anordnung. Stattdessen sollen die Formteile in eine dynamische Entwicklung versetzt werden, die einzelnen Phasen befriedigend abgeschlossen werden und ausklingen können (ein weiterer Schritt im Prozess der Verzeitlichung der Form, der seit dem Mittelalter abläuft). Parallel zur Ausbildung eines Begriffs von musikalischer Logik, oder auch zu Friedrich Schlegels Gedanke „eine[r] gewisse[n] Tendenz aller reinen Instrumentalmusik zur Philosophie“ (Athenaeums-Fragmente 1798) hat Haydn viel dazu beigetragen, dass nach der im Barock vielfach vorgenommenen Analogisierung der musikalischen Form- mit den Rede-Teilen und der bereits mit mehr Bewusstheit vorgenommenen Anordnung der Abschnitte eines Musikstücks nun auch (neben Einheitlichkeit und Abwechslungsreichtum, Originalität und „Kompositionswissenschaft“) die durchgängige Artikulation des Details im Interesse einer sinnfälligen Aufeinanderfolge der einzelnen Glieder und der wohldisponierten Schlusskraft der Kadenzen und Kadenzreihen als selbstverständliches Erfordernis durchgesetzt, somit der Zeitfaktor als konstitutiver Bestandteil des musikalischen Formbegriffs definitiv inthronisiert war. Man denke an die „klassische“ Periode mit Vorder- und antwortendem Nachsatz.151 Dieses Schema bedeutet den Übergang von einem Konzept bloßer Reihung der Abschnitte (evtl. mit Rückkehr zu einem früheren Stadium) zur Vereinheitlichung auf mehreren Ebenen oder gleichzeitig Addition auf einer, Integration auf einer höheren Ebene, mit der Periode als Projektion des Akzentstufentakts, der zweiteiligen Form als Projektion der Periode usf. Beim frühen Haydn erfolgt noch im barocken Verständnis der Einheit der Bewegung diese schrittweise vorwärts und weiter, in einem Satz schneller, in einem anderen langsamer  ; die Taktteile müssen sozusagen einer wie der andere regelmäßig betreten werden – bedenkt man die erste Phase des Schaffensprozesses am Klavier, so müssen sie ,haptisch‘ Anschlag für Anschlag angegeben werden. Das ist mit Körpergefühl, mit „Sensibilität“ verbunden. Die allmähliche Übernahme des Konzepts der Empfindsamkeit bedeutet Wechsel der Empfindungen, somit auch der Bewegungsformen innerhalb eines Satzes. Diese 151 „Consequence“ in der angloamerikanischen Terminologie.

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Bedingungslage der „Freien“ Fantasie wird in der Phase der „Klassik“ auf den regelmäßigen Wechsel von mehr oder weniger zwei verschiedenen Charakteren eingegrenzt und darin systematisiert. Die Einführung der Periodik bedeutet, dass die gesamte Musik im Sinne des Tanzes und seiner Symmetrien organisiert wird – in einem achttaktigen Schema, das auch dann wirksam bleibt, wenn es zu Elisionen oder Erweiterungen kommt. Die Bewegung wird gewissermaßen abstrakter. Oder  : ein Schema von regelmäßiger Bewegung hält sich im Hintergrund, dirigiert den Verlauf, aber von ihm kann sich konkrete Bewegung abspalten und im Vordergrund manifest werden. In der späteren Musik Haydns kann innerhalb eines Satzes etwa auch Wechsel von viertelweiser – halbtaktiger – ganztaktiger Zählung stattfinden. Ein Beispiel wäre der erste Satz der Klaviersonate C-Dur Hob. XVI  : 50, wo sich das Tempo, oder die Bewegung, bis zu einer Fermate erst allmählich stabilisiert und im weiteren Verlauf diese Viertelbzw. Achtelbewegung zugunsten ganztaktigen Denkens vorübergehend fast ganz zum Verschwinden gebracht ist. Das wäre nicht der in sich zurücklaufende Kreis, aber auch nicht der gewissermaßen eindimensionale Zeitpfeil im Sinne Karol Bergers, sondern vielleicht eine Spiralbewegung. Oder eine Vervielfachung der Ebenen, auf welchen die Zeitorganisation vorgenommen wird. Dazu kommt eine Art Formdynamik, Disposition über den Ablauf als dramatischen Zusammenhang – nicht nur innerhalb der einzelnen Sätze, sondern über den Zyklus als Totalität. Und so lässt Haydn schließlich zur ersten öffentlichen Aufführung der Schöpfung im Burgtheater die gedruckte Bitte verteilen, daß auf den Fall, wo zur Aeusserung des Beyfalls sich etwann die Gelegenheit ergäbe, ihm gestattet seyn möge, denselben wohl als ein höchstschätzbares Merkmahl der Zufriedenheit, nicht aber als einen Befehl zur Wiederhohlung irgend eines Stückes anzusehen, weil sonst die genaue Verbindung der einzelnen Theile, aus deren ununterbrochenen Folge die Wirkung des Ganzen entspringen soll, nothwendig zerstöret, und dadurch das Vergnügen, dessen Erwartung ein vielleicht zu günstiger Ruf bey dem Publikum erwecket hat, merklich vermindert werden müßte.152

Und so wie Zelter im Rückblick (nach einer Berliner Aufführung unter Spontini) die „Vorstellung des Chaos“ als Darstellung einer Entwicklung, nicht eines Zustands versteht, kann er sich die gesamte Schöpfung als „ein architektonisches Musikwerk“ vorstellen, „das man wie eine bedeutende Sinfonie oder Sonate aufnimmt“, d.h. das 152 Abb. Finscher, Joseph Haydn (Anm. 1), 510. Haydn wünschte dieses Werk „in vollständiger Partitur“ erscheinen zu lassen, „damit [… ] meine Arbeit in ihrem ganzen Umfange dem Publikum vorgelegt, und so der Kenner sie übersehen und zu beurtheilen in Stand gesetzt […] werde“, Haydn, Briefe (Anm. 20), 322.

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zugleich stabil, wohlgegliedert und begehbar ist.153 So erscheint es bezeichnend, dass von den „zyklischen“ Werken die Tageszeiten-Symphonien auf eine Anregung des Fürsten zurückgehen sollen und die Jahreszeiten, zu denen Haydn dann fast auf Dis­ tanz zu gehen scheint, für Haydn zweite Wahl gegenüber einem Jüngsten Gericht bedeuteten, während er sich mit der Schöpfung völlig identifizierte und schließlich auf den Plan eines Apokalypse-Oratoriums von sich aus zurückzukommen wünschte, also für die künstlerische Bearbeitung eine Zeitvorstellung mit Ursprung und Ziel präferiert zu haben scheint und jedenfalls auch bei der Darstellung der Tages- und Jahreszeiten Entwicklungsmotive selbst dort aufgesucht hat, wo die Vorlage sie nicht unbedingt nahegelegt hätte154. Einige Hinweise auf teils bekannte weitere Fälle mögen genügen. Als exemplarisch für die Dynamisierung der Form mag die prozesshafte Zeitgestaltung am berühmten Anfang des „Sonnenaufgang“-Quartetts op. 76,4 gelten, beginnend mit „stehender“ Harmonie und sorgfältiger Vermeidung jeglicher Akzentuierung, die über Tempo, Takt und Zählzeit eindeutige Auskunft geben könnte, über einen sich allmählich einstellenden leichten Puls bis zu unmissverständlicher lebhafter Viertelbewegung – dies alles bei gleichbleibendem Tempo und ohne dass die aufsteigende Geste der I. Violine irgend solokadenz- oder rezitativartig frei gestaltet werden müsste, ja dürfte. Eine weitere Variante desselben Prinzips stellt der bereits genannte Eröffnungssatz der Grand Sonata C-Dur Hob. XVI  : 50 dar. In der Exposition handelt es sich um einen komplizierten Prozess, der Beschleunigung (der rhythmischen und harmonischen Bewegung) und Verdichtung (Aneinanderrücken der Anschläge, anwachsende Kompaktheit der Setzweise), andererseits Zunahme der Kontinuität (von Staccato zu Legato, Abnahme der Pausenanzahl, Intensivierung der ,Orgelpunkte‘, Auftreten von halben und ganzen Noten) umfasst – dergestalt, dass die 32stel-Werte, die zunächst in Diminutionen aufgetreten waren, schließlich an einer Stelle (per Punktierung) sogar wenigstens quasi im Durchgang real werden, stark verlangsamte melodische Fortschreitungen im Legato mit einer Art Tremolo-Begleitung in 16teln gerastert werden (T. 37 ff.) oder die Harmonie bei kreisender Diskantfiguration in 16tel-Triolen anderthalb Takte lang stehen bleibt (T. 44 f.).155 Diese Verlangsamung unter Beibehaltung eines schnellen Pulses wiederum nimmt in vergrößertem Maßstab Ritardando und Fermate am Ende des ersten vordersatzartigen Sechstakters mit seiner Beschleunigungstendenz auf.

153 Karl Friedrich Zelter an Goethe, 28. April 1830. 154 Man vergleiche die „Tempesta“ in der Sinfonie Nr. 8 oder in den Jahreszeiten mit jener in den Sieben Worten (diese Worte sind ja in der biblischen Erzählung ebenfalls mit Tageszeiten korreliert). 155 Finscher, Joseph Haydn (Anm. 1), 452–56 diskutiert dieselbe Exposition in einem „Exkurs  : Logik, Witz und Humor“.

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Bloß genannt seien außerdem der Steigerungsfaktor bei Variantenbildung, insbesondere in zahlreichen variierten Reprisen156, und die gewonnene Möglichkeit, einen bereits erreichten Höhepunkt nochmals zu übertreffen, in Sätzen wie dem Menuetto aus der Symphonie Nr. 97 C-Dur oder in mehreren „Glorificamus-te“-Partien der späten Messen. Wenn Haydn das Quartett G-Dur op. 33,5 mit einer Schlussformel beginnt, ist das noch freies Spiel mit Elementen, die bereits eine eindeutige Formfunktion angenommen haben  ; wenn die Formel alsbald als Phrasenschluss wiederkehrt und auch den Satzschluss bildet, so ist dies das Resultat einer dem gesamten Satz überspannenden Planung, ja selbst eines Entwicklungdenkens, das die Ausgangsformulierung schließlich als Resultat eines Prozesses erscheinen lässt. Sind solche Erscheinungen Ausdruck einer doppelten Bedeutung des Details, das einerseits seine Stellung in der Abwicklung der Form durch seine Gestalt selbst ausdrückt, andererseits auch vom abstrakten Zeitverlauf abgelöst und in Spannung zu ihm gesetzt werden kann, so spielt Zeit selbst eine doppelte Rolle  : zum einen als gedankliches Schema, auf dem die Ereignisse eingetragen, aber auch fast beliebig versetzt werden und in mehreren Schichten einander überlagern können, daneben als Medium des In-Erscheinung-Tretens der musikalischen Gestalten und Strukturen, das keine Realität hat außer in den wechselnden Formen des Zeitmaßes und des Zeitgefühls, der Ereignisdichte oder der Dauer (des einzelnen Klanges, eines Abschnitts, des gesamten Musikstücks). Damit ein bestimmter Zeitraum nicht nur in gleichmäßiger Verteilung ausgefüllt, sondern dem Erlebnis erschlossen werden kann, bedarf es der Berücksichtigung beider Zeitformen. Abstrakt nenne ich den bei Haydn anzutreffenden musikalischen Zeitbegriff im Unterschied zum traditionellen Zeitmaß, das zwar gegenüber dem Rhythmus im Modus der Allgemeinheit verbleibt, in dem die Zeit gleichwohl ansatzweise bereits ,konkret‘ geworden ist. Die Durchsetzung der Periodik als Organisationsprinzip für jegliche Musik bedeutet einerseits eine über die bloße Anwesenheit eines orientierenden Schemas in die Ausbildung eines jeglichen Details ausgreifende weitere Konkretisierung  ; die Möglichkeit von Elisionen oder Erweiterungen und die Übertragung des AuftaktAbtakt-Verhältnisses auf verschiedene Niveaus der Formorganisation vom Takt bis zum gesamten Satz, ja der Satzfolge erfordert die Einbeziehung einer gleichsam völlig ,leeren‘ Folie des bloßen Zeitverlaufs, vor der sich die verschiedenen Ebenen zeitlicher Ordnung abheben können. Es versteht sich, dass ein solches Konzept nur indirekt zu erschließen, nirgends unmittelbar greifbar sein kann. Ich will wiederum nur einige Indizien benennen. Häufig begegnet der Wechsel zwischen verschiedenen Zählzeiten, so im Andante der Es-Dur156 Ich denke etwa an den Finalsatz der erwähnten Klaviersonate C-Dur.

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Symphonie Nr. 99, wo vom generell vorgezeichneten und anfangs auch bis in die Gestik durchgesetzten ¾-Takt später auf Achtelbewegung umgestellt wird  ; oder im Finale des Kaiserquartetts mit dem Wechsel zwischen Alla breve und 4/4-Takt. In der Durchführung des I. Satzes von op. 77,2 wechseln metrisch unterschiedlich artikulierte Abschnitte einander ab. Im Menuett desselben Quartetts basieren die sehr weit getriebenen Versetzungen des Metrums gerade auf dem Festhalten des Takt­ rasters, das auch dann in Wirkung bleibt, wenn das Quintsprungmotiv konsequent gleich betont wird und so eine Zweierordnung sich durchzusetzen scheint. Aber das zugrunde liegende Modell wird mit den ersten vier Takten mithilfe der Harmonik unzweideutig exponiert und kann so weiterhin der Orientierung dienen. Nur an einer einzigen Stelle wird der reguläre Vier- zum Sechstakter erweitert (T. 61 ff.). Die ebenfalls bemerkenswerte modulierende Rückleitung zum Da capo erinnert an den Anfangsgedanken, führt aber durch den dreimaligen Einsatz mit jeweils nachklappendem Quintmotiv im Bass, also durch die Folge von drei Dreitaktern zu Irritationen über die herrschende Ordnung  ; dafür wird jetzt sowohl die motivische Verwandtschaft von Terz- und Quintmotiv fast definitorisch klargestellt als auch die Beantwortung durch das Quintmotiv so in den Dreivierteltakt eingepasst, dass die Betonung außer Zweifel gesetzt ist. Ob dies allerdings bedeutet, dass zumindest beim Da capo das Quintmotiv fortan immer einen Akzent auf dem oberen Ton erhält, je nach Lage im Takt leicht variiert wird oder metrisch gänzlich neutral gehalten werden soll, bleibt weiterhin offen. Besonders reich ausgebildet ist die Vielfalt der Zählweisen im Finale der letzten Londoner Symphonie, im Adagio sostenuto des Quartetts G-Dur op. 76,1 oder im Finale des „Kaiserquartetts“ C-Dur op. 76,3. Das auf das eben besprochene Menuett von op. 77,2 folgende Andante geht von Viertelbewegung aus, die zeitweilig in Zählzeit Achtel umschlägt  ; schließlich treten auch ganztaktige Akkorde oder Generalpausen auf. Mit Generalpausen wird bei Haydn in vielen Zusammenhängen gearbeitet – einem ,unmerklichen Zählen‘, Rekapitulieren des imaginären Rasters. Bisweilen erlebt man die fast physische Präsenz der abstrakten Zeit. Ich denke etwa an das humoristische Vorenthalten und nach der schockhaften Unterbrechung outrierte Nachliefern der Schlusskadenz im Menuett der Symphonie Nr. 104, im Moll-Finale des „Kaiserquartetts“ den unterbrochenen Gesang in Reprise und (Dur-)Coda  ; aber man sehe bereits den Gipfel des Mutwillens im vielbesprochenen Finale des Quartetts Es-Dur op. 33,2, wo nach mehreren 1-taktigen Generalpausen mit Fermate zweimal Generalpausen von 2 Takten folgen, schließlich sogar eine von 4 Takten von der schon gar nicht mehr erwarteten pp-Schlusswendung trennt. Das Presto-Finale des D-Dur-Quartetts op. 76,5 ist einer jener Fälle, wo ,das hinterste zuvorderst gekehrt‘ zu sein scheint  : Der Satz beginnt mit einer dreifachen fSchlusswendung, die in einen gerasterten p-Begleithintergrund für das eigentliche Thema übergeht. Die D-T-Folgen des ,Tutti‘ sind jedoch durch Pausen so voneinander

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getrennt, dass sie zwar zusammen mit den zwei Takten Begleitsystem einen Achttakter ergeben, der aber für den hörenden Nachvollzug nicht recht greift – was man hört, sind isolierte und kaum lokalisierbare Einzelgesten. Nach dem Vortrag des Themas aber rücken sie zusammen und werden sogleich, zu modulatorischen Zwecken verändert, wiederholt. Jetzt ist auch der Achttakter kaum weniger prägnant ausgebildet als im Thema selbst, das aus zwei sich lediglich durch das vortragende Instrument voneinander unterscheidenden Viertaktern besteht. (Die Reprise kombiniert die nochmals variierte ,Schluss‘-Geste mit einem lebhaften, seinerseits aus dem Thema gewonnenen laufenden Kontrapunkt.) Die Zeitordnung wird also in wechselnden Graden konkretisiert. Oder es wird mit fast beliebiger Versetzung gespielt  : Im Finale des Es-Dur-Quartetts op. 76,6, „Allegro spirituoso“ überschrieben, sitzen bereits die das Thema harmonisch festlegenden und bestätigenden Akkorde regelmäßig auf der zweiten Zählzeit. In der Durchführung werden dann die Bestandteile auseinandergenommen. Zunächst wird das Thema nach Moll versetzt  ; die Akkorde stehen an der gewohnten Stelle, aber ihre harmonische Funktion scheint ausgerenkt (T. 66/bis beginnt eine Akkordfolge, für die zunächst die Themenphrasen als harmonische Bestätigung oder Ausfaltung dienen, erst allmählich stellt sich das ursprüngliche Verhältnis wieder her). Dann gerät die Metrik vollends aus den Fugen  : die Akkorde scheinen nach dem Zufallsprinzip verteilt, bei näherer Besichtigung ergibt sich ab T. 71 eine Folge 5 – 4 – 3 – 2 – 1 Viertel, aus den letzten drei Elementen wird ein Modell gebildet, unter Rückgriff auf die 4. Zählzeit von T. 72 f. um einen Takt erweitert, und T. 77 ff. wiederholt  ; schließlich legen sich T. 80–83 dreimal 4 Viertel über den ¾-Takt (zu erklären durch einen ‚vorzeitigen‘ und unmarkierten Einsatz des Themas in der Originallage T. 79, dem der Akkord an der entsprechend vorgezogenen Stelle, aber harmonisch nochmals anders antwortet  ; der vergrößerte Abstand zwischen den Akkorden ergibt sich aus dem gegenüber dem originalen Thema um ein Viertel verlängerten Sequenzmodell in der Hauptstimme157), aber die letzte Pause wird gedehnt, so dass eine irreguläre Folge 6 (statt 4) – 7 Viertel entsteht, bis mit einem Liegeklang (T. 87 ff.) die Ordnung wiederhergestellt werden kann. Aber unterhalb dieser Verkürzungen und Erweiterungen bleibt das Viertaktschema unangetastet in Kraft. – Im Finale des Klaviertrios A-Dur (Hob XV/18) von 1793/94 erlaubt der umgehend etablierte Alla-Polacca-Charakter zum einen das fast schon regelmäßige Setzen synkopischer Gegenakzente, zum andern eine interne Komplikation im Periodenbau des Themas.

157 Auch diese erste und rudimentäre ,fausse Reprise‘ (eine quasi reguläre falsche folgt T. 95 ff., die wirkliche und auch durch ein fz mitten in einer längeren absteigenden Skala hervorgehobene Reprise T. 119 mit Auftakt – man beachte, dass bereits der Anfang dieser Skala thematisch ist, siehe den vorhergehenden Takt, der die Situation T. 70–72 in der Durchführung rekapituliert, so dass die tatsächliche Reprise zusammen mit dieser Situation auch die zunächst gleichlautende ,falsche‘ wenige Takte später in Erinnerung ruft.

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Gegen Ende des Finales der Symphonie Es-Dur Nr. 99 wird die Bewegung – mitsamt dem motivischen Inhalt – vorübergehend verlangsamt, quasi in Zeitlupe vorgeführt (Beethoven hat das im Finale seiner B-Dur-Symphonie nachgebildet)  ; oder die Periode wird gestreckt, aber weder durch Veränderung des Tempos oder des motivischen Inhalts, noch mittels partieller Erweiterung, sondern dadurch, dass die einzelnen syntaktischen Einheiten durch Pausen voneinander getrennt werden wie im Finale des Quartetts op. 33,2158. Hier setzt sich die Periode auf höherer Ebene wieder durch, incl. einer Elision innerhalb einer besonders langen Generalpause, in der man als Hörer aus dem Tempo zu fallen meint. In der Arie des Raphael in Die Schöpfung I „Rollend in schäumenden Wellen / Bewegt sich ungestüm das Meer […] Leise rauschend gleitet fort / Im stillen Tal der helle Bach“ beginnen die beiden Teile dem Text entsprechend ohne gliedernde Akzentuierung  ; nachdem sich jedoch unterm Stürmen und Wogen ein gewisses Regelmaß eingestellt hat, büßen mit dem Einsatz des zweiten Teils die Takte ihre Zwischenschritte ein, die Musik (und damit der Hörer) verliert gewissermaßen den festen Boden unter den Füßen. In den zwei Arien des Orfeo nach dem zweimaligen Verlust Eurydikes in L’Anima del filósofo ossia Orfeo e Euridice wechselt der Sänger jeweils zwischen zwei Artikulationsformen hin und her. Dieselben Verfahren lassen sich aber natürlich auch auf reine Instrumentalmusik übertragen. ,Abstrakter‘ ist der musikalische Zeitbegriff auch dann, wenn das Tempo, statt nur in gewissen einfachen Proportionen mit einem anderen, langsameren oder schnelleren, verrechnet zu werden, selbst beschleunigt wird – wie zweimal (più allegro, più presto) im Finale des „Sonnenaufgang“-Quartetts aus op. 76 (Allabreve Allegro, ma non troppo), ohne dass sich die Akzente entsprechend deutlich neu organisieren. In der Arie des Simon „Seht auf die breiten Wiesen hin“ im Herbst-Teil der Jahreszeiten ist das Verhalten des Jagdhundes, der umherstreift, die Spur sucht, aufnimmt und ihr „unablässig folgt“, durch eine ununterbrochene Sechzehntelbewegung dargestellt, die, wenn ihn der Jagdinstinkt ganz und gar packt, sich in einem zweimaligen più moto beschleunigt  ; „da stockt sein Lauf und steht er unbewegt wie Stein“ – die Musik macht es sinnfällig, indem bei unverändertem beschleunigten Zeitmaß die Sechzehntel plötzlich aussetzen, die Bewegung sich auf Viertel und Ganze und Unisono-Liegetöne reduziert. Ich möchte schließlich wenigstens als These formulieren, ohne dies jetzt schon flächendeckend (und in klarer Gegenüberstellung zu älteren Formkonzepten) beweisen zu können, dass Haydn als erster Komponist (dies wäre ein Aspekt an dem ihm zugeschriebenen Verdienst, die neue Musik so gut wie begründet zu haben) vollständig durchartikulierte, lückenlos geformte Sätze geschrieben hat, in denen quasi jeder Note 158 Das ist immerhin lange vor der Londoner Erfahrung, deren Bedeutung für das Haydn’sche Zeitverständnis sich jedenfalls relativieren dürfte.

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ihr Zeitindex anhaftet und jede Phrase nicht nur eine bestimmte Funktion im Gesamtbau innehat, sondern diese Funktion auch bis in den Gestus, den Tonfall, die sprachpragmatische Spezifizierung hinein konkretisiert.159 Die veränderten Reprisen werden nicht nur der Abwechslung halber von Carl Philipp Emanuel Bach übernommen, sondern in die gesamte Formdynamik einbezogen. Als spezieller Fall dieses generellen Befunds erscheint mir, neben der Entwicklung des ,gerichteten‘ Typus der langsamen Einleitung160, die Erfindung der Coda im modernen Sinn durch Haydn161 – eines Abschnitts am Schluss eines Formteils, vor allem aber eines Satzes, wo die Musik selbst einen Zeitindex erhält, eine spezielle Akkordfolge so etwas wie Innehalten, Besinnung, Erinnerung, frappierende Beleuchtung, Rückblick, Abschied signalisiert und die harmonische, rhythmische, motivische, motorische Bewegung ausläuft und sich beruhigt. (Jedem werden als besonders prägnante Beispiele der Ausklang des Variationensatzes und der ,hymnische‘ Schluss des Finales im „Kaiserquartett“162 gegenwärtig sein.)

159 Natürlich gibt es früher schon so etwas wie die Durchführung (mit implizitem Steigerungscharakter) oder die Stretta in einer Fuge, die breitere Ausgestaltung von Schlusskadenzen, die sich fast automatisch einstellende Intensivierung des Da-capo-Einsatzes in einem Kettenrondo usf., überraschende Wendungen gegen Ende oder die Verwendung von Ensembles (Cori) als Aktschluss. Aber mit all dem ist noch kein Versuch verbunden, die Form selbst zu dynamisieren und ihren konkreten Verlauf zu gestalten. 160 Gemeint ist nicht ein aus der Kirchensonate stammender langsamer erster Satz, auch nicht ein Satzpaar, bei dem der erste sich wie ein „Präludium“ zur „Fuge“ verhält, sondern ein relativ knapper Eröffnungssatz, der für sich keine Selbständigkeit hat und nicht nur im Charakter, sondern bald auch „inhaltlich“ den Hauptsatz vorbereitet. Das erste ,echte‘ Beispiel unter Haydns Symphonien findet sich in Nr. 50 von 1773/74 – aber natürlich geht dem ein Prozess in mehreren Etappen voran. 161 Gemeint ist nicht bloß eine erweiterte Schlusskadenz, wie sie auch vorher schon bestanden hat. Zu „Erfindung“  : Jedenfalls ist mir im Repertoire der unmittelbar nachbarocken Musik bisher nichts Vergleichbares begegnet. Selbst wenn etwas dergleichen parallel zu Haydn auftauchen sollte, würde dieser damit eine aktuelle Aufgabe ergriffen haben. 162 – einer der Anknüpfungspunkte für die „Choralapotheosen“ seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Siehe Reinhard Kapp, „Lobgesang“, Neue Musik und Tradition. Festschrift Rudolf Stephan zum 65. Geburtstag (Laaber  : Laaber Verlag, 1990), 239–49.

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ZEIT UND ORIENTIERUNG BEI KANT UND HÖLDERLIN Einleitung Mit dem Begriff „Orientierung“ lassen sich sowohl bei Kant wie auch bei Hölderlin mühelos die eigentümlichsten und spannendsten Fragen aufrollen. Was Kant betrifft, ist diese Feststellung beinahe trivial. Dem Deutschen Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm gilt er als prägender Autor für die allgemeine, auch heute übliche Bedeutung des Wortes in unserer Sprache. Es gibt dort zwar keinen Eintrag „Orientierung“, aber doch einen zu „orientieren“, und der besteht zu drei Vierteln aus folgendem Kant-Zitat (das übrigens durch Auslassungen ziemlich kreativ gestaltet ist)  : sich orientiren heiszt, in der eigentlichen bedeutung des worts  : aus einer gegebenen weltgegend die übrigen, namentlich den aufgang zu finden […] diesen geographischen begriff des verfahrens sich zu orientiren, kann ich nun erweitern und darunter verstehen  : sich in einem gegebenen raum überhaupt […] orientiren. im finstern orientire ich mich in einem mir bekannten zimmer, wenn ich nur einen einzigen gegenstand, dessen stelle ich im gedächtnisz habe, anfassen kann […] endlich kann ich diesen begriff noch erweitern, da er denn im vermögen bestände, sich nicht blos im raume […] sondern überhaupt im denken, d. i. logisch zu orientiren u. s. w.1

Es entstammt der Schrift Was heißt  : Sich im Denken orientieren ? 2 von 1786, auf die ich noch eingehen werde. Jetzt nur zwei kleine Bemerkungen  : Erstens, das ist eine hübsche Erläuterung für den unspezifischen Gebrauch von „orientieren“, aber natürlich keineswegs Kants Erfindung. In französischen Lexika ist er Ende des 18. Jahrhunderts überall nachgewiesen. Hundert Jahre früher lagen die Dinge noch nicht so klar. In

1 Der digitale Grimm. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Version 12-04 (Frankfurt/M.  : Zweitausendeins, 2004), Bd. XIII, Sp. 1346. 2 Immanuel Kant, Sämtliche Werke. Studienausgabe in sechs Bänden, hg. von Wilhelm Weischedel (Frankfurt a.M.  : Insel, 1960–64), Bd. III, 267–83. Im Text werden Kant-Zitate unter Verwendung von Abkürzungen für die Werktitel und mit Seitenangaben nach Originalpaginierung gegeben.

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dem Dictionnaire Historique et Critique von Pierre Bayle3 gibt es den Artikel „Orientierung“ nicht, wohl aber um etwa die gleiche Zeit (1694) in der ersten Ausgabe des Dictionnaire de l’Académie Française.4 Das Oxford English Dictionary 5 bietet vor allem Quellen aus dem früheren 19. Jahrhundert, aber doch auch eine von der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Allerdings stellen alle diese Wörterbücher noch vor jeden unspezifischen Gebrauch die besondere Verwendung des Wortes „Orientierung“ für die Ausrichtung einer Kirche – um von da her eigens die Übertragung auf „religiöse Orientierung“ festzuhalten  ; in diesem Sinn von Orientierung als Präferenz spricht man heute auch von politischer oder sexueller Orientierung etc. Das fehlt bei Kant. Aber er ist ja eigentlich weder als Lexikograph noch als Zeitzeuge für den gelehrten Sprachgebrauch im 18. Jahrhundert berühmt geworden, und daher betone ich mit meiner zweiten Bemerkung umso nachdrücklicher, dass es in jener sogenannten „Orientierungsschrift“ um eine philosophische Stellungnahme im anspruchsvollsten Sinne geht, um das Verhältnis von Erkenntnis und Handlung  ; um die Irreduzibilität des Bedürfnisses der Vernunft – der Ansprüche, die von Vernunft als solcher gestellt werden – auf (bloße) Erkenntnis. Der Begriff, den Kant ins Zentrum dieser Frage rückt, ist „Vernunftglaube“, aber mein Interesse an seinem Artikel speist sich natürlich zunächst aus der Suggestion, für das Verhältnis von moralischer Entscheidung einerseits und Erkenntnis der Handlungsvoraussetzungen und -folgen anderseits mit der Metaphorik des Raumes eine verbindliche Darstellung anbieten zu können  : Durch ihr eigenes Bedürfnis orientiert Vernunft sich in dem „mit dicker Nacht erfülleten Raum des Übersinnlichen“ (Orientierung, A 311). Von dieser eigentlichen Zielsetzung der Orientierungsschrift verrät das Wörterbuch nichts – dazu besteht auch kein Anlass. Aber ich hebe den Punkt hervor, um zu unterstreichen, dass es inhaltlich um eine hoch problematische Frage geht bei Kant  : Selbstbezug, Selbstvergewisserung, Rückwendung auf sich selbst als (Mittel der) Positionierung in einem Raum. Etwas, was man eigentlich gar nicht so recht verstehen kann, wenn man nicht mit gewissen Grundeinstellungen seines Philosophierens vertraut ist. Bei Hölderlin spielt zwar das Wort „Orientierung“ keine Rolle, doch tritt uns das damit Gemeinte überwältigend deutlich als literarisches Syndrom entgegen. Freilich zunächst ohne ersichtlichen Bezug zu der für Kant leitenden philosophischen Fragestellung. Wir fühlen in vielen der späteren Gedichte, dass die Versetzung in konkrete geografische und historische Relationen – Blickrichtungen, Flussläufe, Revolutionen, mythische Überlieferungen, Gebirge – über die poetische Kraft einer Anrufung oder einer Erinnerung entscheidet. Insbesondere in den großen Stromdichtungen zeichnet 3 Rotterdam  : Leers, 1697. 4 Paris  : Coignard, 1694, 160. 5 Oxford  : Oxford University Press 1884.

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sich dann so etwas wie eine Systematisierung dieser Relationen ab, am deutlichsten zu sehen in der geografischen Dimension, an der Konstellation von Rhein, Donau, Alpen und Olymp. Über diese Struktur korrespondieren die Gedichte miteinander.6 Das Wort „Orientierung“ dürfen wir hier verwenden, weil es sich eben nicht um das mehr oder weniger formelhafte Sich einer Tradition Vergewissern handelt  ; vielmehr erscheinen die Gedichte selbst als Mittel zur Fixierung jener Position, von der aus sie gesprochen werden – in einem vieldimensionalen System, als problematischer Punkt, jeweils neu aufzusuchen. Ich gebe einige Hinweise. Die erste Strophe der Rheinhymne 7  : Im dunkeln Efeu saß ich, an der Pforte Des Waldes, eben, da der goldene Mittag Den Quell besuchend, herunterkam Von Treppen des Alpengebirgs, Das mir die göttlichgebaute, Die Burg der Himmlischen heißt Nach alter Meinung, wo aber Geheim noch manches entschieden Zu Menschen gelanget  ; von da Vernahm ich ohne Vermuten Ein Schicksal, denn noch kaum War mir im warmen Schatten Sich manches beredend, die Seele Italia zu geschweift Und fernhin an die Küsten Moreas

Hier sind Voraussetzungen benannt, unter denen der Sprecher versuchen wird, das Schicksal des Rheinstromes zu besingen. Die vertikale Achse wird in der folgenden zweiten Strophe noch stärker betont werden  ; der Rhein wird von dem Platz des Sprechers aus in der N–S-Achse weg fließen, deren Südpol durch den goldenen Mittag gegeben ist  ; in der O–W-Achse sind dem Sprecher seine Gedanken bis nach Griechenland geschweift. Die Sonne und der Strom sind konkrete, natürliche Gegebenheiten, die Gedanken Träumereien. Die Alpen, im Rücken des Sprechenden, sind als Wall aufzufassen, der die reale Einlösung der Beziehungen nach Italien und Griechenland verhindert. In dem Gedicht Heimkunft liegt die gleiche Grundsituation 6 Lothar Kempter, Hölderlin in Hauptwyl (Tübingen  : Mohr, 1975), spricht auf S. 28 von einem „geographischen Mythos“. 7 Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke und Briefe, hg. von Michael Knaupp (Hamburg  : Hanser, 1993), Bd. I, 342. Im Weiteren werden Hölderlin-Zitate mit Band- und Seitenzahlen der Ausgabe von Knaupp gegeben.

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vor, die Vertikalität ist dort noch drastischer – in einer halsbrecherischen Sprache, wenn ich so sagen darf – betont  : Jetzt auch wachet und schaut in der Tiefe drinnen das Dörflein Furchtlos, Hohem vertraut, unter den Gipfeln hinauf 8

Auf der N–S-Achse liegt der Weg von den Alpen heim ins Schwabenland, es gibt hier, im Unterschied zur Rheinhymne, einen Zielpunkt im Norden. Südlich der Alpen existiert kein konkreter Pol, da wird nur die Möglichkeit erwogen und verworfen, hinüber nach Como zu gehen. Die O–W-Richtung ist in diesem Gedicht „nicht ausgefüllt“. Die andere, gleichsam entgegengesetzte Alternative zum Anfang der Rheinhymne wäre eine realisierte O–W-Beziehung. Solch ein Szenario finden wir in dem Gedicht Germanien  : Es handelt von der Verkündigung an Germania, ihrer Berufung zur Priesterin, die „wehrlos Rat gibt rings den Königen und Völkern“ – Hoffnung in der Nacht der Götterferne. Der Bote der Verkündigung ist ein Adler, der […] vom Indus kömmt, Und über des Parnassos Beschneite Gipfel fliegt, hoch über den Opferhügeln Italias, und frohe Beute sucht Dem Vater, nicht wie sonst, auf beiden Seiten Den Fittig spannend mit gespaltenem Rüken überschwingt er Die Alpen zuletzt und sieht die vielgearteten Länder.9

Hier wird im Adler ein Wesen imaginiert, das wirklich (nicht nur in Gedanken) die Alpen überqueren könnte, und zwar in der Gegenrichtung und um eine Botschaft aus der Ferne Griechenlands zu übermitteln. Das eigentliche Thema dieses Gedichtes ist der Rückzug der Götter, von denen nichts als der „goldene Rauch der Sage“ geblieben ist und auf deren Versöhnung wir warten („das Brautfest [der] Menschen und Götter“ in der Rheinhymne), und daher hat diese Bewegung von Ost nach West und über die Alpen einen wesentlichen weltgeschichtlichen Index (natürlich auch einen mythologischen, es ist ein Dionysos-Gedicht). Wie wichtig die historische Dimension in diesem Orientierungssystem ist, sehen wir am Beispiel eines Gedichtes, wo die Verbindung über die Alpen hinweg ebenfalls real vorgestellt wird, aber nun wieder mit Betonung der N–S-Richtung und vor allem aus der konkreten Gegenwart heraus. Das ist das Napoleon-Fragment Dem Allbekannten  : 8 Ibid., Bd. I, 320. 9 Ibid., 404.

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Ha  ! umsonst nicht hatt er geweissagt Da er über den Alpen stand Hinschauend nach Italien und Griechenland Mit dem Heer um ihn, Wie die Gewitterwolke Wenn sie fernhin Dem Orient entgegenzieht10

So reagiert Hölderlin auf Napoleons Engagement in Ägypten und Syrien 1798, 1799. Offensichtlich bejubelt er es nicht gerade als Versprechen der Heilung der gestörten Beziehung zum Orient, der Rettung aus der Götterferne. Entscheidend ist, wie schon angedeutet, die Einbeziehung der Sprache in dieses Orientierungssystem. Dazu Am Quell der Donau  : Denn, wie wenn hoch von der herrlichgestimmten, der Orgel Im heiligen Saal, Reinquillend aus den unerschöpflichen Röhren, Das Vorspiel, weckend, des Morgens beginnt Und weitumher, von Halle zu Halle, Der erfrischende nun, der melodische Strom rinnt, Bis in den kalten Schatten das Haus Von Begeisterungen erfüllt, Nun aber erwacht ist, nun, aufsteigend ihr, Der Sonne des Fests, antwortet Der Chor der Gemeinde  : so kam Das Wort aus Osten zu uns, Und an Parnassos Felsen und am Kithäron hör ich, O Asia, das Echo von dir und es bricht sich Am Kapitol und jählings herab von den Alpen Kommt eine Fremdlingin sie Zu uns, die Erweckerin, Die menschenbildende Stimme.11

Unter allen Bewegungen in dem konstanten räumlichen Netzwerk ist die der Sprache die konkreteste, weil sie der Grund der Möglichkeit all der anderen Szenarien ist  : der 10 Ibid., 272. 11 Ibid., 351.

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Imagination einer Träumerei von Griechenland ebenso wie der Imagination einer realen Botschaft von dort her  ; der Imagination der Umkehr im Blick des Eroberers. Den Sinn des Wortes „Orientierung“ füllen hier also Raum, Zeit, Kultur und Sprache – nicht weit im Hintergrund stehen die großen Theorien von Herder und Rousseau. Man möchte meinen, überhaupt nur in solch einer Verflechtung von Geschichte und Geografie, Zeit und Raum könne der Begriff der Orientierung seine Grundlage finden – oder besser  : je schon gefunden haben, denn die Geschichtsdeutung aus den Sternen war diese Verflechtung stets in einem hohen Maß, selbst noch die Kalenderreform der Französischen Revolution ist unter diesem Aspekt zu sehen.12 Kants Idee von der „Orientierung im Denken“ erscheint so als singuläre Pointierung, verständlich von seinem rationalistisch-aufklärerischen Impuls her – während Hölderlins weltgeschichtliches Orientierungs-Schema, gerade in seiner Anknüpfung an eine alte, immer wieder sich erneuernde Tradition, einfach etwas anderes ist. Aber diese Erklärung ist zu simpel  : In allzu großer zeitlicher Nähe hat Hegel tragfähige philosophische Konstruktionen gebaut, in denen genau diese scheinbar inkommensurablen Perspektiven ineinander verwoben sind, in denen Orientierung in der Weltgeschichte und Orientierung im Denken tatsächlich zusammenfallen. Sie erfassen die Bewegung des Denkens, unter Erhaltung seiner Selbstbezüglichkeit, in kultur- und weltgeschichtlichen Prozessen. Wenn solch eine beeindruckende Synthese möglich ist, dann gibt es für ihr Nicht-Vorhandensein Erklärungsbedarf. Und da ist es nicht mit bloßer Nomenklatur getan, einer Gegenüberstellung des Aufklärers Kant und eines „Mehr-oder-weniger-Romantikers“ Hölderlin. Ich suche in dem Abstand zwischen Kants „Orientierung im Denken“ und Hölderlins Stromgedichten noch nach einer Resonanz, die dann vielleicht in Hegels System schon wieder abgeschliffen oder ausgefiltert ist.

Kant Was in Kants Konzept von „Orientierung im Denken“ am auffälligsten zu fehlen scheint, ist die Zeit, die Geschichte. Aber ich möchte es zuerst unter dem anderen Aspekt der Subjektivierung kommentieren – jener Rückbezüglichkeit, die besonders stark wirkt in dem Gedanken von der Orientierung der Vernunft „lediglich durch ihr eigenes Bedürfnis“13. Sie tritt deutlich hervor, wenn man die Schrift Kants auf ihren Anlass und vor allem Adressaten zurück bezieht, auf Moses Mendelssohn, der die Problemstellung einer Orientierung im Denken aufgebracht hatte. Sein Gedanke war, 12 Alexander Honold, Hölderlins Kalender. Astronomie und Revolution um 1800 (Berlin  : Vorwerk 8, 2005). 13 Orientierung, A 311.

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dass Vernunft in ihrem spekulativen Gebrauch eine Tendenz zu Bizarrerien entwickeln könnte und dass sie dann von anderswoher neu orientiert werden müsse  : Wenn der Weltweise in seiner Spekulation auf eine so ungeheure Behauptung stößt  : so ist es, wie mich dünkt, hohe Zeit, daß er sich orientire, und nach dem schlichten Menschenverstand umsehe.14

Etwas ausführlicher in demselben Sinn  : Meiner Spekulation weise ich bloß das Geschäfte an, die Aussprüche des gesunden Menschenverstandes zu berichtigen, und soviel, als möglich, in Vernunfterkenntniß zu verwandeln. So lange sie beyde, gesunde Vernunft und Spekulation, noch in gutem Vernehmen sind, so folge ich ihnen, wohin sie mich leiten. So bald sie sich entzweyen  : so suche ich mich zu orientieren, und sie beide, wo möglich, auf den Punkt zurückzuführen, von welchem wir ausgegangen sind. Da Aberglaube, Pfaffenlist, Geist des Widerspruchs und Sophisterey uns durch so vielerley Spitzfindigkeiten und Zauberkünste den Gesichtskreis verdrehet, und den gesunden Menschenverstand in Verwirrung gebracht haben  ; so müssen wir freilich wieder Kunstmittel anwenden, ihm zu Hülfe zu kommen.15

Unter pragmatischem Gesichtspunkt teilt Kant diese Einstellung  : Der verfeinerte Scharfsinn darf sich ebensowenig wie die gelehrte Subtilität gesellschaftlich, gleichsam politisch, dem Urteil entziehen, das im gesunden Verstand kultiviert ist. Aber dieser gesunde Menschenverstand ist weder in erkenntnistheoretischer, noch in moralischer Perspektive eine absolute Referenz – da ist er, wie schon an einer berühmten Stelle in den Prolegomena (1783) festgehalten, immer nur eine Ausflucht.16 In ihm wirken Tradition, Gewohnheit und Erfahrung – und genau diesen Instanzen gegenüber soll die Kritik eine absolute Autonomie der Vernunft in ihrer Selbstgesetzgebung sichern. Das ist das Radikale in Kants Verständnis von Aufklärung und eine erste Voraussetzung für einen Orientierungsbegriff, der tendenziell das Element des Kontextuellen und insbesondere der Tradition ausschließt. Ebenso wichtig ist im Hintergrund eine Entwicklung in Kants Denken über den Raum, die freilich schon Jahrzehnte zurückliegt. Von 1768 datiert eine kleine Schrift mit dem Titel Von dem ersten Grunde des Unterschieds der Gegenden im Raume, in der 14 Moses Mendelssohn, An die Freunde Lessings. Ein Anhang zu Herrn Jacobis Briefwechsel über die Lehre des Spinoza (Berlin, 1786), 67. 15 Ibid., 33. 16 Prolegomena A 198 (Werke III, 248). Zu dem Verhältnis von gesundem Menschenverstand, kultiviertem Scharfsinn und Gelehrsamkeit bei Kant vgl. Richard Heinrich, „Die Grenze zwischen Scharfsinn und Stumpfsinn“, ders., Verzauberung, Methode und Gewohnheit (Maria Enzersdorf  : Edition Rösner, 2003), 116–31.

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er sich zum ersten Mal systematisch mit dem Begriff der Orientierung auseinandersetzte, und zwar um daraus ein Argument für die Realität eines absoluten Raumes (im Sinne Newtons) zu gewinnen. Der Gedanke war, grob gesprochen  : Der Raum als Ganzer weist eine Eigentümlichkeit auf, die weder von seinen Teilen her noch von einer bestimmten Art der Zusammensetzung dieser Teile, noch von dem her, was den Raum (körperlich) besetzt, erklärt werden kann. Er geht gleichsam als Ganzheit dem voraus, was in ihm angetroffen werden kann. Jene Eigentümlichkeit ist die geometrische Orientierung, erläutert am Beispiel des Unterschiedes von linker und rechter Hand („inkongruente Gegenstücke“)  : Wir wollen also dartun, daß der vollständige Bestimmungsgrund einer körperlichen Gestalt nicht lediglich auf dem Verhältnis und Lage seiner Teile gegen einander beruhe, sondern noch überdem auf einer Beziehung gegen den allgemeinen absoluten Raum.17

In dem Text findet sich die folgende kleine Bemerkung  : „Sogar sind unsere Urteile von denen Weltgegenden dem Begriffe untergeordnet, den wir von Gegenden überhaupt haben, insoferne sie in Verhältnis auf die Seiten unseres Körpers bestimmt sind“.18 Das wird hier noch interpretiert als eine sinnvolle Einrichtung der Natur, die unseren Körper so gestaltet hat, damit uns das Urteil über die Gegenden im Raum möglich ist. Aber bereits im Jahre 1770, in seiner Dissertation, funktioniert Kant die Überlegung zu den inkongruenten Gegenstücken radikal um und nimmt sie jetzt als Beweis dafür, dass der Raum gar nichts anderes als eine reine Anschauung sei, ein Charakteristikum unseres subjektiven Erkenntnisvermögens. Die Orientierungsdifferenz bei inkongruenten Gegenstücken ist weder eine objektive Gegebenheit noch Eigenschaft eines unabhängig bestehenden Raumes, sondern resultiert aus einer Gesetzlichkeit unserer sinnlichen Erkenntniskraft. Diese Umdeutung nützt Kant in der Orientierungsschrift von 1786 voll aus. Er baut seine Einwendungen gegen Mendelssohn so auf, dass er gleichsam sagt  : Lass uns doch einmal sehen, was der Begriff „Orientierung“ tatsächlich bedeutet, in jenen Kontexten, in denen er eine sichere Verwendung hat  ; und dann wollen wir prüfen, ob der gesunde Menschenverstand eine Leistung dieser Art für die Vernunft erbringen kann. Aber schon in der Beschreibung geografischer Orientierung konzentriert Kant sich einzig auf jenen Punkt des subjektiven Kriteriums  : „Also orientiere ich mich geographisch bei allen objektiven Datis am Himmel doch nur durch einen subjektiven Unterscheidungsgrund […]“19  ; und in der Verallgemeinerung auf das finstere Zimmer hilft mir wieder „nichts als das Bestimmungsvermögen 17 Werke I, 998. 18 Ibid., 995. 19 Orientierung, A 308.

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der Lagen nach einem subjektiven Unterscheidungsgrunde […]“20. Den Übergang zur Orientierung im Denken macht er dann metaphorisch in der Erweiterung des finsteren Zimmers zu dem „mit dicker Nacht erfülleten Raum des Übersinnlichen“, und sachlich, indem er sich erlaubt, dort, wo nur ein subjektives Prinzip des Urteilens zur Verfügung steht, auch gleich von Orientierung zu sprechen  : „sich, bei der Unzulänglichkeit der objektiven Prinzipien der Vernunft, im Fürwahrhalten nach einem subjektiven Prinzip derselben bestimmen“21. Hier drückt sich jene „Dekontextualisierung“ von Orientierung aus, die wir in ihrer Bedeutung am besten verstehen, wenn wir uns klarmachen, was durch sie getilgt wird  : nämlich das Element der Übersicht, das wir doch natürlicherweise mit der Orientierungsleistung mitdenken. Was ist das für eine Orientierung, deren Witz darin besteht, uns ein Urteilsprinzip anzubieten für den Fall, dass wir überhaupt nichts mehr um uns herum wahrnehmen, das uns eine Sicherheit geben soll gerade unabhängig von der Positionierung auf anderes hin  ? Ist dieser Rückzug auf sich selbst nicht das Gegenteil von Orientierung  ? Hat man nicht das Gefühl, was Kant hier Orientierung nennt, sei ihre Preisgabe zugunsten einer anderen Methode, Sicherheit zu erzielen  ? Es ist reizvoll, diese Frage einer „anderen Strategie“ zu deuten als Substituierbarkeit der Metapher. Mindestens eine passende alternative Metapher hat Kant sehr wohl zur Hand – den Leitfaden. Selbstübereinstimmung als Leitfaden kehrt als Topos bei ihm immer wieder, und tatsächlich  : Wenn ich einen Leitfaden habe, brauche ich nicht links noch rechts zu schauen, fühle ich mich auch ohne Überblick sicher. Dasselbe gilt für die Richtschnur, und in dieser Gruppe der bei Kant so prominenten linearen Bilder gibt es pikanterweise sogar so etwas wie ein „inverses Element“, nämlich das Gängelband. Von der Sache her ist jedenfalls das Leitfaden-Bild dem, was Kant in der Orientierungsschrift sagen will, mindestens ebenso angemessen wie die „Orientierung im Denken“. Man könnte das Gefühl haben, auf den Orientierungsbegriff habe er sich vor allem deshalb so ausführlich eingelassen, um sich nicht selbst zu der etwas verräterischen Parole bekennen zu müssen, die Aufklärung würde den Menschen unter dem Titel der Befreiung vom Gängelband der Natur bloss an den Leitfaden der Selbstübereinstimmung hinüber binden. Ohne den Raumgewinn, den doch das Wort Freiheit ein bisschen in Aussicht gestellt hat. Die Pointierung des Orientierungsbegriffes auf einen Raum des Denkens oder der Vernunft ist in Wahrheit seine Reduktion auf Linearität. Man sieht das etwa an einer Passage in der Orientierungsschrift22, wo Kant zuerst noch vom Vernunftglauben als dem Wegweiser oder Kompaß spricht, der den Denkenden im Felde des Übersinnli20 Ibid. 21 Das ist geradezu die Definition von „Orientierung im Denken“ in der Fußnote Orientierung, A 310. 22 A 320 f.

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chen orientiert  ; wenige Zeilen weiter heißt es schon wieder  : „so muß doch ein Begriff Gottes zur Richtschnur dienen“. Nachzufragen wäre, wieso eigentlich nicht gerade diese Tendenz zum Eindimensionalen eine Aufwertung der Zeit als Orientierungssystem bewirkte. Es gibt systematisch grundlegende Lehrstücke in Kants theoretischer Philosophie, die massiv in diese Richtung drängen  : die Deutung der Zeit als Form des inneren Sinnes, die Lehre vom Schematismus (der sinnhaften Darstellung diskursiver Vorstellungen) als einer primären Verzeitlichung etwa. Letztlich aber kann die Vorstellung von der Zeit als innerem Sinn den Gehalt des Orientierungsbegriffes nicht aufnehmen. Die Gründe sind mannigfaltig, ich verweise nur auf das entscheidende Motiv  : Zeit ist zwar die primäre sinnliche Deutung von Begriffen des Verstandes, aber diese Deutung ist nicht objektiv umsetzbar ohne Raumbezug – das Ergebnis der Widerlegung des Idealismus  : Noch merkwürdiger aber ist, daß wir, um die Möglichkeit der Dinge, zu Folge der Kategorien, zu verstehen, und also die objektive Realität der letzteren darzutun, nicht bloß Anschauungen, sondern sogar immer äußere Anschauungen bedürfen.23

In der Zeit allein sind wir in einem gewissen Sinn so fundamental verloren, dass wir uns gar nicht verirren können – und daher auch die Bildlichkeit der Orientierung witzlos wird. Wie eine Neubesetzung der Linearität mit einem Sinn von zeitlicher Orientierung aussehen könnte, wäre naturgemäß am ehesten in Kants Ansätzen zu einer Geschichtsphilosophie zu untersuchen. Wer über Geschichte nachdenken möchte, kann die Zeit nicht unterschlagen. Aber selbst hier arrangiert Kant vor allem ein labiles Gleichgewicht räumlicher und zeitlicher Bilder. Zunächst ist die Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784) wieder nichts anderes als ein „apriorischer Leitfaden“24, um System in ein sonst planloses Aggregat menschlicher Handlungen zu bringen.25 Wir finden zwar den Zusammenhang von Geschichte und kontinuierlicher Erzählung („Das erste Blatt im Thukydides [sagt Hume] ist der einzige Anfang aller wahren Geschichte“26), aber systematisch will Kant sich gerade nicht darauf festlegen, dass die Logik einer Geschichte der Entwicklung der Freiheit „auf Nachrichten gegründet werden kann“ (Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, 1786)27.

23 Kritik der reinen Vernunft, B 291 (Werke II, 265). 24 Idee, A 410 (Werke VI, 49). 25 Ibid., 48. 26 Ibid. 27 Mutmaßlicher Anfang, A 2 (Werke VI, 85).

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Wenn es sich darum handelt, eine mögliche innere Gestaltung von Geschichte mit der Struktur natürlicher Zeit zusammen zu denken – und das wäre der Sinn von Orientierung –, dann verharrt er in auswegloser Ambivalenz zwischen einer abstrakten Analogiebeziehung auf der einen Seite und der (nicht objektivierbaren) Vorstellung eines Planes der Natur, der sich in der bürgerlichen Vereinigung der Menschengattung erfüllt. Im 8. Satz der „Idee zu einer allgemeinen Geschichte […]“ verwendet er für diese Erfüllung das Bild der Vollendung eines Kreislaufes und sagt  : […] denn dieser Kreislauf scheint so lange Zeit zu erfordern bis er sich schließt, daß man aus dem kleinen Teil, den die Menschheit in dieser Absicht zurückgelegt hat, nur eben so unsicher die Gestalt ihrer Bahn und das Verhältnis der Teile zum Ganzen bestimmen kann, als aus allen bisherigen Himmelsbeobachtungen den Lauf, den unsere Sonne samt dem ganzen Heere ihrer Trabanten im großen Fixsternsystem nimmt  ; obgleich doch, aus dem allgemeinen Grunde der systematischen Verfassung des Weltbaues, und aus dem wenigen, was man beobachtet hat, zuverlässig genug, um auf die Wirklichkeit eines solchen Kreislaufes zu schließen.28

Hölderlin Das ist bei Kant bloße Analogie, methodisch aufgewertet zu einem „philosophischen Chiliasmus“ (Hoffnung selbst als Mittel ihrer Erfüllung, 8. Satz der „Idee […]“). Man könnte das Verhältnis von Kant und Hölderlin in der Sache der Orientierung am effektvollsten dramatisieren, indem man sagt  : Gerade an diesem Punkt des Bildes vom großen Kreislauf, wo sie sich am nächsten kommen, sind sie auch am weitesten voneinander entfernt. Denn soweit in Hölderlins Stromdichtungen, in die sogenannten „vaterländischen Gesänge“, eine Geschichtsdeutung eingeht, lebt sie aus der Annahme  : dass die Gestaltungen der Weltgeschichte aus einer realen Interaktion mit den natürlichen Verhältnissen und vor allem der astronomischen Referenz der großen Naturzyklen sich bilden. Das ist, wie ich schon angedeutet habe, vor dem Hintergrund der Philosophien von Rousseau und Herder zu sehen. Aber ich will zum Abschluss einen anderen Akzent setzen. Orientierung ist bei Hölderlin nämlich gerade nicht einfach die Einordnung in einen gegebenen Verlauf oder Zyklus, sondern durchgängig an eine Erfahrung von Verlorenheit und Bruch gebunden. Ein Gedicht wie Hälfte des Lebens hat diesen Bruch geradezu als seine Form angenommen. Ich sage  : „diesen Bruch“ und nicht „einen Bruch“, weil es exakt der Bruch im Jahreszeitenzyklus ist, gezeichnet mit der Konsequenz des Orientierungsverlustes  : 28 Idee, A 404 (Werke VI, 45).

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Weh mir, wo nehm’ ich, wenn Es Winter ist, die Blumen, und wo Den Sonnenschein Und Schatten der Erde  ?29

Der „Schatten der Erde“ ist ein wesentliches Phänomen in der Integration von zeitlicher und räumlicher Dimension der Orientierung. Und es bedarf eigentlich gar nicht der Sprachlosigkeit der Mauern in den folgenden letzten Zeilen, um die damit einhergehende Gefährdung der Sprache klarzumachen  : Das Gedicht hat sich schon unmittelbar nach der enthusiastischen Anrede an die Schwäne in der ersten Strophe zurückgewendet in eine Reflexion, die nur im tonlosen Geräusch enden kann.30 Auch die Rheinhymne lässt sich, durch Präzisierung ihrer geographischen und historischen Bezüge, dieser Erfahrung der problematischen Orientierung zuordnen. In dem Donau-Gedicht Der Ister heißt es vom Rhein  : […] Der andre, Der Rhein, ist seitwärts Hinweggegangen31

Die Donau liegt in der O–W-Achse und stellt so eine natürliche Verbindung zur Welt der Götter und ihrem asiatischen Ursprung her  ; dass man, wie es im „Ister“ heißt, meinen kann, sie müsse von Osten kommen, bedeutet auch  : Sie fließt dorthin, wo die menschenbildende Sprache herkommt („Quell der Donau“). Man möchte sagen  : Die Donau zu besingen ist die leichtere Aufgabe, weil das Gedicht sich in die Richtung bewegt, aus der ihm die Sprache entgegenkommt. Demgegenüber ist der Rhein „seitwärts hinweggegangen“, Abweichler in eine Richtung, in der Sprache und Menschenbildung nichts als Verheißung sein können („Germania“). Die Bedeutung dieser Ausgangssituation – durch die Alpen einerseits, durch die Abweichung gegenüber der Donau anderseits von der Welt der alten Götter getrennt zu sein –  : die Bedeutung dieser Situation beginnt sich zu erschließen, wenn man den Aufbau der Rheinhymne insgesamt in Betracht zieht. Sie hat zwei Teile, die in einer Art Bild-Beziehung zueinander stehen  : Der eine beschreibt (wie in der ersten Strophe angekündigt) das Schicksal des Stromes, der

29 Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. I, 445. 30 Zu dem Zusammenhang von Mangel an Blumen, Mangel an Sonnenschein und Schatten und Mangel an Sprache vgl. Winfried Menninghaus, Hälfte des Lebens. Versuch über Hölderlins Poetik (Frankfurt/M.  : Suhrkamp, 2005), 58. 31 Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, 476.

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zweite Teil das Menschenschicksal. Wodurch werden diese beiden Verläufe vergleichbar, wo liegen die Affinitäten und wo die Gegensätze  ? In der Anfangsphase des Gedichtes, in der dritten Strophe, wird ein scharfer Kontrast festgelegt  : Der Strom ist ein Halbgott, Göttersohn, maximal frei und gerade deshalb absolut orientierungslos  : […] doch jenen ist Der Fehl, daß sie nicht wissen wohin In die unerfahrne Seele gegeben32

Dagegen „kennet der Mensch sein Haus“ – ist sein Schicksal von Natur aus in einen vorgebildeten Raum gebunden. In der siebten Strophe (Mitte des Gedichtes) wird diese Orientierung in drei Dimensionen genauer beschrieben  : Neben der Wohnung (Haus, Heimat) sind das die geordnete Gemeinschaft (Satzung  : Hier können wir an Kants „bürgerliche Vereinigung“ denken) und die zyklische Ordnung der Zeit (Tag). Das Motiv für einen Vergleich des Menschenschicksals mit dem des Stromes ergibt sich freilich erst daraus, dass menschliche Hybris dieses Orientierungsgefüge zerstört hat. Die Strafe der Götter bestand im Zerbrechen des Hauses, der Zerstörung der Gemeinschaft, in ihrem eigenen Rückzug. In dieser nicht mehr natürlichen, sondern geschichtlichen Lage kann der Vorsatz, eine Sprache erst wiederzufinden, die Gemeinschaft bildet und in der die Götter wieder angerufen werden können – kann dieser Vorsatz also affin werden zu der Aufgabe, das Schicksal des Stromes als ein gegliedertes, vollendetes zu besingen. Ein Schicksal, das sich unter der Voraussetzung völliger Orientierungslosigkeit und absoluter Freiheit im Verlauf gliedert und rundet. Diese Vorstellung der Orientierung ohne Voraussetzung ist der Punkt eines möglichen Vergleiches mit Kant  : Die Göttersöhne sind von Geburt an die Blindesten, den Menschen sind alle natürlich orientierenden Strukturen genommen – wir erinnern uns noch einmal an das finstere Zimmer, den mit dicker Nacht erfüllten Raum. Was heißt, das Schicksal des Rheinstromes als zeitlich gegliedert zu denken  ? Es wird als Entwicklung gezeichnet, durch eine hemmungslos wilde Jugend in die Reife des Kultur gründenden Vaters. Daran ist nichts Besonderes, das wird auch ein Kern der eigentlichen Rheinromantik in den folgenden Jahren und Jahrzehnten sein. Die charakteristische Gestaltung setzt ein, wenn als Schlüsselbegriff für die vollendete Ganzheit des Schicksals Erinnerung benannt wird. Der Rhein vergisst sein eigenes Werden nie, insbesondere nicht seinen Ursprung und die „reine Stimme der Jugend“. Der eigentliche Witz der Hölderlinschen Konzeption besteht darin, dass diese Unvergesslichkeit, diese Erinnerung nicht als Integration in den alles Natürliche umfassenden Zyklus beschrieben wird  : Hölderlins Rhein mündet nicht. Sein Schicksal 32 Ibid., 343.

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vollendet sich in der Gegend der niederrheinischen Städte. Weil er nicht im Ozean aufgeht, ist das eine Vollendung ohne Rückwendung, und das heißt, dass auch Erinnerung nicht als Rückblick, sondern als permanente Anwesenheit konzipiert ist, als das Bleiben der Jugend. Das ist, wenn man die phänomenologische Perspektive statt der naturgeschichtlichen einnimmt, eine perfekte Beschreibung des Stromschicksals  : Der Strom entspringt immer, er verlässt als Ganzer nie seinen Ursprung, auch wenn sein Schicksal eine Linie ist, die von dort weg weist. Im Vergleich damit, in der geradezu paradoxen Herausforderung, die dieses Konzept darstellt, sucht Hölderlin die zeitliche Grundgestalt eines menschlich-sterblichen Schicksals zu erfassen. Erinnerung ist der verbindende Begriff, und natürlich ist das Schaffen von Erinnerung in der menschenbildenden Sprache die Aufgabe der Dichtung schlechthin. Ich kann dazu nur noch zwei extreme Akzente andeuten, die die Rheinhymne setzt, die gleichsam als poetologische Aussagen in anderen Gedichten so scharf nicht begegnen. Das erste ist eine Abgrenzung des Dichters von einem ursprünglicheren „Geber der Sprache“  ; die Gabe der Sprache wird von der „Stiftung ihres Bleibens“ unterschieden, und als jenen Geber der Sprache ruft Hölderlin in der Rheinhymne Rousseau an. Bei dem anderen Punkt geht es um die Konfrontation mit dem zentralen Paradox  : dass doch das menschliche Schicksal in seinem Verlauf, ganz im Gegensatz zum Strom, von Anfang an dem Ursprung entrissen ist. Und dass von daher auf jeden Fall eine tiefste strukturelle Differenz dieser Schicksals-Figurationen bestehen muss. Aber hier ist es entscheidend zu sehen, dass Hölderlin mit äußerster Konsequenz auf dem scheinbar Unmöglichen besteht, dass er eine Komponente oder ein Profil von menschlicher Erinnerung herausarbeitet, mit dem sie der ewigen Jugend des Stroms so nahe wie möglich kommt, nämlich der Erinnerung als permanenter Anwesenheit. Erinnerung als Wachen (Dauer) – inkarniert in der Person des Sokrates  : […] bis in den Tod Kann aber ein Mensch auch Im Gedächtnis doch das Beste behalten, Und dann erlebt er das Höchste. Nur hat ein jeder sein Maas. Denn schwer ist zu tragen Das Unglück, aber schwerer das Glück. Ein Weiser aber vermocht es Vom Mittag bis in die Mitternacht, Und bis der Morgen erglänzte, Beim Gastmahl helle zu bleiben33 33 Ibid., 348.

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Wenn Erinnerung die Aufgabe der Dichtung ist, so wird sie hier doch nach zwei Seiten hin in selbstständigen Figuren profiliert  : die ursprüngliche Gabe der Sprache, und ein Typus der heroischen Erinnerung als Wachheit, der dem menschlichen Schicksal zeitliche Form (Dauer) gibt, sich aber nicht in einen übergeordneten Zyklus fügt – im Unterschied zur epischen Dichtung, die als solche wiederholende Integration ist. Erwartung, Dauer und Erinnerung sind die fundamentalen Dimensionen geschichtlicher Zeit bei Hölderlin. Sie sind so aufgefasst, dass sie weder einen einfachen teleologischen Prozess noch einen totalen Zyklus eindeutig festlegen. Sie lassen eine Inkongruenz geschichtlicher Zeiten zu, und gerade insofern könnte man hier von einem genuinen Problem der „Orientierung in der Zeit“ sprechen. Hegels geschichtsphilosophische Synthesen (Kunst, Religion, Gesellschaft) werden sich wieder in Zyklen darstellen. Die Romantik hat in der Sprache, der Geschichte und einer Vision von der Einheit der Natur eine Kompensation für die Funktionsminderung der Orientierung gefunden, die von Kant registriert worden war.

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JOSEPH HAYDN UND DIE GESTALTUNG DES AUGENBLICKS In einem 1997 veröffentlichten Aufsatz vertritt der amerikanische Musikwissenschaftler und Haydn-Forscher James Webster die These, dass in Joseph Haydns spätem Vokalwerk die ästhetische Kategorie des Erhabenen eine wesentliche Rolle spiele.1 Als Beleg führt Webster zahlreiche Stellen aus den beiden Oratorien und den letzten Messen an, die er in fünf Kategorien unterteilt. Unter den Stellen, die Webster der Gruppe „sublime climaxes“ zuordnet, sind mindestens vier hervorzuheben, die eine Art Selbstüberschreitung exemplifizieren. Auf diese und auf die besondere Zeitlichkeit, die dabei zum Tragen kommt, beziehen sich die folgenden Ausführungen. Es handelt sich um Kulminationsmomente, bei denen sich der Jubel zum Enthusiasmus steigert, und zwar derart, dass das übliche kompositorische Verfahren, der Etymologie von Sublim gemäß sämtliche Parameter an die äußerste Grenze zu treiben, selbst überboten wird. Die berühmteste unter diesen Stellen ist die bereits von Giuseppe Carpani mit dem Enthusiasmus in Zusammenhang gebrachte Klimax im Chor mit Soli Nr. 13 „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“, der den ersten Teil der Schöpfung abschließt. Hier erreicht eine erste Steigerungswelle über dissonierende Klänge, die zu einem Dominantpedal führen, ihren Höhepunkt in Takt 159. In der zweiten Welle führt die chromatische Fortschreitung des Basses, auf der verminderte Septim-, Moll-Quartsextund Dominantseptakkorde errichtet sind, über die Tonika c hinaus zur zweiten Stufe d als Kulminationspunkt (T. 183), dessen ungeahnte Wirkung durch Vorhalte noch gesteigert wird. Der Weg zurück zur Tonika führt wie bei der ersten Welle über einen übermäßigen Sextklang auf As (T. 187), dem wiederum das Dominantpedal folgt, bevor die Kadenz nach c den Chor feierlich abschließt. Der Enthusiasmus wird hier zum klanglichen Phänomen. Prägend ist dabei der Durchbruchseffekt, den Haydn durch die Überschreitung des tonalen Ziels C-Dur nach d-Moll bei drängendem Rhythmus und Sforzati in größtmöglicher Klangfülle erreicht. Weitere Stellen, in denen der gleiche Zweck durch ähnliche kompositorische 1 James Webster, „,The Creation‘, Haydn’s Late Vocal Music, and The Musical Sublime“, Elaine R. Sisman (Hg.), Haydn and His World (Princeton  : Princeton Univ. Press, 1997), 57–102, insb. 81–92.

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Joseph Haydn, Die Schöpfung, Chor mit Soli „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“, T. 175–84

Mittel verwirklicht wird, kommen ebenfalls in der Schöpfung vor, nämlich im Chor mit Soli Nr. 19 „Der Herr ist groß in seiner Macht“, und im Schlusschor mit Soli, „Singt dem Herren alle Stimmen“ sowie in den Jahreszeiten, im Terzett und Chor Nr. 20 „So lohnet die Natur den Fleiß“. In den späten Messen gestaltet Haydn ebenfalls großartige Steigerungen zur Kadenz, bei denen allerdings das im Folgenden zu erörternde Moment der Überschreitung ausbleibt.2 Bei der Betrachtung der ausgewählten Stellen und der ihnen inhärenten Zeitlichkeit werde ich zunächst anhand von einschlägigen Texten aus der zweiten Hälfte des 18. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts ein diskursives Feld abstecken, in dem die Begriffe Augenblick und Moment vorkommen.3 Innerhalb dieses rekonstruierten theoreti2 Siehe dazu ibid., 83–88, sowie Federico Celestini, „Aspekte des Erhabenen in Haydns Spätwerk“, Basler Jahrbuch für Historische Musikpraxis XXX (2006), 90–94. 3 Das Thema „Augenblick“ spielt in der Philosophie Walter Benjamins und in der Ästhetik Theodor W. Ador­nos eine kaum zu überschätzende Rolle. Siehe dazu Wolf Frobenius, „Über das Zeitmaß Augenblick in Adornos Kunsttheorie“, Archiv für Musikwissenschaft 34 (1979), 279–304  ; ders., „Momentum/Moment, in­stans/instant, Augenblick“, Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, hg. von Hans Heinrich Eggebrecht (Wiesbaden  : F. Steiner, 1972–2005)  ; Norbert Zimmermann, Der ästhetische Augenblick  : Theodor W. Adornos Theorie der Zeitstruktur von Kunst und ästhetischer Erfahrung (Frankfurt/M.  : P. Lang, 1989)  ; Berthold

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Laokoon, Vatikanische Museen, Rom

schen Raums werde ich systematisch vorgehen, das heißt, ich werde versuchen, das in den angesprochenen Stellen enthaltene ästhetische Potenzial freizulegen. Die wichtigste Quelle für die ästhetische Betrachtung des Zeitmaßes Augenblick in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist zweifellos die Debatte um die Marmorgruppe des Laokoon, das berühmte Werk der rhodischen Bildhauer Hagesandros, Polydoros und Athenodoros aus dem 1. Jahrhundert vor Christus, welches im Jahr 1506 in Rom wiederentdeckt wurde und heute in den Vatikanischen Museen ausgestellt ist. Diese Diskussion wurde im deutschsprachigen Raum bekanntlich von Johann Joachim Winckelmann in Gang gesetzt, der in seiner 1755 erschienenen Schrift Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke die Laokoon-Gruppe als Exemplifizierung jener Eigenschaft der griechischen Seele betrachtet, die er mit der berühmt gewordenen Formel von der edlen Einfalt und stillen Größe umschrieb.4 Winckelmann löste dadurch eine weitreichende Debatte aus, die um die Frage nach der adäquaten Darstellung des Hoeckner, Programming the Absolute. Nineteenth-Century German Music and the Hermeneutic of the Moment (Princeton und Oxford  : Princeton Univ. Press, 2002). 4 Johann Joachim Winckelmann, Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst (Stuttgart  : Reclam, 1995), 20.

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Pathos in der bildenden Kunst kreist.5 Die Kategorie der Zeitlichkeit kommt aber erst in Gotthold Ephraim Lessings zehn Jahre später veröffentlichter Schrift Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie zum Tragen. Im Zuge seiner Polemik gegen Winckelmanns These, die griechischen Künstler hätten den Ausdruck des Schmerzes gemildert, um das ethische Postulat der „großen Seele“ zu erfüllen, verweist Lessing auf die zeitliche Dimension als Kriterium für die Unterscheidung der Künste, denn Malerei und Plastik wirken in räumlicher Koexistenz, die Poesie hingegen in der zeitlichen Sukzession.6 Aus der Wesensbestimmung der bildenden Künste „als räumlich-zeitlich fixierte Künste“ ergebe sich für diese die Notwendigkeit, aus der Folge der Augenblicke den günstigsten für die Darstellung zu wählen.7 Dieser Augenblick solle fruchtbar sein, indem er der Einbildungskraft freies Spiel lasse. Dies werde aber nur erreicht, wenn man für die Darstellung einer affektbeladenen Handlung nicht den Höhepunkt wähle. Sonst würde man der Phantasie die Flügel binden, indem sie genötigt werde, sich mit Bildern zu beschäftigen, die sie nicht überbieten könne.8 Ferner solle der gewählte Augenblick Lessing zufolge auch prägnant sein, und zwar in dem Sinne, dass „das Vorhergehende und Folgende am begreiflichsten“ werden.9 Schließlich sei das Transitorische in der Darstellung nicht geeignet, weil es durch die Kunst widernatürlich verewigt würde. Die Wahl eines prägnanten und fruchtbaren Augenblicks erübrige sich hingegen in der Dichtung, in der auch das Transitorische adäquat dargestellt werden könne.10   5 Siehe dazu u.a. Horst Althaus, Laokoon. Stoff und Form (Bern und München  : Francke, 1968)  ; Reinhart Meyer-Kalkus, „Schreit Laokoon  ? Zur Diskussion pathetisch-erhabener Darstellungsformen im 18. Jahrhundert“, Von der Rhetorik zur Ästhetik. Studien zur Entstehung der modernen Ästhetik im 18. Jahrhundert, hg. von Gérard Raulet (Rennes  : Philia, 1995), 67–110  ; Ernst Osterkamp, „Nachwort“, Johann Wolfgang von Goethe, Über Laokoon, Nachdruck der Ausgabe 1896 (Weimarer Ausgabe, I. Abteilung, 47. Band), (Stuttgart u.a.  : Böhlau, 1998), 1–34.   6 Gotthold Ephraim Lessing, Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie (Stuttgart  : Reclam, bibliographisch ergänzte Ausgabe 1987), 22–40.   7 Ibid., 115  ; Ingrid Kreuzer, „Nachwort“, ibid., 223.   8 Ibid., 23. Diese Ansicht wurde bereits von Lessings Kontrahenten Winckelmann zum Ausdruck gebracht, und zwar in der Geschichte der Kunst des Altertums (1764), hg. von Reinhard Jaspert (Berlin  : Safari 1942), 150  : „Hinsichtlich der Helden ist dem Künstler weniger als dem Dichter erlaubt  : dieser kann sie malen nach ihren Zeiten, wo die Leidenschaften nicht durch Regelung oder durch gekünstelten Anstand des Lebens geschwächt waren […]. Jener aber, da er das Schönste in den schönsten Bildungen wählen muß, ist auf einen gewissen Grad des Ausdrucks der Leidenschaften beschränkt, wenn sie der Bildung nicht nachteilig werden soll.“  9 Lessing, Laokoon, 115. 10 Siehe dazu Norbert Christian Wolf, „,Fruchtbarer Augenblick‘ – ,prägnanter Moment‘  : Zur medienspezifischen Funktion einer ästhetischen Kategorie in Aufklärung und Klassik (Lessing, Goethe)“ (15.08.2005), Goethezeitportal, (27.03.2009).

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Johann Gottfried Herder liefert mit dem ersten seiner 1769 erschienenen Kritischen Wälder eine gründliche Auseinandersetzung mit den Thesen Lessings. Mit Nachdruck lehnt er dessen Ansicht ab, man solle in der bildenden Kunst das Transitorische meiden. Herder wendet dagegen ein  : „Wir leben in einer Welt von Erscheinungen, wo eine auf die andre folgt und ein Augenblick den andern vernichtet“.11 Da in der Natur alles „übergehend“ sei, so werde jeder Augenblick durch die Kunst unnatürlich verewigt. Allein aus diesem Grund sei das Postulat der Nachahmung der Natur durch die Kunst außer Kraft gesetzt. In diesem Konflikt zwischen den jeweiligen Zeitlichkeiten von Natur und Kunst erblickt Herder eine wichtige Konsequenz  : Da die Wirkung dieser Künste in einem einzigen Augenblick eingeschlossen, zugleich aber ihr Werk für einen ewigen Augenblick erschaffen sei, so solle dieser Augenblick das Höchste liefern, was ewig bestehen könne, nämlich die Schönheit.12 Auf diese Weise tritt in der Laokoon-Debatte die Idee zutage, in der bildenden Kunst die Schönheit auf den zeitlichen Moment zu beziehen. Einen wesentlichen Schritt in diese Richtung setzt der Gelehrte und Schriftsteller Wilhelm Heinse in seinem 1786 veröffentlichten Roman Ardinghello. Darin verarbeitet Heinse Gedanken und Eindrücke, die er während seiner Italienreise gesammelt hatte.13 Darunter befindet sich eine Äußerung über den Augenblickscharakter der Kunst, die sich von den entsprechenden Vorstellungen Lessings unterscheidet. Hatte nämlich Letzterer die bildende Kunst aufgrund ihres sinnlichen Charakters hierarchisch unter die den Geist ansprechende Dichtung gestellt, so wertet nun Heinse das sinnlich Schöne gegenüber der Vernunft wieder auf. Dabei verweist er ebenfalls wie Lessing auf das Zeitmaß des Augenblicks. Dieses wird aber nicht länger als ein problematischer Aspekt betrachtet, der letztlich zu einer geringeren Bewertung der bildenden Künste gegenüber der Dichtung führt, sondern als die wesentliche Dimension des Schönen und mithin des Ästhetischen überhaupt. Darin übertrifft Heinse auch die Position Herders, der im Augenblick nicht so sehr die dem Schönen eigene zeitliche Dimension gesehen hatte, sondern lediglich die in der bildenden Kunst unausweichliche Gegebenheit, zu deren Kompensierung sich das Schöne unentbehrlich macht. Das Schöne stellt Heinse zufolge keine Brücke zwischen Kontingenz und Dauer dar, sondern findet seine eigene Zeitlichkeit im Augenblick  : „Es ist wahr, die Schönheit ist ein momental Gefühl [sic], und unterscheidet sich dadurch von bloßer Vollkommenheit, die für den Verstand, so wie jene für den Sinn, gehört“.14 Nachdem Heinse den Augenblick als die dem Schönen eigene Zeitlichkeit anerkannt hat,

11 Johann Gottfried Herder, Kritische Wälder, Bd. 1 (Berlin und Weimar  : Aufbau-Verlag, 1990), 73. 12 Ibid., 79. 13 Siehe dazu Max L. Baeumer, „Wilhelm Heinse  : Ardinghello und die glückseligen Inseln“, Interpretationen. Romane des 17. und 18. Jahrhunderts (Stuttgart  : Reclam, 1996), 240–58 und die dort angeführte Literatur. 14 Wilhelm Heinse, Ardinghello und die glückseeligen Inseln (Sämtliche Werke 4), (Leipzig  : Insel-Verlag 1902), 193.

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schließt er in diese Bestimmung auch jene Künste ein, die vornehmlich in der Zeitfolge bestehen  : „Wo die [Schönheit] aber in der Zeit folgt, wie bey Tanz und Melodie und Gedicht, ist sie hauptsächlich für die Seele, eigentliche Seelenschönheit, tiefe, lebendige  ; denn die Seele hat die Kraft, eine Folge sich wie ein Beysammen auf einmal vorzustellen und zu denken.“15 Durch diese seelische Fähigkeit wird auch in denjenigen Künsten, die sich wie Musik und Dichtung in der Zeit entfalten, das Augenblickliche des Schönen erschlossen. Gelingt es dem Rezipienten, das Ganze auf einen einzelnen Moment zu fokussieren, so tritt er Heinse zufolge in den Zustand der Begeisterung. Einen wesentlichen Beitrag zur Debatte brachte bekanntlich Johann Wolfgang von Goethe mit seinem 1798 in den Propyläen erschienenen Artikel Über Laokoon. Goethe teilt die Ansicht Lessings, dass der bildende Künstler in seinem Werk nur „einen einzigen Moment darstellen“ könne und daher „denselben so prägnant als möglich zu nehmen“ habe  ;16 jedoch unterscheidet sich Goethe von ihm, indem er behauptet, dass jener zugleich „den höchsten darzustellenden Moment“ repräsentieren solle.17 Zur Hauptfrage der angemessenen Pathosdarstellung in der bildenden Kunst unterteilt Goethe den Affekt des Schmerzes in drei verschiedene Empfindungen, welche jeweils auf die zeitlichen Dimensionen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verweisen. Dementsprechend sei die Furcht „das bange Voraussehen eines sich annähernden Übels“, der Schrecken „das unerwartete Gewahrwerden gegenwärtigen Leidens“ und das Mitleiden „die Teilnahme am dauernden oder vergangenen“ Leiden. Alle diese drei Momente seien in der Laokoon-Gruppe dargestellt  : Das Leiden des Vaters errege Schrecken, weil gerade im Augenblick der Darstellung gegenwärtig. Dieser Eindruck sei aber dadurch gemildert, dass der Zustand des bereits von der Schlange erwürgten jüngeren Sohns Mitleiden, der des noch nicht angegriffenen älteren Sohns hingegen Furcht errege.18 Die Mannigfaltigkeit, die Goethe dadurch dem Kunstwerk attestiert, ruht auf der zeitlichen Flexion eines einzelnen Affektes, des Schmerzes. Zugleich sind durch die Empfindungen, in die dieser Affekt unterteilt wird, zwei Kategorien angesprochen, die im ästhetischen Diskurs des 18. Jahrhunderts eine kaum zu unterschätzende Rolle

15 Ibid., 193 f. 16 Die Zitate stammen aus der von Goethe selbst verfassten Zusammenfassung des Artikels für die Anzeige der Propyläen vom April 1799, Johann Wolfgang von Goethe, Weimarer Klassik 1798–1806, hg. von Hans J. Beck, Gerhard H. Müller, John Neubauer, Peter Schmidt und Edith Zehm (Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe, 6.2), (München  : Carl Hanser Verlag, 1988), 133. Hier kommt die Nähe zu Lessing bis in die Wortwahl zutage. Siehe dazu Wolf, „,Fruchtbarer Augenblick‘ – ,prägnanter Moment‘“ (Anm. 10), 13 f. 17 Johann Wolfgang von Goethe, „Über Laokoon“, Schriften zur Kunst, hg. von Erich Trunz, kommentiert von Herbert von Einem (Werke. Hamburger Ausgabe 12), (München  : C. H. Beck, 12. durchgesehene Auflage 1994), 57. 18 Ibid., 65.

