Zwischen Wahrheit und Dichtung: Antisemitismus und Nationalsozialismus bei Heimito von Doderer 9783205790112, 9783205786054

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Zwischen Wahrheit und Dichtung: Antisemitismus und Nationalsozialismus bei Heimito von Doderer
 9783205790112, 9783205786054

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Literaturgeschichte in Studien und Quellen Band 16 Herausgegeben von Klaus Amann Hubert Lengauer und Karl Wagner

Alexandra Kleinlercher

Zwischen Wahrheit und Dichtung Antisemitismus und Nationalsozialismus bei Heimito von Doderer

Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar

Gedruckt mit Unterstützung durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http  ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78605-4 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, ­insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von ­Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ­ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2011 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H und Co. KG, Wien · Köln · Weimar http://www.boehlau-verlag.com Umschlaggestaltung: Michael Haderer Umschlagabbildung: Heimito von Doderer am 17. August 1936 in München (Atelier Willy ­ alcher). Mit freundlicher Genehmigung von Hannelore und Gustav König, Moosburg. W Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefreiem Papier Gesamtherstellung: Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln

Professor Wendelin Schmidt-Dengler gewidmet (20. Mai 1942–7. September 2008)

„Mir wird man nicht nachweisen können, daß ich etwas gesagt hätte – ich habe gar nichts gesagt! Ich habe die Sprache nur so benützt wie der Bildhauer den Ton und der Maler die Farbe, sonst nichts.“ Heimito von Doderer im Gespräch mit José A. Palma Caetano (1965)

Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   13

Teil 1: Heimito von Doderer – Leben . . . . . . . . . . . . . . . .   21 I. Herkunft und Jugend . . . . . . . . . . . . . 1. Doderer  : „Ur-Wiener“ oder Deutscher  ? .. 2. „Herkünftler“ .. . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bisexualität und sexuelle Fantasien . . . . 4. Kriegsgefangener von 1916 bis 1920 . . . 5. Rückkehr nach Wien . . . . . . . . . . . .

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II. Antisemitismus und Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . 1. Auguste (Gusti) Hasterlik .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Doderers Antisemitismus am Beispiel von Gusti Hasterlik .. 3. Doderer und der Nationalsozialismus .. . . . . . . . . . . . . 4. Mitglied der Reichsschrifttumskammer .. . . . . . . . . . . . 5. Konversion zum Katholizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Russland, Revolution und Kommunismus . . . . . . . . . . .

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III. Offizier bei der Wehrmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausbildung in Deutschland  : April 1940 bis August 1940 . . . . . . . 2. Offizier in Frankreich  : August 1940 bis April 1942 . . . . . . . . . . 3. In der Sowjetunion  : April 1942 bis Januar 1943 . . . . . . . . . . . . 4. Von Deutschland nach Wien  : Januar 1943 bis Oktober 1944 .. . . . 5. Von Deutschland nach Norwegen  : November 1944 bis Mai 1945 ..

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IV. Nachkriegszeit  : Von der Kriegsgefangenschaft zum Ruhm . . 1. Kriegsgefangener  : Mai 1945 bis Januar 1946 . . . . . . . . 2. Rückkehr nach Österreich 1946 . . . . . . . . . . . . . . . 3. ,Erniedrigt und verfolgt‘ – die Entnazifizierung . . . . . . 4. Mitglied des PEN-Club .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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10 V. Der Erfolg .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Späte Anerkennung  : Die Strudlhofstiege . . . . . . 2. Doderer in der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . 3. Doderer und die junge Schriftstellergeneration .

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VI. Erinnerung und Verdrängung  : ,die nichtjüdischen jüdischen‘ Freunde Doderers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ehemalige Freunde Doderers . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Familie Hasterlik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gemeinsame Freunde von Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eine zwiespältige Freundschaft  : Albert Paris Gütersloh .

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Teil 2  : Doderers Werk im Wandel der Zeit  : antisemitische und nazistische ,Substrate‘ .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 I. „Die Dämonen der Ostmark“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Doderers „Aide mémoire“ als Inhaltsangabe des Romanprojekts . . . . 216 2. Doderers Darstellung der „Dämonen der Ostmark“ 1936 .. . . . . . . . 224 II. „Die Dämonen der Ostmark“, ein antisemitisches Romanprojekt . 1. Die Entstehungsgeschichte der „Dämonen der Ostmark“ . . 2. Ein unvollendeter Roman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die „Unsrigen“ .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anspielungen und Unausgesprochenes im Roman . . . . . . 5. Die Beziehungen zwischen „Ariern“ und „Juden“ . . . . . . . 6. Die „Wasserscheide“ .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kugel, Apfel und Perle  : Einheit und Schicksal . . . . . . . . . 8. Die Sünden der Väter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Der Wandel 1940  : „Auf offener Strecke“ . . . . . . . 1. Der Brief von Camy Schedik .. . . . . . . . . . . . 2. Der Besuch bei Gürtzner-Gontard . . . . . . . . . 3. Die Rückkehr in die Vergangenheit . . . . . . . . . 4. Die Lösung  : beobachten, ohne zu intervenieren ..

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IV. „Sexualität und totaler Staat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 1. Sexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2. Der „totale Staat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 V. Die Dämonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abschwächung der antisemitischen Haltung der Romanfiguren .. 2. Kritik an faschistischen Positionen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rollenwechsel für die Romanfiguren jüdischen Ursprungs .. . . .

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VI. „Unter schwarzen Sternen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eine Erzählung autobiografischer Inspiration . . . . . . 2. Die Zusammenkünfte bei Dr. Albrecht R. . . . . . . . . 3. Die Dienststelle für Offiziersanwärter .. . . . . . . . . . 4. Alt-Österreich versus „preußisches“ Deutschland . . . . 5. Kontinuität  : vom Ehepaar Gringo zum jungen Prager .

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VII. Doderer mit dem Abstand der Zeit gelesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315

Schluss und Ausblick .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 I. Gespräch mit Wolfgang Fleischer . . . . . . . . . . . . II. Korrespondenz mit Giulia Hine .. . . . . . . . . . . . III. Brief von Paul Elbogen an Gusti Hasterlik 1951 . . . IV. Brief von Heinrich Kopetz an Gusti Hasterlik 1958 . V. Hat Heimito von Doderer eine Wohnung arisiert  ? . .

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Dank .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildquellennachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachwort von Giulia Hine, Nichte von Doderers erster Frau Gusti Hasterlik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung

Heimito von Doderer – insbesondere seine großen Wiener Romane, Die Strudlhofstiege und Die Dämonen, aber auch Die Wasserfälle von Slunj – war für mich zu Schulzeiten über Familie und Freunde ständig präsent – ich kannte Doderers Werk allerdings nur über die Leidenschaft der anderen. Erst sehr viel später und im Ausland lebend entdeckte ich zuerst, und von Doderers Sprache augenblicklich und anhaltend begeistert, die Strudlhofstiege. Heimito von Doderers NS-Vergangenheit war mir zu diesem Zeitpunkt unbekannt. Mein Vater, ein langjähriger passionierter Doderer-Leser und Vorleser, den ich dazu befragte, erinnerte sich an die uneingeschränkte Autorität Doderers in den 1960er-Jahren und den Schock, den die 1982 veröffentlichte Autobiografie Jungfrau und Reptil von Dorothea Zeemann, Freundin und jahrelange (inoffizielle) Gefährtin Doderers, auslöste. Zeemann stürzte Doderer von seinem Sockel, indem sie über einige obskure Aspekte seines Lebens berichtete, darunter auch seine NS-Vergangenheit. Doderer hatte diese Vergangenheit nach dem Krieg nicht verheimlicht, wenn auch vor sich und anderen reichlich geschönt. Liest man Doderers Romane, auch jene, die während der NS-Zeit entstanden und veröffentlicht wurden, könnte man den Eindruck gewinnen, er hätte sich zumindest als Schriftsteller von seiner damaligen NS-Gesinnung ferngehalten. So konnte Wendelin Schmidt-Dengler mit einem Verweis auf den 1938 erschienenen Roman Doderers Ein Mord den jeder begeht und seinen 1940 veröffentlichten Umweg auch feststellen  : „Wer heute diese Bücher liest, wird ihnen die Zeit der Entstehung nur schwer anmerken, noch weniger deren Umstände.“ Und über Doderer als Schriftsteller im Vergleich zur Literatur der NS-Zeit, wie jene Beiträge österreichischer Autoren in dem 1938 veröffentlichten Bekenntnisbuch, das als öffentliches Bekenntnis zu Hitler gedacht war  :

 Vgl. auch Wendelin Schmidt-Dengler  : Bruchlinien. Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1945 bis 1990. 2. Aufl., Wien 1996, S. 172.  Dorothea Zeemann  : Jungfrau und Reptil. Leben zwischen 1945 und 1972. Frankfurt 1982.  Wendelin Schmidt-Dengler  : „Heimito von Doderer  : Rückzug auf die Sprache“. In  : Klaus Amann u. Albert Berger (Hg.)  : Österreichische Literatur der dreißiger Jahre. Ideologische Verhältnisse, institutionelle Voraussetzungen, Fallstudien. 2. Aufl., Wien u. Köln 1990, S. 292.

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Einleitung

Er ließ sich nicht ein auf die ästhetischen Programme, die empfohlen wurden, nicht auf den historischen Roman, in dessen Mittelpunkt der große einsame Held stand, nicht auf die erdnahe Dichtung mit dem Bezug zur Scholle, nicht auf den Kriegsroman und nicht auf die Hymnik, die eine Führerpersönlichkeit pries  ; was jene Autoren, die das Bekenntnisbuch von 1938 vereint, auch vereinte – dem war er fern.

Und doch sagte Doderer nur die halbe Wahrheit, als er auf einen kritischen Brief seines ehemaligen Freundes Paul Elbogen – dieser warf ihm vor, gemeinsame Sache mit den „Herren des dritten Reichs“ gemacht und Bücher in deren Sinn geschrieben zu haben – im August 1951 antwortete  : [M]an zeige mir eine Zeile in irgendeinem meiner Bücher, oder auch nur in einem Aufsatz, in einer kleinen Erzählung oder in einer kritischen Notiz, die in irgendeinem, sei’s kakebraunen, sei’s kakerlgrünen „Sinne“ verfasst wäre. Vergebliches, weil unmögliches Bemühen  : selbst meine Feinde mussten’s aufgeben […].

Wobei er sich mit ,kakebraun‘ auf den Nationalsozialismus, mit ,kakerlgrün‘, den Farben der Heimwehren, auf den Faschismus bezog. Wenn dies auch insgesamt auf Doderers bisher veröffentlichtes Werk zutreffen mag, so gilt dies nicht für alles Unveröffentlichte  : weder für seine undatierte „Rede über die Juden“, vermutlich aus dem Jahr 1935 oder 1936, noch für sein über 700 Seiten starkes Romanprojekt „Die Dämonen der Ostmark“, an dessen antisemitischem Thema er bis 1936 schrieb, bevor er sich mit einem weiteren Kapitel im Jahr 1940 davon löste. Es erschien nach entscheidenden Änderungen und mit rund 990 Seiten neuer Textmasse unter dem Titel Die Dämonen. Nach der Chronik des Sektionsrates Geyrenhoff. Dieser 1956 veröffentlichte Roman bestätigte Doderers ersten großen Erfolg, den er 1951 als 55-Jähriger mit der Strudlhofstiege gehabt hatte, und machte ihn Ende der 1950er-Jahre und bis zu sei Ebd. S. 297.  Brief von Paul Elbogen an Doderer vom 7.6.1951 in einer Abschrift von Engelbert Pfeiffer („Briefe“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Abschrift).  Briefentwurf von Doderer an Paul Elbogen vom 29.8.1951 („Briefe“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie).  Vgl. Gerald Sommer  : „In die ,Sackgasse‘ und wieder hinaus. Über den zur Romantendenz erhobenen Antisemitismus in Heimito von Doderers ,Aide mémoire‘“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften. Heimito von Doderers „Dämonen“ vom Zentrum und vom Rande aus betrachtet. Würzburg 2004 (Schriften der Heimito von Doderer-Gesellschaft, 3), S. 73–86, hier S. 82.

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Einleitung

nem Tod 1966 zum Staatsschriftsteller. Wie Wolfgang Fleischer es ausdrückte  : „[E]r war zu der Zeit der größte Schriftsteller Österreichs.“ *** Heimito von Doderer – Leben und Werk Der erste Teil des Buches gibt einen Überblick über Doderers Leben mit dem Schwerpunkt auf Doderers NS-Vergangenheit und seinen Umgang damit. Dabei stützte ich mich auf Wolfgang Fleischers Doderer-Biografie Das verleugnete Leben. Die Biographie des Heimito von Doderer. Wolfgang Fleischer ist es dank seiner Recherchen gelungen, viel bis dahin völlig Unbekanntes in Erfahrung zu bringen und zahlreiche Fehlinformationen zu korrigieren. Auf dieser Biografie aufbauend, sollen hier neue oder abweichende Ergebnisse zu Doderers NS-Vergangenheit und Entnazifizierung präsentiert werden, wie auch zu Doderers erster Ehefrau Gusti Hasterlik, die in seinem Leben und Werk einen bedeutenden Platz einnahm. Es geht in diesem biografischen Abschnitt vor allem um die möglichen Gründe für Doderers NS-Sympathien, die im April 1933 zu seiner NSDAPMitgliedschaft geführt hatten. Ebenso um die Ungereimtheiten rund um seine NSDAP-Mitgliedschaft, um seine antisemitische Haltung, seine sukzessive Loslösung vom Nationalsozialismus und schließlich um seinen Dienst in der Wehrmacht von Ende April 1940 bis Kriegsende, bis er nach der Kriegsgefangenschaft in Norwegen und Deutschland Ende Januar 1946 nach Österreich zurückkehrte. Hier steht nun die Entnazifizierung Doderers als ehemaliges NSDAP-Mitglied im Fokus, ob und wie diese ihn als Schriftsteller betraf. Dass Doderers erster Frau Gusti Hasterlik eine besondere Rolle zukommt, hat mehrere Gründe. Mein erster Zugang zu Gusti Hasterlik waren nach Wolfgang Fleischers Doderer-Biographie die zahlreichen Briefe, die sie in den 1920er-Jahren bis Anfang der 1930er-Jahre an Heimito von Doderer geschrieben hatte.10 Eine interessante und starke Persönlichkeit, der Doderer ganz offensichtlich nicht gewachsen war. In ihrer etwa elfjährigen Beziehung   Siehe weiter unten  : Anhang  : Gespräch mit Wolfgang Fleischer, S. 345.   Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben. Die Biographie des Heimito von Doderer. 2. Aufl., Wien 1996. 10 Ein Fund von Wolfgang Fleischer. Die Originale befinden sich im Besitz der Familie von Stummer, Kopien im Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien.

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Einleitung

von 1921 bis 1932 war sie, wegen ihrer jüdischen Herkunft, immer wieder Zielscheibe von Doderers antisemitischen Ausfällen. Doch trotz ihrer Trennung im November 1932, die sich als endgültig entpuppen sollte, blieben sie beide zumindest indirekt in Kontakt. Gusti Hasterlik war im November 1938 in die USA emigriert und kehrte auch nach Kriegsende nicht mehr nach Wien zurück, es sei denn für kürzere Aufenthalte. In den USA lebend, ließ sie sich in Briefen von gemeinsamen Wiener Freunden über Doderers Werdegang unterrichten, und umgekehrt wohl ebenso. Doderer verwendete Gusti Hasterlik darüber hinaus auch immer wieder als Modell für Romanfiguren. 2003/2004 eröffnete sich eine völlig neue Perspektive auf die Familie Has­ terlik, die Beziehung zwischen Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer und über Doderer und sein Werk aus der Sicht gemeinsamer Freunde. Möglich wurde dies dank der überwältigenden Sammlung von über 6.000 Familienbriefen und Dokumenten11 von Gusti Hasterliks Nichte Giulia Hine geb. Kori­ tschoner. 2003 schenkte Giulia Hine die Originale der Sammlung dem Institute for World War II and the Human Experience der Florida State University. Seit Dezember 2004 sind die von ihr angefertigten englischen Übersetzungen der Briefe (zurzeit bis zum Jahr 1949) sowie Abbildungen deutschsprachiger Originaldokumente auf der Website der Florida State University als Hine Col­ lection zugänglich (http  ://www.fsu.edu/~ww2/Hine/hine_collection.htm – Collection of Letters). Somit wird hier erstmals – auf Grundlage der Briefsammlung – ein Einblick gegeben in das Leben der Familie Hasterlik und gemeinsamer Freunde jüdischer Herkunft von Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer. Einblick in ihr Leben während der NS-Zeit und für jene von ihnen, die sie überlebten, auch während der Nachkriegszeit. Die Hine Collection ist ein umfangreiches und unschätzbares Zeitdokument, die außerdem ein sehr persönliches Bild Doderers, seines Werks und seiner Zeit aus der Sicht seiner (ehemaligen) Freunde vermittelt. Der zweite Teil des Buches steht ganz im Zeichen von Heimito von Doderers Werk. Hier geht es weniger um sein veröffentlichtes Werk, das für das gewählte Thema kaum ergiebig wäre, auch wenn es einige Stellen gibt, aus denen sich antisemitische Spuren oder aber auch eine beginnende Loslösung vom NS-System herauslesen ließen. Das Hauptaugenmerk liegt daher auf 11 Die FSU Hine Collection umfasst 4775 Items mit Briefen und Dokumenten von 1777 bis 1969, davon ca. 30 Items, die weder Briefe noch Dokumente sind, sondern beispielsweise Hinweise für Forscher. Die Privatsammlung von Giulia Hine vom Jahr 1970 an umfasst derzeit 1420 Items, davon sind ca. 120 keine Briefe und Dokumente. Nicht in die Zählung einbegriffen sind Fotos.

Einleitung

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dem antisemitischen Romanprojekt „Die Dämonen der Ostmark“, das bisher noch nicht veröffentlicht und trotz seines Umfangs und seiner Bedeutung noch kaum untersucht wurde. Nach Analyse der „Dämonen der Ostmark“ soll auf die wichtigsten Änderungen in Bezug auf ihren antisemitischen und nationalsozialistischen Gehalt in den Dämonen verwiesen werden. Es geht auch um Doderers Beschäftigung mit der NS-Zeit nach dem Krieg, zunächst um seine 1948/1951 verfasste Schrift „Sexualität und totaler Staat“, die erst posthum 1970 in der Wiederkehr der Drachen12 veröffentlicht wurde. Hier legt Doderer theoretisch dar, was auch Eingang in die Dämonen und in die 1963 erstmals veröffentlichte Erzählung „Unter schwarzen Sternen“13 fand, nämlich die ideologisch (politisch oder sexuell) in einer „zweiten Wirklichkeit“, das heißt in einer Scheinwirklichkeit, befangenen Figuren. Die NS-Zeit als „zweite Wirklichkeit“, so wird sie in der 1943/1944 in Wien spielenden Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ gezeigt. Bei der Analyse des Werks verhalfen die Kenntnis von Doderers Biografie und die Auseinandersetzung mit der Zeit, in der das Werk verfasst wurde, zu einem besseren Verständnis der Romantexte, doch letztlich wurden sie, manchmal trotz des Vorwissens, als Text selbst analysiert. Dass dabei das Hauptgewicht auf dem größtenteils in den 1930er-Jahren verfassten Romanprojekt „Die Dämonen der Ostmark“ und der 1961 entworfenen und 1963 veröffentlichten Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ liegt, ergibt sich aus der Themenwahl, hinzu kommt allerdings, dass es zu diesen beiden Werken nur wenige oder auch völlig konträre Interpretationen gibt, die hier auch diskutiert werden. Anhang Im Anhang findet sich die Transkription der Gespräche mit Wolfgang Fleischer, die 2003 und 2004 geführt (und bis heute fortgesetzt) wurden. Die humorvollen Schilderungen von Wolfgang Fleischer sind nicht nur fesselnd, weil er sich jahrelang intensiv mit Doderer beschäftigt und dafür auch zahlreiche Verwandte und Bekannte Doderers interviewt hatte, sondern auch, 12 Heimito von Doderer  : „Sexualität und totaler Staat“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen. Aufsätze/Traktate/Reden. [1970] Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler, Vorwort v. Wolfgang H. Fleischer. 2. durchgesehene Aufl., München 1996, S. 275–398. 13 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen. Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler, 3. erw. Aufl. München 1995, S. 464–485.

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weil er den Autor persönlich gekannt hatte. Von 1963 bis zu Doderers Tod am 23. Dezember 1966 war er, neben seinem Studium, dessen Sekretär gewesen. In der darauffolgenden Korrespondenz, die 2004 und 2005 stattfand und ebenfalls nie abgebrochen ist, berichtet Giulia Hine sehr offen über die Geschichte ihrer Familie und die Beziehung von Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer. Ihren Humor hat sie sich trotz der Erfahrungen, die sie in der NS- und Kriegszeit machen musste, bewahrt, womit sie ganz auf der Linie ihres optimistisch humanistischen und allgemein beliebten Großvaters Paul Hasterlik liegen dürfte, den auch Heimito von Doderer als Schwiegervater sehr schätzte. Paul Hasterliks Andenken – er wurde von Wien am 22. Juli 1942 ins Getto Theresienstadt/Terezín deportiert, wo er am 7. März 1944 starb – ist die Hine Collection gewidmet. Man steigt in diese Website mit einem Porträt von Paul Hasterlik ein, das 1930 von Albert Paris Gütersloh angefertigt und im selben Jahr in Doderers Buch Der Fall Gütersloh14 abgebildet worden war. Giulia Hine erzählt von der Flucht ihrer Familie in den Jahren 1938 und 1939. Die Bemühungen, Paul Hasterlik in die USA nachkommen zu lassen, scheiterten. Es geht aber auch insbesondere um die schwierige Beziehung zwischen Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer und um die Reaktionen von Mitgliedern der Familie Hasterlik, die sich als Modelle für Figuren in Romanen Doderers wiederfanden. Den beiden Interviews folgen Briefe aus dem Jahr 1951 von Paul Elbogen über die Strudlhofstiege und aus dem Jahr 1958 von Heinrich Kopetz über den Erfolg von Heimito von Doderer. Diese Briefe sind an Gusti Hasterlik gerichtet, die sich auch nach ihrer Trennung von Doderer und bis über seinen Tod hinaus mit ihm und seinem Werk beschäftigte. Der Anhang schließt mit einer Studie über die Frage der angeblichen Arisierung einer Wohnung im 8. Bezirk in Wien durch Doderer. So schreibt Stephan Templ in dem gemeinsam mit Tina Walzer 2001 veröffentlichten Buch Unser Wien. „Arisierung“ auf österreichisch, Heimito von Doderer habe das Wohnatelier von Gregor Sebba in der Buchfeldgasse 6 im 8. Wiener Gemeindebezirk arisiert,15 was 2004 vom Nachrichtenmagazin Profil übernommen

14 „XLVIII Bildnis Dr. P. H. [Paul Hasterlik], 1930“. (Heimito Doderer  : Der Fall Gütersloh. Ein Schicksal und seine Deutung. Wien 1930, S. 226.) 15 Tina Walzer u. Stephan Templ  : Unser Wien. „Arisierung“ auf österreichisch. Berlin 2001, S. 183f.

Einleitung

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wurde.16 Warum diese Aussage auf Grundlage der angegebenen Quellen nicht stimmen kann, soll hier geklärt werden. Archive Vieles in diesem Buch zu Doderer und seinen Freunden geht auf Funde in Archiven zurück. In Wien  : das Doderer-Archiv am Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA)  : Gauakten, historische Meldeunterlagen und Registrierung der Nationalsozialisten  ; Bezirksgericht Josefstadt und Bezirksgericht Innere Stadt  : Grundbucheinlagen  ; Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA)/Archiv der Republik (AdR)  : Gauakten und Personalakten  ; Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG)  : Matriken  ; Vorarlberger Landesarchiv Bregenz  : Registrierung ehemaliger NSDAP- und SS-Mitglieder. In Berlin  : Bundesarchiv Berlin (ehemaliges Berlin Document Centre)  : ­N SDAP-Mitgliederkartei, Kartei für SS-Unterführer und Mannschaften (SM), Reichsärztekammer (RÄK), Reichsschrifttumskammer (RSK), Reichskulturkammer (RK)  ; Deutsche Dienststelle (WASt) – Die Auskunftsstelle für Wehrmachtsnachweise. An der Florida State University (Originale bis 1969) und englischsprachige Übersetzungen im Internet die Brief- und Dokumentensammlung von Giulia Hine, unter  : Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, Florida State University (FSU) http  ://www.fsu.edu/~ww2/Hine/ hine_collection.htm – Collection of Letters sowie die Privatsammlung von ­Giulia Hine ab 1970. Termini wie Anschluss, Arisierung und Nürnberger Gesetze wurden als gebräuchliche Begriffe und der Lesbarkeit willen nicht in Anführungszeichen gesetzt. Die Schreibweise Doderers von Wörtern wie „Litteratur“, „Schiksal“, „Respect“ und von Jahreszahlen (etwa „I940“) wurde unkommentiert übernommen  ; ebenso auch jene anderer Briefschreiber  ; darunter auch umgangssprachliche Formulierungen, Verkürzungen und Zusammenziehungen wie etwa „glaub“, „werd“, „obs“, „unserm“, „andern“, „andre“ sowie „ss“ statt „ß“.

