Zwischen Zeugnis und Zeitgeist: Die politische Theologie von Paul Althaus in der Weimarer Republik 9783666557866, 9783525557860, 9783647557861

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Zwischen Zeugnis und Zeitgeist: Die politische Theologie von Paul Althaus in der Weimarer Republik
 9783666557866, 9783525557860, 9783647557861

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© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Siegfried Hermle und Harry Oelke

Reihe B: Darstellungen Band 55

Vandenhoeck & Ruprecht © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

André Fischer

Zwischen Zeugnis und Zeitgeist Die politische Theologie von Paul Althaus in der Weimarer Republik

Vandenhoeck & Ruprecht © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-55786-0 ISBN 978-3-647-55786-1 (E-Book) © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: textformart, Göttingen Druck und Bindung: w Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Die Weimarer Zeit als Krisenzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. „Mein Böses verführt andere, nimmt ihnen Hemmungen, gibt ihnen das ersehnte gute Gewissen, schafft Atmosphäre, Hausgeist, Volksgeist, Zeitgeist.“ – Vorab ein Vor-Urteil über Paul Althaus . . . . 27 3. „…daß der Mitmensch und der theologische Mitmensch ganz besonders, immer noch ein wenig komplizierter ist, als man angenommen hatte“ – Die Ambivalenz von Paul Althaus . . 34 Kapitel I: Die entscheidenden Weichenstellungen während des Krieges – Paul Althaus, der Weltkrieg und die Auslandsdeutschen . . . . . . . . . . . . 47 1. „Die Entdeckung des Deutschtums im ehemaligen Mittelpolen“ – Paul Althaus und die deutsche Minderheit in Polen vor dem Hintergrund seines volksmissionarischen Anliegens . . . . . . . . . . . . . 49 2. „… wir haben uns unseren Volksbrüdern … zur Verfügung gestellt“ – Althaus’ Einsatz für die Deutschen in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3. Paul Althaus und Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 4. Althaus’ pastoraltheologische Lehren aus dem Pfarrdienst im Krieg – Die methodische Grundlegung seiner volksmissionarischen Arbeit . 69 4.1 „Die Religion eines Volkes soll national und international zugleich sein“ – Althaus’ ambivalente Verhältnisbestimmung von „Glaube und Vaterlandsliebe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 4.2 „Wie sollen wir den Männern predigen?“ – Pastoraltheologische Lehren aus der Arbeit im Krieg . . . . . . . . . 74 4.3 „Wann aber wird unser Geschlecht endlich das Erlebnis der Kirche machen?“ – Althaus’ Ruf zur kirchlichen Erweckung 83 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

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Kapitel II: Die frühe Verarbeitung der deutschen Niederlage und des Versailler Vertrages – Althaus zwischen Lodz und Rostock . . . . . . . 93 1. Die frühe Verarbeitung von Krieg und Niederlage . . . . . . . . . . . . . . 93 1.1 „Sind unsere Brüder vergeblich gestorben?“ – Die Frage nach dem Sinn der Kriegstoten . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1.2 „Unser gutes Gewissen und unsere Buße“ – Althaus’ frühe Ansichten zur Kriegsschuldfrage . . . . . . . . . . . . . 98 1.3 „Die deutsche Schmach in Polen“ oder: Die Rote Revolution und die Niederlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Der Schock von Versailles als Bürde für Weimarer Republik und Völkerbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3. Der Versailler Vertrag und die Frage nach dem Verhältnis von „Pazifismus und Christentum“ – Althaus’ frühe Geschichtstheologie in der Auseinandersetzung mit dem Religiösen Sozialismus . . . . . . . 122 3.1 Paul Althaus, der Religiöse Sozialismus und die christlich-soziale Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3.2 „Die lebendige Gerechtigkeit der Geschichte“ – Althaus’ frühe Geschichtstheologie und Sichtweise des Krieges . 128 3.3 Die Gerechtigkeit der deutschen Niederlage – Althaus’ Sichtweise von Niederlage, Friedensbedingungen und Völkerbund . . . . . . . 136 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Kapitel III: Geschichtstheologie als Krisenverarbeitung – Paul Althaus in Rostock 1919 bis 1925 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Die Zeit politischer Krisen und theologischer Neuaufbrüche – Paul Althaus in Rostock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Paul Althaus in der Auseinandersetzung mit dem Religiösen Sozialismus 157 2.1 Die prinzipielle Ablehnung des Religiösen Sozialismus bei positiver Aufnahme seiner wirtschafts- und sozialpolitischen Anliegen . . . 158 2.2 Der Althaussche Gegenentwurf: Frühe ordnungstheologische Ansätze und politische Überzeugungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Exkurs: Paul Althaus und die „Konservative Revolution“ . . . . . . 175 2.3 Das Zusammenleben der Völker und die Bedeutung des Krieges – Althaus’ Fortführung seiner geschichtstheologischen Spekulationen 180 2.3.1 Politik als Dienst an Gott und Volk – Der „Beruf “ eines Volkes und das nur begrenzte Recht von Völkerrecht und Völkerbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2.3.2 Die Gerechtigkeit im Völkerleben und der Krieg . . . . . . . 186 2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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3. Jesus Christus und die deutsche Jugend – Althaus’ volksmissionarisches Werben um die junge Generation . . . . . . . . . . 195 4. „Gott in der Geschichte“ – Althaus’ frühe geschichtstheologische Grundlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 4.1 Die Grundlagen der frühen Althausschen Geschichtstheologie . 205 4.2 Die frühe Althaussche Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 4.3 Gottes Anspruch in der Geschichte – Geschichtstheologie und Ethik 214 4.4 Die geschichtstheologische Auseinandersetzung mit der Dialektischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 4.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Exkurs: Säkulare Gesellschaft und Volksmission – Althaus und die Apologetische Centrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 5. „Staatsgedanke und Reich Gottes“ – oder: Berufsgedanke und Reich Bismarcks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 5.1 Die theologische Antwort auf die Krise des deutschen Staatsgedankens und die Auseinandersetzung mit Karl Barth . . . 243 5.2 Der „Beruf“ des Volkes und das Verhältnis der Völker . . . . . . . . 251 5.3 Das Gott gegenüber „verantwortliche Führertum“ . . . . . . . . . . . 256 5.4 Bismarck als der vorbildhafte christliche, politische Führer . . . . 263 5.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Kapitel IV: Kirche, Volk und Staat – Paul Althaus in Erlangen 1925 bis 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Der Wechsel nach Erlangen und seine Lehrtätigkeit 1925 bis 1933 . 273 2. „Über dem Tore, durch das unser Geschlecht den Weg in die Kirche zurückfinden kann, steht geschrieben: communio, Gemeinschaft!“ – Paul Althaus über Kirche und Staat in der zweiten Hälfte der 20er Jahre 276 2.1 Communio sanctorum und Volksgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . 277 2.2 Una sancta – Die Gemeinschaft der Völker und Kirchen und Althaus’ Engagement in der Ökumenischen Bewegung . . . . . . . 280 2.3 Das Verhältnis von Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 2.3.1 Die Theonomie des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 2.3.2 „Das Nebeneinander der beiden Gemeinschaftsordnungen“ – Das Verhältnis von Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . 293 2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 3. Volkstumsbewegung und völkische Bewegung als Herausforderung für Kirche und Theologie und Althaus’ Volkstumstheologie als Antwort 306 3.1 Das Volkstum als „umfassende Lebenswirklichkeit“ und ethischer Bezugspunkt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts 307 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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3.2 Volkstum und Vaterland als ethische Bezugspunkte bei Paul Althaus – Die Dialektik der Althausschen Volkstumstheologie . 323 3.2.1 Das Volk in der Althausschen Theologie seit dem Weltkrieg – ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 3.2.2 Die Althaussche Wesensbestimmung von Volk und Vaterland 329 3.2.3 Die „Vaterlandsliebe“ und die Verbundenheit mit „allem Menschentum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 3.2.4 Althaus’ Haltung zu den „Rassen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 3.2.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Exkurs: Volkstumstheologie bei Karl Barth . . . . . . . . . . . . . . . . 354 3.3 Althaus’ Positionierung zur Volkstumsbewegung und völkischen Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 3.3.1 Volkstumsbewegung und völkische Bewegung in der Weimarer Republik und ihr Verhältnis zu Christentum und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 3.3.2 Paul Althaus und die Studentenschaft . . . . . . . . . . . . . . . 369 3.3.3 „Protestantismus und deutsche Nationalerziehung“ – Althaus’ Vortrag vor der Fichte-Gesellschaft . . . . . . . . . . . 376 3.3.4 „Kirche und Volkstum“ – Althaus’ Vortrag auf dem Kirchentag in Königsberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 3.3.5 „Ein befremdlicher Vortrag über Volkstum und Kirche“ – Völkische Angriffe auf Althaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 3.3.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 4. Reich Gottes, Staat und Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 4.1 Das Reich Gottes in der Althausschen Ethik und Kulturauffassung 425 4.2 „Der Staat im Lichte des Reiches Gottes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 4.3 Der Staat als bedrohte Ordnung und das Recht auf Revolution . 434 4.4 Die Frage nach dem Staat und seiner Verfassung: Der Staat als Volksstaat und das Gott verantwortliche Führertum . . . . . . . 440 4.5 Die Weimarer Republik als „Notbau“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 4.6 Die politische Haltung von Paul Althaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 4.6.1 Die Frage nach einer evangelischen Partei – Althaus und der Christlich-Soziale Volksdienst . . . . . . . . 459 4.6.2 Althaus’ politische Haltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 4.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 5. Paul Althaus und die „Judenfrage“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 5.1 Jüdische Identität und Antisemitismus in Deutschland und Europa seit dem 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 5.2 Das Verhältnis von Christentum und Judentum bei Althaus . . . 486 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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5.2.1 Der heilsgeschichtliche Zusammenhang zwischen Judentum und Christentum und die bleibenden Erwählung Israels . 486 5.2.2 Die Entscheidung der Juden gegen Christus und die Vorstellung der Substitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 5.2.3 Die eschatologische Bedeutung Israels unter den Völkern 498 5.2.4 Die Verteidigung des Alten Testaments gegen völkische Angriffe und seine Vereinnahmung gegenüber dem Judentum 503 5.3 Althaus und die „Judenfrage“ im Rahmen seiner kulturpessimistischen Kritik der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 5.4 „Die Frage des Evangeliums an das moderne Judentum“ – Althaus’ religionsphilosophischer Dialog mit dem Judentum . . . 522 5.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 6. Althaus und die Frage nach den internationalen Beziehungen der Völker: Die neue Haltung zu Völkerbund und Krieg und der Freiheitskampf gegen Versailles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 6.1 Die Gemeinschaft der Völker und die neue Haltung zum Völkerbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 6.2 „Das ethische Ja zum Kriege“ und doch „kein Hindrängen mehr zum Krieg“ – Althaus’ ambivalente Kriegsauffassung in Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 Exkurs: Die Auffassung vom Krieg bei Bonhoeffer und Barth . . 556 6.3 Deutsche Freiheit und Völkerversöhnung – Althaus und die Revision von Versailles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 6.3.1 Weltwirtschaftskrise und Versailles im kirchlichen Diskurs in Deutschland und der Ökumene . . . . . . . . . . . 560 6.3.2 „Herr, mach uns frei!“ – Althaus’ Festrede zur Einweihung des Gefallenendenkmals der Erlanger Universität . . . . . . . 564 6.3.3 „Evangelische Kirche und Völkerverständigung“ – Die Hirsch-Althaussche Erklärung im Kontext des Kampfes gegen Versailles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 6.3.4 Die Hirsch-Althaussche Erklärung und der „national‑ sozialistische Bazillus“ – Althaus’ Verteidigung seiner Kritik 584 6.3.5 Paul Althaus und der „Fall Dehn“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 6.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 7. Paul Althaus und der Nationalsozialismus bis 1933 . . . . . . . . . . . . . 599 7.1 Die letzten Jahre der Weimarer Republik und der Aufstieg des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 7.2 Althaus und die Herausforderung der erstarkenden völkische Bewegung und des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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7.2.1 Der Ruf zur Kirche gegen die Vergötzung der Politik – Althaus und die „christlich-deutsche Bewegung“ . . . . . . . 605 7.2.2 Althaus’ Neuakzentuierung seiner Volkstumstheologie im Krisenjahr 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612 Exkurs: Offenbarungslehre im Dienst missionarischer Anknüpfung – Althaus, die Ur-Offenbarung und die Schöpfungsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621 7.2.3 Althaus’ Haltung zum Nationalsozialismus: Ja zur nationalen Freiheitsbewegung, nein zur rassistischen Parteiideologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 7.3 Die nationalsozialistische „Machtergreifung“ und die Kirchen . . 637 7.4 Althaus und die „deutsche Stunde der Kirche“: Die missionarische Gelegenheit von 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 7.5 Althaus, Barth und „Das Ja der Kirche zur deutschen Wende“ . . 647 7.6 Mit der Lehre von der Ur-Offenbarung wider die theologischen Kurzschlüsse eines „SA-Christentums“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 7.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667 7.8 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674 Kapitel V: Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 1. Faktoren der Anfälligkeit für den Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . 681 2. Faktoren der Resistenz gegen den Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . 698 3. Zwischen Zeugnis und Zeitgeist: Paul Althaus in der Zeit der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 1. Unveröffentlichte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 2. Bibliographie von Paul Althaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712 2.1 Monographien, Sammelbände, Aufsätze, Schriften und Artikel . . 712 2.2 Predigten und Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743 2.3 Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760 3. Veröffentlichte Quellen und Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768 Personenregister/Biogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 786 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Vorwort

Diese Arbeit ist die gekürzte und überarbeitete Fassung meiner gleichnamigen Dissertation, die im Wintersemester 2010/11 vom Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Theologie angenommen wurde. Betreut wurde die Arbeit von Herrn Prof. Dr. Berndt Hamm. Ihm bin ich in zweierlei Hinsicht zu großem Dank verpflichtet. Zum einen für das Vertrauen, das er in mich gesetzt hat, als er mich auf dieses Thema ansetzte; zum anderen für die Freiheit, die er mir in der Bearbeitung des Themas gelassen hat. Herrn Prof. Dr. Gotthard Jasper danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Dankbar blicke ich auf den anregenden Austausch mit ihm zurück, der mich neben meinem kirchengeschichtlichen Lehrer Berndt Hamm für die Beschäf­ tigung mit Paul Althaus begeistert und mir so manchen Blick in dessen Zeit eröffnet hat. Bei meiner Danksagung nicht unerwähnt bleiben sollen die vielen hilfs­ bereiten Mitarbeiter der Universitätsbibliothek Erlangen sowie des Landeskirchlichen Archivs Nürnberg. Eine Werkanalyse, zumal in Verbindung mit der Erstellung einer Bibliographie, kommt ohne deren Unterstützung nicht aus. Der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, insbesondere Herrn Prof. Dr. Siegfried Hermle und Herrn Prof. Dr. Harry Oelke, danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in ihre Reihe sowie für die Unterstützung bei der Überarbeitung für den Druck – ein Dank, der auch den Mit­ arbeitern des Verlags Vandenhoeck & Ruprecht gebührt, namentlich Herrn Christoph Spill. Darüber hinaus bedanke ich mich bei der Evangelisch-Lutherischen K ­ irche in Bayern, ohne deren Promotionsstipendium sowie deren Druckkostenzuschuss das gesamte Projekt nicht möglich gewesen wäre. Für einen Druckkostenzuschuss danke ich darüber hinaus der Dorothea und Dr. Richard ­Zantner-Busch-Stiftung an der Universität Erlangen. In diesem Zusammenhang seien Herr Jürgen Hubert sowie Frau Prof. Dr. Carola Jäggi genannt. Gedankt sei zuletzt meinem Mentor im Vikariat, Pfarrer Martin Adel, für sein großes Verständnis für meine Doppelbelastung sowie meinen Eltern dafür, dass und wie sie mir meinen Weg ermöglicht haben.

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Einleitung

Theologie und Verkündigung ereignen sich nicht im luftleeren Raum. Politisch aufgeladene Zeiten bringen politische Theologien hervor. Paul Althaus war ein solcher politischer Theologe. In kirchenpolitische, aber auch allgemeinpolitische Fragen hat sich Althaus gemäß seines Verständnisses von Christentum und Kirche mit ihrem gesellschaftlichen Auftrag immer wieder eingemischt. Politische und theologische Aussagen sind bei Althaus nicht zu trennen. Seine jeweilige Haltung bezüglich Kirche und Gesellschaft gründet in klaren religiösen, aus Schrift und Bekenntnis abgeleiteten Überzeugungen. Leben ohne Glauben ist für ihn ebenso unvorstellbar wie Glaube ohne Leben. Beides ist für ihn untrennbar verzahnt. Seine zahllosen Predigten, Vorträge und Publikationen legen davon Zeugnis ab. Paul Althaus ist allein schon deshalb von besonderem Interesse, weil er wie kaum ein anderer wissenschaftlich-akademischer Theologe seiner Zeit in seinen unzähligen Schriften, Fachbüchern und Predigten – er war mehr als drei Jahrzehnte Universitätsprediger in Erlangen  – ein breites Publikum in ganz Deutschland, aber auch darüber hinaus ansprach. Seine Werke zählten zu den Bestsellern, und seine Gottesdienste waren sehr gut besucht. Dazu kamen noch die vielfach überfüllten Hörsäle in Rostock und Erlangen. Seit Mitte der 20er Jahre bis Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts1 waren fast alle bayerischen evangelischen Pfarrer direkt oder indirekt mit Althaus und seiner Theologie in Berührung gekommen2. Man geht also kaum fehl, wenn man Althaus als einen der prägenden Theologen der jüngeren Vergangenheit bezeichnet. In einem auffälligen Missverhältnis zu dieser Bedeutung seiner Person steht nun aber die geringe wissenschaftliche Aufmerksamkeit, die seinem Leben und Werk bislang zuteilwurde. Einen Beitrag zur Erforschung dieses Mannes, der solch große theologische Wirkmächtigkeit besonders in Bayern entfaltet hat, möchte diese Arbeit leisten. Sie soll das Profil seines theologischen Denkens in seiner Kontinuität und Variabilität herausarbeiten und damit auch der Eigen 1 Wenn im Folgenden von 20er und 30er Jahren etc. die Rede ist, ist stillschweigend jeweils das 20. Jahrhundert gemeint. 2 Er lehrte in Erlangen seit 1925 bis über seine Emeritierung 1956 hinaus bis in sein Todesjahr 1966. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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dynamik einer derartigen Theologie in der Tradition des Luthertums gerecht werden. Es ist davon auszugehen, dass zwischen der Tatsache, dass Althaus in relative Vergessenheit geraten ist, und der vorwiegend nach 1945 umstrittenen theologisch-politischen Haltung, die er in den frühen 30er Jahren eingenommen hatte, ein Zusammenhang besteht. Auch die Althaus-Rezeption wurde von einer „Allianz aus Schuldvorwurf und Desinteresse an der Person“3 geprägt. Althaus war ein herausgehobener Vertreter einer Theologie, die sehr aufgeschlossen auf die Ideen und Ziele der politischen Volkstumsbewegung bzw. der völkischen Bewegung schon während des Ersten Weltkriegs zuging und diese Erfahrungen später in seinem theologischen Werk verarbeitete. Seine politische Theologie wies nicht nur theoretische Berührungspunkte mit dem Nationalsozialismus auf, seine Äußerungen 1933/34 lassen erkennen, welche praktischen Hoffnungen er auf die sogenannte „nationale Wende“ setzte. Die Aspekte einer solchen disponierenden Offenheit oder „Anfälligkeit“4 evangelischer Theologie für den Nationalsozialismus sollen untersucht werden und Faktoren für ihr Zustandekommen herausgearbeitet werden, die über Althaus hinausweisen. Dass dabei nicht nur die Frühphase der NS-Herrschaft von Interesse ist, sondern insbesondere die Zeit der Weimarer Republik, also die Zeit, in der auch der Nationalsozialismus seinen innenpolitischen Siegeszug antrat, versteht sich von selbst. „Es gilt den Blick […] in die Zeit vor 1933 zu richten, in welcher sich jene, auf bestimmte Züge des Nationalsozialismus zulaufenden Theologumena im Zusammenspiel mit den sozialen, mentalen und ideologischen Kontexten herausgebildet haben.“5 Roland Liebenberg hat unter diesem Gesichtspunkt Althaus’ Theologie bis zum Ende des Ersten Weltkriegs untersucht, es ist nun konsequent, diese Studie für die Zeit danach fortzusetzen. Bei dieser Analyse von Gründen der Anfälligkeit gilt es, sowohl intrinsische als auch extrinsische, sowohl theologische als auch nicht-theologische Faktoren herauszufiltern, die in einem komplexen Wechselspiel einander bedingen. Aufgrund der Tatsache, dass es keine zwangsläufige, determinierte Geschichtsentwicklung gibt, ist besonders der Zeitraum unmittelbar vor der „Machtergreifung“ Hitlers von Bedeutung, denn hier werden wesentliche Weichen gestellt. Ein Blick in die bisherige Forschung über Althaus zeigt, dass eine ausführ­ liche, sowohl die gesamte Breite seiner Veröffentlichungen als auch die Tiefe seiner jeweiligen Schriften, Artikel, Bücher und Predigten umfassende Beschäftigung mit seiner politischen Theologie in der Zeit zwischen dem Ende des Ers 3 So Kunze, Heckel, 207 über die Rezeption des DEK-Auslandsbischofs Theodor Heckel. 4 Vgl. Hamm, Rückert, 273. 5 Liebenberg, Gott, 11, Anm. 1. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ten Weltkriegs und der sogenannten „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten bislang ein Desiderat der kirchlichen Zeitgeschichtsforschung geblieben ist. Was über Althaus bisher in erster Linie veröffentlicht wurde, sind entweder sehr allgemein gehaltene Charakteristiken seiner Theologie6 oder sehr spezielle, auf einen einzelnen theologischen Topos konzentrierte Studien7. Etwas ausführlicher und für die Frage nach einer Gesamtschau seiner politischen Theologie ertragreicher sind die beiden Arbeiten von Robert P. Ericksen und Walther Mann. Erstgenannter geht auf den ihm für die Person Althaus zur Verfügung stehenden Seiten seines 1986 auf Deutsch erschienenen Buches „Theologen unter Hitler“ sowohl auf Althaus’ politischen als auch auf seinen theologischen Standort ein. Zu einer verknüpfenden Sichtweise, die man für Althaus als einzig angemessene bezeichnen muss, kommt es bei ihm kaum. So zerfällt bei ihm Althaus’ Person nahezu in einen politischen und einen theologischen Part. Seine erkenntnisleitende Frage nach dem „Bündnis zwischen evangelischer Dogmatik und Nationalsozialismus“ führt Ericksen daher folgerichtig nur zu recht oberflächlichen und pauschalen Antworten, die überdies kaum verallgemeinerbar sind. In die Tiefe z. B. von Althaus’ Verständnis vom Volk oder vom Staat dringt Ericksen nicht vor, auch konzentriert er sich zu sehr auf die Veröffentlichungen 1933 und in den Folgejahren, so dass er zur Frage nach dem Warum der Anfälligkeit von evangelischen Theologen für den Nationalsozialismus kaum Erkenntnisse bieten kann. Im Jahr darauf ging Walther Mann in seiner Monographie „Ordnungen der Allmacht“ auf das „Ordnungsproblem bei Paul Althaus“ ein, indem er dessen wichtigste Veröffentlichungen zu diesem Themenkomplex vor dem Hintergrund von Althaus’ Beteiligung an der ökumenischen Diskussion über „Kirche, Volk und Staat“ in den 30er Jahren theologisch untersucht. Auch wenn Mann es vermag, Entwicklungslinien in seinem theologischen Denken aufzuzeigen, und auch die Frage nach einer möglichen Nähe zu nationalsozialistischen Denkmustern anreißt, bleibt er doch bei einer rein theologischen Betrachtung stehen und kommt auf den politischen Althaus wenig zu sprechen. Auf kleinere Schriften und Artikel geht Mann ebenso wenig ein wie auf Althaus’ Predigten. Auch ist sein Fokus zu sehr auf die Ordnungstheologie gerichtet, um den ganzen Althaus in den Blick zu bekommen. In jüngster Zeit sind demgegenüber drei Arbeiten von besonderem Interesse, weil sie – mit jeweils eigener Schwerpunktsetzung – versuchen, dem Phänomen „Politische Theologie von Paul Althaus“ nachzugehen. An erster Stelle sei die

6 So zum Beispiel Grass, Theologie; Baur, Vermittlung; Sparn, Althaus. 7 So zum Beispiel Pöhlmann, Problem; Schäfer, Beurteilung; Kress, Allmacht. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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2007 erschienenen Dissertation von Roland Kurz aus dem Jahr 2000 genannt8, in der der Verfasser neben Wilhelm Stapel und Otto Dibelius auch Paul Althaus als typischen Vertreter eines „nationalprotestantischen Denkens in der Weimarer Republik“ charakterisiert. Zwar geht er zu Anfang auf die „Voraussetzungen des nationalprotestantischen Denkens“ ein, die er in groben Zügen anhand der wichtigsten Merkmale nachzeichnet, und zeigt auf, inwiefern Althaus als „Vertreter eines akademischen Nationalprotestantismus“ bezeichnet werden kann, doch trägt diese Zuordnung Althaus’ unter einen derartigen Oberbegriff, der wohl auf mehr als 80 Prozent der damaligen evangelischen Theologen zutrifft, wenig zur genauen Charakterisierung seiner politischen Theologie bei. Zentral geht Kurz auf Althaus’ Geschichts- und Ordnungstheologie ein und befasst sich auch mit seinen „politischen Überlegungen“ und seiner „Einschätzung des Nationalsozialismus“, doch tut er dies vorwiegend anhand seiner größeren Veröffentlichungen, ohne auf seine zahlreichen kleineren Schriften oder gar seine Predigten – außer einer kleinen Auswahl von Kriegspredigten aus dem Ersten Weltkrieg  – näher einzugehen. Die Theologie von Althaus macht nach dem Bild, das Kurz von ihr vermittelt, einen überaus statischen Eindruck, Entwicklungen, die gerade mit seinem sozialen Umfeld und den politischen Entwicklungen der Zeit zusammenhängen und auf seine politische Haltung Einfluss nahmen, können daher kaum nachvollzogen werden. Dabei sind gerade diese äußeren Eindrücke und Einflüsse wichtig bei Althaus und seiner politischen Theologie, der ja gerade als Theologe am Puls der Zeit sein wollte. Als zweites ist die unveröffentlichte Magisterarbeit von Ingmar Dette aus dem Jahr 2004 zu nennen, die Paul Althaus als Beispiel für „National-Protestantismus als deutsche Ziviltheologie“ herausgreift und sein geistiges Wirken ab 1914 bis Mitte der 20er Jahre untersucht. Althaus’ Theologie charakterisiert Dette „sowohl als politische Theologie (die die christliche Botschaft für politische, also immanente Zwecke funktionalisieren will), als auch als Zivil­ theologie“9, worunter er „eine in Sprachsymbolen ausgedrückte, bewußte, handlungsorientierende Erfahrungsauslegung dogmatischen (heißt: verpflichtenden) Charakters“10 versteht. Obwohl sich Dette der Tatsache bewusst ist, dass „bei einer Untersuchung sehr genau auf das Interdependenzverhältnis von Theologie, sowie der mentalen, ideologischen, kulturellen und sozialen Verfaßtheit der Zeit geachtet werden [muß], um die Spezifika des Althaus’schen Denkens deutlich herauszuarbeiten“11, will er seine Studie „nicht auf der sozio 8 Kurz, Denken. 9 Dette, National-Protestantismus, 6. 10 Ebd., 12. 11 Ebd., 4 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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logischen, sondern auf der anthropologischen Ebene“ führen12. Was er damit meint und bezweckt, bleibt im Unklaren. Über die Biographie Althaus’, über die Mentalität, über die soziale und politische Verfasstheit und über ideologische Strömungen der Zeit erfährt der Leser wenig, lediglich ein knappes Zwischenkapitel gibt einen „kurzen Überblick über die zeitgeschichtliche Situation als Orientierung zur Kontextualisierung seines Denkens“13. Die Darstellung und Wertung von Althaus’ Theologie verlässt daher die rein theologische Ebene nahezu nicht. Das Gemeinsame an allen bisher besprochenen Arbeiten ist zum einen eine ausgesprochen dürftige Beachtung des biographischen Hintergrunds der Person Paul Althaus. Zum anderen müssen sich alle Arbeiten den Vorwurf gefallen lassen, dass die vorhandenen Althaus-Quellen nur sehr eklektisch verwendet werden. Anders ist das bei der Untersuchung von Roland Liebenberg über die politische Theologie von Paul Althaus während des Ersten Weltkriegs, die 2006 als Dissertation eingereicht wurde und 2008 unter dem Titel „Der Gott der feldgrauen Männer“ erschien. In einem ersten Schritt untersucht er die mentalen und theologischen Prägungen und ideologischen Einflüsse auf den jungen Theologen, aber auch sein soziales Umfeld und seinen biographischen Hintergrund, die Althaus zu einer Persönlichkeit mit einer eigenen theologischen und politischen Haltung haben werden lassen. In einem zweiten Schritt untersucht er den Beginn seines öffentlichen Wirkens als Prediger im Weltkrieg und die ersten Ausformungen eines eigenen theologischen Ansatzes vor dem Hintergrund der ermittelten Prägungen und Einflüsse. Diese theologische Grundlage kennzeichnet Liebenberg als „theozentrische Erfahrungstheologie“, deren Schwerpunkt er in der Trias Gottesbild, Geschichtstheologie und Erlebnishermeneutik sieht. Liebenberg geht es in seiner Untersuchung nicht nur darum, uns den frühen Althaus näherzubringen, sondern er richtet gleichzeitig auch den Blick nach vorne, indem er schon an den frühen Althaus und seine Theologie die Frage nach der „Anfälligkeit für den Nationalsozialismus“ heranträgt. So verfolgt Liebenberg mit seiner Studie die Absicht, „die Ursprünge und Hintergründe der für Paul Althaus ausschlaggebenden Faktoren seines Votums für den NS-Staat aufzuzeigen“14. An die Untersuchungen Liebenbergs zu Althaus’ mentalen, sozialen, politischen und theologischen Prägungen gilt es anzuknüpfen. Um allerdings der Gefahr des Determinismus zu entgehen, die dem Versuch innewohnt, den Prä-

12 Ebd., 10. 13 Ebd., 6. 14 Liebenberg, Gott, 504. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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gungen in Kindheit und Jugend allzu viel zuzutrauen15, muss für die Frage nach der „Anfälligkeit für den Nationalsozialismus“ zusätzlich die unmittelbare „Vorgeschichte“ des „Dritten Reiches“, also die Zeit der Weimarer Republik, in den Blick genommen werden. Schließlich ist davon auszugehen, dass mentale Prägungen und Präferenzen – so wichtig sie für das ganze Leben auch sind – erst im Zusammenspiel mit konkreten, durch den jeweiligen gesellschaftlich-geschichtlichen Kontext bestimmten Lebenssituationen und daraus sich bildende Lebenserfahrungen zu bestimmten individuellen Handlungen und Entscheidungen führen16. Dabei gilt es allerdings darauf zu achten, dass die Zeit der Weimarer Republik in ihrer Eigenständigkeit wahrgenommen und nicht nur als bloße „Vorgeschichte“ für das „Dritte Reich“ betrachtet wird17. Erst dadurch kann der Offenheit und der Kontingenz der Geschichte Rechnung getragen und einer perspektivischen Verkürzung der Geschichte gewehrt werden18. Definiert man Kirchengeschichte mit Martin Greschat als „das Bemühen um das Verstehen des kirchlichen Lebens, Denkens und Handelns im Kontext der allgemeinen politischen und sozialen, ökonomischen und geistigen und nicht zuletzt der religiös-kulturellen Sehnsüchte und Gegebenheiten, Hoffnungen und Zwänge einer Epoche“19, 15 Zu hinterfragen ist beispielsweise die von Liebenberg angenommene weltanschaulich und theologisch determinierende Prägekraft der Mitgliedschaft bei einer studentischen Korporation, die er unter der Bezeichnung „männerbündisches Erbe“ zusammenfasst (vgl. ebd., 111–159). Wenn man sich bewusst macht, dass auch so unterschiedliche politische und theologische Charaktere wie Ernst Troeltsch, Karl Barth oder Karl Steinbauer an diesem „männerbündischen Erbe“ teilhatten, so verliert dieser Faktor für eine „Anfälligkeit“ für den Nationalsozialismus an Plausibilität. 16 Auf diesen Zusammenhang macht uns nicht zuletzt die Sozialpsychologie aufmerksam: „In vielen Situation unterschätzen Menschen den Einfluß situativer Kräfte und machen fälschlicherweise Dispositionen der Akteure für beobachtetes Verhalten verantwortlich“, so Bierbrauer, Sozialpsychologie, 28; vgl. ebd., 35.39.119 f.130. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch Mentalitäten einen Menschen nicht determinieren. Sie hängen „aufs engste mit anderen sozialen und politischen Strukturen zusammen. Das bedeutet freilich auch umgekehrt: Wenn die vorgeprägten Antworten den Herausforderungen nicht mehr entsprechen, verändert sich die Mentalität“ (Greschat, Bedeutung, 95). 17 Nipperdey, Geschichte, 232 schreibt dazu: „Die Geschichte ist mehr als Vorgeschichte für unsere Gegenwart, jede Vergangenheit war auch sie selbst, sie hatte eine offene Zukunft, die wir, die Historiker, ihr zurückgeben müssen. Der noble Traum des Historikers bleibt es, eine Vergangenheit aus ihren eigenen Möglichkeiten zu begreifen und nicht aus unseren Möglichkeiten oder unseren Perspektiven.“ Vgl. ders., Kontinuität, 204. 18 Dementsprechend rät Graf, Kulturluthertum, 73 im Blick auf Althaus, „aus hermeneu­ tischen Gründen seine theologische Produktion vor der sogenannten nationalsozialistischen ‚Machtergreifung‘ zunächst in ihrer relativen Eigenständigkeit“ wahrzunehmen. Vgl. Jasper, Theologiestudium, 253. 19 Greschat, Bedeutung, 73. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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dann ist es schier unmöglich, einen Theologen und seine Theologie – zumal wenn es sich um eine derart dezidiert politische wie bei Althaus handelt – monokausal nur-theologisch zu beleuchten. Denn eine theologische Haltung und von dieser herkommend eine theologische Lehre bildet sich nicht im luftleeren Raum, aller gesellschaftlichen Realität enthoben; sie hat Voraussetzungen, die es offenzulegen gilt. Im Anschluss an Liebenberg20 gehe auch ich bei der Untersuchung der politischen Theologie von Althaus von einem Beziehungsgeflecht zwischen der theologischen Theoriebildung einerseits und dem biographischen Hintergrund, den mentalen Prägungen, dem sozialen Kontext, den ideologischen Einflüssen und politischen Ansichten andererseits aus. Erst dieses Ensemble von einzelnen, sich wechselseitig durchdringenden Faktoren lässt auf die Persönlichkeit „Paul Althaus“ mit ihrer theologischen und politischen Haltung schließen, wodurch wiederum seine „politische Theologie“ danach befragt werden kann, warum sie so ist, wie sie ist. Dieser Interdependenz der Faktoren entspricht beim Erforschen derselben folglich auch eine Interdependenz der Methoden. So müssen neben die Kirchen- und Theologiegeschichte im engeren Sinn die Sozial-, Mentalitäts- und Ideologiegeschichte treten, will man dem Forschungsgegenstand gerecht werden. Untersucht werden sollen seine Bücher, Monographien, Aufsätze, kleineren Schriften, Artikel und Rezensionen aus der Zeit von 1918 bis 193321, um die Entwicklung seiner theologischen und politischen Haltung in dieser Zeit nachzeichnen zu können. Althaus soll aber nicht nur als theologischer Lehrer in den Blick genommen werden, sondern – zumindest exemplarisch – auch als Prediger, d. h. als jemand, der seine eigene Theologie immer auch in der Praxis der Verkündigung anwendet. Für ihn stand fest, dass Theologie und Verkündigung unmittelbar aufeinander bezogen sein müssen. Auf die Unter­ suchung der Althausschen Briefkorrespondenz wird weitgehend verzichtet  – zum einen aufgrund der Tatsache, dass dieses Material bislang noch nicht ediert wurde22, zum anderen weil ein solches Unternehmen den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Da es sich bei der vorliegenden Arbeit zur Althausschen Theologie in der Zeit der Weimarer Republik um eine kirchengeschichtliche und nicht um eine systematisch-theologische Untersuchung handelt, können letztgenannte Frage 20 Liebenberg, Gott, 20. 21 Manche Schriften werden aufgrund ihrer zentralen Bedeutung einzeln besprochen, andere werden kumulativ behandelt. 22 Eine Ausnahme stellen seine Studentenbriefe aus der Tübinger Zeit dar, abgedruckt in: ­Jasper, Theologiestudium. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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stellungen naturgemäß nur insofern in den Blick genommen werden, als sie zur Erhellung des historischen Gesamtzusammenhangs notwendig sind. Dass dies bei einem Systematiker wie Althaus vielfach der Fall sein wird, versteht sich von selbst. Dennoch kann diese Arbeit zentrale Topoi des Althausschen Werkes wie etwa die Geschichtstheologie, die Schöpfungsordnungstheologie sowie seine Lehre von der Ur-Offenbarung nicht eingehender betrachten, sondern muss sie angesichts der Vielzahl der Literatur über eben jene zentralen Themen bei Althaus entweder als bekannt voraussetzen oder sie der neuerlichen systematischtheologischen Forschung überlassen. Kirchen- und Theologiegeschichtsschreibung beschäftigt sich sowohl mit der Theologie selbst, als auch mit ihren historischen Voraussetzungen und ihrem zeitgeschichtlichen Kontext. Möge der Beitrag dieser Arbeit zunächst darin gesehen werden, eben jene Voraussetzungen des Althausschen Werkes und seinen Kontext in den Jahren 1918 bis 1933 zu erschließen, um von dort aus zu Person und Werk von Althaus vorzudringen. Um diesen auf die Spur zu kommen, ist eine differenzierte Kontextualisierung des Althausschen Schaffens vonnöten. Erreicht werden soll diese unter anderem durch ein komparatistisches Vorgehen. Ein zentrales Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, gerade angesichts der dialektischen Argumentationsweise und der damit zusammenhängenden vielfachen Uneindeutigkeit und Ambivalenz der Haltung und des Verhaltens Althaus’ besonders in den 30er Jahren die Spannungen zwischen Intention und Rezeption seiner politisch-theologischen Aussagen herauszuarbeiten23. Wichtig ist dazu, Althaus selbst breit zu Wort kommen zu lassen und der Textpragmatik24 seiner Schriften nachzuspüren. Will man sich in die damalige Zeit hineinversetzen, um Verhalten und Haltung der Theologen und Kirchenmänner verstehen zu können, gilt es sowohl die Entstehungsverhältnisse der Texte, als auch den inneren Antrieb ihrer Verfasser sowie ihre Rezeption greifbar zu machen. Erst wenn diese verschiedenen Perspektiven zusammenkommen, lässt sich ein plastisches Bild früherer, zumal uns heute nicht ohne weiteres nachvollziehba 23 Schon Tödt, Komplizen, 231 warnte vor der „Suggestion des Schemas, aus einem post hoc ein propter hoc zu machen, aus einer zeitlichen Reihenfolge eine kausale“. Bezeichnenderweise illustriert er diese Warnung am Beispiel Althaus’. Für ihn ist „zu unterscheiden, ob es eine subjektive, beabsichtigte Offenheit zum Faschismus hin gab oder – auch wider Willen – eine objektive, also eine, die sich im praktischen Wirkungszusammenhang darstellte. Wenn zum Beispiel 1931 Paul Althaus bei dem diffamierenden Angriff auf die deutschen Ökumeniker […] die Nationalsozialisten verteidigte, so wollte er nach meiner Vermutung eigentlich nicht Hitlers Angriffen gegen den ‚Internationalismus‘ das Wort reden oder helfen, ihn an die Macht zu bringen. Objektiv aber hat sein Agieren fördernd und vorbereitend für den Sieg der Nationalsozialisten gewirkt.“ 24 Zur Textpragmatik vgl. Kocher, Pragmatik, 450. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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rer Zeiten zeichnen. Dazu ist auch eine, die herkömmliche Althaus-Interpretation teilweise hinter sich lassende Relektüre erforderlich. Um den Hintergründen für die Uneindeutigkeiten dieser Zeit auf die Spur zu kommen, ist es mit Notger Slenczka nötig, „die subjektive Wahrnehmung der Situation zu rekonstruieren, die die jeweilige Option als geforderte und gute zu bewerten gestattete.“ Sodann gelte es, „die jene Wahl ursprünglich leitenden Motive zu erfassen“, denn der „Versuch, diese Motive zu erheben, ist die Voraussetzung dafür, daß ein vergangenes Votum verständlich wird“25. So hält es auch Gunther Mai für eine „unzulässige Verkürzung“, als Historiker nur der „‚objektiven‘ Wirklichkeit“ nachzugehen, nicht aber „nach der ‚interpretierten‘ Wirklichkeit, das heißt, nach der Wahrnehmung und politischen Verarbeitung dieser Gegebenheiten, nach den Wertvorstellungen, nach den kollektiven Mentalitäten“ zu fragen26. Es ist somit eine genuine Aufgabe der Geschichtswissenschaften, die Maßstäbe von handelnden Personen der Geschichte deutlich zu machen, um die Nebenwirkungen späterer Zeit von den eigentlichen Intentionen zu trennen. Kontraproduktiv ist dabei die von Friedrich Wilhelm Graf festgestellte „Tendenz zur moralischen Distanznahme“27, die es erschwert, sich in die damalige Zeit hineinzuversetzen und so den inneren Beweggründen der handelnden Personen nachzuspüren. Der vorliegenden Arbeit ist eine erstmals vollständige, sämtliche Veröffent­ lichungen umfassende Bibliographie von Paul Althaus beigefügt.

25 Slenczka, Ende, 258 f. Für ihn steht fest, „daß ein Mensch das Böse als Böses will, ist ein relativ seltenes ethisches Phänomen. Daß ein Mensch Böses um eines vermeintlich guten Z ­ weckes willen in Kauf nimmt, ist ein kommunes ethisches Motiv, dem sich kein politisch optierender Mensch wird entziehen können“. Diese Motive sind für ihn „gleichsam die mildernde Umstände, die eine im Blick auf die Folgen objektiv verwerfliche Tat wenigstens subjektiv verständlich machen.“ 26 Mai, Verteidigungskrieg, 583. Demgegenüber konnte im Jahr 1964 Wolfgang Tilgner im Rahmen seiner Beschäftigung mit der deutschen Volkstumstheologie in der Zeit der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“ noch den programmatischen Satz formulieren: „Für den einer vergangenen theologischen Entwicklung nachgehenden Historiker kann es nun nicht darum gehen, die verborgenen und uneinsichtigen Absichten einzelner völkischer Theologen zu analysieren […]. Vielmehr muß er sich an deren öffentliche Publikationen halten, die geschichtlich faßbar und greifbar sind. Nicht das innere Wollen, sondern die zur Geschichte gewordene theologische Denkarbeit bildet hier den Gegenstand der Nachforschung.“ (Tilgner, Volksnomostheologie, 10). Über diese Haltung ist die kirchliche Zeitgeschichtsforschung mittlerweile hinausgeschritten. 27 Graf, Nation, 307. Er fährt fort: „An die Stelle einer analytisch-kritischen begrifflichen Bestimmung der spezifischen Faszinations- und Leistungskraft nationalreligiöser Symbolik und rassistischer Denkformen treten die Pathosformeln des ‚wie furchtbar‘.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Vorbemerkungen

1. Die Weimarer Zeit als Krisenzeit „Viele unter uns stehen unter dem Eindrucke“, so schreibt Althaus „Zum ­Advent 1931“, „daß die Lebensnot nicht von heute auf morgen vorübergehen wird, daß wir uns für lange auf sie einrichten müssen. Immer deutlicher erkennen wir, daß die Not […] doch weithin nichts anderes als das notwendige Ergebnis unserer so hoch gepriesenen modernen Zivilisation, ihrer technischen und wirtschaftlichen Entwicklung ist. […] Der Zweifel, ob die sonst so oft bewährte Ratio, die vernünftige Organisationskraft des modernen Menschen auch dieses Mal des politischen und wirtschaftlichen Chaos der Welt Herr werde, schleicht wie ein lähmendes Gift durchs Land.“1

Wenn wir uns der deutschen Zwischenkriegszeit nach 1918 kirchengeschichtlich nähern wollen, gilt es, sich zunächst den wesentlichen Charakter dieser Jahre als Krisenzeit bewusst zu machen. Klaus Scholder bringt dies mit den Worten auf den Punkt: „Daß die Zeit aus den Fugen sei, daß sich in ihrem Schoße ein noch unbekanntes, gewaltiges Neues vorbereite, das die Misere des Weimarer Alltags mit einem Schlage beseitigen werde: diese Überzeugung beherrschte offenbar das Denken und Fühlen einer ganzen Generation.“2

Die Jahre zwischen 1918 und 1933 waren in Deutschland eine Zeit permanenter Krisenerfahrung. Der Erste Weltkrieg und sein Ausgang waren dabei zwar nicht der Auslöser der Krise, die bereits um die Jahrhundertwende mit dem rapiden Bevölkerungswachstum, der Industrialisierung, dem rasanten und bald den Alltag beherrschenden technischen Wandel und der Verstädterung einsetzte3, aber er war ein entscheidender Katalysator der Krise4. Paul Nolte 1 3113 Botschaft, 481. 2 Scholder, Geschichte, 78. Scholder nennt das Gefühl der Krise das „Grundgefühl der zwanziger Jahre überhaupt“. 3 Zum damaligen Leiden der Menschen an der Moderne vgl. Nolte, Ordnung, 107–111. 4 Für Nolte, ebd., 63 war der Weltkrieg „mindestens ebenso sehr eine Folge dieser Krise des beginnenden 20. Jahrhunderts, der erste Versuch einer Flucht aus ihr. Den zweiten Fluchtversuch markiert der 30. Januar 1933“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Vorbemerkungen

spricht für die Kriegs- und Nachkriegszeit von einer „fundamentalen Verstörung und Verunsicherung der deutschen Gesellschaft“, einer „Zeit gebrochener Erfahrungen und zerbrochener Deutungsmuster, die jene erstaunliche Radikalisierung auslösten, deren Ergebnisse die Wahlerfolge der NSDAP und die Kanzlerschaft Adolf Hitlers waren.“5 Furcht vor der Moderne, Angst vor der Modernität angesichts einer fragmentierten und segmentierten Gesellschaft war die zentrale Zeiterscheinung6. Eine verzweifelte Sehnsucht und Suche nach Homogenität und Gemeinschaft, nach Verwurzelung und Integration, ein „Hunger nach Ganzheit“ (Peter Gay) bestimmte das geistige Leben. „Wir stehen in einer Epoche“, konstatiert der Soziologe Franz Jerusalem im Jahr 1930, „die vom Individualismus zum Kollektivismus, von der Betonung des Einzelnen und seiner Werte zur Betonung der Gemeinschaft und ihrer Werte überzugehen im Begriff ist.“7 „Das vorherrschende, sich aufgrund der Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit weiter steigernde Gefühl der Unordnung und Zerrissenheit, das breite Bevölkerungsschichten ebenso ergriff wie Wissenschaftler und Intellektuelle, gab Utopien der Harmonie und der Stabilität immer neue Nahrung“,

so Nolte8. Diese Sehnsucht und Suche wandte sich gegen alle Erscheinungen, die als Ursache für die so schmerzlich empfundene und erlittene Zerrissenheit des deutschen Gemeinwesens haftbar gemacht wurden: Säkularismus und Liberalismus, Pluralismus und Individualismus. Während diese Phänomene als „westliche Ideen“, als Ideen der Aufklärung identifiziert und als Zerfallserscheinungen der deutschen Kultur gebrandmarkt wurden, lehnte man die „östlichen Ideen“ des Bolschewismus, die mit dem Kampf gegen das Bürgertum und gegen die Religion identifiziert wurden, in gleichem Maße ab. Das Heilmittel gegen die Krise meinten viele Nationalkonservative in einem dritten Weg, einem spezifisch „deutschen Weg“, finden zu können. Dessen sozialer Leitbegriff lautete „Gemeinschaft“ im Gegensatz zur bloßen „Gesellschaft“, lautete „Volks­ gemeinschaft“ als gleichsam pleonastische Zuspitzung9.

5 Ebd., 64. 6 Vgl. bei Althaus dazu 3113 Botschaft, 481.484. 7 Jerusalem, Gemeinschaft und Staat, 5, zit. nach: Nolte, Ordnung, 167. 8 Nolte, ebd., 65. Als wirkmächtigste Utopie erwies sich diejenige, die aus dem sogenannten „Augusterlebnis 1914“ stammte und mit den „Ideen von 1914“ umschrieben wurde; vgl. ebd., ­67–69. 9 Nach Nolte, ebd., 161 wird man „das Bewußtsein und die Überzeugung vieler Zeit­genossen ernst nehmen müssen, mit Ordnungsmodellen, die um […] die ‚Gemeinschaft‘ herum aufgebaut waren, eine tragfähige Antwort auf die Probleme des 20. Jahrhunderts gefunden zu haben“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Die Weimarer Zeit als Krisenzeit

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Für die Mehrzahl der evangelischen Theologen und Kirchenmänner war dieser „deutsche Weg“ ohne Frage ein dezidiert christlicher Weg aus der Krise, die von ihnen im Vergleich zu ihren nichtkirchlichen Volksgenossen als eine doppelte wahrgenommen wurde: nicht nur als Krise des deutschen Gemeinwesens, sondern auch als Krise kirchlicher Christlichkeit. Denn „gerade die Theologen hatten die Epoche der Auflösung der Einheitswelt durch Differenzierung der Gesellschaft, des Wissens und des Handelns in mehr oder weniger unabhängige Bereiche gerade auch als glaubensgefährdende Krise des Christentums und damit der Theologie erfahren.“10 „Hier zeigte sich kirchliche Überfremdungsangst vor Säkularisierungstendenzen, die sich im religionsneutralen Weimarer Staat durch pluralistische Tolerierung auch religionskritischer und kirchengegnerischer Tendenzen verstärkt geltend machten und kirchlicherseits kritisch beargwöhnt wurden.“11

Weitgehender Konsens herrschte unter den Theologen in der „These, daß die sozialen und politischen Probleme und Krisenphänomene der Zeit eine religiöse Dimension haben und deshalb nur von der Theologie angemessen bearbeitet werden können“12. Theologie tat sich auf diese Weise als Krisenhermeneutik hervor und meinte damit ihre gesamtgesellschaftliche Relevanz unter Beweis stellen zu können. „Eine derartige Definition der Krise als einer wesentlich geistigen erlaubt es ihnen dann auch, die Potenzen des eigenen Faches als wichtige Hilfe für die Suche nach ­Wegen aus der Krise ins Spiel zu bringen. […] Die Kulturkrise steht, in dieser Perspektive betrachtet, in einem Wechselverhältnis zur Krise der Religion, denn die Verdrängung und gesamtgesellschaftliche Marginalisierung der Religion wird interpretiert als Verlust an ethischer Orientierung und Sittlichkeit in der Gesamtkultur.“13

Ordnungstheologische Entwürfe waren eine mögliche und in damaliger Zeit als sehr plausibel erachtete Antwort auf die allgemeine Krisenmentalität. Die Überfremdungsangst vor dem Säkularismus, die weder spezifisch deutsch noch spezifisch protestantisch war, wurde nun allerdings protestantischerseits 10 Schneider, Spengler, 200. 11 Meier, Volkskirche, 12. 12 Tanner, Verstaatlichung, 64. 13 Ebd., 72. Tanner führt dazu aus: „Im Prozeß der Rationalisierung bzw. der Ausdifferenzierung relativ autonomer Kultursphären habe sich die einst durch die unbestrittene Geltung der religiösen Tradition gestiftete homogene Wertbasis zunehmend zersetzt und in jene ‚Anarchie der Werte‘ aufgelöst, die für das Individuum den Verlust an eindeutiger ethischer Orientierung mit sich bringe. So wird die Krise der Gegenwart […] als Folge der Modernisierung und Industrialisierung gedeutet.“ (ebd., 263). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Vorbemerkungen

in Deutschland vielfach durch eine Überfremdungsangst vor dem als kulturell und politisch im Vorrücken begriffen interpretierten Katholizismus ergänzt. Nachdem man sich im untergegangenen Kaiserreich durchaus als so etwas wie eine deutsche Leitkultur verstehen konnte, vertraten in der Weimarer Republik viele Evangelische die Überzeugung, dass „der deutsche Protestantismus zu den Besiegten des Weltkrieges und der Revolution gehört“ (­Rudolf Smend)14. Das evangelische Krisenbewusstsein sah sich in dieser Zeit des Weiteren von einem z. T. aggressiven christentumsfeindlichen „Neuheidentum“ bzw. vom Versuch einer germanisch-religiösen Transformation des Christentums herausgefordert, jeweils in erster Linie von völkischen Kreisen getragen, die eine „arteigene Religion“ suchten und forderten. Sofern sich die evange­ lische Kirche dieser Zeit außerdem, ohne aus dem eigenen Versagen bei der Auswanderung der Arbeiterschaft aus der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten ihre Lehren gezogen zu haben, weiterhin als bürgerliche und mit besonderer Vorliebe als bildungs­bürgerliche Kirche betrachtete, war der kirchlich verfasste Protestantismus außerdem hineingezogen in die Krise des Bürgertums in den 20er und 30er Jahren überhaupt15. Auf dieses vielgestaltige Krisensyndrom seiner Zeit musste und wollte Althaus mit einem eigenen theologischen Ansatz reagieren.

14 Smend, Protestantismus, 300. 15 Nolte, Ordnung, 87 f. benennt drei Aspekte dieser Krise: den „materiellen Verlust des bürgerlichen und mittelständischen Besitzes in dieser Zeit“, die „Auflösung des Bürgertums als einer soziokulturellen Formation“ und die „Krise der bürgerlichen Ideologie“, die er als „schwindende Sicherheit des ideologischen, mentalen und sprachlichen Selbstverständnisses“ dieser Gruppe bezeichnet. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

2. „Mein Böses verführt andere, nimmt ihnen Hemmungen, gibt ihnen das ersehnte gute Gewissen, schafft Atmosphäre, Hausgeist, Volksgeist, Zeitgeist.“ – Vorab ein Vor-Urteil über Paul Althaus1 Sich mit Paul Althaus vollkommen vorurteilsfrei zu beschäftigen, fällt aus zwei Gründen nicht ganz leicht: Zum einen aufgrund der von Althaus in der Frühphase der NS-Herrschaft gemachten Äußerungen, die zumindest für diese Zeit große Sympathien für die sogenannte „deutsche Wende“ erkennen lassen. Zum anderen angesichts der ihn behandelnden Literatur, wo er häufig in Folge einer perspektivischen Verkürzung der Geschichte ganz im Lichte der Ereignisse 1933/34 wahrgenommen wird. Um sich nun aber bei der Beschäftigung mit Althaus vor einer einseitigen „Hermeneutik des Verdachts“2 zu hüten, die hinter jeder seiner Aussagen vor 1933 eine Präfiguration einer möglichen NS-nahen Theologie vermutet, ist es notwendig, sich sowohl die Offenheit und Kontingenz von Geschichte, als auch die Veränderbarkeit gesellschaftlichnormativer Selbstverständlichkeiten bewusst zu machen. Der erste Gedanke bewahrt vor jeder Art von geschichtlichem Determinismus, der zweite öffnet den Blick für die Dimensionen kollektiver Prägungen, aber auch Verstrickungen3. Um einer einseitigen „Hermeneutik des Verdachts“ zu entgehen, halte ich es für unabdingbar, sich die Ambivalenzen und Spannungen im Leben und Wirken von Althaus deutlich zu machen. Erst sie bewahren uns vor vorschnellen Wertungen und damit vor einem schwarzweißmalerischen Schubladendenken. Dass dieser Ansatz nicht das Ziel haben kann, einer wie auch immer gearteten Exkulpation von Althaus das Wort zu reden, wird im Verlauf der Arbeit deutlich werden. Darüber hinaus erlaube ich mir – unbeschadet der Bedenken gegenüber einer „Hermeneutik des Verdachts“ – vorab ein Vor-Urteil über Althaus und sein Wirken zwischen 1918 und 1933. Zu diesem Vor-Urteil fühle ich mich umso mehr berechtigt, als es nicht einfach unserem heutigen kritischen Urteil über ihn entspringt, sondern seinen eigenen, selbstkritischen Äußerungen entnommen ist.

1 Wertvolle Anregungen zu diesem Kapitel habe ich dem Vortrag von Berndt Hamm mit dem Titel „Kriterien für den Umgang mit der Kirchengeschichte zwischen 1900 und 1950“ auf dem Oberseminar im Juni 2007 in Erlangen entnommen. 2 Zur „Hermeneutik des Verdachts“ vgl. Hiller/Wesche, Verdacht, 631 f. Vgl. auch Weder, Kritik, 59 f.82 f. 3 Vgl. Hamm, Schuld. Kritisch gegenüber Hamm und dessen Anwendung der Schuldkategorie im Rahmen historischer Erkenntnisse äußert sich Kaufmann, Elert, 240. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Vorbemerkungen

Althaus zeigte sich nämlich nach dem Ende des „Dritten Reichs“ durchaus bereit zu offener Kritik4. Im Dezember 1946 druckte die wissenschaftliche Zeitschrift „Prisma“5 einen Artikel von ihm mit dem Titel „Schuld“ ab, der in verschiedener Hinsicht bemerkenswert ist. Es handelt sich dabei um die deutlichste Auseinandersetzung von Althaus mit der Schuldthematik der vergangenen zwölf Jahre, sowohl in kollektiver als auch in ganz persönlicher Dimension. Gegen einen die Schuld relativierenden Determinismus – Althaus spricht von „naturalistischer Biologie […und] Soziologie“ – betont er: „Wir können uns unter Gottes Gebot nicht verstehen als bloßes Werk und Objekt des Schicksals, als Wirkung der Natur, als Ergebnis geschichtlicher Verhältnisse […]. Wir sind in unserem Sein und Tun wir selbst, Subjekt, Person, frei.“6 Dieses Person Sein geht für Althaus nicht auf im Gedanken der Wahlfreiheit, denn es gilt, „von Schuld ist auch da zu sprechen, wo ich selber nicht anders sein konnte als ich war.“7 Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, dass Althaus, der aufs Ende des Artikels zu mehr und mehr das ethische Moment der Verantwortung betont, schließlich auf die menschliche „Schuld-Gemeinschaft […] in den kleineren und größeren Lebensgemeinschaften“8 zu sprechen kommt. Auch wenn er aus erkenntnistheoretischen und theologischen Gründen – Gott allein schaut ins Herz  – betont, dass diese Schuld vor Gott besteht, nicht aber von einer menschlichen Instanz durchschaut werden kann, so ist es sehr auffällig, dass er hier überhaupt von „Schuld-Gemeinschaft“ spricht – in einer Zeit Ende 1946, wo er als derartig populärer Theologe große Gefahr lief, als Kronzeuge der damals virulenten Kollektivschuld-These vereinnahmt zu werden, mit all den damals nicht abzuschätzenden politischen und existentiellen Folgen. Offenbar war ihm aber der Gedanke der gemeinsamen Mitschuld in diesem Aufsatz wichtiger als diese Gefahr. Daraus lässt sich schließen, wie wichtig ihm dieser 4 Aus einem Gesprächsprotokoll des Amerikaners Stewart W. Herman, der im Oktober 1945 „Interviews with leading Bavarian Churchmen“ führte, erfahren wir von einem Gespräch mit Althaus vom 14. Oktober: „He was very hopeful about the future, stating that Christians knew that a Hitler victory would bring an end to the church.“ Aus diesem Grund hält er vormals aktive Nazis für das Theologiestudium für inakzeptabel. Herman fährt fort: „Bavarians, Althaus says, […] are eager to participate in an open criticism of their past with an view to planning für their future.“ (zit. nach: Vollnhals, Kirche, 177). 5 4604 Schuld. Diese Zeitschrift erschien 1946–1948 in München. 6 Ebd., 6. Wie wichtig es Althaus war, wirkliche menschliche Schuld gegen eine Sichtweise des Menschen als „Objekt des Schicksals“ zu betonen, zeigte schon 1935 seine Auseinandersetzung mit Wilhelm Hauer „Die Frage nach der Schuld im Deutschglauben“ (3507): „Der Mensch […] bleibt […] in seiner Schuld Gotte verantwortlich, und kein Gedanke an Gottes Verhängnis in unserem Sündigsein kann das Gewicht der Schuld verringern.“ (ebd., 462). 7 Ebd. In die gleiche Richtung argumentiert auch Hamm, Schuld, 17 f. 8 Ebd., 7 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Gedanke der deutschen „Schuld-Gemeinschaft“ überhaupt war9. Sehr deutlich wird Althaus am Ende seines Aufsatzes: „Ich bin auch mit allen anderen verknüpft in der großen Gesamt- und Wechsel­ wirkung des persönlich Bösen aller. Mein Handeln und Unterlassen, meine Haltung wirkt auf die anderen, in die Nähe und in die Weite, in der Gegenwart und in die Zukunft. Mein Böses verführt andere, nimmt ihnen Hemmungen, gibt ihnen das ersehnte gute Gewissen, schafft Atmosphäre, Hausgeist, Volksgeist, Zeitgeist. Jeder von uns baut mit an dem Reiche des Bösen und hilft es erhalten – es führt andere in vielleicht viel schwerere Zuchtlosigkeit, als ich persönlich lebe, hinein. […] Mein Reden und mein Schweigen, mein Billigen und stillschweigendes Dulden, mein vielleicht sehr bescheidenes und zahmes Mich-gehen-lassen, mein Mitläufertum in dem Aufstand wider Gottes Gebote, alles das hat ungeahnte, ungewollte, aber nichtsdestoweniger höchst reale Fernwirkungen. Dieser Zusammenhang macht mich mitverantwortlich vor Gott, weit über meine persönliche Schuld hinaus. […] Nicht alle Schuld ist meine persönliche Schuld. Aber ich bin in aller Schuld mitschuldig.“10

Nicht nur in dieser wissenschaftlichen und damit nur wenige Leser erreichenden Zeitschrift hat Althaus im Jahr 1946 die deutsche Schuld klar beim Namen genannt, sondern auch als Prediger hat er diesen Gedanken ins Volk getragen. So predigte er an Weihnachten 1946 in der bis auf den letzten Platz gefüllten Neustädter Kirche in Erlangen: „Wollen wir, die einzelnen, die Christen, uns von der Schuld der Führung und des ganzen Volkes ausnehmen? Ist es nicht einfach wahr, daß wir mit allem unserem Christentum doch nicht rechtzeitig erkannt haben, welcher gottlose Geist unsere politische Führung beherrschte, was da an Unrecht und Unmenschlichkeit geschah – und dieses Nicht-Sehen, ist es nicht mehr oder weniger doch auch Schuld? Und wenn wir sahen – daß wir nicht mehr aufbegehrt, nicht entschlossener Widerstand geleistet, nicht geschrien haben: es ist nicht recht, es ist Sünde! – haben wir uns dessen nicht zu schämen? Sind wir damit nicht alle, so klug wir uns für unser Schweigen jeweils entschuldigen konnten, an Gott schuldig geworden?“11

Neu ist dieser Gedanke einer kollektiven Schuldverstrickung bei Althaus 1946 nicht. Schon in seiner Eschatologie sprach er 1926 über die „Gesamtschuld der Väter und der Brüder“ und über die „soziologischen Zusammenhänge unserer Leidenschaften und Verkehrtheiten“ und fuhr fort: „Wir erben sie, wir wachsen 9 Er ergibt sich folgerichtig aus Althaus’ Gedanken der Verantwortungs-Gemeinschaft, mit dem er schon 1936 das Volk in die Pflicht nahm: „Das Volk ist für seine Führung mitverantwortlich, vor Gott dem Herrn, angesichts der Sache, des Willens Gottes in bezug auf dieses Volk“ (3607 Obrigkeit, 49). 10 4604 Schuld, 8. 11 4614P Gnade, 53. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Vorbemerkungen

in Geschlechts-, Familien-, Volks-, Zeitsünden hinein.“12 Wie wichtig Althaus das Thema deutscher und auch eigener Schuld am und im „Dritten Reich“ war, machen seine Predigten deutlich, in denen er über Jahrzehnte hinweg der deutschen Nachkriegsgesellschaft, die nur allzu leicht über das unbequeme Thema hinwegging, immer wieder den Blick zurück auf das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte zumutete. So heißt es in seiner Buß- und Bettagspredigt am 16. November 1955: „Dabei können wir nun gar nicht anders als an die große Schuld jenes früheren deutschen Staates denken, an der wir so oder so wohl alle beteiligt sind, die als Bann auf unserem Volke liegt, für die wir gutstehen, die wir bezahlen müssen – die entsetzliche Blutschuld des dritten Reiches, durch deutsche Männer bewirkt, Blutschuld an den Völkern des Ostens, an dem jüdischen Volke.“13

Aus diesen Worten, die als Worte der Selbstkritik gelesen werden müssen, lässt sich folgern, dass Althaus daran gelegen war, gegen eine Relativierung von Schuld seine Stimme zu erheben und auch eigene Schuld beim Namen zu nennen14. Er war sich offensichtlich nach dem Krieg durchaus bewusst, wie sehr gerade er als Professor und Prediger über Jahre und Jahrzehnte an einem Zeitgeist mitgewirkt hatte, der derartig schreckliche Folgen zeitigen konnte. Schon 1921 hatte Althaus seine Fähigkeit zur Selbstkritik an eigener Zeitgeistverfallenheit bewiesen, als er schrieb: „Wir denken […] alle irgendwie in den Lieblingsgedanken unserer Zeit und sind ihren Stimmungen verfallen.“15 Dass „der Weltgeist mitten in der Kirche die Wahrheit des Evangeliums und damit zugleich die Wahrheit des Glaubens zu verfälschen droht“, machte Althaus auch den Teilnehmern des Festaktes in Augsburg anlässlich des 400. Jubiläums der Confessio Augustana im Jahr 1930 deutlich16. Dieser „Weltgeist“ nimmt für ihn immer wieder „die Kirche für große herrliche irdische Ziele in 12 2604 Dinge, 224. 234. Vgl. 2304 Lehre, 62, wo dieser Gedanke bei Althaus zum ersten Mal auftaucht. 13 5504P Feuer, 213. Ganz auf der Linie seiner eigenen Geschichtstheologie leitet Althaus von dieser Schuld Gottes Nein zur deutschen Wiedervereinigung ab. 14 Dass er das damals nicht offener und konkreter aussprach, dafür aber deutlich zwischen den Zeilen, erklärt sich aus den damaligen Zeitumständen. Einerseits besaßen seine Leser die durch die Umstände im „Dritten Reich“ bedingte Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen. Der Leserschaft dieser wissenschaftlichen Zeitschrift dürfte ebenso der hohe Abstraktionsgrad des Aufsatzes geschuldet sein. Andererseits versteht es sich nahezu von selbst, dass Althaus 1946 während der so­genannten Entnazifizierung mit all ihren großen Rechtsunsicherheiten und tatsächlichen bzw. empfundenen Ungerechtigkeiten nicht deutlicher und konkreter von eigener Schuld spricht – zumal diese Schuld für ihn in erster Linie vor Gott gilt. 15 2105 Kreuz, 28. 16 3006 Bekenntnis, 205. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Anspruch, völkische und internationale“, und stellt besonders für „ihre Führer und Lehrer“ eine Versuchung dar17. Wie wichtig Althaus der Hinweis auf diese Gefahr war, zeigt er auch in einem Aufsatz über „Die Stellung der evangelischen Gemeinde zur Christengemeinschaft“, ebenfalls 1930: „Es fragt sich auch, ob es nicht ein Eingehen auf den heutigen Menschen gibt, bei dem man die Sache, die man ihnen bringen will, vor lauter vermeintlicher Zeitgemäßheit verliert.“18 So fand Althaus auch in seiner Predigt anlässlich der Wiedereröffnung der Erlanger Universität am 4. März 1946 deutliche Worte über „die Schande des deutschen Namens in der Welt, die Schuld, die Menschen unseres Blutes aufgehäuft haben“19: „Wir müssen leider noch mehr bekennen: Wissenschaft, akademischer Geist hat nicht gehindert, daß in den Jahren, die hinter uns liegen, die Würde des Menschen schauerlich mißachtet und geschändet worden ist, daß man die Ehrfurcht vor der Menschen Existenz und ihrer Bestimmung furchtbar verletzte, die Ehrfurcht, die auch der Leiche eines Menschen noch gebührt. Ja Wissenschaft hat bei den entsetzlichen Attentaten wider die Würde des Mitmenschen selber Handlangerdienste getan!“20

Die Erinnerung an die deutsche Schuld am und im Zweiten Weltkrieg war für Althaus als Prediger nach 1945 ein Herzensanliegen. Bis Ende der 50er Jahre hat er immer wieder die Schuld der Deutschen thematisiert und damit immer wieder das damals, als man sich lieber auf das Wirtschaftswunder konzentrierte, äußerst unliebsame Kapitel deutscher Geschichte in Erinnerung gerufen. So heißt es in einer Predigt im Mai 1957 zur Semestereröffnung: „Wir sind als Volk vor allem mit der Zeit des Nationalsozialismus noch nicht ehrlich fertig geworden.“21 „Dieser Predigtsatz“, so Henry von Bose, 17 Ebd., 210 f. 18 3016 Stellung, 3. Auch in 2408 Kirche, 86 warnt Althaus davor, dass das „pflichtgemäße Eingehen auf Zeitgedanken und Philosophien zur Preisgabe der christlichen Wahrheit“ zu führen droht. 19 4601P Bild, 1. 20 Ebd., 3. 21 In dieser Predigt über 1Kor 16,13 ruft Althaus dazu auf, „daß wir uns klar darüber werden, was in unserer Geschichte Größe und was Versagen, Schuld und Schande war und ist. […] Wir sind als Volk vor allem mit der Zeit des Nationalsozialismus noch nicht ehrlich fertig geworden. Wie viele haben hier abgeblendet und wollen davon nichts mehr hören und sehen, als ginge es uns nichts an! […] Hitlers Versagen und Entartung war in ihrer Tiefe doch auch deutsche Entartung, deutsches Versagen, das seinen Grund auch in spezifisch deutschen Eigenschaften hatte – der Nationalsozialismus hat sich ihrer bedient, sie schlimm entfesselt und gesteigert. Wir müssen dem ins Auge sehen und wach werden zu strengster deutscher Selbstkritik.“ (5704P Losung, 236 f.). Die gesamte Predigt ist vom Duktus der (selbst-) kritischen Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Vergangenheit und der Abwehr von Verdrängung geprägt. Vgl. seine Bejahung der fortgesetzten Strafverfolgung von NS-Verbrechen in seiner Predigt am Buß- und Bettag 1961: 6103P Buß- und Bettag, 68 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Vorbemerkungen „kann wie ein Leitmotiv für Althaus’ Geschichtsbewußtsein in dieser Zeit angesehen werden. Der auch in den 50er Jahren akuten Gefahr der Verdrängung der Schuld und des Leids ungezählter Menschen während des ‚Dritten Reichs‘, des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit begegnet Althaus in seinen Predigten […] mit markanten Hinweisen auf die Not jener Jahre.“22

Dieses Geschichtsbewusstsein und dieser Wille zur Erinnerung speist sich bei Althaus – wie wir gesehen haben – aus dem selbstkritischen Wissen um eigenes Fehlverhalten in der Vergangenheit. Dass Althaus mit seinem Handeln und Unterlassen mithalf, Hemmungen abzubauen und einen gefährlichen Volksgeist aufzubauen, hat 1990 schon Berndt Hamm formuliert. Wie Althaus von einer „Schuld-Gemeinschaft“, so spricht auch Hamm von einer „überindividuellen-kollektiven Dimension“ von Schuld, die er als „schuldhafte Verstrickung“ näher charakterisiert23. Besonders problematisch sieht Hamm die Rolle vieler lutherischer Theologen, deren „Art von Politisierung und Naturalisierung der Theologie […] schon vor 1933 die Hemmungen gegenüber dem nationalsozialistischen Volkstums- und Rassedenken ab[baute]. Bei aller Distanz und Kritik, etwa bei den Erlangern Paul Althaus und Werner Elert, fanden diese Lutheraner doch viele wichtige Anliegen des Nationalsozialismus, die von der Kirche positiv aufzunehmen und zu läutern seien.“24

Im Blick auf das von Althaus und Elert im September 1933 entworfene Erlanger Arierparagraph-Gutachten25 schreibt Hamm, Althaus habe seinen Teil dazu beigetragen, „daß die mentale Hemmschwelle gegenüber den Verbrechen der Nationalsozialisten abgebaut und die Toleranzbereitschaft, auch die Bereitschaft zum Wegsehen und die unbewußte ‚Fähigkeit‘ des Nicht-Wahrnehmens, erhöht wurde.“26 Auch wenn eine derartig formulierte Aussage auf der Voraussetzung basiert, dass Verbrechen tatsächlich mehr oder minder schon vor 1945 im Volk bekannt waren, so findet sie doch prinzipiell ihre Bestätigung bei Althaus selbst, wie oben gezeigt wurde. Er ist sich selbstkritisch im Klaren darüber, dass er mithalf, Hemmungen gegenüber dem Nationalsozialismus abzubauen und dass er vielen Menschen mit seinen Äußerungen „das ersehnt gute Gewissen“ gab. Hamm nennt das „kollektive Verstrickungen, Verblendungen und Narkotisierungen, denen sich nur wenige Klarsichtige und Nüchterne völlig entziehen konnten.“27 22 Von Bose, Erwärmung, 252 f. 23 Hamm, Schuld, 22. 24 Ebd., 28 f. Für Althaus spielte allerdings das „Rassedenken“ keine Rolle; vgl. Kap. IV, 3.2.4. 25 3309 Gutachten. 26 Hamm, Schuld, 33 f. Heftig widersprochen wurde ihm darin von Beyschlag, Sachen. 27 Ebd., 20. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Dass Althaus nicht zu diesen wenigen Klarsichtigen gehörte, braucht kaum eigens erwähnt zu werden. Schließlich gilt auch für ihn das Diktum von Karl Barth aus einem Vortrag im Dezember 1938 in der Schweiz: „Es ist eben schon recht und brav, wenn uns jemand heute versichert, daß er schon damals alles gewußt und vorausgesehen habe.“28 In diesem Sinne bemerkenswert ist die Offenheit, mit der Barth in diesem Vortrag auf sein anfängliches Verhältnis zum Nationalsozialismus zurückblickt: „Dazu ist zunächst zu sagen, daß der Nationalsozialismus in der ersten Zeit seiner Macht in der Tat den Charakter eines politischen Experimentes wie andere hatte und daß die Kirche in Deutschland damals – das ist noch heute meine Überzeugung – das Recht und die Pflicht hatte, sich daran zu halten, ihm als einem politischen Experiment zunächst Zeit und Chance zu geben und also sich selbst zunächst wirklich neutral zu verhalten.“29

Wie Althaus in der Zeit zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Beginn der NS-Herrschaft einerseits selbst – freilich nur auf dem Papier – politisch-theologisch experimentiert und theoretisiert hat und wie wenig er sich andererseits realen „politischen Experimenten“ gegenüber neutral verhalten hat, darum soll es in dieser Arbeit gehen.

28 Barth, Frage, 83. 29 Ebd., 80 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

3. „…daß der Mitmensch und der theologische Mitmensch ganz besonders, immer noch ein wenig komplizierter ist, als man angenommen hatte“ – Die Ambivalenz von Paul Althaus Wer sich näher mit Leben und Werk von Paul Althaus beschäftigt, dem fällt – vor allem beim Fokus auf die Zeit des Dritten Reiches – eines auf: Sein Leben und Wirken, seine Veröffentlichungen und Äußerungen sind zum Teil von erheblichen Ambivalenzen1 und Spannungen geprägt2, die sich scheinbar kaum in ein und derselben Person miteinander vereinbaren lassen. Um aber sowohl seiner Person als auch der historischen Situation gerecht zu werden, kann man diese Ambivalenzen nicht nach der einen oder anderen Richtung aufzulösen versuchen, indem man Althaus entweder einseitig rechtfertigt oder aber aburteilt. Sie entspringen seinem vermittelnden Charakter und seinem theologischvolksmissionarischen Ansatz ebenso wie den Zeitumständen, wie sie damals herrschten bzw. mehrheitlich wahrgenommen wurden. Der oftmals dialektische Charakter seiner Argumentationen, seine Fähigkeit, sich empathisch in die Position seines Gegenübers oder auch Gegners hineinzuversetzen, das Positive bei ihm zu finden und daran seinerseits anzuknüpfen sowie seine oftmaligen Versuche, in strittigen Fragen Extrempositionen zu vermeiden und jeweils einen ausgleichenden Mittelweg zu beschreiten, führten zwangsläufig zu seiner typischen Ja-aber- bzw. Sowohl-als-auch-Haltung3. Liebenberg spricht bei Althaus von einer „dialektisch-polaren Lebensauffassung“4, angelehnt an Althaus’ eigenen Lebensbegriff: „Leben ist nur, wo Spannung ist, Spannung ist nur, wo Pole sind.“5 Ingmar Dette spricht im Blick auf Althaus von „Uneindeutigkeit“, „inhaltlicher Mehrdeutigkeit“ und „Polyvalenz“6. Diese Tatsache führte bereits bei seinen Zeitgenossen dazu, dass Althaus äußerst unterschiedlich wahrgenommen und eingeschätzt werden konnte. Galt er den einen, wie Karl Barth und der Dialektischen Theologie, theologisch als 1 Unter Ambivalenz wird im Folgenden das Nebeneinander zwiespältiger, mehrdeutiger und vielfältiger Haltungen, Äußerungen und Handlungen der Person Paul Althaus verstanden, die jeweils – zumindest potentiell – gegensätzliche Reaktionen bedingen. 2 Zu den „Spannungen in Althaus’ Denken“ vgl. auch Wimmer, Eschatologie, 31 f. 3 Zu Althaus’ „Position zwischen zwei Extremen“ vgl. auch Kurz, Denken, 482 f. 4 Liebenberg, Gott, 159. 5 1506 Einkehr, 100. 6 Dette, National-Protestantismus, 4. Zur Althausschen „Dialektik des Ja und Nein“ und zur daraus resultierenden Ambivalenz vgl. auch Grass, Theologie, 228 und Schäfer, Beurteilung, 65.110. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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zu lutherisch, war er den Konfessionalisten wie Elert, Meiser oder Sasse nicht lutherisch genug7. Galt er kirchenpolitisch in der Regel als national-konservativ, war es Mitte der 20er Jahre dennoch möglich, ihn in großer Nähe zu den Religiösen Sozialisten zu verorten8. Wurde seine Theologie in der Regel als theozentrisch charakterisiert, so konnte er von Zeitgenossen zugleich als christozentrisch bezeichnet werden9. Wurde seine Eschatologie 1927 von biblizistischer Seite als defizitär angegriffen10, konnte er nur wenige Jahre später seinerseits einem „neueren Biblizismus“ zugerechnet werden11. Eine auffällige Spannung besteht zwischen seinem betont patriotischen und nationalen Habitus auf der einen Seite, für den Althaus weithin bekannt ist, und seinem für damalige Verhältnisse starken Interesse an ökumenischen Fragen und an einer internationalen Zusammenarbeit der Kirchen und Konfes­ sionen auf der anderen Seite, für die sich Althaus Zeit seines Lebens engagiert12. So sehr Althaus immer wieder deutlich die Volksverbundenheit des Luthertums und dessen Bedeutung für das Deutschtum betonte13, so sehr wehrte er sich gegen eine völkische Vereinnahmung des Reformators zu politischen Zwecken14 und so wenig ging ihm dabei das Bewusstsein für die weltweite Chris 7 Vgl. die Aussage Sasses in einem Schreiben an Martin Wittenberg im Mai 1944: „In Erlangen regiert jetzt Althaus als Dekan, damit ist die lutherische Zeit unserer Fakultät endgültig ab­ geschlossen.“ (zit. nach: Wittenberg, Sasse, 91, Anm. 31). Dass Althaus nicht den Konfessionalisten zuzurechnen ist, zeigt neben seinem für damalige Verhältnisse weiten ökumenischen Horizont auch sein theologisches Interesse für den Schweizer Reformatoren Johannes Calvin (1509–1564). Mit ihm beschäftigt sich bereits seine Dissertation über „Die Prinzipien der deutschen reformierten Dogmatik im Zeitalter der aristotelischen Scholastik (1401), und auch später ist ihm Calvin immer wieder theologischer Gewährsmann (vgl. 2507 Christentum, 149; 2606 Wesen, 270). 8 So schreibt Otto Piper in einer Rezension zu Althaus’ „Die Krisis der Ethik und das Evangelium“ im Jahr 1925: „Der Unterschied zwischen religiösem Sozialismus und Althaus liegt heute nicht mehr auf prinzipiellem, sondern nur noch auf taktischem Gebiete“ (ThBl 4 [1925], Nr. 12 [Dez. 1925], 304). 9 So heißt es in einer Rezension zu Althaus’ „Theologischen Aufsätzen“ in der ThLZ 1930, Nr. 22, 524: „Man darf bei A[lthaus] von einer christozentrischen Theologie reden.“ 10 Eichhorn, Dinge. 11 Engelland, Gewißheit. 12 Vgl. Kap. Kap. IV, 2.2. 13 Vgl. 1706 Luther; 1710 Prophet (vgl. Liebenberg, Gott, 406–423); 2602 Protestantismus; u. ö. 14 Vgl. seine Schrift „Luther und das Deutschtum“ aus dem Jahr 1917, in der Althaus sehr zeitgemäß einen deutlich „deutschen Luther“ nachzeichnet, aber dennoch einer rein nationalen Vereinnahmung Luthers eine klare Absage erteilt. So schreibt er, Luthers „Gewissenserlebnis“ blieb „davor bewahrt, […] in nationaler Selbständigkeitsbewegung aufzugehen. Luther hat gewiß […] die nationalen Anliegen der Deutschen mit echter Leidenschaft vertreten. Aber er kannte mehr als dieses […]: die Not der erschrockenen Gewissen und den Jammer der irregeleiteten Gewissen – und das alte Evangelium, das beiden half.“ (1706 Luther, 12 f.). Den gleichen Gedanken vertritt Althaus auch in 2602 Protestantismus, 94 f. und in 3001 Bekenntnisse, 6. Auch und gerade wäh© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Vorbemerkungen

tenheit verloren.15 Nicht zuletzt diesem Umstand verdankt es Althaus, dass er in den 20er Jahren in völkischen Kreisen als national nicht zuverlässig eingestuft und von dieser Seite mit Polemik überzogen wurde16 – ein Vorgang, der sich im „Dritten Reich“ wiederholen sollte. Diese oftmals uneindeutige Positionierung Althaus’ ließ gerade im Blick auf sein Verhalten im „Dritten Reich“ nach der Einschätzung von Günter Heidorn „keine konsequent antifaschistische Haltung zu; aber auch keine unbedingte Be­ jahung des Faschismus in all seinen Auswirkungen. Dieser Standpunkt führte zur Inkonsequenz und Zwiespältigkeit. Von ihm aus war eine immer weitere Annäherung an den Faschismus, aber auch eine ständig größere Distanzierung zu dessen anti­ humanen Politik möglich.“17

Es soll an dieser Stelle nur darum gehen, die wahrnehmbaren Spannungen schlaglichtartig zu benennen, die vor allem während der Zeit des „Dritten Reiches“ zutage treten. Erklärungsversuchen für sie und wertenden Konsequenzen daraus ist an anderer Stelle nachzugehen. Weithin bekannt ist von Althaus sein „Ja der Kirche zur deutschen Wende“18 von 1933, d. h. zur Wahl Hitlers zum Reichskanzler, auf den er nicht zuletzt infolge seiner Vorstellungen von einem „verantwortlichen Führertum“ große Hoffnungen für das damals als äußerst zerrissen empfundene Deutschland setzte. So groß seine Worte der freudigen Erwartung und des Dankes Gott gegenüber auch waren, den Weg in die NSDAP oder zu den „Deutschen Christen“, dem Brückenkopf der NS-Bewegung innerhalb der evangelischen Kirche, hat er – anders als so mancher seiner Kollegen – nicht eingeschlagen19. So rend des „Dritten Reiches“ bleibt er dieser Linie treu. So schreibt er in einer Rezension 1938, „in einer Zeit vielfachen Mißbrauchs und peinlicher Verzeichnungen Luthers“: „Nicht völkisch, nicht politisch, nicht ‚protestantisch‘ oder kulturprotestantisch wird Luther hier gesehen, sondern  – evangelisch, als der Zeuge des Evangeliums, und damit echt ‚lutherisch‘.“ (3802R Klein, 759). Vgl. die Rezensionen 3801R Elert, 69 und 4201R Ritter, 320. Dass Althaus über Jahrzehnte gegen eine völkische und politische Vereinnahmung Luthers vorgeht, zeigt, wie wichtig ihm der Punkt ist. Zum Topos „Luther und das Deutschtum“ vgl. Kurz, Denken, 215–217. 15 Vgl. dazu – um nur ein Beispiel unter vielen herauszugreifen – seine Äußerungen über das die natürlichen Volksgrenzen hinter sich lassende Gottesvolk in 1904 Erlebnis, 15.20.25. 16 Vgl. Kap. IV, 3.3.5. 17 Heidorn, Geschichte, 182. 18 So der Titel seines Aufsatzes 3312. 19 Zuweilen findet sich in der Literatur die Annahme, Althaus sei kurze Zeit bei den „Deutschen Christen“ gewesen; vgl. Meisiek, Theologiestudium, 287; Knitter, Uroffenbarungslehre, 152; Feige, Varieties, 261 f.; Sonne, Theologie, 14. Diese Annahme ist falsch, sie dürfte auf einen Verständnis- bzw. Übersetzungsfehler aus der amerikanischen Althaus-Forschung zurückzuführen sein, wo offenbar die „christlich-deutsche Bewegung“ (CdB), der Althaus 1931 bis 1933 angehörte (vgl. Kap. IV, 7.2.1), mit der „deutsch-christlichen Bewegung“ verwechselt wurde. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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nachdrücklich er am Anfang des „Dritten Reiches“ auf Hitler baute und dessen vagen Versprechungen an die Kirchen Glauben schenkte, so deutlich lehnte Althaus, der zeitweilig selbst als möglicher Reichsbischof gehandelt wurde20, andererseits den DC-Mann und Hitler-Vertrauten Ludwig Müller zuerst als Kandidat für das neu zu schaffende Amt21 und später als gewählten Reichs­ bischof ab22. Weniger eindeutig als der erste Anschein vermuten lässt, ist auch die Haltung von Althaus in der sogenannten „Judenfrage“, zumal im innerkirch­lichen Bereich. Sprach er sich im zusammen mit Werner Elert verfassten „Theo­ logischen Gutachten über die Zulassung von Christen jüdischer Herkunft zu den Ämtern der deutschen evangelischen Kirche“ vom September 193323 im Hinblick und mit Rücksicht auf die Gegebenheiten und Empfindungen des (Kirchen-)Volkes für eine weitgehende zukünftige Zurückhaltung von Judenchristen bei der Ämterbesetzung aus, so hat er in der Folgezeit in der Praxis selbst durchaus anders handeln und sich noch 1943 für die Verwendung eines sogenannten „Judenchristen“ im kirchlichen Dienst einsetzen können24. 20 Vgl. den vertraulichen Bericht Theophil Wurms an die Dekanate vom 30.5.1933, in dem es heißt, er habe als potentielle Kandidaten für das Reichsbischofsamt „bisher an Namen wie Marahrens oder Althaus oder Rendtorff oder andere in der Theologie oder Kirchenleitung hervorgetretene Persönlichkeiten“ gedacht. Der Bericht ist abgedruckt in: Schäfer, Landeskirche, 106 ff., hier 107. 21 Seine Sympathie galt uneingeschränkt dem Gegenkandidaten von der Jungreformatorischen Bewegung Friedrich von Bodelschwingh; vgl. Scholder, Kirchen, 495 f.; und Baier, Christen, 48. Weiling, Bewegung, 311 sieht in der Reichsbischofsfrage den entscheidenden Anlass für die Spaltung der „christlich-deutschen Bewegung“ unter Heinrich Rendtorff: „Diejenigen, die ihm bittere Vorwürfe wegen seiner Kompromißbereitschaft gegenüber den ‚Deutschen Christen‘ machten, gingen zur kirchlichen Opposition.“ Zu dieser Opposition gegen die Deutschen Christen gehörte – mit Abstrichen – auch Althaus, der Ende Juni 1933 aus dem Herausgeberkreis der CdB-Zeitschrift „Glaube und Volk“ ausschied und durch den Deutschen Christen Hermann Wolfgang Beyer ersetzt wurde (ebd., 312); vgl. Kap. IV, 7.2.1. Becker, Euphorien, 42 sieht in der „Entscheidung für Friedrich von Bodelschwingh den „Versuch, einen Rest von Unabhängigkeit gegenüber dem Staat zu demonstrieren und vor allem der innerkirchlichen Konkurrenz der Deutschen Christen den allzu rasanten Aufstieg zu den Schalthebeln der Macht zu verbauen.“ 22 Vgl. die von Althaus mitunterzeichnete Rücktrittsforderung der deutschen theologischen Hochschullehrer vom 5.11.1934 (3422 Telegramm). 23 3309 Gutachten. 24 So schreibt der emeritierte Pfarrer Rolf Neumann 1992: „Einem mir gut bekannten Studienfreund, der einen jüdischen Vater gehabt hat, hat er [= Althaus] finanziell geholfen dadurch, daß er ihm zu einem Stipendium verholfen hat. Obwohl der Student nur als Gasthörer hören durfte, hat er ihn mehrere Semester zum Senior seines apologetischen Seminars gemacht, er hat ihm, als dieser in seinem letzten Studiensemester Anfang 1943 Schwierigkeiten mit der Gestapo bekam, dazu verholfen, daß die bayerische Landeskirche ihm das Examen abgenommen hat und daß er dann im Elsaß von der dortigen Kirche als Vikar übernommen wurde. Ich glaube, daß diese Hilfe zeigt, daß Prof. Althaus auch innerlich nicht mehr die Meinung des ‚Erlanger Gutachtens‘ vertreten hat.“ (DtPfrBl 92 [1992], H. 3 [März 1992], 107); vgl. Töllner, Frage, 65; und Fix, Glaubensgenossen, 61. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Vorbemerkungen

Auch seine Unterstützung für wegen Hilfe für Juden angeklagte Lehrerinnen in Bremen im Mai 1942 spricht eine andere Sprache als sein neun Jahre zuvor abgegebenes Votum in der kirchlichen „Judenfrage“ oder als seine Apostrophierung des Judentums als „Fremdkörper“ in Deutschland in seinen EthikLehrbüchern ab Ende der 20er Jahre25. Mit diesen Vorgängen ist bereits das ambivalente Verhältnis Althaus’ zum Judentum überhaupt angesprochen. Anti­ semitische Äußerungen finden sich bei Althaus mehrfach, doch hat er hat nicht versucht, seine Ressentiments gegen Juden rassenideologisch zu begründen. So sehr er sich in fataler Weise gerade mit dem Arierparagraph-Gutachten dem Zeitgeist auch öffnete, dem damals allenthalben so sehr in Mode gekommenen Rassenantisemitismus konnte und wollte Althaus sich zu keinem Zeitpunkt anschließen26. Eine weitere Ambivalenz, die von seiner in aller Regel eingenommenen Mittelposition herrührt, findet sich in seinen theologischen und kirchenpolitischen Äußerungen im sogenannten „Kirchenkampf“. Auf der einen Seite bekämpfte er engagiert in Erklärungen, Aufsätzen und Monographien die kirchen- und christentumsfeindlichen Positionen von völkischer und nationalsozialistischer Bewegung27 sowie die radikalen Auswüchse der Deutschen Christen28, denen er Irrlehre und völkische Transformation des Christentums vorwarf29 und dafür beißende Polemik über sich ergehen lassen musste30. Auf der anderen Seite konnte und wollte er vor allem aus theologischen Gründen nicht die theologische Position der entschiedenen Bekennenden Kirche und ihres Spiritus Rector Barth teilen. Wie sehr sich gerade dieser der Uneindeutigkeit und Ambivalenz von Althaus und dessen Position bewusst war, zeigt ein Schreiben Barths an Althaus vom 3. August 1933, in dem er seine freudige Überraschung darüber zum Ausdruck brachte, dass sein Erlanger Antipode nicht auf die Seite der Deutschen Christen getreten ist. Unter anderem heißt es dort:

25 Vgl. Kap. IV, 5.3 und 5.5. 26 Vgl. seine Äußerungen in 3109 Bazillus; vgl. Kap. IV, 7.2.3. 27 Vgl. 3406 Christus; 3506 Liebe; 3703 Völker. Auch gegen Stapel und dessen Volksnomostheologie und gegen Gogarten argumentiert Althaus und wirft ihnen eine unchristliche Volkstumstheologie vor; vgl. 3212 Nomos; und 3505 Theologie, 34 ff. 28 Vgl. 3314 Volks-Geschichte; 3421 Rat; 3515 Christentum. 29 Vgl. 3406 Christus, 34, wo er schreibt: „Wir wollen keine Deutsch-Kirche, aber eine deutsche Kirche, die unter ihrem Volke nicht nur verkündigt, sondern mit ihm seine Geschichte lebt. Wir wollen keine völkische Kirche, die Gesetz und Evangelium nach der Mode einer völkischen Weltanschauung umbiegt und einschränkt; aber eine Volkskirche, die mit Liebe eingeht in ihres Volkes Leben und um immer neue Verdeutschung und Vergegenwärtigung der Botschaft ringt.“ 30 Vgl. Leutheuser/Fascher, Mißverständnis; und Oberheid, Christentum. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Es war mir eine rechte Erquickung, schon […] zu vernehmen, daß Sie sich den D[eutschen] Chr[isten] nicht angeschlossen hätten und also mit Hirsch vorläufig nicht mehr im Dualis gingen. Ich hätte Ihnen tatsächlich das Unrecht angetan, ohne weiteres anzunehmen, auch Sie würden ‚gleichschalten‘. Verzeihen Sie mir!“31

Barth spricht im Sommer 1933 im Blick auf Althaus sogar von „unvermuteten Zusammengehörigkeiten“32. So sehr Barth und Althaus sich als theologische Größen auch zum Teil polemisch gegenüberstanden und die Theologie des jeweils anderen bekämpften, so wusste es Althaus dennoch, zwischen der sach­ lichen und der menschlichen Seite zu unterscheiden33. Bemerkenswert ist es, dass Althaus auch ihm kritisch gegenüberstehende „Barthianer“ wie Walther von Loewenich, Helmut Thielicke und Werner Wiesner als Doktorvater betreute. So schreibt Thielicke in seiner Autobiographie: „Ich ging nicht zu Althaus, weil ich sein Schüler werden wollte  – dazu hatte ich zu viele Vorbehalte  – sondern weil er mir eine völlig freie Entfaltung der eigenen ­Entelechie gewähren würde. […] Und es machte ihm später auch kaum etwas aus, daß ich [in meiner Dissertation] eine durchaus polemische Haltung gegenüber seiner Theologie vertrat.“34 31 Das Zitat entnehme ich Knitter, Uroffenbarungslehre, 188 f. Im weiteren Verlauf schreibt Barth: „Du liebe Zeit, es sind in diesem merkwürdigen Sommer so Viele umgekippt, bei denen ich mich darüber wunderte, daß ich Ihnen den, wie ich dachte, kleinen Ruck in jener Richtung nicht einmal bes. übel genommen, sondern wohl nur mit einem grimmigen: ‚Natürlich!‘ vermerkt haben würde. Aber die allgemeine Katastrophe hat ja tatsächlich auch Überraschungen nach der anderen Seite gezeitigt. Wie sie überhaupt ungemein viel Verborgenes ans Licht gebracht hat, unvermutete Trennungen und unvermutete Zusammengehörigkeiten. Wie sollte ich mich nicht freuen, daß es zwischen Ihnen und mir diesmal das letztere war? Und wie sollte ich mir dadurch, daß meine Prognose in Bez. auf Sie so fehl ging, nicht sagen lassen, daß der Mitmensch und der theologische Mitmensch ganz besonders, immer noch ein wenig komplizierter ist, als man angenommen hatte“. Barth erhielt dieses Urteil über Althaus nicht sehr lange aufrecht, sondern wähnte ihn nach den weiteren Ereignissen 1934 mehr und mehr in der Nähe der Deutschen Christen; vgl. Barth, Nein, 8 f. 32 Dieser Umstand spricht einmal mehr dafür, für die Zeit des sogenannten „Kirchenkampfes“ deutlich zwischen theologischer, kirchenpolitischer und allgemeinpolitischer Position zu differenzieren, um zu einem klaren Urteil zu gelangen. 33 Für Meiser, Althaus, 83 ist „das Nichtverstehen zwischen Barth und Althaus […] ein Teil der Tragödie neuerer deutscher Kirchengeschichte.“ Freilich war das Verhältnis Althaus’ zur Dialektischen Theologie nicht zu jedem Zeitpunkt negativ. Nach von Loewenich, Althaus, 13 gab es „Zeiten, in denen A[lthaus] ihr sehr nahestand, am nächsten wohl in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre.“ Für ihn ist es „bezeichnend“, „daß damals A[lthaus] zusammen mit Karl Barth und Karl Heim im Chr. Kaiser-Verlag die ‚Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus‘ herausgab.“ Ein Brief Barths an Althaus vom 2.1.1933 bestätigt dies. Zentrale Passagen daraus zitiert Meiser, Althaus, 117. 34 Thielicke, Gast, 83. Ähnlich äußert sich von Loewenich, Theologie, 67; und ders., Fakultät, 643. Zu Wiesner vgl. Mann, Ordnungen, 71. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Vorbemerkungen

Diese Aussagen decken sich mit dem Befund Cornelius H.  Meisieks über „Evan­gelisches Theologiestudium im Dritten Reich“, der feststellt: „Für Theologiestudenten der Bekennenden Kirche wurde die Erlanger Fakultät […] vor dem Hintergrund der Zerstörung derjenigen Ev.-theol. Fakultäten, die in den Anfangsjahren des Dritten Reiches profilierte BK-Hochburgen gewesen waren, interessant.“35 Es wurde in Erlangen zwar „keine explizite BK-Theologie geboten, es bestanden im Gegenteil erhebliche Reserven gegen Barth und die Barmer Theologische Erklärung. Aber es gab dort eine vom nationalsozialistischen Anspruch weit­ gehend freie theol. Ausbildung.“36

Besonders hebt Meisiek den Umstand hervor, dass ausgerechnet Erlangen nach dem „Ansbacher Ratschlag“, der die Fakultät „in den Augen der Theologiestudenten der BK dauerhaft zu disqualifizieren“ schien37, gerade auch für solche Studenten, die andernorts aus politischen Gründen vom Studium ausgeschlossen wurden, wieder zu einer ersten Adresse in Deutschland wurde38. Wie sehr sich Althaus mit seiner damaligen Haltung zwischen alle Stühle setzte, wird besonders deutlich anhand seiner Unterschrift unter den „Ans­ bacher Ratschlag“ vom Juni 193439 gegen die Barmer Theologische Erklärung, diesen mühsam ausgehandelten theologischen Kompromiss der 1.  Reichs­ bekenntnissynode der Bekennenden Kirche, der eben vorwiegend von Barth formuliert wurde und daher in erster Linie dessen Theologie Rechnung trug. Während sich Althaus mit seiner Unterschrift bewusst theologisch von Barmen abgrenzen wollte40, wodurch er eine Schwächung der gemeinsamen Bekenntnisfront gegen die Deutschen Christen fahrlässig in Kauf nahm, rückte er gleichzeitig kirchenpolitisch zumindest kurzfristig in die Nähe der ­Deutschen 35 Meisiek, Theologiestudium, 288. 36 Ebd., 296. 37 Ebd., 288. 38  Zum theologischen Nachwuchs, den Althaus trotz unterschiedlicher theologischer und politischer Ausrichtung förderte, gehört auch Dietrich Bonhoeffer, dem er 1931 half, einen Verlag für seine Habilitationsschrift zu finden. Vgl. die beiden Dankesschreiben von Bonhoeffer an Althaus vom 28.1.1931 und 16.9.1931, abgedruckt in Bonhoeffer, Barcelona, 232 f.; und Ders., Ökumene, 23 f. Die beiden ließen sich in der kurzen Folgezeit gegenseitig ihre Schriften zukommen; vgl. ebd, 24.44. 39 3407 Ratschlag. 40 Dass es ihm beim Ansbacher Ratschlag nur um eine theologische Kritik an der Barmer theo­ logischen Erklärung gehe, er sich aber nach wie vor kirchenpolitisch „innerhalb der gemeisamen Barmer Front“ sehe, erklärte Althaus bei einer Aussprache in Erlangen Ende Juni 1934. Vgl. Frör, Wort, 311; vgl. die redaktionelle Anmerkung in: JK 2 (1934), H. 15 (4.8.1934), 637 und im Korrespondenzblatt Nr. 28 (9.7.1934), 318, wo es von Seiten der Schriftleitung heißt: „Wir freuen uns, daß Herr Professor D. Dr. Althaus […] seine Bedenken innerhalb der Sache der Barmer Bekenntnissynode erhebt.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Christen bzw. des NS-nahen „Ansbacher Kreises“ von bayerischen Pfarrern41. Den Ansbacher Ratschlag selbst kann man nur als ein Bekenntnis zum National­ sozialismus und zur Person Hitlers interpretieren. Als Althaus die Vereinnahmung seiner Person durch die Deutschen Christen klar wurde42, setzte er ein deutliches Zeichen für seine kirchenpolitische Position, die er damals durchaus auf Seiten der Bekennenden Kirche ansiedelte: Althaus trat – gemeinsam mit Elert – aus dem „Ansbacher Kreis“ aus43 und nahm als bayerischer Synodaler an der 2. Reichsbekenntnissynode der Bekennenden Kirche im Oktober 1934 in Dahlem teil, wo er öffentlich erklärte, seine Unterschrift unter dem Ansbacher Ratschlag zurückgezogen zu haben44. Kirchenpolitisch zählte sich Althaus stets zum Umfeld der Bekennenden Kirche, was sich freilich nach Außen kaum niederschlug45, was ihm aber auch Theologen der Bekennenden Kirche attestierten, die theologisch nicht mit ihm konform gingen46. So spricht Günther Koch 1958 von einem „heimliche[n] Kirchenkampf“, in dessen Geschichtsschreibung „auch einige wichtige Seiten über die Erlanger Fakultät zu finden sein werden.“47

41 Vgl. den Abdruck des Ansbacher Ratschlags in der DC-Presse unter dem Titel „Führende Theologen widerlegen Barmen. Der ‚Ansbacher Ratschlag‘ zu der Barmer ‚Theologischen Erklärung‘“ in: Evangelium im Dritten Reich. Die Kirchenzeitung der evangelischen Nationalsozialisten (Reichsausgabe) 3 (1934), Nr. 26 (1.7.1934), 331 f. 42 Dass er nicht mit den Deutschen Christen in einen Topf geworfen werden will, macht er gleich zu Beginn seiner „Bedenken zur ‚Theologischen Erklärung‘ der Barmer Bekenntnissynode“ deutlich: „Nicht um die Barmer Bekenntnis-Synode als solche geht es im Folgenden, sondern allein um die ‚Theologische Erklärung‘, die sie angenommen und erlassen hat. […] Mit der Gewaltherrschaft in der Kirche gibt es für uns keinen Frieden. Auch wir lassen hier nicht mit uns reden. Wer sich in dieser Hinsicht wegen unserer theologischen Kritik an der Barmer Erklärung etwa Hoffnungen auf uns machen sollte, der wird sich schwer enttäuschen.“ (3410 Bedenken, 318). 43 Vgl. AELKZ vom 21.9.1934, 908. 44 Vgl. Niemöller, Bekenntnissynode, 50. 45 Einen Hinweis darauf gibt der Umstand, dass Althaus Ende August 1933 neben Karl Barth, Adolf Schlatter, Hans Asmussen, Hermann Sasse und weiteren als vertrauenswürdig eingestuften Theologen gehörte, denen Friedrich von Bodelschwingh seinen ersten Entwurf für ein „Betheler Bekenntnis“ mit der „herzlichen Bitte um Prüfung und Mitarbeit“ zusendet; vgl. Ruhbach, Bekenntnis, 62 f. 46 Vgl. Koch, Wahrheit, 7 f. In Anmerkung 3 heißt es: „Auf mehreren ‚Evangelischen Wochen‘, die das Zeugnis der Bekennenden Kirche in volksmissionarischer Weise unter mannigfacher Bedrängnis durch die Gestapo auswerteten, übernahm D. Althaus Vorträge und wirkte auch weiterhin in der Ökumene, die sich eindeutig zur BK. gestellt hatte, mit.“ 47 Koch, Recht, 8. Er schreibt weiter: „So erfährt man jetzt, daß damals die Professoren Althaus und Elert in langen Telefongesprächen mit Berlin und München die Versuche Jägers abgelehnt haben, die Erlanger Fakultät vor den Wagen der Reichskirchenpolitik zu spannen und die Fakultät personell den Wünschen der Deutschen Christen entsprechend zu verändern. Das darf ruhig auch einmal öffentlich erzählt werden.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Vorbemerkungen

Als Ironie der Geschichte bzw. als Hinweis auf die Ambivalenz von Althaus darf wohl folgende Episode gewertet werden: Just am 11. Juni 1934, dem Tag der Unterzeichnung des Ansbacher Ratschlags, der so sehr die Loyalität gegenüber der Obrigkeit in Form des NS-Staates betonte, geriet Althaus ins Visier der NS-Hetzpresse. Unter der Überschrift „Professor D. Althaus auf dem Kriegspfad“ warf ihm die von Julius Streicher herausgegebene „Fränkische Tageszeitung“ „Schmähungen des deutschen […] Geistes“ sowie „Volks- und Zeitfeindlichkeit“ vor48. Offenbar verfehlte der Althaussche Zeitgeist den herrschenden, nationalsozialistisch bestimmen „Geist der Zeit“. Schon relativ frühzeitig geriet Althaus mit dem restriktiven Vorgehen des NS-Regimes in Fragen der Freiheit der Wissenschaft und der persönlichen Meinung in Konflikt49. So erhielt er in Folge eines Vortrages mit dem Titel „‚Unwertes‘ Leben im Lichte christlichen Glaubens“, den er am 12. Juli 1933 in Erlangen hielt50, vom Innenministerium in München Rede- und Schreibverbot in Bezug auf sogenannte „rassenhygienische“ Fragen51. Dies hat Althaus allerdings nicht davon abgehalten, noch 1935 die Euthanasie, d. h. die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, vom christlichen Standpunkt aus öffentlich als Unmöglichkeit zu brandmarken52. Als Althaus im Sommer 1934 von Reichskirchenregierung und Reichserziehungsministerium umworben wurde, weigerte er sich nicht zuletzt auf Drängen des bayerischen Landesbischofs Hans Meiser, mit seiner Zusammenarbeit mit Rechtswalter August Jäger und dem Reichskirchenausschuss (Verfassungsausschuss) einer weiteren Gleichschaltung der DEK Vorschub zu leisten. Tief enttäuscht über die Verweigerungshaltung warf Jäger Althaus und den anderen, die die Einladung ausschlugen, bloße Lippenbekenntnisse zum „Dritten Reich“ vor und rückte sie in die Nähe von Hoch- und Landesverrätern. Kurioserweise traf er damit gerade auch die staatstreuen Lutheraner, weshalb er wenig später seine Aussage dementieren musste.53 48 Fränkische Tageszeitung 2 (1934), Nr. 134 (11.6.1934), 2. Sowohl die Theologische Fachschaft als auch die Erlanger Studentenschaft, beide streng nationalsozialistisch, stellten sich daraufhin hinter ihren Professor; vgl. Fränkische Tageszeitung 2 (1934), Nr. 136 (13.6.1934); sowie PAA F 2/1 Nr. 2186 a. 49 Aufgrund einer persönlichen Meinungsäußerung Althaus’, in der er sich abfällig über den Hesselberg, den alljährlichen Veranstaltungsort der sogenannten „Frankentage“ des „Frankenführers“ Julius Streicher äußerte, wurde der Theologieprofessor im Juli 1935 zum Rektor der Erlanger Universi­ tät zitiert. Das Schreiben des Rektors an Althaus vom 5.7.35 findet sich in PAA, F 2/1 Nr. 2186 a. 50 3305 Leben. 51 Das Schreiben vom 4.8.1933 befindet sich in: NPA 13/4; vgl. seine diesbezügliche Äußerung aus der Nachkriegszeit in 5301 Ethik, 5. 52 Vgl. 3505 Theologie, 39. 53 Der Vorgang findet sich ausführlich bei Scholder, Kirchen, 307–309. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Wie wenig Althaus dem NS-Regime tatsächlich genehm war und er daher als politisch unzuverlässig eingestuft wurde, zeigen die Bemühungen der Berliner Fakultät in den Jahren 1937/38, ihn zur Aufbesserung des „wissenschaft­ liche[n] Ansehen[s] vor dem Inland und nicht minder vor dem Ausland“ auf den systematischen Lehrstuhl zu berufen. Einstimmig wurde Althaus vorgeschlagen, doch der Ruf scheiterte, weil nach der zeitgenössischen Einschätzung Hans Lietzmanns „weder der Dozentenführer noch das Braune Haus in München (d. h. Meyer-Erlach) Althaus zu genehmigen bereit waren.“54 Die politische Unzuverlässigkeit Althaus’ dokumentiert auch die Einordnung seiner Schrift „Christus und die deutsche Seele“ von 1934 als „Schrift gegen das nationalsozialistische Gedankengut“ durch den Sicherheitsdienst der SS im August 193555. Auch Althaus’ Aufruf „Wir müssen zueinander finden! Wünsche und Forderungen für Kirche und Volk“56 zum 1. Januar 1938, in dem er seiner nach wie vor bestehenden Hoffnung auf friedliche Koexistenz von Kirche und NS-Staat Ausdruck verlieh, traf auf Seiten des Regimes auf Widerstand. So teilt der Evangelische Pressedienst Althaus am 14. Februar 1938 in einem Schreiben mit, „dass ein unter Vorzensur stehendes Blatt Schwierigkeiten mit der Gestapo bekam, die dem Schriftleiter, als er die Manuskripte seines Blattes vorlegte, erklärte, wenn dieser Artikel erschiene, so müsse das Blatt beschlagnahmt werden.“57 Während das Regime also schon früh zumindest partiell sein wahres Gesicht zeigte, war es Althaus dennoch möglich, noch relativ lange dem „Dritten Reich“ positive Seiten abzugewinnen und dies auch öffentlich kundzutun. Noch 1936 preist er das „große Abwehr- und Erneuerungswerk des Nationalsozialismus“ in seiner Bedeutung für andere Völker, die sich in einer „ähn­lichen politischen und sozialen Krise“ wie das deutsche Volk vor 1933 befinden58. Auch diese Spannung ist ein signifikantes Beispiel für die Tragik, die hinter dem Unvermögen der Erkenntnis des wahren Wesens des Nationalsozialismus und seines Staates steht, aber auch für die Unfähigkeit zur nötigen Kritik diesem gegenüber. Vielfältig sind auch die unterschiedlichen Kontakte, die Althaus während der Zeit des „Dritten Reiches“ unterhielt. Einerseits war er zu einer partiellen Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen in kirchlichen Angelegenheiten bereit, wie seine Mitarbeit in der theologischen Kammer der DEK im Rahmen des Reichskirchenausschusses ab Oktober 1936 zeigt. Andererseits hatte er Kon 54 Lietzmann am 15.2.1938 an Kittel, in: Aland, Glanz, 916; vgl. Beyschlag, Theologie, 188 f. und von Loewenich, Theologie, 125 f. 55 Vgl. Boberach, Berichte, 100. 56 3802 Wünsche. 57 Das Schreiben befindet sich in: NPA 13/4. 58 3515 Christentum, 12. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Vorbemerkungen

takte zu Regimegegnern wie Jochen Klepper und Max Josef Metzger. Erstgenannten lud er in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Luthergesellschaft auf die Tagung „Dichter und Theologen“ im September 1935 nach Wittenberg ein. Für den vom NS-Regime gemaßregelten war diese Einladung eine besondere Freude59, auch wenn er ihr aus politischen Gründen nicht Folge leisten konnte60. Der Kontakt zu Letztgenanntem ist bislang noch nicht näher erforscht61. Von der Ambivalenz in seinem Leben und in der Beurteilung seines Tuns durch andere zeugt auch sein Schicksal nach Kriegsende. Auf der einen Seite blieb Althaus über den Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ hinaus Dekan der Theologischen Fakultät Erlangen und wurde als solcher im Dezember 1945 durch die örtliche amerikanische Militärverwaltung zum Mitglied der vorübergehenden Universitätsverwaltung bestimmt. Zudem wurde er Ende Mai 1945 von den Amerikanern zum Vorsitzenden des universitären Entnazifizierungsausschusses ernannt und las im Sommersemester 1946 für die sogenannte „Aufbau-Abteilung“ der Erlanger Universität, deren Anliegen die Umerziehung der Studenten in demokratischem Sinne war und deren Veranstaltungen für Hörer aller Fakultäten verpflichtend waren62. Im Februar 1946 wurde er auch als Universitätsprediger wieder zugelassen. Bei all diesen Personalentscheidungen dürften sich die Amerikaner durchaus über die Haltung von Althaus in den vergangenen zwölf Jahren informiert haben. Auf der anderen Seite fand Althaus am 3. Februar 1947 seinen Namen auf einer Liste von entlassenen Professoren und Dozenten der Erlanger Universität wieder, die die amerikanische Militärverwaltung im Zuge der Entnazifizierung angelegt hatte. Da keine formale Belastung im Sinne des Befreiungsgesetzes festgestellt werden konnte, wurde das Verfahren gegen Althaus eingestellt und dieser im Frühjahr 1948 wieder vollständig rehabilitiert und mit Erlaubnis der Militärregierung als ordentlicher Professor wiedereingestellt. Althaus’ Aufnahme als ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Februar 1953 zeugt von der gro 59 In seinem Tagebuch notierte Klepper am 18./19.7.1935: „Zu meiner sehr großen Freude erhielt ich von Professor Paul Althaus-Erlangen für den 6.–9. September eine regelrechte Einladung, auf einer Tagung […] Gast der Luther-Gesellschaft in Wittenberg zu sein.“ Es handle sich um eine „gemeinsame Veranstaltung der Luther-Gesellschaft und des Eckart Kreises. Jede Freundlichkeit, die aus dieser Richtung kommt, tut mir in meiner gegenwärtigen Lage unendlich wohl. Denn dort erwünsche ich ja die Zugehörigkeit so sehr.“ (Klepper, Schatten, 269 f.). 60 Vgl. Düfel, Luther-Gesellschaft, 82 f. 61 Vgl. Mann, Leben, 82. Im Nachlass von Althaus finden sich Briefe von Metzger aus dem Jahr 1941 (NPA 10 bzw. 11). Zu Metzger und dem Verhältnis zwischen bayerischer Landeskirche und Una Sancta-Bewegung Anfang der 40er Jahre, bei deren Fühlungnahme auch Althaus eine Rolle spielte, vgl. Baier, Kirche, 93–96. 62 Zur „Aufbau-Abteilung“ vgl. das Vorlesungsverzeichnis der FAU für das SS 1946. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ßen Wertschätzung, die ihm entgegengebracht wurde. Eine seltene Ehre wurde ihm schließlich im Februar 1963 zuteil, als ihm der Ehrendoktor der Wartburg Theological Seminary in Dubuque (USA) verliehen wurde. Diese wenigen Beispiele von Ambivalenzen und Spannungen im Leben, Wirken und Veröffentlichen von Althaus machen deutlich, dass uns vorschnelle Urteile über ihn und seine Theologie verwehrt sind. Dies betrifft sowohl die Einschätzung seiner politischen Haltung als auch die seiner Theologie. Er war ein Mensch seiner Zeit; einer Zeit, die gerade von Uneindeutigkeit und Zwiespältigkeit geprägt war. So spricht auch Klaus Scholder von „Merkwürdigkeiten, an denen diese Zeit so reich ist“63, und Friedrich Wilhelm Graf fordert die Kirchengeschichtschreibung des frühen 20. Jahrhunderts dazu auf, sowohl „dem subjektiven Bewußtsein der handelnden Individuen“ als auch „der Polyvalenz der Ereignisse und Strukturen“ gerecht zu werden64. Ziel einer personund sachgemäßen Betrachtung von Althaus muss es daher sein, seine Theologie und seine politische Haltung schärfer als bislang häufig geschehen zu konturieren, um sie angemessen in den damaligen Zeitkontext stellen zu können. Erst durch solche Klarheit können wir den damaligen Verlauf der Geschichte wirklich nachvollziehen und zu verstehen suchen.

63 Scholder, Geschichte, 85. Scholder macht die „Merkwürdigkeiten“ an der Person Barths fest, von dem er schreibt, dass er „in jenen Jahren, als die Republik geistig sturmreif geschossen wurde, jedenfalls im Bewußtsein der weiteren Öffentlichkeit, auf der Seite derer stand, die da mitschossen“ (ebd., 84 f.). Zu diesem Vorwurf an Barth vgl. auch Tanner, Verstaatlichung, 66. 64 Graf, Historie, 412. Vgl. Nipperdey, Kontinuität, 200: „Wir finden unsere Wertvorstellungen, wie im Leben so auch in der Geschichte, nicht auf einer Seite vereint: Die Guten tun Böses, die Bösen Gutes, und bei den meisten mischt sich das; was wir nicht mögen, taucht bei denen auf, in deren Tradition wir uns gerne stellen oder stellen würden – und umgekehrt. […] Die Wirklichkeit ist nicht so eindeutig, sie ist nicht […] sonderlich homogen; sie ist widersprüchlich und ambivalent, sie ist, um ein heute verfemtes Wort zu benutzen, tragisch, d. h. von unlösbaren Wider­ sprüchen erfüllt.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Kapitel I: Die entscheidenden Weichenstellungen während des Krieges – Paul Althaus, der Weltkrieg und die Auslandsdeutschen

Wer sich mit der Zeit der Weimarer Republik beschäftigt, kommt nicht umhin, sich mit den Kriegserfahrungen dieser Generationen auseinanderzusetzen. Denn für Althaus und die mit ihm betroffene Generation sollte die Erfahrung des Ersten Weltkrieges eine durch und durch prägende Wirkung entfalten. Von entscheidender Bedeutung ist zunächst der Ausbruch des Krieges. So heißt es bei Wolfgang J. Mommsen: „Vor allem die protestantische, aber auch die katholische Geistlichkeit wurde voll von jenem euphorischen Bewußtsein erfaßt, das gemeinhin als ‚Geist des August 1914‘ bezeichnet wird. Sie sahen in der durch die Zustimmung der Sozialdemokraten zu den Kriegskrediten symbolisierten Geschlossenheit der Nation bei Kriegsausbruch ein Werk Gottes und zugleich eine Chance, die Kirche wieder zu einer Volkskirche zu machen. Mehr noch, durch die nationale Aufbruchsstimmung, die breite Volksschichten, vor allem aber die Gebildeten erfaßte, bot sich – so schien es – die Möglichkeit, die christliche Botschaft gleichsam auf dem Rücken der nationalen Gesinnung zu neuer Geltung zu bringen. Die Aufbruchsstimmung des ‚August 1914‘1, die sich als eine Art von Selbstmobilisierung der Intellektuellen beschreiben läßt, 1 Dass es eine solche Aufbruchsstimmung, einen solchen „Geist des August 1914“ gegeben hat, ist Mehrheitsmeinung in der Geschichtswissenschaft, blieb aber nicht unwidersprochen; vgl. Verhey, Geist. Die Tatsache, dass man in der Mitte der 20er Jahre selbst in demokratisch-sozialistischen Kreisen wie der Neuwerkbewegung, die ansonsten jeglichem nationalprotestantischen Pathos kritisch gegenüberstand, Erinnerungen an dieses Phänomen pflegte, spricht deutlich für die Annahme der Historizität. So schreibt der Religiöse Sozialist Gustav von Rohden 1925 in der Zeitschrift der Bewegung: „Die Begeisterung unseres Volkes, der Augustgeist 1914 war herrlich und erhebend. Der Aufschwung riß alles mit und führte zu den glorreichsten Kriegstaten.“ (von Rohden, Politik, 418). Ebenso wurde  – zur Verteidigung gegen völkische Angriffe  – unter den deutschen Juden in den 20er Jahren das „Augusterlebnis 1914“ tradiert. So schreibt Goldstein 1926 vom „Gemeinschaftserlebnis der Augusttage 1914“: „Volk wandelte sich zur Volksgemeinschaft.“ (Goldstein, Kritik, 231; vgl. Ders., Antisemitismus, 21). Aus diesem Grund ist Nolte, Ordnung, 72 zuzustimmen, wenn er schreibt: „Die Vision von der im Kriegserlebnis erreichten sozialen Gemeinschaft war […] mehr als bloße Propaganda, mehr als ein rasch zu ent­ tarnendes ‚falsches Bewußtsein‘; sie entfaltete eine große Wirkung als Deutungsmuster der sozialen Realität“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Die entscheidenden Weichenstellungen während des Krieges  hatte ein Pendant in der Haltung der Theologen und Pfarrer beider Konfessionen bei Kriegsausbruch. […] Nationales Sendungsbewußtsein und christlicher Glaube gingen gerade in der Anfangsphase des Krieges eine Symbiose ein.“2 Die im Feld gemachten Erfahrungen schienen den Theologen recht zu geben: „Der Zulauf zu kirchlichen Veranstaltungen war groß, und auch die Soldaten hinter der Front und in den Lazaretten, denen freilich vielfach die Teilnahme an den Feldgottesdiensten befohlen wurde, waren für die christliche Botschaft, die ihnen die Furcht vor dem Kommenden zu nehmen versprach, durchaus empfänglich. […] Die große Resonanz der christlichen Lehre in den ersten Monaten des Krieges gab Anlaß zu der Erwartung, daß man am Anfang der Entstehung einer die ganze Nation umfassenden Volkskirche stehe, welche die atheistischen und materialistischen Strömungen der Vorkriegsjahre kraft der neuerwachten Sensibilität für Gemeinsinn, Opferbereitschaft und Hilfsbereitschaft überwinden werde. Der Krieg sei, so meinte man, ein Gottesgericht, das sich gegen den sittlichen Niedergang der Vorkriegszeit richte und eine neue Art unmittelbarer Gotteserfahrung hervorgebracht habe.“3

Inwiefern gerade Althaus ein typisches Beispiel für diese Haltung deutscher protestantischer Theologen im Weltkrieg ist, wird der folgende Rückblick auf seine Lodzer Zeit erweisen.

2 Mommsen, Umdeutung, 249 f. In ähnlicher Weise äußert sich auch Blessing, Weltkrieg, 204 zum kirchlichen Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg: „Man beschwor die ‚Burgfrieden‘-Gemeinschaft, die eine religiös-sittliche Erneuerung des Volkes als inneren Gewinn des Krieges auszu­ drücken schien“. 3 Ebd., 254. Vgl. die zeitgenössische Einschätzungen bei Foerster, Krieg, 1316. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

1. „Die Entdeckung des Deutschtums im ehemaligen Mittelpolen“ – Paul Althaus und die deutsche Minderheit in Polen vor dem Hintergrund seines volksmissionarischen Anliegens Wie prägend die Erfahrungen des Weltkrieges und die Arbeit im Heeresdienst an der östlichen Front, zunächst ein halbes Jahr als freiwilliger Krankenpfleger, dann als Lazarettpfarrer und schließlich 1915 bis 1918 als Militär- und Gouvernementspfarrer in Lodz für Althaus als junger Mann im Alter zwischen 26 und 30 Jahren waren, lässt sich heute nur noch erahnen. „Wie für viele Theologen seiner Altersgruppe bedeutete der Erste Weltkrieg auch für Althaus einen tiefen lebensgeschichtlichen Bruch, die Katastrophe von 1918 ein Trauma.“ Besonders „durch die Bedrohung des Deutschtums im Osten während und am Ende des Krieges“ sieht Walter Sparn bei ihm eine „Zäsur“1 gelegt. Bei seinem Eintrag ins Goldene Buch der Universität Erlangen im Jahr 1927 erinnert sich Althaus äußerst positiv an diese Zeit zurück: „Diese Jahre empfinde ich bis heute als Höhe meines Lebens. Die Predigtarbeit bes[onders] in Lodz, die Mitarbeit an der deutschen Volksbewegung, die seit 1915 durch das Deutschtum Polens ging, sind mir große Erinnerungen. In dem Deutschtum Polens fand ich auch meine Lebensgefährtin, Dorothea Zielke aus Warschau, mit der ich mich 1917 verlobte, 1918 verheiratete. Den Greuel des Zusammenbruchs haben wir gemeinsam, 4 Wochen vor der Geburt unseres ersten Kindes, erlebt.“2

Ein Vierteljahrhundert nach seiner Zeit in Lodz denkt Althaus noch immer sehr lebhaft an die einschneidenden Erlebnisse zurück, die ihn und sein Fühlen und Denken als junger Theologe nachhaltig beeinflussten. Im Jahr 1942 schrieb er einen Aufsatz mit dem Titel „Die Entdeckung des Deutschtums im ehemaligen Mittelpolen“3, der aus autobiographischer Sicht nicht unbedeutend für seine Lodzer Zeit und seine Arbeit dort als Pfarrer, aber auch für seine Tätigkeit im dortigen „Deutschen Verein“ ist. Der Titel ist dabei mehr­deutig verstehbar: Zum einen geht es darum, wie die deutsche Minderheit im russisch verwalteten Polen, bedrängt von polnischer und russischer Seite, sich zu

1 Sparn, Althaus, 4. 2 2709 Eintrag, 584. 3 4201 Entdeckung. Der Sammelband „Deutschtum im Aufbruch. Vom Volkstumskampf der Deutschen im östlichen Wartheland“, in den der Aufsatz erschienen ist, ist Adolf Eichler, dem ehemaligen Vorsitzenden des Deutschen Vereins in Lodz, zum 65. Geburtstag gewidmet. Dadurch erklärt sich auch die relativ ausführliche Würdigung seiner Person in Althaus’ Aufsatz. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Die entscheidenden Weichenstellungen während des Krieges 

Beginn des Krieges ihres Volkstums bewusst wird, also ihr Deutschtum „entdeckt“. Zum anderen geht es aber aus der Sicht Althaus’ auch darum, wie er selbst vor diesem Hintergrund das Deutschtum als solches für sich und in der Folge für seine Theologie entdeckt, nachdem er selbst dieser Auslandsdeutschen gewahr wurde4. Althaus war in Kindheit, Jugend und Studienzeit mit Studentenverbindung im Kaiserreich sehr patriotisch geprägt worden, ihm war die Vaterlandsliebe sozusagen in die Wiege gelegt worden5. Während seiner Zeit in Lodz kommen bei dem jungen Militärpfarrer Althaus nun die eigenen Prägungen und die nachhaltigen Eindrücke der Kriegserlebnisse zusammen. Dass Althaus in dieser besonderen Kriegssituation in Polen das Deutschtum „entdeckt“, d. h. dass sich ihm in Polen ein volksbewusstes Deutschtum präsentiert6, erklärt Althaus bereits am 24. Oktober 1915 in seinem ersten Artikel in der „Deutschen Post“, dem Organ der Lodzer Volkstumsbewegung, mit dem Titel „Ihr und wir“: „Wir [d. h. die Reichsdeutschen] müssen uns erst besinnen, ehe wir fühlen, wie hinter und mit den Grenzen, die deutsche Kraft schirmt, unsere altererbte Art, unser Glaube, unsere Sprache, unsere Zukunft geschützt wird. Ihr aber spürt unmittelbarer, wofür ihr kämpft: Glaube, Sprache, Herzensart. Viele unter euch haben es auch bei sich selbst erst wieder erkämpfen müssen. Dafür preisen wir euch glücklich. Denn das, wofür Menschen kämpfen mußten in sich selbst, ist ihnen dann zehnfach ans Herz gewachsen. So ist es kein Zufall, wenn wir in euren Worten eine noch heißere, leidenschaftlichere Liebe zu deutscher Art, deutschem Liede, deutscher Sprache durchbrechen zu hören meinen als bei uns. Es ist die Liebe des Kindes zu dem bedrohten Vaterhause […]. Eure Seele hängt bewußter und darum noch innerlicher an dem innersten Heiligtum deutschen Volkstumes als die unsere.“7 4 Vgl. 3004 Verpflichtung, 289; und 3607 Obrigkeit, 37 f. 5 Vgl. Liebenberg, Gott, 25–159. 6   Siegmund-Schultze, der Vorreiter der ökumenischen und pazifistischen Bewegung in Deutschland, kommt 1937/38 im Blick auf die evangelische Kirche in Polen zu dem Schluss: „Sowohl geschichtlich wie zahlenmäßig ist die Gleichsetzung von deutsch und evangelisch nur allzu verständlich. […] Tatsache ist, daß schon vor dem Weltkriege im russischen Polen die Gleichsetzung von lutherisch und deutsch allgemein üblich war“ (ders., Ekklesia, 14 f.). Über die Frage der nationalen Identität der Lutheraner in Polen herrschte mindestens seit dem Ersten Weltkrieg bis hinein in den Zweiten ein tiefer Streit zwischen polnisch und deutsch gesinnten Lutheranern. Unterstellt man einem Mann wie Siegmund-Schultze ein gewisses Maß an Objektivität in dieser stark polarisierenden Frage, so findet man bei ihm eine einfühlsame Beschreibung der damaligen verfahrenen Situation; vgl. ebd. 14–19. 7 1510 Ihr, 20. Selbstverständlich will Althaus in seinem ersten Beitrag seinen Lesern mit einer Captatio Benevolentiae begegnen, doch nachdem sich diese Aussagen durchaus mit denen aus dem Rückblick von 1942 decken, wo es keine „polnischen Deutschen“ mehr zu gewinnen gilt, dürfte er seine damalige Gefühlslage wohl authentisch geschildert haben. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Paul Althaus und die deutsche Minderheit in Polen

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Aufgewachsen im Kaiserreich, wo man sich nach seiner Wahrnehmung für Fragen des deutschen Volkstums weitgehend nur am Rande interessierte8, wusste Althaus – wie er selber zugibt – nur sehr wenig „von der Gefährdung und von den ernsten völkischen Kämpfen der Deutschen in Kongreßpolen“9. Die sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa allgemein aufheizende nationalistische Stimmung spürten mehr und mehr auch die Deutschen, die im russisch verwalteten Polen lebten. Obwohl sich nach Althaus die Mehrzahl der dort lebenden Deutschen als treue Untertanen des russischen Zaren verstanden, wurden sie schon vor dem Krieg infolge panslawistischer Bestrebungen des Zarenreiches als politisch unzuverlässig eingestuft und im Krieg schließlich Repressionen ausgesetzt und in großer Zahl deportiert10. „Diese bitteren Erlebnisse rissen das bisher ganz unpolitische, ja völkisch noch nicht bewußte Deutschtum hart in die entscheidungsschwere Stunde der politischen Geschichte hinein“11, weiß Althaus zu berichten. Viele begannen, sich nun – verdächtigt und bedroht von Russen und Polen – bewusst als Deutsche zu verstehen12. So fassen auch Alfred Kleindienst und Oskar Wagner zusammen: „Der Verlauf des Ersten Weltkrieges, die Verfolgungsmaßnahmen der russischen Regierung einerseits, steigender polnischer Nationalismus betont katholischer Grundhaltung, verbunden mit dem Streben nach eigener Staatlichkeit andererseits, hatten im deutschen Bevölkerungsteil Kongreßpolens zu unvorhergesehenen Auswirkungen geführt: die Deutschen wurden sich in der Masse ihrer eigenen Nationalität bewußt.“13 8 Vgl. 4201 Entdeckung, 192, wo Althaus schreibt: „Im Reiche aber kümmerte man sich […] kaum um die deutsche Volksgruppe in Mittelpolen. Unser Denken war ‚etatistisch‘, wesentlich am Staate orientiert. Wohl sprachen wir vom deutschen Volke. Aber in Wahrheit war es als Gesamtvolk noch nicht entdeckt.“ Vgl. 3607 Obrigkeit, 37 f. 9 4201 Entdeckung, 192. 10 Zur Situation der deutschen Minderheit im russisch besetzten Polen im Jahr 1914/15 vgl. Kleindienst/Wagner, Protestantismus, 28 ff.; und Kneifel, Geschichte, 188 ff. 11 4201 Entdeckung, 193. Viele Deutsche in Polen dürften sich durch die Anfeindungen von Russen und Polen, die die Deutschen aufgrund ihres Deutschseins beargwöhnten, erst wieder dieser Tatsache bewusst geworden sein. Aus welcher Motivation heraus die deutsche Minderheit angegriffen wurde, kann hier nicht näher untersucht werden. Hier soll die Tatsache an sich thematisiert werden, sofern sie eine Auswirkung auf das Volksbewusstsein der Deutschen in Polen hatte. 12 So schreibt auch der polnisch gesinnte evangelische Bischof von Warschau Julius Bursche im Jahr 1937 über die damaligen Verhältnisse: „Schon lange vor dem Kriege wurden in der chauvinistischen polnischen Presse oftmals gehässig besonders gegen unsere deutschen Kolonisten gehetzt, sie seien von der preußischen Regierung angesiedelt worden zu militärischen Zwecken“ (Bursche, Kirche, 67). 13 Kleindienst/Wagner, Protestantismus, 35. Ob diese Bewusstwerdung tatsächlich „in der Masse“ vonstattenging, darf zwar mit Krebs, Identität, 8 f., der eine solche überhaupt für unwahrscheinlich hält, kritisch hinterfragt werden. Halten wir uns an die um Objektivität bemühte Schilderung von Althaus (vgl. z. B. 1601 Kriegsbüchlein, Vorwort 3), so ist jedenfalls davon auszugehen, dass eine solche Bewusstwerdung tatsächlich – wenn wohl auch nicht „in der Masse“ – vor sich ging. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Die entscheidenden Weichenstellungen während des Krieges 

Es verwundert daher nicht, dass viele Angehörige der deutschen Minderheit die siegreichen deutschen Soldaten als Befreier von dieser Last und als Retter vor der Deportation verstanden14. Mit diesen deutschen Soldaten kam auch der junge Militärgeistliche Althaus und wusste die Situation zunächst kaum einzuschätzen und stand „dieser seltsamen Tatsache ‚deutschsprechender Russen‘ oder ‚Polen‘ recht hilflos gegenüber. Es hat sehr lange gedauert, bis man die Deutschen in Kongreßpolen als Volksbrüder erkannte und anerkannte. Es fehlten in unserem reichsdeutschen Denken eben alle Voraussetzungen dafür. […] Es hat allerlei Mühe gekostet, bis man umlernte und auch die praktischen Folgerungen daraus zog.“15

Das Umlernen bei Althaus, das sich als „Entdeckung des Deutschtums“ vollzog, entwickelte sich als Erfahrungslernen anhand seiner Erlebnisse mit den Verhältnissen vor Ort: „Unvergeßlich bleibt mir die erste Begegnung mit den Volksgenossen […]. Es ist nicht zufällig: wir begegneten uns zuerst in Gottesdiensten, als Glaubensgenossen, die sich dabei auch als Volksgenossen erkannten. Wo immer die deutschen Heere ins Land kamen und mit ihnen deutsche Feldgottesdienste, da drängten sich bald die lutherischen deutschen Bauern herzu. Um die im offenen Viereck aufgestellte Soldatengemeinde herum sammelten sich die einheimischen Deutschen, die Frauen mit ihren kleinen Kindern auf den Armen; entsprechend in den kleinen und großen Städten, in denen wir mit den Soldatengottesdiensten in die evangelischen Kirchen zogen. Dieses gemeinsame Erleben der Gottesdienste wurde gewiß nicht der einzige, aber einer der ersten und wichtigsten Wege zueinander.“16 „Tausende strömten im Frühjahr und Sommer 1915 Sonntag für Sonntag in die Militärgottesdienste“17.

Was Mommsen für die Allgemeinheit der protestantischen Geistlichkeit konstatiert, gilt also auch für den jungen Militärpfarrer Althaus. Der enorme Zulauf zu seinen Gottesdiensten, dieses Erlebnis der überfüllten Gotteshäuser an 14 Vgl. Kleindienst/Wagner, Protestantismus, 29 ff. Dass nicht alle Deutschen in Polen diesen Jubel teilten, weiß auch Althaus: „Wohl standen manche Kreise beiseite und hielten sich ängstlich von der Begegnung mit uns Feldgrauen zurück, wo es nur möglich war. Einige hatten ihre Häuser schon mehr oder weniger der Polonisierung geöffnet. Andere dachten materiell und rein geschäftlich“ und wollten daher „entschlossen unpolitisch bleiben“ (4201 Entdeckung, 194). Als weitere Gründe nennt Althaus 1916 die „Angst vor dem Schicksal […] bei einer Rückkehr der Russen“ und das „Gefühl der Verpflichtung gegenüber dem alten Staate“ und kann sogar Verständnis für diese Einstellung aufbringen: „Vor Männern und Frauen solcher Art, deren Zurückhaltung gegen die deutsche Sache durch ideale Gründe mitbestimmt wird, werden wir als deutsche und lutherische Christen stets rückhaltlose Achtung haben.“ (1605 Geschichte, 13). 15 4201 Entdeckung, 192. 16 Ebd., 192 f. 17 Ebd., 194; vgl. 1903 Abschied, 165 f.; 1603 Heimat, Vorwort; und 1501 Kommt, Vorwort. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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lässlich seiner Predigten ist auch für ihn „Anlaß zu der Erwartung, daß man am Anfang der Entstehung einer die ganze Nation umfassenden Volkskirche stehe, welche die atheistischen und materialistischen Strömungen der Vorkriegsjahre […] überwinden werde.“18 Auch er kann hier so etwas wie einen „Geist von 1914“ am Werke sehen, den es volksmissionarisch fruchtbar zu machen gilt19. Von Elternhaus, Studium und Predigerseminar tief kirchlich und nationalprotestantisch sozialisiert und geprägt, „entdeckt“ Althaus nun im Kontakt mit den sich ihres Volkstums bewusst werdenden Auslandsdeutschen in Polen seinerseits diese wichtige Dimension „Volkstum“ für sein Denken, Fühlen und Handeln20. In seiner Zeit in Polen macht sein überkommener Patriotismus unter dem Eindruck der Situation der dort lebenden Deutschen, zumal angesichts der allgemeinen Bedrohungslage im Krieg, eine Entwicklung durch21. Sein Bewusstsein für das eigene Volkstum erhöht sich, er wird sensibler für die Fragen des Volkes und in ihm reift die Idee einer positiven Anknüpfung von religiös-christlicher Erfahrung an die Erfahrung des Volkstums. Nachdem er gerade in der Auslands- und doppelten Diasporasituation die enge Verbindung von Luthertum und Volkstum bei der deutschen Minderheit erfährt, sieht er als Konsequenz daraus mit dem Volkstum auch das Luthertum gefährdet. Angeregt durch die persönlichen Erfahrungen, die er in Polen macht, will er ab sofort Christentum und Volkstum, Kirchlichkeit und Volksverbundenheit aufeinander beziehen und gegenseitig fruchtbar machen. Hier in Wlozlawek, Brzeziny und Lodz entsteht seine volksmissionarische Vision von kirchenverbundenem Volk und volksverbundener Kirche, die er in der Folge konzeptionell ausarbeiten sollte. Zu Recht nennt Liebenberg Althaus’ „sehnlichst erwartete Hinwendung des religiös erwachten deutschen Volkes zu einem persönlichen Gottesglauben christlich-lutherischer Provenienz“ die „grundlegende Absicht“ des Militärpfarrers22. 18 Mommsen, Umdeutung, 254. 19 Vgl. Pressel, Kriegspredigt, 340. 20 Zu diesem Urteil kommt auch Fischer, Systematische Theologie, 316, wenn er schreibt: „Im Ersten Weltkrieg als Gouvernements-Pfarrer in Lodz in besonderer Weise mit den Problemen konfessioneller und nationaler Diaspora konfrontiert, entdeckt der Göttinger Privatdozent das Phäno­men ‚Volk‘.“ Ebenso schreibt von Loewenich, Theologie, 125: „Die Begegnung mit dem be­drohten deutschen Volkstum im Osten ist nicht ohne Einfluß auf seine politische Ethik geblieben.“ Zur Entdeckung des Volks als neuer ethischer Bezugspunkt bei jungen lutherischen Theologen während des Weltkrieges vgl. auch Scholder, Kirchen, 148. 21 Für eine solche Entwicklung spricht auch Liebenbergs Befund über eine mögliche „völkische Weltanschauung“ bei Althaus vor 1914: „Tatsächlich lassen sich über seine völkischen Gemeinschaftsvorstellungen im bündischen Publikationsspektrum vor dem Ersten Weltkrieg keine direkten Auskünfte finden.“ (ders., Gott, 138, Anm. 146). 22 Liebenberg, Gott, 293. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Schon von Jugend an hat Althaus, biographisch beeinflusst, ein starkes Interesse am Thema Mission bzw. Volksmission23. Auch im Theologiestudium und in seiner christlich orientierten Studentenverbindung ließ ihn dieses Thema nicht mehr los, auf den christlichen Studentenweltbund setzt er diesbezüglich große Hoffnungen24. So spricht Liebenberg davon, dass sich Althaus dem Ziel der „religiöse[n] Wiedergeburt des deutschen Volkes“ „seit seiner Studienzeit verschrieben“ hatte25. Als Student und später während seiner Zeit im Predigerseminar nahm er regen Anteil an der internationalen Studentenmissionsbewegung, an der deutschen christlichen Studentenvereinigung (DCSV), mit der er in „persönlichem Austausch“ stand26, und auch am christlichen Studentenweltbund. Seinen Bundesbrüdern im Schwarzburgbund (SB) legte er in drei Beiträgen in den „Blättern des Schwarzburgbundes“ der Jahre 1912 und 1913 „mit warmer Sympathie und ernstlichem Willen zur Mitarbeit“ die interna­ tionale christliche Studentenbewegung ans Herz27. Mehr noch: Er wünscht sich „im Interesse der Sache des Christentums auf den Universitäten“ „eine stärkere Berührung“ zwischen DCSV und SB. Dadurch könne „der wachsenden Entchristlichung der großen Masse der Studentenschaft“ entgegengewirkt werden28. Bereits diesen Äußerungen lässt sich entnehmen, dass für Althaus die äußere Mission von der inneren nicht zu trennen ist; Weltmission und Volksmission sollen parallel in Angriff genommen werden. Maßgebliche Impulse für die internationale Studentenmissionsbewegung und damit auch für Althaus gingen von der ersten Weltmissionskonferenz 1910 in Edinburgh aus. „Evangelisation der Welt in dieser Generation“ lautete hier das hoffnungsvolle und euphorische Motto. Als Althaus im Herbst 1914 seinen Militärdienst antritt, ist er nicht nur von vaterländischer Gesinnung, sondern auch von der Begeisterung für Weltund Volksmission durchdrungen. Hier sah er ein breites Betätigungsfeld nicht nur im Hinblick auf seine feldgraue Gemeinde, sondern zunehmend auch für die lutherische deutsche Diasporakirche in Polen. Noch während des Krieges und insbesondere danach ändert sich Althaus’ optimistische Sichtweise. Der Weltkrieg, der die christlichen Nationen sich ge 23 Bereits sein Großvater und sein Vater nahmen regen Anteil an Fragen der Mission, sein Onkel Gerhard Althaus wirkte als Missionar in Ostafrika; zu seinem Onkel vgl. Fleisch, Mission, ­268–280. Jasper, Theologiestudium, 254 spricht in diesem Zusammenhang von „lebendigen familiären Wurzeln“, aus denen sich Althaus’ Missionsinteresse speiste; vgl. seine biographische Aufzeichnungen über seinen Vater in 2801 Leben, 81 f.182. 24 Vgl. 1401R Niedermeyer. 25 Liebenberg, Gott, 191. 26 1204 Studentenbewegung, 109. 27 1301 Studentenbewegung, 78. 28 1204 Studentenbewegung, 123. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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genseitig bekriegen ließ, brachte in Sachen Weltmission eine herbe Ernüchterung für die Christenheit. Nicht nur der feindselige Umgang der Sieger mit den Missionaren der besiegten Staaten vor Ort in Afrika und anderswo hinterließ in den Kirchen der Besiegten einen fahlen Beigeschmack, die Tatsache des Krieges überhaupt wurde als „Bankerott der Christenheit“ (Martin Rade) gesehen. Für Althaus war der Krieg in Sachen Mission ein herber Rückschlag. So predigt er seinen Soldaten am 6. Januar 1915 von seinen enttäuschten Hoffnungen: „Das Feld schien uns weiß zur Ernte. Alles schien vor allem daran zu liegen, daß die christlichen Völker einig ihre Kräfte auf den großen Kampf Jesu mit dem Islam zusammenschlossen, Deutsche und Engländer und Amerikaner Hand in Hand. Und nun kam dieser furchtbare Krieg. […] Christliche Völker mit dem Islam verbündet […] kämpfen gegen christliche Völker, verbündet mit dem heidnischen Japan […]. Und meint ihr nicht, daß es der Mission einen schmerzlichen Stoß gibt, wenn die Heiden jetzt Christen wider Christen aufstehen sehen, wenn in Südafrika die Engländer Schwarze gegen die deutschen Christenbrüder schicken, wenn wir genötigt sind, in Ostafrika unsere schwarzen Truppen gegen die Eindringlinge aus dem christlichen Missionslande England kämpfen zu lassen, wenn in Indien deutsche Missionare gefangengesetzt werden?“29

Diese Niedergeschlagenheit paart sich bei Althaus allmählich mit neuer Hoffnung für die Mission, wenn er 1925 auf der Weltmissionskonferenz in Stockholm predigt, „die Heidenkirchen in Afrika und Asien haben das Ärgernis des Weltkrieges als Schande der Christenheit erlebt – und sind nicht an Gottes Wort irre geworden, an der Christenheit Europas vielleicht, aber nicht an Christus! Sie messen das Evangelium nicht an Europa, sondern verurteilen Europa vom Evangelium aus.“30

Angesichts dieses nüchternen Blicks auf die äußere Mission, verlagerte Althaus nach dem Krieg seine Hoffnungen mehr auf die innere Mission, auf die Volksmission. Dabei hatte er, wie schon vor dem Krieg, zuerst sein eigenes akademisches Umfeld, sprich die Studentenschaft im Blick31.

29 1501P Losung, 42 f. 30 2510P Freiheit, 378. Zu Althaus’ Teilnahme an der Weltmissionskonferenz vgl. Kap. IV, 2.2. 31 Christlicher Studentenbewegung und studentischer Missionsbewegung blieb Althaus nicht zuletzt dadurch verbunden, dass er sich als Professor als Referent und Prediger zur Verfügung stellte, wovon seine Schriften „Das Kreuz Christi als Maßstab aller Religion“ (1921), „Die Krisis der Ethik und das Evangelium“ (1925), „Das Kreuz Christi“ (1929), sowie die Predigt „Ströme lebendigen Wassers“ (1922) zeugen, die alle in der Reihe „Stimmen aus der deutschen christlichen Studentenbewegung“ erschienen. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

2. „… wir haben uns unseren Volksbrüdern … zur Verfügung gestellt“ – Althaus’ Einsatz für die Deutschen in Polen Mit seinem volksmissionarischen Anliegen im Hinterkopf nimmt der junge Militärgeistliche Althaus seine Arbeit in Polen auf und zeigt sich begeistert von den übervollen Militärgottesdiensten, in denen deutsche Soldaten und einheimische evangelische und damit zugleich deutsche Bevölkerung den Weg zur Kirche finden. Beinahe schwärmerisch spricht Althaus Anfang August 1916 über die „Stellung der Kirche im Volksleben“ und erachtet dabei die Situation für sein volksmissionarisches Anliegen als günstig, sofern die Kirche bewusst volkstumsbezogen arbeitet: „Wo es sich um ein Heiliges und eine tiefste Gewissenssache wie bei der Treue gegen unser Volkstum handelt, da möchte man die Kirche stark interessiert sehen. Sie sollte die Wächterin an jenem heiligen Feuer sein. Wie würde das ihre Wurzeln wundervoll tief in den Boden unseres polnischen Deutschtums legen!“1

Deutlich fällt hier bereits auf, wie Althaus den Begriff des Volkstums religiös als „Heiliges“ auflädt und daher Volkstreue zur „Gewissenssache“ macht. Warum er gerade beim Volkstumsbewusstsein bzw. bei der Volkstumsbewegung anknüpfen will, wenn es ihm um eine Vertiefung von christlicher Religion geht, macht er einige Absätze später deutlich, wenn er den volkstumsbewussten Deutschen besonderen Idealismus und Charakterstärke attestiert: „Sagt die Kirche nichts dazu, daß bei dem Prozesse der Entdeutschung dauernd heimliche mahnende Stimmen des eigenen Volkstumes verleugnet und überhört werden zu gunsten gesellschaftlicher Geltung und Bequemlichkeit? Meint man, daß das an dem Charakter auf die Dauer spurlos vorübergehen und das zarte Leben der Seele in Treue und Hingabe, das wir Religion nennen, unberührt lassen könne? Eine Treue erleichtert die andere und eine Flatterhaftigkeit erleichtert die andere. Gleichgiltigkeit gegen ideale Ansprüche an einem Punkte läßt auch die anderen Stellen gegen die Stimmen aus der Welt des Unsichtbaren harthörig werden. […] Ich denke, die Achtsamkeit und die Welt des Idealen und jener tiefste Charakter des Herzens, an unsichtbaren Gütern auch wider alle Bequemlichkeit, auch unter schweren Verhältnissen festzuhalten, ist heutzutage wahrhaftig nicht so häufig und ist andererseits für die Religion so grundlegend wichtig, daß wir Vertreter des Christentums dringenden Anlaß haben, charaktervolle Art zu pflegen, wo man sie findet. […] Völkische 1 1606 Stellung, 29. Den Aufsatz verstand Althaus als „Wort zur allgemeinen Pastorenkonferenz des Warschauer Konsistorialbezirks am 8. und 9. August 1916“. Deutlich wirft er hier so manchem Pastor vor, der „Polonisierung“ der Deutschen in Polen durch Gleichgültigkeit dem eigenen Volkstum gegenüber Vorschub geleistet zu haben. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Selbstbesinnung ist schon ein Aufwachen aus der Stumpfheit rein materiell-bestimmten Dahinlebens, ist schon ein Hineinwachsen in eine Welt sittlicher, unsichtbarer Verpflichtungen und kann dann sicherlich der Vorhof zum Heiligtum der Religion werden.“2

Das sittliche Moment steht bei Althaus’ Religionsbegriff hier ganz im Mittelpunkt, inhaltlich wird er kaum greifbar, wenn er auch bewusst anti-materialistisch ist. Dass Althaus gerade den patriotischen, volkstumsbewussten Deutschen in Polen eine hohe Sittlichkeit und Idealismus nachsagt, erklärt sich aus seiner eigenen Weltanschauung und seinen eigenen Wertvorstellungen, in denen „Treue und Hingabe“ einen hohen Stellenwert einnehmen3. Man kann die Verve, mit der sich Althaus in Lodz für die evangelische Kirche und für die deutsche Volkstumsbewegung einsetzt, schwerlich nachvollziehen, wenn man sich nicht die doppelte Minderheitensituation bewusst macht, in der sich die Deutschen, die zum größten Teil evangelisch waren, im streng katholischen Polen befanden. Hinter seiner Betonung der von ihm wahrgenommenen Zusammengehörigkeit von Deutschtum und Luthertum in Polen und seiner Ablehnung einer „Polonisierung“ der deutschen Bevölkerung, d. h. der Assimilierung an das katholische polnische Volk4, verbirgt sich nicht zuletzt die Sorge um den Fortbestand der evangelischen Kirche in Polen5. So schreibt er 1916, das Beispiel der Warschauer Gemeinde, wo er die „Polonisierung“ schon am weitesten fortgeschritten sieht, zeige, „daß mit dem Deutschtum ein starker Wall gegen den Katholizismus zu zerbröckeln beginnt. Die Warschauer Gemeinde ist zwar im Ganzen noch bewußt evange 2 1606 Stellung, 34 f. 3 Vgl. Liebenberg, Gott, 156–159. Einen vergleichbaren Vorgang finden wir im theologischkirchlichen Raum zur gleichen Zeit bei den religiösen Sozialisten, die aus ihrer eigenen Weltanschauung und aus eigenen politischen Vorstellungen und Präferenzen heraus kirchlich-theologisch und volksmissionarisch beim Sozialismus anknüpfen wollen und daher den Sozialisten hohen ­Idealismus und Sittlichkeit attestierten. 4 Warum es gerade in den Städten zu einer „Polonisierung“ der Deutschen kommt, kann Althaus als Akademiker nachvollziehen, auch wenn er sie als „schmerzliche Vorgänge“ verurteilt. Einen Grund sieht er in der intellektuellen Verflachung großer Teile des polnischen Deutschtums: „Die Deutschen haben zwar die materielle Kultur Polens begründet, aber […] nie ein reges geistiges Leben geführt. Vielmehr ist ihm [dem Deutschtum] das städtische Polentum an geistiger Bildung und Schöpferkraft weit überlegen. So erklärt es sich, daß die deutsche Intelligenz, die aus dem Mittelstande emporstieg, […] geistig anregenden Verkehr in erster Linie bei den polnischen Gebildeten ihres Dorfes oder der Stadt suchten und fanden.“ (1605 Geschichte, 15). Um das zu vermeiden, setzt sich Althaus für ein starkes deutsches Bildungswesen in Polen ein. 5 So schreibt Siegmund-Schultze zwanzig Jahre später vom „tertius gaudens eines machthungrigen Katholizismus, der jetzt schon im Gebiete Kongreßpolens die Früchte des innerprotestantischen Nationalitätenkonflikts pflückt“ (ders., Ekklesia, 19). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Die entscheidenden Weichenstellungen während des Krieges  lisch, aber sie geht dauernd zahlenmäßig zurück und wird nur noch durch den Zuzug Reichsdeutscher immer wieder vor dem Tode bewahrt. In unzähligen Fällen hat die Polonisierung der Evangelischen eine Mischehe begünstigt und auch sonst konfessionelle Gleichgültigkeit im Gefolge gehabt. 60 % aller Ehen in der dortigen evangelischen Gemeinde sind Mischehen. Die Mehrzahl geht der evangelischen Kirche verloren.“6

Für Althaus steht fest: Die Erhaltung des Deutschtums in Polen trägt entscheidend bei zur Erhaltung der evangelischen Kirche in Polen. „Es bleibt in Polen nun einmal dabei, daß das Deutschtum einen Schutzwall um die evangelische Kirche darstellt“, klärt er 1917 seine deutschen Leser auf7. „Glaube und Volkstum“ gehören in seiner Wahrnehmung der Lage in Polen zusammen8. Fragt man nach Althaus’ Volkstumsverständnis in dieser Zeit, so zeigt sich, dass er im Jahr 1915 Volkstum nicht primär – wie in völkischen Kreisen üblich – über „Blut und Boden“ definiert, sondern in erster Linie die kulturellen Faktoren Sprache, Sitte und Geschichte, vor allem aber den (lutherischen) Glauben als das „geheime Band“ zwischen Reichsdeutschen und Auslandsdeutschen hervorhebt. Dabei gibt er allerdings sogleich zu bedenken: „Wir wollen freilich nicht engherzig Luthertum und Deutschtum in eins setzen; auch in Schweden und Norwegen, auch in Frankreich gibt es Lutheraner.“9 Dass die Sorge um den Fortbestand der lutherischen deutschen Kirche in Polen in ihrer doppelten Diasporasituation nicht nur dem nationalprotestan 6 1605 Geschichte, 17.  Das Phänomen, dass der eigene Glaube und damit auch die eigene Identität als stark gefährdet betrachtet wird durch eine besonders durch Mischehen begünstigte ­Assimilierung an die benachbarten Völker und deren Kultur, findet sich bereits bei den Israeliten zur Zeit des Alten Testaments; vgl. Gen 24,3; 28,1.6–9; Esr 9,1–15; 10,1–17; Neh 13,23–28. Die gleichen Befürchtungen, wie sie Althaus für die deutsche Minderheit in Polen hegt, gibt es zur Zeit der Weimarer Republik auch innerhalb der jüdischen Minderheit in Deutschland. So wird von kritischen Stimmen die Mischehe als größte Gefahr für das Judentum betrachtet, der es mit Treue gegenüber der eigenen Gemeinschaft zu begegnen gelte. Vgl. Salzberger, Mischehe, 20 f., der für die Mischehen-Verbote in biblischen Zeiten von „nationalen Motiven“ ausgeht, die als tieferen Grund „das Religiöse im Auge“ haben“. 7 1708 Kirche, 83. Im gleichen Aufsatz berichtet er: „Wo die Kolonisten nicht ganz zersprengt unter Polen, sondern in geschlossenen Siedelungen wohnen, da haben sie sich die deutsche Muttersprache […], deutsche Sitte und den lutherischen Glauben bis heute treu bewahrt.“ (ebd., 81). 8 Althaus zeigt sich noch 1937 überzeugt, dass sie „sich gegenseitig schützten, daß also die Gefährdung des völkischen Bestandes zugleich auch den kirchlichen Bestand bedrohte, daß die Zukunft des Luthertums in Polen in bestimmtem Maße an der Zukunft des deutschen Volkstums hing.“ (3701 Glaube, 67). 9 1511 Deutschtum, 23. Althaus betont auch hier – wie schon der Titel des kurzen Artikels vom Oktober 1915 vermuten lässt – die Verbundenheit von Luthertum und Deutschtum angesichts der besonderen Lage in Polen, wo „strengster Katholizismus und Polentum miteinander verschwistert“ sind und die evangelische Minderheit, die sich hauptsächlich aus der deutschen Minderheit rekrutiert, daher „aufs Schwerste gefährdet“ ist. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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tischen Denken von Althaus entsprang, sondern dass er sich auch von den Erfahrungen vor Ort, vor allem mit der Landbevölkerung, leiten ließ, macht er mehrfach deutlich. So lässt er im Frühjahr 1915 seine Leser in der Heimat wissen: „Diese Leute hier oben [auf dem Land] können polnisch und russisch nur stümpern, die Kinder gar reden nur deutsch. Mit ihrem Pfarrherrn, der stark polnische Neigungen und polnische Verwandtschaft hat, sind sie gar nicht zufrieden.“10 Rückblickend schreibt Althaus 1919: „Wir erkannten bald die die besondere Lage der deutschsprechenden Mehrheit in der polnischen Landeskirche: deutsche Bauerngemeinden, in denen deutsche Sprache, Sitte und Lied herrscht – aber an ihrer Spitze vielfach Seelsorger, deren Häuser keine deutsch-lutherischen Pfarrhäuser mehr sind, sondern polnische Häuser mit polnischer Sprache und Kultur.“ In dieser besonderen Situation sah Althaus die Gefahr, „daß dadurch das enge Vertrauensverhältnis zu den Gemeinden in dem gleichen Maße Krisen entgegengehen mußte, als die deutschsprechenden Bürger Polens sich auf ihre Zugehörigkeit zu dem großen deutschen Gesamtvolke besannen.“11

Das Problem für die deutsche lutherische Kirche in Polen, das schließlich während des Krieges zur Zerreißprobe führen sollte12, bestand vor allem in einer unterschiedlichen Wahrnehmung der Situation durch die jeweiligen Pastoren. Die sich mehr und mehr assimilierenden  – Althaus spricht von „polonisierten“ – Pfarrer in der Stadt sehen die Zukunft der lutherischen Kirche Polens in einer Öffnung zum Polentum hin, was in ihren Augen schließlich missionarische Impulse unter den katholischen Polen freisetzen soll13. Althaus und viele 10 1507 Frühling, 149. Zur Situation der deutschen Landbevölkerung in Polen vgl. Krebs, Identität, 6. 11 1903 Abschied, 165. Eine solche deutsche Besinnung habe bereits vor dem Krieg, nämlich nach der Revolution von 1905–1907 in Lodz eingesetzt. Ein gesteigertes polnisches und ein gesteigertes deutsches Nationalgefühl bedingten sich in dieser Zeit gegenseitig. 12 Vgl. Althaus’ apologetisch gehaltenen Rückblick 1903 Abschied, 165–179. Die Auseinandersetzung kann hier nicht nachgezeichnet werden, ich verweise auf die Darstellung von Liebenberg, Gott, 241–263. Für die Position von Althaus sei auf seine programmatische Rede „Die Stellung der Kirche im Volksleben. Ein Wort zur allgemeinen Pastorenkonferenz des Warschauer Konsistorialbezirkes am 8. und 9. August“ (1606) hingewiesen. 13 Im Jahr 1937, also zwanzig Jahre nach den damaligen Vorgängen, beschreibt Althaus das Anliegen dieser Pfarrer so: Sie sahen „in der völkischen Entwicklung die Möglichkeit gegeben, daß die deutsche lutherische Diasporakirche zu einer polnischen lutherischen Missionskirche würde und damit ihren evangelischen Zeugenberuf an dem polnischen Volke erfüllte.“ Nun könne man deutlich sehen, dass diese Hoffnung eine Fehleinschätzung gewesen sei. Als Althaus im Herbst 1935 auf Einladung des Konsistoriums der evangelisch-augsburgischen Kirche in Polen Lodz besucht (Vgl. die entsprechende Pressemeldung in der „Freien Presse Lodz“ vom 22.4.35 im PAA F 2/1 Nr. 2186 a), kann er sich selbst ein Bild von der Entwicklung machen. So schreibt er 1937 weiter: „Die Polonisierung der Kirche hat Fortschritte gemacht […]. Aber von den Wirkungen, die [man sich] erhoffte, bemerken wir nichts. Die lutherische Predigt in den entdeutschten Gemeinden hat © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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seiner reichsdeutschen und damit nationalprotestantisch geprägten Amtsbrüder, die wie er kriegsbedingt ins Land kamen, sehen genau dadurch die deutsche und damit lutherische Identität der Kirche in Gefahr, wogegen nur eine intensivierte Volkstumsarbeit helfe. Beiden kirchlichen „Parteien“ geht es aus jeweils ihrer Warte um nichts weniger als um die Zukunft der evangelischen Kirche in Polen, daher prallen die Gegensätze so unerbittlich aufeinander14. Althaus bemüht sich in der nicht immer sachlich geführten Auseinandersetzung immerhin darum, auch die Motivation der Gegenseite zu verstehen und will ihnen auch „Ernst“ und „Idealismus“ nicht absprechen15. Zur Althausschen Sachlichkeit, gepaart mit seinem vermittelnden Wesen, gehört es auch, dem Unverständnis der sogenannten „polonisierten“ Pfarrer gegenüber den nationalen Anliegen des „Deutschen Vereins“ mit Nachsicht zu begegnen. So hält er es für „nicht gerecht, den deutschen Pastoren in Polen die Vaterlandslosigkeit ihrer Predigten besonders zum Vorwurf zu machen. Die Vaterlandslosigkeit des evangelischen Christentums in Polen ist nicht Schuld, sondern Schicksal“, weil „Vaterlandsliebe für die Deutschen hierzulande infolge ihrer ganzen Geschichte eine innere Unmöglichkeit“ ist16. Diese Althaussche Nachsicht missionarischen Einfluß auf das katholische Polentum offenbar nicht üben können. Im Gegenteil: die polonisierten Gemeinden […] erleiden ständig große Verluste durch konfessionelle Mischehen. Die assimilierten deutschen Lutheraner heiraten in polnische Familien, ihre Häuser gehen allermeist dem evangelischen Glauben verloren. Das ist die nüchterne Wirklichkeit der ‚polnischen Missionskirche‘. Der polnische Geist ist römisch-katholisch.“ (3701 Glaube, 68 f.). 14 Im Rückblick urteilt Althaus sehr kritisch über den damaligen Höhepunkt der Auseinandersetzung: „Die Synode des Oktobers 1917 gehört zu den unglücklichsten Momenten der deutschen Kriegsarbeit in Polen.“ Die einheimischen Geistlichen „fühlten sich von der deutschen Verwaltung beiseite gesetzt und nicht mehr verstanden.“ (1903 Abschied, 169). So sehr er sich hier, nach dem Krieg, in die Lage der einheimischen Geistlichen versetzten kann, so wenig Verständnis äußert er für die kompromisslose Haltung des reichsdeutsch geleiteten Konsistoriums, das nur auf die deutschen Interessen blickte, ohne sich in die besondere Lage in Polen zu versetzten. Dass Althaus diese Einsicht erst nach dem Krieg gewann, ist sehr wahrscheinlich, wenn man sich seine eigenen Äußerungen unmittelbar vor dieser Synode betrachtet, in der es um die zukünftige Verfassung der „deutsch-lutherischen Kirche im Königreich Polen“ gehen sollte; vgl. 1708 Kirche, 84. Immerhin gelangte er nach dem Krieg zu dieser Einsicht, was auf ein gewisses Umdenken bei Althaus schließen lässt. 15 1511 Deutschtum, 23. Dort schreibt er: „Wir würdigen den Ernst und den evangelischen Idealismus solcher Männer tief und aufrichtig. Aber die bisherigen Erfahrungen, so scheint uns, sprechen gegen sie.“ 16 1602 Vaterlandsliebe I, 1. Dort schreibt Althaus über die polnischen Deutschen: „Als die Ahnen Deutschland verließen, da schieden sie aus dem in Kleinstaaten zersetzten deutschen Volke. Sie kamen nicht als Deutsche. […] Sie haben die deutsche Geschichte der letzten hundert Jahre, das heißt also, die Geburt des deutschen Nationalstandes, nicht mit durcherlebt. […] Die deutsche Kirche in Polen hat […] die Lehrzeit der deutschen Befreiungszeit nicht mit durchgemacht. […] Die Vaterlandslosigkeit der evangelischen Frömmigkeit in Polen ist gewiß Schicksal, und nicht – wie der Unverstand meint – Schuld Einzelner, etwa der Pastoren.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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mit den Pastoren in Polen fordert die Einheimischen zu zwiespältigen Reaktion heraus: In einem Leserbrief unter dem Titel „Schuld oder Schicksal“ als „Ent­gegnung“ zu Althaus’ Artikel hält man dem Militärpfarrer entgegen, zu leichtfertig die „Vaterlandslosigkeit der Lodzer evangelischen Frömmigkeit“ zu entschuldigen und das schuldhafte Moment gänzlich zu übersehen17. Demgegenüber zeigt die Schriftleitung ihrerseits Verständnis für die Althaussche Nachsicht mit den Pastoren: „Herrn Gouvernementspfarrer Lic. Althaus, der sich bemüht, die gespaltene Seele der Deutschen in Polen zu verstehen und als Anwalt für unsere Pastorenschaft auftritt, muß für sein Streben, die vorgeschrittenen deutschbewußten Kreise mit den noch zaudernden Pastoren zu versöhnen, warmer Dank ausgesprochen werden.“18

Die praktischen Folgerungen aus seiner Annahme einer lebenswichtigen Zusammengehörigkeit von lutherischem Glauben und dem Festhalten an deutschem Volk und Kultur sollte Althaus schon recht schnell ziehen, sowohl in seinem Amt als Gouvernementspfarrer, als auch bei seiner Nebentätigkeit für den „Deutschen Verein“ in Lodz: „Man rief uns Feldgraue zu Vorträgen über deutsches Wesen, über Männer und Frauen der deutschen Geschichte. Es war ein unvergeßlicher Volks-Frühling in Lodsch. […] Nun kam alles darauf an, diesen Strom neuen deutschen Fühlens und Wollens in ein Bett zu leiten, auf daß er nicht wirkungslos verlief, sondern die unsichere und bedrohte politische Zukunft der deutschen Volksgruppe in Polen zu gestalten vermochte.“19

Dieser Wille zur Gestaltung rief förmlich nach einer Institutionalisierung des „völkischen Erwachens“20 derer, die sich von ihm betroffen fühlten. Rückblickend schreibt Althaus: „Schon in den Jahren vor dem Kriege hatte eine aktivistische Gruppe deutscher Männer den Abwehrkampf gegen die Gefahr der Polonisierung begonnen, die Selbständigkeit der deutschen Schule gesichert, eine bewußt-deutsche Tageszeitung und Monatsschrift begründet.“21

17 Grüner, Schuld, 1. 18 DPLo 2 (1916), Nr. 11 (12.3.1916), 3. 19 4201 Entdeckung, 194. 20 Ebd., 195. 21 Ebd. In seinem Rückblick von 1937 betont Althaus außerdem: „Es muß gegenüber polnischen Darstellungen immer wieder festgestellt werden, daß die neue deutsche Bewegung unter den Lutheranern Polens ohne Zutun der Reichsdeutschen […] entstanden ist und von Einheimischen geführt wurde.“ (3701 Glaube, 70). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Diesen „Lodzer Aktivisten“ mit dem Kaufmann Adolf Eichler an der Spitze schloss sich Althaus im Herbst 1915 an und kommentierte diesen Schritt in seinem „Lodzer Kriegsbüchlein“: „Eine machtvolle deutsch-völkische Bewegung ist in Lodz und Pabianice und anderswo entstanden und sammelt sich in deutschen Vereinen, unsere Brüder drängen und bitten und rufen uns, sie begehren uns als Männer ihres Vertrauens, sie rechnen auf unsere Hilfe. Wer in Lodz und Umgebung als Feldgrauer arbeitet und sich über die Enge seiner nächsten Berufspflichten hinaus noch Auge und Herz für die großen Bewegungen, die jetzt überall im Gange sind, bewahrt hat, der wird hier in die Deutschtumsarbeit einfach hineingerissen. Sollten wir kaltherzig an alledem vorbeigehen? Wir haben es nicht fertiggebracht“22.

Althaus wurde zu Vorträgen gerufen, und dieser Ruf ereilte einen bereitwilligen Vortragenden, der sich der großen volksmissionarischen Gelegenheit für sein Amt als Pfarrer, aber auch für seine Tätigkeit im „Deutschen Verein“ bewusst war. So wurde er schnell zu einem gefragten Redner, der zu kirchlichen und vaterländischen Anlässen sprach23. Noch weiteres Publikum erreichte er mit seinen wöchentlichen „Sonntagsbetrachtungen“ in der örtlichen deutschen Presse und seinen regelmäßig abgedruckten Artikeln und Ansprachen24. Mehr und mehr nahm dabei seine Vision einer intensivierten Kirchlichkeit in Verbindung mit einem intensivierten Volksbewusstsein Konturen an25. Man geht kaum fehl, wenn man bei der Tätigkeit von Althaus in Lodz von einer Symbiose zwi 22 1601 Kriegsbüchlein, 4. Zu dieser Mitarbeit vgl. Liebenberg, Gott, 173 f. 23 So schreibt Günther, Schulwesen, 172 im Jahr 1942 über Althaus und andere: „Wertvolle Stützen des erwachten Deutschtums waren die reichsdeutschen Geistlichen, in Lodsch der Divisionspfarrer Willigmann, sein Nachfolger, der Lic. Paul Althaus und der katholische Gouvernementspfarrer Brettle. Alle drei waren ausgezeichnete Prediger. Wo und wann sie Gottesdienste hielten, waren die Kirchen überfüllt. Mit Feuereifer stellten sie sich in den Dienst der Bestrebungen, die im Deutschen Verein verkörpert waren. Ihre zündenden Ansprachen, z. B. bei den ‚Deutschen Abenden‘ entfachten aufflammende Begeisterung.“ Dieses Zitat macht noch einmal deutlich, welch „wertvolle Stütze“ Althaus für die „deutsche Volksbewegung“ in Polen war. Andererseits darf sein Einfluss bzw. seine Tätigkeit im „Deutschen Verein“ auch nicht überschätzt werden. So findet Althaus z. B. im Aufsatz über die Jugendarbeit im „Deutschen Verein“ keinerlei Erwähnung, obwohl er sich während des Krieges in der dortigen Jugendabteilung sehr engagierte (vgl. Liebenberg, Gott, 385–392). 24 Kneifel, Eichler, 20 f. schreibt 1942: „Althaus […] hat in seiner Lodscher Zeit in hervor­ ragender Weise an der Wiedererweckung und Stärkung des Deutschtums mitgearbeitet. Seine geistvollen Predigten, Vorträge, schriftstellerischen Arbeiten waren […] von nachhaltiger Wirkung. Die Erinnerung an ihn und seine erfolgreiche Tätigkeit lebt in vielen dankbaren Herzen weiter!“ 25 Titel wie „Deutschtum und lutherische Kirche in Polen“, „Vaterlandsliebe und Frömmigkeit“, „Die Stellung der Kirche im Volksleben“, „Volkssitten und Volksfeste“, „Luther und das Deutschtum“ oder „Glaube und Vaterland“ sprechen eine deutliche Sprache; vgl. die Bibliographie aus den Jahren 1915–1918. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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schen den „Lodzer Aktivisten“ bzw. dem „Deutschen Verein“ um Adolf Eichler, die sich um reichsdeutsche Unterstützung für ihre Volkstumsarbeit bemühten, und dem jungen Militärpfarrer spricht, der seine volksmissionarischen Anliegen in die Tat umsetzen wollte und konnte26. Beides, sowohl der Wunsch nach kirchenverbundenem Volk, als auch der nach einer volksverbundenen Kirche, waren ihm Herzensangelegenheiten, wobei für ihn trotz manch verschwommener Grenzziehung zwischen Volkstumsarbeit und kirchlichem Dienst letztgenannter stets der gewichtigere blieb. Sein kirchlich-volksmissionarisches An­ liegen opferte Althaus nicht dem politisch-weltanschaulichen. Welches theologische und politische Problembewusstsein und welche seelsorgerlichen Fähigkeiten nötig sind, um der schwierigen Lage einer Gemeinde in doppelter Diasporasituation als Minderheit im Ausland gerecht zu werden, bringt Karl Barth 1933 in einem Brief an einen verunsicherten deutschen Pfarrer in Brasilien zum Ausdruck, wo er schreibt: „Sie können und sollen sich über das irdische Grunddatum Ihres Gemeindelebens: daß Ihre Leute Deutsche sind und daß der berechtigte Wunsch besteht, daß ihnen ihr Deutschtum erhalten bleibt – Sie können und sollen sich darüber keinen Augenblick hinwegsetzen. […] Aber es ist klar, daß die Versuchung dort draußen, wo die Kirche zugleich die wichtigste oder gar die einzige deutsche Institution ist, noch größer ist: das irdische datum mit dem himmlischen dandum zu verwechseln oder es ihm als einen Faktor von gleicher Würde zu koordinieren. […] Ihre besondere Schwierigkeit besteht darin, daß Sie sozus[agen] in Personalunion Vertreter des Deutschtums und Vertreter des Evangeliums sein müssen.“27

Barth schärft dem Pfarrer den „Primat des einen einzigen Wortes Gottes“ ein und rät ihm abschließend: „Und also … hinein denn in Ihre nun einmal nötige Deutschtums-Arbeit, pecca, pecca fortiter!“28

26 Wie sehr eine solche Symbiose seiner eigenen Konzeption entsprach, macht Althaus indirekt in einer Rezension zu „Fichte und Deutschlands Not“ (2001R Fichte) deutlich, die Anfang 1920 veröffentlicht wurde: Das Buch „rüttelt auf zu dem vaterländischen Werke, an dem die Christenheit heute neben ihrer grössten Aufgabe vor anderen mit zu arbeiten berufen ist, bei dem sie ohne Scheu auch mit Fernstehenden in Arbeitsgemeinschaft treten soll.“ 27 Barth, Kirche, 22 f. Der Barth-Brief ist vom 19.11.1933 datiert. Er weist eingangs auf seine eigenen ähnlichen Erfahrungen als „Hilfsprediger an der deutschen reformierten Gemeinde in Genf“ hin. 28 Ebd., 24. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

3. Paul Althaus und Polen Trotz des offensichtlichen Anliegens von Althaus, in Polen Volkstumsarbeit zu leisten, sich also durchaus nicht nur theologisch-kirchlich, sondern auch kulturell-politisch zu betätigen, fällt sowohl damals 1916, als auch in seinem Rückblick von 1942 auf, wie wenig er sich im engeren Sinne nationalpolitisch äußert. Die in Polen lebenden Deutschen sollen sich zum einen als gute Lutheraner und zum anderen als gute Deutsche verstehen und fühlen1. So sehr sich Althaus um das Auslandsdeutschtum, um die deutsche Minderheit in Polen auch bemüht, weitere, wirklich politische Ziele verfolgt er offensichtlich nicht. So schreibt er 1916: „Mit alledem haben wir von der politischen Zukunft des polnischen Landes, in dem wir jetzt arbeiten, gänzlich abgesehen. […] Diese Frage […] ist auch für unsere deutsch-völkische Frage vielleicht zuletzt doch nicht das Wichtigste. Mag die politische Gestaltung der Dinge hier im Osten künftig sein wie sie will: Die Deutschen in Polen dürfen wir nie wieder vergessen.“2

Außer an einer vertiefenden Bewusstmachung des eigenen Volkstums der Deutschen in Polen und an einer Erinnerung der Reichsdeutschen an die Volksdeutschen im Ausland ist er offenbar nicht interessiert. Am Status quo der in Polen lebenden Deutschen als eben im Ausland lebende Deutsche rüttelt er nicht. Stets spricht er 1916 von „polnischem Deutschtum“ oder vom „Deutschtum in Polen“ – auch wenn ein eigenständiger polnischer Staat zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht existiert. Noch auffälliger ist der gleiche Befund für den rückblickenden Aufsatz von 1942, also drei Jahre nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen zur Eroberung von sogenanntem „Lebensraum im Osten“. Auch hier ist die Rede von den „Deutschen Polens“, vom „Deutschtum Russisch-Polens“ oder von der „deutschen Volksgruppe in Polen“. Ein weiteres Indiz dafür, dass sich Althaus hier der Lebensraum-Phrase des NS-Regimes enthält, ist die Tatsache, dass er in diesem Aufsatz 1942 weiterhin den polnischen 1 Im August 1916 kommt Althaus ablehnend auf völkisch-rassistische Positionen zu sprechen, die – so muss man sich wohl ergänzen – die angebliche „Überlegenheit der deutschen Art“ als Argument für Gebietsansprüche ins Feld führen: „Wir halten an unserem Deutschtum nicht deshalb fest, weil wir uns etwa als die Edelrasse der Menschheit, als das auserwählte Volk fühlen, sondern weil wir Deutsche sind und unsere Eigenart in jedem Falle als Gottes besondere Gabe heilig halten sollen.“ (1606 Stellung, 32 f.). Dieses Zitat ist zugleich ein Beispiel für die Ambivalenz von Althaus’ Volksverständnis: Einerseits religiöse Überhöhung als Gottesgabe, andererseits Absage an eine völkisch-rassistische Metaphysik der Völkerungleichheit. 2 1601 Kriegsbüchlein, Vorwort, 4. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Paul Althaus und Polen

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Ortsnamen Lodz, wenn auch in der eingedeutschten Schreibweise „Lodsch“, verwendet, während der offizielle, von Staatsseite befohlene Ortsname schon seit April 1940 Litzmannstadt lautete. Auf den schon während des Krieges gegen die reichsdeutschen Pastoren in Polen erhobenen Vorwurf nationalistisch-alldeutscher Betätigung reagiert Althaus im Juni 1919 in seinem Aufsatz „Abschied von Polen“, der eine sehr emotionsgeladene Verteidigungsschrift gegen Angriffe und Verunglimpfungen derjenigen Pastoren in Polen darstellt, denen er seinerseits während des Krieges den Vorwurf gemacht hatte, der „Polonisierung“ der Deutschen in Polen Vorschub zu leisten3: „Man hat mündlich und literarisch immer wieder behauptet, wir feldgrauen Pfarrer hätten als ‚alldeutsche Sendboten‘ das verzehrende und zerstörende Feuer nationalistischer Leidenschaft nach Polen gebracht. In Wirklichkeit kam niemand ahnungsloser, weniger ‚alldeutsch‘ nach Polen als wir. Wir wußten kaum, daß es im Lande Deutsche in erheblicher Zahl gab. Nur unseren Soldaten wollten wir dienen. Aber dann geschah das Unerwartete, das Unvergeßliche: die Deutschen in Polen kamen zu uns, strömten in unsere Militärgottesdienste, begehrten Rat und Hilfe und bezeugten einmal über das andere ihre Freude, daß die deutschen Brüder ins Land gekommen waren und sie von der russischen Gefahr errettet hatten. Nicht alldeutsche Hetzer, sondern die gewichtigen Tatsachen der Kriegsgeschichte von 1914 und 1915 ließen diese deutschsprechenden Lutheraner an der Weichsel und in Lodz ihr deutsches 3 Den „Abschied von Polen“, der Althaus und seinen reichsdeutschen Amtsbrüdern von den einheimischen Geistlichen bereitet wurde, kommentiert er tief emotional: „Daß die einheimischen Pastoren aufatmeten, als wir anderen gingen […], konnte nach allem Geschilderten nicht überraschen. […] Wir gingen als schwer getroffene Männer: unser Vaterland in die Knie und in den Staub gesunken, unsere Gemeinden in Polen vielleicht dem Hasse der Polen preisgegeben, unserer ernsten Arbeit Erfolg in Frage gestellt. Wir waren schwer getroffen genug – warum schwieg man nicht? Nein, die Peitschenschläge lauter Worte vor der Öffentlichkeit sind hinter uns dreingeknallt – und sie schmerzen tief.“ (1903 Abschied, 174). Er schreibt über „deutliche Worte gegen die Militärpfarrer, absprechende hochfahrende Urteile über ihr Predigen“ und über „Schmähartikel gegen die ‚deutsche Religion‘ der feldgrauen Pfarrer“. Tief getroffen zeigte sich Althaus vor allem auch durch die Erklärung, dass die Kirchenzeitung der letzten Jahre einer regelrechten Damnatio anheimfiel, die er mit den Worten zitiert: „Unsere evangelisch-lutherische Kirche bekennt sich nicht zu den 10., 11., und 12. Jahrgängen ‚Unsere Kirche‘…, sie schaltet diese Jahrgänge als Fremdkörper aus.“ (Ebd., 176). Hatten er und seine reichsdeutschen Kollegen, die eine volkstumsbezogene Erweckungsarbeit verfolgten, während des Krieges die einheimischen Pfarrer öffentlich kritisiert, so drehten diese nun den Spieß um und revanchierten sich ebenfalls vor der Öffentlichkeit. Hatte er während seiner Arbeit in Polen wenig Rücksichten auf die sich polnisch fühlenden Gemeindemitglieder genommen, so nahm man nun wenig Rücksicht auf die deutsch empfindenden. Wenn Althaus das nun seinen Gegnern zum Vorwurf macht, misst er offenbar mit zweierlei Maß: „Warum konnte man jetzt nicht vor den Gemeinden, die mit Liebe und Verehrung zu den reichsdeutschen Pastoren aufblickten, schweigen, warum mußte man der Bitterkeit freien Lauf lassen?“ (Ebd., 177). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Die entscheidenden Weichenstellungen während des Krieges  Herz und die Liebe zur Heimat ihrer Großväter entdecken.“4 Und einige Seiten weiter schreibt er: „Will man es uns verdenken, daß wir im deutschen Daseinskampfe die Brüder, die uns Häuser und Herzen auftaten, als Deutsche grüßten? Niemand von uns dachte daran, sie für Reichsdeutschland in Anspruch zu nehmen. Staatsangehörigkeit und Volkszugehörigkeit schieden wir streng und haben es den Deutschen Polens oft zugerufen, daß es ihre Pflicht sei, loyale und treue Bürger des neuen polnischen Staates zu sein. Aber allerdings: dazu daß sie auch auf dem Boden des neuen Staates ihre deutsche Eigenart, Schule, Kirchensprache und wirtschaftliche Stellung wahren können, dazu haben wir ihnen, in unserem Gewissen gebunden zu solchem Bruderdienste, mithelfen wollen und dürfen.“5

Es ist ein problematischer Spagat, den Althaus den Deutschen in Polen nahelegt: In ihrer konfessionellen und volkstumsbezogenen Minderheitensituation sollen sie einerseits ihrem deutschen Volkstum und damit ihrem Glauben und andererseits dem polnischen Staatswesen gegenüber die Treue erweisen. Dass eine solche Haltung durch einen Nationalismus, der das eigene Volk – sei es das deutsche oder das polnische – absolut setzte, zum Scheitern verurteilt wäre, ist sich Althaus offenbar bewußt, wenn er sich zumindest rückblickend von radikalen kirchenpolitischen Forderungen des „Deutschen Vereins“ distanziert und zugleich den einheimischen Pastoren polnisch-nationalistische Töne vorwirft6. 4 1903 Abschied, 165 f. 5 Ebd., 172. 6 Ebd., 173.175. Das Nationalitätenproblem unter den Evangelischen in Polen sollte auch und gerade nach dem Krieg eine bleibende Rolle spielen. So sah sich zu Beginn der 20er Jahre auch die Ökumenische Bewegung für Praktisches Christentum zu einem Eingreifen genötigt und lud für März 1921 zu einer Polenkonferenz nach Uppsala ein. Wie schon Althaus während des Krieges, so ist nach Kerner, Luthertum, 57 f. auch der schwedische Bischof Nathan Söderblom nach dem Krieg der Meinung, „der Superintendent von Warschau J. Bursche vergesse über seiner nationalpolnischen Agitation seine Bruderpflicht gegenüber den evangelischen Gemeinden in Posen“. Zur Unterdrückung der deutschen, aber auch der ukrainischen Minderheit in Polen in der Zeit zwischen den Weltkriegen vgl. Isberg, Kyrkopolitik, 150–175. Er geht besonders darauf ein, wie infolge der Entrechtung und Unterdrückung der Deutschen allgemein und der evangelischen Kirche im Besonderen deren Mitgliederzahl durch eine starke Auswanderung, aber auch durch Ausweisungen und Ausbürgerungen stetig schrumpfte. Den polnisch-nationalistischen Homogenisierungsbestrebungen waren auch die polnischen Juden ein Dorn im Auge. Im Kampf um die polnische Unabhängigkeit kam es 1918/19 an vielen Orten Polens zu Pogromen mit Hunderten von jüdischen Opfern. In der Zwischenkriegszeit wanderten Zehntausende polnischer Juden nach Palästina aus. Zum problematischen deutsch-polnischen Verhältnis in der Zwischenkriegszeit schreibt Siegmund-Schultze 1931: „Der bedrohteste Punkt des Weltfriedens ist offenbar das deutsch-polnische Verhältnis.“ Nachdem er nationalistische Übergriffe in Deutschland auf die polnische Minderheit verurteilt, beschreibt er die Situation in Polen mit den Worten „die polnischen Terrorakte haben jedes Maß von Einzelaktionen überschritten“. Besonders erwähnt er die „Gewalttätigkeiten gegen die evangelisch-deutschen Kirchen“. Die entscheidende Lösung sieht Siegmund-Schultz in der Revision des Versailler Vertrages (ders., Verständigung, 2 f.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Paul Althaus und Polen

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Auch wenn diese Aussagen 1919 in apologetischer Absicht getan wurden und nicht ohne weiteres die Situation während des Krieges objektiv wiedergeben, so ist doch die hier verwendete und schon für 1915 nachgewiesene Wortwahl Althaus’, der 1915 wie 1919 von „Deutschen Polens“ und „polnischen Deutschen“ spricht, zumindest ein Indiz dafür, dass es ihm mit dieser Trennung von Staatsangehörigkeit und Volkszugehörigkeit ernst ist. Es war sein Anliegen, das kriegsbedingt erwachende Volkstumsbewusstsein der Deutschen in Polen zu fördern und zu fordern, ohne sie in nationalpolitischer Weise zu vereinnahmen. Eine evangelisch-kirchliche Vereinnahmung war allerdings durchaus im Sinne der von ihm propagierten Zusammengehörigkeit von Deutschtum und Luthertum von ihm beabsichtigt. So schreiben auch Alfred Kleindienst und Oskar Wagner 1985 rückblickend auf das Wirken Althaus’ in Lodz: „Sein theologisches und geistliches Wirken war ganz auf die geistliche Erneuerung des Lebens des Einzelnen und der Gemeinde aus dem Evangelium ausgerichtet, wobei er die Diasporasituation der evangelischen Gemeinden in Kongreßpolen ebensowenig unberücksichtigt gelassen hat wie die Fragen der sprachlichen und nationalen Identität der Gemeindeglieder. […] Wenn Althaus die Deutschen in Polen mahnte, am Evangelium und an ihrem deutschen Volkstum festzuhalten, so um der Zukunft der evangelischen Kirche in der Diasporasituation dieses Landes willen“7.

Völkisch-alldeutsche Vorstellungen und Interessen hatte Althaus nicht. Das Recht auf einen eigenen Staat, in dem eben auch „polnische Deutsche“ als selbstbewusste Minderheit leben, spricht er den Polen daher auch nicht ab8. Dass dieser neue Staat sich in Abhängigkeit vom Deutschen Reich bildet – die Alternative wäre eine Abhängigkeit vom Zarenreich  –, ist für Althaus allein schon kriegsbedingt eine Selbstverständlichkeit. Wenn Althaus in Lodz sich neben seiner Tätigkeit als Militärpfarrer engagiert um die Belange der deutschen Minderheit kümmert und eine aktive Volkstumsarbeit fördert und fordert, dann hat er als ethnisches Gegenüber die polnische Bevölkerungsmehrheit im Blick, in deren Land die „polnischen Deutschen“ als Minderheit leben – auch wenn zum damaligen Zeitpunkt kein 7 Kleindienst/Wagner, Protestantismus, 40 f. 8 Nach dem verlorenen Krieg und seinen umfangreichen Gebietsabtretungen infolge des Versailler Vertrages spielen im politischen Denken der Mehrzahl der Deutschen und so auch bei Althaus die an Polen verlorenen deutschen Ostgebiete eine große Rolle. Einem in völkischen Kreisen undifferenziert-simplifizierend propagierten „geschichtlichen Recht“ der Deutschen auf diese nunmehr polnischen Westgebiete redet Althaus, der um die Tatsache des Großteils von Polen an der dortigen Bevölkerung weiß, allerdings nicht das Wort. Für ihn steht in dieser Frage vielmehr „geschichtliches Recht gegen geschichtliches Recht“ (2104 Sozialismus, 67), d. h. Deutsche und Polen können nach seiner Meinung gleichermaßen Anspruch auf diese Gebiete erheben. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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polnischer Staat existierte9. Immer wieder warnt er in seinen Veröffentlichungen vor einem Aufgehen des „Deutschtums in Polen“ im Polentum, vor einer „Polonisierung“ der Deutschen. Ihm geht es darum, dass sie auch im katho­ lischen Polen ihre Identität als Deutsche, und zwar als evangelische Deutsche bewahren sollen. Für ihn gehört Deutschtum und Luthertum zusammen10. Vor diesem Hintergrund kritisiert er seine einheimischen Amtsbrüder, die sich in seinen Augen für das evangelische Bekenntnis gefährlich weit an das Polentum assimiliert haben. Für diese wie überhaupt für die in seinen Augen „polonisierte“ deutsche Stadtbevölkerung hat Althaus wenig übrig, wesentlich lieber ist ihm die deutsche Landbevölkerung, die sich auch als Minderheit im Ausland ihre angestammte Sprache und Kultur erhalten hat11. Damit die deutsche Minderheit in Polen ihre volkliche und damit auch konfessionelle Identität bewahrt, gilt es für ihn, einer Assimilierung ans Polentum, einer „Polonisierung“, zu wehren. Vorbild für eine wechselseitige Stützung von Volkstum und Religion ist für ihn das polnische Volk selbst: „Mit Bewunderung sehen wir bei dem polnischen Volke die völlige Durchdringung von Polen­tum und Katholizismus: eine echte und wahrhafte Volksreligion! Patriotismus und Frömmigkeit ziehen aus ihrem Bunde gleichermaßen gewaltige Kraft. Das moderne Polentum bietet den überzeugenden Beweis. Könnte es in Deutschland nicht ähnlich sein?“12

9 Erst am 5.11.1916 erfolgte die „Proklamation über die Errichtung des Königtums Polen“; vgl. Liebenberg, Gott, 335. 10 Die Althaussche Überzeugung dieser Zusammengehörigkeit speiste sich aus dem aus dem 19.  Jahrhundert überkommenen pastoralen Selbstbewusstsein, das aus der „ideellen Verschmelzung von evangelischer Tradition, bürgerlichem Selbstverständnis und nationaler Geschichtskonstruktion“ erwuchs. Für Kuhlemann, Pastorennationalismus, 553 „lebte der Protestantismus vom Selbstverständnis einer historisch überlegenen, zunehmend national gefärbten protestantischen Kultur“. 11 Vgl. 1507 Frühling, 149; und 1605 Geschichte, 10.15. 12 1602 Vaterlandsliebe II, 2. Dass Althaus bei dieser Hoffnung für Deutschland nicht an eine deutsche Nationalreligion oder an eine deutsche Nationalkirche denkt, macht er im gleichen Aufsatz deutlich; vgl. ebd., 1; u. ö. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

4. Althaus’ pastoraltheologische Lehren aus dem Pfarrdienst im Krieg – Die methodische Grundlegung seiner volksmissionarischen Arbeit Während es bisher darum ging, die politische Haltung von Althaus während seiner Zeit als Militärpfarrer in Polen zu beleuchten, soll es nun auch um seine pastoraltheologischen Lehren aus der Arbeit im Krieg gehen, die für seine politische Theologie und ihren sowohl praktischen als auch systematischen Ansatz von großer Bedeutung sind. Ausgangspunkt für seinen pastoraltheologischen Ansatz ist seine Verhältnisbestimmung von religiösem und nationalem Moment, von „Glaube und Vaterlandsliebe“. 4.1 „Die Religion eines Volkes soll national und international zugleich sein“ – Althaus’ ambivalente Verhältnisbestimmung von „Glaube und Vaterlandsliebe“ Die für Althaus charakteristische Überordnung des Kirchlich-Religiösen gegenüber dem Politisch-Nationalen kommt in seiner ambivalenten Haltung zu Glaube und Vaterlandsliebe zum Ausdruck. Am eindrücklichsten formuliert findet sie sich in den Althaus-Aufsätzen „Vaterlandsliebe und Frömmigkeit“ vom Februar 1916 und „Glaube und Vaterland“ vom September 1917. Bereits den Titeln lässt sich unschwer entnehmen, dass es Althaus – und das entspricht seinem gesamten Denken, Fühlen und Glauben – um die untrennbare Verbindung beider Aspekte geht. Liest sich der erste Aufsatz als Apologie des reichsdeutschen Militärpfarrers gegen Vorwürfe, „die Kanzel zu rein nationalen Gedankengängen und politischen Predigten“ zu missbrauchen1, so ist der zweite in erster Linie die Zurückweisung einer nationalisierten „deutschen Religion“. Beiden Artikeln gemeinsam ist zunächst die Sakralisierung des Vaterlandes als neben dem Glauben „höchsten Gut“ und „Heiligtum“2 und die Stilisierung der „Hingabe an das Vaterland“ als „Gottesdienst“3. Es klingt bereits so etwas wie eine frühe Althaussche Schöpfungsordnungstheologie an, wenn er schreibt: „Der Ruf des Vaterlandes war für uns alle, die Gottes Willen in allen sittlichen Gemeinschaftsformen ehren, ein Ruf Gottes. Die Vaterlandsliebe empfinden wir mehr denn je heute in Kriegszeiten als Er 1 1602 Vaterlandsliebe I, 1. 2 1707 Glaube, 5. 3 1602 Vaterlandsliebe I, 1. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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füllung des Willens Gottes.“4 Durch diese theologische Aufladung des Vaterlandsbegriffs, bei dem das Volkstum immer schon mitschwingt5, wird dieser für Althaus aber nicht nur zum Gegenstand ethischen Handelns, sondern auch zum „Gegenstand des Glaubens“: „Der Glaube an des eigenen Volkes Sendung gewinnt religiösen Glanz.“6 Diesem deutschen Sendungsbewusstsein dient Althaus der „Glaube an Israels Sendung“, wie er ihn im Alten Testament vorfindet, zum Vorbild. So wie das Volk Israel „einst der ganzen Welt zum Segen sein und sie zu Gott führen“ darf7, so sieht er auch Deutschland „bestimmt die ganze Welt zu segnen“8. Dieser „idealistische Glaube an den Weltberuf des deutschen Volkes und seiner Kultur“, dieser Glaube, „in allem Guten, Wahren und Schönen die Ersten in der Welt zu sein“9, dieser Glaube, „daß das deutsche Volk für die Zukunft der Völker ganz besondere Bedeutung hat“, hat für Althaus nichts zu tun mit „politischer Weltherrschaft“, „politisch-imperialistischem Sinne“ oder „chauvinistischer Enge“: „Nicht Weltherrschaft, sondern Weltdienst ohnegleichen – das ist heute unser Glaube.“ Er sieht die Deutschen gerade deshalb dafür prädestiniert, weil er von der „stärkste[n] Aufgeschlossenheit deutschen Wesens für Eigenart und Kultur aller anderen Völker“ ausgeht10. Bei all diesem Sendungsbewusstsein auf der einen Seite, das Althaus dem deutschen Volk theologisch verbrämt, erteilt er auf der anderen Seite der „nationale[n] Eitelkeit“ und ihrer Rede vom „deutschen Gott“ und vom „auserwählten Volk“ eine klare Absage11. „‚Es soll am deutschen Wesen noch einmal die Welt gene 4 Ebd., 3. 5 An anderer Stelle nennt Althaus das Volk explizit eine Gottesordnung, so z. B. in 1706 ­Luther, 16. 6 1707, Glaube, 8. Vaterland und Volkstum sind für Althaus „wie alle irdischen Güter“ „in das Licht des Gotteserlebnisses“ zu rücken. Religion soll demzufolge „in den besonderen Anlagen des eigenen Volkes Gottes Gedanken und in der Geschichte des Volkes Gottes Handeln“ ablesen. 7 Ebd., 8. 8 Ebd., 9. Ebenfalls dem Alten Testament entnimmt Althaus das Bild der anderen Völker, die eines Tages „zu Füßen der deutschen Lehrer, der deutschen Dichter, der deutschen Propheten und Priester sitzen“ werden (ebd., 11). Der nationalen Überheblichkeit in diesem Bild ist sich Althaus durchaus bewusst, weshalb er sogleich ergänzt: „Reden wir nicht viel davon – um der anderen willen, die uns doch mißverstehen, und um unserer selbst willen: nichts ist häßlicher als nationale Eitel­keit.“ 9 Ebd., 12. Die idealistische Vorstellung, dem deutschen Volk falle die Aufgabe zu, „den Kulturzustand der Menschheit zu retten“, formulierte bereits Schleiermacher; vgl. Kurz, Denken, ­30–34. 10 Ebd., 10. Auf diese Weise meint Althaus auch dem Weltkrieg einen Sinn zu verleihen: „Wofür kämpfen wir denn letztlich? Für Ehre, für wirtschaftliche Möglichkeiten, für Wachstum – das alles sind schließlich doch nur Voraussetzungen für das Letzte: für Deutschlands Beruf an Geist und Seele der anderen Völker. Das ist das Höchste.“ 11 Ebd., 11. So schreibt er: „Es ist nicht gut, wenn wir auf Deutschland irgendwie die Prädikate des ‚auserwählten Volkes‘ anwenden“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Althaus’ pastoraltheologische Lehren aus dem Pfarrdienst im Krieg

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sen‘ – ist es wirklich deutsch, dieses abgehetzte Dichterwort immer wieder klingen zu lassen?“, fragt er sich und seine Leser daher12. Mit dieser Spannung in dem von Althaus vertretenen deutschen Sendungsbewusstsein ist zugleich die Spannung in seiner Verhältnisbestimmung von Glaube und Vaterlandsliebe überhaupt angesprochen. Denn neben seiner fortwährenden Sakralisierung von Volk und Vaterland kommt Althaus stets zugleich auf die Gefahr des Nationalismus und der Nationalisierung der Religion zu sprechen: „Es besteht die Gefahr, daß der Glaube das Vaterland oder das Vaterland den Glauben vergewaltige. Die erste Gefahr ist die eines übernationalen Kosmopolitismus, eines vaterlandslosen religiösen Internationalismus, die zweite Gefahr ist die einer nationalisierten, irgendwie zur Sklavin des Patriotismus herabgedrückten Religion.“13

Althaus’ kritischer Blick auf die national aufgeladene Stimmung während des Krieges – er spricht von „Krankheitszeiten“, denn „als solche werden wir unsere Zeiten des fieberhaft gereizten Nationalgefühls einmal werten“14 – lässt ihn die erste Gefahr als sehr gering einstufen. Stattdessen gilt: „Der Nationalismus, völkisches Sondergefühl und völkische Exklusivität haben die Herrschaft angetreten, und die internationalen Gefühle, deren Hüter in würdigen und unwürdigen Formen stets besonders die Deutschen waren, sind in unserer Fieberperiode des Nationalgefühls fast gänzlich ertötet. Kein Wunder, daß auch die Religion davon angekränkelt wird.“15

Dieser nationalistischen Überformung, dieser „Erkrankung“ der Religion, setzt Althaus entgegen: „Das Auflösen der Religion im Patriotismus ist für uns eine Unmöglichkeit. Daß die Religion nur eine Verbrämung des ‚deutschen Gedankens‘, eine besondere Gestalt des Patriotismus sein könnte, ist ausgeschlos­ sen.“16 Denn die „Verquickung von Religion und Patriotismus“ stellt für ihn einen „Rückschritt gegenüber dem jüdisch-christlichen Individualismus“ dar17. Seine Zurückweisung der auf den Gedanken Paul de Lagardes18 fußenden Forderung nach einem „deutschen Glauben“ und einer „deutschen Religion“, die 12 Ebd., 12. 13 1707 Glaube, 6; vgl. 1602 Vaterlandsliebe II, 1. 14 Ebd., 17. 15 Ebd., 6. 16 Ebd., 8. 17 Ebd., 7. So hält er den Verfechtern einer solchen Transformation des christlichen Glaubens entgegen: „Der Patriotismus als Religion – das ist nicht eine besonders vorgeschrittene, sondern eine besonders primitive Erscheinung der Religionsgeschichte.“ 18 Zu Lagardes Idee einer „deutschen Religion“ vgl. Kurz, Denken, 92 ff. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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dem „angeblich undeutsche[n] Christentum“19 den Kampf angesagt hat und „zurück vom jüdischen Christentum zu germanischer Religion“ will20, ist Althaus’ Bekenntnis zu eben jener jüdisch-christlichen, das Abendland prägenden Gottesvorstellung. Dies lässt ihn auch die auf Ernst Moritz Arndt zurückgehende, für ihn zur Zeit der Befreiungskriege ursprünglich einmal „ehrwürdige“ Rede vom „deutschen Gott“ mittlerweile als bedenklich und nationalistisch „entwürdigt“ erscheinen21. Für Althaus ist „die Sehnsucht nach deutscher Religion erst dann ernst zu nehmen, wenn sie Sehnsucht nach deutschem Christentum ist.“22 Eine solche „Erfassung und Behauptung der deutschen Eigenart auch auf dem Gebiete der Religion“23 ist für Althaus deshalb möglich, weil durch eine „mehr als tausendjährige Geschichte […] Christentum und Deutschtum ineinander verwurzelt“ sind24. Deshalb verspürt auch er, wie die Vertreter einer „deutschen Religion“, den „Wunsch, daß die Eigenart deutschen Geistes in unserem Christentum stärker zur Geltung komme“ und das „Verlangen, daß das ganze deutsche Volk sich zum Christentum zurückfinde“25. Wie die Forderung nach „deutscher Religion“ und die Rede vom „deutschen Gott“ für Althaus unmöglich sind, so lehnt er auch Forderungen nach einer die deutsche konfessionelle Spaltung überwindende Nationalkirche als „wirklichkeitsfremde Schwärmerei“ ab26. Für ihn steckt im Ringen der Konfessionen das Ringen nach christlicher Wahrheit, und eine Unterordnung kirchlich-religiöser Belange zugunsten nationaler kommt nicht in Frage:

19 1707 Glaube, 13. 20 Ebd., 12. 21 Ebd., 11. So schreibt er schon 1916: „Die Rede vom ‚deutschen Gott‘ könnte nur zu schnell, wie es ja schon heute geschehen ist, zum Kleide nationalen Dünkels und maßlosen Chauvinismus werden und das Bewußtsein um das Reich Gottes, in dem alle Völker Raum haben, töten.“ (1602 Vaterlandsliebe III, 1). Im gleichen Aufsatz schreibt er dazu: „Die Rede von dem ‚deutschen Gott‘ ist weithin üblich geworden. In Wirklichkeit glaubt man oft genug nicht an Gott, sondern nur an das Vaterland, nicht an Gottes Gerechtigkeit, sondern nur an Deutschlands gerechte Sache. […] Oft genug hat die Religion keine andere Stellung mehr, als daß sie dem Patriotismus ihren Wortschatz und ihr Pathos leiht.“ (ebd. II, 1); zur Ablehnung der Vorstellung eines „deutschen Gottes“ bei Althaus vgl. auch 1505P Furcht, 79. Zu Arndts Rede vom „deutschen Gott“ vgl. Kurz, Denken, 46–50. 22 Ebd., 13; Hervorhebung von Althaus. 23 Ebd., 14. 24 Ebd., 13. Als Beispiele zieht Althaus die „echt-deutschen Beziehungen zwischen Lehnsherren und Mannen“, die dem Verhältnis von Christus und den Gläubigen entsprechen soll, ebenso heran wie die deutsche Mystik, die für ihn dem „deutsche[n] Gemüt“ und der „deutsche[n] Innerlichkeit“ entspricht. Höhepunkt ist für ihn der Glaube Martin Luthers, der den „entscheidenden Durchbruch deutscher Seele in der Erfassung des Evangeliums“ darstellt (ebd., 13–15). 25 1602 Vaterlandsliebe III, 1. 26 Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Deutsch, gerade echt-deutsch ist die unbedingte Gewissenstreue, die nicht um noch so großer Güter wie der Volkseinheit willen das Weiterschreiten in dem, was sich einem jeden innerlich als Wahrheit aufdrängt, aufgibt. Eine Union aus vaterländischen Gründen – das wäre so undeutsch wie möglich. […] Wenn sich die Konfessionen finden, dann werden sie sich im gemeinsamen Verständnis Christi, also in Christus, finden, aber nicht im vaterländischen Gedanken. […] Dazu ist die Religion eine viel zu zarte, selbständige Sache, die sich nicht in patriotische Programme und Zielbestimmungen fesseln läßt.“27

Neben dieser abzulehnenden Unterordnung der Kirche unter nationale Belange sieht Althaus in einer deutschen Nationalkirche „in starkem Maße die Gefahr einer Nationalisierung der Religion“. Wenn das der Fall wäre, könnte die Kirche in Bezug auf Volk und Vaterland ihre Aufgaben nicht mehr wahrnehmen. Diese sind für Althaus „als stärkste Gabe an das Vaterland“ „die in den Tiefen des Gottesglaubens und der Erkenntnis des sittlichen Gesetzes begründete Kritik, der Ruf zur nationalen Buße“ und die Aufgabe, „die internationalen Gefühle zu pflegen.“28 Eine Nationalkirche hingegen wird für Althaus „leicht Sklavin des nationalen Willens, wo sie Erzieher sein sollte, Dienerin nationaler Enge, wo sie ihren geschichtlich anvertrauten Beruf als Hüterin des rechten Internationalismus ausüben sollte.“29 Gerade im Krieg sieht Althaus der Kirche diese Aufgabe gestellt: Sie muss „durch Krankheitszeiten“ wie „unsere Zeiten des fieberhaft gereizten Nationalgefühls“ die „internationalen Gefühle hindurchretten“ und „das Gefühl der Bruderschaft aller Menschen“ verkündigen30. Seine Forderung lautet daher: „Die Religion eines Volkes soll national und international zugleich sein.“31 Doch bei bloßer Verkündigung soll es nicht bleiben, sondern die Kirchen sollen ihre internationalen Arbeitsgemeinschaften in den Dienst der Völkerversöhnung stellen: 27 1707 Glaube, 15 f. 28 Ebd., 16. Für Althaus steht fest: „Zu beidem würde eine Nationalkirche wohl weniger fähig sein, als die Kirchen in ihrer jetzigen, über die Nationen übergreifenden Weltweite.“ (ebd., 16 f.). 29 Ebd., 17; Hervorhebung von Althaus. Schon 1916 schreibt Althaus über die von Seiten des Nationalismus drohenden Gefahren einer deutschen Nationalkirche: „Allzuleicht würde die Frömmigkeit der Nation dann selber nationalisiert werden, das heißt: ihre über die Völker übergreifende Weite, ihren völkerverbindenden Charakter verlieren. […] Allzuleicht möchte eine deutsche Na­ tionalkirche in Friedenszeiten Sklavin der vaterländischen Leidenschaft werden und nicht mehr die Macht haben, vaterländisches Gewissen zu sein.“ (1602 Vaterlandsliebe III, 1). 30 Ebd. Althaus zitiert an dieser Stelle das Pauluswort von Gal 3,28: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Knecht noch Freier, sondern sie sind allzumal einer in Christus.“ 31 1602 Vaterlandsliebe IV, 2; zur Aufgabe der Kirche, „internationales Gefühl“ zu pflegen vgl. ebd. III, 1 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Die entscheidenden Weichenstellungen während des Krieges  „Die ersten internationalen Arbeitsgemeinschaften im 19.  Jahrhundert sind christ­ liche gewesen, die ersten internationalen Organisationen waren die Kirchen […]. Sie haben freilich den Krieg nicht verhindern können, aber sie können viel Unwürdiges in der Haltung der Völker zueinander hindern und mindern und sie können, wenn der Friede kommt, mehr als andere dahin wirken, daß er nicht nur ein Waffenstillstand, sondern wirklich ein Friede wird.“32

Mit dieser Haltung will Althaus einen Mittelweg beschreiten zwischen kirchlichem Internationalismus und kirchlichem Nationalismus, die er beide als Extreme ablehnt33. Dieser Mittelweg ist für ihn die richtige Verhältnisbestimmung zwischen Glauben und Vaterlandsliebe. 4.2 „Wie sollen wir den Männern predigen?“ – Pastoraltheologische Lehren aus der Arbeit im Krieg Noch im letzten Kriegsjahr stellte der Militär- und Gouvernements-Pfarrer Althaus pastoraltheologische „Leitsätze“ auf, die sich mit folgenden Fragen beschäftigten: „Welche Aufgaben stellen uns Militär-Geistlichen die religiös-sittliche und vaterländische Not gegenüber unseren Gemeinden? Und wie ist ihre Lösung in Angriff zu nehmen?“34 Basierend auf diesen „Leitsätzen“ zur pastoraltheologischen Arbeit im Krieg veröffentlichte Althaus kurz nach Kriegsende im Dezember 1918 seine „Kriegslehren für unsere Wortverkündigung“ unter dem Titel „Wie sollen wir den Männern predigen?“35. Dabei ging es ihm darum, den Weltkrieg als missionarische Gelegenheit insbesondere in der kirchlichen Männerarbeit und damit als „Gottes Stunde“ zu begreifen. Nötig ist in seinen Augen dafür ein gezieltes methodisches Vorgehen, das mit einem Zweischritt der Anknüpfung von theozentrischer zu soteriologischer Predigt arbeitet und die christliche Verkündigung direkt auf die Erfahrungen der Menschen bezieht. „Vom Vaterlandserlebnis zum Gotteserlebnis“ sieht Althaus den missionarischen Weg verlaufen. Dass eine Anknüpfung bei nationaler Euphorie, wie er sie im August 1914 selbst miterlebte, ihre Grenzen darin finden muss, Nationalismus und Chauvinismus zu wehren, macht Althaus in 32 1707 Glaube, 17. 33 Auch Kurz, Denken, 476 versteht „Althaus’ nationalprotestantisches Denken während seiner Zeit als Garnisonspfarrer in Lodz“ als „Korrektiv zum reinen Nationalismus“. 34 Die Fragen sind zugleich der Titel des vierseitigen Manuskripts von 1918, das ich im Nachlass von Althaus entdeckte (NPA 13/4); Seitenangaben fehlen. 35 1808 Männern; vgl. Liebenberg, Gott, 475–486. Mit Liebenberg, 475, Anm. 528 ist wohl von einer Abfassung kurz vor Kriegende auszugehen, wenn Althaus im ersten Satz schreibt: „Je länger wir hier draußen an unseren feldgrauen Männergemeinden arbeiten…“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Althaus’ pastoraltheologische Lehren aus dem Pfarrdienst im Krieg

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seinem nüchtern-selbstkritischen Rückblick auf seine eigenen Kriegspredigten deutlich. Das besondere Charakteristikum seiner Arbeit im Krieg war für Althaus die Tatsache, dass er es ausschließlich mit Männern zu tun hatte, einer speziellen Zielgruppe für das kirchliche Handeln also, die unter normalen Umständen in Friedenszeiten schwer zugänglich war. Der Krieg hat für das Verhältnis der Kirche zu den Männern die Situation grundlegend verändert, er hat eine „ganz einzigartige und nicht genug zu preisende“ missionarische Gelegenheit gebracht. „In dieser Beziehung bedeutet der Krieg für die Kirche eine Gnade Gottes“, kann es Althaus auch formulieren. „Er gab ihr wieder den Zutritt zu Kreisen und Massen, die ihr vielleicht sonst für immer unzugänglich geblieben wären.“36 Trägheit, Hemmungen und Vorurteile gegenüber der Kirche, die in der Friedenszeit besonders unter den Arbeitern herrschen, fallen unter der besonderen Situation weg, die Althaus als „Gottes Stunde“ unbedingt für die missionarisch-kirchliche Arbeit nutzen will. Die Forderung Friedrich SiegmundSchultzes, die Kirche bedürfe zur Bildung neuen Vertrauens eines gemeinsamen „Lebenszusammenhanges“ mit den ihr entfremdeten Arbeitern, sah Althaus durch seinen „feldgrauen Lebenszusammenhang“ mit seiner Soldatengemeinde erfüllt. Wenn das Vertrauen in die Pfarrer erst wieder gegeben ist, dann erwartet Althaus auch „die Stunde […] da wir mit unserer Predigt wieder ein offenes Ohr finden“ – auch bei Großstädtern, Sozialdemokraten und Sozialisten. Daher legt Althaus der Kirche für die Zeit nach dem Krieg auch besonders die Männerarbeit nahe: „Es ist ein unbedingtes Erfordernis, daß der Pastor jeder größeren Gemeinde hinfort Männerabende halte. Die Leute werden kommen, wenn wir die Sache nur richtig anfangen“37. Für einen solchen richtigen Anfang, der die Männer wieder mehr ins kirchliche Leben zu integrieren weiß, stellt Althaus im Blick auf die Wortverkündigung Forderungen auf: Erstens solle Wortverkündigung mehr Apologetik, Ethik und Dogmatik enthalten. „Mehr Denken und Erkenntnis in unseren Predigten!“38 lautet daher seine Devise; gegen den häufig sozialistisch gefärbten Materialismus und 36 1808 Männern, 604. 37 1808 Männern, 606. 38 1808 Männern, 607. Althaus geht 1922 im Blick auf den wissenschaftlichen Betrieb so weit, das Erkenntnismoment gegen ein einseitiges Erlebnismoment ins Feld zu führen: „Unsere Studenten haben im Kriege und durch den Einfluß christlicher und freideutscher Gedanken die Bedeutung des Erlebens, überhaupt des Lebens neben und über dem Erkennen neu erfaßt. Diese an sich überaus erfreuliche Wendung drückt sich nun aber vielfach in einer heimlichen oder offenen Geringwertung der strengen, sachlichen Erkenntnisarbeit aus, die sehr bedenklich werden kann. Viele wollen nicht mehr Erkenntnis, sondern nur noch ‚Erleben‘, nicht mehr Erkennen, sondern Be­ kennen.“ (2205R Mahrholz, 91 f.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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­ aturalismus solle offensiv vorgegangen und Vorurteile abgebaut werden. DaN für brauche es „ein geschlossenes christliches System“, und dieses sei „mit kühner Offensive als das überlegene [zu] erweisen.“39 Dass durch Apologetik niemand zum Glauben kommt, ist sich Althaus bewusst40, aber immerhin werde dadurch „ein gutes intellektuelles Gewissen“ und „bei den bisher Gleichgültigen eine Atmosphäre des Zutrauens, der Willigkeit und Empfänglichkeit für die Welt des Glaubens“ hergestellt. Darüber hinaus solle die christliche Gemeinde „ihr hohes Gut, die Erkenntnis des Willens Gottes, mehr unter das Volk“ bringen, „ganze Lebensgebiete“ sollten „in das scharfe Licht des christ­lichen Ethos“ gerückt werden41. Was den Inhalt der Predigten betrifft, so fordert Althaus mehr Eschatologie – gerade „in dieser Zeit des großen Sterbens“42 – und mehr Soteriologie. Die zweite Forderung für die Wortverkündigung ist die nach mehr theozentrischer Predigt. Es war „die Gotteserfahrung, die wir in den Kriegsjahren gemacht haben“, die Althaus diese Forderung aufstellen lässt: „Von nichts hat der Krieg eindringlicher und unvergeßlicher gezeugt als von der Herrenmajestät Gottes. Von dem Gott, dessen Gedanken höher sind als unsere Gedanken, der größer ist als unser Herz, der unseren schweigenden Gehorsam und unser ganzes Opfer begehrt“43. Es war seine „theozentrische Erfahrungstheologie“, die Althaus schon in seinem Studium geprägt hat44 und die sich für ihn im Kriegserlebnis bewährt hat45, die er nun auch für die Wortverkündigung nach dem Krieg fruchtbar machen will. Mit den „großen Ergebnissen der neuesten Lutherforschung“, die „den theozentrischen Grundcharakter der Theologie Luthers wieder klar gemacht hat“46, weiß er sich dabei in Übereinstimmung. Hintergrund einer solchen Annahme der „Gotteserfahrung“ ist das Althaussche, von Friedrich Schleiermacher und Rudolf Otto geprägte theozentrische Religions 39 Ebd., 610. In diesen Worten kündigt sich bereits das Aufstreben der Systematischen Theo­ logie an, die in den 20er Jahren einen wahren Siegeszug innerhalb der evangelischen Theologie erleben sollte. Was Althaus unter „kühner Offensive“ versteht, macht er sogleich deutlich, wenn er den Grundsatz aufstellt: „Lieber einmal in gründlicher Gedankenführung ein wenig zu hoch als in traditioneller Art ein wenig zu niedrig predigen!“ (ebd.) Wenn man sich die Schriften und Predigten Althaus’ durchschaut, ist ihm schwerlich der Vorwurf zu machen, daß er diesem Grundsatz in seiner Erfahrungstheologie, aber auch seiner Geschichtstheologie, untreu geworden wäre. 40 Althaus ist sich sicher: „Glaube wächst nur da, wo ein Mensch persönliche Erlebnisse macht“ (ebd.). 41 Ebd., 611. 42 Ebd., 615. 43 Ebd., 622. 44 Vgl. Liebenberg, Gott, 51–110. 45 Ebd., 201–221. 46 1808 Männern, 621. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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und Gottesverständnis. So steht für ihn fest: „Religion entsteht ganz selbständig als Unterwerfung unter eine Macht, die mich gänzlich beansprucht, und als Erfahrung des Geborgenseins durch diese Macht.“47 Was Althaus ablehnt, sind alle auf das menschliche Glücksbegehren abzielenden psychologischen Anknüpfungsversuche der bisherigen Predigt, weil sie in seinen Augen nicht die wahre Gefühlslage der Männer treffen. „Schneidiges Mannestum“48 vermeint Althaus in der Männerwelt zu spüren, und diesem solle dann auch ein schneidiger Gott entsprechen, ein Gott der „Schützengrabenreligion“, der Dienst, Gehorsam und „Mannestreue der Gefolgschaft bis in den Tod“49 fordert. Diese Wirklichkeit Gottes ist nach Althaus den Männern zu verkündigen, ihnen ist „zu der Gewißheit Gottes des Lebendigen zu helfen“. Daher stellt er die Forderung nach Theozentrik auf und beruft sich dabei auf seinen Lehrer Schlatter und dessen „Gottesbeweis“, nämlich „den Nachweis der unverkennbaren Spuren Gottes, in unserem Leben, in unserem Gewissen, in unserer Welt, in der Erscheinung Jesu und der Heilsgeschichte.“50 Althaus bleibt nicht bei einer rein theozentrischen Predigt stehen, sie ist für ihn nur der Ausgangspunkt für das eigentliche Anliegen, für das „Aller­ heiligste“, wie er es nennt. Seine theozentrische Erfahrungstheologie entspricht und entspringt sowohl seinem eigenen Gottesbild, das sich für ihn in seinem Studium und in seinem Erlebnis des Weltkrieges herauskristallisiert hat, als auch der Lebenswelt seiner Predigtgemeinde bzw. später seiner Hörer in den Vorlesungen, an die er in der Wortverkündigung anknüpfen will. Damit will er in volksmissionarischer Absicht in den von Siegmund-Schultze geforderten „Lebenszusammenhang“ mit seiner Gemeinde treten. Ob diese Lebenswelt und damit die Grundbefindlichkeit seiner Gemeinde, wie er sie sich vorstellt, tatsächlich so „feldgrau“ war, oder ob er eigene Vorstellungen und Präferenzen in diese Lebenswelt projiziert, lässt sich heute kaum mehr nachvollziehen. Fakt ist, wie Liebenberg herausgearbeitet hat51, dass Althaus’ Vorstellungshorizont vor allem die ihm vertraute Lebenswelt der akademischen, bürgerlichen und vielfach kriegsfreiwilligen Jugend umfasst, was Auswirkungen auf den von ihm angenommenen „feldgrauen Lebenszusammenhang“ hat.

47 1707 Glaube, 7. 48 1808 Männern, 627. 49 Ebd., 628. 50 Ebd., 625. Frühe Spuren des Phänomens, das Althaus später als „Uroffenbarung“ bezeichnen wird, lassen sich hier bereits finden. In diesem Sinne liest sich auch auf 618: „Jesus der Brief Gottes in Person, der lebendige Brief, mit dem Gott sein Schweigen vollends bricht und sein sonstiges Reden (Gewissen, Geschichte, Natur) uns glaubhaft und überführend macht“. 51 Vgl. Liebenberg, Gott, 130–159.194–221. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Inwiefern für Althaus das theozentrische Reden nur der Ausgangspunkt sein kann, an den es mit der eigentlichen Wortverkündigung anzuknüpfen gilt, wird deutlich, wenn er die christlich-theologischen Defizite schildert, die er in der Lebenswelt seiner Gemeinde feststellt: „Sie glauben an Gott für Deutschland, aber sie stehen nicht in individueller persönlicher Beziehung zu Gott als ihrem Gott. Das reformatorische Christentum persön­ licher Gewißheit und bewußter persönlicher Gemeinschaft mit Gott ist er­schreckend selten. Von der Front abgesehen wird wohl nur ganz wenig gebetet von unseren Männern“52.

Daher bedarf es eines weiteren Schrittes, der eng auf den ersten bezogen ist: „Theozentrische Predigtart gibt unserem Worte bis in den Ton hinein Sieghaftigkeit, Überlegenheit im guten Sinne. Sie macht gerade auf unsere besten Männer tiefen, nachhaltigen Eindruck: Gott und Gottes Recht auf sie wird ihnen das unbedingt Gewisse. Dann aber öffnet sich für die Ernstesten gar bald das Tor zum Allerheiligsten: ihre innere Stellung zu dem Herrn, dem sie gehören sollten, wird ihnen zum Problem. Die Bahn wird frei für soteriologische Predigten.“53

Es ist somit ein Zweischritt, den Althaus anstrebt: Die theozentrische Predigt dient der Vorbereitung auf die eigentliche, die soteriologische bzw. christo­ logische Predigt. Nur in einem Zweischritt der Anknüpfung konnte sich Althaus sein Anliegen, die Menschen mit lutherisch fundierter Wortverkündigung zu erreichen, vorstellen: „Bei theozentrischem Ansatze unseres Zeugnisses wird endlich wieder verstanden werden, was Schuld heißt. Damit aber öffnet sich erst der Weg zum Verständnis der Rechtfertigung. So hängt eines an dem anderen.“54 Das besondere Anliegen von Althaus ist es stets, die Jugend  – zumal die männliche akademische Jugend  – zu erreichen und für das kirchliche Christentum zu gewinnen. So ist ihm schon der christliche und vor allem lutherische Charakter seiner Studentenverbindung ein großes Anliegen55, er nimmt regen Anteil an der christlichen Studentenmission und er setzt sich bei seiner Tätigkeit als Gouvernementspfarrer in Lodz, wo er in der Jugendabteilung des „Deutschen Vereins“ mitarbeitet, sehr für die Jugend ein56. Seine großen Hoffnungen für eine christliche Wiedergeburt Deutschlands ruhen auf der deut 52 1808 Männern, 626. 53 Ebd., 629 f. 54 Ebd., 630 f. 55 Vgl. 1402 Gespensterfurcht; oder 1506 Einkehr. Vgl. Liebenberg, Gott, 111–159. 56 Vgl. Liebenberg, Gott, 385–392. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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schen Jugend. Nach dem verlorenen Krieg verknüpft sich diese Hoffnung eng mit der auf eine nationale Wiedergeburt Deutschlands. Wie und warum er gerade diese beiden Komplexe – christliche und nationale Wiedergeburt – zu einer großen Erwartung zusammenbringt, erklärt sich zum einen aus seinen eigenen Prägungen: Christliche und nationale Themen standen für ihn im nationalprotestantisch geprägten Elternhaus, in Schule und Studium stets ganz oben auf der Tagesordnung. Das nationale Element steigert sich bei ihm während des Krieges und der dort gemachten Erfahrungen mit der Minderheitensituation des mehrheitlich evangelischen Auslandsdeutschtums. Zum anderen erklärt sich der Konnex bei Althaus aus seiner in Kriegszeiten entwickelten Erfahrungstheologie57, die eine strukturelle Analogie von intensivierter Vaterlandsbegeisterung bzw. Volkstumsbewusstsein und gesteigerter Religiosität bzw. Kirchlichkeit auszumachen meint. Das inhaltliche Scharnier dieser strukturellen Analogie bildet seine Geschichtstheologie, die Gott als Herrn über die Völker und ihre Geschicke erscheinen lässt, sowie seine Pflichtethik, die den Gehorsam gegenüber Gott mit einem Gehorsam gegenüber dem eigenen Volk verknüpfte. Inwiefern Althaus von einer solchen strukturellen Analogie ausgeht, wird deutlich, wenn er im Rückblick auf das Kriegserlebnis erklärt: „Wie oft ging es uns durch den Sinn: warum wird diese Jugend von der Sache Jesu nicht so gepackt wie von der Sache des Vaterlandes?“ Und seine zentrale Antwort lautet: „Wir haben der männlichen Jugend Gott und seine Sache nicht groß genug gemacht. […] Volk und Vaterland – das alles hat unsere Jugend mitgerissen […]. Und das Christentum im Leben unserer männlichen Jugend? Es packte nicht, weil wir es zu sehr als Sache der einzelnen Menschenseele, zu wenig als Sache Gottes und seines hereinbrechenden Reiches predigten und vertraten.“ Daher erklärt er unmissverständlich: „Man muß vor allem aus der Art, wie das Vaterlandserlebnis die Jugend gepackt hat, lernen.“58

Diesem Lernprozess, den Althaus im Krieg durchgemacht hat, entspringt sein Modell des Zweischritts der Anknüpfung, bei dem der theozentrischen Vorarbeit eine so zentrale Rolle zukommt. Besonders für die christliche Begeisterung der Jugend hält Althaus sein Konzept geeignet, war diese doch – zumindest nach seiner Erfahrung – in besonderem Maße „zu glühender Hingabe und willentlichem Opfer“59 bereit gewesen. Daher ist sich Althaus gewiss: „Die Jugend sucht ihren Herrn, sie sucht einen rechten Dienst, eine hohe Sache. Dieses Christophorus-Verlangen, dem Stärksten zu dienen, ist edelste Mannessehn 57 Vgl. ebd., 160–501. 58 1808 Männern, 631 f. 59 Ebd., 631. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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sucht überhaupt.“ Denn „nicht Glück, sondern Dienst und Verantwortung an wichtigem Posten ist das Verlangen männlicher Jugend“, weiß Althaus zu berichten, und „das Vaterlandserlebnis des August 1914“ dient ihm als Beweis dafür60. So fasst er sein Konzept der Anknüpfung zusammen mit den Worten: „Vom Vaterlandserlebnis zum Gotteserlebnis – das wird für viele der Weg sein.“61 Es sind volksmissionarische Absichten, die Althaus von seinem Einsatz im Krieg in die Heimat mitbringt62. Ihm geht es um „die Stellung der Kirche im Gesamtleben des deutschen Volkes“. Daher fordert er von der Kirche: „Mehr Angriffsgeist in unserer Truppe! Wir haben etwas zu sagen  – wahrhaftig!“63 Schon hier sieht er die Kirche ganz eng auf das Volk bezogen, sie hat für ihn „eine seelsorgerische Mission auch im öffentlichen Leben unseres Volkes“, sie hat das „Volksgewissen“ zu sein und ihr ist die „Reinigung des Volkslebens“ befohlen. Die Kirche ruft Althaus daher zu mehr „Volksseelsorge“ auf, sie bedürfe dazu „des Willens zur Reinigung des Volkslebens, des Willens zur Führung“. Als vorbildlich stellt er die Äußerungen der katholischen Kirche, aber auch der Religiösen Sozialisten hin: „Wenn wir eins von den Schweizer Religiös-So­ zialen, voran von Hermann Kutter in Zürich, lernen können, so ist es der Mut, in den sozialen Fragen nachdrücklicher als bisher den Willen Gottes und das Wort Jesu zur Geltung zu bringen.“64 Doch all das könne sie nach Althaus nur leisten, wenn sie sich von der herkömmlichen Weise der Wortverkündigung, die mit der Anthropologie beim Menschen einsetze, verabschiede und zu einer neuen Wortverkündigung gelange, die auf dem Zweischritt der Anknüpfung von der theozentrischen hin zur soteriologischen Predigt basiere. Noch ganz 60 Ebd., 632. Wie sehr sich Althaus in seiner eigenen Wahrnehmung der Kriegswirklichkeit von der literarischen Welt des Dichters Walter Flex beeinflussen lässt, zeigt Liebenberg, Gott, ­442–445. Bei seinen Überlegungen, wie der Jugend christlicher Glaube nahe gebracht werden kann, ist Althaus nicht nur von einem deutschen, nationalen und kriegsbegeisterten Pathos bewegt, sondern auch vom Pathos und der Aufbruchsstimmung der internationalen Studentenbewegung. Als Vorbild dient ihm der damalige Generalsekretär des christlichen Studentenweltbundes John Mott, den Althaus in einem Artikel 1913 mit den Worten zitiert: „In Jesus ist in die Erscheinung getreten, was an den Heroismus der Menschen appelliert und von ihnen ihr großes Streben verlangt“. Der junge Militärpfarrer Althaus ist voller Bewunderung für den amerikanischen Generalsekretär: „Er weiß die Studenten an einem Punkte zu fassen, den die kirchlich-lutherische Verkündigung allezeit hat zu kurz kommen lassen: er ruft zum Heroismus der jugendlichen Kräfte im Dienste des größten Königs“ (1301 Studentenbewegung, 61). 61 1808 Männern, 633. 62 Diese volksmissionarische Absicht findet Liebenberg, Gott, 191 bereits in Althaus’ Kriegspredigten, die er als „christlich-patriotische Predigt zur religiösen Erneuerung des deutschen Volkes“ charakterisiert. 63 1808 Männern, 637. Die folgenden Zitate finden sich ebd., 635 f. 64 Ebd., 636. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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von seinen eigenen Kriegserlebnissen geprägt, sieht er dabei den Weg erfahrungstheologisch vom Vaterlandserlebnis zum Gotteserlebnis verlaufen. Dieser Kriegseindruck, den Althaus mit seinem Vater teilt65, lässt ihn in diesem Aufsatz den Fokus ganz auf die Männerwelt und speziell auf die männliche Jugend richten, ihrer vermeintlichen Gefühlswelt ist auch der noch ganz kriegerische Sprachduktus geschuldet, der auch Gott und die Kirche „im Kampf“ sieht, im Kampf um den Glauben, der nach Althaus da wächst, „wo ein Mensch persönliche Erlebnisse macht und diese zu lesen, zu deuten versteht“66. Was in diesem konzeptionellen Aufsatz von Althaus auffällt, ist die Tatsache, dass die kirchliche Aufgabe gegenüber der „vaterländischen Not“, die er noch in seinen pastoraltheologischen „Leitsätzen“ während des Krieges für so wichtig erachtet hat, nun offenbar keine Rolle mehr spielt. Es ist hier keine Rede mehr davon, den „zuversichtlichen Glauben an die Lebenskraft und den Beruf unseres Volkes zu wecken, den Willen zum Neubau zu stärken und die Freude am Vaterland durch diese Zeit der Enttäuschung hindurchzuretten“67. Dies verwundert umso mehr, als die „vaterländische Not“ mittlerweile durch die sich abzeichnende Kriegsniederlage noch mehr verschärft wurde. Eine besonders nationale politische Predigt, die über den ohnehin üblichen nationalprotestantischen Duktus hinausgeht, liegt offenbar nicht im Konzept von Althaus für die Zeit nach dem Krieg. Er ist sich offenbar der Tatsache durchaus bewusst, dass es sich bei seinen eigenen Kriegspredigten, in denen ein „lebhaftes deutsches Empfinden regiert, ohne daß das Deutschtum dem Christentum gefährlich wird“68, um sehr zeitgebundene Wortverkündigung handelte, die nur eine relativ kurze Halbwertszeit vorweisen konnte. Diese Vermutung findet ihre Bestätigung in einer Rezension, die Althaus Ende März 1919 über eine Predigtsammlung von Gerhard Heinzelmann mit 65 In seiner Konzeption dürfte Althaus nicht zuletzt von seinem Vater, dem Leipziger Systematiker, beeinflusst worden sein. Dieser findet im Sommer 1915 geradezu euphorische Worte für den Krieg und spricht sogar vom „Segen des Krieges auf religiös-sittlichem Gebiete“ (Althaus d. Ä., Krieg, 607). Schon im Hinblick auf die Geschichte Israels meint er zu erkennen, „wie gerade unter den Notzeiten der Kriege die Frömmigkeit immer wieder eine wunderbare Steigerung, Reinigung und Neubelebung empfangen hat“ (ebd., 604). Althaus d. Ä. fährt fort: „Wie ist in den ersten unermeßlichen Tagen des August 1914 der religiöse Glaube in der Seele unseres deutschen Volkes leuchtend aufgeflammt, in allen Schichten und Ständen!“ Und dieser Eindruck setzte sich bei ihm fort, denn „was uns aus den Schützengräben und Bereitschaftsstellungen, von den Schlachtfeldern und aus den Lazaretten berichtet wird, deutet auf eine starke religiöse Ergriffenheit unseres Volkes hin“ (ebd., 605 f.). 66 1808 Männern, 610. 67 Althaus, Welche Aufgaben stellt uns Militär-Geistlichen die religiös-sittliche und vaterländische Not gegenüber unseren Gemeinden? 68 So Martin Schian in seiner Rezension von Althaus’ beiden „Lodzer Kriegsbüchlein“ (1601 und 1701) in der ThLZ 43 (1918), Nr. 4/5, 67. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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dem Titel „Vom Bürgertum im Himmel. Fünfzehn Predigten aus den Jahren 1917 und 1918“ verfasst69. Bei diesen Predigten handelt es sich um Kriegspredigten, die der deutsche Theologieprofessor in Basel, also vor neutraler Gemeinde, gehalten hat. Das macht für Althaus den besonderen Charakter der Predigten aus, und darum kann er ihn auch ein wenig „beneiden“: „Wir anderen sind auch im Gotteshause mit unserem Volke alle Wege, die es geführt wurde, gegangen. Wir haben mit ihm gebangt und gebetet um unseren Sieg, gehofft und gedankt, aber vielfach auch in unseren Gedanken geirrt und gefehlt70 – und darum tragen unsere Zeitpredigten stark die Spuren der Vergänglichkeit. Heinzelmann mußte, konnte, durfte übernational sein […] und ohne Auseinandersetzung mit dem nationalen Erleben lediglich die Anliegen des Reiches Gottes predigen. Darin hatte er es leichter als wir, und eben dadurch gehören seine Predigten zu den Kriegspredigten, die bleiben werden.“

Deutlicher hätte Althaus’ Selbstkritik an seinen eigenen, durchwegs national eingefärbten Kriegspredigten kaum ausfallen können. Gerade dieses Bewusstsein der „Spuren der Vergänglichkeit“ der eigenen „Zeitpredigten“ war es auch, das Althaus davon abhielt, in seinem pastoraltheologischen bzw. homiletischen Konzept Ende 1918 eine dezidiert nationale Wortverkündigung einzufordern – wohlgemerkt dezidierte, denn den üblichen nationalprotestantischen Duktus sollte Althaus in seinen Predigten – mal mehr, mal weniger betont – für Jahrzehnte beibehalten. Die gleiche Haltung – national ja, nationalistisch nein71 – nimmt Althaus auch im Zweiten Weltkrieg in Bezug auf die Kriegspredigt ein. In einer Rezension vom Sommer 1941 zu neu veröffentlichten Kriegspredigten Hermann 69 1902R Heinzelmann. Ähnlich selbstkritisch äußert sich Althaus in seiner Rezension von Hermann von Bezzels „Erinnerungen aus Berufsreisen an die Front März und August 1916“ (1804R), die im Juli 1918 erscheint: „Und wir feldgrauen Pfarrer allzumal wollen ernster Selbstprüfung nicht ausweichen, wenn wir lesen: ‚Ich fürchte, spätere Zeiten werden über die Predigtliteratur des Krieges ein hartes Urteil fällen‘ […]; ‚unsere Feldgeistlichen haben gewiß in großer Zahl ihr Bestes geboten, ob es bei der öfter sich zeigenden Betonung des Subjektiven und dem Bestreben, modern zu predigen, immer das Beste war, steht dahin‘“. 70 Was Althaus unter Verirrungen und Verfehlungen in der Predigt während des Krieges versteht, macht er nach dem Krieg in einer Predigt Anfang 1921 deutlich: „Wir wurden eitel und schwatzten gerne von dem deutschen Wesen, an dem die Welt genesen solle. Und als dann der Krieg und die Not hereinbrach: allzu vertraulich riefen wir den Heiligen zu uns herab“ (2101P Weg, 29). Diese Kritik an der chauvinistischen Rede vom „deutschen Wesen, an dem die Welt genesen solle“, erhebt Althaus nicht erst unter dem Eindruck der deutschen Niederlage, sondern bereits während des Krieges; vgl. 1707 Glaube, 12. 71 Vgl. 1602 Vaterlandsliebe II, 1, wo er schreibt: „Neben der vaterlandslosen Frömmigkeit steht die im nationalen Gedanken aufgegangene oder doch wenigstens nationalisierte Religion als entgegengesetzte Entartung.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Bezzels aus den Anfangsjahren des Ersten Weltkriegs lobt Althaus einerseits die darin enthaltene, für ihn selbstverständliche „Liebe zum Vaterlande, das Miterleben seines schweren Kampfes“; allerdings werde andererseits „gegenüber allem religiösen Nationalismus“ gerade „kein ‚deutscher Gott‘“ gepredigt: „Dieser Prediger erliegt nicht der Versuchung, in der die evangelische Kriegspredigt bisweilen versagt hat.“72 Dieses Versagen hält Althaus den Kriegspredigten auch und gerade in der nationalen Euphorie des Jahres 1933, in die er selbst einstimmt, vor. Ein Dorn im Auge ist ihm insbesondere die Vereinnahmung des Kreuzestodes Jesu Christi zur parallelisierenden Verherrlichung des Soldatentodes: „Der Opfertod Jesu als Sterben für uns Sünder hat keine Entsprechung und duldet keine Nachfolge; er ist […] kein heldisches Sterben […]. Die Verkündigung der Pfarrer an den Gräbern derer, die im Kampfe fielen, sollte das deutlicher hören lassen und des Herrn Kreuz nicht als Vorbild, sondern als Erlösung unseres Kampfes und Opfers predigen.73 Mit Joh. 15,13, dem Worte des Herrn: ‚Niemand hat größere Liebe, denn daß er sein Leben läßt für seine Freunde‘ hätte man schon im Kriege und seither sparsamer umgehen sollen. […] Das Kreuz auf den Gräbern unserer Gefallenen soll nicht ihr Mannesopfer falsch verchristlichen, sondern Christi Tod bezeugen als Trost, Halt, Erlösung in unserem Tod, der auch als ‚süßer Tod der Freien‘ (E. M. Arndt) ohne Christus immerdar bitteres Sterben, voll Rätsel und Fluch bleibt.“74

4.3 „Wann aber wird unser Geschlecht endlich das Erlebnis der Kirche machen?“ – Althaus’ Ruf zur kirchlichen Erweckung Nachdem für Althaus, geprägt von seinen kirchlichen Erfahrungen in Polen, durch den Krieg die Zeit für volksmissionarische Arbeit günstig schien, macht er ein knappes Jahr nach Kriegsende sein Plädoyer für eine intensivierte Kirchlichkeit im deutschen Volk in seinem Aufsatz „Das Erlebnis der Kirche“ einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich75. Die Schrift ist eine Wesensbestimmung 72 4103R Bezzel, 226. Die Predigten wurden 1939, also noch vor dem Zweiten Weltkrieg herausgegeben. 73 Schon 1919 hatte Althaus klargestellt, dass Jesus Christus „nicht der Heros, die herrlichste Blüte der Menschheit, sondern Gottes Gabe, Gottes Wunder“ ist (1904 Erlebnis, 22). 74 3313 Volks-Erlebnis, 14; Hervorhebung von Althaus. Vgl. seine ebenfalls im Jahr 1933 ausgesprochene Kritik an den politischen „Mißgriffe[n] der Kriegspredigt“ (3314 Volks-Geschichte, 17). 75 Der Aufsatz erschien im Herbst 1919 in der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung und wenig später als Sonderdruck. Er gibt Vorträge von Althaus wieder, die dieser im Sommer 1919 „vor gebildeter weiblicher Jugend“ und „vor Göttinger Studenten“ gehalten hat (vgl. 2407 Erlebnis, Vorwort zur 2. Auflage); er fällt also zeitlich in seine kurze Zeit als aktiver Privatdozent in Göttingen. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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der Kirche und zugleich eine Verteidigung kirchlich gebundener Religiosität gegen einen religiösen Individualismus, der den Gemeinschaftsaspekt von Kirche zu vergessen droht76. Sie ist zugleich Althaus’ erste praktisch-theologische Umsetzung seines im Jahr zuvor programmatisch formulierten volksmissionarischen Anknüpfungskonzeptes „vom Vaterlandserlebnis zum Gotteserlebnis.“ Schon zu Kriegszeiten hat Althaus den „Mangel […] an kirchlichem Gemeinschaftsgefühl, an Sinn für die Kirche“ als „schwerste Last“ gekennzeichnet und daraus den Schluss gezogen: „einer der Haupterträge des Krieges wird für uns heimkehrende Theologen die klare Erkenntnis sein: Erziehung zur Kirche, von der individualistischen Religiosität zur Kirchlichkeit tut uns Evangelischen bitter not!“77 Althaus erinnert seine Leser an das „Vaterlandserlebnis des August 1914“, in dessen Folge ihm ein „volksloser Individualismus und ein übervölkischer Kosmopolitismus seither einfach unmöglich“ erscheint, weil nach seinem Verständnis „Volkstum eine geschichtliche Macht und Wirklichkeit [darstellt], die ein Recht auf uns hat“78. Neben dieser nationalen Erweckung, auf die Althaus seine Hoffnungen setzt und für die er auch in der Folgezeit seinen Beitrag leisten will und wird, fragt er nun nach der kirchlichen Erweckung und leitet damit zum eigentlichen Thema des Aufsatzes über: „Wann aber wird unser Geschlecht endlich das Erlebnis der Kirche machen?“ „Unser Volk weiß nicht mehr, was Kirche ist“, stellt Althaus fest, und doch meint er, eines „grenzenlosen Hungers nach Gemeinschaft“, einer „unbewußten Sehnsucht nach ‚Kirche‘, nach ‚Gemeinde‘“ gewahr zu sein. 76 Althaus gibt sich diesbezüglich optimistisch, wenn er in einer Rezension 1922 schreibt: „Der Individualismus, der jedes Bekenntnis als Zwang ablehnt, stirbt aus, neues Verständnis für die Kirche als Gemeinschaft religiöser Erfahrungen kommt auf“ (2202R Stange, 58). 77 So in seiner Rezension von Hermann von Bezzels „Erinnerungen aus Berufsreisen an die Front März und August 1916“ aus dem Jahr 1917, die im Juli 1918 in den Theologischen Literaturblättern erschien (1804R Bezzel). Auch in seiner Schrift „Luther und das Deutschtum“, in der er sich mit der individualistisch konzipierten sogenannten „deutschen Frömmigkeit“ auseinandersetzte, wandte er sich gegen ebendiesen Individualismus: Der „Wille zum eigenen Leben, zur In­ dividualität“ ist hier für ihn „unseres Volkes Adel und Krankheit zugleich“. Den „Weg von der Religiosität zur Kirchlichkeit, von der individuellen Wahrhaftigkeit zur Freude an der Gemeinsamkeit innersten Besitzes findet der Deutsche schwerer als andere Völker.“ (1706 Luther, 10). 78 1904 Erlebnis, 3. Dort schreibt er auch, „der harten Zeit“ danke man es: „seit dem August 1914 wissen wir, was ein Volk ist und daß wir zu einem Volk gehören.“ Dieses „Vaterlandserlebnis“ sieht er zwar in der Gegenwart „völlig verschüttet“, er wartet allerdings hoffnungsvoll „auf die Stunde“, da „die Worte ‚Volk‘ und ‚Vaterland‘ und ‚deutsche Geschichte‘ wieder vielen im Herzen brennen wie im ersten Kriegsjahre.“ Die Gründe für dieses Verschüttet-Sein und für den „unmäßige[n] Individualismus“ sind für Althaus durchaus nachvollziehbar. Für ihn liegen sie in der „jahrelange[n] Einzwängung in den Mechanismus des großen Heeres“ oder in der „Drangabe des eigenen Willens und der persönlichen Lebenswünsche im militärischen Gehorsam“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Gerade die gegenwärtige Zeit, wo das „Vaterland […] zerschlagen und geschändet, die Volksgemeinschaft […] für lange hinaus leid und bitter“ geworden ist, hält Althaus für das „Erlebnis der Kirche“ besonders geeignet. Denn „unwillkürlich sammeln unsere Gedanken sich auf jene andere Volksgemeinschaft der Heiligen, die nicht durch diese Zeit befleckt und zerrissen wurde“79. So kann Althaus, anders als mancher seiner Zeitgenossen, der deutschen Katastrophe der Niederlage, dem Zusammenbruch der alten Welt und ihrer Ordnung, etwas Positives abgewinnen, nämlich eine hervorragende Chance auf einen kirchlichen Neubeginn: „Alles was bisher die Kirche mittrug und hielt, das ist dahingesunken und zerbrochen: die Verbindung mit dem Staate, die feste kirchliche Volkssitte, die hergebrachte Achtung. In aller Armut, in Knechtsgestalt geht unsre Kirche in die neue Zeit.“ Diese „neue Zeit“, diese „Zeitenwende“ ist für Althaus nicht weniger als der „Beginn eines geistlichen Frühlings“, die „neue Stunde der Kirche“, und er will „einem heimlichen Jubeln nicht wehren“80. Denn für ihn steht fest: „die Landeskirchen werden frei vom Staate und dürfen endlich, endlich, zum ersten Male zeigen, was an heiligem Geist und heiliger Kraft zu leben und zu bauen und zu führen in ihnen webt.“81 Diese „neue Stunde der Kirche“ bedeutet für Althaus eine christologisch orientierte Rückkehr der Kirche „in ihr Jugendbildnis aus den großen Anfangszeiten“. Die zukünftige Bedeutung der Kirche gewinnt diese für ihn nicht aus weltlich-bürgerlichen Voraussetzungen, die Gesellschaft und Staat ihr zukommen lassen, sondern „einzig und allein durch das überwältigende Leben Christi, das von ihr ausgeht […], wenn sie nur mit unverrückter Hingabe und Treue an dem Einen hängt, der ihr König und Herr ist“82. Neben dieser christologischen Grundlegung der Kirche behandelt Althaus das Phänomen „Kirche“ vor allem in seiner soziologischen und theologischen Dimension. Soziologisch erläutert er das Verhältnis des einzelnen Christen zur Kirche in Analogie zum Verhältnis des Einzelnen zu seinem Volk, bei beiden betont er den Gemeinschaftscharakter. Gemäß seinen Vorbehalten gegenüber

79 Ebd., 4. 80 Ebd., 28. 81 Ebd., 4. Schon in 1902 Pazifismus, 446 kritisiert Althaus den alten Zustand der Kirchen vor 1918/19: „Die evangelischen Kirchen Deutschlands in ihrer staatlichen Gebundenheit und weithin herrschenden lutherisch-konservativen Art haben im ganzen wohl nie an jener zweiten [Gefahr der „Aktivität“ und „Vielgeschäftigkeit“], wohl aber an jener ersten Gefahr [der „Innerlichkeit, welche gern die konkreten Verhältnisse als gottgewollt hinnimmt“] gekrankt.“ 82 Ebd., 28. So ruft er die Evangelischen auf zu neuem Tatendrang: „Wir sind die Kirche. Wir warten nicht auf irgend jemanden, auf staatliche Behörden, auf das Kirchenregiment, auf die Pastoren, als wären sie ‚die Kirche‘. Wir greifen das Werk an unserer Stelle an; wir stellen uns zu Dienst, da, wo die Not der Kirche offenkundig ist.“ (ebd.; Hervorhebung von Althaus). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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individualistischen Tendenzen lehnt er die soziologische Größe des „Einzelnen“ als „ganz wirklichkeitsfremde Abstraktion“ ab. „Es gibt im Grunde keinen Einzelnen“, kann es Althaus daher, Herdersche Gedanken aufgreifend83, auch formulieren, weil für ihn jeder einzelne „nur als Glied des Volkes“, nur als in „Gemeinschaftsverhältnissen“ sich befindlich vorstellbar ist: Jeder ist, „ob er sie bejaht oder nicht, nur durch sie und nur in ihnen gesetzt.“ Für ihn gilt: „Das Volk ist vor dem Einzelnen da, zeitlich und wesentlich. […] Was ich bin und habe, habe und bin ich aus den Quellen meines Volkes. Ehe wir Volk und Vaterland und Staat mit eigenem Bewußtsein und Willen erfassen und zu einem Werte unseres Lebens erheben, gehören wir zu ihm und gehören wir ihm.“84

Diese „ganz ursprüngliche Verwurzelung und Verpflichtung unseres Daseins in Leben und Geschichte des Volkes“85 ist für ihn etwas unmittelbar Erfahr­bares und Erlebbares, wobei in diesem Erleben die Tatsache zum Tragen kommt, „daß ein Volk etwas anderes ist als der Zweckverband der Einzelnen“. Zu dieser ontologischen Überhöhung des Volkes im Gegenüber zum Einzelnen kommt für Althaus untrennbar die sittliche Forderung des Volkes an seine einzelnen Glieder hinzu, die für ihn vor allem im Kriegserlebnis, genauer gesagt im sogenannten „August-Erlebnis“ erfahrbar wurde: „Wir spürten im August 1914 das heilige Recht des Volkes auf uns als mächtige Wirklichkeit, der keiner von uns ausweichen konnte.“ Nach dieser kurzen Erörterung des Verhältnisses des Einzelnen zum Volk kommt Althaus nun auf das „Erlebnis der Kirche“ zu sprechen, welches er in Analogie zum Erlebnis des Volkes beschreibt: „Das alles gilt nun ähnlich auch von dem Verhältnis des Frommen zur Gemeinde oder ‚Kirche‘. […] Wie das Volk den Einzelnen in seinem natürlichen Leben erzeugt, so erzeugt die Gemeinde uns als Christen. ‚Der einzelne Fromme‘ bedeutet wiederum eine ganz unwahre Abstraktion.“

Auch wenn der einzelne Christ persönlich sein „Ja“ zum Glauben und damit zur Gemeinde sprechen muss, so gilt dennoch in Analogie zum Volk: „Die Gemeinde ist vor dem Einzelnen da. […] Die Kirche ist […] der Mutterschoß, 83 Zum Gedanken des „organischen Auf-einander-bezogen-Seins“, und zur Idee, der Mensch werde „in die Gesellschaft hineingeboren“ und könne sich „nur als Angehöriger eines Volkes völlig verwirklichen“ vgl. Sundhaussen, Einfluß, 26. 84 1904 Erlebnis, 7. Althaus grenzt sich damit auch von einer durch die Aufklärung geprägten Staatslehre ab, die vom Einzelnen ausgeht und die „den Staat als entstanden aus einem Vertrage der Einzelnen“ begreift (ebd., 6). Dem setzte er einen organischen Volks- bzw. Staatsbegriff entgegen. 85 Ebd., 7 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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in den der Heilige Geist uns legt.“86 Und ebenso analog zum Volk und dessen angeblichen Anrecht auf den Einzelnen spricht Althaus von einem „Recht der Kirche auf uns“87 und von einer „Pflicht zur Kirche“. In Bezug auf diesen organischen Zusammenhang von Einzelchrist und Gemeinde bzw. Kirche „erkennt“ für Althaus „der Glaube in dem soziologischen Gesetze Gottes Heilsordnung“. Damit beginnt nach der soziologischen Betrachtung für ihn die religiöse, die „die Kirche als das eine große Gnadenmittel Gottes“ versteht, „durch das er den Einzelnen für sich erfaßt, bereitet, heiligt.“88 Doch Kirche bedeutet für Althaus noch mehr: „Wir begreifen die Gemeinde nicht nur als das Mittel, sondern auch als das eigentliche Ziel der Gnade, ja als Gottes Weltziel.“89 Folgerichtig ist für ihn „die Gemeinde, die Kirche […] die Vollendung aller persönlichen Gemeinschaft.“90 Eine frühe Formulierung dessen, was Althaus später in seiner Lehre von der „Ur-Offenbarung“ explizieren wird, findet sich hier bereits bei seiner Beschreibung der Kirche als Zeichen der Herrlichkeit Gottes: „Gottes Reichtum und Herrlichkeit erlebe ich in ihrer ganzen Größe erst dann, wenn er als der Herr der Gemeinde vor mir steht, der nicht nur mich berief, sondern sich ein ganzes Volk schuf. Wir sind es gewohnt, Gottes Fülle an dem unendlichen Reichtum der Natur staunend zu messen und Gottes Herrenmajestät in der Geschichte zu finden, darin, daß er Völker kommen und gehen, geboren werden und sterben heißt. Aber daran erst spüren wir seinen ganzen Reichtum, daß ihm ein Volk aus allen Jahrhunderten und Nationen dient, die vielen, denen er in Christus das Herz abgewann.“91

Was Althaus später als Anknüpfung und Überbietung der „Selbstbezeugung Gottes in der Wirklichkeit des Menschen und der Welt“ durch die Christusoffenbarung beschreiben wird92, hat hier seine Präfiguration in der Überbietung des Reichtums Gottes in Natur und Geschichte durch seine Herrlichkeit, der der Gläubige im „Erlebnis der Kirche“ begegnet. Die zeit-, raum- und völker 86 Ebd., 8. Diesen „Mutterboden“ expliziert Althaus näher: „Was wären wir überhaupt ohne das geistige Erbe der großen Väter unserer Kirche, das uns von klein auf belebt, trägt, umfängt!“ (ebd.) Einmal mehr ist für ihn das Kriegserlebnis der praktische Nachweis seines theoretischen Gedankenganges, wenn er schreibt, „bewährt hat sich da draußen gerade das ‚Kirchliche‘. […] Wahrhaftig, wir haben draußen mehr denn je begriffen, was die Kirche für unser eigenes religiöses Leben wert ist.“ (ebd., 9 f.). 87 Ebd., 10 f. 88 Ebd., 11. 89 Ebd., 12. 90 Ebd., 14. 91 Ebd., 15. 92 2911 Dogmatik, 10. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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übergreifende Dimension des Gottesvolks macht dabei das Besondere an Gottes Reichtum aus, in Christus werden die Grenzen der zeitlichen Gebundenheit und der Volkszugehörigkeit relativiert und aufgehoben93. Es geht Althaus darum, das von ihm eingeforderte „Erlebnis der Kirche“ als Gemeinschaftserlebnis zu beschreiben, das alle menschlich-weltlichen Erfahrungen von Gemeinschaft – auch die der Volksgemeinschaft, die er illustrativ als Vergleich anführt – übersteigt und überbietet. Um die ganze Tiefe dieser Gemeinschaft deutlich zu machen, verwendet er den Ausdruck der „Blutsbruderschaft“ zwischen allen Christen aus allen Völkern und Nationen94, die er zudem in einem engen Zusammenhang mit dem „Gottesvolk des Alten Bundes“ sieht, was den „Reichtum der Heilsgeschichte Gottes“ für ihn ausmacht95: „Auch heute erleben wir die Kirche als Wirklichkeit: das eine Volk Gottes in allen Völkern und Kirchen, die eine, überall durch Generationen, Nationen und Konfes­ sionen verstreute Gemeinde derer, denen Gott durch seine Offenbarung in Jesus Christus das Herz abgewonnen hat.“96

Für Althaus’ Volks- und Kirchenbegriff gilt es folgendes festzuhalten: Indem Althaus den Gemeinschaftscharakter betont, wird das Volk bei ihm zu einer organischen Größe, die vor den Individuen und ihnen gegenüber existiert. 93 Vgl. 1902 Pazifismus, 476. 94 Die Beschreibung der Gemeinschaft des Volkes Gottes über die Grenzen von Kirchen und Völkerschaften hinweg mit „Blutsbruderschaft“ verwendet er auch für die kirchliche Gemeinschaft als zeitlich entgrenzte, wenn er den hohen Stellenwert der Kirchenlieder für das Gemeinschafts­ erlebnis hervorhebt: „Im Singen erleben wir nicht nur die gegenwärtige Gemeinde, sondern auch die Blutsverbundenheit mit den Vätern, die unsere Lieder dichteten und zuerst sangen, mit den Unzähligen, die an ihnen seither sich erquickten“ (1904 Erlebnis, 21). Die beiden Begriffe „Blutsverbundenheit“ und „Blutsbruderschaft“ verwendet Althaus, um die tiefe und grundlegende Verbundenheit aller Christen untereinander zu betonen, die Wesensverwandtschaft und Gleichartigkeit, die im tiefen Ergriffensein durch das „Erlebnis der Kirche“ gemacht werden kann. Die Vorsilbe „Bluts-“ soll dabei eine Verstärkung des Phänomens der Verbundenheit zum Ausdruck bringen, sie soll das Grundlegende und Elementare daran akzentuieren. Schon die Tatsache, dass Althaus diese „Blutsbruderschaft“ betontermaßen auf die Christen aus allen Völkern bezieht und auch die Nähe zum Judentum anklingen lässt, zeigt deutlich, dass wir es hier bei der Verwendung des Blutsbegriffs nicht mit einem wie auch immer gearteten Rassedenken zu tun haben. 95 1904 Erlebnis, 19. 96 Ebd., 20.  Die Mitte des kirchlichen Gemeinschaftserlebnisses stellt für Althaus der Gottesdienst dar. Für eine besondere Erfahrung der christlichen Gemeinschaft sorgen für ihn die gemeinsame Liturgie, in der er vor allem das Gebet betont, das Singen der Gemeindelieder, das gemeinsame Sprechen des apostolischen Glaubensbekenntnisses gerade als Ausdruck ökumenischer Verbundenheit und die gemeinsame Feier des Abendmahls als stärksten Ausdruck für das Erlebnis der Gemeinschaft: „Unter dem Abendmahlsvaterunser wie unter den Einsetzungsworten können wir nie vergessen, daß wir in diesem Augenblick zu Tische sitzen als Jesu Gäste mit den Glaubenden aller Geschlechter, mit allen gegenwärtigen Christen, mag auch die Christenheit durch Völkerkrieg und Konfessionsgrenzen noch so zerrissen sein.“ (Ebd., 25). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Das Volk wird dabei zum Inbegriff des den einzelnen Volkszugehörigen über­ geordneten Ganzen. Weil der Einzelne sein Leben diesem Ganzen verdankt, ist er ihm gegenüber zugleich verpflichtet. Der Einzelne ist somit wesentlich ein Teil der Gemeinschaft, der liberale Individualismus ist überwunden. Indem Althaus proklamiert, das Verhältnis des einzelnen Christen zur Kirche unterliege den gleichen Gesetzen wie das Verhältnis des einzelnen Volkszugehörigen zum Volksganzen, ergibt sich für ihn folgerichtig eine Affinität von kirchlicher und volklicher Gemeinschaft. Diese Affinität wird dadurch problematisch, dass Althaus eine Berufung zur Gemeinschaft der Kirche mit einer Berufung zur Gemeinschaft des Volkes parallelsetzt und dadurch letztere zumindest unterschwellig eine religiöse Weihe erhält. Gleichzeitig betont Althaus aber auch die Unterscheidung zwischen beiden Größen, wodurch die Kirche bleibend als von anderer und höherer Art als das Volk beschrieben wird. Der das eigene Volk transzendierende Kirchengedanke gehört zum Althausschen Gemeinschaftsgedanken immer schon dazu. So bleibt er trotz der beschriebenen Problematik als christlicher Theologe erkennbar97. Deutlich wird, dass auch hier Althaus seinem im Weltkrieg entwickelten volksmissionarischen Konzept eines anknüpfenden Zweischritts „vom Vaterlandserlebnis zum Gotteserlebnis“ treu bleibt: Das „Erlebnis der Kirche“ soll auf dem „Vaterlandserlebnis“ aufbauen und dieses überbieten. Den eigentlichen Anknüpfungspunkt bildet dabei die Gemeinschaftserfahrung, in deren Folge sowohl ein „volksloser Individualismus“ als auch ein kirchenloser Individualismus für ihn unmöglich ist. Somit ist die ganze Schrift ein einziges Plädoyer für ein kirchengebundenes Christentum, für das er nun, im Sommer 1919, den „Beginn eines geistlichen Frühlings“ gekommen sieht.

97 Zu diesem Schluss kommt auch Scholder, Kirchen, 151, wenn er zu dieser Althaus-Schrift schreibt, es ist „deutlich, daß Althaus keinen Augenblick daran denkt, diese völkische Gemeinschaft etwa an die Stelle der kirchlichen Gemeinschaft oder gar darüber zu setzen.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

5. Zusammenfassung Die Erlebnisse, die der junge Althaus während des Krieges in Lodz bei seiner Arbeit als Militärpfarrer mit seiner feldgrauen Soldatengemeinde und als Gouvernementspfarrer mit der deutschen Auslandsgemeinde in Polen hat, prägen ihn ebenso nachhaltig wie seine Volkstumsarbeit für den Lodzer „Deutschen Verein“. Gerade die Erfahrung der doppelten Diasporasituation der deutschen Minderheit im vormals russisch besetzten Polen machen auf den von Hause aus nationalprotestantisch und deutsch-national Geprägten großen Eindruck. Seine „Entdeckung des Deutschtums in Polen“ ist somit eine entscheidende Wegmarke auf dem Weg zu einer sowohl theologischen als auch politischen normativen Zentrierung auf das Volkstum hin. Zwanzig Jahre nach seinen Erlebnissen in Polen schreibt Althaus rückblickend über „das Verhältnis der nationalen Volksbewegung und des christlichen Glaubens“: „Dieses Thema ist auch das meine, seit ich von 1915 an die deutsche Volksbewegung in Polen erlebte und in ihr mithandelte.“1 In dieser besonderen Kriegs- und Auslandserfahrung reift in dem stark an aktueller Wortverkündigung interessierten Theologen eine Vision von volkstumsbezogener Kirche und kirchenbezogenem Volk. Glaube und Volkstum gehören für Althaus fortan untrennbar zusammen2. Sie gehen in seinem Denken eine Symbiose ein, die sich auch in seinem Engagement für Kirche und Volkstum niederschlägt. Hintergrund und Motivation dieser Symbiose von Glauben und Volkstum sind Althaus’ volksmissionarische Erwartungen, die sich von einer intensivierten kirchlichen Arbeit eine christliche Wiedergeburt Deutschlands erhoffen. Parallel dazu und in Abhängigkeit davon erwartet Althaus eine vaterländisch-volksbezogene Wiedergeburt Deutschlands, deren erste Anfänge er im gemeinschaftsbezogenen, alle bisherigen Ständeschranken überwindenden „Augusterlebnis von 1914“ zu verspüren meint und dessen „Geist“ er darum immer wieder beschwört. Ein solches „Volkserlebnis“ bildet in seiner volksmissionarisch motivierten Theorie den Anknüpfungspunkt für eine gesteigerte Christlichkeit und Kirchlichkeit, für das „Erlebnis der Kirche“, an dem es erfahrungstheologisch und sozialethisch anzusetzen gilt. Darum kann Althaus auch „Erziehung zur Volkstreue“ und Evangeliumsverkündigung in einem Atemzug als Aufgaben der Kirche benennen.

1 3515 Christentum, 2. 2 Ähnlich formuliert es Kurz, Denken, 429: „Echter deutscher Patriotismus war für Althaus christlich, und echtes Christentum patriotisch.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Zusammenfassung

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Seine besonderen Hoffnungen für eine christliche und nationale Wiedergeburt Deutschlands und der Deutschen setzt Althaus auf die junge, begeisterungsfähige Generation3, ihr wird Althaus in Zukunft ein besonderes Augenmerk bei seinem Schaffen widmen. Während ein Anknüpfungspunkt für kirchliche Verkündigung bei klarem christlichen Profil noch nicht zwangsläufig problematisch sein muss, erfährt Althaus’ Theorie eine problematische Zuspitzung dergestalt, dass aus dem einen Anknüpfungspunkt  – unter vielen möglichen  – gemäß seinen eigenen weltanschaulichen Prägungen und Präferenzen unter der Hand gleichsam eine notwendige Vorbedingung wird. Demzufolge kann sich Althaus eine Kirche, die nicht an den Fragen des Volkstums „stark interessiert“ ist, gar nicht mehr vorstellen. Volk und Vaterland werden bei diesem Vorgang nicht nur hervorgehobene Kategorien seines politischen Weltbildes, sondern auch seines theologischen Denkens, wobei sie bei Althaus in ambivalenter Weise zur Sprache kommen. So werden die Begriffe „Volkstum“ und „Vaterland“ einerseits zu volksmissionarischen Argumentationszwecken verstärkt, andererseits aber auch zur Abwehr von Radikalisierungen abgeschwächt. Eine Verstärkung nach innen erfahren sie, indem sie von Althaus sittlich und religiös aufgeladen werden. Sie werden durch ihre Charakterisierung als Gottesgabe nicht nur in einen religiösen Kontext gestellt, sondern in die Nähe von Glaubens-Gegenständen gerückt, denen ein „Recht auf uns“ zueignet. Auf diese Weise werden Volkstum und Vaterland zum ethischen Bezugspunkt seiner Theologie und nehmen die Kirche in besonderer Weise in die Verantwortung. Eine Abschwächung nach außen erfahren sie, indem Althaus völkisch-rassistische, radikale Positionen ablehnt, die von einer metaphysischen Völkerungleichheit ausgehen. Wem der Sinn lediglich „nach religiöser Verbrämung seiner Vaterlandsliebe“4 steht, dem erteilt Althaus eine Absage. Auch geht der Althaussche Ethnozentrismus nicht so weit, dass er nicht auch Kritik an der deutschen Besatzungspolitik in Polen oder an seinen eigenen zeitbedingten nationalen Kriegspredigten zulässt.5

3 Noch immer begeistert schreibt Althaus in seinem Rückblick von 1942 über seine Erlebnisse in Lodz: „Die Jugend erwachte durch das Erleben des deutschen Heeres und der deutschen Siege zum Volksbewußtsein, zu glühender Begeisterung für Deutschland, für seine Geschichte und seine Helden. […] Die deutsche Jugend in Lodsch und ringsum entdeckte mit heißem Hunger ein Stück nach dem anderen aus dem Schatze deutschen Erbes.“ (4201 Entdeckung, 194). 4 1517B Christusglaube, 42; vgl. 1707 Glaube, 16, wo er sich gegen „eine ganz verkehrte Versklavung der Religion an den vaterländischen Gedanken“ ausspricht. 5 Zum Ethnozentrismus vgl. Bierbrauer, Sozialpsychologie, 176–178. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Kapitel II: Die frühe Verarbeitung der deutschen Niederlage und des Versailler Vertrages – Althaus zwischen Lodz und Rostock

Bereits in seinen letzten Wochen in Polen – er kehrte erst im Dezember 1918 nach Deutschland zurück – und noch vor dem Ende der Kampfhandlungen am 11. November 1918 beginnt Paul Althaus, die deutsche Niederlage politisch und theologisch zu verarbeiten. Als Leiter des hannoverschen Predigerseminars auf der Erichsburg und als Privatdozent in Göttingen befasst er sich 1919 weiterhin intensiv mit diesem Thema, das sich mittlerweile mehr und mehr zu einer Verarbeitung der alliierten Friedensbedingungen entwickelte.

1. Die frühe Verarbeitung von Krieg und Niederlage 1.1 „Sind unsere Brüder vergeblich gestorben?“ – Die Frage nach dem Sinn der Kriegstoten Althaus’ erste Auseinandersetzung mit der Kriegsniederlage geschieht bereits vor dem formalen Ende der Kampfhandlungen, am 26. Oktober 1918 in seinem Aufsatz „Sind unsere Brüder vergeblich gestorben?“, der Mitte November in der Zeitschrift „Die Reformation. Deutsche evangelische Kirchenzeitung für die Gemeinde“ abgedruckt wird. Die Frage stellt sich für Althaus nicht nur allgemein-abstrakt, sondern ebenso auch persönlich-biographisch: Zwei seiner jüngeren Brüder sind im Krieg gefallen, Wilhelm im Herbst 1916 und Gerhard im Sommer 1917. Nicht zuletzt auch ihrem Sterben galt es nun nach der Niederlage einen Sinn zu verleihen. Die Frage nach einem Sinn der Kriegs­ toten drängt Althaus angesichts der deutschen Katastrophe umso mehr, als er zu Kriegszeiten selbst den Topos vom „Opfer für Deutschlands Zukunft“ kolportiert hat1. Wenn diese erhoffte und herbeigepredigte Zukunft nun durch die Niederlage verspielt war, dann drohten damit zugleich auch die Opfer der Sinnlosigkeit anheim zu fallen. Wie eine böse Vorahnung der kommenden 1 Vgl. Liebenberg, Gott, 317–334. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Ereignisse klingt es, wenn er schreibt: „Wir ahnen, daß noch vieles an den Tag kommen wird, wovon niemand von uns wußte, und daß manches zusammenbrechen wird, was uns gewiß schien.“2 Die in diesen Tagen angesichts der drohenden und vorauszusehenden Niederlage von Deutschen so häufig gestellte Frage nach der möglichen Vergeblichkeit der vielen Opfer in diesem Krieg greift Althaus auf, indem er dieser „Volksfrage“, wie er sie nennt, eine kirchliche „Volksseelsorge“ gegenüberstellt. Die Kirche sieht er dazu aufgefordert, auf die kriegsbedingten und nun niederlagebedingten Sorgen der Menschen einzugehen, denn „ein innerer Zusammenbruch ohnegleichen“ drohe dem deutschen Volk. Deshalb kann es für ihn nur eine Antwort auf die Frage geben: „‚Waren unsere Opfer vergeblich?‘ Tausendmal nein!“ Der ersten Grund für die negative Antwort sieht Althaus in der Bewahrung Deutschlands vor den immensen Kriegsschäden, die andere Länder wie Frankreich oder Polen an ihren Städten und ihren Landschaften erleiden mussten. Sehr bescheiden klingt es angesichts der Niederlage, wenn Althaus hier von den ursprünglichen Kriegszielen spricht: „Unser erstes und einziges Kriegsziel war die Verteidigung der Heimat. Die großen Siege haben uns verwöhnt und uns die heiße Dankbarkeit für die Behütung der Heimat vergessen lassen. Unsere stolzen deutschen Gedanken sind auf den Fittichen der herrlichen militärischen Siege ins Weite und Große geflogen.“ Hierbei darf allerdings nicht vergessen werden, dass die Kriegsbegeisterung 1914 in Deutschland und den anderen kriegführenden Staaten vor allem deshalb so groß war und von der jeweiligen nationalen Propaganda großgemacht werden konnte, weil den Bevölkerungen von der jeweiligen Staatsführung die feste Überzeugung vermittelt wurde, sich in einem Verteidigungskrieg zu befinden. Diese Überzeugung teilte auch Althaus, für den ein rein mit expansionistischen Absichten geführter Angriffskrieg sich jenseits des sittlich Erlaubten befand3. Zu Althaus’ Konzept einer „Volksseelsorge“ gehörte es, den verstörten Menschen „Dankbarkeit über das große Wunder der gnädigen Bewahrung“ zu lehren: „Zeigt unserem Volke in diesen müden Tagen erst einmal wieder das große ‚deutsche Wunder‘, das Gotteswunder der Behütung unseres Landes! Wahrhaftig, unsere geliebten Brüder und Freunde draußen haben nicht vergeblich geblutet.“ Geschichtstheologisch geht Althaus hier den Trost der Menschen an: Sie sollen erkennen, dass Gottes gnädige Zuwendung es war, die Deutsch 2 1807 Brüder, 354. Da der Aufsatz nur zweiseitig ist, wird auf die Seitenangaben der Zitate verzichtet. 3 Zum Phänomen „Verteidigungskrieg“ vgl. Mommsen, Urkatastrophe, 35 ff.; und Berghahn, Weltkrieg, 64. Zu Althaus und seiner Ablehnung eines solchen Angriffskrieges vgl. 1902 Pazifismus, 454 f. Die Überzeugung, Deutschland führe einen reinen Verteidigungskrieg, findet Althaus nicht zuletzt bei seinem Vater vor; vgl. Althaus d. Ä., Krieg, 602. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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lands Bewahrung zu diesem Zeitpunkt wie ein Wunder bewirkte. Eine solche Interpretation mochte den Menschen in Kombination mit der Erinnerung an nunmehr so minimalistische Kriegsziele tatsächlich Trost zugesprochen und den deutschen Kriegsopfern einen gewissen Sinn verliehen haben. Doch Althaus bleibt nicht bei dieser ersten Antwort stehen, denn er weiß: „Man muß die Opfer einmal im Lichte der Ewigkeit betrachten“. Dies tut er und kommt dabei zu erstaunlichen, aber die Angehörigen von Kriegstoten wohl kaum tröstenden Erkenntnissen: „Der Wert des Opfers liegt in ihm selbst und in der inneren Erlösung derer, die da opfern. […] Jede wirkliche Hingabe hat ihren Segen zunächst in sich selbst.“ Sich zu opfern bedeutet für ihn eine Erlösung von der Selbstsucht, eine „Erhöhung über unsere gemeine Menschenart“ und ein „Wurzelfassen in dem Boden der Ewigkeit“. Verdächtig unevangelisch klingen diese Worte über den Wert des Opfers und der Hingabe, erinnern sie doch sehr an eine Selbsterlösung des Menschen, die nach christlicher Lehre vollkommen ausgeschlossen ist. Mit diesen Äußerungen bleibt Althaus ganz auf der Linie seiner Kriegspredigten, in denen er von Opfer und Hingabe sprach. Und auch sein Gottesbild ist hier ganz von einer majestätischen, Gehorsam und Opfer gebietenden Wirklichkeit Gottes geprägt, die „ja eitel Hingabe und Dienst ist“, was in den Ohren von Hinterbliebenen auch leicht zynisch klingen konnte, wenn er fragt: „War es nicht Gnade Gottes, daß er den Mann zum großen Opfer berief?“ Für ihn jedenfalls, der im Krieg zwei seiner drei Brüder verlor und darum genau gewusst haben dürfte, wovon er spricht, scheinen diese Gedanken tröstlich gewesen zu sein. Denn für ihn steht fest: „Manches Opfer mag nach Menschenurteil ‚vergeblich‘ sein und in der irdischen Geschichte keine Wirkung haben. Aber im Lichte der Ewigkeit war es nicht vergeblich, in der Geschichte Gottes mit dem einzelnen Menschenherzen bedeutete es eine ­Epoche. In einem wirklichen Opfer lebt der Opfernde Gottes Leben.“

Für Althaus besitzen wahre Opfer aber nicht nur einen Sinn im Hinblick auf die Ewigkeit, sondern auch schon in dieser Welt, nämlich als Ansporn zu Dienst und Hingabe für andere, vor allem für die Jugend. Für ihn steht fest, die Opferkreuze der gefallenen Soldaten predigen: „Das ferne Grabkreuz redet von bitterer Verarmung eines einst so frohen Hauses. Aber ist das Opferkreuz für die Angehörigen nur Armut, bedeutet es nicht auch Reichtum, geheime Kraft zum Guten, ja eine Art Erlösung zu gleicher Gesinnung der Hingabe?“ Dass die Grabkreuze zu Althaus selbst derartig „reden“, darf angenommen werden, aber ob die von ihm angesprochenen Hinterbliebenen den Soldatentod ihres Angehörigen wirklich als „Reichtum“ empfinden können, darf bezweifelt werden. Dass seine Aussagen über den Sinn der Kriegstoten hochspekulativ und daher nicht jedermann einsichtig sind, ist sich Althaus offenbar bewusst, wenn © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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er zugleich bekenntnishaft an den Willen der Deutschen appelliert: „So ist schließlich die Frage: ‚Sind unsere Brüder vergeblich gestorben?‘ nicht nur ein Problem des nach Sinn in der Geschichte suchenden Verstandes, sondern vielmehr eine Gewissensfrage an den Willen. Und das entschlossene Nein!, das wir sprechen, bedeutet mehr als eine Erkenntnis des Denkens, es ist ein Gelübde unseres Herzens. […] Nein, unsere Brüder sollen nicht vergeblich gestorben sein – wir wollen es nicht!“ Mit diesen beschwörenden Worten gibt Althaus am Ende seiner Ausführungen offenkundig zu, dass zwischen einem möglichen tatsächlichen Sinn der Kriegstoten und einem bekenntnishaft eingebildeten Sinn nur ein schmaler Grat besteht. Tatsache ist, dass er unter allen Umständen verhindern will, dass die mögliche Antwort auf die von ihm aufgegriffene Frage negativ ist, denn das käme einem „inneren Zusammenbruch“ Deutschlands gleich, der den drohenden äußeren noch weitaus fataler werden ließe. Unweigerlich kommt Althaus in diesem Zusammenhang auch auf das Vermächtnis des Krieges und damit den Auftrag für die Zeit danach zu sprechen: „Wir wollen das Feuer des August-Pfingsten 19144, das Feuer starken Diene­mutes und selbstverständlicher Hingabe, ernstlich hüten und einst weitertragen in die Schulen und Jugendvereine, auf die Universitäten, in das öffentliche Leben. Dienst, Brüderlichkeit, Hingabe, Selbstvergessenheit, – das soll hinfort als Adel unter Deutschen gelten.“

Wenn es also gelänge, dieses vermeintliche Erbe der Frontgeneration zu bewahren und an die Jugend weiterzugeben, dann sind nach Althaus die Kriegsopfer nicht sinnlos und vergebens5. Dass gerade Althaus in der Folgezeit auf seinem Posten, an der Universität, das Feuer ernstlich gehütet hat, wird bald deutlich werden. In diesem Aufsatz geht es ihm im Oktober 1918 zunächst darum, dem Soldatentod der Millionen deutschen Gefallenen einen Sinn zu verleihen und damit den Hinterbliebenen Trost zuzusprechen. Dies tut er, indem er zum einen auf die Bewahrung deutschen Bodens hinweist und zum anderen seine eigene „Opfertheologie“ in Grundzügen entfaltet. Alles in allem geht es ihm darum, einen „inneren Zusammenbruch“ Deutschlands verhindern zu helfen. 4 Die motivische Verknüpfung von biblischem Pfingsterlebnis und Heiligem Geist mit dem Augusterlebnis 1914 und dem nationalen „Geist“ ist ein gängiger Topos christlicher Kriegspredigt im Ersten Weltkrieg. Noch in seiner Pfingstpredigt 1934 hält es Althaus rückblickend nicht für „Lästerung“, dass „man von einem August-Pfingsten zu reden wagte“: „War der Opfergeist der Jugend von 1914 nicht Werk Gottes selbst […]?“ Doch an dieser Stelle hält er der allzu simplen Gleichung entgegen: „Und doch: Heiliger Geist im Sinne der christlichen Pfingstbotschaft ist etwas anderes.“ (3404P Pfingsten, 26 f.). 5 Auf die Instrumentalisierung der Kriegstoten für das eigene Anliegen der „völkisch-reli­ giösen Erneuerung des geschlagene deutschen Volkes“ in diesem Aufsatz weist Liebenberg, Gott, ­439–445 hin. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Wie lebenswichtig es für das im innen- und außenpolitischen Chaos der Nachkriegszeit unterzugehen drohende Deutschland war, den Millionen von eigenen Kriegstoten trotz des katastrophalen Kriegsausgangs einen Sinn und einen Wert abzugewinnen, kann man sich heute nur schwerlich bewusst machen. Wie weit oben dieses Thema gerade in akademischen Kreisen auf der Tagesordnung stand, lässt sich anhand der Äußerungen des ausgesprochenen Friedensaktivisten Friedrich Siegmund-Schultze machen, der 1920 ein Buch mit dem Titel „Ver Sacrum. Was die im Kriege gefallenen Mitarbeiter der Sozialen Arbeitsgemeinschaft dem deutschen Volk zu sagen haben“ herausgab. In unmittelbarer Nähe zur Unterzeichnung des Deutschland demütigenden Versailler Vertrages schreibt er im Sommer 1919 im Vorwort: „Ist nicht gerade das jetzige Deutschland dieses Opfers [= der deutschen Gefallenen] unwert? Müssen nicht jetzt die Gedanken der Mütter an ihre gefallenen Söhne in Tränen ersticken? Deshalb nicht, weil unsere Besten nie für das sichtbare, sondern für ein unsichtbares Deutschland gekämpft haben. Weil das tiefste Opfer der Seele Deutschlands galt. Aber ist Deutschlands Seele nicht zugleich mit dem Leibe gestorben? Gibt es noch ein inneres Leben ohne Ehre? ohne Treue? Eben dafür, daß Treue und Ehre in dem großen Zusammenbruch nicht für immer untergehen, dafür sind unsere Brüder gefallen. Ein heiliger Frühling, dessen Früchte der Herbst bringen muß. […] Wahre Volksgemeinschaft ist kein Erzeugnis des Kriegshandwerks, sondern eine Frucht der Friedensarbeit.“

Insofern appelliert Siegmund-Schultze im Kampf „für den inneren Frieden des Volkes“ an die „Ehrfurcht vor der Heiligkeit des Opfertodes“, die im Vertrauen fußt, „daß die Gefallenen ihre ganze Liebe und Treue in dies Werk für ein einiges neues Deutschland hineingelegt haben“.6 Mit seinem Aufruf zur inneren Einheit des als zerrissen empfundenen Deutschland traf Siegmund-Schultze sowohl den Nerv der Zeit als auch die ungeteilte Zustimmung von Althaus. In einer Rezension schreibt dieser, der sich schon seit längerem mit der „Sozialen Arbeitsgemeinschaft“ verbunden weiß, im Sommer 1920: „Das, was diese ‚Arbeiterfreunde‘ wollten und taten, war nicht eigentlich Kriegsarbeit, sondern Friedensarbeit. Ihr Motiv war nicht Haß der Feinde, sondern Liebe zu den Brüdern. Ihr Ziel war nicht Vernichtung des Gegners, sondern Gewinnung des Nächsten. Ihnen schwebte nicht ein äußerlich größeres, sondern ein innerlich reicheres, ein wahrhaft neues Deutschland vor. – Wenn wir Aufzeichnungen und Briefe dieser Mitarbeiter am inneren Frieden unseres Volkes herausgeben, so tun wir es im Bewußtsein der tiefen Verpflichtung, die uns der Opfertod dieser Freunde auferlegt.“7 6 Siegmund-Schultze, Ver Sacrum, Vorwort. 7 2006R Siegmund-Schultze. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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1.2 „Unser gutes Gewissen und unsere Buße“ – Althaus’ frühe Ansichten zur Kriegsschuldfrage Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Polen befasst sich Althaus an Weihnachten 1918 erstmals mit der Frage nach der deutschen Schuld am Krieg8. Als „Worte eines Heimgekehrten“ veröffentlicht „Die Reformation. Deutsche Evangelische Kirchenzeitung für die Gemeinde“ im Januar/Februar 1919 seinen Aufsatz unter dem Titel „Unser gutes Gewissen und unsere Buße“. Dieser Text erscheint in seiner Ambivalenz als nahezu typisch für Althaus, was sich ja bereits im Titel andeutet: Einerseits will er den Deutschen ein „gutes Gewissen“ nahelegen, andererseits ruft er sie zur „Buße“ auf; einerseits wehrt er sich vehement gegen den gegen Deutschland erhobenen Vorwurf der Alleinschuld am Krieg, andererseits spricht er von deutscher Mit-Schuld am Krieg und benennt deutlich das Versagen der deutschen Führung. „Unter allem Furchtbaren, das uns in diesen Wochen mit Fäusten schlägt“, beginnt Althaus seine Ausführungen, „bleibt mit das Schwerste, daß man unser Volk auf die Anklagebank gesetzt hat. […] Das eigentlich Furchtbare, das Unerträgliche ist ihre [d. h. der Sieger] Richtergebärde, das moralische Pathos, in das sie sich uns gegenüber hineingesteigert haben. […] Ausgerechnet die größten und rücksichtslosesten Machtvölker der Erde klagen uns des Machthungers und Weltfriedensbruches an, gerade sie wollen uns im Namen des ‚Rechtes‘ dafür züchtigen.“9

Gerade dieses „moralische Pathos“ ist es, das nach Althaus eine „ungeheure Weltlüge“ darstelle und daher auch und gerade im Namen Gottes nicht sein dürfe. Dieser Lüge der deutschen Alleinschuld am Krieg, die bereits im deutschen Volk selbst Fuß fasse („Ein ekles Schauspiel der Würdelosigkeit!“)10, sollten gerade die Christen „ein entschlossenes Halt zurufen“. „Wir evangelischen Christen […] selber wollen ehrlich mit unserem Volke Buße tun“, doch zwischen richtiger und falscher Buße sei zu unterscheiden: „Buße ist Selbstgericht vor Gott, aber nicht Selbstpreisgabe vor den Menschen. Buße ist Unterwerfung 8 Dass der Aufsatz an Weihnachten 1918 geschrieben wurde, lässt sich seinen rückblickenden Äußerungen dazu aus dem Jahr 1933 entnehmen (3314 Volks-Geschichte, 18): „Zu Weihnachten 1918 schrieb ich, kaum aus Polen heimgekehrt, angeekelt von der schamlosen Selbstpreisgabe der Deutschen, von der Beschuldigung der Führer, von dem würdelosen Bekenntnis der deutschen Schuld am Kriege“. Dass er aber in dem Aufsatz 1918 tatsächlich selbst die deutsche Mit-Schuld am Krieg betont und das Versagen der deutschen Führung benennt, verschweigt er 1933. 9 1809 Gewissen, 27. 10 Der gegen das eigene Volk gerichtete Vorwurf der Würdelosigkeit im Tragen der deutschen Niederlage war ein gängiger Topos in diesen Tagen; vgl. die Äußerungen von Althaus’ akademischem Lehrers Karl Holl, abgedruckt in: Assel, Aufbruch, 121. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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unter die bittere Wahrheit, aber nicht feige, schlaffe, würdelose Verleugnung der klaren Wahrheit.“ Diese bittere Wahrheit, die Buße verlangt, nennt Althaus auch sogleich beim Namen, wenn er schreibt, daß „mehr, als wir gedacht und gehofft hatten, von deutscher Seite sprunghaft, ungeschickt, willkürlich, zweideutig gesprochen und gehandelt worden ist, vor dem Kriege und in dem Kriege“. Weiter schreibt er, „niemand darf verschweigen, daß auch unser Volk und unsere Regierung Schuld in diesem Kriege auf sich geladen haben: Schuld in Belgien und Schuld in Polen, Schuld gegen die Wahrheit und Schuld gegen die Sauberkeit“.11 Zu diesem kritischen Einerseits  – „Unsere Mitschuld will niemand leug­ nen“12, schreibt Althaus weiter – tritt nun das apologetische Andererseits hinzu. Wie die überwiegende Mehrzahl der Deutschen und der Menschen in den anderen kriegführenden Staaten war auch Althaus von der vermeintlichen Tatsache des aufgezwungenen Verteidigungskrieges überzeugt. Folglich ging er auch in diesem Aufsatz davon aus, „die ehrliche letzte Absicht, der Friedenswille unserer Verantwortlichen, war und ist nicht anzutasten. Das wollen wir bezeugen, solange uns die Stimme geschenkt ist“. Diesem deutschen Friedenswillen stellt Althaus nun die englische und französische Hetzpropaganda gegen Deutschland gegenüber: „Haben wir es schon vergessen, wie man jenseits der Vogesen seit Jahrzehnten gegen uns gehetzt, wie man dort in den letzten Jahren vor dem Kriege Deutsche behandelt hat?“ Ein gegenseitiges Aufrechnen der Schuld kann für ihn nur zu dem Ergebnis führen, dass keiner ohne Schuld am und im Krieg ist: „Darum allein geht die Frage, ob unsere Feinde das Recht sich anmaßen dürfen, im Namen einer blutenden Menschheit und des geschändeten Sittengesetzes über uns zu Gericht zu sitzen.“ Auch wenn sich Althaus dessen bewusst ist, dass es den Siegern obliegt, nicht zuletzt mit ihrer militärischen Macht Recht zu setzen, so ruft er doch dazu auf, sich dagegen „innerlich zu stemmen, daß man in unerhörter Selbstüberhebung und Verleugnung der hellen Wahrheit jetzt unser Volk zu den Weltbanditen stempelt, die gezüchtigt werden müssen.“ Dieser Einsatz für die Wahrheit und gegen die „ungeheure Weltlüge“ der deutschen Alleinschuld, erhält von Althaus eine religiöse Dimension, indem er an den „heilige[n] Ingrimm“ appelliert und dieses Aufbegehren als „Luthertat“ bezeichnet, die „jetzt von unserem guten deutschen Gewissen gefordert“13 wird: „Gewiß ist die Volksbuße heute wie in den Siegestagen von 1914 die erste Tat, die Gott von uns fordert. Aber ihr zur Seite steht die andere: das Trotzen auf unser gutes 11 1809 Gewissen, 27. 12 Ebd., 28. 13 Ebd., 27. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Gewissen […]. Es ist auch ein Stück der tiefverstandenen Gottesfurcht und gehört zur Erfüllung des ersten Gebotes, daß ein gutes Gewissen ganz einsam gegen das Lärmen der Mehrheit und gegen allen falschen Schein der Verhältnisse trotze und sich durch keine Gewalt und keine Abstimmung des Völkerschiedsgerichtes imponieren lasse. Nicht um zu neuem Hasse der Völker zu hetzen, sondern um dem Gehorsam gegen die Wahrheit zu dienen“14.

Dem simplifizierend-undifferenziert gegen Deutschland erhobenen Vorwurf der Alleinschuld am Krieg begegnet Althaus in gleicher Weise mit der angeblich „klaren Tatsache eines feindlichen Kriegswillens, der seit einem Jahrzehnt bestand“. Dieser Aporie ist sich Althaus offenbar bewusst, wenn er zur Zusammenarbeit der verfeindeten Länder bei der gemeinsamen Suche nach der Wahrheit aufruft, um gemeinsam die „Abrüstung der Großmacht Lüge“ voranzubringen und den „Tempel des Weltfriedens“ zu errichten: „Ein edler, wahrer Friede kann nicht auf Lüge gebaut sein, auch nicht auf die Lüge von der deutschen Hauptblutschuld. […] Daß doch endlich die Wahrheit unter den Völkern wieder durchbräche!“ Das Ziel ist für ihn die Aussöhnung der Völker: „Wir können nicht als eine Menschheit weiterleben, wir können keine gemeinsame Geschichte mehr haben, bis nicht die Wahrheit über die schreckliche Katastrophe, über alle Schuld und alle Fehler und alles unvermeidbare Schicksal sich durch die Drahthindernisse der Verhetzung und nationalen Leidenschaftlichkeit hindurch Bahn bricht. […] Gegen die ungeheure Lüge untereinander, die das Vertrauen völlig zerfraß und uns gegenseitig alle Ehre und alle Menschlichkeit absprechen ließ, müssen die Völker gemeinsam kämpfen.“

Dieser gemeinsame Kampf für die Wahrheit kann nach Althaus nur durch die „Zwiesprache ernster Männer guten Willens am Verhandlungstische“ gelingen: „Wir Deutschen bilden uns weniger denn je ein, Alleinpächter der Wahrheit zu sein. Oeffnet die Archive allesamt – auch die in Paris und London!! Laßt uns Auge in Auge und Stirn gegen Stirn männlich-offen miteinander reden! O komm herauf du großer Tag der Wahrheit. […] Wir werden als Menschen wieder aufatmen. Die Menschheit wird sich tief schämen – und zugleich aufjauchzen. Denn die Wahrheit macht immer frei, auch wenn sie wehtut.“ Gerade weil nun aber „das Haus der Menschheit“ nur auf der Wahrheit dauerhaft gebaut sein kann, „wollen wir Deutschen uns mit heiliger Entschlossenheit gegen den Platz auf der Anklagebank, gegen die einseitige, vor aller ernstlichen Aussprache geschehene Verurteilung unseres Volkes und seiner Führer 14 Ebd., 28. Den Ruf der Kirche „zur nationalen Buße“ hat Althaus bereits während des Krieges als Aufgabe der Kirche angesichts der „Gefahr einer Nationalisierung der Religion“ gefordert; vgl. 1707 Glaube, 16. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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wehren. Denn sie ist nicht auf der sorglich und mit heiligem Ernste prüfenden Gerechtigkeit, sondern aus dem Hasse geboren. Sie bedeutet nichts anderes, als eine frevelhafte Verewigung der Kriegslüge und damit das Fortschleppen des Krieges in den ‚Frieden‘ hinein.“15

Erneut begründet Althaus den gebotenen Kampf gegen die einseitige Verurteilung des Deutschen Reiches theologisch: „Gott gab uns unsere Ehre – und die Ehre wegwerfen, das ist Sünde wider Gott. […] Trauern wollen wir Deutschen alle, tief und schmerzlich. Aber vor unseren Feinden uns schämen – nein, niemals!! Gott behüte uns vor aller Würdelosigkeit! Ob wir uns einmal mit ihnen schämen werden über die Weltschande des Völkerhasses – das ist ein anderes. Und vollends: vor dem heiligen Gott stehen wir als Deutsche in großer Demut und haben ihm vieles zu beichten an Volkssünde und Schande, an grenzenloser Selbstsucht und entsetzlicher Leichtfertigkeit. Gottes Vergebung brauchen wir – aber das gehört zwischen Gott und uns allein – vor niemandes Augen.“16

Gott gegenüber die Buße, den Feinden gegenüber, die von deutscher Alleinschuld am Krieg sprechen, aber das gute Gewissen; das ist es, was Althaus den Deutschen ans Herz legen will. Diese Buße muss von der Kirche gepredigt werden als „Frage nach den Gründen der Niederlage und des Zusammenbruches“. Hier setzt Althaus’ Geschichtstheologie ein: „Man wird die Fehler und Sünden unseres Volkes, aus denen nach den göttlichen Geschichtsgesetzen organisch die Katastrophe erwachsen mußte, aufsuchen.“ Vor drei Irrwegen und falschen Antworten warnt Althaus zunächst: 1.  Vor einem nach alttestament­lichem Muster gestalteten Tun-Ergehens-Zusammenhang: „Unsere Not braucht nicht in jedem Falle Maß und Folge unserer Schuld zu sein“; 2. Vor einer Interpretation der Niederlage als Gericht Gottes: „Seit wann hat Gott denn verheißen, daß er eine gerechte Sache unter allen Umständen triumphieren lassen will? Gott bindet sich nicht. […] Sowenig der Sieg ein Siegel auf unsere Vortrefflichkeit und Gottgefälligkeit gewesen wäre, sowenig ist die Niederlage und Demütigung als solche ein Beweis für unsere besondere Unzulänglichkeit vor Gott. Die Gerechtigkeit Gottes in der Weltgeschichte ist nicht so einfach“; 3. Vor der Erklärung, das deutsche Volk habe zu wenig gebetet: „Aber hätte Gott uns den

15 Ebd. Hervorhebungen von Althaus. Dass für ihn ein Frieden, der auf einer „Kriegsschuldlüge“ basiert, kein wirklicher Frieden ist, macht er hier durch die Verwendung von Anführungszeichen deutlich. Nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages war es in Deutschland nicht unüblich, den Friedensbegriff in Anführungszeichen zu setzen. Mai, Kapitalismuskritik, 420, Anm.  17 macht darauf aufmerksam, dass selbst der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) noch 1923 so verfuhr. 16 Ebd., 28 f. Hervorhebungen von Althaus. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Sieg nicht auch dann versagen können, wenn das ganze Volk ernster und reiner gebetet hätte […]?“17 Ziel dieser Abgrenzungen ist der Nachweis der absoluten Souveränität und Herrenmajestät Gottes, der Herr bleibt auch über die von Althaus selbst identifizierten, angeblichen „Lebensgesetze“ des göttlichen „Herrn der Geschichte“, die der Durchsetzung seiner „lebendigen Gerechtigkeit“ dienen18. Althaus ist sich sicher: „Wer heute Buße predigen will, der muß sich vor jeder Allgemeinheit hüten. […] Nicht jeder Sieg ist ohne weiteres ein Gnadenerweis Gottes, und nicht entfernt jede politisch-geschichtliche Niederlage ist als Strafe zu deuten. […] Unsere Predigt muß sich von der geistlichen Alleswisserei entschlossen fernhalten und muß in dem, was wir zurzeit erleben, auch das dunkle Rätsel schauen“19.