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spielen, nämlich das Tragische und das Erhabene. Denn Furcht und Mitleid sind die deutschen Ausdrücke, mit denen seit Lessing die aristotelischen Begriffe Phobos und Eleos übersetzt werden. Bekanntlich bezeichnen diese in der Poetik die Wirkung der Tragödie. Mit dem Schrecken wird hingegen auf jene Auffassung des Erhabenen hingewiesen, welche von Boileaus Übersetzung des Pseudo-Longin ausging, durch die Entdeckung des Erhabenen der Natur durch Joseph Addison und John Dennis einen neuen Anwendungsbereich fand und zur Entgegensetzung zwischen anmutigem Schönem und erschreckendem Erhabenem in Edmund Burkes Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and the Beautiful führte. Die gesamte Debatte um den Laokoon kann somit als eine Auseinandersetzung über das Verhältnis zwischen Schönem und Erhabenem in der bildenden Kunst betrachtet werden, wobei das Tragische bereits von den Schweizer Gelehrten Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger im Bereich des Erhabenen geortet wurde.19 Das Zeitmaß Augenblick erscheint dabei als diejenige Dimension, in der sich das Schöne und das Erhabene doch vereinigen können. Denn wenn einerseits Heinse das Schöne als ein „momental Gefühl“ bezeichnet, so wird andererseits die Plötzlichkeit bereits im Traktat des Pseudo-Longin als die eigentliche zeitliche Erscheinungsform des Erhabenen bestimmt. Das Erhabene in der Rede, schreibt Longin, zerteilt „den ganzen Stoff wie ein plötzlich zuckender Blitz“ und offenbart „schlagartig die geballte Kraft des Redners“.20 Longin zufolge richtet sich das rhetorische Erhabene keineswegs an den Verstand, sondern zielt darauf, den Hörer zu begeistern. Wiederum spielt dabei das zeitliche Moment eine wesentliche Rolle, denn der Vollzug des Wahrheitsbezugs bedarf einer Folge logischer Schritte, während das Erhabene sich schlagartig manifestiert und das ebenfalls plötzliche Eintreten der Begeisterung beim Rezipienten bewirkt. Diese von Longin durchgeführte Unterscheidung ähnelt bis in die Begrifflichkeit hinein den oben zitierten Ausführungen Heinses im Ardinghello, freilich mit der signifikanten Differenz, dass Heinse vom Schönen und nicht vom Erhabenen spricht. In einer Notiz aus dem Jahr 1798 weist Novalis auf eine besondere Dimension hin, welche sich ausgerechnet beim Hören von Musik dem Geist erschließe  : Über die allg[emeine] Sprache der Musik. Der Geist wird frey, unbestimmt angeregt – das thut ihm so wohl – das dünkt ihm so bekannt, so vaterländisch – er ist auf diese kurzen Augenblicke in seiner indischen Heymath.21

19 Siehe dazu Carsten Zelle, Angenehmes Grauen. Literaturhistorische Beiträge zur Ästhetik des Schrecklichen im 18. Jahrhundert (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 10), (Hamburg  : Meiner, 1987), 261–93. 20 Pseudo-Longin, Vom Erhabenen, übers. und hg. von Otto Schönberger (Stuttgart  : Reclam), 7. 21 Novalis, Das philosophisch-theoretische Werk, hg. von Hans Joachim Mähl (Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs 2), (München  : Carl Hanser Verlag, 1978), 517. Hervorhebungen von Novalis.

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Es ist nicht schwer, in Novalis’ Umschreibung den Bereich des menschlichen Unbewussten zu erkennen. Demzufolge vermag die Musik, dem Geist diese Dimension zu erschließen, und zwar aufgrund ihrer vermeintlichen Unbestimmtheit – bekanntlich ein Topos der romantischen Musikästhetik. Die Vergangenheit, welche durch die Metapher des Vaterländischen und der indischen Heimat evoziert wird, ist – ontogenetisch betrachtet – keine historische, sondern vielmehr eine vorgeschichtliche beziehungsweise vorsubjektive. Die Musikerfahrung ermöglicht somit Novalis zufolge eine Begegnung mit einem früheren Leben, dessen Konnotation durchaus an Charles Baudelaires etwa fünfzig Jahre später entstandenes Gedicht La vie antérieure erinnert.22 Aus diesen Zeilen ist aber auch zu entnehmen, dass die Zeitlichkeit einer solchen Begegnung jene des Augenblicks ist  : Es sind „kurze Augenblicke“, in denen die „indische Heimat“ durch die Musik dem Geist aufscheint. Demzufolge stellt also der Augenblick keineswegs die Zeitlichkeit des Unbewussten dar, sondern vielmehr diejenige, in der Letzteres sich dem Bewusstsein manifestiert. Sowohl die Erträge der Laokoon-Debatte als auch die Ästhetik des Erhabenen sind in Friedrich Creuzers 1810 und 1812 vierbändig erschienener Symbolik und Mythologie der alten Völker leicht zu erkennen. Das Symbol ist Creuzer zufolge „fruchtbar“, weil es aufgrund der „Inkongruenz des Wesens mit der Form“, welche es kennzeichnet, den Betrachter anregt und ihm viel zu denken gibt.23 Die Dunkelheit der Bedeutung sei zwar Furcht erregend, das „Erweckliche und zuweilen Erschütternde“ im Symbol hänge jedoch mit einer anderen Eigenschaft zusammen, nämlich „mit der Kürze“. Zur näheren Bestimmung der Intuition, durch die das Symbol erfasst wird, und der Plötzlichkeit, mit der dies erfolgt, greift Creuzer, wie bereits Longin, wiederholt die Metapher des Blitzes auf  : Es ist wie ein plötzlich erscheinender Geist, oder wie ein Blitzstrahl, der auf Einmal die dunkele Nacht erleuchtet. Es ist ein Moment, der unser ganzes Wesen in Anspruch nimmt, ein Blick in eine schrankenlose Ferne, aus der unser Geist bereichert zurückkehrt. Denn dieses Momentane ist fruchtbar für das empfängliche Gemüth, und der Verstand, in dem er sich das Viele, was der prägnante Moment des Bildes verschließt, in seine Bestandteile auflöset, und nach und nach zueignet, empfindet ein lebhaftes Vergnügen, und wird befriedigt durch die Fülle dieses Gewinns, den er allmählig übersiehet.24

22 Siehe dazu Federico Celestini, „Zwischen Konvention und Ausdruck. Walter Benjamin und die Musik“, Barock – Ein Ort des Gedächtnisses, hg. von Moritz Csáky, Federico Celestini und Ulrich Tragatschnig (Köln [u. a.]  : Böhlau 2007), 199–211. 23 Friedrich Creuzer, Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen, Bd. 1 (Leipzig und Darmstadt  : Heyer und Leske, 1810), 68. 24 Ibid., 69.

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Der Augenblick der Intuition, welche mit der Plötzlichkeit des Blitzes den Geist beleuchtet und zugleich erschüttert, ist insofern fruchtbar, als er sich diskursiv entfalten lässt und somit der Zeitlichkeit des Verstandes entsprechen kann. Was aber die Besonderheit des Augenblicks ausmache, das erläutert Creuzer einige Seiten später  : „Durch ein einziges Wort ist [im Symbol] die Erscheinung des Göttlichen und die Verklärung des irdischen Bildes bezeichnet […].“25 Damit wird die zeitliche Struktur der Plötzlichkeit auf die Theophanie bezogen, nämlich die schlagartige, begeisternde, machtvolle Erscheinung des Göttlichen. Die Prägnanz des Augenblicks hat bei Creuzer eine ganz andere Bedeutung als bei Lessing und Goethe erhalten. Dort war damit die Kontinuität mit dem Vorausgehenden und dem Folgenden gemeint, Creuzer denkt vielmehr an den Einbruch einer anderen Zeitlichkeit  : Der enthusiastische Augenblick bedeutet eine „Aufhebung des Zeitbewußtseins als Erfahrung von Kontinuität“26. Die machtvolle Erscheinung des Göttlichen steht zweifellos im Zentrum von Haydns Oratorium Die Schöpfung. Im Chor Nr. 13 wird die erhabene Vorstellung des Firmaments als Manifestation des göttlichen Werks besungen, im Chor Nr. 19 werden Größe, Macht und Ewigkeit im kurzen Text vereinigt  : „Der Herr ist groß in seiner Macht und ewig bleibt sein Ruhm“. Aber noch weitere Aspekte der LaokoonDebatte finden eine Entsprechung in den anfangs angeführten Beispielen für Haydns musikalische Gestaltung des Augenblicks. Darunter ist besonders das in einem Jubelchor keineswegs selbstverständliche Moment des Schreckens interessant. Das Harmonisierungsmodell über einem chromatisch steigenden Bass, das in der Schöpfung zur ekstatischen Überschreitung in den Chören Nr. 13 und 19 führt, erklingt bereits im Rezitativ Nr. 73 aus Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion zu den Worten, welche die ersten Augenblicke nach dem Tod Jesu schildern (Matthäus 27, 52)  : „Und die Erde erbebete, und die Felsen zerrissen.“27 Dies scheint kein Zufall zu sein, denn auch Haydn gab dem biblischen Erdbeben musikalische Gestalt, und zwar im letzten Stück seiner Instrumentalmusik über die Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze (ca. 1786), dem „Terremoto“, wo gleich zu Beginn eine chromatische Steigerung des Basses erscheint, die derjenigen im Rezitativ aus der Matthäus-Passion entspricht.28 In bei25 Ibid., 75. 26 Karl Heinz Bohrer, „Zur Vorgeschichte des Plötzlichen. Die Generation des ,gefährlichen Augenblicks‘“, ders., Plötzlichkeit. Zum Augenblick des ästhetischen Scheins (Frankfurt/M.  : Suhrkamp, 1981), 49. 27 Zu diesem Schema, der sogenannten „Teufelsmühle“, siehe Elmar Seidel, „Ein chromatisches Harmonisierungsmodell in Schuberts ,Winterreise‘“, Bericht über den internationalen musikwissenschaftlichen Kongreß Leipzig 1966, hg. von Carl Dahlhaus u.a. (Kassel [u.a.]  : Bärenreiter u.a., 1970), 437–51. 28 Siehe dazu Theodor Göllner, „Entfesselte Natur in der Musik“, Was lehrt uns die Natur  ? Die Natur in den Künsten und Wissenschaften  ; eine Ringvorlesung der Universität München, hg. und eingeleitet von Venanz Schubert (St. Ottilien  : EOS-Verlag, 1989), 296–302  ; Claus Bockmaier, Entfesselte Natur in der Musik des achtzehnten Jahrhunderts (Tutzing  : Schneider, 1992), 323–31. Die Harmonisierung bleibt diesmal aus, weil das ge-

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den Fällen bildet dieses Modell keine Klimax der Freude, sondern eine emphatische Ausdrucksfigur, die Hypotyposis. Dadurch tritt nicht nur die anhaltende Wirkung der Rhetorik im Erhabenen der Kunst zutage, sondern auch eine durch das Sublime angereicherte Auffassung des Feierlichen, in dem die Erschütterung – und damit stets ein Moment des Schreckens – eine wesentliche Rolle spielt. Die Geschichte der Realisierungen dieses Modells vor und nach Haydn stellt eine Tradition des Grauens dar  : Mozart setzt es für das furchtbare Erscheinen der Statue des Commendatore im zweiten Finale des Don Giovanni (T. 495 ff.) ein, Beethoven als Ausdruck des mörderischen Hasses Pizarros im Quartett Nr. 14 „Er sterbe“ aus dem zweiten Aufzug des Fidelio (T. 23 ff.)29, schließlich prägt ein chromatisch steigender Bass den Beginn des schaurigen Wolfsschlucht-Melodrams in Carl Maria von Webers Freischütz. Freilich geht es in der Schöpfung weder um Mord noch um den Tod Gottes, dennoch ist sowohl in Creuzers Auffassung des Symbols als auch in der Ästhetik des Erhabenen der Hinweis enthalten, dass die Erscheinung des Göttlichen nicht nur mit Jubel verbunden ist. Edmund Burke erinnert daran in seinem von Haydn in London erworbenen Buch A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful (1757, 2. erw. Ausg. 1759)  : In the scripture, wherever God is represented as appearing or speaking, every thing terrible in nature is called up to heighten the awe and solemnity of the divine presence. The psalms, and the prophetical books, are crouded with instances of this kind. The earth shook (says the psalmist) the heavens also dropped at the presence of the Lord. And what is remarkable, the painting preserves the same character, not only when he is supposed descending to take vengeance upon the wicked, but even when he exerts the like plenitude of power in acts of beneficence to mankind. Tremble, thou earth  ! at the presence of the Lord  ; at the presence of the God of Jacob  ; which turned the rock into standing water, the flint into a fountain of waters  ! 30

samte Orchester im Unisono spielt. Zur erhabenen Konnotation des Unisono äußerten sich sowohl Christian Friedrich Michaelis, „Ueber das Erhabene in der Musik“ (1801), in  : ders., Ueber den Geist der Tonkunst und andere Schriften, hg. von Lothar Schmidt (Musikästhetische Schriften nach Kant 2), (Chemnitz  : Schröder, 1997), 170, als auch [Friedrich Rochlitz], „Ueber den zweckmässigen Gebrauch der Mittel der Tonkunst, Fortsetzung aus dem vierten Stücke“, Allgemeine musikalische Zeitung 5/13 (1805), 195. 29 Donald Francis Tovey hatte bereits 1937 darauf hingewiesen, dass Beethoven bei der Gestaltung der Klimax am Ende des ersten Satzes seiner kurz nach der Schöpfung komponierten zweiten Symphonie diese Stelle Haydns wohl präsent war (Tovey, Essays in Musical Analysis, vol. V  : Vocal Music [London  : Oxford Univ. Press, 1937], 132 f.). Weiterführende Hinweise gibt Seidel, „Ein chromatisches Harmonisierungsmodell in Schuberts ,Winterreise‘“ (Anm. 28). 30 Edmund Burke, A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful, hg. von Adam Phillips (Oxford und New York  : Oxford Univ. Press, 1990), 63 f. Hervorhebungen von Burke, der frei aus den Psalmen 68 und 114 zitiert.

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Die Erschütterung, welche die Erscheinung Gottes bewirkt, wird häufig in der biblischen Tradition durch das Erdbeben versinnbildlicht. Diese Verbindung musste Burke wenige Monate nach dem erschreckenden Erdbeben von Lissabon vom 1. November 1755 besonders eindrucksvoll erscheinen. Die in der Laokoon-Debatte deutlich hervorgetretene Spannung zwischen Kontinuität und Bruch in der Auffassung des prägnanten Augenblicks lässt sich ebenfalls auf Haydns Schöpfung beziehen. Im Chor Nr. 13 ist der Kulminationspunkt in eine Steigerungsform eingebettet, welche aus zwei Wellen besteht und somit beinahe die ganze Nummer in Anspruch nimmt. Auch der chromatische Anstieg des Basses und die Folge der Harmonien, die darauf gebaut sind, stellen alle Elemente dar, die Kontinuität erzeugen. Und dennoch ist der Kulminationspunkt selbst, Goethes „höchster darzustellender Moment“, ein Augenblick des Durchbruchs und als solcher nicht länger mit dem Vor­ ausgehenden und dem Folgenden verbunden. Die Überschreitung des tonalen Ziels C-Dur hinaus zur Sopratonica d-Moll erscheint somit als musikalisches Symbol der enthusiastischen Überschreitung des Selbst, deren Veranlassung und Gegenstand die mit Schrecken verbundene Erscheinung des Göttlichen ist. Die Stellung der Klimax unmittelbar vor der Schlusskadenz und nicht zuletzt der kulturelle Horizont, der in Gottfried van Swietens Libretto präsent ist, legen die Deutung nahe, dass die enthusiastische Überschreitung in der allumfassenden Dimension von Gott-Natur wieder aufgefangen wird  : Haydns kompositorisch gestalteter Augenblick der Entgrenzung weist sowohl über die alleinige Herrschaft der Vernunft als auch über die romantische Mythologie hinaus.

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SITUATING TIME IN HAYDN’S DIE SCHÖPFUNG In 1802, Carl Friedrich Zelter wrote of Haydn’s Creation  : The Overture bespeaks a master of the first rank, and is, in our opinion, the greatest section of the work  : the crown on the royal head. It is called Representation of Chaos. With almost all possible instruments available as raw materials, a gigantic, almost incalculable web of artistic splendor is woven and formed.1

That Die Schöpfung, and in particular, the “Vorstellung des Chaos” received immense critical attention is already well known. The numerous international performances within the years following its premier garnered massive amounts of critical commentary.2 Whereas some reviewers, like Zelter, praised Haydn’s attempt to portray the creation of the world in music, others found aspects of the work distasteful at the least, perhaps even absurd. Impassioned recountings and cutting critiques of Haydn’s oratorio proliferated well into the nineteenth century, each offering a unique view of his attempt to represent creation. What was it about Haydn’s depiction of creation that garnered such fervent responses  ? Quite apart from the traditional rhetoric surrounding dissonance and disorder in the work, there are aspects of its reception history that have not yet received their due course in the contemporary secondary literature.3 Haydn’s oratorio and its atten1 “Sie kündigt einen Meister der höchsten Gattung an, diese Ouvertüre, und ist nach unserm Urtheil das herr­ lichste in diesem Werke  ; die Krone auf einem königl. Haupte. Sie ist die Vorstellung des Chaos genannt. Es sind hier fast alle gangbaren Instrumente als Stoff und Materialen beysammen, woraus ein ungeheures, fast unübersehbares Gewebe von Herrlichkeiten der Kunst zusammengesezt und geordnet worden ist.” Carl Friedrich Zelter, “Die Schöpfung. Ein Oratorium, in Musik gesezt von Joseph Haydn […],” Leipzig Allgemeine musikalische Zeitung (hereafter Leipzig AmZ) 3/24, 10 March 1802, cols. 390–91  ; as cited and translated in Nicholas Temperley, Haydn  : The Creation (Cambridge  : Cambridge University Press, 1991), 89–90. 2 The reception history of Die Schöpfung has been well documented. See, in particular, Temperley, Haydn  : The Creation, 89–108  ; Howard C. Robbins Landon, Haydn  : Chronicle and Works (London  : Thames and Hudson, 1994), vol. 4  : Haydn, The Years of the Creation, 572–601  ; Bruce C. MacIntyre, Haydn  : The Creation (New York  : Schirmer Books, 1998), 256–71  ; and Howard E. Smither, A History of the Oratorio (Chapel Hill, NC  : University of North Carolina Press, 1987), 488–510. 3 Secondary literature on Haydn’s Die Schöpfung that accounts for the stylistically forward-looking elements of its tonal design includes Lawrence Kramer, “Haydn’s Chaos, Schenker’s Order  ; or Hermeneutics and

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dant discourses occupied an important and central position in the European intellectual history of changing spatial, temporal, and theological views  : matters that placed incredible weight on any claims staked about and around them. The first performances and publications of Haydn’s celebrated work took place in a rapidly changing intellectual landscape. Contending scientific and philosophical traditions offered different views on the origins and ontology of time and space, and their mutual relationship to God. Simultaneously, these changing scientific and philosophical attitudes on time impacted discussions of musical meter and tempo. The same technological advances that fueled the increasing mapping and measuring of space and time drove efforts to communicate and inscribe more precisely the temporal units of musical meter in the form of calculated metronome markings. The subject of Die Schöpfung – the creation of the world – and the way its representation of creation was received, suggest its embeddedness within and importance to the metaphysical concerns of its day. Die Schöpfung, though, was also featured in debates on musical meter and tempo and marked a place of transition, stylistically, in these discourses. The practice and the theory of music were connected to changing conceptualizations of time and space, and Die Schöpfung was a nexus, in subject matter and in style, for these different strains of thought. With Haydn’s oratorio as a case study, we can examine how music was central to the transformation of thought on time and space.4 Understanding Die Schöpfung in this way will help to re-contextualize three aspects, specifically, of its reception history  : 1) the theological and philosophical claims involved in the representation of creation, 2) the relationship between text, accent, meter, and temporality, and 3) the inscription of musical time in tempo.

Musical Analysis  : Can They Mix  ?” Nineteenth-Century Music 16/1 (1992/93), 3–17  ; idem, “Music and Representation  : The Instance of Haydn’s Creation,” Music and Text  : Critical Inquiries, ed. Steven Paul Scher (Cambridge  : Cambridge University Press, 1992), 139–62  ; A. Peter Brown, “Haydn’s Chaos  : Genesis and Genre,” Musical Quarterly 73/1 (1989), 18–59  ; Hans-Jürgen Horn, “FIAT LUX  : Zum kunsttheoretischen Hintergrund der ‘Erschaffung’ des Lichtes in Haydns Schöpfung,” Haydn-Studien 3 (1973/74), 65–84  ; Al­ brecht Riethmüller, “Die Vorstellung des Chaos in der Musik  : Zu Joseph Haydns Oratorium ‘Die Schöpfung,’” Convivium Cosmologicum  : Interdisziplinäre Studien. Helmut Hönl zum 70. Geburtstag, ed. Anastasios Giannarás (Basle, 1973), 185–95  ; Donald Francis Tovey, Essays in Musical Analysis (London  : Oxford University Press, 1937), vol. 5  : Vocal Music, 114–18  ; and Heinrich Schenker, “The Representation of Chaos from Haydn’s Creation,” The Masterwork in Music (Cambridge  : Cambridge University Press 1996), trans. William Drabkin, vol. 2, 97–105. 4 Karol Berger, in his Bach’s Cycle, Mozart’s Arrow (Berkeley  : University of California Press, 2007), provides a model for a study of the changing discourses of music and temporality in the eighteenth century. This study builds on and departs from Berger’s work in focusing on time and space in relation to theories of creation and theories of musical time in general, and on Haydn’s oratorio in particular.

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The Depiction of Creation “In the beginning,” the angel Raphael sings in the first number of Die Schöpfung, “God created the heaven and the earth  ; and the earth was without form and void.” The significance that this line from Genesis – particularly its final word “void” – carried for the eighteenth and early nineteenth centuries cannot be overemphasized. At least since the publication of Newton’s Principia, natural philosophers had struggled with the relationship between the ontologies of time and space and the existence of a supreme being. The reception history of Newton’s natural philosophy on the continent makes clear the high stakes involved in such debates. In order to understand the theological and philosophical import of Haydn’s oratorio, we must situate it within a genealogy of thought on time and space that preceded its premier. Newton’s own efforts to understand the physics of empirical causal relationships, such as force, resulted in his reversionary metaphysical writings on space, time and motion.5 His redefinitions were directed against the popular Cartesian doctrine of the day, which held that space and time only existed as measurements of bodies and the motions made by those bodies. In the Cartesian view, space and time were a plenum, already filled with bodies and their motions. This Cartesian view was largely based on elements of Aristotelian metaphysics, but it was Descartes’ name to which it was attached at the time of Newton’s writing. In the Newtonian view, by contrast, time and space were “void,” as Raphael sings  : they were a priori, empty, and infinite categories, within which bodies and events were situated. The most celebrated and popular critique of Newton’s temporal and spatial philosophy was the correspondence that transpired between Gottfried Wilhelm Leibniz, a staunch opponent of Newton, and Samuel Clarke, a Newtonian-influenced natural philosopher and theologian, Newton’s personal friend. Known as the Leibniz-Clarke correspondence, it amounted to the most frequently discussed philosophical controversy of the eighteenth century.6 The correspondence was published in more than ten editions during the eighteenth century alone, in London, Frankfurt, Leipzig, Jena, Amsterdam, Lausanne, Geneva, and Berlin, and was translated into French, German, and Latin.7 5 For a more detailed treatment of Newton’s metaphysics, see Howard Stein, “Newton’s Metaphysics,” The Cambridge Companion to Newton, ed. I. Bernard Cohen and George E. Smith (Cambridge  : Cambridge University Press, 2002), 256–307  ; and Andrew Janiak, Newton as Philosopher (Cambridge  : Cambridge University Press, 2008). 6 In actual fact, the correspondence transpired between Leibniz and Clarke through Caroline the Princess of Wales  ; for more detail on the correspondence itself, see Henry Gavin Alexander in his introduction to The Leibniz-Clarke Correspondence (Manchester  : Manchester University Press, 1956), ix–lvi. 7 See the table in ibid., lv–lvi.

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The reception of the correspondence itself in major philosophical discourses of the day linked the public conceptions of time, space, God, and – most importantly for our present concerns – the creation of the universe. A central problem for both Leibniz and Clarke was the reconciliation of God’s will with the work of his creation  : the heavens and the earth, and the time and space to which they relate. Leibniz found the Newtonian belief of empty, infinite time and space objectionable on several grounds. To begin, if time and space were indeed void, why had God created the world where and when he did  ? Leibniz’s objection was based on his principle of sufficient reason, which asserted that because there could not have been reason to choose a time and place in a void, God must have created all time and space with the creation of the world. Clarke replied that God’s will alone was sufficient reason for his actions, and suggested that Leibniz’s God did not have liberty to do anything at all. Leibniz further objected to void space and time on the basis that they were infinite and eternal, yet apart from God and competing with the Supreme Being in this way. Clarke clarified the Newtonian view in response, reiterating that time and space were not any thing, but perhaps were attributes or properties of God. Indeed, the Newtonians asserted that the only way to have God separate from the world (and not problematically co-extensive with it) was to describe time and space as empty and infinite categories. In their original debate, both Leibniz and Clark accused each other of creating systems that cast the nature of God’s existence into question. This significant aspect of the debate on time, space, and creation persisted through the eighteenth century, and the reception history of the Leibniz-Clarke correspondence attests to its pervasiveness and importance. “Nothing is more fashionable today than the accusation of atheism  ; intended wrongly to defame the philosophers who, themselves, are not,” d’Alembert wrote in the article “Cosmologie” in the Encyclopédie he edited with ­Diderot.8 D’Alembert’s defensive tone was echoed throughout the continental reception of the Leibniz-Clarke correspondence, each author defending their view of God’s existence and finding elements of atheism in the other. Authors as diverse as Thümming, Berkeley, Voltaire, Maclaurin, Euler, Boscovitch, Mauptertuis, Wolff, and Kant all responded to the publication of the correspondence, and still others engaged its central problematic, if less explicitly.9 In 1747 the Berlin Royal Academy of Sciences 8 Jean le Rond d’Alembert, “Cosmologie,” Encyclopédie, ed. Denis Diderot and Jean le Rond d’Alembert (Paris  : Briasson et Le Breton, 1751–65), vol. 4, 297. 9 “Herrn Ludwig Philipp Thümmigs Antwort für den Herrn Baron von Leibnitz auf die fünffte Englische Schrifft Herrn D. Clarckens,” in Merckwürdige Schriften, Welche […] zwischen dem Herrn Baron von Leibniz und dem Herrn D. Clarke über besondere Materien der natürlichen Religion […] gewechselt (Frankfurt, Leipzig, and Jena  : Meyer, 1720), 243–65  ; Christian Wolff, “Vorrede,” in Merckwürdige Schriften, 3–4  ; George Berkeley, De Motu (London  : Jacobi Tonson, 1721)  ; Voltaire, Elémens de la philosophie de Neuton (Amsterdam  : Etienne Ledet & Compagnie, 1738)  ; idem, La métaphysique de Neuton, ou, Parallèle des sentimens de Neu-

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and Belles-Lettres even sponsored an essay contest on the nature of space (in relation to Leibniz’s theory of monads), soliciting scores of responses from across Europe in a variety of languages.10 It was the only essay contest in the history of the Academy that rivalled the size and importance of that on the origin of languages. The judging of these essays proved so problematic that a special committee was created to read the submissions. Even after the close of this contest, tensions between disagreeing members of the Academy continued to run high. Further competitions, substituting the philosophies of Alexander Pope and Christian Wolff for that of Leibniz were conducted in 1755 and 1763, respectively.11 The divide between neo-Leibnizians and neo-Newtonians was so great, in fact, that Johann Bernhard Merian, in 1797, could call them “the two national philosophies.”12 No matter what their belief on the nature of time and space, however, eighteenthcentury natural philosophers held that God’s will was responsible for the moment of creation. We then, as humans, could only discern the natural properties and processes that were a part of this moment – we could never fully understand the creation, as it involved the hand of God. Condorcet put it this way  : Bodies are subject to two essentially different types of laws. One is the necessary consequence of the idea we have of matter, the other the effect of the free will of an Intelligent Being who has willed that the world be as it is rather than any other way. The totality and consequences of necessary laws constitute mechanics. We call the totality of the other laws the “System of the World,” which we cannot know entirely without knowing all phenomena.13 ton et de Leibnitz (Amsterdam  : Etienne Ledet & Compagnie, 1740)  ; Colin MacLaurin, An Account of Sir Isaac Newton’s Philosophical Discoveries (London  : Millar and Nourse, 1748)  ; Leonhard Euler, “Reflexions Sur l’Espace et le Tems,” Histoire de l‘Académie Royale des Sciences et des Belles-Lettres de Berlin 1748 (Berlin  : Haude et Spener, 1750), 324–33  ; Ruggero Giuseppe Boscovich, annotations to Benedict Stay, Philosophiae recentioris a Benedicto Stay […] versibus traditae libri X […]  : cum adnotationibus, et supplementis P. Rogerii Josephi Boscovich (Ramae  : Typis, et sumpt. Nicolai, et Marci Pelerini, 1755–60)  ; Pierre-Louis Moreau de Maupertuis, Essai de cosmologie (Leiden, 1751)  ; Immanuel Kant, De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, ed. Klaus Reich (Hamburg  : F. Meiner, 1958). 10 “Questions Proposées Par L’Académie Pour Les Prix,” unsigned article in Nouveau Mémoires de L’Académie Royale Des Sciences et Belles-Lettres 1770 (Berlin  : Chrétien Fréderic Voss, 1772), 22 (this unsigned article in the Berlin Mémoires chronicled the competition questions that the academy had posed since 1745)  ; see also Hans Aarsleff, “The Berlin Academy under Fredrick the Great,” History of the Human Sciences 2/2 (1989), 200. 11 “Questions Proposées Par L’Académie Pour Les Prix,” 24–26. 12 Johann Bernhard Merian, “Parallèle historique de nos deux Philosophies nationales,” Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres 1797 (Berlin  : G. Decker, 1800), 53–96. In fact, most of Merian’s essay concerns Kant and Wolff, the disseminators, in his day, of the doctrines of Newton and Leibniz. 13 Jean Antoine Condorcet, “Le Marquis de Condorcet à M. d’Alembert, sur le système du monde et sur le calcul integral,” Du calcul integral (Paris  : 1765), 4–5 as cited and translated in Roger Hahn, Laplace as a

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For Condorcet, then, as for many his contemporaries, one could understand the nature of time and space, even at the time of creation, so long as one did not presume to understand God’s entire “System of the World.” Not long after the Berlin debates, though, even this most fundamental belief – a belief that united competing camps in the philosophy of space and time – began to receive its challenges. The most prominent of these came in an unusual form as an extended footnote in Laplace’s Exposition du Système du Monde of 1796. Here, Laplace asserted a theory that would account for the fact that all of the planets in the universe move in the same direction around the sun, and all of their satellites, too, move in the same direction around the planets. Laplace proposed that the solar system had begun as a single gaseous mass rotating in one direction. As it cooled and reduced in size to become the sun, the planets formed from its residue. Although William Herschel soon proved that one of Uranus’s moons orbited in the opposite direction, Laplace’s hypothesis had already made its mark.14 Along with a similar hypothesis put forward by Herschel himself, it had provided a scientific theory for what had only been theretofore described by means of the Divine Will. The hypotheses of Laplace and Herschel were not called “nebular” until the mid nineteenth century, when William Whewell’s description of Herschel’s hypothesis by that name was shown to share affinities with those of Laplace, Kant, and Swedenborg.15 But the close of the eighteenth century saw a revolution in astronomical observation, measurement, and calculation that offered unparalleled opportunities to guess at the very forces present in the creation of all time and space, with new journals, such as the Monatliche Correspondenz zur Beförderung der Erd- und Himmels-Kunde of Gotha, enabling remote astronomers to share information with one another, and new mathematical techniques to account for observational error.16 It was at this moment in the history of temporal and spatial conceptions that Haydn’s oratorio proposed to literally depict, in music, the very creation of the world. With a text composed almost exclusively out of pre-Newtonian sources, Haydn’s addition to the story of creation came at the most hotly-debated and contested spot  : the text-less creation of the world in his Vorstellung des Chaos. It should be no surprise to us, then, that critics reacted so impassionedly, and used the popular scientific language Newtonian Scientist (Los Angeles, William Andrews Clark Memorial Library of the University of California, 1967), 16. 14 For a more detailed account of the origins of various Nebular Hypotheses, see Stephen G. Brush, “The Nebular Hypothesis and the Evolutionary Worldview,” History of Science 25/3, no. 69 (1987), 245–78. 15 Ibid., 254. 16 ����������������������������������������������������������������������������������������������������� On the intricate interconnections between error calculation, astronomy, and new standards in measurement, see Kathryn M. Olesko, Physics as a Calling  : Discipline and Practice in the Königsberg Seminar for Physics (Ithaca  : Cornell University Press, 1991), 65–75.

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of the day to analyze the piece. Tovey’s now famous suggestion that Haydn’s Chaos can be read along the lines of “nebular” hypotheses is corroborated, in fact, by period reviews.17 An unsigned Allgemeine musikalische Zeitung correspondent from Berlin, for instance, wrote  : The Overture describes chaos. A gigantic unisono of all instruments, at the same time a lightless and formless mass, are suggested to our imagination. From it single notes come forth, which in turn spawn others. There are spun forth forms and figures, without line and order, that disappear only to appear again in different guise. Movement begins. Huge forces grate against each other and begin to gestate, and occasionally, as if fortuitously, they dissolve harmonically and then sink back into darkness. A swirling and twisting of unknown forces, which gradually separate themselves and leave clear breaks, announce that order is near. Each flood gradually seeks its proper bed, not without forcing. Here a star moves in its path, there another one. The swimming forces approach land. Similar forms attract each other and embrace. It is night. And God spoke  : Let there be light  ! And there was light  !18

A patchwork of natural philosophy, this analysis of Chaos employs elements of an older Newtonian doctrine, on force and movement, with the then-popular Laplacian view. Others, clearly, found the depiction less than successful in that a non-discursive medium such as music could never capture something so profound as the creation of all time and space. As a French correspondent for the Allgemeine musikalische Zeitung put it  : Without any doubt the great importance of the subject raises one’s expectations to the highest, as was the case, here, with all the amateurs and artists. Presumably one was expecting an ethereal, angelic melody and thought that Haydn’s genius would provide us with concerts of heavenly hosts […].19 17 Tovey’s suggestion can be found in his essay on the Creation in Essays in Musical Analysis, vol. 5, 114–16. 18 “Die Ouverture stellt das Chaos vor. Ein ungeheurer Unisonus aller Instrumente, gleich einem licht- und formlosen Klumpen, stellt sich der Imagination dar. Aus ihm gehn einzelne Töne hervor, die neue gebähren. Es entspinnen sich Formen und Figuren, ohne Faden und Ordnung, die wieder verschwinden, um in anderer Gestalt wieder zu erscheinen. Es entsteht Bewegung. Mächtige Massen reiben sich an einander und bringen Gährung hervor, die sich hier und dort, wie von ohngefähr, in Harmonie auflöset und in neues Dunkel versinkt. Ein Schwimmen und Wallen unbekannter Kräfte, die sich nach und nach absondern und einige klare Lücken lassen, verkundigen [sic] den nahen Ordner. Jede Fluth zieht sich nach und nach, nicht ohne Zwang, ihrem Bette zu. Hier rennt ein Stern in seine Bahn  ; dort wieder einer. Das Schwimmende nähert sich dem Ufer. Gleiche Formen ziehen einander an und umarmen sich. Es ist Nacht. Und Gott sprach  : Es werde Licht  ! Und es ward Licht  !” Unsigned Correspondence, “Briefe an einen Freund über die Musik in Berlin,” Leipzig AmZ 3/17, 21 January 1801, cols. 291–92  ; as cited and translated in Robbins Landon, Haydn  : Chronicle and Works, vol. 4, 587. 19 “Ohne allen Zweifel ist der hohen Wichtigkeit des Süjets die äusserst begierige Erwartung beyzumessen,

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Instead, this reviewer suggested, Haydn had merely “painted” everything possible, and in that respect had done well, though he could never truly deliver the music of the spheres. Indeed, although Haydn could not offer the very strains of the heavens, he did miss the accusation of atheism – unlike others who offered narratives of creation – for in his setting, “a new created world springs up at God’s command.” Whether lauded for its efforts or chided for its audacity, Haydn’s Die Schöpfung was received in a climate of shifting temporal views that were deeply embedded in questions about the nature of time and space at creation. The gravity of these philosophical matters was particularly high at the moment of the work’s premier, as new theories attempted to explain creation outside of God’s Divine Will. We must understand the reception history of the Creation, then, as part of the larger intellectual history of temporal and spatial conceptualizations.

The Rhythms of Creation The new views that emerged in the eighteenth century about time and space were not limited in their impact, however, to theories of creation. Shifting epistemologies of time also influenced musical conceptualizations of time and, in particular, of meter. Die Schöpfung’s reception not only situated the oratorio in the history of creation narratives, but also in the history of shifting views of musical rhythm, meter and tempo. Early eighteenth-century theories of musical meter shared much with their contemporary views of time and space. These theories – which included the traditions of time-beating and rhythmopoeia – enjoyed popularity until the end of the eighteenth century when the publications of Kirnberger and his circle proposed a new way of conceptualizing musical meter. Kirnberger’s Die Kunst des reinen Satzes in der Musik (which was written around the time of the Berlin debates on the nature of time and space) described metric hearing in terms of its emergence from an infinite, empty expanse of duration, very much like the void time and space of the neo-Newtonians. The preceding theories of meter had conceptualized the measure as the minimal unit of musical time. They located musical events within an already-full plenum of musical measures, somewhat akin to the Leibnizian or Cartesian model.20 welche die mehresten Künstler und Liebhaber in dieser Hinsicht zu Tage gelegt haben  : man versah sich vermuthlich einer ätherischen, englischen Melodie – und bildete sich ein, dass uns Haydn’s Genius die Konzerte himmlischer Geister zu hören geben könnte […].” Unsigned correspondence, “Briefe über Musik und Musiker in Paris,” trans. from French by those at the AmZ, Leipzig AmZ 3/30, 22 April 1801, col. 511  ; as cited and translated in Landon, Haydn  : Chronicle and Works, vol. 4, 581. 20 ������������������������������������������������������������������������������������������������������������ Wilhelm Seidel explains this reconceptulization as a shift from theories of “division” to those of “progression,” while Danuta Mirka substitutes “grouping” for the latter term. Seidel, Mirka, Carl Dahlhaus, and Wil-

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The publication and first performances of Haydn’s Die Schöpfung, its music written with sensitivity to both German and English declamation, marked a distinct departure in the history of one of these older conceptualizations, the rhythmopoetic method.21 Rythmopoeia treated of the relationship between poetic feet and musical duration and, in its most practical applications, the successful setting of texts.22 Mattheson’s seminal Der vollkommene Capellmeister, a work we know Haydn was at least acquainted with, was a popular exponent of the method in the early eighteenth century.23 “What are called feet in poetry,” Mattheson wrote, “are called rhythms in music. For this reason we will name them tone-feet, since song walks along on them. The joining and other arrangement of these tone-feet we call rhythmopoeia.”24 In the second book of Der vollkommene Capellmeister, Mattheson treated not only of melodic accentuation, but also accentual syllabic stress in text settings and word emphasis within phrases. “Emphasis,” Mattheson delineated, “first of all always falls on an entire word, not according to its length but according to the meaning which it contains  ; whereas the accent deals liam Caplin all recognize that earlier theories put the measure (or in some cases the beat) in a place of conceptual prominence and theorized musical time through these preexisting units. See Wilhelm Seidel, Über Rhythmustheorien der Neuzeit (Bern  : Francke, 1975), 15–23 and 85–134  ; Carl Dahlhaus, Die Musiktheorie im 18. und 19. Jahrhundert. Zweiter Teil  : Deutschland, ed. Ruth E. Müller (Darmstadt  : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1989), 157–73  ; William Caplin, “Theories of Musical Rhythm in the Eighteenth and Nineteenth Centuries,“ The Cambridge History of Western Music Theory, ed. Thomas Christensen (Cambridge  : Cambridge University Press, 2002), 658–68  ; and Danuta Mirka, Metric Manipulations in Haydn and Mozart (Oxford  : Oxford University Press, 2009), 3–5. Regarding the slow and complicated transition from the older practice to the place in which Kirnberger’s theory became possible, see Claudia Maurer Zenck, Vom Takt (Vienna  : Böhlau, 2001), particularly 141–250  ; and Nicole Schwindt-Gross, “Einfache, zusammengesetzte und doppelt notierte Takte  : Ein Aspekt der Takttheorie im 18. Jahrhundert,” Musiktheorie 4/3 (1989), 203–22. 21 On the bilingual setting of the text, see Nicholas Temperley, “New Light on the Libretto of The Creation,“ Music in Eighteenth-Century England, ed. Christopher Hogwood and Richard Luckett (Cambridge  : Cambridge University Press, 1983), 189–211. 22 Here I use the term rhythmopoeia as Wilhelm Seidel, George Houle, and William Caplin have used it. I focus exclusively on the elements of rhythmopoeia that touch on the successful setting of texts because it is in its bilingual setting that the publication of Haydn’s Die Schöpfung is innovative. Secondary sources that address the complicated and diverse tradition of rhythmopoeia (and related traditions) include Seidel, Über Rhythmustheorien der Neuzeit, 42–84  ; George Houle, Meter in Music, 1600–1800 (Bloomington  : Indiana University Press, 1987), 62–77  ; Maurer Zenck, Vom Takt, 141–49  ; Caplin, “Theories of Musical Rhythm,” 663–67  ; Stephanie Vial, The Art of Musical Phrasing in the Eighteenth Century (Rochester  : University of Rochester Press, 2008)  ; and Mirka, Meter in Music, particularly 93–99. 23 On Haydn’s relationship to Mattheson’s text, see David Wyn Jones, “Becoming a Complete Kapellmeister  : Haydn and Mattheson’s Der vollkommene Capellmeister,” Studia Musicologica 51, nos. 1–2 (2010), 29–40. 24 “Was die Füsse in der Dicht-Kunst bedeuten, solches stellen die Rhythmi in der Ton-Kunst vor, deswegen wir sie auch Klang-Füsse nennen wollen, weil der Gesang gleichsam auf ihnen einhergeht. Die Zusammenfügung aber und übrige Einrichtung dieser Klang-Füsse heisset mit ihrem Kunst-Worte Rhythmopoie […].” Johann Mattheson, Der vollkommene Capellmeister (Hamburg  : Christian Herold, 1739), vol. 2, 160. The translations of Mattheson are my own.

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Figure 1: Incorrect and correct accentual structure from Mattheson’s Der vollkommene Capellmeister (Hamburg  : Christian Herold, 1739), vol. 2, 177.

Figure 2: Incorrect and correct syllabic accentuation and word emphasis from Mattheson’s Der vollkommene Capellmeister, vol. 2, 177.

only with the bare syllables, namely with their length, shortness, elevation or reduction in pronunciation.”25 In his treatment, Mattheson considered numerous ways to correctly set accent on the appropriate syllables and emphasis on the appropriate words. Duration and place within the measure were only two ways one could create accent. Pitch height, for instance, was also important to both accent and word emphasis, as was repetition, in Mattheson’s view. Figure 1 shows how Mattheson converts an unacceptable accentual structure into a well-accented phrase. Here, the syllable “-nom” receives too much accent, arriving at the peak of the melodic line. Mattheson corrects the phrase by extending the duration for the properly accented syllable, “ab-”, and altering the melodic contour. Figure 2 addresses both syllabic accentuation and word emphasis. Neither the “-weil” syllable of “Dieweil”, nor the word “das” should be accented. Mattheson’s corrected phrase restores the appropriate syllabic accents, and adds an “emphatic” accent to the word “nahe.” For the variety of techniques that it supplied, however, Mattheson’s method was rather stringent in its rules. Even so much as a slight crest in the melody on an unaccented syllable could cause offense. “It is essential that the word-accent must fall on an accented melodic pitch […] the general rule concerning accent one must follow is this  : that the note to which it belongs must be long or prominent.”26 Less like a gathering of 25 “Erstlich fällt die Emphasis immer auf ein ganzes Wort, nicht nach dem Klange desselben, sondern nach dem darin enthaltenen Bilde des Verstandes  ; der Accent hergegen hat nur mit blossen Sylben, nehmlich mit deren Länge, Kürze, Erhebung oder Erniedrigung im Aussprechen zu schaffen.” Mattheson, Der vollkommene Capellmeister, vol. 2, 174. 26 “Inzwischen muß doch der Wort-Accent unumgänglich auf einen accentuirten melodischen Klang angebracht werden […]. Die allgemeine Regel, so man bey dem Accent zu beobachten hat, ist diese  : daß die dazu gehörige Note lang oder anschlagend sein müsse.” Emphasis in original. Mattheson, Der vollkommene Capellmeister, vol. 2, 176.

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Example 1: Haydn, Die Schöpfung, “Nun beut die Flur da frische Grün”/“With verdure clad the fields appear,” mm. 5–6, showing difference in emphasis.

suggestions and more of a set of rules for composition, rhythmopoeia began to see its detractors by century’s end. Burney even suggested, in a remark published in 1775, that the doctrine would make vocal music “but a mere Recitative with which every one is tired and disgusted  !”27 Nicholas Temperley has argued that Haydn considered both the English and German texts when he composed the music for Die Schöpfung.28 It is also clear that van Swieten’s German was crafted specifically to fit the prosody of the English text, in order to make Haydn’s job easier (or even possible at all).29 Still, the inevitable incommensurabilities in articulation and emphasis are many in the work, and they point to a stylistic evolution away from doctrines, like Mattheson’s, that treated text accent in a fixed and rigid manner. It was not only the setting of the English text, though, that fell short of Mattheson’s standards. The German text, too, shows departures from this way of conceptualizing accent. Consider the following examples, the first from Gabriel’s aria, “Nun beut die Flur.” The title line alone carries different meanings in English and German, and its general word emphases are in different places in the two languages. The rhythm of the German “Nun beut die Flur das frische Grün,” (shown in Example 1), creates the correct syllabic accentuation but alters the emphasis, in Mattheson’s sense, in the English “With verdure clad the fields appear.” Even more problematic is the difference in emphasis in the English text to Gabriel’s aria “Mit Staunen sieht das Wunderwerk” (Example 2). Instead of the appropriate emphasis accorded to “Wunder-” in the opening text “Mit Staunen sieht das Wunderwerk,” the English text is rendered “The marv’lous work beholds amaz’d.” Mattheson also would have objected to the setting later in this aria, where the correct emphasis in both languages is compromised  ; the sudden peak

27 Charles Burney, The Present State of Music in Germany, the Netherlands and United Provinces (London  : T. Becket  ; J. Robson  ; and G. Robinson, 1775), vol. 2, 159. 28 Temperley, “New Light on the libretto of The Creation,” 189–211. 29 Edward Olleson first pointed this out in “The Origin and Libretto of Haydn’s Creation,” Haydn Yearbook 4 (1968), 156–57.

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Example 2: Haydn, Die Schöpfung, “Mit Staunen sieht das Wunderwerk,”/“The marv’lous work beholds amaz’d,” mm. 5–6, showing difference in emphasis.

Example 3: Haydn, Die Schöpfung, “Mit Staunen sieht das Wunderwerk,”/“The marv’lous work beholds amaz’d,” mm. 29–30, showing undesirable emphasis in both languages.

of the melody on “das” of “das Lob des zweiten Tags” in measures 29 through 30 translates into an emphasis on “and” in “and of the second day,” (Example 3). These departures from what Mattheson called emphasis in his method are less obvious than those departures that have to do with syllabic accent. At measure 25 in “Mit Staunen sieht das Wunderwerk,” the English translation of the correctly accented “der Himmelsbürger frohe Schaar,” is rendered “the glorious hierarchy of heav’n,” due to the durational emphasis on the third beat of the measure (Example 4). Haydn did manage to avoid most of these syllabic mismatches, though, and the carefully crafted prosody of the German text aided in the task of the bilingual setting. Perhaps because of its focus on painting, the aria “Rollend in schäumenden Wellen” is the exception in Die Schöpfung, with many instances of what Mattheson would have considered incorrect syllabic accent. Already in measure 22 the desire to uplift the melody at “bewegt sich,” results in the English “uplifted” (Example 5). This same situation recurs in measure 24 to a different melody. The melodic climax on the German “Gipfel” in measure 43, with three beats of a high F, is perhaps the most obvious of these, bearing the English text “into the” (Example 6). We should take it as instructive, however, that word painting took precedence over the accentual structure of the text in “Rollend in schäumenden Wellen.” The preference for and accommodation of the former of these shows a move away from older

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Example 4: Haydn, Die Schöpfung, “Mit Staunen sieht das Wunderwerk,”/“The marv’lous work beholds amaz’d,” m. 25, showing difference in emphasis.

Example 5: Haydn, Die Schöpfung, “Rollend in schäumenden Wellen”/“Rolling in foaming billows,” m. 22, showing difference in emphasis.

Example 6: Haydn, Die Schöpfung, “Rollend in schäumenden Wellen”/“Rolling in foaming billows,” mm. 43–45, showing difference in emphasis.

views of meter (such as those expressed by Mattheson and associated with rhythmopoeia) and the older conceptions of time that they represented. Appearing alongside new views of time and meter, the publication of Haydn’s unique bilingual edition of

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Die Schöpfung in 1800 provided the impetus for numerous performances in yet other languages that followed shortly thereafter. Fitted to French and Italian by 1801, Die Schöpfung was at the vanguard of changing accentual and temporal conceptualizations in music, just as it was in the center of the debate on the origins of time and space themselves.30

The Tempos of Creation In 1813, an unsigned article in the Leipzig AmZ discussed the problematic relationship of the Italian tempo terms to the correct performing tempos in Haydn’s now very popular Die Schöpfung.31 The author invoked Salieri’s authority on the matter, an individual who not only performed under Haydn but also knew Johann Maelzel personally, and whose endorsement helped to make Maelzel’s metronome a success. No matter the accuracy of Salieri’s metronome indications, they reflect a deeper anxiety about the communication of tempo in the late eighteenth and early nineteenth centuries. As views about the nature of time and space shifted, so too did views on tempo. New technologies and mathematical techniques for more precisely measuring the boundless infinitude of time and space influenced the development of technologies for more precisely measuring the temporal intervals of music. A slow fracturing of meter, character, and tempo simultaneously precipitated and fuelled the drive toward more precision in tempo indication – work that the Italian tempo terms could not longer do on their 30 Temperley, Haydn  : The Creation, 39 and 41. See also A. Peter Brown, Performing Haydn’s The Creation  : Reconstructing the Earliest Renditions (Bloomington  : Indiana University Press, 1986), 2–7. 31 Unsigned Commentary, Leipzig AmZ 15/48, 1 December 1813, cols. 784–88. Although the bibliography on tempo and performance practice in music of this period is rather extensive, work pertinent specifically to the metronome and its development is limited. See in particular Clive Brown, “Historical Performance, Metronome Marks and Tempo in Beethoven’s Symphonies,” Early Music 19 (1991), 247–58  ; and Rudolph Kolisch, “Tempo and Character in Beethoven’s Music,” trans. Arthur Mendel, The Musical Quarterly 29/1–2 (1943), 169–87 and 291–312, reissued in The Musical Quarterly 77/1–2 (1993), 90–131 and 268–342. The only work on the early history of the metronome available today is Rosamond E. M. Harding’s, “The Metronome and it’s Precursors” [sic], The Origins of Musical Time and Expression (Oxford  : Oxford University Press, 1938)  ; subsequently republished as a stand-alone monograph, The Metronome and it’s Precursors [sic] (Oxfordshire  : Gresham Books, 1983)  ; and David Fallows’s Grove articles on the metronome and tempo  : David Fallows, “Metronome,” in Grove Music Online , ed. Laura Macy (16 November, 2008)  ; idem, “Tempo and Expression Marks,” in Grove Music Online , ed. Laura Macy (16 November, 2008)  ; idem, “Tempo giusto,” in Grove Music Online , ed. Laura Macy (16 November, 2008). While scholars such as Brown, Kolisch, and others have concentrated on the content of early metronome markings and their difference from modern performance practices, speculation on the relationship between the development of the metronome and shifting conceptualizations of time and space is notably absent.

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own. Die Schöpfung was, again, at the vanguard of this shift, frequently exemplified, and discussed in the context of these growing concerns. Salieri’s AmZ tempo indications, along with those of Sigismund Neukomm and Gottfried Weber for Die Schöpfung, were, in fact, important constituents in a veritable explosion of writings in German-language music journals on the measurement of tempo.32 This excited exchange took place, roughly, between the years 1813–1817, as the efforts of tempo quantification mirrored those of temporal and spatial measure. That the device Maelzel produced should have met with such success, and had such an impact on our notational practices historically, was probably due much less to the design of the instrument than the pressing need for and increasing public attention given to tempo standardization at the time of its invention. The first announcement of Maelzel’s plan to manufacture such an instrument, published in the Leipzig AmZ, puts itself in line with the articles on tempo measurement already published in the same journal that year  : a short anonymous contribution and a long, multi-part article by Weber, both of which emphatically called for the regulation of and the use of instruments for the indication of tempo.33 The AmZ announcement of Maelzel’s metronome positioned the instrument as the answer to these demands. Indeed, there was something crucially different about the instrument described in this announcement. For the first time, the units with which to indicate tempo were temporal units – minutes – rather than the spatial units that measured lengths of pendulums that were the preferred musical timekeepers before the metronome. Although advances in horological technology had made minutes and seconds fairly universal units in Europe, the standardization of spatial measures was far from such uniformity.34 32 In addition to the article cited above, see these representative articles  : Gottfried Weber, “Noch Einmal ein Wort über den Musikalischen Chronometer oder Taktmesser,” Leipzig AmZ 15/27, 7 July 1813, cols. 441–47  ; idem, “Ueber die Jetzt Bevorstehende Wirkliche Einführung des Taktmessers,” Leipzig AmZ 16, nos. 27–28, 6 and 13 July 1814, cols. 445–49 and 461–65  ; idem, “Über eine Chronometrische Tempobezeichnung, Welche den Mälzel’schen Metronome, so wie Jede Andere Chronometer-Machine Entbehrlich Macht,” Vienna AmZ 1/25, 19 June 1817, cols. 204–09  ; idem, “Mälzl’s Metronome Überall Umsonst zu Haben,” Vienna AmZ 1/37, 11 September 1817, cols. 313–14  ; Franz Sales Kandler, “Rückblicke auf die Chronometer und Herrn Mälzels Neuste Chronometerfabrik in London,” Vienna AmZ 1/5–8, 30 January–20 February 1817, cols. 33–36, 41–43, 49–52, 57–58  ; Nikolaus Zmeskall von Domanovecz, “Tactmesser, zum Praktischen Gebrauch Geeignet,” Vienna AmZ 1/35–36, 28 August and 4 September 1817, cols. 293–300 and 305–08  ; unsigned article, “Andrea Christian Sparrevogns Taktur,” Leipzig AmZ 19/14, 2 April 1817, cols. 233–44  ; unsigned miscellaneous contribution, Leipzig AmZ 19/37, 10 September 1817, cols. 633–36  ; Ignaz Franz von Mosel, “Herrn Johann Mälzels Metronome,” Vienna AmZ 1/48, 27 November 1817, cols. 405–10. 33 This first announcement of Maelzel’s machine was an unsigned message, in the Leipzig AmZ 15/48, 1 December 1813, 784–88  ; it is clear from this message that Maelzel’s conception was, at this time, far from what his final product would be. Weber, “Noch Einmal ein Wort über den Musikalischen Chronometer.” 34 To be clear, the minute as a unit was standard, though the coordination and synchronization of these

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These uneven developments in standardization were inextricably wrapped up with increasing anxieties about the communication of tempo across Europe, and the changing ideologies of temporal and spatial orientation that came with them. As Weber and other proponents of pendulum devices began to understand the impact and scope of Maelzel’s innovation, their focus became less on the relative merits of pendulum devices but more on the ability to communicate tempo – no matter how – in a universal manner. Weber, for his part, became concerned about the availability of Maelzel’s device  : if his tempo indications became standard, how could those without access to his metronome interpret them  ? For this reason, Weber continued to advocate for the use of pendulum devices, which anyone could easily construct in the absence of Maelzel’s machine. He illustrated his point with examples, one of which was the tempo change that occurs in the middle of the duet, “Holde Gattin, dir zu Seite,” from Die Schöpfung. Weber notates the tempo above the musical example in inches – the length of the pendulum that would beat the correct tempo.35

Figure 3: Eight “rhein“ (Rhenish) Inches indicates the pendulum length that will indicate the correct tempo for “Holde Gattin, dir zu Seite,” from Gottfried Weber’s “Über eine Chronometrische Tempobezeichnung, Welche den Mälzel’schen Metronome, so wie Jede Andere Chronometer-Machine Entbehrlich Macht,” V ­ ienna AmZ 1/25, 19 June 1817, col. 206.

The more and more frequent publications on tempo indication made clear, however, that a reliance on spatial measures, or pendulum lengths, was problematic. Weber’s many articles on the matter, published in the Leipzig AmZ, the Vienna AmZ, his own treatises, and in Ersch and Gruber’s vast Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste struggled not only with the growing popularity of the Maelzel metronome indications but also with the diversity of spatial measures in use across Europe at the time. Weber’s publications after 1815 provided conversion tables that served to translate minutes into definitive and standard clock times was yet to come. See David Landes, Revolution in Time (Cambridge, MA  : Belknap, 2000), 97–98. 35 The tempo change occurs at the text “Der Tauende Morgen, O wie ermuntert er  !”

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Figure 4: Weber’s conversion table from Maelzel’s units to pendulum lengths of Rhenish inches and French centimeters, in ­“Mälzl’s Metronome Überall Umsonst zu Haben,” Vienna AmZ 1/37, 11 September 1817, col. 313.

Maelzel metronome indications into pendulum lengths for those without access to the device. These tables gave equivalences for pendulum lengths in Rhenish inches [Zoll], in French centimeters or meters [centimètres or mètres], and English inches. Weber also accounted for the local differences in inches, as the older Parisian inch, the Nuremberg inch and the Rhenish and Vienna inch all differed slightly.36 Several articles by Weber and one by Nikolaus Zmeskall provided graphic comparisons of the differences between these spatial measures.37 Not only did their tables serve to translate temporal measures into spatial measures (Maelzel metronome markings into pendulum lengths) but they also served as points of conversion and comparison between different European measures. In his article for Ersch and Gruber’s Encyclopädie, Weber advanced yet another way to systematize the transmission of tempo. Moreover, for those who cannot make use of markings in inches or might not have such measures immediately at hand, one could print a ruler on the page, rendering the matter of different measurements in Rhenish or Parisian inches, English inches, or French meters 36 It is clear, however, that although Weber wanted to account for these differences, he nevertheless thought of the differences between local inches as rather negligible. Indeed, he also addressed the effect of the pendulum’s weight, of barometric pressure, and of distance from the equator, but discounted all of these as “imperceptible” in the translation to musical tempo. See in particular Weber, Versuch einer geordneten Theorie der Tonsetzkunst (Mainz  : B. Schotts Söhne, 1824), vol. 1, 87. 37 Weber, “Über eine Chronometrische Tempobezeichnung,” col. 209  ; idem, “Mälzl’s Metronome Überall Umsonst zu Haben,” col. 314  ; idem, Versuch einer geordneten Theorie der Tonsetzkunst, 87  ; Zmeskall von Domanovecz, “Tactmesser, zum Praktischen Gebrauch Geeignet,” col. 308. ������������������������������ Here Zmeskall is really reproducing Weber’s argument, and his graphics along with it.

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Roger Mathew Grant

immaterial. Then, compositions could bring with them, wherever they go, their own measure of time, together with the scale of inches employed in its designation.38

Weber’s writings were symptomatic of the period’s concerns about tempo and their imbrications within the project of mapping and measuring the world. Music, in this process, became a nexus for systematicity and standardization in measurement  ; Weber’s article on musical timekeepers in Ersch and Gruber’s Encyclopädie became the place to turn in those volumes in order to compare local measures. His Versuch, too, was the book on one’s household bookshelf that contained such comparisons. As concerns about the communication Figure 5: Weber’s conversion table from Maelzel’s of tempo increased, so too did concerns units to pendulum lengths of Rhenish inches, French about the nature and measurement of meters, and English inches, in his article “Chronomtime and space. In Weber’s ideal world, eter,” in Ersch and Gruber’s Encyclopädie, vol. 21, 207. for instance, music would have been the vehicle through which spatial units became standard, each composition carrying along with it a standard of measure. Even though the practice of printing rulers on compositions never took hold, as he might have liked, Die Schöpfung was not far from Weber’s ideal in certain respects. Although the work itself was not a nexus for systematicity or standard, it was a nexus of a different sort. Haydn’s celebrated work stood at a crossroads of spatial and temporal conceptualizations writ large. As new, hotly-debated views on the origins of time and space emerged, so too did new views on musical meter and the measurement of musical time in tempo. Die Schöpfung was uniquely positioned in the center of all of these 38 “Zum Überfluß könte [sic] man für diejenigen, welche vielleicht das gebrauchte Zollmaß nicht kennen, oder es nicht gleich bei der Hand haben, einen Zollstab dabei mit abdrucken lassen. Alsdann ist es sogar ganz gleichgiltig, ob man rheinische, oder Pariser Zolle, engländische Inchs, französische Mètres, oder was sonst für ein Maß gebrauchen will  : denn ein also bezeichnetes Tonstück bringt, überall, wohin ein Exemplar davon gelangt, seinen Taktmesser samt dem Zollmaße dazu gleich selber mit.” Weber, “Chronometer,” Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste, eds. Johann Samuel Ersch and Johann Gottfried Gruber (Leipzig  : J. F. Gleditsch, 1813–89), vol. 21, 207. This translation is my own.

Situating Time in Haydn’s Die Schöpfung

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Figures 6 and 7: Graphic comparison of spatial measures in Weber’s article “Über eine Chronometrische ­Tempobezeichnung,” Vienna AmZ 1/25, 19 June, col. 209  ; and Zmeskall’s article, “Tactmesser, zum Praktischen Gebrauch Geeignet,” Vienna AmZ 1/35–36, 28 August and 4 September 1817, col. 308, respectively.

conversations  : audaciously depicting the creation of time and space, departing from older views of rhythm and meter, and appearing everywhere in remarks on the standardization of tempo. Haydn’s acclaimed oratorio literally performed the tensions in temporal and spatial theories of the day for those who would listen.

VI Markus Rathey

HAYDNS ENTDECKUNG (UND ZERSTÖRUNG) DER LANGSAMKEIT Zyklizität und Zeitstrukturen in den Sieben letzten Worten

I. Entstehungsbedingungen Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze ist ein außergewöhnliches Beispiel für Joseph Haydns Verwendung und Manipulation von Zeitstrukturen innerhalb eines musikalischen Zyklus. Wie kaum eine andere Komposition Haydns sind die Sieben Worte durch vielfache temporale Faktoren charakterisiert. Dies zeigt sich bereits in der Genesis des Zyklus, der in der Mitte der 1780er-Jahre im Auftrag eines Domherrn von Cadiz in Spanien zunächst in einer Fassung für Orchester entstanden ist und vom Komponisten wenig später für Streichquartett bearbeitet wurde  ;1 eine weitere Fassung für Chor, Solisten und Orchester schloss sich 1795/96 an. In der Vorrede dieser 1801 publizierten Oratorienfassung beschreibt Haydn die Entstehungsbedingungen der Erstfassung  : „Die Aufgabe, sieben Adagios, wovon jedes gegen zehn Minuten dauern sollte, aufeinander folgen zu lassen, ohne den Zuhörer zu ermüden, war keine von den leichtesten.“2 Vorgegeben waren sowohl der Zeitrahmen, „gegen zehn Minuten“, als auch das generelle Tempo, „Adagio“. Beide Angaben sind mit einer gewissen Vorsicht zu interpretieren. Zum einen wird der Begriff „Adagio“ hier in einem sehr allgemeinen Sinne, als Bezeichnung eines langsamen Satzes gebraucht  ; es ist zwar nicht auszuschließen, dass der ursprüngliche Kompositionsauftrag tatsächlich nach Adagios fragte, die fertige Komposition enthält jedoch nur zwei ausgewiesene Adagio-Sätze  ; darüber hinaus überschreibt Haydn weitere drei Sätze mit „Largo“, zwei mit „Grave“, einen mit „Lento“  ; das Finale ist zudem als „Presto“ ausgewiesen. Es wird sich später zeigen, dass diese Differenzierungen für die Anlage des Zyklus als Ganzen signifikant sind. 1 1787 erschienen bei Artaria in Wien insgesamt drei Fassungen des Werkes  : die ursprüngliche Version für Orchester, die Streichquartettfassung sowie eine Fassung für Klavier, die zwar nicht von Haydn selbst angefertigt, von ihm jedoch nachweislich durchgesehen und korrigiert wurde  ; siehe dazu Jonathan D. Drury, Haydn’s Seven Last Words  : An Historical and Critical Study (Dissertation University of Illinois at UrbanaChampaign 1975), 305–12. 2 Zitiert nach Joseph Haydn, Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze. Orchesterfassung (1785) (Joseph Haydn Werke, Reihe IV), hg. von Hubert Unverricht (München/Duisburg  : G. Henle, 1959), vii.

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Ein zweiter Punkt, in dem Haydns Zitat sich als möglicherweise unpräzise erweist, ist die Länge der einzelnen Sätze. Während er hier von etwa 10 Minuten spricht, heißt es in einem Brief vom April 1787 an den Verleger William Forster  : ein ganz neues werck. bestehend in blosser Instrumental Music abgetheilt in 7 Sonaten, wovon jede Sonate 7 bis 8 Minuten dauert, nebst einer vorhergehenden Introduction, zuletzt ein Terremoto, oder Erdbeben […] das ganze Werck dauert etwas über eine stunde […]3

Es wäre falsch, zu viel in diese Abweichungen zwischen den Zeitangaben Haydns zu interpretieren. Es ging ihm kaum um eine akkurate Beschreibung des Werks (oder gar um eine exakte Aufführungsanweisung). Wichtiger für unsere Problemstellung ist vielmehr, dass der Komponist in beiden Fällen temporale Kategorien heranzieht, um das Werk zu charakterisieren. In der Vorrede zur Oratorienfassung beschreibt Haydn überdies die Umstände der Erstaufführung der Sieben Worte in der Grottenkirche von Santa Cueva zu Cadiz  : Die Wände, Fenster und Pfeiler der Kirche waren nehmlich mit schwarzem Tuche überzogen, und nur eine, in der Mitte hängende große Lampe erleuchtete das heilige Dunkel. Zur Mittagsstunde wurden alle Thüren geschlossen  ; jetzt began die Musik. Nach einem zweckmäßigen Vorspiele bestieg der Bischof die Kanzel, sprach eines der sieben Worte aus, und stellte eine Betrachtung darüber an. So wie er geendigt war, stieg er von der Kanzel herab, und fiel knieend vor dem Altare nieder. Diese Pause wurde von der Musik ausgefüllt. Der Bischof betrat und verlies zum zweyten, drittenmale u.s.w. die Kanzel, und jedesmal fiel das Orchester nach dem Schlusse der Rede wieder ein.4

Die Aufführung der Sieben Worte hatte sich dem temporalen Rhythmus eines liturgischen Rituals unterzuordnen und wurde dadurch selbst Teil des Rituals. Die Abfolge der Sätze war durch längere Pausen unterbrochen. Dies ist nicht ungewöhnlich für liturgische Musik – dasselbe gilt für jede Messkomposition der Zeit – allerdings ist die Art dieser Unterbrechungen ebenso singulär wie die anderen temporalen Parameter des Werks.5 Dass diese Unterbrechungen zwischen den Sätzen nicht nur ein zufälliger 3 Zitiert nach  : ibid., 8–9. 4 Theodor Göllner, „Die Sieben Worte am Kreuz“ bei Schütz und Haydn (Abhandlungen Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, N.F. 93), (München 1987), 38, Anm. 64. 5 Haydns Zyklus und seine liturgische Verortung weisen eine gewisse Nähe zur Tradition von Karfreitagsandachten auf, der „tres horas“, die, ursprünglich in Peru entstanden, ab der Mitte des 18. Jahrhunderts durch jesuitische Missionare nach Europa gebracht wurden, siehe Magda Marx-Weber, „,Musiche per le tre ore si agonia di N.S.G.C.‘ – Eine italienische Karfreitagsandacht im späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts“, dies., Liturgie und Andacht. Studien zur geistlichen Musik (Beiträge zur Geschichte der Kirchenmusik 7  ; Pader-

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Umstand der Erstaufführung, sondern als konstitutiv für das Werk anzusehen sind, belegt wiederum Haydns Brief an Forster von 1787  : „[…] das ganze werck dauert etwas über eine stunde. es wird aber nach jeder Sonate etwas abgesetzt, damit man voraus den darauf folgenden Text überlegen köne.“6 In der Liturgie in Cadiz wie auch in der „säkularisierten“ Streichquartettfassung wird die Pause funktional gefüllt  ; damit jedoch ist die Pause, die temporale wie klangliche Unterbrechung des performativen Aktes, in beiden Fällen mehr als nur eine aufführungspraktische Notwendigkeit, sondern sie gehört zum Werk selbst. Die Inszenierung der Aufführung in Cadiz (und die Narration derselben in der Vorrede der Oratorienfassung, die damit paratextuell7 zum Werk selbst gehört) bediente das zeitgenössische ästhetische Ideal geistlicher Musik (oder geistlicher Handlungen im Allgemeinen)  : das langsame Tempo, die Verdunklung des Raumes, die andächtige Stimmung. Wir finden eine ähnliche Beschreibung in dem Bericht eines unbekannten Verfassers aus dem Jahre 1782, in dem er eine Aufführung von Gregorio Allegris Miserere in der Sixtinischen Kapelle beschreibt  : […] Darauf folgt der Psalm Miserere […] In Absicht auf Ausführung dieses Stückes verdient bemerkt zu werden, 1) die außerordentlich reine Intonation  ; 2) die Delicatesse der Stimmen  ; 3) das unnachahmliche Crescendo  ; 4) das beynahe durchgehends herrschende pianissimo  ; 5) Das Tempo, welches Largissimo ist  ; 6) die erstaunliche Höhe, indem fast alles in der zweygestrichenen Oktave liegt. […] Aus den angeführten Umständen werden Sie nun leicht schließen können, woher es komme, daß dieses Stück auf alle Menschen, die es hören, so sehr wirke. Denken Sie sich noch einige Nebenumstände hinzu, z.B. daß die Gattung natürlicherweise an sich schon sehr traurig ist  ; daß sie in der päbstlichen ganz schwarz behängten Kapelle aufgeführt wird  ; daß dabey jedermann auf den Knien liegt  ; daß die Aufführung Abends um 7 Uhr geschieht, und alle Lichter dabey ausgelöscht werden.8

Es ist in diesem Zusammenhang weniger von Bedeutung, dass sowohl die verwendete Musik als auch die Verdunklung und das langsame Tempo zu den gängigen rituellen Vollzügen einer Karfreitagsandacht in der katholischen Tradition gehörte, sondern signifikant ist vielmehr der ästhetische Wert, den der Autor der Beschreibung dem born [u.a.]  : F. Schöningh, 1999), 119–147, zur Geschichte der Gattung v. a. 121–22  ; allerdings stammt der früheste europäische Druck des Andachtsbuchs aus dem Jahr 1786 und ist damit etwa zur gleichen Zeit entstanden wie Haydns Sieben Worte, so dass ein direkter Einfluss durch dieser Tradition nicht zu belegen ist. 6 Haydn (wie Anm. 2), Kritischer Bericht, 9. 7 Siehe Gérard Genette, Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches (Frankfurt/M.  : Suhrkamp, 2001). 8 Abgedruckt in  : Johann Nikolaus Forkel (Hg.), Musikalischer Almanach für Deutschland auf das Jahr 1782 (Leipzig  : Schwickert, o.J.), 123 ff.

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Markus Rathey

Geschehen beimisst. Dass es hier weniger um den Ritus als solchen ging als um dessen ästhetische und emotionale Wirkung, belegt ein weiterer Bericht über die Karfreitagsfeierlichkeiten in Rom, abgedruckt 1784 im Almanach von Karl Ludwig Junker  ; er schlägt vor, den performativen Kontext des Miserere (sprich, die Verdunkelung etc.) für die Aufführung deutscher Passionsoratorien zu übernehmen.9 Sowohl die Aufführungsumstände der Sieben Worte, auf die Haydn im Vorwort der Oratorienfassung nochmals hinweist, als auch die Aufführungsvorschläge in Haydns Brief an Forster entsprachen somit einem ästhetischen Ideal der Zeit. Durch den Druck der Sieben Worte wird der Zyklus letztlich abgekoppelt von seinem liturgischen Ursprung  ; damit bleibt das in der Komposition sich manifestierende Ideal geistlicher Musik die ästhetische Folie, vor der das Werk zu verstehen ist. Wir werden später sehen, dass auch das langsame Tempo, das sowohl die Miserere-Aufführungen in Rom als auch Haydns Sieben Worte auszeichnet, mit zu dem hier beschworenen ästhetischen Ideal gehört.

II. Zyklus und Einzelsatz Aus Haydns Ausführungen geht ebenfalls hervor, dass es sich bei den Sieben Worten um eine Folge von langsamen Einzelsätzen handelt, die durch ihren funktionalen und performativen Kontext zusammengehören. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Frage, wie sich Zeitkonzeption und Zyklizität zueinander verhalten. Dabei sind nicht nur Haydns Tempoangaben von Bedeutung, sondern auch der Zeitverlauf (und das Zeitverständnis) als solcher, was auch andere Parameter der Komposition (wie etwa die Makrostruktur oder das Tonartenverhältnis, welches in seiner Zielgerichtetheit ebenfalls das temporale Konzept tangiert) mit einschließt. Es ist zudem zu fragen, inwieweit es sich bei Haydns Sieben Worten überhaupt um ein geschlossenes Werk handelt, oder nicht vielmehr um eine Sammlung von Einzelsätzen, die zwar durch ihre gemeinsame Textquelle (also auf narrativer Ebene), nicht jedoch musikalisch zusammengehörig sind. Theodor Göllner hatte sich in seiner einflussreichen Studie zu den Sieben letzten Worten Jesu am Kreuz bei Schütz und Haydn entschieden gegen eine zyklische Anlage ausgesprochen  : Es wäre jedoch abwegig, in der Folge der sieben Sonaten und ihrer Rahmensätze einen einheitlichen Zyklus mit einem übergeordneten Kompositionsplan zu suchen. Auch wenn die ‚Sieben Worte‘ schon gleich nach ihrer Entstehung losgelöst von ihrer liturgischen 9 Siehe Karl Ludwig Junker (Hg.), Musikalischer Almanach auf das Jahr 1784 (Freyburg 1784), 104  ; vergleiche dazu auch Jürgen Heidrich, Protestantische Kirchenmusikanschauung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Abhandlungen zur Musikgeschichte 7), (Göttingen 2001), 41–42.

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Umgebung als reine Instrumentalkomposition neben Sinfonie und Streichquartett ihren Aufführungsplatz behaupteten, sind sie nicht wie diese als geschlossenes Werk mit normierter Satzfolge konzipiert worden.10

Und Göllner fährt in der Fußnote fort  : „Daß Haydn selbst die Geschlossenheit des Werkes nicht für wesentlich hielt, geht auch daraus hervor, daß er die Streichquartettfassung als lose Folge von einzelnen Quartetten mit eigenen Werknummern (Nr. 50–56) verstand.“11 Göllners negativer Befund ist verständlich vor dem Hintergrund des interpretatorischen Ansatzes seiner Studie zu den Sieben Worten, der, in der Nachfolge von Thrasybulos Georgiades, den Sprachcharakter der beiden verglichenen Vertonungen der Sieben Worte betont. Der Mangel an zyklischer Kohärenz ermöglichte es ihm, Haydns Komposition ausschließlich als Sprachvertonung zu verstehen, die nur dem Sprachduktus und dem narrativen Verlauf des zugrunde liegenden Bibeltextes folgt. Nur so war es ihm letzthin möglich, zwei zeitlich disparate Werke wie Haydns und Schütz’ Vertonungen einer komparativen Analyse zu unterziehen. Göllners These der ‚Wortgezeugtheit‘ der Sieben Worte ist nicht gänzlich unbegründet. Haydn hatte selbst im Stimmendruck von 1787 der ersten Violine den Text des jeweiligen Jesuswortes unterlegt und damit deutlich gemacht, dass die Gestalt des Themas direkt aus dem Rhythmus und Charakter des Textes abgeleitet ist12  ; auch die wenigen erhaltenen Skizzen zu den Sieben Worten legen nahe, dass Haydn bei der Konzeption der Themen vom Wortakzent ausgegangen ist.13 Dennoch sind auch Zweifel an Göllners These anzumelden. Zum einen bilden Sprachhaftigkeit und zyklische Anlage (wie auch immer diese dann im Einzelnen gestaltet ist) nicht notwendigerweise einen unüberbrückbaren Gegensatz  ; und zum anderen wäre es überraschend, wenn ein Komponist, der an der Vorfront struktureller Innovation stand, in einem Werk wie den Sieben Worten gänzlich auf eine den Einzelsatz überspannende Ordnung verzichtet hätte. Zwei weitere Argumente können überdies gegen Göllners Annahme ins Feld geführt werden. Das eine Argument ist der zuvor zitierte Brief Haydns an den Verleger Forster. Der Komponist legt recht genau dar, wie das Werk als Ganzes auszuführen ist  ; wären die Sieben Worte als lose Reihung angelegt, so wäre eine solche Angabe überflüssig gewesen (ganz zu schweigen von Haydns sehr genauen Vorstellungen, was bei dem Übergang von einem zum nächsten Satz zu tun ist). – Es ist auffällig, dass Göllner den

10 Göllner, „Die Sieben Worte am Kreuz“, 39. 11 Göllner, „Die Sieben Worte am Kreuz“, 39, Anm. 65. 12 Vgl. etwa Drury, Haydn’s Seven Last Words, 86  ; siehe auch das Faksimile der Violinstimme des ersten „Wortes“ bei Drury, 239. 13 Haydn, Die sieben letzten Worte. Kritischer Bericht, 10.

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Brief an Forster nur in Auszügen zitiert14, die ein zyklisches Verständnis stützenden Passagen aber übergeht. Zudem verkennt Göllner die Sorgfalt und die Planung, mit der Haydn seine Druckausgaben zusammengestellt hat. Bereits László Somfay hat 1980 in seinem Aufsatz „Opus-Planung und Neuerung bei Haydn“ darauf hingewiesen, dass Haydn die Zusammenstellung und Ordnung der einzelnen Werke eines Opus keineswegs dem Zufall überlassen hat.15 Und Elaine Sisman hat dieses Konzept jüngst in ihrem Aufsatz zum Opus-Konzept im 18. Jahrhundert bekräftigt und deutlich gemacht, dass der Anordnung der Einzelwerke im gedruckten Opus selbst eine kommunikative Funktion zukommt, die sie als „Tertiary rhetoric“ bezeichnet.16 Wenn also die Sätze in der Erstausgabe der Streichquartettfassung einzeln durchnummeriert sind, so bedeutet dies für Haydn keineswegs, dass sie nicht doch aufeinander bezogen wären.