16 Marianne Enigl  : „Der Adel und die Nazis, Teil 2  : Reich im Reich“. (profil.at. Das Online Magazin Österreichs, 27.5.2004  ; http  ://www.profil.at/index.html  ?/articles/0422/560/82825.shtml.)

Teil 1  : Heimito von Doderer – Leben

Doderers „Image“  : Selbstdarstellung und Widersprüchliches zur NS-Vergangenheit Die Darstellung seiner eigenen Persönlichkeit auf die doch alles, was er sagt, letzten Endes hinausläuft, ist unter den Larven der Alltagsmenschen von erfreulichem Wert. Und da macht es auch nichts […], dass alles Gesagte und Behauptete unter dem bewussten Aspekt der autorenhaften Selbsterhöhung geschieht.17

Schon zu Lebzeiten Doderers und auch nach seinem Tod 1966 gab es zahlreiche als Tatsachen übernommene Anekdoten über ihn. Etliche davon entsprechen, irrtümlich oder bewusst, nicht der Realität, sei es, um das Bild, das Doderer von sich geben wollte, aufrechtzuerhalten oder um ihn zu diskreditieren. Beispiele dafür finden sich in der Doderer-Biografie von Wolfgang Fleischer.18 Die schwer fassbare, komplexe und widersprüchliche Persönlichkeit Doderers machen Recherchen über sein Leben besonders interessant und herausfordernd. Auch Dorothea Zeemann, Schriftstellerin und Freundin Doderers, wies in einem Doderer-Erinnerungsbuch darauf hin  : Doderer-Anekdoten gibt es eine Menge. Er liebte es, selbst solche zu produzieren und zu provozieren. Denke ich an ihn, dann denke ich nicht so sehr, dann spüre ich ihn als Herausforderung, dann versuche ich mir ein Bild von ihm zu machen. Schwieriger als seines ist keines. Widersprüchlicher ist nicht bald ein Mensch – nicht bald so offenkundig. Deshalb kämpfte er selbst so sehr und bis zuletzt um das, was man jetzt ein „Image“ nennt. Um das Image, die Form, für sich und für die andern kämpfte

17 Doderer im Jahr 1958 von Heinrich Kopetz, einem Bekannten Doderers, geschildert. (Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5324, 1958/03/  ?  ? [Original undatiert  ; von Giulia Hine nachdatiert  ; Jahr überprüft], Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HA [Hasterlik, Auguste]. Nachzulesen weiter unten  : Anhang  : Brief von Heinrich ­Kopetz an Gusti Hasterlik 1958, S. 399. 18 Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben. Die Biographie des Heimito von Doderer. 2. Aufl. Wien 1996.

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Heimito von Doderer – Leben

er, und dazu gehörte auch seine Liebe zur Tradition (die ihn, nebenbei bemerkt, ausstieß, denn er war ein Außenseiter).19

Eine der oft übernommenen und von Wolfgang Fleischer korrigierten Fehlinformationen betrifft Doderers Mitgliedschaft bei der NSDAP.20 Demnach wäre Doderer ab 1938 nach dem Anschluss nicht mehr Mitglied der NSDAP gewesen. In seiner 1963 veröffentlichten Doktorarbeit hatte sich der Germanist Dietrich Weber auf das Werk Doderers konzentriert  ;21 im Anhang fügte er einen knappen Lebenslauf des Schriftstellers bei. Für das Jahr 1938 ist die Formulierung äußerst vage  : „Doderer tritt der in Wien illegal bestehenden nationalsozialistischen Partei bei  ; läßt sich jedoch nach dem ,Anschluß‘ Österreichs (1938) nicht mehr als Parteimitglied führen.“22 Beide Aussagen sind unrichtig  : Doderer trat nicht der „illegalen“ NSDAP bei, sondern wurde am 1. April 1933 Mitglied, zu einem Zeitpunkt, als die Partei in Österreich noch legal war. Sie wurde kurz darauf, am 19. Juni 1933, verboten. Doderer ließ sich diese Mitgliedschaft aus dem Jahr 1933 bestätigen, als er 1936 nach Deutschland umzog und als Schriftsteller Mitglied der Reichsschrifttumskammer wurde. Falsch ist auch, dass er sich 1938 „nicht mehr als Parteimitglied führen“ ließ. Fehlinformationen, die bis heute immer wieder übernommen werden.23 Auf Doderers NSDAP-Mitgliedskarte ist weder ein Austritt noch ein Ausschluss verzeichnet.24 Hätte er sich nach dem Anschluss im März 1938 nicht mehr als Parteimitglied führen lassen, so wäre in seiner NSDAP-Mitgliedskarte 19 Dorothea Zeemann  : „Aus der Erinnerung“. In  : Xaver Schaffgotsch (Hg.)  : Erinnerungen an Heimito von Doderer. München 1972, S. 191. 20 Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 284  ; vgl. ebd., S. 231 u. 284. 21 Dietrich Weber  : Heimito von Doderer. Studien zu seinem Romanwerk. München 1963. 22 Ebd., S. 296. 23 Vgl. Diskussionsbeiträge im Forum der Doderer-Gesellschaft  : Alexandra Kleinlercher  : „Über die Schwierigkeiten, eine Doderer-Biographie zu schreiben. Überlegungen ausgehend von Christine Korntners Artikel ,Heimito von Doderer – Spiegelbilder eines Schriftstellerlebens‘“ (15.3.2007  ; http  ://www.doderer-gesellschaft.org/forum/2007/03/15/uber-die-schwierigkeiten-eine-do derer-biographie-zu-schreiben/) und „Mosebachs Doderer und sein Schöpfen aus „unreiner Quelle“ (8.2.2007  ; http  ://www.doderer-gesellschaft.org/forum/2007/02/08/mosebachs-do derer-und-sein-schopfen-aus-unreiner-quelle/). 24 In den NSDAP-Mitgliedsbüchern ist angegeben, ob jemand ausgeschlossen wurde, ausgetreten oder verstorben (gefallen) ist. Vgl. BArch (Bundesarchiv Berlin), ehemals BDC (Berlin Document Center), NSDAP-Mitgliederkartei.

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nicht seine seit September 1938 neue Wiener Adresse hinzugefügt worden. Drei Adressen sind auf seiner Mitgliedskarte verzeichnet  : die Obkirchergasse im 19. Bezirk in Wien, wo er von 1932 bis 1934 lebte, zu dem Zeitpunkt, als er Mitglied wurde, die Münchenerstraße (auch Münchner Straße geschrieben) in Dachau bei München, seine Wohnadresse von 1936 bis 1938, und die Buchfeldgasse im 8. Bezirk in Wien, in die er im September 1938 gezogen war.25 Er blieb somit auch nach dem Anschluss NSDAP-Mitglied. Das wird auch durch einen „Fragebogen für Mitglieder der NSV.“ bestätigt, den Doderer ausfüllte, mit 1. Februar 1940 datierte und unterschrieb. Darin gab er sowohl seinen „Eintritt in die NSDAP.“ mit „1. April 1933“ als auch seinen „Eintritt in die NSV.“ mit „9. II. 1939“ an. Die Fragen  : „Waren Sie Mitglied der Partei […] und sind Sie a) ausgetreten  ? oder wurden Sie b) ausgeschlossen“ beantwortete er jeweils mit „nein“. Schließlich schrieb er zu „Zeitpunkt des Austritts bzw. Ausschlusses“  : „ist nicht der Fall“.26 Mit seiner Einberufung zur Wehrmacht im April 1940 „ruhte“ seine ­N SDAP-Mitgliedschaft. Dies galt generell für Wehrmachtsangehörige und bedeutete, dass weder Mitgliedsbeiträge zu bezahlen noch an Parteiversammlungen teilzunehmen war. Im „Wehrgesetz vom 21. Mai 1935“ heißt es im „§ 26 Politik in der Wehrmacht“  : „(1) Die Soldaten dürfen sich politisch nicht betätigen. Die Zugehörigkeit zur NSDAP oder einer ihrer Gliederungen oder zu einem der ihr angeschlossenen Verbände ruht für die Dauer des aktiven Wehrdienstes.“27

25 BArch (ehem. BDC), NSDAP-Mitgliederkartei, Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. Die Wohnadressen von Doderer von 1896 bis 1966 finden sich in den historischen Meldeunterlagen  ; WStLA (Wiener Stadt- und Landesarchiv), Historische Meldeunterlagen zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. 26 Vgl. „Fragebogen für Mitglieder der NSV.“ von „Dr. Heimito von Doderer“ an „NSV. Gau Wien.“ vom 1.2.1940. (WStLA, NSDAP Wien, Gauakten, A 1  : 61.843 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.) 27 Arno Buschmann  : Nationalsozialistische Weltanschauung und Gesetzgebung 1933–1945. Bd. II. Dokumentation einer Entwicklung. Wien 2000, S. 240.

I. Herkunft und Jugend

1. Doderer  : „Ur-Wiener“ oder Deutscher  ? 1960 schrieb der Schriftsteller Herbert Eisenreich über Heimito von Doderer  : Einen schlimmen Dienst hat man unserem Autor erwiesen, als man begann, ihn zum literarischen Ur-Wiener zu stempeln. Was für ein Mißverständnis  ! […] Schon biologisch ist Doderer kein reiner Österreicher  : sein Stammbaum wurzelt auch in westdeutschem, in französischem, in ungarischem Boden – woraus sich höchstens folgern ließe, daß Doderer ein biologisch echter Österreicher sei.28 Doderer hatte 1936 für seinen Antrag auf Aufnahme als Schriftsteller in die Reichsschrifttumskammer einen „Abstammungs-Nachweis“ auszufüllen, der bis auf die Generation der Urgroßeltern zurückging.29 Der Großteil von Heimito von Doderers Verwandtschaft stammte aus Deutschland. Das galt, abgesehen von seinem Urgroßvater mütterlicherseits, der 1794 in Straßburg geboren worden war, sowohl für seine Groß- und Urgroßeltern mütterlicherseits, die aus Mainz und Darmstadt kamen, als auch für seinen Großvater und seine Urgroßeltern väterlicherseits, die aus Heilbronn stammten. Allein sein Vater, seine Großmutter väterlicherseits und deren Vorfahren kamen aus der Habsburgermonarchie (Brünn, Pest, Wien und Klosterbrück bei Znaim). Heimitos Mutter, Johanne Caroline Luise, genannt Willy, von Hügel (1862–1946), war in München, sein Vater, Wilhelm Carl von Doderer (1854–1932), in Klosterbruck bei Znaim in Mähren geboren. Heimitos Vater war 1866 mit seiner Familie als Zwölfjähriger nach Wien gezogen. Doderers Eltern heirateten 1881 in Wien, wo sie auch lebten.30 28 Herbert Eisenreich  : „Einleitung. Heimito von Doderer oder die Vereinbarkeit des Unvereinbaren“. In  : Heimito von Doderer  : Wege und Umwege. Eingeleitet und ausgewählt von Herbert Eisenreich. Graz u. Wien 1960, S. 5–24, Zit. S. 10. 29 BArch (ehem. BDC), RK/2100/B 33/1125, Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. (Wolfgang Fleischer geht bis zu sechs Generationen zurück  ; vgl. Wolfgang Fleischer: Das verleugnete Leben, S. 16.) 30 Vgl. Wolfgang Fleischer, ebd., S. 16 u. 21.

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In Österreich und Deutschland wurde Heimito von Doderer mit dem Erscheinen seiner beiden großen sogenannten Wiener Romane Die Strudlhofstiege 195131 und Die Dämonen 195632 zum anerkannten Schriftsteller. In Österreich galt er seitdem gewissermaßen als Staatsdichter. Der Wiener PEN-Club hatte ihn 1957 für den Nobelpreis für Literatur vorgeschlagen, die österreichische Regierung diese Bemühungen unterstützt. Nach dem 2. Weltkrieg versuchte das offizielle Österreich die österreichische Identität zu konsolidieren.33 Doderer schien sich dafür im literarischen Bereich bestens zu eignen. Am 5. September 1896 in der unmittelbaren Umgebung von Wien geboren, verbrachte er den Großteil seines Lebens in der Hauptstadt, die er sehr genau kannte und deren Eigenheiten und Atmosphäre er seinen Lesern gekonnt vermittelte. Viele seiner Protagonisten sind (Alt-)Österreicher. Nach dem 2. Weltkrieg verwendete er in seinen Romanen bewusst Austriazismen und legte großen Wert auf seine österreichische Identität. Dass er selbst deutscher Herkunft war, ist hier nur insofern von Belang, als dies bei seinen zwar deutsch-, damit aber nicht selbstkritischen Aussagen, gegen Ende und nach dem 2. Weltkrieg, mitbedacht werden sollte. „Antibochewist“ und Antisemit Doderer verwendete „Bochewismus“ als Ausdruck seiner Abneigung gegen Deutsche. Diese Wortschöpfung hatte er von seinem Freund, dem Maler und Schriftsteller Albert Paris Gütersloh, übernommen  : eine Zusammensetzung aus dem abwertenden französischen Begriff „boche“ für Deutsche und dem Bolschewismus. Diese verallgemeinernde Ablehnung der Deutschen findet sich in Doderers Tagebuch Tangenten besonders gegen Ende des Krieges und danach.34 Am 20. Mai 1945 empfand Doderer, der als Angehöriger der Wehr31 Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre. Roman. [1951] München 1995. 32 Heimito von Doderer  : Die Dämonen. Nach der Chronik des Sektionsrates Geyrenhoff. Roman. [1956] München 1995. 33 Aus eigener Erfahrung noch in den 1970er-Jahren  : In einer Wiener Volksschule hatten wir in einem Fach, das sich anfangs noch „Heimatkunde“ nannte, nach Aufzählung von Wiener Sehenswürdigkeiten mit dem Satz  : „Ich bin stolz, Wiener zu sein“ zu schließen. 34 Einige gegen Deutsche gerichtete Tagebucheintragungen wurden nicht in Doderers Tangenten veröffentlicht  ; sie sind im Anhang von François Grossos Doktorarbeit nachzulesen  : „Wie ein Tagebuch zum Werk wurde  : der Fall Tangenten. Ein Einblick in die Entstehungsgeschichte der Tagebücher der vierziger Jahre und in ihre nicht edierten Seiten.“ (In  : François Grosso  : Primum

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macht in britischer Kriegsgefangenschaft in Norwegen war, die deutsche Organisation im Kriegsgefangenenlager als abstoßend und machte so auch seinen eigenen Bruch mit dem Nationalsozialismus deutlich  : Schon sind neue Dienststellen entstanden, ja, es werden „Einheiten“ aufgestellt und von „Führern“ übernommen  ! Quousque tandem  ? [Wie lange noch  ?] Wann werd’ ich all diesen Bochewismus (wie Gütersloh sagt) endlich aus den Augen haben  ? Schreckliche, bebrillte deutsche Rote-Kreuz-Gouvernanten schwirren und schwatzen  ; man glaubt bei allen diesen Menschen, wenn sie sprechen, sie besäßen einen Gaumen von Pappendeckel oder hätten Kartoffelsalat im Mund. Ist’s gleich tröstlich, daß dieses alles, was vor Jahren noch die Welt überschwemmt hatte, nur mehr sozusagen im zoologischen Garten existiert und in irgendeiner Form hinter Draht und Gitter  : ich möchte doch diesen Garten verlassen dürfen und nichts, nichts mehr davon sehen und hören  !35

Doderer kritisierte auch, aber weitaus seltener, seine österreichischen Landsleute. So etwa in einem Eintrag in den Tangenten vom 16. Mai 1945  : „Natio­ nalismus – eine von Sammelnamen besoffene Welt. Daß ich zum Beispiel Österreicher bin, ist mir mit einer solchen Fülle widerwärtigster Individuen gemeinsam, daß ich es mir verbitten möchte, lediglich mit Hilfe jenes Begriffes bestimmt zu werden […]“.36 Der Germanist und Doderer-Experte Gerald Sommer, Mitbegründer und Vorsitzender der Heimito von Doderer-Gesellschaft, schlägt einen Vergleich von Doderers Antisemitismus und „Antibochewismus“ vor, untersucht ihre gemeinsame Struktur und weist dabei auf folgende Gemeinsamkeit hin  : Laut Doderer hätten sowohl Juden als auch Deutsche die Fähigkeit des „unbewußten Denkens“ verloren und damit zusammenhängend jene zur „Ergriffenheit“.37 Die Verbindung seines Ressentiments gegen Deutsche und Juden stellt Doderer explizit nur in einem Tagebucheintrag von Dezember 1944 her  : scribere, deinde vivere  : Leben und Schreiben im Entstehen am Beispiel der Tagebücher Heimito von Doderers. Phil. Diss., Universität Wien u. Nantes 2009.) Ich danke Dr. François Grosso, der mir seine Doktorarbeit zur Verfügung gestellt hat. 35 Heimito von Doderer  : Tangenten. Aus dem Tagebuch eines Schriftstellers 1940–1950. [1964] 3. Aufl., München 1995, S. 325 (20.5.1945). 36 Ebd., S. 324 (16.5.1945). 37 Vgl. Gerald Sommer  : „Sündenbock und Prügelknabe. Antisemitismus und Antibochewismus bei Heimito von Doderer“. In  : Kai Luehrs (Hg.)  : „Excentrische Einsätze“. Studien und Essays zum Werk Heimito von Doderers. Berlin u. New York 1998, S. 39–51, hier v. a. S. 39, 44 u. 48.

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Erstirbt das unbewußte Denken, der Träger des Schicksals, [(wie bei den heutigen Deutschen und Juden vielfach zu beobachten)] der persönlichen Kontinuität und des Gedächtnisses, dann kann es zu einer innigen Durchdringung zwischen uns und der Objektswelt nicht mehr kommen  : weil der Resonanzboden jeder komplexen Apperzeption fehlt.38

In seinem Tagebuch 1935 warf Doderer diesen Mangel an „Ergriffenheit“ zunächst noch ausschließlich den Juden vor  : Juden sind die Nachkommen jener Leute, die bei unmittelbarer Nähe des GottesSohnes im Stande der Nicht-Ergriffenheit zu verharren fähig waren und also darin verharrten. Die Zivilisation als solche ist, besonders die technisierte, die Consolidierung der „Nicht-Ergriffenheit“ schlechthin. Das psychologische Korrelat der „NichtErgriffenheit“ ist die Frechheit. Mit ihr ist logischerweise das jüdische Antlitz gezeichnet.39

Ein undatierter Text Doderers mit dem Titel „Rede über die Juden“40 wurde, wegen einer Anspielung auf die Nürnberger Gesetze von 1935, vermutlich (im Jahr) danach verfasst  : denn er schreibt, dass es im „Deutschen Reich“ keine „Judenfrage“ mehr gäbe, da diese „dort längst gesetzlich festgelegt“ sei, und von der „Lösung der sogenannten Judenfrage von reichswegen“.41 In der „Rede über die Juden“ wird die Idee der „Nicht-Ergriffenheit“ als für Juden charakteristisch ausgeführt. Wieder wird darin den Juden „de[m] größere[n] Teil dieses Volks“ zum Vorwurf gemacht, beim „Erscheinen Jesu Christi“ in „Nichtergriffenheit“ verharrt zu sein, weil sie nicht in der Lage ge-

38 Heimito von Doderer, Ser. n. 14.351. Druckfahnen zu Tangenten (korrigiertes Autorenexemplar), fol. 214, der ÖNB (Österreichischen Nationalbibliothek), zit. nach Gerald Sommer  : „Sündenbock und Prügelknabe“. In  : Kai Luehrs (Hg.)  : „Excentrische Einsätze“, S. 43 u. Zit. S. 49. Der Text in eckigen Klammern wurde nicht in die Tangenten, dem einzigen zu Doderers Lebzeiten veröffentlichten Tagebuch, aufgenommen. 39 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. II. 1935–1939. Hg. v. Wendelin SchmidtDengler, Martin Loew-Cadonna u. Gerald Sommer. München 1996, S. 719 (21.6.1935). 40 Vgl. Heimito von Doderer  : [Essay ohne Titel  ; o. J.]. In  : „Überzählige Reden und Aufsätze“ [Sammelmappe]. Ser. n. 14.311 d. ÖNB. (Dieser Text ist identisch mit Heimito von Doderer  : „Rede über die Juden“, [o. J.], Ser. n. 14.312 d. ÖNB. Ich danke Dr. Gerald Sommer für diesen Hinweis. Es ist nicht bekannt, ob Doderer diese Rede auch gehalten hat.) 41 Ebd., S. 1 u. 12. (Vgl. auch Gerald Sommer  : „Sündenbock und Prügelknabe“. In  : Kai Luehrs (Hg.)  : „Excentrische Einsätze“, S. 48, Fn. 19.)

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wesen seien, die Bedeutung des Ereignisses zu erkennen. Diese „Nichtergriffenheit“ zeichne sich in ihren Gesichtszügen sowie in jenen „aller Nachfahren“ als „Frechheit“ ab.42 Jude ist man oder zum Juden wird man, so Doderer, wenn man zur „Ergriffenheit“ unfähig ist  : Wer nämlich, welcher Schiksalsgemeinschaft immer angehörend, in deren entscheidendem Stadium den profunden Stoss nicht spürt, welcher da erfolgt, wer nicht im Stande ist die verschiedenen rationalen Sammelgüter, von der Logik bis zur Klugheit, von der persönlichen Eigenart bis zum Witz fallen zu lassen […] ein solcher ist […] seiner Schiksalsgemeinschaft gegenüber – Jude. Oder er wäre zumindest zum Juden zu ernennen, auch wenn er keinen Tropfen semitischen Blutes hätte.43

In diesem Text hinterfragte Doderer die Begriffe „Jude“ und „jüdisch“, die, so Doderer, nicht rational zu erfassen seien, und versuchte, die von ihm gestellte Frage „wie wird man Jude  ?“ zu beantworten.44 Dabei stellte Doderer den für ihn negativ besetzen Begriff „auch“, dem positiv besetzen Begriff „nur“ gegenüber. Die Juden entsprachen für Doderer demgemäß dem Begriff „auch“, der für „das Nebeneinander, das Spannungslose, Beziehungslose, das nach aussen an blosse Zwecke hingegeben sein“ stehe. Das „nur“ wiederum beziehe sich auf den, für den das Schicksal das „höchst[e] und einzig[e] Gut“ ist, der den „Willen zu seinem eigenen [deutschen] Schiksal“ hat.45 Doderer stützte sich bei seiner Definition von Juden auf den christlichen Antijudaismus (mit seiner Kritik an der Haltung der Juden gegenüber Jesus46) und auf den (rassistischen) Antisemitismus (unter Verwendung von Begriffen wie „semitisches Blut“ oder „Rassejuden“47). Außerdem ließ Doderer sich von Otto Weiningers Definition vom „Judentum“ inspirieren, als er schrieb, „er wäre zumindest zum Juden zu ernennen, auch wenn er keinen Tropfen semitischen Blutes hätte“.48 Denn laut Weininger ging es beim Judentum nicht um eine „Rasse“, ein „Volk“ und „noch weniger freilich um ein gesetzlich an-

42 Heimito von Doderer, ebd., S. 3f. 43 Ebd., S. 4. Doderers s-Schreibung („Stoss“) wurde übernommen, ebenso seine Schreibweise für „Schiksal“, „Litteratur“ oder „c“ statt „k“ u.a.m. ohne dies jeweils mit „sic“ zu kennzeichnen. 44 Ebd., S. 1–3, Zit. S. 3. 45 Ebd., S. 1–4, Zit. S. 3. Das Wort „deutschen“ ist im maschinengeschriebenen Text übertippt. 46 Ebd., S. 3f. 47 Ebd. S. 4 u. 11. 48 Ebd. S. 4.