Während Althaus also von „geistlicher Alleswisserei“ abrät, macht er sich auf die Suche nach historischen Gründen „allgemein-politischer Art“ für die Nieder­ lage, die er in „organischen Geschichtszusammenhänge[n]“ zu erkennen meint: „Es ist das Versagen unserer Politik seit Bismarcks Abgang, der Dilettantismus und die Führerlosigkeit unseres politisch kinderhaften Volkes, die Täuschung über die Bundesgenossen, die Unfähigkeit […] zu neuen Kombinationen. Das alles sind Fehler des politischen Vermögens, Dinge, die mit Herz und Gewissen und Glaube und Gott nichts zu tun haben. […] Das deutsche Volk hat vor dem Kriege und in dem Kriege politisch versagt – das ist der Hintergrund für das jetzige Elend.“20

Für die nötige Bußpredigt sei es zu einfach, die Gründe für das Versagen nur in der Vergangenheit und nur bei der deutschen Führung zu suchen, sondern „bei dem ganzen Volke […] suchen wir die Schuld.“ Als solche Gründe führt er an: die allgemeine Uneinigkeit, den Parteienzank, die „Begehrlichkeit […] bei Besitzenden und Aufstrebenden“, die „Genußsucht“, die selbstsüchtige Unfähigkeit, fürs Vaterland zu leben, die „Beamtenwillkür“ in den besetzten Gebieten, die „Treulosigkeit in den Ehen“ sowie die „Gottvergessenheit und Gottlosigkeit unseres Geschlechtes“. 17 Ebd., 34. 18 Vgl. Liebenberg, Gott, 452–474. Althaus’ Hinweis darauf, dass der Sieg der Feinde nicht notwendig auch deren Gerechtigkeit vor Gott impliziere, ist dabei kein Reflex auf die unerwartete deutsche Niederlage, sondern basiert auf seiner bereits im November 1917 ausgesprochenen Erkenntnis, „daß die Weltgeschichte nicht das Weltgericht sei“ (1750B) – zu einem Zeitpunkt also, als Althaus noch fest mit einem deutschen Sieg rechnete. 19 1809 Gewissen, 34. Schon sein Vater vertritt 1915 die Auffassung: „Unser Gottesglaube ist nicht von äußeren Kriegserfolgen abhängig. Und der Sieg als solcher ist kein ‚Gottesurteil‘.“ (Althaus d. Ä., Krieg, 631). 20 1809 Gewissen, 34. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Bei all diesen Gründen, die Althaus aufzählt, handelt es sich um damals weitverbreitete kulturpessimistische Gemeinplätze. Ein Punkt aus Althaus’ Aufzählung ist allerdings besonders bemerkenswert, weil er durch seine Kritik deutlich aus dem Rahmen fällt: „unsere maßlose deutsche Eitelkeit (wie hat man zum Ueberdruß zitiert: ‚Es soll am deutschen Wesen noch einmal die Welt genesen!‘)“21. Althaus bezeichnet hier ein deutsches Sendungsbewusstsein, das vor und im Krieg allenthalben anzutreffen war, als „maßlose Eitelkeit“ und distanziert sich davon. Auffällig am Althausschen Versuch, die deutsche Niederlage zu erklären, ist die Bemühung um eine für damalige Verhältnisse differenzierte Sichtweise. Althaus hebt sich damit ab von einseitigen Erklärungen im völkischen Lager, die allein davon ausgehen, das „wilhelminische Reich sei nicht fähig gewesen, das nötige Maß an nationaler Energie aufzubringen, das zum Festhalten des Sieges notwendig gewesen sei.“22 Am Ende seiner Ausführungen kommt Althaus gemäß seines volksmissionarischen Anknüpfungskonzepts auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen. Denn es könne „die gegenwärtige Stunde nicht restlos als Folge deutscher Sünde“ begriffen werden, sondern müsse „zuletzt als schweres, rätselhaftes Schicksal“ hingenommen werden. An diesem Punkt ist für ihn „die sittliche Geschichtsbetrachtung […] am Ende, die religiöse setzt ein.“23 Diese religiöse Geschichtsbetrachtung ist eine geschichtstheologische, die Gottes souveräne Herrenmajestät in den Mittelpunkt stellt: „Wir sind auf das übergeschichtliche gewiesen, auf die Hand, die durch Menschenfehler und Menschengenialität hindurch souverän unsere Geschichte regiert. Und so lautet schließlich unsere Antwort auf die Frage: Warum diese Niederlage?: Gott hat es so gewollt.“

„Seinem heimlichen Willen schweigend sich zu unterwerfen“, ist für Althaus daher das Gebot der Stunde, es gelte, Gott wieder fürchten zu lernen. Denn für Althaus sucht Gott nicht nur „unsere Sünde“ heim, sondern er zerbricht auch „unsere guten Gedanken“; er straft nicht nur das Unrecht und die Lüge, sondern er lässt auch eine „gerechte Sache“ scheitern. Was Althaus unter „unseren guten Gedanken“ und unter der „gerechten Sache“ versteht, macht er sogleich deutlich:

21 Ebd., 35. Vgl. seine selbstkritischen Äußerungen zu den eigenen Kriegspredigten; vgl. Kap. I, 4.3. 22 Leisen, Ausbreitung, 196. Althaus’ Kritik am Patriotismus der Kaiserzeit ist ein ähnlicher; vgl. 4201 Entdeckung, 192. 23 1809 Gewissen, 35. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Das deutsche Volk als von Gott „herrlich hinausgeführt und an den ersten Platz der Weltgeschichte gestellt […], nicht zu einer Weltherrschaft ohnegleichen, aber zu einem Weltdienste ohnegleichen“; „den Sieg und die Größe unseres Volkes nicht nur als Geschenk der freien Gnade Gottes, sondern auch als die Konsequenz alles dessen, was er bisher treu an unserem Volke getan“; „den Tag unseres Volkes, den Gott heraufbringen würde“; „deutsche Weltmissionsverantwortung nach dem deutschen Siege, deutsche Weltfriedensgarantie nach dem Erfolge  – das waren die Gedanken unserer Besten! Wir schämen uns ihrer nicht.“24

Indem Althaus den beabsichtigten deutschen „Weltdienst“ in idealistischer Weise als deutschen Beitrag für den Weltfrieden und für die Verchristlichung der Welt interpretiert, ist dieser für ihn damit auch theologisch legitimiert. Andererseits ist die missionarische Motivation Althaus’ vor dem Hintergrund seiner eigenen Biographie durchaus ernst zu nehmen25. Bereits zu Kriegszeiten zählte er zu denjenigen Predigern, denen Wilhelm Pressel attestiert, dass sie „die deutsche Sendung ehrlich in den Dienst der Ausbreitung des Evangeliums in der Welt zu stellen versuchten“26. Wie passt nun aber Althaus’ oben angeführte Kritik an „unsere[r] maßlose[n] deutsche[n] Eitelkeit“ zu seinen eigenen Äußerungen über deutschen „Weltdienst“ und den „ersten Platz der Weltgeschichte“, deren er sich auch nach der Niederlage nicht „schämt“? Das entscheidende Wort ist in diesem Zusammenhang „maßlos“. Althaus gibt sich hier – wie schon früher, z. B. bei seiner Abgrenzung von radikal-alldeutschen Vorstellungen  – als Mensch zu erkennen, dem die Extreme unangenehm sind und der darum keine radikale Position vertreten mag, als politischer Theologe, der mit Vorliebe den vermeintlichen Mittelweg einschlägt27. Vor dem Hintergrund seiner eigenen nationalprotestantischen Prägungen und seiner eigenen Erfahrungen hat Althaus ganz selbstverständlich ein deutsches kulturelles und christlich-missionarisches Sendungsbewusstsein, ganz selbstverständlich wünscht er sich deutschen „Weltdienst“28. Was ihn aber abstößt, ist eine Radikalisierung dieses Gedankens: 24 Ebd. Den Gedanken, nicht „Weltherrschaft“, sondern „Weltdienst“ hat Althaus auch schon während des Krieges vertreten; vgl. 1707 Glaube, 10. 25 Zu Althaus’ Missionserwartungen vgl. Kap I, 2. 26 Pressel, Kriegspredigt, 114. 27 Zu diesem Charakterzug Althaus’ schreibt Ericksen, Theologen, 119: „Althaus wehrte sich absolut dagegen, radikal zu sein. Er verfügte über ein starkes Empfinden für eine Position der Mitte, und genau da wollte er sich aufhalten, da fühlte er sich wohl. […] Auch in der Politik suchte Althaus einen Standort in der Mitte. Allerdings definierte er diese Mitte vom Standpunkt seines Milieus aus, in dem es ein Links-von-der-Mitte kaum gab.“ Innerhalb seines Milieus blieb er nach Ericksen „moderat“ (ebd., 140). 28 Zu der Vorstellung eines deutschen Sendungsbewusstseins bei Althaus während des Krieges vgl. Schäfer, Beurteilung, 39 ff. Wie verbreitet die Vorstellung eines „deutschen Weltdienstes“ in © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Wir schämen uns dieser Gedanken nicht – sie waren nicht chauvinistisch und nicht imperialistisch. […] Wir wollten nicht herrschen, nicht nur verdienen, sondern dienen. […] Wir deutsch-evangelischen Christen wollten nicht die anderen versklaven, sondern heben als Lichtträger, als Christusträger.“29

Zwei Aspekte machen nach Althaus eine abzulehnende „maßlose deutsche Eitel­keit“ aus: Zum einen eine chauvinistische Absolutsetzung des eigenen Volkes bei gleichzeitiger Verachtung anderer Völker; zum anderen ein deutsches Sendungsbewusstsein, das seine Sendung anders als christlich definiert und gründet. Das deutsche Volk soll sich nach Althaus’ Vorstellung an Gott und an Christus gebunden wissen und von ihm seinen Auftrag zum „Weltdienst“ empfangen. Beide Aspekte gehören bei Althaus untrennbar zusammen. Wenn er schreibt, „auch unser Volk ist Gottes Werkzeug“30, so gibt er damit zu verstehen, dass der christliche Gott eine Geschichte mit allen Völkern eingeht bzw. jedes Volk „in seiner Weltgeschichte“ „gebrauchen“ will gemäß seinem „Majestäts­geheimnis“. Eine Rede vom sogenannten „deutschen Gott“ ist daher für Althaus ausgeschlossen31. Abschließend verleiht Althaus seiner Hoffnung Ausdruck, dass den wahrhaften Deutschen, d. h. denjenigen, die unter der Not ihres Volkes leiden32, der damaligen Zeit war, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass auch Karl Barth diesen Gedanken kolportierte, wenn er 1911 schrieb: „Es ist von jeher die Rolle der Deutschen im geistigen Leben der Menschheit gewesen, daß sie für die anderen das ardere, die Verinnerlichung und Vertiefung der Positionen und Fragen gerade in den höchsten Dingen übernommen haben.“ (Barth, Mott, 283; Hervorhebung von Barth). 29 1809 Gewissen, 35. Diesen Gedanken eines christlich motivierten und orientierten deutschen „Weltdienstes“ hat schon Althaus d. Ä., Krieg, 631 vertreten und damit auf seinen Sohn gewirkt: „Wohl hoffen wir zuversichtlich auf einen siegreichen Ausgang dieses blutigen Krieges – aber nicht deshalb, weil wir uns so viel besser und vortrefflicher dünken als andere Völker, sondern weil wir die Gewißheit hegen dürfen, daß Gott mit unserem reichbegabten und hoch begnadigten deutschen Volke, wenn anders es sich zu ihm zurückführen läßt, noch etwas Großes im Sinne hat für die Förderung seines Reiches auf Erden.“ 30 1809 Gewissen, 35. Hervorhebung von mir. 31 In die gleiche Richtung weist auch seine für die damalige Zeit auffällige und zumindest auf deutscher Seite ungewöhnliche Betonung der „einen Menschheit“ und des „Haus[es] der Menschheit“, das nur auf dem Fundament der Wahrheit Bestand haben könne. Für diese Wahrheit sollen die Völker „gemeinsam kämpfen“ (ebd., 28). Dass Althaus schon während des Krieges gegen den Trend der Zeit die Rede von einem „deutschen Gott“ ablehnte, zeigt Kurz, Denken, 426 ff. Zur Ablehnung eines „deutschen Gottes“ bei Althaus vgl. auch 2704 Volkstum, 122. 32 Von diesen wahrhaften Deutschen grenzt Althaus die „unwürdigen Glieder unseres Volkes“ ab. Er verweist dabei in erster Linie auf die Großstädte und die dortigen „Massen, denen alle Autorität zerbrach, denen die Not ihres Volkes nichts bedeutet, die allen niederen Trieben schnödester Begehrlichkeit und Selbstsucht schändlich bei sich Raum geben, unter denen furchtbare Gleichgültigkeit gegen den Glauben der Väter und bewußte Gottlosigkeit umgeht“. Sein Fazit lautet lapidar: „sie sind nicht unser Volk.“ (1809 Gewissen, 35 f.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„der heilige Gott eine Zukunft bereiten dürfte und wollte“. Denn „das, was wir jetzt mit tiefen Schmerzen durch unsere Feinde erleben, kann und wird nicht das Letzte sein. Wir warten – auf Gottes Stunde für uns. Wir können nicht anders, als seiner harren, daß er dem heimlichen, schweigenden deutschen Volke […] noch selber einmal Recht schaffe vor der Welt. Wie könnten wir als Glieder unseres Volkes es aus­ halten ohne diesen harrenden Glauben?“33

Trost ist es, den Althaus seinen Lesern Ende 1918/Anfang 1919 angesichts der zurückliegenden katastrophalen Niederlage, angesichts einer Gegenwart, die im Chaos zu versinken droht und angesichts einer von Seiten der Siegermächte nichts Gutes verheißenden Zukunft zusprechen will. Im Blick auf die massiven Vorwürfe der Feindstaaten spricht er von einem guten Gewissen, das die Deutschen gegenüber der Anklage wegen einer Alleinschuld am Krieg haben sollen. Seine eigenen Landsleute hingegen ruft er zur Buße auf und spricht von deutschem politischen Versagen von Führung und Volk im Vorfeld und während des Krieges und von deutscher Mitschuld am Krieg. Als Mann der Kirche fühlt sich Althaus aber auch dazu verpflichtet, die Katastrophe theologisch zu interpretieren. Er warnt vor Deutungen, die die Niederlage mit dem Gericht Gottes in Verbindung bringen, und verweist auf den letztlich unerforschlichen Willen von Gottes „Herrenmajestät“. Allem Anschein zum Trotz darf auf „Gottes Stunde“ für Deutschland gehofft werden. Der Aufsatz mit seinen Spannungen und teilweise auch Widersprüchen ist ein gutes Beispiel für Althaus’ charakteristische Vorgehensweise, auch sehr unterschiedliche und schwer miteinander zu vereinbarende Wesenszüge eines Tatbestandes zusammenzudenken und vorzutragen.

1.3 „Die deutsche Schmach in Polen“ oder: Die Rote Revolution und die Niederlage Während Althaus im Juni 1919 als „Abschied von Polen“ sein pastorales Handeln als Militärpfarrer im besetzten Polen verteidigt und den kirchenpolitischen Streit in der dortigen evangelischen Kirche aus seiner Sicht schildert, berichtet er im Februar 1919 den Lesern der „Täglichen Rundschau“34 in ebenfalls sehr emotionsgeladenem Ton vom jüngsten Kapitel der deutsch-polnischen Ge 33 Ebd., 36. 34 Die „Tägliche Rundschau. Unabhängige Zeitung für nationale Politik“ erschien seit 1880 in Berlin. Zur Zeit der Weimarer Republik unterstützte sie die Partei Gustav Stresemanns, die Deutsche Volkspartei (DVP), die von 1920 bis 1931 an fast allen Reichsregierungen beteiligt war. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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schichte: das Ende der deutschen Besetzung Polens35. „Die deutsche Schmach in Polen“ ist der Artikel betitelt36, was sich weniger auf die Tatsache des Endes an sich bezieht, als vielmehr auf die Art und Weise, wie er vonstattenging: „Unsere Niederlage ist nicht das schlimmste. Aber daß wir nicht mit den Zähnen knirschen […], daß man so wenig Tränen um Deutschland weint, daß wir uns wie feige Hunde schlagen lassen und die Seele unseres Volkes sich nicht mehr aufbäumt, daß wir so jammervoll stumpf geworden sind – das ist Deutschlands tiefste Erniedrigung.“

Der Anlass für den Artikel erschließt sich aus dem geschichtlichen Kontext, auf den Althaus gleich im ersten Satz hinweist: „Heute ermessen wir erst ganz, was der Zusammenbruch des deutschen Heeres in Polen am 10. und 11. November 1918 bedeutet und gewirkt hat.“ Abgedruckt wird Althaus’ Rückblick auf „die deutsche Schmach in Polen“ am 20. Februar 1919, vier Tage nachdem die Siegermächte am 16. Februar den vorläufigen Grenzverlauf zwischen dem Deutschen Reich und Polen festgelegt haben, der zunächst Posen zum neuen pol­ nischen Staat schlägt. Für den „widerwärtigen Anblick deutscher Würdelosigkeit und Selbstentmannung“ macht Althaus den revolutionären Geist verantwortlich37, der sich am 10.  und 11.  November 1918 unter den deutschen Soldaten, die sich in Soldatenräten organisierten, breit machte und der sie in seinen Augen nationales Ehrgefühl vergessen machte: „Deutsche Offiziere und Landsturmleute [mußten] sich von halbwüchsigen Bengeln entwaffnen lassen. Und das Furchtbarste: die große Masse unserer Leute schien kein Empfinden für die grenzenlose Schande unserer Selbstentmannung zu haben.“ Dass das in seinen Augen ehrlose Verhalten der deutschen Truppen half, weiteres Blutvergießen zu ver­ hindern, lässt Althaus nicht gelten: Für ihn hat es dazu beigetragen, dass „wir durch Preisgabe Polens, insonderheit der Bahnlinien, unsere Ukrainekameraden in schändlichster Selbstsucht im Stiche ließen; daß ungeheuere deutsche Werte an Material aller Art verlorenging; daß heute ein polnisches Heer in deutschen Uniformen […] mit deutschen Gewehren […] in unser Land einbricht38; daß unseres Volksheeres Ehre im Osten unauslöschlich besudelt wurde.“ 35 Auffällig für Althaus ist, dass diesem Artikel ein religiös-theologischer Einschlag völlig abgeht. Es handelt sich um einen national aufgeladenen Rückblick auf den Zusammenbruch der deutschen Besatzung in Polen. 36 1901 Schmach. Den bislang unbekannten einseitigen Artikel entdeckte ich im AlthausNachlass (NPA 13/4). 37 So schreibt Althaus, „unser Volk tanzt…und streikt…und berauscht sich an hohen, eitlen Worten von ‚Revolution‘ und ‚Freiheit‘ und ‚neuer Zeit‘“. 38 Althaus’ Aussage dürfte sich auf den polnischen Einmarsch in der Provinz Posen Ende 1918 im Zuge des sogenannten „großpolnischen Aufstands“ 1918/19 beziehen, der ohne nennenswerte deutsche Gegenwehr erfolgte. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Für einen würdevollen Abzug aus Polen wären nach Althaus auch weitere Opfer nicht vergeblich gewesen: „‚Ohne Blutvergießen!!‘ Ist das denn – um alles in der Welt – das Höchste? Und wenn nun wirklich noch einmal Blut geflossen und der deutsche Soldat in Ehren aus Polen gezogen wäre? Ist die deutsche Ehre, ist der blanke Schild eines großen, in herrlicher Geschichte bewährten Volkes kein Blut mehr wert?“

Wie schon bei seiner Predigttätigkeit in Polen39, so geht auch hier Althaus gegen die in seinen Augen „schändliche Selbstsucht“ derjenigen an, die nur an sich und ihr Leben denken, ohne für höhere Ideale zu kämpfen40. Kriegs­ verdrossenheit und Sorge um das nackte Überleben, die sicherlich bei vielen Soldaten als wahre Motivation hinter der „Revolution“ standen, konnte sich Althaus offenbar gar nicht vorstellen. Der Seelsorger und Militärpfarrer Althaus dürfte damit kaum die Grundbefindlichkeit seiner Soldatengemeinde getroffen haben. Nationale Ehre und Einsatz dafür bis zum größten Opfer ist für ihn in diesem Artikel „das Höchste“. Die Art und Weise des Zusammenbruchs ist für Althaus besonders im Blick auf die polnischen Deutschen verheerend: „Nichts hat mir so weh getan wie der Eindruck, den unsere Schmach vom 10. und 11. November auf das eingesessene Deutschtum in Polen machte. Nie kann ich die bestürzten, fragenden Augen unserer deutschen Gymnasiasten in Lodz und ihrer Familien vergessen. Das war eine deutsche Jugend, begeistert für deutsche Geschichte und deutsches Lied, für deutsche Pfadfinderei und deutsches Wandern. Wie hatten wir ihnen von der Herrlichkeit des großen Vaterlandes […] erzählen können und sie gelehrt, stolz und aufrecht als Deutsche auch im fremden Staate einherzugehen, sich ihrer deutschen Sprache und Art nie zu schämen. […] Diese Jugend mußte den 11. November erleben, sie mußte sehen, wie die rote Freiheit der revolutionären Soldatenräte zur elendesten, unwilligsten Demütigung vor den Polen wurde“.

Vor dem Hintergrund seiner eigenen Volkstumsarbeit in Polen, bei der er vor allem der deutschen Jugend, auf die er große Zukunftshoffnungen setzte41, das Bewusstsein für das Deutschtum erwecken wollte, muss Althaus der ungeordnete Abzug der deutschen Truppen besonders tragisch erscheinen. „Dürfen wir von den Auslandsdeutschen heute noch Stolz auf ihr Vaterland erwarten?“, fragt er daher seine Leser in Deutschland. 39 Vgl. Liebenberg, Gott, 266–270. 40 Dass es sich bei dieser Verächtlichmachung um einen kriegstheologischen Gemeinplatz handelt, lässt sich Graf, Nation, 309 entnehmen: „Wer sich der Einordnung in die kriegführende Nation verweigert, gilt als ein Sünder, der sich in seiner amor sui bzw. in der Fixierung auf sein partikulares Ich als unfähig zur Nächstenliebe und Hingabe an die Nation erweist.“ 41 Vgl. Liebenberg, Gott, 385–392. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Die frühe Verarbeitung von Krieg und Niederlage

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Dieser Text, der mit seinen drastischen Formulierungen aus dem Rahmen des üblichen Schreibstils von Althaus herausfällt, macht deutlich, welch zentrale Rolle das nationale Bewusstsein im Denken und Empfinden des dreißigjährigen Althaus spielt. Mit der Forderung nach dem Einsatz fürs Vaterland bis hin zum Opfer des eigenen Lebens noch am Ende des Krieges unterstreicht er den sittlichen Wert, den er einem solchen Einsatz beimisst. Als Gegenbild dazu schildert er ein in seinen Augen selbstsüchtiges, rücksichtsloses und vaterlandsvergessenes Verhalten, wie es die „rote Freiheit der revolutionären Soldatenräte“ verkörpere. Diesen Ungeist der Revolution macht er verantwortlich dafür, dass Deutschland, das er vormals so hoch in Ehren sah, nun außenpolitisch „tief im Staube“ liegt und zum Gespött seiner östlichen Nachbarn wird, was sich nach seiner Vorhersage negativ auf die Situation der Auslandsdeutschen auswirken kann. Wenn Althaus hier also der roten Revolution anlastet, verantwortlich für den Zusammenbruch des deutschen Heeres und damit für den „widerwärtigen Anblick deutscher Würdelosigkeit und Selbstentmannung“ zu sein, dann gibt er sich damit schon vor dem formalen Kriegsende als „Verfechter der Dolchstoßlegende“ zu erkennen42. Auf die sich ebenfalls im Februar 1919 konstituierende erste deutsche Republik, die Zeit ihres Bestehens den von der Mehrheit der Deutschen empfundenen negativ behafteten Zusammenhang mit der roten Revolution nicht los­ bekommen sollte, warf das von Beginn an ein äußerst negatives Licht43.

42 Ericksen, Theologen, 120. „Der Sache nach“, so Liebenberg, Gott, 449, Anm. 450, „vertrat Althaus […] schon seit dem 10. Februar 1918 die sogenannte ‚Dolchstoßlegende‘“. Bei dieser handelte es sich um eine von führenden Vertretern der deutschen Obersten Heeresleitung (OHL) kolportierte Verschwörungstheorie, die die Schuld an der militärischen Niederlage des Deutschen Reiches vor allem auf die Sozialdemokraten und Kommunisten abwälzen sollte. Angesichts der Tatsache, dass im Krieg kein feindlicher Soldat deutschen Boden betreten hat, besagte sie, das deutsche Heer sei im Weltkrieg „im Felde unbesiegt“ geblieben und habe erst durch oppositionelle „vaterlandslose“ Zivilisten aus der Heimat einen „Dolchstoß von hinten“ erhalten. Diese Legende diente deutschnationalen und völkischen Gruppen und Parteien zur Propaganda gegen die rote Novemberrevolution, die Auflagen des Versailler Vertrags, die Linksparteien und gegen die Weimarer Republik überhaupt. Sie gilt in der Geschichtsforschung als bewusst konstruierte Fälschung und Rechtfertigungsideologie der militärischen und nationalkonservativen Eliten des Kaiserreichs. Wirsching, Die paradoxe Revolution, 8 schreibt dazu: „Für alle national denkenden Deutschen stellte es wohl eine kognitive Überforderung dar, sich nüchtern mit der Kriegslage auseinanderzusetzen. […] Gegenüber der undurchschaubaren Komplexität des Kriegs­ geschehens versprachen die Elemente der ‚Dolchstoßlegende‘ leicht fassbare ‚Erklärungen‘ für das Unerklärliche.“ 43 Vermittelt bekam Althaus diese Sichtweise nicht zuletzt auch durch seinen Vater, über den er 1928 rückblickend schreibt: „Ihn ekelte der würdelose Verrat der deutschen Ehre, die Herrlichkeit der roten Soldatenräte, die Herrschaft der demokratischen Phrase in dem versklavten Volke.“ (2801 Leben, 107). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

2. Der Schock von Versailles als Bürde für Weimarer Republik und Völkerbund Für die Zeitgenossen, so Manfred Funke, war die Weimarer Republik „nicht Vorspiel zu Hitler, sondern Nachkriegszeit, die nicht vergehen wollte. Zwar schwiegen die Kanonen, aber es gab keinen Frieden. Wühlende Ruhelosigkeit, revisionistische Aggressivität, geistige Bruchzonen bewiesen, daß mit dem ­Versailler Vertrag die Kunst des Friedensschlusses verlorengegangen war, sich innere und äußere Belagerung auflud, das Leiden sich nicht läuterte zur Annahme der Republik als geistig-politischer Verantwortungsraum einer Nation, der eine Sturzgeburt vom Obrigkeitsstaat in schimmernder Wehr hin zur brodelnden Moderne zugemutet wurde.“1

Der Vertrag von Versailles und seine Bestimmungen versetzte Deutschland in einen Schock. Dass Althaus ebenfalls von diesem Schock erfasst wurde, ist vor dem Hintergrund seiner mentalen und politischen Prägungen, seiner Hochschätzung von Volk und Vaterland, aber auch angesichts seiner geschichtsphilosophischen Konzeption nicht verwunderlich2. Zum endgültigen Ergebnis des Ende Juni 1919 unterzeichneten Vertragswerks äußert er sich nicht direkt, er hat dem Friedensvertrag selbst auch keine Schrift gewidmet. Er sah sich als Theologe dazu nicht veranlasst. Dennoch nimmt er an den seit dem 18. Januar in Versailles stattfindenden Verhandlungen der Siegermächte regen Anteil und kommentiert in seinen Schriften zumindest en passant die sich abzeichnenden Ergebnisse. Als diese schließlich festgeschrieben sind, sind sie für Althaus ganz selbstverständlich das negative Vorzeichen der neuen Zeit nach der Katastrophe von 1918 und damit Inbegriff einer Krisen- und Übergangszeit. Unter dem Eindruck des erfolglosen und verzweifelten Ruhrkampfes gegen die französisch-belgische Besetzung des Ruhrgebiets 1923 spricht Althaus in einer Predigt am 11. November 1923, dem Jahrestag der Unterzeichnung des Waffenstillstands, von „jenem schwarzen 28. Juni 1919“ – dem Tag der erzwungenen Unterzeichnung des Versailler Vertrages –, „als deutsche Männer, von uns beauftragt, ihren Namen unter das nichtswürdige Friedensinstrument setzten, unter das verlogene Bekenntnis der alleinigen Schuld Deutschlands“3.

1 Funke, Republik, 11. 2 In einer Sonntagsbetrachtung vom Februar 1917 hatte Althaus seine „Sehnsucht nach gemein­samer, edler Menschheitsarbeit“ zum Ausdruck gebracht und sich für einen „Frieden ohne Tyrannei über die anderen“ ausgesprochen (1706B). Umso enttäuschender musste der Versailler Vertrag auf ihn gewirkt haben. 3 2309P Weg, 200. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Versailles als Bürde für Weimarer Republik und Völkerbund

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Rückblickend spricht Althaus Ende 1932 von der mit Niederlage und Versailles begonnenen Zeit als derjenigen, als „das Elend und die Schande des deutschen Zusammenbruchs uns würgte, als die Throne gestürzt, als die Grenzdeutschen preisgegeben, als deutsches Werk und deutsche Macht über See zerbrochen waren, als die Ohnmacht und der Hader und der kleine Sinn, der Schmutz und der Verrat im entwaffneten, betrogenen und sich selbst betrügenden und wegwerfenden deutschen Volke unser Schicksal und unsere Schuld wurden“4.

Man kann sich die Verve, mit der Althaus und andere Theologen und mit ihnen der Großteil der deutschen Bevölkerung gegen den Versailler Vertrag und den Völkerbund und damit auch gegen die Weimarer Republik polemisierten, nicht erklären, wenn man sich nicht die durch den Versailler Vertrag geschaffenen Fakten und die daraus resultierenden Konsequenzen klarmacht, die das Bild von beiden in der deutschen Öffentlichkeit bestimmte. Sowohl was seine tatsächlichen Bestimmungen als auch was seine Folge­ wirkung auf Seiten der Kriegsverlierer betraf, stellte der Versailler Friedensvertrag, der am 28. Juni 1919 unterschrieben wurde und damit den Ersten Weltkrieg formell beendete, ein Novum in der an Kriegserfahrungen so reichen europäischen Geschichte der Neuzeit dar. So resümiert Friedrich Wintzer: „Der Erste Weltkrieg hatte noch als ein Krieg des alten Europäischen Konzerts begonnen, er endete als der erste europäische Krieg im Massenzeitalter.“5 Der Vertrag, der einseitig und „ohne Rücksicht auf die innenpolitischen Gegebenheiten und außenpolitischen Interessen des Verlierers“6 durchgesetzt wurde, stieß in Deutschland von Beginn an einstimmig auf Ablehnung. Schon der nach Versailles delegierte Sozialdemokrat Otto Landsberg erklärt 1919 repräsentativ für Viele in Deutschland: „Dieser Friede ist ein langsamer Mord des deutschen Vol 4 3218 Reich, 162. 5 Wintzer, Deutschland, 61. Er betont besonders zwei Neuerungen: Zum einen die Eingriffe der Sieger in die Souveränität der Verliererstaaten, zum anderen die Tatsache, dass „nicht zwischen allen kriegführenden Mächten verhandelt wurde“ (ebd.). Als weiteren Punkt, der auf die Singularität von Versailles verweist, nennt Winston Churchill im Rückblick die alliierten Reparationsforderungen: „Reparationszahlen wurden festgesetzt […] die keine wie auch immer geartete Beziehung zu irgendeinem existierenden oder ausdenkbaren Vorgang hatten“ (ders., Zeitgenossen, 307). Der in der Geschichtswissenschaft zuweilen unternommene Versuch, die Bestimmungen des Versailler Vertrages durch den Hinweis auf die harten deutschen Friedensbedingungen gegenüber Russland im Vertrag von Brest-Litowsk vom 3.3.1918 zu relativieren, übersieht die ungeheure psychologische Wirkung durch die Alleinschulderklärung Deutschlands im berüchtigten Kriegsschuldartikel 231 von Versailles durch die westlichen Siegermächte. Der von Deutschland diktierte Frieden von Brest-Litowsk kam ohne diese Moralisierung von Seiten der Sieger aus. 6 Ebd., 63. Wintzer schreibt weiter: „Die Deutschen wurden zwangsweise zu einer ‚Erfüllungsgemeinschaft‘ zusammengeschweißt, als ob die Träger der Novemberrevolution dasselbe innenund außenpolitische Programm wie Vaterlandspartei vertreten hätten.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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kes, die Nichtunterzeichnung ist der Selbstmord.“7 Auch der weltweit renommierte und in der Weimarer Republik als Vernunftrepublikaner politisch engagierte Theologe Ernst Troeltsch sprach von einem den Deutschen oktroyierten „Schulddogma“, das dem in Versailles über den Verlierer gesprochenen Gerichtsurteil zugrunde liege8. Die heftigste Reaktion in Deutschland rief der Kriegsschuldartikel 231 hervor, mit dem die Entente-Mächte allein dem Deutschen Reich und seinen Verbündeten die Verantwortung für den Weltkrieg zuwiesen9. Er bedeutete zunächst eine Isolation des Deutschen Reiches, das sich als Sündenbock für die eigenen Verfehlungen der anderen europäischen Staaten vor dem Weltkrieg sah. Darüber hinaus sollte das Deutsche Reich finanziell für die Schäden an Land und Menschen haftbar gemacht werden, welche seine Truppen insbesondere in Frankreich angerichtet hatten. Der Vertrag von Versailles bildete daher auch die Basis für die immensen Reparationsforderungen an das Deutsche Reich, deren Höhe allerdings zunächst nicht festgelegt wurde. Äußerst umfangreich waren die Gebietsverluste, die Deutschland hinnehmen mußte. Insgesamt verlor das Reich dreizehn Prozent seines vorherigen Gebietes und zehn Prozent seiner Bevölkerung10. Seine großen Ströme wurden internationalisiert, das Rheinland mit den Brückenköpfen Köln, Koblenz, Mainz und Kehl wurden als Bürgschaft besetzt, um die gewaltigen Sachlieferungen jederzeit erzwingen zu können. Damit wurde Deutschland als größter Konkurrent Englands und Frankreichs vor dem Krieg wirtschaftlich deklassiert11. Zu guter Letzt 7 Das Zitat findet sich bei Wintzer, Deutschland, 156. 8 Vgl. Troeltsch, Schulddogma. Diesen Artikel veröffentlichte er am 19.6.1919 unter seinem Pseudonym „Spektator“. Der Begriff „Schulddogma“ kehrt bei Troeltsch bis zu dessen Tod wieder, so z. B. 1923 in ders., Naturrecht, 493. 9 Die deutsche Forderung nach einer internationalen, möglichst neutralen Schuldfragenkommission wurde zurückgewiesen, in der Schuldfrage waren somit Kläger und Richter identisch. Zur Kriegsschuldfrage vgl. Eksteins, Deutschland, 5. 10 Im Einzelnen ging Nordschleswig an Dänemark, der Großteil der Provinzen Westpreußen und Posen sowie das oberschlesische Kohlerevier und kleinere Grenzgebiete Schlesiens und Ostpreußens an Polen. Außerdem ging das Hultschiner Ländchen an die neu gebildete Tschechoslowakei. Im Westen ging Elsaß-Lothringen an Frankreich, und Belgien erhielt das Gebiet Eupen-Malmedy mit einer überwiegend deutschsprachigen Bevölkerung. Darüber hinaus wurde der gesamte reichsdeutsche Kolonialbesitz sowie Danzig und das Saargebiet, das wirtschaftlich zu Frankreich geschlagen wurde, dem neugegründeten Völkerbund unterstellt. Der von Rest-Österreich mit dem Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker angestrebte Zusammenschluss mit dem Deutschen Reich wurde im Vertrag von Saint-Germain untersagt. 11 „Die Gebietsabtretungen führten zu einem Verlust von 50 Prozent der Eisenerzversorgung, 25 Prozent der Steinkohleförderung, 17 Prozent der Kartoffel- und 13 Prozent der Weizenernte. […] Sofort waren 60 Prozent der deutschen Kohleförderung abzuliefern, und zwar zehn Jahre lang, des weiteren 90 Prozent der deutschen Handelsflotte, fast alle modernen Lokomotiven und vieles anderes mehr.“ (Michalka, Außenpolitik, 306). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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wurde Deutschland angesichts hochgerüsteter Nachbarstaaten militärisch praktisch wehrlos gemacht12. Die deutsche Erwartung, die eigene Entwaffnung sei als Anfang einer allgemeinen internationalen Rüstungsbeschränkung zu sehen, wurde bitter enttäuscht13. Indem das Deutsche Reich, das am 11. November 1918 seine bedingungslose Kapitulation unterschrieben hatte und dem ultimativ mit der kompletten militärischen Besetzung durch die Siegerstaaten gedroht wurde, zur Unterschrift unter das Vertragswerk, zu dem es selbst keinen Beitrag leisten durfte und nicht gehört wurde, gezwungen wurde, begab es sich selbst notgedrungen in die militärische, finanzielle und vor allem moralische Abhängigkeit von den Siegermächten14. Gerade im Blick auf die vergangenen Friedensschlüsse nach europäischen Kriegen musste der den Deutschen oktroyierte Versailler Vertrag als etwas vollkommen Neues vorkommen15, konnte dieser Friede somit auch – in Abwandlung des bekannten Clausewitz-Zitats16 – vielen in Deutschland als eine bloße Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln erscheinen17. Sich mit den zur 12 Nur zu recht hatte der damalige britische Premierminister David Lloyd George, als er in seinem Memorandum zum Versailler Vertrag am 25.3.1919 prophezeite: „Man mag Deutschland seiner Kolonien berauben, seine Rüstung auf eine bloße Polizeitruppe und seine Flotte auf die Stärke einer Macht fünften Ranges herabdrücken; dennoch wird Deutschland zuletzt, wenn es das Gefühl hat, daß es im Frieden von 1919 ungerecht behandelt worden ist, Mittel finden um seine Überwinder zur Rückerstattung zu zwingen.“ (zit. nach Schwabe, Quellen, 156 f.). 13 Vgl. den „Bericht über die Jahresversammlung der Deutschen Vereinigung des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen in Hamburg vom 1. bis 3. Juni 1931“, in dem es heißt, „wie schwer es ist, nach 12jähriger Wartezeit in steter wachsender Volksnot immer wieder Rücksicht nehmen zu sollen auf ein Ausland, das soviel versprochen und so wenig gehalten. Das gilt im besonderen von der Frage der Abrüstung.“ Der Bericht ist abgedruckt in: Die Eiche 19 (1931), Nr. 3, 335. 14 Zu den Umständen der Verhandlungen und der erzwungenen deutschen Unterschrift resümiert Wintzer, Deutschland, 70: „Den Anspruch auf Fairneß und Gerechtigkeit, den die Sieger für sich in Anspruch nahmen, stellten sie durch ihre Verhandlungsführung selbst in Frage.“ 15 So zitiert Althaus 1923 den Theologen Johannes Lepsius mit den Worten: „Angesichts des zweiten Versailles überkommt den Leser der deutschen Akten zum Frankfurter Frieden die schmerzliche Überzeugung, daß Courtoisie und Ritterlichkeit von Siegern gegenüber Besiegten romantische Vorstellungen eines untergegangenen Abendlandes sind.“ (2305 Staatsgedanke, 45 f., Anm. 1). Kurz, Denken, 52 verweist beim Sieg über Frankreich 1871 auf die deutsche „Achtung vor dem (geschlagenen) Gegner“, dem „zumindest verbal Respekt gezollt“ wurde. 16 Carl von Clausewitz war preußischer General und Militärtheoretiker, seine Definition von Krieg lautete: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (ders., Kriege, 1. Kap.). 17 Vgl. Funke, Republik, 12; und Michalka, Außenpolitik, 307. Diese Auffassung wurde auch in deutschen Kirchenkreisen – unabhängig von der politischen Haltung des Einzelnen – von einer Mehrheit vertreten. So schreibt der Religiöse Sozialist Gustav von Rohden 1925: „Die große Kriegslüge von der alleinigen Schuld Deutschlands an dem Zusammenprall, dies besonders wirk© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Verfügung stehenden Mitteln dagegen zur Wehr zu setzen, erschien als erste Bürgerpflicht. Die bei vielen Deutschen vorherrschende und vor und während des Krieges durch fortwährende Regierungspropaganda vertiefte Überzeugung, das Deutsche Reich und sein zum „Friedenskaiser“ hochstilisierter Monarch Wilhelm II. führe einen reinen Verteidigungskrieg gegen eine Welt von kriegs- und annexionslüsternen Feinden18, konnte durch die Art und Weise, wie die Entente-Mächte mit dem Deutschen Reich Frieden schlossen nur noch mehr gestärkt werden19. Zu einer nüchternen Selbstkritik der eigenen aggressiven und risikobereiten Machtpolitik der deutschen Regierung vor und bei Ausbruch des Krieges trug der Versailler Vertrag dadurch wenig bei20. Ein Übriges taten die unübersehbaren Folgen der britischen Seeblockade gegen Deutschland, die im November 1914 völkerrechtswidrig begonnen wurde, nach dem Waffenstillstand im November 1918 aber nicht beendet, sondern bis zur Unterzeichnung des Friedensvertrages im Sommer 1919 fortgesetzt same Kriegsmittel der Gegner, darf nicht dauernd einen ehrlichen Frieden aufhalten, sich nicht in der Völkergeschichte durchsetzen“ (ders., Politik, 414 f.). Althaus schreibt dazu: „Die einseitige, vor aller ernstlichen Aussprache geschehene Verurteilung unseres Volkes und seiner Führer […] bedeutet nichts anderes, als eine frevelhafte Verewigung und Kriegslüge und damit das Fortschleppen des Krieges in den ‚Frieden‘ hinein.“ (1809 Gewissen, 28). 18 Dazu schreibt Mommsen, Urkatastrophe, 35 f.: „Die loyale Haltung der breiten Schichten der Bevölkerung, einschließlich auch der Industriearbeiterschaft, ging nicht zuletzt auf die geschickte Strategie der Reichsleitung zurück, die in der deutschen Öffentlichkeit den Eindruck erweckt hatte, daß das friedliebende Deutsche Reich von Rußland und Frankreich überraschend mit Krieg überzogen worden war, nur weil es sich in der serbischen Frage loyal hinter seinen Bundesgenossen gestellt habe. Diese Auffassung verfestigte sich noch mehr, als dann am 4. August auch Großbritannien in den Krieg eintrat […]. Die Parole vom aufgezwungenen Verteidigungskrieg erleichterte die Mobilisierung aller Schichten der Bevölkerung, unter Einschluß auch der Arbeiterschaft. […] Die Sozialdemokratie stimmte den Kriegskrediten am 4. August 1914 unter dem Vorbehalt zu, daß das Deutsche Reich einen Verteidigungskrieg führe, der beende werden müsse, sobald ‚das Ziel der Sicherung erreicht‘ sei.“ Das gleiche Phänomen beschreibt Berghahn, Weltkrieg, 64: „Erstens glaubten sie alle – gleich welcher Nation sie auch angehörten –, daß ihr Land das angegriffene war. Selbst wenn wir heute wissen, daß die Eskalation der Krise bis zum Weltkrieg in erster Linie von den Entscheidungsträgern in Wien und Berlin ausging, waren die Deutschen und Österreich-Ungarn durchweg überzeugt, von den anderen Großmächten in einen Verteidigungskrieg gestürzt worden zu sein. Diese Überzeugung dominierte mutatis mutandis auch die Einstellung der Franzosen, Russen und Engländer.“ 19 Zum Verhältnis der deutschen Sozialdemokratie zum Versailler Vertrag schreibt Ruppert, Nationalismus, 192 f.: „Die Mehrheitssozialdemokraten sahen die stark umstrittene Bewilligung der Kriegskredite und ihre Burgfriedenspolitik gerechtfertigt, da es nun offenbar sei, daß Deutschland einen Verteidigungskrieg gegen den Vernichtungswillen seiner Feinde geführt habe.“ 20 So urteilt Schäfer, Beurteilung, 13 f.: „Die sachliche Friedensbemühung und Ursachenerklärung trat also auf alliierter Seite hinter der moralischen Verurteilung zurück. […] Und so erhielten die Forderungen nicht einfach Schadensersatzfunktion, sondern bekamen ausgesprochenen Strafcharakter, gegen den sich Deutschland moralisch empörte.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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wurde21. Dass Deutsche noch nach den Kampfhandlungen an den Folgen der nicht beendeten alliierten Blockade gegen die deutsche Zivilbevölkerung sterben mussten, steigerte die Verbitterung in Deutschland noch zusätzlich. Dass der Versailler Vertrag eine ungeheure Ungerechtigkeit gegenüber den Kriegsverlierern implizierte und dadurch die Bezeichnung „Friedensvertrag“ nicht ohne weiteres verdient, wurde im Lauf der Zeit auch von alliierter Seite zugegeben. Einen großen Beitrag zur Versöhnung der ehemaligen Kriegsgegner hat die ökumenische Bewegung geleistet. So bezieht die Weltkirchenkonferenz von Oxford im Juli 1937 in ihrer „Botschaft an die christlichen Kirchen“ in deutlichen Worten Stellung gegen den Versailler Vertrag, der als „Scheinfrieden, der in Wirklichkeit ein kaum verhüllter Kriegszustand ist“ bezeichnet wird.22 Es nimmt wenig Wunder, dass der sogenannte „Diktatfrieden von Ver­ sailles“23 in bislang nicht gekannter Einigkeit von allen politischen Gruppierungen im Reich, von ganz rechts bis ganz links, radikal abgelehnt wurde24. Eine auf Revision  – wohlgemerkt: nicht Revanche  – gerichtete Außenpolitik war Grundkonsens der systemstabilisierenden Parteien der Weimarer Republik25. 21 Obwohl Lieferungen an die wirtschaftlich importabhängigen Mittelmächte nie ganz unterdrückt werden konnten, war die Seeblockade sehr wirksam und führte im Deutschen Reich zu bedrohlichem Rohstoffmangel und Lebensmittelknappheit. Aufgrund der Aussichtslosigkeit, die britische Sperre im offenen Seekrieg zu bekämpfen, forderte die deutsche Marineleitung bald den uneingeschränkten U-Boot-Krieg. Die wirtschaftliche Kriegführung wurde damit von beiden Seiten gezielt auch gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt, um den militärischen Erfolg zu erzwingen. Insgesamt erwies sich die britische Seeblockade dabei als sehr wirksame und dauerhafte Waffe gegen die deutsche Wirtschaft und gegen die notleidende Bevölkerung, für die sie zur „Hunger­ blockade“ wurde. Die Blockade wurde nach dem Krieg noch dadurch verschärft, dass das Deutsche Reich seine Handelsflotte ausliefern musste. Im Krieg und danach starben in Deutschland rund 750.000 Menschen an Unterernährung und an deren Folgen. 22 Zit. nach Greschat/Krumwiede, Zeitalter, 139. 23 Diese Wortwahl hat sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch im Ausland eingebürgert; vgl. Barth, Kooyman, 120. Im gleichen Brief führt Barth den Nationalsozialismus überhaupt auf die Fehler von Versailles zurück: „Die Schuld daran, daß soetwas wie der Hitlerismus mitten in Europa möglich und wirklich geworden ist, ist gewiß eine gemeinsame Schuld aller europäischen Völker, Menschen und Regierungen. Und es ist wiederum wahr, daß diese gemeinsame Schuld die primäre Ursache des gegenwärtigen Krieges ist.“ (ebd., 119). 24 Über die Ablehnung von Seiten der extremen Linken schreibt Heidorn, Geschichte, 208: „Seit dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages forderte die KPD seine Annullierung. […] Lenin charakterisierte den Versailler Vertrag wiederholt als Raubfrieden und Ausdruck schlimmster imperialistischer Machtpolitik. Er wies nach, daß der Vertrag die nationale Unterdrückung eines ganzen Volkes bedeutete.“ 25 Zu diesem Grundkonsens und zur Revisionspolitik der Weimarer Koalitionen vgl. Ruppert, Nationalismus, 191–211. Über SPD und Zentrum schreibt er: „So wenig wie alle anderen wollten sich die beiden Parteien mit diesem ‚brutalen Diktat‘ abfinden, dem noch nicht einmal die links­ liberalen Pazifisten zuzustimmen gedachten, da sie in ihm eine dauernde Quelle des Völkerhasses erblickten“ (ebd., 194). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Auch in der evangelischen Kirche war die Ablehnung des Vertragswerks einhellig26. Mehr noch als bei der Kriegsbegeisterung im August 1914 herrschte nun nahezu vollkommene Ablehnung der Friedensbestimmungen, die Deutschland in Versailles oktroyiert worden waren. Während sich die Eliten des Reiches zu Beginn des Krieges zu einem „Burgfrieden“ verpflichtet hatten, der aber in der Frage nach einem Sieg- oder Verständigungsfrieden während des Krieges aufbrach, wusste man sich nach dem Krieg in der Ablehnung des Versailler Vertrages wieder in einer gemeinsamen Phalanx. Der Kampf gegen Versailles, gegen „Kriegsschuldlüge“ und Ausbeutung war gleichsam die „Integrationsklammer der politischen Kultur Weimars“27. Die Folge davon war, dass man den neuen Staat der Weimarer Republik bzw. seine Staatsform der parlamentarischen Demokratie in weiten Kreisen der deutschen Bevölkerung als „Ausgeburt“ des Versailler Vertrages betrachtete und der jungen deutschen Demokratie damit Zeit ihres Lebens dieser gravierende Makel anhaftete, den sich schließlich die nationalsozialistische Bewegung zu Nutze machen sollte. Nicht die Repräsentanten des besiegten deutschen Kaiserreichs waren 1919 gezwungen, das Friedensdiktat zu unterzeichnen, sondern die Vertreter des neuen Deutschlands. Nachdem die „unrealistische Annahme, dass einer parlamentarischen Regierung ein Wilson’scher Friede zuteil werden würde, […] die Demokratisierung Deutschlands wesentlich begünstigt“ hatte28, war das Entsetzen in Deutschland darüber, dass auch einer deutschen parlamentarischen Demokratie nach westlichem Muster ein solcher „Schandfrieden“ diktiert wurde, umso größer und nachhaltiger. Fatal für die junge deutsche Republik sollte sich auch die von alliierter Seite bewusst offen gehaltene Reparationsfrage auswirken, so Albert Schäfer: „Die dreizehn Jahre anhaltende außenpolitische Auseinandersetzung um die Reparations-Frage hatte im Innern zur Folge, daß ständig wieder die Niederlage ins Gedächtnis gerufen und das Freund-Feind-Schema vor allem bei der rechten nationalen Opposition wachgehalten wurde, mit der innenpolitischen Komponente des Kampfes gegen die sogenannte Erfüllungspolitik.“29 26 Zu den bei den mehrheitlich nationalprotestantisch geprägten Kirchenmännern kaum verwunderlichen politischen Gründen trat zusätzlich noch eine aus reinen Kircheninteressen sich speisende Ablehnung der Versailler Bestimmungen. So betrafen die umfangreichen Gebietsverluste große Territorien der altpreußischen Unionskirche; zudem wurde die deutsche christliche Mission in Afrika und Asien durch den sogenannten „Missionsparagraphen“, d. h. Artikel 438 des Versailler Vertrages, erheblichen Einschränkungen unterworfen und von den Siegermächten abhängig; vgl. Bormuth, Kirchentage, 200. 27 Heinemann, Last, 385. 28 Lüdicke, Staatenwelt, 28. 29 Schäfer, Beurteilung, 21. Auch nach Funke, Republik, 13 säte besonders die Reparationspolitik der Sieger Zwietracht unter die Deutschen, „spaltete sie in Verweigerer- und sogenannte © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Diesen Kampf führten die rechten und rechtsradikalen Kreise mit allen Mitteln, die Revision des Versailler Vertrages war ihr Hauptanliegen. Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen, war die Überwindung von Versailles ihre außenpolitische Maxime, die schließlich 1939 in einen zweiten Weltkrieg gipfeln sollte30. Abgesehen von den psychologischen Folgen für die gedemütigten Deutschen hatte die Reparationspolitik der Siegermächte heute kaum vorstellbare volkswirtschaftliche Auswirkungen auf das besiegte Deutsche Reich und seine Bevölkerung: Ein gegen Deutschland verhängter Exportboykott, verbunden mit hohen Importzöllen der westlichen Länder und der Enteignung der deutschen Handelsflotte, machte es dem Verlierer unmöglich, seine Reparationsleistungen mit Hilfe von Außenhandelsüberschüssen zu finanzieren; Auslandskredite mit hohen Zinssätzen mussten aufgenommen werden. Dies alles erschwerte die strukturelle Umstellung von Kriegs- auf Friedenswirtschaft in Deutschland erheblich. Zusätzlich wurde die demütigende Abhängigkeit Deutschlands von den Alliierten durch die Überwachung der Reichsbank durch einen ausländischen Notenkommissar offenbar31. Zu guter Letzt wurden die deutsche Wirtschaft und damit auch das vorhandene bescheidene soziale Netz dadurch ruiniert, dass die deutsche Regierung als Teil ihrer „Erfüllungspolitik“ – gerade im Zuge des passiven Widerstands gegen die Ruhrbesetzung 1923  – durch eine „wilde Betätigung der Notenpresse“ bewusst eine Hyperinflation in Kauf nahm, „welche die wirtschaftliche Basis breiter Schichten des Bürgertums vernichtete und die man – gleichsam als zweite Niederlage – ebenfalls dem neuen ‚System‘, wie die Weimarer Republik von ihren Gegnern verächtlich genannt

Erfüllungspolitiker.“ Er spricht davon, dass der „Versailler Vertrag und seine problematische Umsetzung […] den Ersten Weltkrieg allgegenwärtig“ machten (ebd., 11). „Die Entente schien ohne Gespür für die sich aufbauende Protestgewalt in Deutschland und trieb ihre Politik der Nadel­stiche und Demütigungen weiter.“ (ebd., 14). Im März 1921 besetzten französische Truppen „wegen ausstehender Lieferungen Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort. Es war ein Vorgeschmack auf die zu erwartenden Sanktionen, wenn Deutschland die am 27. April in London von der Reparationskommission festgesetzte Schuldsumme von 132 Milliarden Goldmark nicht akzeptieren sollte. […] Am 28. März 1922 mußte Deutschland den Hapag-Dampfer ‚Bismarck‘, das damals […] größte Schiff der Welt, an England übergeben“, nachdem es bereits Luftschiffe an Frankreich und Italien liefern mußte (ebd.). 30 So schreibt Barth im Dezember 1939: „Die Ursachen des gegenwärtigen Krieges liegen in den internationalen Entscheidungen von 1919.“ (Barth, Frankreich, 109; vgl. ebd., 110.114). 31 Vgl. Funke, Republik, 14.  Dazu schreibt Churchill, Zeitgenossen, 308 im Rückblick 1935: Eine „Interalliierte Kontrollkommission“ überwachte „mehrere Jahre hindurch Deutschlands innere Finanzen, was die furchtbare Verbitterung im Herzen des besiegten Volks wachhielt und verewigte.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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wurde, in Rechnung stellte.“32 „Die Präsenz der Sieger auf deutschem Boden, die ökonomische Knebelung durch Reparationen und antideutsche Importsperren, die Bezahlung deutscher Schulden mit von den Gläubigern fortwährend geliehenem Geld führten zu einer inneren Frontbildung gegen die jeweilige deutsche Regierung“33 und damit gegen die Weimarer Republik als Ganze. Für zusätzliches Konfliktpotential sorgte im Verhältnis zwischen Deutschem Reich und Siegerstaaten die unklare Rolle des neugegründeten „Völkerbunds“, dessen Satzung Teil des Versailler Vertrages war und der im Januar 1920 seine Arbeit aufnahm. Bei der Betrachtung des Verhältnisses zwischen Deutschland und dem Völkerbund, genauer zwischen deutscher Außenpolitik und deutscher Öffentlichkeit einerseits und dem Völkerbund als Versuch einer friedenssichernden Neuordnung der Welt nach dem verheerenden Weltkrieg andererseits, fällt eine große Problematik sofort ins Auge: die unüberbrückbare Diskrepanz zwischen dem beabsichtigten Ideal und der tatsächlichen Realität. Das Ideal, wie es der amerikanische Präsident und maßgebliche Initiator des Völkerbunds in Genf, Woodrow Wilson, in seinem 14-Punkte-Programm im Januar 1918 formuliert hatte, sah ein Zusammenleben der Völker auf den völkerrechtlichen Prinzipien Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Anerkennung der Souveränität der Staaten, Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie eine internationale Schiedsgerichtsbarkeit vor. In der Realität jedoch setzten die Siegerstaaten des Weltkriegs als Weltmächte einseitig ihre Interessen auf Kosten der Verliererstaaten durch34, und dem Deutschen Reich blieb der Beitritt zum Völkerbund und damit ein internationales Forum für seine Interessen jahrelang verwehrt35. Dazu heißt es bei Wintzer: „Die Mehrheit der Deutschen begrüßte 1918/19 Wilsons Vision einer Friedensordnung aufrichtig. Die Gründung eines Völkerbundes versprach einen solidarischen 32 Funke, Republik, 14. Er gibt zu bedenken, dass die Währungssanierung mittels der Rentenmark und die Annahme des Dawes-Planes über die vorläufige Regelung der Reparationsfrage ab 1924 zwar „eine ökonomische Scheinblüte“ erbrachte, „aber keine Befreiung von der Vormundschaft der Sieger“, weil die deutsche Reichbank weiterhin von einem ausländischen Notenkommissar kontrolliert wurde. 33 Ebd., 15. 34 Zur Einseitigkeit in der Anwendung des Selbstbestimmungsrechts der Völker durch die Siegerstaaten, wie sie vor allem in Südtirol, Österreich, Oberschlesien und dem Sudentenland offenbar wurde, vgl. Ruppert, Nationalismus, 183–185; und Lüdicke, Staatenwelt, 29 f. 35 Lüdicke, Staatenwelt, 27 f. stellt dazu fest: „Dass Deutschland – wie seine ehemaligen Verbündeten auch – nicht von Beginn an beteiligt wurde, war ein schwerwiegender Geburtsfehler, denn diese Diskriminierung kam gewissermaßen einer Verlängerung der in Sieger und Besiegte gespaltenen Nachkriegsordnung in jenes Gremium gleich, das doch seiner Grundidee nach die gleichberechtigte Beteiligung aller Staaten an internationalen Entscheidungen vorsah. Die Verletzung, ja Selbstwiderlegung des universalen Prinzips zeigte das Grundproblem des Völkerbunds.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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wirtschaftlichen Wiederaufbaus Europas, die gleichberechtigte Integration Deutschlands in das internationale System, die Legitimierung des Übergangs von der Monarchie zur Republik sowie die Gewißheit, die eigene historische Erinnerung über den Sinn des Weltkrieges in die gemeinsame Erinnerung der Weltkriegsteilnehmer einbringen zu dürfen. Indem die Sieger die deutsche Demokratie von den Verhandlungen ausschlossen und die Aufnahme in den Völkerbund verweigerten, fielen diese Vorteile weg. Die Haltung zum Völkerbund schlug von Euphorie in Aversion und Distanz um.“36

Betrachtet man die in dieser Zeit in Deutschland herrschende Meinung über den Völkerbund, so muss man sich bewusstmachen, dass die deutsche Öffentlichkeit in ihrer katastrophalen innen- und außenpolitischen und wirtschaft­ lichen Lage nicht das Ideal, sondern die Realität vor Augen hatte. Dass eine aus nahezu allen politischen Lagern kommende, vernichtende Meinungsbildung alles tat, um die Situation so schwarz wie möglich zu malen, bedarf kaum einer Erwähnung37. Strukturell ausgedrückt, handelt es sich bei diesem Gegensatz zwischen Ideal und Realität um die Unvereinbarkeit zwischen „Genfer System“ und „Versailler System“38. Das „Versailler System“ stellte die de facto von den Siegermächten des Weltkriegs aufgrund ihrer Machtstellung mit dem Versailler Vertrag inaugurierte neue Weltordnung dar, die in der Folgezeit das kommunistische und deswegen zu isolierende Russland vollkommen außen vor ließ und das besiegte Deutschland als zu bestrafenden und unschädlich zu machenden Feindstaat betrachtete. „Die Geltungsgründe, nach denen Macht und Einfluß im Versailler System legi­ timerweise ausgeübt wurden, waren der Glaube der Sieger an die zivilisatorische Überlegenheit gegenüber dem rückständigen, ‚barbarischen‘ Deutschland, die deutsche Kriegsschuld und das Siegerrecht. Diese Siegermentalität ließ kaum Raum für 36 Wintzer, Deutschland, 563 f.; vgl. ebd., 143–148. 37 Aus nationalen Gründen, die auch Althaus vertritt, lehnten rechte und rechtsradikale Kreise und Parteien den Völkerbund ab; aus internationalen Gründen lehnten linke und linksradikale Kreise und Parteien wie SPD und USPD ihn als „Weltfriedensidee des Imperialismus“ ab (vgl. Mai, Kapitalismuskritik, 250–253). 38 Ich übernehme die Begriffe von Wintzer, Deutschland. Für das Folgende vgl. ebd., 60–73. Dass diese Unvereinbarkeit auch schon damals im neutralen Ausland so gesehen wurde, zeigt eine rückblickende Äußerung Barths aus dem Jahr 1940, wo er einem niederländischen Pfarrer im Hinblick auf den neuerlichen Krieg erklärt, dass er 1920 bei der Volksabstimmung über den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund aufgrund des „Diktatfriedens“ von Versailles mit Nein votierte: „An jenem Diktatfrieden als solchem und also an der Kriegsursache [für den Zweiten Weltkrieg] […] war aber die Schweiz […] nicht beteiligt. Man hat uns nicht um unsern Rat gefragt und wir wurden auch hinsichtlich des ganz an jenem Friedensdiktat orientierten Völkerbund vor ein fait ­accompli gestellt (ich bin darum auch 1920 in der Volksabstimmung über den Beitritt der Schweiz in den Völkerbund gegen diese Sache gewesen).“ (Barth, Kooyman, 120). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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öffentlich artikulierte Selbstzweifel, insbesondere da nationalistische Koalitionen in Frankreich und Großbritannien die sozialistische Opposition (auch) mit einem antideutschen Wahlkampfprogramm in Wahlen besiegt hatten. Problematisch an dieser Mentalität war, daß die Sieger von den Verlierern erwarteten, daß sie die Bestimmungen des Friedensvertrages als gerecht und fair anerkannten. Den Verlierern wurde das Recht abgesprochen, sich als ‚Opfer‘ wahrzunehmen.“39

Das „Genfer System“ konstituierten die oben genannten idealistischen Prinzipien der Völkerbundsatzung, die integraler Bestandteil des Versailler Vertrages und der anderen Friedensverträge waren. Der Völkerbund hatte somit die Funktion, diese auszuführen, das Zusammenleben und die Zusammenarbeit der Nationen zu fördern und den Krieg als Mittel der Politik zu ächten. Große Bedeutung für das Deutsche Reich gewann der Völkerbund in den ersten Nachkriegsjahren vor allem durch Territorialbestimmungen des Versailler Vertrags. Er übernahm die formale Verantwortung der ehemaligen deutschen Kolonien, des von Frankreich verwalteten Saargebiets und Oberschlesiens sowie die Aufsicht über die Freie Stadt Danzig. Die Arbeits- und Durchsetzungsfähigkeit des Völkerbunds wurde allerdings dauerhaft dadurch geschwächt, dass Deutschland als unterlegenem Feindesland der Beitritt auf Jahre verwehrt wurde und die USA niemals beitraten. „Die Prinzipien des Genfer Systems waren unter den gegebenen Umständen weitaus schwieriger gegen die tragenden Methoden und Normen des Versailler Systems durchzusetzen. […] Die Vermischung von Genfer und Versailler Prinzipien in der Praxis des Völkerbundes schützte die Alliierten vor dem sofortigen moralischen Zusammenbruch der Friedensordnung.“40

Untergraben wurde die Arbeit des Völkerbundes zudem dadurch, dass die alliierten Siegerstaaten die Völkerbundprinzipien mittels ihrer während des Krieges geschaffenen Institutionen, dem Obersten Rat, der Botschafterkonferenz, sowie den alliierten Kommissionen zum Versailler Vertrag zu umgehen wussten41. Setzte die deutsche Kritik am Völkerbund schon 1919 mit der Bekannt 39 Wintzer, Deutschland, 62 f. 40 Ebd., 71. Im Hinblick auf diese Vermischung macht Wintzer hier zudem geltend: „Solange die Ungleichheit und Diskriminierung der Verliererstaaten anhielt, konnten die Mittel- und Kleinstaaten des Völkerbundes niemals sicher sein, ob die Sieger nicht auch dieselben Methoden gegen sie selbst anwenden würden“. 41 Diese Institutionen hatten nach Wintzer gemeinsam, „daß darin, im Unterschied zu dem auf Universalität angelegten Völkerbund, nur die ‚Principal Allied Powers‘ vertreten waren und es keine Möglichkeit für Deutschland gab, ihnen beizutreten. […] Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der Friedensverträge konnten im kleinen Kreis und ohne Berücksichtigung der Interessen der Staatenwelt und der Verlierer beigelegt werden“ (ebd., 65). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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gabe der Bestimmungen des Versailler Vertrags ein, so trug die Tätigkeit des Völkerbunds in den Folgejahren „nicht dazu bei, das Vertrauen in die Unparteilichkeit der Weltorganisation zu wecken. Die stillschweigende Hinnahme der fragwürdigen Begleitumstände der ‚consultation populaire‘ in Eupen-Malmédy, die Teilungsentscheidung über Oberschlesien, die den französischen Interessen untergeordnete Verwaltungstätigkeit der Regierungs­ kommission im Saargebiet und die Untätigkeit bei deutschen Vermittlungsersuchen hätte auch in anderen Ländern den Völkerbund unpopulär gemacht. Die deutsche Kritik am Völkerbund war immer auch eine Kritik am Versailler System. […] Der Völkerbund als Instrument zur Friedenssicherung war in diesen Jahren von geringem Interesse. Solange fremde Truppen auf deutschem Boden standen, der Völkerbund aber trotz der Bemühungen der Reichsregierung nicht als Schiedsinstanz gegen die französische Vertragsinterpretation angerufen werden konnte, schien er seine vornehmste Aufgabe nicht erfüllen zu können.“42

Erst ab 1925 begannen die Siegermächte „fünf Jahre zuvor verweigerte Friedens­ verhandlungen“ „unter (gleichberechtigter) Beteiligung Deutschlands“ nachzuholen43, was schließlich 1926 in den deutschen Völkerbundbeitritt mündete und die außenpolitische Lage verbesserte. Von all dem blieb der politisch interessierte Theologe Althaus nicht unberührt. Das sich abzeichnende, für Deutschland nichts Gutes versprechende Ergebnis der Friedenskonferenz von Versailles bildet den historischen Hintergrund von Althaus’ früher Darlegung seiner Geschichtstheologie, die er in Auseinandersetzung mit dem Religiösen Sozialismus und dem damit zusammenhängenden religiösen Pazifismus entwickelt.

42 Wintzer, Deutschland, 564. Er schreibt weiter: „Die Versuche der deutschen Völkerbundpolitik zwischen 1919 und 1921, den Völkerbund als Schiedsrichter in den Streitigkeiten mit den Alliierten über die Auslegung des Friedensvertrages und andere Streitfragen einzuschalten, scheiterten am französischen Widerstand“ (ebd., 566). 43 Ebd., 63. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

3. Der Versailler Vertrag und die Frage nach dem Verhältnis von „Pazifismus und Christentum“ – Althaus’ frühe Geschichtstheologie in der Auseinandersetzung mit dem Religiösen Sozialismus

Versailler Vertrag und das Verhältnis von „Pazifismus und Christentum“

Die theologische Arbeit von Paul Althaus, deren späterer Schwerpunkt auf der Apologetik liegen sollte, ist häufig durch Abgrenzungsbemühungen und Auseinandersetzungen mit inner- und außertheologischen Parteiungen, Strömungen und Weltanschauungen motiviert1. Hat er sich während des Krieges mit der sogenannten „Deutschen Frömmigkeit“ auseinandergesetzt2, liegt sein Hauptaugenmerk nach dem Weltkrieg auf dem Religiösen Sozialismus, und zwar zunächst auf dessen pazifistischem Impetus. Bereits während des letzten Kriegsjahres hat sich Althaus in seinen „Leitsätzen zu den Aufgaben des Militär-Geistlichen“ mit der Thematik „Pazifismus und Christentum“ auseinandergesetzt und war zu dem Schluss gekommen: „Die gegenwärtige pazifistische Bewegung wollen wir nicht bekämpfen, aber auch nicht im Namen des Christentums begrüßen.“ Nun im Februar 1919 befasst er sich ausführlich mit dem Thema „Pazifismus und Christentum“ und schreibt „eine kritische Studie“3 dazu, die in erster Linie der Frage nachgeht, „ob der Christ als Christ zur Mitarbeit bei dem Versuche, die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Völkern zu beseitigen, verpflichtet ist oder nicht“4. Daran schließt sich die Frage an, ob die Kirche aus christlichen Motiven für den Gedanken eines Völkerbundes und für die pazifistische Bewegung eintreten solle. Den Anlass zur Beschäftigung mit solchen Fragen sah Althaus schon 1917 mit der bekannten Friedenserklärung der Berliner Pfarrer gegeben5. Jetzt nach dem Krieg will er 1 Über dieses Phänomen, das Althaus’ methodische Vorgehensweise charakterisiert und damit zum Verständnis gerade seiner politischen Theologie beitragen kann, äußert Tilgner, Volksnomostheologie, 182: „Althaus entwickelt seine theologischen Thesen in der ständigen Abwehr gegnerischer Positionen, nimmt deren Thematik jedoch in einem neutralisierten und entschärften Zustand in seine eigene Theologie auf. Daher gewinnt das theologische Denken bei Althaus das Aussehen einer irenischen, die Extreme versöhnenden Haltung, allerdings mit der Folge, daß seine eigene Auffassung dem theologischen Radikalismus oft zu unkritisch gegenübergetreten ist.“ 2 Vgl. Liebenberg, Gott, 363–367. 3 So der Untertitel von 1902 Pazifismus. Der Aufsatz wurde zwar erst im September 1919 in der „Neuen Kirchlichen Zeitschrift“ veröffentlicht, geschrieben wurde er aber nach eigenen An­ gaben (ebd., 478) bereits im Februar, also noch vor der Unterzeichnung des Versailler Vertrages. 4 1902 Pazifismus, 430. Hervorhebung von mir. 5 So schreibt er im Februar 1919 im Rückblick über die pazifistische Erklärung, die am 17.10.1917 fünf Berliner Pastoren um Karl Aner unterzeichneten: „Ihnen schlossen sich viele Hunderte von Pastoren und Laien in ganz Deutschland an. Es darf nicht übersehen werden, daß viele Laien, sowohl im Felde wie in der Heimat, diese Erklärung mit tiefem Aufatmen begrüßt © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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dem Problem intensiver nachgehen, weil für ihn der Pazifismus eine ernsthafte Herausforderung an Theologie und Kirche darstellt: „Wir werden in den nächsten Jahren mit einer starken pazifistischen Bewegung im deutschen Volke zu rechnen haben. Auch an die evangelische Kirche wird man immer wieder herantreten und sie für das Ideal des Weltfriedensreiches beanspruchen. Es mag eine schwere Stunde der Entscheidung für uns sein, denn die Volkstümlichkeit der Kirche würde durch ihr Eintreten für die pazifistische Losung gewaltig steigen. Damit wir guten Gewissens unsere Stellung einnehmen können, ist klare prinzipielle Besinnung heute eine drängende Pflicht.“6

Dieser Pflicht stellt sich Althaus 1919 mit seinem Aufsatz, der seine Grundgedanken zu dem Thema entfaltet, die er bereits im März 1919 als Leiter des Predigerseminars auf der Erichsburg in Form von Rezensionen veröffentlicht hat.7 Der Text ist in mancherlei Hinsicht aufschlussreich, werden doch hier viele unterschiedliche Themen in der Frühphase von Althaus’ Schaffen angesprochen, die später noch von Bedeutung sein werden. Zunächst handelt es sich  – neben der Verarbeitung der Kriegsniederlage  – um eine Auseinandersetzung mit dem religiösen Pazifismus sowie mit dem Religiösen Sozialismus. Es findet sich eine erste größere Darlegung seiner Geschichtsphilosophie bzw. -theologie ebenso wie erste, noch unscharfe Ansätze einer Ordnungstheologie. 3.1 Paul Althaus, der Religiöse Sozialismus und die christlich-soziale Bewegung Wenn sich Althaus mit dem ab der Jahrhundertwende besonders in der Schweiz beheimateten Religiösen Sozialismus – Althaus schreibt anfangs von den „Religiös-Sozialen“ – beschäftigt, so hat er in erster Linie den Schweizer Theologen Hermann Kutter8 und dessen Theologie im Blick, dem er „einen aggressiven ­ aben als ein längst erwartetes und schmerzlich vermißtes Wort im Namen des Christentums.“ h (1902 Pazifismus, 431). Die „Erklärung von fünf Berliner Pfarrern“ ist abgedruckt in: Greschat/ Krumwiede, Zeitalter, 9. 6 1908R Hirsch, 111. 7 Vgl. 1905R Kutter; 1906R Kremers; 1907R Cordes; 1908R Hirsch. 8 Kutter war neben Leonhard Ragaz der Begründer des dortigen religiösen Sozialismus. Unter dem Eindruck der Zusammenschau von christlicher Reichgotteserwartung, zeitgenössischer Lebensphilosophie, sozialistischen Zukunftsglaubens sowie der Philosophie des deutschen Idealismus kam er zu einer dynamischen Gottesvorstellung: Gott, der in Christus Mensch und Welt „in unendlicher Realität durchdringt“, ist die „einzige Lebensrealität“. Mit dieser „theozentrischen Theologie“ hat Kutter der Dialektischen Theologie vorgearbeitet. In der Geschichte der Menschheit vollzieht sich für ihn „die Rückkehr zum unmittelbaren Leben“, wofür ihm auch der Sozialismus © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Idealismus der Praxis“9 attestiert, der im Namen von Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe dem Götzendienst von Mammonismus und Nationalismus den Kampf ansage. Mit Hilfe von Sozialismus bzw. Sozialdemokratie wolle er dem Reich Gottes auf Erden als der neuen Wirklichkeit zum Durchbruch verhelfen. Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit dem Religiösen Sozialismus sind Althaus’ Vorbehalte gegenüber einem auf die Sittlichkeit bezogenen Fortschrittsoptimismus, den er als eine „vom Entwicklungsgedanken beherrschte Geschichtsphilosophie“ ablehnt10. Wie schon in früheren Schriften angedeutet11, hat Althaus eine differenzierte Sichtweise auf die religiös-sozialistische bzw. religiös-soziale Bewegung. Lehnt er sie im Großen und Ganzen und insbesondere in der pazifistischen Frage als „Schwärmertum“ ab12, so kann er sie andererseits in der sozialen Frage als vorbildhaft bezeichnen. So zeigt sich Althaus zunächst überzeugt davon, dass auch lutherische Christen „von Kutter manches lernen könnten: Der gute und fromme lutherische Respekt vor der Wirklichkeit, in die Gott uns gestellt und an die er uns gewiesen hat, ist manchmal zu einem trägen Konservatismus oder ‚Fatalismus‘ entartet, der die konkreten Institutionen und Verhältnisse des Weltlebens, auch die offenkundig durch Sünde und Unrecht verderbten, hinnimmt wie sie sind – als starre Unabänderlichkeit. Kutters Buch und manche andere Schrift der Religiös-Sozialen kann auch uns kirchlichen Christen einen Dienst tun: die bitteren Anklagen gegen die herrschende Sachen- und Mammonskultur können uns für viele Dinge den Blick kritischer, das Gewissen unruhiger und den Willen zur christlichen Tat drängender machen.“13

Indem Althaus diese Punkte, die vor allem den Problemkreis der sozialen Frage betreffen, anerkennend hervorhebt, gibt er selbst seine eigene Fähigkeit zur ein Zeichen ist. Diese Rückkehr zur Unmittelbarkeit ist aber für Kutter zugleich Sinn und Ziel des Christentums. Die Sozialdemokraten sind für ihn Werkzeuge des lebendigen Gottes; „sie müssen“ im Dienste Gottes, ohne daß sie es selbst wissen, der Welt das Gericht und die große Wende verkündigen (nach Dienst, Kutter). 9 1902 Pazifismus, 432. 10 1902 Pazifismus, 469. Schwarke, Althaus, 141 führt diese Vorbehalte auf „die Erfahrung des verlorenen Krieges“ zurück, die ihn „wie viele andere […] von der Identifikation der Weltgeschichte mit Gottes Willen fortgeführt“ habe, und folgert daraus: „Jeder ethisch motivierte Fortschrittsgedanke ist Althaus von da an suspekt.“ 11 Vgl. 1808 Männern, 636. 12 So wirft er ihnen vor, sie suchten „den Sinn des Evangeliums und die Nachfolge Jesu darin, diese Welt in allen ihren Verhältnissen zum Reiche Gottes umzugestalten“ (1902 Pazifismus, 431). 13 1902 Pazifismus, 434. Vgl. seine Rezension zu Kutter (1905R Kutter). Das Althaussche Lernen von Kutter schlägt sich bis in seine Sprache nieder, wenn er die Kritik an der „Sachenkultur“ übernimmt. So heißt es in einer Althausrede 1929: „Wir Menschen des 20. Jahrhunderts spüren irgend­wie alle, daß die Sachen stärker werden wollen als wir“ (2917 Christentum, 135). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Kritik einer scheinbaren Eigengesetzlichkeit der Welt und ihrer „konkreten Institutionen und Verhältnisse“ – man könnte auch sagen: Ordnungen – zu erkennen. Auch an der Staatskritik von Kutter findet Althaus Gefallen: „Seine treffliche Polemik gegen die moderne Überschätzung des Staates und der Bureaukratie wollen wir gerade als Christen ihm danken: ‚der Mensch ist größer als der Staat‘.“14 Nach diesem Lob für die Kritik Kutters an einer Überbetonung des alten Äons und seiner scheinbaren Eigengesetzlichkeiten geht Althaus sogleich zur Kritik über und klagt Kutter und dessen Überbetonung des neuen Äons nun seinerseits „des mangelnden Wirklichkeitssinnes“ an: „Aber der ethische Idealismus wird zur Schwärmerei, wenn er seine Welt baut ohne den Gehorsam gegen die Wirklichkeit, in die Gott uns gestellt hat, ohne Rücksicht auf die Grundgesetze und harten Notwendigkeiten unseres geschichtlichen Lebens.“

Ohne mit seinem eigenen obigen Vorschlag, von Kutter zu lernen, ernst zu machen, schreibt er, „die natürlich-materiellen Bedingtheiten unserer Existenz stellen uns unter Gesetze, die ihr eigenes Recht neben der sittlichen Liebesregel fordern“, d. h. hier gelte „der gegen Gottes Ordnung demütige Respekt“15. Diese frühen Anklänge einer Ordnungstheologie werden schließlich mit Martin Luther und seiner Zwei-Reiche-Lehre begründet. Der Begriff selbst taucht hier zwar noch nicht auf, faktisch geht es aber darum, wenn Althaus mit Luther betont, der Mensch sei „auf Erden […] Bürger zweier Reiche, der rechtlich verfaßten, bürgerlichen, staatlichen Welt mit ihren Eigengesetzen – und des Gottesreiches der Liebe und Freiheit.“16 Dieser „Dualismus unseres Lebens“ werde niemals überwunden werden können und „lebenslänglich als Rätsel“ bestehen bleiben. Es ist ein ambivalentes Verhältnis zum Religiösen Sozialismus, das Althaus hier an den Tag legt. Einerseits solle man auch als Lutheraner von ihm lernen, scheinbare Eigengesetzlichkeiten im Hinblick auf die Sündhaftigkeit irdischer Ordnungen zu hinterfragen. Andererseits dürfe man nicht deren Schwärmertum verfallen, das mit politischer Theologie bzw. theologisch legitimierter Politik das Reich Gottes auf Erden durchsetzen wolle. Strukturell hat Althaus mit seinem Ansatz politischer Theologie eine analoge Vorgehensweise wie die Religiösen Sozialisten, der große inhaltliche Unterschied zwischen beiden liegt im jeweiligen politisch-weltanschaulichen Vorzeichen. Während die einen ihre politische Theologie sozialistisch-international grundieren und ihre christ­ 14 Ebd., 437. Diesen frühen staatskritischen Zug Althaus’ gilt es zu bedenken, wenn er sich in den 30er Jahren gegen den „totalen Staat“ ausspricht. 15 Ebd., 435. 16 Ebd., 436. Vgl. Schwarke, Althaus, 141 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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lichen Hoffnungen auf die sozialistische Bewegung setzen, hat Althaus’ politische Theologie eine konservativ-nationale Ausrichtung, die ihre christliche Hoffnung auf die nationale Bewegung setzt. Weniger kritisch als die Religiösen Sozialisten beurteilt Althaus die Christlich-Sozialen. Dem Anliegen der christlich-sozialen Bewegung weist Althaus einen Ort jenseits von Schwärmertum und Quietismus zu. Anders als die Religiösen Sozialisten laufe man nicht Gefahr einer „Verwechslung des Reiches Gottes und des Weltfriedensreiches, der unbefugten Inanspruchnahme Jesu und des Neuen Testamentes für den Pazifismus“. Andererseits stellt er fest: „Die Innerlichkeit des Reiches Gottes gibt der Christenheit niemals ein Recht zur Gleichgültigkeit gegen die objektiven Ordnungen und die äußeren Weltverhältnisse.“ Aus diesem Grund betont er den „sozialen Beruf der Christenheit“. Denn die „Innerlichkeit des Reiches Gottes und die klare Einsicht in die Eigengesetzlichkeit der ‚weltlichen‘ Ordnungen“ darf nach Althaus nicht zur Folge haben, „daß der Christ die Verhältnisse des sozialen, staatlichen und Völkerlebens hinnimmt wie sie sind“. Gerade angesichts der realistischen Kenntnisnahme einer „auch durch die Sünde verderbten göttlichen Weltordnung“ erinnert er an den „revolutionären Geist des Christentums“17. Zum ersten Mal verwendet Althaus hier das Wort „Eigengesetzlichkeit“ und zeigt dabei einen differenzierten Gebrauch dieses Begriffs. Einerseits steht für ihn eine Eigengesetzlichkeit der vorfindlichen Ordnungen fest, deren „weltlichen“ Charakter er allerdings durch die Verwendung der Anführungszeichen in Frage stellt. Friedrich Wilhelm Graf zufolge dient der Begriff bei Althaus „als analytische Kategorie für die spezifisch moderne Ausdifferenzierung relativ autonomer Kultursphären.“18 Andererseits kann es für Althaus eine absolute, jeglicher Kritik entzogene Eigengesetzlichkeit nicht geben. Dafür sieht er die Ordnungen zu sehr von Sünde „verderbt“. Vor dem Hintergrund des „Dualismus unseres Lebens“, der daher rührt, dass der Christ, „solange er auf Erden lebt, Bürger zweier Reiche ist“19, kann es für Althaus demzufolge nur eine relative Eigengesetzlichkeit geben, nämlich eine solche, die vom „revolutionären Geist des Christentums“ grundsätzlich hinterfragbar bleiben muss20. Es ge 17 Ebd., 444 f. 18 Graf, Kulturluthertum, 73 f. 19 1902 Pazifismus, 436. An dieser Stelle spricht Althaus von der „rechtlich verfaßten, bürger­ lichen, staatlichen Welt mit ihren Eigengesetzen“, der er die Welt „des Gottesreiches der Liebe und Freiheit“ gegenüberstellt. 20 Die von Ernst Wolf und anderen geübte Fundamentalkritik an neulutherischer Sozialethik, diese habe einem Quietismus Vorschub geleistet und daher die „Preisgabe des Politischen an die Dämonien“ zu verantworten (Wolf, Selbstkritik, 102), trifft auf Althaus somit nicht zu; vgl. Tanner, Verstaatlichung, X–XV. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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hört gerade zur Ambivalenz Althaus’, dass er sich dieser Tatsache zwar durchaus bewusst ist und sie auch zu Papier bringt, dass er in der Folge allerdings daraus keine nennenswerten Konsequenzen zieht, was an der Frage nach Krieg und Frieden noch deutlich wird21. Christliche Existenz vollzieht sich nach Althaus „in lebendiger Spannung: auf der einen Seite die religiöse Innerlichkeit und Überweltlichkeit des Christen […] – auf der anderen Seite der Wille zur Aktivität auch gegen festgewordene Verhältnisse und eingewurzelte Ordnungen.“22 Diese Spannung im christ­ lichen Leben sieht Althaus konstituiert durch einen konservativen und einen revolutionären Pol: „Konservatismus und ein ‚revolutionärer Geist‘ im Sinne christlich-sozialer Arbeit liegen darum in gleicher Weise in der Frömmigkeit begründet. Unser Christentum ist gesund nur solange als das Leben des einzelnen und der Kirche sich zwischen diesen beiden Polen bewegt. Jeder Standort für sich allein genommen gefährdet und verzerrt die christliche Art. Jene Innerlichkeit, welche gern die konkreten Verhältnisse als gottgewollt hinnimmt, wird leicht lieblos gegen andere; […] sie übersieht die Organisationskraft der Sünde und ihre Verfestigung in Sitten, Ordnungen, Verhältnissen […]. Jener Geist der Aktivität dagegen hat andere Gefahren: ‚geht er auf in äußerer Vielgeschäftigkeit […], meint er gar […] das Reich Gottes auf Erden zu verwirklichen, so verflacht er unrettbar und wird zur religiös gefärbten Humanität‘“23 Während Althaus in der Frage nach der christlichen Existenz und nach dem sozialen Engagement des Christentums mit den Christlich-Sozialen weitgehend konform geht, trennen sich die Wege in der Frage nach der Friedensarbeit. Während die Christlich-Sozialen „die pazifistische Aufgabe der Christenheit auf gleicher Linie mit der christlich-sozialen, deren Pflichtmäßigkeit außer Frage steht“, sehen, lehnt Althaus an diesem Punkt jegliche Analogie ab. Das Eintreten des Christen für die staatliche Rechtsordnung ist für ihn etwas vollkommen anderes als das Engagement für eine zwischenstaatliche Rechtsordnung. Warum ein solches pazifistisches Engagement, das sich für den Frieden zwischen den Völkern einsetzt, aus Althaus’ Sicht keine christliche Handlungs 21 So hat Graf, Kulturluthertum, 74 mit seiner Einschätzung der genannten Althausschen Textpassage recht, wenn er schreibt: „Dies ist kein theologischer Legitimismus, sondern dessen potentiell revolutionäres Gegenteil.“ Allerdings belässt es Althaus hier bei einer rein theoretischen Möglichkeit. 22 Ebd., 445. Dass Althaus’ Lebensbegriff von Spannung geprägt ist, hat er schon früher zum Ausdruck gebracht: „Leben ist nur, wo Spannung ist, Spannung ist nur, wo Pole sind.“ (1506 Einkehr, 100). 23 Ebd., 445 f. Im letzten Satz zitiert Althaus den christlich-sozialen Theologen Johann Gottlieb Cordes, Pazifismus und christliche Ethik, Leipzig 1918. Zu Cordes vgl. Althaus’ Rezension 1907R. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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option darstellt, wird schnell deutlich, wenn man sich seine Geschichtsphilo­ sophie bzw. -theologie betrachtet. 3.2 „Die lebendige Gerechtigkeit der Geschichte“ – Althaus’ frühe Geschichtstheologie und Sichtweise des Krieges Das Herzstück der Althausschen Auseinandersetzung mit dem Pazifismus, wie ihn die Religiös-Sozialen bzw. die Religiösen Sozialisten vertreten, ist seine geschichtsphilosophische bzw. -theologische Sichtweise des Krieges24. Nachdem Althaus konstatiert, dass man „die Forderungen der Privatmoral nicht einfach auf das Staatsleben anwenden kann“, gilt es für ihn, „die Norm der ‚Gerechtigkeit‘ für das Völkerleben erst aufzufinden“25. Die beiden bisher üblichen Antworten, „die naturrechtliche Denkweise“ und „der konservative Rechtsgedanke“, hält er für unbrauchbar, denn sie „versagen gegenüber der lebendigen Geschichte.“26 Demgegenüber will Althaus nun seine eigene organologische, lebensphilosophisch beeinflusste Geschichtsphilosophie zur Geltung bringen will: „Alles ist im Werden und Wandel, im Steigen und Fallen. Völker kommen und gehen, wachsen und verkümmern, sind jung und altern, verweichlichen oder ermannen sich. Junges bricht sich Bahn unter Altem, Unfähiges wird von Lebenskräftigem zurückgedrängt, wachsendes Leben kommt, indem es die für die Entfaltung seiner Kräfte notwendigen Lebensbedingungen sucht, in Konflikt mit bestehendem älteren Leben. Was ist bei dieser beständigen Bewegung, diesem Geschiebe der Völker und Kulturen […] ‚Recht‘?“27

Der Tatsache, dass Geschichte „lebendig“ ist, muss nach Althaus auch der Gerechtigkeitsbegriff entsprechen: 24 Zu seiner frühen Sichtweise des Themas vgl. auch 1810R Schrörs; und 1903 Abschied, 173. 25 1902 Pazifismus, 448. 26 Ebd., 449. 27 Ebd. Die Metapher von den organischen Lebensaltern von Völkern, die ihr jeweiliges Lebensrecht begründen bzw. entziehen, führt Liebenberg, Gott, 462, Anm. 490 auf Herder, Ranke und Treitschke zurück. Liebenberg weist vor allem auf Althaus’ Ranke-Lektüre während des Studiums hin, die ihn beeinflusst haben dürfte. Zu Herders zyklischer Vorstellung von der Geschichte eines Volkes vgl. Sundhaussen, Einfluß, 37. Hinzuweisen ist auch auf den Einfluss von Oswald Spengler, der nach Sparn, Religion, 25 den „Geschichtsverlauf […] im Horizont des organologischen Lebensbegriffes mit quasi-naturalen Notwendigkeiten“ ausstattete. Freilich wird die Wirkmächtigkeit der geschichtsphilosophischen Metapher von den organischen Lebensaltern der Völker erst nachvollziehbar aus ihrer Deutekraft im Kontext des außen- und kolonialpolitischen Selbstverständnisses des jungen deutschen Kaiserreichs im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts angesichts einer im Zeichen des europäischen Imperialismus bereits weitgehend aufgeteilten Welt. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Das wirkliche Recht in der Weltgeschichte ist ein lebendiges und ein Recht des Lebendigen. Der konservative und demokratische Rechtsbegriff sind durch einen ‚organischen‘, entsprechend dem organischen Prozesse der Lebensentwicklung in der Völkergeschichte, zu ersetzen. Mit den Völkern wird ihr Recht geboren, wächst, mindert sich, stirbt.“28

Mit einem „Recht des Tüchtigen“, das sich in der Völkergeschichte mit ihrem Auf und Ab durchsetzt, meint Althaus, den Vorgang adäquat beschreiben zu können, wobei „zur geschichtlichen ‚Tüchtigkeit‘ in hohem Maße auch geistig-sittliche Kräfte gehören: Die Hingabe eines Volkes an seine anerkannte geschichtliche Aufgabe, Verantwortungsbewußtsein, Opferwille, Zucht, Arbeitswille. Und die Gesundheit an Körper und Wille, die Arbeitskraft, die Unverbrauchtheit, Zeugungskraft und Fruchtbarkeit an Leib und Seele“29.

Nach Althaus begünstigt „die lebendige Gerechtigkeit in der Geschichte“ nun aber keinesfalls immer die „Guten“ oder die „gerechte Sache“, „sondern das Junge, Wachsende steigt über das Alternde, Satte empor, das Gesunde über das Morsche, der Wille über die Trägheit.“ An dieser Stelle nimmt Althaus’ Geschichtsphilosophie, mit der er das Zusammenleben der Völker beschreiben will, deutlich lebensphilosophische und sozialdarwinistische30 Züge an. Auffallend zurückhaltend ist er in seinen Ausführungen über weite Strecken in Bezug auf eine religiös-theologische Interpre 28 1902 Pazifismus, 452. Zum lebensphilosophischen Einschlag bei Althaus schreibt Liebenberg, Gott, 466 f.: „Althaus hatte sich bis zum Ende des Krieges dem lebensphilosophischen Trend der Zeit angeschlossen, für den sich die protestantische Theologie im Gefolge einer weitverbreiteten antiintellektualistischen Kulturkritik als besonders empfänglich erwies.“ 29 „Dekadenz und Zersetzung“ eines Volkes werden nach Althaus bedingt durch die „Sünde gegen das sechste Gebot, de[n] Geburtenrückgang, die Alkoholseuche, das Versinken in verweichlichender Kultur und sattem Wohlleben“. Diese „sittlichen Schäden sind zugleich Sünden gegen die geschichtlichen Lebensgesetze, an denen ein Volk sterben kann“ (ebd., 453). Das biblische Wort „Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute verderben“ (Spr 14,34) will Althaus als „ewig junge Wahrheit“ direkt auf die Weltgeschichte angewandt wissen. 30 Der Unschärfe des Begriffs „Sozialdarwinismus“ bin ich mir bewußt, in der Wissenschaft hat er sich dennoch durchgesetzt. Während Darwin in seiner Evolutionstheorie von einer zufälligen Selektion ausgeht, haben wir es beim „Sozialdarwinismus“ mit einer Ideologie zu tun, die demgegenüber eine zielgerichtete Evolution postuliert. Demzufolge besitzt der sogenannte „Sozialdarwinismus“ im Grunde stärker lamarcksche Züge. So formuliert auch Althaus: „Nicht der Zufall also herrscht in den großen Entscheidungen und Verschiebungen der Weltgeschichte […], sondern sehr bestimmte unverbrüchliche Lebensgesetze, die für das Steigen und Fallen […] der Völker gelten.“ (ebd., 453 f.). Mohler/Weissmann, Revolution, 44 f. machen auf die europaweite Verbreitung solcher sozialdarwinistischer Ideen vom angeblichen Kampf junger, lebendiger mit alten, sterbenden Völkern aufmerksam. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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tation der von ihm beschriebenen Vorgänge. Er gibt zu, dass man seine „lebendige, organische Auffassung der Gerechtigkeit ‚biologisch‘ nennen“ könne31, aber gegen die Meinung, sie sei „nackt naturalistisch“ verteidigt er sich, indem er „eine Herrschaft der reinen Gewalt“ und ein Recht „auf Kampf aller gegen alle“ ablehnt: „Niemals ist es die brutale, massive, materielle Macht als solche, die auf die Dauer emporführt. Willkürliches, frivoles Zertreten fremden Lebens aus bloßer Machtgier und schrankenlosem Ausdehnungstrieb hat sich noch immer schwer gerächt. Eine innerlich unwahre Gewaltherrschaft, ohne den geschichtlichen Beruf und die sich bewährende ‚Tüchtigkeit‘ scheitert einmal. Das zeigt die Geschichte deutlich. Die Macht stirbt einmal an ihrem Unrecht“. „Schrankenloses Sich-Ausleben der Völker im Drange zu wachsen und zu herrschen“ ist für ihn „Entartung und Vergehen gegen die geschichtlichen Lebensgesetze.“32 Stattdessen sei „Rücksichtnahme auf die anderen Völker“ geboten und „Vertrauen, […] Kredit bei anderen“ für das Zusammen­ leben der Völker unerlässlich33.

Obgleich Althaus mit diesen Einschränkungen einmal mehr versucht, extreme Positionen zu vermeiden und für die damaligen Verhältnisse einen Mittelweg zwischen Pazifismus und Kriegstreiberei einzunehmen, indem er Krieg nur unter gewissen Umständen billigen mag, sind seine Bemühungen in diese Richtung als wertlos und unpraktikabel zu bewerten. Denn das große Problem liegt darin, dass er keine verallgemeinerbaren und von allen nachvollziehbare Kriterien an die Hand zu geben vermag: Ein „geschichtliches Lebensgesetz“ existiert nur in seiner eigenen Konstruktion, aus einer „lebendigen Geschichte“ ist es objektiv nicht ablesbar. Der „geschichtliche Beruf“ eines „aufstrebenden“ Volkes, der infolge seiner „Tüchtigkeit“ den „Ausdehnungstrieb“ und damit meistens notwendigerweise den Krieg legitimiert, ist anders als rein subjektiv nicht erhebbar34. Somit sind die Althausschen Begriffe, wenn sie auch in erster Linie kulturell und nicht rein machtbezogen gefüllt sind, für das geschichtliche

31 1902 Pazifismus, 452. 32 Ebd., 454 f. 33 Ebd., 454, Anm. 2. In seiner Rezension zu Schrörs „Kriegsziele und Moral“ formuliert es Althaus im September 1918 so: „Die Völkerbeziehungen gehen in den betonten organischen Verhältnissen nicht auf; der geistige Austausch und die zwischenstaatliche Kulturgemeinschaft fordern als Tatsache und Ideal Berücksichtigung; es wäre über die Pflicht, das Schwache zu schützen, oder über die im Interesse der gemeinsamen Kulturgüter notwendige Selbstbeschränkung zu reden. Für eine christliche Ethik ist Abgrenzung gegen den Naturalismus und machthungrigen Annexionismus selbstverständlich.“ (1810R Schrörs, 338). 34 So weiß auch Althaus: „Kein Volk tritt mit der Klarheit über seinen geschichtlichen Beruf in die Geschichte ein“ (1902 Pazifismus, 458). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Zusammenleben der Völker unbrauchbar, da sich mit ihrer Hilfe nahezu jeder Krieg subjektiv begründen ließe35. Althaus’ „Ehrfurcht vor der geschichtlichen Gerechtigkeit“36, die er gegen die „Ideen der Gleichberechtigung und Selbst­bestimmung“ in Feld führt, entpuppt sich als reiner Positivismus, der nahezu jegliche geschichtliche Entwicklung zu begründen bzw. zu sanktionieren vermag. Dass „Konflikte im Völkerleben“ nicht nur durch das Aufeinanderstoßen von Recht und Unrecht entstehen, lehrt nach Althaus die „schlichte Erkenntnis des Wirklichen“. Gerade darin bestehe „die Tragik der Menschengeschichte, daß auf unserer engen Erde auch Recht und Recht gegeneinander stoßen. […] Das Recht des wachsenden jungen Lebens bricht in das Recht des Bisherigen ein. Diese Zusammenstöße sind organisch bedingt und daher elementar. Wie kann hier je ein Schiedsgericht entscheiden und das ‚Recht‘ finden?“37

Diese Tragik, dass in der freien Entfaltung der Völker Recht auf Recht stößt, ist nach Althaus’ organisch-lebendiger Geschichtsauffassung nur folgerichtig. Dass in einem solchen Fall kein in seiner menschlichen Beschränktheit befangenes „Schiedsgericht“ urteilen und damit Recht setzen kann, da ihm die Einsichten in die „geschichtlichen Lebensgesetze“ fehlen, ist aus seiner Warte nur konsequent. Daher kann er auch nicht anders, als den Völkerbund, zumal als Zusammenschluss der Siegerstaaten, die mit ihrer militärisch begründeten Macht einseitig Recht setzen, abzulehnen38. Erst spät in diesem Aufsatz wandelt sich Althaus’ geschichtsphilosophische Betrachtungsweise über die „lebendige Gerechtigkeit in der Geschichte“ in eine geschichtstheologische, indem er deutlich macht, wer für ihn hinter dem von ihm postulierten „geschichtlichen Lebensgesetz“ steht. Die Geschichte eines 35 Dieses Problem scheint Althaus zumindest geahnt zu haben, wenn er vom „Sinn des Krieges in der Weltgeschichte“ schreibt: „Es handelt sich nicht um die Rechtfertigung aller oder auch nur der meisten Kriege. Wieviel willkürliche Kriege durch dynastische Herrschsucht und rohe Raubgier hervorgegangen sind, weiß jedermann.“ (ebd., 457). 36 Ebd., 455 f. 37 Ebd., 458. 38 Die herkömmliche Alternative „Macht oder Recht“ will Althaus aufgrund der vorhandenen „Wechselbeziehungen“ „in ihrer Ausschließlichkeit überwunden“ wissen: „Das Recht be­deutet nichts ohne Macht, aber es gibt auch keine wahre, dauerhafte Macht ohne ‚Recht‘ im tiefsten Sinne.“ Während er dabei Recht „nicht als starres, sondern als lebendiges, organisches versteht“, betont er das „charaktervoll, geistig-sittlich geleitete“ Wesen von Macht und die „Wechselbeziehung zwischen Macht und Vertrauen im Völkerleben“ (ebd., 457). Die Idee eines „Weltschiedsgerichts“ hatte Althaus bereits während des Krieges mit dem Hinweis auf die Unterscheidung der zwei Reiche abgelehnt (vgl. 1719B); vgl. Liebenberg, Gott, 452–457. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Volkes ist für ihn „ein Tasten und Wagen, welche Wege Gott gehen heißt und wo er die Grenze für eines Volkes Leben und Beruf zieht.“39 Gott ist also der Garant der geschichtlichen Gerechtigkeit, die sich für Althaus in letzter Konsequenz kriegerisch erweist und durchsetzt: „Dann faßt sich, was sonst im Wettstreite von Generationen ausgetragen würde, in das ungeheure Ringen eines geschichtlichen Momentes zusammen. Das ist der Krieg. Und die Entscheidung des Krieges ist gerecht. Die lebendige Gerechtigkeit der Geschichte setzt sich in ihm durch“ als eine „unverbrüchliche Gerechtigkeit, in der wir den Herrn der Geschichte selber gegenwärtig spüren.“40

Ebenfalls geschichtstheologisch begründet Althaus nun seine Ablehnung des Pazifismus, der für ihn „im Grunde Rationalismus“ ist und dem damit „die Ehrfurcht vor der geschichtlichen Wirklichkeit und ihrer Gerechtigkeit, die da höher ist denn alle Vernunft“, fehle: „Wir aber wissen, daß in der Irrationalität der Völkergeschichte und ihrer Gegensätze der Herr der Geschichte selber spürbar wird, der die Völker kommen und gehen, steigen und fallen heißt nach seinem freien, schöpferischen Willen und seinen geschichtsimmanenten unverbrüchlichen Gesetzen.“

Daher zeigt sich Althaus „überzeugt, daß der Krieg kein Attentat auf die Geltung des Rechts unter den Völkern zu bedeuten braucht, sondern gerade dem Durchsetzen des in der Geschichte lebendigen Rechtes dienen kann.“41 Doch Althaus geht noch einen Schritt weiter, wenn er schreibt, dass er „in dem kraftvollen Eigenleben eines Volkes, in der Wahrung seiner Individualität und Selbständigkeit, das wertvollste Gut der Geschichte“ sieht und daher „das pazifistische Weltfriedensreich als eine Verflachung und Verarmung des geschichtlichen Lebens“ betrachtet. Für Althaus ist der Krieg in seiner Normalität ein bloßes Mittel der Kulturentwicklung, d. h. Krieg gehört zur menschlichen Kultur. „Kulturentwicklungen sind aber ethisch-neutral“, Kultur ist nach Althaus „ein außersittlicher Begriff“. Daher kann man seiner Meinung nach die Antwort auf die pazifistische Frage „nicht mit christlich-sittlichen Gründen stützen, sondern nur auf Grund allgemeiner kulturphilosophischer Gedanken und Voraussetzungen geben. Damit ist aber bewiesen, was wir beweisen wollten: daß das pazifistische Ideal ein außersittliches Wert­

39 1902 Pazifismus, 458. 40 Ebd., 460. Mit dieser Meinung weiß sich Althaus in Übereinstimmung mit Reinhold Seebergs „Das sittliche Recht des Krieges“ (1914) und mit Hirschs „Der Pazifismus“ (1918). 41 Ebd., 462. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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urteil darstellt. Daher wehren wir uns mit der Klarheit lutherischer Ethik gegen jeden Versuch, im Namen der christlichen Sittlichkeit für die Mitarbeit am Pazifismus zu werben.“42

Althaus argumentiert hier ganz im Sinne der lebensphilosophischen Annahme, „daß das ‚Leben überhaupt‘ ein amoralisches Phänomen sei und nicht auf einen außerhalb seiner selbst liegenden Zweck und Sinn befragt werden kann: Es ist der Rechtfertigung nicht fähig, aber auch gar nicht bedürftig.“43 Indem Althaus aber so argumentiert, entzieht er die Frage nach Krieg und Frieden jeg­ lichem Urteil christlicher Ethik, er macht damit christliche Sozialethik an diesem Punkt unmündig. Oder doch nicht? Denn indem er den Krieg zur Kultur geschlagen hat, diese als objektiv außersittlich und damit ethisch nicht bewertbar gekennzeichnet hat, bleibt als einzig theologische Fragerichtung die nach den möglichen Gesetzmäßigkeiten der Kulturentwicklung übrig, die nun aber auf Gott als den Herrn über alle Geschichte und damit auch der Kultur­ geschichte verweist. Somit wird der Krieg von Althaus, indem er göttlichen Gesetzen gemäß erscheint, seinerseits eben doch christlich-sittlich und nicht nur kulturphilosophisch bewertet und für gut befunden. Wenn Althaus auch nachgewiesen haben will, dass man sich als Christ nicht aus christlichen Motiven für die pazifistische Bewegung einsetzen könne, so ist er dennoch der Überzeugung, die Christen hätten „inmitten der nationalen Gegensätze, der Völkerkonkurrenz, der Spannungen und Entladungen eine große Aufgabe – die nur sie erfüllen können“: Sie sind nach Althaus „das Gewissen ihres Volkes“ gegen den „brutalen Mammonsgeiste in ihrem Lande“, gegen den „frevelhafte[n] Ehrgeiz oder eitle kapitalistische oder dynastische Machtgier“, die „frivol und ohne Not den Frieden brechen will“44; gegen „Rachsucht und […] Glut blinder Leidenschaften“, auf dass „der Krieg sachlich geführt werden kann“; gegen „den Siegerübermut, der den anderen zertreten will und jeden Blick verlor für die Grenzen des eigenen geschichtlichen Berufs“; im Frieden gegen „die durchtriebene Unlauterkeit im politischen Kampfe der Völker“45.

Was Althaus hier sehr vage und zurückhaltend formuliert, sind zumindest Ansätze eines christlich motivierten Widerstandsrechts, das den „revolutionären 42 Ebd., 472 f. Althaus folgt damit einer damals nicht unüblichen Herangehensweise an das Phänomen „Krieg“, wie sie stellvertretend der Systematiker Wilhelm Herrmann vertrat: „Der Krieg ist an sich weder christlich noch unchristlich, weder sittlich noch unsittlich. Er ist in einer bestimmten geschichtlichen Lage die unabweisbare Äußerung der in der Kulturbewegung entwickelten Menschennatur.“ (ders., Ethik, 189). 43 So Sparn, Religion, 24. 44 1902 Pazifismus, 474. 45 Ebd., 476 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Geist des Christentums“ und den „Wille[n] zur Aktivität auch gegen festgewordene Verhältnisse und eingewurzelte Ordnungen“46 herauskehrt. Vor allem geht es bei der Aufgabe der Christen darum, aus seiner Sicht ungerechtfertigte, da dem „Beruf“ eines Volkes nicht entsprechende, Kriege verhindern zu helfen und vermeidbare Härten in einem unvermeidlichen Krieg zu bekämpfen. Ungerechtfertigte Kriege sind für Althaus aber solche, die seinem national gefärbten Weltbild nicht entsprechen, in erster Linie also diejenigen, die einen „brutalen Mammonsgeiste“ oder „eitle kapitalistische […] Machtgier“ zum Anlass haben. In einem im obigen Sinne gerechtfertigten Krieg aber haben die Christen auf ihrem Posten zu sein: „Wenn die unentrinnbaren Notwendigkeiten und Entscheidungsstunden der Geschichte ihr Volk in den Kampf mit anderen führen, dann stehen sie in völliger Opferbereitschaft treu zu ihrem Lande und wissen sich eben darin als Jünger Jesu […]. Die Christen beugen sich mit männlichem Ernste unter jene Geschichtsgesetze wie unter eine Gottesordnung – und durchleben sie doch in ihren Auswirkungen zugleich mit dem Gefühle, daß die furchtbaren Mächte des Widergöttlichen in ihr am Werke sind. Über diese ungeheure Spannung wachsen sie nie hinaus.“47

Ist der Krieg also einmal als „Gottesordnung“ erkannt  – wie das in Abgrenzung von einem der „Gottesordnung“ widersprechenden Krieg geschehen soll, bleibt offen –, dann gilt für Christen völlige Treue und Opferbereitschaft, gemäß Althaus’ Diktum: „Wer sich seinem Volke im Lebenskampf versagte, wäre kein Christ.“48 Das von Althaus angenommene „Durchleben“ des Krieges in seiner Ambivalenz als „Gottesordnung“ und zugleich als Auswirkung des „Widergöttlichen“49 entspricht und entspringt seiner eigenen Sichtweise auf die „ungeheure Spannung“, in der sich der Christ als Bürger zweier Reiche befindet: 46 Ebd., 445. An dieser Stelle spricht er auch der Christenheit das „Recht zur Gleichgültigkeit gegen die objektiven Ordnungen und die äußeren Weltverhältnisse“ ab. 47 Ebd., 474 f. Von dieser Spannung ging Althaus schon 1916 in seiner Rezension zu Paul Wernles „Antimilitarismus und Evangelium“ aus, wenn er schreibt: „Jedenfalls besteht die Antinomie des Krieges darin, daß wir ihn einerseits als notwendiges Ergebnis der irdischen Staatenbildung und damit als im Willen Gottes begründet, andererseits von der Norm des Reiches Gottes aus als furchtbare Sünde beurteilen.“ (1602R Wernle). 48 Ebd., 475. Zum Krieg als „Gottesordnung“ und zum „Lebensgesetz“ des Kampfes bei Althaus während des Krieges vgl. Liebenberg, Gott, 452–474. 49 Wie schwer sich Althaus bei der theologischen Beurteilung des Krieges tut, zeigt auch seine Rezension zu Johann Gottlieb Cordes’ „Pazifismus und christliche Ethik“, wo er schreibt, „wir gehören zwar nicht zu den Leuten, ‚die im Namen des Christentums den Krieg als für alle Erdenzeit gottgewollte Ordnung preisen‘ […]; aber wir halten es auch für eine Unklarheit, die Beteiligung an der pazifistischen Arbeit zu einer Christenpflicht zu stempeln, wie Cordes es tut“ (1907R Cordes, 110; Hervorhebungen von Althaus). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Niemals können die Christen nur Glieder ihres Volkes sein. Sie sind zugleich Bürger des Gottesreiches, in dem der Friede miteinander herrscht und die Gemeinschaft bewahrt wird.“ „Auch in den Tagen furchtbarster Zerrissenheit der Völker glauben sie an das eine heilige Volk Gottes, das seine Glieder in allen Nationen hat.“ Unbeschadet des Wissens der Christen, „daß ein Kampf ganz durchgekämpft werden muß“, und unbeschadet ihrer Treue und Opferbereitschaft „in selbstverständlicher Verbundenheit mit ihrem Volke, um dessen Zukunft es geht“, kann „die Bruderhand des Vertrauens […] auch im Kriege über die Schützengräben hin gereicht werden“. „Dieses Vertrauen kann dann zu einer internationalen christlichen Arbeitsgemeinschaft mitten im Kriege führen, zu dem Werke, die entsetzliche Not der Gefangenen und Verwundeten zu lindern, aber auch zu dem ehrlichen gemeinsamen Versuche, […] in jedem Lager für die unbedingte Sachlichkeit des Ringens, gegen Lüge, Gemeinheit, schamlose Verhetzung und Fanatismus zu arbeiten. In alledem dürfen die Christen auch in Zeiten schärfster nationaler Gegensätze die übernationale communio sanctorum als Wirklichkeit erleben“50.

Bei Althaus’ geschichtsphilosophischen und -theologischen Spekulationen über das Zusammenleben und das Ringen der Völker, die deutlich lebensphilosophische und sozialdarwinistische Züge zeigen und die letztlich auf eine religiöse Legitimation von kriegerischen Auseinandersetzungen hinauslaufen, spielen seine Prägungen und Erfahrungen im wilhelminischen Kaiserreich eine große Rolle. Gerade im bürgerlichen Milieu spielten Kriege in der Erinnerungskultur und damit im kulturellen und politischen Gedächtnis eine herausgehobene und nahezu durchwegs positive Rolle51. Durch die Befreiungskriege hatte man 1813 die französische Fremdherrschaft über Deutschland abgeschüttelt, sich also nach außen verteidigt und damit ein deutsches Nationalgefühl hervorgebracht. Mit Hilfe der Einigungskriege war es dem Protagonisten Bismarck über die Stationen 1864, 1866 und 1870/71 gelungen, ein kleindeutsches Kaiserreich für die „verspätete Nation“ (Helmuth Plessner) der Deutschen nach innen und außen zu konstituieren. Nachdem es sich bei all diesen militärischen Konflikten um zeitlich und räumlich  – verglichen mit früheren  – sehr begrenzte Kriege mit relativ überschaubaren Opferzahlen, dafür aber umso größeren Erfolgen handelte, konnte im Rückblick ein positives Licht auch auf den

50 1902 Pazifismus, 475 f. Den Gedanken einer solchen Arbeitsgemeinschaft vertrat er bereits während des Krieges; vgl. 1707 Glaube, 17. 51 Großen Einfluss auf Althaus’ Haltung zum Krieg dürfte auch die Einstellung seines Vaters gehabt haben, von dem er 1928 rückblickend schreibt: „Den Krieg selber bejahte Althaus bewußt. Er war von warmem vaterländischen Empfinden und verfolgte mit Spannung und starker Bewegung den Fortgang des Krieges. Auch als der Druck schwerer wurde und im Kollegenkreise schon düstere Zukunftsgedanken laut wurden, behielt Althaus die Zuversicht auf einen ehrenvollen Abschluß des Ringens.“ (2801 Leben, 106). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Krieg als solchen fallen52. Vor diesem Hintergrund wurde im Kaiserreich Althaus’ Einstellung als junger Mann zum Krieg geprägt53, und als der Weltkrieg sämtliche oben genannten „erträglichen“ Seiten der Kriege mit deutscher Beteiligung im 19. Jahrhundert zur Gänze konterkariert, sieht sich Althaus dennoch nicht in der Lage, seine Einstellung zum Krieg grundlegend zu überdenken. Vielmehr sucht er nach anderen Wegen, um sich und seinen Lesern zu erklären, warum aus diesem großen, für so entscheidend gehaltenen Krieg Deutschland wider Erwarten nicht als Sieger hervorging. Eine für ihn plausible Antwort ließ sich anhand seiner Geschichtsspekulation geben: Deutschlands Niederlage ist für ihn gerecht, weil Deutschland – zumindest noch – nicht die nötige sittlich-kulturelle „Tüchtigkeit“ besitzt. 3.3 Die Gerechtigkeit der deutschen Niederlage – Althaus’ Sichtweise von Niederlage, Friedensbedingungen und Völkerbund Hatte Althaus schon Ende 1918 das „Versagen unserer Politik seit Bismarcks Abgang, de[n] Dilettantismus und die Führerlosigkeit unseres politisch kinderhaften Volkes“54 als Gründe für die deutsche Katastrophe identifiziert, so wurde er hier noch einmal deutlicher, wenn er äußert: „Unsere Niederlage ist geschichtlich gerecht.“55 Nach seiner eigenen geschichtsphilosophischen und -theologischen Sichtweise der Weltgeschichte, in der er die „lebendige Gerech 52 Vgl. 2504 Beziehungen, 53, wo Althaus schreibt: „Ich glaube, daß sich trotz allem durch die Kriege von 1864 an etwas Wesensnotwendiges vollzogen hat.“ Denn „es können sich in der Geschichte auch echte Berufsfragen treffen, ohne daß dabei die Sünde den Blick getrübt hat. Es geht in der Geschichte um etwas Edleres als um den Kampf um Futterplätze und Märkte. Man denke an den Kampf gegen Napoleon oder den Krieg mit Österreich 1866. Es geht in der Geschichte um das Vorrecht, ein Stück Leben zu gestalten. Bismarck hat klar erkannt, daß es sich im Kampf mit Österreich einfach um die Frage handelte, welches Volk berufen sei, die deutsche Frage zu lösen.“ (ebd., 44). So stellt auch Ramm, Deutschen, 36 fest: „Wie überall war der Krieg auch in Deutschland ein Mittel zur Einheitsstiftung. Dies gilt für den Krieg von 1813/14 als Kampf gegen die Fremdherrschaft und den Krieg von 1870/71 als Fortsetzung, denn er wehrte Frankreichs Anspruch auf Einmischung in die deutschen Verhältnisse ab. Als Einigungskrieg, der die süddeutschen Fürsten zur Aufgabe ihrer Souveränitätsideologie zwang und von ihrer Rheinbundmentalität löste, war er ein Schritt der deutschen Kulturnation zur Staatsnation, und dies auch noch in anderer Hinsicht: als Wiedergutmachung des von Ludwig XIV. begangenen historischen Unrechts, denn das Elsass gehörte zur deutschen Kulturnation.“ 53 Explizit wird Althaus’ diesbezügliche Haltung zum Krieg in 2305 Staatsgedanke, 31 f.40, wo er mehrfach die Bismarcksche Kriegs- und später Friedenspolitik als positives Beispiel hervorhebt. 54 1809 Gewissen, 34; vgl. Kap. II, 1.2. 55 1902 Pazifismus, 461, Anm. 2. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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tigkeit“ sich durchzusetzen vermeint, kann Althaus konsequenterweise auch gar nicht anders urteilen: „Daß die Entscheidung, die der Krieg gibt, gerecht ist, vertreten wir auch angesichts der deutschen Niederlage im Weltkriege.“ Eines steht für Althaus mit dem Ausgang des Krieges fest: Der „Krieg hat zutage gebracht, daß uns Deutschen die Fähigkeit zur Weltpolitik und wichtige, für ein führendes Volk unentbehrliche Eigenschaften fehlen, jedenfalls noch fehlen. […] Unsere eigene Unreife und Unzulänglichkeit schließen uns durch die Entscheidung des Krieges vorerst aus der Reihe der führenden Völker aus.“56

Als Althaus den Aufsatz im Februar 1919 verfasst, tagen bereits seit dem 18. Januar 1919 die Siegermächte auf dem Friedenskongress in Versailles, um über Deutschlands Schicksal zu beraten. Dass es ihnen sowohl darum geht, das Deutsche Reich zu bestrafen und für den eigenen Wiederaufbau nach dem Krieg finanziell in die Verantwortung zu nehmen, als auch darum, sich politisch und militärisch vor Deutschland zu schützen, wurde den Deutschen schnell bewusst. Auch über die Härte der Friedensbedingungen machte man sich kaum Illusionen, wenn auch die letztlich beschlossenen Bestimmungen des Versailler Vertrages für die Deutschen jenseits des Vorstellbaren liegen sollten57. Ganz auf der Linie seiner geschichtsphilosophischen Betrachtungen über Krieg und Frieden und über das Zusammenleben der Völker, das ein „willkürliches, frivoles Zertreten fremden Lebens aus bloßer Machtgier und schrankenlosem Ausdehnungstrieb“ als der „lebendigen Gerechtigkeit der Geschichte“ widersprechend ausschließt, prophezeit Althaus über das absehbare Ergebnis des Friedenskongresses: „Kraft unerbittlicher, geschichtlicher Lebensgesetze wird sich die furchtbare und brutale Vergewaltigung Deutschlands durch seine Feinde an ihnen rächen. Sie ist geschichtliche Schuld.“58 Aus diesen Worten spricht zum einen der Zorn des Patrioten, der wie alle Deutschen abwarten muss, was die Sieger in Versailles über Deutschlands Schicksal entscheiden, ohne dass man von deutscher Seite darauf Einfluss nehmen kann. Zum anderen spricht aus ihnen aber auch die Hoffnung des Patrioten, der sich nicht damit abfinden will, dass das aus Versailles zu erwartende Urteil über Deutschland das letzte Wort sein soll. 56 Ebd. Als Belege für die „Unreife“ führt er hier an: „Das völlige Versagen der deutschen Politik seit 1890, […] die Zwiespältigkeit und Unstetigkeit unseres politischen Wollens“. Auch hat Althaus Deutschland im Blick, wenn er schreibt: „Oder eine Nation lebt über ihre Verhältnisse und über ihre Kraft, tritt etwa durch eigenen Ehrgeiz und Willen […] in die Weltpolitik ein mit ungenügender Begabung und unzureichender politischer Kraft – sie muß den Fehlgriff und Irrweg in harten Erfahrungen büßen“ (ebd., 454). 57 Vgl. Kap II, 2. 58 1902 Pazifismus, 454 f., Anm. 2. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Doch Althaus geht noch einen Schritt über diese Hoffnung hinaus. Denn er legt seinen Landsleuten nahe, das deutsche Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und gegen den alliierten Siegfrieden vorzugehen: „Ein großes Volk, das nicht mit entschlossenem Willen und aller Kraft hinter seinem geschichtlichen Rechte steht, sondern sein ‚Recht‘ von der Gerechtigkeit anderer würdelos erwartet, verwirkt eben damit seine geschichtlichen Rechte und hat den Gewaltfrieden, mit dem man es in Fesseln schlägt, nur verdient. Das ist die harte, aber gesunde und männliche Gerechtigkeit der Geschichte.“59

Damit ist für ihn der Grundstein für eine Revision des kommenden, in seinen Augen nur sogenannten „Friedensvertrags“ gelegt, was zugleich die außenpolitische Hauptaufgabe der kommenden Jahrzehnte bedeuten soll. Das Recht, das die Sieger mit ihrer Macht setzen und dem Deutschen Reich oktroyieren werden, ist in Althaus’ Augen kein wirkliches Recht, da es aus einem „Gewalt­ frieden“ hervorgeht. Folgerichtig mit der Ablehnung des Versailler Vertrages als Abkommen, das allein die Siegerstaaten aushandeln, lehnt Althaus auch den geplanten Völkerbund – er nennt ihn mit der alten Bezeichnung „Schiedsgericht“ – als Instrument der Sieger zur Unterdrückung ihrer Feinde ab. Doch auch vor dem Hintergrund seiner eigenen Geschichtsphilosophie und -theologie und damit seiner Überzeugung davon, wie sich eine „lebendige Gerechtigkeit in der Geschichte“ auf organische, irrationale Weise herauskristallisiert, kann er die Idee eines Völkerschiedsgerichts, die dem idealistischen Pazifismus entspringt, nur ablehnen. Wenn er die „Zusammenstöße“ der Völker als „organisch bedingt und daher elementar“ betrachtet und definiert, muss er dieser Idee entgegenhalten: „Wie kann hier je ein Schiedsgericht entscheiden und das ‚Recht‘ finden?“ Oder anders formuliert: „Darf ein Volk in solcher Stunde die Entscheidung über seinen geschichtlichen Beruf in die Hände eines Schiedsgerichts legen?“60 Seine Antwort lautet, eine Entscheidungsfindung mit Hilfe eines Schiedsgerichts bedeute „ja in der Tat nichts anderes als eine Vergewaltigung des lebendigen Rechtes, das sich in der Geschichte durchsetzt.“61 Noch schwererer Geschütze gegen den Gedanken eines Völkerbundes führt Althaus mit einem geschichtstheologischen Zitat von Emanuel Hirsch ins Feld: „Sein Leben und seine Zukunft kann kein gesund empfindendes Volk von menschlichem Schiedsspruch abhängig machen. Die letzte Entscheidung

59 Ebd., 456, Anm. 2. 60 Ebd., 458. 61 Ebd., 460. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Versailler Vertrag und das Verhältnis von „Pazifismus und Christentum“

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über sein Geschick soll und darf es empfangen wollen aus den Händen des Herrn der Geschichte selbst.“62 Indem Gott als Garant der „lebendigen Gerechtigkeit in der Geschichte“ dient, ist das menschliche Unterfangen eines internationalen Völkerschiedsgerichts endgültig als unchristlich und unsittlich desavouiert. Und doch erkennt Althaus bei alledem auch die gute Absicht an, die viele Pazifisten leitet: „Wir zweifeln nicht daran, daß unter den amerikanischen Pazifisten viele Männer von so unbedingt lauterem Wollen und inniger Jesushingabe sind, die wirklich glauben, als Pazifisten sein Reich zu bauen. – Auch bei Wilson ist der Ton hohen Idealismus und echten Glaubens unverkennbar.“63 „Dem Präsidenten Wilson und vielen bedeutenden Männern in den feindlichen und neutralen Ländern, vielen unserer deutschen Demokraten […] ist die Aufrichtung der Herrschaft des Rechts unter den Völkern eine Sache des sittlichen Gewissens und ehrlichen begeisterten Glaubens.“64

Und so kann Althaus dem Völkerbund doch auch ein begrenztes Recht zu­ billigen: „In untergeordneten Dingen, bei manchen Interessengegensätzen mag ein Völkerschiedsgericht durch billigen Ausgleich Konflikte verhindern und auch sonst durch Beseitigung von Mißverständnissen viel unnötige Gereiztheit und Erbitterung im Keime ersticken können.“65

In den „großen Wende- und Wetterstunden in dem Leben der Völker“ allerdings versagen menschliche Vernunft und Rationalismus. Denn Althaus zeigt sich davon überzeugt: „Es ist für die großen Völker unmöglich, in ernsten Streitfragen, die irgendwie ihre eigenen Interessen berühren, sich gleichsam über die Dinge zu stellen.“ „Ein Völkerschiedsgericht würde nicht nach Recht und Gerechtigkeit entscheiden. Unsere deutschen Schwärmer für den Völkerbund und Schiedsspruch erhalten in dieser Beziehung jetzt einen furchtbaren Anschauungsunterricht.“66 62 Ebd., 461. Das Zitat stammt aus Hirsch, Pazifismus, 13. Dass Althaus in seiner geschichtsphilosophischen und -theologischen Spekulation über den tieferen Sinn des Krieges von Hirsch und dessen Sichtweise vom legitimen Krieg als schöpferischem Mittel geschichtlicher Staatenbildung beeinflusst ist, äußert er selbst: „Mit Hirsch berühren sich meine Gedanken über Geschichte, Gerechtigkeit und Pazifismus weithin. In vielem einzelnen hat Hirsch an meiner Auffassung mitgearbeitet.“ (1902 Pazifismus, 459, Anm. 1). 63 1902 Pazifismus, 464 f., Anm. 1. 64 Ebd., 463. 65 Ebd., 459. 66 Ebd., 466. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Was er damit konkret meint, macht er deutlich, wenn er schreibt, „daß man den Völkerbund heute auf die Vergewaltigung Deutschlands aufbaut, daß er bisher nur wie eine Verewigung des Entente-Bündnisses erscheint.“67 Somit kann nach Althaus „in dem Schiedsgerichte nicht eine über den Dingen stehende Gerechtigkeit das Wort führen, sondern […] die Interessen des mächtigsten Staates oder Staatenblocks, der über die größte wirtschaftliche und kulturelle Einflußkraft verfügt, werden den Ausschlag geben. Die Gewalt wird herrschen – aber im Namen des Rechts. Schwerlich wird man darin ein sittliches Ideal sehen können.“68

Wenn also Althaus zwar zugibt, dass „die internationale Organisation der Völker eine Forderung der politischen Zweckmäßigkeit im Augenblick sein mag“ und er einen solchen „Zweckverband der europäisch-amerikanischen Völker zur Verhütung von Kriegen und zur Lösung bestimmter gemeinsamer Auf­ gaben [für] durchaus möglich“ hält, so bleibt er dennoch dem Gedanken gegenüber kritisch-ablehnend: „Der Völkerbund mag das Werk einer richtigen politischen Berechnung sein, eine sittliche Tat und eine weithin leuchtende sittliche Wirklichkeit bedeutet er nicht, trotz alles Idealismus seiner Propheten. Die christliche Sittlichkeit hat mit der Arbeit für den Völkerbund nichts zu tun. Sie wendet sich vielmehr von dem Mißbrauch, der mit dem hohen Worte Gerechtigkeit getrieben wird, empört ab.“69

67 Ebd., 469. 68 Ebd., 467. Einmal mehr beruft sich Althaus mit dieser Einschätzung auf Hirsch, Pazifismus, 7, wo es heißt: „Und der ganze erreichte sittliche Fortschritt der Menschheit besteht darin, daß sie [= die neue Herrschaft des Rechts] es besser lernt zu lügen. Wenn der Sieger dem Besiegten gegenüber das Recht der Eroberung geltend macht, so redet er ehrlich. Wenn er sich dagegen das, was er begehrt, durch angeblichen unparteiischen Spruch solcher, die ihm zu willen sein müssen, geben läßt, so mißbraucht er heilige Begriffe.“ 69 Ebd., 468. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

4. Zusammenfassung Für Althaus wie für das gesamte nationalkonservative deutsche Luthertum stellte die Kriegsniederlage 1918 und damit verbunden die Bedingungen des Versailler Vertrages eine heute kaum mehr nachvollziehbare politische und geschichtsphilosophische bzw. geschichtstheologische Herausforderung dar. Diese Katastrophe galt es politisch und theologisch zu verarbeiten. Das Nächstliegende ist für ihn als familiär Betroffenen erst einmal die Frage nach dem Sinn der Kriegstoten, deren Sterben er unter allen Umständen der Vergeblichkeit zu entreißen trachtet. Die Gefallenen sind kaum beweint, da gilt es bereits den nächsten Schicksalsschlag für Deutschland zu verarbeiten: den Versailler Vertrag mit seinen als äußerste Entwürdigung empfundenen und mit militärischer Übermacht erzwungenen Friedensbedingungen. Althaus reagiert differenziert darauf. Einerseits legt er den Deutschen ein „gutes Gewissen“ nahe, andererseits ruft er sie zur „Buße“ auf; einerseits wehrt er sich vehement gegen den gegen Deutschland erhobenen Vorwurf der Alleinschuld am Krieg, andererseits spricht er von deutscher Mit-Schuld am Krieg und benennt deutlich das Versagen der deutschen Führung. Diese Differenzierungsleistung hält Althaus dennoch nicht davon ab, angesichts seiner Erlebnisse an der zusammenbrechenden Ostfront in Polen die in der damaligen Zeit so virulente „Dolchstoßlegende“ in sein Weltbild zu übernehmen. Von immens nationalem Interesse ist für Althaus zudem die Frage nach dem tieferen Grund für die deutsche Katastrophe. Die Antwort liegt für ihn in der harten, aber gerechten geschichtlichen Tatsache begründet, dass Deutschland noch nicht die nötige sittlich-kulturelle „Tüchtigkeit“ besitzt. Folgerichtig ist es das Althaussche Bestreben in den kommenden Jahrzehnten, Deutschland sittlich und kulturell, d. h. für ihn aber wesentlich religiös-christlich zu ertüchtigen. Nicht zuletzt auf seinen Erfahrungen der Behandlung Deutschlands durch die Siegermächte des Weltkrieges beruht Althaus’ geschichtstheologische Konzeption einer „lebendigen Gerechtigkeit in der Geschichte“, die sich gemäß göttlicher „Lebensgesetze“ durchsetzt. Wenn er darin betont, dass in der Geschichte der Völker immer wieder „Recht auf Recht“ stößt, so lässt sich darin ein Reflex auf den Kriegsschuldartikel 231 des Versailler Vertrages erblicken, mit dem das unterlegene Deutschland zum Zwecke der politisch-wirtschaft­ lichen Abhängigkeit moralisch bloßgestellt werden sollte1. Bereits im Februar

1 In einer Rezension schreibt Althaus 1928 dementsprechend von der „verlogenen englischen Kriegsideologie“ (2805R Scott, 142). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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1917 hatte Althaus demgegenüber in einer Sonntagsbetrachtung seine „Sehnsucht nach gemeinsamer, edler Menschheitsarbeit“ zum Ausdruck gebracht und sich für einen „Frieden ohne Tyrannei über die anderen“ ausgesprochen2. Vor diesem Hintergrund musste das Urteil von Versailles für ihn umso ent­ täuschender sein. Dass Althaus den oktroyierten Versailler Vertrag wie nahezu alle Deutschen kategorisch ablehnte, kann nicht verwundern. Dieses negative Vorzeichen sollte die junge deutsche Republik auch in seinen Augen nicht wieder losbekommen. Der Kampf gegen das als entwürdigend, ungerecht und unklug empfundene Versailler Urteil sollte eine Grundkonstante seiner politischen Haltung für die Zeit bis 1933 bilden. Von dieser negativen Erfahrung her erklärt sich auch seine ablehnende Haltung gegenüber dem Völkerbund, der zwar mit hehren Zielen angetreten war, aber in der Realität kaum anders denn als Bund der Sieger angesehen werden konnte, dem es zumindest in den ersten, die öffentliche Meinung in Deutschland maßgeblich prägenden Jahren vielfach um ein Kurz­halten Deutschlands zu tun war. Althaus’ geschichtsphilosophischer bzw. -theologischer Gedankengang ist einfach und problematisch zugleich: Indem sich einerseits in der Geschichte eine „lebendige Gerechtigkeit“ im für ihn naturhaften, oftmals kriegerischen Ringen der Völker herauskristallisiert, andererseits aber Gott als betonter „Herr der Geschichte“ über die „geschichtlichen Lebensgesetze“ wacht, ergibt sich als Conclusio konsequenterweise nur der Kurzschluss: Krieg liegt in Gottes Willen begründet, den er mit den Völkern hat. Oder anders formuliert: Gott gibt einem Volk seinen „Weltberuf“, diesem muss es nicht zuletzt auf kriegerische Weise nachkommen. Althaus’ Geschichtsphilosophie und -theologie kann, ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten und Regeln folgend, nicht anders, als den Krieg positiv zu bewerten. Die „Klarheit lutherischer Ethik“ vermag diesen fatalen Kurzschluss offensichtlich nicht zu verhindern. Wenn Althaus den Vertretern des Pazifismus vorwirft, „das Christentum für den […] Weltfriedensgedanken in Anspruch zu nehmen“, sei ein „offenkundige[r] Mißbrauch der christlichen Ethik“3¸ so ist selbiges seiner eigenen Inanspruchnahme Gottes für den Kriegsgedanken entgegenzuhalten. Bei seinem Blick auf die besondere Rolle der Christen in Krieg und Frieden gibt Althaus einmal mehr ein Paradebeispiel für seine ambivalente Sichtweise, die in diesem Fall einerseits den Kriegsgedanken theologisch verstärken und zementieren, andererseits aber auch begrenzen und humanisieren kann, z. B. durch die Idee einer „internationale christliche

2 1706B. 3 1902 Pazifismus, 476. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Zusammenfassung

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Arbeitsgemeinschaft“. Es ist eine eigentümliche Ambivalenz in Althaus’ Aus­ sagen zum Thema „Christentum und Krieg“, die aus der Spannung herrührt, in der sich die christliche Existenz für ihn vollzieht: Einerseits sollen die Christen für den gottgegebenen „Beruf“ ihres Volkes in der Welt entschlossen und opferbereit kämpfen bis zur Entscheidung durch die „lebendige Gerechtigkeit in der Geschichte“, in der Gott der Herr über diese Wirklichkeit ist. Andererseits sollen sie das „Widergöttliche“ am Krieg wahrnehmen und sich der göttlichen „Wirklichkeit, die über allen Gegensätzen steht“, und damit der „übernationalen communio sanctorum“ bewusst sein. Indem Althaus also von zwei Gotteswirklichkeiten ausgeht, die miteinander in Spannung stehen, wird diese Spannung in das Gottesbild selbst hineingetragen. Beide Realitäten erscheinen in seiner Konstruktion als gleichberechtigt. Daher kann auch die Wirklichkeit der communio sanctorum den Kriegsgedanken nicht relativieren, während umgekehrt die „herben Gesetze der Menschengeschichte“ und damit der Krieg nicht diese communio aufheben können4. Eingebettet ist Althaus’ Zurückweisung eines christlichen Pazifismus und seine Darlegung der eigenen Geschichtstheologie als Antwort darauf in seine Auseinandersetzung mit dem Religiösen Sozialismus bzw. mit der christlichsozialen Bewegung. Mit den Christlich-Sozialen weiß sich Althaus in vielen Punkten, z. B. im Hinterfragen scheinbarer „Eigengesetzlichkeiten“, einig. Indem er sich von den beiden Extremen „Quietismus“, der die Weltverhältnisse hinnimmt, wie sie sind, und „Schwärmertum“, das die Welt in Gottes Reich umwandeln will, distanziert, nimmt er aus seiner Warte eine Position der Mitte ein. Lebendige christliche Existenz vollzieht sich für ihn zwischen den beiden Polen „Konservatismus“ und „Revolution“. Was es allerdings jeweils zu bewahren und wogegen es jeweils zu revoltieren gilt, das geben die eigenen politischweltanschaulichen Prägungen und Präferenzen vor. Soziale und wirtschaftliche Eigengesetzlichkeiten bzw. Ordnungen werden von ihm durchaus in Frage gestellt („Mammonismus“), hierbei empfiehlt er seinen Lesern auch und gerade ein Lernen von den Religiösen Sozialisten5. Wenn es allerdings um nationale 4 Aufgehoben wird diese Spannung auch nicht durch Althaus’ eschatologischen Ausblick auf das „Kommen seines Reiches“, mit dem er die „christliche[n] Völker, die von Gottes Weltziel wissen“, in die Pflicht nimmt: „Das Bewußtsein darum, daß alle Macht nur dann ihr Recht behält, wenn sie zuletzt nicht Ausbeutung der anderen, sondern schließlich irgendwie Menschheitsdienst in Richtung auf das Kommen des Reiches Gottes sein will – dieses Bewußtsein in den Völkern lebendig zu erhalten ist nicht die geringste Aufgabe der Christen“ (ebd., 478). 5 Einen „revolutionären Geist“ kann Althaus auch der Kirche anempfehlen, wenn es um soziale Fragen geht. So äußert er in einer Rezension zu Max Greiners Schrift „Die Kirche vor die Front. Ein Wort über die Mitarbeit der Kirche und des Pfarrerstandes an der Heimstätten- und Kriegerheimbewegung“: „Die künftige Stellung der Kirche im Volksleben [wird] ganz entscheidend davon © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Belange geht, dann zeigt sich Althaus als Konservativer, der die herkömmlichen und festgefahrenen Wege nicht zu verlassen vermag, wie seine Rechtfertigung kriegerischer Auseinandersetzungen deutlich zeigt.

abhängen, welchen Anteil die Kirche an der sozialen Gesundung der Boden- und Wohnungsverhältnisse nimmt […]. Die Kirche wird damit rechnen müssen, daß sie durch mannhaftes Voranschreiten und Handanlegen in der Heimstättenfrage einflußreiche Kreise vor den Kopf stößt. Aber das soll ihr dann eine Ehre sein, und daß sich ihr manche Türen schließen, soll sie tapfer tragen. Denn sie tut sicher Gottes Willen, wenn sie den Kampf gegen die Ungerechtigkeit der Bodenspekulation mit Entschlossenheit aufnimmt und auf diese Weise in breiten Schichten unserer Arbeiterschaft erst wieder die Vorbedingungen für gesundes sittliches und religiöses Leben weckt.“ (1803R Greiner). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Kapitel III: Geschichtstheologie als Krisenverarbeitung – Paul Althaus in Rostock 1919 bis 1925 1. Die Zeit politischer Krisen und theologischer Neuaufbrüche – Paul Althaus in Rostock Es waren in erster Linie die Krisenjahre der Republik, die Althaus in seiner ­Rostocker Zeit miterlebte. Besonders die Revolutionswirren hinterließen in Rostock ihre Spuren. In einem Rückblick 1935 nennt Althaus seine bewegte Rostocker Zeit eine „unruhige, schmerzvolle, von leidenschaftlichen Spannungen geladene Gegenwart“: „Die Tage nach dem Kapp-Putsch waren in Mecklenburg so düster wie kaum irgendwo sonst im Norden. Nicht zuletzt durch alte soziale Schuld hatten sich die politischen Gegensätze hier zu erschreckender Feindschaft verbittert. Unsere Studenten und die marxistisch-verhetzte Arbeiterschaft lagen sich mit der Waffe in der Hand gegenüber. Das Blutopfer der Universität […] erschütterte uns tief. Der Boden war heiß. Neue Geschichte drängte sich heran. Die Stunde des Nationalsozialismus kündigte sich in Mecklenburg früher und leidenschaftlicher als vielerorts an.“1

Problematischer kann man sich die äußeren Bedingungen eines Arbeitsbeginns kaum vorstellen. Das deutsche Kaiserreich war im November 1918 mit dem verlorenen Krieg restlos untergegangen, die Welt des „langen 19. Jahrhunderts“ (Eric Hobsbawm) lag endgültig in Trümmern. Deutschland war als Folge dieses Untergangs materiell und ideell am Boden, mit dem oktroyierten Friedensvertrag von Versailles im Juni 1919 nunmehr auch moralisch. Die Siegermächte des Weltkriegs  – allen voran Frankreich  – ließen Deutschland spüren, wer den Krieg verloren hatte. Das von ihnen dazu geschaffene „Versailler System“ der wirtschaftlichen, militärischen und politischen Abhängigkeit, welches eines ums andere Mal den hohen Idealen des gleichzeitigen „Genfer Systems“, das der Völkerbund repräsentieren und das den friedlichen Verkehr gleichberechtigter Völker in der Welt garantieren sollte, Hohn sprach, ließen für viele Deutsche den in ihren Augen nur sogenannten Frieden als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln erscheinen. 1 3503 Mecklenburg, 229. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Die deutschen Regierungen, die sich wohl oder übel mit den politischen Realitäten zu arrangieren hatten, wurden von Beginn an dafür bekämpft. Die „Republik ohne Republikaner“ war von Beginn an zugleich eine „Republik der Friedlosigkeit“ (Manfred Funke), wofür äußere und innere Belastungsfaktoren verantwortlich zu machen sind2. Von Beginn an war die erste deutsche Republik, die sich offiziell mit dem Inkrafttreten der Reichsverfassung am 11. August 1919 konstituierte, Angriffen ausgesetzt, die sie in ihrem Bestand gefährdeten. Abgesehen von den militärischen Übergriffen seitens der Siegermächte von außen, versuchten besonders in den ersten Jahren ihres Bestehens links- und rechtsradikale Gruppierungen, den verhassten westlich-republikanischen Parlamentarismus mit Gewalt zu überwinden und neue staatliche Ordnungen an dessen Stelle zu errichten3. Überhaupt stand der Kampf an der politischen Tagesordnung. Während die von der Mehrzahl der Deutschen ungeliebte Republik unter enormem innenund außenpolitischen Druck stand, „bewirkte das Fiebrige der öffentlichen Verhältnisse eine wachsende Verrohung und Verwahrlosung.“4 Zwischen 1919 und 1923 wurde der Ausnahmezustand zur Regel. Als 1918/19 von linksradikaler Seite versucht wurde, die militärische Katastrophe des monarchistischen Deutschland zu nutzen, um auf deutschem Boden eine Räterepublik zu errichten, konnte nur eine Zusammenarbeit zwischen den Mehrheitssozialdemokraten mit der militärischen Führung die proletarische Revolution verhindern. Zwei für die erste deutsche Republik folgenschwere Konsequenzen hatte dieser Vorgang: Zum einen standen sich von nun an Sozialdemokratie, neben dem Zentrum die größte Stütze der Republik, und Kommunisten als erbitterte Todfeinde gegenüber. Zum anderen herrschte in Deutschland spätestens mit dem Bekanntwerden von russischen Finanzaktionen mit linksradikalen deutschen Gruppierungen und der Unterstützung der Spartakisten aus Moskau ein Klima der Verdächtigung gegen alles als kommunistisch Identifizierte zusammen mit der mehr oder minder berechtigten Furcht vor bolschewistischem Einfluss in Deutschland vor. Besonders in kirchlichen Kreisen wurden die Nachrichten über die brutale Verfolgung der Kirchen und der Christen in der Sowjetunion mit zunehmendem Entsetzen aufgenommen. Auch in der unmittelbaren Folgezeit setzten sich die Brutalisierung des politischen Umgangs und die Suche des politischen Heils in extremistischen Lösungen fort. Allein zwischen 1919 und 1923 gab es in Deutschland 354 politische Morde von rechts und 22 von 2 Zu den äußeren Belastungsfaktoren im Gefolge des Versailler Vertrages vgl. Kap. II, 2. 3 Mohler, Revolution, 40 spricht für die ersten fünf Jahre der Weimarer Republik von einer „Zeit des permanenten Bürgerkriegs“. Er zählt 18 Aufstandsversuche von links und drei von rechts. 4 Funke, Republik, 13. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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links5. Im Februar 1919 wurde der bayerische USPD-Ministerpräsident Kurt Eisner von einem Offizier ermordet, im November starb Hugo Hase, der Parteivorsitzende der linksradikalen USPD, nach einem Attentat. Die Furcht vor einer unsicheren Zukunft entlud sich besonders bei Berufssoldaten, denen die Bestimmungen des Versailler Vertrages die Arbeitslosigkeit bereitete, in aggressivem Hass auf die Republik. Im März 1920 putschen Reichwehr- und Freikorpsverbände um die Anführer Walther von Lüttwitz und Hermann Erhardt in Berlin, doch konnte die Bildung einer Gegenregierung unter Kapp durch einen Generalstreik abgewendet werden. Zeitgleich mit dem Aufstand von rechts in Berlin gingen andernorts die Linken gegen die Republik vor. Im März und April 1920 beendeten Reichswehrverbände gewaltsam Aufstände der „Roten Ruhrarmee“ in Essen, Elberfeld und Düsseldorf, und auch eine in Sachsen ausgerufene Räterepublik wurde in den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen niedergeschlagen. Ein Jahr später kam es im März 1921 in Sachsen erneut zu Unruhen, ehe im August 1921 der Zentrumsabgeordnete und ehemalige Finanzminister Matthias Erzberger, dem von rechtsradikalen Kreisen die Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens im November 1918 angelastet wurde, ermordet wurde. Im Jahr darauf wurden im Juni 1922 sowohl der Außenminister Walther Rathenau, auf dem große Hoffnungen für die Republik lagen, von Rechtsradikalen ermordet, als auch auf den SPD-Politiker Philipp Scheidemann ein Blausäureattentat verübt. Das die erste deutsche Republik in ihrem Bestand nach außen und innen am meisten gefährdende Jahr 1923 setzte ein mit der mit Reparationszahlungsrückständen begründeten Besetzung des Ruhrgebiets als „produktives Pfand“ durch Franzosen und Belgier im Januar. Das Gefühl ungerechter Behandlung und eigener Ohnmacht, verbunden mit einem brutalen Vorgehen der Besatzer, rief auf deutscher Seite sowohl passiven als auch aktiven Widerstand hervor. Zu ersterem rief auch die Reichsregierung auf und wollte diesen mit Reichsmitteln finanzieren, was die Inflation erheblich anheizte. Im Juni 1923 stand die deutsche Wirtschaft vor dem völligen Kollaps, die Ernährungslage im Reich war katastrophal, so dass im September 1923 der sogenannte „Ruhrkampf“ schließlich abgebrochen werden musste6. Die national aufgeheizte Stimmung im Land nutzte am 1. Mai 1923 die NSDAP um ihren charismatischen Anführer Hitler zu einem großangelegten bewaffneten Aufmarsch, der allerdings von Polizei und Reichwehr kleingehalten wurde. Im Herbst 1923 kulminierte 5 Vgl. ebd., 17. 6 Für Michalka, Außenpolitik, 313 war der Ruhrkonflikt „gleichzeitig Höhepunkt und Abschluß einer Politik, der die kriegerische Auseinandersetzung des Ersten Weltkrieges mit poli­ tischen und wirtschaftlichen Mitteln fortsetzte.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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schließlich die Zerreißprobe für das Deutsche Reich. Im Oktober kam es erneut zu kommunistischen Aufständen in Thüringen, Sachsen und Hamburg, die von Reichswehr und Polizei unterbunden werden konnten. Ebenfalls im Oktober 1923 flammten französisch unterstützte Separatistenunruhen im Rheingebiet auf7, ehe im November 1923 Hitler seinen Putschversuch unternahm und nach dem Vorbild Mussolinis von München aus nach Berlin marschieren wollte, was am Widerstand der bayerischen Polizei scheiterte. Dieser allgegenwärtigen Bedrohungslage für die Existenz der ersten deutschen Republik von Links, von außen und vor allem von rechts entsprach zugleich eine Zunahme der republikfeindlichen Kräfte in den Parlamenten von Wahl zu Wahl. „Die Verachtung von Kompromissen vervielfältigte die Tendenzen zur Polarisierung“, so dass sich bereits ab 1920 eine „Auszehrung der politischen Mitte“ abzeichnete. Nach Manfred Funke konnten auch die sogenannten „goldenen Zwanziger Jahre“ nach dem Ende der Inflation von 1924 bis 1928 diesen Trend nicht aufhalten und blieben damit letztlich eine „Übergangsphase, in welcher ein aktiver, geistiger, streitbarer Demokratieschutz ebenso wenig gelang wie die Verfassungssicherung mit den Mitteln des Rechts.“8 Freilich bedurfte es erst der katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929, die Deutschland aufgrund seiner infolge der Reparationsverpflichtungen notwendigen ausländischen Kredite besonders hart trafen, um die Wähler in großen Scharen den radikalen Parolen von links und rechts nachlaufen zu lassen. So wurde die NSDAP in Bezug auf ihre Wählerstimmen erst bei der Reichstagswahl 1930 von einer der vielen rechtsradikalen Splitterparteien zu einer ernstzunehmenden politischen Größe, und auch die Kommunisten legten weiter zu. Auch die Lage von protestantischer Kirche und Theologie, vor allem lutherischer Ausprägung, sah in dieser Zeit nach dem Ersten Weltkrieg nicht besser aus. Konnte man in der Zeit der großen Koalition zwischen Thron und Altar im Protestantismus durchaus so etwas wie die Leitkultur der kaiserzeit­ lichen Gesellschaft sehen9, spürte die kirchlich-protestantische Elite nun ihren 7 Dazu schreibt Elz, Versailles und Weimar, 34f: „Das nach der Kapitulation im Rheinland faktisch isolierte und nicht weiter von der Notenpresse alimentierte Rheinland drohte verloren zu gehen: Der Separatismus rührte sich, und das kam der französischen Besatzungsmacht nicht ungelegen, die auf dem Umweg der Ablösung des Rheinlands vom Reich ihre Pläne von 1918/19 nachträglich realisieren wollte. Für einige Wochen hielten Separatisten das linksrheinische Gebiet unter Kontrolle, ehe ihnen aus der Mehrheit der Bevölkerung heraus – und mit geheimer Unterstützung von Reichsstellen – die Macht entrissen wurde.“ 8 Funke, Republik, 16. 9 Fesser, Die Kaiserzeit, 42.44 schreibt dazu: „Im Jahre 1910 gehörten 61,6 % der Bevölkerung des Kaiserreichs den evangelischen Landeskirchen und 36,7 % der römisch-katholischen Kirche an.“ „In den Jahren 1888 bis 1914 haben 90 Personen das Amt des Reichskanzlers und die © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Einfluss durch kirchenfeindliche Kräfte von sozialistischer und sozialdemokratischer Seite einerseits und durch antiprotestantische Kräfte von Seiten des politischen Katholizismus andererseits bedroht10. „Mit der Revolutionserfahrung von 1918, die man sich nicht dramatisch genug vorstellen kann, fühlten sich große Teile des protestantischen Bürgertums, so wie sie ihren Nationalprotestantismus verstanden, nicht mehr nur in eine Welt gefährlich erodierenden Christentums, sondern in eine unchristliche, ja christentumsfeindliche Welt versetzt.“11

1919 wurde den konservativen Protestanten mit der Weimarer Koalition und der – freilich nicht konsequent durchgeführten – Trennung von Staat und Kirche in der Weimarer Reichsverfassung ein Schock versetzt, von dem sich viele nicht mehr erholen sollten. Mit dieser Trennung von Staat und Kirche verlor die evangelische Kirche nicht nur ihre vormals herausragende, privilegierte und dominante Stellung in Staat und Gesellschaft, sie wurde nunmehr von der Verfassung unter die „Religionsgesellschaften“ subsumiert, wodurch die Religion vollkommen in den Bereich des Privaten abgedrängt zu werden drohte. Nicht ohne Grund spricht Matthias Pöhlmann daher von einem „schwindenden Positions- und Funktionsverlust der Kirche im religiösen und geistigen Pluralismus einer säkularisierten Massengesellschaft.“12 Die zahlreichen Kirchenaustritte ab 1919, unter anderem eine Folge der sogenannten „Gottlosenpropaganda“ des linken politischen Spektrums, taten ihr Übriges, um dieses negative Bild der Weimarer Republik in kirchlichen Kreisen zu festigen13. Maßgeblichen Einfluss auf das kirchliche Bild von der Weimarer Republik hatte dabei das Auftreten der bis 1930 stärksten und entscheidend staatstragenden Partei in Deutschland, der SPD. „Von ihren 152 Reichstagsabgeordneten waren im Jahr 1928 nur 20 Mitglieder einer Kirche“, so Jonathan Wright. „Laut dem Erfurter Programm vertrat die Sozialdemokratische Partei die Auffassung der Religion als ‚Privatsache‘ […]. Die sozialdemokratische Presse fand aus ihrer Sicht heraus häufig Anlaß zur Kritik an der evangelischen Kirche: sie spottete über kirchliche Feiern, beanstandete die staatlichen Zuwendungen für die Kirchen und deren Sozialarbeit und protestierte gegen Bekenntnisschulen. Unter diesen Umständen nahmen die Kirchenführer mit einigem Recht an, daß Ämter von Reichsstaatssekretären und preußischen Ministern bekleidet. Nur sieben von ihnen waren Katholiken.“ Adolf Stoecker sprach mit Blick auf das deutsche Kaiserreich sogar vom „Heiligen Evangelischen Reich deutscher Nation“. 10 Vgl. Bormuth, Kirchentage, 266. 11 Hardtwig, Religion, 155. 12 Pöhlmann, Kampf, 35. 13 Ebd., 54. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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die gemäßigte Politik der Sozialdemokraten gegenüber der Kirche auf den Druck der Zentrumspartei zurückzuführen war.“14

Die aus kirchlicher Sicht unbefriedigende Schulfrage, in der die Kirchen auf ein Reichsgesetz zugunsten der Bekenntnisschulen pochten, war ein wichtiger Aspekt in der kritischen Sichtweise auf die ohnehin nur widerwillig tolerierte Weimarer Republik: „Das Unvermögen der verschiedenen aufeinanderfolgenden Reichsregierungen, ein den grundsätzlichen Wünschen der Kirchenführer entsprechendes Reichsschulgesetz zu verabschieden, stand der Entwicklung guter Beziehungen zur Republik nachhaltig entgegen.“15

Doch auf kirchlicher Seite sah man nicht nur den eigenen Einfluss in der Gesellschaft schwinden, als Kehrseite dieser Medaille sah man die Gesellschaft der Weimarer Republik im Vergleich zu den verklärten Zeiten des Kaiserreichs in ein moralisches Chaos der Sittenlosigkeit abgleiten. Beim Blick in die „Kriminal- und Moralstatistik“ ließ man als Beleg dafür gerne die Zahlen sprechen16. Der Blick wurde gelenkt auf die steigende Kriminalität, insbesondere hinsichtlich „Straftaten gegen Staat, öffentliche Ordnung und Religion“ sowie „Sexual- und Sittlichkeitsverbrechen“, auf die steigende Zahl von Ehescheidungen, Abtreibungen, unehelichen Geburten und Selbstmorden sowie auf den steigenden Alkoholkonsum in Deutschland. Im Jahr 1927 konstatiert der kirch­liche Statistiker Johannes Schneider: „Die sittlichen Anschauungen unserer Zeit sind durchaus angefault und dazu tragen Theater, Revuen und Kinos in stetem Wettbewerb bei.“17 Beide Aspekte, sowohl der aus dem Kaiserreich überkommene sittlich-kulturelle Hegemonialanspruch der evangelischen Kirche als auch das Gefühl, gegen die wahrgenommene „Zersetzung“ von Moral und Kultur vorgehen zu müssen, führte zu einer zunehmenden Politisierung evangelischer Theologen und Kirchenmänner in der Weimarer Republik. So schreibt Daniel Bormuth: 14 Wright, Parteien, 72 f. 15 Ebd., 77 f. Zur Schulfrage ebd., 77–81. 16 Vgl. die jeweils sehr ausführliche Rubrik „Aus der Kriminal- und Moralstatistik“ im „Kirch­ lichen Jahrbuch für die evangelischen Landeskirchen Deutschlands“ in der Zeit der Weimarer Republik, herausgegeben vom Berliner Oberkonsistorialrat Johannes Schneider. Zur ansteigenden Kriminalitätsrate in der Weimarer Republik vgl. auch Scholder, Kirchen, 62, Anm. 7. 17 Kirchliches Jahrbuch 1927, 253. Auch Althaus wurde nicht müde, diese Entwicklungen in seinen Schriften und Predigten anzuprangern. So spricht er in einer Predigt im Januar 1923 von „unserem kranken Volke“: „Das Zerbrechen der Sitte, das Sterben heilsamer Überlieferungen, das Leben in den Tag hinein; wie ehrbarer Handel und Wandel weithin zur Sage wird; mit welchen Instinkten des Volkes die Lichtspiele rechnen – das sind schmerzliche Dinge“ (2301P Losung, 116). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Der Verlust des für die Kaiserreichszeit charakteristischen protestantischen Sekuritätsgefühls führte besonders im Pfarrerstand zu einer erheblichen sozialen Positionsverunsicherung und einem tiefen Krisenbewusstsein, Vor diesem Hintergrund sahen sich die kirchlich-theologischen Akteure dazu herausgefordert, sich geschlossen zu formieren und politisch zu engagieren.“18

Zu dieser politischen Meinungsbildung fühlte sich auch Althaus heraus­ gefordert. Doch auch innerhalb der evangelischen Theologie galt es, einen Neuaufbruch zu wagen, indem man die bisherigen Engführungen von liberaler und biblizistischer Theologie hinter sich ließ und offen war gegenüber den Erkenntnissen von historisch-kritischer Schriftforschung und religionsgeschichtlicher Betrachtungsweise. Entscheidende Impulse für einen solchen Neuaufbruch gingen dabei von der mehr und mehr intensivierten Beschäftigung mit der Theologie Martin Luthers aus, die sich als regelrechte „Lutherrenaissance“ etablierte und deren Hauptvertreter Karl Holl und Carl Stange als akademische Lehrer in Tübingen bzw. Göttingen direkt auf Althaus gewirkt hatten. Von Göttingen herkommend und dort selbst mit der religionsgeschichtlichen Forschung in Kontakt gekommen, gehörte Althaus theologisch „zu jener junglutherischen Rostocker Gruppe, die das Luthertum erstmals mit den historisch-religionsgeschichtlichen Methoden zu verbinden suchte“19. Mit der Hinwendung zu Luther eng verbunden – zumindest für diese lutherischen Theologen – ist ein ganzer Paradigmenwechsel innerhalb der evangelischen Theologie. Im Geleitwort der ab 1923 von Carl Stange zusammen mit Paul Althaus, Emanuel Hirsch und Georg Wehrung herausgegebenen „Zeitschrift für systematische Theologie“ liest sich das folgendermaßen: „Die Fragen der Religion und der Weltanschauung sind unter dem Einfluß der Weltereignisse in überraschender Weise in den Vordergrund gerückt worden. In der Theologie hat das zur Folge gehabt, daß sich die systematische Theologie und die Geistesgeschichte einer Beachtung erfreuen, die ihnen seit langem nicht mehr zu teil geworden ist. Man empfindet wieder stärker, daß sich die Aufgabe der Theologie nicht in Philologie und Historie erschöpfen darf.“20

18 Bormuth, Kirchentage, 270. Er schreibt weiter: „Solange nämlich die Öffentlichkeit der Mehrheitsgesellschaft wie in der Kaiserreichszeit noch vorwiegend evangelisch geprägt war und in der staatlichen Administration gebildete protestantische Laien selbstverständlich die Interessen ihrer Kirche vertraten, bestand für eine Politisierung evangelischer Geistlicher oder führender Synodaler kein Anlass. In einem weltanschaulich neutralen Staat änderten sich diese gesellschaftspoli­ tischen Rahmenbedingungen.“ 19 Beyschlag, Theologie, 178, Anm. 352. 20 2301 Geleit, 3. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Im Rückblick schreibt Althaus 36 Jahre später: Schon der Titel der Zeitschrift „war bezeichnend für das neue Selbstbewußtsein der systematischen Theologie nach dem Zeitalter des theologischen Historismus, der den wissenschaftlichen Charakter der theologischen Systematik, vor allem der Dogmatik bestritten hatte. […] Das Interesse an den systematisch-theologischen Fragen stand in den zwanziger Jahren innerhalb der Theologie fraglos an erster Stelle.“21

Diesen Paradigmenwechsel weg von historistischen hin zu systematisch-dogmatischen Fragestellungen erlebte und prägte Althaus direkt mit. Er und seine theologischen Mitstreiter sahen dabei ihre Aufgabe in der religiösen „Erneuerung und Vertiefung des Lebens, deren unsere Zeit bedarf“. „Das Verständnis der Religion aber, welches für die Kultur der Gegenwart allein in Betracht kommen kann, ist das Verständnis der Religion, welches wir der Reformation zu verdanken haben.“ Auf dieser Basis ging es Althaus und den anderen darum, die christliche Wahrheit, der die Theologie zu dienen hat, in Auseinander­ setzung mit allem „ernste[n] Wahrheitsstreben außerhalb der Theologie“22 zur Geltung zu bringen. Althaus befand sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs in Göttingen mit seiner Promotion im November 1913 und seiner Habilitation im Januar 191423 auf dem besten Weg, die akademische Laufbahn einzuschlagen. Ab Januar 1914 arbeitete er am homiletischen Seminar von Carl Stange, doch der Krieg riss ihn „aus dem glücklichen Dasein eines jungen Privatdozenten.“24 Seit August 1914 war Althaus im Heeresdienst im Osten, bis Ende 1914 als freiwilliger Krankenpfleger und ab 1915 als Lazarett-, Garnisons- und Gouvernementspfarrer in Brzeziny und vor allem in Lodz. Die praktische Tätigkeit als Prediger und Seelsorger sprach Althaus so sehr zu, dass er sie kurzzeitig sogar seiner wissenschaftlichen Karriere als Theologe vorziehen wollte. „Nach der Rückkehr aus meinem schönen Kriegsamte lockte mich zunächst die Univer­sität nicht. Es zog mich, in der dunkelsten, wirren Zeit des Vaterlandes, ins städtische Pfarramt.“25 Der Krieg und sein Ausgang bedeuteten für ihn eine tiefe Erschütterung. „Als wir […] aus dem Kriege heimkehrten, fanden wir eine veränderte Welt und uns selbst gewandelt vor. Die

21 5902 Rückblick, 1 f. 22 2301 Geleit, 5. 23 Seine Dissertation bzw. Habilitation erschien 1914 unter dem Titel „Die Prinzipien der deutschen reformierten Dogmatik im Zeitalter der aristotelischen Scholastik. Eine Untersuchung zur altprotestantischen Theologie“ (1401). 24 2709 Eintrag, 584. 25 Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Kriegsjahre bedeuteten eine Zäsur, wie im allgemeinen Leben, so auch in der Geisteslage.“26 Im Dezember 1918 kehrte Althaus nach Deutschland zurück. Nachdem ihm die Hannoversche Landeskirche keine geeignete Pfarrstelle anbieten konnte, übernahm er Ende Januar 1919 die vorübergehende Leitung des Prediger­ seminars auf der Erichsburg27, wo er selbst als Kandidat 1911 bis 1913 unter dem damaligen Leiter August Marahrens, dem späteren Landesbischof, eine „überaus wertvoll[e]“ Zeit verbracht hatte28. Von seinem freundschaftlich verbundenen Mentor Carl Stange ermutigt, kehrte er im Sommer 1919 nochmals als Assistent ans homiletische Seminar nach Göttingen zurück, wo er ein „unvergeßliche[s] Sommersemester mit den feldgrauen Hörerscharen“29 erlebte. Schon vorher war man auch andernorts in Deutschland auf den jungen, vielversprechenden Privatdozenten aufmerksam geworden. Bereits im November 1918 fand sich sein Name bei den Berufungsvorschlägen der Rostocker Fakultät zur Nachfolge des Systematikers Hermann Mandel, allerdings „trotz seiner erheblichen und vielseitigen Begabung“ aufgrund seines jungen Alters erst an vierter Stelle30. Als der damals stattdessen berufene Robert Jelke die Rostocker Fakultät nach kaum einem halben Jahr wieder Richtung Heidelberg verließ, konnte man im Herbst 1919 Althaus dafür gewinnen, im Wintersemester 1919/20 die systematische Theologie in Rostock „auftragsweise zu verwalten“31. Rostock, wie andere kleine Universitäten in Deutschland auch, galt damals für eine Vielzahl junger Gelehrter als ein mögliches Sprungbrett für einen Ruf an eine bedeutendere Universität. Auch ein weitere Aspekt mochte Rostock für Althaus interessant gemacht haben: Durch langfristige gezielte Berufungspolitik besaß die Rostocker Fakultät eine bemerkenswerte theologische Einheitlichkeit in Forschung und Lehre. Der Lehrkörper rekrutierte sich ausnahmslos aus dem konservativen Flügel der lutherischen Kirche. Weil die Göttinger Fakultät jedoch ihr „Eigengewächs“ an ihrer Universität halten wollte, wurde dort die Errichtung einer außerordentlichen Professur für Althaus be­antragt32. Als 26 6503 Lage, 746. 27 Die Bestellung zur Wahrnehmung der Geschäfte des Studiendirektors des Predigerseminars auf der Erichsburg durch das Landeskonsistorium erfolgte am 31.1.1919; vgl. das diesbezügliche Schreiben in: NPA 6/6. 28 2709 Eintrag, 584. Zu seiner Zeit auf der Erichsburg unter Marahrens vgl. 5202 Erichsburg. 29 2709 Eintrag, 585. Vgl. 2407 Erlebnis, Vorwort zur 2. Auflage. 30 Universitätsarchiv Rostock, Personalakte Paul Althaus, zit. nach: Pauli, Geschichte, 344, Anm. 29. 31 Ebd., 343. 32 Vgl. ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Reaktion darauf überzeugte die Rostocker Fakultät das Mecklenburgische Unterrichtsministerium, Althaus zum 1. Januar 1920 zum ordentlichen Professor für Systematische Theologie in Rostock zu berufen. Neben Vorlesungen und Seminaren in Dogmatik und Ethik, die einen gewissen Schwerpunkt in Eschatologie und Sozialethik erkennen lassen33, hielt Althaus auch Vorlesungen über den 1. Petrusbrief34. Die Berufung Althaus’ wirkte sich sehr positiv auf die Rostocker Fakultät aus. Sie bekam allmählich einen guten Ruf auch über die Grenzen Mecklenburgs hinaus, und die Zahlen der Theologiestudenten in Rostock stiegen an35. Schon frühzeitig wusste Althaus nicht nur als akademischer Lehrer, sondern auch als Mann der Praxis zu überzeugen. Ab dem Sommersemester 1920 war er neben dem Praktischen Theologen Gerhard Hilbert zweiter Universitätsprediger, und seine Gottesdienste erfreuten sich in Rostock „größten Zuspruchs“36. Drei Sammelbände mit Predigten, die in Althaus’ Rostocker Zeit entstanden, zeugen von seiner Ausstrahlungskraft auf der Kanzel37. Im Wintersemester 1921/22 und im Sommersemester 1922 war Althaus, damals dreiunddreißigjährig, Dekan der Theologischen Fakultät. Sechs Semester später war er es im Sommersemester 1925 erneut, ehe er am 1. August 1925 nach Erlangen berufen wurde. Bereits im Jahr 1921 hatte er den Ruf auf eine der damals renommiertesten deutschen Predigerstellen, die Michaeliskirche in Hamburg, abgelehnt38. Nun wollte er seinen Weg an der Universität weitergehen. Dass Althaus in Rostock einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hatte, zeigt allein schon die Tatsache, dass er 1930 als Nachfolger im Amt des Landesbischofs von Mecklenburg ins Gespräch gebracht wurde39. Doch auch fakultätspolitisch be-

33 1921 erscheint „Religiöser Sozialismus. Grundfragen der christlichen Sozialethik“, 1922 „Die letzten Dinge. Entwurf einer christlichen Eschatologie“ und 1923 „Staatsgedanke und Reich Gottes“. 34 Vgl. die Vorlesungsverzeichnisse der theologischen Fakultät Rostock in dieser Zeit. 35 Wie beliebt und gutbesucht seine Seminare waren, zeigt die Tatsache, dass im Sommersemester 1924 etwa 75 Prozent der in Rostock eingeschriebenen Theologiestudenten an seinem Seminar über Eschatologie teilnahmen. Das waren so viele, dass das Seminar im Hörsaal abgehalten wurde; vgl. Pauli, Geschichte, 343. 36 Ebd., 325. 37 Im Jahr 1921 erscheint „Der Heilige. Rostocker Predigten“ (3. Auflage 1925), wobei der Titel in programmatischer Opposition zu Rudolf Ottos wirkmächtigem religionsphänomenologisches Buch „Das Heilige“ von 1917 zu verstehen ist. Gegen eine neutrale und neutralisierende Betrachtungsweise des Christentums und seines Gottes betont Althaus in seinen Predigten die Persönlichkeit Gottes, der für ihn nicht zuletzt in der Geschichte handelnd als gegenwärtig erfahrbar ist. 1924 folgt der Sammelband „Der Lebendige“ und 1926 „Das Heil Gottes. Letzte Rostocker Predigten“. 38 Vgl. das diesbezügliche Schreiben aus Hamburg vom 1.8.1921 (NPA 6/6). 39 Vgl. das Schreiben Friedrich Brunstäds an Althaus vom 11.4.1930 (NPA 10). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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saß er in Rostock offenbar großen Einfluss: „Er übte auch nach seiner Berufung an die Erlanger Universität über persönliche Kontakte zu den Rostocker Theologen Einfluß auf die Berufungspolitik aus.“40 Ein Wesenszug von Althaus und ein Charakteristikum seines Schaffens  – neben seinem starken Streben danach, am Puls der Zeit zu sein – zeigte sich in Rostock von Beginn an: das Bemühen um die akademische Jugend, auf die er große Hoffnungen für eine christliche und nationale Wiedergeburt Deutschlands setzte. Schon in seiner Zeit in Lodz hatte dieses sich abgezeichnet, nun als akademischer Lehrer sollte es sich vollends entfalten. Wie wichtig und wertvoll dieser enge Kontakt sein konnte, wusste er selbst aus eigener Erfahrung als Student in Tübingen, wo er regelmäßig an den offenen Abenden im Hause seines Lehrers Adolf Schlatter teilgenommen hatte41. Entgegen kam ihm dabei zum einen sein junges Alter, war er doch mit 31 Jahren kaum älter als seine Studenten. Zum anderen erleichterte ihm die Mitgliedschaft in einer studentischen Verbindung den direkten Zugang zu den Studenten42. Er wollte sich seinen guten Kontakt zur akademischen Jugend in volksmissionarischem Sinn zu Nutze machen. Er besaß „das Ohr dieser Jugend“43, der „feldgrauen Hörerscharen“44, die ihm so besonders am Herzen lagen. „Unmittelbarer [hat er] zu keiner anderen Generation gesprochen, als zu der, die, 1919 aus dem Heeresdienst entlassen, noch bis 1923 den in das Zivile umgeschneiderten feldgrauen Rock tragen mußte, weil es in der Inflationszeit keine neue Kleidung zu kaufen gab. Mit dieser Jugend [hatte er] nationale Begeisterung und nationale Not der Kriegsjahre geteilt“ und war daher verbunden „mit dieser opferfreudigen, einer neuen Zukunft entgegenstürmenden Jugend.“45

40 Heidorn, Geschichte, 266 f. Ein Beleg findet sich dort allerdings nicht. 41 Vgl. Jasper, Theologiestudium, 256. 42 Seit Mai 1906 war Althaus Mitglied der Tübinger Schwarburgbund-Verbindung Nicaria (vgl. seinen Brief an den Vater vom 6.5.1906, abgedruckt in: Jasper, Theologiestudium, 263 ff.; vgl. 258 f. und Liebenberg, Gott, 111), mit der er sich auch nach seiner Tübinger Zeit noch eng verbunden wusste; vgl. 2703 Brief. Am Geschick des Schwarzburgbundes nahm Althaus noch bis ins hohe Alter hinein Anteil, was seine häufige Tätigkeit als Festredner und Verfasser von Artikeln in der Bundeszeitung dokumentiert; vgl. z. B. „Erbe und Auftrag. Rede bei dem Festakt zur 75-Jahrfeier des Schwarzburgbundes am 13.  Juni 1962 in Bad Hersfeld“ (6205). In Rostock verkehrte Althaus wohl ab dem WS 1919/20 als Gast bei der dortigen SB-Verbindung Trotzburg, für die als 1918 neugegründeter Bund jede Unterstützung willkommen war (vgl. den Semesterbericht in: Die Schwarzburg 2 (1920), 14). Schon bald nahm er daher auch das Trotzburg-Band auf. Ein Artikel in der Verbandszeitung vom Januar 1924 (2402 Jahre) nennt Althaus als Mitglied von Trotzburg Rostock. 43 Maurer, Situation, 165. 44 2709 Eintrag, 585. 45 Maurer, Situation, 166. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Diese Jugend aber meinte Althaus am ehesten durch aktuelle Wortverkündigung in der Predigt und eine Theologie am Puls der Zeit zu erreichen. So schreibt er rückblickend 1927 ins Goldene Buch der Universität Erlangen: „Die Gegenstände meiner wissenschaftlichen Arbeit seit dem Kriege wurden mir durch die geistige Lage gegeben. So habe ich insonderheit über die Probleme des religiösen Sozialismus, des Verhältnisses von Evangelium und Sozialgestaltung bzw. Politik […] sowie über die Frage der ‚letzten Dinge‘ […] gearbeitet.“46

46 2709 Eintrag, 585. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

2. Paul Althaus in der Auseinandersetzung mit dem Religiösen Sozialismus Seine erste Monographie als Rostocker Systematiker widmet Althaus den „Grundfragen der christlichen Sozialethik“, die 1921 unter dem Titel „Religiöser Sozialismus“ in Carl Stanges Reihe „Studien des apologetischen Seminars in Wernigerode“1 erscheint2. Inhaltlich schließt diese Veröffentlichung direkt an seinen zwei Jahre zuvor erschienenen Aufsatz „Pazifismus und Christentum“ an, in beiden Arbeiten befasst er sich mit der Frage nach den theologischen Voraussetzungen und den praktischen Forderungen der Religiösen Sozialisten und mit der Frage nach dem Pazifismus und nach dem Krieg als geschichtlicher Gegebenheit3. Bildeten bereits im Februar 1919 die revolutionären Zustände in Deutschland den Hintergrund für Althaus’ Auseinandersetzung mit dem Religiösen Sozialismus, so entsteht seine neuerliche Abhandlung in der kirch­ licherseits zunehmend als Bedrohung für das Christentum empfundenen Lage weiterhin aufflammender Umsturzversuche von Links und einer starken sozialistischen Kraft in den deutschen Parlamenten zu Beginn der Weimarer Republik4. So schreibt Althaus 1921: „Die religiös-soziale Frage gehört zu den Problemen des Christentums, die immer wiederkehren, so oft die Zeit für sie wieder einmal erfüllt ist. Auch in Deutschland ist sie durch den Krieg, seinen Ausgang und die Revolution nicht erstmalig geweckt, aber emporgetragen und zur breiten Bewegung geworden.“5

Sehr treffend ist die Beurteilung der damaligen Situation, die Ingmar Dette vornimmt: 1 Zum „Apologetische Seminar in Wernigerode“ den Exkurs in Kap. III, 4.5. 2 In der Zeitschrift „Die Reformation“ (Nr. 8, 64) wird „Religiöser Sozialismus“ am 14.8.1921 als Neuerscheinung angezeigt, die Veröffentlichung der Schrift ist daher wohl im Sommer 1921 erfolgt. Auf dem Umschlag von 2201 Dinge kündigt der Verlag an, vom „Religiösen Sozialismus“ sei eine „neue Auflage in Vorbereitung“, allerdings ist es zu dieser nicht mehr gekommen. 3 Nach Mann, Ordnungen, 33 f. ist es „ein Charakteristikum für das Schaffen Paul Althaus’, dass sich neue Arbeiten wie Fortsetzungsbände an ältere anschliessen oder dass vorangegangene Schriften inhaltlich in neue Bücher einfliessen.“ 4 Seine Rezension über den „Religiösen Sozialismus“ beginnt der Tübinger Theologe Paul Wurster mit einer sehr düsteren Einschätzung der aktuellen Lage: „In Preußen stehen 6,5 Millionen sozialistische ungefähr gleich vielen bürgerlichen Stimmen gegenüber; Sachsen, Braunschweig, Thüringen, Mecklenburg haben eine rote Mehrheit. Wenn das noch einige Jahre so bleibt […] und wenn die bisherige Haltung der Sozialisten zu Christentum und Kirche, eine Skala von eiskalter Gleichgiltigkeit bis zum glühenden Haß, auch bleibt, dann ist es mit unserer Volkskirche zu Ende.“ (Monatsschrift für Pastoraltheologie 17 (1921), 320). 5 2104 Sozialismus, 13 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Althaus’ theoretische Ausgangssituation ist in der Auseinandersetzung mit den Religiös-Sozialen demnach die denkbar schlechteste. Während die religiösen Sozialisten nach dem Ende des wilhelminischen Reiches nun ihre Ordnungsvorstellungen offensiver zum Ausdruck bringen konnten, ging das lutherische Ordnungsdenken, das eben noch maßgeblich theologisch legitimierend zur Stabilisierung des politischen Systems beigetragen hatte, angeschlagen in den Ring.“6

Mit denjenigen Theologen, die theologisch und praktisch eine Synthese von Sozialismus und Christentum anstreben bzw. volksmissionarisch an den Sozialismus anknüpfen wollen, setzt sich Althaus hier auseinander. Dies tut er wiederum in differenzierter Weise. Gegenüber „Pazifismus und Christentum“ ist trotz der kurzen Zeitspanne eine Entwicklung erkennbar: Vielfach argumentiert er deutlicher, an manchen Punkten, z. B. bei der Frage nach dem Krieg, äußert er sich vorsichtiger und differenzierter. Die problematischen Aporien gerade bei diesem Thema kann Althaus auch jetzt nicht lösen. 2.1 Die prinzipielle Ablehnung des Religiösen Sozialismus bei positiver Aufnahme seiner wirtschafts- und sozialpolitischen Anliegen Dass man „mit dem Beiworte ‚religiös-sozial‘ das Christentum überhaupt kennzeichnen“ könne7, insofern nämlich das Christentum Liebes- und Aktions­ gemeinschaft sei, schickt Althaus seinen Ausführungen vorweg. Das sei auch der Grund, weshalb nach dem Krieg die religiös-soziale Frage „nicht zuletzt für die gebildete christliche Jugend“ von großem Interesse sei und weshalb er sich mit einer theologischen Kritik am Religiösen Sozialismus schwer tue8. Über den vorhandenen praktischen Fragen der Christenheit dürften allerdings nicht die theoretischen, d. h. die theologischen, vergessen werden: „In Wahrheit führt das religiös-soziale Problem tief in die Glaubensfragen

6 Dette, National-Protestantismus, 69. 7 2104 Sozialismus, 7. 8 Althaus schreibt dazu: „Nicht gern treten wir in eine theologische Kritik der ReligiösSozialen ein. […] Durch die Herzen geht die Sehnsucht nach einer erlösenden Tat der Gemeinde. Nach christlicher Tat ins Große dürstet weithin die Jugend. Die messianische, chiliastische Wucht der religiös-sozialen Auffassung des Christentums hat es ihr angetan. Herrschaft Christi auf allen Lebensgebieten  – das ist ein großer Gedanke, wie die christliche Jugend ihn braucht. Endlich, so scheint es, Männer der Tat – und die zünftigen Theologen fallen ihnen in den Arm! […] Eine neue herrliche Stunde für die Kirche scheint gekommen. Wie rückt das religiös-sozial verstandenen Evangelium […] mitten ins Volksleben, der tiefsten Sehnsucht der Massen entgegen!“ (ebd., 31). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Auseinandersetzung mit dem Religiösen Sozialismus

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hinein.“9 Daher bedarf es nach Althaus einer theologischen Kritik der religiössozialen Bewegung, nicht zuletzt weil deren Anliegen und Theologie einen Angriff auf evangelisch-kirchliche, speziell lutherische Theologie und Sozialethik darstelle10. Luther werde dabei vorgeworfen, er habe „dem wirtschaft­ lichen und politischen Leben […] den verhängnisvollen Freibrief der Eigengesetzlichkeit gegeben.“11 Auch wenn Althaus nicht alle Religiösen Sozialisten in einen Topf werfen will12, so sieht er deren gemeinsames Hauptmerkmal im Evolutionismus, der ein reales, diesseitiges Reich Gottes als Ziel der geschichtlichen Entwicklung betrachtet. Die Normen für die Aufrichtung dieses weltimmanenten Gottesreichs entnehmen die religiös-sozialen Theologen der Bergpredigt13. Als problematisch erkennt Althaus vor allem das Verhältnis der religiössozialen Theologen zum politischen Sozialismus, das die Grenzen zwischen Theologie und politischer Ideologie verschwimmen lässt. Den aus seiner Sicht abzulehnenden Pazifismus stellt er in den gleichen Zusammenhang. „Man entdeckte die innere Verwandtschaft des echten Christentums mit den sozialistischen und pazifistischen Idealen. Sozialistische und urchristlich-chiliastische Zukunftserwartung rücken nahe zusammen.“14 Er ist demgegenüber der Überzeugung: „Wir dürfen es auch nicht unwidersprochen lassen, wenn biblische Kerngedanken wie das Reich Gottes und die Erlösung entstellt und mit fremden Inhalten gefüllt werden.“15 Zur Illustration dessen, was er damit meint, führt Althaus einige aussagekräftige Zitate des Religiösen Sozialisten Eberhard 9 Ebd., 7. 10 An anderer Stelle, in einer Rezension zu Georg Wünschs „Die Bergpredigt bei Luther“, schreibt Althaus: „Der Kampf um die Sozialethik des Christentums wird weithin zum Kampf um Luther“ (2210R Wünsch, 81). 11 2104 Sozialismus, 13. 12 Er spricht von einer „Fülle verschiedener Töne“, was gerade den „‚Bewegungs‘-Charakter“ des Religiösen Sozialismus ausmache (2104 Sozialismus, 9). 13 Es gehört zur differenzierten Sichtweise von Althaus, wenn er an dieser Stelle Karl Barth – gemeint ist sein „bedeutender und tiefer Tambacher Vortrag“  – attestiert, dieser habe „viel tiefer in die schwere Problematik des religiös-sozialen Gedankens hineingeschaut und einerseits die Überweltlichkeit des Christentums als Religion, andererseits die weitgehende Eigengesetzlichkeit des wirtschaftlichen und politischen Lebens begriffen“ (ebd., 12). Im Gegenzug schreibt Barth 1922 in seiner „Auseinandersetzung mit Paul Althaus“: „Wir können uns nur freuen über die Tatsache, daß er [= Althaus] sich auf einen Boden gestellt hat, auf dem wir mit ihm verhandeln können und wollen.“ (ders., Grundfragen der christlichen Sozialethik, 42). Trotz aller deutlichen Kritik an Althaus kann Barth am Ende resümieren: „Das Buch bleibt eine sympathische Erscheinung, weil es gerade in seiner gewissen inneren Brüchigkeit ein Beweis ist, daß das Eis am Schmelzen ist.“ (ebd., 57). 14 2104 Sozialismus, 14. 15 Ebd., 32. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Arnold an, die die sozialistische Transformation christlicher Inhalte vor Augen führen16. Zweierlei theologisch motivierte Absichten verfolgt Althaus mit seiner Zurückweisung des Religiösen Sozialismus: Zum einen geht es ihm darum, einer sozialistischen Transformation christlicher Glaubensinhalte zu wehren; zum anderen darum, „die Selbständigkeit und Überweltlichkeit des ‚Heiligen‘ […] gegenüber aller Auflösung in wirtschaftlich-politische Heils- und Erlösungs­ geschichte“ zu bewahren17. Außerdem – und dahinter verbirgt sich bei ihm in erster Linie eine weltanschaulich-politische Motivation – darf man es nach Althaus „nicht einfach geschehen lassen, daß der neue christliche Radikalismus im Namen Jesu und der Bergpredigt die Gewissen gegenüber Recht, Vaterland, Staat, Kriegsdienst verwirrt.“18 Gegenüber den radikalen Religiösen Sozialisten, d. h. gegenüber der „krank­ hafte[n] Abneigung der entschlossensten Religiös-Sozialen gegen Macht und Staat“19 bringt er die Notwendigkeit von Recht und Staat zu Geltung, indem er darlegt, dass die „Liebe als einzige Weltverfassung“20 undenkbar ist, weil die „Welt […] mit dem Evangelium nicht regiert werden“ kann. Die Unmöglichkeit des Verzichts auf Ordnung zugunsten eines christlichen „Anarchismus“, der nur mit der Liebe auszukommen vermeint, begründet Althaus zunächst kulturell: Für ihn ist „höheres Leben in der menschlichen Gesellschaft“ an die Bedingung gebunden, dass die „Regelung der menschlichen Beziehungen durch feste, verbindliche Ordnungen, die eine Berechenbarkeit und Stetigkeit des geschichtlichen Daseins in bestimmten Grenzen begründen“ gewährleistet ist, die verhindert, dass das menschliche Leben „auf einer kindlichen Lebensstufe der Planlosigkeit“ verharrt. In einem weiteren Schritt stellt Althaus die menschliche Freiheit als Bindeglied zwischen notwendiger Rechtsordnung und dem Walten der Liebe heraus: „Wir bedürfen einer gewissen Freiheit vonein 16 So äußert sich Arnold nach Althaus folgendermaßen: „Da wir eine Neuordnung der Welt ersehnen, ist es ganz natürlich, daß wir uns zu den radikalen politischen Parteien hingezogen fühlen. Wir sehen in der Sozialdemokratie […] den Versuch dessen, was wir wollen. […] In der Weltrevolution ist derselbe Geist wirksam, der die Urgemeinde zusammengebracht hat.“ (2104 Sozialismus, 14). Althaus gibt als Literaturangabe lediglich „Arnold 1920“ an, eine genaue Zuordnung zu einer Veröffentlichung von Arnold ist daher nicht möglich. Friedrich Rittelmeyer gibt Althaus mit der Äußerung wieder, Christus komme heute in der Verhüllung des Sozialismus (ebd., 15). 17 Ebd., 32. Auch an dieser Stelle nimmt Althaus Barth positiv aus der Kritik heraus, indem er betont, dieser wisse, „daß das Göttliche ‚etwas […] der Art nach Neues, Verschiedenes gegenüber der ‚Welt‘ ist und warnt vor den schnellen Bindestrichen ‚christlich-sozial‘, ‚evangelisch-sozial‘, ‚­religiös-sozial‘“ (ebd., Anm. 1). 18 Ebd. 19 Ebd., 37. 20 Ebd., 34. Die folgenden Zitate finden sich ebd., 35–37. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ander, um füreinander da sein zu können. […] So fordert gerade die Liebe eine Rechtsordnung […], weil nur sie die Freiheit zu eigenem Leben und damit die Möglichkeit der Liebe sichert.“ Für Althaus ist es außerdem die natürliche Verschiedenheit der Menschen, die eine staatliche Ordnung für das Zusammenleben dieser Menschen unabdingbar macht: „Der Anarchismus aber ist unmöglich, weil […] wir von Natur als individuelle Menschen verschiedene Einsicht und verschiedene Willensziele haben.“21 Die Sündhaftigkeit des Menschen, mit der vor allem Luther sozialethisch argumentierte, zieht Althaus schließlich als Steigerung heran: „Diese Notwendigkeit von Recht und Staat wird verstärkt durch die Tatsache, daß in der Menschheit von Natur Selbstsucht und zügellose Willkür die bestimmenden Mächte sind.“ Neben einem völligen Verzicht auf eine menschliche Rechtsordnung hält Althaus aber auch die Verwirklichung einer Ordnung der Menschheit nach den Regeln der Liebe für undenkbar. Die Wirtschaftsordnung der Liebe soll dann der Sozialismus bzw. Kommunismus sein, „die politische Verfassung der Liebe ist der Völkerbund, das Weltfriedensreich“22. Althaus argumentiert gegen diese gemäßigte religiös-sozialistische Position zunächst formal mit der Gegenüberstellung von Liebe und Recht, bzw. Reich Gottes und Rechtsordnung, indem er betont, dass auch eine Ordnung nach den Grundsätzen der Liebe eine Ordnung bleibt und darum letztlich ohne Zwang nicht auskommt. Damit aber sieht er sie im Gegensatz zum Reich Gottes23: „Die kommunistische Wirtschaftsordnung als solche […] wäre niemals Reich Gottes, der christliche Völkerbund als solcher ebensowenig, denn beide können das Moment des Verbindlichen, also des Rechtes und damit des Zwanges nicht entbehren. […] Auch ein Weltfriedensreich bleibt ‚Welt‘.“24 Althaus kommt zu dem prägnanten Schluss: „Das Reich Gottes kann niemals Weltordnung […], eine Weltordnung als solche kann niemals das Reich Gottes sein.“25 21 Diese Einsicht in die Verschiedenheit der Menschen lässt Althaus auch zu einem bedingten Recht des Parteiwesens gelangen: „Daß es Parteien in den Volksgemeinden gibt, stammt nicht aus der Sünde, sondern aus der natürlichen Differenzierung der Menschheit. Über den Parteien muß ein Wille sein. Sonst stehen wir im Chaos.“ Diesen Willen sieht Althaus im Staat verkörpert. 22 Ebd., 38. 23 Er führt dazu aus: „Eine Organisation nach den Grundsätzen der Liebe ist nicht Reich Gottes und ist nicht Walten der Liebe, denn sie ist ja Organisation, und Organisation zwingt auch die, die nicht wollen. Das Reich Gottes ist die Herrschaft des Evangeliums in den Herzen. Das Evangelium zwingt aber niemanden. Was nicht aus voller freier Hingabe geht, ist nicht Reich Gottes, sondern Sünde. Daher ist das Reich Gottes als Institution undenkbar.“ (ebd., 38 f.). 24 Ebd., 39. 25 Ebd. Auch inhaltlich argumentiert Althaus mit dem Gegensatz von Recht und Liebe und lehnt daher eine sogenannte „christliche Politik“, die das Reich Gottes institutionalisieren will, als unmöglich ab: „Jedes Rechtsverhältnis trägt den Charakter der Gegenseitigkeit von Rechten © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Wenn Althaus auch die „übergeschichtliche Wirklichkeit“ des Reiches Gottes in Unterscheidung von der „geschichtliche[n] Lebensordnung der Menschheit“ hervorhebt und damit lutherische Gedanken über die zwei Reiche bzw. Regimente zur Anwendung bringt, so ist er dabei nicht der Auffassung, dass das Reich Gottes keinerlei Auswirkungen auf die Menschen hätte. Vielmehr interpretiert er Gottes Reich als „seine Herrschaft in freier Hingabe und Gemeinschaft der Gewissen.“26 Das in Freiheit gehorchende Gewissen des Einzelnen ist bei Althaus die vermittelnde Instanz zwischen dem Willen Gottes und der Welt27: Im „sittlichen Leben des Christen“ kommt es für ihn zu einer „spannungsvollen Einheit“28, weil hier geschichtliche und übergeschichtliche Wirklichkeit zu einer „Doppelbeziehung“ – nicht aber zu einem Dualismus – zusammenkommen. Die „den Menschen in seiner Tiefe beherrschende Bestimmtheit des Gewissens“ trifft hier auf die menschliche Erkenntnis der „geschichtliche[n] Lebensordnung der Menschheit“. Diese „spannungsvolle Einheit“, der zufolge sich der Christ „weder dem Leben in der Welt und ihren Ordnungen noch den unbedingten Forderungen ­ artin der Bergpredigt entziehen“29 kann, findet Althaus bereits in der Lehre M ­Luthers vor, dessen Erkenntnis gelautet habe, „der Christ erfüllt mitten in seiner pflichtmäßigen Beteiligung an den Weltordnungen, ja gerade durch sie, Jesu Liebesgebot“30, denn es zielt „Jesu Wille nicht auf Weltordnungen, sondern auf die Tiefe der Gesinnung“. Wenn dieses synthetische Verständnis in der Realität auch eine „starke Spannung zwischen Gesinnung und Werk“ des Christen zur Folge haben kann, so ist für Althaus demgegenüber „in der Freiund Pflichten, Leistungen und Gegenleistungen. Das Reich der christlichen Liebe dagegen ist die Sphäre rückhaltlosen Gebens, freier, unberechnender Selbstlosigkeit. Das Recht bedeutet eine Rationalisierung unserer Beziehungen, die Liebe ist das Irrationale und Freie“ (ebd., 39 f.). 26 Ebd., 43. Dieser Gedanke steht auch hinter seiner Konzeption einer „axiologischen Eschatologie“ in 2201 Dinge. 27 Deutlich benennt Barth, Grundfragen, 55 das Problem und die Gefahr dieses Ansatzes: „Wer den Willen Gottes in so gefährliche Nähe des bißchen Herzens- und Gewissenserlebnisses der sogenannten Christen […] rücken kann, dem rückt er notwendig auch in die geradezu fatale Nähe von Geschichte, Natur und Schicksal: die psychologische Immanenz Gottes zieht die kosmische mit Notwendigkeit nach sich.“ 28 2104 Sozialismus, 43. 29 Ebd., 76. Diese „spannungsvolle Einheit“ kann Althaus an anderer Stelle auch als Ringen „um die Synthese von Realismus und Idealismus“ bezeichnen, „um den Einklang eines an Jesu größten Liebesworten entzündeten Lebens mit den Lebensnotwendigkeiten, die als solche auch ehrwürdig sind.“ (2106 Rede, 4). Die Gegenposition der Religiösen Sozialisten bezeichnet er als „billigen sozialethischen Idealismus“ (ebd., 3). 30 So heißt es bei Althaus: „Mitten in der Beteiligung an Recht und Eigentum, Staat und Gewalt kann er unter allen Umständen aus der selbstlosen Liebesgesinnung heraus und mit völliger innerer Freiheit handeln.“ (2104 Sozialismus, 76). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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heit und in der Liebe […] die Einheit und Christlichkeit unseres Lebens gewahrt.“ Denn für ihn gilt: „Erstens: der Christ erfüllt Jesu Gebot, wenn er im Besitze die innere Freiheit behauptet; […] Zweitens: der Christ erfüllt auch in der Teilnahme an der Rechts- und Staatsordnung allezeit das Liebesgebot, denn er vollzieht das Handeln in den welt­ lichen Ämtern aus Liebe.“31

Diesen Gedankengang, den Karl Barth in seiner Rezension zu „Religiöser Sozialismus“ als „paradoxe Lehre von den zwei Reichen“ bezeichnet32, benutzt Althaus hier als analytische Kategorie, um Welt Welt und Reich Gottes Reich Gottes sein zu lassen. In der Auseinandersetzung mit dem „Religiösen Sozialis­mus“ und dessen Neigung, aus ideologischen Gründen die Grenzen zwischen Welt und Reich Gottes verschwimmen zu lassen und damit politische Ideen theologisch zu sanktionieren, beharrt Althaus auf einer strengen Unter­scheidung. 2.2 Der Althaussche Gegenentwurf: Frühe ordnungstheologische Ansätze und politische Überzeugungen Bereits mehrfach ist nun das Schlagwort der „Ordnungen“ gefallen. Mehr und mehr gewinnen diese Anfang der 20er Jahre bei Althaus und seiner sozialethischen Konzeption an Bedeutung. In „Religiöser Sozialismus“ geht Althaus einen wichtigen argumentativen Schritt auf diesem Weg und legt damit die Grundlagen seiner späteren Ordnungstheologie. Ausgehend von der Erkenntnis, „daß die geschichtliche Lebensordnung der Menschheit etwas anderes ist als Gottes Reich“, spricht er von einer „doppelten Verfassung der Menschheit“: Das Reich Gottes als übergeschichtliche Wirklichkeit bestimmt das Gewissen des Einzelnen, die innergeschichtliche Ordnung aber „regelt die äußeren Grundlagen alles höheren Lebens, ohne dieses selber erfassen zu können“33. Das Gewissen ist für Althaus somit der Ort, an dem der Dualismus von Reich Gottes und Welt aufgehoben ist und wo das Gottesreich sich in ethischem Sinne auf die Welt auswirkt. Im Anschluss an Luther ist für ihn die 31 Ebd., 84 f. Hinter dieser Vorstellung steht die in der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre zum Tragen kommende Erkenntnis, dass der Christ Bürger zweier Reiche ist. So kann Althaus sagen: „Der Ordnung des Rechts und des Staates, der Abhängigkeiten und der Gewalt gehört der Christ nur nach dem äußerlichen leiblichen Leben und Wesen an. Nach der Seele lebt er im Reiche Gottes oder Christi.“ (ebd., 80). 32 Barth, Grundfragen, 46. Der Begriff wird hier erstmals verwendet, stammt also aus der Barthschen Auseinandersetzung mit der neulutherischen Theologie. 33 2104 Sozialismus, 43. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„ganze natürlich-geschichtliche Lebensordnung des Rechts und Zwanges, der Ungleichheit und Abhängigkeiten […], der Gewalt und des Krieges […] Gottes Ord­ nung.“34 Diese „ist für das Bestehen der Welt und auch des Reiches Gottes um der Sünde willen notwendig, darum unaufhebbar. Sie stellt einen großen Organismus von ‚Ämtern‘ dar. Durch das Amt wird einem jeden Pflicht und Verantwortung zu­ gewiesen. In der Erfüllung dieses Berufes gehorcht der Mensch Gott.“35

Warum er von „spannungsvoller Einheit“ spricht und einem Dualismus von Welt und Reich Gottes unter allen Umständen wehren will36, erklärt sich dadurch, dass er allen im Gefolge fortschreitender Säkularisierung, gesellschaftlicher Ausdifferenzierung und kultureller Pluralisierung aufkommenden Autonomisierungstendenzen des angeblich rein „Weltlichen“, die den von ihm geglaubten universellen Verpflichtungscharakter des göttlichen Willens zu relativieren oder aufzuheben drohen, eine klare Absage erteilt. Für ihn kann sich „Welt“ immer nur theonom verstehen, d. h. in Abhängigkeit von Gott, wie ihn der Erste Glaubensartikel bekennt. Daher besitzen die Welt bzw. welt­ lichen Ordnungen in seinen Augen immer nur eine relative „Eigengesetzlichkeit“, niemals aber eine absolute, d. h. von Gott gelöste37. So heißt es bei ihm 1921: „Die scharfe Unterscheidung von Reich Gottes und Weltordnung hat nun keineswegs den Sinn, als ob die wirtschaftliche und politische Verfassung der Menschheit jeder sittlichen Norm entnommen wäre.“38 Denn, so schreibt er weiter: „Es gibt vielmehr einen Willen Gottes auch über die Zustände, nicht nur über die Haltung der Seelen. Denn Gottes Wille hat es mit der ganzen Wirklichkeit zu tun und duldet keinen Bereich der völligen ‚Eigengesetzlichkeit‘.“39

Den Kritikern eines quietistischen Luthertums40 hält Althaus entgegen: „Man pflegt als lutherisch die Lehre von der ‚Eigengesetzlichkeit‘ der geschichtlichen Lebensordnungen hinzustellen. Der Ausdruck bezeichnet Luthers Standpunkt nicht 34 Ebd., 77. 35 Ebd. Dieses Berufshandeln ist für Althaus „unter allen Umständen Dienst an den Menschen und Gehorsam gegen Gott, der die Gesetze geschichtlichen Lebens gab“ (ebd., 89). 36 In einer Rezension zu Ernst Böhmes „Die pazifistische Bewegung im Lichte des Evangeliums und der christlichen Ethik“ vom März 1922 bezeichnet Althaus „die Unterscheidung des Reiches Gottes vom Reiche dieser Welt im Sinne einer Trennung von Politik und Moral, im Sinne des ‚Dualis­mus‘“ als „schlimmes Stück“ (2203R Böhme, 78). 37 Vgl. Graf, Kulturluthertum, 73. 38 2104 Sozialismus, 43. 39 Ebd., 44. 40 Bei diesen Kritikern handelt es sich nicht nur um die Religiösen Sozialisten. Einflussreicher war der „Troeltsch-Webersche Vorwurf einer sozialen, politischen und ökonomischen Unproduktivität des Luthertums im Vergleich zu dem weltgestaltenden Calvinismus“ (Kaufmann, Elert, 224). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ausreichend. Auch für das Gebiet des wirtschaftlichen und politischen Lebens kennt Luther eine sittliche Norm.“41

Im Gegenzug macht er einem quietistischen Luthertum, das solche Lehre tatsächlich vertritt, den gleichen Vorwurf: „Das Schweigen des Luthertums zu der Entwicklung des wirtschaftlichen und so­ zialen Lebens kann sich auf Luther nicht berufen. Da der Gemeinde der ganze Wille Gottes anvertraut ist, nicht nur das Evangelium, hat Luther es für seine Pflicht gehalten, den Ämtern ihr Verantwortungsbewußtsein zu schärfen und auf offenkundiges Unrecht den Finger zu legen.“42

Die „Herrschaft Gottes“ ist für Althaus eine doppelte: zum einen in den Seelen der Einzelnen vermittels des Gewissens, zum anderen „in einer bestimmten Gestaltung der Zustände und Ordnungen“43, was zu „engen Beziehungen zwischen der subjektiven Sittlichkeit des Willens und einer objektiven Sittlichkeit der Zustände“ führt44. Nach Althaus „können Ordnungen in Wirtschaft, Recht und Politik Ausdruck und Erzeugnis sittlichen oder unsittlichen Willens sein“45, außerdem „können objektive Ordnungen stark auf die persön­ liche sittliche Haltung derer, die in ihnen leben, einwirken.“46 So können sittliche Ordnungen das Reich Gottes zwar niemals darstellen, „aber sie können es in Menschenherzen, vor allem in der Breite eines Volkslebens vorbereiten helfen.“47 Die Aufgabe der christlichen Gemeinde sieht er darin, „den ganzen Willen Gottes zu vertreten und zur Geltung zu bringen.“ Darum hat sie für ihn eben 41 2104 Sozialismus, 78. An anderer Stelle schreibt Althaus, „Luthers positives Verhältnis zu den Weltordnungen“ sei zwar „tief in seinem Schöpfungsglauben begründet“, allerdings „nicht in dem Sinne, daß Luther die Ordnungen und Verhältnisse positivistisch, […], in Quietismus […], Resignation […] und Pessimismus […] so genommen hätte, ‚wie sie kommen‘.“ „Ordnungen und Berufe“ sollen nach Luther vielmehr „‚aus dem Gesetz der Liebe herquellen‘“ (2210R Wünsch, 85). 42 2104 Sozialismus, 78. Vgl. Althaus, Aufgabe: „Der Christenheit ist nicht nur die Predigt des Evangeliums, sondern auch das Eintreten für die Verwirklichung des Willens Gottes im geschichtlichen Leben überhaupt aufgetragen. Der Wille Gottes ist umfassender als das Evangelium.“ Und weiter heißt es: „Die schwerste Nachwirkung des lutherischen Staatskirchentums besteht in dem Mangel an Gemein-, Berufs- und Verantwortungsbewußtsein bei der deutschen Christenheit.“ 43 2104 Sozialismus, 78. 44 Ebd., 45. 45 So gibt es für ihn „Wirtschaftsformen, die als solche den unsittlichen Ausbeutungswillen in einer dauernden Ordnung verkörpert darstellen“ (ebd.). 46 Ebd. Dieses von ihm beschriebene Phänomen des Einwirkens knüpft Althaus an den „usus paedagogicus des Gesetzes“, indem er ausführt, „zum Gesetze gehören im weitesten Sinne auch die Zustände und Ordnungen der Gesellschaft“ (ebd.). 47 Ebd., 47. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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auch eine „religiös-soziale Aufgabe“, die darin besteht, „für die Schaffung solcher Zustände in Gesellschaft und Welt einzutreten und zu arbeiten, die objektiv den Willen Gottes verwirklichen oder ‚die Gerechtigkeit‘ darstellen.“48 In Bezug auf die soziale Frage berührt Althaus mit diesem Gedanken nach der Meinung von Friedrich Lohmann „die Frage der theologischen Legitimität einer Revolution“49, wenn er 1921 ausführt, dass zu den „Notwendigkeiten geschichtlichen Lebens, denen auch der Christ sich nicht entziehen darf, die wirtschaftlich-politische Bewegung eines gedrückten Standes zur Selbstbefreiung“ gehört50. Für Althaus ist es „auch ein ‚Amt‘ in Luthers Sinne, sich für das Recht und die Zukunft des eigenen Standes einzusetzen, – wenn es sein muß im Machtkampfe. In diesem Sinne handeln Arbeiterführer […] im ‚Amte‘“51. Zeitgenössisch erkennt auch Karl Barth hier bei Althaus „die relative Möglichkeit der Auflehnung gegen die bestehende Ordnung“ und hofft, dass dieser „denselben Gedanken auch auf den Pazifismus anzuwenden“ bereit wird und auch an diesem Punkt „auf die üble romantische Rechtfertigung des Gegebenen verzichtet“52.

Barths Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Dass Althaus aber die Möglichkeit einer Auflehnung gegen herrschende Zustände nicht nur im Blick auf die so­ ziale Frage für gegeben hält, sondern auch gegenüber der Obrigkeit geltend machen kann, deutet er zumindest an53. Die Althaussche Kombination der Kritik an einer „Eigengesetzlichkeit“ sich autonom verstehender Welt mit seiner Be-

48 Ebd., 44. Unbeschadet dieser Aufgabe gibt Althaus zu bedenken, dass das „Handeln in den geschichtlichen Lebensordnungen […] eine gefährliche und versuchliche Sache“ ist, weil der Mensch durch „persönliche Leidenschaft, Zügellosigkeit und unreines Begehren […] Gottes Ordnung mißbrauchen“ kann (ebd., 89). 49 Lohmann, Gott, 136. 50 2104 Sozialismus, 91. Noch 15 Jahre später erscheint Althaus diese Stelle wichtig, wenn er 1936 direkt darauf bezugnehmend schreibt: „Ich habe mich seit 1921 […] zu der Notwendigkeit bekannt, über das altlutherische Nein zu jeder Revolution hinauszuführen.“ (3607 Obrigkeit, 53, Anm. 1). Vgl. 2806 Leitsätze, 62 f. und 3108 Ethik, 106. Zu den Grenzen des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit vgl. 3510 Kirche, 12 f. 51 2104 Sozialismus, 92. Den gleichen Gedanken vertritt Althaus auch in seiner Darstellung von „Luthers Haltung im Bauernkriege“ und geht damit über den Reformator hinaus: „Wer überhaupt Geschichte und Staat bejaht, wie Luther, der muß in unserer Lage auch das Ringen eines Standes um Freiheit, Mitverantwortung im staatlichen Leben, Zukunft in seinem grundsätz­lichen Rechte anerkennen: auch solche soziale und politische Bewegung kann ein Handeln in einem geschichtlichen ‚Amte‘ sein  – Luthers Begriff des Amtes muß, entsprechend dem Geschichts­ gedanken, erweitert werden.“ (2502 Haltung, 157). 52 Barth, Grundfragen, 45. 53 Vgl. 2104 Sozialismus, 94, Anm. 1. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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tonung der „religiös-sozialen Aufgabe“ der Christenheit ist ein Hinweis für die Notwendigkeit, den Vorwurf des Quietismus oder gar Legitimismus an Althaus differenziert heranzutragen54. Die „Anerkennung, daß wir auch das wirtschaftliche, soziale und politische Leben unter die Norm des Willens Gottes oder das Ideal der ‚Gerechtigkeit‘ stellen müssen“55, leitet für Althaus über zur Frage nach dem konkreten Inhalt dieses Willens bzw. dieses Ideals. Es nimmt nach dem bislang über Althaus Gesagten wenig Wunder, dass ein direkter Zusammenhang besteht zwischen seinen politisch-weltanschaulichen Prägungen und Präferenzen und den politisch-theologischen Erkenntnissen, die er als Willen Gottes identifiziert. Gerade an diesem Punkt trennt sich daher auch folgerichtig sein Weg von der von ihm so bezeichneten „gemäßigten Richtung“ der Religiösen Sozialisten. Die Frage nach dem Inhalt des göttlichen Willens ist in der Althausschen Konzeption das Einfallstor für die eigenen ideologischen Vorstellungen, wenn er formuliert: „Um den jeweiligen Inhalt des Ideals der Gerechtigkeit muß die Gemeinde unter immer neuen Verhältnissen der lebendigen Geschichte stets aufs neue ringen.“ Aus der Einsicht in die „Notwendigkeit, überhaupt mit dem Begriff der Gerechtigkeit an Wirtschaft und Staat heranzutreten“56, gesteht er zunächst noch zu, „durch die Besinnung auf die Grundgedanken des Evangeliums […] bestimmte Maßstäbe für die gesellschaftlichen Ordnungen gewinnen“ zu können. Solche Maßstäbe „im Namen des Gotteswillens“ bedeuten für Althaus im Hinblick auf die Wirtschafts- und Sozialordnung, „daß in ihr die Achtung vor dem Eigenwerte und geistig-sittlichen Berufe jedes Menschen zum Ausdruck komme; […] daß der Schutz der Schwachen durch die Starken und die brüderlich-ritterliche Verantwortung auch in den sozialen und wirtschaft­ lichen Ordnungen objektiv sich verkörpere.“57

Wie schon in „Pazifismus und Christentum“ schreibt Althaus auch 1921 besonders den Lutheranern ins Heft, sich in wirtschaftspolitischen Fragen ein Beispiel an den Religiösen Sozialisten zu nehmen, die „die Frage nach der sittlichen Erträglichkeit des Kapitalismus so scharf gestellt haben.“58 Denn auch

54 Lohmann, Gott, 136 geht an dieser Stelle sogar so weit zu sagen: „Von dieser Äußerung führt ein direkter Weg zur Distanzierung vom NS-Führerstaat, wie sie Althaus 1936 formuliert hat.“ Er bezieht sich dabei auf 3607 Obrigkeit, 45 f. 55 2104 Sozialismus, 46. Zur Althausschen Überzeugung, dass es keine der sittlichen Norm des göttlichen Willens enthobenen „Eigengesetzlichkeiten“ geben kann, vgl. 2913 Bedeutung, 98. 56 Ebd., 79 f. Hervorhebung von Althaus. 57 Ebd., 46. Hervorhebung von Althaus. 58 Ebd., 50. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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für ihn steht fest  – und damit übernimmt er ein Zitat von Paul Tillich und Carl Richard Wegener –, „‚das Christentum hat für gewisse Formen der Gesellschaftsordnung eine größere Affinität als für andere; die Ethik der Liebe trägt in jede Gesellschafts- und Wirtschaftsform ein Ferment der Kritik‘“59. So kann Althaus in dieser Frage eine Nähe zu sozialistischen Positionen propagieren: „Ohne Frage wird das christlich-sittliche Urteil weithin mit den sozialistischen Anklagen gegen den Kapitalismus in seiner heutigen Form parallel gehen.“60 Im Einzelnen wirft Althaus dem schrankenlosen Kapitalismus Eigengesetzlichkeit vor61; es handle sich um ein System, bei dem „nicht die sachlichen Interessen des Volkslebens und der Gesellschaft […] maß­ gebend“ sind, sondern „der Heißhunger des Kapitals nach Rentabilität, […] der Drang zur schrankenlosen Expansion, […] ein beispielloser Wille zur Macht, […] der starke Wille zur Verdrängung der Kleineren“.62 „Die großen Geldmächte sind ihrem Wesen nach international, amoralisch, zügellos.“

Außerdem wird nach Althaus „die Arbeit innerlich entwertet“, weil der Arbeitnehmer seine Arbeit kaum noch „als organischen Dienst am Ganzen empfinden“ kann. Wenn dadurch „Sklavengefühle in der Arbeiterschaft erzeugt“ werden, ist das für ihn ein Ausdruck für die „objektive Verletzung der Menschenwürde“ durch die „Herrschaft des Materiellen“63. Diese Form der Kapitalismuskritik ist bei Althaus verbunden mit einem konser­vativen Kulturpessimismus, der die Folgen von Industrialisierung und Kapitalismus als kulturelle Abwärtsentwicklung brandmarkt. So sind für ihn die 59 Ebd. Das Zitat stammt aus Tillich/Wegener, Sozialismus, 5. 60 Ebd., 51. Eine harsche Kapitalismusschelte ist bei Althaus nicht neu. Bereits während des Krieges führt er „die Menschenrechte der Arbeiter“ gegen das „Herrenmenschentum des Kapitalismus“ ins Feld, als er in Lodz die Rücksichtslosigkeit der Fabrikbesitzer gegenüber den Arbeitern anprangert (1607 Zukunft, 1). 61 „Das Kapital“, so Althaus, „stellt heute […] eine Macht dar, die nach eigenen Gesetzen wirkt.“ (2104 Sozialismus, 51). Diese Aussage ist ein weiterer Beleg dafür, wie Althaus den Eigengesetzlichkeits-Begriff differenziert und d. h. im Sinne seines Theonomie-Konzepts auch negativ verwendet. 62 Wenn Althaus solche Kapitalismuskritik übt, hat er weniger den Kapitalismus als solchen im Blick, sondern vielmehr den schrankenlosen Kapitalismus als sich verabsolutierendes Wirtschaftssystem. So schreibt er 1929 in einer Rezension zu Friedrich Brunstäds „Deutschland und der Sozialismus“: „Bedenklich ist nicht der Kapitalismus – im Gegenteil: er ist für die Wirtschaft unentbehrlich –, sondern ‚die sich isolierende, verabsolutierende Wirtschaft‘, das zum Selbstzweck gewordene Ertragsstreben, der Mammonismus“ (2905R Brunstäd, 139). Mit Brunstäd erblickt Althaus im Kapitalismus eine „Aufklärungserscheinung“ und somit ein Zeichen der „Kulturkrise“ (ebd.). 63 2104 Sozialismus, 51. Die Bedrohung der Menschenwürde durch die „Gesetze der kapitalistischen Produktion, die Eigengesetzlichkeit des Kapitals“ bleibt auch in späteren Jahren ein Thema für Althaus; vgl. 2917 Christentum, 135 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Massierung der Menschen in Großstädten“64, die „höchstgesteigerte Arbeitsteilung, steigende Expansion der Großbetriebe und Zerstörung des selbständigen Mittelstandes, die Entheimatung der Menschen mit allen ihren inneren Folgen“ vernehmbare Anzeichen einer „alternden Kultur“, das „unabwendbare Schicksal unserer abendländischen Spätzeit.“ Das wiederum, so folgert der Theologe, soll die Menschen „an ihre Erdgeborenheit und Vergänglichkeit erinnern“ und „vor Gott, dem allein Lebendigen und Freien, tief demütigen.“65 Der konservative Kulturpessimismus bleibt unverständlich, wenn man sich nicht das erste Viertel des 20. Jahrhunderts als Zeit des beschleunigten politischen, kulturellen und sozialen Umbruchs hin zu einer industriell-urbanen Massengesellschaft klar macht, der ganz Europa erfasste. Zeichen dieser Zeit waren Verstädterung, Landflucht, Fragmentierung und Segmentierung der Gesellschaft, die wiederum zu einer immensen sozialen und emotionalen Verunsicherung der Menschen führte.66 Um den negativen Auswirkungen von Industrialisierung, Kapitalismus, Bevölkerungswachstum und Verstädterung entgegenzuwirken, formierte sich Ende des 19.  Jahrhunderts  – angeregt von Ideen aus den USA – in Deutschland eine Bodenreformbewegung, die unterschiedliche Modelle zur allgemeinen Nutzung von Land, zur Verstaatlichung von Boden, aber auch zur Bildung von ländlichen Siedlungs- und Produk­ tionsgenossenschaften entwickelte, mit deren Hilfe eine allmähliche Ablösung der kapitalistischen Gesellschaft erwirkt werden sollte. Dieser Bewegung, der in bescheidenem Maße sogar gelang, auf die Weimarer Reichsverfassung von 1919 Einfluss zu nehmen, fühlte sich auch Althaus verbunden, wenn er 1918 64 Zeit seines Lebens hatte Althaus, der selbst in einem kleinen Dorf aufwuchs, Ressentiments gegen die in seinen Augen entseelten und entseelenden Großstädte. So schreibt er über das Leben seines Vaters und damit auch über sein eigenes in den ersten sechs Lebensjahren in Obershagen bei Burgdorf, südlich von Celle: „Das Leben in dem weltabgelegenen Dorfe mit seinen strohgedeckten Häusern zwischen hohen Eichen war ein Idyll.“ (2801 Leben, 37). Althaus’ Vorbehalte gegenüber dem großstädtischen Leben speiste sich auch aus seinen kirchlichen Erfahrungen als Militärgeistlicher in Polen, wo die Kirchentreue vielfach auf dem Land zu Hause war, die Menschen in den größeren Städten, allen voran Warschau, sich hingegen sich kaum noch zur Kirche hielten; vgl. 1605 Geschichte, 17. Zur kulturpessimistischen Ablehnung der Großstädte in Deutschland schreibt Stern, Kulturpessimismus, 19: „Das plötzliche Entstehen ungeheuer großer und häßlicher Städte schmerzte ein Volk, das sich schwärmerisch für die Natur begeisterte und an seinen alten Städten hing“. 65 2104 Sozialismus, 57. An anderer Stelle zeigt Althaus, dass er an diesem Punkt durchaus auch zu einer differenzierteren Wahrnehmung fähig ist: „Wir haben erlebt, daß Maschine, Großbetrieb, Großstadt nicht nur unerhörte Lebenssteigerung, sondern auf der Hinterseite schwerste Schatten des Todes gebracht haben; daß sie nicht nur Freiheit, sondern auch die Sklaverei unendlich gemehrt haben. Das Leben ist durch sie reich und arm geworden.“ (2409 Heilsgeschichte, 648). Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise steigert sich auch bei Althaus der Kulturpessimismus; vgl. 3113 Botschaft, 484. 66 Vgl. Mai, Verteidigungskrieg, 583 ff.; und Nolte, Ordnung, 107–111. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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schreibt: „daß jeder von uns Bodenreformer ist, versteht sich von selbst“.67 Überhaupt verspricht sich Althaus im Blick auf die volksmissionarische Heimholung verlorengegangener Kreise zurück in die Kirche viel von einem sozialen Engagement der Kirche und der Pfarrer, denen er an gleicher Stelle empfiehlt, „mit einem Tropfen sozialen Öles gesalbt“ zu sein. Der Kulturpessimismus speist sich bei Althaus im Wesentlichen aus dem Bedauern über den Verlust religiöser Bindungen in der modernen Gesellschaft und den damit verbundenen Einflussverlust der Kirchen. Besonders in den Großstädten sieht Althaus die Gefahr der „Zersetzung“ von Religion und Moral, wogegen die Kirche gerade auch durch soziale Programme ankämpfen müsse68. Interesse an sozialen Fragestellungen und Engagement in der sozialen Frage ist für Althaus nichts Neues. Schon vor dem Krieg hatte er in der Zeitschrift seiner Studentenverbindung im Mai 1914 hervorgehoben, dass ihm „an der Aufrüttlung unserer Bundesbrüder zum Eintritt in gelegentliche soziale Arbeit“ gelegen ist und sprach in diesem Zusammenhang von „Beziehungen […] zu einem neuen Berliner Ausschusse […], der mit Lic. Siegmund-Schultze, seiner sozialen Arbeitsgemeinschaft in Berlin-Ost und den akademisch sozialen Vereinen in Verbindung steht.“69 Gerade auch als Prediger macht Althaus aus seiner Kritik am Kapitalismus keinen Hehl und geht dabei sogar so weit, für einen „neuen christlichen Sozialismus“ zu plädieren. So spricht der Universitätsprediger am 1. Juli 1923 von der Rostocker Kanzel: „Wieviele deutsche Männer sind heute Sklaven ihres Unternehmens oder Geschäftes geworden, Knechte des Geldes, gewiß nicht im Sinne persönlicher Geldgier, aber doch Leibeigene der Produktionssteigerung, der Rentabilität, sich und andere verknechten sie unter die Mammonsgesetze, ohne es zu wollen.“70

67 1808 Männern, 607. 68 Der religiös motivierte Kulturpessimismus der Weimarer Zeit ist nicht nur ein christliches Phänomen. Diesbezügliche Aussagen finden sich auch im Judentum, dem es um die Aufrechterhaltung der religiösen Bindungen zu tun ist. So zeigt sich auch der liberale Frankfurter Rabbiner Georg Salzberger 1929 in einem Aufsatz gegen die Mischehe, die er als „Krankheitserscheinung“ brandmarkt, überzeugt, „daß das Großstadtleben wie auf die Moral so auch auf die Religion zersetzend wirkt“ (ders., Mischehe, 25 f.). 69 1402 Gespensterfurcht, 128. Auch gegenüber Gewerkschaften und Sozialdemokratie hat Althaus in der sozialen Frage keine Berührungsängste (vgl. ebd., 129). Dass er sich auch nach dem Krieg noch mit Friedrich-Schultze und seiner „Sozialen Arbeitsgemeinschaft“ verbunden weiß, macht er in einer Rezension zu dessen Buch „Ver sacrum“ deutlich (2006R SiegmundSchultze). 70 2307P Freiheit, 177. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Mit der Kirche geht Althaus in diesem Zusammenhang hart ins Gericht: „Hat die christliche Gemeinde nicht allzulange den sogenannten Notwendigkeiten der Produktion kritiklos und tatenlos zugesehen? Sie ließ es geschehen, daß unsere ganze Wirtschaft, statt dem Leben des Volkes zu dienen und nach diesem Gesetz geregelt zu werden, Selbstzweck wurde, ein Götze, der maßlose Opfer an Menschenglück und -freiheit gefordert hat […]. Wir müssen mit ganz anderem Ernste als bisher die prophetische Stimme des Zornes und der Klage erheben wider eine Kultur, die mehr Leben verzehrt als sie schafft. ‚Alles ist euer, ihr aber seid Christi‘, das muß das Leitwort einer christlichen Kulturkritik, eines neuen christlichen Sozialismus sein.“71

Schon in den Althausschen Kritikpunkten am Kapitalismus deutet sich an, wie er sich trotz aller Gemeinsamkeiten in der Kapitalismuskritik von den ReligiösSozialen unterscheidet, wenn er das „Interesse des Volkslebens“ ins Feld führt und dem Kapitalismus vorwirft, dieser sei „international“. Denn international ist der Sozialismus selbst, an einem „Volksleben“ hat er keinerlei Interesse. Wenn die sozialistische Kapitalismuskritik  – vereinfacht ausgedrückt  – eine Kritik von links ist, dann kommt die Althaussche Kritik demgegenüber von rechts72. Warum ihm als Kirchenmann das Problem des Kapitalismus überhaupt so wichtig ist, erklärt sich neben seiner politisch-theologischen Ablehnung einer kapitalistischen Eigengesetzlichkeit und seiner eigenen starken sozialen Gesinnung, vor allem auch mit seinem volksmissionarischen Anliegen, das Althaus von Beginn an hegt und das ihn auch deutliche Worte der Kritik gegenüber der Kirche finden lässt. Mit dem Versagen der Kirche in der sozialen Frage vor Augen spricht er von „schweren Versäumnissen der Christenheit“73 und unterzieht die bisherige Haltung der Kirche einer scharfen Kritik: „Die deutsche Christenheit hatte seit langem die kritische Kraft der Grundsätze des Evangeliums gegenüber dem Wirtschaftsleben verkannt, verschwiegen, erstickt. […] Den Kapitalismus als System nahm sie im wesentlichen hin.“74 Sein Urteil dazu lautet: „Das war die letzte von vielen verpaßten Schicksalsstunden.“75

71 Ebd., 181 f. 72 Althaus reiht sich mit seiner Kapitalismusschelte ein in den konservativen Antikapitalismus, den Tanner, Verstaatlichung, 77 als typisches Merkmal lutherischer Theologie in dieser Zeit herausarbeitet: „Kapitalismuskritik ist in den zwanziger Jahren keineswegs nur ein Thema politisch links orientierter Theologen. Auf dem Hintergrund jenes romantisch-organologischen Antikapitalismus, wie er für breite Strömungen in der lutherischen Theologie des 19. Jahrhunderts repräsentativ ist, formulieren in den zwanziger Jahren gerade auch solche Lutheraner eines scharfe Kapitalismuskritik.“ 73 2104 Sozialismus, 52. 74 Ebd., 50. 75 Ebd., 52. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Warum Althaus „aus der christlich-sittlichen Kritik des Kapitalismus“ nicht „notwendig die Entscheidung für die sozialistische Wirtschaftsform als die gerechte und den christlichen Grundsätzen entsprechende“76 fällen kann, hat volkswirtschaftliche, weltanschauliche und „sittliche“ Gründe77. Lebensphilosophisch fällt Althaus das Urteil über den Sozialismus als Wirtschaftsform: „Jede Lebensform erhält ihre Kritik von dem Leben selbst. […] Das sozialistische Wirtschaftsideal vergeht sich gegen grundlegende Lebensgesetze der Volkswirtschaft“. Denn zu den „entscheidenden sittlichen Idealen gehört neben der Brüderlichkeit“ und dem Bewusstsein der Gemeinschaft, das die Sozialisten dankenswerterweise so betonen, „die Selbständigkeit und freie Verantwortung des einzelnen“78, auf dass „die Fülle individuellen Lebens und Schaffens“ nicht beengt und erdrückt wird79.

So lautet Althaus’ Ausgleichsformel für die beiden abzulehnenden Extreme Kapitalismus und Sozialismus: „Das Christentum ist mit dem Individualismus des Freiheitsgedankens ebenso verwandt wie mit dem Sozialismus des Solidaritätsgedankens.“ Daraus folgert er: „Die Christenheit kann nur fordern, daß in einer neuen Wirtschaftsform der Gemeinschaftsgedanke ebenso kräftig zum Ausdruck komme wie die Selbständigkeit des einzelnen. Sie kehrt ihre Kritik ebenso gegen den ungebundenen Privatkapitalismus wie gegen den starren Sozialismus. […] Sie verlangt Eingrenzung und Einordnung des Kapitals in die Lebensnotwendigkeiten des Volksganzen, starke soziale und vaterländische Bindung der privatwirtschaftlichen Kräfte durch energisch gehandhabte Gesetze“80.

Gegenüber einem auf problematische Weise unkontrollierten Kapitalismus plädiert Althaus somit für einen starken Staat, der die Interessen des Volkes vertritt81. 76 Ebd. 77 Im Blick auf den Antikapitalismus im frühen 20. Jahrhundert schreibt Mai, Kapitalismuskritik, 244: „War der Antikapitalismus auf der Linken ökonomisch begründet, so definierte die Rechte diesen als ein national-ethisches Problem der ‚Weltanschauung‘, als ‚sittlich-religiöse‘ Gesinnungs-Frage“. 78 2104 Sozialismus, 53. 79 Ebd., 54. Vgl. seine Äußerungen in der Rezension zu Friedrich Brunstäds „Deutschland und der Sozialismus“ von 1929: „Mit Br[unstäd] bin ich darin einig, daß das sozialistische Wirtschaftssystem weder möglich noch ‚christlich‘ ist, daß unsere Kultur vielmehr den Kapitalismus in der Form des Privatkapitalismus nicht entbehren kann.“ (2905R Brunstäd, 140). 80 2104 Sozialismus, 53 f. 81 Vgl. seine Äußerungen in 2502 Haltung, 158 wo er schreibt: „Der Staat muß als eigener starker Wille zur Gerechtigkeit und Gesundheit sich über den Mächten geltend machen. […] Es bedarf eines für das Ganze des Volkes verantwortlichen Willens, jenseits des Spieles der Interessen und Gewalten.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Auch wenn der Begriff selbst hier nicht fällt, so macht Althaus mit seinen Ausführungen doch deutlich, dass auch er der damals weitverbreiteten Vorstellung eines „nationalen Sozialismus“ anhängt, die bereits vor dem Krieg, besonders aber während des Krieges viele Anhänger aller politischen Couleur fand. So empfand man im Krieg nach Gunther Mai: „individuelles und kollektives Überleben […] nur garantiert, wenn der ‚neutrale‘ […] Staat in der Lage war, den Interessenausgleich zwischen den Gruppen, das heißt die Überwindung des Klassenkampfes zugunsten einer solidarischen Produktions- und Lebensgemeinschaft, notfalls ebenso zu erzwingen wie die Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums […]. In der autoritären […] Staatsräson verknüpften sich die Prin­ zipien von ‚Nation‘ und ‚Sozialismus‘.“82

Im Krieg sollten diese Prinzipien mit Hilfe der „Gemeinwirtschaft“ realisiert werden, die am Gemeinwohl – gemeint waren damit Volk und Staat – orientiert war. Allein schon durch das sogenannte „Augusterlebnis“ von 1914, das nationale Geschlossenheit und Solidarität zu verkörpern schien, fühlten sich die verantwortlichen Politiker dazu legitimiert und aufgerufen. „Als ideologische Unterfütterung und korrespondierende politische Verantwortungs­ ethik trat, in enger Verbindung mit dem außenpolitischen Verteidigungskonsens, auf allen Seiten des Parteienspektrums eine neue Formel in Erscheinung: die ‚Volks­ gemeinschaft‘“83.

Der Begriff der „Volksgemeinschaft“, der das nationale und das soziale Prinzip in sich vereinte, sollte in der Weimarer Zeit schon bald Hochkonjunktur haben. Er fand Eingang in SPD-Parteitagsresolutionen und klang sogar bei der KPD an84. Unter dem Eindruck von Niederlage und Versailles, später auch

82 Mai, Verteidigungskrieg, 591. Für Mai sind beispielsweise die christlichen Gewerkschaften „ein anschauliches Beispiel für die vor 1914 einsetzende Verknüpfung von Gemeinschafts-Idee und Sozialismus-Anspruch zu einer […] organologisch gegliederten statt klassenmäßig geschichteten, kapitalistisch leistungsorientierten, aber sozialpolitisch abgefederten, autoritären, aber nicht un­ bedingt monarchischen Staats- und Gesellschaftsordnung“ (ebd., 601). Vgl. Schneider, Gewerkschaften, 544 ff.575 ff. 83 Ebd., 590. Zu diesem Begriff schreibt Mai, er sei „seit 1860/70 bei Antisemiten wie Zio­ nisten gleichermaßen nachweisbar.“ Vor allem die Jugendbewegung zählt er zu den eigentlichen Protagonisten der Volksgemeinschafts-Idee. 84 Vgl. ebd., 592 ff. Mai weist darauf hin, dass es trotz der semantischen Identität eine „fun­ damentale Differenz zwischen rechter und linker ‚Volksgemeinschafts‘-Vorstellung“ gab, je nachdem wie „Volk“ und „Gemeinschaft“ definiert wurden (ebd., 594). Zum Thema „SPD und Volksgemeinschaft“ vgl. Bechthold, Antikapitalismus, 90–96. Zum Volksgemeinschaftsbegriff und dessen weitverbreiteter Verwendung vgl. auch Nolte, Ordnung, 169–171. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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der Inflation, „wurde die ‚Volksgemeinschaft‘ kurzzeitig zu einer Art Gründungskonsens der Weimarer Republik.“85 Die Vorstellungen von „Volksgemeinschaft“ und „nationalem Sozialismus“ schwingen bei Althaus merklich mit, wenn er an den „Solidaritätsgedanken“ und den „Gemeinschaftsgedanken“ appelliert und den Kapitalismus an die Pflicht gegenüber vaterländischen Interessen erinnert, die das „Volksganze“ im Blick hat. „Zwei Grundinteressen alles höheren Lebens“ will Althaus zum Ausgleich bringen, den Freiheits- und den Gemeinschaftsgedanken. Doch dahinter verbirgt sich für ihn noch mehr: „Es kämpfen in allen Sozialfragen des Wirtschaftslebens miteinander die hohen Ideale der Menschenwürde und die harten Notwendigkeiten des Wirtschaftsprozesses selbst.“ So ist für ihn für alles rechte Entscheiden in wirtschaftlichen Fragen zweierlei vonnöten, „völlige Sachkunde und ein lebendiges Gewissen“86.

Die Sachkenntnis macht Althaus gegen diejenigen Religiös-Sozialen geltend, die er in der Gefahr sieht, „mit einem schnellen christlichen Dilettantismus in die schweren Fragen des wirtschaftlichen Lebens dreinzureden.“ Das „lebendige Gewissen“ macht er gegen diejenigen geltend, die meinen „die gerechte Gestaltung der Wirtschaft aus dem Evangelium ablesen“ zu können: „Diesem Nomismus gegenüber weisen wir auf die Notwendigkeit lebendiger Gewissensentscheidung inmitten des Wirtschaftslebens hin.“87 Den wirtschaftspolitischen Mittelweg, den Althaus hier seinem Naturell der Ablehnung der Extremen entsprechend favorisiert, ist nichts anderes als ein „dritter Weg“, ein „deutscher Sonderweg“ jenseits von westlichem Kapitalismus und östlichem Sozialismus bzw. Kommunismus. Dieser Sonderweg trägt einerseits deutliche Spuren einer Zuspitzung auf die eigenen nationalen Interessen, wenn er von den „Lebensnotwendigkeiten des Volksganzen“ oder von „vaterländischer Bindung“ spricht. Andererseits findet die sozialistische Fokussierung auf den Gemeinschafts- und Solidaritätsgedanken bei Althaus vor diesem Hintergrund des „Volksganzen“ großen Anklang. Dass Althaus hier Vorstellungen eines „nationalen Sozialismus“ zur Darstellung bringt, die dem Ideal der „Volksgemeinschaft“ Rechnung trägt, zeigt eine gewisse geistige Nähe Althaus’ zur „Konservativen Revolution“, in deren Kreisen der Diskurs über einen „nationalen Sozialismus“ ganz oben auf der Tages 85 Mai, Verteidigungskrieg, 593. 86 2104 Sozialismus, 55. 87 Ebd., 58 f. Was er damit meint, verdeutlicht er mit dem Satz: „Im Widerstreite von Leben und Arbeit, d. h. der Ansprüche, die aus der Berufung der Arbeitenden zu persönlichem Leben erwachsen, und der technischen Forderungen eines Wirtschaftsprozesses kann nur das sittliche Gewissen der Verantwortlichen und auf beiden Seiten Führenden den Weg finden.“ (ebd., 56). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ordnung stand. Sein Plädoyer für einen starken Staat spiegelt seine Erfahrungen mit der sozialen Not breiter Massen angesichts eines als schwach und den Mechanismen des ungezügelten Kapitalismus hilflos ausgeliefert empfundenen Weimarer Staates wider. Mit der konservativen Kapitalismuskritik verband sich daher auch bei Althaus die Ablehnung der Weimarer Republik. Exkurs: Paul Althaus und die „Konservative Revolution“ Althaus lässt in den frühen 20er Jahren in seiner politisch-weltanschaulichen Haltung eine gewisse strukturelle Nähe zur sogenannten „Konservativen Revolution“ erkennen88, einer politisch rechtsgerichteten geistigen Strömung der deutschen Zwischenkriegszeit. Der Begriff „Konservative Revolution“, der 1927 von Hugo von Hofmannsthal eingeführt wurde und der in vielen Punkten unterschiedliche und gegensätzliche politische Denker und Kreise auf einen Nenner zu bringen versucht, ist ein ausgesprochener Sammelbegriff. Das Paradoxon, das bereits in der Bezeichnung zum Ausdruck kommt, bringt Fritz Stern mit seiner Wesensbestimmung auf den Punkt: „Ihre Anhänger wollten die von ihnen verachtete Gegenwart zerstören, um in einer imaginären Zukunft eine idealisierte Vergangenheit wiederzufinden.“89 Die „geistig Unzufriedenen“ waren es daher in seinen Augen, die sich der Konservativen Revolution zuwandten90. Die große Gemeinsamkeit bestand in dem Anliegen, auf die deutsche Katastrophe, die mit der Niederlage und dem Versailler Vertrag über das Deutsche Reich und das deutsche Volk hereingebrochen ist, mit genuin deutschen Antworten zu reagieren und Wege aus der radikalen Krise zu suchen. Einigkeit herrschte außerdem in der Ablehnung des gegenwärtigen deutschen Staatswesens der Weimarer Republik und des Versailler Systems: „Die Weimarer Republik war der von ihnen befürchtete liberale Staat  – geteilt, wehrlos und besiegt, das Opfer selbstsüchtiger Interessen im Inneren und im Ausland.“91 Einigendes Band bei aller Heterogenität der Konservativen Revolution war in erster Linie der Antiliberalismus, den Arthur Moeller van den Bruck 1922 mit den Worten auf den Punkt brachte: „An Liberalismus gehen

88 Zur Konservativen Revolution vgl. Mohler, Revolution; und Dupeux, Intellektuellen. Dupeux rechnet auch Althaus zur Konservativen Revolution, ohne allerdings näher darauf einzugehen (ebd., 17). Zu Althaus’ Nähe zur Konservativen Revolution vgl. Kress, Allmacht, 75–87. 89 Stern, Kulturpessimismus, 6 f. Er macht in seiner Studie auf den „gesamteuropäischen Charakter“ der Konservativen Revolution aufmerksam (ebd., 5 f.). 90 Ebd., 7. 91 Ebd., 22. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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die Völker zugrunde.“92 Für die Stimmungslage vieler Menschen in der Epoche der Weimarer Republik stellt Manfred Funke fest: „Die Affektionen gegenüber dem westlichen Liberalismus und dem östlichen Bolschewismus legten ein republikanisches Verantwortungsvakuum bloß, das von den alten Kräften ebensowenig gefüllt werden konnte wie von der schwindenden Zahl der neuen Vernunft-Demokraten. Diese wurden schleichend überwältigt von neuen Verheißungen: ‚Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit‘ sollten weder im Sinne westlichbürgerlicher Individualität noch im Geiste des bolschewistischen Zentralismus Erfüllung finden, sondern in der ‚deutschen‘ Synthese aus Nationalismus, Sozialismus, völkischer Auffassung, von innerer Geschlossenheit und äußerer Stärke. Tat, Wille, Opfer, Leistung, Rassebewußtsein bildeten sozialromantische Stimulanzien für die Suche nach der ‚dritten Partei‘ jenseits des rüden rechtsradikalen Rabaukentums, parlamentarischer Selbstlähmung und eines revolutionären Universalismus. Diese ‚dritte Partei‘ als Chiffre einer kultischen Imperialität erhielt Anschauung in der propagandistischen Konzeption eines parteienfernen Machtsstaates als Gegensatz zum Parteienstaat, der zum Exponenten der Interessen und Stimmungen von Wählermassen verkommen sei.“93

Was war nun gerade für protestantische Theologen das Anziehende an den Ideen der Konservativen Revolution? Zunächst ist dabei an den Liberalismus als gemeinsamen Feind zu denken. Für viele Theologen und Kirchenmänner bestand eine manifeste geistige Verbindung zwischen Liberalismus und Liberaler Theologie und Säkularismus. Je mehr liberales Gedankengut nämlich für die allgemeine Geistigkeit und damit auch für Theologie und Kirche bestimmend wurden, desto mehr schritt in den Augen der Liberalismuskritiker der Niedergang des christlichen Glaubens und der christlichen Gesellschaft, also der Säkularismus voran. Für diese Menschen aber war „das Leben im nachchristlichen Zeitalter des Liberalismus unerträglich“94. Auf der Suche nach Antworten stieß man auch auf die politischen Philo­ sophen der Konservativen Revolution: „Schließlich sprachen diese Männer breite Schichten der deutschen Gesellschaft an, weil sie nicht nur idealistisch, sondern auch religiös waren.“ Für Fritz Stern fanden die konservativen Revolutionäre „bei religiös sentimentalen Menschen Anklang, aber auch bei jenen, in denen ein echtes religiöses Verlangen lebte.“95 92 Moeller van den Bruck, Liberalismus. Seine Liberalismuskritik gipfelt in der Aussage: „Liberalis­mus hat Kulturen untergraben. Er hat Religionen vernichtet. Er hat Vaterländer zerstört. Er war die Selbstauflösung der Menschheit“ (ebd., 19). 93 Funke, Republik, 17 f. Der Begriff „dritte Partei“ stammt von Moeller van den Bruck; so wollte er ursprünglich sein Hauptwerk „Das dritte Reich“ nennen. 94 Stern, Kulturpessimismus, 9. 95 Ebd., 17. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Zu diesen Menschen zählte auch Althaus96. Zentrale Topoi konservativrevolutionären Denkens finden sich auch bei ihm, werden jedoch stets christlich-kirchlich unterlegt bzw. überformt. Die geschichtsphilosophische Gewichtung der Völker gemäß ihres „Alters“ und ihrer „Jugend“, eine organologische Gedankenfigur, die sowohl durch Oswald Spenglers Hauptwerk „Der Untergang des Abendlandes“ von 1918/22, als auch durch Arthur Moeller van den Brucks Programmschrift gegen den Versailler Vertrag „Das Recht der jungen Völker“ von 1919 populär wird, findet sich auch in Althaus’ geschichtsphilosophischen Spekulationen über das Zusammenleben der Völker wieder97. Ebenso vertritt Althaus im Ansatz die wirtschafts- und sozialpolitische Idee eines „nationalen Sozialismus“ in doppelter Frontstellung gegen die Staats- und Gesellschaftsordnung des westlich-kapitalistischen Liberalismus und des östlichmarxistischen Sozialismus. Diese Konzeption eines „dritten Weges“, der dem imaginierten Wesen der Deutschen entsprechen sollte, wurde ebenfalls von den beiden großen Vordenkern der Konservativen Revolution formuliert: Oswald Spengler in seinem Essay „Preußentum und Sozialismus“ von 1919 und Arthur Moeller van den Bruck in seinem vielfach rezipierten Hauptwerk „Das dritte Reich“ von 1923, der von einem „deutschen Sozialismus“ spricht. Aus der Einsicht, dass aus den „Grundgedanken des Evangeliums […] bestimmte Maßstäbe für die gesellschaftlichen Ordnungen“98 gewonnen werden können, sieht Althaus die Frage nach deren praktischer Umsetzung und Anwendung gestellt: „Die Religiös-Sozialen beantworten sie für den Aufbau der Gesellschaft durch den Hinweis auf die Demokratie, für die wirtschaftliche Verfassung durch die Forderung des Sozialismus als Wirtschaftssystem. Sie gewinnen also den Inhalt des Begriffs der Gerechtigkeit oder des Willens Gottes durch die Gleichsetzung oder doch Verknüpfung der Grundsätze des Evangeliums mit den Forderungen des Naturrechtes.“99 96 Zum verbreiteten Antiliberalismus der protestantischen Theologen in der Weimarer Republik, der sie in eine Nähe zur Konservativen Revolution brachte, vgl. Tanner, Verstaatlichung, ­64–68. Für ihn stimmten die meisten Vertreter der damals jüngeren Generation, zu denen er gerade auch Barth zählt, „ihrer Herkunft aus unterschiedlichen theologischen bzw. kirchenpoli­ tischen Lagern zum Trotz, bereitwillig mit ein in den großen Chor einer zeitgeisttypischen Liberalismuskritik“ (ebd., 67). 97 Um nur ein Beispiel zu nennen: Moeller van den Bruck, Reich, 77 schreibt, die „Gerechtigkeit ist nicht starr, sondern fließend“, während Althaus die „lebendige Gerechtigkeit in der Geschichte“ betont. 98 2104 Sozialismus, 46. 99 Ebd., 47. Diese Verknüpfung ist für Althaus „auf calvinistischem Boden entstanden“ und bezieht sich „auf die ‚Menschenrechte‘, die in dem amerikanischen Freiheitskriege und in der französischen Revolution eine entscheidende Bedeutung gewannen. Sie ist besonders dem angel­ sächsischen Christentum eigen.“ Er charakterisiert sie so: „Die evangelische Gleichheit der Kinder © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Demgegenüber ist für Althaus, der sich insbesondere daran stört, dass Vielen „die steigende Demokratisierung Deutschlands als ein christlicher Fortschritt“ erscheint, diese „Verbindung demokratischer Gleichheitsideale mit Jesus“ eine Entstellung des Evangeliums, weil für ihn gilt: „Die Liebe des Evangeliums ist Wille zur Gemeinschaft, aber nicht Wille zur Gleichheit.“100 Die Würde der Gotteskindschaft hat für ihn „mit staatsbürgerlicher Gleichheit nichts zu tun“. Demokratie und Parlamentarismus sind in seinen Augen von „abstrakten Gleichheits- und Menschheitsgedanken“ getragen, sie sind „einseitig individualistisch und unorganisch“ und lösen den Menschen „aus seinen Zusammenhängen und organischen Verhältnissen“101. Für ihn steht fest: „Zu einer sittlich richtigen politischen Entscheidung gehört ein von den kleinen Gesichtspunkten des Tages freies Auge für den geschichtlichen Beruf des Volkes“102. Ein solches „freies Auge“ spricht Althaus den Entscheidungsträgern in einem demokratischen Staatssystem ab, wenn er direkt im Anschluss die rhetorische Frage aufwirft: „Ist unser deutscher Massen- und Mehrheitsparlamentarismus nicht tief unsittlich?“ Politik ist für Althaus „in der Tiefe eine religiöse Sache“, „ein Handeln mit Gott und vor Gott“103, bei dem das Gewissen des einzelnen Staatsmanns die vermittelnde Instanz darstellt. Im Parlamentarismus mit seinen Eigengesetzlichkeiten des Parteiwesens und der demokratischen Entscheidungsfindung mit ihren Kompromissen und ihrem parteipolitischen Taktieren, das die Bedürfnisse des Souveräns, d. h. des Volkes, aus dem Blick zu verlieren droht, sieht Althaus offensichtlich das Einzelgewissen untergehen, so dass Politik für ihn auf diesem Wege unreligiös und damit unsittlich wird. Er lehnt es daher scharf ab, „wenn die Religiös-Sozialen dem demokratischen Staatsideal der Gleichheit, des Parlamentarismus usw. den religiösen Akzent des ‚Christlichen‘ oder des Willens Gottes aufsetzen.“ Denn für ihn ist dieses politische Ideal „nur eines unter mehreren, die im Kampfe stehen.“104 Gottes wird hier als Prinzip der Demokratie verstanden. […] Die Menschenwürde, die Gottes Erwählung jedem gibt, wird gleichgesetzt mit der bürgerlichen Menschenwürde, die jedes Hörigenverhältnis ausschließt, mit staatsbürgerlicher Gleichheit“ (ebd., 48). 100 Ebd., 48 f. 101 Anzeichen dafür sind für ihn „gleiches Wahlrecht“ und „Frauenstimmrecht“. Andererseits ist es für ihn eine Selbstverständlichkeit, daß es unterschiedliche Parteien gibt: „Daß es Parteien in den Volksgemeinde gibt, stammt […] aus der natürlichen Differenzierung der Menschheit.“ (ebd., 36). Um dem Chaos zu wehren, muss seiner Meinung nach über den Parteien allerdings „ein Wille“ sein, den er im starken Staat verkörpert sieht. 102 Ebd., 93. 103 Ebd., 65. 104 Ebd., 49. Diesen Kritikpunkt lässt auch Barth, Grundfragen, 44 gelten, wenn er schreibt, Althaus „ruft uns Religiös-Sozialen […] mit Recht in Erinnerung, daß das naturrechtlich-calvinisch-westliche Ideal der Demokratie und des Sozialismus nur ein Ideal neben anderen sei“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Demgegenüber macht Althaus deutlich, welches politische System er bevorzugt: „das organisch-aristokratische Staatsideal“, das er „tief in der deutschen Geschichte und deutschem ständischem Denken begründet“ sieht. Es ist „die Betonung des Organischen und der konkreten Lebens- und Arbeitsgemeinschaften, der organischen Differenzierungen und Abhängigkeiten“, die ihn für diese von ihm damit nur sehr vage umrissene Staatsform optieren lässt. Wie bei allen weltlich-geschichtlichen Fragen, so sieht Althaus auch die jeweilige Angemessenheit – er nennt es das „größere Recht“ – der einen oder anderen Staatsform sich in einem lebendigen Prozess in der Geschichte herauskristallisieren. Sie wird für ihn dadurch bestimmt, welches Staatsideal „der konkreten Eigenart und geschichtlichen Führung dieses bestimmten Volkes in diesem Zeitpunkte seiner Geschichte am besten entspricht, d. h. das Volk zu kraftvollem geschichtlichen Leben am besten befähigt.“ Als Konsequenz daraus folgert er: „Das Recht des Ideals ist demnach ein relatives. Sowohl das Recht wie auch die Verwirklichung des Ideals ist völkisch und geschichtlich bedingt.“105 Wo sieht Althaus dabei nun die Aufgabe der Christen in Staat und Politik? Im Blick auf die Religiösen Sozialisten mahnt er zur Sachlichkeit: „Christen können in beiden Lagern sein. Sie handeln dann kraft ihrer politischen Einsicht, dürfen aber ihre Ideale nicht im Namen des Christentums vertreten.“106 Was Althaus in Bezug auf wirtschaftliche und soziale Fragen sagt, gilt mutatis mutandis auch für die Frage nach der Staatsform: Für ihn kann die „religiös-soziale Tat der Christenheit […] nicht darin bestehen, daß die Gemeinde im Namen der Gerechtigkeit Gottes und der christlichen Liebe ein genaues Programm der Sozialpolitik aufstellt, auch nicht darin, daß sie der sozialistischen Bewegung den religiösen Akzent gibt und die Wucht eines heiligen Krieges Christi leiht. Das hieße – nach einem feinen Worte Karl Barths – Christus aufs neue säkularisieren.“107

In der von ihm formulierten „Aufgabe der Christenheit in Staat und Politik“ schreibt Althaus: „Die Christenheit vermag keine christliche Wirtschafts- oder Sozialordnung zu entwerfen, aber sie trägt durch ihre sittlichen Grundsätze in den Kampf zwischen Leben und Arbeit und in das Ringen zwischen Unternehmertum und Arbeitern die immer neue Unruhe lebendiger Gewissen hinein. Die Christenheit will und kann den so­ zialen und politischen Machtkampf nicht beseitigen. Aber sie dient der Eingrenzung, 105 2104 Sozialismus, 50. 106 Ebd., 49 f. 107 Ebd., 59. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Versachlichung und Veredelung des Ringens dadurch, daß sie die Streitenden auf ihrem Boden zur Gemeinschaft zusammenführt.“108

„Die wichtigste ‚religiös-soziale‘ Tat der Christenheit“ besteht nach Althaus demgegenüber darin, „daß sie wirkliche Gemeinden darstelle“109. Als solche ist ihr in seinen Augen dann auch das „öffentliche Gewissen“ aufgetragen. So besteht ihre Aufgabe darin, „Männer und Frauen eines durch Jesus gebildeten, an die Idee der Gerechtigkeit gebundenen Gewissens“ zu erziehen, „die hernach als Sozialpolitiker, Staatsmänner, Unternehmer, Arbeiterführer an ihrer Stelle, mit ihrer Sachkunde, tun, was sie können.“110 „Die Christenheit muß in diesen Dingen den Willen zur Macht haben.“ Und dazu soll sie alle Möglichkeiten der Einflußnahme nutzen, die zur Verfügung stehen: „durch eine christ­liche Presse“ und „Christen in den Parlamenten“111. 2.3 Das Zusammenleben der Völker und die Bedeutung des Krieges – Althaus’ Fortführung seiner geschichtstheologischen Spekulationen Gleich zu Beginn seiner Ausführungen über die Frage nach dem Zusammen­ leben der Völker und des Pazifismus blickt Althaus selbstkritisch auf seine Äußerungen zu diesem Thema zwei Jahre zuvor in „Pazifismus und Christentum“ zurück: „Dieser Aufsatz ist mehrfach scharf angegriffen. In der Sache vertrete ich seine Grundgedanken heute wie damals. Allerdings trat hinter einem geschichtsphilosophischen Versuche die akute sittliche Frage nach den Grundsätzen einer richtigen Politik zu sehr zurück […]. Auch habe ich damals die wirkliche Bedeutung des Völkerrechtes und der Schiedsgerichte über der Einsicht in die nahen Grenzen, die alle mensch­liche Rationalisierung des Völkerlebens an der Lebendigkeit der Geschichte selber findet, zu sehr verschwiegen.“112

Im Folgenden soll es nun darum gehen, inwiefern Althaus vor dem Hintergrund dieser selbstkritischen Einschätzung versucht, seine Gedanken zu diesem Thema differenzierter darzustellen113. 108 Althaus, Aufgabe. 109 2104 Sozialismus, 60. Hervorhebung von Althaus. 110 Ebd., 59. 111 Ebd., 60. 112 Ebd., 61, Anm. 1. 113 Diese Wandlung bei Althaus ist auch der zeitgenössischen Fachwelt nicht verborgen geblieben, vgl. Stephan, Theologie, 85 f., Anm. 3. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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2.3.1 Politik als Dienst an Gott und Volk – Der „Beruf “ eines Volkes und das nur begrenzte Recht von Völkerrecht und Völkerbund Althaus definiert Politik folgendermaßen: „Politik ist das Handeln eines Staates zur Behauptung und Entfaltung des in ihm sich zusammenfassenden nationalen Lebens innerhalb der Geschichte.“114 Nationalstaaten sind für ihn die Subjekte der Geschichte, die das Leben der Menschheit bestimmen115. Die Geschichte ist der Ermöglichungsrahmen des Völkerlebens. Grundlegend für seine Vorstellungen vom Zusammenleben der Völker ist Althaus’ organolo­ gische und lebensphilosophisch beeinflusste Geschichtsphilosophie, welche die Geschichte als „lebendige Bewegung“ mit ihren eigenen „organischen Gesetzen“ und einem ihr eigenen „Rhythmus“ zu bedenken trachtet116, die ihrerseits im Vollzug eine „lebendige Gerechtigkeit“ schafft. Was Althaus darunter konkret versteht, macht er deutlich, indem er auf die geschichtsphilosophische Spekulation über die Lebensalter der Völker zu sprechen kommt: „Nationen haben ihre Jugend, wachsen nach außen und innen, treten in die Periode mächtigster Schöpfer- und Gestaltungskraft, geben sich aus, altern, haben ihren Tag in der Geschichte hinter sich117. Völker steigen und fallen […]. Die Macht steigt empor. Nicht die rohe, massive, brutale Gewalt setzt sich auf die Dauer durch, sondern die Macht als Tüchtigkeit zu geschichtlichem Leben und geschichtlicher Herrschaft.“

Was die einzelnen Völker in „dieser Lebendigkeit mit ihrem ständigen, organischen Wandel der Lebens- und Machtbeziehungen zwischen den großen Völkern“ letztlich antreibt, ist für Althaus nicht einfach reines Machtstreben oder Expansionslust, sondern es ist für ihn der „geschichtliche Beruf eines großen Volkes“: „Jedes Volk hat seine Zeit, seine Kraft, seinen Beruf […] Er erschließt sich ihm selber nur allmählich durch Tasten und in der Geschichte selbst, im Miteinander und Widereinander von Willen und Schicksal.“118 Diesen von einem Volk „gespürten und bejahten geschichtlichen Beruf“ bezeichnet Althaus 114 2104 Sozialismus, 62. 115 So setzt Althaus voraus, „daß selbständige, zu eigenem Leben entschlossene Nationen als letzte Einheiten in der Geschichte gewollt sind.“ (ebd., 69 f.). 116 Ebd., 62. Oder mit anderen Worten: „In der lebendigen Geschichte walten strenge Gesetze und eine harte Gerechtigkeit“ (ebd., 66). 117 In der „Entwicklung zu übernationalen Verbänden“, wie sie die Pazifisten fordern, sieht Althaus „nur ein Erschöpfungssymptom und ein Zeichen für die Altersperiode unseres Kulturkreises.“ Junge Völker werden die alten ablösen. „Ein ethischer Sinn wohnt jeder Entwicklung nicht inne, sondern ein Ermüdungs- und Altersgesetz wirkt sich aus.“ (ebd., 70). 118 Ebd., 63 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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als „Frage von transzendenter Tiefe“, ihm eignet der Charakter des „­doppelten Irrationalen: der irrationalen Setzung göttlicher Prädestination und der irra­ tionalen Tat des Willens, der jene erkennt und bejaht“. Dadurch „webt sich die Geschichte eines Volkes“ für Althaus119. Deutlich wird hier der Übergang von Geschichtsphilosophie zu Geschichtstheologie markiert, beiden gemeinsam ist das rein Spekulative. Kann Althaus an anderer Stelle in Bezug auf die „Lebensgesetze der Geschichte“ vom „Schicksal“ sprechen, macht er hier als Theologe deutlich, was es mit diesem Schicksal auf sich hat und wer hinter den von ihm propagierten Geschichtsgesetzen steht: Sie sind Ausdruck „göttlicher Prädestination“. Gott ist also der Garant der alles ordnenden „lebendigen Gerechtigkeit der Geschichte“120. Somit kann Althaus über ein Volk sagen: „Darum ist seine Politik in der Tiefe eine religiöse Sache, ein Handeln mit Gott und vor Gott“121. Wie kommt ein solcher Wille, der den Beruf des Volkes als göttlich gesetzt erkennt und danach handelt, wie kommt ein solcher Volks-Wille aber zustande? Diesen Willen projiziert Althaus auf die „führenden Staatsmänner“ eines Volkes, sie sind es, die den Beruf ihres Volkes erspüren und schließlich handelnd bejahen sollen. Was geeignete Politiker nach Althaus ausmacht, ist „größte Sachkunde, d. h. Blick für Geschichte, Art und Kräfte des Volkes, und ein lebendiges Gewissen, in dem die Selbstkritik eines Volkes Ausdruck findet“. Beides muss „sich durchdringen zum vollen Verantwortungsernste geschichtlichen Lebens. Niemand kann jenen Männern die Last der Entscheidung abnehmen, weder eine zufällige Parlamentsmehrheit noch ein internationaler Gerichtshof. Beides ist sittlich verwerflich.“122

Nationale Politik definiert Althaus als „Gehorsam gegen den geschichtlichen Beruf des eigenen Volkes“, der sich „oft nur fragend und tastend“ vollzieht, weil „den Beruf und die Aufgabe eines Volkes aus seiner Geschichte und Lebenskraft abzulesen […] oft schwer“ ist123. Politik ist für ihn dementsprechend „Dienst am Volke“, wobei es darum geht, „das Erbe einer opferreichen Vergangenheit 119 Ebd., 65. Er führt dazu weiter aus: „Die Kraft der Nation, ihre geschichtliche Stunde, die Ausmaße ihres Berufes sind Gabe und Setzung – und warten doch auf den Willen, der sie handelnd bejaht.“ 120 Ebd., 67. 121 Ebd., 65. 122 Ebd., 66. Schon 1922 äußert sich Barth, Grundfragen, 52 dazu sehr verwundert: „Nun wird der ‚ernstlich geprüfte geschichtliche Beruf eines Volkes‘ auf einmal zu einer wahrhaft mystischen Größe, irgendwie himmelhoch erhaben über die profanen Möglichkeiten, die da heißen ‚zufällige Parlamentsmehrheit‘ oder ‚internationaler Gerichtshof‘.“ 123 2104 Sozialismus, 93. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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zu wahren und die Zukunft der kommenden Geschlechter zu bauen.“ Eng mit diesem Dienst-Charakter der staatsmännischen Aufgabe hängt für Althaus der Charakter eines „Amtes“ im Sinne Luthers zusammen. Bei einem solchen „Amt“ sieht Althaus schließlich auch immer die Gefahr des Missbrauchs gegeben, wenn z. B. nationale Politik zum „nackten Egoismus“ wird. Um dieser Gefahr zu wehren, fordert Althaus, darin seinem Lehrer Karl Holl folgend124: „Darum bedarf die Politik sittlicher Persönlichkeiten, die zu tiefer Sachlichkeit fähig sind. Hier liegt die Aufgabe der Christenheit.“125 Das heißt für ihn im Blick auf den Staatsmann: „Dieses ‚Amt‘ eines Volkes wartet gerade auf die Christen“126, weil sie ihre Aufgabe im „Gehorsam gegen den, der durch die Geschichte schreitet“ erfüllen. Nach Althaus ist „Politik in der Tiefe eine religiöse Sache“, „ein Handeln mit Gott und vor Gott“. Darum betont er auch in Bezug auf die Politik: „Alles ist auf die Gewissensentscheidung seiner führenden Staatsmänner gestellt. Das sind Entscheidungen von ungeheurer Schwere.“127 Das Gewissen ist für ihn die vermittelnde Instanz zwischen dem einzelnen Staatsmann und Gott, hier ist der Ort der Verantwortlichkeit vor Gott. So wie Glaube ein Geschehen zwischen Gott und dem Einzelnen ist, so ist auch ein vor Gott verantwortliches Handeln für Althaus nur in der Ich-Du-Relation zwischen Gott und Staatsmann denkbar. Kann sich Althaus rechte Politik nur als „Wollen und Handeln vor Gott“ vorstellen, so führt ihn dieser Gedanke auch „zu der Ehrfurcht und Verantwortung vor der Idee der Gerechtigkeit in der Politik.“128 Ein konkreter Inhalt dieser Idee ist für ihn allerdings – im Gegensatz zu den Religiösen Sozialisten und Pazifisten – „nicht einfach aus der Bergpredigt oder aus dem Naturrechte“ ablesbar. Seine Lösung lautet demgegenüber: „Die Gerechtigkeit in der Politik ist eine Synthese allgemeiner sittlicher Grundsätze und der besonderen Wirklichkeit des geschichtlichen Lebens – eine Synthese, die nur als Tat in Freiheit vom verantwortlichen Gewissen vollzogen werden kann.“129

124 Zu Holl vgl. Assel, Aufbruch, 135 f. 125 2104 Sozialismus, 93 f. 126 Ebd., 93. 127 Ebd., 65. Als Probleme bei der Entscheidung nennt er: „Wo ein echter Beruf gegeben ist und wo nur sinnloser Machthunger und Expansionsdrang treibt; […] wo nur sträfliche Hybris, die sich rächen muß, in seinem [= des Volkes] Vorwärtsdrängen waltet und wo tiefe Lebensnotwendigkeit und jugendliche Kraft zur Herrschaft und zum Gestalten der Geschichte […] – das sind die gewaltigen Fragen, mit denen die verantwortlichen Führer immer wieder aufs neue ringen müssen“. 128 Ebd., 70. Hervorhebung von Althaus. 129 Ebd., 70 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Doch Althaus geht noch einen Schritt weiter: „Jede große Entscheidung“ hat für ihn „etwas Irrationales, Undurchschaubares“, ist für ihn „schöpferische Tat“130. In diesem Gedanken der „schöpferischen Tat“, die theologisch gesehen Gott vorbehalten ist, kommt ebenfalls Althaus’ Charakterisierung der Politik als „religiöse Sache“ zum Tragen, hier nämlich das „Handeln mit Gott“, indem der Staatsmann gleichsam mitschöpferisch tätig wird. In der Art und Weise, wie Althaus Politik charakterisiert, wird einmal mehr seine Ambivalenz deutlich: Mit dem Gedanken des Handelns vor Gott will er den führenden Staatsmännern ihre Verantwortlichkeit bewusst machen und damit letztlich einer Absolutsetzung des „Weltlichen“ wehren, indem er es relativiert, nämlich in Beziehung bzw. in Abhängigkeit von Gott als oberster, insbesondere sittlicher Instanz setzt. Mit dem Gedanken des Handelns mit Gott allerdings erreicht er nahezu das Gegenteil, nämlich eine Sakra­ lisierung der Politik. Politisches Handeln wird so von ihm religiös aufgeladen. Gegenüber früherem oder auch biblischem Verständnis von Geschichtstheologie ergibt sich dadurch sogar noch eine Steigerung: Konnten sich Staatsmänner bzw. Fürsten vormals als Werkzeuge Gottes sehen, werden sie nun durch ihr direkt schöpferisches Handeln religiös wesentlich aufgewertet. Gerade eine Abkopplung des zweiten Gedankens vom ersten musste fatale Folgen haben. Althaus selbst konnte sich eine solche Abkopplung nicht vorstellen, für ihn hingen beide Momente des politischen Handelns als „religiöse Sache“ untrennbar zusammen. In der politischen Realität allerdings war es nur noch eine Frage der Zeit, wann es zu einer solchen Abkopplung kommen sollte. Eine merkliche Entwicklung nimmt Althaus in der Frage nach Völkerrecht und Völkerbund. Hat er bereits in „Pazifismus und Christentum“ dem Völkerbund zumindest ein begrenztes Recht zugebilligt131, so geht er nun einen Schritt weiter und hebt auch die „wirkliche Bedeutung des Völkerrechtes und der Schiedsgerichte“ hervor und bezeichnet das „Eintreten für Völkerrecht und Schiedsgerichte“ als „ernste Pflicht der Christenheit“132: „Die überstaatliche Rechtsordnung und das Schiedsgericht werden ihre Bedeutung in vielen Fällen haben. Nicht jeder Widerstreit der Interessen berührt eine Lebensfrage für die Staaten. Die Christenheit setzt sich daher für die Schaffung und den Ausbau der Schiedsgerichte kräftig mit ein, sie fördert den Willen zum billigen Ausgleich und zur Verständigung, sie bekämpft die nervöse nationale Gereiztheit und nutzlosen

130 Ebd., 66. 131 Vgl. 1902 Pazifismus, 459. 132 2104 Sozialismus, 66. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Eigen­sinn – was sie so mit sittlichen Gründen fordert, verlangt auch schon die Klugheit wirklicher Realpolitik.“133

Bei der Frage nach einem konkreten Inhalt für die Norm der Gerechtigkeit gesteht Althaus zu, man könne „aus allgemeinen sittlichen Erwägungen heraus eine Reihe von Grundsätzen des ‚Naturrechts‘ gewinnen wie Gleichberechtigung der Nationen, Selbstbestimmungsrecht jedes Volkes, Schutz der kleinen und unmündigen Völker, Verwerfung aller Ausbeutung (Kolonialfrage), Schutz völkischer Minderheiten, Freiheit der Meere, Sicherung der dringenden wirtschaftlichen Lebensbedürfnisse für jedes Volk, eigener Zugang zur See, Öffentlichkeit aller besonderen Verträge wie überhaupt der auswärtigen Politik usw. Solche Sätze können die Grundlage eines Völkerrechtes bilden, die Politik im allgemeinen regeln und einem Schiedsgerichte in manchen Streitfällen eine klare Entscheidung ermöglichen.“134

Auch wenn Althaus hier immerhin von einer möglichen allgemeinen Norm der Gerechtigkeit im Völkerleben spricht135, so macht er doch sehr schnell deutlich, dass sie für ihn keinesfalls hinreichend ist, sondern im Gegenteil eine sehr begrenzte Reichweite hat. So schreibt er gleich im Anschluss an den eben zitierten Abschnitt: „Aber das ist die Frage, ob sie ausreichen, um der auswärtigen Politik ihren Weg zu zeigen, oder ob sie nicht vielmehr eines Grenze ihres Rechts und ihrer Verwirklichungsmöglichkeit an dem Leben der Geschichte selber finden.“ Schon in „Pazifismus und Christentum“ hat Althaus dem Gedanken des Völkerrechts und des Völkerbunds entgegengehalten, dass in den „großen Wendeund Wetterstunden in dem Leben der Völker“ menschliche Vernunft und Rationalismus versagen müssen136. Und so heißt es auch jetzt bei ihm: „Für die großen Lebensfragen und Entscheidungsstunden eines Volkes muß jede äußere Instanz versagen. Kein Dritter, keine von außen anwendbare allgemeine Norm der Gerechtigkeit kann sich zwischen ein Volk und den von ihm gespürten und bejahten geschichtlichen Beruf eindrängen.“137

Unbeschadet des von ihm zugestandenen tatsächlichen Sinns von Völkerbund und Völkerrecht ist Althaus der Überzeugung,

133 Ebd., 64. 134 Ebd., 62. 135 So heißt es an anderer Stelle, er denke nicht daran, „die Geltung sittlicher Normen für die Politik zu leugnen“ (ebd., 70). 136 1902 Pazifismus, 466. 137 2104 Sozialismus, 65. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„daß die entscheidende Instanz im Leben der Völker niemals ein überstaatliches Schiedsgericht […] sein kann (von der Frage nach der Vorurteilslosigkeit des Schiedsgerichtes ganz abgesehen).“138 Denn: „Die Möglichkeit ethischer Rationalisierung des geschichtlichen Lebens nach menschlichen Maßstäben der Gerechtigkeit findet ihre Grenze […] an dem Irrationalen des Lebens selber.“139

Hinter diesem Irrationalen aber sieht Althaus nichts weniger als die verborgenen Lebensgesetze der göttlichen Majestät140. Daher bleibt er nicht beim „Eintreten für Völkerrecht und Schiedsgerichte“ als „ernste Pflicht der Christenheit“ stehen, sondern diese hat für ihn noch einen weitergehenden Auftrag: „Die Christenheit kann daher nichts Größeres […] tun, als die Völker und ihre Staatsmänner zum Verantwortungsernste für das Leben in der Geschichte erziehen. Sie soll immer wieder verkündigen, daß die Macht bloß um der Macht willen unsittlich ist und daß alle Macht einen Beruf zum Dienst an der Menschheit bedeutet. Die Christenheit stellt ein Volk in seinem politischen Wollen und Handeln vor Gott.“141

Inhaltlich, aber auch an der Art der Formulierung lässt sich gegenüber seiner früheren Behandlung des Themas bei Althaus feststellen, dass er dem Völkerrecht und dem Völkerbund mehr zutraut und diese daher in seinem Urteil aufwertet. Dennoch macht er auch 1921 durch seine geschichtsphilosophische und -theologische Argumentation deutlich, dass diese für ihn nur sehr begrenzte Möglichkeiten besitzen, das Zusammenleben der Völker friedlich zu regeln. Die entscheidenden Fragen werden nach Althaus demgegenüber auf kriegerische Weise entschieden. 2.3.2 Die Gerechtigkeit im Völkerleben und der Krieg Es entspricht Althaus’ Geschichtsphilosophie und -theologie, die von einem „organischen Wandel der Lebens- und Machtbeziehungen zwischen den großen Völkern“ ausgeht und die auf die „harten Gesetze der Konkurrenz und Ver 138 Ebd., 64. Das Problem der „Vorurteilslosigkeit“ des Völkerbunds ist 1921 gerade in der oberschlesischen Frage virulent; vgl. Kap. II, 2. 139 Ebd., 71. 140 Insofern ist es konsequent, zeigt aber Althaus’ eigenes Ringen mit dieser Frage, wenn er an anderer Stelle das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ als „Rationalisierung der Geschichte und Säkularisierung des Willens Gottes“ ablehnt (3002 Friede, 118) – wohl nicht zuletzt vor dem Hintergrund der schlechten Erfahrungen der Deutschen mit diesem völkerrechtlichen Ideal in der Behandlung durch die Siegermächte. 141 2104 Sozialismus, 70. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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drängung“ verweist142, wenn er davon spricht, dass die Völker „ihre ganze Kraft und Tüchtigkeit im Ringen um die Führerschaft und Zukunft zu mächtigem Sich-Messen einsetzen. Das ist der Krieg.“143 Für Althaus kann in der Folge des „Gehorsams gegen den ernstlich geprüften geschichtlichen Beruf des Volkes […] der Entschluß zu einem Kriege nicht unter allen Umständen der Beweis für eine unsittliche Politik sein. Er kann vielmehr Pflicht werden.“144 Althaus spricht folgerichtig nicht nur von der Möglichkeit, sondern auch von der „Notwendigkeit“ kriegerischer Konflikte als höchste „Probe auf die Tüchtigkeit eines Volkes zu geschichtlichem Leben“. Gerade weil im konkurrierenden geschichtlichen Leben der Völker häufig „nicht einfach Recht gegen Unrecht, sondern […] geschichtliches Recht gegen geschichtliches Recht“ steht, ist für Althaus ein Urteil der „lebendigen Gerechtigkeit der Geschichte“ nötig145. Allerdings schränkt Althaus zugleich ein: „Krieg darf der Staat nur in tiefer Sachlichkeit führen, im Gehorsam gegen seine Verantwortung für das Volk, nicht aus Expansionsgelüst, Ruhmsucht oder Raubgier.“146 Ein konkretes Beispiel dafür, wie Althaus sein Konzept einer „lebendigen Gerechtigkeit der Geschichte“ angewandt wissen will, gibt er selbst im Zusammenhang mit der „polnischen Frage“. Ohne zu beschönigen, geht er das damals hochaktuelle außenpolitische Problem an, indem er verkündet: „Eine Ausgleichsformel zwischen Deutschland und Polen, die den Widerstreit um die Gestaltung des deutschen Ostens beilegte, ist undenkbar. Hier steht (wir haben es lebendig durchlebt) nicht einfach Recht gegen Unrecht, sondern in gewissen Sinne geschichtliches Recht gegen geschichtliches Recht.“147 142 Ebd., 68. 143 Ebd., 67. 144 Ebd., 66 f. Freilich will Althaus hier den Zusatz „nicht unter allen Umständen“ betont wissen, denn auch für ihn steht fest: „Es gab und gibt auch Kriege ohne Würde, die nichts als brutales Zertreten und Vergewaltigen sind. Wir denken nicht daran, die Weltgeschichte zum Weltgericht zu machen und in allen Kriegsentscheidungen die Durchsetzung der lebendigen Gerechtigkeit der Geschichte zu sehen.“ (67 f.; Hervorhebung von Althaus). Kriterien für eine Einschätzung des jeweils konkreten Krieges a priori bleibt Althaus seinen Lesern wie schon zwei Jahre zuvor schuldig; vgl. Kap. II, 3.2. 145 Ebd., 67 f. 146 Ebd., 88. 147 Ebd., 67. Mit anderen Worten: Althaus erwartet über kurz oder lang einen Krieg zwischen Deutschland und Polen, der die Staatszugehörigkeit der umstrittenen Gebiete endgültig regeln sollte. Hintergrund dieser von Althaus angesprochenen „polnischen Frage“ waren die deutschen Gebietsabtretungen an den neuen polnischen Staat infolge der Bestimmungen des Versailler Vertrages. Unmittelbar nach dem verlorenen Krieg wurden bereits Westpreußen und Posen zu Polen geschlagen. Auf Beschluss der Siegermächte sollte über den Verbleib Oberschlesiens, das zwischenzeitlich unter alliierter Kontrolle stand, durch eine Volksabstimmung entschieden werden. Diese © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Zum Standpunkt der Religiösen Sozialisten, der Krieg sei „Ausgeburt und Verkörperung des ‚mörderischen Geistes‘“, stellt Althaus fest: „Das kann der Krieg bei unzähligen einzelnen, die ihn durchleben, ja für ein ganzes entartetes Volk sein (Gottes Ordnung, sagt Luther, kann mißbraucht werden), aber er muß es nicht sein.“148 Denn es gelte nicht zu vergessen: „Der Krieg will mit tiefer Sachlichkeit geführt sein, in tiefernstem Gehorsam gegen die harten Geschichtsgesetze, die Völker gegeneinanderstellen, ohne Haß und wilde Lüge und ekle Beschmutzung der anderen, mit reinem Herzen. Dazu ist der Christ fähig.“ Mehr noch, „nur der Christ kann in den geschichtlichen Lebensordnungen handelnd stehen, ohne sie zu mißbrauchen.“149

Althaus setzt voraus, die „Christenheit weiß mit tiefem Ernste, daß ein Volk durch den Gehorsam gegen seine geschichtliche Stellung und Aufgabe unter Umständen zu einem Kriege verpflichtet ist.“150 Der Hinweis, sie setze sich „gegen jede leichtfertige Kriegspolitik der Herausforderung, der Raubgier, des bloßen kapitalistischen oder nationalen Expansionsdranges ein“, vermag die von Althaus für einen wahrhaft notwendigen Krieg vorausgesetzten „Umstände“ nur äußerst ungenau zu benennen. Die von Althaus als einziges Kriterium genannte „Notwendigkeit“ erweist sich allein schon aus erkenntnistheoretischen Gründen als unbrauchbar. Immerhin weiß Althaus: „Nicht alle Kriege bestehen vor diesem Maßstabe.“ Wenn man einmal von diesem Kriterien-Problem absieht, fällt an der Althausschen Kriegskonzeption von 1921 auf, dass er bei aller Aufwertung des fand am 20.3.1921 statt, und rund 60 % der Einwohner dieses wichtigen Industriegebiets stimmen für den Verbleib beim Deutschen Reich. Entgegen diesem Votum der Bürger entschied sich der Völkerbundrat im Oktober 1921 dafür, dass Oberschlesien geteilt würde und der wertvollste Teil des Industriegebiets mit den meisten Bodenschätzen und Bergwerken an Polen gehen sollte. Die Verbitterung und das Gefühl der Machtlosigkeit und Demütigung in Deutschland waren immens, die Popularität des Völkerbunds war auf dem Tiefpunkt, eine innenpolitische Krise war mit dem Rücktritt der Regierung die Folge. „Die Empörung über den Beschluß des Völkerbundrates vereinheitlichte die öffentliche Meinung und schuf abermals eine gemeinsame Front von Pazifisten bis zu den Nationalisten“, so Wintzer, Deutschland, 245. In dieser Situation gibt Althaus seine Einschätzung der Lage wieder, die insofern interessant ist, als er keine einseitige Haltung in dieser Frage einnimmt, sondern auch den polnischen nationalen Interessen ein „geschichtliches Recht“ einräumt. Der Völkerbund hat für ihn durch seine einseitige antideutsche Entscheidung jegliche Entscheidungsbefugnis verloren, daher ist für ihn eine „Ausgleichsformel […] undenkbar“. Die Entscheidung sieht er auf dem Schlachtfeld kommen. „Der Zusammenhang der Kriegsauffassung mit der oberschlesischen Krisis steht ausser Zweifel“, stellt auch Mann, Ordnungen, 126 fest. 148 2104 Sozialismus, 95. 149 Ebd., 88. Hervorhebung durch Althaus. 150 Ebd., 94. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Krieges an sich im Blick auf die Aufgabe der Christen doch so etwas wie eine Notwendigkeit zum Widerstand gegen konkrete Kriege formuliert: „Wirklich zur Not wird die Lage der Christenheit erst dann, wenn sie die Politik ihres Staates verurteilen muß und eine getroffene Entscheidung nicht mehr hintanhalten kann, wenn sie z. B. mitten im Kriege sich von der Schuld des eigenen Volkes überzeugt.“151

Freilich überwiegt in Althaus’ Konzeption deutlich das Moment des Gehorsams der Christen gegen den als notwendig erkannten Krieg: „Die Aufgabe der Christenheit ist es nicht, gegen einen notwendigen Krieg zu protestieren oder sich ihm mit Leib oder Seele zu entziehen; wohl aber: über die Sachlichkeit des Krieges zu wachen.“152 Die „Aufgabe der Christenheit“ formuliert Althaus an anderer Stelle demgemäß so: „Die Politik bedarf der Christen, nicht damit es zu ‚christlicher Politik‘ komme, sondern damit das politische Handeln in der strengen Sachlichkeit sittlichen Gehorsams gegen die Gesetze der lebendigen Geschichte geschehe. Die Bildung einer christlichen Internationale und die Stärkung des Bewußtseins um einen gemeinsamen Beruf im politischen Leben ist Pflicht der Christenheit. Im politischen und internationalen Leben muß die Christenheit als Macht der Wahrheit wirken.“153

Auch wenn die Christen nach Althaus eine christliche Gesinnung der Liebe gegenüber dem eigenen Volk und gegenüber dem gegnerischen christlichen Brudervolk haben, so hat diese Liebe doch auf die Gegebenheit des Krieges keinerlei Auswirkungen, sie bleibt eine rein innere Haltung ohne Konsequenzen für die mögliche Beurteilung der Notwendigkeit des Krieges überhaupt. Konsequenzen zeitigt die Liebesgesinnung lediglich in der von der Christenheit zu fordernden „Sachlichkeit“ des Krieges: „Sie duldet nicht das zügellose Rasen und die zuchtlose Sprache nationaler Leidenschaft, die des gemeinsamen Berufs aller Völker und der Zusammengehörigkeit vergißt.“154 Hat Althaus in „Pazifismus und Christentum“ den Krieg noch rein geschichtsphilosophisch und lebensphilosophisch begründet und es vermieden, den Krieg in irgendeinen Zusammenhang mit der Sünde zu bringen, so geht 151 Ebd., 94, Anm. 1. 152 Ebd., 95 f. 153 Althaus, Aufgabe. Zur Aufgabe der Christen als Macht der Wahrheit vgl. 3107 Völker­ verständigung. 154 2104 Sozialismus, 94. „Eine Politik der bloßen Rache vergeht sich tief gegen den strengen Sinn aller Politik; sie ist negativ, weil nicht aus dem Gehorsam gegen die positiven Notwendigkeiten der eigenen Geschichte geboren – und als tief unsachlich muß sie sich rächen.“ (ebd., 96). Der Bezug zum Versailler Vertrag ist evident. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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er hier in seiner theologischen Interpretation einen Schritt weiter, indem er die hamartiologische Dimension ins Spiel bringt: „Eine tiefe Ahnung sagt uns, daß diese Verfassung der Geschichte“ – gemeint ist die der Konkurrenz und Verdrängung – „im Zusammenhange steht mit der Lösung der Menschheit von Gott durch die Sünde“155. Daher ist für ihn „der Krieg […] als Schicksal zuletzt kein ethisches, sondern ein religiöses Problem“. Denn der Zusammenhang von Sünde und Krieg „kann ebenso wie derjenige des Todes mit der Sünde kein geschichtlicher, sondern nur ein übergeschichtlicher sein, wie denn auch die Urtat der Menschheit als geschichtlicher Akt nicht denkbar ist. Dann können wir aber diese übergeschichtlich begründeten Folgen der Sünde nicht durch eine geschichtliche Tat aufheben, ebensowenig wie den Tod. Beides, Konkurrenz und Tod gehört zu der Grundstruktur unserer Geschichte. Der Zorn Gottes […] hat im Zusammenhange mit der übergeschichtlichen Tat der Menschheit die Geschichte geformt und in ihren Gesetzen Gestalt gewonnen.“156

Den Zusammenhang von Krieg und Sünde, zu dem sich Althaus hier vorsichtig durchringen kann, hat sein Vater, Paul Althaus d. Ä., der ihn vielfach geprägt hat, schon während des Krieges vertreten. In seinem Aufsatz „Der Krieg und unser Gottesglaube“ schrieb er im Juli 1915: „Der Krieg kommt her aus dem Bösen, er wurzelt, wie alles Uebel in der Welt, in der Sünde. […] Damit erschließt sich uns der tiefste Sinn des Krieges. Im Kriege wirkt sich nicht nur die Sünde der Völker aus, sondern im Kriege ergehen zugleich Gottes Gerichte über die Sünde der Völker. […] Die Weltgeschichte ist das Welt­ gericht“157.