III. Tonale Strukturen im Zyklus Das Beziehungsgeflecht, in dem die einzelnen Teile der Sieben Worte stehen, ist äußerst eng und basiert sowohl auf Temporelationen als auch auf Tonalität und Takt. Im Überblick gestaltet sich die Anlage der Komposition wie folgt  : 1. Introduzione

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9. Terremoto

I

II

III

IV

V

VI

VII

Pater, dimitte

Hodie mecum

Mulier, ecce

Deus meus

Sitio

Consummatum

In manus tuas

Maestoso ed Adagio

Largo

Grave e Cantabile

Grave

Largo

Adagio

Lento

Largo

Presto e con tutta la forza

d

B

c→C

E

f

A

g→G

Es

c



3/4





3/4





3/4

3/4

14 Göllner, „Die Sieben Worte am Kreuz“, 41, Anm. 69. 15 László Somfay, „Opus-Plaung und Neuerung bei Haydn“, Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 22 (1980), 87–110. 16 Elaine Sisman, „Six of One  : The Opus Concept in the Eighteenth Century“, The Century of Bach and Mozart. Perspectives on Historiography, Composition, Theory, and Performance, ed. by Sean Gallagher and Thomas Forrest Kelly (Isham Library Papers 7 / Harvard Publications in Music 22), (Cambridge/Mass.  : Cambridge University Press, 2008), 90  : „Tertiary rhetoric, then, is an intertextual rhetoric in which pieces converse with each other and with the performers und listeners who make those connections. The composer has provided the work with subjects, topics, and modes of interaction, but new meanings can arise from the agency of those subjects.“

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Die Vertonung der sieben Worte wird gerahmt durch eine Introduktion („Maestoso ed Adagio“) und das abschließende Erdbeben „Terremoto“ („Presto e con tutta la forza“). Zwischen diesen beiden Rahmensätzen reihen sich sieben Sonaten, die jeweils eines der sieben Worte Jesu am Kreuz musikalisch ausdeuten. Jeder der Sätze weist eine zweiteilige Sonatenform auf, die jedoch im Einzelfall jeweils sehr unterschiedlich ausgeführt ist. Die tonartliche Anordnung ist regelmäßig. Wenngleich ein tonaler Bezugspunkt zu fehlen scheint – das Werk endet in einer anderen Tonart, als es begonnen hat, und auch sonst ist keine Tonart als dominant auszumachen –, so folgt die Reihung der Sonaten doch einem klaren Prinzip  : Es wechseln sich regelmäßig Sätze in Dur und Moll ab. Zudem alterniert Haydn zwischen Terz- und Sekundabständen  : Dem ersten Satz in d-Moll folgt eine Terz tiefer der zweite in B-Dur, dann eine Sekunde höher ein Satz in c-Moll, dann wiederum im Terzabstand E-Dur und so fort. Solche Terzfolgen sind nicht ungewöhnlich in Haydns Œuvre (oder auch bei Mozart).17 Bemerkenswert ist nicht das Faktum an sich, sondern vielmehr die konsequente Verfolgung des Prinzips und seine Funktion. Die einzige Ausnahme von dem Schema ist der letzte Satz, der „Terremoto“, der entgegen der Regel die Terzprogression fortsetzt, statt von seinem Vorgänger durch einen zu erwartenden Sekundschritt abgesetzt zu sein. Der Schlusssatz nimmt noch in einer weiteren Hinsicht eine Sonderstellung ein, da er der einzige ist, der in einem engeren funktionsharmonischen Zusammenhang zu seinem Vorgänger steht, wofern cMoll als Moll-Parallele zu Es-Dur begriffen wird. In den vorangegangenen Terzpaaren hatte Haydn bewusst solche gewählt, bei denen es sich nicht um Dur-Moll-Parallelen handelte. Haydn erreicht damit einen Grad von Regelmäßigkeit in den Sätzen 1–8, ohne zugleich eine teleologische harmonische Kohärenz zu suggerieren. Diese ist nur zwischen den beiden letzten Sätzen gegeben. Und sie ist gerechtfertigt dadurch, dass sie, nach Haydns Angaben in den Stimmen, „Attacca subito“ zu spielen sind. Die von Haydn im Brief an Forster geforderte Pause zwischen den Sätzen entfällt also hier. Zwei weitere Sonaten stehen aus der regelmäßigen Abfolge heraus, indem sie nicht in ihrer Anfangstonart verbleiben, sondern in ihrer zweiten Hälfte von Moll in die gleichnamige Dur-Tonart wechseln. Es sind dies die Sätze drei und sieben, also die Vertonungen der Jesusworte Nummer zwei („Hodie mecum“) und sechs („Consummatum“). Es bleiben somit nur drei Sätze im Zyklus, die nicht in Dur enden, und zwar neben den beiden Rahmensätzen die Vertonung des vierten Jesuswortes, „Deus meus, ut quid derelinquisti me  ?“ („Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen  ?“). Die scheinbare Statik des Zyklus wird somit dadurch relativiert, dass eine eindeutige Tendenz hin zur Dur-Tonalität zu beobachten ist. Wir werden später bei der Analyse der Zeitkonzeption der Sieben Worte sehen, dass die beiden Sätze Nr. 3 und 7 innerhalb der temporalen Struktur noch eine weitere Aufgabe erfüllen. 17 Vgl. etwa ibid., 92–96.

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Notenbeispiel 1  : Haydn, Sieben Worte (Klavierfassung), Sonata II, T. 1–23 und 78–82

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Haydn hat seinen Sieben Worten jedoch keineswegs nur ein simples Schema der Tonartenabfolge (Terz-Sekund-Terz etc.) zugrunde gelegt. Wenngleich ein Komponist im Prinzip frei in der Wahl der Tonarten war, so existierte doch im 18. Jahrhundert ein System der Tonartensemantik, das verschiedene Tonarten mit mehr oder weniger eindeutigen Bedeutungen belegte. Dieses System beerbte zum Teil die Tonartencharakteristik modaler Vorbilder, zum Teil ging es jedoch auch, wie etwa Wolfgang Auhagen gezeigt hat, neue Wege.18 Theoretiker wie Johann Mattheson und Jean-Philippe Rameau entwickelten umfassende semantische Systeme, in denen jeder Dur- und MollTonart eine individuelle Charakteristik zugewiesen wurde. Die Theoretiker stimmen nicht immer in ihrer Charakterisierung der Tonarten überein, jedoch gibt es auch zahlreiche Überschneidungen, die darauf schließen lassen, dass es im Falle einiger Tonarten tatsächlich einen Konsens (oder doch zumindest eine etablierte Konvention) gegeben hat. Auhagen hat in seiner umfassenden Studie zur Tonartencharakteristik denn auch beobachtet, dass Haydn häufiger Tonarten gemäß dieser traditionellen Symbolik verwendet.19 Dies gilt – in gewissem Umfang – auch für die Sieben Worte, wie schon Jonathan Drury Mitte der 1970er Jahre in seiner Dissertation zu diesem Zyklus herausgestellt hat.20 Der erste Satz („Introduzione“) steht in d-Moll, das Rousseau (1691) als „serieux“ beschreibt, Mattheson (1713) als „devot, ruhig, groß“, während Grétry (1797) es als „melancholique“ charakterisiert.21 Der zweite Satz, „Pater dimitte illis“ („Vater vergib ihnen“) steht in B-Dur  ; Mattheson charakterisiert die Tonart als „divertissant, prächtig, modest“, während Abbé Vogler sie 1779, damit zeitlich näher zu Haydns Komposition, als Tonart der Dämmerung bezeichnet.22 „Hodie mecum eris in Paradiso“ („Heute wirst du mit mir im Paradies sein“) wurde von Haydn in c-Moll vertont, das sich in der zweiten Hälfte des Satzes nach C-Dur aufhellt. Mattheson bezeichnet die erstere Tonart als „trist“, während das spätere C-Dur gemeinhin als Tonart des Lichts und der Reinheit nicht nur von Zeitgenossen beschrieben, sondern in dieser Funktion auch von Haydn selbst in der Schöpfung verwendet wird.23

18 Wolfgang Auhagen, Studien zur Tonartencharakteristik in theoretischen Schriften und Kompositionen vom späten 17. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXXVI  : Musikwissenschaft 6), (Frankfurt/M. u.a.  : P. Lang, 1983)  ; vergleiche auch das zeitgleich erschienene englischsprachige Pendant  : Rita Steblin, A History of Key Characteristics in the Eighteenth and Early Nineteenth Centuries (Studies in Musicology 67), (Ann Arbor  : UMI Research Press, 1983). 19 Auhagen, Tonartencharakteristik, 267–70. Zu einem ähnlichen Befund kam auch bereits Anke Riedel-Martiny, „Das Verhältnis von Text und Musik in Haydns Oratorien“, Haydn-Studien I/4 (München/Duisburg  : G. Henle, 1967), 205 ff. 20 Drury (Anm. 1), Haydn’s Seven Last Words, 82–84. 21 Auhagen, Tonartencharakteristik, 471–473. 22 Ibid., 466–67. 23 Ibid., 268.

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Überraschend mag Haydns Verwendung von E-Dur in der dritten Sonate sein, der der Text zugrunde liegt  : „Ecce mulier filius tuus“ („Siehe, Weib, das ist dein Sohn“). Vor dem Hintergrund der Tonartencharakteristik wird jedoch auch diese Wahl verständlich  : Nach Mattheson war E-Dur keineswegs die strahlende Tonart, als die wir sie heute hören mögen, sondern verströmte „tödliche Traurigkeit“ und war geeignet für „extrem verliebte hoffnungslose Sachen“.24 Und Trauer und Liebe sind die beiden Emotionen, um die es gerade bei diesem Wort geht, in dem der sterbende Jesus seine Mutter und, wie das Johannes-Evangelium ihn nennt, den Jünger, den Jesus liebte, einander anbefiehlt.25 Die vierte Sonate, „Deus meus ut dereliquisti me  ?“ („Mein Gott, warum hast du mich verlassen ?“) steht in f-Moll. Es ist die einzige Sonate, die sich nicht nach Dur aufhellt. Die Tonart f-Moll wird folgendermaßen charakterisiert  : „sujets lamentables“ (Rousseau, 1691), „Verzweiflung, tödliche Herzensangst, Melancholie, Grauen“ (Mattheson, 1713).26 Es folgen später „Mich dürstet“ in A-Dur („Greift sehr an, klagende und traurige Passionen“, Mattheson), „Es ist vollbracht“ in g-Moll, sich später nach G-Dur aufhellend („ziemliche Ernsthaftigkeit, muntere Lieblichkeit, Anmuth“, Mattheson27), und schließlich „In deine Hände befehle ich meinen Geist“ in Es-Dur, das Mattheson als „pathetisch, ernsthaft und paintiv“ charakterisiert. Auhagen hat überdies anhand von Haydns Liedern mit Klavierbegleitung zeigen können, dass der Komponist diese Tonart häufig „zum Ausdruck der Verzweiflung, Resignation verwendet“.28 – Dass das Werk schließlich mit dem Erdbeben in c-Moll, der „ChaosTonart“ der späteren Schöpfung, endet, bedarf keiner Erklärung.29 Bei aller systematischen Inkonsistenz der Tonartensymbolik des 18. Jahrhunderts ist der Befund unserer knappen Durchsicht der Tonarten in den Sieben Worten doch recht eindeutig  : Haydn scheint bei der Wahl der Tonarten tatsächlich die zeitgenössische Tonartencharakteristik in Blick gehabt zu haben (wenngleich er kaum sklavisch einem theoretischen System folgt). In keinem Fall widerspricht der Affekt des Satzes der zeitgenössischen Sicht der vom Komponisten gewählten Tonart, in einigen Fällen (etwa 24 Ibid., 466. 25 Siehe dazu Joh. 19,27. 26 Auhagen, Tonartencharakteristik, 471  ; vergleiche auch Drury, Haydn’s Seven Last Words, 82. 27 Siehe Auhagen, Tonartencharakteristik, 471. 28 Auhagen, Tonartencharakteristik, 269. 29 Eine weitere Parallele, die das Haydn’sche Erdbeben in einen größeren motivgeschichtlichen Kontext rückt, ist das Oratorium Die Schöpfung von Benedict Kraus (vor 1790). Es beginnt mit einer in c-Moll stehenden „Introduktion“, die nicht nur den chaotischen Zustand vor dem göttlichen Schöpfungswerk darstellt, sondern dieses Chaos mit „Streichertremolos, Paukenwirbel, Läufe[n] verminderten Septakkorde[n], Unisoni und plötzlichen Abwechslungen von Forte und Piano“ musikalisch malt. Die Introduktion ähnelt damit, wie Georg Feder bereits erwähnt hat, der Darstellung des Erdbebens in Haydns Sieben Worten, siehe Feder, „Eine ,Schöpfung‘ vor Haydn“, Musikalische Quellen – Quellen zur Musikgeschichte. Festschrift für Martin Stähelin, hg. von Ulrich Konrad (Göttingen  : Vandenhoeck & Ruprecht, 2002), 329–44, hier 339.

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in der f-Moll Sonate) ist die Korrespondenz zwischen tonartlicher Semantik und Text sogar ausgesprochen eng. Aus diesen knappen Beobachtungen (die im Einzelfall noch zu erweitern und präzisieren wären) ergibt sich jedoch ein methodologisches Problem  : Wenn Haydn die Tonarten der Sieben Worte aufgrund des ihnen in der zeitgenössischen Theorie (wie Praxis) beigemessenen Affektgehalts ausgewählt hat, wie konstitutiv sind dann das Tonartenschema mit der Abfolge von Moll und Dur und die abwechselnde Verwendung von Terz- und Sekundabständen  ? Es ist einschränkend festzuhalten, dass das von Haydn gewählte Schema sehr flexibel ist. Von d-Moll am Anfang konnte er nach B-Dur oder H-Dur fortschreiten, oder auch nach F-Dur oder Fis-Dur. Von vier Möglichkeiten konnte er die am besten passende auswählen. Von B-Dur im zweiten Satz konnte er im Sekundabstand nach a, as, h, c, cis fortschreiten. Auch hier blieben wiederum mehrere Möglichkeiten zur Auswahl. Die scheinbare Kluft zwischen Tonartencharakteristik und Tonartenschema war also relativ leicht zu überbrücken. Hinzu kommt, dass die Charakteristik der Tonarten zum Teil recht unspezifisch war und für einen Affekt zumeist mehrere Tonarten zur Verfügung standen. Am engsten ist die Verbindung von zugrunde liegendem Text und Affekt bei Sonate Nr. IV, der dunklen Tonart f-Moll, sowie in der Wahl von c-Moll im abschließenden Erdbeben. f-Moll wird etwa auch bei Bach gern zur Darstellung des Todes verwendet, und beschreibt in der Sonate „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ den Moment größter Gottesferne. Hier hätte sich nur schwer eine andere Tonart finden lassen, die besser geeignet gewesen wäre, um den Affekt abzubilden. Der Effekt der Tonart wird überdies noch dadurch verstärkt, dass dies die einzige der Sonaten ist, die im Bereich der Moll-Tonalität verbleibt. Es ist daher anzunehmen, dass Haydn den Tonartenplan der Sieben Worte von dieser Sonate ausgehend entworfen hat. Nicht nur strukturell (insofern als er in der Mitte des Zyklus steht), sondern auch auf tonaler Ebene ist somit dieser Satz als das Zentrum des Zyklus zu betrachten, auf den alles hinzielt, und von dem sich dann alles Weitere fortbewegt. Zielpunkt dieser Bewegung wäre dann das abschließende Erdbeben, dessen Tonart c-Moll als Darstellung des Chaotischen ebenfalls (zumindest für Haydn) relativ klar determiniert ist. Auf tonartlicher Ebene ergeben sich damit zwei Fixpunkte in Haydns Zyklus  : zum einen das Zentrum in der vierten Sonate und zum anderen der Zielpunkt im Schlusssatz.

IV. Syntaktische und semantische Funktionen der Tempogestaltung Haydn realisiert die Sieben Worte in einer Sequenz von sieben langsamen Sätzen, gerahmt von einem weiteren langsamen Satz zu Beginn und einem presto-Satz zum Abschluss. Haydns Wahl der Tempi scheint hinreichend aus dem Kompositionsauftrag

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Notenbeispiel 2  : Haydn, Sieben Worte (Orchesterfassung), Sonata I, T. 1–13.

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sowie aus dem Inhalt und Charakter der zugrunde liegenden biblischen Texte legitimiert zu sein. Jedoch ließen diese Parameter ein breites Spektrum an Optionen zu, das Haydn vielfältig ausschöpft. Es erscheint daher geboten, über die engere Musik-TextKorrespondenz hinauszugehen und nach dem weiteren Einflusshorizont zu fragen. Zuvor soll jedoch zunächst die strukturelle Funktion der langsamen Sätze im Zyklus dargestellt werden. So wie die Tonarten der Sieben Worten einem klaren (jedoch zugleich flexiblen) Ordnungsprinzip unterworfen waren, so ist bei der Abfolge der Tempi ebenfalls eine deutliche Regelmäßigkeit auszumachen. Über den Zyklus verteilt komponiert Haydn drei als „Largo“ bezeichnete Sätze, die an zweiter, fünfter und achter Stelle erscheinen. „Largo“ bezeichnet nach zeitgenössischen Theoretikern, wie etwa Koch30, das langsamste Tempo, während „Adagio“ und auch „Lento“ etwas schneller auszuführen sind.31 Alle drei Largo-Sätze stehen im Dreiertakt, eine Taktart, die Haydn hier sonst nur im abschließenden Terremoto verwendet. Den drei Largo-Sätzen kommt zudem eine gewisse ordnende Funktion zu, sofern sie als Mittelsatz und jeweils zweiter und vorletzter Satz dem ganzen Zyklus eine symmetrische Orientierung verleihen. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass der mittlere der drei ordnenden LargoSätze der als semantisch-tonales Zentrum fungierende f-Moll Satz ist.32 Die drei Largo-Sätze sind trotz Kongruenz von Tempoangabe und Taktart keineswegs gleich in ihrem tatsächlichen Tempo. Im ersten wie im dritten Largo herrscht eine Achtelbewegung vor. Die Begleitung zu Beginn der ersten Sonate pulsiert in gleichmäßigen Achteln und auch das Thema basiert auf punktierten Achteln. Auch der dritte Largo-Satz ist von ähnlichen pulsierenden Achteln durchzogen (Beispiel 2 und 4). Ganz anders dagegen das zweite Largo, das zunächst mit einem choralartigen Thema in langsamen Vierteln fortschreitet (Notenbeispiel 3) und erst im zweiten Teil an Bewegung gewinnt, dies allerdings in geringerem Maße als in den beiden übrigen Largo-Sätzen. Wir haben somit vom ersten zum zweiten Largo eine Entschleunigung, die dann im weiteren Verlauf zum letzten Largo wieder zurückgenommen wird. Zwischen diesen „Largo-Pfeilern“ ordnet Haydn zunächst zwei Grave-Sätze an (einer davon zusätzlich gekennzeichnet als „Cantabile“) und später ein „Adagio“ und ein „Lento“. Die beiden letztgenannten Zeitmaße sind etwa gleich schnell und unterscheiden sich mehr in ihrem Ausdruck denn in ihrem Tempo. Es gruppieren sich somit je30 Heinrich Christoph Koch, Musikalisches Lexikon, hg. und mit einer Einführung versehen von Nicole Schwindt (Faksimile-Reprint der Ausgabe Frankfurt/M. 1802), (Kassel  : Bärenreiter, 2001), Sp. 890. 31 Ibid., Sp. 64. 32 Die zentrale Position des f-Moll-Satzes betonen auch die Untersuchungen von Drury, Haydn’s Seven Last Words, 117 und Richard James Will, The characteristic symphony in the age of Haydn and Beethoven (New perspectives in music history and criticism), (Cambridge [u.a.]  : Cambridge University Press, 2002), 109.

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Notenbeispiel 3  : Haydn, Sieben Worte (Orchesterfassung), Sonata IV, T. 1–14.

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Notenbeispiel 4  : Haydn, Sieben Worte (Orchesterfassung), Sonata VII, T. 1–10.

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weils zwei Satzpaare um das mittlere Largo, die sich in etwa tempomäßig entsprechen und somit den Eindruck von Symmetrie noch unterstützen. Hinzu kommt, dass jeweils ein Glied dieser Satzpaare in seiner zweiten Hälfte von Moll in die gleichnamige Dur-Tonart wechselt. In beiden Fällen hat der Wechsel nach Dur seinen Anstoß auf narrativer Ebene. Im ersten Fall geschieht es bei dem Wort „Hodie mecum eris“ („Heute wirst du mit mir im Paradise sein“), also bei einer Vorhersage zukünftiger Ereignisse. Im zweiten Fall ist der zugrunde liegende Text „Sitio“ („Mich dürstet“)  ; die Aussage ist zwar präsentisch, jedoch beschreibt auch dieses Jesuswort den Zustand des Übergangs. Die beiden Moll/Dur-Sätze unterstreichen zudem das Moment der Symmetrie in dem Zyklus, indem sie einmal das Satzpaar von Sonate II und III eröffnen und später im Satzpaar V/VI schließen  : II Moll → Dur

→ →

III … V → Dur Dur →

VI Moll → Dur

In Haydns Sieben Worten wirken zwei gegensätzliche dynamische Kräfte. Die eine Kraft ist die statische Anlage des Zyklus, der sich in der Wahl von fast ausschließlich langsamen Sätzen ausdrückt wie auch in der symmetrischen Gruppierung der Sonaten um die vierte, die das semantische Zentrum darstellt. Zugleich wirkt jedoch noch eine zweite Kraft, die eine klare Dynamik hin zum Schluss entfaltet  : Die Bewegung der Largo-Sätze beschleunigt sich faktisch von Sonate IV zu Sonate VII, im „Consummatum est“ wechselt das Tongeschlecht von Moll nach Dur, und die beiden Schlusssätze, „In manus tuas“ und „Terremoto“ stehen erstmals in einem engen funktionsharmonischen Zusammenhang. Zudem sind die einzelnen Sätze des Zyklus selbst in Sonatenhauptsatzform angelegt, eine Form, die, wie Karol Berger zuletzt deutlich gemacht hat33, selbst vorwärts gerichtet ist. Die Sieben Worte sind damit zum einen symmetrisch angeordnet, zentriert um den tonartlich wie tempomäßig hervorgehobenen Satz „Deus meus“, der den emotionalen Ausdruck von Gottesferne vermittelt. Zum anderen zielt der Zyklus jedoch auch auf das Ende hin. Nachdem der Mittelsatz erreicht ist, steuern die Narration wie auch die kompositorische Gestaltung zielstrebig auf das Erdbeben zu. Beide dynamischen Kräfte dienen dazu, die Kernsätze der Sieben Worte zu akzentuieren. Inwieweit dabei der vierten Sonate eine besondere Bedeutung zukommt, ist leicht nachzuvollziehen  : Sie symbolisiert den Moment tiefster Gottverlassenheit und 33 Karol Berger, Bach’s cycle, Mozart’s arrow. An essay on the origins of musical modernity (Berkeley [u.a.]  : University of California Press, 2007)  ; vergleiche auch Melanie Wald, „Moment musical. Die Wahrnehmbarkeit der Zeit durch Musik“, Das Achtzehnte Jahrhundert 30 (2006), 212–14.

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pointiert damit die ganze Tragik des Sterbens Jesu. Im Fall des Schlusssatzes bedarf es einer eingehenderen Erläuterung. Dazu müssen wir uns nochmals die semantische Bedeutung der Tempoebenen in den Sieben Worten vor Augen führen.

V. Die Erschütterung der ‚sakralen Langsamkeit‘ Das langsame Tempo der Sätze eins bis acht dient nicht nur der unmittelbaren Textausdeutung, es entspricht überdies der klanglichen Repräsentation des „Geistlichen“ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Zwar wurde generell, seit bewusst zwischen geistlicher und weltlicher Musik unterschieden wurde, geistliche Musik als tendenziell langsamer apostrophiert, jedoch öffnete sich die Kluft zwischen der Beschleunigung in weltlichen Genres und der idealisierten Langsamkeit geistlicher Musik. Während sich das Tempospektrum in der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts immer weiter differenzierte, wurde die geistliche Musik (oder genauer, das Ideal geistlicher Musik) immer deutlicher dem langsamen Ende dieses Spektrums zugeordnet. So heißt es in Sulzers Theorie der Schönen Künste (1771)  : Da überhaupt jede Kirchenmusik, von welcher Form sie sonst sey, den Charakter der Feyerlichkeit und Andacht Nothwendig an sich haben muß  ; so hat der Tonsetzer sich aller Künsteleyen, aller Figuren, Zierrathen und Läufe, die blos die Kunst des Sängers anzeigen, ferner aller geschwinden Passagen, und alles dessen, was den Ausdruck der Empfindung mehr ausschweifend macht, als verstärkt, zu enthalten. Fürnehmlich muß in den tiefen Stimmen die allzugroße Geschwindigkeit vermieden werden, weil sie in den Kirchen sehr nachschallen, und durch eine schnelle Folge tiefer Töne alle Harmonie verwirrt wird. Deswegen sind alle Arien, die nach der Opernform gemacht werden, besonders aber die darin angebrachten Läufe und Schlußcadenzen völlig zu verwerfen.34

Wenngleich hier das langsame Tempo noch durch den Verweis auf die aufführungspraktischen Umstände begründet wird, so implizieren doch die Qualifizierungen „Feierlichkeit“ und „Andacht“ eine kategorielle Differenzierung auf ästhetischer Ebene. Dies wird bestätigt durch den bei Sulzer veröffentlichten Artikel zum Thema „Choral“  ; diese Gattung wurde von zahlreichen Zeitgenossen als Vorbild und Ideal geistlicher Musik apostrophiert35  : 34 Artikel „Kirchenmusik“, in  : Johann Georg Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste in einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden, Artikeln abgehandelt, Bd. 2 (Leipzig  : M. G. Weidemanns Erben und Reich, 1774), 584. 35 Vergleiche etwa zu Reichardts ästhetischem Verständnis des Chorals Jürgen Heidrich, Protestantische Kirch-

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Er ist der einfacheste Gesang, der möglich ist, und schiket sich zu stillen, und etwas ruhigen Betrachtungen und Empfindungen, die insgemein den Charakter der Kirchenlieder ausmachen. Er ist einer grossen Rührung fähig, und scheinet zu ruhigen Empfindungen weit vorzüglicher [geeignet] zu seyn, als der figurirte melismatische Gesang […]36

Was hier bei Sulzer bereits in den frühen 1770er-Jahren angelegt ist, findet seine Fortsetzung in Heinrich Christoph Kochs Musikalischem Lexikon von 1802, welches die Simplizität und Langsamkeit geistlicher Musik, und des Chorals im Besonderen, zum Ideal erhob. Am weitesten geführt wird die tempomäßige Qualifizierung der geistlichen Sphäre schließlich in der Vorrede zu Justin Heinrich Knechts und Johann Friedrich Christmanns Choralbuch (1799), in welcher der Choral als denkbar langsamste Gattung überhaupt charakterisiert wird.37 In einer Welt, die sich durch eine kontinuierliche Beschleunigung auszeichnete (oder zumindest den Eindruck einer ständigen Beschleunigung erweckte), so wie es Koselleck und andere als charakteristisch für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts herausgestellt haben,38 musste die geistliche Sphäre, das Heilige als das „Andere“ musikalisch adäquat repräsentiert werden. Geistliche Musik musste sich gleichsam der weltlichen Beschleunigung widersetzen.39 Eine entsprechende metaphysische Aufladung des Adagios begegnet in Jean Pauls Hesperus (1795). Im „19. Hundsposttag“ beschreibt er die Wirkung einer Symphonie von Carl Stamitz und kontrastiert dabei die Wirkung des Allegros, dessen für das Gehör bloß anregende Wirkung hinter der des Adagios zurückstehe, da Letzteres zu einer Rührung des Herzens fähig sei.

enmusikanschauung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Studien zur Ideengeschichte ‚wahrer‘ Kirchenmusik (Abhandlungen zur Musikgeschichte 7), (Göttingen  : Vandenhoeck & Ruprecht, 2001), 158 ff. 36 Artikel „Choral“, in  : Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste, Bd. 1, 204. 37 Vollständige Sammlung theils ganz neu componirter, theils verbesserter, vierstimmiger Choralmelodien für das neue Wirtembergische Landgesangbuch  : Zum Orgelspielen und Vorsingen […], hg. von Johann Friedrich Christmann und Justin Heinrich Knecht (Stuttgart  : Gebr. Mäntler, 1799), Einleitung. Christmann war übrigens einer der ersten Rezensenten von Haydns Sieben Worten  ; seine Rezension erschien 1788 in der Musikalischen Realzeitung (5. März 1788). 38 Siehe etwa Reinhart Koselleck, „Fortschritt“ und „Geschichte, Historie“, in  : Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2 (Stuttgart  : Klett Cotta, 1979), 351–423  ; sowie ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten (Frankfurt/M.  : Suhrkamp, 1979), 58. 39 Beethoven bedient sich in seinem Spätwerk dieser Dichotomie, wenn er in seinem Streichquartett Op. 132 den „Dankgesang eines Genesenden an die Gottheit“ in sehr langsamem Tempo darstellt (molto adagio), während das ‚Fühlen neuer Kraft’ in einem lebhaften Andante dargestellt wird. Karol Berger führt dazu aus  : „Indirectly, the inscription suggests that stile antico [and its slowliness] may stand for thoughts focused on the beyond, on the transcendent divine world […].“, Berger, Bach’s cycle, Mozart’s arrow (Anm. 33), 329.

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Stamitz stieg – nach einem dramatischen Plan, den sich nicht jeder Kapellmeister entwirft – allmählich aus den Ohren in das Herz, wie aus Allegros in Adagios  ; dieser große Komponist geht in immer engern Kreisen um die Brust, in der das Herz ist, bis er sie endlich erreicht und unter Entzückungen umschlingt. Horion zitterte einsam, ohne seine Geliebten zu sehen, in einer finstern Laube, in welche ein einziger verdorrter Zweig das Licht des Mondes und seiner jagenden Wolken einließ. Nichts rührte ihn unter einer Musik allezeit mehr, als in die laufenden Wolken zu sehen. Wenn er diese Nebelströme in ihrer ewigen Flucht um unser Schatten-Rund begleitete mit seinen Augen und mit den Tönen, und wenn er ihnen mitgab alle seine Freuden und seine Wünsche  : dann dacht’ er, wie in allen seinen Freuden und Leiden, an andre Wolken, an eine andre Flucht, an andre Schatten als an die über ihm, dann lechzete und schmachtete seine ganze Seele […] Horion übergab sein zerstoßenes Herz mit stillen Tränen, die niemand fließen sah, den hohen Adagios, die sich mit warmen Eiderdunen-Flügeln über alle seine Wunden legten.40

Es ist von sekundärer Bedeutung, ob sich Haydn bewusst war, dass er mit der Wahl langsamer Tempi in den Sieben Worten klar eine geistliche Sphäre denotierte, die sich (vor allem in der Häufung langsamer Sätze) von der weltlichen unterschied. Wichtiger hingegen ist, dass sich Haydns Entscheidung klar im musikästhetischen Diskurs wie auch dem Zeitdiskurs der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verorten lässt. Bereits ohne ihren Text denotieren die langsamen Sätze das Transzendente, das Andere. Mit dieser Repräsentation des ‚Heiligen‘ kontrastiert der letzte Satz, das Erdbeben, das, obgleich tempomäßig klar von den vorangehenden Sätzen unterschieden, doch auch ebenso deutlich den Zielpunkt der graduellen Beschleunigung des Werkes markiert. Der abschließende Terremoto setzt der transzendenten Sphäre der vorangehenden Sätze eine geradezu theatralische Darstellung des immanenten Naturereignisses entgegen. Wenngleich auch das Erdbeben eine Schilderung des biblischen Passionstextes ist, so verlässt Haydn doch deutlich den Bereich des Sakralen in den Abschiedsworten Jesu und richtet das Augenmerk auf das Phänomen des Erdbebens, das primär als Naturereignis wahrgenommen wird. Der Tempounterschied zwischen den ersten Sätzen und dem Schlusssatz der Sieben Worte spiegelt so auch den Gegensatz zwischen transzendenter und immanenter Sphäre  ; dies wird umso deutlicher, bedenkt man den symbolischen Subtext, der sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit dem Phänomen des Erdbebens verband. Ausgangspunkt war bekanntlich das verheerende Beben von Lissabon im Jahre 1755, das nicht nur weite Teile der portugiesischen Hauptstadt zerstört hat, sondern das ebenso Teile der europäischen Theologie und Philosophie in ihren Grundfesten

40 Jean Paul, Hesperus, Werke, Bd. I, hg. von Norbert Miller (München  : Hanser, 1960), 775 f.

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erschütterte.41 Die zentrale Frage war, wie ein gerechter Gott, als Lenker der Geschichte (und damit Lenker der historia sacra) ein solch verheerendes Unglück (und den Tod vieler Unschuldiger) hatte zulassen können. Die Theodizeefrage zog so fast zwangsläufig die Infragestellung eines christlich-teleologischen Zeitverständnisses nach sich. Das Erdbeben setzte für zahlreiche Philosophen den Glauben an einen gerechten Gott in Zweifel. Voltaire und Kant sind die beiden wichtigsten Vertreter dieses Paradigmenwechsels. Beide reagierten in ihren Schriften direkt auf das Erdbeben (Voltaire etwa in Candide und Kant in mehreren kleineren naturwissenschaftlichen Abhandlungen42), und noch in Kants Kritik der Urteilskraft (1790) finden sich Reflexe dieser Eindrücke.43 Allerdings repräsentieren Kant und Voltaire nur eine Seite der Rezeption des Erdbebens von Lissabon. Das Erdbeben konnte vielmehr, wie zahlreiche zeitgenössische Quellen belegen, auch als Bestätigung gerade jenes Weltbildes und als Demonstration göttlicher Macht und Erhabenheit verstanden werden. 44 In Johann Gottlob Krügers Gedanken von den Ursachen des Erdbebens wird die Katastrophe von Lissabon geradezu als Demonstration von Gottes Güte gedeutet, indem der Fokus nicht auf die 41 So stellte etwa der evangelische Theologe Karl Barth rückblickend fest  : „Und wenn wir nun noch dazu nehmen, daß auch jener schöne Optimismus hinsichtlich des teleologischen Gottesbeweises und damit auch die Zuversicht zu der Tragfähigkeit jener Mittelzone ihre natürliche Grenze haben mußten, wenn wir an die bekannte Erschütterung dieses Optimismus denken, die das Erdbeben von Lissabon 1755 im ganzen christlichen Europa nicht sowohl verursacht als vielmehr an den Tag gebracht hat […] so dürfte einleuchten  : die gute protestantische Theologie hatte sich hier einem Arzt verschrieben, dessen Behandlung ihr unmöglich auf die Dauer bekömmlich sein konnte“, Karl Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte (Zürich  : Zollikon, 1947), 141–42. 42 Siehe Kants Schriften zum Erdbeben von Lissabon  : „Von den Ursachen der Erderschütterungen bei Gelegenheit des Unglücks, welches die westliche Länder von Europa gegen das Ende des vorigen Jahres betroffen hat“  ; „Geschichte und Naturbeschreibung der merkwürdigsten Vorfälle des Erdbebens, welches an dem Ende des 1755sten Jahres einen großen Theil der Erde erschüttert hat“  ; „Fortgesetzte Betrachtung der seit einiger Zeit wahr­genommenen Erderschütterungen“, in  : Immanuel Kants Gesammelte Schriften, 1/I  : Vorkritische Schriften I  : 1747–1756 (Berlin  : Cassirer, 1912), 417–72. 43 Vgl. Hans Blumenberg, Das Lachen der Thrakerin. Eine Urgeschichte der Theorie (Frankfurt/M.  : Suhrkamp, 1987), 113  ; auch Adorno, auf der Suche nach einem Ereignis, das auch nur annähernd mit den philosophischen Folgen von Auschwitz verglichen werden konnte, wies auf das Erdbeben von Lissabon hin  : „Das Erdbeben von Lissabon reichte hin, Voltaire von der Leibniz’schen Theodi­zee zu kurieren, und die überschaubare Katastrophe der ersten Natur war unbeträcht­lich, verglichen mit der zweiten, gesellschaftlichen, die der menschlichen Imagination sich entzieht, indem sie die reale Hölle aus dem menschlich Bösen bereitete. Gelähmt ist die Fähigkeit zur Metaphysik, weil, was geschah, dem spekulativen meta­physischen Gedanken die Basis seiner Vereinbarkeit mit der Erfahrung zerschlug“, Theodor W. Adorno, Negative Dialektik (Gesammelte Schriften 6), (Frankfurt/M.  : Suhrkamp, 1997), 354. 44 Siehe dazu ausführlich die Studie von Ulrich Löffler, Lissabons Fall – Europas Schrecken. Die Deutung des Erdbebens von Lissabon im deutschsprachigen Protestantismus des 18. Jahrhunderts (Arbeiten zur Kirchengeschichte 70), (Berlin/New York  : de Gruyter, 1999), v. a. 108–09.

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tatsächlich geschehenen Zerstörungen, sondern auf die stattdessen verschonten Gebiete Mitteleuropas gerichtet wird  : Das Erdbeben am achtzehnten Hornung zog sich fast durch ganz Deutschland, Frankreich und Holland  : aber nicht ein einziges Haus ist dadurch niedergerissen, und nicht ein einziger Mensch des Lebens beraubet worden. Und gleichwol wird keiner, von allen Lesern leugnen, daß nicht die göttliche Gerechtigkeit, durch die überhäuften Sünden gereitzet an allen diesen Orten Denkmäler ihres Eifers wider die überhandnehmende und himmelschreyende Bosheiten mit der größten Billigkeit hätte stiften können. Aber was hielt das Schwerdt des HErrn auf  ? Seine ewige Güte, seine unergründliche Erbarmung.45

Es kann somit keineswegs von einer homogenen philosophisch-theologischen Verarbeitung des Bebens gesprochen werden  ; vielmehr weisen die Reaktionen ein sehr breites Spektrum auf. Ernst Friedrich Mylius, Hauptpastor an St. Petri in Hamburg, sieht, den bei Krüger angedeuteten Gedankengang fortsetzend, in dem Beben einen Aufruf zur Buße  : Warum bleibt dieser Aufruhr in der Natur nicht in unbefahrenen Wassern, nicht in unbewohnten Wüsten, nicht in Einöden, die Niemand erreicht, und deren es so viele gibt  ? Warum, merkt es doch, unachtsame Selen, warum muß da, wo Menschen wohnen, und da insonderheit, der Abgrund brüllen, und die Zerreissung der Erde unsägliche Verwüstungen anrichten, die Sterblichen tödten, und alle ihre Herrlichkeit zu Grunde richten  ? Warum anders, als weil die Strafe auf die Uebertreter zielet, und weil GOtt über die Sünde eifert  ?46

Mylius’ Interpretation der Naturkatastrophe schließt sich an Deutungsmuster für Erdbeben an, wie sie zu dieser Zeit auch bei anderen Autoren üblich waren, ohne dass diese eine direkte Reaktion auf das Beben von Lissabon wären. So weist Klopstock in einem Brief von 1755 darauf hin, dass das Jerusalemer Erdbeben in seinem Messias, welches dort als „Ahndung von Rache“ für das auf Golgatha vergossene Blut gedeutet wird, „ein Paar Monathe früher gemacht“ worden und keineswegs von dem histori45 Johann Gottlob Krüger, Gedanken von Gott (Helmstädt  : Hemmerde, 1757), 137–38  : Es ist kaum ein Zufall, dass Krüger mit dem Titel seiner Schrift auf eines der Hauptwerke des Philosophen Christian Wolff Bezug nimmt (Vernuenfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen ueberhaupt, Leipzig 1720 u. ö.), der den Leibniz’schen Gedanken der „besten aller Welten“ philosophisch ausgebaut hatte und dessen Weltbild für Voltaire und andere gerade durch das Lissaboner Erdbeben infrage gestellt worden war. 46 Ernst Friedrich Mylius, Das Erdbeben ist ein gewaltiger Zeuge GOttes. Eine Predigt zur Zeit des Erdbebens an dem dadurch veranlasseten und am eilften März 1756 zu Hamburg angeordneten Bußtage über Micha 1,2–5 […] (Hamburg  : C. König, [1756]), 22–23, hier zitiert nach Löffler, Lissabons Fall, 446.

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schen Ereignis in Lissabon beeinflusst worden sei.47 Die zufällige zeitliche Koinzidenz ermöglicht es jedoch, den Messias als ein gängiges zeitgenössisches Interpretationsschema für ein großes Erdbeben heranzuziehen, welches selbst noch unbeeinflusst von dem historischen Ereignis ist. Klopstock wie Mylius, als Vertreter charakteristischer Interpretationen von Erdbeben vor und nach dem Beben von Lissabon, sehen die Ursache von Erdbeben in religiösen und ethischen Verfehlungen. Sie sind jedoch zugleich – und für beide Autoren in maßgeblicher Weise – eine Mahnung an die Hörer und Leser. Beide Erdbeben (das reale von Lissabon und das erzählte im Klopstock’schen Epos) transzendieren damit ihren faktischen (oder fiktiven) Ereignischarakter und fungieren als Verstärkung für ein ethisch-moralisches Postulat. Welche der Sichtweisen die Autoren im Einzelnen auch vertreten, es ist deutlich, dass die Katastrophe von Lissabon ihren Schatten auf die Geistesgeschichte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts warf und sowohl Philosophen als auch den theologischen und ästhetischen Diskurs prägte. Ein Ereignis wie ein Erdbeben war hierfür in besonderer Weise geeignet, da es in seiner überwältigenden Unberechenbarkeit und Unverfügbarkeit das Unermessliche und Zerstörerische der Natur manifest werden ließ, 48 das in der zeitgenössischen Ästhetik als konstitutives Merkmal des Erhabenen begriffen wurde.49 Maßgeblich für diese Sicht der Natur und des Erhabenen war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (zumindest bis zu Kants Kritik der Urteilskraft, 1790) Edmund Burkes A Philosophical Enquiry into the Origins of our Ideas of the Sublime and the Beautiful  (1757)  : Whatever is in any sort terrible, or is conversant about terrible objects, is a source of the sublime […] The passion caused by the great and sublime in nature […] is Astonishment  ; and asthonishment is the state of the soul, in which all its motions are suspended, awith some degree of horror. In this case, the mind is entirely filled with its object, that it cannot entertain any other, nor by consequence reason on that object that employs it. Hence arises the great power of the sublime […]50 47 Brief Friedrich Gottlieb Klopstock und Margareta Klopstock an Anna Maria und Gottlieb Heinrich Klopstock vor dem 26.12. / am 26.12. oder 28.12.1755  ; Klopstock, Der Messias (Werke und Briefe IV,1), (Berlin/ New York  : de Gruyter, 1974), 190. Haydn besaß übrigens selbst ein Exemplar von Klopstocks Messias, siehe Maria Hörwarthner, „Joseph Haydn’s Library  : Attempt at a Literary-Historical Reconstruction“, Haydn and His World, ed. by Elaine Sisman (Princeton, NJ  : Princeton University Press, 1997), 409–10. 48 Vgl. Christian Begemann, „Erhabene Natur. Zur Übertragung des Begriffs des Erhabenen auf Gegenstände äußerer Natur in den deutschen Kunsttheorien des 18. Jahrhunderts“, Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 58 (1984), 74–110. 49 Vgl. Laurenz Lütteken, Das Monologische als Denkform in der Musik zwischen 1760 und 1785 (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 24), (Tübingen  : Niemeyer, 1998), 157 und Begemann, Erhabene Natur, 74. 50 Edmund Burke, A Philosophical Enquiry into the Origins of our Ideas of the Sublime and the Beautiful (1757), zitiert nach Peter LeHuray/James Day, Music and Aesthetics in the Eighteenth and Early-Nineteenth Centuries (Cambridge  : Cambridge University Press, 1981), 71.

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In ähnlicher Weise stellte Klopstock fest  : „Die Einbildungskraft ist ihm [dem Dichter] öfter eine Malerin des grossen und furchtbaren Schönen in der Natur, als ihrer sanftrührenden Gegenstände.“51 Das Erdbeben konnte so zum Inbegriff des Erhabenen, des „furchtbar Schönen“ und des „heiligen Schauers“ werden, das sowohl als ästhetische wie auch als religiöse Kategorie fungieren konnte. Analog formulierte bereits 1756 der Göttinger Theologe Johann Friedrich Jacobi in seiner Sammlung einiger Erfahrungen und Muthmassungen vom Erhabenen, dass die „fürchterlich prächtigen Erschütterungen der Erde“ ein Nachweis der Gnade wie der Macht Gottes seien.52 Seinen musikalischen Ausdruck fand dieses ästhetische Konzept der Naturwahrnehmung in Georg Philipp Telemanns Donnerode (TVWV6  :3)53, die 1756 in Reaktion auf das Erdbeben von Lissabon entstanden war und die, wie etwa Laurenz Lütteken herausgestellt hat, „den wohl ersten expliziten Versuch überhaupt dar[stellt], das ‚Erhabene‘ musikalisch zu definieren“54. Das Erdbeben konnte somit sowohl ein Anlass zum Zweifel an der Macht Gottes sein (als Absage an die historia sacra) als auch zum Nachweis der erhabenen Größe derselben dienen. Es wird später darauf zurückzukommen sein, wie sich Haydns Erdbebenschilderung in den Sieben Worten zu diesen divergierenden Paradigmen verhält.

VI. Wien und Messina Es war kaum möglich, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von einem Erdbeben zu sprechen (und sei es auch im Kontext des biblischen Passionsberichts), ohne damit zumindest auch an das bereits zur Metapher geronnene Ereignis in Lissabon zu erinnern. Dies gilt um so mehr für die Mitte der 1780er-Jahre, als der Eindruck von Lissabon schmerzlich in Erinnerung gebracht wurde durch ein weiteres verheerendes Erdbeben im Süden Europas, das diesmal, noch näher gelegen, im sizilianischen Messina stattgefunden hatte.55 Die Erdstöße hatten am 5. Februar 1783 begonnen, und die 51 Friedrich Gottlieb Klopstock, Von der heiligen Poesie, zitiert nach  : Lütteken, Das Monologische, 157. 52 Lütteken, Das Monologische, 158. 53 Siehe die Edition  : Georg Philipp Telemann, Die Donnerode (TVWV 6  :3). Das befreite Israel (TVWV 6  :5), ders., Musikalische Werke 22, hg. von Wolf Hobohm (Kassel u.a.  : Bärenreiter, 1971). Vgl. dazu  : Laurenz Lütteken, „Sprachverlust und Sprachfindung. Die Donnerode und Telemanns Spätwerk“, Studien zur Musikgeschichte. Eine Festschrift für Ludwig Finscher, hg. von Annegrit Laubenthal [u.a.] (Kassel  : Bärenreiter, 1995), 206–21. Vgl zum theologischen Kontext der Donnerode Harald Schulze, „Telemann und die fromme Aufklärung  : Beobachtungen zu den Dichtungen Die Donnerode und Der Tod Jesu“, in  : Georg Philipp Telemanns Passionsoratorium „Seliges Erwägen“ zwischen lutherischer Orthodoxie und Aufklärung. Theologie und Musikwissenschaften im Gespräch, hg. von Martina Falletta [u.a.] (Arnoldshainer Texte 127), (Frankfurt/M.  : Haag und Herchen, 2005), 66–86. 54 Lütteken, Das Monologische, 149–69, sowie ders., „Sprachverlust und Sprachfindung“, 160. 55 Siehe zu diesem Erdbeben und seiner Rezeption den Überblick bei Raul Calzoni, „,Nach dem ungeheuren

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Nachbeben zogen sich über mehrere Wochen hin. Die europäischen Zeitungen berichteten ausführlich über die Naturkatastrophe,56 und zahlreiche selbstständige Veröffentlichungen folgten bald.57 Wir wissen nichts über Haydns Reaktion auf die Nachrichten über das Erdbeben von Messina, noch ist bekannt, wieweit er über das Erdbeben von Lissabon informiert war  ; es ist jedoch unwahrscheinlich, dass er sich dem allgegenwärtigen Thema im Jahre 1783 entziehen konnte.58 Als Beispiel sei hier die Berichterstattung in der Wiener Zeitung knapp zusammengefasst59  : Bereits am Sonnabend, den 1. März 1783 erschien eine erste Nachricht über das Erdbeben. Die Informationen sind noch sehr vage und stützen sich weitgehend auf Hörensagen  : Ein aus Messina am 9. Februar zu Neapel angelangtes Fahrzeug hat die traurige Nachricht überbracht, daß am 5. Febr. um 19. Uhr Wälschen Zeigers zu Messina eine gewaltige Erderschütterung gewesen sey, wodurch viele Häuser zu Boden gestürzt wurden  ; um 7 Uhr des folgenden Morgens sey ein neuer Erdstoß losgebrochen, der eine ungeheure Menge der übrigen Häuser niederwarf. Der Patron des Schiffes, welches diese Nachricht nach Neapel überbrachte, erzehlt, er habe am Morgen die Stadt Messina nicht mehr gesehen, welche unter einem dichten Nebel verborgen lag […]60

Unglück, das Messina betraf ‘ – Das Erdbeben von Kalabrien und Sizilien von 1783 als geistesgeschichtliche Zäsur“, Das Erdbeben von Lissabon und der Katastrophendiskurs im 18. Jahrhundert, hg. von Gerhard Lauer und Thorsten Unger (Das achtzehnte Jahrhundert  : Supplementa 15), (Göttingen  : Wallstein, 2008), 364–76. 56 Siehe u.a. Peter Kofler, „,Die Erde hört nicht auf zu beben und das Seismometer verkündiget es jedesmal.‘ – Das Erdbeben von Sizilien und Kalabrien von 1783“, „Der Teutsche Merkur“ – die erste deutsche Kulturzeitschrift  ?, hg. von Andrea Heinz (Heidelberg  : Winter, 2003), 188–98. 57 Genannt seien stellvertretend die anonym erschienenen Schriften  : Historische und geographische Beschreibung von Messina u. Calabrien, u. meteorologische Beobachtungen über das Erdbeben, welches diese Stadt u. Landschaft den 5. Hornung 1783 verwüstet hat (Straßburg  : Bartholomäi, 1783)  ; Umständliche Beschreibung von dem schroecklichen Erdbeben, welches am 5. Februar 1783, Messina, die Hauptstadt in Sicilien, und ganz Hinter-Calabrien be­troffen hat, Frankfurt  : [s.n.], 1783), sowie Neue und ausführliche Nachricht von denen seit dem 5ten Februar dieses Jahrs in Messina und Calabrien sich ereigneten schreck­lichen Erdbeben (Berlin  : [s.n.  ?], 1783). Selbst 1786 erschien noch die Neuauflage einer Ver­öffentlichung über das Erdbeben  : Heinrich Schmieder, Das Erdbeben in Messina. Dialogisirte Geschichte (Halle  : Hemmerde, 1786). 58 Vergleiche zur Rezeption des Erdbebens von Messina durch Carl Philipp Emanuel Bach  : Markus Rathey, „Carl Philipp Emanuel Bachs Donnerode. Zur politischen Funktion des Erhabenen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts”, Archiv für Musikwissenschaft 66 (2009), 286–305. 59 Auch über das Erdbeben von Lissabon 1755 war in Wiener Zeitungen ausführlich berichtet worden, siehe dazu Christiane Eifert, „Das Erdbeben von Lissabon 1755. Zur Historizität einer Naturkatastrophe“, in  : Historische Zeitschrift 274 (2002), 649 und 651, sowie Arthur Kemmerer, Das Erdbeben von Lissabon in seiner Beziehung zum Problem des Übels in der Welt (Phil. Diss. Frankfurt/M. 1958), 17 und 111. In Wien wurde 1756 sogar ein allgemeiner Bußtag im Gedenken an das Erdbeben angeordnet  ; vergleiche Eifert, ibid., 656. 60 Wiener Zeitung, 1. März 1783, 4.

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Dementsprechend endet die Nachricht mit der Warnung, dass man noch eine Bestätigung der Neuigkeiten abwarten müsse  : „So wird diese Begebenheit in Wälschen Zeitungen erzählt  ; aber billig müßen wir bis auf weitere Bestättigung noch einige Zweifel in die genaue Wahrheit dieser Angabe setzen, welche das erste Schrecken vielleicht übertrieben haben mag.“61 Bereits vier Tage später bestätigt sich jedoch, was man bisher noch mit leichtem Zweifel gehört hatte  : Von der letzhin [sic] erwähnten Erderschütterung in Messina giebt nachstehendes Schreiben aus Neapel vom 15. Februar einen umständlichen Bericht  : ‚Was ich Ihnen am 11. d.M. von dem entsetzlichen Erdbeben geschrieben habe, ist seitdem leider  ! nur allzusehr betättigt worden. Gestern kam allhier eine Königl. Fregatte von Messina an, welche eben zur Zeit dieses Erdbebens im dortigen Hafen vor Anker gelegen ist, und folgende Nachricht davon mitgebracht hat  : „Am 5. um Mittagszeit bemerkte man zu Messina einige Erdstöße, denen mehrere andere bis Abends gefolgt sind, und worauf endlich in der Nacht einige mit solcher Gewalt kamen, daß die ganze Stadt dadurch in wenigen Augenblicken in einen Steinhaufen verwandelt war, und nur ein Theil der Citadelle, das Kapuzinerkloster und eine Kirche stehen geblieben sind. Zum Glücke haben die Einwohner den Zeitraum von Mittag bis zum Abend benutzet, um sich auf die benachbarten Anhöhen zu retten, so daß, obschon gegenwärtig noch viel Volkes vermisset wird, man sich doch mit der Hofnung schmeichelt, daß sich in dem ersten Schrecken viele verlaufen haben mögen, und die Zahl derjenigen, welche etwa das Leben dabey verlohren, sich nicht über 2000 Menschen erstrecken werde.“62

Thematisiert werden u.a. auch die ökonomischen Folgen der Naturkatastrophe  : Der Bedauernswürdige Untergang von Messina muß diesem Königreiche um so härter fallen, als man nur eben angefangen hat, die Wichtigkeit dieses zur Handlung so vortheilhaft gelegenen Platzes endlich einzusehen, und sich mit den Mitteln zu beschäftigen selbigen in seinen ehemaligen blühenden Zustand zu erheben.63

Am folgenden Samstag herrscht schließlich Gewissheit, dass es sich um eine verheerende Katastrophe handelt, die ihresgleichen sucht  : Auszug eines Schreibens von Neapel den 18. Febr. ‚Alles ist hier noch in der größten Bestürzung, weil von Tage zu Tage, ja fast von Stunde zu Stunde neue, und zwar die betrübtesten 61 Ibid. 62 Wiener Zeitung, 5. März 1783, 3. 63 Ibid., 4.

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Nachrichten einlaufen. Das erschreckliche Erdbeben hat 70. Meilen in die Länge, und 20. in die Breite mit gleicher gewalt und Verheerung gewüthet  ; so daß keine so weit ausgebreitete Verwüstung in den Jahrbüchern der Welt anzutreffen ist.‘64

Auch wenn die in diesem Brief aus Neapel aufgestellte Behauptung, es handle sich um die größte Verwüstung, die jemals berichtet wurde, falsch ist (die Zerstörung in Lissabon war noch verheerender), so zeigt sie doch den tiefen Eindruck, den das Erdbeben bei den Zeitgenossen hinterlassen hat. Der Artikel fährt mit einem Einzelschicksal fort, das auch eine Brücke zur Wiener Gesellschaft schlägt  : Eine der schreckbarsten Ereignissen dieses Erdbebens ist folgende gewesen. Der Fürst von Scilla, Eigenthümer der Stadt dieses Namens, und Grosvater der zu Wien befindlichen Fürstinn Piccolomini, flüchtete sich bey Verspürung der ersten Stöße mit der Hilfe der Einwohner, ungefähr 2500 an der Zahl auf das Feld an der Küste des Meeres, wo er sich unter Zelten und Hütten lagerte. Allein währender Nacht wuchs das Meer 30 Schuhe hoch, trat aus, und schwemmte alle dritthalb tausend Menschen mit sich fort, so daß keine Seele davon kam.65

In den kommenden Wochen folgten zahlreiche weitere Artikel, zum Teil von mehreren Spalten Länge.66 Im April trafen mehr Katastrophennachrichten ein  : Aus den nunmehr aus Kalabrien eingegangenen ferneren Berichten ersieht man mit Entsetzen, daß sich die Anzahl aller durch die Erderschütterung allda umgekommenen Menschen, in so ferne man bisher die Zählung hat machen können, sich auf 27,371 belaufe. In Casal Nuovo allein blieben 8300 Personen under den Ruinen  ; in Palmi 4000 […].67

Es werden auch Nachrichten von anekdotenhaftem Charakter eingerückt, die jedoch die Schäden um so mehr anschaulich machen  : Ein Berg unter Altsinopoli ist von seinem Platz gewichen, und durch ein Thal auf mehr als eine (Ital.) Meile weit abwärts gesunken –– Im Gebiete von Cosoleto (wo überhaupt die stärkeste Erschütterung gewesen seyn mag) stand eine Bauernhütte auf einem ebenen Platze  ; diese befindet sich nun unbeschädigt auf einer mehr erhabenen Gegend, die von derjenigen, wo sie ehemals stand, auf mehr als 2 Büchsenschuß-Weite entfernt ist.68

64 Wiener Zeitung, 8. März 1783, 4. 65 Ibid. 66 Wiener Zeitung, 12. März 1783, 3  ; 15. März 1783, 2–3  ; 19. März 1783, 4, etc. 67 Wiener Zeitung, 2. April 1783, 3. 68 Ibid., 4.

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Teilweise haben die Nachrichten apokalyptischen Charakter, ohne jedoch direkten Bezug auf die Apokalypse zu nehmen  : An mehreren Orten bekam die Erde weite Oeffnungen, und verschlang Menschen, Vieh und Häuser. Wo Gebirge standen, ist nun Ebene  ; aus Thälern sind Hügel geworden  ; Seen und Flüsse sind ausgetrocknet, und die Fische liegen tod auf den Ufern. Aus allem diesem ergiebt es sich, daß das Erdbeben sehr tief unter der Erde entsprungen, und von einer so außerordentlichen Gewalt gewesen seyn müsse, wovon man kein ähnliches Beyspiel seit der Menschengeschichte kennt.69

Die Nachrichten aus Italien führten dazu, dass man auch in Österreich ähnliche Beben fürchtete und leichte Erdstöße als Vorboten für eine größere Katastrophe interpretierte. Eine Nachricht aus Pest ist dabei charakteristisch für die zeitgenössische Rezeption und zugleich dafür, dass das Beben von Messina im allgemeinen Bewusstsein war  :70 Pesth den 23. April. „Gestern Morgens 25 Minuten nach 3 Uhr empfand man allhier sowohl als zu Ofen kurz auf einander 2 Erdstösse, welche zwar nicht so stark als jene waren, die uns im Jahre 1763 heimgesucht, doch aber hie und da Risse nachgelassen haben. Die Erinnerung an das dadurch jetzt so bedrängte Italien, versetzte alles in die größte Furcht.“71

Bis in den Juli hinein finden sich Berichte über weitere schwache Erdstöße in Messina, über die Aufräumarbeiten sowie über Hilfsmaßnahmen. Allerdings verbesserte sich die Situation generell, so dass man am 5. Juli 1783 berichten konnte  : Die Nachrichten aus Calabrien und Sicilien lauten immer angenehmer. […] Die Natur scheint einerseits zum Theil vergüten zu wollen, was sie vorhin so grausam verdorben hat, und zeigt allenthalben eine ungemeine Fruchtbarkeit.72

In Anbetracht der ausführlichen Berichterstattung über mehrere Monate hin und der Erdbebenfurcht, die sich an Orten wie Pest breitmachte, ist es unwahrscheinlich, dass

69 Ibid. 70 Die Erdbebenfurcht spornte auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Erdbeben an  ; so erschien 1783 der erste ungarische Erdbebenkatalog  : J. B. Grossinger, Dissertatio de terrae motibus Regni Hungariae (Györ 1783). 71 Wiener Zeitung, 30. April 1783, 2. 72 Wiener Zeitung, 5. Juli 1783, 3  ; allerdings erschien am 16. Juli (S. 5) nochmals eine knappe Nachricht über einige Nachbeben.

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Haydn nicht über die Ereignisse in Italien informiert war.73 Dies bedeutet für die nur wenige Jahre spätere Vertonung der Sieben Worte (und vor allem des Terremoto), dass sie unter dem Eindruck nicht nur des heute zweifellos bekannteren Erdbebens von Lissabon, sondern wohl mehr noch unter dem des jüngeren Bebens von Messina komponiert, ja möglicherweise sogar von diesem angeregt wurde.74

VII. Die Erschütterung der temporalen Ordnung Im Hinblick auf die philosophischen und theologischen Implikationen, die die Erdbeben von Lissabon und Messina im späten 18. Jahrhundert hatten, ist kaum anzunehmen, dass Haydn den Satz ausschließlich um seiner dramatischen Wirkung willen aufgenommen hat. Vielmehr durchbricht der letzte Satz die sakrale Klangsphäre der vorangegangenen Sätze auf dynamischer und tempomäßiger Ebene. An die Stelle der die transzendente Sphäre denotierenden langsamen Sätze treten die aggressiven Klänge des biblischen Erdbebens. Ähnlich wie die Erdbeben von Lissabon und Messina das etablierte Gottesbild (für einige Philosophen) infrage gestellt hatten, so stellt das Erdbeben in den Sieben Worten die zuvor etablierte meditative (und sakrale) Stille der Sieben Worte in Frage. Dem entspricht, dass Haydn beim Übergang zum Schluss73 Die Rezeption des Erdbebens von Messina in Österreich zog sich noch über mehrere Jahre hin  ; im Jahre 1785 erschien etwa in Wien ein Druck mit einer Karte der zerstörten Stadt Messina  : Plan von Messina  : Der Haupt Stadt auf der Insel und Königreich Sicilien am Faro di Messina im Val di Demona, so durch Erdbeben den 5. Febr. 1783 zu Grund gegangen, gestochen von Jo. We. Engelmann, Wien 1785. 74 Dies um so mehr, als Haydns Entscheidung, seine Vertonung der Sieben Worte mit einem Erdbeben zu beenden, ungewöhnlich ist, denn das Terremoto gehörte traditionell nicht zum Corpus der Texte, die im Rahmen dieser Gattung vertont wurden  ; siehe Richard Will, The characteristic symphony (Cambridge  : Cambridge University Press, 2002), 124–25. Zwar entstand die Tradition der „Tres Horas“ als Reaktion auf das verheerende Erdbeben in Lima von 1687, jedoch gibt es keine Belege, dass das Erdbeben der Kreuzigungsszene eine herausgehobene Stellung in dieser Andachtsform eingenommen hätte  ; vergleiche auch Klaus Lang­rock, Die Sieben Worte Jesu am Kreuz. Ein Beitrag zur Geschichte der Passionkomposition (Musikwissenschaft/Musikpädagogik in der Blauen Eule 2), (Essen  : Verlag der Blauen Eule, 1987), 121–36. Es ist auch möglich, dass der von Haydn erwähnte Domherr von Cadiz in seinem Auftrag dezidiert nach einem Erdbebensatz verlangt hatte  ; allerdings fehlen hierfür jegliche Belege, und Haydn hätte es vermutlich in seinem Vorwort von 1801 erwähnt. Dennoch ist – wenngleich wohl nur als rezeptionsgeschichtliches Detail – bedeutsam, dass Cadiz selbst von dem Erdbeben in Lissabon 1755 in Mitleidenschaft gezogen worden war und das biblische Erdbeben somit eine existenziell-symbolische Bedeutung für die Bewohner von Cadiz hatte. So beschreibt etwa der Erdbebenforscher Jean-Paul Poirier  : „[…] in Cadiz, it was a wall of water 15 m high, that rushed across the levee outside of the town, sweeping away carriages and people […]“  ; siehe Poirier, „The 1755 Lisbon disaster, the earthquake that shook Europe“, European Review 14/2 (2000), 172. Jüngere seismologische Forschungen zum Erdbeben von Lissabon geben im übrigen Anlass zu der Vermutung, dass das Erdbeben von 1. November 1755 im Golf von Cadiz seinen Ausgang genommen hat  ; siehe Cliff Frohlich, Deep earthquakes (Cambridge [u.a.]  : Cambridge University Press, 2009), 522.

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Notenbeispiel 5  : Haydn, Sieben Worte (Klavierfassung), Terremoto, T. 1–36.

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Notenbeispiel 5  : Fortsetzung.

satz auch andere temporale, strukturelle und klangliche Parameter mobilisiert  : etwa die Erweiterung des Instrumentariums durch die erstmalige Verwendung von Trompeten und Pauken oder die verstärkte Manipulation der rhythmischen Struktur und der Tonalität. Haydn beginnt die Darstellung des Erdbebens mit einer dreifach wiederholten rollenden Vorschlagfigur, gefolgt von einer chromatischen Umspielung der Tonika c, die sich schließlich zur Dominante g hochschraubt.75 Während der ersten 8 Takte hält Haydn die Tonalität und das Tongeschlecht in der Schwebe  ; erst in T. 9/10, mit einer klaren Folge von Dominante und Tonika, bestätigt er die Grundtonart c-Moll. Wenig später (T. 24 ff.) verschleiert Haydn den Rhythmus durch eine knappe Figur (32tel–32tel–8tel), die den Taktschwerpunkt scheinbar verschiebt. Ähnliche Verschleierungen finden sich später im durchführungsartigen Abschnitt  : Einerseits verschiebt Haydn durch Hemiolen in den Takten 57/58 und 60/61 die Taktschwerpunkte  ; andererseits wird die Erwartung des Hörers dann gleich im jeweils folgenden Takt enttäuscht, wenn auf erster Zählzeit statt einer Bestätigung des neues Schwerpunkts eine Viertelpause steht (T. 59 und 62). Haydn nutzt die genannten Manipulationen von Zeit und Harmonik, um das Erzittern der Erde musikalisch zu malen – zusätzlich zu den Sforzati und der rhythmisch markanten Verwendung der Trompeten und Pauken in der Orchesterfassung (allerdings verfehlt der Satz seine Wirkung auch nicht in der reduzierten Fassung für Streichquartett). Auf die rhythmische Ambiguität und Verwirrung als charakteristisch für den Schlusssatz der Sieben Worte hat bereits John W. Callcott in seiner Studie A musical grammar (London 1806) hingewiesen. In seinen Ausführungen zum „Tempo d’Imbroglio (della confusione) of modern Music“ heißt es, es sei ein Phänomen „in which the Music, although written in one kind of Measure, is really performed in another“. 76 Als Beispiel führt er die Sieben Worte Haydns an  :

75 Das motivische Material, das Haydn bei seiner Darstellung des Erdbebens verwendet, ist, wie bereits Drury, Haydn’s Seven Last Words, 136–37, gezeigt hat, deutlich der Tradition verpflichtet und rekurriert auf Modelle, die sich sowohl bei Gluck als auch in Haydns eigenen früheren Werken finden. 76 John Wall Callcott, A musical grammar (London  : Robert Birchell, 1806), 260.

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In the last Movement of Haydn’s Instrumental Passione, Op. 45, generally known by the name of the seven last words, several passages occur, in which, as in the preceeding Example, the Time changes from three to two Crotchets. In the final Section, the Time changes to four Crotchets, &c. As that Movement is termed il Terremoto, or the Earthquake, this confusion is particularly appropriate.77

Selbst in der Reprise des Schlusssatzes (T. 93 ff.), in der regelgerecht das musikalische Material der Exposition in der Tonika erscheint, sorgt die rhythmische Unsicherheit dafür, dass kaum der Eindruck eines wirklichen Abschlusses entsteht. Vielmehr setzt sich die Dramatik des Satzes fort  ; so führt Haydn in einer Sequenz klanglicher und harmonischer Verdichtung die Violinen höher und höher bis zum f ’’’, um schließlich die aufgestaute Energie in einer Pause verhallen zu lassen. Es folgt ein Fall in einen Neapolitanischen Sextakkord, mit dem die zuvor abgebrochene Bewegung fortgesetzt wird. Haydn beendet den Satz mit der zu Beginn exponierten chromatischen Umspielung der Tonika, womit der Terremoto harmonisch ähnlich offen endet wie er begonnen hatte. Der letzte klare Dominantakkord erscheint in T. 114  ; es folgen 9 Unisono-Takte, die die Tonikaumspielungen wieder aufnehmen, bevor Haydn die Anfangsfigur wiederholt (T. 120–123). Weder harmonisch noch rhythmisch wirkt der Satz abgeschlossen  ; vielmehr bleibt die aufgestaute Energie bestehen und verhallt schließlich im Nichts. Zusätzlich zum schnellen Tempo des Satzes („Presto e con tutta la forza“) trägt zu dem Eindruck der Beschleunigung im Terremoto ebenfalls bei, dass Haydn eine Vielzahl musikalischer Ideen aneinanderreiht, die jedoch nie weiter ausgearbeitet werden, wodurch der Eindruck des Gehetzten entsteht. Drury hebt daher zu Recht hervor  : „In the earthquake movement the concentration of materials is so great […] that the effect and Haydn’s intention was to create a feeling of chaos – even bewilderment – by the amount of musical information presented at such speed (as we might say today).“78 Das Erdbeben durchbricht die formalen und temporalen Ordnungen, die in den vorangegangen Sätzen etabliert wurden. Das Unabgeschlossene des Satzes negiert zudem das hoffnungsvolle „In deine Hände“ des vorangehenden Satzes, aus dem der Terremoto unmittelbar („attacca“) hervorgeht. Dem Terremoto (und den Sieben Worten als ganzen) fehlt damit der positive, versöhnliche Schluss, wie er in zeitgenössischen Passionsvertonungen üblich ist.79 Statt eines in die auf Gott (und die Auferstehung) ausgerichtete Zukunft blickenden Schlusses enden die Sieben Worte offen und alles andere als versöhnlich. Dass Haydn dieses Ende bewusst gewählt und nicht nur auf einen größtmöglichen theatralischen Effekt gesetzt hat, wird bestätigt durch die Rezeptionsgeschichte der 77 Ibid., 262. 78 Drury, Haydn’s Seven Last Words, 143. 79 Vgl. Will, The characteristic symphony, 85.

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Sieben Worte. Als der Passauer Domkapellmeister Joseph Friebert Haydns Komposition in ein Oratorium umarbeitete, entlehnte er für den Schlusssatz Zeilen aus Ramlers populärem Passionsoratorium Der Tod Jesu.80 Frieberts wie Ramlers Text lenken zum Abschluss den Blick von der Kreuzigung zum Ostersonntag. Ramler beendet sein Oratorium nach der Schilderung des Erdbebens mit einem Choral und einem Schlusschor. Der Choral („Ihr Augen weint“) alterniert mit Solo-Einschüben („Weinet nicht  ! Es hat überwunden der Löwe vom Stamm Juda“), die Trost zusprechen und über das Ereignis von Karfreitag hinaus blicken. Der Schlusssatz schließlich richtet sein Augenmerk auf den individuellen Sünder, für den Jesus gestorben und auferstanden ist. Friebert übernahm in seiner Fassung des Haydn’schen Terremoto Teile von Ramlers Erdbebenschilderung („Engelchöre, die steigen nieder und klagen, er ist nicht mehr“), jedoch erweitert er Haydns Komposition um 8 Takte, indem er vor der Schlusskadenz (nach T. 114) in einem Satz im A-capella-Stil den Text einfügt  : „Ach lass uns beym Auferstehn als Erbe im Himmel eingehn.“81 Friebert lenkt damit ebenfalls den Blick auf die Auferstehung, und durch die Einschaltung des A-cappella-Satzes (also eines Stils, der sich dezidiert als Kirchenstil verstand) versöhnte er zugleich musikalisch den Schlusssatz mit der sakralen Klanglichkeit der vorhergehenden Sätze. Haydn dagegen (unter Mitarbeit von van Swieten) verbleibt in seiner Textfassung im Horizont von Golgatha  : Er ist nicht mehr Der Erde Tiefen schallen wieder  : Er ist nicht mehr. Erzittre Golgotha, erzittre  ! Er starb auf deinen Höhen. O Sonne, fleuch Und leuchte diesem Tage nicht  ! Zerreisse, Land, worauf die Mörder stehen. Ihr Gräber, tut euch auf, Ihr Väter, steigt ans Licht  ! Das Erdreich, das euch bedeckt, Ist ganz mit Blut befleckt.

Kein Ostern. Kein Herr von Juda, der rettend in den Lauf der Geschichte eingreift. – Haydns Entscheidung, seine Sieben Worte mit einem derart hoffnungslosen Erdbeben zu 80 Vergleiche zu Ramlers Text den Überblick bei Herbert Lölkes, Ramlers »Der Tod Jesu« in den Vertonungen von Graun und Telemann. Kontext – Werkgestalt – Rezeption (Marburger Beiträge zur Musikwissenschaft 8), (Kassel  : Bärenreiter, 1999), 25–89. 81 Vgl. Will, The characteristic symphony, 125.

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beenden (womit er sich bewusst gegen das von Friebert präsentierte Modell entschieden hat), stieß bei einigen Zeitgenossen, deren Erwartungen an anderen Gattungskonventionen geschult worden waren, auf Unverständnis. Ein Rezensent im Musikalischen Taschenbuch stellte 1805 fest, er könne sich nicht genug wundern, wie der Componist, der durch die angehängte Darstellung des Erdbebens die Realität dem Idealen entgegensetzen sollte, von einer Höhe in eine so gemeine, widrige, und die heilige Wirkung des Ganzen vernichtende Natürlichkeit gefallen ist.82

Aus Sicht der Musikästhetik des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts hätte, wie Richard Will festgestellt hat,83 auf das Erdbeben ein versöhnliches Element folgen müssen. Das „Ideale“ (die transzendente Ordnung), dem die Realität entgegenstand, hätte – und sei es auch nur als entfernter Hoffungsschimmer – sich durchsetzen müssen. Gerade dazu ist Haydn nicht bereit. Sein Terremoto spiegelt somit den „Einbruch der Natürlichkeit“ in den Erdbeben von Lissabon und Messina, die die Validität des Idealen (und die Hoffnung, dass nach ihrer temporären Negation im Tod Jesu die historia sacra84 und die göttliche Ordnung wieder hergestellt sein würden) infrage gestellt hatten.85 Die beiden Sätze der Sieben Worte, die zuvor als Gravitationspunkte der divergierenden dynamischen Kräfte in der zyklischen Gestaltung des Werks herausgestellt wurden, die vierte Sonate („Mein Gott, warum hast du mich verlassen ?“) sowie der abschließende Terremoto stehen damit in einem engen semantischen Zusammenhang. In ähnlicher Weise wie die vierte Sonate die Gottverlassenheit (oder vorsichtiger formuliert  : die scheinbare Gottverlassenheit) Jesu thematisiert, also letztlich das Scheitern der Beziehung zwischen dem Menschen und der transzendenten weltordnenden Macht, 82 Musikalisches Taschenbuch auf das Jahr 1805, hg. von Julius Werden (Penig  : Dienemann, 1805), 61–62. 83 Will, The characteristic symphony, 127. 84 Vergleiche zur Infragestellung der Historia Sacra als weltanschauliches Konzept im 18. Jahrhundert  : Stefanie Stockhorst, „Zeitkonzepte. Zur Pluralisierung des Zeitdiskurses im langen 18. Jahrhundert“, Das achtzehnte Jahrhundert 30 (2006), 159–60  ; sowie Sicco Lehmann-Brauns, „Zur Neuvermessung der Geschichte in der Aufklärung. Philosophische Retroduktionsversuche nach der Entkräftung der ,historia sacra‘“, Das achtzehnte Jahrhundert 30 (2006), 165–78. 85 Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Textauswahl an dieser Stelle von van Swieten bestimmt wurde, der einer aufgeklärten Frömmigkeit näher stand als etwa Haydn – vergleiche dazu Georg Feder, Die Schöpfung (Kassel u.a.  : Bärenreiter, 1999), 16. Der negative, ja resignative Schluss wäre damit auf seinen Einfluss zurückzuführen und nur bedingt als Beleg für Haydns eigene Frömmigkeit heranzuziehen. Allerdings nimmt der Text nur eine Sicht auf, die bereits musikalisch in der von van Swieten unbeeinflussten Instrumentalfassung angelegt ist. Selbst Friebert hatte die Musik ändern müssen, um seiner Version des Oratoriums eine positivere Wendung zu geben. Sollte also die Textwahl in Haydns Oratorienfassung auf van Swieten zurückgehen, so würde diese doch nur eine Verstärkung des in der Urfassung Vorliegenden, nicht jedoch eine kategorielle Neuorientierung bedeuten.

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so waren auch die Erdbeben von Lissabon und Messina, in der Sicht zumindest einiger Philosophen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, eine Infragestellung des etablierten judäo-christlichen Weltbildes. Dass bei Haydn dieses Verständnis zumindest mitgedacht werden muss, zeigt nicht nur seine Textierung des Terremoto in der späteren Oratorienfassung der Sieben Worte, sondern auch bereits die musikalische Gestaltung des Erdbebensatzes, vor allem auf harmonischer und rhythmischer Ebene. Der langsamste und der schnellste Satz des Zyklus weisen somit in dieselbe Richtung. Oder anders gewendet  : Die in der vierten Sonate thematisierte Gottverlassenheit führt schließlich zu dem zerstörerischen Erdbeben, das die Weltordnung buchstäblich „auf den Kopf “ stellt. Mit dem fehlenden Ausblick auf Ostern und die Auferstehung fehlt den Sieben Worten jenes teleologische Moment, das Passionsvertonungen der Zeit ausmacht. An die Stelle soteriologischer Hoffnung tritt schließlich ein offener Zeithorizont.86 Wir kommen damit zurück zu der zuvor angeschnittenen Frage, wie sich die Erdbebenschilderung in den Sieben Worten zum aufklärerischen Erdbebendiskurs in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verhält. Es steht außer Zweifel, dass der Schlusssatz die klangliche Sphäre der vorangehenden Sätze, die wir zuvor als dezidiert sakrale Sphäre charakterisiert haben, durchbricht. Im Kern geht es darum, ob der Schlusssatz (und die ihn charakterisierenden musikalischen Parameter) dieser eine Sphäre des Erhabenen (und damit gleichfalls Sakralen) entgegenstellen will (womit das Erdbeben dem bei Telemann geschilderten nahestände),87 oder ob er gerade jene sakrale Sphäre infrage stellt.88 Haydns kompositorische Gestaltung des Schlusssatzes, der nicht nur das Erdbeben bildlich-dramatisch schildert, sondern dabei auch die musikalischen Zeit­ ordnungen verschwimmen lässt, gibt Anlass zu der Annahme (möglicherweise unter dem noch frischen Eindruck des verheerenden Erdbebens in Messina), dass Haydn es bewusst auf eine Negation der „sakralen Langsamkeit“ angelegt hat. Der Terremoto wäre damit sowohl Zielpunkt des gesamten Zyklus – dies haben unsere Überlegungen zu Beginn dieser Studie gezeigt – als auch Negation desselben. Der Erdbebensatz endet

86 Vergleiche zum Begriff der „offenen Zukunft“  : Reinhart Koselleck, „Zeitverkürzung und Beschleunigung. Eine Studie zur Säkularisation“, ders., Zeitschichten. Studien zur Historik (Frankfurt/M.  : Suhrkamp 1999), 190. 87 Henning Bey hat jüngst im Rekurs auf Kochs Definition des „Erhabenen“ den erhabenen Charakter der Sieben Worte herausgestellt, ohne dabei jedoch näher auf die Funktion der Langsamkeit in der Eingangssätzen oder auf die davon abgesetzte und kategoriell anders geartete Erhabenheit im abschließenden Terremoto einzugehen, siehe Bey, Haydns und Mozarts Symphonik nach 1782. Konzeptionelle Perspektiven (Deutsche Hochschuledition 141), (Neuried  : Ars Una, 2005), 151. 88 Dies schließt nicht aus, dass auch Haydns Erdbeben als erhaben wahrgenommen wurde. So bezeichnet Christmann in seiner Rezension in der Musikalischen Realzeitung (1788) den Terremoto als „schauerlich”, womit er sich eines Begriffs bedient, der im ästhetischen Erhabenheitsdiskurs in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von zentraler Bedeutung ist und als „schauerlich schön“ oder sogar als „heilger Schauer“ häufig begegnet.

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im Nichts und nicht in einem Preis der erhabenen Macht Gottes.89 Dies wird untermauert und bekräftigt durch den Text der späteren Oratorienfassung, in der Haydn bewusst und in Ablehnung des versöhnlichen Endes bei Friebert die Ausweglosigkeit des Geschehens von Golgatha akzentuiert. Dies erklärt auch die ungewöhnliche Tonartenwahl am Schluss der Sieben Worte. Haydn beginnt den Zyklus in d-Moll und endet in c-Moll. Während ein Quintabstand zwischen dem ersten und dem letzten Satz eines Werkes nicht ungewöhnlich wäre, ist der Sekundabstand überraschend. Wenn wir allerdings die Dynamik betrachten, mit der Haydn diese letzte Tonart erreicht, und überdies in Betracht ziehen, dass die Welt, die noch in der Introduktion und in den ersten Worten Jesu bestand, nicht mehr dieselbe ist (dass sie buchstäblich „auf den Kopf “ gestellt wurde), dann hat das Unabgeschlossene des Zyklus gerade aus sich selbst heraus seine Berechtigung.

VIII. Ein „verunglückter Versuch“  ? Der Schweizer Musikkritiker Hans Georg Nägeli bezeichnete Haydns Sieben Worte als „verunglückten Versuch“90  ; nur durch den ursprünglichen Entstehungskontext im Rahmen der Karfreitagsfeiern in Cadiz sei das Werk überhaupt ästhetisch legitimiert.91 Nägeli stößt sich vor allem an der scheinbar unprofilierten Abfolge von langsamen Sätzen, die, um auf unser Zeitproblem zurückzukommen, statisch aneinandergereiht zu sein scheinen. Charles Burney hob dagegen in seiner General History of Music hervor  : It entirely consists of slow movements, on the subject of the last seven sentences of our Saviour, as recorded by the Evangelists. These strains are so truly impassioned and full of heart-felt grief and dignified sorrow, that though the movements are all slow, the subjects, keys, and effects are so new and so different, that a real lover of Music will feel no lassitude, or wish for lighter strains to stimulate attention.92

Burney sieht somit gerade in den Gegensätzen der Sonaten sowie in der Textausdeutung die Qualität des Werks. In seiner Einschätzung sind somit die Sätze gerade nicht 89 Dies ist anders in der dem Terremoto musikalisch durchaus ähnlichen Darstellung des Sturmes in den Jahreszeiten, die deutlich als Darstellung der Erhabenheit Gottes (oder zumindest der Erhabenheit der göttlichen Natur) gestaltet ist. Zum „Erhabenen“ bei Haydn siehe auch  : James Webster, „The Creation, Haydn’s Late Vocal Music, and the Musical Sublime“, Haydn and His World, ed. by Elaine Sisman (Princeton, NJ  : Prince­ton University Press, 1997), 57–102. 90 Allgemeine musikalische Zeitung 5 (29. Dezember 1802), 234. 91 Siehe dazu auch Will, The characteristic symphony, 110. 92 Burney, A General History of Music, Vol. IV (London  : Harcourt, Brace and Company, 1789), 601.

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Markus Rathey

statisch, sondern folgen einerseits dem Postulat der Diversitas und andererseits der narrativen Logik der Passionsgeschichte. Die musikalische Gestaltung zeigt in der Tat ein prozedurales Element. Haydn hätte die Sieben Worte als Tableaus vertonen können, als „sieben Adagios“, wie es es selbst in seiner Beschreibung etwas missverständlich ausgedrückt hatte. Eine solche statische Darstellung hätte durchaus ihren Platz in einer barocken Komposition gehabt  : die Worte Jesu als über-zeitliche Mitteilungen. Jedes eine göttliche Offenbarung – Offenbarungen der historia sacra. Dieses Zeitverständnis war jedoch im 18. Jahrhundert erschüttert worden, wie Koselleck und andere nachdrücklich gezeigt haben.93 So wie zeitgenössische Passionsdarstellungen das Leiden Jesu (und damit seine menschliche, zeitliche Seite) in den Mittelpunkt gestellt haben,94 stellt auch Haydn das emotionale Element (und dessen Narration) in den Vordergrund. Resultat ist eine Zeitgestaltung, die die konzentrische Anlage mit einer linear-zielgerichteten verbindet. Die Sieben Worte sind nur scheinbar statisch, bei genauer Betrachtung gelingt es Haydn, der Reihung langsamer Sätze eine graduelle Dynamik zu verleihen, die schließlich zum abschließenden Terremoto hinführt, das die zuvor etablierten Zeitstrukturen (obgleich aus ihnen erwachsen) radikal infrage stellt. Diese Negation des Sakralen speist sich aus zwei Quellen  : der Beschleunigung im Schlusssatz, die dem Langsamkeitsideal geistlicher Musik, das in den vorangehenden Sätzen evoziert wird, entgegengestellt wird, und dem intertextuellen Verweis des Terremoto auf die in der jüngsten Vergangenheit geschehenen Erdbeben von Lissabon und (vor allem) Messina, die ihrerseits geistesgeschichtlich zu einer Revision der Wirklichkeits- und Zeitwahrnehmung geführt haben.