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erkanntes Bekenntnis“, sondern „nur“ um eine „Geistesrichtung“  ;49 einschränkend muss allerdings hinzugefügt werden, dass Otto Weininger sich an seine Theorien (sei es zur Männlichkeit und Weiblichkeit oder zum Antisemitismus) nicht hielt und sich bei „empirischen“ Untersuchungen von den üblichen Stereotypen leiten ließ. Über Otto Weininger schrieb sein Freund, der Psychologe Hermann Swoboda  : „Die Wahrheit war aber natürlich nur die, daß er die Juden ebensowenig ausstehen konnte wie die Frauen oder, in seiner Art formuliert, das Judentum ebensowenig wie W.“50 Doderer schilderte in seiner Rede die Positionen der Juden, die diese, seiner Meinung nach, im Laufe der Jahrhunderte in der Gesellschaft einnahmen  :51 Er beginnt beim Mittelalter, setzt mit Renaissance und Humanismus fort, geht bis zur Aufklärung und kommt schließlich zum von ihm so scharf kritisierten Liberalismus der 1880er-Jahre, in diese Zeit der „ungeheure[n] Täuschung, die man mit dem Worte Assimilation bezeichnet hat.“52 Das 20. Jahrhundert, jenes der „Massen“, hätte die Juden gezwungen, „sich als solche zu deklarieren“. Da das ihrem „Wesen“ aber nicht entspreche, sei dies der Beginn der „jüdische[n] Dummheit auf welche wir nicht mit Unrecht grosse Hoffnungen setzen“.53 Doderer ging darauf nicht näher ein, doch drückte er in einem anderen Text, vermutlich aus dem Jahr 1934, seine irrationale Angst vor dem „Judentum“ aus, das, weil es dem „Ariertum“ in seiner „Dezidiertheit“ überlegen sei, die Gefahr von einem „,Untergang des Abendlandes‘“ berge.54 49 Otto Weininger  : Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung. Im Anhang Weiningers Tagebuch, Briefe August Strindbergs sowie Beiträge aus heutiger Sicht von Annegret Stopczyk, Gisela Dischner und Roberto Calasso. München 1980 (Nachdruck der ersten Auflage, Wien 1903). Zit. aus dem „XIII. Kapitel  : Das Judentum“, S. 403–441, hier S. 406. 50 Hermann Swoboda  : Otto Weiningers Tod. Wien u. Leipzig 1911, S. 35. Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Otto Weiningers Theorien vgl. Robert Walter  : Zwischen „Explosionen der Intelligenz“ und „Fusion“ mit dem Leben. Texte Weiningers und Swobodas als Prätexte von Heimito von Doderers Roman „Die Strudlhofstiege“, (hier „Abschnitt 4.1.1 Männlichkeit und Weiblichkeit“ [mit einem Hinweis auf Weiningers Antisemitismus]). Magisterarbeit, Berlin 2007 (geplante Veröffentlichung in  : Schriften der Heimito von Doderer-Gesellschaft, 6). Ich danke Mag. Robert Walter, der mir seine Arbeit zur Verfügung gestellt hat. 51 Vgl. Heimito von Doderer  : [Essay ohne Titel  ; o. J.]. In  : „Überzählige Reden und Aufsätze“ [Sammelmappe]. Ser. n. 14.311 d. ÖNB, S. 6–12. 52 Ebd., S. 8. 53 Ebd., S. 10 u. 12. 54 Heimito von Doderer  : „Aide mémoire zu  : ,Die Dämonen der Ostmark‘. Herausgegeben und kommentiert von Gerald Sommer.“ In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 39– 72, hier S. 48f.

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Bei den Deutschen wiederum, um auf Gerald Sommers Vergleich zurückzukommen, wird von Doderer 1944 unter dem Titel „Deutschenhaß, seine Ursachen“, ihre mangelnde „Ergriffenheit“ festgestellt, die auf ihr fehlendes „unbewusste[s] Denke[n]“ zurückzuführen sei  : Das auch ist es – nämlich die Abgestorbenheit des unbewußten Denkens – was den Kulturbetrieb der neueren Deutschen so widerwärtig macht  : […] diese Aufgeschlossenheit ohne Ergriffenheit oder Erschütterung, der selbst befremdliche Eindruck etwa, den ein großes Haus machen würde, das mit offenen Türen und Fenstern sauber und blank an der Straße stünde – und innen völlig leer  : wo doch hier einzig die Verwahrlosung die natürliche Oberfläche solchen Sachverhalts bilden könnte, keinesfalls aber das korrekt inventarisierte Nichts.55

In Doderers Tagebüchern gibt es zahlreiche Stellen, die gegen Juden oder gegen Deutsche gerichtet sind. Insofern bietet sich ein Vergleich tatsächlich an. Doch Doderer führte das Thema der „Nicht-Ergriffenheit“ und seiner Definition davon nur bei Juden aus. Bei seinem Ressentiment gegen Deutsche nahm er lediglich verweisend darauf Bezug, ganz im Gegensatz zu anderen Themen, die ihn dauerhaft beschäftigten und auf die er in seinen Tagebüchern immer wieder zurückkam. Daher ist wohl die wichtigste Gemeinsamkeit von Doderers Angriffen gegen Juden und Deutsche in ihrer Rolle als Sündenböcke zu sehen, wie es Gerald Sommer schon mit der Wahl seines Titels formulierte. Doderer, der vom antisemitischen Zeitgeist stark geprägt war, versuchte mit seinen verbalen Angriffen gegen Juden offenbar sein angeschlagenes Selbstwertgefühl aufzupolieren und mit jenen gegen Deutsche wohl die eigenen Schuldgefühle bzw. Verantwortung auf andere abzuwälzen.56 In Doderers ab 1920 erhaltenen Tagebüchern gibt es zunächst keinen Hinweis darauf, dass er sich vom (teilweise) deutschen Ursprung seiner Eltern distanzierte. Als er sich vom Nationalsozialismus angezogen fühlte, sah er sich selbst als Deutschen. 1937, als Doderer in Dachau bei München lebte, wo seine diesbezüglichen Erwartungen enttäuscht worden waren, begann er die Deutschen zu kritisieren. Erst durch den Krieg und danach thematisierte er die Bedeutung, die seine österreichische Identität nun für ihn hatte. Am 55 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 261f. (16.12.1944). 56 Für Gerald Sommer greift dieser Erklärungsansatz allerdings zu kurz. Vgl. Gerald Sommer  : „Sündenbock und Prügelknabe“. In  : Kai Luehrs (Hg.)  : „Excentrische Einsätze“, S. 43f.

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15. Juni 1957 schrieb er  : „Dieser ganze feierliche Anspruch mit dem man uns Österreichern kommt, daß wir Deutsche seien […] erscheint lächerlich.“57 Doderer versuchte die „Ursachen“ für den – de facto seinen – „Deutschenhaß“ so zu erklären, dass für die Deutschen das „direkte Denken“ typisch sei. Dieses würde wiederum, so Doderer, zwangsläufig zum Handeln und damit zur „Inhumanität“ führen,58 während er selbst dem „Nicht-Handeln“ den Vorzug gab.59 Aufschlussreicher ist Doderers Versuch einer Selbstanalyse seines Antisemitismus im Jahr 1952. Laut Doderer beruhe dieser weniger auf Erfahrungen als auf dem Umfeld. Erstmals gezeigt habe sich sein Antisemitismus zu Beginn der 1920er-Jahre, als er damit sein Minderwertigkeitsgefühl zu überwinden versuchte, das er gegenüber seiner Freundin jüdischer Herkunft empfand (gemeint ist Gusti Hasterlik). Damit habe er sich ihr gegenüber ,rassisch‘ überlegen fühlen können. In sein Tagebuch schrieb Doderer  : Der sogenannte Antisemitismus ist […] nicht so sehr eine […] von Erfahrungen eingespurte Bereitschaft  ; sondern ein schon in der Kindheit durch die Umgebung introduciertes Material von Associationen, das erst im viel späteren Leben als Baustoff polemischer Konstruktionen herangezogen wird, oder gleichsam als Brennstoff unter dem Kessel des Selbstwertes, um jenen bei Spannung zu erhalten. Abwertungen können im Menschen lange verkapselt sein oder latent  : er wird sie hervorholen, wenn er ihrer bedarf, in irgendeinem Konkurrenz-Kampfe. Die sogenannte „Rasse“ sprach nicht apriorisch. Ich wenigstens empfand meine jüdischen Kameraden im Gymnasium und in der Officiers-Schule gegenüber nichts dergleichen  : höchstens dann und wann eine gewisse […] Hingezogenheit (immerhin etwas  !). Erst viel später, nämlich am Anfang der Zwanzigerjahre, im beginnenden Kampf der Geschlechter, versuchte ich meine Unterlegenheit auf diesem Felde in eine Überlegenheit des Rassen-Wertes zu convertieren […].60

57 Heimito von Doderer  : Commentarii 1957 bis 1966. Tagebücher aus dem Nachlaß. Bd. 2. Hg. v. Wendelin Schmidt-Dengler. München 1986, S. 46 (15.6.1957). 58 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 260 (15.12.1944). 59 Ebd., S. 321f. (13.5.1945). 60 Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956. Tagebücher aus dem Nachlaß. Bd. 1. Hg. v. Wendelin Schmidt-Dengler. München 1976, S. 117f. (3.4.1952).

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2. „Herkünftler“ Heimito von Doderers Großväter Heinrich Hügel und Carl Wilhelm Doderer wurden von Kaiser Franz Joseph als Anerkennung für ihre Arbeit als Architekten in den Adelsstand erhoben, der Erste 1875, der Zweite 1877.61 Heimitos Vater, Wilhelm von Doderer, ein als Architekt ausgebildeter Bauingenieur, wird als charmant und großherzig, aber auch als Patriarch und seine Familie tyrannisierend geschildert.62 Die schwierige Beziehung Heimitos zu seinem Vater und die als unterwürfig verstandene Haltung seiner Mutter ihrem Mann gegenüber dürften bei seiner eigenen Sexualität eine Rolle gespielt haben. Viele von Doderers Romanfiguren stammen aus Großbürgertum und Adel und wirken weitaus glaubwürdiger als die idealisierten Kleinbürger wie Paula Schachl, deren Mann und Vater in der Strudlhofstiege, Anna Kapsreiter oder gar die „Kunstfigur“63 des Arbeiters Kakabsa in den Dämonen. Doderers Weltbild entsprach einer strikt hierarchisch gegliederten Gesellschaft, in der es kein Nebeneinander, sondern eine „Über- und Unterordnung“ geben sollte. In den Aufzeichnungen für seine im Juli 1932 gehaltene Rede unter dem Titel „Das neue Reich“ schrieb er  : „[W]er da nicht sehen will, wer da zu allem in jener nichtssagend respektierenden Haltung bleiben will, welche die Dinge neben statt über[-] und untereinander ordnet, der verneint im Grunde das Leben […].“ Und abschließend  : „[S]o die Spannung zwischen den Ständen, und deren unverrückbare Über- und Unterordnung. So die Spannung zwischen dem Lehrer und Schüler und deren niemals einzuholenden Abstand. So das stärkste und kostbarste Erlebnis im Geistigen  : das der verbindlichen Autorität […].“64 In seinem Roman Das Geheimnis des Reichs bezeichnete er die Offiziere (aus der höheren Gesellschaftsschicht) verallgemeinernd als „Intelligenz“, die Soldaten dagegen als „roh[e] Kraft“.65 Eine ähnliche Hierarchie besteht zwischen den Geschlechtern  : Männer aus höheren Gesellschaftsschichten wie René 61 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 15f. u. 22. 62 Ebd., S. 24. 63 Dorothea Zeemann  : Jungfrau und Reptil, S. 84. 64 Heimito von Doderer  : „,Das Neue Reich‘. REDE, gehalten am 1. Juli 1932, im Atelier Paris Guetersloh“  ; [Essays – Reden – Traktate], Ser. n. 14.306 d. ÖNB, fol. 90r–98r., S. 2 u. 10. 65 Heimito von Doderer  : Das Geheimnis des Reichs. Roman [1930] In  : Heimito von Doderer  : Frühe Prosa. Die sibirische Klarheit. Die Bresche/Jutta Bamberger. Das Geheimnis des Reichs. Hg. von Hans Flesch-Brunningen, Wendelin Schmidt-Dengler u. Martin Loew-Cadonna. München 1995, S. 331–471, hier S. 365.

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von Stangeler verkörpern eine „zerebrale“, Frauen wie Anna Kapsreiter oder Grete Siebenschein eine „uterale“ Vernunft („Raison“).66 Die einzige wichtige Figur aus der Arbeiterschaft in Doderers Romanen ist der bereits erwähnte Leonhard Kakabsa in den Dämonen, doch gilt Doderers Interesse nicht dem Arbeiter, sondern Kakabsas Selbstverwirklichung, seiner „Menschwerdung“, die bei ihm primär anhand der Entwicklung seiner sprachlichen Fähigkeiten (bis hin zum Erlernen des Lateinischen) dargestellt wird. Dorothea Zeemann schrieb dazu  : Doderer will nur über Kakabsa reden. Kakabsa ist seine Romanfigur, seine Kunstfigur in den „Dämonen“, die bei ihm für die Probleme der Bloßfüßigen, Armen, Unterprivilegierten steht. Kakabsas Chance ist das Studium, das einem wie ihm über die „Dialektgrenze“ hinüberhilft in die Teilnahme an der Kultur, ihm hilft, die Klassenschranke zu durchbrechen, ihn wert und würdig zu machen, die Augen zu einer bürgerlichen Dame zu erheben. Es ist das Verlogenste, was er je schrieb, so, wie er es schrieb, und er weiß, daß ich so denke.67

Doderer sagte von sich, er sei kein „Herkünftler“, sondern ein „Hinkünftler“.68 Doch war ihm seine Herkunft zweifelsohne wichtig.69 Heimito von Doderer wurde bei seiner Geburt am 5. September 1896 in Weidlingau, Hadersdorf bei Wien, Franz Carl Heimito und von Familie und Freunden Heimo, Heimerl oder Heimchen genannt. 70 Er war das sechste und letzte Kind. Zu seinen ältesten Schwestern Ilse (1882–1975, verh. Mayer) und Almuth (1884–1978, geschiedene Martinek verheiratete Wehofer) hatte er wenig Kontakt, das Verhältnis zu seinem Bruder Wilhelm, genannt Immo (1886–1975), war ebenfalls distanziert. Am besten verstand er sich mit seiner Schwester Helga (1887 – Freitod 1927, verheiratete Hauer), und vor allem mit

66 Vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten  : zu René und Grete, S. 548 (19.3.1947)  ; zu Grete, S. 550 (20.3.1947), S. 553 (21.3.1947), S. 554 (22.3.1947)  ; über Frauen, S. 554f. (23.3.1947) sowie Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege  : zu Grete, S. 398, u. Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, zu Kapsreiter, S. 439 (31.7.1955). 67 Dorothea Zeemann  : Jungfrau und Reptil, S. 84. 68 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 13. 69 Vgl. ebd., S. 14. 70 Unter diesen Kosenamen findet man Doderer auch in den Briefen der Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU (http  ://www.fsu.edu/~ww2/Hine/hine_ collection.htm – Collection of Letters).

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seiner Schwester Astri (1893–1989, verheiratete von Stummer).71 Kurz nach Heimitos Geburt kehrte die Familie aus dem für die Sommermonate gemieteten Haus in den 3. Bezirk in Wien, in die Stammgasse 12, zurück. Sein Vater hatte es für seine Rückkehr aus Deutschland, wo er gearbeitet hatte, von seinem Schwager, dem Architekten Max von Ferstel, erbauen lassen. Heimito mochte weder den Bezirk noch das Haus, beide empfand er als düster.72

3. Bisexualität und sexuelle Fantasien „Sexualität und totaler Staat“,73 so lautet der Titel eines Traktates von Doderer aus der Nachkriegszeit, in dem er sich bemühte, eine Verbindung zwischen dem einen und dem anderen herzustellen. Zwei Themen, die ihn, wie seine zahlreichen Tagebucheinträge zeigen, lange beschäftigten. Doderer selbst war bisexuell, von seinen sexuellen Beziehungen zu Männern erzählte er Freunden wie Dorothea Zeemann oder Peter von Tramin. So auch von seinen ersten sexuellen Erfahrungen, die er mit 15 mit seinem um ein paar Jahre älteren Privatlehrer Albrecht Reif gehabt hatte (kurz darauf auch mit Frauen). Dorothea Zeemann, 1909 geboren und somit 13 Jahre jünger als Doderer, erinnerte sich, was Doderer, den sie 1955 kennen lernte, ihr über seine homosexuellen Beziehungen erzählt hatte  : „Ich hab’ zu dir ein päderastisches Verhältnis“ […] „Ich rede und lebe mit dir wie mit einem Mann – du bist nicht der erste Mann, mit dem ich lebe“, teilt er mir, selbst erstaunt, mit. Gleich darauf sagt er, wie in Verteidigung, „Spatz“ zu mir. Ich zeige mich ganz demütig, bin selber froh, daß er sich wieder als „Vater“ in Regie nimmt. Bewegt erzählt er von den Männern in seinem Leben. Ich werde schwindlig, wenn die Sachen aus dem Rahmen fallen  : wenn er aus dem selbstgefügten Rahmen fällt.74

71 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 16. 72 Vgl. ebd., S. 33f. 73 Heimito von Doderer  : „Sexualität und totaler Staat“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 275–398. (Siehe dazu weiter unten  : Sexualität und totaler Staat, S. 276–283.) 74 Dorothea Zeemann  : Jungfrau und Reptil, S. 69.

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Die Themen der Homo- und Bisexualität finden sich in Doderers Romanen meist nur in Form von Anspielungen wieder. In Ein Mord den jeder begeht erzählt der erste Teil von Kindheit und Jugend der autobiografisch geprägten Figur Conrad Castiletz. Die Lebensläufe von Doderer und Castiletz weisen einige Parallelen auf, darunter jene, dass beide einen „Hofmeister“ (Nachhilfelehrer) hatten  : Doderer Albrecht Reif und Castiletz Albert Lehnder. Der drei Jahre ältere Albrecht Reif75 und Heimito von Doderer waren beide nicht ausschließlich homo-, sondern bisexuell. Doderers Tagebucheintrag von November 1959, 15 Jahre nach Albrecht Reifs Tod, könnte eine Anspielung auf ihre sexuelle Beziehung sein. 1911 hatte Reif zwei Monate im Doderer’schen Sommerhaus, dem Riegelhof in der Prein an der Rax, verbracht  ;76 Heimitos Zimmer befand sich im als „Atelier“ bezeichneten Dachgeschoss.77 Doderer schrieb  : „Reif lebt nicht mehr, und doch ist praesent, was in der Prein im ,Atelier‘ geschah, alles […].“78 Reif gab Doderer das Gastmahl von Platon zu lesen. Für Doderer dürfte es vor allem eine erotische Entdeckung gewesen sein.79 Zumindest gewinnt man diesen Eindruck, als in Doderers Roman Ein Mord den jeder begeht 80 der von Reif inspirierte Albert Lehnder dem von Doderer inspirierten Conrad Castiletz das Gastmahl zu lesen gibt. Im Roman beginnt es damit, dass Lehnder Castiletz Komplimente macht. Lehnder selbst wird als gut aussehender, geselliger und bei Frauen erfolgreicher Mann dargestellt. Und wenn Conrad sich beim Lernen bemüht, dann nur deshalb, um Albert eine Freude zu machen.81 Conrad hatte viel Zeit, herumzustehen, herumzusitzen, herumzuliegen und dabei schon beachtlich hübsch auszusehen. [Es folgt eine Beschreibung seines Aussehens,

75 Vgl. Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, S. 125 (4.5.1952). (Wolfgang Fleischer schreibt, dass Reif fünf Jahre älter als Doderer gewesen sei  ; vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 61.) 76 Im Gästebuch des Riegelhofs ist Reif vom 11. Juli bis 11. September 1911 eingetragen. (Vgl. Wolfgang Fleischer, ebd.) 77 Das Ehepaar Stummer hat das einfach eingerichtete Zimmer Doderers wie zu dessen Lebzeiten beibehalten, u.a. zwei kleine Betten, einen Schreib- und einen Waschtisch (Besuch bei Berti und Wolfgang von Stummer am Riegelhof im Juni 2006. Wolfgang von Stummer, geb. am 6.7.1913, starb am 3.7.2008). 78 Heimito von Doderer  : Commentarii 1957 bis 1966, S. 207 (23.11.1959). 79 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 62. 80 Heimito von Doderer  : Ein Mord den jeder begeht. Roman. [1938] München 1995. 81 Ebd., S. 51.

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seiner Kleidung, seiner Bewegungen, die seine Jugend und sein gutes Aussehen unterstreichen.] Alles das nun pflegte Albert Lehnder seinem Schüler täglich zu sagen. „Du siehst gut aus heute.“ „Beim Handballspiel sahst du famos aus.“ „Streich das Haar nicht zu sehr aus der Stirne.“ „Ein blaues Hemd steht dir am besten.“82

Und nachdem Albert Conrad das Gastmahl zu lesen gegeben hat, wird vom Erzähler darauf hingewiesen, dass Conrads Vater in diesem Buch nur eine Schullektüre gesehen hätte, ohne den wahren Grund für die Wahl dieses Buchs zu erkennen, denn  : Anders hätte er wohl möglich in ein paradoxes und grüblerisches Vermuten und Abwägen hineingeraten können, wobei am Ende die eine Waagschale von seinem eigenen Sohne, die andere von der mächtigen Tante Berta belastet worden wäre [der Vater glaubt an eine gegenseitige Anziehung von Berta und Albert], mit Albert Lehnder in der Mitte als Zünglein.83

Doderer ist in seinen Aufzeichnungen in Bezug auf seine homosexuellen Beziehungen äußerst zurückhaltend, im Gegensatz zu der deutlich offenen Beschreibung seiner sexuellen Fantasien Frauen betreffend, seinem Verkehr mit Prostituierten und seinem Voyeurismus.84 Bilder von kaum bekleideten, gefolterten, demütigen, schamhaften Märtyrerinnen zogen ihn an. Er selbst dürfte sich mit einer Scheinfolter und der Einwilligung der Frauen, sich seinen Fantasien entsprechend zu verhalten, begnügt haben. Als „ganze Prozedur“ bezeichnete Doderer folgendes Ritual  : Eine kaum bekleidete Frau hatte sich schamvoll Brust und Geschlecht zu verdecken und wurde mit einer Samtpeitsche von ihm ausgepeitscht (und anschließend mit ihrem Einverständnis „vergewaltigt“).85 Er nannte das seine „pseudo-sadistischen Triebe“ 82 Ebd., S. 69f. 83 Ebd., S. 70. 84 Zu Doderers Voyeurismus und über seine Beziehungen zu Prostituierten vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. I, z. B. S. 130–132 (resp. 18.7.1923 u. 21.7.1923). Ein Voyeur ist auch die Figur des Julius Zihal in  : Heimito von Doderer  : Die erleuchteten Fenster oder Die Menschwerdung des Amtsrates Julius Zihal. Roman. [1951] München 1995. 85 Zum Begriff „ganze Prozedur“ vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. I, S. 209 (30.4.1924)  ; zur Beschreibung der „Prozedur“ vgl. Dorothea Zeemann  : Jungfrau und Reptil, S. 64, 71 u. 76.