Indem sich Althaus hier zumindest am Rande zu einer hamartiologischen Sichtweise des Krieges durchringt, bewertet er den nicht mehr so einseitig positiv wie zuvor in seiner Schrift „Pazifismus und Christentum“. Einerseits wird der Krieg nun in die Nähe der Sünde gerückt, d. h. er selbst und seine Voraussetzungen werden zumindest vorsichtig als sündhaft bezeichnet. Andererseits 155 Ebd., 69. 156 Ebd. Den hamartiologischen Aspekt von Konkurrenz und Krieg betont Althaus auch vier Jahre später in 2502 Haltung, 156 f.: „Die ganze Welt unserer Auseinandersetzungen, Kämpfe und Verträge […] ist eine andere als das Reich Gottes. Wir könnten uns freilich das Leben nirgends ohne das Widereinander lebendiger Kräfte denken. Es beruft uns zum Einsatze und gibt darum der Geschichte auch ihre Größe. Aber wir spüren zugleich den Zusammenhang alles dieses Widereinander mit dem Todesgesetze der Geschichte, das für die Sünde geordnet ist. Gegenüber aller Verherrlichung der Geschichte will das streng festgehalten sein.“ 157 Althaus d. Ä., Krieg, 629 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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betreibt Althaus damit zugleich eine geschichtstheologische Rechtfertigung des Krieges, indem dieser als göttliche Konsequenz aus der menschlichen Sünde – parallel zum Tod – in dem zum Geschichtsgesetz gewordenen Zorn Gottes verortet wird. Krieg ist schließlich der Wille Gottes als Reaktion auf unsere Sünde, und diesem Willen gilt es, sich „demütig“ zu unterwerfen158. Durch die auch hier wieder deutlich hervortretende Althaussche Überbetonung des Alten Äons, auf den das Hereinbrechen des Neuen Äons innerweltlich kaum Auswirkungen hat, duldet Althaus auch hier wieder eine Entmündigung christlicher Ethik159. Das spricht er auch deutlich aus: „Die Aufhebung der Kriege ist ebenso wie das Abtun des Todes unter keinen Umständen Gegenstand der Ethik, sondern nur der Eschatologie des Glaubens.“160 Damit aber redet Althaus in Bezug auf Krieg als solchem einem Quietismus bzw. Fatalismus das Wort. 2.4 Zusammenfassung Bei Althaus’ erster großen Monographie „Religiöser Sozialismus“ handelt es sich um eine Weiterentwicklung früherer Gedanken und Schriften. Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit dem religiösen Sozialismus, den Althaus wie schon zuvor differenziert betrachtet und durchaus bereit ist, sich von diesem Anregungen zu holen, formuliert er seine eigenen Gedanken zum sozialen Problem, zur Frage der Staatsform, zur Rolle des Christen im Bereich des Poltischen und zum Zusammenleben der Völker, insbesondere was das Problem des Krieges und des Völkerrechts betrifft. Die Schrift insgesamt ist eine Antwort auf die scharfe, grundsätzliche und viele Themen konkret benennende Kritik des Religiösen Sozialismus am deutschen Luthertum. An manchen Punkten argumentiert Althaus deutlicher und differenzierter: So erscheint der Gedanke des Völkerrechts und die Arbeit des Völkerbunds als 158 2104 Sozialismus, 69. Die Erlösungstat Christi hat Althaus zwar nicht aus den Augen verloren, sie hat für ihn in diesem Zusammenhang aber keine Auswirkungen auf die Geschichte und ihre „harten Gesetze“, denn sie ist übergeschichtliche Realität: „Im […] Kreuzesleiden Jesu […] und in seinem Auferstehen ist mitten in der Geschichte übergeschichtlich der Bann des Konkurrenzverhältnisses und Todesverhängnisses durchbrochen, aber wir werden dieser Befreiung nur dadurch teilhaftig, daß wir, der Geschichte entnommen, vor Gott leben. Inzwischen müssen wir die Konkurrenzverhältnisse durchleben und den Tod sterben.“ 159 Vgl. Kap. II, 3.2. 160 2104 Sozialismus, 69. In der Rezension zu Paul Fischers „Jesus und die Friedensfrage“ (2003R Fischer, 101) formuliert es Althaus so: „Die Erlösung von diesen harten und herben Gesetzen, unter denen wir mit der ganzen Naturwelt nach Gottes Willen stehen, erwarten wir erst von dem Tage Gottes, der alles neu macht“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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solcher insgesamt positiver konnotiert als in früheren Veröffentlichungen zu diesem Thema. Freilich vermögen es beide nach Althaus’ Geschichtsphilosophie und -theologie nicht, die großen „Lebensfragen“ der Völker im Verlauf der „lebendigen Geschichte“ zu lösen. Zwar rückt er den Krieg als solchen auch in die Nähe der Sünde, was ihn nicht mehr so deutlich positiv wie in „Pazifismus und Christentum“ erscheinen lässt doch bleibt Althaus andererseits im Großen und Ganzen seiner bisherigen Einschätzung treu, d. h. Krieg bleibt Ausdruck gottgewollter Geschichtsgesetze. Diese theologische Rechtfertigung des Krieges erfährt auch insofern nochmals eine Verstärkung, als Althaus den Krieg in seinen Formulierungen in eine große Nähe zu den von ihm angenommen Ordnungen bringt. Mit dieser positiven theologischen Einschätzung des Krieges hängt auch eine schärfere Zurückweisung des religiös-sozialistischen Pazifismus zusammen, den Althaus nun – im Gegensatz zu anderslautenden Äußerungen aus der Zeit des Krieges161 – bekämpft wissen will162. Wenn der Rostocker Systematiker sich in dieser Richtung äußert und zum Kampf gegen den Pazifismus aufruft, muss der vorausgehende Totalangriff des religiös-sozialistischen Pazifismus auf die kirchliche und vor allem lutherische Sozialethik in Rechnung gestellt werden163. An vielen Punkten kann Althaus auch in dieser Schrift die in seinem geschichtsphilosophischen und -theologischen Konzept angelegten Aporien nicht lösen. Weiterhin liefert er keine Maßstäbe für die angebliche Notwendigkeit von Kriegen. Der Verweis auf den „Beruf“ eines Volkes ist in der Praxis wertlos. Wie schon in „Pazifismus und Christentum“ enthält auch seine Konzeption von 1921 sowohl konservative als auch revolutionäre Züge. Auch hier verteilen sich diese deutlich auf nationale und soziale Fragen. Lehnt er einerseits Demokratie und Parlamentarismus mit dem Hinweis auf historische, politische 161 Vgl. Kap. I, 4.2. 162 Vom Pazifismus grenzt sich Althaus in seinen Thesen zur „Aufgabe der Christenheit in Staat und Politik“ scharf ab: „Vom Pazifismus bleibt die Aufgabe der Christenheit grundsätzlich streng geschieden. Der Pazifismus ist um der Verkennung der Grundgesetze geschichtlichen Lebens und um der rationalen Fassung der ‚Gerechtigkeit‘ willen zu bekämpfen.“ 163 So urteilt Schwarke, Anfänge, 8 im Blick auf die Diskussion um den Pazifismus der Religiös-Sozialen: „Mit dieser Diskussion verband sich primär das Interesse, die unmittelbare Vergangenheit des Krieges zu verarbeiten. Insofern tendierte der religiöse Pazifismus von Anfang an zu einer grundsätzlichen Kritik der theologischen Ethik. Denn eine Theologie, welche die verhängnisvolle Vergangenheit mitgetragen hatte, mußte selbst grundsätzlich defizitär erscheinen. Der Formel vom ‚Zusammenbruch des Luthertums als Sozialgestaltung‘ (G. Wünsch) war Ausdruck dieser Generalisierung zu einer fundamentalethischen Debatte über die Bedingungen der Möglichkeit einer christlichen Sozialethik.“ In diese Debatte ist Althaus mit der vorliegenden Schrift eingestiegen und hat sich seitdem aktiv daran beteiligt; vgl. 2503 Krisis, 5. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Auseinandersetzung mit dem Religiösen Sozialismus

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und theologische Gründe ab164, fordert er andererseits eine radikale Abkehr vom herrschenden Wirtschaftssystem des Kapitalismus und spart nicht mit Lob für sozialistische Auffassungen. Während seine eigene Vorstellung für eine den Deutschen angemessene Staatsform, die er als das „organisch-aristokratische Staatsideal“ bezeichnet, sehr vage bleibt, hat die von ihm bevorzugte Wirtschaftsform eine deutlich sozialistische Prägung. Allerdings unterscheidet sie sich von der der Sozialisten durch einen ausgesprochen nationalen Zuschnitt, der dem „organisch“ verstandenen „Ganzen“ des Volkes mit seinen Ansprüchen entsprechen soll. Der in der Zeit der Weimarer Republik gerade in den Kreisen der „Konservativen Revolution“ virulente Diskurs über einen „nationalen Sozialismus“ als angemessene Wirtschaftsform einer deutschen „Volksgemeinschaft“ spiegelt sich in den Althausschen Ausführungen wider. Sind in „Pazifismus und Christentum“ bereits frühe Anzeichen für eine sich abzeichnende Ordnungstheologie erkennbar, so baut Althaus dieses Theologumenon 1921 weiter aus. Einhergehend mit der sich bei ihm herausbildenden Zwei-Reiche-Lehre, die die Wirklichkeit des Reiches Gottes streng von der Wirklichkeit der Welt unterscheidet, ohne jedoch die innere Beziehung der beiden aufzugeben, beschreibt Althaus das Handeln des Menschen in der Welt als ein Handeln innerhalb göttlicher Ordnungen. Dieses Handeln hat für ihn Dienst-Charakter, es ist ein „Amt“, das den Menschen vor den Anspruch Gottes stellt. Indem der Mensch in diesem Amtshandeln die Gesinnung der Liebe lebt, erweist er sich nicht nur als Bürger der Welt, sondern auch als Bürger des Reiches Gottes. Ist das Reich Gottes die Verwirklichung idealer, wahrer Gemeinschaft, haben die irdischen Lebensbezüge des Menschen auf dieses Ideal ausgerichtet zu sein. Das menschliche Gewissen als Ort der Gotteserfahrung ist dabei die vermittelnde Instanz zwischen dem Willen Gottes und dem verantwortlichen Handeln des Menschen165. Durch den differenzierten Gebrauch des Begriffs der „Eigengesetzlichkeit“ macht Althaus sein Problembewusstsein in Bezug auf die Ordnungen deutlich. Einerseits stellen die Ordnungen göttliche Gabe und Aufgabe dar, andererseits besteht die Gefahr des menschlichen Missbrauchs dieser Ordnungen. Solange das Handeln in den Ordnungen als ein Handeln in Verantwortung vor Gott 164 Mit diesem politischen Votum folgt Althaus seinem theologischen Lehrer Holl, dem es um die „Differenz zwischen dem deutschen Ideal des nationalen Kulturstaates und dem Staats- und Kulturverständnis der westlichen Völker“ zu tun war (Tanner, Verstaatlichung, 207; zu Holls theologisch begründetem Staatsverständnis vgl. ebd., 205–211). 165 Auch mit dieser Konzeption liegt Althaus auf der Linie Holls, der von einer „Gewissensreligion“ Luthers ausgehend die Orientierung des sittlichen Handelns „ganz ausgerichtet an der Liebe als oberstem Leitprinzip und umfassend gemeinschaftsbezogen“ betrachtete; vgl. Tanner, Verstaatlichung, 213–220, hier 217. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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verstanden wird, besitzen die Ordnungen ihre eigene Würde, haben ihre eigene relative, d. h. auf Gott bezogene „Eigengesetzlichkeit“. Geht der Gottesbezug im Bewusstsein der Handelnden allerdings verloren, entwickelt der Begriff der „Eigengesetzlichkeit“ bei Althaus seine kritische Potenz. In einer Zeit fortschreitender Säkularisierung, gesellschaftlicher Differenzierung und kultureller Pluralisierung, in der der Protestantismus seine kaiserzeitlich zumindest imaginierte Stellung als Leitkultur deutlich eingebüßt hat, begegnet Althaus allen Autonomisierungstendenzen mit seinem Konzept einer theonomen Weltdeutung. Diese „monistische Interpretation der Wirklichkeit“166, die alles Weltgeschehen unter Gottes Willen subsummiert, ist seine Art, auf die Herausforderungen der Moderne zu reagieren. Das ist der Grund, warum er einem Dualismus von Reich Gottes und Welt unbedingt wehren will. Dadurch, dass weltliche Ordnungen und Gottesreich bzw. Wille Gottes bei ihm mehr oder minder eng aufeinander bezogen bleiben, wird es Althaus in der Folgezeit mehr und mehr möglich sein, von ihm aufgrund seiner persönlichen politisch-weltanschaulichen Prägungen und Präferenzen identifizierte Ordnungen mit dem göttlichen Willen zu verknüpfen bzw. als Gottes Willen auszugeben. Von hier verläuft eine theologische Linie zum Althausschen „Ja“ von 1933. Andererseits betont Althaus gerade im Gegenüber zum Religiösen Sozialismus die Unterschiedenheit von Reich Gottes, d. h. erlöstem Zustand, und vorfind­ licher Weltwirklichkeit, die er angesichts der Nachkriegsrealität als massiv krisenhaft und damit erlösungsbedürftig erlebt. Christian Schwarke folgert daraus: „In diesem Sinne verdankt sich der Rekurs auf die ‚zwei Reiche‘ also gerade jenem Krisenbewußtsein, in dessen Namen er später bekämpft wird.“167 Von hier verläuft die theologische Linie zum Althausschen „Nein“ vor, aber auch nach 1933. Kennzeichen des Althausschen Krisenbewusstseins ist „von Anfang an die Kritik des neuen Staates, der ihm in der sozialen Frage und in der nationalen Frage gleichermaßen zu versagen schien.“168 Von daher erklärt sich sowohl seine radikale Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem, das ihn in die Nähe sozialistischer Ordnungsvorstellungen brachte, als auch seine Ablehnung der westlich-demokratischen Staatsform, die ihn in die Nähe konservativ-revolutionärer Ordnungsvorstellungen brachte. Insgesamt lässt auch sein Hang zum Kulturpessimismus bzw. seine Kritik an der Moderne eine gewisse Nähe zur Konservativen Revolution erkennen. 166 Schwarke, Anfänge, 9. 167 Ebd., 13. Die „monistische Integration des Unterschiedenen in Gottes ‚Regiment‘“ hat demgegenüber für Schwarke ihren Ort in dem „Versuch, auch die Verfallsrealität noch als eine in Relation zu Gott stehende zu begreifen“. 168 Sparn, Althaus, 5. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

3. Jesus Christus und die deutsche Jugend – Althaus’ volksmissionarisches Werben um die junge Generation Zeit seines Lebens ist es für Althaus ein Herzensanliegen, als akademischer Lehrer einen engen Kontakt zur Jugend zu pflegen. Im Blick hat er dabei in erster Linie die männliche akademische Jugend an der Universität, aber auch darüber hinaus stellt er sich der christlichen Jugendarbeit zur Verfügung1. Er will gerade an die heranwachsende Generation seine volksmissionarischen Bestrebungen herantragen und sie für das kirchliche, lutherische Christentum gewinnen. Neben einer kirchlichen Apologetik will Althaus Evangelisationsarbeit betreiben. Seine Stimme im internen Diskurs seiner Studentenverbindung und seine Nähe zur deutschen christlichen Studentenvereinigung (DCSV), aber auch seine Tätigkeit als Militärpfarrer unter der deutschen Minderheit in Polen legen frühe Zeugnisse dieses Anliegens ab. Bereits 1912 ist für ihn die Sache der DCSV ein „wirklich großes Ziel: Deutschlands studierende Jugend für Jesus!“2 Eng verknüpft ist bei ihm von Beginn an eine theologisch-kirchliche Motivation mit einer politisch-nationalen. Seine Hoffnung für eine christliche Wiedergeburt Deutschlands ruht auf der deutschen Jugend. Nach dem verlorenen Krieg verknüpft sich diese Hoffnung bei ihm eng mit der auf eine nationale Wiedergeburt Deutschlands3. Schon Ende 1918 stellt sich Althaus im Rückblick auf sein eigenes Kriegserlebnis die Frage, „warum wird diese Jugend von der Sache Jesu nicht so gepackt wie von der Sache des Vaterlandes?“4 Dass die Jugend von der „Sache Jesu“ gepackt werde, daran arbeitet Althaus als junger Professor in Rostock durch Vorträge und Ansprachen. Auch in speziellen Jugend-Gottesdiensten wirkt er mit5. Es sind vor allem vier Vorträge aus den frühen 20er Jahren, die Althaus’ volksmissionarischen Einsatz für Jesus Christus und seine Kirche unter der Jugend zum Ausdruck bringen6. Aus dem Jahr 1920 stammt der Vortrag „Ewige Jugend“, der als „Flugschrift des Evangelischen Landesjugenddienstes Hannover“ in ganz Deutschland Verbrei 1 So hält er auch Vorträge „vor gebildeter weiblicher Jugend“ (2407 Erlebnis, Vorwort). 2 1204 Studentenbewegung II, 115. 3 Vgl. Kap. I, 4.3. 4 1808 Männern, 631. 5 So hält er am 1. Advent 1923 in einem Jugendgottesdienst in Rostock die Predigt; vgl. NPA 13/3. 6 Daneben hat er sich „aus der Not und der Sehnsucht der Jugend heraus“ auch der Abendmahlsthematik angenommen; vgl. 2508 Gemeinschaft. Das Zitat entstammt dem Vorwort des Herausgebers. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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tung findet. Auch seine „Ansprache an die Jugend in der Marienkirche zu Rostock während der neudeutschen Woche 1921“ wird unter dem Titel „Feuer. Worte an die deutsche Jugend“ als „Flugschrift des mecklenburg-schwerinschen Landesjugenddienstes“ veröffentlicht. Aus dem gleichen Jahr stammt der Vortrag „Das Kreuz Christi als Maßstab aller Religion“. Der vierte Vortrag mit dem Titel „Jesus Christus“, den Althaus zu Ostern 1924 „auf einer religiösen Jugendtagung in Warnemünde“7 hält, wird sowohl als einzelne Flugschrift als auch im Sammelband „Jesus Christus und die Jugend“ veröffentlicht. Angesichts der vielfachen Erfahrung von Chaos, Unordnung, Orientierungslosigkeit und Sinnlosigkeit in den schweren Anfangsjahren der Weimarer Republik, unter denen vor allem die nach Vorbildern und Idealen suchende Jugend zu leiden hatte, ist Althaus am Puls der Zeit, wenn er dieser Jugend ein zeitloses Ideal vor Augen führt: Jesus Christus und „die große Sache unseres Gottes“8. Althaus malt in starken Worten ein düsteres Bild vom Zustand der Gesellschaft in der Weimarer Republik und von der Verfassung Deutschlands. „Schund und Schmutz“ nimmt er wahr, „tausendfache Unnatur, Verstellung und Lüge, die unsere Gesellschaft und Zeit vergiften“9, während Deutschland als Ganzes „in Staub und Schande liegt“10. Er spricht der Jugend – und natürlich sich selbst – aus dem Herzen, wenn er das Feuer beschwört11, das „in deutschen Landen das Tote und Unfruchtbare“ verzehren soll, „das Unwürdige, die Gier nach schaler Freude und die heimliche Unreinheit“, „den Schmutz und die Zersetzung und die Schande der Großstädte“, „den Verrat an der Not des Vaterlandes, die Gleichgiltigkeit und die ekle Selbstsucht“12. Vor dieser Negativfolie der aktuellen Situation in Deutschland, die Althaus hier beschreibt, kann sein Ausweg, den er seinen Zuhörern und Lesern vor Augen führt, umso klarer hervortreten: „Da tritt einer vor uns hin und bringt uns den einen großen Gedanken: ‚Vater, Dein Name werde geheiligt! Vater, Dein Reich komme! Vater, Dein Wille geschehe wie 7 Meyer, Jesus, 7.  Auf der gleichen Tagung hält Althaus auch den Vortrag „Gott in der ­Geschichte“. 8 2001 Jugend, 9. 9 2103 Feuer, 3. 10 Ebd., 2. Dass gegen Deutschlands Schande etwas unternommen werde, beschwört Althaus Gott mit eindringenden Worten: „Zünde in die Seelen Feuer, und zünde Mut und Treue und Einfalt an, daß die Herzen brennen, daß ein neues Geschlecht wachse – bis einst die Stunde kommt, da die Feuer auf den Bergen lodern als Zeichen neuer deutscher Freiheit, bis die Ketten zerbrechen!“ (ebd., 1). 11 Auch wenn Althaus die Ansprache in der Marienkirche in Rostock hält, ist der unmittelbare Anlass der Rede das Entzünden des Sonnwendfeuers. Diesem verdanken sich auch der Titel seiner Rede und ihre motivische Ausgestaltung; vgl. ebd., 1, wo er vom „Sonnwendtage“ spricht. 12 Ebd., 1. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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im Himmel, also auch auf Erden!‘ Das ist es, was der Seele unseres Volkes fehlt, und das müssen wir ihr bringen, diesen einen großen Gedanken, diese eine Wirklichkeit, die nie enttäuscht“, denn sie „veraltet nicht: das ist die große Sache unseres Gottes. Völker und Staaten haben ihre Zeit und werden begraben, Kulturen werden überreif und alt; wer ihnen allein dient, kann an ihnen und mit ihnen müde werden. Aber Gottes Herrschaft ist die ewig junge, neue Wirklichkeit, das ewig junge, aktuelle Programm.“13

So sehr Althaus auch einem dem konservativ-revolutionären Gedankengut verwandten Kulturpessimismus das Wort redet und so sehr er auch politische Gründe, nicht zuletzt die Behandlung Deutschlands durch die Siegermächte, ins Feld führt, sein Anliegen in dieser Rede ist nicht politischer, sondern theologisch-kirchlicher Art. Deutlich erklärt er seinen Hörern und Lesern, dass auch der Einsatz für Volk und Vaterland zuletzt keinen zeitlosen Wert hat. So ist er sich sicher: „Gott will zuletzt unseren Blick von uns und allem, was an uns zu sehen ist, weg auf ihn ganz allein richten“14. Deutlich wird dies auch in einer Predigt, die Althaus’ im November 1923 unmittelbar nach dem erfolglosen Ruhrkampf gegen die französisch-belgische Besetzung in Rostock hält: „Eine neue Jugend steht auf“, weiß Althaus seinen Predigthörern freudig zu berichten, „sie brennt darauf, diese Schuld [gemeint ist die deutsche Mitschuld an Ver­ sailles] abzutragen, ein Neues zu bauen und durch die Tat zu zeigen, daß Deutsche an ihrer Kraft und Freiheit nicht verderben müssen. […] Ein neuer Ernst weht durch die Jugendbewegung, immer bewußter, freudiger, entschlossener findet die christ­liche Jugend sich zusammen.“15

An diese von ihm wahrgenommene Begeisterung der Jugend für ein „neues Deutschland“, das zuletzt die Weimarer Republik hinter sich lassen muss, knüpft Althaus nun mit seiner eschatologischen Predigt an: „Aber jede Befreiung des Volkes aus seiner Gefangenschaft, jeder Wiederaufbau deutet auch voraus auf den großen Tag, wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird“, denn in „Gottes Ewigkeit erst ist das Verlangen nach Gemeinschaft des Lebens […] ganz erfüllt.“16 „Und würde es der herrlichste vaterländische Aufstieg, den wir denken können“, ruft Althaus gerade auch seinen studentischen Predigt­hörern entgegen, „so lange wir hier wallen, bleibt alles Bruchstück, alles befleckt, und auch 13 2001 Jugend, 9. 14 Ebd., 15. 15 2309P Weg, 201. Dort heißt es weiter: „Männer und Frauen drängen nach Taten der Liebe und der Seele, ringen um eine neue Volksgemeinschaft.“ 16 Ebd., 202. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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auf der Höhe des Lebens, in der Fülle der Kraft sind Völker und Menschen vom Tode gezeichnet. Alles, was wir an Liebe und heißem Verlangen in unsere Arbeit legen – wollte Gott, daß ihm Erfüllung schon hier geschenkt würde, in einem neuen Deutschland, befreit, entsühnt, gereinigt, – alles weist doch über jeden irdischen Staat hinaus auf die ewige Stadt, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. […] Da erst ist ganz die Heimat, das Vaterland, in dem die Seele wohnen kann.“17

Diesem anknüpfenden Ineinander von irdisch-politischer Erwartung und jenseitig-religiöser Hoffnung entspricht Althaus’ untrennbarer hoffnungsvoller Erwartung von nationaler und religiöser Wiedergeburt und Erneuerung Deutschlands, wobei dem Theologen die religiöse stets die eigentlich entscheidende bleibt: „Gott will noch eine Zukunft Jesu Christi in unserem Volke.“18 Was Althaus noch während des Krieges als pastoraltheologisches und volksmissionarisches Konzept mit besonderem Fokus auf die Jugend aufgestellt hat, setzt er nun nach dem Krieg in die Praxis um19. Er ist der Überzeugung, dass eine theozentrische Interpretation der Weltwirklichkeit den benötigten Anknüpfungspunkt für die eigentliche christologisch-soteriologische Verkündigung darstellt. Grundvoraussetzung dafür, dass dieser Vorgang gelingen kann, ist die übereinstimmende Interpretation der Gegenwart als andauernde Krise und Verfall zwischen ihm als Redner und seinen jugendlichen Zuhörern bzw. später Lesern. Der Detektor aller an diesem Geschehen Beteiligten, der anzeigt, was als Krise und Verfall erkannt wird, ist ganz selbstverständlich national­ protestantisch und wertkonservativ, antimodernistisch und kulturpessimistisch gepolt. Indem die theozentrische Weltbeschreibung zugleich eine monistische ist, gelingt es ihm, auch die in seinen Augen allenthalben anzutreffenden Verfallserscheinungen in Beziehung zu Gott zu bringen und damit seine eigene hermeneutische Kompetenz als Theologe herauszustellen. So will Althaus der Jugend angesichts einer derartig abgewerteten Weltwirklichkeit und gerade ihr 17 Ebd., 203. Althaus’ eschatologischer Vorbehalt gegenüber einer Sakralisierung des „neuen Deutschlands“ korrespondiert in dieser Predigt mit seiner Abgrenzung von „nationale[r] Phrase“: „Wir möchten den Heiligen doch nicht zum Diener unserer vaterländischen Wünsche und Leidenschaften machen“ (ebd., 199). 18 Ebd., 199. So heißt es in der Predigt weiter: „Hat unsere Kirche nicht noch eine Riesenschuld an das deutsche Volk? Der Name Luthers und das Evangelium der Reformation steht in unserer Geschichte noch wie eine unerfüllte Weissagung. Gott hat – wir wagen es zu sagen – sein letztes Wort über unser Volk und zu ihm noch nicht gesprochen.“ (ebd., 199 f.). Gerade die letzten Worte sind als seelsorgerlicher Trost angesichts der katastrophalen Situation Deutschlands und der verarmten Volksmassen nach dem erfolglosen Ruhrkampf und der Hyperinflation im Land zu begreifen. 19 Vgl. Kap. I, 4.3. Besonders deutlich ist der Althaussche Zweischritt der Anknüpfung am Aufbau von 2103 Feuer zu sehen, wo er zuerst die aktuelle Situation in Deutschland kritisch beleuchtet, um dann überzugehen zur alle Zeiten überdauernden Bedeutung Jesu Christi. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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zum Trotz „die Gewißheit um den Heiligen, der uns berufen hat zu seinem wundersamen Lichte, der auch diese furchtbare Zeit in seinen Händen hat“20 nahebringen. Althaus ist überzeugt: „Die Jugend sucht ihren Herrn. Durch unsere Reihen geht die Sehnsucht nach Anbetung und Opfer und großem Dienst.“21 Zeitgleich schreibt er im „Religiösen Sozialismus“: „Herrschaft Christi auf allen Lebensgebieten – das ist ein großer Gedanke, wie die christliche Jugend ihn braucht.“22 Daher fordert er seine Zuhörer und Leser auf: „Die ihr getauft seid und zu einer christlichen Gemeinde gehört, wir alle haben den einen gleichen Beruf, nämlich die Quelle von Nazareth und Jerusalem, die uns Deutschen zu Wittenberg wieder klar aufgebrochen ist, weiterzuleiten in das junge Geschlecht hinein, über das dürre, dürstende Land unseres Volkslebens – jeder an seiner Stelle.“23

Althaus kommt auf Jesus Christus nicht nur als Antwort auf die Frage nach einem neuen Ideal für die deutsche Jugend angesichts einer als ideallos und krisenhaft erfahrenen Zeit zu sprechen, sondern auch als Antwort auf die Frage nach Gott. So fragt er in seinem Vortrag 1921: „Aber wo ist Gott? Wo begegnet er uns so nahe, daß seine Gestalt überwältigend die Seele trifft?“24 Die sich steigernden Antworten, die er seinen jugendlichen Zuhörern im Folgenden gibt, laufen auf Jesus Christus zu. Von seiner ersten, hier gegebenen Antwort geht bereits eine merkliche Linie zu seiner später ausformulierten Uroffenbarungslehre aus: „Gewiß, wir spüren ihn draußen […] in dem Zauber seiner Schöpfung. Wir ahnen ihn, wenn wir andächtig vor der Natur stehen, vor ihrer Lebenskraft, Fülle, Ordnung und Fruchtbarkeit. Wir fühlen seine Wirklichkeit, wenn wir die Geschichte der Menschheit durchgehen, wie die Geschlechter aufkommen und sterben, die Völker steigen und fallen“25. Den Gedanken an Gottes Offenbarung in Natur und Geschichte kennzeich 20 2103 Feuer, 2. 21 Ebd., 4; vgl. 1808 Männern, 632. 22 2104 Sozialismus, 31. 23 2001 Jugend, 10. Den gleichen „Beruf“ schärft Althaus auch seinen studierenden Bundes­ brüdern in der Studentenverbindung als „höchste Aufgabe“ des Schwarzburgbundes ein, wenn er diese mit den Worten beschreibt: „Männer zu erziehen und zusammenzuhalten, die unserem Volke an ihrem Posten als ein christlicher Adel deutscher Nation untadelig dienen“ (2402 Jahre, 2). Die doppelte, und bei Althaus untrennbare Hoffnung auf christliche und nationale Wiedergeburt Deutschlands schwingt in diesen Worten spürbar mit. 24 2103 Feuer, 4 f. 25 Ebd., 5. Auch in 2404 Jesus, 47 spricht Althaus von der Erkennbarkeit Gottes in Natur und Geschichte: „In der Natur und in der Geschichte bezeugt sich die Wirklichkeit Gottes, aber nur einem hellen Auge und einem lebendigen Gewissen.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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net Althaus jedoch sogleich als ungenügend, denn er bleibt hier „der verborgene Gott“, „er bleibt im Schweigen“. Daher steht für ihn fest, Gott in Natur und Geschichte ist nur eine ungenügende Antwort: „Nein, wir fühlen es alle: das ist zu armselig.“26 Eine zweite Antwort kommt Gott seiner Meinung nach schon näher: das Zeugnis Gottes in der unsichtbaren, wahren Kirche. Dazu schreibt Althaus: „Ich weiß von einer großen Schar, aus allen Jahrhunderten, aus allen Völkern – […] hier ist der Heilige gegenwärtig; unter diesen Menschen ist er mir ganz nahe“, „unzählige Namenlose und Namhafte in allen Kirchen und Geschlechtern und Völkern – was für ein Chor derer, die von Gott zu reden wissen“27. „Ich sage euch: was die Menschen in der Natur draußen“ – zu ergänzen ist in Gedanken sicherlich auch: in der Geschichte – „gefunden haben wollen von Gottesschau, verschwindet wie ein armer Schatten vor der unerhörten, die Seele tief erregenden und befriedenden Wirklichkeit des Heiligen, deren du unter seiner Schar inne wirst!“

Doch erst die dritte Antwort ist es schließlich, die die Frage nach Gott wirklich löst: das Leben und Leiden Jesu Christi. „Vor dem Bilde halten wir den Atem an. Es wird uns zum Allerheiligsten auf Erden. Gott wird uns ganz groß durch diese Geschichte, gewaltig ernst und doch wieder überwältigend durch die unvergleichliche Liebe Jesu bis in den Tod. In dieser Geschichte spürt ihr den wirklichen Gott. Der Heilige, dessen ihr dort gewahr werdet, ist freilich viel ernster als alles, was die Menschen so leichthin von Gott schwatzen.“28

Jesus Christus ist es, den Althaus seinen jugendlichen Zuhörern als den Weg zu Gott aufzeigt. Alle anderen Wege über die Natur und die Geschichte erkennt er zwar an, doch sind sie für ihn nicht hinreichend, um Gott zu erfassen. Wenn Althaus der Jugend die Vorbildfunktion und die Heilsbedeutung Jesu Christi verkündigt, dann ist er sich dabei der Tatsache bewusst, dass es gerade der aktive Jesus der Tat ist, der es den Jugendlichen angetan hat29. Sein Anliegen ist es nun 1924, die Einheitlichkeit von Jesus als dem Christus zu betonen und dabei die soteriologische Dimension hervorzuheben. So formuliert er am Ende seiner Rede den programmatischen Satz: „Nur die werden Gottes Feuer durchs deutsche Land und in die deutsche Jugend tragen dürfen, die selber ge 26 Ebd. 27 Ebd., 6 f. 28 Ebd., 7. 29 2404 Jesus, 50 f. Diese Erkenntnis hat Althaus bereits in 2104 Sozialismus, 31 zum Ausdruck gebracht. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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zeichnet sind von Jesu Sterben.“30 Denn Althaus ist überzeugt: „Mächtiger als der Bergprediger, erschütternder als der Jesus der Gleichnisse zeugt der Gekreuzigte von Gott.“31 Erst hier wird für Althaus die ganze Majestät Gottes sichtbar, erst hier werden die Menschen „wirklich vor Gott selbst gestellt“32. Noch stärker stellt Althaus die Bedeutung des Gekreuzigten in seinem Vortrag „Das Kreuz Christi als Maßstab aller Religion“ heraus. Sein Anliegen, der Jugend die Heilsbedeutung Jesu Christi zu verkündigen, wird hier be­ sonders deutlich. Der Vortrag, den Althaus ursprünglich „auf den christlichen Studentenkonferenzen in Pappenheim und Hermannsburg Aug[ust] 1921“33 und später noch einmal auf der „30. Allgemeinen Deutschen Christlichen Studentenkonferenz“ der „Deutschen Christlichen Studentenvereinigung“34 gehalten hat, wird 1924 als eine von drei „Gegenüberstellungen mit der mystisch-idealistischen Zeitbewegung“ veröffentlicht. Er trägt also apologe­ tische Züge. Zunächst begrüßt Althaus die von ihm wahrgenommene allgemeine religiöse Sinnsuche, die „Welle religiösen Fragens und Ringens“, den „Willen[s] zur religiösen Vertiefung“, den er sowohl bei der sozialistischen als auch bei der idea­ listischen Jugendbewegung wahrnimmt. Doch sogleich erhebt er seine Vorbehalte, denn er sieht die „Gefahr, indem man sich an gegenwärtige Bewegungen hingibt, sich an sie zu verlieren.“ „In unseren verwirrten Tagen neuer Religionsmischung und Verwaschung des Echten gilt es, sich auf die Eigenart wirklichen Christentums zu besinnen.“ Um dieser Gefahr zu begegnen, steht für ihn fest: 30 Ebd., 65. 31 Ebd., 58. 32 Ebd. Der Althaussche Zweischritt der Anknüpfung vom Vaterlandserlebnis zum Gotteserlebnis wird an dieser Stelle besonders explizit: „Das Wort ‚Gott‘ bleibt uns trotz vieler Predigten ein Wort, ein Schatten. So ging es vielen unter uns vor dem Kriege mit dem Worte ‚Vaterland‘. Es gab vaterländische Feste genug, und an hohen Worten wurde nicht gespart, aber es war allermeist kein Blut darin; darum wurden wir nicht wirklich gezündet. Aber als 1914 die ersten unserer Brüder ihr Leben dahingaben, als der Strom der Tränen deutscher Mütter zu rinnen begann, als wir die ersten Kreuze aufrichteten in Polen, Frankreich und Flandern, da trank das Wort Vaterland Blut und  – wie in der griechischen Sage  – der Schatten wurde eine uns ergreifende Wirklichkeit. Ebenso erscheint uns Gottes Majestät und Wirklichkeit ganz erst in dem Sterben seiner Knechte.“ 33 2706 Evangelium, 63, Anm. 1. 34 Zur „Deutschen Christlichen Studentenvereinigung“ (DCSV), einer um die Jahrhundertwende durch die angelsächsische Evangelisationsbewegung angeregten, pietistisch geprägten Erweckungsbewegung im akademisch-universitären Raum vgl. Hong, Studenten-Vereinigung. Dass Althaus selbst der DCSV und mit ihr der internationalen Studentenmissionsbewegung nahe steht, macht er bereits 1912/13 in seinen Beiträgen über „Die christliche Studentenbewegung“ in den „Blättern des Schwarzburgbundes“ deutlich; vgl. Kap. I, 1. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Aber das Ringen um die anderen muß sich zugleich im Kampfe wider sie voll­ziehen. […] Neben denen, die Brücken schlagen, müssen solche stehen, die Gräben ziehen. Wir können nicht nur Bindestriche ziehen, sondern müssen auch Trennungslinien legen.“35

Althaus selbst macht sich in dieser Zeit daran, „Trennungslinien“ zur idealis­ tischen Jugendbewegung und zur „deutschen Frömmigkeit“ zu ziehen36. Er zählt sich zu denen, „die im Frontkampfe der Kirche stehen und die Feinde sowie die Kampfeslage kennen müssen“37. Dafür bedarf es nach Althaus eines kritischen Maßstabes „für das, was echt christlich ist“: das „Wort vom Kreuz“38. Dieses gilt es zunächst selbstkritisch gegen sich selbst zu richten: „Wir denken […] alle irgendwie in den Lieblings­ gedanken unserer Zeit und sind ihren Stimmungen verfallen.“ Dagegen ist sich Althaus im Klaren: „Vom Kreuze Christi geht eine schneidende Kritik über alle menschliche Religion aus.“39 Indem Althaus den Nachweis führt, dass das Kreuz der „Ausdruck der tiefsten Geschichte der Menschheit“ ist, meint er, von ihm aus „den Maßstab für alle Gottesanschauung, alle Schätzung des Menschen, alle Weltbetrachtung“ zu gewinnen40. Das hat Konsequenzen für seine Auseinandersetzung mit der „mystisch-idealistischen Zeitbewegung“: „Zuerst für alle Gottesanschauung. Hier scheiden wir uns von der neuen Mystik, wie sie heute viele gewonnen hat. […] Um der Gotteserfahrung des Kreuzes willen 35 2105 Kreuz, 27; Hervorhebung von Althaus. Was er als einseitig ablehnt, formuliert er so: „Daher suchen viele unter uns heute die Sprache der anderen zu reden und in ihren Gedanken zu denken. Sie ziehen Bindestriche zwischen Jesus und dem Sozialismus, zwischen dem Evangelium und der idealistischen Jugendbewegung.“ (ebd.) Den Gedanken von der Problematik von „Bindestrichen“ zwischen christlichen und außerchristlichen Inhalten hat Althaus wohl von Barth übernommen; vgl. 2104 Sozialismus, 32, Anm. 1. 36 Vgl. seine Rezensionen zu Hans Blühers „In medias res“ (2201R Blüher) und Julius Bodes „Wodan und Jesus“ (2208R Bode). In 2403 Theologie, 77 bezeichnet Althaus die Mystik als „das zur Zeit brennendste Problem“ und brandmarkt die „Mystik als selbständige religiöse Lebensform“ als den „Todfeind biblisch-reformatorischen Christentums“ (ebd., 74; Hervorhebung von Althaus). Gerade Schuld und Vergebung sind in seinen Augen als Kennzeichen des reformatorischen Evangeliums „scharf gegen alle deutsch-idealistische oder neu-mystische Ausdeutung des Christentums“ zur Geltung zu bringen (2005R Fischer, 249). 37 2209R Grützmacher, 170. 38 2105 Kreuz, 28. 39 Ebd., 29.  So predigt er auch am 5.11.1922: Das evangelische Bekenntnis zu Jesus Christus „ist unserer Väter Feldzeichen gewesen. Brüder, auch heute muß es Panier im Kampfe sein, zur Rechten und zur Linken. Als breite Welle kommt eine neue Religiosität empor. Mit ihr, nicht mit der Gottlosigkeit werden wir den schwersten Waffengang haben.“ (2206P Bekenntnis, 79). 40 2105 Kreuz, 38. Die Althaussche Kreuzestheologie kann an dieser Stelle nicht nachgezeichnet werden; vgl. ebd., 34–38. An anderer Stelle spricht Althaus auch von der „Christustatsache als Maß aller Gedanken von Gott und der Geschichte“ (2304 Sünde, 52). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Althaus’ volksmissionarisches Werben um die junge Generation

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müssen wir uns von den religiösen Gedanken der idealistischen Jugend klar trennen. Denn nur der Gott des Kreuzes ist der ganze und der lebendige Gott.“41

Die Jugend mit Jesus Christus vertraut machen, Jesus Christus als Antwort auf die jugendlichen Gegenwartsfragen herausstellen, das ist das Anliegen des Rostocker Theologen in seinen vier Vorträgen Anfang der 20er Jahre, das ihm auch noch als Professor in Erlangen am Herzen liegen wird42. Althaus ist mit seinen Antworten am Puls der Zeit und hat ein aufmerksames Ohr für die Jugend, die er und mit ihm viele Männer der Kirche in einer Aufbruchsstimmung wähnt.43 Angesichts von Verunsicherung und Orientierungslosigkeit, die sich nicht zuletzt aus der Erfahrung der deutschen Republik als schwacher Staat ergibt, wird von Beginn an der Ruf nach Führung laut. So schreibt Bruno Meyer, der Herausgeber des Sammelbands „Jesus Christus und die Jugend“, 1925 in seinem Vorwort: „Immer mächtiger erhebt sich […] gerade im deutschen Jungvolk die Sehnsucht nach einem Führer, […] nach einem Menschen, der Fülle genug in sich trägt, alles Verlangen nach Leben zu stillen, und Klarheit genug, um aus der Wirrnis zu führen.“44 Als solcher Führer wird Jesus Christus erkannt. So wollen laut Meyer auch die Vorträge von Althaus „in aller Schlichtheit zeugen von dem Führer aller Führer, sie wollen von ihm Antwort holen 41 2105 Kreuz, 38 f. Althaus wirft hier der Gegenseite vor, ihre Gottesanschauung wisse weder vom Widerstreit zwischen Gott und Mensch, noch von der von der Güte Gottes umgriffenen personalen Beziehung zwischen Gott und Mensch. 42 So hält er am 7.11.1925 auf Einladung des CVJM im Redoutensaal in Erlangen einen Vortrag mit dem Titel „Christus und die Wirklichkeit“; vgl. Flugblatt des CVJM (Stadtarchiv Er­ langen, III. 50. A. 1). 43 So beschreibt Bruno Meyer im Vorwort seines Sammelbands „Jesus Christus und die Jugend“ die Haltung der Jugendlichen Folgendermaßen: „Wir stehen heute mitten in einer Zeit neuen Werdens und müssen die ganze ungeheure Spannung zwischen Vergangenheit und Zukunft als junge Menschen mit durchleben. […] Wir fühlen deutlich, daß in uns, daß in allen Lagern der deutschen Jugend ein Neues werden will.“ (Meyer, Jesus, 7). Das Gefühl, in einer Zwischenzeit zu leben, war immens in der damaligen Zeit, besonders unter den Jüngeren. Es betraf sowohl das politische Leben, was den neuen Staat der Weimarer Republik von Beginn an als schlechte Übergangslösung deklassierte, als auch das theologische und Geistesleben. Zeitschriftentitel aus damaliger Zeit legen ein beredtes Zeugnis davon ab: ob in konservativen Kreisen die „Zeitenwende“ oder im Lager der Dialektischen Theologie „Zwischen den Zeiten“; vgl. bei Althaus 2505R Seeberg, 439. 44 Meyer, Jesus, 7. Den gleichen Gedanken formuliert 1924 auch Hermann Weber, der Generalsekretär der DCSV, in seinem Geleitwort zum Sammelband „Die Gewißheit der Christus­ botschaft“, in dem auch Althaus’ Vortrag „Das Kreuz Christi als Maßstab aller Religion“ erscheint: „Wir suchen heute nach Führern, die dem Ausdruck zu geben vermögen, was in der Tiefe unserer Seele um Gestaltung ringt. […] Wir brauchen einen, der unsere Sehnsucht nicht nur deutet und verkörpert, sondern die Erfüllung in sich trägt. Das treibt in unseren Kreisen viele unbefriedigt von den menschlichen Führerpersönlichkeiten weg zu Christus […] Um die Wirklichkeit Christi geht es uns.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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auf das brennende Fragen unserer Zeit, und sie ringen vor allem um ein wirkliches Christentum der Tat und des Dienstes und um neue lebendige Gemeinschaft im Heiligtum.“45 Jesus Christus als Ideal der Jugend in idealloser Zeit, Jesus Christus als Wegweiser zu Gott, Jesus Christus als Führer46 – so viel Christuszentriertheit ragt aus dem ansonsten so dezidiert theozentrischen Werk von Althaus sichtlich heraus. Es gehört zur Ambivalenz von Althaus, dass er gegen die „Verwaschung wirklichen Christentums“, wie er sie von Seiten der deutschen Mystik bzw. des Idealismus, d. h. „von rechts“, kommen sieht, christozentrisch argumentiert, während er gegen die gleiche Gefahr von Seiten des Religiösen Sozialismus, d. h. „von links“, theozentrisch argumentiert. In beiden Fällen liegen ihm Extrem­positionen fern. Die Ambivalenz ist dadurch bedingt, dass Althaus jeweils situationsabhängig und reaktiv handelt und schreibt. Wenn er in seiner politischen Ethik zukünftig vom Führergedanken spricht, wird der religiösethische Vorbildcharakter eines idealen Führers immer mit zu bedenken sein, der für ihn seine höchste Gestalt letztlich bleibend in Jesus Christus hat47.

45 Meyer, Jesus, 8. 46 Die missionarisch motivierte, christologische Anknüpfung an den Führergedanken findet sich bei Althaus, der dabei auf die politischen Hoffnungen und Erwartungen insbesondere der Jugend eingeht, auch in 2503 Krisis, 11 f. Jesus Christus soll für die deutsche Jugend der Führer sein. 47 Vgl. 2503 Krisis, 11, wo Althaus zunächst schreibt: „Der Herr der Geschichte erweckt nach seiner Freiheit den großen Führer und stellt ihn als emporführendes, lebenzeugendes Vorbild unter uns“, um dann fortzufahren: „Unter den emporführenden sittlichen Mächten der Geschichte hat die Peron Jesu ihre besondere Stelle.“ Freilich grenzt sich Althaus sogleich von einer liberalen Interpretation Jesu Christi ab. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

4. „Gott in der Geschichte“ – Althaus’ frühe geschichtstheologische Grundlegungen „Unverkennbar steht im Mittelpunkte alles zusammenfassenden geisteswissenschaftlichen Denkens unserer Zeit das große Thema der Geschichte. Das Verständnis der Geschichte und ihrer Bedeutung für die Erkenntnis letzter Dinge scheint unserer Generation als ihre besondere Aufgabe gestellt zu sein. […] Um das Verhältnis unserer Gottesbeziehung zur Geschichte ist der Kampf auf der ganzen Linie entbrannt.“1

So urteilt Althaus 1924 im Hinblick auf seine Auseinandersetzung mit dem Geschichtsverständnis der Dialektischen Theologie. Das zentrale Paradigma der Althausschen Geschichtstheologie in den 20er Jahren und darüber hinaus lautet: „Gott in der Geschichte“. Unbeschadet seiner gleichzeitigen Betonung der Christustatsache und der Christologie ist „Gott in der Geschichte“ gleichsam seine Geschichtstheologie in nuce. So beginnt Althaus seinen gleichnamigen Vortrag mit den Worten: „Gott in der Geschichte, das ist für viele heute ein unverständlicher Satz. […] Es ist kein Wunder, daß nach der Geschichte der letzten zehn Jahre die Frage uns bewegt: Ist die Geschichte nicht lauter Menschenwerk, nichts als Verhüllung Gottes? Was haben wir denn erlebt: eine Geschichte menschlichen Hassens und Kämpfens, zügelloser Leidenschaft und Lüge.“2

4.1 Die Grundlagen der frühen Althausschen Geschichtstheologie Auf die Einwände gegen eine geschichtstheologische Betrachtung reagiert Althaus im genannten Vortrag von 1924  – wie schon in seinem Vortrag „Das Kreuz Christi als Maßstab aller Religion“ von 1921 – mit der Vorstellung eines doppelten Blickwinkels auf die Geschichte: „Wir werden niemals über diese Skepsis hinauskommen, solange wir die Geschichte von außen betrachten.“ Blickt man aber auf die „Geschichte von innen“, so finden sich die „Spuren Gottes in der Geschichte“3. 1 2405 Geschichte, 741. 2 2403 Gott, 3. Er hielt den Vortrag „auf einer religiösen Jugendtagung in Warnemünde an ­Ostern 1924“. 3 Ebd., 4. Diese Spuren in der Geschichte überbieten bei weitem die göttlichen Spuren in der Natur, die laut Althaus gerade viele Jugendliche auszumachen meinen: „Die Natur offenbart von Gott doch nur ein Dürftiges. Wir ahnen wohl seine Macht, seine unerschöpfliche Lebensfülle und seine Schönheit, aber sein Herz bleibt uns verborgen. […] Wir können die Züge seines Antlitzes, die Sprache seines Herzens nicht erkennen. Ganz anders, wenn wir in die Geschichte kommen.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Zwei Blickwinkel nimmt Althaus ein, wenn er auf die „Menschheitsgeschichte“ zu sprechen kommt4. Zunächst betrachtet er die „Längendimension“ der Weltgeschichte, die er in eine politische und eine Geistesgeschichte unterscheidet. Diese Betrachtung ist für ihn eine „von außen“, sie blickt sowohl auf die „Geschichte fortschreitender Organisierung der Menschheit in Staat und Gesellschaft“ und wird für ihn „beherrscht vom Staatsgedanken“5, als auch auf die zunehmende „Bezwingung und Beherrschung der Wirklichkeit durch den Geist“6. Aufgrund der Tatsache, dass dem Einzelnen sich der Sinn der Geschichte, die Althaus als einen „gewaltigen Bau“ versteht, nicht erschließt, betont er die Bedeutung der ihm übergeordneten Sozietäten: „Die einzelnen Menschen und Geschlechter“ sind für ihn daher nicht „der Sinn dieser Geschichte, sondern ihres Volkes Staat und seine Zukunft oder die fortschreitende Kultur der Menschheit überhaupt.“7 Der zweite Blickwinkel auf die Geschichte ist nach Althaus der „von innen“, hierbei geht es um die „Tiefendimension“ der Weltgeschichte. Neben politischer und Geistesgeschichte öffnet sich hier der Blick für die von Althaus sogenannte „dritte Geschichte“, deren Grundform „nicht die Periodizität, sondern die Polarität“ ist8. In Abwandlung des berühmten Ausspruchs des Historikers Leopold von Ranke ist Althaus der Auffassung: „Jeder einzelne, jedes Lebens­ alter, jeder Tag ist unmittelbar zu Gott.“9 Daraus folgert er: „Die dritte Geschichte, in der wir uns erfassen als in jedem Augenblicke unmittelbar zur Ewigkeit, gibt jedem eine echte Würde, die Würde einer Gegenwart von ewiger Bedeutung, deren Sinn nicht darin liegt, Mittel für irgendeine Zukunft zu sein, sondern in ihr selbst.“10

Durch diesen Gedanken einer „dritten Geschichte“ meint Althaus den wirkmächtigen Relativismus von Oswald Spengler, der „vielen den Glauben an eine irgendwie bedeutsame Einheit der Menschheit“11 nimmt, zu überwinden: „Die 4 Zur „Menschheitsgeschichte“ bei Althaus vgl. 2409 Heilsgeschichte, 606 f. 5 2105 Kreuz, 30. 6 Ebd., 31. 7 Ebd., 30. 8 Ebd., 32. Die Vorstellung einer „dreifache[n] Geschichte der Menschheit“ entwickelte Althaus bereits in 1635B Pfingsten, 74; vgl. Liebenberg, Gott, 271–276. 9 Ebd. Von Ranke schrieb ursprünglich: „Jede Epoche ist unmittelbar zu Gott, und ihr Wert beruht gar nicht auf dem, was aus ihr hervorgeht, sondern in ihrer Existenz selbst, in ihrem eigenen Selbst“ (ders., Über die Epochen der neueren Geschichte, 1854). Dieses Rankewort wird von Althaus öfter herangezogen; vgl. 2409 Heilsgeschichte, 669. 10 Ebd., 32 f. Die „dritte Geschichte“ ist für ihn daher „übergeschichtlich“ und „allgegenwärtig“. 11 Ebd., 33. Althaus fährt fort: „Der Traum von einer einheitlichen Entwicklung, von einer Kulturgeschichte ist uns zerronnen.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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dritte Geschichte ist […] eine allen Menschen gemeinsame Geschichte.“ In ihr sieht er „die Einheit der Menschheit begründet. Wir treten hier jenseits von Spengler.“12 Entscheidend ist für ihn dabei die theologisch-anthropologische Komponente: „Die Einheit der Menschheit ist in der Gleichheit des menschlichen Herzens begründet. Wenn darum das Kreuz auf dem Boden der dritten Geschichte seinen Ort und entscheidende Bedeutung hat, dann gilt es der ganzen Menschheit.“13 Ganz selbstverständlich nimmt hier Althaus das seinerzeit „weithin vermiedene und in Verruf gebrachte Wort ‚Menschheit‘ in den Mund“ und tritt damit der „gängigen Entleerung des Begriffs der Menschheit“14 im Gegensatz zu dem des Volkes entgegen. Den Ausdruck der „dritten Geschichte“ verwendet Althaus in späteren Schriften nicht mehr, der Sache nach hält Althaus in seiner Geschichtsphilosophie aber daran fest. Mehr und mehr Gewicht bekommt in seiner Theologie der Reich-Gottes-Begriff. So spricht er 1931 vom Reich Gottes „mitten in unserer Welt“: „Durch alle Weltgeschichte hindurch, hinter und unter der Geschichte der Völker und Staaten, der Geschichte der Kultur und des Geistes, geht eine heimliche und verborgene Geschichte […]: die Geschichte des Ringens des lebendigen Gottes mit den Herzen der Menschen und Völker um seine Herrschaft. Das gewaltigste Zeugnis dieser Geschichte ist die Bibel.“15

„Was will Gott?“, fragt Althaus in einem anderen Text des gleichen Jahres im Blick auf den Sinn der Geschichte. „Gott will ein Reich; es ist Ende und Grenze der Geschichte. Um des Reichs willen ist die Geschichte da.“16

12 Ebd. Diesen Gedanken wiederholt Althaus auch in 2409 Heilsgeschichte, 672: „Der Begriff der ‚Menschheitsgeschichte‘ zerbricht uns nicht. Wir lösen die Geschichte nicht in ein Neben­ einander und Nacheinander wesentlich zusammenhangloser Kulturen auf. Bei Ranke stehen heißt noch nicht: zu Spengler halten. Die Völker, Kulturen, Zeiten wirken aufeinander.“ Bei der Ein­ arbeitung dieses Aufsatzes in die 3. Auflage der „Letzten Dinge“ verstärkt Althaus den Blick auf die Menschheit nochmals; vgl. 2604 Dinge, 178. 13 Ebd., 34. An dieser Stelle verknüpft Althaus den Gedanken der „dritten Geschichte“ mit dem oben beschriebenen vom „Kreuz Christi als Maßstab aller Religion“. Das Kreuz ist für ihn „eine Tatsache von übergeschichtlicher Gegenwärtigkeit. Der Wille, der das Kreuz aufrichtete, ist der in jedem Menschenherzen lebendige Wille.“ (ebd., 35). 14 Smid, Protestantismus, 293. 15 3113 Botschaft, 482. Althaus formulierte bereits 1924: „Die Geschichte hat ein tiefstes Thema: das Verhältnis Gottes zur Menschheit, den Kampf des Reiches Gottes um die Herrschaft.“ (2409 Heilsgeschichte, 606; Hervorhebung von Althaus). Weiter schreibt er, „innerhalb des Menschentums greift Gott erwählend ein und bereitet sich, in stufenweiser Erziehung, ein Volk, um in ihm die Höhe der Geschichte zu wirken“ (ebd., 607); vgl. 2403 Gott, 14. 16 3111 Gemeinschaften, 27. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Betrachtet man diese enge Bezogenheit von menschlicher Geschichte und göttlicher Heilsgeschichte17 bei Althaus, so stellt sich damit zugleich die Frage nach dem Ort Jesu Christi innerhalb seiner Geschichtstheologie. Ist Jesus Christus die personifizierte Gegenwart Gottes in der menschlichen Geschichte, so hat dies auch Konsequenzen für die Althaussche Geschichtstheologie. So heißt es bei ihm: „Mitten in der Geschichte steht eine besondere Geschichte“: „Das ist Jesu Leben“, dessen ganze Bedeutung an Ostern zu Tage tritt: „Da wird Gottes Hand sichtbar, da tritt der tiefste Sinn der Geschichte heraus. Ostern ist darum der Angelpunkt der Weltgeschichte. Da bekommt es seinen Grund und seinen Sinn: ‚Gott in der Geschichte‘.“18 Von der Christologie her argumentierend, lautet für Althaus die „Formel für das Wesen der Christustatsache: Gott in der Geschichte! […] Gott ist in der Geschichte da und handelt“19. Bei der Beschäftigung mit Althaus’ Geschichtstheologie wird deutlich, dass es ihm letztlich um die Christustatsache geht. Theozentrische Geschichtstheologie hat für ihn keinen Selbstzweck, sondern hat einen Sinn, der über sie hinausweist. Dieser Sinn liegt für ihn in der Anknüpfung hin zur Christologie und Soteriologie. Deutlich wird das in seinem Vortrag „Der lebendige Gott“ von 1923, wo es gleich auf der ersten Seite heißt: „Nichts sind wir unserem Volke heute so sehr schuldig wie das Zeugnis von dem lebendigen Gott. […] Vielleicht fragt mancher uns: warum redest du nicht von Jesus Christus? Aber das muß in dieser Stunde offen ausgesprochen werden: unser Volk wird dem König Jesus Christus nicht eher wieder begegnen können, bis es eine Geschichte mit dem lebendigen Gott gehabt hat. Und nicht in jedem Augenblick einer Volksgeschichte ist die Stunde da, wo das Banner Jesu Christi entfaltet werden kann. […] Und darum glaube ich, daß nichts unserer Zeit so not tut, wie ein lebendiges Zeugnis von dem lebendigen Gott. Soll unser Volk einmal wieder rufen: Hosianna dem Sohne Davids!, dann muß es erst wieder etwas wissen von dem heiligen Gott, von seinem Ruf und seinem Ernste.“20

Was Althaus hier in seinem Vortrag 1923 umsetzt, ist seine bereits 1918 formulierte pastoraltheologische Konzeption, die aus theologischen und praktischen Erwägungen heraus einen Zweischritt der Anknüpfung von der Theozentrik 17 Der Gedanke der Heilsgeschichte ist für ihn die „Urform aller ernsthaften Geschichtsphilosophie“ (2409 Heilsgeschichte, 606). 18 2403 Gott, 15. An anderer Stelle formuliert Althaus: „Das Kreuz Christi ist darum der Höhepunkt der inneren Geschichte, die Gott mit jedem Menschen und mit der ganzen Menschheit hat“ (2303 Gott, 13); vgl. 2302 Kreuz, 4. 19 2201 Dinge, 60. Zur christologischen Herleitung der Eschatologie vgl. ebd., 39 ff. 20 2303 Gott, 3 f. So beginnt Althaus seine geschichtstheologischen Ausführungen mit den Worten: „Und nun laßt mich reden von dem Vater unseres Herrn Jesu Christi“ (ebd., 5). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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hin zum Christuszeugnis einfordert. Dass sich dahinter eine volksmissiona­ rische Motivation verbirgt, lässt sich den Zeilen unschwer entnehmen. In einem anderen Vortrag drückt Althaus seine intendierte Anknüpfung mit einer Frage aus: „Wo man nicht von der Offenbarung in der Geschichte bewegt ist, wie sollte man da Jesus Christus und seine Bedeutung für uns verstehen?“21 Einen historischen Beleg für die Richtigkeit seiner kerygmatischen Vorgehensweise meint Althaus in der Christusgeschichte selbst ausmachen zu können: „Es ist kein Zufall, daß Jesus Christus nur in Israel geboren werden konnte.“ Denn gerade darin sieht Althaus die „Bedeutung Israels und des Alten Testaments, daß hier Gott in der Geschichte erkannt worden ist.“22 Er schließt daraus: „Jesus wurde in ein Volk hineingeboren, das schon eine Geschichte mit Gott gehabt hat. Auch im Leben des Einzelnen gilt das Gleiche.“23 Die Betonung der Christustatsache ist für Althaus zugleich der Grund und die Möglichkeit, die Einheit der Menschheit und ihrer Geschichte trotz aller Betonung der einzelnen Völker und deren Geschichte herauszustellen: „Das Kreuz Christi ist darum der Höhepunkt der inneren Geschichte, die Gott mit jedem Menschen und mit der ganzen Menschheit hat.“24 „Das ist das Aller­ innerste und Allerernsteste in aller Menschengeschichte, die innerste, wichtigste Geschichte.“25 Auch wenn er in der frühen Entfaltung seiner Geschichtstheologie noch unterbestimmt bleibt, so ist für Althaus doch der Zusammenhang von Geschichte und Sünde von Anfang an grundlegend. In seinem Aufsatz „Zur Lehre von der Sünde“ macht Althaus 1923 in Abgrenzung zur Dialektischen Theologie deutlich, dass für ihn das „Gott in der Geschichte“ ohne eine Sündenlehre unmöglich ist. Gegen Barth führt er die „Christustatsache als Maß aller Gedanken von Gott und der Geschichte“ ins Feld und kommt zu dem Schluss: „Worin der unendliche Abstand zwischen Gott und dem Menschen besteht, das kann nicht durch abstrakte Dialektik im voraus festgelegt und als starres, lebentötendes Schema für die Dogmatik und Ethik ausgerufen werden, das will durch Versenkung in die konkrete Gotteserfahrung unseres Gewissens, zuhöchst an Jesus, erfaßt sein.“26 21 2403 Gott, 4. 22 Ebd. An dieser Stelle findet sich der früheste Beleg für die Althaussche Verteidigung des ­Alten Testaments gegen völkische Irrlehre: „Darum hat das Alte Testament Menschheitsbedeutung für alle, die zu Jesus Christus wollen. Es ist trostlose Kurzsichtigkeit unserer Völkischen, wenn sie im Namen der christlich-germanischen Weltanschauung das Alte Testament meinen ablehnen zu ­müssen.“ 23 2303 Gott, 4; vgl. 2302 Kreuz, 17 f. 24 2303 Gott, 13. 25 Ebd., 11. 26 2304 Sünde, 52. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Mit der Geschichtlichkeit der Christuswirklichkeit betont Althaus auch die Geschichtlichkeit der Sündenwirklichkeit: „Die Sünde des Menschen und der Menschheit ist eine geschichtliche, nur in der Geschichte faßbare Wirklich­ keit.“27 Für den göttlichen Willen im Verhältnis zum Menschen heißt das: „Gottes Wille an uns geht auf eine innerste Grundhaltung, aber so, daß er eben damit zur Erfüllung von Geschichtsmomenten durch die Tat ruft, und so, daß er den ­Menschen in der Geschichte, durch sein Handeln in Wechselwirkung mit dem Schicksal und mit den anderen, in jener Grundhaltung zum ‚Charakter‘ werden lassen will.“28

Im Blick auf die Sünde gilt von dieser Grundhaltung: „Erst wenn gezeigt wird, wie dieser Grundwille die Geschichte gestaltet und wie die Sünde selber in der Geschichte auch ein Werden bestimmt, […] haben wir die Sünde in ihrer geschichtlichen Wirklichkeit ganz erfaßt.“29 Diese geschichtliche Wirklichkeit der Sünde ist für Althaus kein rein individuelles, persönliches Phänomen, sondern er spricht vom Aufeinanderbezogensein alles menschlichen Sündigens: „Die Soziologie der Sünde sieht auf die Wechselwirkung der sündigen Akte der vielen, zeigt, wie die so entstehende ‚Welt‘ des ‚Ärgernisses‘ durch Vorbild und Reiz zur Reaktion fortwährend neue Sünde als Akt hervorruft, wie Sünde System und Tradition wird und Geschlechter bestimmt. Man kann die wachsende Verhaftung ganzer Familien, Völker, ja Kulturen unter Mächte der Selbstsucht und Diesseitigkeit wahrnehmen. Es gibt, wie im Einzelleben, so im Gesamtleben ein Wachsen der Sünde, eine steigende Verfestigung, dort als Charakter, hier als Sitte, System, Tradition.“30

Indem Althaus einerseits den Zusammenhang zwischen göttlichem Willen und Geschichte stark macht, kann er andererseits auch den Sünden- und Schuldaspekt in der Geschichte betonen. Dass das menschliche Verhalten und die menschliche Gesinnung in der Geschichte vor dem Hintergrund des von ihm identifizierten Willens Gottes nicht nur in den Kategorien von Gehorsam und Schuld aufgehen, weiß Althaus. Er ist sich der Aporien einer solchen 27 Ebd., 53. Menschliches Wesen und Geschichte lassen sich für ihn im Blick auf die Wirklichkeit der Sünde dreifach aufeinander beziehen: „Erstens: in der Geschichte enthüllt sich das Menschenwesen. Zweitens: durch die menschlichen Taten, die Tatsachen schaffen, wird Geschichte. Drittens: in dieser Geschichte, in der seine Taten wirksam sind, wird der Mensch und die Menschheit.“ (ebd., 53 f.). 28 Ebd., 61; vgl. 2503 Krisis, 13. 29 Ebd., 61 f. 30 Ebd., 62. Diesen Gedanken betont Althaus unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg noch deutlicher; vgl. 4604 Schuld, 8. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Geschichts­theologie, die nicht zuletzt mit der Theodizeeproblematik konfrontiert ist, durchaus bewusst, so dass er auch dem Deus absconditus in seinem Konzept Rechnung trägt. So heißt es bei ihm 1923: „Wir gewahren in der Weltgeschichte eine Geschichte des Dämonischen, des Frevelhaften, Niedrigen und Bösen. Wer in die Geschichte blickt, dem wird sie nicht nur zur Offenbarung Gottes, sondern auch zur Verhüllung Gottes. Man lernt angesichts der Geschichte nicht nur an Gott, sondern auch an den Satan glauben.“31

Freilich erscheint der Deus absconditus in Althaus’ Geschichtstheologie nur am Rande, im Zentrum steht der für ihn offenbare Gotteswille. 4.2 Die frühe Althaussche Eschatologie Entscheidend für Althaus’ geschichtsphilosophisches und -theologisches Grund­ verständnis ist seine Forschung auf eschatologischem Gebiet, die ihm schon als jungem Theologen deutschlandweit hohe Anerkennung verschaffte.32 Als Monographie erscheint ein Althausscher „Entwurf einer christlichen Eschatologie“ 1922 unter dem Titel „Die letzten Dinge“33. In der Einleitung hält Althaus es für „offenkundig“, dass „die letzten Dinge gerade jetzt einer neuen theologischen Bearbeitung bedürfen“, denn „wie seit langem nicht, bewegt die Frage nach dem Letzten unser Geschlecht. Das Massensterben im Kriege hat aufs neue zu dem uralten Problem des Jenseits der Seele gedrängt.“34

Ein Zurück zu den Antworten des Kulturprotestantismus des 19. Jahrhunderts kann es für ihn nicht mehr geben: 31 2303 Gott, 10 f. 32 Von Beginn seines theologischen Schaffens an war die Eschatologie ein Hauptthema, dem er sich bereits 1913 als Fünfundzwanzigjähriger während seiner Zeit im Predigerseminar mit dem Aufsatz „Der Friedhof unserer Väter“ widmet, einer Art angewandter Eschatologie. Ungeahnte Aktualität erlangte dieses Thema schon ein Jahr später durch den Weltkrieg mit seinem massenhaften Sterben, das nach einer theologischen Reflexion rief. So erschien der mittlerweile erweiterte Aufsatz 1915 als „Gang durch die Sterbe- und Ewigkeitslieder der evangelischen Kirche“ erneut, diesmal als eigenes Heft. Die 2. Auflage erschien 1922, die dritte 1928, die vierte – durch den mittlerweile Zweiten Weltkrieg erneut hochaktuell – im Jahr 1948. 33 Erwachsen ist diese Schrift „ihren Grundgedanken nach […] den Übungen des Rostocker systematisch-theologischen Seminars während des Sommers 1921“ sowie der „Aussprache bei der Tagung des Apologetischen Seminars in Wernigerode im Oktober 1921“ (2201 Dinge, 9, Anm. 1). 34 Ebd., 9. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Aus der Lieblingseschatologie des letzten Menschenalters, dem Glauben an den Fortschritt ins Unendliche, an die ewige Weiterentwicklung des Geistes […] sind wir aufgeschreckt. Idealistischer Kultur- und Fortschrittsglaube zerbrachen den Ernsten.“35

„Unser Geschlecht liebt die Geschichtsphilosophie“36, zeigt sich Althaus überzeugt, und so wundert er sich nicht, dass die geschichtsphilosophische und eschatologische Frage von vielen Seiten Antwortversuche erhält: von Kommunisten und Sozialisten ebenso wie von Religiös-Sozialen, Pietisten und Sekten. Die „fortschreitende ‚Enteschatologisierung‘ (Albert Schweitzer) des Christentums, wie sie das Zeitalter der Aufklärung und der deutschen idealistischen Philo­ sophie sowie die von ihr beeinflußte Theologie […] kennzeichnete“37, ist nach Althaus überwunden. Nachdem der grundlegende Richtungswechsel in der neutestamentlichen Wissenschaft hin zu einer konsequenten Eschatologie vollzogen sei, gelte es nun auch in der Systematischen Theologie, die eschatologischen Defizite zu beheben. Einmal mehr weiß sich Althaus in dieser Zeit der frühen 20er Jahre und genau an diesem Punkt einig mit Barth, dessen theologischer Ansatz „eine völlige Krisis des üblichen Kulturprotestantismus und der ‚Diesseitsreligion‘“ bedeutet: „Mit der Transzendenz und dem Supranaturalismus bricht die Eschatologie sich neue Bahn.“38 Grundlegung der Eschatologie kann für Althaus nur die „Christustatsache“ sein, die ihrerseits auf Glaube und Hoffnung zielt. Dabei gilt es für ihn, „den Biblizismus abzulösen durch das lutherische Verhältnis zur Schrift in seiner ursprünglichen Kraft, Tiefe und Freiheit.“39 Mit anderen Worten: Weil das bibli 35 Ebd. Auch in seinem RGG-Artikel zum dogmengeschichtlichen Aspekt der Eschatologie schreibt Althaus 1928 von der „Wendung zur E[schatologie]“, die er „tief im Lebensgefühl“ ver­ ortet: „Der Krieg offenbarte die Dämonien der Kultur furchtbar und erschütterte den evolutionistischen Optimismus jedenfalls in Europa schwer. Das Erleben eines ‚Endes‘ und der tiefe Eindruck von der immanenten Sinnlosigkeit der Geschichte machten die Zeit reif für E[schatologie]“ (2816 Eschatologie, 353); vgl. 2909 Theologie, 130 f. 36 2201 Dinge, 9. 37 Ebd., 11 f. 38 Ebd., 11. So zitiert er aus Barths „Römerbrief“ den Satz: „Christentum, das nicht ganz und gar und restlos Eschatologie ist, hat mit Christus ganz und gar und restlos nichts zu tun.“ (ebd., 12, Anm.  2). Es wird schnell deutlich, dass Althaus die Barthsche Radikalität der vollkommenen ­Diastase zwischen Gott und Welt, die auch in diesem Satz steckt, nicht mitmacht. Dass Althaus und Barth hier in einer gemeinsamen Front stehen, bemerkt auch Kleffmann, Begriff, 361, Anm. 147, wenn er schreibt, dass Althaus gerade in seinem Aufsatz „Theologie und Geschichte“ neben starker Kritik am krisistheologischen Ansatz „auch ein gewisses sympathisierendes Verständnis für die dialektische Theologie in Frontstellung zur alten historistischen, liberalen Theologie zeigt“. Er bezieht sich in dem Althausaufsatz auf die Seiten 755 und 761; vgl. 2507 Christentum, 33 f.38 f. 39 2201 Dinge, 14. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Althaus’ frühe geschichtstheologische Grundlegungen

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zistische Verfahren nicht in Frage kommt, gründet Althaus seine Eschatologie „streng christozentrisch“40 auf der Tatsache des gekreuzigten und auferstandenen Christus und der dadurch begründeten christlichen Hoffnung. Was Althaus in seinen Schriften, die sich mit dem Religiösen Sozialismus auseinandersetzten, schon jeweils andeutete, bringt er in seinem „Entwurf einer christlichen Eschatologie“ von 1922 erneut zum Ausdruck: die Ablehnung einer endgeschichtlichen Eschatologie41. Besonders vor einer sozialistischen Transformation christlicher Inhalte warnt Althaus, wenn er feststellt, „daß der religiöse Sozialismus heute den Versuch machen kann, die sozialistische Erwartung religiös-urchristlich einzukleiden“. „Für die meisten Religiös-Sozialen fließen die Linien ‚biblischer‘ und marxistischer Erwartung ineinander zu dem Glauben an das auf Erden kommende Reich der Gerechtigkeit, des sozialen und Völker­ friedens, kurz der Christusherrschaft in den Herzen und Verhältnissen.“42

Die Vorstellungen eines Evolutionismus in der Menschheitsgeschichte lehnt Althaus, darin beeinflusst von Emanuel Hirsch43 und Oswald Spengler, mit dem Hinweis auf den „Begriff des Individuellen“ und auf den „biologische[n] Begriff der Entwicklung, wie Spengler ihn uns wieder gezeigt hat“ strikt ab: „‚Entwicklung‘ ist ein organischer Prozeß, seine Stadien sind Kindheit, Jugend, Reife, Alter. Wir wissen heute, daß die Geschichte eine Mehrzahl von ‚Entwicklungen‘ […] relativ selbständiger Kulturen oder auch Völker nebeneinander und nacheinander zeigt. Da die großen Kulturen als Individuen nebeneinanderstehen, ist es töricht, sie in eine Fortschrittsskala zu ordnen.“44 „Jugendzeiten sind Epochen der nationalen Zusammenfassung und der Kriege, das Unternehmen von Weltfriedensreichen bezeichnet das Altersstadium einer Völkergruppe. Solche Entwicklungen stellen keinen ethischen Fortschritt dar, sondern sie folgen aus einem Lebensgesetz. Somit fällt 40 Ebd., 54. 41 Eine weitere Abhandlung seiner Ablehnung der endgeschichtlichen Eschatologie gibt Althaus auch in 2409 Heilsgeschichte, 616–668. 42 2201 Dinge, 68 f. Wie schon in früheren Schriften kommt Althaus auch hier gegenüber seinen theologischen Gegnern auf die „harten Geschichtsgesetze“ zu sprechen: „Religiös-soziale Schwärmerei, die von der christlichen Sozialverfassung und dem Weltfriedensreiche der Liebe träumt, vergißt, daß soziales und nationales Ringen nur Spezialfälle eines Gesetzes der Antithese und Verdrängung sind, das zur wesenhaften Struktur geschichtlichen Daseins überhaupt gehört und demgemäß unser geistiges und sittliches Leben auch jenseits aller Politik als notwendige Form beherrscht.“ (ebd., 48). 43 Althaus spricht in diesem Zusammenhang von einer „Begriffsverwirrung“ und verweist auf Hirschs Studie „Deutschlands Schicksal“ von 1920 und klärt seine Leser darüber auf, daß er diesbezüglich „für die Kritik des Evolutionismus […] viel von ihm gelernt“ habe (2201 Dinge, 69, Anm. 1). 44 Ebd., 71. Eine „Übertragung der biologischen Ansicht auf die Gesamtgeschichte [der Mensch­ heit] hat keine wirklichen Gründe und bleibt höchst fragwürdig“ in Althaus’ Augen (ebd., 94). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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aber das Recht, die Menschheitsgeschichte als Aufstieg zu Zuständen immer größerer Vollkommenheit zu betrachten und in der Zukunft einen Idealzustand zu suchen, völlig dahin.“45

Neben diesen geschichtsphilosophischen Argumenten führt Althaus auch theologische gegen die Ansicht einer endgeschichtlichen Eschatologie ins Feld. Zu diesem Zweck kommt er auf die Heilsgeschichte zu sprechen, welche für ihn keine lineare Geschichte im eigentlichen Sinne darstellt, sondern Übergeschichte. Sie trifft als „Senkrechte“ auf die menschliche Geschichte und ist somit „allgegenwärtig“ als „Geschichte, in der der Mensch und die Menschheit zwischen Hingabe und Selbstbehauptung, Schuld und Verzeihung, Tod und Leben“ vor Gott stehen. Wie „jede Zeit dem Urstand und Sündenfall gleich nahe ist, so ist auch jede gleich unmittelbar zur Vollendung. Jede Zeit ist in diesem Sinne letzte Zeit.“46 Weil sich die Heilsgeschichte aber „in jedem Geschlechte vollenden“ will47, hält er den Gedanken des Evolutionismus als (end)zeitliche Vollendung für unmöglich. Aus dem bisher Gesagten kommt Althaus zu dem Schluss: „Die Eschatologie hat es demgemäß nicht mit der Endgeschichte oder mit dem Geschichtsende, sondern mit dem Jenseits der Geschichte zu tun. Sie ist keine Apokalyptik.“48 Das Ende der Geschichte ist für Althaus die Aufhebung der Geschichte in die Ewigkeit49. In dieser Ablehnung einer endgeschichtlichen Eschatologie weiß sich Althaus wiederum einig mit seinem Kollegen Barth50.

4.3 Gottes Anspruch in der Geschichte – Geschichtstheologie und Ethik Althaus geht in seiner Geschichtsphilosophie davon aus, dass die „ganze Geschichte der Kulturarbeit und Staatenbildung […] eine Innenseite“ hat. Diese Vorstellung vertritt er z. B. in seinem Vortrag „Der lebendige Gott“ von 1923, wo er schreibt: „Wir fangen wieder heimlich an, zu glauben, daß das Ziel Gottes nicht irgendwelche Dinge sind, sondern Menschen, die lebendigen Menschen selber. Er will nicht nur meine Tat, sondern mich! Er will eine Menschheit, die Menschheit Gottes! […] 45 Ebd., 72. 46 Ebd., 83 f. 47 Ebd., 86. 48 Ebd., 95. 49 Ebd., 98. 50 Vgl. 2501 Paulus, 24.101. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Gottes Handeln geht darauf hinaus, ein großes Reich persönlicher Geister zu schaffen […]. Das ist das Innerste in aller Geschichte.“51

Dieses „Innerste in aller Geschichte“ bestimmt Althaus in der Folgezeit mehr und mehr sozialethisch, als den vernehmbaren Willen und Anspruch Gottes zur Gemeinschaft in der Geschichte. So schreibt er 1924 in der Auseinandersetzung mit Barth: „In der sittlichen Erfahrung erschließt sich das Innenbild der Geschichte. Schaue ich sie als der Beteiligte und Handelnde an, so ist sie der Inbegriff meiner Verantwortungen und Bindungen.“52 „Im Gedanken der Geschichte (von ‚innen‘ her verstanden […]) ist der Ewigkeitsgedanke mit enthalten, positiv, nicht nur dialektisch.“53

Schon 1921 lässt Althaus seine Hörer und Leser wissen: „Wir leben in Beziehung auf die Ewigkeit. Das ist die dritte Geschichte. Wir spüren, daß allen unseren Handlungen eine zwiefache Schwere eignet: die zeitgeschichtliche, d. h. die Wirkung unseres Handelns in dem großen Miteinanderarbeiten der Menschen, und die Ewigkeitsschwere.“

„Jeder von uns“, so Althaus, „hat seinen Beruf an irgendeiner Stelle jener großen Werke der Menschheit.“ Diesen Beruf durchlebt jeder „unter dem Vor­ zeichen eines sittlichen Soll“, durch den er „in Beziehung zu einem Unbedingten“ tritt54. Für Althaus kann sich dieses Durchleben eines gottgegebenen Berufs zum einen alltäglich-allgemein vollziehen: „Von außen ganz nüchterne Alltagsarbeit auf einem vielleicht sehr bescheidenen Posten, von innen die Erfüllung eines unbedingten Soll durch Bewährung lauterer Hingabe, Treue, Selbstlosigkeit.“ Zum anderen aber auch einmalig-konkret, wenn er auf das Opfer der Soldaten im Krieg zu sprechen kommt und diesem einen religiös verklärten Sinn verleiht: „Unserer Brüder Todesgang ist in unzähligen Fällen innerhalb der deutschen Volksgeschichte ‚vergeblich‘ gewesen. Das quält und nagt immer wieder an uns. Aber wenn nur ihr schwerer Weg im völligen Gehorsam gegen die rufende Stimme ein Handeln in der dritten Geschichte, der Geschichte der Zeit mit der Ewigkeit, war! Wir wissen es von manchem Unvergeßlichen.“55 51 2303 Gott, 10. 52 2405 Geschichte, 747 f. 53 Ebd., 748. 54 2105 Kreuz, 32. 55 Ebd. Schon in 1807 Brüder hat Althaus diesen Gedanken zum Ausdruck gebracht. Vgl. Kap. II, 1.1. Die gleiche Vorstellung vom „Opfer in der Geschichte“ vertritt Althaus auch in 2403 Gott, 6. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Die „dritte Geschichte“ als „Tiefendimension“ der Geschichte ist für Althaus somit der Anknüpfungspunkt zwischen Zeit und Ewigkeit: „Durch die Erfahrung des Soll, das mich unbedingt fordert, trete ich in die dritte Geschichte ein.“56 Mit dem ethisch angewandten Gedanken einer „dritten Geschichte“ arbeitet Althaus in der Folgezeit nicht mehr. Stattdessen führt er in seinem „Entwurf einer christlichen Eschatologie“ von 1922 in Anschluss an den Philosophen Wilhelm Windelband57 und den Theologen Ernst Troeltsch58 einen „axiologischen Begriff der letzten Dinge“ ein: „Die Gewißheit um letzte Dinge oder um das Ewige entsteht, wenn wir inmitten des Lebens der Norm begegnen.“59 Dabei zeigt sich Althaus überzeugt: „Nirgends wohl wird das Transzendenz­erlebnis so lebendig, wie in der sittlichen Erfahrung.“60 Der Apologetiker Althaus nutzt nicht nur an dieser Stelle die Ethik, das „Sittliche“, als Gottesbeweis61. Der bereits 1921 formulierte Gedanke der „Ewigkeitsschwere“ in ganz alltäglichen Handlungen kehrt an dieser Stelle wieder: „In zeitgeschichtlich zufälligen Aufgaben, in der Begrenztheit und Bedingtheit eines bescheidenen Berufes […] erfaßt mich das unbedingte Soll mit einem mächtigen Entweder-Oder, dessen bis in die Tiefe der Gesinnung hinein fordernde Wucht durch die innergeschichtlichen Beziehungen meines Handelns nicht erklärbar wird.“

Erklärbar wird sie für Althaus nur durch die Beziehung auf das Ewige: „So nehmen wir mitten in der Geschichte an dem Übergeschichtlichen teil, werden überzeitlich durch die Hingabe an das Unbedingte.“62 Für Althaus ist der „axiologische Begriff der letzten Dinge“ jedoch nur der eine Aspekt der Eschatologie. Der andere ist für ihn der „teleologische Begriff“. Dieser leitet sich aus der Erfahrung der Zeit ab: 56 2105 Kreuz, 34. 57 Windelband vertrat als Neukantianer eine an allgemeingültigen Werten orientierte Philo­ sophie. Mehrfach stützt sich Althaus in seiner Schrift auf ihn. So schreibt er: „Es ist kein Zufall, daß gerade Windelbands Philosophie der Werte den Begriff des Ewigen verwendet. Das Ewige hat hier den Sinn des Unbedingten, auf das wir mitten in bedingten Beziehungen und durch sie bezogen sind, des Übergeschichtlichen mitten in der Geschichte.“ (2201 Dinge, 16 f.). Zum Einfluss Windelbands auf Althaus vgl. auch Liebenberg, Gott, 84–87. 58 Zum Einfluss von Troeltsch auf Althaus’ axiologischen Begriff der letzten Dinge vgl. 2604 Dinge, 16 f., Anm. 2; und 3307 Dinge, 18. 59 2201 Dinge, 16. 60 Ebd., 17. 61 Im Umkehrschluss ist für ihn das „strenge Verständnis des Sittlichen nur als religiöses möglich“: „Davon reden, daß der persönliche Wille gefordert wird, ganz und jetzt, das heißt von Gott reden.“ (2503 Krisis, 8). 62 2201 Dinge, 17. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Sie wird zur Geschichte, zur Bewegung auf ein Ziel hin, zur Stätte des Gehorsams oder Ungehorsams gegen das Unbedingte, also zum Orte der Tat, aber auch der Schuld“63. „Neben das Ewige als übergeschichtlich Gegenwärtiges treten hier die letzten Dinge als Ziel, in verschiedener Besonderung: als Ertrag, Vollendung, aber auch Krisis, Entscheidung“64.

Das Verhältnis von axiologischer und teleologischer Eschatologie und „das Verhältnis der Geschichte und der letzten Dinge“ ist nach Althaus „ein dialek­ tisches“: „die letzten Dinge als übergeschichtliche Gegenwartsbeziehung der Geschichte und die letzten Dinge als – irgendwie ‚endgeschichtlicher‘ – Ertrag der Geschichte. Dieser Art des Verhältnisses wird eine eigentümliche Polarität der seelischen Haltung, von ‚Erfahren‘ und ‚Hoffen‘ entsprechen müssen.“65

Während der axiologische Begriff der letzten Dinge den Zusammenhang zwischen kommender und jetziger Welt hervorhebt, ist für den teleologischen Begriff der Gegensatz von entscheidender Bedeutung. Althaus’ doppeltes Verständnis der letzten Dinge entspricht somit seinem zweifachen Begriff des Reiches Gottes, wie er ihn schon im „Religiösen Sozialismus“ dargelegt hat66: Einerseits ist es als „Bestimmtheit des Gewissens“ im Glauben bereits gegenwärtig, so dass Althaus davon sprechen kann, dass „das Reich Gottes nicht höchstes Gut über anderen Gütern, sondern die allgegenwärtige Verfassung der Gewissen ist.“67 Andererseits bleibt es als Ziel der Geschichte Gottes mit den Menschen jenseitig-übergeschichtlich. So schreibt Christian Schwarke: „Der axiologische Begriff begegnet in der Erfahrung des unbedingten Anspruchs, in welchem das Ewige als gegenwärtig wahrgenommen wird. Demgegenüber entsteht der teleologische Begriff der ‚letzten Dinge‘ in der Erfahrung des Dualismus von Gottesherrschaft und Weltdasein.“68

63 Ebd., 21. 64 Ebd., 22. „Neben die Eschatologie als Lehre von einer im axiologischen Sinne ‚letzten‘, übergeschichtlichen Wirklichkeit stellt sich die Eschatologie als Lehre von der ‚Vollendung‘ einer Geschichte“ (ebd.). Beide Aspekte werden von Althaus zunächst religionsphilosophisch begründet, weil christliche Eschatologie nicht beziehungslos zu anderen Ewigkeitsvorstellungen steht, sodann aber in einem zweiten Schritt christologisch gesichert und entfaltet. 65 Ebd., 26 f. 66 Vgl. Kap. III, 2.1. 67 2201 Dinge, 135. Oder mit anderen Worten: „Wir wissen, daß das Reich Gottes nicht ein gegenständliches Ziel neben und über den irdischen Zielen bedeutet, sondern eine Bestimmtheit und Haltung der Seele, mit der wir in alle irdische Arbeit hineingehen, frei von ihr und doch zugleich frei zur Hingabe an sie.“ (ebd., 134); vgl. 2210R Wünsch, 85. 68 Schwarke, Althaus, 143. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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So wie sich die beiden Pole Gegenwartsfreude und Heimweh als die zwei Dimensionen im Christenleben gegenseitig durchdringen sollen69, so sind für Althaus die axiologische und die teleologische Gewissheit letzter Dinge die „zwei notwendigen Pole alles Christenlebens“70. „Die Polarität der Ewigkeitsbeziehung des Christen stellt sich begrifflich als ein dialektisches Verhältnis von Ewigkeit und Geschichte dar. Die Ewigkeit ist einerseits ein in der Geschichte erlebtes Jenseits aller Geschichte (das Übergeschichtliche), andererseits eine in der Geschichte erharrte ‚Vollendung‘ aller Geschichte, ihre Aufhebung, die doch ihren Ertrag darstellt […]. In diesem paradoxen Verhältnis von Ewigkeit und Geschichte […] kehrt nun das eine Grundgeheimnis der Religion wieder: Gott und die Geschichte. […] Der von Ewigkeit zu Ewigkeit Herrschende setzt eine Geschichte, in der er um die Herrschaft ringt. Es ist das Geheimnis seiner Liebe“71.

Neben „dritter Geschichte“ und „axiologischer Eschatologie“ kennt Althaus in den frühen 20er Jahren noch eine dritte Begrifflichkeit, um aufzuzeigen, „wie uns in der Geschichte die Wirklichkeit und der Wille des lebendigen Gottes aufgeht.“ In seinem Vortrag „Gott in der Geschichte“ von 1924 ist dies „die Beziehung dreier Worte: Heute, Gestern, Morgen“72. „Heute“, so Althaus, „ist ein Wörtlein der Verantwortung“. „Heute bin ich gerufen zum Dienst, heute wird meine Tat gefordert.“ Von diesem Ruf, von dieser Verantwortlichkeit schließt Althaus nun zurück auf „die Wirklichkeit Gottes in der Geschichte“, die „aus der Enge und Eigensucht unseres Lebens herauszureißen und uns frei zum Dienst zu machen“ vermag73, zu „unbedingter Pflicht, völliger Bindung“74. Gott, „der in dem ‚Heute‘ der geschichtlichen Stunde hohe Verantwortung für uns begründet und unsere Tat will“, erfahren wir „als den Herrn der Geschichte“75. Als Beispiel und volksmissionarischen Anknüpfungspunkt im Sinne seines Zweischrittes „vom Vaterlandserlebnis zum Gotteserlebnis“ kommt Althaus an dieser Stelle wieder einmal auf das „Augusterlebnis 1914“ zu sprechen: 69 2201 Dinge, 61. 70 Ebd., 59. 71 Ebd., 63. 72 2403 Gott, 4. 73 Ebd., 5. 74 Ebd., 6. 75 Ebd., 7. Diese Erfahrung Gottes anhand des „Heute“ – in späteren Schriften spricht Althaus von der „Stunde“ – erläutert er in seiner Eschatologie folgendermaßen: „Die Heiligkeit Gottes erfahren wir darin, daß er unser Handeln unter das Gesetz der Zeit stellt. Alles wird Vergangenheit. Das Heute mit seinen Möglichkeiten erstarrt uns unter den Händen zum unwiderruflichen Gestern. […] Wir erfahren seinen Zorn in dem Gesetz der versäumten Stunde, die für lange hinaus über unser Leben entscheidet“ (2201 Dinge, 105 f.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Das junge Geschlecht im Jahre 1914 hat etwas davon erlebt. Wir studierten und spielten, träumten und jubelten […] Dann kam die Not des Vaterlandes. Da erging, obwohl keines Menschen Stimme rief, an die hunderttausende junger Deutscher der Ruf zum freiwilligen Kampfe für das bedrohte Vaterland. Da gewann das Heute einen neuen Klang. […] Sie waren gerufen und hatten den Ruf gehört.“76

An diesem Beispiel lässt sich bereits eine Entwicklung in der Althausschen Anknüpfungskonzeption feststellen. Denn aus der Engführung des unmittelbaren „Vaterlandserlebnisses“ wird bei ihm mehr und mehr die allgemeine Erfahrung des sittlichen Anspruchs in der Geschichte, hier am Beispiel der „Not des Vaterlandes“. Die Anknüpfung soll demzufolge von der Anspruchserfahrung zur Gotteserfahrung geleistet werden. Explizit macht Althaus dies in seinem Vortrag „Die Krisis der Ethik und das Evangelium“ von 1925: Eine christliche, evangelische Ethik, die allein auf Gottes Liebe und Vergebung in Jesus Christus gründet, kann und soll nach Althaus, um sich den Menschen verständlich mitzuteilen, an „die sittlichen Kräfte des natürlichen Menschentums“ anknüpfen77. Eine solche Sittlichkeit meint Althaus im „Naturtrieb“ zu finden – er nennt als Beispiele die Mutterliebe, die Vaterlandsliebe und den Gemeinsinn –, in der Erziehung und im geschichtlichen Leben, wobei er die Person Jesu Christi als die herausragende „Erziehungs- und Lebensmacht“ herausstellt78. Indem Althaus nun die „Möglichkeiten der Natur und Geschichte auf ethischem Gebiete“ zwar hervorhebt, aber zugleich an ihre Grenzen erinnert – er dekliniert diese gerade am „Augusterlebnis von 1914“ durch79 –, kann er auf sein eigentliches Thema der christologisch begründeten Ethik zu sprechen kommen. Auf diese Weise bleibt Althaus seinem bereits im Krieg entwickelten Anknüpfungsschema von der theologisch gedeuteten Weltwirklichkeit zur Christologie und Soteriologie treu80. Indem nun nach Althaus alle Geschichte „ein Gefüge von Schicksal und Tat“ ist, „geht sein Werk allem unserem Tun voran“, denn Gott will „nicht nur unsere Tat, sondern er hat auch das Heute bereitet, das unsere Tat fordert.“81 So geht dem göttlichen „Soll“ das göttliche „Ist“ voraus, dem Imperativ der Indikativ: „Das Sittliche trägt mein Leben, ehe es mein Leben fordert. […] Wie unerschöpflich erscheint Gottes Reichtum in der Fülle der Gaben, Verantwortungsverhältnisse und Dienste, mit denen er uns bindet!“82 Der Sinn aller Ver 76 Ebd., 5; vgl. 2503 Krisis, 11.13. 77 2503 Krisis, 9. 78 Ebd., 9–12. 79 Ebd., 12 f. 80 Vgl. Kap. I, 4.3. 81 2403 Gott, 5. 82 Ebd., 7 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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antwortungen ist für Althaus „zuletzt Dienst“ und „Gemeinschaft von Herz zu Herz“: „Aus dem Chaos des Nebeneinander und Widereinander soll die Gotteswelt eines Miteinander und Füreinander werden. Der Wille Gottes an uns ist Wille zur Gemeinschaft.“ Darin zeigt sich die Liebe Gottes83. Eine „geheimnisvolle Beziehung“ sieht Althaus nun „zwischen dem Heute und dem Gestern“: „Das Gestern gibt dem Heute seinen Inhalt und seine Verantwortung. Wir sollen handeln als Menschen, die den Ertrag einer Geschichte zu wahren oder die Schuld einer Geschichte abzutragen haben.“ Nach Althaus gibt es in der Geschichte ein „Gesetz von Saat und Ernte“, das besagt: „Wir müssen heute auf dem Boden bauen, den das Gestern gelegt hat. Darin erfahren wir ebensowohl Gottes Zorn wie seinen Segen.“84 Aus dieser Zweiheit folgt nach Althaus gegenüber der Geschichte die Berufung „zu einer doppelten Haltung, zur Dankbarkeit und zur Kritik, zur Mitwirkung mit den Vätern, aber oft auch zur Gegenwirkung. […] So gilt es alte Schuld abzutragen, ein altes Erbe zu wahren.“ Gemäß seiner differenzierenden Grundeinstellung fasst Althaus zusammen: „Daher kann weder allgemeiner Konservatismus noch allgemeine Kritik des Bestehenden die Losung sein. Wir sind ebensosehr zur Treue wie zur Kritik berufen, und nebeneinander zur Pietät wie zur Ab- und Umkehr.“85 Da „die Sprache Gottes in der Geschichte“ sich nur einem „lebendigen Gewissen“ erschließt, „das sich tief in die Geschichte einlebt und prüft, was als Schuld und was als Segen der Väter gelten muß“, „kann kein Dritter mit einer schnellen allgemein-gültigen Lösung helfen.“86 Das Dritte, das zum „Heute“ und „Gestern“ hinzutritt, ist das „Morgen“. Zunächst wendet Althaus den Blick ganz auf die innerweltliche Dimension der Zukunft: „Mit dem, was wir heute tun, bereiten wir die Zukunft und das Los unserer Kinder. Das gibt allem unserem Handeln in vaterländischen Aufgaben heute den tiefen und besonderen Ernst.“87 Nach der innerweltlichen Dimension der Zukunft nimmt Althaus auch die eschatologische in den Blick: 83 2403 Gott, 8. 84 Ebd., 9. Für Althaus gibt es „nicht nur Erbsünde, sondern auch Erbsegen“ (ebd., 10). 85 Ebd., 10 f. 86 Ebd. An dieser Stelle übt Althaus einmal mehr Kritik an den Siegern des Weltkrieges. Er schreibt weiter: „Hier soll keine Theorie des Verstandes an die Stelle des lebendigen Ringens der Gewissen treten. Weder unsere Feinde haben das Recht, Deutschlands gegenwärtige Not als Gericht Gottes über uns zu bezeichnen, noch wir Deutsche selber dürfen uns durch die Schwere der geschichtlichen Stunde zu der allgemeinen Redensart vom Gericht Gottes über unsere Geschichte verleiten lassen“ (ebd., 11 f.). 87 Ebd., 12.  Althaus bleibt in Bezug auf die innerweltliche Zukunft nicht bei der einzelnen Volksgeschichte stehen – so wichtig sie ihm auch ist –, sondern er schaut auch auf das Miteinander der Völker: Darin sieht er Gott „am Werke“, der will, „daß die Völker ihre Gaben entfalten, daß aus der Naturgebundenheit immer mehr Herrschaft des Geistes werde, daß wir im wirtschaft© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Die Sehnsucht und das Heimweh des Menschenherzens nach dem Ganzen und Unbedingten ist die Verheißung, daß Gott größer ist als die Geschichte und daß seine wahrhaftige Welt jenseits der Geschichte auf uns wartet. So stoßen wir auf die Ewigkeit. Jeder Aufbau in der Geschichte weist über sich hinaus auf die ewige Stadt.“ „Wir lernen ahnen, daß er der große Erzieher ist, der durch die Geschichte sich sein Volk schafft und das Gottesreich baut. Das ist das Geheimnis des ‚Morgen‘.“88

So steht das „Morgen“ in der Geschichte bei Althaus für die teleologische Dimension der Eschatologie. Zuletzt bedarf der für den Ethiker und Geschichtsphilosophen und -theologen Althaus so zentrale Begriff des „Berufes“ eines Menschen bzw. eines Volkes einer kurzen Betrachtung. Er entnimmt ihn zum einen der Ständelehre Martin Luthers89, zum anderen dem die lutherische Berufsethik auf den Volksgedanken anwendenden Berufsgedanken Schleiermachers90. Der Berufsgedanke, der bereits im „Religiösen Sozialismus“ eine zentrale Rolle spielte, wird von Althaus in seiner Geschichtsphilosophie und -theologie eschatologisch fundiert, und zwar sowohl im axiologischen als auch im teleologischen Sinne. Weil für ihn „das geschichtliche Wirken der Menschheit nach Gottes Willen nicht ohne Bedeutung für die Vollendung des Erkennens und Gestaltens in der Ewigkeit“ ist91, meint er „in dem Wirken selber aber, in dem Berufe zu ihm und der Hingabe, […] die Bedingung und Verheißung der ewigen Welt“ zu sehen. Dadurch fällt für ihn „auf alle ernste Wissenschaft, Kunst, Natur- und Sozialgestaltung, auf Technik und Politik […] ein Glanz ewigen Sinnes.“ „Daß wir guten Gewissens, pflichtmäßig an der Kulturarbeit teilnehmen, ist nach rückwärts in dem Schöpfungsglauben, nach vorwärts in der Gewißheit ewigen Sinnes des Welterkennens und Weltgestaltens begründet. Ethik und Eschatologie suchen einander.“92

Welche zentrale Rolle der Berufsgedanke für die evangelische, nicht nur lutherische Ethik der 20er Jahre spielte, lässt sich auch der Ethik-Vorlesung Karl lichen und sozialen Leben immer aufs neue das Chaos zügellosen Daseinskampfes zwingen zu echter, brüderlicher Gemeinschaft“ (ebd., 13). 88 Ebd., 14.  Mit anderen Worten: „Wir werden als Werkzeuge benutzt, ohne das Werk zu schauen, wir werden an einem Plane beteiligt, den wir nicht kennen. […] Da spüren wir, daß ein anderer die Geschichte baut.“ (ebd., 13). 89 Vgl. 3108 Ethik, 67, wo sich Althaus wiederum auf Holl beruft und „Beruf im engeren Sinne“ als „das bestimmt umgrenzte Arbeitsgebiet des Einzelnen innerhalb des Organismus der ‚Gesellschaft‘ (d. h. der zur gemeinsamen Arbeit für Leben und Kultur verbundenen und gegliederten Menschheit)“ definiert. 90 Zu Schleiermacher vgl. Kurz, Denken, 30–34. Schon dieser verknüpft den Berufsgedanken, wie später Althaus, mit dem der Gewissensfreiheit. Zur Schleiermacherrezeption Althaus’ vgl. 3607 Obrigkeit, 22–28. 91 2201 Dinge, 136. 92 Ebd., 137. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Geschichtstheologie als Krisenverarbeitung

Barths 1928 und 1930 entnehmen, der dem „Beruf“ einen eigenen Paragraphen widmet und ihn folgendermaßen definiert: „Unsere eigene Wirklichkeit in ihrer Bestimmtheit verstanden als solcher Hinweis auf Gottes Gebot – das ist der allgemeine ethische Sinn des Begriffes Beruf.“93 Dieses Gebot trifft nach Barth „mich immer an einem begrenzten Ort und als ein bestimmtes Werk seiner Schöpfung. In dieser meiner konkreten Berufung durch Gott den Schöpfer nimmt es mich in Anspruch und habe ich es zu hören.“94 Die Vermittlung des göttlichen Willens in der Geschichte geschieht – wie schon in früheren Schriften angedeutet  – durch ein „immer unruhige[s], lebendige[s] Gewissen“95. Althaus ist sich der Problematik dieses Ansatzes bewusst, wenn er 1925 in der Auseinandersetzung mit Barths „Auferstehung der Toten“ einschränkend schreibt: „Die Geschichte ist gewiß als solche nie Offenbarung. Aber die Offenbarung geschieht in der Geschichte, an der Geschichte, nicht nur als Erkenntnis ihrer Grenze, sondern als Erfassung des übergeschichtlichen Sinnes, den der konkrete Geschichtsmoment trägt.“96

Die konkrete Geschichte ist und bleibt für Althaus der Ort, an dem der Mensch von Gott in Form von Anspruch und Zuspruch vermittels des Gewissens angesprochen wird und wo er sich in Verantwortung vor Gott zu bewähren hat. Bei der Frage nach Althaus’ geschichtstheologisch fundierter Sozialethik und nach der Ausgestaltung von „Welterkennen und Weltgestalten“ gilt es noch einmal das Problem der „Eigengesetzlichkeit“ im Zusammenhang seiner Theonomiekonzeption in den Blick zu nehmen. Wie schon in seinen früheren sozialethischen Schriften gesehen, kommt Althaus’ Ablehnung von weltlicher Autonomie und „Eigengesetzlichkeit“ gerade auch in seiner geschichtstheologischen Grundlegung zum Tragen. So macht er in seinem Aufsatz „Heils­ geschichte und Eschatologie“97, den er 1924 als Auseinandersetzung mit der in religiös-sozialistischen Kreisen verbreiteten Position einer endgeschichtlichen Eschatologie veröffentlicht, gegenüber theologischen Kurzschlüssen, die „die 93 Barth, Ethik, 298. 94 Ebd., 292. Im Rahmen seiner tendenziell ordnungstheologischen Ausführungen fällt das göttliche Gebot bei Barth mit dem Willen Gottes zusammen: „Wir haben es zu tun mit einem Willen, der unserem Willen begegnet der der Forderung, daß unser Wille sich vor ihm beuge, ihm untergeben sei, ihm konform werde.“ (ebd., 355). 95 2403 Gott, 7. An einer Stelle bringt Althaus dabei eine pneumatologische Komponente ins Spiel, wenn er schreibt: „Der Inhalt des Willens Gottes enthüllt sich uns in der Geschichte. Gewiß nur so, daß der Geist uns das Auge öffnet.“ (2405 Geschichte, 749). 96 2501 Paulus, 98; Hervorhebungen von Althaus. 97 2409 Heilsgeschichte. Den Aufsatz hat Althaus mit Änderungen auch in die 3. Auflage der „Letzten Dinge“ (2603), 83–185 eingearbeitet. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Althaus’ frühe geschichtstheologische Grundlegungen

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Christlichkeit des Wirtschaftslebens mit der sozialistischen Wirtschaftsweise, die Christlichkeit der Staatsverfassung mit der Demokratie, die Christlichkeit der Völkerbeziehungen mit dem Völkerbunde und dem Weltfrieden“ gleichsetzen98, sein Verständnis der „christlich-sittlichen Aufgabe“ geltend: „Die christliche Gemeinde hat den hohen Beruf, das soziale Leben, die Wirtschaftssysteme, die Politik und die Beziehungen zwischen den Völkern unter der Kritik der sittlichen Normen zu halten und die Grundgedanken des Evangeliums vom Dienste und von der Gemeinschaft richtunggebend hineinzutragen. Dabei wird Kritik und Forderung keineswegs nur auf die ‚Gesinnung‘ der Männer des wirtschaftlichen und politischen Lebens sich beziehen, sondern auch den Formen und Ordnungen gelten. Christliche Sozialkritik wird die Herrschaft der Selbstsucht im Wirtschaftsleben, wie sie als Einzelwille oder als System erscheint, aufdecken. Sie weist auf die menschenund gemeinschaftsmörderische Wirkung einer ‚eigengesetzlichen‘ Wirtschaft hin“.99

An anderer Stelle schreibt er von der „versklavenden Eigengesetzlichkeit des natürlichen und kulturellen Lebens“, die er eng „mit der Sünde, mit den Mächten des Todes“ verknüpft sieht100. Wie bei allen Werten des menschlichen Lebens, so sieht Althaus auch in Bezug auf Staat und Politik die „Gefahr, daß sie von ihrem Grunde und Sinne in Gott losgerissen werden zu gottloser Autonomie. […] Die Werte werden absolut gesetzt, die Verantwortung und das Todesschicksal alles Geschichtlichen vergessen.“ Eine „selbstherrliche Autonomie des Individuums, das sich frech von allen Bindungen losreißt“, hat gemäß Althaus nicht selten eine „nationalistische oder ästhetische oder intellektualistische Gottlosigkeit“ zur Folge. Althaus’ fortwährendes Bestreben ist es hingegen, die von ihm wahrgenommene „Gottlosigkeit“ mit dem Hinweis auf die göttlichen Bindungen in der Welt zu überwinden und die menschliche Weltwahrnehmung „zu freier und neuer Theo­nomie des Lebens und der Kultur“ zu führen101. Demzufolge lehnt er eine absolute, autonome Eigengesetzlichkeit ab und spricht stattdessen von „relativer Eigengesetzlichkeit“102, also theonomer. Dies entspricht auch seiner Vor 98 2409 Heilsgeschichte, 643. Althaus weist hier auf den Umstand hin, dass „innerhalb des modernen religiösen Sozialismus, der mit Leidenschaft den bürgerlichen Kulturprotestantismus bekämpft“, genau diese kulturprotestantischen Gedanken wiederkehren: „Das ‚weltliche Christentum‘ des Ragaz-Kreises steht R. Rothe ‚kulturtheologisch‘ gar nicht sehr fern. […] Die Gleichsetzung des Gottesreiches mit dem christlichen Staatenorganismus findet sich bei Rothe und Ragaz.“ (ebd., 642). 99 Ebd., 643; Hervorhebungen von Althaus. 100 Ebd., 659 f. Mit seiner Kritik weiß sich Althaus hier in ausdrücklicher Übereinstimmung mit Barth. 101 Ebd., 649. 102 Ebd., 646.643. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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stellung des eschatologischen Vorbehalts alles Weltlichen, also der „Spannung zwischen dem ‚schon‘ und dem ‚noch nicht‘ der Erlösung.“103 Mit seiner Konzeption einer theonomen Weltdeutung liegt Althaus im Trend der Zeit, wie ihn Friedrich Wilhelm Graf beschreibt: „Mit dem Theonomiebegriff soll auch die komplexe Kulturgestalt der ‚neuen Zeit‘ oder ‚Neuzeit‘ als eine theologisch begreifbare Welt gedeutet werden können, d. h. als eine Welt sub specie Dei.“104 Auch auf die problematische Verknüpfung von Theo­nomiekonzeptionen mit eschatologischen Vorstellungen weist Graf hin. Er spricht von einer „Temporalisierung bzw. geschichtlichen Dynamisierung von Theonomie“, die „zum geschichtstheologischen Zielbegriff für eine zukünftig zu errichtende normative Ordnung der Gesamtwirklichkeit“ werden kann105. In diesem Zusammenhang zeigt er die Gefahr der „Ideologisierbarkeit“ der Theonomievorstellung auf: „Begriffe einer geschichtlichen Erwartung, deren Erfüllung noch aussteht, können unschwer mit subjektiven Wünschen und Hoffnungen erfüllt werden, sie unterliegen der Gefahr der Politisierung und weltanschaulichen Positivierung je nach der ‚Hintergrundperspektive‘ von Individuen oder sozialen Gruppen, und sie lassen sich unschwer für eigene Interessen instrumentalisieren.“106

Somit entspricht die Althaussche Theonomiekonzeption, die zum einen auf einer christlich-konservativen, nationalprotestantischen Weltwahrnehmung und -deutung fußt und zum anderen auf eine geschichtlich-dynamisch herzustellende, an den eigenen Normen und Erwartungen ausgerichtete Zukunft zielt und eschatologische Züge trägt, seiner tendenziell konservativ-revolutionären Grundeinstellung. Die Althaussche Vorstellung einer „relativen Eigengesetzlichkeit“ hat in diesem Konzept eine doppelte Konsequenz: Zum einen kann sie der Gefahr einer Absolutsetzung menschlicher Werte – z. B. des eigenen Volkes durch nationalistische Parolen – wehren107 und den Ordnungsbegriff problematisieren. Zum 103 Ebd., 646. 104 Graf, Theonomie, 232. Nach Graf beerbt der Theonomiebegriff der Funktion nach den altprotestantischen Gesetzesbegriff, der für ihn „traditionell der zentrale Vermittlungsbegriff protestantischer Theologie“ war: „im Gesetz soll die gegebene politisch-soziale Realität in theologischer Perspektive erschlossen werden.“ (ebd., 231). Zur Verwendung des Theonomiebegriffs bei Althaus vgl. ebd., 233 f. 105 Ebd., 236. 106 Ebd., 236 f. 107 In diese Richtung argumentiert Althaus, wenn er sowohl „Schillers kühnen Satz“, „Jedes Volk hat seinen Tag in der Geschichte, aber der Tag des deutschen ist die Ernte der ganzen Zeit“, als auch Fichtes Einschätzung, das deutsche Volk sei „auf der Höhe der Geschichtsentwicklung“, zurückweist (2409 Heilsgeschichte, 639). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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anderen bleibt auch eine „relative Eigengesetzlichkeit“ eine Eigengesetzlichkeit, die sich bei Althaus in Form von „Lebensgesetzen“ niederschlagen kann: „Die Lebensgesetze des Widerstreites, die zugleich Todesgesetze sind, gehören zum Wesen der Natur und der Geschichte.“108 Im Blick auf diese Eigengesetzlichkeit, die er außerhalb des menschlichen Gestaltungsspielraums sieht, sagt Althaus: „Liebe kann sich wohl innerhalb der Konkurrenz bewähren, aber diese nicht aufheben.“109 Blicken wir erneut auf Althaus’ theologische Ablehnung einer endgeschichtlichen Eschatologie, so schließt sich der argumentative Kreis: „Es gibt keine Erlösung durch die fortschreitende Geschichte, sondern die vollendete Erlösung ist Erlösung von der Geschichte.“110 Die von Althaus gemeinte „relative Eigengesetzlichkeit“ erhält ihren verpflichtenden Charakter gerade durch ihre Relation, durch ihre Bezogenheit auf Gott und seinen Willen. So können die von Althaus aufgrund seiner politischweltanschaulich Prägungen und Präferenzen identifizierten weltlichen Werte zwar in einem ersten Schritt ihre Eigenart als absoluter Letztwert verlieren, in einem zweiten Schritt werden sie jedoch wiederum überhöht und sakralisiert durch ihre Verknüpfung mit dem göttlichen Willen. So schreibt er 1924: „Wir sind zuletzt gar nicht an Menschenverhältnisse, -ordnungen, -einrichtungen, ja nicht einmal an das Vaterland, an die Nation gebunden, sondern an einen ewigen Willen, der uns in allem fordert.“111 Schon 1923 formulierte Althaus diesen Gedanken in der Auseinandersetzung mit Barth folgendermaßen: „Wir denken nicht daran, irgendwelche geschichtlichen Inhalte und Verhältnisse für sich religiös verklären zu wollen. […] Gott ist es, der uns bindet, darum sind wir zugleich an die geschichtlichen Aufgaben gebunden und von ihnen frei. […] Niemand darf sich einem Menschen oder einem geschichtlichen Werte opfern, sondern er ­opfert sich seiner Verantwortung und in ihr dem lebendigen Gott.“112

Dass Althaus andererseits aber durchaus ein Problembewusstsein für die Gefahr der Sakralisierung menschlicher Werte besitzt, macht er deutlich, wenn er schreibt, 108 2409 Heilsgeschichte, 658. Althaus äußert dazu im Blick auf religiöse Sozialisten und Pazi­ fisten: „Wer darauf hofft, daß diese Gesetze durch die Welt gewordene Liebesgemeinschaft des Reiches Gottes abgelöst werden, der hofft auf keinen geschichtlichen Tag, sondern auf die Aufhebung von Natur und Geschichte in Gottes neuer Welt. Die Welt des Völkerfriedens ist keine geschichtliche Welt mehr. Denn der Kampf der Völker gehört zu den Grundzügen geschichtlichen Lebens. Er ist von dem Begriffe der Geschichte genau so untrennbar wie das Geborenwerden und Sterben, wie die Folge der Geschlechter.“ 109 Ebd., 661. 110 Ebd., 646; Hervorhebungen von Althaus. 111 2403 Gott, 6. So überhöht Althaus an dieser Stelle das Opfer der Soldaten im Weltkrieg als zuletzt nicht dem Vaterland, sondern Gott dargebracht; vgl. Kap. II, 1.1. 112 2405 Geschichte, 748. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„daß wir keineswegs die gegebenen geschichtlichen Bindungen, etwa die vaterländische, unkritisch als Schöpfungsordnungen und damit als Willen Gottes hinnehmen, wie man der lutherischen Ethik gern vorwirft. Die Gefahr, menschliche Lieblingsgedanken und Werte unbefugt religiös zu verklären, ist auch uns bewußt.“113

Die oftmals zu konstatierende Althaussche Uneindeutigkeit ist gerade an diesem Punkt evident. Aufschlussreich für seine weitere Behandlung des Themas ist sein Aufsatz „Die Gestalt dieser Welt und die Sünde“ von 1931, den er als „Beitrag zur Theologie der Geschichte“ verstanden wissen will. Gemäß seiner dialektischen Vorgehensweise lehnt Althaus auch darin zunächst die beiden Extreme einer hamartiozentrischen Geschichtsauffassung, die die Geschichte und die Gestalt dieser Welt ausschließlich aus dem Sündenfalls ableitet114 – er spricht damit in erster Linie die Theologie Barths und Heims an –, und einer idealistischen Geschichtsauffassung, die den Entwicklungsgedanken von einer unvollkommenen Schöpfung hin zu ihrer Vervollkommnung in der Geschichte vertritt, ab. Indem er diese beiden Auffassungen als falsche Alternativen zurückweist, will er mit Hilfe ihrer Synthese als dritter Möglichkeit Geschichte sowohl von der Einsicht in die Sünde als auch vom Glauben an Gottes gute Schöpfung verstanden wissen115: „Unsere Welt ist die Welt des Falles, aber sie ist auch die Welt Jesu, die Welt, in der, durch die er vollendet worden ist, die Welt, die auf den Glauben und auf das Opfer hin geschaffen ist. Man darf das eine nicht denken und lehren, ohne in dem gleichen Atem auch das andere zu denken und zu lehren.“116

Geschichte ist nach Althaus somit zwar „nicht Gottes endgültiger Wille“, aber „sein ursprünglicher Wille“, sie ist nicht nur Abfall von Gott, sondern immer zugleich Ausdruck und Wirkung der Schöpfung Gottes. Mit dieser geschichtstheologischen Betrachtung der Schöpfung, die zugleich eine schöpfungstheologische Betrachtung der Geschichte ist, geraten nun auch die Schöpfungsordnungen in den Blick, wenn er schreibt: „Wir ergreifen in der Struktur dieser 113 Ebd., 749. 114 An anderer Stelle schreibt er zur Idee, die „Geschichte überhaupt als Folge des Sündenfalls“ zu erklären: „Das aber ist nicht mehr Theologie, sondern Gnosis, die mit der Bibel nichts mehr zu tun hat“ (3217 Luther, 51). 115 3110 Gestalt, 45–53. Zu dieser Synthese schreibt er: „Ich selber bin seit langem an der heute üblichen Ableitung der Geschichte und ihrer Gesetze aus dem Fall der Menschheit irregeworden […] und versuche in meinen dogmatischen Vorlesungen, die Theologie der Geschichte, des Kampfes und des Leidens so aus dem Schema der hamartiozentrischen Theologie zu befreien, daß ich dabei doch nicht der idealistischen Auffassung der Geschichte verfalle.“ (ebd., 53). 116 Ebd., 64. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Welt die Liebe des Schöpfers, der uns zum Glauben berufen hat und uns darin die Gemeinschaft mit sich gewähren will.“117 Wie bei der Geschichte, so spricht Althaus auch bei den Ordnungen stets von einem „Ineinander von Schöpfung und Sünde“118 und davon, dass „die gegebene Wirklichkeit niemals einfach die von Gott gewollte Wirklichkeit“ ist119: „Ob die Ordnungen der Geschichte, wie wir sie kennen, Ordnungen Gottes oder sündiges Menschengemächte sind, […] das ist an ihrem Gegebensein nicht einfach abzulesen. Das ist nur zu erkennen, wenn die Geschichte in das Licht der in Jesus Christus angebrochenen Wirklichkeit des Reiches Gottes tritt. Das Wissen um Sünde und Tod, Versöhnung und kommendes Reich macht geschichts-kritisch.“120

Geschichte kann nach Althaus immer nur im Deutehorizont des Glaubens in den Blick genommen werden. So fasst er seinen „Beitrag zur Theologie der Geschichte“ mit den Worten zusammen: „Die Theologie kann und soll nicht die Weltgeschichte erzählen und die gegenwärtige Weltgestalt metaphysisch erklären. Sie hat nichts anderes zu tun, als die gegenwärtige Welt und unsere Existenz in ihr von unserer Geschichte mit Gott aus, nach allen ihren Beziehungen, zu deuten.“121

Mit dieser Einschränkung entfernt sich Althaus bereits zu Beginn der 30er Jahre von seiner ungeschützten, unbefangenen und naiven Geschichtstheologie der Weltkriegs- und ersten Nachkriegszeit122. Nach einer erneuten situations­ bedingten Forcierung seiner Geschichtstheologie im Jahr 1933 kehrt die zunehmende Skepsis im Laufe der 30er Jahre wieder zurück, wenn er 1937 schreibt: „Der Sinn Gottes in seinem geschichtlichen Handeln ist uns verborgener, die Geschichte in dieser Hinsicht vieldeutiger geworden. Politische Geschichte hat eine Eigengesetzlichkeit, die sich weithin der Ausdeutung als Schuld, Gericht, Gnade entzieht.“123 117 Ebd., 61; Hervorhebungen von Althaus. 118 3111 Gemeinschaften, 28. Der gesamte Vortrag behandelt das Thema von „Schöpfung und Sünde in der Wirklichkeit der Lebensordnungen“. 119 3213 Dogmatik, 41. 120 3108 Ethik, 29. „Die Gefahr des Luthertums“, so Althaus, ist „der Verzicht auf Gestaltung der Geschichte, das Dulden des Bestehenden als gottgewollter Ordnung“ (2806 Leitsätze, 31). 121 3110 Gestalt, 64. An anderer Stelle schreibt er: „Es gibt keine ‚christliche‘ Naturwissenschaft, keine besondere ‚theologische‘ Methode der Historie, – aber die Theologie hat zu zeigen, wie die Begriffe Geschichte und Natur erst von der im Glauben vernommenen Offenbarung ihren eigentlichen Sinn empfangen, der jenseits aller empirischen Forschung liegt.“ (2706R Buch, 218 f.). 122 Sprach Althaus zuvor vielfach von „Geschichtsgesetzen“, nach denen die Geschichte ablaufe, ist in seinem „Grundriß der Dogmatik II“ von 1932 nun von „Geschichts-Tendenzen“ die Rede (3213 Dogmatik, 19). 123 3708 Kirche, 26. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Es ist bezeichnend für die christologische Rückbindung seiner Geschichtstheologie, dass Althaus besonders in seinen Weihnachtspredigten immer wieder die Uneindeutigkeit der Geschichte und die Unmöglichkeit letzter Rückschlüsse von ihr auf Gottes Wesen betont. Wer die „Werke Gottes“ aus der Geschichte abzulesen vermeint, wird schnell merken, so Althaus Weihnachten 1938, dass es sich dabei um eine „zweideutige, widerspruchsvolle Schrift“ handelt und nur in Jesus Christus Gott eindeutig erkannt werden kann124. 4.4 Die geschichtstheologische Auseinandersetzung mit der Dialektischen Theologie Bereits an verschiedenen Stellen hat es sich gezeigt, dass Althaus in seinem systematisch-theologischen und apologetischen Schaffen häufig reaktiv vorgeht. Besonders lässt sich das an seiner Auseinandersetzung mit Karl Barth und der Dialektischen Theologie festmachen. So sehr Althaus in seiner Absetzbewegung von der kulturprotestantischen, liberalen Theologie mit Barth konform geht, so unterschiedlich sind doch auch die Neuansätze der beiden. So gelangt auch Franz Feige zu der Auffassung: „Like for Hirsch, Karl Barth and dialectical theology provided the foil for the unfolding of Althaus’s theology.“125 Nachdem sich Althaus schon in verschiedenen Schriften am Rande auch mit Barths Positionen befasst hatte, veröffentlicht er 1924 eine erste größere „Auseinandersetzung mit der dialektischen Theologie“ unter dem Titel „Theologie und Geschichte“ in der „Zeitschrift für systematische Theologie“126. Althaus kommt unumwunden auf den Punkt, wenn er schreibt, die „Geschichtsfrage bedeutet […] die Offenbarungsfrage, und die Offenbarungsfrage die Gottesfrage.“127 Um das „Verhältnis unserer Gottesbeziehung zur Geschichte“ sieht er den „Kampf auf der ganzen Linie entbrannt.“128 Damit ist der Gegner bereits identifiziert, und Althaus kann in medias res die Probleme, die er an der Barthschen Theologie sieht, benennen: 124 3810P Leben, 26 f.; vgl. 3511B Sonnenwende, 8 f.; und 3512P Heimat, 8 f. 125 Feige, Varieties, 254. 126 Althaus will den Aufsatz verstanden wissen als „Teilantwort auf Barths Besprechung meines Heftes ‚Religiöser Sozialismus‘ […] in der Zeitschrift ‚das neue Werk‘“ (2405 Geschichte, 742, Anm. 1). 127 Ebd., 741. 128 Ebd. Althaus schreibt weiter: „Der neue Gegensatz ist tief genug begründet, nämlich dort, wo alle ernsthaften theologischen Gegensätze ihren Grund haben, im Gottesgedanken; und er greift weit genug: durch alle Fragen des Glaubens hindurch und tief in die Ethik hinein. Die Auseinandersetzung z. B. über Christentum und Vaterland betrifft nur einen Sonderfall des großen Problems“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Die neue Losung von der völligen Transzendenz des göttlichen Lebens gegenüber der Geschichte macht sich ebensowohl in der Dogmatik, als Auflösung des geschichtlichen Offenbarungsgedankens, wie in der Ethik, als Aufhebung jeder konkreten theologischen Erkenntnis vom Willen Gottes und vom Berufe des Christen, also als Verzicht auf eine inhaltliche christliche Ethik und vollends Sozialethik geltend.“129

Althaus wirft Barth und dessen Lehre von der radikalen Diastase zwischen Gott und Welt vor, einer „rein skeptisch-relativistischen Betrachtung der Geschichte“130 das Wort zu reden und die Geschichte damit letztlich zu entwerten, was in seinen Augen fatale Konsequenzen für die Theologie hat: „Es wird bei Barth […] der Begriff der geschichtlichen Offenbarung Gottes überhaupt dialektisch aufgelöst. Damit aber verliert der Gottesgedanke seine Inhaltlichkeit.“131 „Die Offenbarungstheologie wird zur Theologie des unbekannten Gottes.“132 Somit wird bei Barth und dessen theologischen Weggefährten laut Althaus „alle, aber auch alle positive Gegenwart Gottes im religiösen Bewußtsein, in der sittlichen Erkenntnis, in Geschichte und Heilsgeschichte […] bestritten. Es gibt nur Negation göttlicher Offenbarung in der Welt“133 Den Schöpfungsglauben sieht Althaus infolgedessen „ganz im Schatten der Sündenlehre, das Schöpfungsverhältnis geht unter im dialektischen Verhältnis.“134 Aber nicht nur den Schöpfungsglauben sieht Althaus bei Barth bedroht, sondern er konstatiert zuletzt auch eine „Auflösung des biblisch-reformatorischen Christusglaubens“135: „Die Geschichte ist nicht der Ort des Göttlichen – dieser Satz wird auch auf Jesus angewandt. So wenig wie irgend eine andere geschichtliche Gegebenheit kommt Jesus direkt als Offenbarung Gottes in Betracht.“136 So heißt es bei Althaus an anderer Stelle: „Wir stehen heute in Gefahr, den geschichtlichen Zusammenhang für nichts zu achten und in dieser Beziehung einem neuen Doketismus zu verfallen.“137

129 Ebd. 130 Ebd., 746. 131 Ebd. Dazu schreibt er an späterer Stelle: „In Barths Theologie fehlt ein inhaltsvoller Gedanke der Liebe Gottes. Das Geheimnis des Personalismus in der Religion ist das Geheimnis der Liebe des ‚Absoluten‘.“ (ebd., 755). 132 Ebd., 743. In seinen Augen wird der Barthsche Gottesgedanke „durchaus aprioristisch gewonnen“: „Nicht dem Offenbarungszeugnis wird der Gottesgedanke entnommen, sondern umgekehrt: was ‚Offenbarung‘ bedeuten und nicht bedeuten kann, wird von einem vorausgegebenen, selbstsicheren Gottesgedanken aus entschieden.“ (ebd., 742). 133 Ebd., 752 f. 134 Ebd., 743. 135 Ebd., 768. 136 Ebd., 763. 137 2501 Paulus, 100. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Eine derartig charakterisierte Theologie lässt im Hinblick auf Althaus’ eigene Geschichtstheologie, die gerade auf den Spuren Gottes in der Welt – besonders in der Geschichte – fußt, nur eine Folgerung zu: Barth ist der regelrechte AntiAlthaus. So schreibt Althaus auch mit Blick auf sein eigenes geschichtstheologisches Paradigma über Barth: „Jede direkte religiöse Wertung der Geschichte fällt dahin. ‚Gott in der Geschichte‘ – das gibt es nicht. Alle Geschichte ist diesseitig und nur diesseitig.“138 Damit sieht er bei Barth auch sein pastoraltheologisches Konzept des anknüpfenden Zweischritts von der Theozentrik zur Christozentrik, vom Geschichtserlebnis zum Gotteserlebnis abgeurteilt, wenn dieser schreibt, das religiöse Erlebnis sei „in seiner Geschichtlichkeit, Dinglichkeit und Konkretheit immer der Verrat an Gott“139. Aus diesem Grund kommt Althaus gerade an dieser Stelle auf sein Anknüpfungskonzept zu sprechen. Zunächst gesteht er zu, dass er „mit Barth und Gogarten durchaus einig“ darin ist, „daß alle, ausnahmslos alle geschichtlichen Werte und Verhältnisse als geschichtliche zum Tode bestimmt sind und unter der Krisis der Ewigkeit stehen.“140 Aber damit ist ihr Verhältnis zur Ewigkeit für Althaus „nicht erschöpfend bestimmt“, denn es ist ein im Althausschen Sinne dialektisches, von dem auf der anderen Seite gilt, „sofern sie Verantwortungen bedeuten, geht uns an ihnen gerade die Ewigkeit auf.“141 Indem Althaus nun die Behauptung aufstellt, der „sittliche Begriff des Geschichtlichen enthält das Übergeschichtliche schon in sich“142, wird für ihn die Ethik zum „Schlüssel zur Geschichtsphilosophie“143. Diese ethisch ausgerichtete Geschichtsphilosophie aber bildet in seinem Konzept den Anknüpfungspunkt für den Gottesglauben: „Die Geschichte weist hin auf Gott, nicht nur als auf ihre Grenze, sondern als auf den Herrn, der Beruf und Stunde gibt und die Tat fordert. Indem wir in unserer Zeit 138 2405 Geschichte, 744. 139 Ebd. Althaus zitiert hier die 1. Auflage des „Römerbriefs“, 27. 140 Vgl. 2502 Haltung, 156 f., wo Althaus vor einer „Verherrlichung der Geschichte“ warnt. 141 2405 Geschichte, 748. 142 Ebd. 143 Ebd., 747. Demzufolge ist es für ihn unmöglich, von der Geschichte zu reden, „ohne der Geschichtsgegenwart Gottes im sittlichen Gebote zu gedenken“ (ebd.). Welche zentrale Rolle Althaus der Geschichtsphilosophie nicht nur in seiner eigenen Konzeption, sondern auch für Theologie und Kirche als Ganzes beimisst, macht er an anderer Stelle, in seinen Leitsätzen zur „Aufgabe der Christenheit in Staat und Politik“ deutlich, wenn er schreibt: „Die Christenheit hat die dringende Aufgabe, eine Geschichtsphilosophie und auf Grund deren Grundzüge einer politischen Ethik zu schaffen. Die Arbeit an der Lösung dieser z. T. prophetischen Aufgabe wird den Kampf um das Verständnis des Willens Gottes in der Geschichte in die Christenheit selber hineintragen. Aber sie darf diesem inneren Kampfe ebensowenig ausweichen wie dem Ringen um das Verständnis des Evangeliums.“ (Althaus, Aufgabe). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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vergänglicher, geringer, höchst diesseitiger Beziehungen doch Verantwortungen ent­ decken, auf denen der Ton unbedingter Bindung liegt, lernen wir an die Ewigkeit glauben. […] Weil die Geschichte voll des Willens Gottes ist, schenkt sie Erkenntnis Gottes. Diese Erkenntnis ist […] ‚Glaube‘.“144

So kann laut Althaus anhand der immanenten Bindungen und Verantwortungen auf einen transzendenten Urheber derselben rückgeschlossen werden, so dass für ihn feststeht, „uns sind die ethischen Normen selber schon Offen­ barung Gottes.“145 Ist der Gottesbezug der Geschichte einmal erkannt und geglaubt, dann hat der Christ eine doppelte Haltung einzunehmen: „stets wache Kritik an den eigenen Gedanken, Mißtrauen gegen uns selbst und Zuversicht zu Gott, der uns in seine Schule nimmt und seine Wege sehen lehrt, ständige Bereitschaft, unser Unternehmen als Ungehorsam preiszugeben, und Vertrauen, auf Gottes Ruf ein Werk anzugreifen, Gedanken zu denken, Ziele zu stecken.“146 „Auch wir wissen, daß Gott unsere jeweiligen Erkenntnisse und Ziele eines Tages als Trug erweisen kann. Aber dieser Vorbehalt gibt nicht das Recht zur Skepsis, sondern schärft die Pflicht zur Wachsamkeit und Treue im Horchen auf Gottes Ruf.“147

Dass seine eigene Geschichtstheologie sich nicht zuletzt der Absetzbewegung von Barth und der Dialektischen Theologie verdankt, deutet Althaus an verschiedenen Stellen an148. So schreibt er 1929 im Blick auf das Geschichtsverständnis der Dialektischen Theologie: „Die Folgen für die Theologie konnten nur verhängnisvolle sein: die völlige Entwertung der Geschichte als in jeder Hinsicht sinnlos und gottlos“. Damit aber, so folgert Althaus, „wird das innerste Heiligtum des Christenstandes, die Konkretheit und Personhaftigkeit der Geschichte Gottes mit dem Menschen, theologisch verleugnet.“149 Demgegenüber ist und bleibt es Althaus’ geschichtstheologisches Anliegen, der Ge-

144 2405 Geschichte, 748 f.; Hervorhebungen von Althaus. Der Dialektischen Theologie hält er demzufolge entgegen: „Dann ist es aber ein schwerer Fehler, über dem dialektischen das positive Verhältnis der Geschichte zur Ewigkeit zu vergessen und die Offenbarungsbedeutung der Geschichte im Namen der Jenseitigkeit Gottes und der Ewigkeit zu bestreiten.“ (ebd., 749). 145 Ebd., 750. Oder anders formuliert: „In den Verantwortungen ergreift uns die Verantwortung, in den sehr bedingten Aufgaben der unbedingte Herr, in dem Geschichtlichen das Ewige“ (ebd., 748). 146 Ebd., 784. 147 Ebd., 785. Demgegenüber charakterisiert er „die einzelnen Züge der ‚Ethik‘ Barths“ als „die Angst vor dem ‚guten Gewissen‘ in der Erkenntnis des Willens Gottes, die rein dialektische Behandlung des Sittlichen, der Verzicht darauf, bestimmte christliche Normen für das geschichtliche Leben zu gewinnen (und dabei doch, widerspruchsvoll genug, die noch nicht erkaltete Vorliebe für den religiösen Sozialismus)“ (ebd., 784). 148 Vgl. 2705R Heinzelmann, 90. 149 2909 Theologie, 137 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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schichte theologischen Sinn zu geben als Ermöglichungsgrund der Geschichte Gottes mit den Menschen auf das Ziel des Reiches Gottes hin: „Die Theologie kennt nur einen Sinn aller Geschichte: Gottes kommendes Reich.“150 4.5 Zusammenfassung Althaus’ Eschatologie und Geschichtstheologie sowie seine spätere Ordnungstheologie gründen im Glauben daran, dass christliche Hoffnung nicht nur Gewissheit des Kommenden, sondern in gleichem Maße auch Gewissheit des Bleibenden ist, sofern sie Hoffnung auf Vollendung des schon Vorhandenen ist. Althaus’ Neubegründung der Eschatologie berührt sich in den frühen 20er Jahren mit dem gesteigerten Interesse an eschatologischen Fragestellungen im Religiösen Sozialismus und in der frühen Dialektischen Theologie. Das mit den Religiösen Sozialisten gemeinsame Interesse trennt sich schon rasch mit Althaus’ Ablehnung einer endgeschichtlichen Eschatologie. In der Auseinandersetzung mit der Dialektischen Theologie gelangt Althaus mit seinem Interesse an der Beziehung des Übergeschichtlichen und Unbedingten zur Geschichte schnell an den trennenden Punkt. Im Gegensatz zu Barth versteht er in seiner Geschichtsphilosophie und -theologie das Ewige auch als positiv in der Geschichte gegenwärtig, gerade in den ethischen Normen. Dieses Grundanliegen, das Althaus mit dem Wort von „Gott in der Geschichte“ zum Ausdruck bringt, versucht er durch einen „wertphilosophischen Begriffsapparat“151 zu formulieren. Dabei bedeuten die unterschiedlichen und wechselnden Bezeichnungen „dritte Geschichte“, „axiologischer Begriff der letzten Dinge“, „Heute“, „Stunde“ oder „Beruf“ in der Althausschen Konzeption alle das gleiche: Gottes Wille und Anspruch ist geschichtlich erfahrbar: „Der Herr, der in der Geschichte mit uns handelt, ist ein Gott, der unseren Willen haben will, der unsere Tat begehrt und auf sie wartet, der uns mit hineinzieht in sein Tun und uns zu Mitarbeitern seines Werkes in der Geschichte anstellt.“152 Wie problematisch eine solche Identifizierung des göttlichen Willens sein kann, hat Althaus zumindest geahnt, wenn er schreibt: 150 Ebd., 149. 151 So urteilt Grass, Theologie, 227. 152 2303 Gott, 8. Diese Betonung der menschlichen Tat und Mitarbeit in der Geschichte, die Althaus in den weiteren Rahmen von göttlicher creatio continua und „Aufeinanderbezogensein von Schicksal und Tat“ stellt, hat bei ihm keinen anderen Grund, als „Gott in der Geschichte“ zur Notwendigkeit werden zu lassen: „Die Geschichte würde die Gottesfrage nicht stellen, wenn sie entweder ganz unser Werk oder ganz und gar uns erdrückendes und treibendes Schicksal wäre.“ (2507 Christentum, 154). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Allzu schnell hat man Überlieferungen für Gottes Willen, starre menschliche Verhältnisse für seine Ordnungen ausgegeben. Niemand hat das Recht, da vom Willen Gottes zu reden, wo Menschenirrtum und Menschensünden die Welt gestalten. Es bedarf immer wieder der strengen, kritischen Prüfung aller Werte und Ordnungen, die Menschen aufgestellt haben, ob Gottes Wille in ihnen uns zum Dienst und zur Tat fordert. Oft werden dabei Menschen-Bindungen zerreißen.“153

Weil Althaus aber keinen inhaltlichen Maßstab für wahre und falsche Identifizierungen zu geben vermag, bleibt sein eigener Einwand folgenlos. Mit seiner Ablehnung sowohl des Extrems einer Diesseitsbejahung als auch des Extrems einer Diesseitsverneinung will Althaus einen Mittelweg zwischen der alten liberalen Fortschrittstheologie, deren Repristination er auch im Religiösen Sozialismus zu erkennen meint, und der neuen Dialektischen Theologie beschreiten. Auf diese Weise erklärt sich einerseits seine gemeinsame Frontstellung mit Barth gegen die Liberale Theologie und andererseits seine Gegnerschaft zur Barthschen Theologie der radikalen Krise, durch die seine eigene Theologie entscheidende Impulse erhält. So kommt auch Franz Feige zu dem Schluss: „In fact, Althaus went halfway along with Barth’s attack on Culture Protestantism and dualistic Lutheranism. He could affirm it’s judgment that temporal history stood under the crisis of eternity. But he found the positive relationship of God to history lacking in dialectical theology, that is, the recognition of the idea of historical revelation, the possibility of concrete theological knowledge of the will of God and a substantive Christian ethics. Thus, Althaus sought to avoid the pitfalls of both dialectical theology and liberal theology.“154

Auch wenn Althaus um die Probleme und Gefahren weiß, die vor allem der Subjektivismus für seine Geschichtstheologie mit sich bringt („menschliche Lieblingsgedanken“), ist er dennoch in der Auseinandersetzung mit Barth daran interessiert, die Beziehung von Übergeschichte und Geschichte zur Geltung zu bringen. Als Konsequenz aus diesem Anliegen betont er in seiner Eschatologie das axiologischen Moment des Übergeschichtlichen vor dem teleologischen. Wohl ohne es zu wollen, fällt Althaus aus seiner Antihaltung zu Barth und dessen Extremposition heraus mehr und mehr ins andere Extrem: „Insofar as Althaus explicitly or implicitly always spoke against the backdrop of the narrowness of the dialectical understandings of God’s relationship to history, the pos-

153 2403 Gott, 6 f. 154 Feige, Varieties, 254; vgl. Kleffmann, Begriff, 361 f.; vgl. 2104 Sozialismus, 45; und 2305 Staatsgedanke, 15 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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sibility of the knowledge of God in natural history was far more accentuated than the sinful aspect, that is, especially Althaus’s own interpretation of historical events and the orders.“155

Ein wichtiger Aspekt der Althausschen Gesamtkonzeption, die stets auf volksmissionarisch-praktische Anwendbarkeit bedacht ist, ist seine Vorstellung von der Notwendigkeit eines Anknüpfungspunktes. Was diesen Althausschen Anknüpfungspunkt von der allgemein-menschlichen Erfahrung hin zur religiösen Gotteserfahrung betrifft, lässt sich im Verlauf der 20er Jahre gegenüber seiner früheren Konzeption eine Veränderung feststellen. Während im Ersten Weltkrieg und in der unmittelbaren Nachkriegszeit unter dem starken Eindruck des Krieges, der nach einer mentalen Verarbeitung rief und die Sinnfrage virulent machte, das unmittelbare Erlebnis, nämlich das verspürte „Vaterlandserlebnis“, die entscheidenden Kategorie für ihn war, die zum Gotteserlebnis führen sollte, tritt dieser Gedankengang nun mehr und mehr zurück. Zum neuen Anknüpfungspunkt des christlichen Glaubens wird für Althaus im Rahmen einer ethisch ausgerichteten Geschichtsphilosophie bzw. einer geschichtsphilosophisch ausgerichteten Ethik – er spricht von der „Ethik als Schlüssel zur Geschichtsphilosophie“ –, zunehmend die Erfahrung des sittlichen Anspruchs in der Geschichte156. Verlief der Weg für ihn anfangs vom Geschichtserlebnis zum Gotteserlebnis, konkret „vom Vaterlandserlebnis zum Gotteserlebnis“, so verläuft er nun konkreter von der Anspruchserfahrung zur Gotteserfahrung. So schreibt er 1925: „Wir brauchen kaum noch ausdrücklich zu sagen, daß dieses strenge Verständnis des Sittlichen nur als religiöses möglich ist. […] Davon reden, daß der persönliche Wille gefordert wird, ganz und jetzt, das heißt von Gott reden. Und die Forderung in diesem Sinne in das eigene Leben eintreten spüren, das heißt: vor Gott stehen.“157

Diese Gotteserfahrung aber will Althaus nicht nur schöpfungstheologisch oder ethisch verstanden wissen, sondern ebenso christologisch. In der Christus­ tatsache, in der geschichtlichen Gnadenzuwendung Gottes zu den Menschen, 155 Feige, Varieties, 256. 156 Ein anschauliches Beispiel bietet sein Gedankengang in 2405 Geschichte, 747–749. 157 2503 Krisis, 8. Der „unbedingte Anspruch“, den jemand zu vernehmen meint und der nach Althaus mittelbar auf Gott verweist, braucht bei ihm – auch da geht er über das „Vaterlandserlebnis“ hinaus – kein notwendig nationales Vorzeichen zu haben. So kann bei ihm auch dem „JungSozialismus“ diese Gottesbezogenheit in der Anspruchserfahrung eignen. So heißt es in 2507 Christentum, 154 f.: „Was bedeutet denn […] der absolute Ton, das Vorzeichen des Unbedingten, das unserer besten völkischen Bewegung, aber auch etwa dem Jung-Sozialismus Pathos und Wucht gibt? ‚Meinen‘ sie nicht, ob sie es wissen oder nicht, in, über, hinter dem erneuerten Reiche oder der zur Bruderschaft wiedergeborenen Gesellschaft zuletzt im Ernste das Gottesreich?“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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sieht er den Grund für das „Gott in der Geschichte“ und somit für alle Geschichtstheologie. Aus diesem Grund darf auch der hamartiologische Aspekt in der Geschichte nicht fehlen. Die Heilsgeschichte, die ihren Höhepunkt und Wendepunkt im Kreuz Christi hat, ist für ihn Grund und Ziel aller Geschichte158. Aufs Engste verknüpft ist Althaus’ geschichtsphilosophisches und -theologisches Denken mit seiner Vorstellung einer theonomen Wirklichkeit der Welt. Die Überzeugung von der Theonomie der Welt bildet das Fundament der Althausschen Geschichtstheologie. Gott als der „Herr der Geschichte“ begegnet innerhalb der Geschichte, zuerst in seinem Indikativ der gnädig-schöpferischen Gabe, sodann in seinem Imperativ der fordernden Aufgabe, die die Menschen zur geschichtlichen Tat, zu Liebe, Verantwortung und Dienst ruft und im Tiefsten auf die Gesinnung abzielt. Die Althaussche Verwendung des Theonomiebegriffs entspricht sowohl seiner konservativ-revolutionären Grund­einstellung als auch seiner geschichtsphilosophisch-eschatologischen Konzeption, die die Spannung zwischen dem „schon“ und dem „noch nicht“ positiv nutzen will. Althaus dient der Theonomiebegriff zum einen „zur Erschließung gegebener ethischer Ordnungsstrukturen bzw. Ordnungen der Welt als einer Welt Gottes“ und zum anderen zur Zielbestimmung einer gemäß eigener politisch-weltanschaulicher Prägungen und Präferenzen herzustellenden normativen Ordnung159. Dieser doppelten Verwendung des Theonomiebegriffs entspricht auch die Althaussche Ambivalenz in der Verwendung des Eigengesetzlichkeitsbegriffs. Hinter der Althausschen Theonomiekonzeption steckt eine starke Motivation, die bei Althaus, wie bei den meisten protestantischen Theologen dieser Zeit, gar nicht überschätzt werden kann: das Bestreben, die Leistungsfähigkeit der evangelischen Theologie für die Gesellschaft bzw. für das Volk herauszustellen160. Aus diesem Grund versteht sich Althaus als Theologe gerade auch als Kommentator und Interpret der Zeit, was auch erklärt, warum die jeweilige Tagespolitik in so starkem Maße auf ihn wirkt und besonders seine Geschichtstheologie beeinflusst. 158 So spricht Wenz, Offenbarung, 245 bei Althaus auch von einem „theo- und staurozen­ trische[n] Verständnis der Lehre von der Rechtfertigung“. 159 Graf, Theonomie, 236. Graf geht davon aus, dass in dieser Zeit allgemein die erstgenannte Verwendung des Theonomiebegriffs durch die zweite verdrängt wird. Für Althaus und seine sich herausbildende Ordnungstheologie trifft dies jedoch nicht ohne weiteres zu. 160 In 2610 Sinn, 27 ruft Althaus die Theologie dazu auf, sich mehr als bisher in den wissenschaftlichen Diskurs einzumischen: „Die Theologie […] bricht heute mit neuem Verantwortungsund Kraftbewußtsein aus ihrer Feste hervor. Sie stellt sich dem Kampfe im Blachfelde. Sie sagt ein eigenes Wort auch zu Gebieten, auf denen sie lange geschwiegen hat […]. Sie ringt um eine eigene Geschichtsdeutung und Naturbetrachtung.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Als Reaktion auf die politisch aufgeladene Zeit der 20er Jahre ist auch eine Theologie, die sich selbst als modern und zukunftsweisend versteht, eine politische. Zu diesem Zweck entwickelt er eine Geschichtsphilosophie und -theologie, die nah am Puls der Zeit mit ihren Problemen ist. Diese Probleme sind im Deutschland der Nachkriegs- und Nachversailleszeit vorrangig nationaler und sozialer Art. Auf diese nationalen und sozialen Fragen will er in der Überzeugung, mit der Geschichtstheologie den Schlüssel für die Lösung zu besitzen, den verunsicherten, desorientierten, desillusionierten, sozial vielfach deklassierten, im damals so wichtigen nationalen Ehrgefühl gedemütigten, politischen und religiösen Heilsbringern aller Couleur nachlaufenden Deutschen seine christlichen Antworten in Form einer politischen Theologie geben. Dass Althaus dabei angesichts eines als zunehmend säkularisiert empfundenen Volkes nicht zuletzt volksmissionarische Absichten hat, ist evident. Exkurs: Säkulare Gesellschaft und Volksmission – Althaus und die Apologetische Centrale Die Säkularisierung war für Theologie und Kirche der Weimarer Zeit das Grundübel der Moderne schlechthin. In der Überzeugung, mit der fortschreitenden Entkirchlichung und Entchristlichung der Gesellschaft zugleich ihre Entsittlichung und Entsolidarisierung zu bekämpfen, propagierten die kirchlichen Eliten die Rechristianisierung, die christliche „Wiedergeburt“ des deutschen Volkes. Die Erfahrungen einer sich zunehmend brutalisierenden Gesellschaft (politische Morde, Straßenschlachten) und die Erfahrungen einer, am Maßstab der verklärten „Volksgemeinschaft des August 1914“ gemessenen, zunehmend als entsolidarisiert empfundenen Gesellschaft (Propagierung des Klassenkampfes, Polarisierung durch zunehmende Ideologisierung) mussten beurteilt und verarbeitet werden. „In der historischen Umbruchssituation, die sich durch die Novemberrevolution 1918 mit dem Ende des Staatskirchentums ergab“, so Kurt Meier, „wurde die Notwendigkeit volkskirchlicher Neubesinnung und volksmissionarisch-kirchenreformerischer Aktivitäten geradezu virulent.“161

Zudem galt es, eine dezidiert christliche und protestantische Orientierung „im neuen, für die Zeitgenossen fast überbordend erscheinenden weltanschaulichen Pluralismus“162 der Weimarer Republik zu geben, einem Pluralismus, der sich 161 Meier, Volkskirche, 11. 162 Ziegert, Christ, 250. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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mit der allgemeinen gesellschaftlichen, politischen und sozialen Krise des Landes weiter verstärkte. Die evangelische Kirche mit ihrer im Kaiserreich mehr oder minder tatsächlichen protestantischen Leitkultur sah sich in diesen Fragen in einer Vorreiterrolle. Für sie war die Rechristianisierung der Schlüssel für nahezu sämtliche Fragen der Zeit. Bei dieser Zielbestimmung schwangen die alten Hoffnungen auf Evangelisierung der ganzen Welt, wie sie auf der Weltmissionskonferenz 1910 in Edinburgh formuliert, durch den Weltkrieg aber gedämpft wurden, deutlich nach. „Die Alternative Rechristianisierung statt Säkularisation“, so Martin Greschat, „gab Theologen und Kirchenführern ein Interpretationsmodell an die Hand, mit dem sie sowohl die gegenwärtige Situation in Deutschland als auch die zentrale Bedeutung der Kirche und ihrer Botschaft in diesem Kontext verständlich machen konnten. Die verwirrende Vielfalt des Erlebten, die irritierenden Fakten der Zusammenbruchsgesellschaft […] ließ sich auf diese zwei Positionen reduzieren. Das schuf Klarheit, Durchsichtigkeit. Und mit dieser Orientierung wuchsen Geborgenheit, Sicherheit und der Mut, den Alltag zu bestehen.“163

Dieses theologische Konzept war weder spezifisch deutsch, noch spezifisch lutherisch. Entwickelt wurde die Interpretationskategorie der Säkularisierung im Umfeld der Weltmissionskonferenz 1928 in Jerusalem, wo „zum missionarischen Einsatz gegen eine von Gott gelöste Seinshaltung“ aufgerufen wurde, „die mit dem Begriff ‚secularism‘ belegt wurde“164. Dazu schreibt Martin ­Greschat: „Bei den Überlegungen über das Verhältnis des Christentums zu den anderen Religionen bestand bald Einigkeit darüber, daß man es gegenwärtig mit einer neuen ‚Religion‘ ohne Gott zu tun habe, die sowohl das Christentum als auch die Zivilisation bedrohte. Man bezeichnete diese Geisteshaltung zunächst als ‚Rationalismus‘, dann auch als ‚Materialismus‘ und schließlich als ‚Säkularismus‘. Bei diesem Vorgang handelte es sich insofern um einen Paradigmenwechsel, als nun auch die ‚zivilisierte Gesellschaft‘ als neues großes Missionsfeld in den Blick kam.“165

Nicht nur in der angelsächsischen, sondern auch in der deutschen Theologie wurde der Säkularismus zunehmend wichtig: „Von Jerusalem her hielt die Säkularismus-Formel Einzug in die kirchlich-theologische Literatur Deutsch­ 163 Greschat, Christenheit, 311 f. Was er im Blick auf die deutsche Nachkriegsgesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg schreibt, gilt mutatis mutandis für die Nachkriegsgesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg. 164 Nowak, Säkularismus-Debatte, 39 f.; vgl. zeitgenössisch Schlunk, Höhen, 117–121. 165 Greschat, Christenheit, 312. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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lands.“166 Dort fiel dieses Interpretament auf einen fruchtbaren Boden. Denn der Wegfall des Staatskirchentums 1918 mit seiner „abrupt offenbar werdenden Entkirchlichung“ war von der Mehrzahl der Kirchenmänner und Theologen „als Schock erlebt“ worden, man sah in der weltanschaulich und religiös neutralen Weimarer Republik die protestantische Leitkultur massiv in Gefahr, die „Sorge zunehmender Schmälerung christlichen Einflusses auf die Öffentlichkeit“ prägte die protestantische Befindlichkeit167. Dazu kam die spezifisch deutsche Wahrnehmung einer nicht enden wollenden Nachkriegszeit als permanenter Krisenzeit, die den schon vor der deutschen Katastrophe 1918 vorhandenen konservativen Kulturpessimismus nochmals steigerte. So wurde die Neuzeit, insbesondere die Geschichte seit dem Zeitalter der Aufklärung und der Französischen Revolution als „Epoche des Verfalls und Abfalls von urtümlichen Bindungen“ betrachtet168. Manifest wurde dieser Eindruck anhand der rasant steigenden Kirchenaustrittszahlen nach 1918169. Der wachsenden Säkularisierung und Entkirchlichung Deutschlands wollte und musste man von kirchlicher Seite den Kampf ansagen, nachdem der eigene Einfluss mehr und mehr auf dem Spiel stand. Mit einer Gesellschaft, in der weite Teile dem christlichen Wahrheitsanspruch indifferent oder gar offen ablehnend gegenüberstanden, konnte und wollte man sich nicht arrangieren; dafür war die eigene Identität als „Volkskirche“ mit einem volkskirchlichen Auftrag für das ganze Gemeinwesen zu selbstverständlich. Auf die Frage, warum die Kirchen „mit einer solchen Hartnäckigkeit an ihrem Anspruch auf gesamtgesellschaftliche Durchdringung“ festhalten, gibt Wolfram Pyta zwei aufschlussreiche Antworten: Zum einen nennt er den statistischen Befund, dass die Kirche allein schon aufgrund ihres tatsächlich noch vorhandenen Einflusses im öffentlichen Leben Grund zur Hoffnung hatte: „Es waren in der Weimarer Republik mehr als volkskirchliche Restbestände vorhanden, vielmehr noch stabile kirchliche Fundamente, die tragfähig genug erschienen, um die Basis eines ehrgeizigen Rechristianisierungsprogramms abzugeben.“

166 Nowak, Säkularismus-Debatte, 39 f. 167 Ebd., 43 f. 168 Ebd., 44. Eine Erklärung für diesen konservativen christlichen Kulturpessimismus macht Nowak in der Gesellschaftsdynamik aus: Je rascher diese voranschritt, „um so schwieriger war es für diejenigen, deren Denken von sakralen Kategorien beherrscht war, die immer rascheren Entwicklungsschübe zu verarbeiten. Die religiösen Bannflüche schlugen deshalb zurück auf Gestaltungen der modernen Gesellschaft wie Technik, Urbanisierung, Kultur, ‚Bolschewismus‘, ‚Amerika­ nismus‘.“ (ebd., 45). 169 Pöhlmann, Kampf, 62, spricht für die Zeit nach 1919 von einer „Verzehnfachung der Kirchen­austrittszahlen der Vorkriegsjahre“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Zum anderen erwähnt er die – auch und gerade für Althaus zutreffende – „national-protestantische Lutherdeutung“: „da Gott sich mit dem deutschen Volke vermittels der Reformation auf eine besonders enge Weise eingelassen habe, erstrecke sich der Anruf Gottes stets auf das Volksganze uns niemals nur auf die Einzelseele.“170 Entsprechend diesen volkskirchlichen Grundannahmen wurde Deutschland zum (lutherischen) Missionsland erklärt. „Die neue Devise hieß Volksmission: Sie sollte Evangelisation (die Glauben weckende Rede) und Apologetik (gedankliches Klären und Bewußtmachen) umfassen. […] Das Ziel sollte die Neuevangelisation der Massen sein. Der Apologetik fiel dabei die vorbereitende Aufgabe zu, die Evangelisation war die Hauptsache.“171

Institutionalisiert war die kirchliche Volksmission seit 1848/49 in dem durch Hinrich von Wichern initiierten „Central-Ausschuß für die Innere Mission“. Besonders durch Adolf Stoecker wurde die Volksmission zu einem der zentralen Arbeitsfelder der Inneren Mission und verband sich mit einer christlich bestimmten Sozialpolitik, ja mit Vorstellungen eines christlichen Sozialismus. „Stoecker wollte durch seine ‚Seelsorge an der Volksseele‘ den ‚verhängnisvollen Prozeß: erst Entkirchlichung, dann Entchristlichung, dann Entsittlichung‘ umgehen und ‚die rettende Kraft des Evangeliums in das Ganze unseres Volkes hineintragen‘.“172 Nach Theodor Strohm bildete „Volksmission“ den „Sammelnamen für ‚alle Arbeit der Kirche, die die Missionierung unseres evangelischen Volkes bezwecken [sic!] und umfaßt die besonderen Arbeiten des geordneten Pfarramtes, der Evangelisation, der Apologetik und die sogenannte öffentliche Mission‘.“173

Getragen von der Vorstellung, dass in der Volksmission „evangelistische und apologetische Arbeit nicht voneinander zu trennen sind“174, gründete der Central-Ausschuß 1921 die „Apologetische Centrale“ in Berlin, mit der sich die evangelische Kirche dem „Geisteskampf der Gegenwart“ – so der Titel einer älteren apologetischen Zeitschrift – stellen sollte. Die Schulungsarbeit nach innen und die Auseinandersetzung mit den Wissenschaften und Weltanschau 170 Pyta, Dorfgemeinschaft, 235. 171 Ebd., 56. Er bezieht sich dabei auf Forderungen Gerhard Hilberts aus dem Jahr 1916. Ähnlich äußerte sich Ende der 20er Jahre Walter Künneth, der damalige Leiter der Apologetischen Centrale: „So will die Volksmission ‚erwecken, die Gewissen treffen‘, Menschen dazu verhelfen, zum persön­ lichen Glauben an Christus zu kommen; ihn zu stärken und zu vertiefen, ist die apologetisch-evangelistische Aufgabe der Volksmission.“ (ders., Art. Volksmission. In: Schweitzer, Carl (Hg.): Das religiöse Deutschland der Gegenwart 2. Berlin 1929, 236; zit. nach Pöhlmann, Kampf, 68, Anm. 78). 172 Strohm, Mission, 30. Strohm zitiert hier Stoecker. 173 Ebd., 34. 174 Schweitzer, Bericht, 30. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ungen nach außen war das Aufgabengebiet der Apologetischen Centrale175. Eine eigene christlich-protestantische Weltanschauung sollte unter anderem mit Hilfe der 1925 ins Leben gerufenen Zeitschrift „Wort und Tat. Hefte der Apologetischen Centrale für evangelische Weltanschauung und soziale Arbeit“ verbreitet werden176. Althaus, von jeher an apologetischen Fragen interessiert und 1925 auf der Weltkonferenz für Praktisches Christentum 1925 in Stockholm erneut auf volksmissionarische Fragen gestoßen, beteiligte sich bereits als Rostocker Professor an der Arbeit der Apologetischen Centrale. Nicht ganz ohne Bedeutung dürfte dafür der Einfluss seines Rostocker Kollegen Gerhard Hilbert, einem der Vordenker der volksmissionarischen Arbeit, gewesen sein, mit dem sich Althaus die Stelle des Universitätspredigers teilte177. Dessen Forderung nach vorbereitender Apologetik und daran anknüpfender Evangelisation setzte Althaus, der seinerseits bereits während des Krieges ein volksmissionarisches Anknüpfungskonzept verfolgte, noch in Rostock in die Tat um178. Sein Aufsatz „Die Kirche“ im „Evangelischen Sonderheft“ der konservativen Zeitschrift „Die Tat“ wurde 1924, neben den Beiträgen anderer Theologen, auf Betreiben der Apologetischen Centrale abgedruckt179. Zweimal nahm Althaus an den „Berliner Weltanschauungswochen“ der Apologetischen Centrale teil, im April 1925 mit einem Vortrag über „Christentum und nationaler Wille“ und im Februar 1926 über „Luther“180. Letztgenannter Vortrag musste wegen des großen Hörer­ andrangs ins Berliner Auditorium Maximum verlegt werden. 1929 veröffentlich Carl Schweitzer, der Gründer und erste Leiter der Apologetischen Centrale in seinem Sammelband „Das religiöse Deutschland der Gegenwart“ von Althaus den Beitrag „Die Theologie“. Explizit apologetischer Natur ist auch Althaus’ Auseinandersetzung mit der anthroposophischen „Christengemein 175 Zum weltanschaulichen Pluralismus in Weimar schreibt Pöhlmann, Kampf, 36: „Im ‚religiösen und weltanschaulichen Leerraum‘ der Weimarer Republik konkurrierten mit den Kirchen vielfältige politische Ersatzreligionen, aber auch okkultistische, völkisch-religiöse, freidenkerische und esoterische Bewegungen.“ 176 Zu dieser „apologetischen, sozialen, aber auch volksmissionarischen Grundsätzen“ verpflichteten Zeitschrift vgl. Pöhlmann, Kampf, 116–119.229–233. Beim 1930 aufkommenden, aber aufgrund mangelnder finanzieller Möglichkeiten gescheiterten „Plan zu einer sozialethisch-sozialkirchlichen Zeitschrift in Verbindung mit ‚Wort und Tat‘“ war auch Althaus als engerer Mitarbeiter vorgesehen (ebd., 117 f.). 177 Zu Hilbert als Vordenker der Volksmission vgl. Pöhlmann, Kampf, 55–57. 178 Vgl. seine Vorträge vor der Rostocker akademischen Jugend: 2001 Jugend, 2103 Feuer, 2105 Kreuz; und 2404 Jesus; vgl. Kap. III, 3. 179 Vgl. Schweitzer, Bericht, 32. 180 Vgl. Schweitzer, 2. Bericht, 19. Zu den „Weltanschauungswochen“ vgl. Pöhlmann, Kampf, 105–109. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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schaft“, die er 1930/31 führte181. Als die Apologetische Centrale mehr und mehr die Masse als Zielgruppe definierte und ihre volksmissionarischen Hoffnungen zunehmend auch auf neue Medien setzte, stand Althaus auch an diesem Punkt nicht zurück und hielt im Oktober 1929 einen Rundfunkvortrag über „Die geistesgeschichtliche Bedeutung der Reformation“182. Neben diesem Engagement bei der Apologetischen Centrale in Berlin arbeitete Althaus seit Anfang der 20er Jahre zudem beim „Apologetischen Seminar Wernigerode“ mit, einer betont lutherischen und akademischen apologetischen Arbeitsgemeinschaft. Das „Apologetische Seminar“ war nach Matthias Pöhlmann „im Sommer 1909 unmittelbar aus der praktischen Arbeit der Allgemeinen Evangelisch-lutherischen Konferenz hervorgegangen.“183 Althaus bezeichnet es 1934 rückblickend als „eine Zeitlang […] wichtigste theologische Ferienveranstaltung Deutschlands“184. Alljährlich fanden Herbsttagungen in dem Harz-Städtchen statt, 1923 zog man aus Kostengründen nach Helmstedt um, 1932 firmierte man nach erneutem Umzug als „Lutherakademie Sondershausen“185. Als 1920 Carl Stange die Leitung übernahm, konnte er auch Althaus als Dozenten gewinnen186. Stange rief auch die Buchreihe „Studien des apologetischen Seminars in Wernigerode“ ins Leben187, in der 1922 auch Althaus’ Erstauflage der „Letzten Dinge“ erschien. Das Apologetische Seminar und seine Buchreihe wandten sich an ein begrenztes Fachpublikum. Weitere Kreise erreichte die mit dem Seminar institutionell verbundene, ab 1923 erscheinende „Zeitschrift für Systematische Theologie“, die Althaus mit herausgab. Ein „evangelischer Öffentlichkeitswille“ (Carl Schweitzer), der auf die Rechristianisierung der deutschen Gesellschaft abzielte, war somit auch Althaus zu Eigen. Außer theologischen Gründen führt Althaus daher auch eine apologetische Motivation188 zu seiner geschichtsphilosophischen und -theologischen Kon 181 Vgl. 3016 Stellung. Zur „Christengemeinschaft“ vgl. Pöhlmann, Kampf, 151–158. 182 2913 Bedeutung. 183 Pöhlmann, Kampf, 84. 184 3412 Einigung, 114. 185 Zur Lutherakademie Sondershausen vgl. Mikosch, Hakenkreuz. 186 Folgende Althausschriften erwuchsen direkt aus dieser Dozententätigkeit: 2104 Sozialismus; 2201 Dinge; 2410 Vater; 2409 Heilsgeschichte; 2609 Mission; und 3412 Einigung. 187 Im Umschlagtext zu 2104 Sozialismus erfahren wir, die „Studien“ „wenden sich an alle Gebildeten, denen die Verinnerlichung unserer Kultur am Herzen liegt und gegenwärtig mehr als je notwendig erscheint. Sie wollen mit dazu helfen, daß die Ideen der christlichen Weltanschauung in ihrer Bedeutung für das Leben des einzelnen und das Leben der Gemeinschaft erkannt werden und zur Geltung kommen.“ 188 Zum „Neuansatz der theologischen Apologetik in der Zeit der Weimarer Republik“ vgl. Dieterich-Domröse, Weltanschauungslehre. Über Althaus schreibt er, dieser versuchte „in einer doppel© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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zeption. Deutlich macht Althaus dies in einer Rezension zu Reinhold Seebergs Dogmatik. Dort beklagt er an der Theologie des 19. und beginnenden 20.  Jahrhunderts die „Isoliertheit gegenüber dem allgemeinen Geistesleben“. Man habe dort zwar stets die Selbständigkeit des Christentums betont, aber „nicht ebenso ernst seinen alles Erkennen und Leben durchdringenden Wahrheitsanspruch; die ‚natürliche Theologie‘, d. h. die Gottesbezeugung in der Natur, Geschichte, Religionsgeschichte wurde meist gering geachtet und es schien vielfach so, als wisse man erst durch Christus von Gott. Die Aufgaben christlicher Natur- und Geschichtsdeutung ließ man liegen. Diese Isolierung und Beschränkung der theologischen Arbeit hat die Kirche in der Erfüllung ihres Berufes schlimm gelähmt. Die unerfüllten Aufgaben aber […] machten sich nun ohne und gegen die Theologie geltend: der religionsgeschichtliche Relativismus unserer Bildungswelt, der religiöse Sozialismus, die Anthroposophie und ‚Christengemeinschaft‘ als Tatsachen bezeugen […] alle ein Versagen der Theologie.“189

Dem versuche nun Reinhold Seeberg mit seiner Dogmatik entgegenzuwirken: „S[eeberg] weiß, daß die Gotteswirklichkeit das Ganze des Lebens und der Welt betrifft, daß der Theologie die Naturphilosophie, die Sozial- und Geschichtsphilosophie nicht einfach ihre Wege gehen lassen kann. […] Der Wille zur Weite und zur Einheit der Erkenntnis stellt S[eeberg]s Buch mitten in die Gegenwart und ihr besonderes geistiges Anliegen hinein. Wir Jüngeren wollen hier durchaus den gleichen Weg gehen.“190

Dieser Weg führt den jungen Rostocker Systematiker in den frühen 20er Jahren vermittels seiner ethisch ausgerichteten Geschichtsphilosophie und -theologie mehr und mehr hin zu seiner späteren Ordnungstheologie einerseits191 und zu seiner Uroffenbarungslehre andererseits.

seitigen ‚Theologie der Kultur‘ durch die Ausbildung einer ‚christlichen Weltanschauung‘ und durch die Ausarbeitung eines neuen Konzeptes einer ‚natürlichen Theologie‘ eschatologische Kulturdistanz mit einer christlichen Begründung von Kultur zu vereinen“ (ebd., 124 f.). Dieser Befund entspricht dem allgemeinen Althausschen synthetischen Vorgehen auf einem von ihm gesehenen Mittelweg. 189 2505R Seeberg, 433 f.; Hervorhebungen von Althaus. 190 Ebd., 434; Hervorhebung von Althaus. Weiter schreibt er, „es tut uns heute im Zeitalter der dialektischen Theologie gut, sehr kräftig an die Vermittlung der göttlichen Berufung durch die Geschichte erinnert zu werden“ (ebd., 438). 191 Zur „Frage der Lebensordnungen“ schreibt Althaus in 2909 Theologie, 149: „Die theologische Ethik wird jetzt die wichtigste theologische Disziplin. Eine neue Ethik des Geschlechtsverhältnisses und der Ehe, des Wirtschaftslebens, der Volksgemeinschaft, des politischen Lebens muß erarbeitet werden. Die Ratlosigkeit und Verwirrung auf allen diesen Gebieten drängt zur Arbeit.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

5. „Staatsgedanke und Reich Gottes“ – oder: Berufsgedanke und Reich Bismarcks Wenn Paul Althaus zu Beginn der 20er Jahre den Versuch unternimmt, aus theologischer Sicht eine deutsche Staatsidee zu formulieren, so tut er dies in einer Phase politischer Orientierungslosigkeit in Deutschland. Die alte Staatsform der Monarchie ist mit der Katastrophe von 1918 endgültig am Ende, die neue Staatsform der Demokratie wird von einem großen Teil  des deutschen Bürgertums als von den Siegern des Weltkriegs oktroyiert und damit fremd empfunden und abgelehnt. Zu sehr haftet ihr der Ruch von Versailles an, zu sehr gilt sie als Ausdruck der westlichen und damit nichtdeutschen Staatsauffassung. Für die evangelischen Theologen und Kirchenmänner ergab sich die zusätzliche Problematik, dass mit dem Ende der Monarchie auch das überkommene Staatskirchentum mit seiner engen Verknüpfung von „Thron und Altar“ und der daraus resultierenden privilegierten Stellung der Kirche vorbei war und man sich nunmehr an die neuen, ungewohnten und im Grunde abgelehnten Spielregeln der pluralistischen Gesellschaft der Weimarer Demokratie halten musste, um überhaupt als politischer, kultureller und sittlicher Faktor wahrgenommen zu werden. Von einer „Krise des Staatsbegriffs“ (Emanuel Hirsch) war im Protestantismus insofern die Rede, als die Entkopplung von „religiösen Legitimationsmustern und staatlicher Macht, wie sie im Gedanken der ‚Obrigkeit von Gottes Gnaden‘ formuliert war und in der Monarchie konkrete Gestalt gewonnen hatte“, als „massiver Einflußverlust und bedrohliche Auflösung der sittlichen Grundlagen der Gesamtkultur“ verstanden wurde1. 5.1 Die theologische Antwort auf die Krise des deutschen Staatsgedankens und die Auseinandersetzung mit Karl Barth Hat Althaus 1921 in der Auseinandersetzung mit den Religiösen Sozialisten noch großen Wert auf die Unterscheidung von Welt und Reich Gottes gelegt, so kommen sich geschichtliche und übergeschichtliche Wirklichkeit in seiner neuen sozialethischen Schrift „Staatsgedanke und Reich Gottes“ 1923 merklich 1 Tanner, Verstaatlichung, XVI. Das „Problem der Legitimität staatlicher Machtausübung“ führt Tanner zurück auf die „Ablösung der politischen Ordnung als solcher von ihrer geistlichreligiösen Bestimmung und Durchformung, ihre ‚Verweltlichung‘ im Sinne des Heraustretens aus einer vorgegebenen religiös-politischen Einheitswelt zu eigener, weltlich konzipierter […] Zielsetzung und Legitimation“ (ebd., XIII). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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näher. Der Grund dafür ist nicht zuletzt in der Althausschen Gegenposition zu Karl Barth und dessen Weggefährten der aufkommenden Dialektischen Theologie zu finden2. Das frühe dialektisch-theologische Konzept der vollkommenden Übergeschichtlichkeit des Christentums, das in keinerlei Beziehung zur Geschichte steht außer der Negierung und das folglich der als gänzlich säkular verstandenen Welt ethisch wenig zu sagen hat, ist für Althaus unvorstellbar und in der Praxis unerträglich. Abgewertet sieht er die Politik dort als „ein Spiel um menschliche Möglichkeiten, an das man den letzten Ernst nicht setzt, mit dem man den Namen Gottes nicht zusammenbringt.“3 In dem Maße, wie sich Barth zu Beginn der 20er Jahre von den Religiösen Sozialisten gelöst und theologisch völlig neue, eigene Wege eingeschlagen hat, verlagert sich auch für Althaus die Hauptgegnerschaft vom Religiösen Sozialismus zur Dialektischen Theologie4. Die Gefahr, die Althaus von dieser neuen Theologie ausgehen sieht, steht für ihn im Zusammenhang mit der „Krise nicht nur des deutschen Staates, sondern auch des deutschen Staatsgedankens“5 seit dem verlorenen Krieg. Letztlich ist die Barthsche Theologie für ihn die Zuspitzung dieser Krise. Bereits auf der ersten Seite macht Althaus seinen Lesern demgegenüber klar, welchen Staatsgedanken er für erhaltenswert hält und neu beleben will: Es ist „der Staatsgedanke, wie er in der großen Zeit deutscher Befreiung und deutscher Einigung Geschichte wirkte […], der Staatsgedanke Fichtes und Hegels, Rankes, Bismarcks und Treitschkes, der 1914 das Heer der Kriegsfreiwilligen hinausrief und draußen aufrecht erhielt“6.

Es ist der Staatsgedanke des „langen 19. Jahrhunderts“, den Althaus schon im „Religiösen Sozialismus“ als „das organisch-aristokratische Staatsideal“ gegen den westlichen Parlamentarismus in Erinnerung gerufen hat, welches er schon 2 Zu diesem Urteil kommt auch Schwarke, Althaus, 144, wenn er schreibt: „Die Betonung der Gegenwärtigkeit Gottes, die zum eigentlichen Kern der Althausschen Theologie in der Auseinandersetzung mit Barth wird, führt Althaus bereits 1923 zu Formulierungen, in denen die vormals primäre eschatologische Differenz von Gottesreich und Welt zur Nebensache reduziert wird“. 3 2305 Staatsgedanke, 7. Weiter heißt es dort über die Dialektische Theologie: „Gott – so verkündet die neueste Richtung in der Theologie – ist der ‚ganz andere‘. Die Synthesen von Gott und Welt, Religion und Kultur, Gott und Vaterland fallen dahin. Abstand, Diastase ist das Wort des Tages.“ 4 Noch im „Religiösen Sozialismus“ hat Althaus zwei Jahre zuvor Barth wesentlich positiver eingeschätzt. Die zwischenzeitliche Entwicklung bei Barth spiegelt sich hier deutlich wider. 5 2305 Staatsgedanke, 5. 6 Ebd. Eine mögliche Erklärung für die Krise gibt Althaus hier ebenfalls gleich mit: Er sieht sie zum einen im „seelische[n] Gegenstoß des Individualismus gegen die […] Überspannung des Staatsgedankens in mehr als vier Kriegsjahren“, zum anderen darin, daß sich für viele „mit dem Zusammenbruch im Herbste 1918 der Eindruck eines schweren Gerichtes“ über die deutsche Geschichte verbindet. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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1921 als „tief in der deutschen Geschichte und deutschem ständischem Denken begründet“ betrachtete. Es ist demzufolge kein Zufall, wenn Althaus seine sozialethischen Gedanken zu Beginn des Jahres 1923 in der Reihe „Schriften zur politischen Bildung“ veröffentlicht, die die „Gesellschaft ‚Deutscher Staat‘“ seit Beginn der 20er Jahre herausgibt. Diese hat es sich nach der im Heft befindlichen Verlagsangabe zur Aufgabe gemacht, „eine deutsche Staatslehre als Gemeingut schaffen [zu] helfen, um so dem deutschen Volke wieder ein lebendiges, deutsches Staatsbewußtsein zu geben.“7 In der „Katastrophenstimmung“, die Deutschland seit der Niederlage und der Revolution gefangen hält, erscheine „alles, was an politischen Idealen in dem Deutschland Bismarcks wie selbstverständlich galt, […] gerichtet und verworfen.“8 Besonders schwer trägt Althaus an der damit einhergehenden Kritik des Luthertums, dessen Theologie habe einem militaristischen Nationalismus Vorschub geleistet9. 7 Weitere Informationen zur „Gesellschaft ‚Deutscher Staat‘“ lassen sich einer Rezension zu Althaus’ Schrift von Magdalene von Tiling in der DNVP-nahen Zeitschrift „Der deutsche Führer. Nationale Blätter für Politik und Kultur“ 2 (1923), 1. Märzheft 1923, 132, entnehmen. Dort schreibt sie: „Aus dem tief empfundenen Mangel eines religiös, geschichtlich und philosophisch begründeten Staatsbewußtseins, […] ist die ‚Gesellschaft deutscher Staat‘ entstanden, in der sich Professoren aller Fakultäten und Männer des praktischen Lebens zusammengefunden haben zur Erforschung der Grundbedingungen völkischen und staatlichen Lebens. […] Die Gesellschaft arbeitet in Haupttagungen […] und durch die Schriftenreihe: ‚Zur politischen Bildung‘.“ Zu Magdalene von Tiling vgl. Schneider-Ludorff, von Tiling. Ob Althaus selbst der „Gesellschaft ‚Deutscher Staat‘“ angehört, lässt sich nicht in Erfahrung bringen. Die Rezension ist zum einen ein Hinweis darauf, in welchen Kreisen Althaus rezipiert wurde, zum anderen lässt sie Rückschlüsse auf die genaue Datierung von „Staatsgedanke“ zu. Zusammen mit der Literaturangabe eines Aufsatzes vom November 1922 (45, Anm. 1) lässt sich die Abfassung bzw. Veröffentlichung auf den Zeitraum Dezember 1922 bis Februar 1923 festlegen. 8 2305 Staatsgedanke, 5.  So werde der „nationale deutsche Staatsgedanke, insonderheit die politische Ethik Bismarcks“ als „tiefste Schuld an der Weltkrise“ gebrandmarkt (ebd., 5 f.). 9 So beschreibt er die Position der Gegner mit den Worten: „Dabei wird das Luthertum immer verdächtiger und fragwürdiger. Es hat dem nationalen Willen, ja dem nationalen Kriege seinen ideologischen Heiligenschein gegeben. Es hat eine ‚Kriegstheologie‘ möglich gemacht.“ Darüber hinaus habe „die Kirche Deutschlands Waffen gesegnet, allzu beflissen den Kriegswillen als Gottes Ruf und Willen verklärt, zum Durchhalten im Streite gerufen und das Werk der Völkerversöhnung nicht mit einem Finger angerührt. So vermochte nur ein Luthertum zu handeln, das das Evangelium vergessen hatte“ (ebd., 6 f.). Wen Althaus mit diesen Kritikern besonders im Blick hat, wird deutlich anhand einer Rezension, die er kurz zuvor im Herbst 1922 verfasste. Dort gibt er den Religiösen Sozialisten Georg Wünsch und dessen Auffassung wieder, das Luthertum habe „dem rücksichtslosen Kapitalismus und Imperialismus den Freibrief der Eigengesetzlichkeit“ gegeben und habe dazu beigetragen, „‚die im Nationalismus sich offenbarenden völkischen Raub- und Raufinstinkte mit dem für die Masse notwendigen ideologisch-religiösen Überbau zu versehen‘.“ (2207R Wünsch, 117). Mit einer radikalen Kritik an Bismarck und insbesondere am Luthertum, die in seinen Augen zu diesem Zweck das Lutherbild völlig verzeichnet, setzt er sich auch in 2502 Haltung, 144 f. auseinander. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Seine Verteidigung des „deutschen Staatsgedankens“ und mit ihm verbunden des deutschen Luthertums in „Staatsgedanke und Reich Gottes“ baut Althaus in seinem ergänzenden Aufsatz „Zum Problem des Krieges“ 1925 weiter aus und geht dabei in die Offensive: „Überall in der Welt hat man uns Deutsche wegen des ‚deutschen Staatsgedankens‘, wegen Bismarcks und Treitschkes als die brutalen und gewissenlosen Machtpolitiker verdächtigt. Wollen wir unsere Vergangenheit abschwören, Bismarck und Treitschke, das Preußentum und den ‚Militarismus‘ grundsätzlich und im ganzen (nicht in Einzelheiten, wo wir sie gewiß nicht durchweg verteidigen können!) verleugnen und den deutschen Staatsgedanken preisgeben, aus dem alles Große unserer politischen Geschichte im 19. Jahrhundert geworden ist?“10

Nach dieser rhetorischen Frage verweist Althaus darauf, dass der „deutsche Staatsgedanke“ „auf dem Boden der lutherischen Kirche gewachsen“ sei und „selber ohne Frage ein Stück Luthertum“ bedeute11. „Wir wissen“, fährt Althaus mit Bestimmtheit fort, „daß das Verhältnis der Nationen, wie immer es sich gestalte, gesund nur dann werden kann, wenn nicht die katholische Staatslehre, nicht die anglo-calvinistische Reich-Gottes- und Völkerbundideologie, sondern das Beste der deutschen, auf lutherischem Boden erwachsenen Staatsphilosophie Gemeingut der Völker wird.“12

Dafür gelte es, als lutherischer Theologe das Wort zu ergreifen: „So wartet derjenigen unter uns, die in diesen Jahren auf internationalen Tagungen, im Briefwechsel, als Schriftsteller zu dem Auslande reden und Fühlung suchen, eine gewaltige Geistesaufgabe. Es gilt nichts geringeres, als den anderen das Verständnis für die Wahrheit und Würde des ‚deutschen Staatsgedankens‘ abzuringen.“13

Um eine genaue Verhältnisbestimmung von „Staatsgedanke und Reich Gottes“ vornehmen zu können, gibt Althaus eine Begriffsbestimmung dessen, was 10 2506 Problem, 62. 11 Ebd., 64. Für ihn gehört „das Ringen um das Verständnis der anderen“ „wesentlich zu dem innerevangelischen Kampfe hinzu, den wir deutschen Lutheraner um den Reich-Gottes-Gedanken mit dem Anglo-Calvinismus führen müssen. Von da aus sollte man es verstehen und nicht verlästern, daß gerade lutherische Theologen heute in der vordersten Reihe des Kampfes für den deutschen Staatsgedanken stehen.“ 12 Ebd. Er fügt hinzu: „Der Anglo-Calvinismus, die Schweizer und Holländer müssen einsehen lernen, daß die deutsche Staatslehre und Bismarcks Politik in ihrer Weltlichkeit, ihrem Verzichte auf die demokratisch-christliche Ideologie des westlichen Reich-Gottes-Gedankens, in ihrer Offenheit und ihrem Realismus […] viel wahrhaftiger, ja viel ‚christlicher‘ war, als die pazifistisch-christliche Ideologie der Angelsachsen“ (ebd., 63). 13 Ebd., 62 f. Dies ist für ihn „ein wichtiger Teil  unserer Sendung, unseres Dienstes an den anderen.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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er unter Staat und Reich Gottes versteht. Nicht schwer fällt ihm die Antwort bei Erstgenanntem: „Staat, ‚von innen gesehen‘, bedeutet eine von Macht getragene rechtliche Ordnung, ‚die für fest angesiedelte Menschen eines gewissen Gebietes gilt‘.“14 „Staat, ‚von außen gesehen‘, bedeutet die Zusammenfassung dieses ‚Volkes‘ für das Leben in der Geschichte. Er ist die Form, in der ein Volk Geschichte erlebt.“

Schwerer tut sich Althaus bei der Erklärung dessen, was Reich Gottes bedeutet, denn er weiß, „daß die Frage nach dem Wesen des ‚Reiches Gottes‘ zur Stunde das eine große Grundproblem des Christentums und seiner Theologie ist.“15 Den Inhalt des Reich-Gottes-Begriffs sieht er als weniger umstritten an: „Reich Gottes ist Herrschaft Gottes. Es ist dort, wo Menschen in Demut, Furcht und völligem Vertrauen in allem ihrem Wesen und Handeln auf Gott bezogen sind. Diese Gottbezogenheit gibt sich kund in der Freiheit von allem, das an sich selbst binden will, in der Freiheit zu allem, was Gottes ist, vor allem in der Freiheit zur Freude, zum Dienst, zur echten Gemeinschaft.“

Der Streit um den Reich-Gottes-Gedanken entzündet sich nach Althaus gerade „um den geschichtsphilosophischen Ort des Reiches Gottes, d. h. um sein Verhältnis zur Geschichte, zum Kulturwerk der Menschheit, zu Recht und Staat.“16 Gegen die von Barth und der Dialektischen Theologie propagierte radikale Diastase zwischen Gott und Welt bzw. Gott und Geschichte betont Althaus die Bezogenheit der Geschichte auf Gott und sein kommendes Reich: „Gottes Reich will – so wagen wir seinen Willen zu deuten – in der Geschichte kommen (wenn auch nicht sich vollenden), z. B. dadurch, daß lebendige Personen, mit ganz konkreten Kräften, Anlagen und Zielen ein ihnen befohlenes Werk im Zusammenhange und in Gemeinschaft mit anderen wirken. […] Glauben und Liebe sollen wir mitten in der ganz konkreten Geschichte beweisen, in der Hingabe an ernste Aufgaben, allerdings auch in der innersten Freiheit von ihnen. Die Geschichte mit ihren Werken und Bindungen ist der Ort und daher eine Voraussetzung des Reiches Gottes.“17 14 2305 Staatsgedanke, 9. Er zitiert hier Stammler, Rudolf: Lehrbuch der Rechtsphilosophie. Berlin 1922, § 136. 15 Ebd., 9 f. 16 Ebd., 10. 17 Ebd., 14. Ganz konkret wirft er Barth ein einseitiges und daher mangelhaftes Gottesbild und Geschichtsverständnis vor: „Gott ist der Herr der Geschichte, das heißt ihr Schöpfer und ihr Gericht (also nicht nur dieses!), ihr Sinn und ihre Grenze. Die Ewigkeit ist das Übergeschichtliche, das heißt nicht: die Verneinung der Geschichte, ihr Abbruch nur, sondern wiederum: ihr Sinn und ihre © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Notwendige Voraussetzung des geschichtlichen Lebens, so Althaus weiter, ist aber die Rechtsordnung: „Geschichte ist nur da möglich, wo es Stetigkeit, Freiheit und Zusammenwirken zu gemeinsamen Werken gibt.“ Die Rechtsordnung sichert für ihn zum einen Berechenbarkeit und zum anderen Freiheit voneinander, die nötig ist zum gegenseitigen freien Dienst aneinander. Zum Dritten bedarf es der „Sicherung des Gesamtwillens gegen Einzelbestrebungen“, damit „der Zusammenschluß zu gemeinsamem Wirken“ nicht an der „Vielheit und Verschiedenheit der Zielsetzungen“ – so sehr diese auch dem „Reichtum der geistigen Schöpfung Gottes“ entspringen – scheitert18. Somit ist für ihn eine Rechtsordnung und folglich auch ein Staat notwendig, der diese Rechtsordnung garantiert und schützt: „Da ist Zwang durch Macht unerläßlich. Soll überhaupt Geschichte sein, so sind Befehls- und Verantwortungsverhältnisse nötig.“19 Althaus ist sich im Klaren darüber, dass er mit seiner Begründung der Notwendigkeit der Rechtsordnung und des staatlichen Zwangs über die Begründung Luthers mit der Bekämpfung der Macht des Bösen in der Welt hinausgeht. Diese sind für ihn „viel elementarer und breiter in den Grundbedingungen alles höheren geschichtlichen Lebens“20 begründet. Aus dieser elementaren Notwendigkeit folgert er nun, dass das „Recht samt den Befehlsverhältnissen“ „die Würde einer Gabe Gottes und den Ernst seines Willens“ besitzen21. Althaus ist sich dabei des Problems eines reinen Positivismus, der die ge­ gebene Wirklichkeit unkritisch religiös überhöht, durchaus bewusst, wenn er in seiner Argumentation versucht, Form und Inhalt zu trennen: „Nicht einfach das ‚Gegebene‘ nennen wir Schöpfung Gottes. ‚Gegeben‘ sind auch die Mächte und Lebensformen des Bösen. […] Selbstverständlich handelt es sich dabei nieGrenze.“ (ebd., 15; Hervorhebungen von Althaus). Auch wenn er der Dialektischen Theologie zugute hält, sie sei „ein für den liberalen Protestantismus heilsamer Gegenstoß gegen das kultur- und geschichtsfrohe Diesseitschristentum der Vorkriegsjahrzehnte“, so setzt er sich dennoch mit Nachdruck von Barths Position ab. Beide Extrempositionen will Althaus mit seiner Mittelposition überwinden. 18 Ebd., 16 f. 19 Wenn Althaus hier so großen Wert auf die Notwendigkeit von Zwang und Gewalt bei der Staatsführung legt, spiegelt sich darin ohne Zweifel die Erfahrung der als chaotisch und gewaltsam erlebten Anfangsjahre der Weimarer Republik wider, wo Umsturzversuche von links und rechts und politische Morde beinahe wöchentlich das Staatswesen gefährden und damit eine heute unvorstellbare Brutalisierung der deutschen Innenpolitik zur Folge haben. So schreibt er: „Die Führenden haben die Pflicht, Gegner ihrer Ziele, wenn sie die Stetigkeit des Gesamthandelns stören, zu vergewaltigen. Wir erleben es jetzt in Deutschland reichlich, daß die Gewalt nicht nur gegenüber dem Unrecht, sondern ebensosehr gegenüber dem politischen Gegner, der das Gesamthandeln in Frage stellt, ihre Aufgabe hat.“ (ebd., 17). Nachdem dieses „Gesamthandeln“ aber in Beziehung zum göttlichen Willen steht, wird auch die Gewaltanwendung zumindest indirekt theologisch gerechtfertigt. 20 Ebd., 17. 21 Ebd. Zum Recht als Schöpfungsordnung vgl. 2806 Leitsätze, 56–60. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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mals um die religiöse Verklärung eines bestimmten Rechtsinhaltes, einer bestimmten Verfassungsform, sondern um die Heiligkeit des Rechts- und Staatsgedankens überhaupt.“22 Mit der von Althaus angenommenen Heiligkeit des Rechts- und Staatsgedankens und ihrer Bezogenheit auf das Reich Gottes, ist nun der seiner Meinung nach nur scheinbare Dualismus von einerseits Staat und Rechtsordnung, die ohne Zwangsgewalt nicht denkbar sind, und andererseits Reich Gottes, wo nur die „Freiheit in der Liebe“23 herrscht, überwunden. Geschichte und Reich Gottes lassen sich dadurch zusammendenken, beide bedingen sich gegenseitig: „Die Welt des Rechtes bedarf des Reiches Gottes. Zunächst sind die sittlichen Gedanken ständig als Unruhe in der Rechtsgeschichte wirksam. […] Sodann bedarf die staatliche Rechtsordnung sittlicher Gesinnung bei den Gehorchenden, aber auch bei den Befehlenden.“24

Weil nach Althaus Reich Gottes da ist, „wo man Gott gehorcht in selbst­ loser Hingabe“, ist für ihn „die Rechtsordnung, die Grundbedingung der Geschichte, in der sein Reich werden will“, göttlicher Wille, dem es zu gehorchen gelte25. Bei all dem gibt sich Althaus als idealistischer Realist: „Daß ein gut Teil heutiger und vergangener Politik entartet und verroht ist, darf uns nicht irre machen an dem hohen Ethos, auf das die Politik angelegt ist, dessen sie harrt, das sie von Männern religiösen Verantwortungsernstes erwartet.“ „Das Ideal leuchtet uns vor und wir glauben an seine sittliche Möglichkeit.“26

Dabei gibt er zu bedenken, dass man nicht „zu schnell die bisher erlebte Politik mit dem Wesen der Politik überhaupt“27 gleichsetzen dürfe, auch wenn die 22 2305 Staatsgedanke, 17; Hervorhebung von Althaus. Er schreibt weiter: „Kein einzelner Rechtsinhalt als solcher darf gegenüber neuen Gedanken im Namen Gottes verteidigt werden. Er hat an dem Wechsel, der Bedingtheit und Vergänglichkeit aller geschichtlichen Lebensbeziehungen Anteil. Es besteht geradezu die Pflicht, das Recht lebendig zu erhalten, immer wieder zu reformieren, ja vielleicht nicht selten einmal zu revolutionieren.“ 23 Ebd., 11. 24 Ebd., 18. Den gleichen Gedanken vertritt Althaus in 2502 Haltung, 153 f. auch in Bezug auf das Verhältnis von Evangelium und sozialer Frage: „Freilich ist das Verhältnis des Evangeliums zur sozialen Lage ein durch und durch dialektisches. Das Evangelium gibt dem Menschen nicht nur den Glauben, sondern auch die Liebe. […] Das Evangelium ist nicht nur die Ruhe, sondern auch die Unruhe der Sozialgeschichte.“ 25 Ebd., 19. Auf einer Linie mit dem Gehorsamsbegriff steht bei Althaus der Begriff des Dienstes, beide korrespondieren mit dem Reich-Gottes-Begriff: „Nicht die Liebe, sondern der Dienst Gottes ist der alles umfassende Gedanke der Ethik, der genau dem Begriffe des Reiches Gottes entspricht.“ (ebd., 20). 26 Ebd., 47. 27 Ebd., 29. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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gegenwärtigen Erfahrungen und die der unmittelbaren Vergangenheit schnell den Schluss nahelegen, „diese Politik und das Reich Gottes stehen in hartem, unversöhnlichem Gegensatz.“ Er versteht darunter „das politische Treiben der Gegenwart, im Staate und zwischen den Staaten, […] die treibenden Kräfte bei den Kriegen und ‚Friedens‘-Schlüssen, den Bündnissen und Konferenzen, die wir erleben“28. Deutlich spricht aus seinen Worten zum einen die Abneigung gegen den dem Deutschen Reich oktroyierten Vertrag von Versailles und gegen die vielfach ungerechte Behandlung Deutschlands durch den Völkerbund der Sieger des Weltkriegs. Zum anderen spürt man seinen Ausführungen aber auch die Abscheu gegenüber den innenpolitischen Verhältnissen in der als schwachem Staat empfundenen Weimarer Republik ab, wo in den Parlamenten die Ideologien der Parteien hart aufeinanderprallen und wo auf den Straßen durch Revolutionsversuche von Links und Rechts und durch politische Morde Gewalt, Mord und Totschlag beinahe auf der Tagesordnung stehen. Die pazifistische und sozialistische Lösung des Gott-Welt-Dualismus, nämlich die „fortschreitende Synthese“29 durch „christliche Politik“ lehnt Althaus jedoch – und dieser Gedanke ist bei ihm mittlerweile zum ceterum censeo geworden  – vehement ab. Auch wenn er zugibt, „daß die europäisch-amerikanischen Völker zurzeit unleugbar in der Entwicklung zu überstaatlichen Gruppen und Verbänden stehen“30, so stellt diese für ihn „keineswegs“ „einen ethischen Fortschritt“ dar, sondern zeigt vielmehr an, dass „damit biologisch [ein] neues Stadium der Geschichte im Sinne Spenglers erreicht“ ist31. „Wer gibt uns das Recht“, fragt Althaus, „biologische Übergänge als ethische Fortschritte zu bezeichnen? Auch die neue Welt des Staatenbundes würde nicht das Reich Gottes sein.“32 Bei diesem Versuch, Welt und Gottesreich zusam-

28 Ebd., 24. 29 Ebd., 29. 30 Ebd., 30. Zwei Jahre zuvor stand Althaus in 2104 Sozialismus, 70 diesem Gedanken noch eher skeptisch gegenüber („selbst wenn das richtig ist“), nun gilt er ihm als „unleugbar“. Offenbar hat er sich an diesem Punkt von der Realität überzeugen lassen. Seine negative Wertung ist hin­ gegen die gleiche geblieben. 31 Ebd., 31. Dieses neue Stadium ist für ihn „Alterszeichen eines Kulturkreises, die Erschöpfung der Kräfte, die das Zeitalter nationaler Geschichte und nationaler Kriege heraufgeführt haben. Schwerlich wird deshalb die Menschheit einheitlich in ein Weltfriedensreich oder irgend ein föderatives Staatensystem hineintreten. Sie ist nicht überall gleich alt.“ Vgl. 2409 Heilsgeschichte, 633 f.644. 32 Ebd. Denn seiner Ansicht nach blieben die „letzten Triebkräfte des politischen Wollens […] auch in einer internationalen Organisation bestehen“: „Nach wie vor stände hinter der Politik der Wille zur Selbsterhaltung, zur Sicherung der eigenen Interessen, zur Geltung“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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menzudenken und als aufeinander bezogen darzustellen, ohne beide Bereiche zu vermischen, kommt erneut die lutherische Zwei-Reiche-Lehre zum Tragen33. 5.2 Der „Beruf“ des Volkes und das Verhältnis der Völker „Mit den ‚Religiös-Sozialen‘ und Pazifisten sind wir darin einig, daß auch das politische Leben dem sittlichen Gesetze unterstehen muß.“34 So sehr Althaus deren Lösung einer „fortschreitenden Synthese“ auch ablehnt, steht es für ihn außer Frage, dass es eine „Ethik des politischen Wollens“ gibt, eine Möglichkeit „das Reich Gottes und das politische Wollen zusammenzudenken, zusammenzuleben in einem Herzen“35. Auch wenn für ihn „die Spannung und der Kampf im Völkerleben zu den Grundgesetzen der lebendigen Geschichte gehört“, denen man sich „gerade, wenn man Gott gehorchen will, nicht entziehen kann“, so ist er dennoch davon überzeugt, „daß in ihnen ein tiefes Ethos waltet, das nur entdeckt und bejaht zu werden braucht“36. Dieses Ethos meint Althaus im „Berufsgedanken“ vorzufinden, welcher „über dem Menschen wie eine heilige Notwendigkeit“ stehe37. Wie bereits bei der Begründung der Heiligkeit der Ordnungen, so argumentiert Althaus auch hier mit einem angeblichen SeinSollens-Zusammenhang von Gabe und Aufgabe bzw. Verantwortung38: „Uns ist Gott der Herr und Vater der Geister, der auch die Kräfte und Gaben verlieh, der damit die Verantwortung gab, aus ihnen heraus ein Leben zu leben. Ihm gehorchen wir, wenn wir mit ganzem Ernste unseren persönlichen Beruf zu erfüllen suchen“, was „für das Verhältnis des Einzelnen zum Reiche Gottes von wesentlicher Bedeutung“ ist39.

Hatte Althaus bereits in „Religiöser Sozialismus“ den Dualismus zwischen Gottesreich und Welt in dem durch das Gewissen gebundenen Menschen als überwunden erklärt und daran den Berufsgedanken angeschlossen, baut er hier die 33 Vgl. 2502 Haltung, 179, wo es heißt: „So entschieden Luther die schwärmerische Vermengung der beiden Reiche ablehnt, so deutlich überwindet er doch den Schein des Dualismus“. 34 2305 Staatsgedanke, 34. 35 Ebd., 35. 36 Ebd., 33. 37 Ebd., 36. 38 Schöpfungstheologisch ist für ihn die Vielfalt der Aufgaben, die schließlich auch zu einem Widereinander führen kann, begründet „in dem Reichtum des Menschheitskosmos“, der wiederum auf „die Majestät und Fülle des ewigen Geistes“ zurückzuführen ist (ebd., 37). 39 Ebd., 37. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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sen Berufsgedanken im Hinblick auf das politische Handeln weiter aus. Die Liebe als das der Verfassung des Reiches Gottes entnommene Leitideal soll auch die Erfüllung des Berufes prägen: „Die Liebe im Sinne Jesu ist und bleibt der Wille zum Dienste in ganz konkreten Verpflichtungsverhältnissen.“40 In der Erfüllung des Berufs, so Klaus Tanner, stelle bei Althaus „der einzelne sich seiner sittlichen Herausforderung und werde seine Gesinnung umgesetzt in den verantwortlichen Dienst an der Gemeinschaft.“41 Die Erkenntnis des eigenen Berufs ist für Althaus demzufolge „eine Sache von tiefstem sittlichen Ernste“, ein „immer neues Ertasten und Wagen“, ein „intellektuell-intuitiver Akt“, eine völlige „Hingabe an eine Pflicht“, wobei es gilt, „die Einflüsse der Eitelkeit, des bloßen Ehrgeizes, des natürlichen Machtwillens und anderer niederer Begehrungen als unsachlich fernzuhalten.“42 Das Erkennen des Berufs einer Nation setzt demzufolge „tiefstes Verstehen für die Anlage eines Volkes, für seine Schicksale und seine Kraft“ voraus, das sich verbinden muss „mit dem wagenden Deuten der Geschichte und der jeweiligen Lage. Historie, Divination, Prophetie sind beieinander. Das bleibt immer ein Irrationales.“43 In der Überzeugung, „in dem sittlichen Berufsgedanken den Einheitspunkt von Ethik des Einzellebens und politischer Moral“44 gefunden zu haben, wendet Althaus diesen Gedanken nun auf die Geschichte der Völker an. Ebenso wie jeder einzelne Mensch hat auch jedes Volk von Gott und vor Gott einen geschichtlichen Beruf als „Dienst an der ganzen Menschheit“45. Diesen gilt es, in einer „lebendigen Geschichte“ zu erfüllen, „deren Wesen nicht Statik, sondern Dynamik und Kinetik ist.“ Die lebensphilosophische Althaussche Geschichtsphilosophie und -theologie kommt an diesem Punkt einmal mehr auf den mitt 40 Ebd., 35. 41 Tanner, Verstaatlichung, 239. Tanner führt diese sozialethische Konzeption Althaus’ auf die Lutherinterpretation von Holl zurück; vgl. ebd., 238 f. Die Frage ist, welche Gemeinschaft bei Althaus gemeint ist. Zunächst ist an die eigene Volksgemeinschaft zu denken, doch in seinen Augen will die Liebe „Gemeinschaft auch jenseits der Familie, auch über die Volksgrenzen hinaus“ (2305 Staatsgedanke, 35). 42 2305 Staatsgedanke, 36. „Eitelkeit, brutale Machtgier, Händlergeist und Brigantentum trüben den Blick und heißen zu weit greifen“, weshalb er stets die Gefahr „der Täuschung und der Schuld“ sieht (ebd., 38). 43 Ebd., 38. Schwarke, Anfänge, 27 spricht in diesem Zusammenhang davon, dass der Staatsmann „durch den Althausschen Berufsgedanken zum mystischen Organ einer ‚Volksperson‘ erklärt“ wird. Zum „Tasten und Ringen nach Gottes Willen“ vgl. auch 3213 Dogmatik, 39. 44 Ebd., 37. 45 Ebd., 41. Daher gehört für Althaus zu der „Wirklichkeit, an die das Volk seine Berufsfrage stellt“, auch das „Dasein, das Leben und Schicksal der anderen. Die verantwortlichen Führer sollen nicht nur des eigene Volkes, sondern auch des fremden Geschichte, Art und Gabe immer neu bedenken“ (ebd.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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lerweile festen Ort der Lebensalter der Völker innerhalb einer als organisch verstandenen Geschichte zu sprechen46. Mit dieser organischen Geschichtsauffassung, die die einzelnen Völker als natürliche Teile im Ganzen der Menschheit betrachtet, greift Althaus auf Herdersche Gedanken zurück. Das Ziel der Geschichte war für Herder, so Holm Sundhaußen, die „Verwirklichung eines göttlichen Plans“, zu der jedes Volk seinen Beitrag gemäß seiner nationalen Eigenart leistet sollte, wobei sich „die einzelnen Völker zeitlich abwechseln“ und dadurch im Verlauf dieser Entwicklung das allein ihnen „Besondere zum Ganzen der Menschheitsgeschichte“ beitragen. Dabei müsse „jede Generation sich ihre Ziele neu stellen und darum kämpfen. Spannungen, Widersprüche und Konflikte müßten […] als lebendige und notwendige Kräfte akzeptiert werden.“47 Wie in der Innenpolitik, wie im „Parteileben“, so stoßen für Althaus auch in der Außenpolitik „unumgänglich“ Berufsfragen zusammen, steht „nationaler Wille gegen nationalen Willen“, so dass „Kampf und Ringen entsteht“48. „Ob es zum Kriege kommt“, ist für Althaus „eine untergeordnete Frage“49. Denn allein schon die Tatsache, dass „die Seelen der Völker Krieg führen, […] die Hoffnungen und Wünsche widereinander streiten“, stellt für ihn ein ethisches Problem dar50. Als aktuelle Beispiele weist er darauf hin, „wie heute deutscher und polnischer Wille um den deutschen Osten, deutscher und welscher um Tirol oder die Rheinlande“ ringen51.

46 „Es gibt Völker“, so Althaus, „die den Beruf zum Führertum an der Stirne tragen, und andere, die ihn nicht haben, vielleicht nicht mehr oder noch nicht haben. In diesem Gewoge der Bewegungen lebt ein Volk. Hier stellt sich ihm die Berufsfrage.“ (ebd., 40). Schäfer, Beurteilung, 74 weist zu Recht darauf hin, dass man Althaus „mit diesem Berufsgedanken sicher keine ausschließliche Übersteigerung des eigenen Volkes im Sinne eines Chauvinismus vorwerfen“ könne (Hervorhebung im Original). 47 Sundhaussen, Einfluß, 37. 48 2305 Staatsgedanke, 40 f. Als Beispiel für das Zusammenstoßen von zwei Willen, „die Geschichte eines Landes oder Erdteils zu gestalten“, nennt er „Österreich und Preußens Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland“ (ebd.). Auch das Althaussche Wort vom „Recht gegen Recht“ kehrt hier wieder (ebd., 45). 49 Ebd., 41. Von der in 2104 Sozialismus geäußerten „Ahnung“, dass Kriege auch einen hamartiologischen Hintergrund haben, rückt er in dieser Schrift offensichtlich wieder ab, wenn er zu dieser Frage lediglich schreibt: „Wer aber wollte im Ernste behaupten, das sei in jedem Falle eine Offenbarung des Bösen in der Menschheit?“ (2305 Staatsgedanke, 41). 50 Ebd. Mit dieser Charakterisierung des Krieges als ethisches Problem geht Althaus über frühere Urteile hinaus. Noch in 1902 Pazifismus sah er die Frage nach Krieg und Frieden als „außersittlich“ an; vgl. Kap. II, 3.2. 51 2305 Staatsgedanke, 41. Vor dem damals aktuellen Hintergrund der Oberschlesischen Frage ging Althaus in 2104 Sozialismus noch von einem unmittelbar bevorstehenden Krieg mit Polen aus; vgl. Kap. III, 2.3.2. Zwei Jahre später nun zeigt er sich in der Kriegsfrage zurückhaltender. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Im Bewusstsein, „seinen Dienst an der ganzen Menschheit“ zu tun, soll nach Althaus jedes Volk „in jenem Fragen, Horchen, Tasten, Gehorchen […] seinen Weg gehen“, es soll „auf seinen Beruf allein sehen. Es soll und darf in großen Dingen keinem anderen Volke zuliebe oder zuleide handeln, sondern nur seinen Beruf erfüllen.“52 Denn er ist der Überzeugung: „Der beste, wertvollste Internationalismus ist die gehorsame, ernste, entschlossene Entfaltung des eigenen Lebens. Das bezeugt die Geschichte hell.“ Ein nationaler Egoismus wird hier von Althaus als Dienst an der Menschheit ausgegeben. Was Althaus zur Einschränkung lediglich zu sagen weiß, ist die Forderung nach „Ritterlichkeit und Sachlichkeit […] [im] Verhältnis der Völker“53: „Es geht nicht an, den Kampf gegen ein anderes Volk als Dienst der Liebe zu rechtfertigen“54. „Ein Volk hat nichts, aber auch gar nichts anderes zu tun als seinen Beruf zu erfragen und zu erfüllen, nicht eine andere Nation zu züchtigen, nicht Rache zu nehmen, nicht Hüter der Gerechtigkeit zu sein.“ Jede dieser Aussagen liest sich als massive Kritik am Versailler Vertrag und der damit verbundenen Behandlung Deutschlands durch die Siegermächte. Althaus will demgegenüber zu einer „‚Entmoralisierung‘ der Völkergegensätze und damit zu einer befreienden Entgiftung“55 beitragen, indem „eine Atmosphäre der Wahrheit und Ehre zwischen den Völkern“ geschaffen wird, die „mit dem Hasse auch [den] Rachegedanke[n] und die Revanchelust als etwas tief Unsittliches“ außen vor lässt. Erst dann ist für ihn es möglich, „auch den Gegner [zu] ehren“56 und so etwas wie einen „Sinn für die Herrlichkeit des anderen Volkes“57 zu entwickeln. „Völkergemeinschaft, Wahrheit, adlige Ritterlichkeit zwischen den Völkern stiften mitten in allen Gegensätzen – das ist die wahrhafte, die größte, die herrlichste Völkerversöhnung. […] Gerade die ‚Nationalen‘ in allen Völkern müssen und können zur ritterlichen Verständigung, zur Gemeinschaft in der Wahrheit, bei voller Einsicht in die notwendigen Gegensätze, kommen.“58 52 Ebd. Hervorhebung von Althaus. 53 Ebd., 45. 54 Ebd., 41 f., Anm. 1. Weiter heißt es: „Die Pflicht zu einem Kriege kann nur als Gehorsam des handelnden Volkes gegen seinen eigenen Beruf, nicht aus dem Liebesgedanken begründet werden. Ob eine anderes Volk der Züchtigung bedarf, ob es im Unrechte ist, das ist uns in den meisten Fällen verborgen. Gott allein weiß es. […] Gott benutzt allerdings, wie wir seit den Tagen der Propheten überzeugt sind, oft ein Volk als Werkzeug seines richtenden Zornes und seiner zurechtbringenden Liebe für ein anderes. […] Im Kampfe mit anderen sich als Werkzeug der Liebe oder des Rechtes Gottes zu fühlen ist immer furchtbare Vermessenheit“ (Hervorhebungen von Althaus). 55 Ebd., 45. Zu einer Vergiftung kommt es für ihn „durch ein Aufwerfen der Schuldfrage da, wo sie nicht aufgeworfen werden darf“. 56 Ebd. 57 Ebd., 46. 58 Ebd. Diesen Gedanken vertritt Althaus auch in 2504 Beziehungen, 45: „Es ist gewiß etwas Großes, wenn jetzt die Friedensfreunde aller Völker sich getroffen haben. Größer aber, tiefer und © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Das ist für Althaus „der eigentliche Triumph des Reiches Gottes mitten im Widerstreit.“59 Das große Negativbeispiel ist für ihn der Weltkrieg: „Wie haben sich alle, ausnahmslos alle Völker während des Krieges, auch wir Deutschen, an dieser ritterlichen Haltung der Seele gegenüber dem Gegner versündigt!“60 Wie wenig Althaus – und mit ihm sein Gewährsmann Emanuel Hirsch – mit seiner aus dem Geist der Romantik gespeisten Kritik an der Moralisierung der Völkerbeziehungen allein stand, zeigt ein Blick auf einen ebenfalls aus dem Jahr 1923 stammenden Vortrag des Theologen und Vernunftrepublikaners Ernst Troeltsch über „Naturrecht und Humanität in der Weltpolitik“, der mit den Worten beginnt: „Die von beiden Seiten geführte Kultur- und Moralpropaganda des Weltkrieges ist ein Kapitel für sich und zeigt, daß in den heutigen demokratischen Verhältnissen moralische und geschichtsphilosophische Bemäntelung der Politik zur Mobilisation der Massen unentbehrlich sind. Es ist Moral und Geschichtsphilosophie als Kriegsmittel in der Hand eines politisch geleiteten, zentralisierten Journalismus […]. Die Auffassung, daß es eine Ehre sei, mit großen, starken und edlen Gegnern zu kämpfen, ist ‚ritterlich‘, wie man mit Recht sagt, d. h. sie gehört aristokratischen Zeitaltern und ihren Nachwirkungen an. Die Massen demokratisierter Zeitalter kennen nur Liebe oder Haß, Bewunderung oder Verachtung, moralisches Recht oder moralisches Unrecht. Wer sie in den Krieg peitschen will, muß diesen Masseneigenschaften Rechnung tragen, und dafür muß eine ganze Literatur […] die moralische Nichtswürdigkeit des Gegners durch historische und ethische Beweisführung dartun. Daher stammt heute die Rolle, die das Schulddogma und die Atrozitätenberichte spielen.“ Das Moralische wird eingesetzt „als Waffe zur moralischen Entwertung der Gegner“61.

Nachdem der noch 1919 in „Pazifismus und Christentum“ so zentrale Gedanke der sozialdarwinistisch konnotierten „Tüchtigkeit“ eines Volkes, die über das Auf und Ab im Völkerleben entscheidet, schon 1921 im „Religiösen Sozialismus“ zurückgetreten war, erscheint dieser Topos in „Staatsgedanke und Reich Gottes“ 1923 gar nicht mehr. Im Gegenteil, Althaus zeigt sich hier sehr bemüht, sein Konzept gegen den schon damals erhobenen Vorwurf des Sozialdarwinismus zu verteidigen bzw. sich von diesem abzugrenzen: gerechter erschiene es mir, wenn sich einmal die ‚Nationalen‘ der Völker treffen würden und sagen: wir wollen uns die Hand reichen, weil wir uns zum Beruf unserer eigenen Völker bekennen, und weil wir unter demselben Herren stehen.“ 59 Ebd., 47. Denn Althaus zeigt sich überzeugt: „Das Reich Gottes bedeutet nicht, daß die Schrecklichkeit, die Härte und das Grauen der Geschichte aufhört, aber daß dieses alles mit reinem, freiem Herzen durchlebt werden kann“ (ebd., 46). 60 Ebd., 46. 61 Troeltsch, Naturrecht, 493. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Die darwinistische Auffassung der Staatengeschichte ist nicht das letzte Wort, sondern eine höchst oberflächliche Betrachtung“62, wenn sie verstanden wird „als jener nackte Kampf ums Dasein und Futter, mit dem Siege des Stärkeren, wie er durch die ganze Natur geht.“63

Die „Tüchtigkeit“ ist bei Althaus inzwischen ganz hinter dem „Beruf“ eines Volkes zurückgetreten, wodurch ein stärkerer Bezug auf Gott als den „Herrn der Geschichte“ möglich ist.

5.3 Das Gott gegenüber „verantwortliche Führertum“ Für Althaus kann es letztlich nur eine Staatsform geben, die den von ihm genannten Voraussetzungen zur Erkenntnis des Volksberufes entspricht: ein „verantwortliches Führertum, das freilich tief in dem Vertrauen des Volkes wurzeln muß.“64 Worin der Volksberuf besteht, „das zu entscheiden ist in jeder neuen geschichtlichen Lage die schöpferische Tat seiner Führer.“65 Althaus greift hier die Vorstellung Herders auf, der davon ausging, „durch ‚Besonnenheit‘ und ‚Besinnung‘ ist der Mensch in der Lage“, den „göttlichen Entwicklungsplan“ zu erkennen66. Ebenso knüpft er an die volksmonarchische, mit dem Berufsgedanken verbundene Vorstellung Schleiermachers von einem göttlichen „Werkzeug“ an67. 62 2305 Staatsgedanke, 35. Auch in 2504 Beziehungen, 43 grenzt sich Althaus von der „darwinistisch-naturalistischen Zeit“ ab, in der „die Geschichte nur die Fortsetzung des Daseinskampfes“ gewesen sei. 63 Ebd., 34. Althaus schließt daraus: „Wenn es kurzweg heißen müßte: in der Politik ist Eigennutz, Selbstdurchsetzung, Schädigung, Betrug, Haß, Schadenfreude das Rechte, hier ist der Egoismus heilig, der uns im Privatleben als Zeichen unsittlicher Gesinnung erscheint – dann klaffte der heillose Riß zwischen Individual- und Sozialethik, dann bliebe dem Dualismus das letzte Wort“. 64 Ebd., 39. „Auf den Führern lastet die Schwere der Verantwortung, den geschichtlichen Beruf ihres Volkes zu erhorchen. Der Beruf ist etwas über dem Volke, über jeder Generation“. 65 Ebd., 42. Diese „schöpferische Tat“, die „Gerechtigkeit in dem politischen Wollen eines Volkes“ setzt, wird von Althaus einmal mehr gegen den „Mehrheitsbeschluß eines Völkerparlamentes“ ausgespielt (ebd., 44). 66 Sundhaussen, Einfluß, 37. 67 So heißt es bei Schleiermacher: „Solche Werkzeuge können nur da entstehen, wo nicht nur mit einer richtigen Kenntnis und Benutzung der Zeitumstände gehandelt wird, sondern auch dem Geist und der wahren Bestimmung des Volkes gemäß“ (zit. nach Kurz, Denken, 33 f.). Das was Althaus mit dem Begriff der „Volkheit“ beschreibt, klingt hier mit der „wahren Bestimmung des Volkes“ ebenfalls bereits an. Nowak, Protestantismus, 7 weist bei Schleiermachers Konzept auf die ihm zugrundeliegende „romantische Idee der Einheit von Monarch und Volk“ hin, der zufolge „eine allen Egoismen enthobene Persönlichkeit an der Spitze des Gemeinwesens“ angenommen werden konnte. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Wir haben es bei diesen Gedanken mit einer Fortführung seiner staatspolitischen Vorstellungen im „Religiösen Sozialismus“ zu tun, die ihrerseits in früheren Äußerungen während des Krieges wurzeln68. Schon 1921 spricht er vom engen Zusammenhang zwischen dem Volksberuf und den führenden Staatsmännern69. Der Gedanke, dass das „lebendige Gewissen“ die vermittelnde Instanz in der als „Handeln mit Gott und vor Gott“ verstandenen Politik ist, erscheint auch in „Staatsgedanke und Reich Gottes“, wenn Althaus schreibt, dass das Erkennen des Berufes sich „mit einem strengen Gewissen“ vollziehen soll70. Kurt Nowak spricht in diesem Zusammenhang von dem „so protestantismustypischen Insistieren auf der Bindung des Herrschergewissens an Gott.“71 Neu hinzugekommen ist gegenüber der Schrift von 1921 der Begriff des „Führertums“. Rechte Obrigkeit, d. h. solche, die dem Berufsgedanken eines Volkes am besten Rechnung tragen kann, besteht für Althaus im Gegebensein von „Führern“, was durchaus dem schon zwei Jahre zuvor präferierten „organisch-aristokratischen Staatsideal“ entspricht. In „Staatsgedanke und Reich Gottes“ wechselt Althaus Singular und Plural ab, so dass er sowohl von mehreren „Führern“ eines Staates bzw. eines Volkes als auch von einem „Führer“ sprechen kann72. An eine konkrete Staatsform, z. B. eine Diktatur, denkt Althaus dabei also offenbar nicht73. 68 Vgl. Liebenberg, Gott, 495 f. 69 Vgl. Kap. III, 2.3.1. 70 2305 Staatsgedanke, 39. 71 Nowak, Protestantismus, 4. Für Nowak ging es diesem „theologisch-politischen Modell der Herrschaftsqualifizierung durch die Bindung des Gewissens an Gott“ um die „Mahnung an den Herrscher, seine Herrschaft als von Gott anvertraute Herrschaft zu verstehen und zu gebrauchen […] und damit auch zu kontrollieren und zu begrenzen“. Nowak hält demzufolge die „Auffassung von blindem Obrigkeitsgehorsam des Luthertums“ für ein „zählebiges Zerrbild“. 72 Noch in 2104 Sozialismus sprach Althaus stets im Plural von „führenden Staatsmännern“ eines Volkes. Der in der damaligen Zeit weitverbreitete und schillernde Führer-Begriff wird von Althaus nicht nur im staatlich-nationalen Kontext verwendet, sondern generell für Anführer. So spricht er in 2305 Staatsgedanke, 30 auch vom „Führer der französischen Religiös-Sozialen“. In 2909 Theologie, 138 spricht er von den „Führern“ der Dialektischen Theologie. Dass der Althausschen Verwendung des Führer-Begriffs nicht allzu viel präjudizierende Bedeutung im Hinblick auf den Nationalsozialismus beizumessen ist, zeigt die hier und in späteren Schriften vorhandene Austauschbarkeit der Begriffe „Staatsmann“ und „Führer“, sowohl im Singular wie im Plural. So spricht er in 2409 Heilsgeschichte an keiner Stelle von einem „Führer“, dafür aber von „Staatsmänner[n]“, die „aus der Verantwortung für Gabe, Beruf und Dienst ihres Volkes heraus handeln“ sollen (ebd., 644). Den Führerbegriff verwendet Althaus auch in seiner Predigt 2404P Führer, die sich mit dem Gott verantwortlichen Führertum beschäftigt, konsequent im Plural. 73 Auch Tanner verweist in seiner Studie über die Haltung der Theologen zum Staat in den 20er Jahren darauf, dass die Frage nach der Staatsform gegenüber der Frage nach der „Staatsgesinnung“ überhaupt nur eine untergeordnete Rolle spielte; vgl. ders., Verstaatlichung, 240. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Der entscheidende Punkt an Althaus’ Konzeption eines „Führertums“ ist die nähere Bestimmung als „verantwortliches Führertum“. Gott gegenüber, der nach Althaus den Beruf eines Volkes gibt, ist ein „rechter Staatsmann“ verantwortlich: „Das Staatshandeln haben wir ernstlich auf Gott bezogen. Es wird durch die Begriffe der Verantwortung, des Gehorsams, des Dienstes geregelt. […] So Politik treiben, daß man dabei unter Gott steht […] – heißt das nicht: aus den Kräften des Reiches Gottes leben? Nur Menschen, die vor Gott wandeln, können in dieser Art handeln.“74

Althaus’ Konzeption eines „verantwortlichen Führertums“ bildete sich in einer Zeit allgemeiner Hochschätzung der sittlichen „Persönlichkeit“ im politischen Denken, sowohl auf Seiten der Theologie, als auch in der Staatsrechtslehre. So konstatiert Klaus Tanner für die 20er Jahre: „Die Konzentration auf die persönliche Gesinnung, wie sie mit der Leitidee des ‚Reiches Gottes‘ […] gegeben war, stärkte primär ein personalistisches Verständnis des Politischen. Nicht Strukturfragen, sondern die großen geschichtlichen Individuen standen im Mittelpunkt der politischen Analysen der genannten Theologen. Sie verstanden Politik als Gestaltung der Kultur zum Wohle der Gemeinschaft durch große Persönlichkeiten und Führer.“75

Wenn man sich auch nicht um Struktur- und Verfassungsfragen beschäftigte, so wurde jedoch aus theologisch-ethischen Gründen das demokratische Prinzip zurückgewiesen. Denn damit, so Tanner weiter, „rückte im Verständnis des politischen Handelns die Betonung vom rational verfahrensmäßig geordneten Vorgehen hin auf den rational nicht mehr faßbaren Aspekt der wagenden Gewissensentscheidung des großen einzelnen. Da ‚Persönlichkeit‘ nur der ist, der sein Leben in den Dienst an der sittlichen Gemeinschaft stellt, wurde mit der Personenorientiertheit auch das ethische Moment in Gestalt der Gesinnung gestärkt.“76

Die Idee eines Führertums als Gottesgnadentum bzw. der Führerbegriff ist bei Althaus nicht neu. Angesichts der zunehmend prekären Kriegssituation Deutschlands zu Beginn des Jahres 1918 weist Althaus die Leser seiner Sonntagsbetrachtung hoffnungsfroh darauf hin: „Die wahren Retter in Schicksals 74 2305 Staatsgedanke, 43. In der 3. Auflage zitiert Althaus in diesem Zusammenhang den Historiker Friedrich Meinecke mit den Worten: „Der handelnde Staatsmann muß ‚Staat und Gott zugleich im Herzen tragen, um den Dämon, den er doch nicht ganz abschütteln kann, nicht übermächtig werden zu lassen‘.“ (2505 Staatsgedanke, 55, Anm. 1). 75 Tanner, Verstaatlichung, 239 f. 76 Ebd., 240. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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stunden sind uns immer […] geschenkt worden, nicht von Volkes, sondern von Gottes Gnaden.“77 Solche Retter meinte Althaus in den Generälen Hindenburg und Ludendorff zu erblicken, deren militärische Erfolge die Überzeugung nahelegten, dass Gott den Deutschen „noch immerdar Führer und Helden beschert, die der Stunde gewachsen waren“78. Was Althaus konsequenterweise auch in „Staatsgedanke und Reich Gottes“ ablehnt, ist ein westlich-demokratischer Parlamentarismus. Dessen Berechtigung weist er mit der Behauptung zurück, das „Erkennen des Berufes einer Nation kann immer nur Sache der Wenigen sein.“79 „Eine demokratische Verfassung, die der Mehrheit der jetzt lebenden Staatsbürger den politischen Willen zu bilden gäbe, wäre im tieferen Sinne unsittlich. Die Masse pflegt nach Tagesrücksichten, nach Bequemlichkeit, aus Kollektivegoismus zu handeln. In Wirklichkeit allerdings herrscht auch in einer formalen Demokratie nichts weniger als der Volkswille.“80

Demgegenüber lautet für ihn das „Grundwort der Politik“: „Gehorsam“ dem „Herrn der Geschichte“ gegenüber81. „Politik ist Dienst an einem Anvertrauten, an einer Vergangenheit, deren Erbe gedeutet und gewahrt, an einer Zukunft, die gewagt werden soll, Dienst an etwas über dem Volke“82, nämlich dem gottgegebenen Beruf. Während Althaus aus einer von lutherischer Anthropologie gespeisten pessimistischen bzw. realistischen Einsicht in die Sündhaftigkeit der Menschen seine Vorbehalte gegenüber Demokratie, gegen Masse, Mehrheit und Mitbestimmung klar zum Ausdruck bringt, suspendiert er die gleiche Einsicht und die gleichen Bedenken beim Gedanken des „verantwortlichen Führertums“83. Der mögliche „Kollektivegoismus“ wiegt ihm an diesem

77 1805B; Hervorhebungen von Althaus. 78 Ebd.; vgl. 1806P Deutschland, 1. Zur Idee des Gottesgnadentums in Bezug auf einen deutschen Retter, Führer und Helden vgl. Liebenberg, Gott, 401–403. 79 2305 Staatsgedanke, 38 f. 80 Ebd., 39. Für Althaus steht fest: „Die neue ‚Freiheit‘ enthüllt sich als Herrschaft der großen Geldmächte und der sich zum Selbstzweck erhebenden Parteiorganisationen.“ (ebd., 13). Damit ist die behauptete „Wesensverwandtschaft der Demokratie und des Reiches Gottes“ in seinen Augen unhaltbar: „Der Anglo-Kalvinismus […] meint, nur zwischen der Monarchie […] und dem Reiche Gottes sei der Gegensatz so hart, dagegen kämen die Normen des Reiches Gottes in der Demokratie mit ihrer ‚Freiheit‘ gerade zur Geltung. So hat man den Krieg für die Demokratie als heiligen Krieg geführt.“ (ebd., 12 f.). 81 Ebd. 82 Ebd., 40; vgl. 3013 Politik, 1323. 83 Vgl. Nowak, Protestantismus, 9. Einen Grund für dieses Messen mit zweierlei Maß kann man mit Nowak in der „Skepsis gegen die Leistungsfähigkeit der demokratischen Instrumente“ ­sehen. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Punkt offensichtlich mehr als der mögliche Egoismus des führenden Staatsmanns. Offen bleibt in Althaus’ Vorstellung eines „verantwortlichen Führertums“, wie der betreffende Staatsmann an die Spitze des Staates gelangt, wenn nicht durch demokratische Wahl oder dynastische Thronfolge84. So spricht Liebenberg für die Zeit des Weltkriegs davon, Althaus’ „Herrschaftslegitimation durch die Idee des Gottesgnadentums“ sei „offen und willkürlich“85. Dass das Volk, d. h. die einzelnen Bürger, in Althaus’ Konzeption von Politik nicht vollkommen außen vor bleiben, sondern an der Politik auf eigentümliche Weise beteiligt sind, lässt er in ganz anderem Kontext, im Zusammenhang seiner Deutung von Jesu Stellvertretung erkennen, wo er aus Illustrationszwecken über inklusive Stellvertretung im politisch-vaterländischen Bereich schreibt: „Der politische Führer trägt die Verantwortung für seines Landes Lage, damit die anderen sie nicht zu tragen brauchen. Und dennoch: die Hingabe an das Vaterland bedeutet für jeden eine unübertragbare sittliche Aufgabe. […] Ein großer Staatsmann leidet darum um seines Landes Ehre, Freiheit, Zukunft innere Not, daß er irgendwie und irgendwann alle mit hineinziehe in diese Bewegung. Stellvertretung, hinsichtlich der besonderen geschichtlichen Leistung exklusiv, darf die Sorge um das Vaterland den Vertretenen gerade nicht abnehmen, sondern muß sie ihnen groß und wichtig machen.“86

Wie so oft, bleibt Althaus auch an diesem Punkt sehr vage. Nach allem bisher Gesagten, dürfte zumindest klar sein, dass er unter Beteiligung keine irgendwie demokratisch geartete meint, sondern eine auf Gehorsam dem Staatsmann bzw. Führer gegenüber beruhende87. Wenn Althaus sein Gedankengut auch vielfach dem gleichen weltanschaulichen Pool entnimmt wie die Vertreter der „Konservativen Revolution“, so finden sich doch auch deutliche Unterschiede. Diese liegen in der grundsätzlichen Verschiedenheit zwischen altkonservativem und jungkonservativem Denken begründet; Althaus ist sozusagen ein Wanderer zwischen beiden Gedankenwelten, wie sich an der Idee des „verantwortlichen Führertums“ zeigt. Wenn 84 Vgl. 3217 Luther, 49 f., wo Althaus schreibt: „Obrigkeit als Gottesordnung ist nicht daran gebunden, wie die jeweils Regierenden in ihr Amt kommen. Volkswahl der Amtsträger gefährdet die gottgegebene Autorität der Obrigkeit nicht.“ Den Parlamentarismus lehnt Althaus aber aus dem Grund ab, weil er die Obrigkeit zerstöre, „indem er das Volk selbst zur Obrigkeit macht.“ 85 Liebenberg, Gott, 402. 86 2302 Kreuz, 40. Dieses Zitat gibt zugleich ein Beispiel für die Austauschbarkeit der Begriffe „Führer“ und „Staatsmann“ bei Althaus. 87 Diesen Gedanken der Mitverantwortung des Einzelnen greift Althaus in 3217 Luther, 51 f. auf, nun in Verbindung mit dem Revolutionsrecht. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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­ rthur Moeller van den Bruck „volkliche Führer“ einfordert, „die sich mit der A Nation in eines gesetzt fühlen, die das Schicksal der Nation mit ihrer eigenen Bestimmung verbinden“88, so sind für ihn diese Führer allein dem Volk gegenüber verantwortlich und handeln in seinem Namen. Wenn Althaus von „verantwortlichem Führertum“ spricht, so meint er damit in erster Linie eine Verantwortung der politischen Führer Gott gegenüber, der den Beruf gibt. Bei Althaus ist der christliche Staatsmann immer schon mitgedacht und vorausgesetzt, wodurch auch die moralische Integrität desselben vorausgesetzt ist. In zweiter Linie sind die Führer eines Volkes auch diesem gegenüber in der Pflicht, sofern es der Beruf des Volkes ist, den Gott gemäß dem Gabe-AufgabeModell gibt. Diese religiöse und sittliche Rückbindung des Führergedankens an Gott entspricht altkonservativen Vorstellungen, während die jungkonservativen Vertreter der „Konservativen Revolution“, allen voran Moeller van den Bruck, ohne eine solche auskommen. Als ein offenkundiges Problem der Althausschen Konzeption eines „verantwortlichen Führertums“ und seines Verständnisses von Politik als wagendes Handeln einzelner Staatsmänner bzw. Führer im Gehorsam gegen den von Gott gegebenen Beruf ihres Volkes und als Dienst an diesem, stellt sich die Frage nach möglichen geschichtsimmanenten Kontrollinstanzen. Die Frage ist mit Althaus schnell beantwortet: So wenig wie ein internationaler Schiedsgerichtshof in „Berufsfragen“ wirklich Recht sprechen kann, so kann überhaupt keine menschliche Instanz zwischen den Staatsmann als Mandatar Gottes und Gott selbst treten. Einmal mehr ist für Althaus Bismarck das große Vorbild: „Bismarck hat in seiner ganzen Erscheinung deutlich genug bezeugt, daß mit der Verantwortung nicht die vor dem lebenden Geschlechte gemeint ist.“89 Es sind also zunächst weitgehende, relative Eigengesetzlichkeiten – der Begriff taucht hier selbst nicht auf  –, die Althaus dem politischen Bereich zubilligt: „Die Teilnahme an der lebendigen Geschichte zieht […] in ein Handeln hinein, in die Anwendung von Mitteln, das Betreten von Wegen, vor denen die sittliche Persönlichkeit immer wieder zurückschreckt.“90 Althaus geht sogar so weit, dem Politiker zuzugestehen, dieser sei „nicht selten gezwungen, Men 88 Moeller van den Bruck, Reich, 306. 89 2305 Staatsgedanke, 43. 90 Ebd., 48. Bei diesem „Zurückschrecken“ bleibt es allerdings auch, denn gegen die Eigengesetzlichkeiten, gegen „die Grundgesetze der Geschichte“, kann der Mensch sich nicht auflehnen: „Uns ist nicht zugemutet und nicht gestattet, aus dem mächtigen Widereinander und Durcheinander der geschichtlichen Lebenskreise, Berufe und Bewegungen einen friedlichen, harmonischen Kosmos zu machen. Wir sind nicht die Herren und Meister der Geschichte, sondern Menschen, die an einen ganz konkreten Punkt, in ganz bestimmte und bedingte Lebens- und Pflichtbeziehungen gesetzt sind und in diesen demütig und treu dienen sollen.“ (ebd., 21 f.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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schen, Mächte, Parteien wie Spielfiguren zu benutzen und, wenn er ihrer nicht mehr bedarf, sie wegzuwerfen.“91 Althaus selbst spricht hier nichts anderes als die Suspendierung eines sitt­ lichen Urteils in politischen Fragen aus: „Eine evangelische Ethik kann hier nichts einzelnes sagen wollen. […] Wir rechnen mit Staatsmännern von Gewissensernst. Ebendarum müssen wir sie aber auch mit ihrem Gewissen ihre Straße ziehen lassen. Ihr Gewissen zu meistern steht keinem von uns zu. Von ihnen bei ihrem schweren Werke gilt […]: sie stehen und fallen ihrem Herrn.“92

Allein Gott gegenüber besteht die Verantwortung, d. h. die Kontrollinstanz für führende Politiker ist rein geschichtstranszendent, allein ihr gegenüber können Staatsmänner schuldig werden. Damit aber suspendiert Althaus letztlich jeg­liche Sozialethik – trotz der Beteuerungen und Hinweise auf die „sittlichen Normen in der Geschichte“, die inhaltlich leer bleiben und lediglich auf bedingungslosen Gehorsam hinauslaufen. Eine menschliche Kontrolle der Politik ist damit unmöglich, Staatsmänner und „Führer“ sind unkontrollierbar. Einziges Korrektiv ist ihr eigenes Gewissen, das sich Althaus im Austausch mit Gott vorstellt. Aufgrund der von ihm durch die Gewissensbindung angenommenen Unmittelbarkeit des führenden Staatsmanns zu Gott verzichtet Althaus auf menschliche, institutionelle Kontrollmechanismen gegen den Missbrauch politischer Macht. Diese Gewissensbindung ist für ihn hinreichendes Sicherungsmittel dagegen und soll somit der Herrschaftsbegrenzung dienen. Ein in anderen Schriften angedeutetes und eingeräumtes „Revolutionsrecht“ kommt in „Staatsgedanke und Reich Gottes“ nicht vor93. Zur Gänze auf den Kopf gestellt wird jegliche sittliche Norm, jedes Ethos in der Politik durch den vertröstenden Ausblick von Althaus: „Auch wo das Ethos der Politik verletzt wird, vollzieht sich die Herrschaft Gottes – wenn nicht in den Menschen, so doch über die Menschen.“94 Wie schon in „Religiöser Sozialismus“ und in seiner frühen Geschichtstheologie überhaupt, so scheint auch hier Althaus’ allen Autonomisierungstendenzen des „Weltlichen“ entgegengesetztes Konzept einer theonomen Weltdeutung durch. Seine „monistische Interpretation der Wirklichkeit“ (Christian Schwarke), seine Subsumtion alles „Weltlichen“ unter die göttliche Herren­ 91 Ebd., 48 f. 92 Ebd., 48. Den Gedanken der alleinigen Gewissensbindung betont Althaus auch bei seiner Darstellung des Handelns Luthers; vgl. 2502 Haltung, 165.175.177 f. 93 Vgl. Kap. III, 2.2. 94 2305 Staatsgedanke, 50; Hervorhebungen von Althaus. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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majestät, lässt eine menschliche, d. h. in seinen Augen eine autonome, Kontrollinstanz – heißt sie innenpolitisch Parlament oder außenpolitisch Völkerbund – nicht zu. Damit wird die Überwachung der menschlichen Politik zwar von einer größtmöglichen Instanz übernommen, was aber aufgrund der objektiven und konkreten inhaltlichen Unbestimmtheit des göttlichen Willens keine Konsequenzen haben kann. Letztlich kann auf diese Weise jegliches politische Handeln theologisch legitimiert werden, sofern sich der Politiker als Gott gegenüber verantwortlich weiß. Was allerdings geschieht, wenn „Führer“ an der Macht sind, die keinen „Gewissensernst“ besitzen und deren Verantwortungsbewusstsein vor Gott nur vorgetäuscht ist, zeigt die weitere deutsche Geschichte überdeutlich. Der biblische Grundsatz „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29) wird in dem Moment ad absurdum geführt, da sich der Gehorsam Heischende glaubhaft als Werkzeug göttlicher „Vorsehung“ ausgibt. 5.4 Bismarck als der vorbildhafte christliche, politische Führer Bei aller Problematik in Althaus’ Konzeption von „verantwortlichem Führertum“ muss man sich vor Augen halten, welche Art von Politik bzw. welcher Politiker ihm dafür als vorbildlich erscheint. Althaus wendet dazu seinen Blick in der deutschen Geschichte zurück. Es ist die Art von Politik und das politische Ethos des ehemaligen deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck, die Althaus als vorbildhaft für einen in seinen Augen wahrhaft christlichen Staatsmann erscheinen95. Dabei findet Althaus gerade in Bismarck sein eigenes politisches Credo umgesetzt: National muss ein Staatsmann sein, nationalistisch darf er nicht sein. So heißt es bei Althaus bereits 1916: „Bedenklich für ein Volk kann es aber werden, wenn seine einflußreichen Männer und maßgebenden Führer, seine Beamten und Volkserzieher der blinden Vaterlandsliebe verfallen. Hier gilt es, unendlich wachsam zu sein.“96 Bismarck attestiert Althaus ein Wissen um die „Bedeutung des Berufsbewußtseins, des Bewußtseins der Sendung“ und „geradezu religiöse Motive“97. 95 So schreibt Althaus Anfang März 1923 an den dänischen Kirkegaardforscher Eduard Geismar, dem er ein Exemplar von „Staatsgedanke und Reich Gottes“ schickt: „Ich bekenne ausdrücklich, daß ich an Bismarck viel Lutherisches sehe und in seiner Politik (was nur die Vertiefung in seine Reden zeigen kann) grundsätzlich ein hohes Ethos finde.“ (zit. nach: Schjørring, Gewissensethik, 90 f.). 96 1602 Vaterlandsliebe IV, 2. Er schreibt weiter: „Vaterländische Selbstbesinnung und Selbstkritik ist eine nationale Forderung, zu deren Verwirklichung nur fromme Menschen imstande sind.“ 97 2305 Staatsgedanke, 27. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Im Gehorsam gegen den Beruf des deutschen Volkes hat Bismarck nach Althaus’ Meinung Politik in „Beziehung auf den Herrn der Geschichte“ betrieben98. In „Staatsgedanke und Reich Gottes“ wird Bismarck auf den 47 Seiten nicht weniger als 25 Mal namentlich erwähnt, nahezu immer in außenpolitischen Zusammenhängen. Die Sehnsucht nach einem Mann wie Bismarck ist groß, am deutlichsten drückt Althaus seine Verehrung mit den Worten aus: „Wer sich in das politische Werk Bismarcks versenkt, der kann nicht anders, als nach der Ritterlichkeit der Völkerbeziehungen, wie dieser große und, wo es um seines Volkes Beruf ging, rücksichtslose ‚Realpolitiker‘ sie pflegte, sich zurückzusehnen.“99

Als historisches Beispiel für die Bismarcksche „Ritterlichkeit“, die sich jeg­ lichem „Rachegedanken“ und „Revanchelust“ versagte, erwähnt Althaus den Vorgang, „wie Bismarck 1866 seinen königlichen Herrn von der Züchtigung Österreichs zurückhielt: wir hätten nicht eines Strafamtes zu walten, sondern deutsche Politik zu treiben.“100 Dem zeitgenössischen Leser wird die indirekte Althaussche Kritik an der „Züchtigung“ Deutschlands durch die Siegermächte in Versailles nicht entgangen sein. Dem moralisch verwerflichen Handeln der Ententemächte wird das moralisch einwandfreie Verhalten Bismarck-Deutschlands an seinen Unterlegenen entgegengehalten, das eine „Atmosphäre der Wahrheit und Ehre zwischen den Völkern“ ermöglichte101. So erscheint in Althaus’ Ausführungen Bismarck als „lehrreiches Beispiel“ für eine erfolgreiche Friedenspolitik in Europa: „Nie war die Geschichte Europas einem föderativen Staatensystem so nahe, wie durch die Arbeit Bismarcks für den Frieden Europas seit 1871. […] Der gleiche Bismarck, der um des nationalen Berufes seines Landes willen drei große Kriege wollte und führte, wurde hinterher der Schirmherr des europäischen Friedens!“102 98 Ebd., 39. In seinen Augen hat Bismarck diese Beziehung „unvergeßlich ausgesprochen“ mit dem Zitat: „Der Staatsmann kann nie selber etwas schaffen; er kann nur abwarten und lauschen, bis er den Schritt Gottes durch die Ereignisse hallen hört; dann vorspringen und den Zipfel seines Mantels fassen, das ist alles.“ Woher das Zitat Bismarcks stammt, gibt Althaus nicht an. Als weiteres Beispiel für seine Hervorhebung Bismarcks als christlicher Politiker vgl. 2403 Gott, 13. 99 2305 Staatsgedanke, 45, Anm. 1. 100 Ebd., 45. Die gleiche Zurückweisung des „Siegerübermute[s]“ und der „zügellosen Rache“ betont er auch bei seiner Darstellung von „Luthers Haltung im Bauernkriege“ gegenüber den siegreichen Fürsten und stellt fest: „Die Verantwortung für das maßlose Wüten und Würgen der Herren lehnt er ab.“ (2502 Haltung, 171 f.). 101 So zitiert er Johannes Lepsius mit den Worten: „Angesichts des zweiten Versailles überkommt den Leser der deutschen Akten zum Frankfurter Frieden die schmerzliche Überzeugung, daß Courtoisie und Ritterlichkeit von Siegern gegenüber Besiegten romantische Vorstellungen eines untergegangenen Abendlandes sind.“ (2305 Staatsgedanke, 45 f., Anm. 1). 102 Ebd., 31 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Besonders die Tatsache, dass Bismarck nach der kriegerischen Herbeiführung der nationalstaatlichen deutschen Einheit das Deutsche Reich als „saturiert“ erklärte, imponiert Althaus vor dem Hintergrund seiner Ablehnung brutalen Expansionsstrebens, das die Grenzen des angenommenen Berufs eines Volkes überschreitet: „Gewaltgeist, niederer allzumenschlicher Machtwille, brutales Herrenmenschentum“103, das ist es, was nach Althaus unter allem Umständen aus der Politik ferngehalten werden muss. Nicht nur in nationalpolitischer Hinsicht ist Bismarck in Althaus’ Augen ein großes Vorbild, sondern auch in sozialpolitischer, wie er in einem anderen Aufsatz aus den 20er Jahren erkennen lässt. So heißt es in „Luthers Haltung im Bauernkriege“ über die Bismarckschen Sozialreformen: „Der Zug sozialer Verantwortung der Monarchie in dem altkonservativen und dem Bismarckischen Staatsgedanken bedeutete die Erneuerung des Lutherschen Patriarchalismus in einer veränderten geschichtlichen Lage. Bismarcks staatliche Sozial­ reform, gerade in ihrem Bismarck wohl bewußten Verhältnis zur sozialistischen Bewegung, war nach ihren besten Beweggründen und Gedanken durchaus ‚lutherisch‘ geartet.“104

Hintergrund der Althausschen Verklärung Bismarcks als wahrhaft christlicher und damit vorbildhafter Politiker ist die seit Ende des 19. Jahrhunderts im protestantischen Deutschland virulente „Legende vom frommen Reichsgründer Bismarck“, die nach Lucian Hölscher schon bald nach seinem Tod in der deutschen Geschichtsschreibung aufkam, wo „Bismarcks Frömmigkeit, seine ‚Religion‘, sein ‚Glaube‘, wie man sagte, […] zu einem zentralen Schlüssel für sein Verständnis“105 erhoben wurde, gerade was die historische „Würdigung seines politischen Werkes, vor allem der Reichsgründung“106 betraf: „Jenseits aller Ideologien und politischen Programme bildete für den überzeugten Protestanten Bismarck das individuelle Gewissen des Politikers, seine ausschließliche Verantwortung vor Gott, die oberste Richtschnur politischen Handelns“107. So ist für Hölscher die „Legende vom frommen Reichsgründer“ „ein wichtiger Erklärungsfaktor für die Wirkung Bismarcks auf seine Zeitgenossen und mindes-

103 Ebd., 23. Darum, erklärt Althaus, verstehe er, „warum Luther gerade die Christen, die Gott von sich selbst freigemacht hat, zu jenen schweren Ämtern rief“. 104 2502 Haltung, 158. 105 Hölscher, Legende, 173. Dieser verweist zur Legendenbildung vor allem auf die Veröffent­ lichung des Bismarck-Briefwechsels mit seiner Braut im Jahr 1900, auf den auch Althaus hier mehrfach Bezug nimmt (vgl. 2305 Staatsgedanke, 51). 106 Ebd., 175. 107 Ebd., 179. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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tens drei folgende Generationen.“108 Zu diesen gehört auch Althaus, wenn er aus einem Brief Bismarcks an seine Frau zitiert: „Nach 30 Jahren […] wird es uns ein geringe Sorge sein, wie es um Preußen und Österreich steht, wenn nur Gottes Erbarmen und Christi Verdienst unseren Seelen bleibt. Ich schlug mir gestern abend beliebig die Schrift auf, um die Politik aus dem sorgenvollen Herzen los zu werden“.109

Der Topos von Bismarck als frommem Mann gehört zum festen Bestandteil der Althausschen Weltanschauung und beeinflusst seine Sichtweise von einem „verantwortlichen Führertum“ nachhaltig110. Er ist für Althaus der Prototyp des christlichen Staatsmanns und steht damit Pate für seine Vorstellung von einem rechtmäßigen politischen „Führer“111. Als Althaus 1925 „Staatsgedanke und Reich Gottes“ in dritter Auflage herausgibt112, verstärkt sich dieser Befund nochmals. In den zehn neuen An­ merkungen findet der Reichskanzler durch die Wiedergabe von Zitaten und Gedanken acht Mal Erwähnung. Dabei wird noch deutlicher, warum gera­de Bismarck für Althaus der Prototyp des christlichen Staatsmanns werden konnte. So zitiert er aus einer Rede vom 10. Februar 1872: „Gerade mein lebendiger evangelischer Glaube legt mir die Verpflichtung auf, für das Land, wo ich geboren bin und zu dessen Dienste mich Gott geschaffen hat und wo ein hohes Amt mir übertragen ist, dieses Amt nach allen Seiten hin zu wahren. Wenn die Fundamente des Staates … angegriffen werden, so habe ich es für meine Pflicht gehalten, auf der Bresche zu stehen … Das gebietet mir das Christentum und mein Glaube.“113 108 Ebd., 192. Die Legende selbst ist nach Hölscher „durch die Quellen ebensowenig zu verwerfen wie zu bestätigen.“ Einflussreich war das 1922 erschienene Buch über „Bismarcks Religion“ des Theologen Otto Baumgarten. 109 2305 Staatsgedanke, 51. 110 Vor diesem Hintergrund ist auch die Althaussche Einschätzung der von den National­ sozialisten zumindest in der Anfangszeit geschickt inszenierten und propagierten Legende von Hitler als frommem Staatsmann zu sehen, die gerade im protestantischen Deutschland einflussreich war. 111 So heißt es in 2913 Bedeutung, 98: „Das protestantische ‚ich‘ bedeutete […] eine Belebung der Idee des Führertums, des Führers, der nur Gott verantwortlich seiner Sache dient. Lutherische Freiheit zeigt sich im Verantwortungsfreudigkeit; das ist die reformatorische Wurzel in Bismarcks Lebenswerk.“ 112 2505 Staatsgedanke. Der Text der Schrift wurde nicht geändert, lediglich um zehn Anmerkungen ergänzt. Der Schrift wurde allerdings als zweiter Teil die in sich geschlossene Schrift „Zum Problem des Krieges“ (2506) beigefügt. 113 2505 Staatsgedanke, 47, Anm. 1. Auch Althaus sieht den Reichskanzler der deutschen Einheit nicht gänzlich unkritisch, wie er am Beispiel des Bismarckschen Umgangs mit politischen Verträgen zum Ausdruck bringt; vgl. ebd., 53, Anm. 1. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Dass Althaus mit Bismarck als dem vorbildhaften Staatsmann argumentiert, hat nicht nur materiale Gründe, die in einer religiösen und weltanschau­lichen Übereinstimmung der beiden zu suchen ist, sondern hat auch formale, programmatische. Denn der Ethiker Althaus erwartet sich zur sittlichen Erziehung der Menschen viel „von den Mächten sittlicher Begeisterung, die aus der Geschichte an uns herantreten: von dem Vorbilde leuchtender Gestalten, von der tragenden und ‚erlösenden‘ Macht großer geschichtlicher Stunden und Verantwortungen.“114 Für diesen Zweck erscheint Althaus der frühere Reichskanzler geradezu prädestiniert115. Nicht zuletzt war der Verweis auf das scheinbar leuchtende politische Vorbild Bismarcks bei Althaus, wie bei der politischen Rechten während der Zeit der Weimarer Republik überhaupt, ein geschichtspolitisches Instrument, um dieser Republik die Legitimation zu entziehen. So wurde Bismarck gleichsam zu einer Chiffre für vergangene Größe Deutschlands und zugleich für zukünftige Möglichkeiten, wenn Deutschland wieder Staatsmänner nach seinem Format hätte. „Wann immer sich konservative und nationalistische Kreise zwischen 1918 und 1933 auf Bismarck beriefen“, konstatiert Robert Gerwarth, „so taten sie dies, um der von ihnen verachteten Republik den mythisch überhöhten Maßstab des ‚Eisernen Kanzlers‘ und der glorifizierten Zeit seiner Herrschaft anzulegen.“116 Für Althaus lag das entscheidende Augenmerk dieser Glorifizierung auf der Frömmigkeit Bismarcks117. 5.5 Zusammenfassung „Die Geschichte, in der die Völker politisch handelnd sich entfalten, ist nach Gottes Willen die Voraussetzung für die Geschichte seines Reiches.“118 Indem Althaus die Geschichte und damit auch geschichtliche „Werte“ wie den Staatsgedanken teleologisch auf das Gottesreich bezieht, tritt die von ihm vormals in der Auseinandersetzung mit Religiösen Sozialisten und Pazifisten vorgenommene eschatologische Differenzierung der beiden Größen in der nunmehr aktuellen Frontstellung zu Barth und dessen Dialektischer Theologie mehr und mehr zurück. Althaus will mit seinem Konzept der Unterschiedenheit und 114 2806 Leitsätze, 17; vgl. 2305 Krisis, 11. 115 Er bleibt dies für Althaus auch über das Jahr 1945 hinaus, wenn er in seinem Aufsatz „Religion ohne Christus?“ von 1948, der auf Vorträgen der Jahre 1942 bis 1944 basiert, weiterhin Bismarck als Vorbild für Gottesfurcht vorstellt (ebd., 16). 116 Gerwarth, Bismarck, 20. 117 Vgl. 3314 Volks-Geschichte, 23. 118 2305 Staatsgedanke, 42. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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doch zugleich spannungsvollen Bezogenheit von Welt und Reich Gottes, von Geschichte und Übergeschichte einen Mittelweg zwischen völligem Dualismus und fortschreitender Synthese betreten. Dass Theologie und Kirche nicht nur gegenüber den einzelnen Menschen, sondern auch gegenüber den menschlichen Strukturen den Willen Gottes über sie zu vertreten hat, ist sich Althaus bewusst. Die Vermittlung des göttlichen Willens mit der Welt geschieht folglich nicht mehr nur im Individuum, sondern sie hat ihren Ort auch in der Geschichte selbst. Hier setzt Althaus’ Erörterung des Verhältnisses der geschichtlichen Strukturen des menschlichen Zusammenlebens zum Gottesreich an. So lautet seine Erkenntnis, dass „die Hingabe an die großen objektiven Werte, deren Dienst dem Einzelnen je nach Gabe und Führung zum Berufe werden kann, ihren selbständigen Platz in der sittlichen Welt neben den Verantwortungsverhältnissen gegenüber Menschen“ hat119. Weil auf diese Weise „objektive Werte“ einen Verpflichtungscharakter erhalten, indem sie in Beziehung zum Reich-Gottes-Begriff gebracht werden, droht aber die Unterschiedenheit zwischen Welt und Gottesreich marginalisiert zu werden. Die Folge ist für Christian Schwarke „eine Entgrenzung des Reich-Gottes-Begriffs zum Bezugsrahmen möglicher Güter.“120 Auch wenn Althaus beteuert, keine konkreten Inhalte religiös verklären zu wollen, so enthält sein Konzept doch keinerlei Kontrollmechanismen, um diesem Problem gerecht zu werden. Deutlich finden sich in dieser Althausschrift von 1923 Formulierungen, die als Präfigurationen seiner später explizit gemachten Ordnungstheologie zu verstehen sind. Als Maßstab für mögliche „objektive Werte“ bzw. Ordnungen nennt Althaus den Charakter der Notwendigkeit und Voraussetzung für eine Geschichte Gottes mit den Menschen bzw. die „teleologische Beziehung auf das Reich Gottes“: „Um derentwillen ist uns die Ehe und das geschlechtliche Leben als Gottes Ordnung und Schöpfung heilig, um derentwillen nicht minder das Recht, die Befehlsverhältnisse, der Staat.“121 Nicht ganz so explizit wie Ehe, Recht und Staat rückt Althaus darüber hinaus aber auch das Volk in die Nähe einer Ordnung, wenn er ganz selbstverständlich von „unserer Gebundenheit an Volk und Staat spricht“122. Auch im Gedanken des „Volksberufs“ schwingt der Ordnungscharakter spürbar mit. Angesichts einer als Chaos

119 Ebd., 20. 120 Schwarke, Anfänge, 26. 121 2305 Staatsgedanke, 17. Was er unter „Befehlsverhältnissen“ versteht, wird nicht ganz klar. Gemäß seinem organischen Verständnis von Volk und Staat dürfte es sich dabei um einen hierarchischen Gesellschaftsaufbau handeln. 122 Ebd., 11. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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und Unordnung erfahrenen Zeit verbirgt sich hinter diesen Ordnungsvorstellungen eine große Furcht vor der Zersetzung der menschlichen Lebenszusammenhänge und damit vor der Auflösung und „Verneinung von Familie, Volk und Staat“ durch die „Aufhebung aller Grenzen in dem allgemeinen Gefühle der Menschenbruderschaft“123. Im gegenüber früheren Veröffentlichungen weiter konkretisierten „Berufs­ gedanken“, der sowohl auf Einzelpersonen als auch auf ganze Völker angewandt wird, meint Althaus, den Dualismus zwischen Reich Gottes und politischem Handeln mit seinen relativen Eigengesetzlichkeiten zu überwinden. „Politisches Ethos“ besteht für ihn vornehmlich im Gehorsam gegen den von ihm angenommenen geschichtlichen Beruf, der ebenso wie der Staat und das Volk als göttliche Gabe und Aufgabe verstanden wird124. Indem Althaus den religiösen und sittlichen Wert betont, den der Einsatz für Volk und Vaterland seiner Meinung nach hat, lädt er damit zugleich die Begriffe Volk, Staat und „Beruf“ theologisch auf und macht den Dienst an ihnen zu einem göttlichen Gebot. Die Nächstenliebe soll sich damit als Dienst am Volk und somit als Gehorsam gegenüber Gottes Willen bewähren. Diese Haltung ist das große Althaussche „Ja“ zu Volk und Vaterland. Doch er bleibt – wie so oft – nicht bei einem bloßen „Ja“ stehen, sondern geht in seinem ambivalenten Grundschema weiter zu einem ebenfalls theologisch qualifizierten „Aber“. Sein Bewusstsein für eschatologische Fragestellungen, die er nicht zuletzt in den „Letzten Dingen“ zum Ausdruck bringt und die er immer wieder gegenüber den Religiösen Sozialisten ins Feld führt, lässt ihn nicht im „Vorletzten“ verharren. So etwas wie ein „eschatologischer Vorbehalt“ greift auch in seiner Ethik des Politischen. So schließt er seine sozialethischen Überlegungen, die im Ganzen die Intention haben, Reich Gottes und politisches Handeln zusammenzubringen, doch wieder mit einem Hinweis auf die Unterschiedenheit der beiden Größen: 123 Ebd., 34. An dieser Stelle wird Althaus’ ambivalente Haltung und sein lavierendes „Ja, aber“ einmal mehr deutlich: „Die Liebe im Sinne Jesu ist und bleibt der Wille zum Dienste in ganz konkreten Verpflichtungsverhältnissen. Sie macht gewiß frei von den engen und argen Schranken, die das natürliche Menschenherz dem Willen zur Gemeinschaft zieht. Sie will Gemeinschaft auch jenseits der Familie, auch über die Volksgrenzen hinaus. Aber mit kosmopolitischem Vergessen unserer Gebundenheit an Volk, Stamm, Familie hat sie gar nichts zu tun“ (ebd., 35). 124 Wie weit damals der Gedanke von Volk und Vaterland als göttliche Gaben über alle politischtheologischen Grenzen hinweg verbreitet war, zeigt eine mit Althaus zeitgleich im Januar 1923 veröffentlichte Stellungnahme des Baptisten-Pfarrers Heinrich Euler, zusammen mit Eberhard Arnold Begründer der religiös-sozialistischen „Neuwerkbewegung“, über „Christentum und Pazifismus“, wo er davon spricht, es dürfe nicht zerstört werden, „was Gott uns gegeben hat, wofür wir beten, sorgen, leiden und wirken, in dessen Schoß wir aufwuchsen: das Vaterland“ (Euler, Christentum, 408). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Der Gedanke an Gottes Reich erinnert uns an den nur relativen und begrenzten Wert der höchsten vaterländischen Güter: des Lebens, der Freiheit, Ehre und Zukunft der Nation. Das Bewußtsein darum gehört zum Ethos der Politik wesentlich hinzu. Bismarck hat das gewußt.“125 Althaus fährt fort: „Die Gewißheit um Gottes Reich schenkt mitten im vaterländischen Dienste die innere Freiheit von allen nationalen Fragen und Zielen. Sie sind nicht das Letzte. Auch die stolzesten Staatsbauten sind vergänglich und selbst die weiteste weltgeschichtliche Sendung nimmt ein Ende. Nur ein Reich bleibt, das Reich der Seele, das Gott baut, mitten in der Geschichte“.

Althaus zufolge führt die „Gewißheit um Gott und seinen Willen […] in eine Haltung voll tiefer Spannung“: Auf der einen Seite der gottbefohlene Dienst an Volk und Vaterland. Auf der anderen Seite die „Kraft jener inneren Freiheit“126, die den Menschen sich nicht ans Vorletzte verlieren lässt. Gewährsmann für dieses gelebte „Ethos der Politik“ ist für Althaus wiederum Otto von Bismarck, der um „das Ineinander von starker Hingabe an die Sache des Vaterlandes und von innerster Freiheit“ wusste: „Beide, die Hingabe und die Freiheit, stammen bei Bismarck aus der gleichen Wurzel: aus dem Gottesglauben.“127 Dass Althaus diesen eschatologischen Vorbehalt gerade am Ende seiner Schrift und damit an exponierter Stelle formuliert, zeigt, wie wichtig er ihm trotz seines großen Plädoyers für eine nationale Politik ist. Zu verstehen ist dies als Hinweis darauf, dass aller Uneindeutigkeit und Ambivalenz zum Trotz bei ihm das politische Anliegen stets dem religiösen untergeordnet bleibt. Als am besten geeignete Staatsform, um dem Berufsgedanken gerecht zu werden, erscheint Althaus das „verantwortliche Führertum“, bei dem die führenden Staatsmänner bzw. der führende Staatsmann mit Hilfe ihrer bzw. seines Gewissens den göttlichen Willen über das Volk erspüren und in die Tat umsetzen. Dabei ist der jeweilige Politiker allein Gott gegenüber verantwortlich und ist von menschlichen Kontrollinstanzen unabhängig und damit unkontrollierbar. Nicht zuletzt deshalb ist für Althaus eine demokratisch-parlamentarische Staatsform „unsittlich“ und damit unmöglich, weil dort seiner Auffassung nach die Verantwortlichkeit des politischen Handelns vor Gott marginalisiert zu werden droht und allein menschliche Kontrollinstanzen vor Machtmissbrauch schützen sollen. Zweierlei Motivationen von Althaus lassen sich in diesem sozialethischen Aufsatz von 1923 erkennen, so wie er stets in seinen Veröffentlichungen dop 125 2305 Staatsgedanke, 50 f. 126 Ebd., 52. 127 Ebd., 51. Althaus zitiert Bismarck hier mit den Worten: „Den spezifischen Patriotismus wird man allerdings mit dieser Betrachtung [= der Vergänglichkeit der Staaten] los, aber es wäre auch jetzt zum Verzweifeln, wenn wir auf den mit unserer Seligkeit angewiesen wären.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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pelt motiviert und angetrieben erscheint. Die erste ist eine theologische Motivation: Infolge der nicht zuletzt durch die Auflösung der vormals engen Verbindung von Thron und Altar bedingten Wahrnehmung der Welt als immer säkularisierter und autonomer gegenüber althergebrachten Ordnungsvorstellungen fühlte sich die evangelisch-theologische Zunft, die sich nun angesichts einer veränderten Gesellschaftsstruktur und einer veränderten politischen Kultur nicht mehr als so etwas wie die deutsche „Leitkultur“ verstehen konnte, dazu aufgerufen, nach neuen Antworten zu suchen. Diese fand man vielfach in Konzeptionen einer theonomen Weltdeutung. Dadurch konnte zum einen die als in Chaos (Revolution, Inflation) und Unordnung (System von Versailles) befindlich erfahrene Welt allem Hang zum Verzweifeln an ihr zum Trotz als Schöpfung Gottes verstanden werden, die es nur wieder nach altbewährten Mustern (Luther, Bismarck) neu zu ordnen galt. Zum anderen konnte man sich durch eine derartige theonome Weltdeutung selbst das Recht zusprechen, den Schlüssel zur Lösung der Probleme in Händen zu halten. Die drohende Gefahr der Marginalisierung von Theologie und Kirche war damit gebannt. Im politischen Bereich bedurfte es dazu nun noch verlässlicher Verbündeter, die eine solche Interpretation der Wirklichkeit und deren kirchliche Propheten akzeptierten128. Solche fand man in den altkonservativen, reaktionären, zu Beginn der 20er Jahre noch vielfach monarchistischaristokratisch gesinnten Kreisen im Umfeld der Deutsch-Nationalen129. Die direkte Verbindung zur zweiten, politisch-weltanschaulichen Motivation ist damit schon gegeben: Um die Demütigung Deutschlands im Gefolge von Kriegsniederlage und Versailler Vertrag vergessen zu machen und Deutschlands materielle und moralische Abhängigkeit von den Siegerstaaten zu überwinden, muss nach Althaus ein am 19.  Jahrhundert mit seiner idealisierten Führungspersönlichkeit Bismarcks orientiertes und geschultes deutsches Nationalstaatsbewusstsein wiederhergestellt bzw. neu geschaffen werden. Der von den Weltkriegssiegern den Deutschen vorgegebene Irrweg namens „parlamentarische Demokratie“ musste schleunigst verlassen werden – Gottes wegen und Deutschlands Zukunft wegen. Ein „verantwortliches Führertum“ im Sinne des „organisch-aristokratischen Staatsideals“ sollte an seine Stelle treten. Beide Anliegen Althaus’ klingen bereits im Titel „Staatsgedanke und Reich Gottes“ an. Alles in allem handelt sich dabei sowohl um eine apologetische, als 128 Bereits als Militärpfarrer in Lodz hat Althaus im dortigen „Deutschen Verein“ solche Verbündete gefunden; vgl. Kap. I, 2. 129 So nimmt es auch nicht Wunder, dass Althaus „zeitweilig (bis 1929) Mitgl[ied] der Deutschnat[ionalen] Volkspartei“ (DNVP) war, wie aus seinem Erlanger Personalakt hervorgeht (PAA F 2/1 Nr. 2186 c). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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auch um eine programmatische Schrift. Gemäß Althaus’ theologischen und weltanschaulichen Prägungen und Präferenzen gilt es für ihn zum einen, lutherische Sozialethik gegen die Angriffe der Liberalen Theologie und der neuerdings erstarkenden Dialektischen Theologie zu verteidigen; zum anderen ist er bestrebt, die in seinen Augen auch für die Zukunft Deutschlands wegweisende „politische Ethik Bismarcks“ in der aktuellen „Krise des deutschen Staatsgedankens“ zur Geltung zu bringen. Beides, lutherische Sozialethik und Bismarcksche politische Ethik, will er als „objektive Werte“ verstanden wissen und damit seinen Beitrag leisten, gehorsamen „Dienst an einem Anvertrauten, an einer Vergangenheit, deren Erbe gedeutet und gewahrt, an einer Zukunft, die gewagt werden soll, Dienst an etwas über dem Volke“ zu tun. Althaus, der als „Sachwalter des ‚Gottesglaubens‘ bei der Formulierung einer ‚deutschen Staatsidee‘ in Erscheinung“ tritt, zu deren Fundamenten ganz selbstverständlich das Luthertum gezählt wurde, reiht sich mit seinem Versuch, einen eigenen, theologisch bestimmten Staatsgedanken als „Alternative zu den ‚westlichen‘ Demokratievorstellungen“ zu formulieren, ein in die Opposition gegen Weimar130.

130 Tanner, Verstaatlichung, XVIIIf. Er ordnet ein solches Unternehmen ein „in den Gesamtzusammenhang jener Versuche, eine ‚Ideologie des deutschen Weges‘ als Legitimationsgrund für ein sich von den ‚westlichen‘ Demokratien unterscheidendes politisches System zu entwerfen“ (ebd., IXX). Wenn sich Althaus dabei mit dem „Staatsgedanken überhaupt“ und nicht mit einer konkreten „Verfassungsform“ beschäftigt (vgl. 2305 Staatsgedanke, 17), ist dies für Tanner „nur ein Modus, mit dem die Theologen der demokratischen Republik ihrer Anerkennung verweigerten“ (Tanner, Verstaatlichung, 234). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Kapitel IV: Kirche, Volk und Staat – Paul Althaus in Erlangen 1925 bis 1933 1. Der Wechsel nach Erlangen und seine Lehrtätigkeit 1925 bis 1933 „Seit der Erstlingsschrift im Jahre 1911 hat Althaus eine beträchtliche Zahl von Arbeiten teils selbständig, teils in Zeitschriften veröffentlicht […]. Die Schriften der Nachkriegsjahre befassen sich durchweg mit Fragen, die im Brennpunkte der geistigen Auseinandersetzungen der Gegenwart stehen. Sie sind durch Reichtum der Gedanken, Sicherheit der Methode, Klarheit der Darstellung und Bestimmtheit des Urteils ausgezeichnet. Diese Vorzüge treten in der Schrift ‚Staatsgedanken und Reich Gottes‘, welche eine ebenso schwierige wie bedeutende Frage der christlichen Ethik geradezu meisterhaft behandelt, besonders deutlich hervor. Auch als Mitherausgeber der vor 2 Jahren gegründeten ‚Zeitschrift für Systematische Theologie‘, die eine sehr günstige Entwicklung genommen hat, hat Althaus einen weithin bekannten und angesehenen Namen. Über seine Lehrtätigkeit hört man die günstigsten Urteile. Seinetwegen gehen nicht wenige Studenten nach Rostock. Sein Vortrag wird als fesselnd und geistvoll gerühmt. Auch in persönlich-seelsorgerlicher Beratung der Studenten, eine besonders wichtige Aufgabe des systematischen Theologen, übt er, begünstigt durch die Erfahrung, die er im Krieg als Lazarettgeistlicher in Lodz gesammelt hat, eine einflußreiche Wirkung aus. Man darf mit Bestimmtheit Althaus eine bedeutende Zukunft voraussagen.“1

Voll des Lobes für den 36jährigen Rostocker Systematiker wendet sich die Erlanger Theologische Fakultät am 23.  Dezember 1924 an den Akademischen Senat der Universität, um ihm ihre Berufungsvorschläge für die Nachfolge des Systematikers Richard Grützmacher zu unterbreiten. An die erste Stelle setzt eine Mehrheit der Fakultät den seit 1923 in Erlangen als Kirchenhistoriker lehrenden, aber zur Systematik hinstrebenden Werner Elert. Althaus, den die übrigen gerne an erster Stelle sähen, kommt laut dem Schreiben der Fakultät für die zweite Stelle „wenn nicht allein, so doch bei weitem in erster Linie in Betracht“2. Der Senat folgt dieser Empfehlung der Fakultät jedoch

1 Schreiben der Theologischen Fakultät an den Senat vom 23.12.1924 (PAA F 2/1 Nr. 2186 a). 2 Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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nicht und setzt seinerseits Althaus an die erste Stelle. Diesem Vorschlag gibt München statt, woraufhin der Rostocker Theologe mit Ministerialerlass des bayerischen Kultusministeriums vom 11. Mai 1925 zum 1. August 1925 zum ordentlichen Professor für Dogmatik, Apologetik und Dogmengeschichte ernannt wird3. Als in der Zwischenzeit am 9. April 1925 sein Vater Paul Althaus d. Ä. stirbt, wirbt nun auch die Leipziger Fakultät um ihn als dessen Nachfolger auf dem Systematik-Lehrstuhl4. Zwei weitere ehrenvolle Rufe erreichen Althaus in der Zeit der Weimarer Republik: Ab 1. Oktober 1929 soll er den Systematik-Lehrstuhl in Halle übernehmen und ein Jahr später den in Tübingen. Doch Althaus plant nun, sich langfristig an Erlangen zu binden. Die Themen seiner Lehrveranstaltungen in Erlangen sind sehr vielfältig. Regelmäßig hält er Vorlesungen in Dogmatik, Ethik, Geschichtsphilosophie, Theologie- und Dogmengeschichte, Theologie und Ethik Luthers, aber auch über „Lehre und Predigt“. Seine apologetischen Seminare, die er in jedem Semester – ab dem Sommerhalbjahr 1930 getrennt in Unter- und Oberstufe – hält, lassen einen gewissen Schwerpunkt in der Eschatologie erkennen, sind sonst aber sehr abwechslungsreich5. Im Winterhalbjahr 1929 und im Sommerhalbjahr 1930 ist Althaus Dekan der Erlanger Fakultät. Anfang 1932 wird er nach dem Tod Philipp Bachmanns dessen Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Systematische Theologie und neu­ testamentliche Exegese, eine Kombination, die er bereits in Rostock innehatte6. Er bleibt zugleich Vorstand des Seminars für Apologetik. Als Bachmann im März 1931 stirbt, wird Althaus – zunächst bis 1937 gemeinsam mit dem Praktischen Theologen Friedrich Ulmer – dessen Nachfolger als Universitätsprediger. Mit einer Unterbrechung zwischen 1940 und 1946, als das Amt während des „Dritten Reiches“ abgeschafft wird, übt er dieses Amt bis 3 Zu dem Vorgang vgl. von Loewenich, Fakultät, 643, Anm. 13. Er weist darauf hin, dass „die Berufungsgeschichte auf die Stellung Elerts zu Althaus (und seinen Schülern) nicht ohne Einfluß geblieben ist“. 4 Vgl. Althaus’ Schreiben an den Erlanger Senat vom 3.10.25 (PAA F 2/1 Nr. 2186 a). 5 So behandelt er im Winterhalbjahr 1926/27 die Versöhnungslehre, im Sommerhalbjahr 1927 das Reich Gottes, im Winter 1928/29 die Dialektische Theologie, im Sommer 1929 die Theologie der Lutherischen Bekenntnisschriften, im Sommer 1930 Brunners Religionsphilosophie, im Winter 1930/31 Troeltsch und Tillich sowie Hirschs Christologie, im Sommer 1931 „Das Evangelium und die Weltreligionen“ sowie Kants Grundlegung zur Metaphysik des Sittlichen, im Winter 1931/32 „Theologie und Konkordienformel“ sowie „Die neutestamentlichen Grundlagen einer Lehre vom Glaubenserkennen“, im Sommer 1932 „Politik und Ethik“; vgl. die Erlanger Vor­ lesungsverzeichnisse aus dieser Zeit. 6 Seine erste neutestamentliche Lehrveranstaltung war im Sommerhalbjahr 1932 eine Vor­ lesung über den 2. Korintherbrief, im Winterhalbjahr 1933/34 las er erstmals den Römerbrief. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Lehrtätigkeit 1925 bis 1933

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weit über seine Emeritierung im Jahre 1957 bis 1964 aus. Wie schon in Rostock, entstehen in dieser Zeit zahlreiche Predigtsammelbände7. Das Nebeneinander bzw. Ineinander von theologischem Lehramt und kirchlichem Predigtamt, das Althaus schon von seinem Vater kannte8, war ihm Zeit seines Lebens ausgesprochen wichtig. In der Tradition seines Vaters, der in den theologischen Richtungskämpfen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts als „Positiver“ stets die Verbundenheit von Theologie und Kirche gelebt hatte, war auch für ihn etwas anderes als eine kirchenbezogene Theologie undenkbar. Der Professor Althaus war somit immer zugleich auch der Prediger Althaus. So nimmt es nicht wunder, dass er neben seinen eigentlichen Forschungsschwerpunkten Dogmatik, Ethik, Apologetik, Neues Testament und Lutherforschung auch praktisch-theologische Fragen, vor allem im Bereich der Liturgik, bearbeitete9. Neben seinem Kollegen Elert war es vor allem Althaus, der aus ganz Deutschland und aus dem lutherischen Ausland die Studenten nach Erlangen zum Theologiestudium strömen ließ, so dass die Studentenzahlen stetig anstiegen. Waren im Winterhalbjahr 1924/25 noch 118 Theologen in Erlangen eingeschrieben, was damals knapp zehn Prozent der Gesamtstudenten ausmachte, waren es im Winterhalbjahr 1931/32 bereits 513 (25 Prozent). Der Höhepunkt wurde im Winterhalbjahr 1933/34 mit 661 Studenten erreicht, was einem Anteil von 29 Prozent entsprach. Während der Zeit des Höhepunkts der (kirchen-)politischen Auseinandersetzungen um die bayerische Landeskirche studierten im Winter 1934/35 immerhin noch 495 Theologen in Erlangen (31 Prozent)10.

7 1932 kommt der Sammelband „Der Gegenwärtige“ heraus, und von 1934 bis 1941 eine Reihe von Predigtsammlungen unter dem Titel „Der Herr der Kirche“. 8 Vgl. seine eigenen ausführlichen Erinnerungen an seinen Vater in 2801 Leben. 9 Vgl. seine Vorträge und Aufsätze 2606 Das Wesen des evangelischen Gottesdienstes; 2809 Das Nicänum in der bayerischen Agende; 3216 Wesen und Sinn der Liturgie; und 3604 Der Sinn der Liturgie; vgl. Kressel, Althaus, 547 f.; und Nicol, Althaus. Bereits 1918 hatte Althaus sich mit homiletischen Fragen im Rahmen der evangelischen Männerarbeit beschäftigt; vgl. 1808 ­Männern. 10 Die Zahlen sind den entsprechenden Angaben in den Vorlesungsverzeichnissen entnommen. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

2. „Über dem Tore, durch das unser Geschlecht den Weg in die Kirche zurückfinden kann, steht geschrieben: communio, Gemeinschaft!“ – Paul Althaus über Kirche und Staat in der zweiten Hälfte der 20er Jahre Mit dem Ende des Kaiserreichs 1918 befand sich die evangelische Kirche in Deutschland in einer schweren Krise, weil mit der Monarchie und ihrer staatlicherseits garantierten Koalition von Thron und Altar sowohl das landesherrliche Kirchenregiment erledigt war, als auch der traditionelle privilegierte Einfluss der Kirche auf die Gesellschaft gefährdet schien. Der neue, demokratische und religionsneutrale Staat wurden von nicht wenigen Kirchenmännern als religionsloser Staat gebrandmarkt, weil sie die Kirchen „nicht genügend an der ‚geistig-moralischen Wertbildung und Wertpropagierung in Staat und Gesellschaft‘ beteiligt sahen“1. Denn nach traditionellem Denkmuster, so Kurt Meier, erschien „Religion nur in volkskirchlichen Formen und in innerer Zuordnung zur staatlichen Ordnungsmacht im Sinne des ‚christlichen Staates‘ lebensfähig und wirksam“ für das Wohl des gesamten Gemeinwesens2. Althaus reagierte auf diese Krise auf seine eigene Weise. „Von Kind auf ist der Gedanke der Kirche mir heilig und herrlich gewesen“, schreibt er 1924, „und in der Wirklichkeit der Kirche mit Bewußtsein zu atmen schien mir von jeher Reichtum des Lebens.“3 Es gehört zur stilistischen Eigenheit des Althausschen Schaffens, dass seine Veröffentlichungen, die das Thema Kirche betreffen, stellenweise einen sehr persönlichen Grundton und damit nahezu Bekenntnischarakter erhalten. Bereits in seinem Ruf zur kirch­lichen Erweckung, den er 1919 unter dem Titel „Das Erlebnis der Kirche“ veröffentlichte, war dies mehr als deutlich. Als Althaus damals die „Stunde der Kirche“ gekommen sah, stand er noch ganz unter dem Eindruck des verlorenen Krieges. Als er die kleine Schrift 1924 in zweiter Auflage herausgibt, tritt das Weltkriegserlebnis naturgemäß zurück, doch der Optimismus im Blick auf die Kirche ist auch nach fünf Jahren ungeliebter Weimarer Republik geblieben: „Es ist eine große Stunde für die Kirche. Seit 1918 sind alte Bindungen und Hemmungen, die die Freiheit der Kirche lähmten, dahingefallen. Nicht mehr von dem Staate bevormundet und gegängelt dürfen die deutschen evangelischen Kirchen nunmehr zeigen, was in ihnen lebt an freier Kraft des Glaubens und der Liebe“. 1 Meier, Volkskirche, 9. 2 Ebd., 10. 3 2408 Kirche, 77. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Eine große Verantwortung sieht er dabei auf der Kirche lasten, „neue Worte, neue Wege, neue Werke zu wagen, neue Formen des Wirkens und der Gemeinschaft“, damit die große Chance auf intensivierte Kirchlichkeit im deutschen Volk nicht vertan wird4. Den Hintergrund für diese Hoffnung bildet seine in der doppelten Diasporasituation der deutschen Protestanten in Polen während des Krieges herangereifte Vision von der wechselseitigen Befruchtung durch eine volksbezogene Kirche und ein kirchenbezogenes Volk. 2.1 Communio sanctorum und Volksgemeinschaft Wie zentral für seine Wesensbestimmung der Kirche der Gemeinschaftsbegriff ist, hat Althaus bereits 1919 in der ersten Auflage vom „Erlebnis der Kirche“ klar herausgestellt, wo er die Kirche in erster Linie als Glaubens-, Gebets- und Erkenntnisgemeinschaft beschrieb, die  – ebenso wie das Volk  – „im Grunde keinen Einzelnen“ kenne. An diesem Punkt setzt er nun an5. Eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Kirche sowohl innerlich gesunde und erstarke und daraufhin auch nach außen auf eine Gesundung des als zerrissen empfundenen ganzen Volkes wirken könne, sieht Althaus in ihrer Selbstbesinnung auf ihr eigentliches Wesen als Gemeinschaft. „Unserer Zeit sind die beiden großen Themen der Gemeinschaft und der Kirche neu gestellt“, konstatiert er Ende der 20er Jahre6. Noch stärker formuliert, ist für ihn die Frage nach der Gemeinschaft die aktuelle „Schicksalsfrage“ schlechthin. In ihr sieht er „die eigentliche Tiefe der ‚völkischen‘ Frage. Denn deren wahrer Ernst ist nicht das Rasseproblem, sondern das soziale.“7 Die Lösung dieser „Schicksalsfrage“ bedeutet nach Althaus aber, dass „die Wirklichkeit der Kirche als Gemeinde neu erfaßt und neu gelebt wird“8. 4 2407 Erlebnis, 31. 5 Es ist kein Zufall, dass Althaus im gleichen Maße, wie er den Gemeinschaftsaspekt der Kirche betont, auch die Bedeutung des Abendmahls für lutherischen Gottesdienst und Frömmigkeit hervorhebt; vgl. 2508 Gemeinschaft; 2912 Abendmahlslehre; und 3105 Abendmahlslehre. In 3105, 59 f. macht er explizit, dass es ihm darum gehe, „das Sakrament mit neuem Nachdruck als Mahl der Gemeinschaft, der communio sanctorum verstehen und erfassen [zu] lehren.“ 6 2903 Communio, V. 7 2803 Communio, 289. Er schreibt weiter: „‚Wiedergeburt der Völker aus dem Geiste der Gemeinde‘, so hat ein Jungsozialist, Gustav Landauer, das eine, was uns als Volk nottut, bezeichnet.“ Es ist bemerkenswert, dass Althaus ausgerechnet den bei der Niederschlagung der bayerischen Räte­republik ermordeten jüdischen Anarchisten Gustav Landauer als Gewährsmann nennt, stammt das Zitat doch aus dessen „Aufruf zum Sozialismus“ von 1911, in dem dieser zu einer staatsfreien Gesellschaftsordnung aufruft. 8 2903 Communio, V. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Nachdem für ihn der „autoritäts- und kirchenlose moderne Individualismus“ und damit die Auflösung des Kirchengedankens in der Mystik, der Aufklärung und dem Idealismus wurzeln9, steht für ihn fest: „Unsere deutschen evangelischen Kirchen müssen zu dem Wesen der Kirche als Gemeinschaft selber erst wieder erwachen.“10 Für die Betonung des Gemeinschaftsaspekts der Kirche hat Althaus nicht in erster Linie sozialethisch-politische, sondern konfessionspolitische, apologetische Gründe. Althaus will, gerade im Gegenüber zum katholischen Kirchengedanken, die Relevanz und Leistungsfähigkeit der lutherischen Kirche für Volk und Gesellschaft hervorkehren. So schreibt der schwedische Systematiker Anders Nygren in einer Rezension zu Althaus’ Schrift „Communio sanctorum“ 1930: „So hat man einen wesentlichen Unterschied zwischen katholischem und evange­ lischem Christentum darin sehen wollen, daß man sie als Gemeinschaftschristentum und individualistisches Christentum einander gegenüberstellte. Es liegt jetzt klar zu Tage, daß dies eine vollständige Entstellung des evangelischen Christentums ist und daß es deshalb eine der wichtigsten Aufgaben der Theologie ist, die Bedeutung des Gemeinschaftsdenkens bei Luther […] klarzulegen.“11

Die Zeit für ein Wiedererwachen des Gemeinschaftsgedankens in der Kirche erachtet Althaus als günstig: „Die Verselbständigung der Kirche gegenüber dem Staate machte die Frage nach Wesen und Gestalt der Kirche als Gemeinschaft brennend. In die gleiche Richtung wies und weist der Ruf der sozialen Not an die Kirche. Denn im Grund hat sie nur eine einzige soziale Aufgabe: in sich selber wirkliche Gemeinschaft werden und die lebendigen Kräfte der Gemeinschaft in die Gesellschaft und ihre Krisen hineinströmen zu lassen.“12

Groß sind dabei seine Hoffnungen und Erwartungen für die Zukunft von Kirche und Volk: „Was kann eine Gemeinde, in der die Nachbarschaft wahr 9 2408 Kirche, 78. 10 2803 Communio, 289. 11 Die Rezension ist abgedruckt in: ThLZ 1930, Nr. 2, 41–44, hier 41. Ähnlich bewertet man Althaus’ Arbeit auch in der norwegischen lutherischen Theologie; vgl. die Rezension von Olaf Moe in ThLBl 1929, 357 f.; vgl. die Rezension des katholischen Theologen Heinrich Weisweiler, der 1929 schreibt: „Die moderne protestantische Theologie hat unter anderem in der letzten Zeit die beiden großen Themen von der Gemeinschaft und von der Kirche neu zur Behandlung gestellt. Freilich werden sie noch zu stark nebeneinander statt miteinander behandelt. A[lthaus] sucht beide zu verbinden“ (abgedruckt in: Scholastik 1929, 580). 12 2903 Communio, 26. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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haftige Gemeinschaft wird, bedeuten für die Überwindung der Partei- und Klassengegensätze!“13 Schon die Tatsache, dass Althaus 1928 und 1929 binnen eines Jahres gleich zwei Texte mit dem Titel „Communio sanctorum“ veröffentlicht, zeigt, wie wichtig ihm eine Neubesinnung auf Wesen und Funktion der Kirche aus dem Gemeinschaftsgedanken ist. Diese Neubesinnung auf die „Kirche als Gemeinschaft wechselseitiger Liebe und Hingabe aus dem Grund der gemeinsamen Teilhabe an der Liebe und Hingabe Christi an uns“14 fußt für Althaus auf der Theologie Luthers15. Liebesgedanke und Gemeinschaftsgedanke, die Althaus beide aus Luthers theologia crucis, d. h. aus dem Rechtfertigungsgedanken, abgeleitet sieht16, müssen nun aber nach Althaus im Glauben an eine bessere Welt in die Gesellschaft wirken. So ruft er 1924 angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im krisengeschüttelten Nachkriegsdeutschland die Kirche auf zu einer „brüderlichen Solidarität der Starken mit den Schwachen“, zu einem „Liebeskommunismus, da keiner von seinen Gütern sagt, sie wären sein eigen, sondern alles den Brüdern gehört.“17 Hier, im „wahrhaften Kommunismus“, der im „Gesetz der Liebe“ gründet18 und in die „Solidarität des Heiligen mit den Befleckten, des Starken mit den Schwachen“ mündet19, wird für Althaus auch in seinem Aufsatz über die „Communio sanctorum“ 1928 der Sinn des Gemeinschaftsgedankens konkret und aktuell: „Die Wirklichkeit der communio, des ‚Kommunismus‘ in der Kirche ist ein wesentlicher Zug ihres Zeugenamtes.“20 So deutlich Althaus auch rückblickend das Versagen der Kirche in der ­sozialen Frage in der Zeit des Kaiserreichs anprangert, so sieht er vor dem Hintergrund der neuen Freiheit der Kirche von der Obrigkeit gerade angesichts des sozialen Unfriedens in der Weimarer Republik die kirchliche, diakonisch-volksmissionarische „Großstadtfront im Ringen um die Arbeiterschaft“21 13 2803 Communio, 299. 14 Joest, Althaus, 5. 15 Althaus’ Studie über „Die Gemeinde im lutherischen Kirchengedanken“  – so der Unter­ titel von „Communio sanctorum“ – dient der auf Luther fußenden „Besinnung auf die Kirche als Gemeinschaft“ (2903 Communio, V). Dietrich Bonhoeffer schreibt 1929 in seiner Dissertation „Sanctorum Communio“ über die Althausschrift: „Es war mir […] natürlich eine große Freude, in dieser Schrift weitgehendst eine Illustration wichtiger Teile der vorliegenden [= eigenen] Arbeit an Luther sehen zu können.“ (ebd., 107, Anm. 26). 16 2903 Communio, 48. 17 2407 Erlebnis, 31. 18 2803 Communio, 292. 19 Ebd., 293. 20 Ebd., 298. 21 Ebd., 297. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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noch lange nicht verloren, wenn zur Verkündigung des Wortes auch die Tat als Ausdruck der Gemeinschaft hinzutritt. Seine volksmissionarische Hoffnung und Überzeugung fasst Althaus mit den Worten zusammen: „Über dem Tore, durch das unser Geschlecht den Weg in die Kirche zurückfinden kann, steht geschrieben: communio, Gemeinschaft!“22 Die „Flamme heiligen Willens zur Volksmission“23 soll durch die gelebte Gemeinschaft neue Nahrung erhalten und so ins Volk hineinstrahlen. Warum aber kann gerade die Kirche für die Volksgemeinschaft ein Vorbild sein? Dies begründet Althaus im Gefolge lutherischer Rechtfertigungslehre mit dem „Wesen der christlichen Bruderliebe. Sie ist nicht in den Vorzügen des Bruders begründet, sondern einfach darin, daß er Bruder ist, in der Tatsache der Verbundenheit mit ihm, der Bruderschaft als eines gegebenen Verhältnisses. Wir lieben den Bruder, gemäß der Liebe, mit der Gott uns geliebt hat“24.

Diese bedingungslose Annahme des eigenen Volksgenossen, die für ihn wahre Gemeinschaft ausmacht, hat Althaus zufolge keinen Vergleich und keine Wertung nötig. Sie ist der Grund für Althaus’ stetigen Blick über den eigenen konfessionellen und nationalen Tellerrand hinaus, der letztlich in seinem ökume­ nischen Engagement mündet. 2.2 Una sancta – Die Gemeinschaft der Völker und Kirchen und Althaus’ Engagement in der Ökumenischen Bewegung Die Frage nach der Gemeinschaft hat für Althaus nicht nur einen nationalen, sondern ebenso einen internationalen Horizont. Nach seinem Dafürhalten ist sie „die Tiefe nicht nur der ‚völkischen‘, sondern auch der uns brennenden Völkerfrage, des internationalen Problems.“25 Althaus’ Gemeinschafts­verständnis eignet die charakteristische Dialektik der Trennung der Völker und Kirchen einerseits und der Einheit der Menschheit und der Ökumene andererseits. Das eine kann für ihn ohne das andere nicht gedacht werden. Dies hat er bereits während des Krieges deutlich gemacht, als er die Kirche 1917 davor warnt, „Sklavin des nationalen Willens“ zu werden und sie daher, unbenommen ihrer

22 Ebd., 289. 23 2408 Kirche, 83. 24 2903 Communio, 50. 25 2803 Communio, 289. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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wichtigen nationalen Aufgabe, dazu aufruft, „daß sie die internationalen Gefühle pflegt.“26 Als Althaus im Jahr 1924 in seinem für die Zeitschrift „Die Tat“ verfassten Aufsatz „Die Kirche“ von der Kirche bzw. von den Kirchen spricht, gilt sein erstes Wort der historisch hergeleiteten Verschiedenheit der Völker und Kirchen: „Die Kirche steht in der Geschichte und geht in ihre Gesetze ein. Geschichte heißt Abfolge von Generationen, bedeutet Vielheit, Besonderung, Trennung durch Raum, Zeit, Individualität. Geistiges Gemeinleben kann in ihr sich nicht behaupten oder weiterzeugen ohne eine Ordnung zu schaffen, Sitte und Tradition zu werden […]. Die Kirche erscheint dabei in Kirchen. Alles Geschichtliche unterliegt Gesetzen der Besonderung. Nicht nur, daß die natürlichen Sonderungen nach Rasse und Volkstum sich auch in der Kirche ausprägen. Das menschliche Deuten des Anvertrauten, das Ringen um Erkenntnis […] führt in den Widerstreit.“27

Diese Trennung und dieses Widereinander wird für ihn erlebt sowohl als Freude am „Reichtum der Geschichte“, an der „geschichtlichen Mannigfaltigkeit“, aber auch als „Leiden unter den Rissen“28. Diesem ambivalentem Eindruck der Wirklichkeit entspricht und entspringt bei Althaus nun auch ein ambivalentes Verhalten im Blick auf die Kirche und besonders ihre Suche nach der Wahrheit: „Neben der Schätzung der Tradition muß der Glaube an die Revolution stehen“, d. h. „glauben an die immer wieder zu erwartende Revolution des Geistes in der Kirche.“29 Was aber ist der Grund für das „Leiden unter den Rissen“ und der Gegenstand des „Glaubens an die Revolution“? Die Antwort darauf lautet für Althaus: „In aller geschichtlichen Mannigfaltigkeit, deren wir uns freuen als des Reichtums Christi, und trotz aller schmerzlichen Spaltung, unter der wir leiden, erfassen wir im Glauben die tiefe Einheit der una sancta, aller an Christus gebundenen. Glaubend, betend, Christum bekennend wissen wir uns eins mit seinem Volke aller Zeiten, aller Rassen, aller Kirchen. Diese Einheit spottet Spenglers und seiner Zerreißung der ‚Menschheit‘ in gegeneinander einsame Kulturseelen. Die Einheit im ‚Geiste‘ greift tiefer als alle Sonderung des ‚Seelentums‘.“30

Es steht für Althaus außer Frage, dass diese wahre Einheit der Kirche in der Wirklichkeit der una sancta und damit auch die daraus folgende Wirklich 26 1707 Glaube, 17.  Die gleiche Warnung vor der „Sklaverei einer blinden Vaterlandsliebe“ spricht Althaus auch in 1602 Vaterlandsliebe IV, 2 aus. 27 2408 Kirche, 85. 28 Ebd. 29 Ebd., 87. 30 Ebd., 90. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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keit der Einheit der Menschheit keine rein geistigen oder rein eschatologischen Gegebenheiten sind, sondern dass diese den Christen zum Handeln heraus­ fordern: „Freilich sollen die Kirchen die letzte Einheit nicht nur glauben, sondern auch pflegen, indem sie Fühlung halten, Arbeitsgemeinschaft suchen, wo es möglich und geboten ist, die Wahrheit Christi auch in der anderen Kirche ehren und wert halten und einander die Gemeinschaft lebendiger Auseinandersetzung, scharfer Kritik, ernsten Kampfes um die Wahrheit bewahren.“31 In seinen Augen „geht [es] nicht an, daß die nationale Verwurzelung der Kirchen Wirklichkeit sei, die übernationale Einheit der Kirche aber bloßer Gedanke bleibe –, wir pflegen auch eine Bekenntnis- und Kirchengemeinschaft, die quer durch die Landes- und Volkstumsgrenzen hindurchgeht“32.

Im Glauben an die una sancta und als Antwort auf die daraus sich ergebenden Forderungen nach gelebter Gemeinschaft und „lebendiger Auseinandersetzung“ reiht sich Althaus seit den 20er Jahren denjenigen Theologen und Kirchenmännern ein, die „Arbeitsgemeinschaft suchen“. Der Gedanke internationaler kirchlicher Arbeitsgemeinschaft ist bei Althaus nicht neu, bereits während des Krieges hat er ihn 1917 formuliert33. So erklärt sich nun seine rege Mitarbeit in der jungen ökumenischen Bewegung für Praktisches Christentum („Life and Work“). Die theologische Einordnung dieser im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts einsetzenden Bewegung ist nach Reinhard Slenczka „nicht ganz einfach. Die Personen wie die Probleme kommen aus der christlichen Sozial- und Friedensarbeit; im Vordergrund steht nicht die Theologie, sondern die gelebte Frömmigkeit und die Betroffenheit durch die anstehenden Aufgaben.“34 „Kritik an herkömmlicher Dogmatik und kirchlicher Institution“ verbindet viele der Teilnehmer an dieser Bewegung, deren eine historische Wurzel in der frühen christlichen Friedensbewegung zu suchen ist. Nimmt man dies beides in den Blick, so möchte man die Mitarbeit eines Theologen wie Althaus für nahezu ausgeschlossen halten, steht seine politische Theologie doch gerade für eine intensivierte Kirchlichkeit und gegen einen christlich begründeten Pazifismus. Betrachtet man jedoch die zweite historische Wurzel dieser in sich so heterogenen Bewegung, nämlich die christlich-kirch 31 Ebd. Zum Gedanken der una sancta und der Einheit der Menschheit vgl. 2604 Dinge, 178. Die Einheit der Kirche spricht Althaus auch im liturgischen Zusammenhang an; vgl. 3216 Wesen, 1026. 32 2704 Volkstum, 141; Hervorhebung von Althaus. So betont er, „deutsche Lutheraner wissen sich nordischem, slawischem, amerikanischem Luthertum eng verbunden“. 33 Vgl. 1707 Glaube, 17. 34 Slenczka, Dogma, 450. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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liche Auseinandersetzung mit der sozialen Frage, vor allem in Form der christlich-sozialen Bewegung, so wird Althaus’ Interesse an dieser Form der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft schnell klar. Nachdem sein Vorwurf an die Kirche stets lautet, in der Vergangenheit in der sozialen Frage versagt zu haben, nimmt er sich dieses universellen Problems nun auch in ökumenischer Weite an. So ist das zentrale Charakteristikum und zugleich der gemeinsame Nenner von „Life and Work“, nämlich das gemeinsame Bewusstsein einer sozialethischen Gesellschaftsverantwortung der Kirche, auch für Althaus der Grund für sein Engagement. So charakterisiert auch Slenczka die Theologie der Bewegung für Prak­ tisches Christentum als eine, „für die in den ethischen und sozialen Wirkungen des christlichen Glaubens ein wesentliches Kriterium liegt.“35 Zur zentralen sozialethischen Kategorie wird im Diskurs von „Life and Work“ das Reich Gottes, besonders in der amerikanischen Theologie und der dortigen Auffassung von „social gospel“, für die nach Slenczka gilt: „Die Gesellschaft wird in dieser säkularisierten Eschatologie mit dem Reich Gottes gleichgesetzt.“36 Dagegen setzt Althaus nun seine eigene dezidiert theologische Eschatologie und sein eigenes lutherisches Verständnis vom Gottesreich37. Wenn er in diesem Diskurs das Wort ergreift, so schließt er dabei direkt an seine eigene Auseinandersetzung mit den Religiösen Sozialisten in der Frage nach dem Reich Gottes an. Spiritus Rector der ökumenischen Bewegung für Praktisches Christentum war Nathan Söderblom, seit 1914 Erzbischof von Uppsala und Primas der lutherischen Kirche Schwedens. Die Tatsache, dass „Life and Work“ anders als der Völkerbund nicht das geistige Produkt der ehemaligen Feinde Deutschlands war, sondern sich dem Engagement dieser aus einem im Krieg neutralen Land stammenden Persönlichkeit verdankte, erleichterte den deutschen Kirchen die Mitarbeit erheblich38. Von Söderblom stammte auch die Initia 35 Ebd. 36 Ebd., 451. 37 Zu Althaus’ Sichtweise der amerikanischen Reich-Gottes-Theologie, die er als evolutionistische Geschichtsanschauung ablehnt, vgl. seine Rezension zu Heinrich Fricks Schrift „Das Reich Gottes. In amerikanischer und in deutscher Theologie der Gegenwart“ (2704R Frick) und die entsprechenden Abschnitte in seinen Lehrbüchern: 2806 Leitsätze, 25; und 3307 Dinge, 223 f. 38 Bormuth, Kirchentage, 204, Anm.  783 macht geltend, dass aus deutscher Sicht gerade auch folgende Aspekte für ein Vertrauen in Nathan Söderblom ausschlaggebend waren: „Er hatte 1914 als Professor an der Universität Leipzig gelehrt, und einer seiner Söhne hatte im Weltkrieg als Offizier auf deutscher Seite gestanden. Sein persönliches Erscheinen auf dem Stuttgarter Kirchentag 1921 wurde von der Kirchentagsleitung als demonstrative Solidaritätskundgebung und öffentlicher Protest gegen die Behandlung Nachkriegsdeutschlands durch die Alliierten gewertet“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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tive für die erste Weltkonferenz für Praktisches Christentum in Stockholm im August 1925, dem Gedenkjahr des Konzils von Nicäa39. Auf Einladung von Söderblom nimmt auch Althaus an der Weltkonferenz teil40 und hält im Gottesdienst am Sonntag, den 23.  August 1925, die Predigt über 2. Tim 2,9, in der er die Freiheit des Gotteswortes von aller menschlichen Begrenztheit hervorhebt. Seine Predigt mündet am Ende in einen kritischen Rückblick auf den Weltkrieg, den er im Kontext der menschlichen Sünde verortet: „Gottes Wort frei von uns – frei auch (das ist besonders fröhlich!) von der Hemmung durch unsere Menschlichkeiten und Sünden. Mächtigstes Kriegserlebnis der europäischen Kirchen: die Heidenkirchen in Afrika und Asien haben das Ärgernis des Weltkrieges als Schande der Christenheit erlebt – und sind nicht an Gottes Wort irre geworden, an der Christenheit Europas vielleicht, aber nicht an Christus! Sie messen das Evangelium nicht an Europa, sondern verurteilen Europa vom Evangelium aus.“41

In diesem kritischen Rückblick auf die „Schande der Christenheit“ drückt sich zweierlei aus: Zum einen Althaus’ fortwährendes Interesse an der Frage der Mission, zum anderen seine Bestrebung, bei der Frage nach der Schuld am und im Weltkrieg alle am Krieg beteiligten in den Blick zu nehmen42. Dieses Anliegen liegt auf einer Linie mit der zunehmend differenzierten Sichtweise der Kriegsschuldfrage in ökumenischen Kreisen. Für Slenczka war die Stockholmer Konferenz „zweifellos ein Ereignis […], doch sie hatte […] kein Ergebnis für eine weltweite Einheit der getrennten Kirchen im Dienen. Wohl aber hatte sie Folgen“43. Zu diesen gehört die Einsetzung einer Theologenkommission unter der Leitung des Berliner Neutestamentlers Adolf Deißmann und des Dompropstes von Canterbury, George Bell, die den theologischen Diskurs fortsetzen und die strittigen Punkte bearbeiten soll. Als „direkte Lebensäußerung der Stockholmer Bewegung“ lädt Bell für Anfang April 1927 je sechs deutsche und britische Theologen zu einer britisch-deutschen Theologenkonferenz nach Canterbury ein, die das „gewaltige 39 Althaus bezeichnet die Weltkonferenz in 2506 Problem, 106 sogar als „Konzil“. 40 In 3904 Evangelium, 13 spricht Althaus davon, er habe „zwar nicht als offizieller Delegierter, aber als Prediger, von Söderblom berufen“ an der Stockholmer Konferenz teilgenommen; Hervorhebung von Althaus. Vgl. den Briefwechsel Althaus’ mit Söderblom im Frühsommer 1925 in NPA 11. 41 2510P Freiheit, 378. 42 In 3109 Bazillus, 64 schreibt Althaus rückblickend über die Stockholmer Konferenz, dass er dort zunächst unter dem „oberflächlichen internationalen Verständigungsjargon“ gelitten habe und es ihm erst als zumindest am Rande auch die Ungerechtigkeiten von Versailles zur Sprache kamen, möglich war, „ehrlicherweise in Stockholm auszuhalten.“ 43 Slenczka, Dogma, 458. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Gegenwartsproblem“44 des „Wesen[s] des Reiches Gottes und seine Beziehung zur menschlichen Gesellschaft“, so das Thema der Konferenz, behandeln soll. Zu den sechs deutschen Theologen gehört auch Althaus, der einen Vortrag zum Thema „Das Reich Gottes und die Kirche“ hält, in dem er das Wesen der Kirche und ihren Auftrag in der Welt umreißt45. Eine weitere britisch-deutsche Theologenkonferenz, an der nun auch skandinavische Theologen teilnehmen, findet Mitte August 1928 auf der Wartburg statt, diesmal zum Thema „Christologie“46. Auch hier beteiligt sich Althaus sowohl mit einem Vortrag über Christus als „Der Gekreuzigte“, als auch mit einer Morgenandacht, in der er anhand von Mt. 22,41–46 den aktuellen Sinn der Beschäftigung mit der Christologie hervorhebt47. An der dritten britisch-deutschen Theologenkonferenz in Chichester Ende März 1931 zum Thema „Corpus Christi“, für die er als Teilnehmer vorgesehen ist, ist Althaus wohl aufgrund finanzieller Engpässe der Veranstalter verhindert48. 1928 ist das Jahr, in dem sich Althaus am intensivsten in ökumenischem Rahmen mit theologischen Fragen beschäftigt. So reist er wenige Tage nach der Konferenz auf der Wartburg bereits Ende August 1928 auf einen schwedisch-deutschen Theologen-Konvent nach Uppsala, wo er „die starke Gemeinsamkeit zwischen der schwedischen systematischen und der neueren deutschen lutherischen Theologie“ feststellt49. Er selbst hält in Uppsala zwei Vorträge über „Christentum und Kultur“ und „Die gegenwärtige theologische Lage“50. Außerdem setzt er sich in diesem Jahr verstärkt mit englischsprachiger theolo­ gischer Literatur zur Ethik und zur Kirchenfrage auseinander51. 44 So Deißmann in einem Grußschreiben an die Konferenz, abgedruckt in: ThBl 6 (1927), Nr. 5 (Mai 1927), 114 f. Zur Konferenz vgl. den Bericht ebd., 113–142; und Weisse, Christentum, 443–451. 45 2702 Reich. 46 Vgl. den Bericht in ThBl 7 (1928), Nr. 10 (Oktober 1928), 237–282. 47 2807 Gekreuzigte; und 2812P Andacht. Als Ertrag der Konferenz erscheint 1930/31 in englischer und deutscher Sprache der Sammelband „Mysterium Christi. Christologische Studien britischer und deutscher Theologen“, herausgegeben von Bell und Deißmann, für den Althaus die Studie „Das Kreuz Christi“ (2907) verfasst. 48 Vgl. ThBl 10 (1931), Nr. 6 (Juni 1931), 1. Zu den negativen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise für die junge ökumenische Bewegung vgl. Kirchliches Jahrbuch 1932, 543. 49 Über den Theologenkonvent berichtet Althaus selbst in 2810 Theologen-Konvent. Zu seiner Sichtweise des Verhältnisses von deutscher und schwedischer Theologie vgl. sein „Geleitwort zur deutschen Übersetzung“ von Gustav Auléns „Das christliche Gottesbild“ von 1930 (3008). 50 Die beiden Vorträge dürften identisch sein mit den gleichnamigen Vorträgen „Grundzüge der gegenwärtigen theologischen Lage“ (2804), den er Mitte Juni auf einer Pastoralkonferenz hielt, und „Christentum und Kultur“ (2808), den er im August auf der Hamburger Tagung des Lutherischen Einigungswerkes hielt. Von Hamburg wird Althaus dann nach Schweden weitergereist sein. 51 Vgl. seine Rezensionen 2802R Smith; 2804R Macpherson; und 2805R Scott. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Welchen Eindruck die internationale ökumenische Mitarbeit bei Althaus hinterlassen hat, wird deutlich in seiner Auseinandersetzung mit der völkischen Bewegung. So macht er in seinem Königsberger Kirchentagsvortrag „Kirche und Volkstum“ 1927 gegenüber einem radikalen Sprachenpurismus, der sämtliche Fremdwörter aus der deutschen Sprache austilgen will, folgendes geltend: „Fremdwörter sind Fußspuren der Kultur auf ihrem Wege von einem Volke zu dem anderen. Sie verbinden zugleich – wir merken es immer wieder bei internationalen Tagungen. Fremdwörter sind […] Zeichen einer Gemeinschaft der Kultur. Solche Denkzeichen der Geschichte tilgen zu wollen wäre kindisch.“52

Als Althaus 1929 vor der Aufgabe steht, für den von Carl Schweitzer herausgegebenen apologetisch motivierten Sammelband „Das religiöse Deutschland der Gegenwart“, ein Standardwerk der damaligen Zeit, den Artikel über „Die Theologie“ zu verfassen, kommt er im Zusammenhang der neuen Aufgaben der Kirche wie selbstverständlich auch auf die Ökumene zu sprechen: „Eines sei dabei besonders hervorgehoben: Durch die Kirchen geht die ‚ökumenische Bewegung‘, die Sehnsucht und der Wille, über die Grenzen der Länder und der Konfessionen hinweg in Fühlung, Austausch und, wenn es sein kann, Arbeitsgemeinschaft zu kommen. Der Theologie erwächst hier die Aufgabe, die Fragen nach der Einheit der Kirche, nach dem Wesen und Verhältnis der Konfessionen aufs neue zu bewegen.“53

Doch die ökumenische Bewegung macht auf Althaus nicht nur hinsichtlich seiner Haltung in der Frage nach dem Verhältnis der Kirchen und Konfessionen zueinander Eindruck, sondern darüber hinaus in der Frage nach der Gemeinschaft der Völker überhaupt. So fügt Althaus in seinen im Herbst 1925 erschienen Aufsatz „Zum Problem des Krieges“ einen eigenen Abschnitt über den Ertrag der Stockholmer Konferenz im Sommer ein54: „Die Kirchen müssen, dürfen in erster Linie stehen, wo es gilt, die Gemeinschaft zwischen den Völkern, das Verständnis füreinander und das Bewußtsein gegenseiti 52 2704 Volkstum, 134. 53 2909 Theologie, 132. Er warnt sogleich vor dem „Gespenst einer ‚ökumenischen Theologie‘“ und „kurzschlüssige[n] Einheitsformeln“: „Die Theologie hat der via synkretistica das Ringen um eine neue, wahrhaft protestantische Polemik entgegenzusetzen – eine Polemik, die wahrlich kein Verrat an der Einigungsaufgabe oder gar an der una sancta ist, sondern gerade im Dienste kommender Einheit, die doch nur eine Einheit in der Wahrheit sein kann, unternommen wird – eine ökumenisch gesinnte Polemik!“ 54 Einleitend schreibt Althaus: „Im Jahre des Stockholmer Konzils wird man von dem Theologen auch ein Wort darüber erwarten, welche Stellung die Kirchen […] zu den großen Fragen der Völkergemeinschaft einnehmen sollen.“ (2509 Problem, 106). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ger Verantwortung zu pflegen. […] Die Kirchen sollen offene Augen haben für die neuen Entwicklungen im Völkerleben, die sich anbahnen. Das Sehnen der Völker nach ‚Frieden‘, ‚Versöhnung‘, Gemeinschaft muß auch durch die Kirchen klingen, denn es wohnt darin […] jenes letzte Verlangen nach der neuen Welt, das der Kirchen innerste Bewegung sein soll. Es ist ihre Pflicht, jede Organisation, die wahrhaft der Verständigung der Völker und der Beilegung von Konflikten dienen will und kann, ernstlich zu unterstützen.“55

Dass sich Althaus ab den 20er Jahren Zeit seines Lebens für ökumenische Fragen interessiert und auch der Ökumenischen Bewegung seine Mitarbeit nicht versagt, ist bei ihm biographisch nicht verwunderlich. Bereits als Student und später während seiner Zeit im Predigerseminar nahm er regen Anteil an der internationalen christlichen Studentenmissionsbewegung, an der deutschen christlichen Studentenvereinigung (DCSV) und auch am christlichen Studentenweltbund. Seinen Bundesbrüdern im Schwarzburgbund (SB) legte er in mehreren Aufsätzen in den Jahren vor dem Kriegsbeginn „mit warmer Sympathie und ernstlichem Willen zur Mitarbeit“ die internationale christliche Studentenbewegung ans Herz56. Bereits 1909 nahm Althaus an einer international ausgerichteten studen­ tischen Missionskonferenz in Halle teil57. Begeistert berichtet er seinen Bundesbrüdern des sich nur aus der deutschen Studentenschaft rekrutierenden Schwarzburgbundes von der „bewundernswerten Internationalität“ der deutschen christlichen Studentenbewegung: „Man fühlt es: dies ist das wirklich Moderne an der Bewegung, das am Ende auch über viel Kleinliches und Enges hinwegsehen läßt. Denn hier liegt nicht nur der Gedanke, sondern die Wirklichkeit internationaler Gemeinschaft in geistigen und religiösen Dingen vor, ja mehr, internationaler Arbeitsgemeinschaft an den höchsten Fragen der Menschheit. Es ist keine Schande, daß im Zeitalter des schlechthin internationalen Handels, der schlechthin internationalen Wissenschaft und Technik auch eine christliche Internationale heranreift.“58

Wenige Jahre später predigt Althaus seinen Soldaten im Krieg als eschatolo­ gischen Ausblick das kommende Friedensreich Gottes und greift dabei auf seine Erfahrungen in der internationalen Studentenbewegung zurück: 55 Ebd., 107. Diesem klaren Althausschen Ja zur Arbeit der Völkerverständigung folgt ein ebenso klares Aber: „Aber die Kirchen müssen dabei als Mächte unerbittlicher Wahrheit unter den Völkern stehen“. Von hier verläuft die Linie zur gemeinsamen Erklärung mit Hirsch „Evangelische Kirche und Völkerverständigung“ im Jahr 1931; vgl. Kap. IV, 6.3.3. 56 1301 Studentenbewegung III, 78. 57 Vgl. 1203 Studentenbewegung I, 81 f. 58 1203 Studentenbewegung I, 80; Hervorhebung von Althaus. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Was wird es für eine Herrlichkeit sein, wenn wir in der Vollendung das erleben, was wir auf christlichen Studentenkonferenzen als vordeutendes Zeichen öfter erlebt haben: wenn die Völker, die sonst einander nicht verstehen, sich grüßen mit dem Namen ‚Jesus‘, ‚Heiland‘, ‚König‘.“59

Vorbilder in der internationalen und (volks-)missionarischen Arbeit sind für ihn in erster Linie der Amerikaner John Mott, der führende Kopf des christ­ lichen Studentenweltbundes und von Althaus als „einer unserer Führer in dem großen Missionskampfe“ bezeichnet60, sowie der Berliner Pastor Friedrich Siegmund-Schultze mit seiner „Pflege der in Deutschland studierenden Ausländer“: „Die DCSV beweist hier jenen schönen Weitblick, der ihr von vornherein die größte Achtung aller derer sichert, die über den Kirchturmshorizont unserer meisten akademischen Verbände seufzen.“61 Impulse verspricht sich Althaus vor dem Krieg von der internationalen Studentenbewegung auch für die weltweite Völkerverständigung: „Ob die Geistes- und Arbeitsgemeinschaft von mehr als hunderttausend christlichen Studenten aus 40 Nationen in dem Weltbunde auch für die allgemeinen internationalen Beziehungen förderlich sein kann? Es ist schwer, darüber zu urteilen, aber so viel ist wohl sicher: je weiter die christliche Studentenbewegung unter den künftigen Führern eines Volkes fortschreitet, desto mehr wird neben die rein wirtschaftliche Beurteilung aller politischen Verhältnisse der Gesichtspunkt einer idealen Gemeinschaft treten, die nicht einfach durch wirtschaftliche oder machtpolitische Konkurrenz zu beseitigen ist.“62

Freilich muss auch Althaus im Jahr 1913 erkennen, dass die internationale Zusammenarbeit gegenüber einem übersteigerten Nationalismus an ihre Grenzen stößt63. Aus diesem Grund kommt auch in dieser Lobschrift auf die internationale christliche Zusammenarbeit die Althaussche Ambivalenz zum Tragen, wenn er auf der anderen Seite die Vaterlandsliebe ins Gespräch bringt: „Zugleich aber muß die DCSV es vielleicht lernen, stärker als bisher auch die Liebe zum Vaterlande und zur Nation unter die höchsten Ideale aufzunehmen. Es gilt, ‚­inmitten heißer nationaler Kämpfe international zu sein und doch zugleich jeder nationalen Eigenart mit dem liebevollsten Verständnis entgegenzukommen‘“64. 59 1501P Losung, 45. 60 Ebd., 42. 1913 schreibt Althaus über ihn: „Wo er hinkommt, da packt er und bewegt und wirkt für die Arbeit Gottes, an der seine Seele hängt.“ (1301 Studentenbewegung III, 61). 61 1204 Studentenbewegung II, 121. 62 1301 Studentenbewegung III, 64; Hervorhebung von Althaus. 63 Ebd., 76. Er hat dabei die „Nationalitäten des bunten Donaulandes“, sprich Österreich-­ Ungarns, im Blick und den dort anzutreffenden „bis zum Haß sich steigernden Widerstreit der Rassen“, d. h. der einzelnen Völker im Vielvölkerstaat. 64 Ebd. Althaus zitiert hier aus den „Mitteilungen“ Nr. 141/142, der Zeitschrift der DCSV. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Auch und gerade in der Zeit des „Dritten Reiches“ ist Althaus ökumenisch sehr engagiert. Nachdem er infolge einer Erkrankung er an einer ökumenischen Studienkonferenz im April 1934 in Paris zum Thema „Die Kirche und das Staatsproblem der Gegenwart“ selbst nicht teilnehmen konnte65, hielt Althaus im Oktober 1935 auf einer ökumenischen Studienkonferenz im schwedischen Sigtuna einen Vortrag über „Kirche und Volk“66. Anfang August 1936 nahm er am dritten ökumenischen Seminar in Genf teil, wo er einen Vortrag über die „Ökumenische Bedeutung der Augsburger Konfession“ hielt67. Auch zur Oxforder Weltkirchenkonferenz 1937 äußerte sich Althaus mit zwei Aufsätzen68, nachdem ihm – wie auch den anderen vorgesehenen deutschen Delegierten – in letzter Minute von den deutschen Behörden aus politischen Gründen die Teilnahme verweigert wurde69. Besonders die weltweite Zusammenarbeit der Lutheraner lag ihm am Herzen. Seine Teilnahme an der vierten Generalversammlung des Norwegischen Lutherbundes im Oktober 1935 in Oslo, auf der er als Fachreferent mehrere Vorträge hielt, dokumentiert das70. Im weiteren Verlauf dieser Skandinavienreise nahm Althaus die Gelegenheit zu ökumenischen Kontakten in Schweden und Dänemark wahr. Im März 1939 ging Althaus auf eine Vortragsreise nach Holland, im Oktober 1943 nach Finnland71. 2.3 Das Verhältnis von Staat und Kirche Als im November 1918 mit dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments auch zugleich die Staatskirche ihr Ende fand, standen evangelische Theologie und Kirche vor der Aufgabe, ihren Platz in der Gesellschaft neu zu definieren. Um die aus der Kaiserzeit überkommene herausgehobene Stellung nicht etwa an den Katholizismus oder gar areligiöse Weltanschauungen zu verlieren, bediente man sich eines Hilfskonstrukts, um durch die Hintertür ans alte Staatskirchenwesen anzuknüpfen: Die Kirche verstand sich fortan als Volkskirche. Der Begriff wurde dabei durchaus doppeldeutig verstanden. Zum einen spiegelte er das kirchliche Selbstverständnis der starken christlich-sozialen Tradition des 19. Jahrhunderts wider. Volkskirche wurde dabei im Gegensatz zur „Win-

65 Vgl. Die Kirche und das Staatsproblem in der Gegenwart, 179; vgl. 3405 Thesen. 66 3518 Kirche; vgl. Mann, Ordnungen, 16. 67 Vgl. JK 4 (1936), H. 12 (20.6.1936), 591. 68 3708 Kirche; 3709 Christentum. 69 Vgl. Mann, Ordnungen, 16. 70 Vgl. Lutherische Kirche 17 (1935), H. 19 (Oktober 1935), 344. 71 Diese Reisen sind dokumentiert im PAA F 2/1 Nr. 2186 c. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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kelkirche“ verstanden und sollte sich durch diakonische, soziale und pädago­ gische Arbeit dem „ganzen Volk“ verpflichtet wissen. Darüber hinaus sollte die Volkskirche sich als „zum Volk gesandte“ Missionskirche verstehen. Zum anderen wurde Volkskirche kontextuell als spezifische „Kirche des Volkes“, in diesem Fall des deutschen, verstanden. So sollte in der deutschen evangelischen Kirche, entsprechend der schwedischen oder ungarischen evangelischen Kirche, der nationale Kontext zum Tragen kommen. Gerade mit dem zweiten Aspekt erhoffte man sich auf evangelischer Seite, dem Protestantismus auch im religiös neutralen Gemeinwesen der Weimarer Republik staatstragende Relevanz zu verschaffen. Indem man auf protestantischer Seite, dem Zeitgeist folgend, den Staat mehr und mehr als Volksstaat betrachtete, bildete das Volk somit den entscheidenden Anknüpfungspunkt von Staat und Kirche. Die Verbundenheit und Beziehung von Staat und Kirche, genauer von deutschem Volksstaat und lutherischer Kirche, ist bereits ein frühes Thema von Althaus. Schon in seiner Lodzer Zeit während des Weltkriegs geht es ihm in der besonderen Situation einer doppelten Diaspora der evangelischen Deutschen in Polen um ein kirchenverbundenen Volk und eine volksverbundene Kirche. Theologischer Hintergrund und Fundament für seine Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche bildet die lutherische Zwei-Reiche-Lehre. War jedoch die Verhältnisbestimmung für lutherische Theologen während des Kaiserreichs, in dem sowohl eine Obrigkeit herrschte, die sich selbst als christlich verstand, als auch der Protestantismus deutsche Leitkultur und damit staatstragend war, eine relativ einfache und unproblematische Angelegenheit, so stand man nun mit der 1918/19 im Gefolge einer Revolution entstandenen Weimarer Republik dem Phänomen eines per Selbstdefinition religiös neutralen Staates gegenüber, der zudem zumindest zeitweise von radikal kirchenfeindlichen politischen Kräften regiert wurde, wie das Beispiel des kurzzeitigen preußischen USPDKultusministers Adolph Hoffmann zeigt72. Zu diesem neuen Staat musste man sich als Kirche ins Verhältnis setzen und musste überhaupt seinen Platz in einer liberalen und pluralen Gesellschaft finden.