93 Zum Verhältnis von „Tableau“ versus „Prozess“ siehe Daniel Fulda, „Rex ex historia. Komödienzeit und verzeitlichte Zeit in Minna von Barnhelm“, Das achtzehnte Jahrhundert 30 (2006), 179–192, hier 179 f. 94 Vergleiche dazu Lölkes, Ramlers „Der Tod Jesu“ (Anm. 80), 60  ; sowie Ingeborg König, Studien zum Libretto des „Tod Jesu“ von Karl Wilhelm Ramler und Karl Heinrich Graun (Schriften zur Musik 21), (München  : Katzbichler, 1972), 50.

VII Sarah Day-O’Connell

“THE CLOCK STILL POINTS ITS MORAL TO THE HEART” Singing about Time in Haydn’s London

In the story of Haydn’s life, Johann Peter Salomon plays a particular and pivotal role  : an enterprising violinist, composer, and impresario, he triumphed spectacularly in bringing Haydn to London during the 1790s, and he enjoyed prestige and financial gain as a result. If thereafter Salomon typically falls out of the picture, it is because he is concealed by our customary historiographical perspective. Adjusting that perspective — in particular, retraining our focus from public-sphere concerts to the equally active realm of amateur and domestic-sphere music making — we find that Salomon pops clearly back into view, indeed still riding Haydn’s coattails towards commercial success. In 1801 and 1804 he published two sets of “canzonets,” or solo songs for domestic entertainment, a genre that Haydn had brought to significant heights of popularity during his London visits. Salomon followed Haydn in his choice of texts, setting several by Anne Hunter, who was known not only as Haydn’s poet but also his muse and friend.1 One of these, “When Hawthorne Buds Bloom Sweetly,” even includes a brief allusion to Haydn’s famous canzonetta “A Pastoral Song.”2 The present essay begins by turning the tables on Salomon and taking advantage of the entrepreneur. The trend-spotter is made historical informant  : Salomon’s nose for the popular and lucrative directs our attention to musical and cultural contexts in which Haydn’s canzonettas were originally sung and heard. “Hawthorne Buds” (Fig. 1) proves to be a profitable starting place in this venture, for in this case Salomon was doubly enterprising. In addition to sporting the Haydn/Hunter connection, the song also partakes of a vogue that has since gone largely unexplored  : the practice of women 1 Anne Hunter was the poet and dedicatee of Haydn’s first set of canzonettas (1794) and may have also chosen the texts (one was her own) for his second set (1795). Hunter’s “O Tuneful Voice” has been described as a farewell poem to the composer  ; Haydn published his setting of it in 1806. See H. C. Robbins Landon, Haydn  : Chronicle and Works. Vol. 3, Haydn in England 1791–1795 (Bloomington and London  : Indiana University Press, 1976), 315. 2 Measure 42 of “Hawthorne Buds” recalls the triadic figure in m. 8 of “A Pastoral Song.” On Anne Hunter’s interaction with Salomon, see A. Peter Brown, “Musical Settings of Anne Hunter’s Poetry  : From National Song to Canzonetta,” Journal of the American Musicological Society XLVII/1 (Spring 1994), 77–87.

Figure 1a: J. P. Salomon, Six English Canzonets [1801] “When Hawthorne Buds,” mm. 69–109. © British Library Board. All Rights Reserved H.1683.(13).

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Figure 1b: “When Hawthorne Buds,” mm. 110–32.

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singing songs about time. (The trend is catalogued in Table 1, and the texts of all the songs discussed in this essay appear in the appendix.3) The first two sweetly pastoral verses (with birdcalls, rolling triplet accompaniment, and straightforward modulation to the dominant) connect “village maids” with springtime. The second half of the song, however, takes a dark turn  : Yet soon the spring time over The fading pleasures fly Nor can we e’er recover The blossoms when they die.

Spring’s end comes “soon” in the text, but in musical performance it happens in an instant, when the portentous third verse begins abruptly in G minor. After vacillating between the major and minor mode it launches what will prove to be an ominous two-octave descent after the word “die.” Should there linger for the listener any doubt about the allegory operating here, the fourth verse makes it plain, even plainly menacing  : Then maidens fair take warning And mark the passing year For dark and cold as we grow old The winter months appear.

In performance, a singer might emphasize the major-mode opening of this final verse (for example with a brighter timbre) which happens to bear a motivic relationship to the happy first verse — thereby not only recalling the blithe ignorance of the village maids, but also lulling the listener into expecting passive, pleasing listening. The listener, then, would have the actual experience of being shaken out of complacency. For what follows is a descending scale in the left hand at m. 84, which, perhaps with the addition of a slight retard, could sap the vigor of the accompaniment, while a slightly slower tempo could cause the voice to really languish at the word “dark” for two bars (m. 86), and then slump listlessly between C and B as if approximating an indolent, stretched-out trill (m. 89–94). Awkward off-beat accents that fall on the “wrong” words (“and” and “as” rather than “dark” and “cold”) and the presence of a maladroit extra syllable would need little further emphasis to communicate that coherence is waning. At 3 Others of these songs are discussed in a companion essay entitled “Watches Without Pockets  : Singing About Minutes in a London Drawing Room, Circa 1800,” Coll’ astuzia, col guidizio  : Essays in Honor of Neal Zaslaw, ed. Cliff Eisen (Ann Arbor  : Steglein, 2009), 268–85.

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this point, lacking an impetus to melody, the vocal style might become markedly more declamatory, and the warning of the text made more ominous by pedaling the repeated Neapolitan 6th chords at m. 98, commonly a signifier of mourning or lament. The fermata and tempo marking un poco piu lento further deplete the energy. At the final vocal cadence at the end of the song, the elided slippery chromatic descent confirms the message  : the maidens, like the music, have simply run out of momentum.4 Village maids don’t simply dance during spring — in essence, they are spring, and as such, they are fleeting pleasures that fade quickly and irreversibly. While seasons and other natural markers of time had served for centuries as an analogy for the human life cycle,5 my purpose here is to explore time’s frequent connection to women in terms of new conceptions of time characteristic of this period — conceptions closely related to the burgeoning disposition toward production, entrepreneurship, and capitalism displayed by Salomon and indeed the middle class at large.6 Whereas time was commonly construed by earlier generations as belonging to God, the eighteenth-century merchant made profit from time (measuring it to coordinate commercial trade or to increase efficiency) and ultimately linked time to human commodity. As Benjamin Franklin declared, “time is money”7  ; both were quantifiable, both were “spent” or “saved.” From this period on, even private life was regimented by

4 The conclusion on a first inversion chord is almost certainly a misprint. In any event, some (though perhaps only the least sophisticated) performers would probably have played the notation literally, a faltering conclusion to a disquieting song. 5 For an historical view of the Ages of Man trope, see Elizabeth Sears, The Ages of Man  : Medieval Interpretations of the Life Cycle (Princeton  : Princeton University Press, 1986). 6 Scholars have described the decades from 1660 to 1760 as the “temporal revolution” or “horological revolution,” a period when clocks became sufficiently precise, accessible, and practical to support the needs of urban society. Time keeping became a matter of broad public concern. Calendar reform finally arrived in Protestant Europe  ; England joined suit in 1753. The quest to accurately determine longitude at sea by means of an accurate and resilient horological device was finally concluded in 1773. 1784 saw a concerted and successful effort to unify the public mail system, also based on strict time keeping. Key works that document and explain shifting perceptions of time from an historical perspective include  : Chronotypes  : The Construction of Time, ed. John Bender and David Wellberry (Stanford  : Stanford University Press, 1991)  ; David S. Landes, Revolution in Time  : Clocks and the Making of the Modern World (Cambridge  : Belknap Press, 1983)  ; Samuel L. Macey, Clocks and the Cosmos  : Time in Western Life and Thought (Hamden  : Archon Books, 1980)  ; Lewis Mumford, Time and Civilization (New York  : Harcourt, 1964)  ; Stuart Sherman, Telling Time  : Clocks, Diaries, and English Diurnal Form, 1660–1785 (Chicago  : University of Chicago Press, 1996)  ; Anthony Sinclair, “Time and Class,” Archaeological Review from Cambridge 6, no. 1 (1987)  ; G. J. Whitrow, Time in History  : The Evolution of Our General Awareness of Time and Temporal Perspective (Oxford  : Oxford University Press, 1988). For a broad philosophical investigation of changes in the shape of musical time, see Karol Berger, Bach’s Cycle, Mozart’s Arrow  : An Essay on the Origins of Musical Modernity (Berkeley  : University of California Press, 2007). 7 “Remember that time is money” is the first line of Franklin’s Advice to a Young Tradesman, written in 1748.

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the watch in the pocket or the clock on the wall or mantle.8 The commodification of time, and its constant presence even in ostensibly non-commercial spaces, increased its perceived value. “In a commercial country,” Samuel Johnson observed, “[…] time becomes precious.”9 Lord Chesterfield instructed his son in a similar vein  : “there is nothing which I more wish that you should know […] than the true use and value of Time.10” So, given an ethos that esteemed the best possible use of valuable time, how shall we account for spare time spent singing  ? And why, in particular, did women pass time by so often singing about time  ? *** We can begin to explore these questions by imagining a London drawing room of one of Haydn and Salomon’s contemporaries, in which a young lady accompanies herself singing one of several dozen “time” songs by James Hook. On this particular occasion (inspired perhaps by the company, or a novel she is reading), our lady is feeling playful, even flirtatious. She begins by singing “Morning” (Fig. 2), which allows her to exchange the distanced voice of a narrator for the direct, first-person voice of a lover  : she utters active, sensual verbs and evokes vivid images of frolicking lambs and, significantly, charming birds that sing of love. It is clear from the first line that she is headed toward lovemaking, even though she will “blush” and merely “taste sweets” along the way. At the keyboard, she renders an imitative prelude that beckons “come, follow me.” Steady rhythmic motion follows through the first two verses, but when she exploits the fermata at m. 60 to its fullest effect, lingering and delighting in the moment when the songbird “charms the list’ning Swain to love,” even the most oblivious of her listeners can’t help but notice the twinkle in her eye — “Aha,” they surmise, nodding, “quite the charming songbird is she.” And on this particular evening, she is not about to demur. She turns immediately to singing Hook’s “Spring,” appealing for a few eligible men of the party to join her on the (optional) accompanying string parts  ; at once flustered and eager, they agree. “Spring” also has a flirty text and sensual imagery  : flower buds swell and open, lovebirds sing duets with their mates, and, significantly, the Cuckow (sic) proclaims in the second verse, “nature marks this for the season to woo.” While spring is evocative of love, it is a fair maid who stands for the “youth of April” or the “blooming of May,” and likewise it is feminine Daphne “whose charms are like spring in their prime.” The singing lady   8 Clock designs for private spaces are described and analyzed in Gavin Lucas, “The Changing Face of Time  : English Domestic Clocks from the Seventeenth to Nineteenth Century,” Journal of Design History 8, no. 1 (1995).   9 James Boswell, The Life of Samuel Johnson (London  : Printed by Henry Baldwin for Charles Dilly, 1791), 365. 10 Letters to His Son by the Earl of Chesterfield  : On the Fine Art of Becoming a Man of the World and a Gentleman, ed. Oliver H. Leigh, (New York  : Tudor Publishing Co., 1937), 37.

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Figure 2: James Hook, The Hours of Love [ca. 1780] “Morning,” mm. 1–68. Courtesy of the Cox Library of Music and Dance, Cornell University ++M1621.3.H78.

is first conflated with times of the day or seasons, and then, precisely through this connection, with love and courtship. On this occasion, our singer brazenly adopts an exaggeratedly eager delivery and mock wide-eyed innocence at the words like “faithfull” and “alone.” The unspoken punchline of her theatricality is the female cuckoo’s well-known habit of leaving eggs in others’ nests, the source of the term “cuckolding,” female infidelity that causes the male mate to raise offspring other than his own. The wooing cuckoo is hardly faithful, but crafty. Our lady’s performed connection with time, together (in this instance) with her tongue-in-cheek praise of fidelity and her coquettish musical “winking,” is a connection that teases her listeners, and allows them to imagine her privately as amorous, available, and inviting.11 11 Because it would disrupt the more conventional female gender role of sincere singing about love, such a

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Taking a break from this titillating music, the lady and her gathered friends turn, as is their custom, to passing around collections of prints obtained with the evening’s entertainment in mind. The first set to circulate depicts courting couples, fashionably dressed according to the changing seasons. “Summer” (Fig. 3) describes a half-naked, ruddy maid who “swells,” her cheeks burning, upon seeing the healthy, rustic youths who toil in the meadow.12 The composure of the illustration’s not-at-all-naked couple keeps the image within the bounds of propriety for the company that admires it. But the depiction of the peeking escort admits the image’s connection to the accompanying, fragmentary text, which is conspicuously arousing  : less sophisticated than her poised younger charge, she is in thrall to her fantasy as she gazes smilingly on the gentleman. Among the less abashed, another collection makes the rounds. In John Collet’s print, “Autumn” (Fig. 4), the female exposes her leg seductively as she descends a ladder from an apple tree drooping with ready fruit  ; her companion, one hand resting on a gun, feigns helpfulness by grasping toward her bosom where she clutches her yield. Signs of readiness, maturity, and harvest are everywhere (the tree, the hare, the grapes), but only the African servant, taking advantage by eating a freshly-picked apple, misses the point that this scene is not about “reaping the bounty” in an agricultural sense. It is the lady who is ready to be picked. In this drawing room gathering, then, songs and images conspire to make time serve as the common currency between women and love. Natural markers of time evoke love  ; women are associated with seasons and times of day, and thereby, with love. In the drawing room, a new mantle clock strikes. Guests look up from the prints, gather their music books, pause their conversations, and take note of the time. Parties have always come to an end, but not always by the decree of the clock. Ladies had sung about both love and time for centuries, but they did so at the end of the eighteenth century in a context where the meaning of time had dramatically changed. The drawing room, a locus of private life, had been infiltrated by the demands of clockmeasured time  ; it had seen time take on associations with productivity and features of commodification for consumption. In this context, women’s conflation with time through song and visual image, could, despite being an old convention, take on new shades of meaning. Passing the time by singing about time effectively reified the singing ladies as products, too — products ready for, indeed made for, love. performance would amount to a “resistant reading” of the sort originally set forth by Judith Fetterley in The Resisting Reader  : A Feminist Approach to American Fiction (Bloomington  : Indiana University Press, 1978). Systematic speculation about the possibilities of such resistant performances have been taken up more recently by musicologists. See, for example, Matthew Head, “If the Pretty Little Hand Won’t Stretch  : Music for the Fair Sex in Eighteenth-Century Germany,” Journal of the American Musicological Society 52, no. 3 (1999). 12 The texts are excerpts from James Thomson’s The Seasons (1730).

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Figure 3: Summer [1794]. Courtesy of the Lewis Walpole Library, Yale University 794.5.12.42.

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Figure 4: John Collet, Autumn [1779  ?]. Courtesy of the Lewis Walpole Library, Yale University 779.1.1.5.

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In his study of illustrations for James Thomson’s poem The Seasons, Ralph Cohen argues that the late eighteenth-century connection of women and natural markers of time was characterized by an urge toward simplification.13 In the early decades of the century, illustrations of The Seasons had depicted multiple moments from the poem within a single visual scene and mythical figures were employed in an effort toward “universalizing” the subject matter. In the last decades of the century, the number of actions and detail were reduced, and illustrations became overwhelmingly feminine, considered “merely” decorative, as opposed to interpretive, of the poem’s text. This transformation took place in tandem, in Cohen’s reading, with increased production and lower artistic standards. Decorative illustrations were sentimental, domesticated  ; allegories were “supplanted by a naturalistic and prettified view.” The domestication of The Seasons affected literary criticism of it  : whereas commentators had traditionally held that the poem possessed weighty moral value, by 1785 John Scott denounced its “moral sentiment [which] is the cheapest product of mankind.” Meanwhile, through increased popular interest in the field of geology, the seasons took on even darker shades of meaning. Geologist John Whitehurst, for example, held that when God sent the great Biblical flood to wash the earth of evil, He also ended the universal temperature and “perpetual spring and harvest” the pre-flood earth had enjoyed. The new cycle of seasonal change served, Whitehurst claimed, as a reminder of humanity’s intrinsically sinful nature. Whitehurst’s views on geology had a broad readership that included scholars like Erasmus Darwin and Benjamin Franklin, but his diverse interests — as painter, flutist, and indeed clockmaker — made him well known and accessible to the public. Josiah Wedgwood consulted Whitehurst on his stylish ceramics known as Black Basaltes that capitalized on public fascination with his archaeological discoveries. One of his purposes in his geological studies, a purpose that he admitted forthrightly in print, was to contribute to the “entertainment” of the learned reader. But there was a sense of outrage contained in this amusement. Lost forever, according to Whitehurst, was the temperate climate that promoted health and long life, while the earth’s compromised fertility and shortage of vegetation necessarily caused inequalities and jealousies that would last for perpetuity. “Hence commenced property,” bemoaned Whitehurst  ; “hence the necessity of law, dominion, and subordination” to combat “dishonesty, fraud, and injustice.” In popular scientific, visual, and literary culture, then, seasons were deprived of their broad allegorical force and their participation in comprehensive moral formation (as in later illustrations of Thomson’s poem), and reinterpreted as directly indicative of humanity’s sinful state (as in Whitehurst), but they took on a significant role in defining 13 Ralph Cohen, The Art of Discrimination  : Thomson’s The Seasons and the Language of Criticism (Berkeley  : University of California Press, 1964), 248–80. Quotes appear on 268 and 270.

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Figure 5: [James Gillray  ?], Nature Display’d (1797). Courtesy of the Wellcome Library 26648i.

femininity. In Nature Display’d (Fig. 5), a 1797 print attributed to James Gillray,14 women’s heads are replaced with seasonally appropriate plants.15 The “garden” is slang for a female pubic area — the seasons affect her sexuality such that in spring she is “cheap” and “easy” like penny primroses, in summer she has reached her prime and by fall she 14 Mary Dorothy George, Catalogue of Political and Personal Satires (London  : British Museum, 1942), 7  :395. 15 On this print in particular and on the late-eighteenth-century relationship of science and gender in general see Ludmilla J. Jordanova, Nature Displayed  : Gender, Science, and Medicine 1760–1820 (London  : Longman, 1999).

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yields a harvest. By winter she is still sexual, though only in an artificial sense — a “hot house” where plants are grown and gardens tended by force of effort, not of nature. The effect is obviously contrary to the weighty messages of early illustrations of Thomson’s poem. Framing her life in terms of the seasons reduces her to sexual productivity alone. But the misogyny at work here goes beyond the sentimental and decorative aspects of drawing room illustrations. What these women have in common is a “garden” area affected by unpredictable, stormy effects  ; it is therefore no compliment to be likened to seasons, even in a (to quote Cohen) “naturalistic and prettified” illustration. Women connected to time suffer from time’s increasing associations with productivity, for her seasonally-dependent productivity is unpredictable and troublesome. The improved ability to measure time had led to an increased sense of power over time. With time itself now commonly conceptualized as a quantifiable object, the equation in song of women and time could imply the concretizing, defining, and subjugating of the fair sex. The terms of such an association could be negative because in the context of burgeoning urbanization and industrialization, seasons were losing some of the relevance they had held in the more agrarian-based economies of past generations — indeed, seasons could be considered an irksome obstacle, for while work happens in a rural economy according to, and on account of, the seasons, industrial work takes place despite them. Absent their wholesome associations, seasons’ depiction potentially insinuated trivialization and deprecation. Specifically, references to time in terms of its new valences could reduce Woman to sex, a reduction that was negative not only in its one-sidedness but in its very tone, for it depicted female sexual function as troubling and problematic. Being defined by new understandings of old markers of time meant that women could be answerable to new time’s demands  : their connection to time amply colored by time’s commodification, they were subject to its pressure — pressure to be productive in the face of “winter months” that would claim their usefulness all too soon. *** In another drawing-room gathering, the evening’s entertainment commences. The repertoire is similar — time is again a topic of the sung texts — but the meaning and significance is different. In Salomon’s “Say Not That Minutes Swiftly Move” (Fig. 6), the singing lady boldly rejects the contention expressed in an idiom of then very recent origin, “time flies when you’re having fun,”16 and asserts an alternative interpretation  : happy times are actually a lengthy “age of bliss,” while sadness takes the time of a short “pang” 16 American Heritage Dictionary of Idioms (Boston  : Houghton Mifflin, 1997). s.v. “time flies,” http  ://www.credo reference.com/entry/637985/. Accessed 31 December 2008.

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Figure 6: J. P. Salomon, A Second Set of Six English Canzonets (1804) “Say Not That Minutes Swiftly Move”. © The British Library Board. All Rights Reserved G.425.mm.(24).

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that ends in death. Like the familiar idiom, her version is an acknowledgement that time is in fact externally determined and measured in intervals of fixed length — but she offers, and prefers, her own conception of how time can nevertheless seem relative. This is plainly apparent in her contrasting performance of the first and second stanza  : the first (referring to happy time) is pleasing and lyrical while the second (referring to sad or painful time) is dramatic, with repeated lines, a wider range, and exaggerated dynamics that heighten the effect of the accompanied recitative. But her interpretation is also subtly unified in a focus on the idea of relative time, time that is experienced in different ways depending on its context. When the text enters on a new melody after the introduction, the lady clarifies that these melodies are related in the pitch content of each respective first two phrases and their harmonic support. She draws out the circling chromatic figure (first heard as E-D#-E-[G]-D in m. 2), not only when it reappears plainly (mm. 10 and 20) but also in its several new guises brought about by new contexts in mm. 5–6, 8, 16, 19, 22, and 32  ; a shortened version (mm. 12 and 18) ends up lending its unique articulation (wedges on the last two eighth notes) to one of the transformations (m. 22). Time’s relativity is further conveyed in the inconclusive treatment of the tonic in the second half of the piece, and, thereby, the elusiveness of the ending. After the dramatic climax in m. 24, the final line, “the pang tho’ short would surely kill,” pauses first on a deceptive cadence (m. 26), then on an ethereal and mournful Neapolitan chord (m. 29), repeated, chorale-like, before settling on D minor (m. 32). In m. 33 a G minor harmony over a D pedal serves as an antithesis to the searing high G of the climax in m. 24. The F# of the penultimate measure sounds less like a convincing D major conclusion than a Picardy third closing a piece set in the minor mode  : the “structural cadence” (mm. 31–32) resolved unequivocally — and unusually — to D minor. But this ambiguity began in m. 22  : a D major tonic, or dominant of iv  ? Measure 28 slips almost listlessly from D major to D minor — the F# perhaps a passing tone between dominant and tonic. Even m. 32, after the structural cadence, fleetingly raises the question again with the addition of F# in the tenor, though the resulting chord quickly becomes the dominant of the upcoming G minor. The canzonet ends in the “correct” key, but does so plagally. In a canzonet depicting time as relative to and dependent on its context, the home key remains non-committal and leaves the listener with little sense of the “time” of the piece — how long the piece will last, or when it will end.17

17 In Bach’s Cycle, Mozart’s Arrow (fn. 6) Karol Berger suggests that before the eighteenth century music was “in time” or “took time” but did not require of the listener an orientation towards understanding music in terms of past and present. From this perspective, “Say Not That Minutes Swiftly Move” suggests a rejection of a new distinction between earlier and later musical time — that is, of location within a linearly conceived musical whole.

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Figure 7: Joseph Haydn, “Recollection,” mm. 30–41. Joseph Haydn Werke, series 29, volume 1, Lieder für eine Singstimme mit Begleitung des Klaviers, ed. Paul Mies (Munich  : Henle, 1960). Used by permission.

Emboldened by her intrepid challenge to time’s regularity, the lady turns her attention to defying time’s forward motion. By way of Haydn’s canzonetta “Recollection” (Fig. 7), she broaches the possibility of revisiting past time. In the first verse, alas, “time can ne’er restore” the lovers’ delightful days spent together  ; that is, time, pushing forward, prevents a return of what is past. But in the second verse, the protagonist uses her powers of memory and “fancy” (imagination) to combat this unrelenting forward motion of time. In her memory she revisits her past delight  ; in her imagination she rewrites past time according to her fondest longings. It’s true that in the end she wakes  ; her visions fade and she returns to endless woes, answering in the affirmative the question of the first stanza (“O days too fair, too bright to last, are you indeed forever past  ?”) — the past is indeed the past despite the combined efforts of memory and imagination. But the most gripping and memorable moment in the midst of the lady’s performance is an imaginative passage that offers a glimpse of what it would be like to thwart time’s perpetual forward motion  : the haunting unison (octave tripling) of mm. 34–35. Played with the dampers up on an English fortepiano, the timbre here would contrast starkly with the rest of the piece. This brief passage, itself “outside of time” with respect to the character and phrase rhythm of the rest of piece, sets both

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“which time can ne’er restore” in the first stanza and “all the past replace” in the second — crystallizing the contrast between time that moves independently forward and time that can be relived. Guests in the drawing room take a break from the music, but the themes of time and memory are firmly ensconced in their minds. They take turns reading aloud from Samuel Rogers’s poem The Pleasures of Memory (1792), which is at once a dramatic story and a thoroughgoing, multifaceted exposition on memory’s abilities.18 Rogers describes what he calls the “perfect degree of memory” — figured feminine throughout — which combines acts of “preservation” (that is, preserving the past) with “inspiration” (a creative impulse)  : Entranced she sits  ; from youth to age, Reviewing Life’s eventful page  ; And noting, ere they fade away, The little lines of yesterday.19

These “little lines” that Memory preserves are not limited to individual stories of separated lovers. Those lines document all of human culture and history. The task of preservational memory, according to the poem, is no less than to defend “the treasures of art, science, history, and philosophy.” But what is most profound about Memory — and most surprising to us 21st-century observers — is not her ability to preserve past time but her ability to re-imagine it. “On [Memory’s] agency depends every effusion of the Fancy,” Rogers writes. Memory can “compound or transpose, augment or diminish the materials which she has collected.” To remember, then, does not only mean to keep what is already present, but also to create. To create is to remember and then alter and revise. This is different from “reviewing” and “noting” in the passage quoted above  : Memory not only preserves what is written, but she herself, with the help of inspiration, writes. This representation of imagination broaches the possibility that originality is overvalued, possibly problematic, even impossible. It celebrates an alternative to the capitalistic idea that newness is the requisite measure of quality in creative works. Inspiration creates, it says, but not out of nothing.20 18 Samuel Rogers and Edward Bell, The Poetical Works of Samuel Rogers (London  : George Bell, 1875). 19 This text was set “By a Lady” as a canzonet entitled “Inscription on a Grotto” (1803). 20 Meyer Howard Abrams’s famous formulation is, though very generalized, still relevant here. Abrams described a change in emphasis from imitation to natural genius, creative imagination and emotional spontaneity — terming it a Romantic “cult of originality.” According to Abrams, early Romantic critics sought to shine light upon something new, whereas earlier critics hoped to closely reflect something already there. See Meyer Howard Abrams, The Mirror and the Lamp (New York  : W. W. Norton, 1953), especially 21–23.

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This understanding of imagination interwoven with memory is suggestive for our historical imagining, too — so we return for a last time to the drawing room to hear a lady singing Haydn’s “Pleasing Pain” (Fig. 8). Each of the three verses deals with a different duration of time  : days, hours, and moments. Its title notwithstanding, the song is less about “pleasing pain” than it is about memory’s power to overcome it. The singing lady could embody Memory herself, or a woman in solitude exercising her memory  : she rewrites time as it occurred in her life, replacing “anxious days” with “smiling hours” and gaily gliding “moments.” She issues imperatives that banish doubts and fears, and replaces them with “fairy joys and wishes gay.” She is assisted by her servant, Imagination  : “But ah  ! Return ye smiling hours, / By careless [i.e. carefree] fancy [i.e. imagination] crown’d with flow’rs.” Memory’s “moments” avoid life’s “tumultuous tide” — the 1804 edition of the poems calls these “varied,” not “various,” suggesting that what the speaker wishes to do away with is changeability, variability, tumult. In this reading, what glides undisturbed toward oblivion (a condition defined by Johnson’s dictionary as a sort of forgetting) is not the moments, but the regrets. Memory promotes a preservation that is not simply a non-forgetting, but a rewriting. We can imagine a performance that not only asserts but also reinforces Memory’s power to tell her own story about time. Our singer rushes, as with exasperation, the “flight” motive in the keyboard part, m. 18, accompanying the command to “fly”, but lands on, and sustains, the fermata-marked “fly,” m. 20, with the air of an aristocrat (perhaps from Baroque opera) used to issuing demands. Her forceful rendering of the strong cadence (m. 22) leaves no room for dissent. She is accessing Memory in order to direct the removal of pain in her retelling of her life. The second verse is set to a

Figure 8A: Joseph Haydn, “Pleasing Pain,” mm. 18–20. Joseph Haydn Werke, series 29, volume 1, Lieder für eine Singstimme mit Begleitung des Klaviers, ed. Paul Mies (Munich  : Henle, 1960). Used by permission.

The valorization of memory apparent in canzonets on the subject of “old” time, which date from precisely the era that hosted the paradigm shift, rub against the then-incipient pressure to be original rather than reflect ; these songs ally themselves with older models of creativity.

“The Clock Still Points Its Moral to the Heart”

Figure 8B: Joseph Haydn, “Pleasing Pain,” mm. 21–40.

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new, busier accompaniment appropriate for a newly rewritten experience of past time through memory. The lady pedals the figuration, indicating the dreamy, recreative efforts of Memory, especially at the extended pedal of mm. 28–32. The memory of dancing in sportive rounds that follows (mm. 34–40) is (thanks to Imagination) especially vivid, with sprightly grace notes, clear articulation, and peppy emphasis on the bass suggesting a passamezzo. The flight motive makes a final appearance in the third verse at m. 51, setting up the endless forgetting of “calm oblivion’s peaceful source” that concludes the piece. Emphasizing the conclusion’s strokes and dancing motives underscores that Memory has won out — time is rewritten, and “smiling hours” have successfully replaced “anxious days.” The guests in the drawing room return one last time to Rogers’s poem. The narrator, upon returning to the home of his distant past, comes across an old clock. On the dim window glows the pictured crest. The screen unfolds its many-coloured chart. The clock still points its moral to the heart. That faithful monitor, ‘twas heaven to hear, When soft it spoke a promised pleasure near  ; And has its sober hand, its simple chime, Forgot to trace the feathered feet of Time  ? That massive beam, with curious carvings wrought, Whence the caged linnet soothed by pensive thought  ; Those muskets, cased with venerable rust  ; Those once-loved forms, still breathing thro’ their dust, Still, from the frame in mould gigantic cast, Starting to life — all whisper of the Past  !21

The narrator loves the clock. He is unconcerned with, of all things, its lack of accuracy, for he does not even fault it for having stopped. Instead, he celebrates its appearance and sound, its appeal and simplicity — and he even praises its faithfulness. That it no longer tells time is unimportant. Its value lies in what it tells about time. Ladies who sang about time sang about themselves, for they partook of an activity intended for women. And often, like so many dusty-yet-venerable, stopped-yet-stillbreathing clocks, they sang about time — about the multiple, competing conceptions circulating in a period that had not yet finished marveling, arguing, and worrying about the new temporality that organized work and life. When they sang about time, women could be adored and desired, they could be constant and devoted, and they could serve 21 Rogers and Bell, The Poetical Works of Samuel Rogers (fn. 18), 5, Part I, ll. 56–68.

“The Clock Still Points Its Moral to the Heart”

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to admonish or instruct. They gained the power to rewrite time, to thwart its perpetual forward motion, and to undermine the incessant demand for originality characteristic of the industrial age. With the compass of a pendulum (if not its regularity) they swung back and forth  : consumable objects, products of fleeting and ephemeral value, to powerful preservers of past history and cultural accomplishment, able to rewrite the past according to present purposes. The canzonet of old time, like the stopped clock, “still point[ed] its moral to the heart” — using new time to tell about the women who sang and played. Table 1: Selection of Songs About Time, Published in London, 1770–1820 Composer

Short Title of Collection

Date

Title

Abington, William

Six Favorite Canzonets… Opera 1mo

1795

“The Country”

Bridgetower, Frederic

Six Pathetic Canzonets

1815 (ca.)

“A Shepherd Who Grav’d”

Carter, T[homas]

Days of Love in Four Pastoral Songs

1784

Complete set

Dussek, Jan L ­ adislav

Six Canzonets … It. & Eng. Op 52

1804

“Now While the Moment”

Edwards, Mrs [Elizabeth Edwards]

A Selection of Favorite Canzonetts and Glees… and One Arranged for a Full Military Band

1820?

“How Happy the Season”

Ferrari, Giacomo Gotifredo

Six English Canzonets and a Favourite Canzone of Petrarca

1795?

“The Rose”

Giordani, Sigr

A Fourth Sett of English Canzonetts… Op. XXII

1780?

“Take All the Beauties of Spring”

Haydn, Joseph

Dr. Haydn’s VI Original Canzonettas

1794

“Recollection”; “Pleasing Pain”

Hook, James

Six English Canzonetts for Two and Three Voices… Op. XVIII

1780?

“When Spring Appears”; “Friendship is the Job of Reason”

Hook, James

The Hours of Love, a Collection of Sonnets, Containing Morning, Noon, Evening, and Night

1781

Complete set

Hook, James

The Seasons, a Collection of Pastorals… Opera XXIX

1783

Complete set

Hook, James

The Days of Delight, A Collection of Canzonets… Opera 98

1795?

Complete set

Hook, James

The New Hours of Love, a Collection of Canzonetts… the Words by a Lady. Opera 91

1799

Complete set

Hook, James

The New Year’s Gift for the First Year of the Nineteenth Century… Op 97

1801

Complete set

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Sarah Day-O’Connell

Composer

Short Title of Collection

Date

Title

Hook, James

L’annee, Consisting of Twelve Ariettes Appropriate to Each Month

1802

Complete set

Jackson, William

Twelve Canzonets… Opera Nona

1770

“Time Has Not Thinned My Flowing Hair”; “Alas from the Day That We Met”

Jones, Frances Harriet

Six Canzonets

Lady

Canzonets. By a Lady

1803

“Inscription on a Grotto”

Lyon, Thomas

Six Canzonets… and a Glee for 4 Voices

1795

“Contentment”; “On a Day, Alack the Day”

Mozart, Wolfgang Amadeus

Mozart’s Celebrated English Canzonets

1802

“The Heart’s True Value”; “The Coquet”

Phelps Macdonnell, Edmund

Six Canzonetts

1806?

“An Age is Each Hour”; “Not sort Falling Show’rs”; “When the Maid That Possesses My Heart”

Pinto, Geo[rge]. Fred[erick].

Six Canzonets

1804

“The Smiling Plains”

Salomon, Johann Peter

Six English Canzonets

1801

“Sweet Maid”; “When Hawthorne Buds”

Salomon, Johann Peter

A Second Set of Six English Canzonets

1804

“Say Not That Minutes Swiftly Move”

Shield, William

A Collection of Canzonets and an Elegy

1796

“When Evening Spreads Her Modest Gray”

Slatter, George Maximilian

Six Canzonets, a Trio… and a Glee for Three Voices

1815?

“Morning”

Stevenson, J. A.

Six Canzonets. First set.

1815

“Remember Me My Delia”

Storace, Stephen

Eight Canzonetts

1782?

“Unless with My Amanda”

Webbe, The Elder, Samuel

Six Canzonetts… the Words Taken from Shenstone

1789

“True as the Needle to the Pole”

1802 “How Sweetly Could I Lay (WM) My Head”

“The Clock Still Points Its Moral to the Heart”

Appendix Texts of Songs Discussed, in Order of Appearance Salomon, “When Hawthorne Buds” When hawthorne buds bloom sweetly And vi’lets strew the ground The village maids dance fleetly And pleasure reigns around Then birds sing loud and clearly On ev’ry blossom’d spray And April showr’s and April flowr’s Lead on the smiling May Yet soon the springtime over The fading pleasures fly Nor can we e’er recover The blossoms when they die Then maidens fair take warning And mark the passing year For dark and cold as we grow old The winter months appear Hook, “Morning” Come, come my fair one let us stray And taste the sweet of early day Young health the rosy child of morn With blushes shall thy cheeks adorn Look look abroad behold ‘tis day See, on yon lawn the lambkins play Now every linnet of the grove Charms the list’ning swain to love

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Sarah Day-O’Connell

Wak’d by the gentle voice of love Arise my fair arise and prove The dear delights fond lovers know The best of blessings here below

Hook, “Spring” When approach’d by the fair dewy fingers of spring Swelling buds open first and look gay When the birds on the boughs by their mates set and sing And are danc’d by the breeze on each spray When the wood pigeons set on the branches and cooe And the cuckow proclaims with his voice That nature marks this for the season to woo And for all that can love to rejoice In rural delight may I spend all my time In the fields and the meadows all day With my Daphne whose charms are like spring in their prime Young as April and blooming as May May I listen to all her soft tender sweet notes When she sings and no sounds interfere But the warbling of birds who in stretching their throats Are at strife to be louder than her When the ev’ning grows cool and the flow’rs hang their heads O’er the meadows no longer we’ll roam With my arm round her waist in a path thro’ the mead Let us hasten to find our way home We’ll retire to our cottage and free from all noise So that voices in whispers are known Let us give and receive all the nameless soft joys That are mus’d on by lovers alone

“The Clock Still Points Its Moral to the Heart”

Salomon, “Say Not that Minutes Swiftly Move” Say not that minutes swiftly move When bless’d with those we fondly love Alas each moment seems to me An age of bliss when bless’d with thee But torn away from thee my friend The weary scene wou’d quickly end For like the lightning fraught with ill The pang tho’ short would surely kill Haydn, “Recollection” The season comes when first we met But you return no more Why cannot I the days forget Which time can ne’er restore O days too fair too bright to last Are you indeed forever past  ? The fleeting shadows of delight In memory I trace In fancy stop their rapid flight And all the past replace But ah  ! I wake to endless woes And tears the fading visions close Haydn, “Pleasing Pain” Far from this throbbing bosom haste Ye doubts ye fears that lay it waste Dear anxious days of pleasing pain Fly never to return again. But ah, return ye smiling hours By careless fancy crown’d with flow’rs Come fairy joys and wishes gay And dance in sportive rounds away.

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So shall the moments gaily glide O’er various life’s tumultuous tide Nor sad regrets disturb their course To calm oblivion’s peaceful source.

VIII Christine Siegert

ZUR VERGEGENWÄRTIGUNG VON VERGANGENEM IN JOSEPH HAYDNS OPERN

Die eigene Liebe für die Außenwelt mehr oder weniger dauerhaft erfahrbar zu machen scheint ein menschliches Grundbedürfnis zu sein  ; Musik erzählt auf vielfache Weise davon. Als besonders kreativ erweist sich der Müllerbursche von Franz Schubert und Wilhelm Müller. Zahlreiche Möglichkeiten stellt er sich vor  : Manifestationen, die dauerhaft sichtbar bleiben, wie das Einritzen in einen Stein, und solche, die sich schnell realisieren lassen, wie das Schreiben auf einen Zettel, der von der Mitwelt gelesen werden kann. Nicht zuletzt soll ein junger Vogel die Worte „Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben“ hörbar machen, und dies noch dazu mit dem Stimmklang des Verliebten. Darüber hinaus genügt dem Müllerburschen eine einmalige Dokumentation seiner Liebe nicht. Er möchte sie in „allen Rinden“, auf „jedem Kieselstein“ und auf „jedem blanken Zettel“ verewigen, und den Kressesamen, den der Müllerbursche in „jedes frische Beet“ säen möchte, wählt er wegen der kurzen Keimdauer dieses Krauts. Auch Christoph Willibald Glucks Orfeo schreibt seine Trauer um die tote Euridice gleich in jeden Baumstamm ein. Haydns Opernfiguren in La fedeltà premiata und L’isola disabitata sind da bescheidener  : Sie begnügen sich mit einem Baumstamm oder mit einem Stein.1 Dafür kann man ihnen bei ihrem Werk zusehen. 

1. La fedeltà premiata In Haydns 1781 zur Wiedereinweihung des neuen Opernhauses nach dem Brand 1779 uraufgeführter Oper La fedeltà premiata glaubt sich Fileno von seiner Geliebten Fillide verlassen. Er beschließt, sich das Leben zu nehmen. Doch zuvor möchte er sein Leid 1 In Haydns Orlando paladino gewahrt der vor Liebe verwirrte Titelheld in der achten Szene des ersten Akts gleich mehrfach die Namen der von ihm angebeteten Angelica und ihres geliebten Medoro  : „Oimè  ! su queste piante / Qual oggetto si para a me davante  ? / L’odiato nome del felice rivale / Inciso or veggo / E ancor su queste piante / Inciso è il nome / D’Angelica amante.“ Indes bleibt unsicher, ob es sich um in der Bühnenrealität tatsächlich vorhandene Inschriften oder um Wahnvorstellungen des Protagonisten handelt. Gerade die Häufung könnte – wie Orlandos übersteigerte Reaktion, der die Pflanzen kurzerhand niedermäht – darauf hindeuten, dass es Projektionen sind.

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Christine Siegert

in einem Baumstamm dokumentieren. In der Soloszene Filenos „Bastano i pianti“ stellt Haydn die emotionale Aufgewühltheit des Protagonisten mit Zweiunddreißigstelläufen in der ersten Violine über einer repetierenden Sechzehntelbegleitung dar (vgl. Abb. 1). Repetierende Noten haben bereits die Begleitung zu Beginn der Szene geprägt. Die Entscheidung, sein Schicksal vor seinem Tod noch schriftlich zu fixieren, trifft Fileno über fast statischen Liegeakkorden. Das Einritzen der Inschrift in die Baumrinde ist aus dem Kontext herausgehoben. Es setzt bei der neuen Tempobezeichnung „Adagio“ ein. In diesem Abschnitt übernehmen alle Streicher die repetierenden Sechzehntelnoten. Ein einziger elfsilbliger Rezitativvers wird auf fünf, rechnet man vom Beginn des Adagios, sogar auf sechs Takte gedehnt, indem Haydn den Beginn sowie jede betonte Silbe auf einen Taktbeginn fallen lässt. Der Zeitraum, der für Filenos Arbeit szenisch notwendig ist, wird mithilfe der musikalischen Gestaltung etabliert. Auch die Melodik, wenn man dieses Wort an dieser Stelle überhaupt zu Recht verwenden kann, ist statisch  : Fileno verharrt auf dem Ton a, nur bei „morì“ bricht der Singstimmenverlauf eine Quarte nach oben zum d’ aus, um gleich wieder auf das a zurückzufallen. Mit dem Aufwärtssprung fällt auch ein dynamischer Ausbruch zusammen, der Filenos Schmerz Ausdruck verleiht  ; Haydn schreibt in den Violinen und im Basso forzato vor. Harmonisch konzentriert er die Spannung in einem verkürzten Dominantseptnonakkord in E-Dur. Der Abschluss des Schreibens der Inschrift ist ebenfalls musikalisch markiert, und zwar durch den Auftakt zu Filenos Arie „Recida il ferro istesso“.  Die Zeitgestaltung, wie sie aus dem Text hervorgeht, erweist sich als komplex  : Erfahrungen aus der Vergangenheit bewirken, dass Fileno in der Gegenwart der Bühnenrealität eine Inschrift verfasst, die in fernerer Zukunft ein Unbekannter lesen soll. In dieser Inschrift berichtet er von einem derzeit noch zukünftigen, beim projektierten Lesen allerdings voraussichtlich vergangenen Ereignis  : seinem Freitod. Es handelt sich also um eine mehrfach geschichtete Zeitstruktur. In der folgenden Szene „Ah come il core mi palpita nel seno“2 kommt die in der Inschrift als Grund für Filenos Leiden genannte Fillide alias Celia zu dem Baum und liest die Inschrift, an deren Entstehen das Publikum gerade teilhatte. Die Zuschauer hören nun also das, was sie lesend mitvollziehen können (vgl. Abb. 2).  Auch musikalisch ist diese Situation aus dem Kontext herausgehoben. Als Fillide zu lesen beginnt, geht die Triolenbewegung der Streicher in Tonrepetitionen über. In dem Moment, als Fillide endet, fügt Haydn einen abrupten Tempowechsel vom Adagio zum Presto ein. Die Zeitstruktur hat sich indes geändert  : Fillide ist gleichsam verfrüht zum Baum ge2 Diese Szene wurde schnell bekannt. Im Jahr nach der Uraufführung in einem Einzeldruck als „Cantata“ bei Artaria in Wien erschienen, widmete ihr Carl Friedrich Cramer im Magazin der Musik von 1783 eine auffallend ausführliche Rezension (ibid., 1073–115). Vgl. auch Otto Biba, „Opernarie, Konzertarie oder Kantate“, Haydn Yearbook 22 (1998), 76–88.

Zur Vergegenwärtigung von Vergangenem in Joseph Haydns Opern

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Abb. 1  : „Bastano i pianti“, T. 48–65, aus  : Joseph Haydn, La fedeltà premiata, hg. von Günter Thomas (Joseph Haydn Werke XXV/10). Copyright G. Henle Verlag, München, 1968. 

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Abb. 2  : „Ah come il core mi palpita nel seno“, T. 29–37, aus  : Haydn, La fedeltà premiata. 

Zur Vergegenwärtigung von Vergangenem in Joseph Haydns Opern

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kommen. Sie liest nun die in der Vergangenheit im Vergangenheitstempus geschriebene Inschrift über ein Ereignis, das freilich nach wie vor in der Zukunft liegt, muss aber annehmen, dass es bereits geschehen ist, dass also ihr Geliebter sich das Leben genommen hat. Vergleicht man die beiden Passagen genauer, die zwar textidentisch sind, aber durch die unterschiedlichen handelnden Personen jeweils unterschiedliche Perspektiven einnehmen, fallen weitere Übereinstimmungen, aber auch charakteristische Unterschiede auf. So liegt in Celias Szene nicht mehr jedes betonte Wort auf der Takteins, auch ist die Führung der Singstimme neu gestaltet, was eine andere emotionale Spannungskurve indiziert. Celias Anspannung steigt ständig  ; die Singstimme bewegt sich in Dreiklangsnoten aufwärts. Statisch ist nun die Harmonik, die in E-Dur verharrt und erst bei dem Wort „morì“, das wieder mit einem Forzato in den Streichern hervorgehoben wird, erneut zu einem verkürzten Dominantseptnonakkord, diesmal in Cis-Dur, ausbricht – eben bei dem zentralen Wort, bei dem sich in Filenos Szene die sonst immer gleiche Tonhöhe der Singstimme geändert hat. Haydn hat die beiden Stellen also gleichsam komplementär angelegt und durch die deutlichen musikalischen Bezugnahmen miteinander verklammert. Noch eine weitere Inschrift ist in La fedeltà premiata auf der Bühne zu sehen, und zwar auf einem Stein. Auch sie hat eine zentrale Bedeutung für die Handlung, denn auf dem Stein ist gleichsam auf ewig das Gesetz festgeschrieben, demzufolge jedes Jahr in Cuma ein treues Liebespaar einem Monster zum Fraß vorgeworfen werden muss, bis sich jemand freiwillig opfert. Und dies war der Grund, weshalb Celia ihren Fileno verleugnen musste, denn sonst wären sie zum gemeinsamen Opfer bestimmt worden. Die steinerne Inschrift steht gewissermaßen als Motto über der gesamten Oper. Dramaturgisch wird diese Inschrift dadurch auf die andere bezogen, dass sie im Rahmen der Bühnenhandlung ebenfalls vorgelesen wird. Eine musikalische Bezugnahme auf die Inschrift im Baumstamm findet sich allerdings nicht. 

2. L’isola disabitata Während La fedeltà premiata zur Einweihung des nach dem Brand 1779 neu errichteten Opernhauses uraufgeführt wurde, kam L’isola disabitata unmittelbar nach dem Brand zum Namenstag Fürst Nikolaus Esterházys am 6. Dezember zur Uraufführung. In dieser Oper hat ein Stein eine vielleicht noch wichtigere Bedeutung als der Baum in La fedeltà premiata.3 3 Elaine Sisman hat jüngst auf diese zentrale Rolle aufmerksam gemacht (vgl. dies., „Fantasy Island. Haydn, Metastasio and the Nature of Occasional Opera“). Ich möchte mich sehr herzlich bei ihr bedanken, dass ich ihren ausgesprochen anregenden Text noch vor der Drucklegung lesen durfte.

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Während die Zuschauer in La fedeltà premiata das Entstehen von Filenos Inschrift gleichsam in Echtzeit mitverfolgen konnten, zeigt die erste Szene von L’isola disabitata die sich von ihrem Gatten Gernando verlassen glaubende Costanza, die ihren Schmerz mit einem stumpfen Messer in einen Stein ritzt, der einmal ihr Grab- und Gedenkstein werden soll. Sie tut das womöglich schon seit Langem, denn vor 13 Jahren blieb sie mit ihrer Schwester auf der einsamen Insel zurück  : Costanza Qual contrasto non vince l’indefesso sudor  ! Duro è qual sasso, l’istromento è mal atto, Inesperta è la mano  ; e pur dell’opra Eccomi alfin vicina. Ah sol concedi Ch’io la vegga compita, E da sì acerba vita Poi mi libera, o Ciel. Se mai la sorte Ne’ di futuri alcun trasporta a questo Incognito terreno, Dirà quel marmo almeno Il mio caso funesto e memorando. „Dal traditor Gernando Costanza abbandonata, i giorni suoi In questo terminò lido straniero. Amico passeggiero, Se una tigre non sei, O vendica o compiangi…“ i casi miei. Questo sol manca. A terminar s’attenda Dunque l’opra che avanza.

  Die Inschrift ist zweigeteilt. Im ersten Teil reflektiert Costanza ihre verzweifelte Situation, im zweiten Teil fordert sie den potenziellen Leser auf, sie zu rächen oder ihr Schicksal zu beklagen. Die Zeitkonstellation entspricht dem Beispiel Filenos aus La fedeltà premiata  : Aufgrund eines Ereignisses in der Vergangenheit – Costanza meint, Gernando habe sie verlassen – wird ein zukünftiges Ereignis – sie möchte sterben – vorwegnehmend in der Vergangenheitsform berichtet. Dramaturgisch wird die Inschrift wiederum dadurch hervorgehoben, dass Costanza sie liest. Das Ende der Inschrift wird textlich durch einen Reim markiert. Doch die Inschrift ist noch nicht fertig  ; die drei letzten Worte fehlen noch. Costanza spricht sie zwar aus, so dass der gesamte Text erklingt, der dereinst auf dem Stein zu lesen

Zur Vergegenwärtigung von Vergangenem in Joseph Haydns Opern

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Abb. 3  : „Qual contrasto non vince l’indefesso sudor  !“, T. 48–62, aus  : Joseph Haydn, L’isola disabitata, hg. von Christine Siegert und Günter Thomas in Verbindung mit Ulrich Wilker (Joseph Haydn Werke XXV/9). Copyright G. Henle Verlag, München, 2009. 

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Abb.  3  : Fortsetzung

sein soll, doch die Situation hat sich geändert  : Costanza liest nun nicht mehr, sondern komplettiert ihr Projekt gleichsam in Gedanken. Unmittelbar daran schließt sich ihr Kommentar an, der ebendies zum Ausdruck bringt. Haydn begriff es nun als seine Aufgabe, die dramaturgische Besonderheit des Lesens auch musikalisch zu markieren (vgl. Abb. 3).  Haydn leitet mit zwei wiederholten Akkorden ein Streichertremolo ein, das das Publikum aufhorchen lässt, und geht im zweiten Teil der Inschrift zu einfachen Stützakkorden über. Ursprünglich sah Haydn den Übergang hinter der Anrede an den fremden Seefahrer vor (ältere Lesart). Doch als er 1802 die Oper für einen geplanten Partiturdruck bei Breitkopf & Härtel einrichtete,4 verkürzte er das Tremolo um einen Takt, so dass sich der Übergang zu der einfachen Akkordbegleitung nun genau an der 4 Zur geplanten Veröffentlichung vgl. Christine Siegert, „Vorwort“, Joseph Haydn, L’isola disabitata, hg. von Christine Siegert und Günter Thomas in Verbindung mit Ulrich Wilker (Joseph Haydn Werke XXV/9), (München  : G. Henle Verlag, 2009), XI f.

Zur Vergegenwärtigung von Vergangenem in Joseph Haydns Opern

Abb. 4  : „Ah presaga fu l’alma di sue sventure“, T. 47–60, aus  : Haydn, L’isola disabitata. 

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Stelle vollzieht, an der Costanza die Betrachtung der eigenen Situation abgeschlossen hat und sich an den ihr unbekannten Fremden richtet (Haupttext).5 Eine Änderung erfuhr auch der Schluss der Passage. Hier ist der Übergang besonders schwer zu gestalten, da er sich in einer dreifachen Abstufung vollzieht  : vom Zitat der schon vorhandenen Inschrift über das noch – kursiv wiedergegebene – geplante Ende derselben bis hin zu Costanzas Kommentar dazu  : „Questo sol manca“. Musikalisch nahm Haydn sowohl 1779 als auch – in abgeschwächter Form – 1802 nur eine Zweistufung vor. Ursprünglich (ältere Lesart) trennte er die noch nicht ausgeführten Worte der Inschrift von deren Rest durch Pausen ab  : Auf „i casi miei“ folgt dann ohne Pause der Kommentar „Questo sol manca“. Außerdem ist die Singstimme bei „o compiangi“ wieder bei ihrem Ausgangston g’ angekommen. „I casi miei“, wo erneut der Spitzenton es’’ erreicht wird, wirkt wie ein Aufschrei, wohingegen der Kommentar recht lapidar angehängt erscheint. 1802 änderte Haydn die Konzeption  : Zwar behielt er die Pausen vor „i casi miei“ bei, doch ist melodisch der Abschnitt erst mit dem Wort „miei“ abgerundet, und dass die Inschrift noch unvollendet ist, hebt Haydn durch den Spitzenton auf „Questo“ demonstrativ hervor. Gernando, der Costanza keineswegs freiwillig zurückgelassen hat, ist von Piraten entführt worden und kann sich nun endlich aus der Sklaverei befreien. Sofort kehrt er auf die Insel zurück  ; selbstverständlich trifft er (zu Beginn des zweiten Teils der Oper) auf den Stein mit der Inschrift. Ein solches Dokument ist überzeitlich, so dass er sich zunächst fragt  : „Chi ve l’impresse e quando  ?“ Gernando liest nur die erste Hälfte von Costanzas Worten  ; bei dem vermeintlichen Bericht von ihrem Tod verlassen ihn die Kräfte. Den Moment der Lektüre hebt Haydn erneut durch Streichertremoli hervor, die in diesem Fall die gesamte Passage unterlegen und auf diese Weise sowohl den Beginn als auch den Schluss markieren (vgl. Abb. 4).  Doch bei dieser doppelten Lektüre, die beim zweiten Mal – durch die dramatische Situation bedingt – unvollständig ist, bleibt es nicht. Gernando, der, nachdem er die Inschrift gelesen hat, davon ausgeht, dass Costanza tot ist, zeigt seinem Freund Enrico den Stein (vgl. Abb. 5). Bei der dritten Lektüre der Inschrift durch Enrico wendet Haydn einen Kunstgriff an. In dem zur Aufführung in Esterháza gedruckten Libretto (vgl. Abb. 6), fehlt – wie in Metastasios Original – der Beginn der Inschrift „Dal traditor Gernando Costanza abbandonata“  ; die Szenenanweisung lautet „Legge piano le prime parole, e poi esclama“. Haydn überführte diese Stelle in einen kurzen melodramatischen Abschnitt.

5 Zu weiteren Änderungen vgl. ibid. sowie Ulrich Wilker, „Haydns ‚letzte Oper‘. Die Bearbeitung von L’isola disabitata im Jahr 1802“. Referat bei der Tagung Retrospektive und Innovation. Der späte Joseph Haydn in Köln, 4. bis 6. Juni 2009, Druck in Vorbereitung.

Zur Vergegenwärtigung von Vergangenem in Joseph Haydns Opern

Abb. 5  : „Ah presaga fu l’alma di sue sventure“, T. 66–79, aus  : Joseph Haydn, L’isola disabitata. 

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Abb.  5  : Fortsetzung

Es handelt sich um eines der ganz wenigen Beispiele eines melodramatischen Einschubs in der italienischen Oper6, und Haydn war durchaus unsicher, wie er diese Stelle vertonen sollte (vgl. Abb. 7). Er trug im Jahr 1802 im Hinblick auf die Drucklegung umfangreiche Änderungen in eine Abschrift der Oper ein, die der in Esterháza angestellte Tenor Leopold Dichtler direkt vom Autograph kopiert hatte. Ursprünglich hatte Haydn einen einzigen Takt von offenbar unbestimmter Länge vorgesehen, was die Verlängerungsstriche in den Geigenstimmen andeuten. Den Text hatte Dichtler wohl versehentlich in das leer gebliebene System der Viola notiert  ; in zwei weiteren

6 In der einschlägigen Literatur wird oft noch nicht einmal das vielleicht berühmteste Melodram in einer italienischen Oper erwähnt  : Das Lesen des Briefs von Giorgio Germont durch die todkranke Violetta Valéry im letzten Akt von Giuseppe Verdis La traviata. Tatsächlich weisen die beiden Szenen gerade durch die Lektüre dramaturgische Parallelen auf.

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Abb. 6  : L’ ISOLA / DISABITATA / AZIONE TEATRALE / IN DUE PARTI / PER MUSICA / DEL CELEBRE SIGNOR / ABBATE / PIETRO METASTASIO / POETA CESAREO / DA RAPPRESSENTARSI / IN / OCCASIONE DEL GLORIOSISSIMO NOME / DI S. A. IL PRINCIPE / NICOLO ESTERHAZI / DI GALANTHA. / L’ ANNO 1779. / OEDENBURGO, / NELLA STAMPERIA DI ­G IUSSEPE SIESS, 16. Exemplar  : Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Tb 7992/2. 

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in Esterháza entstandenen Partiturkopien steht er korrekt im System der Singstimme.7 Haydn bekam bei der Einrichtung für den Druck offenbar Zweifel an diesem Miniatur-Melodram. Er unterteilte den Einzeltakt in vier Takte und wiederholte im letzten dieser vier Takte die Noten der Violinen, was deutlich macht, dass ihre Töne die ganze Zeit über ausgehalten werden sollen  ; im Basso versah er alle Takte mit Noten. Die ursprünglich melodramatisch zu deklamierende Singstimme komponierte er aus. Schließlich strich Haydn diesen Rezitativabschnitt wieder. Er entschied sich also, seine ungewöhnliche Lösung eines ins Rezitativ integrierten Melodram-Abschnitts doch beizubehalten.  Auch sonst unterscheiden sich die drei Abschnitte gerade in der Gestaltung der Singstimme signifikant. Während bei Costanzas Lektüre einzelne Worte durch Hochtöne hervorgehoben sind (zunächst „traditor“, dann „Costanza“) und die Melodik gegen Ende hin wieder zum g’ absteigt, steigt die Tonhöhe bei Gernandos Lesevorgang kontinuierlich an – ein Zeichen dafür, wie seine innere Spannung steigt, vergleichbar der Szene der Celia in La fedeltà premiata. Beim dritten Mal wird schließlich das offene Ende betont, indem Enrico auf der Septime schließt. Die Tatsache, dass sich Haydn die Entscheidung über die Gestaltung dieser korrespondierenden Stellen nicht leicht machte, zeigt ganz offensichtlich die Bedeutung, die er ihrer Vertonung beimaß. Bei der Realisierung als Melodram ging er über Metastasios Vorlage hinaus  ; dieser hatte, wie der Librettodruck zeigt, bei dem die entsprechenden Verse fehlen, an stilles Lesen gedacht. Vor diesem Hintergrund griffe eine Interpretation, die sich darauf beschränken würde, auf die Textwiederholungen als Auslöser für die musikalische Gestaltung zu verweisen, wohl zu kurz. Denn Haydns beschriebene Bezugnahmen in La fedeltà premiata und L’isola disabitata wären so nur als schlichte Verdoppelungen der Textrekapitulationen zu interpretieren. Hinzu kommt, dass die Zuschauer sowohl in La fedeltà premiata als auch in L’isola disabitata an der Entstehung der Inschriften teilhatten und ein eigener musikalischer Verweis auf sie daher kaum notwendig erscheint. Und dass Haydn die visuelle Komponente als integralen Bestandteil eines Bühnenwerks ansah, zeigt die Tatsache, dass er 1802 in seine Stichvorlage die Szenenanweisungen aus dem Libretto nachtrug. Dass an der fraglichen Stelle die Zeitkonstellation besonders komplex ist und dass Haydn die Begleitung im gleichsam zeitlosen Tremolo gestaltete, scheint darauf hin7 Diese beiden Partituren hat Haydn ebenfalls durchgesehen. Die eine widmete er 1781 dem Prinzen von Asturias  ; sie ist ebenfalls von Dichtler geschrieben und befindet sich heute in der Library of Congress in Washington (M1500.H44 I6). Die andere wurde von dem von Dénes Bartha und László Somfai (Haydn als Opernkapellmeister. Die Haydn-Dokumente der Esterházy-Opernsammlung, [Budapest  : Verlag der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, 1960], 421 f.) als Anonymus 48 bezeichneten Schreiber und zwei weiteren Kopisten erstellt und wird in der Biblioteca Nazionale Universitaria in Turin aufbewahrt (Raccolta Foà N° 56, 180 559).

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Abb. 7  : Joseph Haydn, L’isola disabitata, Ausschnitt aus der von Haydn überarbeiteten Partiturabschrift mit der melodramatischen Episode, ehemals Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar, Mus IIa  :67c,d. Abgedruckt in Haydn, L’isola disabitata, 331. 

zudeuten, dass er eben auf den Zeitaspekt hinweisen wollte. Die Bezugnahme evoziert die Situation, in der sich der Protagonist bzw. die Protagonistin befanden, als er bzw. sie die Inschriften herstellten. Und da dies aus dem Mund des jeweils anderen geschieht, handelt es sich nicht nur um einen schlichten Kommentar für die Zuschauer, sondern zeigt, dass sich die Betroffenen in diesem Moment in die Situation ihrer Geliebten versetzen. Die musikalischen Bezüge verkomplizieren also auf der einen Seite die Zeitkonstellationen beim jeweils zweiten und gegebenenfalls dritten Auftreten. Auf der anderen Seite entsteht in ihnen – nicht zuletzt durch die musikalische Gestaltung selbst – eine Ebene der Überzeitlichkeit, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenfallen. Eine weitere Bezugnahme in der fünften Szene des zweiten Teils der Isola disabitata, bei der Haydn das Spiel mit Erinnerungsmotivik noch weiter treibt, verstärkt den Eindruck, dass er tatsächlich die Schaffung einer Verbindung in der Überzeitlichkeit im Sinn hatte. Es handelt sich um diejenige Situation in der Oper, die dem Wiedersehen der beiden Liebenden, denen 13 Jahre lang jeweils nur die Erinnerung an den anderen

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geblieben ist, unmittelbar vorausgeht. Der Ort des Zusammentreffens ist natürlich der Stein. Auch in diesem Fall lohnt es, sich das Verhältnis zur Textvorlage Metastasios bewusst zu machen  :  Pietro Metastasio

Joseph Haydn (Luigi Bologna)

Costanza Aria Ah, che in van per me pietoso Fugge il tempo e affretta il passo, Cede agli anni il tronco e sasso, Ma s’invecchia il mio martir.  Non è vita una tal sorte  ; Ma sì lunga è questa morte Ch’io son stanca di morir. 

Costanza Aria [Nr. 12] Ah, che in van per me pietoso Fugge il tempo e affretta il passo, Cede agli anni il tronco e sasso, Ma s’invecchia il mio martir.  Non è vita una tal sorte  ; Ma sì lunga è questa morte Ch’io son stanca di morir. 

Recitativo Giacché da me lontana L’innocente germana Mi lascia in pace, al doloroso impiego Torni la man.  Gernando                       Giacché il pietoso amico Lungi ha rivolto il passo, Quell’adorato sasso Si torni a ribaciar. Ma… chi è colei  ? Donde venne, che fa  ?

Recitativo [Nr. 13] Giacché da me lontana L’innocente germana Mi lascia in pace, al doloroso impiego Torni la mano.  Gernando Cavatina [Nr. 14] Giacché il pietoso amico Lungi ha rivolto il passo, Quell’adorato sasso Si torni a ribaciar. Recitativo Ma… chi è colei  ? Donde venne, che fa  ?

  Costanza ist zunächst allein auf der Bühne. Ihre zweistrophige Arie „Ah che in van per me pietoso“ geht über ins Rezitativ „Giacché da me lontana“. Dies führt Ger­nando bei Metastasio mitten in der Zeile in einem Parallelismus fort  : „Giacché il pietoso amico.“ Der Dichter greift in Gernandos Rezitativabschnitt mehrere Schlüsselworte aus Costanzas Arie wieder auf  : in der ersten Zeile „pietoso“, in der zweiten und dritten Zeile die Reimworte „passo“ und „sasso“. So schafft Metastasio eine Verbindung zwischen den beiden Protagonisten, noch bevor sie sich gegenseitig wahrnehmen. Die formale Struktur von Gernandos Rezitativabschnitt mit den zwei sich reimenden Settenari, der aus sieben Silben bestehenden zweiten Vershälfte am Beginn von Gernandos Auftritt und der als Settenario tronco zu interpretierenden ersten Hälfte des vierten Verses hat offenbar den Textbearbeiter der Isola disabitata für den Komponisten Luigi Bologna dazu veranlasst, diese vermeintlichen vier Settenari als Cavatina aus dem übrigen Rezitativ herauszuheben.8 Dass vor und nach dieser neuen Musiknummer zwei 8 Es könnte sich um Nunziato Porta handeln, den Ehemann der Sopranistin Metilde Bologna, der ab 1781

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unvollständige Rezitativverse stehen blieben, hat ihn dabei offensichtlich nicht gestört, denn er unternahm kaum den Versuch, sie zu vervollständigen noch den eigentlich obligatorischen Reim am Ende eines Rezitativs vor dem Beginn einer Nummer nachträglich herzustellen. Das Libretto zur Oper Luigi Bolognas bildete auch die Grundlage für Haydns Vertonung  ; die von Metastasio abweichenden Arien- und Ensembletexte stimmen in beiden Fällen miteinander überein.9 Haydn aber scheint durch die Wortwiederholungen bei Metastasio dazu angeregt worden zu sein, auch einen musikalischen Bezug zwischen den beiden Personen herzustellen. Er greift die Musik aus dem ersten Teil von Costanzas Arie in Gernandos Cavatina wieder auf. Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die Arientexte unterschiedliche Versmaße aufweisen  : Costanzas Arie besteht aus Ottonari, der neu gewonnene Arientext für Gernando, wie erwähnt, aus Settenari. Eine übereinstimmende musikalische Gestaltung liegt also nicht gerade nahe, und tatsächlich gehen die regelmäßigen Doppelauftakte von Costanzas Aria in Gernandos Cavatina aufgrund der abweichenden Metrik verloren.10 Die Verbindung zwischen den beiden Liebenden, die schon bei Metastasio durch die Wortwahl angelegt ist, wird von Haydn mithilfe der musikalischen Gestaltung um ein Vielfaches verstärkt. Wichtiger aber noch scheint die zeitliche Komponente  : am Esterházyschen Hof als Operndirektor und Aufseher über die Theatergarderobe wirkte. Die Oper Luigi Bolognas wurde 1777 in Wien als Benefizvorstellung für die Sängerin gegeben  : „L’ISOLA / DISABITATA / AZZIONE TEATRALE / PER MUSICA / DEL CELEBRE SIGNOR / ABBATE / PIETRO METASTASIO / POETA CESAREO / DA RAPPRESENTARSI / NE / TEATRI PRIVILEGGIATI / DI VIENNA / IN BENEFICIO DELLA SIGNORA / METILDE BOLOGNA / LI 25. NOVEMBRE / DEL 1777. / IN VIENNA, / PRESSE [sic] GIUSEPPE NOB[I]LE DE KURZ- / BÖCK.“   9 Abgesehen von der neu generierten Cavatina für Gernando handelt es sich um Enricos Arie „Chi nel cammin d’onore“, die aus der ebenfalls von Metastasio stammenden Festa teatrale Il tempio dell’eternità entlehnt wurde, Silvias Arie „Come il vapor s’accende“, deren Text sich (mit drei weiteren Strophen) in Pasquale Anfossis im Karneval 1777 in Rom uraufgeführtem Dramma giocoso Il curioso indiscreto findet, sowie um das Schlussquartett „Sono contenta appieno“. 10 Wie stark die rhythmische Gestalt durch die Textmetrik bestimmt wird, hat grundlegend Friedrich Lippmann untersucht (vgl. ders., „Der italienische Vers und der musikalische Rhythmus. Zum Verhältnis von Vers und Musik in der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts, mit einem Rückblick auf die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts“, Teil 1 in  : Studien zur italienisch-deutschen Musikgeschichte VIII, hg. von Friedrich Lippmann [Analecta musicologica 12], [Köln  : Arno Volk Verlag, 1973], 254–369  ; Teil 2 in  : Studien zur italienisch-deutschen Musikgeschichte IX, hg. von Friedrich Lippmann [Analecta musicologica 14], [Köln  : Arno Volk Verlag, 1974], 324–410  ; Teil 3 in  : Studien zur italienisch-deutschen Musikgeschichte X, hg. von Friedrich Lippmann unter Mitwirkung von Volker Scherliess und Wolfgang Witzenmann [Analecta musicologica 15], [Köln  : Arno Volk Verlag, 1975], 298–333). Zu Haydn vgl. Herbert Seifert, „Die Beziehungen zwischen Libretto und Musik in Haydns Opern. Der Einfluß des Versmetrums auf den Rhythmus“, Joseph Haydn und die Oper seiner Zeit. Bericht über das internationale Symposium im Rahmen der „Haydn-Tage Winter 1988“ Eisenstadt, 8.–10. Dezember 1988, hg. von Gerhard J. Winkler (Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland 90), (Eisenstadt  : Burgenländisches Landesmuseum, 1992), 107–19.

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Haydn etabliert die musikalische Verbindung, bevor Gernando nur ein Wort von sich gegeben hat. Die Wiederaufnahme des Ritornells statt in B-Dur nun in C-Dur mit der klangsinnlichen Kombination aus sordinierten Violinen und Flöte bringen die Zuschauer vermutlich unwillkürlich einerseits mit der soeben gehörten Arie der Costanza in Verbindung, andererseits mit dem im selben Moment auftretenden Gernando. Dadurch, dass beider Denken auf die Erinnerung an den jeweils anderen gerichtet ist, treffen sie sich musikalisch gleichsam dort, wo sie vor 13 Jahren getrennt wurden  : in einer gemeinsamen Vergangenheit.  *** Sowohl in La fedeltà premiata als auch in L’isola disabitata setzt Haydn die Vergegenwärtigung von Situationen und Erinnerungen unmittelbar in musikalische Strukturen um und etabliert so dem linearen Ablauf der Handlung enthobene Zeitschichten. Hier steht die Zeit nicht nur still, wie bei einer introspektiven Arie, in der sich ein Affekt der dramatis persona manifestiert, sondern zusätzlich zur tendenziell statischen Selbstreflexion der Arie bzw. zum Handlungszusammenhang im Accompagnatorezitativ schafft Haydn mit den verschiedenen Formen von Erinnerungsmotivik imaginäre Räume, in denen alle Zeitebenen gemeinsam aufgehoben sind. Eine so programmatische Arbeit mit Erinnerungsmotiven kann in der italienischen Oper der 1770er- und frühen 1780erJahre zu Recht als ungewöhnlich bezeichnet werden.

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EIN LAURENCE STERNE DER MUSIK Zur Kunst der Parenthesen im Instrumentalwerk Haydns

Die kompositionsgeschichtliche Entwicklung des 18. Jahrhunderts führte zu einer immensen Subjektivierung des musikalischen Zeitgefüges  : Zwar blieb das Takt- und Tempogerüst (außer im Rezitativ und in der freien Fantasie) auch weiterhin innerhalb eines Satzes meist unverrückbar vorgegeben. Doch begannen die Komponisten, ungleich stärker als im Spätbarock, durch den Wechsel der Bewegungsarten, des harmonischen Rhythmus und durch andere Mittel modellierend in das musikalische Kontinuum einzugreifen. Einerseits hat das zur Folge, dass alle Arten des Verknüpfens, von Verursachung, von ‚Logifizierung‘ des musikalischen Ablaufs ungeahnten Auftrieb erhielten. Andererseits barg das neue Verhältnis zur Zeit auch die Tendenz zur Auflösung oder zumindest Suspendierung des Zusammenhangs  : Es kommt besonders in der Instrumentalmusik zu Einbrüchen, Pausen, überraschenden Exkursen, zum Verebben bis hin zum Stillstand. Für Haydn sind beide Aspekte wichtig. Während in der musikwissenschaftlichen Literatur eher seine integrative Leistung gewürdigt wurde, stand für seine Zeitgenossen besonders dieser zweite Aspekt im Mittelpunkt, das Launische, Mutwillig-Exzentrische in der Profilierung des Zeitverlaufs. Es erscheint daher nur folgerichtig, dass Haydn in der Musikkritik um 1800 besonders oft mit einem Schriftsteller verglichen wurde, der als besonders exzentrisch galt  : mit Laurence Sterne (1713–1768). Dessen beide Werke The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman (1760–1767) und A Sentimental Journey through France and Italy by Mr. Yorick (1768) fanden bald nach ihrem Erscheinen in den deutschsprachigen Ländern weite Verbreitung,1 sowohl im Original als auch in Übersetzungen.2 Mark 1 Vgl. dazu  : Roswitha Strommer, „Die Rezeption der englischen Literatur im Lebensumkreis und zur Zeit Joseph Haydns“, Joseph Haydn und die Literatur seiner Zeit, hg. von Herbert Zeman (Jahrbuch für österreichische Kulturgeschichte 6), (Eisenstadt  : Institut für österreichische Kulturgeschichte, 1976), 123—55  ; Norbert Miller, Der empfindsame Erzähler. Untersuchungen an Romananfängen des 18. Jahrhunderts (München  : Hanser, 1968). 2 Besonders in der Übersetzung von Johann Christoph Bode (1774). Die verlässlichste und bestkommentierte englische Textausgabe ist die „Florida Edition“ (1978–84). Vgl. Laurence Sterne, The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman, 3 Bde., hg. von Melvyn New, Joan New u.a. (Gainesville, Fla  : University Press of Florida, 1978–84). Als beste deutsche Ausgabe gilt die folgende  : Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman, ins Deutsche übertragen und hg. von Michael Walter (Frankfurt  : Eichborn, 2006).

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E. Bonds3 konnte vier Zeugnisse aus der Zeit zwischen 1782 und 1813 nachweisen, in denen Haydns Musik zur Romankunst Sternes in Beziehung gesetzt wird. Laut Bandur geht es dabei meist um den „Aspekt des Humors und des Launigen, verbunden mit anderen Charakteristika wie ‚schalkhaft‘, ‚gutmütig‘ oder ‚geistreich‘“.4 Genauere analytische Einlassungen findet man in den zeitgenössischen Quellen erwartungsgemäß nicht. So bleibt es heutiger Reflexion aufgegeben, den Spuren einer von den Zeitgenossen eher instinktiv aufgespürten Parallelität bestimmter Verfahren bei Sterne und Haydn nachzugehen. Ansätze dazu unternahm außer Bonds und Bandur bereits Howard Irving.5 Parallelen zwischen Haydn und Sterne erkennen Bonds und Bandur hauptsächlich in der Methode, bestimmte als Kunstmittel dienende Verfahren durch Bloßlegung erkennbar zu machen. Bei Sterne führen beide Autoren diese Methode hauptsächlich auf die „Rekursivität“, das „‚Herausspringen‘ aus einem geschlossenen System“, die „permanente[ ] Brechung des erzählerischen Vorgangs“6, zurück. Durch Rekurs auf „außerhalb der Erzählung liegende Dimensionen (Entstehungs- und Rezeptionsumstände) und auf das Objekt des Buches als Gegenstand des Lesens“ (Bandur) entstehe der Eindruck der beständigen „Einmischung“ (intruding presence) des Erzählers.7 Dem entsprechen in der Musik die Verfremdung der Sprache, das Zerbrechen und Entstellen traditioneller Syntax und Harmonik, das Abweichen von erwarteten Wendungen etc. Voraussetzung für die Übertragung auf Haydn ist für Bandur der Begriff des Plots, des narrativen Vorgangs, die „lineare Ordnung des zeitlichen Ablaufs“ mit „zeitübergreifenden Strukturen von ‚Ursächlichkeit‘, Folgerichtigkeit und Wechselwirkung“.8 Bandur und Irving analysieren die ‚Störung‘ dieses linearen Ablaufs anhand harmonischer Irregularitäten (Irving an der modulatorischen Rückungstechnik, Bandur an der Reprise innerhalb des ersten Satzes aus Op. 33/1 [h], die die „erwartbare harmonische wie thematische Stabilität eines Reprisenanfangs“ konterkariere9). Der vorliegende Aufsatz greift einen anderen Aspekt auf  : Mark E. Bonds umschreibt ihn 3 Mark Evan Bonds, „Haydn, Laurence Sterne, and the Origins of Musical Irony“, Journal of the American Musicological Society 44 (1991), 57–91. 4 Markus Bandur, „Plot und Rekurs  : ‚Eine ganz neue besondere Art‘  ? Analytische Überlegungen zum Kopfsatz von Joseph Haydns Streichquartett op. 33, Nr. 1 (Hoboken III  :37)“, Haydns Streichquartette. Eine moderne Gattung, hg. von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn (Musik-Konzepte 116), (München  : edition text + kritik, 2002), 62–84, 65. Die Zeugnisse stammen aus der Allgemeinen musikalischen Zeitung (1798ff.), dem Musikalischen Almanach auf das Jahr 1782 und aus Jean Pauls Kleiner Vorschule der Ästhetik (1813). 5 Howard Irving, „Haydn and Laurence Sterne  : Similarities in 18th-Century Literature und Musical Wit“, Current Musicology 40 (1985), 34–49. 6 Bandur, „Plot“”, 66. 7 Bonds, „Haydn“, 71. 8 Bandur, „Plot“, 69. 9 Ibid., 71.

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als die Technik „unerwarteter Unterbrechungen und ebenso unerwarteter Fortführung von Material, das vorher unterbrochen worden ist“.10 (Für Bonds schlägt sich darin exemplarisch die Tendenz nieder, die rein selbstbezügliche Struktur durch Eingriffe des „impliziten Autors“ zu modifizieren. Er exemplifiziert die Einschaltungs-Technik hauptsächlich am ersten Satz von I  : 46.) In formaler Hinsicht besteht hier eine Analogie zur eigenwilligen literarischen Technik Sternes, durch zahlreiche Abschweifungen den Erzählfluss künstlich anzuhalten und zu unterbrechen. Ziel ist es im Folgenden, den Chancen einer Übertragung des sprachlich-literarischen Parenthese-Begriffs auf Haydns Musik nachzugehen, weitere Beispiele aufzuweisen und dabei eine Art Systematik der Parenthesen im Instrumentalwerk Haydns aufzustellen. Als Grundlage dafür dient der Versuch, den Begriff der musikalischen Parenthese begrifflich konkreter zu fassen und einzugrenzen. Dabei soll die Analogie zu Laurence Sterne keineswegs überanstrengt werden. Am Schluss steht eine Diskussion anderer metamusikalischer Modelle für Haydns ‚Abschweifungen‘. Sie treten neben das narrative Modell Sternes und können die musikalischen Phänomene teilweise ebenso gut, teilweise sogar besser erklären.

L. Sterne  : Tristram Shandy Tristram Shandy, jenes Werk, das heute weithin als Höhepunkt der englischen Romanliteratur des 18. Jahrhunderts gilt, stellt ein kühnes, im Hinblick auf die Entstehungszeit höchst originelles Formexperiment dar. Sternes Hauptwerk enthält entgegen den Erwartungen, die der Titel erweckt (The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman), keine Geschichte im Sinne einer chronologisch fortschreitenden Ereignisfolge, in der alles lückenlos integriert und auf ein Ende hin komponiert ist. Es dominieren von Anfang an die Verzweigung und Aufsplitterung des Erzählverlaufs in ein „Kaleidoskop von Einzelverläufen und Begebenheiten“11. Zusammengehörige Elemente und Passagen sind oft auseinandergerissen, durch Einschübe voneinander getrennt und auf weit auseinander liegende Teile des Textes verteilt. Im 40. Kapitel des 6. Buches zeichnet Sterne in fünf ziemlich komplizierten grafi­ schen Linien nach, welche verschlungenen Handlungswege die ersten fünf Bücher durchziehen.12 In vielen Windungen, Ausbuchtungen und Kurven wird vom geraden Weg des Erzählens abgewichen (das grafische Abbild lehnt sich ziemlich eng an den 10 Bonds, „Haydn“, 76. 11 Eberhard Lämmert, Bauformen des Erzählens (Stuttgart  : Metzler, 1955, 9/2004), 39. 12 Eichborn-Ausgabe (Anm. 2), 543. Inv. T. S.  : Abk. für „Invenit Tristram Shandy“, Scul. T. S.  : Abk. für „Sculpsit Tristram Shandy“, gestochen von Tristram Shandy.