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und fragte sich, ob er sein Tagebuch nicht „Tagebuch eines Sadisten“ nennen sollte.86 Seiner Freundin Gusti Hasterlik erzählte er von seinen sexuellen Wünschen, doch als sie diese umsetzten, fühlte sich Doderer, trotz Anerkennung für ihre „Phantasie“, traurig, da es „zu sehr im Persönlichen verhaftet“87 geblieben war. Es wäre möglich, dass Doderer in den 1950er-Jahren auch mit einem Mann eine derartige Beziehung hatte, der in seinem Notizbuch mit der Abkürzung E. N. bezeichnet wird.88 Doderers Umgang mit seinen sexuellen Fantasien war zwiespältig  : einerseits das Bedürfnis, sie zu verwirklichen – „die Grenze des innerhalb der uncriminellen Sphäre Erreichbaren erreicht  !  ! “ schrieb er diesbezüglich in sein Tagebuch89 –, andererseits sich dadurch heruntergezogen zu fühlen. Insbesondere korpulente jüdische Frauen, die älter waren als er, zogen ihn an.90 Seine sexuellen Fantasien finden auch in seinen Romanen ihren Ausdruck. In Jutta Bamberger91 etwa kann Wladimir Lancornin seine sexuellen Fantasien in den mittelalterlichen Räumen eines Nobelbordells befriedigen. In der Bresche 92 vergewaltigt Jan Herzka seine Freundin, nachdem ihn Bilder von Märtyrerinnen und in einem Zirkus die von einem Mann beherrschten Stuten erregt hatten. Jan Herzka, diesmal in den Dämonen, findet in Agnes Gebauer eine Partnerin, die bereit ist, seine sexuellen Fantasien zu teilen. In einem Manuskript entdeckt Jan Herzka, dass einer seiner Vorfahren mit denselben sexuellen Wunschvorstellungen wie er selbst in seinem Keller einen Scheinprozess gegen „Hexen“ führte  ; diese werden, im Dienste einer Befriedigung seiner voyeuristischen Bedürfnisse, (scheinbar) gefoltert und von den Knechten sexuell

86 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 133 (21.7.1923) u. S. 209 (30.4.1924). 87 Ebd., S. 209 (30.4.1924). 88 Der Beschreibung nach dürfte es sich eher um einen Mann als um eine Frau handeln  ; vgl. Wolfgang Fleischer, Das verleugnete Leben, S. 421. 89 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 223 (11.6.1924). 90 Vgl. z. B. seine Zeitungsannonce in der Neuen Freien Presse, zit. nach Elizabeth C. Hesson  : Twentieth Century Odyssey. A study of Heimito von Doderer’s „Die Dämonen“. Columbia/South Carolina 1982, S. 21. (Auch das Alter Ego Doderers, die Figur des Kajetan von Schlaggenberg in den Dämonen, fühlt sich von reifen, korpulenten, jüdischen Frauen angezogen. Vgl. auch  : Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. I, S. 363 (Nov. 1930). 91 Heimito von Doderer  : Jutta Bamberger. Ein Fragment aus dem Nachlaß. [1968] In  : Heimito von Doderer  : Frühe Prosa, S. 207–329. 92 Heimito von Doderer  : Die Bresche. Ein Vorgang in vierundzwanzig Stunden. [1924]. In  : Heimito von Doderer  : Frühe Prosa, S. 119–205.

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missbraucht. Für die Romanfigur, die sich daran offen erfreut, hat Doderer seinen Spitznamen „Heimo“93 gewählt. Auf Homosexualität wird in den Romanen nur angespielt, bemerkenswerte Ausnahme dazu ist sein – allerdings erst nach seinem Tod veröffentlichtes – Romanfragment Jutta Bamberger, an dem er zwischen April 1923 und Januar 1924 schrieb. Jutta wird erst als junger Erwachsener bewusst, dass sie homosexuell ist, auch wenn es sich schon in ihrer Kindheit klar abzeichnet. Ihre erste sexuelle Erfahrung mit einer Frau wird gegen Ende des Fragments beschrieben.94 Die Fortsetzung fehlt, doch hielt Doderer einerseits in seinem Tagebuch fest, wie es weitergehen sollte, andererseits erinnerte sich Wolfgang Fleischer an Gespräche mit Doderer über Jutta Bamberger, die sich auf einem Maskenball, als Mann verkleidet, in eine Frau verlieben sollte  ; was Jutta zunächst nicht weiß, ist, dass diese Frau in Wirklichkeit ein als Frau verkleideter Mann ist  : der russische Komponist Sascha Slobedeff, der schon in der Bresche eine wichtige Rolle spielte. Dort wird er „Fräulein Sascha“ genannt wegen seines äußeren weiblichen Erscheinungsbildes und weil er, als Frau verkleidet, aus Russland geflohen war.95 Die Beziehung zwischen Jutta Bamberger und Sascha Slobedeff muss scheitern, denn „wie sehr ist Slobedeff Mann, trotz seiner femininen Physis  !  !“96 Der Druck auf Jutta, den gesellschaftlichen Normen zu entsprechen, wird zu groß, und sie nimmt sich das Leben, um der mit Sascha geplanten Hochzeit zu entgehen – von Sascha in diesem Schritt gefolgt.97 Jutta entspricht nicht dem Schönheitsideal ihrer Zeit (sie ist mager), doch wird sie als tiefgründiger beschrieben, und es ist ihr Anderssein, das sie für Männer ebenso wie für Frauen anziehend macht. Während das Fragment Jutta Bamberger die Kindheit und Jugend einer Frau erzählt, die sich erst mit der Zeit ihrer Homosexualität bewusst wird und sich dieser Erkenntnis nicht verschließt, ist die Bresche von der geteilten, wenn auch nicht offen ausgesprochenen homoerotischen Anziehung zwischen Sascha Slobedeff und Jan Herzka geprägt. Nachdem Jan seine langjährige 93 Vgl. Heimito von Doderer  : Die Dämonen (Zweiter Teil, 7. Kapitel „Dort unten“), S. 757–806, hier z. B. S. 767. 94 Vgl. Heimito von Doderer  : Jutta Bamberger. In  : Heimito von Doderer  : Frühe Prosa, S. 279f. 95 Vgl. Heimito von Doderer  : Die Bresche. In  : Heimito von Doderer  : Frühe Prosa, S. 121 u. 192– 194. 96 „Zur Dokumentation“ [Tagebucheintrag Doderers vom 23.7.1923  ; im Original in Klammern.] In  : Heimito von Doderer  : Frühe Prosa, S. 481. 97 Vgl. ebd., S. 480–482 u. 486f.

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Freundin eines Abends brutal vergewaltigt, verlässt er daraufhin fluchtartig die Stadt und lernt am Ende seiner Reise Sascha kennen. Bereits ihr erster Kontakt ist, wenn auch unbeabsichtigt, ein körperlicher  : Jan springt vom fahrenden Zug und fällt ins Gras gegen den Rücken Saschas. Er wird sich sofort des femininen Äußeren Saschas bewusst (sein Gesicht, seine kleinen Füße, seine Schuhe) und vertieft sich in seine Augen  : „Die veilchenblauen Sterne unter den starken Brauenknochen strahlten, wie von innen her erleuchtet.“98 Jan folgt Sascha erschöpft in ein Landgasthaus, in dem dieser untergebracht ist  : „Er ließ es, in tiefe Müdigkeit eingesponnen, wortlos geschehen, daß der Fremde seinen Arm nahm, ihn unter der Achsel stützte  : er lehnte sich, von einem eigentümlich warmen und lebendigen Zutrauen traumhaft erfüllt, gegen jenen.“99 Sascha bringt ihn auf sein Zimmer. Jan beginnt sich auszuziehen, doch fehlt ihm die Kraft dazu  : „Der Fremde hob Herzka auf und trug ihn quer vor sich auf den Unterarmen zum Diwan (so wie man eine Frau auf das Lager trägt, die sich hingibt).“100 Die erotische Anziehung zwischen den beiden Männern zieht sich durch den Roman. Doderer hatte Die Bresche kurz nach seiner Kriegsgefangenschaft (von 1916 bis 1920 in Sibirien) geschrieben. Im selben Kriegsgefangenenlager war auch Albrecht Reif. Mit ihm und anderen Männern hatte er erotische und (vermutlich auch) sexuelle Beziehungen.101 In seinem Tagebuch schrieb er in Erinnerung an diese Zeit  : „Warmes, stehendes Wasser in den Auen am Rande des Ussuri-Amur. Tänzer. Ich werfe ihn nieder. Reif als Eifersuchts-Maniake.“102 Doderer, der sich in jener Zeit von dem ebenfalls Kriegsgefangenen Felician Siegl angezogen fühlte, fragte sich 1922  : „[W]ie kam ich zu dem Erlebnis ,Felician‘ im Frühjahr 1919.“103 Eine dauerhaftere Beziehung mit Felician Siegl, über die Kriegsgefangenschaft hinaus, hatte Hans Eggenberger, mit dem Doderer bis zu dessen Tod befreundet war.104 In Das Geheimnis des Reichs sind die Romanfiguren René, Dorian und Jan von Heimito, Felician und Hans inspiriert.105   98 Heimito von Doderer  : Die Bresche. In  : Heimito von Doderer  : Frühe Prosa, S. 172.   99 Ebd. 100 Ebd., S. 173. 101 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 95. 102 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 396 (20.10.1933). 103 Ebd., S. 107. 104 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 105. 105 Vgl. Heimito von Doderer  : Das Geheimnis des Reichs. [1930] In  : Heimito von Doderer  : Frühe Prosa, S. 331–471.

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Wenn Doderer weniger – und weniger offen – über Beziehungen zu Männern schrieb, so ist dies wohl nicht auf Skrupel sogenannter moralischer Art zurückzuführen. Denn genau das warf er Robert Sherard, dem Autor von Das Leben Oscar Wildes, vor  : Gerard [richtig  : Sherard]106 ist ein wirklicher Freund Oscars  ; aber […] auch er entrüstet sich moralisch über dessen Perversion oder hält solche Entrüstung vor seinen eigenen Landsleuten […] für nötig – da ja sein Buch auf Engländer wirken soll. [Nach einer positiven Bewertung des Buchautors schreibt Doderer  :] Nur eben die angedeutete Unterwürfigkeit vor landläufigem Moral-Axiom machte mir den Mann mitunter ärgerlich. – Gerard muss O. W. sehr geschätzt und geliebt haben. – Die Lectüre ist – durch den Gegenstand – erschütternd, oft qualvoll.107

Der Grund, warum Doderer über Homosexualität allgemein (und seine eigene) selbst in seinen Tagebüchern mit so viel mehr Zurückhaltung schrieb als über andere Themen, die auch nicht den Gesellschaftsnormen entsprachen, könnte, wie Wolfgang Fleischer schreibt, eine Vorsichtsmaßnahme Doderers gewesen sein, da Homosexualität zu seinen Lebzeiten strafbar war.108 Das Rechtskomitee Lambda schreibt über die Strafbarkeit von Homosexualität in Österreich  : „Sexuelle Beziehungen zwischen Frauen und solche zwischen Männern waren in Österreich bis 1971 zur Gänze verboten. Die sog. ,Unzucht wider die Natur mit Personen desselben Geschlechts‘ wurde nach den §§ 129 und 130 des Strafgesetzes 1852 mit schwerem Kerker bis zu fünf Jahren bestraft.“109 In einem Tagebucheintrag von 1962 schreibt Doderer über seine „sexuellen Dispositionen und Praedilectionen“ und spielt damit vermutlich auf seine Homosexualität an (auch wenn es sich nicht darauf beschränken muss), denn mit seiner Kritik, dass man Homosexualität gesetzlich verhindern will, schließt er seine Ausführungen  :

106 Doderer irrt sich in der Schreibweise des Namens. The Life of Oscar Wilde von Robert Har­ borough Sherard erschien 1906 in London bei T. Werner Laurie  ; die deutschsprachige Übersetzung, Das Leben Oscar Wildes, 1908 in Wien und Leipzig im Wiener Verlag. 107 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 161 (Ende Nov. 1923). 108 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 61. 109 Rechtskomitee Lambda. Vereinigung zur Wahrung der Rechte gleichgeschlechtlich l(i)ebender Frauen und Männer  ; http  ://www.rklambda.at/Alles/index.htm.

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Meine sexuellen Dispositionen und Praedilectionen erkenne ich schon in der Kindheit, und so wird es sich wohl bei jedem verhalten, der sich überhaupt zu erinnern vermag  ; jene sind im Grunde die gleichen geblieben  ; sie haben sich nicht verändert, sie wurden nur reich variiert. Wer gegen solche Dispositionen angeht, ist ein Narr. Unsere Gesetze sind insoferne verbrecherisch, als sie zum Beispiel einen Homo­ sexuellen zu dieser Narretei zwingen wollen. Warum und aus welcher wesentlichen Wertsetzung, ist in keiner Weise zu erkennen.110

4. Kriegsgefangener von 1916 bis 1920 Im Juli 1914 hatte Doderer die Matura bestanden, er studierte ein Semester an der juridischen Fakultät und rückte Mitte April 1915 in der Breitenseer Kaserne als „Einjährig-Freiwilliger“ ein.111 Vom 28. April 1915 bis zu seiner Einrückung war er in der Breitenseer Straße 84 im 14. Bezirk von Wien gemeldet.112 Während der Militärdienst generell drei Jahre dauerte, stand Maturanten die Möglichkeit offen, die auf ein Jahr beschränkte Offiziersausbildung zu absolvieren. Im Sommer 1915 kam Doderer nach Holics/Holíč an der ungarisch-mährischen Grenze zur Ausbildung als Reserveoffizier. Dort traf er auf Ernst Pentlarz, über den er seine erste Ehefrau Gusti Hasterlik kennenlernen sollte.113 Anfang 1916 kam er mit dem 57. Infanterieregiment nach Galizien. Mit Kampfhandlungen wurde Doderer kaum konfrontiert, was er als „Schlacht von Olesza“ bezeichnete, war vielmehr eine am 12. Juli 1916 von der russischen Armee überrannte Stellung.114 Auf diesen Tag reduziert sich die „Schlacht“ auch in den Romanen und Tagebüchern Doderers  :115 Ein vorderster Graben in Ostgalizien 1916, Dunkelheit, Leuchtraketen, Gewehrfeuer. Eine Tragbahre wird über den Graben nach rückwärts hochschwankend weg ge110 Heimito von Doderer  : Commentarii 1957 bis 1966, S. 328 (28.5.1962). 111 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 68–71. 112 Vgl. WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. 113 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 74–76. (Zu Ernst Pentlarz siehe weiter unten  : Erinnerung und Verdrängung  : „die nichtjüdischen jüdischen“ Freunde Doderers  : Gemeinsame Freunde von Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer, S. 197–199.) 114 Ebd., S. 77–81. 115 Vgl. z. B. Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, S. 197 (5.3.1953), S. 359 (30.10.1954) u. S. 388 (4.1.1955).

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bracht [sic]. Einer liegt drauf, den’s am Bein erwischt hat  ; er winkt und lacht. Ein Einjähriger namens Benesch.116

Doderer hatte nach eigenen Angaben im 1. Weltkrieg die Kriegsbegeisterung noch geteilt, denn 1923 distanzierte er sich von seinen (wohl nicht mehr exis­ tierenden) Tagebucheintragungen aus der Kriegszeit.117 In seinem Werk, seinen Tagebüchern von 1920 bis 1966 und unveröffentlichten Texten finden sich hingegen keine Spuren von Kriegsbegeisterung. Doch dürfte er den Pazifismus abgelehnt haben, zumindest wird in seinem antisemitisch geprägten Romanprojekt der 1930er-Jahre (unter dem Arbeitstitel „Die Dämonen der Ostmark“) die pazifistische Haltung von jüdischen Romanfiguren eingenommen, von den nichtjüdischen Figuren aber abgelehnt.118 In den Dämonen beginnt René von Stangeler, nachdem er dazu aufgefordert wurde, mit der Schilderung einer Schlacht, doch bemerkt er sofort, dass ihm das unmöglich ist. Er beschreibt stattdessen seine damalige Wahrnehmung, nämlich „während des Galopps über eine sanftgeneigte Wiese hinab, und vorbei an einer Art ganz kleinem Brunnenhäuslein, nur ein winziges Dächlein, darunter der blinkende Faden Wassers hervorsickerte, ein Dächlein über dem zu ahnenden kühlen und schattigen Ursprung …“119 Im Romanfragment Der Grenzwald muss Heinrich Zienhammer im 1. Weltkrieg einrücken. Er wird nicht direkt an die Front, sondern zur Überwachung einer Brücke geschickt. Eines Tages sieht er, wie sich seine Leute auf der anderen Seite der Brücke russischen Soldaten ergeben. Schließlich kommt auch ein russischer Offizier auf ihn zu  : Der feindliche Offizier trat auf Zienhammer zu, nahm Haltung an, salutierte und sagte „Cherr Oberlieutenant, ich muß Sie um Ihren Dägen bitten, Sie sind kriegsgefangen.“ Zienhammer gab ihm auch die Pistole. Der Russe bot mit höflicher Verbeugung sein aufgeklapptes Zigaretten-Etui. Und das war alles.120 116 Ebd., S. 279 (15.3.1954). 117 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 132 (18.7.1923). 118 Vgl. Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“ [zu „Die Dämonen der Ostmark“, Kapitel 9–13], Ser. n. 14.239 d. ÖNB, S. 338–340. 119 Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 221. Dieselbe Begebenheit erzählt René Stangeler in  : Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege, S. 321. 120 Heimito von Doderer  : Der Grenzwald. Roman. [1967] München 1995, S. 77.

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Die Zeit des 1. Weltkriegs kommt zwar wiederholt in Doderers Romanen und Erzählungen vor, doch geht es dabei nicht um Schlachten, sondern meist um Kriegsgefangenschaft, wie etwa in den vermutlich zwischen 1917 und 1920 verfassten Erzählungen, die in dem Band Die sibirische Klarheit. Texte aus der Gefangenschaft 121 zusammengefasst wurden, dem 1930 veröffentlichten Roman Das Geheimnis des Reichs und dem Romanfragment Der Grenzwald. Doderer selbst war von Juli 1916 bis Juni oder Juli 1920 in verschiedenen sibirischen Kriegsgefangenenlagern  : zunächst in Krasnaja Rjetschka bei Chabarowsk, ab 1918 in Nowo-Nikolajewsk (heute Novosibirsk) und von 1919 bis 1920 in Krasnojarsk.122 Das Leben dort beschrieb er rückblickend als eine „Insel der Seligen“, ein „Elysium“123 und als entscheidenden Wendepunkt seiner Existenz.124 Denn in den Lagern, in denen die kriegsgefangenen Offiziere unter anderem Vorlesungen, Theateraufführungen, Lesungen und Konzerte organisierten, begann Doderer regelmäßig zu schreiben.125 Doch blendet Doderer Krankheit und Tod aufgrund der schlechten Lebensbedingungen in den Kriegsgefangenenlagern nicht aus, und in Der Grenzwald geht es auch um die Erschießungen von meuternden russischen Rekruten und kriegsgefangenen ungarischen Offizieren durch Angehörige der Tschechischen Legion.126

5. Rückkehr nach Wien Im August 1920 kehrte Doderer nach Wien zurück,127 er studierte Geschichte und als Zweitfach Psychologie und schloss 1923 nach sechs Semestern sein Studium ab, da ihm sein Universitätssemester aus dem Jahr 1914 und ein Se-

121 Vgl. Martin Loew-Cadonna  : „Nachwort“. In  : Heimito von Doderer  : Die sibirische Klarheit. Texte aus der Gefangenschaft. Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler u. Martin Loew-Cadonna. 2. Aufl., München 1992, S. 129–159, hier S. 145. 122 Ebd., S. 136, 138, 140 u. 142. 123 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 331 (11.6.1945). 124 Vgl. Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, S. 203 (11.4.1953) u. S. 216 (14.6.1953). 125 Über Doderers Kriegsgefangenschaft in Sibirien vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 82–111, u. Martin Loew-Cadonna  : „Nachwort“. In  : Heimito von Doderer  : Die sibirische Klarheit, S. 129–159. 126 Vgl. Heimito von Doderer  : Der Grenzwald, S. 166f. u. 173. 127 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 116, u. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 8 (12.11.1920).

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mester für die Kriegsjahre angerechnet worden waren.128 Am 6. Juni 1923 bestand er die Aufnahmeprüfung für das renommierte Institut für Österreichische Geschichtsforschung. Die damit verbundene zweijährige Ausbildung brach er aber nach vier Monaten ab. Es heißt, dass er das Institut verlassen musste, weil er mit einem als ungebührlich erachteten Damenbesuch gegen die Institutsregeln verstoßen habe.129 Stattdessen widmete er sich seiner Doktor­arbeit „Zur bürgerlichen Geschichtsschreibung in Wien während des 15. Jahrhunderts“, die er am 22. Juli 1925 erfolgreich verteidigte.130 1923 veröffentlichte Doderer im Verlag von Rolf Haybach, einem Freund aus der Kriegsgefangenschaft, den Gedichtband Gassen und Landschaft. 1924 erschien sein erster Roman Die Bresche, für den er schon 1921 einen Verlag gesucht hatte.131 Zwischen 1924 und 1926 schrieb Doderer sechs „Divertimenti“ (kurze Erzählungen), von denen er zumindest zwei bei öffentlichen Lesungen vortrug. Diese Divertimenti wurden größtenteils posthum veröffentlicht.132 Die Journalisten Richard Goetz133 und Paul Elbogen (letzteren hatte Dode­ rer über Ernst Pentlarz kennengelernt)134 halfen Doderer, Beiträge im Feuilletonteil von Tageszeitungen zu veröffentlichen. Doch war sein Verdienst gering, und er blieb daher finanziell abhängig von seinen Eltern. In seinem 1956 erschienenen Roman Die Dämonen kritisierte er die Welt der Presse als von Vetternwirtschaft und Korruption geprägt. In seinem ursprünglichen Romanprojekt der 1930er-Jahre „Die Dämonen der Ostmark“ war es ihm noch vor allem um eine Kritik an der „jüdischen Presse“ gegangen.135 Die ersten 128 Vgl. Wolfgang Fleischer, ebd., S. 152 u. Wendelin Schmidt-Dengler  : „Scylla und Charybdis. Der junge Doderer zwischen Journalismus und Fachwissenschaft“. In  : Österreichische Gesellschaft für Literatur (Hg.)  : Heimito von Doderer 1896–1966. (Symposium anläßlich des 80. Geburtstages), S. 9–24, hier S. 9. 129 Vgl. Wolfgang Fleischer, ebd. 130 Ebd., S. 167. (Doderers Doktorarbeit kann an der Universität Wien eingesehen werden  : Zur bürgerlichen Geschichtsschreibung in Wien während des 15. Jahrhunderts. Dissertation „eingereicht durch Heimito Doderer“, 187 Seiten.) 131 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 51 (30.10.1921). 132 Heimito von Doderer  : „Divertimenti und Variationen“, in  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen. [I. Divertimenti und Variationen, II. Kurz- und Kürzestgeschichten, III. Erzählungen, 1972  ; IV. Meine neunzehn Lebensläufe, 1966] Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler. 3. erw. Aufl., München 1995, S. 9–153. Vgl. auch Wendelin Schmidt-Dengler  : „Nachwort des Herausgebers“ u. „Anmerkungen“, ebd., resp. S. 497–505 u. 507–512. 133 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 171. 134 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S.15 (Jan. 1921). 135 Über das Romanprojekt siehe weiter unten  : Die Dämonen der Ostmark, S. 214–275.

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antijüdischen Bemerkungen finden sich in Doderers erhaltenen Tagebüchern ab 1920, fast von Anfang an, auch wenn er anfänglich seine Vorurteile noch als solche erkannte. So war er sich 1921 bewusst, dass er die Namen jener, die ihm bei Veröffentlichungen von Artikeln behilflich sein konnten, deshalb ablehnte, weil es jüdische Namen waren. Ernst Pentlarz, Doderers Freund aus dem 1. Weltkrieg, hatte eine Verbindung zu seinem Freund, dem Journalisten Paul Elbogen, hergestellt und dieser wiederum den Kontakt zu einem Redakteur namens Ludwig Hirschfeld. Doderer sollte sich dabei auf einen gewissen Herrn Wolff berufen, obwohl er diesen nicht kannte  : Pentl[arz] vermittelte mir durch einen Herrn Paul Ellbogen [sic] (von dem noch die Rede sein wird) eine Empfehlung an ihn [Ludwig Hirschfeld]. Mir war nicht recht angenehm zu Mut, ich hatte diesen Besuch auch schon ein paar Tage hinausgeschoben – irgend etwas in mir sträubte sich doch sehr voreingenommen dagegen … Herr Ellbogen … Herr Hirschfeld … Herr Wolff …136

Doderer veröffentlichte an die hundert Beiträge in den Zeitungen Der Tag, Der Abend und das Neue Wiener Extrablatt, die meisten davon zwischen 1927 und 1931. Seine erste Veröffentlichung, „Das russische Land“, erschien 1920, allerdings unter dem Namen Albrecht Reifs  ; fünf weitere Feuilletons wurden 1921 veröffentlicht. Doderer lehnte den Journalismus ab, der für ihn nur eine Verdienstmöglichkeit bedeutete, und bezeichnete den Journalismus und die Wissenschaften – darunter auch sein Universitätsstudium Geschichte – als „Scylla und Charybdis“ des Schriftstellers.137 Als Doderer 1932 daran dachte, Wien zu verlassen, um sich dauerhaft in Deutschland niederzulassen, schrieb er in sein Tagebuch  : „Was hab’ ich in Wien  ? Kaum eine Redaktion, kaum einen Verleger mehr. Fast alles jüdisch und daher jetzt zergehend wie Eis in der Hand.“138 Dank der finanziellen Unterstützung seiner Mutter139 konnte er 1928 im Alter von 32 Jahren aus dem elterlichen Haus im 3. Bezirk ausziehen. Bis 1936 lebte er in häufig wechselnden Untermietzimmern, diese lagen fast alle in Döbling,140 das in den Dämonen als „Gartenvorstadt“141 Wiens bezeichnet 136 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 15f. (Jan. 1921). 137 Vgl. Wendelin Schmidt-Dengler  : „Scylla und Charybdis“. In  : Österreichische Gesellschaft für Literatur (Hg.)  : Heimito von Doderer 1896–1966, hier S. 10, 15–17 u. 22. 138 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 540 (29.9.1932). 139 Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 221. 140 Vgl. WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. 141 Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 7.