72 Der Politiker Adolph Hoffmann war spätestens durch seine 1892 erschienene Schrift „Die zehn Gebote und die besitzende Klasse“ als Kirchengegner und energischer Vorkämpfer der Kirchenaustrittsbewegung bekannt geworden. Als ihn die Revolution an die Macht brachte, setzte er sein kirchenfeindliches Programm umgehend in die Praxis um: Am 29.11.1918 hob er per Erlass den Religionsunterricht als ordentliches Schulfach auf, am 13. 12. erließ die preußische Revolu­ tionsregierung auf sein Betreiben hin ein „Gesetz betreffend die Erleichterung des Kirchenaustritts“. Nach nur acht Wochen musste Hoffmann seinen Ministersessel wieder räumen. Zur kirchenfeindlichen Politik Adolph Hoffmanns, die im Winter 1918/19 die kirchlichen Gemüter erhitzte; vgl. Wright, Parteien, 12–19. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Althaus tat das bereits 1919 in seiner Schrift „Das Erlebnis der Kirche“, indem er die Chance der Kirche auf einen Neuanfang voller Hoffnung begrüßte. Auch in der zweiten Auflage vom Juli 1924 schreibt er: „Es ist eine große Stunde für die Kirche. Seit 1918 sind alte Bindungen und Hemmungen, die die Freiheit der Kirche lähmten, dahingefallen. Nicht mehr vom Staate bevormundet und gegängelt dürfen die deutschen evangelischen Kirchen nunmehr zeigen, was in ihnen lebt an freier Kraft des Glaubens und der Liebe“73.

Mehr als drei Jahre später, im November 1927, widmet sich Althaus dem Thema „Staat und Kirche“ in einem Vortrag auf der Schulungswoche der Deutschen Studentenschaft (DSt) in Weimar ausführlicher74. Für ihn handelt es sich dabei im Blick auf die Geschichte um ein „Schicksalsthema für uns Deutsche“, denn „gerade weil der Staat wie die Kirche bei uns besonders ernst genommen werden, weil auch dem Staate eine hohe geistige Aufgabe zugeteilt wird, gewinnt für uns die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Kirche ihre eigene Schwierigkeit und Tiefe.“75 2.3.1 Die Theonomie des Staates Wenn Althaus in seinem Vortrag 1927 im Blick auf den Staat von „Luthers Bedeutung in der Geschichte des Staatsgedankens“ spricht, so hat er zunächst unausgesprochen die lutherische Zwei-Reiche-Lehre samt der damit zusammenhängenden Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche im Blick, die aber entscheidend von seiner Theonomiekonzeption geprägt ist. Althaus spricht  – ganz im Sinne seines Ja-aber-Argumentationsstils  – zunächst vom Staat als „gute Ordnung Gottes“, bleibt dabei aber nicht stehen, sondern lässt unmittelbar den begrenzenden Einwand folgen: „Aber allerdings: eine Ordnung im Elemente einer Welt des Widereinander, des Kampf- und Todes­ gesetzes, des Verdrängungsgesetzes und Verdrängungswillens, der uns alle bindet, eine Ordnung also im Elemente des Bösen“. Die Tatsache, dass der Staat Ordnung Gottes ist, gibt ihm nach Althaus seine Würde und Autorität, die er zu ergreifen hat. Die faktische Unreinheit aller Ordnung aber, die Verflochten-

73 2407 Erlebnis, 31. 74 2707 Staat. 75 Ebd., 113 f. Das Angehen der gestellten Aufgabe ist für ihn der deutsche „Menschheitsberuf“, dem es sich zu stellen gelte. Althaus schreibt dazu: „Wir müssen auch hier das deutsche Schicksal erfüllen, die Lebensfragen der Menschheit tiefer als andere Völker zu durchkämpfen und zu durchleiden.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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heit der Welt mit dem „Bösen“ soll vor einer einseitigen Sakralisierung des Staates bewahren. Noch ein Zweites wehrt für Althaus darüber hinaus einem „Absolutismus des Staatsgedankens“, nämlich die Tatsache, dass der Staat nicht als Selbstzweck zu denken ist, sondern „dienend bezogen auf das Werden der Gemeinde Gottes durch die Geschichte der Völker hin.“ Mit anderen Worten, „der letzte Sinn des Staates ist, durch seine Bändigung des anarchischen Chaos die Bedingungen zu schaffen, daß Menschen in ihrer Art wachsen können für Gottes Reich, besser: daß ein Volk seinen Beruf erfüllen könne, Gemeinde Gottes zu werden in eigener Art. Der Staat ist Hilfsmittel und Wegbereiter der Gemeinde, der unsichtbaren Kirche.“76

Der Staat ist für Althaus, ebenso wie die sichtbare Kirche, bezogen auf die unsichtbare Kirche, ihr dienend untergeordnet und damit seinem ­eigentlichen Wesen nach nur theonom zu verstehen77. Diese unsichtbare Kirche aber ist „das Volk Gottes, das er sich sammelt aus allen Geschlechtern und Völkern der Geschichte. So verstanden ist die Kirche der eigentliche Sinn der Weltgeschichte.“78 Somit gehört der Staat für Althaus in den Bereich der vorletzten Dinge. Er ist für ihn „keineswegs ein Letztes und Höchstes“, er ist „keineswegs schlechthin und in allen Dingen die höchste Autorität, keineswegs Inbegriff und Organ aller Lebendigkeit des Volkes“, sondern er hat „die Grenzen seiner Macht und seines Rechtes an der Freiheit des religiösen Gewissens“ und an der „Freiheit des Kulturschaffens“79. Ganz in der Logik seiner Ja-aber-Argumentation kommt Althaus am Ende und damit an exponierter Stelle seines Vortrages erneut auf die notwendige und heilsame Erinnerung von Volk und Staat an ihren Charakter als vorletzte Dinge durch die Kirche zu sprechen. Trotz ihrer nationalen Aufgabe, so zeigt sich Althaus überzeugt, „kann die Kirche nicht jedem völkischen Wollen zu Willen sein. Wie sie von dem doktrinären Internationalismus hinweg zu völkischer Treue ruft, so widersteht sie wiederum jedem blinden Nationalismus, der das Recht der anderen verneint und von dem Füreinander der Völker nichts wissen will. Die Kirche streckt ihre Hände über Volks- und Staatsgrenzen hinaus zu den Genossen des Glaubens. Das mag dem Staate bisweilen nicht lieb sein. Und doch ist es wiederum im tieferen Sinne gut für Volk und Staat. Denn es erinnert daran, daß das Leben des Volkes seinen Sinn emp 76 Ebd., 114. 77 Zur Theonomie des Staates wider alle „gottlose Autonomie“ vgl. 2806 Leitsätze, 29 f. 78 2707 Staat, 114; vgl. 2408 Kirche, 85. 79 2707 Staat, 114. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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fängt von etwas, das weiter und größer ist als es selber […]. Beide, Staat und Kirche weisen über sich hinaus auf die kommende Kirche Gottes, die Stadt Gottes […]. Das zu wissen gibt unserem irdischen Dienste an Staat und Kirche die völlige Nüchternheit, aber auch die hohe Freudigkeit. Dieser Staat, diese Kirchen sind nicht das Letzte. Aber indem wir ihnen verpflichtet sind, sind wir auf das Letzte bezogen“80.

In diesem Zugleich von Begrenzung als Vorletztes und Aufwertung als göttliche Verpflichtung blitzt einmal mehr die Althaussche Ambivalenz auf. Das Problem an dieser nötigen Zurückweisung eines „Absolutismus des Staatsgedankens“ und an der damit einhergehenden Erinnerung des Staates sowie des Volkes an ihre Zugehörigkeit zu den vorletzten Dingen ist der abstrakte Charakter der Althausschen Ausführungen. Denn der Staat bleibt als Gottesordnung religiös überhöht, auch wenn er zugleich mit derselben religiösen Begründung wieder begrenzt wird. Die Begrenzung kommt aber im Großen und Ganzen lediglich in der staatlichen Verpflichtung zur Anerkennung des religiösen Gewissens zum Tragen; weitere Normen stehen als Maßstab der staatlichen Begrenzung nicht zur Verfügung, was eine konkrete Anwendung nahezu unmöglich macht. Damit ist die Begrenzung – ähnlich wie schon die des Krieges – unpraktikabel. Mehr noch: Eine staatliche Obrigkeit, die sich selbst als „gottesfürchtig“ ausgibt und vorgibt, die – von Althaus sowohl legitimierend, als auch delegitimierend gemeinte – Theonomie ihrer eigenen Ordnung anzuerkennen, muss nach Althaus formal nahezu zwangsläufig den Segen der Kirche erhalten. Das Kernproblem der Althausschen Konzeption besteht darin, dass für ihn etwas anderes als eine gut christliche, ernsthaft sittliche Obrigkeit auf Dauer nicht vorstellbar ist. Die vor Gott verantwortliche Gewissenhaftigkeit der Staatsmänner ist von ihm immer vorausgesetzt. Das macht er deutlich, wenn er mit Luther gegenüber einer katholischerseits im Mittelalter behaupteten Unterordnung des Staates unter die sichtbare, menschlich organisierte Kirche äußert: „Der Staatsmann ist ‚unmittelbar zu Gott‘ so gut wie die Kirche und ihre Diener.“81 2.3.2 „Das Nebeneinander der beiden Gemeinschaftsordnungen“82 – Das Verhältnis von Staat und Kirche Mit der Charakterisierung der beiden Größen Staat und Kirche als „Gemeinschaftsordnungen“ setzt Althaus in seinem Vortrag zweierlei voraus. Erstens ist für ihn, wie wir schon gesehen haben, der Gemeinschaftsgedanke das Haupt 80 Ebd., 121. 81 2707 Staat, 114. Auch an dieser Stelle spricht Althaus vom Staatsmann und nicht vom ­Führer. 82 Ebd., 113. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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merkmal beider Größen, wodurch er den in seinen Augen sowohl den Volksstaat als auch die Kirche bedrohenden Individualismus zurückweist. Zweitens sind für ihn sowohl Kirche als auch Staat Ordnungen Gottes, innerhalb derer die Menschen sich in eben dieser Gemeinschaft bewähren sollen. Das Verhältnis von Staat und Kirche ist für Althaus sowohl von einer „notwendige[n] Zweiheit“, als auch von einer „notwendige[n] Verbundenheit“ bestimmt. Zunächst spricht sich Althaus gegen die „Unmöglichkeit des Staates als Kirche“ und damit „gegen allen Staatsabsolutismus“ aus, der mit der Unter­ ordnung der Kirche die Religion überhaupt zunichtemachen und als Folge davon „mit der Religion auch sein eigenes Leben heimlich verderben und vergiften“ würde83. Solche Konzepte der Unterordnung der Kirche unter den Staat macht Althaus im Idealismus, namentlich bei Hegel und Rothe aus. Ihnen gegenüber beruft er sich auf Kierkegaard und dessen Erkenntnis, „daß der Sinn der inneren Lebendigkeit des einzelnen nicht in dem aufgeht, was er als Glied der Volksgemeinschaft wirkt und bedeutet. Die Religion ist mehr, ist ein anderes als die Seele alles Kulturschaffens. Sie ist eine Geschichte des ‚einzelnen‘ unmittel­ bar mit der Ewigkeit“84.

Damit aber ist für Althaus „das Eigenleben einer Kirche als Gemeinschaft des Glaubens gegenüber der staatlich gebundenen Volksgemeinde begründet.“85 Somit gilt, dass die Zugehörigkeit von sichtbarer Kirche und Staat zu den vorletzten Dingen keinerlei Unterordnung der Kirche unter den Staat zulässt. Weil die sichtbare Kirche ebenso wie der Staat auf das Reich Gottes bezogen ist, ist sie für Althaus „gleichsam auf gleicher Ebene mit ihm“86. Sodann ist es für die Kirche mit ihrem „Beruf, Kirche Jesu Christi zu sein“, nach Althaus ebenso unmöglich, Staat sein zu wollen. Zu groß ist die Gefahr, sich ans Tagesgeschäft der Politik mit ihren „Bedingungen und Dämonien öffentlichen Ringens“87 zu verlieren und dabei den Bezug zum Gotteswort einzubüßen: „Sie zeugt nur dann wirklich von Jesus, wenn sie mit den staatlichen Ansprüchen und Machtmitteln nicht irgendwie verquickt ist.“ 83 Ebd., 115. 84 Ebd., 116. Als erfahrungstheologisch hergeleiteten „historischen Beleg“ für die Richtigkeit seiner Aussage dient Althaus erneut die Weltkriegserfahrung des Soldatentodes „unsere[r] Brüder“ und die diesbezügliche Überzeugung, „daß ihr Todesgang hineingehört in ihre Geschichte mit Gott, als Opfer an ihn, jenseits alles geschichtlichen Ertrages, unmittelbar zur Ewigkeit!“ Deren Tod ist damit trotz der katastrophalen deutschen Niederlage eben nicht vergeblich gewesen; vgl. Kap. II, 1.1. 85 Ebd. In 2806 Leitsätze, 74 spricht er „die selbständige Lebendigkeit und Eigengestalt der Kirche gegenüber der Volksgemeinschaft“ als Notwendigkeit an. 86 Ebd., 115. 87 Ebd., 116. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Somit bedeutet die Zweiheit von Staat und Kirche sowohl Freiheit der Kirche vom Staat, aber auch Freiheit des Staates von der Kirche. Erstere besagt nach Althaus: Die Kirche „muß sich durchaus nach ihrem eigenen Gesetze oder vielmehr nach dem Gesetze der Sache, die ihr anvertraut ist, bewegen und entwickeln. Herrschaft des Staates über die Kirche auf ihrem eigenen Gebiete darf es nicht geben.“88 Entsprechend seinem Theonomie-Konzept fallen für Althaus also im Bereich der Kirche relative und absolute Eigengesetzlichkeit zusammen – das liegt innerhalb der Gottesordnung „Kirche“, die ihren Grund und ihr Ziel im Evangelium hat, in der Natur der Sache. Im Bereich der Gottesordnung „Staat“ kann es nur eine relative Eigengesetzlichkeit, aber keinesfalls eine absolute geben. An dieser Stelle geht Althaus nun über das reine „Nebeneinander der beiden Gemeinschaftsordnungen“ hinaus und ordnet in gewisser Weise nun auch die sichtbare Kirche dem Staat über. Auch wenn für ihn die „Herrschaft der Kirche über den Staat“ ein „unmöglicher Zustand“ ist, nimmt die Kirche gegenüber dem Staat doch nicht nur ein Wächteramt, sondern zusätzlich noch ein Prophetenamt ein: „Die Kirche hat allerdings die Aufgabe, durch ihr Dasein und durch ihre Verkün­ digung den Staat in jedem Augenblicke von gottloser ‚Eigengesetzlichkeit‘ zur Besinnung auf die Theonomie zu rufen. […] Der Staat soll sich durch die Kirche den ewigen Willen Gottes verkündigen lassen“89.

Die Theonomie beider Größen ist für Althaus der Grund für die Verbundenheit von Staat und Kirche. Der Staat ist nach dem Althausschen Verständnis theonom und hat sich als solcher zu verstehen. Ebenso wie die Kirche ist er daher auf das Reich Gottes bezogen. Aufgrund dieser gemeinsamen Bezogenheit aber ist für ihn eine Trennung von Staat und Kirche undenkbar. Ein von der Kirche vollkommen getrennter Staat verfehlt seinem Verständnis nach seinen in seinem Wesen begründeten Beruf, nämlich aufs Gottesreich dadurch bezogen zu sein, dass er die kirchliche Verkündigung des Evangeliums ermöglicht. Die Verbundenheit von Staat und Kirche ist für Althaus sowohl aus Sicht der Kirche als auch aus Sicht des Staates notwendig. Wenn er vom Staat spricht, ist damit in der Logik seiner eigenen Staatsauffassung immer zugleich auch das Volk angesprochen. Bereits in „Staatsgedanke und Reich Gottes“ hatte er 1923 den Staat definiert als „die Form, in der ein Volk Geschichte erlebt.“ Staatsvolk und Volksstaat sind somit untrennbar ver 88 Ebd., 117. Im Hinblick auf die angemessene Kirchenverfassung entscheidet für ihn „die besondere geschichtliche Führung und der Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit“ (ebd., 119). 89 Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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bunden, sowohl im Ideal, als auch weitestgehend in der Realität der damaligen Zeit. Althaus ist sich dessen bewusst, dass es der Kirche in ihrem Verkündigungsauftrag um den jeweils einzelnen geht, um die einzelne „Seele“. Zugleich weiß gerade er in seiner Betonung der Gemeinschaft: „Kein einzelner lebt für sich selber, jeder ist durch Zeit- und Gemeingeist, wie er z. B. in Sitte und Gesetzgebung zum Ausdruck kommt, wesentlich bestimmt.“ Gerade weil die Sünde also nicht nur im Einzelnen, sondern vor allem in Systemen, in den „wirtschaftlichen und sozialen Lebensformen“ bekämpft werden muss, „hat die Kirche an dem Einfluß auf die überindividuellen, den einzelnen bestimmenden Mächte im Volksleben ernstes Interesse. […] Sie soll um das Ganze des Volkes ringen. Sie weiß sich wirklich zu einer ‚völkischen‘ Aufgabe gerufen. Die Volksseele, das Leben, die Geschichte des ganzen Volkes ist ihr anvertraut“, seinen „Gesamt­ willen“ soll sie „lenken“90.

1927 vor dem Kirchentag formuliert Althaus: „Gott will nicht nur die Einzelnen heiligen, sondern um die Familien und Völker als Ganzheiten ringen. Die Völker als ganze haben ihren Beruf in der Gottesgeschichte. Völker sündigen, Völker richtet Gott.“91 Zum Wächter- und Prophetenamt der Kirche gehört für Althaus wesentlich die Rolle der Kirche als „Gewissen des Volkes“. Gegenüber Staat und Volk nimmt die Kirche diese Rolle dadurch ein, dass sie „Führerin zu den Gründen aller sittlichen Gewißheit und Gewissenhaftigkeit, zu den Quellen aller echten Kraft, aller Freiheit des Gehorsams gegen die heilige Norm“ ist. Dabei soll sie „inmitten der sittlichen Verwirrung und Ratlosigkeit, der Skepsis und Frechheit unserer Zeit“ „die innerste transzendente Bindung in aller unserer Sitte, in Ehe und Familie“ neu zur Geltung bringen92. Die Kirche soll in all dem ihrem

90 Ebd., 118. Was Althaus mit sündhaften Systemen, mit „überindividuellen Mächten“ meint, spricht er sogleich an: „Wieviel Böses im Volke wächst aus der brutalen Lebensnot, der Wohnungsoder Arbeitsnot! Wie kann der Geist eines Systems, etwa des zügellosen egoistischen Machtkampfes im wirtschaftlichen Leben, die Lebensluft so vergiften, daß christlicher Glaube und christliche Liebe in ihr einfach ersticken müssen, daß die Worte des Evangeliums Schall und Rauch werden in solcher diabolischen Umwelt!“ 91 2704 Volkstum, 129. 92 2707 Staat, 119. Die Kirchen sieht Althaus in erster Linie aufgerufen zum „Kampf wider die Stelle auch mit dem Dienst am Reich Gottes, der zwar zuchtlose Zersetzung der Ehe, wider eine ­Sexualität ohne Verantwortung, ohne willen zum Kinde“ (ebd., 118). Das ist bei Althaus unter dem Kampf für die „Reinheit des Volkslebens“ zu verstehen. Es geht um sittliche Reinheit, nicht etwa um völkisch-rassische. In diesem „Kampf“ um sittliche „Reinheit“ verfasst Althaus auch 1929 seine Schrift „Ehe“ (2906). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„ernsten Öffentlichkeitswillen“93 nachkommen, auf dass „die Leidenschaft zur Wahrheit und Reinheit des Volkslebens […] immer wieder aus der Kirche in das Volk strömen“ und von ihr aus „die Kraft zu echter Gemeinschaft ins Lande gehen“ kann94. Bereits in seinem Vortrag „Das Reich Gottes und die Kirche“, den er im April 1927 auf der britisch-deutschen Theologenkonferenz in Canterbury ­ hielt, sprach er vom Dienst der Kirche „am Kulturleben und an den Weltordnungen“, dem sie in erster Linie mittelbar dadurch nachkomme, „daß aus ihr Männer lebendigen Gewissens und eschatologischen Ernstes in alle Berufe und Aemter hineingehen; aber auch unmittelbar und öffentlich durch Kritik der berufenen Sprecher der Kirche an Staat und Wirtschaft, sozialem und internationalem Leben.“95 Einmal mehr begegnet Althaus damit dem Vorwurf insbesondere ans Luther­ tum, „daß die ethischen Normen der evangelischen Kirchen […] gegenüber dem wirtschaftlichen und sozialen Problem, gegenüber der politischen und internationalen Frage versagt haben.“96 Der Brandmarkung lutherischer Rechtfertigungslehre als quietistischer Innerlichkeit hält Althaus entgegen: „Echter Glaube an Gottes Vergeben ist allezeit […] mächtigster Antrieb zu ‚so­zialer‘ Tat geworden. Daher hat die Theologie auch in unserem Zeitalter der drängenden Krisis im Volks- und Völkerleben nichts Ernsteres und Dringlicheres zu tun, als das Evangelium von der Vergebung der Sünden zu verkündigen. Denn der wichtigste Dienst, den die Christenheit einer um neue Verfassung und Gemeinschaft ringende Menschheit zu leisten hat, ist die Entsendung von Menschen, die von der Liebe Gottes mächtig bewegt sind, in die Weltnot.“97

Die Aufgabe der Kirche als „Gewissen des Volkes“ in Fragen des internationalen Lebens korrespondiert dabei mit Althaus’ eigener Geschichtstheologie. Was er an anderer Stelle mit „Beruf des Volkes“ oder „Volkheit“ bezeichnet, scheint auch im Begriff „Gewissen des Volkes“ auf. So soll die Kirche die Sendung des eigenen Volkes vor dem Hintergrund des gemeinsamen Bezogenseins aller Völker auf das Reich Gottes erkennen helfen und damit zugleich dem Nationa­ lismus der völkischen Bewegung entgegentreten. 93 2707 Staat, 118. 94 Ebd., 119. 95 2702 Reich, 140 f. In 3108 Ethik, 105 spricht er von der Aufgabe der Kirche, dass sie „ihre Glieder zur Verantwortung für Volk und Staat, also zum entschlossenen Ernste politischen Wollens und Handelns in der Bindung an Gottes Willen erziehe.“ 96 2503 Krisis, 5. Er nennt hier ganz konkret Georg Wünschs Wort vom „Zusammenbruch des Luthertums als Sozialgestaltung“. 97 Ebd., 39. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Denn „ein Volk kann auf die Dauer nicht wahrhaft leben ohne bewußte Erfassung seiner Art, Gabe, Sendung unter den anderen Völkern. Solche völkische Besinnung, soll sie nicht an Eitelkeit und Vergötzung des eigenen Volkstums erkranken, muß vor dem Auge des Herrn der Geschichte vollzogen werden.“98

Die Vorstellung der Kirche als „Gewissen der Nation“ ist bei Althaus nicht neu, er hat sie bereits während des Krieges vertreten, als er den „Ruf zur nationalen Buße“ als Aufgabe der Kirche herausstellte99, auch damals schon im Blick auf eine Abwehr „nationale[r] Eitelkeit“100. Denn Nationalismus verdirbt in seinen Augen nicht nur das Volk, sondern in erster Linie die Kirche. Religion und Kirche aber kann ihre „entscheidend wichtige Bedeutung“ für Volk und Vaterland „nur solange haben als sie ihren eigenen Gesetzen folgen darf und ihr nicht durch nationalen Willen der Mund verstopft oder durch Nationalisierung das Blut vergiftet wird.“101 Es gehört zu den Hauptmerkmalen der politischen Theologie von Althaus, dass er politische und staatliche Verhältnisse nicht nur von seiner nationalprotestantischen Weltanschauung her beurteilt, sondern mehr noch von seinem Verständnis von Glaube und Kirche her. Bei aller politisch-weltanschaulichen Kritik an der neuen Staatsform der Weimarer Republik, ist ihm dennoch nicht der Blick auch für das der Kirche gegenüber Positive an Weimar verstellt. Hat er bereits 1919 die Chance der Kirche auf einen Neuanfang im Verhältnis zur Obrigkeit, das er in die kaiserzeitliche Vergangenheit zurückblickend auch deutlich negativ zeichnen konnte102, begrüßt, so nimmt er nun 1927 diese Neuordnung des Verhältnisses in den Blick und kommt dabei folgerichtig zu einer positiven Würdigung desselben und damit zu einer erstaunlich positiven Würdigung der Weimarer Reichsverfassung von 1919 überhaupt. Denn im Gegensatz zu Frankreich, wo der Grundforderung des „liberalen Doktrinarismus“ Folge geleistet und die strikte Trennung von Staat und Kirche als „Ausdruck der Kirchenfeindschaft, der religiösen Gleichgültigkeit“ vollzogen wurde, hat man sich in Deutschland für einen anderen Weg entschieden, und die durch die Revolution 1918/19 dahingehend genährten Befürchtungen wurden nicht bestätigt. So begrüßt Althaus die Lösung für das Verhältnis von Staat und Kirche in Artikel 137 der Reichsverfassung: „In Deutschland wurde die Reichsverfassung nicht nur von den Sozialisten und Linksdemokraten, bei denen zum Teil ähnliche Motive wie in Frankreich maßgebend 98 2707 Staat, 119. 99 1707 Glaube, 16. 100 Ebd., 17. 101 1602 Vaterlandsliebe IV, 2. 102 Vgl. 2707 Staat, 119. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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gewesen sein könnten, sondern auch vom Zentrum mitgeschaffen. So ist die Absicht der Verfassung im ganzen keine kirchenfeindliche.“

Das beweise gerade auch der besondere Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts: „Man hat es abgelehnt, die großen Kirchen auf eine Stufe mit irgendwelchen Vereinen zu stellen [,] sie aus ihrer öffentlichen Stellung im Volksleben zu Winkelsekten herabzudrücken. Darin liegt eine starke Anerkennung der geschichtlichen Verdienste der Kirchen. Noch mehr: auch die neue Reichsverfassung bezeugt damit, daß die Fundamente unserer deutschen Kultur im Christentum liegen. In diesem Sinne ist auch der heutige Staat, trotz seiner wechselnden parlamentarischen Mehrheiten und der großen Verschiedenheit in der bewußten Stellung seiner Machtgruppen zur Kirche, keineswegs einfach religionslos oder ‚unchristlich‘.“103

Althaus widerspricht damit der innerhalb der evangelischen Kirche starken Stimme, die die Weimarer Republik aufgrund ihrer angeblichen Religionsund Kirchenfeindlichkeit von vorneherein ablehnt und damit einen entscheidenden Beitrag zur Delegitimierung der Republik leistete104. Weil auch der neue, weltanschaulich von ihm abgelehnte, Staat die zentrale Rolle der Kirche in Staat und Volk anerkennt, schützt und unterstützt, will ihm Althaus an diesem Punkt die positive Würdigung als Theologe und Kirchenmann seinerseits nicht verwehren105. Er geht sogar die Würdigung der Weimarer Reichsverfassung hinaus noch einen Schritt weiter auf den so kritisch gesehenen parlamentarischen Staat mit seinem Parteiensystem zu. Wenn er auch die Gefahren aufzeigt, die der Kirche – wie schon im Kaiserreich – durch politische Bündnisse entstehen können, ruft er dennoch zur Zusammenarbeit auf: „Die Verbindung der Kirche mit den Parteien, von denen sie am meisten Vertretung ihrer Interessen im Parlamente und in der Regierung erwartet, kann ungewollte, rein tatsächliche Bindungen mit sich bringen, die der Kirche den Zugang zum Volksganzen erschweren. So drohen hier überall Gefahren. Aber der Weg muß dennoch ge­ gangen werden. Staat und Kirche müssen sich suchen, um des Volkes willen – nur daß die Kirche ernst darauf sehe, dabei ihre Freiheit nicht zu verlieren!“106 103 Ebd., 117. 104 Vgl. zu dieser Position Tanner, Verstaatlichung, 200–205. 105 Zur Weimarer Reichsverfassung schreibt Wright, Parteien, 23 zusammenfassend: „Die evangelische Kirche hatte allen Grund, mit der Weimarer Verfassung zufrieden zu sein. Die Novemberängste vor einem feindselig auf Trennung abzielenden staatlichen Programm waren zerstreut. Während die Staatsaufsicht über die Kirche sich vermindert hatte, waren ihre Privilegien bestätigt worden.“ 106 2707 Staat, 120. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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2.4 Zusammenfassung Gemäß der althergebrachten Konzeption eines „christlichen Staates“ bzw. einer „christlichen Gesellschaft“ misst auch Althaus der Kirche in der Weimarer Republik die Rolle als beherrschende geistige, religiöse und sittliche Macht in der vom Säkularismus bedrohten Gesellschaft zu. Das entscheidende Vehikel auf dem Weg zur Erlangung dieser Macht angesichts des pluralen Gemeinwesens der Weimarer Republik ist für Althaus das Volkstumsdenken, das er aus Überzeugung teilt und sich nun für seine kirchlichen Interessen nutzbar machen will. Wenn Otto Dibelius die neue Relevanz von Christentum und Kirche in seinem berühmten Schlagwort vom „Jahrhundert der Kirche“ zusammenfasste, so könnte Althaus’ hoffnungsfrohe Parole „Das Jahrhundert der Volkskirche“ gelautet haben. Diese Hoffnung bringt Althaus in einer Predigt im November 1924 deutlich zum Ausdruck, freilich nicht ohne zugleich vor den Gefahren für die Kirche zu warnen: „Wenn nicht alles trügt, gehen wir großen Zeiten der Kirche entgegen. Ihr Einfluß wird steigen, sie wird bewußter, geschlossener, beweglicher, mächtiger sein. Das wollen wir, dessen freuen wir uns – und doch, darum bangen wir auch. Denn es gibt keinen Sieg der Kirche, bei dem nicht auch die Welt in die Kirche einzöge.“107

Seine bereits in Lodz entwickelte Vision einer gegenseitigen Befruchtung von volksverbundener Kirche und kirchenverbundenem Volk baut Althaus ab Mitte der zwanziger Jahre weiter aus. Handelte es sich in Lodz um eine persönliche Lebenserfahrung als Feldgeistlicher, die in ihm in der besonderen Situation zum einen der alles prägenden Kriegszeit und zum anderen der doppelten Diaspora im Ausland diese Vision aufkeimen ließ, so macht er sich nun an den systematisch-theologischen Unterbau seiner volksmissionarischen Hoffnung, und zwar jetzt für den kirchlichen Alltag der Friedenszeit in Deutschland. Die „unlösliche Verbindung von Deutschtum und Christentum“108, von Kirche und Volk soll sich nicht nur im Krieg und nicht nur im Auslandsdeutschtum bewähren. Diese Verbindung von Kirche und Staat bzw. Kirche und Volk erreicht Althaus, indem er beide Größen auf das Reich Gottes bezieht. Schon in früheren Schriften korrelierte bei ihm das Reich Gottes mit dem deutschen Staatsgedanken oder es bildete den Grund und das Ziel seiner axiologisch-teleologischen Eschatologie. In der Frage nach den irdischen Auswirkungen des Gottesreiches 107 2410P Zeiten, 104. 108 2707 Staat, 118. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ist Althaus auf der Höhe der Zeit, spielt doch eben diese Frage eine wichtige Rolle innerhalb des internationalen, ökumenischen theologischen Diskurses. Auf zweierlei Weise werden Volk, Staat und Kirche mit dem Reich Gottes verbunden. Weil das Reich Gottes einerseits das unüberbietbare Urbild und Endziel aller Gemeinschaft ist, sowohl der Menschen untereinander, als auch mit Gott, ist damit auch alle irdische menschliche Gemeinschaft in all ihrer Gebrochenheit auf dieses Reich Gottes bezogen. Weil das Reich Gottes andererseits Urbild und Endziel aller Sittlichkeit darstellt, ist somit auch das mensch­ liche sittliche Streben darauf bezogen109. Aufgrund dieser Bezogenheit von Kirche, Volk und Staat auf das Reich Gottes und aufgrund der daraus resultierenden Aufgabe der Menschen, sich innerhalb ihrer unter Zurückdrängung eines egoistischen Individualismus in Gemeinschaft und Sittlichkeit zu bewähren, gewinnen sie bei Althaus trotz all ihrer Unreinheit und Verderbtheit durch das Böse den Charakter von göttlichen Gaben, von gottgewollten „Gemeinschaftsordnungen“. Die bereits während des Krieges angeklungene Vorstellung des Volkes als Gottesordnung110 ent­wickelt Althaus hier im Blick auf den Gemeinschaftsaspekt weiter. Weil jeder einzelne gerade in seiner Bezogenheit auf andere Menschen, an die er auf natürliche Weise in Familie, Volk und Kirche gebunden ist, vor Gott steht, kann Religion keine Privatsache sein. Sie ist Sache der Gemeinschaft, ihre sittliche Verkündigung entspricht den Normen des Reiches Gottes, und diese Verkündigung ist den Kirchen aufgetragen. So lautet Althaus’ Forderung: „Die Erinnerung an Gott soll auch in der Öffentlichkeit des modernen Volkslebens unüberhörbar sein.“111 Damit soll die Kirche gemäß den Normen des Gottesreichs in ethischer Hinsicht zweifach ins Volk wirken: Zum einen soll sie „wahrhaftige Gemeinschaft“ fordern und fördern, indem sie Gemeinschaft predigt und Gemeinschaft vorlebt, zum anderen soll sie die „heilige Norm“ des Reiches Gottes predigen und damit zur „Wahrheit und Reinheit des Volkslebens“ beitragen. In einem als äußerst zerrissen empfundenen deutschen Volk erscheinen diese Forderungen als umso dringlicher. Auf diese Weise meinte Althaus, der befürchteten Marginalisierung des Christentums als „Privatsache“ im liberalen und pluralistischen deutschen Staat der Weimarer Republik nach dem Ende des Staatskirchentums 1918 begegnen zu können und der Religion öffentliche Bedeutung zu verschaffen. An den Staat als Diener des Volkes tritt die Kirche mit der Erinnerung der immerwährenden Gottesbezogenheit heran, es gilt ihn „in jedem Augenblicke 109 Zum für Althaus notwendig sittlichen Charakter der Gemeinschaft vgl. 2302 Kreuz, 37. 110 Vgl. 1706 Luther, 16. 111 2707 Staat, 118. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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von gottloser ‚Eigengesetzlichkeit‘ zur Besinnung auf die Theonomie zu rufen“. Diese aber begründet und begrenzt den Staatsgedanken zugleich. Diese Aufgabe gegenüber dem Staat ist allerdings nur zu leisten, wenn die Kirche ihre Unabhängigkeit und Freiheit vom Staat bewahrt, wenn „das Eigenleben einer Kirche als Gemeinschaft des Glaubens gegenüber der staatlich gebundenen Volksgemeinde“ behauptet werden kann. Weil neben der Kirche und dem Staat nun aber auch das Volk den Status einer göttlichen Ordnung innehat, ergibt sich insgesamt ein komplexes Beziehungsgeflecht von letzten und vorletzten Dingen, von Reich Gottes bzw. unsichtbarer Kirche einerseits und sichtbarer Kirche, Volk und Staat andererseits. Staat und Kirche sind „Hilfsmittel und Wegbereiter“ des Reiches Gottes. Die einzelnen Menschen aber sollen sich in Form ihrer Zugehörigkeit zum Kollektiv „Volk“ aufs Gottesreich hin ansprechen und erziehen lassen und sich innerhalb der göttlichen Ordnungen bewähren. So tritt in seiner Konzeption für Staat und (sichtbare) Kirche neben das transzendente Gegenüber der unsichtbaren Kirche bzw. des Gottesreichs, das aller Weltwirklichkeit Grund und Ziel gibt, ein weiteres, weltimmanentes Gegenüber: das Volk, dem damit eine große Dignität eignet112. Diese Verbundenheit von Staat und Kirche kommt bei Althaus in dem Satz zum Ausdruck: „Staat und Kirche wollen beide dem Volke dienen.“113 Die Kirche befindet sich in der Althausschen Konzeption in einer kom­ plexen Rolle: Indem sie sich an das Gottesreich gebunden weiß und vom Evangelium her ihren Auftrag erhält, bleibt sie als Gegenüber des Staates diesem mit ihrem Wächter- und Prophetenamt übergeordnet. Indem sie aber zum Dienst nicht nur am Reich Gottes, sondern ebenso am Volk berufen ist, erscheint sie zugleich dem Volk untergeordnet. Gegenüber dem Staat tritt sie daher als das „Gewissen des Volkes“ auf, indem sie in ihrer Verkündigung sowohl den immerwährenden sittlichen Normen des Reiches Gottes als auch den je aktuellen Bedürfnissen des Volkes gerecht zu werden versucht, dabei dem nur von der Kirche erkannten Beruf des Volkes dienend. Um dies zu erreichen, gehört es nach Althaus zu den Aufgaben der Kirche, die Christen zur Volksverbundenheit aufzurufen. Im treuen Dienst an Volk und Volksgenossen, der allein in der natürlichen Verbundenheit seinen Grund hat, soll sich die Liebe und die Gemeinschaft bewähren. Damit aber bewährt sich die „völkische Treue“ nicht nur vor dem immanenten Gegenüber des Volkes, sondern zugleich vor dem tran 112 Althaus weiß, dass nicht das Volk, sondern die sichtbare Kirche allein „das Werk wie das Werkzeug des heiligen Geistes“ ist und damit „den Anbruch des Reiches Gottes in der Geschichte“ bedeutet (2702 Reich, 139). 113 2707 Staat, 120. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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szendenten und eschatologischen Gegenüber des Reiches Gottes, auf das alle Völker der Welt bezogen sind. Den entscheidenden Hinweis darauf, dass die Staaten und Völker, aber auch die Kirchen eben nur vorletzte Dinge sind, bietet die Wirklichkeit der una sancta, die sich jenseits aller irdischen Grenzen aus allen Völkern und Rassen, aber auch aus allen Kirchen sammelt. Dies lässt Althaus trotz aller Betonung von Trennung und Widereinander der Völker die Einheit der Menschheit nicht aus dem Blick verlieren. Mit dieser Konzeption meint Althaus einmal mehr einen Mittelweg zu beschreiten zwischen „doktrinärem Internationalismus“, der keine Völker als gottverantwortliche Subjekte kennt, und „blindem Nationalismus“, der nur dem jeweils eigenen Volk das Recht und die Sendung zugestehen will. Dieser Spannung und Ambivalenz in seiner theologischen Theorie entspricht bei Althaus auch die Spannung in seiner Praxis, in seinem Handeln als Theologe und Kirchenmann. Wird er einerseits nicht müde, gerade die akademische Jugend in Vorträgen zu „völkischer Treue“ zu rufen – freilich ohne dabei die Absage an einen völkischen Nationalismus zu vergessen –, so sucht er andererseits, dem Auftrag der Kirche gerecht zu werden, „ihre Hände über Volks- und Staatsgrenzen hinaus zu den Genossen des Glaubens“ auszustrecken und in „Arbeits­ gemeinschaft“ zu treten, indem er selbst in der Ökumenischen Bewegung „Life and Work“ mitarbeitet. Hinter der Althausschen Konzeption von volkstumsverbundener Kirche und kirchenverbundenem Volk steht eine starke kirchlich-theologische Motivation. Immer wieder ist das bereits angeklungen. Zum einen ist seine aus innerster Überzeugung vorgetragene Interpretation aller Weltwirklichkeit, d. h. aller weltlicher Ordnung als theonom, seine Antwort auf die als Bedrohung für den Glauben und für die Sittlichkeit empfundene Säkularisierung. So spricht er 1924 von den „bitterernsten Zeiten, in denen wir um die Grundlagen eines christlichen Volkslebens, um die Heiligkeit der Ehe, um Reinheit und Ernst der Verantwortung für neues Leben, um den christlichen Charakter der Schulen zu kämpfen haben“114.

Aber nicht nur die Sorge um die Christlichkeit und Sittlichkeit des Volkes treibt Althaus an, sondern auch seine volksmissionarische Hoffnung und Überzeugung, sein „Wille zur Volksmission“, den er 1928 mit den Worten zusammenfasst: „Über dem Tore, durch das unser Geschlecht den Weg in die Kirche zurückfinden kann, steht geschrieben: communio, Gemeinschaft!“ Gerade was den Gemeinschaftsgedanken betrifft, soll die Kirche Vorbild sein und dadurch positiv ins Volk hineinwirken. 114 2407 Erlebnis, 30. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Mit diesem Gedanken aber verbindet sich bei Althaus das bereits erwähnte volksmissionarisch motivierte Bestreben, die Leistungsfähigkeit der evangelischen Theologie für die Gesellschaft bzw. für das Volk herauszustellen. Gerade dieses Anliegen spielt bei Althaus eine große Rolle, und er sieht die Zeit dafür günstig, wie er 1924 schreibt: „Die Augen unseres Volkes schauen wieder, noch weithin zweifelnd, fragend, aber doch eben fragend, hoffend auf die Kirche. Die Jugend klopft an die Türe und sucht in einer neuen Kirche Erfüllung ihres Sehens nach Heimat, Gemeinschaft und Dienst. Die Gebildeten horchen wieder auf die Theologen, wie seit langem nicht. […] Die Zeit hungert nach ‚Dogma‘, ruft nach der Verkündigung des heiligen, unerschütterlichen Gesetzes Gottes für unsere Tage. Allergrößtes wird von den Theologen erwartet […]. Aus dem Chaos, von den Trümmerhaufen des sozialen Kampfes schaut man nach der Kirche aus, ob nicht aus ihr noch einmal der heiße Strom der Liebe brechen könnte, der die ‚Klassen‘ zu neuer Volksgemeinschaft zusammenschweißte; ob nicht in ihren Gemeinden etwas wirklich wird von der brüderlichen Solidarität der Starken mit den Schwachen, von dem Liebeskommunismus […]. Es ist eine große Stunde für die Kirche.“115

Diese „große Stunde“ hat sich nach Althaus für Kirche aber gerade dadurch ergeben, dass sie mit dem Ende des alten Bündnisses von Kirche und Obrigkeit, von „Thron und Altar“ die Chance zu einem echten Neuanfang bekommen hat, sich nun „nach ihrem eigenen Gesetze oder vielmehr nach dem Gesetze der Sache, die ihr anvertraut ist“, neu zu organisieren. Aus diesem Grund begrüßt Althaus auch die Möglichkeiten der Kirche, die ihr von Seiten des neuen Staates zugebilligt werden, und kommt damit zu einer positiven Würdigung der Weimarer Reichsverfassung. Noch 1929 kommt er zu dem Schluss: „Die deutsche Revolution und August-Verfassung machte dem landesherrlichen Kirchenregimente ein Ende und gab den Kirchen eine bisher nicht gekannte Freiheit vom Staate“.116 Diese Chance zum Neuanfang im neuen Staate gilt es nun aber auch zu nutzen; die evangelische Kirche muss ihren Platz in Gesellschaft und Staat finden. Hinzu kommt dabei die Furcht, im neuen Staat gegenüber dem Katholizismus ins Hintertreffen zu geraten und den alten Status als Leitkultur zu verlieren. So schreibt Althaus 1924: „Die Zeiten sind für unsere Kirche von ungeheurem Ernste. Der Katholizismus drängt und schiebt sich überall, auch in rein evangelischen Gegenden, mächtig vor. Er hat den Krieg und die Revolution gewonnen, er nützt die äußere und geistige Kon-

115 Ebd., 31. 116 2909 Theologie, 131. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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junktur dieser wirren Jahre und wartet siegesgewiß auf die baldige Zersetzung des deutschen Protestantismus.“117

Gegen all das, gegen Säkularisierung und gegen Katholizismus, gilt es für die evangelische Theologie und Kirche, ihre Bedeutung für Volk und Staat zu erweisen. Dies unternimmt Althaus in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, indem er die Zusammengehörigkeit von Kirche und Volk noch weiter unterstreicht.

117 2407 Erlebnis, 30. Zum aufstrebenden Katholizismus dieser Jahre in Bayern schreibt Menges, Freistaat, 227: „Die katholische Kirche, repräsentiert durch markante Persönlichkeiten in Episkopat, Politik und Adel, erlebte in den 20er Jahren einen beachtlichen Aufschwung. Die Seelsorge errang einen hohen Stellenwert, das kirchliche Vereinswesen […] blühte, die Orden erfreuten sich starken Zulaufs.“ Zu dieser Bedrohung des Protestantismus durch den Katholizismus kommt für Althaus noch die Gefahr durch neue religiöse Strömungen: „Haltlos und fast wehrlos fallen in den Städten viele dem gnostischen und halbheidnischen ‚Christentum‘ der anthroposophischen ‚Christengemeinschaft‘ zum Opfer“ (2407 Erlebnis, 30). Um dem entgegenzutreten, schreibt Althaus 1930 seine „Stellung der evangelischen Gemeinde zur Christengemeinschaft“ (3016). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

3. Volkstumsbewegung und völkische Bewegung als Herausforderung für Kirche und Theologie und Althaus’ Volkstumstheologie als Antwort Wer die Geschichte der evangelischen Kirche zwischen 1918 und 1945 und die Rolle, die Althaus darin einnimmt, verstehen will, muss sich die zentrale Stellung von Volk bzw. Volkstum sowohl im politischen als auch im theologischen Diskurs dieser Zeit bewusst machen. Klaus Tanner sah schon 1989 bei der Erforschung des protestantischen Volkstumsdenkens die „spezifische Schwierigkeit […] für das heutige theologische Denken“ darin, dass jenen Begriffen aus den 20er Jahren wie Volk, Volkstum und Volksgemeinschaft, die „für die damalige lutherische Ethik zentral“ waren, mittlerweile eine negative Konnotation eigne. Die nach Erkenntnisgewinn strebende historische Forschung dürfe sich davon aber möglichst wenig beeindrucken lassen: „Die aus der Perspektive der Zeit nach 1933 gewonnenen Verwerfungsurteile hinsichtlich der ‚Metaphysik der Völker und des Volkstums‘ lassen allerdings nicht erkennen, warum diese Volkstumsmetaphysik im Luthertum der zwanziger Jahre eine so hohe Zustimmung finden konnte. Gerade eine kritische Interpretation dieser Ethik muß versuchen, die Faszination, die eigentümliche Plausibilität und die ethische Leistungskraft dieser Begriffe für das damalige religiös-politische Bewußtsein zu erklären.“1

Dabei stand das Volkstum damals keineswegs nur im nationalen deutschen Diskurs auf der Tagesordnung, sondern ebenso im internationalen, ökumenischen Diskurs2. Auch spielte das Volk nicht nur in rechten und rechtsradikalen Kreisen und politischen Parteien und Verbänden eine Rolle, sondern es war – wenn auch materiell unterschiedlich bestimmt – in aller Munde. So hieß eine sozialdemokratische Wochenzeitschrift, die zwischen 1919 und 1933 erschien, „Volk und Zeit“, und ganz selbstverständlich warb die SPD in den 20er Jahren um die deutschen „Volksgenossen“3, oder sprachen auch Karl Barth 1 Tanner, Verstaatlichung, 246. „Solche analytische Anstrengung“, so Tanner weiter, „zielt nicht auf die Rehabilitierung derartiger Vorstellungen.“ 2 So hieß es in der „Botschaft des Christentums“ von der Weltmissionskonferenz 1928 in Jerusalem: „Wir anerkennen auch die edlen Elemente, die sich in den nationalistischen Bewegungen und im Patriotismus finden, die Loyalität, die Selbsthingabe und den Idealismus, welche die Liebe zum Vaterland einflößen können.“ (Schlunk, Höhen, 99). Auch das Thema der ökumenischen Weltkonferenz der Bewegung für Praktisches Christentum 1937 in Oxford lautete „Kirche, Volk und Staat“. 3 Vgl. Nolte, Ordnung, 71. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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und Dietrich Bonhoeffer in den 20er und 30er Jahren von „Volksgenossen“4. „Von allen systemstabilisierenden Parteien wurde der Nationalstaat ungebrochen und rückhaltlos bejaht“, konstatiert Karsten Ruppert im Blick auf die Weimarer Republik und deren neuen, systemstabilisierenden Nationalismus und fährt fort: „Der neue Nationalismus sollte nicht mehr vorrangig mit militärischer Gewalt und Macht gleichgesetzt werden, sondern mit Sprache, Kultur und Volkstum.“5 Zeitgenössisch bringt es der Theologe Karl Bernhard Ritter 1926 auf den Punkt: „Es ist angesichts der politischen Ereignisse des letzten Jahrzehnts nur zu erklärlich, daß als tiefgreifende Reaktionserscheinung auf das Schicksal der Nation dem deutschen Menschen sein Volkstum in immer noch steigendem Maße als umfassende Lebenswirklichkeit, als eigentümlicher und entscheidender Lebenswert zum Bewußtsein gekommen ist und leidenschaftlich bejaht wird. Dazu kommt, daß die beginnende Selbstzerstörung der Aufklärungsepoche den Blick wieder freigibt für die vorrationalen naturhaften Bindungen des menschlichen Gemeinschaftslebens, und daß eine starke Sehnsucht nach Ueberwindung des gesellschaftlichen Atomismus in der Erneuerung ursprünglicher Lebenszusammenhänge Erlösung aus dem Todesschicksal unserer Zeit erhofft.“6

3.1 Das Volkstum als „umfassende Lebenswirklichkeit“ und ethischer Bezugspunkt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Wer sich die Bindekraft des Volkstums im Deutschland der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht bewusst macht, kann die deutsche Geschichte und damit auch die deutsche Kirchengeschichte dieser Zeit kaum nachvollziehen. Dem, so Jürgen Heß, „Prädisponiertsein für nationales Denken […] als Folge der Integration in das vom nationalen Pathos erfüllte Kaiserreich, dann aber vor allem aufgrund der aufrüttelnden Erlebnisse des Krieges, der Niederlage und des Friedensschlusses im ganzen“7 sowie den Gründen dafür, warum ausgerechnet das Volkstum nach 1918 eine solche Zentralstellung in Politik und evangelischer Theologie einnimmt und warum es zum „ethischen Bezugspunkt“ (Klaus Scholder) gerade in evangelischer Theologie und Kirche wird, gilt es nachzugehen.

4 Barth, Ethik, 331; und Bonhoeffer, Führer, 31. 5 Ruppert, Nationalismus, 231 f. 6 Ritter, Christentum, 7 f. 7 Hess, Deutschland, 319. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Seit seinen Anfängen hatte der Protestantismus ein besonders Verhältnis zu Volk und Kultur, Staat und Nation. So halten die „Leuenberger Texte“ 2002 fest: „Den Reformatoren war es wichtig, dass jeder das Evangelium in seiner Sprache hören und verstehen konnte. So gehörten einerseits Reformation und die Entwicklung der Sprache und Kultur eines Volkes von Anfang an zusammen. Es entstanden Kirchen, die ihre Heimat in Volk und Kultur hatten, wie umgekehrt auch Volk und Kultur von den Kirchen geprägt wurden. […] Die politischen Gewalten erfuhr die Reformation sowohl als Gegenmächte wie als Schutzmächte. Sie band sich in vielen Fällen an die Landesherren und damit auch an deren Territorien. […] Die Bindung an die jeweilige kulturelle, territoriale und später auch nationale Ausprägung behinderte fast durchweg die Öffnung für andere kulturelle und konfessionelle Gestalten des Christseins. Das Ja zum Volk, zum Staat und zur Nation führte an verschiedenen Stellen mitunter zu fragwürdigen und einseitigen nationalen Einstellungen, die wichtiger wurden als die weltweite Gemeinschaft der Kirchen und Christen.“8

Entscheidende Impulse erhielt das Volkstumsdenken mit dem breiten ­Erwachen eines deutschen Nationalbewusstseins im Gefolge der Befreiungskriege gegen den französischen Aggressor Napoleon Anfang des 19.  Jahrhunderts. Parallel zu diesem außenpolitischen Katalysator erwuchs dem deutschen National­ bewusstsein zugleich eine weitere, religiöse Wurzel: „Als […] im Gefolge der Aufklärung und des Rationalismus die Idee des christlichen Staates verblaßte, erwachte im Widerstand gegen ein allgemeines Weltbürgertum ein stark christlich geprägtes Volksbewußtsein. Die Völker sollten ihre unter besonderen geschichtlichen Bedingungen entwickelten Lebensformen bewahren und nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen leben.“9

Werner Jochmann benennt als Vordenker in diesem Zusammenhang Johann Gottlieb Fichte10. Im Prozess der deutschen Nationsbildung stellte das Volkstumsdenken mit seinem Abstammungsglauben eine entscheidende nationsbildende Kraft dar,

8 Hüffmeier, Kirche, 16. 9 Jochmann, Gesellschaftskrise, 268. 10 Er schreibt dazu: „Nach Fichte sollte das deutsche Volk ebenso seine Art entfalten und nach ihr leben wie jedes einzelne Individuum. Er ging noch einen Schritt weiter und postulierte, das deutsche Volk sei, wie jeder Mensch, ‚eine Offenbarung des göttlichen Lebens‘. Fichte wollte das deutsche Volk damit nicht überhöhen, denn er erkannte anderen Völkern ihre Art auch zu, das deutsche Volk war also nicht die einzige ‚Offenbarung des göttlichen Lebens‘, sondern nur eine unter vielen. Aber hier war ein Gedanke geäußert worden, der hundert Jahre später unter anderen geschichtlichen Bedingungen wieder aufgegriffen und aktualisiert wurde.“ (Jochmann, Gesellschaftskrise, 268). Zu Fichtes idealistischem Volkstumsdenken, das – wie Althaus – den Menschheitsgedanken immer präsent hatte, immer noch instruktiv: Goldstein, Fichte. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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die zur Überwindung spezifisch deutscher Schwierigkeiten beitrug. So konnte damit sowohl dem Problem der deutschen Kleinstaaterei als auch der Bikonfessionalität begegnet werden. Zu den deutschen Schwierigkeiten zählte außerdem die Tatsache des Verständnisses Deutschlands als „verspätete Nation“ (Helmuth Plessner), das bei den anderen europäischen Großmächten zur Sorge um Machtverlust und entsprechenden Gegenmaßnahmen führte, in Deutschland selbst aber das Gefühl der Benachteiligung evozierte, das 1919 von Arthur Moeller van den Bruck als „Recht der jungen Völker“ formuliert wurde11. In der nationalen Idee mit ihrem Volkstumsdenken steckt somit ein für den Nationsbildungsprozess wichtiges Gruppierungsmotiv, das ein hohes Maß an Homogenität fördert, aber auch fordert. Abgrenzungsprobleme sind damit von vorneherein gegeben. Die Kategorie des organologischen Volkstumsgedankens sucht nach Helmuth Plessner „Deutschlands Traditionslosigkeit und unzusammenhängender Entwicklung d ­ adurch ein positives Gegengewicht (und inneres Recht) zu geben, daß sie im Volk etwas Ursprüngliches, ja die beständige Ursprünglichkeit schlechthin behauptet“12.

Eine verstärkte Aufmerksamkeit wurde dem Volk bzw. Volkstum und Nation in Deutschland vor allem ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zuteil. Es ist die Zeit, in der sich gerade auch radikale, nationalistische und völkische Vereinigungen sammeln (Alldeutscher Verband, Verein für das Deutschtum im Ausland etc.). Diese Entwicklung ist aufs engste verbunden mit einem Prozess wirtschaftlicher und sozialer Umstrukturierung infolge der Industrialisierung und des Kapitalismus. Daher ist es verständlich, dass der Nationalismus als gemeinschaftsbildendes und gesellschaftsstabilisierendes Moment erfahren und eingesetzt wird. Außenpolitisch eingebettet ist der aufkommende deutsche Nationalismus in das Zeitalter des Imperialismus der europäischen Großmächte und des Aufkommens des Nationalismus als gesamteuropäisches Phänomen. In Deutschland als „verspäteter Nation“, die um ihren angemessenen „Platz an der Sonne“ (Wilhelm II.) erst noch zu ringen hatte, war der Hang zur Übermäßigkeit von vornherein gegeben. Eine Deutung des Weltkrieges als Freiheitskampf für Deutschlands Entfaltungsmöglichkeiten im Konzert der Großmächte verstärkte diese Tendenz noch weiter.

11 Zeitgenössisch spricht Hermann Sasse im Kirchlichen Jahrbuch 1932, 58 davon, dass die „innere Kraft des deutschen Nationalismus der Gegenwart“ auf der Tatsache beruhe, „daß das deutsche Volk als letztes der großen europäischen Völker zu nationaler Einheit und zu nationalem Bewußtsein gelangt ist. Es hat seine historische Sendung als Nation noch nicht erfüllt und will eine Geschichte nachholen, die das Schicksal ihm bisher vorenthalten hat.“ 12 Plessner, Nation, 48. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Angesichts des für Deutschland zusehend negativen Verlaufs des Weltkrieges entwickelte das Volkstumsdenken eine Eigendynamik, die sich nicht zuletzt auch auf die evangelische Theologie auswirkte. Jochmann schreibt dazu: „Je ungünstiger sich das Kriegsgeschick für Deutschland gestaltete, desto stärker wurde das Identifikationsbedürfnis der Christen mit den völkischen Kräften des Landes. Nationalisten, Volkstumsideologen und Protestanten rückten unter dem Druck des Krieges zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen. Das blieb nicht ohne Rückwirkung auf die Verkündigung und das kirchliche Handeln.“13

Die Synthesekonzeptionen von Protestantismus und Deutschtum, die besonders im Lutherjahr 1917, das zugleich den Wendepunkt des Krieges bedeutete, reichlich bemüht wurden, sprechen eine deutliche Sprache. Mit der Niederlage im Weltkrieg und der Revolution im Herbst 1918 war die alte Welt des deutschen Kaiserreichs von heute auf morgen weg. Als selbstverständlich geglaubte Ordnungen und gesellschaftliche Realitäten waren aufgelöst. So war die jahrhundertealte, sich gegenseitig stützende Koalition von Thron und Altar ebenso Geschichte wie die mehr oder minder real existierende protestantische Leitkultur im Kaiserreich. Die alte, zumindest die bürgerliche Klasse erreichende Bindekraft der dynastischen Monarchie war dahin. Angesichts einer ungemein großen Krisenerfahrung und -stimmung, die durch die drohende Gefährdung der eigenen sozialen Sicherheit durch den Linksextremismus, der als totalitäres und christentumsfeindliches Regime drohte, noch verstärkt wurde, fehlte ein neuer expliziter, normativer Identifikationspunkt. Daran, dass der neue Staat, d. h. die Weimarer Republik, einen solchen neuen Identifikationspunkt für die Deutschen bilden könnte, verschwendete die große Mehrheit keinen Gedanken. Als Staatsgebilde, das historisch aus Niederlage und Revolution und geistig aus der Weltanschauung der Deutschland in Versailles entehrenden und in die Abhängigkeit treibenden Siegermächte des Krieges entstanden war, war es von vorneherein politisch desavouiert. In dieser Auffassung fühlten sich die evangelischen Christen, so Jochmann, noch dadurch bestärkt, „daß sie sich nun auf einmal einem Staat gegenübersahen, in dem Kräfte zu maßgeblichem Einfluß gelangt waren, die der Kirche nicht mit Wohlwollen begegneten“14 bzw. den politischen Katholizismus vertraten. Auf protestantischer Seite trug die Auseinandersetzung mit dem katho-

13 Jochmann, Gesellschaftskrise, 270. Vor diesem Hintergrund ist auch das Engagement Althaus’ in der deutschen Volkstumsbewegung in Polen zu sehen, wenn dieses freilich bereits in guten Kriegszeiten begann. 14 Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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lischen Ultramontanismus und Internationalismus zusätzlich zu einer Nationa­ lisierung bei. Das Identifikationsvakuum war dennoch schnell gefüllt. Denn als offensichtlich einzige Ordnung aus der alten Welt hatte das Volkstum die Katastrophe von Niederlage und Revolution überdauert. Der alte Staat war zwar weg, aber das deutsche Volk als ethnisch-kulturelle Größe war ja noch da, und daran konnte man sich nun halten. Bei dieser Ansicht fühlte man sich nicht nur durch die Realität abgesichert, sondern auch durch die deutsche staatsphilosophische Tradition, denn schon Herder hatte dem Volk gegenüber dem Staat einen höheren Wert beigemessen, weil dieses fortbestehe, auch wenn das Staatsgebilde untergehe15. Die Zukunftshoffnungen wurden also nicht auf den neuen Staat in all seiner politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Siegermächten projiziert, sondern auf das eigene Volk, was Unabhängigkeit und ein Leben aus den eigenen Kräften und damit neues Selbstwertgefühl nach der katastrophalen Niederlage versprach16. Eingebettet ist dieser Vorgang, so Ruppert, in den Wandel „vom reichsdeutschen Staatsbewußtsein zum ethnischen wie kulturellen Volksbewußtsein“17. Auch die Hinwendung breiter kirchlicher Kreise zum Volkstumsdenken war wichtiger Bestandteil des kirchlichen Krisenmanagements, das nach der deutschen Katastrophe nötig geworden war18. Das Volkstum war in den deutschen Köpfen als Folge des Krieges ohnehin präsenter als jemals zuvor, hatte es doch der deutschen militärischen Führung, die sich mit Fortschreiten des Krieges mehr und mehr zur eigentlichen politischen Macht im Land formierte, zur Mobilisierung aller Kräfte für den erhofften Sieg nicht mehr ausgereicht, an das monarchisch-dynastische Bewusstsein der Deutschen zu appellieren, sondern wurde der Krieg – freilich nicht nur auf deutscher Seite – in zunehmendem Maße zu einem Volkskrieg stilisiert. So ist es nach Ruppert zu erklären, dass sich die Deutschen „dadurch oft erst endgültig als Nation begriffen.“ Dementsprechend war der Appell an die sich verteidigende Volksgemeinschaft bereits während des Krieges vielfach internalisiert. 15 Vgl. Sundhaussen, Einfluß, 30. 16 Vgl. bei Althaus 2910 Vaterland, 241, wo es heißt: „Es ist noch da, das deutsche Volk. Unser Auge schaut hindurch und sieht doch mehr als Parteien, Klassen, Parlamente; es sieht mehr als Gebildete und Massen“; vgl. 3121 Volk, 4. 17 Ruppert, Nationalismus, 204. 18 So urteilt Jochmann, Gesellschaftskrise, 270: „Die Krise wurde von der Kirche dadurch gemeistert, daß sie sich den Kräften des Volkes anschloß, die die Fakten von 1918 nicht anerkennen wollten und eine ‚völkische Erneuerung‘ Deutschlands anstrebten. Sie wurden deshalb als Träger der Volksidee angesehen. Für die evangelischen Christen hatte der demokratische Staat seine Würde verloren, er war zum Unstaat geworden. So rückte erneut das Volk als Wahrer der unvergänglichen Werte in den Mittelpunkt alles Denkens und Handelns.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Der in der Schicksalsgemeinschaft des Krieges geborene Volksnationalismus, der in mancher Hinsicht an die romantisch-bürgerliche Nationalbewegung anknüpfte, ist nach dessen Ende in Deutschland […] erst zu voller Blüte gekommen.“19

Ebenfalls ein Erbe des Krieges war die gerade in lutherisch-theologischen Kreisen weitverbreitete Vorstellung, der Kriegsdienst als Einsatz für Volk und Vaterland habe ein vorher für unmöglich gehaltenes Potential an sittlichen Kräften freigesetzt. Als Volk und Vaterland zu den Waffen riefen, schienen angesichts des gemeinsamen Dienstes und des gemeinsamen Kämpfens, Leidens und Opferns vormalige Standesdünkel und Klassengegensätze vergessen. Man bildete eine „echte“ Gemeinschaft, der Egoismus der Einzelnen wie der ganzer Stände schien im „August 1914“ plötzlich aufzuhören. Volks- und Vaterlandsbewusstsein schienen dafür Grund und Auslöser zu sein20. Im Krieg schien das sich im „Augusterlebnis 1914“ manifestierende Gefühl der Volksgemeinschaft die Zerrissenheit, soziale Ungleichheit und Klassenkämpfermentalität des Kaiserreichs zu überwinden. Dieses Gefühl sollte für die neue Zeit, die als noch zerrissener empfunden wurde, fruchtbar gemacht werden. Allem Kulturpessimismus der Vorkriegszeit zum Trotz löste sich in der Vorstellung vieler Theologen der gebetsmühlenartig angeprangerte Individualismus und Egoismus der Menschen in der dem „August 1914“ vermeintlich abzuspürenden Einsatzfreude auf. Nach Klaus Scholder „entdeckte eine Reihe jüngerer lutherischer Theologen im Verlauf des Krieges und der Nachkriegszeit den Begriff des Volkes. Es war eine Entdeckung, die einen Teil dieser Generation offenbar geradezu überwältigt haben muß. Sie fand darin die Überwindung eines Individualismus, dessen sie längst überdrüssig war, weil er ihr eng, klein und kaltherzig erschien. Was der deutsche Protestantismus an Tugenden gleichsam gespeichert hatte, der Wille zur Gemeinschaft und zur Solidarität, zur Hingabe und zum Opfer, das floß nun ganz in den Begriff des Volkes ein. Die Familie als Feld christlichen Tätigwerdens schien zu begrenzt, die Kulturgesellschaft des 19.  Jahrhunderts im Krieg zerbrochen, der Staat fragwürdig geworden. Einzig das Volk hatte offenbar überdauert […] [und wurde] zum neuen ethischen Bezugspunkt der Theologie“21.

19 Ruppert, Nationalismus, 202. 20 Vgl. bei Althaus 3004 Verpflichtung, 289. 21 Scholder, Kirchen, 148. Als beredtes Beispiel dafür vgl. bei Althaus 3121 Volk, 4: „Durch das Blut junger deutscher Regimenter, die im Glauben an ein neues deutsches Volk ihr Leben dahingaben, durch Blut und Tränen deutschen Volkstums jenseits unserer Grenzen, das wir im Kriege entdeckten, durch die heiße Blutwelle neuer Volksverantwortung und Volksliebe in unserer Jugend ist, was das Wort ‚Volk‘ meint, als eine starke, bindende, fordernde Wirklichkeit über uns ge­kommen.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Setzten schon während des Krieges unzählige Theologen und Kirchenmänner ihre Hoffnungen auf Volk und Volksgemeinschaft als Remedium gegen Individualismus und Egoismus22, so versprachen sie sich nach dem verlorenen Krieg von diesem neuen ethischen Bezugspunkt erst recht eine „Neutra­ lisierung des Egoismus der Partikularinteressen“, denn „die ‚sittliche Kraft‘ der Volksgemeinschaft schien angesichts des sich immer nachdrücklicher bemerkbar machenden Pluralismus der Interessen gerade unter den Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie unverzichtbarer denn je zu sein. Gerade für die Bewahrung des Landes, das zunehmend in den gesellschaftlichen Differenzierungsprozess hineingerissen zu werden drohte, könne die Volksgemeinschaft unschätzbare Dienste leisten. Insofern wird verständlich, warum auch Theologen und Pfarrer mit einer konservativen Glaubensauffassung Volk und Nation eine quasi-religiöse Weihe verliehen. Ihre Hinwendung zum Volksbegriff entstand aus einer fundamentalen Abwehrreaktion gegen die unübersehbaren Säkularisierungstendenzen.“23 Sie schätzten am Volksbegriff in erster Linie das gemeinschaftsstiftende Potential und die vermeintliche Integrationsfähigkeit, es ging ihnen darum, „die gemeinschaftlichen Restbestände“ in einer zunehmend pluralistisch verfassten Gesellschaft zu aktivieren24. „Das ‚Volk‘ rückte in den Fragmentierungen der Moderne zum Stifter von kollektiver Identität und von gesellschaftlicher Homogenität auf.“25 Bei dem hierbei zugrundeliegenden Volksbegriff ging es freilich nicht um eine wie auch immer geartete „Reinheit der Rasse“, sondern „um seiner integrativen, Land und Stadt, Bauer und Arbeiter zusammenführenden und damit latent moralischen Potenz“26 willen setzte man aufs Volk. Angesichts der prinzipiellen und theoretischen weltanschaulich-politischen Bedenken gegenüber der neuen, aus dem Westen gleichsam importierten Staats 22 Die Umsetzung des Nächstenliebegebots konnten sich diese Theologen vor dem Hintergrund ihrer politisch-mentalen Prägungen nur in der Gemeinschaft des Volkes vorstellen. Die Menschheit erschien ihnen zu abstrakt und zu weit; die Familie oder der Stand zu eng und daher vom Gruppenegoismus bedroht. 23 Pyta, Dorfgemeinschaft, 249 f. 24 Ebd., 251. Pyta weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die „gemeinschaftsstiftende Qualität der Nation“ ausschließlich darauf beruhte, „daß sie auf einem hohen Abstraktionsniveau die Angehörigen hochgradig differenzierter Gesellschaften auf eine Minimalausstattung kollektiver Identität in Gestalt von gemeinsamer Sprache, Geschichte, ethnischer Zugehörigkeit und staatlicher Gemeinsamkeit verpflichtete“. Auf der gleichen Linie konstatiert auch Graf, Die Nation – von Gott „erfunden“?, 308: „Je mehr die eigene Nation als fragmentarisiert und religiös, politisch, sozial und kulturell desintegriert erfahren (bzw. erlitten) wurde, desto mehr richtete sich die Suche auf eine Integrationssubstanz, die durch kritische Reflexion nicht mehr relativiert werden können sollte.“ 25 Nowak, Protestantismus, 8. 26 Pyta, Dorfgemeinschaft, 247. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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form (Parlamentarismus, Kompromiss, Mehrheitsentscheidungen, Kampf der Ideologien)27 und angesichts der frühen negativen Erfahrungen mit dieser neuen Staatsform (Putschversuche, schwacher Staat, Gefahr des Bolschewismus, Gewaltexzesse) suchte man ganz allgemein (vgl. die Staatsrechtslehre) und speziell auf theologischer Seite eine „neue sittlich-religiöse Gesamtintegration des Gemeinwesens“28. Im Hintergrund sieht Klaus Tanner dabei die „Überzeugung, der aus dem Ausdifferenzierungsprozeß der modernen Kultur resultierende Pluralismus und Individualismus zersetze alle substantiellen kulturellen Verbindlichkeiten und erzeuge deshalb einen verstärkten Integrationsbedarf bzw. die Notwendigkeit neuer Homogenitäts- und Einheitsstiftung.“29

Also begab man sich auf die Suche nach „neuer, substantieller Verbindlichkeit“ und nach solchen Kräften, „die in der Lage sein sollten, den Pluralismus und Individualismus durch eine neue, gesteigerte, sittlich-religiöse Gesamtintegration und die Schaffung eines in Werten und Ideen fundierten Gemeinschaftsbewußtseins zu überwinden.“30

Diese neue Verbindlichkeit und diese Kräfte zur Gemeinschaft angesichts von äußerer (Versailles) und innerer (Klassenkampf )  Bedrohung Deutschlands meinte man in dem scheinbar im Krieg bewährten Konzept der Volksgemeinschaft zu finden. Diese gewinnt dabei den Stellenwert einer „überpositiven Ordnung“, „in welcher der Individualismus und Relativismus grundsätzlich überwunden und so zugleich eine ethische Orientierung für das gesamte Gemeinwesen gewährleistet sein soll.“31 „Im Volkstum glaubte man, jenen ‚überparteilichen‘ Boden zu haben, von dem aus eine sittliche, am umfassenden Wohl der Volksgemeinschaft orientierte Politik gestaltet werden könne.“32 27 Dazu schreibt Scholder, Geschichte, 77: „Was die liberale, parlamentarische Demokratie der Rechten so verhaßt machte, war gerade das, was ihr eigentliches Wesen darstellt: der Zwang zum Kompromiß, die relative Wahrheit von Mehrheitsentscheidungen, die Legalisierung von Gruppeninteressen und damit verbunden das Glanzlose, Unheroische der auf demokratischem Wege zustandegekommenen Entscheidungen.“ 28 Tanner, Verstaatlichung, 263. 29 Ebd., 187. 30 Ebd. Gesucht wird angesichts der als zerrissen empfundenen Weimarer Republik „nach stärkeren Integrationsfaktoren als Verfassung und formalem Recht: Moral, Gesinnung, unbedingtes Verantwortungsgefühl, gemeinsamer Geist, gemeinsame Werte in Gestalt der nationalen Tradition sollen als Gegenmittel gegen die sozialen Spannungen und zentrifugalen Kräfte in einer ausdifferenzierten Gesellschaft wirken“ (ebd., 264). 31 Ebd., 265. 32 Ebd., 245. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Noch aus der Zeit des Staatskirchentums mit ihrer mehrheitlich protestan­ tischen Leitkultur stammte die konservativ-protestantische Zielsetzung, die soziale und geistige Integration der deutschen Gesellschaft hin zu einer Gemeinschaft voranzutreiben. Nachdem die Kirche in der sozialen Frage gescheitert war, war bereits seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert der Volkstumsgedanke ins Blickfeld der protestantischen Eliten geraten. Diese proklamierten nach Martin Greschat „das Ideal einer christlich gegründeten nationalen Einheit und Geschlossenheit, welche die innenpolitischen Spannungen und Gegensätze überwölben und überwinden sollte. Die Kehrseite dieser schnell wachsenden Hochschätzung des Deutschtums und der eigenen Nation bildete die dann ebenfalls zunehmende Ab- und Ausgrenzung: der Kommunisten und Sozialisten, der Linksliberalen und insbesondere der Juden.“33

In dem durch die eigene, zu keinem Zeitpunkt in Kauf genommene Niederlage34 und durch die Behandlung durch die Siegermächte wirtschaftlichfinanziell ruinierten Deutschland schien der Appell an die vermeintlichen Selbst­heilungsprozesse des Volkstums für Viele der einzig erfolgversprechende Ausweg aus der Misere. Wenn alle in der Volksgemeinschaft an einem Strang ziehen, so die Überzeugung, kann die Katastrophe im Geist von Solidarität und Opferbereitschaft überwunden werden. Die „Volksgemeinschaft“ war in diesem Punkt nicht nur die politische Vision rechter und rechtsradikaler Kreise und Parteien, sondern auch der systemstabilisierenden Parteien der Weimarer Republik, wenn der Begriff je nach politischer Tradition unterschiedlich gefüllt wurde35. Nach Ruppert gab es 33 Greschat, Christenheit, 309. Greschat macht diese Geisteshaltung vor allem an Adolf ­Stoecker fest. 34 Man denke nur an die massenhaft gezeichneten Kriegsanleihen. 35 So schreibt Hess, Deutschland, 331: „Die Idee der Volksgemeinschaft war nun einmal keine typische Vorstellung allein des antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik, sondern ebensosehr ein Leitbegriff des demokratischen Denkens.“ Als Beispiel führt er eine Wahlkampf­ parole der DDP von 1924 an: „Demokratie heißt Überwindung des Klassenkampfgedankens durch Volksgemeinschaft“ (ebd., 332). „Für den demokratischen Nationalismus nahm der Volksbegriff einen zentralen Platz ein“. Und für Heß „fehlt auch in der demokratischen Literatur die mystizistische Überhöhung des Volkstums nicht“ (ebd., 354). Volkstumsdenken war zu keinem Zeitpunkt nur den Völkischen vorbehalten. Aufgrund der Tatsache, dass es sich beim „Volkstum“ um einen schillernden Begriff handelt, der Spielräume für viele unterschiedliche Interpretationen offenlässt, war seine inhaltliche Füllung vom jeweiligen Standpunkt des Betrachters abhängig. In einer Zeit, da sich der ethnische Abstammungsglaube in Deutschland bereits weitgehend durchgesetzt hatte, fällt dem deutschen Judentum, das mehr und mehr als ethnischer Fremdkörper betrachtet wurde, eine eigene volkliche Standortbestimmung immer schwerer. Der jüdische Soziologe Julius Goldstein lehnt 1926 in seiner Zurückweisung des völkischen Denkens das Volkstumsdenken als solches © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„kaum eine Parteirichtung, die ihre Sehnsucht nach nationaler Geschlossenheit nicht auf diese Formel brachte. Das Bewußtsein von der Schicksalsgemeinschaft des deutschen Volkes sollte die tiefe soziale und weltanschauliche Zerklüftung, an der alle litten, überwölben. […] Die Überordnung der Nation über die Teilinteressen der Gruppen und staatsbürgerliche Solidarität sollten aber nicht nur die Nation im Innern vollenden, sondern sie waren zugleich Voraussetzung nationaler Selbstbehauptung in der Gemeinschaft der Staaten.“36

Die große Not nach Kriegsende, sowohl die wirtschaftlich-existentielle als auch die politische, die die fortgesetzte Hungerblockade der Siegermächte und die entehrenden Bedingungen des oktroyierten Versailler Vertrages den Deutschen zu ertragen aufgab, verlängerte die am eigenen Leib spürbare Vorstellung der sich verteidigenden Volksgemeinschaft als Schicksalsgemeinschaft ungebrochen von der Kriegszeit in die Nachkriegszeit, die somit nur schwerlich als echte Friedenszeit begriffen werden konnte. Indem der Versailler Kriegsschuldartikel 231 die moralische Grundlage für die entehrende Behandlung des unterlegenen Deutschland bildete und damit als Fundament für die finanzielle, militärische und moralische Abhängigkeit Deutschlands diente, wurde er zugleich auch ein Katalysator für deutsches Volkstumsdenken. Als Reaktion bzw. Überreaktion auf die einseitige alliierte Lösung der Kriegsschuldfrage, die die Deutschen als Nation minderen Rechts erscheinen ließ, suchte sich deutsches Volkstumsdenken neue Wege, eigenes Selbstwertgefühl, von dem die Weltkriegssieger im Übermaß besaßen, aufzubauen – in aller Regel in Antihaltung zum Westen37. keineswegs ab, sondern konstatiert: „Die Analogie von Art und Volk als falsch abweisen, bedeutet nicht, den volklosen Menschen als Wirklichkeit oder Ideal aufstellen, bedeutet auch nicht, die sittlichen Forderungen leugnen, die aus der Zugehörigkeit des Menschen zu seinem Volk sich ergeben. Diese Forderungen anerkennen auch diejenigen, die nicht durch Blut, sondern durch Sprache, Geist und Schicksalsgemeinschaft sich einem Volke innerlich verbunden fühlen – so die deutschen Juden dem deutschen, die englischen Juden dem englischen Volke. Dabei sei nicht geleugnet, daß auch die Abstammung für das geistige Wesen eines Menschen Bedeutung hat – in welchem Ausmaße freilich, das müßte, wenn möglich, von Fall zu Fall festgestellt werden.“ (ders., Kritik, 229 f.). 36 Ruppert, Nationalismus, 219. Für Hess, Deutschland, 368 gehört der „demokratische Natio­nalismus“ zum „Kernbestand demokratischen Denkens in der Weimarer Republik“. „Ausgangspunkte für den Erneuerungs- und Selbstbehauptungswillen des demokratischen Nationalismus wie des Nationalismus der antidemokratischen Rechten waren die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg und der Frieden von Versailles. Gemeinsam war die Ablehnung der dort geschaffenen Friedensordnung.“ Auch demokratisches Denken war der Überzeugung, „daß die kaiserliche staatliche Organisation, nicht aber das Volk besiegt und zusammengebrochen sei, sollte doch aus der Kraft des Volkes der Wiederaufstieg kommen“ (ebd., 356). 37 Vgl. Althaus’ Rückblick im Jahr 1953 auf seine politische Ethik zwischen den Kriegen in 5301 Ethik, 6: „Was fortgefallen ist zum Beispiel in der Lehre vom Volke, Staate und von der Politik, dessen kann ich mich im Ganzen auch heute nicht schämen – so gewiß im Einzelnen manches unzulänglich und einseitig gewesen sein mag. Als die alte Auflage verfaßt wurde, stand unser deutsches Leben im Schatten von Versailles.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Diesen Gedanken auf die evangelische Volkstumstheologie der Zwischenkriegszeit übertragend, konstatiert Martin Honecker: „Der Hintergrund und Anlaß der emphatischen Entdeckung des Volkstums als Schöpfung Gottes ist nur als Reaktion auf den als demütigend empfundenen Versailler Friedensvertrag zu erklären. So heißt es bei Hirsch: ‚Nur ein Volk, das sehr stolz auf die ihm von Gott gegebene Art ist, das sich für unentbehrlich hält im Menschheitsganzen, wird so viel an seine Zukunft und seinen Staat setzen wollen. Gerade jetzt also, wo die ganze Welt uns verachtet, müssen wir lernen den Stolz darauf, Deutsche zu sein.‘ Es ist somit unverkennbar verletzter Nationalstolz und verwundete deutsche Identität, die zur Vorstellung von einer besonderen deutschen Sendung und zur Wertung des Volkes als Schöpfungsordnung führte.“38

Ebenfalls als Folge der Versailler Vertrages kam das Thema Volkstum auch noch auf andere Weise als Dauerbrenner auf die politische Tagesordnung: in der Wahrnehmung der Auslandsdeutschen. Durch die Grenzziehungen der Verträge von Versailles und St. Germain mit dem Deutschen Reich und mit Österreich-Ungarn lebten von heute auf morgen Millionen von Deutschen außerhalb deutscher Staaten. „Die Grenzveränderungen“, so Honecker, „machten das Auslandsdeutschtum, die ‚Volksdeutschen‘, zu einem Problem. Infolge des Zerfalls der drei Universalmonarchien Rußland, Österreich-Ungarn und des Osmanischen Reiches waren elf Nationalstaaten entstanden; 35 Millionen Menschen lebten nicht mehr im volkseigenen Staat. ‚Volksdeutsche‘ nannte man nach 1918 Deutsche, die außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches und Österreichs in Sprachinseln oder Streusiedlungen lebten. Da überdies die Kultur von der Konfessions- und Religionszugehörigkeit und damit von der Kirche bestimmt wurde, wurde die Lebens- und Schicksalsgemeinschaft von Kirche und Volk zum ekklesiologischen Thema. Gefordert wurde eine Volkstumsseelsorge“.39

Zusammen mit dem deutschen Volkstum in den neuen Staaten im Osten, vor allem in Polen und der Tschechoslowakei, die mit einem „prononcierten Nationa­lismus […] ihre Minderheiten im Staat zusammenzuhalten“40 versuchten, befand sich auch das evangelische Christentum gegenüber einem nicht selten aggressiv antideutschen Nationalismus der Bevölkerungsmehrheiten in der Defensive. Das Schicksal dieses neu entstandenen Auslandsdeutschtums 38 Honecker, Christenheit, 161. Auch Hess, Deutschland, 343 spricht in diesem Zusammenhang von einem „Zwang zur Kompensation der Niederlage“ durch „Herausstreichung deutscher Weltgeltung“. 39 Honecker, Volk, 200. 40 Ruppert, Nationalismus, 203. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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wurde gerade in den ohnehin nationalprotestantisch geprägten evangelischen Kirchen mit großem Interesse wahrgenommen; das Volkstumsdenken nahm an deren Schicksal teil und gewann gerade dadurch an Kontur. So steht für Ruppert fest, dass sich viele Deutsche „nicht zuletzt deswegen jetzt vor allem ethnisch-kulturell verstanden, weil ihre Angehörigen im Ausland von den Feinden haftbar gemacht wurden. […] Zudem hielten die nach Kriegsende Ausgewiesenen, Vertriebenen oder Zurückgekehrten das volksdeutsche Denken wach“41.

Inmitten der Katastrophe von Niederlage und Revolution entstand auf deutschem Boden erstmals ein demokratisches Staats- und Regierungssystem, das von einem vorher im Kaiserreich so nicht für möglich gehaltenen Meinungspluralismus und unterschiedlichsten Interessen und Ansprüchen geprägt war. Der für Demokratien ganz natürlichen dauerhaften Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner, die zudem in dieser ideologisch aufgeladenen Zeit mit harten Bandagen geführt wurde, konnte die Mehrzahl der Bürger nichts Positives abgewinnen. Im Aufeinanderprallen der politischen Interessen und Ideologien in den Parlamenten, Regierungskoalitionen und auf der Straße konnten und wollten viele Bürger nichts als Zerrissenheit und Streit wahrnehmen: Der Staat wurde als schwach empfunden, von ihm ging keine Orientierung aus. Ausgehend von der Vorstellung einer deutschen Schicksalsgemeinschaft schien das Volkstum das einzig einigende Band über Klassen- und Parteiengrenzen, über Einzelinteressen und allgegenwärtiger politischer Auseinandersetzung hinweg zu sein. „In Zeiten der Unsicherheit, der vermeintlichen Auflösung von Ordnung“, so der Sozialgeschichtler Nolte, „suchen Menschen nach Halt und Orientierung in Vorstellungen von Einheit und Stabilität. Wenn die soziale Ordnung als gefährdet oder gar als gefährlich erscheint, greifen sie auf Konzepte aus der Vergangenheit zurück, aus einer als besser und sicherer empfundenen Zeit, um der von ihnen verspürten Zerrissenheit der Gesellschaft Modelle der sozialen Integration und Befriedung entgegensetzen zu können; und sie entwickeln Sehnsüchte, soziale Utopien für eine Zukunft, in der eine ‚natürliche‘ und harmonische Ordnung Sicherheit verspricht, sowohl für die eigene Position in der Gesellschaft als auch im Hinblick auf eine Balance der Gesellschaft im ganzen. Seit dem Ersten Weltkriege wurde in Deutschland eine solche Unsicherheit in einem stark gesteigerten Ausmaß verspürt. Im Rausche des Ersten Weltkrieges schien die Klassengesellschaft des Kaiserreichs mit ihren Spaltungen, Zerklüftungen und scharfen sozialen Trennlinien endlich überwunden und in eine Gemeinschaft der nationalen Zusammengehörigkeit überführt werden zu können.“42

41 Ebd., 202. Zur Volkstumsarbeit von Zentrum und DDP vgl. ebd., 204. 42 Nolte, Ordnung, 159. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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In dieser von der Erfahrung sozialer Zerrissenheit geprägten Zeit wurde das „Volk“ zu einem „sozialen Erwartungsbegriff“43: „Es ging um Einheit in der ‚Gemeinschaft‘, um nationale Zusammengehörigkeit im ‚Volk‘ und um die soziale Integration dieses Volkes zu einer ‚Volksgemeinschaft‘.“44 Es nimmt wenig wunder, dass die Theologie ausgerechnet in dieser Zeit des totalen Umbruchs und Traditionsabbruchs den Schöpfergott des Ersten Glaubensartikels wieder für sich entdeckt, der dauerhafte Ordnungen setzt, auf dass die Menschen in all dem Chaos etwas haben, woran sie sich in dieser unsicheren Zeit halten können. Angesichts der angenommenen Beständigkeit der göttlichen Ordnungen vermochte man derartige Krisen verblassen zu lassen. Dem Säkularismus und der Auflösung alter Bindungen, dem allgemeinen Gefühl von Chaos und Krise wird das Volkstum als Schöpfungsordnung entgegengesetzt45. Unter national gesinnten Theologen war die Hoffnung groß, dass mit einer notwendigen nationalen Wiedergeburt des nach Niederlage und Versailles am Boden liegenden Deutschland auch eine christliche Wiedergeburt einhergehen würde. Mit einem stolzen und großen Deutschland wie dem Kaiserreich verband man zugleich ein christlich-protestantisches Deutschland, das zusammen mit den deutschen Kulturerrungenschaften auch den christlichen Glauben in die Welt trug46. Die Ineinssetzung von Deutschtum und Christentum, insbesondere Protestantismus, hat lange Tradition im 19. Jahrhundert, seinen Höhepunkt erlebte diese Verknüpfung im Ersten Weltkrieg. „Selbst ein kritisch-liberaler Theologe wie Ernst Troeltsch“, so Wolfgang Hardtwig, „predigte zeitweise einen ‚deutschen Glauben‘. […] Es ist leicht zu verstehen, dass 43 Ebd., 84. 44 Ebd., 160. Nolte weist in diesem Zusammenhang darauf hin, man macht „es sich zu leicht, und man verfehlt die breitenwirksame Anziehungskraft der sozialen und sozialpolitischen Visionen und Versprechungen des Nationalsozialismus, wenn man jedes Reden von […] der Volksgemeinschaft sofort in den Topf einer extremen rechten oder gar ‚braunen‘ Ideologie wirft.“ Denn „der Wunsch nach sozialer Befriedung und sozialer Einheit [überspannte] in den zwanziger Jahren eine breites ideologisches und parteipolitisches Spektrum von rechts bis links“ (ebd., 161 f.) „Zu dem nationalsozialistischen Leitkonzept gesellschaftlicher Ordnung wurde die Volksgemeinschaft erst seit 1933, davor hatte der Begriff wenig Spezifisches an sich: Seine Attraktivität beruhte gerade auf seiner weiten Verbreitung“ (ebd., 170). 45 Auch für Hamm, Elert, 219, Anm. 38, ist die „theologische Hochkonjunktur des Ordnungsbegriffs“ in dieser Zeit eine „Reaktion“ darauf, wie der Weimarer Staat als „Ordnungskrise“ wahrgenommen wurde. Neben den Ordnungstheologen des Neuluthertums ist in diesem Zusammenhang z. B. auch Karl Barth und dessen ethische Lehre von den Schöpfungsordnungen Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre zu nennen; vgl. den Exkurs in Kap. IV, 3.2.5. 46 So ist für Althaus der Sinn alles Ringens um Volk und Vaterland „zuletzt doch der eine, daß deutsches Volk einen neuen Lebenstag habe, um noch einmal wieder Christophorus, Christusdiener, Christuszeuge, Christusträger zu werden. Weil wir unser Volk lieben und an seine besondere Sendung glauben, ringen wir, daß Christus in seiner Seele aufs neue geboren werde“ (3121 Volk, 5). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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auf dieser Grundlage die in irgendeiner Weise religiös bewegten Interpreten der deutschen Geschichte in der extremen Krise des deutschen Identitätsbewusstseins nach 1918 nationale und religiöse Krise und nationale und religiöse Erneuerungshoffnung gleichsetzten – es scheint dagegen nur ganz vereinzelt intellektuelle und mentalitäre Schranken gegeben zu haben.“47

Ein weiterer Grund, warum man im Protestantismus das Volkstum für sich als Thema, als „Wirklichkeit“ und ethischen Bezugspunkt entdeckte, lag in der Sorge, den Anschluss an den Zeitgeist zu verpassen. Und dieser war national, die sogenannte „völkische Frage“ stand in ihrer ganzen Diffusität quer durch alle Bevölkerungsschichten ganz oben auf der Tagesordnung. So wie die Folgen von Niederlage und Versailles tagtäglich präsent waren, war vielen Deutschen auch die „völkische Frage“ als eine der Zukunftsfragen schlechthin präsent und virulent. Evangelische Kirche und Theologie betraf diese „völkische Frage“ dabei sowohl unmittelbar, z. B. im Blick auf die evangelischen Auslandsdeutschen oder auf die deutsche Heidenmission, als auch mittelbar, weil man sich davon betroffen fühlte. Erklären lässt sich das mit dem Selbstverständnis der Kirche, die  – volks­ missionarisch und diakonisch motiviert – für das Volk da sein wollte. War man vor 1918 im Rahmen des landesherrlichen Kirchenregiments als Staatskirche gemeinsam mit der Obrigkeit per se Gegenüber des Volkes gewesen, musste nun im religiös neutralen Staat die eigene Rolle als Gegenüber des Volkes erst gefunden werden. Nachdem wie bei der Mehrheit der Deutschen so auch bei der Kirche der parlamentarisch-demokratische Staat nicht als das geeignete Gegenüber des deutschen Volkes galt, fühlte man sich als Kirche umso mehr in der Verantwortung für das Volk und sein Schicksal. Wenn man als volksmissionarisch-diakonisch denkende und handelnde Kirche nicht den Anschluss verpassen wollte, wenn man nicht an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei die christliche Botschaft verkündigen wollte, musste man sich auch als Kirche und Theologie mit der „völkischen Frage“ beschäftigen. Das Versagen der Kirche in der „sozialen Frage“ des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, in dessen Folge breite Massen der Arbeiterschaft der Kirche den Rücken kehrten, wurde als Menetekel verstanden48. Diese Orientierung am herrschenden, nationalen Zeitgeist erklärt Frank-Michael Kuhlemann aus einer „spezifischen Disposition ‚des Protestantischen‘“, dessen Mentalität beinhalte, „daß die Protestanten in viel höherem Maße als die Katholiken etwa bereit waren, sich auf die neuen, gesellschaftlich und kulturell prägenden Kräfte einzulassen. Sie spielte, so 47 Hardtwig, Religion, 148. 48 Vgl. Bormuth, Kirchentage, 198. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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zial- und religionsgeschichtlich gewendet, insbesondere […] im Prozeß der Säkularisierung eine entscheidende Rolle.“49

Die fortschreitende Säkularisierung, die von den meisten Theologen und Kirchenmännern als Krise von Religion und Kirche verstanden wurde, führte diese auf der Suche nach neuen Vermittlungsmöglichkeiten der christlichen Religion an die nationalen Ideen heran. Volk und Vaterland wurden für den Protestantismus attraktiv, das Nationale wurde als natürlicher Bundesgenosse der Religion gesehen. „Durch das Aufkommen neuer säkularer Deutungsangebote (Aufklärung, Liberalismus, Atheismus, Sozialismus mit ihren zum Teil kirchenkritischen Tendenzen) wurden die Kirchen […] immer stärker in die Defensive gedrängt.“ In dieser Situation sahen sich nach Frank-Michael Kuhlmann die kirchlichen Eliten gezwungen, „neben der potentiell an Einfluß verlierenden Kirche nach neuen kulturellen Vermittlungsinstanzen, sozialen Trägern oder auch ‚festen Burgen‘ des Religiösen in der modernen Gesellschaft Ausschau zu halten.“ Dabei kam es zu einer „Anbindung an neue, die geschichtliche Dynamik in besonderer Weise prägende Ordnungsbegriffe wie den ‚Staat‘, die ‚Nation‘, das ‚Volk‘ und das ‚Vaterland‘.“50 Dass Volk und Vaterland bereits während des Krieges die Funktion einer Vermittlungsinstanz des Religiösen innehatten, insofern sie als Anknüpfungspunkte für die Evangeliumsverkündigung dienen konnten, haben wir bei Althaus bereits gesehen. Als nach dem Ende der Monarchie der religionsneutrale liberale Staat als Vermittlungsinstanz ausfiel, ging die ihm zugeschriebene religionssoziologische Funktion vollends auf das Volkstum über. Mit dem Zusammenbruch des Staatskirchentums 1918 und dem damit verbundenen Verlust ihrer privilegierten Stellung in der deutschen Öffentlichkeit mussten sich die Kirchen nun mit den neuen Verhältnissen in einer pluralistischen Gesellschaft wie die der Weimarer Republik arrangieren und sich am immer unübersichtlicher werdenden Weltanschauungsmarkt behaupten. Zu reagieren hatten die Kirchen dabei besonders auf neue säkularreligiöse Vorstellungen und Bewegungen, die sich im rechten, nationalen und nationalistischen politischen Spektrum herausbildeten. Diese waren ihrerseits Reaktionen auf die Krise der Nachkriegszeit, die nach Antworten auf die drängenden Fragen nach einem Lebenssinn angesichts der Katastrophe von 1918 drängte. Der Rückgriff auf nationale und nationalistische Erklärungsmuster fiel diesen neuen Weltanschauungen umso leichter, als sich diese in der „Volksgemeinschaft“ während des Krieges scheinbar bewährt hatten. „Mit dem Bedeutungs 49 Kuhlemann, Pastorennationalismus, 552 f. 50 Ebd., 551 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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verlust traditioneller Religionen und ihrer Kirchen“, so Heinz-Gerhard Haupt und Dieter Langewiesche, „schwindet […] nicht die religiöse Aufladung nationaler Ideen, denn gerade die neuen säkularreligiösen Vorstellungen und Bewegungen zeigten sich offen für eine Symbiose mit dem Leitbild Nation.“51 Weil es während des Krieges aber gerade die Kirchen waren, die zu einer Nationalisierung des öffentlichen Lebens beigetragen hatten, mussten sich diese nun nach 1918 im „Weltanschauungskampf“ mit den Geistern auseinandersetzen, die man in den vier Jahren zuvor im Namen von Gott und Vaterland gerufen hatte. Davon blieb der Protestantismus selbst nicht unbeeinflusst: „Diese Konkurrenz, die den traditionellen Religionen durch die neuen säkularreligiösen Sinnstiftungsangebote erwuchs, mag zur Nationalisierung der Kirchen und der Theologien beigetragen haben.“52 Einen damit zusammenhängenden Aspekt des sich verstärkenden Volkstumsdenkens in der Kirche betrifft die Kategorie der „Volkskirche“. Mit dem Ende der Staatskirche im November 1918 mussten evangelische Theologie und Kirche ihren Platz in der deutschen Gesellschaft neu bestimmen. Um die aus der Kaiserzeit überkommene herausgehobene Stellung der evangelischen Kirche in die neue Zeit herüberretten zu können, verwendete man ein Hilfskonstrukt, um durch die Hintertür ans alte Staatskirchenwesen anzuknüpfen: Die Kirche verstand sich fortan in verstärktem Maße als Volkskirche. Der Begriff ist schillernd und bezieht sich neben der in der christlich-so­zialen Tradition des 19. Jahrhunderts stehenden volksmissionarischen, diakonischen, sozialen und pädagogischen Arbeit am Volk gerade auf den nationalen Charakter von evangelischer Kirche. Gerade mit dem zweiten Aspekt erhoffte man sich auf evangelischer Seite, dem Protestantismus auch im religiös neutralen Gemeinwesen der Weimarer Republik staatstragende Relevanz zu verschaffen. Indem man auf protestantischer Seite, dem Zeitgeist folgend, den Staat mehr und mehr als Volksstaat betrachtete, bildete das Volk somit den entscheidenden Anknüpfungspunkt von Staat und Kirche. Mit der Ablösung der Staatskirche durch die Volkskirche ergab sich für die evangelische Kirche ein Aktivitätsschub. Denn war im System der Staatkirche die Verbundenheit von Staat und Kirche eine – gleichsam „geschenkte“ – Selbstverständlichkeit, musste sich die Kirche demgegenüber die Verbundenheit von Volk und Kirche erarbeiten. Und das musste sie in der erwähnten Doppelheit tun: zum einen bedurfte es diakonischer und volksmissionarischer Anstrengungen, um das Kirchenvolk zu erreichen; zum anderen musste die Relevanz der Kirche für das deutsche Volk im-

51 Haupt/Langewiesche, Nation, 16. 52 Ebd., 17. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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mer wieder aufs Neue erwiesen werden. Volkstumsdenken und Kirchlichkeit stützten sich somit in der Zeit der Weimarer Republik gegenseitig. Aus alledem lässt sich unschwer ablesen, warum ausgerechnet das „Volkstum“ zum großen Schwerpunktthema von Theologie und Kirche in den 20er und 30er Jahren werden konnte. Dieses Thema aber wird in dieser Zeit besonders von dem Erlanger Theologen Althaus besetzt. 3.2 Volkstum und Vaterland als ethische Bezugspunkte bei Paul Althaus – Die Dialektik der Althausschen Volkstumstheologie „Althaus hat  – lange vor anderen  – für die Wirklichkeit des Volkes in der theologischen Ethik und Staatslehre Bahn gemacht, auch in bewußter Ergänzung des reformatorischen Ansatzes, er hat  – trotz allem Protest der Dialektiker  – ein starkes und warmes Ja zu Volk und Staat als göttlicher Schöpfung gesprochen, und hat doch gleichzeitig dem Einbruch der ‚natürlichen Theologie‘ in den Raum der Lehre von Welt und Mensch überzeugender Widerstand geleistet als alle Theologen der reinen Diastase“53.

Dieses zeitgenössische Urteil über Althaus stammt von seinem Leipziger Kollegen Martin Doerne, ausgesprochen als „Dank an Paul Althaus“ zu dessen 50. Geburtstag am 4. Februar 1938. Die Dialektik und Ambivalenz der Althausschen Volkstumstheologie war den Zeitgenossen zugänglicher als uns heute; mit ihr wollen wir uns nun befassen. 3.2.1 Das Volk in der Althausschen Theologie seit dem Weltkrieg – ein Überblick „Lange vor anderen“ war für Althaus das Volkstum eine Wirklichkeit, der sich eine evangelische Ethik zu widmen hatte. So hatte Althaus, für den Volk und Vaterland infolge seiner nationalprotestantischen Prägung in Familie, Schule und Studium ohnehin hohe Werte darstellten, in seiner Zeit als Militärpfarrer im Weltkrieg in der doppelten Diaspora der evangelischen Deutschen in Polen das Thema „Volkstum“ für sich und seine Theologie entdeckt. 25 Jahre später schreibt er zurückblickend: „Wir im staatlichen Denken großgewordenen Reichsdeutschen haben am Auslandsdeutschtum die geschichtliche Wirklichkeit und das Lebensgesetz von Volk 53 Doerne, Dank, 35. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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und Volkstum überhaupt erst richtig entdeckt. Die Entdeckung der Deutschen im ehem[aligen] Mittelpolen war […] zugleich die Entdeckung des deutschen Volkes in seiner geschichtlichen Wirklichkeit überhaupt und der Verantwortung, die wir alle um des Volkstumes willen tragen.“54

Was aber ist das Positive, das Althaus am Volkstum entdeckt und das ihn in der Folgezeit so vorbehaltlos positiv vom Volk reden lässt? Zum einen erlebt er an den Deutschen in Polen, die ihr Deutschsein mehr oder minder bewusst leben, einen verstärkten Zug zur Frömmigkeit und Kirchlichkeit. Deutsches Volkstum und lutherischer Glaube stärken sich in seiner Wahrnehmung der Lage gegenseitig. Zum anderen erlebt er die deutsche Minderheit in Polen während des Krieges als Solidargemeinschaft in Notzeiten55. In seiner Vorstellung setzt das Ergriffensein von der Wirklichkeit des Volkes – um in seinen Worten zu sprechen – ein sittliches Potential frei, gegenseitige Verantwortung, Fürsorge und Nächstenliebe werden gelebt. Neben dieser Entdeckung des Deutschtums anhand der Erfahrungen mit der deutschen Minderheit in Polen gibt Althaus noch eine weitere Quelle für sein Volkstumsdenken an: das als solches von ihm wahrgenommene „Vaterlandserlebnis des August 1914“. So schreibt er 1919: „Seit dem August 1914 wissen wir, was ein Volk ist und daß wir zu einem Volk gehören.“56 Die Althaussche „Entdeckung des Volkstums“ ist aber nicht nur eine Folge seiner Erfahrungen in Polen, sie ist zugleich eine Konsequenz seines eigenen, sich in Form seiner zeitgemäßen Kriegstheologie niederschlagenden, Gottesbildes. Der Althaussche „Gott der feldgrauen Männer“, den Liebenberg herausgearbeitet hat, dieser allmächtige Schlachtenlenker und richtende Herr der Geschichte, mit dem sich der junge Feldgeistliche einreiht in die typischen protestantischen Kriegsprediger des Ersten Weltkriegs, trägt starke alttestament­ liche Züge. Entsprechend diesem alttestamentlichen, theozentrischen Gottesbegriff gewinnt bei Althaus auch die Vorstellung von „seinem Volk“ eine große Bedeutung, woraus die allgemeine Zuordnung von Gott und Volkstum erwächst57. Als Althaus nach 1918 über seinen kriegsbedingt theozentrisch zugespitzten Gottesbegriff hinausgeht und wieder die Weite eines trinitarischen und damit eher evangeliumsgemäßen Gottesbildes in den Blick bekommt, bleibt die ihm so wichtig gewordene Einheit von Gott und Volk bestehen.

54 4201 Entdeckung, 196. 55 Vgl. 1903 Abschied, 167, wo Althaus rückblickend auf die Gründung von Genossenschaften und Raiffeisenkassen zu sprechen kommt. 56 1904 Erlebnis, 3. 57 Vgl. Scholder, Geschichte, 90. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Während des Krieges ist das Volk für Althaus zu einer herausragenden theologisch-ethischen Kategorie geworden, die er in der Folgezeit unter dem Eindruck der deutschen Not infolge von Niederlage und Versailles weiter ausbaut. Wenn er in geschichtstheologischem Kontext offensichtlich ganz selbstverständlich von Volk und Vaterland als individual- und sozialethischen Bezugspunkten spricht, dann drückt sich in dieser Selbstverständlichkeit aus, wie weit die sowohl theologisch, als auch politisch ausgerichtete normative Zentrierung der protestantischen Theologie auf das Volkstum in den 20er Jahren vorangeschritten ist. So klärt Althaus in einem Vortrag von 1923 seine Zuhörer folgendermaßen über seine Sichtweise der Geschichte auf: „Das heißt Geschichte: daß Gott uns Eltern gegeben hat, daß er Eltern und Kinder zusammenführt, und daß Gott uns ein Vaterland gegeben hat und unser Leben mit dem des Volkes und Vaterlandes verbunden hat. […] Wir sind […] hineingeboren in ein Vaterland, und wie oft wird unser Leben dadurch hinausgehoben über die kleine Enge, daß wir in Begeisterung und Mitleiden hineingezogen sind in das Schicksal unseres Volkes. Die den August 1914 erlebt haben, wissen, was er ihnen bedeutet hat. […] Ja, wie reich macht Gott unser Leben dadurch, daß er uns in eine Volksgeschichte gestellt hat.“58

Ein Jahr später macht Althaus klar, dass für ihn die „großen Gemeinschaften“ – und dazu zählen gerade auch die Völker – den Charakter von göttlicher Gabe und Aufgabe haben: „In dem Nebeneinander der Menschen geht uns die Erkenntnis des Willens Gottes als Dienst und Wille zur Gemeinschaft auf. […] Daß unser Leben sein Dasein und seinen Gehalt von den großen Gemeinschaften, die uns tragen, nimmt, beruft uns zur Hingabe, zur Treue, zum Opfer.“59

Auf diese Weise hat die von Althaus immer wieder betonte Zweiheit von Gabe und Aufgabe ethische Konsequenzen für den Einzelnen ebenso wie für das ganze Volk, weil Gott zur Tat ruft. So legt Althaus Gott die Aufforderung in den Mund: „‚Jetzt, du deutsches Volk, sollst du handeln, jetzt sollst du die schwere Stunde füllen mit deiner Tat‘, und wenn es zuerst nur das würdige, tiefe Leiden wäre und das stille, gesammelte Harren und Sichbereiten auf den Tag da er zu neuer Tat ruft.“60

58 2303 Gott, 7. 59 2405 Geschichte, 749. 60 2303 Gott, 9. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Der beschwörende Charakter solcher Worte, die den Deutschen nahelegen, „an unserm Volksschicksal“ mitzubauen61, wird verständlich angesichts des historischen Kontexts der damaligen Ruhrbesetzung durch Franzosen und Belgier, die als überhart und als demütigendes Unrecht empfunden wurde. So bringt Althaus auch die Befreiungskriege gegen das napoleonische Frankreich als vorbildhaftes Beispiel der deutschen Geschichte: „Der lebendige Gott, der nach 1807 aus dem ausgemergelten Volke die Schar derer berufen hat, die die Befreiungskriege geführt haben, kann auch in unserer Zeit Quellen steigen lassen und harte, steinerne Herzen lebendig machen.“62 Dass bei Althaus Völker und Volksgeschichte nicht das letzte Wort haben, zeigt sich an seinem Bemühen, den Blick auf das Ganze der Menschheit zu lenken, weil „Gott mit jedem Menschen und mit der ganzen Menschheit“ eine Geschichte hat63. Diese ist für ihn „die innerste, wichtigste Geschichte“64. Wer diesen Glauben habe, der könne als Deutscher auch angesichts der aktuellen widrigen Umstände den Mut nicht verlieren, im Gegenteil, „was für eine große und getroste Zuversicht gewinnt der auch für die Geschichte unseres Volkes!“65 Die Grenzen von theologischer Glaubensaussage und politischer Hoffnungsbekundung verschwimmen an dieser Stelle bei Althaus angesichts der existentiellen politischen Krise Deutschlands bis zur Unkenntlichkeit, wenn er sagt: „Ach laßt uns doch auch für unser Volk an Gottes heiligen Geist glauben. […] Laßt uns glauben für unser Volk! […] [Gott] stellt uns an unseren Posten, läßt uns hier und da ein wenig tun und ein wenig sein, doch sein ist die Frucht und der Ertrag. Eins aber laßt uns gerade heute nicht vergessen: sein größtes Wort ist sein ‚Dennoch‘. Wir brauchen nichts so sehr in unserer Zeit als Jugend und Männer und Frauen, die ein ‚Dennoch‘ auf der Stirn tragen. […] Ostern ist das ‚Dennoch‘ seiner Gnade wider die Sünde, seines Lebens wider unseren Tod. Sollte er nicht über alle die Wirrnis und Dunkelheit der Erde einmal sein heiliges ‚Dennoch‘ sprechen?“66 61 Ebd. Der gleiche Gedanken kehrt bei Althaus 1924 wieder, wo für ihn feststeht, Gott will, „daß wir das neue Deutschland bauen“ (2403 Gott, 13 f.). 62 2303 Gott, 9; vgl. ebd., 7, wo er schreibt: „Der Herr der Geschichte beruft Männer wie ­Luther, Freiherr vom Stein, Fichte, E. M. Arndt. Das ist Reichtum für ein Volk auf Jahrhunderte hinaus, dadurch segnet Gott unser aller Leben.“ Die Namen der historischen Vorbilder gerade aus der Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon sind angesichts der Ruhrbesetzung mit Bedacht gewählt. An diesen Beispielen lässt sich ablesen, wie wichtig die jeweilige Tagespolitik gerade auf Althaus’ Geschichtstheologie wirkt, weil er sich als Theologe gerade auch als Kommentator und Interpret der Zeit versteht. 63 Ebd., 13. 64 Ebd., 11. 65 Ebd., 13. 66 Ebd., 14. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Bei aller geschichtstheologischer Überhöhung und Sakralisierung des Volkstums gehört es wieder einmal zur Althausschen Ambivalenz, dass er auch diesbezüglich ein begrenzendes, ja gegenteiliges Wort sprechen kann. So findet sich in seiner Auseinandersetzung mit der Position einer endgeschichtlichen Eschatologie 1924 folgender Einwand gegen die Behauptung des fortschreitenden Kommens des Gottesreichs in der Geschichte im Hinblick auf die Fortschritte der christlichen Mission: „Im übrigen spricht es gegen den von uns befehdeten Gedankengang, daß er völlig in den Völkern denkt. Das mag unter geschichtlichen Gesichtspunkten gutes Recht haben, aber niemals unter theologischen, also auch nicht für die Eschatologie. Der, geschichtlich angesehen so überaus wichtige, Zusammenhang der Jetzt-Lebenden miteinander wie der Geschlechterfolge untereinander als ‚Volk‘ wird hier bedeutend überschätzt. Sub specie aeternitatis liegt es doch an der Evangelisierung aller Einzelnen. Das Denken in Völkern geht darüber hinweg, es sieht auf die Begründung einer Volkskirche, auf die Entstehung einer lebendigen kirchlichen Tradition in dem Volke.“67

Theologisch problematisiert Althaus hier eine Überhöhung des Volksgedankens in übergeschichtlicher Hinsicht, wenn er auch gleichzeitig den geschichtlichen und damit politischen Wert des Volkes betont. Diese Ambivalenz in der Althausschen Bewertung des Volkes steht in engem Zusammenhang mit seiner Vorstellung von „relativer Eigengesetzlichkeit“ im Rahmen seiner Theonomiekonzeption. Entsprechend dem gewichtigen Ort, den Althaus dem Volk innerhalb der Geschichte beimisst, lautet in einem Vortrag „Vom Sinn der Theologie“ vor dem Erlanger Universitätsbund 1926 seine Forderung an die Geschichts­forschung: 67 2409 Heilsgeschichte, 633. Noch in seiner Eschatologie von 1922 hat Althaus demgegenüber im Kontext der Frage nach einer neuen Leiblichkeit im Eschaton die Auffassung vertreten, „daß um der sittlichen Bedeutung des Individuellen willen ein wesentlicher Zusammenhang zwischen der irdischen und der himmlischen ‚Gestalt‘ bestehen muß“ (2201 Dinge, 142), und daraus die Folgerung gezogen: „Auch die Völker haben Individualität. Auch für sie muß das Reich Gottes die bewahrende Vollendung sein. Die Besonderung der Menschheit in Völker muß eine Entsprechung in der Ewigkeit haben. Leugnet man das, so wird die persönliche Fortdauer überhaupt hinfällig.“ (ebd., Anm. 1). Auch wenn Althaus diese Auffassung nur am Rande in einer Fußnote mitteilt, so zeigt sie doch, wie sehr der im 19. Jahrhundert u. a. von Herder und Jahn entwickelte Gedanke der Volksindividualität bei Althaus fortwirkt; vgl. Mann, Ordnungen, 32. Entsprechend seiner zunehmenden Betonung des Menschheitsgedankens gegen Ende der 20er Jahre schwächt Althaus diese Aussage ab der 4. Auflage 1933 ab: „Die Vollendung der Gemeinschaft mit Gott ist zugleich […] Vollendung der Gemeinschaft innerhalb der Menschheit, vollkommene communio sanctorum, Vollendung der Kirche als Gemeinde. Jenseits unserer Welt der Sünde und des Todes hat zwar nicht die Besonderung, aber die Zerspaltung der Menschheit und der Kirche ein Ende. […] Die Mannigfaltigkeit bedeutet nicht mehr Zerrissenheit und Bruchstückhaftigkeit, sondern lebendig aus der Einheit Christi und zu ihr sich gliedernde Fülle.“ (3307 Dinge, 308). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Wie könnte eine Geschichtsschreibung jemals ihren nationalen Charakter (man wird ihn hoffentlich vom ‚Nationalismus‘ noch unterscheiden können!) verleugnen wollen, ohne ihr Bestes, ihre Lebendigkeit preiszugeben? Wir Deutsche können die Geschichte der letzten Jahrhunderte sehen und verstehen nur von einem bestimmten Bekenntnis zu der Sendung unseres Volkes aus, auf Grund einer konkreten Überzeugung vom deutschen Wesen.“68

Wie wichtig für ihn die Abgrenzung von völkischen Absolutheitsansprüchen ist, denen er die Absolutheit des Evangeliums entgegensetzt, verdeutlicht er an einem Beispiel: „Die deutsche nationale Geschichtsschreibung läßt die englische neben sich gelten. Es entsteht hier die Toleranz des Relativismus. Die Entscheidung, aus der heraus man denkt, ist Schicksalsgebundenheit, Lebensverbundenheit hier wie dort. […] Die Standpunkte schließen sich nur subjektiv, im Subjekte, nicht objektiv, in ihrer Gültigkeit aus.“69

Angesichts einer erstarkenden völkischen Bewegung sah sich Althaus genötigt, eine solche Abgrenzung vom Nationalismus vorzunehmen. Die Überzeugung von der Theonomie der Welt bildet die Basis der Althausschen Geschichtstheologie. Gott als „Herr der Geschichte“ begegnet innerhalb der Geschichte, zunächst in seinem Indikativ der gnädig-schöpferischen Gabe, sodann aber in seinem Imperativ der fordernden Aufgabe, die die Menschen zu Verantwortung und Dienst in Liebe beruft. Eine herausragende Rolle spielt bei Althaus und seiner theonom verstandenen Gabe-Aufgabe-Relation die Institution „Volk“, die dadurch einen göttlichen Bezug erhält. Die „eine Menschheit Gottes“ identifiziert Althaus zwar als das teleologischeschatologische Endziel, er macht aber nichtsdestoweniger die einzelnen Völker zu axiologisch-eschatologischen Zwischenzielen des Willens Gottes auf dem geschichtlichen Weg zu seinem Reich. Sie sind für ihn die religiös aufgeladenen Objekte der im Hinblick auf das Reich Gottes zu bewährenden menschlichen Sittlichkeit. Nur in ihnen, d. h. nur innerhalb der volklichen Grenzen kann sich Althaus den ganz konkreten Dienst der Liebe, Verantwortung und Selbstvergessenheit vorstellen70. Dass sich die „eine Menschheit“ bei Althaus nicht in eine rein teleologischeschatologische und damit geistige Größe verflüchtigt, wird an seinem ökume 68 2610 Sinn, 24. 69 Ebd., 28. 70 Neben der „Beziehung auf den Nächsten“, dem „Geschlechtsverhältnis“ oder der Familie gehört für Althaus der „Volksverband“ zum „Apriori alles Lebens“. „Diese das Leben bedingenden Gebundenheiten können nun als unbedingte Bindungen, in ihrer ‚Heiligkeit‘ erfaßt werden“ (3108 Ethik, 28). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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nischen Engagement deutlich. Dies jedoch ändert nichts an der Tatsache, dass für ihn und seine Theologie die im Weltkrieg entdeckten Größen Volk und Vaterland in der Nachkriegszeit ganz selbstverständliche individual- und sozialethische Bezugspunkte sind, die nicht nur geschichtsphilosophisch und -theologisch, sondern nun auch ordnungstheologisch fundiert werden. Wie die anderen von ihm identifizierten Ordnungen Familie, Staat, Recht, Geschlechtlichkeit ist auch das Volk Gottes Gabe und vor Gott zu verantwortende Aufgabe. Dies wird besonders in seiner politischen Ethik im engeren Sinne deutlich, wenn er dem – für ihn freilich nur als frommen Christen vorstellbaren – Staatsmann ins Heft schreibt, vor Gott unbedingt für sein Volk verantwortlich zu sein und gleichsam die Antennen seines Gewissens allein auf Gott und Volk auszurichten. Damit das aber gelingen kann, ist nach Althaus eine Kirche vonnöten, die ihren Öffentlichkeitsauftrag zur fortwährenden Erinnerung an die Theonomie der Welt und ihrer Ordnungen wahrnimmt und damit auf die Politik einwirkt, indem sie eine christliche Gesinnung schafft. Denn Staat und Kirche sind beide Hilfsmittel und Wegbereiter des Reiches Gottes. Die einzelnen Menschen aber sollen sich in Form ihrer Zugehörigkeit zum Kollektiv „Volk“ aufs Gottesreich hin ansprechen und erziehen lassen und sich innerhalb der göttlichen Ordnungen sittlich bewähren. So wird in Althaus’ Ekklesiologie das Volk zum Gegenüber der Kirche, ebenso göttlich gestiftet wie sie selbst, und kirchliches Handeln soll in seiner Bezogenheit auf Gottes Reich insofern Dienst am Volk sein, als die Völker in ihrer die Menschheit bildenden Gesamtheit ihrerseits auf dieses göttliche Reich als Sinn und Ziel aller Geschichte bezogen sind. 3.2.2 Die Althaussche Wesensbestimmung von Volk und Vaterland Nach diesem kurzen Überblick über die zunehmende Zentralstellung des Volkes als ethischer Bezugspunkt auf den entscheidenden theologischen Feldern des Systematikers Althaus, soll nun die sich entwickelnde Wesensbestimmung von Volk und Vaterland im Rahmen seiner normativen Zentrierung auf die beiden Größen untersucht werden. Es verwundert kaum, dass die früheste Beschreibung dessen, was für Althaus Volkstum ausmacht, aus einem Aufsatz aus seiner Lodzer Zeit stammt, der sich 1915 an die deutsche evangelische Minderheit in Polen richtet: „Ein geheimes Band umschließt uns. Welches ist es? Nicht die alte deutsche Heimat: die Enkel der Ausgewanderten wissen von ihr kaum etwas Dunkles. Nicht schon das Blut, das gemeinsame deutsche Blut: Blutsbande sind wohl eng, aber sie halten nicht mehr fest, wenn das Herz nicht mehr den gleichen Schlag, der Mund nicht mehr die gleichen Laute, die Erinnerung nicht mehr die gleiche Geschichte hat. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Nicht der gemeinsame Boden, nicht das gleiche Blut schon kettet Menschen zum Volke, sondern erst die gemeinsame Geschichte der Blutsbrüder. […] Weil ihr hier in Polen noch unseren Martin Luther habt, seine Bibel und sein Lied, seinen Glauben, seine Gottesdienstordnung und seinen Katechismus, darum vor allem sind wir Brüder.“71

Gleich in seinem zweiten Artikel, in dem sich der junge Militärpfarrer an die deutsche Bevölkerung von Lodz und Umgebung wendet, kommt Althaus also auf die Gemeinsamkeiten zu sprechen, die ihn selbst mit jenen verbindet und die für ihn Volkstum ausmachen. Dabei fällt auf, wie sich Althaus einer Blutund-Boden-Phrase enthält, ja vielmehr gemeinsamen Siedlungsraum und gemeinsame Abstammung – er gebraucht dafür den damals dafür häufig verwendeten Begriff „Blut“72 – nicht für hinreichende Faktoren für eine Definition von Volkstum hält. Mit völkisch-rassistischen Vorstellungen hat Althaus wenig gemein. So sind die von ihm hier genannten Volkstumsfaktoren die gemeinsame Abstammung („das gemeinsame deutsche Blut“), die gemeinsame Sprache („gleiche Laute“), die „gleiche Geschichte“, das gleiche Fühlen und Streben (der „gleiche Schlag“ der Herzen) und der gleiche Glaube. Nach dieser en passant formulierten Wesensbestimmung von Volkstum beschäftigt sich Althaus erst Ende der 20er Jahre ausführlich und systematisch mit dem Volk. Ihren Niederschlag findet diese Beschäftigung in seinem Vortrag „Kirche und Volkstum“ von 1927 und in seinen „Leitsätzen zur Ethik“ von 1928. Im ersten Fall als allgemein gehaltene, im zweiten als bewusst theolo­ gische Grundlegung seiner Anschauung vom Volkstum. Volk ist für ihn „die über Familie, Sippe, Stamm hinausgreifende, durch körperliche und geistige Fortzeugung über die Jahrhunderte reichende Lebenseinheit von Menschen gemeinsamer seelischer Art. Dieses besondere Seelentum heißt Volkstum. Es offenbart sich in der Sprache und in dem gesamten Kulturschaffen eines Volkes.“73

Die lebendige Kraft, die das überindividuelle Gebilde des Volkes zusammen­hält, wird uns als Liebe bewußt“, fügt Althaus 1931 an dieser Stelle im „Grundriß der Ethik“ ein74. „Bei dem Entstehen eines Volkes vereinigen sich natürliche und geschichtliche Momente in sehr verschiedenem Verhältnis zueinander. Gewiß ist in der Regel z. B. die

71 1511 Deutschtum, 22. 72 Vgl. zeitgenössisch Rosenzweig, Stern, 429, der die „Selbsterhaltung“ des Judentums „im Abschluß des reinen Quells des Bluts vor fremder Beimischung“ findet. 73 2806 Leitsätze, 53; vgl. 3208 Gott, 723. 74 3108 Ethik, 94. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Blutseinheit Voraussetzung für das Werden eines Volkes. Einmal gezeugt kann aber das Volkstum als geistige Wirklichkeit fortzeugen auch in fremden Blute.“75

Über die Entstehung von Völkern macht Althaus mit dem Hinweis auf „natürliche und geschichtliche Momente“ nur sehr vage Andeutungen. Auf der einen Seite kann er von „Ur-Zeugung“ sprechen76, auf der anderen betont er den geschichtlichen Aspekt des Volkstums: „Volkstum wird erst in der Geschichte. Das deutsche Wesen ist durch das Evangelium wesentlich mitgeprägt.“77 Damit ist zugleich die wesentliche Charakterisierung des deutschen Volkes bei Althaus angesprochen: das deutsche Volk ist für ihn wesentlich christliches Volk. Diese Bestimmtheit, die Althaus’ Definition der deutschen „Volkssendung“ zugrunde liegt, kommt in seinen Augen am deutlichsten im Luthertum zur Geltung. So schreibt er 1933 über den Gottesbezug des deutschen Volkes, der für ihn zugleich dessen Wesen ausmacht, in Form einer Gottesrede: „‚Ich bin der Herr dein Gott‘ […], der dich geheimnisvoll zum Volke rief in der Vorzeit, der dich reich begabte, der dir die Boten des Evangeliums sandte und seine Kirche in die baute; der deinen Weg schwer und mühsam machte; der in dir Martin Luther erweckte und seinem Glauben sich gewaltig bezeugte; der dich aus der Selbstentfremdung zurückrief durch Propheten und Helden; auf den deine Väter es wagten in dem Freiheitskriege; der dir Freiheit von deinen Feinden schenkte; der dir das Haus des Reiches errichtete, der dich oft tief gedemütigt und dann wieder wunderbar erhöht hat; der dir Verantwortung und Dienst gab weit über deine Grenzen hinaus – ich bin der Herr, dein Gott!“78

Dass Althaus seine Vorstellung eines von ihm nur als christliches Volk denk­ bares deutschen Volkes gerade in der Zeit des „Dritten Reiches“ mit seiner starken Entkirchlichungs- und Entchristlichungspolitik besonders stark formulierte, kann kaum verwundern79. Auch im Verhältnis zum Staat kann Althaus sagen: „Nicht immer ist das ‚Volk‘ ‚früher‘ als der Staat, sondern oft auch umgekehrt der Staat ‚früher‘ als das Volk, d. h. ein ‚Volk‘ wird erst durch den Staat und die staatliche Ge­ schichte.“80 Indem Althaus für die Entstehung von Völkern nicht nur natürliche, sondern auch geschichtliche „Momente“ annimmt, nimmt er entsprechend 75 2806 Leitsätze, 53. Den gleichen Gedanken vertritt er auch in 2704 Volkstum, 114; und 3208 Gott, 723. 76 Zur „Ur-Zeugung“ von Völkern vgl. 3307 Dinge, 270; und 3208 Gott, 723, wo er diese als „unableitbar, irrational, schlechthin tatsächlich, schicksalhaft“ beschreibt. 77 2704 Volkstum, 121; vgl. 3206 Evangelium, 42. 78 3314 Volks-Geschichte, 20. 79 Vgl. 3703 Völker; oder 3708 Kirche, 23 f. 80 2806 Leitsätze, 61. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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seinem primär geistig-idealistischen Volkstumsbegriff gegenüber dem bloßen Naturalismus und Biologismus der Völkischen eine andere Haltung ein. Das Geistige behält bei ihm stets die Oberhand gegenüber dem „Natürlichen“. Dies ist bei Althaus Voraussetzung dafür, dass einzelne Menschen die Volkstumsgrenzen überschreiten können81. Wie schon 1915 ist für Althaus auch hier die gemeinsame Abstammung („Blutseinheit“) kein hinreichender Faktor für die Definition von Volkstum, wenn sie ihm auch zu den Voraussetzungen gehört82. Wichtiger aber ist ihm auch hier die „geistige Wirklichkeit“ des Volkes, zu der für ihn das gemeinsame „besondere Seelentum“, die gleiche Sprache und die gemeinsame Kultur gehört83. Die „geistige Eigenart eines Volkes“ schlägt sich für ihn „in seinem Dichten und Denken, Bilden und Bauen, Singen und Sagen, Mythen und Märchen, in Sitte und Brauch, Recht und Verfassung“ nieder84. An dieser Definition von 1927 wird auch Althaus’ Gemeinsamkeitsglaube in Bezug auf das Volk deutlich: „Volkstum nennen wir das besondere […] Seelentum, das in aller einzelnen Volksgenossen Fühlen, Werten, Wollen, Denken als das Gemeinsame erscheint; den Mutterschoß arteigenen geistig-seelischen Wesens; eine übergreifende Wirklichkeit, ursprünglich für uns alle mit unserem Leben gegeben, vor unserem Entscheiden und Wollen.“85

So sehr hier auch der Konstruktcharakter seiner romantischen Wesensbestimmung von Volkstum deutlich wird, so sehr besteht Althaus darauf, die geistige Wirklichkeit des Volkstums überzuordnen. Einer naturalistischen Sichtweise, einer Blut-und-Boden-Ontologie erklärt er eine Abfuhr, wenn er weiter fortfährt: „Eine ursprüngliche Gegebenheit – und doch nicht einfach ein Stück Natur. Blutsgemeinschaft, Zusammenwohnen im Lande, Einheit der Lebensbedingungen, des staatlichen Schicksals – das alles kann von hoher Bedeutung für das Werden eines 81 So spricht auch Kurz, Denken, 501 bei Althaus von einem „rein geistige[n] Volkstums­ begriff, der ‚Blutmischung‘ ausdrücklich ermöglichte“. 82 So heißt es in 2704 Volkstum, 114: „Niemals freilich wird ein Volkstum ohne die Voraus­ setzung z. B. der Blutseinheit.“ 83 Vgl. seine Wesensbestimmung des Volkstums in 2910 Vaterland, 242: „Wir reden eine Muttersprache – und das ist wahrhaftig nichts ‚Äußerliches‘; das Erbe der Sprache bestimmt uns bis in die tiefste Seele hinein. Wir sind Menschen einer Art, einer Prägung. […] Eine reiche, ernst Geschichte, ein Erbe an Segen und Last bindet uns zusammen. Wir lieben unser Volk. Denn aus seinem Leben wuchs das unsere, leiblich und geistig. Wir lieben es, wie wir den Schoß der Mutter lieben. Wir lieben seine Art und Kunst“. 84 2704 Volkstum, 115. 85 Ebd., 114. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Volkstums, ja z. T. unentbehrlich für es sein; aber nichts von alledem braucht für sich allein oder auch mit den anderen Bedingungen zusammen Volkstum schon zu begründen. Volkstum ist eine geistige Wirklichkeit, durch geistige Urzeugung geheimnisvoll geboren“.86

In einer Zeit, in der die verschiedenen Völker weitgehend unter sich blieben und Ehen über die Volksgrenzen hinaus eine große Ausnahme bedeuteten, liegt bei ihm das Hauptaugenmerk auf der „geistigen Fortzeugung“, weniger auf der körperlichen: „Wie groß immer die Bedeutung des Blutes in der Geistes­ geschichte sein mag, das Herrschende ist doch, wenn einmal als Volkstum geboren, der Geist und nicht das Blut.“87 Mit seiner Feststellung, dass das Volkstum „als geistige Wirklichkeit […] auch in fremden Blute“ weiterleben kann, erteilt er dem damals bereits wirkmächtigen völkischen Biologismus und Rassismus eine klare Absage. Als illustrierendes Beispiel führt er das „Hineinwachsen des Juden in deutsche Art“ an88. Wichtiger ist Althaus die theologische Beurteilung der „völkische[n] Besonderung der Menschheit“, die er von seinem christlichen Standpunkt aus zunächst bejaht „als im göttlichen Schöpferwillen und Schöpferreichtum begründet“. Sogleich folgt diesem Ja das Althaussche Aber: „Aber der Christ weiß zugleich, daß die völkische Sonderung nicht nur den Reichtum der Geschichte, sondern auch Grenzen des Verstehens und Hemmung der Gemeinschaft bedeutet.“ Jedes Volk steht für ihn daher vor einer doppelten Aufgabe: „Es soll sich in der ihm anvertrauten Eigenart und besonderen Sendung erfassen und durch Abwehr aller Überfremdung treu behaupten; es muß alles daran setzen, den in seiner Anlage und Geschichte liegenden Schöpferwillen (die ‚Volkheit‘) zu erfüllen. Das bedeutet für alle seine Glieder Treue gegenüber der Volksart und der Volksgemeinschaft.“89 „Zugleich aber soll ein Volk um jene Gemeinschaft und Weite ringen, die von der Einheit der Menschheitsbestimmung zeugt.“90

Die Verfasstheit der Menschheit in verschiedene Völker hat für Althaus seinen Grund im Reichtum der göttlichen Schöpfung, sie ist für ihn somit eine 86 Ebd.; vgl. 3208 Gott, 723. 87 Ebd., 114 f. 88 2806 Leitsätze, 54. Zur Auseinandersetzung Althaus’ mit der sog. „jüdischen Frage“ vgl. Kap. IV, 5. 89 Ebd., 53. 90 Ebd., 54. Die beiden Aufgaben sieht Althaus dabei „keineswegs im Gegensatze zueinander; denn nur Eigene können echte Gemeinschaft miteinander halten, und nur im lebendigen Austausche bildet sich echte Eigenart“ (ebd.). Den Menschheitsaspekt verstärkt Althaus 1931 im „Grundriß der Ethik“ im Zusammenhang eines neu eingefügten Absatzes gegen den nationalistischen „Wert-Vergleiche der Völker“ nochmals: „Damit soll jedes Volk zeugen von der Einheit der Menschheit nach Schöpfung und Bestimmung“ (3108 Ethik, 95; Hervorhebung von Althaus). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Schöpfungsordnung. Diese allerdings weist über sich hinaus auf das Ganze der Menschheit und auf deren Einheit, an der die Völker ebenso arbeiten sollen, wie an der Erhaltung des eigenen Volkes. Indem Althaus die Vielfalt der Völker aus dem göttlichen Schöpferreichtum erklärt, hypostasiert er sie im Rahmen seiner Geschichtstheologie zu metaphysischen Individualitäten. Die Vorstellung der Völker als „Gedanken Gottes“ bei Ranke bzw. als „Ebenbild Gottes“ bei Schleiermacher spielt hier eine große Rolle91. Diese Völkerindividualitäten stellen in Althaus’ Vorstellung organische Einheiten dar, Organismen, in denen die Menschen nur Teile des Ganzen sind. Einzelne sind für ihn daher „nur als Glied des Volkes“ vorstellbar92. Doch diese organologische Vorstellung von Volk und Einzelnem hat bei Althaus klare Grenzen, der Einzelne geht nicht im Volk auf  – aus ethischen und theologischen Gründen. Zum einen ist für Althaus die Verantwortung des Einzelnen, zumal des Christen, zu wichtig. Zum anderen weiß Althaus, dass das Evangelium nicht zu einem Volk kommen kann, wenn es dabei nicht vom Einzelnen ergriffen wird. Was bei Althaus an verschiedenen Stellen seiner Ekklesiologie bereits anklang, soll an dieser Stelle noch einmal näher betrachtet werden: die auffällige wesensmäßige Parallelisierung von Kirche und Volkstum. Zunächst werden beide Größen von Althaus über den Gemeinschaftsbegriff definiert und bestimmt, wobei die Kirche dem Volk als Vorbild dienen soll. Beide sollen eine Liebesgemeinschaft bilden. Diese Gemeinschaft aber umfasst jeweils nicht nur die jetzt Lebenden, sondern ebenso die bereits gestorbenen und die noch kommenden Christen bzw. Volksgenossen. Kirche und Volk werden beide als ein Ganzes begriffen, das Zeiten und Generationen überdauert93. Wie im Glauben, so gilt es auch in der nationalen Politik, „das Erbe einer opferreichen Vergangenheit zu wahren und die Zukunft der kommenden Geschlechter zu bauen.“94 Bezogen sind beide Größen damit auf die Ewigkeit des Reiches Gottes, was beiden ihre Würde gibt, aber sie zugleich auch begrenzt. Werden Kirche und Volk als die Zeiten überdauernde Größen aufgefasst, so gilt für Alt 91 Zu Ranke vgl. Hardtwig, Hochkultur, 43–45; zu Schleiermacher vgl. Kurz, Denken, 31. 92 1904 Erlebnis, 7. Für ihn gilt: „Das Volk ist vor dem Einzelnen da, zeitlich und wesentlich.“ (ebd.). 93 In seiner Auslegung zu Röm 11,16 findet Althaus diesen Gedanken schon bei Paulus, der das von Gott erwählte jüdische Volk „in allen seinen Gliedern und Generationen als Ganzes nimmt“ (3211 Römer, 95). 94 2104 Sozialismus, 93. Zehn Jahre später sieht Althaus die Notwendigkeit, den Begriff des Erbes gegen einen einseitigen konservativen Positivismus abzugrenzen: „Ebenso ist kein geschicht­ liches Erbe […] eindeutig Gottes Gabe. Ob und wieweit ein Erbe uns zur Treue oder zur Umkehr ruft, […] dafür gibt erst der Wille Gottes in seiner heilsgeschichtlichen Offenbarung den Maßstab.“ (3108 Ethik, 29 f.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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haus: Sowohl Kirche als auch Volk sind vor dem Einzelnen da, einen einzelnen Christen oder einen einzelnen Deutschen, Franzosen oder Russen kann es nicht geben, das wäre eine „ganz wirklichkeitsfremde Abstraktion“95. Damit verankert Althaus den Einzelnen innerhalb seiner Volksgeschichte. Die individuelle Lebensgeschichte wird aufs engste verbunden mit der kollektiven Geschichte eines Volkes mit Gott, die die individuelle übersteigt. Völker sind damit für Althaus nicht einfach nur die Summe einzelner Menschen mit gleichen Lebensbedingungen, sondern transzendente und irrationale Größen. Als solche umfassen sie nicht nur die faktisch und jetzt lebenden, sondern als metaphysisch bestimmte Größe ebenso die bereits verstorbenen Volksangehörigen, deren christliches und nationales Erbe es zu wahren gilt, und die noch nicht geborenen, deren Zukunft es vorzubereiten gilt. Der Gedanke der Nachhaltigkeit war somit Althaus’ Volksbegriff immanent. Völker sind nach dieser holistischen Auffassung, der zufolge das Ganze die Summe seiner Bestandteile übersteigt und eine eigene Qualität besitzt, Kollektivindividuen, Wesenheiten mit eigener Persönlichkeit96. Als solche treten sie in Beziehung zu Gott als ihrem Schöpfer und zu anderen Völkern als Mitgeschöpfe. Diese konsequente Schöpfungs­ ordnungstheologie bewahrt Althaus bei aller theologischen Überhöhung der Völker vor Absolutsetzungen. Zuletzt parallelisiert Althaus auch die Vaterlandsliebe mit christlicher Bruderliebe. Für ihn bedeutet das „Wesen der christlichen Bruderliebe“: „Sie ist nicht in den Vorzügen des Bruders begründet, sondern einfach darin, daß er Bruder ist, in der Tatsache der Verbundenheit mit ihm, der Bruderschaft als eines gegebenen Verhältnisses.“97 In gleicher Weise ist für ihn die wahre Vater­ landsliebe gekennzeichnet dadurch, dass sie nicht den Vergleich mit anderen Völkern sucht, sondern ihren Grund im Kleistschen Sinne darin hat, „weil es mein Vaterland ist“. Es lässt sich heute schwerlich entscheiden, ob bei Althaus die Ekklesiologie auf die Wesensbestimmung des Volkes gewirkt hat oder umgekehrt. Fakt ist jedenfalls, dass die beiden Größen bei Althaus ähnliche Wesens­merkmale aufweisen. Was Althaus in früheren Schriften mit dem gottgegebenen „Beruf“ eines Volkes bezeichnet hat, beschreibt er hier mit dem „in seiner Anlage und Geschichte liegenden Schöpferwillen“, was den Gottesbezug noch deutlicher werden lässt, 95 1904 Erlebnis, 7. Schon Hirsch, Schicksal, 82 f. hat die Idee der zeiten- und generationenübergreifenden Volksgemeinschaft. 96 Vgl. 3208 Gott, 723 f., wo er schreibt: „Das Volk ist in seinen Gliedern da. Aber es ist zugleich ‚vor‘ und ‚über‘ ihnen da. Denn es ist nicht die Summe, der Inbegriff von Einzelmenschen gleicher Lebensbedingungen, gleicher Heimat und Art – sondern es ist Mutterschoß, tragender Zusammenhang, in dem allein die Einzelnen ihr Leben haben.“ 97 2903 Communio, 50. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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bzw. mit dem Begriff „Volkheit“98. Eine Definition von „Volkheit“ gibt Althaus in einer Rede 1927, wo es heißt: „Volkheit ist der Wille Gottes über ein Volk“99. Den Begriff und die Idee dahinter übernimmt er von Goethe100. Wenn Althaus von der „Volkheit“ spricht, hat er damit nicht nur das eigene Volk im Blick – gegen eine monomanisch Vergötzung des eigenen Volkes in der völkischen Bewegung wehrt er sich vehement –, sondern zugleich die Menschheitsdimension. So kann er „Volkheit“ auch als „Synthesis des ewigen Gotteswillens über allem Menschentum und der besonderen Volksart“ definieren, die das Volk unter das göttliche Gericht führt101. Der Volkstumsbegriff bleibt bei ihm auf diese Weise – wie schon bei Herder102 – zurückgebunden an den Menschheitsbegriff. Auch dies liegt im Wesen der Althausschen Schöpfungs­ ordnungstheologie, die eine konsequente Schöpfungsordnungstheologie ist103. Wenn nun die „Eigenart“ eines Volkes eine von Gott anvertraute Gabe ist, die zugleich als Aufgabe verstanden sein soll, so ist es für Althaus folgerichtig, die „Abwehr aller Überfremdung“ zu jener Aufgabe zu rechnen. Diese Gefährdung ist für ihn, gemäß seinem Fokus auf die „geistige Wirklichkeit“ des Volkes und dessen „besonderem Seelentum“, geistiger Art, nicht völkisch-rassischer. Merkliche Zugeständnisse an den Zeitgeist macht Althaus allerdings drei Jahre später 1931 im „Grundriß der Ethik“, wo er an dieser Stelle als weitere 98 Zum Gedanken der „Volkheit“ vgl. 3121 Volk, 5; und 2909 Vaterland, 244, wo Althaus schreibt: „Nur vor Gottes Angesicht tritt ja die wirkliche geschichtliche Volksart und die ‚Volkheit‘, des Volkes wahres Wesen, klar auseinander. Die Volkheit ist das Volk, so wie Gott es gedacht hat und sieht.“ 99 2704 Volkstum, 118. 100 Vgl. ebd.: „Goethe hat uns dafür den Ausdruck ‚Volkheit‘ geschenkt“; vgl. 3208 Gott, 749. Der Begriff findet sich im 18. Kapitel des dritten Buches von „Wilhelm Meisters Wanderjahre“, wo es heißt: „Wir brauchen in unserer Sprache ein Wort, das, wie Kindheit sich zu Kind verhält, so das Verhältnis Volkheit zum Volke ausdrückt. Der Erzieher muß die Kindheit hören, nicht das Kind. Der Gesetzgeber und Regent die Volkheit, nicht das Volk. Jene spricht immer dasselbe aus, ist vernünftig, beständig, rein und wahr. Dieses weiß niemals für lauter Wollen, was es will. Und in diesem Sinne soll und kann das Gesetz der allgemein ausgesprochene Wille der Volkheit sein, ein Wille, den die Menge niemals ausspricht, den aber der Verständige vernimmt und den der Vernünftige zu befriedigen weiß und der Gute gern befriedigt.“ (Goethes Werke. Hamburger Ausgabe, Bd. 8, Hamburg 1948 ff., 470). Dass sich diese Goethestelle antidemokratisch und im Sinne von Althaus’ Verständnis von „verantwortlichem Führertum“ lesen lies, ist leicht verständlich. 101 2704 Volkstum, 118. So erlebt für Althaus das Volk vor Gott „unweigerlich das Gericht über seine jeweilige Wirklichkeit […], aber doch zugleich Berufung.“ 102 Schon bei Herder, so Sundhaussen, Einfluß, 37, soll ein Volk das allein ihm „Besondere zum Ganzen der Menschheitsgeschichte beitragen. Damit wird jedem Volk ein Eigenwert zuerkannt, unabhängig von der augenblicklichen Höhe seiner Kultur und Zivilisation. Die Völker sind verschieden und einmalig, damit sie sich gegenseitig ergänzen können“. 103 Eine politische Note erhält Althaus’ konsequente Schöpfungsordnungstheologie im „Dritten Reich“; vgl. 3708 Kirche, 22 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Aufgabe für jedes Volk“ die sogenannte, von ihm in Anführungszeichen gesetzte „Rassenhygiene“104 nennt: „Es ist gehalten seine biologische Gesundheit und Güte zu wahren und wider die Gefahr seiner biologischen Verwahrlosung zu kämpfen (‚Rassenhygiene‘); […] Das bedeutet für alle seine Glieder Verantwortlichkeit für die biologische Erhaltung des Volkes durch gesunden und tüchtigen Nachwuchs“105.

Durch die unorganisch in den ansonsten unveränderten Text von 1928 eingefügten zwei Halbsätze erhält der ganze Absatz eine gewisse biologistische Zuspitzung, wodurch auch die „Abwehr aller Überfremdung“ einen anderen Klang erhält. Da Althaus ein solch biologistischer Zug ansonsten fremd ist, erklärt er sich am ehesten mit einem Zugeständnis an den mittlerweile herrschenden Zeitgeist, sprich als Reaktion auf das mehr und mehr erstarkende völkische und nationalsozialistische Lager106. Nicht zum ersten Mal setzt sich Althaus an dieser Stelle mit der zu damaliger Zeit weltweitweit als neueste Errungenschaft der Wissenschaft gepriesenen und vor allem in völkischen Kreisen adaptierten Eugenik bzw. „Rassenhygiene“ auseinander107. So sind für den stets an sittlichen Fragen interessierten Althaus in einer Sonntagsbetrachtung vom Februar 1917 die „Gesetze der Vererbung“ eine mögliche Befreiung „von dem Fluche des Individualismus“ und eine „Stärkung der sozialen Verantwortungsgefühle“: „Die Alkoholfrage und die Probleme geschlechtlicher Sittlichkeit werden unter dem Gesichtspunkte unserer Pflichten gegen das nächste Geschlecht oder der ‚Rassenhygiene‘ behandelt.“108 Neben der positiven Aufnahme dieses sittlichen Gedankens, der in seinen Augen in der Idee der „Rassenhygiene“ steckt, wird seine Distanz zu ihr nicht nur durch das – allerdings nicht konsequente – Setzen von Anführungszeichen verdeutlicht. Der Gefahr von negativer Eugenik und Euthanasie, die in der Idee der „Rassenhygiene“ spürbar mitschwang, war sich Althaus als christlicher Ethiker bereits damals bewusst, und so sah er sich in einer späteren Sonntagsbetrachtung vom Juni 1918 gezwungen, auch dazu das Wort zu ergreifen: „Bei aller Freude 104 Zum Begriff der „Rassenhygiene“ als Eindeutschung von „Eugenik“ vgl. Mohler/Weissmann, Revolution, 40 f. 105 3108 Ethik, 94; vgl. 3121 Volk, 5. 106 Dafür spricht auch seine Nennung von Adolf Hitlers „Mein Kampf“, Alfred Rosenbergs „Mythus des 20.  Jahrhunderts“, Max Maurenbrechers „Der Heiland der Deutschen“ und Fritz Lenz’ „Menschliche Auslese und Rassenhygiene“ in den Literaturangaben. Selbstverständlich ist aus der Nennung dieser Titel keinerlei Zustimmung abzulesen. Mit Rosenbergs „Mythus“ setzt sich Althaus von Beginn an kritisch auseinander; vgl. Kap. IV, 7.2.2. 107 Zur weltweiten Verbreitung der Eugenik im 20. Jahrhundert vgl. Black, War. 108 1708B Sonntagsbetrachtung; zit. nach und vgl. Liebenberg, Gott, 468, Anm. 513. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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an gesundem und hochwertigem Leben, bei aller Zustimmung zu vielen Forderungen der Rassenhygiene: auch das entartete, schwache, verkrüppelte Leben bleibt uns heilig.“109 Vor dem Hintergrund dieser von Althaus bereits während des Krieges eingenommenen Haltung ist seine öffentliche Kritik an den „rassehygienischen“ Maßnahmen des NS-Regimes im Jahr 1933 nur konsequent110. Auch an anderer Stelle, bei der Verteidigung des christlichen Ehe- und Familienverständnisses gegen „rassenhygienisch“ begründete Angriffe völkischer Kreise, setzt sich Althaus kritisch mit der Sichtweise der „Rassenhygiene“ auseinander, nicht ohne deren prinzipielles Anliegen zu befürworten111. So schreibt er dazu: „Die Sorge um den Nachwuchs unseres Volkes, hinsichtlich seiner Quantität und Qualität, teilen wir ernstlich mit den Rassehygienikern. Es ist gewiß hohe Zeit, daß die Verantwortung für die völkische Zukunft von dem jetzigen Geschlechte in ihrer Schwere erfaßt und mit der Tat bejaht wird! Aber mit welcher Tat? Daß das junge Geschlecht seinen Leib für die Ehe rein und stark halte; daß der junge Mann in der Gefährtin auch die Mutter seiner Kinder wähle“112.

Sein Anliegen ist also auch in diesem Fall primär ein christliches, nämlich die Heilighaltung des christlichen Ehe- und Familienverständnisses. Als Konsequenz daraus sieht er dadurch auch die Zukunft des deutschen Volkes als christliches Volk gesichert. Wie schon in früheren Schriften angedeutet, lebt ein Volk für Althaus nicht nur in der Gegenwart, sondern es ist eine „über die Jahrhunderte reichende Lebenseinheit“, d. h. die Vergangenheit, die Geschichte des Volkes will ebenso immer mitbedacht sein wie die Zukunft des Volkes. Auch dieser Gedanke klingt an, wenn er von der Erfassung der „anvertrauten Eigenart und besonderen Sendung“ eines Volkes spricht113. Mit anderen Worten ausgedrückt, geht es Althaus 109 1826B Sonntagsbetrachtung; zit. nach und vgl. Liebenberg, ebd. 110 Vgl. 3305 Leben. 111 2906 Ehe, 6–8. Auch hier setzt er „Rassenhygiene“ in Anführungszeichen. Dieses Befürworten wird von Seiten der Rassehygiene in einer Rezension zu Althaus wohlwollend aufgenommen, allerdings wird zugleich im Blick auf seine Kritik angemerkt, „es ist bedauerlich, wenn durch ein Mißverständnis weite Kreise der gebildeten evangelischen Jugend die Rassenhygiene von einer ihnen nicht sympathischen Seite kennenlernen.“ (Kara Lenz-v. Borries, Rezension zu Althaus, Ehe. In: Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 1931, 451); vgl. 2806 Leitsätze, 50. 112 2906 Ehe, 6 f. 113 In 2305 Staatsgedanke, 40 wird diese Vorstellung vom Volk als „deutscher Staatsgedanke“ gegen den westlichen, demokratischen ins Feld geführt, der nur die Gegenwart, das Tagesgeschäft im Blick habe. So heißt es demgegenüber in seinem Plädoyer für ein „verantwortliches Führertum“: „Politik ist Dienst an einem Anvertrauten, an einer Vergangenheit, deren Erbe gedeutet und gewahrt, an einer Zukunft, die gewagt werden soll, Dienst an etwas über dem Volke“, nämlich dem gottgegebenen Beruf bzw. der Volkheit. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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bei seinem Volkstumsbegriff nicht nur um die romantische Vorstellung von der Erhaltung eines wie auch immer zu identifizierenden „Erbes“ der vorangegangenen Generationen und um die Solidarität und Nächstenliebe der aktuell lebenden Volksangehörigen aller Generationen, sondern auch um deren Nachhaltigkeit in Politik und Wirtschaft im Blick auf die kommenden Generationen. Diese drei Aspekte, die Althaus mit den Begriffen „Volkheit“ und „Volksberuf“ beschreibt und an den Menschheitsbegriff angliedert, gilt es für ihn sowohl innen- als auch außenpolitisch zu beachten. Im äußersten Fall darf in seinen Augen um des „Volksberufs“ willen auch ein Krieg nicht gescheut werden114. Wie schon in seinen Schriften über die Kirche kommt Althaus auch an dieser Stelle seiner „Leitsätze zur Ethik“ auf die Aufgabe der Kirche dem Volk gegenüber zu sprechen, ein deutlicher Hinweis darauf, wie wichtig ihm die bereits 1918 formulierte „Volkstumsseelsorge“ ist. Grundlegend ist für Althaus die Überzeugung, „daß das Leben des Volkes seinen Sinn empfängt von etwas, das weiter und größer ist als es selber – nicht von einer Internationale irgendwelcher Art, aber von dem für alle Völker kommenden Reiche Gottes, dem sich zuzubereiten und den Weg zu bahnen jedes Volk eigentlichster Beruf ist.“115

Aus dieser von ihm angenommenen Bezogenheit der Völker auf das Reich Gottes folgt für Althaus nun eine doppelte Aufgabe der Kirche am Volk: „Sie bietet die Kräfte der Treue und Gemeinschaft im Volke, den Ernst und Mut zur Reinigung des Volkstums auf die Volkheit hin; aber sie erweckt auch den Willen zu übervölkischer Gemeinschaft in der Gewißheit des in Christus angebrochenen (Gal. 3,28), durch ihn kommenden Gottesreiches.“116

Anhand seines Volkstumsbegriffs, den er theologisch bestimmt, und besonders mittels der von ihm angenommenen „Volkheit“, also dem „Willen Gottes über ein Volk“, gelingt es Althaus, die Relevanz von Theologie und Kirche für die deutsche Gesellschaft herauszustellen. So setzt auch für Tanner die „Volkheit“ bei Althaus „immer schon jene theologische Gesamtperspektive voraus, in der die Geschichte von ihrem Ziel her, dem Reich Gottes, betrachtet werden kann.“117 Aus dieser theologischen Gesamtperspektive lässt sich anhand der propagierten „Volkheit“ sowohl Kritik am Gegenwärtigen üben als auch eine 114 So schreibt er in seinem RGG-Artikel „Krieg und Christentum“ zum „Konfliktsfall“: „Dem lebenden Geschlecht ist eine Volksvergangenheit und -zukunft zu treuen Händen anvertraut.“ (2915 Krieg, 1308). 115 2707 Staat, 121. 116 2806 Leitsätze, 54. 117 Tanner, Verstaatlichung, 254; vgl. ebd., 248. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Kompetenz für zukunftsweisende, religiös und ethisch begründete, Vorstellungen ins Volk tragen. An der Kirche sollte die Politik in Volkstumsfragen nicht mehr vorbeigehen können. Welchen Volksbegriff hat nun Althaus nach dem bisher Gesagten? Fußend auf einem „ethnischen Gemeinsamkeitsglauben“ (Stefan Breuer), denkt, fühlt und glaubt Althaus Volk primär und entscheidend geistig-kulturell bzw. theo­ logisch. Es ist für ihn eine „geistige Wirklichkeit“, die sich in gemeinsamer Sprache, Sitte, Kultur, christlichem Glauben und gemeinsamem Ergehen der einzelnen Volksangehörigen in Geschichte, Gegenwart und Zukunft manifestiert. Bestimmendes Element ist für ihn der christliche Glaube, der das eigene Volk, aber eben auch alle anderen Völker als Gottes Geschöpfe und damit Gott gegenüber verantwortliche Kollektive erfassen lehrt. Auf diese Weise ist es ihm möglich, seiner Überzeugung einer gegenseitigen stabilisierenden Wechselwirkung von Nationalbewusstsein und Religiosität bzw. Kirchlichkeit Ausdruck zu verleihen, indem er eine Vision von volksverbundener Kirche und kirchenverbundenem Volk entwickelt. Bei allem Festhalten an einem ethnischen Gemeinsamkeitsglauben verhindert bei Althaus der Fokus auf die „geistige Wirklichkeit“ des Volkstums, der für ihn selbstverständlich auch eine „geistige Fortzeugung“ des eigenen Volkstums in „fremdem Blute“ zulässt, eine ethnisch-rassische Zuspitzung des Volkstumsbegriffs. Völkische Ideologie findet sich somit in Althaus’ Volkstumsbegriff nicht118. So spricht auch Hamm bei Althaus von einem „vergeistigenden Volkstumsdenken, das – etwa in Anknüpfung an Paul de Lagarde – das Besondere und zu Pflegende des eigenen Volkstums vor allem im Geistigen sieht und dabei seine Blutbestimmtheit zwar nicht ausschließt, aber doch ganz in den Hintergrund treten läßt“119. Erst der neue, nunmehr vorherrschende 118 Breuer, Völkischen, 8 weist darauf hin, dass die Überzeugung, einer mehr oder minder konstruierten Abstammungsgemeinschaft anzugehören, kein hinreichendes Kriterium für völkisches Gedankengut ist. Zum einen ist für ihn der „ethnische Gemeinsamkeitsglaube“ eine „viel zu weit verbreitete und gerade heute in Gestalt der ‚ethnischen Mobilisierung‘ überall auf dem Globus anzutreffende Erscheinung, als daß sie eine historische Besonderheit wie die völkische Bewegung in Deutschland hinreichend zu erklären vermöchte“. Zum anderen bringt für ihn „das Kriterium des Abstammungsglaubens […] eine Ausweitung mit sich, da es, wenn nicht für alle, so doch für zahlreiche ethnische Großgruppen typisch ist, zum Beispiel auch für das deutsche Judentum, das sich selbst immer wieder als ‚Schicksals- und Stammesgemeinschaft‘ (Ludwig Holländer) gedeutet hat“ (ebd., 9). Breuer schreibt weiter: „Selbst Erich Fromm betont in seiner Dissertation von 1922, die stärkste Kraft, die alle Juden verbinde, bleibe die ‚rassen- und stammesmäßige Bindung‘ […]. Gewiß, Ethnizität wird in allen diesen Fällen offen gedeutet, aber um Ethnizität handelt es sich allemal. Auch dies ein Grund, auf einer begrifflichen Differenzierung zwischen ‚völkisch‘ und ‚­ethnisch‘ zu beharren“ (ebd., 9, Anm. 14). 119 Hamm, Elert, 220, Anm. 41. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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rassenideologische Zeitgeist nach 1933 lässt auch Althaus diesbezügliche Zugeständnisse machen, die ihn „über den einseitig geistigen Volksbegriff des 19. Jahrhunderts“120 hinausgehen lässt. 3.2.3 Die „Vaterlandsliebe“ und die Verbundenheit mit „allem Menschentum“ Althaus, der sich in seinen Veröffentlichungen in den 20er Jahren immer wieder mit Fragen des Volkstum und des Vaterlands befasst, gilt in dieser Zeit als der theologisch-kirchliche Fachmann auf diesem damals so hochaktuellen Gebiet. So wundert es nicht, dass er zum einen als Fachreferent auf den Königsberger Kirchentag 1927 geladen wird und über „Kirche und Volkstum“ spricht121 und dass er zum anderen um Beiträge zu diesem Themenbereich in Sammelbänden und Lexika gebeten wird. So schreibt Althaus für den vom Jenaer Studentenpfarrer Georg Muntschick 1929 herausgegebenen Sammelband „Der Student vor Gott“ den Artikel „Das Vaterland“. Das Buch will „Motive zur Neugestaltung des inneren Lebens in der deutschen akademischen Jugend“ beleuchten, es will der Studentenmission dienen122. Neben diesem eher im Vortragsstil gehaltenen Artikel verfasst Althaus für die zweite Auflage des theo­logischen Standardlexikons „Religion in Geschichte und Gegenwart“ (RGG) die Artikel „Vaterlandsliebe (Patriotismus)“ (1931) und „Chauvinismus“ (1927). Ganz offenbar wurde bereits damals die Althaussche politische Ethik im Spannungsfeld zwischen Liebe zu Volk und Vaterland und der Zurückweisung von Nationalismus und Chauvinismus gesehen. In den beiden Beiträgen „Das Vaterland“ und „Vaterlandsliebe“ verwendet Althaus die Begriffe „Volk“ und „Vaterland“ vielfach synonym, wobei für ihn im Vaterlandsbegriff in erster Linie die ihm so wichtige Verbundenheit von Volk und Staat zum Ausdruck kommt. Der Begriff „Vaterland“ spiegelt für ihn „die Wirklichkeit unseres Lebens, daß es nämlich äußerlich und innerlich von dem Leben des Volkes und der Existenz seines Staates getragen und bestimmt ist“, wider. Vaterlandsliebe ist für ihn daher „Liebe sowohl zu den eigenen Volk wie zu seinem Staat.“123

120 3708 Kirche, 18. 121 Vgl. Kap. IV, 3.3.4. 122 Vgl. die Rezension in den „Mitteilungen“ der DCSV im WS 1929/30, Nr. 5 (15.2.1930). 123 3116 Vaterlandsliebe, 1441. Er schreibt weiter: „Sie ist mehr als die bloße Heimatliebe oder auch die Liebe zum Volkstum und seiner Kultur; sie ist mehr auch als die Liebe zum Staat als rechtlicher Ordnung. Wie in dem Begriffe ‚Vaterland‘ Natur und Geschichte, Volkstum und Staat beieinander sind, so der Regel nach in der V[aterlandsliebe].“ Vgl. 3108 Ethik, 102. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Dass diese Liebe zum Staat auch dem zur Zeit der Abfassung des Artikels 1930/31 real existierenden deutschen Staat, der Weimarer Republik, gelten kann und soll, stellt Althaus nicht prinzipiell in Frage, wenn er auch auf die Gefahr der „Entkräftung und Entstellung des Staates“ hinweist124 – ein Signal für das Althaussche Unbehagen an der Weimarer Republik, die allgemein als schwacher Staat empfunden wurde. Wie selbstverständlich für Althaus die Liebe zu Volk, Staat und Vaterland ist und wie unvorstellbar ihm ein Leben ohne Vaterlandsliebe ist, macht er deutlich, wenn ihm ein solches Leben „in jedem Falle“ als „gelähmtes oder krankes Leben“ erscheint. Die „Wirklichkeit des Vaterlandes“ und damit auch die Vaterlandsliebe, die ihm als „ein natürlicher Zug des menschlichen Herzens, wie Vater- und Mutterliebe“ gilt, ist ihm in seinem Denken und Fühlen eine unumstößliche Tatsache. Alles andere erscheint ihm unnatürlich. So konstatiert er: „Wo die V[aterlandsliebe] fehlt, da ist entweder das Leben des Menschen noch nicht zu seiner ganzen Wirklichkeit erwacht, oder die Wirklichkeit des ‚Vaterlandes‘ wurde durch geschichtliches Schicksal und Schuld verschüttet oder künstlich durch Theorien verdeckt.“125

Was Althaus in seinem Lexikon-Artikel nur andeutet, führt er in seinem an die Studenten gerichteten Beitrag, der diese – ganz in seiner Absicht zur Studentenmission begründet – bei ihrer eigenen Weltanschauung abholen soll, näher aus. Dabei wird Althaus in seiner Kritik an Weimar sehr deutlich: „Der Jammer der Nachkriegsjahre, die bitteren Enttäuschungen an unserem Volke, die Stickluft des Parteiwesens, die brutale Last der wirtschaftlichen Fragen, der Schwall großer weltbürgerlicher Worte und Ideen – unter dem allen wurde die heilige Flamme vieler schier erstickt. Vaterland! – ist es nicht erst ein Jahrzehnt her, daß das Schattenwort Blut getrunken, das Blut unserer Brüder, und eine lebendige, hinnehmende Wirklichkeit geworden? Und heute? Wie blutleer ist es vielen wieder geworden! Sie sehen Parteien, ‚Verbände‘, Klassen und ihren Kampf, Parlamente und Ministerien – wo ist das Vaterland?“126

Doch trotz all dieser Kritik an den gegenwärtigen Verhältnissen ist Althaus dennoch hoffnungsfroh und kann seine studentischen Leser beruhigen: „Wir lieben unser Volk. Es ist noch da, das deutsche Volk. Unser Auge schaut hindurch 124 Ebd. Schon in 2910 Vaterland, 243 weist Althaus auf die Liebe zum Staat hin: „Das Vaterland lieben, heißt nicht nur: das Volk lieben, sondern auch: den Staat lieben. Denn mein Volk ist seiner selbst mächtig und zum eigenen Leben tüchtig nur dadurch, daß es seinen Staat hat. […] Der Staat ist die Freiheit. So ist der Staat unser Stolz.“ 125 3116 Vaterlandsliebe, 1441 f. 126 2910 Vaterland, 240. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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und sieht doch mehr als Parteien, Klassen, Parlamente; es sieht mehr als Gebildete und Massen“127. Gewährsmänner für die von ihm propagierte Liebe zu Volk, Staat und Vaterland sind ihm in beiden Artikeln Ernst Moritz Arndt und Heinrich von Kleist; der eine, um die Vaterlandsliebe ausdrücklich zu forcieren128, der andere, um sie von Nationalismus und Chauvinismus abzugrenzen129. An Arndts Topos vom Vaterland als „heiliges Land“, als das „Allerheiligste auf Erden“130 knüpft Althaus an, indem er von der „Verbundenheit unseres Lebens mit dem Vaterlande“ als „Gottes Schöpferordnung“ spricht131. In seinem ebenfalls 1931 erschienenen Artikel „Volk“ rechnet Althaus das Volk zu den „Ur-Ordnungen unseres Lebens“132. Damit ist einmal mehr ausgesprochen, dass Volk und Vaterland nicht nur göttliche Gabe, sondern auch göttliche Aufgabe sind, so dass für Althaus die Vaterlandsliebe „die Würde und den Ernst eines göttlichen Gebotes“ besitzt133 und daher auch „die Hingabe an das den Einzelnen tragende Leben seines Volkes und Staates in Freude, Stolz, Leiden, Dankbarkeit, Treue, Dienst- und Opferwillen“ impliziert134. „Aus Gottes, des Schöpfers Hand nehmen wir unsere Bindung an Volk und Vaterland. Von ihm wissen wir das Vaterland uns anvertraut. So ist die Treue, mit der wir in dieser Verbundenheit stehen, Treue gegen den Herrn selber. Er wird uns am letzten Tage fragen auch nach jener Treue135. Darum nennen wir das Vaterland und Volks 127 Ebd., 241; vgl. 3121 Volk, 4. 128 Zu diesem Zweck zitiert Althaus in 2910 Vaterland, 239 eine längere Passage aus Arndts „Kate­chismus für den deutschen Wehrmann“ von 1809 mit seinem Spitzensatz: „Daß keine Liebe dir heiliger sei als die Liebe des Vaterlandes“. Zu Althaus’Arndt-Rezeption während des Krieges vgl. Liebenberg, Gott, 355 f. 129 Heinrich von Kleist galt aufgrund seiner während der französischen Vorherrschaft und Expansion in Europa forcierten patriotischen Themen insbesondere gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Gewährsmann für deutsches Nationalbewusstsein. Es spricht für die differenzierte Betrachtungsweise Althaus’, dass er gerade mit Kleist gegen den Nationalismus argumentiert. 130 2910 Vaterland, 239. 131 3116 Vaterlandsliebe, 1442. 132 3121 Volk, 4. 133 3116 Vaterlandsliebe, 1442. Dementsprechend stilisiert er die Vaterlandsliebe zu „Gottes Willen und Gabe“ (ebd.). 134 Ebd. An die studentischen, vielfach völkischem Denken unterworfenen Leser, die es für den christlichen Glauben zu gewinnen gilt, klingt das 1929 pathetischer: „Dieses Vaterland hat ein Recht auch auf unser Opfer, […] auf die völlige Treue, auf den Ernst der Verantwortung für alle deutsche Blut, für die ganze Volksgemeinde. Dieses Vaterland hat ein Recht auf uns – bis hin zum Opfer des Lebens. […] In alledem wissen wir uns Schulter an Schulter auch mit vielen, die von unserem Gott nicht wissen und unseren Herrn Jesus Christus nicht anrufen. Wir aber wollen mit unserer Liebe zum Vaterlande vor Gott stehen.“ (2910 Vaterland, 244). 135 Diesen das Vaterland in den Rang eines Glaubensgegenstandes emporhebenden Gerichts­ gedanken hat Althaus bei Hirsch, Liebe, 22 vorgefunden, wo es heißt: „Wer da glaubt, der weiß, © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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tum und Vätererbe ‚heilig‘ – nicht als ob es an sich ein letzter, unbedingter ‚Wert‘ wäre, sondern weil Gott uns hier band und wir dem Vaterlande vor Gott […] verantwortlich sind. Vaterlandsliebe vor Gott! Das gibt ihr den völligen Ernst, da ist jede Halbheit Sünde wider ihn.“136

Die Liebe zu Volk, Staat und Vaterland aber hat nicht nur positive Vorzeichen für Althaus, sondern sie hat eine Kehrseite: „Wie alle echte Liebe trägt auch die V[aterlandsliebe] Zorn und Haß in sich wider alle Bedrohung des Lebens des Vaterlandes, von innen und außen, gegen die Entartung des Volkstums und die Entkräftung und Entstellung des Staates.“137

Was im RGG-Artikel recht abstrakt angedeutet wird, bekommt im Beitrag für den studentischen Leser mehr Konkretion, zunächst gegen die „Bedrohung von innen“: „Wer seines Volkes Art liebt, der haßt alle Entartung und Unart. Wir hassen die Treulosigkeit und Trägheit, die das Erbe verschleudert, die würdelose Ausländerei, die uns in Theater und Tanz, in Literatur und Musik zu Affen und Sklaven fremder schlechter Mode macht. Wir hassen das Gift, das aus den Großstädten durch dekadente Literatur, Presse und Bühne ins Land strömt, die Schändung der Liebe zwischen den Geschlechtern, das Spiel mit der Heiligkeit der Ehe, die Entwürdigung des Ehebettes, die unsere Kinderstuben verödet. Wir kennen Feinde unseres Volkes in seiner Mitte, Menschen, die seine Sprache reden, sein Brot essen und dennoch seine Verderber sind. Wir können unser Volk nicht lieben ohne Feinde zu haben, ohne zu zürnen und zu kämpfen. Die Liebe wird hart und streng, wo sie den Trug und die Verführung am Werke sieht.“138

Was Althaus in den „Leitsätzen zur Ethik“ mit „Abwehr aller Überfremdung“ bereits angesprochen hat, wird hier im Sprachgebrauch noch einmal deutlich verstärkt als „Haß“ auf die „Ausländerei“ und „fremde Mode“. Inhaltlich bleibt die Zielrichtung die gleiche: Es geht Althaus „um die Grundlagen eines christlichen Volkslebens, um die Heiligkeit der Ehe, um Reinheit und Ernst der Verdaß Gott ihn auch einmal fragen wird, wie er dem Vaterland die Treue gehalten hat.“ Viele Aspekte zu Volk und Vaterland, die Althaus in seinen beiden Beiträgen 1929 und 1931 anspricht, findet er bei Hirsch vor: die Annahme der Natürlichkeit der Vaterlandsliebe, die Unterscheidung zwischen „geheiligter“ und „ungeheiligter“ Vaterlandsliebe bzw. Nationalismus, die vorbereitende Funktion der Vaterlandsliebe für das Gottesreich, die Einordnung der einzelnen Völker ins Ganze der Menschheit, die mögliche Pflicht zum Krieg und der Gedanke der Gemeinschaft der Völker im Krieg. 136 2910 Vaterland, 244. 137 3116 Vaterlandsliebe, 1441. 138 2910 Vaterland, 243. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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antwortung für neues Leben“139. Durch das in seinen Augen dekadente Leben in den Großstädten sieht er die christlich-sittlichen Grundlagen des Volkslebens massiv bedroht. Unter „Feinde unseres Volkes in seiner Mitte“ versteht Althaus dabei wohl nicht nur die eigenen, sich der Dekadenz hingebenden „Volksgenossen“140, sondern Ende der 20er Jahre nun auch das säkularisierte „moderne Kulturjudentum“, dem er einen negativen geistigen Einfluss auf das deutsche Volk unterstellt141. So wie Arndt für Althaus in seinem Artikel von 1929 der Gewährsmann für einen theologisch aufgeladenen Vaterlandsbegriff ist, so gilt ihm Kleist sowohl 1929 als auch 1931 als Zeuge für eine christlich gereinigte Vaterlandsliebe, gegen Nationalismus und Chauvinismus. So heißt es in dem RGG-Artikel: „Die natürliche V[aterlandsliebe] gilt dem Vaterlande, ‚weil es mein Vaterland ist‘ (H. v. Kleist)142. […] Sie ist nicht in dem besonderen Werte des eigenen Vaterlandes begründet, sondern in der ursprünglichen Verbundenheit des Lebens. […] Daher braucht die V[aterlandsliebe] nicht den Vergleich des eigenen mit anderen Völkern und Staaten, um sich zu entzünden, nicht die Geringschätzung der anderen, um sich zu behaupten. Der Chauvinismus ist eine Entstellung der V[aterlandsliebe].“143

„Chauvinismus“ definiert Althaus in seinem gleichnamigen RGG-Artikel als „eitle unsachliche Einschätzung der eigenen Nation, Blindheit für Lebensrecht und Wert der anderen Nationen, krankhafte Reizbarkeit des nationalen Ehrgefühls.“144 Zugleich grenzt sich Althaus, dabei Herdersche und Schleiermachersche Vorstellungen aufgreifend, gegenüber dem Nationalismus ab:

139 2407 Erlebnis, 30. 140 Vgl. seine Aussage in 2704 Volkstum, 119: „Das Fremde findet Bundesgenossen und Ver­räter bei uns selbst.“ 141 Vgl. Kap. IV, 5.3. 142 Das Zitat stammt aus Kleists „Katechismus der Deutschen“ und findet sich dort in einem Dialog zwischen einem Vater und seinem Sohn, der sich dagegen wehrt, etwaige deutsche Vorzüge als Grund für die Vaterlandsliebe anzuführen. Schon Hirsch begann seinen Vortrag „Die Liebe zum Vaterlande“ mit diesem Dialog. 143 3116 Vaterlandsliebe, 1442. In 2910 Vaterland, 240 heißt es: „Wir lieben das Vaterland nicht, weil es höheren Wertes wäre als andere Länder, sein Volk von edlerer Rasse, reicheren G ­ aben, herrlicheren Tugenden, seine Helden würdiger und gewaltiger, seine Denker tiefer. Vieles davon wird wahr sein. Aber nicht deswegen lieben wir Deutschland. Wir lieben es, weil es unser Vaterland ist, der Mutterschoß, der uns trägt, das große Leben, das unser kleines umfängt und nährt“. Denn echte Liebe, so Althaus, „braucht nicht Geringachtung der anderen, Blindheit für die Herrlichkeit anderer Völker, sie braucht und sucht keinen Vergleich, um selber als Liebe bestehen zu können“ (ebd., 241); vgl. 3208 Gott, 749 f. Ein nationalistisches Vergleichen lehnt Althaus bereits während des Krieges ab; vgl. 1606 Stellung, 32 f. 144 2708 Chauvinismus, 1496. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Vor Gottes Angesicht scheidet sich die Liebe zum Vaterlande von allem ‚Nationalismus‘, der das Vaterland und den Staat selber zum Höchsten, zum Gotte macht, von dem alle anderen Werte erst gesetzt werden, der das Maß für Recht und Unrecht ist, selber Gesetzgeber und höchste Norm. Einer ist Gott, und der ist über dem Volk und Staate. Er hat auch noch andere Völker. Er hat uns nebeneinandergestellt und will, daß wir miteinander leben. So können wir nicht in eitler Überhebung die anderen für nichts achten und ihr Lebensrecht bestreiten. Die von Christus geheiligte Vaterlandsliebe ist von der wilden, blinden Leidenschaft, die keinen Herrn, darum keine Grenze des Anspruchs und der Machtgier kennt, scharf geschieden. Sie freut sich auch der anderen Völker in ihrer besonderen Art und ehrt in jedem von ihnen einen eigenen Gedanken Gottes“145.

Wie so oft in den seine Volkstumstheologie betreffenden Schriften beendet Althaus auch seine beiden Beiträge über das Vaterland und die Vaterlandsliebe mit dem seine Leser in die Pflicht nehmenden Bekenntnis zur Gemeinschaft der Völker bzw. zur Menschheit und deren Bezogenheit auf das Reich Gottes. Die „Wirklichkeit“ von Volk und Vaterland hat damit nicht das letzte Wort, sondern die Einsicht: „V[aterlandsliebe] im Angesichte Gottes schließt die Freude an dem, was Gott anderen Völkern gab, und das Bewußtsein, auch ihnen und allem Menschentum verbunden und verpflichtet zu sein, nicht aus, sondern gehört mit ihm zusammen.“ „So ordnet sich die V[aterlandsliebe] der Hingabe an das Reich Gottes, in das alle Völker berufen sind, ein. Sie will das Vaterland für Gottes Reich: unser Volk soll Gott dienen mit seiner besonderen Gabe.“146

145 2910 Vaterland, 245. Die Ablehnung einer „Vergöttlichung des Vaterlandes“ findet auch Eingang in Althaus’ Ethik-Lehrbuch: „Die christliche Gemeinde kämpft wider diese Entartung der Vaterlandsliebe, indem sie Gott als den Herrn, den Herrn aller Völker und als Ziel der Geschichte das Reich Gottes verkündigt. Vaterlandsliebe vor Gott hat mit nationaler Selbstzufriedenheit und ­Eitelkeit nichts zu tun.“ (3108 Ethik, 103). Die wirkmächtige geschichtsphilosophische Vorstellung, die als jeweilige Individualitäten gedachten Völker seien „Gedanken Gottes“, übernimmt Althaus von Leopold von Ranke. Deutlich macht er dies in 2504 Beziehungen, 42: „Geschichte ist Nationengeschichte (Ranke). Sie ist Menschheitsgeschichte als Nationengeschichte. Die Völker sind Lebewesen der Menschheit.“ Vgl. Hardtwig, Hochkultur, 43–45. 146 3116 Vaterlandsliebe, 1442. Dass es in diesem gemeinsamen Dienst der verschiedenen Völker an Gottes ewigem Reich zu einem Widereinander der Völker kommen kann, ist für Althaus eine geschichtsphilosophisch begründete Selbstverständlichkeit. Aber er zeigt sich überzeugt, es kann „auch da, wo gerungen und gezürnt werden muß […], Gemeinschaft bleiben, ein Boden des Friedens jenseits des unentrinnbaren Widerstreites, Tatbekenntnis zur una sancta, zu dem einen Reiche Gottes, in das einmal die heute so wirr neben-, durch- und widereinander laufenden Wege der Völker miteinander einlaufen werden“ (2910 Vaterland, 246). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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3.2.4 Althaus’ Haltung zu den „Rassen“ Zum ersten Mal setzt sich Althaus in seinen „Leitsätzen zur Ethik“ 1928 eigens mit dem Thema der „Rassen“ auseinander. Der von ihm vor 1933147 insgesamt nur sehr selten gebrauchte Begriff kam bei ihm zuvor meist entweder in ablehnendem Zusammenhang vor, z. B. wenn er sich gegen das nationalistischvölkische und rassistische Gerede von der deutschen „Edelrasse“ verwahrt148, oder bei der Charakterisierung der unsichtbaren, wahren Kirche „aus allen Völkern und Rassen“. Neutral gebraucht er ihn auch bei der Charakterisierung der sichtbaren Kirchen, die in seinen Augen die „natürlichen Sonderungen nach Rasse und Volkstum“ widerspiegeln149. Noch 1929 kann er „Rasse“ aber auch als wertfreies Synonym für „Volk“ benutzen150. Nun widmet er ihm einen eigenen Paragraphen, der in erster Linie der Abwehr eines biologistischen Rassismus dient und stattdessen die christliche Mission unterentwickelter Völker bzw. eben Rassen im paternalistisch-kolonialistischen Geist im Blick hat. In seinen Formulierungen zum Thema der „großen übervölkischen Menschheitsgruppen (‚Rassen‘)“ fällt gegenüber denen zum Volkstum eine erkennbare Zurückhaltung auf, z. B. wenn er den Begriff in Anführungszeichen verwendet151. Zunächst zeigt sich Althaus skeptisch gegenüber den Ergebnissen der weltweit verbreiteten, modernen Rassenforschung: „Schon in der nur körper-beschreibenden Anthropologie ist der Begriff […] durchaus unsicher […]. Vollends ungeklärt ist, ob den körperlichen Merkmalen einer ‚Rasse‘ auch ein bestimmtes Seelentum entspricht. Volkstum bezeichnet ein besonderes Seelentum, Rasse nicht ohne Weiteres.“152 147 Nach 1933 passt Althaus seinen Sprachgebrauch den Sprachregelungen der neuen Zeit an und spricht nun häufiger von „Rassen“, doch bleibt diese neue Verwendung des Rassebegriffs unreflektiert. 148 So z. B. in 1606 Stellung, 33; oder 1602 Vaterlandsliebe II, 2, wo er sich von den „krausen, wirren Gedanken“ „hochmütige[r] Rassetheorien“ und von „überspanntem Rassebewußtsein“ distanziert. In ablehnendem Zusammenhang fällt der Begriff „Rasse“ auch in 2602 Nationalerziehung, 93; oder 2105 Kreuz, 33, wo Althaus gegenüber Spengler die Einheit der Menschheit hervorhebt. 149 2408 Kirche, 85. 150 So schreibt er in 2915 Krieg, 1307 im Zusammenhang seiner Geschichtsphilosophie des Völkerlebens: „Der Wille eines jungen, erwachenden Volkes zu eigener Staatlichkeit findet schon verfestigte Verhältnisse und einen Gegenwillen vor. […] Die Rassen sind im Wandern und drängen sich. Das Durcheinander der Völker schafft schwere völkische und staatliche Fragen“. Zugleich findet sich hier ein beredtes Beispiel dafür, wie Althaus den Begriff „völkisch“ als wertfreies Adjektiv zu Volk verwendet. 151 Diese Zurückhaltung nimmt in dem im Großen und Ganzen unveränderten Paragraphen über „Die Rassen“ in 3108 Ethik drei Jahre später noch zu. 152 2806 Leitsätze, 67. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Doch auch Althaus geht trotz dieser Skepsis davon aus, dass die Rassen „heute auch tiefgehende seelische Verschiedenheiten aufweisen“, ebenso wie eine „gegenwärtige Verschiedenwertigkeit“, obwohl er „oberflächliche zivilisatorische Maßstäbe“ in dieser Frage ablehnt153. Entsprechend seiner Annahme eines kulturell-vitalen Alterungsprozesses bei den verschiedenen Völkern spricht er auch bei den Rassen von einer „kulturelle[n] Ungleichzeitigkeit (d. h. der Unterschied der Rassen in der Reife und Tüchtigkeit zu geschichtlichem Leben, auch die Unfähigkeit der Unmündigen zur Verwaltung ihrer Naturschätze zugunsten der ganzen auf sie angewiesenen Menschheit)“154.

Bei dieser „Verschiedenwertigkeit“ handelt es sich für ihn allerdings nur um eine gegenwärtige, die „keinesfalls als endgiltige angesehen werden“ darf. Weil die Unterschiede für ihn „keineswegs […] allein“ die „naturhafte Anlage“ zum Grund haben, „sondern ebensosehr durch Geschichte, kulturelle Lebensbedingungen usw.“ bedingt sind, kann „die seelische Bestimmtheit einer Rasse nichts schlechthin unveränderliches“ sein. An dieser Stelle kommt bei Althaus ein paternalistisch-kolonialistisches, aber differenziertes Weltbild zum Tragen. Denn er ist überzeugt, dass die von ihm angenommene „seelische Bestimmtheit einer Rasse“ „zu einem Teil der Umbildung durch geschichtliches Erleben und Erziehung offen steht.“ So sieht er „die begabten Rassen zur Hebung der Gesunkenen, zur Erziehung der Unmündigen“ berufen155. Diese Hebung und Erziehung aber soll Hilfe zur Selbsthilfe sein, auf dass eines Tages Gemeinschaft auf gleicher Augenhöhe ermöglicht wird. Zu diesem Zwecke kann sich Althaus auch so etwas wie eine bedingte und zeitlich begrenzte Apartheid vorstellen, nämlich „vorerst ein Verhältnis der Führenden zu den Unmündigen, das notwendig sozialen Abstand, ja relativen Abschluß und pädagogischen Zwang einschließt. Aber dieses Verhältnis darf nur zeitweilig sein wollen. Die Vormundschaft muß ihr Recht erweisen in wahrhafter Hebung und Erziehung der Unmündigen zur Mündigkeit und Selbständigkeit. Und die soziale Trennung hat inneres Recht nur, wenn zugleich durch ‚Bildung‘ der Unmündigen ernstlich ein Weg zur Gemeinschaft gesucht wird.“156 153 Ebd. In 3108 Ethik, 112 spricht Althaus abschwächend davon, „daß die Rassen in bestimmter Hinsicht verschiedenwertig sind“; Hervorhebung von mir. 154 2806 Leitsätze, 68. Diese nur „kulturelle Ungleichzeitigkeit“ ist für Hieronimus, Religiosität, 174, Anm. 45 der Hinweis darauf, dass Althaus nicht den Völkischen zugeordnet werden könne. 155 Ebd., 67. Diesen Gedanken vertritt Althaus auch in 2509 Problem, 71: „Die Kulturvölker sind für die ‚primitiven‘ Völker Afrikas, des indischen Archipels usw. verantwortlich. Kolonialpolitik, die nichts von dieser Verantwortung weiß, ist vom Teufel.“ 156 Ebd., 68. In 3108 Ethik, 112 fügt er in diesen Absatz hinzu: Das Verhältnis der Führenden zu den Unmündigen „darf sich selbst nicht absolut setzen in einer Herrenmoral der überlegenen Rasse.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Althaus, Zeit seines Lebens mit dem Thema der christlichen Mission befasst, kommt selbstverständlich an dieser Stelle auf jene zu sprechen. Denn notwendig ist diese nicht nur aus christlicher Missionsüberzeugung, sondern auch – und hier wendet Althaus sein Volkstumsdenken auf die sogenannten „unmündigen“ Völker an – für die Erhaltung ihres eigenen Volkstums und damit ihrer eigenen Kultur. Diese aber sieht Althaus bedroht durch den bloßen Kontakt „der in der Kulturentwicklung rückständigen Rassen mit der hochentwickelten europäischen Kultur und Zivilisation“, und zwar auch dann, „wenn nicht die zerstörende Wirkung verantwortungs- und zuchtloser Kolonialwirtschaft hinzukommt.“ So lautet sein Plädoyer: „Die Christenheit, die das Evangelium allen Völkern schuldig ist, weiß sich durch diese Krise besonders vordringlich zum Werke der Mission gerufen. Denn wenn überhaupt irgend etwas, so kann allein die Christianisierung der unmündigen Rassen zu eigenständigen Kirchen vielleicht durch die Krise hindurchhelfen, die gesunden Kräfte und Bindungen in ihren Volkstümern zur Abwehr erneuern und kräftigen; schließlich zu jener Gemeinschaft der ‚Bildung‘ führen, die den sozialen Ausschluß und Gegensatz einmal überwindet. Die Mission tut ihre Arbeit mit dem Willen und in der Hoffnung, dem Frieden der Rassen und der Gesundung ihres Miteinanderund unvermeidlichen Durcheinanderlebens zu dienen.“157

In dieser Haltung dürfte Althaus beeinflusst sein von den Vorstellungen des britischen Missionars und Ökumenikers Joseph Houldsworth Oldham, dessen Buch „Christianity and the Race Problem“ er in seinem „Grundriß der Ethik“ 1931 zur Lektüre empfiehlt158. Über Oldhams heißt es bei Christof Mauch: „Im Blick auf die zwischenstaatliche Weltentwicklung sah J. H.  O[ldham] das Schlüsselproblem in der Frage, ob die Bevölkerung Afrikas ihre gesellschaftlichen und kulturellen Eigenheiten bewahren könne oder ob sie zum Instrument anderer Mächte werde […]. Neben der kulturellen Selbstbehauptung der Völker Afrikas sah J. H.  O[ldham] die größte Aufgabe in der Überwindung des Rassismus, den er in ‚Christianity and the Race Problem‘ 1924 als den Todfeind der menschlichen Zivi­ lisation beschrieben hatte.“159 157 Ebd. Althaus lässt auch die „schweren Hemmungen“ der christlichen Mission nicht unerwähnt, die „aus der Eigengesetzlichkeit der kapitalistischen Weltwirtschaft und Weltpolitik“ herrühren. 158 3108 Ethik, 113. 159 Mauch, Oldham, 1183. Diesbezüglich ähnlichen Einfluss auf Althaus dürften auch der Rassentheorie kritisch gegenüberstehende Autoren wie der Missionar und Friedensaktivist Wilhelm Mensching mit seinem von Althaus ebenso empfohlenen Buch „Farbig und Weiß. Rassen-, Kolonial- und Kulturfragen“ von 1930 und die beiden jüdischen Soziologen Friedrich Hertz mit dem Buch „Rasse und Kultur“ von 1925 und Julius Goldstein mit „Rasse und Politik“ von 1925 sowie der Ökumeniker Walter Freytag mit dem Aufsatz „Die Rassenfrage in der Mission“ gehabt haben. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Trotz seiner Annahme einer „Verschiedenheit der Rassen“ legt Althaus auch bei seinen ethischen Ausführungen über die Rassen besonderen Wert auf den „Menschheitsgedanken“, den er dem Rassedenken als Begrenzung entgegenstellt: „Der christliche Schöpfungsglaube“ widersetzt sich für ihn „als Glaube an die Einheit des Menschengeschlechtes“ der „Auflösung des Menschheitsgedankens durch die Vorherrschaft des Rassebegriffs. Er bekennt sich zu der Bestimmung aller Rassen für die eine Kirche Gottes, zu der Möglichkeit des Sich-Verstehens und der Gemeinschaft Rassefremder in Christus. Die Missionserfahrungen bestätigen diese Gewißheit.“160

Althaus’ Verständnis der Rassen basiert auf einem zivilisatorischen Stufen­ modell. Zunächst geht er von der Verschiedenheit und zivilisatorischen Verschiedenwertigkeit der Rassen aus, basierend auf dem jeweiligen aktuellen Entwicklungsstand. Sodann ist diese Verschiedenwertigkeit für ihn aber nur ein vorübergehendes Phänomen, das es vor allem mit Hilfe der Christianisierung der Welt im Sinne der Einheit der Menschheit zu überwinden gilt. Vergleicht man Althaus’ Äußerungen zu den „Rassen“ mit denen der biologistischen Rassentheorie seiner Zeit, die, ausgehend von einem pseudowissenschaftlichen Positivis­mus mit angeblich absoluten Werten, zwischen den Rassen eine unüberbrückbare qualitative Ungleichheit postulierte, den Wert eines Menschen allein aus seiner Rassenzugehörigkeit ableitete und „das Rassische“ zum wichtigsten erklärenden Faktor der Menschheitsgeschichte deklarierte, so sind die Unterschiede evident. Überblickt man das Althaussche Werk in dieser Zeit in seiner Gesamtheit, so spielt die Kategorie der „Rasse“ in seinem Denken, Fühlen und Glauben nur eine untergeordnete Rolle. War der Begriff in der damaligen Zeit auch sehr beliebt und spielte in der Literatur161 und in der Wissenschaft – bzw. aus heutiDen Vortrag hielt Freytag im Sommer 1927 auf der Missionsstudienwoche in Erlangen, auf der auch Althaus seinen Vortrag „Höhen außerchristlicher Religion“ (2705) hielt. Auf der anderen Seite empfahl Althaus, um Ausgewogenheit und Diskurs bemüht, auch den Aufsatz „Die Rassenunterschiede des Menschen“ des Rassenhygienikers Eugen Fischer. 160 2806 Leitsätze, 67. Dieser „Glaube an die Einheit des Menschengeschlechtes“ ist bei Althaus nicht neu, schon während des Krieges predigt Althaus den eschatologischen Ausblick auf Gottes kommendes Friedensreich: „Am Ende der Tage schauen wir ein herrliches Bild. Gott hat gesiegt. Vor ihm knien die Weißen und Schwarzen, die Gelben und Braunen. Er hat vereinigt, was getrennt war – ach, wie hoffnungslos scheint jetzt noch der Riß zwischen den Völkern –, er hat ganz geläutert, was unrein war. Was wird es für eine Herrlichkeit sein“ (1501P Losung, 45). Auch hier kommt Althaus ohne den Rassebegriff aus. 161 Der Rassenbegriff in wertneutraler, d. h. nicht rassistischer Verwendung, findet sich z. B. bei Rosenzweig, Stern, 432. So konstatiert Brenner, Religion, 598: „Der Rassebegriff hatte auch unter deutschen Juden vor 1933 nicht notwendigerweise etwas Anstößiges. So betonte Erich Fromm in seiner 1922 […] entstandenen Dissertation, die stärkste Kraft, die alle Juden verbinde, bleibe die ‚rassen- und stammesmäßige Bindung‘.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ger Sicht in der Pseudowissenschaft, denn als solche entpuppte sich die sogenannte „Rassenlehre“ zum größten Teil  – eine zunehmende Rolle, so taucht er bei Althaus nur am Rande auf. So hält es auch Walter Sparn für „unrichtig“, „Althaus den Rassisten zuzurechnen.“162 Erst 1932/33 beginnt Althaus, darin nicht nur dem politischen, sondern auch dem wissenschaftlichen Zeitgeist folgend, neben dem Volkstums- nun auch verstärkt den Rassebegriff zu verwenden. Auch dabei ist Althaus bestrebt, sich und seine Leser vor rassenideologischen Kurzschlüssen zu hüten. So schreibt er 1937 im Rahmen der Vorbereitung auf die Oxforder Weltkirchenkonferenz über das Volkstum: „Unter den Momenten, die ein Volk bedingen und ausmachen, ist uns Deutschen jetzt die Blutsgemeinschaft oder Rasse entscheidend wichtig geworden.“ Sogleich fügt er jedoch hinzu: „Die Betonung der Rasse bedeutet nicht die Behauptung und Forderung einer Rassereinheit des Volkes“163. Bewusst nimmt Althaus damit den herrschenden Zeitgeist einerseits auf, um zugleich andererseits die Grundlage der NS-Rassenpolitik, d. h. die rassenideologische normative Vorstellung einer Rassenreinheit, abzulehnen. 3.2.5 Zusammenfassung Volk und Vaterland sind für Althaus die zentralen ethischen Bezugspunkte, sie bilden das Herzstück seiner politischen Theologie. So nimmt es wenig wunder, dass die allenthalben in seinem Handeln und in seiner Theologie anzutreffende Uneindeutigkeit und Ambivalenz gerade in seiner politisch-theologischen Anschauung von Volk und Vaterland am deutlichsten ausgeprägt ist. So sind für ihn auf der einen Seite Volk und Vaterland nicht einfach nur ethische Bezugspunkte, Gegenstände sittlichen Handelns, sondern sie sind für ihn im Rahmen seiner Ordnungstheologie dezidiert theologisch qualifiziert und damit sakralisiert. Die Vaterlandsliebe ist dementsprechend nicht nur theologisch legitimiert, sondern im Willen Gottes begründet, d. h. dem Christen als Gott gegenüber zu erbringende Pflicht auferlegt. Von Gott stammt die Gabe von Volk und Vaterland an den Menschen, Gott gegenüber hat der Mensch nun Volk und Vaterland als verpflichtende, bedingte Aufgabe. Auf den Punkt bringt Althaus dieses wechselseitige Verhältnis mit der Formulierung: „Volk – der große Zusammenhang des Lebens, durch den Gott, mein Schöpfer, mir das Leben gab, und für den vor allem anderen Gott, mein Herr, mein Leben fordert!“164 162 Sparn, Althaus, 9. 163 3708 Kirche, 18; Hervorhebung von Althaus. 164 3121 Volk, 4 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Auf der anderen Seite ist Althaus der Meinung, gerade durch die Bezogen­ heit von Volk und Vaterland auf Gott diesen die Qualität als unbedingter Wert zu nehmen und das menschliche Verhältnis zu Volk und Vaterland dadurch christlich zu „reinigen“165, d. h. vor nationalistisch-völkischer Verblendung, die nur das eigene Volk als norma normans kennt und die Menschheit aus dem Blick verliert, zu bewahren166. Gott ist für ihn Schöpfer und Herr aller Völker. Dementsprechend kann es für ihn keinen „deutschen Gott“, sondern nur den christlichen Gott geben. So erklärt sich auch seine fortwährende Ablehnung von Nationalismus und Chauvinismus. Auf den Punkt bringt Althaus diese differenzierte, aber ambivalente Betrachtungsweise von Volk und Vaterland mit der Aussage: „Ist es Gott, der Herr, der mich an das Vaterland bindet, so kann das Vaterland nicht zu einem letzten unbedingten Wert vergötzt werden. Nicht von einem unbedingten Wert des Vaterlandes ist die Rede, aber davon, daß in der Bindung an das Vaterland die unbedingte Bindung und Verantwortung uns trifft.“167

Bei der Abwehr einer Vergötzung des Volkstums, wie sie im völkischen Nationalismus betrieben wird, kommt Althaus auch auf die Verflochtenheit der Welt mit der Sünde zu sprechen – ein Indiz für seinen theologisch differenzierten Blick auf die Ordnungen: „Wir lieben unser Volk. Aber wir lieben es nicht wie Gott, den Heiligen, selber. Volksverbundenheit ist seine Ordnung und als solche heilig; Volk sein Geschöpf – gott­ gegeben, aber nicht und niemals göttlich. Der Heilige gibt uns wahrlich Augen dafür, daß auch Volk und Volkstum von dieser Erde ist, von dem Bösen und Tode nicht ausgenommen, nicht reine Schöpfung, sondern auch durch die Verfallenheit unserer Geschichte bestimmt.“168

Die Althaussche Ambivalenz bei der Beschreibung der „Wirklichkeit“ namens Volk und Vaterland hat ihren Grund nicht zuletzt in seiner Vorstellung vom Reich Gottes, die in einer schillernden Zwischenposition zwischen axiologischer und teleologischer Eschatologie zu stehen kommt. Mit Hilfe der von ihm angenommenen „Volkheit“ eines Volkes, die seinem früheren Begriff des „Berufes“ eines Volkes entspricht, wird das Volk auf Gottes Reich bezogen – im unbedingten sittlichen Sollen im Jetzt und im Vorgriff auf die „letzten Dinge“. So 165 Dieser Gedanke der „Reinigung“ findet sich u. a. in 3116 Vaterlandsliebe, 1442. 166 Wahre Vaterlandsliebe ist für ihn daher „von nationaler Selbstzufriedenheit klar unterschieden (Völkische Bewegung)“ (3116 Vaterlandsliebe, 1442). 167 3116 Vaterlandsliebe, 1442. Anders ausgedrückt: „Wir lieben unser Volk nicht, weil es so tüchtig und herrlich ist, sondern weil es durch Gottes Ordnung unser Volk ist“ (3121 Volk, 5). 168 3121 Volk, 5. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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heißt es bei ihm: „So suchen wir Gott und sein Reich nicht in unserem Volke, aber über ihm, für es, in es hinein. Wir lieben unser Volk auf Gott hin, daß es werde hinein in seine ‚Volkheit‘, d. h. in das Bild, zu dem Gott es geschaffen hat.“169 Wie damals allgemein üblich, ging auch Althaus bei der Frage nach dem Wesen von Volk und Volkstum beim deutschen Idealismus und der Romantik und damit, wie er selbst schreibt, „bei Fichte und Hegel, bei den Denkern und Forschern des romantischen Zeitalters in die Schule.“170 Eine Erklärung für dieses Phänomen der Weimarer Republik gibt Tanner, wenn er schreibt, das Volkstum stelle „in den Augen gerade vieler Theologen, die ‚konkrete‘ Gestalt der gesuchten sittlichreligiösen Gesamtintegration dar. In ihm glaubte man den Ansatzpunkt gefunden zu haben für die Überwindung der ethischen Substanzlosigkeit, des Relativismus, des egoistischen Individualismus und der abstrakt formalen, geschichtslosen Rationa­ lität des liberalen, aufgeklärten Denkens […]. Im Gedanken der Volksgemeinschaft äußerte sich die Suche und Sehnsucht nach einer sozialen Harmonie, die vorangetrieben und radikalisiert wurde durch die zunehmende, als Zersetzung und Krise erlebte und gedeutete Differenzierung und Mobilisierung in der modernen industriellen Massenkultur.“171

Althaus zählt in den 20er und 30er Jahren zu den herausragenden theologischen Persönlichkeiten, die eine dezidierte Volkstumstheologie vertreten. Die Gründe für seine normative Zentrierung auf Volkstum und Vaterland sind vielfältig; sie sind in seiner mentalen Prägung ebenso zu suchen wie in den persönlichen Erfahrungen in Polen und der Stimmung im krisengeschüttelten, von Niederlage und Versailles geprägten Nachkriegsdeutschland. So herausragend volkstumsbezogen seine politische Theologie auch war, etwas vollkommen Neues oder Einmaliges stellt sie dennoch nicht dar. Dafür spielten Volk und Vaterland im nahezu gesamten Spektrum der deutschen Nachkriegstheologie eine zu wichtige Rolle. Nicht nur das politische, sondern auch das theolo­gische Denken in den Kategorien Volk und Vaterland war weitverbreitet, gleichsam eine situationsbedingte Modeerscheinung in Deutschland.

169 Ebd. Hervorhebungen von Althaus. 170 3208 Gott, 723. 171 Tanner, Verstaatlichung, 247. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Exkurs: Volkstumstheologie bei Karl Barth Nicht nur im Neuluthertum und im Umfeld der Religiösen Sozialisten172 spielte die Kategorie des Volkstums in den 20er und 30er Jahren eine Rolle, auch Karl Barth klärte die Hörer seiner Ethik-Vorlesungen 1928 in Münster und 1930 in Bonn darüber auf, dass es, „von der Schöpfung her gesehen, zu meiner Berufung durch Gottes Gebot gehört, daß ich zu meinem Volke gehöre“173. Barth, der bereits 1924 von „Lebensordnung“ bzw. „Gottesordnung“ sprach, die er damals noch als die „primitiven, nicht unzweideutigen, nicht ewigen, aber immerhin vernehmbaren Gottesworte“ bezeichnete174, erscheint Ende der 20er Jahre – der theologischen Mode folgend – „als Anwalt der später von ihm leidenschaftlich abgelehnten Lehre von den Schöpfungsordnungen“175. In erster Linie sind für Barth Arbeit, Ehe und Familie göttliche „Schöpfungsordnungen“, während er Staat und Kirche zwar auch als „Gottesordnungen“ bezeichnet, die für ihn aber hamartiologisch bedingt den Charakter von „göttlichen Notordnungen“ besitzen176. Das Volkstum rückt bei ihm nun in große Nähe zu diesen Schöpfungsordnungen. Es ist für ihn eine „lebendige Wirklichkeit […], in der wir alle stehen, und die darum zweifellos auch ethisch keineswegs irrelevant ist.“ Denn, so Barth weiter, dass „wir in dieser Wirklichkeit auch Gott begegnen müssen und nicht in einer anderen, daß uns Gott auch in dieser Hinsicht da finden will, wo er uns hingestellt hat, das ist die ethische Relevanz des Volkstums.“

Auch das Volkstum ist für ihn „ein Rahmen für mein Tun als gehorsames Tun“, weshalb ihm „völkische Treue“177 selbstverständlich ist. Ausgehend von der Schöpfungsordnung der Verwandtschaft bzw. Familie, einem „von Gott bestimmten Verhältnis“, in dem Gottes „Gebot“ begegnet, dem „wir zu gehorchen haben“, kommt Barth auf das Volkstum zu sprechen: „Aber wir müssen nun sofort weiterblicken. Wir brauchen den Begriff der Ver 172 Vgl. den Aufsatz „Wahre und falsche Vaterlandsliebe“ des den religiösen Sozialisten nahe­ stehenden Theologen Alfred Dedo Müller, dessen Spitzensatz lautet: „Wahre Vaterlandsliebe ist nicht prometheische Ueberhebung, sondern Gebet.“ (Müller, Vaterlandsliebe, 164). 173 Barth, Ethik, 263. 174 Barth, Auferstehung, 30–32. 175 So Dietrich Braun im Vorwort von Barth, Ethik. Er gibt dies als Grund dafür an, warum diese Vorlesungen zu Lebzeiten Barths nicht im Druck erschienen. 176 Barth, Ethik, 413 f. 177 Ebd., 326 f. Dementsprechend erscheint bei Barth Untreue gegenüber dem Volkstum als dem „Ort, wo Gott mit uns reden will“ als Untreue Gott gegenüber. Dies veranschaulicht Barth an einem alttestamentlichen Beispiel: Die „Haltung Jeremias während der Belagerung von Jerusalem war nicht gerade Treue gegen sein Volkstum“ (ebd., 328). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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wandtschaft bloß erweitern, so kommen wir auf geradem Weg über den altgermanischen Begriff der Sippe oder Horde zum Begriff des Volkstums.“178 Wie ist nun Volkstum für Barth definiert? „Volk im eigentlichen und engeren Sinn nennt man eine solche geschichtlich zusammengehörende Gruppe einer Vielzahl von Familien, deren Einheit selber die einer Familie ist, d. h. die Kraft gemeinsamen Stammes und Blutes, kraft der Rasse, wie man zu sagen pflegt, und der darauf begründeten relativ gemeinsamen Geschichte und gleichen oder doch gleichstämmigen Sprache besteht.“

Wenn Barth auch früher und unbefangener als Althaus den Rassebegriff zur Bestimmung des Volkstums heranzieht179, so fällt doch die übereinstimmende Definition beider Theologen, des Schweizer reformierten Dialektischen Theologen und des deutschen lutherischen Ordnungstheologen ins Auge. Diese Gemeinsamkeit besteht auch noch Jahre später180. Stärker als Althaus betont Barth nun die Grenzen des Volkstumsdenkens. Einig sind sich die beiden noch in der Ablehnung des Nationalismus. Ebenso wie Althaus und mit dem gleichen Argumentationsgang lehnt Barth den Nationalismus ab, der es nötig hat, den Wert des eigenen Volkes durch das Abwerten der anderen Völker zu steigern. Die gottgegebene „Wirklichkeit“ des Volkstums hat für Barth „mit dem gegenseitigen sich Überprahlen gar nichts zu tun. Sie bedeutet konkret einfach Treue gegenüber der Art meines Volkes […], nicht weil sie besser wäre als die anderer, sondern schlicht und ausschließlich darum, weil sie die Art und Sprache meines Volkes ist und darum die auch mir jedenfalls zunächst zugewiesene.“181

Ebenso wie für seinen Erlanger Kollegen sind für Barth die Schöpfungsordnung der Verwandtschaft und davon abgeleitet die „schöpfungsmäßige Berufung“ des Volkstums „keine letzten und unbedingten Bindungen“182. Gegenüber Althaus’ eschatologischer Begründung der Begrenzung mit dem Verweis auf das Reich Gottes bleibt Barth hier auf den ersten Blick theologisch 178 Ebd., 325. Für Barth besitzt die Schöpfungsordnung der Familie durch „gemeinsame Vorfahren und insofern dasselbe Blut“ (ebd., 323) – „ob entdeckt und bejaht oder nicht“ – „gerade um ihrer größten Natürlichkeit, ja Leiblichkeit willen den Vorzug einer selbstverständlichen, durch kein Vergessen und Verleugnen zu beseitigenden noch zu erschütternden Gegebenheit“ (ebd., 324). 179 Zum ersten Mal und mit Vorbehalten zieht Althaus den Rassebegriff zur Definition des Volks erst 1932 in 3208 Gott, 722 heran. 180 Vgl. Barth, Frage, 69, wo er es eine „Selbstverständlichkeit“ nennt, dass „ein natürliches Volk durch seine gemeinsame Abstammung, Sprache und Geschichte zusammengehalten ist“. 181 Barth, Ethik, 327; Hervorhebung von Barth. 182 Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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eigenartig blass. Seine Argumentation bleibt im schöpfungsordnungstheolo­ gischen Rahmen: „So gewiß der Begriff der Verwandtschaft über sich selbst hinaus­weist, sich von selbst erweitert zu dem der Sippe und dann des Volkes, so gewiß können wir auch hier nicht stehenbleiben.“ Denn für Barth ist es – in Auseinandersetzung mit dem herrschenden deutschen Zeitgeist183 – nicht einzusehen, „inwiefern etwa der Begriff des Volkes […] die letzte ernst zu nehmende Konkretion, die hier in Betracht fallen kann, sein, inwiefern eben der Begriff der Menschheit im Gegensatz zu dem der Verwandtschaft und dem des Volkes auf einmal eine leere rationalistische Phrase sein sollte.“184

So spitzt Barth seinen Einwand gegen die völkische Engführung der „Wirklichkeit“ auf die Frage zu: „Ist die menschheitliche Bindung, in der wir stehen, etwa weniger eine Gegebenheit, wenn auch die Gegebenheit eines weiteren Kreises, als die verwandtschaftliche und völkische?“ Wenn auch für Althaus die Menschheit eine „Wirklichkeit“ ist und auch er es wagt, den Menschheitsbegriff wider den herrschenden Zeitgeist auf die Lippen zu nehmen, so muss sich doch auch er in dieser Schärfe die Barthsche Frage gefallen lassen. Beide sagen Ähnliches an diesem neuralgischen Punkt einer Volkstumstheologie, doch liegen die Betonungen verschieden. Freilich löst auch Barth nicht den Volkstumsbegriff zugunsten des Menschheitsbegriffs auf, sondern schränkt seine Einschränkung sogleich wieder ein: „Man merke wohl: der Begriff der Menschheit hebt den Begriff des Volkes so wenig auf wie dieser den Begriff der Verwandtschaft.“185 Dies tut Barth mit einer einfachen biologistischen Begründung: „Wir gehören kraft unseres Blutes im engeren und weiteren Sinn näher zu diesen als zu jenen Menschen.“186 Der deutlichste Unterschied zwischen der ethischen Bestimmung des Volkstums bei Barth und Althaus liegt darin, dass Barth durch einen größeren Realismus dem politischen Missbrauch des Volkstumsbegriffs wehren kann. Denn anders als Althaus, dem das – auch bei ihm eingeschränkte – Ideal des Volksstaats vorschwebt und dem es im politischen Handeln zu entsprechen gelte, geht Barth von der realistischen, ihm als Schweizer besonders geläufigen Einsicht aus: „Volk und Staatsvolk decken sich nicht.“ Dementsprechend ist es ihm wichtig, sich klarzumachen, 183 Er schreibt dazu: „Das Wort ‚Menschheit‘ hat in unserer konkretionsfreudigen deutschen Gegenwart im Gegensatz zu der Zeit der Aufklärung und des Idealismus einen so verdächtigen Klang bekommen, daß man sich ja wirklich fast fürchten muß, es auf die Lippen zu nehmen.“ (ebd., 329). 184 Ebd., 329. 185 Ebd., 331. 186 Ebd., 327. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„daß es Staatsvölker, Völker im politischen Sinn, die zugleich Völker in diesem eigentlichen Sinn wären, im neuzeitlichen Europa sozusagen nicht mehr gibt, sondern nur noch mehr oder weniger starke und selber mehr oder weniger reine völkische Majoritäten.“187

Indem Barth diesen faktischen Pluralismus innerhalb der Staaten anerkennt, kann es für ihn auch kein Streben nach (Wieder-)Herstellung einer christ­ lichen, deutschen Einheitskultur geben, das andere, nicht dieser Kultur entsprechende Menschen mindestens tendenziell zu einer potentiellen Bedrohung erklärt: „Hinter den Blutsverwandten tritt der Volksgenosse, hinter den Volksgenossen, der ‚Fremdling, der in deinen Toren ist‘“188. Zwischen Althaus’ und Barths theologischer Bestimmung des Volkstums liegen signifikante Gemeinsamkeiten und ebensolche Unterschiede. Die Hauptgemeinsamkeit aber ist die, dass für beide das Volkstum eine „Wirklichkeit“ darstellt, der ethische Relevanz im Sinne von göttlicher Gabe und Aufgabe zukommt189. Das Denken, Fühlen und Glauben in den Kategorien Volk und Vaterland und die theologische Reflexion in Form einer Volkstumstheologie ist nicht allein im Neuluthertum mit seiner Ordnungstheologie feststellbar. Es handelt sich dabei vielmehr um eine politische und theologische Modeerscheinung, die das Deutschland der 20er und 30er Jahre prägte und der sich dementsprechend auch nur sehr wenige Kirchenmänner und Theologen entziehen konnten. Althaus hat sich mit seiner Art, Volkstumstheologie auf der Grundlage von Ordnungstheologie zu betreiben, in die Avantgarde dieser Mode eingereiht. Seine Theologie war nicht nur auf der Höhe der Zeit, sie hat die Zeit mitgestaltet190. Auf der anderen Seite ist auch davon auszugehen, dass die Zeit und ihr Geist an Althaus’ Art und Weise, Theologie zu treiben, mitgewirkt hat. So ist sein – aber auch Barths – Eingehen auf die „Wirklichkeit“ des Volkstums als ethischer Relevanz auch zu erklären aus der national aufgeladenen Stimmung an den deutschen Universitäten191. 187 Ebd., 326. Das ist für Barth auch der Grund dafür, dass der Staat nicht „wie Ehe und Familie zu den Schöpfungsordnungen“ gehört. 188 Ebd., 331. 189 Ethische Relevanz kommt dem Volkstum zur gleichen Zeit auch bei Bonhoeffer, Communio, 74 zu, wenn er das Volk als „ethische Kollektivperson“ betrachtet: „Dort, wo Völker angerufen werden, da ist Gottes Wille zur Geschichte, wie dort, wo der Einzelne angerufen wird, er seine Geschichte erlebt. Es gibt einen Willen Gottes mit dem Volk genau so wie mit dem Einzelnen.“ 190 Vgl. 4604 Schuld, 8. 191 Vgl. Kap. IV, 3.3.2. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Die Motivation für dieses Mitgestalten ist bei Althaus in seinem theologischen, kirchlichen und volksmissionarischen Anliegen zu suchen. Denn für ihn ist alles Ringens um Volk und Vaterland Sinn „zuletzt doch der eine, daß deutsches Volk einen neuen Lebenstag habe, um noch einmal wieder Christophorus, Christusdiener, Christuszeuge, Christusträger zu werden. Weil wir unser Volk lieben und an seine besondere Sendung glauben, ringen wir, daß Christus in seiner Seele aufs neue geboren werde.“192

In all seiner Uneindeutigkeit und Ambivalenz, die eine Volkstums-Ideologie einerseits durch eine Schöpfungsordnungstheologie gestärkt hat, ihr aber andererseits vom christlichen Standpunkt aus klare Grenzen aufgezeigt hat, unterscheidet sich Althaus in seiner Volkstumstheologie merklich vom völkischen und rassistischen Denken seiner Zeit193. Dieser Umstand ließ ihn später öffentlich dezidiert gegen die Deutschen Christen mit ihrer völkischen Theo­ logie Stellung beziehen. Volkstum war für Althaus ethischer Bezugspunkt, zu keinem Zeitpunkt aber ethischer Maßstab194. Es blieb für ihn norma normata, nicht norma normans. 3.3 Althaus’ Positionierung zur Volkstumsbewegung und völkischen Bewegung „Seit dem Kriege geht durch unser Land als mächtige Bewegung, elementar geboren aus der Schicksalsstunde, neue Liebe zum Volkstum, neue Besinnung auf seine Art und Verantwortung, leidenschaftlicher Wille zur Wiedergeburt unseres Volkes aus der Zeugungsmacht des Volkstums. Die Wurzeln der Bewegung sind deutlich: vor allem das hohe, ergreifende Volkserlebnis des August 1914 […]. Die volkliche Verwurzelung und Gebundenheit unseres Lebens wurde als unmittelbare Lebenswirklichkeit neu entdeckt und bewußt ergriffen. An der Not und Krankheit unseres Volkes hat die Bewegung sich dann recht eigentlich entzündet, als Reaktion gegen das äußere und innere Schicksal deutschen Volkstums.“195

Wenn Althaus 1927 mit pathetischen Worten die Volkstumsbewegung beschreibt, gibt er sogleich zu erkennen, dass er als Mann der Kirche ihr nicht neutral gegenüberstehen will, sondern sich ihr unmittelbar zugehörig fühlt. 192 3121 Volk, 5. 193 Auf diese Ambivalenz der Althausschen Schöpfungsordnungstheologie und deren Abgrenzung von den Völkischen macht auch Töllner, Frage, 28 aufmerksam. 194 Besonders deutlich bringt er das 1933 in der Auseinandersetzung um die Frage der Eugenik zum Ausdruck; vgl. 3305 Leben, 9. 195 2704 Volkstum, 113 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Althaus’ Entdeckung des Volkstums ist keine Reaktion auf die „völkische Frage“ oder die völkische Bewegung nach 1918. Seine Entdeckung vollzieht sich bereits während des Weltkriegs, hervorgerufen durch die nach einem Sinn verlangenden Eindrücke des Krieges, durch das Erlebnis der gegenseitigen Stützung von lutherischem Christentum und deutschem Volkstum im katholischen Polen, durch die Erfahrungen mit der Volkstumsbewegung im Krieg und aus den persönlichen Beziehungen mit den führenden Männern der örtlichen Deutschtumsarbeit in Polen. Althaus stellt sich vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen und als Reaktion auf den Versailler Vertrag und seine Folgen für Deutschland ganz von selbst nach dem Krieg die „völkische Frage“, auf die er für die kommenden 25 Jahre nach Lösungen suchen wird, die sowohl seiner politisch-weltanschaulichen Haltung, als auch seinem theologischen Anspruch und seiner kirchlich-volksmissionarischen Motivation entsprechen. Dass er dabei in der Volkstumsbewegung einen natürlichen Bundesgenossen zu finden meint, hat er ebenfalls bereits in seiner Zeit in Lodz erfahren können. Dass er darüber hinaus auch gegenüber der völkischen Bewegung keine Berührungsängste hat, kennzeichnet seinen Anspruch als Mann der Kirche, die in seinen Augen mit ihrer Botschaft zu allen Menschen und zu allen gesellschaftlichen Kreisen Zugang finden soll. 3.3.1 Volkstumsbewegung und völkische Bewegung in der Weimarer Republik und ihr Verhältnis zu Christentum und Kirche „Der deutsche Protestantismus befand sich gegenüber der völkischen Bewegung in einer schwierigen Lage. Einerseits fand er in ihr bestimmte Dinge, die eine große Zahl vor allem jüngerer Theologen lebhaft bejahten, andererseits wurden von der völkischen Seite Forderungen erhoben, die für eine christliche Kirche schlechterdings indiskutabel waren. Daß die völkische Bewegung für den deutschen Protestantismus überhaupt zu einer Frage werden konnte, lag zunächst einfach an seiner nationalen Bestimmtheit. Im Gegensatz zum […] Universalismus der katholischen Kirche war der lutherische Protestantismus aus Not und Überzeugung national. Er hatte vom Sieg des nationalen Gedankens im 19.  Jahrhundert in Deutschland profitiert und hatte nun auch an seiner großen Krise teil. Und insoweit die völkische Bewegung nichts anderes war als der Versuch, die Krise zu überwinden und den alten nationalen Gedanken in seiner neuen, völkischen Form wieder in seine Rechte einzusetzen, bestand zwischen völkischer Bewegung und Protestantismus offenbar eine natürliche Bundesgenossenschaft.“196 196 Scholder, Kirchen, 147. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Mit diesen Worten bringt Klaus Scholder das problematische Verhältnis von evangelischer Theologie und Kirche und „völkischer Bewegung“ in der Zwischenkriegszeit auf den Punkt, auch wenn seine Ausführungen infolge des undifferenzierten Gebrauchs des Begriffs „völkische Bewegung“ an Exaktheit einbüßen. Um sich im Dschungel der unterschiedlichen Begrifflichkeiten und verschiedenen nationalen und nationalistischen Geistesströmungen und Bewegungen im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts einigermaßen zurechtzufinden, soll – ohne jeglichen Anspruch auf eine auch nur annähernd erschöpfende Darstellung – an dieser Stelle eine Schneise ins Dickicht geschlagen werden. Ziel dieser Unternehmung soll eine differenzierte Betrachtung des nationalen Denkens, Fühlens und eben auch Glaubens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und damit einhergehend eine differenzierte Einordnung von Althaus innerhalb des nationalen Spektrums sein. Zunächst einmal erweist es sich als hilfreich, innerhalb dieses Spektrums an nationalen und nationalistischen Meinungen und Bewegungen in der Zeit der Weimarer Republik eine breitere, vorwiegend altkonservativ geprägte, Volkstumsbewegung von einer schmaleren, vorwiegend jungkonservativ geprägten, völkischen Bewegung als deren radikalisierte Ausprägung zu unterscheiden, wobei die Grenzen fließend bleiben. Althaus in seiner eigentümlichen politisch-theologischen Unternehmung, Kirche und Volk bzw. christlichen Glauben und Volkstum aufeinander zu beziehen und auf diese Weise zu einer sich gegenseitig befruchtenden Christlichkeit bzw. Kirchlichkeit und Volksbewusstsein zu gelangen, steht in seiner Ambivalenz und Uneindeutigkeit mitten im Spannungsfeld zwischen altkonservativchristlicher Volkstumsbewegung und jungkonservativ-völkischer Bewegung. Grundlegend und gemeinsam ist beiden Bewegungen eine Idealisierung des eigenen Volkstums zu einem der höchsten irdischen Identifikationsbegriffe und zum ethischen Bezugspunkt im Rahmen einer normativen Zentrierung auf das Volk. Gemeinsam ist Volkstumsbewegung und völkischer Bewegung darüber hinaus die gemeinsame historische Wurzel im beginnenden 19. Jahrhundert. Zur Verwendung des Begriffs „völkisch“ konstatiert Stefan Breuer: „Da der Begriff ‚völkisch‘ durch den Nationalsozialismus kontaminiert ist, teilt sich die durch die Gleichsetzung mit Ethnizität auch den liberalen, demokratischen und sogar sozialistischen Adaptionen des ethnisch gedeuteten Nationalbewußtseins mit, mit der Folge, daß die neuere deutsche Geschichte als eine einzige Bewegung auf 1933 zu erscheint. Das entspricht zwar den Selbstdeutungen der völkischen Germanistik und Geschichtswissenschaft der NS-Zeit, sollte aber aus eben diesem Grund nicht fortgeschrieben werden.“197 197 Breuer, Völkischen, 8 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Für ihn wird durch den inflationären Gebrauch von „völkisch“ der „Begriff des Völkischen […] auf diese Weise zu einem Strudel, der am Ende selbst die Sozialdemokratie und Goethe verschlingt.“198 Um die Verwendung des Begriffs bei Althaus und seinen theologischen Zeitgenossen richtig einordnen zu können, ist es unerlässlich, sich den Bedeutungswandel klarzumachen, den der Begriff zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebt hat. Der Begriff „völkisch“, wie ihn das 19. und beginnende 20. Jahrhundert verstand, ist heute wohl am besten mit „volksbezogen“ bzw. „volkstumsbezogen“ oder mit „national“ wiederzugeben. Es handelt sich dabei um „eine um 1875 aufgenommene Verdeutschung des Wortes ‚national‘“199, die zunächst vor allem in deutsch-nationalen Kreisen in Österreich Verbreitung fand200. In diesem ursprünglichen Sinne verstehen und verwenden auch Althaus201 und seine Zeitgenossen, darunter Karl Barth und Kurt Tucholsky202, den Begriff „völkisch“. In diesem Sinne sprechen auch die Artikel über die „völkische Bewegung“ in RGG2 (1931) und RGG3 (1962) im jeweils historischen Teil von „völkisch“. In einer Zeit des „inflationären, vielfach diffusen Gebrauch des Adjektivs“203 wird zu Beginn des 20.  Jahrhunderts und vor allem nach dem Ersten Weltkrieg der Begriff „völkisch“ immer mehr zu einem politischen Schlagwort, zu einem Kampfbegriff, der Verwendung gerade auch in Absetzung von „national“ oder „deutsch-national“ findet204. In der völkischen Bewegung wird die Selbstbezeichnung „völkisch“ mehr und mehr zu einem Synonym für einen rassisch bestimmten Volksbegriff und damit einhergehend für einen mindestens tendenziell eliminatorischen Antisemitismus. So definiert im Jahr 1938 der „Brockhaus“ das Adjektiv „völkisch“ als „Verdeutschung des Wortes ‚national‘, im Sinne eines auf den Rassegedanken begründeten Nationalismus“205. Wenn sich auch diese politische Engführung des Begriffs nicht allgemein durchsetzte und „völkisch“ auch weiterhin politisch neutral als Synonym für „national“ und damit als Adjektiv zu „Volk“ gebraucht werden konnte, so ist 198 Ebd., Anm. 11. 199 Honecker, Volk, 195. 200 Vgl. Mohler/Weissmann, Revolution, 38 f. 201 Als Beispiel sei seine Aussage genannt, Luther und das Luthertum haben durch die Beförderung des Deutschen als Kultursprache unbewusst und ungewollt „das völkische Bewußtsein geweckt oder verstärkt“ (2602 Nationalerziehung, 95). 202 In seiner Ethik-Vorlesung von 1930 spricht Barth ganz unbefangen über „völkische Majoritäten“ (ders., Ethik, 326), „völkische Treue“ (ebd., 327) und von der „völkischen Bezogenheit“ der Menschen (ebd., 328). 203 Puschner, Strukturmerkmale, 459. 204 Vgl. das Manifest des völkischen Schriftstellers Walter Kramer in der völkischen Zeitschrift „Hammer“ unter dem Titel „Was unterscheidet die Völkischen von den Nationalen?“. 205 Der Neue Brockhaus, 606. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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sich Althaus in seinen Schriften durchaus bewusst, dass der Begriff schillernd ist. Deutlich macht er dies, indem er zuweilen „völkisch“ in Anführungszeichen setzt und sich damit von einer politischen Engführung des Begriffs absetzt206. Dass er an manchen Stellen auch „volklich“ statt „völkisch“ im Sinne des Adjektivs zu Volk verwendet207, macht die Sprachverwirrung komplett. Einmal problematisiert Althaus den Ausdruck „völkisch“ explizit208. Dass „Althaus’ eigenes Verständnis des Adjektivs ‚völkisch‘ von ‚Rasselehren‘ zu trennen“ sei und daher der Bezeichnung „volksbezogen“ entspreche, hat bereits Roland Kurz festgestellt209. Der Begriff „völkische Bewegung“ ist nach der Definition von Hans ­Hohlwein „eine Sammelbezeichnung für alle Bestrebungen vornehmlich im 19. und 20. Jh., die dem ‚Volk‘ innenwohnenden sittlichen, kulturellen und seelischen Kräfte für die nationale Erneuerung und Bewahrung eines Volkes, hier des deutschen, bewußt und nutzbar zu machen. In der v[ölkischen] B[ewegung], in der anfänglich ‚völkisch‘ gleichbedeutend war mit ‚volkstümlich‘ und ‚deutsch‘, waren sehr verschiedenartige, ja gegensätzliche Kräfte wirksam (Aufklärung, Pietismus, Idealismus).“210

Vordenker dieser frühen „völkischen Bewegung“ bzw. Volkstumsbewegung waren unter anderem Herder, Fichte und Jahn, wobei schon frühzeitig die Romantik einen großen Einfluss ausübte. Die für die Entstehung eines deutschen Nationalbewusstseins entscheidende Erfahrung der deutschen Befreiungskriege gegen Napoleon 1813–1815 wirkte auf die junge „völkische Bewegung“ wie ein Katalysator. Charakteristisch war die ursprünglich stark christlich-protestantische Ausrichtung der „völkischen“ bzw. Volkstumsbewegung (vgl. Schleiermacher und Arndt)211. Diese frühe Bewegung „wurde getragen von den im Bürger- und Akademikertum gesammelten Kräften des frühen Liberalismus (Burschenschaften, Turnerbünde).“212 206 Vgl. 2707 Staat, 118, wo er schreibt, die Kirche sei „wirklich zu einer ‚völkischen‘ Aufgabe gerufen“; 2803 Communio, 289, wo er die soziale Frage als „die eigentliche Tiefe der ‚völkischen‘ Frage“ bezeichnet; oder 2906 Ehe, 6. 207 So spricht er in 2704 Volkstum, 114 die „volkliche Verwurzelung und Gebundenheit unseres Lebens“ als „Lebenswirklichkeit“ an. Ob er sich mit dieser Wortwahl bewusst von einer völkischrasseideologischen Sichtweise abgrenzen will, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. 208 So heißt es in 2704 Volkstum, 117: „Daß wir im folgenden den Ausdruck ‚völkisch‘ mehrfach verwenden, kann nicht mehr mißverstanden werden, nachdem gesagt ist, daß die Bewegung weit über eine Partei übergreift.“ Mit „Bewegung“ meint Althaus die Volkstumsbewegung, er bezieht sich auf seine Aussagen ebd., 114. 209 Kurz, Denken, 444.90.479. 210 Hohlwein, Bewegung, 1424. 211 Zu Schleiermacher als „Wegbereiter des protestantischen Patriotismus“ vgl. Kurz, Denken, 30–34; zu Arndt vgl. ebd., 46–50. 212 Hohlwein, Bewegung. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Seitdem die Hauptforderung der Volkstumsbewegung nach einem eigenen deutschen Staat mit der Reichsgründung 1871 zumindest in kleindeutscher Weise, d. h. ohne die Deutschen in der Donaumonarchie, erfüllt war, erfuhr die Bewegung zum Teil eine Radikalisierung. Diese radikalisierte Form der Volkstumsbewegung soll als völkische Bewegung bezeichnet werden. Gegenüber der „ältere[n], tieffromme[n] völkische[n] Stimmung“ beschreibt Walter Classen in der RGG 1931 die „neue völkische Bewegung“ als „schärfer, härter, von vornherein unfrommer als die erste“213. Auch Uwe Puschner weist auf die Radika­ lisierung der Volkstumsbewegung in Form der völkischen Bewegung hin: „Die völkische Bewegung reicht jedoch keineswegs bis zum Beginn des 19.  Jahr­ hunderts, bis zu Arndt, Fichte und Jahn zurück, was von Seiten der Völkischen bei der Konstruktion ihrer eigenen Geschichte wiederholt behauptet und von der (historischen) Forschung bisweilen bereitwillig übernommen wurde.“214

Ihr Beginn wird in der neuesten Forschung für die Zeit um 1900 angenommen215. Geprägt ist die völkische Bewegung als radikalisierte Volkstumsbewegung von Beginn an von Nationalismus, Chauvinismus, Rassismus, Biologismus, Sozialdarwinismus, Imperialismus, Antisemitismus und später Antikommunismus. Besonders der Antisemitismus tritt gegenüber der schon vorher mehr oder minder latent vorhandenen Judenfeindschaft der Volkstumsbewegung nun radikalisiert und aggressiv in Form des Rassenantisemitismus hervor. Die Beziehung zum eigenen Volk ist monomanisch und verabsolutierend, das Volkstum wird vielen zur Ersatzreligion216. Nach dem verlorenen Weltkrieg, der sich nicht zuletzt als Katalysator für eine Radikalisierung des Volkstumsdenkens auswirkte, und insbesondere nach dem parteipolitischen Ausscheiden der radikalen Völkischen aus dem rechten politischen Sammelbecken der DNVP217, bemühte man sich in der völkischen 213 Classen, Bewegung, 1616 f. Er gibt den zeitgenössischen Blick der Volkstumsbewegung auf die völkische Bewegung wieder. „Man glaubt nicht mehr an den Geist“, schreibt er weiter, „man glaubt an das Blut. […] Es wird mit dem Begriff Rasse gewirtschaftet, ohne daß klar gestellt ist, was der Begriff besagen soll.“ 214 Puschner, Strukturmerkmale, 448. Über das Nebeneinander von Volkstumsbewegung und völkischer Bewegung schreibt er: „Noch während des Krieges wurde seit 1916/17 – parallel zur nationalen Sammlung – mit dem Neuaufbau der völkischen Bewegung begonnen“ (ebd., 459). 215 Vgl. den knappen und instruktiven Überblick zu Organisationsstruktur und Ideologie der völkischen Bewegung im Vorwort zu Puschner/Grossmann, Völkisch. 216 Vgl. Puschner/Schmitz/Ulbricht, Handbuch, XVII. 217 Im Jahr 1922 wurde von radikalen Völkischen infolge von parteiinternen Streitigkeiten über die sogenannte „Judenfrage“ die Deutsch-Völkische Freiheitspartei als Abspaltung von der DNVP gegründet. Sie verstand sich dezidiert völkisch und rassenantisemitisch. Zu den Völkischen in der DNVP, den Streit um den Antisemitismus und die Abspaltung der Völkischen vgl. Breuer, Völkischen, 148 f.183–193. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Bewegung um eine scharfe Abgrenzung von den als konservativ beschimpften Deutsch-Nationalen bzw. den „Nationalen“218. Stellvertretend für viele Völkische bringt Walter Kramer 1924 das Verhältnis zu den Deutsch-Nationalen auf den Punkt, wenn er schreibt, „uns trennt eine ganze Welt.“219 Der gewichtigste Vorwurf lautet: „Sie haben es nicht gewagt – und das ist ihre schwerste Schuld –, den offenen Kampf gegen das Judentum aufzunehmen“. Basierend auf der völkischen Erkenntnis „Volksgemeinschaft ist Blutsgemeinschaft“, lautet das Ziel ein „neue[s] Großdeutschland – auf völkischer und sozialer, auf judenreiner, echt deutscher Grundlage errichtet“220.

Neben diesen politischen und rasseideologischen Kennzeichen nimmt die völkische Bewegung als ein Hauptmerkmal mehr und mehr religiöse Züge an: „Die Jünger des neuen völkischen Glaubens […] leben von Begeisterung, Haß und der noch völlig dunklen Idee des ‚dritten Reichs‘ und sind auch in ihrer Haltung der Religion gegenüber vom Rassegedanken bestimmt.“221 Verstand sich die Volkstumsbewegung sowohl in ihren Anfängen insgesamt als auch später noch in aller Regel als auf dem Boden des Christentums stehend, so kennzeichnen die völkische Bewegung mehr und mehr unchristliche und antichristliche Züge. „Auf dem Boden der radikalen v[ölkischen] B[ewegung] sind endlich die Ausprägun­gen von v[ölkischer] R[eligion] entstanden, die sich bewußt neben oder gegen die christliche Religion stellten, um einen ‚arteigenen‘, ‚deutschen Glauben‘ zu gestalten.“222

Diese Suche nach einer „arteigenen Religion“ ist für Uwe Puschner „archimedischer Punkt“ der völkischen Weltanschauung223. Kennzeichen einer zumindest tendenziell völkischen Religion ist zunächst die Rede vom „deutschen Gott“. Dazu kommt vielfach eine mehr oder minder stark ausgeprägte Bestrebung zur „Germanisierung des Christentums“. Mit dem Vordringen eines mehr und mehr radikalen Antisemitismus nimmt unter den sich noch irgendwie christlich verstehenden Völkischen auch das Unbehagen an Jesus Christus als Jude 218 Vgl. Puschner, Strukturmerkmale, 447–450 und den zeitgenössischen Artikel „Zur Auseinandersetzung mit den Deutsch-Nationalen“ von Theodor Fritsch. 219 Kramer, Völkischen, 144. 220 Ebd., 146 f. 221 Classen, Bewegung, 1617. 222 Hohlwein, Bewegung, 1429. „Wo Volkstum und Rasse zu wesentlichen Kennzeichen oder Maßstäben einer Religion erhoben werden, wo Gott in einem besonderen Verhältnis zu einem Volk gesehen oder das Bekenntnis zu Jesus Christus davon abhängig gemacht wird, daß er wenigstens ein ‚Arier‘ gewesen sei, ist von völkischer Religion zu sprechen“ (ebd., 1427). Zur völkischen Religion vgl. zeitgenössisch auch Weinel, Bewegung, 1617–1623. 223 Puschner, Volk, 29. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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zu. Sein Heil und damit die Rettung aus dieser Aporie suchte man aus diesem Grund bei einem als „arisch“ deklarierten und damit germanisierten Jesus. Unüberschaubar ist die Vielzahl von kleinen und kleinsten bewusst un- und antichristlichen völkisch-religiösen Gruppierungen, deren religiöse Radikalität auch ihrer politischen entsprach (z. B. der Kreis um Mathilde Ludendorff ). Heinrich Weinel gibt in seinem RGG-Artikel von 1931 jedoch zu bedenken: „Viel größer als das Häuflein dieser Radikalen ist die Schar derer, die das Christentum oder wenigstens gewisse Züge in ihm und immer (den Arier) Jesus anerkennen, nur die Kirche und das Alte Testament ablehnen. […] Man wirft der Kirche vor, daß sie unser Volkstum sich selbst entfremdet, romanisiert und judaisiert, den Wert von Volkstum und Rasse verkannt […] habe.“224

Der Großteil der protestantischen Theologen in der Weimarer Republik sah sich, insofern er selbst Träger der Volkstumsbewegung war, durch die völkische Bewegung herausgefordert. Repräsentativ dürfte diesbezüglich die Haltung des Jenaer Neutestamentlers und Systematikers Heinrich Weinel sein, die er 1931 in seinem RGG-Artikel „Völkische Bewegung und Christentum“ vertritt: „Das Christentum verwirft die v[ölkische] B[ewegung] nicht, sondern läßt sich von ihr gerne aufrufen, mehr als bisher und bewußter als je Volkstum und Rasse rein erhalten und veredeln zu helfen. Das ist jetzt um so nötiger, als in der Gegenwart eine internationale Welle volkstumszerstörender und entsittlichender Mächte über unser Volk dahingeht. Die Theologie soll sich dessen voll bewußt werden und in ihrer Dogmatik ein Christentum ausprägen, das die Werte des Volkstums und der Rasse in sich aufgenommen hat. Die Ethik muß mehr als bisher Volkstum, Vaterland und Gemeinschaft betonen. […] Das Christentum ist nicht international, sondern über­ national; es ehrt und heiligt auch das Volkstum als eine Schöpfung Gottes.“

Damit vertritt Weinel innerhalb der Volkstumsbewegung eine Haltung, in die die Kategorie der Rasse bereits eingedrungen ist. Dies hindert ihn allerdings nicht daran, sich im gleichen Atemzug von der als zu radikal und unchristlich empfundenen völkischen Bewegung abzugrenzen: „Umgekehrt hat das Christentum der v[ölkischen] B[ewegung] […] vorzuwerfen und zu verlangen, daß sie von sich abtun: nicht nur diese ungerechte und zum Teil beschimpfende Kritik, sondern auch den Versuch, es in völkischen oder staatlichen Dienst zu zwingen, den Antisemitismus des Hasses und der Gewalttat, die Verherr­ lichung des Krieges und die Ueberordnung von Rasse und Volkstum über die Wahrheit und die Liebe. Unwahr ist die parteiische Verherrlichung des eigenen Volkstums und die sittliche Aechtung anderer Rassen. Eine besondere Gefahr bedeutet 224 Weinel, Bewegung, 1620 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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der ­Nationalsozialismus mit seiner ‚positiv-christlichen‘, aber das Christentum seinen Parteizielen unbeirrt unterordnenden und dadurch zerstörenden Haltung“225.

Politischer Träger von Volkstumsbewegung und völkischer Bewegung ist nach dem Krieg zunächst die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) als politisches Sammelbecken rechter und rechtsradikaler Kreise226. Vor allem die vormaligen politischen und wirtschaftlichen Eliten des Kaiserreichs, der Adel, das höhere Beamtentum, das Offizierskorps und das gehobene Bürgertum, fanden hier ihre Interessenvertretung. Starken Rückhalt fand die Partei in der evangelischen Kirche, bei Großgrundbesitzern, bei den Vertretern der Industrie sowie bei den militanten vaterländischen Verbänden. Die Deutschnationalen, die sich als die großen Verlierer der Revolution 1918/19 fühlten, bekämpften von Beginn an das parlamentarisch-demokratische System der Weimarer Republik. Sie waren überzeugt von der „Dolchstoß-Legende“ und forderten die Wiederherstellung der Monarchie. Zu ihren zentralen politischen Forderungen gehörte die Außerkraftsetzung des Versailler Vertrags, insbesondere die Rückgabe der abgetretenen Gebiete und der ehemaligen deutschen Kolonien. Den Unterschied von Volkstumsbewegung und völkischer Bewegung spürte auch die DNVP als rechte Sammelpartei. Weil deren Politik einem Teil der Völkischen zu gemäßigt erschien, verließen viele von ihnen 1922 die DNVP und gründeten die nationalistisch-antisemitische Deutsch-Völkische Freiheits­ partei227. Ihren Höhepunkt in Bezug auf Mitgliederzahlen und Wahlergebnisse hatte die DNVP Mitte der 20er Jahre, als sie bei den Reichstagswahlen 1924 über zwanzig Prozent der Stimmen erringen konnte. Bei der Wahl des Reichs­ präsidenten 1925 unterstützten die Deutschnationalen den greisen Paul von Hindenburg. In der Phase der relativen Stabilisierung der Weimarer Republik stellte die DNVP ihre Vorbehalte gegen das parlamentarisch-demokratische System vorübergehend zurück und beteiligte sich ab Januar 1925 erstmals an einer Reichsregierung, zog sich jedoch schon im Oktober 1925 aus Protest gegen die Verträge von Locarno aus der Regierungsverantwortung zurück. 1927/28 beteiligte sich die DNVP erneut an der Regierungskoalition. Auch auf Länderebene übernahm die DNVP Mitte der 20er Jahre Regierungsverantwortung. Von den Wählern wurde dies jedoch nicht goutiert. Nach starken Verlusten bei der Reichstagswahl 1928 übernahm Alfred Hugenberg als Vertreter des radikalen nationalistischen Flügels den Parteivorsitz und brachte die Partei 225 Ebd., 1625 f. 226 Zur DNVP vgl. Liebe, Volkspartei; und Ruge, Volkspartei. 227 Zum Verhältnis von Völkischen und DNVP vgl. Breuer, Völkischen, 148 f.183–193. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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wieder auf einen strikten Ablehnungskurs zur Weimarer Republik. Unter Hugenberg näherte sich die DNVP immer mehr der aufstrebenden NSDAP an, 1929 wurde ein gemeinsam organisierter, letztlich erfolgloser Volksentscheid gegen den Young-Plan der Alliierten initiiert. Während die NSDAP immer mehr Wählerstimmen für sich verbuchen konnte, wurde die DNVP mehr und mehr bedeutungslos, ehe sie 1933 noch einmal Bedeutung als „Steigbügelhalter“ der Hitlerpartei erlangten. Aus Protest gegen den zunehmend populistischen und rechtsradikal-völkischen Kurs unter Hugenberg verließen ab 1928/29 immer mehr gemäßigte, weniger republikfeindliche Deutschnationale die Partei und versuchten, neue Parteien zu bilden. Vor allem der vormals starke christlich-soziale Flügel kehrte der DNVP den Rücken und bildete 1928/29 den „Christlich-Sozialen Volksdienst“ als betont evangelische Partei228. Nachdem nun der politisch-weltanschauliche Rahmen von Volkstumsbewegung und völkischer Bewegung in Grundzügen abgesteckt wurde, soll abschließend noch einmal deren Verhältnis zu Theologie und Kirche bzw. deren Wirkung auf sie betrachtet werden. Scholder schreibt dazu: „Die politische Theologie war die Antwort des deutschen Protestantismus auf die völkische Bewegung. Es war nicht seine einzige Antwort, aber es war seine erste und für einige Zeit seine wichtigste. Damit waren 1924, als die Diskussion um die Stellung der Kirche zur völkischen Bewegung begann, einige wesentliche Entscheidungen bereits gefallen. Die Entdeckung des Volkes als des neuen ethischen Bezugspunktes der Theologie war weithin akzeptiert. Damit war zugleich eine unmittelbare Verantwortung der Kirche für Volk und Volkstum anerkannt. Diese beiden Entscheidungen waren insofern von grundsätzlicher Bedeutung, als sie das Verhältnis der Kirche zur völkischen Bewegung von Anfang an unter einen positiven Aspekt rückten. Die völkische Bewegung erschien danach grundsätzlich als eine gute, eine wichtige, eine bejahenswerte Erscheinung: Dies war die Grundstimmung der meisten Beiträge zum Thema völkische Bewegung und Kirche seit 1924.“229

Auf die politische Affinität der evangelischen Kirchenführer zur Volkstums­ bewegung und damit deren politischem Arm, der DNVP, hat vor Scholder schon Jonathan Wright hingewiesen: „Im Prinzip galt den Kirchenführern die nationale Opposition als respektabel […]. Zugleich schreckte die Kirchenführer auch die Vorstellung, daß die Kirche ins Abseits geraten könne, wenn sie sich einer Volksbewegung der national gesinnten Kräfte versage, in der sie überdies einen kraftvollen Abwehrblock gegen den Kommunismus erblickten. Je weiter die Stärkung der nationalen Opposition fortschritt und diese die 228 Zum Christlich-Sozialen Volksdienst vgl. Opitz, Volksdienst. 229 Scholder, Kirchen, 157. Scholder warnt davor, „daraus schon auf ein allgemeines Enga­ gement für die völkische Bewegung im deutschen Protestantismus zu schließen“ (ebd., 157 f.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Unterstützung zahlreicher Kirchenglieder gewann, desto empfänglicher wurden die Kirchenführer für deren Propaganda, zumal die Weimarer Republik nicht in der Lage schien, sich den Herausforderungen der Wirtschaftskrise gewachsen zu zeigen.“230

Und je weniger sie das schien, desto mehr verlagerten sich die politischen Hoffnungen und damit die Erwartungen für die Kirche von der DNVP hin zur konsequenteren und radikaleren und in ihrem Auftreten geschickteren NSDAP. Wenn auch die Einschätzung Scholders, dass die politische Theologie die Antwort auf die völkische Bewegung nach dem verlorenen Krieg war, zumindest für Althaus nicht zutrifft, weil seine politische Theologie, wie von Liebenberg gezeigt, bereits unter den Kriegserfahrungen heranreifte und in den 20er und 30er Jahren aber unter dem Eindruck der erstarkenden Volkstumsund völkischen Bewegung als Volkstumstheologie an Gewicht in seiner Gesamttheologie gewann, fasst er dennoch die Stimmung der damaligen Zeit gut zusammen. Denn gerade auch Althaus hatte kaum Berührungsängste mit der völkischen Bewegung. Wenn Scholder allerdings davon ausgeht, es waren innerhalb der ­Kirche „in Wirklichkeit nur kleine Gruppen, die sich für das Thema überhaupt interessierten“231, so gilt das für die völkische Bewegung, nicht aber für die viel breitere Volkstumsbewegung, die gerade in den evangelischen kirchlich-theologischen Kreisen ihren Rückhalt hatte. Schon diese Unschärfe bei Scholder spricht dafür, Volkstumsbewegung und völkische Bewegung zu unterscheiden. Zu diesen „kleinen Gruppen“, die sich schon früher als andere für die „völkische Frage“ interessieren, zählen für Scholder „einzelne Pfarrer und Lehrer aus praktisch-beruflichen Gründen, weil vor allem die Jugend den völkischen Ideen anhing.“232 Wie auch für Althaus als akademischen Lehrer „praktischberufliche Gründe“ im täglichen Umgang mit seinen Studenten mitausschlag­ gebend waren, sich intensiver mit der „völkischen Frage“ zu beschäftigen, soll der nächste Abschnitt zeigen.

230 Wright, Parteien, 121. 231 Scholder, Kirchen, 158. Denn, so Scholder weiter: „Die konservativ-nationalen Pfarrer distanzierten sich in der Regel von der völkischen Bewegung, und im Kreis der dialektischen Theologen nahm man von der ganzen Angelegenheit nicht einmal ernsthaft Kenntnis.“ In diesem Fall spricht er offenbar von der völkischen Bewegung im Sinne der radikalisierten Volkstumsbewegung. 232 Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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3.3.2 Paul Althaus und die Studentenschaft „Die durch ökonomische Schwierigkeiten gequälten Studenten in der Weimarer Republik unterschieden sich deutlich von denen der Vorkriegs- und unmittelbaren Nachkriegsjahre. Die lerneifrige und die verlorene Zeit aufzuholen suchende Kriegsstudentengeneration verließ bis 1923 die Hochschulen. Die Nachfolgegeneration übernahm den nun aufblühenden antibürgerlichen Geist der Jugendbewegung, politisierte, radikalisierte und militarisierte ihn jedoch. Diese Generation kannte nicht mehr die Front, hatte wohl aber die Entbehrungen der Nachkriegszeit, die Revolution, das Versagen des Staatsapparats, Putsche, Hunger und Inflation miterlebt. Sie verließ spätestens gegen Ende der 1920er Jahre die Hochschulen und machte der nächsten Platz, die ihr Studium angesichts von Weltwirtschafts- und Überfüllungskrise sowie bedrückender beruflicher Aussichten begann. Allen diesen Studentenjahrgängen waren Enttäuschung, Skeptizismus und Zynismus eigen, aber auch ein eng mit der Hoffnung auf einen Aufbruch, auf etwas Großen und Neues verbundener Idealismus, der ‚neues Volksleben‘ aus der ‚Zertrümmerung der Gegenwart‘ schaffen wollte, eng verzahnt mit einer besonderen ‚Anfälligkeit für das Grundrauschen der völkisch-antisemitischen Publizistik der Weimarer Jahre‘, wie es sich in den Werken Arthur Moeller van den Brucks, Oswald Spenglers, Edgar Julius Jungs, Hans Grimms, Erwin Guido Kolbenheyers und anderer Autoren der ‚Konservativen Revolution‘ offenbarte.“233

Dieser Überblick Harald Lönneckers über die studentischen Generationen 1918 bis 1933 bestätigt frühere Forschungsergebnisse über die „Ausbreitung des völkischen Gedankens in der Studentenschaft der Weimarer Republik“. So nimmt schon Adolf Leisen in seiner gleichnamigen Arbeit für diese Zeit drei Stufen an: Die Kriegsteilnehmergeneration „bemühte sich zunächst um eine Zusammenarbeit mit dem neuen Staat“. Sodann wurde „in den Jahren zwischen 1924–1927 die völkische Ideologie, die schon vorher in der Studentenschaft Anhänger gefunden hatte, von der Mehrheit der Studenten angenommen“. Schließlich veranlasste die „völkische Ideologie, einmal zur Vorherrschaft gelangt, […] die Studenten zum aktiven Kampf gegen die Republik. […] 1931 war dieser Prozeß abgeschlossen; von da an stand die Mehrheit der organisierten Studenten auf der Seite der Nationalsozialisten.“234 Blickt man besonders auf die Universität Erlangen, wo Althaus seit 1925 lehrt, so fällt zunächst ins Auge, dass die Studentenschaft der Friedrich-Alexander-Universität in der Zeit der Weimarer Republik in Sachen Politik ihrer Zeit voraus war: Bereits im September 1923 wurde hier die erste NS-Studentengruppe gebildet und schon sechs Jahre später konnte der NS-Studentenbund 233 Lönnecker, Grundrauschen, 8 f. 234 Leisen, Ausbreitung, 1 f. Zur Radikalisierung der akademischen Jugend, insbesondere im Hinblick auf den Antisemitismus, vgl. Mosse, Rechte, 193–208. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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(NSDStB) bei den Hochschulwahlen im November 1929 erstmals an einer deutschen Universität die absolute Mehrheit der Sitze im AStA erringen235. Dazu schreibt Gotthard Jasper: „Dieser Wahlsieg des NS-Studentenbundes kam nicht von ungefähr, aber will man die ganze Universität in den Weimarer Jahren symbolisch kennzeichnen, dann war nicht braun, sondern eine spezifisch schwarzweißrote Färbung für die Erlanger alma mater typisch.“236

Diese politische Entwicklung, d. h. der Rechtsruck der Studenten blieb den Professoren nicht verborgen. Besonders Althaus mit seiner Erlebnishermeneutik bleibt von diesem Vorgang nicht unbeeindruckt237. Im Gegenteil: Die zunehmende Politisierung238 und Nationalisierung der Studenten beeinflusst den jungen Theologieprofessor, der mit seiner politischen Theologie stets am Puls der Zeit ist und dessen Hoffnungsträger für eine christliche und nationale Wiedergeburt Deutschlands die akademische Jugend ist, auf nicht zu unterschätzende Weise. Sein Anliegen ist es, für die Jugend offen zu sein, zu wissen, was sie bewegt, um daran mit seiner Art der christlichen Verkündigung anknüpfen zu können. Diese Anknüpfung fällt ihm insofern besonders leicht, als zwischen ihm und den Studenten ein politischer Grundkonsens vorhanden ist: Denken, Fühlen und Glauben in nationalen Kategorien. Gerade weil die Studenten zunehmend von einer nationalen und völkischen Weltanschauung geprägt sind, fühlt sich Althaus herausgefordert, sich mit der völkischen Bewegung zu beschäftigen und nach möglichen Anknüpfungspunkten für die Verkündigung, sprich nach dem Positiven, zu suchen, aber auch die Grenzen zum abzulehnenden Nationalismus und Chauvinismus klar zu benennen. Auf der anderen Seite sorgt Althaus mit seiner Art, eine politische Theologie des Volkstums zu treiben, seinerseits dafür, dass die Politisierung und Nationalisierung der Studenten voranschreitet. Seine Erlebnishermeneutik und davon abgeleitet seine Erfahrungstheologie mündet letztlich in einen Zirkelschluss: Je mehr er nationales Gedankengut wahrzunehmen meint, desto mehr wähnt er 235 Vgl. Jasper, Universität, 795 f. 236 Ebd. 237 Zur Althausschen Erlebnishermeneutik vgl. Liebenberg, Gott, 211–221.302–304. 238 Über die Politisierung der Studenten sowohl nach links als auch nach rechts schreibt der Theologe Heinz-Dietrich Wendland 1930 in einer Rezension zu Muntschicks Sammelband „Der Student vor Gott“ im „Eckart“ (492; Hervorhebung von ihm): „Welche geistigen Bewegungen bestimmen das Gesicht der heutigen Studentenschaft? Die Politisierung des studentischen Lebens durch Parteigruppen, heute so wirksame Bewegungen wie der Nationalsozialismus und der Sozialismus, – kann man an diesen unzählige Studenten bestimmenden Wirklichkeiten vorüber, wenn man nachdenkt über ‚Der Student vor Gott‘?“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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sich mit seiner Volkstumstheologie auf dem richtigen Weg, weil er damit die Menschen, in diesem Fall seine Studenten, in ihrem Anliegen mit seinem daran anknüpfenden christlich-volksmissionarischen Anliegen zu erreichen meint. Je mehr er sich aber andererseits auf dem richtigen politisch-theologischen Weg wähnt, desto selbstverständlicher und nachdrücklicher wird auch seine Volkstumstheologie, was sich wiederum auf seine Studenten auswirkt – wenn auch Björn Mensing darauf verweist, den „Einfluß von Theologieprofessoren und Theologien auf die politische Orientierung der Studenten und späteren Pfarrer“ nicht zu überschätzen239. Ein weiterer allgemeiner Aspekt im Verhältnis des Bildungsbürgertums zur sich zunehmend radikalisierenden Jugend, den Leisen geltend macht, trifft auch auf Althaus und sein Verhältnis zu seinen Studenten zu: „Vielfach wurde auch der Radikalismus der Jugendlichen nicht in seiner Gefährlichkeit erkannt, und aus diesem Grunde gerade von den Älteren im gebildeten Bürgertum nicht ernst genommen. Manche waren sogar bereit, den ‚Idealismus‘ der Jugend, der sich in extremen Handlungen austobte, wohlwollend anzuerkennen. Das gilt insbesondere für den Rechtsradikalismus. Aber auch kommunistische oder anarchis­ tische Ideen nahm man der Jugend nicht so übel, wie überzeugte Anhängerschaft an die Demokratie.“240

Unbeschadet dessen hat Althaus gemäß seinem eigenen, die Extreme vermeiden­ den Mittelweg von Beginn an ein kritisches Auge auf die völkischen Umtriebe an der Universität. Als die von ihm so geschätzten „feldgrauen Hörerscharen“ Mitte der 20er Jahre die Hörsäle verlassen haben, entgeht auch ihm die zunehmende Radikalisierung der Studentenschaft nicht. Sein Anliegen ist es, dieser entgegenzuwirken. Als ihn die Rostocker Studentenschaft bittet, einen Gottesdienst am Gedenktag der Reichsgründung am 18. Januar 1923 zu halten, bringt er sein nationales und sein volksmissionarisches Anliegen in der Predigt voll zur Geltung. In der national extrem aufgeladenen Zeit des Januars 1923 – wenige Tage vor dem Gottesdienst hatten belgische und französische Truppen das Ruhrgebiet besetzt, um deutsche Reparationszahlungen mit Waffengewalt zu er­ zwingen241  – gelingt es Althaus in seiner Predigt, sowohl an den nationalen 239 Mensing, Pfarrer, 61. 240 Leisen, Ausbreitung, 262. 241 So beginnt Althaus seine Predigt mit den Worten: „Es sind Tage wie Kriegsbeginn, die wir durchleben. Der letzte lügnerische Schein des Friedens riß in Stücke“ (2301P Losung, 114). Er fährt fort: „An der Front im Ruhrgebiet wird von tapferen Männern ein Nein gesprochen, für das sie eintreten mit Person und Existenz. […] Wir hoffen zu Gott, daß die brutale Macht der Welschen sich an dieser Mauer bricht.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Freiheitswillen der Studenten zu appellieren, als auch die klaren Grenzen einer nationalen Vereinnahmung des Glaubens anzumahnen. Er selbst lädt den Freiheitskampf theologisch auf, wenn er ihn als Prüfung Gottes interpretiert, der an seiner Berufung des deutschen Volkes festhalte242: „Das ist der Gottesernst dieser Tage. Jetzt ist die Stunde, da es gilt, zu unserer deutschen Pflicht und Freiheit zu stehen mit eisenhartem Willen.“ Denn „auch von uns, weit hinter der Front, wird die Probe der Männlichkeit heute verlangt.“ Diesem Ja des Patrioten Althaus zum deutschen Freiheitskampf folgt sogleich das Aber des Theologen Althaus: „Dieser Gottesdienst, Kommilitonen, den ihr gewollt habt, dessen ich mich freue, wird zur Sünde, wenn wir heute nur in nationaler Romantik ein Stündlein fromm wären.“ Seine volksmissionarische Erwartung lautet demgegenüber: „Daß die Not Deutschlands, die heute zum Glauben für unser Vaterland ruft, jeden von uns auch in seinem persönlichen Leben vor die Gottesfrage stellte – mit vollem Ernste!“ Denn für „solchen nur vaterländischen Gottesglauben, vollends von der Religion für nationale Festtage gilt das schneidende: ‚Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten!‘ Solcher ‚Glaube‘ ist in sich selbst gerichtet“.

Aus diesem Grund spricht sich Althaus vor den Studenten einmal mehr gegen die in nationalen Kreisen beliebte Rede vom „deutschen Gott“ aus: „Kommilitonen, wir stehen hier vor Gottes Angesicht, und ich will den Namen des Herrn, meines Gottes, nicht unnützlich führen.“243 Neben der nationalen Frage liegt Althaus in seinem Appell an die Studenten vor allem die Bekämpfung der Unmoral und die soziale Frage am Herzen: „Die Schamhaftigkeit, die Ehrfurcht vor der Frau und der Ehe […] muß wieder erkämpft werden, in uns, durch uns, für unser ganzes Volk. […] Kein Volk wirft ungestraft das sechste Gebot zum alten Eisen. […] Daß die deutsche Jugend hellen Zornes aufstände: Hände weg von unseres Volkes Heiligtümern und Zukunft! […] Daß die akademische Jugend wieder zum Adel deutscher Nation werde!“244

Daneben gelte es, dem Vorbild aus der Kriegszeit mit der Gemeinschaft der Schützengräben folgend, die Kluft zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft zu überwinden. Explizit transportiert Althaus mit seiner Klage über „unserm kranken Volke“, das an Unmoral und Zerrissenheit leidet, seine Ablehnung der 242 2301P Losung, 117 f. Die folgenden Zitate finden sich ebd., 117–119. 243 Althaus betont, Gott sei nicht dazu da, „irgendwo in der Welt allzu menschliche ‚nationale Ansprüche‘ zu befriedigen oder unsere Iden von Gerechtigkeit zu erfüllen“. Auch vor der „Eitelkeit auf deutsches Wesen, an dem die Welt genesen müsse“ warnt der Theologe seine Predigthörer. 244 Ebd., 120 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Weimarer Republik, die zudem noch den „Frevel des 28. Juni 1919“ begangen hat, d. h. die Unterzeichnung des Versailler Vertrages, die er für die aktuelle nationale Bedrohung durch die französisch-belgische Besetzung verantwortlich macht245. Ein Jahr später, im Januar 1924 warnt Althaus seine studentischen Bundesbrüder im Schwarzburgbund eindringlich vor einer Politisierung des Schwarzburgbundes und einer Mitarbeit im völkisch und insbesondere antisemitisch ausgerichteten „Deutschen Hochschulring“, einer der einflussreichsten Formierungen der Völischen unter den Studenten und späterer Wegbereiter des NSDStB246: „Daher widerstehe unser Bund ernstlich den Versuchungen, als Organisation nach außen hin wirken zu wollen, Losungen auszugeben, seine etwaige Macht einzusetzen. Ich verkenne die Verdienste des Hochschulrings deutscher Art nicht. Aber was soll aus unseren Hochschulen werden, wenn die Studentenschaft, aus edlem, heißem Herzen heraus, und doch ohne ernste Einsicht und Verantwortung, politisch Stellung nimmt, Urteile vollzieht und sich zum Sturmtrupp der nahen Befreiung bietet? Ich kenne den herrlichen Idealismus, aber auch die verzweifelte Blindheit, die illusionsfrohe Romantik, die in gänzlich unpassenden Erinnerungen an 1813 schwärmt […]. Die Stunde wird kommen, da unsere junge Mannschaft […] sich einsetzen muß. Noch aber ist die Stunde nicht da. Daher wird es die Aufgabe unserer Verbindungen sein, sich gegen den ‚Hochschulring‘ selbständig zu halten und ihn zum Maße und zum Wachsein zu rufen. Eine undankbare Aufgabe und doch ein unendlich nötiges Werk.“247

Es ist bezeichnend für Althaus, dass er ausgerechnet Anfang 1924, nachdem mit dem Jahr 1923 ein „unerhört schweres Jahr deutscher Geschichte“ verstrichen ist, vor einer politischen Radikalisierung warnt und die „unheimliche Flamme des Fanatismus rechts und links“ anprangert. Wenn er in diesem Zusammenhang von denjenigen spricht, die „verantwortungslos edelste Jugend für das kindliche Wahngebilde schneller und leichter Freiheit mißbrauchen“248,

245 Ebd., 114. 246 Zum „deutschen Hochschulring“ (DHR) als Dachorganisation der sich vor Ort jeweils „Hochschulring deutscher Art“ nennenden Einzelorganisationen schreibt Lönnecker, Grundrauschen, 11, Anm. 7: „Der DHR als Verband wurde am 22. Juli 1920 in Göttingen […] gegründet und ging aus der im Sommer 1919 gegründeten Fichte-Hochschulgemeinde Berlin hervor, ‚deren Führer größtenteils deutsch-völkische Wandervögel waren‘. […] Der DHR wurde im Juli 1933 aufgelöst“, als er seine Mission als erfüllt ansah. Der DHR verstand sich als das „völkische Gewissen“ der Deutschen Studentenschaft in der Weimarer Republik. Vgl. Franze, Studentenschaft, 61–66; und Fliess/John, Hochschulring, 116–127. 247 2402 Jahre, 2. 248 Ebd., 1. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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dürfte er insbesondere die Nationalsozialisten und deren Putschversuch vom 9. November 1923 im Blick haben. In diesem Sinne hatte Althaus auch in einer Predigt in Rostock zwei Tage nach dem vereitelten Putschversuch Hitler als einen der Anführer des versuchten Umsturzes  – wenn auch nicht namentlich  – unter der Kategorie „Aben­ teurer“ verortet: „Die Jugend und leider auch Abenteurer möchten das neue Land im Sturme erobern. Geduld, Geduld! Auch Gottes Pfingsten in unserem Volke will erst heranreifen, bis seine Stunde kommt.“249 Was Althaus immer wieder den Studenten als Losung ausgibt angesichts der „Tiefe der deutschen Not“250 in der Weimarer Republik, ist Folgendes: Sie sollen national eingestellt sein, aber nicht nationalistisch; sie sollen sozial eingestellt sein, aber nicht sozialistisch; und überhaupt sollen sie christlich gesinnt sein. Auf diese Weise können in seinen Augen sowohl die „innerdeutschen Gegensätze und Spannungen“, die „Zersetzungserscheinungen im deutschen Volksleben“ und der „Riß, der durch unser Volk geht“ als auch „Schande und Druck der Fremdherrschaft“ eines Tages beseitigt werden251. Die Lösung von nationaler Frage  – im damaligen Sprachgebrauch „völ­ kischer Frage“ – und sozialer Frage liegt für Althaus in der Gemeinschaft, genauer in der Volksgemeinschaft. Dafür aber bedürfe es eines „sozialen Gewissens“ und einer sozialen Gesinnung, schärft er den Studenten 1924 ein: „Der Weg zur deutschen Freiheit geht nur durch die deutsche Einigung hindurch. Hierfür die Augen öffnen, den Blick schärfen für die Verkettung von Schicksal und Schuld in der Geschichte des deutschen Kapitalismus und Sozialismus, den Todeskampf des Marxismus, – den brüderlichen heißen Willen stählen zur Sozialkritik und sozialem Neubau im Geiste des christlichen Gedankens der Menschenwürde und Menschengemeinschaft“252.

Und dafür bedürfe es einer gesunden Vaterlandsliebe, wie sie Althaus dem akademischen Nachwuchs 1929 in seinem oben besprochenen Aufsatz „Das Vaterland“ ans Herz legt253. 249 2309P Weg, 202. Für Althaus wie für die meisten Zeitgenossen stand damals noch nicht der unbekannte Weltkriegsgefreite Hitler, sondern der hochdekorierte General Erich Ludendorff im Zentrum des Interesses: „Das Unselige, das wir dieser Tage erlebt haben – o, daß es so weit kommen mußte –, daß Deutsche wider Deutsche standen um des Vaterlandes Leben und Zukunft, daß edles Blut floß, daß deutsche Männer Hand anlegen mußten an den großen Führer unseres Krieges, es hat uns ins Herz getroffen.“ (ebd., 196). 250 2402 Jahre, 1. 251 Ebd., 1.3. 252 Ebd., 3. 253 Vgl. Kap. IV, 3.2.3. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Daneben ist es „Die soziale Verpflichtung des Studenten“, die Althaus in einer gleichnamigen „Ansprache an die Erlanger Studentenschaft zum Abschluß einer sozialen Vortragsreihe am 9. Mai 1930“ besonders betont254. Wie schon 1928 in seinem Aufsatz „Communio sanctorum“255 wendet sich Althaus auch hier gegen eine in seinen Augen falsche Auffassung der sogenannten „völkischen Frage“ unter den radikalisierten Studenten: „Die deutsche Studentenschaft hat sich in unseren Jahren immer stärker auf ihre völkische Verpflichtung besonnen. Die völkische Verpflichtung aber ist heute zuerst und zuletzt eine soziale Verpflichtung. Denn das Schwerste und Brennendste der völ­ kischen Frage ist die soziale Frage.“256

Anders als 1923/24, als die Integrität und die Freiheit des deutschen Staates unmittelbar außenpolitisch, durch die französische und belgische Besetzung des Ruhrgebietes bedroht war, identifiziert Althaus 1930 angesichts der katastrophalen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise das deutsche Problem noch stärker im sozialen Bereich. So ruft er den Studenten zu: „Kommilitonen, wir stehen in einer tiefernsten Stunde deutscher Volksgeschichte. Noch ist nicht entschieden, ob unser Volk leben oder sterben wird. Das Schlimmste, was uns bedroht, sind nicht die Feinde, sondern die schwere eiternde Wunde des Risses, der durch unser Volk geht. Lassen sie uns mithelfen, daß der Riß heile und sich schließe, auf daß unser Volk nicht sterbe, sondern genese und lebe!“

In Bezug auf die angesichts der wirtschaftlichen Not mehr denn je geforderte Solidargemeinschaft der Deutschen, die Volksgemeinschaft, sollen die Studenten als künftige Elite des Landes mit gutem Beispiel vorangehen. Dabei gelte es zuallererst überkommene, gerade in den Studentenverbindungen gelebte Standes­dünkel zu überwinden: „Die Zeit für das akademische Herrentum alten Stiles ist dahin. Heute gilt nur noch ein Herrentum in dem adligen Sinne, das sich als erster Diener am Volke weiß, ritterliches Herrentum.“257 Dieses Herrentum lebt im „Bewußtsein gliedhafter Verantwortung für Geistigkeit und 254 3004 Verpflichtung, 289. 255 Bereits dort ist für ihn die Frage nach der Gemeinschaft „die eigentliche Tiefe der ‚völkischen‘ Frage. Denn deren wahrer Ernst ist nicht das Rasseproblem, sondern das soziale“ (2803 Communio, 289). 256 3004 Verpflichtung, 289 f. 257 Ebd., 291; vgl. seine Aufforderung und Zielvorgabe an den Schwarzburgbund aus dem Jahr 1924: „Das aber sollen unsere Verbindungen nach wie vor für ihre höchste Aufgabe achten: Männer zu erziehen und zusammenhalten, die unserem Volke an ihrem Posten als ein christlicher Adel deutscher Nation untadelig dienen, durch das, was sie tun, und durch das, was sie sind.“ (2402 Jahre, 2). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Geschick unseres Volkes“ und weiß, „daß wir unser Student-Sein als Rüstung zum Dienste am ganzen Volke ganz ernst nehmen“.258 Im Sinne der Volksgemeinschaft dürfe es Standesdünkel und Klassengegensätze nicht mehr geben: „Wie oft verletzen wir gröblich, vielleicht ahnungslos die völkische Gemeinschaftspflicht und geben schweres Ärgernis!“259 „Wir sind dafür verantwortlich, daß der Arbeitsmann auf der Straße Ahnung und Achtung bekomme vor dem, was Student sein heißt. Wir wollen unser Auftreten […] daraufhin durchprüfen, ob sie trennen oder verbinden, Mißverständnis oder Verständnis schaffen.“ Denn: „Die soziale Verpflichtung bedeutet: dem anderen Achtung und Ehre bezeugen im täglichen Umgange, ihn fühlen lassen in unserer ganzen Haltung, daß wir uns ihm verbunden, ihn uns gleichgestellt wissen in der Menschenwürde.“260

So lautet für Althaus das Problem der Zeit, das gerade die akademische Jugend angehen muss: „Können wir die Volksgemeinschaft mit dem arbeitenden Volke […] wiederfinden? Das ist heute […] doch die ernsteste völkische Frage.“261 Vorbild für die vormals für unmöglich gehaltene Gemeinschaft von Student und Arbeiter war Althaus einmal mehr das Erlebnis des Weltkrieges, „das Erlebnis der Verbundenheit mit dem deutschen Arbeiter, mit dem die Kriegs­ freiwilligen Schulter an Schulter in den Schützengräben standen. Es war oft wie ein Frühling neuer deutscher Volksgemeinschaft.“262 3.3.3 „Protestantismus und deutsche Nationalerziehung“ – Althaus’ Vortrag vor der Fichte-Gesellschaft Bereits Mitte der 20er Jahre hat sich Althaus als evangelischer Volkstumstheologe einen Namen erworben. Dass er als theologischer Fachmann für Volkstumsfragen gilt, zeigen nicht nur seine bereits erwähnten Lexikon- bzw. Sammelbandbeiträge, sondern auch die Tatsache, dass er in dieser Zeit in den der Volkstumsbewegung zugehörigen Kreisen zunehmend als Redner nachgefragt wird. In seinem Bemühen, die Relevanz des christlichen Glaubens für das deutsche Gemeinwesen herauszustellen, konnte Althaus dies als einen Erfolg ver 258 3004 Verpflichtung, 290. 259 Ebd., 292. 260 Ebd., 291. 261 Ebd., 289. 262 Ebd.; vgl. Siegmund-Schultze, Ver Sacrum. Die Hoffnung auf einen „heiligen Frühling“ und auf „wahre Volksgemeinschaft“ (ebd., Vorwort), die ihre Nahrung aus dem Kriegserlebnis gewann, konnte Althaus dem Buch des Arbeiterpfarrers Siegmund-Schultze entnehmen; vgl. 2006R Siegmund-Schultze. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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buchen: Man wollte in der „völkischen Frage“ auch auf das Urteil der evangelischen Theologie hören, man wollte ein Wort aus der Kirche dazu. Dadurch erfuhr in seinen Augen die evangelische Theologie insgesamt durchaus so etwas wie eine gesellschaftliche Anerkennung als Ratgeberin in Volkstumsfragen. Wenn der Protestantismus schon nicht mehr die Leitkultur wie im Kaiserreich war, so wollte man doch immerhin auch jetzt noch auf sie hören. Eine der einflussreichsten Organisationen der Volkstumsbewegung war die „Fichte-Gesellschaft von 1914“, 1916 in neufichteanischem Geiste gegründet263 und gefördert vom Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband (DHV). Dieser ging als damals größter nichtsozialistischer Arbeitnehmerverband Deutschlands auf die christlich-soziale Bewegung Adolf Stoeckers zurück264. „Die Fichte-Gesellschaft“, so Ascan Gossler, „war ein Produkt der ‚Ideen von 1914‘ und von dem Streben nach nationaler Erneuerung getragen, das durch den Kriegsausgang verstärkte Aktualität erfuhr. Da es sich hierbei vorrangig um eine geistige und ideelle Erneuerung handelt sollte, sahen sich deshalb Gelehrte und Intellektuelle, bildungsbürgerliche Schichten also, zu seiner Durchführung berufen und bezogen aus dieser nationalen Erziehungsaufgabe einen elitären Führungsanspruch.“265

Dieser Führungsanspruch bei der geistigen Erneuerung Deutschlands war es auch, der volkstumsbewegte Kreise und nationalprotestantisch-volksmissionarisch orientierte Theologen und Kirchenmänner zusammenbrachte und in der Fichte-Gesellschaft eine personelle und ideelle Schnittstelle bilden ließ. Sie war ein erwachsenenbildnerisches Netzwerk der Volkstumsbewegung, finanziell und personell mitgetragen von der Inneren Mission266. Parteipolitisch war man offiziell neutral, aber deutlich mit der DNVP verbunden. Einflussreich war die Fichte-Gesellschaft in der Weimarer Republik nicht nur über ihre eigenen „Hochschulen“, die der Heranbildung von geistig-weltanschaulichen Multiplikatoren diente, sondern vor allem auch über die von dem evangelischen Publizisten Wilhelm Stapel geleitete Monatsschrift „Deutsches Volkstum“, die ebenfalls vom DHV getragen wurde und für die neben unzähligen Theologen auch Althaus zwei Artikel verfasste267. 263 Zum Neufichteanismus und zur Fichte-Gesellschaft vgl. Hoeres, Krieg, 293–305. 264 Vgl. Veraguth, Erwachsenenbildung, 156. 265 Gossler, Publizistik, 83; zur Fichte-Gesellschaft vgl. Koch, Fichte-Gesellschaft, 185–190. 266 Veraguth, Erwachsenenbildung, 153 konstatiert dazu: „Die Bindung an den Volksbegriff bringt in der Bildungsarbeit der Inneren Mission die enge Verbindung zwischen volksmissionarischer Apologetik und politischem nationalem Konservativismus zustande.“ 267 Es handelt sich um 3120 Glaube vom Dezember 1931 und um 3212 Nomos vom Januar 1933. In letztgenanntem Artikel erhebt er „theologischen Einspruch“ gegen die umstrittene Volksnomoslehre Stapels. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Hamburg stellte so etwas wie das Zentrum der Fichte-Gesellschaft dar. Neben der ersten „Fichte-Hochschule“ und der dort herausgegebenen Monatsschrift hatte auch der Vorsitzende der Gesellschaft, der Reeder und Kaufmann Kurt Woermann seinen Sitz in Hamburg. Der Theologe Otto Karl Witte leitete von 1921 bis 1926 die Hamburger „Fichte-Hochschule“ und wechselte 1926 als Vorsteher der Stadtmission zurück zur Inneren Mission, ehe er ab 1934 das Amt für Volksmission in Hamburg übernahm. Doch nicht nur in Hamburg, sondern auch in Berlin war die Verknüpfung zwischen Fichte-Gesellschaft und Innerer Mission eng. Dort war die „Fichte-Hochschule“ unter einem Dach mit dem Evangelischen Johannes-Stift der Inneren Mission in Berlin-Spandau, die auch die „Apologetische Centrale des Central-Ausschusses für Innere Mission“ beheimatete268. So kommt Nelson Edmondson zu dem Schluss, dass man in der Fichte-Gesellschaft großen Wert auf die Zusammengehörigkeit von Christentum und Deutschtum legte: „The Fichte Society also lent a Christian flavor to its interpretation of the nation. Repeated references in the society’s literature left no doubt that most of its members were conscious Christians, the great majority of them Protestant.“269

Über die Mitglieder der Fichte-Gesellschaft schreibt er: „The national membership of the Fichte Society was never large. During the peak of its activities in the early 1920’s the society numbered probably two or three thousand persons; in the later Weimar period, perhaps one thousand, most of them from the educated middle class.“270

Ziel und Zweck der Fichte-Gesellschaft lassen sich, zeitgenössisch formuliert, der Aussprache im Anschluss an die von ihr 1926 organisierte „Tagung für deutsche Nationalerziehung“ entnehmen. Hermann Ullmann, führendes Mitglied der Gesellschaft, bringt es dort auf den Punkt: „Der volkskonservative Gedanke der organischen Gemeinschaft steht jenseits von parteipolitischen und staatstheoretischen Auffassungen für uns im Vordergrunde. Das ist der tiefste Sinn der Fichte-Gesellschaft, daß sie Gemeinschaft im organischen Sinne pflegen will. Der Hauptgegner dieses Willens zur Gemeinschaft ist der liberale Gedanke, des Kampfes aller gegen alle, der das Chaos, in dem wir leben, zu recht­ fertigen scheint.“271 268 Vgl. Veraguth, Erwachsenenbildung, 154 f. 269 Edmondson, Fichte, 166. 270 Ebd., 174 f. 271 Christentum und Nationalerziehung, 53. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Dass er damit „jeden volkskonservativen Menschen“ im Gegensatz zum zu überwindenden politischen System der Weimarer Republik sieht, fasst der Theologe und Marburger Vorsitzende der Fichte-Gesellschaft Karl Bernhard Ritter272 in deutliche Worte: „Die ganze Struktur der Machtbildung, die ganze Art, wie die Technik des Staats­ apparates aufgebaut ist, die Beschaffenheit des Menschen, mit denen er es da zu tun hat, ist ihm wesentlich fremd und widerspricht seiner Art, zu schaffen und zu wirken. […] Die unheimliche Macht des alle echte Gemeinschaft auflösenden Liberalismus zu überwinden ist die erste und letzte Aufgabe, die nur in einer Gesamthaltung des Menschen, durch die Ueberzeugungskraft der geschlossenen gottgebundenen und darum auch volksgebundenen Persönlichkeit erfüllt werden kann.“273

Die Fichte-Gesellschaft führte in den Jahren 1924 bis 1931 insgesamt sechs sogenannte „Tagungen für deutsche Nationalerziehung“ durch, zu denen auch die interessierte Öffentlichkeit geladen war. Jede Konferenz dauerte mehrere Tage und bestand aus Vorträgen und Diskussionen274. Nach einer ersten Tagung 1924 zum Thema „Volkstum und Staat“ wurde am 5. und 6. März 1926 zur zweiten Tagung unter dem Titel „Christentum und Nationalerziehung“ nach Halle in die Aula der Universität eingeladen. Die Konferenz war bewusst ökumenisch konzipiert, und so wurden als Referenten für die katholische Seite Heinrich Karl Getzeny275 und für die evangelische Sicht Althaus eingeladen276. Nach einem einführenden Referat über „Christentum und Nationalerziehung“ von Karl Bernhard Ritter, sprach Getzeny über „Katholizismus und deutsche Nationalerziehung“ und Althaus über „Protestantismus und deutsche National­erziehung“.

272 Ritter war als DNVP-Politiker 1919–1921 Mitglied der verfassungsgebenden Preußischen Landesversammlung und saß anschließend bis 1924 im Preußischen Landtag. Er war seit 1925 der Vorsitzende der Marburger Sektion der Fichte-Gesellschaft. Bekannt wurde er vor allem als führende Persönlichkeit der Berneuchener Bewegung. Er ist ein Paradebeispiel für die Vernetzung innerhalb der Volkstumsbewegung, von DNVP, Kirche, Theologie und Fichte-Gesellschaft. 273 Christentum und Nationalerziehung, 54 f. Zur Weltanschauung innerhalb der FichteGesellschaft vgl. Edmondson, Fichte, 174 ff. 274 Vgl. Edmondson, Fichte, 171. 275 Getzeny engagierte sich während des Weltkriegs an der Tübinger Universität im sogenannten „Nationalen Studentendienst“ und war nach dem Krieg Landessekretär des „Volksvereins für das katholische Deutschland“ für Württemberg. Zum Volksverein vgl. Richter, Denken, 223–236. 276 Althaus’ Kontakt zur Fichte-Gesellschaft dürfte über deren Beziehungen zur Apologetischen Centrale in Berlin zustande gekommen sein, mit der Althaus seit 1924/25 zusammenarbeitete; vgl. den Exkurs in Kap. III, 4.5. Zur Vernetzung von volksmissionarischer und apologetischer Arbeit der Inneren Mission mit der nationalerzieherischen Arbeit der Fichte-Gesellschaft, die beide ab Sommer 1926 in Berlin unter einem Dach angesiedelt waren, vgl. Pöhlmann, Kampf, 109–111. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Im Vorwort zum Tagungsband, für den Witte verantwortlich zeichnet, heißt es, das Thema „Christentum und Nationalerziehung“ habe sich aus der ersten Tagung ergeben: „Gerade weil die völkische Bewegung weiß, daß sie gleichzeitig eine religiöse sein muß, wird sie zur Auseinandersetzung mit dem Christentum und dessen Anspruch, die vollkommene Gottesoffenbarung zu sein, gedrängt. Dazu kommt, daß das Christentum von dem Augenblicke an, da es in unsere Geschichte eintrat, unauflöslich mit unserem deutschen Wesen verbunden ist“.

Aus dieser Verbindung heraus stellt sich dann für ihn aber die „Frage nach der Bedeutung des Christentums für die nationalerzieherische Aufgabe“, und die beiden Konfessionen haben „Antwort darauf zu geben, wie sie zur völkischen Frage stehen, und was sie für die Nationalerziehung zu leisten imstande und willens sind“277. Die Antwort auf die „völkische Frage“ wollen der Katholik Getzeny und der Protestant Althaus nun geben. Ihre Vorträge stellen also nichts anderes dar, als den Nachweis der Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft von katholischer bzw. evangelischer Kirche und Theologie für die Nationalerziehung, d. h. für die Volkstumsarbeit der Volkstumsbewegung. Ihre Intention ist also apologe­ tischer, aber auch volksmissionarischer Art. Das nationalerzieherische Programm Getzenys gipfelt in dem Plädoyer: „So ist dem katholischen Christen das Nationale ein heiliges Gottesgeschenk und damit auch eine heilige religiöse Verpflichtung. Durch diese religiöse Auffassung des Nationalen bewahren wir es vor Vergötzung. Einen Absolutheitsanspruch des Nationalen lehnen wir ab. Auch das Nationale ist ein Glied, selbständig, wertvoll, unersetzlich, aber doch ein eingeordnetes Glied im großen Reiche der für Gott berufenen Gemeinschaften und der in Gott vereinten ewigen Werte. […] Die Nation, das Volk ist dem Katholiken etwas Gottgewolltes, von Gott berufen für eigene besondere Auf­ gaben. Diese haben wir zu erfüllen und daher ist unser Dienst am Volke Gottesdienst. Die Nationen wiederum sind berufen zu dem einen Gesamtreiche des Heils, dem sie alle als Glieder zu dienen haben.“278

Die Ähnlichkeit solcher Äußerungen mit denen Althaus’ aus anderem Zusammenhang ist frappant. Wenn man in Rechnung stellt, dass beide Referenten aus vollkommen unterschiedlichen Traditionen kommen und bis dato keinerlei ideellen Austausch pflegten, so zeigt sich darin die große Ausstrahlungskraft von Volkstumsdenken und Volkstumsbewegung auf evangelische und katho­ 277 Christentum und Nationalerziehung, Vorwort. 278 Getzeny, Katholizismus, 26 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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lische Theologie und Kirche. Der Vortrag Getzenys ist somit ein Beispiel dafür, wie volkstumsbezogen zur gleichen Zeit auch die katholische Theologie denken, fühlen und glauben konnte. Althaus hat es bei seinem Vortrag über „Protestantismus und deutsche Nationalerziehung“279 infolge des in der Volkstumsbewegung  – freilich aber nicht in der völkischen Bewegung – allgemein anerkannten Nationalprotestantismus einfacher als sein katholischer Kollege, die Zuhörer von der Bedeutung zu überzeugen, „die der Protestantismus tatsächlich, unbewußt, ungewollt für das deutsche Wesen gehabt hat und haben wird“280. Diese Betonung des unbewussten und ungewollten Einflusses ist Althaus sehr wichtig, weil für ihn gilt: „So verstanden allein entspricht unser Thema dem Wesen des Protestantismus. Der Protestantismus tritt als rein religiöse Bewegung in die Welt. Er wollte nicht deutsch sein.“281 So wie sich Althaus stets gegen eine nationale Vereinnahmung Luthers und der Reformation wehrt282, so macht er auch hier vor der versammelten Fichte-Gesellschaft deutlich: „So ist die Reformation ein allgemein-christliches, ja ein universal-religionsgeschichtliches, nicht nur ein deutsches Ereignis. Den Vätern unserer Kirche wäre der Gedanke, deutsches Christentum zu wollen, niemals gekommen und seltsam erschienen. Sie wollten das Evangelium, biblische Reinheit. […] Wir würden das Beste verraten, wenn wir das Luthertum, das aller Welt dienen will, als ‚das deutsche Christentum‘ empfehlen wollten.“283

Dass das Luthertum, angetreten als rein religiöse Bewegung, „das völkische Bewußtsein geweckt oder gestärkt hat“, „überall das Nationale gefördert“ hat, „un 279 Der Vortrag ist in zwei voneinander geringfügig abweichenden Versionen abgedruckt; zum einen im Tagungsband der Fichte-Gesellschaft „Christentum und Nationalerziehung. Vorträge und Aussprache der 2. Tagung für deutsche Nationalerziehung“ von 1926 als von ihm selbst durch­ gesehene Nachschrift, zum anderen in Althaus’ Aufsatzsammelband „Evangelium und Leben“ von 1927. Wenn nicht anders angegeben, zitiere ich nach dem Sammelband. Der Tagungsband enthält auch den Wortlaut der an die Vorträge anschließenden Diskussionen. 280 2602 Nationalerziehung, 94. 281 Ebd.; Hervorhebung von Althaus. Denn nach Althaus war Luther der Überzeugung: „Man darf das Reich Gottes und irdische, weltliche Dinge nicht ineinander mengen. Dieser Grundsatz verbot es ebenso, das Evangelium in den Dienst nationalen wie in den sozialen Wollens zu stellen. […] Aus einer rein religiösen Frage ist der Protestantismus geboren“. 282 Vgl. 1706 Luther, 12 f.; und 3001 Bekenntnisse, 6. 283 2602 Nationalerziehung, 94 f. Deutlicher als in der im Sammelband „Evangelium und Leben“ abgedruckten Fassung der Althaus-Rede kommt dieser Gedanke in der im Tagungsband der Fichte-Gesellschaft abgedruckten Fassung zum Ausdruck, wo Althaus äußert, die Zwei-ReicheLehre Luthers habe sich „nicht nur gegen ein soziales, sondern auch gegen ein nationales Christentum gerichtet. Eben das ist groß an Luther, daß er mit glühendem Eifer die religiöse Idee hat rein erhalten wollen. Er wollte dieses Feuer nicht zusammenschlagen lassen mit den Feuerbränden auf dem nationalen Altar.“ (2602 Nationalerziehung, 32). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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bewußt, ungewollt“, ist für ihn in erster Linie der deutschen Bibelübersetzung Luthers und der reformatorischen Einführung der Volkssprache als Predigtund damit als Kultursprache zu verdanken284. Aber Althaus fügt sogleich hinzu: „Dies alles geschah nicht aus Liebe zum Nationalen, sondern um des Dienstes am Evangelium willen […]. Die Förderung des Nationalen war Nebenerfolg, eine ungewollte ‚nationale‘ Bedeutung, die der Dienst am Evangelium gewann.“

Wenn diese Tatsache der en passant geschehenen Beförderung des Nationalen durch das Luthertum auch für andere Länder, vor allem in Skandinavien und im Baltikum gilt, so nach Althaus doch „für Deutschland in besonderer Weise.“ Denn für ihn ist klar: „Ein Deutscher ist Luther gewesen […]. Es ist nicht zufällig, daß der Durchbruch durch das römisch-mittelalterliche System gerade in Deutschland geschah.“ So ist er auch der Überzeugung: „Die nationalerzieherische Bedeutung des Luthertums für die Deutschen ist eindringlicher, unmittelbarer als irgendwo sonst in der Welt.“285 Den Grund dafür aber sieht Althaus in der „Wahlverwandtschaft deutschen Geistes und protestantisch-lutherischer Art.“286 „Daher […] wagen wir es, mit allen vorhin gemachten Vorbehalten, vom deutschen Charakter des lutherischen Protestantismus zu reden.“287 In der Verwandtschaft zwischen protestantischem und deutschem Wesen will Althaus die Voraussetzungen für die protestantisch geprägte Nationalerziehung gefunden haben. Folgende Züge des Protestantismus nennt Althaus, denen seiner Meinung nach „volkserzieherische, gestaltende Bedeutung“288 zukommt: den Freiheitsgedanken, den Wahrheitsgedanken und den Gemeinschaftsgedanken. Der vom Rechtfertigungsglauben herkommende Freiheitsgedanke, den Althaus auch als „protestantische[n] ‚Idealismus‘“ bezeichnen kann, bewährt sich 284 Weiter unten schreibt er: „Das Bedeutsamste, das der Protestantismus an der deutschen Seele tat und tut, ist […] daß er die Bibel als ein Volksbuch in das deutsche Volk hineingestellt hat.“ Er ist überzeugt, „daß mit der Bibel eine Macht immer neuer Lebendigkeit, eine Kraft der Kritik, der Wiedergeburt in das innere Leben unseres Volkes eintritt. Jedes Volk wird, was es werden kann und soll, nur im Ringen mit diesem Buch […]. Damit hat der Protestantismus ein Element eingeführt, das viel weiter wirkt, als die Kirche selbst, und zugleich eine Macht, die ihn selber immer wieder unter das Gericht stellt“ (ebd., 100). 285 Ebd., 95. 286 Ebd., 98. 287 Ebd., 96. Sofort aber „sei ausdrücklich betont: das ‚deutsche Wesen‘ ist nichts einfach und eindeutig Gegebenes. […] Ein Wesensbegriff wie dieser kommt nur durch schöpferische Erkenntnis zustande, als ein Bekenntnis […]. Er ist nicht eindeutig an der Geschichte abzulesen: es steckt ein Ideal in ihm, ein Glaubensakt, ein Willensziel. Die Stellung zu Luther entscheidet mit darüber, was jemand für wesenhaft und wahrhaft deutsch hält“ (ebd., 96 f.). 288 Ebd., 106. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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für ihn „am herrlichsten in Ketten“, denn „gerade der Widerspruch zwischen äußerem Ergehen und dem von-Gott-gehaltensein macht den Christen.“ „Wir Deutsche“, fährt Althaus in Gegenüberstellung zum angelsächsischen Christentum fort, „auf unserem viel schwereren Wege sind gewiesen, aber auch durch Luthers Botschaft gerüstet zu dem Dennoch des Glaubens, der an dem Berufe des eigenen Volkes festhält auch durch unglückliche Zeiten, auch in aussichtsloser Lage, wider allen Augenschein!“289

Deutlich vermengen sich hier bei Althaus religiöses und politisches Gefühl, denn jedermann im Auditorium ist klar, dass mit den angesprochenen „Ketten“ diejenigen des Versailler Systems gemeint sind, denen der „schwere Weg“ und die „unglücklichen Zeiten“ Deutschlands zu verdanken sind und denen ein vom Rechtfertigungsglauben getragenes trotziges „Dennoch“ entgegenzusetzen ist. Freilich braucht die Fichte-Gesellschaft keinen Althaus, um sich gegen Versailles und die Folgen aufstacheln zu lassen, aber Althaus stellt sich damit in den weltanschaulichen Grundkonsens der Volkstumsbewegung und gibt ihr den erwarteten, theologisch fundierten seelsorgerlichen Zuspruch und Trost. Nach dieser außenpolitischen Spitze gegen die Situation der Weimarer Republik geht Althaus einen Schritt weiter und kommt auf seine innenpolitischen Vorbehalte gegenüber dem neuen deutschen Staat zu sprechen. Über das ebenfalls im Freiheitsgedanken fußende „Bekenntnis zum Priestertum jedes Christen“ – „d. h. jeder steht in letzter Verantwortung unmittelbar vor Gott, für sich selber und für die Brüder“  – kommt Althaus, wie schon 1923 in „Staatsgedanke und Reich Gottes“, auf das von ihm favorisierte „verantwortliche Führertum“ zu sprechen. Während man heute im allgemeinen Priestertum gerade ein demokratisches Element sieht, liegt Althaus dieser Gedanke völlig fremd, das Gegenteil ist für ihn der Fall: „Hier hat die protestantische Idee des Führers ihren Grund, der nur Gott verantwortlich einer Sache dient, streng gebunden an Gott – und dennoch gerade darum frei und beweglich zu immer neuer Entscheidung und kühnem Wagen […]; keines Menschen Urteil ganz zugänglich und zuletzt unterworfen, keiner irdischen kirchlichen Instanz verhaftet“ und ganz geprägt von „protestantischer Berufstreue“ und „Verantwortungsfreudigkeit“290.