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tatsächlichen Romanverlauf an). Nach einer längeren Textpassage fügt Sterne eine gerade Linie ein, die so „gerade gezogen ist, als ich sie mit einem […] Lineal eines Schreiblehrers ziehen konnte, und die weder rechts noch links abschweift.“ Viel Sympathie bringt der Autor für diese Erzählform nicht auf  : „Wenn ein Geschichtsschreiber seine Geschichte so vorwärts treiben könnte, wie ein Maultiertreiber sein Maultier – nämlich in gerader Richtung,“ (S. 49), wäre er ein geistloser Mann. Die digressive Struktur des Romans manifestiert sich in unterschiedlichen Formen. Viktor Sklovskij nennt an erster Stelle das Abweichen von der realen Chronologie  : „Der Autor blendet bald zurück, bald macht er einen Sprung nach vorne“. Alles „ist verschoben und umgestellt“13  : Auf ein fiktives Angebot, die Widmung des Werkes meistbietend zu versteigern, trifft der Leser in Kapitel 8 des ersten Bandes, während die endgültige Widmung an William Pitt d. Älteren felsenfest an richtiger Stelle – am Anfang – steht.14 Die Vorrede des Autors erscheint ebenso verrutscht wie die marmorierte Innenseite der Einbanddeckel, nämlich mitten ins Buch (III/20 bzw. III/36). Im neunten Buch stehen das 18. und das 19. Kapitel hinter dem 25. Kapitel usw. Ein Beispiel für dieses radikale Durcheinanderschütteln der erzählerischen Chronologie bietet bereits der Anfang (I/1). Statt mit der gewohnten faktengenauen Einleitung des Ich-Romans, die Sterne im 4. Kapitel des ersten Bandes nachträgt („I was begot in the night, betwixt the first Sunday and the first Monday in the month of March, in the year of our Lord one thousand seven hundred and eighteen.“), setzt der Roman mit einer langen Erörterung über die mangelnde Voraussicht seiner Eltern beim Zeugungsakt ein. Den Betrachtungen wird unvermittelt das kurze Bruchstück aus dem Bettgespräch seines Vaters mit seiner Mutter nachgeschoben. Der Gesprächsfetzen ist scheinbar kontextlos und ohne Kommentar reproduziert  : Pray, my dear, quoth my mother, have you not forgot to wind up the clock   ? ---- Good G --   ! cried my father, making an exclamation, but taking care to moderate his voice at the same time, ----

Der kurze Dialog birgt die Erklärung für die ‚Fahrlässigkeit‘ der Eltern, aber nur für den Leser, der das 4. Kapitel des Buches kennt. An Ort und Stelle ist das Fragment unverständlich, ein Fremdkörper, denn es handelt sich um eine Prolepse, einen Vorausgriff. Der Leser muss wissen, dass die Mutter durch eine zufällige Ideenverbindung nur zum Liebesspiel aufgelegt ist, wenn der Vater die Uhr aufgezogen hat. 13 Viktor Sklovskij, „Die Parodie auf den Roman  : Tristram Shandy“, Theorie der Prosa (russ. 1925), hg. von Gisela Drohla (Frankfurt/M.  : S. Fischer, 1966), 131–62  ; 131 f. 14 Eine weitere „Dedikation“ geht dem fünften Band voran, während Sterne am Anfang des neunten Bandes nur über eine Dedikation reflektiert, ohne sie dann wirklich vorzunehmen.

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Abb. 1  : Tristram Shandy, Kap. 40, 6. Buch.

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Ein anderer Kunstgriff Sternes besteht in der Zusammensetzung des Romans aus verschiedenen Handlungssträngen. Diese Technik wandten viele andere Dichter vor ihm an, neu ist allerdings die Form, in der dies hier geschieht. Sterne parodiert die Konvention der Schaltnovelle, indem er bestimmte Vorgänge auffällig und unvorhergesehen abbrechen lässt und sie später ebenso unvermittelt wieder aufnimmt. An einer Stelle unterbricht der Autor ein Gespräch zwischen dem Vater und dem Onkel Tristrams mitten im Satz, um nach einer weitschweifigen Erläuterung zum Charakter des Onkels fast dreißig Seiten später ebenso unvermittelt zum Ausgangspunkt zurückzukehren. („Ich denke …“ I/21, II/6). Nicht nur der Autor unterbricht die Handlungen der Akteure  : Sie fallen sich selbst oft gegenseitig ins Wort. Ein Beispiel dafür ist die Predigt Yorricks, die von Trim, dem Korporal von Tristrams Onkel Shandy, im 17. Kapitel des zweiten Buches verlesen wird. Nach nur sieben Worten stören die Anwesenden die Predigt mit einem fünfminütigen Gespräch, und auch später mischen sie sich ständig ein. Das Besondere daran ist, dass die in eckige Klammern gesetzten Interjektionen sich kaum auf den Inhalt der Predigt beziehen, sondern auf die Steckenpferde der Zuhörer (militärische Befestigungen bei Onkel Toby, Katholizismus von Dr. Slop etc.). Die Unterbrechung selbst, die Beziehungslosigkeit zwischen Predigt und Reaktion, sind der Inhalt.

Analogien zu Haydn Zu all diesen Formen der Abschweifung gibt es, wie man weiter unten sehen wird, Analogien bei Haydn  : Er geht bisweilen gänzlich unverfroren mit der Chronologie des musikalischen Formverlaufs um, liefert ‚Vergessenes‘ an deplazierter Stelle nach, rückt Zukünftiges vorzeitig ein. (Schon die Hysteron-Proteron-Struktur vieler Themen weist in diese Richtung – berühmte Beispiele bieten die Op. 33/4 und 5, in denen Haydn mit schließenden Formsegmenten beginnt). Ebenso frei schaltet er zwischen unterschiedlichen Strängen der musikalischen ‚Narration‘ hin und her oder blendet völlig Heterogenes ein. Eine andere Technik Sternes, nämlich der Wechsel der Erzählperspektive durch Einschaltung von Reflexionen des Autors, Beschreibung des Schreibvorgangs, Unterhaltungen mit Lesern über den Inhalt etc. besitzt wahrscheinlich ein Analogon bei Haydn an jenen Stellen, die als „Einmischung“ des Autors (siehe oben) interpretiert werden können. Dem Versuch, Vergleiche zwischen Sterne und Haydn zu ziehen, kommt entgegen, dass der Roman selbst musikähnliche Komponenten aufweist.15 Das inhaltsgebunden 15 William Freedman, Laurence Sterne and the Origins of the Musical Novel (Athens  : Univ. of Georgia Press, 1972), passim.

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Stoffliche tritt zugunsten des Spielmoments in den Hintergrund  : Das Verrücken, Umkehren und Verschieben, Anhalten und (plötzliche) Voranschreiten der Handlung, die Form also, wird – wie in der Musik – selbst zum Inhalt  ; der Kunstgriff der „gewollt umständlichen Beschreibung“16 führt zu ‚sinnloser‘, zum eigentlichen Inhalt nichts beitragender Akkumulation von Material, die in ihrer Redundanz musikähnlich wirkt  ; der Text ist mit nonverbalen Elementen wie Auslassungszeichen, Lautmalereien (V/16), auffälliger Typografie und grafischen Zeichen durchsetzt  ; nicht selten kommen Wiederholungen in Form von langen Aufzählungen und wörtlichen Anaphern zu Beginn von Kapiteln und Absätzen vor. Auch das Spiel mit Unfertigkeit und Unterbrechung erscheint musikähnlich, ist losgelöst von der eigentlichen ‚story‘  : „Sternes umschweifige Exkurse tasten sich nicht erst mühsam an die eigentliche Erzählung heran, sondern spielen mit den fertig verwendbaren Bausteinen der Geschichte, sie zu wunderlichen Mustern kombinierend und wieder auseinandernehmend“17.

Zum Begriff der musikalischen Parenthese Gleichsam beiseite gesprochene, den Zusammenhang aufbrechende Gedanken, plötzliches Wiederaufgreifen eines fallen gelassenen Verknüpfungsfadens – all dies sind Merkmale, die cum grano salis mit den Abschweifungen Sternes verglichen werden können, auch wenn sie in Haydns Musik nicht so verbreitet sind wie in Sternes Tristram. Umso mehr treten sie in ihrer sparsamen Dosierung hervor. Das gilt besonders für einige Werke der sogenannten „Sturm-und-Drang-Periode“ Haydns (ca. 1768–1772). Die Tendenz zur Parenthesenbildung durchzieht aber mehr oder weniger offen das gesamte Werk (bis hin zum Trio aus der letzten Londoner Sinfonie). Die im Wiener klassischen Instrumentalstil ausgeprägte Tendenz zu scharf artikulierten Einschnitten, die u.a. in der zeitgenössischen Musiktheorie zur Konzeption eines interpunktischen Formbegriffs (H. Chr. Koch) führte, kam der Einfügung musikalischer Parenthesen entgegen. Wurde der „Zwischensatz“ von Johann Mattheson noch als untergeordnetes Stilmittel der Textvertonung marginalisiert,18 findet er schon bei Joseph Riepel19 größere Beachtung. Auch in Giuseppe Carpanis früher Haydn16 Sklovsky, „Parodie“, 143. 17 Miller, Erzähler, 264. 18 Johann Mattheson, Der vollkommene Capellmeister (Hamburg  : Christian Herold 1739), Studienausgabe mit Neusatz des Textes und der Noten, hg. von Friederike Rang (Kassel  : Bärenreiter, 1999), Zweiter Theil  : Von der wirklichen Verfertigung einer Melodie […] § 69–75. 19 Joseph Riepel, Anfangsgründe zur musicalischen Setzkunst, Sämtliche Schriften zur Musiktheorie [1752–1786], hg. von Thomas Emmerig u.a. (Wiener musikwissenschaftliche Beiträge 20), (Wien  : Böhlau, 1996), Zweites Kapitel  : Grundregeln zur Tonordnung insgemein (Frankfurt und Leipzig 1755), Abschnitt „Von der Tonordnung“.

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Monografie aus dem Jahr 1812 findet sich eine längere Partie über „Abschweifungen“ (divagazioni, digressioni, episodi20). Zwar nimmt Carpani nicht auf Laurence Sterne Bezug, doch im Kontext der anderen Zeugnisse aus der Zeit um 1800 liegt hier ein Zusammenhang recht nahe. Carpani erwähnt die Digressionen im Abschnitt über Melodieführung und führt sie auf Haydns Technik der Variantenbildungen zurück. „Digressioni“ sind Varianten, die zwar auf dem Hauptgedanken beruhen, aber doch ein gewisses Eigenleben führen und gleichsam neben dem Hauptstrang existieren („amplificazione“). Eines der von Carpani gegebenen Beispiele, das Adagio aus Op. 76/1 (nach Pleyels Zählung das Quartett Nr. 75), zeigt jenen Parenthesen-Typus, der unten als „Einschub rascher Partien“ innerhalb eines langsamen Tempos bezeichnet wird. Freilich fehlt bis heute eine Theorie der musikalischen Parenthese. In Analysen wird der Begriff oft beliebig und wenig reflektiert angewandt. Bei seiner Definition sollte auf der Mikroebene der Formbildung die strukturelle Ähnlichkeit mit den sprachlichen Zwischensätzen im Vordergrund stehen  : Die Parenthese ist ein selbstständiger Einschub, der den Satzzusammenhang unterbricht, ohne dessen grammatische Ordnung zu verändern (nach Wegfall der Klammer wäre der umgebende Satz komplett). Musikalisch entsprechen dem folgende Kriterien, die freilich nicht immer vollständig erfüllt sein müssen  : — Kohärenz der Umgebung, Rückkehr zum Hauptgedanken nach dem Ende der ‚Klammer‘. (J. Riepel  : „Bey R Einschiebsel von 4 Takten, welches ich zur Noth gar wohl weglassen könnte“21, H. Chr. Koch  : „Einschaltung zufälliger melodischer Theile, die entweder zwischen die Glieder eines Satzes, oder zwischen einen vollständigen melodischen Theil und zwischen die Wiederholung desselben gesezt werden“.22) Zuammengehörige Teile korrespondieren über den Einschub hinweg. — Kontrast zur Umgebung, Wechsel der Harmonik, des Tempos, des motivischen Inhalts und der Lage – wie in gesprochener Rede durch das Senken oder Heben der Stimme, vgl. dazu J. Mattheson  : Der „Gesang müsste um Quint oder Oktav nach unten versetzt werden (so wie man in der Rede die Stimme senken würde)“23.

Im Nachlassverzeichnis Haydns aus dem Jahr 1809 ist dieser Band aufgeführt, vgl. H. C. Robbins Landon, Haydn  : Chronicle and Works, Volume V  : Haydn. The Late Years (Bloomington, London  : Indiana University Press, 1977), 403. 20 Giuseppe Carpani, Le Haydine ovvero lettere sulla vita e le opere del celebre masestro Giuseppe Haydn (Reprint 1969), Padua  : Minerva, 18232), 51 f., deutsch als  : Haydn. Sein Leben, übers. von Johanna Fürstauer (Salzburg  : Residenz, 2009), 66 f. 21 Riepel, Grundregeln, 70. 22 Heinrich Christoph Koch, Versuch einer Anleitung zur Composition (1. Teil Rudolstadt 1782, 2. Teil Leipzig 1787, 3. Teil Leipzig 1793), Studienausgabe in einem Band , hg. von Jo Wilhelm Siebert (Hannover  : Siebert, 2007), 488. 23 Mattheson, Capellmeister, 294–96.

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— Unterbrechung des umgebenden Sinnzusammenhangs, z.B. auf einem Spannungsakkord, auf schwacher Taktzeit  ; Pausen vor und nach der Parenthese. In sprachlichen Texten wird diese klare Abgrenzung zwischen Haupt- und Zwischensatz durch Klammern oder Gedankenstrich angezeigt oder hervorgehoben. — Verzögern, Retardieren des Fortgangs. Bei genuinen Parenthesen bleibt der Charakter der Unterbrechung über die Dauer der Einschaltung hinweg erhalten. Während in der Romanprosa diese Unterbrechung bereits durch den Wechsel des Handlungsortes zum Ausdruck kommt, bedarf es in der Musik einiger Zusatzkriterien. So sind Repetitionen von Akkordfolgen und Motiven, Liegetöne und Orgelpunkte oft technische Korrelate dieser Syntaxqualität. Auch das Aussetzen klar definierter harmonischer Fortschreitungen hat suspendierende Wirkung, sei es, dass harmonisch unbestimmte Unisoni erklingen oder die Begleitung der Melodielinie pausiert. Mitentscheidend ist auch, dass innerhalb der Parenthese keine vollständigen Kadenzen stattfinden. Ihr wächst dann jenes Moment der Unabgeschlossenheit und auf Fortgang drängenden Spannung zu, das mit ihrem Ende schlagartig verschwindet. Durch all diese Mittel wird deutlich, dass die Parenthese neben der Hauptspur liegt und diese nicht nur mit kontrastierenden Mitteln fortsetzt. — Kürze der Parenthese  ; klare Hierarchie zwischen Parenthese und der umgebenden Satzeinheit, Neben- und Unterordnung. Auf den „locus classicus“ einer solchen Situation trifft man bei Haydn in der Durchführung des ersten Satzes (Allegro di molto) aus dem Streichquartett D-Dur Op. 20/4. In die harmonisch wandernden Repetitionen des Dreischlagmotivs aus T. 31 (T. 148–59 und T. 166–72) ist als Parenthese eine Moll-Variante des ersten Themen-Sechstakters eingelagert (T. 160–65). Die Musik knüpft harmonisch und motivisch nach dem Einschub dort an, wo der Faden fallen gelassen worden ist.24 In derart pointierter Form findet man unterbrechende Einschübe nicht sehr häufig bei Haydn  ; aber die Digression stellt eine Denkform dar, die ihm stets zu Gebote steht, auch dort, wo sich äußerlich ein ziemlich glatter Verlauf zeigt. Die Verwegenheit solcher Strukturen tritt oft erst durch analytische Anstrengung zu Tage. Bei Haydn entwickelt sich die diskrete Tendenz zum Aufbrechen des Sinnzusammenhangs zu einer ganz besonderen Gewagtheit, die ,weich verpackt‘ ist, daher erst mit Verspätung wirkt und dann aber mit voller Wucht trifft. Während die bisherigen Kriterien sich auf die Ebene der satzähnlichen Ereignisse bezogen, ergeben sich andere Gesichtspunkte, 24 Harmonisch wird der Zusammenhang zum einen durch die übergreifende Monte-Sequenz getragen, die jeweils durch die Schluss- und Anfangstakte der formalen Segmente gebildet wird  : Die Akkordfortschreitung H7–e (T. 154–56) setzt sich über die Klammer hinweg fort in Cis7–Fis (T. 158/166) – zum anderen durch die Detailprogression (h–H7–e3-H3, T. 153–55, entspricht Fis–Fis7–h3–Fis3 nach der Interpolation, T. 166–69).

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Abb. 2  : Op. 20/4, 1, Durchführung (Haydn-Gesamtausgabe, Henle-Verlag).

wenn man die Makroebene der Formbildung einbezieht, die Stellung von Parenthesen innerhalb der (weitgehend konventionalisierten) Formen des späten 18. Jahrhunderts. Bei Laurence Sterne entstehen Abschweifungen durch die Sprünge und Achronologien im erzählerischen Gefüge der Prosa. Derartiges gibt es nicht in der Musik. Aber die Musik kann eine „Handlung“ in Gestalt einer Exposition etablieren und sie dann in den folgenden „Zyklen“ unterbrechen, verkürzen etc.  ; sie kann auch von den etablierten „Handlungsmustern“ (den Formschemata) abweichen. — Einsetzen an ungewöhnlicher Stelle des Formverlaufs (Seitensatz oder Versunkenheitsepisode25 vor Mittelzäsur  ; die Mittelzäsur als Piano-Insel, Refrain als Fragment). Achronologie, Abweichen vom linear-konsekutiven Verlaufsmuster, „order transforms“26. — Abweichen zwischen der Exposition musikalischen Materials und dessen Wiederkehr in weiteren Zyklen des Formablaufs durch Einschübe, Auslassungen etc. (Durchführung und Reprise als „zweiter und dritter Durchlauf “ des Materials  ; Variationen im Variationszyklus).

25 Bernard von der Linde, „Die Versunkenheitsepisode bei Beethoven“, Beethoven-Jahrbuch 1973/77, 319–37. 26 Ken Ireland , The sequential dynamics of narrative  : Energies at the margins of fiction (Madison, NJ  : Fairleigh Dickinson Univ. Press, 2001), 268.

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Das wichtigste dieser Muster ist innerhalb der untersuchten Werke zweifellos die Sonatenhauptsatzform. Sie weist die für narrative Texte konstitutive temporale Struktur auf  : zum einen den ausgeprägten Ereignischarakter (durch prägnant hervortretende Modulationen, Texturwechsel), zum anderen die Zustandsveränderung (durch die Veränderung von Material in der Durchführung und Reprise), zum dritten die Similarität (Konstanz des Materials).27 Die Sonatenhauptsatzform stellt denn auch den „Plot“, den erzählerischen Rahmen der vorliegenden Untersuchung bereit. Gelegentlich öffnen sich dabei Seitenblicke auf andere Formtypen. In den Blick genommen werden hier sämtliche Streichquartette (ab Op. 9) und die Symphonien, die ab 1765 entstanden sind (einschließlich I  :37)  ; prägnante Beispiele aus Klaviersonaten und Klaviertrios ergänzen das Gesamtbild.28

Exposition Thema und Fortsetzung Parenthesen sind nicht selten schon im Thema selbst enthalten  : kurze antithetische Einschübe oder Einwürfe, die zum Angelpunkt des Formprozesses werden können. Unterbrechungen wie die kurzen Unisono-Bruchstücke in Op. 33/4, 1 (B) und I  :51, 1 (B), wie der „ungrammatische“ Tonleiter-Einwurf im ersten Thema von I  :50, 1 schließen jenes Moment von harmonischer Offenheit und Binnenkontrast ein, das von sich aus auf Fortsetzung und Klärung drängt. Gelegentlich sind solche Einfügungen mit retardierender Bewegung verbunden. Dann wirken sie, als würden Elemente einer langsamen Einleitung gleichsam verspätet eingeschaltet. Elaine Sisman hat zwei Anfänge von zwei Allegro-Kopfsätzen aus Haydns „Sturm-und-Drang-Sinfonien“ so interpretiert. In beiden Fällen handelt es sich um „eine oszillierende Kadenzfigur, die einen ausgeschriebenen Terzentriller mit punktiertem Rhythmus umschreibt, wie er sich in reinster Form in der Symphonie Nr. 6 (,Le Matin‘) als Teil der langsamen Einleitung zeigt“29. In I  :48 („Maria Theresia“), verliert der erste Satz „plötzlich ab T. 7 seinen ‚drive‘, wird auf einen merkwürdig unentschlos-

27 Für den Erzählbegriff ist bestimmend, dass die zwischen den Zuständen ereignende Veränderung sich auf ein und dasselbe Subjekt des Handelns oder Erleidens oder auf ein und dasselbe Element des „setting“ bezieht, vgl. Schmid, Wolf  : Elemente der Narratologie (Berlin u.a.  : Walter de Gruyter, 2005), 12 f. 28 Werktitel werden wegen der großen Zahl der Beispiele stark abgekürzt, Sinfonien nach dem Schema  : I  :52, 1 (c) = Hob.I  : Sinfonie, Nr. 52 in c-Moll, erster Satz  ; Streichquartette  : Op. 33/4, 1 (Es) = Streichquartett Op. 33, Nr. 4, Es-Dur, erster Satz. Klaviersonaten  : XVI  :1, 1 (= Hob. XVI  :1, erster Satz). 29 Elaine Sisman, „Haydn’s Theater Symphonies“, Journal of the American Musicological Society 43 (1990), 292– 352, 342.

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Abb. 3  : Parenthesen innerhalb von Hauptthemen, I  :50, 1 (C) und I  :51, 1 ( B), V.1, Anfänge

senen Streichersatz reduziert und versickert dann in T. 17 auf einer Fermate“30. Die Passage kehrt variiert, aber mit identischer Schlusswendung zu Beginn der Durchführung wieder und wird in der Reprise weggelassen, was den Einschubcharakter bestätigt. Auch die Sinfonie Nr. 59 („Feuer-Sinfonie“) zeigt zu Beginn ihres ersten Satzes (Allegro) die Allusion einer langsamen Einleitung (T. 5–9), die formal gleichsam an die falsche Stelle versetzt ist, wie in Sternes Tristram Shandy das fiktive Widmungsangebot im 8. Kapitel des ersten Buches. Dieser Einschub wird noch tiefer in die Entwicklung des Allegros eingelassen als im Schwesterwerk („Maria Theresia“). Er taucht in verdeckter Form im Seitensatz auf 31 und noch unauffälliger in der Schlussgruppe, direkt angebunden an die echohaften Schlusstakte 46 f. Der Einschubcharakter dieser Parenthese gerät immer mehr in Vergessenheit, um dann in der Reprise mit umso größerem Gewicht wieder an die Oberfläche zu treten (T. 83–89  : der Charakter einer „Abschweifung“ ist durch Erweiterung um zwei Takte und Fermate verstärkt). Für die Fortsetzung des Themas existieren bekanntlich im Sonatensatz mehrere Optionen. Eine der gängigsten entwickelt sich aus einem zweiten Einsatz des Themenkopfes („angegangene Wiederholung“32)  : Zunächst hebt das Thema, oft dynamisch gesteigert, noch einmal an, mündet aber dann unter Auflösung seiner ursprünglichen Struktur in die Überleitung ein. In manchen Fällen hat Haydn diese direkte Angliederung der Überleitung zugunsten eines anderen Weges aufgegeben. Das Thema setzt zwar ein, doch die Musik geht darüber hinweg, schlägt einen ande-

30 Michael Walter, Haydns Sinfonien. Ein musikalischer Werkführer (München  : Beck, 2007), 54. 31 T. 31 f., kenntlich am ‚gebundenen‘ Piano, an der ondulierenden Bewegung zwischen Grundstellung und Quartsextakkord, am Liegeton und der syntaktischen Funktion als „innere Erweiterung“ des „Vordersatzes“ T. 28–33. 32 Erwin Ratz, Einführung in die musikalische Formenlehre (Wien  : Universal Edition, 3/1973), 33 u.a.

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Abb. 4  : ‚verspätetes‘ Fragment einer langsamen Einleitung in I  :59, 1 (A), Streicher.

Abb. 5  : zweiter Einsatz des Hauptthemas als Parenthese  : XVI  :52, 1 (Es), T. 5 –10 (Wiener Urtextausgabe, Universal Edition).

ren, davon unabhängigen Verlauf ein, so dass das Thema als „Non-sequitur“ stehen bleibt. Im Finale von Op. 20/3 (g) wird der zweite Einsatz des Hauptthemas nach zwei Takten unterbrochen (T. 12). Statt an das Thema anzuknüpfen, greift die Musik auf das auffällige Unisono des Zäsurtaktes 10 zurück und landet unversehens mit einer auftaktigen Dreiklangsbrechung aller vier Streicher in der Paralleltonart. Das Tutti geht also über die „Themenparenthese“ hinweg und führt auf eigene Faust das Geschehen weiter. Wie ein Fremdkörper steht der zweite Einsatz des Hauptthemas aus Op. 55/3, 1 (B) in seiner Umgebung. Der von Pausen eingeschlossene Viertakter ,fordert‘ die Modulation über die heftig artikulierte Tonikaparallele (T. 30), doch die Fortsetzung geht

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darauf nicht ein, sondern knüpft motivisch und harmonisch an den Halbschluss auf F aus T. 25 an. Auch das formal entsprechende Segment im ersten Satz der Klaviersonate XVI  :52 (in Es) wird von der Fortsetzung ‚übergangen‘. Es knüpft zwar direkt an die Fortspinnungsgruppe (Takt 6–8) an, reißt aber in Takt 10 irregulär nach einem Sturz in das Tiefenregister ab. Auf unbetonter Zählzeit greift die Musik in einem kühnen Schnitt einfach den unterbrochenen Faden der Fortspinnung aus T. 8 wieder auf. Dreifach ist der Hiatus durch Register-, Dynamik- und Harmoniewechsel betont. Überleitung Nicht selten erscheinen die einzelnen Formteile bei Haydn eher unverbunden montiert als in nahtloser Verkettung. Das nachgeschobene Einstimmen der Streicher (Takt 19–32) im Finale aus I  :60 („Il Distratto“) führt ostentativ vor, was sich in anderen Werken subtiler in der formalen Segmentierung niederschlägt  : das Verrutschen ganzer Formteile, die plötzlich unter Verletzung chronologischer Folgerichtigkeit am falschen Platz auftauchen. Drängt sich gelegentlich ein verspäteter Ableger der langsamen Einleitung in den Gedankengang hinein (siehe oben), so geschieht auch das Gegenteil  : Formteile erscheinen, die noch gar nicht ,an der Zeit‘ sind und deshalb proleptisch wirken. In I  :89, 1 (F) verliert sich die Musik nach Erreichen der Doppeldominante (T. 27), aber vor der Dominantzäsur (T. 42), in eine Vorwegnahme der sonst meist im Anschluss des Seitensatzes erklingenden „Versunkenheitsepisode“. Weil diese Exkursion in die Tonart der erniedrigten sechsten Stufe von F-Dur nicht, wie beim späteren Haydn sonst meist üblich, großzügig ausgebaut, sondern rasch verdrängt wird (T. 40 ff.), wirkt diese Wendung wie ein unwirsch zurückgenommener Seitenweg, dem rasch die reguläre Mittelzäsur folgt (T. 40–42). Besonders exzentrisch ist der mitten in die Überleitung hineingeschnittene pp-Einsatz eines ‚vorgezogenen‘ Seitensatzes in der Exposition von I  :78, 1 (c). Wie in einem plötzlichen blackout tritt an völlig unerwarteter Stelle (T. 48–54) die seitensatztypische Abnahme von Dynamik und Klangvolumen ein, nachdem die Musik aber nicht wie üblich nach der Dominante der Paralleltonart, sondern nach deren Subdominante angehalten hat (T. 47).33 Erst nachträglich gelangt dieser „Seitensatz“ zur Befestigung der erwarteten Tonart. Deren Einsatz fällt dann schon mit dem Beginn der Schlussgruppe zusammen. In I  :40, 1 (F) fällt eine solche Abschwächung just mit dem Erreichen der Mittelzäsur zusammen. Ausgerechnet jener Einschnitt, der zur entschlossenen Etablierung 33 Im Bass liegt ab T. 47 der Ton as. – Einen Parallelfall mit Seitensatz „auf der Doppeldominante“ bietet I  :58, 1 in F, (T. 29–33).

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Abb. 6  : seitensatztypische Piano-Inseln (T. 48–54) an falscher Stelle, I  :78, 1 (c), (V. 1. und 2).

Abb. 7  : retrospektiver Einschub als Mittelzäsur, I  :40, 1 (F).

der Doppeldominante führen soll, wird zum Piano-Einschub mit Reminiszenz an den Beginn der Überleitungsgruppe (T. 23 f.). Ähnlich paradox ist die Dynamik der „Seitenbemerkung“, die Haydn als Mittelzäsur im ersten Satz des Streichquartetts op. 20/4 (D) einstreut  ; es ist jener zweitaktige Unisono-Gedanke, der sich in Forte-Einwürfen in der Schlussgruppe fortpflanzt (T. 62 f., T. 77–79, T. 85 f.) und dann in der Durchführung so wichtig wird. Umgekehrt tendieren in manchen langsamen Sätzen die Mittelzäsuren durch besonders nachdrückliche Hervorhebung zum Herausfallen aus dem Kontext  ; Haydn monumentalisiert sie zu Unisonogesten, die durch ihre Klangfülle, Dynamik und Häufung diminuierter Notenwerte, gelegentlich auch durch ihre Harmonik (I  :52, 2, Neapolitaner) von ihrer Umgebung abstechen. Solche Fremdkörper erwachsen aus Übertreibungen des „Hammerschlag-Topos“, jener Nachschlagfigur34, die an dieser Stelle der Sonatensatzform oft die Dominante oder die Tonika der Gegentonart mit bekräf34 Koch, Versuch, 376 ff. (Bd. 2, § 95). Oft ist dieser »Hammerschlag-Topos“ mit einem Oktavsprung abwärts verbunden, gelegentlich wird er, wie hier, koloriert.

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tigender Repetition oder Oktavfall des Schlusstons gleichsam festnagelt. Ein Beispiel bietet I  :52, 2, Andante, T. 21–30, T. 38–40  : Nach dieser Unterbrechung gelangt die Musik zurück zum Ausgangspunkt. In I  :37, 3, Andante, T. 19–21 (siehe Abb. 8) findet ununterbrochene melodische Fortspinnung über den Einschub hinweg statt (hier durch die Wiederaufnahme des Rhythmus aus dem ersten Takt des Hauptthemas (siehe T. 9) in T. 23. Die Musik scheint in diesem c-Moll-Satz, nachdem sie erwartungsgemäß nach Es-Dur moduliert hat, zusätzlich noch die für Dur-Sätze vorgesehene Modulation in die Dominant-Tonart anzustreben (T. 19 f.), schwingt aber nach dem Einschub der ‚falschen Mittelzäsur‘ wieder nach Es-Dur zurück.

Abb. 8  : Mittelzäsur als isolierte Forte-Markierungen im Andante in c, I  : 37, 3 (V. 1, Vc.).

Im Andante aus I  :83 („Die Henne“, g), folgt auf den monumentalisierten Hammerschlag-Topos (T. 23) eine Art musikalisches Vakuum von ‚leeren‘ Achtel-Repetitionen, bevor eine ähnlich isolierte Kadenzgeste (T. 28 f.) das Seitenthema einleitet.

Seitensatz als Einschub Das Verhältnis von Haupt- und Seitensatz ist im Verständnis der Formenlehre des 19. Jahrhunderts durch die Begriffe Polarität und Äquivalenz definiert. Seitenthemen stellen die Antithese zum Hauptthema dar  : Sie sind ruhiger, melodiebetont, mit vielen Wiederholungen versehen, periodisch aufgebaut. Dank ihres lyrischen Charakters und ihrer Tendenz zur formalen Ausbreitung nehmen sie einen ähnlichen Rang wie das erste Thema ein  ; zudem stehen sie nach dem Postulat der Formenlehre immer an gleicher Position  : nach der Mittelzäsur. Haydn hat zwar selbst zur Ausprägung dieses „klassischen“, dann bei Beethoven wirklich zur Norm werdenden Typus beigetragen, aber sein Formenrepertoire ist sehr viel größer. Es umfasst das gesamte Spektrum zwischen der ‚kontinuierlichen‘ Exposition,

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Abb. 9  : verschiedene Stadien des Seitensatzes, Op. 76/3, 1 (C).

in der Ansätze von Seitenthemen immer wieder durch ununterbrochene Fortspinnung verdrängt werden, bis zur Ausprägung eines ‚ebenbürtigen‘ Seitenthemas. Dazwischen angesiedelt sind die Fälle, in denen das Seitenthema als ,Einschiebsel‘35 erscheint. Der Ausdruck steht für etwas Abgesondertes – das Thema oder seine rudimentären Derivate erscheinen relativ unverbunden, vom Übrigen abgesetzt, wie von außen her eingefügt, nicht als Ziel des Formprozesses, sondern als Umweg und Ablenkung. Die nach der kodifizierten Sonatensatz-Lehre so lückenlose Verkettung von überleitender Modulation, Mittelzäsur, Seitensatz und Schlussgruppe wird kurzzeitig suspendiert.36 In der Exposition von Op. 76/3, 1 in C („Kaiserquartett“), entwickeln das Hauptthema und seine Derivate im Verlauf der Exposition eine eigene ‚Geschichte‘ neben und innerhalb der Dramaturgie der Sonatenexposition. Der Einsatz nach der ersten Zäsur auf der Dominante von C-Dur in T. 13 knüpft noch an die plastische Präsentation des Themenkopfes zu Satzbeginn an und ergeht sich dann in einer schlenkernden Terzschrittsequenz (T. 14–16). Nach der zweiten Zäsur in der Dominanttonart G-Dur, die durch die Doppeldominante entschieden bekräftigt wird, reagiert der anschließende Themeneinsatz paradoxerweise nachlassend und ausweichend  : 35 Riepel, Anfangsgründe, 70, 77, 81 f. 36 Hingegen erscheint es nicht sinnvoll, dem Seitensatz in der Wiener Klassik generell die Qualität eines Einschubs zuzuschreiben, wie dies G.C. Kimball versucht hat, vgl. G. Cook Kimball, „The second Theme in Sonata Form as Insertion“, Music Review 52 (1991), 278–93.

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Er geht ins Piano und schwenkt unter Umgehung des angesagten G-Dur über aMoll in die Terzschrittsequenz des vorigen Einsatzes ein. Erst die energische Schlussgruppe etabliert G-Dur fest. Der letzte Einsatz ist dann eine echt parenthesenhafte ‚Versunkenheitsepisode‘ auf der erniedrigten 6. Stufe der Dominanttonart, pianissimo ins Unbestimmte versickernd, dann abrupt durch Überleitungsmaterial abgelöst (mit identischer Motivik wie vorher). Der Beiseite-Charakter solcher Abschweifungen artikuliert sich verschiedenartig. Zum einen entsteht sie als „Fernecho“ des ersten Themas. Die kurze, nur wenige Takte umfassende Sistierung thematischer Verläufe durch leise, meist basslose Repetition von Motiven gehört zum gängigen Figuren-Repertoire bei Haydn, besonders in Menuetten (Op. 33/2 in Es), aber auch in Hauptthemen von Sonatensätzen wie in Op. 55/1, 4 (A). Bisweilen ist der Seitensatz nichts anderes als eine an die ‚falsche‘ Stelle verschobene echoartige Wiederholung von Teilen des Hauptthemas, ein gleichsam durch Zeitriss verspätet eingeschalteter Nachgedanke. Der Seitengedanke aus XVI  :24, 1 (D) (siehe Abb. 10), hebt sich durch seine Bewegungsart und Metrik (impliziter 4/4-Takt innerhalb des Dreiertaktes) vom figurativen Material seines Kontextes ab. Er bricht eine zweistimmige Figur quasi ungrammatisch aus der Mitte des Hauptthemas heraus und sequenziert sie einige Male. Durch seine Fragmentarik und Isoliertheit wirkt die Passage wie eine leicht zerstreut wirkende ‚Nachbemerkung‘ zum ersten Thema.37 In I  :39, 1 (g) besteht die Piano-Insel im Seitensatz lediglich aus dem zweimal abrollenden Anfangsgedanken des Themas – ein flüchtiges Hinhalten des Fortgangs ohne jede syntaktische Abrundung, das sofort vom Tutti abgelöst wird.38 Radikaler wirkt die Unterbrechung durch den Seitengedanken noch, wenn nicht nur Fernechos des Hauptthemas erklingen, sondern die Musik abrupt mitten in den Hauptsatz zurückspringt. Dieses ereignet sich in Op. 50/5, 1 (F)  : „Ungemein komisch wirkt im Seitensatz […], wenn das Passagenwerk abbricht und nach einer Pause der Nachsatz des Achtelnoten-Themas wieder aufgegriffen wird, so als wenn inzwischen nichts geschehen wäre.“39 (T. 46–53) Eine ähnliche analeptische Unterbrechung des Verlaufs passiert in Op. 33/2, 1 (Es). Über einer Doppeldominantfläche40 scheinen 37 Eine analoge Situation zeigt I  :56 (C), 1 in einer ‚Nachbemerkung‘ zum zweiten Thema, T. 78–82 (in Reprise durch Identität der Instrumentation, Ob., Vl., noch unterstrichen). 38 Op. 20/4, 1 (D), Exposition  : Nach der ersten Kadenz in A-Dur (T. 67) setzt kein neuer Seitengedanke, sondern ein Nachklang des Themenschlusses (T. 27–30 bzw. 39–42) ein, über den die Musik rasch hinweggeht. Analog dazu gibt es auch ‚Nachbemerkungen‘ zum Seitenthema, die in die Schlussgruppe eingestreut werden. Vgl. I  :56, 1 (C), T. 78–82 (in Reprise durch Identität der Instrumentation, Ob., V., noch unterstrichen). In I  :82, 1 („Der Bär“, C) hinkt die Kadenz des Seitensatzes in der Schlussgruppe nach. 39 Georg Feder  : Haydns Streichquartette  : ein musikalischer Werkführer (München  : Beck, 1999), 73. 40 Der Terminus stammt von Lars Schmidt-Thieme, Die formale Gestaltung von Exposition und Reprise in den

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Abb. 10  : Seitensatz als Fernecho von Motiven des Hauptsatzes XVI  : 24, 1 (D), T. 1–4, T. 27–41.

Repetitionen des Schlussmotivs aus den Zweitaktgruppen des Hauptthemas eine reguläre Mittelzäsur anzusteuern. Prompt setzt danach auch ein Gebilde ein, das einem Seitengedanken zumindest ähnlich sieht. Bei näherem Hinsehen entpuppt es sich aber als eine Art Nachsatz zu T. 13 f., dem modulierenden zweiten Einsatz des Hauptthemas, der durch eine kurze Umschaltpause in T. 19 plausibel gemacht wird (sie verschiebt den metrischen Beginn des Satzgliedes um einen Halbtakt). Es ist, als würde die Uhr plötzlich zurückgestellt und der eigentlich schon erreichte Entwicklungsstand schlagartig wieder aufgehoben  : Ausnahmsweise wird hier einmal die entwickelnde, vorantreibende Überleitung nachträglich zur Parenthese umgedeutet. Auch wenn Seitenthemen motivisch ganz eigenständig sind, erweisen sie sich oft als Einsprengsel. Dies ist oft der Fall, wenn sie vom umgebenden Tutti-Material so kupiert werden, dass sie syntaktisch keine Stabilität gewinnen können. Die Exposition aus I  :52, 1 zeigt dies exemplarisch  : Zunächst erscheint nach einer regulären Mittelzäsur das Seitenthema als disparates Partikel (T. 33–37), das dann nach fünf Takten mit Trugschluss endet und durch weiteres Überleitungsmaterial abgelöst wird. Der Streichquartetten Haydns (Europäische Hochschulschriften  : Reihe 36, Musikwissenschaft 206), (Frankfurt/M. [u.a.]  : Peter Lang, 2000), 247 u.a.

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Abb. 11  : Seitensatz als Rücksprung in den Hauptsatz nach Mittelzäsur, Op. 33/2, 1 (Es), (V. 1.).

Schwenk zum Seitensatz erweist sich als ungeduldig korrigierter Vorgriff, bevor nach längerer Zäsurausfüllung ein ‚zweiter Versuch‘ zu seiner Durchsetzung startet (ab T. 46 ff.), der erfolgreicher ist. In vielen Fällen kommt es nicht dazu  : In XVI  :41, 1 (B) taucht das ‚Angebot‘ eines prägnanten Vordersatzes in F-Dur auf (Blockakkorde in der linken Hand, mit Anstieg Do-Re-Mi in der rechten), der jedoch durch die Fortsetzung mit ihrer Überleitungs-Rhetorik und ‚rollender‘ Begleitung in f-Moll regelrecht ignoriert wird. Die Takte 21–24 bleiben ein merkwürdig isoliertes Partikel.

Abb. 12  : ‚abgekürztes‘ Seitenthema XVI  : 41, 1 (B), (Universal Edition).

Exkurs 1  : Einschübe in verlangsamter oder beschleunigter Bewegung Eine weitere wichtige Gruppe in dieser Kategorie bilden Seitensatz-Parenthesen in stark verlangsamter Bewegung. Haydn geht im Wechsel der Bewegungsarten innerhalb eines Satzes oft so weit, dass das gesamte Spektrum der Gangarten vom flinken Presto bis zum Stillstand vorkommt. Gelegentlich wird das Tempo auch explizit, durch Mo-

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difikation der Tempovorschrift, geändert, wie in den Finali von I  :99 (T. 137 f., Adagio), Op. 54/2 (C, Adagio, Presto, Adagio) und I  :67 (Presto, Adagio, Presto). Häufiger sind die Fälle, in denen dies implizit geschieht, durch Wechsel der rhythmischen Unterteilungswerte. (H. Chr. Koch erwähnte in seinem Versuch diese Möglichkeit bereits im letzten Teil des Abschnitts über Parenthesen. Sein Beispiel geht vom Vierviertel- in den Zweihalbe-Takt über, vgl. § 71.) Beispiele par excellence für solche ‚Tempoparenthesen‘ finden sich im Finale der Merkur-Sinfonie (I  :43 in Es). Das erste Anzeichen eines Oszillierens zwischen zwei Tempi verbirgt sich im verlangsamten und durch Vorschlag hervorgehobenen Trugschluss im vierten Thementakt. Die Tendenz bestätigt sich im „zweiten Thema“ (T. 49–52), einer Schlussformel aus vier Langtönen, die an T. 4 f. anknüpft. Sie wirkt wie ein von Pausen umschlossenes Piano-Fragment aus einer gleichsam verloren gegangenen langsamen Einleitung. In der Coda erfährt das Rätsel dieses rudimentären Seitensatzes seine Auflösung  : Das Hauptthema wird an weiteren Stellen abgebremst (T. 162–69), ein ungeduldig ‚aufbegehrendes‘ Fragment aus der Fortsetzung wird fragmentarisch dagegengestellt. Darauf entspinnt sich eine längere Partie aus Langwerten (T. 173–88), die sich durch motivische Anklänge und durch ihre wieder ins rasche Tempo zurückspringende Fortsetzung (ab T. 187, entspricht T. 54) klar auf das „Seitenthema“ bezieht. Dessen Expansion in der Coda bewirkt den Eindruck, als sei das gesamte Finale aus der Verschachtelung des schnellen Satzes mit Fragmenten eines (imaginären) langsamen Satzes hervorgegangen.

Abb. 13  : Seitengedanke, Verlangsamung, I  : 43, 4 (Es), (1. Viol.).

Haydn hat diese Formidee besonders in Finali später mehrfach aufgegriffen (bis hin zu I  :104). In I  :84, 4 (Es) erklingt an der formalen Position des Seitensatzes das Bruchstück eines Chorals in Moll, das man auch als langsame Begleitung zu einem nicht vorhandenen Seitenthema auffassen könnte. Im Verlauf des Finales aus Op. 64/3 (B) setzen dreimal choralhafte Pianissimo-Enklaven in Halben bzw. Doppel-Halben ein,

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jeweils durch die typische Seitensatzvorbereitung per Hammerschlag-Topos eingeleitet. Dieser geht jedoch rasch in einen anderen, bei Haydn manchmal programmatisch verwandten Satztypus über  : hinhaltendes Stehenbleiben auf Akkorden und Einzeltönen (in I  :60, 1 [D] oder in „Il Distratto“ in D, I  :101, 3, Trio), bevor endlich jene langsamen Zeitinseln beginnen. Sie sind dank ihrer Alterationsharmonik gleichzeitig Platzhalter der „Versunkenheitsepisode“, aus der die Musik immer wieder abrupt aufwacht. Noch häufiger als solche langsamen Einschübe in raschen Sätzen trifft man bei Haydn allerdings auf die entgegengesetzte Konstellation  : Dynamisch bewegte Einbrüche in langsamen Sätzen. Beispiele von Mittelzäsuren, die wie aus heiterem Himmel mit lauten „Schwärmern und Läufern“ (Riepel) in langsame Sätze hineinplatzen, sind schon erwähnt worden. Sie bewirken, zusammen mit anderen kurzen Markierungen, z.B. im Andante von I  :83 (g), den Eindruck eines Alternierens zwischen zwei völlig verschiedenen ‚Parallelerzählungen‘ (T. 23, 28, 53, 57, 59f. etc.). Insgesamt füllen die Forte-Einschübe hier nur 12 von 105 Takten aus und erscheinen in ihrer Isoliertheit fast wie herausgeschnitte Bruchstücke eines ganz anders gearteten Satzes, der immer wieder kurzzeitig eingeblendet wird.41

Abb. 14  : Forte-Einschub, I  :86, (D), (Streicher, in G).

41 In mehr oder weniger deutlich ausgeprägter Form prägen „Parenthesen“ dieser Art auch die langsamen Sätze von I  :52 (Andante), I  :67 (Adagio), I  :64 („Tempora mutantur“, Largo, Takteinschübe mit Achtelrepetitionen T. 59 f. u. 76 f.), Op. 74/3 („Reiterquartett“, Adagio sostenuto), I  :88 (Largo), I  :99 (Adagio), um nur einige Beispiele zu nennen.

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Abb. 15  : Vorwegnahme der Stretta in den langsamen Variationen, Op. 76/5, 1 (D), T. 39–48 (V. 1), T. 107–10 (V. 1, Vc.).

Das Beispiel des Largo (Capriccio) aus I  :86 (D) umschreibt diesen Typus der Paren­ these exemplarisch  : Nachdem sich ein Abkadenzieren im Seitensatz angebahnt hat (mit Dominant-Quartsextakkord und Auflösung in T. 23), wendet sich die Musik trugschlüssig nach B-Dur, das dann überraschend durch den im Forte ausbrechenden Takt 25 (F-Dur mit kleiner Septime) tonikalisiert wird. Die bis dahin vorherrschende Grundbewegung des Basses in Viertelabständen (Achtel mit Pause) wird abrupt durch Sechzehntel ersetzt. Nach nur drei Takten ist der ganze Spuk vorbei  : Vom Tutti bleibt nur die im Piano gespielte Stimme der ersten Violine übrig, die den Quartsextakkord aus T. 23 wieder aufgreift und die Kadenz in D-Dur mit sparsamer Akkordbegleitung in T. 29f. abschließt. (Das Notenbeispiel stammt aus der Reprisenvorbereitung.) In I  :55 („Der Schulmeister“, Es), 2. Satz (Adagio, ma semplicemente) und 4. Satz (Presto) dominiert die programmmusikalische Herleitung des Topos („Aufbrausen“), zweimal verbunden mit der Variationsform. Die erste der Adagio-Variationen enthält Forte-Abwandlungen des zweiten, vierten, sechsten und achten Zweitakters im Wechsel mit den nicht variierten, im Piano gehaltenen Teilen des Themas  ; und im Finale erhält der Fortissimo-Einschub (T. 80–87, 4. Variation) dadurch einen besonderen Nachdruck als Parenthese, dass er mit einem Ausbrechen aus der Variationsform einhergeht. Auch in Op. 76/5, 1 in D (Allegretto/Allegro, Variationen und Fuge) geschieht im durchführenden „Minore“ des Allegretto eine Loslösung von der Variationsform in Ge-

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stalt eines plötzlichen Forte-Einbruchs schneller Bewegung. Er unterbricht in T. 41 die Sequenz-Regelmäßigkeit und hält abrupt nach 4 Takten auf der Subdominante ein. Dieses Bruchstück entpuppt sich als Prolepse, als fragmentarische und rhythmisch nur leicht abweichende Vorwegnahme der Stretta aus der Fuge in verkleinerten Notenwerten (vgl. dort T. 107–27).42

Exkurs 2  : Das Solo als Abschweifung Bildete in der letzten Kategorie das Tutti die Parenthese, so stellt sich in anderen Fällen die Relation genau umgekehrt dar  : das Solo wird zum Einschub. Schon J. Mattheson deutete im Vollkommenen Capellmeister die Möglichkeit eines solchen Musters an  : „[…] so setze man im 134. Psalm die Worte  : Wo der HErr nicht bey uns wäre, mit dem gantzen Chor  ; lasse darauf eine Stimme allein singen  : (So sage Israel  !) und hernach wiederum das Tutti einfallen  : Wo der HErr etc.43“ Keimzelle solcher Unterbrechungen sind zwei recht konventionelle Satztypen, zum einen die kurze, über einer Fermate eingefügte Solokadenz in langsamen Kammermusik-Sätzen (wie in XV : 27, 2, T. 67), zum anderen kurze einstimmige, zur Schlusskadenz einer Periode überleitende Passagen (wie in I  : 83, 2, T. 38 ff ). Der harmonische Verlauf ist während solcher Passagen suspendiert, denn die Begleitstimmen setzen aus oder steuern nur gelegentliche Stützakkorde bei, die oft identische Harmonien umschreiben oder nur langsam voranschreiten. Im ersten Satz (Moderato) von Op. 17/5 (G) setzt die erste Violine am Ende der Durchführung zum großen solistischen Exkurs an (T. 62–67), nachdem sie schon vorher dreimal kürzere unbegleitete Abstecher unternommen hatte (T. 14 f., T. 34, 36). Die Partie wird bei Weitem überboten durch die großen Soloabschweifungen im ersten Satz (Allegro con spirito) von Op. 20/3 (g). Das erste Violinsolo entspinnt sich in der Schlussgruppe der Exposition über der Subdominante der Paralleltonart B-Dur, durch impliziten Wechsel in den 3/4-Takt zusätzlich isoliert (T. 71–77). In der Reprise kommt die erste Violine in fast überdrehtem „Eigensinn“ noch weiter vom Weg ab. Sie verliert sich in metrisch schwankenden Periphrasen des Melodiemodells aus Takt 218. Der Exkurs bricht dann unfertig mit einer auf der Dominante fragend innehaltenden Dehnung des prägenden Sextmotivs und einer Fermate ab (T. 234), worauf das Tutti mit den entsprechenden Expositionstakten ‚die Lage retten muss‘ (T. 234 ff.). I  :61 enthält in einem der Couplets des Finalsatzes (Prestissimo) eine Parenthese der ersten Violinen, die sich – wie in Op. 20/3, 1 (g) – zwischen zwei eng aufeinander 42 Im Wiederholungsteil des „Minore“ wird der rasche Forte-Einbruch ansatzweise in die Variationenfolge integriert. 43 Mattheson, Capellmeister, 296.

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Abb. 16  : Solo der ersten Violinen als „Abschweifung“, I  :  61, 4 (D)

bezogenen Tutti-Einwürfen ausbreitet (T. 149 und 157). Nach einem zweiten, wie auf der Stelle festgebannt herumwirbelnden Ansatz der ersten Violinen bleibt die Musik einen rahmenden Tutti-Einwurf schuldig. Das Solo bleibt in der Luft hängen und ‚rettet sich‘ in einer subtilen Volte, indem es nach kurzem Wartehalt einen weit zurückliegenden Gedanken aufgreift (T. 64 ff.) und damit die Episode zum Abschluss bringt.

Durchführung Rufartige Interjektionen und Signale zu Beginn und am Schluss Die in ihrer Form am meisten reduzierten Einschübe finden sich oft an einer der wichtigsten Wendestellen der Sonatenform, dem Beginn der Durchführung. (H. Chr Koch hat in seinem Versuch diesen Punkt des Ablaufs als Anfang des „zweitem Teils“, der zweiten und dritten „Hauptperiode“ des Kopfsatzes, zu Recht hervorgehoben.) Es handelt sich um ganz kurze, meist nur zweitaktige, rufartige Interjektionen. Sie ähneln jenen syntaktisch unverbundenen Einwürfen in der mündlichen Sprache, die entweder auf paraverbalen Reflexlauten („ach“, „oha“) oder auf Wörtern mit begrifflicher Bedeutung beruhen („zum Donnerwetter  !“) und stets expressive oder appellative Bedeutung haben. Letzteres gilt auch für die Apostroph-artigen Anrufe in der Musik. Durch isolierte, rhythmisch prägnante Gesten, meist im Unisono und Forte, wird ein modulatorischer und struktureller Wendepunkt markiert. Dabei kommen athematische Neubildungen wie in I  : 41, 1 (C), meist aber Wiederholungen des Ausklangs der Schlussgruppe zum Einsatz, wie in I  : 79, 1 (F) oder I  : 87, 4 (A). Manchmal erscheinen solche Gesten auch als ‚Zwischenruf ‘ innerhalb der Durchführung (I  :50, 1 in C), oder

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als ‚Machtwort‘, das die Rückkehr zur Reprise herbeiführt (I  :37 in C, Andante) bzw. in Rondos den Refrain unterbricht, um den Abschluss zu forcieren (I  :88, 4 in G). Auch manche beschleunigte Tutti-Einwürfe in langsamen Sätzen gehören in diese Kategorie (siehe oben, z.B. in I  :65 [A], Andante, T. 92 f., vor der Reprise).

Abb. 17  : Interjektion zu Beginn der Durchführung, I  : 87, 4 (A), Streicher.

Beginn mit isoliertem Einsatz des Hauptthemas Weit häufiger als mit solchen Einwürfen beginnt die Durchführung jedoch mit der Wiederkehr des Hauptthemas in der Dominant-Tonart. In Ausnahmefällen aber erhält dieser Einsatz selbst etwas vom fragmentarischen Charakter der Interjektionen, dann nämlich, wenn er vom Folgenden ähnlich ‚übergangen‘ wird wie gelegentlich sein zweiter Einsatz in der Exposition (siehe oben)  : Die Musik wendet sich nach Einsatz des Themas oder seiner Teilsätze einem ganz anderen Handlungsstrang zu, der Schlussgruppe oder dem Seitensatz etwa. Das Thema wird quasi zur Parenthese zwischen der Exposition und ihrer stetigen, nur kurz unterbrochenen Fortsetzung in der Durchführung. Besonders heftig ist ein solches „Überschreiben“ („writing-over“44) der Formkonvention im Andante aus I  : 37. Nachdem der auftaktige Themenkopf eingesetzt hat (T. 29), geht es nach abrupter Unterbrechung durch einen Übergangstakt (T. 30) weiter mit dem Schlussgruppenthema (die T. 31–35 transponieren T. 22–26 von Es-Dur nach As-Dur  ; das Schlussthema fungiert hier gleichzeitig als Seitenthema, vgl. dazu die Analyse bei Abb. 8).45 44 James Hepokoski und Warren Darcy, Elements of Sonata Theory. Norms, Types, and Deformations in the Late Eighteenth-Century Sonata (Oxford, New York  : Oxford UP, 2006), 212. 45 In Op. 54/3, 1 (E) ist der Bruchstückcharakter nicht so ausgeprägt, da das Thema vollständig bis zum achten Takt zitiert wird und sich die Rückwendung zum Beginn der Schlussgruppe nahtlos an den Themeneinsatz anschließt (T. 66 f. = T. 42 f., 47 f.). In I  :83, 1 („Die Henne“, g) wird die Isolation des Themenzitats hingegen auffällig durch Doppeltaktpause hervorgehoben, die dem Rücksprung ins Seitenthema vorausgeht. Ähnlich ist der Durchführungsbeginn in I  :99, 1 (Es) geformt  : Zweimal setzt der zweitaktige Einschub eines

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Abb. 18  : Fragment des Hauptthemas am Durchführungsbeginn, I  : 37, 3 (V. 1).

Weit häufiger sind die Relationen allerdings umgekehrt  : Der Einsatz von Material, das nicht dem Hauptsatz angehört, wird durch den Einsatz des Hauptthemas verdrängt, erweist sich als Abweichung, die durch ‚Rückkehr zur Tagesordnung‘ rasch korrigiert wird. In I  : 102, 1 (B) erscheint das Seitenthema noch einmal, als wolle die Musik die Formzäsur des Doppelstrichs ignorieren und mit dem Seitensatz fortfahren. Es bleibt aber als irreguläre, gleichsam verspätete Abirrung oder erratischer Block von der Durchführung ausgeschlossen und wird – seiner wiederholenden Abrundung beraubt – durch das normgemäße Hauptthema ersetzt. Dieses knüpft motivisch an die Schlussgruppe an, so dass es eine ‚Klammer‘ um die Parenthese des Seitensatz-Zitats bildet.46 Durchführung als „zweiter Durchlauf “ des Materials  : Rückblenden auf die Exposition ­innerhalb eines zweischichtigen Formverlaufs Seit dem 19. Jahrhundert bestand in der Formenlehre die Tendenz, der Durchführung fantasiehafte Ungebundenheit zuzuschreiben. Normative Hintergründe und wiederkehrende Muster wurden kaum beachtet. Dagegen haben James Hepokoski und Warren Darcy jüngst betont, dass in der Sonatensatzform des 18. Jahrhunderts eine deutliche Hierarchie unter den verschiedenen Optionen der Materialanordnung besteht  : In der Mehrzahl der Fälle spielt die Durchführung, so ihre These, einige oder alle Formteile der Exposition noch einmal durch, in mehr oder minder starker Abwandlung („second rotation“47), aber ähnlicher Reihenfolge. Ein Blick auf die Instrumentalwerke Haydns bestätigt in zahlreichen Fällen die Gültigkeit der Zyklushypothese. Dabei gilt sie vielfach auch für den folgenden ,Durchlauf ‘, die Reprise, denn Haydn fährt in weit höherem Maße als seine Zeitgenossen auch hier fragend schließenden Fragments des Hauptthemas ein. Dann knüpft nach Generalpause die Musik an das Schlussgruppenthema an. 46 Ein ähnliches Beispiel bietet I  :89, 1 (F). 47 Hepokoski und Darcy, Elements, 205–18.

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doppelgleisig  : Einerseits nimmt er den exponierten Zyklus wieder auf, andererseits durchsetzt er ihn stark mit entwickelnden Zügen. Für den Aspekt der „Parenthesen“ ist nun bedeutsam, dass Haydn „Zyklus und Prozess“ (um das Motto der diesem Band zugrunde liegenden Tagung zu zitieren) nicht immer bruchlos zusammenführt, sondern beide Tendenzen gleichsam unversöhnt nebeneinander stehen lässt. Durchführungsartige Entwicklung und die zyklische Wiederholung des Expositionsgeschehens alternieren in abruptem Wechsel. Zwar erscheinen die Elemente in der erwarteten Reihenfolge, aber manche Teile fallen aus dem Kontinuum heraus, weil sie plötzlich inmitten der Durchführung in fast unveränderter Gestalt einsetzen. Meist geschieht das, indem innerhalb von modulierenden Sequenzabschnitten inselhaft Themen oder deren Teilsätze auftauchen, die tonal stabil und syntaktisch geschlossen gefügt sind. Die Musik wird einmal oder mehrfach gleichsam „rückfällig“, indem sie ihren Durchführungsstatus kurzzeitig verleugnet und auf die Exposition rekurriert. Die Durchführung aus dem ersten Satz von I  : 95 in c (siehe Abb. 19) beginnt mit einer Piano-Legato-Version des Expositionsbeginns (Unisono-Themenkopf, T. 1–2). Außer dieser leichten, ab dem vierten Takt durch die Rückkehr zum ursprünglichen Forte korrigierten Irritation entspricht dieser Anfang der Norm  : Der zweite Zyklus des Sonatensatzes beginnt mit einer Durchführung des Themenkopfes, die in T. 74 in einer Fermate endet. Darauf geschieht der erste Durchblick auf die Exposition  : Mit frappierender Selbstverständlichkeit setzt eine nach Dur transponierte, aber ansonsten unveränderte Wiederkehr des Themennachsatzes (T. 3–7) ein. Unter Auslassung des Themenanhangs kehrt die Musik dann auf die Schiene der Themenkopf-Durchführung zurück. Zwei Formteile erscheinen miteinander verschränkt, allerdings mit durchführungsartigem Einschlag (Moll-Verwandlung, Modulation etc.)  : die mit dem zweiten Themeneinsatz der Exposition (T. 10 f.) beginnende Überleitung und die Dominantfläche der Gegentonart samt Mittelzäsur (T. 21 ff.). Der weitere Verlauf biegt, diesmal ohne Pausenzäsur, unvermittelt in die nur leicht veränderte Originalform des Seitenthemas ein (T. 86 ff., in B-Dur), unter Wegfall von dessen Wiederholung. Mit T. 98 beginnt eine weitere Durchführung des Themenkopfes, die sich wieder auf zwei benachbarte Formteile der Exposition bezieht  : Schlussgruppe (T. 43) und abschließendes Themenzitat (T. 54). Der danach plötzlich wieder unverändert einsetzende Nachsatz des Themas (T. 119 f.) erinnert an die Parallelstelle vom Anfang der Durchführung und definiert nachträglich den gesamten Durchführungsabschluss zur „fausse reprise“ des (in der eigentlichen Reprise fehlenden  !) Themenkopfes um. Auch darin ist ein Hinweis auf die zyklische Struktur dieses Sonatensatzes zu erkennen, ist doch die Verarbeitung des Themenkopfes ab T. 98 nichts anderes als ein verkappter Beginn des ,dritten Durchlaufs‘. Vorgänger von I  :95, 1 ist der erste Satz von I  :65 (Vivace con spririto). Die Pianofortsetzung des „premier coup d’archet“ aus dem Hauptthema und das Seitenthema

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Abb. 19  : I  : 95, 1 (c), T. 1–11, korrespondierend zu T. 62–81, Durchführung .

erscheinen innerhalb eines prozesshaften Geschehens auch hier quasi unverändert als ‚Sprengstücke‘ aus der Exposition. Eine besondere Zuspitzung erfährt die Verflechtung von prozesshafter Entwicklung und zyklischer Wiederholung hier am Reprisenübergang  : Nachdem der unveränderte, nur nach D-Dur versetzte Vordersatz des Seitenthemas eingesetzt hat, drängt sich zwischen ein modulierendes Zitat des „coup d’archet“ (T. 87) und die eigentümlich ,hereinstolpernde‘ Reprise (T. 89 f. schiebt T. 10 und 11 zusammen) noch einmal ein Splitter des Seitenthemas (T. 88). Nicht immer tauchen mehrere Bestandteile der Exposition im Durchführungszyklus unverändert auf. Fast noch häufiger konzentriert sich die Musik auf ein charakteristisches Element, wie z.B. in Op. 50/3, 1 in Es (Allegro con brio), wo der Unisono-Nachsatz des Themas als unveränderter Expositions-Rest immer wieder in die Durchführung eingeblendet wird. Durchgehend besteht motivisch-thematische Parallelführung zur Exposition, zweimal öffnet sich dabei ein Türchen, und die Exposition schaut wirklich in Gestalt dieses Nachsatzes (T. 49–52, T. 82 f.) hinein, sonst ist das Geschehen mittels Durchführungstechnik stets überformt. Neben Haupt- und Seitenthema sind auch andere Elemente der Exposition Gegenstand retrospektiver Einblendung. Ein Extrembeispiel bietet der erste Satz aus Op. 20/3 (g) mit den wohl kühnsten Parenthesen, die Haydn je komponiert hat  : Wie mit dem Messer geschnitten fährt das kurze Unisono-Motiv von der Mittelzäsur der Exposition immer wieder in das Durchführungsgeschehen hinein. Scheinbar willkür-

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lich und beziehungslos unterbrechen diese Zitate in T. 107 ff., T. 145 ff. und T. 151 den Zusammenhang. Doch folgen sie ebenso einer unbeirrbaren Logik, denn das Geschehen zeichnet grosso modo den Expositionsverlauf nach. Exposition T. 1–23 T. 24–26 T. 27–49 T. 79–89 T. 85ff.

Entsprechende Takte der Durchführung T. 95–106 (Thema) T. 107 ff. (Mittelzäsur) T. 110–28 T. 129–40 T. 145, 152 (abgesprengte Fragmente innerhalb der Themensequenz)

Bis auf die Sektionen „Kadenzflucht“, „Tutti-Einwürfe“ und „Solo-Abschweifungen der ersten Violine“ (T. 50–78) kehrt der Expositionsverlauf wieder, und an den entsprechenden Stellen erklingt auch das Unisono-Motiv. Sogar in ihrer radikalsten Aufsplitterung, in den Pianissimo-Einwürfen innerhalb der schließenden Themensequenz, sind die Fragmente noch als nur geringfügig dislozierte Vertreter ihres Pendants aus der Schlussgruppe interpretierbar (regulär müsste das Motiv statt in T. 145 und 147 in T. 140 ff. einsetzen). Von seiner funktionalen Einbindung ins Geschehen (als Schlussbestätigung, Bekräftigung der Gegentonart, Echo etc.), bleibt dabei so gut wie nichts übrig. Es ist, als würde das Unisono-Motiv seine „Geschichte“ aus der Exposition unbekümmert und völlig losgelöst von allem Übrigen einfach fortsetzen.

Abb. 20  : Unisono-Parenthese als unterbrechender Rückblick auf Exposition, Op. 20/3, 1 (g), V. 1.

Unverrückbar feststehende Elemente stechen nicht nur in der Sonatensatzform, sondern auch in manchen Rondo- und Variationssätzen als Fremdkörper heraus. Aus kompletten, meist in dreiteiliger Liedform gehaltenen Rondo-Refrains werden dann im

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Verlauf des Satzes Interpolationen, in denen sich die Musik kurz umwendet, ohne dem Hauptstrom der Entwicklung etwas Ebenbürtiges entgegensetzen zu können. „An die Stelle eines durch ausbalancierte Form gebändigten Satzes […] tritt die permanente Turbulenz, nach deren Festlaufen in Septakkorden (T. 192 f.) das endlich erscheinende Thema nur noch ein witziges aperçu ist“, schrieb Ludwig Finscher über das Finale von I  : 87 (A).48 In den Sinfonien wirkt sich die Isolierung von Refrainbruchstücken durch die Klangkontraste noch stärker aus. Nachdem im Rondo aus I  : 64 („Tempora mutantur“) bereits im Satzverlauf der Refrain mehrfach durch unterbrechende Tutti-Couplets seiner Ganzschlüsse beraubt worden ist (einmal im A-Teil, T. 52, einmal im B-Teil, T. 79), kommt der A’-Teil des letzten Refrains selbst nur noch als offen endendes PianissimoEinsprengsel zwischen den zwei schließenden Tutti-Blöcken zum Erklingen (T. 184– 91). Im Finale von I  : 83 („Die Henne“, g) erscheint das Hauptthema nach seinem ersten Einsatz nie mehr komplett (als „rounded binary“). Nach dem Doppelstrich setzen noch einmal die ersten vier Takte (Periode) als Kurz-Refrain (T. 56–59) ein, in der Coda tauchen nur noch von Fermaten eingeschlossene und einmal durch ‚ratlose‘ Wiederholung unterbrochene, gleichsam stotternde Nachsatzfragmente auf, die nicht mehr zur Ursprungsform des Themas zurückfinden.49 Eine weitere Form, in der isolierte, gleichsam überständige Reste eines vergangenen Materialzyklus eingeschlossen werden, ist jene ABA-Form mit variationsartigem Zuschnitt, die E. Sisman zu Recht als bedeutsame Formerfindung Haydns gewürdigt hat.50 Genetisch ist diese ‚durchbrochene‘ Variationsform als Kreuzung des MaggioreMinore-Wechsels im herkömmlichen Variationszyklus mit Elementen der Rondo- und Sonatensatzform herzuleiten. Sind im Adagio aus I  : 76 Variationen und Kontrastteile (meist in Moll) bis auf die Coda noch strikt getrennt, so findet in I  : 77, 2 (Andante sostenuto) in der durchführenden zweiten Variation (eigentlich dem B-Teil der Gesamtform) eine wechselseitige Durchdringung von freien ,Ausbrüchen‘ und orthodoxer Variationsform statt  : Zwischen die umfangreichen Forte-Ausbrüche ist inselhaft eine Sequenz des originalen Variationsthemenkopfes eingeschaltet (T. 59–62). Es ist ein Vorläufer des langsamen Satzes von I  : 104 (C), in dem diese Form der Variation ihre vollendete Ausprägung erhält.

48 Ludwig Finscher, Joseph Haydn und seine Zeit (Laaber  : Laaber Verlag, 2000), 344. Weitere Beispiele  : Op. 54/3 (E), Op. 76/3 (C). 49 Ein weiteres Beispiel  : Op. 55/2, 4 (f ), T. 41–43 u.a., I  : 66, 4 (B). Noch häufiger werden allerdings Couplets parenthetisch eingesetzt, etwa in Op. 55/3, 4 (B). 50 Elaine Sisman, Haydn and the Classical Variation (Studies in the History of Music 5), (Cambridge Mass. u.a.  : Harvard University Press, 1993), 168–72.

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Die erste Variation („Durchführung“) ist alternierend aus Bruchstücken des Themas und freien Partien aufgebaut  : Thema Vordersatz, T. 38–41, Moll (erste Parenthese) Freies Minore, Tutti T. 42–55, abreißend, Pause Thema, T. 1 f. unterbrochen, T. 57–59 (zweite Parenthese) Freier Zwischenteil T. 60–73, versandend

Reprise Bruchstücke der Durchführung in der Reprise Nicht selten sind parenthesenartige Einschübe durch ein Überschießen oder Überschwappen der Durchführungsenergie bedingt. Es führt dazu, dass einzelne Segmente über die Grenze zur Reprise gleichsam hinauskatapultiert werden und in einer anderen formalen Zone landen, wo sie als versprengte Gestalten erscheinen, losgerissen von ihrem ursprünglichen Zusammenhang. Musterbeispiel einer solchen Grenzüberschreitung ist die Reprise im ersten Satz aus Op. 20/4 (D). Ein Element, das in der Exposition in stetiger Entwicklung aus dem ersten Thema herauswächst, erweist sich bei der Reprise als wanderlustig und findet seinen neuen Ankerplatz als Einschiebsel zwischen dem (verkürzten) Vordersatz und dem Nachsatz des doppelperiodisch aufgebauten Themas. Am Anfang des Satzes folgt dem Thema ein akkordisches Forte-Motiv in der Tonikaparallele (T. 31, in Abbildung 21  : A), eine Abspaltung des eröffnenden, das ganze Thema prägenden Dreischlags. Ihm schließt sich als Antwort ein leiser Viertakter in Gestalt eines Echos des Dreischlags (in der Abbildung  : B) an. In der Durchführung bildet das A-Element die zentrale, dynamisch stark aufgeladene Sequenz. Nachdem sich das Geschehen eine Zeit lang beruhigt hat, wird die antwortende Fortsetzung der Sequenz (B-Element) als Parenthese nachgeschoben und in den laufenden Vorgang der Reprise eingerückt. Das B-Element erscheint mitten im ersten Thema selbst wieder völlig allein, weit abgesprengt vom AElement, mit dem es anfangs so eng verbunden war.51 Im Finale desselben Quartetts (Op. 20/4) taucht ebenfalls kurz nach Reprisenbeginn ein aus der Durchführung verlagertes Partikel auf  : das Schlussgruppen-Thema

51 Auch durch seinen Bassgang nimmt es darauf Bezug. Dadurch, dass die Parenthese von der in G-Dur einsetzenden „fausse reprise“ des Themas harmonisch zur regulären Reprise in D-Dur überleitet, wird der syntaktisch-formale Bruch nicht beseitigt  : Die Doppelfunktion des Bausteins als harmonischer ‚Kitt‘ der Themenreprise und gleichzeitig als abgespaltenes Korrespondenzglied der zentralen Durchführung bleibt unangetastet.

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Abb. 21  : Op. 20/4, 1 (D), T. 31–36 (Doblinger).

in der Moll-Version, die es am Ende der Durchführung erhalten hat. Es unterbricht in Takt 90 abrupt das Unisono, das den Hauptsatz abschließt. Nach Takt 94 folgt eine lange Pause, bevor die Musik die Spur der Exposition unter Fortfall der Überleitung wieder aufnimmt und sich dem zweiten Thema zuwendet.

Abb. 22  : Einschaltung der Durchführungsvariante des Schlussgruppenthemas in die Reprise, Op. 20/4, 4 (D), T. 7–11, T. 70–77 und T. 86–89, V.1.

Der erste Satz von I  :89 (F) führt zur höchsten Vergeistigung dieses Topos. Der Reprise mit dem typischen „premier coup d’archet“ (T. 111 f.) gehen Sequenzen des absteigenden Dreiklangs aus der melodischen Fortsetzung voraus (T. 3), die die gebieterische Anfangs-Geste des Tuttis beantwortet (T. 105–10). Nach einem Übergangstakt (113) geht die Musik einfach dort weiter, wo die Sequenz durch den „coup d’archet“ unterbrochen worden ist  : mit einer Sequenz von Takt 4, als würde sich die Durchführung der melodischen Gegenphrase des Themas gar nicht um „das Ereignis der Reprise“

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scheren  ! Sie macht einen Umweg darum herum, lässt es links liegen. So entsteht das Paradox, dass die orchestrale Eröffnung selbst zum Zwischenstück wird.52

Abb. 23  : Einklammerung der Reprise des „coup d’archet2 durch Imitationen aus T. 3 f., I  : 89, 1 (F), T. 1–5, 108–17 (Partiturausschnitte).

Umgekehrt  : inselhaftes Zurückblenden in die Reprise innerhalb sekundärer Durchführungen Die Tendenz, in der Reprise nicht nur die Exposition unter Angleichung der Tonartebenen zu wiederholen, sondern tief greifend zu verändern, nahm im Verlauf von Haydns Schaffen immer mehr zu. Die unveränderte Wiederkehr von Elementen wurde mehr und mehr getilgt. In oft scharfer Abgrenzung von ihrer Umgebung bilden sich Nischen des Beständigen innerhalb der permanenten Veränderung. Wie in manchen Durchführungen spielt Haydn also auch im „dritten Durchlauf “ des Materials, der Reprise, mit dem Changieren zwischen „Zyklus und Prozess“. Am faszinierendsten sind die Stellen, wo das Umschalten plötzlich stattfindet. Dabei sind zwei Formtendenzen zu unterscheiden. Zum einen nehmen neu eingeschaltete Teile, meist die „sekundären Durchführungen“ des Materials (siehe oben), immer größeren Platz ein. In den Tost-Quartetten Op. 54, 55 und 64 (1788, 1790) und einigen Sinfonien geht diese Tendenz so weit, dass nicht mehr die ‚Ausläufer‘ 52 Weitere Beispiele für die intermittierende Fortsetzung von Durchführungs-Partien in der Reprise I  : 53, 1 in D („L’Impérial“), I  : 62, 1 (D), I  : 58, 1 (F), Op. 76/2, 1 (d), T. 57 f./ 95-98), Op. 64/4, 1 (G).

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der Durchführung aus der Reihe tanzen, sondern diejenigen Teile, in denen die Exposition wörtlich wiederkehrt. Original belassene Passagen wirken fragmentarisch, schrumpfen zu Parenthesen. Zum anderen verändert sich das Geschehen in der Reprise so, dass die harmonische Vereinheitlichung auf die melodische Ebene übergreift. Trennende Teile der Exposition, meist überleitende Tutti, werden bis auf kurze Allusionen getilgt, die nun als isolierte Aufwölbung innerhalb eines rundum egalisierten thematischen Verlaufs stehen. Paradoxerweise geht in diesem Fall Vereinheitlichung mit Desintegration (Absonderung, Zerteilung, Trennung) einher. Wie aus dem folgenden Schema der Reprisen einiger Kopfsätze der Tost-Quartette hervorgeht, bestehen die Einblendungs-Parenthesen (hier kursiv gedruckt) aus Teilen der Exposition, die von ihrer ursprünglichen Stelle an ganz andere Plätze rücken und zudem in sekundäre Durchführungen eingeschaltet sind, so dass sie sich doppelt von ihrem neuen Kontext ablösen (auch die Schlussgruppen werden hier lediglich durch Transposition verändert). Op. 54/2 (C)  : Thema (unvollst.) – sekundäre Durchführung Thema I – Thema II – sekundäre Durchführung – T. 80 – [Thema I Nachsatz, T. 206–12] – Kadenz aus Thema II (T. 78–80) – Schlussgruppe Op. 55/3 (B)  : Thema I – sekundäre Durchführung Thema I – [Thema 1 Nachsatz, T. 152–54] – Überleitung – Seitensatz – Schlussgruppe Op. 64/1 (C)  : Thema I – Überleitung (verändert) – [Schlussgruppe, T. 128–33] – sekundäre Durchführung Thema I (T. 3 f.) – sekundäre Durchführung I (T. 1 f.) – Schlussgruppe Op. 64/2 (h)  : Thema I – sekundäre Durchführung Thema I – Überleitung – Seitensatz – Überleitung (dubitatio) – [Thema I, 2. Einsatz, T. 92–94] – Schlussgruppe – Versunkenheitsepisode (nicht mehr ‚versunken‘) – Schlussgruppe Op. 64/4 (G)  : Thema I – [Seitensatz als Überhang aus Durchführung] – Überleitung – neue Spielepisode –Vorhang [Thema I, T. 85–87] – Spielepisode – Schlussgruppe Op. 64/6 (Es)  : Thema I – sekundäre Durchführung Thema I – [Nachsatz aus Seitensatz + Spielepisode, T. 113–22] – sekundäre Durchführung Thema I – Schlussgruppe Oft ist das Auseinanderfallen von Themenzitat und Kontext eher implizit und wird erst durch Strukturvergleich evident. In Op. 64/4, 1 (G) hingegen ist die zweite Wiederkehr des Themas durch Fermaten und ‚Vorhang‘ auffällig als Parenthese inszeniert. Gegen Ende der Reprise schlägt die übermütige Spiellust des Quartetts (ab T. 72) solche Purzelbäume, dass sie die hier angesagte Wiederkehr der transponierten Dominantver-

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sion des Themas fast über den Haufen rennt. In T. 83 hält die Spielepisode abrupt mit einem Terzquartakkord inne. Dann überlässt sie nach knappem ‚Vorhang‘ kurz dem Thema die Bühne (T. 83–87), bevor sie mit den synkopischen Motiven, die bereits vor der Parenthese erklingen (T. 78–81), erneut anhebt und so den Abschluss des auf einem Septnonakkord unterbrochenen Themas verhindert. Auch diese Partie bricht plötzlich mit der Dominante ab, als ob sie sich zur Ordnung rufen müsste, um das ,Pensum‘ des Schlussthemas zu erfüllen.

Abb. 24  : Themenzitat in Op. 64/4, 1 (G), T. 80–89, V. 1.

Das Allegro con brio (1) aus I  : 71 (B) exemplifiziert die zweite Formtendenz (siehe oben), die ‚Einklammerung‘ von Rückblenden in die Exposition durch Teile, die in der Reprise stark konvergieren. Nach Modifikation der Überleitung und Hinzufügung einer langen neuen Sequenz-Partie setzt in T. 169 eine „zweite Reprise“ des Hauptthemas ein (nach Generalpause). Dadurch rücken Haupt- und Seitenthema enger zusammen. Der auffällige, der Mittelzäsur mit ihrem Hammerschlag-Topos folgende und diese gleichsam in der Schwebe haltende Anfangsteil des Seitensatzes (‚gehaltene‘ Imitationen des Hammerschlags, Signalakkorde, T. 44–59) wird in der Reprise zur bloßen Reminiszenz verkürzt, zum Einsprengsel innerhalb einer durchgehenden Melodiebewegung, in der Haupt- und Seitensatz verschmolzen sind (auch motivisch ist diese Vereinheitlichung verifizierbar). In der stark verkürzten Reprise aus dem Adagio von I  :80 (d) erweist sich der punktierte Seitensatz als Einschub (bloßer Rest der Durchführung) innerhalb eines Verlaufs, der wegen des Aneinanderrückens von Schlussgruppe und Thema sehr geschlossen wirkt. (Der Seitensatz ist auch als verschobener Rest der Durchführung deutbar.) Das Aneinanderrücken von Haupt- und Seitensatz wird hier nicht durch eine „zweite Reprise“ (wie in I  : 71), sondern Wegfall der Überleitung bewirkt.53

53 Weitere Beispiele  : I  :84, 1 (Es), der Molleinbruch verwandelt sich in der Reprise zu einer echten Parenthese. I  :99, 1 (Es)  : Eine Passage aus der Überleitung der Exposition kehrt in der Reprise als Bruchstück wieder, eingefügt in einen Verlauf, der ganz vom Schlussthema dominiert wird.

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Abb. 25  : Reprise  : Einschub aus der Überleitungsgruppe, I  :71, 1 (B), T. 169–90.