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wird. Doderers Freundeskreis aus seiner Döblinger Zeit findet sich in den Figuren der Dämonen wieder. In den Merowingern heißt eine kritisch gezeichnete, deutlich autobiografisch angelegte Romanfigur – Doderer wies in seinem Roman geradezu darauf hin – Dr. Döblinger.142 Die Döblinger Jahre und zum Teil der damalige Freundeskreis sind auch mit Doderers Annäherung an den Nationalsozialismus eng verbunden. Im Oktober 1928 zog er in die Döblinger Hauptstraße 3 und begann dort im Sommer 1929 mit seinem Romanprojekt „Dicke Damen“, dem er später den Arbeitstitel „Die Dämonen der Ostmark“ gab. Ab Oktober 1929 wohnte er in der Scheibengasse 1, wo er die „dicken Damen“, die sich auf seine Zeitungsannonce gemeldet hatten, empfing.143 1929 bildete sich der Freundeskreis, genannt „Döblinger Montmartre“, zu dem neben Doderer insbesondere sein Neffe Kurt Mayer, Otto Albert Dressel von Uyleveldt (kurz  : Otto Dressel), dessen Lebensgefährtin Pia von Hartungen, Fritz Feldner und das Paar Lotte Paumgarten und Béla Fáludi zählten.144 Als „Döblinger Montmartre“ und vor allem als „die Unsrigen“ prägt dieser Freundeskreis insbesondere die „Dämonen der Ostmark“, aber auch die Dämonen. Dort heißen die Romanfiguren  : Kurt Körger, Otto von Eulenfeld, Robert Höpfner (Fritz Feldner), Lotte von Schlaggenberg und Imre von Gyurkicz. Otto Dressel Uyleveldt ist vermutlich der erste von Doderers Freunden, der Mitglied der NSDAP wurde. Er trat ihr am 4. Juni 1932 bei,145 also noch bevor Hitler im Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde. In den „Dämonen der Ostmark“ (ebenso in abgeschwächter Weise in den Dämonen) gibt es Hinweise, die den Schluss zulassen, in Otto von Eulenfeld und Kurt Körger Sympathisanten oder Mitglieder der NSDAP zu sehen, Gleiches gilt auch für die autobiografisch inspirierte Figur des Kajetan von Schlaggenberg.146 Am 28. Mai 1930 heirateten Heimito von Doderer und Auguste Hasterlik,147 doch lebten sie, abgesehen von zwei Wochen in der elterlichen Woh142 Heimito von Doderer  : Die Merowinger oder Die totale Familie. Roman. [1962] München 1995, z. B. S. 16, 123, 126, 160, 206 u. 305. 143 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 208. 144 Ebd., S. 211f. 145 Vgl. BArch (ehem. BDC), NSDAP-Mitgliederkartei, Dressel-Uyleveldt, Otto, geb. 19.1.1896. 146 Siehe weiter unten  : „Die Dämonen der Ostmark“, ein antisemitisches Romanprojekt  : Anspielungen und Unausgesprochenes im Roman, S. 238–240. 147 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 0503, 1936/03/27, „document – marriage certificate – Doderer – HA [Hasterlik, Auguste]“. („Eheschein“  : Abschrift auf Deutsch vom 28.10.1938.)

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nung Gusti Hasterliks, nicht zusammen. Doderer mietete weiterhin Zimmer in Döbling  : Am 7. Juni 1931 am Saarplatz 18, in einem Haus, in dem er schon kurz zuvor für Albert Paris Gütersloh eine Wohnung gefunden hatte. Dort und am Riegelhof in der Prein schrieb er von Mitte Juni bis Anfang September den Roman Ein Umweg  : die Geschichte eines Mannes, der zu Beginn vom Galgen gerettet und am Ende für ein anderes Verbrechen schließlich doch gehängt wird. Der notwendige Umweg als Schicksal ist immer wieder Thema in Doderers Romanen. Seine Bedeutung für diesen Roman erläuterte Wolfgang Fleischer  : „[D]es Todes gewiß, ist das Leben nur ein Umweg zu diesem, während dessen allerdings, meist ohne Wissen der Betroffenen, sich die Fata immer dichter verknüpfen, bis zur endgültigen Unausweichlichkeit der Vorausbestimmungen […].“148 Seit Anfang Juni 1931 wohnte Doderer am Saarplatz Nr. 18. Kurz darauf zog Otto Dressel zu ihm, den Doderer, nach eigenen Angaben, 1928 in der Wohnung der Familie Hasterlik kennengelernt hatte.149 Wolfgang Fleischer hält diese Bekanntschaft über die Familie Hasterlik zwar für unwahrscheinlich,150 da Otto Dressel aber in Briefen an Mia und Gusti Hasterlik erwähnt wird, ist es durchaus glaubwürdig, dass die erste Begegnung tatsächlich im Kreise der Familie Hasterlik stattfand.151 Nach Otto Dressel zog auch Doderers Neffe Kurt Mayer in die Wohnung. Als Doderers Mietvertrag gekündigt wurde, machte er dafür seine beiden Freunde verantwortlich.152 Das erklärt vermutlich zumindest teilweise das negative Bild der beiden, insbesondere seines Neffen Kurt Mayer, Modell für Kurt Körger in den „Dämonen der Ostmark“ und den Dämonen. Von Februar bis Mai 1932 lebte Doderer im 9. Bezirk am Althanplatz 6 als Untermieter von Mary Kornfeld (Modell der Mary K. in der Strudlhofstiege), mit der er eine kurze Affäre hatte153 und die eine Bekannte der Familie Hasterlik war. Sie war jüdischer Herkunft und fand nach dem Anschluss Zuflucht in den USA. Mary Kornfeld wird in mehreren Briefen der Familie Hasterlik erwähnt.154 Nach 148 Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 221f., Zit. S. 222. 149 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 944 (11.3.1937). 150 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 210. 151 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 4041, 1947/10/04, Brief von Neubauer, Erika an HA [Hasterlik, Auguste]  ; item 4402, 1948/07/01 und item 1147, 1948/09/06, Briefe von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria]. 152 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 221 u. 223. 153 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 536 (20.9.1932) u. 538 (24.9.1932). 154 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3362,

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einem längeren Aufenthalt am Riegelhof in der Prein zog Doderer im Oktober 1932 wieder in den 19. Bezirk, zuerst in die Hardtgasse 34 und knapp zwei Monate später für zwei Jahre in das große Atelier (de facto zwei Wohnungen) von Béla Fáludi in der Obkirchergasse 45.155 Als dieser heiratete, lebte Doderer vom Jahreswechsel 1934/1935 bis 1936 als Untermieter in der Wohnung der Maler Greta Freist (1904 Weikersdorf/NÖ – 1993 Paris) und Gottfried Goebel (1906 Wien – 1975 Paris).156 Die beiden waren überzeugte Antifaschisten und emigrierten 1936 nach Frankreich, wo Goebel, nach Angaben der Zeitschrift Plan, 1944 von der Gestapo nach Deutschland verschleppt wurde.157 Doderer zog 1936 nach Deutschland, nach Dachau bei München.158

1936/12/18  ; item 3117, 1939/01/03  ; item 3588, 1940/04/19, Briefe von Hasterlik, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]  ; item 3442,1940/10/08, Brief von HA an HM [Hasterlik, Maria]  ; item 5038, 1945/08/22  ? [genaues Datum unbekannt, von Giulia Hine nachdatiert], Brief von HA an Kalmus, Ernst. 155 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 229, u. WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. 156 Vgl. Wolfgang Fleischer, ebd., S. 243. 157 „Kurzbiographien und Kommentare“. In  : Otto Basil (Hg.)  : Plan. Literatur/Kunst/Kultur (Wien), I. Jg, H. 1 bis 12, Oktober 1945 bis Jänner 1947. Reprint. Vaduz/Liechtenstein 1979, S. 80. 158 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 223f., 226f., 229 u. 241–244.

II. Antisemitismus und Nationalsozialismus

1. Auguste (Gusti) Hasterlik Auguste Hasterlik, Doderers Freundin (ab 1921) und spätere Frau, spielte eine große Rolle in seinem Leben und als Figur in seinen Romanen. Dieses Kapitel mit ihr zu beginnen erscheint deshalb sinnvoll, weil in Doderers Einstellung ihr gegenüber die Entwicklung seines Antisemitismus von den 1920er- bis in die 1930er-Jahre hinein gut nachvollzogen werden kann. Über die Zeit vor 1920 ist diesbezüglich nichts bekannt, da seine Tagebücher erst ab 1920/1921 erhalten sind. Das sollte freilich nicht zur unreflektierten Behauptung führen, Doderer sei letztlich seiner Frau wegen zum Antisemiten geworden. Dies entspricht im Übrigen auch nicht Doderers eigenen Überlegungen zu seinem Antisemitismus im Jahr 1952, den er vielmehr schon im Umfeld seiner Kindheit verortete. Er selbst sah seine Beziehungsprobleme mit Auguste Hasterlik wohl zu Recht im „Kampf der Geschlechter“ und seiner „Unterlegenheit“ darin,159 die auch als mangelndes Selbstvertrauen verstanden werden kann. Auguste (Gusti) Leopoldine Hasterlik wurde am 24. Juli 1896 in Wien geboren. Ihre Eltern waren jüdischer Herkunft, beide konvertierten zum Katholizismus, ihre beiden Töchter Gusti und Maria, genannt Mia, am 16. Mai 1900 in Wien geboren, ließen sie bei der Geburt taufen, Gusti am 8. August 1896160 und Mia am 3. Juni 1900.161 Ihr Vater, Paul Hasterlik (1866–1944), war von 1895 bis 1923 Arzt bei der Gemeinde Wien und hatte von 1896 bis 1934 eine Privatpraxis als Zahnarzt.162 Ihre Mutter, Maria Felicitas Regenstreif, genannt Irma (1870–1938), war, obwohl zur Klaviervirtuosin ausgebildet, nicht berufstätig. 159 Vgl. Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, S. 117f. (3.4.1952). (Dieser Tagebucheintrag wurde weiter oben zitiert  : Herkunft und Jugend  : Doderer  : „Ur-Wiener“ oder Deutscher  ?, S. 31.) 160 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3904, 1896/07/24, „birth/baptism certificate – (HA)“ u. item 8229 – 0009, 0010, 0011, 0012, 0013  ; 1938/07/13, „Document – Inventory of Jewish [a]ssets“. 161 „Kirchliche Vermerke  :“ Hasterlik, Maria, r.-k. getauft am 3.6.1900. (Pfarramt Dornbach, 1900/55/44, Geburtsurkunde, Hasterlik, Maria, geb. 16.5.1900.) 162 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5655, 1928/09/29, „Document – Passport Hasterlik, Paul“ und item 0693, 1939/05/19, „Curriculum Vitae, Paul Hasterlik“.

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Heimito von Doderer – Leben

Leben und Werk Doderers sind stark von seiner Beziehung zu Gusti Hasterlik geprägt, weit über ihre Trennung hinaus. Die Beziehung begann an Gustis 25. Geburtstag im Juli 1921 und endete im November 1932. Jahre, selbst noch Jahrzehnte nach ihrer Trennung, so zeigen zahlreiche Einträge in Doderers Tagebüchern, fühlte er sich von ihr angezogen und abgestoßen, hasste und liebte sie, versuchte er das Scheitern dieser Beziehung zu verstehen. Auch 22 Jahre nach ihrer Trennung dachte er noch an sie, wenn auch, wie in dem folgenden Tagebucheintrag von 1954, ohne Nennung ihres Namens. Doch die Erwähnungen der „Wickenburg“ (gemeint ist damit die Wickenburggasse), wo Gusti Hasterlik in der elterlichen Wohnung (bis 1938) gelebt hatte und Doderer häufig zu Gast war, und von „Dornbach“, ihrem Geburtsort, wo sie, bevor die Familie in die Wickenburggasse zog, als Kind gelebt hatte, verweisen überdeutlich auf sie, als Doderer schrieb  : „Da ist die Wickenburg und Dornbach, tief im Kriege, das Gehn auf Deinen Spuren, das Sitzen im Walde.“163 Am 6. November 1966 kam Doderer ins Krankenhaus Rudolfinerhaus in Döbling im 19. Bezirk von Wien.164 Er erinnerte sich an die Zeit, als er in diesem Bezirk in der Pfarrwiesengasse (von Ende Oktober 1930, dem Jahr seiner Hochzeit mit Gusti Hasterlik, bis Juni 1931) gewohnt und an dem Roman „DD“ (Abkürzung für „Dicke Damen“, später für „Die Dämonen“) gearbeitet hatte. Etwa zwei Wochen vor seinem Tod dachte er vermutlich an Gusti Has­ terlik (und nicht an Albert Paris Gütersloh, auf den sich zwar die folgende Abkürzung „G.“ theoretisch auch beziehen könnte, weniger aber das Inhaltliche), als er wohl über die Unmöglichkeit ihrer Beziehung schrieb  : „Pfarrwiesengasse, DD I, ich ging durch den Saarpark spazieren, und ich vermeinte wohl – als wir die Silbergasse hinaufgingen – ich könnte es mit G. machen, was niemals und zu keiner Zeit möglich gewesen wäre.“165 Heimito von Doderer hatte Gusti Hasterlik über den gemeinsamen Freund Ernst Pentlarz kennengelernt. Wolfgang Fleischer hält es für wahrscheinlich, dass ihre erste Begegnung erst 1921 stattfand.166 Doch ein Tagebucheintrag Doderers weist auf das Jahr 1916 hin  : Porzellangasse Pentlarz [Ernst Pentlarz wohnte in der Porzellangasse] / Sievering 1916 Olesza (Schlacht) vielleicht 8 Tage später. Dass sie mir in Sievering 1916 begeg163 Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, S. 319 (12.7.1954). 164 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 532. 165 Heimito von Doderer  : Commentarii 1957 bis 1966, S. 529 (8.12.1966). 166 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 79f.

Antisemitismus und Nationalsozialismus

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nete, erscheint eben trotz allem in die Richtung einer grösseren Bedeutung dieser ganzen Sache von Anbeginn zu weisen.

Das „sie“ in Verbindung mit Ernst Pentlarz könnte sich auf Gusti Hasterlik beziehen. Auch in der Strudlhofstiege167 treffen die von Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer inspirierten Romanfiguren Grete Siebenschein und René von Stangeler einander bereits im Jahr 1916. Doch die erste entscheidende Begegnung fand jedenfalls bei einem Ausflug zu dritt am Tag von Gusti Hasterliks 25. Geburtstag am 24. Juli 1921 statt.168 Gusti Hasterlik hatte zu diesem Zeitpunkt noch eine, was sie betraf, lockere Beziehung mit Pentlarz  : Sie war erst im Juni 1921 aus Norwegen nach Wien zurückgekehrt, wo sie eine Beziehung mit dem Norweger Rolf Bergh gehabt hatte. Nach ihrer Rückkehr bemühte sie sich erfolglos, ihre Beziehung, die sie vor ihrer Abreise mit dem österreichischen Komponisten Franz Schmidt gehabt hatte, fortzusetzen.169 Schon am Tag nach dem Ausflug setzte sich Gusti mit Heimito in Verbindung, und sie verbrachten ihre erste gemeinsame Nacht.170 In der Strudlhofstiege beschrieb Doderer Jahrzehnte später seine romanhafte Sichtweise dieser Freundschaft und ihren Bruch  : Ernst Pentlarz, Gusti Has­ terlik und Heimito von Doderer standen Modell für die Figuren des „kleinen E. P.“, Grete Siebenschein und René von Stangeler. Was aber Doderer in der Strudlhofstiege als „unsichtbare Mauern“ bezeichnete, die Tatsache nämlich, dass „der kleine E. P.“ und Grete Siebenschein sich nach ihrer Trennung nie trafen, nicht einmal zufällig, obwohl sie nicht weit entfernt voneinander

167 Vgl. Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege, S. 342. 168 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 627 (10.7.1934). 169 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3884, 1921/06/  ?  ? [genaues Datum unbekannt], Brief von Stome, Nanne aus Norwegen an HA [Has­ terlik, Auguste] in Wien. Im Mai war Gusti Hasterlik noch in Norwegen, wie aus einem Brief ihres Vaters an sie hervorgeht (Ebd., item 1471, 1921/05/24, Brief von Hasterlik, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]). Die Originale der Briefe von Franz Schmidt an Gusti Hasterlik liegen in der ÖNB auf, die englische Übersetzung ist auf der Website der Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, unter „Schmidt, Franz“ nachzulesen. 170 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 55 (29.12.1921) u. S. 139 (25.7.1923). Lutz-Werner Wolffs Darstellung – „Doderer spannte seinem Offizierskameraden [Ernst Pentlarz] die Frau aus“ – trifft es nicht, da sie weder Gusti Hasterliks Eigeninitiative noch die Tatsache berücksichtigt, dass eine (auf Gegenseitigkeit beruhende) Liebesbeziehung zwischen ihr und Ernst Pentlarz zu diesem Zeitpunkt nicht existierte. Vgl. Lutz-Werner Wolff  : Heimito von Doderer. Reinbek/Hamburg 1996, S. 25.

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wohnten,171 bezog sich auch auf Doderer selbst. Im April 1935, mehr als zwei Jahre nach dem Bruch mit Gusti Hasterlik, stellte er fest  : … obwohl alle Vorbedingungen gegeben waren, da wir vielfach in der Stadt die gleichen Wege haben, und aus der Stadt die gleiche Strassenbahnlinie benutzen, […] dass also meine Frau und ich seit unserer Trennung, also seit dem November 1932, uns trotzdem niemals begegnet sind  : „unsichtbare Mauern“, wie Scolander [das ist Gütersloh] darauf bezüglich sagte.172

Gusti Hasterlik und Ernst Pentlarz nahmen später, zumindest brieflich, den Kontakt wieder auf. Pentlarz lebte damals schon in Brünn/Brno. Seine nach wie vor starken Gefühle für Gusti Hasterlik versuchte er dabei nicht zu verbergen.173 Diese muss ihm über Vorwürfe ihrer Mutter Irma wegen ihrer Ehe mit Doderer geschrieben haben, denn Ernst Pentlarz reagierte  : „Soll lieber Mama mich verfluchen, daß ich zwei mir nahestehende Menschen mit einander [sic] bekanntmachte und somit Schuld daran habe, daß Dir das alles widerfahren ist.“174 Heimito von Doderer und Gusti Hasterlik heirateten am 28. Mai 1930 standesamtlich und ließen sich am 25. November 1938 (und somit erst sechs Jahre nach ihrer Trennung) scheiden. Die Scheidungsklage hatte Gusti Hasterlik eingereicht. Der Entschluss dazu stand mindestens schon seit Mai 1938 fest und ist im Zusammenhang mit dem Anschluss und ihren Bemühungen, in die USA zu emigrieren zu sehen. Die Scheidungsurkunde wurde ihr von ihrem Rechtsanwalt im Januar 1939 bereits nach New York nachgeschickt.175 Unter der Trennung im November 1932, die sich als endgültige herausstellen sollte, litt Doderer auch noch 1934  : „… nach zweijähriger, durch die Art ihres Vollzuges nie mehr gutzumachender, Trennung von meiner Frau die 171 Vgl. Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege, S. 346. 172 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 704 (April 1935). 173 Pentlarz’ erster Brief in der Hine Collection ist aus dem Jahr 1935. (Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3655, 1935/08/27, Brief von Pentlarz, Ernst an HA [Hasterlik, Auguste].) 174 Ebd., item 3389, 1936/09/25, Brief von Pentlarz, Ernst an HA [Hasterlik, Auguste]. 175 Ebd., item 3576, 1938/05/23, Brief von Carnap, Ina an Hasterlik, Sam  ; item 1703, 1939/01/16, Brief von Meinhart, Hugo an HA [Hasterlik, Auguste]. Vgl. auch item 1599, 1938/12/28, „Document – divorce decree Doderer/Gusti“ („Im Namen des deutschen Volkes  !“ – Faksimile auf Deutsch mit Datum vom 25.11.1938 [Tag der Verhandlung], Stempel vom 28.12.1938 und Stempel „Diese Ausfertigung ist vollstreckbar […] am 16. Jan. 1939“).

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noch immer ungebrochene Kraft der Neigung zu jener mit Schrecken erkennend – eine innere Blutung, die sich nicht mehr will stillen lassen […].“176 Auf welche Art der Trennung Doderer anspielt, ist nicht bekannt. Die Beziehung der beiden war von zahlreichen, heftigen Konflikten geprägt, gefolgt von Trennungen und Versöhnungen. Einer der Gründe dafür war die Unsicherheit einer gemeinsamen Zukunft. Doderer fühlte sich von seiner Freundin und besonders ihren Eltern unter Druck gesetzt zu heiraten und daher eine Anstellung suchen zu müssen, während er ausschließlich als Schriftsteller arbeiten wollte  ; außerdem war er selbst noch finanziell auf seine Eltern angewiesen. Gusti Hasterlik gab zwar Klavierunterricht, half in der Zahnarztpraxis ihres Vaters aus und arbeitete kurz als Sekretärin, doch auch sie blieb finanziell von ihren Eltern abhängig. Im Sommer 1926 hatte das Paar eine schwere Beziehungskrise. Gusti Has­ terlik schrieb aus Italien Briefe an Heimito von Doderer, in denen ihre Verzweiflung deutlich wird. Sie spricht darin ihren schlechten psychischen und physischen Zustand an und die Unmöglichkeit, die Beziehung in dieser Form weiterzuführen, aber auch die mangelnde Kraft, sie zu beenden. Sie warf Doderer seine Unbeständigkeit ihr gegenüber vor, seine Art, die Beziehung auf das Sexuelle zu reduzieren, seine Aggressivität und seine fehlende Diskussionsbereitschaft ihr gegenüber, zudem fühlte sie sich von ihm vernachlässigt. Sie erwartete von ihm Aufrichtigkeit, er dagegen litt unter ihrer Offenheit.177 In seinem Tagebuch erkannte Doderer später selbstkritisch seine pedantische und nachtragende Art an und fand die Kritik seiner Freundin teilweise gerechtfertigt  : „Diese Vernachlässigungen Gusti’s waren horrend.“178 Schon 1924 ging er in seinem Tagebuch auf ihre Beziehungskonflikte ein und fügte in Klammern hinzu  : „Es ist nicht lange her, dass meine Freundin bemerkte ,ich sei tiefgehend in der Erkenntnis meiner Mängel und dann von leidenschaftlichem Abscheu erfüllt – indessen fehle mir die Stetigkeit der Bekämpfung‘.“179 Warum Heimito von Doderer und Gusti Hasterlik nach fast neun Jahren ihrer bewegten Beziehung im Mai 1930 letztlich doch heirateten, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen.180 Möglich wäre, dass Doderer ein Ehever-

176 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 648f. (Nov. 1934). 177 Vgl. die Briefe von Gusti Hasterlik an Doderer vom 16.4.1926, 21.4.1926 u. 30.4.1926. („Gusti I 1921–1926“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie). 178 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 463 (21.3.1932). 179 Ebd., S. 173 (Ende Jan. 1924). 180 Vgl. ebd., S. 388 (28.9.1931).