„Größtes Beispiel ist uns Luther selbst“, so Althaus und beginnt damit, wie schon oben, durchaus theologisch und religiös. Aber auch hier ist allen klar, 289 Ebd., 101. 290 Ebd., 102. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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dass er nicht nur von einem religiösen Führertum spricht, sondern – im Gegenüber zur Weimarer Demokratie – nicht zuletzt auch von einem politischen. Wenn er im Anschluss an Luther erneut und ebenfalls wie schon in „Staatsgedanke und Reich Gottes“ Bismarck als leuchtendes Vorbild anführt291, so wird die Vermischung von Religion und Politik bei Althaus einmal mehr deutlich292. Als nächstes nennt Althaus den protestantischen Wahrheitsgedanken, der für ihn von volkserzieherischer Bedeutung ist. „Wir glauben nicht an eine fehllose Wahrheitstradition“, so Althaus in Abgrenzung zum Katholizismus, „sondern an die lebendige Wahrheitsmacht.“ Denn Wahrheit gibt es für ihn nicht „als einen fertigen Besitz“, sondern nur als „lebendige, immer wieder im Kampf und Gericht sich durchsetzende Wahrheitsmacht des Heiligen Geistes.“293 Die „Geisteseinheit unseres Volkes“ erscheint Althaus nur aus dem Ringen um die Wahrheit heraus möglich. In diesem Kampf aber sieht er den Protestantismus in vorderster Front, als kämpfende Kirche im „Geisteskampf der Gegenwart“, wie eine der zeitgenössischen evangelischen Zeitschriften heißt. So teilt für ihn der Protestantismus „das deutsche Volksschicksal, das wir be­ jahen müssen mit der Liebe zum Schicksal, mit der Unterwerfung unter den Herrn der Geschichte. Protestantismus und Deutschtum stehen hier in tiefster Schicksalsgemeinschaft.“294 Zuletzt erläutert Althaus den evangelischen Kirchen- und Gemeinschaftsgedanken als von volkserzieherischer Bedeutung. Wie auch in seinen anderen Schriften zur Kirche und ihr Verhältnis zum Volkstum, verleiht Althaus seiner Überzeugung Ausdruck, dass aus den Kräften einer lebendigen Kirche als Gemeinschaft auch die nötigen Kräfte für eine lebendige Volksgemeinschaft übergehen: „Diese Kirche muß überfließen in das Volkstum, sie ist die einzige Hoffnung in der sozialen Not unseres Volkes.“295 An dieser Stelle nun wird 291 In seinen nicht mehr ausgeführten, aber abgedruckten Thesen heißt es: „Die lutherische Lehre über das Verhältnis von Gottesreich und Staatsleben hat der politischen Weltanschauung unserer großen deutschen Staatsmänner ihre nüchterne Wahrhaftigkeit und damit sittlichen Ernst gegeben“ (ebd., 94). 292 Ebd., 103. Auch den Christusglauben, wie er ihn versteht, führt Althaus im Sinne eines „verantwortlichen Führertums“ ins Feld: „Oder man nehme das Verhältnis der deutschen Seele zu Christus: im Lehenswesen, im Recht, spielen die persönlichen Beziehungen der Treue und des Gehorsams eine wichtige Rolle. […] Deutsche haben zu allezeit ihren Herrn gesucht, den Mann ihres Gehorsams und ihres Vertrauens“ (ebd., 97). Er verweist dafür auf das Heliand-Epos. 293 Ebd. 294 Ebd., 106. Althaus ist der geschichtsphilosophischen Überzeugung: „Einheit immer nur im Kampfe – das ist auch deutsches Schicksal, äußeres und inneres, immer wieder gewesen. […] Deutschland nicht nur äußeres, sondern auch geistiges Schlachtfeld Europas“ (ebd., 105). Ein deutsches Sendungsbewusstsein schwingt hier deutlich mit. 295 Ebd., 107. Althaus fährt fort: „Kirche leben, das bedeutet, daß wir uns mitverhaftet wissen dem geistigen Elende derer, gegen die wir kämpfen. Am Marxismus sind wir alle mitverschuldet; © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Althaus mit seinem volksmissionarischen Anliegen gegenüber seinen Zuhörern der Fichte-Gesellschaft und der Volkstumsbewegung überhaupt sehr deutlich: „Wer sich für deutsche Nationalerziehung verantwortlich fühlt, darf an der Kirche nicht vorbeigehen […], die Mitarbeit, Opfer, lebendiges Anteilnehmen bedarf. Davon kann ich heute nicht schweigen. In allem Ernste, in der Gewißheit, daß es um unseres Volks Leben und Sterben geht, bitte ich die Gebildeten: Wenn Sie daran glauben, daß eine Gesundung unseres deutschen Volkes nur möglich ist, sofern wir wieder in einer lebendigen Kirche Gemeinschaft bekommen, dann halten Sie sich doch in Treue zu den Fragen und Nöten der Kirche!“296

Althaus’ volksmissionarischer Einladung zur Mitarbeit in der Kirche, die er an die Volkstumsbewegung ausspricht, folgt konsequenterweise die unmissverständliche Absage an jede Art von völkischer Religion. So hält er der völkischen Fraktion innerhalb der Fichte-Gesellschaft in der Aussprache nach den Vorträgen in Halle entgegen: „Wir können […] keinen Augenblick das, was sich völkische Religion nennt, in einem Atem nennen mit dem, was im Neuen Testament steht. Wir dürfen, wenn wir nicht Verrat an dem edelsten Erbgut des deutschen Volkes üben wollen, nicht verleugnen, daß das Schicksal der deutschen Seele Christus ist und kein anderer. Das ist unsere Gebundenheit an den unbedingten Herrn, der nicht überall gleichmäßig zu finden ist, der sich in der Geschichte des Volkes Israel, in der Geschichte Jesu offenbart hat wie nirgend sonst.“297

Dass Althaus hier seinen volkstumsbewegten und völkischen Zuhörern das Zeugnis von Jesus Christus zumutet und obendrein die offenbarungstheologisch zugespitzte Verbundenheit von Judentum und Christentum anspricht, muss in den Ohren so mancher Zuhörer als ein Affront aufgefasst worden sein. Althaus geht ihn bewusst ein, denn er denkt volksmissionarisch-seelsorgerlich, wenn er das Verhältnis von Kirche und Volkstumsbewegung bzw. völkischer Bewegung anspricht. So kann für ihn die Kirche „heute ihre Aufgabe erfüllen nur, wenn sie das schweigende Wort der Gemeinschaft zu sagen weiß, sie muß den Verbitterten mitverbittern, den Leidenden mitleidend werden; man muß mit den Völkischen so tief das Völkische durchleben, bis man auf die er ist nur das Klagelied derer, die auf der Schattenseite der modernen Kultur wohnen müssen. […] Kirche bedeutet […], daß es Leute geben muß, die den Verbitterten ein Mitverbitterter werden, daß wir aus unserer bürgerlichen Behütetheit und Zufriedenheit heraus müssen, daß wir ‚an die Zäune und auf die Gassen‘ gehen und ringen müssen um neue Volksgemeinschaft!“ (ebd., 107 f.). 296 Ebd., 106. 297 Christentum und Nationalerziehung, 88. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Gottesfrage durch den Ernst der völkischen Frage selber geführt wird. Es gilt, um ein Wort Karl Barths anzuwenden, die Völkischen in ihrem innersten Wollen und Sehnen besser zu verstehen als sie selber sich verstehen298. Die Aufgabe der Christen ist nicht die, die Völkischen in ihrer völkischen, germanischen Religion, in diesem Gemächt von angeblich Altgermanischem und Heidentum, dahingehen zu lassen; aber auch nicht, ihnen zu sagen: Wir haben das Fertige; sondern ganz einfach, sie zu lehren, die völkische Idee so tief zu verstehen, daß sie von selbst darauf stoßen, daß alle Völker vor dem Throne Gottes, unter dem Gericht Gottes stehen und daß alles Völkische erst dann gereinigt ist, wenn es gereinigt wird von dem, der das Herz rein macht. Ich glaube, das ist kein bequemer Kompromiß, sondern die echte Seelsorge.“299

Dass freilich nicht nur in der Tiefe der „völkischen Frage“ und der völkischen Bewegung die Gottesfrage als Anknüpfungspunkt für christliche Verkündigung zu finden ist, ist für Althaus trotz seiner eigenen diesbezüglichen weltanschaulich-politischen Prägungen und Präferenzen eine Selbstverständlichkeit300. Nachdem Althaus den unbewussten Einfluss des lutherischen Protestantismus auf das Wesen des deutschen Volkes sowie die angebliche Wahlverwandtschaft und Schicksalsgemeinschaft zwischen lutherischer und deutscher Art und die volkserzieherische Bedeutung des Protestantismus aufgezeigt hat, kommt er im letzten Abschnitt seines Vortrages als Quintessenz seiner Ausführungen auf die umfassende Bedeutung des Luthertums für die Erhaltung des Deutschtums zu sprechen, die es auch in den Augen seiner völkischen Kritiker anzuerkennen gelte: Der Protestantismus lutherischer Prägung ist für Althaus das letzte Bollwerk gegen die geistige Überfremdung des Deutschtums: „Die deutsch-protestantische Art ist in den Entscheidungsstunden deutscher Geschichte das Gewissen gegen Überfremdung vom Westen und neuerdings auch vom Osten her gewesen. So oft französisch-englische Aufklärung, so oft die Zersetzung des Volks- und Gemeinschaftsgedankens in den Individualismus drohte, hat sich die deutsche Seele bewußt und unbewußt an dem Luthergeist und Luthererbe zurechtgefunden und aufgerichtet.“301 „Reformatorisches Christentum steht schützend im 298 In seinem Aufsatz „Not und Verheißung der christlichen Verkündigung“ stellt Barth 1923 an die christlichen Prediger die Forderung, sie sollten die Menschen „besser verstehen, als sie sich selber verstehen, ernster nehmen, als sie sich selbst nehmen“ (ebd., 77). 299 Christentum und Nationalerziehung, 89. Kurz, Denken, 450 spricht in diesem Zusammenhang von einer „Umerziehungsidee“ Althaus’, die mit seiner volksmissionarischen Anknüpfungskonzeption korrespondiere. 300 So schreibt er in 2909 Theologie, 147: „In der Tiefe […] der sozialistischen oder der völkischen Bewegung schlummert Gottesfrage und Gotteshinweis.“ 301 2602 Nationalerziehung, 109. In 2913 Bedeutung, 98 schreibt er: „Die Aufgeschlossenheit des Deutschen für fremdes Geistesgut ist oft so stark, daß sie oft unser eigenes Sein gefährdet und die Gefahr der Ueberfremdung immer wieder nahegebracht hat. Hier hat sich der Geist der Reformation schon öfter als innerstes Bollwerk der deutschen Geistesfestung erwiesen.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Kampfe vor deutschem Geisteslande. An Luther und den Seinen, an Paul Gerhardt und Bach – um nur diese zu nennen – scheiden sich die Geister. Hierhin wollen wir unseres Volkes Blicke richten – dann hat es keine Gefahr. Dann prallen die Wellen fremden Geistes ab. Dann bleibt unser Volk seiner Art treu. Die Kirchen, die das Erbe Luthers hüten, hüten damit von selbst die Reinheit deutschen Volkstums.“302

Wenn Althaus hier gegen eine „Überfremdung vom Westen“ polemisiert, so haben er und seine Zuhörer mit Sicherheit auch eine politische im Blick, nämlich das als der „deutschen Art“ unangemessen geltende demokratisch-parlamentarische Staatswesen der Weimarer Republik. Was Althaus aber genauer ausführt und worauf es ihm offensichtlich in erster Linie bei der abzuwehrenden geistigen Überfremdung ankommt, ist eine religiöse Überfremdung303. Aus diesem Grund ist ihr auch mit Luther und seiner Theologie und Frömmigkeit, besonders in Form seiner Lieder, zu begegnen304. Auch in diesem Vortrag vor der Fichte-Gesellschaft über „Protestantismus und deutsche Nationalerziehung“ kommt Althaus am Ende seiner Ausführungen auf sein volkstumstheologisches ceterum censeo zu sprechen: das Volk gehört nur zu den vorletzten Dingen dieser vergehenden Welt. Auf dieses ihm wichtige Anliegen kommt er zu sprechen, indem er die von nationaler und völkischer Seite in dieser Zeit häufig vorgetragene Forderung zurückweist, die beiden großen christlichen Konfessionen in Deutschland sollten im nationalen Interesse ihren Gegensatz, den auch Althaus als „das deutsche Unglück“ bezeichnet, zu einem Ausgleich bringen305. 302 2602 Nationalerziehung, 110. 303 So führt er aus: „Ist uns heute die welsche Art keine Gefahr mehr, so desto ernster der ­Osten, russische, indische, asiatische Art. […] Alle die fremden Geister, die dumpfe Liebesethik ­Tolstojs, die die Geschichte verachtet und alle Abstände aufhebt; die indische Mystik der Selbsterlösung durch Versenkung und Schau; der indisch-gnostische Zwitter des anthroposophischen Mysterienkultes – das alles haßt nichts so stark wie das klare, nüchterne evangelische Christentum“ (ebd., 110). 304 Ebd., 108 f. 305 Beredtes Beispiel für eine solche völkische Position gegenüber den beiden großen Kirchen gibt in der an die Vorträge anschließenden Aussprache Konsul Otto Lutz, der sich bei seinem Ziel, der „Schaffung eines großen geistigen Deutschen Reiches, das einmal doch zu einem Weltreich werden muß“, an der Trennung der Konfessionen in Deutschland stört: „Eine Einigung der Konfessionen aber scheint mir in hohem Grade möglich nur auf wahrhaft nationaler Basis. Im Jahre 1914, als der Krieg ausbrach, kannten wir keine Gegensätze dieser Art […]. Eine Einigung zwischen den Konfessionen ist demnach möglich, wenn wir uns bewußt sind, daß wir der deutschen Schicksalsgemeinschaft angehören.“ (Christentum und Nationalerziehung, 70.72). Althaus entgegnet Lutz daraufhin: „Wir träumen auch nicht vom Weltreich der Deutschen, sondern Gott will, daß wir an der Stelle, wo wir stehen, der Verantwortung leben, für das Erbe unserer Väter […]. So sind Gottesreich und geschichtliches Leben aufeinander bezogen.“ (ebd., 76). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Die Freunde deutschen Volkstums und seiner Einheit müssen sich damit einrichten, daß Toleranz nicht Verschweigen des Gegensatzes bedeutet, sondern ritterliche Achtung des Gegners im Kampfe, Wille, den Gegner aus seinem Besten zu verstehen […], Glaube an die Wahrheit, die auch im anderen Lager durchbrechen will! Das Nebeneinander der Konfessionen bleibt […] die blutende Wunde Deutschlands. Nur Gott weiß, ob er uns einmal zusammenführt“306. „Vor allen Dingen aber sage ich allen denen gegenüber, die den Konfessionen zumuten möchten, daß sie zugunsten der nationalen Einheit den Riß schließen: Wir dürfen es nicht, wir verletzen unser bestes Wesen, wenn wir es tun. Die Tatsache, daß wir Deutschen an dieser blutenden Wunde leiden und nicht die nationale Einheit vorschnell herbeiführen können, will in das Licht des Jesuswortes gestellt sein: ‚Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne und nähme doch Schaden an seiner Seele?‘“307

Als Zeichen dafür, dass bei ihm stets kirchlich-theologische Fragen über nationalen Fragen stehen und seine Prioritäten klar sind, schreibt er seinen volkstumsbewegten Zuhörern gerade auch in der Frage nach einer deutschen Na­ tionalerziehung den eschatologischen Vorbehalt ins Heft: das Volk ist nicht das Letzte. „Vielleicht sind wir in dieser Gebrochenheit unseres Volkstums eine Botschaft Gottes an die Welt, daß die Fragen der Ewigkeit zuletzt allein diejenigen sind, an die es alles zu setzen gilt, auch das Glück und die Einheit des Volkstums. Mächtig erinnert uns das schmerzvolle Nebeneinander der beiden Konfessionen daran, daß das Volkstum zuletzt auch zu dem gehört, von dem Gott einmal gesagt hat: Gehe aus deinem Vaterlande und aus deines Vaters Hause; daß wir auch das Glück unseres Volkes und die nationale Einheit müssen opfern können auf dem Altar, da Gottes heiliges Feuer brennt. […] Was hülfe es dem deutschen Volke, wenn es geistig die ganze Welt gewänne und national in ungebrochener Einheit dastände und nähme doch Schaden an seiner Seele?“308

Althaus dürfte sich mit solchen Äußerungen in der Fichte-Gesellschaft nicht nur Freunde gemacht haben309, ja sie dürfte für so manchen seiner Zuhörer einen Affront bedeutet haben. Auf der sechsten und letzten Konferenz für 306 Ebd., 111. Auch an dieser Stelle blitzt einmal mehr ein geistiges Sendungs- bzw. Dienstbewusstsein auf, wenn er sagt: „Es hängt vielleicht an diesem Leid ein Teil der deutschen Weltaufgabe.“ 307 Ebd., 111 f. 308 Ebd., 112. 309 So schreibt Heinz-Dietrich Wendland in einem Bericht über die Tagung in der „Zeitwende“ I (1926), 663 f.: „Daß man so bei der Anerkennung der konfessionellen Spaltung stehen blieb, erschien anderen rein national-politisch oder völkisch Eingestellten als Pessimismus. Den Vertretern einer völkischen Weltanschauung mußte die Schärfe dieser Stellungnahme der Konfessionen gefährlich scheinen; sie sahen darin eine Abwertung der Nation durch das Christentum. […] Einmal, doch nur einmal, fiel ein unklar gefährliches Wort von der dritten, deutsch© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Nationalerziehung, die ebenfalls das Verhältnis zwischen Religion und Politik zum Thema hatte, also genau Althaus’ Spezialgebiet, war er nicht mehr zu Gast310. Eines jedenfalls fällt in der Althaus-Rede vor der Fichte-Gesellschaft sofort auf: Die klassischen Topoi seiner Volkstumstheologie, Geschichtstheologie und Schöpfungsordnungstheologie, kommen in der Rede nicht einmal am Rande vor. Gegenüber seinen beiden Vorrednern Karl Bernhard Ritter und Heinrich Getzeny schlägt Althaus in seinem Vortrag einen vollkommen anderen Weg ein. Weder spielt in diesem die „völkische Sittlichkeit“ in Form der „Treue, als Bewahrung des ursprünglichen Lebenszusammenhanges, in den ich schöpfungsmäßig hineingestellt bin“ und „die völlige Hingabe des Lebens“ als „Treue gegen den innersten Beruf des irdischen Daseins“ eine Rolle wie bei Ritter311, noch spricht Althaus vom zu bejahenden „Eigenwerte“ und der „Eigenberechtigung des Nationalen“ oder der „Verankerung der nationalen Werte in den ewigen Werten unseres Glaubens“ wie Getzeny312. Althaus’ Rede hat ebenso wie die seines katholischen Vorredners stark apologetische Züge. Seine Ausführungen sind von dem Bemühen bestimmt, in volkstumsbewegten bzw. völkischen Kreisen für evangelische Theologie und Kirche die Lanze zu brechen und deren Leistungsfähigkeit für die Lösung der „völkischen Frage“, die für ihn eine geistige und soziale Frage ist, unter Beweis zu stellen. Für Althaus ungewohnt, kommt er dabei gegenüber seinen Zuhörern der Fichte-Gesellschaft ohne das nationale Pathos seines katho­ lischen Kollegen aus. Das Thema seines Vortrags ist die historische und gegenwärtige Bedeutung des Luthertums für deutsches Wesen und für das deutsche Nationalempfinden. Die deutsche Identität gilt es in seinen Augen gerade nach der Niederlage von 1918 und der radikalen Veränderungen in den politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten Deutschlands gegen geistige Überfremdung zu verteidigen. Besonders an diesem Punkt sollen Volkstums­ bewegung und völkische Bewegung die Bedeutung der lutherischen Kirche anerkennen lernen. Im Zentrum seines Vortrages und damit seines Interesses steht für Althaus die unbewusste Bedeutung des Protestantismus für die deutsche Nationalerziehung. Dieses Verhältnis zum deutschen Nationalbewusstsein, zur deutschen

christlichen Konfession. Ein Echo fanden diese Gedanken kaum. Das war abgesehen von seiner kritischen Stellungnahme dazu dem entschiedenen und klaren Vortrag von Professor Althaus zu verdanken“. 310 Vgl. Edmondson, Fichte, 173. 311 Christentum und Nationalerziehung, 10 f. 312 Getzeny, Katholizismus, 24.29. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Identität, entspricht seiner Ablehnung des Nationalismus313. Der Hinweis auf Abraham am Ende seiner Rede („Geh aus deinem Vaterlande“) ist einmal mehr eine aus seinem theonomen Weltbild gewonnene Warnung vor einer Vergötzung des eigenen Volkstums. Diese findet ihren Niederschlag auch im zweiten Teil seiner Thesen zum Vortrag, die auf der Tagung zwar nicht mehr ausgeführt, aber ausgeteilt und auch abgedruckt wurden. Dort heißt es: „Der Protestantismus teilt den gemeinchristlichen Universalismus und weist daher jeden Absolutheitsanspruch einer Nation oder Rasse ab.“314 Die Ablehnung des Nationalismus durch Althaus und Getzeny kam bei den Zuhörern der Fichte-Gesellschaft durchaus an und fand dort nicht nur Zustimmung. So äußert ein Zuhörer in der anschließenden Diskussion: „Es ist von den Rednern beider Konfessionen scharf Stellung genommen worden ­gegen den absoluten Nationalismus, gegen die Vergötzung des Volkes durch eine unreife Ueberhitzung der Nationalbewegung. Es ist das auch für beide Konfessionen eine selbstverständliche Notwendigkeit. Aber es liegt in der Schärfe der Stellungnahme eine doppelte Gefahr sowohl für die vaterländische Bewegung als auch für das Christentum. Es liegt die Gefahr vor, daß die brennendsten Kräfte, die zur nationalen Gestaltung drängen, […] in einen Kampf mit den Vertretern der Konfessionen geraten, und es liegt für die Konfessionen die Gefahr vor, daß sie es verabsäumen, in den vaterländischen Gefühlen die christlichen Ideen, die darin latent sind, zur Klarheit zu bringen und dieser jungen quasi religiösen Bewegung das christliche Erbe zu vermitteln.“315

Damit spricht dieser Vertreter der völkischen Bewegung in Bezug auf das Verhältnis zwischen Kirche und völkischer Bewegung Althaus aus dem Herzen. Dass das Althaussche Zugehen auf die völkische Bewegung dennoch ihre Grenzen kennt, wird aus der Aussage ebenfalls deutlich. Politisch ist seine Rede ein Plädoyer gegen die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse von Weimar, dessen soziale und innen- wie außenpolitischen Missstände er ins Feld führt. Das Religiöse ist ihm das Heilmittel für eine Gesundung des Politischen: „Die Gemeinde des füreinander stellvertretenden 313 So beginnt er seine Rede mit den Worten: „Der Referent des gestrigen Tages grenzte sich sehr entschlossen gegen den reflexiven Nationalismus ab und meinte, man müsse das Nationale gleichsam im Rücken haben und von ihm aus denken und handeln, es müßte das geheime und unbewußte Motiv unseres Handelns sein, aber nicht so sehr Gegenstand bewußten Arbeitens und Machens. Ich kann dem von ganzem Herzen beistimmen. Tatsächlich ist die unbewußte Erziehung, die fortwährend ausgeübt wird, wichtiger als die gewollte Erziehung zum nationalen Bewußtsein.“ (2602 Nationalerziehung, 31). 314 2602 Nationalerziehung, 93. 315 Christentum und Nationalerziehung, 77. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Priestertums ist die einzige Hoffnung angesichts der zerstörten Volksgemeinschaft“, heißt es in seinen Leitsätzen zum Referat316. 3.3.4 „Kirche und Volkstum“ – Althaus’ Vortrag auf dem Kirchentag in Königsberg Wie weit im Laufe der 20er Jahre einerseits Volkstumsdenken in den Raum der Kirche vorgedrungen war und wie sehr sich andererseits die Kirche von Volkstumsbewegung und völkischer Bewegung herausgefordert sah, stellte der zweite offizielle Deutsche Evangelische Kirchentag eindrücklich unter Beweis, der turnusmäßig vom 17. bis 21. Juni 1927 in Königsberg stattfand. Die Kirchentage verstanden sich als Plattform, von der aus der deutsche Protestantismus zur Öffentlichkeit sprach; sie waren mit ihren Kundgebungen und Stellungnahmen das Sprachrohr der evangelischen Kirche. Nachdem der erste Kirchentag 1924 zum Thema „Kirche und soziale Frage“ bezeichnenderweise in Bethel tagte und als „Sozialer Kirchentag“ in die Kirchengeschichte einging, sollte die Versammlung in Königsberg, die sich mit dem Thema „Kirche und Volkstum“ befasste, als „Vaterländischer Kirchentag“ in Erinnerung bleiben. Die Hauptstadt Ostpreußens war vom Deutschen Evangelischen Kirchenbund als Ausrichter keineswegs zufällig als Verhandlungsort gewählt. Für die Behandlung der Themen von Volk und Vaterland aus kirchlicher Sicht erschien „Königsberg als Tagungsort, das in der vom übrigen Reich durch den sogenannten polnischen Korridor getrennten ostpreußischen Provinz lag, […] wie prädestiniert: Treue zum Vaterland und Verbindung zum deutschen Volkstum über die Versailler Gebietsregelungen von 1919 hinweg ließen sich hier besonders eindrucksvoll demonstrieren.“317

Zeitgenössische Kommentatoren des Kirchentages wurden darüber hinaus nicht müde, neben der nationalen Bedeutung des Tagungsortes auch die exemplarische Bedeutung Königsbergs als Symbol für die Zusammengehörigkeit von Deutschtum und Protestantismus herauszustellen. So heißt es in einem „Nachwort“ zum Kirchentag von Anfang Juli 1927: „In der Tat hat der Genius Loci in Königsberg das Gesicht dieses Kirchentages wesentlich mit bestimmt. […] Was nun diesem Boden das individuelle Gepräge gab, war dies, daß hier trotziges deutsches Volkstum und Christentum, nationaler Selbst-

316 2602 Nationalerziehung, 93. 317 Bormuth, Kirchentage, 230. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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behauptungswille und evangelischer Glaube den Gästen aus dem Reich so innig vermählt entgegentrat, wie dies, in dieser Form, in keiner anderen deutschen Grenzmark zu finden sein dürfte.“318

Für dieses Urteil spielte die Insellage Ostpreußens als mehrheitlich protestantisch bevölkerte Exklave des Deutschen Reiches, seit 1919 vollständig umgeben vom katholischen Polen, eine entscheidende Rolle. So stellte der Präsident des Kirchentages, Wilhelm Freiherr von Pechmann, in seiner Begrüßungsansprache heraus, dass „für die Abhaltung des Kirchentages im äußersten Nordosten des Reiches auch der Gedanke entscheidend war, daß wir dem Nordosten eine Stärkung schuldig seien“319. Den Teilnehmern des Kirchentages rief er zu: „Nehmen sie aus Ostpreußen dies Stück deutscher Not nach Hause und tragen Sie’s auf [sic!] Ihrem Herzen! An ostpreußischer Treue, an ostpreußischem Glauben erstarke der deutsche evangelische Gesamtwille!“320 Beim Oberbürgermeister Marienburgs  – der Kirchentag wurde in Marienburg eröffnet –, Bernhard Pawelcik, kam dieser Gedanke fraglos an, wenn er in seiner Begrüßungsansprache verlauten ließ: „Das Gelübde, daß wir hier deutsch und protestantisch bleiben wollen, legen wir in die Hand des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes.“321 In einem Vortrag über „Ostmark und Protestantismus“ betonte der Vizepräsident des Kirchentages Walther Wolff die „Blutsund Glaubensgenossen[schaft] aller deutschen Protestanten, die gerade die „deutsche Schicksalsgemeinschaft zwischen Rhein und Memel“322 zusammenschweißt unter der Formel: „Ein Reich, ein Volk, ein Glaube!“. Diese Schicksalsgemeinschaft verdeutlichte Wolff am gemeinsamen Leiden unter den Bestimmungen von Versailles: „Wir sind noch immer ein Land in Ketten. Wir dürfen keine freien Deutschen sein.“323 318 Protestantismus und Deutsche Nation. Nachwort zum 2.  verfassungsmäßigen Deutschen Kirchentag in Königsberg. In: Korrespondenzblatt 52 (1927), Nr. 27 (4.7.1927), 244. Der Verfasser ist nicht genannt. 319 Hermenau, Kirchentag, 11; vgl. 2704 Volkstum, 113. 320 Ebd., 27. 321 Ebd., 10. Marienburg gehörte zum sogenannten „Abstimmungsgebiet Marienwerder“, dessen nationale Zugehörigkeit infolge des Versailler Vertrages offen geblieben war und erst im Sommer 1920 durch Volksabstimmung für Deutschland entschieden wurde. Wie dem offiziellen Tagungsbericht zu entnehmen ist, durchzieht das feierliche Versprechen der Honoratioren Königsbergs und Ostpreußens, das Deutschtum (und den Protestantismus) treu bewahren zu wollen, ebenso sämtliche Ansprachen und Grußworte des Kirchentages wie die feierlichen Versprechen von Seiten der Kirchenmänner aus dem Reich, Ostpreußen dabei zu unterstützen. So lautet das Resümee des Chronisten vom Samstagabend: „Deutsch und Evangelisch klang an diesem Abend inein­ ander.“ (ebd., 27). 322 Ebd., 31. 323 Ebd., 32 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Volkstumsbewegung und völkische Bewegung

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Aller Skepsis gegenüber der Weimarer Republik zum Trotz, nahmen die Teilnehmer des Kirchentages dennoch gerne das Wohlwollen staatlicher Vertreter gegenüber der evangelischen Kirche entgegen. So berichtete die kirch­ liche Presse: „Der Reichsinnenminister hatte schon zu Beginn der Tagung dem Präsidenten des Kirchentages ein Schreiben gesandt, in dem er den Wunsch nach fruchtbringender Zusammenarbeit zwischen der Reichsregierung und dem Kirchenbund als dem Träger des deutschen evangelischen Gesamtwillens ausspricht. Sein Vertreter, Ministerialdirektor von Kameke, gab diesem Gruß noch besonderen Ausdruck: ‚Die innere Erneuerung unseres Volkes ist nur möglich, wenn sie gespeist ist aus den Tiefen der ewigen göttlichen Kraft. Dieser Ueberzeugung hat die Reichsregierung Ausdruck verliehen, als sie vor einigen Monaten durch den Mund des Reichskanzlers erklären ließ, daß nur auf dem geschichtlich gewordenen Boden christlicher Kultur der Geist der Volkserneuerung wachsen könne.‘“324

Das Zugehen der Reichsregierung auf die evangelische Kirche ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass der damalige Reichsinnenminister Walter von Keudell der DNVP angehörte. Eine weitere Verbindungslinie zwischen evangelischer Kirche und Weimarer Staat führte am Königsberger Kirchentag über den DVP-Reichstagsabgeordneten und ersten Referenten Wilhelm Kahl, der – als „Vernunftrepublikaner“ geladen – über „Kirche und Vaterland“ sprach. Sein Vortrag fußte auf der Erkenntnis: „Ueber dem Staate […] erhebt sich eine noch höhere Lebensform der Volksgemeinschaft im Vaterland, als der Einheit aller nationalen Lebenswerte […]. Die Verbindung von Christenart und Vaterland ist vorbildlich verkörpert in Luther. Obrigkeit, Staat und Vaterland sind ihm in Gottes heiligem Ratschluß verankert.“325

Höhepunkt der Versammlung war die am letzten Tag mit großer Mehrheit angenommene „Vaterländische Kundgebung“, die für Daniel Bormuth einen „gewissen verbindlichen Bezugs- und Orientierungspunkt für die Haltung der evangelischen Kirche zum Weimarer Staat“ darstellte. So sieht er sie, in seinem Urteil Jonathan R. Wright und Kurt Nowak folgend, „als eine wichtige Etappe auf dem Weg einer Annäherung zur Republik, ja sogar als ein[en] ‚Durchbruch‘“326. Entscheidend für dieses Urteil sind folgende Sätze der Kundgebung: Die Kirche „läßt und gibt dem Staat, was des Staates ist. Der Staat ist uns eine Gottesordnung mit eigenem wichtigem Aufgabenkreis. Getreu den Weisungen der Schrift 324 Aufwärts. Christliches Tageblatt 9 (Bielefeld-Bethel 1927), Nr. 144 (23.6.1927), 1. 325 Hermenau, Kirchentag, 21. 326 Bormuth, Kirchentage, 229; vgl. Nowak, Kirche, 173 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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tut die Kirche Fürbitte für Volk, Staat und Obrigkeit. […] An ihre Glieder stellt die Kirche drei Forderungen. Sie will, daß jeder nach bestem Wissen und Gewissen dem Staatsganzen dient und für das Wohl der Gesamtheit Opfer bringt. Sie will, daß jedermann um des Wortes Gottes willen der staatlichen Ordnung Untertan ist. Sie will, daß jeder sich seiner Mitverantwortung bewußt ist und sich für alles einsetzt, was Volk und Staat stärkt, bessert und fördert.“327

Entscheidend für diese vorsichtige Annäherung war die allgemein positivere Situation der Republik zwischen 1924 und 1929, die Tatsache, dass sich die vorrangig unter Protestanten großer Zustimmung erfreuende DNVP sich in dieser Zeit mehrfach an Regierungskoalitionen beteiligte, und vor allem die 1925 erfolgte Wahl Generalfeldmarschall Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten. Gerade Hindenburg als konservative Symbolfigur für ein Bekenntnis zum Protestantismus, für ein militärisch starkes Deutschland und für einen starken Nationalstaat vermochte in den Augen vieler Protestanten der ungeliebten Weimarer Republik ein insgesamt positiveres Vorzeichen zu geben328. Relativiert wird diese festgestellte Annäherung allerdings – und das scheint Bormuth zu übersehen – durch den Kommentar des Generalsuperintendenten der Rheinprovinz und ehemaligen alldeutschen Funktionär, Karl Klingemann, der immerhin Eingang in den Tagungsband des Kirchentages fand. Dieser zeigte sich überzeugt, dass „die von den deutschen evangelischen Kirchen gepflegte Vaterlandsliebe sich nicht einem Staate ausschließlich zuwenden [dürfe], in der Liebe zum Deutschen Reich in gegenwärtiger Gestalt nicht volle Befriedigung finde.“329 In der „Vaterländischen Kundgebung“ erblickte er daher ausdrücklich „kein Bekenntnis zur Republik oder irgend einer Partei, wohl aber zu dem deutschen Volksstaat, an dessen Gestaltung wir arbeiten.“330 Mit seinem Vortrag „Kirche und Volkstum“ vor dem Kirchentag in Königsberg erlangte Althaus in Bezug auf die protestantische Sicht auf das Volkstum schlagartig deutschlandweit Bekanntheit. Zwar hatte er sich schon vorher als theologischer Fachmann für Volkstumsfragen in den 20er Jahren im deutschen Protestantismus einen Namen gemacht, doch war der noch junge Erlanger Systematiker für den Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss (DEKA) als Verantwortlicher für den Kirchentag als Referent zum Thema „Kirche und Volkstum“ nur zweite Wahl, nachdem der ursprünglich vorgesehene Referent 327 Hermenau, Kirchentag, 37. 328 So sandte der Kirchentag „dem allverehrten Reichspräsidenten Generalfeldmarschall von Hindenburg“ folgendes Telegramm: „Der in Königsberg versammelte Deutsche Evangelische Kirchentag, der soeben eine vaterländische Kundgebung beschlossen hat, sendet mit unwandelbarer Treue gegen Volk und Vaterland dem Herrn Reichspräsidenten ehrfurchtsvolle Grüße.“ (ebd., 38). 329 Hermenau, Kirchentag, 40. 330 Ebd., 42. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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absagen musste331. So hält Althaus am ersten Verhandlungstag am 17.  Juni 1927 das Grundsatzreferat über „Kirche und Volkstum“. Neben seinem Versuch, eine zeitgemäße Verhältnisbestimmung von Kirche und Volkstum vorzunehmen, geht Althaus auf die Herausforderungen ein, die der Kirche durch die erstarkende Volkstumsbewegung und mehr noch durch die völkische Bewegung erwachsen. Wie der Kirchentag als ganzer, so reagiert auch Althaus in seinem Vortrag mit der bei ihm traditionellen Formel der Verbundenheit von Christentum und Deutschtum bzw. Kirche und Volkstum auf die Bestrebungen der völkischen Bewegung, Deutschtum und Christentum einander entfremden zu wollen und folglich ein Volkstum ohne Christentum und Kirche zu propagieren332. Somit trägt der Althaus-Vortrag zugleich programmatisch-konzeptionelle und apologetische Züge. In Abwehrhaltung zur völkischen Bewegung, deren Kirchenfeindschaft er ebenso ablehnt wie deren Rassenantisemitismus, will Althaus mit seinem Vortrag die Kirche in die nationale und die Volkstumsbewegung in die christlichkirchliche Pflicht nehmen. Seine volksmissionarische Vision einer gegenseitigen Befruchtung von volksverbundener Kirche und kirchenverbundenem Volk fasst Althaus damit einmal mehr in Worte. Auf seine eigenen Erfahrungen mit der deutschen evangelischen Minderheit in Polen während des Krieges zurückgreifend, spricht auch Althaus wie schon Wilhelm Freiherr von Pechmann vom Genius Loci Ostpreußens für dieses Thema: „Die Ostmark zeugt davon, wie im Grenzdeutschtum weithin evangelische Kirchentreue und deutsche Volkstreue sich durchdringen, ja zusammenfallen.“333 Diese gegenseitige Durchdringung, für die er das „Grenzdeutschtum“ als vorbildhaft herausstellt, muss seiner Meinung nach für das ganze deutsche Volk gelingen, wenn die Kirche nur ihren volksmissionarischen Auftrag ernst nimmt. So schließt er seinen Vortrag mit den beinahe beschwörenden Worten: „Evangelische Männer und Frauen! Wir stehen in einer Schicksalsstunde unseres Volkes und unserer Kirchen. […] Furchtbar, wenn Volkstumsbewegung und Kirche sich ebenso verfehlten wie Arbeiterbewegung und Kirche sich weithin verfehlt haben! Heute droht die Gefahr, daß wir eine Volkstumsbewegung bekommen, die der Kirche verloren ist, und eine Kirche, die ihr Volk als Volk, in seinem heißesten Wollen, 331 Ursprünglich war der rheinische Kirchenpräses Walther Wolff vorgesehen; vgl. Nowak, Kirche, 173; und Bormuth, Kirchentage, 231, Anm. 897. 332 So heißt es in der am Kirchentag verabschiedeten „vaterländischen Kundgebung“: Trotz der engen Verbundenheit „will man Christentum und Deutschtum einander entfremden, ja ausein­ anderreißen. Das bedeutet eine tödliche Gefahr für unser Volk. Die Kirche kann dazu nicht schweigen. Sie ruft zum Kampf und zum Einsatz aller Kraft für die immer völligere Durchdringung des Volkslebens mit dem Geiste des Evangeliums“ (Hermenau, Kirchentag, 36). 333 2704 Volkstum, 113. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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nicht mehr findet. Schmerzlicheres könnte uns nicht geschehen. Es wäre das Todes­ urteil für unser Volkstum, es wäre der Verzicht der Kirchen auf ihre Sendung, die Welt zu durchdringen, ein ganzes Volk, für das sie vor Gott verantwortlich sind, ihm zuzuführen. Daß es doch nimmermehr dahin käme!“334

Man muss sich zunächst klarmachen, zu wem Althaus eigentlich sprechen will. Seine Zuhörer sind zuerst einmal die Teilnehmer des Kirchentages, Kirchenmänner, Theologen und Politiker. Über deren nationale, nationalprotestantische Einstellung dürfte nach der Themenstellung des Kirchentages überhaupt und nach dem kurzen Einblick in die Grußworte und Ansprachen kein Zweifel bestehen. Aber Althaus hat noch eine weitere Zielgruppe, die ihm mindestens ebenso wichtig ist: die Volkstumsbewegung. Seiner kirchlichen Verhältnisbestimmung zur Volkstumsbewegung und ihrem nationalem Streben wünscht er sich aufgrund der Aktualität und der Wichtigkeit des Themas eine weite Verbreitung, vor allem will er damit auf die Volkstumsbewegung zugehen335. Dass er die Volkstumsbewegung, nicht aber die völkische Bewegung als Adressaten im Blick hat, macht er sogleich deutlich, wenn er die Weite der Volkstumsbewegung anspricht. Zunächst beschreibt er die Volkstumsbewegung als eine solche, die „die volkliche Verwurzelung und Gebundenheit unseres Lebens […] als unmittelbare Lebenswirklichkeit neu entdeckt und bewußt ergriffen“ hat336. Die Volkstumsbewegung – Althaus gebraucht den Begriff selbst und grenzt ihn von der völkischen Bewegung ab337 – greift für ihn „weit über die Grenzen bestimmter politischer Parteien hinaus. Bei der Jugend z. B. ist sie in allen Lagern eine Macht, von der im engeren Sinne ‚völkisch‘ genannten Jugend an bis hinein in die Reihen der sozialistischen, mehr oder weniger verhüllt oder bewußt, im besonderen natürlich überaus verschieden.“338 334 Ebd., 142 f. 335 So schreibt er im Blick auf die bisherigen Abdrucke seines Vortrages im Vorwort zum Sonderdruck im Dezember 1928: „Aber an die weiteren Kreise unseres Volkes, zu denen er reden will, kommt er auf diesen Wegen nicht genügend heran. Möchte es dem vorliegenden Sonderdrucke gelingen!“ (2704 Volkstum, 3). 336 2704 Volkstum, 114. Ob er hier bewusst „volklich“ und nicht „völkisch“ verwendet, um sich von völkisch-rasseideologischen Positionen abzugrenzen, wird nicht ganz deutlich, jedenfalls definiert er Volkstum im Folgenden primär als „geistige Wirklichkeit“ und ordnet die Kategorie des „Blutes“ als nachrangig ein. So schreibt er: „Wie groß immer die Bedeutung des Blutes in der Geistesgeschichte sein mag, das Herrschende ist doch […] der Geist und nicht das Blut“ (ebd., 114 f.). 337 So schreibt er: „Daß wir im folgenden den Ausdruck ‚völkisch‘ mehrfach verwenden, kann nicht mehr mißverstanden werden, nachdem gesagt ist, daß die Bewegung weit über eine Partei übergreift.“ (ebd., 117). 338 Ebd., 114. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Althaus gibt zunächst die Gedankenwelt der Volkstumsbewegung wieder, ihre politisch-weltanschauliche Prämisse, ihre Weltwahrnehmung und ihre Ziele. Auch wenn er sich bei dieser Beschreibung der Anliegen der Volkstumsbewegung mit ihrer normativen Zentrierung auf das eigene Volk im Großen und Ganzen selbst wiederfinden mag, handelt es sich um die Wiedergabe einer Fremdmeinung339. Die Distanzlosigkeit seiner Darstellung soll dem Hörer bzw. Leser die eigene Zustimmung zu den Positionen der Volkstumsbewegung verdeutlichen. Bestimmend für die Weltwahrnehmung der Volkstumsbewegung ist nach Althaus deren Prämisse, dass das „Volksleben“ erst dann als „gesund“ erscheint, wenn es „in völkischer Treue gelebt wird, in Verantwortung gegen das hohe Erbe, gegen die Volksart, die in ihm erscheint“340. „Von hier aus“, fährt Althaus mit der Weltwahrnehmung der Volkstumsbewegung fort, „erscheint nun die deutsche Gegenwart weithin als schmerzliche Entartung. Unser Volk, so hören wir, hat sich selbst verloren.“ In ihrem Gemeinschaftsglauben erscheint der Volkstumsbewegung das deutsche Volk verloren „an die Zivilisation“, und Althaus zählt die ganze Palette kulturpessimistischer Zivilisationskritik341 und Klage über die damals im Bürgertum allenthalben so empfundene deutsche „Zerrissenheit“ und den „Geist des Klassenkampfes, der die Volksgemeinschaft zersetzt“, auf. Die Entartung drohe aber nicht nur durch das Verlorensein an die Zivilisation, sondern ebenso durch das Verlorensein „an das Fremde“, durch die „Überfremdung“. Althaus spricht in diesem Zusammenhang „die Deutschen unter Fremder Herrschaft“ und „die Nöte und Sorgen des Ausland- und Grenzlanddeutschtums“ ebenso an wie „die Überfremdung unserer Literatur, des Theater, der Künste, der Mode und der Feste, des Parteiwesens und der öffentlichen Dinge, die Preisgabe an volklose Geldmächte“. Mit anderen Worten: Die neue Staatsform der Weimarer Republik ist für die Volkstumsbewegung 339 Diese Tatsache verkennt Nowak, Kirche, 174 f. bei seiner Interpretation des Althausschen Vortrags. 340 2704 Volkstum, 115. Neben diesem nationalkonservativen Kriterium eines imaginierten, zu wahrenden Erbes nennt Althaus auch die – ekklesiologisch von 1Kor 12 beeinflusste – holistischorganologische Vorstellung eines „gesunden Volkslebens“, das dann als solches zu gelten hat, „wenn alles Leben der Einzelnen und der Gruppen gliedlich vom Ganzen getragen wird, sich als Glied am Ganzen weiß und ihm dient.“ 341 Ebd. Althaus nennt „rationale Organisation statt des gewachsenen Organismus, Zersetzung zur Masse statt Gliedlichkeit am Volksleibe, ‚Gesellschaft‘ unverbundener Einzelner statt organischer Gemeinschaft, Entwurzelung und Entheimatung, äußerlich und innerlich, statt äußerer und innerer Bodenständigkeit; Enterbung statt Leben aus dem Erbe der Väter, […] ohne Geschichte, statt der Verwurzelung in tragender Überlieferung, Sitte und Form – die Großstadt ist doch das Sinnbild unserer ganzen Zeit!“ (ebd.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Trägerin einer „entarteten“ Kultur, die es zu überwinden gilt, wenn das „Volksleben“ „gesund“ werden soll. Die wahre Volksgemeinschaft hat an die Stelle der Zerrissenheit zu treten. Dafür kämpft die Volkstumsbewegung: „Angesichts alles dessen wird nun die Losung ausgegeben: unser Volk soll sich wiederfinden! Abwehr gegen die Mächte der Fremde und Zerstörung, Wiedergeburt des Volkslebens aus seinen eigenen Quellgründen!“ Als Ziel dieses Unternehmens erkennt Althaus ein selbstbewusstes deutsches Nationalbewusstsein, „eine Kräftigung der eigenen Art, so daß unser Volk es dann besser erträgt, Fremde unter sich zu haben und ihnen nicht mehr erliegt“342. Mit dieser Zielsetzung der Volkstumsbewegung, die also nicht mit einem Ausmerzen alles Volksfremden, wie es viele Völkische fordern, zu verwechseln ist, geht Althaus durchaus konform. Ihm geht es um Stärkung des Eigenen, nicht um Eliminierung des Fremden343. Der Volkstumsbewegung attestiert Althaus nun – und damit wird seine Sympathie mehr als deutlich –, getragen zu sein „von einer heißen Liebe, von fast religiöser Inbrunst“ und von „Verantwortungsernst“. Dies lässt ihn bei aller Kritik an den vielfachen negativen Auswüchsen „durch die viele Verworrenheit, durch das laute Eifern mit Unverstand hindurch in die Tiefe […] horchen“. Althaus rät der Kirche mit Nachdruck, „an dieser elementaren, breiten Laien­bewegung – neben der sozialistischen die stärkste und breiteste Welle – nicht vorübergehen [zu] dürfen“. Denn die Kirche ist in seinen Augen von der Volkstumsbewegung unmittelbar betroffen, allein schon weil „längst ernste Glieder unserer Kirchen“ sich mit Begeisterung darin engagieren344. Seine eigenen Erfahrungen auf der Tagung der Fichte-Gesellschaft im Jahr zuvor dürften hierbei keine geringe Rolle spielen. Dazu kommt für ihn, dass die Volkstumsbewegung mit ihren nationalen Anliegen auch auf die Kirche zugeht, sie „pocht an die Tore der Kirche und fordert Umstellung: es sei unerträglich, daß die Kirche für das höchste Gut, die Volkheit, so wenig Sinn und Raum habe.“ Demgegenüber sieht Althaus den Anspruch der Kirche: „Die Kirchen zeugen von der einen Bindung, neben der es keine andere geben darf, der Bindung an den lebendigen Gott. So müssen sie zu aller anderen Bindung, auch zu der völkischen, Stellung nehmen und ihr Recht prüfen. Der Gehorsam gegen Gott ist von unbedingtem, ausschließlichem Anspruch; welches Recht kann angesichts dessen dem Anspruche des Volkstums zukommen?“

342 Ebd., 115 f. Zu den einzelnen Zielsetzungen vgl. ebd. An zentraler Stelle nennt Althaus die „Erziehung zum Heimat- und Volksbewußtsein, zur Verantwortung vor der Vergangenheit und Zukunft des eigenen Volkes, zur Volkstumstreue“. 343 Vgl. Kap. IV, 5.3; und 3607 Obrigkeit, 41, wo Althaus dem Staat auferlegt, „Hüter auch des fremden Volkes“ im Staat zu sein. 344 2704 Volkstum, 116. Die folgenden Zitate finden sich ebd., 117–119. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Weil Althaus keinen der beiden Ansprüche zurückzuweisen vermag, weder den der Kirche nach alleiniger Bindung an Gott, noch den der Volkstumsbewegung nach der ethischen Bindung an das Volkstum, will er die Spannung nicht auflösen, sondern er will beide Ansprüche synthetisieren und Kirche und Volkstumsbewegung miteinander ins Gespräch bringen. Für ihn gilt es daher, die „Bedeutung der Kirche für das Volkstum“ ebenso herauszuarbeiten wie die „Pflicht der Kirchen gegen das Volkstum“. Zunächst will Althaus, und dabei ist die Volkstumsbewegung sein Adressat, den „Weg vom völkischen Wollen zur Kirche“ aufzeigen, den er dadurch begründet sieht, dass für ihn die „völkische Frage“ in „religiöse Tiefe“ führt. Unter Zurückweisung von Vorstellungen eines „Volksnomos“345 expliziert Althaus seine eigene Volkstumstheologie mit ihrem tragenden Begriff der „Volkheit“, der für ihn „notwendig vor Gott“ führt: „Volkheit ist der Wille Gottes über ein Volk“, die „Synthesis des ewigen Gotteswillens über allem Menschentum und der besonderen Volksart.“ Althaus zeigt sich überzeugt: „Wen die Frage nach der deutschen Volkheit nicht vor Gottes Auge führte, unter sein Sichten und Richten, der käme notwendig zu einer Verfälschung des Gewissens: er vergöttlichte das ungeheiligte Volkstum; er gäbe ein Irdisches, Fehlsames als un­ bedingt bindend aus.“

Obwohl Althaus eine völkische Vergötzung des eigenen Volkstums mit dem Hinweis auf den göttlichen Willen mit Nachdruck zurückweist, führt er den christlichen Glauben dennoch als die entscheidende Kraftquelle für den nationalen Kampf der Volkstumsbewegung „für die völkische Wiedergeburt“ ins Feld, um die Volkstumsbewegung in seinem kirchlich-volksmissionarischen Sinne zu beeinflussen. So lautet seine Frage an deren Adresse: „Wo findet das Volk die Glut des Willens, seine Sendung zu erfüllen, seiner Volkheit treu zu bleiben?“ Seine Antwort darauf lautet: im christlichen Glauben. Für ihn steht fest, und das hält er der Volkstumsbewegung bzw. der völkischen Bewegung entgegen, dass der „Überfremdung“346 nicht mit Rassenideologie Herr zu werden ist: 345 Der später von Wilhelm Stapel etablierte Begriff taucht hier zwar explizit noch nicht auf, jedoch lehnt Althaus die Idee, die dahintersteckt, bereits hier ab: „Der Volkstums-Imperativ, so sagt man uns, bindet den Menschen ganz und unbedingt. Unbedingte Treue! Aber wem? Dem ‚­Wesen‘, dem Lebensgesetz eines Volkes [?].“ Zur Volksnomos-Theologie Stapels vgl. Tilgner, Volks­nomostheologie, 88–129. Schon 1916 lehnt Althaus Frühformen eines solchen Denkens ab, wenn er „schöpferische Offenbarungen des deutschen Volksgeistes“ strikt zurückweist (1602 Vaterlandsliebe III, 1). 346 Zu dieser „Überfremdung“ zählt Althaus auch die „Bedrohung unseres Volkes durch den jüdischen Geist und die jüdische Macht“ (2704 Volkstum, 119); vgl. Kap. IV, 5.3. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Der völkische Kampf geht wider die Überfremdung. Aber sind die Fremden nur die Andersblütigen? […] Würde das Fremde unter uns Macht gewinnen, wenn wir uns nicht preisgäben? Das Fremde findet Bundesgenossen und Verräter bei uns selbst. Die Frontlinie zwischen Geist und Geist geht mitten durch unser deutschblütiges Volk hindurch, ja durch jede Brust. Mitten unter uns wirken die zerstörenden Mächte, vollzieht sich die innere Volksentfremdung. Das Problem der Volksentartung ist das Problem des Bösen. Sind denn die anderen schuld daran, daß wir Deutsche das sechste Gebot nicht mehr halten?!347 Glaubt man aber im Ernste, daß der völkische Wille allein, daß die Gesichtspunkte der Eugenik und Rassenhygiene unseres Volkes Ehe und Sittlichkeit wieder gesund machen werden?348 Man unterschätze doch die Gewalt der Dämonen nicht, die auch in deutschem Blute rasen! Dann erst ist Hoffnung, wenn die Einzelnen, die Familien wieder in der Gewalt Gottes stehen. Nicht hohe Worte völkischer Imperative werden uns aus dem Schmutz emporreißen, sondern allein das Wachsen der unsichtbaren Gemeinde derer, die vor dem allmächtigen Gott wandeln!“349

In der Wahrnehmung einer „Volksentfremdung“ stimmen Althaus und Volkstumsbewegung bzw. völkische Bewegung überein, unterschiedlich ist aber die Charakterisierung einer solchen. Während die Völkischen die Erklärung für die wahrgenommene „Volksentfremdung“ und „Überfremdung“ rasseideologisch in der Bedrohung durch die „Andersblütigen“ sehen, die es zu bekämpfen gelte350, ist für Althaus die angebliche Bedrohung geistiger, ja theologisch zu qualifizierender Natur, wenn er von „zerstörenden Mächten“, dem „Bösen“ und der „Gewalt der Dämonen“ spricht. Dem völkisch-rassenfanatischen Dualismus von angeblich „guten Deutschen“ und „bösen Fremdrassigen“, womit in erster Linie die Juden angesprochen sind, setzt Althaus die christlich-reformatorische Einsicht der Sündhaftigkeit aller Menschen („Gewalt der Dämonen auch in deutschem Blute“) und – theologisch gesprochen – des Ringens zwischen neuem und altem Menschen („Frontlinie zwischen Geist und Geist durch jede Brust“) entgegen. Hier behält der christliche Theologe die Oberhand. Und so identifiziert Althaus die Entfremdung vom christlichen Glauben und die damit einhergehende Sittenlosigkeit als die eigentliche Gefahr der 347 Den gleichen Gedankengang explizierte er bereits in einer Predigt Anfang 1923; vgl. 2301P Losung, 120. 348 Zur Kritik Althaus’ an der Rassenhygiene vgl. 2906 Ehe, 6 f.; vgl. Kap. IV, 3.2.2. 349 2704 Volkstum, 119. Zum kirchlichen Kampf gegen „Schmutz“ und sittliche Verwahrlosung vgl. die „Kundgebung in der Frage der Sittlichkeit“, die auf dem Kirchentag in Königsberg ver­ abschiedet wurde; vgl. Hermenau, Kirchentag, 28 f. 350 Althaus reagiert auf eine solche Rasseideologie mit Häme: „Wieviel Pharisäismus birgt sich in der bequemen Anklage Fremdblütiger!“ (2704 Volkstum, 119). Die fatale Konsequenz und das mörderische Potential einer solchen „Anklage Fremdblütiger“ ist für Althaus vollkommen jenseits des Vorstellbaren, er tut sie aufgrund ihrer simplifizierenden Weltsicht als „bequeme Anklage“ ab. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Volksentfremdung“. Indem er aus seiner Sicht die radikale Lösung des deutschen Problems, die die Völkischen propagieren, als Scheinlösung entlarvt, will er der Volkstumsbewegung die christlich-kirchliche Lösung umso eindrück­ licher vor Augen führen. „Die völkische Frage führt in die religiöse Tiefe“351, lautet daher seine volksmissionarische Parole. Aber Althaus geht noch einen Schritt weiter in seiner Rede pro domo, die sich im aktuellen Abschnitt an die Volkstumsbewegung richtet: „Das Wort von der Volksgemeinschaft wird heute so oft in hohem Tone verkündet“, als „billige, beruhigende Phrase“. Für eine Erneuerung der Volksgemeinschaft aber bedarf es seiner Ansicht nach „der Macht überweltlicher Liebe, die aus Gott ist.“ Diese neue Liebe, die der christliche Glaube schenkt, übertrifft die von ihm vorausgesetzte „natürliche Verbundenheit und Liebe“ der Deutschen untereinander bei weitem, sie erst schafft wahre Volksgemeinschaft. „Auch ‚Nationalerziehung‘ kann die neue Liebe nicht zeugen. Wieder stehen wir vor der Gottesfrage.“352 Auch im nächsten Abschnitt seiner Rede bleibt sein Adressat die Volkstumsbewegung, die er vor dem Betreten völkischer Irrwege in Form von völkischer Religion und Vergötzung des eigenen Volkstums warnt. Den „Versuch ‚völkischer Religion‘ als Lösung der Gottesfrage des Volkstums“ nennt Althaus „einen Kurzschluß und eine Unmöglichkeit“. Dem Versuch einer „arteigenen“, „germanischen“ Religion hält er die Frage entgegen: „Heißt das noch Ehrfurcht vor dem Volkstum, wenn man die Augen verschließt vor der Hoheit und Unwiderruflichkeit seiner christlichen Geschichte? Wie sinnlos, das deutsche Wesen zu denken abgesehen von dem Evangelium und es am vorgeschichtlichen Anfange in seiner Reinheit zu suchen! Volkstum wird erst in der Geschichte. Das deutsche Wesen ist durch das Evangelium wesentlich mitgeprägt.“353

Wie schon in seinem Vortrag vor der Fichte-Gesellschaft spricht Althaus auch hier von der „gottgeschenkten Wahlverwandtschaft“ zwischen deutschem Volks­ tum und dem Evangelium: „Jedenfalls: das Evangelium ist bis heute unseres Volkes größtes Erlebnis gewesen. Und es ist sein eigen geworden. Die Einheit ‚deutsch-christlich‘, ‚christlich-deutsch‘ steht als klare, helle, breite Tatsache da.“ Dass er bei einer solchen Verbindung stets das Christentum dem Volkstum überordnet, macht er sogleich klar: 351 Ebd., 118. 352 Ebd., 120. Zuletzt hält Althaus der Volkstumsbewegung entgegen, dass der christliche Glaube in dem von ihm als unvermeidlich angesehenen Widereinander der Völker „die Dämonen des Hochmutes, des Hasses, der Verachtung der anderen“ wehrt. „Der heiße völkische Wille ist schon der Reinigung bedürftig. Wo findet er sie? So fragen heißt wieder nach Gott fragen.“ (ebd.). 353 Ebd., 120 f. Hervorhebungen von Althaus. Die folgenden Zitate finden sich ebd., 122 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Bei vielen bedeutet die Losung ‚völkische Religion‘ nichts anderes, als daß die Religion nur Ausdruck des völkischen Lebenswillens ist: der ‚deutsche Gott‘ das Symbol deutschen Lebensanspruches. Das Volkstum ist dann Grund, Quell, Maßstab für die Wahrheit des Glaubens. Nicht der Glaube ist Meister, sondern das Volkstum.“

Gerade dies lehnt Althaus ab als „Benutzung eines Götzen für menschlichen Lebensanspruch, Größe und Herrschaft. Ein bedingtes, des eigenen Volkes Leben, wird hier unbedingt gesetzt; es wird heilig gesprochen statt geheiligt zu werden. Man ist also bei jenem Typus der Nationalreligion angelangt, um deswillen man das Alte Testament gerade ablehnt, bei der nationalen Abgötterei.“

Auch die in völkischen Kreisen vertretene Vorstellung vom Volkstum als gött­ licher Offenbarung weist Althaus zurück. Er kommt damit auf einen seiner theologischen Forschungsschwerpunkte zu sprechen: „Die völkische Frage als religiöse ist ein Sonderfall der Frage nach der Offenbarung Gottes überhaupt, nach dem Verhältnis des Evangeliums zu den Religionen.“ So hält er der Volkstumsbewegung die rhetorische Frage entgegen: „Wächst die Offenbarung wirklich in des Volkes Seele, als die innerste Schöpfung des Volksgeistes?“ Gemäß seiner eigenen anknüpfenden Offenbarungstheologie und seiner Schöpfungsordnungstheologie mit ihrer normativen Zentrierung auf das Volkstum gesteht er diesem zunächst den theologischen Rang einer „Selbstbezeugung des Schöpfergottes an uns“ zu. „Aber so ernst wir das betonen“, ergänzt Althaus, „so ernst setzen wir hinzu: die Heilsoffenbarung Gottes ist wirklich ein ‚Fremdes‘ (mit Absicht wähle ich für die Auseinandersetzung mit den ‚völkischen‘ Gedanken gerade dieses Wort!), ein neues fremdes Wort, nicht aus der Tiefe des eigenen Volkstums quellend, sondern […] aus der Höhe gesprochen.“ Denn „was in den Tiefen eines Volkstums an göttlicher Selbstbezeugung ergriffen werden kann, das hat alles teil an dem Fall der Menschheit, ist Bruchstück […], von Lüge überschattet und überfremdet“.

Wie schon seinen volkstumsbewegten und völkischen Zuhörern der Fichte-Gesellschaft, so mutet er seinen ebensolchen Lesern hier den Affront der betonten Verwurzelung des Christentums im Judentum zu, wenn er erklärt, dass „die rettende Offenbarung Gottes nicht überall da ist […], sondern, gerade weil sie Durchbruch Gottes durch den Trug menschlicher Religion bedeutet, in einer bestimmten, einmaligen, besonderen Geschichte ergeht, auf Grund von Erwählung eines Ortes und Volkes – nicht als Geburt der Offenbarung aus dem Volksgeiste, sondern als Hören eines einmaligen konkreten Wortes aus der Höhe, aus der Fremde, die aller Völker letzte Heimat ist. […] Jeder Zeit wird das einmal in der Ferne des Heiligen Landes gesprochene, gehandelte Wort Gottes zur Gegenwart, jedem Volke das © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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in Israels Geschichte von Gott her geschehene ein eigenes und neues. […] Das semitisch-hellenistische Buch, die Bibel, wird Menschheitsbuch, Völkerbuch, Volksbuch. Der Herr aller Völker wird – nicht zwar ‚der deutsche Gott‘, aber unser Gott, der Gott unserer Furcht, unseres Vertrauens.“354

Wenn die Volkstumsbewegung dieses Offenbarungsverständnis und die Verwurzelung des Christentums im Judentum aber erkannt hat, kann es auch keine völkische Zurückweisung des Alten Testaments mehr geben: „Hier findet das Volkstum sich selber. An dem Gott der Bibel, an seinem Handeln mit Israel erfährt es das Gericht, die Scheidung von Wesen und Unwesen – wie brauchen wir, gerade unter ‚völkischem‘ Gesichtspunkte, das Alte Testament als Zeugnis der Gottesgeschichte eines Volkes, wie brauchen wir die Propheten der Bibel!“355

An dieser Stelle nun kommt Althaus darauf zu sprechen, wie er sich den tiefsten Sinn der Volkstumsbewegung vorstellt: Wahre Volkstumsbewegung kann es für ihn nur geben, wenn und sofern diese sich als christliche Missionsbewegung versteht: „Hier findet ein Volk seine Volkheit, hier seine Sendung. Denn nun leuchtet über aller Völker Geschichte und daher auch über der unseren der helle Schein des kommenden Reiches Gottes, und jedes Volkes Leben tritt in das Licht dessen, daß die Geschichte dem Reiche Gottes entgegengeht. Nun erkennt ein Volk seine Sendung – es ist zuletzt keine andere als diese: als Träger des vom Evangelium entzündeten Lebens in besonderer Gestalt zu zeugen für das kommende Reich Gottes, Christophoros zu sein. Das wird als die eigentliche völkische Aufgabe erkannt.“356

Was Althaus in früheren Schriften als „Volksberuf“, als „Sendung“, als „Menschheitsdienst“ bezeichnet hat, qualifiziert er hier gegenüber der Volkstumsbewegung mit Nachdruck als „Dienst am Reiche Gottes“ und damit theologisch. 354 Ebd., 124; Hervorhebungen von Althaus. Ihm ist der Zusammenhang mit dem Judentum als dem Volk der Erwählung so wichtig, dass er diese Textpassage fünf Jahre später in 3206 Evangelium, 42 f. wörtlich übernimmt. 355 Ebd. Wenn Althaus „die Torheit des völkischen Ansturms gegen das Buch“ (ebd., 135) anprangert, so hat er besonders die völkischen Religionsversuche der sogenannten „Deutschkirchler“ im Blick: „Sie schauen auf das Alte Testament: von hier drohe die schwerste Überfremdung der deutschen Seele, sie drohe nicht nur, sie sei längst Ereignis. Unser Gegen-Satz lautet: Nein, hier droht eine wirkliche Gefahr nicht!“ (ebd., 134). Zu Althaus’ Verteidigung des AT gegen völkische Angriffe vgl. Kap. IV, 5.2.4. 356 Ebd., 124 f. Jedes Volk soll dabei nach Althaus dem Reich Gottes auf seine Weise dienen: „Die Völker bekommen verschiedene Sendung von dem Herrn der Geschichte. Unserem Volke ist durch seine Geschichte von Gott gezeigt, daß er ihm Besonderes anvertraut hat. Die deutsche Reformation, der deutsche Idealismus, das deutsche Not- und Kampfesschicksal im Ringen um Einheit und Freiheit durch Jahrhunderte hindurch“ (ebd., 125); vgl. 3121 Volk, 5. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Dadurch kann Althaus seinen Fokus auf das eigene Volk transzendieren auf die gottgegebene Vielfalt und Gesamtheit der Völker, auf die Menschheit.357Auf diese Weise meint er dem Nationalismus wehren zu können sowie dem „Übermut, in dem ein Volk sich als Edelrasse aufbläht und sein Selbstbewußtsein nur damit nähren kann, daß es die anderen gering mach und verachtet – als gäbe es auf die Frage ‚warum liebst du dein Volk?‘ eine andere Antwort als die ganz schlichte ‚weil es mein Volk ist‘! […] Gottes Reich ist größer als jedes Volkstum, als jede völkische Sendung358, und Gottes Reich ist auch an uns nicht gebunden.“359

Althaus wäre nicht Althaus, wenn er nicht den Mittelweg suchte und auch dem in seinen Augen anderen Extrem entgegenwirkte, das vom eigenen Volk nichts wissen will. Wenn Volksbewusstsein derartig theologisch qualifiziert ist, dann ist ein Eintreten für die nationale Sendung im Sinne des Reiches Gottes unbedingt geboten. So spricht sich Althaus „gegen die Schlaffheit und Verzagtheit“ aus, gegen den „Kleinmut, der den besonderen Beruf des eigenen Volkes nicht zu bejahen und nicht zu ergreifen wagt und an ihn alles setzt, Leidenschaft und Opfer, als läge nichts an uns.“ Weil für Althaus allein das Evangelium hilft, sowohl den völkisch-nationalistischen als auch den kosmopolitischen Irrweg zu vermeiden, gilt für ihn: „Das Volkstum bedarf des Evangeliums, um seine Sendung zu verstehen, am Willen gereinigt und aus der Liebe wiedergeboren zu werden.“ Die Volkstumsbewegung aber, „wenn sie unserem Volke wahrhaft dienen will“, „muß Kirche des Evangeliums wollen, Volkskirche“. Denn für Althaus steht fest: „Die Zukunft unseres Volkes hängt an der Lebendigkeit unserer deutschen Kirchen.“ Damit ruft Althaus die Volkstumsbewegung zur Kirche, ruft sie auf, christliche Missionsbewegung zu sein.

357 Es ist besonders der völkische Missbrauch des seit langem virulenten, ursprünglich kulturell verstandenen deutschen Sendungsbewusstseins, das auch Althaus mehr und mehr zur Vorsicht bzw. zur Einschränkung bewegt. So äußert er 1929 in einer Rundfunkansprache: „Auch heute haben wir Recht und Pflicht, nach der besonderen Aufgabe unseres Volkes an der Welt zu fragen. Das Wort von der Menschheitssendung ist uns freilich weithin verdächtig geworden. Es geht hier auch nicht um geistigen Imperialismus. Es gilt zu erkennen, daß der Herr der Geschichte manchem Volke ein Geschenk gibt, das für alle bestimmt ist. Hätte Deutschland sonst keine Sendung, so hat es sie doch darin, daß es das Land der Reformation ist. Das ist unter allen unseren Aufgaben die wichtigste.“ (2913 Bedeutung, 99). Den gleichen Gedanken vertritt Althaus, nun deutlich apologetischer zugespitzt, gerade in der Zeit des „Dritten Reiches“; vgl. 3406 Christus, 32 f.; oder 3515 Christentum, 8. Auf diese Weise meint er, die „deutsche Sendung“ klar zu erfassen und mit der Kanalisierung auf geistig-religiöses Gebiet eine nationalistisch-imperialistische Interpretation der Völkischen abzuwehren. 358 Auf die hier vorgenommene Begrenzung des Volkstumsgedankens bei Althaus macht ­Tanner, Verstaatlichung, 251 aufmerksam. 359 2704 Volkstum, 125. Die folgenden Zitate finden sich ebd., 124–127. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Das Volkstum muß die Kirche suchen, aber auch die Kirche das Volkstum.“ Mit dieser Parole wendet Althaus nun seinen Blick von der Volkstumsbewegung, der seine bisherigen Ausführungen galten, den Kirchenvertretern zu. Die Kirchen sieht er „dazu gerufen, diesem Dienste des Evangeliums am Volkstum Werkzeuge zu werden. Das Volkstum bedarf einer Kirche, die den Mut hat, mitten in der Not unseres Volkes zu stehen, ihm seine Sendung zu deuten, es immer wieder unter das Gericht Gottes und zu dem Quell wirklicher Gemeinschaft zu rufen.“

Indem Althaus das Volkstum schöpfungstheologisch in den Rang einer un­ bedingten und verpflichtenden Gottesordnung hebt, erhält das Volk in seiner sozialethischen Konzeption eine religiöse Weihe und wird dadurch zugleich zum Gegenstand kirchlichen Handelns: „Weil wir nicht einen Zufall, nicht ein Zornesgesetz, sondern Gottes guten Willen darin erkennen, daß wir Heimat und Volk haben und an sie gebunden sind, darum ist das Volkstum uns etwas Heiliges – Gott ist es, der uns hier band! – nun hat die Bindung unbedingten Ernst.“ Daher wiederum können die Kirchen „nicht anders, als die neu erwachte Liebe zum heimischen Volkstum, alle ernste Selbstbesinnung auf seine besondere Art, Gabe, Verantwortung mit Freuden begrüßen. Denn evangelisches Christentum erkennt und liebt in dem Volkstum Gottes Schöpfergabe und Schöpferwillen.“ Neben dieser schöpfungstheologischen Sakralisierung des Volkstums will Althaus den Teilnehmern des Kirchentages auch auf andere Weise das Volkstumsdenken zur kirchlichen Pflicht machen: anhand seiner Überzeugung der Anknüpfung vom Vaterlandserlebnis zum Gotteserlebnis. „Die neue Erfahrung der Volksgebundenheit unseres Lebens kann Vorstufe, Brücke, Hilfe zu neuer Erfahrung Gottes werden“, lautet seine volksmissionarisch motivierte, hoffnungsvolle Überzeugung – wenn er auch allzu kurzen Schlüssen skeptisch gegenübersteht.360 Gerade die Erfahrung der Verbundenheit, die Überwindung „bindungslose[r] Vereinzelung“ will Althaus als Ergriffensein von einer Wirklichkeit, die auf Gott als den Gott der Gemeinschaft und Liebe hinweist, fruchtbar machen: „Ein Geschlecht, das von aller dieser Wirklichkeit der Geschichte […] neu ergriffen wird, ist offenbar reifer für die Verkündigung des lebendigen Gottes der Bibel, seines Willens, seiner Schöpferfreiheit, seiner Zornesgesetze als ein individualistisches Zeitalter.“361

360 So lautet sein Einwand: „Keinen Augenblick vergessen wir, daß das Erleben des Volkstums wahrhaftig noch nicht die Erfahrung Gottes, des Herrn ist, wie völkischer Kurzschluß bisweilen meint“ (ebd., 128). 361 Ebd., 128. Althaus schreibt dazu: „Das bindungslose selbstherrliches Ich der eben zu Ende gehenden Aufklärungszeit, des individualistischen Zeitalters, das sich die Augen zuhielt für die konkrete Abhängigkeit und Bindung des persönlichen Lebens, hatte jedenfalls einen viel weiteren Weg zur Ehrfurcht vor der freien Schöpfermacht des Herrn über uns“ (ebd.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Neben seiner Potenz zu kirchlich-volksmissionarischer Anknüpfung hat das Volkstumsdenken für Althaus auch pädagogischen Wert. Noch aus seiner Tätigkeit unter der deutschen evangelischen Minderheit im katholischen Polen während des Krieges stammt seine Erfahrung, dass „die Volkstreue und die Glaubenstreue zusammenhängen“ und Volkstreue zur Glaubenstreue zu erziehen vermag: „An der Volkstumstreue übt sich die Treue im Ewigen.“362 Für ihn stärken sich Volkstumstreue und Glaubenstreue gegenseitig. Vor diesem Hintergrund ruft er nun die Kirchen dazu auf, „wahrhaft Volkskirche zu werden oder zu bleiben“, worunter Althaus versteht, „dem Volke als Volke, als Gesamtleben dienend“, „ihm in seiner Art dienend“, „wahrhaft deutsche Verkündigung des Evangeliums und das Eingehen der Kirche in die organischen Lebensformen und die lebendige Sitte des Volkstums.“363 Wenn die Kirche „wahrhafte Volkskirche“ sein will, dann soll sie, um ihrem volksmissionarischen Auftrag gerecht zu werden, versuchen, das ganze Volk mit ihrer Verkündigung des Evangeliums zu erreichen und „jenseits der Parteirisse Heimat des ganzen Volkes zu werden.“ Vor dem Hintergrund, dass den Kirchen „ganze Stände unseres Volkes so gut wie verschlossen sind“ – Althaus spricht damit in erster Linie die Arbeiter an –, fordert er die Kirchen auf, „sich in großem Ernste [zu] fragen, ob sie vielleicht mit anderen Ständen, vielleicht gar mit Parteien, so verwachsen sind, daß dadurch ihre freie Bewegung und Werbekraft gehemmt wird.“ Wenn die Kirche „wahrhafte Volkskirche“ sein will, so muss sie nach Althaus darüber hinaus auch ihrem Auftrag als Gewissen des Volkes nachkommen und „das ganze Volksleben“ „in das Licht des Wortes Gottes“ rücken: „Die Fragen und Sünden des Volkes als Gesamtheit, seines öffentlichen und verborgenen Lebens, dürfen nicht übergangen werden – Kanzel und christliche Presse haben hier ihre großen, drängenden Aufgaben.“364 Als zwei Beispiele für „drängende Fragen“ nennt Althaus „ein deutliches Wort der Seelsorge zu den brennenden Ehefragen, zum sechsten Gebot“ und ein Wort zur „jüdische[n] Bedrohung unseres Volkstums“, die Althaus insofern

362 Ebd. Althaus bewegt sich mit dieser Annahme in der Tradition Schleiermachers, der „‚Volkstreue‘ zu einem Teil der ‚Glaubenstreue‘ erklärt“ hatte (Nipperdey, Religion, 92). 363 Ebd., 129. Entscheidend für seine Konzeption einer deutschen Volkskirche ist seine Überzeugung: „Gott will nicht nur die Einzelnen heiligen, sondern um die Familien und Völker als Ganzheiten ringen.“ (ebd.). 364 Ebd., 130. Nach Althaus haben die Kirchen „die Idee der Volkheit zu verkündigen“, sie „sollen die Heiligkeit der Bindung an des Volkes Leben bezeugen, sie müssen dem Volke seine Geschichte zu deuten suchen mit prophetischem Geiste, stellvertretend ringen um Erkenntnis des immer neuen Willens Gottes“ (ebd.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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festzustellen meint, als er Juden für eine „zersetzende großstädtische Geistigkeit“ mit ihren „entsittlichenden Einflüsse[n]“ haftbar macht365. Wenn Althaus seine These expliziert, dass die Kirchen Volkskirche in dem Sinne sein sollen, „daß sie das Evangelium unserem Volke in seiner Sprache und Art verkündigen“, geht er zunächst auf die „laute[n] Wünsche und Forderungen von völkischer Seite ein“366, um in seinem eigenen Anliegen nicht miss­ verstanden zu werden. Vor allem gegen eine völkische Vereinnahmung Martin Luthers setzt sich Althaus zur Wehr: „Man kann das Evangelium nicht verdeutschen wollen. Luther wollte nicht deutsches Evangelium, sondern die Wahrheit des Evangeliums, den Römerbrief, Paulus; aber indem er, der Deutsche, an seiner geschichtlichen Stelle ganz persönlich rang um das Evangelium, wurde es ihm und seinem Volke deutsch. Die deutsche Art hat in ihm das Evangelium wirklich neu erfaßt. […] Diese Verdeutschung aber, wir wiederholen es, ist nicht bewußt unternommen, sondern als Geschenk geworden.“367

Am Ende seiner Ausführungen über seine Vorstellungen einer „wahrhaften Volkskirche“, in denen die Zurückweisung völkischer Bestrebungen in der Kirche bereits breiten Raum eingenommen hat, und damit am Ende seines Vortrages vor dem Königsberger Kirchentag spricht Althaus abschließend erneut von den „Grenzen der Durchdringung von Kirche und Volkstum“368, die es zu beachten gelte, soll die Kirche „nicht Sklavin des Volkstums“ sein, sondern „freie Dienerin“, soll die Kirche das Reich Gottes nicht „an einen völkischen Willen verraten“, sondern „den völkischen Willen“ „heiligen auf Gottes Reich hin“369. Zunächst muss auch eine Volkskirche für Althaus ihre „Eigengestalt“ gegenüber dem Volkstum wahren, „sich vom Volksverbande deutlich abheben“ und „selbständig gegen die Volksgemeinschaft dastehen“. Gerade das erinnert die Kirche „immer wieder an den Abstand zwischen Gemeinde und ‚Welt‘, […] 365 Ebd., 130 f. Zum ganzen Absatz und zu Althaus’ Antisemitismus vgl. Kap. IV, 5.3. 366 Ebd. Konkret setzt sich Althaus mit dem „Bund für deutsche Kirche“ und der „deutschchristlichen Arbeitsgemeinschaft“ auseinander, die von der Kirche „‚ein deutsches Christentum, vom Juden-Christentum gereinigt, deutsch-verinnerlicht‘“ fordern (ebd.). Im Stile der Präteritio weist er dies kategorisch zurück: „Wir wollen […] nicht reden über die viele Verworrenheit in den bisherigen Äußerungen des ‚Bundes für deutsche Kirche‘, wir übergehen die mancherlei Kleinlichkeiten und Peinlichkeiten, die unverkennbare Gefahr einer germanisch-christlichen Mischreligion, das unkritische Ineinsschauen der altgermanischen Mythologie und des Evangeliums in manchen Äußerungen, das unscharfe Reden von dem ‚Gottesworte‘, das überall in der Geschichte rede, die naturalistischen Züge in den Vorschlägen zum Kirchenjahr und für die Sonntagsnamen, die seltsame ‚Reinigung‘ der Gesangbuchtexte von ‚Jehova‘, ‚Israel‘, ‚Amen‘ usw.“ (ebd., 132). 367 Ebd., 132 f.; Hervorhebung von Althaus. Die folgenden Zitate finden sich ebd., 133–137. 368 Ebd. 369 Ebd., 142. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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das bewahrt sie vor der Gefahr, die Höhe des Evangeliums herabzustimmen zu christianisierter volkshafter Weltlichkeit.“370 Eng mit dieser ersten Forderung hängt die zweite zusammen, die Kirche darf „nicht in lauter Treue und Konservatismus die Macht über eine neue Zeit“ verlieren, „die Kirche darf sich keiner Romantik verschreiben (wieviel Romantik aber herrscht in der völkischen Bewegung!)“. Daher darf aber die Kirche sich „niemals mit Lebensformen des Volkstums so verbinden, in sie so verflechten, daß sie nicht die Beweglichkeit hätte, auch in das Chaos und die Zersetzung unserer Großstädte frei und lebendig einzutreten.“371 Als letzten Beleg für die Notwendigkeit der Unabhängigkeit von Kirche und Volkstum fügt Althaus gegenüber den Kirchenvertretern und der Volkstums­ bewegung sein Bekenntnis zur una sancta hinzu: „Die kirchliche Gemeinschaft reicht über die Volksgrenzen hinaus: deutsche Lutheraner wissen sich nordischem, slawischem, amerikanischem Luthertum eng verbunden, die Reformierten ihren außerdeutschen Schwesterkirchen. Nicht nur also, daß wir über der deutschen kirchlichen Gemeinschaft die una sancta bekennen – es geht nicht an, daß die nationale Verwurzelung der Kirchen Wirklichkeit sei, die über­ nationale Einheit der Kirche aber bloßer Gedanke bleibe –, wir pflegen auch eine Bekenntnis- und Kirchengemeinschaft, die quer durch die Landes- und Volkstumsgrenzen hindurchgeht […]. Wir schauen aus nach dem Tage, da das Volk eine Kirche sein wird und da in der weltumfassenden Kirche die Gemeinschaft der Kirche wohnt. Wir warten auf Gottes Stunde.“372

So lautet Althaus’ abschließenden Zusammenfassung: „Gerade so vermag die Kirche wirklich Kirche zu bleiben. Daran, daß sich die Hände der Glaubensgemeinschaft über die Volksgrenzen hinausstrecken und die Hände der Volksgemeinschaft über die Kirchengrenzen hinaus, daran, daß Volks- und Kirchengrenzen nicht zusammenfallen – daran hat die Kirche immer wieder die Erinnerung

370 Ebd., 139. Althaus führt dazu aus: „Die Kirche muß ihre Glieder zum ganzen Ernste des Gehorsams gegen Jesus verbinden. […] Der Anspruch des Evangeliums an die Menschen greift noch tiefer in das persönliche Leben ein als der völkische Imperativ der Hingabe und Zucht. Völkische Zucht und die Zucht in der Gemeinde fallen nicht zusammen“ (ebd., 138). 371 Ebd., 140. Hintergrund dieser Forderung ist die Althaussche Vorstellung der „Todesgesetze einer fortschreitenden Kultur“, d. h. des Alterns und Sterbens von Völkern: „Völker und Kulturen sterben nach biologischer Notwendigkeit, unter der alle Geschöpfe leben“ (ebd.). So ruft er der Kirche zu: „Die Kirche sucht lebendiges Volkstum zu bewahren, sich mit ihrem Leben auf ihm zu bauen; aber wo es nicht mehr lebt, sondern sich zersetzt, da wird sie tapfere Großstadtkirche, die im Chaos kleine Gemeinden sammelt und in ihnen den Entheimateten neue Heimat zu schenken sucht; die auch in der Masse evangelisiert, ohne die Masse wieder zu gesundem Volksorganismus umbilden zu können“ (ebd.). 372 Ebd., 141; Hervorhebung von Althaus. Die folgenden Zitate finden sich ebd., 141 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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an ihre heilige Freiheit. […] Indem die Kirche weiterreicht als ein Volkstum, zeugt sie laut von dem nur bedingten Rechte jedes Volkstums, wehrt dem Absolutsetzen des eigenen, verkündet Gottes kommendes Reich, in dem der Gegensatz der Völker aufgehoben ist und kann so zu einer Macht echter Gemeinschaft der Völker werden mitten im geschichtlich unaufhebbaren Widerstreit.“ Mit diesem Schluss, in dem Althaus einer völkischen Interpretation von Volkskirche von vorneherein die Grundlage nimmt373, kommt er auf den Anfang seiner Rede zurück, wo er bereits die in seinen Augen vorbildhafte Durchdringung von „evangelische[r] Kirchentreue und deutsche[r] Volkstreue“ in Ostpreußen mit dem Hinweis auf die notwendige Begrenzung dieser Durchdringung eingeschränkt hatte: „Aber die Ostmark mahnt uns auch, das Verhältnis von Kirche und Volkstum nicht zu einfach zu nehmen. In der gleichen Kirche sind deutsches und masurisches Volkstum verbunden zur Gemeinschaft des Glaubens. So erinnert die Ostmark zugleich an Selbständigkeit der kirchlichen Gemeinschaft gegenüber der Volks-Einheit: die kirchliche Gemeinschaft greift über Volkstumsgrenzen über.“374

Mit dieser Klammer um seine Ausführungen macht Althaus seinen Hörern und Lesern deutlich: Die Kirche bleibt dem Volk übergeordnet375. Zusammenfassend gilt es festzuhalten: Mit seinem Vortrag über „Kirche und Volkstum“ will Althaus den „völkische[n] Wille[n] im Lichte des Evangeliums“ – so der Untertitel des Sonderdrucks von 1928 – in den Blick nehmen. Im Bewusstsein historischer Versäumnisse der Kirche in der sozialen Frage bemüht sich Althaus, fußend auf einer volksmissionarisch ausgerichteten Vision von Volkskirche, in der damals sogenannten „völkischen Frage“ um einen Brückenschlag zwischen Kirche und Volkstumsbewegung: „Furchtbar, wenn Volkstumsbewegung und Kirche sich ebenso verfehlten wie Arbeiterbewegung und Kirche sich weithin verfehlt haben! Heute droht die Gefahr, daß wir eine Volkstumsbewegung bekommen, die der Kirche verloren ist, und eine Kirche, die ihr Volk als Volk, in seinem heißesten Wollen, nicht mehr findet“, lautet daher seine Warnung an die Kirche.

Mit dieser Sichtweise nimmt Althaus in der Frage des Verhältnisses von Kirche zur erstarkenden Volkstumsbewegung bzw. völkischen Bewegung die volksmissionarische Haltung der Inneren Mission ein, wie sie Magdalene von Tiling in ihren „Leitsätzen zur völkischen Frage“ im Herbst 1924 für den Zentralausschuss für Innere Mission formulierte376. Althaus hat die Leitsätze für seine 373 Vgl. 3708 Kirche, 26, wo er die Volkskirche „von einer ‚völkischen‘ Kirche klar unterschieden“ wissen will. 374 2704 Volkstum, 113. 375 Vgl. die Wertung von Althaus’ Vortrag bei Wright, Parteien, 122. 376 von Tiling, Leitsätze, 19 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Rede vor dem Kirchentag rezipiert, mehrere Gedanken kehren bei ihm wieder. So auch Tilings Leitmotiv für ihr Eingehen auf die völkische Bewegung: „Kirche und Innere Mission sind verpflichtet, sich der völkischen Bewegung nachdrücklich anzunehmen, damit nicht ein unheilbarer Riß zwischen den starken und gesunden, zu dem eigenen Volkstum zurückstrebenden Kräften unseres Volkes und der Kirche entsteht […]. Kirche und Innere Mission müssen sich das Vertrauen der von völkischen Ideen erfüllten Menschen gewinnen durch verständnisvolle Mitarbeit an den positiven Zielen der Bewegung […], damit sie dann der viel schwereren Aufgabe des Kampfes gegen die auf sittlichem und religiösem Gebiet liegenden Irrtümer der Bewegung Herr werden können.“

Dass Althaus mit der Volkstumsbewegung und deren Forderungen keinerlei Berührungsängste hat und sich diese in großem Maße mit eigenen Vorstellungen treffen, zeigt schon sein Vortragsstil, der die Grenzen zwischen eigener Meinung und referierter Fremdmeinung verschwimmen lässt. So schreibt auch Barth nach der Lektüre des Vortrags am 19. September 1927 an Althaus, er habe darin alles gefunden, „was mir bei ihnen imponiert und zugleich unheimlich ist: die Fähigkeit, nach allen Seiten offen zu sein und bewegt mitzugehen, die, von mir aus gesehen, dann doch auch die Fähigkeit dazu, allzu Vieles zu schlucken und gutzuheißen, als daß ich den ganz deutlichen Ton ihrer eigenen Trompete immer hören würde.“377

Indem Althaus auf diese Weise Grundanliegen und Forderungen der Volkstumsbewegung und seine eigene theologische Sichtweise als weitgehend deckungsgleich darstellt, trägt er zu einer theologischen Legitimierung der Volkstumsbewegung bei. Seine Theologisierung des Volksbegriffs ist dafür das entscheidende Bindeglied. Althaus ist sich dessen bewusst, und daher ist er auch von Anfang an bemüht, die Gefahren einer solchen Überhöhung des eigenen Volkstums zu wehren, wie sie von Seiten einer völkischen Interpretation drohen. Deutlich grenzt er sich von einem nationalen Götzendienst ab, der das eigene Volkstum absolut setzt. Ob er mit diesem einschränkenden „Aber“ nach seinem großen, theologisch qualifizierten „Ja“ zum Volkstum seine Adressaten in rechten Kreisen noch erreicht, darf allerdings bezweifelt werden. Wie steht es nun mit der kirchengeschichtlichen Verortung des Althausschen Vortrags über „Kirche und Volkstum“? In aller Regel wird dieser Vortrag in der Literatur der kirchlichen Zeitgeschichte breit rezipiert und als Beispiel für eine Durchdringung des deutschen Protestantismus mit dem Volkstumsdenken  – 377 Zit. nach Scholder, Kirchen, 165; Hervorhebung von Barth. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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manche verwenden auch den unklaren Begriff „völkisches Denken“ – herangezogen. So lautet die Einschätzung Scholders: „Spätestens seit Althaus’ Vortrag über ‚Kirche und Volkstum‘ auf dem Königs­berger Kirchentag von 1927 war deutlich, daß das Thema Gott und Volk als völkisches Thema schon ohne Widerspruch in der Mitte des deutschen Protestantismus vorgetragen werden konnte.“378

Gewiss, Althaus hatte sich mit seinen Schriften und Vorträgen zum Thema „Volkstum“ in den 20er Jahren einen Namen gemacht. Dass er für den Kirchentag als Redner zu diesem Thema zwar nicht erste, aber immerhin zweite Wahl war, zeigen die schon damals vorhandene Rezeption seiner Volkstumstheologie und seine herausragende Stellung innerhalb dieses Themenkomplexes. Andererseits wird am Vorhandensein einer Volkstumstheologie selbst in den Kreisen der Religiösen Sozialisten und an der theologischen Nähe des Volkstums zu den Schöpfungsordnungen bei Barth deutlich, dass es sich bei einer solchen gleichsam um eine situationsbedingte Modeerscheinung in Deutschland handelt. Seine Ansichten zu „Kirche und Volkstum“ sind demzufolge weder eine Mindermeinung, noch etwas vollkommen Neues. Dies zeigt auch der sogenannte „vaterländische Kirchentag“ in Königsberg im Ganzen, in den sich Althaus’ Vortrag sehr harmonisch einfügt. Nach den oben in Auswahl zitierten Grußworten von politischen und kirchlichen Vertretern und nicht zuletzt nach der Vergegenwärtigung der „vaterländischen Kundgebung“, die überdeutliche Parallelen zum Althausvortrag hat, ohne „stark von Paul Althaus beeinflußt“379 zu sein, wird deutlich: Das Volkstumsdenken ist auch ohne allzu großes Zutun von Althaus „in der Mitte des deutschen Protestantismus“ angekommen. Althaus bekräftigt diese Tatsache in seinem Vortrag und bestärkt die Kirche darin. Einer eigenen theologischen Legitimation bedurfte der Kirchentag von Althaus dafür nicht. Er spricht deutlich und systematisch durchdacht aus, was die Meisten glaubten, fühlten und dachten. Die Aussagen der Kundgebung wie „Unser Volkstum ist uns von Gott gegeben“ oder „Christentum und 378 ebd., 158. 379 So lautet die Annahme von Greschat/Krumwiede, Zeitalter, 55. Stellt man in Rechnung, was auf dem Kirchentag sonst noch zum Thema „Kirche und Volkstum“ verlautbart wurde, und dass Althaus mit seinen nicht einmal 39 Jahren zu den jüngsten Teilnehmern des Kirchentages, einer Tagung gesetzter und honoriger Kirchenmänner – der Vorsitzende Freiherr von Pechmann war Jahrgang 1859, der zweite Referent Kahl 1849 – zählte, so darf man den Einfluss des jungen Erlanger Theologen nicht zu hoch ansetzen. So heißt es auch in der Presse im Blick auf die Vaterländische Kundgebung: „Die Ausführungen des Vortragenden [= Althaus] waren natürlich für den Kirchentag ebensowenig maßgebend wie die von Kahl.“ (Der Reichsbote, Nr. 192 (14.8.1927)). Ähnlich überschätzt Tödt, Barth, 539 den Vortrag und damit Althaus, wenn er annimmt, dass dieser „jener der politischen Rechten zugeneigten ‚politischen‘ Theologie […] die Leitlinien formulierte“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Deutschtum sind […] eng miteinander verwachsen“380 sind ebensolche volkstumstheologischen Allgemeinplätze der 20er Jahre wie die Zurückweisung einer völkisch-nationalistischen Überspannung des Volkstumsgedankens381. Dass gerade aufgrund dieser Zurückweisung an der Kundgebung von völ­ kischer Seite teils heftige Kritik geübt wurde, kann nicht verwundern. Die erste kam erstaunlicherweise von Wilhelm Kahl, dem zweiten Referenten des Königsberger Kirchentages zum Thema „Kirche und Vaterland“, der der Kundgebung und damit dem Kirchentag als solchem vorwarf, das Anliegen der völkischen Bewegung nicht zu verstehen und zu zeigen, „wie groß die Kluft der Entfremdung der Kirche vom Volkstum geworden ist.“ Seine Kritik lautet: „Wieder ist hier wie überall nur die Rede von der Pflicht des Volkstums, sich mit dem Evangelium durchdringen zu lassen. […] Von der anderen Seite – nichts! Von der Pflicht der Kirche, sich […] auch vom Volkstum durchdringen zu lassen, müßte nun im zweiten Satz die Rede sein – so erwartet man; doch davon – nichts.“382

Nimmt man dieses völkische Votum Kahls zusammen mit seinen Ausführungen auf dem Kirchentag, wo er von der „Volksgemeinschaft“ als der „Einheit aller nationalen Lebenswerte“ spricht, so verliert die Unterscheidung Nowaks, der Kahls Vortrag mit seinem „altkonservativ geprägten Vaterlandsgedanken“ dem Vortrag Althaus’ mit seinem „neokonservativen Volkstumsgedanken“ gegenüberstellen zu können meint383, an Plausibilität. Solcherlei Simplifizierung wird weder der Ambivalenz Althaus’, noch der Kahls gerecht. Nach dieser Verortung Althaus’ in der allgemeinen theologischen Hoch- und Überschätzung des Volkes als einer situationsbedingten Modeerscheinung der 20er und 30er Jahre mit fatalem Ausgang soll doch noch einmal nach der spezifischen Volkstumstheologie von Althaus gefragt werden. Was ist das Eigene von Althaus zwischen der durch eigene weltanschaulich-mentale Prägung und Präferenz bedingten und volksmissionarisch motivierten Bejahung der Volkstumsbewegung einerseits und der christlich-theologisch begründeten Zurückweisung völkischer Ideologie andererseits? Dieses Eigene finden wir bei Althaus im Ge 380 Hermenau, Kirchentag, 36. 381 So heißt es im Text der Kundgebung: „Gott ist der Gott aller Völker, Jesus Christus der Heiland der ganzen Welt. Man soll die Sache Gottes nicht gleich setzen mit der Sache irgend eines Volkes. Es gibt eine Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe, die über Völkergrenzen und Rassenunterschiede hinweg alle verbindet, die sich zu Christus bekennen. […] Mit unserer Mitarbeit am Werk von Stockholm und anderen weltumspannenden Aufgaben der Christenheit nehmen wir es ernst.“ (ebd., 35 f.). 382 Kahl, Evangelische Kirchentage von 1848–1927. In: Die Deutschkirche 6 (1927), Blatt 14 (20.7.1927), 125 f., hier 126. 383 Nowak, Kirchen, 176. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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danken der „Volkheit“ als dem „Willen Gottes über ein Volk“. „Volkheit“ ist für ihn das gottgegebene und gottgewollte Ideal eines Volkes. In diesem Zentral­ begriff bündeln sich auf idealistische Weise Geschichte und Erbe eines Volkes ebenso wie Gegenwart und Zukunft384. Von diesem Ideal des Volkes ausgehend wird die Vergangenheit verklärt, die Gegenwart als „Entartung“ gebrandmarkt und die Zukunft erhofft und geglaubt. Diese Zukunft, und das ist das Entscheidende, betrifft nicht nur die diesseitige, sondern gerade die eschatologische. Der Volksbegriff Althaus’ ist untrennbar mit dem Reich Gottes verknüpft, vom Gottesreich geht das Ideal aus. Daher ist ein deutsches Volk für Althaus auch nur als christliches Volk denkbar. So ist für ihn die „Sendung“ des deutschen Volkes „zuletzt keine andere als diese: als Träger des vom Evangelium entzündeten Lebens in besonderer Gestalt zu zeugen für das kommende Reich Gottes, Christophorus zu sein. Das wird als die eigene völkische Aufgabe erkannt.“ Indem Althaus in seinem Vortrag vor dem Kirchentag einen Volkstumsbegriff einführt, über den Kirche und Theologie die Deutungshoheit besitzen, spricht er im Rahmen seiner theonomen Weltdeutung Kirche und Theologie das Recht zu, den Schlüssel zur Lösung der sogenannten „völkischen Frage“ in Händen zu halten. Gegenüber einer zunehmend als säkularisiert verstandenen und sich autonom verstehenden Welt konnte die evangelische Kirche damit eine Eliterolle einnehmen. Indem dabei noch die enge Verbundenheit von Deutschtum und Luthertum propagiert wurde, sollte der Protestantismus wieder die mit dem Untergang des Kaiserreichs verlorene Rolle als deutsche Leitkultur erlangen und damit der drohenden Gefahr der Marginalisierung von Theologie und Kirche offensiv begegnet werden. Naheliegender Verbündeter in diesem kühnen Unternehmen war für Althaus die Volkstumsbewegung, sofern sie den Protestantismus als Leitkultur anerkannte und sich selbst als eine Art christliche Missionsbewegung verstand. So lautet auch das Urteil Christian Schwarkes über Althaus’, in seinem Vortrag vor dem Kirchentag vorgetragene Volkstumstheologie: „In diesem Sinne ist die ‚Theologie des Volkes‘ weniger Heiligung einer jenseits der Kirche bestehende ‚Eigengesetzlichkeit‘, sondern eher ein klerikaler ‚Sinnimperialismus‘, der strukturell der römisch-katholischen Vermengung der Reiche im Mittelalter gleichkommt.“385 384 So schreibt Althaus bereits in 1602 Vaterlandsliebe IV, 2: „Vaterlandsliebe ist nicht Vergötterung unseres Volkes in seinem jedesmaligen Zustande, sondern der tiefverankerte Wille zum Ideale unserer deutschen Nation. […] Die Religion schenkt die Ideale. Sie schenkt auch die hellen Augen, immer wieder Abwege des eigenen Volkes klar zu erkennen, sie schenkt die sittliche Wucht, an der Seele unseres Volkes zu arbeiten.“ 385 Schwarke, Anfänge, 45. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Nicht nur zu Althaus’ Verhältnis zur Volkstumsbewegung lassen sich aus seinem Königsberger Vortrag Rückschlüsse ziehen, sondern auch zu seiner Stellung zur Weimarer Republik. Wenn er auch mit seinen Äußerungen über die „deutsche Gegenwart“, die „weithin als schmerzliche Entartung“ erfahren wird, die Fremdmeinung der Volkstumsbewegung referiert, darf man dennoch, wie wir gesehen haben, von einer weitgehenden Zustimmung Althaus’ zu dieser Gegenwartsanalyse ausgehen. Neben einer Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen übt Althaus mehr oder minder direkt Kritik an der gegenwärtigen Staatsform der Weimarer Republik, die ihm, gerade gemessen an seinem eigenen Volkstumsbegriff, der Gemeinschaft, Solidarität und Verantwortung gegenüber den überkommenen Traditionen impliziert, als „Entartung“ erscheint. In seinen Augen ist die neue Staatsform der Republik ein Zeichen für das Verlorensein an die west­liche „Zivilisation“, weil sie „rationale Organisation statt des gewachsenen Organismus, Zersetzung zur Masse statt Gliedlichkeit am Volksleibe, ‚Gesellschaft‘ unverbundener Einzelner statt organischer Gemeinschaft“ bedeute386. Indem sich Althaus eine solche Fundamentalkritik an den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen zu eigen macht, wird seine ablehnende Haltung gegenüber der Weimarer Republik evident. Indem seine diesbezüglichen Äußerungen an exponierter Stelle, auf dem Kirchentag vorgetragen wurden und in der Folge eine weite Verbreitung fanden, waren sie geeignet, die vorsichtige Annäherung der evangelischen Kirche an den neuen Staat, wie sie z. B. in der „Vaterländischen Kundgebung“ zum Ausdruck kamen, zu konterkarieren. Damit aber leistete Althaus seinen Beitrag dazu, dass insbesondere die evangelischen Bürger, die sich im Gegensatz zu den Katholiken mit ihrer staatstragenden Zentrumspartei in Weimar politisch stets unterrepräsentiert fühlten, keine stabilen politischen Heimatgefühle in der Weimarer Republik ausprägten, die nötig gewesen wären, die erste deutsche Demokratie zu stützen. 3.3.5 „Ein befremdlicher Vortrag über Volkstum und Kirche“ – Völkische Angriffe auf Althaus Nach Althaus’ Stellungnahme gegen die völkische Bewegung und insbesondere gegen die Versuche völkischer Überformung des Christentums in seiner Rede vor dem Kirchentag bleiben die völkischen Angriffe auf den Erlanger Systematiker nicht aus. Öffentlich geführt und publiziert werden sie im Blatt „Die Deutschkirche“, dem Organ des „Bundes für deutsche Kirche“387. 386 Sämtliche Zitate finden sich in 2704 Volkstum, 115. 387 Zum kirchenpolitischen Programm der „Deutschkirche“ vgl. Bublitz, Weg; und KühlFreudenstein, Religionspädagogik. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Dieser bewusst nicht germanisch-heidnischen Vereinigung ging es darum, die evangelische Kirche anhand völkischer, insbesondere rassistischer und antisemitischer Vorstellungen zu einer „arteigenen“, deutschen Kirche umzugestalten bzw. die Kirche zu „reinigen“. Zu den zentralen Aspekten gehörten die Erziehung zum „Rassestolz“388 und die Praxis, „das eigene Leben nach rassehygienischen Gesichtspunkten [zu] führen“389, ebenso wie ein unverhohlener und eliminatorischer Antisemitismus: „Der Abwehrkampf gegen den jüdischen Geist ist für die christliche Kirche ein Kampf auf Tod und Leben. […] Und es gibt keine Genesung des Christentums vor der Ausscheidung des jü­ dischen Sauerteigs.“390 Althaus’ Verteidigung des Alten Testaments und insbesondere sein Insistieren auf dem unaufgebbaren heilsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen Judentum und Christentum sowie seine Zurückweisung einer Absolutsetzung und Vergötzung des eigenen Volkstums rief von dieser Seite heftige Reaktionen hervor. In einer ersten Replik Anfang August 1927 übt der Verfasser in erster Linie Kritik an der Althausschen Unterordnung des Volkstums unter die Kirche, an seinem Offenbarungsbegriff391 und an seiner Verteidigung des Alten Testaments. So heißt es über das Verhältnis von Kirche und Volkstum: „Daß das Volkstum nur ein relatives Recht gegenüber der Kirche haben soll, muß entschieden bestritten werden. Mit dieser Behauptung untergräbt Althaus bedauerlicherweise selbst wieder die ersehnte Harmonie zwischen Volkstum und Glaube in den Gliedern unserer Kirche. Das Volkstum war früher als die Kirche und ist seinem Ursprung nach von Gott! Der Einwand, daß das Volkstum reinigungsbedürftig sei, ist nicht stichhaltig“. Nach völkischem Dafürhalten ist demgegenüber „der Wahn von der Absolutheit der Kirche und ihrer Vorrangstellung gegenüber dem Volkstum als Überhebung im Namen des Evangeliums abzulehnen.“

Gegenüber der Althausschen Verteidigung des Alten Testaments ist der Ton nicht minder scharf: „Vom Gebrauch des Alten Testaments in der Kirche soll die Gefahr der Überfremdung nicht drohen? Wir stehen, im Gegenteil, mitten in der Gefahr, daß die Kirchen, 388 Vgl. Rassestolz und Demut. In: Die Deutschkirche 6 (1927), Blatt 16 (20.8.1927), 142. 389 Hygiene und Rassenhygiene. In: Unterhaltungsbeilage der Deutschkirche, Blatt 4 (20. 2.  1927). Dort heißt es, die Rassenhygiene „empfiehlt Auslese durch Zuchtwahl und Förderung der Vermehrung der für das Gedeihen der Rassen wünschenswerten Wesen“. 390 Jüdischer Geist. In: Die Deutschkirche 6 (1927), Blatt 23 (5.12.1927), 211. 391 Dazu heißt es: „Der Offenbarungsbegriff der Kirche, wie Althaus ihn wieder darlegte, – in die enge Form einer Volksgeschichte gepreßt und auf die Formel von der Heilsgeschichte im Alten Testament festgelegt – ist uns Gliedern der Kirche, die wir ‚mit heißer Liebe‘ unser Volkstum umfassen, gegen Gott und widernatürlich!“ (Kirche und Volkstum. In: Die Deutschkirche 6 (1927), Blatt 15 (5.8.1927), 131–133, hier 133). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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katholische und evangelische, daran zugrunde gehen! Fast möchte man fürchten: man lasse lieber die Kirche untergehen und weiten Kreisen fremd bleiben, ehe man die Formel vom ‚auserwählten Volk‘ der alttestamentlich-offenbarungsgeschichtlichen ‚Edelrasse‘, und von der heilsgeschichtlichen Offenbarung Gottes im Alten Testa­ment fallen läßt. […] Der kirchliche Offenbarungsbegriff ist alttestamentlichrabbi­nisch konstruiert und verläuft neben und nicht innerhalb der geistig-ethischen Offenbarung in Christo.“392

Nach diesem ersten Anti-Althaus-Artikel versucht der der deutschkirchlichen Bewegung nahestehende Jenaer Systematiker Heinrich Weinel zwischen dem Anliegen des Kirchentages und dem der Deutschkirchler zu vermitteln, indem er Althaus und dessen Vortrag über „Kirche und Volkstum“ in der „Deutsch­ kirche“ als randständig deklariert: „Es handelt sich hier doch gar nicht um eine Erklärung ‚der Kirche‘ oder auch nur des Kirchentages, sondern lediglich um eine Privatmeinung von Althauß [sic!], um seinen Kirchenbegriff […]. Auf dem Kirchentag waren gewiß sehr viele, die genau wie der Verfasser des Aufsatzes die Kirche nicht über dem Volkstum, sondern neben ihm sehen und weder sie noch das Volkstum für etwas Absolutes halten, sondern allein Gott, der beide geschaffen hat.“393

Nachdem sein Königsberger Vortrag gedruckt vorliegt, setzt der völkische Angriff auf Althaus ab Oktober 1927 erst richtig ein, wobei in der „Deutschkirche“ im Blick auf die Ausführungen Weinels nun zwischen der Kirche bzw. dem Kirchentag und der „Privatmeinung“ des Professors unterschieden wird394. Nach dieser Vorbemerkung setzt der Artikel, der mit dem Titel „Ein befremdlicher Vortrag über Volkstum und Kirche auf dem Kirchentag“ überschrieben ist, mit einem Frontalangriff auf Althaus ein: „O, wenn du geschwiegen hättest! Deine Lippen sagten ‚Volkstum, Volkstum!‘, aber dein Herz ist ferne von dem allen.

392 Ebd., 133. 393 Weinel, Die Deutschkirche und der Deutsche Evangelische Kirchentag zu Königsberg. In: Die Deutschkirche 6 (1927), Blatt 17 (5.9.1927), 151 f., hier 152. 394 So heißt es gleich zu Beginn des Artikels: „Wir betonen aber, daß wir diese Antwort nicht mehr verallgemeinernd gegen den Kirchentag, sondern lediglich gegen den Vortrag und die Kreise richten, die sich hinter die in ihm enthaltene Bekämpfung der Deutschkirche stellen. Denn das steht nach dem Wortlaut des Vortrages fest, daß Althaus zwar das Volkstum zu bejahen vermeint, daß er aber an der deutschkirchlichen Bewegung […] auch nicht einen einzigen positiven Wert findet.“ (Ein befremdlicher Vortrag über Volkstum und Kirche auf dem Kirchentag. In: Die Deutschkirche 6 (1927), Blatt 20 (20.10.1927), 176 f.). Der Aufsatz ist zweigeteilt und hat zwei verschiedene Verfasser. Da sich die beiden Teile lediglich in der Schärfe des Tons, aber nicht in ihren Kritikpunkten unterscheiden, werden die Zitate nicht eigens einem Verfasser zugeordnet. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Gerade das Deinige.“395 Der Althausschen Vorstellung eines Zugehens der Kirche auf die Volkstumsbewegung bzw. eines Zugehens der Volkstumsbewegung auf die Kirche wird von völkischer Seite mit Hohn begegnet: „Die Rede schließt mit der Warnung, daß die Stunde verpaßt werden könnte, wo Volkstumsbewegung und Kirche sich finden. Ja, liebe Herren der Althausmeinung, ihr habt diese Stunde längst verpaßt! Wo wart ihr denn, als nach dem Zusammenbruch die letzten deutsch fühlenden Herzen erschüttert aufschrieen und die edle völkische Bewegung einen Gischt wilder religiöser Sehnsucht emporwarf? […] Und jetzt, 1927, kommt ihr, um feierlich eine völkisch-vaterländische Tagung abzuhalten und zu erklären, daß ihr für das Volkstum seid, um im selben Atemzuge das Volkstum wieder als minderwertig hinzustellen. Zu spät, meine Herren, zu spät.“396

Althaus’ Vortrag wird als „Predigt eines Ungläubigen, Unbekehrten“ deklariert, und von Seiten der völkischen Bewegung – die Verfasser sprechen von der „Volkstumsbewegung“ – wird eine klare Trennlinie zu ihm gezogen: „Denkt doch nicht, daß feierliche Versicherungen uns fangen, wenn man auf Schritt und Tritt spürt, wie fremd und feindlich dieser Mann der Volkstumsbewegung gegenübersteht. Er ‚grüßt‘ die Volkstumsbewegung. Ein kalter und förmlicher Gruß. Er ‚setzt sich auseinander‘ mit ihr. Aha, also ein Fremder aus dem anderen Lager. Und dann geht’s los, mit Handgranaten und Dynamit wird die Brücke gesprengt, die die Kirche mit der Volkstumsbewegung verbindet.“

Besonders übel wird Althaus das Festhalten am Alten Testament und am heilsgeschichtlichen Zusammenhang von Judentum und Christentum genommen: „Wieder wird unser Wille zum Volkstum als hochmütige Rassenüberhebung über andere dargestellt und als Heilmittel dagegen – der verehrende Blick auf das auserwählte Volk des Alten Testaments empfohlen“ und „Israels Geschichte als die Heimat der Seele aller Völker gepriesen“.

Althaus wird von den Völkischen „professoraler Unwissenheit und Über­ hebung“ bezichtigt und ihm vorgeworfen, „nicht das geringste Organ“ dafür zu haben, „zu empfinden, was Volkstum überhaupt ist“. Das polemische Fazit Althaus’ völkischer Kritiker lautet: „Der Vortragende, der das Volkstum zu bejahen vorgibt, lehnt die Bewegung, ohne die der Vortrag nie auf dem Programm gestanden hätte, restlos ab.“ „Man sollte wirk 395 Ein befremdlicher Vortrag über Volkstum und Kirche auf dem Kirchentag. In: Ebd., 176. Althaus’ Vortrag vor dem Kirchentag hieß „Kirche und Volkstum“, die Völkischen drehen das Verhältnis in ihrem Artikel um – nicht nur im Titel, sondern vor allem auch dem Gehalt nach. 396 Ebd., 176; Hervorhebung im Original. Alle folgenden Zitate ebd., 176 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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lich nicht Leute berufen, um richtunggebend über Volkstum zu sprechen, die vom Geiste des Volkstums auch nicht einen Hauch verspürt haben, sondern sich erst mühsam in den Geist hineinquälen müssen, ohne eine Verbindung mit ihm zu haben“.

Althaus wird aufgrund seines Bekenntnisses zur christlichen Kirche von den Völkischen als national unzuverlässig eingestuft, sein Kirchenbegriff wird von völkischer Warte vehement als undeutsch zurückgewiesen: „Wir fürchten, daß auf die ‚Althaus-Art‘ auch die Kirche (gleich dem Fremdwort) Fremdkörper im deutschen Leibe bleiben wird.“ Althaus’ kirchlich-volksmissionarisches An­ liegen wird mit deutlichen Worten zurückgewiesen, weil erkannt wird, dass Althaus trotz aller Nähe und allen Zugehens auf die Volkstumsbewegung nicht daran denkt, den Boden des biblisch-reformatorischen Kirchenverständnisses zu verlassen. So bleibt den Völkischen nicht verborgen, dass Althaus’ tiefste Motivation nicht eine nationale, sondern eine kirchliche ist. Sein diesbezüglicher volksmissionarischer Anknüpfungsversuch wird empört und mit den „bittersten Empfindungen“ zurückgewiesen: „Althaus redet sehr oft von der Vergänglichkeit, vom Sterben des Volkstums, und man hat das Gefühl, daß er nicht gerade mit Bangen des Tages wartet, wo die deutschen Hoffnungen der Jugend enttäuscht werden. Dann, glaubt er, wird sie kirchenreif werden, und dann erst werden ihre Tugenden ihre rechte Verwendung finden.“

Mit diesem Angriff auf seine Person wird für Althaus endgültig klar, dass ein Zugehen der Kirche auf die völkische Bewegung unmöglich ist. Schon in seinen beiden Vorträgen über „Protestantismus und deutsche Nationalerziehung“ und „Kirche und Volkstum“ hat er deutlich gemacht, dass seine Hoffnungen auf der Volkstumsbewegung ruhen, und hat versucht, dieser die Unmöglichkeit einer völkischen Überformung von Christentum und Kirche nahezulegen. Seine völkischen Kritiker, die ihn in der „Deutschkirche“ noch länger mit Häme überziehen397, hält er seinerseits keinerlei Erwiderung wert.

397 Noch im November, also fast ein halbes Jahr nach seinem Vortrag auf dem Kirchentag, werfen sie ihm eine „kleinlich-feindselige Art“ vor, die aus „doktrinären Gründen“ die Deutschkirche ablehnt (Volkstum und Kirche. In: Die Deutschkirche 6 (1927), Blatt 21 (5.11.1927), 188) und verweisen auf die „Schwächen, die der Vortrag von Professor Althaus in bezug auf das Verständnis für Volkstum aufweist“ (Volkstum und Kirche II. In: Die Deutschkirche 6 (1927), Blatt 22 (20.11.1927), 196). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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3.3.6 Zusammenfassung Althaus, dem schon in jungen Jahren die Extreme unangenehm sind und der darum keine radikale Position vertreten mag, will auch in seinem Verhältnis zur völkischen Bewegung bzw. zur Volkstumsbewegung einen Mittelweg einschlagen. Nur so erklärt sich die Ambivalenz sowohl seiner eigenen Äußerungen zur „völkischen Frage“ als auch die Wahrnehmung durch seine Zeitgenossen, die ihn als jemand erleben, der „nach allen Seiten offen“ (Karl Barth) zu sein scheint. So setzt Althaus auf der einen Seite große Hoffnungen für seine kirchlich-volksmissionarischen Vorstellungen auf die Volkstumsbewegung und zeigt erstaunlich wenig Berührungsängste auch mit sehr volkstumszentrierten Positionen. Positiv und lobend hebt er den Einfluss der Volkstumsbewegung auf die Kirche hervor. Denn für ihn hat die Kirche „allen Grund, sich der Volkstumsbewegung zu freuen und die geschichtliche Stunde, die sie bedeutet, sehr ernst zu nehmen. Die Kirche läßt sich dann aber durch die Volkstumsbewegung aufs neue an ihre Pflicht erinnern, den Weg zum Volkstum zu gehen.“398

Hintergrund seiner hoffnungsvollen Vision einer gegenseitigen Befruchtung von volkstumsverbundener Kirche und Kirchenverbundenem Volk sind seine eigenen positiven Erlebnisse während des Krieges in Polen, wo er ein intensiviertes Volkstumsbewusstsein als bereichernd für ein intensiviertes religiöses Bewusstsein und damit Kirchlichkeit erfahren hat. Nach dem verlorenen Krieg hält Althaus eine solche Zusammenarbeit von Kirche und Volkstums­bewegung nun erst recht für das Gebot der Stunde. In Fragen von Volk und Vaterland soll die Kirche daher „ohne Scheu auch mit Fernstehenden in Arbeitsgemeinschaft treten“399. Damit aber teilt Althaus das Anliegen des protestantischen Konservatismus überhaupt in jener Zeit, wie es Christoph Weiling herausarbeitet: „Der evangelische Konservativismus verband gesellschaftliche und religiöse Anliegen zu einer Einheit. […] Die unabdingbare Grundlage des Konservativismus war für sie der christliche Glaube, der das ganze öffentliche Leben bestimmen sollte, indem er die verantwortlich Handelnden zu einer antimodernistischen Kulturpolitik, zu einer antidemokratischen Staatsführung und damit zur Erhaltung der sogenannten ‚Schöp 398 2704 Volkstum, 129. 399 Dies macht Althaus bereits Anfang 1920 in einer Rezension zu „Fichte und Deutschlands Not“ (2001R Fichte) deutlich, wenn er schreibt: Das Buch „rüttelt auf zu dem vaterländischen Werke, an dem die Christenheit heute neben ihrer grössten Aufgabe vor anderen mit zu arbeiten berufen ist, bei dem sie ohne Scheu auch mit Fernstehenden in Arbeitsgemeinschaft treten soll.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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fungsordnungen‘ verpflichtete. Es war daher konsequent, die Verbindung der anti­ liberalistischen Kreise […] zu Kirche herzustellen oder zu festigen und umgekehrt die Kirche für die ‚überparteiliche‘, vaterländische Front zu gewinnen.“400

Die Vorstellung vom verpflichtenden Charakter des Volkstums, diese normative Zentrierung auf das Volkstum ist es, die Althaus mit der Volkstumsbewegung teilt. Für diese sind Volk und Vaterland per se politische Höchstwerte und damit ethische Bezugspunkte, für Althaus sind sie das, weil und sofern sie Gottes Gabe und Aufgabe sind. Unter dieser Prämisse geht Althaus auf die Volkstumsbewegung zu und will diese für die Kirche gewinnen. Den gleichen historischen Fehler der Kirche, die sich seinerzeit von den Anliegen der Arbeiterbewegung nicht angesprochen fühlte, will Althaus verhindert wissen. Daher steht für ihn fest: „Kirche und Volkstumsbewegung müssen miteinander reden über das Verhältnis von Kirche und Volkstum. Und wenn die Begegnung heilvoll sein soll, dann muß zweierlei geschehen: es gilt zuerst den Weg zu finden, der vom Volkstum zur Kirche führt, und dann den Weg zu zeigen, der die Kirchen zum Volkstum führt.“401

Was aber führt das Volkstum und damit die Volkstumsbewegung zur Kirche? An diesem Punkt kommt Althaus’ Vorstellung einer Eliterolle der Kirche in Sachen „Volkheit“ ebenso zum Tragen wie seine volkstumstheologische Idee vom Reich Gottes. Hier meint er, den tiefsten Sinn der Volkstumsbewegung auszumachen: Wahre Volkstumsbewegung kann es für ihn nur geben, wenn und sofern diese sich als christliche Missionsbewegung versteht. Für Althaus findet dadurch ein Volk „seine Volkheit“, „seine Sendung“, „als Träger des vom Evangelium entzündeten Lebens in besonderer Gestalt zu zeugen für das kommende Reich Gottes, Christophorus zu sein.“ Dies ist für ihn „die eigene völkische Aufgabe“ eines Volkes402. Und inwiefern sieht Althaus einen Weg der Kirchen zum Volkstum hin? Die Antwort auf diese Frage hängt eng mit der ersten zusammen. Indem in seiner Volkstumstheologie das Volkstum sowohl axiologisch als zentrale Einheit der göttlichen Schöpfungsordnung als auch als teleologisch-eschatologische Größe im Gegenüber und in Bezug auf das Reich Gottes verortet wird, sieht Althaus die Kirche an das Volkstum verwiesen. Völker sind für ihn die pädagogischen Lebenseinheiten in teleologischem Bezug auf das Reich Gottes, in ihnen geht es in erster Linie – in Vorbereitung auf das Gottesreich als der Fülle der Gemein 400 Weiling, Bewegung, 330. 401 2704 Volkstum, 117. 402 Ebd., 124 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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schaft – um die Überwindung des Individualismus, der nicht nur theologisch, sondern auch gesellschaftlich als Grundübel der Zeit identifiziert wird. Anhand eines derartig theologisch aufgeladenen Volkstumsbegriffs gilt es für Althaus nun auch, die Volkstumsbewegung zu messen. Dies ist die andere Seite seines ambivalenten Verhältnisses zur Volkstumsbewegung. So zentral ihm das Volkstum in seiner ethischen Konzeption erscheint und so sehr er das Volk mit seiner Theologie sakralisiert, für ihn ist mit dieser Sakralisierung, die das Volkstum an den göttlichen Willen bindet, zugleich die Grenze gesetzt, die einer Vergötzung und Verabsolutierung des eigenen Volkes wehrt. Insofern die Volkstumsbewegung diese Grenze anerkennt, meint Althaus sie als Bündnispartner gewinnen zu können und zu müssen. Weil diese Grenze demgegenüber von der völkischen Bewegung nicht anerkannt wird, grenzt sich Althaus seinerseits von dieser ab und kritisiert sie von seinem eigenen volkstumstheologischen Standpunkt. So schreibt er 1927 in seinem Aufsatz „Staat und Kirche“: Eine „völkische Besinnung, soll sie nicht an Eitelkeit und Vergötzung des eigenen Volkstums erkranken, muß vor dem Auge des Herrn der Geschichte vollzogen werden. Wir erwarten noch vieles von der völkischen Bewegung, die durch unsere Studentenschaft geht – aber es ist eine Schicksalsfrage für sie, für unser ganzes Volk, ob sie den Weg zur Kirche findet. Nur wenn der völkische Wille im deutschen Dome, am Evangelium geheiligt wird, wirklich nur dann kann unser Volk durch ihn genesen.“403

Zu Althaus’ Volkstumstheologie gehört untrennbar eine konsequente Schöpfungsordnungstheologie, die nicht nur im eigenen Volk, sondern folgerichtig in jedem Volk eine göttliche Gabe und Aufgabe erblickt. Auch dies macht er regelmäßig gegenüber dem Nationalismus und Chauvinismus der Völkischen geltend, so zum Beispiel in eben genanntem Aufsatz: „Auch sonst kann die Kirche nicht jedem völkischen Wollen zu Willen sein. Wie sie von einem doktrinären Internationalismus hinweg zu völkischer Treue ruft, so widersteht sie wiederum jedem blinden Nationalismus, der das Recht der anderen verneint und von dem Füreinander der Völker nichts wissen will.“404

Diese Ambivalenz von Hochschätzung des Volkstums einerseits und Zurückweisung einer Überschätzung des Volkstums andererseits macht die Verortung Althaus’ und seiner Volkstumstheologie im Kontext der Volkstumsbewegung 403 2707 Staat, 119. 404 Ebd., 121. Bei Althaus kehrt dieser Gedanke immer wieder. So heißt es in seinem „Grundriß der Ethik“ 1931: „Die christliche Gemeinde kämpft wider diese Entartung der Vaterlandsliebe, indem sie Gott als den Herrn, den Herrn aller Völker und als Ziel der Geschichte das Reich Gottes verkündigt. Vaterlandsliebe vor Gott hat mit nationaler Selbstzufriedenheit und Eitelkeit nichts zu tun.“ (3108 Ethik, 103; Hervorhebung von mir). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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nicht einfach405. Er hat seine ganz eigene Position in dieser national aufge­ ladenen deutschen Nachkriegsgesellschaft: sowohl dezidiert national als auch dezidiert christlich. Beides ist ihm Herzensangelegenheit, beides will er daher miteinander in Einklang bringen. Dies kann in seinen Augen aber nur geschehen, wenn beide Seiten in gegenseitigem Respekt aufeinander zugehen: Die Volkstumsbewegung soll sowohl die „Wirklichkeit“ Gottes als des Schöpfers und Herrn auch und gerade über die Völker als auch die Kirche als „Gewissen des Volkes“ mit ihrem Sinn für die „Volkheit“ des Volkes anerkennen und sich selbst von der tiefsten Sendung des Volkes her, nämlich „Christophorus“ zu sein, verstehen. Die Kirche soll im Gegenzug die „Wirklichkeit“ des Volkes anerkennen und das Volkstum als Schöpfungsordnung in den eigenen Wertekanon aufnehmen und damit das Volk als Gegenüber der Kirche, dem es sich eben als „Gewissen“ verpflichtet fühlen soll, anerkennen. Welches Verhältnis hatte Althaus zur völkischen Bewegung? Zunächst fallen die unübersehbaren Berührungspunkte ins Auge: Für Althaus wie für die Völkischen ist das deutsche Volkstum ein zentraler ethischer Bezugspunkt. In Verbindung damit ist beiden darüber hinaus eine von kulturpessimistischen Klischees geprägte Wahrnehmung der Verhältnisse in der Weimarer Republik gemeinsam. So sieht man Volk und Vaterland in den „Ketten von Versailles“, lehnt die parlamentarische Demokratie ab und fürchtet eine Überfremdung Deutschlands, wobei Althaus das religiös-geistige Erbe gefährdet sieht, die Völkischen vornehmlich das rassisch-völkische Erbe. An diesem Punkt klingt bereits die Differenz zwischen Althaus und den Völkischen an, die er in seiner Rede vor der Fichte-Gesellschaft deutlich zur Sprache bringt. Gegenüber einer zunehmenden völkischen Monomanie, die nur das eigene Volkstum als ethischen Bezugspunkt und damit als Höchstwert kennt, pocht er als christlicher Theologe auf die Unmöglichkeit einer Absolutsetzung von Volk und Vaterland. Denn diese besitzen für ihn nur relativen, nämlich theonomen Wert. Auf die bei Althaus damit verbundene Ambivalenz einer gleichzeitigen Begrenzung und Überhöhung des Volkstums wurde an anderer Stelle bereits hingewiesen. Weil die völkische Bewegung, auch die sich noch selbst als christlich verstehende, weder Sinn für das Althaussche Bekenntnis zum biblisch-reformatorischen Kirchenverständnis mitsamt seinem Festhalten am heilsgeschicht­ lichen Zusammenhang zwischen Israel und der Kirche hat, noch Verständnis 405 So schreibt auch Hieronimus, Religiosität, 174, Anm. 45: „Insofern ist auch die völkisch gestimmte Theologie eines Paul Althaus und Werner Elert letztlich unvölkisch, denn ihr Gedanke der Gottgeschaffenheit aller Völker intendiert ihre Gleichwertigkeit.“ Für ihn können daher die beiden Theologen „sicher nicht als Väter dieser Bewegung [= der Deutschen Christen] angesehen werden“ (ebd., 161). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Volkstumsbewegung und völkische Bewegung

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aufbringt für die von Althaus der Kirche zugedachte Rolle im Gegenüber zum Volkstum und diese als Überordnung der Kirche über das Volkstum ablehnt, noch Sinn für die konsequente Schöpfungstheologie Althaus’ hat, die keinen Platz für eine nationalistische und chauvinistische Überhebung des eigenen Volkes gegenüber anderen, angeblich minderwertigeren Völkern lässt, steht für Althaus fest: Mit der völkischen Bewegung ist in seinen Augen kein Ausgleich möglich, weil die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind. Von völkischer Seite wird dies ebenfalls klar erkannt, was hämische Angriffe auf Althaus zur Folge hat. Für sie ist er zum einen politisch und national nicht zuverlässig, zum anderen wird er in seinem Festhalten an der christlichen Überlieferung und Lehre als „doktrinär“ und damit auch als theologisch unbrauchbar für die neue Zeit abqualifiziert. Althaus ist beeindruckt von der Tatsache, dass Volkstumsbewegung bzw. völkische Bewegung große Teile des deutschen Volkes, besonders unter der akademischen Jugend, erfasst und für sich begeistert. Darauf hat die Kirche zu reagieren, wenn sie nicht ins Hintertreffen geraten will. „Was war zu tun, wenn eine ganze junge Generation in ihren besten Vertretern völkisch dachte? Was konnte, was sollte die Kirche dazu sagen?“ fragt Scholder, sich in Althaus’ Zeitgenossen Wilhelm Stählin hineinversetzend. Die Antwort, die Scholder bei Stählin findet, kann zunächst auch für Althaus gelten: „Stählin ging hier den Weg, der fast als einziger möglich und denkbar erscheint, so unbefriedigt er auch heute noch läßt und vermutlich schon damals ließ. Er versuchte das, was nach seiner Überzeugung an der völkischen Bewegung berechtigt war, so positiv wie möglich herauszuarbeiten, um dann in einem zweiten Gang die Probleme und Grenzen der völkischen Idee um so glaubwürdiger darstellen zu können.“406

Auch Althaus geht so vor, und die Kritik der Völkischen an seinem Vorgehen zeigt, wie ernst es ihm damit ist. Das Problem an Althaus’ Ansatz ist allerdings seine eigene Volkstumstheologie, die durch die theologische Hochschätzung des Volkstums als ethisches und religiöses Subjekt dem Volkstumsdenken an sich und damit auch der völkischen Ideologie Vorschub leistet und dadurch die kritische Potenz, die ihr z. B. in der Zurückweisung des Nationalismus innewohnt, nicht zur nötigen Entfaltung bringen kann. Das Althaussche Ja zum Volkstum wurde gerne gehört, sein Aber nicht mehr. Damit aber hat seine Rezeption seine eigentliche Intention grundlegend überformt. Diese Intention, diese Motivation hat bei Althaus christlich-kirchlichen Charakter: Religion und Christentum sind bei ihm stets übergeordnet gegenüber nationalen, politischen Interessen, sowohl auf der Aussageebene, als auch 406 Scholder, Kirchen, 162. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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auf der Intentionsebene. Nur so lässt sich erklären, warum er dem aus nationalpolitischen Erwägungen gespeisten völkischen Anliegen nach einem schiedlichfriedlichen Ausgleich der beiden großen Konfessionen zugunsten der Volksgemeinschaft eine klare Absage erteilt und das theologisch-geistige Ringen der Konfessionen um die christliche Wahrheit diesem Anliegen überordnet. Das Althaussche Anliegen ist nur sekundär politisch und national, in erster Linie ist es religiös-volksmissionarischer Art.  Sein Anliegen verleitet Althaus dazu, hoffnungsvoll auf die Volkstumsbewegung zuzugehen und zugleich die völkische Bewegung zu kritisieren. Er sieht in der erstarkenden Volkstumsbewegung nicht weniger als eine missionarische Gelegenheit. Wenn und sofern die Volkstumsbewegung sich selbst von der christlichen Sendung Deutschlands im gottgeleiteten Konzert der christlichen Völker her verstehen lernt – und an diesem Lernprozess arbeitet Althaus im Rahmen protestantischer „Nationalerziehung“ beständig und mit Nachdruck –, so ist sie für ihn ein Partner der Kirche. Missionarische bzw. volksmissionarische Wunschvorstellungen, wie sie zur damaligen Zeit weltweit verbreitet waren, spiegeln sich hier im Denken Althaus’ wieder. Weiling spricht in diesem Zusammenhang bei Althaus von einer „mit eindeutig volksmissionarischer Zielsetzung betriebene[n] Methode“ der „neue­ ren Apologetik“, „der das Verständnis für die Position der Völkischen (und anderer Weltanschauungsgruppen) ein Mittel war, diese Position in ein bewußtes Christentum aufzuheben“407.

So kommt auch Franz Feige im Blick auf Althaus’ Motivation, auf die Volkstumsbewegung zuzugehen, zu dem Ergebnis: „While finding much to disagree with, the new movement’s political views harmonized partially with his own. What should not be discounted was the possibility he saw for the church to make inroads, to temper and refine, that is, not to repeat the mistake it had committed at the genesis of socialism. In other words, he regarded his and the church’s involvement with the volkish movement as a missionizing effort.“408

407 Weiling, Bewegung, 200, Anm.  290. Diese „neuere Apologetik“, die nach Weiling „im volksmissionarischen Betrieb der 20er Jahre entwickelt“ worden war zielte darauf ab, „die Leute bei der Sache ‚abzuholen‘, für die sie sich einsetzten“ (ebd., 325). 408 Feige, Varieties, 258. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

4. Reich Gottes, Staat und Weimarer Republik Neben dem Volkstum gehörte der Staat zu den zentralen Topoi der Althausschen Sozialethik. Insbesondere mit dem Ende der Monarchie wurde der Staat zum Gegenstand der Betrachtung. In dem Maße, wie die christliche Religion im Gefolge der Säkularisierung ihre integrierende und sozialisierende, ihre gemeinschaftsstiftende Funktion verlor, wurde dem Staat die Aufgabe zugeschrieben, die Einheit des Gemeinwesens zu garantieren und damit Gemeinschaftsgeist und sittliches Verhalten zu fördern und zu fordern. Angesichts der bürgerkriegsähnlichen chaotischen Zustände in Deutschland nach der Katastrophe von 1918, wo Un-Ordnung, Gewalt und Umsturzversuche das politische Tagesgeschäft bestimmten, schien diese Aufgabe dringender denn je. Ein starker Staat war gefordert, und diese Stärke schien in den Augen vieler protestantischer Theologen nur ein christliches Fundament garantieren zu können, dessen Vorstellungen und Ziele nicht von dieser Welt waren, sondern mit dem Reich Gottes korrespondierten. 4.1 Das Reich Gottes in der Althausschen Ethik und Kulturauffassung Althaussche Ethik ist eschatologische Ethik. Es ist daher wenig verwunderlich, dass der Reich-Gottes-Begriff gerade bei Althaus einen derartig wichtigen Platz innerhalb seiner Theologie einnimmt. Zum einen erklärt sich dies aus seinem Anliegen, lutherische Zwei-Reiche-Lehre aktuell zur Geltung zu bringen, zum anderen aus seinem Interesse an eschatologischen Fragestellungen. Zum dritten ist die Beschäftigung mit dem Reich Gottes ein theologisches Thema von ökumenischer Weite, auch darum befasst sich Althaus damit. Zu Beginn der 20er Jahre war seine Beschäftigung mit diesem Theologumenon geprägt von der Auseinandersetzung mit dem Religiösen Sozialismus; hier galt es für ihn, einem idealistischen Schwärmertum den Realismus lutherischer Zwei-ReicheLehre entgegenzusetzen. Neben dieser Absetzbewegung formulierte Althaus zugleich eine eigene Reich-Gottes-Konzeption, die mittels des Berufsgedankens mit dem deutschen Staatsgedanken korrelieren sollte. Auch im Zusammenhang der in Althaus’ Augen notwendigen Verbundenheit von Staat und Kirche war das Reich Gottes das entscheidende Scharnier zwischen beiden Größen. Auf zweierlei Weise verbindet er Volk, Staat und Kirche mit dem Reich Gottes: Zum einen ist das Reich Gottes das unüberbietbare Urbild und Endziel aller Gemeinschaft, was die „Gemeinschaftsordnungen“ Volk, Staat und Kirche auf das Gottesreich bezieht. Zum anderen sieht er © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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das Reich Gottes als Urbild und Endziel aller Sittlichkeit, wodurch auch alles menschliche sittliche Streben innerhalb dieser Ordnungen, denen kein Mensch entfliehen kann, darauf bezogen ist. Den gleichen eschatologischen Vorbehalt wie gegen die Religiösen Sozia­ listen macht Althaus im theologischen Diskurs auch gegenüber einer evolutionistischen anglo-amerikanischen Reich-Gottes-Idee geltend, die er aus nächster Nähe auf der Weltkonferenz für Praktisches Christentum 1925 in Stockholm kennengelernt hatte1. Dieser „modernen Reich-Gottes-Ethik“ setzt Althaus den „Geist der lutherischen Ethik“ entgegen. Er betrachtet sie als „verflochten mit einer Geschichtsphilosophie, nämlich mit dem Gedanken der fortschreitenden Verwirklichung des Reiches Gottes oder wenigstens seines Vorgeschmackes“ und bezeichnet sie deswegen als „furchtbare innerkirchliche Säkularisierung des Reiches Gottes“2. Althaus betont an dieser Stelle, „Eschatologie und Geschichtsphilosophie sind zweierlei. Die Eschatologie hat es mit den letzten Dingen zu tun, nicht mit der Zukunft der Geschichte, sondern mit ihrem Ende, ihrer Grenze, die Jesu Tag ihr setzt. Die Geschichtsphilosophie, auch eine christliche, hat es mit vorletzten Dingen zu tun, mit dem kommenden Geschichtsverlaufe. Davon redet echte Eschatologie nichts.“3

Dagegen nun pocht Althaus auf den nüchternen, realistischen Charakter lutherischer Ethik, die wahrhaft „eschatologische Ethik“ ist: „Eschatologische Ethik, die um den Tod und die Möglichkeit des Antichristen weiß, hat […] nichts mehr zu tun mit dem Wahn und Übermut, das Reich Gottes heraufzuführen oder auch nur vorzubereiten.“4

Diesen Einwand gegen die „moderne Reich-Gottes-Ethik“ macht Althaus auch in seinem RGG-Artikel zum „Reich Gottes“ von 1930 geltend: „Das R[eich] G[ottes] bedeutet kein menschlicher Verwirklichung wartendes Ideal, sondern eine von Gott her schon angebrochene, durch ihn aus der Verborgenheit zur herrlichen Erscheinung zu führende Wirklichkeit“5. 1 Vgl. 3017 Geist, 1206; vgl. 3113 Botschaft, 485. 2 3017 Geist, 1206 f. 3 Ebd., 1207. An diesem Punkt konstatiert Lohmann, Gott, 133, Anm. 76 eine Nähe Althaus’ zu Barth und Bonhoeffer: „Der Rekurs auf die Unterscheidung von Letztem und Vorletztem verbindet die Ethik Althaus’ mit der des ‚dialektischen‘ Karl Barth […] und der Dietrich Bonhoeffers […] – mit jeweils charakteristisch unterschiedlicher Akzentsetzung“. 4 Ebd., 1208. So heißt es in 3113 Botschaft, 482: „Die Welt ist wohl aus Gottes Schöpferhänden hervorgegangen. Aber so, wie wir sie heute kennen, ist sie wahrlich nicht einfach Gottes Welt – erschüttert spüren wir die Mächte des Bösen, des Dämonischen, der Zerstörung und des Todes in ihr.“ 5 3014 Reich, 1825; vgl. 3012 Geist, 36–39. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Mit anderen Worten: „Das Reich ist nicht Entwicklungsziel, sondern eschatologisch-transzendent, obgleich in göttlicher Prolepse schon jetzt verborgen angebrochen.“6 Ein Aufruf zum Quietismus ist das für ihn allerdings nicht. Das Handeln des Christen sieht Althaus dadurch keinesfalls gelähmt, sondern es ist für ihn „ein Handeln in der Gewißheit, daß Gottes Reich verborgen schon da ist, und in der Erwartung seines herrlichen Hereinbrechens ein Zeugnis von dem gekommenen, kommenden Reiche, ein Bekenntnis dazu, daß Gott der Herr ist.“7

Wenn Althaus vom Reich Gottes und seinem Zusammenhang mit der irdischen Welt spricht, so berührt er damit in der Logik seiner theonomen Weltsicht immer zugleich den Bereich der Kultur8. In seinem Vortrag „Christentum und Kultur“, den Althaus im August 1928 auf der Hamburger Tagung des Lutherischen Einigungswerkes hielt, formuliert er gegenüber der „moderne[n] Kultur“, an der er „Züge der Krankheit und des Todes“ wahrzunehmen meint9, eine „Theologie der Kultur“, die den Menschen, die „nach neuer Bindung, Gesundung, Wiedergeburt“ fragen, Antworten des Glaubens gibt10. Es geht Althaus um die „Begründung, Begrenzung, Reinigung des Kulturgedankens vom Evangelium her. Nicht mehr um einen kulturellen Begriff des Christentums geht es uns, sondern um den christlichen, den theologischen Begriff der Kultur.“11

Die entscheidende Antwort ist für Althaus die Bindung des Kulturbegriffs an das Reich Gottes. Kultur ist für ihn eschatologisch bestimmt: „Die Kultur hat einen eschatologischen Sinn. Der Sinn der Kultur ist die neue Welt Gottes.“12 6 2905 Staat, 115. 7 3017 Geist, 1208. Dementsprechend ist für ihn auch das „Kulturhandeln“ ein „Tatbekenntnis zu Gottes neuer Welt“ (2808 Kultur, 17). 8 So heißt es in seinem RGG-Artikel zum „Reich Gottes“ (3013, 1822): Der Begriff Reich Gottes gewinnt „notwendig Beziehung zum dem transzendentalen Ideal aller Kultur.“ Zum „Sinn der Kultur“ vgl. 3108 Ethik, 78–80. 9 2808 Kultur, 3. So lautet seine konservative kulturpessimistische Zeitdiagnose: „Die Mittel des Lebens machen sich zu Zwecken; sie werden durch ihre Eigengesetzlichkeit aus Diener zu Herren, die uns versklaven; so die Produktion, die Technik. Herrschen heute nicht weithin die Sachen über die Menschen? […] Technik und Masse ertöten das Individuelle. Aus der Kultur wird Zivilisation. […] Unsere vielgerühmte Kultur zerstört gutenteils das Leben, aus dem sie wächst, dem sie dienen will.“ (ebd., 3 f.). Einmal mehr spricht aus diesen Worten die von Althaus bis in den Wortlaut übernommene Zivilisationskritik der Religiösen Sozialisten, insbesondere Kutters; vgl. Kap. II, 3.1. 10 Ebd., 5. 11 2806 Leitsätze, 6. 12 2808 Kultur, 14; vgl. 2604 Dinge, 252, wo er die „geschichtliche Kulturarbeit“ die „Vor­ bedingungen für das Leben mit Gott“ schaffen lässt: „Alles, was wir auf Erden zu tun haben, stellt uns in die große Entscheidung für oder wider das Reich Gottes. Die Gottesfrage durchdringt alle Lebens- und Kulturgebiete mit unentrinnbarer Allgegenwart.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Weil diese neue Welt aber für den Glauben trotz der „Zweideutigkeit aller unserer Kultur“13 mit der vorfindlichen, irdischen Welt zusammenhängt, der Gottes Verheißung gilt, weiß sich der Christ nach Althaus auch zum Dienst in der Welt und damit zur „Kulturaufgabe als Gottes Willen“ verpflichtet, hat er den „Berufe zur Kultur“14. Analog zur ambivalenten Beschreibung der Schöpfungsordnungen hat für Althaus auch die Kultur durch ihre religiöse Begründung und göttliche Würde zugleich ihre Begrenzung gegen eine „widernatürliche Selbstherrlichkeit“, die sie zum „Ersatz für das Evangelium“ werden lassen will15. Eine solche „Vergötzung der Kulturwerte“, die letztlich nichts anderes als eine „Selbstvergötzung des Menschen“ ist16, ist Hinweis darauf, dass auch die „Kultur in der Welt der Sünde“ zu Hause ist: „Der Gottesgedanke der Kultur wird vom Teufel angeeignet, übernommen, entstellt. […] Der Teufel ist ein großer Kulturträger. Das Eritis sicut Deus erscheint in der Selbstherrlichkeit des Kulturwillens.“17

Wie in den Schöpfungsordnungen gilt es damit auch auf dem Gebiet der Kultur, der Eigengesetzlichkeit zu wehren18. In diesem Wissen um die Chancen und Gefahren alles Kulturschaffens sieht Althaus die „Kulturaufgabe der Christenheit“: „ein kritisches Ja, das ist zugleich ein konkretes Nein zu den Dämonen der modernen Kultur, […] eine handelnde evangelische Kultur­ kritik. Auf diesen Dienst an der Kultur wartet die Zeit!“19 In diesem Sinne hat die Kirche die „Sendung, das Gewissen der Kultur immer neu zu wecken und wachzuhalten.“20 Dies kann aber nur geschehen, wenn die Gewissen der Einzelnen an Gott als den Ursprung und das Ziel der Kultur gebunden werden: 13 Ebd. 14 Ebd., 8 f. Mit anderen Worten: „Kultur ist Gehorsam gegen einen Gottesauftrag“ (ebd.). 15 Ebd., 19. 16 Ebd., 23. 17 Ebd., 22. Auch an dieser Stelle dient ihm der ungehemmte Kapitalismus als Beispiel: „Die bindungslos gewordene, entfesselte Wirtschaft verzehrt die Liebe, das Leben, die Gemeinschaft, Menschenopfer unerhört.“ 18 Vgl. 2913 Bedeutung, 98: „Alles sollte nicht der ungeprüften, ungereinigten Eigengesetzlichkeit überlassen bleiben, sondern das Berufsbewußtsein gilt es zu stärken, und das Wissen darum zu mehren, daß es in jedem Bereiche der Kultur mit Dämonien zu kämpfen gilt“. 19 2808 Kultur, 25.  Mit anderen Worten: „Die Kultur ruft nach dem Evangelium, denn sie kann die Menschen nicht erlösen, die sie in ihren Dienst stellt, und sie kann sich selber nicht er­ lösen.“ (ebd., 23). 20 Ebd., 26. Er grenzt sich allerdings sogleich von „kirchliche[r] Bevormundung und Zensu­ rierung der Kultur“ ab (ebd.). So schreibt er in 2913 Bedeutung, 98: „Die Reformation stellt Kultur, Staat usw. nicht unter die Kirche, als autoritative Organisation, sondern in die Kirche hinein, darin jeder ein Priester ist, frei und selbstverantwortlich.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Die verschiedenen Kulturgebiete können letzte Bindung nur so finden, daß die Sachverständigen der Gebiete im Gewissen an Gott gebunden sind und nun – jeder auf seinem Gebiete – Wahrheit suchen.“21 Mit seiner christlichen Kulturkonzeption, die Althaus als „Theologie der Kultur“ formuliert, will er eine sich säkular und autonom verstehende Kultur durch eine christliche, theonome ersetzen. Auch für ihn ist somit die Theonomie die „Zauberformel aller neuzeitlichen Integrationstheologien“22. Für ihn steht fest, „es gibt keine echte, gesunde Kultur ohne Beziehung auf Gott“23. Auch wenn er die Kultur nicht explizit als Schöpfungsordnung anspricht, so gelten doch für diese die gleichen theonomen, vom Reich Gottes her eschatologisch bestimmten Gesetzmäßigkeiten wie für jene: „Ich fasse das Verhältnis des Reiches Gottes zur Kultur auf als das des Herrn, der uns bindet, zu der irdischen Verantwortung, an die er uns bindet. Daraus folgt, daß unsere Kulturaufgabe als von Gott gegeben aufgenommen wird. […] Aber wir sollen uns nicht einbilden, dann ‚ewige Werte‘ zu schaffen.“24

Dieses monistische Kulturverständnis, das einen theonom bestimmten Zusammenhang von Kultur mit christlicher Religion und Sittlichkeit impliziert, hat insofern Auswirkungen auf Althaus’ Verständnis vom Staat, als dieser als nationaler Kulturstaat verstanden wird, der zwar kulturbewahrend, aber selbst nicht kulturschöpferisch in Erscheinung tritt25. Denn dafür sieht Althaus in erster Linie die Religion in der Verantwortung. Mit dieser Althausschen „Konzen­ tration auf die religiöse Tiefendimension aller Kulturschöpfung“ verbindet sich für Tanner – und das scheint mir bei Althaus zur tragenden Motivation zu gehören  – die Hoffnung, der christlichen Religion, besonders in ihrer lutherischen Ausprägung, „zu neuer kultureller Relevanz zu verhelfen“26. Zugleich ist 21 2913 Bedeutung, 98. 22 Tanner, Verstaatlichung, 199. 23 2913 Bedeutung, 98. Diese Theonomie expliziert er in 2808 Kultur, 26 am Beispiel der Wissenschaft und kommt dabei zu dem Schluss, „daß die Wissenschaft keinen Augenblick vergesse, daß sie in der Welt Gottes arbeitet“ (Hervorhebung von Althaus). 24 Christentum und Nationalerziehung, 75 f. Althaus’ Aussage stammt aus der Aussprache im Anschluss an seinen Vortrag vor der Fichte-Gesellschaft im März 1926; vgl. Kap. IV, 3.3.3. 25 In 2707 Staat, 115 schreibt Althaus über das Verhältnis des Staates zum „Gebiete der Kultur“: „Der Staat hat hier zu schützen, zu pflegen, anzuregen, einzuordnen, abzuwehren – alles unter dem höchsten Gesichtspunkte gesunden nationalen Lebens. Aber er kann selber nicht kulturschöpferisch sein, also auch nicht auf bestimmte Wege zwingen, die Gegensätze innerhalb des betr[effenden] Kulturgebietes selber von sich aus ausgleichen wollen. Dabei verdirbt die Kultur, aber auch der Staat selber. Die Kultur gedeiht nur in der Luft der Freiheit.“ Zum theonom bestimmten Zusammenhang von Staat, Religion und Kultur in der lutherischen Theologie der Zwischenkriegszeit vgl. Tanner, Verstaatlichung, 196–200. 26 Tanner, Verstaatlichung, 198; vgl. ebd., 206. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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mit dieser Bestimmung des Staates als Kulturstaat mit gemeinsamer religiössittlicher Grundlage eine Absage an den säkularen Staat ausgesprochen, wie er im Gefolge der Aufklärung entstanden und in Deutschland mit der Weimarer Republik Wirklichkeit geworden war. 4.2 „Der Staat im Lichte des Reiches Gottes“ In der Althausschen Verhältnisbestimmung von Staat und Reich Gottes laufen viele Fäden seiner Theologie zusammen: lutherische Zwei-Reiche-Lehre und Rechtfertigungslehre, Ordnungstheologie, Eschatologie und Geschichtstheologie. Besonders letztgenannte kommt hierbei zum Tragen, wenn es bei ihm 1927 heißt, „das Ziel und Ende der Geschichte ist die vollendete Gemeinde, das Reich Gottes.“27 Diesem Ziel hat für ihn auch der Staat zu dienen: „Der Sinn des Staates ist das Reich Gottes.“28 In seiner Rede über „Staat und Reich Gottes“ vor der Generalversammlung der Kant-Gesellschaft im Mai 1929 bestimmt Althaus das Verhältnis beider Größen dialektisch: „Der Staat im Lichte des Reiches Gottes ist […] zwei-deutig im wahrsten Sinne.“29 Einerseits ist der Staat „Gleichnis des kommenden Gottesreiches“30, ist er als göttliche irdische Ordnung „Abglanz der unbedingten Ordnung des Gottesfriedens“. Auf der anderen Seite spricht Althaus von einem „unaufhebbaren Widerspruch zwischen Staat und Reich Gottes“ und davon, dass das Gottesreich das „Ende aller irdischen Reiche“ bedeutet31. So urteilt er über das Kulturhandeln des Menschen: „Alles irdische Bauen wartet im Grunde auf Gottes Bau, alle irdische Staatsbildung auf Gottes Reich.“32 Denn der Staat ist zwar Ordnung Gottes, aber „im Elemente dieser unserer Welt des Bösen“ und von diesem korrumpiert, so dass Macht und Zwang nötig sind33. In der Zwei-Reiche-Lehre bzw. – wie Althaus schreibt – in „Luthers Staatslehre“ sieht er die spannungsvolle Einheit von Staat und Reich Gottes: „Gott wirkt ein fremdes Werk, um sein eigentliches zu schaffen.“34 Reformatorische 27 2707 Staat, 114. 28 2905 Staat, 117. 29 Ebd., 117. 30 Ebd., 115. Zum Gedanken der Ordnungen als verheißendes Gleichnis der kommenden Welt vgl. 3307 Dinge, 348. 31 2905 Staat, 115 f. 32 2808 Kultur, 18. 33 2905 Staat, 116 f. Zur Verhältnisbestimmung von Staat und Reich Gottes vgl. 3218 Reich, 163. 34 Ebd., 117. Althaus schreibt dazu: „Gerde in seinen dem Reiche Gottes widersprechenden Zügen, gerade in seiner ‚Eigengesetzlichkeit‘ dient der Staat dem Reiche Gottes. Sein Gottes­ zornestum steht im Dienste seines Gottesgnadentums.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Rechtfertigungslehre verknüpft Althaus mit altprotestantischer Gesetzeslehre und mit seiner ihm eigenen axiologisch-teleologischen Art, Eschatologie zu treiben. Der Staat ist für ihn „kraft des usus politicus und usus paedagogicus“ insofern teleologisch auf das Gottesreich bezogen, als er als „Vorbedingung für das höhere Leben der Menschheit“ dem Bösen wehrt und zugleich „Gehorsam, Zucht, Verantwortung“ einüben läßt, „also alles das, was den Anspruch Gottes für den Menschen bedeutet.“35 Unverkennbar ist diese Sichtweise des Gottesreichs Ausdruck seiner axiologisch-teleologischen Eschatologie. So heißt es auch in seinem RGG-Artikel 1930: „R[eich] G[ottes] heißt die widerspruchlose Verwirklichung des Willens Gottes, der jetzt noch nicht überall geschieht“36. Gemäß dieses dialektischen Verhältnisses, das die Spannung in den von ihm angenommen Schöpfungsordnungen ausmacht, kommt Althaus zu dem Resümee: „Wer den Staat vom Reiche Gottes her ansieht, der begründet und begrenzt ihn. […] Nur wer mehr kennt als den Staat, wird ihm gerecht; wird freudig zum Staate und verfällt ihm doch nicht.“37 Denn, so ergänzt Althaus 1931 in seiner „Botschaft vom Reiche als Wort an die Gegenwart“, einer Gegenwart, die er von der „Lebensnot unseres Volkes und der Kulturmenschheit überhaupt“38 geprägt sieht: „In der Gewißheit um das Reich, um die Herrschaft der ewigen Erbarmung Gottes, sind wir frei mitten in der Zeit von ihren Ängsten und Nöten […], diese Welt ist uns nun nicht mehr im letzten Sinne Heimat“. Der Mensch ist nunmehr „Wanderer zwischen beiden Welten, unterwegs, bei keinem irdischen Werte, keiner geschichtlichen Gestaltung zuhause.“39

Dies bedeutet für Althaus im Blick auf den Staat und die anderen „Lebensordnungen“, dass der Bezug auf das Gottesreich ihnen „Würde und Grenze“ zugleich verleiht: Würde erhalten sie durch ihre „Heiligkeit“, ihre Theo­nomie; Grenze durch den eschatologischen Vorbehalt, der sie nur als Mittel zum Zweck erkennen lässt40. Dazu schreibt Althaus in seinem Römerbriefkommentar 1932, aber auch in den Auflagen während des „Dritten Reiches“: 35 Ebd. Zum Gedanken, dass in den Ordnungen, hier expliziert in der Rechtsordnung, „Erziehung auf die Welt des Reiches Gottes hin“ geschieht, vgl. 2806 Leitsätze, 59. 36 3014 Reich, 1822. 37 2905 Staat, 118. Althaus schließt seinen Vortrag mit den Worten: „Das Problem des Staates ist zuletzt kein anderes als das der Geschichte. Geschichte und Staat haben ihre Würde und ihre Grenze an dem Einen: Dein Reich komme.“ 38 3113 Botschaft, 481. 39 Ebd., 483 f. 40 Ebd., 488 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Der Staat hat eine bestimmte Aufgabe von Gott her in diesem Äon. Das begründet seine Würde, begrenzt ihn aber zugleich. Der Staat gehört mit zu der vergehenden ‚Gestalt dieser Welt‘ (1. Kor. 7,31). […] Er ist weder letztgiltige Autorität noch höchstes Gut“41.

Bei seiner Betrachtung des Staates „im Lichte des Reiches Gottes“ zielt Althaus darauf ab, einer drohenden „Vergöttlichung des Staates“42 zu wehren: Eine solche ist für ihn mit der Theonomie der Welt und ihrer Ordnungen unvereinbar. Um dem Absolutheitsanspruch des Staates eine Absage zu erteilen, sieht er besonders die Christen in der Verantwortung: „Die Gemeinde kämpft gegen den Anspruch des Staates, als höchste Autorität das ganze Volksleben zu beherrschen; sie fordert also Freiheit des Gewissens und jeder die Volksgemeinschaft nicht zerstörenden religiösen Gemeinschaft im Staate.“43

Noch deutlicher gegen den totalen Staat wendet sich Althaus im Herbst 1932 in seinem Vortrag „Luther und die Theologie des Politischen“, den er auf einer Arbeitstagung der Luther-Gesellschaft in Wittenberg hält. Die betreffenden Passagen sind indirekt in einem Bericht im „Reichsboten“ überliefert, wo es heißt: „Starke Beachtung und einmütige Zustimmung fand insbesondere die Stellungnahme des bekannten lutherischen Führers gegen den Gedanken des ‚Totalen Staates‘, wie er in Moskau und in Rom geschichtliche Gestalt gewonnen hat und heute auch in Deutschland in den verschiedensten politischen Lagern Eingang findet. […] Der ‚totale Staat‘ als die unbegrenzte Inanspruchnahme des Menschen durch die Politik und als der Wille des Staates, den Menschen in seinem ganzen Sein zu regieren, sei jedoch vom Evangelium her abzulehnen.“44

Von dieser hier formulierten Begrenzung des Staates zieht sich die Linie bis zur Ablehnung des totalen Staates nach 1933. So schreibt Tanner: 41 3211 Römer, 108; Hervorhebung von Althaus. 42 3108 Ethik, 103. 43 2806 Leitsätze, 61 f. „Die Aufgabe der christlichen Gemeinde im nationalen Staate“ sieht Althaus darin, „den Staatsgedanken und die Wirklichkeit des staatlichen Lebens von dem antiken und idealistischen (Hegel) Absolutismus reinigen zu helfen“ (ebd., 61); vgl. 3108 Ethik, 103, wo er diesen Gedanken nochmals verstärkt. 44 Luther und die Theologie der Politik. In: Der Reichbote, Nr. 268 (8.11.1932), Beilage: Kirche im Kampf. Warum die Passage zum totalen Staat beim Abdruck der Zusammenfassung des Vortrags in der Zeitschrift des Luther-Bundes „Luther“ (3217 Luther) offensichtlich weggelassen wurde, lässt sich nur vermuten. Erschienen ist die Zeitschrift im Jahr 1933, weshalb ein Zusammenhang mit der veränderten politischen Situation in Deutschland anzunehmen ist. Weiling, Bewegung, 298, Anm. 84 sieht in diesem Vortrag Althaus „eindeutig gegen den ‚totalen Staat‘“ votieren. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„So sehr gerade die lutherischen Theologen der zwanziger Jahre immer wieder die Autorität des Staates und dessen hohe ethische Verbindlichkeit betonen, so wenig vertreten sie einen solchen Etatismus, der auf eine Totalisierung des Staates als der einzigen bzw. umfassenden Ordnung des Lebens hinausläuft.“45

Indem Althaus den Staat axiologisch und teleologisch auf das Reich Gottes bezieht, gibt er ihm die die aus seiner Warte nötige Legitimation. Dieser soll der Staat dann entsprechen, indem er im Wissen um sie seinen Auftrag erfüllt: dem Bösen zu wehren, die Bürger sittlich zu erziehen und den volkstumsbezogenen Kulturaufgaben nachzukommen. Mit all dem dient der Staat seinem tieferen Sinn, nämlich die Rahmenbedingungen für die Ausbreitung des Gottesreichs unter den Menschen zu schaffen46. Das Reich Gottes ist für Althaus der Inbegriff von sittlicher Gemeinschaft, dementsprechend soll auch der Staat diesem Ideal zu entsprechen versuchen47. Dass für ihn die Kirche dabei eine Vorbildfunktion haben soll, haben wir bereits gesehen. Suchte die Staatsrechtslehre der 20er und 30er Jahre intensiv nach einer „überpositiven Ordnung“ jenseits des real existierenden Staates mit seiner liberalen Verfassung und mit sachlicher Priorität ihm bzw. ihr gegenüber, so fanden zur gleichen Zeit die nach einer neuen Staatsethik suchenden Theologen diese in der althergebrachten Vorstellung des Reiches Gottes48. Weil nach Althaus der Staat nur „im Lichte des Reiches Gottes“ recht verstanden werden kann, bildet bei ihm das Christentum den Ermöglichungsgrund des Staates und einer angemessenen Staatsgesinnung49. Staat und Religion sind somit untrennbar verbunden, die rechtliche Trennung von Staat und Kirche in der Weimarer Reichsverfassung ist über die Grundlegung des Staatsgedankens aufgehoben. Theologie und Kirche können ihren alten angestammten Platz zum Wohle der Gemeinschaft weiterhin einnehmen. Die Bindung des Staates an das Volk und die Bindung des Volkes an die Religion („Volkheit“) verfestigt die Einheit 45 Tanner, Verstaatlichung, 237. Er macht das vor allem auch an dem Althausschen „Insistieren auf einer bleibenden Differenz von Gerechtigkeit und positivem Recht“ fest. 46 Für Tanner, Verstaatlichung, 242, soll der auf diese Weise von Althaus legitimierte Staat „die Voraussetzung für die Entwicklung aller höheren Kultur und Sittlichkeit sicherstellen und damit notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für den Bestand und die Ausbreitung des Reiches Gottes schaffen“. 47 Vordenker und Vorbild für diese Vorstellung ist für Althaus sein Tübinger Lehrer Karl Holl; vgl. Tanner, Verstaatlichung, 219 f.; und Assel, Aufbruch, 132–139. 48 Vgl. Tanner, Verstaatlichung, 233. 49 Tanner, Verstaatlichung, 244 weist darauf hin, dass von einer solchen christlich fundierten Staatsgesinnung beide Seiten profitieren: Der Staat erfährt seine Legitimation durch die Religion und wirkt „zugleich vorbereitend für die Ausbildung jener höheren sittlichen Gesinnung, wie sie die Glieder in der Gemeinschaft des Reiches Gottes auszeichnet“, indem er „Grundtugenden wie Pflicht, Verantwortungsbewußtsein und Treue einschärft“; vgl. ebd., 240. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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komplett. Die Relevanz des Christentums für die Deutschen ist damit auch beim Staatsgedanken einmal mehr nachgewiesen. 4.3 Der Staat als bedrohte Ordnung und das Recht auf Revolution Wie wichtig Althaus das theologisch begründete Verhältnis von Staat und Reich Gottes ist, macht er auch dadurch deutlich, dass er den „Geist der lutherischen Ethik im Augsburgischen Bekenntnis“ im 400. Jahr der CA 1930 vorwiegend an eben jenem Verhältnis expliziert: „Die Weltverfassung ist immer etwas anderes als das Reich Gottes. Aber gerade in diesem Anderssein ist sie von Gott gewollt, seine Ordnung. Nicht für immer: die lutherische Staatsauffassung weiß um die Vorläufigkeit, das Interim des Staates […]. Der Staat ist bis zum Reiche Gottes da – das ist seine Vorläufigkeit. Er ist um des Reiches Gottes willen da – das ist seine Mittelbarkeit“50.

Der stark ordnungstheologische Charakter seiner Ausführungen gipfelt in der Aussage, weil das Reich Christi und die Weltverfassung streng zu scheiden seien, stelle das Evangelium „keine neuen politischen, wirtschaftlichen, sozialen Normen“ auf, sondern es „weist die Menschen vielmehr in die schon bestehenden Ordnungen hinein.“51 „Der Staat und seine Gesetze haben für den Christen die Autorität einer göttlichen Ordnung, auch wenn Nichtchristen sie verwalten. Eben in seiner Weltlichkeit ist der Staat dem Christen heilig.“52

Neben dieser Bindung an die Ordnungen besteht Althaus aber zugleich darauf, dass das reformatorische Bekenntnis den Christen „in seinem Handeln an die radikalen Worte Jesu“ bindet. Die Einheit dieser beiden gegensätzlich scheinenden göttlichen Gebote sieht Althaus „darin begründet, daß die Weltordnungen wie etwa der Staat Werkzeuge der gleichen Liebe Gottes sind, die den Sohn gesendet […] hat.“ Somit gilt für Althaus: „Das Reich Christi verwandelt die Welt nicht, […] sondern geht in sie ein in Gestalt der Liebensgesinnung, mit der die Christen die gegebenen Ordnungen verwalten“, deren „DienstCharakter“ er betont53. 50 3012 Geist, 37 f. 51 Ebd., 39. Als „durch das Wort Gottes bestätigte Ordnungen“ nennt er hier den Staat, die Ehe und das Privateigentum (ebd., 44). 52 Ebd., 40. Dass der Staat göttliche Ordnung ist, begründet er mit Röm 13; vgl. 3211 Römer, 108. 53 Ebd., 40 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Des möglichen Einwandes gegen seine Bestimmung der irdischen Ordnungen und des Konservatismus’ seiner Ausführungen, die durchaus als Plädoyer für eine Eigengesetzlichkeit der Welt verstanden werden können, ist sich Althaus sehr wohl bewusst54 und versucht, kritische Bedenken auszuräumen: „Der Konservatismus ist wahrlich kein absoluter, sondern ein relativer, d. h. er lehnt die christliche Revolution, den Umsturz im Namen des Evangeliums […] ab55. Das Luthertum steht dem Staate im Konkreten weder kritiklos noch bedingungslos gehorsam gegenüber56. Die klare Grenze für den Gehorsam gegen den Staat ist durch das Apostelwort ‚Man muß Gott mehr gehorchen denn den Menschen‘ gegeben. […] Aber auch die Staats- und Sozialkritik fehlt durchaus nicht.“57

Denn nach Althaus gibt es durchaus „Normen für die konkrete Gestaltung der Ordnungen“. Diese meint Althaus erstens „in der Schöpfungswirklichkeit selber, wie Gottes Wort sie deutet“ zu finden, ferner „in dem Naturrechte, um das auch bei der Verfinsterung der Erkenntnis durch die Sünde die Menschen einigermaßen wissen“ und „nicht zuletzt in dem Sinne der Ordnungen, d. h. in ihrer Aufgabe, Frieden und Ordnung unter den Menschen zu wahren um der Kirche willen.“58

Dementsprechend geht der Kampf der Kirche für Althaus gegen die Eigen­ gesetzlichkeit und Antichristlichkeit der Lebensordnungen. So gilt es für ihn, „wider die falsche Autonomie“ heute „Staat und Wirtschaft zu ihrer Theonomie zu rufen“59. 54 Die Einwände formuliert Althaus selber: „Nimmt nicht das Luthertum schon in der Augsburgischen Konfession die Weltordnungen einfach als gegeben hin und setzt das Gegebene unheimlich schnell gleich mit Gottes Willen und Ordnung? Beugt es sich nicht unter dem Deckmantel des Begriffes ‚gottgewollte Ordnungen‘ einfach der Eigengesetzlichkeit der Geschichte und ihrer Lebensgebiete, ohne Kampf mit dem Dämonen in dieser ‚Eigengesetzlichkeit‘, ohne ernsthafte Sozial- und Staatskritik?“ (ebd., 43). 55 Vgl. 3211 Römer, 109; Hervorhebungen von mir. 56 Die Ablehnung einer Absolutsetzung des Staates ist bei Althaus nicht neu. So schreibt er bereits 1917: „Der Mensch ist nicht um des Staates willen, sondern der Staat um des Menschen und des persönlichen Lebens willen da.“ (1707 Glaube, 8). 57 3012 Geist, 43. Das Apostelwort ist Apg 5, 29 entnommen. Staats- und sozialkritisch ist es auch gemeint, wenn Althaus zum Zusammenhang der Ordnungen mit dem Reich Gottes sagt: „Reich Gottes bezeichnet nicht die Materie, sondern den Bestimmungsgrund des Handelns – wobei selbstverständlich der Bestimmungsgrund nicht jede Materie tragen kann.“ (ebd., 41). 58 Ebd., 43 f. 59 Ebd., 45. Gemäß seiner eigenen politisch-weltanschaulichen Prägungen und Präferenzen sieht Althaus dabei „sogleich die Gefahr christlich-sozialistischer, christlich-pazifistischer u. a. Kurzschlüsse. Auch unter uns ist das, was die Reformatoren das Schwärmertum nannten, eine Macht; es gefährdet die echte Theonomie des geschichtlichen Lebens nicht weniger als der ­Säkularismus.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Als sich Althaus infolge der Kritik an seiner Eschatologie Ende der 20er Jahre verstärkt dem „Antichristgedanken“ zuwendet, gerät bei ihm nun auch mehr und mehr die mögliche Entartung des Staates in den Blick. Nachdem er bereits 1929 andeutungsweise von der möglichen „Dämonie der Staatsmacht“ sprach60, führt er im zweiten Band seines „Grundrisses der Dogmatik“ 1932 weiter aus: „Der Antichrist kann hinter dem Staate und hinter der Gesellschaft und ihrem Kulturwillen stehen.“61 Nicht von ungefähr wird Althaus in seiner vierten Auflage der „Letzten Dinge“ im Herbst 1933 noch deutlicher: „Die Kirche soll den Antichristen jeweils als Wirklichkeit in ihrer Gegenwart suchen oder als drohende Möglichkeit ihrer nächsten Zukunft bedenken. […] So erkennen wir den Antichristen in der Dämonie des Staates, der sich absolut setzt und göttliche Würde und Autorität für sich in Anspruch nimmt“62.

In seiner „Theologie der Ordnung“ spricht Althaus 1935 gar von der Gefahr, dass aus dem Staat „eine das Leben des Volkes verknechtende Tyrannis“ wird63. Parallel zu dieser staatskritischen Sichtweise formuliert Althaus Ende der 20er Jahre nun auch das Recht auf Revolution neu. In seinen „Leitsätzen zur Ethik“ heißt es 1928: „Die Beweglichkeit der Geschichte fordert die Fortbildung der Staatsverfassung. Diese geschieht durch Kritik und Reform. Bei besonderer Verblendung oder Entartung der Regierenden kann es geschehen, daß der Machtkampf um die rechte Leitung des Volkes zum Kriege werden muß (Revolution).“64

Unter dem Eindruck der chaotischen politischen Verhältnisse der Weimarer Republik zu Beginn der 30er Jahre baut Althaus dieses Revolutionsrecht zu einem „Ethos der Revolution“ aus und verbindet es mit dem lutherischen Amtsverständnis. So lautet der Abschnitt nun: „Der Machtkampf der Parteien miteinander und mit den Regierenden um Gehalt und Gestalt des Staates kann bei besonderer Entartung, Verblendung oder Schwäche der Regierenden zum Kriege innerhalb des Volkes werden. Wenn alle anderen Wege der Kritik und Reform versagen, kann die Verantwortung für den Staat zur rechts­brechenden Gewalt zwingen (Revolution). Das Ethos der Revolution besteht 60 2815 Frage, 366. Vgl. 3101 Staat, 392. 61 3213 Dogmatik, 180. 62 3307 Dinge, 273. 63 3505 Ordnungen, 31. Schon in 3111 Gemeinschaften, 28 schreibt Althaus: „Der Staat soll Dienst am Leben des Volkes sein, aber wie oft wird er tyrannisch, achtet das Heiligtum des Gewissens und die Hoheit des Geistes nicht; schafft verdorbenes Recht; zertritt ein Volkstum! […] Was sagt Christus dazu? Kämpfe! Um einen gereinigten Staat, einen nicht tyrannischen“. 64 2806 Leitsätze, 63. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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darin, daß sie nicht aus der Selbstsucht einer Schicht oder Klasse als subjektive Reaktion entspringe, sondern mit dem Ernst eines ‚Amtes‘, den bedrohten Staat wider seine Verderber zu schützen, unternommen werde. Die christliche Ethik kann solche ‚wahrhafte Revolution‘ nicht ächten“65.

Bezeichnend ist Althaus’ Einfügung der „Schwäche der Regierenden“ als möglichen Grund für eine Revolution gegenüber den Kriterien von 192866. Deutlich spiegeln sich hierbei die Erfahrungen mit der insbesondere in der Weltwirtschaftskrise als schwachen Staat erfahrenen Weimarer Republik wider, die den Herausforderungen der Zeit nicht gewachsen schien. Das Thema „Revolution“ greift Althaus auch in seinem Römerbriefkommentar bei der Auslegung von Röm 13 auf: „Wir kommen nicht umhin zu fragen: wodurch unterscheidet sich echte, von Gott geordnete Obrigkeit von wilder, eigenmächtiger Tyrannis? Paulus stellt die Frage nicht und gibt auch keine unmittelbare Antwort auf sie. Immerhin weist 13,3.4 uns für unsere eigene Besinnung den Weg. Bedeutet tatsächlicher Machtbesitz und Machtverwaltung schon ‚Obrigkeit‘? Machtverwaltung hat als Bändigung des Chaos immer schon ihre Würde. Aber zur ‚Obrigkeit‘ gehört hinzu, daß die Verwaltung der Macht im Dienste sittlich bestimmter Rechtsordnung stehe, dem ‚Bösen‘ wehre, das ‚Gute‘ ehre […]. Mißbraucht wird Röm. 13, wenn man mit ihm unmittelbar und gesetzlich die Frage politischer Sittlichkeit entscheiden will, ob nicht für die ‚Unter­ tanen‘ aus der Verantwortung für den Staat heraus die Pflicht zum Kampfe mit einer Regierung um die Erneuerung eines entarteten, verrotteten Staates entsteht und ob dieser Kampf nicht im äußersten Falle, beim Versagen aller anderen Mittel, mit Gewalt ausgetragen werden muß – das sittliche Problem der Revolution. Diese schweren Fragen kann man nicht durch Berufung auf Röm. 13 einfach niederschlagen“67.

Einen weiteren Aspekt zum Revolutionsrecht führt Althaus in seinem Vortrag „Luther und die Theologie des Politischen“ im Herbst 1932 ein. Weil der Staat als Volksstaat zu verstehen ist, hat das für Althaus Konsequenzen für das Verhältnis von Obrigkeit und Volk: „Damit aber steht sie dem Volke nicht mehr nur als den Untertanen in Verwaltung der gottgesetzten Rechtsordnung gegenüber, sondern zugleich in ihrem Volke“. „Die Regierung ist für uns nicht nur Obrigkeit, sondern auch Führung. Ihr Führen ist Dienst an der Sache des Volkes, für die aber auch jeder Einzelne im Volke mit verantwortlich ist. Daher stehen wir zur Regierung nicht mehr nur so wie Luther es den Un 65 3108 Ethik, 106. 66 In seine Ausführungen zum Revolutionsrecht im RGG-Artikel „Macht“ fügt er ein Zitat von Heinrich von Treitschke ein: „Unter allen politischen Sünden ist die der Schwäche die verwerflichste und verächtlichste“ (3013 Politik, 1325). 67 3211 Römer, 109; Hervorhebung von Althaus. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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tertanen schrieb: in einem Gehorsam […]. Die Regierung darf und soll von uns allen gemessen werden an der Sache unseres Volkes, der sie zu dienen hat, für die auch wir alle mit verantwortlich sind. Wir sind zur Kritik und, wenn es sein muß, zum Kampfe gegen eine Regierung, die nicht mehr dem Leben und der Aufgabe des Volkes dient, zum Ungehorsam gerufen. […] Aus dem neuen Verständnis der staatlichen Gewalt als Dienst an der Sache und Sendung des Volkes, die uns allen verantwortlich aufgetragen ist, folgt: es gibt die äußerste Möglichkeit, daß man wider eine Regierung Gewalt üben muß, um das Land und seine Zukunft vor seinen Verderbern zu retten. Lebendige lutherische Lehre vom Staate kann nicht grundsätzlich anti­ revolutionär sein.“68

Wer diese Verderber im Jahr 1932 für ihn waren, war Althaus’ Hörern und Lesern sehr wohl bewusst: Diese Aussage konnte nicht anders denn als Spitze gegen die Weimarer Republik, der man Schwäche und Verfehlung der deutschen „Sendung“ vorwarf, verstanden werden. Aus diesem Grund ist Althaus’ Formulierung eines Revolutionsrechts im Kontext seiner Absage an die Weimarer Republik zu lesen, die er im gleichen Vortrag klar zum Ausdruck bringt69. Über seine bereits früher formulierte Ablehnung einer Eigengesetzlichkeit der Ordnungen geht Althaus zu Beginn der 30er Jahre hinaus und zeigt damit einen Entwicklungsprozess bei sich an. Blieben 1921 in „Religiöser Sozialismus“ die Kriterien für eine Kritik und die Normenfrage vollkommen vage, so versucht Althaus hier zumindest, solche zu benennen. Entnehmen will er sie der Weltdeutung durch Gottes Wort und – dieser Gedanke ist bei ihm neu – dem Naturrecht, das Althaus zu Beginn der 20er Jahre noch eindeutig negativ bewertet hatte70. Während Althaus bei früherer Kritik an der Eigengesetzlichkeit in erster Linie eine wirtschaftliche im Blick hatte, d. h. Kritik am „Mammonismus“, findet sich nun auch eine gleichberechtigte staatskritische Haltung bei ihm, zumal in Verbindung mit der Aussage von Apg 5, 29. Es ist nur konsequent, wenn er daran anknüpfend auch das früher nur angedeutete Revolutionsrecht mit dem Hinweis auf die notwendig sittliche Bestimmtheit des Staates und die Dienstfunktion des Staates gegenüber dem Volk weiter ausformuliert. Seine kritische Haltung gegenüber der Weimarer Republik zeigt er damit deutlich an, allerdings hat er seine diesbezüglichen Äußerungen zur Staatskritik und zum Revolutionsrecht auch im „Dritten Reich“

68 3217 Luther, 51 f. Dass er damit, wie in seiner Auffassung vom Volksstaat überhaupt, über Luther hinausgeht, macht er seinen Lesern deutlich: Das „unbedingte Nein“ Luthers zur Revolution „darf ihm die gegenwärtige lutherische Ethik nicht mehr nachsprechen.“ 69 Vgl. ebd., 50. 70 Vgl. 2104 Sozialismus, 47.70. Kritik am Naturrechtsgedanken findet sich bei ihm aber auch in 2806 Leitsätze, 56 f.; und 3108 Ethik, 98. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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nicht zurückgenommen, sondern weiter ausgebaut. Er kommt dabei – freilich nur auf dem Papier – zu den gleichen Konsequenzen wie der spätere deutsche Widerstand. Für Althaus’ Staatsauffassung mitsamt ihrem expliziten Revolutionsrecht gilt somit, was Weiling im Hinblick auf den konservativen Widerstand gegen das NS-Regime formuliert: „Ein wesentliches Moment des Widerspruchs war die christlich-konservative Staatsanschauung, die eben nicht […] auf passiven Gehorsam hinauslief, sondern den Angriff auf eine Regierung legitimieren konnte. Man verstand sich nämlich nicht als Untertan, sondern als Hüter des Staates, der das Recht besaß, einen ‚Unstaat‘ durch eine konservative Revolution zu beseitigen. Mit anderen Worten: der Widerstand gegen Hitler war weltanschaulich begründet in Vorstellungen, die – so paradox es klingen mag – bereits dem christlich-deutschen Kampf gegen Weimar innegewohnt hatten. Sie kulminierten in der Auffassung, daß ein Regime abgesetzt werden mußte, sofern es an eine Partei gebunden war, antichristliche Züge trug und einer materialistischen Weltanschauung huldigte.“71

In seiner Schrift „Obrigkeit und Führertum“ widmet Althaus 1936 der Revolution ein eigenes Kapitel72. Gewährsmann für ein Recht auf Revolution ist ihm unter anderem Ernst Moritz Arndt, den er mit den Worten zitiert: „Wenn aber ein Fürst anders tut, als wofür Gott ihn eingesetzt hat, und nicht fürstlich regiert nach dem Ebenbilde Gottes, so muß der Soldat und Christ Gott mehr gehorchen als den Menschen. Denn wenn ein Fürst seinen Soldaten befehle, Gewalt zu üben gegen die Unschuld und das Recht; wenn er sie gebrauche, das Glück und die Freiheit ihrer Mitbürger zu zerstören […], so müßten sie nimmer gehorchen, was wider das Gebot Gottes und das ebenso heilige Gebot streitet, das Gott in unser Gewissen gepflanzt hat.“

Althaus interpretiert dieses Arndtwort im Rahmen seiner Volkstumstheologie, die den Führergedanken dem seinerseits dem Gottesgedanken untergeordneten Volkstumsgedanken unterordnet und dem Volk in seiner Bindung an Gott ein Revolutionsrecht expressis verbis einräumt: „Das Petruswort: ‚Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen,‘ wird hier geradezu so ausgelegt: die Pflicht gegen das Land und Volk, das Gott geschaffen, steht im Falle des Konfliktes über der geschworenen Bindung an den Fürsten. Sie Sache der Nation bedingt und begrenzt den Fahneneid.“73

71 Weiling, Bewegung, 299 f. 72 3607 Obrigkeit, 53–58; vgl. 3505 Ordnungen, 33. 73 3607 Obrigkeit, 21. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Es kann kaum verwundern, dass es die gleichen Gedanken und Konsequenzen waren, die ab 1943 im deutschen Widerstand gegen Hitler und den Nationalsozialismus zum Thema Gewissensfreiheit und Fahneneid aus den gleichen Texten gezogen wurden74. 4.4 Die Frage nach dem Staat und seiner Verfassung: Der Staat als Volksstaat und das Gott verantwortliche Führertum Bereits in „Staatsgedanke und Reich Gottes“ hatte Althaus, der damals weitverbreiteten Auffassung in der deutschen Staatsrechtslehre folgend75, 1923 den Staat definiert als „die Form, in der ein Volk Geschichte erlebt.“ Staatsvolk und Volksstaat sind für ihn somit untrennbar – sowohl im Ideal, als auch weitgehend in der Realität der damaligen Zeit. In seinen Augen ist der Staat nicht nur als Rechtsstaat anzusehen76, sondern auch als Volksstaat mit Kulturaufgaben77. Er ist für ihn die „Verkörperung der Majestät des Rechtes [und] der Würde des Volks“78. „Wir sind durch unsere Geschichte“, so Althaus 1933, „über die Erfassung des Staates lediglich als Rechtsordnung, die das Chaos der zuchtlosen Menschheit zum Frieden bändigt, hinausgeführt. Der Staat ist uns unseres Volkes Staat, nicht nur für ihn bestimmt, sondern auch in seiner Gestalt aus des Volkes Art geboren, nicht nur dem Frieden dienend, sondern auch der Selbst-Erfassung und -Entfaltung des Volkes in seinem besonderen Leben. Seine Würde ist nicht nur die der Rechtsordnung als solcher, sondern zugleich die der Geschichte, des Lebens und Berufes dieses Volkes.“79

Dass er damit über die Lehre vom Staat sowohl bei Paulus als auch bei Luther hinausgeht, ist sich Althaus bewusst; ihm geht es um die konkrete Aktualisierung der traditionellen paulinisch-lutherischen Staatsauffassung80. So heißt es in den „Leitsätzen zur Ethik“ 1928: 74 Vgl. Peters, Erklärung, 348 f. 75 So definierte der Staatsrechtler Carl Schmitt den Staat 1932 als den „politische[n] Status eines in territorialer Geschlossenheit organisierten Volkes“ (ders., Begriff, 20). 76 2806 Leitsätze, 56–60. Der Staat nimmt für ihn „das Recht als Willen und Schöpfungsordnung Gottes“ wahr und als „Rechtsgemeinschaft“ „an der Würde des Rechtes teil“ (ebd., 56f ). 77 So schreibt er in 3211 Römer, 108: „Eine christliche Lehre vom Staate wird auch heute von Röm. 13 ausgehen, kann aber in Röm. 13 nicht aufgehen; Paulus redet nur vom Rechtsstaat und seiner sittlichen Bedeutung, für uns kommt der Staat darüber hinaus als Form einer Nation für ihr Leben in der Geschichte in Betracht.“ (Hervorhebungen von Althaus). 78 3101 Staat, 392. 79 3315 Drittes Reich, 27 f. 80 Vgl. 3607 Obrigkeit, 6.  Zu den Konsequenzen für die Haltung zur Obrigkeit vgl. 3217 ­Luther, 51. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Die geschichtliche Form, in der ein Volk den Beruf zur Entfaltung des eigenen Lebens ergreift und erfüllt, ist der Staat. […] Der Staat ist also das in der Verantwortung für seine geschichtliche Bestimmung als unabhängige Macht rechtlich geeinte Volk.“81

Der Staat ist nach Althaus somit der zentrale Träger der Gesamtkultur des Volkes, durch dieses wird er definiert. Gleichzeitig mit der Betonung des Volkstums im Allgemeinen und dessen untrennbaren Zusammenhangs mit dem Staatsgedanken im Besonderen, die er beide durch die Rückbindung an das Gottesreich religiös auflädt, dient ihm diese Rückbindung Anfang der 30er Jahre zugleich dazu, das einzelne Menschenleben, das einzelne Volksleben und damit auch die einzelnen Staaten zu transzendieren: der Menschheitsgedanke als Gegengewicht zu einseitigem Volkstumsdenken wird Althaus zunehmend wichtiger.82 „Vorrangiger Staatszweck“, so Tanner, „soll nicht die Verwirklichung des liberalen Rechtsstaates, sondern die Pflege der nationalen Kultur sein.“ Dieses Staatsverständnis beinhaltet für ihn „nicht nur eine weitgehende Ablehnung der für den Prozeß gesellschaftlicher Modernisierung typischen Ausdifferenzierung von Staat und Gesellschaft83. Indem der Staat zum Hüter des Gemeinwohls erklärt wird, ist vielmehr schon im Zentrum des Staatsverständnisses auch eine radikale Kritik eines weltanschaulichen und ethische Grundüberzeugungen betreffenden Pluralismus impliziert. Notwendig muß deshalb auch die parlamentarische Demokratie abgelehnt werden: Denn das Parlament gilt als Inbegriff jenes bürgerlich-liberalen, individualistischen und rationalistischen Geistes, der als Ursache der Krise diagnostiziert wird.“84

Zur Abgrenzung von der westlichen Staatsauffassung, die als unpassend für Deutschland, als „undeutsch“ empfunden wurde85, wurde auf deutscher Seite 81 2806 Leitsätze, 60 f. Dass „nicht jedes Volk die Möglichkeit zu nationaler Staatsbildung hat findet“, hat für ihn den „Sinn, den nationalen Staatsgedanken an die Grenzen seines Rechtes zu erinnern“ (ebd., 61). Vgl. 3013 Politik, 1321 f., wo er den Staatsgedanken parallel zu dem der „Volkheit“ ethisch auflädt: „Der Staat ist nicht gleich dem Willen der jeweiligen Generation, sondern er steht über ihr als ein Soll, dem das lebende Geschlecht unter Umständen alles opfern muß.“ 82 Auf den zehn Seiten von 3113 Botschaft verwendet Althaus zwölf Mal den Menschheits­ begriff. Auch in 2808 Kultur, 8 f. spricht er davon, dass Kultur zwar „in ihren höheren Werken immer volksmäßig bestimmte, also zunächst nationale Kultur ist“, betont aber zugleich, „daß alle Kultur ein gemeinsames Werk der Menschheit ist“: „Gott will, daß das Chaos des Nebeneinanders gebändigt werde zu einem Miteinander.“ 83 Vgl. Nolte, Ordnung, 155, der über diese verbreitete Staatsauffassung urteilt: „Hier war die Gesellschaft nicht die Quelle der Legitimation des Staates, sondern eher ein Problem des Staates: mit ihren Konflikten und Klassenkämpfen, mit ihrer vermeintlich untragbaren inneren Zerrissenheit.“ 84 Tanner, Verstaatlichung, 264. 85 Wie tiefverwurzelt diese Ansicht war, zeigt eine Äußerung Niemöllers auf einer Pressekonferenz Anfang Juni 1945, auf der er den alliierten Pressevertretern unverblümt mitteilte, dass eine © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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der dortigen Verhältnisbestimmung von Staat und Gesellschaft die angeblich dem deutschen „Wesen“ entsprechende Verbindung von Staat und Volk gegenübergestellt. „Dieses an der ‚Volksgemeinschaft‘ orientierte Staatsverständnis“, so Tanner, „lebte aus dem Glauben, daß vorgängig zu allen möglichen gesellschaftlichen Differenzierungen und sich daraus entwickelnden Antagonismen eine konfliktfreie Vermittlung von Individuum und Gemeinschaft und damit ein alle bindendes einheitliches Fundament immer schon gegeben sei, das nur bewußt gemacht werden müsse“86.

Dieses Fundament war für Althaus und die weiteren lutherischen Theolo­gen, die in der Mehrzahl dieses harmonistische und damit illusionistische Inte­ grationsmodell vertraten, selbstverständlich ein religiös-sittliches, christliches, ­lutherisches. Die Verbindung von Staat und Volk unterstreicht Althaus drei Jahre später in seinem „Grundriß der Ethik“ mit Hilfe des Begriffs der „Vaterlandsliebe“, wenn er schreibt: „Die Liebe zum Volke wird demgemäß Liebe zum Staate des Volkes. Diese Doppelliebe heißt Vaterlandsliebe. […] Wir erkennen darin das Gebot und die Gabe Gottes des Schöpfers und Herrn der Geschichte, der mit der Verantwortung für das Leben des Volkes, aus dem unser eigenes wächst, auch die Verantwortung für den Staat […] gibt.“87

Dementsprechend schreibt Althaus der Staatspolitik die Aufgabe zu, „den Staat zu erhalten und zu stärken für das Leben und den Dienst des Volkes in der Geschichte.“88 Wohin eine einseitige Berufung des Staates auf diese Aufgabe führte, konnte Althaus im „Dritten Reich“ bald erkennen. Dementsprechend erhebt er in seiDemokratie nach westlichem Muster für das deutsche Volk nicht in Frage komme. So zitiert ihn die „New York Herald Tribune“ am 6.6.1945: „‚The German people are very different from American and English people‘, he continued, in English. ‚The Germans like to be governed. […] The greatest shortcoming of the Weimar regime was that it was never able to impart any dicisive authority. That was what gave Hitler his tremendous success.‘“ (zit. nach: Vollnhals, Kirche, 36, Anm. 3). 86 Tanner, Verstaatlichung, 245. Für Tanner bündeln sich im organischen Staatsideal „die Erfahrung der Kulturkrise mit ihrem angeblich zersetzenden Individualismus und amorphen Plura­ lismus, die Suche nach neuer Bindung und der Integration von nationaler Kultur, Sittlichkeit und lutherischem Gewissensglauben, sowie die Sehnsucht nach neuer sozialer Harmonie, derzufolge alle Glieder eines Volkes fähig sein sollen, auf dem Fundament einer gemeinsamen Tradition und eines Wertkonsenses in einer sinnvollen, je unterschiedlichen Weise zum Wohl des Ganzen zusammenzuwirken“ (ebd., 255). 87 3108 Ethik, 102. 88 Ebd., 104. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ner „Theologie der Ordnung“ 1935 das Wort gegen diejenige Auffassung, „daß alles völkische Ethos, alle politische Ordnung von der Christenheit als solcher kritiklos hinzunehmen und als uns geltende Gestalt der zweiten Tafel des Gesetzes unbedingt anzuerkennen wären.“89 Dagegen macht Althaus die bereits von Luther geübte Staatskritik geltend. Noch deutlicher wird er ein Jahr später, als er sich in seiner Schrift „Obrigkeit und Führertum“ ausdrücklich gegen einen „Volksabsolutismus“ verwahrt90. In der Frage nach der Staatsform oder „Staatsverfassung“ vertritt Althaus die Ansicht, dass „keine besondere Form als solche“ als „die ‚christliche‘“ bezeichnet werden kann, „weder die Monarchie noch die demokratische Republik noch die föderalistische Ordnung.“ Entgegen dieser auf den ersten Blick scheinbaren Neutralität macht Althaus jedoch sogleich deutlich, dass er sich auch nach neun Jahren nicht mit der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik anfreunden konnte: „Über die rechte Verfassung entscheidet nicht christlich sich gebender Doktrinarismus, sondern die Einsicht in die besondere Eigenart und geschichtliche Führung des bestimmten Volkes.“91 Zu dieser besonderen Eigenart gehörte für ihn aber nicht nur die deutsche Tradition eines hierarchischen Gesellschaftsaufbaus, sondern auch die Vorstellung der Deutschen als dezidiert christliches Volk. So sieht Liebenberg schon für die Zeit des Weltkrieges die Ablehnung der Demokratie bei Althaus auch darin begründet, dass er „durch sie sein theologisches Lebensprojekt, die re­ ligiöse Erneuerung des deutschen Volkes bedroht sah.“ Denn für dieses Projekt bedurfte es des geeigneten Staates, der Althaus’ religiöser Vorstellung am ehesten entsprach. „Es mußte“, so Liebenberg, „ein Staat sein, in dem sich das Handeln Gottes in der Geschichte so institutionell verfestigt, wie es der von ihm postulierten souveränen und majestätischen Allmacht Gottes entspricht: als ein Staat mit einem starken, von Gott dem deutschen Volk geschenkten und deshalb Ehrfurcht einflößenden Führer, dessen politischem Willen die frommen Untertanen im ‚Gehorsam der Freien‘ selbstlos Folge leisten.“92

So sehr Althaus als theologisch denkender Mensch Gott und nicht den Menschen als das Maß aller Dinge betrachtete, so wenig konnte für ihn der Mensch nun in einer Demokratie das politische Maß aller Dinge werden. Politische 89 3505 Ordnungen, 36. Seine Kritik richtet sich hier konkret gegen Stapel und Gogarten. 90 3607 Obrigkeit, 41. 91 2806 Leitsätze, 62. 92 Liebenberg, Gott, 405. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Führung konnte sich Althaus nur als „von Gottes Gnaden“ und nicht als „von Volkes Gnaden“ vorstellen93. Leiten ließ sich Althaus bei dieser Vorstellung vom lutherischen Amts­ verständnis. So teilte er den Hörern seines Vortrages über „Luther und die Theologie des Politischen“ im Herbst 1932 mit: „Die Autorität des Staates ruht allein in seinem von Gott geordneten Amte. Der Staat ist Träger dieses Amtes ohne Rücksicht auf seine geschichtliche Entstehung und unabhängig von einer bestimmten Verfassung.“94 Entsprechend seiner theonomen Bestimmung des Staates wurzelt für Althaus „ernster national-staatlicher Wille“ gleichsam als conditio sine qua non „in der Gewißheit Gottes“95, weshalb es für ihn daher „nichts Gleichgültiges“ ist, „ob der Staat von seiner Begründung im Heiligen weiß oder nicht.“96 Eine in seinen Augen akzeptable und gute Verfassung muss daher erkennen lassen, dass nicht das Volk, sondern Gott der Mandant des politischen Amtes ist. So heißt es bei ihm 1932 weiter: „Das ist von jeder Verfassung zu fordern […], daß sie Raum habe für das Amt echter Obrigkeit, für die Verantwortung, welche die Obrigkeit zuletzt nicht dem Volke, d. h. seinem jetzt lebenden Geschlechte, sondern Gott, der ihr die Aufgabe an dem Volke gab, zu leisten hat. Aber die Freiheit zu dieser Verantwortung ist bei verschiedenen Verfassungen möglich.“

Dass er diese Möglichkeit allerdings bei der derzeitigen Verfassung der Weimarer Republik nicht gegeben sieht und er daher den Weimarer Staat konsequenterweise ablehnt, teilt er seinen Lesern und Hörern unverblümt mit: „Es gibt freilich Verfassungen, die das Wesen der Obrigkeit zerstören; so der folgerichtige demokratische Parlamentarismus. Er zerstört die Obrigkeit, indem er das Volk selbst zur Obrigkeit macht.“97 Demgegenüber vertritt Althaus, wie schon 1923 in „Staatsgedanke und Reich Gottes“, weiterhin ein Gott verantwortliches Führertum als der in seinen Augen sowohl dem deutschen Volk als auch dem theonomen Weltverständnis angemessensten Staatsform. Allerdings – so schränkt Althaus ein – kann es für ihn „kein rechtes Führertum ohne die Gewißheit des ‚von Gottes Gnaden‘

93 So weist Althaus die Leser seiner Sonntagsbetrachtung Ende Januar 1918 darauf hin: „Die wahren Retter in Schicksalsstunden sind uns immer […] geschenkt worden, nicht von Volkes, sondern von Gottes Gnaden.“ (1805B; Hervorhebungen von Althaus). 94 3217 Luther, 49. 95 2806 Leitsätze, 61. 96 3101 Staat, 392. 97 3217 Luther, 50. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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geben“98. Auf diese Weise betrachtet Althaus das Führertum explizit an Gott und damit implizit an dessen Gebote gebunden, wodurch er einen möglichen Machtmissbrauch verhindert wissen will. So heißt es auch 1929 in Althaus’ RGG-Artikel zur „Macht“ aus ethischer Sicht: „Die Gewißheit des ‚von Gottes Gnaden‘ bewahrt die Mächtigen vor dem Mißbrauche der befehlenden M[acht] über Menschen zu eigennütziger Willkür und sichert die Gehorchenden vor ehrloser Knechtschaft. Das Befehlsverhältnis wird eine Gestalt sittlicher Gemeinschaft, wenn beide Teile durch das Vertrauen des gemeinsamen Dienstes an einer gottgegebenen Aufgabe verbunden sind.“

Diese Aufgabe gelte es, in „Christi Sinn“ zu erfüllen99. Wenn Althaus rechtes Führertum als Gott verantwortliches Führertum und damit als Handeln in einem Amt „von Gottes Gnaden“ bestimmt, sind die Berührungspunkte mit Dietrich Bonhoeffers Vorstellungen vom Amt des Führers, die er in seinem Rundfunkvortrag „Der Führer und der einzelne in der jungen Generation“ im Frühjahr 1933 expliziert, evident100. „Der echte Führer“, so Bonhoeffer, „muß die Geführten von der Autorität seiner Person weg zur Anerkennung der echten Autorität der Ordnungen und des Amtes führen.“ Führertum als Amtshandeln verleiht die Autorität des Amtes, begrenzt es aber zugleich: „Der Führer dient dem Amt. Aber dieser Dienst am Amt ist selbst nur ein vorletzter. Der einzelne erfährt in der Autorität des Amtes seine Gebundenheit, seine Begrenztheit, aber doch auch seine Verantwortlichkeit.“

Diese Verantwortung und damit die vorletzte Autorität des Führer-Amtes besteht „gegenüber einer letzten, unsagbaren Autorität, gegenüber der Autorität Gottes.“ „So weist der Führer auf das Amt, Führer und Amt aber auf die letzte Autorität selbst, vor der Reich und Staat letzte Autoritäten sind. […] Nur der Führer, der selbst im Dienst der vorletzten und letzten Autorität steht, kann Treue finden.“101 98 2806 Leitsätze, 61. Für den Führer bedeute dies die „Unbedingtheit seiner Verantwortung, nicht vor Menschen, aber vor Gott“, für die Geführten das „freie Geschenk, das im Dasein des Führers liegt“. „Wahre Herrschaft“ unterscheidet sich für Althaus daher „von sinnloser Gewalt dadurch, daß sie von den Führenden gewollt, von den geführten verstanden wird als Dienst an einem gottgegebenen Berufe des Volkes“. Zum Gedanken des „Volksberufs“ bei Althaus vgl. Kap. III, 5.2. 99 2916 Macht, 1816. Althaus’ Machtverständnis ist geprägt vom 1.  Glaubensartikel und ­Luthers Obrigkeitsverständnis: „Das christliche Urteil über die M[acht] wird dadurch bestimmt, daß Gott M[acht] hat. […] Daß er den Menschen M[acht] verleiht, ist Güte des Schöpfers, der uns an seinem Wirken Anteil gibt.“ (ebd., 1815), verbunden mit reformatorischer Einsicht in die Tatsache der „gefallenen Menschheit“ (ebd., 1816). 100 Den Vortrag hielt Bonhoeffer zuerst am 1.2.1933 im Rundfunk, eine erweiterte Fassung im März 1933 in der deutschen Hochschule für Politik in Berlin. 101 Bonhoeffer, Führer, 35–38. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Neben der grundsätzlichen Gemeinsamkeit in der Auffassung von verantwortlichem Führertum bei Althaus und Bonhoeffer fallen zugleich die großen Unterschiede auf: Zum einen bleibt Bonhoeffer mit seiner Sichtweise des Führer-Amtes näher an Luther als Althaus, der mit der metaphysischen Größe der „Volkheit“ gleichsam eine Zwischengröße zwischen Führer-Amt und Gott als dem „obersten Dienstherrn“ einfügt. Mit anderen Worten dient der Führer bei Bonhoeffer Gott direkt, während er bei Althaus Gott im Volk dient. Der andere große Unterschied zwischen beiden Theologen liegt darin, dass Althaus’ Führeridee zu diesem Zeitpunkt abstrakter Natur ist, wobei er 1933 davon ausgeht, dass der aktuelle Führer des deutschen Volkes dieser Idee entspricht. Darin liegt seine Zustimmung für Hitler begründet. Bei Bonhoeffer haben die Ausführungen zum Führer-Amt dagegen von Beginn an einen kritischen Grundton gegenüber der aktuellen politischen Entwicklung, die er wesentlich klarer als Althaus einzuschätzen wusste. Diese implizite Kritik an Hitler war allerdings offensichtlich so deutlich, dass die verantwortliche Sendeleitung die Rundfunkübertragung kappte, noch ehe Bonhoeffer zu Ende gelesen hatte102. Seinen Ausführungen über die rechte Staatsverfassung fügt Althaus in seinem „Grundriß der Ethik“ 1931 einen Absatz über das „Ethos der Politik“ hinzu. In diesem spricht er zwei Grenzen an, innerhalb derer sich Politik zu vollziehen habe. Zum einen nennt er den „politischen Amoralismus“ als Unmöglichkeit, weil „Politik nicht jenseits von Gut und Böse steht“, zum anderen den „apolitischen Moralismus“, der verkennt, dass die Worte der Bergpredigt nicht auf das Staatsleben anwendbar sind. Er fügt allerdings sogleich hinzu, „daß die Sachlichkeit der Politik etwas anderes ist als ihre empirische, dämonische ‚Eigengesetzlichkeit‘, daß also politischer Ernst sich nur im ständigen Kampfe wider solche Eigengesetzlichkeit behaupten kann.“103 Bereits 1923 in „Staatsgedanke und Reich Gottes“ dient Althaus der ehemalige Reichskanzler Bismarck als leuchtendes Vorbild für ein Gott verantwortliches Führertum104. Hier in seinem Ethik-Lehrbuch fünf Jahre später wiederholt er dies, allerdings nun mit der ergänzenden Warnung vor nationalistischem Missbrauch: 102 Vgl. ebd., 38, Anm. 1. 103 3108 Ethik, 104. Gegen die „unkritische Hingabe an ihre [=der Politik] ‚Eigengesetzlichkeit‘“ schreibt Althaus in 3013 Politik, 1324: „Es gibt eine Eigengesetzlichkeit der P[olitik], die nicht von Gott, sondern vom Teufel ist. Da hat das Mittel des Lebens sich selbst absolut gesetzt, zum Götzen, dem unerhörte Opfer gebracht werden.“ 104 Vgl. Kap.  III, 5.4 sowie Althaus’ Literaturangaben in 3108 Ethik, 110, wo er gleich drei Werke von bzw. über Bismarck nennt. Auch in 3013 Politik ist Bismarck das politische Vorbild schlechthin; in den sechs Spalten des RGG-Artikels wird der ehemalige Reichskanzler sechsmal genannt und ausführlich zitiert. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Entartet ist das Verhältnis des nationalen Willens und des Führertums zum Gottesglauben, wenn aus dem Verantwortungsglauben der Anspruch ausschließender Erwählung des eigenen Volkes, die Gleichsetzung der eigenen nationalen Sache mit der Sache Gottes wird.“105

Dass Althaus seine Vorstellung eines Gott verantwortlichen politischen Führertums nicht mit dem politischen System der Parteiendemokratie der Weimarer Republik vereinbar hielt, macht er in einer Predigt mit dem Titel „Führer“ am 4. Mai 1924, dem Tag der Reichstagswahl, deutlich. Auf den besonderen Charakter des Sonntags geht Althaus mit den Worten ein: „Wieder geht unser Volk heute hin, sich seine Führer zu wählen“, um sogleich die rhetorische Frage aufzuwerfen: „In einer Sorge, einer Frage begegnen sich längst alle ernsten Freunde unseres Volkes: findet das deutsche Volk bei diesem System des Wählens wirklich seine rechten Führer?“ Aus seiner Ablehnung der Parteiendemokratie macht Althaus keinen Hehl, wenn er predigt: „Mit wahrhaftem Schrecken hören wir, daß nicht weniger als 25 Gruppen um Gefolgschaft werben. Ist das Weg zur Volksgemeinschaft, die wir ersehnen, oder nicht vielmehr das Zeichen eines hoffnungslosen Chaos?“106

Von seiner Sehnsucht nach solidarischer Volksgemeinschaft aus betrachtet erscheint Althaus das für eine Demokratie notwendige, auf Kompromisse abzielende politische Ringen der Parteien als Unmöglichkeit: „Zu wenige finden sich, die das Ganze des Volkes mit ihrem Verstehen und Wollen umfassen; zu viel Eigensinn der Parteien und zu wenig Dienst am Volke; zu viel Eigennutz der Gruppen und zu wenig echte Solidarität; zu viele Halbwahrheiten in allen Lagern und zu wenig Gehorsam gegen die ganze Wahrheit“.

Einen Raum für „wirkliches Führertum“ vermisst Althaus in diesem politischen System: „Zwingen sie nicht jeden Führer sogleich zum Parteimann? Muß nicht notwendig jeder in die Enge und Halbwahrheit hineinwachsen?“ Jenseits des Parteienstreits sieht Althaus den Ausweg aus der von ihm diagnostizierten Misere allein in Gott verantwortlichen und daher nicht nur die eigenen Partikularinteressen im Blick habenden Staatsmännern: „Das ist der Weg zur Volksgemeinschaft: daß unserem Volke Führer werden aus Jesu Schule. Parteiwille zertrennt, aber das echte Führertum, der Wille, das Leben zu setzen an des Volkes wirkliche Not, diesem ganzen deutschen Volke zu dienen, für das Heil und die Zukunft seiner Massen aus echter Liebe zu kämpfen – das verbindet.“107 105 2806 Leitsätze, 62. 106 2404P Führer, 1 f. Die folgenden Zitate finden sich ebd., 2 f. 107 Ebd., 14; Hervorhebung von Althaus. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Althaus’ Verhältnis zur Erlangung und Legitimierung rechter Obrigkeit per Wahl wandelt sich nach 1924. Deutlich wird dies in seinem bereits erwähnten Vortrag über „Luther und die Theologie des Politischen“ vom Herbst 1932. Indem Althaus hier menschliche und göttliche Legitimität unterschieden wissen will, kann er bei der Frage, wie ein Staatsmann überhaupt an die Spitze des Staates gelangt, die demokratische Methode ins Spiel bringen  – nachdem er sich explizit gegen die Erbmonarchie ausgesprochen hatte108. So heißt es bei ihm zur Herrschaftslegitimation: „Obrigkeit als Gottesordnung ist nicht daran gebunden, wie die jeweils Regierenden in ihr Amt kommen. Volkswahl der Amtsträger gefährdet die gottgegebene Autorität der Obrigkeit nicht. Aber nicht die Wahl gibt die Autorität, sondern das Amt. Der vom Volk gewählte ist kraft des Amtes, zu dem er gewählt war, vom Volke nun un­ abhängig, ‚über‘ ihm, ihm gegenüber.“109

Diese Unabhängigkeit ist für Althaus vor dem Hintergrund seiner theonomen Weltsicht der entscheidende Punkt, der ihn trotz der von ihm angenommen Möglichkeit von Wahlen entschieden gegen den westlichen Parlamentarismus votieren lässt. Auch noch im Jahr 1936 zieht Althaus die Option des Wählens zum Finden der „rechten Führer“ eines Volkes als Möglichkeit in Betracht  – weiterhin unter der Voraussetzung, dass die „an jede Verfassung“ ergehende „ethische Anfor­derung“ erfüllt ist, „daß sie Raum lasse für wirkliche Herrschaft, für Befehl und Gehorsam, für die Scheidung von Herrschenden und Beherrschten.“ Dann aber lautet sein Urteil über diese Art, die richtigen Führer zu ermitteln: „Ein Volk mag seine politische Gewalt wählen. Das verletzt jene Anforderung nicht, solange klar ist: nicht die Wahl gibt die Autorität, sondern das Amt. Nicht den Willen der Wähler hat der Gewählte auszuführen, sondern den Sinn des Amtes.“

Wenn dies einmal klar ist, wenn echte Autorität herrscht und wenn die Regierung als vor Gott verantwortliches Amtshandeln verstanden wird, dann kann sich nach Althaus auch durch das Wahlsystem hindurch Gottes Wille durchsetzen: „Auch durch menschliche Wahl beruft Gott. Wer in das politische Amt gerufen ist, dem ist das Leben seines Volkes anvertraut ‚von Gottes Gnaden‘. Er steht vor Gott in der Verantwortung für das Leben der Nation.“110

108 3217 Luther, 49 f. 109 Ebd., 50. 110 3607 Obrigkeit, 47 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Dass Althaus mit seiner Verwendung des Führerbegriffs keiner völkisch-nationalsozialistischen Führerideologie das Wort reden will, zeigt sich daran, dass er in seinem RGG-Artikel zu „Politik und Moral“, der im Jahr 1930 erschien, den Begriff meidet und stattdessen neutral vom „Staatsmann“ spricht. Auch schon in früheren Schriften verwendete Althaus „Führer“ und „Staatsmann“ parallel. Althaus’ Verständnis des Staates als Volksstaat, wobei sich der Staat als Dienerin des Volkes zu interpretieren habe, hat Konsequenzen für seine Verhältnisbestimmung von Obrigkeit und Volk: „Bei Luther steht die Obrigkeit mit ihrem Amte dem Volke gegenüber“, so Althaus in einem Vortrag im Herbst 1932. „Für uns ist durch den Gang der Geschichte seither die Obrigkeit auch die Wahrerin der lebendigen Kraft des Volkes und seiner Lebensnotwendigkeiten geworden. Damit aber steht sie dem Volke nicht mehr nur als den Untertanen in Verwaltung der gottgesetzten Rechtsordnung gegenüber, sondern zugleich in ihrem Volke, an seiner Statt, als sein Vertreter, seines Erbes, seiner Zukunft, seiner Volkheit Sachwalter. Die Regierung ist für uns nicht nur Obrigkeit, sondern auch Führung. Ihr Führen ist Dienst an der Sache des Volkes, für die aber auch jeder Einzelne im Volke mit verantwortlich ist.“111

Den Gedanken der Mitverantwortung des Einzelnen auch in einem autori­ tären Staat, der bei Althaus bereits 1923 in „Staatsgedanke und Reich Gottes“ anklang112, wird hier weiter ausgebaut bis hin zu einem damit begründeten Revolutionsrecht. Althaus’ autoritäre Obrigkeitsvorstellungen unterscheiden sich von nationalsozialistischer Ideologie nicht nur darin, dass er sich von totalitären Staatsvorstellungen abgrenzt, sondern auch darin, dass er sich – in dieser Deutlichkeit allerdings erst nach 1933 – von totalitären Führertumsvorstellungen abgrenzt. Diese Abgrenzung aber hat ihren Grund in Althaus’ ambivalenter Volkstumstheologie, die das Volkstum einerseits zur göttlichen Ordnung sakralisiert, aber andererseits dadurch auch die Staatsführung in die Pflicht gegenüber dieser Ordnung und den göttlichen Geber dieser Ordnung nimmt. Wenn Althaus 1936 dazu noch „die ernste Mitverantwortung aller“ an der „Sache des Volkes“ betont113, ist eine totalitäre Herrschaftsform ausgeschlossen: „Die Sache des Volkes ist dem ganzen Volke anvertraut. Das Führertum hebt die Verantwortung aller nicht auf, sondern ruft nach ihr.“114 Oder mit anderen Worten: 111 3217 Luther, 51. 112 Vgl. Kap. III, 5.3. 113 3607 Obrigkeit, 49. 114 Ebd., 48; Hervorhebung von Althaus. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Rechte Herrschaft bedarf des Vertrauens und daher politischer Formen, in denen immer wieder ehrlich die Vertrauensfrage gestellt werden und ein freies Bekenntnis des Volkes zu seiner Führung geschehen kann. Dadurch wird das Volk für seine Führung mitverantwortlich.“115

Diese Verantwortung aber kann konsequenterweise auch zum Ungehorsam, zur Revolution gegen den „Führer“ führen. So ermahnt Althaus seine Leserschaft im „Dritten Reich“: „Der unbedingte Gehorsam gilt zuletzt nicht dem Herrscher oder Führer, sondern der von Gott anvertrauten Sache des Volkes, an der er dient, und gilt dem politischen Führer, sofern er an ihr dient […]. Ob das der Fall ist, darüber zu entscheiden, ist das politische Gewissen des Volkes aufgerufen. Der Gehorsam gegen die Regierung entspringt aus der Hingabe an die von ihr vertretene Sache des Volkes. Eben diese Hingabe kann aber auch zum Ungehorsam gegen die Regierung führen.“116

Die Person, auf die Althaus und mit ihm ein großer Teil der protestantischen Elite ihre Hoffnungen setzten, war der im April 1925 neu gewählte Reichs­ präsident Paul von Hindenburg117. Er galt zum einen als Glanzlicht der gänzlich glanzlosen Republik. Auf ihm, der schon einmal als „Sieger von Tannenberg“ seinem Deutschen Reich in bedrohlicher Lage zur entscheidenden Hilfe geeilt war118, ruhten die politischen Erwartungen119. Bereits während des Krieges hatte er Althaus und der überwältigenden Mehrheit der Deutschen als Kriegsheld und Retter Deutschlands gegolten120. Zum anderen galt Hindenburg als guter und frommer Protestant. So schreibt Jonathan Wright: „Mit Hindenburgs Wahl zum Reichspräsidenten […] kehrte eine Persönlichkeit von symbolischer Autorität auf die politische Bühne zurück, der sich die evange 115 3708 Kirche, 29. 116 3607 Obrigkeit, 45 f. 117 In einem Schreiben an Hans Lietzmann vom 13.10.1932 spricht Althaus davon, dass er vor der Reichspräsidentenwahl im Frühjahr einen Wahlaufruf für Hindenburg unterschrieben habe, den er „heute noch wiederholen würde“ (zit. nach: Aland, Glanz, 715). 118 Nachdem General Paul von Hindenburg im Jahr 1911 bereits in den Ruhestand verabschiedet worden war, wurde er angesichts der bedrohlichen Lage an der Ostfront zum Oberbefehls­haber der 8. Armee ernannt und konnte u. a. mit seinem Sieg bei Tannenberg die nach Ostpreußen eingedrungenen russischen Armeen im August 1914 entscheidend zurückschlagen. Der Mythos Hindenburgs als „Sieger von Tannenberg“ ließ ihn bald zu einem der meistgeschätzten Männer in Deutschland während des Weltkrieges und danach werden. Im Frühjahr 1925 wurde der 77jährige von den Rechtsparteien zur Kandidatur für das Amt des Reichspräsidenten gedrängt. 119 Winston Churchill schrieb 1934 rückblickend über Hindenburg: „Mitten aus dem Wirrwarr und dem Elend des besiegten Deutschland heraus wurde Hindenburg plötzlich auf den Gipfel der Macht erhoben. Das deutsche Volk in seiner Verzweiflung sah in ihm einen Felsen, an den es sich klammern konnte. Präsident der deutschen Republik!“ (ders., Zeitgenossen, 130 f.). 120 Vgl. 1805B Sonntagsbetrachtung. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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lische Kirche sehr verbunden fühlte.“121 Drittens vollzog sich seit dem Amtsantritt Hindenburgs eine innenpolitische und verfassungsrechtliche Wende weg von der abgelehnten parlamentarischen hin zur tolerierten präsidialen Demokratie mit dem als „Ersatzkaiser“ empfundenen Hindenburg. Diese drei Aspekte liefen in der Wahrnehmung Althaus’ und der Mehrzahl der protestantischen Eliten darauf hinaus, in Hindenburg den erhofften starken und frommen Mann als echte Autorität an der Spitze des nunmehr vermeintlich spürbar christlicher gewordenen Staates zu erblicken und damit den Gott verantwort­ lichen Führer. So schreibt auch Tanner: „Mit der Befürwortung des Reichspräsidenten als dem eigentlichen Repräsentanten des Volkswillens bewegte sich das Staatsverständnis der genannten Theologen in Richtung auf die Bejahung eines ‚charismatischen Führertums‘ als Alternative zu rationalen Formen der politischen Willensbildung und -ausübung.“122

4.5 Die Weimarer Republik als „Notbau“ Nicht nur die frühen Dialektischen Theologen hatten – gemäß dem Titel ihrer gleichnamigen Zeitschrift – das Gefühl, „zwischen den Zeiten“ zu leben. Dieser starke Eindruck, nun ins politische gewendet, vermittelte sich auch den nationalkonservativen Lutheranern wie Althaus, wenn sie den Blick wehmütig zurück aufs Kaiserreich, enttäuscht und angewidert auf die Weimarer Gegenwart und erwartungsvoll auf eine erhoffte Zukunft für das Nachkriegs- und Nachversaillesdeutschland richteten. So wirft Althaus in einer Predigt unmittelbar nach dem verlorenen Ruhrkampf gegen die französisch-belgische Besetzung und gerade in der Zeit der Hyperinflation die Frage auf: „Sind wir in dem Deutschland von heute nicht Fremdlinge?“123 Und Mitte November 1924 predigt er: „Wir leben zwischen den Zeiten. Eine Vergangenheit sank unter Gottes gewaltiger Hand dahin; Macht, Freiheit und Ehre sind uns Deutschen zerbrochen. Und doch ahnen wir einen neuen Morgen und harren ihm entgegen: O Deutschland hoch in Ehren! Wer wirklich deutsch fühlt, der lebt nicht ganz in dieser Zeit, dem ist es, als könne er in unseren Jahren nicht tief atmen, der wartet auf den neuen deutschen Tag.“124

121 Wright, Parteien, 86. Als Beleg für die Verbundenheit von Hindenburg mit der Kirche weist Wright darauf hin, dass dieser nach seinem Amtsantritt den Kirchen eigens einen offiziellen Empfang gab (ebd., 87). 122 Tanner, Verstaatlichung, 260. 123 2309P Weg, 198. 124 2410P Zeiten, 92; vgl. 2309P Weg, 198. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Die Aversion gegen die Gegenwart konkretisiert Althaus anhand der „Demütigung und Entmannung“, der „Schande und Enge unseres deutschen Loses“ infolge des aufgezwungenen Versailler Vertrages, anhand der Zerrissenheit des Gemeinwesens als „Gemächte von Parlamentariern und Parteiführern“, anhand der wahrgenommenen sittlichen Verwahrlosung („Schmutz unserer Groß­stadtkultur“, „Welt der Prostitution und des Alkoholismus“) und anhand der menschen- und gottverachtenden „dunkle[n] Hinterseite des Kapitalismus“ („­Anbetung der Macht und des Geldes“, „Sklaven und Sklavenhalter“, „wie der Mammon heute den Geist lenkt und die Seelen knechtet“)125. Mit der Mehrheit der Republikgegner sah Althaus, wie er 1936 rückblickend äußert, im Weimarer Staat nicht viel mehr als eine „im Augenblick gegebene und unvermeidliche ‚Auffangsform‘ des nationalen Willens, als Notbau, der das Leben unseres Volkes notdürftig vor dem Schlimmsten, dem Chaos der Anarchie, schützte, als Ausgangsstellung für ein neues Ringen um deutschen Staat, das über seine damalige Form hinausführen mußte“126.

Er spricht von einem damals nur vorläufigen Ja zur Weimarer Republik als der „im Augenblick allein mögliche[n] staatliche[n] Gestalt deutschen Lebens“ und von einer „spannungsvollen Haltung“ zum neues Staat: „Ein rundes Ja war hier genau so unmöglich wie ein rundes Nein. Die einzig mögliche Antwort war Ja – aber … Das heißt: Ja, als die im Augenblicke allein gegebene staatliche Ordnung meines Volkes haben Regierung und Verfassung Anspruch auf meinen Gehorsam. Aber zugleich ringen wir mit ihr, ja möglicherweise gegen sie um die rechte Ordnung unseres Volkes. Sofern die Verfassung und Regierung die Gestalt war, die damals unser deutsches Leben barg, gebührte ihr ein Ja. Sofern sie dieses Leben weithin vergewaltigte, preisgab, lähmte, war nur ein Nein möglich. Ja und Nein konnten sich in kritischer Mitarbeit, im Ringen mit der anerkannten Regierung um einen besseren Staat, in Benutzung der gegebenen Verfassung zu ihrer Überwindung vertragen.“127

Seine kritische Haltung gegenüber der Weimarer Republik bringt Althaus auch in seinem RGG-Artikel „Politik und Moral“ im Jahr 1930 auf den Punkt, wo er dem aktuellen Staat nur ein bedingtes Recht insofern zugesteht, als „seine Gewaltübung innere Vollmacht nur solange besitzt, als das geltende Recht und die bestimmte Staatsidee im Herzen des Volkes Boden hat. Hier läuft die Grenze zwischen Staatsgewalt und Gewaltstaat oder Tyrannis.“128 125 2410P Zeiten, 93 f., 98 f. 126 3607 Obrigkeit, 51. 127 Ebd., 52. 128 3013 Politik, 1324. Er führt zum Thema Innenpolitik weiter aus: „Der Staat in seiner gegenwärtigen Verfassung kann bekämpft werden von Gegnern aus Überzeugung, Gegnern seiner be© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Betrachtet man seine Äußerungen zur politischen Situation in Deutschland nach der Katastrophe von 1918 bis zum Jahresanfang 1933, so kann es kaum verwundern, dass Althaus die Weimarer Republik im Großen und Ganzen ablehnte. Freilich ist er auch in dieser Frage durchaus nicht eindeutig, so dass sich auch prinzipiell positive Aussagen über den neuen Staat finden. Als Theologe und Kirchenmann bemüht er sich, anders als die Mehrheitsmeinung innerhalb der evangelischen Kirche, die die Weimarer Republik aufgrund ihrer angeb­ lichen Religions- und Kirchenfeindlichkeit von vorneherein ablehnt129, um ein differenziertes Urteil über die neue Staatsform. Weil auch der neue, weltanschaulich von ihm abgelehnte Staat die zentrale Rolle der Kirche in Staat und Volk mindestens verfassungsrechtlich anerkennt, schützt und unterstützt, will ihm Althaus die diesbezügliche positive Würdigung seinerseits nicht verwehren. Die neue Demokratie ist für ihn „keineswegs einfach religionslos oder ‚unchristlich‘.“130 Die Weimarer Republik als „religions­loser Staat“ war für Althaus somit nicht grundsätzlich das Problem. So kann er ihr auch die „Würde und Höhe“ belassen, die er der Idee des Staates überhaupt verleiht. So heißt es bei ihm 1929: „Die religiöse Begründung des Staates hat mit dem Streit um die Staatsform nicht notwendig zu tun. Auch wenn die Gesamtheit mit einem Amte beauftragt ist, ist die Vollmacht des Amtes als solche von Gott, der Amtsträger ist ihm verantwortlich.“131

Mit dieser Aussage geht Althaus für seine Verhältnisse einen großen Schritt auf die Demokratie zu132, indem er nicht mehr nur einem einzelnen „Führer“, sondern auch einer „Gesamtheit“, sprich dem Volk als Souverän, ein Amtshandeln beimisst. Ein solcher Satz blieb bei Althaus allerdings singulär. Im Jahr 1927 geht Althaus in seiner verhalten-offenen Stellung gegenüber der Weimarer Republik sogar so weit, den mehrheitlich zunehmend nach rechts und damit antidemokratisch orientierten Studenten die nötige Zusammen­ arbeit von Kirche und Staat zu vermitteln. Wenn er auch die Gefahren aufzeigt, die der Kirche – wie schon im Kaiserreich – durch politische Bündnisse ent­ stehen können, ruft er dennoch zu dieser Zusammenarbeit auf: stimmten Gestalt, seiner P[olitik] usw. Da der Staat selber geistigen Gehalt hat und auf die innere Hingabe des Volkes angewiesen ist, wird er seine Gegner zunächst geistig zu überwinden suchen. Aber er kann um seines Bestandes willen gezwungen sein, sie zu vergewaltigen.“ Auf der einen Seite gesteht Althaus also den Gegner der Weimarer Republik deren Bekämpfung zu, auf der anderen Seite räumt er aber auch diesem Staat ein Selbstverteidigungsrecht ein. 129 Vgl. zu dieser Position Tanner, Verstaatlichung, 200–205. 130 2707 Staat, 117. 131 2905 Staat, 116. 132 Schwarke, Anfänge, 41 spricht von „vorsichtig wohlwollenden Äußerungen zur Demokratie im letzten Drittel der zwanziger Jahre“ bei Althaus. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Die Verbindung der Kirche mit den Parteien, von denen sie am meisten Vertretung ihrer Interessen im Parlamente und in der Regierung erwartet, kann ungewollte, rein tatsächliche Bindungen mit sich bringen, die der Kirche den Zugang zum Volks­ ganzen erschweren. So drohen hier überall Gefahren. Aber der Weg muß dennoch gegangen werden. Staat und Kirche müssen sich suchen, um des Volkes willen – nur daß die Kirche ernst darauf sehe, dabei ihre Freiheit nicht zu verlieren!“133

Ganz prinzipiell war somit auch die von Althaus ungeliebte Weimarer Republik gottgegebene Obrigkeit, so „entartet“ ihm diese auch erschien. So schreibt er im schwersten und zugleich letzten Jahr der Republik: „Obrigkeit ist göttliche Ordnung, und zwar nicht nur der ideale Staat, sondern jeder wirkliche, tatsächlich-bestehende, mit allen seinen Fehlern und Schwächen.“134 Diesen prinzi­piellen Obrigkeitscharakter gesteht Althaus der Weimarer Republik rückblickend auch noch 1936 zu135. Indem Althaus allerdings seit Jahren kaum etwas anderes tat, als auf diese Fehler und Schwächen aufmerksam zu machen, trug er faktisch seinen Teil dazu bei, die Republik als göttliche Ordnung zu desavouieren. Die enge Verknüpfung von christlicher Religion und Sittlichkeit mit einem theonom bestimmten Kulturbegriff und einem dies alles schützend und fördernd in sich vereinenden Staatsbegriff bei Althaus musste die Messlatte für einen aus seiner Sicht akzeptablen Staat sehr hoch ansetzen. Entsprechend schwierig hatte es für ihn die Weimarer Republik, diesem Ideal zu entsprechen – ganz abgesehen von den bereits genannten prinzipiellen politisch-weltanschaulichen Vorbehalten gegen die Demokratie als abzulehnendes westliches und damit „undeutsches“ Staatssystem. In seinen Augen untragbar war die Weimarer Republik zunächst aufgrund ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse, die ihm, gerade gemessen an seinem eigenen Volkstumsbegriff, der Gemeinschaft, Solidarität und Verantwortung gegenüber den überkommenen Traditionen impliziert, als „Entartung“ erscheinen. Nicht zuletzt in seinem Königsberger Vortrag bringt Althaus dies deutlich zum Ausdruck136. Neben dieser Fundamentalkritik an den Weimarer Verhältnissen übt Althaus auch von der Warte des von ihm geforderten gottgebundenen Führertums aus Kritik an der Weimarer Demokratie, die er als schwachen Staat empfindet. Denn nach Althaus sind an jede mögliche Staatsform

133 2707 Staat, 120. Den Vortrag hielt Althaus auf der Schulungswoche der Deutschen Studentenschaft in Weimar am 1.11.1927. Er wurde u. a. in der Zeitschrift seines studentischen Kor­ porationsverbandes abgedruckt und fand damit weite Verbreitung unter den Studenten. 134 3211 Römer, 107. 135 3607 Obrigkeit, 51. 136 Vgl. 2704 Volkstum, 115; vgl. Kap. IV, 3.3.4. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„bestimmte ethische Ansprüche zu stellen, die sich aus dem sittlichen Charakter des Staates ergeben: z. B. daß die Regierung den Mut habe, Macht und Autorität zu sein; daß die Verfassungsform ein vom Mehrheitswillen freies, allein Gott verantwortliches Führertum […] nicht ausschließe oder lähme, sondern ihm Raum gebe.“137

Weil für ihn wahre Autorität nur eine von Gott abgeleitete sein kann, die in ein gottgegebenes und gottverantwortliches Amt mündet, sieht er sowohl im freien Spiel der demokratischen Kräfte im Parlamentarismus überhaupt und in der ineffektiven und den immensen Anforderungen von Krisenzeiten offenbar nicht gewachsenen Weimarer Republik den entscheidenden Hinweis auf die Schwäche des Staates und damit auf die Nichtlegitimation durch Gott138. Der demokratische und pluralistische Staat der Weimarer Republik verstand sich selbst nicht als theonom und war es in Althaus’ Augen deshalb auch nicht, was ihm nach seinem Dafürhalten die entscheidende Legitimationsbasis entzog. Damit aber sah er das Grundübel des neuen Staates benannt: „Ernster noch als die einfache Existenznot unseres Volkes ist die geistige Zerstörung und Verwirrung. […] Die geistige Lage wird entscheidend bestimmt durch die Erschütterung aller geltenden Werte und Ordnungen des Volkslebens: der Beziehung der Geschlechter, der Ehe, des Rechtes, des Staates usw. Wir erkennen in dem heutigen Zerbrechen der Würde aller dieser Ordnungen das notwendige Ergebnis der Verweltlichung dieser Lebensgebiete, die mit der Renaissance eingesetzt hat. Man wollte sich nicht mehr von Gott dem Herrn her, sondern von dem sich befreienden Menschen […] her verstehen. Sie verloren ihre ‚Heiligkeit‘, damit aber mehr und mehr alle ihre Würde und Autorität.“139

Diesen drohenden Autoritätsverlust des Staates meint Althaus besonders an der Frage nach einem neuen Strafrecht festmachen zu können140. Von seiner Warte als christlicher Theologe ergreift er das Wort zu dem „Streite der klassischen und der soziologischen Strafrechtsschule“141. Von seiner Beschreibung 137 2806 Leitsätze, 62; vgl. 3101 Staat, 392. 138 Dass die angebliche Schwäche der Weimarer Republik, die den Herausforderungen insbesondere der Weltwirtschaftskrise nicht gewachsen schien, Althaus in seinem negativen Urteil über den neuen Staat besonders leitete, wird allein schon an den kleinen Ergänzungen in seinem „Grundriß der Ethik“ von 1931 gegenüber den drei Jahre älteren „Leitsätzen zur Ethik“ deutlich. So propagiert er hier nicht mehr nur ein „Gott verantwortliches“, sondern im gleichen Atemzug ein „der Autorität fähiges Führertum“ (3108 Ethik, 104). Als weiteres Kriterium für das Recht auf Revolution tritt die „Schwäche der Regierenden“ hinzu (Ebd., 106). 139 3113 Botschaft, 488 f. 140 In 3113 Botschaft, 489 benennt Althaus den „Kampf um ein neues Strafgesetzbuch“ als Beispiel für die Frage nach der Würde des Staates; vgl. zu dieser Frage 3101 Staat, 392. 141 Reformarbeiten am Strafrecht gab es bereits während des Kaiserreichs, diese wurden ­während der Weimarer Republik vorangetrieben. Der Streit um ein neues Strafrecht war der Streit zwischen © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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der Strafe als „Geltendmachen der Heiligkeit der Rechtsordnung gegenüber dem Rechtsbrecher“ ausgehend, sieht Althaus die christliche Ethik dem Vergeltungsgedanken der klassischen Schule nahestehen, „weil sie Schuld, Verantwortlichkeit, Strafe ernst zur Geltung bringt, während die soziologische Schule dazu neigt, mit der Schuld und Verantwortung auch den Begriff der Strafe selber aufzulösen“142. Als letzte Konsequenz des Vergeltungsgedankens im Strafrecht plädiert Althaus für die Todesstrafe143. Weil der Staat für Althaus „an der Würde des Rechts“ teilnimmt144, soll er sich dieser Würde entsprechend verhalten und Autorität ausstrahlen. Althaus knüpft somit die Würde des Staates, die ihm als Ordnung Gottes per se eignet, an die Bedingung, dass er dieser Würde entsprechend auftritt. Weil der konkrete Staat der Weimarer Republik sich aber in der Frage des Strafrechts staatsunwürdig zu verhalten droht  – die diesbezüglichen Gesetze sind noch nicht verabschiedet  –, bildet die Frage des Strafrechts für Althaus einen wichtigen Aspekt, an dem die Weimarer Republik in ihrem Staat-Sein versagt. Sie ist für ihn ein schwacher Staat ohne Autorität und sie vergisst ihre Theonomie. Althaus bringt diesen Zusammenhang in seinem „Grundriß der Ethik“ 1931 auf den Punkt: „Der Staat verliert seine Würde als gottgegebenes Amt, wenn er die mit der Verwaltung des Rechtes ihm verliehene Gewalt über Leben und Tod wegwirft. Der moderne Kampf gegen die Todesstrafe ist weithin ein Zeichen dafür, daß man die religiöse Verwurzelung des Rechts und Staates preisgegeben hat.“145

Dass seine Kritik an der Weimarer Republik theologisch motiviert ist, weil ihr die Erinnerung des Staates an seine Theonomie zugrunde liegt, wird in seiner zwei Strafrechtsschulen, auf der einen Seite zwischen der klassischen, dem Vergeltungsgedanken verpflichteten und auf der anderen Seite der modernen, dem Präventionsmodell verpflichteten Strafrechtsschule. Im Kern ging es um die Frage, ob mit der Strafe bessernde Zwecke gegenüber dem Täter verfolgt werden sollten und wie diesem Gedanken im Gesetz am besten Rechnung zu tragen sei. In der Weimarer Zeit wurden Entwürfe erarbeitet und diskutiert, wegen des Endes der Republik kam es jedoch zu keiner neuen Gesetzgebung und Umsetzung in die Praxis; vgl. Müller, Verbrechensbekämpfung im Anstaltsstaat. 142 2806 Leitsätze, 57. Gemäß seinem ausgleichenden Wesen schreibt er sogleich weiter: „Aber mit der soziologischen Schule betont auch die christliche Ethik die weitgehende soziale Bedingtheit der Vergehen“ (Hervorhebung von Althaus). 143 Vgl. ebd., 58. 144 ebd., 57. 145 3108 Ethik, 99. Den gleichen Vorwurf erhebt Althaus auch in 2905 Staat, 116: „Der Staat wahrt seine in Gott begründete Würde als Gleichnis des Reiches Gottes, indem er sich nicht weigert, Macht, Autorität, Stärke zu sein; indem er Begriff und Wirklichkeit der Strafe nicht er­weichen läßt. Daß unserem Volke heute der Strafgedanke zerbrechen will, hängt mit dem Zerbrechen der Gottesgewißheit unlöslich zusammen.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Äußerung zum Strafrechtsthema in einem Aufsatz des Jahres 1931 deutlich, wo es heißt: „Evangelisches Christentum ringt darum, daß über diesen Ordnungen wieder stehe: im Namen Gottes!, nicht: im Namen der Gesellschaft.“146 Doch nicht nur um die Betonung der Theonomie des Staates als solcher geht es Althaus dabei, sondern dahinter steht einmal mehr sein volksmissionarisches Anknüpfungskonzept, seine Frage: Wie bringen wir die Menschen zum christlichen Glauben? So heißt es in seinem Aufsatz „Das Reich“ aus dem Jahr 1932: „Der Staat schafft Voraussetzungen dafür, daß ein Volk seine Geschichte mit Gott leben könne. […] In der Zucht, die er hält, in der Autorität, die er geltend macht, in dem Gehorsam und der Scheu, die er erzwingt, führt er auch in den Vorhof des Heiligtums. Hier lernt ein Volk die großen Wirklichkeiten, in denen Gott mit uns handelt, gleichsam buchstabieren. Wie soll ein Volk von Gottes Recht und Zorn und Strafernst noch etwas wissen, wenn nicht auf Erden das Gleichnis dessen in einem strengen Staate sichtbar und erlebbar wird? Wie soll ein Mensch seinen Herrn finden, der nie in einem irdischen Verhältnis der Autorität und des Gehorsams gestanden hat? So ist der Staat ernsthaft auf das Reich Gottes bezogen.“147

Neben der Frage nach dem Strafrecht war für Althaus auch der Streit der Kirchen mit dem Staat um die Bekenntnisschule ein  – wenn auch untergeord­ neter  – Aspekt in seiner Kritik am Weimarer Staat, der seinen, seiner Überzeugung nach christlichen Charakter zu verraten drohte. „Um den christlichen Charakter der Schulen zu kämpfen“, bedeutet für Althaus schon 1924, „um die Grundlagen eines christlichen Volkslebens“ zu ringen148. Dazu schreibt er 1931: Die christliche Gemeinde „ruft angesichts der gegenwärtigen Geisteslage innerhalb unseres Volkes den Staat zum Verzichte auf die selbstherrliche Regelung der Erziehung und Bildung und fordert die Freiheit der Kirchen, unter Umständen ein eigenes Schulwesen zu gestalten.“149

Althaus Fundamentalkritik an der Weimarer Republik hatte handfeste kirchlich-theologische Gründe. Es ging ihm um die Christlichkeit des deutschen 146 3113 Botschaft, 489. 147 3218 Reich, 163. 148 2407 Erlebnis, 30. Das Ringen der Kirchen mit dem neuen Staat in der Schulfrage wurde von Kirchenseite zum exemplarischen Ringen von Christentum und Säkularismus stilisiert und spielte während fast der gesamten Zeit der Weimarer Republik eine höchst bedeutsame Rolle. „Die Gefährdung des Religionsunterrichts in den Schulen“, so Jochmann, Gesellschaftskrise, 270, „trug zur weiteren Emotionalisierung der Protestanten bei. Es gab nicht wenige, die mit einem Niedergang der Kirche rechneten.“ 149 3108 Ethik, 103. Dazu heißt es in 3101 Staat, 392: „Wir haben zu fordern: der Staat soll Bildung und Erziehung den Familien und freien Weltanschauungsgemeinschaften zurückgeben.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Volkes und um die Theonomie des Staates, die er beide in der Gesellschaftswirklichkeit dieser Republik mit ihrem Pluralismus gefährdet sah. Die beiden genannten Fragen, die nach einem Reichsschulgesetz und die nach der Reform des Strafrechts, nennt Althaus 1930 neben der Reform des Eherechts „gesetzgeberische Entscheidungen von größter grundsätzlicher Bedeutung für die sittliche Zukunft des deutschen Volkes“ und fährt fort: „An allen diesen Gegenständen nimmt die christliche Gemeinde als solche, um ihrer Verantwortung für das Volksganze willen, das allerstärkste Interesse.“150 Bei der Ablehnung der Weimarer Republik spielte die Gleichsetzung der ungeliebten neuen Staatsform mit dem als verabscheuungswürdig geltenden, da die Religion, die Sittlichkeit und die Gemeinschaft überhaupt auflösenden, Liberalismus eine große Rolle. Dieser Antiliberalismus verband nicht nur so unterschiedliche Theologen wie Emanuel Hirsch, Paul Althaus, Rudolf Bultmann und Karl Barth, denen allen allein schon die Absetzbewegung von der Liberalen Theologie gemeinsam war, sondern er verband die protestantischen Theologen an diesem Punkt – Hirsch und Althaus freilich nicht nur an diesem  – mit den politischen Philosophen der „Konservativen Revolution“, deren Vordenker Arthur Moeller van den Bruck die Parole ausgegeben hatte: „An Liberalismus gehen die Völker zugrunde.“ Althaus reihte sich mit seiner theologischen und weltanschaulichen Haltung ein in diesen antiliberalen Konsens, der zugleich ein antidemokratischer war und damit der Weimarer Republik die nötige Legitimationsbasis entzog. Auch für ihn gilt somit, was Klaus Tanner für die damalige Mehrheitstheologie allgemein und speziell für die Vertreter der Dialektischen Theologie feststellt: Der antiliberale Konsens ließ sich „in der Wahrnehmung der Zeitgenossen unschwer einordnen in jene kulturkritische Gesamtbewegung, deren gemeinsames Credo die Denunziation von Auf­ klärung, Liberalismus, Rationalismus und damit der geistigen Grundlagen der Weimarer Demokratie war“151. 4.6 Die politische Haltung von Paul Althaus Nach dem Blick auf die allgemein ablehnende Haltung Althaus’ gegenüber der Weimarer Republik soll im Folgenden seine persönliche politische Haltung im engeren Sinne untersucht werden. Von Interesse ist dabei zunächst seine Einstellung in der Frage nach einer evangelischen Partei.

150 3005 Aufgabe. 151 Tanner, Verstaatlichung, 67; zum Antiliberalismus vgl. ebd., 64–68. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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4.6.1 Die Frage nach einer evangelischen Partei – Althaus und der Christlich-Soziale Volksdienst „Der demokratische Parteienstaat, der nach der Kriegsniederlage von 1918 ans Licht trat, war den Deutschen nicht geheuer. Das Schlagwort vom ‚Parteienstaat‘ als einem unfunktionellen Gewirr eigensüchtiger Interessen, den es deswegen zu überwinden galt, machte das erstemal in Deutschland die Runde. Die prinzipielle Parteienkritik erleichterte es den deutschen Bürgern, Abstand von der Politik überhaupt zu halten und sich dem Absoluten und dessen Verwirklichung im irdischen Alltag zuzuwenden, der Sehnsucht nach dem Friedensreich auf Erden, in dem die Gegensätze der Parteien sich vereinen und das Gute ein für allemal den Sieg davonträgt, in dem das kritische, zweifelnde Denken verstummt und das einsame Ich endgültig in einem emphatischen Wir verschmilzt.“152

Was Hagen Schulze über das Verhältnis der Deutschen zu den Parteien in der Weimarer Republik feststellt, gilt insbesondere für die kirchlichen Eliten des Protestantismus, der sich darin vom Katholizismus unterscheidet153. Anders als im politischen Katholizismus, dem mit der Zentrumspartei seit 1870 eine schlagkräftige parlamentarische Vertretung zur Verfügung stand, hatte der politische Protestantismus keine vergleichbare parteipolitische Interessenvertretung vorzuweisen. Der Versuch Adolf Stoeckers einer ersten evangelischen Parteigründung unter dem Namen „Christlich-soziale Arbeiterpartei“ im Jahr 1878 scheiterte. Betrachtete sich der Protestantismus im deutschen Kaiserreich ohnehin als die Leitkultur in Deutschland und sah er sich durch die Koalition von evangelisch besetztem Hohenzollernthron und evangelischem Altar, sprich Staat und Kirche, politisch ausreichend einflussreich, so sah er seinen politischen Einfluss in der parlamentarischen Demokratie Weimars, in der eben Parteien die entscheidenden politischen Kräfte waren, ins Hintertreffen geraten. In den ersten Jahren der Weimarer Republik galt die DNVP vielen als die protestantische politische Interessenvertretung. Mehr und mehr stellte sich aber die Frage nach einer eigenen evangelischen Partei, insbesondere nach dem Rechtsruck der DNVP Ende der 20er Jahre. Doch diese Frage stellte sich als äußerst schwierig heraus. Parteipolitik galt in nationalprotestantischen Kreisen mit ihren vordemokratischen und obrigkeitsstaatlichen Denkmustern als verpönt. Partei­ 152 Schulze, Parteien, 539. 153 Etwas von diesem prinzipiellen Unbehagen der protestantischen Eliten am Parteienwesen spürt man nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch noch bei Barth, wenn dieser – seiner eigenen SPD-Mitgliedschaft zum Trotz – die parteienkritische Haltung evangelischer Theologen 1946 mit den Worten auf den Punkt bringt: „Nun sind aber die Parteien ohnehin eines der fragwürdigsten Phänomene des politischen Lebens: keinesfalls seine konstitutiven Elemente, vielleicht von jeher krankhafte, auf jeden Fall nur sekundäre Erscheinungen.“ (Barth, Christengemeinde, 37). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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politik hatte den Ruch des einseitig Spalterischen und des Egoismus, der nur die eigenen Partikular-Interessen im Blick hatte. So lautet auch Althaus’ Kritik am „Parteiwesen“: „Wie wird fast überall die Verantwortung für das Leben des ganzen Volkes gebrochen durch interessenpolitische Gesichtspunkte und durch die Selbstsucht und Eigengesetzlichkeit der Parteien.“154 Demgegenüber war es den kirchlichen Eliten des Protestantismus um die Integration des gesamten Volkes zu tun, die gesamte Volksgemeinschaft sollte vertreten werden. „Über den Parteien“ sah die evangelische Kirche ihren angestammten Ort, sie wollte potentielle Heimat für das Gesamtvolk sein. Althaus spricht diese Vorstellung auf dem Kirchentag in Königsberg 1927 klar aus: Wenn die Kirche „wahrhafte Volkskirche“ sein wolle, dann müsse sie, um ihrem volksmissionarischen Auftrag gerecht zu werden, versuchen, das ganze Volk mit ihrer Verkündigung des Evangeliums zu erreichen und „jenseits der Parteirisse Heimat des ganzen Volkes zu werden.“ Vor dem Hintergrund, dass den Kirchen „ganze Stände unseres Volkes so gut wie verschlossen sind“ – Althaus spricht damit in erster Linie die Arbeiter an –, fordert er sie auf, „sich in großem Ernste [zu] fragen, ob sie vielleicht mit anderen Ständen, vielleicht gar mit Parteien, so verwachsen sind, daß dadurch ihre freie Bewegung und Werbekraft gehemmt wird.“155 Entsprechend zurückhaltend äußert sich Althaus daher auch zunächst, wenn er sich zu der Frage nach einer evangelischen bzw. überhaupt christlichen Partei zu Wort meldet. In seinen „Leitsätzen zur Ethik“ gesteht er den Parteien zwar eine prinzipielle Daseinsberechtigung zu, betont aber gleichzeitig die über­ parteiliche Haltung der Kirche und die Unangemessenheit einer christlichen Partei: „Die Geschichte des Staates vollzieht sich durch das Ringen von Parteien hindurch. Die Gemeinde will und kann die Parteibildung und die Parteikämpfe nicht auf­heben. Indem sie aber die miteinander Ringenden auf ihrem Boden zur Gemeinschaft zusammenführt, dient sie der Eingrenzung, Versachlichung, Veredelung des Ringens. Die angemessene Form, ihre eigenen Normen in der Gesetzgebung und Regierung des Volkes zur Geltung zu bringen, ist nicht die Bildung einer besonderen ‚christlichen Partei‘ (denn die christlichen Normen lassen sich in ihrer Reinheit und in ihrem unbedingten Anspruche schwerlich zur Geltung bringen, wenn sie von einer Partei vertreten werden, die als solche, um eine Macht zu bleiben, auch nach Rücksichten der Taktik handeln muß), sondern die Entsendung von Christen in alle Parteien und deren Zusammenarbeit.“156 154 3005 Aufgabe; vgl. 2404P Führer, 1–3. 155 2704 Volkstum, 130. 156 2806 Leitsätze, 62. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Diese anfängliche prinzipielle Ablehnung einer christlichen Partei gibt Althaus wenige Jahre später unter dem Eindruck der Gründung des „Christlich-Sozialen Volksdienstes“ (CSVD) auf und räumte einem solchen Unternehmen ein bedingtes Recht ein, wenn auch seine Vorbehalte bleiben. Der CSVD entstand Ende 1929 aus der Abspaltung des vormaligen christlich-sozialen Flügels der DNVP, der sich ab Mitte der 20er Jahre in dieser Partei zunehmend vom völkischen, antisemitischen und radikal republikfeindlichen Flügel majorisiert fühlte. Ein entscheidender Anstoß für einen Parteiwechsel ging für viele Unzufriedene vom Kurs des neuen DNVP-Vorsitzenden Alfred Hugenberg aus, der die Partei nach einer Phase der Kooperationsbereitschaft mit den systemtragenden Parteien zwischen 1925 und 1928 ab Oktober 1928 in eine Richtung der Fundamentalopposition und einer Zusammenarbeit mit den aufstrebenden Nationalsozialisten führte. Diese ehemaligen Deutsch­ nationalen verbanden sich mit der bereits 1924 gegründeten Splitterpartei „Evangelischer Volksdienst“ zur CSVD. Bei der Reichstagswahl von 1930 gewann die betont evangelische Partei aus dem Stand heraus 14 Mandate, versank aber bereits 1932 mit nur drei Mandaten wieder in der Bedeutungslosigkeit – wie Wolfram Pyta feststellt, „hauptsächlich deswegen, weil dem Volksdienst von nicht wenigen seiner Wähler verübelt wurde, daß er dem Katholiken und Zentrumsmann Brüning im Reichstag vorbehaltlos den Rücken gestärkt hatte. Konfessionelle Vorbehalte fanden einen solchen Anklang, daß die vom CSVD enttäuschten Wähler in aller Regel zur NSDAP überwechselten“157.

Als „unüberwindliches Hindernis für ein Eindringen in breitere evangelische Wählerschichten“ nennt Pyta „die Befürchtung der allermeisten Pfarrer, durch das Etikett ‚Evangelische Partei‘ werde die Kirche mit einer politischen Partei identifiziert und für deren Mißerfolge haftbar gemacht.“158 Die Wirksamkeit des CSVD blieb im Wesentlichen auf Württemberg und Franken beschränkt. Ein Grund für Althaus’ Umdenken in Sachen evangelischer Partei dürfte nicht zuletzt in der freundschaftlichen Verbundenheit mit seinem Erlanger neutestamentlichen Kollegen Hermann Strathmann zu finden sein. Mit diesem hatte Althaus nicht nur theologische, sondern auch politische Gemeinsamkeiten159. Strathmann saß seit der ersten Reichstagswahl 1920 bis zum Jahr 157 Pyta, Dorfgemeinschaft, 320; zum CSVD vgl. ebd., 316–321; sowie Opitz, Volksdienst. 158 Pyta, Dorfgemeinschaft, 317. 159 Strathmann war wie Althaus vor seiner im April 1918 begonnenen Erlanger Professur seit 1916 Neutestamentler in Rostock. Seine nicht-konfessionalistische Einstellung brachte Strathmann an der Erlanger Fakultät gemeinsam mit Althaus in Gegnerschaft zu den strengen Konfessionalisten Elert und Sasse. Neben einer ähnlichen politischen Haltung dürfte diese gemeinsame © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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1930 für die DNVP im Reichstag, ehe er im Sommer 1930 zum CSVD wechselte, für den er im Januar 1931 in den Reichstag nachrückte und im November 1932 erneut gewählt wurde. Zum ersten Mal positiv zu einer evangelischen Partei, bereits mit dem Fokus auf den CSVD, äußerte sich Althaus in dem Zeitungsartikel „Die politische Aufgabe der christlichen Gemeinde“, der im Juni 1930, also genau zu der Zeit, da Strathmann zum CSVD wechselte, im „Fränkischen Kurier“ erschien160. Dort heißt es: „Immer stärker wird auch die christliche Gemeinde von der Frage bewegt, ob die politische Not ihr nicht eine neue große Aufgabe stelle, über das hinaus, was sie mittelbar, durch ihr Dasein, für das öffentliche Leben bedeutet. Die Losung des ‚Christlichen Volksdienstes‘ hat von Monat zu Monat an Zugkraft gewonnen und eine stattliche Gefolgschaft gesammelt.“

Es ist typisch für Althaus’ Erlebnishermeneutik, dass er sich von diesem Erfolg des CSVD in seinem Urteil beeindrucken lässt. Nun hat für ihn die „Bildung einer politischen Gruppe nach Art des ‚Christlich-Sozialen Volksdienstes‘ heute in der Tat eine Sendung“. Vor allem der „Ueberdruß an dem bisherigen Parteiwesen“ „drängt“ in seinen Augen nun „zu dem Gedanken einer Evangelischen Partei hin“. Dem Althausschen Ja zu einer evangelischen Partei folgt sogleich sein Aber, denn vor dem Hintergrund seiner prinzipiellen Bedenken einer solchen Partei gegenüber dürfe sich diese „nur als einen zeitweilig durch die besondere Lage gebotenen Notweg“ ansehen: „Die politische Wirksamkeit der Kirche wird in der Regel eine indirekte sein. Die Kirche bildet nicht Partei, aber sie bildet Gewissen. Vielleicht kann sie politisches Gewissen, das alle Parteien erneuert, zeitweilig dadurch am wirksamsten bilden helfen, daß aus ihr heraus eine Partei entsteht. Zeitweilig!“161

Frontlinie der Grund für Strathmanns und Althaus’ freundschaftliche Verbundenheit sein. Bekannt wurde Strathmann u. a. für seine kritische Schrift „Nationalsozialistische Weltanschauung?“ von 1931, in der er sich hellsichtiger als viele seiner Zeitgenossen zeigte, was ihn aber nicht daran hinderte, 1933 große Hoffnungen auf den Nationalsozialismus zu setzen. Zu Strathmann vgl. Hass, Strathmann. 160 3005 Aufgabe. 161 Althaus fährt fort: „Die eigentliche politische Aufgabe der Kirche ist und bleibt die, den Geist der Verantwortung, des Dienstes am ganzen Volke, der echten Verbundenheit als heiliges Feuer zu hüten, daß er durch Männer und Frauen christlichen Willens in alle Parteien dringe, sie erneuern helfe, ‚Querverbindungen‘ schaffe und pflege u. s. f.“ Den gleichen Gedanken vertritt Althaus auch in 3108 Ethik, 105 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Ausgehend von der Erkenntnis, dass „auf dem Boden der christlichen Kirche […] mehrere politische Grundauffassungen möglich“ sind162, sieht Althaus in erster Linie die Gefahr, dass eine evangelische Partei „nur Menschen einer bestimmten politischen Richtung“ sammelt und dadurch „unbewußt nach bestimmten ständisch-politischen Vor-Urteilen, die sie von ihren christlichen Grundsätzen nicht zu unterscheiden vermag“, entscheidet. Dies aber gefährde „die Reinheit des Evangeliums und die Universalität der Kirche.“163 Auf den Punkt bringt Althaus seine Stellung zum CSVD in einer Aussprache im Anschluss an seinen Vortrag „Die natürlichen Gemeinschaften als Schöpfungsordnungen“ auf der 14. Tagung christlicher Akademiker Württembergs im Oktober 1931: „Zu dem Unternehmen des Christlichen Volksdiensts könnte ich ein freudiges Ja sagen als zu einem Notversuch, allerdings bei schweren grundsätzlichen Bedenken.“164 4.6.2 Althaus’ politische Haltung Althaus machte keine Parteipolitik. Dafür war er zum einen zu sehr Mann der Kirche und damit „über den Parteien“165, zum anderen hatte er große Vorbehalte gegenüber der Parteiendemokratie. Zwei Mal predigte Althaus an Sonntagen, an denen auch Reichstagswahlen stattfanden, das erste Mal am 4. Mai 1924, das zweite Mal am 14. September 1930. In der ersten Predigt kommt Althaus zwar  – nicht zuletzt als Reflex auf das Weimarer Krisenjahr 1923  – dezidiert auf die genannten Vorbehalte gegenüber der Weimarer Republik zu sprechen, doch enthält er sich einer parteipolitischen Stellungnahme166. In der zweiten Predigt im Krisenjahr 1930 fällt auf, dass Althaus sich nicht nur jeglicher Parteipolitik, sondern auch der Fundamentalkritik an der Weimarer Parteiendemokratie enthält. Dessen ungeachtet gehörten seine Sympathien während der Weimarer Republik zunächst der DNVP. Überblickt man seine weltanschauliche, aber auch theologische Haltung, so ist es nur folgerichtig, dass der Erlanger Theologe mit der großen Mehrzahl der kirchlichen Eliten in dieser Zeit auch politisch deutschnational eingestellt war. Althaus’ Personalakt an der Erlanger Univer­ 162 Für Althaus besteht „kein Zweifel, daß auf dem Boden der christlichen Kirche sowohl konservatives wie liberales Denken […] möglich ist“ (3005 Aufgabe). 163 3108 Ethik, 106. Mit ähnlichen Argumenten spricht sich einige Jahre später auch Barth, Christengemeinde, 36–39 gegen eine christliche Partei aus. 164 3111 Gemeinschaften, 30; vgl. 3101 Staat, 392 f. 165 Vgl. 3203 Wort, 326 f. 166 Vgl. 2404P Führer, 1 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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sität lässt sich entnehmen, dass er „zeitweilig (bis 1929) Mitgl[ied] der Deutschnat[ionalen] Volkspartei“ (DNVP) war167. Althaus Parteiaustritt fällt nicht ohne Grund zusammen mit dem Kurswechsel und Rechtsruck der DNVP unter ihrem neuen Vorsitzenden Alfred Hugenberg ab Ende 1928, der auch für seinen Kollegen und Freund Hermann Strathmann der Grund für einen Parteiwechsel hin zum CSVD war. In dieser Zeit zeigt Althaus, wie wir gesehen haben, eine neue Offenheit für eine evangelische Partei im Allgemeinen und den CSVD im Besonderen168. Sehr aufschlussreich für Althaus’ politische Haltung ist ein Schreiben an seinen Berliner Kollegen Hans Lietzmann vom 13. Oktober 1932169. In diesem lehnt Althaus eine Bitte Lietzmanns, der kurz zuvor wieder in die DNVP eingetreten war170, ab, einen Aufruf zur Stimmabgabe für die DNVP bei den bevorstehenden Reichstagsneuwahlen im November 1932 zu unterzeichnen: „Seien sie mir nicht böse – aber ich kann den Aufruf nicht gut unterzeichnen.“ Althaus verweist in seiner Begründung zum einen auf einen kürzlich ergangenen Erlass des bayerischen Landeskirchenrats, der den bayerischen Pfarrern und Predigern  – zu diesen zählt sich Althaus als Universitätsprediger  – parteipolitische Stellungnahme untersage. Grund dafür wiederum ist laut Althaus eine in Bayern „besonders wilde Gruppe von Nazi-Pfarrern“, denen er ein „unkirchliches Auftreten“ vorwirft. Zum anderen verweist Althaus auf den CSVD, dem gegenüber er die DNVP nicht mit seiner Unterschrift bevor­zugen wolle: „Wir haben in Bayern einen ziemlich starken Christlichen Volksdienst, dem manche meiner Freunde angehören. Der Volksdienst tritt auch entschlossen für Papen und die autoritäre Regierung ein. Ich würde vor meinen Freunden eine einseitige Werbung für die Deutschnationale Partei nicht verantworten können. Es gib viele gute Leute bei uns im Lande, die nicht deutsch-national wählen, solange Hugenberg an der Spitze steht – die aber Papen stützen wollen. Ich habe nicht die Freudigkeit und fühle nicht das innere Recht, diesen Leuten zu sagen: wählt auf alle Fälle deutschnational.“ 167 PAA F 2/1 Nr. 2186 c. Die Angabe stammt aus der Zeit des „Dritten Reichs“. Auch Weiling, Bewegung, 206 schreibt von Althaus’ DNVP-Mitgliedschaft, allerdings ohne einen Beleg dafür zu erbringen. 168 Auch Weiling, Bewegung, 206 bemerkt, dass Althaus „im Unterschied zu Hirsch […] ­Hugenberg weniger schätzte und sogar Verständnis für die Bestrebungen des ‚Christlichen Volksdienstes‘ zeigte.“ 169 Abgedruckt ist das Schreiben in: Aland, Glanz, 715. Alle Zitate aus dem Brief finden sich hier. 170 Rosenbaum, Lietzmann, 50 sieht in diesem Wiedereintritt im Jahr 1932, „der ja keineswegs im Trend der Zeit lag“, eine deutliche Positionierung Lietzmanns gegen den immens erstarkenden Nationalsozialismus. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Gleich zweimal lässt Althaus in diesem Schreiben an seinen Kollegen und DNVP-Mitglied Lietzmann durchblicken, dass er zwar für Reichskanzler Franz von Papen, der bis wenige Monate zuvor noch Zentrums-Politiker war, und dessen „autoritäre Regierung“ votiere171, die sich im Wesentlichen auf den Rückhalt der schwachen DNVP stützte, aber dennoch ein öffentliches Ein­ treten für diese Partei – Althaus weist ausdrücklich auf Hugenberg hin – für falsch halte. Unter einer begrüßenswerten „autoritären Regierung“ verstand Althaus ein von den Notverordnungen des Reichspräsidenten Hindenburg abhängiges Präsidialkabinett, das ohne Rücksicht auf die Mehrheitsverhältnisse im Parlament regieren konnte. Weil Althaus auf der einen Seite von jeher dem Parlamentarismus ablehnend gegenüberstand und er auf der anderen Seite in Hindenburg den am besten geeigneten Mann an der Spitze des Deutschen Reiches sah, der gegenüber den Präsidialkabinetten am Ende der Weimarer Republik scheinbar die entscheidende politische Kraft war172, war für ihn diese Option folgerichtig. Beide erschienen ihm als die geeigneten politischen Führer des Landes, beide waren politisch deutschnational gesonnen, beide waren christlich verwurzelt und beide scheuten nicht vor der politischen Verantwortung zurück. So schreibt Althaus an Lietzmann, seine „Unterschrift des Aufrufes für Hindenburg im Frühjahr“ würde er „heute noch wiederholen“. Gemeint ist die Wiederwahl Hindenburgs bei der Reichspräsidentenwahl im Frühjahr 1932, bei der es galt, den 1925 von DNVP und anderen Rechtsparteien aufgestellten Feldmarschall mit Hilfe aller demokratischen Kräfte wiederzuwählen, um Hitler als neuen Reichkanzler zu verhindern173. Diese Stellungnahme Althaus’ für Hindenburg und gegen Hitler zeigt einmal mehr, wie Althaus auch in Fragen der Tagespolitik bemüht war, Extrempositionen zu vermeiden. Im Gegensatz 171 Von Papen saß längere Zeit für das Zentrum im preußischen Landtag, ehe er im Juni 1932 zum Reichskanzler ernannt wurde. Er vertrat einen auf Zusammenarbeit mit der DNVP abzielenden Kurs seiner Partei, was schließlich zum Bruch und ebenfalls im Juni 1932 zum Parteiaustritt führte. Sein Kabinett vom 1.6.1932 bis 3.12.1932 umfasste neben drei DNVP-Männern nur parteilose Minister. Von Papen führte ein von den Notverordnungen des Reichspräsidenten Hindenburg abhängiges Präsidialkabinett, das sich auf keine Mehrheit im Reichstag stützen konnte. Im Gegenteil, die radikalsten republikfeindlichen Kräfte NSDAP und KPD hatten die absolute Mehrheit inne. 172 In einem Brief an Lietzmann schreibt Hirsch im Oktober 1932 von der „Hindenburgregierung“, die er als die „wahre nationale Regierung“ bezeichnet. Der Brief ist abgedruckt in: Aland, Glanz, 717 f. 173 Weiling, Bewegung, 256 hält zu Hindenburgs Wiederwahl 1932 fest: „Daß der überzeugte Traditionalist […] zum Mann der mittleren und gemäßigten Kräfte werden konnte, zeigt, wie sehr sich das politische Klima verändert hatte. 1932 wollten ihn Sozialdemokraten, Liberale und Zentrumsleute wählen, weil sie keine andere Persönlichkeit kannten, die Aussicht gehabt hätte, gegen den Führer der Nationalsozialisten zu bestehen.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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dazu lehnten es nach Weiling nicht wenige Nationalkonservative „von vornherein ab, für Hindenburg zu stimmen, weil sie dem Präsidenten die Zusammenarbeit mit Brüning verargten und auf keinen Fall einen Kandidaten wählen wollten, den die SPD unterstützte.“174 Wie sah es neben der parteipolitischen mit der wirtschafts- und sozialpoli­ tischen Haltung von Althaus aus? Bereits in seinen frühen Schriften gab er sich in diesen Fragen als Mann des Ausgleichs zu erkennen. Die Ablehnung der Extreme Sozialismus und Kapitalismus behält Althaus auch Ende der 20er Jahre bei, verweist aber weiterhin auf den Wahrheitsgehalt in beiden Anschauungen, die er zu einem Ausgleich bringen will. Seine eigene Erkenntnis, wonach die christliche Ethik den „Streit des Kapitalismus und Sozialismus nicht im N ­ amen des Evangeliums entscheiden“ könne175, hält ihn nicht von einem eigenen Standpunkt ab. Althaus geht dabei nach seiner bereits 1921 aufgestellten Ausgleichsformel vor, die lautet: „Das Christentum ist mit dem Individualismus des Freiheitsgedankens ebenso verwandt wie mit dem Sozialismus des Solidaritätsgedankens.“176 Althaus erkennt mit seiner bekannten Ja-aber-Dialektik einerseits die moderne Marktwirtschaft als Gegebenheit an und spricht von der „Unentbehrlich­ keit freier, selbständiger Verantwortung im Wirtschaftsleben“177, um andererseits ihre „weitgehende Verabsolutierung […] durch die ‚Eigengesetzlichkeit‘ des entfesselten Ertragsstrebens“178 und den „bindungslosen Mammonismus wie die objektive Dämonie der kapitalistischen ‚Rentabilität‘, des Konkurrenzkampfes usw.“ anzuprangern.

Mit dieser Kritik an den Auswüchsen des Kapitalismus geht Althaus  – wie er betont – mit der Kritik des Sozialismus konform, darin sieht er „Sinn und Recht des Sozialismus“179. Zugleich aber macht er deutlich, dass für ihn der 174 Ebd., 257. 175 3108 Ethik, 115. 176 2104 Sozialismus, 53 f. 177 2806 Leitsätze, 72. Ergänzend bemerkt Althaus dazu drei Jahre später: „Die Wirtschaft steht unter den gleichen Bedingungen wie alle Kultur: überall ist die Freiheit und eigne Verantwortung des Gestaltenden unerläßliche Bedingung alles wirklichen Gestaltens: überall muß mit dieser Freiheit die Gefahr der Entartung in Kauf genommen werden.“ (3108 Ethik, 116). 178 2806 Leitsätze, 70. Er ist überzeugt, die Wirtschaft habe „weithin den Zug des Dienstes am Leben der Gesamtheit verloren“. 179 Ebd., 72. Diese Kritik an einem eigengesetzlichen Kapitalismus zieht sich leitmotivisch durch sein gesamtes Werk. So prangert er in 3111 Gemeinschaften, 28 ein „zügelloses Rentabilitäts­ wollen“ an und fragt in 2917 Christentum, 135 nach der Menschenwürde, die er angesichts der Tatsache bedroht sieht, „daß die Sachen stärker werden wollen als wir“ – womit Althaus ein Motiv des Schweizer Religiösen Sozialisten Hermann Kutter aufnimmt. Zum Einfluss Kutters auf Althaus vgl. Kap. II, 3.1. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Sozialismus als Wirtschaftsweise“ ein „unsachlicher Doktrinarismus“ ist, für den sich christliche Ethik nicht einsetzen könne180. Die wirtschafts- und sozialpolitische Synthese aus der Einsicht in die Ge­ gebenheiten und der gleichzeitigen Kritik an ihnen besteht für Althaus im Vorhandensein eines starken Staates, der imstande ist, den Ordnungsrahmen der Wirtschaft nach den Grundsätzen von Freiheit und Solidarität zu gestalten. Der Staat bedürfe der „Stärke gegenüber den Wirtschaftsgewalten“ zur „Gestaltung eines Wirtschafts-. Eige­ntums- (Bodenrecht!) und Arbeitsrechts, das zwar die ‚Eigengestaltigkeit‘ der Wirtschaft nicht verletzt, aber ihre eigengesetzliche Verabsolutierung hemmt und ihre Kräfte in den Dienst am Leben des Volkes zwingt.“181

Ebenso fordert er vom Staat, dass er durch das „Eigentums- und Steuerrecht die Besitzunterschiede in Schranken halte und durch solche Gesetzgebung zugleich der sozialen Verpflichtung des Eigentums einen klaren Ausdruck gebe.“182 Damit dies aber möglich ist, muss der Staat nach Althaus starker, autoritärer Staat sein. Den liberalen Staat der Weimarer Demokratie sieht er angesichts der so­ zialen Probleme der Gesellschaft scheitern: „Es ist ein Unglück für den Staat, wenn seine soziale Lage jeweils einfach durch den dynamischen Ausgleich miteinander ringender Stände und Mächte gestaltet wird. Der Staat muß als eigener starker Wille zur Gerechtigkeit und Gesundheit sich über den Mächten geltend machen. […] Es bedarf eines für das Ganze des Volkes verantwortlichen Willens, jenseits des Spieles der Interessen und Gewalten.“183

Eine entscheidende sozialpolitische Rolle im weiteren Sinne misst Althaus nicht nur dem Staat, sondern auch der Kirche bei: „Sie ist Gemeinde nur dann, wenn sie in ihrer Verfassung und allen ihren Ordnungen die sozialen Unterschiede aus ihrem eigenen Wesen heraus durchkreuzt. Dann kann sie auf ihrem Boden die durch Arbeitsteilung und Besitzunterschiede Getrennten wahrhaft zusammenbringen“.

Gleichzeitig hat die Kirche nach Althaus eine „christlich-soziale Aufgabe“, „für größere Selbständigkeit, Würde, Mitverantwortung des Arbeiters auch inner 180 Ebd. 181 Ebd., 73. 182 Ebd., 70. Für ihn kann es „kein ‚absolutes‘ Eigentum“ geben, weil dieses „uns zum Dienste aneinander“, für eine „freie Verantwortung der Liebe für einander“ gegeben ist. Im Blick auf die christliche Haltung zum Eigentum schreibt er: „Die Besitzgesinnung des Christen wird also ‚kommunistisch‘ sein“, wobei er im gleichen Atemzug die Ablehnung des kommunistischen Gleichheitsgedanken hervorhebt (2806 Leitsätze, 69 f.). 183 2502 Haltung, 158. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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halb des Wirtschaftslebens selber einzutreten“ und dadurch „insofern seinen ‚Klassenkampf‘ handelnd [zu] bejahen, zumal sie weiß, daß soziale Unfreiheit vielfach die Möglichkeit eines eigenen Lebens und damit des Lebens vor Gott erstickt.“184 Damit aber benennt Althaus einmal mehr sein eigentliches, sein volksmissionarisches Anliegen auch in wirtschaftlich-sozialen Fragen. Mit seinen sozialpolitischen Positionen, die der sozialistischen Kritik am Kapitalismus vielfach Recht geben, vertritt Althaus andere Ziele als die von ihm lange Zeit favorisierte DNVP, die sich dezidiert als Interessenvertretung der Großgrundbesitzer und der Schwerindustrie versteht. In Althaus’ wirtschafts- und sozialpolitischer Haltung in seinen beiden Ethik-Lehrbüchern 1928 und 1931 fällt bei aller Fortführung gegenüber früheren Positionen eines auf: Das betont nationale Element tritt zurück185. Entsprechend seiner allgemein stärkeren Fokussierung auch auf den Menschheitsgedanken spricht Althaus 1931 nun auch von der Wirtschaft als dem „Mittel für das Leben eines Volkes bezw. der Menschheit“186. Vertrat Althaus zu Beginn der 20er Jahre noch so etwas wie einen „nationalen Sozialismus“, so nehmen seine Ausführung nun eher die Züge einer „sozialen Marktwirtschaft“ an, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland tragend wurde. 4.7 Zusammenfassung Althaus erhofft und erstrebt mit der Mehrzahl der protestantischen Eliten nach dem Zusammenbruch des Jahres 1918 die Renaissance eines christlichen Staates, dessen Gesetzgebung der von Kirche und Theologie maßgeblich interpretierten christlichen Tradition Deutschlands entsprechen soll. Er hofft mit seiner Staatskonzeption auf einen christlichen deutschen Nationalstaat für das christliche deutsche Volk. Dieser soll zum einen nach innen das Staatsvolk re­ligiös und sittlich durchdringen und zum anderen mit seiner Christlichkeit nach außen in die Welt ausstrahlen187. Volksmissionarisches und weltmissionarisches Anliegen verbinden sich bei ihm an diesem Punkt. 184 3108 Ethik, 117. 185 So fällt auch der damals allseits so vielverwendete Begriff „Volksgemeinschaft“ in seinen beiden Ethik-Lehrbüchern nicht. 186 3108 Ethik, 115. 187 Vgl. 3113 Botschaft, 488, wo es heißt: „Die Botschaft vom Reiche im Sinne des Neuen Testaments ist das Kostbarste, was dem Abendlande anvertraut ist. Diese Botschaft ist es der ganzen Welt schuldig. […] Es ist uns oft bewegend in dieser Zeit der Lebensnot des Mutterlandes der Reformation, wie die fremden Völker weithin warten auf den Dienst gerade der deutschen evange­ lischen Christenheit. Das gilt nicht zuletzt auf in bezug auf unsere deutsche evangelische Theo© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Dass Althaus die DNVP, von der er sich die Synthese von christlichen und nationalen Werten am ehesten erhofft hatte, zu dem Zeitpunkt verlässt, als sich die nationale Zielsetzung der Partei unter Hugenberg verselbständigte, ist für ihn, in dessen Wesen der Kirchenmann immer die Oberhand über den national denkenden Menschen behält188, folgerichtig. Zum gleichen Zeitpunkt fängt Althaus an, einer eigenen evangelischen Partei trotz schwerster prinzipieller Bedenken, die die Kirche gerade „über den Parteien“ sehen, ein bedingtes Recht einzuräumen, weil er erkennen muss, dass mit dieser neuen DNVP kein christlicher Staat zu machen ist. Man könnte auch sagen: Das Abdriften „seiner“ Partei vom Volkstums- zum völkischen Denken macht Althaus nicht mit. Er bleibt deutschnational in jenem althergebrachten Sinn, wie er von den Völkischen als rückwärtsgewandt und unzeitgemäß verhöhnt wird189. Zu dieser christlich-nationalen Staatsgesinnung schreibt Tanner: Der legitime Aufgabenbereich des Staates soll auch „das Innere, die Gesinnung der Volksglieder umfassen. Er wird zum Subjekt von Prozessen der Erziehung und Verwirklichung von Sittlichkeit, Einheit und organischer Gemeinschaft sowie zum Träger von nationalen Kulturgütern erhoben. […] Durch die Theologisierung des Staats- und Volksdenkens werden die Verbindlichkeitsforderungen des Politischen gesteigert zum Anspruch auf gesinnungsmäßige, innere Vergemeinschaftung.“190

Deutlich zum Ausdruck bringt Althaus dies in einem Vortrag über den „Staat als Aufgabe“ Anfang 1931: „Wir hoffen auf den Staat, wo sich das Volk wieder zu tiefer Weltanschauungsgemeinschaft zusammenfindet. Wir wollen ringen um eine neue Weltanschauungseinheit unseres Volkes“.191 Als dieser neue Staat kommt, der sich als „Weltanschauungsgemeinschaft“ versteht und alles Leben in Deutschland – nicht selten auf gewaltsame Weise – danach ausrichtet, will ihm Althaus zumindest in der Frühphase seine öffentliche Zustimmung nicht verweigern. Nachdem Althaus bereits in „Staatsgedanke und Reich Gottes“ 1923 implizit die Relevanz der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre für ein deutsches Staatslogie. In Amerika z. B. fragt man nach aller Verweltlichung des Christentums heute lauter denn je nach der wirklichen Botschaft des Neuen Testaments und ruft dabei nach Anleitung durch die deutschen Reformationskirchen.“ Althaus hegt große Hoffnung auf „ein sich aus der Bibel erneuerndes christliches Europa“, das für ihn zum „Christophorus, Christusträger für andere“ im Rahmen werden soll. Sein christlich-deutsches Sendungsbewusstsein entwickelt Althaus hier in einem gesamteuropäischen Rahmen. 188 Vgl. Althaus’ Kritik an Stapel und Gogarten in 3505 Ordnungen, 35, wo sich das Verhältnis umkehrte. 189 Zur Abgrenzung der Völkischen von den Deutschnationalen vgl. Kap. IV, 3.3.1. 190 Tanner, Verstaatlichung, 258. 191 3101 Staat, 392. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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verständnis aufzeigen konnte, spricht er Ende der 20er Jahre nun explizit von „Luthers Staatslehre“, der eine entscheidende Rolle bei der Ausbildung einer spezifisch deutschen Sozialethik und Staatsgesinnung zukomme. Mit dieser „Aufwertung der lutherischen Theologie als Auslegerin kultureller Substanz“192 kann Althaus sein Fach und damit sich selbst in die vorderste Front im Kampf gegen den Individualismus und Atomismus der als zerrissen empfundenen deutschen Gesellschaft und für eine sittlich-religiös fundierte Integration und Homogenisierung Deutschlands bringen. Dazu schreibt Tanner: „Unter der Voraussetzung, die deutsche Kultur unterscheide sich von der Westeuropas wesentlich durch ihr lutherisches Erbe, verstehen sich lutherische Theologen wie Karl Holl, Reinhold Seeberg, Emanuel Hirsch, Paul Althaus und Heinz-Dietrich Wendland als Hermeneuten und Verwalter der sittlichen Grundlagen des Gemein­ wesens. Die besondere Aufgabe der Theologie im Organismus der Wissenschaften sehen sie darin, jene Werte, die durch die nationale Geschichte gegeben und aufgegeben sein sollen, als Legitimationsbasis für das politische System als sachliche Integrationsfaktoren für die Volksgemeinschaft verbindlich auszulegen.“193

Damit aber gelingt es Althaus, eine neue Relevanz von Kirche und Theologie für Volk und Gesellschaft zu proklamieren, mit der man dem drohenden „Zusammenbruch des Luthertums als Sozialgestaltung“ (Georg Wünsch) begegnen konnte. Dadurch war zugleich die kirchlich-theologische Antwort auf den zunehmenden säkularisierungsbedingten Plausibilitätsverlust der Religion überhaupt gefunden. Kehrseite dieser Relevanzbeimessung war eine Delegitimierung des Parteienstaates der Weimarer Republik. Denn indem an die Stelle der kaiserzeit­ lichen Koalition von Thron und Altar die neue Koalition von Volk und Altar trat, musste der Staat sich in den idealistischen Vorstellungen der protestantischen Leitkultur-Theologen wie Althaus nun gezwungenermaßen eben dieser Koalition unterordnen. Christliche Werte und nationale Interessen sollten den alleinigen Maßstab staatlichen Handelns bilden. Angesichts solcher christlichnationalen Einheitskultur aber war für Pluralismus und diskursive Entscheidungsfindung, wie sie für eine Demokratie unerlässlich sind, kein Raum194. Die demokratische Streitkultur wird als sozial nicht akzeptables Parteien­gezänk 192 Tanner, Verstaatlichung, 194. 193 Ebd., 265. 194 In diesem „Leitideal eines neuen nationalen Kulturstaates“ sieht Tanner, Verstaatlichung, 258 daher eine implizite Kritik der pluralistischen Gesellschaft von Weimar und damit der Demokratie überhaupt. Auch wenn unter den Theologen „keine explizite Verfassungsdebatte“ geführt wurde, beinhaltet dieses Leitideal doch „notwendig verfassungspolitische Optionen […], die auf eine Revision der tragenden Elemente der Weimarer Reichsverfassung von 1919 hinausliefen“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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betrachtet, das der deutschen Konsenskultur im Rahmen der „Volksgemeinschaft“ entgegenstehe. Mit anderen Worten leuchten bei Althaus sämtliche Alarmsignale, die vor Individualismus und Egoismus warnen, wenn er mit dem Thema „Demokratie“ konfrontiert wird195. Diese Ablehnung der Weimarer Republik erscheint umso plausibler, wenn man den Umstand in Rechnung stellt, dass die neue Staatsform der parlamentarischen Demokratie auch für Althaus letztlich nichts anders darstellte als eine von den Weltkriegssiegern den Deutschen zwecks deren politischen Schwächung übergestülpte Staatsform. Somit dachte auch er bei Weimarer Republik immer auch an Versailles und damit an die verlorene Ehre und die Schmach des eigenen Vaterlandes. So schreibt er im Rückblick 1936: „Die Regierung und Verfassung von damals war auch Ausdruck und Mittel deutscher Entwürdigung und Verkümmerung.“196 Die Sehnsucht nach einem starken und frommen Staatsmann an der Spitze des Staates, der im Gegensatz zu den ständig wechselnden Regierungen der Weimarer Republik Konstanz und Stabilität garantieren sollte, dürfte nicht zuletzt dadurch Nahrung erhalten haben. Ein Gott verantwortliches, autoritäres Führertum schwebte Althaus vor, der sich dabei am alten Reichskanzler Bismarck orientierte und dieses Ideal ab 1925 auf den neuen Reichspräsidenten Hindenburg als guten Protestant projizierte. Von entscheidender Bedeutung für Althaus’ Staatsauffassung ist seine Charakterisierung des Staates als Volksstaat, der sich an der ihrem tiefsten Wesen nach göttlich gesetzten „Volkheit“ zu orientieren hatte. Dass dieser Begriff starke antidemokratische Implikationen besaß, ist leicht nachvollziehbar, wenn man sich klar macht, dass jene „Volkheit“ das eigentliche Gegenüber der Regierung bzw. des führenden Staatsmanns oder „Führers“ sein sollte, und nicht etwa das Staatsvolk gemäß Weimarer Reichsverfassung. Weil die „Volkheit“ als ihrem tiefsten Wesen nach theonom aufgefasst wurde, erlangte diese metaphysische Größe bei Althaus den Rang eines Maßstabes für die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit einer Staatsform. Die Weimarer Republik als „religionsloser Staat“ war für Althaus im Blick auf die Theorie der Weimarer Reichsverfassung nicht grundsätzlich das Problem. Voraussetzung für eine wahre Obrigkeit war für ihn als Theologe allerdings, dass sich eine solche als theonom verstand und entsprechend handelte, weil für ihn wahre Autorität nur eine von Gott abgeleitete sein konnte, die in ein gottgegebenes und gottverantwortliches Amt mündete, das in den entscheidenden 195 So schreibt er in 3607 Obrigkeit, 56 vom „individualistisch-demokratischen Egoismus“, der einer christliche Lebenshaltung widerstrebe. 196 3607 Obrigkeit, 51 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Fragen von fehlbaren menschlichen Mehrheitsverhältnissen unabhängig sein sollte. Althaus’ „tiefe Sorge“ gilt der „Profanisierung“ und „Verwelt­lichung des Staates“197. Der demokratische und pluralistische Staat der Weimarer Republik, der sich selbst nicht als theonom verstand – Belege waren für Althaus der politische Umgang mit den Fragen nach dem Strafrecht und nach der Bekenntnisschule – und auch nicht verstehen konnte, konnte somit der Althausschen conditio sine qua non für wahre Obrigkeit nicht ent­sprechen198. Die Tatsache, dass die junge Republik den immensen innenpolitischen (politische Gewalt, Klassenkampf ), außenpolitischen (Revision von Versailles, schnelle Wiedererlangung der Gleichberechtigung) und wirtschaftspolitischen (Hyperinflation, Weltwirtschaftskrise)  Herausforderungen schlecht oder gar nicht gewachsen war, war für Althaus der entscheidende Hinweis auf einen schwachen Staat und dies wiederum schien in seinen Augen auf eine unge­ eignete, d. h. eine nicht göttlich legitimierte, Obrigkeit schließen zu lassen. Ein starker Staat war in seinen Augen aber allein schon dafür nötig, um den wirtschafts- und sozialpolitischen Ordnungsrahmen für so etwas wie eine soziale Marktwirtschaft als angemessenes Wirtschaftssystem der Volksgemeinschaft zu stecken. Rein theologisch gesehen, konnte für Althaus nur ein starker Staat seiner Funktion als gottgegebenes Amt zur Abwehr von Chaos und Satan nachkommen199. Entsprechend der Untrennbarkeit von theologischer und politischer Haltung bei Althaus, war die Weimarer Republik somit aus beiden Blickwinkeln auf Dauer unmöglich. Aus dieser Überzeugung hat Althaus gegenüber seinen Studenten, Lesern und Predigthörern keinen Hehl gemacht und dadurch seinen Teil zur Destabilisierung der Demokratie beigetragen. Wie schon beim Volkstum, ist auch Althaus’ Anschauung vom Staat als göttlicher Ordnung in hohem Maße ambivalent. Denn auf der einen Seite wird dieser als theonome Institution in seiner Bezogenheit auf das Reich Gottes religiös-theologisch aufgeladen und überhöht. Auf der anderen Seite wird er dem ebenfalls theonom verstandenen Volk als Diener desselben untergeordnet, was ihn rein praktisch begrenzt. Die entscheidende Begrenzung erfährt er aber durch die Theonomie selbst, von der aus eine Staats- und Sozialkritik nach dem Grundsatz von Apg 5,29 erfolgt und somit keinerlei Absolutheitsanspruch des

197 3101 Staat, 392. Er ergänzt dazu: „Ohne Begründung im Heiligen kann aber der Staat nicht leben“. 198 Auf ähnliche Probleme mit der Demokratie weist Nowak, Protestantismus, 8 bei Bon­hoeffer hin: „Noch Dietrich Bonhoeffer hat den ersten Satz der Weimarer Verfassung ‚Alle Gewalt geht vom Volke aus‘ als ‚grundsätzlich falsch‘ abgelehnt. […] Im Satz von der Volkssouveränität sei die theologische Wahrheit bedroht, daß alle Autorität ihre Vollmacht von Gott habe“. 199 Zur protestantischen Denkfigur vom starken Staat vgl. Nowak, Protestantismus, 9. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Staates zulässt. Auch der Staat gehört für Althaus zu den vorletzten Dingen, was eine Gehorsamspflicht ihm gegenüber relativiert. So sehr Althaus also für einen autoritären Staat eintrat, so sehr grenzte er sich auch von einem totalitären Staat ab. Wer einem solchen totalen Staat das Wort redete, konnte sich auf Althaus nicht berufen. Dies hat der Erlanger Theologe auch nach 1933 in seinen Veröffentlichungen zum Ausdruck gebracht. Bedroht sieht Althaus die gottgegebene Ordnung des Staates nicht nur durch dessen Schwäche und dadurch bedingten Unfähigkeit zu wahrer Obrigkeit – diesen Vorwurf machte er der Weimarer Republik –, sondern auch ganz allgemein und theologisch gesehen durch die immerwährende Gefährdung aller Ordnung durch die Sündhaftigkeit des Menschen. Der „Antichristgedanke“ gewinnt in Althaus’ Theologie zunehmend an Bedeutung. Konsequenterweise baut Althaus das Revolutionsrecht zu einem „Ethos der Revolution“ aus200. Auf Althaus konnten sich am Ende der Weimarer Republik rein theoretisch und rein theologisch sowohl diejenigen berufen, die in ihr zwar eine schlechte, aber immerhin eine Obrigkeit sahen, als auch diejenigen, die die Weimarer Republik überwinden wollten – freilich letztere mit mehr Anhalt bei Althaus. Weil seine Haltung in der Frage des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit und des Revolutionsrechts konsequenterweise auch nach 1933 die gleiche blieb, konnte man sich im „Dritten Reich“ im gleichen Maße auf ihn berufen. Dass Althaus’ praktische und politische Haltung gegenüber der Weimarer Republik, deren Ablehnung er an vielen Stellen implizit und explizit zum Ausdruck brachte, und gegenüber dem „Dritten Reich“, dessen mindestens anfängliche Zustimmung er mutatis mutandis in gleichem Maße erkennen ließ, seine theologische Haltung überformte, ist evident. So heißt es bei ihm 1935 im Rückblick auf die Zeit der Weimarer Republik: „In einer Zeit, die alle Ordnungen in Frage stellte, verkannte und zersetzte, hat die Theologie einen entschlossenen Kampf geführt gegen den individualistischen und kollektivistischen Angriff auf die Einehe, gegen die verantwortungslose Verhütung und Abtreibung der Frucht, gegen den liberalkapitalistischen und den marxistischen Geist in der Wirtschaft und Gesellschaft, gegen die Entleerung des Staates, gegen pazifistische Verweichlichung des politischen Ethos, gegen die Zersetzung des Strafrechtes und die Preisgabe der Todesstrafe – in alledem für die Ordnung Gottes als Richtmaß menschlicher Gestaltung des gemeinsamen Lebens.“201

200 Über Althaus schreibt Otto Piper in der Zeitschrift „Evangelisch-Sozial“ 1931, 138: „Er ist meines Wissens der erste lutherische Theologe, der sich vorbehaltlos zum Recht auf Revolution bekennt“. 201 3505 Ordnungen, 42. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Wenngleich dieses geballte negative Bild der Weimarer Zeit und die Betonung der positiven Rolle der Kirche in dieser Zeit dem apologetischen Anliegen Althaus’ geschuldet ist, der damit die Relevanz und Leistungsfähigkeit von evangelischer Kirche und Theologie gerade auch für die neue Zeit des „Dritten Reiches“ hervorkehren will, so gewinnen wir aus diesen Worten doch eine pointierte Zusammenfassung seiner Gefühle dem immer nur als Übergangsnotlösung betrachteten Weimarer Staat gegenüber. Seinen Studenten, Lesern und Predigthörern machte Althaus deutlich, dass er sich nicht mit der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik anfreunden konnte. Seine kritischen Äußerungen waren demzufolge für seine Rezipienten angesichts der enormen politischen Belastungsprobe durch die Weltwirtschaftskrise geeignet, im neuen Staat nicht mehr als ein Notbehelf auf dem Weg zu wahrer, d. h. christlich-sittlich durchdrungener, Volksgemeinschaft in einem starken und den Krisen der Zeit gewachsenen und sich theonom verstehenden Volksstaat zu sehen. Insofern vermittelte er seinen Lesern und Hörern das Gefühl, in der Weimarer Republik als einer „Übergangszeit“202 und damit „zwischen den Zeiten“ zu leben.

202 Dieser Begriff fällt bei Althaus in 2807R Piper, 135; und 2905R Brunstäd, 141. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

5. Paul Althaus und die „Judenfrage“ Ein Problemfeld des Strebens nach einer christlich-nationalen Einheitskultur und die Nagelprobe auf jede Volkstumstheologie ist in der Zeit der Weimarer Republik und des „Dritten Reiches“ ohne Zweifel die sogenannte „Judenfrage“. Für Paul Althaus und seine Volkstumstheologie spielt der zu seiner Zeit in Deutschland und Europa so virulente Antisemitismus zunächst keine große Rolle. Abgesehen von gewissen bereits kaiserzeitlich weitverbreiteten antisemitischen Klischees, die auch er verinnerlicht hat und die zumindest einmal in seinem Schrifttum während des Krieges aufblitzen1, befasst sich Althaus erst Ende der 20er Jahre mit der damals in der Öffentlichkeit so heiß debattierten sogenannten „Judenfrage“. Unter dieser verstand man seit den 40er Jahren des 19.  Jahrhunderts im Wesentlichen die Frage nach der Durchführungsmöglichkeit von Assimilation und Emanzipation der Juden in Deutschland bzw. in den deutschen Kleinstaaten und in den anderen europäischen Staaten. Die Beantwortung hing von der Erwünschtheit oder Unerwünschtheit von Integration und Gleichberechtigung der Juden ab2. Umstritten war dabei die Frage, ob es neben der subjektiven auch eine objektive „Judenfrage“ gab. In der Annahme einer objektiven Judenfrage, d. h. der tatsächlichen „Problemhaftigkeit jüdischen Daseins in nichtjüdischer Umwelt“3, kamen Antisemiten und Zionisten, die beide die Fremdheit des jüdischen Volkes unter den anderen Völkern problematisierten, überein. Die Mehrheit der assimilierten Juden jedoch sah sich sowohl durch Antisemitismus als auch Zionismus in ihrer Identität als jüdische Deutsche infrage gestellt und herausgefordert. So blieb die „Judenfrage“ auf deutscher, aber auch auf deutsch-jüdischer bzw. jüdischer Seite lange umstritten.

1 Vgl. Kap. IV, 5.3. 2 Dazu schreibt Hecht, Juden, 33: „Das deutsche Emanzipationskonzept lief der sozialen Integration als Ziel insofern zuwider, als es durch seinen prozessualen Charakter dazu führte, dass über die Emanzipation als solche jahrzehntelang immer wieder öffentlich debattiert wurde. Die ‚Judenfrage‘ blieb dadurch […] ‚eine Angelegenheit starken öffentlichen Interesses, und dieses Interesse hatte notwendig eine isolierende und damit der allmählichen Eingliederung der Juden entgegen­ arbeitende Tendenz‘.“ 3 So Hans Tramer im Vorwort zu Blumenfeld, Judenfrage, 11; zur objektiven „Judenfrage“ vgl. ebd., 54. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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5.1 Jüdische Identität und Antisemitismus in Deutschland und Europa seit dem 19. Jahrhundert Antisemitismus ist ein schillernder Begriff. Von Antisemitismus ist laut S­ tefan Breuer dann zu sprechen, wenn aus dem bloßen Affekt der Judenfeindschaft „ein ‚Ressentiment‘ wird, eine ‚dauernde psychische Einstellung‘ vorwiegend negativer Art“, die zur Artikulation und Kommunikation und damit zur „Vergesellschaftung“ drängt. Antisemitismus ist für ihn damit „ein Affekt, welcher rationalisiert wird“, ein breites Phänomen, „das sich mit den unterschiedlichsten wertrationalen Einstellungen, Präferenzen, Glaubensüberzeugungen und materiellen Interessen zu verbinden vermag“4. Mit diesem weiten Begriff des Antisemitismus, der gegenüber dem Oberbegriff der vorreflexiven „Judenfeindschaft“ ein hohes Maß an Reflexion, Systematisierung und Ratio­nalisierung – die sich bei näherem Hinsehen freilich als Irrationalisierung entpuppt – aufweist, wird auch im Folgenden gearbeitet. Dieser Antisemitismus wird verstanden als soziokulturelle Judenfeindschaft und beschreibt „ein Geflecht ökonomischer, kultureller, moralischer und politischer Vorurteile gegen Juden“5. Anti­ semitismus ist demzufolge primär eine säkulare Form der Judenfeindschaft, die im naturalistisch-biologistischen Rassenantisemitismus gipfelt. Daneben soll für die rein religiös motivierte und biblisch-theologisch begründete Zurückweisung des Judentums als nichtchristliche Religionsgemeinschaft, die historisch bereits mit der urchristlichen Loslösung des Christentums vom Judentum einsetzte, der herkömmliche Begriff „Antijudaismus“ verwendet werden6. Beim modernen Antisemitismus, der in Nazideutschland seinen mörderischen Höhepunkt gefunden hat7, handelt es sich um ein gesamteuropäisches Phänomen. Antisemitismus verband sich im 19. Jahrhundert häufig mit dem 4 Breuer, Völkischen, 26 f. 5 Töllner, Frage, 25. 6 Mit dieser Differenzierung soll nicht die historisch feststellbare Reziprozität von Antijudaismus und Antisemitismus übergangen werden. Die von Marikje Smid 1990 in ihrer Untersuchung „Protestantismus 1932/1933“ vorgeschlagene Untergliederung in „rassisch motivierten Antisemitismus“, „gesellschaftlich-kulturelle Judenfeindschaft“ und „christlichen oder theologischen Antijudaismus“ (ebd., 204–207) weist zwar eine prinzipiell zu begrüßenden Differenzierung auf, vermag aber nicht zu überzeugen. Zu sehr wird hier der Antisemitismus auf den Rassenantisemitismus enggeführt und dabei außer Acht gelassen, dass der Rassenantisemitismus nicht von seinen soziokulturellen Implikationen getrennt werden kann. 7 Wenn man sich bei der historischen Beschäftigung mit dem Phänomen des Antisemitismus vor dem Holocaust auch nie von dem Wissen um diesen freimachen kann, so warnt Töllner, Frage, 22 doch zurecht vor einer Geschichtsschreibung, in der „die Perspektive der Judenvernichtung in der Shoa in die vorangehende Geschichte rückprojiziert wird“ und die damit allzu simplifizierende Kontinuitätslinien zieht. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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aufkommenden Nationalismus, dem es um Integration nach innen und Abgrenzung nach außen zu tun war. Für den gesamteuropäischen Kontext sei nur an die Dreyfuß-Affäre 1894 in Frankreich, an das ab etwa 1900 die antisemitischen Weltverschwörungstheorien beflügelnde Pamphlet „Die Protokolle der Weisen von Zion“ des russischen Geheimdienstes und an die Judenpogrome 1919 bis 1921 in Polen und der Ukraine8 erinnert. In allen Fällen wurde den Juden von antisemitischer Seite das Etikett der religiösen, sozialen und zunehmend auch der ethnischen Andersartigkeit und Fremdheit angeheftet. Für das in Deutschland allgemein verbreitete Judenbild und speziell das Judenbild des Protestantismus hält Wolfgang Heinrichs als „wesentliche Entwicklung des Kaiserreichs“ fest, „daß Juden im Protestantismus zunehmend nicht mehr religiös verstanden, sondern zugleich als spezifisch ethnische Gruppe fixiert werden“9, die „neben und außer den anderen Nationen einen Sonderstatus besitze und nicht einfach in die vorhandenen Nationalstaaten integriert werden könne“10.