*** In der Lehre von den elementaren Bauformen der Musik (Satz, Periode, Fortspinnung etc.) herrscht ein lineares Denkmodell vor. Korrespondierende Glieder grenzen demnach immer direkt aneinander, alles verläuft kohärent und stetig. Nur benachbarte Elemente können größere Sinneinheiten bilden. (Die erste „Regel der Wohlgeformtheit“ aus Lerdahl/Jackendoffs „generativer Musikgrammatik“ bringt es auf den Begriff  : „Only contiguous sequences can constitute a group.“54) Bei Haydn zeigt sich ein anderes Bild  : Die klassische Syntax wird mit Laurence Stern’schem Gusto kräftig durcheinandergeschüttelt. Strukturen erstrecken sich über Unterbrechungen hinweg, der Diskurs verläuft in Sprüngen. Zusammenhängende Satzeinheiten werden voneinander losgerissen, weil sich Kontraste, Abschweifungen, Parenthesen dazwischendrängen. Dabei greift die Komposition tief in die Anordnungsschemata des Sonatensatzes ein  : Chronologisch Früheres wird plötzlich nachgetragen, Späteres vorgezogen  ; aus der Reihe tanzende Elemente ignorieren oder konterkarieren klare Formsignale. Viele dieser Einschübe, besonders die Rückblenden in Durchführung und Reprise, entwickeln dabei eine doppelte Tendenz  : Sie streben zugleich in progressiver und regressiver Richtung, wie es Sterne im Tristram Shandy selbst beschrieben hat (I/22, über Digressionen)  : „By this contrivance the machinery of my work is of a species by itself  ; two contrary motions are introduced into it, and reconciled, which were thought to be at variance with each other. In a word, my work is digressive, and it is progressive too, – and at the same time.“

54 Fred Lerdahl und Ray Jackendoff, A Generative Theory of Tonal Music (Cambridge Mass. u.a.: MIT Press), 1985.

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Ein Teil dieser Parenthesen ist unter dem Aspekt der Ironie, der Distanzierung, zu verstehen. Die von Markus Bandur und Mark E. Bonds im Anschluss an den Russischen Formalismus entwickelten Thesen über Parallelen zwischen Laurence Sterne und Haydn gelten also auch für dieses Strukturmerkmal. Durch das übertreibende Hervorheben (etwa bei den isoliert herausgestellten Mittelzäsuren und bei isolierten Rückblenden auf die Exposition in der Reprise) werden die Kunstmittel offen zur Schau gestellt. Haydn treibt ein ironisches Spiel mit den sich gerade verfestigenden Bauelementen und Konventionen des Sonatensatzes. Durch die kurzzeitige Suspendierung bestimmter Techniken und Formabläufe mittels Parenthesen werden diese bewusst gemacht (etwa die normgerechte Reprise durch Sekundärdurchführungen und AnteCrux-Stockungen). Einesteils sind also die Einschübe gleichsam als Eingriff des Autors, als externer Kommentar zu verstehen  : Der Autor/Komponist führt seine Kunstmittel in doppeltem Sinne vor. In anderen Fällen sind solche Abweichungen besser als Andeutung eines immanenten Subjekts oder Agens der Musik selbst zu verstehen. 55 Der „empfindsame Diskurs“ dieses Subjekts löst sich von Grammatik, Ordnung, Logik. Damit repräsentiert er eine ganz andere, nicht ironische Seite der Fragmentationstechnik. Parenthesen sind besonders im langsamen Tempo Signum eines gesteigert sensiblen, irrational gefärbten, assoziativ schweifenden und auch durch Zögern, Zurückblicken und Einhalten geprägten Gedankenverlaufs. Die plötzlich im langsamen Tempo einsetzenden Forte-Partien in rascher Bewegung wirken dagegen wie strukturell kaum zu bändigende Ausbrüche heftiger Empfindungen. (In beiden Fällen knüpfte Haydn besonders an die Fantasien Carl Philipp Emanuel Bachs an). Viele Signale dieser Bedeutungsebene erweisen sich als Abkömmlinge traditioneller Redefiguren. Damit ist ein metamusikalisches Modell benannt, das zum Teil wohl noch enger mit der Musik zusammenhängt als das narrative Modell des Romans von Sterne. Parenthesen gelten seit alters her als Redeschmuck. Sie stimulieren den Zuhörer durch Interjektionen, schaffen Spannung durch künstlich den Gedankenverlauf verzögernde oder unterbrechende Einschübe. Auch „Beiseitesprechen“, „lautes Denken“ etc. sind Mittel der Rhetorik, die sich hier niederschlagen. Aber nicht nur solche kodifizierten rhetorischen Mittel, sondern auch Phänomene „gestörter“ oder fragmentierter Kommunikation in der gesprochenen Rede finden hier ihr musikalisches Abbild56  : Überflüssige Addenda, peinliches (oder eisiges) Schweigen, starrsinniges Beharren

55 Vgl. dazu u.a. Eero Tarasti, A Theory of Musical Semiotics (Advances in semiotics), (Bloomington Indiana  : Indiana UP, 1994), und Robert Hatten, Interpreting Musical Gestures, Topics, and Tropes  : Mozart, Beethoven, Schubert (Bloomington, Indiana  : Indiana UP, 2004). 56 Gretchen A. Wheelock, Haydn‘s Ingenious Jesting with Art  : Contexts of Musical Wit and Humor (New York  : Schirmer, 1992), Kap. II.5.

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auf irrelevanten Punkten, Stottern und Zeitschinden, Hinhalten, rüde Unterbrechung, Nicht-weiter-Wissen. Manche dieser Phänomene verweisen auf einen Vorstellungsbereich, der über das Handeln eines einzigen immanenten Subjekts hinausgeht – sie implizieren vielmehr das Gegenspiel mehrerer Subjekte.57 Im Kontrast zwischen lärmendem „Tutti“ und klanglich zurückgenommener und oft trunkierter Parenthese spiegeln sich aktionale Momente wie Unterdrückung, Überfahren, Übergehen, Ausschließen und Verdrängen wider. Neben solchen übermusikalischen Anhaltspunkten tragen die Parenthesen auch autonom-musikalische Funktionen in sich. Denn die Antwort auf die Frage, warum Haydn zu solchen Mitteln griff, liegt teilweise im Spielcharakter der musikalischen Form selbst beschlossen. Das Spiel neigt dazu, sich unnötige Hindernisse in den Weg zu legen und so die Einhaltung seiner Regeln, das Erreichen seiner Ziele zu erschweren und damit den ‚Lohn‘ für die Überwindung von Schwierigkeiten zu erhöhen. Bezogen auf die Einschübe hieße dies  : Die Synthese, die Bildung von Zusammenhang, findet unter erschwerten Bedingungen statt, gewinnt aber gleichzeitig mit diesem Widerstand an Kraft und Eindringlichkeit. Unterbrechungen im Thema und zu Beginn der Durchführungen dienen als Plafond durchgehender Entwicklung  ; der Wechsel zwischen Bewegungsformen entwickelt sich zum anstoßgebenden Widerspiel zwischen verschiedenen Formebenen, die durch ‚Fensterwirkung‘ sukzessiv eingeblendet werden etc. Darüber hinaus hat das Spiel eine Tendenz, seine eigenen Regeln ganz oder teilweise zu suspendieren, sich von ihren Fesseln zu befreien (die „paidia“ im Unterschied zum regelbestimmten „ludus“). Die uneingeschränkte Freiheit des modernen Subjekts, das völlig ungebunden über die Bausteine des Werkes verfügt, sie zu „unmöglichen“ Kombinationen zusammenstellt, die die natürlich gegebene oder konventionsbedingte Ordnung verletzen, feiert damit ebenfalls ihre Triumphe in der Parenthesen-Kunst Haydns und Sternes. (Der Begriff „Com-ponere“ wird dabei ganz wörtlich genommen und seine dissoziative Seite freigelegt.) Und nicht selten ist dabei auch ein Moment von Verblüffung und mutwilliger Provokation zu spüren, die Lust am Demontieren, die übermütig zur Schau getragene Missachtung der Konvention. Wie immer man die Bedeutung der Parenthesen auch einschätzen mag  : Sie sind Zeugnis der ‚Modernität‘ Haydns und laufen der immer noch virulenten Neigung zuwider, ihn in eine Vorväterwelt abzuschieben, die mit Beethoven endgültig ihre Aktualität verloren habe. Es gilt das Gegenteil  : Aus Haydns digressiver Gestaltungsweise leiten sich zum Teil direktere Verbindungslinien zur Gegenwart ab als aus dem Jahrhundert spektakulärer romantischer Genies. Steht die Symphonik des 19. Jahrhunderts ganz im 57 Vgl. dazu Tarasti, Theory, 98–111, nach Theorien des Textsemiotikers A. Julien Greimas.

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Zeichen von Linearität, einer konstanten Bewegung auf ein vorhersehbares Ziel hin, so öffnete sich Haydn dem Spiel mit mehreren Möglichkeiten, Offenheit, Zufall, Indetermination und Abweichen vom vorgegebenen Weg, der Verschachtelung mehrerer Zeittendenzen. Darin zeigen sich Seiten an seinen Werken, die immer noch unausgelotet über sein Jahrhundert und das ihm folgende hinausweisen.

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RE-INVESTIGATING THE PRIMARY-THEME ZONE IN HAYDN’S EARLY SYMPHONIES Periods, Sentences, Loops, and Their Temporal Implications 1

Haydn’s Early Symphonies — a Deficient, Premature Repertoire  ? Investigating the formal structure of sonata-form movements in Joseph Haydn’s early symphonies is commonly regarded as a difficult enterprise and therefore often neglected in the musicological literature.2 At least two reasons have been invoked to explain this tendency  : First, Haydn’s assumed personality traits such as originality and inventiveness gave him a distinct predilection throughout his entire creative life for constantly avoiding mechanical repetition, predictability, and ultimately boredom.3 The resulting diversity is regarded as rendering Haydn’s style resistant to attempts at scientific classification, which to succeed requires at least some repetition of styledefining features.4 Yet this argument faces a serious methodological problem that has 1 This article originated as both a lecture given at the conference “Haydn und die Zeit” in Vienna and an extended version of this lecture presented at the 11th conference of the Dutch-Flemish Society of Music Theory together with David Lodewyckx (in February 2009). I wish to thank David Lodewyckx for many insightful discussions about problems of formal interpretation in Haydn’s early symphonies. Furthermore, I am grateful to Pieter Bergé, Poundie Burstein, and Felix Diergarten for their numerous valuable comments on earlier drafts of the present paper. The research presented here has been supported by the Research Foundation Flanders (FWO). 2 For instance, Michael Polth, in his excellent study Sinfonieexpositionen des 18. Jahrhunderts  : Formbildung und Ästhetik (Kassel [et al.]  : Bärenreiter, 2000), explains his decision to exclude Haydn’s symphonies from his extensive survey by referring to the “peculiar sonata-allegro form” they exhibit  : “Die Sinfonien Joseph und Michael Haydns finden in dieser Untersuchung keine Berücksichtigung, weil es dem Verfasser schwerfiel, diese Werke, die eine eigenartige Allegrosatzmusik ausprägen, in die Abhandlung zu integrieren” (10, fn. 1). 3 To give just one (recent) example of many, see, for instance, James Hepokoski and Warren Darcy, Elements of Sonata Theory. Norms, Types, and Deformations in the Late-Eighteenth-Century Sonata (New York  : Oxford University Press, 2006), 233  : “[…] it is characteristic of the Haydnesque temperament, seeking constant surprise, invention, and originality.” 4 Cf. Eugene K. Wolf, “The Recapitulations in Haydn’s London Symphonies”, The Musical Quarterly 52 (1966), 71–89  ; here 71  : “[…] the extensive classification of methods possible with some composers fails altogether with Haydn, because to compile a list one must find at least a few instances of his doing the same thing twice, but this is rather rare.”

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apparently been ignored thus far  : deriving personality traits from Haydn’s oeuvre and subsequently employing them as explanatory factors to account for the characteristics of that very repertoire is an inherently circular endeavor, one that arrives at a “tautological explanation”5. The second reason, applying specifically to Haydn’s early works, is that formal micro- and macro-designs of the 1760s (often called the “pre-classical transition phase”) by no means crystallized into clear-cut and mutually independent types. With respect to large-scale designs, Charles Rosen and others have shown that sonata form, suite form, aria form, and concerto form all shared a number of features in common and exerted a mutual influence upon one another.6 Virtually the same holds true for thematic micro-structures (though a comparable typology is still lacking there). Therefore, theorists who attempt to investigate the formal properties of Haydn’s early compositions generally refer to a peculiar intermediary state between baroque “spinning out” (Fortspinnung) and genuine classical principles of symmetry. A. Peter Brown, in discussing Haydn’s piano sonatas, writes  : “[…] the form of the initial portion of the tonic area in Haydn’s sonata-form movements changes from a diffuse structure to a more organized periodic structure in the first creative period. In works of the two subsequent periods Haydn further moulds this initial structure into a more symmetrical form in terms of both the thematic relationships and phrase lengths.”7 While this statement can still be understood as purely descriptive, the subsequent passage is unquestionably judgmental  : “In the earliest works Haydn is unable to control the elementary aspects of harmony and melody as revealed by non-functional progressions and peculiarly shaped chromatic melodies. After these initial surviving works, a gradual mastery of classical harmonic and melodic procedures can be perceived.”8 Brown’s assessment reveals a clear teleological stance  : Haydn’s music allegedly progresses from a deficient state, in which the composer was “unable to control the elementary aspects of harmony” and phrase 5 For an evaluation of this problem, see Leonard B. Meyer, Style and Music  : History, Theory, and Ideology (Philadelphia  : University of Chicago Press, 1989), 139  : “Until more is known about the nature of personality — about temperament, learning, and human behavior generally — circularity of this sort seems unavoidable. But even if it were possible to ascertain that a particular composer was ‘by nature’ an innovator, that would not explain why, out of the plethora of novelties available or desirable, specific ones were chosen. For particular choices depend more on prevalent cultural and musical constraints than on personal inclinations.” 6 Charles Rosen, Sonata Forms (New York  : Norton, 1988). See also Jens Peter Larsen, “Sonatenform-Probleme”, Festschrift Friedrich Blume zum 70. Geburtstag, ed. Anna Amalie Abert and Wilhelm Pfannkuch (Kassel  : Bärenreiter, 1963), 221–31  ; and Christian Möllers on the projection of concerto form on the dimension of sonata form in his “Der Einfluß des Konzertsatzes auf die Formentwicklung im 18. Jahrhundert”, Zeitschrift für Musiktheorie 9 (1978), 34–46. 7 A. Peter Brown, “The Structure of the Exposition in Haydn’s Keyboard Sonatas”, The Music Review 36/2 (1975), 102–29  ; here 117. 8 Ibid.,128 (my italics).

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rhythm,9 towards an ideal state of classical form construction. When measured against the standards of his later (so-called “mature”) period, one is even tempted to accuse Haydn’s early works of a lack of musical logic and insufficient form-functional differentiation.10 Despite cautioning against such an anachronistic point of view, Rosen also criticizes some of Haydn’s symphonic main theme constructions from around 1770 and, in so doing, provides an assessment that can be considered exemplary of a general tendency in the literature.11 Rosen’s verdict is primarily based upon the analytical observation that several main themes from this period contain a “series of weak endings on the tonic” that are reluctant to intensify the drive towards a specific tonal goal or increase closural strength.12 As a result, one is led to expect a lack of clear temporal directionality and thus difficulties concerning temporal orientation on the part of the listener. These characteristics may explain why main themes in Haydn’s early works are often described either in terms of missing features or as hybrid forms (rather than as theme

  9 See William Rothstein, Phrase Rhythm in Tonal Music (New York  : Schirmer 1989), 141 f. 10 An exception to those who downplay the skill displayed in the works of early Haydn is Poundie Burstein. He provides an illuminating discussion of interpretative problems arising out of early Haydn’s compositional practice to bring a perfect authentic cadence (rather than a half cadence) in the middle of the exposition to confirm the subordinate key. It is only from the anachronistic perspective of modern theories of sonata form that this procedure seems to pose serious problems to understanding, as persuasively shown in Burstein, “Mid-Section Cadences in Haydn’s Sonata-Form Movements”, Studia Musicologica 51/1–2 (2010), 91–107. 11 Charles Rosen, The Classical Style. Haydn, Mozart, Beethoven (London  : Faber and Faber, 1971), 149 f.  : “The weakness of Haydn’s early style, in fact, viewed from the heights of his later works, is not in its logical relations, nor in its moments of drama and poetry, but in the passages of necessary prose. Haydn could manage tragedy and farce, and even magnificent strokes of high comedy. His middle style was awkward. It was at times difficult for him to impart urgency and energy to material of a more sober cast. Even in the opening of as fine a symphony as the Mercury, no. 43 in E flat major, his struggles are apparent. The series of weak endings on the tonic is viable only if one does not expect anything from the phrase which will imply an articulate shape and a necessary continuation. The relaxed beauty of this beginning is evident, but a style which will accept it at the price of such a flaccid co-ordination between cadential harmony and large-scale rhythm can reach a dramatic effect only through the extraordinary.” (my italics) Although there were attempts to rehabilitate Haydn’s Symphony No. 43 by such authors as James Webster (Webster, Haydn’s “Farewell” Symphony and the Idea of Classical Style [Cambridge  : Cambridge University Press, 1991], 335–341) and A. Peter Brown (Brown, The Symphonic Repertoire. The First Golden Age of the Viennese Symphony  : Haydn, Mozart, Beethoven, and Schubert [Bloomington, IN  : Indiana University Press, 2002], 128 f.), Rosen’s verdict has heavily influenced subsequent studies by William Rothstein (Rothstein, Phrase Rhythm, 130–47) and Ulrich Leisinger (Joseph Haydn und die Entwicklung des klassischen Klavierstils [bis ca. 1785 [Laaber  : Laaber Verlag, 1994], 137). 12 E.g., Symphony No. 43/i, Piano Sonata Hob.XVI  :46/i, and String Quartet op. 20 No. 4/i. Similarly, Ulrich Leisinger (Joseph Haydn, 137), refers to these “deficiencies” in Haydn’s early piano sonatas. According to Leisinger, cadences within the main theme zone would constantly return to the tonic in the same redundant way and, as a result, convey an undesirable static impression.

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types in their own right) when compared to the goal-directed qualities characteristic of genuine classical theme types such as “period” and “sentence”.13

Sketching the Theoretical Background  : Caplin’s Theory of Formal Functions and Its Temporal Implications A powerful typology of thematic structures in classical music has been developed more than a decade ago by William E. Caplin.14 The fact that Caplin focuses explicitly on compositions by the “classical triad” of Haydn, Mozart, and Beethoven between 1780 and 1810 raises the question of the extent to which his theory is applicable as well to the music of the 1760s and 1770s and how much it must be modified to explain the peculiarities of the earlier “pre-classical” period. A further characteristic of Caplin’s approach is that he deliberately avoids a general theory of form in favor of a more specific “theory of formal functions”. What makes this approach particularly attractive in the context of a conference on time and temporality in Haydn’s music is the close connection between the concept of “formal function” and the basic temporal qualities “beginning”, “middle”, and “end” (which are understood as hierarchically nested). As Caplin puts it  : “[…] one of the special properties of classical instrumental music is the capacity for a passage to express the sense of beginning, middle, and end independent of the passage’s actual temporal location. Because formal functions are so conventionalized, because they are so well defined by specific characteristics, we can sometimes identify a given function without necessarily taking into account its position in a theme.”15 Unlike his predecessors Arnold Schoenberg and Erwin Ratz,16 Caplin draws a clear distinction between “type” and “function”  : formal types such as “period” and “sentence”, taken as abstract categories, are considered to be atemporal, whereas concrete instances (tokens) of such types, realized in a particular context of a composition, are 13 Both the sentence and the period exhibit goal-directed qualities but realize them differently. These differences will become evident in the respective sections below. 14 William E. Caplin, Classical Form  : A Theory of Formal Functions for the Instrumental Music of Haydn, Mozart, and Beethoven (New York  : Oxford University Press, 1998). 15 Ibid., 111. See also Caplin, “What are Formal Functions  ?”, Musical Form, Forms, and Formenlehre. Three Methodological Reflections, ed. Pieter Bergé (Leuven  : Leuven University Press, 2009), 21–40  ; 23  : “Central to our experience of time in general is our ability to perceive that something is beginning, that we are in the middle of something, and that something has ended.” 16 Arnold Schoenberg, Fundamentals of Musical Composition, ed. Gerald Strang and Leonard Stein (LondonBoston  : Faber & Faber, 1967)  ; Erwin Ratz, Einführung in die musikalische Formenlehre. Über Formprinzipien in den Inventionen und Fugen J. S. Bachs und ihre Bedeutung für die Kompositionstechnik Beethovens (Vienna  : Universal Edition, 21968).

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viewed as temporally specific and thus as giving rise to formal functionality.17 Although the relation between type and function is by no means arbitrary, it would be mistaken to say that type determines function  : a sentence may occur at the temporal location of a main theme just as well as, for instance, at the formal position of a subordinate theme  ; a transition may likewise display a sentential pattern.18 According to Caplin, formal units do not simply appear at certain positions of Scheme 1: The Prinner (from Gjerdingen, Music in the Galant Syle, 455). the form, either at the “beginning”, “middle”, or “end” of a given passage  ; rather, they are said to convey these basic temporal qualities by virtue of their inherent musical features  : formal units can intrinsically express the quality of a beginning, thus fulfilling an initiation function  ; they can in themselves accomplish a continuation, thus acting as a mediation  ; or they can as such effectuate closure of a larger formal segment, thus functioning as an ending.19 Moreover, a composer may have wished to add so-called framing functions such as “before the beginning” (e.g., the slow introduction) or “after the end” (e.g., the coda) as outer parts of a movement.20 The notion that formal units are capable of intrinsically expressing specific formal functions allowing for their recognition independent of context is already an integral 17 On the distinction between “type” and “function” see Caplin, “Formal Functions”, 30–34 and 57. 18 The sentence itself is made up of (three) intra-thematic functional components  : presentation, continuation, and a cadential phrase (see below). 19 This differentiation is one of the important consequences of Caplin’s distinction between “group” and “function”. In addition, a group is by no means restricted to fulfil just one function  ; it may serve two or more functions simultaneously  ; conversely, a function may comprise several groups (Caplin, Classical Form, 4). It is worth noticing and a matter of further discussion that Caplin considers the underlying harmony (or tonality) as the most important factor to determine the formal function fulfilled by a musical segment or group. “Secondary parameters” such as dynamics, instrumentation, texture, and so forth are considered to play a minor role in constituting formal functionality, as is the motivic or thematic content of a given formal unit. 20 This idea of different successive temporal phases can be traced back to the 17th-century tradition of musical rhetoric (e.g., Joachim Burmeister in his Musica Poetica from 1606). Even later in the 19th century, this idea remains present, as, for instance, in Ernst Friedrich Richter, Die Grundzüge der musikalischen Formen und ihre Analyse (Leipzig  : Wigand, 1852), 1.

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part of music-analytical practice. Leonard B. Meyer, for instance, cites the use of a cadential formula at the beginning of a movement — a device for which Haydn is particularly notorious — as a case of “contextual discrepancy”21, the opening of Haydn’s String Quartet op. 33 No. 5 being just one example of many. In a similar vein, theorists often refer to the opening measures of Beethoven’s Piano Sonata op. 31 No. 3 as a beginning “in medias res”.22 Clearly, such interpretations would be impossible without presupposing the notion of intrinsic form-functionality. As this paper will show, the concept of intrinsic form-functionality — especially when taken as a sole criterion — is not unproblematic, at least with respect to early Haydn, where the musical material sometimes shows a certain ambiguity that allows its flexible use at different formal/ temporal positions. Before proceeding to a close analysis of a number of concrete examples, let us briefly outline the function of the main theme in the broader context of the exposition in Haydn’s early symphonies. As indicated in Scheme 2, the tonal goal of the primary theme section consists of establishing either an imperfect authentic cadence (IAC) or a half cadence (HC) in the home key. The latter may serve as a “bifocal close” 23 that allows for the subordinate key to follow without a modulation proper. An emphatic perfect authentic cadence (PAC), one that makes use of characteristic embellishments (such as a “cadential V46”), is customarily preserved for a later location in the formal course  : it is employed both to confirm the modulation to the subordinate key and to provide structural closure to the entire “expansion section”.24 The confirmatory power of such a PAC may be retrospectively weakened by the ensuing passage that, especially in early Haydn and some of his Viennese contemporaries, often does not qualify as a “secondary theme” proper but rather as an inserted “contrasting section”, an “Einschiebsel” (Riepel) that serves to delay the final tutti.25 21 Leonard B. Meyer, Explaining Music  : Essays and Explorations (Chicago  : University of Chicago Press, 1973), 196–212  ; here 212. 22 Cf., for instance, Jonathan Kramer, The Time of Music  : New Meanings, New Temporalities, New Listening Strategies (New York  : Schirmer Books, 1988), 140. 23 Robert S. Winter, “The Bifocal Close and the Evolution of the Viennese Classical Style”, Journal of the American Musicological Society 42 (1989), 275–337. 24 “Expansion section” is the standard translation of the German term “Entwicklungspartie” originally coined by Jens Peter Larsen in his “Sonatenform-Probleme”, 226. Expositions containing an expansion section typically consist of a more or less extensive main theme complex followed by a transition section that in mid-18th-century compositions does not prepare for the onset of a secondary theme group. Instead the transition turns into an “expansion section”, i.e., a passage that features “Fortspinnungs”-activity and transcends the moment where one would anachronistically expect the entrance of a second theme. 25 “Contrasting section” is my translation of the German term “Kontrastteil” coined by Michael Polth, “Sinfonieexpositionen”, 274–84. This section displays a selection or all of the following features  : (1) dominant minor mode (using a modal shift technique)  ; (2) reduced dynamics  ; (3) reduced instrumental texture  ; (4)

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Example 1: Haydn, Symphony No. 25/i, bb. 24–37 (piano reduction).

In the further course of this article, I will examine the common formal options in the main theme area available to Haydn in his early symphonies from around 1757 to 1770. Here, I will primarily deal with fast first movements in sonata form or, in the case of a slow first movement, the second (fast) movement in sonata form.26 Since the “period” and “sentence” (along with its “loop variant”) are often regarded as the most frequent polyphonic imitation  ; and (5) a pedal note either in the bass or in an inner voice (going hand in hand with a static harmony). The function of this episode seems to be twofold  : first, it retrospectively weakens the emphatic PAC in the dominant key  ; second, it delays the final tutti passage, which promises to provide full structural closure to the entire exposition. Sometimes the closing zone resumes prior transitional activity and resembles the transition in its way of accomplishing a second V  :PAC, thus supporting the view that the formal strategy employed here consists in undermining the closing quality of the first V  :PAC. The use of contrasting sections (presumably originating in the Neapolitan opera overture) is neither confined to Haydn’s oeuvre nor to the symphonic genre. Among Haydn’s symphonies are Nos. 1/i, 2/i, 4/i, 15/i, 18/ ii, 37/i, and 32/i. Examples from the string quartets include op. 1,4/i, op. 1,2/v, op. 2,1/v, op. 2,2/i, and op. 2,4/v. For a further discussion of “contrasting sections” in 18th-century music, see, for instance, G. Cook Kimball, “The Second Theme in Sonata Form as Insertion”, Music Review 52/4 (1991), 279–93. 26 Such is the case in Symphonies Nos. 5, 11, 18, 21, 22, 34, and 49  ; on this topic, see Petra Bockholdt, “Joseph Haydns Sinfonien mit langsamen ersten Sätzen”, Die Musikforschung 45/2 (1992), 152–61.

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theme types in the classical repertoire, I will discuss how far thematic structures in early Haydn symphonies can be appropriately understood by employing these concepts. Alternative formal strategies that have been largely neglected in the literature will also be examined. For each type, I shall focus on the way Haydn organizes time and plays with musical temporality. Finally, I will briefly discuss the opening movement from Haydn’s Symphony No. 8 (Le Soir) as a case in point that both combines elements from different theme types and inventively undermines temporal orientation.

Variants of the Sentence Type in Haydn’s Early Symphonies Let us start by considering various realizations of the sentence in Haydn’s early symphonic repertoire. According to a well-established theoretical view, the classical “textbook model” (or “ideal type”) of a sentence exhibits a distinct two-part structure, dividing into a four-bar “presentation phrase” and a “continuation phrase” of about equal length. The presentation, in turn, consists of a two-bar “basic idea” and its exact or varied27/sequential repetition, all of which fulfill the tonal function of tonic prolongation.28 The continuation phrase, by contrast, may feature motivic fragmentation, acceleration of harmonic change, an increase in surface-rhythmic activity, and sequential progression, and is eventually brought to closure by a separate two-bar cadential unit.29 The resulting formal process yields a characteristic metrical grouping  : [(2 + 2) + 4], with 4 frequently subdividing into [(1 + 1) + 2], thus realizing the same proportional relationship on a lower level.30 To capture its decidedly rhythmic quality, Hepokoski and Darcy prefer to conceive of the sentence in broader, gestural (anapestic) terms “as an initial double- (or triple-) impulse that proceeds to ‘take off ’ into a longer or more conclusive idea.”31 The diving-board metaphor invoked by Hepokoski and Darcy — 27 A sentence with the repetition of the basic idea on the dominant is termed “statement–response” (Caplin, Classical Form, 10). 28 It is worth noticing that tonic prolongation is by no means a necessary feature of a sentence presentation, since post-tonal thematic structures may likewise exhibit a sentential pattern, as pointed out by Matthew BaileyShea in his “Beyond the Beethoven Model  : Sentence Types and Limits”, Current Musicology 77 (2004), 5–33. 29 Optionally, continuation function and cadential function may be fused together. Notice that “continuation” is the superordinate concept for both “continuation” and “cadence”, the former being usually characterized by a drive towards a cadential goal, either a half cadence, an IAC, or a PAC (all in the tonic key). 30 It is a matter of choice whether or not the continuation restates the basic idea for the third time–either complete or already fragmented–and dissolves it afterwards, an option BaileyShea refers to as “sentence with a dissolving third statement” (BaileyShea, “Beyond the Beethoven Model”, 11 f.)  ; it may also start with completely new material. 31 Hepokoski and Darcy, Elements of Sonata Theory, 84 (fn. 14).

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with “[…] two preliminary bounces on the diving board [presentation], followed by a third that precipitates the actual dive [continuation]”32 — serves to emphasize the underlying dynamic of the sentence. Though both authors explicitly do not think of the proportional relationship between the constituent parts of the sentence as strictly determined,33 most theorists, harking back to the classical principle of symmetry, expect the continuation to be of about equal length to the presentation phrase in order to maintain proportional balance. Deviations from that supposed norm are commonly ascribed to techniques of phrase manipulation such as expansion (e.g., by interpolation) or extension. These means of manipulation of the underlying “norm”, to be understood as such, are normally not considered a threat to the principal goal-directed qualities of the sentence, notably its striving towards a cadential goal by the use of fragmentation technique in the continuation phrase. In the following, some examples from Haydn’s music will be analyzed to determine the extent to which these thematic structures meet the criteria of the sentence type. In particular, I want to focus on issues of proportional balance, on how goal-directed processes of voice-leading are either realized or delayed, and on strategies that either establish a “point of no return” or give the impression of returning to an earlier point in the musical process. In Symphony No. 25/i from around 1760/61, the entire eight-bar presentation phrase of the Allegro molto section (bb. 24 ff.) is supported harmonically by a tonic pedal point, a “drum bass”, clearly contributing to a sense of initiation and thus projecting a beginning function (see Example 1). Above the pedal point, a four-bar basic idea (bb. 24–27) and its subdominant repetition (bb. 28–31) articulate an incomplete neighbor chord progression.34 Once the harmonic pendulum swings back, the neighbor note motion 5ˆ - 6ˆ - 5ˆ in the upper voice is completed and, as a result, a pitch plateau on 5ˆ is established from which the ensuing “continuation” departs with a goal-directed ascending line (after another 6ˆ - 5ˆ ). At the very same time, compression takes place (bb. 32–37)  : the motivic content articulates a fragmentation into a one-plus-one-bar pattern while the harmony changes every quarter note.35 Simultaneously, the bass starts moving downwards from scale degree 4ˆ to 1ˆ , which, in combination with a 6ˆ - 5ˆ - 4ˆ - 3ˆ

32 Ibid. (my insertions). 33 Ibid. 34 This variant of the sentence presentation, featuring a subdominant neighbor chord version of the basic idea instead of a literal or dominant repetition (“statement–response”), has been overlooked in the literature, probably because it is more typical of the mid-century style than of the “high-classical” period on which numerous studies on musical form tend to focus. 35 Thus, this example does not show a successive halving of the harmonic rhythm, as Beethoven’s op. 2 No. 1 (mm. 5–8), the oft-cited “locus classicus” of the sentence, but rather an abrupt shift to a faster level.

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upper voice pattern, gives rise to a variant36 of the so-called “Prinner” model that so effectively projects a “continuation” function.37 Yet the “Prinner” leading to a typical imperfect authentic cadence (bb. 34 f.) would bring the main theme area to a somewhat premature close. In this case, the continuation phrase taken on its own would hardly be able to maintain proportional balance.38 If this was a primary compositional goal at all, Haydn preserved balance only by repeating the last two bars, thus adding a seemingly superfluous appendix to the preceding cadence. Haydn then manages to intensify this concluding unit in two ways  : by both stating the upper voice one octave higher and combining it with an emphatic bass clausula 5ˆ - 1ˆ (instead of 2ˆ - 5ˆ - 1ˆ as before), he lends a higher degree of closure to the main theme. Yet at the same time, these concluding bars serve to create continuity between formal sections  : by establishing a higher pitch level, they enable the ensuing transition (bb. 37 ff.) to continue smoothly with a new melodic and rhythmic pattern. To summarize, each formal segment of the main theme area in this example expresses its respective formal function in a highly transparent manner. The following examples, in contrast, serve to illustrate various deviations from the “model” form. In Symphony No. 20/i from around 1758/60, as in the previous example, a basic idea (consisting of two “real measures”39 as opposed to four “notated measures”) is fol4 6 lowed by its varied repetition (see Example 2). The harmonic progression I-ii2-V5-I,40 a typical device of the baroque to open a new formal section, matches the pattern of a chiasmus, while the motivic content shows a parallel organization (realizing an ascend4

36 It is the insertion of V2 between IV and I6 that gives rise to a variation of the Prinner prototype. This variation is motivated by the fact that the Prinner can only enter on a weak beat after the completion of the 4 neighbor note motion. Inserting a V2 allows to metrically regularize the pattern while maintaining the quarter-note harmonic rhythm. 37 For the sake of labeling this voice-leading model, Robert Gjerdingen coined the term “Prinner” (after the 17th-century theorist Johann Jacob Prinner) in his Music in the Galant Style (New York  : Oxford University Press, 2007), 45–60. The “Prinner” will be described more extensively in the ensuing section (Digression  : Voice-Leading Schemata and the Notion of “Functional Equivalence”). 38 Cf. Symphony No. 85/i (mm. 12–23) for a much later example (probably from 1785) in which the presentation is double as long as the continuation phrase (see also Hob. XVI  :49/i). 39 For the distinction between “real” and “notated measures”, see, for instance, Caplin, Classical Form, 35. 40 The description of this model in terms of Roman numerals has been chosen solely for pragmatic reasons in order to make the pattern identifiable for the reader. For a more nuanced interpretation, drawing on contemporary thoroughbass theories, in particular on Johann David Heinichen’s General-Bass in der Composition (from 1728), see Felix Diergarten, “‘Ancilla Secundae’. Akkord und Stimmführung in der GeneralbassKompositionslehre”, Musik und ihre Theorien. Clemens Kühn zum 65. Geburtstag, ed. Felix Diergarten, Ludwig Holtmeier, John Leigh, and Edith Metzner (Dresden  : Hochschule für Musik Carl Maria von Weber, Dresden 2010), 132–48. Seen from this perspective, the syncopated dissonance c in the bass, resolving into the b with the next bar, is not an added element that could easily be abandoned, but rather an element of great structural importance.

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Example 2: Haydn, Symphony No. 25/i, bb. 24–37 (piano reduction).

ing structural 1ˆ - 2ˆ - 3ˆ motion). As a result, the presentation phrase is far more self-contained than in Symphony No. 25, where the presentation called for harmonic completion by a tonic chord. As in the preceding example, the presentation is answered by a Prinner model,41 arriving at an IAC in the tonic key.42 Again, according to the common theoretical view, the problem of proportional balance arises. In contrast to the textbook model, however, the process of fragmentation does not come to an end with the 41 Like in No. 25, the Prinner here comprises three bars and one beat. 42 The third scale degree, the melodic goal of the IAC, proves to be a central element (an anchor, as it were) towards which the voice-leading activity oriented, upwards ( 1ˆ - 2ˆ - 3ˆ ) as well as downwards (( 5ˆ )- 6ˆ - 5ˆ - 4ˆ - 3ˆ ).

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first cadence (bb. 11–12) but transcends the boundaries of the theme in the manner of a liquidation process (as aptly described by Arnold Schoenberg43)  : at first, the immediate repetition of the cadence effectuates the suppression of one bar (bb. 13–14). What remains afterwards is only the “uncharacteristic” downward arpeggiation producing an emphasis on each downbeat (bb. 14–16), accompanied by a stress on the third scale degree (the fragmented final note of the IAC). The third scale step is further prolonged by means of a 3ˆ - 4ˆ - 3ˆ neighbor note motion (bb. 17 ff.). The previous melodic line 5ˆ - 4ˆ - 3ˆ finally and rather effectively turns upwards by sharpening the 4ˆ (b.19.2). Reinterpreting 3ˆ into 6ˆ (with 3ˆ functioning as a pivot note for the modulatory process), the modulation to the dominant key of G major is accomplished. This procedure helps weaken the home key and eventually paves the way to the transition. The resulting formal process (“primary theme becomes transition”) can thus be subsumed under the category of a “sentence with dissolving continuation” — a formal subtype that has been developed in analogy to Adolf Bernhard Marx’s “Periode mit aufgelöstem Nachsatz”44. Typical of this sentence variant is the cognitive fact that formal boundaries, in this case the onset of the transition, cannot be precisely determined. In such cases, analysts often tend to retrospectively reinterpret the formal unit in its entirety (here from bar 12.1 onwards) as the onset of the transition and, in so doing, neglect the experiential aspect ˆ that a listener of a continuous development. Yet it is only with the introduction of # 4 realizes that the musical course is heading in another tonal direction, thus establishing a “point of no return”. In contrast to Symphony No. 20/i, the formal boundaries of the main theme complex of Symphony No. 14/i (from 1762) are clearly demarcated. However, it is the formal status of the middle part that is by no means obvious at first glance (see Example 3). Like Symphony No. 25, No. 14/i too begins with a 5ˆ - 6ˆ - 5ˆ neighbor note motion in the upper voice that is supported by a I-IV-I chord progression, thus prolonging tonic harmony and unambiguously projecting presentation function.45 Here again, the swinging back of the harmonic pendulum in bar 5 coincides with the onset of motivic fragmentation which, along with the linear goal-directed downward motion 5ˆ - 4ˆ - 3ˆ , expresses a continuation function. The expected cadential function fails to materialize after bar 6, however. Instead, the linear motion comes to a halt at scale degree 3ˆ , followed by an abrupt change of some important structural features (including texture, 43 Schoenberg, Fundamentals of Musical Composition, 58  : “Liquidation consists in gradually eliminating characteristic features, until only uncharacteristic ones remain, which no longer demand a continuation. Often only residues remain, which have little in common with the basic motive. In conjunction with a cadence or half cadence, this process can be used to provide adequate delimitation for a sentence. The liquidation is generally supported by a shortening of the phrase.” 44 On these two concepts, see Hepokoski and Darcy, Elements of Sonata Theory, 105 f. 45 The basic voice-leading structure becomes evident from the sustained notes in the winds.

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Example 3: Haydn, Symphony No. 14/i, bb. 1–15 (piano reduction).

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harmony, and rhythm). The ensuing four-bar unit shows a 1ˆ - 2ˆ - 3ˆ - 4ˆ motion in the first and second violins and winds (supported by a harmonically open I-V-I-V pendulum). This linear progression is repeated twice and surprisingly reaches 5ˆ instead of resolving the dissonant 4ˆ (the seventh of a V chord) downwards to the expected third scale degree. The effect of this four-bar unit, which seems parenthetic in function, is one of temporal postponement with respect to the concluding cadential phrase. By inserting bars 7–8 and even repeating it (in bars 9–10), Haydn produces a kind of standstill of temporal forward progression. The delayed cadential progression finally appears in bars 11 ff. and successfully reaches the first cadence (a HC) in the tonic key ( 2ˆ /V), concluding the whole thematic complex (in bar 14 f.) and, at the same time, inviting continuation with the ensuing transition section.46 Finally, let’s take an even more complex example  : Symphony No. 3 reveals an intricate strategic play with musical temporality by stating two versions of a sentence in succession, thus creating confusion as to where the main theme proper begins (see Example 4).47 Initially, at least, the opening promises to realize a sentence structure, but this is then closed off prematurely by means of an IAC. The resulting six-bar group is answered by a Prinner variant, merging into the preparation of a PAC whose final chord is suppressed by the arrival of the ensuing formal unit (b. 10). It is not until bar 10 that the first full-fledged sentence presentation enters, displaying a characteristic voiceleading pattern  : a 5ˆ - 6ˆ neighbor note motion in the oboes that is eventually completed with another 5ˆ in bar 14. Though bars 10–13 clearly refer back to bars 1–4, especially in the rhythmic pattern, the sentence implication is fully realized this time, unlike at the beginning. The continuation phrase, though increasing the harmonic rhythm of the previous four-bar unit, is itself structured as a sentence — what might be called an “embedded sentence”. A separate cadential unit is missing, however  ; the two-bar continuation phrase of the embedded sentence leads relatively unprepared into an elided half cadence in the tonic key (bar 20). This example clearly reveals Haydn’s play upon listeners’ expectations  : because the symphony starts over, as it were, in bar 10, a listener who has not heard the first nine bars could easily mistake bars 10 ff. for the movement’s beginning proper. But it is a matter for debate whether the passage starting in bar 10 may be adequately understood as functioning as the main theme. Gestural features such as a tutti texture and forte dynamics commonly viewed as so-called “secondary parameters” suggest that this formal

46 The remaining five-measure unit (an “expanded cadential progression” after Caplin) brings about the first half cadence in the tonic key, which functions as a “bifocal close” allowing for the next formal paragraph to enter directly (i.e. without modulation) in the dominant key. 47 This is not to say that historical listeners were confused, too. The confusion seems to arise primarily from the perspective of modern analytical accounts.

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Exemple 4: Haydn, Symphony No. 3/i, bb. 1–20 (piano reduction).

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Example 5: Haydn, Symphony No. 13/i, bb. 1–14 (piano reduction).

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unit projects a transition function without denying its reference to the beginning. The fact that the weak half-cadential ending in bar 20 is followed by a sequential passage (containing a 7-6 suspension chain), paving the way to the subordinate key (confirmed by a V  :PAC in b. 29) and thus likewise claiming to be transitional, suggests either that the preceding passage belongs to the main theme complex or that it may be best understood as the first (non-modulatory) part of a two-part transition.48 These observations make it unclear in Symphony No. 3/i, unlike in the previous examples, which formal functions are expressed by the respective hypermetrical groups and, accordingly, where the main theme “proper” enters.

Digression  : Voice-Leading Schemata and the Notion of “Functional Equivalence” As the discussion of the “sentence” has shown, the analytical categories put forward in Caplin’s theory cannot be readily applied to Haydn’s early music without some necessary modifications. In this section, I would like to suggest that a consideration of voice-leading patterns can serve as a complementary approach in situations in which appropriate form-functional concepts are either lacking or fail to fully explain the peculiarities of a given musical passage. It goes without saying that voice-leading models (or “schemata”, to use a cognitive term borrowed from psychology) play a crucial role in expressing tonal processes and hence in realizing formal functions. In the literature, it has generally been acknowledged that certain voice-leading models are more apt for certain formal positions than others. Though a systematic account of this idea is still a lacuna (and cannot be offered in the present paper either), voiceleading models can help clarify form-functional processes and reveal commonalities between them. By way of example, I would like to concentrate here on the “Prinner” by Robert Gjerdingen.49 This model is mainly used to respond to an opening idea (typically a “Romanesca” or a do-re-mi model, etc.) and may optionally be concluded with a cadence (typically an IAC). As depicted in Scheme 3, the Prinner features a descending tetrachordal line 4ˆ - 3ˆ - 2ˆ - 1ˆ in the bass combined with parallel thirds or tenths in the upper voice ( 6ˆ - 5ˆ - 4ˆ - 3ˆ ).Thus, due to its tonal characteristics, the Prinner has clear form-functional (and hence temporal) implications  : it typically appears as the second part of a larger formal entity.

48 On the notion of a two-part transition, see Caplin, Classical Form, 135–38. 49 Gjerdingen, Music in the Galant Style, 45–60.

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In situations where traditional analytical concepts fail in explaining the intended formal idea of a particular theme, the notion of “functional equivalence” may help to deal with such themes. At least three criteria can be said to determine the functional equivalence of a given unit. The first relates to the temporal position of that unit in the course of a composition  ; it may appear either at the beginning, the middle, or the end of a hierarchically nested section. A passage that appears at the very beginning of a movement is not necessarily a main theme, however. It could also serve as a pre-thematic unit — for example, as an introduction to the main theme proper. To distinguish more clearly between two different formal functions, a second criterion is necessary, one that pays attention to the local context. For instance, if a passage unequivocally expresses a transition function by virtue of its intrinsic features, it may seem reasonable to ascribe a main theme function to the passage preceding it. But to provide a formal understanding that is as comprehensive as possible, “temporal position” and “local context” have to be complemented by a third criterion, namely the “intrinsic” form-functionally relevant features (including certain voice-leading models) of a given passage. Formal units can thus be considered functionally equivalent if (1) they appear at the analogous temporal location (beginning, middle, or end) within a larger section  ; (2) they are surrounded locally by passages that express more or less unambiguously the same function as those in the functionally equivalent case  ; and (3) they share the same voice-leading model. The following example, the main theme of Symphony No. 13/i (from 1763), reveals some of the advantages of a flexible interpretation of formal functions both by focusing on voice-leading models as a key to formal functions and by invoking the notion of “functional equivalence” (see Example 5). In the first nine bars, Haydn twice repeats an initial three-bar “basic idea” outlining an extensive, circular I-V-I progression. Unlike Symphonies Nos. 25/i and 14/i, where the return to I35 (after a neighbor-chord version of the basic idea) coincides with the onset of the continuation phrase, here the I-V-I progression is completely self-contained, matching the relaxed character of the opening. The crucial question here is whether it is justifiable to regard this phrase as a sentence presentation despite its three-bar rather than (“normative”) two-bar basic idea or its double rather than (“normative”) single repetition. Following Hepokoski and Darcy, one could metaphorically speak of three “bounces on the diving board” instead of just two. In a similar vein, one could also be less strict about the length of the basic idea (as Hepokoski and Darcy are about the normative length of the continuation, see above). The first nine bars do not fulfill the first criterion of functional equivalence — temporal position — simply by initiating the thematic structure, however. They are also followed by a unit that contains a specific voice-leading model — the Prinner — that we already encountered in the continuation phrase of some sentential themes discussed

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Example 6: Haydn, Symphony No. 18/i, bb. 1–12 (piano reduction).

above (e.g., Symphony Nos. 20/i and 25/i)  : after a pre-cadential I6 chord, a Prinner and its echo-repetition (stated piano one octave lower) conclude the main theme zone with an IAC (the elision with the transition being a conventional technique). Since the Prinner intrinsically expresses both a continuation and cadential function, one can analyze the preceding opening phrase (bb. 1–9) as a presentation, or at least as a formal unit that is functionally equivalent to a presentation. To summarize, a more flexible approach to analyzing musical form — one that extends the traditional notion of theme types (in this case a sentence) by applying the concept of “functional equivalence” — could help us gain a better understanding of

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Example 7: Haydn, Symphony No. 10/i, bb. 1–17 (piano reduction).

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numerous allegedly “problematic” main themes in Haydn’s early symphonic repertoire.

The Sentence of the Loop Type and the Experience of Being Caught in a Time Warp In their recently published study Elements of Sonata Theory, James Hepokoski and Warren Darcy introduced the “sentence of the loop type” as a “specialized variant of the sentence”50. This theme type usually consists of two parts, of which the first (presentation phrase) contains the initial loops while the second (continuation phrase) achieves “the ‘breakout,’ an escape from the loop pattern and the onset of a drive toward a differing goal.”51 The loop itself is defined as “a short module (two to six measures) — usually closing with a cadential progression — that is either elided or flush-juxtaposed with a repetition of itself before moving forward into differing material.”52 As Hepokoski and Darcy’s description of the loop type indicates, the concept of a loop is particularly interesting from a perspective that combines form-functional analysis with a consideration of temporal implications  : the term “breakout” — defined as “an escape from the loop pattern” — suggests that the listener was “caught” in a time warp, since the music abruptly jumps back to a prior point in time. This very moment, in turn, serves as basis for a mental forward projection of the temporal distance it establishes between the beginning of the theme and the onset of the loop. As the first example of the “sentence of the loop type”, the second movement of Haydn’s Symphony No. 18 in G major (from 1757/59) has been chosen because it reveals a particularly striking treatment of the first part, which contains the loop pattern (see Example 6). After a two-bar loop and its exact repetition, a somewhat unusual one-bar link (b. 5) leads to a conventional sentence presentation (bb. 6–9). 53 In the 50 Hepokoski and Darcy, Elements of Sonata Theory, 80–86. Although Hepokoski and Darcy only discuss examples by Mozart, other composers such as Leopold Hofmann, Cajetan Adlgasser, Luigi Boccherini, and Joseph Haydn likewise used this thematic format in their symphonies from the 1760s  : Cajetan Adlgasser, Sinfonia in B major/i  ; Leopold Hofmann, Sinfonia in D major, D 7/i  ; Haydn’s Symphonies Nos. 10/i, 2/i, 37/i, 38/i, 4/i, 21/ii, and 18/ii  ; W.A. Mozart’s K. 279/i and K. 271/i. Further examples can be found in Boccherini (Symphony No. 20, G 514/i) and Clementi (first movements from the keyboard sonatas op. 8 no. 2, op. 9 nos. 1 and 3). 51 Ibid., 84. 52 Ibid., 80. Yet the authors do not specify the nature of the repetition  : as the main theme from Adlgasser’s Symphony in B-flat major (first movement) shows, the repetition of the loop has not necessarily to be literal in order to create a loop effect. Moreover, Hepokoski and Darcy’s definition does not account for the principal possibility of a “dissolving loop” (as analogous to, say, a “period with dissolving consequent”). 53 The very fact that the very same voice-leading model appeared in Symphony No. 20/i at the beginning

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Example 8: Haydn, Symphony No. 72/i, bb. 1–8 (piano reduction).

continuation phrase (bb. 10–12), a brief I-IV-I pendulum, both articulating a 5ˆ - 6ˆ - 5ˆ neighbor note motion in the upper voice and accelerating the harmonic rhythm, gives way to a goal-directed structural line ( 5ˆ - 4ˆ - 3ˆ - 2ˆ //) that is eventually interrupted on 2ˆ /V (thus producing a half cadence).54 Although the formal organization of the main theme as a whole is unambiguous, the temporal function of the one-bar link is remarkable. The extension of the four-bar loop through the addition of an extra measure has at least three consequences  : First, it causes a delay of the decisive “breakout”. Second, it prevents the expected (normative) elision with the sentence presentation in bar 5. Finally, by stretching the temporal span of this formal unit, Haydn also forces the listeners to adjust their expectations concerning the temporal projection of the hammerstroke (bb. 1.1 and 3.1), as depicted in Example 6. But Haydn partly compensates this “frustration” by providing the one-bar link as a powerful “lead-in” that energetically drives towards the next formal unit, the sentence continuation. Let us now examine a more challenging example, the Symphony No. 10 (from 1758/60  ; see Example 7), which shows Haydn very inventively playing with time throughout the entire main theme zone, constantly calling upon the listener to rethink his temporal (form-functional) orientation to anticipate the further course of the formal development. At first glance, the opening bars seem rather simple  : a two-bar compound loop elides with its exact repetition. Although the formal organization of this loop presentation is rather conventional, the dynamic profile is by contrast remarkable. After of the movement suggests that the loop in No. 18 acts as an introductory, essentially pre-thematic formal unit. 54 Here, the I  :HC does not function as a “bifocal close”  ; instead, the modulation is accomplished by the ensuing transition section.

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Example 9: Haydn, Symphony No. 6/i, bb. 7–14 (piano reduction).

the opening forte hammerstroke, there is a sudden reduction of both the dynamic and textural level. This procedure is not extraordinary at all, but the subsequent forte outburst within the first loop certainly is  : Haydn does not employ this dynamic device to delineate the loops — as is the custom — but places the dynamic contrast within the loop itself. Unlike Symphony No. 18, the breakout after the two initial loops follows immediately and even briefly suggests a third loop in bar 5. The ensuing bars 6 and 7, however, refuse to realize this formal implication. As a result, bar 5 has to be considered retrospectively as the onset of the continuation phrase rather than of a second sentence presentation, as was the case in the previous example. The static impression of the I-IV-I pendulum in bars 5–7 is reinforced by means of the prevailing voice-leading pattern  : from the outset, there is a constant alternation between the third scale degree and one of its neighbor notes. In bar 8, however, the ongoing voice-leading pattern is interrupted by the violins, which present a new motivic gesture starting on 5ˆ and leading once again to 3ˆ , instead of proceeding to 2ˆ as would be expected. The repetition of this gesture in the next bar elides with another new melodic idea elaborated as a kind of “embedded loop”.

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Haydn’s persistent focus on the third scale degree is striking  : the oboes in bars 8–9, the violins and horns in bars 9–11, and the bass part in bar 10 all participate in a series of 2ˆ - 3ˆ motions. As a result, the listener experiences the feeling of being “caught” in a loop, unable to envisage the end of this repetitive pattern. In bars 11–12 the first violins finally “overshoot” 3ˆ and, after a brief moment of “dubitatio” on 5ˆ , present a large “Prinner” leading to a “converging half cadence”, thus finally lending temporal directionality to the music.55

Variants of the Period in Haydn’s Early Symphonies Let us turn now to a highly standardized “formal type”  : the period. According to common textbook definitions, a period is essentially a two-part structure, comprising an “antecedent phrase” that leads either to a half cadence or to an imperfect authentic cadence, and a motivically parallel “consequent phrase” that typically resumes the beginning and concludes the entire thematic complex with a PAC.56 Unlike many authors who conceive of the period primarily in terms of classical balance, Schenkerian theorists prefer to think of the period as an interruption structure, thereby stressing its dynamic (goal-directed) side  : the voice-leading motion 3ˆ - 2ˆ - 1ˆ in the soprano (harmonically supported by a I-V-I progression) is interrupted on 2ˆ /V in the antecedent before it is brought to full cadential closure in the consequent on 1ˆ /I. It is worth noting that the entire repertoire under consideration lacks any such textbook period with a half-cadential ending of the antecedent. Yet the essential idea of increasing cadential strength at the end of the consequent phrase after a weaker cadence in the antecedent is clearly present in a few examples (Nos. 6, 17, 8, 72, and 36), with the main theme of Symphony No. 72 (from 1763) being the least ambiguous one  : it features a four-bar antecedent ending with a I  :IAC (instead of a I  :HC) and a motivically parallel consequent of equal length providing a I  :PAC (see Example 8).57 The following examples are chosen to illustrate various deviations from the textbook type. Though these examples are not technically periods strictly speaking, they certainly are “period-like”, that is, they are in dialog with the period schema. For convenience’s sake, I shall refer to these variants simply as “periods”, albeit in each case noting the departures from the norms. The opening theme of Symphony No. 6 (from 1761) is instructive in that it does not exhibit a harmonic change at the end of the antecedent (bb. 7–10) but rather a 55 Gjerdingen’s term, see his Music in the Galant Style, 159. 56 See, for instance, Caplin, Classical Form, 49 ff. 57 Cf. Haydn’s Symphony No. 8 (discussed below).

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Example 10: Haydn, Symphony No. 17/i, bb. 1–17 (piano reduction).

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tonic prolongation throughout the entire four-bar unit, a feature typical of a sentence rather than a period (see Example 9). As a result, the antecedent lacks a cadence in the strict sense.58 Furthermore, rather than providing a restart in the consequent (bb. 11–14 elided), a voice-leading progression in the soprano ( 6ˆ - 5ˆ - 4ˆ - 3ˆ - 2ˆ - 1ˆ ) strongly interconnects antecedent and consequent. Why, then, may it still be possible to categorize this opening as a “period”  ? Here, a schema-theoretical approach epitomized by Gjerdingen’s much-cited study on the galant style may prove helpful. The central idea of the cognitive schema theory (inspired by Wittgenstein’s notion of “family resemblance”) states that our behavior in classifying real-world objects relies not on a set of necessary features but on a complex network of elements, leading ultimately to overlapping similarities among objects. Thus, if an object does not fit a particular set of defining features, this by no means precludes it from being subsumed under a certain category (in our case a formal type such as a period).59 Seen from this perspective, the distinct presence of other type-defining features — such as motivic parallelism, the clear metrical correspondence of bars,60 a concluding PAC — lets us interpret the main theme of Haydn’s Symphony No. 6/i as a period. A similar line of reasoning can be applied to the following example, Haydn’s Symphony No. 17 (1760/61  ; see Example 10). In his analysis of its opening, A. Peter Brown invokes the notion of an “idealized classical construct”, that is “a P [primary theme] in which contrasting elements combine to provide a hierarchical balance”61. The main theme at hand resists easy classification in many respects, however. First, unlike the previous example, No. 17 contains a tonic pedal throughout the main theme (bb. 1–8). The drum bass, both contributing to harmonic prolongation and conveying a sense of initiation, is in fact a characteristic feature of another intra-thematic function, namely a “sentence presentation”. Second, the assumed consequent with the melody in piano one octave lower gives the impression of an appendix-like echo rather than a restart (as would be typical of the textbook period). Nonetheless, bars 1–8 also show characteristic features of a period — most notably the distinct symmetrical four-plus-four-bar 58 The weak ending in bar 10, which could be termed a “cadential gesture”, does not satisfy the criterion of a dominant-tonic root progression — according to Caplin a necessary defining feature of a cadence, see Caplin, “The Classical Cadence  : Conceptions and Misconceptions”, Journal of the American Musicological Society 57 (2004), 51–117. 59 A similar argument has been proposed by Carl Dahlhaus  : “Eine Periode wäre demnach, abstrakt ausgedrückt, ein Komplex von Merkmalen, die zwar sämtlich modifizierbar sind und zum Teil sogar ausfallen können, zwischen denen jedoch Wechselwirkungen bestehen, so dass Irregularität auf der einen Seite durch um so sinnfälligere Regelmäßigkeit auf der anderen ausgeglichen werden muß, wenn die Periode nicht zerfallen soll.” See Dahlhaus, “Satz und Periode. Zur Theorie der musikalischen Syntax”, Zeitschrift für Musiktheorie 9 (1978), 16–26, here 21. 60 Bar one corresponds to bar five, two to six, and so on. 61 See Brown, The Symphonic Repertoire, 61 (my insertion).

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structure and the realization of the formal idea of completing a melodic process (b. 8) left uncompleted before (b. 4). From a schema-theoretical point of view, the lack of certain features is compensated in both Nos. 6 and 17 by the clear presence of others, suggesting that both main themes may well be understood as periods rather than sentences.62 A schema-theoretical approach that does not take into account the temporal unfolding of musical events cannot provide a complete picture, however, because certain elements of the aforementioned network that have been suppressed in the analysis of a given passage can be reactivated retrospectively due to features that are presented in an ensuing formal unit. The importance of temporal dimension can be highlighted by re-investigating the assumed main theme of Symphony No. 17/i from the perspective of later events  : the two formal groups following the main theme, bars 8.2–12.1 and 12–17, exhibit some features that are highly typical of a sentence continuation, thus “re-activating”, as it were, one specific feature of bars 1–8.1 — tonic prolongation — that has been downplayed in the initial analysis in favor of a reading of the main theme as a period. Bars 8.2–12.1 (IV-I-ii42-V65-I, displaying an increase in harmonic rhythm) and bars 12–17 (showing an intensification in surface-rhythmic activity terminated with a I  :HC, thus clearly projecting continuation function) thereby suggest that the preceding formal unit, bars 1–8.1, might be better understood as the first part of the main theme (here a sentence presentation) rather than as the complete theme.63 The primary theme of Symphony No. 36/i (1761–62) is another example that resists the unequivocal ascription of formal functions (see Example 11). Two extraordinary features in particular make an investigation of its temporal organization highly fruitful. (1) In bar 2 the structural fifth scale degree is reached and prolonged by means of a neighbor note motion ( 5ˆ - 6ˆ - 5ˆ ), thus defining a pitch plateau from which the ensuing descending fifth progression (subsequent to an octave transfer) receives its goaldirected quality. But instead of completing the fifth progression by leading to the first scale step as expected, 2ˆ turns back to 3ˆ . The ensuing unison texture aims at 5ˆ again. In bar 6, however, this process is interrupted by a sudden leap back in time, which may also be described as a theme-internal “loop”. (One could easily imagine a version without bars 6–7, that is, bar 8 following directly bar 5.) Because of this loop, the listener temporarily experiences the feeling of being caught in a time warp. The fifth scale degree is finally attained in bar 8, where a typical 5ˆ - 4ˆ - 3ˆ motion in the upper voice brings about the first cadence. This IAC, however, is elided with a partial repetition of 62 Cf. Dahlhaus’ argument, fn. 59. 63 To think of bb. 8–11 or 12–17 as transitional in function does not do justice to these formal units, because, among other reasons, it is only with b. 18 that an unequivocal transition passage appears, one that features both sequential activity (5-6 sequence) and motivic fragmentation/imitation.

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the first part, a device that is in fact typical of the “sentence of the loop-type” rather than of a period.64 From a theoretical point of view, there is thus an overlap of features stemming from different theme types. (2) A different time-related strategy is encountered in the repetition (bb. 9–17)  : in bar 12 the ii6-chord commonly used as a pre-dominant function signaling the upcoming cadence unexpectedly turns into a 24-chord followed by a tonic sixth chord.65 Here again, Haydn plays with temporal expectations in an extraordinary way  : through the twofold repetition of this harmonic pattern,66 he greatly delays the onset of the final PAC in the tonic key that eventually lends definite closure to the entire main theme complex. As a result, the sense of symmetry characteristic of a period is somewhat disturbed in this example, due to the extensive use of methods of phrase manipulation (in this case “expansion”). I shall now examine the main theme of Symphony No. 19/i (from about 1759/60) as an example that not only displays certain elements that actually belong to other theme types but poses the utterly radical question of whether it is appropriate to classify the thematic format at hand as a period at all, given that its constituent formal parts — antecedent and consequent — appear to be reversed in order (see Example 12). The first part (bb. 1–8), like Symphony No. 72/i, concludes with a I  : IAC, thus suggesting a consequent phrase to follow. However, the second part refuses to attain a I  : PAC and thus to increase cadential strength, although it would have been perfectly possible to continue the second part of the consequent (starting in b. 13) in the same way as the antecedent (cf. bb. 5 ff.). Instead, Haydn deviates from this pattern by providing a short descending-fifth sequence (b-e-a) featuring motivic fragmentation. As a result, the consequent concludes with a I  : HC two measures early. Analysts may well be tempted to classify the resulting thematic structure anachronistically as a “period with failed consequent”67, since the implication of a standard period could easily have been realized. The key question, however, is not whether this theme is a period but rather with which of the thematic formats available to Haydn around 1760 this particular instance is in dialogue.68 Here, a number of features inherent to the main theme of No. 19 suggest the formal type of a “period with exchanged cadences” that was widely used during Haydn’s early career. Although this term is a 64 Interestingly, the conventional dynamic dramaturgy is reversed  : instead of a sudden (elided) forte after a piano passage, there is a sudden piano after the initiating forte passage. Furthermore, the onset of the first violins in bar 11 slightly contributes to a sense of fragmentation. 65 For a similar technique, see, for instance, Haydn’s Symphonies No. 12 (bb. 13–16) and No. 43 (bb. 17–20). 66 “Passo Indietro” (Gjerdingen’s term, see his Music in the Galant Style, 167). See also bb. 53 ff. suggesting that this might be the central strategy in this movement. 67 On this concept, see Caplin, Classical Form, 89. 68 The concept of dialogue is explained in Hepokoski and Darcy, Elements of Sonata Theory, 10.

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Example 11: Haydn, Symphony No. 36/i, bb. 1–17 (piano reduction).

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Example 12: Haydn, Symphony No. 19/i, bb. 1–15 (piano reduction).

misnomer from both a music-historical and theoretical point of view, the formal concept of this theme type is both useful and clear (especially when considering a broader Kochian interpunction scheme)  : An antecedent with a relatively strong close on the tonic is followed by a consequent with a more open ending typically expressed by a half cadence.69 Both the specific succession of cadences and motivic correspondence 69 I prefer to call such a theme a “period with exchanged cadences” instead of using the term “reversed period”. I wish to thank James Hepokoski for suggesting this term as an alternative to “reversed period”, the literal translation of the German term “umgekehrte Periode” introduced by Wilhelm Fischer in his article “Zwei neapolitanische Melodietypen bei Mozart und Haydn”, Mozart-Jahrbuch 1960, 7–21, here 8. Fischer

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Example 13b: Haydn, Symphony No. 8/i, recomposed main theme, first part (four-part stanza).

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Example 13c: Haydn, Symphony No. 8/i, recapitulation, bb. 170–206 (piano reduction).

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between antecedent and consequent phrase, typical characteristics of a textbook period, are realized in Haydn’s example, although the proportional relationship of eight to six measures is rather unusual.70

Haydn’s Le Soir  : Playing with Temporal Orientation The final example — the opening movement from Haydn’s Symphony No. 8 in G major, Le Soir (1761), forming the third part of the Tageszeiten cycle — demonstrates how some of the temporal strategies within the main theme area that have been discussed separately in the preceding sections interact with each other. As will become clear in the course of the following analysis, this is an example that poses serious difficulties to the listeners’ attempt both to gain temporal orientation and attribute formal functions. To fully understand how Haydn plays with temporal orientation, it is helpful to consider the recapitulation as well, because formal implications are revealed there that are not realized in the exposition itself. Let us first take a closer look at the opening of the movement, where the premises are laid out for the further formal course (see Example 13a). At first, the listener encounters one of the rare examples of a clear-cut eight-bar period in Haydn’s early symphonic repertoire. Note that Haydn borrowed both this period and the remaining parts of the main theme complex (bb. 1–32) from the so-called tobacco-aria (bb. describes the theme type in question in comparison to the text-book period “[…] nur schließt im Gegensatz zur normalen Liedperiode der Vordersatz mit dem Ganzschluß und der Nachsatz mit Halbschluß. Ich nenne diese Bauart deswegen die umgekehrte Periode. Ihre […] Beliebtheit in der Frühgeschichte der Sonatenform verdankt sie zweifellos der konstruktiven Möglichkeit, den Halbschluß auf der 5. Stufe der Grundtonart als Erreichung der Dominanttonart zu betrachten und so eine besondere Überleitungsgruppe zu ersparen.” Although both Fischer’s term and my term suggest that the thematic format in question has been secondarily derived from the standard period by changing the order of cadences, a closer look at the historical (chronological) development might suggest that this thematic design was used during the 1760s as a type in its own right. 70 More precisely, the antecedent is a “grand” antecedent  : a compound basic idea in bars 1–4 is followed by a “Prinner” fulfilling continuation function. The consequent repeats the compound basic idea, but ultimately replaces the expected Prinner by a two-bar unit displaying motivic fragmentation and concluding the main theme structure too early. Although a conventional formal option in early classical works (available to the composer as a consequence of the chosen thematic format) consisted in using the half cadence of the consequent as “bifocal close” that allowed for the subordinate key to enter without a modulatory passage sui generis, it does not function as such here  ; instead, Haydn attaches an additional transition, a passage that is initiated by an unexpected harmonic shift caused by an augmented sixth-chord that ultimately accomplishes the modulation to the dominant key. This very fact also supports the view that the consequent of a “period with exchanged cadences” does not act as a transition, but should rather be considered an integral part of the main-theme structure.

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Example 13d: Haydn, Symphony No. 8/i, recapitulation in the key of IV, bb. 141–152.

23–55) of Gluck’s opéra comique Le Diable à quatre (1759).71 In line with Gluck’s aria, the opening period is then followed by an open four-bar group (bb. 9–12) that provides considerable textural (unison instead of parallel thirds) and dynamic contrast (forte instead of piano). The ensuing two bars 13–14 may be best interpreted as an interpolation delaying the onset of a formal unit that would conclude the entire thematic complex. An additional function of these two bars is to restore the fifth scale degree one octave higher (than b. 12), thus leading back to the pitch level where the music began. 5ˆ actually proves to be the starting point of the next formal section.72 By literally restating the first two measures of the period in bars 15–16, Haydn (Gluck) indeed suggests its complete repetition and thus a rounded formal structure, with bars 9–14 acting as a brief contrasting part sandwiched between two appearances of the period. But this expectation is not fulfilled  ; instead of providing closure to the entire theme structure according to a four-part stanza,73 as shown in Example 13b, Haydn continues to follow Gluck’s aria and adds a new thematic structure by creating a sentence from bars 15–16, thus conveying the impression of a second start.74 A listener who missed the first four71 Cf. Daniel Heartz, “Haydn und Gluck im Burgtheater um 1760  : Der neue Krumme Teufel, Le Diable à quatre und die Sinfonie ‘Le Soir’”, Bericht über den Internationalen Musikwissenschaftlichen Kongreß Bayreuth 1981, ed. Christoph-Hellmut Mahling and Sigrid Wiesmann (Kassel  : Bärenreiter, 1984), 120–35. Apart from minor melodic alterations, Haydn’s version deviates from Gluck’s aria by not repeating the first eight bars (bb. 15–22). 72 This rising fifth of the interpolation is finally integrated in the following sentence structure (see the upper voice in bb. 17 and 21). 73 The role of the four-part stanza in Haydn’s string quartets is described in great detail by Denes Bartha, “Thematic Profile and Character in the Quartet-Finales of Joseph Haydn (A Contribution to the MicroAnalysis of Thematic Structure)”, Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 11 (1969), 35–62. 74 In the continuation phrase (bb. 23–34) a PAC is prepared but in the very last moment (b. 28), it turns into an IAC followed by a repetition of the entire group, a procedure referred to as “one more time” technique by Janet Schmalfeldt (Schmalfeldt, “Cadential processes  : The evaded cadence and the ‘one more time’ technique”, Journal of Musicological Research 7/1-2 (1992), 1–52). The fact that it was quite common to repeat the continuation phrase in sentences suggests that the repetition was not simply an option of

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teen bars of the symphony could easily mistake the sentence for the beginning proper (as was already shown with respect to Symphony No. 3/i). Yet another implication within the main theme area — namely of bars 9–12 as the “basic idea” of a sentence — is not realized in the exposition itself but brought to the listener’s attention only in the recapitulation (see Example 13c). Here we see a complete recomposition and, as a result, a striking form-functional redefinition of the constituent parts of the main theme. In the secondary literature it is taken for granted that the recapitulation in this movement begins in bar 173, even though the passage preceding it ends with a perfect authentic cadence rather than with the expected half cadence in the tonic key. 75 As a result, the opening “period” (bb. 1 ff.) sounds subsequent to a PAC like a post-cadential appendix, i.e., an “ending” rather than an “initiation function”. But instead of revising their analyses altogether, scholars tend to classify this passage as an “unusual preparation” of the recapitulation.76 It is important to note that the formal unit supposedly initiating the recapitulation corresponds to the opening of the movement only in thematic content, not in instrumentation. Through the rescoring of the first part of the expositional main theme complex (bb. 1–8) with wind instruments (horns), it now relates to the “monothematic” subordinate theme (bb. 51 ff.) through shared instrumentation as much as to the beginning of the movement.77 Bars 9–12 are indeed used as the “basic idea” of a sentence (in bb. 181–84) repeated a third higher (in bb. 185–88). The resulting presentation phrase78 replaces the original expositional sentence from bars 15 ff.79 In accordance with the sentence type, even the ensuing, newly composed unit starting in bar 189 meets at least one essential criterion of a continuation phrase  : it features a characteristic fragmentation process that contributes to a drive towards the half-cadential goal. Only the “standing on the dominant” (Erwin Ratz) gives the entire group a more static, post-cadential character. This analytical account forces the question of where the recapitulation begins. Haydn frustrates the expectation of bar 181 as the beginning of the recapitulation (again after a I  :PAC), particularly with regard to its harmonic shape (especially by ussecondary importance but rather a first-level choice. The end of the entire thematic complex is elided with the entrance of the transition section clearly expressing its formal function both dynamically and by the use of tutti instrumentation. 75 On the status of cadences in early Haydn, see Burstein, “Mid-Section Cadences”. 76 See James Webster, Haydn’s “Farewell” Symphony, 138 ff. 77 See also, for instance, Richard Will, “When God Met The Sinner, and Other Dramatic Confrontations in Eighteenth-century Instrumental Music”, Music & Letters 78 (1997), 175–209  ; here 208, fn. 63. 78 Here, Haydn imitates the violins (starting in b. 181) in the violas and celli. 79 The basic idea here resembles bars 1–8, 9 ff., and 15 ff. almost in the way of a synthesis.

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ing a sixth chord). Such an effect is at least initially preserved for bar 197, where — again based on the “basic idea” (presented forte and unison) — the sense of a formal restart is conveyed.80 Given the lack of an appropriate beginning of the recapitulation, however, an alternative view might be to consider the return of the main theme in the subdominant key towards the end of the development section (in b. 143) as the recapitulation proper (see Example 13d).81 This would imply the consequence that bars 173 ff. (or bb. 181 ff.) could now function as a secondary theme rather than the primary theme, as indicated above. To summarize, through a remarkable recomposition of the constituent parts of the main theme complex, Haydn points to their functional potentials and inherent ambiguities. As a result, it becomes clear that to base one’s formal interpretation exclusively on the factor of “intrinsic form-functionality” is problematic, since both “temporal location” and “local context” determine formal function as much as the intrinsic properties of a formal unit itself. This is especially true when intrinsic properties do not unequivocally express a certain function  : the opening period of Le Soir may be considered to have concluding qualities as well, partly because of the accordance between the underlying idea of the period and the so-called “one more time technique”82  : in both cases, the first attempt to attain closure fails, and it is only with the second attempt that a larger formal segment is successfully concluded.

80 Because of the Fortspinnungs-like developmental treatment of the basic idea as well as the ensuing events, the section starting in bar 197 cannot be regarded as the recapitulation proper. This section eventually reaches the e-flat (b. 206) — a brief moment of dubitation –, which is then reinterpreted as the root of an augmented sixth-chord (cf. Haydn’s Symphony No. 100/i, bb. 239–250), a chord that serves to prolong the dominant (bb. 206–13). Another section exhibiting a “standing on the dominant” immediately follows the recapitulation in the subdominant key (bb. 206–14). 81 Recapitulatory beginnings in the subdominant key are not that uncommon in the 18th- and early 19thcentury sonata form and occurred in compositions of, for instance, Gassmann, Haydn, Clementi, Mozart, and Schubert. As Möllers suggested, this phenomenon might be construed as a kind of overlap between or mixture of different forms, notably sonata form and baroque concerto form. According to his view, the subdominant recapitulation coincides with the customary subdominant (fourth) ritornello in the concerto form (Möllers, “Der Einfluß des Konzertsatzes”, 39). Thus the formal complexity of the first movement of Le Soir might be traced back to a distinct interaction between concerto (or ritornello) form and sonata form typical of many of Haydn’s early compositions in which he dealt with the “double return” of the main theme and the tonic key with great flexibility. Additional evidence for this hypothesis is provided by the fact that this movement contains a “monothematic” exposition  : the return of a variant of the main theme in the dominant key might be understood as a ritornello. 82 On Schmalfeldt’s notion of the “one more time technique”, cf. fn. 74.

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Reconsidering the Relation between Formal Functions and Temporality Having analyzed this striking example, I would now like to summarize my observations on a more abstract level. As the analysis even of seemingly simple theme structures made clear, textbook concepts such as “period” and “sentence” are not fully adequate to describe all the unique features of Haydn’s early compositional practice. These concepts must instead be handled with a certain degree of flexibility. In this respect, William Caplin’s suggestion to focus on intra-thematic functions rather than forcing a clear-cut either-or decision between certain types proved to be an advantageous approach, though one mustn’t downplay the obvious problem that the analysis often yields a rather loose succession of functions instead of offering insight into the overall formal idea. Taking advantage of Caplin’s methodological innovation and combining it with the concept of functional equivalence (based, among other things, on a consideration of various voice-leading models) also enables analysts to determine formal functions even in cases that do not readily fit the traditional textbook criteria. The concept of intrinsic form-functionality, by contrast, seems to be more problematic, as the last example (Haydn’s Le Soir) in particular illustrates. Here, two other criteria — “temporal location” and “local context” — have a major impact on the formal function of a given unit. It is not uncommon for these two factors to overrule its allegedly intrinsic properties. Since the formal function expressed by a phrase is the result of a complex interplay between “temporal location”, “local context”, and the inherent properties of that phrase, both analysts and listeners must consider all three of these factors to gain insight into the form-functional organization of a given composition. In this respect, Rosen’s criticism referred to at the beginning of this paper fails to account for the inevitable context dependency of the main theme area. However true his observations on the static impression of some of Haydn’s early main theme structures may be, Rosen’s main shortcoming is to restrict his focus to the main theme area as a whole without considering the specific role its constituent intra-thematic functions fulfill within a broader temporal strategy. In my paper, a number of these temporal strategies have been discussed  : “leaps back in time”, “multiple temporal references”, “postponement/ delay”, “restarting the music”, playing with “temporal projection”, “retrospective reinterpretation”, and issues of “temporal proportion”. I do not regard this as a distinct way of analyzing early classical music, however, but as an integral part of a genuine formtheoretical endeavor. Seen from this point of view, it might be argued that Haydn is extremely flexible in expressing temporal qualities such as beginnings, middles, and ends and sometimes

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even achieves a form-functional re-definition of the respective thematic components. All this indicates that Haydn was anything but “unable to control the elementary aspects of harmony” (Brown) and phrase rhythm (Rothstein). Haydn’s early compositions should therefore not be viewed as a deficient early stage teleologically oriented to his “mature” style. What’s needed instead is a shift on the level of theoretical tools, drawing on existing theoretical frameworks but employing greater flexibility.

XI Ernst Strouhal

Eins sein mit allem, was tickt Bewegungskontrolle und Zeitdisziplin am Beispiel des ­S chachautomaten von Wolfgang von Kempelen.*

Kurz nach Haydns Tod Ende Mai 1809 erschien in Wien die anonyme Schrift Traditionen zur Charakteristik Österreichs, seines Staats- und Volkslebens unter Franz dem Ersten. In klagendem bis anklagendem Ton heißt es  : Haydn starb und kaum hörte man hin. Der Mechaniker Mälzel, der seinen Trompeter auf dem Balkon des Schönbrunner Schlosses hatte blasen lassen und mit dessen Schachspieler der Universalkaiser sich auf einen Zweikampf eingelassen, überragte jetzt alle Tonsetzer des neuen, alle Magier des mittleren Zeitalters.1

Die kurze Feststellung, die Erwähnung von Haydns Tod und Maelzls Erfolgen ist nur scheinbar neutral. Eher ist sie kritisch gegenüber den Erfolgen dieses Maelzels zu lesen, kritisch einem neuen Zeitalter gegenüber, in dem die mechanischen Schachspieler und Trompeter die menschlichen Tonsetzer überragen. Nepomuk Maelzel stammte aus Regensburg und war von München zu Beginn des Jahrhunderts nach Wien gekommen. Er war Musiker, vor allem aber gut verdienender Prothesenmacher und Herr über ein ganzes Ensemble von Automaten, einen gut sortierten, spektakulären Maschinenpark, der zur Unterhaltung und „genussreichen Bildung“ diente  : Der erwähnte Trompeter, eine mechanische Seiltänzerin, ein Panharmonicum (ein mechanisches Orchester, für das Beethoven vier Jahre später sein Schlachtengemälde Opus 91 komponieren wird), ein riesiges Diorama und der ebenfalls erwähnte automatische Schachspieler gehörten dazu. Ob sich Maelzel bereits in Wien mit dem Metronom beschäftigte, ist unklar, aber ob Automaten oder menschliche Spieler  : Maelzel brachte ihre Bewegungen in den richtigen Takt. * Der folgende Text ist Ergebnis einer langen Zusammenarbeit mit Brigitte Felderer im Rahmen eines Forschungsschwerpunkts an der Universität für angewandte Kunst Wien. Über viele Jahre hinweg haben wir Zeugnisse zu Kempelens Sprechmaschine und Schachautomat versammelt und Texte zu beiden Maschinen verfasst. Sämtliche Quellen entstammen dem seit 2000 gemeinsam aufgebauten und fortgeführten KempelenArchiv-Wien (KAW) an der Universität für angewandte Kunst Wien. 1 Zitiert nach Henrike Leonhardt, Der Taktmesser. Johann Nepomuk Mälzel. Ein lückenhafter Lebenslauf (Hamburg  : Kellner, 1990), 94.

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Der Titel des folgenden Beitrages ist eine Paraphrase auf Friedrich Hölderlins berühmten Satz  : „Eins sein mit allem was lebt“, den er Hyperion, den Helden seines gleichnamigen Briefromans aus 1797 ausrufen lässt. „Eins sein mit allem was lebt“ ist Ausdruck der Sehnsucht, dass der Mensch „in seliger Selbstvergessenheit“ aufgehe in der Natur, dass er seine Außenposition außerhalb der Natur aufgebe und die irreversiblen Schäden der Modernisierung doch widerrufbar wären. Es gibt freilich auch eine andere, materialistische Tradition, welche den Menschen jeweils in Analogien zum technischen Gerät fasst und seine Subjektivität dämpft  ; im mechanischen Materialismus des 18. Jahrhunderts ist der Mensch eine Maschine, eine bessere Uhr, die tickt und am Ende zerbricht. So etwas wie eine Seele gibt es nicht, nur Bewegung, die letztlich Regeln folgt und also kontrollierbar ist. Die Bewegungskon­ trolle ist auch und vor allem die Kontrolle über die Zeit, in der die Bewegung erfolgt. Die antiklerikale Gegengeschichte des „Eins sein mit allem, was tickt“ ist alt. In Europa beginnt sie technisch im frühen Mittelalter mit der Konstruktion der ersten Turmuhren, also der Schaffung von distinkten Bewegungsformen und ihrer Kontrolle durch den „Anker“  ; alle Automaten basieren auf diesem Prinzip. Die Uhr ist dabei nicht nur ein Symbol unter vielen, sondern wird zur Zentralmetapher für Leistung, Effizienz und Ökonomie, für Gehorsam, aber auch für Gerechtigkeit. Die Spiel-, Schreib- und Musikautomaten des 18. Jahrhunderts materialisieren eine Erfahrung, die bis heute Angstlust beim Betrachter verbreitet. Die Automaten und Androiden faszinieren gleichermaßen, wie sie uns erschrecken. Sie sind lesbar als Ausdruck einer neuen „politischen Ökonomie des Körpers“ (Foucault), die bis in die hintersten Winkel des privaten Lebens, ja in den menschlichen Körper hinein reicht, und als spielerische Propädeutik einer neuen Revolution, der Industrialisierung, in der die Mechanisierung und Maschinisierung zum Alltag werden wird. Die Haydn-Zeit ist eine Zwischenzeit, in der Bruchlinien unterschiedlicher Verarbeitungsstufen des Technischen deutlich werden und in der eine neue Kultur der technischen Rationalität ansetzt, das Leben zu beherrschen – ob es sich nun um textilverarbeitende lochkartengesteuerte Maschinen oder um musizierende Androiden handelt. Entlang der Rezeptionsgeschichte eines besonderen Automaten eines Zeitgenossen Haydns, des mechanischen Schachspielers von Wolfgang von Kempelen (1734–1804), werde ich versuchen, diese Entwicklung zu skizzieren. Kempelens „Türke“ spielt ein besonderes Lied  : das Lied der Vernunft. 27 Jahre vor Haydns Tod, im Herbst 1781, trafen Großfürst Paul, der erstgeborene Sohn von Katharina der Großen, und dessen Gemahlin Maria Feodorowna zu einem fünfwöchigen Besuch in Wien ein. Das Ceremonialprotokoll verweist auf Besuche der Kasernen am Heumarkt und des Hetzhauses, zugleich standen Musikstunden mit Josef Haydn, der dem Paar die „Jungfernquartette“ Opus 33 widmete, und die Besichtigungen des Schachautomaten von Kempelen auf dem Programm.