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sprechen gegeben hatte, nachdem er sie 1928 mit Syphilis angesteckt hatte. Doderer hatte am 11. Juli 1928 Symptome von Syphilis an sich festgestellt, die bei einer ärztlichen Untersuchung bestätigt wurden. Er warf Gusti Hasterlik vor, ihn angesteckt zu haben, obwohl er allein im Monat davor ungeschützten Geschlechtsverkehr mit fünf Frauen notiert hatte. Gusti Hasterlik wies seinen Vorwurf in einem Brief an ihn, ebenso wie in ihrem Tagebuch, das sie 1928 führte, zurück.181 Während seine Infektion rasch geheilt werden konnte, erkrankte Gusti Hasterlik schwer, musste ins Krankenhaus und dürfte nicht mehr vollständig davon genesen sein. Nach einer fünfmonatigen Trennung nahmen sie ihre Beziehung im November 1928 wieder auf.182 Zeugen der standesamtlichen Trauung waren Ernst von Scharmitzer, ein Freund von Doderer, und Walter Störk, ein Freund der Familie Hasterlik.183 Näheres ist nicht bekannt  : Wolfgang Fleischer schreibt, dass bei der Hochzeit keine Gäste waren,184 auch die beiden Nichten von Gusti Hasterlik, Suzanne Wolff geb. Weiss185 und Giulia Hine geb. Koritschoner, sind sich nicht sicher, glauben allerdings sich erinnern zu können, an der Hochzeit teilgenommen zu haben  ; die Nichten waren zu dem Zeitpunkt neun und vier Jahre alt. Kurz vor der standesamtlichen Trauung trat Heimito von Doderer aus der evangelischen und Gusti Hasterlik aus der katholischen Kirche aus. Standesamtlich zu heiraten war in Österreich bis 1938/1939 unüblich und schwierig. Diese sogenannten Notziviltrauungen waren nur für Paare möglich, wenn beide ohne Bekenntnis waren. Im Allgemeinen trat einer der Partner zur Religion des anderen über, um heiraten zu können.186 Wenige Monate vor ihrer Trennung im November verbrachten sie noch im Sommer 1932 eine gemeinsame Zeit auf dem Doderer’schen Riegelhof in der

181 Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 195f., u. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3779 – 07/17 g, 1928/07/17, diary – HA [Hasterlik, Auguste] (in deutscher Originalfassung). 182 Vgl. Wolfgang Fleischer, ebd., S. 202f. 183 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 0503, 1936/03/27, „document – marriage certificate – Doderer – HA“ [Hasterlik, Auguste]. („Eheschein“  : Abschrift auf Deutsch vom 28.10.1938.) 184 Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 216. 185 Suzanne Wolff geb. Weiss im Gespräch mit Dr. Herbert Kleinlercher in Kitzbühel am 1.11.2004. 186 Ich danke Herrn Mag. Andreas Lotz, dem Leiter des Matrikenreferats, von der Erzdiözese Wien für diesen Hinweis.

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Prein.187 Gusti Hasterlik behielt auch nach ihrer Scheidung 1938 den Familiennamen „von Doderer“ bei188 bis zu ihrer zweiten Hochzeit am 27. Januar 1949 in den USA mit Ernst Kalmus, einem Exil-Österreicher.189

2. Doderers Antisemitismus am Beispiel von Gusti Hasterlik Antisemitische Vorurteile hatte Doderer schon bevor er Gusti Hasterlik kannte und sie betrafen auch nicht sie allein. Gegen sie waren allerdings besonders viele antisemitische Äußerungen gerichtet, wie sowohl seine Tagebucheintragungen als auch Briefe Gusti Hasterliks an Heimito von Doderer zeigen. Im folgenden Abschnitt soll aufgezeigt werden, wie sich Doderers Antisemitismus von den 1920er- bis zu den 1930er-Jahren verschärfte. Mitte der 1930er-Jahre erreichte dieser seinen Höhepunkt, später erscheint das Thema im Tagebuch kaum mehr. Doch selbst wenn Doderer rückblickend schrieb, er habe im Frühjahr 1937 mit dem Nationalsozialismus gebrochen, so bedeutete das jedenfalls nicht automatisch auch einen Bruch mit seinem Antisemitismus. So half er nach dem Anschluss 1938 der Familie Hasterlik, insbesondere dem bis zu seiner Deportation im Jahr 1942 in Wien zurückgebliebenen Vater von Gusti, Paul Hasterlik (ganz im Gegensatz zu anderen nichtjüdischen Freunden der Töchter), nicht. Außerdem finden sich noch vereinzelt antisemitisch geprägte Tagebucheintragungen, etwa im November 1938, nach dem Novemberpogrom („Reichskristallnacht“), 1942 über seinen ehemaligen Freund jüdischer Herkunft Ernst Pentlarz und 1944, das heißt zu einem Zeitpunkt, als einem Offizier der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion der Massenmord an Juden nicht mehr unbekannt sein konnte, seine Kritik an Juden (und Deutschen), deren Unfähigkeit zu „unbewusstem Denken“ betreffend. Die schon erwähnte Beziehungskrise zwischen Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer 1926 führte dazu, dass Doderer die Auswirkungen der 187 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3305, 1932/07/29 und item 3307, 1932/08/09, Briefe von Hasterlik, Paul an HA [Hasterlik, ­Auguste]  ; der erste Brief ist auch von ihrer Mutter Irma. 188 Auf Gusti Hasterliks Pass vom 2.9.1938 ist „Auguste Doderer“ angegeben  ; ihr „Certificate of Naturalization“ vom 15.1.1945 ist auf „von Doderer“ ausgestellt. (Vgl. ebd. item 5658, „Document – Passport HA“ und item 3907, 1945/01/15, „Document – naturalization“.) 189 Vgl. ebd., item 5722, 1949/01/27, „Document – marriage certificate Kalmus“ [HA u. Kalmus, Ernst] und Privatsammlung von Giulia Hine  : item 9075, 2003/07/23, Brief von Barbara Hass an Manhatten Project Heritage Preservation Association.

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wiederholten Konflikte auflistete  : Gusti sei dadurch verstärkt auf sich selbst konzentriert, misstraue ihm, sei verletzlich, hätte psychosomatische Probleme und eine erhöhte Erwartungshaltung ihm gegenüber. Der letzte Punkt auf der Liste lautete  : „6. Hochempfindliche Complexe  : / Sozial-Materielles. / Judentum etc. / Meine Familie, ihre Familie. / Meine geistige Welt und Atmosphäre – […] diesbezüglich herrscht völlige Übersättigung und Ablehnung  !“190 Doderers Tagebucheintragungen machen deutlich, wie das „Judentum“, wie er schrieb, ein derart brisantes Thema zwischen ihnen werden konnte. Er wollte, vermutlich auch wegen seiner antisemitisch gekoppelten sexuellen Wunschvorstellungen,191 in Gusti Hasterlik eine jüdische Frau sehen, während sie selbst sich nicht als Jüdin definierte. Obwohl ihm die Brisanz des Themas bekannt war, machte er bei Streitgesprächen bewusst antijüdische Aussagen, wissend, dass er sie damit verletzen konnte. Gusti reagierte etwa empört, als sie den Eindruck hatte, Heimito wolle sie wegen ihrer jüdischen Herkunft zu einer „Leopoldstädterin“192 machen, gemeint waren damit die Juden aus dem Osten. Im 2. Bezirk von Wien, in der Leopoldstadt, wohnten in den 1920er Jahren etwa 60.000 Juden, die somit knapp die Hälfte der Bewohner dieses Bezirks bildeten, der sich durch Vielfalt auszeichnete  : Es lebten dort assimilierte Juden, jüdische Kommunisten, Sozialisten, Zionisten und orthodoxe Juden. Während und unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg kamen etwa 25.000 jüdische Flüchtlinge nach Wien. Die Autorin und Filmschaffende Ruth Beckermann beschrieb deren Ankunft in Wien im Sammelband Mazzesinsel (als Bezeichnung für die Leopoldstadt)  : „[S]ie kamen elend, getrieben und in Massen, und sie kamen in eine arme, hungernde Stadt. […] Sie waren sichtbar und erkennbar Fremde  : leicht kenntlich in Kaftan und Hüten, deren ärmliches Aussehen das ästhetische Gefühl der Wiener Spießer verletzte.“193 Die Schilderung von Ernst Epler aus seiner Kindheit in Wien ist aufschlussreich für die Ablehnung, die Juden aus dem Osten erfuhren. Als Fünfjähriger lebte Ernst Epler zur Zeit des 1. Weltkriegs in der Leopoldstadt, als „ein polnischer Jude“ in seiner Nähe einzog, „ein langbärtiger Kaftan-Jud mit drei blas-

190 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 310 (26.7.1926). (Die Schrägstriche sind im Original Absätze.) 191 Siehe dazu im selben Kapitel weiter unten, S. 60–62. 192 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 106 (23.11.1922). 193 Ruth Beckermann  : „Die Mazzesinsel“. In  : Ruth Beckermann (Hg.)  : Die Mazzesinsel. Juden in der Wiener Leopoldstadt 1918–1938. Wien u. München 1984, S. 12f. u. 16f., Zit. S. 16.

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sen Buben, und alle hatten Schläfenlocken.“194 Gemeinsam mit anderen Kindern aus dem Bezirk beschimpften sie ihn und seine Kinder mit antijüdischen Sprüchen und warfen ihm die Fensterscheiben ein  : Nachher erzählte ich meiner Tante, welchen Spaß wir mit dem Juden gehabt hatten. Sie sah mich kopfschüttelnd an. „Wieso  ? Du bist doch selber ein Jud.“ Ich war tief getroffen – nicht deshalb, weil ich dem Juden die Fenster eingeworfen hatte, sondern weil ich auf irgendeine geheimnisvolle Weise ebenso verächtlich und lächerlich sein sollte wie er. Später tröstete ich mich halbwegs  : Ich war immerhin ein „Westjude“.195

Doderer schilderte im November 1922 seine Reaktion (von sich in der 1. und 3. Person schreibend), nachdem ihm Gusti Hasterlik von den finanziellen Problemen ihrer Schwester Mia und ihrem Schwager Ernst Weiss erzählt hatte  : Ich benutzte die Gelegenheit und hackte [sic] in dieser Weise ein  : „Schau, schau  ! wie temperamentvoll sie wird wenn von Geschäften die Rede ist  !“ Sie spürte den üblen Hintergrund dieses „Scherzes“ und reagierte bald darauf mit der Bemerkung, ich müßte mich endlich entscheiden ob ich sie für eine Leopoldstädterin ansehen wolle – und damit sagen, dass wir beide miteinander im Grunde nichts gemein haben könnten  ! – oder aber sie als mir zugehörig zu betrachten. Heimito spielte daraufhin sofort den Unschuldigen, ja beinahe den Gekränkten, mit Äusserungen wie „ich seh’ schon, dass ich mir keine Spässe mehr erlauben kann“ u. dgl. mehr – d. h. ich leugnete den giftigen Grund meines verdeckten Angriffes ebenso wie diesen selbst und stellte das Ganze als „harmlosen Scherz“ hin – was mir die Freundin aber keineswegs glaubte.196

Doderers antisemitische Entwicklung ist in seinen Tagebüchern gut nachvoll­ ziehbar  : Anfang der 1920er-Jahre folgt auf antisemitische Aussprüche noch meist Selbstkritik, in späteren Jahren nicht mehr. Als Gusti Hasterlik vom Essayisten und Satiriker Anton Kuh,197 von dessen Esprit und Humor schwärmte,

194 Ernst Epler  : „Du bist ein Jud…“. In  : Ruth Beckermann (Hg.)  : Die Mazzesinsel, S. 74. 195 Ebd. 196 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 106 (23.11.1922). 197 Anton Kuh floh im März 1938 zunächst von Wien nach Prag, später in die USA. (Vgl. ­Siglinde Bolbecher u. Konstantin Kaiser  : Lexikon der österreichischen Exilliteratur. Wien 2000, S. 414f.)

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nachdem er bei der Familie Hasterlik zu Gast gewesen war – ­Doderer bezeichnete sich selbst Kuh gegenüber „litterarisch eifersüchtig“ –, reagierte Doderer verärgert  : Ich beschuldige G. [Gusti] ganz sachlich eines „jüdischen Intellectualismusses“, gebe mich ziemlich grossartig als Spiritualist und lege G. in die „unterste Schublade“. Sie versucht 3-mal (da ich schweige) einzulenken, will schliesslich auf u. fort, überlegt sich’s doch und es wird alles noch sehr schön, gut u. herrlich.198

In ihrem Brief aus dem Jahr der Beziehungskrise 1926 schrieb Gusti Hasterlik auf Doderers Antisemitismus bezogen  : „… ich bin nicht einmal die arische Gans, die Dir erwiesenermassen am Ende doch lieber ist, als eine ,Fremde‘. Alles das muss absolut zu Ende sein, endlich durchgedacht u. überwunden sein, wenn Du mir überhaupt noch etwas sein willst […]“.199 Wenige Tage danach fühlte sie sich zwar nach dem Erhalt eines Briefs von ihm erleichtert, hatte aber nach wie vor das Bedürfnis nach „schonungslose[r] Wahrheit“  : Ja Heimerl, es war eine schreckliche Last für mich, ich glaube die ärgste meines Lebens, weil sie sich auch so sehr nach innen richtete, ich viel älter bin als ich aus­sehe u. mein „kritischer Geist“, den du so sehr bekämpfst […] sich wieder sein Recht holte u. die rosigen Schleier von Allem riss, von Allem innen und außen. Es ist nicht angenehm, ich habe solche Überfälle [unleserlich] schon öfters erlebt. Dir sind sie gar zuwider, aber sie müssen bleiben oder ich gehe zugrund, so bin ich, „jüdische  !  !  ! Pallas Athene“ wie Du sagst.200

Unter „Hochempfindliche Complexe“ hatte Doderer auch ihre jeweiligen Familien angeführt. Doderer bekam den Druck von Gusti Hasterliks Eltern, die auf eine Klärung der Beziehung drängten, weitaus weniger zu spüren als seine Freundin. Er war häufiger Gast in der „Wickenburg“ und gut integriert, er verstand sich zwar nicht mit Gustis Mutter, hatte aber einen guten Kontakt zu ihrem Vater und ihrer Schwester. Ganz anders war Gusti Hasterliks Position in der Familie Doderer, die von der Nichtanerkennung als Freundin bis zur offenen Ablehnung ging. Anfang 198 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 127 (24.2.1923). 199 Brief von Gusti Hasterlik an Doderer vom 16.4.1926 („Gusti I 1921–26“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie). 200 Brief von Gusti Hasterlik an Doderer vom 21.4.1926. (Ebd.)

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1922 wollte Heimito eine offizielle Begegnung zwischen seiner Mutter und Gusti herbeiführen. Als seine Freundin ihn besuchen kam – er lag krank im Bett –, weigerte sich seine Mutter, sie kennenzulernen. Als Grund dafür sagte sie ihrem Sohn, sie befürchte, Gusti sei kein „wirkliches Mädchen“, was Heimito auf die Formel vom „Virginitätsblödsinn“201 seiner Mutter brachte. Heimitos Schwester Astri stellte sich von Anfang an gegen diese Beziehung, laut Doderer wegen ihres „bornierten Antisemitismus“.202 Sein Bruder Immo riet ihm, die Freundin nicht in die Familie einzuführen.203 Immo verhielt sich ihr gegenüber bewusst kühl und herablassend. Heimito reagierte im Januar 1922 auf das Verhalten seiner Familie Gusti gegenüber verärgert  : „Es werden mir bald alle Mitglieder meiner Familie gestohlen werden können. Die Männer primitive, ideologische deutsche Lümmel, die Frauen unfähig zu jeder irgendwie weitergehenden Differenzierung.“204 Doderer war zwar die ablehnende Haltung seiner Schwester Astri Gusti gegenüber bekannt, er besprach aber trotzdem mit ihr seine Beziehungsprobleme, vermutlich auch, um in seiner Position bestärkt zu werden  : Mittwoch I/VIII kam die Schwester Astri auf ein paar Tage nach Wien. Mit ihr besprach ich die Situation gegenüber Gusti und auch eingehend Gusti’s Situation. […] Im Allgemeinen ist sie der Ansicht Mia’s [Gustis Schwester] – mit der Variation, dass sie Partei für mich ist und also in manchen Stücken (schwesterlich) gegen G. und besonders deren Eltern gestimmt. Ihre Gegnerschaft […] habe ich wieder einmal überschätzt. Indessen – vorhanden ist diese schon, wenngleich sehr […] maskiert. (auch  : Blutsituation  !)205

Drei Monate später, Anfang November 1923, erklärte Doderer, was er unter „Blutsituation“ verstand. Diesmal vertraute er sich beiden Schwestern Astri und Helga an. Er kritisierte zwar Helgas Eitelkeit, fand sie aber objektiver als Astri  : [D]ennoch schnitt sie hier stellungnehmend besser ab wie die Stummerin [Astri Stummer], welche zutiefst nicht in der Lage war und ist, auf die eigene „Erhöhung“

201 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 78 (17.1.1922). 202 Ebd., S. 79. 203 Vgl. ebd., S. 69 (8.1.1922). 204 Ebd., S. 75 (11.1.1922). 205 Ebd., S. 144 (1.8.1923).

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durch ihr Ariertum einer Jüdin gegenüber zu verzichten – ich glaube übrigens ihre Tendenzen schon in einer früheren Notiz halbwegs richtig gegeben zu haben. (Mit „Blutsituation“ meinte ich dort neben dem „Rassenantisemitismus“ – ein grässlich „rasselndes“ Wort – auch schwesterliche Eifersucht). Genug davon, ich ward hin- und hergeworfen. Bis sich eines Tages alles wie von selbst entschied […] ich „entschloss“ mich, voll und ganz zur Freundin zurückzukehren und auch die künftige Ehe zu bejahen.206

Doch schon einige Monate später vermeinte Doderer selbst, ein „rassen­mäßi­ ges Getrenntsein“ von seiner Freundin zu verspüren  : Die gestrige Nacht war voll Schwung und Freude. Sie [Gusti] sagte aber  : „ich hätte mich in letzter Zeit sehr verändert“. Da mag sie recht haben. // Grundverschiedenheiten, rassenmässiges Getrenntsein oder etwas dgl. – solche Dinge, selten genug u. für Augenblicke fühlbar – werden gefälscht, wenn man sie „auseinandersetzt“, bleiben nur als Erlebnis das, was sie sind. Ich empfand dergleichen. Und ich – „erholte“ mich damals sozusagen an L. P. [Lotte Paumgarten, eine nichtjüdische Freundin Doderers, mit der ihn eine asexuelle Freundschaft verband.]207

Ohne jeweils von Fall zu Fall zwischen antijüdischen und antisemitischen Aussagen bei Doderer zu unterscheiden – was im Übrigen nicht immer eindeutig wäre –, ist trotzdem eine deutliche Verschiebung feststellbar  : Die traditionellen Vorurteile gegen Juden, die auch im Christentum verbreitet sind, bei denen es aber nicht um Rasse geht, beispielsweise als Doderer über Gusti Hasterliks Interesse an Geschäften scherzt, vermischen sich immer mehr mit antisemitischen, bei denen die Rasse das Kriterium ist und eine Überlegenheit der „Arier“ gegenüber den Juden postuliert wird. Eine weitere Verschiebung findet in Doderers Fähigkeit statt, seine Vorurteile auch als solche zu erkennen. Beim Lesen seiner Tagebücher gewinnt man auch den Eindruck, dass ihm sein Antisemitismus dabei helfen sollte, sich endgültig von Gusti Hasterlik zu lösen, auch gefühlsmäßig. Sollte dies der Fall gewesen sein, so misslang es ihm jedenfalls, er litt auch weiterhin unter der Trennung. Trotz Doderers Antisemitismus spielte sein sexuelles Angezogensein von jüdischen Frauen eine wichtige Rolle. Zu Gast auf einem Hausball beschrieb er die Töchter der Gastgeber  : 206 Ebd., S. 153f. (Anfang Nov. 1923). 207 Ebd., S. 184 (8.3.1924).

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Lili und Franziska sind anziehende Mädchen, die erste, offenbar durch Herzensgüte ausgezeichnet, sieht schon etwas „alt“ aus  ; ihre jüngere Schwester besitzt die Qualitäten einer rassigen Jüdin und – wie ich auf dem Ball Gelegenheit hatte zu bemerken – bereits jetzt, in ihren jungen Jahren, den speckigen Rücken, der den Frauen dieses Volkes eigen ist, wenn sie reifer und üppiger werden. Ihre geschlechtlichen Fähigkeiten müssen nicht unbedeutend sein.208

Über eine Frau, die er in der Straßenbahn sah und die ihm gefiel, schrieb er  : „mein Typus – eine jüdische Dame von ca. 40 Jahren“. Er selbst war damals 29. Er glaubte zu wissen, wo sie wohnte, und notierte die Namen der Mieter des Wohnhauses, um ihren Namen zu erraten  : „Sollte es Frau Seifert sein  ? Dies wäre heiter  ! Aber ich glaube, ich müsste ihr eher einen der jüdisch klingenden Namen zuschreiben, also ,Pernetz‘ etwa oder ,Bozdech‘ …“209 Um sein Verlangen nach Gusti Hasterlik auszudrücken, reichte es ihm, ihre Kleidung zu erwähnen  : „Gusti (rosa Kleidchen) reizt mich sehr“ oder „Gusti, rotes Kleid, sie ,fällt um‘, meine Geilheit beim Ofen“, oder auch „fürchterliche Aufreizung durch G. in ihrem distinguierten Kleid“.210 Doch 1934 versuchte er für seine Anziehung ideologische Gründe zu finden und griff dabei auch auf bekannte antisemitische Vorurteile zurück  : … und doch ist mir alle rusticale, volkliche Wohngeruch- und Lebens-Sphäre grauenhaft unappetittlich [sic], gar schon die eigene, deutsche, und hier beginnt meine Möglichkeit einer Erotik, die ihren Bogen aus dem Verpflichtenden glaubt hinüberspannen zu können in’s Unverpflichtende, trockene [sic], Zivilisierte, Unfruchtbare  :211 in’s Judentum. Hier lag für mich der Reiz meiner Frau […].212

Doderer schuf eine Art Mythos um die jüdische Herkunft Gusti Hasterliks. So versuchte er die Besonderheit, die sie für ihn hatte, damit zu erklären, dass sie Jüdin sei  : „Bis zu meiner Ehe habe ich keine Jüdin berührt. Diese Tatsache scheint mir wichtig. Ich trat, in jedem Sinne, unter ein neues Gestirn.“213 Ver208 Ebd., S. 20 (12.3.1921). 209 Ebd., S. 303 (16.11.1925) u. Zit. S. 304 (17.11.1925). 210 Ebd., S. 463 (21.3.1932), S. 500 (3.6.1932) u. S. 576 (27.2.1933). 211 Auf das „[T]rockene“, „Unfruchtbare“ kommt Doderer nochmals zurück, „jedoch nicht in Stendal’s [sic] trockener Art und mit seiner unfruchtbaren Härte, die sogar von einer Jüdin wie G. [Gusti] verstanden werden konnte […].“ Ebd., S. 636 (20.7.1934). 212 Ebd., S. 631 (16.7.1934). 213 Ebd., S. 635 (20.7.1934).