Willibald Steinmetz urteilt über dieses Phänomen: „Sie, die sich traditionell als ‚Volk‘ aufgrund göttlicher Auserwählung und gemein­ samer Abstammung definiert hatten, wurden nun von den nicht-jüdischen Deutschen folgerichtig zu ‚Fremdvölkischen‘ gestempelt, die aus der primären politischen Gemeinschaft, eben der Volksgemeinschaft, sukzessive ausgeschlossen und schließlich vernichtet wurden.“11

Für das Verständnis der Judenfeindschaft in Deutschland und des sie mit­ tragenden Volkstumsdenkens ist ein kurzer Überblick über das jüdische Selbstverständnis und jüdische Identität vor und nach der Emanzipation, diesem Paradigmenwechsel in der Eigen- und Fremdwahrnehmung der Juden unter den Völkern, vonnöten. Bis zur Emanzipation lebten die Juden in aller Regel als sozial, kulturell, religiös, rechtlich und ethnisch abgesonderte Gruppe. So schreibt Cornelia Hecht: „Die Existenz einer nationalen Eigenart war innerjüdisch zu diesem Zeitpunkt noch unumstritten. Ihre Heimatlosigkeit, ihr Leben in der Diaspora kompensierten sie durch ein ethnozentristisches Abstammungsbewußtsein. Jeder Jude gehörte der jüdischen Nation ‚durch Geburt und Pflicht‘ an.“ 8 Vgl. Hecht, Juden, 164. 9 Heinrichs, Judenbild, 695. „Alle Judenbilder“, so Heinrichs, „scheinen für die protestantisch bürgerliche Gesellschaft Identitätsfragen auszudrücken […]. Sie bringen damit die Krise des Bürgertums, mithin die Krise der Moderne zum Ausdruck“ (ebd., 694). 10 Ebd., 549; zum ethnisch zugespitzten Judenbild im Kaiserreich vgl. ebd., 576–581. 11 Steinmetz, Nation, 288. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Diese Selbstwahrnehmung strahlte auch auf die die Juden ausgrenzende Umwelt ab und verstärkte dadurch die eigene Identität: „Die Juden wurden als Fremde empfunden, galten der christlichen Umwelt als separate nationale Gemeinschaft, und sie empfanden sich selbst als Volk im Exil.“12 Welche Rolle spielte nun für das in Deutschland stets von latenter oder manifester Judenfeindschaft angefochtene jüdische Leben und für die jüdische Identität der Antisemitismus? „Vor der Emanzipation war die Judenfeindschaft noch nicht in der Lage, das Selbstverständnis von Juden grundsätzlich in Frage zu stellen, da sie nur bedingt abhängig waren von der Anerkennung durch die christliche Umwelt und sich selbst als Fremde empfanden. Vor der Moderne hat die Judenfeindschaft […] die jüdische Identität eher gestärkt als geschwächt. Erst mit der Aufklärung, Emanzipation und Akkulturation erfuhr die jüdische Deutung der Judenfeindschaft einen tief greifenden Wandel.“13

Elementarer Bestandteil des Emanzipationsprozesses waren von jüdischer Seite zu erbringende soziale und kulturelle – und je nach Emanzipationskonzept unter Umständen auch religiöse – Anpassungsleistungen. Das Judentum war dadurch auf der Suche nach einer neuen Identität, zumal im 19. Jahrhundert im Gefolge der allgemeinen Säkularisierung Religion nicht mehr die zentrale Rolle spielte. „Mit der Konfessionalisierung des Judentums und der Akkulturation war ein neues Selbstverständnis einhergegangen […]. Aus Juden in Deutschland waren deutsche Juden, jüdische Deutsche […] geworden. Ihr Denken und Handeln war nun von den Einflüssen der Umwelt, der deutschen Kultur, den Werten, Normen und moralischen Standards der bürgerlichen Gesellschaft bestimmt.“14

Begleitet wurden Assimilations- und Emanzipationsprozess vom andauernden und immer wieder von judenfeindlicher Seite instrumentalisierten Diskurs über die „Judenfrage“, der die neue Identität der Juden als jüdische Deutsche permanent in Frage stellte. 12 Hecht, Juden, 30.  Zum ethnozentristischen Abstammungsbewusstsein im Judentum vgl. Dorn, Rassenbewußtsein, 391. 13 Hecht, Juden, 31. 14 Ebd., 33. „Nach der Emanzipation“, so Hecht, „wurde die Frage nach der Identität oder dem Selbstverständnis deutscher Juden deshalb relevant, weil Juden sich nun nicht mehr nur dem jüdischen Kollektiv zugehörig fühlten, sondern der nichtjüdischen Umwelt“ (ebd., 38). Brenner, Religion, 587 bemerkt zu diesem Transformationsprozess: „Während im traditionellen Judentum Religions- und Nationszugehörigkeit unzertrennbar miteinander verbunden waren, wurde das Judentum von den Vertretern der Emanzipation als reine Konfession betrachtet. Als Gegenleistung für die rechtliche Gleichstellung war die Mehrzahl der west- und mitteleuropäischen Juden zur Aufgabe aller Elemente, die an eine nationale jüdische Existenz erinnerten, bereit.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„War zuvor die jüdische Religion als Begründung angeführt worden, weshalb Juden nicht Staatsbürger werden konnten, wurde nun überdies ihre angeblich schäd­liche Wirkung auf das Wirtschafts-, Gesellschafts- und Kulturleben ins Feld geführt. Je weiter Akkulturation und sozio-ökonomischer Aufstieg voranschritten, je offensichtlicher deutsche Juden Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe erhoben, umso massiver wurden erneut die Angriffe und Ausgrenzungsversuche. […] Den Intellektuellen jüdischer Herkunft wurde schließlich eine zersetzende Wirkung auf Kunst, Kultur und Presse unterstellt.“15

Mit der Reichgründung 1871 wurde die „Judenfrage“ zwar juristisch, bei weitem aber nicht mental und sozial gelöst. Dies wurde durch den verstärkten Antisemitismus im Gefolge des Gründerkrachs 1873 sogleich deutlich16. Im Prozess der deutschen Nationsbildung erlangte der Volksbegriff auf der Suche nach einer deutschen Identität immer stärkere Bedeutung, das Volk wurde zum nationsstiftenden Faktor. Neben der Vorstellung einer gemeinsamer Kultur, Sprache und Geschichte spielte vor allem die angenommene gemeinsame Abstammung eine zentrale Rolle. Ähnlich wie vor der Emanzipation bei den Juden sollte die kollektive deutsche Identität nun durch einen „ethnischen Gemeinsamkeitsglauben“ (Stefan Breuer) gestiftet werden, einem Gemeinsamkeitsglauben, der nicht selten für die Juden keinen Platz im Deutschtum vorsah. Diese wurden nunmehr nicht nur als religiöser, sondern auch – unter Anknüpfung an voremanzipatorische jüdische Identität – als ethnischer Fremdkörper gesehen. Eine nochmalige Zuspitzung erfuhr diese ethnische Ausgrenzung mittels Fremdgruppenhomogenisierung durch die Verbindung des Volkstumsdenkens mit den vermeintlich wissenschaftlich fundierten Rassentheorien, die als Rassenantisemitismus schnell Verbreitung fand. Auf diese Weise konstruierten Rassenantisemiten einen jüdisch-germanischen Rassengegensatz, die Juden wurden zum Gegenvolk gestempelt. Dies hatte für die Frage nach der jüdischen Assimilation weitreichende Konsequenzen. Wurde vorher für die Aufnahme der Juden in den deutschen „Volkskörper“ die vollständige Assimilation gefordert, wurde nun, so Cornelia Hecht, ein „unüberwindbarer Gegensatz zwischen Deutschtum und Judentum“ postuliert: „Der moderne Antisemitismus als postemanzipatorische Bewegung stellte nicht weniger als die Emanzipation selbst in Frage. Er postulierte eine Andersartigkeit oder rassische Eigenart der Juden, nach der sie grundsätzlich gar nicht anpassungsfähig, 15 Hecht, Juden, 33 f. 16 Stern, Kulturpessimismus, 10 kommt sogar zu dem Urteil: „Hätte es nach dem DeutschFranzösischen Krieg in Deutschland nicht die Gründerzeit und den Gründerkrach, in Frankreich nicht den Panamaskandal gegeben, so wäre es sehr viel schwieriger, ja vielleicht sogar unmöglich gewesen, solche Anklagen gegen das Judentum und die Modernität vorzubringen.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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also assimilierbar sein sollten. Im Gegensatz zur voremanzipatorischen Zeit wandte sich der moderne Antisemitismus nicht gegen Menschen, die sich als Fremde, sondern die sich als Deutsche, als Einheimische verstanden. Anders als die Judenfeindschaft der Vormoderne war er in der Lage, das Selbstverständnis deutscher Juden in Frage zu stellen, indem er nicht nur ihr Judentum diffamierte, sondern was zunächst noch schlimmer erschien, ihr Deutschtum bestritt und ihre Zugehörigkeit zur deutschen Nation in Abrede stellte.“17

Auf diese Weise blieb die „Judenfrage“ bis zu ihrer mörderischen „Endlösung“ in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts ein Dauerthema in der deutschen Öffentlichkeit, das die Juden in ihrer Identität dauerhaft anfocht. „Individuell konnte der Einzelne die ‚Judenfrage‘ für sich durchaus lösen. Als solche war sie damit keinesfalls beseitigt, weil die Judenfeindschaft die Pauschalisierung zum Prinzip erhob. Für die nichtjüdische Umwelt waren die Juden ‚anders‘. Auf diese Etikettierung reagierten deutsche Juden, wobei die antisemitischen Fremdbilder in unterschiedlichster Weise Einfluß auf die Selbstbilder deutscher Juden nahmen. […] Der Antisemitismus warf für Juden zwangsläufig die Frage auf, was das Judentum war  – eine Konfession, ein Volk, eine Abstammungs- und Schicksalsgemeinschaft, eine Nation? – und was sie daran band.“18

Diese Frage aber wurde in einem Zeitalter zunehmender Säkularisierung in steigendem Maße drängend. So konstatiert Hecht: „Das Selbstverständnis der Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft als Juden zeichnete etwas aus, was als unterschiedlich stark ausgeprägte jüdisch-kulturelle Erlebnis- und Erfahrungsgemeinschaft bezeichnet werden könnte. Das Fundament dieser Erfahrungsgemeinschaft war […] das von den meisten geteilte Bewusstsein einer gemeinsamen Abstammung und einer spezifischen gemeinsamen Geschichte“.19

Zwei Richtungen rangen innerhalb des Judentums in der Frage nach der jüdischen Identität miteinander: Auf der einen Seite die Mehrheit derjenigen, die die Zukunft und Identität der Juden in der möglichst vollständigen Assimilation an die Völker, unter denen sie lebten, suchten; auf der anderen Seite die stärker werdende Minderheit der nicht Assimilierungswilligen und Zionisten, die sich erneut, wie vor dem Emanzipationsprozess, als eigenes jüdisches Volk betrachteten, das entweder als Volk für sich weiterhin in der „Zerstreuung“ leben oder sich einen eigenen jüdischen Nationalstaat in Palästina als „Wieder-

17 Hecht, Juden, 36 f. 18 Ebd., 39. 19 Ebd., 41. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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geburt des jüdischen Volkes auf dem eigenen Boden“20 errichten sollte. Der Zionismus, der sich als „revolutionäre Antwort auf die Judenfrage“ verstand, forderte die assimilierten Juden zum „Rückweg aus fremder Kultur und Geisteshaltung zu den Werten und Kräften des eigenen Volkes“ auf21. Dazu diente ihm auch die Gründung einer eigenen „Jüdischen Volkspartei“. Der seinerseits vom europäischen Nationalismus beeinflusste und auf dessen ausgrenzenden Antisemitismus reagierende Zionismus verstärkte dadurch die nichtjüdische Einschätzung der Juden als „Fremdkörper“ unter den Völkern zusätzlich: Die Juden wurden zunehmend als Fremdkörper betrachtet und sahen sich zugleich selbst als fremdes Volk innerhalb der europäischen Staaten22. Ein „positives Wir-Gefühl als nationales und kulturelles Kollektiv“ half vor allem der jungen, „postassimilatorischen“ Generation, „eine affirmative Haltung gegenüber ihrer jüdischen Identität“ einzunehmen, einer Identität, die nicht mehr vom Antisemitismus bedroht werden konnte: „Das ewige ­Schielen nach der Gunst und dem Wohlwollen der deutschen Majorität wurde damit hinfällig.“23 Trotz der auch unter den Juden fortgeschrittenen Säkularisierung darf nicht die Religion als jüdischer Identitätsfaktor unterschätzt werden. Die religiöse Sichtweise, der es um die Erhaltung und Reinhaltung der jüdischen Religion ging, betrachtete das Judentum als bedrohte Minderheit unter den Völkern. Dieser Bedrohung wollte man mit geeigneten Mitteln begegnen. So wurde 1929 eine „Konferenz für jüdische Bevölkerungspolitik“ einberufen, auf der unter anderem die Zurückdrängung der Mischehe gefordert wurde24. So blieben in den 20er und 30er Jahren sowohl ein die Juden ausgrenzender Antisemitismus als auch ein die Juden integrierender Zionismus nicht ohne Folgen für das jüdische Selbstverständnis der Assimilierungsbefürworter: 20 Blumenfeld, Judenfrage, 131. 21 Hans Tramer im Vorwort zu Blumenfeld, Judenfrage, 12. Beispielhaft für diese Haltung ist die Selbstvorstellung des Zionisten Blumenfeld: „Ich stamme aus einer jüdischen Familie deutscher Kultur“ (ebd., 27). Diese zionistische Bewegung aber, „die das Nationale im Judentum auf ihre Fahnen geschrieben hatte“, war nach Brenner, Religion, 590 eine „ungeheure Provokation für die akkulturierten Juden Mitteleuropas. […] Hatten die integrationswilligen Juden im 19. Jahrhundert das Nationale über Bord geworfen, so riefen die Zionisten ebenjenes Element zurück“. 22 Die Assimilation wurde dementsprechend von der nationaljüdischen Warte aus vielfach als „Entnationalisierung“ verstanden und der „moderne Antisemitismus“ konnte „als indirekte Folge der durch die Emanzipation aufgeworfenen Probleme hingestellt“ werden (Steinmetz, Nation, 280 f.). 23 Hackeschmidt, Blumenfeld, 264. 24 Zu den Zielsetzungen schreibt Salzberger, Mischehe, 29, dieser Konferenz gehe es darum, „eine großzügige und umfassende Sozial- und Bevölkerungspolitik an der in ihrem Bestand bedrohten deutschen Judenheit ins Werk zu setzen, da die Mischehe aufs engste mit zahlreichen anderen Krankheitserscheinungen verknüpft ist und sich nur mit ihnen zugleich bekämpfen läßt“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Selbst der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens entfernte sich immer weiter von seiner ursprünglich rein konfessionellen Selbstdefinition. So schrieb sein Direktor Ludwig Holländer 1929: ‚Wir werden heute nicht mehr den Grundsatz aufrechterhalten, daß es lediglich die Religion ist, welche die Juden eines Landes von ihren Mitbürgern unterscheidet. Wir sehen heute wie immer entscheidend im Judentum eine religiöse Gemeinschaft, aber wir erkennen wohl, daß auch der Gesichtspunkt der Schicksals- und Stammesgemeinschaft bedeutsame Bindungen erzeugt […]. [Die] religiösen Gesichtpunkte haben sich innig gesellt und vermählt mit Gesichtspunkten der ‚Stammesgemeinschaft‘, der ‚Schicksalsgemeinschaft‘ und mit anderen kulturellen Erscheinungen, die […] nun einmal innerer seelischer Bestandteil derjenigen Menschengruppe geworden sind, die sich heute ‚Juden‘ nennen.‘“25

Neben dieser mehr und mehr ethnisch bestimmten Selbstsicht des Judentums findet sich unter dem Eindruck der modernen Rassenbiologie auch eine rassisch konnotierte. Neben Erich Fromm und Walther Rathenau nennt ­Brenner erneut den liberalen Juden Ludwig Holländer, der 1929 schreibt: „Die Ab­ stammung [von den Juden der Bibel] ist geblieben, d. h. die rassischen Merkmale sind noch vorhanden, wenn auch durch die Jahrhunderte gemindert, sie sind im äußeren, und sie sind im geistigen vorhanden.“26 Nach Brenner „versuchten auch jüdische Ärzte auf wissenschaftlicher Grundlage die Existenz jüdischer Rassemerkmale nachzuweisen“ und sprachen von den „Juden als einem homogenen Rassentyp.“27 Vor dem Hintergrund dieser seit Beginn des europäischen Emanzipationsprozesses spannungsgeladenen jüdischen Selbstwahrnehmung zwang vor allem ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die antisemitische Fremdwahrnehmung die Juden, sich mit ihrer eigenen Identität auseinanderzusetzen. Für den Antisemitismus in Deutschland konstatiert Breuer: „Die öffentliche Artikulation von Judenfeindschaft, sei es im Sinne eines religiöstheologisch argumentierenden Antijudaismus, sei es im Sinne eines säkular begründeten Antisemitismus, datiert in Deutschland nicht erst seit der Nationalstaatsgründung von 1871 oder dem Börsenkrach von 1873. Gleichwohl markieren diese beiden Ereignisse eine Schwelle, weil sich seitdem die Diskussion über die sogenannte ‚­Judenfrage‘ mit den Diskursen über die Gestaltung des Nationalstaats und seines Verhältnisses zur religiösen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnung verknüpft. Aus der Perspektive des religiösen Feldes, das in dieser Zeit in Deutschland wie auch in einigen anderen Ländern eine Revitalisierung erlebt […], erscheint der neue Staat als potentieller Träger einer umfassenden Offensive gegen den ‚Geist der 25 Brenner, Religion, 597. 26 Zit. nach ebd., Religion, 599. 27 Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Zeit‘, der als irreligiös und materialistisch, auf jeden Fall im Gegensatz zum ‚Geist Gottes‘ befindlich gilt: Züge, die von prominenten Repräsentanten dieser Richtung […] dem ‚modernen Judentum‘ zugeschrieben werden – notabene: dem modernen Judentum, denn der zu führende Kampf wird nicht so sehr als Religionskrieg vorgestellt, denn als Kampf um Religion, der im Judentum eine der Hauptstützen des Säkularismus treffen will.“28

Während das Judentum von nationalistisch-antisemitischer Seite abgelehnt wurde, weil man die unter großen Mühen zustande gebrachte innere Einheit der „verspäteten“ deutschen Nation gefährdet sah, betrachtete man von kirchlich-antijudaistischer Seite die Christlichkeit des deutschen Volkes, d. h. die christliche Leitkultur und den Einfluss der Kirchen, als durch den imaginierten „zersetzenden“ jüdischen Einfluss in Gefahr. Beide antijüdischen Stoß­ richtungen sahen im Judentum in erster Linie eines: einen Fremdkörper im christlichen, deutschen Volk, wobei je nach Motivation mehr das christlich oder mehr das deutsch betont wurde. Einig war man sich darin, die geistigen Bewegungen der Aufklärung, die mit dem Hinweis auf den Menschheitsgedanken das Volkstum und mit der Säkularisierung und damit der Relativierung des Religiösen die Kirche in Frage stellen, den Juden zuzuschreiben29. Die An­ klagen lauteten daher auf Internationalismus und Unchristlichkeit, die sich mit den althergebrachten antisemitischen Klischees des Zinswuchers und der A-Sozialität verbanden und sich bis hin zu Weltverschwörungstheorien steigerten. Sehr wirkmächtig wurde im Protestantismus der Antisemitismus des Berliner Hofpredigers Adolf Stoecker. Dieser unternahm erste Versuche, mit Anti­ semitismus Politik zu machen, und engagierte sich parteipolitisch. Während der letzten beiden Jahrzehnte des 19.  Jahrhunderts entstanden im deutschen Kaiserreich neben- und nacheinander mehrere dezidiert antisemitische Splitterparteien, denen jedoch keine nennenswerten Wahlerfolge beschieden waren. Immerhin ist ihre Existenz aber ein Hinweis darauf, dass die „Judenfrage“ und der Antisemitismus ein – wenn auch noch randständiges – Thema der Politik wurden. Erst nach dem verlorenen Weltkrieg rückte das Thema Antisemitismus verstärkt in den Fokus der Politik und wurde von rechtsradikalen Parteien aufgegriffen. Eine neue Qualität bekam der Antisemi 28 Breuer, Völkischen, 28; Hervorhebungen von Breuer. Er schreibt weiter: „Durchmustert man die antisemitische Publizistik des Reichsgründungsjahrzehnts, so scheint es keine Frage zu geben, die sich bei näherer Prüfung nicht als Ausdruck der Judenfrage entpuppt.“ (ebd., 29). 29 So sieht auch Thamer, Protestantismus, 220 f. auf kirchlicher Seite „kulturpessimistische Vorstellungen und Ängste“ und Kirchenvertreter, „die im Judentum das Prinzip der Moderne, der Säkularisation und des Liberalismus verkörpert sahen und die meinten, mit dem Kampf gegen das Judentum zugleich den Weg zurück zur Religiosität des christlichen Volkes finden zu können“; vgl. Jochmann, Gesellschaftskrise, 150. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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tismus nach Breuer durch die Verbindung mit der auf dem Vormarsch befindlichen Rassenideologie: „Als sich gegen Ende des Jahrhunderts Rassenanthropologie, Degenerationstheorie und selektionistische Soziobiologie verbinden, wird es möglich, ein eigenständiges, gegenüber dem Volks- und Nationsbegriff distanziertes Konzept von Rasse zu ent­ wickeln, so daß auch erst seitdem von Rassismus und Rassenantisemitismus im strengen Sinne die Rede sein kann.“30

Kämpften im Weltkrieg deutsche Juden und Christen im Schützengraben noch Seite an Seite für Kaiser und Vaterland31, wurden die antisemitischen Stimmen nach der Katastrophe von 1918 wieder laut, als man nach den „wahren“ Schuldigen suchte. Schnell wurden von völkischer Seite die Juden sowohl für Niederlage und Revolution, als auch für die als „undeutsch“ empfundene, Deutschland von den Siegern aufgezwungene Weimarer Republik und für den als entwürdigend empfundenen Versailler Vertrag verantwortlich gemacht32. Der Begriff der „Judenrepublik“ machte die Runde, der Antisemitismus wurde zum „Mittel im Kampf gegen die Republik“33. Als weitere Faktoren für den „qualitativen Wandel des Antisemitismus nach Kriegsende“ nennt Hecht die Radikalisierung der antisemitischen Propaganda bereits in den letzten beiden Kriegsjahren, die Brutalisierung der Gesellschaft durch den Krieg und das Nachkriegschaos, sowie die „Verstörung weiter Bevölkerungskreise“ durch die andauernde politische und sozio-ökonomische Krisensituation, die beim Versuch der Krisenbewältigung dazu führte, „dass Nachkriegschaos, Verarmung, Hunger und Arbeitslosigkeit nur allzu bereitwillig einem Sündenbock mit Tradition angelastet wurden: den Juden.“34 Ein nochmaliger Steigerungsfaktor für den Antisemitismus war aber nicht nur die Ablehnung der westlichen Demokratie, sondern gerade auch die Furcht vor dem Bolschewismus, der mit seinem totalitären Regime seit der Revolution in Russland an der Macht war und kommunistische Revolutionsbestre-

30 Breuer, Völkischen, 32. 31 Vgl. Hecht, Juden, 55–72. 32 Vgl. ebd., 65–97. 33 Ebd., 89. So konstatiert Hecht: „Das Schicksal der deutschen Juden war mit dem Schicksal Deutschlands, dem Schicksal der Weimarer Republik, dieses ungeliebten und nur widerwillig ­akzeptierten demokratischen Nachkriegstaates, in mehrfacher Hinsicht innigst verbunden. Die Republik hatte den deutschen Juden die rechtliche Gleichstellung gebracht. Ihre Schwäche hatte zugleich einen Antisemitismus aufkommen lassen, der das Fundament der Emanzipation nicht nur in Frage stellte, sondern schon die faktische Gleichstellung zu unterminieren begonnen hatte.“ (ebd., 407). 34 Ebd., 13. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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bungen auch in Deutschland vorantreiben half. Aus der Tatsache, dass führende Köpfe des Kommunismus bzw. Bolschewismus wie Karl Marx oder Lenin jüdische Vorfahren hatten, konstruierten völkische Antisemiten eine jüdische Welt­verschwörung, die es in Wahrheit mit dem Kommunismus zu bekämpfen gelte35. Die Morde 1919 an dem Anführer der bayerischen November­revolution und anschließenden, von den Arbeiter- und Soldatenräten gewählten, bayerischen USPD-Ministerpräsident Kurt Eisner sowie 1922 an Reichsaußenminister Walther Rathenau, beides Juden36, waren neben politischen Motiven nicht zuletzt auch antisemitisch motiviert. Abgesehen von diesen prominenten Opfern, schreckten gewaltbereite Antisemiten besonders in den schweren Jahren der Weimarer Republik generell nicht mehr vor Gewalt­taten gegen jüdische Einrichtungen und gegen Juden zurück37. Trotz dieser dauerhaften, zumindest latenten Bedrohungskulisse wurde bis zum Herbst 1930 „der Antisemitismus der Rechten selbst in politischen Kreisen im großen und ganzen kaum ernst genommen.“38 Werner E. Mosse konstatiert diese Unterschätzung der Gefahr auch auf Seiten jüdische Politiker. Erst ab 1929 wurde die „Judenfrage“, die „in der Weimarer Republik nur eine Randerscheinung darstellte, ein Abfallprodukt des Machtkampfes sowie ein untergeordnetes Symptom des tiefliegenden Unbehagens im deutschen Volkskörper“ schließlich „akut“39. „Erst die Weltwirtschaftskrise, die zu verschärfter Unzufriedenheit auf wirtschaft­ lichem, sozialem und politischem Gebiete führte, schuf die Voraussetzungen, unter denen die wilde Judenhetze der Hitleranhänger an die Stelle des herkömmlichen Antisemitismus treten konnte. Der bisher ‚gemäßigte‘ Antisemitismus machte aus Sympathie oder als Reflex diese Radikalisierung mit.“40

„Der antisemitischen Agitation war es gelungen“, so fasst Hecht zusammen, „das Ressentiment von den Straßen ins gesellschaftliche Leben hineinzutragen. 35 Natürliche Bundesgenossen fanden die Völkischen in ihrem Kampf gegen den Kommunismus in den Kirchen, die die Bedrohung des Christentums am Beispiel der bolschewistischen Auslöschung des Christentums in Russland vor Augen hatten. 36 Zu den Morden an Eisner und Rathenau als Ausdruck des Judenhasses vgl. Hecht, Juden, 80 f.138–157. 37 Vgl. ebd., 99 f.163–205. Besondere Bekanntheit erlangte das Berliner Scheunenviertel­ pogrom am 5.11.1923; vgl. ebd. 177 ff. 38 Mosse, Niedergang, 17. Zur tragischen Unterschätzung Hitlers durch viele deutsche Juden vgl. Blumenfeld, Judenfrage, 165.199–207. 39 Mosse, Niedergang, 40. 40 Ebd., 30.  Nach Bierbrauer, Sozialpsychologie, 179 sind dabei sozialpsychologische Faktoren in Rechnung zu stellen: „Ethnozentrisch-autoritäre Tendenzen werden besonders in Zeiten ökonomischer und sozialer Bedrohung virulent.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Damit drang der Antisemitismus in die alltägliche Lebenswelt ein.“41 Endgültig mit der Machtübernahme Hitlers 1933 „erhielt der Antisemitismus eine neue Schubkraft […], wenn auch in den ersten Monaten der Machtergreifung noch nicht deutlich erkennbar war, daß gerade die deutschen Juden Gegenstand einer Politik der Ausgrenzung und Entrechtung sein würden.“42

5.2 Das Verhältnis von Christentum und Judentum bei Althaus Bedenkt man die Ambivalenzen in Althaus’ Volkstumsbegriff, so wundert es nicht, dass er auch in seinem Verhältnis zum Judentum eine ambivalente Haltung einnimmt. Bestimmt ist diese Haltung in erster Linie dadurch, dass er frommer Christ, theologischer Lehrer und Mann der Kirche ist und als solcher vom Wahrheitsgehalt des christlichen Glaubens überzeugt ist. Für ihn ist die „jüdische Frage“, so äußert er sich 1932, „mehr als ein profanes völkisches Problem, sie hat theologische Tiefe. Die Christenheit war selber lange Zeit der Verweltlichung der Judenfrage durch das Zeitbewußtsein verfallen. Heute stehen wir in rückläufiger Bewegung.“43 Die nächste Zukunft sollte den hoffnungsvollen Althaus eines Besseren belehren. Jedoch zeigt sich darin, dass seine Stellung zum Judentum zuerst und grundlegend theologisch qualifiziert ist, daneben aber auch weltanschaulich, insofern auch er unter dem Eindruck des mehr und mehr antisemitisch vergifteten geistigen Klimas der Weimarer Republik Ende der 20er Jahre eine Offenheit für antijudaistische und antisemitische Ideologeme an den Tag legte. 5.2.1 Der heilsgeschichtliche Zusammenhang zwischen Judentum und Christentum und die bleibenden Erwählung Israels Für die theologische Beurteilung des Verhältnisses von Christentum und Judentum sind für Althaus Zeit seines Lebens drei Grundannahmen leitend: Zunächst betont er die heilsgeschichtliche Bedeutung der Gottesoffenbarung in der Geschichte Israels. So erklärt er 1926 seinen volkstumsbewegten und völkischen Zuhörern auf der bereits erwähnten Tagung der Fichte-Gesellschaft: 41 Hecht, Juden, 403. 42 Thamer, Protestantismus, 219. 43 3211 Römer, 100. Daher wollen in seinen Augen die Kapitel 9–11 des Römerbriefs „auch als Wort zu Israels Schicksal in unserem gegenwärtigen Ringen mit der Frage des Judentums neu gehört und bedacht sein“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Wir dürfen, wenn wir nicht Verrat an dem edelsten Erbgut des deutschen Volkes üben wollen, nicht verleugnen, daß das Schicksal der deutschen Seele Christus ist und kein anderer. Das ist unsere Gebundenheit an den unbedingten Herrn, der nicht überall gleichmäßig zu finden ist, der sich in der Geschichte des Volkes Israel, in der Geschichte Jesu offenbart hat wie nirgend sonst.“44

Auf dieser Linie bleibt Althaus, wenn er in seinem Vortrag vor dem Kirchentag 1927 seinen alttestamentlichen Lehrer in Göttingen, Rudolf Smend, mit den Worten zitiert: „Was machen sich die Leute denn viele Mühe, den Vorzug Israels vor den anderen Völkern des Orients lange zu beweisen? Israel ist doch wie das einzig wache Volk unter lauter Schlummernden, Träumenden!“45 Neben dieser offenbarungs- und geschichtstheologischen Bedeutung betont Althaus zugleich die religionsgeschichtlich-geschichtsphilosophische Bedeutung Israels: „Dieses Ineinander von heilsgeschichtlichem Verständnis der Offenbarung Gottes und Eschatologie ist ein wesentlicher Zug an dem, was Israels Einzigartigkeit unter den Völker seines Jahrtausends ausmacht. Hier, und nicht im griechischen Denken, liegen die Anfänge aller Geschichtsphilosophie. Die Geschichtsphilosophie lebt bis heute von den großen Gedanken der Propheten Israels.“46

Für diese Betonung der Offenbarung Gottes im Volk Israel hat Althaus zwei Gründe: Erstens glaubt er daran und will und kann diese christliche Glaubensüberzeugung nicht aufgeben. Zweitens entspricht es seinem eigenen Offen­ barungsverständnis und seinem Anknüpfungskonzept, wenn die göttliche Offenbarung den Anknüpfungspunkt für den Glauben an Jesus Christus bildet. Aus diesen Gründen mutet Althaus seinen Zuhörern, unter denen starke antijudaistische und antisemitische Affekte anzunehmen sind, eine solche Aussage zu – auch und gerade im „Dritten Reich“47. Sie entspringt, und damit kommen wir zur zweiten Grundannahme, der Althausschen Glaubensüberzeugung des heilsgeschichtlichen Zusammenhangs zwischen Judentum und Christentum. Dieser gehört für ihn zum unaufgebbaren Glaubensbestand des Christentums, was ihn 1919 sogar veranlasst, von einer „Blutsbruderschaft mit allen, die aus Gott geboren sind“ zu sprechen: „unser Gott! […] – wenn wir so bekennen, uns zusammenfassend mit dem Gottesvolk des Alten Bundes, so ist darin aller Reichtum der Heilsgeschichte Gottes, alle Be 44 Christentum und Nationalerziehung, 88. Zu dieser Tagung vgl. Kap. IV, 3.3.3. 45 2704 Volkstum, 135. Die Geschichte Israels bezeichnet Althaus hier als „Weissagung in durchaus unvergleichbarem Sinne“. 46 2409 Heilsgeschichte, 605. 47 Vgl. 3303 Wirklichkeit, 87 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ständigkeit seines Charakters, alle Majestät seiner erlösenden Taten an der Gemeinde und an dem Einzelnen beschlossen, die ganze Fülle seiner Liebe“48.

Auf diesen heilsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen Judentum und Christentum pocht Althaus 1921 auch gegenüber der damals bereits mehr und mehr nationalistisch aufgeladenen deutschen Jugend: „Ich weiß von einer großen Schar, aus allen Jahrhunderten, aus allen Völkern – […] hier ist der Heilige gegenwärtig; unter diesen Menschen ist er mir ganz nahe. […] Männer, die mit Gott einmal gerungen haben von Angesicht zu Angesicht, die von ihm geschlagen und gebunden und gezeichnet und gesandt sind, Abraham und Mose, Jesaja und Jeremia und die Propheten alle, Johannes und Paulus“49.

Untrennbar mit diesem Theologumenon ist bei Althaus drittens die sowohl historisch als auch theologisch begründete Überzeugung verbunden, dass Jesus Jude war. In einer Zeit, in der völkische, aber sich als christlich verstehende Kreise versuchten, dem auch von ihnen anerkannten und bekannten Heiland Jesus Christus sein Jude-Sein abzusprechen und ihm damit den Charakter der Zumutung für die Völkischen zu nehmen, gibt es für Althaus hierüber keinerlei Diskussion. So „mutet er seinen Zuhörern die Wahrheit zu, daß Christus zum Volk Israels gehört hat, ja das er Jude war“50. Für Althaus gehört 1924 zu einer „Theologie des Glaubens“ die Erkenntnis: „Glaube bedeutet die durch alles durchschlagende Gewißheit, daß dieser Jude des ersten Jahrhunderts, der redete, wie zeitgenössische Rabinnen auch wohl redeten, der seines Volkes Geschichts- und Weltbild teilte, daß dieser […] Mann die Vollmacht hatte und hat, im Namen Gottes Menschen an sich zu binden“.51

Der untrennbare Zusammenhang von Jesus Christus und Judentum kann bei Althaus auch in der Betonung der Solidarität Jesu mit seinem Volk zum Ausdruck kommen, wenn er 1923 schreibt: 48 1904 Erlebnis, 19; Hervorhebung von mir. 49 2103 Feuer, 6. 50 So Smid, Protestantismus, 292 über eine Predigt Barths, die im Dezember 1933 veröffentlich wurde und in der es heißt: „Christus gehörte zum Volk Israel. Dieses Volkes Blut war in seinen Adern das Blut des Sohnes Gottes. Dieses Volkes Art hat er angenommen, indem er das Menschsein annahm, nicht um dieses Volkes, nicht um des Vorzugs seines Blutes und seiner Rasse willen, sondern um der Wahrheit […] der Treue Gottes willen. Um deswillen, weil Gott mit diesem und nur diesem Volk, einem halsstarrigen und bösen Volk […] einen Bund geschlossen […] hatte – nicht um die Juden zu belohnen und auszuzeichnen, sondern um diese freie, gnädige Verheißung Gottes […] zu bestätigen, zu erfüllen, ist Jesus Christus ein Jude gewesen.“ (Barth, Kirche, 14). 51 2406 Theologie, 108 f.; vgl. 2805 Christologie, 215. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Er leidet nicht nur von Gottes wegen unter Israel, um Israel, sondern der Sohn verbindet die volle Hingabe an Gott und die völlige Solidarität mit Israel. Er leidet mit Israel. Er tritt unter seine Last. […] Das Leiden von Gottes wegen an und um Israel stellt ihn nicht seitab, sondern mitten unter sein Volk.“52

Dieses Jude-Sein Jesu war für Althaus auch in der Zeit des „Dritten Reiches“ eine Selbstverständlichkeit53. Die Überzeugung eines heilsgeschichtlichen Zusammenhangs zwischen Judentum und Christentum fußt bei Althaus – und das ist in dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit54 – in der theologischen Erkenntnis der bleibenden Erwählung und Sendung Israels durch Gott. Schon 1917 sprach Althaus diese Überzeugung in einem Vortrag aus: „Das Volk Israel darf einst der ganzen Welt zum Segen sein und sie zu Gott führen. ‚Die Heiden werden in deinem Lichte wandeln und die Könige im Glanze, der von dir ausgeht.‘ Das ist der Glaube an Israels Sendung.“55 Althaus’ Überzeugung von Israels bleibender Erwählung ist für den Erlanger Neutestamentler biblisch-theologisch begründet und fußt in den paulinischen Aussagen über das Verhältnis zum Judentum im Römerbrief. So findet sich in Althaus’ Römerbriefkommentar von 1932, der in den unsere Frage betreffenden Passagen in den weiteren drei Auflagen in der Zeit des „Dritten Reiches“ unverändert bleibt56, folgende Kommentierung zu Röm 11,16: „Niemand soll sich wundern, daß Paulus für Israel hofft. Die Erwartung von Israels Bekehrung hat wahrlich guten Grund. Gott hat das Volk in seinen Anfängen aus allen anderen sich zugeeignet – nun bleibt es für immer, auch heute, sein Eigentum vor allen anderen. […] Israel ist noch heute Gott heilig, sein Eigentum.“57 52 2302 Kreuz, 31. 53 Vgl. 3708 Kirche, 25. 54 So ist es für Thamer, Protestantismus, 220 „unübersehbar, daß zu Beginn der dreißiger Jahre die traditionelle christliche Lehre vom göttlichen Fluch dominierte, der nach der Ermordung Christi über die Juden gekommen sei“. 55 1707 Glaube, 8. Im gleichen Vortrag hebt Althaus gegenüber den Verfechtern einer Transformation des christlichen Glaubens hin zu einer Nationalreligion die religionsgeschichtliche Bedeutung Israels hervor: „Der Patriotismus als Religion – das ist nicht eine besonders vorgeschrittene, sondern eine besonders primitive Erscheinung der Religionsgeschichte. […] In der Geschichte Israels rechnen wir als religionsgeschichtlich wichtigste Epoche die Zeit, in der der Universalismus und mit ihm der Individualismus der Religion kräftig hervortreten. […] Nicht mehr nur ‚Israels Gott‘, sondern ‚mein Gott‘. Religionsgeschichtlich betrachtet stellt also die […] Verquickung von Religion und Patriotismus einen Rückschritt gegenüber dem jüdisch-christlichen Individualismus dar.“ (ebd., 7). 56 Die zweite Auflage erscheint 1933, die dritte 1935 und die vierte 1938. Erst zur fünften Auflage von 1946 nimmt Althaus einige wenige Änderungen zu dieser Passage vor. 57 3211 Römer, 95. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Den Grund dafür sieht Althaus bei Paulus in der Treue Gottes58 und im Gedanken des einmal „auserwählten Volkes“. „Paulus denkt gar nicht daran“, so Althaus zu Röm 9,9, „ihn überhaupt für nichts zu achten. Das Volk als leiblicher Zusammenhang bleibt ihm Träger der Verheißung. Gilt auch Heiden die Verheißung, so doch nur, indem sie in die Heilsgemeinde, das Israel Gottes, aufgenommen werden. Das Israel Gottes bleibt doch immer das Israel Gottes“59.

Mit anderen Worten: „Israel bleibt das Volk der Wahl und des Segens. Denn Gott nimmt seine Gnadengaben und seine Berufung nie zurück.“60 Nicht nur der Professor, auch der Prediger Althaus erinnert seine Gottesdienstbesucher stets an den heilsgeschichtlichen Zusammenhang von Christentum und Judentum, der in der göttlichen Erwählung Israels wurzelt. Klassischer Ort dafür ist die Weihnachtspredigt. Unter dem Titel „Das Geheimnis der Weihnacht“ entfaltet Althaus am 25. Dezember 1921 diesen Gedanken im Rahmen seiner eigenen Geschichtstheologie: „Gott handelt noch eine ganz andere Geschichte mit der Menschheit, seitab von der Weltgeschichte […]. Das ist die Geschichte, mit der er sich eine Gemeinde bereitet aus allen Völkern und Kulturen. Und diese Geschichte geht quer hindurch durch alle Weltgeschichte. Da läßt der Heilige Assur, Babel, Ägypten, Hellas, Rom abseits liegen und wählt sich ein geringes semitisches Volk, redet mit seinen Männern, wie er nirgends in aller Welt mit Menschen geredet hat […]. Und in alledem legt er diesem Volke wie keinem sonst die Sehnsucht und Gewißheit seiner hereinbrechenden Herrschaft ins Herz: von Jerusalem wird die Erkenntnis Gottes in die Lande gehen und Gottes gnädige Gerechtigkeit walten. Seht, nun gewinnen die Namen David, Judäa, Bethlehem mit einem Male Glanz. Was klein ist und gering geachtet in der Welt, das hat Gott erwählt, um seine innerste Geschichte mit der Menschheit zu walten. Nicht in Athen läßt er seinen Heiligen geboren werden, nicht in Rom, sondern im jüdischen Lande“61.

Indem Althaus als Systematiker, Neutestamentler und Prediger den heils­ geschichtlichen Zusammenhang des bleibend erwählten Judentums mit dem Christentum hervorhebt, bezeugt er die theologisch qualifizierte Bedeutung Israels für die Welt. Die Juden sind und bleiben für ihn das „auserwählte Volk“, ihnen ist von Gott eine besondere Sendung gegeben. Der in völkisch-rassistischen Kreisen verbreiteten Rede von den Juden als „Gegenvolk“ zum deut 58 Vgl. ebd., 23 f. 59 Ebd., 82 f.; Hervorhebungen von Althaus. 60 Ebd., 98. 61 2109P Geheimnis, 30. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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schen Volk ist bei Althaus somit von vorneherein der Boden entzogen62. Dem völkischen Sendungsbewusstsein, das die Deutschen als neues „auserwähltes Volk“ – bewusst anstelle der Juden – sah, hatte Althaus bereits früh eine Absage erteilt63. Beide Topoi, den der heilsgeschichtlichen Bedeutung der Gottesoffen­barung in der Geschichte Israels und den der bleibenden Erwählung, finden sich kombiniert in seinem Vortrag vor dem Kirchentag 1927 und in seinem Aufsatz „Das Evangelium deutsch“ von 193264  – bezeichnenderweise beide Male in apologetischer Auseinandersetzung mit der völkischen Bewegung. So kann es kaum verwundern, wenn Althaus in der Auseinandersetzung mit den radikalen Thüringer „Deutschen Christen“ von Heinrich Oberheid65 in einer Kampfschrift gegen ihn 1936 als „Judenchrist“ beschimpft wird66. 5.2.2 Die Entscheidung der Juden gegen Christus und die Vorstellung der Substitution Entsprechend seiner ambivalenten Haltung zum Judentum bleibt Althaus bei dem Gedanken der bleibenden Erwählung Israels nicht stehen. Den heils­ geschichtlichen Zusammenhang zwischen Judentum und Christentum kann Althaus – und dies gehört zu seiner Ambivalenz, zu seinem Denken in Gegensätzen – nicht nur unter dem positiven Vorzeichen für das Judentum, nämlich dem Gedanken der bleibenden Erwählung durch Gott, explizieren, sondern auch unter einem negativen Vorzeichen. So findet sich auch bei ihm an einer Stelle als Hapax Legomenon, die bis dato im Christentum traditionelle, für das Verhältnis von Christen und Juden verhängnisvolle antijudaistische Vorstellung der Substitution der Juden durch die Christen im göttlichen Heilsplan. So schreibt Althaus ab der 4. Auflage seiner Eschatologie 1933 im Zusammenhang der Zurückweisung des Chiliasmus: „Israel hat seine besondere und einzigartige Stelle im Heilsplan Gottes: die Kirche ist erbaut auf dem Grunde der Geschichte Gottes mit Israel. Die Kirche gründet in Israel 62 Explizit in 3515 Christentum, 5 f. 63 Vgl. 1707 Glaube, 11. 64 2704 Volkstum, 124; und 3206 Evangelium, 42 f. Die beiden Passagen sind identisch. Dort heißt es, die „rettende Offenbarung Gottes“ geschieht nicht überall, sondern „in einer bestimmten, einmaligen, besonderen Geschichte […], auf Grund von Erwählung eines Ortes und Volkes“. 65 Der nationalsozialistische Theologe und SA-Mann Heinrich Josef Oberheid war 1933 für eine halbes Jahr deutsch-christlicher Bischof von Köln-Aachen, ehe er Stabschef von Reichsbischof Müller wurde. 66 Oberheid, Christentum, 38. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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als dem erwählten Gottesvolke, aber Israel mündet auch in die Kirche. Die Kirche ist jetzt das Gottesvolk, das ‚Israel Gottes‘ (Gal. 6,16). Israel als das geschichtliche Volk ist seit Christus, in dem sein heilsgeschichtlicher Beruf sich erfüllt hat, keine theologische, ‚heilsgeschichtliche‘ Größe mehr.“67

Die hier erwähnte Substitutionsvorstellung verknüpft Althaus jedoch sogleich mit einer auf Paulus sich berufenden „Hoffnung einer kommenden großen Wendung ‚ganz Israels‘ zu Christus“, die dem „Rätsel der einzigartigen Selbstbehauptung Israels als Volk, die vielleicht als göttliche Aufbewahrung des Volkes für eine neue Stunde seiner Geschichte mit Christus verstanden werden darf“, einen theologischen Sinn verleiht68. Den alttestamentlich-jüdischen, politischen Messianismus sieht er dennoch seit Jesus Christus als abgetan. Mit seiner geschichtlichen Einordnung „seit Christus“ und mit seiner Hoffnung auf Israels „Wendung zu Christus“ spricht Althaus in seiner Verhältnisbestimmung von Judentum und Christentum einen weiteren Aspekt an, der für die christliche Beurteilung des Judentums von Beginn an eine unheilvolle Rolle spielte: die Verwerfung Jesu Christi durch die Juden. Althaus gebraucht in seiner theologischen Beurteilung des Judentums dieses wirkmächtige und weit verbreitete antijudaistische Klischee, das dazu geeignet ist, dem Judentum von christlicher Warte aus von vorneherein ein negatives Vorzeichen zu geben. Allerdings bemüht sich Althaus dabei – und das ist typisch für seine Argumentationsweise – um Differenziertheit und Fairness. Er ist sich der Ambivalenz und Schwierigkeit des Themas bewusst. So klärt er die Leser seines Römer­ briefkommentars auf über die „große[n] Spannungen“, die schon bei Paulus an­gelegt sind: „Gott der Treue, und: Gott der unerbittlich gerechte Richter; Israels Vorzug in Gültigkeit, und doch keine Bevorzugung im Gerichte; die menschliche Sünde im Dienste der Verherrlichung Gottes und doch zur Verantwortung gefordert. Wer von der christlichen Botschaft ein logisches System erwartet, wird enttäuscht. Das Gottes­ verhältnis des Menschen, von dem sie zu zeugen hat, sprengt in seiner lebendigen Wirklichkeit alle Begriffe, alles Entweder – Oder menschlichen Denkens.“69

Ausgehend von der historischen Tatsache, dass aus christlicher Sicht ein Großteil der damaligen Juden nicht zum Glauben an Jesus Christus bekehrt werden konnte, entwickelt Althaus unter einer damals weitverbreiteten Engführung der Geschichte Israels Aspekte der Beurteilung dieser „Entscheidung gegen

67 3308 Dinge, 301. 68 Ebd., 302. 69 3211 Römer, 24 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Christus“70. Zunächst trägt diese Entscheidung für ihn Schuldcharakter. So heißt es in einer Predigt vom Juni 1935 über Jak 5,9b: „Gottes Richten kann geschehen schon jetzt mitten in der Geschichte. Oft trifft Gottes Rache die Schuldigen, Menschen und Völker, bei Leibesleben, hier auf Erden. Wer könnte das jüdische Volk ansehen, ohne zu erbeben vor der Furchtbarkeit der ­Rache Gottes? ‚Sein Blut komme über uns und über unsre Kinder.‘ Ja, sein Blut ist über sie gekommen. Der ewige Jude wandert ruhelos durch die Geschichte, das Volk des Fluchs. Aber nicht nur an den Juden spüren wir Gottes Gericht“71.

In seinen Ethik-Lehrbüchern 1928 und 1931 vertritt Althaus die Vorstellung, der „tiefste Grund“ für die „Fremdheit jüdischer und deutscher Volksart“ sei „in der Gestaltung des äußeren Schicksals der Juden und der Prägung der jüdischen Geistigkeit durch die Ausstoßung Jesu zu erkennen.“72 In seinem Römerbriefkommentar schreibt Althaus 1932: „In der Gottesgeschichte Israels war die Begegnung mit Christus die entscheidende Stunde. Israels Schicksal, das äußere und das innere, ist entscheidend durch die Ausstoßung Jesu bestimmt. […] Der ‚ewige Jude‘, der sich und den Völkern, unter denen er lebt, keine Ruhe läßt, entstand, als Israel sich gegen Christus entschied. An Christus ist Israel gescheitert“73.

Als schicksalhaft unter einem „Fluch“ stehend ist für Althaus Israel das „zerstreute, heimatlose Volk, das überall bei den Wirtsvölkern die völkische Geschlossenheit sprengt und vielfach eine offene Wunde bedeutet“74. Althaus geht hier deutlich über das antijudaistische Klischee vom jüdischen Volk unter dem Fluch hinaus. Auch wenn es sich bei dem von ihm hier bemühten Bild der Juden als unter „Wirtsvölkern“ lebend – ein Bild, das die Juden in seiner 70 Zu dieser Engführung der Geschichte Israels schreibt Meiser, Althaus, 239: „Geschichte Israels wird hier, wie oft im Christentum, auf die Ablehnung Jesu reduziert; die Abwehrstellung der ersten christlichen Gemeinde gegen das damalige Judentum unberechtigt perpetuiert.“ 71 3609P Gott, 376. 72 2806 Ethik, 54. 73 3211 Römer, 100 f. Es ist ein Zeichen der abwägenden Herangehensweise Althaus’ an problematische Themen, dass er zur Metapher des „ewigen Juden“ in seinem Kommentar sowohl ein antisemitisches Buch als auch das Werk eines Juden zur Lektüre empfiehlt. Vom Philosophen Max Wundt nennt er „Der ewige Jude“ von 1926, vom Schriftsteller Franz Werfel „Paulus unter den Juden“ aus dem gleichen Jahr. Auch als Werfels Buch 1933 der Bücherverbrennung zum Opfer fällt und in der Folgezeit auf dem nationalsozialistischen Index der verbotenen Bücher steht, ist das für Althaus kein Grund, seine Literaturangabe zu streichen; so findet sie sich auch noch in den nächsten Auflagen 1935 und 1938. 74 Ebd., 101. Dieses „Aufsprengen“ der „völkischen Geschlossenheit“ will Althaus nicht negativ werten, im Folgenden interpretiert er es in einer für ihn eschatologischen Bedeutung als Hinweis auf das Gottesreich; vgl. Kap. IV, 5.2.3. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Konsequenz unweigerlich zu Parasiten stempelt – um ein Hapax Legomenon im Althausschen Werk handelt75, das zudem nicht weiter ausgeführt wird, so zeigt sich doch die Anfälligkeit des Neutestamentlers auch für antisemitische Ideologeme primitiverer Art, die ab Ende der 20er Jahre im Rahmen der Radikalisierung des Antisemitismus infolge der Weltwirtschaftskrise auch die gemäßigten Antisemiten erfassten76. Zugleich gibt Althaus hier ein Beispiel für die fließende Grenze zwischen religiös-theologisch motiviertem Antijudaismus und ideologisch-völkisch motiviertem Antisemitismus. So verbindet sich auch bei ihm, um mit Wolfgang Heinrichs zu sprechen, „die neue, im Zuge der Krise einsetzende Judenkritik mit dem traditionellen Klischee des ‚Ewigen Juden‘, jener fluchbeladenen, umgetriebenen, verachteten und gleich­ zeitig erbarmungswürdigen Existenz, die auf ihre Erlösung wartet.“77

Dem antijudaistischen Charakter seiner Grundüberzeugung von der schicksalhaften Verwerfung Christi durch die Juden zum Trotz belässt es Althaus nicht bei dieser allzu einfachen Sichtweise auf das Judentum. Er blickt theologisch tiefer und kommt zu differenzierteren Urteilen. Wichtig ist ihm vor allem, mit dem bequemen, aber theologisch falschen und gefährlichen Klischee von der jüdischen Kollektivschuld aufzuräumen, als sei Christus allein von den Juden ans Kreuz gebracht worden und als habe er allein aufgrund der Verwerfung durch sie sterben müssen – analog zu den göttlichen Propheten, die schon vor Jesus Christus sterben mussten. „‚Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind!‘“, zitiert Althaus in einer Rundfunkpredigt zum Karfreitag 1930 die Worte Jesu aus Mt 23,37. „Dieses Jerusalem ist aber nicht nur das jüdische Volk – hüten wir uns vor pharisäischem Hochmute!! –, es ist in der ganzen Menschheit da.“78 Freilich zeichnet für Althaus zunächst „das Volk, aus dem Christus kam“ verantwortlich für dessen Kreuzestod. 75 Das Wort findet sich bei Althaus nur im Römerbriefkommentar. Ein sehr ähnlicher Satz über das „zerstreute, heimatlose Volk“ findet sich auch im Abschnitt über das Judentum in 2806 Leitsätze, 55; und 3108 Ethik, 96 – jeweils ohne den Zusatz der „Wirtsvölker“. 76 Vgl. Mosse, Niedergang, 29 f.39 f. 77 Heinrichs, Judenbild, 544. „Das Symbol des ‚ewigen Juden‘ vereinigt“ für Heinrichs „im wesentlichen zwei Aspekte. Zum einen steht ‚der ewige Jude‘ als Gleichnis für die Strafe Gottes, die diejenigen trifft, der ihn mißachtet. […] Zum anderen stellt der ‚ewige Jude‘ einen bemitleidenswerten Zustand des Menschen dar, der Heilshandeln herausfordert. Beide Aspekte haben ihre theologische Klammer in dem ineinander verschränkten Gerichts- und Heilshandeln Gottes. […] Der ‚ewige Jude‘ ist ferner ein Oxymoron besonderer Art. Es ist gleichzeitig ein Beleg für Wandel und Unwandelbarkeit. Zieht er doch ruhe- und friedlos umher und versinnbildlicht gleichzeitig Ewigkeit. Als Bild für Israel steht er zwischen Fluch und Verheißung.“ (ebd., 675 f.). Diese Beobachtungen zur Metapher des „ewigen Juden“ gelten auch für die Althaussche Verwendung. 78 3001P Stimme, 162. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Und doch“, so Althaus weiter, „wer von uns anderen hätte das Recht, mit den Fingern zu weisen: ‚Ihr waret es!‘? Wer könnte die Stimme des Blutes Christi als ein Unbeteiligter anhören? Die Mächte, die ihn ans Kreuz brachten, sind sie nicht mitten unter uns, in uns selber lebendig? Es war nicht nur das jüdische Blut, das gegen ihn rebellierte, es ist das Empörerblut aller Menschheit, dessen Werkzeug ein Volk hat werden müssen. Wer sind denn die Verleugner, die Verräter, die an Jesus Enttäuschten […] – wenn nicht wir? Wir gerade in unserer bürgerlichen Ehrbarkeit, ja vielleicht gar Frömmigkeit, Kirchlichkeit! […] Christus wird immer wieder von der Menschheit gekreuzigt, gestern, heute, morgen“79.

Geht man die Karfreitagspredigten durch – und Althaus hat oft an Karfreitagen gepredigt –, so kehrt dieser Gedanke leitmotivisch immer wieder. So heißt es am 19. April 1935: „Israel hat in unser aller Namen gesündigt. Es ist – um mit Luther zu reden – unserer Sünde Diener gewesen. Oder wollte jemand sagen: Herr Jesu, wärest du zu uns Germanen nach Deutschland gekommen, wir hätten dich nicht gekreuzigt, wir wären dir als unserem Führer gefolgt […]. Kreuzigen wir diesen unbequemen Jesus nicht immer wieder auf unsere Art […]? Ja, sein Kreuz ist Judas Schuld, aber Judas Schuld ist unser aller Schuld. […] Gott kommt zu den Menschen mit dem Ernste seiner Liebe, werbend und einladend in seinem geliebten Sohn. Und die Antwort der Menschheit ist das Kreuz, das Leiden Gottes. ‚Hinweg mit diesem, kreuzige, kreuzige ihn.‘“80

Am Kreuz lässt sich nach Althaus nicht nur die Schuld der Juden erkennen, die Jesus Christus verstoßen haben, sondern immer zugleich auch unsere Schuld, die jeden Tag aufs Neue das Kreuz errichtet. Der hamartiologische Zusammenhang zwischen Christi Kreuzestod und unserer eigenen Sünde ist Althaus sehr wichtig81. Sein Antijudaismus hat seine Grenzen, und diese expliziert er seinen Lesern und Hörern auch. Ihm geht es nicht darum, die Juden hochmütig und abwertend als Negativfolie für christlichen Glauben zu präsentieren. So heißt es in einem Vortrag über „Jesus Christus“ vor Jugendlichen 1924: 79 Ebd., 163; Hervorhebung von Althaus. 80 3504P Sterben, 177 f. Ebenso predigt er an Karfreitag 1931: „Gott öffnet sein Herz voll ewiger Heiligkeit und Güte in diesem Jesus, und die Menschen antworten mit seinem Kreuze. Die Menschen, sage ich. Denn wir können unsere Hände nicht in Unschuld waschen: die Juden waren es allein. Ach nein. Derselbe Geist, der Jesus ans Kreuz brachte, ist auch in uns lebendig. Nicht nur das jüdische Blut, sondern das Blut aller Menschheit empört sich wider ihn, unser Hochmut, unsere Halbheit und Härte und Kälte. […] So zeugt sein Blut wieder uns alle. Er ist immer wieder der Gekreuzigte, er ist heute der durch uns Gekreuzigte.“ (3101P Kain, 57; Hervorhebung von Althaus). 81 So heißt es auch in einem Vortrag im September 1933 über „Toleranz und Intoleranz des Glaubens“: „Den Widerspruch Israels gegen den gekreuzigten Lehrer von Nazareth – wir tragen ihn in uns selbst, gerade auch als Germanen.“ (3308 Toleranz, 117). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Alle, die an seinem Tode schuldig waren, meinten auch für Gott zu leben, Hannas und Kaiphas, die Theologen und Führer Jerusalems, Petrus, der ihn verleugnete, und die Jünger, die ihn verließen. Aber das war das Ende ihres Lebens für Gott, daß sie den Sohn Gottes ans Kreuz schlugen. Wir bringen uns um die ganze Tiefe der Erkenntnis unserer Not, wenn wir die Juden, die Jesus ausstießen, als Menschen gemeiner Selbstsucht und gewöhnlicher Gottlosigkeit zeichnen. Nein! Es war die Frömmigkeit und Kirchlichkeit, es war religiöser und sittlicher Eifer, der Jesus ans Kreuz brachte. Und es ist heute nicht anders. […] Christi Kreuz ist das Gericht, das unsere Selbsttäuschung zerreißt und uns enthüllt, wie wir sind.“82

Zu den Schuldigen am Tod Jesu rechnet Althaus explizit nicht nur „die Theologen und Führer Jerusalems“ – er spricht an dieser Stelle nicht undifferenziert von den Juden –, sondern ebenso die Jünger und Christen heutzutage. Das Motiv ist für ihn gerade nicht Unglaube, wie den Juden antijudaistisch oftmals vorgeworfen wurde, sondern im Gegenteil religiöser Eifer. Der Begriff „Kirchlichkeit“ in diesem Zusammenhang ist ein Althaussches Leitmotiv, es kehrt immer wieder. Zum Ausdruck bringt er damit die theologische Einsicht, dass es nicht zuletzt der christlich-kirchliche Kleinglaube und Unglaube ist, der immer wieder aufs Neue das Kreuz errichtet. Auch noch so fromme Kirchlichkeit bewahrt vor der Sünde nicht, die man gemeinhin allzu bequem und einfach den Juden anlastete. So schreibt er 1923: „Weil wir gerade in unserer Religion an Gott freveln, […] weil wir gerade in der Frömmigkeit Gott vergessen und gerade durch die Theologie vor Gott zu fliehen suchen, weil gerade die Kirchlichkeit immer wieder zum Verrate an Gottes Geist wird – darum mußte der Sohn von Israel, im Namen Gottes, seines Tempels und Gesetzes, getötet werden. An diesem Kreuz zergehen alle Illusionen. Der Sohn stirbt durch die Religiosität und Sittlichkeit Israels.“83

Für Althaus ist die Tatsache der von jüdischer Seite forcierten Kreuzigung Jesu gerade kein Anlass zum Judenhass, sondern zur kritischen Selbstprüfung der Christen, die er in einer Schuldgemeinschaft mit den Juden sieht. Althaus geht noch einen Schritt weiter in seiner theologischen Deutung des Verhältnisses von Israels Schuld und dem Kreuzesgeschehen, indem er den altprotestantischen Gedanken der directio Gottes, d. h. der Indienstnahme des Bösen durch Gott, auf die „Sünde Israels“ anwendet: „Nicht nur trotz, sondern durch unser Böses schafft er Gutes.“84 „Die Sünde Israels muß das Kreuz, an 82 2404 Jesus, 12 f. 83 2302 Kreuz, 26; vgl. 3211 Römer, 23, wo er seinen Lesern nahelegt, Röm 2,17–29 „erst dann ganz verstanden“ zu haben, „wenn wir für ‚Judentum‘ ‚Kirchlichkeit‘ […] einsetzen.“ 84 2604 Dinge, 217. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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dem der Sohn Gottes vollendet wird, aufrichten. Die Schuld des Kaiphas und Pilatus hilft die Heilsgeschichte wirken.“85 Auch in seinem Kommentar zu Röm 11,11 vertritt Althaus diesen Gedanken, wenn er schreibt, „daß Israels Unglaube Jesus an das Kreuz gebracht und so zu seinem Versöhnerwerk für die ganze Welt gewirkt hat.“86 Nicht nur vor seinen akademischen Lesern gewinnt Althaus damit der Verstoßung Christi durch dessen Volk einen tieferen und versöhnlichen Sinn ab, sondern auch vor seinen Predigthörern und -lesern. So heißt es in einer Predigt über Röm 11,33–36 an Trinitatis 1935: „Christus ist da, die Welt ist hell geworden. Aber das verzweifelte Schicksal seines Volkes, Israels, das seinen Heiland kreuzigt und an ihm scheitert, verurteilt zum ewigen Juden! Paulus tröstet sich nicht damit: so sind die Juden gewesen, aber Gott ist doch eitel Liebe. Nein, er weiß: das Geheimnis von Israels Schuld ist auch ein Gottesgeheimnis. Gott wollte es so, wie es geschah.“87 Und weiter heißt es: „Wir kennen ja Gottes Herz. Wir wissen um seine heilige Methode: er führt das Dunkel von Golgatha herauf, er zwingt sein Volk zur Vollendung seiner Sünde, zu der schauerlichen Tat der Ausstoßung Jesu, er läßt alle Sinnlosigkeit und Ungerechtigkeit der Geschichte sich zusammenballen – aber siehe, es wird Ostern und Gott stellt durch das alles hindurch seinen Heiland lebendig der Welt hin zum König und Herrn! Abgründe am Karfreitag, aber keiner so tief wie der Abgrund der Weisheit und Liebe Gottes! […] Wer im Glauben mit dem Dunkel ringt und wartet, dem schenkt Gott wohl auch ein Erfahren. So hat er es dem Apostel Paulus geschenkt. Er bekommt einen Durchblick, er darf das Ende sehen, Gottes Ziel bei den dunklen Umwegen mit seinem Volke: ‚Ganz Israel wird selig werden‘; ‚Gott hat alle, Heiden und Juden, in Ungehorsam gehalten, auf daß er sich aller erbarme‘ (Röm. 11,26.32). Er hat seinen Plan gehabt auch bei dem scheinbar ganz Sinnlosen, und sein Plan war nur der Plan der Liebe […]. Der Gott, der – so scheint es – den einen liebt, den anderen haßt, er ist zuletzt der Allerbarmer.“88

Den Gedanken von Gottes Allerbarmen und Israels künftiger Seligkeit setzt Althaus der von ihm selbst angesprochenen Vorstellung des „ewigen Juden unter dem Fluch“ entgegen. Die anfängliche antijudaistische Tendenz zu Beginn der Predigt ist am Ende gänzlich relativiert. Diese aufrecht erhaltene Hoffnung für Israel bringt Althaus auch in einem Aufsatz 1924 zum Ausdruck:

85 Ebd., Anm. 1. 86 3211 Römer, 94. 87 3507P Tiefe, 217; Hervorhebung von Althaus. 88 Ebd., 220. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Es ist wahr, daß das Judentum als Volk sich gegen Christus entschieden hat. Aber diese Entscheidung als geschichtliches Faktum liegt in einer ganz anderen Ebene, als wenn wir, die von Christus Ergriffenen, uns ihm entziehen. Nur hier, nicht dort ist der absolute Gegensatz, die totale Entscheidung gegeben. Darum ist jener Gegensatz auch nicht notwendig endgiltig und hoffnungslos. Wie er geschichtlich mannigfach bedingt entstand, so kann er im Laufe der Geschichte konkret überwunden und abgetan werden, wenn die Zeit erfüllt ist. Von der Totalentscheidung gegen Christus weiß nur der Christ als von einer dunklen Möglichkeit, die er im Glauben überwindet. Aber von anderen, Einzelnen, Religionen, Völkern, eine geschichtliche Totalentscheidung wider Christus zu behaupten, das geht nicht an, weder im Blicke auf das Judentum noch auf den Islam noch etwa auf Nietzsche oder den Marxismus und Bolschewismus.“89

Indem sich Althaus in der religiös-theologischen Betrachtung des Judentums um Differenziertheit und Fairness bemüht, erfährt sein Antijudaismus stets eine auch nach außen explizierte Grenze. Wer die Juden als religiöse Negativ­ folie betrachtete, konnte sich auf Althaus nicht berufen90. Die letzte gedruckte Äußerung Althaus’ zum Verhältnis von Christen und Juden, die sich gegen das antijudaistische Klischee wendet, die Juden hätten Jesus Christus umgebracht, findet sich im Februar 1965 in einer seiner letzten Predigten und zeigt, wie ihn dieses Thema Zeit seines Lebens nicht los­ gelassen hat: „Die Christenheit ist immer wieder der Gefahr erlegen, nun mit Fingern auf Israel zu zeigen, das Volk derer, die Jesus Christus ausgestoßen und getötet haben! Im Anti­ semitismus des Mittelalters und der Reformationszeit ist das ein starker Einschlag. […] Von dem Volke Israel, damals und heute, als von den Mördern Christi zu reden, geziemt sich nicht und ist unchristlich.“91

5.2.3 Die eschatologische Bedeutung Israels unter den Völkern In all seinen Äußerungen zum Judentum schwang bei Althaus immer schon die Überzeugung mit, das Volk Israel habe eine besondere, theologisch qualifizierte Existenz. Das Leben des Volkes Israel ist für ihn ein Weg im Geheimnis. Seine besondere göttliche Berufung ist trotz der Ablehnung Jesu nicht zurück 89 2409 Heilsgeschichte, 664. 90 So hält er den Zuhörern seines Königsberger Vortrags 1927 im Rahmen seiner Eingrenzung der „Judenfrage“ entgegen: „Es geht dabei nicht um Judenhaß […], auch nicht um den religiösen Glauben des Judentums“ (2704 Volkstum, 131). 91 6501P Estomihi, 152. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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genommen, sie ist unverlierbar. Diesem Geheimnis aber will sich Althaus, darin dem Apostel Paulus im Römerbrief folgend, geschichtstheologisch nähern. Er kommt dabei zu zwei Antworten, die beide auf einen eschatologischen Sinn des Judentums in seiner Existenz unter den Völkern hinweisen: „Das Schicksal ­Israels ist voll Hinweises auf das Ende“92, stellt er in seinem Römerbriefkommentar fest und schreibt weiter: „Über Israel liegt ein Geheimnis. Mit seiner einzigartigen Selbstbehauptung als Volk, deren Kraft seine Religion ist, steht es wie ein Wunder unter den Völkern. Das Geheimnis Israels ist das Geheimnis einer ursprünglichen Erwählung, deren Höhe die Schwere des jetzigen Fluches entspricht. Aber – das ist die Frage von Röm. 9–11 auch an unser Glaubensdenken – ob der Fluch nicht dazu bestimmt ist, in einem kommenden unaussprechlichen Segen aufgehoben zu werden? Ob die einzigartige Behauptung Israels als Volk nicht das Geheimnis göttlicher Aufbewahrung seines Volkes für eine neue endgültige Geschichte mit Christus ist?“93

Gott hat sein Volk in seinem „Allerbarmen“, wie Althaus an anderer Stelle schreibt, zwar dem Fluch der Zerstreuung unter die Völker überlassen, aber nicht verstoßen oder untergehen lassen. Im Gegenteil, Althaus geht von einer „göttlichen Aufbewahrung“ aus, die Israel am Ende doch noch Christus annehmen lässt. So schreibt er zu Röm 11,15: „Israels Bekehrung wird das Ende der Heilsgeschichte sein. Darin macht sich ­Israels heilsgeschichtliche Stellung geltend, daß es mit allen Wendungen seiner Gottesgeschichte Schicksal für die übrige Menschheit ist. Seine Geschichte mit Gott ist das schlagende Herz der Menschheitsgeschichte.“94

Diese direkte eschatologische Bedeutung der Existenz des jüdischen Volkes aber hat für Althaus Konsequenzen, denn er sieht durch sie die Christen zum Handeln herausgefordert: Das Christentum soll, so ist seine fromme Überzeugung, aus eschatologischen Gründen Missionsarbeit unter den Juden verrichten. So heißt es in seinem Ethik-Lehrbuch 1928: „Versteht die Christenheit das jüdische Schicksal […] von der Begegnung des jüdischen Volkes mit Christus her, so wird ihr der Beruf zum Christuszeugnis an dieses Volk, so gewiß er einzigartig schwer ist, auch einzigartig ernst.“95

92 3211 Römer, 101. 93 Ebd.; Hervorhebung von Althaus; vgl. 3308 Dinge, 302. 94 3211 Römer, 95. 95 2806 Leitsätze, 55. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Althaus, Zeit seines Lebens um Förderung der Missionsarbeit bemüht, sieht die Kirche zur Judenmission verpflichtet96. Er begibt sich mit dieser Einstellung in Gegensatz zum Judenbild und zum Rassenantisemitismus der Völkischen, die die Judenmission „eines undeutschen und sentimentalen Philosemitismus’“ verdächtigen97. Auch für Althaus gilt demnach das Resümee Wolfgang Heinrichs’ zum Judenbild der Judenmission: „Gegenüber einem Bild vom Juden, das ausschließlich Aversionen kennt, hält die Judenmission auch in ihrer Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus an der Vision des Juden als Heils- und Hoffnungsträger fest.“98 Neben dieser direkten, kirchliches Handeln herausfordernden Bedeutung Israels kennt Althaus auch eine indirekte eschatologische Bedeutung: Das Leben des einen eigenen Staat entbehrenden jüdischen Volkes unter den anderen Völkern verhindert in diesen Staaten dauerhaft eine volkliche Homo­genität und erinnert laut Althaus daran, dass Völker in der Geschichte eben nur zu den vorletzten Dingen gehören. Israel ist in seiner „geheimnisvollen“ Existenz für Althaus daher Hinweis auf das kommende Gottesreich. In seiner Ethik schreibt er dazu: „Auch bei relativer Lösung bleibt die jüdische Frage im tieferen Sinne ungelöst. Die Ungelöstheit, d. h. das Geheimnis des jüdischen Schicksals unter den Völkern und für sie, hat für das Urteil des Glaubens einen ernsten Sinn. Die Frage des zerstreuten, heimatlosen Judentums weist auf die offene Frage der Geschichte überhaupt, erinnert an die Grenzen völkischer Sonderung und Geschlossenheit und richtet den Blick auf Gottes kommendes Reich.“99

96 In den Kreisen der Judenmissions-Befürworter wird Althaus als Gewährsmann betrachtet. Sein knapp zweiseitiger Abschnitts über das Judentum aus den „Leitsätzen zur Ethik“ wird 1928 unter dem Titel „Die Judenfrage in der christlichen Ethik“ abgedruckt in der Zeitschrift „Saat auf Hoffnung. Zeitschrift für die Mission der Kirche an Israel“. 97 Kaiser, Protestantismus, 213. Er zitiert das „Nachrichtenblatt der Berliner Judenmission“ 26 (1931), 199 mit den Worten: „Die landeskirchliche Judenmission ist in Deutschland nicht populär […]; vielen Glaubensgenossen gilt sie als ‚judophil‘ und deshalb höchst verdächtig des Verrats am eigenen Volkstum“. Es ist in der Logik der Rassenantisemiten unter den Christen konsequent, wenn die Deutschen Christen in ihren „Richtlinien“ vom Mai 1932 die Judenmission strikt mit den Worten ablehnen: „In der Judenmission sehen wir eine schwere Gefahr für unser Volkstum. Sie ist das Eingangstor fremden Blutes in unseren Volkskörper. Sie hat neben der äußeren Mission keine Daseinsberechtigung.“ (zit. nach: ebd., 215). Zur Judenmission im Kaiserreich, die entscheidende Impulse aus dem angelsächsischen Raum erhielt, vgl. Heinrichs, Judenbild, 484–594. 98 Heinrichs, Judenbild, 539. Heinrichs gibt zu bedenken, dass auch die Judenmission „nicht frei davon“ blieb, „antisemitische Vorstellungen in ihr Denken unterschwellig einzubeziehen“ (ebd., 532). 99 2806 Leitsätze, 55. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Gerade als dieser Stachel, der den heidnischen Selbstverschluß in nationaler Identität schmerzhaft stört“, sieht Jörg Baur bei seinem Lehrer Althaus „die Juden den Deutschen zugewiesen und zugeordnet.“ Doch darin erschöpft sich bei Althaus der Sinn des Judentums unter den christlichen Völkern nicht. Denn „mit ihrer messianischen Erwartung fordern sie eine Christenheit des trägen Heilsbesitzes heraus.“100 Im Blick auf die Judenmission hat also der eschatologische Vorbehalt für Althaus Konsequenzen: „Nur ein solches Christentum wird den Juden das Evangelium verkündigen können, das selber noch wartet, ein eschatologisches Christentum.“101 Der von Althaus explizierte theologische Sinn basiert auf seiner Annahme sowohl einer religiösen als auch einer volklichen Fremdheit des Judentums102. Eine solche theologische Interpretation des faktischen Nichtvorhandenseins von volklicher Homogenität, wie Althaus sie hier in Bezug auf die Juden wahrnimmt, ist bei ihm nicht neu und nicht singulär auf die Juden als angeb­ lichen „Fremdkörper“ bezogen. So wie er das Nichtvorhandensein von volklicher Homo­genität infolge der Juden als eigenes Volk unter fremden Völkern als „eine offene Wunde“103 betrachtet, hat er bereits die konfessionelle Spaltung als „blutende Wunde Deutschlands“ bezeichnet104. Und ebenso wie in der konfessionellen Spaltung, so meint Althaus auch in der Existenz der Juden unter den Völkern den Hinweis auf die Relativität der Völker überhaupt105 als nur vorletzte Einheiten der Geschichte und damit den Verweis auf das kommende Reich Gottes zu vernehmen106. Zwar nicht speziell im Blick auf die Juden, aber 100 Baur, Vermittlung, 189. 101 2904 Frage, 214. 102 Auch Barth sieht sich 1933 herausgefordert, dem Leben „des Juden“ in seiner Fremdheit einen religiösen Sinn zu verleihen: „Der Jude ist in seiner so rätselhaft fremdartigen und ebenso rätselhaft unzerstörbaren Existenz mitten unter allen anderen Völkern der lebendige Beweis dafür, daß Gott frei ist zu wählen, wen er will“ (ders., Kirche, 14). Das jüdische Leben gilt ihm somit gleichsam als Gottesbeweis und Hinweis auf Gottes freie Gnadenwahl. Letztgenannter Aspekt kommt auch bei Althaus zum Tragen; vgl. 2109P Geheimnis, 30. 103 3211 Römer, 101. 104 2602 Nationalerziehung, 111; vgl. Kap. IV, 3.3.3. 105 Auch in seinem Römerbriefkommentar betont Althaus die Freiheit Gottes, den Volkszusammenhang für nichts zu achten; vgl. 3211 Römer, 95.83. 106 Zur konfessionellen Spaltung schreibt Althaus 1926: „Vielleicht sind wir in dieser Gebrochen­ heit unseres Volkstums eine Botschaft Gottes an die Welt, daß die Fragen der Ewigkeit zuletzt allein diejenigen sind, an die es alles zu setzen gilt, auch das Glück und die Einheit des Volkstums. Mächtig erinnert uns das schmerzvolle Nebeneinander der beiden Konfessionen daran, daß das Volkstum zuletzt auch zu dem gehört, von dem Gott einmal gesagt hat: Gehe aus deinem Vaterlande und aus deines Vaters Hause; daß wir auch das Glück unseres Volkes und die nationale Einheit müssen opfern können auf dem Altar, da Gottes heiliges Feuer brennt. […] Was hülfe es dem deutschen Volke, wenn es geistig die ganze Welt gewänne und national in ungebrochener Einheit dastände und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ (2602 Nationalerziehung, 112). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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im Blick auf die Tatsache, dass „nicht jedes Volk die Möglichkeit zu nationaler Staatsbildung findet“, heißt es in seinen „Leitsätzen zur Ethik“: „Vielleicht hat das unter völkischem Gesichtspunkte schwere Schicksal eines Volkes oder Volksteiles in ‚fremdem‘ Staate auch den Sinn, den nationalen Staatsgedanken an die Grenzen seines Rechtes zu erinnern.“107

Jüdisches Leben in Deutschland ist für Althaus eine unbestreitbare Tatsache. So schreibt er im August 1932 erneut zur „Judenfrage“: „Wie immer wir Deutsche sie lösen – an einem wird nichts zu ändern sein: daß die Juden in unserem Lande wie unter den anderen Völkern der Welt sitzen bleiben. Mir scheint, daß dieses Schicksal jenseits aller schweren Aufgaben und Nöte, die es mit sich bringt, einen klaren Sinn von Gott her hat: daß die Juden überall, wohl besonders empfindlich bei uns, die völkische Geschlossenheit sprengen, soll hinweisen auf die Grenze und Relativität völkischer Sonderung und Geschlossenheit und das Auge vorwärts richten auf das kommende Reich Gottes.“108

Die Homogenität der Völker im Blick auf das Gottesreich zu transzendieren, ist für ihn die göttliche Sendung des jüdischen Volkes. Wenn er dieses als „Fremdkörper“ betrachtet, so geht er dabei nicht nur von seinem eigenen Volkstumsdenken aus, sondern nimmt dabei auch die Sichtweise derjenigen Juden ernst, die sich selbst als eigenes Volk sehen. Theologisch gibt er dem Leben der Juden unter den Völkern einen Sinn, der eine Ausstoßung aus dem Leben der Völker, wie von völkischer Seite gefordert, als widergöttlich erscheinen lässt109. Dies ist auch der Grund dafür, warum bei Althaus der weitverbreitete antisemitische Vorwurf der internationalistischen Volkszersetzung keine Rolle spielt.

107 2806 Leitsätze, 61. Althaus denkt dabei sicherlich auch an die Deutschen in Polen. 108 3208 Gott, 751. 109 Die Idee dieses theologischen Sinns des Lebens der Juden unter den Völkern ist, soweit ich sehen kann, originär von Althaus. Allerdings wurde sie, ohne dass eine ideengeschichtliche Abhängigkeit erhoben werden kann, vorher bereits vertreten von dem Basler Theologen Carl Friedrich Heman, der in seinem Aufsatz „Israel, der Knecht Gottes, in Vergangenheit und Gegenwart“ (in: Reich Christi. Hg. von Johannes Lepsius. Lichterfelde 1910; zit. nach: Heinrichs, Judenbild, 260) „für die Juden die von Gott gestellte Aufgabe gesehen [hat], die nationalen Schranken der Völker zu durchbrechen.“ Heman sah darin einen „positiven Einfluß auf die Völker“ durch „nationale Grenzüberschreitung“ und damit einen „internationalen Friedensbeitrag“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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5.2.4 Die Verteidigung des Alten Testaments gegen völkische Angriffe und seine Vereinnahmung gegenüber dem Judentum Für Althaus ist die „Judenfrage“ eine theologische Frage. Wenn er sich mit ihr befasst, geht er von der Grundprämisse aus: Judentum und Christentum stehen in einem untrennbaren heilsgeschichtlichen Zusammenhang, der auf die göttliche Offenbarung verweist. Gemäß seinem eigenen Offenbarungsverständnis und seinem Anknüpfungskonzept bildet die göttliche Offenbarung, die an Israel erging, einen Anknüpfungspunkt für den Glauben an Jesus Christus110. Aus diesem Grund spielt für ihn das Verhältnis von Christentum und Kirche zu den heiligen Schriften des Judentums eine entscheidende Rolle, die Althaus auch in seinen Veröffentlichungen im „Dritten Reich“ immer wieder herausstellt111. Durch die zunehmende Ablehnung des Alten Testaments als heilige Schrift des Christentums, die bereits in der Liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts einsetzte, und aufgrund der zunehmenden völkischen Angriffe auf das Alte Testament als „Judenbuch“ in den 20er Jahren sieht sich Althaus als Mann der Kirche herausgefordert. Auf die völkische Ablehnung des Alten Testaments aufgrund von antisemitisch motivierten Vorbehalten gegenüber dem Judentum, die nach Carsten Nicolaisen eine „politische Vor-Entscheidung zum Maßstab der Bewertung des Alten Testamentes“ machte112, musste er reagieren. So heißt es in einer Predigt 1937: „Noch einmal ist dann im 19. Jahrhundert die Bibel in die Gefangenschaft des theologischen Liberalismus gewandert – bis heute wirkt er nach in der Kirche und bei ihren jetzigen Gegnern. Paulus und Johannes galten nichts mehr, das Alte Testament sollte und soll nur ein jüdisches Buch sein, nichts anderes als das Denkmal der israelitischjüdischen Religionsgeschichte. Aber Paulus und Johannes sind wiedergekommen und aufs neue mächtig geworden über uns, und das Alte Testament wird auch wiederkommen, trotz allem. […] Gottes Wort läßt sich nicht binden, auch nicht in das Gefängnis historischer und rassischer Betrachtung der Bibel. Gottes Wort ist nicht gebunden.“113

Althaus’ Äußerungen über das Verhältnis von Theologie und Kirche zum Alten Testament tragen stark apologetische Züge. Explizit wehrt er sich gegen die völkische Ablehnung des Alten Testaments. So lässt er 1924 seine jugendlichen Zuhörer wissen: 110 Vgl. Roth, Gott, 407. Laut Roth begreift Althaus das Alte Testament als Zeugnis der Ur-­ Offenbarung: „Gerade in der Herausstellung der ursprünglichen Bezeugung Gottes ist für Althaus die Autorität des Alten Testamentes begründet.“ (ebd.). 111 Vgl. 3505 Ordnungen, 38. 112 Nicolaisen, Stellung, 202. 113 3703P Wort, 30 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Darum stehen die Geschichtsreligionen höher als die Naturreligionen. Ins­besondere besteht darin die Bedeutung Israels und des Alten Testaments, daß hier Gott in der Geschichte erkannt worden ist. Es ist kein Zufall, daß Jesus Christus nur in Israel geboren werden konnte. Wo man nicht von der Offenbarung Gottes in der Geschichte bewegt ist, wie sollte man da Jesus Christus und seine Bedeutung für uns verstehen? Darum hat das Alte Testament Menschheitsbedeutung für alle, die zu Jesus Christus wollen. Es ist trostlose Kurzsichtigkeit unserer Völkischen, wenn sie im Namen der christlich-germanischen Weltanschauung das Alte Testament meinen ablehnen zu müssen.“114

Der apologetische Kontext ist auch zu beachten, wenn Althaus 1926 vor der Fichte-Gesellschaft alttestamentliches Denken gegenüber den Völkischen mit dem Hinweis auf die „Artverwandtheit“ mit „germanischem Denken“ verteidigt: „Tief entspricht es germanischer Art und macht germanisches und biblisches, ja gerade alttestamentliches Denken – was viele Völkische verkennen – einander so verwandt: daß Gott weder das höchste Sein noch die Idee noch ausschließlich Gesetz­ geber ist, sondern der lebendige Herr der Geschichte, der in der Gegenwart wirkt und schafft.“115

Auch in seinem Vortrag über „Kirche und Volkstum“ vor dem Kirchentag 1927 verteidigt Althaus das Alte Testament gegen die „Torheit des völkischen Ansturms gegen das Buch“116. So hält er konkret den Deutschkirchlern entgegen: „Sie schauen auf das Alte Testament: von hier drohe die schwerste Überfremdung der deutschen Seele, sie drohe nicht nur, sie sei längst Ereignis. Unser Gegen-Satz lautet: Nein, hier droht eine wirkliche Gefahr nicht!“117

Wenn man das Alte Testament nicht einfach als Gesetzbuch heranziehe, es nicht als „Musterbuch christlicher Ethik, nicht einfach als Norm für christlichdeutsches Gemeinschaftsleben“ verwende118, dann lasse sich der wahre Sinn der Schriften für die Christenheit erkennen: „das ganze Alte Testament [ist] voll von Christus“119. Gegenüber den Völkischen, die das Alte Testament als „Judenbuch“ und damit als Gefährdung für die deutsche Christenheit betrachten,  – eine diffuse 114 2403 Gott, 4. 115 2602 Nationalerziehung, 97. 116 2704 Volkstum, 135. 117 Ebd., 134. Zu den Deutschkirchlern, d. h. dem „Bund für deutsche Kirche“ vgl. Kap. IV, 3.3.5. 118 Ebd., 135. Vorbild für diesen Umgang mit dem Alten Testament ist für Althaus Luther, der „das levitische Gesetz als der Juden ‚Sachsenspiegel‘, d. h. als ein geschichtlich bedingtes Volks­ gesetz, das die Deutschen nicht binde“, bezeichnet habe (ebd., 134). 119 Ebd., 134. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Angst, die freilich kaum theologisch, dafür umso mehr antijudaistisch und antisemitisch begründet war  – pocht Althaus auf den theologischen Mehrwert des Alten Testaments. Dieses ist für ihn nicht nur die heilige Schrift des Judentums  – wenn es nur so wäre, hätte das Alte Testament keine Bedeutung für das Christentum  –, sondern durch den heilsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen Judentum und Christentum ist es eben auch heilige Schrift des Christen­tums: „Das Alte Testament – darin besteht seine einzigartige Bedeutung in der Geschichte Gottes mit der Menschheit – läßt den Abgrund aufklaffen, in den Christus sprang. Es bietet reiner als irgend eine andere Religion die Wirklichkeiten und Wahrheiten, innerhalb deren allein Christus recht verstanden werden kann. Das bindet uns an das A. T., darin ist diese gewiß individuelle Volksgeschichte von alle betreffender Bedeutung. So oft die Kirche das A. T. vergaß oder zurückstellte, verstand sie Christus nicht mehr echt“120.

Zusammenfassend schreibt Althaus 1927: „Freiheit und Bindung gegenüber dem Alten Testamente  – beides liegt uns lebendig in eins. Das A. T. ist selber ein mit sich kämpfendes Buch: semitisch und doch zugleich, wie jemand gut gesagt hat, das antisemitischste Buch der Welt, so voll Kampf wider ‚Juda‘, wie kein völkischer Zorn so ernst, so tief kämpfen kann; zeugend von echter Erwählung, von der Gewißheit heiliger Sendung, aber auch von der Entstellung demütigen Erwählungsglaubens zu fleischlichem Anspruch. Man kann das beides nicht äußerlich voneinander trennen. Gott hat die Geschichte seiner Offenbarung unlöslich gebunden in eine Volksgeschichte voll Beschränktheit und Fehlsamkeit und Sünde, voll Entstellung der Gotteswahrheit. Das Wort ward wahrhaft Fleisch!“121

In seiner Stellung zum Alten Testament will Althaus ausgehen von Jesu eigener Haltung zur heiligen Schrift. Jene bedeute für ihn „sowohl ein Nein wie ein Ja zum A. T. Nur wenn man beides festhält, kann über ‚Weissagung und Er­ füllung‘ richtig gehandelt werden.“122 Was Althaus mit dem Alten Testament 120 Ebd., 135 f. Dazu stellt Althaus die rhetorischen Fragen: „Wo ist durch Gottes Geben und Nehmen so herausgekommen, was es heißt, daß Gott der Herr ist, der Heilige, was Schuld ist und daß Gott straft und verwirft; was die wahre Menschheitsnot ist und was das Heil sein muß?“. 121 2704 Volkstum, 136. Mit der Vorstellung, die „jüdische Auffassung“ des Alten Testaments sei christlicherseits zu bekämpfen, nimmt Althaus einen damals gebräuchlichen antijudaistischen ­Topos auf. So wird in den von ihm rezipierten „Leitsätzen zu völkischen Frage“ von Magdalene von Tiling der Einwand gegen die völkische Bewegung, die das Alte Testament als „undeutsch“ abschaffen wollen, erhoben, man „verkennt völlig, daß der Kampf gegen die jüdische Auffassung des A. T.s am wirksamsten vom N. T. geführt wird“ (dies., Leitsätze, 20). 122 2911 Dogmatik, 34. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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als „antisemitischstem Buch“ und „Entstellung demütigen Erwählungsglaubens“ meint, macht er in seinem „Grundriß der Dogmatik“ deutlich: „Soweit die Heilsprophetie nationale und politische Hoffnung begründete, gilt: Christus ist des Messias Ende. […] Die Erfüllung ist zugleich Kritik der Weissagung. Wir haben durch Christus Freiheit im Alten Testamente, ja von ihm.“123

Neben diesem Nein in Christus betont Althaus sogleich aber das Ja zum Alten Testament: „Dennoch bedeutet Israels Prophetie in ihrer Tiefe echte Weis­ sagung. Für sie will Jesus Christus, der Gekommene und Kommende, Erfüllung sein.“ Wichtig ist Althaus neben dem Erfüllungsaspekt auch – und hier kommt seine Hochschätzung der Geschichtlichkeit der Offenbarung zum Tragen – der Offenbarungsaspekt: Israel ist der „Ort, an dem allein Gottes völlige Erschließung geschehen und verstanden werden konnte.“124 Unter dem Eindruck der völkischen und später deutsch-christlichen Kritik am Alten Testament hat Althaus seine Aussagen über das Alte Testament in der Neuauflage seines Dogmatik-Grundrisses 1936 stark erweitert und, neueste Forschungen der alttestamentlichen Wissenschaft aufnehmend125, grundsätzlich modifiziert. Gegenüber der ersten Auflage von 1929 stellt er nun Jesu Ja zum Alten Testament dem Nein voran; demzufolge ordnet er auch die „Autorität des Alten Testaments“ der „Freiheit vom Alten Testament“ vor126. 123 Ebd. Auf diesen Gedanken kommt Althaus auch in 3402 Wahrheitsgehalt, 72 zu sprechen: „Wir stellen auch die jüdische Religion nicht aus der Reihe, wohl aber das Alte Testament, denn dieses ist mehr als das Buch jüdischer Religion. Die jüdische Nationalreligion und das Alte Testament sind nicht ein und dasselbe.“ Zur Althausschen Zurückweisung einer „judaistischen“, „irdisch-nationalen Herrschafts-Erwartung“ im Zusammenhang seiner Ablehnung des Chiliasmus vgl. 3308 Dinge, 297–301. 124 2911 Dogmatik, 34 f. Er führt dazu aus: „Im A. T. wird, durch eine nur als Erwählung zu verstehende Erziehungsgeschichte, die Lage des Menschen vor Gott und die Frage nach wahrhaftiger Gottesgemeinschaft fortschreitend in einer sonst nicht erhörten Tiefe und Klarheit erfaßt. Hier weiß man um Gottes Schöpfertum, Lebendigkeit, sittliche Heiligkeit, Freiheit; um Gehorsam, Sünde, Schuld, Zorn Gottes, Sühne, Vergebung.“ 125 Vgl. 3609 Dogmatik, 73. Neben Literatur von Bultmann und von Rad nennt Althaus hier auch das 1934 erschienene Buch „Das Christuszeugnis des Alten Testaments“ des Schweizer Alttestamentlers Wilhelm Vischer, der 1933 seine Dozentenstelle in Bethel nach schweren Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten in der Frage nach der bleibenden Bedeutung des Alten Testaments verlor. Skeptisch ist Althaus gegenüber dessen christozentrischer Auslegung des Alten Testaments: „Dagegen wird das Alte Testament vergewaltigt durch eine Auslegung, die überall im Alten Testament, in Geschichte und Wort, Christus, sein Kreuz und seine Auferstehung als den tiefsten Sinn direkt bezeugt finden will (so z. B. W. Vischer). Dabei wird die Geschichte des Glaubens, von der das Alte Testament zeugt, verleugnet.“ Mehr als andere Theologen will Althaus dem Alten Testament seinen Eigenwert belassen. 126 Vgl. 3609 Dogmatik, 66–73. Meiser, Althaus, 229, Anm. 213 sieht in dieser Modifikation einen Hinweis „auf das stärker werdende Nein bei Althaus zum Nationalsozialismus“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Althaus und andere Theologen nehmen im Kampf um das Alte Testament den Fehdehandschuh der Völkischen auf127. Bedingungslos halten sie aus religiös-theologischen Gründen daran fest, wenn sie auch das Unbehagen vieler Völkischer und deren diffuse Furcht vor Überfremdung nachvollziehen können und ernst nehmen. Dies ist auch der Grund, warum Althaus neben der heilsgeschichtlichen Verknüpfung von Altem Testament und Neuem Testament bzw. Judentum und Christentum zugleich auch einen Abstand zwischen Altem Testament und Judentum betonen zu müssen meint. Diese Vorgehensweise entsprach zugleich der jahrhundertealten Tradition in Theologie und Kirche, das Judentum religiös abzuwerten, um damit den Wert des Christentums umso klarer hervortreten zu lassen. An diesem Punkt wirkte die bis nach 1945 in der Theologie vorherrschende und somit auch von Althaus vertretene hermeneutische Prämisse nach, wonach der wahre Sinn des Alten Testaments sich erst im Licht des Evangeliums erschließe128. So gilt auch für Althaus die Feststellung Axel Töllners über den allgemeinen Umgang evangelischer Theologen mit dem Alten Testament in den 30er Jahren: „Die beharrlich vertretene Verteidigung des Alten Testaments vollzog sich […] gleichzeitig als antijüdische Abgrenzung.“129 Dass man mit diesem volksmissionarisch motivierten Zugeständnis Eindruck auf die Völkischen machen könnte, war ein zweifelhaftes Unterfangen. So schreibt Alfred Miller, ein späterer Vertrauter Alfred Rosenbergs, in einem Artikel in Theodor Fritschs „Handbuch der Judenfrage“ 1933 über das Thema „Antisemitismus und Protestantismus“: „Auch in der evangelischen Kirche wird nach wie vor in maßgeblichen Kreisen das Alte Testament als Offenbarungsquelle und als ‚heilige‘ Schrift betrachtet. Man steht hier eigentlich immer noch auf dem Standpunkt, den die Reformatoren zum Alten Testament eingenommen haben.“130

Zu diesen „maßgeblichen Kreisen“ gehörte auch Althaus, der demzufolge von der völkischen Bewegung als antisemitisch nicht zuverlässig eingestuft wurde. In einer Zeit, in der der Antisemitismus sich mehr und mehr radikalisierte und schließlich Staatsdoktrin wurde, was zeitgleich eine massive Ablehnung des Al 127 Dass es Althaus in der Frage nach dem Alten Testament um Verteidigung gegen völkische Angriffe zu tun ist, zeigt auch seine Literaturangabe in 2911 Dogmatik, 36, wo er „zur Frage des Alten Testamentes“ seine Rede vor dem Kirchentag 1927 mit ihrer apologetischen Passage zum Alten Testament anführt. 128 Vgl. 3609 Dogmatik, 73, wo es heißt: „Das Alte Testament kann nur vom Neuen aus, das Neue nur vom Alten aus richtig verstanden werden.“ 129 Töllner, Frage, 432. 130 Zit. nach: Kraus, Kirche, 257. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ten Testaments bei deutschgläubigen und sich als christlich verstehenden Völkischen mit sich brachte, ist Althaus’ Festhalten an der gemeinsamen heiligen Schrift von Judentum und Christentum signifikant. So predigte er Zeit seines Lebens alttestamentliche Texte131. Dass seine konsequente Haltung in dieser Frage für so Manchen eine Zumutung war, war sich Althaus vollkommen bewusst, wenn er im November 1937 eine Predigt über Hebr 11,8–10 mit den Worten beginnt: „Von Abraham handelt unser Wort und, es hilft nichts, von Abraham müssen auch wir heute reden. Es gibt jetzt viele Menschen, auch in der Christenheit, denen das auf die Nerven geht. Sie möchten von Abraham nicht mehr reden und nicht mehr hören. Damit würden wir als Christen und Deutsche jüdisch überfremdet. Nun, Abrahams Geschichte haben die germanischen Völker, auch unser deutsches Christenvolk, seit 1100 Jahren immer wieder bedacht, in Wort und Bild, und sie sind dadurch nicht jüdischen Geistes geworden […]. Wir alle, die von den frühesten Kindertagen an mit den Geschichten von Abraham umgegangen sind […] sind dadurch nicht jüdisch geworden.“132

Mit seinen Aussagen zum Alten Testament und dessen Bedeutung für Glaube und Kirche setzte sich Althaus mit den kritischen bzw. ablehnenden Anfragen der Völkischen an das Alte Testament auseinander, die damit nach Nicolaisen ein Problem aktualisierten, „das der Kirche mit der Rezeption des Alten Testamentes von Anfang an aufgegeben war […]: die Tatsache, daß die christliche Kirche die Heilige Schrift des Judentums als kanonische Urkunde übernahm, implizierte die Verpflichtung, sich nicht nur zu dem geschichtlichen Zusammenhang zwischen Judentum und Christentum zu bekennen, sondern auch Rechenschaft darüber abzulegen, in welcher Weise ein Sachzusammenhang zwischen Altem und Neuem Testament besteht und wie dieser theo­ logisch zu formulieren ist.“133

Sowohl als Dogmatiker und Apologetiker, als auch als Neutestamentler sah sich Althaus an diesem Punkt herausgefordert134. Er wollte seinen Beitrag leisten, „neue Ansätze zu entwickeln, aus denen deutlich wurde, daß ein sachlicher Zu-

131 Insgesamt hat Althaus zwischen 1914 und 1965 mehr als 20 Prozent alttestamentliche Texte gepredigt bzw. Betrachtungen ausgehend von alttestamentlichen Texten verfasst. Die Zahl bezieht sich auf die gedruckt vorliegenden 448 Predigten und Betrachtungen in diesem Zeitraum. 132 3709P Hütten, 101. Anhand von Abraham nimmt Althaus in dieser Predigt eine Relativierung des irdischen Vaterlandes vor. 133 Nicolaisen, Stellung, 219. 134 Vgl. seine Auseinandersetzung mit Stapels Volksnomoslehre in 3212 Nomos, 51–53; und 3505 Ordnungen, 37 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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sammenhang zwischen Altem und Neuem Testament besteht, der unlösbar mit dem geschichtlichen Zusammenhang zwischen Judentum und Christentum verbunden ist.“135 Zu beachten ist dabei, dass der entscheidende Paradigmenwechsel in der Theologie erst nach 1945 stattfand. Erst unter dem selbstkritischen Eindruck des Tiefpunkts im jüdisch-christlichen Verhältnis in Deutschland während des „Dritten Reichs“ beginnt man in der Christenheit zu erkennen, dass das Alte Testament zwei Nachgeschichten hat, die beide gleichberechtigt sind. 5.3 Althaus und die „Judenfrage“ im Rahmen seiner kulturpessimistischen Kritik der Moderne Abgesehen von seiner theologischen Beschäftigung mit dem Volk Israel und dem Judentum befasst sich Althaus erst Ende der 20er Jahre in seinen Schriften mit der damals allgemein für so virulent erachteten sogenannten „Judenfrage“. Nun kommt auch er, stets an den aktuellen Fragen interessiert und mit seiner Theologie am Puls der Zeit, an ihr nicht mehr vorbei. Weder in seiner Interpretation der deutschen Katastrophe von 1918, noch in seiner kultur­ pessimistischen Kritik der Moderne hatte die „Judenfrage“ vorher eine Rolle gespielt. Nun schreibt er 1928: „Zu den schwersten Volkstumsfragen gehört für uns Deutsche die jüdische Frage.“136 Die einzige Ausnahme einer Althausschen Beschäftigung mit der „Judenfrage“ vor dem Ende der 20er Jahre stammt aus seiner Zeit als Militärpfarrer während des Krieges in Polen. Während Althaus’ Zeit in Polen sind weder die polnischen Juden für ihn ein Thema, noch spielt Antisemitismus in seinen Veröffentlichungen eine Rolle – trotz des sehr hohen Anteils von Juden an der dortigen Bevölkerung, die neben den Deutschen die größte Minderheit im katholischen Polen darstellten137. En passant äußert er sich ein Mal im Jahr 1915 in einem Bericht für seine Bundesbrüder in der Heimat über die polnischen Juden, als es darum geht, welche Folgen es hätte, wenn man die mehrheitlich von deutschen Siedlern bewohnten Landstriche Polens zum Deutschen Reich schlüge. Im Hinblick auf die sich für Deutschland dadurch ergebende Minderheitenproblematik benennt Althaus das verhältnismäßig bevölkerungsstarke, aber vielfach wirtschaftlich verelendete Judentum in diesen Gebieten als Grund dagegen: 135 Nicolaisen, Stellung, 220. 136 2806 Leitsätze, 54. Sie lässt sich für ihn „nicht mit dem aufklärerischen Liberalismus l­ eugnen“. 137 Zu den dortigen Bevölkerungsverhältnissen vgl. Liebenberg, Gott, 166, Anm. 36. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Wir möchten den freundlichen Leuten von Teolin und Natolin so gerne zurufen: Ihr werdet zum großen, lieben Vaterlande geschlagen! Aber wenn wir dann nach ­Brzeziny zurückkehren und die Tausende schmutziger, verelendeter, aber lebenshungriger Juden sehen, dann erstirbt uns doch jenes Wort. Wir denken an die deutsche Schule und die deutsche Freiheit, nach der die Juden verlangt, und malen uns aus, wie das zurückgebliebene Judentum sich durch die deutsche Ordnung und die deutschen Bildungsanstalten bald heben und uns in Deutschland furchtbar überschwemmen würde. Wir fragen: Sollen wir diese Gesellschaft auch mit übernehmen? Und uns graut.“138

Althaus’ Worten spürt man deutlich die kaiserzeitlichen Ressentiments gegenüber den Juden ab, von denen sich viele Deutsche offenbar auf irrationale Weise bedroht fühlen. Sein Eindruck vom äußeren Erscheinungsbild dieser verarmten Menschen mag objektiv sein, mit den „lebenshungrigen Juden“ bedient er eher ein antisemitisches Klischee. Ihm „graut“ vor den befürchteten Folgen einer solchen Minderheit in Deutschland, von deren Integration er offensichtlich selbstverständlich ausgeht. Eine mögliche Sonderbehandlung oder Sondergesetzgebung für eine solche jüdische Minderheit, wie sie später im „Dritten Reich“ grausame Wirklichkeit werden sollte, ist für ihn undenkbar. Doch auch nachdem der völkische Druck auf die Juden und indirekt auf die am Alten Testament festhaltende Kirche Ende der 20er Jahre zunimmt, hält Althaus die „Judenfrage“ nur in vier seiner zahlreichen Veröffentlichungen der Behandlung für würdig: Zunächst erwähnt er sie im Rahmen seiner Ausein­ andersetzung mit der völkischen Bewegung in seiner Rede vor dem Kirchentag 1927, sodann widmet er ihr einen eigenen Unterpunkt im Kapitel „Das Volk“ in seinen „Leitsätzen zur Ethik“ von 1928 und schließlich streift er die „Judenfrage“ 1932 in seinem Römerbriefkommentar zu Röm 9–11 und in seinem Aufsatz „Gott und Volk“. Für verstärkende Änderungen oder Erweiterungen in seinen weiteren Auflagen der letztgenannten Werke sieht Althaus trotz der zunehmenden Verschärfung des judenfeindlichen Tons Ende der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“ keine Veranlassung139. So wichtig schien ihm die „Judenfrage“ offenbar nicht zu sein; was er zu sagen hatte, hatte er gesagt. Auf der anderen Seite bedeutete dies auch, dass Althaus während des „Dritten Reiches“ trotz der zunehmenden Entrechtung und menschenunwürdigen Behandlung der Juden an seiner, wenn auch gemäßigten, Meinung festhielt. Dies zeigt, dass Althaus die „Judenfrage“ nicht von ungefähr der Behandlung für würdig hielt. 138 1507 Frühling, 150. 139 Dies gilt für sowohl für seinen „Grundriß der Ethik“ 1931 und dessen Neuauflage 1936, als auch für die weiteren Auflagen des Römerbriefkommentars 1933, 1935 und 1938, wo das entsprechende Unterkapitel bzw. die diesbezüglichen Passagen unverändert wieder abgedruckt werden. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Traditioneller Antijudaismus und antijüdische Ressentiments, die bereits im Kaiserreich eine weite Verbreitung hatten, haben auch auf ihn gewirkt. Seine Offenheit für eine antijüdische Haltung traf Ende der 20er Jahre auf einen antisemitischen Stimulus von völkischer Seite, so dass auch er seine Sichtweise zur „Judenfrage“ im theologischen Diskurs beitragen zu müssen meinte. Dass Althaus auch in puncto „Judenfrage“ einmal mehr reaktiv vorgeht und sich das Thema von den im Verlauf der 20er Jahre zunehmend stärker werdenden Völkischen vorgeben lässt140, macht er selbst deutlich, wenn er 1927 schreibt: „Man überwindet den wilden Antisemitismus, der so viele in unserem Volke heute blind hinreißt, nicht dadurch, daß man das Problem, die hier wirklich vorhandene Volksnot überhaupt nicht sehen will oder verschweigt. Mir scheint, unser Volk darf erwarten, daß die Kirche hier deutlicher und ernster als bisher das Wort nimmt.“141

Althaus sieht die Kirche und nicht zuletzt sich selbst und seine eigene Theo­ logie herausgefordert durch den zunehmend aggressiven Antisemitismus der völkischen Bewegung. Zum Ausdruck bringt er das auch in einer Predigt vom Mai 1933: „Viele schauen auf die Kirche, fragen die Kirche: was ist es denn um Blut und Rasse, um Volk und Geschichte; was ist es um den Staat, seine Würde und seine Grenze, um Staat und Kirche; was ist es um Krieg und Frieden, um gottgebundene oder gottlose Politik, um echte oder verkrampfte Vaterlandsliebe? Was ist es um das Judenvolk – hat die Kirche hier nicht ein Wort zu sagen, hinaus über das, was der Staat sagen muß und darf? Man klagt uns an: die Kirche hat viel zu lange geschwiegen, sie redet undeutlich, zu lahm, zu spät“142.

Ab 1927 beschäftigt er sich mit der Stellung des Judentums innerhalb der Völker bzw. des deutschen Volkes. Die „Judenfrage“ hat für ihn neben der ethnischen vor allem eine religiös-theologische und eine geistig-ethische Dimension, die es zu beachten gilt. So schreibt Althaus 1932 in seinem Römerbriefkommentar: „Die jüdische Frage ist mehr als ein profanes völkisches Problem, sie hat theologische Tiefe.“143 Wie Althaus diese theologische Tiefe auf ambivalente Weise auslotet, haben wir bereits gesehen: Für ihn steht fest, dass das jüdische Volk, als Volk ohne eigenen Staat in anderen Nationalstaaten lebend, die Homogenität der anderen Völker begrenzt und damit diese Homogenität relativiert und zum Reich Gottes hin transzendiert. 140 Zum Phänomen, dass antisemitischer Außendruck aus der Gesellschaft eine judenkritische Haltung innerhalb von Theologie und Kirche beförderte, vgl. Kaiser, Protestantismus, 214. 141 2704 Volkstum, 130 f. 142 3305P Kirche, 18. 143 3211 Römer, 100. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Die „Judenfrage“ als Rassenfrage lehnt Althaus konsequent ab144. Wenn er sich mit ihr beschäftigt, ist er stets darum bemüht, sich vom Rassenantisemitismus, vom „wilden Antisemitismus“, abzugrenzen und diesen als falschen Weg aufzuzeigen. Für ihn lässt sich die „jüdische Frage“ nicht „in der Weise des Rassenantisemitismus beantworten, weder theoretisch noch praktisch. Das Entfachen des völkischen Hasses gegen die ‚an sich minderwertige‘ jüdische Rasse trifft die Frage nicht und zeigt keinen würdigen Weg zu ihrer Lösung.“145

Was aber versteht Althaus überhaupt unter der „Judenfrage“? Zum einen nimmt er eine Fremdheit des Judentums an und zum anderen eine Gefahr, die von ihm ausgehe. Zunächst wird für ihn die „Judenfrage“ „trotz aller Assi­milation durch die bei den regen wirtschaftlichen, kulturellen, politischen Beziehungen erst recht stark empfundene Fremdheit jüdischer und deutscher Volksart gestellt.“ Weil Althaus hier primär eine geistige Fremdheit im Blick hat und keinen Rassengegensatz wie die Völkischen, fügt er sogleich hinzu: „Im Einzelnen kann sie gewiß durch ein aus wirklicher Tiefe kommendes Hineinwachsen des Juden in deutsche Art überwunden werden.“146 Hintergrund der Althausschen Überzeugung einer Fremdheit des Judentums ist seine Volkstumstheologie, der zufolge er sich ein deutsches Volkstum gemäß dem göttlichen Auftrag in seiner idealistischen, auf das Reich Gottes bezogenen „Volkheit“ nur als christliches Volk vorstellen kann. Die Juden sind für ihn demzufolge ein religiös nicht-christliches und ein ethnisch nicht-deutsches Gegenüber zum christlichen deutschen Volk147. Dieser Umstand ist für ihn eine Tatsache, die er zunächst wertneutral wiedergibt. Gemäß seiner konsequenten Schöpfungsordnungstheologie lehnt er eine Abwertung des jüdischen

144 Bezeichnenderweise behandelt Althaus die „Judenfrage“ in seinen Ethik-Lehrbüchern im Kapitel „Das Volk“ und nicht im Kapitel „Die Rassen“. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Althaus den Rassebegriff kaum verwendet und den Rassenforschungen skeptisch gegenüberstand; vgl. Kap. IV, 3.2.4. 145 2806 Leitsätze, 54. 146 Ebd. Dieser Gedanke eines Überschreitens volklicher Grenzen korrespondiert bei Althaus mit der steten Überordnung der geistig-kulturellen Momente des Volkstums über die biologischnatürlichen. So schreibt er eine Seite zuvor im gleichen Kapitel: „Einmal gezeugt kann aber das Volkstum als geistige Wirklichkeit fortzeugen auch in fremdem Blute.“ 147 Zur weiten Verbreitung dieses Fremdheitsdenkens in der evangelischen Theologie nach 1918 schreibt Hamm, Schuld, 32: „Selbst Theologen, die sich frei von irgendeinem Antisemitismus fühlten, selbst solche, die das Judentum in Schutz nahmen, gingen in selbstverständlicher Weise von dieser Theorie des fremden Volkstums und fremden Blutes aus.“ Zu solchen Theologen ist z. B. Barth zu rechnen, der 1928 und 1930 in seiner Ethik-Vorlesung von der volklichen „Wirklichkeit“ spricht, „die einfach darin besteht, daß wir nun einmal Deutsche und nicht Slawen, Romanen oder Semiten sind“ (ders., Ethik, 327). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Volkes als „minderwertig“ und damit den Rassenantisemitismus als solchen ab148. Die angebliche Fremdheit hat bei Althaus also nicht primär antisemi­ tische, sondern antijudaistische Gründe. So fährt er fort: „Der tiefste Grund der […] behaupteten ‚Fremdheit‘ ist in der Gestaltung des äußeren Schicksals der Juden und der Prägung der jüdischen Geistigkeit durch die Ausstoßung Jesu zu erkennen.“149 Die Juden erscheinen demgemäß als Fremdkörper im christlichen deutschen Volk. Der zweite Aspekt der „Judenfrage“, der einer angeblichen Gefahr, die vom Judentum ausgehe, wird bei Althaus darüber hinaus von antisemitischen ­Klischees genährt: „Die Gefahr des Judentums besteht vor allem darin, daß es kraft schicksalsbedingter Wahlverwandtschaft Hauptträger des rational-kritizistischen, individualistischen Geistes der Aufklärung und damit weithin Vormacht im Kampfe gegen die geschichtlichen Bindungen und idealen Überlieferungen unseres Volkes geworden ist.“150

Vom Judentum geht für Althaus demzufolge eine geistige Gefahr insofern aus, als die Juden in seinen Augen gleichsam die Drahtzieher der Moderne sind, einer Moderne, die als antideutsch, aber auch als antikirchlich empfunden wird, weil sie den Deutschen ihr Volkstum und ihre „Volkheit“ – ein Althausscher Begriff für die zu erstrebende, ideale Volksvorstellung –, aber auch ihre Kirchlichkeit entfremden. Althaus, der sich das Thema „Antisemitismus“ zum ersten Mal in seiner Rede vor dem Kirchentag 1927 von den Völkischen vorgeben lässt, verteidigt sich und die evangelische Kirche gegenüber völkischen Vorwürfen: „Wir unterschätzen die Bedrohung unseres Volkes durch den jüdischen Geist und die jüdische Macht nicht“. Dass auch er vom Judentum eine angebliche Gefahr ausgehen sieht, macht Althaus damit einmal mehr deutlich. Allerdings steht für ihn fest, dass die Rassenideologie der falsche Weg im Kampf gegen die „Bedrohung“ und „Überfremdung“ ist. So hält er den Völkischen entgegen: „Wieviel Pharisäismus birgt sich in der bequemen Anklage Fremdblütiger! Würde das Fremde unter uns Macht gewinnen, wenn wir uns nicht preisgäben? Das Fremde findet Bundesgenossen und Verräter bei uns selbst. Die Frontlinie zwischen Geist und Geist geht mitten durch unser deutschblütiges Volk hindurch, ja durch jede Brust. Mitten unter uns wirken die zerstörenden Mächte, vollzieht sich die innere Volksent 148 Die Vorstellung einer „rassische[n] […] Andersartigkeit“ der Juden läßt sich bei Althaus ebenso wenig finden wie einen daraus resultierenden „scharfen Gegensatz“ der jüdischen „zur deutschen Art“, wie ihn Smid, Protestantismus, 284 bei ihm auszumachen meint. 149 2806 Leitsätze, 54. 150 Ebd., 54 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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fremdung. Das Problem der Volksentartung ist das Problem des Bösen. Sind denn die anderen schuld daran, daß wir Deutsche das sechste Gebot nicht mehr halten?!“151

In der Wahrnehmung einer „Volksentfremdung“ stimmen Althaus und Volkstumsbewegung bzw. völkische Bewegung überein, unterschiedlich ist aber die Charakterisierung einer solchen. Während die Völkischen die Erklärung für die wahrgenommene „Volksentfremdung“ und „Überfremdung“ rassenideologisch in der Bedrohung durch die „Andersblütigen“ sehen, die es zu bekämpfen gilt, ist für Althaus die angebliche Bedrohung geistiger, ja theologisch zu qualifizierender Natur. Dem völkisch-rassenfanatischen Dualismus von angeblich „guten Deutschen“ und „bösen Fremdrassigen“, womit in erster Linie die Juden angesprochen sind, setzt Althaus die christlich-reformatorische Einsicht der Sündhaftigkeit aller Menschen und des Ringens zwischen neuem und altem Menschen entgegen. Hier behält der christliche Theologe die Oberhand152. Weil Althaus durch die angebliche geistige „Überfremdung“ und „Bedrohung“ durch das Judentum nicht zuletzt auch die kirchlichen Interessen bedroht sieht, ist für ihn die Kirche zum Reden und Handeln aufgefordert: „Die Kirchen müssen – unbeschadet dessen, was vorhin über antisemitischen Pharisäismus und über die von Deutschen selber ausgehende Entartung und Überfremdung des Volkstums gesagt ist – ein Auge und ein Wort haben für die jüdische Be­drohung unseres Volkstums.“153

Althaus verfolgt dabei einmal mehr kirchlich-volksmissionarische Interessen. Zu eigen macht er sich in seinem Gefühl der Bedrohung des volksmissionarischen Auftrags der Kirche durch das Judentum die Position der Inneren M ­ ission: „Es ist ohne Frage richtig, was der Zentralausschuß für Innere Mission in seinen Leitsätzen zur völkischen Frage sagt: ‚Auch an dem Kampf um die negativen Ziele (d. h. Abwehr der Überfremdung) haben Kirche und Innere Mission heute das stärkste Interesse insofern, als der Durchdringung unseres Volkes mit den Kräften des Evangeliums heute überall eine durch jüdischen Einfluß in Wirtschaft, Presse, Kunst und Literatur geschaffene Gesinnung entgegensteht.‘ Die Christen sind aufzurufen, ‚gegen solche entsittlichenden Einflüsse bewußt zu kämpfen‘.“154 151 2704 Volkstum, 119. 152 Vgl. Kap. IV, 3.3.4. 153 2704 Volkstum, 130. Althaus schreibt weiter: „Die berechtigte Sorge davor, ja nicht die politische Neutralität der deutschen Kirchen zu verletzen, darf die Kirchen nicht hindern, hier offen zu sprechen und tapfer zu handeln.“ (ebd., 131). 154 Ebd., 131. Der Einschub in der Klammer stammt von Althaus, nicht aus dem Zitat. Der Text dieser „Leitsätze zur völkischen Frage“ stammt von Magdalene von Tiling, die diese im Herbst 1924 für den Zentralausschuss für Innere Mission aufstellte (von Tiling, Leitsätze, 19 f.); vgl. Kap. IV, 3.3.4. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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In diesen antisemitischen Klischees spiegelt sich das Judenbild des kaiserzeit­ lichen konservativen Protestantismus wieder, in dem „der Jude“ nach Wolfgang Heinrichs als derjenige dargestellt werden kann, „der die Christen zum kirchenfremden oder -feindlichen Leben verleitet, also als Verführer zur Moderne.“155 Althaus spricht hier undifferenziert von „dem Judentum“ und subsumiert darunter folglich alle Juden, vom verarmten Tagelöhner bis zum Großbankier. Gerade eine solche Undifferenziertheit ist aber Merkmal des Antisemitismus. Derartige Klischees erlebten nach 1918 ihre Blütezeit. Der angeblich „verderbliche Einfluß“ von Juden auf die deutsche Kultur war nach Saul Friedländer „das meistverbreitete Thema des Antisemitismus von Weimar. Auf diesem Terrain trafen sich die konservative deutsche Bourgeoisie, die traditionelle akademische Welt, die Mehrheitsmeinung in der Provinz – kurz, alle diejenigen, welche ‚deutsch fühlten‘ – mit den radikalen Antisemiten“156.

Indem Althaus als Vertreter der akademischen Welt diese antisemitischen Klischees vom angeblich übergroßen „jüdischen Einfluß in Wirtschaft, Presse, Kunst und Literatur“ übernimmt und selbst kolportiert, wirft er damit „den Juden“ vor, auf die deutsche Kultur und auf die deutsche Gesellschaft „entsittlichend“ und „zersetzend“ zu wirken. So schreibt er weiter, es gehe ihm bei der „Judenfrage“ „um die Bedrohung durch eine ganz bestimmte zersetzte und zersetzende großstädtische Geistigkeit, deren Träger nun einmal in erster Linie jüdisches Volkstum ist.“ Daraus leitet er die Forderung ab: „Die Kirchen müssen wissen und zeigen, wo die Mächte stehen, die immer wieder unser Volk aufhalten in seiner Selbstbesinnung und Reinigung.“157

155 Heinrichs, Judenbild, 685. Er schreibt weiter: „Heftigste Kritik gilt der freien, liberalen Presse, die respektlos Normen und Traditionen in Frage stellt und eben den Protestantismus als ‚Leitkultur‘ anzweifelt.“ (ebd., 686). 156 Friedländer, Reich, 123. 157 2704 Volkstum, 131. Was Althaus konkret mit dem „entsittlichenden Einfluß“ meint, macht er an anderer Stelle deutlich. In 2910 Vaterland, 243 schreibt er über den Kampf gegen die „Entartung“ der deutschen Gesellschaft: „Wer seines Volkes Art liebt, der haßt alle Entartung und Unart. Wir hassen die Treulosigkeit und Trägheit, die das Erbe verschleudert, die würdelose Ausländerei, die uns in Theater und Tanz, in Literatur und Musik zu Affen und Sklaven fremder schlechter Mode macht. Wir hassen das Gift, das aus den Großstädten durch dekadente Literatur, Presse und Bühne ins Land strömt, die Schändung der Liebe zwischen den Geschlechtern, das Spiel mit der Heiligkeit der Ehe, die Entwürdigung des Ehebettes, die unsere Kinderstuben verödet. Wir kennen Feinde unseres Volkes in seiner Mitte, Menschen, die seine Sprache reden, sein Brot essen und dennoch seine Verderber sind. Wir können unser Volk nicht lieben ohne Feinde zu haben, ohne zu zürnen und zu kämpfen.“ Auch wenn er die Juden nicht explizit nennt, ist es seinen damaligen Lesern doch schnell klar, dass diese mit den „Feinden unseres Volkes in seiner Mitte“ gemeint sind, die er mitverantwortlich macht für die Amoralität der Moderne. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Bei aller Übernahme antisemitischer Ideologeme und eigener Tendenz zum Antisemitismus158 ist es Althaus allerdings ein wichtiges Anliegen, sich am Ende seines kurzen Abschnitts über die „Judenfrage“ in seiner Rede in Königsberg abschließend noch einmal vom Rassenantisemitismus der Völkischen abzugrenzen und klarzumachen, wo für ihn die Grenze verläuft: „Es geht dabei nicht um Judenhaß – man kann an diesem Punkte gerade mit ernsten Juden übereinkommen –, es geht nicht um das Blut, auch nicht um den religiösen Glauben des Judentums“159. Mit diesen Feststellungen, die Althaus als gemäßigten Antisemiten und zum wiederholten Male als Gegner des Rassenantisemitismus ausweisen, meint er, das Problem der „Judenfrage“ hinreichend benannt zu haben. Wie stellt sich Althaus nun die Lösung der „Judenfrage“ vor? Dazu schreibt er in seinen Ethik-Lehrbüchern: „Die Lösung der jüdischen Frage kann weder von der Vollendung der Emanzipation und Assimilation noch von äußerer oder rechtlicher Ausstoßung aus dem Lebensverband unseres Staates erwartet werden. Dagegen ist Klärung und Reinigung des Verhältnisses von verstärkter Bewußtheit des Judentums um sein eigenes Volkstum, um sein besonderes Schicksal und seine besondere Lage zu erhoffen. Wenn das Judentum sich offen zu seinem jüdischen Volkstum und Schicksal bekennt, dann wird auch die Schranke anerkannt werden, deren Achtung erst eine würdigere Gemeinschaft herstellt. Gegenüber dem Ernste des hierin wirksamen völkischen Lebensgesetzes hat der aufklärerische Appell an die Ideen der Toleranz, Gleichberechtigung und allgemeinen Menschenwürde keinen Sinn.“160

In Althaus’ Lösungsvorschlag zur „Judenfrage“ kommt die ganze Ambivalenz seiner Haltung gegenüber den Juden zum Ausdruck. Einmal mehr will er einen Mittelweg beschreiten. Unbeschadet der von ihm eingeräumten Möglichkeit des „Hineinwachsens“ von einzelnen Juden ins deutsche Volk, lehnt er auf der einen Seite die Assimilation der Juden im Ganzen, also das Aufgehen des jüdischen Volkes im deutschen, ab und fordert stattdessen eine Selbstbesinnung 158 Diese Tendenz wird auch dadurch deutlich, dass Althaus einen der Gewährsmänner des Antisemitismus, Paul de Lagarde, der sich durch derbe Antisemitismen und eine eliminatorische Tendenz in der „Judenfrage“ hervortat, in einer Rezension zu dessen „Ausgewählten Schriften“ 1926 als „Prophet des ernsthaften Antisemitismus“ bezeichnet (2602R Lagarde, 25). In Althaus’ ausführlichen Literaturangaben zur „Judenfrage“ in seinen Ethik-Lehrbüchern erscheint Lagarde allerdings nicht, und die antisemitische Ideologie Lagardes findet sich bei ihm nicht wieder. 159 2704 Volkstum, 131. Einer dieser „ernsten Juden“, mit denen Althaus über die „zersetzende großstädtische Geistigkeit“ übereinzukommen meint, ist der Rabbiner Georg Salzberger, der den gleichen Kulturpessimismus pflegt wie Althaus, wenn er 1929 in einem Aufsatz gegen die Mischehe schreibt, „daß das Großstadtleben wie auf die Moral so auch auf die Religion zersetzend wirkt“ (Salzberger, Mischehe, 25 f.). 160 2806 Leitsätze, 55. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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der Juden auf ihr eigenes Volkstum, wie sie der Zionismus bereits vollzieht161. Wenn er sie als „Fremdkörper“ betrachtet, so geht er dabei nicht nur von seinem eigenen Volkstumsdenken aus, sondern er nimmt dabei auch die Sichtweise derjenigen Juden ernst, die sich selbst als eigenes Volk sehen. Auf der anderen Seite lehnt er ebenso eine Entrechtung oder Vertreibung der deutschen Juden ab162. Aus einem Vortrag über „Evangelische Kirche und völkische Bewegung“ vor einer Pfarrerkonferenz im April 1931 wird Althaus’ Meinung dazu mit den Worten widergegeben: „Eine staatliche Ausnahmegesetzgebung gegen das Judentum lehnte der Referent ab.“163 Die Juden besitzen in seinen Augen trotz ihrer „Fremdheit“ ein Bleiberecht in Deutschland, wobei sie für ihn keine Menschen minderen Rechts sind. Was Althaus trotz seiner Ablehnung einer Entrechtung mit einer Zurückweisung der „Vollendung der Emanzipation“ meint, bleibt in seinem unklaren Lösungsvorschlag offen. Dieser bleibt somit so undeutlich und schwammig wie die „Judenfrage“ selbst. Indem Althaus das Judentum als eigenes Volkstum betrachtet – eine Sichtweise, die auf jüdischer Seite von den Zionisten geteilt wurde –, geht er in seinem Lösungsversuch entsprechend seinem eigenen Volkstumsdenken vor: Deutsches und jüdisches Volkstum sollen sich ihrer bewusst sein, sich voneinander abgrenzen, nebeneinander leben und sich gegenseitig achten, auf dass eine „würdigere Gemeinschaft“ möglich ist. Die Vorstellung der Wahrung der jeweils eigenen volklichen Identität bezeichnet Althaus als „völkisches Lebensgesetz“ und stellt sie den genannten westlichen Ideen entgegen, die er als Bedrohung der Identität der Völker befürchtet. Jüdisches Leben in Deutschland ist für Althaus eine unbestreitbare Tat­sache. Irgendwie geartete eliminatorische Tendenzen hat Althaus gegenüber den Juden nicht, wenn er 1928 deren „Ausstoßung aus dem Lebensverband unseres Staates“ zurückweist und im August 1932 erneut zur „Judenfrage“ schreibt: „Wie immer wir Deutsche sie lösen – an einem wird nichts zu ändern sein: daß die Juden in unserem Lande wie unter den anderen Völkern der Welt sitzen bleiben.“164 Dieses von ihm als Fremdkörper betrachtete jüdische Leben unter 161 Althaus’ Haltung an diesem Punkt wird in 3103 Kirche, 176 deutlich: „Es ist unsere Aufgabe, die sich anbahnende Selbsterkenntnis des Judentums als Volkstum zu fördern, es damit auf seine Grenzen zu weisen und so stark als möglich selbst deutsch zu sein.“ 162 Bereits während des Krieges war für Althaus eine mögliche Sonderbehandlung oder Sondergesetzgebung für die jüdische Minderheit, wie sie später im „Dritten Reich“ grausame Wirklichkeit werden sollte, völlig undenkbar; vgl. 1507 Frühling, 150. 163 3103 Kirche, 176. 164 3208 Gott, 751. Auch an dieser Stelle kommt Althaus auf den „klaren Sinn von Gott her“ zu sprechen, den das jüdische Leben innerhalb der anderen Völker hat, nämlich auf die „Relativität völkischer Sonderung und Geschlossenheit“ hinzuweisen und die Homogenität der Völker im Blick auf das Gottesreich zu transzendieren. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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den Völkern hat für ihn, wie wir gesehen haben, theologischen Sinn. Für Althaus ist die „Judenfrage“ zuerst eine religiös-theologische Frage, sodann aber auch eine Volkstumsfrage. „Durch das moderne Judentum“, konstatiert er 1929, „ist uns gewiß nicht nur eine theologische Aufgabe gestellt, sondern auch eine volkspolitische. Das Judentum bedeutet eine völkische Frage, ohne Zweifel. Aber wichtiger ist es heute zu betonen: das Judentum stellt eine theologische Frage!“165

Abgesehen von ihrer heilsgeschichtlichen Bedeutung, die ihnen als Volk Israel eo ipso eine theologisch-religiös herausgehobene Stellung einbringt, sind die Juden für ihn politisch-weltlich gesehen ein Volk wie jedes andere – von dem entscheidenden faktischen Unterschied wird gleich zu sprechen sein. Als solches soll es mit dem deutschen Volk in „würdiger Gemeinschaft“ leben – Althaus verwendet hier bewusst den von ihm so positiv besetzten Gemeinschafts­begriff. Die Juden sind für ihn kein „Gegenvolk“ wie für die Völkischen. Dass dieses würdige Zusammenleben in seinen Augen „durch eine ganz bestimmte zersetzte und zersetzende großstädtische Geistigkeit, deren Träger nun einmal in erster Linie jüdisches Volkstum ist“ gefährdet ist, tut Althaus’ Konzept einer zu schaffenden „würdigen Gemeinschaft“ offensichtlich keinen Abbruch. Die Gemeinschaft zwischen Deutschen und Juden ist nicht nur insofern eine besondere, als die Juden erstens theologisch kein Volk wie jedes andere sind und zweitens durch ihre angeblich „entsittlichenden“ Einflüsse gefährlich sein können. Das „besondere Schicksal“ und die „besondere Lage“ macht drittens in politisch-weltlicher Sicht die Tatsache aus, dass die Juden ein Volk ohne eigenen Staat sind. Sie leben als Volk unter den anderen Völkern. Althaus spricht an anderer Stelle auch vom „völkische[n] Problem, das uns durch das Wohnen jüdischen Volkstums unter uns gestellt ist“166. Dass gerade dieses „besondere Schicksal“ für Althaus einen eschatologischen Sinn hat, bringt er mehrfach zum Ausdruck. Für Althaus ist das jüdische Volk theoretisch ein Volk wie jedes andere. So nimmt es wenig wunder, dass seine Vorstellung einer Lösung der Judenfrage in Gestalt eines jeweils volkstumsbewussten Miteinanders von Juden und Deutschen seiner während des Weltkrieges konzipierten Vorstellung des Miteinanders der deutschen Minderheit mit dem polnischen Volk in Polen entspricht. Wie sich die Juden in Deutschland ihre jüdische Identität erhalten sollen, so sollten sich bereits die Deutschen in Polen ihre deutsche Identität 165 2904 Frage, 196. Weiter heißt es dort: „Beide Fragen sind voneinander wesentlich verschieden. Die theologische Hören heißt nicht: die völkische verneinen, humanitär-liberal das völkische Problem […] übersehen.“ 166 Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Paul Althaus und die „Judenfrage“

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erhalten. In beiden Fällen soll aus diesem geklärten Miteinander eine gedeihliche Nachbarschaft im Innern entstehen, eine „würdige Gemeinschaft“. Auf seiner Suche nach einer Lösung der „Judenfrage“ geht Althaus sowohl bei antisemitischen, als auch bei jüdischen Autoren, die den Antisemitismus vehement bekämpfen, in die Schule167. Sein Literaturverzeichnis in den „Leitsätzen zur Ethik“ von 1928 nennt neben Friedrich Hertz mit dem Buch „Rasse und Kultur“ von 1925 und Julius Goldstein mit „Rasse und Politik“ von 1925 auch Jakob Wassermanns „Mein Weg als Deutscher und Jude“ von 1922, in dem dieser sich mit dem Rassenhass auseinandersetzt. Auch als Wassermanns Buch 1933 der Bücherverbrennung zum Opfer fällt und dieser Autor auf den nationalsozialistischen Index der verbotenen Bücher kommt, nimmt ihn Althaus 1936 aus seinen Literaturempfehlungen nicht heraus. Goldsteins Buch wurde vom „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ (C. V.) in den 20er Jahren explizit als anti-antisemitische Aufklärungsschrift zum Kauf und zur Verbreitung empfohlen168. Von dem französisch-britischen Schriftsteller und Antisemitismuskritiker Hilaire Belloc nennt Althaus „Die Juden“ von 1927. Bei seiner Behandlung der Judenfrage verweist Althaus auch auf das antiantisemitische Votum Heinrich Fricks im RGG-Artikel „Antisemitismus“ von 1927. Vehement weist dieser Judenfeindschaft und insbesondere den Rassenantisemitismus zurück und ruft dazu auf, die Lösung der „Judenfrage“ „unter Verzicht auf A[ntisemitismus] rein sachlich zu erstreben, indem die Juden nach denselben ethischen Normen wie andere Volksgenossen beurteilt werden.“ Der Christ solle sich „für die Ideen der Toleranz, Gleichberechtigung und allgemeinen Menschenwürde zugunsten des jüdischen Mitbürgers eintreten, sich in praktischer Arbeitsgemeinschaft mit religiös-ethischen und philosophisch-idealistischen Kreisen des Judentums zu gemeinsamen Kampf gegen Irreligion und Unmoral verbunden wissen“169.

Auf der anderen Seite nennt Althaus vom Philosoph Max Wundt das Buch „Deutsche Weltanschauung“ von 1926, insbesondere den Anhang „Der ewige 167 Unzutreffend ist Smids Auswertung der Althausschen Literaturangaben in seinen Ethik-Lehrbüchern. So verdankt Althaus weder „nach eigenen Angaben“, noch inhaltlich „die wesentlichen Konturen seines Judentumsbildes“ dem eliminatorischen Antisemiten Paul de Lagarde, noch geht Althaus bei Adolf Stoecker in die Lehre, der „die Judenfrage nicht religiös“ behandelt wissen wollte (dies., Protestantismus, 288). Für Althaus war die „Judenfrage“ im Gegenteil wesentlich religiös. 168 Vgl. Hecht, Juden, 129. „Der C. V. war 1893 von deutschen Juden als Abwehrverein mit dem Ziel gegründet worden, den Antisemitismus durch rationale Aufklärung zu bekämpfen.“ (ebd., 18). 169 Frick, Antisemitismus, 397. Es ist ein Kennzeichen der Ambivalenz der Zeit, dass auch ein Anti-Antisemit wie Frick nicht vor Antisemitismen gefeit ist. So gibt er zu bedenken: „Konkrete nationale Fragen (wie die Bekämpfung schlechter Elemente unter den deutschen Juden; die Stellung zur Einwanderung von Ostjuden) liefern dem A[ntisemitismus] wirksamen Agitationsstoff.“ (ebd., 396 f.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Jude“. Der Gegensatz dessen rassenantisemitischer Sichtweisen zu Althaus’ Stellung zur „Judenfrage“ ist evident170. Mehr Gemeinsamkeiten bestehen demgegenüber zwischen Althaus und dem von ihm genannten, in der Tradition des Idealismus stehenden Theologen Reinhold Seeberg und dessen Aufsatz „Antisemitismus, Judentum und Kirche“ von 1923. Obwohl dieser sich vordergründig um eine – für damalige Verhältnisse – relativ differenzierte Sichtweise bemüht, ist auch seine Anschauung zur „Judenfrage“ gespickt mit harten Antisemitismen und rassenideologischen Anklängen. Wenn Althaus auch gegenüber Rassenideologie und – mit Abstrichen – gegenüber dem Antisemitismus gefeit war, dürfte es dennoch gerade der Versuch der Differenziertheit sein, der Althaus von so mancher Position Seebergs überzeugte171. Noch weitergehende Anregungen erhält Althaus von Wilhelm Stapel und dessen Schrift „Antisemitismus und Antigermanismus“ von 1928, in der sich auch Stapel um Differenziertheit in der Betrachtung der „Judenfrage“ bemüht. Wenn Althaus auch die antisemitische Stapelsche Konstruktion eines angeblichen jüdischen „Antigermanismus“ nicht übernimmt, so dürfte Stapel mit seiner abwägenden und vom Rassenantisemitismus weitgehend freien Position auf Althaus beeinflussend gewirkt haben172. 170 Weder betrachtet Althaus das jüdische Volk wie Wundt als das Gegenvolk zu den übrigen Völkern (und speziell zu den Deutschen), noch finden sich bei ihm die bei Wundt kulminierenden derben Antisemitismen. Zwar ist auch bei Althaus die religiöse Verwerfung Jesu Christi ein Grunddatum der jüdischen Geschichte, doch interpretiert er diese als aus dem religiösen Eifer und der „Kirchlichkeit“ der jüdischen Führungsschicht motiviert – eine Motivation, vor der Althaus in Abwehr christlichen Hochmuts jeden Menschen warnt –, und nicht wie Wundt aus „Haß gegen alle anderen Menschen“ (Wundt, Weltanschauung, 186). Die Judenmission lehnt Wundt aus rassenideologischen Gründen ab (ebd., 191). 171 Zwei Punkte sollen bei Seeberg angesprochen werden, die sich auch bei Althaus’ Stellung zur „Judenfrage“ finden. Das vorrangige „Mittel“, das Seeberg zur Lösung der „Judenfrage“ nennt, ist eine Stärkung des eigenen deutschen Nationalbewusstseins, auf dass sich das Deutschtum auf seine eigenen Werte und Ideale besinne (Seeberg, Antisemitismus, 128). Dieser Gedanke findet sich auch bei Althaus, bei ihm mit dem besonderen Zusatz der gleichzeitigen Nichtabwertung der Juden als angeblich „minderwertig“ (vgl. 2806 Leitsätze, 54). Auch ein weiterer zentraler Topos des Seebergschen Antisemitismus, nämlich der Aufruf an die Kirche, vor dem volksgefährdenden Einfluss des Judentums öffentlich zu warnen, findet sich bei Althaus. So schreibt Seeberg, Antisemitismus, 132: „Gegen alles Schmutzige, Gemeine und Niedrige, gegen alles Zersetzende, Auflösende, Zersplitternde, gegen alle Verunreinigung der Quellen unserer wirklichen Kraft in Volk und Kirche geht unser Kampf. Das ist ein Kampf wider die Juden, sofern sie Führung und Verschleiß dieser Verderbensmacht besorgen“. Dieser Gedanke Seebergs von 1923 findet sich bei Althaus in seiner Rede vor dem Kirchentag in Königsberg 1927 wieder; vgl. 2704 Volkstum, 131. 172 So grenzt sich Stapel am Ende seiner Schrift noch einmal deutlich vom Rassenantisemitismus ab, wenn er schreibt: „Es fällt mir nicht ein, den einzelnen Juden als ein minderwertiges Geschöpf zu betrachten, ihn zu hassen und zu verfolgen. […] Es fällt mir ebensowenig ein, das jüdische Volk als Volk für minderwertig oder gar ‚böse‘ zu halten. Auch dieses Volk ging aus Gottes Schöpferhand hervor, es ist mit einem merkwürdigen und staunenswerten Schicksal – begnadet und zugleich gepeinigt worden.“ (Stapel, Antisemitismus, 108). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Merklichen Einfluss hatte Stapel auf Althaus’ Vorschlag zur relativen Lösung der „Judenfrage“. So lässt sich Stapel, ebenso wie Althaus, von der Erkenntnis leiten: „Die Symbiose der Juden mit den Deutschen ist nun einmal eine geschichtliche Tatsache.“173 Davon ausgehend, lehnt Stapel die „Lösung der Judenfrage durch ‚Assimilation‘, also letztlich durch Vermischung der Völker“ ebenso ab wie „die Judenfrage durch Aufstachelung des Hasses zu lösen“. Auch Stapels Lösung ist nun ein Mittelweg: „Die Vorbedingung zur Lösung der Judenfrage ist die Weckung eines gesunden Instinktes für eigenes und fremdes Volkstum. Menschen, die ihres Volkstums instinktiv sicher sind, werden sich nicht durch fremdes Volkstum blenden lassen. […] Sie lassen sich nicht bewundernd von Fremden bei Seite drängen, aber sie werden fremden Leistungen die Anerkennung nicht versagen. […] Sie werden keinerlei Beschimpfung ihres Volkstums dulden, und sie werden auch dem andern seines Volkstums wegen keinen Schimpf antun. So wäre die Möglichkeit denkbar, daß zwei Völker, in sich gefestigt und klar abgegrenzt, dabei offen und ohne Engherzigkeit, als einander Fremde, aber doch als vom Schicksal zum Zusammenleben Gezwungene mitein­ ander auskommen, ohne daß ihr Volkstum überfremdet und ihre Geschichte verfälscht wird.“174

Den gleichen Gedanken eines Nebeneinanders – Althaus schreibt von „würdiger Gemeinschaft“ – übernimmt Althaus von Stapel in seine „Leitsätze zur Ethik“. Althaus’ Haltung zu der auch von ihm als aktuell und relevant einge­stuften „Judenfrage“ stellt einen eigenständigen Ansatz dar. Angetrieben von der Sorge um einen schwindenden Einfluss der Kirchen in der Gesellschaft und erfüllt mit volksmissionarischen Hoffnungen, kommen auch bei ihm antisemitische Tendenzen zum Tragen. Entsprechend seiner Volkstumstheologie spielen in seiner Sichtweise der „Judenfrage“ diejenigen geistigen und ethischen Aspekte eine Rolle, die seine Auseinandersetzung mit der Moderne überhaupt und deren als Krise empfundenen Symptomen beherrschen. So kommt Töllner zu dem Schluss: „Seinem vorrangig geistigen Volkstumsbegriff entsprach seine Transformation des Antisemitismus ‚ganz ins Geistig-Kulturell-Sittliche‘. Die Notwendigkeit eines Kampfes leitete er nicht aus plattem ‚Judenhaß‘ oder aus dem ‚religiösen Glauben des Judentums‘ als solchem ab, sondern wegen der ‚Bedrohung durch eine ganz bestimmte zersetzte und zersetzende großstädtische Geistigkeit, deren Träger nun einmal in erster Linie jüdisches Volkstum ist‘. Ähnlich wie Meiser argumentierte Alt 173 Ebd., 107. 174 Ebd., 75 ff. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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haus in der Tradi­tion der antimodernen Konservativen wie Stoecker oder Treitschke mit ‚gemäßigt‘ antijüdischen Denkfiguren. Dabei favorisierte Althaus eine deutschlutherische Synthese, bei der die geistig-kulturelle Identität die entscheidende Rolle spielte.“175

Die Herangehensweise an das heikle und von der deutschen Öffentlichkeit spätestens ab Ende der 20er Jahre als hochaktuell empfundene Thema „Judenfrage“ ist beim Erlanger Theologen Althaus in erster Linie religiös-theologisch motiviert. Für ihn ist die „Judenfrage“ zuallererst eine theologische Frage. In zweiter Linie ist sie bei ihm insofern weltanschaulich-politisch motiviert, als er „dem Judentum“, mit diesem Vorwurf antisemitisches Gedankengut aufgreifend und kolportierend, unterstellt, entscheidender Träger einer entsittlichenden Geistigkeit zu sein und mit seinem angeblich übergroßen Einfluss in der Gesellschaft zur Zersetzung der öffentlichen Moral beizutragen. Dass Althaus durch diese „entsittlichenden Einflüsse“ die „Durchdringung unseres Volkes mit den Kräften des Evangeliums“ gefährdet sieht176, zeigt einmal mehr seine volksmissionarische Grundmotivation auch hinter seinen Äußerungen zur „Judenfrage“. Die auch von Althaus mitvollzogene Qualifizierung des Judentums als eigenes, fremdes Volk neben  – aber nicht gegen  – den Deutschen ist für ihn weltanschauliche Grundlage seines Judenbilds. Darin spiegelt sich zugleich seine eigene Volkstumstheologie wieder, die auch im Blick auf die Juden keine Rassenideologie und somit keinen Rassenantisemitismus zulässt.

5.4 „Die Frage des Evangeliums an das moderne Judentum“ – Althaus’ religionsphilosophischer Dialog mit dem Judentum „Es wäre schlimm für die deutsche Christenheit, wenn sie vor lauter Benommenheit durch die völkische Frage des Judentums die theologische überhörte! Beide wollen gehört und behandelt sein.“177 Für Althaus ist die „Judenfrage“ eine Frage des Volkstums und eine Frage der Religion. Nachdem er in seinen „Leitsätzen zur Ethik“ einen Lösungsversuch für die „völkische Frage des Ju-

175 Töllner, Frage, 34. Den Gedanken einer „Transformation des Antisemitismus ‚ganz ins Geistig-Kulturell-Sittliche‘“ teilt Töllner mit Hamm, Elert, 220, Anm. 41, der den Althausschen Antisemitismus von dessen „vergeistigendem Volkstumsdenken“ ableitet. Auch nach Smid, Protestantismus, 307 hat Althaus bereits 1927 die „Verlagerung des jüdischen Problems auf die geistigtheologische Ebene eindeutig mitvollzogen.“ 176 2704 Volkstum, 131. 177 2904 Frage, 196; Hervorhebung von Althaus. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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dentums“ skizziert hat, befasst er sich auch mit der theologischen Frage in religionsphilosophischer Hinsicht. Dass Althaus keinerlei Ressentiments gegenüber Forschungen und Veröffentlichungen jüdischer Kollegen hat, zeigte bereits ein Blick in die Literaturverzeichnisse seiner Ethik-Lehrbücher zu den Kapiteln „Die Rassen“ und „Das Volk“. Ende der 20er Jahre geht Althaus noch einen Schritt weiter und tritt mit seinem Vortrag „Die Frage des Evangeliums an das moderne Judentum“, den er im März 1929 auf der „4. Studientagung über die Judenfrage“ in Nürnberg hält178, in den damals noch sehr zaghaft geführten christlich-jüdischen Dialog ein und bezeugt damit eine „für einen lutherischen Theologen jener Jahre erstaunliche Offenheit für das jüdische Geistesleben“, wie Marikje Smid feststellt179. Gemäß seiner Überzeugung, dass die „Judenfrage“ in erster Linie eine theologische Frage sei, sucht Althaus das – freilich nur literarische – Gespräch. Dabei geht es ihm um eine religionsphilosophische Auseinandersetzung mit der jüdischen Religion. In der Druckfassung heißt es gleich zu Beginn: „Das Verhältnis von Christentum und Judentum ist in eine neue Stunde eingetreten. Immer schon war geistige Berührung und Auseinandersetzung da. Aber das theologische Gespräch, das das Judentum heute mit dem Christentum beginnt, bedeutet etwas Neues durch seine Höhenlage und seinen geistigen Ernst.“180

Voll des Lobes ist Althaus für seine jüdischen Gesprächspartner – vielleicht eine Art Rechtfertigung vor der deutschen Christenheit, warum er das Gespräch überhaupt sucht? So schreibt er: „Ein ganzer Stab glänzender jüdischer Schriftsteller hat das Wort genommen. So gilt es jetzt Auseinandersetzung im großen mit den Höhen jüdischer Geistigkeit. Die Theologie kann sich dieser Aufgabe nicht entziehen.“ Im Gegenteil: „Sie muß das Gespräch fortführen.“

Diesen christlich-jüdischen Dialog führt Althaus nicht ohne weiteres, wenn er seine Hörer bzw. Leser darauf hinweist, dass „die Vorbedingungen für eine wirkliche Unterredung […] gegeben“ sind. Welche Vorbedingungen sieht Althaus? Zunächst ist ihm wichtig – und das betont er, wie wir gesehen haben, na 178 Diese Tagung wurde ausgerichtet von der Arbeitsgemeinschaft der vier „Gesellschaften für Judenmission“ in Leipzig, Basel, Berlin und Köln. 179 Smid, Protestantismus, 287. Zu Recht fügt sie hinzu, dass diese Offenheit „nicht mit einem echten Anteilnehmen an dem Geschick der jüdischen Gemeinschaft im Weimarer Deutschland oder gar mit einer vorurteilsfreien Dialogbereitschaft verwechselt werden“ dürfe. Zu eingeengt war die eigene Sichtweise, daß kein Raum blieb „für irgendeine auch nur ausschnitthafte Wahrnehmung der tatsächlichen Lage und Gefährdung des jüdischen Lebens am Ende der Weimarer ­Republik“. 180 2904 Frage, 195. Die folgenden Zitate finden sich ebd., 195 f.; Hervorhebungen von Althaus. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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hezu überschwenglich –, dass seine Gesprächspartner auf Augenhöhe stehen. So sagt er über die „Höhen jüdischer Geistigkeit“: „Die Männer, die das Gespräch begonnen haben, sind durchaus moderne, literarisch und philosophisch geschulte Denker. Nicht ritualistisch-orthodoxe Ostjuden, sondern Persönlichkeiten, die mitten in der deutschen Geisteswelt stehen, mit dem Idealismus und z. T. mit Kirkegaard vertraut sind“.

Sodann spielt für ihn die entscheidende Rolle, dass die jüdischen Gesprächspartner sich ihres Judesein im volklichen und religiösen Sinne nachdrücklich bewusst sind: „Moderne und doch in ganz neuem Ernste Juden, nicht im profan-völkischen Sinne nur, sondern im religiösen, theologischen Sinne. Sie bekennen sich zu ihrem Jüdischsein in seiner religiösen Bedeutung und rücken weitab von dem modernen Kultur­ judentum. […] Man besinnt sich aufs neue auf Israel als Gottesvolk, auf seine religiöse […] Sendung.“

Damit entsprechen die von ihm behandelten Juden seiner bereits genannten Forderung für eine relative Lösung der „Judenfrage“, der zufolge „das Judentum sich offen zu seinem jüdischen Volkstum und Schicksal bekennt“, auf dass eine „würdigere Gemeinschaft“ mit ihnen möglich ist181. Indem Althaus das Gespräch mit den in seinen Augen „ernsthaften“ Juden sucht, macht er mit seinem eigenen Konzept ernst. Zuletzt nennt Althaus als erfüllte Vorbedingung, dass die zu behandelnden jüdischen Denker das Christentum ihrerseits hinterfragen und geistig herausfordern: „Aber diese Juden nehmen nicht nur ihr Judentum ganz neu ernst, sondern auch das Christentum.“182 Die Althaussche Motivation zu seinem Dialog mit dem Judentum ergibt sich aus seinem christozentrischen Grundverständnis des christlich-jüdischen Verhältnisses. Die Christenheit hat nach seiner Überzeugung den „Beruf zum Christuszeugnis an dieses Volk.“183 So schreibt er: „Auch die Theologie kann nichts anderes versuchen als das, was der schlichteste Frontdienst der Judenmission seit langem unternimmt: dem modernen Judentum die Frage des Evangeliums hörbar machen. Nur so antworten wir den jüdischen Denkern würdig.“184 181 2806 Leitsätze, 55; vgl. Kap. IV, 5.3. 182 2904 Frage, 196. Dazu gehört auch, dass Althaus positiv hervorhebt: „Ein starkes Bewußtsein der Überlegenheit gegenüber dem Christentum geht durch einen Teil der zu besprechenden Schriften.“ (2904 Frage, 195). Er will mit ihnen ernsthaft um die Wahrheitsfrage ringen. 183 2806 Leitsätze, 55. 184 2904 Frage, 196 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Althaus’ religionsphilosophische Auseinandersetzung mit dem Judentum ist für ihn eine apologetische und missionarische Aufgabe. Es geht ihm darum, mit dem Judentum um die Wahrheit des Evangeliums zu ringen. Zu den „Höhen jüdischer Geistigkeit“, mit denen er sich in seinem Vortrag beschäftigt, zählt Althaus den Philosophen Constantin Brunner mit seinem Buch „Unser Christus“ (1921), den Religionsphilosoph Martin Buber mit „Vom Geist des Judentums“ (1916), den Schriftsteller Max Brod mit „Heidentum, Christentum, Judentum“ (1921) und den Religionsphilosoph Franz Rosenzweig mit „Der Stern der Erlösung“ (1921). Während Althaus das theologische Gespräch mit den drei Erstbehandelten, „vom Unerheblicheren zum Erheblicheren aufsteigend“185, nicht zwingend für fruchtbar hält, macht er seine Sympathien gegenüber Rosenzweig sehr deutlich. Nachdem Althaus den mystisch gefassten Judentumsbegriff Brunners recht schnell und arrogant als „unechtes“ Judentum abtut186, ist in seinen Augen Buber, dem er eine „mystische Theurgie“ unterstellt, immerhin ein „ethischer Mystiker“187. Wenn er auch in Rechnung stellt, dass die von ihm herangezogene Schrift Bubers bereits 13 Jahre alt ist und dieser seitdem sich womöglich weiterentwickelt hat188, so wirft er doch auch Buber vor, „unjüdisch“ zu denken189 und einer „Entstellung des Urchristentums“ und Jesu das Wort zu reden190. Althaus’ eigene Vorbehalte gegenüber einem mystisch gefassten Religionsbegriff kommen hier in der apologetischen Auseinandersetzung mit den jüdischen Denkern zum Tragen191. Dem dritten „Gesprächspartner“, Max Brod, attestiert Althaus zwar, „über den einfachen sittlichen Idealismus Bubers hinaus“ zu sein192, doch unterstellt er auch diesem „unjüdische“ Züge:

185 2904 Frage, 197. 186 So schreibt Althaus: „Gegen diesen Juden müssen wir die Wirklichkeit des ganz un­mystischen Judentums aufrufen; gegen diesen Versuch, Jesus als Mystiker in Anspruch zu nehmen, die ganz unmystische Wirklichkeit des Lebens Jesu. […] Wir appellieren von diesem mystischen Juden an das echte Judentum.“ (ebd., 198 f.). 187 Ebd., 199. 188 Ebd., 201, Anm. 1. 189 Ebd., 201. So stellt Althaus die Frage: „Ist es noch Judentum, wenn Buber seinem Ethizismus die Form gibt: ‚In der Unbedingtheit seiner Tat erlebt der Mensch die Gemeinschaft mit Gott‘?“ (ebd.). 190 Ebd., 202. Seine Rückfrage lautet: „Ist Jesu Kampf gegen die Pharisäer wirklich nur ein Kampf wider die ‚Veräußerlichung‘? Nicht vielmehr gegen den Anspruch des Menschen, irgend ­etwas, und wäre es lauter Innerlichkeit, vor Gott zu bringen? Nach Luther ist gerade der verinnerlichte Mensch der Sünder vor Gott.“ (ebd., 203). 191 Vgl. 2105 Kreuz, 38 f.; und 2408 Kirche, 78. 192 2904 Frage, 204. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Weil bei ihm, ganz unjüdisch, die den alttestamentlichen Kultus beherrschende Vergebungsfrage nicht lebendig ist, kann Brod auch Jesu Anspruch, zu vergeben, nicht sehen und würdigen, muß er einen Abgrund zwischen Jesus und Paulus aufreißen“193.

Mit der Problematisierung der Vergebungsfrage kommt Althaus auf die eigentliche, seine apologetische Argumentation durchziehende Frage an „das Judentum“ zu sprechen: „Das moderne Judentum glaubt über den Opferkultus weit hinausgeschritten zu sein und nimmt das Problem der Vergebung überaus leicht. Damit geht es aber nicht nur an Christus vorbei, sondern auch an den Tiefen des Alten Testamentes. Was weiß das moderne Judentum mit dem alttestamentlichen Mittlertum, dem Priester- und Fürbittertum anzufangen?“

Seine aus diesem Gedanken folgende entscheidende Frage und Anklage lautet: „Kann überhaupt das Alte Testament durch das heutige Judentum ganz ernst ge­ nommen werden außer von Christus her? Das ist die Frage des Evangeliums an das moderne Judentum.“194

Indem Althaus dem „modernen Judentum“ vorhält, seine heilige Schrift ohne Christus nur oberflächlich zu lesen und ihm damit unterstellt, in seiner eigenen Auslegung die Bedeutung des Alten Testaments zu verfehlen, entzieht Althaus, wie schon bei seiner Verteidigung des Alten Testaments gegen völkische Kritiker, dem Judentum theologisch seine heilige Schrift. Damit entspricht er dem damals herrschenden christlichen Paradigma, das von einer zweifachen Nachgeschichte des Alten Testaments in Christentum und Judentum nichts wissen wollte. Mit seiner Argumentation meint der Apologetiker Althaus, den Nachweis der in seinen Augen notwendigen und folgerichtigen „Frage des Evange­liums an das moderne Judentum“ zu erbringen. Für sein Anliegen der Juden­mission, zu der er sich als frommer Christ verpflichte fühlt, spielt dieser Gedanke eine wichtige Rolle. So fragt Althaus weiter: „Gibt denn Jesaja 53 den jüdischen Theologen gar keine Rätsel auf?“ „Darf es sich als Gottesknecht wissen auch in der Ausstoßung Jesu und seit ihr? […] Wenn das Judentum hier, bei dem Bilde des Gottesknechts, einmal nachdenklich würde über seiner heiligen Schrift – vielleicht könnte das Alte Testament es Christus entgegenführen. Dann würde das Judentum erleben, daß es erst von Christus her seine Bibel ganz

193 Ebd., 208. Althaus hält in Bezug auf diesen „Abgrund“ fest: „Wie seltsam berührt sich hier die semitische Pauluskritik mit der antisemitisch-völkischen!“ (ebd., 205). 194 Ebd., 209. „Das Evangelium“, so Althaus, „fragt das moderne Judentum nach seiner heiligen Schrift, nach dem Alten Testamente“ (ebd., 212). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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wiedergewinnt. Seit es sich gegen Christus entschied, hat es auch seine heilige Schrift in ihrer Tiefe verloren.“195

Diese antijudaistische Überheblichkeit Althaus’, die das Judentum aus theologischen Gründen religiös abwerten zu können meinte, war nun aber geeignet, auch dem rein säkularen Antisemitismus, der das Judentum überhaupt verwarf, Vorschub zu leisten. Hat Althaus gegenüber den ersten drei jüdischen Denkern viel Kritik übrig, so hegt er gegenüber Franz Rosenzweig, „dem Bedeutendsten in der ganzen Reihe“, deutliche Sympathien und lobt ihn in den höchsten Tönen als „geistvollen Hegelforscher und Bibelübersetzer“ und als „kabbalistisch, philosophisch, geschichtlich durchgebildeten religiösen Denker.“ Auch gegenüber seinem Buch „Der Stern der Erlösung“ aus dem Jahr 1921 ist Althaus voll des Lobes: „Rosenzweigs Buch ist die glänzendste Philosophie und Apologetik des Judentums, die wir überhaupt besitzen.“196 Althaus fällt ein doppeltes Urteil über Rosenzweigs Religionsphilosophie. Einerseits findet er bei ihm in der Verhältnisbestimmung von Christentum und Judentum eine Toleranz, die trotz des Überlegenheitsgefühls des Judentums nach einem Ausgleich strebt. So meint Althaus festzustellen, „daß Rosenzweig Judentum und Christentum in einer tolerant ausgewogenen geschichtsphilosophischen Theorie in ein dialektisches Verhältnis setzt.“197 Andererseits findet Althaus bei Rosenzweig aber auch den Gegensatz, in erster Linie in der Frage der Christologie: „Für Rosenzweig scheint die Christologie aus einem paganischen Bedürfnis der Christen geboren.“198 Genau an diesem Punkt des Gegensatzes setzt die Althaussche Sympathie für Rosenzweig an: „Die Sätze wider die Christologie, in denen das alte Skandalon des Judentums durchbricht, sind uns darum in aller ihrer Ungerechtigkeit lieber als jene tolerante Theorie. Wir sind hier dem wirklichen Verhältnis der beiden Religionen näher als dort.“199

Was ist es, das Althaus an Rosenzweig so fasziniert? Zunächst fühlt sich Althaus als christlicher Theologe und Apologetiker von Rosenzweigs jüdischer Re 195 Ebd., 212 f. 196 Ebd., 209 f. 197 Ebd. Rosenzweig gebraucht dafür das Bild vom Stern der Wahrheit, den die Juden haben, und den Strahlen, denen die Christen hinterherlaufen, bzw. das Bild vom Judentum als ruhendem Gewässer und dem Christentum als fließendem Bach; vgl. ebd., 210 f. 198 Ebd., 212. Den Christusglauben tut Rosenzweig als bloße Idee ab: „Ob Christus mehr ist als eine Idee – kein Christ kann es wissen. Aber daß Israel mehr ist als eine Idee, das weiß er, das sieht er. Denn wir leben. Wir sind ewig, nicht wie eine Idee ewig sein mag, sondern wir sind es, wenn wirs sind, in voller Wirklichkeit.“ (Rosenzweig, Stern, 520). 199 2904 Frage, 212. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ligionsphilosophie in ihrem Überlegenheitsgefühl gegenüber der christlichen Religion, das auch den Antijudaismus und den Antisemitismus produktiv aufnimmt200, ernsthaft herausgefordert. So hält Rosenzweig einem in seinen Augen nur scheinbar überlegenen und siegreichen Christentum entgegen: „Wer möchte solche Einwände einem Glauben entgegenwerfen, der siegreich durch die Welt seinen Weg nimmt und dem die Götter der Völker […] nicht stand halten. Wer möchte es! Und dennoch: der Jude tuts. Nicht mit Worten – was wären hier in diesem Bezirk des Schauens noch Worte! Aber mit seinem Dasein, seinem schweigenden Dasein. Dies Dasein des Juden zwingt dem Christentum in alle Zeit den Gedanken auf, daß es nicht bis ans Ziel, nicht zur Wahrheit kommt, sondern stets – auf dem Weg bleibt. Das ist der tiefste Grund des Judenhasses, der das Erbe des heidnischen angetreten hat. Es ist letzthin nur Selbsthaß […] – Haß gegen die eigne Unvollkommenheit, gegen das eigene Nochnicht. Der Jude durch seine innere Einheit […] beschämt, ohne daß ers will, den Christen, den es hinaus und vorwärts treibt bis zum völligen Verstrahlen des Feuers […]. Hätte darum der Christ nicht in seinem ­Rücken den Juden stehen, er würde sich, wo er wäre, verlieren. […] Der Jude zwingt der Christenheit das Wissen auf, daß jene Befriedigung im Gefühl ihr noch versagt bleibt. […] Dies Verhältnis, diese Notwendigkeit des Daseins […] des Judentums für ihr eignes Werden ist auch der Christenheit selber wohl bewußt.“201

Die Judenfeindschaft der Christen und die Christenfeindschaft der Juden sieht Rosenzweig als gottgegeben: „Vor Gott sind so die beiden, Jude und Christ, Arbeiter am gleichen Werk. Er kann keinen entbehren. Zwischen beiden hat er in aller Zeit Feindschaft gesetzt und doch hat er sie aufs engste wechselseitig aneinander gebunden. Uns gab er ewiges Leben, indem er uns das Feuer des Sterns seiner Wahrheit in unserm Herzen entzündete. Jene stellte er auf den ewigen Weg, indem er sie den Strahlen jenes Sterns seiner Wahrheit nacheilen machte in alle Zeit bis hin zum ewigen Ende.“202

Der antijudaistisch-antisemitischen Metapher des „ewigen Juden“, der unter dem Fluch Gottes auf alle Zeit ruhelos über die Erde wandert, setzt Rosenzweig ein Gegenbild des gleichsam „ewigen Christen“ gegenüber, der rastlos der Wahrheit hinterherläuft und zum Missionieren verdammt ist203.

200 So schreibt Rosenzweig, Stern, 520 von der „im Judenhaß bezeugte[n] Lebendigkeit des jüdischen Volks“. 201 Ebd., 517–519. 202 Ebd., 520. 203 So schreibt Rosenzweig: „Das Christentum als ewiger Weg muß sich immer weiter aus­ breiten. Bloße Erhaltung seines Bestandes bedeutet ihm den Verzicht auf seine Ewigkeit und damit den Tod. Die Christenheit muß missionieren.“ (ebd., 428 f.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Für Althaus ist die „geistige Kraft und der Gedankenreichtum“ Rosenzweigs „großen Werkes“ „unvergleichlich“. Er ist fasziniert von der „Fülle der geist­ reichen (aber auch gewagten) Bemerkungen über das Judentum, der zum Nachdenken zwingenden Sätze über das Christentum“204. Gerade die Tatsache, dass der jüdische Religionsphilosoph Rosenzweig die christliche Theologie derartig herausfordert, scheint ihm zu imponieren; er reibt sich gerne an ihm. Doch neben diesem theologischen Grund hat Althaus noch einen weiteren Anlass zur Faszination, die aus dem jüdischen Volkstumsbewusstsein Rosenzweigs herrührt. So schreibt dieser über die Abgrenzung von Christentum und Judentum: „Die Christenheit muß missionieren. Das ist ihr so notwendig wie dem ewigen Volk seine Selbsterhaltung im Abschluß des reinen Quells des Bluts vor fremder Beimischung. […] Statt des fleischlichen Fortströmens des einen Blutes, das im gezeugten Enkel den Ahn bezeugt, muß hier die Ausgießung des Geistes in dem ununterbrochenen Wasserstrom der Taufe von einem zum andern weiterfließend die Gemeinschaft des Zeugnisses stiften. […] Der als Jude Gezeugte bezeugt seinen Glauben, indem er das ewige Volk fortzeugt. Er glaubt nicht an etwas, er ist selber Glauben“205.

Zu dieser ethnischen Zuspitzung des jüdischen Glaubens bei Rosenzweig heißt es in einer zeitgenössischen Rezension in der jüdischen Zeitschrift „Der M ­ orgen“: „Die Blutsgemeinschaft schon also macht den Juden zum Juden; das Blut selbst ist hier nichts anderes als der Träger der Ewigkeit durch die Zeit – während jeder Christ als der irdischen Heimat Verhafteter von Geburt Heide ist“206.

Auch Althaus nimmt diese Zuspitzung wahr, wenn er schreibt: „Das Judentum ist Zeugung, Blutsgemeinschaft, Selbsterhaltung im Abschluß, ­ewiges Volk, Unendlichkeit eines Punktes, das einzige Gewässer auf Erden, das ewig kreisend in sich selbst steht“207.

Auch wenn Althaus’ Gespräch mit dem Judentum von vorneherein recht ein­ seitig konzipiert ist, so geht er doch am Ende seiner Ausführungen auch den Fragen des Judentums an das Christentum nach und fragt: „Stellt das Judentum auch Fragen an das Christentum? Durch die von uns behandeltet Literatur geht deutlich genug die Frage, ob das Christentum auf seine Christo­logie nicht verzichten könne und sich mit dem Judentum auf dem Boden des Prophetismus zusammenfinden wolle.“ 204 2904 Frage, 210. 205 Rosenzweig, Stern, 429. 206 Susman, Rosenzweig, 551. 207 2904 Frage, 210. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Althaus entgegnet diesem Ansinnen unumwunden: „Gäben wir die Christologie preis, für Jesus würden wir billige Anerkennung aus jüdischem Munde finden. […] Indessen – darüber bedarf es keines Wortes – wir können und dürfen hier, an dem Ernste der Christologie, nichts ablassen.“

Doch Althaus bleibt bei der Feststellung dieser fundamentalen Kluft nicht ­stehen: „Dennoch bedeutet das Judentum von heute eine Frage an uns, […] ob wir das Evangelium so verstehen und verkündigen, daß wir die Wahrheit im Judentum nicht verschütten. Es ist das Evangelium selbst, das uns so fragt angesichts des Judentums, angesichts unserer Verantwortung, ihm das Evangelium zu sagen.“

Althaus gelangt dabei zu der Auffassung: „Nur ein solches Christentum wird den Juden das Evangelium verkündigen können, das selber noch wartet, ein eschatologisches Christentum.“208 Er zitiert eine längere Passage aus Aufsatz „Warum ich Jude bin“209 des Schriftstellers Edmond Fleg, die mit der Frage an die Christen bezüglich der Parusie Jesu Christi endet: „Seine Wiederkehr er­warten – heißt es nicht, sein Kommen erwarten?“210 Althaus folgert daraus: „An diesen Worten erkennen wir, daß auch heute noch das entscheidende Gespräch zwischen Christentum und Judentum über das alte Thema ‚Weissagung und Erfüllung‘ geführt werden muß. Die christliche Verkündigung hat dabei dem Judentum ein Doppeltes zu sagen. Einmal: daß die Weissagung von der Erfüllung nicht nur bestätigt, sondern auch gerichtet und gesichtet wird; sodann aber: daß auch wir mit den Juden warten, weil die Erfüllung in Christo nur Anbruch des Verheißenen ist und die Vollendung noch aussteht.“

Am Ende steht somit erneut die Althaussche Ambivalenz im Verhältnis zum Judentum: Das „innere Schicksal des Judentums“ sieht er „beschlossen in Jesu Wort des Gerichtes und der Verheißung über Israel: ‚Ihr werdet mich hinfort nicht sehen, bis ihr sprecht: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn‘ (Matth. 23,39).“211 Es darf angenommen werden, dass Althaus mit dem Wiederabdruck seines Aufsatzes über das Gespräch mit den „Höhen jüdischer Geistigkeit“ im zweiten Band seiner „Theologischen Aufsätze“ im Jahr 1935, zwei Jahre nachdem der Rassenantisemitismus Staatsdoktrin wurde, ein Zeichen setzen wollte. 208 Ebd., 213 f. 209 Althaus zitiert Fleg aus der jüdischen, kulturpolitischen Zeitschrift „Der Morgen“, die sich an die geistige Elite richtete. Offensichtlich gehörte auch Althaus zu ihren Lesern. Zum „Morgen“ vgl. Hecht, Juden, 151, Anm. 184. 210 2904 Frage, 215. 211 Ebd. Hervorhebung von mir. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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5.5 Zusammenfassung Geht man von Althaus’ erster Veröffentlichung im Jahr 1907 aus, so spielt die „Judenfrage“ in seinen Schriften zwanzig Jahre lang keine Rolle, auch nicht in den als so krisenhaft erlebten ersten Nachkriegsjahren, in denen es die Katastrophe von Weltkriegsniederlage und Versailles zu verarbeiten galt. Der Grund für die Nichtbeachtung dieses in der deutschen Gesellschaft immer schon latent und nach 1918 immer nachdrücklicher behandelten Themas dürfte in Althaus’ Prägephase in Jugend, Studium und während des Weltkriegs zu suchen sein, wo er offensichtlich mit Antisemitismus nicht signifikant konfrontiert wurde212. Ende der 20er Jahre steht die sogenannte „Judenfrage“ auf der Agenda der deutschen Öffentlichkeit, auch unter den deutschen Juden, weit oben. Es sind mittlerweile nicht mehr nur völkisch-antisemitische Kreise, die sich mit ihr beschäftigen. Die fortwährende Thematisierung der „Judenfrage“ durch die Völkischen entwickelte eine normative Kraft des Faktischen, der sich nur wenige zu entziehen vermochten213. Indem nun auch Althaus beginnt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, misst er ihm aus seiner theologisch-kirchlichen Warte Relevanz zu. Auch für ihn und in seinen Schriften gab es nun eine „Judenfrage“, und diese – so formuliert er 1928 – gehört „zu den schwersten Volkstumsfragen“. Er fühlt sich durch sie nun nicht nur religiös-theologisch, sondern auch im Blick auf sein eigenes Volkstumsdenken herausgefordert. Auch wenn die „Judenfrage“ in seinen Schriften stets nur ein randständiges Thema bleibt, hat Althaus als zunehmend einflussreicher protestantischer Theologe mit seiner Relevanzbeimessung dem Antisemitismus ganz allgemein Vorschub geleistet214. Einen Zusammenhang zwischen eigenen judenfeindlichen, antijudaistischen und antisemitischen Äußerungen und dem radikalen politischen Rassenantisemitismus konnte und wollte er wie so viele nicht erkennen. So trug auch Althaus – um mit Berndt Hamm zu sprechen – seinen „Anteil dazu bei, daß die mentale Hemmschwelle gegenüber den Verbrechen der Nationalsozialisten abgebaut und die Toleranz 212 Dass Antisemitismus für Althaus bis 1918 keine Rolle spielt, entnehme ich auch der ausführlichen Untersuchung von Roland Liebenberg, in der es keine Erwähnung dazu gibt. Für die Zeit zwischen 1918 und 1927 finden sich ebenfalls keine Belegstellen. 213 Zu dem Phänomen, dass fortwährender antisemitischer Druck auf die Gesellschaft seinerseits Judenkritik und Antisemitismus befördert vgl. Kaiser, Protestantismus, 214. 214 Smid überschätzt in ihrer Studie allerdings die wenigen Quellen, in denen sich Althaus am Rande mit der „Judenfrage“ beschäftigt, wenn sie schreibt: „Althaus hat sich in seiner Erlanger Zeit vielfach mit dem Judentum, seinem Volkstum und seiner Religion beschäftigt. Zur diesbezüglichen Urteilsbildung im deutschen Protestantismus der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre hat der Erlanger Theologe auf diese Weise Wesentliches beigetragen“ (Smid, Protestantismus, 282). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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bereitschaft, auch die Bereitschaft zum Wegsehen und die unbewußte ‚Fähigkeit‘ des Nicht-Wahrnehmens, erhöht wurde.“215 Bei allen Äußerungen Althaus’ und seiner Zeitgenossen zum Thema Judentum und Volk Israel müssen wir uns allerdings sogleich bewusst machen, dass wir es sowohl mit Theologie vor Auschwitz als auch mit Theologie vor dem christlich-jüdischen Dialog zu tun haben216. Eine „Endlösung der Judenfrage“ im Sinne der nationalsozialistischen Judenpolitik im „Dritten Reich“, von der völligen Entrechtung der Juden angefangen bis zur systematischen Ausrottung jüdischen Lebens in Europa, war für Althaus jenseits des Vorstellbaren. Hamm spricht daher bei Althaus von einer „Affinität zu einem ‚gepflegten‘ Antisemitismus“: „Man verabscheute Gewalttätigkeit gegenüber den Juden, man wollte nur eine Eindämmung des jüdischen Einflusses. Eine Judenvernichtung lag völlig außerhalb der Perspektive.“217 Wie gezeigt wurde, spielte der Antisemitismus bei Althaus nur eine untergeordnete und die Rassenideologie gar keine Rolle, so dass er auch gegenüber dem Rassenantisemitismus immun blieb. Im Gegenteil: Die Althaussche konsequente Schöpfungsordnungstheologie bildete den begrenzenden Faktor für seinen Antisemitismus und ließ Althaus vom späten Beginn seiner Beschäftigung mit der „Judenfrage“ an „entschieden und öffentlich gegen den Rassenantisemitismus“ Protest erheben, wie Walter Sparn feststellt218. Für ihn ist die „Judenfrage“ keine Rassenfrage, sondern eine Volkstumsfrage im Sinne seiner Volkstumstheologie. Der zufolge kann es gegenüber den Juden keine rassistische Überheblichkeit geben, die Juden sind keine „minderwertige Rasse“, sondern „nur“ ein anderes Volk, ethnisch und religiös. Und als solches unterliegt es wie das deutsche Volk den Gesetzmäßigkeiten der Althausschen Volkstumstheologie, für die Völker keine zu vergötzenden Letztwerte darstellen, sondern alle auf das Reich Gottes bezogen sind219. In dieser Konzeption bleibt kein Platz für eine rassistische Abwertung des Judentums als „Gegenvolk“, das allen Völkern feind sei und dem damit die Existenzberechtigung abgesprochen würde. Er besitzt kein dualistisches Weltbild nach dem Muster einer kollek­ 215 Hamm, Schuld, 33 f. 216 Vgl. Meiser, Althaus, 231. 217 Hamm, Schuld, 33. Nicht zuzustimmen ist Hamm allerdings in seiner Einschätzung, dass der „durch sein spezifisches Volkstums- und Rassedenken gekennzeichnete deutsche Antisemitismus […] besondere Sympathien in der Schöpfungsordnungstheologie des konfessionellen Luthertums“ fand, sofern damit auch Althaus angesprochen sein soll (ebd., 32; Hervorhebung von mir). 218 Sparn, Althaus, 9.  Auch Sparn hat die Althaussche Ambivalenz an diesem Punkt heraus­ gearbeitet. 219 Diesen Aspekt der Althausschen Schöpfungsordnungstheologie im Zusammenhang der „Judenfrage“ hebt auch Töllner, Frage, 28 hervor. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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tiven Übertragung von Gut und Böse auf Deutsche und Juden220. Dieser Kerngedanke völkisch-antisemitischer Ideologie fehlt bei Althaus gänzlich. Die Juden waren für ihn – abgesehen von der besonderen Situation der eigenen Staatenlosigkeit und abgesehen von ihrer besonderen theologischen Qualifizierung – in ethnischer Sicht ein Volk wie jedes andere. Das hatte ambivalente Konsequenzen: Zum einen trug Althaus damit zu einem „Fremdkörper“-Denken bei, das die Juden in Verbindung mit dem auch von ihm übernommenen und kolportierten antisemitischen Klischee der geistigen jüdischen Bedrohung als „Drahtzieher der Moderne“ zu einer „Gefahr“ stempelte. Mit seinem betont christlichen Volkstumsdenken trägt er dazu bei, den Juden gegenüber ein Gefühl der Fremdheit zu entwickeln, sowohl religiös, als auch ethnisch. Und diese Fremdheit wird als Bedrohung empfunden. Zum anderen war von Althaus’ Standpunkt aus der Rassenantisemitismus eine Unmöglichkeit. Von Beginn an betont er zudem den eigentlich religiös-theologischen Charakter der Judenfrage. Will man die „Judenfrage“ als Testfall für Althaus’ Volkstumstheologie betrachten, so legt sich der Schluss nahe: So ambivalent jene angelegt ist, so ambivalent ist auch seine Haltung in der „Judenfrage“. So kann es kaum verwundern, dass auch der Althaussche Vorschlag für eine „relative Lösung der Judenfrage“ – eine absolute sah er ja unter dem eschatologischen Vorbehalt stehend – von Ambivalenz geprägt ist: Auf der einen Seite eine ethnische, Ausnahmen zulassende, Abgrenzung von Juden und Deutschen, auf dass der angeblich „zersetzende“ jüdische Einfluss zurückgeht und gleichzeitig eine „würdigere Gemeinschaft“ ermöglicht wird; auf der anderen Seite Ablehnung einer Entrechtung und Vertreibung der deutschen Juden. Konsequent weitergedacht, entspricht vieles von dem, was die Nazis fordern und später umsetzen, erklärtermaßen nicht der Position Althaus’ in der „Judenfrage“. Die „Sonderbehandlung“, die Althaus den Juden zudachte, ist die besondere Verantwortung der Christen zur Judenmission. Jüdisches Leben in Deutschland ist für ihn eine unbestreitbare Tatsache. Irgendwie geartete eliminatorische Tendenzen hat Althaus gegenüber den Juden nicht. Wenn er die Juden als „Fremdkörper“ betrachtet, so geht er nicht nur von seinem eigenen Volkstumsdenken aus, sondern er nimmt dabei auch die Sichtweise derjenigen Juden ernst, die sich selbst als eigenes Volk sehen. So konstatiert Michael Brenner über die jüdische Selbstsicht in dieser Zeit: „Am Ende der Weimarer Republik war die Verwirrung über die Definition größer als je zuvor. Offiziell galten sie als Religionsgemeinschaft und bezeichneten sich selbst auch als solche, gleichzeitig unternahmen jedoch einige Zionisten den Versuch, auch 220 Vgl. Germann, Religion, 80 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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in Deutschland die Juden als nationale Minderheit anerkennen zu lassen. Andere wiederum übernahmen auch die Begrifflichkeit ihrer Umwelt, indem sie den Rassebegriff als ein mögliches Kriterium der Abgrenzung ins Spiel brachten. Besonders beliebt waren allerdings vage Begriffe wie diejenigen der Abstammungs- oder Schicksalsgemeinschaft, die freilich alle eine insgesamt erkennbare Tendenz zur Abkehr vom konfessionellen in den ethnischen Bereich markierten.“221

In theologischer, aber auch in ethnischer Hinsicht gibt Althaus dem Leben der Juden unter den Völkern einen Sinn, der eine Ausstoßung aus dem Leben der Völker, wie von völkischer Seite gefordert, als widergöttlich erscheinen lässt. Dies ist auch der Grund dafür, warum bei Althaus der antisemitische Vorwurf der prinzipiellen Volkszersetzung keine Rolle spielt. Was Althaus den Juden als „Zersetzung“ vorwirft, ist eine sittliche Zersetzung, wobei er sich auch an diesem Punkt vor platten Pauschalurteilen hütet222. Das antisemitische Ideologem und „Argument“ des „völkerzersetzenden, jüdischen Internationalismus“ spielt bei Althaus keine Rolle. Dass sich Althaus von der bloßen Existenz des Judentums unter den Völkern nicht in seinem Volkstumsdenken berührt sieht, sondern diese im Gegenteil in seine eigene Volkstumstheologie als begrenzendes Element integrieren kann, das auf die „Grenzen völkischer Sonderung und Geschlossenheit“ verweist und „den Blick auf Gottes kommendes Reich“ richtet, spricht für seine ernsthaften theologischen Absichten. Für den Theologen Althaus war die „Judenfrage“ letztlich eine religiöse und theologische Frage. Aus diesem Grund vertrat er die antijudaistische Vorstellung, der „tiefste Grund“ für die „Fremdheit jüdischer und deutscher Volksart“ sei „in der Gestaltung des äußeren Schicksals der Juden und der Prägung der jüdischen Geistigkeit durch die Ausstoßung Jesu zu erkennen.“223 In all seinen Äußerungen zum Judentum klingen bei Althaus zweierlei gegensätzliche Haltungen an, die eng aufeinander bezogen sind: Einerseits ist Althaus fasziniert vom Judentum und spricht vom „Wunder unter den Völkern“ und vom „Geheimnis göttlicher Aufbewahrung seines Volkes“. Andererseits 221 Brenner, Religion, 600. Brenner beschließt seine Ausführungen mit einem Zitat von Werner Cahnmann, Syndikus des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens in München aus dem Jahr 1926: „Man wird bei gewissenhafter soziologischer Analyse des Tatsächlichen doch zu dem Resultat kommen, daß die Juden jedenfalls eine eigene Gruppe sind, wie man sie auch benennen mag, nicht einzuordnen in die allgemeine Terminologie von ‚Nation‘ und ‚Nicht-Nation‘.“ (ebd., 601). 222 So schreibt er in einer Rezension zu August Pfannkuches „Genf oder Wittenberg?“, ihm sei „die schnelle Gleichung von […] ‚Semitismus‘ und Eudämonismus […] etwas unheimlich“ (2904R Pfannkuche, 94). 223 2806 Ethik, 54. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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fühlt sich Althaus vom Judentum abgestoßen, spricht er vom „Fluch“ des „ewigen Juden“ infolge der Verstoßung Jesu Christi. So heißt es auch bei Töllner: „Althaus schwankte in seinen Äußerungen zwischen der Einsicht in eine irgendwie heilsgeschichtlich geartete Rolle der Juden und dem Empfinden einer fundamentalen kulturellen und ethnischen Andersartigkeit von Juden und Deutschen.“224

Wobei diese Fundamentalität nicht so weit ging, keine Ausnahmen durch „Hin­einwachsen des Juden in deutsche Art“ anzunehmen und zuzulassen. An diesem Punkt ist auch an Althaus’ Forderung zur Judenmission zu denken. Doch nicht nur die Juden will Althaus missionieren; bei der Suche nach dem tieferen Grund für seine Auseinandersetzung mit der „Judenfrage“ stößt man einmal mehr auf seine volksmissionarischen Hoffnungen, die er durch die Art und Weise, wie er sich den angeblichen Einfluss des Judentums vorstellt, bedroht sieht. So gehört auch Althaus, um mit Hans-Ulrich Thamer zu sprechen, zu denjenigen konservativen Kirchenvertretern mit „kulturpessimistische[n] Vorstellungen und Ängste[n], die im Judentum das Prinzip der Moderne, der Säkularisation und des Liberalismus verkörpert sahen und die meinten, mit dem Kampf gegen das Judentum zugleich den Weg zurück zur Religiosität des christlichen Volkes finden zu können“225.

Judenkritik ist bei Althaus damit immer zugleich Kritik an einer als säkularisiert, kirchenfeindlich und unsittlich interpretierten Moderne; einer Moderne, deren Krisen aufs Judentum projiziert wurden. Fragt man nach dem Grund dafür, warum sich Althaus ab Ende der 20er Jahre mit der „Judenfrage“ überhaupt beschäftigt, so stößt man dabei nicht nur auf sein volksmissionarischen Anliegen, sondern einmal mehr auch auf sein Bestreben, die Problemlösungskompetenz und damit die Relevanz der christ­ lichen Theologie für die deutsche Gesellschaft vor dem Hintergrund des allgemeinen weltanschaulichen Ringens im Sinnstiftungspluralismus der Weimarer Jahre herauszustellen. Indem Althaus die „theologische Tiefe“ und den eigentlich religiösen Charakter der „Judenfrage“ betont, kann er gegenüber den völkischen Ansprüchen auf alleinige Kompetenz zu ihrer Lösung seinerseits Theologie und Kirche in Stellung bringen, die den wahren Schlüssel zur Lösung besitzt, einer Lösung, die für ihn nur relativ bleiben kann. Vor dem Hintergrund dieser Haltung in der „Judenfrage“ konnte Althaus nicht anders, als zum Antisemitismus überhaupt ein „Ja, aber“ zu sagen, das gleiche „Ja, aber“, das

224 Töllner, Frage, 35. 225 Thamer, Protestantismus, 220 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Althaus in der „Volkstumsfrage“ auch schon zum Nationalismus sagte. Dieses „Ja, aber“ will Althaus selbst als „Seelsorge am Antisemitismus“ verstanden wissen, zu der er die Kirche aufgerufen sieht226. Diese soll als die Wächterin über die „Volkheit“ des Volkes einerseits die angebliche geistig-sittliche Bedrohung des deutschen Volkes durch die „jüdische Geistigkeit“, die er vor allem in den Großstädten am Werke sieht, beim Namen nennen; andererseits soll sie aber auch dem „wilden Antisemitismus“, dieser Entsittlichung der Gesellschaft ins andere Extrem, Einhalt gebieten. So vielschichtig und ambivalent Althaus’ Haltung in der „Judenfrage“ auch ist, so uneindeutig ist auch die historische Einordnung seines Antisemitismus. Althaus’ Form des Antisemitismus stellt in der Weimarer Zeit einen eigenständigen Ansatz dar, der in vielerlei Hinsicht mit dem gängigen protestantischen Antisemitismus übereinstimmte, der sich jedoch ebenso in vielerlei Hinsicht von diesem unterschied. Geht man im Breuerschen Sinne von einem weiten Antisemitismusbegriff aus, so ist Althaus’ Haltung zur „Judenfrage“ als „geistigkulturell-sittlicher“ Antisemitismus (Berndt Hamm) zu qualifizieren, der seinen Antrieb aus seinem ethischen und volksmissionarischen Anliegen und damit einhergehend aus seiner kulturpessimistischen und antiliberalen Kritik der Moderne bekommt227. Überspitzt formuliert könnte man sagen: Althaus’ Antisemitismus war eher ethisch denn ethnisch orientiert. Indem Althaus sich des biologistischen Naturalismus’ mit seiner Unterordnung des Geistes unter das Blut und seiner Propagierung eines Determinismus des Blutes widersetzte, waren in seinem vom christlichen Menschenbild geprägten Denken die Schranken gegenüber dem Rassenantisemitismus ge­geben. So tauchen bei ihm für die Zeit typische und zentrale Antisemitismen gar nicht erst auf 228. Fragt man nach dem Grund für Althaus’ ambivalentes Judenbild, so gilt auch für ihn in den Jahren der Weimarer Republik, was Heinrichs über das Judenbild der protestantischen Judenmissionsbewegung im Kaiserreich herausgearbeitet hat. Auch bei Althaus ist es nicht starr, nicht schwarz oder weiß, 226 2704 Volkstum, 131. 227 So urteilt auch Kurz, Denken, 486 über Althaus: „Sein Antisemitismus war weltanschaulichantiliberal und nicht rassistisch oder religiös-christlich motiviert.“ 228 So erklärt es sich, dass Althaus, der sich schon in den 20er Jahren als Lutherforscher einen Namen gemacht hat, zu keinem Zeitpunkt die antijudaistischen und antisemitischen Ausfälle des gealterten Reformators erwähnt, geschweige denn zu eigen macht – in einer Zeit, in der völkische Autoren, aber auch theologische Kollegen nicht müde werden, ihren Antisemitismus mit dem Verweis auf Luther zu untermauern. Als ein Beispiel unter vielen sei nur der vom Thüringer DC-Landesbischof Martin Sasse 1938 herausgegebene Sammelband „Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!“ erwähnt. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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sondern ambivalent und eingebunden „in einem Prozeß der bewußten und unbewußten Auseinandersetzung mit den aktuellen Wirklichkeitserfahrungen“. Diese Ambivalenz erklärt sich für Heinrichs damit, dass „das tradierte Bild von den Juden mit dem aktuell gesellschaftlich konstruierten in ein Konkurrenzverhältnis tritt“, was eine „eigentümliche Spannung zwischen tradierter religiöser Weltanschauung auf der einen und im Kontext der modernen Gesellschaft provozierter mentaler Einstellungen auf der anderen Seite“ ergibt, die ein „äußerst widerspruchsvolles Judenbild“ als „Widerspiegelung der in einen Antagonismus geratenen Moderne“ evoziert.

Als Hintergrund sieht Heinrichs dabei die für den Protestantismus typische „wechselseitige Beeinflussung von tradierten Einstellungen und Normen auf der einen und im Dialog mit der aktuellen historischen Situation entwickelten mentalen Dispositionen auf der anderen Seite“229. Was Heinrichs demzufolge über die kaiserzeitliche Judenmissionsbewegung feststellt, gilt mutatis mutandis auch für Althaus: „Trotz der Aufnahme antisemitischen Gedankenguts, die sich besonders in der Übernahme bestimmter Topoi nachweisen läßt, bleibt demnach […] eine Reserve dagegen. Juden werden zwar vielfach durch die antisemitische Brille gesehen, doch wird die ursprüngliche Verbundenheit der christlichen mit der jüdischen Religion weiterhin herausgestellt. Die Juden hören […] nicht auf, Hoffnungsträger zu sein.“230

Althaus ändert seine Haltung in der „Judenfrage“ unter dem Eindruck des erstarkenden Nationalsozialismus und schließlich auch im „Dritten Reich“ nicht, weder zum Negativen, noch zum Positiven. Sein „Nein zur brutalen Lösung der Judenfrage und zum Staat auf dieser Grundlage“231 besteht prinzipiell fort. So heult er einerseits nicht mit den Wölfen und nimmt keine schärfere Haltung in der „Judenfrage“ ein oder entfernt die zwischenzeitlich verfemten jüdischen Autoren aus den Literaturangaben seiner Lehrbücher. Andererseits sind aber sein Gefühl und seine Überzeugung der „Fremdheit“ des Judentums so weit entwickelt, dass er kein Wort der christlichen Solidarität mit den zunehmend ausgegrenzten und entrechteten Juden finden kann. Doch um vorschnelle Urteile zu vermeiden, gilt nicht nur „im Blick auf Barths Verständnis des Judentums und seiner Position gegenüber der Judendiskriminierung sorgfältig zu differenzieren zwischen seinen öffentlichen bzw. veröffentlichten Stellungnahmen und den privaten, nur einem gegrenzten Adres­ 229 Heinrichs, Judenbild, 22 f. 230 Ebd., 549. 231 3103 Kirche, 177. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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satenkreis zugänglichen Meinungsäußerungen“, wie Smid ihm zugesteht232. Auch bei Althaus ergibt sich die private Haltung nicht auf den ersten Blick233. Seine Hilfe für vier Bremer Lehrerinnen im Mai 1942, denen Unterstützung von Juden vorgeworfen wurde, lässt nicht nur gegenüber diesen, sondern auch gegenüber jenen sein Mitgefühl erahnen234. Auf Bitte des Vorsitzenden des Bruderrats in Bremen und Oldenburg und gleichzeitig Vorsitzenden der Konferenz der Landesbruderräte, Pastor Heinz Kloppenburg, der neben Althaus auch Friedrich von Bodelschwingh und Theophil Wurm anschrieb und um eine Stellungnahme bat, attestierte Althaus den Lehrerinnen, denen vom NS-Regime „Fürsorgemaßnahmen für Juden“ vorgeworfen wurden, für ein Gerichtsverfahren, dass sie ohne Zweifel „christlich, d. h. nach Jesu Wort und Geist, gehandelt“ hätten. Für das Verfahren kam von Althaus laut Aussage des Anwalts „ein sehr brauchbarer Brief“, den er „sehr gut werde verwenden können“, so dass Althaus’ „sehr gutes Votum“ (Kloppenburg) mit dazu beitrug, dass dieses letztlich zur Überraschung aller in der Revision weitgehend zu Gunsten der Lehrerinnen endete235.

232 Smid, Protestantismus, 290. 233 Auf Althaus’ existentielle Hilfe für einen Theologiestudenten mit jüdischem Vater wurde bereits eingangs hingewiesen; vgl. Vorbemerkungen, 3. 234 Der Vorgang ist dokumentiert in Röhm/Thierfelder, Juden, 76–101 (zu Althaus vgl. ­97–100); und in Koch, Haltung, 291–320 (zu Althaus vgl. 315 f.). 235 Röhm/Thierfelder, Juden, 97–101. Die beiden Aussagen finden sich dort im Original abgedruckt; zum Briefwechsel Althaus’ mit Kloppenburg vgl. NPA 12/2. Nach Koch, Haltung, 316, Anm. 130, diente Althaus’ Unterstützung für die Lehrerinnen in seinem Entnazifizierungsverfahren als Entlastung. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

6. Althaus und die Frage nach den internationalen Beziehungen der Völker: Die neue Haltung zu Völkerbund und Krieg und der Freiheitskampf gegen Versailles Die Haltung Althaus’ in der Frage nach den internationalen Beziehungen der Völker ist in der zweiten Hälfte der 20er Jahre geprägt von einer zunehmenden Betonung des Menschheitsgedankens neben der gleichbleibenden Hochschätzung des Nationalstaatsgedankens. Dies drückt sich unter anderem darin aus, dass Althaus der friedenserhaltenden Idee des Völkerbunds mehr zutraut, gleichzeitig aber den Krieg an sich – wenn auch mittlerweile mit Abstrichen – weiterhin als geschichtsnotwendig betrachtet. Ein Grund für Althaus’ Akzentverschiebung dürfte nicht zuletzt in seinen Erfahrungen aus der Mitarbeit in der Ökumenischen Bewegung, allen voran seines Besuchs der Weltkirchenkonferenz 1925 in Stockholm zu finden sein. Bereits unmittelbar nach Stockholm nennt Althaus die Völkerverständigung als aktuelle Aufgabe der Kirchen1. Ausdruck für Althaus’ Bereitschaft, eigene Positionen zu diesem Thema zu überdenken ist seine Teilnahme an der von Friedrich Siegmund-Schultze und weiteren der Neuwerkbewegung nahestehenden Pazifisten zur Vorbereitung auf die Weltkirchenkonferenz in Stockholm organisierten „Zusammenkunft zur Beratung sozial-ethischer Fragen“ auf Burg Lauenstein Anfang Juni 1925, auf der Althaus einen Vortrag über „Die internationalen Beziehungen der Völker“ hält. In der an seinen Vortrag anschließenden Diskussion bekennt Althaus gegenüber seinen pazifistischen Hörern: „Ich bin sehr dankbar für diese Aussprache. Bisher habe ich immer vor vorwiegend nationaler Jugend gesprochen. Aber ich habe sie nicht nur ermutigt. Zum erstenmal stehe ich echten Neuwerklern Auge in Auge gegenüber. Es kommt mir nicht darauf an recht zu behalten. Ich werde manches heimlich mit nach Hause nehmen und die Frucht später sichtbar werden lassen. […] Ich bekenne, daß jeder Gedanke an einen Krieg jetzt Sinnlosigkeit ist. Ich will noch stärker als bisher in den mir nahestehenden Kreisen davon reden.“2

Was Althaus von dieser Versammlung mit ihm theologisch und weltanschaulich Fernstehenden „heimlich mit nach Hause“ nimmt und als „Frucht später 1 Vgl. 2506 Problem, 106ff; vgl. Kap. IV, 2.2. 2 2504 Beziehungen, 53. Mit „Neuwerklern“ meint er Angehörige der Neuwerk-Bewegung, einer vom Religiösen Sozialismus, vom christlichen Pazifismus und von der Theologie Barths beeinflussten christlichen Erneuerungsbewegung. Die von der Bewegung herausgegebene Wochenzeitung hieß ursprünglich „Der Christliche Demokrat“, später „Das Neue Werk“ und schließlich „Neuwerk – ein Dienst am Werdenden“. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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sichtbar“ werden lässt, soll im Folgenden aufgezeigt werden. Im Vorwort der 3. Auflage von „Staatsgedanke und Reich Gottes“, die Althaus um einen zweiten Teil „Zum Problem des Krieges“ ergänzt, erwähnt er ausdrücklich den Einfluss der Tagung auf seine eigene Theoriebildung3. Ungeachtet dieser neuen Haltung zu Völkerbund und Krieg sah sich Althaus zu Beginn der 30er Jahre als Teilnehmer des deutschen Freiheitskampfes gegen das Versailler System, das infolge der katastrophalen deutschen Lage durch die Weltwirtschaftskrise in der öffentlichen Meinung mehr als jemals zuvor als Knechtungsinstrument der Weltkriegssieger betrachtet wurde. Als prominente theologische Stimme positionierte auch er sich innerhalb der deutschen Einheitsfront gegen Versailles. 6.1 Die Gemeinschaft der Völker und die neue Haltung zum Völkerbund Seine Ausführungen über die Außenpolitik der Völker in seinen „Leitsätzen zur Ethik“ leitet Althaus 1928 mit den Worten ein: „Die Völker sind zum gemeinsamen Leben und zur Verantwortung füreinander berufen.“ Diese Verantwortung besteht für ihn darin, dass „jedes Volk sein eigenes Leben der Menschheit schuldet. So ordnet sich der völkische Beruf zur Entfaltung des eigenen Lebens dem Menschheitsgedanken ein. Dadurch unterscheidet sich der nationale Wille vom Nationalismus, der die Verantwortung gegenüber dem Gesamtleben der Menschheit verkennt.“

Erst nach dieser Abgrenzung vom Nationalismus und erst nach der Feststellung, dass „über den Beziehungen der Völker als Norm ein ‚Füreinander‘“ steht, bringt Althaus seine bekannten Ausführungen über die „Lebensgesetze der Geschichte“, die es mit sich brächten, „daß das Füreinander immer wieder durch ein Widereinander hindurchgehen muß.“4 Gegenüber seinen früheren Ausführungen zu Völkerleben und Krieg hat Althaus damit eine Umkehrung vorgenommen: Das Miteinander und Füreinander wird dem Widereinander vorangestellt, ohne dass letzteres seinen ihm von Althaus zugewiesenen Sinn und 3 2505 Staatgedanke, Vorwort. Die zweite Teilschrift, in der Althaus den Menschheitsgedanken in seiner geschichtsphilosophischen Betrachtung des Völkerlebens wesentlich mehr zum Ausdruck bringt, ist ihm so wichtig, dass er die erste „ohne die Ergänzungen durch die zweite nicht mehr hinausgehen lassen“ würde. „Nicht als ob ich von dem Vortrage ‚Staatsgedanke‘ heute irgend etwas zurückzunehmen hätte. Aber es galt, einige Striche mehr auszuarbeiten und das Ganze gegen Einrede und Mißdeutung durch weiterführende Besinnung zu sichern.“ 4 2806 Leitsätze, 63. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Zweck zur Durchsetzung der „lebendigen Gerechtigkeit in der Geschichte“ verliert5. Vollkommen aus dem Nichts kommt diese Entwicklung bei Althaus nicht. Sie entspringt seiner Neubeurteilung der Weltlage, die er bereits 1924 zur Voraussetzung der Einschätzung des Völkerbundes machte: „Vielleicht, daß man den Völkerbund einmal wollen müßte im Gehorsam gegen die geschichtliche Stunde, d. h. in der Erkenntnis, daß das Zeitalter nationaler Geschichte vorbei ist […]. Dann wäre das Eingehen auf diese neue Form der Völker­ beziehungen wohl sittliche Pflicht“6.

Eine Neuorientierung nimmt Althaus auch mit seiner Nebenordnung des Berufsgedankens eines Volkes neben den Menschheitsgedanken vor. Dementsprechend gibt es auch bei seiner Sichtweise des „Berufs“ der einzelnen Völker eine Akzentverschiebung. War er wenige Jahre zuvor in „Staatsgedanke und Reich Gottes“ noch der Überzeugung, jedes Volk solle bei seiner Berufserfüllung allein auf sich und seine Interessen schauen7, vertritt Althaus ab Mitte der 20er Jahre eine derartig solipsistische Haltung in der Völkerfrage nicht mehr. In seinem erwähnten Vortrag vor den Pazifisten 1925 beschreibt Althaus die „Lebendigkeit der Geschichte“ durch ein Ineinander von „Synthetik und Antithetik“: „Ein Volk hat ein Recht auf seine Macht nur insoweit, als es Menschheitsdienst tut. Es gibt eine Pflicht zur Einordnung in das Gesamtleben.“8 In seinem RGG-Artikel zu „Politik und Moral“ dient der Blick auf die anderen Völker und deren elementare Interessen gar der Begrenzung imperialistischen und nationalistischen Expansionsstrebens. Für Althaus besteht das „Ethos der Politik“ in den außenpolitischen Fragen der Nationalstaaten innerhalb der „lebendigen Geschichte“ darin, die Grenze zwischen den „wahren Lebensnotwendigkeiten des Volkes“ und dem „Machstreben um der bloßen Macht willen“, das er als „nackte rohe Gier“ ablehnt, zu beachten. Für die Erkenntnis dieser 5 So schreibt Althaus in 2803 Communio, 289: „Die Frage nach der Gemeinschaft ist die Tiefe nicht nur der ‚völkischen‘, sondern auch der uns brennenden Völkerfrage, des internationalen Problems. Nicht der Kampf als solcher beschämt und ekelt uns, aber das Sterben der Gemeinschaft durch die Lüge und den Haß. Gibt es eine Gemeinschaft der Völker, die nicht gebaut wird auf der Illusion, daß man den Kampf vermeiden könne, und die doch wirkliche Gemeinschaft ist. Das ist die Frage der Zeit.“ 6 2409 Heilsgeschichte, 644. Er fügt jedoch sogleich hinzu: „Aber es wäre sinnlos, diesen Übergang mit dem Pathos eines sittlichen Fortschritts zu vollziehen. Sittliche und unsittliche Politik gibt es im Zeitalter des Völkerbundes wie im Zeitalter der Nationalstaaten.“ 7 Vgl. 2305 Staatsgedanke, 41. 8 2504 Beziehungen, 42. Er sieht neben dieser „Synthetik“ nach wie vor „im Wesen der lebendigen Geschichte die Antithetik mitgesetzt“, was bedeutet, „daß sich die Fragen der Völker nach ihrem Weg überschneiden können“. Den gleichen Gedanken vertritt er in 2509 Problem, 70. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Grenze ist nach Althaus „der Blick auf die anderen Völker, ihr Dasein, ihre Geschichte, ihre Gabe von großer Bedeutung.“ Denn „in jedem Falle stellt der Blick auf die anderen Völker“ dem eigenem Volk und seinen führenden Staatsmännern „die Frage nach der eigenen Grenze.“9 An dieser Grenze aber entscheidet sich für Althaus, „ob aus echter Verantwortung für das Leben des eigenen Volkes inmitten aller anderen oder aus einer bindungslosen Willkür und Gier heraus gehandelt wird.“10 Althaus’ von Ranke übernommenes grundlegendes Geschichtsbild, ­wonach „nach Gottes Schöpferordnung ‚Nationen‘ […] die eigentlichen Träger des geschichtlichen Lebens sind“, bleibt von seiner Akzentverschiebung unberührt11. Allerdings will Althaus dabei die „wahre nationale Idee“ vertreten gegenüber ihrer „Verzerrung“ im Nationalismus, der von der Verantwortung der Nationalstaaten „gegenüber dem Gesamtleben der Menschheit“ nichts wissen will. „Damit verschreiben wir uns nicht kritiklos der Übersteigerung des nationalen Gedankens“, verteidigt sich Althaus gegen Kritik der Pazifisten. Althaus gesteht allerdings ein, das Miteinander der Völker bislang in seinen Schriften „im Ringen mit dem pazifistischen Unverständnis für das Ethos des Gegeneinander vielleicht zu wenig betont“ zu haben: „Es gibt eine direkte Verantwortung für die anderen Völker – das darf eine nationale Staatslehre niemals verschweigen.“12 Indem Althaus die Nationalstaaten nunmehr als „Glieder an einem Leibe“13 der Menschheit bezeichnet, meint er, die gegenseitige Verantwortung und Abhängigkeit genügend zu würdigen. Althaus’ weltanschaulich-politische Akzentverschiebung hin zum Menschheitsgedanken hat ihre Parallele in einer theologischen Neuakzentuierung: Die Trennung der Völker wird nun nicht mehr nur als Ausdruck des göttlichen Schöpfungsreichtums, sondern zugleich als Ausdruck der Sünde betrachtet. So heißt es in seinem Vortrag „Die natürlichen Gemeinschaften als Schöpfungs 9 3013 Politik, 1322. Er fährt fort: „Es gibt eine Macht, die Recht hat, und eine Macht, die Unrecht hat.“ In 2504 Beziehungen, 44 schreibt er: „Bei der Frage nach dem Berufe gilt es Gabe, Art, Geschichte des Volkes, dazu seine Stellung im Menschheitsganzen und die besondere Forderung der Stunde zu bedenken.“ 10 Ebd., 1326; Hervorhebung von mir. Althaus wendet diesen Gedanken sogleich auf den Versailler Vertrag an: „Zwischen Napoleons und Bismarcks Gewaltübung in der P[olitik] oder zwischen dem Frankfurter Frieden 1871 und dem Versailler 1919 liegt eine Welt.“ 11 2509 Problem, 70. Er schreibt dazu: „Das Menschheitsleben empfängt seinen Reichtum durch den Austausch und das Ringen nationaler Lebensgestalten. Daran ist festzuhalten, auch wenn man die Fortbewegung der Geschichte in unserer Epoche zu immer weiter greifender Arbeitsgemeinschaft der Völker erkennt und bejaht.“ 12 Ebd., 70 f. Althaus spricht in diesem Zusammenhang von der nationalen „Pflicht gegenüber dem Lebensganzen der Menschheitsgeschichte“: „Jedes Volk schuldet sich selber der Menschheit.“ 13 Ebd.; Hervorhebung von Althaus. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ordnungen“ von 1931, der den Untertitel „Schöpfung und Sünde in der Wirklichkeit der Lebensordnungen“ trägt: „Das Allerschwerste ist das Ineinander von Schöpfung und Sünde in den Ordnungen selbst. […] Im Blick auf das Volkstum dürfen wir Gen. 11 nicht übergehen: Die Trennung der Menschheit in Völker ist Gottes herrliche Ordnung, und doch liegt in ihr zugleich ein Fluch der Fremdheit und des Völkerhasses.“14

Die ambivalente Dialektik in Althaus’ Volkstumsbegriff, der theologisch zugleich aufgeladen und begrenzt wird, kommt an dieser Stelle deutlich zum ­Tragen. Fragt man nach dem konkreten „Menschheitsdienst“, den die Völker ge­ meinsam vollbringen sollen und in den sich das deutsche Volk besonders einbringen soll, stößt man auch in dieser Frage auf Althaus’ missionarisches Anliegen, das ihn bereits früher vom Widereinander der europäischen Völker als „Schande der Christenheit“ reden ließ. Als gemeinsame Aufgabe der christlichen Völker, insbesondere in Europa, betrachtet er den „Menschheitsdienst“ der Mission. So schreibt er 1931: „Die Botschaft vom Reiche im Sinne des Neuen Testaments ist das Kostbarste, was dem Abendlande anvertraut ist. Diese Botschaft ist es der ganzen Welt schuldig.“ Dementsprechend formuliert Althaus seine Hoffnung auf „ein sich aus der Bibel erneuerndes christliches Europa“, das für ihn zum „Christophorus, Christusträger für andere“ werden soll15. Althaus’ Akzentverschiebung in der Frage der internationalen Beziehungen hat ihre Entsprechung auch in einer veränderten Sichtweise auf den Völkerbund. Hat Althaus diesen noch in der ersten Hälfte der 20er Jahre prinzi­piell abgelehnt und ihm nur am Rande ein begrenztes Recht „in untergeordneten Dingen“ zubilligen können16, so misst er dem Völkerbund mittlerweile ein größeres Recht und ein größeres Potential zur Konfliktvermeidung zu. Als Begründung gibt Althaus 1925 die negativen Erfahrungen des Krieges an: „Wir haben gegenwärtig eine Geschichte hinter uns, wo die Völker ihren Beruf verkannt haben, und haben darum mehr Verständnis für den Völkerbund und derartige Organisationen.“17 Dementsprechend traut Althaus mittlerweile der „Anwendung von Schiedsgerichten“ auch im Aufeinandertreffen von „Berufsfragen“ verschiedener Völker „große Möglichkeiten“ zu, wie er die Leser seines Ethik-Lehrbuchs 1928 wissen lässt18. 14 3111 Gemeinschaften, 28. Zu der sich bei Althaus Anfang der 30er Jahre mehr und mehr durchsetzenden Erkenntnis des Zusammenhanges von Schöpfung und Sünde vgl. auch 3209 Schöpfung. 15 3113 Botschaft, 488. 16 1902 Pazifismus, 459. 17 2504 Beziehungen, 45. 18 2806 Leitsätze, 63. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Althaus macht in dieser Frage eine deutliche Entwicklung durch, die ihn, zumal nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, den Völkerbund bzw. seine Nachfolgeorganisation als „sittliche Pflicht“ verkünden lässt. So schreibt er 1948 in der fünften Auflage seines Ethiklehrbuchs: „Heute muß man einen übernationalen Staatenbund wollen, eine Menschheitsorganisation, im Gehorsam gegen die geschichtliche Stunde, d. h. in der Erkenntnis, daß das Zeitalter nationaler Geschichte vorbei ist. Das Eingehen auf diese neue Form der Völkerbeziehungen ist […] sittliche Pflicht“19.

Althaus’ veränderte Haltung gegenüber dem Völkerbund dürfte ihren Grund nicht zuletzt im neuen Verhältnis Deutschlands zu diesem haben: Im September 1926 durfte auch das Deutsche Reich Mitglied werden und bekam nun ebenso wie die Siegerstaaten des Weltkriegs die Möglichkeit eingeräumt, eigene Interessen vor diesem Forum zu vertreten20. Damit war der Völkerbund nicht mehr nur ein Bund der Sieger, was ihn in den Augen vieler Deutscher nach den herben Enttäuschungen der ersten Nachkriegsjahre (Teilung Oberschle­siens, Ruhrbesetzung) aufzuwerten vermochte. Auch in Althaus’ RGG-Artikel zu „Politik und Moral“ von 1930 schlägt sich dies nieder, wenn dieser auch erkennen lässt, dass der Erlanger Theologe die Nationalstaaten keineswegs als überflüssig erachtet. Immerhin sieht Althaus, der sich bereits 1925 gegen einen neuen Krieg ausspricht21, die Chance des Völkerbunds zur Friedenserhaltung. So schreibt er zum Thema Gewaltanwendung in der Außenpolitik: „Vielleicht vermögen die zum Völkerbunde zusammengetretenen Völker mit Erfolg dieses Mittel aus ihrem politischen Verhältnis zueinander zu bannen.“22 In seinem Aufsatz „Zum Problem des Krieges“ kann Althaus 1925 sogar noch einen Schritt weitergehen und seine Konzeption des „Berufsgedankens“ eines Volkes mit der Vorstellung eines Staatenbundes zusammenzudenken: „Ein freies Volk kann, nach besonderen Führungen, in einer geschichtlichen Stunde seinen Beruf darin erkennen, daß es mit anderen in einen größeren Staat aufgehe und dem, was neu werden will, seine staatliche Selbständigkeit mindestens zu einem Teile opfere.“23 19 4804 Dinge, 245. 20 Vgl. 2509 Problem, 65 f. Bereits 1925 hatte sich der Völkerbundeintritt Deutschlands ab­ gezeichnet. 21 Vgl. 2504 Beziehungen, 46.53.58. 22 3013 Politik, 1325. Er gibt sich dabei realistisch: „Das wird aber nur in dem Maße geschehen können, als der Staatenbund selber eine Art von Staat wird […]. Und auch dann wird er, wie früher die Einzelstaaten vermutlich die Gewaltübung mindestens nach außen hin, solange er nicht die ganze Menschheit umfaßt, unter Umständen nicht vermeiden können.“ Vgl. zu der von Althaus angenommenen Möglichkeit, „daß der Krieg sich überlebt“, 2806 Leitsätze, 64 f. 23 2509 Problem, 88 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Diese neue Haltung von Althaus gegenüber dem Völkerbund kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine prinzipielle Haltung zu den „Berufsfragen der Völker“ und zu der sich im Rahmen der „lebendigen Geschichte“ auch kriegerisch durchsetzenden „lebendigen Gerechtigkeit“ die gleiche geblieben ist, wenn auch mit Modifikationen. Mit anderen Worten: Während Althaus dem Völkerbund nunmehr ein positiveres Vorzeichen zu geben vermag, gibt er auch dem konkreten Krieg ein negativeres, nicht ohne diesem an sich im Rahmen seines geschichtsphilosophischen Konstrukts einen letzten Sinn zu belassen24. Auf den Punkt bringt Althaus diese Einstellung in seinem RGG-Artikel „Krieg und Christentum“ von 1929: Zwar sieht er „weiten Raum für friedliche Abgrenzung gegeneinander, für verständigen Ausgleich“ der Völker, der allerdings an seine Grenzen kommt, wenn nur noch Entscheidungen möglich sind. „Die Entscheidung aber kann dann nicht in allen Fällen durch den Schiedsspruch eines internationalen Forums gesucht werden.“25 Diese Überzeugung wird Althaus’ Haltung zu Völkerbund und Krieg für die nächsten zwanzig Jahre bestimmen. 6.2 „Das ethische Ja zum Kriege“ und doch „kein Hindrängen mehr zum Krieg“ – Althaus’ ambivalente Kriegsauffassung in Theorie und Praxis Deutlicher als in seinen früheren Argumentationen zum Krieg unterscheidet Althaus in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik zwischen dem Krieg an sich und den konkreten Kriegen. Diese doppelte Sichtweise auf Krieg und Kriege bringt eine gewisse Ambivalenz zu Tage, weil einerseits der Krieg an sich in der Theorie weiterhin als unvermeidlich propagiert wird, andererseits aber Althaus sich wiederholt gegen einen konkreten Krieg ausspricht. Dieser Ambivalenz und der daraus sich ergebenden problematischen Uneindeutigkeit seiner Konzeption, die leicht als Rechtfertigung jeder Art von kriegerischer Ausein­ andersetzung herangezogen werden konnte, ist sich Althaus durchaus bewusst. So schreibt er in seiner Erörterung „Zum Problem des Krieges“ im Herbst 1925, zu einem Zeitpunkt als die europäische Entspannungspolitik mit den Verhandlungen in Locarno zwischen Deutschland und den Alliierten auf einen ersten Höhepunkt zuläuft: 24 Vgl. 2504 Beziehungen, 44 f.; und 3013 Politik, 1323. 25 2915 Krieg, 1308. Dementsprechend lautet Althaus’ Empfehlung an die Kirchen: „Sie sollen den Völkerbund nicht verachten lehren, aber sie dürfen auch keinen Glauben an ihn als den Hort höchster geschichtlicher Gerechtigkeit verkündigen.“ (2506 Problem, 107). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Daß wir ausgerechnet in der jetzigen Lage Deutschlands und der europäischen Völker noch einmal vom Kriege reden, darf […] nicht mißverstanden werden als Stellungnahme zu den Tagesfragen der europäisch-amerikanischen Politik – als sagten wir damit ein Nein zum Eintritt in den Völkerbund, zum Versuche eines Sicherheitspaktes usw. und spielten in der Form theoretischer Erörterungen über den Krieg als solchen mit dem Gedanken des deutschen Freiheitskrieges. Mit alledem haben wir es überhaupt nicht zu tun. Wir lehnen eine Entscheidung jener konkreten Fragen der auswärtigen deutschen Politik, mit denen unsere Staatsmänner jetzt ringen, als nicht unseres Amtes ab. Wer unsere Besinnung auf das ethische Recht des Krieges als Freibrief für das Klirren mit Waffen, für jugendliches Spielen mit dem kommenden Rache- und Freiheitskriege benutzt, der mißbraucht sie.“26

Mit der von ihm getroffenen Unterscheidung zwischen dem Krieg und den Kriegen argumentiert Althaus in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik auch weiterhin gegen die pazifistische Position27, wenn er 1930 die Frage aufwirft: „Kann man die Losung ausgeben: gegen den Krieg? Muß es nicht heißen: gegen verantwortungslose Gewalt- und Kriegspolitik, gegen den Krieg der Gier und des Imperialismus?“28 Daraus folgert er: „Vielleicht erscheinen ‚die‘ Kriege, viele einzelne, bestimmte, uns heute weniger unvermeidbar als dem Geschlechte Luthers, aber ‚der‘ Krieg desto unentrinnbarer, weil […] aus einem tief mit dem Tode zusammenhängenden Kampfgesetze der Geschichte stammend.“29

Mit dieser Sichtweise des Krieges an sich ist zugleich Althaus’ geschichtsphilosophische Lehre vom Krieg angesprochen, die sich wie ein roter Faden von seinen Veröffentlichungen während des Weltkrieges durch die Zeit der Weimarer Republik fortsetzt und dem weitverbreiteten Geschichtsbewusstsein der Zeit entspricht30. Nachdem seine geschichtsphilosophische Spekulation über den Sinn des Krieges seit seiner ersten größeren Schrift „Pazifismus und Christentum“ 1919 in Bezug auf die reine geschichtsphilosophische Grundlegung kaum Modifi 26 2506 Problem, 65 f. 27 Für Althaus sind in dieser Auseinandersetzung „Friedenswille“ und Pazifismus „zweierlei“: „Pazifismus ist mehr als praktische Haltung, ist eben ein ‚…ismus‘, das heißt eine Theorie, ist noch immer mit einer evolutionistisch-optimistischen Geschichtsphilosophie verbunden ge­ wesen.“ (3002 Friede, 120). 28 3002 Friede, 123. 29 Ebd., 117. 30 Hardtwig, Krise, 59 führt als Beleg für dieses militärisch geprägte Geschichtsbewusstsein die „akademische Geschichtswissenschaft“ an, die für ihn „nach 1918 nicht über die Vorstellung hinweg[kam], daß der Krieg unabänderlich und unerbittlich zum Schicksal der Völker gehöre“ und für die „Kampf und Krieg als beherrschendes Lebensprinzip“ galten. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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kationen erfahren hat31, sollen diese nur knapp anhand Althaus’ „Leitsätzen zur Ethik“ von 1928 aufgezeigt werden. Es gibt für Althaus nach wie vor „geschichtliche Fragen“, in denen „nicht Ausgleich, sondern nur Entscheidung möglich ist. Die lebendige Geschichte stellt Fragen, bei denen Recht wider Recht steht, keineswegs nur Recht wider Unrecht und Unrecht wider Unrecht, sodaß der Konflikt als solcher ein Zeichen sündhafter Politik von beiden Seiten wäre. Das Konfliktsgesetz ist elementarer als in den menschlichen Willen begründet; es gehört mit dem Todesgesetze alles Lebendigen zusammen, es steht und fällt daher mit der Geschichte überhaupt.“32

Es fällt in seinem Aufsatz „Zum Problem des Krieges“ von 1925 auf, dass Althaus gegenüber seiner bislang stets ohne Einschränkungen vertretenen Annahme der „lebendigen Gerechtigkeit der Geschichte“, die sich in kriegerischen Entscheidungen zeige, mittlerweile offenbar Zweifel gekommen sind, die sich in einer Modifikation niederschlagen. So schreibt er: „Unser ethisches Ja zum Kriege setzt die Sinnhaftigkeit der durch ihn sich vollziehenden geschichtlichen Entscheidung voraus. Das Bekenntnis zum Sinne der Geschichte läßt sich jedoch in den Satz von der immanenten lebendigen Gerechtigkeit der Geschichte trotz seines Wahrheitsgehaltes nicht fassen, sondern meint die von keiner Theorie erreichbare Gerechtigkeit Gottes.“33 „Die Theorie von der lebendigen Gerechtigkeit der Geschichte hat zunächst von der Macht des Bösen ganz abgesehen. Aber die Geschichte der Völker ist voller Schuld, Hybris, Brutalität. Und wir glauben nicht so an die Gerechtigkeit der Geschichte, daß wir nicht wüßten: ein brutales Volk ohne Geist, Gewissen, Würde kann andere niedertreten und vernichten.“

Dementsprechend lautet Althaus’ Resümee: „Das Geheimnis und die Wunderlichkeit göttlicher Geschichtsleitung fährt weit hinaus über jede Theorie von der immanenten Gerechtigkeit der Geschichte und von dem Kriege als ihrem Vollstrecker.“34 Die herbeizuführende Entscheidung des Krieges muss sich nach Althaus „im Elemente der Mächtigkeit vollziehen, d. h. indem die Völker ihre ganze Macht an ihren Beruf setzen.“ Darin ist für Althaus die „Unvermeidlichkeit des Krie 31 Althaus verweist in 2509 Problem, 58, Anm.  1 selbst auf seinen Aufsatz von 1919 und schreibt dazu: „In vielem bin ich, wie die folgende Studie zeigt, über ihn hinausgeführt. Aber an den entscheidenden Sätzen über die lebendige Geschichte halte ich auch heute fest“. 32 2806 Leitsätze, 63 f. 33 2506 Problem, 100. An diesem Punkt scheiden sich für Althaus „idealistische und christ­liche Geschichtsphilosophie“: „Nur die letztere wahrt die Distanz zwischen Gott und der Geschichte ernsthaft.“ 34 Ebd., 100 f.; vgl. 2915 Krieg, 1308. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ges“ begründet35. Die Gewaltübung im Krieg versteht Althaus als „Pflicht gegenüber dem Berufe des Volkes“ und ist für ihn daher ein „Handeln im Amte“, weshalb er auch von einem „ethische Ja zum Krieg“ sprechen kann36, bzw. damit die „Notwendigkeit des Krieges“ begründet37. Weil „die großen geschichtlichen Entscheidungen eines Volkes“ für Althaus nur „in der Form der wagenden Tat“ vollzogen werden können, ist eine rationale Problemlösung von vorneherein ausgeschlossen: „In solchen Fällen kann die Entscheidung also nicht durch den Richterspruch eines menschlichen Gerichtshofes erreicht werden (wie segensreich und bedeutsam ein solcher auch in vielen Fragen des Völkerbundes wirken kann!).“38

Indem Althaus den Krieg als Ausdruck der Erfüllung des „Berufes“ – an anderer Stelle spricht er von der „Volkheit“ – eines Volkes interpretiert und dieser Beruf ihm von Gott als dem „Herrn der Geschichte“ zum Auftrag gegeben ist, lädt Althaus den Krieg nicht nur geschichtsphilosophisch, sondern zugleich geschichtstheologisch als „Gehorsam gegen Gott“39 auf und rechtfertigt ihn damit theologisch. Wenn Althaus betont, dass die „sittliche Pflicht zum Kriege“40 nur „in den großen Fragen“ des Völkerlebens gilt und dass dementsprechend „nicht jeder Konflikt […] Leben und Freiheit, Ehre und Beruf“ eines Volkes angeht41, so ist diese Unterscheidung aufgrund der Tatsache, dass Althaus keinerlei Kriterien dafür a priori nennen kann, für die Praxis wertlos42. 35 2806 Leitsätze, 64. Zu Althaus’ diesem Gedanken zugrundeliegender Geschichtsphilosophie, die er nicht zuletzt in lutherischer Zwei-Reiche-Lehre begründet sieht, vgl. 2915 Krieg, 1307 f. 36 Ebd. 37 2506 Problem, 73. 38 Ebd. „Die Sinnhaftigkeit des Krieges innerhalb der Geschichte“ besteht für Althaus darin, „daß er eine notwendige Entscheidung, die anders nicht zu gewinnen ist, herbeiführt.“ (ebd., 106). 39 Ebd., 73. Er nennt diesen Gehorsam „pflichtmäßiges Aufstehen wider jeden Gegner des Vaterlandes, an das Gott uns band und dessen Geschichte er uns anvertraute.“ Sogleich betont er, diese „deutsche Sache“ „ist uns keineswegs einfach die Sache Gottes, die Sache der absoluten Gerechtigkeit wider eine Welt des Frevels – aber sie ist uns anvertraut.“ (ebd., 92 f.). Die „Bereitschaft für die äußere Entscheidung“ ist für Althaus demzufolge „nichts anderes als der ganze Ernst der Frage an Gott nach seinem Willen über uns.“ (ebd., 105, Anm. 1) 40 Ebd., 76. 41 Ebd., 74; Hervorhebung von Althaus. 42 Ein Kriterium zur Beurteilung des Krieges weiß Althaus allerdings von vorneherein auszuschließen: „Nicht der Friede ist uns Maßstab, sondern der Beruf unseres Volkes.“ (ebd., 94; vgl. ebd., 84). Dementsprechend lautet seine Aufforderung an die Kirche: „Nicht Erziehung zum Kriege, aber auch nicht Erziehung zum Frieden, sondern zum politischen Ernste und Verantwortungsbewußtsein! Die Kirchen sollen keiner Romantik des Krieges nachgeben, aber sie haben das Bewußtsein lebendig zu erhalten, daß der Unterschied von sittlicher und unsittlicher Politik niemals einfach darin bestand, daß die eine zum Frieden führte, die andere zum Kriege.“ (ebd., 107). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Ist das „ethische Ja“ zu einem wirklich dem „Beruf“ des eigenen Volkes und nicht etwa der bloßen imperialistischen Machtgier der Regierung geschuldeten Krieg einmal erkannt  – wie das zu unterscheiden ist, bleibt, wie gesagt, im Dunkel  – dann fordert laut Althaus die „nationale Pflicht“ den „ganzen Einsatz“43. Dementsprechend bedeutet Krieg für Althaus, „daß Nationen die Entscheidung eines unausweichlichen Konfliktes durch Einsatz der gesamten Volkskraft herbeizuführen suchen.“44 „Sinn hat dieser Weg“ für Althaus, „weil weithin der Einsatz im Kriege die Probe auf die Tüchtigkeit der Völker zum geschichtlichen Leben ist“45. Diese implizite Propagierung eines totalen Krieges, den Althaus in den wenigen Fällen, wo es tatsächlich um letzte Berufsfragen der Völker geht, angewandt wissen will, findet sich auch in seinem RGG-Artikel „Krieg und Christentum“ 192946. Zu einem solchen totalen Krieg gehört es, dass Althaus „ein ernstes Volk“ in einen „rechten Krieg“ zwar auch mit Schmerz über die gestörte Gemeinschaft der Völker, in erster Linie aber mit „Freudigkeit“ ziehen lässt47. Weil Althaus diese Aussage offensichtlich selbst als zu kriegsverherrlichend erkennt, sichert er sie in seinem „Grundriß der Ethik“ 1931 dahingehend ab, dass er schreibt: „Die christliche Ethik widersetzt sich jeder Schändung des Krieges, aber auch jeder eindeutigen Verherrlichung.“ Jeder Krieg muss nämlich auch „mit Buße und Furcht des Gerichtes Gottes durchlebt werden“. Dies zu bezeugen, ist nach Althaus Aufgabe der christlichen Gemeinde. „Davon soll die Gemeinde aller nationalen Unbußfertigkeit und Kriegsverherrlichung gegenüber tapfer zeugen und das Verlangen nach der neuen Welt, in der Gerechtigkeit wohnt, lebendig halten.“48 Will man diese geschichtsphilosophische Überhöhung und geschichtstheologische Sakralisierung des Krieges an sich als möglicher „Gottes­ordnung“49 43 Ebd., 85; Hervorhebung von Althaus. 44 Ebd., 73; zum totalen Krieg bei Althaus vgl. ebd. 104, Anm. 1. 45 Ebd. Zur sozialdarwinistisch konnotierten Verbindung von „Tüchtigkeit“ und „Entscheidung“ und der dahinter stehenden Geschichtsphilosophie schreibt Althaus: „Im Kriege gewinnt – zwar nicht die ‚gerechte Sache‘ im ungeschichtlich-moralischen Sinne, aber – das geschichtstüchtigere Volk die Oberhand über das zu geschichtlichem Gestalten und Führen schwächere, die Zucht über die Schlaffheit, die Geschlossenheit über die Zerspaltung, die ganze Entschlossenheit über die Bedenklichkeit, in diesem Sinne also das größere geschichtliche Recht auf Staat, Freiheit, Führerschaft über das geringere Recht.“ (ebd., 100). 46 2915 Krieg, 1308 f. 47 2506 Problem, 89 f. Althaus spricht von Freudigkeit, „weil es ein Herrliches ist, wenn ein Volk sich für das anvertraute Erbe, für seine geschichtliche Sendung einsetzen darf. Freudigkeit, weil das Volk im Kriege erst wird, sich als Volk erfaßt, zum Opfer gerufen ist und Gottes heiliges Gesetz an sich erfährt“. 48 3108 Ethik, 108 f. 49 2506 Problem, 94. An anderer Stelle spricht er vom Krieg als „opus alienum“ Gottes (3002 Friede, 122). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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bei Althaus nachvollziehen können, muss man sich den historischen Ort klarmachen, von dem her Althaus seine Vorstellung des idealen Krieges gewinnt. Geprägt ist sein prinzipielles Kriegsverständnis vom deutschen Freiheitskampf gegen Napoleon sowie von den deutschen Einigungskriegen. Dass diese seinem idealistisch-romantischen Kriegsverständnis entsprachen und ihm daher als vorbildhaft erscheinen, macht er 1925 deutlich: „Es können sich in der Geschichte auch echte Berufsfragen treffen, ohne daß dabei Sünde den Blick getrübt hat. Es geht in der Geschichte um etwas Edleres als um den Kampf um Futterplätze und Märkte. Man denke an den Kampf gegen Napoleon oder den Krieg mit Oesterreich 1866. Es geht in der Geschichte um das Vorrecht, ein Stück Leben zu gestalten.“50

Dementsprechend will sich Althaus vom Pazifismus nicht die nationalen Errungenschaften der deutschen Freiheits- und Einigungskriege des 19. Jahrhunderts schlechtmachen lassen: „Wir wollen nicht, daß moralistische Schulmeister die Geschichte in Gedanken rückwärts revidieren und uns die kriegerische Geschichte und die Heldenzeiten unseres Volkes fragwürdig und klein machen.“51 Gegenüber diesem idealistisch verklärten Blick auf die deutschen Kriege des 19.  Jahrhunderts nimmt sich Althaus’ Einschätzung des jüngst vergangenen Weltkrieges realistisch und negativ aus. Der Weltkrieg, in dem in seinen Augen „die Völker ihren Beruf verkannt haben“52, scheint seinem Ideal ganz und gar nicht zu entsprechen. So schreibt er 1925: „Blickt man heute auf die Entwicklung zurück, die zum Weltkriege führte, – wieviel Blindheit und Versagen, wieviel geschichtliche Schuld, trotz alles schicksalhaften Zwanges, auch auf deutscher Seite!“53 Auch noch 1933 verweist Althaus auf den „Weltkrieg und die schauerlich Verwüstung der Menschheit durch ihn“54. 50 2504 Beziehungen, 44; vgl. 2506 Problem, 103, wo es heißt: „Wenn einem Volke gegen den ehrgeizigen Eroberer, dem keine Bindung heilig ist, im Freiheitskriege der Sieg gegeben oder einer zerrissenen, in unwürdiger Abhängigkeit von den anderen Mächten gedrückten Nation endlich, nach langem Sehnen und Ringen, nach vielen Irrungen und Wirrungen im Kampfe die Einheit geschenkt wird, dann darf das Volk darin Gottes Gnade erkennen – er gibt Freiheit, er schenkt Erfüllung.“ 51 2506 Problem, 65. 52 2504 Beziehungen, 45. 53 2506 Problem, 93. Daher ist es für Althaus „nach einem Kriege wie dem letzten […] wahrlich in der Ordnung, wenn die Völker miteinander und jedes für sich fragen, ob nicht heillose Eigen­ gesetzlichkeit, d. h. dämonische Entartung der Politik, ihrer Zielsetzungen und Methoden, an solcher Weltkatastrophe schuld war“ (ebd., 88). Entsprechend dieser Einsicht gehört es zu Althaus’ Lehren aus dem Weltkrieg, dass „jede nationale Hagiographie unmöglich“ (ebd., 104) ist: „Kirche und Theologie müssen sich hüten, wider ihr Gewissen, wider ihr Wissen um den Ernst und die Tiefe echter Geschichtsdeutung eine allzu einfache nationale aber auch internationale Geschichtsdogmatik zu liefern.“ (ebd., 103). 54 3303 Wirklichkeit, 81 f.; vgl. 2915 Krieg, 1310. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Nicht zuletzt dieser realistische Blick auf den Weltkrieg sorgt bei Althaus dafür, dass er in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik deutlich zwischen seinem Ideal des Krieges an sich und den konkreten Kriegen unterscheidet. So heißt es bei ihm 1925: „Das Entsetzen über den letzten Krieg liegt noch über den Völkern. Wir alle fühlen, daß, wenn Europa nicht ganz zugrunde gehen soll, an einen Krieg zwischen seinen großen Völkern heute nicht mehr gedacht werden darf. ‚Nie wieder Krieg‘ – so unzulänglich uns diese Losung als dogmatischer Grundsatz alles politischen Handelns erscheinen würde, etwas in uns allen kommt diesem Worte doch entgegen und fühlt sich in ihm ausgedrückt.“55

Ohne an der prinzipiellen geschichtsphilosophisch und -theologisch begründeten Notwendigkeit des Krieges als Möglichkeit der Entscheidungsfindung in „Berufsfragen“ zu rütteln, spricht sich Althaus seit Mitte der 20er Jahre mehrfach gegen einen konkreten Krieg aus. Mit anderen Worten ist Althaus in der Theorie ein Befürworter des Krieges, in der Praxis aber in dieser Zeit ein Gegner. Auf den Punkt bringt er dies in einem Vortrag 1925, wo es heißt: „Im Augenblick wollen wir kämpfen gegen die Geister, die uns in einen neuen Krieg hineintreiben wollen. Aber im Theoretischen stehe ich doch noch etwas anders.“56 Der Grund für dieses explizite Votum gegen einen konkreten Krieg ist nicht nur in Althaus’ realistischer Einschätzung der momentanen Wehrlosigkeit Deutschlands angesichts der Rüstungsbeschränkungen von Versailles und der nach wie vor hochgerüsteten Nachbarn, sondern auch in seiner geschichtsphilosophischen Sicht des Völkerlebens überhaupt zu suchen. Die Einsicht, „die fortschreitende rechtliche Organisation der Völker im Völkerbunde zeigt an, daß das Zeitalter der großen nationalen Kampfthemata zu Ende ist“57, hatte Althaus schon länger vertreten. Nun spricht er vom „Beginn einer vielleicht langen Friedensära“58 und verbindet damit das Votum gegen den Krieg: „Die Geschichte der europäischen Völker ist vielleicht in ihr Mündungsstadium eingetreten; darum kein Hindrängen mehr zum Krieg!“59 Dieses Votum, so verspricht Althaus bei seinem Vortrag auf der Tagung der Pazifisten 1925, will er auch in den rechtsgerichteten Kreisen vertreten, wo die kriegerische 55 2506 Problem, 59. 56 2504 Beziehungen, 53. So schreibt er auch in 2506 Problem, 64: „Wir werden wohl alle, wie die Dinge heute liegen, für den Frieden und gegen den Krieg in Europa zu wirken haben. Aber es kommt darauf an, mit welchem Vorzeichen man gegen den Krieg kämpft.“ 57 2915 Krieg, 1310. 58 2506 Problem, 65. 59 2504 Beziehungen, 46. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Revanche für Niederlage und Versailles bereits beschlossene Sache zu sein scheint. „Ich bekenne“, so Althaus, „daß jeder Gedanke an einen Krieg jetzt Sinnlosigkeit ist. Ich will noch stärker in den mir nahestehenden Kreisen davon reden.“60 Seinen Willen, aktuell gegen einen neuerlichen Krieg einzutreten, unterstreicht Althaus in seinem RGG-Artikel zur „Wehrpflicht“, in dem er zur Erhaltung des Friedens für eine allgemeine Abrüstung votiert. Nach Althaus wird „der Ernst politischen Verantwortungsbewußtseins“ die Völker „zur Verständigung über eine Beschränkung ihrer Wehrhaftigkeit führen: der hohe und sich zwangsläufig steigernde Rüstungsstand der Nationen kann durch sich selbst zu einer ständigen Bedrohung des Friedens werden“61.

Parallel zu dieser konkreten Ablehnung des Krieges durchdenkt Althaus auch die Frage nach dem Verhältnis von Krieg und Sünde aufs Neue. Explizit knüpft er dabei an eigene frühere Aussagen zum hamartiologischen Aspekt des Krieges an. So weist Althaus bei der Frage danach, ob Kampf und Krieg in der Weltgeschichte von der Sünde ableitbar seien, darauf hin: „Diese Stimmung ist […] heute weit verbreitet. Ich selber habe ihr in meiner Schrift ‚Religiöser Sozialismus‘ […] nachgegeben.“62 Noch 1925 versucht Althaus, das „Kampfgesetz der Geschichte“, das seinem idealistischen Verständnis des „wahrhaften Krieges“ zugrunde liegt und in seinen Augen nicht mit der Sünde in Zusammenhang gebracht werden kann, zu trennen von den jeweils konkreten Kämpfen, deren Verwobensein mit der Sünde er ohne weiteres zugesteht: „Gegen ein mögliches Mißverständnis sei betont, daß auch wir keinen Machtkampf kennen, in den nicht das Dämonische einströmte. Aber es geht hier nicht um die Frage, wie die Menschen den Kampf entstellen und mißbrauchen, sondern darum, ob die Unentrinnbarkeit des Kampfes als solche mit dem Fall der Menschheit zusammengehört.“63

Letzteres lehnt Althaus vehement ab: „Der Versuch, das Kampfgesetz der Geschichte mit dem Urabfall der Menschheit von Gott in Zusammenhang zu bringen, ist nicht haltbar.“64 Dementsprechend kann Althaus an anderer Stelle resümieren: „Nicht alle Kriege stammen aus der Sünde, es gibt auch gerechte 60 Ebd., 53. 61 3118 Wehrpflicht, 1782. 62 2506 Problem, 98, Anm. 1. 63 Ebd. 64 Ebd., 95. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Kriege.“65 Wie sehr Althaus in dieser Frage mit sich ringt, zeigt die Tatsache, dass er in der gleichen Schrift auch von der Einsicht sprechen kann, „daß das Böse und die Geschichtlichkeit als Entscheidungsleben zusammen gehören“66. Ende der 20er Jahre jedoch nimmt Althaus in der Frage nach dem Zusammenhang von Krieg und Sünde eine andere Haltung ein. Wollte er vorher keinerlei Zusammenhang zwischen dem von ihm angenommenen „Konfliktsgesetz der Geschichte“ und der Sünde gelten lassen, kommt für ihn dieses Kampf­ gesetz in seinem RGG-Artikel „Kampf“ 1929 nun „aus dem Zorn Gottes“67. Seine neue Erkenntnis lautet daher: „Das durch Gottes Wort erweckte Gewissen erkennt den Zusammenhang zwischen der Sünde als Verdrängungswillen und dem objektiven Verdrängungsgesetze der Welt als Natur.“68 In einem weiteren RGG-Artikel aus dem gleichen Jahr zu „Krieg und Christentum“ räumt Althaus der Sündenthematik im Rahmen seiner theologischen Kriegsbetrachtung noch weiteren Raum ein. So spricht er hier vom „unlösbaren Ineinander des ‚wahrhaften K[rieg]es‘ und des Bösen“ bzw. vom „Zusammenhang der K[rieg]e mit dem Bösen und den Dämonien“. Gegenüber seiner vormals einseitig idealistischen Vorstellung vom „wahrhaften Krieg“, bei dem Recht wider Recht zu einem entscheidenden Ausgleich kommt, gibt Althaus selbst zu bedenken: „Aber wieviele solcher K[rieg]e gab es in der Geschichte? Weitaus die meisten stammen offenbar aus naturhaftem, selbstzwecklichem Machtdrange, […] aus den Dämonien des nationalen Hochmutes, des Mammonismus usw. oder auch aus der Eigengesetzlichkeit der Kampfmittel […]. Auch in das Entstehen und die Durchführung eines ‚gerechten‘ K[rieg]es strömen alle diese Mächte mit ein. Insofern ist jeder K[rieg] böse. Gegen diese Mächte hat die Christenheit mit Ernst zu kämpfen. Damit kämpft sie gegen die K[rieg]e. Wenn das Böse gebändigt wird, dann werden die Kriege seltener.“69 65 2504 Beziehungen, 45. Oder mit anderen Worten: „Der Zusammenstoß zweier Staatswillen braucht nicht aus dem die Geschichte durchwaltenden Bösen zu stammen. Er ist vielmehr nur der Sonderfall eines umfassenden Gesetzes, das alles geschichtliche Leben bestimmt.“ (2506 Problem, 74). 66 2506 Problem, 99. Die Einsicht in die „Verknüpfung von Schicksal und Schuld, von rechter Erkenntnis und Irrtum […] in der Politik des eigenen Volkes“ erhält nach Althaus „nüchtern“ und „bewahrt das nationale Pathos und den vaterländischen Zorn vor der Überhebung.“ (ebd., 93). 67 2914 Kampf, 596. 68 Ebd. Zum Zusammenhang von Schöpfung und Sünde, wie ihn Althaus auf das Zusammenleben der Völker anwendet, vgl. 3209 Schöpfung, 186 f. 69 2915 Krieg, 1309; vgl. 2806 Leitsätze, 65, wo Althaus resümiert: „Die Sache des Vater­landes ist uns mit der in sie untrennbar verwobenen Sünde anvertraut“. Aus dieser Einsicht folgt für ihn, „daß kein Volk mit dem Pathos der ‚gerechten Sache‘ in den Kampf treten darf“ (2915 Krieg, 1309). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Auch von früheren Formulierungen, die den Krieg als Gottesordnung erscheinen ließen, nimmt Althaus mittlerweile Abstand: „Auch der ‚wahrhafte‘ K[rieg] kann nicht idealistisch eindeutig als ursprüngliche Gottesordnung der Geschichte hingestellt werden. Das Konfliktsgesetz der Geschichte, die Unentrinnbarkeit der Machtkämpfe hängt mit dem Todeslose alles Lebendigen zusammen. Das christliche Gewissen weiß jenes wie dieses der Sünde der Menschheit zugeordnet. Nicht der einzelne K[rieg] entsteht in allen Fällen durch konkrete geschichtliche Schuld, aber die ganze k[rieg]gebärende Geschichtsverfassung gehört zu der Welt des Falles und Todes. Das Konfliktsgesetz der Geschichte und die Unentrinnbarkeit des K[rieg]es sind Fluch, ein Fluch, den wir erleiden und vollziehen müssen“70.

Die Verflochtenheit von Schöpfung und Sünde und damit auch die Verbindung von Volk und Sünde betrifft für Althaus auch die Frage nach der Kriegsdienstverweigerung. Lehnt er diese 1925, als er sich zum ersten Mal mit diesem Thema beschäftigt, noch rundweg ab71, heißt es bei ihm fünf Jahre später zur Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen: „die Kirche soll für solche Dienstverweigerer eintreten.“ Auch wenn „die Kirche gewiß ist, daß der Christ in der Not seines Volkes, mag sie auch durch Schuld mitbedingt sein, an die Seite seiner kämpfenden Brüder gehört“, soll sie „trotzdem ihre Hand über die Dienstverweigerer halten, weil auch im irrenden Gewissen eben das Gewissen zu achten ist.“72 Den gleichen Gedanken vertritt Althaus auch in seinem RGG-Artikel zur Wehrpflicht von 193173. 70 2915 Krieg, 1310. Er vermag dem Konfliktsgesetz weiterhin etwas Positives abzugewinnen: „Aber Gottes Fluch ist niemals ohne seine Gnade. Die Geschichte ist gerade da auch herrlich, wo sie schrecklich ist. An der Schwere des Gegensatzes entsteht der hohe, herrliche Beruf zum letzten Einsatz und Opfer für die Sache des Vaterlandes. […] Jede eindeutige Rede, es sei von der Herrlichkeit oder von dem Fluche des K[rieg]es, ist uns verwehrt.“ Vgl. Günther Dehns Einschätzung des Krieges, er habe „wohl Verständnis auch für seine Größe neben all seiner Furchtbarkeit“ (ders., Christentum, 1). 71 So schreibt er in 2506 Problem, 102: „Kriegsdienstverweigerung hat gerade unter der Voraussetzung, daß die Welt der unentrinnbaren Konfliktsgesetze von der Schuld der Menschheit bedingt ist, keinen Sinn, sondern bedeutet einen Rückfall in die moralistische Betrachtung der einzelnen Kämpfe“ (Hervorhebung von Althaus). 72 3002 Friede, 123 f. Eine sittliche Motivation kann Althaus beiden, demjenigen der seinen Kriegsdienst leistet und dem Dienstverweigerer, zugestehen: „Das Gottesreich wollen, heißt doch wohl: dem Gebote der Liebe gehorchen wollen! Um dieses Liebesgebotes Willen stehen wir zu unserem Volke in seiner Not – und müssen dabei die Waffe in die Hand nehmen […]. Um des gleichen Liebegebotes willen verweigern andere den Dienst – und müssen dabei ihrem Volke in seiner Not untreu werden. Beide […] wollen das Gottesreich, ohne Kompromiß“ (ebd., 124; Hervor­ hebungen von Althaus). 73 Dort heißt es: „Jeder gewissenhaften Haltung in der christlichen Gemeinde [gebührt] die Achtung und der Schutz, die Paulus Röm 14 fordert. Aber die Kirche darf, indem sie die Verneiner der W[ehrpflicht] trägt und schützt, doch keinen Zweifel daran lassen, daß es ‚Schwache‘ (Röm 14), irregeleitete Gewissen sind; sie schuldet ihnen klärende Unterweisung“ (3118 Wehrpflicht, 1782). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Über diese passive Haltung der Kirche in der Frage nach Kriegsdienstverweigerung geht Althaus in seinem RGG-Artikel zu „Krieg und Christentum“ von 1929 hinaus, wo er sogar ein aktives Eintreten der Kirche für die Verweigerung für geboten halten kann. Zunächst gelte es festzuhalten, „daß in der Entscheidungsstunde die Sache des Vaterlandes den vollen Einsatz des Volkes fordert, wieviel Irrtum und Schuld auch die Geschichte des Volkes und die damalige Konfliktslage mitgestaltet haben mag.“ Doch Althaus sieht auch eine andere Möglichkeit74: „Zur Kriegsdienstverweigerung könnte die Kirche nur dann rufen – müßte es dann auch […] –, wenn der K[rieg] durch eine Regierung offenkundig leichtfertig, ohne den Ernst der Verantwortung für das Leben des anvertrauten Volkes heraufgeführt würde.“75

Althaus’ gegenüber früheren Stellungnahmen zum Krieg weiterentwickelte Vorstellung von der Zusammengehörigkeit des „Konfliktsgesetzes“ mit dem „Todeslose alles Lebendigen“, „das das christliche Gewissen der Sünde der Menschheit zugeordnet weiß“76, bildet den letzten Stand seiner Haltung in der Frage nach Krieg und Sünde in der Weimarer Republik. So findet sie, zusammen mit seinem „ethischen Ja“ zum Krieg an sich und seinem aktuellen Nein zu einem konkreten Krieg, Verbreitung in seinen RGG-Artikeln und Ethik-Lehrbüchern. Althaus’ Entwicklung in seiner Haltung zum Krieg hat damit aber noch keinen Abschluss gefunden. In seinem Beitrag über „Christentum, Krieg und Frieden“ im Hinblick auf die Oxforder Weltkirchenkonferenz 1937 spricht sich Althaus nunmehr gegen den „totalen Krieg“ und für den „Kampf für den Frieden“ aus. Für ihn ist „heute die Wahrung und Sicherung des Friedens unter den Völkern, die Ausschaltung des Krieges als solche ein maßgeb­ liches Gebot der politischen Vernunft geworden. Politische Verantwortung bedeutet in der gegenwärtigen Lage bestimmter und eindeutiger denn je zuvor Friedenswillen.“77 Konsequenterweise spricht sich Althaus im Jahr 1938 gegen einen möglichen, von der Hitlerregierung in Erwägung gezogenen Präventivkrieg aus78. 74 Vgl. 3209 Schöpfung, 192: „Sicher gibt es Lagen, in denen ich die Ordnung dadurch zu heiligen habe, daß ich aus der entstellten Ordnung herausspringe.“ 75 2915 Krieg, 1309. Althaus schränkt zugleich ein: „Wie schwer läßt sich dieser Fall feststellen, da auch brutale Machtgier und Mammonismus sich hinter dem Vorwande idealer Ziele oder dringender Lebensnotwendigkeiten des Volkes verstecken können!“ (ebd., 1310). Vgl. die Haltung Dehns zur Frage der Kriegsdienstverweigerung in ders., Christentum, 1. 76 3108 Ethik, 107. 77 3709 Christentum, 179 f. 78 Vgl. 3806 Friedenswille, 102. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Exkurs: Die Auffassung vom Krieg bei Bonhoeffer und Barth Althaus ist in seiner Haltung zum Problem des Krieges ein beredtes Beispiel dafür, wie selbstverständlich der Krieg an sich in der protestantischen Theologie selbst nach der „Verwüstung der Menschheit“ (Paul Althaus) durch den Weltkrieg eingeschätzt wurde und welch geringe Rolle die Friedenserziehung in der Zwischenkriegszeit überhaupt spielte79. Eine solche Haltung war weitverbreitet und bildete kein Spezifikum der lutherischen oder der deutschen Theologie oder einer bestimmten Alterskohorte. Dies wird deutlich, wenn man sich die Aussagen zum Krieg beim jungen Dietrich Bonhoeffer Ende der 20er Jahre oder bei Karl Barth vergegenwärtigt, wie er sie in seinen Ethik-Vorlesungen 1928 und 1930 vertrat. So schreibt Bonhoeffer 1927 in seiner Dissertation „Sanctorum communio“: „Wo ein Volk im Gewissen sich unter Gottes Willen beugend in den Krieg zieht, um seine Geschichte, seine Sendung in der Welt zu erfüllen, – sich dabei in der Zweideutigkeit menschlich-sündigen Tuns ganz hineinbegebend – da weiß es sich von Gott aufgerufen, da soll Geschichte werden, da ist Krieg nicht mehr Mord.“80

Knapp zwei Jahre später heißt es im Frühjahr 1929 in einem Gemeindevortrag des Auslandsvikars Bonhoeffer in Barcelona: „Völker sind wie Menschen. Sie sind unmündig und bedürfen der Führung, sie wachsen heran zur Blüte der Jugend und zum Mannesalter, und sie sterben wieder. […] Mit dem Wachstum ist die Ausdehnung verbunden, mit Anschwellen der Kraft das Beiseitedrücken der anderen, das ist im persönlichen Leben nicht anders als im volklichen. Jedes Volk aber hat einen Ruf Gottes in sich Geschichte zu gestalten, ins Leben der Völker ringend mit einzutreten. […] Gott ruft das Volk zur Mannigfaltigkeit, zum Kampf und zum Sieg. Auch die Kraft ist von Gott und die Macht und der Sieg, denn Gott schafft die Jugend bei Mensch und Volk und liebt die Jugend, denn Gott selbst ist ewig jung und stark und sieghaft.“81

Ein anderes Beispiel für eine solche Auffassung vom Krieg gibt Karl Barth. Nachdem auch in seiner Sozialethik das Volkstum in dieser Zeit als ethischer Bezugspunkt in die unmittelbare Nähe einer Schöpfungsordnung gerückt wird82, hat dies Konsequenzen auch für Barths Auffassung vom Krieg, wie 79 Vgl. das Lob der neuen deutschen Wehrhaftigkeit bei Martin Niemöller im Herbst 1935 unter dem Titel „Der Friede Gottes als die Kraft des wehrhaften Mannes“. 80 Bonhoeffer, Communio, 74. 81 Bonhoeffer, Barcelona, 339. 82 Vgl. den Exkurs in Kap. IV, 3.2.5. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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er ihn in seiner Ethik-Vorlesung im Kapitel „Das Gebot des Schöpfers“ ver­ handelt. Ähnlich wie bei Althaus kommt der Krieg hier als möglicherweise unvermeidliche ultima ratio im Völkerleben zur Sprache: „Bekenne ich mich zu meinem Volk, dann muß ich mich auch zu seinem Krieg bekennen, d. h. aber zu der Betätigung des Lebenswillens meines Volkes im Konflikt mit dem Lebenswillen eines anderen Volkes […]. Krieg ist die Notwehr meines Volkes und also meine eigene Notwehr. Ist er einmal da, dann bin ich eben, ob mein Volk recht oder unrecht hat, auch da. ‚Right or wrong, my country!‘ Die Sache geht mich dann genauso an, wie wenn jemand mit Recht oder Unrecht mich selbst angreift“.

Ungeachtet eines etwaigen pazifistischen Einsatzes im Vorfeld des Krieges ist für Barth im Kriegsfall „jeder zur aktiven Teilnahme aufgerufen“: „Ich bin am Krieg meines Volkes beteiligt, auch wenn ich etwa vorher aus allen Kräften für die Erhaltung des Friedens gearbeitet haben sollte: das gibt mir kein Recht, den dennoch ausbrechenden Krieg nun etwa als eine Angelegenheit der Übrigen zu betrachten, sondern dann habe ich mich […] zu der Verantwortung, die nun mein Volk als solches auf sich zu nehmen im Begriffe steht, zu bekennen.“83

Wie auch Althaus sieht Barth den Krieg darin begründet, dass der „Lebenswille“ des eigenen Volkes mit dem „Lebenswillen“ eines anderen Volkes – beide Lebenswillen äußern sich als „Machtwillen“ – kollidieren kann84. Daher aber betrachtet Barth wie Althaus das Moralisieren in einem solchen Fall für aus­ geschlossen: „Weder geschickt noch ungeschickt mit Moral umzugehen, sondern sich nüchtern und sachlich klarzumachen, daß es sich in der Politik überhaupt und im Krieg insbesondere um die Betätigung des Machtwillens handelt, das wäre die erste konkrete Aufgabe ethischer Besinnung über den Krieg. Gewiß ist er damit nicht ethisch ver­ urteilt, wohl aber erkannt in seiner Wirklichkeit“85. 83 Barth, Ethik, 264. 84 Ebd., 269. 85 Ebd., 267. Wie schon Althaus, so dient auch Barth die moralistische „Heuchelei“ im Weltkrieg, wie er sie in erster Linie bei den Ententemächten angewandt fand, als Negativfolie des falschen Moralisierens überhaupt: „Die Politik Englands in Krieg und Frieden war darum seit den Tagen des alten Roms die klügste und erfolgreichste Politik, weil England es verstanden hat, […] ganz realistisch sich […] auf den Machtwillen zu konzentrieren, um dann nur, wenn es ihm gerade so paßte, wie etwa 1914–1918, auf eine Weile auch die Moral in den Dienst […] dieses Willens zu setzen. Dieser Sachverhalt […] ist damals in Deutschland als dem nun plötzlich auch noch vom hohen Roß der Moral herunter bekämpften Gegner sehr richtig durchschaut worden“. Als daraufhin auch die Deutschen mit dem Moralisieren konterten, half es ihnen wenig, weil „die Engländer, als es darauf ankam, viel klüger und hemmungsloser damit umzugehen wußten“ (ebd., 266 f.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Konsequenzen hat dies für die Frage nach der Kriegsdienstverweigerung: „Die Ethik kann zwar die individuelle Militärdienstverweigerung sowenig v­ erurteilen, wie irgendeine Möglichkeit menschlichen Tuns, sie hat aber den Dienstverweigerer daran zu erinnern, daß er reine Hände in bezug auf den ausbrechenden Krieg seines Volkes unmöglich haben kann, und daß die seinigen gerade dann doppelt unrein sein könnten, wenn er etwa meinen sollte, an der Verantwortung seines Volkes darum nicht mitzutragen, weil er keine Gewehr trägt.“

Dementsprechend soll nach Barth die Ethik sich sowohl weigern, sich „zu einem Instrument des kämpfenden Staates machen zu lassen“, als sie sich auch „wohl hüten soll, auch nur im Versteckten Aufforderung zur Militärdienst­ verweigerung zu treiben“86. Zusammenfassend schreibt Barth: „Die Ethik kann den Krieg nicht verbieten. Sie kann ihn aber auch wirklich nicht gebieten. Sie kann nur auf das Schöpfergebot des Lebens, der Ehrfurcht vor dem Leben hinweisen […]. Es ist Gottes Gebot, über dessen konkretesten Inhalt wir nicht zu verfügen haben. Es kann also so sein, daß wir auch heute noch im Gehorsam gegen dieses Gebot den Krieg zu wollen und zu vollbringen haben. Es kann aber wirklich auch das andere sein, daß die Losung […] lauten müßte: ‚Die Waffen nieder!‘“87

Barth, der den Krieg damit gleichsam als Gottesgebot theologisiert, kann ebenso wie Althaus keine Kriterien dafür anführen, wann ein Krieg mit dem „Lebenswillen“ eines Volkes gerechtfertigt ist und wann nicht. Demzufolge ist seine Ethik des Krieges in der Praxis ebenso unbrauchbar wie die Althaus’. 6.3 Deutsche Freiheit und Völkerversöhnung – Althaus und die Revision von Versailles „Evangelische Männer und Frauen!“, ruft Althaus den Zuhörern seiner Rede beim Reformationsjubiläum 1929 in Hof zu. „Eins ist not in unseren Tagen. Menschlich gesprochen freilich ist für Deutschland vieles not in unseren Tagen: Geld, Kapital, Erleichterung der Lasten, daß wir aufatmen können, wirklicher Friede. ‚Unser täglich Brot gib uns heute!‘ Wir wollen Gott um alles das bitten, vor allem, daß er uns endlich nach dem würdelosen Frieden edlen würdigen Frieden bereite vor unseren Feinden.“88 86 Ebd., 264 f. 87 Ebd., 269. 88 2917 Christentum, 149. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Es ist bereits im Fortgang der Untersuchung deutlich geworden, dass sich Althaus während der gesamten Zeit der Weimarer Republik in die parteiübergreifende Phalanx der Ablehnung des Versailler Vertrages einreihte und sich damit von dieser „Integrationsklammer der politischen Kultur Weimars“89 erfassen ließ. Das Thema „Versailles“ taucht bei Althaus am Rande immer wieder auf, sei es als Negativfolie zu einer würdigen und gerechten Gestaltung des Völker­lebens oder als direkter politischer Missstand, und verdichtet sich, abgesehen von der unmittelbaren Nachkriegszeit, in seiner Schrift „Zum Problem des Krieges“ von 1925. An die Kirchen adressiert, schreibt Althaus in seiner bekannten Sowohl-als-auch-Dialektik: „Sie sollen in unserem Volke, während so viele in selbstischer Trägheit und Stumpfheit versinken, zum Wachsein rufen über dem bitteren Unrecht, das uns geschah, zur Würde, die sich nicht wegwirft an den Gegner von gestern, zur Tapferkeit, die nicht wider das Gewissen von Friede und Versöhnung spricht, wo noch Lüge und Unrecht zwischen uns steht. Aber sie haben zugleich die hohe Pflicht, sich eitler nationaler Unbußfertigkeit, zuchtloser Romantik und dem in unserer Lage übel angebrachten Waffengerassel ernst zu widersetzen.“90

Althaus’ Kampfansage gilt in erster Linie der „Schuldlüge“, dem „Schulddogma“, wie es Artikel 231 des Versailler Vertrags artikuliert. In seinen Augen wird „die Menschheit noch auf lange hinaus daran kranken, wie die Gegner der Mittelmächte uns im Kriege und nach dem Kriege die Ehre und Würde genommen haben. Alle internationalen Beziehungen sind durch die Schuldlüge und Verhetzung vergiftet.“91 Neben der „Vergewaltigung unseres Vaterlandes“92 sieht Althaus vor allem die „moralische Zerstörung“ dadurch, „daß die kämpfenden Völker die Wahrheit zur Dirne ihres nationalen Willens machten“93.

89 Heinemann, Last, 385. 90 2506 Problem, 108. 91 Ebd., 59. 92 Ebd., 60. Die Frage nach dem „vaterländischen Zorn“, so Althaus, „bewegt uns Deutsche auch in diesen ‚Friedens‘jahren auf das ernsteste, insbesondere viele Volksgenossen im besetzten oder abgetretenen Gebiete, denen über feindlicher Willkür und Anmaßung das Blut hochsteigt“ (ebd., 91). 93 Ebd. Diesen Gedanken wendet Althaus hier nicht nur auf die dem Deutschen Reich in Versailles aufgezwungene Kriegsschuld an, sondern auch auf die Propaganda im Krieg. Davon freilich will er die deutsche Seite nicht ausnehmen: „Nur mit schmerzlicher Scham kann die Menschheit des ‚geistigen‘ Kampfes im letzten Kriege gedenken. Wir Deutsche können dabei nicht nur die Ankläger, sondern müssen auch mit den anderen Angeklagte sein.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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6.3.1 Weltwirtschaftskrise und Versailles im kirchlichen Diskurs in Deutschland und der Ökumene Das internationale Klima verschärfte sich um das Jahr 1930 nicht von ungefähr. Auslöser hierzulande war in erster Linie die Weltwirtschaftskrise, von der Wolfgang Michalka schreibt: „Die am 29. Oktober 1929 durch den New Yorker Börsenkrach ausgelöste Weltwirtschaftskrise hatte einen verschärften ökonomischen Nationalismus zur Folge, der die politischen Beziehungen zwischen den Staaten nachhaltig verschlechterte und nationalistische Emotionen zusätzlich förderte.“94

Die Situation in Deutschland war dabei insofern prekärer als in anderen europäischen Staaten, als die deutsche Wirtschaft in großem Maße abhängig von amerikanischen Krediten war, die nun infolge der Krise zurückgezogen wurden, und die deutsche Regierung unter Heinrich Brüning auf eine massive Deflation- und Sparpolitik setzte, um den Alliierten die Unerfüllbarkeit ihrer Reparationsforderungen zu demonstrieren. Dadurch aber wurde auch die natio­nalistische Stimmung im Reich besonders aufgeheizt, die außenpolitischen Erfolge der Stresemann-Ära wurden in der öffentlichen Meinung zunichte gemacht. Dieser allgemeine Rechtsruck erreichte nach Jürgen C. Heß auch die demokratischen Kräfte der Weimarer Republik: „Der im Zeichen der Verständigungspolitik unternommene Versuch, sozusagen stillschweigend die Überwindung der Versailler Friedensordnung durch eine Kette praktischer Veränderungen zu erreichen, stand nicht mehr hoch zu Kurs. Man sprach auch im demokratischen Kreise wieder von den ‚Friedensdiktaten‘ und reihte sich auf diese Weise erneut in die allgemeine nationale Protestbewegung gegen Versailles ein, nachdem man eine Reihe von Jahren das Verharren im Protest mit Recht als unfruchtbar empfunden hatte.“95

Besonders leicht hatte es der Nationalismus in Deutschland dabei insofern, als das Deutsche Reich durch die Weltwirtschaftskrise ausgerechnet in dem Jahr getroffen wurde, als infolge des zehnten Jahrestags des Abschlusses des Versailler Vertrages im Juni 1929 die Stimmung in Deutschland ohnehin schon national aufgeladen war96. Not und Verelendung, Massenarbeitslosigkeit und Verwahrlosung wurden daher von den Wenigsten als Folge der weltweiten Wirtschafts 94 Michalka, Außenpolitik, 323. 95 Hess, Deutschland, 181. 96 Vgl. die „Erklärung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses zur zehnjährigen Wiederkehr des Versailler Diktats“ vom 1.6.1929, abgedruckt in: Hosemann, Kirchenbund, 169 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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krise wahrgenommen, sondern – nicht zuletzt aufgrund der nationalistischen Propaganda  – allzu simplifizierend als alleinige Folge des Versailler Systems, das man obendrein auch für die Missstände der parlamentarischen Demokratie und den zunehmenden Linksextremismus verantwortlich machte. Mit einem verstärkten revanchistischen Anti-Versailles-Kurs gingen daher die Rechtsparteien seit 1929 auf Wählerfang, wie sich unter anderem an der Bildung eines „Reichsausschusses für das Volksbegehren gegen den Young-Plan“ zeigte97. Dieser Rechtsruck blieb nicht ohne Auswirkungen auf das Weimarer Parteienspektrum: „Als […] die Republik grundsätzlich durch den rechten Nationalismus herausgefordert wurde, haben auch die Parteien der Weimarer Koalition die Kriegsschuldfrage wiederentdeckt und sie zum Ausgangspunkt eines verschärften Generalangriffs auf den ‚Schandfrieden‘ gemacht.“98

Karsten Ruppert spricht von einem „revisionistischen Grundkonsens“ auch der systemstabilisierenden Parteien der Weimarer Republik: „Weit über die republikanischen Parteien hinaus, in deren Parteiprogrammen das ‚ethische Recht auf Revision‘ außenpolitisches Essential war, bestand Einigkeit darüber, daß sich Deutschland von den Fesseln der Versailler Vertrages befreien müsse.“99

Die Kernpunkte der deutschen Kritik an Versailles und dem von diesem Vertrag initiierten Versailler System waren neben der Forderung nach Revision der Kriegsschuldfrage und der Reparationsforderungen der Appell zu allgemeiner Abrüstung. „Artikel 8 der Völkerbundsatzung“, so Michalka, „forderte eine allgemeine Abrüstung aller Mitgliedsstaaten auf ein die eigene Sicherheit gewährendes Mindestmaß. Da das Deutsche Reich gezwungenermaßen bereits abgerüstet hatte, glaubte man, aus der Not eine Tugend machen zu können. Den eigenen Minimalrüstungsstand anfüh 97 Der im Frühjahr und Frühsommer 1929 ausgehandelte Young-Plan war der letzte der Reparationspläne, die die Zahlungsverpflichtungen des Deutschen Reichs auf Grundlage des Versailler Vertrags regelten. Auch wenn die Alliierten darin dem deutschen Wunsch nach Senkung der Schuldenlast entgegenkamen und Stresemann zusätzlich den Rückzug der alliierten Besatzungstruppen aus dem Rheinland für Ende Juni 1930, d. h. fünf Jahre früher als ursprünglich vorgesehen, er­ reichen konnte, stieß die lange Laufzeit der Reparationsverpflichtungen bis 1988 in weiten Kreisen auf Empörung und Widerstand. Die äußerste Rechte in Form von DNVP, NSDAP, Stahlhelm und Alldeutschem Verband schlossen sich in einem „Reichsausschuß“ zusammen, der ein Volksbegehren gegen die deutsche Unterschrift unter den Young-Plan forcierte. Wenn das Volksbegehren letztlich auch kläglich scheiterte, war es für die bis dahin kaum in Erscheinung getretene NSDAP dennoch ein Erfolg, weil es ihr im „nationalen Lager“ enorme Publizität und Reputation verschaffte. 98 Ruppert, Nationalismus, 199. 99 Ebd., 195. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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rend, der angesichts der noch gerüsteten Staaten Europas kaum den Bedürfnissen der eigenen Sicherheit entsprechen konnte, forderte man unter Berufung auf die Völkerbundsatzung, endlich generell abzurüsten.“100

Die Nichterfüllung der Abrüstung durch die Alliierten ließ auf deutscher Seite Zweifel aufkommen an ihren idealistischen Absichten, die der Friedenserhaltung dienen sollten. Diese Einschätzung, verbunden mit der damit verbundenen Ungleichbehandlung Deutschlands, ließ den Versailler Vertrag zusätzlich in einem negativen Licht erscheinen. All diese Themen bewegten auch die evangelische Kirche in Deutschland101 und wurden von deutscher Seite immer wieder in die ökumenische Bewegung eingebracht, die man auch als Plattform für eigene nationale Interessen verstand. Chancen auf ein Umdenken der Alliierten rechnete man sich dabei in­ sofern aus, als in der jungen ökumenischen Bewegung gerade auch die im Weltkrieg neutralen Staaten stark vertreten waren. Betrachtet man die kirchlichen Verlautbarungen aus der ökumenischen Bewegung bzw. von ausländischen Kirchen und kirchlichen Vereinigungen zu den Fragen von Abrüstung, Kriegsschuld und Revision von Versailles in den Jahren 1930 bis 1932, so kann man das deutsche Werben um Verständnis für die eigene Situation und für das eigene Gerechtigkeitsempfinden im Ausland durchaus als Erfolg bezeichnen102. So erklärte die 20. Weltkonferenz des Christlichen Vereins Junger Männer (CVJM) im August 1931 in Cleveland, „nichts gemein zu haben mit der Ungerechtigkeit, einem Volke oder einer Gruppe von Völkern allein die ausschließliche Verantwortung für den Weltkrieg beizumessen.“ Die Generalkonferenz der Bischöflichen Methodisten­kirche erklärte im Mai 1932 in Atlantic City: „Wir glauben, daß für die Welt die Zeit gekommen ist, die Tatsache anzuerkennen, daß die Belastung Deutschlands mit der Alleinschuld am Weltkrieg durch Artikel 231 des Versailler Vertrags gerechterweise nicht aufrechterhalten werden kann.“

Man forderte daher „die Revision dieses Artikels“ ebenso wie die Anerkennung der „Tatsache“, „daß weitere Reparationen auf Grund dieses Artikels von dem deutschen Volke nicht mehr gefordert werden sollten.“ Darüber hinaus wies die Generalkonferenz darauf hin, 100 Michalka, Außenpolitik, 319. 101 Bormuth, Kirchentage, 205 f. verweist auf die Rede des Präses der Westfälischen Provinzialsynode Karl Koch auf dem Kirchentag 1930 in Nürnberg, wo dieser über das „Versailler Verknechtungsinstrument“ sprach. 102 Vgl. die Abdrucke in: Kirchliches Jahrbuch 1932, 533–542. Die folgenden Zitate finden sich ebd., 537–539; Hervorhebung im Original. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„daß die den Versailler Vertrag unterzeichnenden Mächte bei der Erzwingung der Abrüstung Deutschlands feierlich erklärt haben, daß sie dies tun, ‚um den Beginn einer allgemeinen Beschränkung der Rüstung aller Völker möglich zu machen‘.“

Schließlich predigte der Erzbischof von York, William Temple, Ende Januar 1932 in einem Gottesdienst in der Kathedrale von Genf anlässlich der Eröffnung der Abrüstungskonferenz: „Die bestehenden Verträge enthalten eine Klausel, die grundsätzlich gegen das christliche Gewissen verstößt und für deren Streichung durch die richtige Instanz die Stimme der Christenheit aufgerufen werden muß. Es ist die Klausel, die einer Gruppe der kriegführenden Mächte im Weltkrieg die ganze moralische Schuld zuschreibt.“

Ungeachtet der Tatsache, dass sich kirchliche Vertreter und Vereinigungen im Ausland die deutsche Sache ab Anfang der 30er Jahre zu eigen machten, nahm mit zunehmender Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland ab 1929 die Kritik an der ökumenischen Bewegung innerhalb der Kirche mehr und mehr zu. „Unmittelbarer Anlaß für diesen Klimawandel“ war nach Jonathan Wright „zweifellos die Wirtschaftskrise, für die man auch in der Kirche den Versailler Vertrag verantwortlich machte“. Dementsprechend sieht Wright „die lautwerdende Forderung nach dem Austritt Deutschlands aus der ökumenischen Bewegung“ als eine „natürliche, wenn auch irrationale Antwort auf die um sich greifende Verzweiflung“103. Beispielhaft ist die Haltung des bayerischen Landessynodalpräsidenten Wilhelm Freiherr von Pechmann, der auf einer Sitzung des Kirchenausschusses im März 1931 erklärte, „solange das deutsche Volk dem Versailler Diktat unterworfen bleibe, sollte der Kirchenbund von einem weiteren ökumenischen Engagement absehen.“104 In dieser Situation spricht der Chronist Hermann Sasse im „Kirchlichen Jahrbuch“ für das Jahr 1931 von hemmenden „Mißverständnissen“, denen die ökumenische Arbeit ausgesetzt sei105, und für 1932 vom „Erlahmen des Inter 103 Wright, Parteien, 119. Neben wirtschaftlichen Ursachen für die Krise der Ökumenischen Bewegung nennt Boyens, Kirchenkampf, 30–35 strukturelle und personelle, politische und theologische Ursachen. 104 Bormuth, Kirchentage, 206. Pechmann hatte sich bereits im Frühjahr 1929 „wegen der angeblich stark pazifistischen Ausrichtung dieser Organisation“ gegen eine Zusammenarbeit des Kirchenausschusses mit dem „Weltbund für die Freundschaftsarbeit der Kirchen“ ausgesprochen (Wright, Parteien, 116). 105 Kirchliches Jahrbuch 1931, 463 f. Zu diesen Missverständnissen schreibt Sasse: „Wie ist die ernste Friedens- und Freundschaftsarbeit der Kirchen und die theologische Arbeit an den Fragen des Völkerrechts dadurch geschädigt worden, daß ein hemmungsloser weltlicher Pazifismus, der sich christlicher Phrasen bedient und seine sehr irdischen Utopien mit dem Glauben an das Reich Gottes verwechselt, in die ökumenische Arbeit einzudringen suchte“ (ebd., 464). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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esses an der ökumenischen Arbeit überhaupt“ als „Folge der Krisis aller internationalen Bewegungen“: „Die große Welle des Internationalismus, die als Reaktion auf die Katastrophe des Weltkriegs in dem Jahrzehnt nach dem Kriege durch die Völkerwelt ging, ist ab­ geebbt und hat überall der Gegenströmung der neuen nationalen Bewegungen Platz gemacht. Der Völkerbund und die Idee der Völkerversöhnung hat, wie der Mißerfolg der Abrüstungskonferenz zeigt, vorläufig bankrott gemacht.“106

Auch Friedrich Siegmund-Schultze, der unentwegte Vorkämpfer für Völker­ verständigung und Ökumene, blickt zu Beginn des Jahres 1931 sehr düster in die Zukunft: „Das Jahr 1930 hat uns auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet so schwere Rückschläge gebracht, daß wir ein Zurücksinken in Nöte, wie sie in grauenvoller Erinnerung hinter uns liegen, befürchten müssen. […] Die innere Zersetzung des Volkes scheint nicht mehr aufzuhalten. Gleichzeitig zieht sich das internationale Gewölk immer dunkler zusammen. Man spricht in Frankreich und Italien ebenso wie in Deutschland und Amerika von dem nächsten Krieg.“107

6.3.2 „Herr, mach uns frei!“ – Althaus’ Festrede zur Einweihung des Gefallenendenkmals der Erlanger Universität Je länger die Bestimmungen des Versailler Vertrages als harte und ungerechte Belastung für Deutschland aufgefasst wurden, desto mehr rückte der Freiheitsgedanke in den Fokus, wenn es auf deutscher Seite um die internationalen Beziehungen ging. Dieser Reflex verstärkte sich umso mehr, als das internationale Klima sich infolge der Weltwirtschaftskrise weiter verhärtete. Althaus war in diesem Punkt keine Ausnahme. Schon im Januar 1923, wenige Tage nach dem französisch-belgischen Einmarsch im Ruhrgebiet, der die Unfreiheit Deutschlands und seine Ohnmacht offenbarte, hatte er die Frage nach der deutschen Freiheit angesichts von Versailles, für das er die Weimarer Republik haftbar machte, aufgeworfen: „Es sind Tage wie Kriegsbeginn, die wir durchleben. Der letzte lügnerische Schein des Friedens riß in Stücke. […] Der ganze Jammer eines waffen- und wehrlosen Volkes faßt uns an. Was sind wir denn noch? Was können wir irgend? Wer hört unsere feierlichen Proteste? […] Die Wunde des 9. November 1918, heute brennt sie wie

106 Kirchliches Jahrbuch 1932, 529. 107 Siegmund-Schultze, 1931, 1 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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noch nie. Der Frevel des 28. Juni 1919, jetzt schlägt er als ein Fluch strafend auf unser Volk zurück.“108

Diente ihm bereits 1928 die Macht des Staates dazu, „die Unabhängigkeit nach außen und damit dem Volke die Freiheit eigenen Lebens zu wahren“109 und sah er schon 1929 in Einheit und Freiheit eines Volkes „einen von Gott ihm gegebenen Auftrag“110, findet in seiner politischen Theologie ab 1929, als sich die erzwungene deutsche Unterschrift unter den Versailler Vertrag zum zehnten Mal jährte, der deutsche „Freiheitskampf“ mehr und mehr Erwähnung111. So schreibt Althaus 1931: „Wir lieben unser Volk in ganzem Ernste, als von Gott uns anvertraut. Wir wissen uns vor Gott verantwortlich für sein ganzes Leben – nicht erst und nur für die Seele unseres Volkes, sondern schon für seinen ‚Leib‘ – denn wir spüren mit Erschrecken, wie seine Seele an seiner Leibesnot, d. h. der Lebensenge und Aussichtslosigkeit, krank wird. Darum sind wir bei seinem Freiheitsringen ganz dabei – vor Gottes Auge, in der Verantwortung vor ihm für das kommende deutsche Volk.“

Althaus fügt sogleich den tieferen, theologischen Sinn dieses „Freiheitsringens“ hinzu: „Aber alles dieses Kämpfens Sinn ist zuletzt doch der eine, daß deutsches Volk einen neuen Lebenstag habe, um noch einmal wieder Christo­phorus, Christusdiener, Christuszeuge, Christusträger zu werden.“112 Seinem Unmut über den Versailler Vertrag und damit zugleich über die Weimarer Republik machte Althaus in seiner Rede anlässlich der Enthüllung des Denkmals für die Weltkriegsgefallenen der Universität Erlangen öffentlich Luft113. Die Einweihung fand am 1. Juli 1930 statt, einen Tag nach der Räumung des Rheinlandes und der Pfalz durch die französischen Besatzungstruppen. So galt die Feier auch der Befreiung dieser westdeutschen Gebiete. Die Ehre der Festrede fiel Althaus als Dekan der Theologischen Fakultät zu. Zum 108 2301P Losung, 114. 109 2806 Leitsätze, 61. 110 2910 Vaterland, 245 111 So heißt es in 2915 Krieg, 1311 mit Blick auf Versailles: „K[rieg] führen kann für ein Volk Sünde sein, aber auch Friedehalten, wo der Kampf, etwa der Freiheitskampf, klare Pflicht ist.“ In der wirtschaftlich zugespitzten Lage des Jahres 1932 nennt Althaus den Freiheitskampf gar als Beispiel dafür, dass das Wissen um die Verflochtenheit der Sünde mit den Ordnungen, die zum Dienst berufen, eben diese Berufung dennoch nicht aufheben: „Ich darf mein Volk und seinen Staat nicht verlassen, auch nicht in seinen Dämonien, wider die ich kämpfe. Ich darf meines Volkes Freiheitskampf nicht verlassen. Fliehe ich, um der Sünde zu entgehen, so sündige ich auch, indem ich fliehe. […] Kämpfen wider die entstellte Ordnung und doch in ihr bleiben. […] Beides gehört zusammen.“ (3209 Schöpfung, 192). 112 3121 Volk, 5. 113 3007 Rede. Im Folgenden stammen sämtliche Zitate aus der Rede von dort. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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einen dürfte die Hochschulleitung für eine Gefallenenehrung einen Theologen für besonders geeignet gehalten haben, zum anderen fügte sich Althaus, an dessen nationalkonservativer politischer Grundüberzeugung kein Zweifel bestand, bestens in das geplante Gesamtbild von Denkmal und Einweihungsfeier ein. „Das Denkmal“, so Gotthard Jasper, „stellte einen Krieger im Stahlhelm dar, in Ketten an einen Block gefesselt, aber  – so formulierte es damals der Rektor  – ‚in un­ gebeugtem Trotz, angespannt, bereit, die Ketten zu sprengen, die ihm die Freiheit rauben‘. Diese Interpretation wurde unterstrichen durch das am Denkmal angebrachte Goethe-Wort: ‚Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten.‘“114

War das Denkmal auf die eines Tages die Fesseln von Versailles sprengende Zukunft Deutschlands ausgerichtet, war die Einweihungsfeier demgegenüber ganz rückwärtsgewandt. Beides zusammen war eine einzige Absage an die Gegenwart der ungeliebten Weimarer Republik. So urteilt Manfred Hanisch: „Die Universität hatte die Feier so ausgerichtet, als ob zwischen Weltkrieg und Weimarer Republik kein Wechsel des politischen Systems stattgefunden hätte. Überall wehten die schwarz-weiß-roten Fahnen des Kaiserreiches und das bayerische Weiß und Blau, doch nicht Schwarz-Rot-Gold, die Farben der Republik.“115

Denkmal und Feier machten die politische Vereinnahmung des Toten­gedenkens mehr als deutlich. Beide gerieten damit „zu einem Symbol der vorherrschenden konservativ-deutschnationalen Grundstimmung in der Erlanger Professoren- und Studentenschaft“116. Die beiden Aspekte von Denkmal und Feier, den Dolchstoß- und den AntiVersailles-Aspekt, bringt Althaus in seiner Rede, die um die Begriffe „Vaterland“ und „Freiheit“ kreist, zum Ausdruck. Die Verschärfung der deutschen ­Situation als Folge der Weltwirtschaftskrise kann man der Rede abspüren. Nachdem Althaus eingangs den Stolz der Universität auf ihre weltkriegs­ gefallenen Studenten und Dozenten zum Ausdruck bringt, die mit ihrer kriegsfreiwilligen, todesmutigen und pflichtbewussten Opferbereitschaft fürs Vater 114 Jasper, Universität, 798 f. Das Denkmal war in seiner eindeutigen politischen Aussage im Vorfeld der Denkmalserrichtung in Erlangen nicht unumstritten; vgl. Hanisch, Gefallen, 27–37. Es wurde nach dem Zweiten Weltkrieg auf Anordnung der amerikanischen Militärregierung entfernt; vgl. ebd., 58–62. 115 Hanisch, Gefallen, 37. Zur Einweihungsfeier und zum reichsweit für Aufregung sorgenden Eklat durch die Rede des nationalsozialistischen Studentenvertreters, der offen zum Sturz der Republik aufrief, vgl. 37–56. 116 Jasper, Vorwort. In: Hanisch, Gefallen, 4. „Die Reden der nationalsozialistischen Studentenvertreter“, so Hanisch, „gaben der national-konservativen politischen Zielsetzung wenn auch keine völlig andere Wendung, so doch einen von der Universitätsleitung nicht gewollten, aber doch weitgehend hingenommenen, kräftigen nationalsozialistischen Akzent“ (ebd., 46). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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land den Lebenden ein leuchtendes Vorbild für Vaterlandsliebe darstellten117, setzt er den von diesem Vorbild abgeleiteten notwendigen idealistischen Kampf für Deutschlands Ehre und Freiheit der verabscheuten Realität der Weimarer Republik entgegen: „Vaterland, wie dürften wir deiner nun vergessen! ‚Nach solchen Opfern‘ heißt es doppelt: ‚nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre.‘“ – „Vaterland, Freiheit – wie drohen diese hohen Wirklichkeiten uns verschüttet zu werden in unseren bösen Tagen! Wieviel Schutt hat sich darüber gelegt: die brutale Last der wirtschaftlichen Fragen, das Elend des Parteiwesens, der tägliche Kampf ums Dasein, die elende Macht der Gewöhnung, der Schwall großer weltbürgerlicher Worte und Ideen. Fühlen wir nicht oft mit Erschrecken, wie stumpf wir geworden sind, wie wir uns schon gewöhnen an die Armseligkeit von heute?“118

Neben seine Freude und Dankbarkeit über die Räumung von Rheinland und Pfalz von französischen Besatzungstruppen am Tag zuvor119 setzt Althaus sein 117 „Nach solchen Opfern“, so Althaus, „ist es zehnfacher Ernst, was E. M. Arndt fordert: ‚daß keine Liebe dir heiliger sei als die Liebe zum Vaterland und keine Freude dir süßer als die Freude der Freiheit.‘“ Althaus gebraucht diesen Gedanken sofort als Angriff auf die von ihm wahrgenommenen Verhältnisse der Weimarer Republik: „Zur Liebe sind wir gerufen. Wo aber Liebe ist, da muß auch Zorn und Haß sein. Das Blut unserer Brüder ruft uns zum Haß wider die Treulosigkeit und Trägheit, die das Erbe verschleudert, wieder das Gift, das aus den Großstädten zersetzend durch den Volkskörper schleicht, wider das Spiel mit der Heiligkeit der Ehe, das ein Spiel mit dem Leben, ein Tanz mit dem Tode unseres Volkes ist. Nach solchen Opfern, heilig großen – das Vaterland hat ein Recht auf unsere strenge Zucht, auf die völlige Treue, auf die Verantwortung für alles deutsche Blut, für das ungeborene Leben unseres Volkes.“ (3007 Rede). Zur Althausschen Vereinnahmung der Gefallenen für eigene religiöse und politische Zwecke bereits im Weltkrieg vgl. Liebenberg, Gott, 439–445. Die Kriegsbegeisterung und Opferbereitschaft der deutschen Jugend entsprang gutenteils Althausschem Wunschdenken; entnehmen konnte er sie allerdings auch den gedruckt erschienenen Kriegsbriefen und Aufzeichnungen der Gefallenen der Universität; vgl. die 1920 von Hermann Jordan herausgegebene Kriegsbriefe-Sammlung „Blätter der Erinnerung an die im Kriege 1914–1919 Gefallenen der Universität Erlangen“. Dazu kam die große seelsorgerliche Aufgabe der Zeit, das Massensterben der deutschen Jugend angesichts der katastrophalen Niederlage nicht als sinnlos erscheinen zu lassen. Dies war die Kehrseite der politischen Vereinnahmung der Gefallenen. 118 Dass Althaus die Teilerfolge der Weimarer Außenpolitik, der es mit einem gemäßigt-revi­ sionistischen Kurs gelang, deutsche Interessen gegenüber den Alliierten zu verteidigen, nicht anzuerkennen vermochte, macht er sogleich deutlich: „Selbst und gerade die geringen Erfolge auf unserem mühseligen Wege, die Tage, die eine Entlastung bringen, verführen uns und verrücken den Maßstab.“ (3007 Rede). Althaus spielt damit auf die alliierte Räumung des Rheinlandes und der Pfalz an, die Teil des Young-Planes war. 119 Althaus äußert dazu: „Wir denken heute mit dem ganzen deutschen Volke an die Befreiung des Rheinlandes und der Pfalz von der fremden Besatzung. […] Pfalz und Rheinland sind unser geblieben. Der französische Traum vom linken Rheinufer ist für dieses Mal ausgeträumt. Der Separatismus von Frankreichs Gnaden ist zuschanden worden. Deutsches Land ist deutsch geblieben, weil deutsche Herzen nicht verdorben, sondern deutsch geblieben sind.“ (3007 Rede). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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von der Dolchstoßlegende geprägtes Unverständnis über die Schmach, was ein negatives Licht auf den nach 1918 entstandenen Staat wirft: „Kein Feind hatte im Kampfe den rheinischen und pfälzischen Boden betreten – wie bitter war uns danach die zwölfjährige Fremdherrschaft! Unserer Brüder lebendiger Wall hielt die feindlichen Heere fern – wie bitter, daß wir nun über den Gräbern der Unbesiegten um die Freiheit deutschen Bodens mit den Siegern rechten, rechnen, handeln, ein Stück deutscher Zukunft verkaufen mußten!“

Dass es sich beim vorzeitigen Abzug der Besatzungstruppen um einen Erfolg der Stresemannschen Verständigungspolitik handelte, erwähnt Althaus mit keinem Wort. Im Gegenteil: Der Glaube der Rheinländer und Pfälzer an Deutschland hat in seinen Augen die Befreiung erwirkt120. So groß aber die Freude über die französische Räumung von Rheinland und Pfalz auch sein mag – sogleich spricht Althaus die Warnung aus, „daß uns das Wort ‚Befreiung‘ nur nicht betöre!“ Im Hinblick darauf, dass der Versailler Vertrag mit seiner einseitigen Formulierung der deutschen Alleinschuld am Weltkrieg und seiner Einschränkungen der deutschen Selbstbestimmung noch immer in Geltung ist, erinnert Althaus daran, dass sowohl die deutsche Freiheit als auch ein echter Frieden noch ausstehen: „Rheinland- und Pfalzbefreiung – bedeutet sie schon deutsche Freiheit? Man ver­bietet uns die Wacht am Rhein auch fürderhin. Das Recht des freien Volkes, wehrhaft zu sein, bleibt uns unwürdig beschränkt121. Man schlägt unsere Volkskraft in Fesseln. Das deutsche Volk jenseits unserer Reichsgrenzen muß es täglich spüren, daß es nicht mehr getragen wird von der weithin wirkenden Macht eines starken Reiches. Wahrlich, das ist nicht die deutsche Freiheit! Die Knechtschaft hat noch kein Ende. Und Friede? Ist es Friede, wenn in dem Friedensdokumente unser guter Name entehrt ward? Heißt ein Völkerbund Friede, in dem wir nicht gleichen Rechts des Freien sind?“

Weil für Althaus der Versailler Vertrag die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln bedeutet, sieht er Deutschland in einem Schwebezustand, auf dessen Aufhebung hin zu Freiheit und Frieden es hinzuarbeiten gelte:

120 So heißt es bei ihm: „In Bewunderung und Dankbarkeit grüßen wir das tapfere Volk am Rhein. Dank, Dank unseren Brüdern dafür, daß sie unbeugsam gelitten, gerungen, an Deutschland geglaubt haben. Sie selber sind die wahren Befreier ihres Landes geworden!“ (3007 Rede). 121 In 3118 Wehrpflicht, 1782 spricht er sich in einem Atemzug sowohl für die allgemeine Abrüstung als auch gegen die Deutschland auferlegten Wehrbeschränkungen von Versailles aus: „Einem Volk die Wehrhaftigkeit verbieten heißt, es an der Erfüllung seiner elementaren Pflicht hindern. […] Ein Volk, das seine politische Aufgabe ernst nimmt, wird um das Recht der Wehrhaftigkeit kämpfen.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Daß wir in unserer Lage zwischen Kampf und Frieden, zwischen Knechtschaft und Freiheit nie vergessen, was Freiheit, was Friede in Wahrheit sind! Daß wir uns das Auge nicht trüben und die Begriffe nicht verfälschen lassen!“122

Diese ernüchternde und doch hoffnungsvolle Einschätzung der Situation Nachkriegsdeutschlands, so muss es Althaus seinen Zuhörern kaum noch mitteilen, findet er in dem Gefallenendenkmal für die Erlanger Universitätsan­ gehörigen wieder: „Noch ist es unser Bild: der nach übermenschlichem Ringen gefesselte Krieger mit dem zerbrochenen Schwerte. ‚Vergeßt es nicht, daß ihr Fesseln tragt!‘ – ruft uns das Denkmal zu. Und doch: […] Der Kämpfer unseres Denkmals ist nicht niedergebrochen und nicht entmannt. Trotzige Entschlossenheit spricht sein stolzes Antlitz. Gewaltige, eiserne Muskeln lassen uns spüren: es kommt der Tag, da wird der Sitzende aufstehen und die Fessel brechen. ‚Ich werde nicht sinken, sondern aufstehen‘ – das verkündet die Gestalt.“123

Dass er mit seiner Freiheitsrede jedoch keinem unmittelbaren Freiheitskrieg das Wort reden will, macht Althaus seinen Zuhörern sogleich deutlich: „Unser Ringen um die deutsche Freiheit wird zunächst gar anders sein als das unserer Brüder. An den Gräbern der Gefallenen sterbe alle Phrase, schweige alles hohe tönende Wort, sei aller Romantik und Illusion über unsere Lage, Möglichkeit und Aufgabe der Abschied gegeben.“

Mit dem Wörtchen „zunächst“ deutet Althaus bereits an, dass er trotz der Ablehnung eines möglichen aktuellen Krieges einen bewaffneten Kampf um Deutschlands Freiheit prinzipiell nicht ausschließt. Damit bleibt der Erlanger Theologe ganz auf seiner Linie: prinzipiell und theoretisch Ja zum Krieg, gerade auch aus theologischen Gründen; aktuell praktisch und konkret Nein zum Krieg. Dieses Nein behält Althaus auch noch im „Dritten Reich“ bei124. Gegenüber einem neuerlichen deutschen Säbelrasseln, wie es in rechtsradikalen Kreisen eingefordert 122 Dies gilt für Althaus insbesondere im Hinblick auf die nachkommende Generation: „Daß wir unsere Kinder sich nicht gewöhnen lassen! Daß wir sie ernstlich lehren, was Freiheit und edler Friede, was ‚Deutschland hoch in Ehren‘ ist.“ (3007 Rede). 123 Erneut zieht Althaus an dieser Stelle die Kriegsgefallenen heran, um an die Freiheits- und Vaterlands­liebe seiner Zuhörer zu appellieren: „Das ist der in tausend Toden bewährte Frontgeist, der uns not tut. Daß er von den Gräbern unserer Brüder her uns durchfahre und hinnehme: daß wir deutsche Freiheit unablässig denken und unerschütterlich glauben und unermüdlich, unenttäuscht um sie ringen.“ (3007 Rede) 124 Er denkt nicht an Krieg, um durch den Versailler Vertrag verloren gegangene deutsche Siedlungsgebiete zurückzuerobern, wenn er in 3607 Obrigkeit, 41 schreibt: „Wir haben es als unwidersprechliches Schicksal hinzunehmen, daß ein großer Teil unseres Volkes im volksfremden Staate leben muß.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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wurde, ruft Althaus dazu auf, die infolge der Wirtschaftskrise125 als noch bedrückender empfundene „Zerrissenheit“ des deutschen Volkes zu überwinden126. Den Weg zur deutschen Freiheit sieht er bei der deutschen Einigkeit be­ ginnen. Für deren Herstellung aber bedürfe Deutschland erst noch der geeigneten politischen Führung: „Wer heute ohne Verrat an deutschem Wesen wirklich sammeln kann, der ist ein Mann unserer kommenden Freiheit.“ Dass er sich diese Sammlung nicht aus den demokratischen Kräften der Weimarer Republik vorstellen kann, macht Althaus sogleich deutlich, wenn er Gott darum bittet, „daß er uns neuen Geist und echte Führer gebe“. Mit diesen aber sieht Althaus die Chance, den Versailler Vertrag endgültig zu revidieren und Deutschlands Freiheit zu erringen. Auch dafür gelte es, Gott als den „Herr[n] der Völkergeschicke“ anzurufen: „Du ewiger Gott, gib uns einen neuen deutschen Tag; laß uns nicht fallen und sinken; Herr mach uns frei!“ Althaus’ fand mit seinen Worten große Zustimmung. Dass er in seiner Rede nicht etwa nur nationalkonservative, sondern allgemein geteilte Topoi der Weimarer Zeit gebrauchte, macht die positive Würdigung seiner Rede im sozial­ demokratischen „Erlanger Volksblatt“ deutlich, wo sie als „im allgemeinen angenehm“ kommentiert wurde: „Man kann wohl sagen, daß er sich ernst bemühte, bei der Sache zu bleiben. Prof. Althaus hat in einer für Erlanger Universitäts-Feiern würdigen Form sich seiner Aufgabe entledigt.“127 6.3.3 „Evangelische Kirche und Völkerverständigung“ – Die Hirsch-Althaussche Erklärung im Kontext des Kampfes gegen Versailles Demjenigen, der im Jahr 1931 das „Kirchliche Jahrbuch für die evangelischen Landeskirchen Deutschlands“ aufschlug, trat Althaus in Bezug auf die Ökumenische Bewegung in zwei grundverschiedenen Aspekten entgegen: sowohl 125 So bittet Althaus zu Gott, „daß er unser Volk an seiner Lebensenge und Wirtschaftsnot nicht sterben und verderben lasse“ (3007 Rede). 126 „Der Weg ins Freie fängt bei uns daheim an“, so Althaus. „Das heißt für uns heute in unserer Lage deutscher Freiheitskampf: Darum zu ringen mit allen Kräften, daß wir endlich aus zwei Völkern wieder ein Volk werden, daß die eiternde Wunde am deutschen Leib sich reinige und schließe, daß wir Deutsche uns untereinander in dem, was ein Volk zur Nation macht endlich, endlich wieder verstehen.“ (3007 Rede). Mit den „zwei Völkern“ meint Althaus die Zerrissenheit des Volkes in Bürgertum und Arbeiterschaft, der Althaus seinen verklärten Rückblick auf die Volksgemeinschaft während des Krieges entgegensetzt. Deutlich wird das in einer Predigt von Anfang Januar 1923, wo es heißt, „daß das eine feldgraue Volk der Schützengräben wieder in zwei Völker zerfiel“: „Und wir haben doch einmal erlebt, was Gemeinschaft war und Vertrauen und Ritterlichkeit. Sie sind doch Schulter an Schulter einen Tod gestorben, ‚Bürger‘ und ‚Proletarier‘“ (2301P Losung, 121). 127 Beilage Erlanger Volksblatt 7 (1930), Nr. 168 (2. Juli 1930). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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als Mitarbeiter als auch als scharfer Kritiker der Ökumenischen Bewegung128. Das gleiche Bild ergab sich in der Juni-Ausgabe der „Theologischen Blätter“ 1931, wo Althaus auf der Vorderseite als – letztlich aufgrund finanzieller Engpässe des Veranstalters verhinderter129 – Teilnehmer der dritten „Britisch-deutschen Theologenkonferenz“ in Chichester Ende März geführt wurde130, während wenige Seiten später seine gemeinsame Erklärung mit Emanuel Hirsch unter dem Titel „Evangelische Kirche und Völkerverständigung“ abgedruckt war, die von vielen Mitarbeitern in der Ökumenischen Bewegung als Schlag ins Gesicht empfunden wurde. Diese offenkundige Spannung ist symptomatisch für die Ambivalenz Althaus’ überhaupt, der in der Zeit der Weimarer Republik beides will: sowohl aktiv Anteil nehmen am Schicksal Deutschlands als auch aktiver Zeuge des Evangeliums sein. Auf der einen Seite wird er nicht müde, auf die Ungerechtigkeiten des Versailler Vertrages und infolgedessen die deutsche Notsituation hinzuweisen, auf der anderen Seite wird er ebenso wenig müde, auf den eschatologischen Vorbehalt aller nationalen Fragen hinzuweisen und durch seine Mitarbeit an der Ökumenischen Bewegung seinen Glauben an die una sancta zu leben. Ist es in der Regel andersherum, so gewinnt bei der Erklärung „Evangelische Kirche und Völkerverständigung“ der Patriot Althaus gegenüber dem Theologen die Oberhand – sei es unter dem Eindruck der Verhältnisse (Weltwirtschaftskrise, zunehmender Nationalismus, Krise der ökumenischen Arbeit), sei es unter dem Einfluss seines Freundes Hirsch. Was war geschehen? Vom 1. bis 3. Juni 1931 kam in Hamburg die Deutsche Vereinigung des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen zusammen131, um in Hinblick auf die internationale Konferenz des Weltbundes Anfang September in Cambridge die dortigen Tagungsthemen Abrüstungsfrage und Minderheitenfrage durchzuarbeiten132. In einer Resolution übte die Versammlung deutliche Kritik an der ungerechten Behandlung Deutschlands in der Abrüs-

128 Vgl. Kirchliches Jahrbuch 1931, 488.479. 129 Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise machten sich auch für die junge Ökumenische Bewegung negativ bemerkbar; vgl. Kirchliches Jahrbuch 1932, 543. 130 ThBl 10 (1931), Nr. 6 (Juni 1931), 1. 131 Der Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen war die erste ökumenische Friedensorganisation; er wurde 1914 in Konstanz an dem Tag gegründet, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Führendes Mitglied neben Nathan Söderblom war auf deutscher Seite Friedrich Siegmund-Schultze. Zum Weltbund vgl. Dam, Weltbund. 132 Vgl. den Bericht in: Die Eiche 19 (1931), Nr. 3 (3. Vierteljahr 1931), 334–340. Dass die Hamburger Weltbundtagung der willkommene Anlass für die Erklärung der beiden Theologen war, macht Hirsch in einem Schreiben an Lietzmann deutlich; abgedruckt in: Aland, Glanz, 669. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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tungsfrage infolge des Versailler Vertrages133. Ungeachtet dieser auch im nationalen Interesse liegenden Themen und ungeachtet der seit Jahren vom Weltbund für Freundschaftsarbeit in den kirchlichen und politischen internationalen Diskurs eingebrachten Kritik an den Missständen durch den Versailler Vertrag veröffentlichten Hirsch und Althaus just am 2. Juni zuerst in den „Hamburger Nachrichten“ und in den Tagen danach in weiteren deutschen Zeitungen und Zeitschriften134 eine Erklärung mit dem Titel „Evangelische Kirche und Völker­ verständigung“135, die nicht anders verstanden werden konnte als eine Desavouierung der Arbeit des Weltbundes bzw. der ökumenischen Arbeit überhaupt. Die Erklärung, die die beiden ausdrücklich „dem kirchlichen Dienste des Lehrers der Theologie“ geschuldet wissen wollen, beginnt mit dem Zugeständnis der prinzipiellen Richtigkeit des kirchlichen Einsatzes für die Völkerverständigung: „Auch wir halten es für eine klare Christenpflicht, daran zu arbeiten, daß die großen Kulturvölker sich besser verstehen lernen und die Politik ihrer Staaten in eine Bahn zu leiten beginnen, die der Schicksalsverflochtenheit zwischen ihnen entspricht.“

Dieses Ja zur deutschen Mitarbeit an Ökumene und Völkerverständigung wird jedoch sogleich unter die Bedingung von „Klarheit und Wahrheit über die wirkliche Lage“ gestellt: „Es darf nicht der Schein und die Hoffnung einer Gemeinschaft dort vorgetäuscht werden, wo man in Wahrheit des anderen Lebensrecht nicht achtet und damit die Möglichkeit der Gemeinschaft zerstört.“ Entsprechend dieser Voraussetzung für internationale Verständigungsarbeit lautet Althaus’ und Hirschs „Forderung“, „durch aller künstlichen Schein der Gemeinschaft hindurchzustoßen und rückhaltlos zu bekennen, daß eine christliche und kirchliche Verständigung und Zusammenarbeit in den Fragen der Annäherung der Völker unmöglich ist, solange die andern eine für unser Volk mörderische Politik gegen uns treiben.“136 133 Die Resolution ist abgedruckt ebd., 336 f. Dort heißt es: „Es wurde festgestellt daß die durch die Friedensverträge gewissen Ländern auferlegte Verminderung und Beschränkung der Rüstung als Maßnahme gedacht war, die eine Verminderung der Rüstungen in allen Ländern nach sich ziehen sollte“. „Mit tiefem Schmerz beobachten die deutschen Christen, daß die ständige Hinausschiebung der Abrüstungspflicht heute bei den Völkern, die seinerzeit unter der Zusage einer allgemeinen Abrüstung wehrlos gemacht worden sind, ein wachsendes Gefühl des getäuschten Vertrauens und der Verzweiflung an Recht und Frieden aufkommen läßt“. 134 In dem Begleitschreiben an die Zeitschriften heißt es: „Die Erklärung geht nur einer sorgfältig begrenzten Auswahl von solchen Zeitschriften und Zeitungen zu, die dem einen oder dem anderen von den beiden Unterzeichneten, sei es nach ihrer vaterländischen, sei es nach ihrer kirch­ lichen Gesinnung nahestehen“ (abgedruckt in: ThBl 10 (1931), Nr. 6 (Juni 1931), 178). 135 3107 Völkerverständigung. Alle folgenden Zitate aus der Erklärung stammen von hier. 136 So gibt es für Althaus und Hirsch zwischen den „Deutschen und den im Weltkriege siegreichen Nationen keine andere Verständigung als ihnen zu bezeugen, daß während ihres fortgesetzten Krieges wider uns eine Verständigung nicht möglich ist.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Hirschs und Althaus’ Sichtweise der „wirklichen Lage“ lautet – und dabei nehmen sie gängige und allgemein geteilte Topoi der Weimarer Zeit auf: „Deutschlands Feinde aus dem Weltkrieg führen […] unter dem Deckmantel des Friedens den Krieg wider das deutsche Volk weiter und vergiften durch die darin liegende Unwahrheit die politische Weltlage so, daß Aufrichtigkeit und Vertrauen unmöglich werden. Das Ende dieses nun schon zwölf Jahre währenden neuen furcht­baren Krieges mitten im Frieden kann […] allein der Untergang unseres Volkes sein.“137

Aus diesem Grund halten die beiden Theologen „ein Zusammenkommen und Zusammenarbeiten“ nur noch „mit einzelnen Gliedern der unser Leben bedrohenden Nationen an besonderen, begrenzten und dringlichen Aufgaben“ für möglich, und dann nur als „rein privates persönliches Verhältnis mit einzelnen aus jenen Nationen“. In den Augen von Althaus und Hirsch sind es die Feindstaaten des Welt­ krieges, die mit ihrer fortwährend feindseligen Politik gegen Deutschland das internationale Klima vergiften, einen wahren Frieden verhindern und damit eine echte Gemeinschaft unter den Völkern unmöglich machen. Mit ihrer Kernaussage, deutsche evangelische Theologen müssten als conditio sine qua non aller den privaten Rahmen verlassenden kirchlichen Zusammenarbeit in Sachen Völkerverständigung die Unmöglichkeit der Behandlung Deutschlands durch die Unterzeichnerstaaten des Versailler Vertrages zur Sprache bringen138, richten sie an den Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen den Vorwurf der Naivität und Passivität: Dieser würde mit seiner Arbeit zur Verschleierung der wirklichen Situation beitragen. Bei dieser Erklärung der beiden Professoren kommt es zu einer problematischen Vermischung von politischer und theologischer Meinungsäußerung, 137 In ihrer Beschreibung der „wirklichen Lage“ greifen Althaus und Hirsch ebenso auf gängige Interpretationen des Weltkrieges und des Versailler Vertrages zurück. Die Vertragsbedingungen des oktroyierten Versailler Vertrages stünden in krassem Widerspruch zu den Zusagen an Deutschland bei Waffenniederlegung – man berief sich in erster Linie auf Wilsons Vierzehn-Punkte-Programm für eine neue Friedensordnung vom Januar 1918. Gleichsam als Trotzreaktion auf die einseitige alliierte Alleinschuldzuweisung an Deutschland sprechen Hirsch und Althaus von dem vom deutschen Volk „nicht gewollten, ihm aufgezwungenen Kriege“. Versailles ist für sie das Friedensdiktat, das Deutschland seiner notwendigen Lebensgrundlage beraubt. Die Reparationen, die „Wiedergutmachung“, werden verstanden als heuchlerische Bezeichnung für das Aussaugen Deutschlands. Zuletzt sehen sie im Nichteinhalten der Abrüstungsbestimmungen von Versailles durch die Siegermächte einen klaren Bruch des Friedensvertrages. 138 Darauf, dass Althaus und Hirsch nicht die ersten sind, die internationale kirchliche Gemeinschaft von politischen Vorbedingungen abhängig machen, weist Graf mit Blick auf französische Protestanten hin, die „1918/19 die Wiederherstellung offizieller ökumenischer Beziehungen von der Bedingung eines öffentlichen Schuldbekenntnisses der protestantischen Kirchen Deutschlands abhängig“ machten (Graf, Historie, 415 f.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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wenn sie betonen, bewusst als Theologen zur Kirche zu sprechen. Dass damit die Theologie in den Dienst einer politischen Sache gestellt werden soll, zeigt allein schon die Erstveröffentlichung in der Tagespresse. Mit ihrer gemeinsamen Erklärung geben Hirsch und Althaus somit ein Paradebeispiel dafür, wie sehr angesichts der prekären wirtschaftlichen Situation Deutschlands die Politisierung – in erster Linie von rechts – und die Nationalisierung der Kirche zu Beginn der 30er Jahre vorangeschritten war. Die beiden Systematiker fallen damit keineswegs aus der Reihe, nehmen sie mit ihrer Forderung doch beispielsweise die Haltung des ehemaligen Kirchentagspräsidenten und bayerischen Synodalvorsitzenden Wilhelm Freiherr von Pechmann vom März 1931 ein, der sich prompt für ihr öffentliches Wort bedankt139. Aufsehen erregt vor allem der Umstand, dass zwei so angesehene Theologen in dieser Sache öffentlich Stellung beziehen. Dem Bericht über die Hamburger Tagung ist zu entnehmen, dass diese als Folge des Angriffs der beiden Professoren besonders gut besucht war. Als wirkungsvolle Erwiderung auf die heftige Kritik Althaus’ verlas der Vorsitzende der deutschen Vereinigung des Weltbunds Georg Burghart Passagen aus dessen Schrift „Staatsgedanke und Reich Gottes“ aus dem dortigen zweiten Abschnitt mit dem Titel „Zum Problem des Krieges“, wo Althaus die Kirchen zur Mitarbeit in der Arbeit der Ökumene und der Völkerverständigung aufrief140. Laut dem Bericht wurde die Haltung von Althaus gerade auch darum als so „völlig unverständlich“ erachtet, „weil er selbst gebeten worden war, in Hamburg ein Referat zu halten und sich darin in seiner gegnerischen Stellung zu dem Weltbund auseinanderzusetzen.“141 139 Hirsch erwähnt in einem Schreiben an Lietzmann „leidenschaftliche Dankbriefe“ für die Erklärung, „einen der schönsten zum Beispiel vom alten Freiherrn von Pechmann, der die kirchliche Situation wohl beurteilen kann“ (abgedruckt in: Aland, Glanz, 681). 140 Vgl. Jordan, Bericht, 337 f. Die beiden Passagen aus 2506 Problem, 107 lauten: „Die Kirchen müssen, dürfen in erster Linie stehen, wo es gilt, die Gemeinschaft zwischen den Völkern, das Verständnis füreinander und das Bewußtsein gegenseitiger Verantwortung zu pflegen. […] Es ist ihre Pflicht, jede Organisation, die wahrhaft der Verständigung der Völker und der Beilegung von Konflikten dienen will und kann, ernstlich zu unterstützen. Aber die Kirchen müssen dabei als Mächte unerbittlicher Wahrheit unter den Völkern stehen: ihre Sache ist es, die Phrase und das wahrhaftige Wort, die bloße Geste und die wirkliche Tat, den Schein und das Echte unterscheiden zu lehren“. Burghart fügt dem hinzu: „‚Ich nehme in Anspruch, daß wir uns bemüht haben, die bloße Geste und Phrase, den bloßen Schein zu vermeiden und zu ernstem Wort, zur Tat und zur Wirklichkeit geschritten sind.‘ Diese Widerlegung von Althaus durch Althaus machte auf die Zuhörer sichtlichen Eindruck.“ 141 Jordan, Bericht, 338. Der Bericht fährt fort: „Es lag der deutschen Weltbundvereinigung daran, in ihm einen Gegner zu Wort kommen zu lassen und mit ihm in sachlicher, brüderlicher Auseinandersetzung die Waffen zu kreuzen. Prof. Althaus hat jene Aufforderung abgelehnt und statt dessen einen unsachlichen und unbrüderlichen Angriff für christlich geboten gehalten.“ Die © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Es ist davon auszugehen, dass die Initiative zur gemeinsamen Erklärung bei Hirsch lag142. Voraus ging der Erklärung eine „briefliche Diskussion“ zwischen ihm und Althaus143. Schon die Schärfe des Tons mag nicht so recht zur ire­ nischen Natur Althaus’ passen und stammt daher von Hirsch, wie dieser selbst durchblicken lässt144. Unter den Zeitgenossen ging man von einer Hauptverfasserschaft Hirschs aus. So schrieb Karl Barth am 4. Juni 1931 an Georg Merz: „Was ist doch der Althaus ein Spr. 1,10 nicht bedenkendes Schaf. Hirsch war über Pfingsten bei ihm auf Besuch und hat ihm offenbar […] diesen Unsinn in die Feder diktiert.“145 Auch Dietrich Bonhoeffer sprach nach der Lektüre der Erklärung und im Wissen, dass diese auch von Althaus unterzeichnet worden war, in einer Karte an seinen Bekannten Erwin Sutz Mitte Juli 1931 von einem „solchen Unsinn wie Hirsch kürzlich“ äußerte146. Auch wenn Hirsch der Hauptverfasser der gemeinsamen Erklärung „Evangelische Kirche und Völkerverständigung“ ist, so bleibt festzuhalten, dass diese inhaltlich ganz auf der Linie der Althausschen Haltung in diesen Fragen liegt, wie er sie bereits Jahre zuvor formulierte147. So schreibt er bereits 1925 zur internationalen Versöhnungsarbeit der Kirchen:

Umstände der hier erwähnten Einladung und der Absage Althaus’ lassen sich heute nicht mehr nachvollziehen. Dass Althaus durchaus bereits war, sich mit kirchenpolitischen Gegnern an einen Tisch zu setzen, hatte er im Juni 1925 bei der pazifistischen Tagung auf Burg Lauenstein unter Beweis gestellt; vgl. Kap. IV, 6. Im Frühjahr 1932 scheitert seine Teilnahme an einer ökumenischen Tagung der „Mittelstelle für ökumenische Jugendarbeit“, zu der er eigens aufgrund seiner Erklärung mit Hirsch als Kritiker der kirchlichen Versöhnungsarbeit eingeladen wurde, nur an Terminschwierigkeiten; vgl. Kap. IV, 6.4. 142 Hirsch schreibt in seiner Verteidigung der Erklärung im Juli 1931, „wir sind beide ihre Urheber und nehmen beide jedes Wort in ihr auf das ganz persönliche Gewissen“ (Hirsch, Kirche, 709). In einem Brief an Wilhelm Stählin vom 21.1.1932 schreibt Althaus von „meiner Redaktion der Erklärung“ (LAELKB, Personen XVIII Nr. 163), was auf eine ursprüngliche Verfasserschaft Hirschs und eine Überarbeitung durch Althaus hinweist. 143 Vgl. Hirschs Schreiben an Lietzmann vom 30.6.1931, abgedruckt in: Aland, Glanz, 678– 682, hier 678: „Herausgewachsen ist die Sache aus einer brieflichen Diskussion, wobei die Frage nach dem Anfänger sehr schwer zu beantworten ist, da sich die Sache schrittweise gestaltet hat.“ 144 Vgl. sein Schreiben an Lietzmann vom 31.5.1931, abgedruckt in: Aland, Glanz, 669. In einem weiteren Schreiben an Lietzmann Ende Juni heißt es: „Ich weiß nicht, wie Althaus denkt darüber: hätte ich heut die Sache noch einmal zu machen, ich würde auf größere Energie des Tons gedrungen haben.“ (ebd., 681). 145 Zit. nach Scholder, Kirchen, 246, Anm. 5. Spr 1,10 lautet: „Mein Sohn, wenn dich die bösen Buben locken, so folge nicht.“ Vgl. zur Frage der Urheberschaft auch die Äußerung Wilhelm Zoellners, die Besier, Krieg, 291, Anm. 39 zitiert. 146 Bonhoeffer, Ökumene, 17. Die Herausgeber merken dazu an, „auffälligerweise wird Althaus, der Mitverfasser der Erklärung, in B[onhoeffer]s Karte nicht genannt“ (ebd., 17, Anm. 6). 147 Liebenberg, Gott, 432, Anm.  403, weist auf Parallelen der Erklärung zu einer Sonntags­ betrachtung Althaus’ in der „Deutschen Lodzer Zeitung“ vom März 1918 hin (1812B). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Es ist ihre Pflicht, jede Organisation, die wahrhaft der Verständigung der Völker und der Beilegung von Konflikten dienen will und kann, ernstlich zu unterstützen. Aber die Kirchen müssen dabei als Mächte unerbittlicher Wahrheit unter den Völkern stehen: ihre Sache ist es, die Phrase und das wahrhaftige Wort, die bloße Geste und die wirkliche Tat, den Schein und das Echte unterscheiden zu lehren“148.