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Abb. 1  : Vorderansicht des schachspielenden Automaten Kempelens, Kupfertafel aus Joseph Friedrich Freiherr zu Racknitz, Ueber den Schachspieler des Herrn von Kempelen und dessen Nachbildung (Leipzig/Dresden  : Breitkopf, 1789).

Wolfgang von Kempelen war wie Haydn Mitglied der Loge zur Wahren Eintracht und gehörte der Generation der aufgeklärten Beamten Maria There­sias an. Von den vielen bescheidenen Spuren, die Kempelen in der Wissenschafts-, Verwaltungs- und Kulturgeschichte hinterlassen hat, ist der „Türke“, den Großfürst Paul und seine Gemahlin 1781 besichtigten, die deutlichste und zu­gleich die vieldeutigste geblieben. Abgesehen von der langen, sich über fast 70 Jahre erstreckenden Spielzeit des Türken unterscheidet sich seine äußere Biografie nur wenig von der anderer Unterhaltungsautomaten. Den­noch wird die Geschichte des Türken wieder und wieder erzählt, über kei­nen Automaten des 18. Jahrhunderts wurde annähernd so viel publi­ziert.2 Bereits 2 Ken Whylds penible Bibliografie aus 1994 weist mehrere hundert Einträge auf  : Fake Automata in Chess (Caistor  : Eigenverlag, 1994). Das Wiener Kempelen-Archiv an der Universität für angewandte Kunst Wien,

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Abb. 2  : In Kempelens „Automat“, wohl der charmanteste Bluff der Technikgeschichte, war freilich ein Mensch verborgen (Kupfertafel aus Racknitz, Ueber den Schachspieler des Herrn von Kempelen).

seit den 1770er Jahren wird der Türke stets mit dem Attribut „berühmt“ bedacht. Trotz der im Grunde sporadischen Auf­tritte Kempelens zu Lebzeiten gehörte die schach­ spielende Puppe zu dem, was man eine mediale Sensation nennen könnte. Dabei war schon im To­des­jahr Kempelens 1804 evident, und Kempelen hatte selbst nie ein Hehl daraus gemacht, dass es sich im Gegensatz zu den Vaucanson’schen, Jaquet-Droz’schen und Knaus’schen Automaten bei der Konstruktion des Türken um einen Pseudo­auto­ maten, um eine „Täuschung“ handelte. In der Apparatur war ein Mensch verborgen. das den Quel­len und der Rezeptionsgeschichte Kempelens von 1734 bis 2000 gewidmet ist, umfasst, ohne An­spruch auf Vollständigkeit, rund 1300 Dokumente, seitdem dürfte sich die Zahl der Beiträge wohl verdoppelt haben.

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Zwischen 1770 und 1800 bot Kempelens Pseudoautomat, wie kein anderer Gegenstand, der Publizistik der Spät­auf­klärung Anlass zu Spekulationen philosophischer und technischer Na­tur, zur Bewunderung des mechanischen Genies seines Schöpfers glei­ cher­maßen wie zur heftigen Kritik an der Taschenspielerei und sogar am ver­suchten Betrug am Volk. Die Androiden des 18. Jahrhunderts, zu denen Kempelens Schachspieler ge­­­­hört, repräsentieren auf spielerische Weise eine neue, nach Affekt­kon­trol­le und Effizienz strebende Lebensform. In ganz be­son­derer Weise gilt dies für Kempelens Türken  : Er hat das Schachspiel er­lernt, das seit dem Mittelalter als Allegorie zweckrationalen Handelns und instrumenteller Vernunft gilt, zum anderen, und dies unterscheidet ihn von den anderen Automatenfiguren seiner Zeit, stellt der Türke, indem ein Mensch in der Maschine verborgen ist, selbst bereits die Parodie avant la lettre auf diese im Entstehen befindliche Kultur technischer Rationalität dar. Durch diese Ambivalenz erweist sich Kempelens Türke bis heute als über­aus flexible Metaphernmaschine, die in der Lage ist, allegorische Struk­tu­ren zu erzeugen, deren Elemente ständig neu codiert, kombiniert und aktua­li­siert werden können  : Über die Türkenfigur kann in der Litera­tur, im Film und in der Philosophie das Motiv der Identität zwischen Mensch und Ma­schine (und die Sehnsucht nach einer Differenz) abge­arbeitet werden, von der Hybris des Automatenbauers, von den Grenzen der Simulation und zu­gleich vom Sieg des Gauklers über eine fortschritts­gläubige, durch das Glücks­versprechen der Technik blind gewordene Öffentlichkeit erzählt werden.3 3 Alan M. Turing widmet eine der bei ihm seltenen historischen Reminiszenzen dem Schachspieler (Intelligence Service. Schriften, hg. von Bernhard Dotzler und Friedrich Kittler [Berlin  : Brinkmann & Bose, 1987]). Walter Benjamin reserviert für ihn in der ersten These von Über den Begriff der Geschichte einen prominenten Platz (Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd. 2/1 [Frankfurt/M.  : Suhrkamp, 1991], 691–707). Benjamin konnte auf eine lange Tradition der Bearbeitung des Kempelen-Stoffes zurückgreifen  : In der deutschen Romantik haben die Automaten Kempelens vor allem bei Jean Paul und E.T.A. Hoffmann (Die Elixiere des Teufels. Lebens-Ansichten des Katers Murr sowie „Die Automate“ in Die Serapionsbrüder) Erwähnung gefunden. Das Unheimliche des anthropomorphen Automaten bildet den Aus­gangs­­punkt vieler Bearbeitungen des Stoffes in den Gothic novels im späten 19. und 20. Jahrhunderts und im Horrorfilm, etwa bei Sheila E. Braine (The Turkish Automaton. A Tale of the Time of Catharine the Great of Russia [London  : Blackie & son, 1899]), die eine Passage in den Erinnerungen des amerikanischen Zauberkünstlers Robert-Houdin aufnimmt (vgl. auch die Kempelen-Erzählung von Edgar Allan Poe, Von Kempelens Erfindung [1849], ders., Der schwarze Kater. Erzählungen 1843–1849 [Zürich  : Haffmans, 1994], 590–99), in Henri Dupuy-Mazuels mehrfach verfilmtem Bestseller Le joueur d’échecs (Paris  : Albin Michel, 1926), im Stumm­­film White Tiger (1923) von Tod Brown­ing, dem Regisseur von Freaks (1932), und in Luis Buñuels groteskem Le joueur d’échecs de Maelzel nach Poe (1981). Das Motiv des Katastro­ phischen der Begegnung reicht bis zu Rid­­ley Scotts SF-Klassiker Blade Runner (1982), in dem sich der nietzscheanische Repli­kant Roy Batty durch einen genialen Schachzug Zutritt zu seinem Schöpfer Dr. Tyrell ver­schafft und diesem das Genick bricht. Zur Renaissance des Kempelenmotivs in der unmittelbaren Gegenwart vgl. z.B. die hi­stori­schen Romane von Waldemar Lysiak (Schach dem Kaiser [1980] [Hamburg  :

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Die erste Vorführung des Türken hat wohl in der zweiten Hälfte des Jahres 1769 statt­­ge­funden. Gedacht war der Automat für das private oder halb ö ­ ffentliche Amüsement Maria Theresias, die – der Mode ihrer Zeit folgend – Gefallen an unterhaltsamen wissen­schaftlichen und technischen Vorführungen fand. Im „Extra-Blatt“ des wöchentlich erscheinenden Brünner Intelligenz-Zettels vom 24. August 1769 findet sich die folgende Meldung über eine (die erste  ?) Vorführung des Türken  : Ein ungarischer Hofcammerrath, Namens von Kempelen, hat kürzlich ein künstliches Uhrwerk erfunden, dessen sinnreicher Bau oder Zusammensetzung nicht nur das Ansehen der neubegierigen Liebhaber verdienet, sondern auch ihre Einbildungskraft bey Untersuchung der darinn verborgen liegenden Kunst ungemein beschäftiget. Er hat eine Maschine, so einen Türken in Lebensgröße repraesentiret, stehend bey Hofe dargestellet. Dieser Türke antwortet auf verschiedene an ihn gerichtete Fragen, löset die schweresten arithmetischen Problemata auf, indem er die ihm vorgelegten Buchstaben und Ziffers aussuchet und zusammensetzet, und was das wundernswürdigste ist, spielet er mit jedem Zuschauer Schach. Die türkische Figur bewegt sich mit Kopf und Händen, zieht, und macht alles Nothwendige beym Spiel selbst, wie ein anderer Spieler. Man hat dabey bemerket, daß, wann jemand falsch spielet, oder seine Desseins ändern will, es die Maschine sogleich wahrnihmt, und seinen Gegner durch Zeichen corrigiret. Es haben die höchsten jungen Herrschaften beynahe alle, wie auch andere hohe Nobleße mit dieser Maschine gespielet. Der Kaiserin Maj. haben dem Herrn von Kempelen eine goldene Dose mit 1000. Ducaten zur Belohnung gegeben, und es wird dieses Kunststück, wenn selbiges genau beschrieben und gedruckt ist, in das kais. Kunst=Cabinet gebracht werden.4

Alle Akkorde sind hier bereits angeschlagen, die sich als Motive und Themen in den vielen späteren Beschreibungen über den „Türken“ finden werden. In diesem frühen Bericht besteht noch kein Zweifel darüber, dass es sich bei der Maschine nur um ein „künstliches Uhrwerk“ handeln müsse. Der Verfasser appelliert an das interessierte PuHoffmann & Campe, 1995]), Vladimir Langin (Legenda o šachmaton avtomate [St. Petersburg  : IGP ShakhForum, 1993]) und Richard Löhr (Der Schachautomat [München  : Piper, 2005]), das Opernlibretto Lutz Hüb­ners (Der Maschinist. Schauspiel in fünf Akten [Köln  : Hartmann & Stauffacher, 1999], Libretto zur Kammeroper von Hans Schanderl, Hannover 2000), das Dreh­buch von Richard Löhr (Der Schachautomat, unveröffentlichtes Manuskript, Berlin 2000) und die wissen­schafts­journalistische Dar­stellung von Tom Standage (Der Türke. Die Geschichte des ersten Schachautomaten und seiner abenteuerlichen Reise um die Welt [Frankfurt/New York  : Campus-Verlag, 2002] [englisch 2002]). Zur Rezeptionsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert vgl. Ernst Strouhal, Technische Utopien. Zu den Baukosten von Luftschlössern (Wien  : SonderzahlVerlag, 1991)  ; ders., „Eine flexible Geschichte. Kempelens Türke  : Eine Schach-Meta­phern-Maschine aus dem Spätbarock“, KARL. Das kulturelle Schachmagazin (4/2002), 14–17  ; ders. und Michael Ehn, „Menschen in Maschinen“ (I–III), Der Standard, Wien, 28. März., 3. und 10. April 1999. 4 Anonym, ohne Titel, Brünner Intelligenz-Zettel. Extra-Blatt, 24. August 1769.

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blikum, der „verborgen liegenden Kunst“ des Apparates nachzugehen und geht hellsichtig davon aus, dass dieses Geheimnis die „Einbildungskraft“ der „neubegierigen Liebhaber“ noch lange beschäftigen würde. Der Berichterstatter geht auch recht genau auf die Funktionsweise des Türken ein, der Kopf und Hände zu steuern vermochte. Kempelen hatte geschickt einige wenige typisch menschliche Bewegungen ausgewählt und mechanisch imitiert. Ein leichtes Nicken des Kopfes oder auch die Bewegung eines Arms stellten offenbar das geeignete Pars pro Toto dar, um beim Publikum jene Illusion von Lebendigkeit zu erzeugen, die nach wie vor an den Androidenfiguren fasziniert.5 Der Automat bestand aus einem mehrteiligen Holzkasten, an dessen Rück­wand eine menschengroße Puppe mit überkreuzten Beinen saß. Die Puppe trug türkische Tracht, weshalb der Aus­druck „ge­türkt“ oder „einen Türken bauen“ häufig in Zusammenhang mit Kem­pe­lens Figur gebracht wurde. Technisch gesehen, gründete der Erfolg des Kempelen’schen Schachspielers auf der gelungenen Kombination von drei Faktoren  : dem Versteck des Spielers im Kasten, der präzisen Mechanik der Lenkung des Spielarms und der Anwendung des Magnetismus bei der Informationsübertragung der Züge vom Schachbrett zu dem im Inneren verborgenen Spieler. Der Türke war eine eklektizistische Maschine, Kempelen verwendete bei sei­ner Konstruktion im einzelnen bekannte Elemente aus den Bereichen der Zauberkunst, der Geometrie und der experimentellen Physik, kombinierte sie jedoch zu einem neuen Ganzen, versah sie mit einer neuen intellek­tuellen Tätigkeit, dem Schachspiel, und bot dem Publikum auf diese Weise Gelegenheit zu schwärmerischen Interpretationen über die „Zauberkräfte der Natur“ wie über den menschlichen Geist. 6 War es tatsächlich möglich, dass eine Maschine autonom das schwierigste aller bekannten Spiele spielen konnte  ? Idiosynkrasie und Erfolg des Türken sind jedoch nicht allein aus der Ma­schinen­ technik erklärbar. Sie betreffen die Tätig­keit des Türken, das Schachspiel, und die Person seines Präsentators  : In gewisser Weise stellte sich Kempelen während der Vorführungen selber aus. Er war weder professioneller Zauberkünstler noch vazierender wissen­schaft­licher Experimentator, sondern als hoher Beamter im Stab der Kai­se­rin bekannt und als solcher angekündigt. Die Erwähnung der Ehrwürdigkeit und Bescheidenheit des Konstrukteurs, seiner Höflichkeit und galanten Manieren bildeten einen

5 Brigitte Felderer und Ernst Strouhal, „Kempelen revisited“, KARL. Das kulturelle Schachmagazin (1/2007), 55–57, vgl. auch dies., „Getürkte Technik“, Der Standard, Wien, 14. Oktober 1989 sowie Kempelen – Zwei Maschinen (Wien  : Sonderzahl-Verlag, 2004). 6 Siehe etwa neben Jean Paul und E.T.A. Hoffmann die wenig bekannte Schrift von Johann Phillipp Ostertag, Etwas über den Kempelischen Schachspieler  ; eine Gruppe filosofischer Grillen (Frankfurt/M.-Regensburg  : Hermannische Buchhandlung, 1783).

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wichtigen Topos in der frühen Rezeption des Türken im 18. Jahrhundert. 7 Der Baron erscheint dem Publikum aufgrund seines Auftretens „nichts we­ni­ger als ein Charlatan, sondern räsoniert recht angenehm über die Me­cha­nik seiner Maschinen“, wie es in Elise von Reckes Bericht von einer Vor­füh­rung in Leipzig heißt.8 Das „angenehme Räsonieren über Mechanik“, das Einhalten des Kodex hö­fi­schen Benehmens, erweist den Türken noch als zugehörig zu einer höfisch-galanten Öffent­ lichkeit des Ancien Régime, deren Interesse sich weniger an Erkenntnis als am Unterhaltungswert der Technik entzündete. Die Automaten und ihre Me­chanik blieben ein Thema, solange der Erfinder „recht angenehm“ darü­ber zu räsonieren verstand. Zur Erzeugung der Illusion einer schachspie­len­den Maschine wurden sowohl Geräusche als auch visuelle Eindrücke aller Art mobilisiert. Mehrfach wurde die Maschine während der Partie aufgezo­gen, das Rattern und Ächzen der Scheinmechanik verstärkte das Bild der autonom agierenden Puppe. Vom Maschinentheater Tendlers oder von den mechanischen Orchestern Maelzels unterschied sich der Türke, da durch sein Spiel die Trennung von Rezipient und Produzent über­wun­den wurde. Das Publikum spielte während der Schachpartie mit, der Türke agierte nicht bloß, sondern reagierte auf Aktionen aus dem Publikum. Im modernen Begriff enthielt Kempelens Türkenpräsentation daher sowohl multi­mediale als auch interaktive Elemente. Das aktive Einbeziehen des Publikums als integrativer Bestandteil oder Höhe­punkt der Inszenierung wurde im 18. Jahrhundert natürlich von Zau­ber­künst­lern verwendet, aber auch von wissenschaftlichen Schau­stellern und Quack­sal­bern.9 Die „haarsträubende“ Berührung einer durch eine Elek­tri­sier­ma­schi­ne mit kinetischer Energie aufgeladenen Dame ist ein häufig abgebil­de­tes Sujet von Technikpräsentationen im bürgerlichen Salon, die „Hei­lung“ des Patienten, das heißt  : die Tortur und öffentliche Zufügung von Schmerz, bildete die Hauptattraktion bei den Medical Shows auf Jahr­märkten. Auch den (menschlichen) Spielern, die gegen den Türken spielten, wurde Schmerz zugefügt. Sie hatten keine Chance, im Türken spielten die besten Spieler der Zeit. Die Verwendung des Schachspiels für die Tätigkeit eines Automaten erfüll­te für Kempelen, den nach Statuserhöhung und gesellschaftlichem Erfolg strebenden Kleinadligen, eine mehrfache Funktion. Zum einen nahm das Schachspiel in der ludischen Kultur der Residenzstadt Wien eine besondere Stellung ein. Glücks- und Hazardspiele bildeten zur Mitte des 18. Jahrhun­derts neben Jagd und Theater ein standesgemäßes Vergnügen des Adels. Es wurde in bürgerlichen Salons, in eigenen Spielclubs, aber 7 Z. B. Louis Dutens, Lettres sur un automate, qui joue aux échecs (Paris 1772) (Briefe vom 24. 7. 1770 und 18. 1. 1771 an den Mercure de France sowie vom 18. 1. 1771 an das Journal Encyclopédique), 156 (3.Brief ). 8 Vor hundert Jahren. Elise von Reckes Reisen durch Deutschland 1784–86. Nach dem Tagebuche ihrer Begleiterin Sophie Becker, hg. von Georg Karo (Stuttgart  : Spemann, [1884]), 60. 9 Vgl. Oliver Hochadel, Öffentliche Wissenschaft. Elektrizität in der deutschen Auf­klä­rung (Göttingen  : Wallstein, 2003) sowie Otto Krätz, Historische chemische und physikalische Versuche (Köln  : Aulis-Verlag, 1979), 35 ff.

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auch – nicht zu­letzt durch die Passion Maria Theresias – intensiv am Hof betrieben. Da es beim Glücksspiel zumeist um hohe Beträge ging, waren ruinöse Ver­luste die Folge. Vergebens hatte sich bereits Leopold I. in seiner Spillens Verbietung bemüht, „diesem so wohl unter dem Adel, als anderen ein­ge­rissenen Greuel“ durch die Androhung von schweren Strafen ein Ende zu bereiten.10 Joseph II. stand dem Hasard sehr skeptisch gegenüber, dagegen war das Schachspiel in der adligen und in der bürger­lichen Gesellschaft stets als „königliches“ Spiel valorisiert und von staat­lichen und religiösen Verboten ausgenommen. Indem das Schachspiel von seinem sozialen Status her eine Mittelstellung zwischen Spiel, Wissenschaft und Kunst einnahm und sogar von päda­go­gischem Wert schien, riskierte der Hofsekretär Kempelen mit der Wahl für die Tätigkeit seines Automaten, der ja zunächst für die Unterhaltung am Hof gedacht war, nichts. Die Wahl des Schachspiels hatte noch zwei weitere Funktionen  : Sie unter­schied den Türken von anderen Spielautomaten seiner Zeit und evozierte die alten Metaphernschichten des Schachspiels als Allegorie der Courtoisie, der Circumstatio und Affektkontrolle durch Vernunft. Während Vaucansons Ente gackerte, mit den Flügeln schlug und tierischen Stoffwechsel vortäuschte, und die Künstlerandroiden von Jaquet-Droz nur Vorgegebenes reproduzierten, hatte Kempelens Schachspieler scheinbar von der Ratio Besitz ergriffen. Anders als der zwar zur Verdauung fähige, aber sprach- und bewusstlose cartesianische Tierautomat und anders als die repro­du­zie­ren­den Künstler simulierte der Türke, indem er das Schachspiel erlernt hat­te, die Mechanik des freien menschlichen Geistes. Funktionierte sein Auto­mat tatsächlich autonom, dann wäre er die „wunderbarste über jedwede Ver­glei­chung turmhoch erhabene Erfindung der Menschheit“, wie Edgar Allan Poe 1836, allerdings lakonisch, bemerken wird.11 Ein schachspielender Mechanismus wie der Kempelens vereint die Me­ta­phern des Uhrwerks und des Schachspiels. Beides sind Modelle der Welt und Projektionsflächen für das menschliche Selbst, Modelle des Ordnungs­willens, des Gehorsams und der Herrschaft. Die Schachfiguren gehorchen dem, der die Macht hat, sie zu ziehen  ; die Uhr dem, der die Macht hat, sie aufzuziehen. Was die Uhr als materiale Maschinenmetapher zur Erklärung der Körperfunktionen leistet, leistet das Schachspiel als immaterielle Ma­schine für den menschlichen Geist. Seit ihrer Erfindung diente die Räderuhr als Welt- und Körperbild, von Comenius bis Descartes als Beweis für die Existenz Gottes und der un­sterb­­lichen Seele.12 Im me10 Wiener Stadt- und Landesarchiv, Glücksspielpatent Leopolds I. vom 12. 10. 1696. 11 Edgar Allan Poe, Maelzels Schachspieler (1836), ders., Der Rabe (Zürich  : Haffmans, 1994), 360–94, hier 365. 12 Siehe ausführlich Alex Sutter, Göttliche Maschinen. Die Automaten für Lebendiges bei Descartes, Leibniz, La Mettrie und Kant (Frankfurt/M.  : Athenäum-Verlag, 1988).

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chanischen Materialismus des 18. Jahrhunderts da­­­ge­gen – bei La Mettrie, aber vor allem bei d’Holbach – wird die Uhr­werks­metapher bereits vorzüglich dazu verwendet, um die Existenz Gottes und einer unsterblichen Seele zu verneinen. Natur, Tiere und Menschen erscheinen nun als sich selbst aufziehende Uhrwerke mit unterschiedlicher Komplexität und beschränkter Haltbarkeit. Im L’homme machine La Mettries aus dem Jahr 1747 ist der Mensch „nur ein Tier oder eine Ge­­samt­heit von Triebfedern […], die sich alle gegenseitig aufziehen, ohne daß man sa­gen könnte, an welchem Punkt des menschlichen Bereiches die Natur damit angefangen hat.“13 Ebenso heißt es im System der Natur 1770 bei d’Holbach  : Man kann das organisch ge­baute Wesen mit einer Uhr vergleichen, die sich, einmal zerbrochen, nicht mehr für den Gebrauch, für den sie bestimmt ist, eignet. Sagen, daß die Seele nach dem Tode des Körpers empfinden, denken, genießen, leiden werde, heißt behaupten, daß eine in tau­send Stücke zerbrochene Uhr weiterhin schlagen oder die Stunde anzeigen könne. Die­jenigen, die uns sagen, daß unsere Seele ungeachtet der Zerstörung des Körpers fort­dauern könne, behaupten augenscheinlich, daß sich die Modifikation eines Körpers er­ hal­ten könne, nachdem der dazugehörige Gegenstand zerstört ist  : was völlig absurd ist.14

Während die Motivgeschichte von Uhr und Schachspiel im Mittelalter und in der frühen Neuzeit parallel und unabhängig verläuft, begegnen einander Uhr und Schachspiel im Barock häufig.15 Der gelehrte Fürst Herzog August von Braunschweig-Lüneburg (1579–1666) etwa sammelte leidenschaftlich Uhren  ; ebenso liebte er das Schachspiel. Mehrfach ließ sich Herzog August am Schachbrett porträtieren. 1616 veröffentlichte er unter dem Pseudonym Gustavus Selenus das Schach- oder König-Spiel, das erste gedruckte Schachlehrbuch in deutscher Sprache.16 Das königliche Spiel war Symbol rationaler Machtausübung und politischer Klugheit, an den Uhren faszi­nierte August die Präzision ihrer Mechanik. Im 17. Jahrhundert häufen sich die Ankäufe von teuren Schachfiguren ebenso wie von automatischen Sol­da­ten­figuren. Ludwig XIV. bestellte 1664 bei Nürnberger Handwerks­mei­stern für seinen Sohn zwei mechanische Armeen, gleichzeitig standen wie bei den Söhnen Franz I. auch Schachstunden auf dem Stundenplan des Dauphin.17 Im Blick der Barockfürsten sind Uhrwerke und Schachfiguren 13 Julien Offray de La Mettrie, Der Mensch eine Maschine (1747) (Leipzig  : Reclam, 21984), 113. 14 Paul Henri Thiry d’Holbach, System der Natur oder von den Gesetzen der physischen und der moralischen Welt (1770) (Berlin  : Aufbau Verlag, 1960), 191–92. 15 Vgl. ausführlich Ernst Strouhal, „Uhrwerk und Schachspiel. Zur Motivgeschichte des Bildes einer intelligenten Maschine“, Brigitte Felderer (Hg.), Wunschmaschine – Welt­erfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert (Wien/New York  : Springer, 1996), 444–71. 16 Gustavus Selenus, Das Schach- oder König-Spiel (Leipzig  : Henning Groß d. J., 1616). 17 Philippe Ariès, Geschichte der Kindheit (München  : dtv, 101992), 130.

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kleine Automaten, die „wie aufgezogen“ funktionieren und über die voll­ständige Kontrolle möglich ist. In Kempelens mechanischem Schachspieler treffen nun die beiden Motive von Uhr und Schachspiel zusammen. Indem der Türke sinnlich erfahrbar ist, eignet er sich als dingfester Ausgangspunkt, als Fetisch für philoso­phi­sche Spekulationen über das Mensch-Maschine-Verhältnis. Zwischen der Philosophie des französischen Materialismus und den Auto­ma­ten­ bauern im 18. Jahrhundert besteht natürlich kein ostentativer Zu­sammen­hang. Weder Jacques Vaucanson, der ab 1741 Kommissär für die Lyoner Seidenmanufakturen war und Webstühle konstruierte, noch die Schwei­zer Uhrmacher Pierre und Henri-Louis Jaquet-Droz noch der Be­amte Kempelen wollten etwas gemein haben mit einem Ironiker wie La Mettrie oder einem antiklerikalen Provokateur wie d’Holbach. Die Auto­ ma­­tenbauer des 18. Jahrhunderts waren im Unterhaltungsgeschäft tätig, in einem aus heutiger Sicht nur schwer zu bestimmenden Raum zwischen Zau­berkunst, dem Verkauf kostbarer Ware und wissenschaftlichem Ex­periment. Ihre Produkte, Vaucansons „bête-machine“ ebenso wie die künstlichen Kin­der aus der Werkstatt von Jaquet-Droz oder auch Kempelens Türke, können jedoch als die Begleitmusik gesellschaftlicher Disziplinierung, als Vorspiel der neuen Arbeitswelt für das höfische und bürgerliche Publikum im Ancien Régime verstanden werden  : Wenn sogar die intellektuelle Arbeit der Schachspieler im mechanischen Experiment nachvollziehbar war, wie leicht könnte es sein, sie bei den bei Weitem ein­facheren Arbeiten im Alltag, im Staatswesen und in den Fabriken maschi­nell zu steuern und zu mechanisieren. Die neuen Techniken der Formierung und Disziplinierung des Körpers in der Arbeitswelt, ein neues zunehmend differenziertes Kontroll- und Orga­ni­sationswissen vom Menschen in der Wissenschaft und Bürokratie erzeugt eine neue „politische Ökonomie des Körpers“.18 Kempelens Türke er­scheint geradezu als Materialisierung dieser neuen Ökonomie  : Der Schach­spieler ist gelehrig, höflich in den Umgangsformen, in seinen körper­lichen wie in seinen geistigen Bewegungen vollständig kontrolliert. Seine gesamte berufliche Karriere, vor allem seine kommissarische Tätig­keit bei der Impopulation des Banats von 1765 bis 1771, weist Kempelen als loyalen, angepassten Anhänger des Kaiserhauses aus, als geschickten Exe­kutor der pragmatischen Denkund Handlungsprinzipien der theresianischen Aufklärung bei der Lenkung des „Unterthans“ und Zivilisierung des „rauhen unwissenden Volcks“.19 Als Beamter war Kempelen zur Mitte des 18. Jahrhunderts mit neuen, noch in Fluss befindlichen Strukturen konfrontiert. Ab 1748 wurde eine Welle von politischen Refor18 Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (Frankfurt/M.  : suhrkamp, 1994), 36. 19 Wolfgang von Kempelen, Grundriß Zu einer Systematischen Landes-Einrichtung des Temesvarer=Banats. Hofkammerarchiv Wien, Hs. 996, fol. 2v–95v, 20. Februar 1769, § 36.

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men ausgelöst, die in fast allen gesellschaftlichen Berei­chen das eher an Funktionalität, denn an Grundsätzlichkeit orientierte mo­der­ne Verwaltungshandeln der theresianischen Aufklärung etablierten. Im Vordergrund standen Evidenz, Einfachheit, Klarheit und Gleich­för­mig­keit. Die Charakteristik Maria Theresias von Friedrich Wilhelm von Haug­witz diente dabei als Leitbild für alle hohen Beamten wie Kempelen  : Wie Haug­ witz sollte der Beamte „ehrlich, ohne Nebenabsicht, ohne Vor­ein­genom­men­heit“ sein, einer, der „die größte Uneigennützigkeit mit uner­schütter­licher Anhänglichkeit an seinen Landesfürsten, die umfassendste Begabung mit Freude und Fleiß zur Arbeit verbindet, der das Licht nicht scheut und sich noch weniger fürchtet vor dem unrechten Hasse derjenigen, die durch ihn ihre Privatinteressen gefährdet glauben“.20 Die Bedeutung und Produktivität von Evidenz (der Information) und Kon­trolle (des Untertans), die Möglichkeiten der Steuerung, Disziplinierung und Manipulation durch die rationalen Handlungsmaximen einer moder­nen, als Maschine funktionierenden Bürokratie wurden nicht nur bei allen bürokratischen Vorhaben Kempelens sichtbar – sie entsprechen auch den Prin­­zipien der Konstruktion seines Türken. Der Staatsmaschinist Kempelen hat das Idealbild eines theresianischen Beamten, einen imaginären Doppel­ gänger geschaffen – höflich, fleißig, planvoll und furchtlos im Spiel – und sich selbst zu seinem Herrscher gemacht. Seine abgründige Ironie bestand darin, dass der Mensch aus dem Leviathan nicht vollends ver­schwunden ist. Im Jahr 1783 suchte Kempelen um einen zweijährigen, unbezahlten Urlaub an, um den Türken in Europa zu zeigen. Auf der Tournee 1783–1784, die ihn durch Deutschland, Frankreich und England führte, begegnete Kempelen einer für ihn neuen, kritischen Öffentlichkeit, in der bereits andere, weniger höfliche Diskursregeln als am Wiener Hof der 70er-Jahre galten. Die Tournee Kempelens wurde von einer Werbekampagne begleitet. Fast zeitgleich mit den ersten Auftritten Kempelens erschienen Windischs Brie­fe über den Schachspieler des Hrn. von Kempelen. Die Briefe werden noch im selben Jahr auf Französisch, 1784 auf Englisch herausgebracht und 1785 ins Niederländische übersetzt. Die wesentliche Funktion der sieben Briefe von Windisch ist propagan­­distischer Natur. Sie beschreiben zwar detailreich „die Erscheinung einer me­chanischen Figur, die mit einem denkenden beseelten Wesen das schwer­­ste al­ler Spiele spielt“21, ohne jedoch das Ge­heimnis zu verraten. Windisch positionierte den Türken im Kontext der unterhaltsamen Mathematik, die im Spätbarock als Form der populären Gelehrsamkeit einen publizistischen Hö-

20 Zitiert nach Friedrich Walter, Männer um Maria Theresia (Wien  : Holzhausen, 1951), 55. Allgemein vgl. Waltraud Heindl, Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österreich 1780 bis 1848 (Wien/Köln/Graz  : Böhlau, 1990). 21 Karl Gottlieb von Windisch, Briefe über den Schach­spieler des Hrn. von Kempelen, nebst drey Kupferstichen (Basel  : Mechel, 1783), 7.

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hepunkt erreichte. Erwähnt werden die Windisch-Briefe erstmals 1784 in Decremps mehrfach aufgelegter und überaus populärer La Magie blanche dévoilée (1784–89).22 Henri Decremps, Rechtsanwalt und später selbst Zauberkünstler, war Ex­per­te für das Aufdecken von Tricks und decouvrierte problemlos die Funktionsweise von Kempelens Schachspieler. In London stieß Kempelen auf offene Ablehnung. Windischs Briefe waren auf Englisch unter dem anspruchsvollen Titel Inanimate Reason erschienen.23 Noch im selben Jahr veröffentlichte Philip Thicknesse (1719–1792) ein Pamphlet über den automatischen Schachspieler, in dessen Inneren er ein „Kind, zehn, zwölf oder vierzehn Jahre“ vermutete, das sich im Körper der Puppe versteckt hält und die Partie durch die Brust des Türken beobachtet  : Dass ein Automat dazu gebracht werden kann, seine Hand, seinen Kopf und seine Augen in bestimmter und regelgeleiteter Weise zu bewegen, steht außer Zweifel  ; aber dass ein Automat dazu gebracht werden kann, seine Schachfiguren wie ein scharfsinniger Spieler als Antwort auf den vor­herge­gangenen Zug eines Fremden zu ziehen, der gegen ihn spielt, ist völlig unmöglich  : Deshalb ist es Betrug, wenn man von einem Auto­ma­ten spricht, und das bedarf öffentlicher Observation.24

Erstmals wird Kempelen nun „Betrug“ unterstellt, statt dass wie zu Beginn der Karriere des Türken von einer charmanten „Täuschung“ gesprochen wird. Was im höfischen Kontext noch als naturwissenschaftliche Unterhaltung akzep­tiert war – gleichgültig, wie die Technik nun „wirklich“ arbeitete –, er­schien in der bürgerlichen Gesellschaft Englands, in der die industrielle Re­volution viel weiter gediehen war, als Betrug am Publikum, das adäqua­te Leistung für sein Geld einforderte. Erstmals wird deutlich, dass die barocke Inszenierung Kempelens auf inter­natio­nalem Parkett nicht mehr so recht funktionierte. In Berlin brach der Furor der Aufklärung in Gestalt von Friedrich Nicolai (1733– 1805) über Kempelen herein. Nicolais Kritik orientierte sich vor allem an den Fragen der Nützlichkeit bzw. Schädlichkeit für die Sache der Aufklärung  : Ich bin ein Freund der Wahrheit und ein Feind des Scheins und der Vor­spiegelungen. Ich mag nicht, daß man Wunder suche, wo keine Wunder sind. Die optata praemia, welche

22 Henry Decremps, The Conjurer Unmasked [La magie blanche dévoilée, Paris 1784] (London  : T. Denton, 1785). 23 Karl Gottlieb von Windisch, Inanimate reason  ; or a circumstantial account of that astonishing piece of mechanism, M. de Kempelen’s Chess Player (London  : S. Bladon, 1784). 24 Philip Thicknesse, The Speaking figure and the Automaton Chess-Player, exposed and detected (London�������������   : J. Stockdale, 1784), 4–5.

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Herr von Kempelen in Frankreich, Eng­land und Deutschland so reichlich eingeärndtet hat, gönne ich ihm von Herzen. Meine Sorge ist nur, ne vulgus fallatur  ! Ich will nicht, daß die un­philosophische Modesucht sich allenthalben geheime Wirkungen und Wunderkräfte zu denken auch durch Täuschung der Schachmaschi­ne beför­dert werde. Ich will vielmehr durch dieß abermalige Beyspiel zeigen, daß gemeiniglich, wo wer weiß welche Wunderwerke vorgespie­gelt werden, bloß ganz gemeine Täuschung vorhanden zu seyn pflegt.25

Man merkt, es geht ums Prinzip. Nicolai besteht auf einer klaren Trennung zwischen „Täuschung und Ta­schen­­spielerey“ auf der einen Seite und einem „wirklichen mechani­ schen Werk“26 auf der anderen. Da er Kempelens Türken nicht zu letzterer Gat­tung zählt, sind die Werke des Erfinders nichtig, auch wenn er diesem das nötige „Talent“ zugesteht, eine derart „subtile Täuschung“ überhaupt her­vorzubringen. Fest steht  : Jeder vernünftige Mensch kann einsehen, es sey unmöglich, daß eine Ma­­schine durch innern Mechanismus Schach spielen, das heißt eine Hand­lung vornehmen soll wozu Vernunft und Ueberlegung erfordert wird.27

Das Lob der „charmanten Täuschung“ in Österreich in den 1770er-Jahren und die nervöse Reaktion in der deutschen Aufklärung in den 80er-Jahren zeigen einen epistemologischen Bruch an  : Das alte Konzept der Gelehrsamkeit erodierte und wurde mit dem Konzept der kritischen Wissen­schaft konfrontiert. Damit wird auch die Figur des wissenschaftlichen Schaustellers vom Typus des Wissenschaftlers abgelöst, der durch Beweise seiner Nütz­lichkeit und durch soziale Abgrenzung vom Gelehrten und Schausteller begonnen hatte, seinen neuen gesellschaftlichen Status zu festigen und seine Rolle zu definieren. Neue Codes der wissenschaftlichen Rationalität wer­den in der frühen Industriegesellschaft geschaffen, andere, ältere Dis­kursformen der polite culture, denen noch Kempelen angehörte, in ihrem Status devalorisiert.28 Kempelens barocke Inszenierung des Türken war jedoch dem älteren Codierungssystem der Gelehrsamkeit und der polite cul­ture vor einem adligen Publikum verhaftet, das es mit den Begriffen noch nicht so genau nahm und „Täuschung“ als Instrument der Wissens­ver­mitt­lung und als Lernmodell noch akzeptierte.

25 Friedrich Nicolai, Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz, im Jahre 1781. Nebst Bemerkungen über Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten, Bd. 6, Zweytes Buch (Berlin/Stettin  : Selbstverlag, 1785), 435. 26 Ibid., 423. 27 Ibid., 420. 28 Vgl. Hochadel, „Öffentliche Wissenschaft“  ; Michel Vovelle (Hg.), Der Mensch der Aufklärung (Frankfurt/ New York  : Campuc-Verlag, 1996)  ; Hans Erich Bödeker, Peter Hanns Reill und Jürgen Schlumbohm (Hg.), Wissen­schaft als kulturelle Praxis, 1750–1900 (Göttingen  : Vandenhoeck & Ruprecht, 1999).

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Erfolg und Misserfolg seiner Präsentation zeigen deshalb die Ungleich­zei­tig­­keiten der Aufklärung in Europa an. Die „Dame Vernunft“, die „Tochter der Zeit“, die in Vol­ taires 1768 erschienener Erzählung Der Mann mit den vierzig Talern durch Europa reist, war im rückschrittlichen Österreich noch nicht angekommen.29 Kempelen starb am 26. März 1804 in Wien. 1806 ließ Carl von Kempelen, sein Sohn, den Türken einige Male „zum Vortheil armer Fami­li­en“30 auf­treten, etwas später wurde der Schachspieler vom „Kunst­ma­schi­nisten“ Nepomuk Maelzel erworben und in seine Automaten­show inte­griert. Ab 1819 geht Maelzel auf eine ähnliche Tournee wie Kempelen fast 40 Jahre zuvor  ; der Türke spielt in Paris, in englischen Städten und in Amsterdam und ab 1826 an der Ostküste der USA. 1854 wird der Türke bei einem Brand zerstört. Die Zahl der Berichte wird in diesem Zeitraum nicht geringer, im Gegen­teil  : Wo immer Maelzel mit dem Schachspieler auftrat, erschienen nach wie vor Ankündigungen, Berichte und Versuche, dem Rätsel seiner Funk­tions­weise auf die Spur zu kommen. Das Urteil ist jedoch milde geworden. Bereits im fünften, 1793 erschienenen Band von Johann Samuel Halles viel gelesener Fortgesetzter Magie heißt es versöhnlich  : […] ohngeachtet des verborgenen Menschen im Schachspieler, ohngeach­tet des Zeisigs im Kopfe des Flötenspielers, bleiben solche und anderer derglei­chen Automaten immer ein bewundernswerthes Meisterstück des mensch­lichen Erfindungsgeistes, und der Mechanismus, welcher darin­nen herrscht, macht sie immer zu kostbaren Monumenten des menschli­chen Kunstfleißes.31

Auch der junge Robert Willis, Assistent von Charles Babbage, lässt es in sei­ner kritischen Schrift An Attempt to analyse the Automaton Chess Player, of Mr. de Kem­pelen aus dem Jahre 1821 nicht an Lob für den Erfinder fehlen. Die Referenz an Kempelen liest sich bereits wie die freund­liche Erinnerung an ein Vergangenes, das seinen Stachel verloren hat  : Bei der Durchführung dieser Analyse hatte der Autor nicht den leisesten Wunsch oder die Absicht, die wahren Verdienste von Herrn von Kem­pelen herabsetzen oder schmälern zu wollen  : Diese Verdienste wurden längst durch die öffentliche Anerkennung gewürdigt  ; tatsächlich, einer braucht mehr als nur normale Fähigkeiten und Einfallsreichtum, der eine

29 Voltaire, Der Mann mit den vierzig Talern, ders., Sämtliche Romane und Erzäh­lungen (Frankfurt/M.  : InselVerlag, 1977), 527–96, hier 588–89. 30 Anon., „Ankündigung des C. v. Kempelen“, Wiener Zeitung 13 (1806), 12. Februar 1806. 31 Johann Samuel Halle, Fortgesetzte Magie, oder, die Zauberkräfte der Natur, so auf den Nutzen und die Belustigung angewandt worden [Berlin 1783 ff.], Bd. 5 (Wien  : Trattner, 1793), 338.

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Maschine (gleich durch welche Art und Weise) planen und kon­struieren kann, die – mehr als jede andere Maschinen dieser Art – die Freunde der Menschen niemals enttäuscht, indem sie fortwährend jene geistige Täuschung unter­stützt, welche der römische Dichter so glück­haft „Mentis gratissimus error“ bezeichnet hat.32

In gewissem Sinn bildet das Urteil von Johann Heinrich von Poppe den Ab­schluss der Diskussion über den Schachautomaten zumindest in Deutsch­­land. Poppe gehörte zu den bedeutendsten Mathematikern und Physikern Deutsch­lands, begründete 1816 in Frankfurt die Gesellschaft zur Be­för­derung nützlicher Künste und lehrte ab 1818 als Professor für Technologie in Tübingen. Sein Wunder der Mechanik, oder Beschreibung der berühm­ten Tendlerschen Figuren, der Vaucansonschen, Kempe­len­schen, Droz­schen, Maillardetschen und anderer merkwürdiger Automaten von 1824 enthält Erinnerungen an die bekanntesten Vergnügungsautomaten des 18. Jahr­hun­derts, die der Wissenschaftler nicht verachtete, sondern als „bewun­derungs­würdige mechanische Kunstwerke“ zu einer Einführung nicht mehr in die „Kunst“, sondern in die „Wissenschaft“ der Mechanik nützte  : Die Mechanik ist jetzt auf eine Höhe gestiegen, welche man früher für un­erreichbar gehalten haben würde. Mit Recht bewundern wir so große Fort­schritte, besonders im praktischen Theile dieser Wissenschaft, und staunen viele Werke der Bewegungskunst an, welche durch Genie und Fleiß des Menschen zum Vorschein gekommen sind.33

Kein Zweifel besteht im Fall des Türken, „daß hier ein verborgener leben­diger Mensch das Spiel regieren und durch Maschinerien auf die spielende Figur hinwirken mußte“.34 Das Kapitel über Kempelens Türken beschließt Poppe bereits in der Vergangenheitsform  : Auf jeden Fall verdiente dieses Kunstwerk die hohe Bewunderung, wel­che ihm zu Theil wurde. Welche Genauigkeit zur Ausführung des Werks und welche Aufmerksamkeit und Uebung zu dem Spiel selbst gehörte, wird Jeder leicht einsehen.35

32 Robert Willis, An attempt to analyze the automaton chess player of Mr. de Kempelen (London  : J. Booth, 1821), 30. 33 Johann Heinrich Moritz von Poppe, Wunder der Mechanik, oder Beschreibung und Erklärung der berühmten Tendlerschen Figuren, der Vaucansonschen, Kem­pelen­schen, Drozschen, Maillardschen und anderer merkwürdiger Automaten und ähnlicher bewunderungswürdiger mechanischer Kunstwerke. Mit zehn Kup­fertafeln (Tübingen  : Osiander, 1824), 1 34 Ibid., 14. 35 Ibid., 19.

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Die Erregung über den „Fall Kempelen“ hatte sich gelegt, technische Ra­tio­­nalität, wissenschaftliche Forschung und ihre neuen Sprachformen hat­ten sich so weit institutionalisiert, dass sie nicht mehr unter Legitimationszwang standen. Maschinenwebstuhl, Dampfeisenbahn und der moderne, nach dem Vorbild der Maschine funktionierende Ver­wal­tungs­staat beherrschten den Alltag der Menschen in Europa, 1837 erstellte Charles Babbage erste Entwürfe zu einer „Analytischen Ma­schi­ne“, die bereits der Architektur der Turing­’schen Universalmaschine, des Computers präludierte. Parallel zum Prozess der Statuserhöhung des Wissenschaftlers, in dessen Sog Kempelens Türke geraten war, hatte sich in der bürgerlichen Gesell­schaft durch die Trennung von Arbeits- und Freizeit eine neue institutio­na­lisierte Freizeitkultur entwickelt, die in der ersten Hälfte des 19. Jahr­hun­derts zu einer rasch expandierenden Industrie wurde. Das Auseinandertreten der Institutionen Wissenschaft und Unterhaltung mit je eigenen Gesetzen der Produktion, Distribution und Konsumtion und der Niedergang der polite culture veränderte auch die Rolle und Funktion der wissenschaftlichen Schausteller und der Automatenbauer. Sie mussten sich entscheiden, für Zwischenstellungen jener Art, wie sie Kempelens Türke einnahm, blieb kein Raum. Zu langsam und seriös für die neue Welt der Unterhaltung, zu verspielt, um als wissenschaftlich zu gelten, kurz  : zu schön, um jemals wahr gewesen zu sein.

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MUSIK ALS EXPERIMENT  ? Zu Haydns Stücken „für das Laufwerk“

Ich nehme den Schluss vorweg  : Haydn sieht sich einer besonderen Herausforderung gegenübergestellt und nimmt sie an. Und nicht nur das, er lotet ihre Möglichkeiten aus, ermittelt ihre Grenzen und spielt die Varianten hinsichtlich musikalischer Textur, Nutzung des Tonvorrats, Charakteristik und rhythmischer Gestaltung durch. Den Urheber der Aufgabenstellung, den Ansprechpartner samt Experimentierlabor, hat Haydn buchstäblich im Haus  : P. Primitivus Niemecz. Niemecz steht als Hofkaplan und Bibliothekar in Diensten des Fürsten Esterházy, ist selbst Musiker und genießt auch Unterricht bei Haydn. Darüber hinaus zeichnet sich der Pater durch ein besonderes Talent auf dem Gebiet der Mechanik aus, er beschäftigt sich mit der Konstruktion von Musikautomaten, und zwar von Flötenwerken. Das mag insofern gar nicht so sehr verwundern, als gegen 1790 die Mode der Flötenuhren langsam auf Österreich, speziell auf Wien, übergreift, während sie in Berlin und Norddeutschland fast schon wieder im Abklingen war. Dazu kommt sicher später noch, dass Graf Deym mit seinem 1789 eröffneten Kunstkabinett, in dem er auch Musikautomaten präsentierte, die Neugier und das Interesse des Publikums für derartige Attraktionen weckte. Niemecz fand für sein ungewöhnliches Betätigungsfeld in dem ebenfalls in Esterházy’schen Diensten stehenden Bibliotheksdiener Josef Gurk1 einen Gehilfen, und Haydn schrieb – großteils – die Musik für seine Automaten. Von P. Primitivus Niemecz sind zwei signierte und datierte Flötenwerke erhalten  : • Das Flötenwerk von 17922 mit 17 Tönen/Pfeifen ist das einzige, das noch in seiner ursprünglichen Kommodenuhr eingebaut ist. Auf der Walze finden sich zwölf Stücke  : Hob. XIX  : 7–10, 17–24.

1 „Gurk Joseph, Landschaftszeichner, in Diensten Seiner Durchlaucht des Fürsten Nicolaus von Esterházy. Zu Penzing Nr. 173 im eigenen Hause.“ Eintragung im Verzeichnis der in und um Wien lebenden (bildenden) Künstler und Diletanten. Mit Angabe ihrer Wohnorte, hg. von Franz Heinrich Böckh (Wien  : B. P. Bauer, 1821), 16. 2 Privatbesitz, Deutschland.

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• Das Flötenwerk von 17933 mit 29 Tönen/Pfeifen spielt ebenfalls zwölf Stücke, und zwar Hob. XIX  : 11–16, 25–30. Zwei weitere sehr ähnlich gebaute, aber nicht signierte Instrumente stammen wahrscheinlich ebenfalls von Niemecz, könnten aber auch von seinem Gehilfen Josef Gurk angefertigt worden sein  : • Die „Teubner“-Uhr4 (den Namen hat sie von ihrem langjährigen Vorbesitzer) mit 25 Tönen/Pfeifen ist wahrscheinlich mit 1796 zu datieren. Sie trägt 16 Stücke auf der Walze  : Hob. XIX  : 1–16. • Die sogenannte „vierte“ Uhr mit 17 Tönen,5 die 1998 ans Licht kam, entstand nach 1792. Auf ihrer Walze befinden sich zwölf Stücke, Hob. XIX  : 8–10, 17–19, der Mittelteil aus dem Grenadiermarsch von Beethoven WoO 29 sowie fünf weitere, nicht zuordenbare Kompositionen. Die Kenntnis von einer weiteren Niemecz-Uhr beziehen wir aus dem Titel zu einer Abschrift von Hob. XIX  : 16  : „Acht Laufwerk Sonaten komponirt von Herrn Kapellmeister Joseph Haydn, und in die Waltze gestekt von Primitiv Niemecz Bibliothekar zu Esterhaz 1789 im December“6. Die Uhr ist verschollen, bei dem musikalischen Programm dieser Uhr wird es sich sehr wahrscheinlich um XIX  : 11–16, 31 gehandelt haben, das achte Stück ist verloren oder noch nicht identifiziert.7 Schließlich ist noch eine Flötenuhr von Johann Joseph Wiest zu nennen.8 Ihr musikalisches Repertoire umfasst acht Stücke und besteht neben einer Reminiszenz an Mozarts Andante KV 616 aus den Flötenuhrstücken von Haydn Hob. XIX  : 11–16, 31. Diese Flötenuhr zeigt, dass Haydns Kompositionen den engen Rahmen der HaydnNiemecz’schen Zusammenarbeit auch verlassen haben. Eine Analyse der Stücke zeigt jedoch, dass die Besteckung der Walze an Präzision und Treue der Überlieferung in nichts den Niemecz-Uhren nachsteht.9 Es sieht aus, als hätte Wiest auf seiner Uhr das Programm der Niemecz-Uhr von 1789 übernommen. Damit kommt der Wiest-Uhr nicht nur der besondere Vorzug zu, Hob. XIX  : 31 als einzige auf der Walze zu über3 Nationaal Museum van Speelklok tot Pierement, Utrecht. 4 Kunsthistorisches Museum Wien, Sammlung alter Musikinstrumente. 5 Privatbesitz, Schweiz. Siehe dazu Matthias Naeschke, „Eine neu entdeckte Flötenuhr von Niemecz mit Werken von Joseph Haydn“, Das mechanische Musikinstrument XXIX/88 (Dezember 2003), 10–18. 6 Sonja Gerlach, „Stücke für das Laufwerk (Flötenuhrstücke)“, Joseph Haydn Werke Bd. XXI (München  : Henle, 1984), 56, Quelle 8b. 7 Ibid., x. 8 Wien Museum, Uhrenmuseum. Standort “Mozarthaus”, Domgasse. 9 Helmut Kowar, „Wie aus einer ,Mozart-Uhr‘ eine ,Haydn-Uhr‘ wurde“, Haydn-Studien IX (2006), 235–47.

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liefern, sondern auch insgesamt die möglicherweise „erste“ Niemecz-Uhr mit HaydnWerken zu „repräsentieren“. Von allen den genannten Stücken sind auf Haydn nur 17 Kompositionen sicher zurückführbar, die als Autograph oder in einer Abschrift durch Haydns Kopisten Elßler vorliegen bzw. im Falle von XIX  : 24 durch eine Abschrift eines unbekannten Urhebers auf der Rückseite von XIX  : 9.10 Diese als echt anerkannten Flötenuhrstücke sind auf den genannten Flötenuhren folgendermaßen verteilt  : 1792  : 9, 10, 17, 18, 24 1793  : 11,12, 13, 14, 15, 16, 27, 28, 29, 30 4. Uhr  : 9, 10, 17, 18 Teubner  : 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16 Wiest  : 11, 12, 13, 14, 15, 16, 31

Nur auf diese Stücke beziehen sich die folgenden Betrachtungen. Der tonale Aspekt ist einerseits durch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Töne und andererseits durch eine beinahe unbeschränkte Möglichkeit ihrer Kombination definiert. Dieser Bereich ist von verschiedenen Autoren bereits hinlänglich kommentiert worden.11 Hier interessiert nur der zeitliche Aspekt. Ich möchte ihn in vier Kapiteln beleuchten  : 1. Zeitverständnis, 2. Tempo, 3. die limitierte Zeit, 4. die Unterteilung der Zeit.

Zeitverständnis Die Stücke für das Laufwerk sind Musikstücke für eine und in einer Ausnahmesituation, sowohl was ihre Funktion, technisch wie perzeptiv gesehen, als auch ihr akustisches Umfeld anlangt. Die Spielwerke sind Teil einer Uhr – die Uhr von 1792 und die Wiest-Uhr zeigen noch die ursprüngliche Konzeption – und sollten die Anzeige der Stunden anstelle eines Glockenschlags oder zusätzlich zu ihm mit dem Abspielen eines Musikstückes besonders auszieren. Das Spielwerk wurde daher in der Regel von der Uhr ausgelöst und verfügt auch über eine automatische Fortschaltung, damit zu jeder Stunde ein anderes Musikstück erklingt. Man baute daher auch gerne Uhren, die zwölf Stücke auf der Walze haben, außerdem ist bei vielen Uhren ein manuelles Weiterschalten oder Auswählen der Stücke gar nicht möglich. 10 Gerlach, „Stücke für das Laufwerk“, x. 11 Ernst Fritz Schmid, „Joseph Haydn und die Flötenuhr“, Zeitschrift für Musikwissenschaft XIV (1932), 193– 221  ; Gerlach, „Stücke für das Laufwerk“, i–xii.

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Das Spielwerk musste entsprechend klein ausfallen, um in die gängige Form der Kommodenuhren hineinzupassen, d.h., die Musikstücke konnten nur sehr kurz sein. Diese Miniaturisierungsbestrebungen haben sehr geringe Winddrücke und Kräfte, kleinste Dimensionen der Bauteile und sehr kurze Wege der Mechanik zur Folge, womit eine hohe Präzision des Spielens möglich wird. Das Spielwerk, das in einem Uhrgehäuse eingeschlossen ist, hat nur ein sehr dezentes und beschränktes Klangvolumen, wollte man die Musik also wirklich verstehen, musste man sich ihr aufmerksam zuwenden. Diese Kommodenuhren waren Teil der Einrichtung eines Salons, eines intimeren Teil des Wohnbereiches, wo kein störender Nachhall das Hören auch schnellerer Passagen beeinträchtigen würde. Diese Flötenuhren lieferten von ihrer Bautechnik und von ihrem akustischen Umfeld her also ideale Voraussetzungen, um einen faszinierenden Aspekt der Musik auszuspielen  : Geschwindigkeit. Brillanz und hohes Tempo haben eine verblüffende Wirkung und obendrein machen sie die Stücke für wiederholtes Hören interessant. Oftmaliges Hören schafft einerseits einen Gewöhnungseffekt für die außerordentliche Hörsituation, andererseits eine zunehmende Vertrautheit mit den Stücken. Das schärft beim Zuhörer die Aufmerksamkeit, erlaubt ihm, die Aufmerksamkeit zu lenken und neue Details in der Musik zu erkennen. Daher kann der Komponist oder der Walzensetzer in so kurze Stücke so viel an Material und Information hineinpacken. Eine derart hohe musikalische Dichte an rhythmischen Gestaltungen und an Details in der Artikulation erschließt sich aber dann eben erst mit der Zeit. Die Dauer der einzelnen Stücke erhält dadurch eine andere Dimension. Sie wird zur variablen Größe, sie ist eigentlich nicht mit der Spieldauer von 30 oder 40 Sekunden begrenzt, sondern auf eine längere Rezeptionsperiode hin zu rechnen. Damit wird auch der Stellenwert des absoluten Tempos relativiert. Das Verständnis ist nicht mehr primär vom Vortragstempo, sondern vom Lernfortschritt des Hörers abhängig.

Tempo Freilich stellt sich die Frage nach einem „richtigen“ Tempo, mit dem die Stücke auf den Flötenuhren abgespielt werden. Hier sind zwei Prämissen ausschlaggebend. Zunächst ist zu konstatieren, dass – wie eingangs erwähnt – man die Situation der Musik auf diesen Flötenuhren eigentlich nicht mit den üblichen Formen der Darbietung von Musik wird vergleichen können. Damit verbietet sich schon einmal von selbst, Tempovorstellungen aus Oper und Konzert auf die Ausführung der Flötenwerke zu übertragen oder vice versa Tempovorgaben dieser besonderen Instrumente als verbindlich für andere Musikaufführungen zu übernehmen. Zweitens ist zu betonen, dass mit Haydns Stücken für das Laufwerk spezielle Kompositionen für ein Musikinstrument besonderer Art und Verwendung vorliegen. Es sind

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eben keine Arrangements schon bekannter Musikstücke, die begreiflicherweise in der Tempowahl ihrer ursprünglichen Aufführung zumindest nahe kommen sollten. Die Flötenuhren mit Haydns Musik sind also nicht gleichzusetzen mit Automaten, die Arrangements wiedergeben und wo das Tempo auf den jeweiligen Charakter der Stücke eingestellt werden soll, wie durch entsprechende Hinweise auf den Walzen vermerkt ist.12 Hier wird der doppelte Charakter von Automaten einerseits als Ausführungsins­ trument spezieller Musik, andererseits als Wiedergabegerät deutlich. Kann man also das Flötenuhr-spezifische Tempo ermitteln  ? Alle Flötenuhren verfügen über einen Windfang, der für einen gleichmäßigen Ablauf sorgt. Mit den stufenlos verstellbaren Windflügeln ist es möglich, die Abspielgeschwindigkeit in einem gewissen Ausmaß zu regulieren.13 Die untere Grenze ist erreicht, wenn längere Töne ausbleiben, weil die Windversorgung erschöpft wird. Ein zu langsames Tempo ist auch daran erkennbar, dass die Triller, Praller, Mordente und Doppelschläge langsam werden, speziell wenn in Trillern die Einzeltöne gut hörbar werden. Auch dürfen in diesen Figuren keine Unregelmäßigkeiten zu hören sein, da hier keine Inegalité der Töne vorliegt (diese kommt in diesen Figuren nicht zur Anwendung), sondern die Ungenauigkeit der Stiftsetzung bemerkbar wird.14 Das Gleiche gilt für schnelle Passagen und Läufe, die keine geordnete Inegalité, sondern Unregelmäßigkeiten aufweisen. Auch der nicht gleichzeitige Einsatz von Akkordtönen – ein wirkliches Arpeggio ist eindeutig strukturiert – macht infolge eines zu langsamen Tempos die Ungenauigkeit der Stiftsetzung erkennbar. Das Werk spielt hingegen zu schnell, wenn kurze Töne gar nicht mehr ansprechen. Da auch bei hohem Tempo eine Flötenuhr alle Töne präzise spielt, muss man hier mit dem eigenen Lernprozess arbeiten und kann erst nach oftmaligen Hören bestimmen, ab welcher Geschwindigkeit Passagen, Figurationen, Artikulationen und Phrasierungen unkenntlich werden und auf ein überhöhtes Tempo hinweisen. Obwohl man also eine individuelle Einstellung für jedes Stück vornehmen könnte, sprechen schon rein praktische Gründe dagegen. Hieße es doch, zum Zwecke der Veränderung des Tempos die Uhr von der Wand rücken und umdrehen zu müssen, 12 Zahlreiche Flötenwerke sind für eine präzise Reproduktion des Tempos mit skalierten Einstellmöglichkeiten des Windflügels und entsprechenden Angaben auf den Walzen eingerichtet. Das Einstellen der passenden Geschwindigkeit wird auch in der Besprechung von Strassers „mechanischem Orchester“ von 1801 angemerkt (Allgemeine musikalische Zeitung, Juli 1801, Sp.736–39). 13 Die Verstellbarkeit der Windflügel und die genannte Anweisung zum Einstellen der passenden Geschwindigkeit bei Strassers „mechanischem Orchester“ 1801 ist für Gerlach ausschlaggebend  : „die Frage nach einem absoluten Originaltempo ist damit hinfällig“ („Stücke für das Laufwerk“, 62), eine Aussage, die für die Niemecz’schen Flötenuhren nicht übernommen werden kann. 14 Zur hohen Geschwindigkeit der Triller und der Anwendung der Inegalité siehe Hans Peter Schmitz, Die Tontechnik des Père Engramelle (Kassel/Basel  : Bärenreiter, 1953), 13 f., 16. Vgl. auch Karl Bormann, Orgel- und Spieluhrenbau. Aufzeichnungen des Orgel- und Musikwerkmachers Ignaz Bruder aus Waldkirch von 1829 und die Entwicklung der Walzenorgel (Veröffentlichung der Gesellschaft der Orgelfreunde 34), (Zürich  : Sanssouci, 1968), 247.

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die Rückwand abzumontieren und die Einstellung der Windflügel, die im Uhrgehäuse obendrein nicht leicht zugänglich sind, zu verändern. Da diese aber stufenlos verstellbar sind, ist das Justieren eine Sache des Gefühls und ein neues Tempo müsste mit einigen Versuchen erst wieder festgestellt werden. Diese aufwendige Prozedur für jedes Stück vorzunehmen war sicher nicht geplant. Das „richtige“ Tempo liegt in dem schmalen Bereich, wo die langsamsten Stücke noch gut klingen und die Töne nicht ausbleiben, und die schnellsten Passagen noch erkennbar sind. Die Oberflächengeschwindigkeit der Walze ist also für alle Stücke gleich. Unausweichlich erscheinen uns etliche Stücke als zu schnell.

Die limitierte Zeit Dem Komponisten steht die Zeitspanne einer Walzenumdrehung zur Verfügung, das sind im Falle der Niemecz-Uhren und der Wiest-Uhr etwa 40 bis 50 Sekunden. Davon sind mindestens 2 bis 3 Sekunden noch abzuziehen, die das Werk Zeit braucht, um in Gang zu kommen, d.h. seine Laufgeschwindigkeit zu erreichen und den Magazinbalg mit Luft zu füllen, erst dann kann die Musik beginnen  ; alle Stücke auf den Flötenuhren sind endbündig gesetzt. Offensichtlich versuchte Haydn mit seinen originalen Kompositionen den zeitlichen Rahmen zu treffen. Die Wiest-Uhr als Repräsentation der verschollenen Uhr von 1789 anzusehen würde insofern auch Sinn machen, als man eine Entwicklung hin zu einer bestmöglichen Ausnutzung des verfügbaren Zeitrahmens im Vergleich der verschiedenen Uhren erkennen kann. Das Presto XIX  : 31 geriet viel zu kurz und Haydn stückelte am Anfang noch 8 Takte an. Diese verlängerte Fassung ist mit 28,9 sec noch immer das weitaus kürzeste Stück auf der Wiest-Uhr. Hob. XIX  : 13 ist scheinbar zu lang und wird um 8 Takte gekürzt (die Wiederholung des Themas zu Beginn fällt weg), bei XIX  : 15 werden 4 Takte (nach Takt 25) übersprungen. Die anderen Stücke finden sich in der Originalgestalt auf der Walze. Damit ist das Repertoire auf der Wiest-Uhr mit Stücken von 28,9 bis 48,3 sec Dauer das uneinheitlichste von allen Uhren. Dass die Stücke vielleicht doch für eine Uhr komponiert oder zumindest bewusst zusammengestellt wurden (Gerlach nimmt das als sehr wahrscheinlich für die Niemecz-Uhr von 1793 an)15, erscheint plausibel angesichts folgender Gegebenheiten  : Die Stücke auf der Wiest-Uhr (respektive der Uhr von 1789) finden sich auf der Niemecz15 Sonja Gerlach, „Haydn’s Works for Musical Clock (Flötenuhr)  : Problems of Authenticity, Grouping and Chronology“, Haydn Studies. Proceedings of the International Haydn Conference, Washington D.C. 1975, hg. von Jens Peter Larsen et al. (New York  : W. W. Norton, 1981), 129.

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Uhr von 1793 wieder und erscheinen nun in der Originalgestalt ohne Kürzungen, das viel zu kurze Presto Hob. XIX  : 31 wird einfach weggelassen. Haydn schreibt zusätzlich einige Stücke XIX  : 27–30. Diese fallen jedoch alle zu lang aus, jedenfalls kürzt sie Niemecz auf der Walze etwas ein. Damit sind alle Stücke auf der Uhr von 1793 etwa gleich lang, genaue Messungen kann ich nicht vorlegen, da für die Tonaufnahmen die Laufgeschwindigkeit für die einzelnen Stücke verändert wurde.16 Für die Anpassung der richtigen Länge arbeitet Haydn auch mit Wiederholungsteilen, die nach Bedarf eingesetzt werden können  : Das Menuett XIX  : 9 und das Presto XIX  : 18 werden auf der Uhr von 1792 mit allen Wiederholungen gespielt. Das Presto XIX  : 24 hat Niemecz um 5 Takte verlängert. So zeigen die Stücke dieser Uhr mit 31,5 sec bis 34 sec eine sehr einheitliche Dauer. Auf der sogenannten 4. Niemecz-Uhr, die vier Stücke von der 1792er-Uhr übernimmt, sind die Stücke mit 29,9 bis 31,7 sec Länge daher ebenfalls sehr einheitlich. Und das Programm der undatierten Teubner-Uhr sieht gerade so aus, als hätte der Walzenstecher die zeitlich passenden Stücke aus den beiden anderen Uhrenrepertoires zusammengestellt.17 16 Haydn Herboren. 12 originele opnamen uit 1793 (Utrecht  : Nationaal Museum van Speelklok tot Pierement, 2004), mit CD. Für die Tonaufnahmen des Spielwerks, das mit einem Duplikat des originalen Zylinders wieder spielbar gemacht wurde, wurden wechselnde Laufgeschwindigkeiten und generell sehr langsame Tempi gewählt. Die Stücke dauern zwischen 54,9 und 69 sec. Aus den Aufnahmen auf der CD ist eine Umlaufzeit der Walze nicht zu entnehmen. Bei einer Aufnahme des Werks mit der originalen Walze (1997, Phonogrammarchiv Wien B 40832–40842) konnte eine Umlaufzeit von 49,5–52,2 sec bei fast vollständig aufgezogener Feder ermittelt werden. Da die Federkraft schnell nachließ, spielten die meisten Stücke sehr langsam, nur XIX  : 11 und 29 erreichten bei voller Federkraft Spieldauern von 46,7 respektive 45,3 sec. Alle ermittelten Werte dieser Uhr sind daher für vergleichende Studien nicht aussagekräftig. 17 Die Zusammengehörigkeit der Stücke aufgrund des Tonvorrats hat Gerlach herausgearbeitet und auch durch die Papierbeschaffenheit der Quellen gestützt (Gerlach, „Stücke für das Laufwerk“, x). Aufgrund der nun um zwei weitere Uhren erweiterten Quellenlage erscheint es reizvoll, eine Chronologie der Kompositionen unter dem Aspekt der Bemühungen Haydns – mit Niemecz’ Hilfe – um eine bestmögliche Anpassung der Stücke an den verfügbaren Zeitrahmen zu versuchen. Haydn hat ja ganz offensichtlich Fortschritte in dieser Hinsicht gemacht. So würde das Programm der 23-tönigen Wiest-Uhr dem der Niemecz-Uhr von 1789 entsprechen, offen bleibt weiterhin, welches Stück das achte war. Darüber kann man nun umso mehr rätseln, da ja auf der Wiest-Uhr mit dem Anklang an Mozarts KV 616 auch nur eine Art Lückenbüßer eingesetzt erscheint. Durchaus plausibel ist, dass diese Stücke unter Fortlassung der viel zu kurz geratenen Nr. 31 auf der 29-tönigen Uhr von 1793 wieder verwendet und um einige weitere ergänzt wurden (schließlich war die Uhr ein Geschenk an den Fürsten Esterházy, und Haydn hat sich vielleicht besondere Mühe gegeben). Davon unabhängig entstand ein zweites Repertoire für die wesentlich kleinere 17-tönige Uhr von 1792. Es dürfte logisch sein, dass für die ebenfalls 17-tönige vierte Uhr vier der fünf Stücke übernommen wurden (aber warum nur vier  ?). Ganz aus der Reihe fällt die 25-tönige „Teubner-Uhr“ mit 16 Stücken. Sie scheint die späteste der Uhren zu sein und bringt an originalen Kompositionen nichts Neues. Sie übernimmt bis auf Nr. 31 das Programm von 1789 und zwei Stücke aus dem 1792er-Repertoire. Diesen Beobachtungen wäre noch eine Untersuchung der Verteilung der nicht als echt anerkannten Stücke anzuschließen, was den Rahmen dieser Fußnote aber übersteigen würde.

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Die Unterteilung der Zeit Ein Blick in den Notentext der fast zeitgleich entstandenen Kompositionen für mechanische Orgelwerke von Mozart, Adagio und Allegro KV 594 von 1790, Fantasie KV 608 und Andante KV 616, beide aus dem Jahr 1791, macht den Unterschied deutlich  : Mozart legt Werke vor, Haydn Studien. Das äußert sich nicht nur in den zeitlichen Umfängen der Kompositionen. In den Details der zeitlichen Ordnung, in der rhythmischen Gestaltung, ist klar zu erkennen  : Mozart probiert nichts aus, Haydn hingegen scheint Versuche anzustellen. In Hob. XIX  : 17 streut er in die durchlaufende Sechzehntelbewegung 10er-, 12erund 13er-Gruppen ein, Niemecz nimmt die Anregung offensichtlich auf und notiert Varianten mit 9er-, 11er- und 13er-Passagen (Takt 22–27).

Die ganze Komposition wirkt wie eine Etüde, wie ein Maschinenstück, das mit diesen ungewöhnlichen Ausritten die Mühelosigkeit außergewöhnlicher rhythmischer Unterteilungsmöglichkeiten demonstriert und damit dem musikalischen Verlauf einen unerwarteten Effekt verleiht. Auch die 10er-Gruppe in Takt 30 von Hob. XIX  : 24 könnte man ebenfalls als eine derartige Anreicherung verstehen. Solche Passagen finden sich immer wieder. In XIX  : 11, Takt 8, wird auf dem zweiten Schlag ein Lauf mit 14 Werten gespielt, in XIX : 12, zweite Hälfte von Takt 7, eine 10er-Gruppe, und in Takt 9 kommt es zu einer Aneinanderreihung von Septole und Novemole. In XIX  : 14, Takt 27, erstreckt sich ein Lauf mit 10 Werten über zwei Viertel und in Takt 30 steht eine 10er-Gruppe auf der dritten Viertel. Hob. XIX  : 27 trumpft mit einer 15er-Gruppe

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und einer 17er-Gruppe

über jeweils einen halben Takt (drei Achtel) auf (Takte 30 und 33). Einen zeitlichen Aspekt kann man auch in den reichlich verwendeten Arpeggios entdecken. Von den eigentlichen Arpeggios zu unterscheiden – und von Haydn auch anders notiert – sind die sehr ausgedehnten und vieltönigen Vorschläge, die auf einen Melodieton hinzielen (in XIX  : 10 erster Takt und an allen entsprechenden Stellen). In den Stücken XIX  : 17, 11, 12, 15, 16, 27, 28, 30 und 32 schreibt Haydn arpeggierte Akkorde vor – ich beziehe mich nur auf die von Haydn notierten Arpeggios, nicht auf die auf den Spieluhren gesetzten Versionen. Vorausschicken muss man, dass sämtliche Akkorde in den Flötenuhrstücken immer sehr kurz, staccato, gespielt werden. Auch die Arpeggios werden „sehr kurz und schnell (,trocken‘) ausgeführt“18. Zu bemerken ist, dass bei den vielstimmigen, meist 7bis 10-stimmigen Akkorden beim gleichzeitigen Spiel aller Töne diese Vielstimmigkeit nicht zur Geltung kommt, das Arpeggio aber den Akkord zeitlich auffächert und seine Einzeltöne hörbar macht. Die Arpeggios bringen also eine qualitative Veränderung aufgrund einer zeitlichen Ausdehnung der Akkorde, ohne diese dem Eindruck nach länger zu machen, die Eigenschaft der Kürze bleibt erhalten. Musikalisch untergeordnete Arpeggios verwendet Haydn nur einmal als Begleitfigur zu durchlaufenden Sechzehnteln in der Oberstimme (XIX  : 32 Takt 41–44). In allen anderen Fällen stehen arpeggierte Akkorde immer in prominenter, fast isolierter Stellung  : auf Schlussakkorden (XIX  : 17, 11, 27, 28, 30), z.B. am Schluss von Nr. 28  :

18 Gerlach, „Stücke für das Laufwerk“, 66.

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auf den Akkordfolgen von Kadenzen sowohl innerhalb wie auch ganz am Ende der Stücke (XIX  : 15, 16, 31), z.B. Nr. 15, Takt 7  :

in thematisch relevanter Funktion zu Beginn und innerhalb eines Stückes (XIX  : 11, 12, 27), z.B. am Beginn von Nr. 11  :

Eine auf seiner zeitlichen Komponente basierende klangfärbende Entwicklungsfähigkeit des Arpeggios demonstriert Haydn in drei Beispielen. Die arpeggierten Akkorde in XIX  : 27 innerhalb und zu Ende des Themas (Takt 6, 7, 13) und zum Schluss (Takt 34, 35) enthalten eine große Septime bzw. den Leitton, ebenso der Schlussakkord von XIX  : 16. Haydn erwägt eine solche Schärfung auch für XIX  : 31, Takt 25  ; in seiner Variante mit nicht arpeggiertem Akkord fehlt der Septimenton natürlich. Füge ich die Beobachtungen der obigen Kapitel zusammen, dann kann man neben eher konventionellen Kompositionen, z.B. XIX  : 18, 9, 24, 13, einige regelrecht „experimentelle“ Stücke erkennen, wie etwa XIX  : 17, 11, 12, 27. In einigen kombiniert Haydn die oben genannten Verfahren. Hier ist der Automat in besonderem Maße Mittel und Ausdrucksform der Musik, seine Möglichkeiten der zeitlichen Organisation von Tonfolgen sind eine kalkuliert eingesetzte Qualität der Komposition. Die Eintragungen von Varianten im Autograph, ob nun von Haydns eigener Hand oder von Niemecz, dokumentieren eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Komponisten und dem Walzenstecher bzw. Automatenfachmann. Dieser Umstand und der besondere

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Charakter vieler Stücke deuten auch darauf hin, dass es Haydn und Niemecz im Wesentlichen um die Machbarkeit von spezieller Musik ging und ihnen die Vernünftigkeit oder Plausibilität der Tempi weit weniger ein Anliegen gewesen sein dürfte. Allein schon das Niederschreiben von Musik nimmt ja einen bestimmenden Einfluss auf jede „weitere Auffassung des Gehörten“, wie schon Hornbostel 1909 bezüglich der Technik der Transkription von Musik ausführt.19 Wie stark muss also das Hörerlebnis und das Zeitverständnis erst bei dem Komponisten dieser Stücke präformiert und relativiert worden sein, der den gesamten musikalischen Ablauf mit allen Details eigentlich nicht zu hören brauchte, weil er ihn ja im Kopf hatte. Und auch Niemecz hatte wohl einen sehr speziellen Begriff von der Musik, die er da auf die Walzen steckte, er hatte ja die Töne und damit ihre Zeitdauern im wahrsten Sinne des Wortes einzeln in der Hand. 19 Otto Abraham und Erich M. v. Hornbostel, „Vorschläge für die Transkription exotischer Melodien“, Erich Moritz von Hornbostel, Tonart und Ethos. Aufsätze zur Musikethnologie und Musikpsychologie, hg. von Christian Kaden und Erich Stockmann (Leipzig  : Reclam, 1986), 112–50, hier 136 (Erstveröffentlichung in Sammelbände der internationalen Musikgesellschaft 11 [1909], 1–25).

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Originale Walze des Niemecz-Flötenwerkes von 1793 (Speelklok Museum, Utrecht)

Haydns Beurteilung des Zeitablaufs ist eine andere als die des unvoreingenommenen Hörers. Das Experiment stellt Haydn also nicht nur mit der Musik in dem Automaten an, sondern letztlich mit uns und unserer Perzeption.

ZYKLUS UND PROZESS. HAYDN UND DIE ZEIT Internationale Tagung 19. bis 21. Januar 2009 Wiener Konzerthaus

Veranstalter  : Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften Wien Internationale Musikforschungsgesellschaft Konzept und Organisation  : Marie-Agnes Dittrich, Martin Eybl, Reinhard Kapp (Institut für Analyse, Theorie und Geschichte der Musik, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien) Tagungsort  : Schönbergsaal, Konzerthaus, Lothringerstraße 20, 1030 Wien Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung, der Burgenländischen Landesregierung, der Niederösterreichischen Landesregierung, der Stadt Wien, des Vereins WeltStadtWien, des Rektorats der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften Wien und des Konzerthauses Wien.

Montag, 19. 1. 2009 1. UMBRÜCHE Chair  : Helmut Lethen 09.30 Martin Eybl (Wien), Einführung 10.00 Gerhard Dohrn-van Rossum (Chemnitz), Zeitmessung – Zeiterfahrung – Beschleunigungen 11.30 Regula Rapp (Basel), Der Fächer. Musikhistorische Lesung eines kulturgeschichtlichen Dokuments

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2. ZEITORDNUNGEN Chair  : Birgit Lodes 15.00 Reinhard Kapp (Wien), Haydns persönliche Zeiterfahrung 15.45 Elaine Sismann (New York), Here Comes the Sun  : Haydn’s Diurnal Cosmology and the Poetics of Solar Time 17.00 Rainer Schwob (Wien), Die Tag-Nacht-Metaphorik  : Ideengeschichtlicher Kontext, analytische Überlegungen

FESTAKT Akademie der Wissenschaften, Alte Aula 19.00 Vortrag Herbert Lachmayer HAYDN Genius & MusikMarkt. Künstlerische Produktivitätsstrategien und gesellschaftliche Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert Haydn Sinfonietta unter Manfred Huss Joseph Haydn, Divertimento a otto voci „Baryton-Oktett“ in D-dur Hob. X  :2 (1775) Joseph Haydn, Divertimento in C-dur Hob. II  :17 (1766)

Dienstag, 20. 1. 2009 3. ZEITKONZEPTIONEN Chair  : Gottfried Scholz 09.30 Richard Heinrich (Wien), Lost in Time – Zeit und Orientierung bei Kant und Hölderlin 10.15 Mark Evan Bonds (Chapel Hill), Time and Space  : Changing Concepts of Musical Form in the Age of Haydn 11.30 Roger Grant (Philadelphia PA), Situating Time in Haydn’s Die Schöpfung 4. DIE UHR Chair  : Rudolf Flotzinger 15.00 Ernst Strouhal (Wien), Eins sein mit allem, was tickt. Bewegungskontrolle, Disziplin und ästhetische Leistung in der Kultur der Bürgerlichkeit

Zyklus und Prozess. Haydn und die Zeit

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15.45 Helmut Kowar (Wien), Musik als Experiment  ? Zu Haydns Stücken „für das Laufwerk“ 17.00 Sarah Day-O’Connell (Galesburg IL), „Maidens Fair Take Warning“  : Singing about Time in Haydn’s English Canzonettas

Mittwoch, 21. 1. 2009 5. ERZÄHLWEISEN Chair  : Manfred Angerer 09.30 Ulrich Fuß (Hamburg), Syntax der Parenthesen – Zur „Kunst der Abschweifung“ in Haydns Streichquartetten und Symphonien 10.15 Christine Siegert (Köln), Zur Vergegenwärtigung von Vergangenem in Joseph Haydns Opern 11.30 Federico Celestini (Graz), Joseph Haydn und die Gestaltung des Augenblicks

6. ENTWICKLUNGEN Chair  : Marie-Agnes Dittrich 15.00 Markus Neuwirth (Leuven), Zwischen „Zyklus“ und „Prozeß“  : Die temporalen Implikationen syntaktischer Hauptthemen-Typen in den Expositionen der frühen Symphonien Joseph Haydns 15.45 Markus Rathey (New Haven), Haydns Entdeckung der Langsamkeit  : Zyklizität und Zeitstrukturen in den Sieben letzten Worten 17.00 Karol Berger (Palo Alto), Time’s Cycle and Time’s Arrow in Music

ABSTRACTS DER VORTRÄGE in chronologischer Reihenfolge

Gerhard Dohrn-van Rossum Zeitmessung – Zeiterfahrung – Beschleunigungen Der Beginn des neuen Jahrhunderts markiert eine Zeitenwende in mehrfacher Hinsicht. Präzise Zeitmesser waren für die Bürger erschwinglich geworden  ; Berechnungen nach Minuten und Sekunden werden alltäglich und Pünktlichkeit zu einer Bürgertugend. Tempo, Takt und Geschwindigkeit wie die dazugehörigen Geräte (Chronometer, Metronome, Stopp- und Kontrolluhren) werden zu aufregenden Themen. Technische Fortschritte, aber auch die politischen Umwälzungen der nachrevolutionären Zeit werden als ein alle Lebensbereiche umfassender Prozess unendlicher Beschleunigung in eine offene Zukunft erfahren, und diese Erfahrungen schlagen sich in der Rede von „dem Fortschritt“ und „der Geschichte“ als historisch wirksame Mächte nieder. Das „Veloziferische“ der eigenen Gegenwart ruft Gegenströmungen hervor, die um 1800 als Langsamkeit und heute als Entschleunigung zum Thema werden.