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mutlich wollte er eine stärkere Zäsur erzielen, indem er den Wandel seiner „Ehe“ zuschrieb. Tatsächlich bestand die Ehe erst seit 1930, die Beziehung schon seit 1921. Einige Monate vor Beginn dieser Beziehung hatte Doderer eine nichtjüdische Frau, Ella Hanner, kennengelernt  : Er erwähnte sie im März 1921 als kürzlich gemachte Bekanntschaft.214 Auch hier sein Bedürfnis, Zäsuren zu setzen zwischen einer Zeit vor und seit seiner Begegnung – für ihn mit der „Jüdin“ – Gusti Hasterlik. Dafür musste er Ella Hanners Rolle, die sie in seinem Leben nicht gespielt hatte, aufwerten. Im Februar 1922, nachdem er sie in einem Kaffeehaus getroffen hatte, schrieb er  : „Ella war schön, farblos und langweilig wie immer […].“215 Einen Monat zuvor, im Januar 1922, fand er  : „Gusti erzählt gut, im wesentlichen Sinne, nicht mit [jener] geschwätzigen Freude beschränkter Frauen am Gegenständlichen (siehe Ella Hanner  !)“.216 Doch 1934 bekam Ella Hanner, um den Gegensatz zur „Jüdin“ Gusti Hasterlik herauszustreichen, einen völlig neuen Stellenwert  : „Ella Hanner war sozusagen die ,letzte Arierin‘. Es war vieles gut. Bei diesem Abschwenken meines Eros muss sich irgendeine geheimnisvolle Verschiebung sehr tief unten in mir ergeben haben.“217 Auch wenn es für Doderer wichtig wurde, das Jüdische an Gusti Hasterlik zu unterstreichen, so war Ella Hanner doch keineswegs die „letzte Arierin“ in seinem Leben gewesen. Während der gemeinsamen Jahre mit Gusti hatte er wiederholt mit anderen Frauen sexuelle Beziehungen. Das Aufbauschen der jüdischen Herkunft seiner Frau auf antisemitischer Grundlage könnte auch ein Versuch seinerseits gewesen sein, sich so von ihrer Anziehung zu lösen  : „Was die geschlechtlichen Wünsche betrifft, gleiche ich zur Zeit einer Windrose  : ein Teil schwankt zur gewesenen Gattin und den aufreizenden Erinnerungen an eheliche Bräuche zurück, ein Gegen-Teil sieht dem Neuen als einziger Heilsmöglichkeit entgegen.“218 Die zahlreichen antisemitischen Anmerkungen Doderers in seinen Tagebüchern beziehen sich nicht ausschließlich auf Gusti Hasterlik. Als Beispiel etwa Doderers Kommentar über die Rezensionen der Oper Fredigundis des Komponisten Franz Schmidt. Er war Gusti Hasterliks ehemaliger Klavierlehrer gewe214 Vgl. ebd., S. 22 (12.3.1921). 215 Ebd., S. 89 (10.2.1922). 216 Ebd., S. 70 (10.1.1922). 217 Ebd., S. 637 (21.7.1934). 218 Ebd., S. 600 (18.5.1933).

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sen, mit dem sie ab 1916 oder 1917 ein Verhältnis gehabt hatte. Franz Schmidt bezeichnete Fredigundis in seinen Briefen an Gusti Hasterlik als gemeinsames Kind oder Produkt ihrer Liebe.219 Doderer schrieb über die Aufführung  : „Man hatte hier die Premiére [sic] des ,Fredegundis‘ [sic]. Elende jüdische Meute fällt über den Meister her, es scheint ihnen nicht genug zu sein, was sie seit 20 Jahren an ihm verbrochen haben.“220 In einem Brief von 1927 interpretierte Gusti Hasterlik Doderers Antisemitismus als Folge seiner Unzufriedenheit mit sich selbst und seinem Bedürfnis nach einem Sündenbock  : Widerlicher ich bin sehr bös auf Dich. Ein bisschen hat mich zwar Dein Brieferl milder gestimmt, aber ich hab einen Mordszorn. Nämlich wegen der Juden u. Deinen ewigen blödsinnigen Beschimpfungen, die ausser dem Körnchen Wahrheit in Wirklichkeit darauf hinauslaufen, dass Du Dich ärgerst, weil es Dir schlecht geht, u. Du einen Prügelknaben brauchst. Es ist lächerlich u. überhaupt keine politische oder rassenmässige ernste Einstellung, wenn Du nicht auch alle Konsequenzen auf Dich nimmst, mit keinem Juden verkehrst, keine jüdischen Blätter beschickst, nur in den anderen Kreisen bleibst u. mich ganz aufgibst.221

Unter dem Einfluss seines Antisemitismus veränderte sich selbst das Bild, das er von Gustis Gesicht gehabt hatte. Im Januar 1932 schrieb er  : „Nachklänge (das liebe Gesicht meiner Frau)“222, im Dezember 1932  : „Gusti im blauen Pyjama, Morgengesicht und ihre guten Seiten“223 und schließlich nach einem Traum im August 1935  : „Die grausam jüdische Fresse G’s heute nacht, die Erkenntnis ihrer reinen ,Klugheit‘ (,dumping‘ sagte ich, bevor ich sie dann im Traum ohrfeigte).“224 Ende November 1938 schrieb Doderer in sein Tagebuch über den „zivili­sier­ te[n] Juden“. Im selben Monat hatte das Novemberpogrom („Reichskristallnacht“), in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 stattgefunden. Fünf 219 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU v.a. die Briefe von Schmidt, Franz an HA [Hasterlik, Auguste], item 3721, 1919/08/01  ? [genaues Datum unbekannt, von Giulia Hine nachdatiert] und item 3723, 1919/09/04. 220 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 185; 10. III–11. III (nachts.) 1924. 221 Brief von Gusti Hasterlik an Doderer vom 20.10.1927 („Gusti II, 1927–31“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie). 222 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 428 (26.1.1932). 223 Ebd., S. 558 (3.12.1932). 224 Ebd., Bd. II, S. 739 (9.8.1935).

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Tage vor diesem Tagebucheintrag war sein Scheidungsverfahren gewesen – das er erst am 2. März 1939 in seinem Tagebuch erwähnte,225 – kurz danach hatte Gusti Hasterlik Wien für ihr New Yorker Exil verlassen. Sein Tagebucheintrag, in dem er den Juden für ihn negativ besetzte Begriffe zuordnete wie zivilisiert, zeitgemäß oder unwirklich, kann als Versuch gelesen werden, den Juden die Verantwortung für das, was ihnen angetan wurde, selbst zuzuschreiben  : Der zivilisierte Jude ist der am meisten zeitgemässe Mensch in diesem der Mitte sich nähernden zwanzigsten Jahrhundert. Seine Gestalt – die bis zur Magie gediehene Unwirklichkeit  !226 – steht an unserem Wege in eine sich ständig mindernde Wirklichkeit als ein Meilenstein, den wir wohl ausreissen und vom Wege verwerfen können, ohne damit doch dessen Richtung zu ändern. – Es muss in dieser äussersten Zeitgemäss­ heit irgendeine sublime Beleidigung des Schöpfers liegen, wofür Leiden verhängt werden.227

3. Doderer und der Nationalsozialismus Die NSDAP erreichte in Österreich im ersten Halbjahr 1933 einen Höhepunkt an Popularität, was nicht zuletzt auf ihre gut organisierte, moderne Propaganda zurückzuführen war. Ihre Erfolge beschränkten sich nicht auf die Mittelschicht. Es gelang ihr vielmehr, breite Bevölkerungsschichten zu gewinnen, darunter insbesondere Jugendliche und Intellektuelle.228 Heimito von Doderers NS-Sympathien entsprachen dem Zeitgeist. Er trat der NSDAP mit der Mitgliedsnummer 1526987 mit Stichdatum 1. April 1933 bei, seine „[p]rov. Mitgliedskarte“ wurde ihm erst am 11. Mai 1933 ausgestellt. Da er im 19. Bezirk lebte, wurde er der Ortsgruppe Döbling zugeteilt.229 Die 225 Ebd., Bd. II, S. 1162 (2.3.1939). 226 Den Zusammenhang, den Doderer zwischen „Juden“ und „Unwirklichkeit“ herstellt, findet sich schon bei Weininger  : „Wenn also im Juden vielleicht noch immer die höchsten Möglichkeiten, so liegen doch in ihm die geringsten Wirklichkeiten  ; […] Jüdisch ist der Geist der Modernität, von wo man ihn betrachte.“ (Otto Weininger  : „Das Judentum“. In  : Otto Weininger  : Geschlecht und Charakter, S. 440f.) Ich danke Mag. Robert Walter für diesen Hinweis. 227 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 1124 (30.11.1938). 228 Vgl. Bruce F. Pauley  : Hitler and the Forgotten Nazis. A History of Austrian National Socialism. Chapel Hill 1987, S. 102f. 229 Vgl. BArch (ehem. BDC), NSDAP-Mitgliederkartei, Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.

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NSDAP war zu diesem Zeitpunkt in Österreich noch legal. Sie wurde am 19. Juni 1933 vom „austrofaschistischen“ Regime unter Bundeskanzler Dollfuß verboten als Reaktion auf wiederholte Attentate der Nationalsozialisten in Österreich.230 Das NSDAP-Verbot zählte allerdings nur zu einer von vielen und nicht zur ersten Maßnahme des „austrofaschistischen“ Regimes. Im März 1933 war das Parlament ausgeschaltet worden, im Mai 1933 zunächst die Kommunistische Partei und der sozialdemokratische „Republikanische Schutzbund“ verboten worden, im Februar 1934 dann auch die Sozialdemokratische Arbeiterpartei. Im Mai 1934 wurde schließlich die Christlichsoziale Partei aufgelöst. Schon im September 1933 hatte Dollfuß in seiner sogenannten Trabrennplatzrede angekündigt  : „[W]ir wollen den sozialen, christlichen, deutschen Staat Österreich auf ständischer Grundlage, unter starker, autoritärer Führung  !“231 Doderers Sympathien für die NSDAP dürften auf 1927 zurückgehen. Wolfgang Fleischer schreibt  : „Daß er [Doderer] bereits 1927 für eine nationalsozialistische Gruppierung – etwa die ,Hitlerbewegung‘ – votiert haben könnte, geht aus einem Brief Gustis vom 4. November dieses Jahres hervor, wo sie neben den Satz ,Ich habe Deine Situation nicht ganz missverstanden‘ ein großes Hakenkreuz an den Rand malte […]“.232 Doderers nationalsozialistisches Umfeld In Doderers Freundeskreis waren einige Sympathisanten und Mitglieder der NSDAP. Otto Dressel Uyleveldt, den Doderer 1928 kennengelernt hatte,233 war ihr am 4. Juni 1932 beigetreten.234 Ob Kurt Mayer, Doderers Neffe und ein Freund Otto Dressels, bei der NSDAP war, geht aus den Unterlagen des Bundesarchivs Berlin nicht hervor.235 Seine Romanfigur Kurt Körger in den 230 Vgl. Bruce F. Pauley  : Hitler and the Forgotten Nazis, S. 106f. u. 121. 231 Trabrennplatzrede von Dollfuß im Sept. 1933, zit. nach Emmerich Tálos u. Walter Manoschek  : „Zum Konstituierungsprozeß des Austrofaschismus“. In  : Emmerich Tálos u. Wolfgang Neugebauer (Hg.)  : „Austrofaschismus“. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934–1938. 4. erg. Aufl., Wien 1988, S. 31–52, hier S. 43f. 232 Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 191. (Den von Wolfgang Fleischer zitierten Brief Gusti Hasterliks konnte ich im Doderer-Archiv am Institut für Germanistik, Universität Wien, nicht finden.) 233 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 944 (11.3.1937). 234 Vgl. BArch (ehem. BDC), NSDAP-Mitgliederkartei, Dressel-Uyleveldt, Otto, geb. 19.1.1896. 235 Im BArch (ehem. BDC) finden sich zahlreiche Einträge zu NSDAP-Mitgliedern mit dem Na-

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Dämonen könnte jedenfalls zumindest als NS-Sympathisant bezeichnet werden. Zwei seiner langjährigen Freunde aus der Zeit der sibirischen Kriegsgefangenschaft waren ebenfalls NSDAP-Mitglieder. Wolfgang Fleischer schreibt, Ernst von Scharmitzer wäre im April 1933 der Partei beigetreten, Rudolf Haybach schon im März 1933.236 Aus der NSDAP-Mitgliederkartei des Bundesarchivs (BArch) in Berlin geht allerdings hervor, dass Haybach wie Doderer mit dem Stichdatum 1. April 1933 beitrat, während es zu Scharmitzer in der unvollständigen Mitgliederkartei des Bundesarchivs keinen Eintrag gibt. 237 ­Albert Paris Gütersloh – Doderer kannte ihn seit 1924, ab 1928 wurde ihr Kontakt intensiver, als Doderer an dem Buch Der Fall Gütersloh 238 arbeitete und vor allem ab 1931, als Gütersloh von Südfrankreich nach Wien zog – war der NSDAP nicht beigetreten, teilte aber dieselbe Ideologie.239 Andere Freunde Doderers, wie die Ärzte Gabriele von Steinhart, geborene Murad, und Edmund Schüller, ein Freund und ehemaliger Studienkollege von Gaby Murad, sind in den Akten der „Reichsärztekammer“ ebenfalls als ­NSDAP-Mitglieder, ohne Angabe des Beitrittsdatums, eingetragen,240 auch wenn Ferdinand von Steinhart bei seiner Registrierung als ehemaliges ­N SDAP- und SS-Mitglied 1949 auf Anfrage zu seiner familiären Situation angab, dass seine Frau nicht Mitglied der NSDAP gewesen war  : „Sowohl meine Frau als auch ihre Geschwister und ihre Mutter […] waren nie in irgendeiner Weise politisch tätig oder Mitglied einer Partei.“241 Gabriele Murad hatte Heimito von Doderer 1933 kennengelernt, im selben Jahr wie Ferdinand von Steinhart.242 Doderer freundete sich mit ihm an  ; men Mayer (in den unterschiedlichsten Schreibweisen). Einen Eintrag zu Doderers Neffen Kurt Mayer konnte ich nicht finden. Die NSDAP-Mitgliederkartei ist zu etwa 80 Prozent erhalten. 236 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 232. 237 Vgl. BArch, (ehem. BDC), NSDAP-Mitgliederkartei, Haybach, Rudolf, geb. 29.12.1886. 238 Heimito von Doderer  : Der Fall Gütersloh. Ein Schicksal und seine Deutung. [1930] In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 39–109. 239 Zu Gütersloh siehe weiter unten  : Erinnerung und Verdrängung  : ,die nichtjüdischen jüdischen Freunde‘ Doderers  : Eine zwiespältige Freundschaft  : Albert Paris Gütersloh, S. 199–207. 240 Vgl. BArch (ehem. BDC), RÄK [Reichsärztekammer], Steinhart von geb. Murad, Gabriele, geb. 19.12.1913  ; Schüller, Edmund, geb. 28.5.1916. 241 „Gesuch gem. § 27 des V.G.“ von „Dr. Ferdinand Steinhart“ an „die Registrierungsbehörde zur Registrierung der Nationalsozialisten für den 1. Bezirk“ vom 15.3.1949. (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 1. Bez./1927 zu Steinhart, Ferdinand, geb. 24.6.1910.) 242 Vgl. Reinhold Treml  : „Aus den Gesprächsprotokollen vom September 1981“  : Gaby Steinhart

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in ihrer späteren Korrespondenz setzen sie sich insbesondere mit theologischen Fragen auseinander.243 Gabriele Murad und Ferdinand von Steinhart heirateten am 21. September 1939,244 kurz vor der Geburt der ersten Tochter.245 Ferdinand von Steinhart war nach eigenen Angaben seit 1. Dezember 1935 Mitglied der NSDAP und der SS.246 Er gehörte der SS-Einheit „San. [Sanitäter]-Staffel der SS-Standarte 90“ mit der SS-Nummer 308864 an.247 In einem „Gesuch um Nachsicht von der Registrierung“ vom 18. Juli 1945 begründete er dieses Ansuchen insbesondere durch seine Unterstützung von im NS-Regime politisch und „rassisch“ Verfolgten. Das wurde durch beigelegte Zeugenaussagen bestätigt, wenn auch nicht von jenen, die Ferdinand von Steinhart in seinem Gesuch genannt hatte  : einem Arzt, dem er zur Ausreise in die USA und Polen, denen er zur Ausreise in die Schweiz verholfen hatte.248 Doderers Schwager Hans von Stummer, der Mann seiner Schwester Astri, wurde wie Doderer schon vor dem Anschluss Mitglied der NSDAP, die beiden Söhne waren bei der SS.249 NSDAP-Mitglieder waren auch Heimitos Bruder Wilhelm, genannt Immo, der am 1. Juni 1940 beigetreten war, sein Onkel Richard von Doderer und dessen Frau Bertha, beide mit Stichdatum 1. November 1938, und deren beide Söhne Herbert (am 1. Oktober 1940) und Peter (wie seine Eltern am 1. November 1938).250 Emma Maria Thoma, Doderers

[unveröffentlicht]. (Ich danke Dr. Reinhold Treml, der mir seine Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt hat.) 243 Vgl. Wolfgang Fleischer: Das verleugnete Leben, S. 296. 244 Vgl. Meldezettel von Gabriele F. Murad  : angemeldet 21.7.1938 – abgemeldet 13.11.1938  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13. (WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Wien 8, Buchfeldg. 6.) 245 Vgl. Wolfgang Fleischer, Das verleugnete Leben, S. 292. 246 „Meldeblatt zur Registrierung der Nationalsozialisten im Sinne des Art. II des Verfassungsgesetzes vom 8. Mai 1945, St. G. Bl. Nr. 13, über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz).“ von Dr. Ferdinand Steinhart [Unterschrift des Meldepflichtigen] vom 30.7.1945. (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 1. Bez./1927 zu Steinhart, Ferdinand, geb. 24.6.1910.) 247 Vgl. BArch (ehem. BDC), RS, Steinhart, Ferdinand von, geb. 24.6.1910. 248 Vgl. WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 1. Bez./1927 zu Steinhart, Ferdinand, geb. 24.6.1910. 249 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 232  ; siehe auch weiter unten  : Anhang  : Gespräch mit Wolfgang Fleischer, S. 357. 250 Vgl. BArch (ehem. BDC), NSDAP-Mitgliederkartei, Doderer, Wilhelm [Immo] von, geb. 21.5.1886, Aufnahme  : 1.6.1940  ; Doderer, Richard, geb. 28.10.1876, Aufnahme  : 1.11.1938  ; Doderer, Bertha, geb. 9.8.1880, Aufnahme  : 1.11.1938  ; Doderer, Herbert von, geb. 5.6.1903, Aufnahme  : 1.10.1940  ; Doderer Peter, geb. 8.8.1909, Aufnahme  : 1.11.1938.

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zukünftige Frau, die er im September 1937 kennengelernt hatte,251 war seit dem Stichdatum 1. Mai 1937 NSDAP-Mitglied.252 Als Doderer in Dachau lebte, freundete er sich mit dem Österreicher Andreas Milohnic, genannt Milo,253 an, der NSDAP-Mitglied und Hauptamtlicher Angestellter der SS („Hauptamtl. Angest. SS“) war, so die Berufsbezeichnung auf seiner (undatierten) „SS-Stammkarte“.254 Doderer dürfte Milohnic auch in der SS-Kaserne besucht haben, zumindest notierte er dieses Vorhaben, als er schrieb  : „Ich will Milo besuchen  ; er liegt im Stabs-Pavillon der Kaserne.“255 Erstmals hatte er Andreas Milohnic im August 1937 in seinem Tagebuch erwähnt  : „Nachdem ich verschiedene Menschenkreise zu Dachau passierte, sehe ich, dass es da niemanden gibt, mit dem ich noch zu verkehren wünschte, meinen eben erwähnten Landsmann [Milo] beiläufig ausgenommen.“256 Andreas Milohnic ist auch Modell der gleichnamigen Romanfigur in Doderers 1963 erschienenem Roman No 7. Erster Teil. Die Wasserfälle von Slunj.257 In sein Tagebuch schrieb Doderer über Andreas Milohnic, der zwar in Bregenz geboren und aufgewachsen war, dessen Eltern aber aus Kroatien stammten  :258 „M., der keinen Tropfen alemannischen Blutes hat, ist von diesem Bregenzer Lande doch geprägt.“259

251 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 268. 252 Vgl. BArch (ehem. BDC), NSDAP-Mitgliederkartei, Thoma, Emma, geb. 27.3.1886, Aufnahme  : 1.5.1937. Emma Maria Thoma war eine Verwandte des bayrischen Dichters Ludwig Thoma. (Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 269.) Die Freundin und Erbin von Ludwig Thoma, jüdischen Ursprungs, wurde 1933 gezwungen, ihr Haus innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. (Bernhard Müller  : Das Ausnahme-Unrecht gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland 1933–1945. Eine rechtstatsächliche Untersuchung des Sonderrechts und seiner Folgewirkung auf den „Alltag“ der Deutschen jüdischer Abstammung und jüdischen Bekenntnisses. München 2003, S. 475.) 253 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, Namenregister, S. 1356. 254 „SS-Stammkarte“ [o. J.], BArch (ehem. BDC), SM 6290/M0047, Milohnic, Andreas, geb. 18.10.1904. 255 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 1081 (23.10.1937). 256 Vgl. ebd., S. 1045 (30.8.1937). 257 Vgl. Heimito von Doderer  : Die Wasserfälle von Slunj, z. B. S. 8f. 258 Am 23.9.1963 schrieb Andreas Milohnic an Doderer  : „Befinde mich auf kurzem Urlaub in der Heimat meiner Eltern auf der Insel Krk, und zwar in Malinska.“ (Brief von Andreas Milohnic an Doderer vom 23.9.1963  ; 530/72–1. Han der ÖNB.) 259 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 1086 (5.6.1938).

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Andreas Milohnic wurde am 18. Oktober 1904 in Bregenz geboren. Sein Lebenslauf findet sich zusammengefasst in einer „Beurteilung“ vom 26. November 1940, die mit der Empfehlung schließt, ihn zum „SS-Reserveführer-Anwärter“ zu ernennen. Zu diesem Zeitpunkt war er in „Oranienburg“ in der „SS-Kaserne“ und machte „seinen Dienst als Unterführerausbilder und Funklehrer“.260 Nach bestandener Matura in Bregenz und abgebrochenem Jurastudium diente er von 1925 bis 1931 im österreichischen Bundesheer und besuchte „die Kriegsschule“ (was der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt entsprechen dürfte, die nach dem Anschluss in „Kriegsschule“ umbe­nannt worden war). Wegen seiner Mitgliedschaft bei der Soldatengewerkschaft musste er seine Ausbildung abbrechen, die für gemeine Soldaten sechs Jahre und für Offiziere zwölf Jahre dauerte. Er nahm sein Jurastudium in Innsbruck, das er nach der Matura in den Jahren 1923/1924 begonnen hatte, bis zum Wintersemester 1933 wieder auf. Der NSDAP war er in Österreich unter der Mitgliedsnummer 58719 beigetreten (wobei die niedrige Nummer auf einen frühen Beitritt hinweist, da selbst Doderer mit der weitaus höheren NSDAPMitgliedsnummer 1526987 bereits am 1. April 1933 beigetreten war). In der „Beurteilung“ heißt es  : „Wegen nationalsozialistischer Umtriebe wurde er in Österreich zu einer längeren Gefängnisstrafe verurteilt und ist nach Verbüssung derselben ins Altreich geflüchtet.“ Auf seiner Karteikarte im Österreichischen Staatsarchiv heißt es hier präziser, dass Andreas Milohnic nach sechs Monaten Arrest 1934 nach Deutschland floh und im selben Jahr der SS beitrat.261 Und wiederum in der „Beurteilung“ von November 1940  : „In Deutschland wurde er Mitglied der NSDAP unter Nummer 5031791 und Mitglied der Allgem. SS Nr. 130095. Von 1934 bis 1939 diente M. bei der Waffen-SS.“262

260 „Beurteilung“ von „SS-Nachr. Ers. Abt. Uf.-Anw.-Lehrgang“ [SS-Nachrichten-Ersatzabteilung/ Unterführer-Anwärter-Lehrgang] vom 26.11.1940. BArch (ehem. BDC), SM 6290/M0047, Milohnic, Andreas, geb. 18.10.1904. 261 ÖStA/AdR, 02/BMI/Abteilung 2, Karteikarte zu Milohnic, Andreas, geb. 18.10.1904. (Die sSchreibung wurde beibehalten.) 262 „Beurteilung“ von „SS-Nachr. Ers. Abt. Uf.-Anw.-Lehrgang“ vom 26.11.1940. BArch (ehem. BDC), SM 6290/M0047, Milohnic, Andreas, geb. 18.10.1904. (Der Begriff „Waffen-SS“ in der „Beurteilung“ aus dem Jahr 1940 passt für die Zeitspanne „1934–1939“, insofern nicht, als er erst ab 1939/1940 verwendet wurde. Zuvor gliederte sich die SS „in die Allgemeine SS, die für die Konzentrationslager zuständigen SS-Totenkopf-Verbände sowie die SS-Verfügungs-Truppe. […] Totenkopfverbände und Verfügungstruppe wurden 1938/40 zur Elitetruppe der Waffen-SS ausgebaut.“ (Paul Hoser  : „Schutzstaffel (SS), 1925–1945“, Eintrag vom 30.4.2008. In  : Historisches Lexikon Bayerns  ; www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44600.)