Im Jahr 1929, als sich die deutschen Gemüter anlässlich des zehnten Jahres­tages der Oktroyierung des Versailler Vertrages spürbar erhitzen, geht auch Althaus noch einen Schritt weiter und spricht in seinem RGG-Artikel zu „Krieg und Christentum“ von einem „heuchlerischen Frieden, der einen der Mehrheit genehmen status quo verewigen will“ und vom „Mißbrauch, der jetzt mit Worten wie ‚Versöhnung‘, ‚Abrüstung‘, ‚Gemeinschaft‘ getrieben wird“149. „Es bedarf keines Wortes, daß jede christliche Kirche mit ganzem Ernste für edlen Frieden zu wirken hat“, so Althaus weiter. „Aber sie muß sich zurückhalten, wenn eine unwahre ethische und religiöse Ideologie die Sicherung eines fragwürdigen geschichtlichen Zustandes mit hohen Worten verklärt und die Härte der Geschichte verhüllt.“150

Althaus ist der Meinung, „daß die Christen sich dem zuchtlosen Kriegsgeiste zu widersetzen haben, daß sie ernstlich für jeden ehrlichen und wahrhaftigen Versuch eintreten sollen, den Krieg durch andere Weisen der Auseinandersetzung zwischen den Völkern zu verhüten, solange es nur möglich ist, ohne Verrat an dem Leben des eigenen Volkes, ohne Verrat an der Gerechtigkeit und Wahrheit zwischen den Völkern.“151

Damit liegt die Erklärung auf einer Linie mit Althaus’ immer schon vertre­ tener, aus der Erfahrung mit Versailles gewonnener Forderung nach Entmoralisierung der Außenpolitik, die er für eine dauerhafte Völkerverständigung als nötig erachtet. Fragt man nach den inneren Beweggründen der beiden Theologen für ihren gezielten Angriff auf die Versöhnungsarbeit des Weltbundes, so stößt man auf 148 2506 Problem, 107. Er betrachtet diese Aufgabe als Teil dessen, was deutsche Lutheraner als „deutschen Staatsgedanken“ auch außerhalb Deutschlands zu vertreten hätten: „Das ist ein wichtiger Teil unserer Sendung, unseres Dienstes an den anderen. Wir schulden ihnen die Treue gegen uns selbst gerade hierin, wir schulden ihnen unsere Hartnäckigkeit in der Frage nach der Kriegsschuld, nach dem deutschen Staatsgedanken, nach Preußen und Bismarck, wir schulden ihnen das Drängen auf Klarheit und Wahrheit des Friedens.“ (ebd., 63). 149 2915 Krieg, 1311. Er geht in seiner Verachtung des in seinen Augen nur scheinbaren und vordergründigen Friedens, den er nicht anders denn als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln zu verstehen vermag, so weit, einen offenen und ehrlichen Krieg als die „in solchem Falle wohl sittlichere Beziehung zweier Völker“ zu betrachten. 150 Ebd.; Hervorhebung von Althaus. 151 3002 Friede, 119. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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das für die beiden, zumal in dieser Zeit um 1930, typische Ineinander von poli­ tisch-nationalen und theologisch-kirchlichen Interessen. Althaus und Hirsch verstehen sich als Teil des in dieser Zeit über alle kirchen- und parteipolitischen Grenzen hinweg so virulenten deutschen Freiheitskampfes gegen Versailles152. Sie meinen, mit ihrer Erklärung denjenigen Kräften im Ausland einen Dienst zu tun, die sich in ihren Ländern für eine Revision von Versailles einsetzen, wenn es dort heißt: „Wer diese wirkliche Lage […] mit Worten oder durch sein Verhalten verhüllt, der wird schuldig an allen denen innerhalb der andern Völker, die das Rechte wollen: er tut nicht das Seine dazu, daß sie die Wirklichkeit des Schicksals sehen lernen, das ihre Völker dem deutschen Volke bereiten, er hilft die Verlogenheit der internationalen Lage erhalten und steigern.“153

Neben diesem nationalen Interesse ist die Motivation der beiden zu diesem Schritt in ihrer Sorge um die Entfremdung der nationalen Kreise von der evangelischen Kirche zu finden bzw. in ihrem volksmissionarischen Anliegen, diese für die Kirche zu gewinnen154. Der besondere Fokus liegt dabei auf der akademischen Jugend, deren zunehmende Politisierung und Nationalisierung die beiden Theologen feststellen. So schreibt Hirsch in einer Verteidigung der Erklärung von seiner und Althaus’ „Sorge“ angesichts der „leidenschaftliche[n] Klage evangelischer deutscher Jugend, die sich in der tiefsten und schwersten Lebensfrage des deutschen Volks von maßgeblichen kirchlichen und theologischen Führern mehr und mehr verlassen glaubte. Sie hat es, und mit Recht, nicht verstanden, daß jene von Völkerverständigung und Weltfriede sprechen, ohne zu sagen: heute ist die Stunde dieser Dinge nicht.“155 152 Hirsch bezeichnet in einem Brief an Lietzmann diejenigen, die in seinen Augen Gefahr laufen, durch ihre Mitarbeit an der Völkerversöhnung die Ungerechtigkeit von Versailles anzuerkennen, als „Verräter der auf die Freiheit zielenden Politik“ (zit. nach Aland, Glanz, 680). 153 3107 Völkerverständigung. 154 Hirsch spricht in einem Brief an Lietzmann Ende Juni 1931 davon, dass sich die Kirchen mit ihrem Versöhnungskurs „von der Verständigung mit den besten deutschen Brüdern zu entfernen in Gefahr waren. Die Briefe, die wir bekommen haben, sind ein Beweis, welche Erbitterung und Verachtung dieser Verständigungsleute in evangelischen Kreisen herrscht.“ (zit. nach Aland, Glanz, 680). 155 Hirsch, Kirche, 714 f. Er betrachtet die Gefahr der „Entfremdung der jungnationalen Bewegung von Kirche und Christentum“ nicht zuletzt als Generationenfrage: „Die Jungen rechnen unsere kirchlichen Führer mit Recht mit zu der älteren Generation, die für die falsche Politik der letzten zehn Jahre mit verantwortlich ist. […] Wir wollen das Unsre tun, daß der Riß nicht noch ärger wird. Unsere nationalen Stürmer und Dränger müssen wissen, daß unter den evangelischen Führern auch noch Männer sind, die gewiß auch über die Torheit der Jugend schelten, die aber dennoch eine Einheit im Letzten sehen, und in ihrer Weise für das gleiche Ziel kämpfen. Wir sind eben beide jugendverbundene Professoren, und es ist uns ein wesentlicher Dienst, den Gegensatz der Generationen in unsrer Person zu überbrücken“ (Hirsch an Lietzmann am 30.6.1931, abgedruckt in: Aland, Glanz, 680 f.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Bereits im Vorfeld hatte Hirsch in einem Schreiben an Lietzmann dieses Hauptanliegen formuliert: „Ich verspreche mir von dem ganzen Mobilmachen der öffentlichen Meinung eines wenigstens: eine nähere innere Verbindung unserer Jugend mit dem evangelischen Christentum.“156 Betrachtet man die Reaktionen auf die Hirsch-Althaussche Erklärung aus den Reihen der deutschen Vereinigung des Weltbundes, so fällt dreierlei auf: Zum einen stimmen die Vertreter der Freundschaftsarbeit der Kirchen in ihrer Einschätzung der deutschen Situation infolge von Versailles weitgehend mit ihren beiden Kritikern überein; zum anderen fühlen sie sich gerade dadurch von dem Vorwurf der beiden Theologen, sie gingen mit Naivität und unter Verschleierung der harten Realität Deutschlands an die Versöhnungsarbeit heran, besonders schwer getroffen und gekränkt; zum Dritten bestimmt genau diese Haltung ihre Verteidigung gegenüber den Vorwürfen von Hirsch und Althaus. In einer ersten Reaktion der Hamburger Tagung wies die deutsche Vereinigung des Weltbundes die Hirsch-Althausschen Angriffe zurück und erklärte: „Der deutsche Zweig des Weltbundes hat es immer für seine Aufgabe gehalten, die deutsche Not und Entrechtung vor die Augen der übrigen Christenheit zu stellen.“157 Richard Jordan schreibt in seinem Bericht über die Hamburger Tagung in der „Eiche“, die Erklärung von Althaus und Hirsch sei „unter völliger Mißachtung und Ausschaltung der Motive der Weltbundarbeit, ihrer Arbeitsmethoden und Ziele sowie ihrer Forderungen und Erfolge“ abgefasst worden158. Voller Empörung fragt Friedrich Siegmund-Schultze in der gleichen Ausgabe der von ihm herausgegebenen „Eiche“: „Wo ist der Beweis für die Behauptung, daß die deutsche Weltbundvereinigung es an der strengen Klarheit und Wahrheit über die wirkliche Lage hat fehlen lassen?“ „Welche deutsche Vereinigung hat denn mit ähnlichem Erfolg gegen die Alleinschuld Deutschlands protestiert als die deutsche Weltbundvereinigung auf ihrer Stuttgarter Tagung 1924? In welchem internationalen Kreise ist denn das Urteil über Versailles einheitlicher als im Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen?“159 156 Das Scheiben Hirschs an Lietzmann vom 31.5.1931 ist abgedruckt in: Aland, Glanz, 669 f. Hirsch schreibt weiter: „Mir hat es die ganzen letzten Monate schwer gemacht, daß unsere Theologen und Kirchen keinen Anlaß genommen haben, zu der Existenzfrage, die unser Volk bedroht, irgend ein Wort zu sagen.“ Es zeugt von einem sehr hohen Politisierungs- und Nationalisierungsgrad Hirschs und Althaus’, wenn sie die zahlreichen deutschen und ausländischen kirchlichen Stellungnahmen zur deutschen Notlage seit 1929 nicht wahrzunehmen vermochten; vgl. Kap. IV, 6.3.1. 157 Die Erklärung ist abgedruckt im DtPfrBl 35 (1931), Nr. 28 (14.7.1931), 436. 158 Jordan, Bericht, 337. 159 Siegmund-Schultze, Gegner, 281 f. Auch er wird nicht müde, den Einsatz und die Erfolge des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen in Sachen Revision von Versailles, Einsatz für die bedrohten deutschen Minderheiten insbesondere in Polen, Kriegsschuldfrage und Abrüstung hervorzuheben; vgl. seine Beiträge in: Die Eiche 19 (1931), Nr. 1 (1. Vierteljahr 1931), 2–7. Was © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Auch Adolf Deißmann hebt als Reaktion auf die Erklärung die Bemühungen und Erfolge der christlichen Verständigungsarbeit in Bezug auf „die Kriegsschuldfrage, die Minoritätenfrage, die Grenzfrage, die Gleichberechtigung unseres Volkes, die Unwahrhaftigkeit der Vertragsbestimmungen vor aller Weltöffentlichkeit“ hervor und versichert gegenüber Althaus und Hirsch: „Die Sorge um unser Volk, aus der heraus die Erklärung kommt, ist unser aller Sorge, Tag und Nacht.“160 Neben diesen Zurückweisungen der Hirsch-Althausschen Erklärung aus den Reihen der angegriffenen Organisation, die in ihrer Einschätzung Nach­ versaillesdeutschlands mit ihren Angreifern weitgehend übereinstimmen und in einem apologetischen Ton gehalten sind, schlagen die wenigen Gegenangriffe auf Hirsch und Althaus einen ganz anderen Ton ein. So resümieren die Liberalen Theologen Friedrich Niebergall und Martin Rade, die in der HirschAlthausschen Erklärung „nichts von dem, was wir christlich nennen“, zu finden vermögen, in ihrer Gegenerklärung: „Hier spricht völkische Selbstgerechtigkeit nicht anders als in jedem nationalistischen Parteiblatt.“161 Der Bonner Neutestamentler und Herausgeber der „Theologischen Blätter“, Karl Ludwig Schmidt, kommentiert die abgedruckte Erklärung als „theologisch, kirchlich, politisch und menschlich […] unmöglich“162. Siegmund-Schultze mit dem Erfolg der Weltbundvereinigung bezüglich eines Umdenkens gegenüber Versailles meint, wird deutlich, wenn man als Beispiel dafür das Schreiben des amerikanischen Rates des Weltbundes vom 9.3.1926 heranzieht, in dem die Amerikaner ihre Sympathie mit den deutschen Forderungen zur Revision von Versailles zum Ausdruck bringen: „Surely no sane person today believes that the entire responsibility for that awful catastrophe rests exclusively upon any one nation and that all the other nations are absolutely guiltless. All fair-minded persons now r­ealize that Article 231 of the Treaty of Versailles was dictated by the war spirit at a time when passion ran high and that such an article would not be framed today“ (zit. nach Wright, Parteien, 112). Auch Hermann Sasse spricht im „Kirchlichen Jahrbuch“ davon, „was für ein ungeheures Maß von Arbeit zur Bekämpfung des § 231 des Versailler Vertrages sowohl im Weltbund wie in der Stockholmer Bewegung von den deutschen Mitarbeitern geleistet worden ist und wie unter dem Einfluß dieser Arbeit das Urteil wenigstens in den Kirchen des Auslandes sich innerhalb eines Jahrzehnts vollkommen geändert hat“ (Kirchliches Jahrbuch 1931, 480). 160 Deissmann, Kirche, 211 f. Deißmann erklärt, es sei ihm nicht gelungen, „die Linie zu er­ kennen, die von der in der Erklärung der beiden Theologen empfohlenen Methode klar und un­ gebrochen zur Gesinnung des Neuen Testaments zurückführt“. 161 Die Gegenerklärung der beiden ist abgedruckt in: Die Eiche 19 (1931), Nr. 3 (3. Vierteljahr 1931), 375 f. 162 ThBl 10 (1931), Nr. 6 (Juni 1931), 178 f. Die Erklärung ist für Schmidt „theologisch unmöglich“, weil sie „der Natur den Primat gibt, der nur der Gnade zukommen kann“; „kirchlich unmöglich“, weil sie „die Einheit der Kirche unter dem unkirchlichen und darum unsachlichen Gesichtspunkt eines menschlichen Konflikt in Frage stellt“; „politisch unmöglich, denn wenn etwas Deutschlands Schicksal zu verbessern nicht geeignet ist, so werden es die in dieser Erklärung geforderten Anklagereden deutscher Theologen sein“; „menschlich unmöglich, weil es […] als unerträglich zu bezeichnen ist, den Verkehr mit den Mitmenschen im Sinne dieser Erklärung unter das Zeichen eines einzigen noch so berechtigten Anliegens zu stellen.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Demgegenüber wurde die Erklärung „von den nationalistischen Parteiblättern begeistert aufgenommen“163, der rechtsgerichtete „Evangelische Bund“ erklärte, sein Gesamtvorstand habe „mit Dankbarkeit von der Erklärung […] Kenntnis genommen“164. Auf der Sitzung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses am 6. Juni erhielten Althaus und Hirsch viel Zustimmung, wie Gerhard Besier feststellt. Dem Vorsitzenden Hermann Kapler gelang es „nur noch mühsam, eine zustimmende DEKA-Erklärung zu dem Artikel […] zu verhindern und das Kollegium feststellen zu lassen, der Artikel richte sich offenbar nicht gegen die ökumenische Arbeit der obersten Kirchenbehörde.“165

In diesem Zusammenhang erklärte Althaus gegenüber Johannes Hosemann, dem Direktor des Kirchenbundesamtes, „an die um ‚Stockholm‘ gesammelte ökumenische Arbeit“ hätten Hirsch und er bei ihrer Kritik nicht gedacht166. Angesichts der eigenen Mitarbeit an der Ökumenischen Bewegung, die Althaus bereits während seines Studiums vorbereitete und die er auf der Welt­ kirchenkonferenz 1925 in Stockholm begann, ist diese Beteuerung zwar glaubhaft, zeugt aber von Althaus’ Naivität und Fehleinschätzung der Lage, wenn er fortan – denn er und Hirsch betonen beim Lautwerden von Kritik an ihrer gemeinsamen Erklärung, nicht die zurückliegende ökumenische Arbeit gemeint zu haben – ökumenische Arbeit von der Arbeit an der Völkerversöhnung unterschieden wissen will. Alles in allem erscheint die Haltung von Althaus einmal mehr als unein­ deutig: Auf der einen Seite erklärt er die Versöhnungsarbeit der Kirchen als unter der Bedingung der Bekämpfung von Versailles stehend, auf der anderen Seite bekennt er sich weiterhin in Wort und Tat zur Ökumenischen Bewegung und nimmt auch nach der Erklärung „Evangelische Kirche und Völkerverständigung“ an der ökumenischen Arbeit teil – gerade auch in der Zeit des „Dritten Reiches“167. Diese Ungereimtheit in Althaus’ Haltung fällt schon den zeit­genössischen Kritikern der Erklärung ins Auge. So heißt es in der ersten Reaktion der Hamburger Tagung der deutschen Vereinigung des Weltbundes:

163 Vgl. die Wiedergabe eines Artikels der liberalen „Vossischen Zeitung“, Nr.  147/1931 mit dem Titel „Theologen oder Agitatoren“ in den ThBl 10 (1931), Nr. 7 (Juli 1931), 213. 164 Vgl. ThBl 10 (1931), Nr. 7 (Juli 1931), 213. 165 Besier, Krieg, 290. Dort finden sich auch Stimmen aus der Sitzung. 166 Aus dem Schreiben Althaus’ an Hosemann vom 20.6.1931, zit. nach Besier, Krieg, 291. Auch Hirsch, Kirche, 715 betont hinterher, „der regulativen Idee eines Weltfriedens auf der Grundlage der Freiheit und Gerechtigkeit“ nicht zu widersprechen und versichert, „daß wir uns nicht gegen die ökumenisch-kirchliche Arbeit wenden“. 167 Vgl. Kap. IV, 2.2. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Wir verstehen nicht, wie Vertreter der Theologie, die selbst an Auslandskonferenzen teilgenommen haben und in ihren Schriften die internationale Gemeinschaft der Christenheit bejahen, ja ausdrücklich auf die Notwendigkeit solcher Arbeit hingewiesen haben, sich zu einem Schritt herbeilassen konnten, der der wirklichen Sachlage so wenig gerecht wird.“168

Auch Siegmund-Schultze erwidert in der „Eiche“: „Althaus hat selbst zu verschiedenen Malen die Notwendigkeit der Freundschafts­ arbeit der Kirchen betont […]. Er hat sich noch jüngst an der Vorbereitung der amerikanischen internationalen Konferenzen der christlichen Jugend beteiligt169. Er ist in Canterbury mit englischen Theologen zusammengetroffen.“170

Sasse wirft im „Kirchlichen Jahrbuch“ die Frage auf: „Es ist doch nicht an­ zunehmen, daß Althaus seine eigene Mitarbeit an Stockholm und an den Arbeiten der britisch-deutschen Theologenkonferenz desavouieren will.“171 Da dies in der Tat nicht anzunehmen ist, wie das weitere ökumenische Engagement Althaus’ zeigt, ist im Blick auf Althaus – für Hirsch kann hier nicht gesprochen werden  – der Interpretation der Hirsch-Althausschen Erklärung durch Roland Kurz zuzustimmen, für den sie „eher ein Protest gegen die Behandlung Deutschlands durch die Siegermächte des Ersten Weltkrieges, als eine Kritik an der Ökumene als solcher“ darstellt172. Auch Friedrich Wilhelm Graf deutet die Erklärung dahingehend: „Ihr Protest richtet sich nicht gegen ökumenische Gemeinschaft überhaupt, sondern allein gegen eine solche Gestalt der Ökumene, die elementaren politischen Herausforderungen der Zeit nicht gerecht zu werden vermag, weil sie sich zur Verschleierung von Interessengegensätzen, als ungerecht empfundenen ökonomischen Strukturen und politischen Antagonismen mißbrauchen läßt.“173 168 Die Erklärung ist abgedruckt im DtPfrBl 35 (1931), Nr. 28 (14.7.1931), 436. 169 Gemeint ist Althaus’ Mitwirkung bei der Erstellung einer Denkschrift des Reichsverbands evangelischer Jungmännerbünde Deutschlands zu Versailles und Kriegsschuldfrage; vgl. AELKZ 64 (1931), 211 f. 170 Siegmund-Schultze, Gegner, 281 f. 171 Kirchliches Jahrbuch 1931, 480. 172 Kurz, Denken, 462. Diese Einstellung teilt auch Schjørring, Gewissensethik, 168, Anm. 34, der in Bezug auf Althaus darauf verweist, „daß er aktiv an ökumenischen Beratungen teilgenommen hatte, u. a. in Stockholm 1925. Auch nach 1933 nahm er an der ökumenischen Studienarbeit teil“. 173 Graf, Historie, 425. Er schreibt weiter: „Die in Versailles geschaffene Friedensordnung verstanden sie als eine dem Selbstbestimmungsrecht der Völker widersprechende Einschränkung der deutschen Souveränität, waren unter dem Deckmantel des Friedens hier doch faktisch kulturelle Hegemonie, Unterdrückung ethnischer Minoritäten und ökonomische Ausbeutung sanktioniert worden. Im Interesse von Wahrheit und Gerechtigkeit klagten Althaus und Hirsch deshalb ein © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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In welchem Maße Althaus und Hirsch mit ihrer Erklärung den Geist einer Zeit trafen, die angesichts fortschreitender wirtschaftlich-existentieller Verelendung von zunehmender Nationalisierung und Radikalisierung geprägt war, lässt der Theologe Sasse in seiner Chronik im „Kirchlichen Jahrbuch“ erkennen. Hatte er sich 1931 noch gegen die Hirsch-Althaussche Erklärung ausgesprochen und diese als „unheilvolle Verquickung von politischer und theologischer Polemik“ bezeichnet174, machte er sich deren Position im Jahr 1932 selbst zu eigen: „Der Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen hätte es dringend nötig, über die grundsätzlichen Fragen seiner Arbeit nachzudenken und die Scheidung der kirch­ lichen Friedensarbeit von allen Ideologien des weltlichen Pazifismus, der heute noch in den Kirchen des Westens fast ungebrochen herrscht, energisch durchzuführen.“175

Auch für Sasse geht es nun um die „Herstellung eines wirklichen, auf Gerechtigkeit und Wahrheit gegründeten Friedens“176. Dieser Zeitgeist findet sich zu Beginn der 30er Jahre nicht nur in rechten und rechtsradikalen politischen Kreisen, sondern ebenso in den systemstabilisierenden Parteien der Weimarer Republik. Nach Ruppert „neigten auch die bürgerlichen Parteien dazu, sich erst am Aufbau internationaler Organisationen zu beteiligen, wenn Deutschland seine Freiheit wiedererlangt habe.“177 Dass Althaus eine ökumenische Zusammenarbeit der Kirchen an politische Vorbedingungen knüpfen wollte, sollte nur von kurzer Dauer sein. Schon 1937 distanzierte er sich indirekt von dieser Position Irrtum und gab sich wieder ganz als Ökumeniker, wenn er schrieb: „Die ökumenische Aufgabe der Kirche […] darf nicht Sache kleiner Gruppen bleiben, nicht als Sonderanliegen und Liebhaberei sogenannter ‚ökumenischer Kreise‘ Zeugnis der Kirche gegen eine ‚politische Weltlage‘ ein, deren immanente ‚Unwahrheit‘ ‚Aufrichtigkeit und Vertrauen‘ zwischen den Völkern Europas verunmöglichte. Konsequenterweise erklärten sie ihren Kampf für eine neue, wahre Friedensordnung, d. h. für die Revision von Versailles, denn auch zu einer Bekenntnisfrage.“ (ebd., 424 f.). Wenn Graf allerdings anhand dieser Erklärung Hirsch und Althaus gleichsam zu Vorkämpfern gegen den damaligen Zeitgeist verklärt, so kann ihm darin nicht gefolgt werden. Für Graf „verhielten sich Althaus und Hirsch 1931 durchaus dem Ideal einer Kirche prophetischer Eindeutigkeit gemäß. Als Professoren – Bekenner! – der Theologie erhoben sie öffentlich Protest gegen eine Kirchenpolitik, die sie der bloßen Anpassung an vorgegebene gesellschaftliche und politische Realitäten verdächtigten, und leisteten mit entschlossenem Wahrheitsmut Widerstand gegen Kompromisse der Kirche mit dem Zeitgeist.“ (ebd., 424). Im Gegensatz dazu entsprachen Althaus und Hirsch gerade dem herrschenden Zeitgeist, der zu Beginn der 30er Jahre mehr denn je ein nationaler war. 174 Kirchliches Jahrbuch 1931, 479. 175 Kirchliches Jahrbuch 1932, 531. 176 Ebd., 540. 177 Ruppert, Nationalismus, 209. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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gelten, sondern sie ist der ganzen Kirche aufgetragen. […] Auch die Theologie muß durch und durch ökumenisch sein […]. Dazu gehört, daß die Kirchen einander in ihren Führern und Gliedern auch persönlich, leiblich begegnen und miteinander reden, so oft es nur sein kann. Kein politisches, kein konfessionelles Vorurteil darf das verbieten oder hemmen.“178

So war die gemeinsame Erklärung mit Hirsch zwar ein erhebliches Störfeuer für die allgemeine, aber auch für die eigene ökumenische Arbeit, wirkte sich aber letztlich nicht auf Althaus’ Mitarbeit in der Ökumene aus, sowohl was seine eigene Haltung, als auch was die Fremdwahrnehmung Althaus’ betraf. So wurde Althaus bereits im Januar 1932 von Wilhelm Stählin, dem Leiter der „Deutschen Mittelstelle für ökumenische Jugendarbeit“179 und selbst Mitarbeiter im Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen, gebeten, auf einer von der Mittelstelle initiierten Konferenz im Frühjahr in einem Vortrag seine Haltung zur Ökumenischen Bewegung darzulegen und dort „gemeinsam mit den angegriffenen Männern des Weltbundes“ zu diskutieren180. Hirsch wurde zu der Konferenz bewusst nicht eingeladen. Abgesehen davon, dass Althaus zunächst seine Bedenken ausgeräumt wissen wollte, er stünde auf der Konferenz allein einer breiten Front von Gegnern gegenüber, war er prinzipiell zu einer Teilnahme bereit. Wenn Althaus auch letztlich aus Terminschwierigkeiten nicht teilnehmen konnte, blieb er der Mittelstelle und ihrem Leiter Stählin doch weiterhin verbunden. Dem Protokoll einer Besprechung der Mittelstelle vom 10.  Dezember 1932, an der unter anderem auch Bonhoeffer teilnahm, wurde Althaus als einer derjenigen Theologen, „die in der ökumenischen Bewegung führend sind“, ausdrücklich als Teilnehmer einer „Arbeitstagung zur Besprechung über ökumenische Grundfragen“, die Anfang März 1933 stattfinden sollte, gewünscht181.

178 3704 Verantwortung, 6. 179 Die Arbeit dieser Arbeitsstelle für den Austausch der ökumenisch tätigen deutschen Jugendverbände umfasste die „theologische Durcharbeitung der ökumenischen Ideen“, die „Propagierung der ökumenischen Ideen unter der evangelischen Jugend“ sowie die „praktische Aufgabe einer Auslands-Auskunfts- und Austauschstelle“; vgl. den Bericht in: Die Eiche 19 (1931), Nr. 3 (3. Vierteljahr 1931), 376 f. 180 Vgl. das Schreiben Stählins an Althaus vom 16.1.1932, das Antwortschreiben Althaus’ vom 21.  1. sowie die weitere Korrespondenz zwischen beiden in dieser Sache (LAELKB, Personen XVIII, Nr. 163). 181 Vgl. die Abschrift des Protokolls in LAELKB, Personen XVIII, Nr. 163. Zu dieser Arbeits­ tagung kam es unter den neuen politischen Gegebenheiten 1933 nicht mehr. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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6.3.4 Die Hirsch-Althaussche Erklärung und der „nationalsozialistische Bazillus“ – Althaus’ Verteidigung seiner Kritik Während die Diskussionen, die sich direkt mit der Hirsch-Althaussche Erklärung beschäftigten, in Deutschland Ende Juli abflauten, erreichte die Debatte darüber im Herbst 1931 nun auch das Ausland, genauer gesagt die Schweiz. Dabei vermengte sich diese Debatte mit der Diskussion um den National­ sozialismus. Dieser Vorgang ist aus zwei Gründen interessant: Zunächst wird dabei deutlich, wie sehr sich inzwischen die Frage nach der deutschen „Freiheitsbewegung“ gegen Versailles, die einen breiten Rückhalt auch und gerade unter Theologen hatte  – man denke nur an die Verteidigung der deutschen Vereinigung des Weltbundesbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen gegen den Angriff von Althaus und Hirsch – zu einer Frage nach der nationalsozia­ listischen Bewegung entwickelt hatte. Wurde die Frage nach dem Nationalsozialismus in der ganzen Debatte um die Hirsch-Althaussche Erklärung „Evangelische Kirche und Völkerverständigung“ in Deutschland im Sommer 1931 nicht einmal am Rande erwähnt, war es den Nationalsozialisten nicht zuletzt angesichts der sich im Juni und Juli nochmals verschärfenden Wirtschaftskrise gelungen, sich als die entscheidende politische Kraft der Freiheitsbewegung zu präsentieren. Mit anderen Worten stilisierte sich die Partei Hitlers spätestens seit ihrem versuchten Volksentscheid gegen den Young-Plan 1929 mit Erfolg als die Anti-Versailles-Partei schlechthin, was sich in der schlagartig steigenden Wählergunst bemerkbar machte. Auch vom Ausland wurde diese innenpolitische Entwicklung Deutschlands beobachtet, wodurch sich erklärt, dass der Schweizerische Evangelische Pressedienst in einer Pressemeldung im Sommer 1931 die Hirsch-Althaussche Erklärung anlässlich der Weltbund-Tagung in Hamburg in einen Topf mit nationalsozialistischer Agitation werfen konnte. Dort berichtete der Pressedienst von der erwähnten Erwiderung Deißmanns zu dieser Erklärung unter dem plakativen Titel „Gegen den nationalsozialistischen Bazillus“. Eingeleitet wurde der kurze Bericht mit dem Hinweis auf den „nationalsozialistischen Radikalismus, der jetzt ganze Theologenscharen des evangelischen Deutschlands zum Schaden der Kirche befallen hat oder noch befällt“182. Daneben sah sich Althaus durch den Schweizer Vorgang gezwungen, sowohl seine mit Hirsch gemeinsam herausgegebene Erklärung erstmals öffentlich zu kommentieren, als auch dabei zum Vorwurf, er sei vom „nationalsozialistischen Bazillus“ befallen, Stellung zu nehmen183. 182 Wiedergegeben in AELKZ 65 (1932), Nr. 3 (15.1.1932), 62 f. 183 Zu Althaus’ Stellung zum Nationalsozialismus vgl. Kap. IV, 7.2.3. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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In seiner konzilianten Art bekennt sich Althaus prinzipiell zur Völkerverständigung, prangert aber den in seinen Augen kritikwürdigen Kurs des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen an. Auch in diesen Ausführungen verlässt Althaus den von ihm in diesen Fragen in seinen früheren Schriften eingeschlagenen kirchenpolitischen und theologischen Kurs nicht: „Obgleich Prof. Hirsch und ich keiner der christlichen oder kirchlichen Vereinigungen angehören, welche die Verständigung der Völker eigens auf ihre Fahne geschrieben haben, ist die wahre Verständigung der Völker uns ein sehr ernstes Anliegen – weil wir an die Wirklichkeit der Kirche glauben.“184

Zur Veranlassung für ihre Erklärung schreibt Althaus nun  – und dabei zeigt sich sein Bemühen, die von ihnen Angegriffenen nicht länger desavouieren zu wollen: „Hirsch und ich standen unter dem Eindrucke, daß die Verständigungstagungen, ohne daß die deutschen Teilnehmer es wollten oder auch nur merkten, in Gefahr standen, ein Mittel in der Hand der Nutznießer des Friedens von Versailles und ihrer Trabanten zu werden, uns Deutsche namens der christlichen Friedens- und Versöhnungsbereitschaft das grundsätzliche Ja zu unserem jetzigen Schicksal – mit einigen Erleichterungen und Korrekturen –, die Fügung in unsere Lage abzugewinnen. Wir sahen die Gefahr der Unwahrheit“185.

Diese aber besteht für Althaus in der missbräuchlichen Verwendung des Begriffs „Verständigung“: „Verständigung kann doch offenbar nur zwischen freien Völkern, auf gleichem Fuße geschehen. ‚Verständigung‘ ist doch infame Lüge, wenn die jetzt prosperierenden Mächte, die Gewinner von Versailles, dem zum Schuldbekenntnis gezwungenen, deklassierten, seiner Kolonien, seiner Wehrfreiheit, seiner politischen Handlungsfreiheit beraubten Beteiligten kraft ihrer militärischen oder – heute! – wirtschaft­lichen Überlegenheit immer wieder das Ja zu seiner jetzigen Lage abzuzwingen unternehmen. Wir wollen den Frieden, so ehrlich und ernst wie nur ein Volk in der Welt. Aber wir wollen, um mit Martin Rinckarts Kirchenliede ‚Nun danket alle Gott‘ zu reden, den ‚edlen Frieden‘ […] – dieser Friede kann nicht die augenblickliche pax g­ allica sein.“186

184 3109 Bazillus, 63. 185 Ebd., 64 f. 186 Ebd., 64; Hervorhebungen von Althaus. Infolge des aufgezwungenen Versailler Vertrages sieht Althaus weiterhin „die nationalen Willen Deutschlands und z. B. Frankreichs hart und unausgleichbar wider einander stehen“ und betrachtet „den anderen Willen als Bedrohung, ja Verneinung unserer Existenz als freie und starke Nation“ (ebd., 65). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Daher muss in seinen Augen die deutsche Christenheit „laut bezeugen, daß sie zu ihrem vergewaltigtem Volke steht, sich mit ihm gebunden und bedrückt weiß, mit ihm um die Freiheit ringen will und ehrlicherweise heute nicht anders für die Verständigung wirken kann als so, daß sie auf die ganze Schärfe des Konfliktes zwischen ihres Volkes Freiheitswillen und dem fremden nationalen Willen hinweist.“187

In seiner Replik auf die Meldung des Schweizerischen Evangelischen Pressedienstes geht Althaus zugleich zum Gegenangriff über und wehrt sich vehement gegen die von ihm in dieser Meldung wahrgenommene Vermischung von Politik und Evangelium in der Frage nach der Völkerverständigung: „Solange diese Auseinandersetzung ehrlich mit politischen Gründen, als Kampf zweier politischer Gesamtanschauungen geführt wird, ist alles in Ordnung. Aber im Falle des Schweizerischen Evangelischen Pressedienst will man ja im Namen des Christentums und des Evangeliums reden! […] Merkt denn niemand, was da geschieht an naiver Säkularisierung? Und das in dem Lande, aus dem wir Deutschen die dialektische Theologie empfangen haben, die doch Einiges zum Thema Säkularisierung Christi gesagt hat! Was der westlerischen politischen Presse erlaubt ist, das darf sich ein evangelischer Pressedienst nicht erlauben, ohne seinen Namen aufs schwerste zu gefährden und die Verständigungsarbeit, der er bona fide zu dienen meint, zu sabotieren.“188

Neben diesem Vorwurf einer Vermischung von Politik und Religion formuliert Althaus zugleich den Vorwurf gegen den Schweizerischen Evangelischen Pressedienst, sich bei seinem Angriff auf ihn und Hirsch parteipolitisch nicht neutral zu verhalten, vielmehr „nur auf unsere links eingestellten Volksgenossen, auf die Demokraten und Sozialisten zu hören“ und demzufolge „kein Verständnis für die nationale Bewegung in Deutschland“ aufbringen zu können189: „Was und wie er schreibt, das sind wir […] von der von der westlerisch eingestellten schweizerischen politischen Presse seit langem gewöhnt. Warum nennt sich ein Pressedienst aber ‚evangelisch‘, wenn er zu deutschen nationalen Dingen auch nichts anderes zu sagen weiß als z. B. die ‚Neue Zürcher Zeitung‘? Was soll dann das Gerede von christlicher Verständigung?“190 187 Ebd., 65. 188 Ebd., 64; Hervorhebungen von Althaus. 189 Ebd., 63. Vor der „politischen Rechten, den Deutschnationalen und gar den Nationalsozialisten“ würden „die bekannten drei Kreuze“ gemacht. „Ich würde kein Aufhebens davon machen“, so Althaus weiter, „wenn es sich um eine säkulare Presse handelte, die kraft ihres politischen Westlertums oder ihres irgendwie bedingten grundsätzlichen Internationalismus unsere Rechtsparteien aus politischer Überzeugung mit Mißachtung und Ablehnung bedächte“ (ebd., 64; Hervorhebung von Althaus). 190 Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Die „Reformierte Schweizer Zeitung“, die Althaus in ihrer Ausgabe vom 25. September 1931 Gelegenheit gibt, sich gegen die Vermengung seiner zusammen mit Hirsch ergangenen Erklärung mit nationalsozialistischer Agitation zu verteidigen, zeigt großes Verständnis sowohl für die Situation in Deutschland als auch für die Haltung Althaus’. So leitet sie unter der Überschrift „Zur Außenpolitik des Schweiz. Evangelischen Pressedienstes“ die Wiedergabe der Pressemeldung „Gegen den nationalsozialistischen Bazillus“ mit den Worten ein: „Um bei unseren deutschen Glaubensgenossen nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, als müßten sie sich in ihrer jetzigen grimmigen Notlage wehrlos dem aus der Schweiz gegen sie gerichteten Angriffe aussetzen, baten wir den von vielen unserer Leser hochgeschätzten Professor Althaus in Erlangen um eine Beantwortung der gegen ihn geschleuderten Anklagen.“191

Wie überzeugend Althaus’ Stellungnahme bei der „Reformierten Schweizer Zeitung“ gewirkt haben muss, zeigt besonders deren Nachwort unter seine Ausführungen, in denen sich das Schweizer Blatt unmissverständlich vom Schweizerischen Evangelischen Pressedienst distanzierte: „Wir danken Herrn Prof. Althaus für seine tapferen Darlegungen und verwahren uns dagegen, daß gegen jene deutschen Glaubensgenossen, die in der furchtbaren Not ihres Volkes für einen ehrlichen Frieden kämpfen und einen trügerischen Pazifismus ablehnen, auch noch aus der Schweiz Steine geworfen werden. […] Dabei muß uns die Erkenntnis der politischen Notlage unserer Glaubensbrüder in den verschiedenen Ländern davon zurückhalten, über ihre erschütternden Konflikte politische Wert­ urteile unter Berufung auf das Evangelium abzugeben.“192

6.3.5 Paul Althaus und der „Fall Dehn“ Kaum hatten sich die Wogen um die Hirsch-Althaussche Erklärung geglättet, bestimmte ein neuer Vorfall die deutsche evangelische Theologenwelt. Der sogenannte „Fall Dehn“ bestimmte in den Jahren 1931/32 das kirchliche, aber auch das außerkirchliche Pressewesen193. Auch Althaus wurde am Rande in die Auseinandersetzung um Günther Dehn hineingezogen. 191 Reformierte Schweizer Zeitung 10 (1931), Nr.  39 (25.9.1931), 2; zit. nach AELKZ 65 (1932), Nr. 3 (15.1.1932), 62. 192 3109 Bazillus, 65. 193 Zum „Fall Dehn“ vgl. Kirchliches Jahrbuch 1932, 77–113; Dehn, Kirche; Bizer, Fall; und Stengel, Dehn. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Der bekennende Religiöse Sozialist und promovierte Berliner Pfarrer Günther Dehn erhielt im Dezember 1930 einen Ruf auf den Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät Heidelberg. Als Dehn daraufhin im Januar 1931 in den christlich-nationalistischen „Eisernen Blättern“ als Befürworter der Kriegsdienstverweigerung und damit Ehrabschneider der deutschen Weltkriegsgefallenen denunziert wurde, erklärte die Heidelberger Fakultät Dehn als ungeeignet für das dortige Lehramt, woraufhin dieser seinen Verzicht erklärte. Grundlage für Dehns Diffamierung war ein Vortrag über „Kirche und Völkerversöhnung“ im November 1928 in Magdeburg, wo Dehn eine Parallelisierung des Soldatentodes mit dem christlichen Opfertod für unmöglich erklärt hatte und die Frage aufgeworfen hatte, ob Gefallenendenkmäler nicht im Raum der politischen Gemeinde angebrachter seien als im Raum der Kirchengemeinde, sprich der Kirche. Aus örtlichen Magdeburger völkischen Kreisen wurde daraufhin das Gerücht kolportiert, Dehn habe Soldaten als Mörder bezeichnet und die Forderung nach Aufarbeitung der Kriegsschuldfrage als „dumme Phrase“ bezeichnet. Während der kritische Pfarrer im Sommer 1929 von seiner eigenen Kirchenleitung gemaßregelt wurde, erhielt er Anfang des Jahres 1931 einen Ruf als Praktischer Theologe an die Hallenser Fakultät. Nationalistische und nationalsozialistische Kreise reagierten erbost, als bekannt wurde, dass Dehn als Lieblingskandidat des verhassten sozialdemokratischen und ebenfalls wie Dehn religiös-sozialistischen Kultusministers von Preußen, Adolf Grimme nach Halle geholt werden sollte. Anfang Februar 1931 begann der sogenannte „Hallesche Universitätskonflikt“, als der NSDStB Flugblätter gegen die Berufung Dehns verteilte und in der Deutschen Studentenschaft (DSt) Halle den Beschluss durchsetzen konnte, Kultusminister Grimme zu drohen, bei dessen weiteren Festhalten an Dehn die Universität Halle geschlossen Richtung Leipzig zu verlassen. Als sich sowohl die Hochschulleitung als auch die Theologische Fakultät hinter Dehn stellten und dieser am 3. November 1931 seine Antrittsvorlesung halten wollte, hinderten ihn der Tumult und der Lärm der aufgebrachten Studenten daran, so dass Rektor Gustav Aubin schließlich die Polizei kommen ließ. Der offene Konflikt zwischen politisierter und nationalisierter Studentenschaft in Halle, in der der Nationalsozialismus starke Kräfte hatte, mit Hochschulleitung und preußischem Kultusministerium um den neuen Theologieprofessor Dehn, dem man einen „undeutschen Geist“ vorhielt, bestimmte das gesamte WS 1931/32 sowie das Folgesemester, ehe Dehn ab WS 1932/33 ein Urlaubssemester nahm und ihm schließlich im „Dritten Reich“ die Lehrbefugnis entzogen wurde. Dass der Streit um Günther Dehn auch als politischer Streit unter der deutschen evangelischen Theologie ausgetragen wurde, zeigen auf der einen Seite die Sympathiebekundungen für Dehn, wie sie von Karl Barth und anderen aus© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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gesprochen wurden, und auf der anderen Seite die Sympathiekundgebung für die revoltierenden Studenten, wie sie die Göttinger Theologen Emanuel Hirsch und Hermann Dörries in einer Erklärung Ende Januar 1932 kundtaten194. Dass es sich beim Kampf der Studenten gegen Professor Dehn um einen Stellvertreterkrieg gegen die verhasste Weimarer Republik handelte, wird deutlich, wenn man sich eine „Denkschrift“ der Hallenser Studentenschaft mit dem Titel „Der Fall Dehn“ vor Augen führt, in der es unverblümt heißt: „Der Kampf gegen Dehn, Aubin und Grimme soll letzten Endes das nachnovemberliche System treffen. Der Konflikt an der Hallischen Universität ist ein Front­ abschnitt des beginnenden und mancherorts schon begonnenen deutschen Freiheits­ kampfes.“195

Es sei an dieser Stelle nochmals auf den an allen deutschen Universitäten feststellbaren Rechtsruck der Studenten spätestens ab Ende der 20er Jahre hin­ gewiesen, in dessen Kontext auch der „Hallesche Universitätskonflikt“ und die dortigen Studentenunruhen zu sehen sind. Neben dem strukturellen Phänomen, dass der Nationalsozialismus bereits zu Beginn der 30er Jahre seinen Siegeszug an den deutschen Universitäten weitgehend abgeschlossen hatte, gehört zur „schwere[n] Krisis der deutschen Universität“, wie es Sasse ausdrückt, das Phänomen, dass die Universität „die Macht über die Geister entweder schon verloren hat oder zu verlieren im Begriff ist“, „ihr Einfluß auf die Studenten ist zurückgegangen“. Zur Politisierung und Nationalisierung der Studentenschaft gehöre es, „daß die Professoren nicht mehr die innere Autorität haben wie früher. Sie haben diese Autorität zu einem guten Teil an die politischen Führer abgetreten. Eine Rede Adolf Hitlers vor einer Studentenschaft: das ist ein Ereignis, dem kein anderes im Leben einer Universität heute gleichkommt.“196

In dieser Sorge um den Einflussverlust der Professorenschaft, insbesondere vor dem Hintergrund seiner Überzeugung von der Stellung der evangelischen Theologie als Leitwissenschaft, lässt sich nun auch Althaus am Rande in den „Fall Dehn“ involvieren. Ausgangspunkt dafür ist nicht zuletzt die Hirsch-Althaussche Erklärung „Evangelische Kirche und Völkerverständigung“, die von 194 Die Erklärung ist abgedruckt im Kirchlichen Jahrbuch 1932, 98 f. Darin erklären die beiden, dass sie sich „mit dem Willen der deutschen Jugend zu Volk und Freiheit einig wissen“ und „ihr zu danken haben, weil sie uns in der verzweifelten Lage unseres Volks neu die Hoffnung auf Deutschland schenkt.“ 195 Zit. nach Kirchliches Jahrbuch 1932, 99. 196 Ebd., 100. Sasse schreibt weiter: „Seine Worte machen einen tieferen Eindruck auf sie als alles, was ihre Professoren sagen.“ (ebd., 102). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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der Rechtspresse mit Freude aufgenommen wurde und die Hirsch und Althaus in nationalistischen Kreisen als kompromisslose Kämpfer für Deutschlands Freiheit gegen Versailles und Weimarer Republik erscheinen ließen. So nimmt es wenig wunder, dass auch die Hallenser Studenten in ihrem Kampf gegen Dehn und gegen „das System“ versuchten, Althaus als ihren Gewährsmann ins Feld zu führen. Ende Oktober 1931 bat der Vorsitzende der nationalsozialistisch dominierten DSt der Universität Halle, Hans Börner, Althaus brieflich um eine zu veröffentlichende Stellungnahme zur Frage von „Christentum und Pazifismus“ in Bezug auf den „Fall Dehn“197. Althaus, über die Anfrage seitens der Hallenser Studenten zu seiner Meinung in dieser Frage erfreut, konnte oder wollte jedoch keinen neuen Aufsatz dazu schreiben, stellte aber seinen RGG-Artikel zu „Krieg und Christentum“ von 1929 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Auf den eigentlichen „Fall Dehn“ ging Althaus nicht ein, er wollte allein zur Sache reden. Abgedruckt wurde der RGG-Artikel in der „Hallischen Universitätszeitung“ vom 1.  November 1931, von der Schriftleitung eingeleitet mit den Worten: „Der bedeutendste der heutigen Theologieprofessoren, Prof. D. Paul Althaus, Erlangen, stellt uns freundlicherweise diesen Aufsatz […] zur Verfügung.“198 Neben dieser für Althaus peinlichen Einleitung, mit der die revoltierenden Studenten den Erlanger Theologen für ihren Kampf gegen Dehn und die Weimarer Republik vereinnahmen wollten, war auch der Kontext, in dem sein Beitrag erschien, eindeutig nicht der Sache, also der Frage nach dem Verhältnis von Christentum und Krieg, sondern diesem Kampf geschuldet: Direkt vor Althaus’ Artikel stand auf der ersten Seite ein Beitrag von Hans Börner mit dem Titel „Wider den undeutschen Geist“ und direkt nach Althaus’ Ausführungen fand sich eine halbe Spalte unter der Überschrift „So denkt Adolf Hitler“. Komplettiert wurde die Vereinnahmung Althaus’ durch die nationalsozialistisch gesinnten Hallenser Studenten durch die quer über dem herkömmlichen Titelblatt der Zeitschrift aufgedruckten Worte „Wider den undeutschen Geist“, die damit dem ganzen Heft ein politisch-kämpferisches Gepräge im Sinne des Nationalsozialismus gab. Darüber hinaus wurde Althaus’ Artikel durch eigenmächtige Fettdrucke und Sperrungen derartig im Sinne der Studenten akzentuiert, dass beim Leser der „Eindruck einer unproblematisierten Kriegsrechtfertigung“ entstehen konnte199. Die Tatsache, dass den Studenten bloße Veränderungen im Schriftbild ohne inhaltliche Auslassungen oder Hinzufügungen genügten, 197 Vgl. das Schreiben Börners vom 23.10.1931 (NPA 10). 198 Hallische Universitätszeitung, 8. Semesterfolge, Nr. 1 (1.11.1931), 2. 199 Schäfer, Beurteilung, 266. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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um Althaus für sich zu vereinnahmen, zeigt allerdings schon, wie ambivalent und damit problematisch seine Ausführungen über „Krieg und Christentum“ an sich schon waren200. Als Althaus davon erfuhr, machte er seine Verärgerung darüber, dass der Artikel von ihm entstellt wiedergegeben wurde, in einem Schreiben an Börner vom 4. November 1931 deutlich. Darin rief der die DSt Halle außerdem zur Mäßigung im Umgang mit Günther Dehn auf201. Als Karl Ludwig Schmidt in den „Theologischen Blättern“ vom Abdruck des Althausschen RGG-Artikels berichtete und die oben zitierte Vorbemerkung der Schriftleitung komplett abdruckte202, sah sich Althaus herausgefordert, zu dem Vorgang gegenüber den „Theologischen Blättern“ Stellung zu nehmen. Dass er von der Schriftleitung der „Hallischen Universitätszeitung“ als „der bedeutendste der heutigen Theologieprofessoren“ bezeichnet wurde, nannte Althaus in seiner kurzen Klarstellung, die Schmidt unter dem Titel „Zum Fall Dehn“ abdruckte, eine „lächerliche Kennzeichnung meiner Person“203. Wie unrecht ihm die Umstände der Veröffentlichung seines RGG-Artikels waren und wie sehr er sich von den Studenten vereinnahmt fühlte, brachte Althaus durch die passagenweise Wiedergabe seines Schreibens an Börner vom 4.  November zum Ausdruck, in dem es heißt: „Ich habe auf die Bitte der Studentenschaft […], einen Aufsatz über Krieg und Christentum in Auseinandersetzung mit D. Dehn zu schreiben, nicht mit einem Nein geantwortet, weil ich die Bitte als Zeichen des Willens zu geistigem Kampfe verstand. Ich nahm an, daß auch Vertreter der Theologenschaft hinter der Bitte ständen. Es war mir auch lieb, gerade […] den RGG-Aufsatz zur Verfügung stellen zu können. Denn ich durfte mir sagen, daß dieser Artikel jedenfalls einem besinnungslosen AntiPazifismus nicht bequem und genehm sein kann, daß er vielmehr zur Vertiefung der Fragestellung beitragen könne. Ich rechnete sogar mit der Möglichkeit, daß der Artikel aus diesen Gründen abgelehnt würde, und begrüßte es, daß dies nicht geschah – worin ich wieder ein Zeichen für den Willen zu geistigem Kampfe sehen zu dürfen meinte.“ „Daß die Zeitung den Aufsatz nun durch den Fettdruck bestimmter Stellen und durch den ganzen Zusammenhang, in den er tritt, seinem Charakter entfremdet, kann ich nicht billigen und bedauere ich. […] Der Mißbrauch des Aufsatzes ist doch nur dann möglich, wenn man ihn nicht ganz liest.“204

200 So urteilt auch Schäfer, „daß Althaus aufgrund seiner ambivalenten und schon im Ergebnis einseitigen Argumentation nicht verhindern konnte, vom nationalistischen Pathos der Gegner Dehns vereinnahmt zu werden“ (ebd.). 201 Eine Durchschrift des Schreibens Althaus’ an Börner findet sich im NPA 10. 202 ThBl 10 (1931), Nr. 12 (Dezember 1931), 361 f. 203 3202 Dehn, 28. 204 Ebd., 27 f.; Hervorhebungen von Althaus. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Weiter schreibt Althaus in seiner Stellungnahme in den „Theologischen Blättern“, dass er auf Empfehlung seines Freundes Gerhard Heinzelmann, dem Dekan der Theologischen Fakultät Halle, von einer ursprünglich angedachten öffentlichen Stellungnahme gegen die Vereinnahmung durch die Studenten absah, „weil Prof. Heinzelmann mich wissen ließ, daß die Ereignisse in Halle über den Stand der Dinge, angesichts dessen eine Erklärung von mir noch hätte von Wert sein können, inzwischen weit hinausgetrieben hatten.“205

Inzwischen war Althaus auch vom Tübinger AStA um die Erlaubnis zum Abdruck des RGG-Artikels „Krieg und Christentum“ gebeten worden. Althaus stimmte dem zu, hatte aber aus dem Geschehen in Halle seine Lehren gezogen und auf unveränderten Abdruck auch im Schriftbild bestanden206. So erschien sein Aufsatz Mitte Dezember 1931 auch in der „Württembergischen Hochschul-Zeitung“207. Daraufhin baten die Tübinger Studenten, anders als ihre Hallenser Kommilitonen ernsthaft an einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema interessiert, Günther Dehn, zu Althaus’ Ausführungen über „Krieg und Christentum“ Stellung zu nehmen und seinen eigenen Standpunkt zu vertreten. Dies tat er in der nächsten Ausgabe der Hochschul-Zeitung vom Januar 1932 unter dem Titel „Christentum und Krieg“208. Nach der Darlegung seiner eigenen Haltung zum Problem des Krieges209 kommt Dehn auf Althaus zu sprechen und hebt sogleich hervor, „daß zwischen seinen und meinen Gedanken in wesentlichen Punkten Übereinstimmung besteht. Vielleicht könnte man sagen, daß der Tenor der Althaus’schen Ausführungen ein etwas anderer sei als bei mir, insofern er, schematisierend gesagt, in erster Linie das relative Recht des Krieges nachzuweisen versucht, während es mir darum geht, das, freilich auch nur relative Recht des Friedens darzutun. Diese verschiedene Nuancierung kann aber die tatsächlich vorhandene Übereinstimmung nicht aus der Welt schaffen.“210

Verbunden weiß sich Dehn mit Althaus in der, auf Luthers Zwei-Reiche-Lehre zurückgehenden, Zurückweisung eines pazifistischen Schwärmertums, das den Krieg überhaupt geächtet wissen will: Die Tatsache, dass ein gerechter Krieg möglich sei, verbiete Althaus 205 3202 Dehn, 28. 206 Vgl. seine diesbezügliche Äußerung in 3202 Dehn, 28. 207 Württembergische Hochschul-Zeitung WS 1931/32, Nr. 35 (15.12.1931), 1 f. 208 Dehn, Christentum, 1 f. 209 Dehn gibt dabei seine Ausführungen wieder, wie er sie in dem Heft „Kirche und Völkerversöhnung. Dokumente zum Halleschen Universitätskonflikt“ 1931 veröffentlichte. 210 Dehn, Christentum, 2. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„mit Recht, den Krieg an sich zu ächten. Andererseits vermag freilich auch er nicht das Pathos der Kriegsbegeisterung oder gar der Kriegsverherrlichung aufzubringen“ – im Wissen darum, „daß selbst der wahrhafteste Krieg […] immer zugleich von der Macht des Bösen durchsetzt ist.“211

Die „Möglichkeit des notwendigen, des gerechtfertigten Krieges“ sieht Dehn wie Althaus mit dem Gegebensein und dem Aufgegebensein von Volk und Staat: „Volk und Vaterland sind Konkreta, jeder von uns steht im lebendigen Zusammenhang von Volk und Vaterland und ist mit zur Verantwortung aufgerufen, wie überall, so auch im Falle des Krieges.“ „Gott hat die Menschen geschaffen und die Völker. Unser Leben ist also ein von Gott gegebenes Gut, dessen Besitzstand zu verteidigen wir dann auch verpflichtet sind.“212 „Krieg hängt für uns auf das engste mit Staat zusammen. Wer Staat sagt, bejaht damit zugleich die Anwendung von Macht und Gewalt und anerkennt dadurch die Möglichkeit des Krieges.“

Daher geht es für Dehn „nicht an, wie das der Pazifist tut, den Krieg restlos zu verneinen.“213 Neben dem Gemeinsamen bringt Dehn auch das von Althaus Trennende zur Sprache: „Ein allerdings nicht unwesentliches Bedenken möchte ich A[lthaus] gegenüber nur an einem Punkte erheben. Es ist mir doch die Frage, ob A[lthaus] nicht in seiner Definition des gerechten Krieges dem säkularen, machtpolitischen Denken zu große Zugeständnisse gemacht hat.“

Denn nach Althaus’ geschichtsphilosophischer Annahme einer „lebendigen Gerechtigkeit in der Geschichte“ würde, „ein Volk auch dann noch im gerechten, wahrhaften Kriege stehen, wenn es etwa im Glauben zur Weltherrschaft berufen zu sein, seine Hegemonie über die Völker im Angriffskrieg aufzurichten versuchte.“ Geschickt zeigt Dehn die Problematik dieser Haltung am tagesaktuellen Beispiel Frankreichs auf: 211 Ebd. Er schreibt weiter: „Man wird […] Althaus Recht geben müssen, daß er die Bibel als ein Buch des Friedens anerkennt. Die hier verkündete Friedenswelt ist das letzte Ziel, das Gott mit dieser unserer Welt vorhat. Andererseits sieht Althaus ebenso deutlich, daß es eine ins Schwärmertum führende Unmöglichkeit wäre, wenn man die biblische Welt direkt in unseren irdischen Verhältnissen durchzusetzen unternehmen wollte. Der Christ lebt, hier schließt sich A[lthaus] an ­Luther an, in zwei Reichen“. 212 Dehn führt dazu aus: „Wer ihn (nämlich den ‚gerechtfertigten‘ Krieg) mitkämpft, darf wissen, daß er, um mit Luther zu sprechen, im ‚seligen Stande steht‘, d. h. daß er in einem Berufe steht, den Gott nicht verurteilt, sondern anerkennt. Wer in einem solchen Kriege fällt, darf des Dankes und jeglicher Ehrung seiner Mitbürger gewiß sein. Er hat in seiner Lage das Höchste getan, was ihm für Volk und Vaterland zu tun möglich war. Man kann sogar sagen, daß er den Willen Gottes erfüllt hat, weil er in seinem Beruf bis zum letzten beharrt hat.“ (ebd., 2). 213 Ebd., 1. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Es könnte sehr wohl sein, daß das französische Volk seinen gegenwärtigen Anspruch auf Vorherrschaft in Europa mit ‚seiner Lebenskraft und Tüchtigkeit‘ auch vor Gott zu rechtfertigen unternähme“, doch „auf keinen Fall darf darüber das Recht des nächsten Volkes (das wäre in diesem Falle Deutschland) von Frankreich mißachtet werden.“

Dehm will demgegenüber „das, was A[lthaus] den wahrhaften Krieg nennt, auf eine schmalere Basis setzen […], als er es tut“ und deshalb „den Begriff des wahrhaften Krieges eng zusammenknüpfen mit dem der berechtigten Notwehr.“214 Auch zu Althaus’ Haltung in der Frage der Völkerverständigung sagt Dehn ein „Ja – aber“: „Die internationale, oft dazu noch heuchlerische Friedensphraseologie der kapita­ listischen Welt […], kann der Christ sich allerdings nicht zu eigen machen. Hier gilt vielmehr durchaus die Pflicht, die A[lthaus] der Kirche zuschiebt, die Friedensbewegung der Völker zu Nüchternheit und Wahrhaftigkeit zu rufen. Aber ich finde es doch bedenklich, wenn A[lthaus] den Satz wagt: ‚Die Kirche hat die Völker nicht zum Kriege zu erziehen, aber auch nicht zum Frieden, sondern zum politischen Ernste und Verantwortungsbewußtsein.‘“215

Demgegenüber verweist Dehn mit Hinweis auf Röm 12,18 auf den „Gott des Friedens“, der „wenn auch nicht Erziehung ‚zum Frieden‘, aber doch zur Friedensgesinnung“ verlange216. 6.4 Zusammenfassung Gegenüber seinen früheren Äußerungen zur Frage nach den internationalen Beziehungen der Völker läßt sich bei Althaus ab Mitte der 20er Jahre eine veränderte Haltung feststellen. Diese drückt sich unter anderem darin aus, dass in Althaus’ theologischer und weltanschaulicher Auffassung der Menschheitsgedanke mehr und mehr Gewicht bekommt und dass er der friedenserhaltenden Idee des Völkerbunds zunehmend mehr zuzutrauen vermag. Insgesamt wird Althaus im Vergleich zu früheren Stellungnahmen, in denen der Krieg gleichsam den Rang einer Gottesordnung erhalten konnte, kriegskritischer. Freilich kann diese Akzentverschiebung nicht darüber hinwegtäuschen, dass für ihn nach wie vor die einzelnen Völker und Nationalstaaten die entscheidenden 214 Ebd., 2. 215 Ebd. Dehn fährt fort: „Daß er dieses Satzes selber nicht ganz sicher ist, scheint mir daraus hervorzugehen, daß er kurz vorher schreibt: ‚Es bedarf keines Wortes, daß jede christliche Kirche mit ganzem Ernste für edlen Frieden zu wirken hat.‘“ 216 Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Größen der Weltgeschichte sind und dass er unverändert die geschichtsphilosophische Auffassung vertritt, dass dem Krieg an sich ein letzter Sinn zur Durchsetzung eines gerechten Ausgleichs zwischen den Völkern eignen kann. Nach wie vor ist damit für Althaus der Krieg an sich unter – von ihm nicht genauer auszumachenden – Umständen geschichtsnotwendig und ethisch zu bejahen. Neben dieser geschichtsphilosophischen und ethischen Bejahung des Krieges hält Althaus weiterhin auch an einer geschichtstheologischen Rechtfertigung des Krieges an sich fest. Dieser problematische Umgang mit dem Phänomen des Krieges bringt bei Althaus in letzter Konsequenz ein Votum für einen möglichen totalen Krieg mit sich. Althaus stellt mit dieser Haltung zum Krieg an sich ein Paradebeispiel für den nach wie vor kriegerischen Zeitgeist und für eine nicht vorhandene Friedenserziehung der europäischen Zwischenkriegszeit dar. Parallel dazu aber gewinnt für seine Lehre der hamartiologische Aspekt des Völkerlebens und damit auch des Krieges mehr und mehr an Bedeutung: So wie er die Trennung der Völker nun nicht mehr nur als Ausdruck des göttlichen Schöpfungsreichtums, sondern zugleich als Ausdruck der Sünde betrachtet, spricht er nun vom Zusammenhang zwischen dem von ihm angenommenen „Konfliktsgesetz der Geschichte“ und der Sünde. Jegliche Kriegsverherrlichung ist für Althaus daher theologisch unmöglich, politisch gilt ihm der Krieg lediglich als ultima ratio: „Wie in der inneren P[olitik] wird die Uebung der Gewalt nur ein äußerstes Mittel zur Selbstbehauptung des Staates wider seine Gegner, wenn alles andere versagt, sein.“217 Die Tatsache, dass Althaus – auf der Linie seiner Zurückweisung der Eigengesetzlichkeit des Staates  – den Aufruf der Kirche zur Kriegsdienstverweigerung zumindest als theoretische Möglichkeit in den Blick nimmt, zeigt schon die Entwicklung in seiner Haltung zum Kriegsproblem. Deutlicher als in seinen früheren Argumentationen zum Krieg unterscheidet Althaus ab der Mitte der 20er Jahre zwischen dem Krieg an sich und den konkreten Kriegen. Erstgenannter ist für ihn nach wie vor unter Umständen geschichtsnotwendige, theologisch-ethisch zu bejahende ultima ratio. Letztgenannte sind für ihn in der aktuellen Lage Deutschlands, aber auch Europas unvorstellbar, weshalb er sein Nein zu einem konkreten Krieg wiederholt zum Ausdruck bringt. Bei diesem Nein bleibt Althaus auch, als sich infolge der Weltwirtschaftskrise die Öffentlichkeit zunehmend nationalisiert und der Kampf für Deutschlands Freiheit gegen die Fesseln von Versailles nicht mehr nur Sache der Rechts­ parteien wird. Zum Freiheitskampf sagt Althaus ein entschiedenes Ja, von einem möglichen Freiheitskrieg will er jedoch nichts wissen. Je länger die Bestimmun 217 3013 Politik, 1325. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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gen des Versailler Vertrages als harte und ungerechte Belastung für Deutschland aufgefasst werden, desto mehr rückt der Freiheitsgedanke in den Fokus, wenn es auf deutscher Seite um die internationalen Beziehungen geht. Indem Althaus gleichsam eine Art „Befreiungstheologie“ vertritt, der es – weltmissionarisch und volksmissionarisch motiviert – darum geht, Deutschland durch seine wiederzugewinnende Freiheit zum „Christusträger“ zu machen“, reiht er sich zu Beginn der 30er Jahre verstärkt in die parteiübergreifende Phalanx der Ablehnung des Versailler Vertrages ein. Dabei bedeutet die Forderung nach Revision des Versailler Vertrages für Althaus zugleich eine Revision des deutschen Staatssystems des Parlamentarismus. Mit seiner Rede anlässlich der Enthüllung des Gefallenendenkmals der Erlanger Universität im Sommer 1930 macht sich Althaus öffentlich zum Sprachrohr derjenigen, die den Freiheitskampf gegen Versailles auf ihre Fahnen geschrieben haben. Die Revision des Versailler Vertrag, den er mit der Mehrzahl der Deutschen nicht anders denn als bloße Fortsetzung des alliierten Krieges gegen das Deutsche Reich mit anderen Mitteln zu verstehen vermag, hat für ihn unter allen politischen Fragen oberste Priorität. Erst wenn Deutschland Freiheit und Gleichberechtigung zugestanden wird, kann es in seinen Augen „edlen Frieden“ für die Welt geben. Das Thema der Revision von Versailles, insbesondere was die Kriegsschuldfrage und die Reparationsfrage betraf, bewegte nicht nur die deutsche Politik, sondern in hohem Maße auch die evangelische Kirche, die sich darin als Anwältin des deutschen Volkes verstand. Dass der Versailler Vertrag der Revision bedürfe, war in kirchlichen Kreisen weitestgehend Konsens, und diese Überzeugung trugen die deutschen Kirchenvertreter mit Erfolg in die junge Ökumenische Bewegung. Umso unverständlicher erscheint darum heute im Rückblick die Hirsch-Althaussche Erklärung „Kirche und Völkerverständigung“ vom Sommer 1931, in der die beiden die fortgesetzt feindselige Politik der westlichen Weltkriegssiegerstaaten durch das Versailler System anprangerten und die weitere ökume­ nische kirchliche Arbeit der Völkerverständigung an die Bedingung der in Angriff zu nehmenden Revision von Versailles knüpften. An dieser Stelle gewann der deutschnationale Patriot Althaus gegenüber dem Theologen die Oberhand. Unter dem Druck der Verhältnisse kam es zu dieser massiven Politisierung kirchlich-theologischer Belange. Dass Althaus mit seiner Beteiligung an der Erklärung nicht die Ökumenische Bewegung überhaupt treffen und damit seine eigene Mitarbeit darin desavouieren will, ist nachvollziehbar. So bekennt er sich auch danach weiterhin in Wort und Tat zur Ökumenischen Bewegung. Althaus’ Angriffsziel ist eine in seinen Augen durch die vermeintliche Anerkennung des Versailler Systems © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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unmögliche Völkerverständigung, wie er und Hirsch sie dem Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen – zu Unrecht, wie dieser sich verteidigt – vorwerfen. Zur Arbeit der Völkerverständigung an sich äußert Althaus sich prinzipiell positiv; sofern dabei allerdings der Eindruck erweckt wird, diese solle auf dem Boden von Versailles gestaltet werden, ist in seinen Augen keine ehrliche und wahrhaftige Gemeinschaft der Völker möglich. In diesem Sinne – Ökumene ja, Versailles nein – argumentiert Althaus auch in seiner Verteidigungsschrift „‚Gegen den nationalsozialistischen Bazillus‘“. Bei der Althausschen Beurteilung des Völkerverständigung bzw. der Völkergemeinschaft gilt es, sich seine Haltung zu menschlicher Gemeinschaft überhaupt bewusst zu machen. Dieser liegt ein ethisches Verständnis zugrunde, wenn Althaus als Voraussetzungen für echte Gemeinschaft das Herrschen von Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit nennt218. Diesen ethischen Gedanken wendet Althaus auch auf die internationale Gemeinschaft und auf die Rolle der Kirchen darin als der moralischen Instanz schlechthin an. Aus diesem ethischen Impetus heraus erklärt sich Althaus’ Kritik an der Arbeit der Völkerverständigung, wie er sie wahrnimmt – dass er dieser dabei wohl Unrecht tut, steht auf einem andren Blatt. Die Kritik erklärt sich ebenso aus seinem Selbstverständnis als Teil des in dieser Zeit über alle kirchen- und parteipolitischen Grenzen hinweg so virulenten deutschen Freiheitskampfes gegen Versailles. Und sie erklärt sich neben diesem nationalen Interesse drittens mit Althaus’ stets anzutreffender volksmissionarischen Motivation in der Sorge um die Entfremdung der nationalen Kreise, besonders der akademischen Jugend, von der evange­ lischen Kirche. Aus der Befürchtung heraus, die in großen Teilen politisierte und nationalisierte akademische Jugend könnte sich unter dem Eindruck, evangelische Theologie und Kirche interessierten sich nicht für ihr zentrales Anliegen des deutschen Freiheitskampfes, von diesen abwenden, und in der Sorge um den eigenen Einfluss als Theologieprofessor lässt sich Althaus von den revoltierenden und zu großen Teilen nationalsozialistisch orientierten Hallenser Studenten am Rande in den sogenannten „Fall Dehn“ involvieren. Dass Althaus überhaupt von den NS-Studenten als ihr angeblicher Gewährsmann ins Spiel gebracht werden kann, erklärt sich aus seinen eigenen ambivalenten Äußerungen zur Frage des Krieges. Denn seine Unterscheidung zwischen einer prinzipiellen Rechtfertigung des Krieges an sich und den aufgrund missbräuchlicher Entartungen abzulehnenden, konkreten Kriegen war für viele Leser schwer nachvollziehbar219. Erst zu spät erkennt Althaus seine Vereinnahmung durch 218 Vgl. 2806 Leitsätze, 36. 219 Vgl. Schäfer, Beurteilung, 44. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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die nationalsozialistischen Studenten und distanziert sich davon. Er wollte allein zur Sache, sprich zur Frage nach dem Verhältnis von Krieg und Christentum, sprechen – freilich im Kontext einer Bejahung des deutschen Freiheitskampfes gegen Versailles. Dass er damit eine parteipolitische Stellungnahme, gar zu Gunsten der NSDAP, abgegeben könnte oder dahingehend vereinnahmt werden könnte, hatte Althaus nicht bedacht. Dafür war die Rede vom deutschen Freiheitskampf gegen Versailles mittlerweile zu sehr Allgemeingut in der deutschen Öffentlichkeit. Der von den Hallenser Studenten und darüber hinaus von weiten Kreisen des rechten und rechtsradikalen Lagers angegriffene Günther Dehn war sich dieses Umstands bewusst, als er sich auf die sachlich-theologische Auseinandersetzung mit Althaus einließ und dabei sowohl eine große Nähe zu dessen Haltung zum Problem des Krieges konstatierte, als auch dessen kirchenpolitische Intention nachzuvollziehen vermochte: „Man versteht ja, welches Anliegen A[lthaus] hat, er möchte die Kirche davor warnen, auf leere pazifistische Ideologien hereinzufallen.“220 Auch Althaus’ Selbstverortung in der deutschen Freiheitsbewegung gegen Versailles ist für Dehn keineswegs ein Stein des Anstoßes – im Gegenteil: Unbeschadet der unterschiedlichen Haltungen Dehns und Althaus’ in der Friedensfrage überhaupt, kann und will Dehn mit einem weiten Begriff von Notwehr und Verteidigungskrieg auch einem möglichen deutschen Freiheitskampf das Recht nicht verweigern, wenn er von dem Krieg spricht, „den etwa Deutschland einmal in berechtigter Notwehr um seine Freiheit kämpfen könne“: „Ich werde niemals das Recht eines solchen Krieges bestreiten“221. Den Althausschen Spagat, auf der einen Seite sich aus nationaler Motivation heraus als Mitkämpfer der deutschen Freiheitsbewegung gegen Versailles zu betätigen, auf der anderen Seite aber zugleich aus christlich-theologischer Mo­ tivation heraus das Anliegen der „würdigen“, Deutschland gleichberechtigenden Völkerverständigung zu vertreten, bringt er selbst in seinem Wort „Zum ­Advent 1931“ auf Punkt: „Darum stehen wir auch als Christen, gerade als Christen mit Achtung vor denen, die mit heißem Willen kämpfen um einen neuen Tag unseres Volkes oder um neue würdige Gemeinschaft in der Menschheit. Ja, wir kämpfen selber mit.“222

220 Dehn, Christentum, 2. 221 Ebd., 1. 222 3113 Botschaft, 486. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

7. Paul Althaus und der Nationalsozialismus bis 1933 „Deutschland war niemals das Land der Massenbewegungen und geistigen Epidemien, nie das Gebiet geistiger Disziplinierung und Uniformierung. Wieviel eher erliegt der Romane der Suggestion und Hypnose! So entspricht die lutherische Befreiung und Berufung des Einzelnen zur völligen religiösen Verantwortung, zum eigenen Priestertum deutschem Wesen.“1

Wie gründlich sich Althaus mit dieser vollmundigen Charakterisierung der deutschen „Volksseele“ im Jahr 1917 geirrt hat, zeigt die politische Entwicklung im Deutschland der 30er Jahre mehr als deutlich. Sie gibt allerdings auch einen Hinweis darauf, wie unvorstellbar für Althaus die spätere tatsächliche Entwicklung nach 1933 war. „Die Situation nach Hitlers Machtergreifung“, so Helmut Gollwitzer im Rückblick, „war bis in den Sommer 1934 hinein noch durchaus offen. Weder Optimisten noch Pessimisten […] konnten sicher sagen, wie lange das neue Regime sich halten und ob es – unter Einfluß von vielerlei Faktoren – sich mäßigen oder radikalisieren werde.“2 Auch am zeitgenössischen Urteil lässt sich diese Offenheit der Geschichte bewusst machen, wenn Karl Barth am 1. Februar 1933, einen Tag nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler an seine Mutter schreibt: „Im deutschen Reich ist also Hitler ans Ruder gekommen. Ich glaube nicht, daß dies in irgendeiner Richtung den Anbruch großer Neuigkeiten bedeuten wird.“3 7.1 Die letzten Jahre der Weimarer Republik und der Aufstieg des Nationalsozialismus Schien sich die Weimarer Republik ab Mitte der 20er Jahre in den sogenannten „Goldenen Zwanzigern“ zunehmend innen- und außenpolitisch zu stabilisieren, zeigte sich bereits im Jahr 1929, auf welch tönernen Füßen die junge deutsche Republik nach wie vor stand. Die „Stabilisierung und Normalisierung des politischen Lebens“ wurde nach Jochmann „abrupt beendet, als das Land in die schwere ökonomische Krise geriet. Sie begann in den ländlichen Gebieten schon 1928, griff im folgenden Jahr auf die industriellen Ballungsräume über und erfaßte ab 1930 auch den Handel und die Dienstlei 1 1706 Luther, 10. 2 Leserbrief im „Spiegel“ vom 6.2.1978; zit. nach Koch, Auseinandersetzung, 494. 3 Zit. nach ebd., 496. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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stungsbereiche. Reich, Länder und Gemeinden versuchten, die schwindenden Steuer­ einnahmen durch drastische Reduzierung der Staatsausgaben auszugleichen. Da der Staat aber mittlerweile der größte Arbeitgeber war, trug er durch Reduzierung der öffentlichen Aufträge, Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst und Entlassungen zur Verschärfung der Lage bei. Die Folge waren vermehrte Arbeitslosigkeit, weiterer Rückgang der Steuereinnahmen und wachsende Ausgaben für die Arbeitslosen-, Krisen- und Wohlfahrtsunterstützungen. Die dafür nötigen Mittel konnten nur durch Kürzung der Löhne und Gehälter der Beschäftigen des Staates und neue Steuern aufgebracht werden. Dies führte zu einer weiteren Zerstörung der Kaufkraft und verschärfte die Krise noch mehr. 1932 gab es 6 Millionen Arbeitslose, weitere Millionen Kurzarbeiter und eine kaum zu beziffernde Anzahl von Handwerkern und Gewerbe­ treibenden, die an der Grenze des Existenzminimums lebten. […] Die Unterstützungssätze reichten kaum aus, die Ernährung der Familie sicherzustellen; an den Ersatz von Kleidung oder die Ergänzung von Hausvorrat war überhaupt nicht mehr zu denken. Daß in dieser Lage die Verzweiflung um sich griff, die von der Not Betroffenen radikal wurden, kann nicht überraschen.“4

In welche politische Richtung sich die Radikalisierung in Deutschland ent­ wickeln würde, war für die Zeitgenossen zu Beginn der 30er Jahre noch nicht absehbar. So sagte Siegmund-Schultze, ein sorgfältiger Beobachter der politischen Lage, in der zweiten Jahreshälfte 1931 die Kommunisten als die großen Gewinner der Krise voraus: „Die äußerste Linke weiß, daß ihre Zeit gekommen ist. Sie erntet. Die Massen der Arbeitslosen strömen ihr zu. Die Unzufriedenen sonst sammeln sich bei ihr.“5 Enorme Zuwächse an Mitgliedern und Wählern erhielten sowohl Links- als auch Rechtsradikale und damit die antidemokratischen Kräfte. Bei den Reichstagswahlen im September 1930 erhielt die KPD 13 Prozent, die NSDAP 18 Prozent der Stimmen. Zählt man dazu die sieben Prozent der DNVP, wählten insgesamt 38 Prozent der Wähler eine Partei, die die Weimarer Republik augenblicklich abschaffen wollte. Obwohl die KPD bis zu den Reichstagswahlen im November 1932 ihren Stimmenanteil kontinuierlich auf 17 Prozent steigern konnte, war klar, dass es nicht der Kommunismus sein würde, der dem krisengeschüttelten Deutschland seinen Stempel aufdrücken sollte. Der große Gewinner von Weltwirtschaftskrise und Krise der Demokratie war der Nationalsozialismus um seine messianisch aufgeladene Führungspersönlichkeit Hitler als dem buchstäblich vielversprechendsten Politiker. Dieser konnte darauf vertrauen, dass angesichts der Verzweiflung breiter Massen der Bevölkerung „das Vertrauen in den Staat und seine Organe schwand“ und „die Zahl derer, die die bestehende politische 4 Jochmann, Gesellschaftskrise, 227. 5 Siegmund-Schultze, Wort, 273. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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­ rdnung ablehnten, rapide wuchs“6. So war die NSDAP die Protestpartei O schlechthin gegen ein politisches System, dessen Regierung die Not nur noch verwalten und verteilen konnte, anstatt diese nachhaltig zu bekämpfen. Bei den Wahlen im Juli 1932 konnte die NSDAP einen erdrutschartigen Wahlsieg mit über 37 Prozent der Stimmen einfahren. Dies war zugleich ihr bestes Ergebnis bei freien Wahlen in der Weimarer Republik, denn schon im November 1932 sank sie zurück auf 33 Prozent. Bei den nach Hitlers Amtsantritt als Reichskanzler nicht mehr im Vollsinn freien Wahlen im März 1933 erreichte sie 44 Prozent der Stimmen. „Das Auftreten und das überraschend schnelle Wachstum des neuen Nationalismus“, so der Chronist Hermann Sasse 1932, „ist das bedeutendste Ereignis der innerdeutschen Geschichte der letzten Zeit. Es ist ein Ereignis, das seine Parallelen in der ganzen Welt hat“7. Denn wie in Deutschland geriet auch in vielen Staaten Europas die Demokratie in die Krise. „In kaum einem der 1918/19 demokratisierten Staaten“, so Lars Lüdicke, „überdauerte die neue Staatsform die 1920er und 1930er Jahre.“8 Dass es der demokratiefeindliche Nationalismus in Deutschland gerade aus außenpolitischen Gründen besonders leicht hatte, haben wir bereits gesehen. In einer Zeit, als eine Anti-Versailles-Haltung allgemeiner politischer Konsens in Deutschland war, gelang es dem Nationalsozialismus, sich mit besonders radikalen Forderungen an die Spitze der „Freiheitsbewegung“ zu stellen und damit die größten Hoffnungen auf Überwindung der allgemeinen wirtschaft­ lichen, sozialen und politischen Krise, die die Menschen existentiell betraf, zu erwecken. Der Wähler dankte es ihm mit seinem Vertrauen. Die kirchlichen und theologischen Eliten des Protestantismus würden es ihm bald gleichtun. Daniel Bormuth stellt in diesem Zusammenhang die ernorme „psychologische propagandafähige Potenz“ des Versailler Vertragswerks heraus. Denn indem die deutsche Not infolge der Weltwirtschaftskrise vielfach monokausal auf das Versailler System zurückgeführt wurde, wurde die Bekämpfung dieses Vertrages mit dem Ziel seiner Revision zum Schlüssel aller wirtschaftlichen, sozia­ len und politischen Probleme des Deutschen Reichs. Dies aber hatte Konsequenzen für die Haltung auch der Kirchen gegenüber dem Nationalsozialismus als der am konsequentesten gegen Versailles vorgehenden nationalen „Freiheitsbewegung“. „Das Gefühl des deutschen Volkes, höchst ungerecht behandelt worden zu sein, verleitete auch weite Teile des kirchlichen Establishments dazu, wohlwollendes Verständnis, wenn nicht gar offene Sympathien für eine Bewegung aufzubringen, die 6 Jochmann, Gesellschaftskrise, 228. 7 Kirchliches Jahrbuch 1932, 58. 8 Lüdicke, Staatenwelt, 30; vgl. Gusy, Demokratie. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Deutschlands Rechte erklärtermaßen wiederherstellen wollte, selbst dann, wenn dieses Ziel von bedauerlichen gewalttätigen ‚Exzessen‘ überschattet wurde.“9

So war es der Nationalsozialismus als der der kompromissloseste Gegner der demokratischen Ordnung und des Versailler Systems, der als politischer Sieger aus dem deutschen Krisenjahr 1932 hervorging. Besonderes Wohlwollen von evangelischer Seite brachte der NS-Bewegung nicht zuletzt deren betont kirchenfreundliches Verhalten ein, das sie von anderen völkischen Gruppierungen, beispielsweise den Tannenbergbund, deutlich unterschied10. So erklärte Hitler zum einen das religiöse Leben des Volkes und damit die Kirchen für „unantastbar“11, zum anderen hob man gegenüber dem Protestantismus gerne den angeblich betont evangelischen Charak­ ter der NSDAP hervor12 und verwies in diesem Zusammenhang auf den von Hitler 1928 selbst angeordneten Parteiausschluss des Thüringer Gauleiters Artur ­Dinter wegen dessen arisch-religiöser und damit parteischädlicher Betätigung13. Von entscheidender Bedeutung waren Hitlers kirchenpolitische Grundentscheidungen Mitte der 20er Jahre, mit denen er seine nationalsozialistische Bewegung aus dem religiös-weltanschaulichen Ghetto der völkischen Religiosität herausholte und damit spätestens ab Ende der 20er Jahre für überzeugte Christen wählbar und damit auch zur Massenbewegung machte. Beigetragen hat dazu im Wesentlichen die Trennung von einstigen völkischen Lehrmeistern und Mitstreitern – neben Dinter auch Erich Ludendorff oder Dietrich ­Eckart14. In einer Rede Ende Oktober 1928 verkündete Hitler: „In unseren Reihen dulden wir keinen, der die Gedanken des Christentums verletzt, der einem anders Gesinnten Widerstand entgegen trägt, ihn bekämpft oder sich als Erbfeinde des Christentums provoziert. Diese unsere Bewegung ist tatsächlich christlich. […] Wir werden jeden Versuch unterbinden, den religiösen Gedanken in unserer Bewegung zur Diskussion zu setzen.“15 9 Bormuth, Kirchentage, 207. 10 Zur kirchenfreundlichen Maske des Nationalsozialismus Anfang der 30er Jahre vgl. Wright, Parteien, 126–146. 11 In seinem programmatischen Buch „Mein Kampf“ schreibt Hitler: „Dem politischen Führer haben religiöse Lehren und Einrichtungen seines Volkes unantastbar zu sein.“ (ebd., 127). 12 Wright, Parteien, 131 berichtet von einer offiziellen Begegnung zwischen evangelischer Kirche und NSDAP im März 1931, auf der die Partei darauf verwies, „von den 107 Mitgliedern der nationalsozialistischen Reichstagsfraktion seien zwei Drittel evangelisch, ein Drittel katholisch, ein einziger Abgeordneter gehöre der Kirche wegen eines Streites mit einem Geistlichen nicht mehr an, nicht weil er Freidenker sei.“ 13 Vgl. ebd., 130. 14 Zu Hitlers kirchenpolitischen Grundentscheidungen Mitte der 20er Jahre vgl. Scholder, Kirchen, 131–146; und Pyta, Dorfgemeinschaft, 384 f. 15 Zit. nach Scholder, Kirchen, 145. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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7.2 Althaus und die Herausforderung der erstarkenden völkische Bewegung und des Nationalsozialismus Spätestens seit seinem erdrutschartigen Wahlsieg 1930 stand fest, dass der Nationalsozialismus nicht nur die ideologische Zuspitzung der völkischen Bewegung war, sondern diese mit dem pragmatischen und starken Willen zur Macht, unter bewusster Annahme religiöser Züge, in konkrete Politik zu überführen gedachte. So schrieb Hitler selbst Mitte der 20er Jahre in „Mein Kampf“: „Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei übernimmt aus den Grundgedanken einer allgemeinen völkischen Weltvorstellung die wesentlichen Grundzüge, bildet aus denselben unter Berücksichtigung der praktischen Wirklichkeit, der Zeit und des vorhandenen Menschenmaterials sowie seiner Schwächen ein politisches Glaubensbekenntnis, das nun seinerseits in der so ermöglichten straffen organisatorischen Erfassung großer Menschenmassen die Voraussetzung für die siegreiche Durchfechtung dieser Weltanschauung schafft.“16

Ausgesprochen waren damit nicht nur die ideologischen Wurzeln des Nationalsozialismus in der völkischen Bewegung, sondern zugleich die Absicht, einen „politischen Glauben“ zu schaffen17. Damit hatten sich evangelische Theologie und Kirche auseinanderzusetzen, zumal es dem Nationalsozialismus erstaunlich gut gelang, gerade in protestantisch geprägten Milieus Fuß zu fassen. Warum aber erlagen viele Protestanten der neuen „politischen Religion“ des Nationalsozialismus? Einen allgemeinen und plausiblen religionspsychologischen Erklärungsansatz bietet Hardtwig. Für ihn hatten die Deutschen „seit 1914, verstärkt seit 1918, ein bis dahin ungekanntes Ausmaß an Kontingenzzumutung zu bewältigen“. „Die seit 1871 vorherrschende Metaerzählung vom zwar vielfach behinderten, aber letztlich unaufhaltsamen Aufstieg der Deutschen brach gleichsam von einem Tag auf den anderen ab und machte der Erfahrung von – wie die meisten meinten – unverschuldeten Katastrophen Platz. Die Kriegsniederlage, eine rasch ins Reformistische gewendete, aber doch im Bürgertum als Schock erlebte Revolution, die Demütigung von Versailles, der Abgrund der Hyperinflation, am Ende die massenhafte Not und persönliche Perspektivlosigkeit in der Weltwirtschaftskrise – Kontingenz genug also und, wie sich zeigen sollte, zuviel für die Sinnressourcen des deutschen Protestantismus. Er öffnete sich, nachdem die Hemmschwellen gegen die Nationalisierung schon seit längerem gesunken waren, zunehmend innerweltlich-­ politischen Bewältigungsstrategien und hatte dem integralen Sinnangebot der nationalsozialistischen politischen Religion – Lösung aller Probleme, rasch und umfassend, durch Zustimmung zum Willen des Führers – nur mehr wenig entgegenzusetzen.“18 16 Hitler, Kampf, 423 f. 17 Zum religiösen Charakter des Nationalsozialismus vgl. Hardtwig, Religion. 18 Ebd., 158 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Neben der Auseinandersetzung mit einem nationalistischen „politischen Glauben“ galt es auch, die Konfrontation mit einem völkisch geprägten „Neu­ heidentum“, aber auch mit einem den christlichen Kernbestand überformenden völkischen Pseudochristentum zu suchen. Beiden gemeinsam war der Ausgangspunkt der völkischen Religiosität bei Volk und Rasse, denen Offenbarungscharakter zugesprochen wurde. Während die einen, auf germanische Mythologie fußend, das Christentum als Fremdkörper der „nordischen“ und „deutschen Art“ bekämpften, ging es den anderen darum, das Christentum im Sinne eines „artgemäßen Glaubens“ von alttestamentlich-jüdischen Bestand­ teilen zu „reinigen“. Beiden realen Bedrohungen des Christentums versuchte der Apologetiker Althaus entgegenzuwirken. Er konnte und wollte auf keinen Fall den Gegnern die Öffentlichkeit überlassen. In einer christlich kanalisierten und „gereinigten“ Nationalisierung von Theologie und Kirche sah er das probate Mittel, eine unchristliche Theologisierung und Sakralisierung des Nationalen und der Politik überhaupt abwehren zu können. Dass er damit einer „politischen Religion“ des Nationalsozialismus gerade Vorschub leistete, gehört zur Tragik jener Zeit. Den völkischen Angriffen und Transformationsversuchen des christlichen Glaubens wollte Althaus begegnen, indem er die in seinen Augen durchaus evidente „Artgemäßheit“ des Christentums für die Deutschen, gerade in der Form des Luthertums, nachzuweisen versuchte. Sein Hauptansatzpunkt für seine Argumentation war wiederum die Volkstumstheologie, mit der er bei den völkischen Kritikern apologetisch-volksmissionarisch anknüpfen zu können meinte. Schließlich galt es auch, sich mit dem Phänomen „Nationalsozialismus“ in Bezug auf dessen „Weltanschauung“ auseinanderzusetzen. Gerade hier lag zu Beginn der 30er Jahre, aber auch noch nach 1933 für die Zeitgenossen die Schwierigkeit, einer einheitlichen nationalsozialistischen Ideologie habhaft zu werden. Zu undurchsichtig war einerseits der parteiinterne ideologische Pluralismus, andererseits der parteipolitische Kurs des pragmatischen Taktierens und Lavierens. So schreibt Nolte: „Es ist inzwischen keine neue Einsicht mehr, daß es ‚den‘ Nationalsozialismus oder ‚die‘ nationalsozialistische Ideologie als eine mehr oder weniger fest umrissene Einheit von Ideen, Denkmustern und politischen Programmen nicht gab, erst recht nicht vor 1933 als eine Blaupause, die seitdem, sei es auch mit Einschränkungen und Veränderungen, in praktische Politik umgesetzt worden wäre. Zumal in der Übergangsphase zwischen den späten zwanziger Jahren, als sich der Nationalsozialismus aus dem breiten Strom der rechen Bewegungen und Ideologien deutlicher herauszuheben begann, und der Mitte der dreißiger Jahre, als der ideologische ‚Pluralismus‘ innerhalb der NS-Bewegung, teils mit Gewalt, beendet wurde, war es durchaus offen, © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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was eine national­sozialistische Auffassung von Staat und Gesellschaft, von Volk und politischer Führung sein sollte.“

Für Nolte waren zu Beginn der 30er Jahre „unterschiedliche Weichenstellungen möglich“, waren noch „verschiedene ‚Nationalsozialismen‘ denkbar, die sich aus der fast allgemeinen Unzufriedenheit mit den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen plastisch hätten ausformen können.“19 Diese Offenheit der Geschichte gilt es bei der Beschäftigung mit Althaus’ Haltung zum Nationalsozialismus zu bedenken.

7.2.1 Der Ruf zur Kirche gegen die Vergötzung der Politik – Althaus und die „christlich-deutsche Bewegung“ Althaus’ Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus als „politischer Religion“ begann im Herbst 1932 und setzte sich über den 30. Januar 1933, dem Tag der sogenannten „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten hinweg fort. Erster Anlass für diese Auseinandersetzung war die von der „christlich-deutschen Bewegung“ in Potsdam ausgerichtete Arbeitstagung zum Thema „Unsere Botschaft des Evangeliums in der Zeit des deutschen Freiheitskampfes“ Ende September 1932, das sogenannte „Potsdamer Religionsgespräch“20, auf dem Althaus das Hauptreferat hielt. Althaus’ Zugehörigkeit zu der sich Ende 1930 formierenden „christlich-deutschen Bewegung“ (CdB) ist Ausdruck für seine kirchlich-volksmissiona­rische Überzeugung einerseits und für seine national-konservative weltanschauliche Haltung andererseits. Im Gefolge Weilings instruktiver Monographie ist dieser „locker organisierte Kreis“, der sich auf eine „gedankliche Durchdringung des Problems von ‚Glaube‘ und ‚Volk‘“ im Sinne volksmissionarischer Arbeit konzentrierte, als „Ausdruck einer größeren gesellschaftlichen Formation“, nämlich des „protestantischen Konservativismus“ zu betrachten21. Entscheidend ist die das christliche dem deutschen Element vorordnende Reihenfolge im Gegensatz zur deutsch-christlichen Bewegung22. Diese Vorordnung kam insbesondere nach der Zurückweisung des Machtanspruchs nationalsozialistischer Kreise innerhalb der CdB – die maßgeblichen Kräfte, die in der CdB nicht zum Zuge 19 Nolte, Ordnung, 183 f. 20 Vgl. die Zeitungsnotiz in: Der Reichsbote, Berlin, vom 25.9.1932, 3. 21 Weiling, Bewegung, 13 f. 22 So spricht Tilgner, Volksnomostheologie, 218, Anm. 2 von der „Priorität des Glaubens und des Christlichen“ an der Bezeichnung „christlich-deutsch“; zu den Deutschen Christen vgl. Meier, Christen; und Sonne, Theologie. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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kamen, wurden daraufhin tragende Säulen der Deutschen Christen – und des Führungswechsels zum Mecklenburgischen Landesbischof Heinrich Rendtorff zum Tragen. Im „Kirchlichen Jahrbuch“ 1932 schreibt Hermann Sasse dazu: „Seitdem Landesbischof D. Rendtorff, Schwerin, die Leitung dieser seit einigen Jahren vor allem im Osten und Norden Deutschlands bestehenden Bewegung übernommen hat, ist eine Klärung der Ziele und Methoden in der Richtung erfolgt, daß sie eine Glaubens- und Missionsbewegung sein will.“23

Nach dieser Klärung stößt auch Althaus zur CdB, maßgeblich auf Betreiben Rendtorffs, der ihn neben Hirsch als Mitherausgeber der ab Dezember 1931 erscheinenden „Christlich-deutschen Monatsschrift“ mit dem programmatischen Titel „Glaube und Volk“ gewann24. Zum Kurs der Zeitschrift, der identisch war mit dem Althaus’, schreibt Weiling: „Für ‚Glaube und Volk‘ waren vor allem zwei Themen bestimmend: die nationale Bewegung und die staatliche Obrigkeit. Dabei war die Abwehr völkischen Schwärmertums das eine Ziel, die Überwindung der Weimarer Republik das andere. Bei der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus dominierte […] eindeutig das volksmissionarische Anliegen. Die eigene Aufgabe definierte man als ‚Missionsaufgabe der Kirche an der deutschen Nation‘.“25

Zur beabsichtigten „Abwehr des völkischen Schwärmertums“ durch die CdB berichtet Sasse: „Die völkischen Sekten, wie der Tannenbergbund, sind vor allem der Gegner, mit dem sie heute ringt. In nationalsozialistischen Kreisen ist der Widerstand gegen ihr Programm sehr lebhaft.“26 Nach Weiling wollten Althaus und die anderen christlich-deutschen Theologen „eine wirklichkeitsnahe und packende Theologie schaffen, die das Volk ansprechen und der Nation Grund und Ziel weisen konnte. Eben darum waren sie auch bemüht, klare Anweisungen zum rechten Aufbau des Staates zu geben.“27 Dabei galten ihnen Staat und Kirche „erst dann als lebendige ­Größen, 23 Kirchliches Jahrbuch 1932, 74. Dazu schreibt Weiling, Bewegung, 235: „In der CdB, die 1931 Vorläuferin der ‚Deutschen Christen‘ gewesen war, fanden sich nun auch Ansatzpunkte für die spätere ‚Bekennende Kirche‘!“; vgl. ebd., 312. 24 Weiling, Bewegung, 204, Anm. 304 schreibt dazu: „Erst im Zusammenhang mit ­Rendtorffs Plan für ‚Glaube und Volk‘ tauchen ihre Namen auf. Daher wird auch Rendtorff Althaus und Hirsch gewonnen haben, die ihren Entschluß zur Mitarbeit ganz sicher erst im Zusammenhang mit der Klärung der christlich-deutschen Richtung und der Distanzierung von den Nationalsozialisten fassen konnten.“ Weiling geht davon aus, dass Rendtorff die Bekanntheit der beiden Systematiker „im nationalen Lager“ infolge ihrer Erklärung „Evangelische Kirche und Völkerverständigung“ vom Juni 1931 nutzen wollte. 25 Ebd., 208. 26 Kirchliches Jahrbuch 1932, 76. 27 Weiling, Bewegung, 214. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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wenn sie mit dem Volk verbunden waren.“28 Obwohl Althaus Mitherausgeber der Zeitschrift war, meldete er sich im Gegensatz zu Hirsch, von dem sehr viel abgedruckt wurde, kaum zu Wort29. Als Referent auf einer christlich-deutschen Tagung trat Althaus nur einmal in Erscheinung, als er beim sogenannten „Potsdamer Religionsgespräch“ zum Thema „Unsere Botschaft des Evangeliums in der Zeit des deutschen Freiheitskampfes“ Ende September 1932 das Haupt­referat hielt30. Insgesamt stellt sich mit Weiling bezüglich Althaus und Hirsch die Frage, „warum sich die beiden Professoren innerhalb der CdB nicht stärker exponierten.“ Dieser sieht darin ein „Indiz dafür, daß die beiden Männer nicht bloß Rücksicht auf ihre akademische Tätigkeit nahmen, sondern eine reservierte Haltung gegenüber der christlich-deutschen Arbeit wie gegenüber der politischen Arbeit allgemein einnahmen.“ Für Althaus nimmt Weiling an, dass dieser gegenüber der CdB „auf Distanz gehen“ musste, „sobald die Bewegung Anstalten machte, die Kirche politischen Zwecken anzupassen.“31 Als diese Anpassung die Haltung der CdB generell zu bestimmen schien, war es für Althaus mit Distanzierung nicht mehr getan. Ende Juni 1933 erklärte er seinen Rücktritt als Mitherausgeber von „Glaube und Volk“32. Im Streit um den neuen Reichs­ bischof war „für die Anhänger Bodelschwinghs kein Platz mehr in der CdB“, die mit ihrem Vorsitzenden Rendtorff mehrheitlich für den Hitler-Vertrauten Ludwig Müller votierten33. „Althaus hatte Hirsch bereits privatim die Freundschaft aufgekündigt, jetzt verließ er auch den Kreis um ‚Glaube und Volk‘, weil seiner Ansicht nach die Parteinahme für Müller einen ersten Schritt auf dem Weg zur Preisgabe der kirchlichen Freiheit bedeutete34. An seiner Stelle wurde der DC-Theologe Hermann Wolfgang Beyer 28 Ebd., 215. 29 In den eineinhalb Jahren seiner Mitherausgeberschaft veröffentlichte Althaus lediglich vier Beiträge in „Glaube und Volk“: 3121 Volk, 3206 Evangelium, 3218 Reich und 3302 Adolf. 30 Es handelt sich um 3218 Reich; vgl. Weiling, Bewegung, 241 f. 31 Weiling, Bewegung, 206. Weiling weist darauf hin, dass sich „in den Universitätsstädten Göttingen und Erlangen keine christlich-deutschen Kampfringe unter Führung der Professoren bildeten.“ 32 Vgl. das Schreiben Rendtorffs an Althaus vom 1.7.1933, in dem er sein Bedauern darüber ausdrückt (NPA 12/2). 33 Weiling, Bewegung, 311. Er schreibt über Rendtorff: „Diejenigen, die ihm bittere Vorwürfe wegen seiner Kompromißbereitschaft gegenüber den ‚Deutschen Christen‘ machten, gingen zur kirchlichen Opposition.“ 34 Zu Althaus’ Einsatz für Bodelschwingh vgl. Scholder, Kirchen, 495 f.; und Ericksen, Theologen, 138 f. Zum temporären Bruch Althaus’ mit Hirsch vgl. Assel, Aufbruch, 260, Anm. 100, wo dieser aus einem Brief Hirschs an Stapel vom 4.2.1933 berichtet: „Er sehe sich in einem sehr ernsthaften Kampf, in dem er ziemlich einsam stehe. Theologen und Pastoren seien reaktionär obrigkeitshörig und verstünden ihn nicht. Selbst Paul Althaus sei schwankend geworden.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Mitherausgeber der christlich-deutschen Monatsschrift, die damit immer mehr ins deutsch-christliche und nationalsozialistische Fahrwasser geriet.“35

In dieses Fahrwasser war „Glaube und Volk“ bereits vorher geraten. Ab Mai 1933, also dem Monat vor Althaus’ Ausscheiden, veröffentlichte der glühende Nationalsozialist und Deutsche Christ Walter Grundmann in der CdB-Zeitschrift. In seinem Vortrag mit dem schlichten Titel „Das Reich“ weist Althaus in Anspielung auf das bekannte Lutherwort „Das Reich muß uns doch bleiben“ mit Nachdruck darauf hin, dass damit weder das untergegangene deutsche Kaiserreich, noch das vom Nationalsozialismus propagierte künftige „Dritte Reich“ gemeint sei: „Es ist ein anderes ‚Reich‘ als das die anderen beiden Losungen meinen. Es ist die gnädige Herrschaft Gottes, in Jesus Christus weltwirklich geworden für jeden, der es auf Jesu Wort und Wirklichkeit wagt“36. Seinen eschatologischen Vorbehalt gegenüber einer säkularisierten und na­ tionalisierten Reich-Gottes-Erwartung verbindet Althaus mit einer Zurückweisung einer Sakralisierung und Vergötzung der Politik, wie er sie vor allem im Nationalsozialismus wahrnimmt: „Wer könnte den religiösen Klang in der Erwartung des kommenden deutschen Reiches überhören – diesen Klang, der vielleicht nicht in der lauten Ideologie einer Partei, aber hinter ihr und jenseits ihrer in der Bewegung der Jugend mitklingt? Das Reich der Deutschen, dem man entgegendrängt, soll gewiß politische Wirklichkeit sein, aber zugleich mehr als das: Wiedergeburt des deutschen Volkes, des deutschen Menschen aus den Quellen seines Volkstums, eine neue Zeit des ‚Heils‘, neuer Gesundheit des ganzen Volksleibes, Überwindung der sozialen Not, die der Kapitalismus gebracht hat, neue Volkseinheit – eine Bildung, eine Weltanschauung, am liebsten eine Kirche aller Deutschen37. Der religiöse Charakter dieser Reichserwartung allein erklärt die Unbedingtheit der Hingabe an den Propheten und Führer ins dritte Reich, aber auch den unbedingten Glaubens- und Gefolgschaftsanspruch, die Ausschließlichkeit im Machtanspruche. Die politische Bewegung ist ihrem Wesen nach zugleich ‚religiöse‘ Bewegung mit allen ihren Kennzeichen geworden.“38

Zu dieser politisch-weltanschaulichen Realität des Nationalsozialismus, wie Althaus sie wahrnimmt – politisches Messiastum des Parteiführers Hitler, totali 35 Weiling, Bewegung, 312. Im Dezember 1933 wurde die Zeitschrift schließlich ganz eingestellt. 36 3218 Reich, 162. 37 Wenn Baier, Christen, 40 aus diesem Satz schließt, Althaus habe sich der deutsch-christlichen Forderung nach einer deutschen Reichskirche angeschlossen, so übersieht er offensichtlich, dass er hier eine Fremdmeinung wiedergibt. 38 3218 Reich, 163 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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tärer Machtanspruch der Ideologie –, lässt Althaus sein typisches „Ja, aber“ ergehen. Auf der einen Seite ist es in seinen Augen etwas „Großes, Unerhörtes, wenn die Menschen wieder mehr im Herzen tragen […] als nüchterne-allzunüchterne wirtschaftlich-politische Ziele“. Der sittliche Impetus, den Althaus dahinter auszumachen meint, hat für ihn Parallelen zur tätigen christlichen Erwartung der kommenden Herrschaft Gottes. Dass er an diesem Punkt nicht einseitig politisch Partei ergreifen will, macht er sogleich deutlich an seinem Einschub: „das gilt übrigens nicht nur von der sogenannten nationalen Bewegung, sondern gutenteils auch von der radikal-sozialistischen“. Seinem Ja lässt Althaus sein Aber, seinen theologischen Einspruch gegen die Sakralisierung des Politischen folgen: „Und doch bedeutet die politisch-religiöse Idee des ‚Reiches‘ eines schwere Gefahr. Sie droht die Politik und den Glauben miteinander zu verderben. […] Nichts gefährdet das Wesen und die Würde der Politik mehr als der falsch-religiöse Doktrinarismus, die Hundertprozentigkeit, der unbedingte, messianische Ton. […] Da werden nötige und unvermeidliche, aber bedingte Gegensätze umgefälscht in das unbedingte religiöse Widereinander von Glauben und Unglauben, in den absoluten Gegensatz von Lichtkämpfern und dem Heere der Finsternis. Der messianische Utopismus gefährdet den sachlichen Ernst der Politik. Er gefährdet auch die Reinheit des Glaubens. Denn er verkennt notwendig die kommende Wirklichkeit des Reiches Gottes.“39

Ein eigenes Wort richtet Althaus in diesem Aufsatz an die Jugend, von deren im Jahr 1932 mittlerweile großteils nationalsozialistischer Ausrichtung er aus eigener Erfahrung gerade als Hochschullehrer an der Erlanger Universität weiß. „Es gibt heute nichts wichtigeres für die Bewegung unserer Jugend“, so Althaus, „als daß ihr das Wort vom Reiche Gottes gesagt werde.“ Althaus interpretiert dabei die politische Radikalisierung der Jugend als ein Zeichen für ein neues Interesse an der Religion. Auf diese Weise vermag er dieser Radikalisierung auf der einen Seite einen letzten Sinn zu verleihen, wenn er schreibt: „Wir wollen es dieser Jugend verkündigen: euer Sehnen, Wollen, Opfern meint mehr als die politische Wirklichkeit, die sich in Programme fassen läßt!“40 Auf der anderen Seite meinte er in der völkischen Bewegung, der er letztlich sittliche Motive unterstellt, eine unbewusste Hinwendung zum Gottesreich zu vernehmen, an die es sich volksmissionarisch anknüpfen ließe. „Sein volksmissionarisches Interesse sah also dort die Anknüpfungspunkte“, so Weiling, „wo der Nationalsozialismus selbst die Züge einer Religion annahm.“41 39 Ebd., 164. 40 Ebd., 164 f. 41 Weiling, Bewegung, 242. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Weil er das politische Anliegen der Überwindung der Weimarer Republik durchaus mit der nationalsozialistischen Jugend teilt, weiß er zu ihnen nichts anderes zu sagen als eine theologisch verbrämte Rechtfertigung ihres politischen Denkens und Handelns: „Ein Volk kann eine Wiedergeburt erleben, es gibt Reinigung, Erneuerung, Gericht und neues Werden mitten in unserer Geschichte. Es ist nicht wahr, daß ein Tag der Geschichte so erbärmlich sein muß wie der andere […] – ein waches, tapferes Geschlecht darf, wenn Gott es schenkt, heilige Stunden der Erneuerung erleben. Es ist auch nicht eine staatliche Gestalt wie die andere. Es gibt Gestalten irdischen Reiches, in denen mehr von den Zügen göttlichen Regierens gleichnishaft zu sehen ist als in anderen. Es gibt faulen Frieden und edlen Frieden, hohle, lügnerische Macht und echte, würdige Macht, kranke und gesunde Ordnung […]. Werdet nicht müde, mit hoher opfernder Hoffnung einem geschichtlichen Tage entgegenzudrängen! Aber wisset, daß ihr euch damit in Wahrheit der Herrschaft Gottes entgegenstreckt und daß sie an keinem geschichtlichen Tage erdenwirklich wird.“42

Damit aber führt Althaus seine eigene, eben noch geübte Kritik an einer Sakralisierung des Politischen selbst ad absurdum, die theologische Verbrämung des Politischen ist komplett. Der nationalsozialistischen Radikalisierung der Jugend kann und will Althaus Ende 1932 bereits nichts mehr entgegensetzen. Zu diesem inhaltlichen Unvermögen kommt ein formales Vermittlungsproblem, auf das Weiling im Blick auf die christlich-deutsche Bewegung überhaupt aufmerksam macht: „Die Ansichten, welche die Universitätsgelehrten entwickelt hatten, waren oft abstrakt und schwer vermittelbar […], zumal es in ihren Vorträgen oder Aufsätzen generell an detaillierten Ausführungen und Vorschlägen mangelte. Wenn ein theologischer Experte wie Althaus zudem auf den Ausgleich verschiedener Meinungen bedacht war, mußte das […] [seine Hörer und Leser] zusätzlich irritieren: entweder nahmen sie dann nur selektiv das wahr, was ihren Interessen entsprach, oder sie sahen sich gezwungen, konkrete Handlungsanweisungen bei anderen Weltanschauungsgruppen zu suchen.“43

Dass dies durchaus auch auf seine studentischen Rezipienten zutreffen konnte, hat Althaus’ Verwicklung in den „Fall Dehn“ eindrücklich bewiesen44. Ein Vierteljahr nachdem Althaus die „Botschaft vom Reiche“ als entscheidendes „Wort an die Gegenwart“ benannt hat, wendet er sich im Februar 1932 erneut an die Öffentlichkeit, diesmal mit „Luthers Wort an die Gegenwart“. 42 3218 Reich, 164. 43 Weiling, Bewegung, 244. 44 Vgl. Kap. IV, 6.3.5. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Dieses Votum ist ein eindringlicher Appell zur Kirche: „Luthers Wort von der Kirche, Luthers Ruf zur Kirche scheint mir das dringendste Wort des Reformators an unsere Gegenwart.“45 Althaus nutzt die volksmissionarische Gelegenheit, anlässlich seines Aufenthalts in Potsdam zur 14. Hauptversammlung der Luther-Gesellschaft am 10.  Februar 1932 eine Rundfunkansprache über ­Luther und den Kirchengedanken zu halten46. Sein über das moderne Medium des Radios verbreiteter Ruf zur Kirche geschieht aus der Sorge heraus, der Kirchenbegriff könnte für die Menschen in dieser politisch bis zum Äußersten aufgeladenen Zeit nur mehr ein „leergewordenes Wort“ bedeuten: „Andere Worte leuchten uns viel heller, packen uns unvergleichlich mehr: Volk, oder Reich, oder Menschheit und Menschlichkeit.“47 Neben dieser volksmissionarischen Motivation, einen Ruf zur Kirche er­ gehen zu lassen, ist Althaus zudem der Überzeugung, der Zerrissenheit des deutschen Volkes entgegenwirken zu können, wenn es gelänge, die sich vehement und gewaltsam bekämpfenden politischen Lager auf den gemeinsamen Boden der christlichen Kirche zu bringen: „Ich glaube im vollen Ernste, daß kein Wort uns heute, in der gegenwärtigen Lage unseres Volkes und unserer Gesellschaft dringender nottut als dieses. […] Leidenschaftlich geht durch unsere Reihen der Ruf ‚Deutsches Volk‘, ‚Nation‘, ‚Freiheit‘, ‚Neues Reich‘ oder anderswo wieder ‚Neue Gesellschaft‘, ‚Neue Menschheit‘. […] Der Ruf ‚Kirche!‘ tritt mit keinem jener Rufe an sich in Konkurrenz […]. Vielmehr: erst da, wo man aus der Kirche die ihr anvertraute Botschaft von dem einen Gott und Herrn aller Völker, von seinem Ziele, dem in Christus anbrechenden, dem in Christus anbrechenden Reiche Gottes hört, erst da wird die Verantwortung für Volk, Reich und Menschheit ganz klar, bewußt, unbedingt, rein. Also erst im Raume der Kirche.“48

Bewusst nimmt Althaus dabei eine Politisierung und d. h. vor allem eine Natio­ nalisierung von Kirche und Theologie in Kauf, um einer um sich greifenden Sakralisierung und Theologisierung des Politischen entgegenzuwirken. Denn diese betrachtet er als ernste Gefahr für Christentum und Kirche, aber auch für das deutsche Gemeinwesen: „Unsere Hingabe an die großen irdischen Ziele der Freiheit, des neuen Volkes oder der neuen Menschheit steht immer in Gefahr Götzen aufzurichten. Statt mit Religion an unsere Aufgabe zu gehen, machen wir aus ihr eine Religion.“49 45 3203 Wort, 322. 46 Vgl. LuJ 14 (1932), 11. 47 3203 Wort, 322. 48 Ebd., 325 f. 49 Ebd., 326; Hervorhebungen von Althaus. Er schreibt weiter: „Statt unsere Aufgabe an Volk oder Gesellschaft oder Menschheit von dem lebendigen Gotte her hinzunehmen […], vergött­ lichen wir die Aufgabe und den Wert.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Konkret spricht Althaus die politischen Parteien, allen voran die NSDAP um ihren Führer Hitler an: „Ich rede wahrlich nicht von Gespenstern. Wer offenen Auges in die Zeit blickt, weiß: wir stehen augenblicklich in Gefahr jeweils aus der Sache, der wir verpflichtet sind, eine Religion zu machen, eine Art Kirche über ihr zu bauen. Wir sind in Deutschland in diesem Sinne gar nicht kirchenlos; sondern neben der Kirche Jesu Christi entstehen weltliche Religionen, bauen sich Parteikirchen. Das erst macht unsere Volkszerrissenheit so hoffnungslos. […] Geschichtliche Parteigegensätze bekommen den religiösen Akzent des Kampfes von Gut und Böse, Licht und Finsternis. Sind wir in Deutschland nicht schon so weit gekommen, […] daß unsere Wahlkämpfe mit der Ideologie heiliger Kriege wider Gottes- und Menschheitsfeinde aufgemacht werden?“50

Diesen „blinden Fanatismus“ und diese „wilde Intoleranz“ kann in seinen Augen „nur so überwunden werden, daß in unserem Volke wieder eine lebendige Christuskirche steht.“51 Die Bedrohung der Kirche, die ihr in der „welt­ lichen Religion“ vor allem des Nationalsozialismus erwuchs, scheint Althaus bereits zu erahnen.

7.2.2 Althaus’ Neuakzentuierung seiner Volkstumstheologie im Krisenjahr 1932 Während Althaus im deutschen Krisenjahr 1932 auf der einen Seite in einer politisch und national aufs Äußerste aufgeladenen Zeit und Gesellschaft missionarisch-aktiv den Ruf zur Kirche erschallen lässt, muss er sich auf der anderen Seite apologetisch-reaktiv mit dem Vorwurf von nationalistischer Seite gegenüber der evangelischen Kirche auseinandersetzen, ihre politische Neutralität könne ihr als nationale Unzuverlässigkeit ausgelegt werden52. Auf diese Vorwürfe sowie auf den allgemeinen Rechtsruck der deutschen Gesellschaft musste die Kirche reagieren. Besonders Althaus sieht sich dazu herausgefordert. So entgegnet er den völkischen Kritikern der Kirche: „Niemand fürchte, daß der Ruf ‚Kirche‘ z. B. die Wucht der Verantwortung für unser Volk und seine Freiheit irgend lähmen sollte oder könnte.“ Und er stellt die in seinen Augen rheto­ rische Frage: „Was könnte uns hingegebener machen in der Verantwortung für 50 Ebd.; Hervorhebung von Althaus. 51 Ebd., 326 f. 52 Vgl. Kirchliches Jahrbuch 1932, 59–61. Der stellvertretende Präses der preußischen Generalsynode und DNVP-Politiker Detlev von Arnim-Kröchlendorf wird hier mit den beschwörenden Worten zitiert: „Wenn die Evangelisch-lutherische Kirche Deutschlands vergessen sollte, daß ihr Mutterboden des deutsche Volkstum und das nationale Bewußtsein ist, geht sie unter.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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unser Volk, als wenn wir diese Verantwortung aus den Händen Gottes in seinem Worte empfangen?“53 In einer neu akzentuierten und neu formulierten Volkstumstheologie meint Althaus, die angemessene Antwort auf die Herausforderungen durch die völ­ kische Bewegung und dessen noch weiter erstarkenden Nationalismus an Theologie und Kirche gefunden zu haben. Seine Volkstumstheologie ist damit gleichsam eine Bedienungsanleitung an Kirche und Theologie für das missionarische Unternehmen, „dem von der Wirklichkeit seines Volkstums ergriffenen Menschen das Wort Gottes zu verkündigen.“54 Die gegenüber seiner früheren Volkstumstheologie weiter zunehmende Nationalisierung der Theologie nimmt Althaus dabei bewusst in Kauf, um der in seinen Augen größeren Gefahr einer vom Christentum gelösten Theologisierung und Sakralisierung von Politik und Ideologie zu begegnen. Den allgemeinen Rechtsruck macht Althaus dabei mit, will er doch weiterhin eine gegenwartsbezogene Theologie vertreten. Seine Veröffentlichungen haben vielfach den Charakter von neuen Variatio­ nen über das alte Thema, schließlich sind auch die völkischen Kritiker und Gegner vielfach die gleichen geblieben. Dass sich Althaus mit seiner eigenen Volkstumstheologie zwischen die Stühle der Völkischen auf der einen und der „Hüter des ‚wahren‘ theologischen Denkens“ auf der anderen Seite setzt55, dass er – einmal mehr – einen politisch-theologischen Mittelweg beschreiten will, ist er sich vollkommen bewusst. „Aber die Nähe der Gefahren rechts und links von unserem Wege ändert nichts daran“, so Althaus in seinem programma­ tischen Aufsatz „Gott und Volk“ vom Juli 1932, „daß der Weg gegangen werden muß, der Weg, der zwischen jenen ‚Völkischen‘ und jener ‚Theologie‘ mitten hindurchgeht.“56 Auffällig in seiner 1932 vorgenommenen Neuakzentuierung seiner Volkstumstheologie sind auf der einen Seite die dem allgemeinen, das Nationale mehr und mehr in den Mittelpunkt des gesamten Denkens stellenden Zeitgeist geschuldeten verstärkenden Konturierungen, auf der anderen Seite aber auch die deutlichen Abgrenzungen von diesem Zeitgeist. Althaus bleibt in seiner weltanschaulichen Haltung zum Volkstum ambivalent. Zu einer Vereindeutigung führt allerdings die der Auseinandersetzung mit den völkischen Kritikern von Theologie und Kirche geschuldete verstärkte Theologisierung des Volkstums als göttlicher Schöpfungsordnung. Der Charakter des Volkstums als gött 53 3203 Wort, 326. 54 3208 Gott, 748. 55 Ebd., 722. Die einen werfen ihm die „Vergewaltigung einer unmittelbar als ‚heilig‘ gespürten Wirklichkeit durch die theologische Besinnung“ vor, die anderen einen „religiös verklärten Nationalismus“. 56 Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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licher Schöpfungsordnung wird in dieser Auseinandersetzung mehr und mehr zum beherrschenden Interpretament des Volkes. In seiner Definition des Volkstums hebt Althaus nach wie vor dessen für ihn primär geistigen Charakter hervor. Er bedient sich nun allerdings zum ersten Mal im Zusammenhang der Explikation seiner Volkstumstheologie des Rassebegriffs, wenn auch in erster Linie, um sich von der mittlerweile so virulenten Rassenideologie abzugrenzen. Gegen die völkisch-rassemythologische Behauptung einer ursprünglichen und – auf dem Wege der Aussonderung vor allem sogenannten „jüdischen Blutes“ – wieder zu erreichenden „Rassereinheit“ des deutschen Volkes betont Althaus die geschichtliche Entwicklung des Volkes: „Wie wird ein Volk? Natürliche und geschichtliche Momente wirken zusammen: Gemeinsamkeit des Bodens, des Blutes, des Schicksals. Zusammenwohnen, Blutsverwandtschaft, Erleben des gemeinsamen Schicksals in einem Staate wirken zur Volkwerdung. Schon hier sieht man, daß die Blutsverwandtschaft – also das, was an heute mit dem Begriff ‚Rasse‘ meint – nur eines unter mehreren Elementen ist. Gemeinsamkeit der ‚Rasse‘ bildet noch kein Volk, und umgekehrt: jedes Volk ist rassisch gemischt. Rasse ist ein natürlicher, Volk ein natürlich-geschichtlicher Begriff. […] Volkstum entsteht durch eine ‚Ur-Zeugung‘ […]. Ist es aber entstanden, so zeugt es weiter, gewiß in erster Linie natürlich, durch Blutsverwandtschaft; aber auch rein geistig, fremdes Blut, fremde Rasse sich aneignend.“57

Nicht nur im Rahmen der Volkstumsthematik weist Althaus das Anliegen der Rassenideologie zurück. Als diese mehr und mehr auch religiösen Boden zu gewinnen droht, sieht sich Althaus auch in religionsphilosophischer Hinsicht herausgefordert. Mit Alfred Rosenberg greift Althaus einen der führenden ideologischen Köpfe des Nationalsozialismus heraus, dessen rassenfanatisches Buch „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ sich seit 1930 in völkischen Kreisen großer Beliebtheit erfreute. Über dieses „berüchtigte Buch von Alfred Rosenberg“ schreibt Althaus 1932: „Da heißt es: […] ‚Menschheit, All-Kirche und das von den Blutzusammenhängen gelöste selbstherrliche Ich sind uns keine absoluten Werte mehr, sondern zweifelhaft […].‘ Jede Rasse hat ihre Seele, jede Seele ihre Rasse. ‚Eine bestimmte Seele und Rasse tritt dem Weltall mit einer auch besonders gearteten Fragestellung entgegen.‘“

Dem entgegnet Althaus: „Es bedarf keines Wortes: zu diesen Gedanken kann ein Christ, wenn anders er das Evangelium nach Paulus, Johannes und den Reformatoren versteht, nur ein klares Nein sagen. Das jeweilige ‚Christentum‘ in seiner Eigenart […] gehört gewiß jeweils 57 Ebd.; Hervorhebung von Althaus. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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mit einer bestimmten Kultur und vielleicht auch ‚Rasse‘ zusammen. Aber das Evangelium ist etwas anderes als das Christentum“58.

Dagegen betont Althaus die Freiheit des Evangeliums von allen irdischen Bindungen: „Die großen Religionen durchbrechen die Schranken von Kulturen und Rassen.“59 Mit Rosenberg und dem „Mythus des 20. Jahrhunderts“ setzt sich Althaus auch noch während des „Dritten Reiches“ kritisch auseinander60. Fest steht für Althaus – und damit greift er den allgemeinen Zeitgeist auf, an dem er selbst in zahlreichen Schriften mitgewirkt hat –, „die Wirklichkeit von Volk und Volkstum“ ist „klar und lebendig“, das „ursprüngliche Recht der Volksbindung auf uns“ steht außer Frage61. Neu ist bei der Formulierung seiner Volkstumstheologie nun allerdings die dezidierte Betonung der „Wirklichkeit“ der Menschheit parallel zu der des Volkes. Hier will Althaus völkischer Monomanie bewusst entgegentreten. So fragt er danach, ob es eine sittlich verpflichtende Verbundenheit und Gemeinschaft „nur innerhalb eines Volkes und seiner Geschichte“ gebe: „Richten wir damit nicht eine willkürliche Schranke auf? Was wir sind – schulden wir es denn nur unseren Vätern, nicht auch anderen Völkern, der ‚Menschheit‘? Geht Liebe, Verantwortung, Stellvertretung nicht notwendig über die Volksgrenzen […]? Ganz gewiß! […] Kein Volk lebt rein aus sich, auch wir Deutsche nicht. Kein Volk lebt für sich, wir Deutsche am wenigsten […]. Wollten wir heute, unserer Väter unwürdig, geistige völkische Inzucht treiben – wir sündigten gegen offenkundige Lebensgesetze der Menschheit und unseres Volkes. Darüber bedarf es keines Wortes. Nicht nur Volk und Volkstum ist eine Wirklichkeit, sondern – trotz allem – auch ‚Europa‘, der Westen, die Menschheit.“62

Auch und gerade im „Dritten Reich“ mit seiner monomanischen Verabsolutierung des deutschen Volkes bleibt der Zusammenhang der einzelnen Völker mit dem Ganzen der Menschheit für Althaus ein wichtiges Anliegen, das auch Eingang in seine Predigten findet. So predigt er am 2. Juli 1933, den gegenwär­ tigen Zeitgeist aufgreifend: „Wir stehen heute aufs neue unter dem Eindrucke, wie verschieden die Rassen und Völker sind. Jedes hat seine Art und seine besondere Geschichte. […] Indessen: sind die Völker und die Menschenarten wirklich bis in die Tiefe verschieden, in jeder ­Hinsicht?“ 58 3104 Wahrheitsgehalt, 4. 59 Ebd., 6. 60 Vgl. 3308 Toleranz, 110; und 3506 Liebe. 61 3208 Gott, 723. 62 Ebd., 725; Hervorhebungen von Althaus. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Nach dem Hinweis auf die verschiedenen Sprachen, Kulturen, Religionen, die auf die Verschiedenheit verweisen, fährt Althaus fort: „Und doch: überall ist es das eine und selbe Menschenleben, das gelebt werden muß, überall die eine und selbe Würde und Not menschlichen Daseins […]. Kommen wir hinaus zu anderen Rassen und Völkern, so machen wir gewiß das Erlebnis der Fremdheit, aber zugleich darüber hinaus die überwältigende Erfahrung einer tiefen Einheit im Menschsein. Wir erkennen uns als Brüder einer Not, eines Heimwehs. Wir er­ leben die Einheit der Menschheit.“63

Infolge dieser Akzentuierung des Menschheitsgedankens kommt Althaus konsequenterweise nicht umhin, bei der Darstellung des Volkes als „Gottes Geschöpf und Gabe“ und des Volkstums als „Schöpfungsordnung“ zugleich die „völkische Sonderung der Menschheit“ auch als Ausdruck „der Sünde und des Todes“ zu interpretieren. Ethische Konsequenzen hat diese theologische Erkenntnis allerdings keine, wenn Althaus dazu erläutert: „So widerspruchsvoll muß unsere Rede vom Volke sein. Eindeutig ist nur eines: die Pflicht, Gott zu gehorchen in seiner Ordnung, wie immer sie die Zeichen unserer Todeswelt trägt.“64 Althaus’ Neuakzentuierung seiner Volkstumstheologie geschieht durch die Anfang der 30er Jahre von ihm vorgenommene enge Verknüpfung von Schöpfungsordnungstheologie und Uroffenbarungslehre. So heißt es in seinem Aufsatz „Gott und Volk“ 1932: „Die ‚Heiligkeit‘ des Volkes als einer uns fordernden Ordnung lernt man ebenso wie die ‚Heiligkeit‘ des Lebens nicht erst […] im Lichte der Offenbarung ­Gottes in Christus sehen. Diese Erkenntnis ist eine Ur-Erkenntnis menschlichen Beschenktund Gefordertseins, die an der Wirklichkeit des geschichtlichen Lebens selber auf­ leuchtet.“65

In seiner Auseinandersetzung mit der völkischen Bewegung ist Althaus sehr bemüht, die religiös-ethische Hochschätzung des Volkes durch die evange­ lische Theologie, als deren dazu berufener Vertreter er sich versteht, hervorzuheben. Seine an anderer Stelle wesentlich deutlicher zum Ausdruck kommenden Einschränkungen und theologischen Vorbehalte beispielsweise in Bezug auf die Sündenverflochtenheit der Schöpfungsordnungen treten in diesem Aufsatz merklich in den Hintergrund66. Man könnte sagen, sein „Aber“ geht in 63 3306P Heiland, 10 f. 64 3208 Gott, 725 f. 65 Ebd., 746. 66 Vgl. seine Vorträge 3111 Gemeinschaften; und 3209 Schöpfung. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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dem großen „Ja“ zum prinzipiellen Anliegen der völkischen Bewegung unter – ob nur aus taktischen Gründen, lässt sich schwerlich sagen. So heißt es bei ihm: „Aber die Verkündigung von Gott dem Herrn bedeutet als Wort an den ‚völkischen‘ Menschen nicht nur ein Ja zu seiner unmittelbaren Gewißheit.“67 Doch Althaus’ Wort zur Sündhaftigkeit der Schöpfung bleibt ausgesprochen blass, klarer ist schon sein an dieser Stelle einmal mehr formuliertes ceterum ­censeo gegen völkischen Nationalismus und Chauvinismus mit ihrer Behauptung eines „überragenden Werte[s] unseres Volkstums“: „Dem Heidentum verfällt man, wenn der völkische Imperativ der Verantwortung und Treue seinen Grund nicht mehr einzig und allein in dem Schöpferwillen Gottes […] findet, sondern verfälscht wird durch Gründung in einem absoluten oder einzigartigen Werte des besonderen Volkstums. Das Schrifttum und das Reden der völkischen Bewegung ist voll von solchen Verfälschungen des völkischen Imperatives.“68

Wenn Althaus allerdings daraufhin formuliert: „Wir lieben unser Volk und sind ihm verpflichtet zum Einsatz bis in den Tod, weil es durch Gottes Ordnung unser Volk ist. Wir brauchen es nicht emporzureden, emporzulügen zu dem edelsten aller Völker auf Erden, um uns an es unverbrüchlich gebunden, bis zum Letzten gefordert zu wissen. […] Gottes ist die Bindung an mein Volk. Sofern er mich gebunden hat, bin ich unbedingt gebunden.“69,

so hat die Sakralisierung des Volkes seinen Höhepunkt erreicht. Da fällt auch Althaus’ einmal mehr formulierter Hinweis auf den eschatologischen Vor­ behalt, der auch und gerade gegenüber der Schöpfungsordnung des Volkes besteht, wenig ins Gewicht70. Wie bereits erwähnt, ist Althaus der Überzeugung, mit einer christlich „gereinigten“ Nationalisierung von Kirche und Theologie der um sich greifenden unchristlichen Sakralisierung und Theologisierung des Politischen entgegenzuwirken. So erklärt er mit Blick auf die völkischen Kritiker und Gegner von Christentum und Kirche ihren nationalen Auftrag folgendermaßen: 67 3208 Gott, 749. 68 Ebd. An dieser Stelle argumentiert Althaus einmal mehr mit Heinrich von Kleist; vgl. 3116 Vaterlandsliebe, 1442; und 2910 Vaterland, 240. 69 Ebd., 750. 70 Ebd., 750 f. heißt es: „Gott sorgt durch die Bewegung der Geschichte schon dafür, daß wir nur bösen Gewissens und mit künstlich geschlossenen Augen die Grenzen der völkischen Bindung übersehen können.“ Als eben solche geschichtlichen Beispiel für die Grenzen der „völkischen Sonderung“ nennt Althaus die USA und die Tatsache, dass das Judentum die „völkische Geschlossenheit“ der Völker „sprengt“ und damit hinweist „auf die Grenze und Relativität völkischer Sonderung und Geschlossenheit und das Auge vorwärts richte[t] auf das kommende Reich Gottes“; vgl. Kap. IV, 5.2.3. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Indem sie Gott den Herrn, den Schöpfer, bezeugt, macht sie die Bindung an Volk und Vaterland so ernst und so fest wie kein völkischer Mythos, kein Rassefanatismus es kann. Die Würde des völkischen Imperativs gegen alle Verfälschungen zu wahren ist der Kirche aufgegeben.“

Freilich folgt auch an dieser Stelle dem Ja noch ein Aber: „Weil die Verkündigung der Kirche das Volk unter Gott den Herrn stellt, wehrt sie dem Heidentum, daß das Volk sein Volkstum und die völkische Bindung absolut setze, die Grenze, das Ende, das Reich Gottes vergesse. Von der Grenze völkischer Bindung und Sonderung an Gottes Reich zeugt die Kirche aber nicht nur mit Worten, sondern noch viel mehr durch ihr eigenes Sein als Volk Gottes durch die ­Völker hin.“71

Angesichts des zunehmenden Einflusses der „nationalen Bewegung“, sprich des Nationalsozialismus auf die öffentliche Meinung, kann es kaum verwundern, dass das Thema „Volkstum“ bei Althaus zu Beginn der 30er Jahre eine so herausragende Rolle spielt. Wie schon in seinem Vortrag vor der Fichte-Gesellschaft über „Christentum und Nationalerziehung“ im Jahr 1926 spricht Althaus auch in seinem Aufsatz „Das Evangelium deutsch“ im März 1932 von der „gottgeschenkten Wahlverwandtschaft“ zwischen Christentum und Deutschtum, wodurch „deutsches Volkstum das Evangelium ganz tief [hat] erfassen dürfen, vom Heliand an zu Luther hin“72. „Das Evangelium ist bis heute un­ seres Volkes größtes Erlebnis gewesen“, verkündet der Apologetiker Althaus vollmundig weiter. „Die Einheit ‚deutsch-christlich‘, ‚christlich-deutsch‘ steht als klare, helle, breite Tatsache da. Für sie zeugen die größten Stunden, die herrlichsten Männer unserer Geschichte.“ Dementsprechend hält er den antichristlichen und rasseideologischen Kräften der völkischen Bewegung entgegen: „Wie sinnlos, das deutsche Wesen zu denken abgesehen von dem Evangelium und es am vorgeschichtlichen Anfange in seiner Reinheit zu suchen! Volkstum wird erst in der Geschichte. Das deutsche Wesen ist durch das Evangelium wesentlich mit­ geprägt.“73

Nach seinem Hinweis, dass Christentum und Deutschtum nicht auseinandergerissen werden können, wendet sich Althaus in seinem Aufsatz „Das Evangelium deutsch“ nun gegen eine Sakralisierung des Nationalen in Form einer 71 Ebd., 751. 72 3206 Evangelium. Der Aufsatz erschien bezeichnenderweise in der von der volksmissionarisch orientierten christlich-deutschen Bewegung herausgegebenen Zeitschrift „Glaube und Volk“. Aufgrund der Kürze des Artikels wird auf genaue Seitenangaben verzichtet. 73 3206 Evangelium. Auch die folgenden Zitate stammen von dort. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„völkischen Religion“ mit einem „deutschen Gott“: „Das Volkstum ist dann Grund, Quell, Maßstab für die Wahrheit des Glaubens. Nicht der Glaube ist Meister, sondern das Volkstum“, erläutert Althaus diesen verkehrten Ansatz. Gott wird dabei zu einem „Götzen für menschlichen Lebensanspruch“, das eigene Volk „wird heilig gesprochen statt geheiligt zu werden.“ Weil das Volkstum sich allerdings in einer „völkischen Religion“ selbst verabsolutiert, „verliert es die letzte Bindung wahrhafter Treue und echter Liebe.“ Mit der Frage nach der „völkischen Religion“ sieht Althaus zugleich die „Offenbarungsfrage“ gestellt: „Die völkische Frage als religiöse ist ein Sonderfall der Frage nach der Offenbarung Gottes überhaupt, nach dem Verhältnis des Evangeliums zu den Religionen.“ In rhetorischen Fragen weist Althaus die eine „natürliche Theologie“ vertretende „Offenbarungstheologie“ der „völkischen Religion“ zurück: „Wächst die Offenbarung wirklich in den Volkes Seele, als die innerste Schöpfung des Volksgeistes? […] Bedeutet Offenbarung das gleiche wie das quellende Leben eines Volkstums […]? Ist das Volkstum in seiner Tiefe selber Offenbarung?“ Seine eigene Antwort auf eine derartige „natürliche Theologie“, die im Volkstum göttliche Offenbarung wahrzunehmen meint, ist Althaus’ Formulierung einer Ur-Offenbarung, die auf die entscheidende Heilsoffenbarung hinweist: „Auch in dem Volkstum, in den Bindungen, mit denen es uns umgreift, erkennen wir eine Selbstbezeugung des Schöpfergottes an uns. Aber so ernst wir das betonen […], so ernst setzen wir hinzu: die Heilsoffenbarung Gottes ist wirklich ein ‚Fremdes‘ (mit Absicht wähle ich für die Auseinandersetzung mit den ‚völkischen‘ Gedanken gerade dieses Wort!), ein neues, fremdes Wort, nicht aus der Tiefe des eigenen Volkstums quellend, sondern aus der Ferne, aus der Höhe gesprochen. Das versteht nicht, wer noch nicht erkannt hat: alle natürliche, gewachsene Religion steht unter einem Zornesgesetze der Zerteilung und Entstellung der Wahrheit.“ Weil alles, „was in den Tiefen eines Volkstums an göttlicher Selbstbezeugung ergriffen werden kann“, Anteil hat „an dem Fall der Menschheit“, darum ist die „rettende Offenbarung Gottes“ anderswo zu suchen: „in einer bestimmten, einmaligen, besonderen Geschichte […] auf Grund von Erwählung eines Ortes und Volkes“.

In seinem apologetischen und zugleich volksmissionarischen Anliegen, der Sakralisierung des Nationalen durch eine Nationalisierung des Sakralen entgegenzuwirken, gab es für den Neutestamentler und Systematiker Althaus freilich Grenzen, die auch gegenüber prinzipiellen Mitstreitern im volksmissionarischen Anliegen gezogen werden mussten. Ein solcher Mitstreiter war Wilhelm Stapel. Gegen dessen Lehre vom „Volksnomos“74, die er in seinem 1932 er 74 Zur Volksnomostheologie Stapels vgl. Tilgner, Volksnomostheologie, 113–122. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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schienenen Buch „Der christliche Staatsmann. Eine Theologie des Nationalismus“ entwickelte, erhebt Althaus in der von Stapel herausgegebenen Zeitschrift „Deutsches Volkstum“ im Januar 1933 sogleich entschieden „theologischen Einspruch“ – wenn er auch „das Werk als Ganzes mit Freude begrüßt“75. Im Kern geht es bei der Auseinandersetzung um die Frage nach dem Verhältnis von Altem und Neuem Testament, Judentum und Christentum, sowie um die Frage nach dem Offenbarungsverständnis. Wenn Stapel das „mosaische Gesetz“ allein als Volksgesetz des jüdischen Volkes verstehe, ohne jegliche Bedeutung für das Christentum, das sich allein auf die jeweiligen „Lebensgesetze der anderen Völker“ und sich damit auf deren partikular-nationale Sittlichkeit beziehe, sieht Althaus darin die paulinische Lehre vom Gesetz „bedenklich verbogen“76. Demgegenüber betont er die Bedeutung des „einen Willens Gottes“ „durch alle Völker hin“ als die „wesentliche Wirklichkeit des Menschseins“77. Zur Relativierung des Alten Testaments bei Stapel antwortet Althaus, seinen seit Jahren geführten Kampf mit völkischer Abwertung des ­Alten Testaments aufnehmend78: „Dabei nimmt dann aber das Alte Testament, das Israel gegebene Gesetz, eine besondere Stellung ein. […] Keinem Volk auf Erden […] – Geheimnis der Wahl Gottes! – wurde so wie Israel gesagt, was ‚Gott‘ heißt, daß er der Schöpfer und Herr Himmels und der Erden ist, der Heilige, der Eifrige“79.

Ein Körnchen Wahrheit will Althaus der Stapelschen Konstruktion aber dennoch belassen. Gemäß seinem Anknüpfungskonzept in Form seiner Uroffenbarungslehre gibt Althaus gegenüber Stapel zu, „daß die Bindungen der Völker, ihr Recht, ihre Sitte, ihre Religion für ihre Begegnung mit Jesus Christus auch eine positive Bedeutung haben.“ Allerdings warnt Althaus sogleich vor einer völkischen Überformung dieses Gedankens: „Sofern in diesen Bindungen die Entstellung des einen wahren Gottes zu Götzen sich ausprägt, bedeuten sie ein Hindernis für die Begegnung mit Christus, eine Mauer, die fallen muß.“80 Wie wichtig Althaus die Abwehr dieser völkischen Überformung des Christentums bei Stapel ist, zeigt sich daran, dass er seinen Einspruch gegen Stapel in seinem Sammelband „Die deutsche Stunde der Kirche“ im Herbst 1933 erneut abdrucken lässt – erweitert um einen Absatz und unter dem neuen, ein 75 3212 Nomos, 49. Im Anschluss an Althaus druckt Stapel seinerseits eine Antwort an Althaus und an einen katholischen Theologen ab, der ebenfalls eine Stellungnahme abgegeben hatte. 76 Ebd. 77 Ebd., 50 f.; Hervorhebung von mir. 78 Vgl. Kap. IV, 5.2.4. 79 3212 Nomos, 51. 80 Ebd., 52. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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deutigeren Titel „Nomos und Evangelium“. In diesem neuen Absatz geht Althaus verstärkt auf den antijudaistischen Impetus Stapels ein, wenn er schreibt: „Paulus weiß den Griechen und Römer nicht deswegen frei vom jüdischen Nomos, weil er der jüdische Nomos ist, der den Nicht-Juden nicht bindet – sondern weil er Nomos ist und Christus von allem Nomos freigemacht hat.“81

Die „Abgrenzung gegen Wilhelm Stapels Nomoslehre“ gehört für Althaus „in das Ganze meiner Lehre vom Volkstum wesentlich hinein“82. Dass seine eigene Lehre von der Ur-Offenbarung im Sinne des Stapelschen Volksnomos missverstanden werden könnte, ist sich Althaus bewusst und lässt ihn in der 2. Auflage seiner „Theologie der Ordnungen“ 1935 in einem eigenen Kapitel erneut gegen Stapel – und diesmal auch gegen Friedrich Gogarten – Stellung nehmen83. Exkurs: Offenbarungslehre im Dienst missionarischer Anknüpfung – Althaus, die Ur-Offenbarung und die Schöpfungsordnungen Aufgabe dieser Arbeit kann es nicht sein, Althaus’ Uroffenbarungslehre systematisch-theologisch zu bedenken84. Aufgabe ist es vielmehr, die Hintergründe und den Kontext dieses spezifisch Althausschen Theologumenons zu beleuchten. Frühe Spuren des Phänomens, das Althaus später als „Ur-Offenbarung“ bezeichnen wird, lassen sich bei ihm bereits in seinen Veröffentlichungen während des Weltkrieges finden. Sein homiletisches und volksmissionarisches Modell der Anknüpfung von theozentrischer zu christologischer Verkündigung, das er gegen Ende des Weltkrieges formuliert, ist gleichsam Präfiguration seiner späteren Uroffenbarungslehre. Dabei ist diese Lehre nicht einfach nur Methode, sondern entspringt seinem eigenen Denken, Fühlen und Glauben: „Es geht dabei wahrlich nicht nur um ‚Anknüpfung‘, sondern einfach um die Wahrheit.“85 Auf ein weites Offenbarungsverständnis ist Althaus bereits während seines Studiums gestoßen. 1949 schreibt er rückblickend auf seine theologischen Anfänge: „Schon damals war mir die Enge der herrschenden Offenbarungslehre unerträglich. Ich fand sie unbiblisch und verkrampft. Ich konnte es nie verstehen, wie man es theo 81 3212 Nomos, 53; Hervorhebungen von Althaus. 82 3311 Stunde, 3. 83 3505 Ordnungen, 34–39. 84 Dafür verweise ich auf Mann, Ordnungen, 61–68; Knitter, Uroffenbarungslehre; Pöhlmann, Problem. 85 4909 Brief, 2. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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logisch und kirchlich verantworten wollte, die ganze Welt der Natur und Geschichte dem Skeptizismus und Säkularismus preiszugeben; nachzusprechen, was die atheis­ tische Philosophie an Entgottung unseres Lebens geleistet hatte“86.

Von seinem Tübinger Lehrer Adolf Schlatter ging für Althaus der befreiende Impuls aus, wie er 1925 mitteilt: „Die Schlattersche Weite des Gotteshinweises hat einst auf viele von uns Jüngeren […] befreiend gewirkt. Wir gebrauchen […] eine ‚natürliche Theologie‘ neuen Stils.“87 In seiner Erlanger Antrittsvorlesung im November 1925 verwendet Althaus für dieses weite Offenbarungsverständnis den Begriff der „Grundoffenbarung“ – in Anlehnung an Paul Tillich, den er mit dem Satz zitiert, „der Protestantismus muß wieder lernen von Christus so zu reden, daß dahinter der gewaltige Klang der Grundoffenbarung in allen Religionen und Kulturen der Menschheit hörbar wird“88. Althaus, den wir schon in den verschiedensten Kontexten von seinem (volks-) missionarischen Anliegen her verstehen gelernt haben, entwickelt seine Offenbarungslehre auch und gerade vor diesem Hintergrund. Nicht zufällig zitiert Althaus an dieser Stelle Apg 17,23 („was ihr unwissend verehrt, das verkündigen wir euch“) aus der Missionspredigt des Paulus in Athen. Althaus bemerkt dazu: „Damit wird gewiß noch kein lebendiges Verhältnis zu dem Gott des Christenglaubens begründet. Aber die Theologie versäumt nicht ungestraft das Herausstellen der ‚Grundoffenbarung‘.“89 In einem Vortrag auf der 7. allgemeinen studentischen Missions-Konferenz in Halle im April 1931 über den „Wahrheitsgehalt der nichtchristlichen Religionen und das Evangelium“ macht Althaus den missionarischen Anknüpfungsaspekt seines Verständnisses von UrOffenbarung deutlich, wenn er von der „Möglichkeit und Notwendigkeit positiver Anknüpfung der missionarischen Botschaft an den religiösen Besitz der nichtchristlichen Religionen“ spricht90. Zu diesem Besitz oder „Wahrheits­ gehalt“ zählt Althaus in erster Linie die „Gewißheit um die Wirklichkeit des ‚Heiligen‘“, das „Wissen um die Ordnungen des menschlichen Lebens und um den Gotteswillen, der in ihnen erscheint“, und das Wissen „um die Verfallenheit und Verzweiflung des menschlichen Lebens“91. 86 Ebd., 1 f. 87 2507 Christentum, 153; vgl. 3120 Glaube, 920 f. 88 Ebd., 155. Neben Schlatter und Tillich nennt Althaus Stange, R. Seeberg und Hirsch als Gewährsleute für sein eigenes Offenbarungsverständnis (ebd., 153). Den gleichen Tillich-Satz zitiert Althaus auch in 2909 Theologie, 147; zu Tillichs „Grundoffenbarung“ vgl. Kleffmann, Begriff, 431 f. 89 2507 Christentum, 155. 90 3104 Wahrheitsgehalt, 10. 91 Ebd., 7 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Althaus’ Offenbarungslehre wird auch in seinem Artikel „Die Theologie“ von 1929 als missionarischer Anknüpfungsvorgang hin zum Christusglauben verständlich: „Das Offenbarungszeugnis in Predigt und Theologie soll freilich ‚christozentrisch‘ sein. Das heißt aber nicht, daß es nur von Christus zu reden hätte, sondern: daß es alles auf ihn hin und von ihm her sehen läßt. […] Mag die Theologie in der Offen­ barungs- und Heilslehre noch so reformatorisch gesund sein – wenn sie nicht zuvor und immer wieder auf die Selbstbezeugung Gottes in der konkreten Wirklichkeit unseres Lebens hinweist, wird sie und die von ihr bestimmte Predigt der Kirche doch an den Menschen von heute vorbeireden.“

Genau diese Menschen aber will Althaus mit seiner Wortverkündigung erreichen, will auf ihre konkreten Fragen und Sorgen eingehen. Weil er so viele Menschen in Deutschland auch zehn Jahre nach der Katastrophe von 1918 und den damit zusammenhängenden Krisenerfahrungen infolge des Zusammenbuchs der alten Welt unter eben jener Krise leiden sieht, ist es sein Anliegen, auch dieser Weltwirklichkeit Sinn zu verleihen und damit die Gottesfrage ins Spiel zu bringen. „Als tiefste Not wird im allgemeinen […] die Sinnlosigkeit erfahren. […] Heute ist die Gewißheit um den heiligen persönlichen Herrn des Lebens weithin zerbrochen oder doch unsicher geworden. Die Predigt der Kirche wird daher gutenteils ganz elementares Zeugnis von der Wirklichkeit Gottes sein müssen. Daraus erwächst der Theologie die entsprechende Aufgabe. […] Sie muß den Menschen zuerst einmal in ihre eigenen Themen folgen und in ihrer Tiefe die ungelöste Frage, den Gotteshinweis hörbar machen. […] Aber ist die Theologie, ist die von ihr geschulte Pfarrerschaft gerüstet zu dieser grundlegenden Missionsaufgabe?“92

Für diese Missionsaufgabe will Althaus die Theologen- und Pfarrerschaft mit seiner Offenbarungslehre zurüsten. Von „Grundoffenbarung“ wie Tillich spricht Althaus in der Folgezeit nicht mehr. Er sieht die Gefahr einer mangelhaften Abgrenzung von Gottes Offenbarung in Jesus Christus und spricht daher in seinem „Grundriß der Dogmatik I“ 1929 von der „Selbstbezeugung Gottes in der Wirklichkeit des Menschen und der Welt“93. Bewusst spricht er hier 92 2909 Theologie, 147. 93 2911 Dogmatik, 10.  Bereits im Sommer 1928 ließ er die Hörer seines Vortrags über die „Grundzüge der gegenwärtigen theologischen Lage“ wissen, dass sich, „unbeschadet des streng christozentrischen Offenbarungsgedankens, die Aufgabe einer theologia naturalis, als Lehre von der Selbstbezeugung Gottes in der ganzen Wirklichkeit unseres Lebens, auf die Dauer nicht abweisen“ lässt (2804 Grundzüge, 191). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„nicht, wie die alte Dogmatik, von ‚allgemeiner Offenbarung‘, sondern von ‚Selbstbezeugung Gottes‘ (Act. 14,17); indem wir auch terminologisch scharf trennen und das Wort ‚Offenbarung‘ für die von der Schrift bezeugte ‚heilsgeschichtliche‘ Offenbarung vorbehalten, wollen wir den weiten Abstand und die Einzigkeit der biblischen Offenbarung ausdrücken“94.

Dieses Anliegen gibt Althaus bereits drei Jahre später auf und spricht sowohl in seinem Römerbriefkommentar als auch im zweiten Teil des Dogmatik-Grundrisses – beide Werke erscheinen 1932 – von „Ur-Offenbarung“, die für Althaus unlöslich zur biblischen Heilsoffenbarung gehört95. Die Ur-Offenbarung wird bei ihm damit zur Vorbedingung für das Betroffensein des Menschen durch die heilsgeschichtliche Offenbarung in Jesus Christus96. Den Begriff „Ur-Offenbarung“ verwendet Althaus erstmals 1924 in seinem Aufsatz „Heilsgeschichte und Eschatologie“, hier allerdings noch in abgrenzendem Kontext97. Althaus entnimmt diesen dem Werk des Ethnologen und Religionshistorikers Wilhelm Schmidt, der eine auf einer „Ur-Offenbarung“ fußende „Urreligion“ annahm, aus der sich alle weiteren Religionen entwickelt hätten98. Dass Althaus gerade mit dem Begriff der „Ur-Offenbarung“ den Wahrheitsgehalt der altprotestantischen Lehre von der revelatio generalis, den er aus­ zumachen meint, gegen ihre völlige Verneinung bei Karl Barth und seinen theologischen Mitstreitern verteidigen zu müssen meint, ist anzunehmen99. So ist seine Uroffenbarungslehre, zumal in Verbindung mit seiner Ordnungstheologie, auch der wesentliche Grund für Althaus’ Ablehnung der von Barths Theologie geprägten Barmer Theologischen Erklärung. Jedenfalls ist es sein theologisches Anliegen, die Welt in ihrer von ihm angenommenen Theonomie zu verstehen, die von ihm identifizierten Lebensordnungen, allen voran das Volkstum, als göttliche Schöpfungsordnungen zu begreifen und mensch­ liche Geschichte als Geschichte mit und vor Gott zu interpretieren: „So ergeht in der Wirklichkeit unseres Menschseins ständig Ur-Offenbarung Gottes.“100

94 2911 Dogmatik, 10 f. 95 Vgl. 3213 Dogmatik, 13–16; und 3211 Römer, 16 f. 96 In 3213 Dogmatik, 15 schreibt er: „Wir würden in Christus Gott nicht erkennen können, wenn […] uns nicht ‚zuvor‘ in unserem Dasein als solchem die Dimension ‚Gott‘ erschlossen wäre.“ Diese „Dimension ‚Gott‘“, diese Wirklichkeit Gottes erschließt sich dem Menschen als „freie Ur-Macht“, als „Ur-Geist“, als „Ur-Wille“ und als „Ur-Ich“; vgl. ebd., 16 f. 97 2409 Heilsgeschichte, 613. 98 Vgl. Schmidt, Uroffenbarung, 479–632. 99 Vgl. Kress, Allmacht, 41: „Althaus selbst sieht in der Annahme der Ur-Offenbarung also einen Mittelweg zwischen der von ihm abgelehnten natürlichen Theologie der Scholastik und einem dezidiert christologischen Offenbarungsansatz.“ 100 3303 Wirklichkeit, 85; vgl. 3211 Römer, 17. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Die biblischen Anhaltpunkte für seine Lehre von der Ur-Offenbarung meint Althaus sowohl im Alten als auch im Neuen Testament zu finden101. Er zeigt dabei ein starkes Interesse an der „Wirklichkeitsfrage“ der Offenbarung und ihrer existentiellen Bedeutung für den Gläubigen: „Gottes gewiß werden heißt: die eigene Existenz als im Gottesverhältnis wesend erkennen. Wäre nicht das Dasein an sich selbst Gottesbeziehung, so gäbe es für uns Gott und ein Wort Gottes nicht.“102 Diese immer schon vorhandene Gottesbeziehung meint Althaus daran ablesen zu können, wie die Bibel von Gott spricht, nämlich in Form von Anthropomorphismen103: „Wir reden von Gottes Wirklichkeit in Gleichnissen aus unserem geschichtlichen ­Leben, sprechen von ihm als dem Vater, dem Richter, dem König. Welchen Sinn, welches Recht hätte das, wenn wir nicht an jenen irdischen Ämtern und Ordnungen, wie sie in der Geschichte da sind, Gottes inne würden.“104

Diese Anthropomorphismen haben für Althaus „ihren Grund und ihr Recht darin, daß die menschlich-geschichtliche Wirklichkeit, von der die Begriffe hergenommen sind, theomorph ist, d. h. in sich selbst von Gottes Wirklichkeit zeugt.“105 Die Ur-Offenbarung, so Althaus, „stellt uns noch nicht vor die ganze Wirklichkeit Gottes und unseres Verhältnisses zu ihm.“106 Diese ganze Wirklichkeit erschließt sich erst in Gottes heilsgeschichtlicher Offenbarung, die daran anknüpft. Das Ganze ist erst die „Wirklichkeit Jesu Christi“, die die Wirklichkeit der Welt ins rechte Licht rückt: „Wir haben die Wirklichkeit Gottes nur so, daß es immer wieder gilt sie im Kampfe, in der Anfechtung durch die Welt-Wirklichkeit107 zu ergreifen, mit der Verborgenheit Gottes in der Wirklichkeit zu ringen um den Tiefblick des Glaubens, der Gottes inne wird wider die Wirklichkeit, in der Wirklichkeit.“108 101 Zum einen in der Geschichte Israels (vgl. 3303 Wirklichkeit, 87), zum anderen bei Paulus (vgl. 3211 Römer, 16 f.). 102 3213 Dogmatik, 13. 103 Vgl. 2410 Vater. 104 3313 Volks-Erlebnis, 11. 105 3609 Dogmatik, 16; vgl. 3313 Volks-Erlebnis, 11. 106 3303 Wirklichkeit, 87. „Wer von der Ur-Offenbarung lebt, der weiß wohl zuviel von Gott, als daß er ihn ganz vergessen könnte, aber zuwenig, als daß er mit ihm, vor ihm leben könnte.“ (ebd., 86) 107 Zu diesen anfechtenden „Welt-Wirklichkeiten“ zählt Althaus neben dem menschlichen „Bedingt-Sein durch Blut und Rasse“ das „Chaos der Weltwirtschaft“, die „lebenszerstörende Arbeitslosigkeit“, „Maschine und Technik“, „Großstadt“, „Hochhäuser, aber auch die Hinterhäuser und das gärende Proletariat“ und die „Mobilmachung gegen Christentum und gegen Gottesglauben“ (ebd., 82). „Blut und Rasse“ nennt Althaus hier in einem ausgesprochen negativen Kontext, gerade wenn er die Frage hinzufügt: „Wirklichkeit Gottes?“ „Allezeit war es leichter, an den Satan als an Gott zu glauben. Es gab immer eine Wirklichkeit, die Gott verbarg.“ 108 Ebd., 91. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Althaus’ Anknüpfungsmodell ist somit ein Mehrstufenmodell: Von der Wirklichkeit der Welt soll der Mensch auf die Wirklichkeit Gottes und von dieser auf die Wirklichkeit Christi als dem eigentlichen Wort Gottes schließen: „Wort Gottes: mit ihm verglichen ist alles andere Schweigen Gottes. In ihm als Person, in seiner Geschichte, öffnet sich uns Gottes Herz“109. Althaus ist für Michael Roth „‚Apologet‘ als ‚Anknüpfungstheologe‘“, bei ihm „soll die Wahrheit des Evangeliums an die existentielle Erfahrung des Daseins anknüpfen, indem von der Uroffenbarung zum Evangeliums von Jesus Christus übergeleitet wird.“110 Diese Methode der Anknüpfung beschreibt Roth als „Anamnesis“: „Der Mensch erkennt in Christus das Wort Gottes wider, welches er bereits in der Uroffenbarung vernommen hat. Die Christusoffenbarung bewährt sich an dem ursprünglichen Wissen des Menschen um Gott. Die Gotteserkenntnis ist somit Anam­ nesis. Daher ist es die Aufgabe der theologischen Verkündigung, Hinweise auf Gottes Uroffenbarung zu geben, damit der Mensch die hermeneutische Vorbedingung für den Glauben erhält.“111

Auf dieses apologetische Anliegen Althaus’ macht auch Martin Meiser aufmerksam: „Für Althaus sollte die Uroffenbarungslehre ein Feld von christlicher Theologie her in Beschlag nehmen, das sonst durch nichtchristliche Surrogate ausgefüllt würde – und wurde. So war 1933 die Ineinssetzung von Offenbarung und nationalem Er­leben für Althaus Resultat dessen, daß die Kirche es versäumt hatte, von der Ur-Offenbarung zu reden“112.

Der Problematik der inhaltlichen Ungeschütztheit und des Subjektivismus seines eigenen Ansatzes ist sich Althaus selbst durchaus bewusst. So lässt sich in dem, was man unter dem Begriff „Uroffenbarungslehre“ zusammenfassen könnte, bei Althaus eine deutliche Entwicklung feststellen. War in seinen frühen Schriften, in erster Linie in der Zeit des Weltkrieges, aber auch in der ersten Nachkriegszeit, das subjektive Moment des Erlebens und der Erfahrung ganz im Vordergrund seiner missionarisch abzielenden Anknüpfungskonzeption, rückt in den 20er und 30er Jahren mehr und mehr das Ordnungsmoment in den Mittelpunkt. Verlief der Weg für ihn ursprünglich vom Geschichtserlebnis zum Gotteserlebnis, konkret „vom Vaterlandserlebnis zum Gotteserlebnis“, 109 Ebd., 89. 110 Roth, Gott, 388 f. Damit beschreite Althaus einen „Mittelweg […] zwischen der Elertschen Diastase und der Tillichschen Methode der Korrelation“. „Althaus kann so von seinem Anliegen durchaus als Theologe der ‚echten Mitte‘ begriffen werden“. 111 Ebd., 413 f. 112 Meiser, Althaus, 186, Anm. 256. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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verläuft er danach von der Anspruchserfahrung zur Gotteserfahrung. So sollte die christliche Verkündigung an der ordnungstheologischen Interpretation der Wirklichkeit anknüpfen. Mit anderen Worten verläuft die Althaussche Entwicklung von einer geschichtstheologisch gefassten Erfahrungstheologie zu einer offenbarungstheologisch gefassten Ordnungstheologie. Das ist der Grund, warum Althaus zu Beginn der 30er Jahre mehr und mehr die die Uroffenbarungslehre mit der Schöpfungsordnungstheologie verknüpft113. Der Gedanke des sittlichen Anspruchs, der sittlichen Verpflichtung bleibt bei ihm auch im Rahmen seiner Ordnungstheologie konstitutiv. So heißt es in seinem Aufsatz „Gott und Volk“ 1932: „Wir wissen, daß in der Gewißheit um die Bindung [durch die Schöpfungsordnung] Gott selber sich bezeugt; so gilt es nur, dem Menschen seine unmittelbare Gewißheit zu deuten mit dem Worte von dem Schöpfer und Herrn, daß er seine Bindung bewußt ernst nehme als Ergriffensein von dem Schöpfer der Wirklichkeit.“114

Zwei Definitionen Althaus’ sollen verdeutlichen, was er überhaupt unter den Schöpfungsordnungen verstanden wissen will. Zum einen definiert er diese als das, „was diesem Leben, seiner Erhaltung und Entfaltung […] dient, also auch was der Entfaltung menschlichen Lebens als Dasein in Freiheit und Verantwortung dient.“115 Zum anderen definiert er sie, theologischer gesprochen, folgendermaßen: „Was also dazu dient, daß Leben werde und erhalten werde, das berufen werden kann zum Reich Gottes, das ist Schöpfungsordnung.“116 Fragt man nach dem Wie der Erkenntnis von Schöpfungsordnungen, so antwortet Althaus: „Wo die Wirklichkeit unserer natürlichen Bindung aneinander und das Gewissen einander begegnen, da entsteht Erkenntnis der Ordnungen Gottes.“117 Die Lehre von den Schöpfungsordnungen dient Althaus dabei der in seinen Augen allgemein zugänglichen Interpretation der Welt im Licht der Liebe Gottes. Zugleich ist diese Art der Wirklichkeitswahrnehmung für ihn der Schlüssel, der von ihm als Kennzeichen der Moderne empfundenen Gefahr der Säkularisierung und Eigengesetzlichkeit der Welt mit einem derartigen Theonomiekonzept entgegenzutreten. Die Lehre von der Ur-Offenbarung dient der Anknüpfung an diese Weltwirklichkeit, sie ist die Methode der Anknüpfung. Beides zusammen dient der Verkündigung der Heilsoffenbarung, also der alles überbietenden Liebe Gottes in Jesus Christus. 113 Aus vielen Beispielen seien erwähnt: 3104 Wahrheitsgehalt, 7–10; und 3208 Gott, 746–750. 114 3208 Gott, 748. 115 3209 Schöpfung, 188. 116 3111 Gemeinschaften, 27. 117 3208 Gott, 747. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Die ganze Problematik der Althausschen Uroffenbarungslehre bringt Christine Kress auf den Punkt, wenn sie schreibt: „In die Leerzeile, die gewissermaßen durch die Annahme einer immer und überall geschehenden und damit gerade nicht inhaltlich qualifizierten Ur-Offenbarung Gottes entstanden ist, trägt Althaus besonders in der Frage geschichtlicher Ereignisse und ihrer ‚Deutung‘ konservativ-patriarchale und national-patriotische Überzeugungen und Leitideen ein, von denen aus wiederum auf Gottes Wesen und Handeln zurückgeschlossen wird“118.

Diese Überzeugungen und Leitideen sind Charakteristika der Althausschen Weltwahrnehmung, wie sie durch seine Prägungen und Präferenzen, aber auch durch seine Umwelt mitgestaltet werden. Ganz vereinfacht könnte man sagen: Althaus nimmt eine allgemein als krisenhaft erfahrene Welt durch seine national-konservative Brille wahr und entwickelt ein an diese, seine Wirklichkeit anknüpfendes Verkündigungskonzept. In einer als politisch und national enorm aufgeladen wahrnehmbaren und wahrgenommenen Zeit entwickelt Althaus seinerseits eine politisch und national aufgeladene Theologie. Das Volkstum wird dabei zum zentralen Moment, zum Dreh- und Angelpunkt seiner ­Theologie. 7.2.3 Althaus’ Haltung zum Nationalsozialismus: Ja zur nationalen Freiheitsbewegung, nein zur rassistischen Parteiideologie Nachdem Althaus seit den frühen 30er Jahren mehrfach vor einer Sakralisierung der Politik gewarnt und dabei mehr oder minder direkt den National­ sozialismus angesprochen hatte, setzt er sich im Lauf des Jahres auch mit den Inhalten des Nationalsozialismus auseinander119. Der erste Anlass dazu ergibt sich, als Althaus als Referent „zur völkischen bzw. nationalsozialistischen Frage“ auf die „übliche Nachosterkonferenz von Pfarrern in Riederau am Ammersee“ vom 7. bis 9. April 1931 geladen wird. Der Vortrag mit dem Titel „Evange­lische Kirche und völkische Bewegung“ ist zwar nicht direkt erhalten, er lässt sich aber anhand eines Berichts darüber in der „Allgemeinen Evangelisch-­Lutherischen Kirchenzeitung“ (AELKZ) sowie anhand einer ausführlichen Paraphrase im 118 Kress, Allmacht, 50. 119 Die früheste politische Einschätzung Adolf Hitlers durch Althaus stammt aus einer Predigt in Rostock zwei Tage nach dessen vereiteltem Putschversuch vom 9.11.1923. Wenn auch namentlich nicht erwähnt, so fällt Hitler als einer der Anführer des versuchten Umsturzes für Althaus hier unter die Kategorie „Abenteurer“; vgl. 2309P Weg, 202. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Korrespondenzblatt für die evangelisch-lutherischen Geistlichen in Bayern“ rekonstruieren120. Althaus, so die AELKZ, „sprach über die grundsätzlichen Gedanken des Christentums zu Volkstum, Rasse und Judentum, über den Nationalsozialismus als gegenwärtig deutlich sichtbaren Ausdruck der völkischen Bewegung und über das Verhältnis der Kirche zum Natio­ nalsozialismus.“121

Um den Vortrag von Althaus rekonstruieren zu können, sollen im Folgenden die „Ergebnisse“ der Konferenz, wie sie die AELKZ abdruckte und aus denen die Althaussche Haltung zum Nationalsozialismus, wie sie sich aus der bisherigen Kenntnis seiner Person folgerichtig ergibt, deutlich herausgehört werden kann, mit der Paraphrase des Vortrags, die der dem Nationalsozialismus zugetane Pfarrer im Schuldienst Ernst Fikenscher122 für das Korrespondenzblatt wiedergab, nebeneinandergestellt werden. Aus beidem ergibt sich die bekannte Althaussche Ja-aber-Dialektik: Ja zur Volkstumsideologie des Nationalsozialismus, nein zu seiner Rassenideologie, insbesondere in Bezug auf die „Judenfrage“123. Althaus widmet sich in seinem Vortrag zunächst einer Darstellung der völkischen Bewegung, „wobei er sich eingehend mit dem Nationalsozialismus als dem derzeitigen hervorragenden Exponenten der völkischen Bewegung beschäftigte.“ „Der führende Gedanke der Bewegung“, so Althaus laut der Paraphrase, „hat seine Einheit in der Idee des freien Volkes und gliedert sich in den nationalen Freiheitswillen (gegen den Pazifismus), in den volksorganischen Gedanken der Ganzheit und den Reinheitsgedanken als Rassengedanken (gegen den Liberalismus, Marxismus), wie in den sozialistischen Gedanken (gegen Bürgertum und bürgerlichen Geist). Die Bewegung trägt Erbgut in sich vom Konservatismus und der Rassenbiologie. 120 3103 Kirche. 121 Ebd., 403. 122 Als Gründungsmitglied des „Ansbacher Kreises“ kreuzten sich Fikenschers Wege mit Althaus im Rahmen der gemeinsamen Unterzeichnung des „Ansbacher Ratschlages“ gegen die „Barmer Theologische Erklärung im Juni 1934 erneut; vgl. Baier, Christen, 97. Aufgrund der Nähe ­Fikenschers zum Nationalsozialismus ist seine Paraphrase über Althaus’ Stellungnahme zum Nationalsozialismus nicht in jedem Fall als objektiv einzuschätzen. Das mag der Grund dafür sein, warum die Althaussche Ablehnung der NS-Rassenideologie im AELKZ-Bericht stärker zum Ausdruck kommt. 123 Nicht zuletzt auf die Konferenz in Riederau zurückblickend, schreibt Althaus in 3109 Bazillus, 63 über diese Haltung eines Ja zum Nationalsozialismus als Volkstums- und Anti-Versailles-Bewegung und eines Nein zum Nationalsozialismus als Partei und dessen Rassenideologie: „Ich habe im letzten Frühjahr und Sommer auf mehreren Pfarrer- und Studententagungen diese Stellung vertreten.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Das ­Originale der Bewegung ist ihr Wesen als Volksbewegung. […] Das Sendungs­ bewußtsein, der Kampfgeist, die Erneuerung des Führer- und damit zugleich des Gefolgschaftsgedankens sind wesentliche Kennzeichen der Bewegung.“124

Dazu heißt es in dem Bericht der AELKZ: „Die Kirche solle mit Freude und Dankbarkeit alle völkische Arbeit bejahen, die unser Volk zur Selbstbesinnung aufruft und es an seine von Gott nicht umsonst geschenkte deutsche Berufsart erinnert. Die Kirche begrüßt alle Kräfte, die sich allem undeutschen Wesen und allem deutschen Unwesen entgegenstellen.“125

Damit aber wird der Nationalsozialismus als Volkstumsbewegung bzw. Freiheitsbewegung, der in scheinbarer Tradition deutschen Volkstumsdenkens und damit in vermeintlicher Übereinstimmung mit den eigenen, immer schon vertretenen nationalkonservativen Ansichten steht, von Althaus prinzipiell für gut befunden und freudig begrüßt. Der Erlanger Theologe fährt fort mit der Darstellung seiner eigenen Volkstumstheologie, die einen bewusst geistigen Ansatz verfolgt und sich von jeglicher Rassenideologie abgegrenzt wissen will: „Die Entstehung des Volkstums ist Urzeugung geistiger Art […]. Blut ist für den Geist wichtig, aber nicht die beherrschende Macht. Ein Volkstum kann geistig weiter­zeugen und sich bluthaft umbilden (Hugenotten). Volkstum und Rasse sind zweierlei.“126

In der AELKZ wird stärker die Althaussche Ablehnung der NS-Rassenideologie mit ihrer offensichtlich damals bereits erkannten eliminatorischen Tendenz stärker betont: „Die Kirche warne vor aller Überschätzung der Bedeutung der Rassenfrage aus der Erkenntnis heraus, daß die körperlichen und geistigen Anlagen, die in der Rasse bedingt sind, kein unüberwindliches Hindernis für das Einleben und Einfühlen in ein Volkstum anderer Rasse bilden. Wo gesundes Volkstum ist, brauche der Einfluß fremdrassiger Glieder des Volkes nicht mit Gewalt abgewehrt zu werden; es solle in der rechten Betätigung des Volkstums aller bewußt Deutschen von selbst untergehen.“127

Ausführlich beschäftigt sich Althaus mit dem Antisemitismus, den er als neuralgischen Punkt des Nationalsozialismus erkennt. Dabei bleibt Althaus seiner bisherigen Haltung in der sogenannten „Judenfrage“ auch in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus treu: Er will den Mittelweg beschrei 124 3103 Kirche, 176. 125 Ebd., 403. 126 Ebd., 176. 127 Ebd., 403. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ten „zwischen der liberalen Ableugnung und der rassischen Erfassung der Judenfrage“. Zwar gesteht er laut der Paraphrase zu, dass es „da und dort einmal bei Einzelnen eine starke geistige Assimilation vom Judentum zum deutschen Volkstum“ gebe, doch sei das Judentum „gerade unserm Volkstum sehr fremd, vor allem in seiner zwischenhändlerischen Rolle, in seinem erfolgreichen Versuch Verwalter unsres geistigen Besitzes, Inhaber der geistigen Führung zu sein.“ Von dieser Warte aus ergeht auch über den Antisemitismus ein Althaussches Ja-aber: „Der Antisemitismus hat sein Recht in der Erfassung der Verschiedenheit, in der Aufrollung der Judenfrage als Volksfrage, im Erkennen der Gefahr der Ueberfremdung auf geistigem und politischem Gebiet. Aber der Antisemitismus hat sich gefangen in seiner Dogmatisierung der Rassentheorie. Weder das Deutschtum noch das Judentum ist eine einheitliche Rasse. Die Fremdheit des Judentums gegenüber unserem Volkstum besteht in seiner ganz bestimmten Geistigkeit, welche begründet ist in seinem inneren und äußeren Schicksal. Besonders gefährlich für unser Volkstum ist die Wahlverwandtschaft des Judentums mit der Aufklärung. Das Judentum emanzipierte sich und führt. Es trägt den Kampf vor gegen alle gewachsenen Ueberlieferungen und Bindungen, es ist Entheimatung. […] Es ist unsere Aufgabe, die sich anbahnende Selbsterkenntnis des Judentums als Volkstum zu fördern, es damit auf seine Grenzen zu weisen und so stark als möglich selbst deutsch zu sein. […] Eine staatliche Aus­ nahmegesetzgebung gegen das Judentum lehnte der Referent ab.“128

Neben dem politischen Aspekt der „Judenfrage“ bleibt Althaus auch in Bezug auf den theologischen Aspekt seiner früheren Haltung treu: „Die Geschichte des Judentums“, so wird Althaus von Fikenscher wiedergegeben, „muß religiös begriffen werden von 70 her. Israel ist an Jesus gescheitert (Buber). Es ist ein Geheimnis um das jüdische Volk: es blieb erhalten in seiner Eigenart. Das Wohnen des Judentums unter uns hat eschatologischen Sinn (Röm. 9). Wir müssen die Grenzen völkischer Geschlossenheit sehen. […] Das Wohnen des Judentums unter uns bewahrt uns vor aller Profanierung der Heilsgeschichte. Wir müssen den Mut haben dem Judentum zu sagen, was ihm von Golgatha her zu sagen ist.“129

Ergänzend dazu heißt es in der AELKZ: „Die Kirche lasse sich in ihrer Stellung zum Judentum leiten von der Heilsgeschichte, wie sie im Alten und Neuen Testament zu uns spricht. Sie sehen sowohl den Fluch, der durch Verwerfung des Gottessohnes auf dem Judenvolk liegt, als auch die gött­ lichen Verheißungen, die dem Judenvolk heute noch gelten. Die Kirche lehne alles

128 Ebd., 176. 129 Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Gehässige und überhebliche Menschenrichtertum wie allen Menschen, so auch den Juden gegenüber ab und erkennen Gott als den alleinigen Richter über alle Menschen, so auch über die Juden.“130

Damit wurde die rassenideologische Verwerfung des Judentums und insbesondere deren antijudaistische und antisemitische Begründung mit dem Hinweis auf die bleibende Erwählung Israels von vorneherein abgelehnt. Insgesamt gibt Althaus – so dürfen wir es sowohl der Paraphrase als auch dem Bericht entnehmen – in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus seine bereits in den Jahren zuvor entwickelte Haltung zur sogenannten „Judenfrage“ wieder, die man als geistig-kulturell-sittlichen Antisemitismus bezeichnen kann. Der Rassenantisemitismus ist für ihn nach wie vor unmöglich – wie auch später im „Dritten Reich“. Die nach 1933 menschenverachtende Wirklichkeit werdende „staatliche Ausnahmegesetzgebung“ gegen die Juden in Deutschland konnte sich auf Althaus nicht berufen. Welche Haltung Althaus’ zum Nationalsozialismus kommt in diesem Vortrag 1931 zum Ausdruck? Gemäß seiner Ja-aber-Dialektik ist diese Haltung ambivalent: Ja zum Nationalsozialismus als Volkstumsbewegung bzw. völkischer Bewegung und ja zum Nationalsozialismus als Freiheitsbewegung. Nein hingegen zum Nationalsozialismus als politischer Religion, nein zur Rassenideologie, insbesondere zum Rassenantisemitismus. So fasst es auch die Paraphrase seines Vortrags zusammen: „Ein Nein zur nationalen Religion, wo sie gewollt wird. Ein Nein zum Rassegedanken im platten Sinn (der Ursprung des Bösen ist nicht die Rassenschande). Ein Nein zur brutalen Lösung der Judenfrage und zum Staat auf dieser Grundlage. Die positive Wertung der völkischen Bewegung ist bereits erfolgt. […] Es geht nicht um Rassefanatismus, sondern um Verantwortung für das Volkstum vor Gott.“131

Daran anknüpfend, heißt es in der AELKZ: „Die Kirche habe die Pflicht, nicht nur dem Nationalsozialismus, sondern allen Parteien gegenüber durch möglichst klaren Hinweis auf die biblischen Grundgesetze des Lebens alles wahrhaft Gute zu stützen, alles noch Unklare und Gärende zu klären und alle schlechten Auswüchse zu verhindern und zu beseitigen.“132

Damit wurde die illusionäre Hoffnung Althaus’ zum Ausdruck gebracht, mit den Kräften des Christentums die Auswüchse des Nationalsozialismus, insbesondere was dessen Rassenideologie betraf, „reinigen“ zu können. Auch gegen 130 Ebd., 403. 131 Ebd., 177. 132 Ebd., 403. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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über dem Nationalsozialismus vertritt Althaus den traditionellen parteipolitischen Grundsatz der evangelischen Kirche, diese stehe „über den Parteien“: „Die Kirche bildet nicht Parteien, sondern Gewissen. Die Kirche hat allen zu dienen und muß sich wünschen Glieder aus allen Parteien zu haben. […] Als Christen können und müssen wir in verschiedenen Parteien sein und dort stehen im Bewußtsein der Gemeinschaft aller, die dem Reich Gottes entgegenharren in, bei und durch die politische Haltung.“133

Der zweite Anlass für Althaus, sich mit dem Nationalsozialismus zu befassen, ist seine bereits erwähnte Zurückweisung des Angriffs des Schweizer Evange­ lischen Pressedienstes gegen ihn und Hirsch im Rahmen der Diskussion um ihre gemeinsame Erklärung „Evangelische Kirche und Völkerverständigung“. In der Ende September 1931 in der „Reformierten Schweizer Zeitung“ ver­ öffentlichten Stellungnahme setzt sich Althaus mit dem gegen ihn und Hirsch vorgebrachten Vorwurf auseinander, sie seien vom „nationalsozialistischen Bazillus“ befallen bzw. auch sie hingen dem „nationalsozialistischen Radikalismus, der jetzt ganze Theologenscharen des evangelischen Deutschlands zum Schaden der Kirche befallen hat“, an134. Die Tatsache, dass hier die Schweizer Kritik an der Hirsch-Althausschen Erklärung gegen die in ihren Augen naiven und die Realität von Versailles ver­festigenden Völkerverständigungsarbeit des Weltbundes für Freundschafts­ arbeit der Kirchen die Stellungnahme der beiden Theologen in einen Topf mit nationalsozialistischer Agitation werfen konnte, zeigt, in welchem Maß es dem Nationalsozialismus nicht zuletzt aufgrund der sich im Sommer 1931 nochmals verschärfenden Wirtschaftskrise gelungen war, sich als die entscheidende politische Kraft der deutschen „Freiheitsbewegung“ gegen Versailles zu präsentieren. Trotz des gescheiterten Volksentscheids gegen den Young-Plan im Jahr 1929 konnte sich die Hitlerpartei als die Anti-Versailles-Partei schlechthin stilisieren. In einer Zeit, die sich nach einfachen und schnellen Lösungen an­ gesichts der immensen wirtschaftlich-sozialen Probleme sehnte, machte sich dies in der schlagartig steigenden Wählergunst bemerkbar. Gerade dieser Anti-Versailles-Impetus aber ist es, der dem Nationalsozia­ lismus die Sympathie von Althaus einbringt – zumal er besonders die deutsche Jugend davon ergriffen sieht: „Man hat mit Recht gesagt: der Nationalsozialismus besteht seinem innersten Kerne nach in dem entschlossenen Freiheitswillen der nationalen Jugend. ‚Er zeugt von einem 133 Ebd., 177. 134 Die Äußerung des Schweizer Evangelischen Pressedienstes ist abgedruckt in: AELKZ 65 (1932), Nr. 3 (15.1.1932), 62. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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unterdrückten Lebenswillen.‘ Das ist es: der Nationalsozialismus in seinem innersten Kerne ist das Aufwachen der deutschen Jugend aller Stände aus dem unpolitischen Dahindämmern des letzten Jahrzehntes, aus dem unbewußten sich auf dem Boden der Tatsachen von Versailles stellen, das Aufwachen zu einem stolzen, vaterländischen Freiheitswillen. Man ist aufgewacht zur brennenden Scham über die Fesseln, die unser Volk im Zeichen des ‚Friedens‘ und ‚Völkerbundes‘ trägt. Man will den Frieden, aber nicht diesen Frieden. Man will ehrlich die Völkerbundgemeinschaft, aber nicht diesen Völkerbund, der unter der äußeren Maske der Gleichberechtigung die Er­niedrigung der im Weltkriege unterlegenen Völker zu Nationen minderen Rechtes (Kolonien! Rüstungsgleichheit! usw.) als Dauerzustand besiegelt. Im Nationalsozialismus ist der verletzte Stolz unseres großen Volkes, aber auch die brutale Existenznot der Deutschen zum stärksten und leidenschaftlichsten Ausdruck gekommen.“135

Seine Sympathie zum Nationalsozialismus als deutscher „Freiheitsbewegung“ gegen Versailles geht im Herbst 1931 so weit, dass Althaus die „nationalsozialistische Bewegung“ als „Freiheitsbewegung“ gegenüber den Schweizer Angriffen mit den Worten verteidigt: „Jedem Dritten gegenüber stelle ich mich ohne weiteres zu der nationalsozialistischen Bewegung, verteidigend, deckend, um Verständnis werbend.“136 Was Althaus in seinem Vortrag vor der Pfarrerkonferenz in Riederau ein halbes zuvor noch als innenpolitischen Aspekt am Nationalsozialismus begrüßt hatte, nämlich dessen Betonung nationaler „Selbstbesinnung“ und „völkischer Arbeit“, befürwortet er jetzt als außenpolitischen Aspekt: das Nichtabfinden mit Versailles und der Wille, die Ungerechtigkeiten des oktroyierten Vertrages zu revidieren. Wie weit die Interpretation des Nationalsozialismus als „Freiheitsbewegung“ in der damaligen Zeit verbreitet war, zeigt die Haltung Barths während des Zweiten Weltkriegs. In einem „Brief nach Frankreich“ vom Dezember 1939 deutet der Schweizer Theologe nicht nur diesen erneuten Krieg, sondern den Nationalsozialismus überhaupt als Folge des Versailler „Diktatfriedens“: „Die Ursachen des gegenwärtigen Krieges liegen in den internationalen Entscheidungen von 1919.“137 „Frankreich und England mußten ihn unternehmen, weil die Verantwortung für die seit 1919 entstandenen europäischen Verhältnisse – weil die Verantwortung auch dafür, daß Hitler möglich wurde – entscheidend bei ihnen liegt.“138 Das deutsche Volk, so Barth weiter, „braucht die Freiheit, von seiner Arbeit leben zu dürfen. Man kann nicht sagen, daß ihm 1919 und von 1919 bis 1933 diese Freiheit

135 3108 Bazillus, 63; Hervorhebungen von Althaus. 136 Ebd. 137 Barth, Frankreich, 109. 138 Ebd., 110. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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gewährt worden ist. Und damit ist man an der Entstehung des Hitlerismus mitschuldig geworden. Nachdem ich die Zeit der Ruhrbesetzung mitten in Deutschland selbst miterlebt habe, weiß ich, was ich sage.“139

Diese Haltung zieht sich bei Barth durch den Krieg hindurch140. Entscheidend für Althaus’ Stellung zum Nationalsozialismus – das schwang in den bisherigen Äußerungen bereits mit  – ist seine naiv-illusionäre Unterscheidung zwischen nationalsozialistischer „Bewegung“, die er bejaht, und nationalsozialistischer „Partei“, die er mitsamt der dieser zugerechneten „Ideologie“ ablehnt. So entgegnet Althaus auf die Angriffe des Schweizer Evangelischen Pressedienstes, er und Hirsch seien „doch nicht mehr jung genug“, „um einfach einem ‚Bazillus‘ zu erliegen“141: „Ich kann dem Pressedienst zunächst verraten, daß weder Hirsch noch ich der nationalsozialistischen Partei angehören. Was mich betrifft, so hindern mich daran einesteils realpolitische Bedenken, anderenteils und hauptsächlich die naturalistische Rasseideologie in der ‚Weltanschauung‘ dieser Partei. […] Meine Freunde und ich stehen der Partei kritisch gegenüber und lehnen den ideologischen Überbau der Bewegung großenteils scharf ab. Aber die Bewegung geht weder in ihrer Gestalt als Partei noch in ihrer Ideologie auf. Sie hat den größten Teil unserer akademischen Jugend mitgerissen, die doch allermeist nicht daran denkt, sich die Rassenmythologie und ähnliche Stücke der nationalsozialistischen Weltanschauung zu eigen zu machen.“142

So lässt sich festhalten: In einer Zeit, da der Nationalsozialismus mehr und mehr an Anhang und Achtung gewinnt und „bei immer mehr Menschen den mitreißenden Eindruck einer mächtigen Volksbewegung“ erzeugt143, begrüßt Althaus den Nationalsozialismus als „Bewegung“ insofern, als er darin sowohl die Volkstumsbewegung mit der konsequentesten Bejahung des eigenen Volkes als auch die konsequenteste „Freiheitsbewegung“ gegen die Ungerechtigkeiten von Versailles erblickt. Als weiteren Grund für seine Bejahung der national­ 139 Ebd., 114. 140 Vgl. Barth, Kooyman, 119, wo er im Februar 1940 schreibt: „Die Schuld daran, daß so etwas wie der Hitlerismus mitten in Europa möglich und wirklich geworden ist, ist gewiß eine gemeinsame Schuld aller europäischen Völker, Menschen und Regierungen. Und es ist wiederum wahr, daß diese gemeinsame Schuld die primäre Ursache des gegenwärtigen Krieges ist.“ Und in Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, 278 schreibt Barth im Oktober 1942: „Sollte der unselige Hitler im Gerichte Gottes schuldiger sein als die Männer, die 1919 in Versailles keinen besseren […] Frieden zu schließen wußten? Oder schuldiger als die, welche die europäische Politik zwischen 1919 und 1933 weder ehrlich idealistisch noch auch ehrlich realistisch, sondern einfach kopflos geleitet haben?“ 141 3108 Bazillus, 64. 142 Ebd., 63; Hervorhebungen von Althaus. 143 Weiling, Bewegung, 220. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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sozialistischen Bewegung nennt Althaus den Eindruck, den die Ergriffenheit der akademischen Jugend vom Nationalsozialismus auf ihn macht. Gerade letztgenannter Aspekt kann kaum überschätzt werden, zeigt Althaus doch Zeit seines Lebens ein ausgeprägtes Interesse an der Jugend. Diese ist für ihn nicht nur Garant für die Zukunft der Kirche, sondern ebenso sehr Garant für die Zukunft des Volkes. „Besonders die nationalsozialistische Inanspruchnahme der Jugend“, so Weiling im Blick auf die CdB, „mußte Menschen, die sich wie Rendtorff, Hirsch und Althaus selbst als jugend­ bewegt verstanden, anziehen. Der Nationalsozialismus ‚übernahm jugendbewegte Begriffe und Symbole‘ und präsentierte sich dem konservativen Lager ‚als jugendlichvital, als ‚unverbraucht‘.“144

Althaus’ Anliegen ist es, für die Jugend offen zu sein, zu wissen, was sie bewegt145, um daran mit seiner Art der christlichen Verkündigung anknüpfen zu können. Diese Anknüpfung fällt ihm insofern besonders leicht, als zwischen ihm und den Studenten ein politischer Grundkonsens vorhanden ist: Denken, Fühlen und Glauben in nationalen Kategorien. Ob Althaus allerdings richtig liegt, wenn er dem Großteil dieser Jugend nachsagt, sie wolle trotzdem nichts von der nationalsozialistischen Rassenideologie wissen, darf bezweifelt werden, wenn man sich bewusst macht, dass sich gerade aus dieser Alterskohorte ein Großteil der späteren NS-Täter rekrutierte. An diesem Punkt war Althaus naiv. Auf der anderen Seite lehnt Althaus den Nationalsozialismus als Partei ebenso ab wie als Ideologie. Was er mit „realpolitischen Bedenken“ gegen die Partei meinen könnte, lässt sich schwer sagen. Seine Ablehnung von nationalsozialistischer Rassenideologie und Rassenantisemitismus ist eindeutig. Insofern hat Sparn recht, wenn er Althaus als „immun“ gegen den „‚nationalsozialistischen Bazillus‘“ bezeichnet146. Althaus’ kritische Haltung zum Nationalsozialismus als Partei und als Ideologie hatte in dieser Zeit familiäre Konsequenzen, als die weltanschaulich-politische Kluft zwischen ihm und seinem Vetter Hermann Althaus, einem glühenden Anhänger des Nationalsozialismus und seit 1932 Mitglied der NSDAP, im November 1932 zum Bruch führte147. 144 Ebd., 220 f. 145 In einem Artikel vom April 1933 hebt Althaus die „lebendige Fühlung zwischen den Lehrenden und Lernenden“ in Erlangen als kleiner Universität hervor: „Wir haben keinen weiten Weg zueinander. Die Häuser der Kommilitonen liegen vor unserer Türe. Nicht nur der Hall ihrer Lieder und Schläger, auch die innere Bewegung unserer Studentenschaft dringt über unsere Schwelle, fordert und belebt uns“ (3304 Beruf, 207 f.). 146 Sparn, Althaus, 9. 147 Vgl. den diesbezüglichen Brief Hermann Althaus’ vom 19.11.1932 (NPA 10). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Allerdings war gerade die illusorische Unterscheidung zwischen der „Bewegung“ und der „Partei“ des Nationalsozialismus verhängnisvoll. Denn sie führte nach Weiling dazu, „daß man die nationalsozialistische Partei, ihren Machtwillen und ihre Eigen­dynamik nicht ernst genug nahm, sich vielmehr das Bild einer neuen, mächtigen Jugend­ bewegung vorstellte, von der man sogar die besondere Bereitschaft erwartete, auf die christliche Botschaft zu hören, so als ob die nationale Begeisterung nicht Glaubenshindernis, sondern ‚Vorstufe‘ zum Glauben wäre.“148

So führte die Unterscheidung zwischen nationalsozialistischer Bewegung und Partei letztlich dazu, von der durchaus vorhandenen Kritik am Nationalsozialismus nicht zu seiner Bekämpfung, sondern zu seiner illusionären Läuterung im christlichen Sinne vorzustoßen. In volksmissionarischer Erwartung gab man sich der „trügerischen Annahme“ hin, „daß sich der Nationalsozialismus die kirchliche Verkündigung gefallen ließ.“ „Von dieser Position aus“, so folgert Weiling, „wird das spätere Verhalten […] [der kirchlichen Eliten] verständlich: ein nationalsozialistischer Führer, der sich fromm gebärdete, und ein drittes Reich, das sich christlich gab, mußten ihre volle Sympathie finden.“149 7.3 Die nationalsozialistische „Machtergreifung“ und die Kirchen Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler, der bei den vorhergehenden Wahlen im November 1932 ein Drittel und damit die meisten Wähler für die NSDAP begeistern konnte, durch Reichspräsident Paul von Hindenburg zum neuen Reichskanzler ernannt. Franz von Papen wurde Hitlers Vizekanzler in einer Regierung, die von vielen in erster Linie als das gesehen wurde, was sie zunächst war: ein Bündnis der nationalen Kräfte der Deutschnationalen, des Stahlhelms und der Nationalsozialisten. „Eingerahmt vom alten Feldmarschall und den konservativen Deutschnationalen“, so Günter Brakelmann, „erschien den Kirchenprotestanten die ‚Regierung der nationalen Konzentration‘ als Garantie gegen allzu große Experimente und auch allzu große Ansprüche und Auswüchse Hitlers und der NSDAP.“150 Zwar war die Ernennung Hitlers durch Artikel 53 der Weimarer Verfassung gedeckt, allerdings entsprach die Berufung eines offenen Antidemokraten eindeutig nicht dem Geist der Verfassung. Weil diese aber infolge ihrer Aushöhlung durch die Präsidialkabinette seit 1930 bereits 148 Weiling, Bewegung, 224. Nach Weiling wurde diese Haltung im CdB allgemein geteilt. 149 Ebd., 225. 150 Brakelmann, Nationalprotestantismus, 337. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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schwer gelitten hatte, war dieser Aspekt der Machtübergabe – die NS-Propaganda machte daraus eine „Machtergreifung“ – an Hitler kaum der Beschäftigung durch die Zeitgenossen wert. Der Führer der Nationalsozialisten schien in dieser Hinsicht in Kontinuität zu seinen Vorgängern zu stehen. Einen gravierenden Unterschied zwischen der Regierung Hitler und den vorherigen Präsidialkabinetten gab es aus einem anderen Grund: Hitler und der National­ sozialismus hatten eine breite Basis im Volk, seine drei Vorgänger nicht. Hitlers Präsidialkabinett endete mit der Reichstagswahl im März 1933. Seine Regierung war von da an nicht mehr allein abhängig vom Reichspräsidenten, obwohl er dessen Unterstützung noch immer brauchte, sondern stützte sich auf eine parlamentarische Mehrheit von NSDAP (44 Prozent) und DNVP (acht Prozent). Niemand konnte 1933 wissen, was man sich unter dem Nationalsozialismus genau vorzustellen hatte, niemand konnte wissen, wohin er sich entwickeln würde, nachdem er am 30. Januar in Deutschland an die Macht gelangte. „Über den wirklichen Charakter der NSDAP und vor allem ihrer Führer“, so Brakelmann, „machte man sich in diesen Wochen große Illusionen.“151 „Es ist eben schon recht und brav, wenn uns jemand heute versichert, daß er schon damals alles gewußt und vorausgesehen habe“152, rief Barth den Schweizer Zuhörern seines Vortrags „Die Kirche und die politische Frage von heute“ am 5. Dezember 1938 in Wipkingen entgegen. Für ihn stand auch fünf Jahre nach der sogenannten „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten fest, „daß der Nationalsozialismus in der ersten Zeit seiner Macht in der Tat den Charakter eines politischen Experimentes wie andere hatte und daß die Kirche in Deutschland damals – das ist noch heute meine Überzeugung – das Recht und die Pflicht hatte, sich daran zu halten, ihm als einem politischen Experiment zunächst Zeit und Chance zu geben und also sich selbst zunächst wirklich neutral zu verhalten.“ Denn, so Barth weiter: „Ein notwendiges christliches Vorurteil, das uns Andere damals prinzipiell und sofort zur christlichen Verneinung des neuen politischen Experiments hätte treiben müssen, gab und gibt es eben tatsächlich nicht. Daß dieses Experiment mir persönlich schon damals tief unsympathisch und verdächtig war, das war eine Sache für sich. […] Wir hatten aber damals – und wir haben auch heute! – Wichtigeres zu tun, als unsere Sympathien und Antipathien auszuleben. Was damals unzweideutig vor unseren Augen stand, war […] dieses: eine politische Revolution, wie solche auch sonst schon vorgekommen sind, mit viel Lug und Trug, mit viel Mord und Totschlag, wie sie noch für alle Revolutionen, auch für solche, die einem sympathischer sein können als es diese war, bezeichnend waren.“153 151 Ebd. 152 Barth, Frage, 83. 153 Ebd., 80 f.82. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Wirklich neutral“ verhielt sich in der evangelischen Kirche in Bezug auf Hitlers Regierungsantritt hingegen so gut wie niemand. Zu einschneidend war dieses Ereignis, als dass man nicht dazu Stellung nehmen konnte. Und diese Stellungnahmen fielen nahezu allesamt positiv, wenn nicht euphorisch aus. Die nationalsozialistische Propaganda, die sich gezielt die Sorgen und Nöte der Deutschen zunutze machte, verfehlte ihre Wirkung nicht154. Sogleich nach der „Machtergreifung“ verbreitete sich der Eindruck, in einer „neuen Zeit“ zu leben, die sich diametral von der alten unterschied. Tief wurde der Gegensatz zwischen dem nunmehr angebrochenen „Dritten Reich“ und der überwundenen Weimarer Republik empfunden. Nahezu alles schien sich in der Wahrnehmung der Mehrzahl der Menschen zum Besseren zu wandeln: Aus einer amorphen Masse wurde ein Volk als organisches Ganzes, auf Parteiengezänk und Klassenkampf folgte das solidarisierende Gefühl einer echten Volksgemeinschaft, kapitalistischer Mammonsgeist und Egoismus wichen Opferbereitschaft und Gemeinnutzdenken. Die Euphorie war groß, allenthalben herrschten hoffnungsfrohe Erwartung und Aufbruchsstimmung. Den Wenigsten gelang es, sich nach all den Jahren depressiver Stimmung und scheinbar verbauter Zukunftserwartungen diesem Sog positiver Energie zu entziehen. Dazu kam aus Sicht der Kirchen die illusionäre Einschätzung, aus Deutschland sei über Nacht und aus der bloßen Kraft des „neuen Geistes“ wieder ein christliches Land geworden. Rolf Schieder macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass der religiöse Enthusiasmus einen „konfessionellen Aspekt“ hatte: „Nicht nur frömmer schien das Volk zu werden; durch das Verbot der sozialistischen Parteien und des Zentrums schien es dem Protestantismus vorbehalten, die neu­ erwachte Glaubenssehnsucht in die richtigen Bahnen zu lenken. Die Situation nach 1933 erschien nicht nur als eine missionarische Gelegenheit, sondern geradezu als die politische Verwirklichung tiefster christlicher, genauer: protestantischer Werte. […] Den Sozialisten und dem politischen Katholizismus war das Handwerk gelegt. Der Protestantismus bekam wieder eine Chance!“155

Zu dieser Sichtweise trug nicht nur die selektive Wahrnehmung eines Großteils der Deutschen bei, die nach den Jahren der Depression und der Not einfach an das Gute im zukunftsversprechenden Nationalsozialismus, der ihnen als einziger Ausweg erschien, glauben wollten, sondern in Bezug auf die Kirchen in nicht unerheblichem Maße das geschickte Vorgehen Hitlers und anderer führender Nationalsozialisten. 154 Vgl. zum Folgenden Schieder, Religion, 183. 155 Ebd., 184. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Bereits seit den späten 20er Jahren, als sich die Partei vom religiösen, antichristlichen Flügel der Völkischen getrennt hatte156, befand sich der Taktiker und Pragmatiker Hitler auf einem Vertrauensfeldzug gegenüber den Kirchen als den damals maßgeblichen und unumgänglichen gesellschaftlichen Institutionen. Mit den Mitteln moderner Agitation und Propaganda wurden eine tiefempfundene Wertschätzung von Christentum und Kirche und eine Rücksicht auf religiöse Gefühle und ethische Wertvorstellungen suggeriert. So erschien im „Völkischen Beobachter“, dem offiziellen Parteiorgan der NSDAP, am 16. März 1933 ein Leitartikel mit dem Titel: „Adolf Hitlers Regierungsgrundlage: das Christentum“157. „Hitler stilisierte sich in seinen Reden bei seinen öffentlichen Veranstaltungen zu einem homo religiosus. Nie seit den demokratischen Regierungen nach 1918 ist von einem Reichskanzler so oft von Gott und seinem Segen, vom Christentum und christlicher Moral gesprochen worden wie von Hitler.“158

Er erschien als Staatsmann, „der fest an Gott glaubte, der sich in seinem Gewissen an Gott gebunden fühlte, sich von Gott im Gebetsstil die Zeit erbat, sein politisches Werk vollziehen zu können.“159 Mit Hitler und der neuen Regierung schien sich endlich wieder eine bewusst christliche Obrigkeit etabliert zu haben. Zur NS-Propaganda gehörten aber nicht nur lautstarke Bekenntnisse und fromme Worte. Eine politische Bewegung, die derartig geschickt mit Symbolen und Inszenierungen operierte, wusste um die Werbewirksamkeit öffentlicher Auftritte. So folgten den Bekenntnissen zum Christentum auch Taten, „sichtbar oder hörbar durch massenhafte Kirchenbesuche von Parteieinheiten, besonders der SA. Es hat eine Unmenge dieser sogenannten braunen Gottesdienste, die häufig verbunden waren mit Massentrauungen und nachgeholten Taufen, ge­geben. Viele Nationalsozialisten, die aus der Kirche ausgetreten waren, traten unter dem Eindruck der Reden Hitlers wieder ein. Viele evangelische Kirchen hatten seit Jahren nicht mehr so viele Männer bei Gottesdiensten, Amtshandlungen oder Weihereden gesehen. Die Arbeit der Pfarrer schien sich wieder zu lohnen.“160

Zu diesem Konzept gehörte auch ein Dankgottesdienst im Deutschen Dom in Berlin anlässlich des 44. Geburtstages Hitlers im April 1933. 156 Vgl. Scholder, Kirchen, 131–146. 157 Zit. nach van Norden, Stellung, 390. 158 Brakelmann, Nationalprotestantismus, 338. 159 Ebd., 339 f. Zu einzelnen Aussagen und kirchenfreundlichen Regierungsmaßnahmen vgl. ebd., 338–341. 160 Ebd., 341. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Aber auch mit ihrer Gesetzgebung wollten die Nationalsozialisten den Eindruck erwecken, Christentum und Kirche lägen ihnen am Herzen und würden von ihnen besonders geschützt und gefördert. Beispielhaft sei die „erste Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes vom 4. Februar 1933“ genannt, in der die Auflösung öffentlicher politischer Versammlungen ermöglicht wurde, in denen Religion und Religionsausübung verächtlich gemacht wurden. „Hier schien sich“, so gibt Brakelmann die zeitgenössische Einschätzung vieler Christen wieder, „endlich eine Regierung etabliert zu haben, die es nicht mehr zuließ, daß Religion, Kirche und Christentum beschimpft wurden. […] Hier schien der Staat eindeutig für die christlichen Konfessionen gegen antikirchliche und antichristliche Strömungen Partei zu ergreifen.“161

In die gleiche Richtung wurde die Einführung des Buß- und Bettages als reichsweiter Feiertag mit dem „Gesetz über die Feiertage“ vom 27.  Februar 1934 oder die Anordnung besonderer Schulfeiern zum Reformationstag 1933 und zu ­Luthers 450. Geburtstag im November 1933 interpretiert. Auch ganz objektiv konnte man in kirchlichen Kreisen mit der „Wende“ von 1933 zufrieden sein, wenn man sich die Kirchenstatistik des Jahres 1933 anschaute. Denn in diesem Jahr gingen die Kirchenaustrittszahlen rapide zurück, fast auf ein Viertel des Jahres 1932162. Das Versprach Gutes für den erhofften Beginn einer Rechristianisierung Deutschlands unter der neuen vermeintlich christlichen Regierung. Ein weiterer, gerade im Blick auf den Protestantismus wichtiger Aspekt des Hitlerschen Vertrauensfeldzugs war seine zur Schau gestellte Abhängigkeit von Reichspräsident Hindenburg. „Hindenburg war für viele der Garant für Rechtschaffenheit, Moralität und Pflichtbewußtsein. Weil der fast als Ersatzkaiser verehrte Hindenburg die neue Regierung gewollt hatte, wollte sie auch der größere Teil des protestantischen Nationalkonservativismus. […] Dieses Bild: Hitler als der Beauftragte Hindenburgs hat entscheidend dazu beigetragen, die durchaus vorhandenen Vorbehalte des protestantisch geprägten nationalen Konservativismus gegenüber Hitler zurückzustellen und es mit ihm zu wagen.“163

Nicht zuletzt dürfen inhaltliche Übereinstimmungen mit dem Nationalsozialismus, so wie man ihn wahrnehmen konnte und wollte, als Grund für die 161 Ebd., 339. 162 Vgl. Kehrer, Klassen, 80. 163 Brakelmann, Nationalprotestantismus, 338 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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deutlichen protestantischen Wahrnehmungsschwächen in Bezug auf die offen zutage liegenden Gefahren durch den Nationalsozialismus und als Grund für Zustimmung zur „nationalen Wende“ unterschätzt werden. So bewusst nebulös das politische Programm des Nationalsozialismus auch war, entscheidende Grundkonstanten waren klar und wurden bejaht. Allein schon die für viele Menschen verheißungsvolle Kombination aus Nationalismus und Sozialismus versprach die richtige Antwort auf die immensen Herausforderungen der nationalen, sozialen und wirtschaftlichen Krise zu sein, welche Deutschland spätestens seit der Weltwirtschaftskrise immer mehr ins Elend stürzte. So erschien der Nationalsozialismus vielen Protestanten als der „deutsche Weg“ schlechthin: Er war angetreten, nicht nur Liberalismus und Demokratie, sondern auch Bolschewismus und internationalistischen Sozialismus sowie die Antichristlichkeit und Gottlosigkeit zu überwinden. Wenn dazu noch die Überwindung des politischen Katholizismus kam, war das politische Glück für viele Evangelische nahezu perfekt. Auch das Anliegen der Zurückdrängung des angeblich übergroßen „jüdischen Einflusses“ wurde von Vielen geteilt. Was das NS-Regime mit den Juden später tatsächlich vorhatte, war freilich keinem Wähler klar, der im November 1932 oder im März 1933 sein Kreuz bei der NSDAP machte, doch stimmte man mit dem antisemitischen Grundanliegen vielfach überein. Schließlich muss man sich bewusstmachen, dass der Nationalsozialismus zu Beginn der 30er Jahre auch deswegen so viel Sympathie und Zustimmung erhielt, weil er Vielen als der einzige Ausweg aus dem politischen Chaos und der wirtschaftlichen, sozialen und existentiellen Not breiter Bevölkerungsschichten erschien. Gegen die unklaren politischen Verhältnisse infolge der Präsidialkabinette, die die Abwicklung der Weimarer Republik spürbar eingeleitet hatten, versprach der Nationalsozialismus klare Verhältnisse. Das hieß aber auch solche, die dem gefürchteten Bolschewismus keine Chance ließen. Gegen Arbeitslosigkeit und Verelendung versprach er Arbeit und Brot für alle. 7.4 Althaus und die „deutsche Stunde der Kirche“: Die missionarische Gelegenheit von 1933 Für den Patrioten und Kirchenmann Althaus, der selbst die „deutsche Wende“ weg vom Versailler System und weg vom stets abgelehnten Weimarer Staat hin zu einem neuen, dezidiert national ausgerichteten Staat unter der Führung der nationalsozialistischen Bewegung sehr wohlwollend registrierte und begrüßte, bedeutete diese „deutsche Stunde“ eine herausragende missionarische Gelegen© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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heit für die evangelische Kirche. Die Gunst der „deutschen Stunde“ galt es in seinen Augen als „deutsche Stunde der Kirche“ zu nutzen. So schrieb er im Vorwort zu seinem gleichnamigen Sammelband: „Die neue Stunde der deutschen Geschichte hat der Kirche die Frage nach ihrer Verkündigung an unser Volk neu gestellt, nicht als Frage nach einem neuen oder ergänzten oder germanisierten oder gereinigten Evangelium, wohl aber als Frage nach der Beziehung des kirchlichen Wortes auf das Erleben unseres Volkes, auf seine Geschichte, seinen nationalen Willen, das Ethos seiner Freiheitsbewegung. Die theologischen Themen: Gott und Volk, Geschichte und Heilsgeschichte, geschichtliche Gotteserfahrung und biblische Offenbarung sind uns neu aufgegeben.“164

Dazu will Althaus seinen Beitrag leisten „als einer, den die genannten Fragen seit fast zwanzig Jahren, seit dem Beginn des Krieges und dem Erleben der deutschen Bewegung in Kongreß-Polen, nicht losgelassen haben“165. Will man diese Einschätzung verstehen, muss man sich die angesichts der Erfahrungen in der polnischen Diaspora während des Weltkrieges gereifte Althaussche Vision einer gegenseitigen Befruchtung von volkstumsbezogener Kirche und kirchenbezogenem Volk vergegenwärtigen. Diese lebte von der Annahme eines missionarischen Anknüpfungspunktes, der die christliche Verkündigung positiv auf die nationale Begeisterung oder zumindest auf die als natürlich angenommene Vaterlandsliebe bezog. So fragte sich Althaus bereits Ende 1918: „Warum wird diese Jugend von der Sache Jesu nicht so gepackt wie von der Sache des Vaterlandes?“ Seine Schlussfolgerung für die christliche Verkündigung lautete damals: „Man muß vor allem aus der Art, wie das Vaterlandserlebnis die Jugend gepackt hat, lernen.“166 Dieser Schlussfolgerung blieb Althaus treu. Vor dem Hintergrund der von ihm bereits damals angenommenen strukturellen Analogie zwischen Volksund Vaterlandserlebnis und Gotteserlebnis ist es zu verstehen, warum Althaus nun 1933 die nationalsozialistische Bewegung und ihren mitreißenden Elan als Vorbild für die Kirche hinstellt, wie er es in einer Predigt am 7. Mai 1933 tut, wo er die Lebendigkeit und die Ausstrahlungskraft der gegenwärtigen Kirche in Zweifel zieht: „Lebendige Kirche? Wir haben eine hinreißende deutsche Volksbewegung erlebt, getragen von heißer Liebe, hoher Begeisterung, freudigem Einsatz, wirklichen Opfern. Hat sie für uns Christen nicht auch etwas tief Beschämendes gehabt? Wie hat

164 3311 Stunde, 3. 165 Ebd. 166 1808 Männern, 631 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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die Stimme des Blutes, wie haben Volk und Vaterland uns hingerissen – brennt die Liebe zu unserem Herrn auch so hell, sind wir da ganz hingegeben, können wir da einsetzen, opfern?“167

Auch wenn Althaus bei der Analogie bleibt, macht er doch sogleich geltend, dass der Christusglaube das Eigentliche ist, auf das er abzielt: „Es muß uns doch in diesen Tagen bewegen: ‚Wer Vater oder Mutter mehr liebt, denn mich, wer Volk oder Vaterland mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert.‘ Nehmen wir das Wort Gottes, das Gebot unseres Herrn so ernst wie die deutsche Bewegung ihres Führers Wort? Hängt unser Blick so an dem Auge Jesu wie unsere deutsche Jugend an ihres Führers Auge und Wink?“

Daher lautet seine geschichtstheologische Interpretation des Nationalsozialismus: „Gott ruft uns auch durch die große Volksbewegung in Deutschland, wach zu werden zur lebendigen Kirche.“ Wobei Althaus im gleichen Atemzug den entscheidenden Unterschied zwischen nationalsozialistischer Begeisterung und christlichem Glauben geltend macht: „Das Flammen des Volksglaubens und der Volksliebe ist etwas anderes als das Brennen vom Heiligen Geiste.“ „Einen neuen Glauben an Deutschland kann die deutsche Bewegung dieses Frühjahrs in ihnen [= den Deutschen] wohl anzünden, aber nicht auch den Christusglauben, echten Glauben“168.

Das ist Aufgabe der Kirche169. Dafür sieht Althaus die Zeit als günstig an, sieht er den Kairos, die volksmissionarische Gelegenheit gekommen: „Was für eine Stunde für die Kirche!“  – Das ist für Althaus die „deutsche Stunde der Kirche“. Wenn Althaus im Jahr 1933 im Blick auf die Überwindung der glücklosen Weimarer Republik und auf den völligen staatlichen und gesellschaftlichen Neuanfang unter Hitler und dem Nationalsozialismus euphorisch von einer „deutschen Stunde der Kirche“ spricht, ist mit Weiling darauf zu verweisen, dass er die Legitimation zu solch volksmissionarischer Hoffnung „weniger aus der Gegenwart, als vielmehr aus der Vergangenheit nahm, denn die größten Augenblicke der deutschen Geschichte boten sich der verklärten Sicht auch als Höhepunkte allgemeinen Gottvertrauens dar. Die Freiheitskriege oder der Beginn des Ersten Weltkrieges galten wegen des nationalen und zugleich religiösen Charak 167 3305P Kirche, 19. 168 Ebd., 20 f. 169 So predigt Althaus über die Rechenschaft der Kirche ihrem Herrn gegenüber: „Von uns aber wird er, menschlich geredet, das deutsche Volk dieser Generation fordern, von uns, seiner Kirche.“ (ebd., 22). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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ters der Erhebung fast als heilsgeschichtlich gefüllte Zeiten. Die Illusion von 1933 war die Überzeugung einer möglichen Wiederholung oder gar Steigerung eines solchen Geschehens.“170

„Jeder Zeit ist das eine ewige Evangelium zu verkündigen“, so lässt der stets um aktuelle Wortverkündigung bemühte Althaus seine Leser im Herbst 1933 wissen. „Aber jeder Zeit ist es wieder anders zu verkündigen, als Antwort auf ihre besondere Frage. So hat es die Kirche immer gehalten. […] Wer sich das verhüllt, der erreicht mit seinem Zeugnis die Menschen nicht dort, wo sie wirklich wohnen.“171 Zeit seines Lebens war Althaus bemüht, die Evangeliumsverkündigung anknüpfen zu lassen an den Geist der Zeit. Heiliger Geist und Zeitgeist sollten ins Gespräch treten. Diesen Zeitgeist aber sah Althaus in den 20er und 30er Jahren bestimmt vom nationalen und vom politischen Moment. Daran galt es für ihn anzuknüpfen. „Wir sind heute durch und durch ein politisches Geschlecht. Auch unsere Frage nach dem ‚Heil‘ wird in der Dimension des Politischen wach. Nicht um den Frieden mit Gott geht es den Menschen unserer Tage172, sondern um Überwindung der politischen Not im weitesten Sinne, der Lebensnot eines Volkes, der Zersetzung der Volksgemeinschaft, um Freiheit des Volkes zu seinem eigenen Leben, zur Erfüllung seiner besonderen Sendung.“173

Vor diesem Hintergrund lautet Althaus’ homiletisches Konzept für die volksmissionarische Anknüpfung: politische Predigt. „Die Predigt soll nicht nur den Einzelnen oder die Christenheit oder die Gemeinde anreden, sondern auch das Volk. Sie muß es wagen, auch die ganz konkrete geschichtliche Lage des Volkes zu durchdringen mit der Frage, was Gottes Sinn und Wille darin sei. Wir bedürfen heute politischer Predigt in diesem Sinne.“174

Zu den zentralen Topoi seiner politischen Predigt gehört für Althaus 1933 – nicht zuletzt erfahrungstheologisch begründet – das Volkstum, das er sowohl 170 Weiling, Bewegung, 328. 171 3315 Drittes Reich, 26 f. 172 Diese Frage war für ihn die „Heilsfrage der Reformationszeit“ (ebd., 26 f.). 173 Ebd., 27. Weil das für ihn „die beherrschende Frage unserer Zeit“ ist, müsse ihr gegenüber „das Evangelium gerade im Zeichen seines ‚politischen‘ Begriffes, des Reiches Gottes, der Herrschaft Gottes“ verkündigt werden: „Die Predigt unserer Tage muß mit neuer Betonung Zeugnis vom Reiche sein.“ 174 3314 Volks-Geschichte, 17. Er führt dazu aus: „Es gibt Zeiten, welche der politischen Predigt nicht bedürfen. Es gibt aber auch Zeiten, die nach ihr rufen. Das hat unsere Kirche immer gewußt. Ihre größten Zeugen haben sich in geschichtlichen Wendestunden der politischen Predigt nicht geweigert.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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durch seine Schöpfungsordnungstheologie als auch durch seine Uroffenbarungs­ lehre als volksmissionarischen Anknüpfungspunkt etabliert. In seinem Aufsatz „Die Wirklichkeit Gottes“ vom Frühjahr 1933 bringt er dies mit den Worten auf den Punkt: „Mit neuer Gewalt erleben wir heute, wie wir aneinander in UrOrdnung gebunden, durch diese Ordnung füreinander gefordert sind. Gefordert von dem Erbe der Väter, von der Zukunft unserer Kinder, von Volkstum und Vaterland.“ Diese „Ur-Ordnung“ aber ist für Althaus Anknüpfungspunkt für die „Ur-Offenbarung“: „Was besagt aber dies Ur-Erfahrung, die so mächtig über uns gekommen ist? Was ist es, daß wir uns gefordert wissen bis hin zum Opfer des Lebens […]?“ Dahinter, so lehrt es Althaus seine Leser, kann nur Gott gesehen werden, denn: „Es gibt keine Bindung für mich ohne einen Bindenden“175. Auf diese Weise soll der vom „Volkstumserlebnis“ ergriffene Zeitgenosse zum christlichen Glauben gebracht werden. Die „Gefahr der politischen Predigt“ will Althaus nicht verschweigen. Er nennt die abschreckenden „Mißgriffe der Kriegspredigt“ im Weltkrieg und die „Schwierigkeit, eine ‚politische‘ Predigt zu halten jenseits von Parteipolitik“; außerdem könne die „Lage“ „vieldeutig“ sein: „Oft ist die Deutung der Stunde ein Wagnis, das hernach des Irrtums überführt werden kann.“ Doch davon dürfe sich der Prediger, will er den Predigthörer erreichen, nicht beirren lassen: „Aber die Verkündigung muß dieses Wagnis in Wendezeiten auf sich nehmen. […] Schlimmer als das konkrete Irren ist die Abstraktion. Schlimmer als das unzuläng­ liche Wort der Deutung, des Urteils, der Weisung ist der Verzicht auf ein Wort. Das gilt von aller Seelsorge, auch von der Volksseelsorge der Verkündigung. […] Nicht durch die Abstraktion, sondern allein durch die Konkretheit, nicht durch die Zurückhaltung, sondern allein durch den – vielleicht fehlsamen – Einsatz lernen wir unsere Geschichte vor Gott durchleben.“176

Mit diesem homiletischen Programm macht sich Althaus 1933 selbst daran, die „deutsche Wende“ geschichtstheologisch konkret zu deuten – und sie dadurch religiös zu verbrämen.

175 3303 Wirklichkeit, 85. 176 3314 Volks-Geschichte, 17. Als einzige Bedingung nennt er, dass „solche Zeitpredigt in Demut geschieht, mit dem Bewußtsein: Gott ist größer als unser Herz.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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7.5 Althaus, Barth und „Das Ja der Kirche zur deutschen Wende“ Der erste veröffentlichte Kommentar von Althaus zum Vorgang der nationalsozialistischen „Machtergreifung“, der mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 seinen Anfang nahm, stammt vom 5. März 1933, dem Tag der Reichstagswahl. An diesem Sonntag, der zudem Buß- und Bettag ist, predigt Althaus über Hebr 12,29: Unser Gott ist ein verzehrend Feuer. Die Metapher des Feuers wendet er in seiner Predigt auf die Ambivalenz der gegenwärtigen Zeit an: auf der einen Seite sieht er „Feuer des Freiheits­willens, der nationalen Freude“, auf der anderen Seite „aber auch Feuer des Hasses und des unheimlichen Zerstörungswillens.“ Daher lautet sein Urteil über das Treiben der Regierungspartei der Nationalsozialisten gegenüber dem politischen Gegner, insbesondere der Sozialdemokraten und Kommunisten, die nach der Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar zu Freiwild erklärt wurden: Ja zu dem „edlen Feuer heißer Liebe zu Volk und Vaterland“, aber Nein zu den gewalt­samen Methoden: „Laßt diese Flamme brennen! Aber laßt sie rein brennen!“177 Auch den Gerichtsgedanken des Predigttextes wendet Althaus auf das poli­ tische Treiben in Deutschland an: „Die Parteien und die Politiker, auch die Führer und die Kampfeslosungen, auch die Programme und Verheißungen und die großen Worte – für alle und alles kommt der Tag, an dem im Feuer der Wirklichkeit offenbar wird, was in Verantwortung und echtem Gehorsam gegen Gottes Schöpferordnung gewollt war und was ohne Ernst der Verantwortung, ohne Zucht, eigenwillig, eigenmächtig.“178

Indem Althaus explizit „die Führer“ anspricht, wirft er den Nationalsozia­ listen damit mehr oder minder deutlich Zuchtlosigkeit und Eigenmächtigkeit vor, wie sie sich infolge der Reichstagsbrandverordnung offenbarten, die den Rechtsstaat weitgehend aushöhlte. So sehr Althaus und mit ihm die Mehrzahl der Deutschen bereit ist, über die gewaltsamen Begleitumstände der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ gleichsam als „Kollateralschäden“ hinwegzusehen, so lässt er es dennoch nicht an Kritik an der nationalsozialistischen Vorgehensweise gegenüber den politischen Gegnern fehlen. Allerdings liegt es im Wesen der Althausschen Ja-aber-Dialektik, dass er an anderer Stelle die Kritik an der nationalsozialistischen Machtergreifung zugleich durch den – theologisch korrekten, politisch aber fatal angewandten – eschatologischen Vorbehalt relativiert. So lässt er die Leser seines Aufsatzes 177 3302P Feuer, 14. 178 Ebd., 18. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Drittes Reich und Reich Gottes“, der mit lutherischer Zwei-Reiche-Lehre der religiösen Verbrämung des „Dritten Reiches“ wehren will, wissen: „Es gibt keine gerechte Sache, die ohne ‚Ungerechtigkeit‘ siegen könnte. Es gibt keine große vaterländische Stunde, die nicht auch den ‚Pöbel aller Sorte‘ emportrüge und nährte. Es gibt keine Freiheitsbewegung, bei der die Führer nicht auch der tragischen Notwendigkeit unterlägen, mit den Menschen, wie sie einmal sind, arbeiten zu müssen und den Zweck die Mittel heiligen zu lassen. Es gibt kein großes geschichtliches Werk, das nicht auch der Vergebung bedürfte“179.

Ganz abgesehen von der Tatsache, dass Althaus hier der weit verbreiteten Illu­ sion vom anständigen „Führer“ und den unanständigen Helfershelfern Ausdruck verleiht, die dazu geeignet ist, Hitler stets im positiven Licht zu sehen, können mit dieser theologischen Binsenweisheit nahezu alle unmenschlichen Maßnahmen des Regimes als „Mittel zum Zweck“ erklärt und damit allzu billig entschuldigt werden180. Von dieser Haltung aus, die das moralische Urteil nahezu suspendiert und die Gewissen beruhigt, ist eine Kritik an der nationalsozialistischen Bewegung des Jahres 1933 kaum mehr möglich. An der nationalsozialistischen Ideologie übt Althaus wie schon vor 1933 so auch danach weiterhin Kritik, freilich in sehr bescheidenem Umfang181. In den meisten Fällen, da Althaus apologetisch und volksmissionarisch in Erscheinung tritt, ergreift der das Wort reaktiv. Das ergibt sich aus seinem Wollen, als Theologe stets am Puls der Zeit zu sein und auf gesellschaftliche und geschichtliche Ereignisse und Entwicklungen theologisch zu reagieren. So wie sich Althaus schon in Bezug auf die völkische Bewegung und in Bezug auf den erstarkenden Nationalsozialismus herausgefordert sah und mit geschichts­ philosophischen und -theologischen Interpretationen reagierte, so reagiert er auch auf die „Machtergreifung“ der nationalsozialistischen Bewegung  – genauer gesagt darauf, wie die Menschen die politische Wende erlebten: „Wollen wir wirklich theologischen Abstand nehmen“, so lautet seine rhetorische Frage, „wenn unser Volk von seinem Aufrüttler und Führer als von dem Werkzeug göttlicher Gnade für uns redet?“182 Hier ist der Erfahrungstheologe Althaus gefragt.

179 3315 Drittes Reich, 31. 180 Vgl. 3312 Ja, 6, wo er schreibt: „Das ‚dankbare Ja‘ der Kirche zu der Wende braucht sich das Menschliche, Allzumenschliche, Ungute, ohne das nichts in unserer Geschichte geschieht, wahrlich nicht zu verbergen – es bleibt dennoch eine dankbares Ja. Denn was geschehen ist, steht in seiner entscheidenden Mitte jenseits des unter Menschen, die ihr Volk lieben, Diskutablen.“ 181 Vgl. 3305 Leben. 182 3314 Volks-Geschichte, 20. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Neben diesem Althausschen Reagieren auf das Verhalten seiner Zeitgenossen allgemein gab es auch ein Reagieren speziell auf das Verhalten der Kirche. Denn als Professor der Theologie und insbesondere der Systematische Theologe sah er sich herausgefordert, kirchliche Phänomene und kirchenleitendes Verhalten kritisch wahrzunehmen und gegebenenfalls dazu Stellung zu nehmen. Vor eine solche Situation sah sich Althaus im Spätsommer 1933 gestellt, als er zur Stellungnahme der bayerischen Landekirche zum neuen Staat seinerseits Stellung bezieht und sich zum „Ja der Kirche zur deutschen Wende“ äußert. Als konkreter Anlass dient ihm wiederum die Kritik seines theologischen Antipoden Barth an derartigen kirchlichen Verlautbarungen. „Unsere evangelischen Kirchen“, so Althaus in seinem Aufsatz „Das Ja der Kirche zur deutschen Wende“, „haben die deutsche Wende von 1933 als ein Geschenk und Wunder Gottes begrüßt.“183 Als eines von vielen Beispielen der jüngsten Vergangenheit zitiert Althaus aus einem Kanzelwort des Landeskirchenrats der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, das an Ostern 1933, d. h. am 16.  April, verlesen wurde und in dem sich brennglasartig sämtliche Illu­sionen der Kirchen in Bezug auf den neuen Staat bündeln: „Ein Staat, der wieder anfängt, nach Gottes Gebot zu regieren, darf in diesem Tun nicht nur des Beifalls, sondern auch der freudigen und tätigen Mitarbeit der Kirche sicher sein. Mit Dank und Freude nimmt die Kirche wahr, wie der neue Staat der Gotteslästerung wehrt, der Unsittlichkeit zu Leibe geht, Zucht und Ordnung mit starker Hand aufrichtet, wie er zur Gottesfurcht ruft, die Ehe heilig gehalten und die Jugend christlich erzogen wissen will, wie er der Väter Tat wieder zu Ehren und heiße Liebe zu Volk und Vaterland nicht mehr verfehmt, sondern in Tausend Herzen entzündet. […] Mit besonderem Dank begrüßen wir es, daß der neue Staat sein Werk durch Schaffung einer echten Volksgemeinschaft krönen will und daß vor allem die, für welche das Herz der Kirche von jeher besonders warm geschlagen hat, die Not­ leidenden und Bedrückten, die Geringen und Darbenden, der Sorge des ganzen Volkes befohlen sein sollen.“184

An solchen Äußerungen zeigte sich, dass der Vertrauensfeldzug der National­ sozialisten in hohem Maße erfolgreich verlief. Und es zeigte sich, wie sehr der Nationalsozialismus den politischen und religiösen Erwartungen und Wünschen der kirchlichen Eliten entgegenkam. Dass Althaus diese Euphorie der Kirchenleitung gegenüber der „deutschen Wende“ teilt, wird schnell deutlich werden. Zunächst aber setzt er sich mit Barth auseinander, der so ganz anders als er selbst „zur Sache“ spricht. Der Bonner Systematiker reagiert im Sommer 1933 in seiner Schrift „Theologische 183 3312 Ja, 5. 184 Zit. nach ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Existenz heute!“ auf den beginnenden „Kirchenkampf“ und auf die kirchlichen Verlautbarungen zur „deutschen Wende“ mit dem Aufruf zur theologischen und politischen Nüchternheit185. Wie wir gesehen haben, hat der National­ sozialismus für ihn den „Charakter eines politischen Experimentes wie andere“, dem die Kirche in Deutschland „Zeit und Chance zu geben“, sich zugleich aber ihm gegenüber „wirklich neutral“ zu verhalten habe186. Weil viele Kirchenvertreter aber eine solche Neutralität vermissen lassen, sondern im Gegenteil nicht nur euphorisiert ihre politische Zustimmung zum Ausdruck bringen, sondern zugleich die „deutsche Wende“ geschichtstheologisch sakralisieren, sieht sich Barth herausgefordert, von seiner theologischen Warte aus seine Kritik und seine Bedenken gegenüber derartigen kirchlich-theologischen Stellungnahmen, die den Nationalsozialismus theologisch verbrämten, öffentlich zu formulieren. So wirft Barth der Kirche vor, „sich selbst wieder einmal untreu“ zu werden, indem sie ein „politische[s] Urteil“ zum neuen Staat spreche und nicht etwa nur „die selbstverständliche Anerkennung auch des neuen Staates als der von Gott der Kirche koordinierten ‚Obrigkeit‘ nach Röm. 13“ zum Ausdruck bringe187. Von dieser Kritik Barths aber musste sich auch Althaus getroffen fühlen, hatte er doch im Ostergottesdienst 1933 seinerseits die „deutsche Wende“ als nationale „Wiedergeburt“ gedeutet188. Althaus, der in diesem Urteil Barths den „folgerichtige[n] Ausdruck seiner theologischen Grundhaltung“ erblickt189, antwortet darauf sowohl geschichts- und ordnungstheologisch als auch fundamentaltheologisch. In beidem kommt der tiefe prinzipielle theologische Graben zwischen den beiden Hochschullehrern zum Ausdruck, der auch die kommende Auseinandersetzung der beiden im sogenannten „Kirchenkampf“ bestimmen wird. So lautet Althaus’ erste Antwort auf Barth: Weil das Volkstum Gottes Gabe und Aufgabe, d. h. göttliche Ordnung ist, macht es einen Unterschied, wie sich ein Volk und seine Regierung zu dieser Gottesordnung verhält:

185 Barth, Existenz. Die Schrift ist verfasst am 25.6.1933. 186 Barth, Frage, 80 f. 187 Barth, Existenz, 11. 188 Ostern, so predigt Althaus am 16.4.1933, bedeutet Wiedergeburt, nicht nur in der Natur, sondern auch in der menschlichen Geschichte: „Wiedergeburt – wir denken an die großen Stunden im Leben der Völker: ein Volk, das sich verloren hatte, das in Schatten und Schande da­ hinlebte, findet sich selbst wieder, kehrt zu den Quellen seiner Kraft zurück und will einen neuen Anfang machen. Glücklich das Geschlecht, das solche Stunden erleben darf!“ Hier setzt Althaus nun mit seiner überbietenden Anknüpfung an: „Aber so herrlich alle diese Erfahrungen der ‚Wiedergeburt‘ sind, das Ostern des christlichen Glaubens ist noch unvergleichlich herrlicher.“ (3304P Ostern, 110 f.). 189 3312 Ja, 6. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Wenn anders wir das Leben unseres Volkes aus Gottes Hand nehmen, wenn anders es noch einen Unterschied […] gibt von Verkennen und Anerkennen der Ordnungen, dann haben wir Gott von Herzen zu danken um das, was geschehen ist.“190

Will eine Schöpfungstheologie aber nicht in einen Deismus umschlagen, so muss nach Althaus zur Schöpfungstheologie die Geschichtstheologie treten, die Gott als „geschichtsgegenwärtig“ lehrt und dadurch die heilsgeschichtliche Verkündigung vorbereitet. Diesem theologischen Anliegen aber hat sich Barth in seinen Augen schuldhaft versagt: „Die theologische Stimmung im letzten Jahrzehnt ist der Verkündigung handelnder Gegenwart Gottes in der Geschichte eines Volkes nicht günstig gewesen. Gott ist geschichtsgegenwärtig – so wurde uns verkündet – allein negativ in der Fragwürdigkeit, Nichtigkeit, Sinnlosigkeit alles Geschichtlichen […]. Es ist klar, daß bei dieser Lehre die Geschichte in ihrem konkreten Geschehen theologisch ganz gleichgültig werden mußte. […] Wie konnte man da einem Volke seine Geschichte aufschließen? Die Verkündigung mußte nach dieser Seite hin notwendig abstrakt und lebensfern werden.“191

Weil für Althaus geschichtstheologische und eschatologische Fragestellungen untrennbar zusammengehören, ist in seinen Augen auch der Reich-Gottes-Begriff der Barthschen Theologie einseitig und korrekturbedürftig: „Die Geschichte weist auf das Reich Gottes nicht nur durch ihre ungelösten Rätsel, sondern auch durch ihre Erfüllungen; nicht nur durch ihren Unsinn, sondern auch durch die Erfahrung von Sinn; […] nicht nur durch ihre Tode und Gräber, sondern auch durch ihre Auferstehungen und Wiedergeburten. Die christliche Theologie der letzten Zeit, vor allem die dialektische, hat allzu einseitig nur das jeweils Erstgesagte, nicht auch das Zweite betont. […] Das Reich ist nicht nur die Aufhebung, sondern auch die Erfüllung der Geschichte.“192

Hier zeigt sich deutlich die Linie, die von Althaus’ Theologie vor 1933, ins­ besondere seiner Geschichtstheologie, Ordnungstheologie und Volkstumstheologie, zu einer Bejahung des Nationalsozialismus führt, wie er ihn 1933 wahrnimmt, nämlich als Volkstumsbewegung, die sich bewusst auf den Boden des Christentums stellt.

190 Ebd. Er gibt zwar zu, dass auch „über der Niederlage, der Zersetzung, der Ohnmacht eines Volkes […] Gottes Geheimnis“ waltet, aufgrund seiner Hochschätzung des 1. Glaubensartikels jedoch kommt er zu dem Schluss: „Aber wollen soll und darf ein Volk seine Kraft, das Auswirken seiner Gaben, einen großen geschichtlichen Lebenstag.“ (ebd., 7 f.). 191 3314 Volks-Geschichte, 16 f. 192 3315 Drittes Reich, 26. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Die zweite Antwort auf Barth gilt dessen theologischer Unterbestimmung des Gesetzes und der Ordnungen als Ausdruck des Ersten Glaubensartikels: „Der Kirche ist nicht nur das Evangelium, sondern auch das Gesetz und die Ordnungen befohlen. […] Es gibt Gehorsam und Ungehorsam gegen die Ordnungen – und die letzte Gleichgültigkeit dieses Unterschiedes vor dem Evangelium gibt der Kirche nicht das Recht, ihn zu vergleichgültigen. Es ist auch hier verboten, das zweite Wort vor dem ersten zu sprechen“193. „Es gibt einen Dank, der uns jeden Tag ge­ boten ist, für Stärke und Schwäche, für Fall und Wiederaufstehen – denn in allem will Gott seine Wunder tun. Aber es wäre perverses Christentum, wenn wir über diesem Danke auf dem Grunde des zweiten und dritten Artikels den vom ersten Artikel her ver­gäßen. […] Das ist eine absolut gesetzte theologia crucis, welche den Dank für die Gaben des ersten Artikels erstickt. Luther fand Gott im Geben und im Nehmen, in der Lust und im Schmerze, im Leben und im Sterben. Er hat nie das zweite Wort vor dem ersten gesagt.“194

Auch abgesehen von dieser Zurückweisung Barths macht Althaus keinen Hehl daraus, dass er dem kirchlichen Kanzelwort und der in diesem verbreiteten Einschätzung der gegenwärtigen politischen Lage in Deutschland ungeteilte Zustimmung entgegenbringt: „Wir haben etwas von dem erlebt, was die Osterbotschaft des bayerischen Landeskirchenrates sagt. Wir erfahren, wie dem Staate neue Würde zurückgegeben wird.“ Was folgt, liest sich wie ein Lasterkatalog der untergegangenen, von Althaus zu keinem Zeitpunkt als neuen deutschen Staat nach 1918 akzeptierten und daher stets als zu überwindendes Staats­gebilde apostrophierten Weimarer Republik: „Die Auflösung des Strafrechtes in Sozialtherapie und Pädagogik, die schon weit gediehen war, hat ein Ende; Strafe soll wieder im Ernst Vergeltung sein. Der neue Staat wagt es wieder, das Richtschwert zu tragen. Er hat die schauerliche Verantwortungslosigkeit der Parlamente zerschlagen und läßt wieder sehen, was Verantwortung heißt. Er kehrt den Schmutz der Korruption aus. Er wehrt den Mächten der Zersetzung in Literatur und Theater. Er ruft und erzieht unser Volk zu starkem neuen Gemeinschaftswillen, zu einem ‚Sozialismus der Tat‘, der die Starken der schwachen Lasten mittragen heißt.“195

Wenn Althaus den Einschub vornimmt, zum neuen Staat sei ein „dankbares Ja“ zu sprechen, ohne über die Weimarer Republik ein unfaires Urteil zu sprechen196, 193 3312 Ja, 7. 194 Ebd., 8; Hervorhebungen von Althaus. 195 Ebd., 7. Auf die religiös-kirchlichen Erwartungen, die der bayerische Landeskirchenrat formuliert hatte, geht Althaus nicht ein. 196 So schreibt er: „Der Kirche stände gewiß Ungerechtigkeit im Urteil über die Arbeit des alten Staates schlecht an; sie wird nicht vergessen, wird immer daran erinnern, wieviel ernster Wille zu deutscher Erneuerung trotz allem auch dort am Werke war.“ (ebd.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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so bleibt es bei einem bloßen Lippenbekenntnis. Denn seine Schwarzweiß­ malerei ist offensichtlich, wenn er auf den Unterschied „zwischen einer Staatlichkeit, in der sich eines Volkes Ratlosigkeit, Ermatten, Selbstvergessen ausdrückt, und einer anderen, in der ein Volk erlebt, zu sich selbst zu kommen“ betont und schreibt: „Wenn anders es noch einen Unterschied von Zersetzung und Erneuerung, von Erkrankung und Genesung gibt, von Verkennen und Anerkennen der Ordnungen, dann haben wir Gott von Herzen zu danken um das, was geschehen ist.“197

Seine Ablehnung der Weimarer Republik, aus der Althaus in den vergangenen 14 Jahren in seinen Schriften und Predigten nie einen Hehl gemacht hatte, bündelt sich unter dem Eindruck der „neuen Zeit“ und kommt an der Schwelle zum „Dritten Reich“ noch einmal verstärkt zum Ausdruck. Mehr noch als das: Althaus ruft die Kirchen dazu auf, sein, von den meisten Kirchenverantwort­ lichen ohnehin geteiltes, rückblickendes vernichtendes Urteil über die Weimarer Republik öffentlich zu verkünden: Die Kirche muss nach Althaus „darauf hindeuten, wie die Selbstsucht und Opferscheu und Zuchtlosigkeit der Völker Verderben ist, wie ein Volk an der Verachtung des sechsten Gebotes stirbt […]. Die Kirche soll heute auch ganz konkret davon reden, wie die organisierte Verantwortungslosigkeit des deutschen Parlamentarismus der Nachkriegszeit unser Volk an den Rand des Abgrundes brachte, daß er mit seinem Feilschen und Markten der Parteien in der höchsten Not des Vaterlandes Sünde war.“198

Neben diesem innenpolitischen Aspekt kommt Althaus auch auf die außenpolitische „Sünde“ der Weimarer Republik zu sprechen. Nationalsozialistische Kirchenkritik aufnehmend, klagt Althaus die Kirche an, jahrelang zur außenpolitischen Schmach der Weimarer Republik im Hinblick auf das Versailler System geschwiegen zu haben: „Es kam der 28. Juni 1919, das erpreßte Schuldbekenntnis des deutschen Volkes. Hat die Kirche damals und seither ihre Seelsorge-Pflicht erfüllt? Hat sie das Verbrechen von Versailles, nicht nur das unserer Feinde, sondern das deutsche Verbrechen dieser Unterschrift gestraft? Hat sie unser Volk eindringlich erinnert, daß wir Gott fürchten und die Wahrheit ehren sollen nicht nur in der Demut des bösen Gewissens, sondern auch mit dem Trotze des guten Gewissens gegen die Verleumder? Hat unsere Kirche gegen das Einschlummern des deutschen Volkes in seiner Schmach ernst genug gekämpft? Hat sie aufgerüttelt? Oder wäre das Wahren der Ehre kein Gebot Gottes

197 Ebd., 6. 198 3314 Volks-Geschichte, 19. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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mehr? Wenn der Nationalsozialismus die Kirche anklagt, daß sie die Stunde nicht erkannt und nicht genützt, den nötigen Kampf nicht aufgenommen habe – tut er uns damit nur Unrecht?“199

Unter dem Eindruck der „neuen Zeit“ geht Althaus hier entgegen seiner sonstigen konzilianten Art sogar so weit, offensichtlich unfaire Urteile über die Kirche zu sprechen – denn auch Althaus wird die fortwährende Kritik der Kirchenleitungen an Versailles in den vergangenen Jahren nicht entgangen sein. Was er in der mit Hirsch gemeinsam veröffentlichten Erklärung 1931 nur den Ver­ tretern des „Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen“ vorwirft, richtet er nun undifferenziert an die gesamte Kirche. Indem Althaus die vergangenen 14 Jahre in den düstersten Farben zeichnet, soll damit zugleich die „deutsche Wende“ hin zum Nationalsozialismus als göttliches Gericht über die Weimarer Republik theologisch aufgeladen werden. Der Nationalsozialismus wird damit zum Werkzeug göttlicher Fügung stilisiert. „In der Geschichte der Völker“, so Althaus, „ergeht wie im Leben des Einzelnen konkretes Gericht. Morsches zerbricht, Faules zersetzt sich; Systeme, die innerlich unwahr sind, brechen in der Stunde der Prüfung zusammen.“

Daraus folgert er geschichtstheologisch: „Die Zertrümmerung des Parlamentarismus ist wahrlich mehr als ein profanes revolutionäres Ereignis. Das Politische hat hier ethische Tiefe und Wucht. Die ‚Krisis‘ des Parlamentarismus war Gericht, echtes Gericht. Davon zu reden ist die Kirche auch berufen.“

Vor dem Hintergrund der von Althaus als göttliches Gericht theologisierten Überwindung der Weimarer Republik musste die „deutsche Wende“ des Jahres 1933 folgerichtig als Vorgang „göttlicher Gnade“ erscheinen: „Ein neuer Lebenstag, Raum zur Umkehr, zur Ermannung, zur Sühne ist Gnade. So nehmen wir die Wende dieses Jahres als Gnade aus Gottes Händen. Er hat uns vor dem Abgrund und aus der Hoffnungslosigkeit gerettet. Er hat uns – so hoffen wir – einen neuen Lebenstag geschenkt. Er hat damit ein neues Ja zu unserem Volke gesprochen, das mit allen anderen großen Stunden der Erhaltung und Befreiung zusammen neue Berufung und hohe Verantwortung bedeutet.“

Doch nicht nur das historische Ereignis der „nationalsozialistischen Revolution“, sondern auch die handelnden Persönlichkeiten werden von Althaus religiös überhöht und glorifiziert: „Die bestimmte geschichtliche Gnade bedient 199 Ebd., 18. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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sich menschlicher Werkzeuge. Sie sind dann ‚von Gottes Gnaden‘, was auch immer sonst von ihnen zu sagen ist“200. Auf diese Weise wurde die „Machtergreifung“ des Nationalsozialismus von Althaus religiös verbrämt und theologisch legitimiert201. Für Kritik blieb da nur noch in Form von unbedeutenden Anmerkungen Raum. 7.6 Mit der Lehre von der Ur-Offenbarung wider die theologischen Kurzschlüsse eines „SA-Christentums“ Setzt sich Althaus im Jahr 1933 in offenbarungs- und geschichtstheologischen Fragen auf der einen Seite mit seinem Rivalen Barth auseinander, dem er Einseitigkeit und Verkürzung der evangelischen Theologie vorwirft, so sucht er auf der anderen Seite den theologischen Kampf mit einem völkischen Christentum, das er der Transformation des christlichen Glaubens beschuldigt. ­Zwischen diesen beiden abzulehnenden Extrempositionen sieht Althaus seine eigene Theologie als einzig gangbaren Mittelweg in diesen politisch und national so aufgeladenen Zeiten. Hauptträger einer solchen völkischen Theologie und somit Adressat seiner theologischen Kritik sind die sogenannten „Deutschen Christen“, jener viel­ gestaltige Brückenkopf der Nationalsozialisten im Raum der evangelischen Kirche, die Althaus während der gesamten Zeit des „Dritten Reichs“ theologisch und kirchenpolitisch bekämpft202 – freilich ohne dabei ihr allgemeinpolitisches Engagement für den Nationalsozialismus zu hinterfragen. Althaus’ Ausein­ andersetzung mit den „Deutschen Christen“ setzt im Spätsommer 1933 an den Punkten ein, die seine eigene Art, Theologie zu treiben, konsequent herausfordern: an der Frage nach der göttlichen Offenbarung, an der Frage nach dem Verhältnis von deutscher Geschichte und biblischer Heilsgeschichte und an der Frage nach dem Verhältnis von „Drittem Reich“ und Reich Gottes. Während 200 Ebd., 19 f. Dass er bei solch steilen Worten mit sich selbst ringt, spürt man dem Aufsatz ab, wenn er zugleich kritisch anmerkt: „Viele reden heute von dem Geschehen dieses Jahres wie von der Heilsgeschichte: eine Offenbarung ist geschehen, Gott hat geredet, hat sich ein Werkzeug erwählt und ein Wunder seiner schöpferischen Macht getan, Gericht gehalten, Gnade erzeigt, Heil geschaffen. Darf man so reden?“ (Ebd., 15). 201 Vgl. die religiöse Verbrämung der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ bei Niemöller noch in seiner Erntedankpredigt 1935: „Wenn wir […] zurückblicken auf den Weg, den wir mit unserem ganzen Volk gekommen sind, wenn wir zurückdenken an die Jahre der Not und die Zeiten der Sorge ums tägliche Brot – wir wissen: sie sind noch nicht zu Ende; aber es sind Wunder über Wunder an uns geschehen“. Darum kann Niemöller folgern: „Wir sind uns ja einig in dem frohen, dankbaren Bekenntnis: ‚Bis hierher hat uns der Herr geholfen!‘“ (ders., Erntedank, 107). 202 Vgl. 3410 Bedenken; 3422 Telegramm; 3515 Christentum; und 3603 Gutachten. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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für Theologen wie Barth und seine Weggefährten die theologische Front zu den „Deutschen Christen“ von vornherein eindeutig geklärt ist, sieht sich Althaus vor die Aufgabe gestellt, seine Lehre von der Ur-Offenbarung, seine Geschichtstheologie und sein Verständnis vom Gottesreich gegenüber einer natürlichen Theologie abzugrenzen, wie sie von Deutschen Christen vertreten wird. Die Abgrenzung vom deutsch-christlichen Offenbarungsverständnis nimmt er in seinem Aufsatz „Volks-Erlebnis und Offenbarung“ vor, der gleich mit deutlichen Worten einsetzt: „In manchen Reden und Aufrufen aus der Glaubensbewegung ‚Deutsche Christen‘ ist für den Theologen besonders anstößig, wie das, was man das ‚nationalsozialistische Erlebnis‘ nennt, und die Begegnung mit dem Gott der Bibel, die Haltung des SA.Mannes und die christliche Haltung nebeneinander zu stehen kommen, ja ineinander fließen und geradezu gleichgesetzt werden.“203

Althaus gibt seinen Lesern einige Kostproben deutsch-christlicher Theologie: „Was die Kirchen – so heißt es – mit ihrer Verkündigung der Mannschaft unseres Volkes nicht mehr zu geben vermochten, das ist ihnen außerkirchlich durch das Geschenk des Führers, durch das hinreißende Erlebnis der Bewegung geworden: Ergriffensein durch die Wirklichkeit, die ganz beansprucht und hinnimmt. Da wurde neue Gläubigkeit, Hoffnung, Liebe, Opfergeist, Gehorsam geboren  – sind es nicht die Grundzüge des christlichen Ethos? Da weiß man wieder vom Opfertode – wie nahe steht man bei Jesus Christus, dem Kämpfer, dem Helden, der für seine Sache, für seine Brüder stirbt – ‚Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde‘. So muß man die Bewegung im Grunde als eine mächtige außerkirchliche ‚Erweckungsbewegung‘ sehen, die ein lebendigeres praktisches Christentum erzeugt hat als es meist in der verbürgerlichten Kirche zu finden war.“204

Das Althaussche Urteil über diese Art von Theologie, die den christlichen Glauben völkisch transformiert, ist eindeutig: „Es bedarf keines Wortes, daß diese Sätze, so wie sie lauten, christlich unmöglich sind. Ernst genommen deuten sie den christlichen Glauben zu einem allgemeinen Gottvertrauen des geschichtlich-handelnden Menschen und die Nachfolge Christi zu einem edlen völkisch-soldatischen Ethos um – mit beidem wird die tiefe des Christenstandes verflacht.“205 203 3313 Volks-Erlebnis, 8. 204 Ebd., 8 f. 205 Ebd., 9. Gegen einen völkisch überformten Jesus setzt Althaus „die Erfahrung des Kreuzes Christi“: „Das heroische, opfermutige, todesbereite Ethos des um seines Volkes Zukunft kämpfenden Mannes ist nicht dasselbe wie das tägliche ‚Sterben mit Christo‘. Und der Opfertod Jesu als Sterben für uns Sünder hat keine Entsprechungen und duldet keine Nachfolge; er ist schlechthin © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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In gleichem Maße ist für Althaus eine Gleichsetzung von „Volks-Geschichte und Heils-Geschichte“ eine Unmöglichkeit: „Viele reden heute von dem Geschehen dieses Jahres wie von der Heilsgeschichte: eine Offenbarung ist geschehen, Gott hat geredet, hat sich ein Werkzeug erwählt und ein Wunder seiner schöpferischen Macht getan, Gericht gehalten, Gnade erzeigt, Heil geschaffen. Darf man so reden? Nimmt man damit nicht der einen Heilsgeschichte ihre Einzigkeit? ‚Alle Geschichte ist Heilsgeschichte‘ – ein solcher Satz verletzt offenbar das evangelische Bekenntnis. Kein Zweifel, daß hier große Gefahren drohen.“206

Mit Blick auf die Deutschen Christen verwirft Althaus zudem die Gleichsetzung von „Drittem Reich“ und Gottesreich: „Kein ‚Drittes Reich‘ ist Anbruch des Reiches Gottes.“207 Althaus argumentiert sowohl hamartiologisch mit der „Erkenntnis der unentrinnbaren Sündigkeit“208, als auch eschatologisch: „Das Reich ist jenseits aller irdischen Reiche, auch jenseits des Dritten Reiches. […] Es ist Wirklichkeit in Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, der unserer Sünde und unseren Tod überwunden hat – Wirklichkeit nur in ihm, außer uns, aber für uns“209. In Christus ist das Gottesreich im Kommen, jedoch „kein Mensch kann dieses Kommen erwirken, keine geschichtliche Entwicklung führt es herauf. Keine irdische ‚Gestalt der Gnade‘ ist Stufe auf dem Wege zum Reiche, sondern nur Zeichen und Gleichnis“210.

Von dieser Erkenntnis her sieht Althaus die Gefahren eines politischen Messianismus für die christliche Verkündigung. Hatte er unmittelbar vor der „Machtergreifung“ des Nationalsozialismus in erster Linie vor den Gefahren des politieinsam, kein heldisches Sterben, sondern unergründlich-tiefes Leiden an der Menschheit und unter Gott“ (ebd., 14). Zugleich kritisiert Althaus die Kriegsprediger des Weltkrieges, aber auch die Pfarrer der Gegenwart, die Joh 15,13 in diesem Sinne missbrauchen. 206 3314 Volks-Geschichte, 15; Hervorhebung von Althaus. Noch deutlichere Worte findet er 1935 in seiner Betrachtung „Das einzige Ostern“ gegen die völkische Überformung des christ­lichen Glaubens: „Heute reden wieder einige, sogar Theologen, vom ‚deutschen Golgatha des Weltkrieges‘ und von der ‚deutschen Auferstehung‘ jetzt. Aber es gibt kein deutsches Golgatha und darum auch keine deutsche Auferstehung. […] Denn kein Mensch und kein Volk leidet, auch wenn es an den anderen leidet, ohne eigene Schuld. Keines trägt in diesem Sinne die Menschheits-, die Völkersünde. […] Was soll das schwärmerische undeutliche Reden vom deutschen Golgatha und Ostern? Will man der nationalen Geschichte einen Heiligenschein geben?“ (3505B Ostern, 343 f.). 207 3315 Drittes Reich, 31. Bereits in einer Predigt am 5.3.1933 entgegnete Althaus solcher Irrlehre, „keines Volkes Tag ist ewig, es gibt kein unsterbliches Reich“ (3302P Feuer, 16). 208 3315 Drittes Reich, 31. 209 Er hält dem politisch-theologischen Schwärmertum entgegen: „Die Botschaft vom Reiche ist untrennbar von dem Evangelium der Rechtfertigung: Rechtfertigung heißt verborgener Anbruch des Reiches. Es gibt kein evangelisches Zeugnis vom Reiche, das nicht durch die enge Pforte der Rechtfertigung führen müßte“ (ebd., 33). 210 Ebd., 32. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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schen Messianismus im Kommunismus und Nationalsozialismus für das deutsche Gemeinwesen gewarnt, legt er den Fokus nun ganz auf die Gefahren für Christentum und Kirche: „Es bedarf keines Wortes, daß der politische Messianismus in den letzten Jahren bei seinen Pfaffen und nicht wenigen seiner Gläubigen zu einem Ersatz für den Glauben an Jesus Christus wurde, ein weltlicher Erlösungsglaube, der den Christusglauben genau wie den römischen Kaiserkultus als seinen Todfeind angehen muß.“

Zu dieser „säkularisierten Eschatologie“ müssen Theologie und Kirche „ihr notwendiges Nein“ sprechen211. Allerdings ist für Althaus der radikale Kurzschluss von „Volks-Erlebnis und Offenbarung“, von „Volks-Geschichte und Heils-Geschichte“ und „Drittem Reich und Reich Gottes“ die Reaktion der völkischen Theologie auf die radikale Diastase zwischen Gott und Geschichte, wie sie die einflussreiche Theologie Barths und seiner Weggefährten lehre. So trägt in seinen Augen gerade Barth, der mit seiner „rein christologischen Offenbarungslehre“ die Dialog­ fähigkeit mit der Weltwirklichkeit verloren habe, die Mitschuld daran, dass die völkische Religiosität einen so großen Zulauf habe. Althaus’ Erklärungsversuche für die sich ausbreitende völkische Theologie lautet dementsprechend: „Jene bedenklichen Binde- und Gleichheitsstriche sind die Antwort auf ein schweres Versäumnis der Verkündigung und Theologie. Unsere Verkündigung und Theologie […] haben die Bezeugung der Wirklichkeit Gottes in der Wirklichkeit unseres geschichtlichen Lebens zu sehr außer Acht gelassen und haben für das natürliche, also auch das völkische Ethos zu wenig Sinn und Platz gehabt. […] Ein völkisches oder SA.-Christentum ist die Antwort an eine Verkündigung und Theologie, die von der Bezeugung Gottes im geschichtlichen Leben nichts mehr zu sagen wußten.“212

Und in Bezug auf das Problem der Geschichtstheologie heißt es bei ihm: „Man kann der Gefahr einer neuen Theologie deutscher ‚Heilsgeschichte‘ nicht einfach begegnen durch die unerläßliche Absage im Namen der Einzigkeit biblischer Heilsgeschichte. Theologie und Verkündigung der Kirche sind auch hier an den häretischen Abweichungen mitschuldig durch ihre Ohnmacht, unsere Geschichte als Geschichte Gottes mit uns sehen zu lassen.“213

Ebenso kann es für Althaus im Blick auf die vom „politischen Messianismus“ des Nationalsozialismus vorgenommene Gleichsetzung von „Drittem Reich“ 211 Ebd., 29. 212 3313 Volks-Erlebnis, 9. 213 3314 Volks-Geschichte, 15. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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und Gottesreich nicht nur darum gehen, das „notwendige Nein“ zu sprechen, sondern zum Zwecke der überbietenden Anknüpfung auch die verborgene Beziehung zwischen beiden Größen zu bejahen. Denn mit dem alleinigen Nein wird die Theologie in seinen Augen „dem Problem des religiösen Nationalismus so wenig gerecht wie vorher dem Problem des religiösen Sozialismus. Beide sind in ihrer Erscheinung freilich Gemächte des Antichristen, Angriff auf Jesus Christus. Aber will man sie überwinden, so muß man die Stelle freilegen, wo sie von einer Wahrheit leben, die unsere kirchliche Verkündigung des Reiches Gottes zu lange verschwiegen hat. Der falschen messianischen Inflation der politischen Erwartung und Erfahrung müssen wir begegnen durch Aufdecken der echten und wahren Beziehung des politischen ‚Heils‘ und des Heils in Christo, nationaler ‚Auferstehung‘ und der Auferstehung durch Jesus Christus.“214

Wichtig ist für Althaus in der Evangeliumsverkündigung an die vom „nationalsozialistischen Erlebnis“ ergriffenen Menschen die richtige Reihenfolge vom Ja zum Aber. So kann es für ihn „nicht das erste Wort unserer Verkündigung“ sein, diese Menschen „vom Dritten Reiche hinwegzurufen zu dem Reiche Gottes, welches das ‚ganz andere‘ ist. Wir haben tausendfach den Fehler gemacht, das zweite Wort vor dem ersten zu sagen. Damit ist das zweite Wort nicht nur für die Menschen unverständlich, sondern auch in seinem Alleinstehen an sich falsch geworden.“215

Es ist bezeichnend und weist auf Althaus’ volksmissionarisches Anliegen in dieser Frage hin, dass er in diesem Zusammenhang auf die von ihm bereits während des Weltkriegs entwickelte Anknüpfungskonzeption zu sprechen kommt, die er mit dem Aufeinanderbezogensein von „Vorhof“ und „Allerheiligstem“ zum Ausdruck bringt216: Theologie und Verkündigung „verharrten im Heiligen und Allerheiligsten und waren im Vorhofe nicht zu sehen. Kein Wunder, daß nun der Vorhof dabei ist, sich selber als das Allerheiligste auszugeben.“217 „Das Anpochen der Frömmigkeit des ‚nationalsozialistischen Erlebnisses‘ an die Tore der Kirche“, so Althaus, „stellt ihr eine theologische Frage und Aufgabe.“ Weil für ihn „weithin über der biblisch-exklusiven Lehre vom Worte Gottes die vocatio generalis vergessen“ wurde, ist es für ihn „kein Wunder“, 214 3315 Drittes Reich, 29. 215 Ebd., 29 f. 216 Vgl. 1606 Stellung, 35; und 1808 Männern, 629 f., wo er seine volksmissionarische Anknüpfungskonzeption von theozentrischer zu soteriologischer Predigt formuliert. 217 3313 Volks-Erlebnis, 9; vgl. ebd., 15. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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dass sich die „in ihr verborgene Wahrheit“ „jetzt in einer theologisch unmöglichen, ja antitheologischen Form meldet. […] Die exklusive Offenbarungstheorie der Theologen macht es der Kirche unmöglich, zu dem inneren Geschehen in unserem Volke die rechte Stellung einzunehmen.“

Auf dieses „innere Geschehen“ aber, dem Althaus den Charakter von „vorchristlichen Gottesbegegnungen“ beimisst, muss die Kirche, will sie die missionarische Gelegenheit nicht ungenützt verstreichen lassen, mit ihrer Verkündigung reagieren. Wie schon im Augusterlebnis 1914 sieht Althaus nun im „nationalsozialistischen Erlebnis“, das er Millionen von Menschen machen sieht, den entscheidenden Anknüpfungspunkt christlicher Verkündigung an ein politisiertes und nationalisiertes Volk: „Es ist einfach so, daß deutsche Männer, die von Glaube und Hingabe des Lebens nicht mehr wußten, in dem Verhältnis zu dem Führer, in dem Angefordertsein zum Opfer, in dem Spüren des Rufes der Stunde, der Verantwortung zum Gehorsam gegen diesen Ruf eine Wirklichkeit erlebt haben, von der sie nur ‚religiös‘ reden können.“218

Mit der Frage „Was haben wir, die Theologen, die Pfarrer, dazu zu sagen?“ leitet Althaus die Darlegung seines Mittelweges zwischen Barthscher Theologie219 und „SA-Christentum“ ein: seine Lehre von der Ur-Offenbarung, verbunden mit seiner Ordnungstheologie220. Mit dieser kann Althaus das gegenwärtig so virulente ‚nationalsozialistische Erlebnis‘, das er so viele Menschen machen sieht, als „Ruf zu Gott“ interpretieren. Das Recht dazu meint Althaus dem diesbezüglichen Urteil der unmittelbar Betroffenen selbst entnehmen zu können221. Freilich bemüht sich Althaus sogleich, diese Art von Religiosität, gerade wenn sie sich als „christlich“ ausgibt, zu unterscheiden von dem wahren christlichen Glauben, auf den er abzielt:

218 Ebd., 9 f. 219 Althaus leitet seine Ausführungen mit der Zurückweisung Barths ein: „Wir glauben nicht an die Lehre, daß nirgends in der ganzen Welt Gott sich uns bezeugt außer in dem Zeugnis des Alten und Neuen Testamentes von Jesus Christus durch die Auslegung dieses Zeugnisses in der Verkündigung. Wir wissen mit der heiligen Schrift und mit der theologischen Überlieferung unserer Kirche von der Bezeugung des lebendigen Gottes in der Wirklichkeit der Welt und des Menschen.“ (ebd., 10 f.). 220 Vgl. den Exkurs in Kap. IV, 7.2.2. 221 So bringt Althaus das „Augusterlebnis 1914“ und das „nationalsozialistische Erlebnis“ mit dem Satz in Zusammenhang: „Wenn die geschichtliche Ordnung des Volkstums oder des Staates Gewalt über unser Herz gewinnt mit der Forderung und Freude der Hingabe bis zum Opfer des Lebens, dann erfahren wir im Ernste und unmittelbar, was ein Kriegsfreiwilliger von 1914 für die vielen aussprach: ‚Uns ruft Gott.‘“ (ebd., 11 f.). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Die ‚neue Gläubigkeit‘ in unserem Volke und der Glaube an Jesus Christus, in welchem wir als die Sünder uns Gottes Erbarmen ganz in die Arme werfen, sind zweierlei. Es ist etwas Großes um den Geist der Männlichkeit, Kameradschaft, Disziplin und Hingabe an den Führer in unserer Jungmannschaft – auch er ist Gottes Gebot und Gottes Gabe. Aber der heilige Geist, den wir im Glauben an Christus empfangen, der Geist der Kraft und Liebe und Zucht (2. Tim. 1,7) ist doch etwas anderes.“222

Die Ambivalenz der Althausschen Uroffenbarungslehre wird an diesem Punkt überdeutlich: Sie bietet in der Tat eine missionarische Chance, allerdings um den Preis, dass die Weltwirklichkeit, so wie der Prediger sie wahrnimmt, religiös aufgeladen und sakralisiert wird. Im konkreten Fall heißt das, dass Althaus, der das „nationalsozialistische Erlebnis“ so vieler Menschen im Jahr 1933 prinzipiell politisch positiv beurteilt, dieses durch seine theologische Interpretation religiös auflädt und damit zugleich das politische Empfinden dieser Menschen theologisch absegnet und damit verstärkt223. Dies tut Althaus vorrangig in der Absicht, an ein angeblich allgemein-religiöses „Erlebnis“ der Menschen mit dezidiert christlicher Verkündigung anknüpfen zu können. So entfaltet Althaus in seinem Aufsatz „Volks-Erlebnis und Offenbarung“ mit Hilfe seiner Uroffenbarungslehre sein bereits am Ende des Weltkriegs formuliertes missionarisches Verkündigungskonzept des anknüpfenden Zweischritts vom Geschichtserlebnis zum Gotteserlebnis, von der Theozentrik zur Christozentrik. Dieses Konzept entwickelt Althaus in der Sorge des missionarisch orientierten Predigers, dass ohne die schöpfungstheologischen „Grundlagen“, ohne „das Primitive und Elementare“ „das Wort Gottes in Christus nicht verstanden wird.“224 „Wir müssen die Menschen, denen wir von dem lebendigen Gottes zeugen wollen, aufsuchen in der Wirklichkeit, die sie hinnimmt“, zeigt sich Althaus überzeugt. „So kann unsere erste Aufgabe gegenüber den deutschen Volksgenossen, die von der Wirklichkeit des Vaterlandes, des Volkes, des Führers ergriffen sind als von einem unbedingten Anspruch und Sinn ihres Lebens225, nur diese sein: ihnen ihre Erfahrung zu deuten, zu bezeugen als eine Begegnung mit dem einen lebendigen Gotte und Herrn, von dem die Heilige Schrift redet.“226 222 Ebd., 13. 223 Zum Beispiel dadurch, dass er „eines Führers Fordern“ als „mehr als nur eines Menschen Stimme“ religiös auflädt (ebd., 12). Damit führt Althaus praktisch durch, was er theoretisch als Weg der Verkündigung weist: „Die Verkündigung der Kirche ruft unsere deutschen Männer von 1933 nicht einfach hinweg von dem politischen Erlebnis, sondern redet sie auf eben dieses an, hält sie bei ihm fest in der Gottesfrage, mit dem Gotteszeugnis.“ (ebd.). 224 Ebd., 14. 225 Er schreibt über diese Menschen: „Unzählige von ihnen haben nie durch die Kirche und in ihr solche Erfahrungen gemacht der Berufung gemacht wie in der nationalen Bewegung.“ (ebd.). 226 Ebd., 12; Hervorhebung von mir. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Aus dem Alten Testament, aus der Geschichte Gottes mit dem Volk Israel, meint Althaus seine Berechtigung dazu ableiten zu können: „Das Gotteszeugnis der Bibel bezieht sich auf bestimmte geschichtliche Erfahrungen. Es geschah nicht im leeren Raum, sondern in und an einer Volksgeschichte, als Deutung von erlebter Wirklichkeit.“227

Weil der alttestamentliche Gott des Volkes Israel aber der gleiche ist wie der Gott des deutschen Volkes und der aller anderen Völker228, darum können nach Althaus aus dem Alten Testament Lehren gezogen werden für eine konkrete und aktuelle Geschichtstheologie. So ruft er die Kirche dazu auf, sie müsse „über die Defensive hinsichtlich des Alten Testamentes hinaus zur Offensive über­ gehen, indem sie durch Vertiefung in die Geschichte Israels unserem Volke hilft, seine eigene Geschichte zu verstehen.“229 „Als Kundebuch der Geschichte Gottes mit einem Volke ist das Alte Testament für die Verkündigung an unser Volk in der Geschichtswende schlechthin unentbehrlich – unsere Predigt muß heute im rechten Sinne alttestamentlicher sein als sie zumeist war.“230

Wenn Althaus auch – nicht zuletzt im Blick auf die zeitgenössische antijudaistische und antisemitische Kritik am Alten Testament und am Judentum – gemäß seiner theologischen Erkenntnis der bleibenden Erwählung Israels231 dessen einzigartige Bedeutung unter den Völkern betont232, so hat die alttestament­ liche Überlieferung von Israel für ihn doch auch exemplarische Bedeutung: „Aber die Geschichte des Volkes Gottes hat doch zugleich eine Seite, nach der sie die Geschichte eines Volkes ist. Das Alte Testament ist uns doch auch gegeben zum Zeugnis dessen, daß Gott eine Geschichte eingeht nicht nur mit dem einzelnen Menschen, 227 Ebd. 228 So schreibt er in 3314 Volks-Geschichte, 20: „Unser Gott ist und bleibt ‚der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs‘ – ihr Gott ist unser Gott. Aber unser Gott ist auch der Gott unserer Väter, der Gott der deutschen Geschichte mit ihren Nöten und Wundern; der Gott, der sich unseren Vätern als lebendig erwiesen hat in dem Geschehen ihrer Tage. Er ist kein anderer als der Gott der B ­ ibel“. 229 Ebd., 15 f. 230 Ebd., 16. 231 Vgl. Kap. IV, 5.2.1. 232 So schreibt er in 3314 Volks-Geschichte, 16: „Israel und seine Geschichte ist freilich einmalig. Die Erwählung, Sendung und Verheißung Israels ist nicht ein Sonderfall dessen, was jedem Volke zuteil wird, sondern von heilsgeschichtlicher Besonderheit und Einsamkeit. Es geht nicht an, die großen Verheißungen an Israel einfach auf unser Volk oder auf ein anderes anzuwenden.“ „Die ­Geburt des Volkes Israel bleibt für uns wie für alle Völker eine denkwürdige Stunde, denn es ist das Volk der Propheten und Jesu Christi, das da geboren ward.“ (ebd., 20). „Sofern die Volks­ geschichte Israels zugleich Heilsgeschichte ist, in der Gott seinen Christus sendet, gehört sie in eine andere Dimension als jede Volksgeschichte.“ (ebd., 23). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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nicht nur mit seiner Kirche, sondern auch mit einem Volke. […] Es zeigt uns, was es heißt: Gott geht in eines Volkes Geschichte konkret ein, handelt mit ihm, ruft und begabt es, zieht es zur Verantwortung, richtet, zerschlägt völkische Anmaßung, begnadigt, richtet auf zu neuem Leben.“233

Mit seiner Art, die menschliche Wirklichkeit und damit das Leben der Menschen im Deutehorizont des christlichen Glaubens wahrzunehmen, will Althaus die Deutungshoheit der Kirche herausstreichen und damit zugleich der völkischen Religiosität den Boden entziehen. Sie hat für ihn zugleich eine apologetische Funktion: „Die Substanz des geschichtlichen Erlebens muß in das Licht des biblischen Gotteszeugnisses gerückt werden. Sonst verfällt sie heidnischer Deutung. Volkstum, Staat, Führertum werden absolutiert und damit dömonisiert. Davor zu hüten ist die erste große Aufgabe der Verkündigung.“234

Dass es Althaus bei diesem Unternehmen um Mission geht, wird deutlich, wenn er ausgerechnet den größten christlichen Missionar Paulus zitiert. In dessen Fußstapfen will Althaus treten, wenn er schreibt: „Die Erfahrung an der Geschichte ihres Volkes ist für viele anonym, namenlos. Sie wissen nicht, was ihnen geschehen ist. ‚Was ihr unwissend verehrt, das verkündigen wir euch.‘“235 Nach diesem ersten Schritt muss nun zwingend der zweite folgen, damit die kirchliche Verkündigung auch tatsächlich christliche Verkündigung ist. Als zweite Aufgabe muss sie „von der ‚Ur-Offenbarung‘ […] Gottes […] weiterführen zu seiner Heilsoffenbarung in Jesus Christus. Nun muß sie reden von der Gefangenschaft alles menschlichen Lebens, der Einzelnen und der Völker, auch der Deutschen, auch bei dem herrlichsten nationalen Ethos: von der Gefangenschaft in Tod und Schuldigwerden gegen Gottes Gebot, von dem Fluch, der über Geschichte und Kultur in aller ihrer Herrlichkeit liegt, von den Todes- und dämonischen Mächten um uns und in uns […]; von dem Reiche Gottes, nach dem jedes Menschenherz und der ganze Kosmos in seiner Gefangenschaft sich sehnt […]; von Jesus Christus: wie in ihm das Reich verborgene Gegenwart ist für alle, die wach geworden sind über der tiefsten Not der Welt“236.

Auch die Verkündigung der Volksgeschichte im Deutehorizont des Glaubens muss laut Althaus weiterschreiten zur Verkündigung der Heilsgeschichte: 233 Ebd., 16; Hervorhebung von Althaus. 234 3313 Volks-Erlebnis, 13. 235 Ebd., 12.  Das Paulus-Zitat stammt aus der Missionspredigt in Athen, wie es Apg 17, 23 überliefert. Für Althaus „können Menschen, die nichts von Gott wußten, im Durchleben der Geschichte mit der lebendigen Wirklichkeit der Ordnungen vor Gott gestellt werden, auch ohne seinen Namen zu kennen“ (ebd., 11). 236 Ebd., 13. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Die Volksgeschichte ist Lebensgrund und Lebensinhalt für die vielen Einzelleben und ihre Geschichte mit Gott237. Diese aber enthüllt sich im Lichte der Bibel als Gottesferne und heimlicher Streit mit Gott. Auch mitten im nationalen ‚Heil‘ sind wir verlorene Menschen, dem Tode und Gerichte verfallen, gerettet nur durch die Berufung des Evangeliums. Allein die ‚Heilsgeschichte‘, zu der wir im Hören des Evangeliums unmittelbar werden, gibt unserem Leben Sinn und Heil.“238

Ein weiterer Aspekt spielt in Althaus’ volksmissionarischem Anknüpfungskonzept eine wichtige Rolle: der Zweischritt von der politischen zur eschatolo­ gischen Erwartung in der Verkündigung. Für ihn kann „irdisch-politische Erwartung Gleichnis und Vorschmack der endlichen Erlösung“ werden239. Die Berechtigung für diese Annahme meint Althaus wiederum dem Alten Testament entnehmen zu können: „Das Alte Testament gibt uns für die Verkündigung an unsere Zeit noch eine besondere Hilfe. Wir haben heute ein Auge dafür, wie die Erwartung des Reiches ursprünglich mit bestimmter politischer Naherwartung Israels ineinsliegt.“

So ist für Althaus – er bezieht sich dabei auf die neueste alttestamentliche Forschung240 – die Zukunftserwartung des Volkes Israel zunächst „diesseitig, national, konkret-geschichtlich“, und erst „in einer schmerzlichen Geschichte wird die nationale und Diesseitsgebundenheit durchbrochen“ und damit die Hoffnung „transzendent“241. Der entscheidende Punkt für Althaus’ Anknüpfungskonzept ist nun aber, „daß Israel das Hoffen auf Gottes Tag lernt in der Gestalt einer irdisch-nationalen Naherwartung. Es muß über diese Erwartung hinaus, um zur rechten Erwartung des Reiches zu gelangen; es muß aber auch von jener Erwartung herkommen, an ihr das ABC des Hoffens auf Gerechtigkeit, Leben, Heil gelernt haben, um recht auf das Reich hoffen zu können.“242

237 Althaus relativiert in 3314 Volks-Geschichte, 23 die Bedeutung der „Volksgeschichte“ durch den Hinweis auf das „personhafte Herz der Geschichte“: „Die Geschichte der Einzelnen unmittelbar zu Gott ist das Herz aller Geschichte, weil hier, nur hier Gottes Herz sich ganz auftut zur Zwiesprache der Liebe zwischen Vater und Kind.“ 238 Ebd. Einmal mehr zitiert Althaus an dieser Stelle den ehemaligen Reichskanzler Bismarck als Gewährsmann für diese Erkenntnis. 239 3315 Drittes Reich, 24. 240 So gibt Althaus hier den Alttestamentler Friedrich Baumgärtel mit seinem Buch „Die Eigenart der alttestamentlichen Frömmigkeit“ von 1932 wieder. 241 3315 Drittes Reich, 24. Er schreibt weiter: „Schon durch die Propheten und vollends durch Jesus wird die Hoffnung des Reiches Gottes aus den Grenzen jüdischen Nationalismus entschränkt: allen Völkern bereitet Gott das Freudenmahl.“ 242 Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Althaus setzt dabei den „historischen“ Sinn der alttestamentlichen Verheißungen in Beziehung zu ihrem „geistlichen“ Sinn und folgert daraus: „Durch Gottes Geist ist die Hoffnung über den historischen Sinn jener Worte zwar hinausgewachsen, aber sie ist zugleich an ihm gewachsen. Das heißt: die Hoffnung des Reiches kommt zu sich selbst im Durchleben bestimmter Geschichte“243.

In diesem Sinne nun kann Althaus die gegenwärtigen politischen Hoffnungen der Deutschen und ihr – von Althaus ihnen unterstelltes – religiöses Sehnen in Beziehung setzen, kann er „Drittes Reich“ und Reich Gottes positiv aufeinander beziehen, wenn er zur „Anwendung unserer am Alten Testament gewonnenen Erkenntnisse auf die gegenwärtige Lage“ kommt: „Nichts bewegt das deutsche Volk heute so tief wie die Erwartung und anbrechende Erfahrung des ‚dritten Reiches‘. Können wir davon absehen, wenn wir unseren Volksgenossen das Evangelium verkündigen?“244 Althaus sieht nicht davon ab, sondern formuliert, indem er sich ausdrücklich von Barth absetzt, sein Verkündigungs­ konzept einer überbietenden Anknüpfung: „Das erste Wort vom Reiche kann nicht sein, daß es das ‚ganz andere‘ ist gegenüber aller irdischen Lebendigkeit, Wiedergeburt, Ordnung. Das erste Wort muß sein: das Reich ist Vollendung der Schöpfung, also Erfüllung und Genesung dieses Lebens, Antwort auf unsere Fragen, Erlösung aus unseren, auch den ‚leiblichen‘ und ‚politischen‘ Nöten. Jede geschichtliche Befreiung und Genesung ist darum Vorzeichen des Reiches, Hinweis auf es. Das erste Wort der Verkündung heute muß sein: mitten in unserer Geschichte erleben wir immer wieder etwas, wie von dem letzten Gerichte, so auch von dem Kommen des Reiches im irdischen Gleichnis und Bruchstück. […] Das Alte Testament mit seinem Ineinander von konkreter politischer Hoffnung und eschatologischer Erwartung gibt uns das Recht dazu!“ Nun erst kommt für Althaus „das zweite Wort der Verkündigung“, nach dem Ja kommt das Aber. Denn „irdische Wiedergeburt ist zwar Gleichnis, aber auch nur Gleichnis der kommenden Dinge. Nun gilt es zu verkündigen: eure Hoffnung greift mit ihrer Tiefe weit über alles hinaus, was sich erfüllt in unserer Geschichte. […] Auch diese hohen Stunden bleiben gebannt in die Grenzen unserer Menschlichkeit, von unserer menschlichen Bosheit befleckt […]. Solche Stunden in unmittelbare Beziehung zu dem Anbruch des Reiches setzen ist Wirklichkeits-vergessenes, widerchristliches Schwärmertum.“245

243 Ebd., 25; Hervorhebung von Althaus. Und zwar „nicht nur so, daß die Erwartung in ihrer unbedingten Art geschichtlicher Enttäuschung erlebt und so lernt, über die Geschichte hinaus zu blicken; sondern auch so, daß in geschichtlicher Erfüllung ein Gleichnis, Bruchstück, Vorschmack der endlichen Erlösung erfahren wird“ (ebd.; Hervorhebung von Althaus). Als alttestamentliches Beispiel nennt Althaus Ps 126. 244 Ebd., 26. 245 Ebd., 30 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Auf diese Weise trägt Althaus in seinem Bemühen, einen Anknüpfungspunkt für seine Evangeliumsverkündigung zu suchen, dazu bei, das „Dritte Reich“ religiös aufzuladen als irdisches, fehlerhaftes Gleichnis des transzendenten Gottesreichs. „Die Bitte um politische Freiheit“, so spielt Althaus auf die erhoffte Überwindung der „Ketten von Versailles“ im „Dritten Reich“ an, „hat, vielleicht ihrer selbst unbewußt, einen Tiefgang, der erst im Reiche Gottes ganz zur Erfüllung kommt. Jede noch so irdisch-diesseitig-politisch gemeinte Bitte ‚meint‘ zuletzt das Reich Gottes. So führt das Miteinander von Erfüllung und Enttäuschung den Blick auf das kommende Reich Gottes.“246

Möglich war diese religiöse Überhöhung des politischen Wollens der Nationalsozialisten, weil Althaus sich von ihrem religiösen, pseudochristlichen Gebaren überzeugen ließ und offensichtlich dem angeblich frommen Reichskanzler Hitler Glauben schenkte. Dass sein missionarisches Anknüpfungskonzept allgemein und gerade in der aktuellen Lage nicht ganz unproblematisch ist, und dabei Gefahren in der Verkündigung drohen, ist sich Althaus durchaus bewusst. So beendet er seinen programmatischen Aufsatz mit dem Warnhinweis vor einer unevange­lischen Verkürzung der Verkündigung. Mit Blick auf die Deutschen Christen schreibt er: „Man hat jüngst gesagt: heute gelte es nicht, das volle Evangelium zu verkündigen, sondern erst einmal wieder die Voraussetzungen zu schaffen durch das Ein­ gehen der Kirche auf die große völkische Erfahrung und das völkische Ethos, später komme dann wieder die Zeit für das volle Evangelium. – So kann und darf die Kirche nicht handeln: sie schuldet jedem Geschlechte des Beste, was sie hat, die ganze Wahrheit.“247

Zu dieser „ganzen Wahrheit“ gehört für ihn zwingend dazu, in der Verkündigung nicht bei der Ur-Offenbarung stehenzubleiben, sondern die Menschen mitzunehmen zur Heilsoffenbarung in Jesus Christus: „Dabei droht ständig die Gefahr, daß die Menschen, denen wir die Elemente verkündigen, bei ihnen stehen bleiben. Man kann sich mit einem allgemeinen Ge 246 Ebd., 26. Er schreibt weiter: „‚Deutschland erwache!‘ – dieser Ruf und der in ihm mächtige Wille zielte auf mehr als auf Dinge des ‚Weltreiches‘ im Sinne Luthers […]; nämlich auf umfassendes und durchdringendes Neuwerden, auf neuen Gehorsam gegen den Auftrag unseres Volkes, auf neue Bruderschaft als Gesinnung und Gestalt unseres Volkslebens. Wiederum: ‚Dein Reich komme!‘ – dieses Gebet zielt nicht auf eine Welt der Innerlichkeit und des Jenseits, sondern auf diese unsere Welt, auf einen neuen Tag dieses Menschen, dieser Völker, dieses Kosmos; […] nicht auf Vernichtung, sondern auf Wiedergeburt, Auferstehung dieses Menschen, dieser Welt, dieser Menschheit“ (ebd., 28; Hervorhebung von Althaus). 247 3313 Volks-Erlebnis, 14. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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schichts-Theismus und einem tapferen völkischen Ethos einrichten und begnügen. Die Religion des Vorhofs kann Hemmung und Feind des Evangeliums werden. Das Weiterführen aus dem Vorhof ins Heilige und Allerheiligste wird immer auch ernster und schwerer Kampf sein. Denn dem natürlichen Menschen, auch dem deutschen völkischen Menschen ist das Evangelium, das Wort vom Kreuze und der Rechtfertigung, nicht artgemäß, sondern fremd und entgegen. Das werde in der deutschen Stunde der Kirche ja nicht vergessen!“248

7.7 Zusammenfassung War Althaus’ Theologie  – wie Liebenberg gezeigt hat  – während des Ersten Weltkriegs in erster Linie eine Erfahrungstheologie, die immer wieder an die von ihm und von so Vielen gemachten positiven Erfahrungen des „August­ erlebnisses 1914“ mit seinen sittlichen Implikationen der Selbstvergessenheit, Opferbereitschaft, Vaterlandsliebe, Volksgemeinschaft etc. anzuknüpfen versuchte, entwickelte sie sich unter dem Eindruck der Krisenmentalität infolge von Niederlage und Versailles in der Zeit der Weimarer Republik mehr und mehr zu einer Ordnungstheologie249. Auf eine Welt, die er als Chaos und Unordnung erlebt und in der es für ihn kaum nennenswerte positive Erfahrungen gibt, an die die Verkündigung anknüpfen könnte, reagiert Althaus mit einer Ordnungstheologie, die die Wirklichkeit im Deutehorizont des Glaubens wahrnehmen und damit die Welt trotz allem als gute Schöpfung Gottes begreifen lassen will. In Zeiten von Unsicherheit und Krise erinnert er daran, wie sich Gott den Menschen in den Ordnungen als creatio continua liebend zuwendet. Erst unter dem Eindruck der Erlebnisse des Jahres 1933 kommt bei Althaus beides zusammen: Erfahrungs- und Ordnungstheologie. Denn nun meint er, wieder anknüpfen zu können an positive Erfahrungen wie knapp 20 Jahre zuvor im „August 1914“. Die umfassende und existentielle Krise Deutschlands seit Beginn der 30er Jahre spiegelt sich auch in Althaus’ politischer Haltung und in seiner Theo­logie wider. In dieser politisch und national so aufgeladenen Zeit entwickelt der Apologetiker Althaus seinerseits eine politisch und national aufgeladene Theologie – weil er den Anschluss an den Geist der Zeit nicht verlieren will und weil er von diesem Zeitgeist selbst erfüllt ist. Auf den Punkt zu bringen ist dieser nationale Zeitgeist mit den beiden großen V: für Volksgemeinschaft, gegen Ver 248 Ebd., 15. 249 Vgl. Tilgner, Volksnomostheologie, 183: „Nach dem ersten Weltkrieg tritt dann das subjektive Moment in seiner Theologie zugunsten völkischer Ordnungsvorstellungen zurück.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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sailles – in beidem sah man die Weimarer Republik als hinderliches und daher zu überwindendes, „undeutsches“ Staatsgebilde. Auf Althaus bezogen lautet das Anliegen dann: für eine auf den ethisch Grundlagen des Christentums beruhende, sich am angeblichen „Geist des August 1914“ ein Vorbild nehmende, gelebte Solidarität und Nächstenliebe ermöglichende Volksgemeinschaft; gegen das der christlichen Wahrheitsliebe widersprechende, die Völkerverständigung schwer behindernde und die gegenwärtige existentielle Not des deutschen Volkes hervorrufende Versailler System. Auch er sieht die Weimarer Republik als hinderlich bei der Lösung dieser deutschen Probleme. Getrieben ist er dabei, wie stets, von seinem volksmissionarischen Anliegen einer Rechristianisierung Deutschlands. Der nötige nationale Wiederaufstieg nach der Katastrophe von 1918 ist für ihn nur vorstellbar als christliche Wiedergeburt Deutschlands. Seine anhand der Erfahrungen in der polnischen Diaspora während des Weltkrieges entwickelte Vision einer gegenseitigen Befruchtung von volkstumsbezogener Kirche und kirchenbezogenem Volk lebt von der Annahme eines missionarischen Anknüpfungspunktes, der die christliche Verkündigung positiv auf die nationale Begeisterung oder zumindest auf die als natürlich angenommene Vaterlandsliebe bezieht. In einer neu akzentuierten Volkstumstheologie meint Althaus, die angemessene Antwort auf die Herausforderungen an Theologie und Kirche sowohl durch die gegenwärtige deutsche Krise als auch durch die völkische Bewegung und dessen noch weiter erstarkenden Nationalismus gefunden zu haben. Seine Volkstumstheologie ist damit gleichsam eine Bedienungsanleitung an Kirche und Theologie für das missionarische Unternehmen, „dem von der Wirklichkeit seines Volkstums ergriffenen Menschen das Wort Gottes zu verkündigen.“250 Althaus’ Neuakzentuierung seiner Volkstumstheologie geschieht durch die Anfang der 30er Jahre von ihm vorgenommene enge Verknüpfung von Schöpfungsordnungstheologie und Uroffenbarungslehre. Die Ambivalenz der Althausschen Volkstumstheologie kommt dadurch insofern noch mehr zum Tragen, als er auf der einen Seite die Sakralisierung des Volkstums voran­treibt, auf der anderen Seite aber zugleich dessen Grenzen stärker aufzeigt – paradigmatisch mit der Aussage: „Nicht nur Volk und Volkstum ist eine Wirklichkeit, sondern – trotz allem – auch ‚Europa‘, der Westen, die Menschheit.“251 Die gegenüber seiner früheren Volkstumstheologie weiter zunehmende Nationalisierung der Theologie nimmt Althaus dabei bewusst in Kauf, um der in seinen Augen größeren Gefahr einer vom Christentum gelösten Theologisie 250 3208 Gott, 748. 251 Ebd., 725. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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rung und Sakralisierung von Politik und Ideologie zu begegnen. Denn diese betrachtet er als ernste Gefahr für Christentum und Kirche, aber auch für das deutsche Gemeinwesen. Die Leser seines Eschatologie-Lehrbuches warnt Althaus in diesem Zusammenhang im Sommer 1933 vor einem „weltlichen Messianismus von Marx und Lenin“ und vor der „erbitterte[n] Christusfeindschaft des kommunistischen Systems“ ebenso wie vor einem „sich selbst vergötzenden Nationalismus“ – womit nur der Nationalsozialismus gemeint sein kann –, der „Christus geradezu oder durch Umdeutung verdrängen will“252. Für ihn ist der „politische Messianismus“ der „Todfeind“ des Christentums253. Hier zeigt sich schon, dass Althaus das „politische Experiment“ (Karl Barth) des Nationalsozialismus von Beginn an durchaus kritisch einzuschätzen weiß. Dennoch überwiegt zumindest in der Anfangszeit deutlich sein Optimismus, seine auf eine Wende zum Positiven für das wirtschaftlich, sozial und außenpolitisch am Boden liegende Deutschland gerichtete Hoffnung in Bezug auf die neue politische Massenbewegung. Der Grund dafür liegt in Althaus’ ursprünglicher Einschätzung des Nationalsozialismus überhaupt. Seine frühe Wahrnehmung des Nationalsozialismus, den er überhaupt erst ab Mitte 1931 einer öffentlichen, kritischen Würdigung für wert befindet, ist geprägt von den Zeitumständen, denen dieser seinen rasanten politischen Aufstieg verdankt. Für ihn ist der Nationalsozialismus die parteipolitische Antwort der völkischen Bewegung auf die Krise Deutschlands seit Beginn der 30er Jahre. Die Weimarer Republik hat in seinen Augen endgültig abgewirtschaftet, sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch. Der Nationalsozialismus ist für ihn demgegenüber ein erfolgversprechender Weg zur Überwindung der ungeliebten demokratischen Staatsform und der existentiellen deutschen Krise überhaupt. Es kann kaum verwundern, dass Althaus’ frühe Haltung zum Nationalsozialismus aus dem Jahr 1931 gemäß seiner üblichen differenzierten Arbeitsweise und seiner Ja-aber-Dialektik eine ambivalente ist. So lautet seine politische Einschätzung des Nationalsozialismus zwei Jahre vor dessen „Machtergreifung“: Auf der einen Seite Ja zum Nationalsozialismus als Volkstumsbewegung, d. h. als Bewegung der Neubesinnung auf die sittlichen Kräfte des Volkstums zur Überwindung der sozialen Not Deutschlands. Ja zum Nationalsozialismus als Freiheitsbewegung, d. h. als entschiedene Anti-Versailles-Bewegung zur Überwindung der von ihm gesehenen nationalen Not Deutschlands. In Althaus’ Augen verspricht der Nationalsozialismus als Volkstums- und Freiheitsbewegung die aktuell so drängende soziale Frage gemeinsam mit der „völkischen Frage“ zu lösen. Daher ruhen seine Hoffnungen auf ihm. Auf der anderen Seite 252 3307 Dinge, 274. 253 3315 Drittes Reich, 29. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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hingegen Nein zum Nationalsozialismus als politischer Religion, als politischer Messianismus, der damit den Anspruch der Kirche auf Verkündigung der heilbringenden Botschaft gefährdet. Nein zum Nationalsozialismus als Rassenideologie, insbesondere nein zu dessen Rassenantisemitismus254, weil dieser seiner konsequenten Schöpfungsordnungstheologie und damit seinem christlichen Menschenbild widerspricht. Auch wenn Althaus seine Zurückweisung der rassenideologischen Parteiideologie der NSDAP aus der Zeit vor ihrer „Machtergreifung“ hernach zu keinem Zeitpunkt zurücknimmt oder relativiert, so tritt seine Differenziertheit unter dem Eindruck der Ereignisse 1933 zurück. So fällt auf, dass sich Althaus in diesem Jahr – so ist es der Hauptquelle zur frühen Althausschen Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus, dem Sammelband „Die deutsche Stunde der Kirche“ zu entnehmen – nahezu ausschließlich für den Nationalsozialismus als Bewegung, nicht aber als Ideologie interessiert. Die Frage nach der NS-Weltanschauung bleibt weitgehend außen vor255. Auch gegenüber Althaus ist Hitler mit seinem Vertrauensfeldzug erfolgreich; auch der Erlanger Theologe verfällt der Illusion über den NS-Führer, er und seine Bewegung seien verlässliche Partner der Kirchen bei deren Anliegen einer Rechristianisierung Deutschlands. Nur so ist es Althaus möglich, den Regierungswechsel 1933 und die damit verbundene Abwicklung der Weimarer Republik, die in konservativen Kirchenkreisen als eines der Haupthindernisse für volksmissionarische Interessen identifiziert wurde, als missionarische Gelegenheit zu begreifen und von einer „deutschen Stunde der Kirche“ zu sprechen. Auch für Althaus stehen Hitler und Nationalsozialismus für einen völligen staatlichen und gesellschaftlichen Neuanfang unter christlichen Vorzeichen. Dabei entspricht es Althaus’ abwartender und abwägender Haltung, dass er zum Zeitpunkt des Amtsantritts Hitlers als Reichskanzler öffentlich keine Silbe der Euphorie oder überhaupt einer positiven Würdigung verliert. Erst Wochen nach dem 30. Januar 1933 zeigt sich Althaus in zwei Predigten im März und im April kritisch-optimistisch gegenüber der neuen Regierung. Erst im Herbst 1933 sieht sich Althaus herausgefordert, als Theologe zum Verhältnis von Kirche und NS-Bewegung Stellung zu nehmen. Als Apologe­ tiker kann und will er nicht zum „nationalen Erleben“ breiter Massen der Bevölkerung schweigen. Seine Reaktion darauf ist eine Reformulierung seiner be 254 Althaus lehnt „die naturalistische Rasseideologie in der ‚Weltanschauung‘ dieser Partei“ ebenso ab (3108 Bazillus, 63; vgl. 3208 Gott, 723), wie eine „staatliche Ausnahmegesetzgebung gegen das Judentum“ (3103 Kirche, 176). 255 In ideologischen Fragen wird Althaus mit seiner christlichen Haltung bei den neuen Machthabern 1933 schnell anecken, wie sich in der Frage nach dem Umgang mit angeblich „unwertem Leben“ zeigen sollte; vgl. 3305 Leben. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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reits im Weltkrieg entwickelten volksmissionarischen Anknüpfungskonzeption, wie sie im Sammelband „Die deutsche Stunde der Kirche“ zur Sprache kommt. Seine offenbarungs- und geschichtstheologischen Antworten versteht Althaus in diesen politisch und national so aufgeladenen Zeiten einmal mehr als theo­ logischen Mittelweg zwischen zwei Extrempositionen: derjenigen seines Antipoden Barth, dem er eine Verkürzung der evangelischen Theologie und damit die indirekte Stärkung antichristlicher Positionen unterstellt, und derjenigen eines völkischen Christentums, dem er die Transformation des christlichen Glaubens hin zu einem „SA-Christentum“ vorwirft. So weiß Roland Kurz Althaus’ „Problembewußtsein“ an diesem Punkt zu würdigen: „Wesentlich deutlicher als Stapel und Dibelius erkannte er die Gefahr, die von einem sich verabsolutierten religiösen Nationalismus ausgeht und warnte vor der p ­ olitischen Utopie einer unchristlichen nichtsäkularen Heilsgeschichte. Damit verbunden erkannte er auch, daß eine radikale Gegenposition zum religiösen Nationalismus diesen nicht schwächt, sondern stärkt.“256

Mit seiner Lehre von der Ur-Offenbarung argumentiert Althaus gegen die theologischen Kurzschlüsse deutsch-christlicher Glaubensauffassung. Gegen die Annahme eines Offenbarungscharakters des „Volkserlebnisses“ setzt er die Einzigartigkeit der Christusoffenbarung. Gegen eine Vermischung von nationaler Geschichte und Heilsgeschichte setzt er seine Überzeugung, dass deutsche Geschichte zwar die Geschichte eines Volkes mit Gott sei, niemals aber Heilsgeschichte. Gegen die Annahme, mit dem „Dritten Reich“ breche das Reich Gottes an, setzt Althaus den eschatologischen Vorbehalt, allerdings nicht ohne die volksmissionarische Möglichkeit einer überbietenden Anknüpfung ins Gespräch zu bringen. Von hier aus ist bereits klar, warum Althaus in späteren Jahren nicht von den Deutschen Christen theologisch missbraucht und als Gewährsmann für ihre Theologie benutzt werden will. Dass er ihnen eine solche Vereinnahmung mit seiner eigenen Art, in den Jahren des „Dritten Reiches“ Theologie zu treiben, allerdings zuweilen nicht gerade schwer macht, zeigt die Rezeption des „­Ansbacher Ratschlages“ im Juni 1934 durch die Deutschen Christen, die Althaus seinerseits zu einer deutlichen Grenzziehung herausfordert257.