Regula Rapp Der Fächer. Musikhistorische Lesung eines kulturgeschichtlichen ­Dokuments Das close reading eines Fächers aus den 1770er-Jahren, auf dem eine Landkarte des Schlosses und der Gartenanlagen von Esterháza abgebildet ist, führt zu einer Zusammenschau von Gesellschaft, Politik und Festkultur an jenem bedeutenden Fürstenhof der Zeit, an dem Joseph Haydn in unterschiedlichen Funktionen eine Rolle spielte. Das Medium – so meine These – zeigt ein System im Umbruch, während Haydns kompositorischer Fortschritt eher als zivilisatorische Verfeinerung denn als revolutionäre Neuerung verstanden werden kann.

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Reinhard Kapp Haydns persönliche Zeiterfahrung Wenn es um das Verhältnis von Komponisten zur Zeit, um ihre Vorstellung und ihr Konzept von Zeit gehen soll, sieht man sich zum einen an Erlebnisse, Beobachtungen und Reaktionsweisen der Person verwiesen, wie sie den üblichen biografischen Quellen (Briefe, Tagebücher, Erinnerungsliteratur) zu entnehmen sind, sodann auf den individuellen Umgang mit dem Faktor Zeit in der Musik (Tempo, Bewegungsweise, rhythmische Besonderheiten, Formvorstellung, -disposition und -entwicklung), sei es dass subjektive Erfahrung darin Eingang gefunden hat und bewusste Stellungnahme dazu gestaltet wurde, sei es, dass darin gleichsam objektive (politische, soziale, kulturelle) Verhältnisse ihren ästhetischen Niederschlag gefunden haben. Um beides nachzuweisen, bedarf es eines gewissen methodischen Aufwands.

Elaine Sisman Here Comes the Sun  : Haydn’s Diurnal Cosmology and the Poetics of Solar Time Haydn’s titled triology of concertante symphonies from 1761 have been prodded and poked seemingly from every angle  : princely suggestion, wise strategy for revealing talented personnel, their relatively few descriptive musico-poetic details, with striking similarities especially to treatments of the rising sun as well as ligthning in Die Schöpfung and Die Jahreszeiten, and finally their operatic referents, either generic, as in the use of recitative of Le midi’s slow movement, or specific, as in Haydn’s borrowing from a Gluck aria in the first movement of Le soir. David Wyn Jones has even stated, because of Haydn’s greater attraction to “abstract musical argument,” and “notwithstanding their pictorial attractiveness” that “is easy to exaggerate the significance of these three symphonies.” I argue that, to the contrary, these symphonies have not been taken seriously enough, and that their celebrated details have paradoxically obscured Haydn’s sophisticated approach to time and space at an early stage in his career. This paper’s new assessment takes as its starting point the diurnal movement and position of the sun. Haydn’s different versions of the rising-sun motif (adducing also C. P. E. Bach’s setting of Klopstock’s Morgengesang am Schöpfungsfest) are unprecedented conflations of time and space, considering the relationship between changes of dynamics, registers, and textures, on the one hand, and antique and modern styles, on the other. Animating these conflations is the image of the sun itself, an eighteenth-century commonplace asserting worldly power, mythological cosmology (as in contemporary ceiling paintings by Haydn’s older contemporary Franz Anton Maulbertsch), planetary

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motion, and philosophical enlightenment. Remarkably, connections have never been drawn between Le midi and the actual period of the day when the sun is directly overhead, when the power of the sun is most manifest (commentators note only the grand slow introduction), when the “demon of noon-tide” (ennui or melancholy) is likely to strike, when historico-cultural referents to stasis (nature falling silent) abound. In particular, the “untimed” character of recitative should be returned to its central place in the depiction of mid-day, while the time-related self-absorption of the slow movements of its sister works create a larger rhythm across the cycle. These connections can then be returned, with interest, to the oratorios, as we add Haydn’s poetics of solar time across his career to the terrestrial dynamic of pastoral mode.

Rainer J. Schwob Die Tag-Nacht-Metaphorik  : ideengeschichtlicher Kontext, analytische ­Überlegungen Die Unterscheidung von prozessualer und zyklischer Zeit korreliert in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts mit der Licht-Dunkel-Metaphorik. Der aufgeklärte Mensch sah Zeit und Geschichte nicht nur als prozessual, sondern als teleologische Entwicklung an, indem er an eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Menschheit zu einer höheren Perfektion glaubte  ; als wichtiges Symbol dafür steht das Licht, die Erleuchtung, während die Nacht jenen Teil der Menschheit umfasst, der in steter Wiederholung alter Irrtümer verharrt. Das hervorragendste Beispiel für diese Metapher ist zweifellos Schikaneders und Mozarts „Zauberflöte“. Anders als in Handbüchern und Lexika üblicherweise angegeben, denen zufolge ein Nachtstück (Notturno, Nocturne) im 18. Jahrhundert bloß zur nächtlichen Unterhaltung diente und erst im 19. Jahrhundert die Nacht zum Inhalt bekam, wird vereinzelt schon im 18. Jahrhundert die Forderung gestellt, dass es „den innern Charakter“ erfüllt, der „mit der schauerlichen melancholischen Stille der Nacht etwas ähnliches haben“ muss (so eine anonyme Rezension von Werken Franz Anton Hoffmeisters in Bosslers Musikalischer Korrespondenz 1791, Sp. 275). In Mozarts Kleiner Nachtmusik trifft dies zumindest für den langsamen Satz (Romance) durchaus zu  ; Haydns Notturni mit Orgelleiern und andere mit Nacht semantisierte Stücke sind auf diese Erwartung zu prüfen. Ein besonderes Beispiel für eine Nacht-Tag-Metapher ist die Einleitung zu Haydns Schöpfung, bei der der Kontrast von Dunkelheit zu Licht in einen aufgeklärt-religiösen Kontext gesetzt wird. Hier wird zunächst das in Dunkelheit verharrende Chaos durch ein „Nicht-vorwärts-Kommen“ und kreisende Figuren dargestellt, woraus erst das Wort Gottes durch die Erschaffung des Lichts den Weg in die Schöpfung weist.

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In diesem Beitrag sollen Informationen zum geistesgeschichtlichen Kontext mit musikalisch-analytischen Überlegungen kombiniert werden. Richard Heinrich Lost in Time – Zeit und Orientierung bei Kant und Hölderlin Die subjektive Auffassung der Zeit bei Kant (innerer Sinn) wird auf einen komplexen Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit dem Begriff des Raumes (und damit auch die Theorien von Newton und Leibniz) zurück bezogen  ; in der Problematik des Orientierungsbegriffes bleibt für Kant dieser Zusammenhang auch in seiner späteren Philosophie erhalten. Demgegenüber setzt Hölderlins Konzeption des Verhältnisses von Gedächtnis und Sprache schon eine veränderte Einstellung zu Begriffen wie Natur, Geschichte und Gesetz voraus – die freilich ebenso wenig mit frühen romantischen Ideen wie mit der Aufklärung völlig zur Deckung gebracht werden kann. Als einem gleichsam ‚analytischen‘ Verbindungsglied zwischen den beiden Modellen wird versucht, dem Thema von Natur und symbolischer Darstellung Profil zu geben.

Mark Evan Bonds Time and Space  : Changing Concepts of Musical Form in the Age of Haydn Musical form can be conceived and perceived temporally, as a diachronic succession of events, or spatially, as a synchronic design that attends to the relationship between a whole and its parts. These two modes are mutually interdependent yet very different, and they manifested themselves in fundamentally different ways that reflect contrasting notions about the relationship between time and space in the eighteenth and early nineteenth centuries. Throughout Haydn’s lifetime, form was conceived primarily as a temporal phenomenon, as the unfolding of a musical idea or ideas through time. This helps explain the relative dearth of accounts of even such widely used structural patterns as sonata form or rondo. The spatial concept of form, by contrast, asserted itself only tentatively and gradually during this era. This is due less to musical considerations than to perceived (or unperceived) relationships between time and space. Tellingly, the earliest chronological timelines – graphic representations of time through space in a linear direction – did not appear until the 1750s and 60s (Barbeu-Dubourg, Priestley) and were greeted initially with skepticism. The idea of mapping time onto space was by no means selfevident, either as a general principle or as a means of conceptualizing form.

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This presentation will trace the emerging concept of spatial form in a world dominated by temporal perceptions by examining the deeper premises of space-time relationships in some of the best known compositional treatises of the era, beginning with Mattheson (1732), extending through the compositional treatises of Riepel, Koch, and Momigny, and culminating in the “Grande coupe binaire” (1826) put forward by Anton Reicha, a personal friend of Haydn.

Roger Grant Situating Time in Haydn’s Die Schöpfung Haydn’s Die Schöpfung, premiered in 1798, stands precariously poised at a rupture in the history of temporal conceptualizations. During the period of the work’s first performances, the popular imagination of time was in flux. A shift in the metaphysical construction of time articulated by Newton’s Principia and qualified in the Leibniz–Clarke correspondence had already begun to take shape in the early eighteenth century. Technological factors such as the development and eventual ubiquity of the mechanical clock contributed to a shift in the public conception and negotiation of time. In addition, theories of meter in the late eighteenth century, beginning with those of J. P. Kirnberger and J. G. Sulzer, began to account for musical time and accentuation differently, responding to contemporary changes in temporal ideology and technology. Haydn’s Die Schöpfung points to its precarious position on the edge of this divide in several ways. The depiction of God’s creation of the world in the libretto, dependant alternatively on Milton’s Paradise Lost, the book of Genesis, and Thompson’s The Seasons shuttles between different theories concerning the creation of time as they were explored and debated during the period. Haydn’s negotiation of musical meter and form also belies his position between two modes of temporal conception. The proposed paper, then, will seek to engage how changing temporal ideologies, technologies, and theories may have come to bear on the performance and reception of Die Schöpfung.

Ernst Strouhal Eins sein mit allem, was tickt. Bewegungskontrolle, Disziplin und ästhetische Leistung in der Kultur der Bürgerlichkeit Im Herbst 1781 trafen Großfürst Paul, der erstgeborene Sohn von Katharina der Großen, und dessen Gemahlin Maria Feodorowa inkognito als Graf und Gräfin von Nord zu einem fünfwöchigen Besuch in Wien ein. Das Ceremonialprotokoll verweist auf

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Besuche der Kasernen am Heumarkt und des Hetzhauses, zugleich standen Musikstunden mit Josef Haydn und die Besichtigungen von Spielautomaten auf dem Programm. Einem schönen Wort von Herbert Heckmann zufolge sind die Automaten von den „Turmuhren heruntergestiegen“. Uhren wie Spiel- und Musikautomaten beruhen auf dem Prinzip der Zerlegung des Bewegungs- und Zeitflusses in diskrete Einheiten, der dadurch steuerbar und verwaltbar wird. Dieser Gedanke findet sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den unterschiedlichsten Diskursen  : In der Philosophie des mechanischen Materialismus (La Mettrie, d’Holbach), in der Kameralistik (Haugwitz), in den Artefakten der Automatenbauer und Uhrmacher (Jaquet-Droz, Knaus, Kempelen) und in der Literatur (Jean Paul). In Umkehrung des Hölderlin’schen „Eins sein mit allem was lebt“ wird der disziplinierte, gleichförmig tickende, stets leistungsbereite Automat zum Vorbild für die noch ungezogene Mensch-Maschine. In meinem Beitrag möchte ich fragen, in welcher Beziehung diese neue politische Ökonomie des Körpers zur Ästhetik steht und welche Aufgabe diese in der Kultur der Bürgerlichkeit erhält.

Helmut Kowar Musik als Experiment  ? Zu Haydns Stücken „für das Laufwerk“ Wo war Haydn so unausweichlich dem Diktat eines vorgegebenen Zeitrahmens unterworfen  ? Und wo waren Tempi nicht an Spielbarkeit gebunden und der rhythmischen Gestaltung so gut wie keine Grenzen gesetzt  ? Neben der Berücksichtigung eines begrenzten Tonvorrates spielt sich zwischen diesen beiden Polen Haydns Erfindungsgabe in den Flötenuhrstücken ab, und vor diesem Hintergrund gilt es, die Aussage dieser Werke auszuloten. Das heißt, dass zunächst die im Instrument bzw. Automaten fixierten Spielmöglichkeiten definiert werden müssen. Und dann stellt sich die Frage, wie Haydn mit diesen Limitierungen einerseits und Freiheiten andererseits umgeht. Aus dieser Situation sind daher manche Parameter der Flötenuhrkomposition und ihre besonderen Anforderungen an den Hörer zu erklären. Bei aller Verschiedenheit und Spezialität der Stücke sind zusätzlich Charakteristika zu bemerken, die weitreichendere Gültigkeit haben und auf die allgemeine Musizierpraxis hinweisen. Dank der auf uns gekommenen historischen Flötenwerke befindet man sich in einer einzigartigen Lage, die es erlaubt, diese Aspekte an den Automaten und damit am klingenden Original selbst zu untersuchen.

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Sarah Day-O’Connell “Maidens Fair Take Warning  :” Singing about Time in Haydn’s English ­Canzonettas “In a commercial country,” Samuel Johnson observed, “time is precious.” It was this association between time and value that gave rise to the corollary concept of “spare time.” What, then, was the significance of spare time spent singing  ? Haydn’s two sets of English Canzonettas (1794–95), and canzonettas by his contemporaries in London, provide a rich case through which to explore this question, for they are both products of the newly pervasive grip of time characteristic of this period, and expressions of uneasiness about that power. The persona adopted by the lady singing a canzonetta sees time in terms of seasons and the human life cycle  ; she cannot (or will not) understand abstract notions of time, nor consider the organization of time as externally rather than internally derived. In this context of nostalgia for “old” time, women appear to have the power to rewrite time, to resist its perpetual forward motion, and to defy the incessant demand for originality characteristic of the industrial age. And yet, given that seasons and cycles were losing their relevance and indeed coming to be seen as an obstacle to society’s modern flourishing, the visual, literary, and popular scientific culture that surrounded the canzonetta depicted seasons and cycles with diminished allegorical force or even as indicative of humanity’s fallen state. Absent its wholesome associations, then, the cyclic time of the canzonetta paradoxically cloaked trivialization and deprecation underneath its nostalgic, even celebratory, surface. The lady’s sung alliance with time, when time itself had already taken on features of commodification, made canzonettas a performance of her reification as a consumable object, a product of fleeting and ephemeral value.

Hans-Ulrich Fuß Syntax der Parenthesen – Zur „Kunst der Abschweifung“ in Haydns ­Streichquartetten und Symphonien Im Kapitel 201 aus Tristram Shandy (oder im 40. Kapitel des Sechsten Buches) zeichnete Laurence Sterne in fünf ziemlich komplizierten Linien nach, welche verschlungenen Verläufe die ersten fünf Bücher des Romans durchziehen. Abschweifungen, Umwege, Unterbrechungen durch die „gewöhnlichen ein- und ausspringenden Vorfälle des Lebens“ kennzeichnen das Werk. Als Begründer der Tradition des exzentrischen Schreibens hatte Laurence Sterne (1713–68) durch die Veröffentlichung seiner beiden Romane Tristram Shandy (1759–67) und Sentimental Journey (1768) in ganz Europa bis zum Ende des 19. Jahrhunderts großen Ruhm erlangt. Seine Romane veränderten die zeitgenössische

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„sensibilité“ des Ratio-betonten 18. Jahrhunderts grundlegend. Auffallend ist in formaler Hinsicht „seine eigenwillige literarische Technik – das nicht kontinuierliche Erzählen, die zahlreichen Abschweifungen, das kunstvolle Verzögern des Erzählflusses […]“ (Jens, Laurence Sterne 1991). Besonders die Exzentrizitäten auf der Mikroebene – Unterbrechungen mitten im Satz, Parenthesen, reflexive Kommentare – fanden ihre Entsprechung bei C. Ph. E. Bach und anderen komponierenden Zeitgenossen, und eben auch bei Haydn. Störung der kontinuierlich fortschreitenden Ereignisfolge durch gleichsam beiseite gesprochene, neben der Spur liegende, den Zusammenhang aufbrechende Gedanken, plötzliches Wiederaufgreifen eines fallen gelassenen Verknüpfungsfadens, mehr oder minder abrupte Einschübe – all diese Erscheinungsformen sind besonders in einigen Werken der „Sturm-und-Drang“-Periode Haydns auffällig (z.B. im ersten Satz des g-Moll-Quartetts op. 20,3), durchziehen aber mehr oder weniger offen das gesamte Werk (bis hin zum Menuett aus der letzten Londoner Symphonie). Der Vortrag soll dies anhand von Beispielen der Instrumentalmusik aus verschiedenen Gattungen aufzeigen und gleichzeitig eine Abgrenzung von ähnlichen Phänomenen bei C. Ph. E. Bach vornehmen.

Christine Siegert Zur Vergegenwärtigung von Vergangenem in Joseph Haydns Opern Momente, in denen Vergangenes erinnert wird, sind aus dem üblichen Zeitverlauf der Oper herausgehoben. Nicht selten werden sie deshalb nicht nur textlich, sondern auch musikalisch und szenisch hervorgehoben. Dies soll am Beispiel von zwei Opern Joseph Haydns verdeutlicht werden  : L’isola disabitata (1779) und La fedeltà premiata (1780). In beiden Opern vergegenständlichen die sich verlassen glaubende Protagonistin und der sich verlassen wähnende Protagonist ihre unglückliche Liebe und den daraus resultierenden Schmerz, indem sie sie in Stein meißeln bzw. in einen Baum ritzen. Sie sollen nach ihrem Freitod für die Nachwelt sichtbar bleiben. Selbstverständlich treffen in beiden Opern die Geliebten auf diese Dokumente und lesen sie. Sie vergegenwärtigen sich die Situation der Unglücklichen und gehen den Inschriften entsprechend davon aus, dass sie für deren Tod verantwortlich wären. Haydn hebt diese Momente auch musikalisch hervor  : durch die Verwendung von Erinnerungsmotiven bzw. musikalischen Reminiszenzen. So setzt er die Vergegenwärtigung der Situation unmittelbar in musikalische Strukturen um und etabliert gleichzeitig dem Ablauf der Handlung enthobene Zeitschichten, in denen Vergangenheit und Gegenwart zusammenfallen. In dem Referat werden die beiden Szenenkomplexe analysiert, einander gegenübergestellt und in den Kontext vergleichbarer Szenen in der zeitgenössischen italienischen Oper eingeordnet.

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Federico Celestini Joseph Haydn und die Gestaltung des Augenblicks Unter den Stellen aus Haydns spätem Vokalwerk, die James Webster der Kategorie „sublime climaxes“ zugeordnet hat, sind mindestens vier hervorzuheben, die eine Art der Selbstüberschreitung zu exemplifizieren vermögen. Es handelt sich um Kulminationsmomente, bei denen sich der Jubel zum Enthusiasmus steigert, und zwar derart, dass das übliche kompositorische Verfahren – der Etymologie des Sublimen gemäß –, sämtliche Parameter an die äußerste Grenze zu treiben, selbst überboten wird. Es sind Stellen aus beiden Oratorien, unter denen die berühmteste die bereits von Giuseppe Carpani mit dem Enthusiasmus in Zusammenhang gebrachte Klimax im Chor mit Soli Nr. 13 „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ ist, der den ersten Teil der Schöpfung abschließt. Um die formale Beständigkeit von Musik gegen Kants Vorwurf des Transitorischen zu verteidigen, setzt Carl Dahlhaus Kant entgegen, „daß jeder musikalische Augenblick Reproduktion des Vergangenen und Voraussicht auf das Folgende in sich schließt“. Dahlhaus weist somit auf eine Bewusstseinszeit hin, die sowohl durch die Wendung ins Subjektive als auch durch die kompositorischen Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Medium der Musik vorstellbar wurde. Was nun aber in Haydns ekstatischem Augenblick geschieht, ist das genaue Gegenteil einer solchen Linearität. Denn er ist weder Reproduktion des Vergangenen noch Vorausblick auf das Folgende, sondern plötzlicher Einbruch einer anderen Zeitlichkeit. Der enthusiastische Augenblick bedeutet daher eine „Aufhebung des Zeitbewusstseins als Erfahrung von Kontinuität“ (Karl Heinz Bohrer). Der Beitrag zielt darauf, die in Haydns angesprochenen Stellen enthaltene Ästhetik des Augenblicks durch den kulturhistorischen und systematischen Vergleich mit Positionen aus dem philosophischen und musikästhetischen Diskurs darzustellen.

Markus Neuwirth Zwischen „Zyklus“ und „Prozeß“  : Die temporalen Implikationen ­syntaktischer Hauptthemen-Typen in den Expositionen der frühen Symphonien Joseph Haydns Die Hauptthemen der Symphonie-Expositionen, die Joseph Haydn ab ca. 1780 komponiert hat, können zumeist problemlos mit den Begriffen „Periode“ und „Satz“ (Ratz 1951), oder als Hybridform dieser beiden Kategorien (Caplin 1998) beschrieben werden. Dabei weisen beide Formkonzepte idealtypisch klare temporale Implikationen auf  : Sowohl „Sätze“ als auch „Perioden“ verwirklichen auf unterschiedliche Weise das Merkmal der Zielgerichtetheit und orientieren den Hörer über die je aktuelle Position im formalen Prozess.

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Demgegenüber bereiten die Hauptthemen der frühen Symphonien der 1760er- und frühen 70er-Jahre aufgrund des Mangels der mit den Begriffen „Satz“ und „Periode“ verbundenen Eigenschaften große Probleme, die zu pejorativen Beurteilungen in der Literatur geführt haben (z.B. Rosen 1971). Versucht man eine positive Charakterisierung, so wären insbesondere folgende Merkmale zu nennen  : 1. „Interne Repetitionen kleingliedriger Einheiten“ – Loops, d.h. lokale Zyklen, die die Direktionalität der Zeit infrage zu stellen scheinen und einem Hörer die zeitliche Orientierung im formalen Verlauf erschweren  ; 2. „Reihung kadenzieller Abschlüsse ohne zunehmende Differenzierung der Abschluss-Stärke“  ; 3. „gänzliches Fehlen genuin kadenzieller Abschlüsse“ – alles Merkmale, die eine Hierarchisierung und form-funktionale Differenzierung von Taktgruppen verhindern. Das Ziel des Vortrags besteht darin, die spezifischen Eigenarten der Hauptthemen in den frühen Symphonien Haydns – im Vergleich mit den späteren „klassischen“ SyntaxTypen – und deren temporale Implikationen im Spannungsfeld der heuristischen Begriffe „Zyklus“ und „Prozess“ sowie deren Auswirkungen auf Prozesse der temporalen Orientierung und Erwartungsausbildung eines hypothetischen Hörers an ausgewählten Beispielen exemplarisch herauszuarbeiten. Markus Rathey Haydns Entdeckung der Langsamkeit  : Zyklizität und Zeitstrukturen in den Sieben letzten Worten So unzweifelhaft es ist, dass es sich bei Joseph Haydns Streichquartett Die sieben letzten Worte am Kreuz um einen Zyklus handelt, so problematisch ist es, die Zyklizität aus der musikalischen Substanz des Werkes selbst heraus zu begründen. Theodor Göllner machte in seiner umfangreichen Studie zu dem Werk etwa geltend, dass den Sätzen eine kohärente zyklische Bindung auf musikalischer Ebene weitgehend fehle und dass die Einzelsätze primär durch das zugrunde liegende Narrativ zusammengehalten würden. Einige motivische Anklänge zwischen den Sätzen seien zwar auszumachen, jedoch verdichten sich diese zu keiner strengen zyklischen Formung. Eine solche Interpretation übersieht jedoch, dass Haydn (jenseits motivischer Ähnlichkeiten) verschiedene Parameter benutzt, um das Werk zu einer zyklischen Einheit zu verknüpfen. Zentral sind dabei die Tonartenwahl in den Einzelsätzen (einschließlich der semantischen Bedeutung der jeweiligen Tonart im 18. Jahrhundert), die sich im Zyklus zu einer planvollen Abfolge verdichten, sowie vor allem die Zeitstrukturen (Tempo, Takt, Länge). Die Sieben Worte eignen sich überdies gerade durch ihr langsames Tempo (und das daraus resultierende scheinbare Stillstehen der Zeit) zu einer Studie über die temporalen Strukturen im Schaffen Haydns.

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Karol Berger Time’s Cycle and Time’s Arrow in Music The paper summarizes the central claims of my recent book, Bach’s Cycle, Mozart’s Arrow. The first claim is that in the later eighteenth century European art music began to take the flow of time from the past to the future seriously. Until then, music was simply “in time,” it “took time,” its successive events had to be somehow arranged one after another, but the distinction between past and future, between “earlier” and “later,” did not much matter to the way it was experienced and understood. From now on, music also made the experience of linear time, of time’s arrow, into its essential subject matter. It could no longer be experienced with understanding, unless one became aware of the temporal ordering of the events. The second claim is that this change in the shape of musical time was not a development internal to music alone, but rather an aspect of a larger transformation in the way educated Europeans began to imagine and think about time with the onset of modernity  : just as the new experience and image of historical time as linear rather than cyclical emerged, musicians too dropped the predominantly cyclical model of time in favor of a predominantly linear one. Definitive of modernity are narratives of secular universal history, whether conceived in liberal terms of progressive continuity, or in egalitarian terms of revolutionary breakthrough. Once the transcendent divine has been brought down to earth and made immanent in the historical march of mankind toward a utopian future, those composers who were at all interested in such themes, found ready means to capture them in their musical narratives.

REGISTER namen Abington, William 173 Abrams, Meyer Howard 169 Addison, Joseph 91 Adlgasser, Cajetan Sinfonia in B 257f. Adorno, Theodor W. 86, 136 Albrechtsberger, Johann Georg 40 Alembert, Jean le Rond d’ 9, 100 Allegri, Gregorio Miserere 119f. Anonymus 48, 192 Aristoteles 22, 99 Artaria Verlag 117 Asturias, Prinz von 192 Athenodoros 87 Auden, Wystan Hugh 15 August, Herzog von Braunschweig-Lüneburg (Gustavus Selenus) 284 Auhagen, Wolfgang 125f. Babbage, Charles 289, 291 Bach, Carl Philipp Emanuel 46, 68, 140, 234, 310, 316 Bach, Johann Sebastian 13, 127 Actus tragicus 22 Das Wohltemperierte Klavier 16 Matthäuspassion 24, 93 Messe in h 41, 54 Bachtin, Michail M. 58 Baillot, Pierre 26 Bandur, Markus 13, 198, 234 Barbeu-Dubourg, Jacques 312 Barth, Karl 136 Baudelaire, Charles 92 Bayle, Pierre 69 Beethoven, Ludwig van 34, 37, 43, 48f., 53, 212, 235, 240 Die Geschöpfe des Prometheus 48 Fidelio 94

Grenadiermarsch WoO 29 294 Klavierkonzert Nr. 2 48 Klaviersonate op. 31/3 242 Missa solemnis 48 Sinfonie Nr. 2 94 Sinfonie Nr. 4 67 Streichquartett op. 132 134 Wellingtons Sieg 275 Benjamin, Walter 86, 279 Berger, Karol 5, 13, 62, 98, 132, 134, 167 Berkeley, George 100 Bertuch, Carl 46 Bey, Henning 150 Bianchi, Francesco Aci e Galatea 38 Biba, Otto 45 Boccherini, Luigi Sinfonia Nr. 20 257 Bode, Johann Joachim Christoph 51, 197 Bodmer, Johann Jakob 91 Boileau, Nicolas 91 Bologna, Luigi L’Isola disabitata 194f. Bologna, Metilde 194 Bonds, Mark Evan 198, 234 Boscovitch, Ruggero Giuseppe 100 Bouguer, Pierre 50 Breitinger, Johann Jakob 91 Breitkopf, Christoph Gottlob 34, 40, 49, 53, 59 Bridgetower, Frederic 173 Brown, A. Peter 238f., 264, 274 Brown, Clive 110 Burke, Edmund 91, 94f. Burmeister, Joachim 241 Burney, Charles 107, 151 Burstein, Poundie 239 Callcott, John W. 146 Campi, Antonia 26

322 Caplin, William E. 104f., 240f., 250, 253, 262, 273 Caroline, Princess of Wales 99 Carpani, Giuseppe 26, 28, 30, 32, 41f., 59, 85, 203f., 317 Carter, Thomas 173 Celsius, Anders 50 Cherubini, Luigi 48 Chesterfield, Lord 158 Christmann, Johann Friedrich 134, 150 Clarke, Samuel 99f., 313 Clementi, Muzio 257, 272 Cohen, Ralph 163, 165 Collet, John 160-162 Comenius, Johann Amos 283 Condorcet, Nicolas de 101f. Cramer, Carl Friedrich 180 Creuzer, Friedrich 92–94 Dahlhaus, Carl 104, 264, 317 Darcy, Warren 223, 244, 257f. Darwin, Erasmus 163 Decremps, Henri 287 Dennis, John 91 Descartes, René 99, 104, 283 Deym, Graf 293 Dichtler, Leopold 190, 192 Diderot, Denis 9, 100 Dies, Albert Christoph 56 Dohrn-van Rossum, Gerhard 32 Drury, Jonathan 125, 147 Dudley, Henry Bate The Woodman 38 Dussek, Jan Ladislav 173 Dux, Günter 58 Edwards, Elizabeth 173 Elßler, Johann 32, 294 Esterházy, Fürsten 26, 30, 33, 36, 63, 183, 293 Esterházy, Paul Anton I. Fürst 27 Euler, Leonhard 100 Feder, Georg 126 Feodorowa, Maria 313 Ferrari, Giacomo Gotifredo 173 Fetterley, Judith 159 Finscher, Ludwig 25, 54, 227 Fischer, Wilhelm 269

Register Forkel, Johann Nikolaus 40 Forster, William 118–121, 123 Foucault, Michel 276 Franklin, Benjamin 157, 163 Franz I., König von Frankreich 284 Friebert, Joseph 148f., 151 Fürnberg, Carl Joseph Weber Edler von 39 Fux, Johann Joseph Gradus ad Parnassum 27, 39 Gassmann, Florian Leopold 272 Genzinger, Marianne von 9, 34, 38, 48 George III. König von England 41 George, Prince of Wales, später König George IV. 9f., 33 Georgiades, Thrasybulos 121 Gerlach, Sonja 297–299 Gillray, James Nature Display’d 164 Gjerdingen, Robert 246, 254, 260, 262, 267 Gluck, Christoph Willibald 46, 146 Le Diable à quatre 270f., 310 Orfeo ed Euridice 179 Goethe, Johann Wolfgang von 60, 63, 90, 93 Goldoni, Carlo 57 Göllner, Theodor 120–122, 318 Grétry, André-Erneste-Modeste 125 Griesinger, Georg August 28, 33, 35, 40, 43, 45, 55, 59f. Grimm, Jakob und Wilhelm 69 Gurk, Josef 293f. Hagesandros 87 Haller, Albrecht von 50 Händel, Georg Friedrich 27, 41 Harrison, John 9 Hasse, Johann Adolph 46 Haugwitz, Friedrich Wilhelm von 286, 314 Haydn, Joseph Autobiographie 35, 37, 39, 42 Bibliothek 29, 51 Biographie 25–50 Die sieben Worte des Erlösers am Kreuze 45, 52f., 63, 93, 117f., 120–123, 125–132, 134f., 139, 144–152, 318 Divertimenti 306 Frühwerk 14, 238f., 242, 253, 269, 271–274, 310

Namen Kantate Applausus 51 Klaviersonaten 238f. Nr. 24 214f. Nr. 36 56 Nr. 39 56 Nr. 41 216 Nr. 46 239 Nr. 48 53 Nr. 49 246 Nr. 50 62f. Nr. 52 209f. Klaviertrios 58, 66,220 Konzerte 45 Lieder 49, 52, 126 A Pastoral Song 153 Canzonettas 153, 315 Drum stark vermorschte Knochen 49 Lob der Faulheit 35 O Tuneful Voice 153 Pleasing Pain 170f., 177 Recollection 49, 168, 177 Schottische Lieder 46 Londoner Notizbücher 9, 30, 38 Messen Messe in F 45 Missa in honorem Scti. Johannis a Deo 32 späte Messen 64, 85f. Militärmärsche 56 Notturni für zwei Orgelleiern Hob II:25–32 311 Opern L’Anima del filósofo ossia Orfeo e Euridice 56, 67, 179 La fedeltà premiata 179, 181–184, 192, 196, 316 L’Isola disabitata 46, 183–185, 187, 189, 191– 194, 196, 316 Lo Speziale 57 Orlando paladino 179 Oratorien 311 Das Jüngste Gericht (Projekt) 60, 63 Die Jahreszeiten 30f., 54, 61, 63, 67, 85f., 151, 310 Die Schöpfung 28, 35, 40, 54, 58, 62f., 67, 85f., 93–95, 97–99, 102, 104f., 107–112, 114, 125f., 310f., 313, 317 Il ritorno di Tobia 46, 59f. Sinfonien 12 frühe Sinfonien 237, 242-244, 260, 317f. Sinfonien Nr. 93-104 48, 52

323 Nr. 1 12, 243 Nr. 2 243, 257 Nr. 3 250, 253, 271 Nr. 4 243, 257 Nr. 5 243 Nr. 6 Le Matin 31, 63, 207, 262 Nr. 7 Le Midi 31, 63, 310 Nr. 8 Le Soir 31, 54, 63, 244, 262, 270–273, 310 Nr. 10 257f. Nr. 11 243 Nr. 12 267 Nr. 13 255 Nr. 14 250, 255 Nr. 15 243 Nr. 17 262, 264 Nr. 18 243, 257–259 Nr. 19 267 Nr. 20 246, 250, 257f. Nr. 21 243, 257 Nr. 22 243 Nr. 25 245, 247, 250, 255, 257 Nr. 31 28 Nr. 32 243 Nr. 34 243 Nr. 36 262, 265 Nr. 37 207, 212, 222f., 243, 257 Nr. 38 257 Nr. 39 214 Nr. 40 210f. Nr. 41 221 Nr. 43 „Merkur“ 217, 239, 267 Nr. 46 199 Nr. 48 „Maria Theresia“ 207 Nr. 49 243 Nr. 50 68, 207f., 221 Nr. 51 207f. Nr. 52 211, 215, 218 Nr. 53 „L’Impériale“ 230 Nr. 55 „Der Schulmeister“ 219 Nr. 56 214 Nr. 58 210, 230 Nr. 59 „Feuer-Sinfonie“ 208f. Nr. 60 „Il Distratto“ 45, 210, 218 Nr. 61 220f. Nr. 62 230 Nr. 64 „Tempora mutantur“ 218, 227 Nr. 65 222, 224

324 Nr. 66 227 Nr. 67 217f. Nr. 68 12 Nr. 71 232f. Nr. 72 262, 267 Nr. 76 227 Nr. 77 227 Nr. 78 210f. Nr. 79 221 Nr. 80 232 Nr. 82 „L‘Ours“ 214 Nr. 83 „La Poule“ 212, 218, 220, 222, 227 Nr. 84 217, 232 Nr. 85 246 Nr. 86 218f. Nr. 87 221f., 227 Nr. 88 218, 222 Nr. 89 210, 223, 22f. Nr. 94 „Mit dem Paukenschlag“ 42, 57 Nr. 95 224f. Nr. 96 52 Nr. 97 64 Nr. 98 29 Nr. 99 64f., 67, 217f., 222, 232 Nr. 100 „Militär-Sinfonie“ 53, 272 Nr. 101 „Die Uhr“ 12, 57, 218 Nr. 102 223 Nr. 104 43, 65, 203, 217, 227, 316 Streichquartette 45 op. 1/2 243 op. 1/4 243 op. 2/1 243 op. 2/2 243 op. 2/4 243 op. 17/5 220 op. 20 52 op. 20/3 209, 220, 225f., 316 op. 20/4 205, 211, 214, 228f., 239 op. 33 43, 276 op. 33/2 52, 65, 67, 214 op. 33/4 202, 207 op. 33/5 52, 64, 202, 242 op. 33/6 57 op. 50/1 52 op. 50/2 52 op. 50/3 225 op. 50/5 214

Register op. 54 230 op. 54/2 217, 231 op. 54/3 222, 227 op. 55 230 op. 55/1 209, 214 op. 55/2 227 op. 55/3 231 op. 64 230 op. 64/1 52, 231 op. 64/2 231 op. 64/3 52, 217 op. 64/4 230–232 op. 64/6 231 op. 71/2 52 op. 74/3 „Reiterquartett“ 53, 218 op. 76/1 52, 65, 204 op. 76/2 230 op. 76/3 „Kaiserquartett“ 65,68, 213, 227 op. 76/4 „Sonnenaufgang“ 63, 67 op. 76/5 65, 219 op. 76/6 52, 66 op. 77/1 52 op. 77/2 52, 65 op. 103 49f. Stücke für das Laufwerk Hob. XIX:1–31 293–295, 298–302, 314 Haydn, Maria Anna Aloysia geb. Keller 26, 33 Haydn, Mathias 26, 42 Haydn, Michael 10 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 23, 74, 83 Heinse, Wilhelm 89, 91 Hepokoski, James 223, 244, 257f., 269 Herder, Johann Gottfried 74, 79, 89 Herschel, William 102 Hillisberg, Madame 38 Hippel, Theodor von 32 Hobbes, Thomas 21 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 279, 281 Hofmann, Leopold Sinfonia in D 257 Holbach, Paul Henri Thiry d’ 284f., 314 Hölderlin, Friedrich 69–74, 79f., 82f., 276, 312, 314 Holz, Karl 48 Hook, James 158, 173 The Hours of Love 158f. Morning 158f., 175 Spring 158f., 176

Namen Horatius Flaccus 27 Hornbostel, Erich M. von 303 Hume, David 78 Hunter, Anne 153 Huss, Manfred 53 Irving, Howard 198 Jackendoff, Ray 233 Jackson, William 173 Jacobi, Johann Friedrich 139 Jaquet-Droz, Pierre und Henri-Louis 278, 283, 285, 314 Jean Paul (= J. P. Friedrich Richter) 134, 279, 281, 314 Johnson, Samuel 158, 315 Jones, Frances Harriert 173 Jones, David Wyn 310 Junker, Karl Ludwig 120 Kalkbrenner, Friedrich 41 Kant, Immanuel 9, 32, 50, 69f., 74–79, 81, 83, 100– 102, 136, 312, 317 Katharina die Große 276, 313 Kelly, Michael 27, 49 Kempelen, Carl von 289 Kempelen, Wolfgang von 12, 275–283, 285–291, 314 Kirnberger, Johann Philipp 104f., 313 Klopstock, Friedrich Gottlieb 137–139, 310 Klopstock, Margareta 138 Knaus (Knauss), Friedrich von 278, 314 Knecht, Justin Heinrich 134 Knigge, Adolph Freiherr von 32 Koch, Heinrich Christoph 129, 150, 203f., 217, 221, 269, 313 Kolisch, Rudolf 110 Koselleck, Reinhart 5, 10f., 134 Kranz, Christoph Martin 60 Kraus, Benedict Die Schöpfung 126 Krüger, Johann Gottlob 137 Lady (anonym) 173 La Mettrie, Julien Offray de 284f., 314 Lambert, Johann Heinrich 50 Laplace, Pierre-Simon 102f. Larsen, Jens Peter 242

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Lavater, Johann Georg 43 Leibniz, Gottfried Wilhelm 31, 99–101, 104, 136f., 312f. Lerdahl, Fred 233 Lessing, Gotthold Ephraim 35, 88–91, 93 Lippmann, Friedrich 195 Locke, John 21 Ludwig XIV., König von Frankreich 284 Lütteken, Laurenz 139 Lyon, Thomas 173 Maclaurin, Colin 100 Mälzel, Johann Nepomuk 50, 53, 110–114, 275, 289 Maria Feodorowna 276f. Maria Theresia (Marie-Therese) 45 Maria Theresia, Kaiserin von Österreich 207, 277, 280, 283, 285f. Marx, Adolf Bernhard 250 Mattheson, Johann 105–109, 125f., 203f., 220, 313 Maulbertsch, Franz Anton 310 Maupertuis, Pierre-Louis Moreau de 100 Mendelssohn, Moses 74, 76 Merian, Johann Bernhard 101 Mertin, Josef 53 Metastasio, Pietro 188, 192, 194f. Meyer, Leonard B. 242 Milder-Hauptmann, Anna 60 Milton, John Paradise Lost 313 Mirka, Danuta 104 Möllers, Christian 272 Momigny, Jérôme-Joseph de 313 Morzin, Karl Joseph Franz Graf von 36 Mozart, Wolfgang Amadeus 12, 17–19, 36, 43, 46f., 94, 123, 174, 240, 257, 272, 300 Adagio und Allegro KV 594 300 Andante KV 616 294, 299f. Die Alte 48 Don Giovanni 94 Eine kleine Nachtmusik 311 Fantasie KV 608 300 „Haydn-Quartette“ 47 Klavierkonzert KV 453 16 Le Nozze di Figaro 24 Sinfonie KV 279 257 Müller, Wilhelm 179 Mylius, Ernst Friedrich 137f.

326 Nägeli, Hans Georg 151 Napoleon Bonaparte 37, 72 Nelson, Horatio 1. Viscount (Lord) 10 Neukomm, Sigismund 46, 59f., 111 Newton, Isaac 76, 99, 101f., 312f. Nicolai, Friedrich 287f. Niemecz, P. Primitivus 293f., 297–300, 302 Niemetschek, Franz 46 Nietzsche, Friedrich 279 Novalis (= Friedrich von Hardenberg) 50, 91f. Öttingen-Wallerstein, Kraft Ernst Fürst zu 43 Palestrina, Giovanni Pierluigi da 27 Paul, Großfürst von Russland 276f., 313 Phelps Macdonnell, Edmund 174 Piccolomini, Fürstin 142 Pinto, George Frederick 174 Pitt, William der Ältere 200 Pleyel, Ignaz 34, 48 Poe, Edgar Allan 283 Poirier, Jean-Paul 144 Polth, Michael 237 Polydoros 87 Polzelli, Antonio 47 Polzelli, Giuseppina 33 Pope, Alexander 101 Poppe, Johann Heinrich von 290 Porpora, Nicola Antonio 36f., 39, 44 Porta, Nunziato 194 Priestley, Joseph 312 Prinner, Johann Jacob 246 Pseudo-Longin 91f. Quantz, Johann Joachim 12 Rameau, Jean-Philippe 125 Ramler, Karl Wilhelm 148 Ratz, Erwin 240, 272 Réaumur, René-Antoine Ferchault de 50 Recke, Elisa von der 282 Reicha, Anton 43, 313 Reutter, Georg d. J. 26, 36f., 39, 44 Riepel, Joseph 203f., 218, 242, 313 Rochlitz, Friedrich 44 Rogers, Samuel 169, 172 The Pleasures of Memory 169

Register Rosen, Charles 238f., 274 Rothstein, William 274 Rousseau, Jean-Jacques 22, 74, 79, 82, 125f. Salieri, Antonio 40, 110f. Salomon, Johann Peter 34, 153, 157f.. 174 Say Not That Minutes Swiftly Move 165–167, 177 When Hawthorne Buds Bloom Sweetly 153–155, 175 Scarlatti, Domenico 31 Schanderl, Hans 279 Schiller, Friedrich von 50 Schlegel, Friedrich 61 Schmalfeldt, Janet 271, 273 Schönberg, Arnold 240, 247 Schubert, Franz 272 Die schöne Müllerin 179 Schulz, Johann Abraham Peter 54f. Schütz, Heinrich 120f. Scilla, Fürst von 142 Scott, John 163 Seidel, Wilhelm 104 Shield, William 174 Simpson, Christopher The months 31 Sisman, Elaine 122, 183, 207, 227 Sklovskij, Viktor 200 Slatter, George Maximilian 174 Sokrates 82 Somfay, László 122 Sonnleithner, Christoph von 40 Spontini, Gaspare 62 Stadler, Maximilian Der Greis 50 Stamitz, Carl 134f. Stamitz, Johann 12 Sterne, Laurence 14, 197–200, 202, 204, 206, 234, 315 A Sentimental Journey through France and Italy by Mr. Yorick 50, 197, 315 The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman 197, 199, 201–203, 208, 233, 315 Stevenson, J.A. 174 Storace, Stephen 174 Strasser, Johann Georg 297 Sulzer, Johann Georg 11, 133f., 313 Swedenborg, Emanuel 102 Swieten, Gottfried van 26, 41, 95, 107, 148f.

Orte und Sachen Taylor, Herr 38 Telemann, Georg Philipp Die Tageszeiten 31, 150 Donnerode 139 Temperley, Nicholas 107 Tendler, Matthias und Johann 282 Teubner 294f., 299 Thicknesse, Philip 287 Thomson, George 46 Thomson, James The Seasons 163, 313 Thukydides 78 Thümming, Ludwig Philipp 100 Tovey, Donald Francis 94, 103 Turing, Alan M. 279, 291 Vanhal, Johann Baptist 37 Vaucanson, Jacques de 12, 278, 283, 285 Verdi, Giuseppe La Traviata 190 Vivaldi, Antonio Le quattro Stagioni 31 Vogler, Georg Joseph (Abbé) 125 Voltaire (= François Marie Arouet) 58, 100, 136f.

327

Weber, Carl Maria von 47 Der Freischütz 94 Weber, Gottfried 111–115 Webbe, Samule (d.Ä.) 174 Webster, James 85, 239, 317 Wedgwood, Josiah 163 Werner, Gregor Joseph 33, 36, 49 Neuer und sehr curios musicalischer InstrumentalCalender 30f. Sechs Präludien und Fugen für Streichquartett 49 Whewell, William 102 Whitehurst, John 163 Wiest, Johann Joseph 294f., 298f. Will, Richard 149 Willis, Robert 289 Winckelmann, Johann Joachim 50, 87 Windisch, Karl Gottlieb von 286f. Wittgenstein, Ludwig 262 Wolff, Christian 100f., 137 Wranitzky, Paul 47 Zelter, Carl Friedrich 62f., 97 Zmeskall, Nikolaus 113, 115

orte und sachen Abbruch 202 Abschied 68 Abschweifung 199, 202–206, 208, 214, 220f., 226, 233, 246, 253, 315f. Abstrakter Zeitbegriff 64f. Affekt 54, 90, 126f., 196 Affektkontrolle 279 Ägypten 73 Ähnlichkeit 207, 262, 310 Akademien 30 Aktualität 235 Akzent 11, 61, 63, 65–67, 98, 105–108, 121, 156 Alberti-Bässe 12 Alte Meister 41 Alter 29, 33, 35, 41f., 47, 156, 175 Analepsis 214 Anaphern 203 Ancien Régime 282, 285 Andacht 133

Anhang 234 Anordnung 15f., 18, 103, 206, 223, 233, 267 Anstellung 39 Ante-Crux 234 Anti-Chambre 30, 33 Arbeit, schöpferische 54 Arbeitsprozess 55 Arbeitszeit 30, 59 Archäologie 163 Arpeggio 297, 301 Artikulation 50, 296 Aufführung 26f., 29, 35, 41, 48, 54, 59f., 62, 118f., 121, 296, 301 Aufklärung 9, 11, 75, 77, 279, 285–289, 311f. Auftakt 64, 66, 180 Augenblick 19, 51, 53, 85–93, 95, 101, 141, 158, 163, 168, 170, 177f., 188, 242, 317 Ausarbeitung 29, 35, 42, 55f. Ausbruch 258f.

328 Ausdauer 29 Ausdehnung 245, 258 Ausdruck 31, 41, 53f., 57, 88, 94, 126, 129, 132f., 139, 180, 276 Automat 12, 275–283, 285, 287, 289, 293, 297, 302, 304, 314 Autonomie 22 Bearbeitung 13, 45f., 186, 188, 190, 296, 298f. Bedeutung 16, 18, 169 Begabung 35, 37 Berlin 43, 56, 62, 100, 102–104, 287, 293 Beschleunigung 10f., 29, 53, 63, 67, 132–135, 147, 152, 216, 222, 309 Besinnung 68 Besonnenheit 29 Betonung 105–109, 172 Betrachtung 53, 86f., 118, 152 Bewahren / Bewahrung 169f. Bewegung 10–12, 23, 51, 53, 55, 60-63, 67, 73f., 99, 103, 129, 132, 147, 158, 168, 174, 177, 208, 246, 275f., 310, 314 Stillstand 58, 197, 216, 218, 235, 242, 250, 311, 318 Verharren 272 Voranschreiten 203 Bewusstseinszeit 317 Bifocal close 242, 250, 258, 269 Brände 179, 183 Brillanz 296 Bühnenhandlung 183 Bürgertum 9, 157, 313f. Cadiz 117–119, 144, 151 Charakter 57 Charakteristik 31, 275 Choral 133f., 148, 217 Chronologie 10, 200, 202 Da capo 65 Dauer 12, 27f., 30f., 40, 49, 53, 55f., 58, 60, 64, 82f., 89, 163, 296, 298f., 303 Dehnung 54 Dekadenz 41 Demontage 235 Denkmal 49, 184, 194 Desintegration 231 Deutschland 33, 137, 286, 288, 290

Register Diminution 60, 63 Dirigieren 29, 41 Disziplinierung 285f., 313 Dover 32, 38 Dramaturgie 183f., 190, 213, 267 Dubitatio 231, 260, 272 Dynamik 51f., 58, 61, 132, 144, 149, 151f., 180, 211, 218, 228 Echtzeit 184 Einbruch 317 Einleitung 122f., 125f., 151, 167, 241, 254, 311 Einschub 14, 197, 199, 202–209, 211–226, 228, 231–235, 242, 315f. Elision 62, 64, 67, 157, 253, 257f., 262, 267, 271 Empfindsamkeit 50, 56, 61, 90, 134, 234 Encyclopédie 9, 100 Ende, offenes 192 England 286 Entschleunigung 129, 309 Entwicklung 11, 13f., 24, 42f., 45f., 56, 58, 62, 68, 75, 78, 81, 224f., 228, 235, 238, 311 Erdbeben 52, 93, 95, 118, 122f., 126f., 129, 132, 135–145, 147–152 Ereignis 16, 24 Ereignisdichte 64 Ereignisfolge 199, 316 Erhabene, das 85, 138, 150, 317 Erinnerung 49, 68, 70, 81–83, 139, 143, 168–170, 172, 177, 193, 196, 211, 232, 289f., 294, 310, 316 Erwartung 14, 33, 46, 53f., 62, 83, 103, 146, 149, 258, 274, 318 Erweiterung 62, 64, 66f., 77, 146, 208, 242, 245, 267 Esterháza 28, 30–32, 40, 179, 188, 190, 192, 309 Ewigkeit 22f. Exkurs 197 Expektanz 33 Experiment 285, 293, 302, 304, 314 Fabrik 285 Fahrdauer 9 Fassungen 186 Feierlichkeit 133 Fermate 62f., 65, 157f., 172, 208, 220, 224, 227 Festkultur 309 Feuer 208 Fischfang 28

Orte und Sachen Fleiß 28, 36, 39, 44, 56 Flötenwerk (siehe auch Uhr: Flötenuhr) 293, 296f., 314 Form 13, 42, 61–64, 67f., 99, 103, 199, 202–204, 206f., 210, 212, 222–224, 227, 230, 232, 235, 237f., 240f., 244, 257, 310, 312f., 317 formale Funktion 239–242, 254, 258f., 271, 273f. Formalismus, russischer 234 Formteile Anfang 52, 54, 93f., 99, 129, 188, 222, 240–242, 245f., 253f., 264, 271, 274, 313 angegangene Wiederholung 208 Anhang 246, 264, 271 Coda 241 Durchführung 12, 65f., 68, 205–207, 220–226, 228–232 Ende 16, 147, 157, 167, 172, 240f., 243, 246, 267, 271, 273f. Entwicklungspartie 242 Erstes Thema 237, 239, 242f., 246, 255, 257, 264, 270–274, 318 Exposition 63, 147, 206f., 210, 212–214, 222–226, 231f. Kontrastteil 242f. langsame Einleitung 54, 68, 207–209, 217 Mitte 240f., 250, 274 Reprise 52, 65f., 147, 198, 206f., 223, 228–230, 232 Ritornello 272 Scheinreprise 224, 228 Schlussgruppe 213, 221 Seitensatz 206, 208, 210, 212–217, 219, 223 Stretta 68, 219f. Überleitung 16, 98, 208, 210, 215, 232, 242f., 248, 254, 257 Versunkenheitsepisode 206, 210, 214, 218, 231 Zweites Thema 16 Formtypen Arienform 238 Fuge 16 Grande coupe binaire 313 Konzertform 238, 272 Liedform 226 Rondo 222, 226f., 312 rounded binary 227 Sonatenform 123, 132, 207, 223, 227, 234, 237– 239, 243, 269, 272, 312 Suitenform 238

329

Variationen 219, 226f. Fortführung 55, 199, 239, 241, 244, 269, 272 Fortschreiten 85, 104, 244 Fortschritt 10f., 44, 290, 309, 319 Fragment 206, 209, 217, 223 Fragmentierung 244, 247, 265, 267–269, 272 Frankreich 137, 286, 288 Frauen 153, 156–160, 163–165, 174f., 315 Freie Fantasie 55, 62, 197 Freier Wille 21f., 101 Freiheit 22, 26, 77f., 81, 235 Freizeit 158, 315 Fruchtbarkeit 29, 40, 143 Gedächtnis 13, 49, 82, 312 Geduld/Ungeduld 26f., 29, 32f., 61, 216, 217 Gegenwart 19, 90, 100, 102, 153, 167, 169, 174, 193 Geistesgegenwart 29 geistliche Musik 32, 41, 119f., 133f., 152 geistliche Sphäre 134, 144, 150 Gelassenheit 29, 53 Gelehrsamkeit 75, 286, 288 Generalpause 65, 67, 222, 232 Generation 46 Genius 36f., 103 Geologie 163 Geschichte 10, 22–24, 40, 42, 58, 74, 78f., 81, 83, 94, 97f., 100, 104f., 136, 148, 169, 174, 203, 309, 311–313, 319 Geschmack 40f., 45f., 60 Gesellschaftsspiele 28 Gesetz 43, 163, 183, 312 Gleichmaß 53, 58 Glücksspiel 283 Gnade 54, 139 Gotha 102 Gott 21–24, 33, 72f., 78, 94, 98f., 100–104, 127, 132, 149, 157, 163, 284, 311, 313 Gradation 50–52 Griechenland 71–74 Gründlichkeit 27, 29 Gruppe 233, 241, 253 Hainburg 36, 39 Hamburg 137 Handlung 70, 88, 183, 196, 203, 206, 316 Handwerk 27

330

Register

Harmonik 12, 27, 46, 63, 65, 95, 133, 146, 167, 183, 198, 204, 211, 238, 241, 245f., 258, 264, 274 Hausmusik 153 Herrschaft 163 Historia sacra 136, 139, 149, 152 Historisches Dokument 45 Hitzigkeit 26 Höhepunkt 64, 85, 88, 94f., 108, 167, 317 Holland 137 Horen 31 Hören 46, 303 Humor 63, 198 Hypotyposis 94 Hysteron-Proteron 202 Ideal 133 Imitation 18, 169, 242, 265 Impuls 157 In medias res 242 Indien 91f. Industrialisierung 165, 174, 276, 315 Inegalité 297 Inspiration 38, 55f., 169 Irregularitäten 198, 262 Italien 71, 73, 143f. Jagd 28, 282 Jahreszeiten 30, 63, 79, 156–160, 163–165, 175f., 315 Jerusalem 137 Jüdisch-christliches Weltbild 21 Jugend 81 Kalender 10, 74 Kapelle 26, 29, 47, 119 Kapitalismus 157 Karfreitagsandacht 118f. Kausalität 22f., 99, 106 Kirchliche Tages- und Jahreszeiten 32 Klangvolumen 296 Koinzidenz 37, 138 Konsonanzgrade 50 Kontingenz 89 Kontinuität 63, 93, 95, 197, 224, 317, 319 Kontrast 81, 204, 233, 235 Konzert 103, 153 Konzertmeister 29 Korrespondenzen 180, 183, 192f., 196, 274

Kosmologie 310 Kreislauf 79 Kürze 92 Kürzung 46, 59, 60 Langeweile 35, 54, 311 Langsamkeit 54, 117, 133f., 150, 309, 318 Laokoon-Gruppe 87, 89–93, 95 Lauf 67, 79, 122, 133, 296–298, 300 Lautstärkeveränderung 52 Lebensalter 45 Lebensplan 36 Leere Zeiten 35 Lehrer 34, 46f., 60 Leichtigkeit 29, 55 Lektüre 44, 183 Leviathan 286 Linearität 14, 19, 21–24, 77f., 82, 152, 196, 198, 200, 206, 233, 236, 250, 312, 317, 319 Liquidierung 247 Lissabon 95, 135–140, 142, 144, 149f., 152 Liturgie 118, 120 Logik 56, 61, 197f., 209f., 239 London 9, 34, 41, 48, 56, 67, 94, 153, 158, 173f., 287, 315 Society for Ancient Music 41 Markt 10, 34, 36, 45, 59 Maschine 275f., 279–283, 285f., 288f., 291, 314 Melancholie 126, 311 Melodik 27, 106, 156, 167, 180, 192, 204, 238 Melodram 188, 190, 193 Menschlichkeit 21 Mensuralsystem 11 Messina 139–141, 143f., 149f., 152 Messinstrumente 9, 50, 112, 114, 309 Messung 102 Metronom 50, 53, 66, 98, 110, 112, 195, 214, 275, 309 Metrum 12, 66, 98, 104, 109f., 114f., 195, 214, 313 Mode 280, 288, 293 Moderne 21f., 24, 35, 41, 45, 48, 146, 235, 276, 286, 291, 310, 315, 319 Monothematik 56, 272 Moral 21–23, 163, 172, 174 Motorik 68 München 275 Musikautomat 53, 276, 293, 314

Orte und Sachen Musiktheorie 11, 203 Müßiggang 34 Nachwelt 316 Narrativ 13–16, 24, 26, 32f., 35, 78, 85f., 102, 119, 121, 132, 138, 152, 158, 169f., 172, 198f., 200, 202f., 207, 213, 218, 226, 234, 316, 318f. Natur 53, 76f., 79, 83, 89, 91, 95, 135, 137–141, 143, 160, 276, 281, 284, 312 Natürlichkeit 149 Naturschönes 139 Naturzyklen 31, 58, 79 Neapel 140–142 Nervosität 29 Neuheit 38, 41–43, 46, 48f., 55, 91, 122, 179, 231, 275, 281, 285f., 309 Norddeutschland 293 Nostalgie 45, 315 Notendruck 27, 118, 120, 192 Notenwerte 59, 63, 180 Öffentlichkeit 27, 29, 46f., 279, 282, 286, 313 Ökonomie 34, 157 Opus-Konzept 122 Ordnung 32, 37, 55, 57f., 64f., 103, 121f., 144, 147, 149, 232, 234f. Orientierung 31, 69–72, 74, 76–81, 83, 129, 239, 244, 270, 312, 317f. Originalität 61, 169, 174, 237, 315 Papa Haydn 47f. Paratext 119 Pathos 88 Pause 38, 51, 65–67, 118f., 123, 147, 188, 197, 205, 214, 217, 219, 228f. Pendel 112–114, 174 Pensionierung 32, 36 Performativ 119f. Periodik 43, 57, 64, 212 Perzeption 304 Pest 143 Petersburg 60 Phrasierung 297 Planetenbewegung 102, 310 Planung 122 Plötzlichkeit 91–93 Postkutsche 9

331

Präzision 9, 29, 53, 284, 294, 296 Privatleben 157, 160 Proben 29, 31 Produktion 157, 163 Produktivität 160, 165 Prolongation 244, 248, 262, 264f. Proportion 31, 67, 274 Prozess 10–14, 22–24, 40, 58, 61, 63, 68, 83, 152, 224, 230, 244, 264, 309, 311, 317f. Puls 57, 63 Rationalität 276, 279, 288, 291 Raum 70, 76 Raum und Zeit 74, 78, 98–104, 110–114, 310, 312f. Redundanz 203 Reform 285 Regelmaß 57, 123, 129, 168, 174, 220, 262 Regeln 55, 235, 276 Regensburg 275 Reife 14, 81, 239, 274 Reihenfolge 13, 15f., 18f., 22, 223f., 240–242, 254, 257, 269, 273f., 312, 319 Reihung 61, 121, 123, 152, 318 Reisegeschwindigkeit 53 Rekursivität 198 Relativität 167 Religion 23 Revolution 9f., 74, 276, 287, 309, 319 Rezeption 40, 43, 48f., 139f., 143f., 296 Rezitativ 93, 194, 197 Rhetorik 61, 91, 94, 97, 122, 216, 234, 241 Rhythmus 11f., 30, 64, 85, 104f., 107, 115, 118, 121, 146f., 197, 217, 296, 310f. Rohrau 49 Rom 87, 120, 195 Sixtinische Kapelle 119 Roman 58f., 89, 158, 198–200, 202, 205, 234, 279, 315 Romantik 83, 92, 95, 169, 279 Rosenkranz 32, 38, 55 Rückblende 230 Rückblick 55, 68, 82, 226 Rückschritt 267 Satzdauer 118 Saumseligkeit 34f. Schachspiel 280, 283–285, 287–289 Schaffenskrise 32 Schaffensprozess 54

332

Register

Schallgeschwindigkeit 50 Schicksal 39, 71, 80–83, 180, 184 Schluss 61, 66, 68, 85f., 88, 95, 132, 147f., 167, 205, 214, 217, 231, 239, 242, 246, 254, 262, 302 Halbschluss 239, 242, 269 unvollkommener Ganzschluss 242 vollkommener Ganzschluss 239, 242 Trugschluss 167 Schnelligkeit 11, 245 Schnitt 210 Schöpfung 313 Schweigen 234 Seelenzustand 54 Sequenz 127, 147, 205, 220, 227–229, 232f. Sexualität 70, 164f. Sintflut 163 Situation 51, 66, 80, 143, 180 Skizzen 121 Solo 29, 148, 220f., 226 Sonne 54, 71, 73, 79f., 102, 148, 310 Spannung 53, 64, 95, 180, 192, 205, 234 Sphärenmusik 49, 104 Spiel 280–284, 286, 290 Standardisierung 22, 111f., 114f., 260 Statik 123, 132, 151f., 180, 196 Steigerung 86, 93 Stil 98, 156, 237, 245, 262, 274, 310 Stille 54, 144, 311 Stimmung 56f., 119 Streichung 59 Struktur 238, 264 Studier- und Geschäftsstunden 32 Suspendierung 197, 234 Symmetrie 132, 238, 245, 247, 264, 267 Synchronisierung 111 Syntax 12, 67, 198, 208, 214f., 221, 224, 233, 317 continuation phrase 244, 246, 255, 271f. Loop 237, 243, 257–259, 267, 318 Nachsatz 250, 260, 264, 267, 269 Periode 61f., 228, 237f., 240, 243, 260, 262, 264, 267, 269–271, 273, 317f. Periode mit vertauschten Kadenzen 269 Phrase 16, 58, 64, 68, 105, 167 Phrasenrhythmus 168, 239, 274 presentation phrase 244f., 247, 272 Satz 237, 240f., 243–245, 248, 250, 253, 257, 262, 264f., 271–273, 317f.

umgekehrte Periode 269 Vordersatz 260, 267–269 Tableau 152 Tagesablauf 10, 32, 54f. Tageszeiten 30, 63, 158f., 175f., 200, 311 Takt 11, 31, 53, 57, 61, 63–65, 104, 106, 122, 129, 147, 197, 246, 275, 309, 318 Talent 44, 293 Technik 204, 279, 282, 287, 303, 313 Teleologie 83, 123, 136, 150, 311 Temperament 25, 56 Tempo 9, 11, 29, 51–54, 58, 60, 62f., 67, 98, 104, 110–115, 117, 119f., 122, 127, 129, 132–135, 144, 146, 156, 194, 197, 204, 216f., 234, 295–298, 303, 309f., 314, 318 Abspielgeschwindigkeit 297 Laufgeschwindigkeit 53, 298f. Tempoabfolge 129 Tempobezeichnung 110–112, 115, 120, 129, 157 Adagio 53, 57f., 117, 129, 134f., 180, 204, 217, 219, 227, 232, 300 Adagio cantabile 12 Adagio sostenuto 52, 65 Allegretto 12, 57, 219 Allegro 16,–19, 57, 67, 134f., 207f., 219, 300 Allegro assai 12 Allegro con brio 225, 232 Allegro con spirito 220 Allegro di molto 205 Allegro molto 245 Allegro spirituoso 66 Andante 12, 52, 57, 64f., 134, 212, 218, 222, 227, 294, 300 Furioso 12 Grave 53, 117, 129 Larghissimo 119 Largo 53, 117, 129, 132, 219 Lento 53, 117, 129 Maestoso ed Adagio 53, 123 Molto adagio 134 Prestissimo 12, 29, 220 Presto 12, 65, 117, 123, 147, 180, 216f., 219, 298f. Presto assai 12 un poco più lento 157 Vivace assai 52 Tempomessung 111

Orte und Sachen

333

Tempomodifikationen 180 Anhalten 58, 197, 203, 216 Gedehnte Zeit 53, 58 Innehalten 68 Verlangsamung 60, 63, 216f. Verzögerung 32, 205, 258, 274, 316 Temporale Struktur 123, 318 Testament 49 Teufelsmühle 93 Thema 16, 56f., 98, 101, 122, 129, 133, 151, 207f., 212f., 222, 226 Theodizee 136 Theophanie 93 Theorie 43f., 86, 126 Ticken 275f., 313, 314 Timing 54 tonales Ziel 85, 95, 239, 242 Tonalität 122f., 127, 146 Tonarten 123, 125–127, 129, 318 Tonartencharakteristik 125–127 Tonfall 68 Tonkünstler-Societät 47 Tradition 71, 74f., 94f., 118f., 144, 146, 275, 315 Transitorisches 88f. Trennung 231

Variante 204, 300, 302 Variation 219, 228 Veränderung 21f., 24, 112, 163, 169, 319 Verdichtung 63, 147, 245 Verdrängen 235 Verfremdung 198 Vergangenheit 19, 41, 44, 47, 90, 92, 152, 168f., 172, 174, 177, 180, 184, 193, 196, 316, 319 Vergegenwärtigung 179, 196, 316 Vergrößerung 204 Verkürzung 66, 253 Vermessung der Welt 50 Vernunft 21, 51, 70, 74–77, 89, 95, 100, 105, 138, 276, 279, 283, 288f. Veröffentlichung 45, 140, 315 Vers 156, 158, 172 Versmaß 194f. Vertonung 123, 133, 144, 151, 192, 195 Verzeitlichung 10, 61, 78 Verzögerung 32, 34 Viertakter 228, 264 Viertelbewegung 63, 65 Vorschlag 301 Vorsehung 33, 38f. Vorwegnahme 200, 210, 219f.

Übereilung 32 Überraschung 54 Überschreiben 222 Überzeitlichkeit 193 Uhr 9f., 12, 30, 32, 57, 111, 119, 140, 158, 160, 172, 174, 200, 276, 280, 283–285, 295, 297–299, 313f. Flötenuhr 294–299 Kommodenuhr 293, 295 Taschenuhr 31, 53 Turmuhr 31, 276, 314 Stoppuhr 309 Umgestaltung 167 Unisono 67, 93, 126, 207, 221, 224, 226 Unterbrechung 198, 202, 220, 222, 229, 258f., 262, 267 Unterhaltung 29, 275, 282f., 287, 290f., 311 Unterordnung 163 Urbanisierung 165 Ursprung 63, 80–82

Währung 160 Walze 297–299, 303 Ware 160 Weiblichkeit 158, 163–165, 169 Weimar 60 Weltbild 22f. Weltgeschichte 72, 74, 79 Wiederaufgreifen 316 Wiederholung 106, 167, 177, 203–205, 212, 214f., 223–225, 227, 237, 244, 264, 270–272, 274, 299, 311, 318 Wien 12, 26, 31, 36f., 39, 41, 43f., 47f., 139, 142, 203, 275f., 282, 286, 289, 293, 313 Burgtheater 62 Witz 14, 16, 63 Wochentage 200

Variabilität 170

Zählzeit 63, 65, 146 Zäsur 139, 206, 211–213, 215f., 225f., 269 Zauberkunst 281, 285, 287 Zeitabstand 258

334

Register

Zeitangabe 32, 51, 53, 118 Zeitbewusstsein 93, 317 Zeitdauer 31, 60f., 190, 299, 318 Zeitdruck 34 Zeitebenen 196 Zeiteinheiten 98, 111 Jahr 111, 156, 175, 200 Minute 111, 165, 177, 309 Monate 30, 156, 158, 175f., 200 Sekunde 309 Stunde 10, 38, 141, 170, 172, 177, 284, 295 Tag 170, 172, 177 Zeitempfinden 25, 160 Zeitenwende 309 Zeiterfahrung 25, 50, 309f. Zeitfluss 19, 319 Zeitfolge 88 Zeitgeist 23 Zeitgestaltung 63, 152, 180 Zeitindex 68 Zeitkonzeption 120, 123 Zeitkunst 18f. Zeitliche Implikationen 237, 240 Zeitlichkeit 23, 85f., 88f., 92f., 98, 174, 240, 244, 250, 273, 317 Zeitlosigkeit 19, 168, 192, 206, 257f., 311 Zeitmanagement 25, 59 Zeitmangel 34f. Zeitmaß 51, 59, 64, 89, 91 Zeitmessung 9, 110, 165, 309 Zeitordnung 81

Zeitorganisation 236 Zeitpunkt 30, 53 Zeitrahmen 117 Zeitraum 57f., 64, 141, 180 Zeitschichten 196, 316 Zeitspanne 298 Zeitstruktur 11, 180, 207 Zeitverlauf 19, 21, 23f., 58, 197f., 264, 274, 319 Zeitverständnis 67, 120, 136, 152, 295, 303 Zeitvertreib 158 Zeitvorstellung 58 Zeitwahrnehmung 197, 313 Zergliederung 44 Zerteilung 231 Ziel 63, 213, 236, 318 Zielorientierung 85, 120, 239f., 245, 250, 258, 260, 262, 267, 317 Zufall 37, 93, 122, 137, 236 Zukunft 10f.,15, 19, 23f., 90, 147, 150, 180, 183f., 193, 202, 309, 319 Zusammenhang 156 Zustand 53, 58 Zustandsveränderung 207 Zyklizität 117, 120, 318 Zyklus 10f., 13f., 21, 31, 62f., 79, 81, 83, 117f., 120–122, 125, 127, 129, 132, 150f., 224, 230, 311, 315, 317–319 Adagiosatz 29, 53f., 57, 117, 151f. langsamer Satz 217 Langsamer Satz 127, 132, 151, 211, 218, 222 Satzfolge 64, 121 Schlusssatz 12, 57, 123, 127, 144, 146, 148–150, 152

AUTORINNEN UND AUTOREN

HerausgeberInnen Marie-Agnes Dittrich, Studium der Geschichte und Musikwissenschaft in Hamburg, ist Professorin für musikalische Analyse an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und unterrichtet angehende DirigentInnen, KomponistInnen, MusiktheoretikerInnen und TonmeisterInnen aus Ländern von Kolumbien bis Korea. Publikationen zur musikalischen Analyse, der Musik Norddeutschlands, Mozart und Schubert. Martin Eybl ist Professor für Musikgeschichte an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und Leiter der Publikationen der „Denkmäler der Tonkunst in Österreich“ (DTÖ). Schwerpunkte seiner Forschungen liegen in den Bereichen Ästhetik und Musiktheorie des frühen 20. Jahrhunderts, österreichische Musik des 18. Jahrhunderts sowie Editionen Alter Musik. Zu seinen Publikationen zählen Ideologie und Methode. Zum ideengeschichtlichen Kontext von Schenkers Musiktheorie (1995), Die Befreiung des Augenblicks. Schönbergs Skandalkonzerte von 1907 und 1908. Eine Dokumentation (2004), Schenker-Traditionen. Eine Wiener Schule der Musiktheorie und ihre internationale Verbreitung (2006), Werkausgaben von Pieter Maessins (1995) und Johann Joseph Fux (2000 und 2009) sowie Aufsätze zur Wiener Musikgeschichte 1740 bis 1800. Reinhard Kapp, geboren 1947 in Hof/Saale. Studium der Musikwissenschaft, Philosophie und Religionswissenschaft in Heidelberg und Berlin (FU). Promotion mit einer Arbeit über das Spätwerk Robert Schumanns. Teilnahme an den Interpretationskursen von Rudolf Kolisch und Rudolf Stephan im Mödlinger Schönberg-Haus. Diverse Lehraufträge, Gastprofessur in Kassel (Gesamthochschule). Redakteur in der Richard-Wagner-Forschungsstelle München. Seit 1992 Professor für Musikgeschichte an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Publikationen vor allem in den Bereichen 19. und 20. Jahrhundert sowie Geschichte der musikalischen Aufführung. Herausgeber (zusammen mit Markus Grassl) der Reihe Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte.

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Autorinnen und Autoren

Autorinnen und Autoren Karol Berger is the Osgood Hooker Professor in Fine Arts at Stanford University. His books include Musica Ficta (Cambridge University Press, 1987; recipient of the Otto Kinkeldey Award of the American Musicological Society) and A Theory of Art (Oxford University Press, 2000; Polish translation 2008). His most recent book, Bach‘s Cycle, Mozart’s Arrow: An Essay on the Origins of Musical Modernity (University of California Press, 2007), received the Marjorie Weston Emerson Award of the Mozart Society of America.  Federico Celestini, Studium in Rom und in Graz. Fellowships in Oxford (British Academy), Cleveland und Berlin (Alexander von Humboldt-Stiftung). Seit 2008 Dozent am Institut für Wertungsforschung der Kunst-universität Graz. Seit 2011 Professor für Musikwissenschaft an der Universität Innbsbruck. Buchpublikationen (Auswahl): Die frühen Klaviersonaten von Joseph Haydn, Tutzing 2004; Die Unordnung der Dinge. Das musikalische Groteske in der Wiener Moderne (1885–1914), Stuttgart 2006. Sarah Day- O’Connell (Ph.D. Cornell University, 2004) is Associate Professor of Music at Knox College, Illinois, USA. Her work focusing on English song within the visual, material, and popular scientific culture of the late-eighteenth century has also appeared in Coll’ astuzia, col giudizio: Essays in Honor of Neal Zaslaw and EighteenthCentury Music. She received the 2011 Pauline Alderman Award from the International Alliance for Women in Music. Sarah is also a fortepianist. Hans-Ulrich Fuß promovierte 1990 mit einer Arbeit über Dramatisch-musikalische Prozesse in den Opern Alban Bergs. 1991–2001 war er Hochschullehrer an verschiedenen Pädagogischen Hochschulen und Universitäten Seitdem ist er als freier wissenschaftlicher Autor tätig. Arbeitsgebiete (u.a.): Formprobleme der Wiener Klassik, Literaturoper und Musik- drama, Musikästhetik und Musiktheorie um 1900, angelsächsische Musiktheorie und -wissenschaft. Roger Mathew Grant is an Assistant Professor in the University of Michigan’s School of Music, Theatre and Dance and a Fellow in the Michigan Society of Fellows. He is currently at work on a book manuscript that examines a dramatic change in the conceptualization of musical time that took place during the eighteenth century. His journal articles have appeared or are forthcoming in Music Theory Spectrum, EighteenthCentury Music, Studia Musicologica, and elsewhere. An active performer, he particularly enjoys singing fifteenth-century music from original notation.

Autorinnen und Autoren

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Richard Heinrich, geboren 1948, Studium der Philosophie in Wien und Frankfurt/ Main. Buchveröffentlichungen u. a.: Die Erhebung des Gedankens, 1990; Wittgensteins Grenze, 1993. In einem Traum, durch ein Fenster. Roman, 2002. Verzauberung, Methode und Gewohnheit. Skizzen zur philosophischen Intelligenz, 2003. Aufsätze zu Wittgenstein, der Philosophie des 15. bis 17. Jahrhunderts, der klassischen modernen Philosophie, der Theorie des Raumes und der philosophischen Ästhetik. Unterrichtet am Institut für Philosophie der Universität Wien. Helmut Kowar, geboren 1953. Studium der Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Jurisprudenz an der Universität Wien sowie Violine an der Wiener Musikhochschule. Seit 1979 Mitarbeiter am Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Entwicklung und Betreuung eines Forschungsschwerpunktes, der sich der Dokumentation mechanischer Musikinstrumente und der Auswertung dieser historischen Quelle widmet. Markus Neuwirth studied musicology, psychology, and philosophy at the University of Würzburg (2001–2006), where he obtained his Master’s degree (Magister Artium) with a thesis on classical sonata form. During his study, he held a Hanns Seidel scholarship. Since January 2007, he serves as a research assistant at the Department of Musicology, University of Leuven. He is currently working on a dissertation on recomposed recapitulations in 18th-century sonata-form movements (supervised by Pieter Bergé and Poundie Burstein), a project that is supported by the Research Foundation Flanders (FWO). In January 2011, he was co-organizer (with Pieter Bergé) of the symposium “What is a cadence? Theoretical and analytical perspectives on cadences in the classical repertoire” (on invitation), held at the Academia Belgica in Rome. Neuwirth has published a number of articles on various aspects of 18th-century sonata form (with a particular focus on Haydn), on hypermeter in Beethoven, on the music of Helmut Lachenmann, as well as on the relation between music analysis and cognition. Markus Rathey is Associate Professor of Music History at the Yale School of Music with joined appointments at the Institute of Sacred Music and the Yale Divinity School. He is Vice President of the Forum on Music and Christian Scholarship and serves on the editorial board of the Bach-Journal of the Riemenschneider Bach-Society. After studying theology, musicology, and German literature in Münster (Germany) he received his PhD in Musicology in 1998 with a thesis about Bach’s predecessor in Mühlhausen Johann Rudolph Ahle. He taught at the Universities of Mainz and Leipzig and was a research affiliate at the Bach Archive in Leipzig. In recent years he worked as a lecturer and author of program texts with conductors like Sir Neville Mariner, Helmuth Rilling, and Simon Carrington. Professor Rathey’s publications include books about

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Autorinnen und Autoren

Johann Rudolph Ahle, Carl Philipp Emanuel Bach, and an edition of the music theoretical writings by Johann Georg Ahle, which just appeared in a second and revised edition after the first edition was sold out within only one year. His articles appeared in journals like 18th Century Music, Bach-Jahrbuch, Schütz-Jahrbuch, and the Riemenschneider Bach-Journal. Christine Siegert, 2003 Promotion an der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Danach Wissenschaftliche Angestellte am Forschungsprojekt Joseph Haydns Bearbei­tungen von Arien anderer Komponisten (Universität Würzburg, Joseph Haydn-Institut Köln), seit 2006 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Haydn-Institut. Lehraufträge u.a. an der Musikhochschule Hannover und an der Hochschule für Musik Köln. Seit 2010 Juniorprofessorin für Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin. Ernst Strouhal, ao. Univ-Prof. an der Universität für angewandte Kunst Wien (Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften, Kunstpädagogik), Autor, Publizist. Neben vielen Fachartikeln u. Katalogbeiträgen zuletzt in Buchform (im Springer Verlag Wien New York) erschienen: Schach und Alter. Passagen des Spiels III (Hg., 2011); En passant. ruf & ehns Enzyklopädie des Schachspiels (2010, gem. mit Michael Ehn); Das Spiel und seine Grenzen. Passagen des Spiels II (Hg. gem. mit Mathias Fuchs, 2010); Spiel und Bürgerlichkeit. Passagen des Spiels I (Hg. gem. mit Ulrich Schädler, 2010); Umweg nach Buckow. Bildunterschriften (2009); Games. Kunst und Politik der Spiele. (Sonderzahl Verlag Wien 2008, gem. mit Mathias Fuchs, 2008); Rare Künste. Zur Kultur- und Mediengeschichte der Zauberkunst (Hg. gem. mit Brigitte Felderer, 2007).

wiener veröffentlichungen zur musikgeschichte hg. von Markus grassl und reinhard kapp

Band 1: Markus grassl, reinhard k app (hg.): darMstadt-gespräche die internationalen Ferienkurse Für neue Musik in Wien 1996. 170 x 240 MM, 440 s. 8 s s/W-aBB. Br. isBn 978-3-205-98488-7 Band 2: christoph Becher: die variantentechnik aM Beispiel alex ander ZeMlinskys 1999. 170 x 240 MM, 465 s. 184 notenBsp. Br. isBn 978-3-205-98931-8 Band 3: Markus grassl, reinhard kapp (hg.): die lehre von der Musikalischen auFFührung in der Wiener schule verhandlungen der internationalen colloquiuMs Wien 1995 2002. 170 x 240 MM, 823 s., 39 notenBsp. u. aBB. gB. isBn 978-3-205-98891-5 Band 4: Martin eyBl (hg.): die BeFreiung des augenBlicks: schönBergs skandalkonZerte 1907 und 1908 eine dokuMentation 2004. 170 x 240 MM, 307 s., 20 s/W-aBB. Br. isBn 978-3-205-77103-6 Band 5: Beatrix Borchard: stiMMe und geige aMalie und Joseph JoachiM Biographie und interpretationsgeschichte 2007. 170 x 240 MM, 2.unveränd. auFl. 670 s., 73 s/W-aBB., Mit 1 cd-roM. gB. isBn 978-3-205-77629-1

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, 1010 wien. t : + 43(0)1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

wiener veröffentlichungen zur musikgeschichte hg. von Markus grassl und reinhard kapp

Band 6: Martin eyBl, evelyn Fink-Mennel (hg.): schenker-traditionen eine Wiener schule der Musiktheorie und ihre internationale verBreitung / a viennese school oF Music theory and its international disseMination 2006. 170 x 240 MM, 262 s., 16 s/W-aBB., Mit 1 cd-roM Br. isBn 978-3-205-77494-5 Band 7: Markus grassl, reinhard k app, eike rathgeBer (hg.): österreichs neue Musik nach 1945: k arl schiske 2008. 170 x 240 MM, 609 s. 10 s/W-aBB. gB. isBn 978-3-205-99491-6 Band 8: doMink schWeiger, nikolaus urBanek (hg.): WeBern_21 2009. 170 x 240 MM, 321 s. 43 s/W-aBB. gB. isBn 978-3-205-77165-4 Band 9: Federico celestini, gregor kokorZ und Julian Johnson (hg.): Musik in der Moderne Music and ModernisM 2011. 170 x 240 MM, 382 s. 37 s/W-aBB. u. notenBsp. gB. isBn 978-3-205-77438-9

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