256 Kurz, Denken, 498. Althaus’ Geschichtstheologie wird von Kurz in ihrer Intention gewürdigt, „eine Alternative zu der seit dem Auftreten der völkischen Bewegung erstarkenden nationalistisch-achristlichen Geschichtstheologie anzubieten“ (ebd., 481). In diesem Sinne stellt auch ­Peters, Erklärung, 334 die Frage, ob der Althaussche Ansatz „einfach als eine kompromißlerische Theologie des Ja-aber beiseitezuschieben“ sei. 257 Vgl. 3410 Bedenken. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Damit aber kommt Althaus nicht umhin – und es entspricht seinem eigenen nationalen Wunschdenken –, die „deutsche Wende“ von 1933 geschichtstheologisch aufzuladen und religiös zu verbrämen. So erscheint in seinen Ausführungen die in seinen Augen politisch nötige Überwindung der Weimarer Republik theologisch gleichsam als göttliches Gericht, während er „die Wende dieses Jahres als Gnade aus Gottes Händen“ und Hitler als „menschliches Werkzeug“ dieser Gnade verstanden wissen will258. Solche theologischen Einschätzungen der politischen Vorgänge 1933 in Deutschland sind geeignet, gegenüber dem Nationalsozialismus Hemmungen abzubauen und die Zustimmung zu erleichtern. Seiner so oft eingenommenen Ja-aber-Haltung bleibt Althaus jedenfalls auch dem Nationalsozialismus gegenüber treu, den er als Volkstums- und Freiheitsbewegung begrüßt, als rassistische Parteiideologie jedoch ablehnt und den er mit seiner Geschichtstheologie religiös auflädt, offenbarungstheologisch jedoch im Säkularen belässt. Diesen Tenor vertritt auch eine Rezension zu „Die deutsche Stunde der ­Kirche“ im Korrespondenzblatt vom Februar 1934. Der Rezensent sieht in Althaus’ Haltung zum Nationalsozialismus „für den freudigen Bejaher des Dritten Reiches eine Erleichterung der Predigt“, fügt aber sogleich hinzu: „Mögen aber alle, die die Gedanken Althaus’ aufgreifen, die Sauberkeit des Denkens bewahren, mit der er die Grenze des Menschengeistes gegenüber dem Hl. Geist bei alledem festhält!“ „Mit den Vertretern der bekenntnistreuen Theologie wahrt Althaus unbedingt die Eigenart und Jenseitigkeit der Offenbarung.“259

Dies ist auch der Grund, warum Althaus’ „Deutsche Stunde der Kirche“ hilfreich auch für die Verkündigung der bewusst im bekenntniskirchlichen Bereich theologisch sozialisierten Prediger werden konnte. So schreibt Eberhard Bethge am 5. Januar 1934 an seinen Vikarskollegen vom Finkenwalder Predigerseminar, Gerhard Vibrans, über seine Weihnachtspredigten 1933: „Problem: Weihnachten im Jahr 1933? Gottestat in Christus hinein in die Geschichtstat Gottes an unserem Volk? Nötig? Nur Verschönerung oder wie? Lösung kurz: ‚Die ewige Gnade hineingegeben in die zeitliche Gnade‘. Gedanken beeinflußt von Althaus ‚Die deutsche Stunde der Kirche‘.“260

Althaus’ Verhältnis zum Nationalsozialismus ist differenziert und ambivalent. Einen aktiven Beitrag zu dessen Machtübernahme leistet er nicht. Dafür sind sowohl seine Wortbeiträge bis zum Frühjahr 1933 zu distanziert und zu kri 258 3314 Volks-Geschichte, 19 f. 259 Korrespondenzblatt 59 (1934), Nr. 7 (12.2.1934), 71 f. 260 Zit. nach Bonhoeffer, So, 70. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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tisch, als auch sein Verhalten: Von Beginn an argumentiert er gegen die Deutschen Christen, und als der Einfluss nationalsozialistisch orientierter Theologen in der christlich-deutschen Bewegung zu groß wird, tritt er aus; Mitglied der NSDAP wird er gar nicht erst. Einen passiven Beitrag zur „Machtergreifung“ Hitlers hat Althaus aber dennoch geleistet, indem er geholfen hat, die Weimarer Republik geistig sturmreif zu schießen und damit den Systemwechsel mental vorzubereiten. Von nationalsozialistischer Seite selbst wird ein Beitrag Althaus’ zur „nationalsozialistischen Revolution“ vollkommen negiert. Die Deutschen Christen und überzeugten Nationalsozialisten Julius Leutheuser und Erich Fascher werfen Althaus 1935 unverblümt vor, keinerlei Beitrag zur Überwindung der verhassten Weimarer Republik geleistet zu haben: „Sie haben in der Zeit, da wir als Nationalsozialisten aktiv auf der Straße und in den Sälen den Entscheidungskampf um Deutschland kämpften, Rundfunkpredigten gehalten, in denen sie ihrer persönlichen Resignation auf dem politischen Gebiet etwa in den Worten Ausdruck gaben: ‚Einmal werden sich die Massen enttäuscht von der Politik zurückziehen und dann wird diesen Menschen die Kirche den Trost der anderen Welt spenden.‘ Dies geschah in einer Zeit, da es darum ging, ob Deutschland in eine Hölle gestürzt würde und im Bolschewismus unterging, oder ob Deutschland durch den Nationalsozialismus gerettet würde. Während wir den Kampf und Haß auf uns nahmen um des Glaubens an Deutschlands Wiederauferstehung willen, waren Sie wohl national, aber nicht nationalsozialistisch. […] Wir mußten als Christen Aktivisten im Kampf um die Rettung der Welt werden. Sie blieben der ­ernste, passive Zuschauer aus theologischen Bedenken. Hätte es in Deutschland damals nicht so viele Menschen gegeben, die immer nur ein bedingtes Ja zu Adolf Hitler gehabt haben und praktisch beim ‚Aber‘ geblieben sind, so wäre mancher braune und graue Kamerad noch unter den Lebenden. Dieses selbe ‚Aber‘ können Sie ja nun wohl dem nationalsozialistischen Staate gegenüber nicht mehr sagen. Das würde sich schlecht ausnehmen, wenn man nach Vereidigung auf den Führer im Dritten Reich Professor ist.“261 Und weiter schreiben sie: „Hätte nicht Paul Althaus mindestens seit 1933 in unseren Reihen marschieren müssen mit dem Rufe: Was ich 1919 schon dachte, wird heute Wirklichkeit? Aber er hat stattdessen die Stellung eines Beobachters bezogen.“262

Bereits 1933 deutet sich an, dass Althaus in den kommenden Jahren mit seinem versuchten Kurs eines theologischen und kirchenpolitischen Mittelweges zwischen Bekennender Kirche und Deutschen Christen oftmals zwischen den Stühlen sitzen sollte. Althaus’ inneren Kampf, dieses Hin- und Hergerissensein 261 Leutheuser/Fascher, Mißverständnis, 7 f. 262 Ebd., 28. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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zwischen Zeugnis und Zeitgeist, bringt Schriftleiter Wilhelm Kolfhaus in einer Rezension zu „Die deutsche Stunde der Kirche“ in der „Reformierten Kirchenzeitung“ vom Dezember 1933 auf den Punkt, wo es heißt: Althaus „kennt die Gefahr in der jeder umkommt, wenn er ohne weiteres Volkesstimme, die Stimme des natürlichen Lebens der Stimme Gottes gleichsetzt. Er haßt eine Religion, die nur religiös verbrämter Nationalismus ist, und bemüht sich aufs ­äußerste, den strengen Begriff der Offenbarung festzuhalten, ohne die natürlichen, von Gott gesetzten Bindungen zu vernachlässigen. Es ist dabei in hohem Maß anregend, Althaus, den Theologen, zu beobachten im Kampf mit Althaus, dem geschichtsphilosophischen Deuter der Politik. Die Niederlagen, die der Theologe dabei erleidet, haben ihren Grund nicht in der Überlegenheit des säkularen Geschichts­ deuters, sondern in der Zaghaftigkeit des Theologen, so oft er den ihm eigentüm­ lichen Voraussetzungen untreu wird.“263

7.8 Ausblick Nationalkonservativen Christen wie Althaus blieb nach Weiling bis weit in die Zeit des „Dritten Reichs“ „die Einsicht verschlossen, daß das von ihnen verteidigte Äquilibrium von Kirche und Volkstum jedenfalls nach 1933 nicht mehr möglich war. Darum gerieten diejenigen, die es dennoch versuchten, im Kirchen- und Weltanschauungskampf zwischen die Fronten.“264

Die mit der christlich sich gebenden NS-Bewegung verknüpfte Hoffnung auf eine Rechristianisierung Deutschlands und das damit verbundene erwartungsfrohe Zugehen auf den vermeintlichen Verbündeten im Kampf für die scheinbar gleiche, christliche Sache musste nahezu zwangsläufig enttäuscht werden. „Die Weigerung, den Verlust von gesellschaftlichen Funktionen und Positionen, den Religion und Kirchen in der neuzeitlichen Säkularisierung erfahren, hinzunehmen und stattdessen nach ‚Wahlverwandten‘ Ausschau zu halten und sich ihnen zur Kooperation anzubieten, kam durch den Gang des Dritten Reiches an ein tragisches Ende. Dem seit 1935 zunehmend schonungsloseren Willen von NS-Partei und Staat, Christentum und Kirche in eine noch ganz andere gesellschaftliche Randposition zu drängen, als sie von maßgeblichen kirchlichen Kreisen in der Weimarer Republik be 263 Reformierte Kirchenzeitung 83 (1933), Dezember 1933, 385. 264 Weiling, Bewegung, 326. Weiling weist darauf hin, dass diese Position sowohl bei den Deutschen Christen, als auch innerhalb der Bekennenden Kirche zu finden war. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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klagt worden war, sie dort ‚auszutrocknen‘ und ‚unschädlich‘ zu machen (Rosenberg), standen dann diejenigen am betroffensten gegenüber, die 1933 am lautesten den religiösen Neuanfang in einer materialistisch versandeten Kultur gepriesen hatten.“265

So lassen sich auch an Althaus die verschiedenen Phasen der Haltung protestantischer Theologen zum Nationalsozialismus festmachen, die Rolf Schieder ausmacht: „Da sind zunächst die frühen dreißiger Jahre mit ihrer geradezu apokalyptischen Sensibilität für die politischen und sozialen Krisen, dann folgt die kurze Phase des ­Enthusiasmus für den neuen starken Staat, die in verständnislose Enttäuschung und krampfhafte Apologieversuche mündet, bis schließlich die Privatisierung des Glaubens als einzige Möglichkeit der Verkündigung übrig bleibt.“266

Als der Nationalsozialismus nach der umfassenden Konsolidierung seiner Macht spätestens ab Mitte der 30er Jahre gegenüber den vormals so umworbenen Kirchen sein wahres Gesicht zeigt, nimmt protestantische Verkündigung und Lehre mehr und mehr apologetische Züge an. „Der Enthusiasmus der frühen dreißiger Jahre ist verklungen. Die Protestanten fühlten sich – wie zu Zeiten der Weimarer Republik – wieder als Fremdlinge im Stammland der Reformation. Dabei hatten sie so gehofft, daß mit der nationalsozialistischen Revolution auch der Protestantismus aus seiner Weimarer Fremdlingschaft erlöst werden würde.“267

Auch Althaus verfällt gegenüber dem übermächtigen NS-Regimes vollkommen seiner apologetischen Linie, als er erkennt, dass mit dem Nationalsozialismus kein christlicher Staat zu machen ist. So heißt es in seiner Predigt mit dem Titel „Liebe untereinander“ über Joh 13,34 f. am 29. März 1936 beinahe beschwörend in Richtung der nationalsozialistischen Kirchenfeinde: „Seht, deshalb bedarf unser Volk einer Kirche, einer echten Gemeinde Christi: damit es Volk vor Gott sei, das ihm dankt, ihn bittet, ihn fürchtet, ihm vertraut. Wir Glieder der christlichen Gemeinde wollen nichts anderes sein, nichts Besseres als alle unsere deutschen Volksgenossen.“268

In seiner Verteidigung gegen die für ihn nicht nachvollziehbaren Angriffe auf Christentum und Kirche versteigt er sich gar dazu, die politische Zuverlässigkeit besonders der Christen zu betonen: 265 Nowak, Säkularismus-Debatte, 50. 266 Schieder, Religion, 172 f. 267 Ebd., 255. 268 3602P Liebe, 294. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Kirche, Volk und Staat

„Der große Gedanke des nationalen Sozialismus wartet auf Menschen unerhörter Kraft des Dienstes und des Opfers. In China geht eine Rede: die Christen sind die besten Konfuzianer, d. h. die, welche mit den hohen Gedanken des Konfuzius im Leben ganzen Ernst machen. Daß es von uns Christen in Deutschland doch hieße: sie sind die besten Nationalsozialisten! Bei ihnen ist die Liebe zum Volksbruder Tat und Wahrheit“269.

Hilfloser und verzweifelter konnte man kaum noch argumentieren. Doch auch 1938 konnte oder wollte Althaus noch immer nicht den prinzipiell christentumsfeindlichen Charakter des Nationalsozialismus erkennen. Als eine Verteidigungsschrift des lutherischen Protestantismus gegen die von nationalsozialistischer Seite lancierten Vorwürfe des Verrats an Volk und Staat ver­ öffentlichte Althaus im Januar 1938 in der Zeitschrift des evangelischen Männerwerks „Mann und Kirche“ den Aufsatz „Unsere Wünsche für Kirche und Volk im neuen Jahr“, der über den Evangelischen Pressedienst in zahllosen kirchlichen Blättern im gesamten Reichsgebiet Verbreitung fand. „Es muß aufhören“, so der erbitterte Erlanger Theologe, „daß man jemandem die Ehre der vollen Deutschheit weigert, nur weil er zu dem Glauben seiner Väter hält. Wohin wären wir gekommen, wenn in Deutschland, in dem Deutschland Luthers, des Freiherrn vom Stein, Bismarcks, christliche und kirchliche Haltung als nationalunzuverlässig behandelt werden dürfte? Erst wenn damit gründlich ein Ende gemacht wird, ist die als Grundsatz unseres Staates verkündete religiöse Freiheit voll gesichert.“

Der Appell an die „religiöse Freiheit“ als von Hitler bis zur Festigung seiner Macht vorgetäuschten Grundsatz des NS-Staates kann auch in diesem Fall nur als hilfloser Verteidigungsversuch gesehen werden. Durch die Wucht des antichristlichen Angriffs sah sich Althaus außerdem zu weitgehenden Bekenntnissen gegenüber dem NS-Staat herausgefordert: „Wir sind bereit zu jedem Dienst und Einsatz, zu dem unser Volk durch den Führer uns ruft. Aber wir können freilich zu unserem Volke stehen und uns einsetzen nur als die, die wir sind, als Jünger Jesu Christi, als Christgläubige. […] Der Führer Deutschlands wird gerade in dem bewußt evangelischen Volk stets eine treue und in guten und bösen Tagen verlässige Gefolgschaft finden.“

Zuletzt ist Althaus naiv genug, noch an eine faire Auseinandersetzung zu ­glauben: „Zum ritterlichen Kampfe um die großen, unser Volk bewegenden Glaubensfragen gehört die Gleichheit der Bedingungen. Ihr fragt und verklagt das Christentum in der 269 Ebd., 300. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Paul Althaus und der Nationalsozialismus bis 1933

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Oeffentlichkeit – es steht uns zu, in der gleichen Oeffentlichkeit zu antworten. Das ist altes Gesetz der Ritterlichkeit!“270

Wie wenig das NS-Regime von diesem Gesetz hielt, sollte sich schnell herausstellen, als die Gestapo einem unter Vorzensur stehenden Kirchenblatt bei Abdruck des Althaus-Artikels die Beschlagnahmung androhte271. Als auch bei Althaus die Desillusionierung und Entmythologisierung über den Nationalsozialismus allmählich einsetzte, stand ihm wie so vielen anderen ein schwieriger Lernprozess bevor.

270 3802 Wünsche, 3; Hervorhebung von Althaus. 271 Vgl. das Schreiben des Evangelischen Pressedienstes an Althaus vom 14.2.1938 (NPA 13/4). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Kapitel V: Resümee Es waren prophetische Worte, die Althaus an die Zuhörer seines Festvortrags anlässlich des 400. Jubiläums der Confessio Augustana im Juni 1930 in Augsburg richtete: „Es kommt darauf an, daß die Stimme der bekennenden und entscheidenden Kirche sich wieder hören lasse in klaren Aussagen, in eindeutigen Absagen.“ „Vielleicht daß gar bald Tage kommen, da neuer Ernst des Bekennens von der Kirche Christi ge­ fordert wird. Gott allein weiß es. Wir wollen ihn anrufen aus aller unserer Ratlosigkeit und Armut an Geist und Kraft, daß er uns für solche Stunde bereit mache, daß er uns rüste mit seinem heiligen Geiste, ohne den es kein echtes Bekenntnis im Christenleben, keine gesunde Theologie gibt. Veni creator spiritus!“1

Als eine „solche Stunde“ bereits drei Jahre später kam, gehörte Althaus nicht zu denjenigen, die „der Kirche Christi“ mit „klaren Aussagen, in eindeutigen Ab­sagen“ dienten. Vielmehr bewegte er sich mit seinem differenzierten und ambivalenten Reden und Handeln im Spannungsfeld zwischen Zeugnis und Zeitgeist. So wusste er sich auf der einen Seite auch nach 1933 stets an die Heilsbotschaft von Jesus Christus gebunden, was seinem Predigen, Lehren und Agieren klare Grenzen zum Geist der Zeit setzte. Auf der anderen Seite machte er jedoch, im Bemühen dieser Botschaft auf seine Weise zu dienen, eben jenem Zeitgeist weitgehende Zugeständnisse, die zu Grenzüberschreitungen führten2. Als Resümee dieser Untersuchung teile ich mit Berndt Hamm im Blick auf Althaus „die Beobachtung, daß es nicht nur das Gefälle vom Nationalsozialismus auf die Theologie hin gab, d. h. die faszinierende Anziehungskraft, die er auf Theologen ausübte, sondern auch umgekehrt das disponierende Gefälle, das aus zentralen Bereichen der Theologie auf bestimmte Züge der nationalsozialistischen Herrschaft zulief“ und das ein „aktives Zugehen der Theologie auf bestimmte Phänomene der Politik“ der NS-Bewegung bedeutete3. 1 3006 Bekenntnis, 212 ff. 2 Das Arierparagraph-Gutachten von 1933 und der „Ansbacher Ratschlag“ von 1934 seien als bekannteste Beispiele an dieser Stelle exemplarisch erwähnt. 3 Hamm, Rückert, 273 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Mit anderen Worten: „Bestimmte politische und soziale Züge des National­ sozialismus beeindrucken gerade Theologen, und bestimmte Züge der Theologie finden gerade im Nationalsozialismus das adäquate politische System“4. Mit Hamm ist davon auszugehen, dass „Theologen durch wesentliche Momente und Motive ihres theologischen Denkens zu einer prinzipiellen Bejahung des nationalsozialistischen Führerstaates geführt wurden – so wie es ja auch umgekehrt eine theologisch begründete Resistenz gegen die Annäherung von Kirche und Nationalsozialismus gab“5.

Beide Aspekte finden sich bei Althaus. Wenn im Folgenden mögliche Antworten auf die Frage nach den Gründen sowohl für das illusionär-hoffnungsvolle Zugehen nationalkonservativer kirchlicher Eliten auf den Nationalsozialismus als auch für Faktoren ihrer Resistenz gegen den Nationalsozialismus am Beispiel von Althaus gegeben werden sollen, werden intrinsische und extrinsische Gründe gemeinsam behandelt, weil sie nicht voneinander getrennt werden können. Dadurch meine ich, der Offenheit und Kontingenz der Geschichte gerecht zu werden und der Gefahr des Determinismus angemessen zu begegnen.

4 Ebd., 307 f. 5 Ebd., 274. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

1. Faktoren der Anfälligkeit für den Nationalsozialismus Zunächst sei das taktisch geschickte Vorgehen Hitlers genannt, der sich ins­ besondere dem konservativen Bürgertum und den christlichen Kirchen durch seinen pragmatisch-skrupellosen „Vertrauensfeldzug“ als Mann der Stunde präsentierte. Hitlers Bestreben, sich „als Garant konservativer Werte aufzuspielen“ erreichte seinen Höhepunkt am 21. März 1933, der als sogenannter „Tag von Potsdam“ in die Geschichte einging. „Die Eröffnung des neugewählten Reichstags“, so Weiling, „wurde geschickt inszeniert als Weihe der nationalsozialistischen Erhebung durch das ehrwürdige, friderizianische Preußen. Hitler gab sich als treuer Hüter großer Traditionen. Hohe Offiziere der alten Armee, der Kronprinz und weitere Söhne des Kaisers waren mit dabei und stellten auf ihre Weise die Kontinuität zwischen Kaiserreich und Drittem Reich her.“ Diese Inszenierung verfehlte ihre Wirkung nicht. „Aus dem ehrgeizigen Parteimann war in den Augen der Konservativen ein ehrfürchtiger ‚Staatsmann‘ geworden, ‚aber mit der Wucht des Volksführers‘.“1

Zu solch einem „ehrfürchtigen Staatsmann“ gehörte aber noch mehr. Nicht nur als Hüter konservativer Werte gelang es Hitler sich zu gerieren, sondern ebenso als frommer Wahrer der christlichen Tradition. Das ließ die volksmissionarisch bewegten Theologen und Kirchenmänner nicht unberührt. Die große Gelegenheit zur Rechristianisierung Deutschlands schien 1933 gekommen. Der konservative Protestantismus ging gerne auf die „vermeintlichen Hilfsangebote eines konservativ getarnten Nationalsozialismus“2 ein. So schrieb Hirsch im Mai 1933 im „Völkischen Beobachter“: „Kein einziges Volk der Welt hat so wie das unsere einen Staatsmann, dem es so ernst um das Christliche ist; als Adolf Hitler am 1. Mai seine große Rede mit einem Gebet schloß, hat die ganze Welt die wunderbare Aufrichtigkeit darin gespürt. Die Kirche hat dem Nationalsozialismus also viel zu danken.“3

Ein Beleg dafür, dass auch Althaus das NS-Regime beim Wort nahm, findet sich in seinem Aufsatz „Kirche und Staat nach lutherischer Lehre“ aus dem Jahr 1935, wo er schreibt:

1 Weiling, Bewegung, 294 f. 2 Pyta, Dorfgemeinschaft, 398. 3 Hirsch, Nationalsozialismus, 24. Der Artikel wurde zuerst veröffentlicht in: Völkischer Beobachter 26, Nr. 148/149 (28./29.5.1933). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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„Wir halten uns an die feierlichen Erklärungen, in denen der nationalsozialistische Staat sich ausdrücklich zu der christlichen Grundlage deutschen Volkstums bekannt, die Bedeutung der christlichen Kirchen für das deutsche Volk anerkannt und ihre Stellung im Volksleben gewährleistet hat.“4

Althaus, für den die Welt gottgewollte Schöpfungswirklichkeit und damit theonom ist, reichte das Bekenntnis des neuen Staates zu dieser Theonomie. Er glaubte an die Ehrlichkeit dieses Bekenntnisses und damit zugleich an die sich für ihn daraus ergebenden ethischen Implikationen. Hitler erschien als ebenso christlich geprägter Staatsmann wie zuvor Bismarck. Der Topos von Bismarck als frommem Mann gehörte zum festen Bestandteil der Althausschen Weltanschauung und beeinflusste seine Sichtweise von einem „verantwortlichen Führertum“ nachhaltig. Vor diesem Hintergrund ist auch die Althaussche Einschätzung der von den Nationalsozialisten zumindest in der Anfangszeit geschickt inszenierten und propagierten Legende von Hitler als frommem Staatsmann zu sehen, die gerade im protestantischen Deutschland einflussreich war. Für Robert Gerwarth „entstand durch die Krise nach 1929 ein Klima, in dem die durch den Bismarck-Mythos popularisierte Kritik an der parlamentarische Demokratie und der Glaube an die Notwendigkeit eines ‚zweiten Bismarck‘ auf fruchtbaren Boden stieß. Niemand beutete das verbreitete Verlangen nach einem ‚neuen Bismarck‘ mit größerem demagogischem Geschick aus als der Führer der nunmehr größten Oppositionspartei im Reichstag, Adolf Hitler. […] Der Mythos half Hitler fraglos bei seinem Bestreben, eine Brücke zwischen seiner Anhängerschaft und dem konservativen Bürgertum zu schlagen.“5

Dass es sich um bloße Lippenbekenntnisse handeln könnte, kam Althaus in den ersten Jahren des NS-Regimes offenbar nicht in den Sinn. Im Gegensatz dazu hatte zuvor keine Regierung der Weimarer Republik dieses Bekenntnis abgelegt. In seinen Augen wollten diese damit eigengesetzlich, gottlos und nichtchristlich regieren. Das Problem bei Althaus und mit ihm bei einem Großteil der evangelischen Theologen war es also nicht, dem Staat eine Eigengesetzlichkeit zuzubilligen, sondern im Gegenteil zu lange zu glauben, der neue Staat sei gut christlich und fuße auf christlichen Werten, d. h. er sei theonom und verstehe sich auch selbst so und handle danach. Der angebliche Respekt Hitlers vor Gott und den Kirchen wurde für bare Münze genommen. Damit schien die Welt in Ordnung zu sein. Die Gründe dafür lagen wiederum in der geschickten Propaganda der Nationalsozialisten ebenso wie in der Verdrängung der 4 3510 Kirche, 30. 5 Gerwarth, Bismarck, 23 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Negativseiten und Projektion von Positivseiten, was seinen Grund in der Übermacht der Vorgeschichte (ungeliebte Weimarer Republik, Demütigung durch Versailles, Katastrophe der Weltwirtschaftskrise) hatte. Für bedenkenswert halte ich in diesem Zusammenhang den Vorschlag von Thomas Kaufmann, der neben den „geläufigen Motivstereotypen der inner­ lichen und äußerlichen Affirmation des Nationalsozialismus, den ‚Opportunitätsnationalsozialisten‘ einerseits und den ‚Gesinnungsnationalsozialisten‘ andererseits“ als drittes Stereotyp den „Projektionsnationalsozialisten“ stellen will. Damit meint Kaufmann „jene Haltung, die den Nationalsozialismus innerlich bejahte und unterstützte, weil sie in ihm eine Erfüllung aufgestauter Sehnsüchte und die Erlösung aus diffus-vielfältigen Unzulänglichkeiten, aber auch […] jene politische Kraft zu erkennen glaubte, die einer Rechristianisierung der deutschen Gesellschaft eine Bahn brechen werde.“6

Diesem „Projektionsnationalsozialismus“ eignete nach Kaufmann „eine dezidierte Wahrnehmungsrestriktion gegenüber der Weltanschauungsprogrammatik des Nationalsozialismus, denn man meinte in ihm vornehmlich das zu finden, was man als Erwartung oder Sehnsucht immer schon mitbrachte. ‚Projektions­ nationalsozialisten‘ fanden nicht von sich aus zum Nationalsozialismus wie die Gesinnungsnationalsozialisten und sie biederten sich ihm auch nicht einfach nur an […] wie die Opportunitätsnationalsozialisten, sondern sie wurden von ihm erfaßt und überwältigt von der in ihm, wie es schien, realisierbaren Hoffnung auf einen ‚neuen deutschen Anfang‘“. „Die bewußte Restriktion der Wahrnehmung und Begrenzung der Beurteilungsbasis des Nationalsozialismus auf das, was sich im Rahmen der eigenen Projektionsbedürfnisse bewegte und vieles dessen, was schon lange vor 1933 erkennbar zentral, ja integral zum Nationalsozialismus gehörte, seine Rassenlehre, seine dezidierter Vernichtungswille gegenüber dem Judentum etwa, ausblendete, in der Wertung des ‚neuen Staates‘ marginalisierte oder jedenfalls als nicht konstitutiv bewertete, dürfte für dieses Stereotyp des ‚Projektionsnationalsozialisten‘ charakteristisch sein.“7

Setzt man Althaus’ Definition von Politik als eine „in der Tiefe […] religiöse Sache“ und als „ein Handeln mit Gott und vor Gott“8 in Beziehung zu Hitlers 6 Kaufmann, Einleitung, 52. Er fährt fort: „Der sprunghafte Rückgang an Kirchenaustritten, die rasante Zunahme an Kircheneintritten, die hohe Zahl an nachgeholten Tauf- und Trauhandlungen […] im Jahr 1933 […] mochten als sinnenfälliges Indiz einer mit der ‚nationalen Erhebung‘ einsetzenden Rechristianisierung gewertet werden und den ‚Projektionsnazi‘ unter den evangelischen Theologen als Erfüllung ihrer Hoffnung auf einen Bedeutungsgewinn des Christentums erscheinen.“ 7 Ebd., 53. 8 Vgl. 2104 Sozialismus, 65. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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pseudoreligiösem Gerede und seinem Selbstverständnis als Vollstrecker der von ihm sogenannten „Vorsehung“, wird schnell klar: Der Führer der NS-Bewegung erscheint als genau der Politiker, wie Althaus ihn sich für ein christ­liches Deutschland vorstellt. Mit dieser religiösen Aufladung der Politik kamen Theologen wie Althaus dem politischen Messianismus des Nationalsozialismus und insbesondere Hitlers weit entgegen. Mit der Hoffnung auf Rechristianisierung der deutschen Gesellschaft ist bereits ein weiterer Faktor der Anfälligkeit protestantischer Theologen und Kirchenmänner für den Nationalsozialismus genannt. Mit der national­sozialistischen „Machtergreifung“ verbanden sich immense volksmissionarische Erwartungen und die Hoffnung auf eine Kehrtwende weg vom Säkularismus. Was Notger Slenczka im Blick auf die Deutschen Christen feststellt, gilt ebenso für Althaus und die anderen neulutherischen Theologen: Man hatte die ­Hoffnung, „daß der scheinbare Sieg des Nationalsozialismus über die für die Entfremdung der Menschen von der Kirche verantwortlichen Mächte zu einer neuen Chance für die Kirche führen könnte, den Menschen der Gegenwart wirksam zu erreichen“ und daß damit „die nationalsozialistische Machtergreifung dem Versuch hilfreich sei, der Kirche die im gesellschaftlichen Umfeld verlorengegangene Akzeptanz und Relevanz wiederzugewinnen“9.

Der Nationalsozialismus sollte somit aus Sicht der volksmissionarisch agierenden Theologen und Kirchenmänner der Steigbügelhalter der Kirche sein für die Wiedererlangung der protestantischen Leitkultur, wie man sie noch bis 1918 im Kaiserreich innezuhaben meinte. Daher waren es nach Pyta „kirchlich-pastorale Motive, welche viele Pfarrer dazu bewogen, ihre politischen Hoffnungen auf die NS-Bewegung zu setzen. Die nationalsozialistische Selbstdarstellung als einziges Bollwerk gegen die antiprotestantischen Mächte der Zeit fiel bei ihnen auf fruchtbaren Boden, weil sie genau nach einem solchen Bündnispartner Ausschau hielten, der die politischen Rahmenbedingungen schaffen sollte, damit die Pfarrer den durch den gesellschaftlichen Pluralismus gefährdeten Anspruch der Volkskirche einlösen konnten.“10 „Die NSDAP empfahl sich also nicht nur als Bollwerk gegen religionsfeindliche und antievangelische Zeitströmungen; in ihr schien sich ein einmaliges volksmissionarisches Potential zu eröffnen, auf das sich bei richtiger Pflege eine großangelegte Reevangelisierungskampagne gründen ließ. […] Lag es daher nicht nahe, diese dynamische politische Kraft gewissermaßen als Türöffner zu benutzen, um an 9 Slenczka, Ende, 316.261. Der „Relevanzverlust theologischer Begriffe und Aussagezusammenhänge“ ist für Slenczka „das Problem, dem sich die deutschchristlichen Theologen ebenso wie die übrigen kontextuellen Theologien stellen und das sie einer Lösung zuzuführen versprechen“ (ders., Theologie, 296 f.). 10 Pyta, Dorfgemeinschaft, 393. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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die vielen nur noch nominell evangelischen Christen heranzukommen, die sonst einer Begegnung mit dem Pfarrer aus dem Wege gingen?“11

Im Anliegen, mit Hilfe der Volksmission eine Umkehr des Prozesses der Säkularisierung zu erreichen, deren Träger in erster Linie im Sozialismus und Liberalismus gesehen wurden, lag es nahe, sich mit deren politischen Hauptgegner zu verbünden, zumal dieser nachhaltig glaubhaft machen konnte, bei der Erneuerung Deutschlands seinerseits auf Christentum und Kirche bauen zu wollen. So gilt für Althaus wie für den protestantischen Konservatismus überhaupt: „Neben einer freien, unabhängigen Kirche, die sicher und fest in ihrem Bekenntnis begründet der Moderne trotzen konnte, sollte ein starker Staat aufgerichtet werden, der der ecclesia militans bei ihrem Kampf gegen die selbstherrliche Autonomie helfen konnte. Deshalb lag es nahe, ein Bündnis mit jenen Bewegungen zu schließen, die ebenfalls eine autoritäre Ordnung errichten wollten und in ihrer antisäkularen und antiliberalen Haltung dem konservativen Protestantismus verwandt erschienen.“12

„Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung und der Errichtung des Dritten Reiches“, so Nowak, „verstummte die Säkularismusdebatte so schlagartig, wie sie eingesetzt hatte“, vollmundig wurde das „Ende des Säkularismus“ verkündet. „Der Nationalsozialismus galt, da er sich als Feind von Gottlosigkeit, Materialismus und Bolschewismus erklärt hatte und in sein Weltbild die religiöse Dimension konstruktiv integriert zu haben schien, als Ausdruck eines religiösen Neuaufbruchs.“13 „Das Dritte Reich wurde interpretiert als Basis und Garant einer Neuverankerung von Volk, Staat und Kultur in Gott, von dem sie ‚hybrid‘ und ‚selbstzerstörerisch‘ abgefallen waren, und als der Garant einer Rückkehr der religiösen Institutionen in die Verwaltung des universalen religiösen Sinnzusammenhanges in seiner gesellschaftlichen Repräsentanz- und Legitimationsfunktion.“14

Den hoffnungsvollen Blick des konservativen Protestantismus in die deutsche Zukunft beschreibt Albrecht Peters so: „Gottes Gebote sollten wieder über dem öffentlichen Leben des deutschen Volkes aufgerichtet werden. Man suchte in der Wende von 1933 einen ‚Sozialismus der Tat‘, welcher dem Staat seine Würde zurückgibt, dem Recht seine Hoheit zuerkennt, die 11 Ebd., 391. Besondere Hoffnungen machte man sich in diesem Zusammenhang, über die NSBewegung den Kontakt zur Arbeiterschaft wiederzuerlangen; vgl. ebd., 392. 12 Weiling, Bewegung, 327. 13 Nowak, Säkularismus-Debatte, 48 f. „Im Nationalsozialismus“ so Nowak weiter, „schien Religion, welche durch die säkularistische Kultur als so tief geschändet und depraviert galt, eine neue Pflegestätte zu finden“ (ebd., 49). 14 Ebd., 50. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Gruppenegoismen eindämmt und die Klassenschranken niederreißt, die Würde der Person schützt und der Zersetzung in Presse, Theater und Literatur Einhalt gebietet. Dies sind fraglos Forderungen, die sich als aktuelle Erneuerung der reformatorischen Katechismusunterweisung interpretieren lassen.“15

Freilich mussten die konservativ-kirchlichen Kräfte mit diesem Anliegen ebenso scheitern, wie parallel dazu die konservativ-politischen Kräfte, die am 30. Januar 1933 glaubten, Hitler und die NSDAP im Rahmen einer gemeinsamen Regierungskoalition „zähmen“ und in ihrem Sinne beeinflussen zu können. Nicht die Konservativen beeinflussten hinfort den Nationalsozialismus, sondern der Nationalsozialismus benutzte die Konservativen: „Infolgedessen wurde nicht das Volk rechristianisiert, sondern die evangelische Kirche in den Sog politischer und gesellschaftlicher Interessen gezogen. […] Eine Allianz mit dem Nationalsozialismus bedeutete früher oder später aber die Auslieferung der konservativen und kirchlichen Anliegen, denn für Hitler und seine Getreuen bedeutete die christlich-deutsche Synthese einen Unsinn.“16

Eng mit Althaus’ volksmissionarischem Anliegen verknüpft ist sein weltmissionarisches, d. h. sein christliches Sendungsbewusstsein, bei dem er dem deutschen Volk die Rolle des „Christophorus“ zudachte. Der Gedanke, ein eigenes kulturelles Sendungsbewusstsein an Gott und seinen Auftrag gebunden zu wissen, ist problematisch. Zum einen bietet er zwar die Chance, politische Wunschvorstellungen zu relativieren und religiös-sittlich zu kanalisieren; zum anderen birgt er aber auch die Gefahr, politische Wunschvorstellungen unreflektiert religiös-theologisch zu legitimieren. Die fatalen Folgen von Althaus’ geschichtstheologischer Betrachtungsweise, verbunden mit einem deutschen Sendungsbewusstseins, das religiös legitimiert wird, sollten sich in der deutschen Geschichte schon bald zeigen. Sie resultieren nicht aus Althaus’ Intention, wohl aber aus einer ungeschützten Rezeption in völkischen Kreisen, indem der Gedanke einer göttlichen Beauftragung dankbar aufgegriffen und für eigene Zwecke instrumentalisiert wird, inhaltlich aber jegliche Rückbindung an christliche Inhalte und Normen, die für Althaus noch selbstverständlich sind, verlorengehen. Althaus hat die Symptome solcher fehlgeleiteter „Theologie“, die z. B. die deutsche Geschichte mit der christlichen Heilsgeschichte 15 Peters, Erklärung, 345. Bei Althaus lautete diese Forderung im Jahr 1935: „Wo man Ernst damit macht, daß unser Staat auf dem Grunde des positiven Christentums steht, ergeht ein Ruf an die Kirche und ihre Theologie: sie soll nicht nur formell das Bestehen einer Rechtsordnung überhaupt als Gottes Willen verstehen lehren, sondern auch inhaltlich das Gesetz Gottes als das Richtmaß für alle menschliche Rechtsordnung aufzeigen und geltend machen.“ (3505 Ordnungen, 39 f.). 16 Weiling, Bewegung, 327 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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kurzschließen konnte, zwar stets bekämpft, aber das Grundproblem, das in der geschichtstheologischen Herangehensweise liegt, vermochte er offenbar nicht wahrzunehmen. Der Nationalsozialismus kam dem vielfach geteilten Gefühl der Intellektuellen vor 1933 entgegen, „zwischen den Zeiten“ zu leben. Was Scholder für die Dialektische Theologie konstatierte, galt in noch größerem Maße für Althaus: „Tatsache ist, daß die Theologie der Krise einem landauf, landab verbreiteten Gefühl entsprach, das die neue Zeit nur als eine Zeit des Übergangs wertete und von der Gegenwart nichts und von der Zukunft alles erwartete. Die Heimatlosigkeit der Deutschen in der Republik, ihr von vielen als transitorisch empfundener Charakter, den die konservativen Revolutionäre immer wieder unterstrichen, hat sicher viel zu Hitlers endgültigem Sieg beigetragen.“17

Die Aussicht auf Überwindung der von vorneherein abgelehnten Weimarer Republik und damit zugleich auf nachhaltige Revision des ungerechten Versailler Vertrages waren entscheidende Faktoren für eine Bejahung des neuen Staates. Der Nationalsozialismus war in den Augen vieler Deutscher der schnellste und konsequenteste Weg zur Überwindung der Weimarer Republik und mit ihr der deutschen Probleme (Versailles, Weltwirtschaftskrise)  überhaupt. Die NS-Bewegung konnte, so Kurt Sontheimer, „wie keine andere antidemokratische Gruppierung ihren Anspruch auf Führung in eine neue Zeit hinein durch den Hinweis auf Millionen von Wählern überzeugend begründen. Die Existenz der nationalsozialistischen Massenbewegung war somit die einzige, einigermaßen verläßliche Garantie für einen baldigen Umsturz der bisherigen Ordnung“18.

Der Nationalsozialismus war für ihn „in den letzten drei Jahren vor der Machtergreifung eben nicht mehr allein die Partei, sondern der zur Volksbewegung gewordene Protest gegen die Republik“, „das parteipolitische Auffangbecken einer großen Los-von-Weimar-Bewegung. Viele nationale Deutsche optierten für den Nationalsozialismus faute de mieux.“19

Dass auch Althaus aus seiner Sicht in Ermangelung von Alternativen seine Hoffnungen auf Überwindung von Weimar auf den Nationalsozialismus setzte, ist eingängig.

17 Scholder, Kirchen, 77. 18 Sontheimer, Denken, 281. 19 Ebd., 294. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Eng damit zusammen hängt der Umstand, dass die Weimarer Republik infolge ihres Gründungsmakels Versailles in nationalen Kreisen als bloße Abfolge außenpolitischer Demütigungen wahrgenommen wurde. Nicht zu unterschätzen war die „enorme ‚psychologische propagandafähige Potenz‘, die das Versailler Vertragswerk enthielt. […] Denn das Gefühl des deutschen Volkes, höchst ungerecht behandelt worden zu sein, verleitete auch weite Teile des kirchlichen Establishments dazu, wohlwollendes Verständnis, wenn nicht gar offene Sympathie für eine Bewegung aufzubringen, die Deutschlands Rechte erklärtermaßen wiederherstellen wollte“20.

Mit Hitler schienen die endgültige Revision von Versailles und damit das Ende der Nachkriegszeit in greifbare Nähe gekommen21. Eine solche Interpretation des Nationalsozialismus als schlagkräftige Freiheitsbewegung gegen das Versailler System wurde gerade von Althaus geteilt und bildete einen der Hauptfaktoren seiner hoffnungsvollen Aufgeschlossenheit für die Hitlerbewegung. Nicht zuletzt war auch Althaus’ geschichtsphilosophische Spekulation, wonach letztlich alle wichtigen „Berufsfragen“ der Völker militärisch entschieden werden und weshalb es auf die geistig-sittlich-vitale „Tüchtigkeit“ eines Volkes ankomme, dafür verantwortlich, dass er den Nationalsozialismus als jene politische Bewegung begrüßte, die sich eine solche Ertüchtigung des deutschen Volkes auf die Fahnen geschrieben hatte. Zugleich entsprachen neben dieser Übereinstimmung in der Frage nach dem Krieg überhaupt und dem Gerüstetsein für den Ernstfall Hitlers fortwährende öffentliche Beteuerungen seines angeblichen Friedenswillens – exemplarisch sei seine „Friedensrede“ am 17. Mai 1933 vor dem Reichstag genannt – Althaus’ eigener Haltung in der Frage nach einem aktuellen, konkreten Krieg: „kein Hindrängen mehr zum Krieg!“22 Darüber hinaus wurde der Nationalsozialismus in nationalkonservativen Kreisen interpretiert als der ersehnte „deutsche Sonderweg“ jenseits von west­ lichem Kapitalismus und Demokratie und östlichem Kommunismus und Sozialismus, der „dritte Weg“ zur gleichzeitigen Lösung der sozialen und der nationalen Frage23. Ins wirtschaftspolitische gewendet, stand der Nationalsozialismus für die Überwindung des nicht zuletzt für die Weltwirtschaftskrise 20 Bormuth, Kirchentage, 207. Das Zitat bei Bormuth stammt von Karl-Dietrich Bracher. 21 In diesem Sinn sah auch Winston Churchill 1935 die „Möglichkeit gegeben“, dass Hitler „einst in die Geschichte eingeht als der Mann, der dem großen germanischen Volk die Ehre und den inneren Frieden wiedergab, der es froh, nützlich und stark in die vorderste Reihe der euro­ päischen Völkerfamilie zurückführte.“ (Churchill, Zeitgenossen, 305). 22 2504 Beziehungen, 46. 23 Vgl. Kroll, Revolution, 352. Dass auch für Althaus diese beiden Problemkreise zusammenhingen, machte er bereits in 2803 Communio, 289 deutlich. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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verantwortlich gemachten Kapitalismus durch einen nationalen Sozialismus. Dass dies für Althaus, der seit Beginn der Weimarer Republik unter dem Einfluss des Religiösen Sozialismus gegen den „Mammonismus“ eines ungezügelten Kapitalismus anschrieb, zu einem Faktor der Anfälligkeit für den Nationalsozialismus werden konnte, liegt auf der Hand. „Die Partei Hitlers“, so Jochmann, „wurde nicht zuletzt auch deshalb von den Protestanten mit Hoffnungen begrüßt, weil sie vorgab, das staatliche Leben aus den Kräften des Volkstums erneuern zu wollen und das Volk als bestimmende Kraft zu entwickeln und zu schützen.“24

In seinem Versprechen, das Volk sowohl außenpolitisch, d. h. gegen das Versailler System, als auch innenpolitisch, d. h. gegen Individualismus, Egoismus und Zerrissenheit im Parteienstaat, neu zur Geltung zu bringen, trafen Hitler und der Nationalsozialismus genau das Althaussche Anliegen, das Volk in seiner „Volkheit“ zum Maßstab des politischen Handelns zu machen. Der Staat sollte dabei dem Volk dienstbar untergeordnet sein. So gilt für Althaus, was Weiling allgemein über die protestantischen Konservativen schreibt: Diese stellten sich hinter die neue Regierung Hitlers, „weil dieser versprach, den Staat nur als ‚Mittel zum Zweck‘ einzusetzen, ‚um das Volk […] in seiner eigenen Art zu erhalten und zu steigern‘.“25 Diese scheinbare Gemeinsamkeit zwischen dem Anliegen des Erlanger Theologen und des nationalsozialistischen Kanzlers war von vorneherein eine Illusion bzw. Fehleinschätzung. Denn Althaus’ Volksbegriff und insbesondere seine Vorstellung einer angeblichen „Volkheit“ hatte immer zugleich eine christlich-ethische Rückbindung an die überpositive Ordnung des Reiches Gottes, das nicht nur über dem Staat, sondern ebenso über dem Volk steht  – beides legitimierend, aber auch limitierend. Für national­ sozialistische Staatsauffassung war das Volk selbst die überpositive Ordnung. Nationalsozialistische politische Ethik wollte dementsprechend von christlicher Ethik nichts wissen, sie war rassenideologisch orientiert. Unbeschadet dieses – von Althaus in den ersten Jahren des „Dritten Reiches“ selbst nicht erkannten – unüberbrückbaren Gegensatzes hatte seine Volkstumstheologie gleichsam eine fatale Scharnierfunktion. „Althaus kann für sich in Anspruch nehmen, dass er schon seit anderthalb Jahrzehnten am Werke gewesen ist, der Kirche das theologische Rüstzeug zu schaffen, dessen sie zu einer positiven Begegnung mit dem Anliegen des Volkstums, speziell auch mit dem Anliegen der nationalsozialistischen Bewegung bedarf.“

24 Jochmann, Gesellschaftskrise, 271. 25 Weiling, Bewegung, 292. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Was der Leipziger Praktische Theologe Martin Doerne 1934 in seiner Rezension zu Althaus’ Sammelband „Die deutsche Stunde der Kirche“ lobend hervorhebt26, bringt das Althaussche Verhältnis zum Nationalsozialismus auf einen Kernpunkt: Der entscheidende Berührungspunkt zwischen seiner Art, zeitgemäße evangelische Theologie zu treiben, und dem, was man sich zu dieser Zeit unter dem „Anliegen der nationalsozialistischen Bewegung“ vorstellte, war das Volkstumsdenken. Althaus selbst hatte das Volk zu einer göttlichen Schöpfungsordnung erhoben und damit zum herausragenden Gegenstand christlicher Sozialethik gemacht. Nun galt es in seinen Augen angesichts des politischen Siegeszuges der nationalen Bewegung in Deutschland, trotz der lauernden theologischen Gefahren umso nachdrücklicher das Volkstum in seiner Eigenschaft als Subjekt der Weltgeschichte als Anknüpfungspunkt für die christliche Verkündigung herauszustellen. Für Althaus war die von ihm stets in apologetischem Kontext verwendete Formel „Christentum und Deutschtum“ die Lösungs- und Werbeformel, um die evangelische Kirche am Markt der Möglichkeiten im „religiös und weltanschaulichen Leerraum“ (Friedrich Heer) der Weimarer Republik konkurrenzfähig zu erhalten27. Als der Nationalsozialismus in der Phase seiner „Macht­ergreifung“ und deren Konsolidierung durch seinen geschickten Vertrauensfeldzug sich zur religiösen Schutzmacht aufspielte, die eben jene Formel propagierte, lag für Althaus nichts ferner als die Erwartung, in dieser Bewegung endlich die entscheidende und schlagkräftige politische Kraft gefunden zu haben, die ihr das nötige politische Leben einhauchte. Dass sich die Nationalsozialisten mit ihrer monomanischen Fixierung auf ein völkisch-rassistisch-dualistisches Volkstumsdenken diese Modeerscheinung zunutze machen konnten, ist die Tragik der deutschen Geschichte der ersten Hälfte des 20.  Jahrhunderts. Denn ohne es zu wollen, hat deutsches Volkstumsdenken nationalsozialistischer Ideologie und ihrer Umsetzung in die Tat Vorschub geleistet. Indem sich Althaus mit seiner Volkstumstheologie in große ideologische Nähe zu jungkonservativ-völkischem Denken begab, hatte er daran seinen Anteil. Eine Übereinstimmung mit dem, wie der Nationalsozialismus sich Anfang der 30er Jahre gab, konnte Althaus nicht nur in dem wahrnehmen, was massiv abgelehnt wurde, also Weimar und Versailles, sondern auch in dem, was an die Stelle der Republik treten sollte. Nun endlich hatte man einen starken, autoritären Staat mit einem vermeintlich Gott verantwortlichen Führer an der Spitze, war man auf dem Weg zur ersehnten solidarischen Volksgemeinschaft 26 ThLBl 1934, 107. 27 Vgl. Pöhlmann, Kampf, 35 f.; und Haupt/Langewiesche, Nation, 17. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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und hatte man einen vermeintlich auf christlichem Fundament gründenden deutschen Kulturstaat. Die Überzeugung von der politisch und theologisch begründeten Notwendigkeit eines starken, autoritären Staates ließ Althaus wie die meisten anderen nationalkonservativen Protestanten den neuen Staat und dessen Selbstverständnis begrüßen. „Diese antidemokratische und antipluralistische Auffassung hatte für die nationalkonservativen Theologen eine größere Nähe zur schöpfungstheologischen Auffassung vom Staat als dem entscheidenden Macht- und Ordnungsfaktor in dieser sündigen Welt des Egoismus und der Teilinteressen als ein demokratisches Staats- und Gesellschaftsverständnis. Die Ordnungsfigur des autoritären Staates war der protestantischen Theologie und ihrer Ethik des Politischen seit Jahrhunderten entsprechender als ein wie auch immer definiertes demokratisches Staatsverständnis.“

Was den nationalkonservativen Protestanten an der Hitlerregierung entgegenkam, war die „Hoffnung auf einen selbstbewußten, handlungswilligen und handlungskräftigen Staat. Der traditionelle Antidemokratismus des durchschnittlichen Protestantismus wußte sich hier abgeholt.“28 Was Althaus stattdessen als dem deutschen Volk und seiner eigenen Vorstellung von christlicher Gewissensbindung angemessener erschien, war ein Gott verantwortliches Führertum. Hitler schien 1933 in seiner frommen und demütigen Selbstinszenierung genau Althaus’ Erwartungen zu treffen. Volksstaat statt liberalem Staat, Volksgemeinschaft statt Klassenkampf und Parteienstaat, statt Zerrissenheit und Egoismus – mit diesen Parolen konnte der Nationalsozialismus auch bei Althaus punkten, der aus der Volksgemeinschaftsideologie ethische Implikationen wie Opferbereitschaft, Solidarität und Nächstenliebe herauslas. Für Mai war die „fehlende oder verlorene Homogenität der ‚Klassen‘ […] die Einbruchsstelle für neue Identifikationsangebote, die die Einheit auf höherer Ebene wiederherzustellen versprachen, dafür aber im Interesse kollektiver Rekonvaleszenz eine Friedenspflicht als nationale Solidarität einforderten. Das war die Chance des Nationalsozialismus, der nun das Erbe dieses ‚Volksgemeinschafts‘-Gedankens antrat und geschickt in der Krise an dessen Reminiszenzen anzuknüpfen wußte.“29 28 Brakelmann, Nationalprotestantismus, 344 f. Er weist allerdings darauf hin, dass für die protestantische Staatsauffassung „der autoritäre Staat selbstverständlich Rechtsstaat“ sein sollte, „der seine Rechtsprechung nach Gesetz und Ordnung vollzieht.“ Ein „Rechtsdezisionismus“, wie es ihn schließlich im „Dritten Reich“ gab, der „das Recht jeweils in den Dienst der Machtdurchsetzung des ideologischen Zieles stellt und es dadurch permanent verändern kann“, war damit freilich nicht gemeint (ebd., 345 f.). 29 Mai, Verteidigungskrieg, 595. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Nach den 14 Jahren säkularer Staatsauffassung in der Weimarer Republik schien endlich wieder eine Regierung an der Macht, die nicht nur die Auffassung der Notwendigkeit eines Staates als christlichen Kulturstaat teilte, sondern diesen auch noch aktiv zu unterstützen versprach. „Sie erklärte das Christentum und seine Moral zum religiös-moralischen Fundament der Zukunft. Dieser Staat bekannte sich in seinen Führungsspitzen zum christlichen Glauben und zum christlichen Ethos. Er wollte bewusst christlicher Staat werden und allen säkularen Theorien und Praktiken den Boden entziehen. Was lag für die Anhänger der christlichen Kulturstaatstheorien näher, als mit Hoffnungen auf das Handeln der nationalchristlichen Regierung zu sehen?“30 So schreibt Althaus in seinem Aufsatz „Toleranz und Intoleranz des Glaubens“ im September 1933: „Der liberale Staat konnte schlechthin tolerant sein. Er wußte nicht mehr um den tiefen Zusammenhang von Glaube und Volkstum, er wähnte, Staat und Kirche ganz trennen zu können; darum übersah er, wie zersetzend bestimmte Religionsformen, z. B. die Religion der Gottlosigkeit auf das Leben des Volkes und die Autorität des Staates wirken. Ein Staat, der wieder die Gründung lebendigen völkischen Willens und echter Autorität der Obrigkeit in der Frucht Gottes erkannt hat, kann nicht grenzenlose Toleranz üben. Er wird antireligiöse und antichristliche Propaganda zerschlagen, weil sie Volksleben und Staat von Grunde aus zersetzt.“31

Von dieser Position aus konnte die gewaltsame Verfolgung und Unterdrückung von Sozialdemokratie und Kommunismus keinen Anstoß erregen. Im Gegenteil, Althaus heißt sie vielmehr gut: „Der Staat hat auch darin recht, daß man solche Mächte, die selber terroristisch auftreten, nicht mit geistigen Waffen allein bekämpfen kann. Die Kirche wird dem Staate hier wahrlich nicht im Namen der Geistesfreiheit in den Arm fallen.“

Daher lobt Althaus das „Einschreiten des Staates gegen die offenen Feinde des christlichen Glaubens“ und betont, daß die Kirche nach der „gewaltsamen Niederhaltung“ von „Bolschewismus und […] Gottlosentum mit seiner Kirchenkritik“ „dem Staate dank weiß“32. An diesen Äußerungen zeigt sich, wie groß der Wunsch nach einer klaren Rolle der Kirche im Staat war. Kirche und Theologie, die im Kaiserreich verwöhnt waren durch ihre herausgehobene Stellung im Rahmen der „Koalition“ von Thron und Altar, lechzten während der ganzen Jahre der Weimarer 30 Brakelmann, Nationalprotestantismus, 347. 31 3308 Toleranz, 118. 32 Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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­ epublik danach, vom Staat auch als staatstragend anerkannt zu werden. Über R weite Strecken blieb der evangelischen Kirche von Seiten des religiös-weltanschaulich neutralen bzw. auch teilweise kirchenfeindlichen Weimarer Staates diese Anerkennung vorenthalten, womit sie sich nicht abfinden konnte und wollte. Mit einer „starken, einflußreichen Kirche, die geistliche und geistige Weisungen erteilte und die zugleich die unbestechliche Garantin der öffent­ lichen Sittlichkeit bildete“, meinten nach Greschat die kirchlichen Eliten und somit auch Althaus, das althergebrachte Konzept des „christlichen Staates“ umsetzen zu können. „Weil die Vertreter der Weimarer Republik mit dieser Vorstellung einer von der Kirche geprägten und geleiteten ‚christlichen Gesellschaft‘ nichts anfangen konnten, hatten sich die meisten Repräsentanten des deutschen Protestantismus nach einer Wiederherstellung der Verhältnisse im Kaiserreich gesehnt, wo die von der ‚Volkskirche‘ seit 1918 übernommenen Funktionen im Sinne eines Hinweises auf den ‚christlichen Staat‘ wieder an diesen zurückfallen könnten. Insofern hatte man 1933 auf die neue Regierung gehofft.“33

Auch nach Thamer hat das „volkskirchliche Leitbild, wonach eine bewußt nationale Bevölkerung von einem starken, christlich-normierten Staat und einer einflußreichen Kirche an seiner Seite geleitet werden sollte, evangelischen Christen jedenfalls die Zustimmung zur nationalsozialistischen ‚Revolution‘ erleichtert“34.

Es gehört zu den eingängigen Gemeinplätzen, dass der massive Antikommunismus der NSDAP einen großen Anteil an ihrer Anziehungskraft gerade für Theologen und Kirchenmänner hatte. Die auch in Deutschland drohenden Folgen für Kirche und Christentum bei Machtübernahme der Kommunisten, die bei den Reichstagswahlen im November 1932 bereits auf 17 Prozent der Wählerstimmen kamen, waren in den Köpfen fest verankert: Tausende von Priestern, Mönchen, Nonnen und kirchlichen Mitarbeitern waren der brutalen Christenverfolgung im bolschewistischen Russland bereits zum Opfer gefallen. Da ist es auffallend und spricht für seine differenzierte Sichtweise auch an diesem Punkt, dass für Althaus die Gleichung „Nationalsozialismus ist Antibolschewismus ist gut für die Kirche“ zu simpel ist. Antibolschewismus spielt 33 Greschat, Kirche, 104. Er weist darauf hin, dass „diese gesellschaftspolitische Einstellung ein Grundkonsens des deutschen Protestantismus war, der über alle theologischen Differenzierungen und Gegensätzlichkeiten hinweg verband“ (ebd., 105). Er bezieht damit ausdrücklich auch die BK-Theologen mit ein und nennt beispielhaft Bonhoeffer. 34 Thamer, Protestantismus, 222. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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in seinen Veröffentlichungen vor 1933 keine Rolle35. Auch im Jahr 1933, als mit der neuen Regierung Antikommunismus Staatsdoktrin wird, bleibt Althaus zurückhaltend. In seinem Aufsatz „Gustav Adolf“ heißt es im Februar: „Der schlimmste Feind der Kirche des Wortes ist heute die eigene Gottlosigkeit in ihren Reihen. Nicht an Rom stirbt die evangelische Kirche, nicht am Bolschewismus, wenn sie nicht an sich selber stirbt, an ihrer Lauheit und Untreue. Hier ruft uns Christus zum Kampf.“36

Zu seiner differenzierten Sichtweise gehört auch seine Einschätzung der Kirchenfeindlichkeit des Kommunismus in seinem Eschatologie-Lehrbuch 1933. Hier spricht Althaus vom „weltlichen Messianismus von Marx und Lenin“ und erwähnt die „erbitterte Christusfeindschaft des kommunistischen Systems“, nennt aber im gleichen Atemzug „einen sich selbst vergötzenden Nationa­lismus […], der Christus geradezu oder durch Umdeutung verdrängen will“ oder die Gefährdung der Kirche durch „ihre eigene ständige Möglichkeit, antichristlich zu werden“37. Freilich spielt aber auch für Althaus der mit dem Nationalsozialismus geteilte Antikommunismus eine Rolle für seine Aufgeschlossenheit diesem gegenüber. So lobt er in seinem Vortrag „Toleranz und Intoleranz des Glaubens“ im September 1933 das „Einschreiten des Staates gegen die offenen Feinde des christlichen Glaubens“ und betont, dass die Kirche nach der „gewaltsamen Niederhaltung“ von „Bolschewismus und […] Gottlosentum mit seiner Kirchenkritik“ „dem Staate dank weiß“38. Somit gilt auch für Althaus, was Pyta im Blick auf die konservativen Protestanten allgemein sagt: Der Nationalsozialismus lockte „mit einem ebenso klaren wie eingängigen Angebot […]: der politischen Ausschaltung der gesellschaftlichen Träger des Entkirchlichungsprozesses, insbesondere der marxistischen Parteien. Daß der Hitler-Partei […] hierfür eine besondere Lösungskompetenz zugebilligt wurde, lag nicht nur an der angesichts der Christenverfolgungen in der Sowjetunion durchaus verständlichen Kommunismusfurcht […]. Dahinter steckte vor allem das immer weiter um sich greifende Unbehagen an einer pluralistisch verfaßten Gesellschaft, als deren sinnfälligster Ausdruck die Agitation kirchenfeindlicher Organisationen galt.“39 35 Mag es daran liegen, dass Althaus mit dem Kommunismus den Antikapitalismus teilt oder dass er schon zu Beginn der 20er Jahre die Kirche dazu aufforderte, beim Religiösen Sozialismus zu lernen? Vgl. Kap. II, 3.1. 36 3302 Adolf, 29. 37 3307 Dinge, 274. 38 3308 Toleranz, 118. 39 Pyta, Dorfgemeinschaft, 389; vgl. ebd., 387. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Beim letztgenannten Punkt klang bereits ein weiterer Faktor der Althausschen Anfälligkeit für den Nationalsozialismus an. Er erwartete sich von diesem den Schutz des christlichen deutschen Volkes und der christlichen deutschen Kultur vor geistiger Überfremdung aus dem „Westen“ und dem „Osten“, sofern dieser die kulturelle Vormachtstellung des Protestantismus in Deutschland anerkennt40. Eine solche Schutzfunktion erwartet sich Althaus vom Nationalsozialismus auch gegenüber einer „jüdische[n] Bedrohung unseres Volkstums“, die er insofern festzustellen meint, als er Juden für eine „zersetzende großstädtische Geistigkeit“ mit ihren „entsittlichenden Einflüsse[n]“ haftbar macht41. Insofern führte das Gefälle auch von Althaus’ geistig-kulturell-sittlichem Antisemitismus zum Nationalsozialismus, der sich als die antisemitische Bewegung präsentierte. Entscheidend für diese Erwartung an den Nationalsozialismus ist seine Haltung zu möglichen Gegenmaßnahmen gegen eine solche Überfremdung. Es gilt für Althaus nicht, das Fremde, das als Bedrohung empfunden wird, auszumerzen, sondern sich auf sich selbst zu besinnen, das Eigene stark zu machen, um das Fremde umso besser aushalten zu können. So lautet seine fatale Fehleinschätzung des Nationalsozialismus, diesem gehe es lediglich darum, dass das deutsche Volk zu sich selbst finde. In Worte fasst Althaus diesen Irr­glauben noch 1935: „Nichts anderes ist auch heute der Wille der deutschen Politik: Einheit und Freiheit des deutschen Volkes, es selbst zu sein – das ist alles, um das es geht. […] Wir sind zurückhaltend geworden im Reden von der Menschheitssendung eines Volkes. Wir haben eingesehen, daß die daß die erste Aufgabe der Völker nach dem Willen des Schöpfers die ganz einfache ist, sie selbst zu sein.“42

Dass dies gerade nicht die Sichtweise und das Ziel der Nationalsozialisten ist, macht der Deutsche Christ Heinrich Oberheid in einer bissigen Polemik gegen Althaus geltend: „Wer solche Sätze schreiben kann, muß seit 1918 auf der Insel der Seligen gelebt haben.“43 Als weiteren Grund für seine Bejahung der nationalsozialistischen Bewegung nennt Althaus selbst den Eindruck, den die Ergriffenheit der akademischen Jugend vom Nationalsozialismus auf ihn macht. Für ist die Jugend die Zukunft Deutschlands ebenso wie die der Kirche. Mit seinem volksmissionarischen Anknüpfungskonzept will er insbesondere an die in den 20er und 30er Jahren in 40 Vgl. 2602 Nationalerziehung, 109 f. 41 2704 Volkstum, 130 f. 42 3515 Christentum, 8. 43 Oberheid, Christentum, 26 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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hohem Maße politisierte und nationalisierte Jugend herantreten und diese für den christlichen Glauben gewinnen. „Stark“ ist auch nach Hans Graß bei Althaus „das Anliegen der praktischen Anknüpfung in Rechnung zu stellen, d. h. das Bedürfnis, das Ohr der damaligen Jugend und der damaligen Menschen zu erreichen, welche in hohem Prozentsatz dem Dritten Reich nicht ablehnend gegenüberstanden.“ Für ihn erklären sich daher bei Althaus so „manche be­sonders peinlichen Äußerungen“ als „phraseologische Akkomodationen“44. Althaus spürte die Deutschen und insbesondere die Jugend 1933 von der politischen „Wende“ derartig existentiell und hoffnungsvoll ergriffen, dass er sich als Theologe herausgefordert sah, das politische Geschehen theologisch zu interpretieren. Einmal mehr greift hier die bereits für die Zeit des Weltkriegs von Liebenberg bei Althaus festgestellte „erfahrungstheologische Intensitäts­ regel“: „Je intensiver das religiöse Subjekt von den Ereignissen innerlich ergriffen wird, desto gewisser kann es sein, hier das Wirken und den Willen des lebendigen Herrn der Geschichte zu erleben.“45 Dies galt sowohl für ihn selbst, als auch für die national ergriffenen Menschen des Jahres 1933, an deren Ergriffensein Althaus volkmissionarisch anknüpfen wollte. Ebenso wie Liebenberg, der auf die Probleme einer solchen „subjektivistischen Erlebnishermeneutik“ aufmerksam macht, verweist auch Kurz auf das erkenntnistheoretische Problem jeder Erfahrungstheologie, nämlich auf die „Gefahr, propagandistische Inszenierungen mit echten Ereignissen zu verwechseln“. Für ihn ist die „Unfähigkeit zwischen ‚Ereignis‘ und ‚Inszenierung‘ unterscheiden zu können“, die „Hauptgefahr der religiösen Deutung nationaler Geschichte“46. Dieses erkenntnistheoretische Problem traf auf die propagandistischen Inszenierungen des „Dritten Reiches“ in besonderem Maße zu. Aller­ dings betraf das zwar die Zurschaustellung und Selbstinszenierung der Nationalsozialisten als religiös und fromm, nicht aber die echte Begeisterung der Menschen damals. „Der Partei und dem ideologischen Überbau der Nationalsozialisten stand Althaus schon vor 1933 kritisch bis ablehnend gegenüber. Angezogen wurde er von der ‚nationalsozialistischen Bewegung‘.“47 Die Trennung zwischen Partei und Bewegung des Nationalsozialismus, die Liebenberg hier beschreibt, sollte sich auf Althaus’ Aufgeschlossenheit für den Nationalsozialismus fatal auswirken. Denn auf diese Weise war es ihm möglich, alles, was man als positiv daran wahrnahm und begrüßte, auf die Bewegung als dem angeblich Eigentlichen 44 Grass, Theologie, 229. 45 Liebenberg, Gott, 331 f. 46 Kurz, Denken, 520 f. 47 Liebenberg, Theologie, 136. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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des Nationalsozialismus zu projizieren, alle negativen Seiten aber, d. h. eben jenen ideologischen Überbau, der Partei zuzuschreiben und damit als sekundär zu erklären. Durch diese Trennung zwischen politischer Bewegung und politischer Weltanschauung war es Althaus möglich, den Nationalsozialismus in erster Linie als Freiheitsbewegung bzw. als Realpolitik wahrzunehmen48. Nicht zuletzt aus diesem Grund konnte und wollte er nicht die nationalsozialistische Umfüllung und inhaltliche Neubestimmung von politisch-sozialen Schlagwörtern wahrnehmen: So bedeutete für ihn z. B. das Schlagwort von der „Volksgemeinschaft“ die Überwindung der sozialen Gegensätze, während für den Nationalsozialismus der Begriff rassenbiologisch gefüllt war49. Die Gründe dafür, „warum die traditionellen Vorbehalte gegen den Natio­ nalsozialismus verschwinden konnten“, sieht Weiling in einer „Mischung aus Täuschung und Selbsttäuschung, deren Opfer maßgebliche kirchliche und konservative Kreise wurden.“50 Doch greift eine solche Erklärung zu kurz. Denn mit Sontheimer ist gerade in diesem historischen Zusammenhang daran zu erinnern, dass zur Täuschung immer zwei gehören: „Hitler war gewiß skrupellos in der Wahl seiner Prinzipien, und viele seiner welt­ anschaulichen Bekenntnisse waren nur Köder fürs Volk, aber daß man die Täuschung nicht wahrnahm, daß man etwa glaubte, der Führer sei ein religiöser Mensch, nur weil er den Namen Gottes im Munde führte, oder er denke allein an die legitimen Interessen des deutschen Volkes, weil er sich ständig als deren gewissenhafter Anwalt aufspielte, das sind Phänomene, die man nicht mit bloßer Propagandawirkung erklären kann, wirkt doch auch Propaganda nur da, wo in der geistigen Haltung der ihr Unterworfenen eine gewisse Bereitschaft besteht, sie wirken zu lassen.“51

Auch bei Althaus bestand nicht zuletzt unter dem Druck der belastenden Erfahrung der Gegenwart als Zeit andauernder Krise für christlichen Glauben und deutsches Volk eine solche „gewisse Bereitschaft“, und er versäumte es daher, Hitlers Versprechen an seinen eigenen früheren und aktuellen Äußerungen und Taten zu messen. Seine Hoffnungen auf ein christliches Deutschland und die vermeintlichen weltanschaulichen Übereinstimmungen – so wie Hitler sich gab – waren zu groß.

48 Vgl. Feige, Varieties, 259. 49 Vgl. Der Neue Brockhaus, 606. 50 Weiling, Bewegung, 308. Zur tragischen Unterschätzung Hitlers in weiten deutschen jüdischen Kreisen vgl. Blumenfeld, Judenfrage, 165.199–207. 51 Sontheimer, Denken, 314 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

2. Faktoren der Resistenz gegen den Nationalsozialismus Es gilt festzuhalten, dass Althaus auch und gerade gegenüber dem National­ sozialismus seiner altkonservativ-christlichen Haltung treu blieb. Er hing nach seinen eigenen Angaben „dem altkonservativen und dem Bismarckischen [sic!] Staatsgedanken“ an, der ihm als „durchaus ‚lutherisch‘ geartet“ erschien1. Auch wenn er bereit war, um der Sache des Glaubens willen so manches Zugeständnis an den herrschenden Zeitgeist zu machen, so prägte der christliche Glaubensgehalt entscheidend und nachhaltig auch seine politische Haltung und setzte seiner Anfälligkeit für den Nationalsozialismus Grenzen2. Althaus blieb auch nach 1933 deutsch-national, was ihm von nationalsozialistischer Seite zum Vorwurf gemacht wurde. So lautet für Oberheid der Gegensatz zwischen Althaus und dessen vom Geist des Nationalsozialismus beseelten Gegnern der Thüringer Deutschen Christen noch im Jahr 1936 „national  – nationalsozialistisch“ und ist damit „ein Unterschied wie Tag und Nacht“3. Dieser Unterschied beruht für ihn nicht nur auf einem theologischen, sondern folgerichtig auch auf einem „politische[n] Gegensatz“: „Leffler und Leutheuser kommen aus dem nationalsozialistischen Kampf. Sie sind mit Leib und Seele Nationalsozialisten. Althaus ist das nicht. Bei aller Anerkennung des neuen Staates ist ihm der Kern, die Urzelle des Dritten Reiches, die national­ sozialistische Bewegung, innerlich fremd. […] Hier liegt der Grund, warum Althaus an keiner Stelle wirklich konkret von der heutigen politischen Wirklichkeit spricht. Er kennt sie nicht, oder er will sie nicht kennen.“4

Zu Althaus’ altkonservativ-christlicher Grundhaltung gehörte insbesondere, dass er sich Deutschland und das deutsche Volk ohne Christentum und ohne christliches Wertefundament überhaupt nicht vorstellen konnte. Bezeichnenderweise erkannte er – wie so viele andere Theologen auch – gerade an der Infragestellung dieser Überzeugung durch den Nationalsozialismus zum ersten Mal eindeutig dessen aggressiv-destruktiven Charakter5. Als weitere Konsequenz bewahrt Althaus seine altkonservativ-christliche Haltung vor der Übernahme rassistischer Ideologie mit ihrem vulgären Biologismus6. 1 2502 Haltung, 158. 2 Liebenberg, Gott, 355 spricht bei Althaus von einem „religiös vereinnahmten Patriotismus“. 3 Oberheid, Christentum, 29. 4 Ebd., 26. 5 Nach Peters, Erklärung, 352 „läßt sich aus den Schriften von Althaus aufweisen: Die volkhafte Humanität des deutschen Idealismus bewahrte noch so viel biblisches Fundament in sich, um den Übergriffen und Rechtsbrüchen des Hitlerregimes gegenüber Widerstand zu leisten“. 6 Vgl. Feige, Varieties, 267. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Das Spezifikum des christlichen Standpunkts Althaus’ ist seine reformatorisch-lutherische Warte. So konstatiert schon Wolfgang Tilgner: „Die Ordnungstheologie von Althaus steht von Anfang an stärker unter dem Einfluß von Luther-Studien und einer reformatorisch-konservativen Haltung als bei Hirsch oder Gogarten. Die Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat bzw. von Glaube und Volkstum wird bei Althaus dadurch zwar in die Richtung einer völkischen Theologie gelenkt, aber gleichzeitig immer wieder durch den reformatorischen Sünden­ begriff in Frage gestellt.“7

Eng damit zusammen hängt Althaus’ konsequente Schöpfungsordnungstheologie als Faktor der Resistenz gegen den Nationalsozialismus. Für ihn geht es in seiner Schöpfungsordnungstheologie um nichts weniger als darum, das eigene Volk religiös zu verbrämen, wie es völkische Theologie tat, sondern darum, konsequenterweise alle Völker als „Gedanken Gottes“ (Leopold von Ranke) im Rahmen der einen Menschheit zu verstehen. An diesem Punkt geht es Althaus einmal mehr um die Wahrnehmung der theonomen Verfasstheit der Welt, d. h. er ist tatsächlich religiös-theologisch motiviert – im Gegensatz zur völkischen Religiosität. Mit dieser Volkstumstheologie zieht Althaus folgerichtig gegen Nationalismus und Chauvinismus ins Feld, nachdem er bereits während des Ersten Weltkriegs die Warnung ausgesprochen hatte: „Bedenklich für ein Volk kann es aber werden, wenn seine einflußreichen Männer und maßgebenden Führer, seine Beamten und Volkserzieher der blinden Vaterlandsliebe verfallen. Hier gilt es, unendlich wachsam zu sein.“8

Auch als im „Dritten Reich“ Nationalismus und Chauvinismus zur Staats­ doktrin gehören, erhält sich Althaus diese Wachsamkeit. So wendet er sich mit seiner konsequenten Schöpfungsordnungstheologie mit deutlichen Worten gegen die herrschende NS-Ideologie, wenn er 1937 schreibt: „Unsere Betonung von Volk, Volkstum, Rasse denkt nicht daran, die Menschheit zu leugnen oder zu vergleichgültigen und zurückzustellen, die Einheit und Gemeinsamkeit des Menschentums.“ Für ihn haben „die Völker ihr Leben nur als Glieder der in Völkern verfaßten Menschheit, als Volk unter Völkern“, und es ist für ihn „Schöpferordnung, daß die Völker voneinander und füreinander leben“, denn: „Es gibt keine völkische Autarkie.“9 7 Tilgner, Volksnomostheologie, 180. Althaus’ „reformatorisch geschultes Denken“ verhindert laut Tilgner „die einseitige Herausbildung einer volksbiologischen Metaphysik“ (ebd., 186). 8 1602 Vaterlandsliebe IV, 2. 9 3708 Kirche, 22; Hervorhebung von Althaus. Dementsprechend spricht er von der „bewuß­ te[n] Verantwortung“ eines Volkes „für das Leben seiner Nachbarn und Mitvölker“ und von der „Pflicht, ihnen zu dienen, wo die Beziehung des Lebens und die Not es fordert“ (ebd., 23). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Führte auf der einen Seite ein Gefälle von Althaus’ geistig-kulturell-sittlichem Antisemitismus zum Nationalsozialismus, so war er doch auf der anderen Seite immun gegen dessen Rassenantisemitismus, der in den Juden das zu eliminierende Gegenvolk zu den Deutschen sah. Diese Resistenz hatte sowohl exegetisch-theologische (bleibende Erwählung des Volkes Israel; Jesus als Jude), als auch volkstumstheologische (Schöpfungsreichtum Gottes; eschatologischer Vorbehalt) Gründe. Eng zusammen mit Althaus’ Bewusstsein für die eine Menschheit, die sich in einzelne Völker aufgliedert, hängt sein Verständnis für die die „Wirklichkeit“ des Volkstums transzendierende Größe der (unsichtbaren) Kirche und für eine ökumenische Zusammengehörigkeit und Zusammenarbeit der (sichtbaren) Kirchen unterschiedlicher Völker. Die von den Völkischen und insbesondere von den Nationalsozialisten vorgenommene Entwertung aller sozialen Realitäten, die sich nicht mit dem eigenen Volkstum decken, ist für Althaus undenkbar: Bei ihm geht Christentum und Kirche über Volkstumsgrenzen hinaus. Sein ökumenisches Engagement diente nicht zuletzt der Völkerverständigung. Sowohl aus der eingangs genannten altkonservativ-christlichen Grundüberzeugung vom christlichen deutschen Volk mit christlicher Wertebasis als auch aus dem Glauben an die „Wirklichkeit“ der unsichtbaren Kirche speist sich Althaus’ tiefe Einsicht in die notwendige und nötigenfalls zu verteidigende Selbständigkeit der Kirche10. Bereits in seinen „Leitsätzen zur Ethik“ hatte Althaus „die selbständige Lebendigkeit und Eigengestalt der Kirche gegenüber der Volksgemeinschaft“ gefordert11. In dieser Frage kam bei ihm lutherische Zwei-Reiche-Lehre in ihrer kritischen Potenz gerade im Gegenüber zum Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus zum Tragen. So sehr Althaus vor 1933 für einen autoritären Volksstaat plädiert hatte, so sehr sprach er sich im „Dritten Reich“ gegen den totalitären Staat aus12. Ließ sich Althaus anfangs noch von beschwichtigenden Äußerungen seitens des NS-Re­gimes blenden13 und erklärte er die „deutlich totalitäre[n] Züge“14 des neuen Staates „von seiner Verantwortung für das Leben des Volkes her“ als „ein in der Exis 10 Dies dürfte der Grund dafür sein, warum Althaus den Hitlervertrauten Ludwig Müller als künftigen Reichsbischof ablehnte und ihn schnell wieder loswerden wollte. 11 2806 Leitsätze, 74; vgl. ebd., 76. 12 Für Hamm, Schuld, 42 entsprach Althaus damit einer weitverbreiteten Haltung innerhalb des deutschen Luthertums: „Es bestand in den lutherischen Kirchen ein starkes, in ihrer Ekklesiologie und ihrem Obrigkeitsverständnis angelegtes Gefälle zum Autoritären und zu einer faschistischen (nicht totalitären) Staatsordnung, zum Führer- (aber nicht Terror-)Staat.“ 13 Naiv beruft sich Althaus im Mai 1934 auf Rosenberg: „Zu Beginn dieses Jahres hat Alfred Rosenberg im ‚Völkischen Beobachter‘ maßgeblich erklärt, daß der Nationalsozialismus mit der Tendenz auf einen totalen Staat nichts zu tun habe.“ (3403 Staat, 131 f.). 14 Ebd., 131. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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tenznot eines großen Volkes notwendiger Gegenschlag gegen die ‚Freiheit‘ vieler Lebensgebiete im neutralen Staate“ und damit als „etwas Vorübergehendes“, als zeitbedingter „therapeutischer Eingriff“ im Dienst am Volk15, so fand er wenige Jahre später – desillusioniert über die wahren Absichten des Regimes – deut­liche Worte gegen den totalitären bzw. den absolutistischen Staat, wie er es nennt: „Sicherlich kann solche Totalität der Gefahr eines Absolutismus verfallen, bei dem der Staat alles selber machen und reglementieren will […]. Aber ein Staat, der sich als ­Diener an dem Leben des Volkes weiß, wird die anderen Gemeinschaften und Ordnungen im Volke […] nicht ihres eigenständigen ursprünglichen Lebens berauben.“16

Im Blick auf die Kirchen heißt das für Althaus dann, „daß der Staat die christliche Grundlage des Volkstums anerkennt, das Volksleben der Einwirkung der christlichen Gedanken und Kräfte offenhalten will […]. Wo diese Voraussetzung noch nicht oder nicht mehr gegeben ist, da ist kein Raum für Verbundenheit und Dienstgemeinschaft von Staat und Kirche. Da kann die Kirche nur leidend kämpfen, kämpfend leiden.“

Die Kritik am „Dritten Reich“ spitzt Althaus mit den Worten zu, „im autoritären Führerstaat mit totalitären Zügen steht die Kirche in Gefahr, zur Winkelsache zu werden“17. Mit dieser Zurückweisung des Totalitarismus und mit der auf Apg 5,29 fußenden Einsicht in die Gewissensfreiheit, verbunden mit der Überzeugung von der Theonomie des Volkstums, kommt Althaus gerade im „Dritten Reich“ dazu, in seiner politischen Ethik das Revolutionsrecht und damit auch das Widerstandsrecht gegen das NS-Regime weiter auszubauen18. Freilich  – das ist sogleich hinzuzufügen – ist diese Tatsache nicht geeignet, Althaus zum Vordenker des Widerstands zu stilisieren19. Trotz aller Theozentrik in Althaus’ Denken, Fühlen und Glauben, die Liebenberg detailliert herausgearbeitet hat, besaß der Dogmatiker und Neutestamentler Althaus ein klares christologisches Profil, das ihn gegen völkische Irr 15 Ebd., 133 f. 16 3708 Kirche, 30; Hervorhebung von Althaus. 17 Ebd., 32. 18 Vgl. Kap. IV, 4.2. 19 In diese Richtung sehe ich Peters tendieren, wenn er schreibt, Althaus’ Schrift „Obrigkeit“ setze 1936 „Überlegungen frei, die weit über Barmen hinaus den Widerstand gegen das Hitler­ regime ‚theologisch‘ zu untermauern vermögen.“ (Peters, Erklärung, 348 f.). Etwas weniger hochgegriffen schreibt er weiter: „Althaus selber dürfte kaum die Tragweite des 1936 Formulierten erahnt haben. Dennoch hat er – freilich auf den Kampf ums Volkstum eingeengt – hier Kernthesen formuliert, wie sie präziser dann Barth seit 1938 in seinen Aufrufen zum Widerstand gegen das nihi­listische Hitlerregime aufstellte.“ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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lehre und insbesondere den Versuch der Deutschen Christen, den christlichen Glauben durch das Einfließen nationalsozialistischer Ideologie hin zu einem „SA-Christentum“ zu transformieren, resistent machte. Um nur einige Topoi zu nennen: Gegen einen völkisch überformten, „heldischen“ Jesus, dessen Opfertod zum Vorbild für ein „Sterben fürs Vaterland“ herhalten soll, setzt Althaus die Botschaft vom Kreuz20. Gegen einen völkisch überformten, „arischen“ Jesus, der als Vorkämpfer gegen die Juden herhalten soll, setzt Althaus die historische und theologische Tatsache, dass Jesus selbst Jude war21. Gegen eine völkisch überformte Ekklesiologie setzt Althaus die christliche Überzeugung, dass allein Jesus Christus „Der Herr der Kirche“ ist22 – so der programmatische und zugleich apologetische Titel seiner Reihe von Predigtsammelbänden, die Althaus 1934 bis 1941 veröffentlichte23. So ist Tilgner der Auffassung, dass auch und gerade im „Dritten Reich“ die Predigten von Althaus „das Christusbekenntnis uneingeschränkt zur Geltung bringen“24. Althaus kannte nicht nur den „Gott der feldgrauen Männer“, sondern auch den jüdisch-christlichen Gott. Nicht zuletzt war der eschatologische Charakter der Althausschen Theologie ein wichtiger Resistenzfaktor dagegen, dem „nationalsozialistischen Bazillus“ zu erliegen. Nach Wilhelm Maurer hat Althaus „die exegetische Einsicht von dem eschatologischen Charakter aller biblischen Verkündigung in sein systematisches Denken aufgenommen“25. Diese Erkenntnis, diese Wiederentdeckung der Eschatologie, ließ Althaus bei aller Hochschätzung und allem Ernstnehmen des Gottesregiments zur Linken dessen Grenze im eschatologischen Vorbehalt erkennen und bewahrte ihn davor, offenbarungstheologische Kurzschlüsse zu begehen, wie sie die Deutschen Christen mit ihrer Gleichsetzung von deutscher Geschichte und göttlicher Heilsgeschichte als Negativbeispiel vorführten. So stellt für Kurz Althaus’ Geschichtstheologie „einer fortschrittsgläubigen immanenten Gleichsetzung von Welt- und Heilsgeschichte, wie sie von politischen Ideologien, sei es der Nationalsozialismus oder der Sozialismus, immer wieder angestrebt wurden, die grundsätzliche Unverfügbarkeit der ‚senkrecht auf der Geschichte stehenden‘ Heilsgeschichte entgegen“26. 20 Vgl. Kap. IV, 7.6. 21 Vgl. Kap. IV, 5.2.1. 22 Die Verwerfung der zweiten Barmer These hätte Althaus somit ohne weiteres unterschreiben können. 23 All seine vor 1933 erschienenen Predigtsammelbände hatten ausschließlich theozentrische Titel. 24 Tilgner, Volksnomostheologie, 193, Anm. 62; vgl. Ericksen, Theologen, 162, der über Althaus urteilt: „Zu keiner Zeit hat er fundamentale Elemente seines Glaubens der Begeisterung für den Nationalsozialismus geopfert.“ 25 Maurer, Situation, 167. 26 Kurz, Denken, 482. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

3. Zwischen Zeugnis und Zeitgeist: Paul Althaus in der Zeit der Weimarer Republik Gespeist von seinen familiären und mentalitätsbedingten Prägungen und Präferenzen entwickelte Althaus bereits während des Ersten Weltkriegs seine große Vision einer wechselseitigen religiösen und sittlichen Befruchtung von volksbezogener Kirche und kirchenbezogenem Volk. Das (volks-)missionarische Anliegen der Rechristianisierung Deutschlands und davon ausstrahlend der noch nicht missionierten Welt hatte für ihn die Bedeutung eines „Lebenszieles“1. Sein methodischer Weg dazu war die auf seiner Uroffenbarungslehre fußende Anknüpfungskonzeption, die dem modernen Menschen erst auf der Ebene seiner Welterfahrung entgegentreten sollte, um ihm darauf aufbauend das Christuszeugnis zu verkündigen. Diese Konzeption ließ Althaus um der Sache des Glaubens wegen auch Akkomodationen vornehmen und geistige Koalitionen eingehen, die ihm selbst problematisch und bedenklich erschienen2. Wenn er auch solche Bedenken oftmals seinem Lebensziel unterordnete, so hatte die Akkomodation doch auch klare Grenzen, die sich aus der christlichen Botschaft selbst ergaben. Im Sinne dieses volksmissionarischen Anknüpfungskonzeptes wollte Althaus vor der Welt nicht nur Zeugnis ablegen, das der biblisch-christlichen Botschaft, d. h. dem Kriterium der Schriftgemäßheit entsprach, sondern das insbesondere auch den modernen Menschen erreichte, d. h. das Kriterium der Zeitgemäßheit erfüllte – so problematisch ihm dieses Kriterium selbst erschien3. So war Althaus mit seiner Art, Theologie zu treiben und den christlichen Glauben zu verkündigen, immer am Puls der Zeit, immer tagesaktuell. Stets suchte er das theologische Gespräch, auch und gerade über die Grenzen der evangelischen Theologie hinaus: sei es mit den Staatswissenschaften oder den Humanwissen 1 Liebenberg, Gott, 491; vgl. ebd., 156. 2 Des schmalen Grates, der seinem volksmissionarischen Konzept der Anknüpfung eignet, ist er sich sehr wohl bewusst, wenn er schreibt: „Wir ringen darum, das Evangelium zusammenzudenken mit dem Besten, was deutscher idealistischer Geist geschaut und gedacht hat. Wir dürfen nicht anders, die Liebe gebietet es, die Verantwortung des Zeugendienstes an unseren Gebildeten fordert es – und fühlen doch sogleich die Gefahr, die Härte des Evangeliums in einer ‚Synthese‘ zu verraten an menschliche Gedanken.“ (2410P Zeiten, 103). 3 „Wir stehen selber“, so Althaus 1925, „als die Fragenden mit in unserer Zeit, von ihren Hemmungen auf dem Wege zu Gott mit-gehemmt, an ihren Irrgängen selber beteiligt, in ihre De­ kadenz selber hineingerissen. Wir ringen mit uns, wenn wir mit der Moderne ringen. Protestantische Theologie kann nie vergessen, […] daß das christliche Denken immer in Gefahr steht den Mächten der Zeit selber zum Opfer zu fallen – weit entfernt reine, gegenwartsmächtige Darstellung des Evangeliums zu sein“ (2507 Christentum, 157). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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schaften, mit dem Religiösen Sozialismus oder dem religiösen Nationalismus, mit dem Judentum oder den Religionen des Fernen Ostens4. So hatte Althaus’ volksmissionarisches Wirken stets apologetischen Cha­ rakter. Für Michael Roth ist Althaus daher „‚Apologet als ‚Anknüpfungstheo­ loge‘“5. Vor dem Hintergrund einer immer mehr als säkularisiert empfundenen Gesellschaft bekam Althaus’ apologetisches Anliegen vermehrtes Gewicht. Es ging ihm um nichts weniger, als die lutherische Kirche am religiös-weltanschaulichen Markt der Möglichkeiten im unübersichtlichen Pluralismus der Weimarer Republik konkurrenzfähig zu erhalten und verlorenen Boden zurückzuerobern. In einer Zeit, in der viele Evangelische die Überzeugung vertraten, dass „der deutsche Protestantismus zu den Besiegten des Weltkrieges und der Revolution gehört“ (Rudolf Smend), war es Althaus’ Anliegen, das überkommene Ideal des Protestantismus und besonders seiner Theologie als deutscher Leitkultur wieder als Realität zu etablieren. „Die Theologie wählt sich ihre jeweiligen Probleme nicht selbstherrlich und willkürlich. Sie sind ihr durch die Zeit gestellt.“6 Mit diesen Worten aus dem Jahr 1929 brachte Althaus sein oftmalig reaktives und situatives Vorgehen selbst auf den Punkt. Als Apologetiker verstand er sich, z. B. was den wachsenden Einfluss der völkischen Bewegung oder was den zunehmenden Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft betraf, herausgefordert, im Namen von Theologie und Kirche Stellung zu beziehen. Dabei zeigte sich seine Fähigkeit, sich auf die jeweilige Herausforderung für den eigenen Glauben einzustellen und situationsbezogen zu reagieren. Nicht zuletzt daraus erklärt sich auch seine Vielschichtigkeit, Differenziertheit und Ambivalenz. So argumentierte er gegen Religiösen Sozialismus bzw. Pazifismus theozentrisch, aber gegen die „deutsche Mystik“ bzw. den Idealismus oder auch gegen völkisch-religiöse Tendenzen christozentrisch. Über dieses Phänomen, das Althaus’ methodische Vorgehensweise charakterisiert und damit zum Verständnis gerade seiner politischen Theologie beiträgt, urteilt Tilgner: „Althaus entwickelt seine theologischen Thesen in der ständigen Abwehr gegnerischer Positionen, nimmt deren Thematik jedoch in einem neutralisierten und entschärften 4 Schon die Titel seiner Veröffentlichungen sprechen eine deutliche Sprache: „Glaube und Vater­land“, „Staatsgedanke und Reich Gottes“, „Evangelium und Leben“, „Bildung und Glaube, „Der Wahrheitsgehalt der Religionen und das Evangelium“; oder „Christus und die deutsche Seele“. 5 Roth, Gott, 388. 6 2909 Theologie, 121; vgl. Althaus’ Votum: „Das Geistesleben empfängt seine Themata aus dem Leben selber.“ (3108 Botschaft, 481). © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Zustand in seine eigene Theologie auf. Daher gewinnt das theologische Denken bei Althaus das Aussehen einer irenischen, die Extreme versöhnenden Haltung, allerdings mit der Folge, daß seine eigene Auffassung dem theologischen Radikalismus oft zu unkritisch gegenübergetreten ist.“7

„Die Kunst Althaus’, Wahrheiten sehr unterschiedlicher, ja entgegengesetzter Positionen glättend und mit schlagenden Formulierungen miteinander zu verbinden, tritt oft genug hervor.“8 So lautete schon das zeitgenössische Urteil über Althaus. Seinem reaktiven Vorgehen, aber auch seinem apologetischen Anknüpfungskonzept und überhaupt seinem ausgleichenden Naturell, entspricht und entspringt seine Ja-aber-Dialektik, die seinem Argumentationsstil in besonderer Weise eignet9. „‚Das Für und Wider, das Einerseits – andererseits, das Sowohl – als auch und das Ja – aber‘ bei der Behandlung der einzelnen Positionen“, so Hugo Maser, „schulte das theologische Denken der Hörer, machte sein Luthertum freier und lebendiger, konnte aber für Althaus in den Jahren der Entscheidung auch zur Gefahr werden. Persönlich war er eine auf Harmonie bedachte irenische Natur.“10

Dass allerdings auch eine Ja-aber-Dialektik geeignet war, unchristliche Irrlehren wie die der Thüringer DC zu bekämpfen und diese massiv herauszufordern, zeigt die Replik des DC-Theologen Heinrich Oberheid, der aus seiner Sicht Althaus’ Ja als „Sätze freundlich überlegenen Wohlwollens“ entlarvt, die aber „durch das berüchtigte professorale ‚aber‘ sofort wieder in das Gegenteil verkehrt“ würden11. Aus dem bisher Gesagten über Althaus’ irenische Natur und über seine Fähig­keit, Gegensätze zusammenzudenken und zum Ausgleich zu bringen ergibt sich bereits ein nächstes Charakteristikum der Person und der Haltung von Althaus: Er war ein Mann der Mitte, ein „Vermittler“, wie ihn Robert Ericksen nennt. Für diesen war dies „einer seiner stärksten Charakterzüge“, sowohl auf theologischem als auch auf politischem Gebiet. „Althaus wehrte sich absolut dagegen, radikal zu sein. Er verfügte über ein starkes Empfinden für eine Position der Mitte, und genau da wollte er sich aufhalten, da fühlte er sich wohl.“12 Für Karlmann Beyschlag hatte Althaus „den Mut, ein ‚Mann der

7 Tilgner, Volksnomostheologie, 182. 8 So der Greifswalder Systematiker Wilhelm Koepp in einer Rezension zu Althaus’ „Leitsätzen zur Ethik“ in: ThLBl 1929, 140. 9 Scholder, Kirchen, 603 spricht von einer „Ja-Aber-Theologie“. 10 Maser, Kirche, 48. 11 Oberheid, Christentum, 5. 12 Ericksen, Theologen, 119. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Mitte‘ zu sein inmitten einer Zeit sich überschlagender theologischer Extreme und Dissonanzen.“13 Theologisch wollte er einen Mittelweg einschlagen zwischen Kulturprotestantismus und Dialektischer Theologie14, politisch meinte er als Deutschnationaler nicht-hugenbergscher Richtung das Extrem zu meiden, und auch kirchenpolitisch saß Althaus nach 1933 zwischen den Stühlen und war der Bekennenden Kirche nicht eindeutig zuortenbar. So charakterisiert Feige Althaus’ kirchenpolitische Position: „Although Althaus joined the Confessing Church […], his membership was rocky, beset by controversies in which he demonstrated his theological und political in­ dependence and his mediating disposition. Ultimately it was a position between the radical faction of opposition and the ‚German Christians‘, a position characteristic of the Lutheran middle.“15

Für Scholder gehört Althaus’ Position zum „mittleren Kurs“ und dürfte „weithin der landeskirchlichen Normaltheologie entsprochen haben“16. Althaus befand sich im Spannungsfeld zwischen altkonservativ-christlichem und jungkonservativ-völkischem Denken, Fühlen und Glauben. Vereinfachend könnte man es so auf den Punkt bringen: Während sein politisches Wahrnehmungsinstrumentarium und damit sein subjektives Problembewusstsein sich zunehmend jungkonservativ ausrichtete, blieben seine Wertebasis und damit seine Zielvorstellungen und Problemlösungen altkonservativ, d. h. christlichsittlich. Neuen Fragen begegnete Althaus mit alten Antworten. Das altkonservativ-christliche Element blieb Kernbestand seiner Mentalität, das Spannungsfeld mit dem jungkonservativ-völkischen Element erklärt sich mit dem von Frank-Michael Kuhlemann angenommenen „Modell konzentrischer, zugleich aber durchlässiger Kreise“: „Während der innerste Kreis […] den Kernbestand einer bestimmten Menta­lität symbolisiert, sind ihm eine Reihe weiterer Kreise mit zusätzlichem Mentalitäts­ inhalt angelagert, die zusammen ein mentales Muster repräsentieren. Je weiter die Kreise vom Kern entfernt sind, desto labiler wird aber die konzentrische Struktur, so daß es an den Rändern durchaus zu einer Deformierung der ursprünglichen Ordnung, zur Abspaltung alter oder auch zur Aufnahme neuer Elemente kommen kann.“17

13 Beyschlag, Theologie, 187. Auch für Roth, Gott, 389 war Althaus ein „Theologe der ‚echten Mitte‘“. 14 Vgl. Wimmer, Eschatologie, 28.93.329. 15 Feige, Varieties, 262. 16 Scholder, Kirchen, 604. 17 Kuhlemann, Mentalitätsgeschichte, 195 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Auch bei Althaus lagerten sich jungkonservativ-völkische Elemente an und übten Einfluss auf sein Denken, Fühlen und Glauben aus, verdrängten aber den altkonservativ-christlichen Kern nicht. Schließlich ist bei Althaus zu unterscheiden zwischen Intention und Rezeption, d. h. dem, was er beabsichtigte und selbst meinte, und dem, wie er aufgefasst und interpretiert wurde. Das Problem seiner politischen Theologie war, dass er sich aus Gründen der Vermittlung und Anknüpfung der christlichen Botschaft aktiv in die gefährliche Nähe von Positionen begab, die für sich genommen vom christlichen Standpunkt aus eine Unmöglichkeit darstellten und dass er seinerseits mit dieser Methode leicht für solche Positionen passiv als Kronzeuge vereinnahmt werden konnte. Gerade sein differenziertes Urteil und seine Ja-aber-Dialektik bargen die Gefahr, dass nur sein Ja, nicht aber sein mehr oder minder großes Aber rezipiert wurde. Zu dieser Problematik schreibt Weiling im Blick auf die Theologen der Christlich-deutschen Bewegung, deren Vorträgen oder Aufsätzen es in seinen Augen „generell an detaillierten Ausführungen und Vorschlägen mangelte“: „Die Ansichten, welche die Universitätstheologen entwickelt hatten, waren oft abstrakt und schwer vermittelbar. […] Wenn ein theologischer Experte wie Althaus zudem auf dem Ausgleich verschiedener Meinungen bedacht war, mußte das die Laien­ führer [der CdB] zusätzlich irritieren: entweder nahmen sie dann nur selektiv das wahr, was ihren Interessen entsprach, oder sie sahen sich gezwungen, konkrete Handlungsanweisungen bei anderen Weltanschauungsgruppen zu holen.“18

Durch eine solche selektive Wahrnehmung aber ließ sich Althaus leicht theologisch und politisch für Positionen vereinnahmen, die nicht die seinen waren, die sich aber durch ihn legitimiert fühlten19. So gilt es, das Urteil aus den Vorbemerkungen aufzunehmen und festzuhalten: Insbesondere so wie Althaus rezipiert wurde, hat er mitgeholfen, Hemmungen gegenüber völkischem Gedankengut und damit auch dem Nationalsozialismus abzubauen. Allerdings kam eine solche Rezeption bzw. Vereinnahmung nicht von Ungefähr. Denn zu einer Vereinnahmung kann es nur dann kommen, wenn eine gewisse Grundübereinstimmung von Vereinnehmendem und Vereinnahmten besteht. Um mit Berndt Hamm zu sprechen: Seine politische Theologie hatte Züge, die auf die Position der Vereinnahmenden zuliefen. Um dabei aber nun der Gefahr eines

18 Weiling, Bewegung, 244. 19 So beispielsweise im „Falls Dehn“ durch die nationalsozialistischen Studenten in Halle, im Fall der Hirsch-Althaussche Erklärung durch die rechte Presse, im Fall des „Ansbacher Ratschlags“ durch die Deutschen Christen. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Determinismus zu entgehen, gilt es, sorgfältig zwischen Intention und Rezeption Althaus’ zu unterscheiden. Für Althaus, für den es nach eigener Aussage „die Kanzel ist, die mir auf dem Katheder immer wieder die Aufgabe stellt“20, vollzieht sich diese Aufgabe im Spannungsfeld von evangeliumsgemäßer Verkündigung und zeitgemäßer Weitergabe des christlichen Glaubens. Er agiert daher als Theologe und Mann der Kirche in der Zeit der Weimarer Republik zwischen Zeugnis und Zeitgeist.

20 4909 Brief, 4. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Abkürzungen APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte AStA Allgemeiner Studentenausschuss AT Altes Testament atl. alttestamentlich BK Bekennende Kirche BSB Blätter aus dem Schwarzburgbund CdB christlich-deutsche Bewegung CVJM Christlicher Verein junger Männer CSVD Christlich-sozialer Volksdienst DAZ Deutsche Allgemeine Zeitung DC Deutsche Christen DCSV Deutsche christliche Studentenvereinigung DDP Deutsche Demokratische Partei DEK Deutsche Evangelische Kirche DEKA Deutscher Evangelischer Kirchenausschuss DHV Deutscher Handlungsgehilfen-Verband DLoZ Deutsche Lodzer Zeitung DNVP Deutschnationale Volkspartei DPLo Deutsche Post Lodz DSb Die Schwarzburg DSB Der Schwarzburgbund DSt Deutsche Studentenschaft DVP Deutsche Volkspartei EAK Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen EKD Evangelische Kirche in Deutschland ELKB Evangelisch-lutherische Kirche in Bayern EPV Evangelischer Presseverband FAU Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg HdA Hochschulring deutscher Art JDVLo Jahrbuch des deutschen Vereins für Lodz und Umgebung KPD Kommunistische Partei Deutschlands LAELKB Landeskirchliche Archiv der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern MSPD Mehrheits-SPD N. F. Neue Folge NPA Nachlass Paul Althaus NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSDStB Nationalsozialistischer deutscher Studentenbund © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Abkürzungen

NT Neues Testament ntl. neutestamentlich OHL Oberste Heeresleitung PAA Personalakt Paul Althaus Pfr. Pfarrer SA Sturmabteilung SB Schwarzburgbund SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Sommersemester bzw. Schutzstaffel UA Universitätsarchiv USPD Unabhängige SPD VDA Verein für das Deutschtum im Ausland WS Wintersemester Weitere Abkürzungen nach Schwerdtner, Siegfried M.: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG), Berlin/New York 21992.

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Quellen und Literatur

1. Unveröffentlichte Quellen Evangelisches Zentralarchiv Berlin Bestand EZA 50/242: Althaus, Paul: Wiedergabe der Grundgedanken eines Vortrages: „Luthertum und Staatskirche“ (D. Althaus) [um 1934].

Stadtarchiv Erlangen Bestand III. 50. A. 1: Flugblatt des CVJM.

Universitätsarchiv Erlangen Bestand G 1/30: Nachlass Paul Althaus (NPA) 13/4: Althaus, Paul: Welche Aufgaben stellt uns Militär-Geistlichen die religiös-sittliche und vaterländische Not gegenüber unseren Gemeinden? Und wie ist ihre Lösung in Angriff zu nehmen? Leitsätze von Mil.-Gouv. Pfarrer Lic. Althaus, Lodz 1918. 13/4: Althaus, Paul, Die Aufgabe der Christenheit in Staat und Politik* [zwischen 1921 und 1925]. 13/4: Althaus, Paul, Die christliche Verkündigung und die Lebensfragen der Gegenwart [Vortrag auf einer Konferenz evangelischer Militärpfarrer am 14.6.1944 in Ansbach]. Bestand F 2/1 Nr. 2186 a-c: Personalakt Paul Althaus (PAA)

Landeskirchliches Archiv Nürnberg Bestand Manuskripte Ms 2467: Althaus, Paul, Predigt Reminiszere 1929 über Hebr 12,1.2 (24.2.1929). Bestand Personen XVIII (Wilhelm Stählin), Nr. 163

Landeskirchliches Archiv Stuttgart Bestand D1: Nachlass Landesbischof Wurm Nr. 169: Althaus, Paul, Stellungnahme zur Ansprache von KR Lehmann vom 1.9. 1942 [vom 21.9.42]. In: Dahinten, Paul/Papst, Walter: Chronik des Kirchenkampfes in der Thüringer evangelischen Kirche 1933–1945. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

Private Unterlagen Schwarke, Christian: Anfänge der „Zwei-Reiche-Lehre“ in den zwanziger Jahren. Motive – Tendenzen – Entwicklungen. Dargestellt an Paul Althaus [Wissenschaftliche Hausarbeit im Fach Systematische Theologie]. Hamburg 1986 [maschinenschriftlich]1.

2. Bibliographie von Paul Althaus Die hier erstmals vorgelegte vollständige Althaus-Bibliographie fußt für die Zeit bis 1933 im Wesentlichen auf der Bibliographie von Roland Liebenberg2. Für die Zeit nach 1934 wurden die Bibliographien von Wenzel Lohff3 und Hans Graß4 herangezogen. Alle bisherigen Bibliographien wurden ergänzt, stillschweigend korrigiert und in eine neue Reihenfolge gebracht. Von Otto Hass5 und Roland Liebenberg wurde das System eines Zifferncodes übernommen, wobei die ersten beiden Zahlen das Jahr der Abfassung der Veröffent­ lichungen wiedergeben, die letzten beiden Zahlen die fortlaufende Nummer innerhalb dieses Jahres. Unveränderte Neuauflagen sind erwähnt, erhalten aber keine eigene fortlaufende Nummer. Eine mit * gekennzeichnete Veröffent­ lichung ist erstmals in die Bibliographie aufgenommen. 2.1 Monographien, Sammelbände, Aufsätze, Schriften und Artikel 0701 [Hochschulnachrichten] Göttingen. In: DSB 17 (1907/08), Nr.  2 (November 1907), 27. 0801 SB und Freischar. In: DSB 17 (1907/08), Nr. 7 (April 1908), 101 f. 0802 Neues von der Freischarbewegung. In: DSB 17 (1907/08), Nr.  12 (September 1908), 205 f. 1101 Die Generalvisitation des D. Molanus in der Spezialinspektion Münden 1675. Mitteilungen aus ihren Akten. In: Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 16 (1911), 106–147. 1201 Die Generalvisitation. In: Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 17 (1912), 99–148.

1 Ein herzliches Dankeschön Herrn Prof. Dr. Christian Schwarke für die Zurverfügungstellung seiner Arbeit. 2 Liebenberg, Gott, 506–539. 3 Lohff, Bibliographie, 246–272. 4 Grass, Theologie, 213–241. 5 Hass, Strathmann. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Quellen und Literatur

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1202 Zur Geschichte des studentischen Ehrengerichtes. In: BSB 3 (1911/12), H.  2 (­Januar 1912), 53 f. 1203 Die christliche Studentenbewegung. I. Die Studentenmissionsbewegung. In: BSB 3 (1911/12), H. 3 (April 1912), 77–88. 1204 Die christliche Studentenbewegung. II. Die deutsche christliche Studentenver­ einigung (DCSV)*. In: BSB 3 (1911/12), H. 4 (Juli 1912), 109–124. 1301 Die christliche Studentenbewegung. III. Der christliche Studentenweltbund. In: BSB 4 (1912/13), H. 2 (Januar 1913), 54–78. 1302 Der Friedhof unserer Väter. In: AELKZ 46 (1913), Nr. 47 (21.11.1913), 1115– 1118; Nr. 48 (28.11.1913),1142–1146; Nr. 49 (5.12.1913), 1167–1169; Nr. 50 (12.12.1913), 1192–1194; Nr. 51 (19.12.1913), 1216 f. 1303 Vernunft und Offenbarung in der deutschen reformierten Dogmatik um 1600. Naumburg a. d. Saale 1913 [Dissertation Göttingen 20.12.1913 und Habilitationsschrift Januar 1914]. 1401 Die Prinzipien der deutschen reformierten Dogmatik im Zeitalter der aristote­ lischen Scholastik. Eine Untersuchung zur altprotestantischen Theologie. Leipzig 1914 [überarbeitete Fassung von 1303; als reprografischer Nachdruck: Darmstadt 1967]. 1402 Gespensterfurcht. Eine Antwort an die Studentenverbindung im SB Herminonia. In: DSB 23 (1913/14), Nr. 8 (Mai 1914), 127–129. 1403 Erklärung. In: DSB 23 (1913/14), Nr. 12 (September 1914), 195. 1404 Aus einem Lazarett im deutschen Osten. In: AELKZ 47 (1914), Nr.  49 (4.12. 1914), 1150–1157. 1405 Wir sind des Herrn! Zwei Predigten in der Weihnachtszeit 1914 den deutschen Kriegern zu Wloclawek gehalten*. Wloclawek 1915. 1501 Kommt, laßt uns anbeten! Acht Kriegspredigten in Russisch-Polen. Berlin 1915. 1502 Eindrücke und Gedanken eines Feldgeistlichen aus Lazaretten in Russisch-Polen. In: MPTh 11 (1914/15), 9. „Kriegsheft“ (Juli 1915), 381–393 [verfasst im ­Februar]. 1503 „Unser Herr Jesus.“ Eine neutestamentliche Untersuchung. Zur Auseinandersetzung mit W. Bousset. In: NKZ 26 (1915), H. 6 (Juni 1915), 439–457; H. 7/8 (Juli/August 1915), 513–545 [druckfertig im März]. 1504 [Nachruf ] Fritz Daur (Ni[caria]). In: DSB 24 (1914/15), Nr. 6 (März 1915), 82 f. 1505 Mitten aus Polen. Ein Lebenszeichen für die Freunde. In: DSB 24 (1914/15), Nr. 6 (März 1915), 83–85; Nr. 7 (April 1915), 103 f. 1506 Einkehr. In: DSB 24 (1914/15), Nr. 7 (April 1915), 99–103. 1507 Frühling bei Brzeziny. In: DSB 24 (1914/15), Nr.  10 (Juli 1915), 138; Nr.  11 (August 1915), 149 f. 1508 Der Friedhof unserer Väter. Ein Gang durch die Sterbe- und Ewigkeitslieder der evangelischen Kirche. Gütersloh 1915 [Umarbeitung und Erweiterung von 1302; Vorwort August 1915]. 1509 [Nachruf ] Wilhelm Hötzel (Ni[caria] G[ermania]). In: DSB 25 (1915/16), Nr. 1 (Oktober 1915), 4 f. 1510 Ihr und wir. Ein Wort an die Lodzer Deutschen. In: a) DPLo 1 (1915), Nr. 18 (24.10.1915), 1; b) 1601, 19–21. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

1511 Deutschtum und lutherische Kirche in Polen. In: a)  DPLo 1 (1915), Nr.  19 (31.10.1915), 1; b) 1601, 21–24. 1512 Predigtfahrten in Russisch-Polen*. In: 54. Kriegsnummer des Daheim 51 (1914/15), Nr. 46 (14.8.1915), 12. 1601 Lodzer Kriegsbüchlein. Deutsch-evangelische Betrachtungen. Göttingen 1916. 1602 Vaterlandsliebe und Frömmigkeit. In: DPLo 2 (1916), Nr.  6 (6.2.1916), 1 f.; Nr.  7 (13.2.1916), 1 f.; Nr.  8 (20.2.1916), 1 f.; Nr.  10 (5.3.1916), 2; Nr.  11 (12.3.1916), 2 f. 1603 Aus der Heimat. Lodzer Kriegspredigten. Lodz-Leipzig 1916 [Vorwort Pfingsten 1916]. 1604 Unsere Kirche. Ein Wort zum Pfingstfeste. In: DPLo 2 (1916), Nr. 24 (11.6.1916), 1. 1605 Zur Geschichte des Deutschtums in Polen. In: 1601, 6–18. 1606 Die Stellung der Kirche im Volksleben. Ein Wort zur allgemeinen Pastorenkonferenz des Warschauer Konsistorialbezirkes am 8. und 9. August. In: a) DPLo 2 (1916), Nr. 32 (6.8.1916), 1 f.; b) 1701, 25–36; c) 3311, 55–60 [gekürzt]. 1607 Die Zukunft unserer lutherischen Kirche. Zum Reformationsfeste 1916. In: DPLo 2 (1916), Nr. 45 (5.11.1916); 1 f. 1608 Der Segen der deutschen Reformation. Zum 31. Oktober 1917. In: JDVLo 1917, 33–43. 1609 Ansprache [bei der Weihe des Soldatenfriedhofes auf dem Gräberberg bei Rzgów am 7.11.1916]. In: a) DPLo 2 (1916), Nr.  47 (19.11.1916), 2 f.; b)  DLoZ 2 (1916), Nr. 310 (8.11.1916), 1 [Auszug]. 1610 Volkssitten und Volksfeste. Zum Weihnachtsfeste 1916. In: DPLo 2 (1916), Nr. 52 (24.12.1916), 1 f. 1701 Um Glauben und Vaterland. Neues Lodzer Kriegsbüchlein. Göttingen 1917 [Vorwort Januar 1917]. 1702 Lutherbücher. Zur Vorbereitung der Reformationsjubelfeier 1917. In: DPLo  3 (1917), Nr. 9 (4.3.1917), 1 f. 1703 Ostern!. In: DPLo 3 (1917), Nr. 14 (8.4.1917), 1. 1704 Vom neuen deutschen Reichskanzler. In: DPLo 3 (1917), Nr. 29 (22.7.1917), 2 f. 1705 Die Reformationsjubeljahre 1617, 1717, 1817. In: DLoZ 3 (1917), Nr.  234 (26.8.1917), Beiblatt. 1706 Luther und das Deutschtum (Reformationsschriften der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz 11). Leipzig 1917. 1707 Glaube und Vaterland. Vortrag gehalten im Deutschen Verein zu Lodz vor seiner Exzellenz dem Herrn Generalgouverneur am 28. September 1917. In: a) JDVLo 1918, 5–19; b) DPLo 3 (1917), Nr. 40 (7.10.1917), 1 [Zusammenfassung]. 1708 Die deutsch-lutherische Kirche im Königreich Polen. In: Süddeutsche Monatshefte (Kriegshefte) 15 (1917/18), Teilband I (Oktober 1917–März 1918), Oktober 1917: Der Protestantismus, 79–84. 1709 Worüber Luther sich heute wundern würde. In: Unsere Kirche. Amtsblatt des Evangelisch-Augsburgischen Konsistoriums in Warschau 11 (1917), Nr. 43 (28.10. 1917), 343–345. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Quellen und Literatur

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1710 Luther, der deutsche Prophet [Vortrag auf der Reformationsjubelfeier des Deutschen Vereins am 31.10.1917]. In: DPLo 3 (1917), Nr. 44 (4.11.1917), 1. 1801 Die Deutschen in Polen. Offener Brief an Herrn Zivil-Ingenieur L. K. ­Fiedler in Charlottenburg [geschrieben am 5.2.1918]. In: DPLo 4 (1918), Nr. 6 (10.2.1918), 1 f. 1802 Die Schicksalsstunde der Deutschen in Polen [Festrede am Festabend der Jugendabteilung des Deutschen Vereins am 4.4.1918]. In: DPLo 4 (1918), Nr. 15 (14.4.1918), 2 f. 1803 Ansprache [auf der ersten Hauptversammlung des deutschen Lehrerverbandes in Polen am 5.4.1918]. In: DPLo 4 (1918), Nr. 15 (14.4.1918), 3.  1804 Begeisterung und Geist. Zum Pfingstfeste 1918. In: DLoZ 4 (1918), Nr.  138 (19.5.1918), 1 f. 1805 Festansprache [auf dem Gartenfest des Deutschen Vereins in Lodz am 30.5.1918 im Helenenhof ]. In: a) DPLo 4 (1918), Nr. 23 (9.6.1918), 1; b) DLoZ 4 (1918), Nr. 151 (2.6.1918), Beiblatt 2. 1806 Luthers Glaube [Vortrag auf der Reformationsfeier des Deutschen Vereins am 31.10.1918]. In: DPLo 4 (1918), Nr. 44 (10.11.1918), 1. 1807 Sind unsere Brüder vergeblich gestorben?. In: Die Reformation. Deutsche Evangelische Kirchenzeitung für die Gemeinde 17 (1918), Nr. 45 (10.11.1918), 354 f. 1808 Wie sollen wir den Männern predigen? Kriegslehren für unsere Wortverkündigung. In: NKZ 29 (1918), H. 12 (Dezember 1918), 603–637. 1809 Unser gutes Gewissen und unsere Buße. Worte eines Heimgekehrten. In: Die Refor­ mation. Deutsche Evangelische Kirchenzeitung für die Gemeinde 18 (1919), Nr. 4 (26.1.1919), 27–29; Nr. 5 (2.2.1919), 34–36 [verfasst an Weihnachten 19186]. 1901 Die deutsche Schmach in Polen*. In: Tägliche Rundschau 39 (1919), Nr.  38 (20.2.1919), Unterhaltungsbeilage. 1902 Pazifismus und Christentum. Eine kritische Studie. In: NKZ 30 (1919), H.  9 (September 1919), 429–478 [verfasst im Februar 1919]. 1903 Abschied von Polen. In: Deutsch-Evangelisch. Monatsblätter für den gesamten deutschen Protestantismus 10 (1919), Nr. 6 (Juni 1919), 163–179. 1904 Das Erlebnis der Kirche. In: AELKZ 52 (1919), Nr. 39 (26.9.1919), 8­ 39–844; Nr.  40 (3.10.1919), 862–866; Nr.  41 (10.10.1919), 884–888; Nr.  42 (17.10. 1919), 906–908; b) [als gleichnamiger Sonderdruck] Leipzig 1919 [Vortrag vom Sommer 19197]. 2001 Ewige Jugend. Hannover 1921. 2101 Der Heilige. Rostocker Predigten. Gütersloh 1921 [2. Aufl. 1922; 3. Aufl. 1925]. 2102 Luther auf der Kanzel. Beobachtungen über die Form seiner Predigt. In: Luther 3 (1921), 17–24. 2103 Feuer. Worte an deutsche Jugend (Flugschriften des mecklenburg-schwerinschen Landesjugenddienstes). Schwerin in Mecklenburg 1921.

6 Vgl. 3314 Volks-Geschichte, 18. 7 Vgl. 2407 Erlebnis, Vorwort. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

2104 Religiöser Sozialismus. Grundfragen der christlichen Sozialethik (Studien des apologetischen Seminars in Wernigerode 5). Gütersloh 1921. 2105 Das Kreuz Christi als Maßstab aller Religion. In: a) Weber, Hermann (Hg.): Die Gewißheit der Christusbotschaft. Drei Gegenüberstellungen mit der mystischidealistischen Zeitbewegung von Otto Schmitz, Paul Althaus und Karl Girgensohn (Stimmen aus der deutschen christlichen Studentenbewegung 12). Berlin 1922, 27–40 [Vorträge auf der 30. Allg. Deutschen Christlichen Studentenkon­ ferenz im August 1921; 2. Aufl. 1924]; b) 2706, 63–76. 2106 Rede am Sarge Prof. Richard Ehrenbergs gehalten in der Kapelle des neuen Friedhofs bei Rostock am 20. Dezember 1921*. Rostock 1921. 2201 Die letzten Dinge. Entwurf einer christlichen Eschatologie (Studien des apologetischen Seminars in Wernigerode 9). Gütersloh 1922 [Entwicklung der Grundgedanken der Übungen des Rostocker systematisch-theologischen Seminars während des Sommers 1921; 2. Aufl. 1924]. 2202 Der Friedhof unserer Väter. Ein Gang durch die Sterbe- und Ewigkeitslieder der evangelischen Kirche, 2. umgearb. und erw. Aufl. Gütersloh 1923 [Vorwort Oktober 1922; 3. Aufl. 1928]. 2301 Zum Geleit. In: ZSTh 1 (1923/24), 1. Vierteljahresheft 1923, 3–5 [Geleitwort zur ZSTh zusammen mit Emanuel Hirsch, Carl Stange und Georg Wehrung] 2302 Das Kreuz Christi. In: a) ZSTh 1 (1923/24), 1. Vierteljahresheft 1923, 107–152; b) 2901, 1–50. 2303 Der lebendige Gott. Berlin-Dahlem 1923. 2304 Zur Lehre von der Sünde. In: a) ZSTh 1 (1923/24), 2. Vierteljahresheft 1923, 314–334; b) 2901, 51–73. 2305 Staatsgedanke und Reich Gottes (Friedrich Mann’s Pädagogisches Magazin 913; Schriften zur politischen Bildung 4). 1. und 2. Aufl. Langensalza 1923.8 2401 Der Lebendige. Predigten. Gütersloh 1924. 2402 Zum neuen Jahre. In: DSb 6 (1924), H. 1/2 (Januar/Februar 1924), 1–3. 2403 Gott in der Geschichte. In: a) Meyer, Bruno (Hg.): Jesus Christus und die Jugend. Schwerin in Mecklenburg 1925; b) [als gleichnamiger Sonderdruck] (Flugschriften des evangelischen Landesjugenddienstes 4). Schwerin in Mecklenburg 1925 [Vortrag vom April 19249]. 2404 Jesus Christus*. In: a) Meyer, Bruno (Hg.): Jesus Christus und die Jugend. Schwerin in Mecklenburg 1925; b) [als gleichnamiger Sonderdruck] (Flugschriften des Evangelischen Landesjugenddienstes 5). Schwerin in Mecklenburg 1925 [Vortrag vom April 192410]. 2405 Theologie und Geschichte. Zur Auseinandersetzung mit der dialektischen Theologie. In: ZSTh 1 (1923/24), 4. Vierteljahresheft 1924, 741–786. 8 Fertiggestellt wurde die Schrift zwischen Dezember 1922 und Februar 1923; vgl. die Literaturangabe einer Schrift vom November 1922 in ebd., 45, Anm. 1 sowie die Rezension der Schrift in „Der deutsche Führer“, 1. Märzheft 1923. 9 Vgl. Meyer, Jesus, 7 f. 10 Vgl. ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Quellen und Literatur

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2406 Theologie des Glaubens. In: a)  ZSTh 2 (1924/25), 2.  Vierteljahresheft 1924, 281–322; b)  2901, 74–118 [Vortrag auf der lutherischen Pfingstkonferenz in Hannover am 18.6.1924]. 2407 Das Erlebnis der Kirche. 2. umgearb. und erw. Aufl.* Leipzig 1924 [Vorwort Juli 1924]. 2408 Die Kirche. In: a) Die Tat. Wege zum freien Menschentum 16 (1924), 271–282 [„Evangelisches Sonderheft“ Juli 1924]; b) 2706, 77–91. 2409 Heilsgeschichte und Eschatologie. In: ZSTh 2 (1924/25), 4.  Vierteljahresheft 1925, 605–676 [Vorlesungen auf der Tagung des Apologetischen Seminars in Helmstedt im Herbst 192411]. 2410 Der himmlische Vater. Zum „Anthropomorphismus“ des Gottesgedankens. In: a) Miteilungen für die Teilnehmer des Apologetischen Seminars in Wernigerode, Dezember 1924; b) 2706, 46–50. 2501 Paulus und sein neuester Ausleger. Eine Beleuchtung von Karl Barths „Auferstehung der Toten“. In: a) CuW 1 (1925), H. 1 (Januar 1925), 20–30; H. 3 (März 1925), 97–102; b) 2901, 119–139. 2502 Luthers Haltung im Bauernkriege. Ein Beitrag zur lutherischen Sozialethik. In: a) LuJ 7 (1925), 1–34; b) 2706, 144–190 [Vortrag in der Aula der Universität Rostock im Februar 1925]. 2503 Die Krisis der Ethik und das Evangelium (Stimmen aus der deutschen christlichen Studentenbewegung 41). Berlin 1926 [Vorbemerkung Ostern 192512]. 2504 Die internationalen Beziehungen der Völker*. In: Akademisch-soziale Monatschrift 9 (1925), H. 1–6 (April–September 1925), 41–46 [Beiträge in der Aus­ sprache ebd., 50–58]. 2505 Staatsgedanke und Reich Gottes (Friedrich Mann’s Pädagogisches Magazin 913; Schriften zur politischen Bildung, 9. Reihe: Christentum 1). 3. erw. Aufl. Langensalza 1926 [Vorwort Oktober 1925]. 2506 Zum Problem des Krieges. Leitsätze und Erläuterungen*. In: 2505, 58–108. 2507 Christentum und Geistesleben. In: a)  ZW 2 (1926), Teilband I (Januar–Juni 1926), 147–158; b) 2706, 31–45 [Akademische Antrittsrede an der Universität Erlangen am 14.11.1925]. 2508 Gemeinschaft und Opfer*. In: Vom heiligen Abendmahl. Ein Wort vom Heim­ finden und Freiwerden von D. Thiele, Lic. Stange und D. Althaus. Berlin 1925, 21–30. 2601 Das Heil Gottes. Letzte Rostocker Predigten. Gütersloh 1926. 2602 Protestantismus und deutsche Nationalerziehung. In: a) Christentum und Nationalerziehung. Vorträge und Ansprachen der 2. Tagung für die deutsche Nationalerziehung, von der Fichte-Gesellschaft veranstaltet in Halle am 5. und 6.3.1926. Hamburg 1926, 31–51 [Beiträge in der Aussprache ebd., 75 f., 88 f.]; b) 2706, 92–112 [überarbeitete Fassung]. 11 Vgl. 2604 Dinge, VIII. 12 Der Vortrag wurde ursprünglich im Oktober 1924 gehalten, aber danach von Althaus stark überarbeitet. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

2603 Die Unsterblichkeit der Seele bei Luther. In: ZSTh 3 (1925/26), 4. Vierteljahresheft 1926, 725–734. 2604 Die letzten Dinge. Entwurf einer christlichen Eschatologie. 3.  neubearb. Aufl. Gütersloh 1926 [Vorwort Mai 1926]. 2605 Luthers Stellung zur Unsterblichkeit*. In: 2604, 271–288 [als Anhang]. 2606 Das Wesen des evangelischen Gottesdienstes. In: a) ZSTh 4 (1926/27), 2. Vierteljahresheft 1926, 266–308; b) [als gleichnamiger Sonderdruck] (3. Heft der Liturgischen Konferenz Niedersachsens). Gütersloh 1926 [Vortrag auf der 1. Tagung der liturgischen Konferenz Niedersachsens in Lübeck am 28.5.1926]. 2607 Erkenntnis und Leben. Ein Wort an die Kommilitonen. In: a) ZW 2 (1926), Teilband II (Juli–Dezember 1926), 512–521; b) 90. Stiftungsfest und Hausweihe der Uttenruthia 25.–29. Juli 1926. Erlangen 1927; c) 2706, 1–14 [Festvortrag auf dem 90. Stiftungsfest der Uttenruthia Erlangen am 27.7.1926]. 2608 Die Bedeutung des Kreuzes im Denken Luthers. In: a) Luther 8 (1926), 4. Vierteljahresschrift, 97–107; b) 2706, 51–62; c) 7101. 2609 Mission und Religionsgeschichte. Drei Vorlesungen [auf der vom Apologetischen Seminar Wernigerode veranstalteten Hochschulwoche für christliche Weltanschauung in Köln im Oktober 1926]. In: a) ZSTh 5 (1927/28), 3. Vierteljahresheft 1928, 550–590; 4. Vierteljahresheft 1928, 722–725; b) 2901, 153–205. 2610 Vom Sinn der Theologie. In: a)  Die Tat. Wege zum freien Menschentum 18 (1927), 817–828; b) 2706, 15–30 [erweiterte Fassung eines Vortrags bei der Jahresversammlung des Universitätsbundes Erlangen am 7.11.1926]. 2701 Gehorsam und Freiheit in Luthers Stellung zur Bibel. In: a)  Luther 9 (1927), ­74–86; b) 2901, 140–152. 2702 Das Reich Gottes und die Kirche. In: ThBl 6 (1927), Nr. 5 (Mai 1927), 139–141 [Vortrag auf der britisch-deutschen Theologenkonferenz in Canterbury im April 1927]. 2703 Brief von Phil. D. Althaus zum Nicarenantrag*. In: DSB 30 (1927), Nr. 7 (Juli 1927), 59–61 [Offener Brief vom 9.6.1927]. 2704 Kirche und Volkstum. In: a) [gekürzt und u. d. T. Leitgedanken zum Thema des Kirchentages*] Das Evangelische Deutschland. Kirchliche Rundschau für das Gesamtgebiet des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes 4 (1927), Nr.  25 (19.6.1927), 198 f.; b) AELKZ 60 (1927), Nr. 28 (15.7.1927), 651–653; Nr. 29 (22.7.1927), 674–679; Nr. 30 (29.7.1927), 698–703; Nr. 31 (5.8.1927), 722– 725; c) Verhandlungen des zweiten Deutschen Evangelischen Kirchentages 1927, Königsberg i. Pr. 17.–21. Juni 1927. Hg. v. Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß. Berlin-Steglitz 1927, 204–224; d) 2706, 113–143, e) [als Sonderdruck u. d. T. Kirche und Volkstum. Der völkische Wille im Lichte des Evangeliums] Gütersloh 1928. 2705 Höhen außerchristlicher Religion. In: Die Weltreligionen und das Christentum. Vom gegenwärtigen Stand ihrer Auseinandersetzung. München 1928, 1–20 [Vorträge auf der Missionsstudienwoche in Erlangen vom 28.6.–1.7.1927]. 2706 Evangelium und Leben. Gesammelte Vorträge. Gütersloh 1927 [Vorwort 15.8. 1927]. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Quellen und Literatur

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2707 Staat und Kirche. In: a)  DSb 10 (1928), H.  4 (April 1928), 113–121; b)  Der Staat. Eine Schulungswoche der deutschen Studentenschaft. Berlin o. J. [Vortrag auf der Schulungswoche der DSt in Weimar am 1.11.1927]. 2708 Art. Chauvinismus. In: RGG2. Bd. 1. Tübingen 1927, 1496. 2709 Eintrag in das Goldene Buch der Universität Erlangen vom 23.11.1927. In: Liebenberg, Gott, 583–585. 2801 Aus dem Leben von D. Althaus-Leipzig. In: a)  AELKZ 61 (1928), Nr.  1 (6.1.1928), 13–17; Nr. 2 (13.1.1928), 37–40; Nr. 3 (20.1.1928), 58–62; Nr. 4 (27.1.1928), 79–83; Nr.  5 (3.2.1928), 104–108; Nr. 6 (10.2.1928), 127–130; Nr.  7 (17.2.1928), 150–155; Nr.  8 (24.2.1928), 178–182; Nr.  9 (2.3.1928), ­201–206; b) [als gleichnamiger Sonderdruck]. Leipzig 1928 [Vorwort Ostern 1928]. 2802 Die sittliche Grundlage des Schwarzburgbundes. In: DSb 10 (1928), H. 5 (Mai 1928), 185–190. 2803 Communio sanctorum. In: ZW 4 (1928), Teilband I (Januar–Juni 1928), ­289–300. 2804 Grundzüge der gegenwärtigen theologischen Lage. In: Korrespondenzblatt für die evang.-luth. Geistlichen in Bayern 53 (1928), Nr. 23 (4.6.1928), 191 f. [Leitsätze zu einem Vortrag auf der Pastoralkonferenz am 13.6.1928]. 2805 Christologie des Glaubens. In: a) Jelke, Robert (Hg.): Das Erbe Martin Luthers und die gegenwärtige theologische Forschung. Theologische Abhandlungen. D. Ludwig Ihmels zum siebzigsten Geburtstage 29.6.1928 dargebracht von Freunden und Schülern. Leipzig 1928, 280–295; b) 2901, 206–222. 2806 Leitsätze zur Ethik. Erlangen 1928 [Vorwort 9.7.1928; 3. Aufl. 1929]. 2807 Der Gekreuzigte. In: ThBl 7 (1928), Nr.  10 (Oktober 1928), 260 f. [Vortrag auf der britisch-deutschen Theologenkonferenz auf der Wartburg vom 11.–18.8. 1928]. 2808 Christentum und Kultur. In: a) AELKZ 61 (1928), Nr. 40 (5.10.1928), 952–957; Nr. 41 (12.10.1928), 977–983; b) 20. Allgemeine ev.-luth. Konferenz. Hamburg 1928, 104–124; c) [als gleichnamiger Sonderdruck] Leipzig 1929 [Vortrag auf der Tagung des Lutherischen Einigungswerkes in Hamburg am 23.8.1928]. 2809 Das Nicänum in der bayerischen Agende. In: Korrespondenzblatt für die evang.luth. Geistlichen in Bayern 53 (1928), Nr. 35 (27.8.1928), 297 f. 2810 Werberuf für „Die Reformation“ *. In: Die Reformation. Deutsche Evangelische Kirchenzeitung für die Gemeinde 22 (1928), Probe-Nummer (9.9.1928), 1 f. [Althaus ist Mitunterzeichner]. 2811 „Bekenne einer dem andern seine Sünden.“ Zur Geschichte von Jak. 5,16 seit Augustin. In: Festgabe für Theodor Zahn [am 10.10.1928 zum 90. Geburtstag]. Leipzig 1928, 165–194. 2812 Vorwort zur 4.  Auflage*. In: Kähler, Martin, Wie studiert man Theologie im ersten Semester? Briefe an einen Anfänger. 4.  durchges. Auflage. Leipzig 1929, III–IV [Vorwort 15.10.1928]. 2813 Schwedisch-Deutscher Theologen-Konvent. In: ThBl 7 (1928), Nr. 10 (Oktober 1928), 284. 2814 Unsterblichkeit und Ewiges Leben (Religionskundliche Quellenhefte 48). Leipzig/Berlin 1928. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

2815 Zur Frage der „endgeschichtlichen Eschatologie“. Nachwort zur schwedischen Übersetzung der „Letzten Dinge“ (1928). In: ZSTh 7 (1929/30), 2. Vierteljahresheft 1929, 363–368. 2816 Art. Eschatologie: IV. Christliche, dogmengeschichtlich. In: RGG2. Bd. 2. Tübingen 1928, 345–353. 2817 Art. Eschatologie: V. Religionsphilosophisch und dogmatisch. In: RGG2. Bd. 2. Tübingen 1928, 353–362. 2818 Art. Ewiges Leben: III. Dogmatisch. In: RGG2. Bd. 2. Tübingen 1928, 459–463. 2819 Art. Hoffnung: III. Dogmatisch-ethisch. In: RGG2. Bd. 2. Tübingen 1928, 1981 f. 2901 Theologische Aufsätze. Gütersloh 1929. 2902 Das Wort Gottes ist lebendig! 12 Betrachtungen zu Worten des Hebräerbriefes. Bethel b. Bielefeld 1929 [Sonderdruck des Monatsblattes Beth-El, H. 2]. 2903 Communio sanctorum. Die Gemeinde im lutherischen Kirchengedanken. I. Luther (Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus, Erste Reihe, Bd. 1). München 1929 [Vorwort 8.2.1929]. 2904 Die Frage des Evangeliums an das moderne Judentum. In: a) ZSTh 7 (1929/30), 2. Vierteljahresheft 1929, 195–215; b) 3509, 83–103 [Vortrag auf der 4. Studientagung über die Judenfrage in Nürnberg am 1.3.1929]. 2905 Staat und Reich Gottes. In: KantSt 35 (1930), H. 1, 114–118 [Vortrag auf der Generalversammlung der Kant-Gesellschaft in Halle a. S. vom 21.–24.5.1929]. 2906 Ehe und Kinder. In: a) Schlipköter, Gustav/Böhme, Albert (Hg.): Der Kampf um die Ehe. Eine Auseinandersetzung evangelischer Führer mit den Verfallserscheinungen heutiger Ehe. Gütersloh 1929, 100–115; b) [als gleichnamiger Sonderdruck] Gütersloh 1929. 2907 Das Kreuz Christi. In: a) Bell, George K. A./Deißmann, Adolf (ed.): Mysterium Christi. Christological studies by British and German theologians. London 1930, 193–221 [englische Fassung]; b)  dies., Mysterium Christi. Christologische Studien britischer und deutscher Theologen. Berlin 1931, 237–-271 [deutsche Fassung]; c)  [als gleichnamiger Sonderdruck] (Stimmen aus der deutschen christ­ lichen Studentenbewegung 71). Berlin 1932.13 2908 Brunners „Mittler“. Zur Aufgabe der Christologie. In: a) ThLZ 54 (1929), Nr. 20 (28.9.1929), 470–479; b) 3509, 169–182. 2909 Die Theologie. In: Schweitzer, Carl (Hg.): Das religiöse Deutschland der Gegenwart. Bd. 2: Der christliche Kreis. Berlin 1929, 114–118 [Vorwort Herbst 1929]. 2910 Das Vaterland. In: Muntschick, Georg (Hg.): Der Student vor Gott. Motive zur Neugestaltung des inneren Lebens in der deutschen akademischen Jugend. Berlin o. J. [1929], 239–246. 2911 Grundriß der Dogmatik. Erster Teil. Erlangen 1929. 2912 Luthers Abendmahlslehre. In: LuJ 11 (1929), 2–42 [Vortrag auf der 12. Hauptversammlung der Luther- Gesellschaft in Bielefeld am 15.10.192914].

13 Das Manuskript stammt vom August 1929; vgl. 2907 Kreuz, 32, Anm. 1. 14 Vgl. Luther 11 (1929), 96. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Quellen und Literatur

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2913 Die geistesgeschichtliche Bedeutung der Reformation. In: Der Kirchenälteste. Monatsblatt für die praktische Arbeit der Kirchengemeinderäte und freiwilligen Helferschaften in beiden Mecklenburg 4 (1929), Nr. 11 (November 1929), 9­ 7–99 [Rundfunkvortrag vom 29.10.1929]. 2914 Art. Kampf. In: RGG2. Bd. 3. Tübingen 1929, 595–597. 2915 Art. Krieg: II. Krieg und Christentum. In: a) RGG2. Bd. 3. Tübingen 1929, 1306– 1312; b) Hallische Universitätszeitung, 8. Semesterfolge, Nr. 1 (1.11.1931), 2–5; c) Württembergische Hochschul-Zeitung, WS 1931/32, Nr. 35 (15.12.1931), 1 f. 2916 Art. Macht: II. Ethisch. In: RGG2. Bd. 3. Tübingen 1929, 1815 f. 2917 Was heißt evangelisches Christentum?. In: Breit, Thomas (Hg.): Reformation gestern und heute. München 1930, 134–149 [Vortrag vom 2.11.1929 in Hof ]. 3001 „Theologische Bekenntnisse“. Kritische Bemerkungen zu Spemanns gleichnamigem Buch. In: ThBl 9 (1930), Nr. 1 (Januar 1930), 1–7. 3002 Friede auf Erden? Fragen zu Otto Dibelius’ Friedensbuch. In: a) Eckart 6 (1930), H. 3 (März 1930), 97–103; b) 3010, 114–125. 3003 Zum Verständnis der Rechtfertigung. In: a) ZSTh 7 (1929/30), 4. Vierteljahresheft 1930 (7.3.1930), 727–741; b) 3509, 31–44; c) 7101. 3004 Die soziale Verpflichtung des Studenten. In: a) ZW 6 (1930), Teilband II (Juli– Dezember 1930), 289–292; b) DSb 40 (1931), H. 2 (Februar 1931), 41–44 [Ansprache an die Erlanger Studentenschaft zum Abschluss einer sozialen Vortragsreihe am 9.5.1930]. 3005 Die politische Aufgabe der christlichen Gemeinde*. In: Fränkischer Kurier  98 (1930), Nr. 170 (21.6.1930), 11. 3006 Das lebendige Bekenntnis. In: ZW 6 (1930), Teilband II (Juli–Dezember 1930), 204–214 [Rede zur 400-Jahrfeier der Confessio Augustana am 25.6.1930 in Augsburg]. 3007 Rede anläßlich der Enthüllung des Gefallenendenkmals der Universität Erlangen*. In: a) Erlanger Tagblatt 73 (1930), Nr. 152 (2.7.1930), 4; b) Erlanger Neueste Nachrichten, Nr. 152 (2.7.1930), 5; c) Fränkischer Kurier 98 (1930), Nr. 181 (2.7.1930), 5 [gekürzt]. 3008 Geleitwort zu deutschen Übersetzung. In: Aulen, Gustaf: Das christliche Gottesbild in Vergangenheit und Gegenwart. Gütersloh 1930, VIIf. [abgefasst am 31.8.1930]. 3009 Unsterblichkeit und ewiges Sterben bei Luther. Zur Auseinandersetzung mit Carl Stange (Studien des apologetischen Seminars 30). Gütersloh 1930 [Vorwort 2.9.1930]. 3010 Staatsgedanke und Reich Gottes (Friedrich Mann’s Pädagogisches Magazin 913. Schriften zur politischen Bildung. 9. Reihe: Christentum 1). 4. erw. Aufl. Langensalza 1931 [Vorwort November 1930]. 3011 Zum Problem des Krieges. Leitsätze und Erläuterungen*. In: 3010, 61–114. 3012 Der Geist der lutherischen Ethik im Augsburger Bekenntnis (Schriftenreihe der Luthergesellschaft 5). München 1930 [Vortrag auf der 13.  Hauptversammlung der Luther-Gesellschaft in Berlin am 13.11.1930; 2. Aufl. 1931]. 3013 Art. Politik und Moral. In: RGG2. Bd. 4. Tübingen 1930, 1320–1327. 3014 Art. Reich Gottes: II. Dogmatisch. In: RGG2. Bd. 4. Tübingen 1930, 1822–1825. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

3015 Art. Richter, Friedrich. In: RGG2. Bd. 4. Tübingen 1930, 2024 3016 Die Stellung der evangelischen Gemeinde zur Christengemeinschaft*. In: a) Fränkischer Kurier 98 (1930), Nr. 348 (16.12.1930), 3; b) [leicht gekürzt und u. d. T. Eine Auseinandersetzung mit der ‚Christengemeinschaft‘] AELKZ 64 (1931), Nr. 1 (2.1.1931), 17–19. 3017 Der Geist der lutherischen Ethik. In: a) AELKZ 63 (1930), Nr. 51 (19.12.1930), 1202–1209; b) 3509, 121–134. 3101 Der Staat als Aufgabe*. In: Materialdienst 3 (1931), Nr. 53 (21.1.1931), 392 f. [Vortrag vor dem Evang. Volksbund für Württemberg in Stuttgart]. 3102 Zum Gedächtnis an D. Ph. Bachmann. Nachruf an seinem Sarge. In: a)  Korrespondenzblatt für die evang.-luth. Geistlichen in Bayern 56 (1931), Nr.  13 (30.3.1931), 151 f.; b) AELKZ 64 (1931), Nr. 14 (3.4.1931), 325–327. 3103 Evangelische Kirche und völkische Bewegung*. In: a) Korrespondenzblatt für die evang.-luth. Geistlichen in Bayern 56 (1931), Nr. 16 (20.4.1931), 176 f. [Paraphrase]; b) AELKZ 64 (1931), Nr. 17 (24.4.1931), 403 [Bericht]; c) Fix, Glaubensgenossen, 118–123 [= a)] [Vortrag auf der Nachosterkonferenz bayerischer Pfarrer in Riederau am Ammersee vom 7.–9.4.1931]. 3104 Der Wahrheitsgehalt der nichtchristlichen Religionen und das Evangelium. In: Die deutsche evangelische Heidenmission. Jahrbuch 1932 der vereinigten deutschen Missionskonferenzen, 3–16 [Vortrag auf der 7. Allgem. Studentischen Missions-Konferenz in Halle am 14.4.1931]. 3105 Die lutherische Abendmahlslehre in der Gegenwart (Schriftenreihe der Luther­ gesellschaft 6). München 1931 [Vorwort Himmelfahrt 1931]. 3106 Gottes Gottheit als Sinn der Rechtfertigungslehre Luthers. In: a) LuJ 13 (1931), 1–28 [Vorwort Juni 1931]; b) 3509, 1–30; c) 7101. 3107 Evangelische Kirche und Völkerverständigung. Eine Erklärung [zusammen mit Emanuel Hirsch]. In: a) Hamburger Nachrichten 140 (1931), Nr. 249 (2.6.1931), 1; b) AELKZ 64 (1931), Nr. 23 (5.6.1931), 544 f.; c) ThBl 10 (1931), Nr. 6 (Juni 1931), 177 f.; d) ChW 45 (1931), 605; e) Korrespondenzblatt für die evang.-luth. Geistlichen in Bayern 56 (1931), Nr. 23 (8.6.1931), 235 f.; f ) Die Reformation 25 (1931), Nr. 13 (12.7.1931), 101. 3108 Grundriß der Ethik. Neue Bearbeitung der „Leitsätze“. Erlangen 1931 [Vorwort 11.7.1931]. 3109 „Gegen den nationalsozialistischen Bazillus“. In: a)  Reformierte Schweizer Zeitung 10 (1931), Nr.  39 (25.9.1931), 2 f.; b)  Eiserne Blätter 13 (1931), Nr.  45 (8.11.1931), 707–710; c) Gotthard-Briefe 7 (1931), Nr. 104, 166–168 [gekürzt]; d) AELKZ 65 (1932), Nr. 3 (15.1.1932), 62–65. 3110 Die Gestalt dieser Welt und die Sünde. Ein Beitrag zur Theologie der Geschichte. In: a)  ZSTh 9 (1931/32), 2.  Vierteljahresheft 1931 (3.10.1931), 319–338; b) 3509, 45–64. 3111 Die natürlichen Gemeinschaften als Schöpfungsordnungen. Schöpfung und Sünde in der Wirklichkeit der Lebensordnungen*. In: 14. Tagung christlicher Akademiker Württembergs vom 10.–14.10.1931 im Kurhaus Palmenwald in Freudenstadt. Calw 1931, 26–30 [Beiträge in der Aussprache ebd., 30 f.]. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Quellen und Literatur

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3112 Vom Wesen der Universität und des akademischen Geistes. In: a) Erlanger Universitätskalender. Rektoratsjahr 1931/32 (Oktober 1931–September 1932). Erlangen 1931, 4–9; b) ThBl 10 (1931), Nr. 12 (Dezember 1931), 362 [Auszug]. 3113 Die Botschaft vom Reiche als Wort an die Gegenwart. Zum Advent 1931. In: ZW 7 (1931), Teilband 2 (Juli–Dezember 1931), 481–490. 3114 Art. Seelenwanderung: II. Dogmatisch. In: RGG2. Bd. 5. Tübingen 1931, 379 f. 3115 Art. Seligkeit. In: RGG2. Bd. 5. Tübingen 1931, 415–417. 3116 Art. Vaterlandsliebe (Patriotismus). In: RGG2. Bd. 5. Tübingen 1931, 1441 f. 3117 Art. Vergeltung: V. Dogmatisch. In: RGG2. Bd. 5. Tübingen 1931, 1540–1542. 3118 Art. Wehrpflicht. In: RGG2. Bd. 5. Tübingen 1931, 1781 f. 3119 Art. Wiederbringung Aller. In: RGG2. Bd. 5. Tübingen 1931, 1908–1910. 3120 Glaube und Philosophie. In: Deutsches Volkstum 13 (1931), H. 12 (Dezember 1931), 915–922. 3121 Volk. In: a)  Glaube und Volk, Einführungsnummer (Dezember 1931), 4 f.; b)  Mitteilungen zur Förderung einer deutschen christlichen Studentenvereinigung WS 1931/32, Nr. 4 (15.1.1932), 73 f. [Auszug]. 3122 Die „göttliche Mathematik“. Von Martin Luther [Übertragung aus dem Latei­ nischen]. In: Luther 13 (1931), 1–3. 3201 Der Gegenwärtige. Predigten. Gütersloh 1932. 3202 Zum Fall Dehn. In: ThBl 11 (1932), Nr. 1 (Januar 1932), 27 f. 3203 Luthers Wort an die Gegenwart. In: a)  ZW 8 (1932), Teilband I (Januar–Juni 1932), 321–327; b)  Der Reichsbote 60 (1932), Nr.  39 (14.2.1932), Beilage „­Kirche und Schule“ [gekürzt] [Rundfunkvortrag auf der 14. Versammlung der Luther-Gesellschaft in Potsdam am 10.2.193215]. 3204 Geleitwort*. In: Kreßel, Hans (Hg.): Philipp Bachmann. Nun aber halte ich dein Wort. Ausgewählte Predigten. München 1932 [Reminiscere 1932]. 3205 Zu Goethes 100. Todestag am 22. März. In: Eckart 8 (1932), H. 3 (März 1932), 98. 3206 Das Evangelium deutsch. In: Glaube und Volk 1 (1932), H. 3 (15.3.1932), 42 f. 3207 Bildung und Glaube*. In: Berliner Boersen-Zeitung 78 (1932), Nr.  161 (27.3. 1932), Beilage. 3208 Gott und Volk. In: a) AELKZ 65 (1932), Nr. 31 (29.7.1932), 722–726; Nr. 32 (5.8.1932), 746–751; b) 3311, 34–49. 3209 Schöpfung und Sünde  – die Grundfrage der evangelischen Ethik*. In: Evange­ lische Wahrheit 23 (1931/32), H. 10/11 (Juli–August 1932), 185–194. 3210 Das Wesen des evangelischen Gottesdienstes. 2. erw. Aufl.*. Gütersloh 1932 [Vorwort 1.9.1932]. 3211 Der Brief an die Römer. Übersetzt und erklärt (NTD 6). Göttingen 1932 [2. durchges. Aufl. 1933; 3. durchges. Aufl. 1935; 4. verb. Aufl. 1938]. 3212 Nomos und Erlösung. In: a) Deutsches Volkstum 15 (1933), H. 2 (2. Januarheft 1933), 49–53; b) [erweitert und u. d. T. Nomos und Evangelium] 3311, 49–55 [geschrieben im Herbst 193216]. 15 Vgl. Luther 14 (1932), 11. 16 Vgl. 3311 Stunde, Vorwort. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

3213 Grundriß der Dogmatik. Zweiter Teil. Erlangen 1932 [Vorwort 18.10.1932; 2. durchges. Aufl. 1936; 3. Aufl. 1949]. 3214 Grundriß der Dogmatik. Erster und zweiter Teil*. Erlangen 1932. 3215 Grundriß der christlichen Lehre. Erlangen 1929/32 [2911, 3213 und 3108]. 3216 Wesen und Sinn der Liturgie. In: AELKZ 65 (1932), Nr. 43 (21.10.1932), 1025 f. [Leitsätze für die Bayerische liturgische Konferenz in Nürnberg am 19.10.1932]. 3217 Luther und die Theologie des Politischen. In: Luther 15 (1933), 49–52 [Zu­ sammenfassung eines Vortrags auf einer Arbeitstagung der Luther-Gesellschaft im November 1932]. 3218 Das Reich. In: Glaube und Volk 1 (1931/32), H. 11 (15.11.1932), 162–165. 3301 Der unbekannte Luther. In: Das glückhaft Schiff. Deutsch-evangelische Bücherrundschau 1933, H. 2, 2–4. 3302 Gustav Adolf. In: Glaube und Volk 2 (1933), H. 2 (15.2.1933), 25–29. 3303 Die Wirklichkeit Gottes. In: ZW 9 (1933), Teilband I (Januar–Juni 1933), 8­ 1–92. 3304 Vom Beruf der Universität Erlangen. In: Das Bayerland 44 (1933), H. 7 (April 1933), 207–210. 3305 „Unwertes“ Leben im Lichte christlichen Glaubens. In: a)  „Von der Verhütung unwerten Lebens“. Ein Zyklus von fünf Vorträgen (Bremer Beiträge zur Naturwissenschaft, Sonderband). Bremen 1933, 79–97 [Vortrag auf einer Veranstaltung der Bremer Ortsgruppe der Deutschen Rassenhygienischen Gesellschaft am 3.4.1933]; b) Fränkischer Kurier, Nr. 193 (14.7.1933), 10 [stark gekürzte Wiedergabe des Vortrags im Erlanger Studentenhaus am 12.7.1933]. 3306 Eugenik im Lichte christlichen Glaubens*. Gütersloh 1933 [Vorwort 31.7.1933; Neubearbeitung und Erweiterung von 3305] 3307 Die letzten Dinge. Entwurf einer christlichen Eschatologie (Studien des apolo­ getischen Seminars 9). 4. neubearb. Aufl. Gütersloh 1933 [Vorwort 31.8.1933]. 3308 Toleranz und Intoleranz des Glaubens. In: a) AELKZ 66 (1933), Nr. 44 (3.11. 1933), 1018–1027 [Vortrag zur Hundertjahrfeier der Münchner St. MatthäusGemeinde am 18.9.1933]; b) 3509, 104–120. 3309 Theologisches Gutachten über die Zulassung von Christen jüdischer Herkunft zu den Aemtern der deutschen evangelischen Kirche [zusammen mit Werner Elert; unterzeichnet am 25.9.1933]. In: a) AELKZ 66 (1933), Nr.  40 (6.10.1933), ­928–931; b)  ThBl 12 (1933), Nr.  11 (November 1933), 321–324; c)  Liebing, Heinz (Hg.): Die Marburger Theologen und der Arierparagraph in der Kirche. Eine Sammlung von Texten aus den Jahren 1933 und 1934. Marburg 1977, ­20–23; d) Greschat/Krumwiede, Zeitalter, 100–103; e) Fix, Glaubensgenossen, 135–139. 3310 Der deskriptive Charakter der Ethik bei J. Chr. K. v. Hoffmann. Bemerkungen zu E. Brunners Kritik der Erlanger Theologie. In: ThBl 12 (1933), Nr. 10 (Oktober 1933), 308 f. 3311 Die deutsche Stunde der Kirche. Göttingen 1933 [Vorwort 3.10.1933; z. T. in der Reihe „Der Dienst des Pfarrers. Beihefte zur Monatsschrift für Pastoraltheologie“, H. 4 erschienen; 2. und 3. Aufl. 1934]. 3312 Das Ja der Kirche zur deutschen Wende. In: 3311, 5–8. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Quellen und Literatur

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3313 Volks-Erlebnis und Offenbarung. In: 3311, 8–15. 3314 Volks-Geschichte und Heils-Geschichte. In: 3311, 15–23. 3315 Drittes Reich und Reich Gottes. In: 3311, 24–33. 3316 Luther. In: ZW 9 (1933), Teilband 2 (Juli–Dezember 1933), 353–360. 3317 Evangelisches Allerseelen*. In: Der Tag, Nr. 283 (26.11.1933), Beilage. 3401 Theologische Verantwortung. In: Luth. 45 (1934), H. 1 (Januar 1934), 12–26. 3402 Der Wahrheitsgehalt der Religionen und das Evangelium. In: a)  3509, 65–82; b)  NAMZ 11 (1934), 277–292 [Vortrag auf der 50. Tagung der Brandenbur­ gischen Missionskonferenz in Berlin am 16.4.1934]. 3403 Totaler Staat?. In: Luth. 45 (1934), H. 5 (Mai 1934), 129–135. 3404 Keine Kircheneinheit ohne Einheit der Kirchenlehre! [Erklärung vom 18.5.1934; zusammen mit Hans Preuß, Otto Proksch, Werner Elert, Friedrich Ulmer und Hermann Sasse]*. In: a) AELKZ 67 (1934), Nr. 21 (25.5.1934), 488; b) Luthe­ rische Kirche 16 (1934), H. 5 (1.6.1934), 88. 3405 Thesen zum gegenwärtigen lutherischen Staatsverständnis. In: Die Kirche und das Staatsproblem in der Gegenwart. Hg. von der Forschungsabteilung des Oekumenischen Rates für Praktisches Christentum (Kirche und Welt. Studien und Dokumente 3). Berlin 1934, 6–9 [Vorwort 1.6.1934; 2. erw. Aufl. 1935]. 3406 Christus und die deutsche Seele. Gütersloh 1934 [Vortrag auf dem Nürnberger Missionsfest am 4.6.1934; 2. Aufl. 1935]. 3407 Der „Ansbacher Ratschlag“ zu der Barmer „Theologischen Erklärung“ [zusammen mit Werner Elert u. a.; unterzeichnet am 11.6.1934]. In: a) AELKZ 67 (1934), Nr. 25 (22.6.1934), 584–586; b) Baier, Christen, 383–385; c) Greschat/Krumwiede, Zeitalter, 112 f. 3408 Der Herr der Kirche. Predigten. H. 1: Vom Glauben und Beten. Gütersloh 1934 [Vorwort Trinitatis 1934]. 3409 Stellvertretung. In: Die Gemeinde. Zirndorf 1934 (17.6.1934), o. S. 3410 Bedenken zur „Theologischen Erklärung“ der Barmer Bekenntnis-Synode. In: a) Lutherische Kirche 16 (1934), H. 7 (1.7.1934), 117–121; b) Korrespondenzblatt für die evang.-luth. Geistlichen in Bayern 59 (1934), Nr.  28 (9.7.1934), 318–320; c) Beyschlag, Theologie, 258–263. 3411 Der Glaube an Jesus Christus*. In: Nachrichten der Luther-Akademie in Sondershausen 1934, Nr. 8 (September 1934), 29 f. [Bericht über den Vortrag]. 3412 Die Einigung des Weltluthertums. Zur 3.  ökumenischen Hochschultagung der Luther-Akademie in Sondershausen*. In: a) Der Tag, Nr. 174 (22.7.1934); b) Die Reformation 28 (1934), Nr. 15 (5.8.1934), 114 f. 3413 Theologie der Ordnungen. Gütersloh 1934 [Vorwort August 1934]. 3414 Der Geist der Lutherbibel. In: LuJ 16 (1934), 1–26 [Vorwort August 1934]. 3415 Erklärung aus der Lutherischen Kirche Deutschlands zur Berliner Synode der DEK am 9. August 1934 [zusammen mit Paul Fleisch, Heinrich Kloppenburg, Wilhelm Laible, August Marahrens, Hans Meiser, Helmuth Schreiner, Friedrich Ulmer, Theophil Wurm, Otto Zänker und Wilhelm Zoellner unterzeichnet am 25.8.1934 in Hannover]*. In: a) Lutherische Kirche 16 (1934), H. 11 (1.9.1934), 187 f.; b) JK 2 (1934), H. 17 (8.9.1934), 725 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

3416 Um die lutherische Kirche Deutschlands! Lutherische Antwort auf die Denkschrift der Reichskirchenregierung über Kirche und Bekenntnis*. In: AELKZ 67 (1934), Nr. 37 (14.9.1934), 868–877. 3417 Erklärung von Mitgliedern der Theologischen Fakultät Erlangen zur Gesamtlage der lutherischen Kirche in Deutschland [zusammen mit Werner Elert, Hans Preuß, Otto Proksch, Friedrich Ulmer und Hermann Sasse]*. In: AELKZ 67 (1934), Nr. 38 (21.9.1934), 897–899. 3418 Gottes Gottheit bei Luther*. In: LuJ 17 (1935), 1–16 [Vortrag auf der Dichter­ tagung der Luthergesellschaft in Wittenberg am 27.9.1934]. 3419 „Und wenn es köstlich gewesen ist“. Ein Beitrag zur Gedächtnisfeier der Luther­ bibel. In: a) AELKZ 67 (1934), Nr. 39 (28.9.1934), 914–918; b) 3509, 151–161. 3420 Die Erlanger Fakultät an den Reichsstatthalter Ritter von Epp [Erklärung, zusammen mit Werner Elert, Hans Preuß, Otto Proksch, Friedrich Ulmer, Hermann Strathmann und Hermann Sasse]*. In: a) AELKZ 67 (1934), Nr. 41 (10.10.1934), 993 f.; b) Lutherische Kirche 16 (1934), H. 15 (1.11.1934), 272. 3421 Der Lutherische Rat zur Eingliederung lutherischer Landeskirchen [Erklärung, zusammen mit Paul Fleisch, Heinrich Kloppenburg, Wilhelm Laible, August Mar­ ahrens, Hans Meiser, Helmuth Schreiner, Christian Stoll, Friedrich Ulmer, Theophil Wurm, Otto Zänker und Wilhelm Zoellner unterzeichnet am 5.10.1934 in Würzburg]*. In: a) Lutherische Kirche 16 (1934), H. 14 (15.10.1934), 254; b) JK 2 (1934), H. 20 (20.10.1934), 869 f. 3422 Telegramm an den Reichsbischof [zusammen mit 118 theologischen Hochschullehrern am 5.11.1934]*. In: a)  AELKZ 67 (1934), Nr.  45 (9.11.1934), 1076; b) JK 2 (1934), H. 22 (17.11.1934), 960. 3501 Ur-Offenbarung. In: Luth. 46 (1935), H. 1 (Januar 1935), 4–32. 3502 Martin Kählers Vermächtnis an Pfarramt und Kirche. II. Der „historische Jesus“ und der biblische Christus. In: a) PBl 77 (1934/35), H. 4 (Februar 1935), ­262–267; b) 3509, 162–168. 3503 Verbundensein mit Mecklenburg*. In: Mecklenburgische Monatshefte 11 (1935), H. 125 (Mai 1935), 229 [verfasst im Februar 1935]. 3504 Nachwort. Auf die Ausführungen von Erich Franz. In: AELKZ 68 (1935), Nr. 9 (1.3.1935), 207–209. 3505 Theologie der Ordnungen. 2. erw. Auflage. Gütersloh 1935 [Vorwort 8.4.1935]. 3506 Liebe und Ehre*. In: Jugendweg. Zeitschrift der jungen evang. Frauengeneration 16 (1935), H. 3, 37–41. 3507 Die Frage nach der Schuld im Deutschglauben. Zur Auseinandersetzung mit Wilhelm Hauer. In: a) AELKZ 68 (1935), Nr. 20 (17.5.1935), 458–466; b) 3509, 135–150. 3508 Außerchristliche Gnadenreligionen und das Evangelium. In: Korrespondenzblatt für die evang.-luth. Geistlichen in Bayern 60 (1935), Nr.  25 (18.6.1935), 253 [Leitsätze zu einem Vortrag auf der kirchlichen Woche Nürnberg am 24.6.1935]. 3509 Theologische Aufsätze. Band II. Gütersloh 1935 [Vorwort 1.7.1935]. 3510 Kirche und Staat nach lutherischer Lehre. In: a)  AELKZ 68 (1935), Nr.  32 (9.8.1935), 746–754; Nr. 33 (16.8.1935), 770–778; b) [als gleichnamiger Sonder­ © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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druck] (Theologia militans 4). Leipzig 1935 [erweiterte Fassung eines Vortrags auf dem Deutschen Lutherischen Tag in Hannover am 4.7.1935]. 3511 Über den Dichter des „Reißt die Kreuze aus der Erden!“*. In: a)  AELKZ 68 (1935), Nr. 28 (12.7.1935), 669; b) JK 3 (1935), H. 14 (20.7.1935), 668 f. 3512 Konfession und Union. In: a) Lutherische Kirche 1935, H. 16 (15.8.1935), 277– 282; b) JK 3 (1935), H. 18 (21.9.1935), 885 f. [leicht gekürzt]. 3513 Die Predigt. In: Luther 17 (1935), H.  4 (Oktober–Dezember 1935), 142–145 [Auszug aus einem Vortrag auf der 2.  Zusammenkunft zwischen Dichtern und Theologen in Wittenberg im September 1935]. 3514 Geleitwort*. In: Runge, Carl-Ludwig: Das Reich Gottes und die Reiche der Natur. Gütersloh 1935, 7 f. [Geleitwort vom 25.9.1935]. 3515 Politisches Christentum. Ein Wort über die Thüringer „Deutschen Christen“ (Theologia militans 5). Leipzig 1935 [Vorwort 29.9.1935; 2. Aufl. 1935; 3. Aufl. 1936.] 3516 Unsterblichkeit und Auferstehung? Aus einem Briefe. In: Wort und Tat 11 (1935), H. 10 (Oktober 1935), 317 f. 3517 Eschatologisches. Zur Verständigung mit Folke Holmström. In: ZSTh 12 (1935), H. 4 (Oktober– Dezember 1935), 609–623. 3518 Kirche und Volk. Thesen für die ökumenische Studienkonferenz in Sigtuna, 6. bis 12. Oktober 1935. In: Wort und Tat 11 (1935), H. 12 (Dezember 1935), ­352–358. 3519 Der Herr der Kirche. Predigten. Zweites Heft: Von der Gnade. Gütersloh 1935. 3520 Der Herr der Kirche. Predigten. Fünftes Heft: Paulus im Kampf. Gütersloh 1935. 3521 Der Herr der Kirche. Predigten. Sechstes Heft: Die Gewalt Christi. Gütersloh 1935. 3522 Der Herr der Kirche. Predigten. Siebentes Heft: Die Wirklichkeit Gottes. Gütersloh 1935. 3601 Erbsünde. In: ZW 12 (1935/36), H. 6 (März 1936), 321–333 [Vortrag auf der Evangelischen Woche in Hamburg am 2.1.1936]. 3602 Von der wahren Menschheit des Erhöhten. Nötiger Widerspruch gegen Hans Frauenknechts Christologie. In: Korrespondenzblatt für die evang.-luth. Geist­ lichen in Bayern 61 (1936), Nr. 19 (4.5.1936), 185 f. 3603 Theologisches Gutachten über die Thüringer Richtung der Deutschen Christen [im Auftrag des Reichskirchenausschusses zusammen mit Friedrich Brunstäd, Rudolf Bultmann, Werner Elert, Friedrich Gogarten und Friedrich Schumann]*. In: a) Mitteilungsblatt der DEK 1 (1936), Nr. 1 (Juli 1936), 5 f.; b) JK 4 (1936), H. 14 (18.7.1936), 674 f. 3604 Der Sinn der Liturgie. In: a) Luth. 47 (1936), H. 8/9 (August–September 1936), 235–245; b) Erneuerung des lutherischen Gottesdienstes. Veröffentlichungen des Erlanger Instituts für Kirchenmusik, H.  2. Erlangen 1937, 3–12; c)  6206, ­106–116. 3605 Luther und die politische Welt (Schriftenreihe der Luthergesellschaft 9). Weimar 1937 [Vortrag auf der Reichstagung der Luthergesellschaft am 7.9.1936 in ­Dresden]. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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3606 Neue Lieder! D. Wilhelm Laible zum 80. Geburtstage am 23. September 1936. In: AELKZ 69 (1936), Nr. 39 (27.9.1936), 916–922. 3607 Obrigkeit und Führertum. Wandlungen des evangelischen Staatsethos. Gütersloh 1936 [Nachwort Reformationsfest 1936]. 3608 Jesus und Paulus. In: a) ZW 13 (1936/37), H. 2 (November 1936), 65–75; b) [als gleichnamiger Sonderdruck] (Flugschriften der „Zeitwende“ 1). Berlin 1936. 3609 Grundriß der Dogmatik. Erster Teil. 2. neubearb. Aufl. Erlangen 1936 [3. Aufl. 1947]. 3610 Grundriß der Dogmatik. Erster und zweiter Teil. 2. neubearb. Aufl. Erlangen 1936 3611 Grundriß der Christlichen Lehre*. 2.  neubearb. Aufl. Erlangen 1936 [= 3609, 3213 und 3108]. 3612 Der Herr der Kirche. Predigten. Drittes Heft: Vom Glauben und Beten. Gütersloh 1936. 3613 Der Herr der Kirche. Predigten. Viertes Heft: Die hohen Feste. Gütersloh 1936. 3614 Der Herr der Kirche. Predigten. Achtes Heft: Das Gesetz Christi. Gütersloh 1936. 3615 Der Herr der Kirche. Predigten. Neuntes Heft: Evangelium nach Johannes. Gütersloh 1936. 3616 Der Herr der Kirche. Predigten. Zehntes Heft: Praktisches Christentum. Gütersloh 1936. 3617 Der Herr der Kirche. Predigten. Elftes Heft: Festbetrachtungen. Gütersloh 1936. 3701 Glaube und Volkstum in der lutherischen Kirche Polens. Friedrich Ulmer zum 60. Geburtstage. In: Luth. 48 (1937), H. 3 (März 1937), 65–73. 3702 Juxta vocationem. Zur lutherischen Lehre von Ordnung und Beruf. In: Luth. 48 (1937), H. 5 (Mai 1937), 129–141. 3703 Völker vor und nach Christus. Theologische Lehre vom Volke. In: a) [als gleichnamiger Sonderdruck] (Theologia militans 14). Leipzig 1937; b)  Deutschland. Evangelische Kirchliche Rundschau 14 (1937), 279 ff.; c) [als Auszug u. d. T. Vor und nach Christus] ZW 14 (1937/38), H. 2 (November 1937), 124 [Vortrag vor der Theologischen Fachschaft der Universität Leipzig am 28.5.1937]. 3704 Verantwortung und Schuld der Kirche. Vortrag. In: a)  Frankfurt 1937. Reden und Vorträge der 40. Generalversammlung des Evang. Bundes in Frankfurt a. M., 3. bis 6. Sept. 1937. Berlin 1937, 34–45; b) [als gleichnamiger Sonderdruck] Berlin 1937; c) Die Wartburg 36 (1937), 301–312 [Vortrag am 4.9.1937]. 3705 Der Mensch vor Gott nach Luther. In: ZW 14 (1937/38), H.  12 (September 1938), 721–730. 3706 „Der Herr ist es, der mich richtet.“ Zur Besinnung über 1. Kor. 4,4. In: a) Luth. 48 (1937), H. 10 (Oktober 1937), 289–302; b) 3801, 88–107 [erweiterte ­Fassung]. 3707 Hundert Jahre Universitätsgottesdienst in der Neustädter Kirche zu Erlangen. In: a) Festpredigt und Vorträge bei dem zweihundertjährigen Jubiläum der Neustädter Universitätskirche in Erlangen. Erlangen 1937; b) Korrespondenzblatt für die evang.-luth. Geistlichen in Bayern 63 (1938), Nr. 2 (11.1.1938), 9–12 [Vortrag am 27.11.1937 in der Neustädter Kirche in Erlangen]. 3708 Kirche, Volk und Staat. In: Kirche, Volk und Staat. Stimmen aus der deutschen evangelischen Kirche zur Oxforder Weltkirchenkonferenz. Berlin 1937, 17–35. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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3709 Christentum, Krieg und Frieden. In: Kirche, Volk und Staat. Stimmen aus der deutschen evangelischen Kirche zur Oxforder Weltkirchenkonferenz. Berlin 1937, 167–182. 3710 Der Herr der Kirche. Predigten. Zwölftes Heft: Gericht und Heil. Gütersloh 1937. 3711 Der Herr der Kirche. Predigten. Dreizehntes Heft: Er wird siegen. Gütersloh 1937. 3712 Der Herr der Kirche. Predigten. Vierzehntes Heft: Der Trost Gottes. Gütersloh 1937. 3801 Paulus und Luther über den Menschen. Ein Vergleich (Studien der Luther-Aka­ demie 14). Gütersloh 1938 [Vorwort 1.1.1938]. 3802 Unsere Wünsche für Kirche und Volk im neuen Jahr*. In: a) Mann und Kirche. Monatsblatt des Deutschen Evangelischen Mannes 6 (1938), Nr. 1 (Januar 1938), 2 f.; b) [als gekürzte Fassung u. d. T. Wir müssen zueinander finden! Wünsche und Forderungen für Kirche und Volk*] Kirchlicher Bote der Wartburg-Gemeinde Kreckow 8 (1938), Nr. 11 (1.2.1938), 3–5; u. ö.17 3803 Geleitwort*. In: a) Molwitz, Gerhard (Hg.): Lutherisches Gebetbuch. Chemnitz/ Leipzig 1938, 3–5 [Epiphanias 1938]; b) Sächsisches Kirchenblatt N. F. 2 (1938), Nr. 5 (30.1.1938), 33 f. 3804 Zur religiösen Lage der deutschen Jugend. Ein Hinweis auf Martin Hieronimi, Junger Deutscher vor Gott. 1937. In: Luth. 49 (1938), H.  1 (Januar 1938), ­24–32. 3805 Das Alte Testament in der „Naturgeschichte des Glaubens“. In: Werke und Tage. Festschrift für Rudolf Alexander Schroeder zum 60. Geburtstag am 26. Jan. 1938. Berlin 1938, 11–17. 3806 Friedenswille und Gottesfurcht*. In: a) Weiße Blätter 1938, 101–104; b) DAZ (Reichsausgabe) 77 (1938), Nr. 59/60 (6.2.1938), 1 f.; c) Fränkischer Kurier 105 (1938), Nr. 125 (8.5.1938), 3. 3807 Zum 10. April*. In: DAZ 77 (1938), Nr. 162 (6.4.1938), 1 [Kommentar zur Abstimmung über den Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich]. 3808 Das Kreuz und der Böse. Bemerkungen zu Karl Heims Lehre vom Werke Christi. In: a) ZSTh 15 (1938), H. 2 (April–Juni 1938), 166–193; b) 6206, 181–206. 3809 Volk ohne Christus?. In: ZW 14 (1937/38), H. 8 (Mai 1938), 449–457. 3810 Oxford über Kirche, Volk und Staat. In: DtPfrBl 42 (1938), Nr. 33 (16.8.1938), 536 f.; Nr. 34 (23.8.1938), 552 f. 3811 Heidentum?*. In: Mann und Kirche. Monatsblatt des Deutschen Evangelischen Mannes 6 (1938), Nr. 8 (August 1938), 105 f. 3812 Adolf Schlatters Gabe an die systematische Theologie. In: a) DTh 5 (1938), H. 6 (Juni 1938), 146–153; b) Adolf Schlatter und Wilhelm Lütgert zum Gedächtnis (BFChTh 40,1). Gütersloh 1938, 31–40 [Vorwort 20.9.1938]. 3813 Zum Gedächtnis der abgerufenen Herausgeber der „Beiträge“. In: Adolf Schlatter und Wilhelm Lütgert zum Gedächtnis (BFChTh 40,1). Gütersloh 1938, 9–15 [Vorwort 20.9.1938]. 17 Der Artikel wurde über den Evang. Pressedienst im Januar/Februar 1938 in unzähligen Gemeinde- und Sonntagsblättern veröffentlicht. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

3814 Luther und das deutsche Schicksal. Zum Geburtstag des Reformators*. In: DAZ 77 (1938), Nr. 526 (10.11.1938), 1. Beiblatt, 4. 3815 Zum Problem Paulus und Luther. Antwort an Friedrich Büchsel. In: ThBl 18 (1939), Nr. 1 (Januar 1939), 12–18 [Offener Brief vom 10.11.1938]. 3816 „Christus“ oder „der Christus“. In: AELKZ 71 (1938), Nr.  48 (2.12.1938), ­1042–1050. 3817 Deutschland und das Kreuz. In: Ein deutsches Gewissen. Dank an August ­Winnig. Berlin 1938, 62–65. 3818 Der Herr der Kirche. Predigten. Fünfzehntes Heft: Jesus Christus und Deutschland. Gütersloh 1938. 3819 Der Herr der Kirche. Predigten. Sechzehntes Heft: Das andere Land. Gütersloh 1938. 3820 Der Herr der Kirche. Predigten. Siebzehntes Heft: Una sancta. Gütersloh 1938. 3901 Der letzte Feind. Aus der Rede am Sarge des Professors der Hygiene an der Universität Erlangen Dr. Ludwig Heim am 7.  Februar 1939*. In: a)  4014, 29–31; b) 4108, 29–31. 3902 Der Theologe. Der akademische Nachwuchs 5*. In: DAZ, Nr. 385 (13.8.1939), Beiblatt, 10. 3903 Die Kirche als Gemeinschaft (Communio sanctorum). In: AELKZ 72 (1939), Nr. 18 (6.10.1939), 338–340. 3904 Evangelium und Konfession. Zur Auseinandersetzung mit Helmuth Kittel. In: a) Luth. 50 (1939), H. 10 (Oktober 1939), 273–282; H. 11/12 (November/Dezember 1939), 289–297; b) [als gleichnamiger Sonderdruck] (Theologia militans 25). Leipzig 1940. 3905 Der Herr der Kirche. Predigten. Achtzehntes Heft: Durchbrecher aller Bande. Gütersloh 1939. 3906 Der Herr der Kirche. Predigten. Neunzehntes Heft: Im Angesichte Christi. Gütersloh 1939. 3907 Der Herr der Kirche. Predigten. Zwanzigstes Heft: Crucifixus. Gütersloh 1939. 3908 Der Herr der Kirche. Predigten. Einundzwanzigstes Heft: Das Geheimnis der Kirche. Gütersloh 1939. 4001 Luther in der Gegenwart. In: Luther 22 (1940), H. 1 (Januar–März 1940), 1–6. 4002 Natürliche Theologie und Christusglaube. In: a) ZSTh 16 (1939), H. 3/4 (Juli– Dezember 1939), 417–425 [Vorwort 7.3.1940]; b) 6206, 34–41. 4003 Vom Realismus Gottes. Zu Paul Schütz, Das Evangelium. In: ThBl 19 (1940), Nr. 5 (Mai 1940), 127–131. 4004 Christus und die neue Welt. In: ZW 16 (1939/40), H. 9 (Juni 1940), 283 f. 4005 Die Wahrheit des kirchlichen Osterglaubens. Einspruch gegen Emanuel Hirsch (BFChTh 42,2). Gütersloh 1940 [Vorwort 29.6.1940]. 4006 Johannes 17,24 im Probetestament. In: ThBl 19 (1940), Nr. 11 (November 1940), 311 f. [verfasst am 23.9.1940]. 4007 Gedanken eines Theologen zum „Pfarrerspiegel“. In: Stehmann, Siegbert (Hg.): Der Pfarrerspiegel. Berlin 1940, 438–443. 4008 Luthers Wiederkehr. In: Knolle, Theodor (Hg.): Luther in der deutschen Kirche © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Quellen und Literatur

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der Gegenwart. Eine Übersicht (Schriftenreihe der Luther-Gesellschaft 14). Gütersloh 1940, 7–14. 4009 Luther und die Fragen der Gegenwart: 1. Luther und die theologische Forschung. 2. Luther und die Politik. In: Knolle, Theodor (Hg.): Luther in der deutschen Kirche der Gegenwart. Eine Übersicht (Schriftenreihe der Luther-Gesellschaft 14). Gütersloh 1940, 15–27. 4010 Luther und das Probetestament von 1938. Gutachten. In: Luther und das „Probe­ testament“ von 1938 [zusammen mit Theodor Knolle] (BFChTh 41,3). Gütersloh 1940, 5–102. 4011 Der Herr der Kirche. Predigten. Zweiundzwanzigstes Heft: Christus gestern und heute. Gütersloh 1940. 4012 Der Herr der Kirche. Predigten. Dreiundzwanzigstes Heft: Der Heiland. Güters­ loh 1940. 4013 Der Herr der Kirche. Predigten. Vierundzwanzigstes Heft: Gottes Wille. Güters­ loh 1940. 4014 Der Christenglaube und das Sterben. Vortrag. In: a) 4108, 5–28; b) [als gleich­ namiger Sonderdruck] Gütersloh 1941, 5–28.18 4101 Deutsches Religionsgespräch. In: Luth. 52 (1941), H. 1 (Januar 1941), 1–16. 4102 Die Inflation des Begriffs der Offenbarung in der gegenwärtigen Theologie. In: ZSTh 18 (1941), H. 1/2 (Januar–Juni 1941), 134–149. 4103 Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung. In: a)  ZW 17 (1940/41), H.  5 (Februar 1941), 132–138; b) 4701, 107–122. 4104 Reformation ohne Ende? Zu Friedrich Parpert, Die endlose Reformation, 1939. In: ThLZ 66 (1941), Nr. 3/4 (März/April 1941), 65–70. 4105 Das Bild Gottes bei Paulus. In: ThBl 20 (1941), Nr. 4 (April 1941), 81–92. 4106 Die Thesen D. Luthers für die Promotions-Disputation von Hieron. Weller und Nikolaus Medler am 11. Sept. 1535. In: Luther 23 (1941), H. 2/3 (April–September 1941), 83–91. 4107 Noch einmal: Joh. 17,24 im Probetestament. In: ThBl 20 (1941), Nr.  5 (Mai 1941), 134 f. 4108 Der Herr der Kirche. Predigten. Fünfundzwanzigstes Heft: Der Christenglaube und das Sterben. Gütersloh 1941. 4109 Zum Dienste begabt*. In: Gottes Wort im Jahreslauf. Mit Zeichnungen von Armin Lämmer. Kassel 1941. 4110 Die Wahrheit des kirchlichen Osterglaubens. Einspruch gegen Emanuel Hirsch (BFChTh 42,2). 2. erw. Auflage. Gütersloh 1941. 4201 Die Entdeckung des Deutschtums im ehemaligen Mittelpolen. In: Kargel, Adolf/ Kneifel, Eduard (Hg.): Deutschtum im Aufbruch. Vom Volkstumskampf der Deutschen im östlichen Wartheland. Leipzig 1942, 191–197 [Vorwort 31.1.1942]. 4202 Luthers Gedanken über die letzten Dinge. In: LuJ 23 (1941), 9–34 [Vorwort März 1942]. 18 Der Vortrag stammt aus dem Jahr 1940; vgl. 5005 Sterben, Vorwort. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

4203 Calvins Kampf um seine Lehre vom Leiden Christi. In: ThBl 21 (1942), Nr. 5 (Mai 1942), 132–136. 4204 Problem und Fortschritt in der Theologie. In: DtPfrBl 46 (1942), Nr.  19/20 (17.5.1942), 73 f. 4205 „Niedergefahren zur Hölle“. Fr. Brunstäd zum 60. Geburtstag. In: ZSTh 19 (1942), H. 3/4 (Juli– Dezember 1942), 365–384. 4206 Die Kirche Christi nach dem Verständnis der lutherischen Reformation. Ein Vortrag vor Katholiken und Evangelischen. In: DtPfrBl 46 (1942), Nr.  36 (15.11. 1942), 177–179. 4207 Neues Testament und Mythologie. Zu R. Bultmanns Versuch der Entmythologisierung des Neuen Testaments. In: ThLZ 67 (1942), Nr. 12 (Dezember 1942), 337–344. 4208 Religion ohne Christus?* (Flugschriften des Rauhen Hauses 1). Hamburg 1948 [Vortrag „in den Jahren 1942 bis 1944 in mehreren Städten“]. 4301 Von der Arbeit der deutschen Theologie im Kriege. In: DtPfrBl 47 (1943), Nr. 2 (24.1.1943), 9–11. 4302 Das Schriftprinzip nach römisch-katholischem und nach lutherischem Verständnis*. In: Protestantische Rundschau 20 (1943), 49–46. 4303 Einheit und Einigung der Kirche. In: Luth. 54 (1943), H. 7–9 (Juli–September 1943), 65–85. 4401 Karl Heim. Zu seinem 70. Geburtstag. In: Forschungen und Fortschritte  20 (1944), Nr. 1–3 (Januar 1944), 23 f. 4402 Ethos und Heil. In: Protestantische Rundschau 21 (1944), H.  1 (Januar–März 1944), 14–22. 4403 Vorwort*. In: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, Theologische Fakultät: Lehrbrief Nr. 1 (August 1944), 1. 4404 Evangelisches Priestertum*. In: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, Theologische Fakultät: Lehrbrief Nr. 2 (Oktober 1944), 1–8. 4501 Vorwort*. In: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, Theologische Fakultät: Lehrbrief Nr. 3 (März 1945), 1. 4601 Der Trost Gottes. Predigten in schwerer Zeit. Gütersloh 1946. 4602 Der Brief an die Römer. Übersetzt und erklärt (NTD 6). 5. verb. und erw. Aufl. Göttingen 1946 [6. Aufl. 1949; 7. Aufl. 1953; 8. Aufl. 1954]. 4603 Luther und das öffentliche Leben. Rede zum 400. Todestag D. Martin Luthers. In: a) [Sonderdruck] Erlangen 1946 [mech. vervielfältigt]; b) ZW 18 (1946/47), H. 3 (September 1946), 129–142; c) 6206, 248–262 [Vortrag im Opernhaus Nürnberg am 17.2.194619 und beim Gedächtnisakt der Theologischen Fakultät Erlangen in der Neustädter Kirche am 18.2.1946]. 4604 Schuld. In: Prisma 1 (1946), H. 2 (Dezember 1946), 4–8. 4605 Weihnachten und die Leidtragenden*. In: Köberle, Adolf (Hg.): Evangelische

19 Laut Beschriftung auf dem Manuskript in der UB Erlangen. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Quellen und Literatur

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Weihnacht. Ein Buch von der Gabe der Weihnacht in Bild, Lied, Gebet und Zeugnis. Dritte Folge. Tübingen 1946, 86–91. 4701 Gesetz und Evangelium. Predigten über die Zehn Gebote. Gütersloh 1947 [Vorwort Epiphanias 1947]. 4702 Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dogmatik. Erster Band. Gütersloh 1947 [Vorwort Januar 1947; 2. Aufl. 1949]. 4703 Vom Sinn und Ziel der Geschichte. Vortrag gehalten in der Luther-Kirche zu Bonn am 9. Juni 1947 (Kleine Schriften aus der Sammlung deus et anima I/7). Bonn 1947. 4704 Der Friedhof unserer Väter. Ein Gang durch die Sterbe- und Ewigkeitslieder der evangelischen Kirche. 4. umgearb. Aufl. Gütersloh 1947 [Vorwort August 1947]. 4705 Luthers Sendung an die ganze Christenheit. In: ELKZ 2 (1948), Nr.  4 (28.2. 1948), 27–30 [Vortrag am 30.10.1947 in Stuttgart und am 3.11.1947 in Erlangen]. 4706 Evangelischer Glaube und Anthroposophie. In: a)  Nachrichten für die evangelisch-lutherischen Geistlichen in Bayern 3 (1948), Nr. 5/6 (15.3.1948), 35–41; b) [als gleichnamiger Sonderdruck mit Ergänzungen] (Fragen der Gegenwart 1). München 1949; c) 6206, 9–22 [Vortrag am 30.11.1947 in Nürnberg]. 4801 Der Dienst Jesu Christi*. In: Erlanger Kirchenbote für die evangelisch-lutherische Gesamtgemeinde Erlangen 1948, Nr. 4 (21.3.1948), 1. 4802 Adolf Schlatters Wort an die heutige Theologie. Gedenkrede zur zehnten Wiederkehr seines Todestages, gehalten in der Stiftskirche zu Tübingen am 9. Mai 1948. In: a) ZSTh 21 (1950/52), H. 1, 95–109; b) 6206, 131–144. 4803 Martin Luther über die Kindertaufe. In: a) ThLZ 73 (1948), Nr. 12 (Dezember 1948), 705–714; b) 5002, 19–31. 4804 Die letzten Dinge. Lehrbuch der Eschatologie. 5. umgearb. Aufl. Gütersloh 1949 [Vorwort Advent 1948; 6. Aufl. 1956; 7. Aufl. 1957; 8. Aufl. 1961; 9. Aufl. 1964; 10. Aufl. 1970]. 4805 Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dogmatik. Zweiter Band. Gütersloh 1948 [2. Aufl. 1949]. 4901 Evangelisches Priestertum. In: DtPfrBl 49 (1949), Nr.  3 (15.2.1949), 53–55 [Neubearbeitung von 4404]. 4902 Ist das Christentum noch lebendige Kraft?. In: Die Erlanger Universität 3 (1949), Nr. 2, 19 f. 4903 Das heilige Lachen. In: Evangelisches Gemeindeblatt München 52 (1949), Nr. 16, 121. 4904 Von Liebe und Ehe. Ein evangelisches Wort zu den Fragen der Gegenwart. Göttingen 1949 [Vortrag auf dem Göttinger Kirchentag am 21.5.1949]. 4905 Ist das Christentum heute noch eine Realität?. In: Univ. 4 (1949), H.  6 (Juni 1949), 757 f. 4906 Amnestie? Von der Recht-schaffenden Macht der Vergebung. In: a)  ZW 20 (1948/49), H. 12 (Juni 1949), 872–880; b) [u. d. T. Recht und Vergebung] 6206, ­293–303. 4907 Recht der Kindertaufe. Ein Wort zur Klärung. In: Evangelisches Gemeindeblatt München 52 (1949), Nr. 40, 313. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

4908 Was ist die Taufe? Zur Antwort an Karl Barth. In: a) ThLZ 74 (1949), Nr. 12 (­Dezember 1949), 705–714; b) 5002, 5–18. 4909 Aus einem Briefe an einen Freund über „Die christliche Wahrheit“. In: Warum schreibt ihr? Verlagsveröffentlichung von Bertelsmann zu Weihnachten. Gütersloh 1949, 1–4.20 4910 Der Brief an die Galater. Übersetzt und erklärt von H. W. Beyer (NTD 8). 4. neubearb. Aufl. Göttingen 1949 [Neubearbeitung des Kommentars von Beyer; 5. Aufl. 1949; 6. Aufl. 1953; 7. Aufl. 1955; 8. Aufl. 1959; 9. Aufl. 1962; 10. Aufl. 1965; 11. Aufl. 1968; 12. Aufl. 1970; 13. Aufl. 1972]. 4911 Das Bild Luthers bei Johannes Hessen. In: Veritati. Festgabe für Joh. Hessen an seinem 60. Geburtstage. München 1949, 162–169. 5001 Christenheit und Staat. In: Allgemeine Rundschau Nürnberg 60 (1950), Nr. 24 (11.2.1950), 1 f. 5002 Was ist die Taufe?, Göttingen 1950 [Vorwort Ostern 1950]. 5003 Retraktationen zur Eschatologie. In: ThLZ 75 (1950), Nr. 4/5 (April/Mai 1950), 253–260. 5004 Bedarf Luthers Rechtfertigungslehre der Korrektur? Kritische Bemerkungen zu Max Lackmann, Sola fide. In: Korrespondenzblatt für die evang.-luth. Geistlichen in Bayern 65 (1950), Nr. 9 (15.5.1950), 33 f.; Nr. 10 (31.5.1950), 37 f. 5005 Vom Sterben und vom Leben. Gütersloh 1950 [Vorwort Pfingsten 1950; 2. neubearb. Aufl. von 4014]. 5006 Eröffnung der Aussprache* [im Anschluss an den Vortrag „Die Notwendigkeit evangelisch- theologischen Studiums der Fremdreligionen um der Mission willen“ von Gerhard Rosenkranz]. In: ThLZ 75 (1950), Nr. 6/7 (Juni/Juli 1950), 313 f. 5007 Gesetz und Gebot. Zum Problem „Gesetz und Evangelium“. In: ZSTh 21 (1950/52), H. 3/4, 293–314 [September 1950 abgeschlossen]. 5008 Wo steht die evangelische Theologie heute?. In: a) Evangelisches Gemeindeblatt München 53 (1950), Nr. 25, 196; Nr. 26, 204; Nr. 27, 212; b) Univ. 5 (1950), H. 11 (November 1950), 1291–1296; c) Frör, Kurt (Hg.): Theologie im Dienste des Unterrichts (Hilfsbücher für den kirchlichen Unterricht 4). München 1950, 7–15. 5009 Der Glaube an Jesus Christus und die historisch-kritische Forschung. Briefwechsel zwischen Pfr. Wilhelm Wolff und Prof. D. Paul Althaus. In: Korrespondenzblatt für die evang.-luth. Geistlichen in Bayern 65 (1950), Nr. 21 (15.11.1950), 83. 5010 Um die Todesstrafe. In: Herntrich, Volkmar/Knolle, Theodor (Hg.): Schrift und Bekenntnis. Zeugnisse lutherischer Theologie, Hamburg/Berlin 1950, 7–15. 5011 Die Gerechtigkeit des Menschen vor Gott. Zur heutigen Kritik an Luthers Rechtfertigungslehre. In: Das Menschenbild im Lichte des Evangeliums. Festschrift zum 60. Geburtstag von Emil Brunner. Zürich 1950, 31–47. 5101 „… daß ihr nicht tut, was ihr wollt“. Zur Auslegung von Gal. 5,17. In: ThLZ 76 (1951), Nr. 1 (Januar 1951), 15–18. 20 Ein Exemplar befindet sich in der Bibliothek des Ev. Stifts Tübingen unter der Sign. 20188–8. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Quellen und Literatur

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5102 Hat die Predigt noch Überzeugungskraft? Bemerkungen zu dem Aufsatz von Dr. Serge Maiwald „Protestantismus und Tiefenpsychologie“. In: a) Univ. 6 (1951), H. 4 (April 1951), 399–404. 5103 Das neue Verhältnis katholischer und evangelischer Theologie. In: a)  EvW  5 (1951), 497–500; b) Die Friedensstadt Paderborn 14 (1951), 156–158. 5104 Abschied von Hans Preuß. Rede bei der Trauerfeier am 16. Mai 1951. In: ELKZ 5 (1951), Nr. 13 (15.7.1951), 199 f. 5105 Wer hilft unseren Studenten? Schleiermachers „Christlicher Glaube“, 2. Aufl. gesucht!. In: Nachrichten der evang.-luth. Landeskirche in Bayern 6 (1951), Nr. 15 (10.8.1951), 149 f. 5106 Dank. In: Nachrichten der evang.-luth. Landeskirche in Bayern 6 (1951), Nr. 18 (20.9.1951), 185. 5107 Hat die Predigt noch Überzeugungskraft?. In: Nachrichten der evang.-luth. Landeskirche in Bayern 6 (1951), Nr. 24 (20.12.1951), 250 f. [Rundfunkvortrag vom 24.11.1951]. 5108 Die lutherische Rechtfertigungslehre und ihre heutigen Kritiker. Berlin 1951 [Erweiterte Fassung eines Vortrags vom 26.10.1949 in Berlin]. 5109 Grundriß der Dogmatik (GETh). 3. Aufl. Berlin 1951 [in einem Band; Lizenzausgabe für die DDR]. 5110 Paulus und Luther über den Menschen. Ein Vergleich (Studien der Luther-Akademie 14). 2. erw. Aufl. Gütersloh 1951. 5111 Goethe und das Evangelium. In: a)  Viva vox Evangelii. Festschrift für Landes­ bischof D. Hans Meiser zu seinem 70. Geburtstag. München 1951, 99–118; b) [als gleichnamiger Sonderdruck] München 1951. 5201 Luthers Haltung im Bauernkrieg. Tübingen 1952 [Vorwort April 1952; Überarbeitung von 2502; weitere Nachdrucke: Darmstadt 1958, 1962, 1969 und 1971]. 5202 Auf der Erichsburg. In: Ködderitz, Walther (Hg.): D. August Marahrens. Pastor pastorum zwischen zwei Weltkriegen. Hannover 1952, 53–57 [Vorwort 25.6.1952]. 5203 Zur Auslegung von Römer 7,14 ff. Antwort an Anders Nygren. In: ThLZ 77 (1952), Nr. 8 (August 1952), 475–480. 5204 Adolf Schlatter. Zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages, 16.8.1852. In: Nachrichten für die evang.- luth. Kirche in Bayern 6 (1952), Nr. 17 (10.9.1952), 213 f. 5205 Von der Leibhaftigkeit der Seele. In: Univ. 7 (1952), H.  9 (September 1952), ­915–921. 5206 Christentum und Korporation. In: DSb N. F. 1952, H.  12 (November 1952), 253–259. 5207 Wo bleiben unsere Toten?. In: Evangelisches Gemeindeblatt München 55 (1952), Nr. 48, 380. 5208 Gebot und Gesetz. Zum Thema „Gesetz und Evangelium“ (BFChTh 46/2). Gütersloh 1952 [Neubearbeitung und Erweiterung von 5007; Lizenzausgabe für die DDR: Berlin 1953]. 5209 Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dogmatik. 3.  durchges. und erg. Aufl. Gütersloh 1952 [4. Aufl. 1958; 5.  Aufl. 1959; 6.  Aufl. 1962; 7.  Aufl. 1966; 8. Aufl. 1969; 10. Aufl. 1972]. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

5210 Grundriß der Dogmatik (GETh). 3.  Aufl. Gütersloh 1952 [in einem Band; 4. Aufl. 1958; 5. Aufl. 1959]. 5301 Grundriß der Ethik (GETh). 2. neubearb. Aufl. Gütersloh 1953 [Vorwort Ostern 1953]. 5302 Arbeite und bete! Zum Sonntag Rogate. In: Evangelisches Gemeindeblatt München 56 (1953), Nr. 19, 157. 5303 Zur Kennzeichnung des Flugblattes der „Deutschen Volksmission entschiedener Christen“. „Gegen die falschen Propheten“. In: a)  FAB 7 (1953), Nr.  12, ­288–291; b) DtPfrBl 53 (1953), Nr. 12 (15.6.1953), 271 f. 5304 Ehe und Gleichberechtigung. In: a)  Nachrichten für die evang.-luth. Kirche in Bayern 8 (1953), Nr. 13 (2.7.1953), 204–206; b) Evangelisches Gemeindeblatt München 56 (1953), Nr. 28, 233 f. 5305 Luthers Wort von der Sünde  – eine Übertreibung?. In: ZW 24 (1953), H.  10 (­Oktober 1953), 228–234. 5306 Die ökumenische Bedeutung des lutherischen Bekenntnisses. In: a)  ELKZ 8 (1954), Nr.  15 (1.8.1954), 225–230; b)  6206, 76–91 [Vortrag zur Hundert­ jahrfeier des Hannoverschen Martin-Luther-Vereins am 2.11.1953]. 5307 Die Herrlichkeit Gottes. Predigten zu den Festen und Festzeiten des Kirchen­ jahres. Gütersloh 1954 [Vorwort November 1953]. 5308 Luthers Wort von der Ehe. In: Luther 24 (1953), H. 2, 11–26. 5309 Um die Reinheit der Mission. In: a)  Mission und Theologie, Göttingen 1953, ­48–60; b) EMZ N. F. 10 (1953), 97–104. 5310 Adolf Schlatters Verhältnis zur Theologie Luthers. In: a) ZSTh 22 (1953), H. 3, 245–256; b) 6206, 145–157. 5311 Althaus, Paul, evangelischer Theologe, geb. 1861, gest. 1925. In: Neue deutsche Bibliographie 1. Hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1953, 220 f. 5312 Die Schmerzen des Gerichts*. In: Horkel, Wilhelm (Hg.): Tröstet mein Volk! Grabreden unserer Zeit. Neuendettelsau 1953, 167–170 [Neubearbeitung von 5003, 39–45]. 5313 Geleitwort*. In: Gedenkbuch zum 400jährigen Reformationsbegehen der Evan­ gelischen Gemeinde Burg an der Wupper. Hg. vom Presbyterium Burg an der Wupper. Essen 1953, 10 f. 5314 Luthers Lehre von Sünde und Rechtfertigung in Auseinandersetzung mit A. Schlatter*. In: Nachrichten der Luther-Akademie Sondershausen 1953, 24–26 [Zusammenfassung]. 5401 Vom Sinn und Ziel der Weltgeschichte. In: Die Universität Erlangen 7 (1954), Beilage (24.2.1954), 1 f. 5402 Jesus Christus im Neuen Testament. In: Evangelisches Gemeindeblatt München 57 (1954), Nr. 9, 68 f. 5403 Der Weg des Alten Testaments hin zu Christus. In: Evangelisches Gemeindeblatt München 57 (1954), Nr. 12, 92 f. 5404 Zum Gedächtnis an D. Friedrich Hauck, 1882–1954. In: ELKZ 8 (1954), Nr. 8 (15.4.1954), 123. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Quellen und Literatur

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5405 Jesus Christus heute. In: Evangelisches Gemeindeblatt München 57 (1954), Nr. 17, 140 f. 5406 Jesus Christus in der Menschheitsgeschichte. In: a) Evangelisches Gemeindeblatt München 57 (1954), Nr. 17, 140 f.; b) Univ. 10 (1955), H. 12 (Dezember 1955), 1257–1260. 5407 Was wir sein wollen. Festrede auf der Tagung des Schwarzburgbundes in Rüdesheim am 11. Juni 1954*. Sonderdruck 1954.21 5408 Der theologische Ort der Diakonie. In: a)  ZSTh 23 (1954), H.  3, 289–302; b) 6206, 92–105. 5409 Bußtag. In: Evangelisches Gemeindeblatt München 57 (1954), Nr. 46, 395. 5410 Das Verhältnis der Konfessionen in evangelischer Sicht. In: a)  Ruhr-Nachrichten, Nr. 268 (17.11.1954); b) Nachrichten der evang.-luth. Kirche in Bayern 10 (1955), Nr. 4 (25.2.1955), 57 f. 5411 Rede am Sarge von Werner Elert bei der Trauerfeier in der Kapelle des Neustädter Friedhofs zu Erlangen am 24. November 1954. In: Werner Elert zum Gedächtnis, gestorben am 21. November 1954. Zwei Reden von Paul Althaus. Berlin 1955, 3–6. 5412 Vom Sinn und Ziel der Weltgeschichte. Vortrag bei der Tagung des Bundes der Freunde der Technischen Hochschule München e. V. am 3.  Dezember 1954 in der Technischen Hochschule*. In: a) Sonderdruck im Selbstverlag des Bundes der Freunde der Technischen Hochschule München. München 1955; b)  6206, 304–312. 5501 Werner Elert theologisches Werk. Rede bei der Gedächtnisfeier der Theologischen Fakultät in der Aula der Universität Erlangen am 19. Februar 1955. In: a) Werner Elert zum Gedächtnis, gestorben am 21. November 1954. Zwei Reden von Paul Althaus. Berlin 1955, 7–20; b) ELKZ 9 (1955), Nr. 7 (1.4.1955), 101–106; c)  Hübner, Friedrich (Hg.): Gedenkschrift für D. Werner Elert. Berlin 1955, 400–410. 5502 „… und hätte allen Glauben …“. 1. Kor. 13,2 in der Auslegung Martin Luthers. In: Hübner, Friedrich (Hg.): Gedenkschrift für D. Werner Elert. Berlin 1955, 128–139. 5503 Theodor Knolle zum Gedächtnis. In: Luther 26 (1955), 138 f. 5504 Die Todesstrafe im Lichte christlichen Denkens. In: DtPfrBl 55 (1955), Nr. 20 (15.10.1955), 457–461. 5505 Anthroposophie und christlicher Glaube. In: Evangelisches Gemeindeblatt München 58 (1955), Nr. 43, 366 f. 5506 Um die Ordnung des Hauptgottesdienstes. Erwägungen und Fragen zur neuen Agende. In: Nachrichten der evang.-luth. Kirche in Bayern 10 (1955), Nr.  21 (November 1955), 329–332. 5507 Von der Wirkung christlichen Geistes. In: Das Parlament 5 (1955), Nr. 51 (21.12. 1955), 3. 21 Ein Exemplar befindet sich im NPA 13/5. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

5508 Luthers neues Wort von Christus. In: Luther 26 (1955), 457–461. 5509 Die Todesstrafe als Problem der christlichen Ethik (Sitzungsberichte der Baye­ rischen Akademie der Wissenschaften, philosoph.-philolog.-histor. Abt. 1955/2). München 1955. 5601 Das Christentum – Religion unter Religionen?. In: a) Evangelisches Gemeindeblatt München 59 (1956), Nr. 3, 18 f.; b)  Univ. 11 (1956), H.  11 (November 1956), 1131–1135. 5602 Die beiden Regimente bei Luther. Bemerkungen zu Johannes Heckels „Lex charitatis“. In: a) ThLZ 81 (1956), Nr. 3 (März 1956), 129–136; b) Schrey, HeinzHorst (Hg.): Reich Gottes und Welt. Die Lehre Luthers von den zwei Reichen (Wege der Forschung 107). Darmstadt 1969, 517–527. 5603 Die Begegnung der Geschlechter*. In: DSb (1956), H. 2 (April 1956), 26–35. 5604 Luther und die Bergpredigt. In: a) Luther 27 (1956), H. 1, 1–16; b) Mülhaupt, Erwin (Hg.): D. Martin Luthers Auslegung der Bergpredigt. Göttingen 1961, 3–14. 5605 Religion und Christentum im Urteil des Marxismus. In: a)  MPTh 45 (1956), 223–231; b) 6206, 23–33. 5606 Klopfet an, so wird euch aufgetan! Rede zum Tage der deutschen Einheit*. In: a)  Die Erlanger Universität. Beilage des Erlanger Tageblattes 9 (1956), o. S.; b) DSb 65 (1956), H. 4 (Oktober 1956), 82–84; c) 5707, 229–234 [gehalten am 18.6.1956 bei der Kundgebung der Universität Erlangen]. 5607 Das Verhältnis des Menschen zur Welt – zu H. Thielickes „Theologischer Ethik“ (II, 1). In: Univ. 11 (1956), H. 8 (August 1956), 883–885. 5608 Maria im Verständnis der evangelischen Kirche. In: Evangelisches Gemeindeblatt München 59 (1956), Nr. 33, 280 f. 5609 Marxismus und Christentum. Gedanken über die Auseinandersetzung unseres Zeitalters. In: Evangelisches Gemeindeblatt München 59 (1956), Nr. 34, 288 f. 5610 Sühne oder Abschreckung? Die Todesstrafe im Lichte christlichen Denkens. In: Evangelisches Gemeindeblatt München 59 (1956), Nr. 36, 305; Nr. 37, 312. 5611 Das Gebot der Liebe und der menschliche Alltag. In: Mensch und Menschlichkeit. Eine Vortragsreihe (Das Heidelberger Studio. Eine Sendereihe des Süd­ deutschen Rundfunks). Stuttgart 1956, 99–112. 5701 Durchs Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde. Zur Auseinandersetzung mit der exklusiv christologischen Dogmatik. In: Solange es ‚heute‘ heißt. Festgabe für Rudolf Hermann zum 70. Geburtstag. Berlin 1957, 7–15. 5702 Gesundheit und Krankheit als ethische Aufgabe. In: Deutsches Medizinisches Journal 8 (1957), H. 7, 419–421. 5703 Martin Luthers Wort vom Ende und Ziel des Menschen. In: Luther 28 (1957), 97–108. 5704 Liebe und Heilsgewißheit bei Martin Luther. 1.  Joh. 4,17a in der Auslegung ­Luthers. In: Iserloh, Erwin/Manns, Peter (Hg.): Reformation. Schicksal und Aufgabe. Festgabe für Joseph Lortz. Baden- Baden 1957, 69–84. 5705 Martin Luther und die Politik. Ein grundsätzliches Wort für den evangelischen Wähler*. In: Nürnberger Evang. Gemeindeblatt, Nr. 36 (8.9.1957), 2 f. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Quellen und Literatur

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5706 Die Kraft Christi. Predigten. Gütersloh 1958 [Vorwort 31.10.1957]. 5707 Luthers Lehre von den beiden Reichen im Feuer der Kritik. In: a) LuJ 24 (1957), 40–68; b) 6206, 263–292; c) Schrey, Heinz-Horst (Hg.): Reich Gottes und Welt. Die Lehre Luthers von den zwei Reichen (Wege der Forschung 107). Darmstadt 1969, 105–141. 5708 Art. Akkomodation. In: RGG3. Bd 1. Tübingen 1957, 209 f. 5709 Art. Auferstehung. VI. Dogmatisch. In: RGG3. Bd 1. Tübingen 1957, 696–698. 5710 Art. Christologie. III. Dogmatisch. In: RGG3. Bd 1. Tübingen 1957, 1777–1789. 5711 Art. Christusmystik. In: RGG3. Bd 1. Tübingen 1957, 1789. 5801 Die „Erlanger Theologie“. In: Die Erlanger Universität. Beilage des Erlanger Tageblattes 11 (1958), Nr. 2, 1 f. 5802 Die Geschichtlichkeit des biblischen Jesusbildes. In: EvW 12 (1958), 56–58. 5803 Von der Leibhaftigkeit der Seele. In: a) Michel, Otto/Mann, Ulrich (Hg.): Die Leibhaftigkeit des Wortes. Theologische und seelsorgerliche Studien und Beiträge als Festgabe für Adolf Köberle zum 60. Geburtstag. Hamburg 1958, 169–179; b) 6206, 158–167. 5804 Landesbischof Prof. D. Volkmar Herntrich gest. In: Luther 29 (1958), 97. 5805 Luthers Wort vom Ende und Ziel der Geschichte. In: Luther 29 (1958), 98–105. 5806 Lob der Bücher. Ansprache. In: Die Erlanger Universität. Beilage des Erlanger Tage­blattes 11 (1958), Nr. 6, 1 f. 5807 Paulus und Luther über den Menschen. Ein Vergleich (Studien der Luther-Akademie 14). 3. erw. Aufl. Gütersloh 1958 [4. Aufl. 1963]. 5808 Vom Sinn und Ziel des Lebens. In: Der alte Mensch in unserer Zeit. Eine Vortragsreihe (Das Heidelberger Studio). Stuttgart 1958, 143–157 [2. Aufl. 1966]. 5809 Um die deutsche Einheit und Freiheit. Rede am Tag der deutschen Einheit 1958*. In: 100 Jahre Erlanger Tagblatt (Okt. 1958). 5810 Friedrich Brunstäds geistiges Erbe. In: ThLZ 83 (1958), Nr. 11 (November 1958), 737–740. 5811 Luthers Wort von der Ehe. In: Heckel, Theodor (Hg.): Ehe und Familienrecht. Vorträge, gehalten auf der Tagung evangelischer Juristen 1958. München 1959, 7–15. 5812 Das sogenannte Kerygma und der historische Jesus. Zur Kritik der heutigen ­Kerygma-Theologie (BFChTh 48). Gütersloh 1958 [2. Aufl. 1958; 3. Aufl. 1963; engl. The so-called Kerygma and the historical Jesus. Edinburgh 1959; Fact and Faith in the Kerygma of Today. Philadelphia 1959; auszugsweise in: Fact and Faith in the Kerygma. In: Henry, Carl F. H. (ed.): Jesus of Nazareth. Saviour and Lord. London 1966, 201–214]. 5813 Art. Elert, Werner. In: RGG3. Bd. 2. Tübingen 1958, 418. 5814 Art. Erfahrungstheologie. In: RGG3. Bd. 2. Tübingen 1958, 552 f. 5815 Art. Eschatologie. VI. Religionsphilosophisch und dogmatisch. In: RGG3. Bd. 2. Tübingen 1958, 680–689. 5816 Art. Ewiges Leben. IV. Dogmatisch. In: RGG3. Bd. 2. Tübingen 1958, 805–809. 5817 Art. Gericht Gottes. IV. Dogmatisch. In: RGG3. Bd. 2. Tübingen 1958, 1421– 1423. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

5901 Das Evangelium und die Religionen. In: a) ELKZ 13 (1959), Nr. 3 (1.2.1959), 39–42; b) 6206, 9–22. 5902 Rückblick auf die „Zeitschrift für systematische Theologie“. In: NZSTh 1 (1959), 1–3. 5903 Die Bekehrung in reformatorischer und pietistischer Sicht. In: a) NZSTh 1 (1959), 3–25; b) 6206, 224–247. 5904 Das Wort Gottes und der Glaube bei Martin Luther. In: US 14 (1959), 142–155. 5905 Der Brief an die Römer. Übersetzt und erklärt (NTD 6). 9. erw. Aufl. Göttingen 1959. 5906 Der Schöpfungsgedanke bei Luther (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.-histor. Klasse 7/1959). München 1959. 5907 Die eine Kirche. Rede auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag zu München am 15.  August 1959. In: a)  Deutscher evangelischer Kirchentag. Dokumentarband. München 1959, 323–334; b) Nachrichten der evang.-luth. Kirche in Bayern 15 (1959), Nr. 3 (Febr. 1960), 33–36; c) 6206, 62–75. 5908 Martin Luther über die Autorität der Kirche. In: Hoffmann, Georg/Rengstorf, Karl Heinrich (Hg.): Stat crux dum volvitur orbis. Eine Festschrift für Landes­ bischof D. Hanns Lilje, Abt von Loccum, zum 60. Geburtstag am 20.  August 1959. Berlin 1959, 98–107. 5909 Die Illustration der Bibel als theologisches Problem. In: a)  NZSTh 1 (1959), ­314–326; b) 6206, 117–130 [Erweiterung eines Vortrags auf der Tagung der Vereinigten Bibel-Gesellschaften am 1.9.1959 in Edinburgh]. 5910 Die Geheimreligion der Gebildeten. Mehr Mut zum öffentlichen Zeugnis. Die besondere Verantwortung des Akademikers, Sonntagsblatt Hamburg 12 (1959), Nr. 36 (6.9.1959), 35. 5911 Gesundheit, Krankheit und Lebenssinn. In: a) Univ. 14 (1959), H. 9 (September 1959), 897–907; b) Gesundes Leben. Medizinalpolitische Rundschau 36 (1959), H. 12, 1 f. 5912 Geleitwort*. In: Kantzenbach, Friedrich Wilhelm: Die Erlanger Theologie. Grundlinien ihrer Entwicklung im Rahmen der Geschichte der Theologischen Fakultät 1743–1877. München 1960, VIIf. [verfasst im Advent 1959]. 5913 Die Frage nach dem Sinn des Lebens. Festvortrag anläßlich des 22. Fortbildungskurses für Ärzte in Regensburg*. Regensburg 1959. 5914 Art. Jungfrauengeburt, III. Dogmatisch. In: RGG3. Bd. 3. Tübingen 1959, 1069. 5915 Art. Kenosis. II. Dogmatisch. In: RGG3. Bd. 3. Tübingen 1959, 1244–1246. 5916 Art. Zwei-Reiche-Lehre. In: EKL. Bd. 3. Göttingen 1959, 1928–1936. 6001 Die Bedeutung der Theologie Luthers für die theologische Arbeit. In: LuJ 28 (1961), 13–29 [Gastvorlesung an der Theologischen Fakultät Marburg am 11.1.1960]. 6002 Arnoldshain und das Neue Testament. Zum Verständnis der Arnoldshainer Thesen über das Heilige Abendmahl. In: a)  ELKZ 14 (1960), Nr.  3 (1.2.1960), ­33–37; b) 6206, 207–223. 6003 Zum Gedächtnis an Prof. D. Eduard Steinwand. Aus der Trauerrede am 20.2.1960. In: Nachrichten der evang.-luth. Kirche in Bayern 15 (1960), Nr. 6 (März 1960), 84–86. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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6004 Das Gebot der Liebe und der Alltag. In: Univ. 15 (1960), H.  4 (April 1960), ­387–396. 6005 Luthers Wort vom Glauben. In: Luther 31 (1960), 97–109. 6006 Fragen an Ethelbert Stauffer [zusammen mit Wilfried Joest und Walter Künneth]. In: a)  ELKZ 14 (1960), Nr.  17 (1.9.1960), 263–265; b)  DtPfrBl 60 (1960), Nr. 17 (1.9.1960), 389–392; c) Nachrichten der evang.-luth. Kirche in Bayern 15 (1960), Nr. 17 (September 1960), 260–263. 6007 Zur Kritik der heutigen Kerygmatheologie. In: Ristow, Helmut/Matthiae, Karl (Hg.): Der historische Jesus und der kerygmatische Christus. Beiträge zum Christusverständnis in Forschung und Verkündigung. Berlin 1960, 236–265 [über­ arbeitete Fassung von 5801]. 6008 Der gegenwärtige Stand der Frage nach dem historischen Jesus (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 1960/6). München 1960. 6009 Art. Leiden. IV. Dogmatisch. In: RGG3. Bd. 4. Tübingen 1960, 300 f. 6101 Antwort an Ethelbert Stauffer. Über die Schrift: Jesus, Paulus und wir. In: DtPfrBl 61 (1961), Nr. 6 (15.3.1961), 139. 6102 Evangelische und katholische Stellungnahmen zu „Martin Luther in katholischer Sicht“*. In: US 16 (1961), H. 2/3 (Juli 1961), 186. 6103 Das Gottesgnadentum des Christenmenschen. In: Luther 32 (1961), 49–54. 6104 Die Rechtfertigung allein aus dem Glauben in Thesen Martin Luthers. In: LuJ 28 (1961), 30–51. 6105 Der Urstand und das Gesetz. In: Schrey, Heinz-Horst (Hg.): Glaube und Handeln. Grundprobleme evangelischer Ethik. Texte aus der evangelischen Ethik der Gegenwart. Bremen 1961, 85–105 [5208, 11–28]. 6106 Sola fide nunquam sola – Glaube und Werke in ihrer Bedeutung für das Heil bei Martin Luther. In: US 16 (1961), H. 4 (Dezember 1961), 227–235. 6107 Die Theologie Martin Luthers. Gütersloh 1962 [Vorwort Advent 1961; 2. Aufl. 1963; 3. Aufl. 1972; 4. Aufl. 1975; 5. Aufl. 1980; 6. Aufl. 1983; 7. Aufl. 1994; engl. The theology of Martin Luther. Philadelphia 1966]. 6108 Art. Präexistenz Christi. II. Dogmatisch. In: RGG3. Bd. 5. Tübingen 1961, 492 f. 6109 Art. Seelenwanderung. II. Dogmatisch. In: RGG3. Bd. 5. Tübingen 1961, 1639 f. 6110 Art. Seligkeit. In: RGG3. Bd. 5. Tübingen 1961, 1686–1688. 6111 Art. Sünde und Vergebung. In: Pädagogisches Lexikon. Stuttgart 1961, 932–934. 6201 Das Evangelium und der historische Jesus. In: Univ. 17 (1962), H.  1 (Januar 1962), 17–27. 6202 Zum Unaufgebbaren in der Tradition*. In: Uttenreuther-Blätter 31 (1962), Nr. 2 (Juni 1962), 3 f. [Rede auf der Antrittskneipe der Uttenruthia am 7.5.1962]. 6203 Offenbarung als Geschichte und Glaube. Bemerkungen zu Wolfhart Pannenbergs Begriff der Offenbarung. In: ThLZ 87 (1962), Nr. 5 (Mai 1962), 321–330. 6204 Um die Wahrheit des Evangeliums. Aufsätze und Vorträge. Stuttgart 1962 [Vorwort Pfingsten 1962]. 6205 Erbe und Auftrag. Rede bei dem Festakt zur 75-Jahrfeier des Schwarzburgbundes am 13. Juni 1962 in Bad Hersfeld*. In: DSb 71 (1962), H. 3 (August 1962), 60–66. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

6206 „Es steht geschrieben …“. Bibelautorität und Bibelkritik. In: Sonntagsblatt Hamburg 15 (1962), Nr. 38 (23.9.1962), 14. 6207 Autorität und Freiheit in Luthers Stellung zur Heiligen Schrift. In: Luther  33 (1962), 41–51. 6208 Schweitzers Schrift „Das Christentum und die Weltreligionen“. In: Bähr, Hans Walter (Hg.): Albert Schweitzer. Sein Denken und sein Weg. Tübingen 1962, 200–203. 6209 Dogmatik und Predigt*.22 In: Vogel, Heinrich (Hg.): Männer der evangelischen Kirche in Deutschland. Eine Festgabe für Kurt Scharf zu seinem 60. Geburtstag. Berlin/Stuttgart 1962, 14 f. 6210 Person und Persönlichkeit in der evangelischen Theologie*. In: Heckel, Theodor (Hg.): Person und Recht. Vorträge, gehalten auf der Tagung evangelischer Juristen 1962. München 1962, 9–18. 6211 Art. Verdienst Christi. In: RGG3. Bd. 6. Tübingen 1962, 1270 f. 6212 Art. Tod. IV. Dogmatisch. In: RGG3. Bd. 6. Tübingen 1962, 914–919. 6213 Art. Vergeltung. VI. Dogmatisch. In: RGG3. Bd. 6. Tübingen 1962, 1352–1354. 6214 Art. Widerbringung Aller. II. Dogmatisch. In: RGG3. Bd.  6. Tübingen 1962, 1694–1696. 6301 Die Autorität der Bibel und die kritische Wissenschaft*. In: Univ. 18 (1963), H. 1 (Januar 1963), 57–65. 6302 Goethe und das Evangelium. In: Evangelischer Digest 5 (1963), H. 9, 27–32. 6303 Christologisches. Fragen an Emanuel Hirsch. In: Gerdes, Hayo (Hg.): Wahrheit und Glaube. Festschrift für Emanuel Hirsch zu seinem 75. Geburtstag. Itzehoe 1963, 22–30. 6304 Von der Präsenz Gottes im Menschsein des Menschen. In: Sierig, Hartmut (Hg.): Mensch und Menschensohn. Festschrift für Bischof D. Karl Witte. Hamburg 1963, 11–19. 6305 Zum Geleit*. In: Dietrich, Erich/Heike, Otto (Hg.): Verpflichtendes Erbe. In ­memoriam Konsistorialrat Julius Dietrich, Lodz. Düsseldorf 1963, 5 [verfasst am 1.11.1963]. 6401 Vom Sinn und Ziel der Geschichte*. In: a) Univ. 19 (1964), H. 8 (August 1964), 845–852 [Neufassung von 5401]; b)  [gekürzt und u. d. T. Vom Sinn und Ziel der Geschichte in theologischer Sicht] Ausblick in die Zukunft. Gütersloh 1968, 157–161. 6402 Geboren aus Maria, der Jungfrau. Das Problem der vaterlosen Erzeugung Jesu Christi*. In: Sonntagsblatt, Nr. 51 (20.12.1964), 14. 6501 Die Ethik Martin Luthers. Gütersloh 1965 [Vorwort Januar 1965; engl. The ethics of Martin Luther. Philadelphia 1972]. 6502 Gerhard Ebelings „Luther“. In: ThLZ 90 (1965), Nr.  11 (November 1965), ­801–808.

22 Althaus’ Beitrag für die Scharf-Festschrift trägt selbst keinen Titel; der hier gewählte wurde dem Thema entnommen. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Quellen und Literatur

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6503 Die theologische Lage vor 50 Jahren. In: DtPfrBl 65 (1965), Nr. 24 (Dezember 1965), 742–746. 6601 Der Brief an die Römer. Übersetzt und erklärt (NTD 6). 10. neubearb. und erw. Aufl. Göttingen 1966 [11. Aufl. 1970; 12. Aufl. 1976; 13. Aufl. 1978]. 6701 Gott ist gegenwärtig. Letzte Predigten. Hg. von Gerhard Althaus. Gütersloh 1968 [Vorwort Oktober 1967]. 7101 Luther und die Rechtfertigung. Darmstadt 1971 [2608, 3003 und 3106].

2.2 Predigten und Betrachtungen 1401P Die Herrlichkeit der Weihnacht. Jes 40,9 (26.12.1914). In: a)  1405, 3–10; b) 1501, 7–19. 1402P Wir sind des Herrn! Röm 14,7 f. (31.12.1914). In: a) 1405, 11–20; b) 1501, ­20–34. 1501P Unsere Losung in Gottes heiligem Kriege. Mt 6,13 (6.1.1915). In: 1501, 35–45. 1502P Kriegsdienst und Gottesdienst. 2. Kor 6,4 (21.2.1915). In: 1501, 46–57. 1503P Der Weg zur Größe. Ps 18,36 (7.3.1915). In: 1501, 58–65. 1504P Die Sprache der Kreuze: „Teuer erkauft!“ 1.  Kor 6,20 (14.3.1915). In: 1501, ­66–76. 1505P Die Furcht Gottes. Mt 10,28 (21.3.1915). In: 1501, 77–86. 1506P Die Gewalt Jesu. Phil 2,9–11 (28.3.1915). In: 1501, 87–95. 1507B Von ganzem Herzen. Ps 138,1. In: a) DLoZ 1 (1915), Nr. 194 (22.8.1915), 4; b) 1601, 24–26. 1508B Das Unentbehrliche. Ps 25,1. In: DLoZ 1 (1915), Nr. 201 (29.8.1915), 4. 1509B Rücksichtslosigkeit! Röm 1,16. In: a) DLoZ 1 (1915), Nr. 208 (5.9.1915), 4; b) 1601, 28 f. 1510B Arbeit mit Freuden. Joh 4,34. In: a) DLoZ 1 (1915), Nr. 215 (12.9.1915), 5; b) 1601, 29–31. 1511P Unsere Kinder. Predigt über Matth. 18,2–3.5 in der St. Johanniskirche zu Lodz gehalten am 12. September 1915. Lodz 1915. 1512B Jeder für sich! Gal 6,5. In: a) DLoZ 1 (1915), Nr. 222 (19.9.1915), 4; b) 1601, 32 f. 1513B Die Augen der Liebe. 1. Kor 13,6. In: a) DLoZ 1 (1915), Nr. 229 (26.9.1915), 5; b) 1601, 34 f. 1514B Unser Kriegsbrot. Ps 23,5. In: a)  DLoZ 1 (1915), Nr.  236 (3.10.1915), 5; b) 1601, 36 f. 1515B Die lebendige Mauer. Ps 125,2. In: a) DLoZ 1 (1915), Nr. 243 (10.10.1915), 5; b) 1601, 38 f. 1516B Die Oberwindung der Müdigkeit. 2. Kor 4,16. In: a) DLoZ 1 (1915), Nr. 250 (17.10.1915), Beiblatt; b) 1601, 39–41. 1517B Der Christusglaube im Kriege. Joh 17,1. In: a)  DLoZ 1 (1915), Nr.  257 (24.10.1915), Beiblatt; b) 1601, 41–43. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

1518B Luther. 2.  Tim 1,12. In: a)  DLoZ 1 (1915), Nr.  264 (31.10.1915), Beiblatt; b) 1601, 44–46. 1519B Mehr Ernst! Röm 12,11. In: a) DLoZ 1 (1915), Nr. 270 (7.11.1915), Beiblatt; b) 1601, 46 f. 1520B Vorwärts! Phil 3,13. In: a)  DLoZ 1 (1915), Nr.  277 (14.11.1915), Beiblatt; b) 1601, 48 f. 1521B Deutsche Einkehr. Ps 51,13. In: a) DLoZ 1 (1915), Nr. 280 (17.11.1915), Beiblatt; b) 1601, 50–52. 1522B Wiedersehen. Joh 16,22. In: a) DLoZ 1 (1915), Nr. 284 (21.11.1915), Beiblatt; b) 1601, 52–54. 1523P Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Predigt zum Gedächtnis der für das Vaterland Gefallenen über I. Kor. 15,55.57, zu Lodz gehalten 1915 [Ewigkeitssonntag 1915]. Lodz 1915. 1524B Königseinzug. Ps 24,7. In: a) DLoZ 1 (1915), Nr. 291 (28.11.1915), Beiblatt; b) 1601, 54–56. 1525B Die Forderung des Tages. Röm 13,11. In: a) DLoZ 1 (1915), Nr. 298 (5.12. 1915), Beiblatt; b) 1601, 56–58. 1526B Durchhalten und siegen! Röm 8,37. In: a)  DLoZ 1 (1915), Nr.  305 (12.12. 1915), Beiblatt; b) 1601, 58–60. 1527B Kalte Weihnacht? Phil 4,5. In: a) DLoZ 1 (1915), Nr. 312 (19.12.1915), Beiblatt; b) 1601, 60–62. 1528B Weihnachtslicht. Jes 9,1. In: a) DLoZ 1 (1915), Nr. 318 (25.12.1915), Beiblatt; b) 1601, 62–64. 1529B Deutsche Weihnacht. In: a) DPLo 1 (1915), Nr. 27 (25.12.1915), 1 f.; b) 1601, 64–69. 1601B Die Gewißheit über unsere Zukunft. Röm 8,28. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. l (1.1.1916), Beiblatt; b) 1601, 69–71. 1602B Auf Jesu Ehrentafel. Mk 12,41–44. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 8 (9.1.1916), Beiblatt; b) 1601, 71–74. 1603B Das Geheimnis der Frömmigkeit. Lk 2,49. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 15 (16.1. 1916), Beiblatt; b) 1601, 74–76. 1604B Unsere Vergeltungsmaßregeln. Röm 12,21. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 22 (23.1. 1916), Beiblatt; b) 1601, 76–78. 1605B Deutsche Staatsgesinnung. Röm 13,5. In: a)  DLoZ 2 (1916), Nr.  29 (30.1. 1916), Beiblatt; b) 1601, 78–81. 1606B Noch nicht sterben! Lk 2,29 f. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 36 (6.2.1916), Beiblatt; b) 1601, 81–83. 1607B Verwandtschaft. Mk 3,35. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 43 (13.2.1916), Beiblatt; b) 1601, 83–85. 1608B Glauben und Rechnen. Mk 9,23. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 50 (20.2.1916), Beiblatt; b) 1601, 85–88. 1609P Der Segen der Armut. Mt 5,3 (20.2.1916). In: 1603, 7–17. 1610B Die Erlösung vom Warten. Ps 130,6. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 57 (27.2.1916), Beiblatt; b) 1601, 88–90. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Quellen und Literatur

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1611B Dem Schmerz sein Recht! Mt 5,4. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 64 (5.3.1916), Beiblatt; 1601, 90–92. 1612P Die Herrlichkeit der Liebe. 1. Kor 13,7.8a (5.3.1916). In: 1603, 18–30. 1613B Die Enthüllung unserer Seele. Ps 139,23. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 67 (8.3. 1916), Beiblatt; b) 1601, 93–95. 1614B Begeisterung und Gehorsam. Lk 11,28. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 71 (12.3. 1916), Beiblatt; b) 1601, 95–97. 1615B Einer trage des andern Last! Gal 6,2. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 78 (19.3.1916), Beiblatt; b) 1701, 36–38. 1616B Deutscher Frühling! Ps 67,7. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 85 (26.3.1916), Beiblatt; b) 1701, 38–41. 1617P Der schwerste Kampf. Mt 26,36–46 (2.4.1916). In: 1603, 31–47. 1618B Die Waffen nieder! Joh 18,11. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 92 (2.4.1916), Beiblatt; b) 1701, 41–43. 1619B Das erlösende Wort. Mt 8,8. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 99 (9.4.1916), Beiblatt; b) 1701, 43–46. 1620P Das Bekenntnis zu Jesus. Mt 26,69–75 (9.4.1916). In: 1603, 48–62. 1621B Der Tisch des Herrn. Mt 26,26. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 106 (16.4.1916), Beiblatt; b) 1701, 46–48. 1622P Durch Leiden verklärt. Joh 17,1 (16.4.1916). In: 1603, 63–74. 1623B Crucifixus. Mk 15,34. In: a)  DLoZ 2 (1916), Nr.  111 (21.4.1916), Beiblatt; b) 1701, 49–51. 1624B Der Sieg des Lebens. Joh 14,19. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 113 (23.4.1916), Beiblatt; b) 1701, 52–54. 1625P Andacht bei der Einweihung des deutschen Luisen-Lyzeums in Lodz. 2.  Tim 1,6. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 118 (28.4.1916), Beiblatt; b) 1701, 21–25. 1626B Der Ernst der Entscheidung. Ps 27,11. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 119 (30.4. 1916), Beiblatt; b) 1701, 54–56. 1627B Die heilige Blindheit. Mt 6,3. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 126 (7.5.1916), Beiblatt; b) 1701, 57–59. 1628B Gottes Dunkel. Jes 45,15. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 133 (14.5.1916), Beiblatt; b) 1701, 59–62. 1629P Die Heimat. Hebr 13,14 (14.5.1916). In: 1603, 75–88. 1630B Cantate! Ps 89,2. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 140 (21.5.1916), Beiblatt; b) 1701, 62–65. 1631B Der Weg zum lebendigen Glauben. Joh 7,17. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 147 (28.5.1916), Beiblatt; b) 1701, 65–67. 1632P Der Weg zum Beten. Mt 7,7 f. (28.5.1916). In: 1603, 89–102. 1633B Aufwärts die Herzen! Apg 1,11. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 151 (1.6.1916), Beiblatt; b) 1701, 68–70. 1634B Die Erziehung zur Ehrfurcht. Ps 95,6. In: a)  DLoZ 2 (1916), Nr.  154 (4.6. 1916), Beiblatt; b) 1701, 70–73. 1635B Deutsche Pfingsten. Hes 36,26. In: a)  DLoZ 2 (1916), Nr.  161 (11.6.1916), Beiblatt; b) 1701, 73–75. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

1636B Wiedergeburt. Joh 3,3. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 167 (18.6.1916), Beiblatt; b) 1701, 75–77. 1637B Mannhafte Liebe. 1. Joh 5,2. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 174 (25.6.1916), Beiblatt; b) 1701, 78 f. 1638B Vergessen und Überwinden. Jes 38,17. In: a)  DLoZ 2 (1916), Nr.  181 (2.7. 1916), Beiblatt; b) 1701, 79–81. 1639B Die Tat des Vertrauens. Hebr 10,35. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 188 (9.7.1916), Beiblatt; b) 1701, 81–83. 1640B Heldentum. Apg 20,24. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 195 (16.7.1916), Beiblatt; b) 1701, 83–85. 1641B Barmherzigkeit. Lk 6,36. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 202 (23.7.1916), Beiblatt; b) 1701, 85–87. 1642B Haltung! Hebr 10,39. In: a)  DLoZ 2 (1916), Nr.  209 (30.7.1916), Beiblatt; b) 1701, 87–89. 1643B Gottes Ernte. Mt 9,37 f. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 216 (6.8.1916), Beiblatt; b) 1701, 89–91. 1644B Friede? Mt 10,34. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 223 (13.8.1916), Beiblatt; b) 1701, 91–93. 1645B Treue. Lk 16,10. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 230 (20.8.1916), Beiblatt; b) 1701, 93 f. 1646B Via dolorosa. Ps 77,14. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 237 (27.8.1916), Beiblatt; b) 1701, 95 f. 1647B Dennoch! Ps 73,23. In: a)  DLoZ 2 (1916), Nr.  244 (3.9.1916), Beiblatt; b) 1701, 96–98. 1648B Heute! Eph 5,16. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 251 (10.9.1916), Beiblatt; b) 1701, 98–100. 1649B Der Mut zur Wahrheit. 2. Kor 13,8. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 258 (17.9.1916), Beiblatt; b) 1701, 101 f. 1650B Neutralitätsbruch. Mt 12,30. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 265 (24.9.1916), Beiblatt; b) 1701, 103 f. 1651B Unser tägliches Brot. Zum Erntedankfeste. Mt 6,11. In: a)  DLoZ 2 (1916), Nr. 272 (1.10.1916), Beiblatt; b) 1701, 104–106. 1652B Die Befreiung zur Tat. Joh 5,17. In: a) DLoZ 2 (1916), Nr. 279 (8.10.1916), Beiblatt; b) 1701, 107–109. 1653B Die Reinigung unserer Sprache. Mt 5,37. In: a)  DLoZ 2 (1916), Nr.  286 (15.10.1916), Beiblatt; b) 1701, 109–111. 1654B Sonntagsbetrachtung. 1. Petr 5,5. In: DLoZ 2 (1916), Nr. 293 (22.10.1916), Beiblatt. 1655B Sonntagsbetrachtung. Joh 9,3. In: DLoZ 2 (1916), Nr. 300 (29.10.1916), Beiblatt. 1656B Zum Reformationsfest. Eph 6,11. In: DLoZ 2 (1916), Nr. 307 (5.11.1916), Beiblatt. 1657P Ansprache [anlässlich der Weihe des Soldatenfriedhofs auf dem Gräberberg bei Rzgow am 7.11.1916]. Ex 3,5. In: a) DPLo 2 (1916), Nr. 47 (19.11.1916), 2 f.; b) DLoZ 2 (1916), Nr. 310 (8.11.1916), 1 [Auszug]. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Quellen und Literatur

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Quellen und Literatur

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Quellen und Literatur

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23 Im Heft selbst findet sich keine Jahresangabe. Aus dem Kontext der Predigt lässt sich aber auf 1929/30 schließen. Althaus spricht in der Predigt davon, die Erinnerung an den Reichstag 1529 liege „hinter uns“, die an den Reichstag 1530 „vor uns“ (2901P, 1). Die Gustav-Adolf-Feste fanden jeweils Anfang Juni statt. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

4010P Verwandtschaft. Mt 12,46–50 (14.7.1940). In: 4013, 24–32. 4011M 22.  Sonntag nach Trinitatis. Phil 1,3–11 (Predigtmeditation). In: Luth. 51 (1940), 153–156. 4012P Luthers evangelische Sendung an die ganze Kirche. Predigt am Reformationsfeste 1940 in der Neustädter Kirche zu Erlangen*. Joh 2,13–17 (31.10.1940). In: Wartburg 40 (1941), H. 2 (Februar 1941), 21–25. 4013P Der Morgen Gottes. Röm 13,11–14 (1.12.1940). In: 5307, 19–26. 4014B Die Brüderlichkeit Gottes (4. Advent). In: DtPfrBl 44 (1940), Nr. 51 (22.12. 1940), 457 f. 4101P Das Brot Gottes. Ansprache bei der Abendmahlsfeier der Studentengemeinde zum Semesterschlusse am 5. März 1941. Joh 6,58. In: PBl 84 (1941/42), H. 9 (Juli 1941), 388 f. 4102P Rein bleiben und reif werden! Predigt am Sonntag Okuli 1941 über Epheser 5,1–9. In: PBl 84 (1941/42), H. 5 (März 1941), 209–212. 4103P Der Aufgang aus der Höhe. Lk 1,78 f. (30.11.1941; 1. Advent). In: a) PBl 85 (1942/43), H. 1 (November 1942), 19–22; b) 4601, 7–16. 4104P Der Heiland. Lk 2,10 f. (25.12.1941). In: a) PBl 85 (1942/43), H. 2 (Dezember 1942), 59–63; b) 4601, 17–27. 4201P Das Jahr des Heils. Predigt am Jahresanfang über Lk 4,16–21 (18.1.1942). In: a) PBl 85 (1942/43), H. 3 (Januar 1943), 118–122; b) 4601, 28–38. 4202P Kraft deiner Angst und Pein. Mt 27,45–50 (3.4.1942). In: a) PBl 85 (1942/43), H. 5 (März 1943), 186–189; b) 4601, 39–47. 4203P Der offene Himmel. Joh 17,24 (14.5.1942). In: a) PBl 85 (1942/43), H. 7 (Mai 1943), 287–290; b) 4601, 48–56. 4204P „Selig sind…“. Mt 5,1–6 (21.6.1942). In: a)  PBl 85 (1942/43), H.  8 (Juni 1943), 315–317; b) 4601, 57–65. 4205P Tapfere Leute. Lk 9,57–62. In: PBl 85 (1942/43), H.  4 (Februar 1943), ­154–157.24 4206P Um das Heil der [/ unserer] Seele. Mk 8,36 (25.7.1942). In: a) PBl 85 (1942/43), H. 6 (April 1943), 249–253; b) 4601, 66–76. 4207B Oktober 1942. Gal 5,1. In: PBl 84 (1941/42), H. 12 (Oktober 1942), 497. 4208P Die Einheit der Kirche Christi. Predigt am Reformationsfest über Ephes. 4,4–6 (1.11.1942). In: a) PBl 85 (1942/43), H. 12 (Oktober 1943), 360 f.; b) 4601, 77–87. 4209P Gnade und Friede aus der Ewigkeit. Offb 1,4–8 (29.11.1942). In: 4601, 88–98. 4210B Die Klarheit (Weihnachten). In: Eckart 18 (1942), H.  12 (Dezember 1942), 272–274. 4301P Wir überwinden weit! Röm 8,33–39 (17.1.1943). In: 4601, 99–108. 4302P Gesetz und Liebe. Röm 13,8–10 (31.1.1943). In: 4601, 109–117. 4303P Das Seufzen der Kreatur. Röm 8,18–23 (18.7.1943). In: 4601, 118–127.

24 Orientiert man sich am Predigttext, dürfte die Predigt Anfang Juli 1942 gehalten worden sein. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Quellen und Literatur

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4304P Dein Name werde geheiligt! Mt 6,9a (14.11.1943). In: a)  [als Sonderdruck u. d. T. Predigt im Gottesdienst zur 200-Jahrfeier der Universität Erlangen am 14. November 1943 in der Neustädter Kirche] Arendal 1944; b) 4601, ­128–136. 4305P Augustus und Christus. Lk 2,1–14 (25.12.1943). In: 4601, 137–148. 4401P Drei Kreuze. Lk 23,39–43 (7.4.1944). In: 4601, 149–160. 4402P Die Wahrheitsmacht des Geistes Gottes. Joh 16,5–15 (7.5.1944). In: 4601, 161–169. 4403P Daß wir an ihm bleiben… Hebr 13,7–9a (5.11.1944). In: 4601, 170–180. 4404P Unsere Gottesdienste. Hebr 10,19–25 (3.12.1944). In: 4601, 181–190. 4405P Vom Heimweh und Heimgang. 2. Kor 5,6–10 (31.12.1944). In: 4601, ­191–197. 4501P Die Gnade des Leidens. Röm 5,3a (21.1.1945). In: 4601, 198–204. 4502P Laß dir an meiner Gnade genügen! 2. Kor 12,7–9 (4.2.1945). In: 4601, 2­ 05–212. 4503P Gethsemane. Mk 14,36 (4.3.1945). In: 4601, 213–221. 4504P Die gewaltige Hand Gottes. 1. Petr 5,6 (22.4.1945). In: 4601, 222–230. 4505P Das Gebot der Stunde. 1. Petr 4,8–11 (13.5.1945). In: 4601, 231–240. 4506P Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz. Ps 51,12 f. (21.5.1945). In: 4601, ­241–250. 4507P Gottes Gedanken mit uns. Jer 29,11.13 f. (1.7.1945). In: 4601, 251–260. 4508P Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Röm 8,35–39 (12.8.1945). In: 4601, 261–270. 4509P Wir sind des Herrn! Röm 14,7–12 (14.10.1945). In: 4601, 271–280. 4510P Die große Barmherzigkeit. Lk 1,78 f. (2.12.1945). In: 4601, 281–289. 4511P Die Herrlichkeit Jesu. Joh 1,14.16–18 (26.12.1945). In: 4601, 290–301. 4601P Das erste Gebot. 2. Mose 20,2a.3 (20.1.1946). In: 4701, 7–17. 4602P Das zweite Gebot. 2. Mose 20,7 (10.2.1946). In: 4701, 19–29. 4603P Das Bild Gottes. Gottesdienst zur Wiedereröffnung der Universität Erlangen am 4. März 1946 in der Neustädter Kirche. 1. Mose 1,27. Erlangen 1946 [maschinenschriftl. Abzug].25 4604P Das dritte Gebot. 2. Mose 20,8 (7.4.1946). In: 4701, 31–40. 4605P Das vierte Gebot. 2. Mose 20,12 (26.5.1946). In: 4701, 41–51. 4606B Der neue Geist. Zum Pfingstfeste 1946. Ein Pfingstgruß der Heimatkirche durch das Evang. Hilfswerk für Internierte und Kriegsgefangene. Erlangen 1946. 4607P Das fünfte Gebot. 2. Mose 20,13 (16.6.1946). In: 4701, 53–63. 4608P Das sechste Gebot. 2. Mose 20,14 (28.7.1946). In: 4701, 65–74. 4609P Das siebente Gebot. 2. Mose 20,15 (1.9.1946). In: 4701, 75–85. 4610P Das achte Gebot. 2. Mose 20,16 (29.9.1946). In: 4701, 87–96. 4611P Unangreifbar geborgen. Röm 8,31 (3.11.1946). In: 5307, 217–225. 4612P Mission ist Gnade. Eph 3,8 (17.11.1946). In: 5307, 184–190. 4613P Das neunte und zehnte Gebot. 2. Mose 20,17 (15.12.1946). In: 4701, 97–106. 4614P Die Gnade ist erschienen. Tit 2,11–14 (25.12.1946). In: 5307, 51–57. 4801P Der Weg zum Vater. Lk 15,18 (15.2.1948). In: a) PBl 89 (1949), H. 2, 125–129; b) [u. d. T. Heimkehr zu Gott] 5307, 226–232. 25 Die Predigt befindet sich im LAELKB unter der Sign. LKR VI, 1163. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Quellen und Literatur

4802P Der wahre Schatz der Kirche. Mi 7,18 (31.10.1948). In: 5307, 207–216. 4803P Maria, die Mutter Jesu. Lk 1,26–38 (12.12.1948). In: 5307, 43–50. 4804P Gloria in excelsis Deo. Lk 2,14 (25.12.1948). In: 5307, 58–66. 4901P Er ist wahrhaftig auferstanden. 1. Kor 15,3–8 (17.4.1949). In: 5307, 107–115. 4902P Der Geist spricht. Offb 2,29 (6.6.1949). In: 5307, 166–174. 4903P Unter dem Gerichte des Wortes. Hebr 4,12 f. (16.11.1949). In: 5307, 233–241. 4904P Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. Joh 1,16, Erlangen 1946* [Flugschrift des Evang. Hilfswerks für Internierte und Kriegsgefangene].26 5001P Jesus im Feuer Gottes. Mk 15,33 (7.4.1950). In: 5307, 92–98. 5002P Gottes Wunder machen uns singen. Ps 98,1 (6.5.1950). In: 5307, 131–139. 5003P Sanctus. Jes 6,1–8 (4.6.1950). In: 5307, 191–198. 5004P Er kommt arm. Sach 9,9 (3.12.1950). In: 5307, 27–34. 5101P Lebendige Hoffnung. 1. Petr 1,3 f. (25.3.1951). In: 5307, 116–122. 5102P Mit Gott reden. 1. Thes 5,17 (29.4.1951). In: 5307, 149–157. 5103P Unsere Gottesdienste. Ps 122,1–3 (27.5.1951). In: 5307, 11–18. 5104P Durch Gott gedemütigt. Ps 119,67 (21.11.1951). In: 5307, 242–247. 5105P Mit den Hirten will ich gehen. Lk 2,15–20 (26.12.1951). In: 5307, 67–74. 5201P Jesus läßt sich taufen. Mt 3,13–17 (13.1.1952). In: 5307, 75–82. 5202P Abels Blut und Christi Blut. 1. Mose 4,10/Hebr 12,24 (11.4.1952). In: 5307, 99–106. 5203P Rundfunkpredigt zum Ostermontag. Apg 2,32 (14.4.1952). In: Die Rundfunkpredigt. Evang.-luth. Sendungen über den Bayerischen Rundfunk. Hg. vom EPV. München 1952.27 5204P Die da leben, loben dich. Joh 5,24–26 (11.5.1952). In: 5307, 140–148. 5205P Das Geheimnis der neuen Geburt. Joh 3,1–8 (8.6.1952). In: 5307, 199–206. 5206P Liebet eure Feinde! Mt 5,43–48 (20.7.1952). In: 5706, 156–163. 5207P Rundfunkpredigt. 2. Tim 1,12 (2.11.1952). In: Die Rundfunkpredigt. Evang.luth. Sendungen über den Bayerischen Rundfunk. Hg. vom EPV. München 1952.28 5208P Ihm leben sie alle. Mk 12,26/Lk 20,38 (16.11.1952). In: 5307, 248–256. 5209P Gnade und Friede von Gott. Offb 1,4–8 (30.11.1952). In: 5307, 34–42. 5301P Rundfunkpredigt. Eph 5,1 f. (8.3.1953). In: Die Rundfunkpredigt. Evang.-luth. Sendungen über den Bayerischen Rundfunk. Hg. vom EPV. München 1953.29 5302P Die große Freude und der große Ernst. Phil 2,12–18 (15.3.1953). In: 5307, ­83–91. 5303P Musica sacra. Ps 138,1–8 (26.4.1953). In: 5706, 79–85. 5304P Sursum corda! Kol 3,1–4 (14.5.1953). In: 5307, 158–165. 5305P Der Leib Christi. 1. Kor 12,4–13 (14.6.1953). In: 5307, 175–183. 5306P Fürchte dich nicht! Jes 43,1 f. (12.7.1953). In: 5706, 164–172. 26 Die Predigt befindet sich im LAELKB unter der Sign. 12348/3 4°. 27 Ein Exemplar der Predigt befindet sich im NPA 13/3. 28 Ein Exemplar der Predigt befindet sich Ebd. 29 Ein Exemplar der Predigt befindet sich Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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5307P Der Glaube an der Front des Lebens. 2.  Petr 1,10 (27.9.1953). In: 5706, ­179–187. 5308P Der wahre Ruhm. Jer 9,22 f. (10.11.1953). In: 5706, 219–223. 5309P Verantwortlich für einander. Hebr 12,12–17 (18.11.1953). In: 5706, 206–212. 5401P Das Geheimnis des Sterbens Jesu. Joh 19,30/Lk 23,46 (16.4.1954). In: 5706, 57–63. 5402P Zeugen Christi. Joh 15,26 f. (30.5.1954). In: 5706, 101–107. 5403P Zwiesprache der Seele. Ps 52,12 (11.7.1954). In: 5706, 123–129. 5404P Reformation der Kirche. Joh 2,13–17 (31.10.1954). In: 5706, 188–195. 5405P Die Gnade ist erschienen! Tit 2,11–14 (25.12.1954). In: 5706, 16–22. 5501P Rundfunkpredigt. Joh 19,5 (3.4.1955). In: Die Rundfunkpredigt. Evang.-luth. Sendungen über den Bayerischen Rundfunk. Hg. vom EPV. München 1955.30 5502P Der Überwinder. Offb 5,1–5 (10.4.1955). In: 5706, 64–70. 5503P Der Geist, der lebendig macht. Joh 6,63 (30.5.1955). In: 5706, 115–122. 5504P Jesus und unser Beruf. Lk 5,1–11 (10.7.1955). In: 5706, 130–139. 5505P Verzehrend Feuer. Hebr 12,29 (16.11.1955). In: 5706, 213–218. 5601P Das Gesetz des Dienstes. Lk 17,7–10 (29.1.1956). In: 5706, 38–43. 5602P An die Adresse der kirchlichen Leute. Mt 21,28–31 (26.2.1956). In: 5706, ­44–50. 5603P Die Überschrift am Kreuz. Joh 1,29 (30.3.1956). In: 5706, 51–56. 5604P Herr, zu wem sollten wir gehen? Joh 6,66–69 (29.4.1956). In: 5706, 86–92. 5605P Um die Seele. Mt 16,26 (8.5.1956). In: 5706, 224–228. 5606P Gott zieht bei uns ein. Joh 14,23 (20.5.1956). In: 5706, 108–114. 5607P Geschickt zum Reiche Gottes? Lk 9,57–62 (1.7.1956). In: 5706, 140–146. 5608P Fruchtbares Leben. Joh 15,1–8 (22.7.1956). In: 5706, 172–178. 5609P Die Reformation als Bekenntnis zu Jesus Christus. Mt 10,32 f. (4.11.1956). In: a) Luther 27 (1956), 97–105; b) 5706, 196–205. 5610P Die Gottesdienste der Gemeinde. Hebr 10,19–25 (2.12.1956). In: 5706, 9–15. 5701P Im Lichte wandeln. 1. Joh 1,5–10 (6.1.1957). In: 5706, 23–29. 5702P Die Schuld der Christenheit gegen die Welt. Röm 1,14 (3.2.1957). In: 5706, 30–37. 5703P Nun aber ist Christus auferstanden. 1.  Kor 15,20–22 (21.4.1957). In: 5706, ­71–78. 5704P Losung. 1. Kor 16,13 (9.5.1957). In: 5706, 235–240. 5705P Vom rechten Beten. Kol 4,2–4 (26.5.1957). In: 5706, 93–100. 5706P Damaskus. Apg 9,1–9 (21.7.1957). In: 5706, 147–155. 5801B Gott hat sie zur Freude gemacht. Eine Betrachtung über die Natur*. In: Die Botschaft. Hannoversches Sonntagsblatt 13 (1958), Nr. 33 (17.8.1958), 1 f. 5901P Überwundene Anfechtung. Missionsfestpredigt. 2.  Kor 4,1. In: Lutherisches Missionsjahrbuch 1960. Hg. von Walther Ruf. Neuendettelsau 1960, 11–17 [gehalten am 8.6.1959 in St. Lorenz zu Nürnberg]. 6001P 2. Sonntag nach Epiphanias. Joh 2,1–11 (17.1.1960). In: 6701, 9–15. 30 Ein Exemplar der Predigt befindet sich Ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Personenregister / Biogramme

Kursive Seitenzahlen verweisen auf Fundstellen in den Fußnoten. Althaus, Hermann, Erzieher, Sozialbeamter  636 geb. 10.1.1899 Hoyel, gest. 19.8.1966 Kassel Studium der Land- und Forstwirtschaft in Leipzig, seit 1925 Erzieher und Sozialfürsorger für die Innere Mission in Berlin, 1932 Mitglied der NSDAP, ab 1933 Leiter des Amts für Wohlfahrtspflege und Jugendhilfe der NS-Volkswohlfahrt (NSV), 1939 Mitglied der SS Althaus d. Ä., Paul, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (ST, PT, NT)  81, 94, 102, 105, 190, 274 geb. 29.11.1861 Fallersleben, gest. 9.4.1925 Leipzig Studium in Erlangen und Göttingen, 1887–1897 Pfarrdienst in der Hannoverschen Landeskirche, 1896 Promotion, 1897 aoProf. Göttingen, 1899 oProf. und Universitätsprediger ebd. (PT, ST), 1912 oProf. Leipzig (ST, NT). Arnim-Kröchlendorf, Detlev von, Offizier, Gutsbesitzer, Politiker  612 geb. 15.9.1878 Berlin, gest. 1.2.1947 Berlin [Personenlexikon 21 f.] Aner, Karl, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (KG)  122 geb. 11.4.1879 Greiz, gest. 8.6.1933 Kiel [Personenlexikon 21] Arndt, Ernst Moritz, Theologe, Historiker, Universitätslehrer  72, 83, 326, 343, 345, 362, 363, 439, 567 geb. 27.12.1769 Groß Schoritz, gest. 29.1.1860 Bonn Arnold, Eberhard, Publizist, Pädagoge, Gemeinschaftsgründer  160, 269 geb. 26.7.1883 Hufen bei Königsberg, gest. 22.11.1935 Darmstadt [Personenlexikon 22] Asmussen, Hans, Theologe, Präsident, Probst  41 geb. 21.8.1898 Flensburg, gest. 30.12.1968 Speyer [Personenlexikon 22] Aubin, Gustav, Wirtschaftswissenschaftler  588 f. geb. 1881, gest. 1938 1919 oProf. Halle, 1930–1932 Rektor ebd. Bachmann, Philipp, Theologe, Religionspädagoge, Universitätslehrer (ST, NT, PT)  274 geb. 13.10.1864 Geißlingen, gest. 18.3.1931 Erlangen [Personenlexikon 23] Barth, Karl, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (Reformierte Theologie, Dogmatik, ST)  18, 33 f., 38–40, 41, 45, 63, 105, 115, 117, 119, 159 f., 162, 163, 166, 177 f., 179, © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Personenregister / Biogramme

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182, 202, 209, 212, 215, 222, 223, 225 f., 228–233, 243 f., 247, 248, 267, 306, 307, 319, 354–357, 361, 386, 410 f., 419, 458, 459, 463, 488, 501, 512, 537, 539, ­556–558, 575, 588, 599, 624, 634 f., 638, 647, 649–652, 655 f., 658, 660, 665, 669, 671, 701 geb. 10.5.1886 Basel, gest. 10.12.1968 Basel [Personenlexikon 27] Baumgärtel, Friedrich, Theologe, Universitätslehrer (AT)  664 geb. 14.1.1888 Plauen, gest. 11.6.1981 Erlangen [Personenlexikon 30] Baumgarten, Otto, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (PT)  266 geb. 29.1.1858 München, gest. 21.3.1934 Kiel [Personenlexikon 30] Bell, George Kennedy Allen, anglikanische Theologe, Bischof  284, 285 geb. 4.2.1883 Hayling Island Hants, gest. 3.10.1958 Canterbury 1907 Priesterweihe, 1925–1929 Dompropst von Canterbury, 1929 Bischof von Chichester, 1925 Teilnehmer in Stockholm und Mitbegründer von Life and Work, herausragender Kopf der ökumenischen Bewegung. Belloc, Hilaire Joseph Pierre, katholischer Journalist, Schriftsteller  519 geb. 27.7.1870 La Celle-St. Cloud, gest. 16.7.1953 Guildford 1906–1910 Abgeordneter des britischen Unterhauses. Bethge, Eberhard, Theologe, Pfarrer, Honorarprofessor  672 geb. 28.8.1909 Warchau, gest. 18.3.2000 Wachtberg 1935 Ausbildung im Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Zingst und Finkenwalde, Freundschaft mit Dietrich Bonhoeffer, 1937–1940 Studieninspektor in Bonhoeffers Seminar, 1944 Verhaftung durch die Gestapo, 1953–1961 Pfarrer in London, 1962–1976 Leiter des Pastoralkollegs Rengstorf. Beyer, Hermann Wolfgang, Theologe, Universitätslehrer (KG, Christliche Archäologie)  37, 607 geb. 12.9.1898 Annarode, gef. 25.12.1942 Sowjetunion [Personenlexikon 37] Bismarck, Otto von, Politiker, Reichskanzler  102, 117, 135, 136, 242, 244–246, 261, 263–267, 270–272, 384, 446, 471, 542, 576, 664, 676, 682 geb. 1.4.1815 Schönhausen, gest. 30.8.1897 Friedrichsruh Blumenfeld, Kurt, Zionist  475, 481, 485, 697 geb. 29.5.1884 Marggrabowa (Ostpreußen), gest. 21.5.1963 Jerusalem 1904–1909 Jurastudium in Berlin, Freiburg i. Br. und Königsberg, 1909 Parteisekretär der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, 1911–1914 Generalsekretär des zionistischen Weltverbandes, 1924–1933 Präsident der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, 1933 Flucht nach Palästina, ab 1945 dauerhaft dort. Bodelschwingh, Friedrich von, Theologe, Anstaltsleiter  37, 41, 538, 607 geb. 14.8.1877 Bethel, gest. 4.1.1946 Bethel [Personenlexikon 39] Bonhoeffer, Dietrich, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (ST), Widerstandskämpfer  40, 279, 307, 357, 426, 445 f., 472, 556, 575, 583, 672, 693 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Personenregister / Biogramme

geb. 4.2.1906 Breslau, gest. 9.4.1945 KZ Flossenbürg (hingerichtet) [Personenlexikon 39] Brod, Max, jüdischer Schriftsteller, Übersetzer und Komponist  525 f. geb. 27.5.1884 Prag, gest. 20.12.1968 Tel Aviv 1907 Promotion in Jura, Anstellung bei der Prager Postdirektion, entscheidender Förderer und Mentor der Werke Franz Kafkas, 1939 Emigration nach Palästina. Brüning, Heinrich, Politiker, Universitätslehrer  461, 466, 560 geb. 26.11.1885 Münster, gest. 30.3.1970 Norwich (USA) Seit 1924 Reichstagsabgeordneter der Zentrumspartei, 1929 Fraktionsvorsitzender, 1930–1932 Reichskanzler, ab 1934 Exil in den Niederlanden, Großbritannien, Schweiz und den USA, 1939–1951 oProf. für Verwaltungswissenschaft in Harvard, 1951–1953 oProf. für Politikwissenschaft in Köln, ab 1955 in den USA Brunner, Constantin (eigentlich Leo Wertheimer), jüdischer Philosoph  525 geb. 27.8.1862 Altona, gest. 27.8.1937 Den Haag 1884–1888 Studium der Philosophie und Geschichte in Berlin und Freiburg, ab 1895 Philosoph in Berlin, ab 1933 Exil in Den Haag. Brunstäd, Friedrich, Theologe, Philosoph, Universitätslehrer (Philosophie, ST)  154, 168, 172, 474 geb. 22.7.1883 Hannover, gest. 2.11.1944 Willershagen bei Gelbensande [Personenlexikon 47] Buber, Martin, jüdischer Religionsphilosoph  525, 631 geb. 8.2.1878 Wien, gest. 13.6.1965 Jerusalem Studium der Philosophie, Germanistik, Kunstgeschichte, Psychiatrie und Psychologie in Wien, Leipzig, Zürich und Berlin, 1924–1933 Lehrbeauftragter und Honorarprofessor für jüdische Religion und Ethik in Frankfurt a. M., 1938 Flucht nach Palästina, 1938–1951 Prof. für Anthropologie und Soziologie an der Hebräischen Universität Jerusalem. Bultmann, Rudolf, Theologe, Universitätslehrer  458, 506 geb. 20.8.1884 Wiefelstede, gest. 30.7.1976 Göttingen [Personenlexikon 48] Burghart, Georg, Theologe, Pfarrer, Geistlicher Vizepräsident  574 geb. 21.10.1865 Berlin, gest. 3.3.1954 Berlin [Personenlexikon 49] Bursche, Julius, Theologe, Bischof  51, 66 geb. 19.9.1862 Kalisch, gest. 20.2.1942 Berlin (Gestapo-Krankenhaus) [Personenlexikon 49] Classen, Walter Friedrich, Theologe, Oberlehrer, Publizist  363, 364 geb. 24.4.1874 Hamburg, gest. 7.9.1954 Reinbek 1893–1896 Studium in Jena, Berlin, Marburg und Straßburg, 1903 Ordination, Einsatz für die Volksheimarbeit, 1916 Oberlehrer in Hamburg, 1927 D. theol. Marburg, Churchill, Winston, britischer Staatsmann, Premierminister  111, 117, 450, 688 geb. 30.11.1874 Woodstock (England), gest. 24.1.1965 London Dehn, Günther, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (PT)  554 f., 587–594, 597 f., 610, 707 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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geb. 18.4.1882 Schwerin, gest. 17.3.1970 Bonn [Personenlexikon 56] Deissmann, Adolf, Theologe, Universitätslehrer (NT)  284, 285, 579 geb. 7.11.1866 Langenscheid/Lahn, gest. 5.4.1937 Wünsdorf bei Berlin [Personenlexikon 56 f.] Dibelius, Otto, Theologe, Bischof, Ratsvorsitzender der EKD  16, 300, 584, 671 geb. 15.5.1880 Berlin, gest. 31.1.1967 Berlin [Personenlexikon 58] Dinter, Artur, Schriftsteller, Politiker  602 geb. 27.6.1876 Mülhausen, gest. 21.5.1948 Offenburg 1895–1901 Studium der Naturwissenschaften und Philosophie in Straßburg und München, 1905–1909 Theaterleiter und Regisseur, Weltkriegsteilnehmer, ab 1919 freier Schriftsteller, 1919 Mitgründer des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes, 1922 Gründungsmitglied der Deutschvölkischen Freiheitspartei, 1924–1927 NSDAP-Gauleiter in Thüringen, 1927 Gründung der antisemitischen „Geistchristlichen Religionsgemeinschaft“ (ab 1934 „Deutsche Volkskirche“), 1928 Ausschluss aus der NSDAP. Doerne, Martin, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (PT, ST)  323, 690 geb. 20.3.1900 Schönbach (Sachsen), gest. 2.9.1970 Göttingen [Personenlexikon 62 f.] Dörries, Hermann, Theologe, Universitätslehrer (KG)  589 geb. 17.7.1895 Hannover, gest. 2.11.1977 Göttingen [Personenlexikon 63] Eisner, Kurt, sozialistischer Politiker (USPD)  147, 485 geb. 14.5.1867 Berlin, gest. 21.2.1919 München (ermordet) Elert, Werner, altlutherischer Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (KG, Dogmengeschichte, ST)  27, 32, 35, 36, 37, 41, 164, 273, 274, 275, 319, 340, 422, 461, 522, 626 geb. 19.8.1885 Heldrungen, gest. 21.11.1954 Erlangen [Personenlexikon 69] Fascher, Erich, Theologe, Universitätslehrer (NT)  38, 673 geb. 14.12.1897 Göttingen, gest. 23.7.1978 Berlin [Personenlexikon 74] Fikenscher Ernst, Theologe, Pfarrer, Studienrat  629, 631 geb. 1895, gest. 1970 Seit 1929 Studienrat an der Oberrealschule in Ansbach Fichte, Johann Gottlieb Fichte, Philosoph des Deutschen Idealismus  63, 224, 244, 308, 326, 353, 362 f., 373, 376–379, 381, 383, 385, 387–390, 398, 401 f., 419, 422, 429, 486, 504, 618 geb. 19.5.1762 Rammenau, gest. 19.1.1814 Berlin Fischer, Eugen, Mediziner, Anthropologe  350 geb. 5.7.1874 Karlsruhe, gest. 9.7.1967 Freiburg i. Br. 1918–1942 oProf. für Anthropologie in Freiburg und Berlin, 1927–1942 Mitbegründer und Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik Berlin. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Fleg, Edmond, jüdischer Schriftsteller  530 geb. 26.11.1874 Genf, gest. 15.10.1963 Paris Flex, Walter, Schriftsteller, Lyriker  80 geb. 6.7.1887 Eisenach, gef. 16.10.1917 auf der Insel Ösel 1906–1910 Studium der Germanistik und Geschichte in Erlangen und Straßburg, 1911 Promotion in Germanistik in Erlangen, 1910–1913 Hauslehrer der Familie von Bismarck, 1914 Kriegsfreiwilliger, 1915 Offizier Freytag, Walter, Theologe, Missionsdirektor, Universitätslehrer (Missionswissenschaft)  349 f. geb. 28.5.1899 Neudietendorf, gest. 24.10.1959 Heidelberg [Personenlexikon 80] Frick, Heinrich, Theologe, Universitätslehrer (PT, ST, Religionswissenschaft)  283, 519 geb. 2.11.1893 Darmstadt, gest. 31.12.1952 Marburg [Personenlexikon 80] Fritsch, Theodor, Publizist  364, 507 geb. 28.10.1852 Wiesenena, gest. 8.9.1933 Gautzsch Herausgeber und Verfasser antisemitischer Schriften und Zeitungen Fromm, Erich, jüdischer Philosoph und Sozialpsychologe  340, 350, 482 geb. 23.3.1900 Frankfurt a. M., gest. 18.3.1980 Muralto (Tessin) Seit 1930 Leiter der sozialpsychologischen Abteilung des Frankfurter Instituts für Sozial­forschung, 1934 Emigration in die USA, Dozent in New York, ab 1950 in ­Mexiko-Stadt Getzeny, Heinrich Karl, katholischer Kulturphilosoph und Publizist  379–381, 389 f. geb. 26.5.1894 Ludwigsburg, gest. 1.4.1970 Stuttgart Während des Ersten Weltkriegs Engagement im „Nationalen Studentendienst“ an der Universität Tübingen, nach dem Krieg Landessekretär des „Volksvereins für das katholische Deutschland“ für Württemberg. Goldstein, Julius, jüdischer Soziologe und Kulturwissenschaftler  47, 308, 315, 349, 519 geb. 29.10.1873 Hamburg, gest. 25.6.1929 Darmstadt 1901 PD Darmstadt, 1925 oProf. für Philosophie ebd., Begründer und Leiter der jüdischen Zeitschrift „Der Morgen“. Gogarten, Friedrich, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (ST)  38, 230, 443, 469, 621, 699 geb. 13.1.1887 Dortmund, gest. 16.10.1967 Göttingen [Personenlexikon 90] Gollwitzer, Helmut, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (ST)  599 geb. 29.12.1908 Pappenheim, gest. 17.10.1993 Berlin [Personenlexikon 90] Grimme, Adolf, Politiker  588 f. geb. 31.12.1889 Goslar, gest. 27.8.1963 Degerndorf a. Inn Studium der Philosophie und Germanistik in Halle, München und Göttingen, 1922 SPD-Mitglied, ab 1924 im Schuldienst, 1930–1932 letzter Kultusminister einer demo­kratisch gewählten Staatsregierung in Preußen, 1942 wegen Verbindung zum © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Widerstand verhaftet, 1946–1948 erster niedersächsischer Kultusminister, 1948– 1955 erster Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks. Grützmacher, Richard Heinrich, Theologe, Universitätslehrer (ST)  202, 273 geb. 3.12.1876 Berlin, gest. 11.6.1959 Düsseldorf 1903 aoProf. Rostock, 1907 oProf. ebd., 1912–1924 oProf. Erlangen Grundmann, Walter, Theologe, Universitätslehrer (NT)  608 geb. 21.10.1906 Chemnitz, gest. 30.8.1976 Eisenach [Personenlexikon 93] Heckel, Theodor, Theologe, Bischof  14 geb. 15.4.1894 Kammerstein, gest. 24.6.1967 München [Personenlexikon 102] Heinzelmann, Gerhard, Theologe, Universitätslehrer (NT, ST)  81 f., 592 geb. 10.6.1884 Coswig, gest. 21.12.1951 Halle [Personenlexikon 106] Heman, Carl Friedrich, Theologe, Pfarrer, Pädagoge, Universitätslehrer  502 geb. 30.8.1839 Grünstadt (Pfalz), gest. 3.4.1919 Basel 1871–1874 Pfr. in Konken (Pfalz), 1874–1888 Proselytenerzieher in Basel, 1888–1916 aoProf. für Philosophie und Pädagogik ebd. Herder, Johann Gottfried, Theologe, Philosoph, Dichter  86, 128, 253, 256, 311, 327, 336, 345, 362 geb. 25.8.1744 Mohrungen, gest. 18.12.1803 Weimar Herrmann, Wilhelm, Theologe, Universitätslehrer (ST)  133 geb. 6.12.1846 Melkow bei Jerichow, gest. 2.1.1922 Altmark/Lahn [Personenlexikon 109] Hertz, Friedrich, Soziologe, Nationalökonom  349, 519 geb. 26.3.1878 Wien, gest. 20.11.1964 London 1929–1933 oProf. für Ökonomie und Soziologie in Halle, 1933 Entlassung und Rückkehr nach Wien, 1938 Emigration nach London, Privatgelehrter ebd. Hilbert, Gerhard, Theologe, Universitätslehrer (PT)  154, 239, 240 geb. 9.11.1868 Leipzig, gest. 16.5.1936 Leipzig [Personenlexikon 112] Hindenburg, Paul von, General, Politiker  259, 366, 394, 450 f., 465 f., 471, 637, 641 geb. 2.10.1847 Posen, gest. 2.8.1934 Gut Neudeck (Ostpreußen) Nach seiner militärischen Karriere ab 1911 im Ruhestand, 1914 Oberbefehlshaber Ost, August 1914 Sieger von Tannenberg, ab 1916 Oberste Heeresleitung zusammen mit Ludendorff, 1919–1925 Ruhestand in Hannover, 1925–1934 Reichspräsident. Hirsch, Emanuel, Theologe, Universitätslehrer (KG, ST)  39, 132, 138, 139 f., 151, 213, 228, 243, 255, 274, 287, 317, 335, 343–345, 458, 464 f., 470, 570–575, ­577–587, 589 f., 596 f., 606 f., 622, 633, 635 f., 654, 681, 699, 707 geb. 14.6.1888 Bentwisch, gest. 17.7.1972 Göttingen [Personenlexikon 113] Hitler, Adolf, nationalsozialistischer Politiker  14 f., 20, 24, 28, 31, 36 f., 41, 64, 110, 115, 147 f., 266, 337, 367, 374, 439 f., 442, 446, 465, 485 f., 555, 584, 589 f., © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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5­ 99–603, 607 f., 612, 628, 633–635, 637–641, 644, 647 f., 666, 670, 672 f., 676, 681–684, 686–689, 691, 694, 697, 698, 700 f. geb. 20.4.1889 Braunau a. Inn, gest. 30.4.1945 Berlin (Selbstmord) Hoffmann, Adolph, sozialistischer Politiker  290 geb. 23.3.1858 Berlin, gest. 1.12.1930 Berlin 1890–1893 Redakteur sozialdemokratischer Zeitungen, ab 1904 im Reichstag, ab 1908 im preußischen Landtag, 1917 Mitbegründer der USPD, 1918/19 preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Holl, Karl, Theologe, Universitätslehrer (KG)  98, 151, 183, 193, 221, 252, 433, 470 geb. 15.5.1866 Tübingen, gest. 23.5.1926 Berlin [Personenlexikon 114] Holländer, Ludwig, Jurist  246, 340, 482 geb. 5.8.1877 Berlin, gest. 9.2.1936 Berlin Ab 1903 Syndikus des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, 1925 Mitbegründer der Zeitschrift „Der Morgen“. Hosemann, Johannes, Jurist, Konsistorialpräsident  580 geb. 3.6.1881 Malchow, gest. 1.9.1947 Karlsruhe [Personenlexikon 117] Hugenberg, Alfred, Verleger, Politiker  366 f., 461, 464 f., 469 geb. 19.6.1865 Hannover, gest. 12.3.1951 Kükenbruch 1909–1918 Vorsitzender des Finanzdirektoriums der Friedrich Krupp AG, ab 1916 Ausbau seines Medienimperiums, 1918 Mitbegründer der DNVP, ab 1928 deren Vorsitzender, unter ihm frühes Paktieren mit der NSDAP, 1933 kurzzeitig Reichs­ minister für Wirtschaft, Landwirtschaft und Ernährung unter Hitler, bis 1945 Reichstagsmitglied „als Gast der NSDAP“. Jelke, Robert, Theologe, Universitätslehrer (ST, Dogmengeschichte)  153 geb. 31.3.1882 Frohse, gest. 7.7.1952 Heidelberg [Personenlexikon 124] Jerusalem, Franz, Jurist, Soziologe  24 geb. 21.6.1883 Uerdingen, gest. 29.8.1970 1918 aoProf. für Völkerrecht und Soziologie in Jena, 1931 oProf. ebd., 1937 ­NSDAP-Mitglied. Kahl, Wilhelm, Jurist, Politiker, Universitätslehrer (Kirchen-, Verwaltungs- und Staatsrecht) 393, 411, 412 geb. 17.6.1849 Kleinheubach/Main, gest. 14.5.1932 Berlin [Personenlexikon 127] Kameke, Karl Otto von, Jurist, Senatspräsident  393 geb. 24.1.1889 Biziker (Pommern), gest. 27.7.1959 Würzburg [Personenlexikon 128 f.] Klepper, Jochen, Theologe, Schriftsteller  44 geb. 23.3.1903 Beuthen (Niederschlesien), gest. 11.12.1942 Berlin (Selbstmord) [Personenlexikon 136] Kleist, Heinrich von, Dramatiker, Lyriker, Publizist  335, 343, 345, 617 geb. 18.10.1777 Frankfurt/Oder, gest. 21.11.1811 am Stolper Loch © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Klingemann, Karl, Theologe, Generalsuperintendent, Universitätslehrer  394 geb. 29.11.1859, gest. 1946 1913–1928 Generalsuperintendent der Rheinprovinz, daneben Theologieprofessor in Bonn, 1908–1913 stellvertretender Vorsitzender des Alldeutschen Ver‑ bands. Kloppenburg, Heinz, Theologe, Oberkirchenrat  538 geb. 10.5.1903 Elsfleth, gest. 18.2.1986 Bremen [Personenlexikon 137] Koepp, Wilhelm, Theologe, Universitätslehrer (ST)  705 geb. 1.11.1885 Zoppot, gest. 27.12.1965 Kleinmanchow 1922 aoProf. Greifswald, 1926 oProf. ebd. Koch, Karl, Theologe, Pfarrer, Präses  562 geb. 6.10.1876 Witten, gest. 28.10.1951 Bielefeld [Personenlexikon 140] Kolfhaus, Wilhelm, reformierter Theologe, Pfarrer  674 geb. 1870, gest. 1954 Pfr. in Elberfeld, bis 1936 Schriftleiter der Reformierten Kirchenzeitung. Kramer, Walter, völkischer Schriftsteller  361, 364 geb. 1892, gest. 1956 Künneth, Walter, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (ST)  239 geb. 1.1.1901 Etzelwang, gest. 26.10.1997 Erlangen [Personenlexikon 148] Kutter, Hermann, Theologe, Pfarrer  80, 123–125, 427, 466 geb. 12.9.1863 Bern, gest. 22.3.1931 St. Gallen [Personenlexikon 150] Lagarde, Paul de (eigentlich Paul Anton Bötticher), Orientalist, Kulturphilosoph  71, 340, 516, 519 geb. 2.11.1827 Berlin, gest. 22.12.1891 Göttingen Studium der evang. Theologie und Orientalistik, 1853–1866 Gymnasiallehrer, 1869– 1891 oProf. für Orientalistik in Göttingen Landauer, Gustav, jüdischer Schriftsteller  277 geb. 7.4.1870 Karlsruhe, gest. 2.5.1919 München (ermordet) 1893–1899 Herausgeber einer anarchistisch-sozialistischen Zeitung, Kriegsgegner, 1919 Beteiligung an der Münchner Räterepublik. Landsberg, Otto, Jurist, SPD-Politiker, Reichstagsabgeordneter  111 geb. 4.12.1869 Rybnik (Oberschlesien), gest. 9.12.1957 Baarn (Niederlande) Leffler, Siegfried, Theologe, Pfarrer, Oberregierungsrat  698 geb. 21.11.1900 Azendorf, gest. 10.11.1983 Hengersberg [Personenlexikon 154] Lenz, Fritz, Anthropologe, Eugeniker  337 geb. 9.3.1887 Pflugrade (Pommern), gest. 6.7.1976 Göttingen Medizinstudium in Berlin und Freiburg, ab 1909 Mitglied der Gesellschaft für Rassenhygiene, 1933 oProf. für Sozialhygiene in Berlin, 1933 Direktor der Abteilung Eugenik am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, 1937 NSDAP-Mitglied, © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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1939 Mitglied der American Eugenics Society, 1946 aoProf. für „menschliche Erblehre“ in Göttingen, 1952–1955 oProf. ebd. Lepsius, Johannes, Theologe, Pfarrer, Orientalist  113, 264 geb. 15.12.1858 Berlin, gest. 3.2.1926 Meran [Personenlexikon 156] Leutheuser, Julius, Theologe, Pfarrer  673, 698 geb. 9.12.1900 Bayreuth, gef. 24.11.1942 Stalingrad [Personenlexikon 156] Lietzmann, Hans, Theologe, Universitätslehrer (NT, KG)  43, 450, 464 f., 571, 574 f., 577, 578 geb. 2.3.1875 Düsseldorf, gest. 25.6.1942 Locarno [Personenlexikon 157] Loewenich, Walther von, Theologe, Lehrer, Universitätslehrer (KG, Dogmengeschichte)  39 geb. 3.3.1903 Nürnberg, gest. 3.1.1992 Erlangen [Personenlexikon 157] Ludendorff, Erich, General, Politiker  259, 374, 602 geb. 9.4.1865 Kruszewnia, gest. 20.12.1937 München 1914/15 zusammen mit Hindenburg militärische Erfolge an der Ostfront, ab 1916 Oberste Heeresleitung zusammen mit Hindenburg, 1923 Hitler-Ludendorff-Putsch in München, 1924–1928 Reichstagsabgeordneter der Nationalsozialistische Freiheitspartei, 1925 Reichspräsidentenkandidat der Völkischen, 1925 Mitgründer des Tannenbergbunds. Maurenbrecher, Max, Theologe, Pfarrer, Publizist  337 geb. 17.7.1874 Königsberg, gest. 30.4.1930 Osthausen [Personenlexikon 167] Meinecke, Friedrich, Historiker, Universitätslehrer  258 geb. 30.10.1862 Salzwedel, gest. 6.2.1954 Berlin 1914–1932 oProf. Berlin, 1918 Mitbegründer der DDP Meiser, Hans, Theologe, Landebischof  35, 42, 521 geb. 16.2.1881 Nürnberg, gest. 8.6.1956 München [Personenlexikon 169 f.] Mensching, Wilhelm, Theologe, Pfarrer, Missionar  349 geb. 5.10.1887 Lauenhagen, gest. 25.8.1964 Stadthagen 1912–1916 Missionar in Ruanda, 1920–1952 Pfr. in Petzen bei Bückeburg, ab 1922 Mitglied im Internationalen Versöhnungsbund, ab 1932 als Geschäftsführer und Reisesekretär dessen deutschen Zweiges. Metzger, Max Josef, katholischer Priester, Pazifist  44 geb. 5.2.1887 Schopfheim (Baden), gest. 17.4.1944 Brandenburg (hingerichtet) 1911 Priesterweihe, Gründer verschiedener pazifistischer und ökumenischer Organisationen, 1939 Mitbegründer von „Una Sancta“, 1934, 1939 und 1943 Haft. Meyer-Erlach, Wolf, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (PT)  43 geb. 21.9.1891 Kitzingen, gest. 15.11.1982 Idstein/Taunus [Personenlexikon 173] © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

Personenregister / Biogramme

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Moeller van den Bruck, Arthur, Kulturhistoriker, Schriftsteller  175, 176, 177, 261, 309, 369, 458 geb. 23.4.1876 Solingen, gest. 30.5.1925 Berlin Mott, John Raleigh, methodistischer Laie, Ökumeniker  80, 288 geb. 25.5.1865 Purvis (New York), gest. 31.1.1955 Evanston 1895–1920 Generalsekretär, 1920–1928 Vorsitzender des christlichen Studentenweltbundes, langjähriger Führer des CVJM, 1910 Vorsitzender der Weltmissions­ konferenz in Edinburgh, 1946 Friedensnobelpreis, seit 1948 Ehrenpräsident des Ökumenischen Rates der Kirchen. Müller, Alfred Dedo, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (PT, Ethik, Pädagogik)  354 geb. 12.1.1890 Hauptmannsgrün, gest. 4.8.1972 Leipzig [Personenlexikon 178] Müller, Ludwig, Theologe, Pfarrer, Reichsbischof  37, 491, 607, 700 geb. 23.6.1883 Gütersloh, gest. 31.7.1945 Berlin (Selbstmord) [Personenlexikon 180] Niebergall, Friedrich, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (PT, Religionspädagogik)  579 geb. 20.3.1866 Kirn/Nahe, 20.9.1932 Marburg [Personenlexikon 185] Niemöller, Martin, Marineoffizier, Freikorpskämpfer, Theologe, Pfarrer, Kirchen­ präsident  441, 556, 655 geb. 14.1.1892 Lippstadt, gest. 6.3.1984 Wiesbaden [Personenlexikon 185] Nygren, Anders, schwedischer Theologe, Universitätslehrer (ST, Ethik), Bischof  278 geb. 15.11.1890 Göteborg, gest. 20.10.1978 Lund 1924 oProf. Lund, 1947–1952 Gründungsvorsitzender des Lutherischen Weltbundes, 1949 Bischof Lund. Oberheid, Heinrich Josef, Theologe, Bischof, Kaufmann  491, 695, 698, 705 geb. 7.2.1895 Mülheim/Ruhr, gest. 17.11.1977 Düsseldorf [Personenlexikon 188] Oldham, Joseph Houldsworth, britischer Theologe, Missionar  349 geb. 20.10.1874 Bombay (Indien), gest. 16.5.1969 St. Leonards on Sea (England) 1897–1901 Sekretär des CVJM in Lahore, Wegbereiter der Ökumene, Ehrenpräsident des Ökumenischen Rates der Kirchen. Otto, Rudolf, Theologe, Universitätslehrer (Religionswissenschaft, ST)  76, 154 geb. 25.9.1869 Peine, gest. 7.3.1937 Marburg [Personenlexikon 191] Papen, Franz von, Politiker der Zentrumspartei, Reichskanzler  464 f., 637 geb. 29.10.1879 Werl, gest. 2.5.1969 Obersasbach 1932 Reichkanzler, 1933/34 Vizekanzler im Kabinett Hitler Pechmann, Wilhelm Freiherr von, Jurist, Bankdirektor, Präsident  392, 395, 411, 563, 574 geb. 10.6.1859 Memmingen, gest. 10.2.1948 München [Personenlexikon 192 f.] © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Piper, Otto, Theologe, Universitätslehrer (ST, NT)  35, 473 geb. 29.11.1891 Lichte, gest. 12.2.1982 Princeton (USA) [Personenlexikon 195 f.] Rad, Gerhard von, Theologe, Universitätslehrer (AT)  506 geb. 21.10.1901 Nürnberg, gest. 31.10.1971 Heidelberg [Personenlexikon 200] Rade, Martin, Theologe, Publizist, Universitätslehrer (ST), Politiker  55, 579 geb. 4.4.1857 Rennersdorf bei Herrnhut, gest. 8.4.1940 Frankfurt/Main [Personenlexikon 200] Ragaz, Leonhard, reformierter Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (ST, PT, Sozialethik), Publizist  123, 223 geb. 28.7.1868 Tamins (Schweiz), gest. 6.12.1945 Zürich [Personenlexikon 201] Ranke, Leopold von, Historiker, Universitätslehrer  128, 206, 207, 244, 334, 346, 542, 699 geb. 21.12.1795 Wiehe, gest. 23.5.1886 Berlin Rathenau, Walther, Industrieller, Politiker, Reichsaußenminister  147, 482, 485 geb. 29.9.1867 Berlin, gest. 24.6.1922 Berlin (ermordet) Rendtorff, Heinrich, Theologe, Landesbischof, Universitätslehrer (PT, NT)  37, 606 f., 636 geb. 9.4.1888 Westerland/Sylt, gest. 18.4.1960 Kiel [Personenlexikon 205] Rittelmeyer, Friedrich, Theologe, Pfarrer, Anthroposoph  160 geb. 5.10.1872 Dillingen, gest. 23.3.1938 Hamburg [Personenlexikon 208] Ritter, Karl Bernhard, reformierter Theologe, Pfarrer, Politiker, Schriftsteller  307, 379, 389 geb. 17.3.1890 Hessisch Lichtenau, gest. 15.8.1968 Königstein im Taunus [Personenlexikon 208 f.] Rohden, Gustav von, Theologe, Pfarrer, Schriftsteller  47, 113 geb. 22.4.1855 Barmen, gest. 9.5.1942 Düsseldorf 1895 Gefängnisseelsorger Dortmund, 1908 Konsistorialrat Berlin, 1912 Pfr. in Spören, 1919–1923 Leiter der Frauenschule der Inneren Mission in Berlin. Rosenberg, Alfred, Schriftsteller, nationalsozialistischer Politiker  337, 507, 614 f., 675, 700 geb. 12.1.1893 Reval, gest. 16.10.1946 Nürnberg (hingerichtet) Rosenzweig, Franz, jüdischer Historiker und Religionsphilosoph  330, 350, 525, 527–529 geb. 25.12.1886 Kassel, gest. 10.12.1929 Frankfurt/Main Salzberger, Georg, Rabbiner  58, 170, 481, 516 geb. 1882 Culm (Westpreußen), gest. 1975 London 1909 Ordination, 1910–1939 Rabbiner der jüdischen Reformgemeinde in Frankfurt/ Main, Feldgeistlicher im Ersten Weltkrieg, 1938/39 Inhaftierung im KZ Dachau, 1939 Emigration nach London, bis 1957 Rabbiner ebd. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Sasse, Hermann, Theologe, Universitätslehrer (KG, Dogmengeschichte)  35, 41, 309, 461, 563, 579, 581 f., 589, 601, 606 geb. 17.7.1895 Sonnewalde, gest. 8.8.1976 North Adelaide (Australien) [Personenlexikon 212] Schian, Martin, Theologe, Universitätslehrer (PT, NT), Generalsuperintendent  81 geb. 10.8.1869 Liegnitz, gest. 10.6.1944 Breslau [Personenlexikon 216] Schlatter, Adolf, Theologe, Universitätslehrer (AT, NT, ST)  41, 77, 155, 622 geb. 16.8.1852 St. Gallen, gest. 19.5.1938 Tübingen [Personenlexikon 217] Schleiermacher, Daniel Friedrich Ernst, Theologe, Philosoph, Pfarrer, Universitäts­ lehrer  70, 76, 221, 256, 334, 345, 362, 406 geb. 21.11.1768 Breslau, gest. 12.2.1834 Berlin 1804 aoProf. Halle/Saale, 1806 oProf. ebd., 1810–1834 oProf. Berlin Schmidt, Karl Ludwig, reformierter Theologe, Universitätslehrer (NT)  579, 591 geb. 5.2.1891 Frankfurt/Main, 10.1.1956 Basel [Personenlexikon 221 f.] Schmidt, Wilhelm, katholischer Theologe, Ethnologe, Religionshistoriker  624 geb. 16.2.1868 Hörde, gest. 10.2.1954 Freiburg im Üechtland Seit 1895 Dozent für Ethnologie und Linguistik am Missionsseminar St.  Gabriel in Österreich, ab 1921 Dozent am Lehrstuhl für Anthropologie und Ethnographie in Wien, 1925–1939 Gründungsdirektor des päpstlichen Lateran-Museums, ­1941–1948 oProf. für Völker- und Sprachenkunde in Freiburg/Schweiz. Schmitt, Carl, Staatsrechtslehrer, Rechtsphilosoph   440 geb. 11.7.1888 Plettenberg, gest. 7.4.1985 Plettenberg 1921 oProf. Greifswald, 1922 oProf. Bonn, 1926 oProf. Berlin, 1932 oProf. Köln, 1933–1945 oProf. Berlin, 1933 NSDAP-Mitglied Schweitzer, Carl Gunther, Theologe, Universitätslehrer (Sozialethik, Innere Mission)  240 f., 286 geb. 22.12.1889 Charlottenburg, gest. 20.6.1965 Bonn [Personenlexikon 234] Seeberg, Reinhold, Theologe, Universitätslehrer (ST, NT, Dogmengeschichte, Ethik)  132, 242, 470, 520, 622 geb. 5.4.1859 Pörrafer (Livland), gest. 23.10.1935 Ahrenshoop [Personenlexikon 235] Siegmund-Schultze, Friedrich, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (Sozialpädagogik, Sozialethik)  50, 57, 66, 75, 77, 97, 170, 288, 376, 539, 564, 571, 578, 579, 581, 600 geb. 14.6.1885 Görlitz, gest. 11.7.1969 Soest [Personenlexikon 237] Smend, Rudolf, Jurist, Universitätslehrer (öffentliches Recht, reformiertes Kirchenrecht)  26, 487, 704 geb. 15.1.1882 Basel, gest. 5.7.1975 Göttingen [Personenlexikon 239] © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Söderblom, Nathan, schwedischer Theologe, Universitätslehrer (Religionswissenschaft), Erzbischof  66, 283 f., 571 geb. 15.1.1866 Trönö/Schweden, gest. 12.7.1931 Uppsala 1901 Prof. für Religionsgeschichte Uppsala, 1912–1914 Prof. für Religionswissenschaft in Leipzig, 1914 Erzbischof von Uppsala, 1925 Organisator der Stockholmer Weltkirchenkonferenz, 1930 Friedensnobelpreis. Spengler, Oswald, Geschichtsphilosoph, Kulturhistoriker  128, 177, 206 f., 213, 250, 281, 347, 369 geb. 29.5.1880 Blankenburg/Harz, gest. 8.5.1936 München 1908–1911 Gymnasiallehrer in Hamburg, danach freier Schriftsteller, 1919 und 1933 Ablehnung von Rufen nach Göttingen und Leipzig. Stählin, Wilhelm, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (PT), Bischof  423, 575, 583 geb. 24.9.1883 Gunzenhausen, gest. 16.12.1975 Prien am Chiemsee [Personenlexikon 243] Stange, Carl, Theologe, Universitätslehrer (ST, PT)  151–153, 157, 241, 622 geb. 7.3.1870 Hamburg, gest. 5.12.1959 Göttingen 1903 aoProf. Königsberg, 1904 oProf. Greifswald, 1912–1935 oProf. Göttingen Stapel, Wilhelm, Kunsthistoriker, Schriftsteller, Publizist  16, 38, 377, 399, 443, 469, 508, 520 f., 607, 619–621, 671 geb. 27.10.1882 Calbe an der Milde, gest. 1.6.1954 Hamburg [Personenlexikon 245] Steinbauer, Karl, Theologe, Pfarrer  18 geb. 2.9.1906 Windsbach, gest. 6.2.1988 Erlangen [Personenlexikon 247] Stoecker, Adolf, Theologe, Pfarrer, Politiker  149, 239, 315, 377, 459, 483, 519, 522 geb. 11.12.1835 Halberstadt, gest. 2.2.1909 Gries bei Bozen 1863–1874 Pfr., 1874–1890 Hof- und Domprediger in Berlin, ab 1877 Leiter der Berliner Stadtmission, 1890 Mitbegründer des Evangelisch-sozialen Kongresses, 1878 Mitbegründer der Christlich-Sozialen Arbeiterpartei, 1879–1908 Reichstagsabgeordneter der Deutschkonservativen Partei und der Christlich-sozialen Partei. Strathmann, Hermann, Theologe, Universitätslehrer (NT), Politiker  461 f., 464 geb. 30.8.1882 Opherdicke, gest. 29.11.1966 Erlangen [Personenlexikon 251] Streicher, Julius, nationalsozialistischer Politiker, Herausgeber   42 geb. 12.2.1885 Fleinhausen bei Augsburg, gest. 16.10.1946 Nürnberg (hingerichtet) 1904–1923 Volksschullehrer, 1924–1932 Landtagsabgeordneter, 1932–1945 Reichstagsabgeordneter, 1925–1940 Gauleiter von Mittelfranken, 1923–1945 Herausgeber des „Stürmer“. Thielicke, Helmut, Theologe, Universitätslehrer (ST), Publizist  39 geb. 4.12.1908 Barmen, gest. 5.3.1986 Hamburg [Personenlexikon 256] Tiling, Magdalene von, Studienrätin, Schriftstellerin, Politikerin  245, 409 f., 505, 514 geb. 7.5.1877 Riga, gest. 28.2.1974 München [Personenlexikon 258] © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Tillich, Paul, Theologe, Philosoph, Universitätslehrer (ST, Philosophie, Soziologie)  168, 274, 622 f., 626 geb. 20.8.1886 Starzeddel bei Guben, gest. 22.10.1965 Chicago (USA) [Personenlexikon 259] Troeltsch, Ernst, Theologe, Philosoph, Universitätslehrer (ST, Kulturgeschichte, Religionsphilosophie), Unterstaatssekretär  18, 112, 164, 216, 255, 274, 319 geb. 17.2.1865 Haunstetten bei Augsburg, gest. 1.2.1923 Berlin [Personenlexikon 261] Ullmann, Hermann, Journalist  378 geb. 12.9.1884 Teplitz-Schönau, gest. 23.2.1958 Stockholm Ulmer, Friedrich, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (PT, Pädagogik)  274 geb. 15.3.1877 München, gest. 18.8.1946 Erlangen [Personenlexikon 262] Vibrans, Gerhard, Theologe  672 geb. 1907, gef. 3.2.1942 Russland Vischer, Wilhelm, reformierter Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (AT)  506 geb. 30.4.1895 Davos (Schweiz), gest. 27.11.1988 Montpellier (Frankreich) [Personenlexikon 264] Wassermann, Jakob, jüdischer Schriftsteller  519 geb. 10.3.1873 Fürth, gest. 1.2.1934 Altaussee Weber, Hermann, Theologe, Pfarrer  203 geb. 8.8.1882 Lörrach, gest. 15.3.1937 Freiburg i. Br. 1921–1925 Generalsekretär der DCSV, ab 1925 Pfr. in Freiburg i. Br. Wehrung, Georg, Theologe, Universitätslehrer (ST)  151 geb. 6.10.1880 Dorlisheim (Elsass), gest. 20.1.1959 Tübingen [Personenlexikon 270] Weinel, Heinrich, Theologe, Universitätslehrer (NT, ST)  365, 416 geb. 29.4.1874 Vonhausen, gest. 29.9.1936 Jena [Personenlexikon 271] Wendland, Heinz-Dietrich, Theologe, Universitätslehrer (NT, Sozialethik) 370, 388, 470 geb. 22.6.1900 Berlin, gest. 7.8.1992 Hamburg [Personenlexikon 27] Werfel, Franz, Schriftsteller  493 geb. 10.9.1890 Prag, gest. 26.8.1945 Beverly Hills (USA) Wichern, Johann Hinrich, Theologe, Lehrer, Begründer der Inneren Mission  239 geb. 21.4.1808 Hamburg, gest. 7.4.1881 Hamburg Wiesner, Werner, reformierter Theologe, Universitätslehrer (ST)  39 geb. 19.3.1902 Groß-Ballerstedt/Altmark, gest. 15.7.1974 Mainz 1928–1939 Studieninspektor am ref. Studentenkonvikt Halle/Saale, 1941 Kriegsdienst, 1948 aoProf. Mainz, 1951–1968 oProf. ebd. Windelband, Wilhelm, Philosoph, Universitätslehrer  216 geb. 11.5.1848 Potsdam, gest. 22.10.1915 Heidelberg 1876 oProf. Zürich, 1877 oProf. Freiburg i. Br., 1882 oProf. Straßburg, 1903 oProf. Heidelberg. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557860 — ISBN E-Book: 9783647557861

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Personenregister / Biogramme

Witte, Otto Karl, Theologe, Universitätslehrer (ST, NT, PT), Bischof  378, 380 geb. 6.5.1893 Aken, gest. 18.2.1966 Hamburg 1926 Vorsteher der Stadtmission Hamburg, 1934–1936 Dozent im Rahmen der Religionslehrerausbildung an der Philosophischen Fakultät der Hamburger Universität, 1936 Amtsenthebung und Lehrverbot, ab 1941 Pastor in Hamburg, ab 1948 Dozent an Kirchlicher Hochschule, 1959–1964 Bischof von Hamburg. Wolff, Walther, Theologe, Superintendent, Präses  392, 395 geb. 9.12.1870 Neuwerk, gest. 26.8.1931 Aachen [Personenlexikon 279] Wünsch, Georg, Theologe, Universitätslehrer (ST, Sozialethik)  159, 192, 245, 297, 470 geb. 29.4.1887 Augsburg, gest. 22.11.1964 Hofgeismar [Personenlexikon 279 f.] Wundt, Max, Philosoph  493, 519, 520 geb. 29.1.1879 Leipzig, gest. 31.10.1963 Tübingen 1918 aoProf. Marburg, 1920–1929 oProf. Jena, 1929–1945 oProf. Tübingen Wurster, Paul, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (PT)  157 geb. 6.12.1860 Hohenstaufen, gest. 4.1.1923 Tübingen [Personenlexikon 280] Wurm, Theophil, Theologe, Landesbischof  37, 538 geb. 7.12.1868 Basel, gest. 28.1.1953 Stuttgart [Personenlexikon 280] Zoellner, Wilhelm, Theologe, Generalsuperintendent  575 geb. 30.1.1860 Minden, gest. 16.7.1937 Düsseldorf [Personenlexikon 284]

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