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Sein Aufenthalt in Dachau zu der Zeit also, als Doderer und Milohnic befreundet waren, wird nicht erwähnt  ; auf seine Funktion bei der SS dort wird nicht näher eingegangen. Im KZ Dachau waren die SS einerseits innerhalb der Wachmannschaften eingesetzt worden, andererseits  : … gab es auf dem Kasernengelände der SS des Konzentrationslagers auch noch weitere Einrichtungen zur Ausbildung von SS-Leuten, die nicht in direktem Zusammenhang mit dem Konzentrationslager und der Gefangenenbewachung standen (u.a. das sogenannte SS-Hilfslager für österreichische SS-Mitglieder, die nach 1934 nach Deutschland geflohen waren).263

Zu einem Zeitpunkt, als der Kontakt zwischen Doderer und Milohnic schon abgebrochen war, wurde Milohnic in die „SS-Kaserne“ in „Oranienburg“ und damit in das Konzentrationslager Sachsenhausen (Oranienburg) bei Berlin versetzt. Hier wurden SS-Leute ausgebildet und hierher waren ab 1938 die „Inspektion der Konzentrationslager, die Verwaltungszentrale für alle Konzentrationslager“ von Berlin nach Oranienburg verlegt worden.264 Im „Registrierungsblatt zur Verzeichnung der Nationalsozialisten“ aus dem Jahr 1947, als Milohnic „in Gefangenschaft“ im „Lager Wolfsberg“ war, sind als Wohnsitze von 1934 bis 1939 „Bregenz und München“ angegeben und seine Mitgliedschaft bei der „SS Waffen von  : 1934 bis  : Kriegsende“, zuletzt als „SS-Obersturmführer“,265 was in der Wehrmacht dem Rang eines Offiziers (Oberleutnant) entsprach.266 Die Freundschaft zwischen Andreas Milohnic und Heimito von Doderer beschränkte sich auf Doderers Dachauer Zeit. Erst 25 Jahre später kam es in

263 Ich danke Dirk Riedl von der KZ-Gedenkstätte Dachau für diesen Hinweis (E-Mail vom 16.7.2004). Andreas Milohnic ist weder im Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau (E-Mail vom 13.7. u. 16.7.2004) noch im Bundesarchiv Außenstelle Ludwigsburg (E-Mail vom 10.10.2004) registriert. 264 Vgl. „Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen. 1936–1945 Konzentrationslager Sachsenhausen“. In  : Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten  : http  ://www.stiftung-bg.de/gums/de/geschichte/gesch_neu.html. 265 „Registrierungsblatt zur Verzeichnung der Nationalsozialisten gemäß § 4 des Verbotsgesetzes 1947“. VLA (Vorarlberger Landesarchiv Bregenz), 1194  : Milohnic, Andreas, geb. 18.10.1904. 266 Vgl. Erwin Schmidl u. Klaus Eisterer  : Übersicht über die Dienstgrade der deutschen Wehrmacht, der Waffen-SS, der deutschen Polizei und der SA sowie der U.S. Army und der Royal Air Force und des österreichischen Bundesheeres zum Vergleich. Aug. 2003. http  ://zis.uibk. ac.at/quellen/Dienstgrade.html (Stand  : 27.06.2009)

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den Jahren 1963 und 1964 auf Initiative von Andreas Milohnic zu einem, soweit er überliefert ist, kurzen Briefwechsel.267 Allmähliche Distanzierung  : Anziehung und Enttäuschungen Heimito von Doderer hatte nach dem Krieg geschrieben, bereits 1937 mit dem Nationalsozialismus gebrochen zu haben. Im September 1945, in englischer Kriegsgefangenschaft in Norwegen, fürchtete er seine bevorstehende Rückkehr nach Österreich wegen seiner NS-Vergangenheit, die er als „theoretische[n] Irrtum, vor 12 Jahren gesetzt, vor acht Jahren geheilt“ bezeichnete. Im Mai 1946, als er sich den Entnazifizierungsmaßnahmen zu unterziehen hatte, schrieb er von seinen „vor neun Jahren schon Anfang 1937 abgebrochenen einstmaligen Sympathien zur Welt des Nazismus“.268 Im August 1936, als Doderer nach Dachau zog, wo seine Freundin Gabriele Murad aufgrund der dort im Vergleich zu München günstigen Mieten für ihn eine Wohnung gefunden hatte, befand sich seit 1933 das Konzentrationslager Dachau. Doderer erwähnt es in seinem Tagebuch nicht. Vier Personen, die er gekannt hatte, waren im KZ Dachau interniert  : Rudolf Kalmar, Chefredakteur des Wiener Tag, Viktor Matejka, der zur selben Zeit wie Doderer Geschichte studiert hatte, Theodor Hornbostel, ein hoher Beamter des Außenministeriums unter der Regierung Schuschnigg, Modell des Teddy Honnegger in der Strudlhofstiege,269 und Franz Elbogen.270 Doderers Entschluss, nach Deutschland zu ziehen, dürfte mehrere Gründe gehabt haben  : beruflicher, ideologischer und finanzieller Art. Einen knappen Monat nach seiner Ankunft in Dachau war er erleichtert, aus Österreich weg-

267 In der ÖNB gibt es drei Briefe von Milohnic an Doderer und einen Brief von Doderer an Milohnic. Die Briefe sind, soweit sie datiert sind, aus den Jahren 1963–1964. (Briefe von Andreas Milohnic an Doderer vom 23.9.1963, 27.12.1963 u. 7.9.1964 resp. 530/72–1. Han, 530/72–2. Han, 530/72–3. Han der ÖNB sowie Doderer an Andreas Milohnic, o. D. [1964  ?], 530/72–2. Han der ÖNB  ; Briefdurchschl.) 268 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 372 (7.9.1945) u. S. 441 (2.5.1946). 269 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 273. 270 Paul Elbogens Bruder Franz und dessen Frau Julia kamen 1940 in die USA. William C. Bullitt, der damalige US-Botschafter in Paris hatte sich für die Befreiung von Franz Elbogen aus dem KZ Dachau eingesetzt. Der Dirigent Eugene Ormandy, ein Onkel von Hanni Forester, stellte die Affidavits zur Einreise in die USA zur Verfügung. Die beiden Töchter waren bereits seit 1938 im US-Exil. Franz Elbogen starb 1943 im Alter von 53 Jahren an Krebs. (Nach Angaben von Hanni Forester geb. Elbogen per E-Mail zwischen März und Mai 2010.)

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gegangen zu sein. Er fühlte sich befreit „von jenem entsetzlichen Druck, der vom Politischen her auf meiner bisherigen Heimat lastete, zumindest aber auf allen Menschen meiner Art und Gesinnung“.271 Seine „Gesinnung“ hätte ihm auch dabei behilflich sein sollen, einen Verlag in Deutschland zu finden. Da er kein eigenes Einkommen hatte, lebte er weiter von der finanziellen Unterstützung seiner Mutter, von den Zinsen ihrer in München veranlagten Mitgift.272 Doch schon im Oktober 1936 empfand Doderer erste Enttäuschungen  : Neben dem Lob für das NS-Regime übte Doderer auch erstmals Kritik, denn das „Dritte Reich“ entsprach nicht dem trans­ zendentalen, magischen und mythischen Bild, das sich Doderer und Gütersloh davon gemacht hatten.273 Seinem Freund und ehemaligen Verleger Rudolf Haybach schrieb er zwar  : Politisch sind wir hier tadellos und ich glaube, dass die überwältigende Mehrheit aller Deutschen innerhalb der engeren Reichsgrenzen274 mit wirklicher Liebe am Führer hängt, selbst solche, welche der Bewegung eigentlich fern stehen, ja auch die sogenannten „Meckerer“ – in diesem einen Punkt der Person sind sich hier so gut wie alle Menschen einig.275

Das „wir“ im Brief steht wohl für Nationalsozialisten. Doch im selben Brief tauchte erstmals Kritik auf  : Aus dem folgenden Zitat geht die Ablehnung von dem Positivismus-Kritiker Doderer eines rein „nationalökonomischen, sozialen, technischen und nationalen“ Nationalsozialismus hervor, ebenso seine Abneigung der Masse und der „Vernünftigkeit“. Auffallend ist, dass er sich als Österreicher und nicht als Deutscher definierte. Was ihn am Nationalsozialismus hingegen anzog, so wie er ihn, seiner Meinung nach, in Österreich, aber nicht in Deutschland vorgefunden hatte, war das Metaphysische  : „Transcendenz“ und „Fluidisches“. Mit „Sache“ muss im folgenden Zitat die nationalsozialistische „Bewegung“ gemeint sein  : Ich konnte die Sache nicht auf einer rein social-nationalökonomischen Ebene sehen, konnte sie unter dieser Kategorie nicht unterbringen. Jedoch hat sie sich dort unter271 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 853 (28.8.1936). 272 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 256. 273 Vgl. ebd., S. 256f. 274 Mit „engeren Reichsgrenzen“ ist Deutschland ohne Österreich gemeint. 275 Brief von Doderer an Rolf Haybach vom 16.10.1936, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 254 und S. 550, Fn. 5.

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gebracht, mit grosser Vernünftigkeit, als [sic] welche dem technischen Deutschen von heute überhaupt im höchsten Grade liegt. […] Was bei uns Österreichern die Bewegung initiierte, war doch wesentlich ein Fluidisches (und somit Physiognomisches  !). […] Jedoch darf nur sein, was en masse sein kann. […] Die Vertreter der anderen Seite des Lebens – der nationalökonomischen, sozialen, technischen und nationalen ohne Transcendenz – können naturgemäß viel eher eine klare und „allen verständliche“ Sprache führen. Aber sie halten die Sprache und Sache nicht einmal kategorisch rein, sondern […] verwenden dann das gleiche Vocabular für das sogenannte „Geistige“, welches damit schon weit von seinem Begriffe entfernt wird.276

Zu prägenden intellektuellen Einflüssen in Doderers Leben zählten Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes, Hermann Swoboda277 und Otto Weininger,278 wobei sich die Frage stellt, in welcher Weise sich diese Einflüsse letztendlich auf Doderers Werk auswirkten, denn der Germanist Robert Walter schreibt auf die Strudlhofstiege bezogen  : So kann nicht die Rede davon sein, dass Doderer die politisch extrem problematischen Philosophien Weiningers und Swobodas direkt übernommen habe. Sein Anschließen ist – zumindest, was den Roman angeht – von der ausführlichen Auseinandersetzung mit den Autoren geprägt, die letztlich zu einem völlig anderen Menschenbild führt. Kritik in diesem Sinne, soviel scheint deutlich, missachtet den Romantext zugunsten von biografischen Vorurteilen.279

276 Ebd., S. 254f. 277 Der kommentierte Briefwechsel zwischen Doderer und Swoboda sowie Einblicke in das Werk Swobodas und Swobodas Einfluss auf Doderer finden sich in  : Kai Luehrs-Kaiser u. Gerald Sommer (Hg.)  : „Flügel und Extreme“. Aspekte der geistigen Entwicklung Heimito von Doderers. Würzburg 1999 (Schriften der Heimito von Doderer-Gesellschaft, 1) S. 9–91. 278 Zum Einfluss von Weininger auf Doderer vgl. Jacques Le Rider  : „Heimito von Doderer und Otto Weininger“. In  : Pierre Grappin und Jean-Pierre Christophe (Hg.)  : L’actualité de Doderer. (Actes du colloque international tenu à Metz, nov. 1984.) Metz 1986, S. 37–45  ; Jacques Le Rider  : Der Fall Otto Weininger. Wurzeln des Antifeminismus und des Antisemitismus. Mit der Erstveröffentlichung der Rede von Heimito von Doderer. Überarb. u. erw. dt. Ausg., Wien 1985 u. Wolfgang Fleischer  : „Vorwort“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 7–14. Ein neuer Ansatz zu dem Thema findet sich bei Robert Walter  : Zwischen „Explosionen der Intelligenz“ und „Fusion“ mit dem Leben. Texte Weiningers und Swobodas als Prätexte von Heimito von Doderers Roman Die Strudlhofstiege. Magisterarbeit, Berlin 2007 (geplante Veröffentlichung in  : Schriften der Heimito von Doderer-Gesellschaft, 6). 279 Robert Walter, ebd., Kapitel 6 Fazit, S. 126.

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Swoboda, bei dem Doderer Vorlesungen zur Charakterkunde und Übungen zur Psychologie an der Universität Wien besucht hatte, zog 1935 vermutlich wegen seiner deutschnationalen Ansichten und hoher Schulden nach München. Swobodas Theorie stützte sich auf jene von Wilhelm Fließ, der das Leben der Menschen auf einen Rhythmus – die „männlichen“ Perioden auf 23 Tage, die „weiblichen“ auf 28 Tage – festlegte. Swoboda erweiterte die Periodizität auf psychische Vorgänge und unterteilte sie in Stunden, Tage und Siebenjahresperioden. So würden, laut Swoboda, Angst- und Asthmazustände 23 bzw. 28 Stunden oder Tage nach unerfreulichen Sexualerlebnissen auftreten.280 Von Doderer wurde auch Swobodas Theorie vom „Freisteigen von Vorstellungen“ als spontane Erinnerungen übernommen. Hermann Swoboda schreibt dazu  : Nach einem Konzert oder einer Oper gab ich mir vergeblich Mühe, mich einer Stelle zu erinnern, die mir während der Aufführung besonders gefallen hatte. Eines Tages aber, während eines Spazierganges, während der Fahrt auf der Straßenbahn, bei der Arbeit oder mitten in einem Gespräch war die Stelle von selber da. Das war die erste Beobachtung  : Die Arie kommt von selbst. […] Die spontanen Erinnerungen fanden mit Vorliebe am zweiten Tag nach der Perzeption statt.281

Periodizität und sogenannte „freisteigende“ Erinnerungen spielten für Doderer in seinem Leben, wie aus den Aufzeichnungen in seinen Tagebüchern hervorgeht, wie auch in seinen Romanen eine wichtige Rolle. Der Einfluss von Otto Weiningers Geschlecht und Charakter auf Doderer zeigt sich u. a. in dessen Definition von Genie und in der Bedeutung, die dabei Erinnerungen zukommt, sowie in den sexistischen und antisemitischen (das Buch war 1903 erschienen) Ausführungen. Für einen Bruch mit dem Nationalsozialismus findet man in Doderers Tagebuch 1937 keine Hinweise. Es zeichnen sich stattdessen erste Enttäuschungen vor allem im privaten Bereich ab  : Die erwartete Anerkennung als Schriftsteller im „Reich“ blieb aus. Schon im November 1934, als er noch in Wien lebte, war

280 Vgl. Hermann Swoboda  : Die Perioden des menschlichen Organismus in ihrer psychologischen und biologischen Bedeutung. Wien u. Leipzig 1904, S. 12f. 281 Ebd., S. 1. Zu Hermann Swoboda siehe auch Reinhold Treml  : „Venerabilis Magister  ! – Di­ lecte Doctor  ! Die Ideenwelt des Psychologen Hermann Swoboda und ihre Rezeption durch Heimito von Doderer“. In  : Kai Luehrs-Kaiser u. Gerald Sommer (Hg.)  : „Flügel und Extreme“, S. 48–85.

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es ihm unbegreiflich, warum er als Schriftsteller in Deutschland noch nicht entdeckt worden war. Er fand keinen Verlag, konnte von seinem Beruf als Schriftsteller nicht leben und fühlte sich von der Öffentlichkeit abgeschnitten. Über Veröffentlichungen schrieb er  : [H]ier in Österreich kommt solches unter den herrschenden Umständen und vom verlegerischen Gesichtspunkte überhaupt nicht in Frage und im Reiche draussen ist es mir bisher nicht gelungen, auch nur einen Schritt breit Boden zu gewinnen, eine recht verwunderliche Tatsache, wo man doch glaubte, dass für Schriftsteller meiner Art nun ein Morgenrot angebrochen sei. So bin ich denn als Schreibender nämlich – gegenwärtig so gut wie lebendig begraben.282

Erst ab September 1937 zeichnete sich ein erster Erfolg ab, dem Zeitpunkt nämlich, als Doderer mit dem Verlagshaus Beck in München unter Vertrag stehen sollte. Allerdings fühlte er sich an seinem neuen Wohnort isoliert. Doch auch dieses Unbehagen kann nicht auf einen Bruch mit dem Nationalsozialismus zurückgeführt werden. Der Grund für seine Isolation war vielmehr, dass er die Bayern (wie auch die Tiroler, die er miteinander verglich) als zu provinziell ablehnte.283 Seine Integration in Deutschland war gescheitert. Er fühlte sich nicht mehr, wie noch im Februar 1937, als Deutscher,284 sondern – durchaus erfreut darüber – im Juni 1937 als „Ausländer“.285 Doderers Kritik an Deutschland richtete sich in diesen Jahren nicht gegen den Nationalsozialismus an sich, sondern gegen den gesellschaftlichen Einfluss der Sozialdemokratie vor der Machtübergabe an Hitler. Dieser schlug sich, so Doderer, auch im Nationalsozialismus nieder. Von der „ausserordentliche[n] Anmaßung“ der Deutschen schrieb er, die er auf die Sozialdemokratie zurückführte, ebenso wie von dem Stolz der Deutschen auf ihre Allgemeinbildung, die Doderer zutiefst verachtete.286 Doderers konkreter Vorwurf an den Nazismus war, dass dieser zu sozialistisch sei. Gütersloh schrieb er im November 1936 vom Verlust des „politischen Eros“287, den er als befreiend empfand. Mit der „Geliebten“ ist im folgenden Zitat der Nationalsozialismus gemeint  : 282 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 650 (Nov. 1934). 283 Vgl. ebd., Bd. II, S. 939 (23.2.1937) u. S. 940 (2.3.1937). 284 „uns Deutsche“, ebd., S. 939. 285 Vgl. ebd., S. 1006 (18.6.1937). 286 Vgl. ebd., S. 939. 287 Brief von Doderer an Gütersloh vom 4.11.1936. (Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 107.)

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Wenn man so der Geliebten in’s Antlitz schaut, und dieses entschleiert sich immer mehr als das eines ehrlichen und braven Sozialismus […]  : da ist man weit eher geneigt zu behaupten, die Geliebte hätte sich eben verändert, als zuzugestehen, dass man selbst sich vorlängst in der Kategorie geirrt habe.288

Im Grunde aber, und das ist das Paradoxe an jemandem, der ohne äußeren Druck der NSDAP beigetreten ist, war Doderer an Politik nicht interessiert. Politische Aktivitäten seinerseits sind weder bekannt noch wahrscheinlich. Schon Anfang 1937 hatte er die Notwendigkeit betont, von der Politik Abstand zu gewinnen  : „Das Politische mit seinem falschen, ,weil decisionslosen Transcendieren‘ […] hat Viele [sic] von uns durch einige Zeit in eine ganz unstatthafte Nähe zu einander gebracht.“289 Doch auch das war nichts Neues, denn dieses Bedürfnis hatte er schon Jahre zuvor in Österreich gehabt, als von einem Bruch mit dem Nationalsozialismus noch keine Rede sein konnte. In einem Tagebucheintrag vom 24. und 25. Juli 1934 zeigte er sich zwar von dem Todesurteil für einen NS-Attentäter290 (noch vor der Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß am 25. Juli 1934) betroffen, doch noch wichtiger war ihm, Abstand von den politischen Ereignissen zu bekommen, die nur Unfug („Allotria“) seien und ihn am Schreiben hindern würden.291 Im Jahr 1936, in dem er nach Dachau gekommen war, schrieb er  : „Was ich mir, von den heftigen Affekten in Österreich her, schon dort vorschauend für mein Leben hier wünschte  : nämlich über das Politische für immer hinauszuschreiten […]“.292 Zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich am 13. März 1938 schrieb er seinen in Wien lebenden Freunden durchaus erfreut, so etwa am 27. März 1938 an Rolf Haybach  : Die Ereignisse von der Monatsmitte hatten auf mich eine sehr eigentümliche Wirkung. Irgendwie schien mir mit diesem Geschehen die Flut des Positiven in der Welt wieder zu steigen, so dass sie auch mich, der ich auf dem besten Wege war, ein alter 288 Ebd. 289 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 919–923, Zit. S. 921, Fn. 1 (2.1.1937). 290 Ein Mitgefühl, das Doderer den Opfern des Bürgerkriegs im Februar 1934 nicht entgegenbrachte, als er den Beschuss des Karl-Marx-Hofs mit Kanonen in Wien ironisch beschrieb. Vgl. ebd., S. 1011 (25.6.1937). 291 Vgl. ebd., Bd. I, S. 640–643 (24.7.1934 u. 25.7.1934). 292 Ebd., Bd. II, S. 857f., Zit. S. 857 (1.10.1936). Zu Doderers Wunsch nach Distanz vom Politischen, vgl. auch ebd., S. 859 (2.9.1936), S. 864 (17.9.1936) u. S. 869 (3.11.1936).

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Granthefen zu werden, wieder emporhob […] Tatsächlich zeigt meine Arbeits-Statistik der zweiten Hälfte März einen Hochstand der Leistung […] Dein Bub soll Dir im historischen Schulatlas die Karte zeigen „Deutschland im 11. Jahrhundert“, sie schaut aus, als ob sie 14 Tage alt wär  !293

Am 22. März 1938 hatte er diesbezüglich an Ernst Scharmitzer geschrieben  : „Nun, Dein Glück jetzt kann ich mir so ungefähr vorstellen  !“, und er erklärte ihm, was er zu tun habe, um (nach dem Anschluss) seine alte NSDAP-Mitgliedsnummer behalten zu können. Er schloss den Brief mit „Sieg heil  ! – Heimito“.294 Ein Bruch Doderers mit dem Nationalsozialismus – wäre es denn tatsächlich ein Bruch und nicht eine sukzessive Distanzierung gewesen – hätte der Familie Hasterlik zugute kommen können, und sei es nur, um seiner Frau durch eine rasche Scheidung ihre seit dem Anschluss erzwungene Emigration zu ermöglichen. Doch dem war nicht so, der persönliche Kontakt wurde nicht mehr aufgenommen. Gusti Hasterlik ihrerseits erzählte retrospektiv, dass Doderer 1938 die Scheidung verzögert hatte.295 Dass Gusti Hasterlik sich scheiden lassen wollte, stand schon mindestens seit Mai 1938 fest.296 Um in die USA einreisen zu dürfen, benötigte sie entweder die Scheidung oder Doderers Einverständnis.297 Verzögerungen konnten monatelange Vorbereitungen für das Exil scheitern lassen. Vermutlich musste sie nur noch die Gerichtsverhandlung für die Scheidung vom 25. November 1938 abwarten, denn unmittelbar danach verließ sie Wien (und nicht erst am 2. Februar 1939, wie Wolfgang Fleischer schreibt298) – auf ihrem Pass ist die Ausreise vom Hamburger Hafen mit einem Stempel vom 30. November 1938 vermerkt.299

293 Brief von Doderer an Rolf Haybach vom 27.3.1938, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 272. 294 Brief von Doderer an Ernst von Scharmitzer vom 22.3.1938, zit. nach Wolfgang Fleischer (ebd.). 295 Siehe weiter unten  : Anhang  : Korrespondenz mit Giulia Hine, S. 374. 296 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU item 3576, 1938/05/23 Brief von Carnap, Ina an Hasterlik, Sam. 297 Vgl. Brief von Doderer an Emma Maria Thoma vom 26.9.1938, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 279. 298 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 281. 299 „Hamburg, Hafen ausgereist am 30. NOV. 1938“ (Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5658, 1938/09/02, „Document – Passport HA“).

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Ungereimtheiten zu Doderer als NSDAP-Mitglied Am 9. Februar 1939 war Doderer der NSV (NS-Volkswohlfahrt) „Ortsgruppe  : Buchenfeld“ mit der Mitgliedsnummer 11830167 beigetreten, wie er auf dem „Fragebogen für Mitglieder der NSV.“ angab. Nachdem Doderer sein Beitrittsdatum zur NSDAP mit dem 1. April 1933 und seine NSDAP-Mitgliedsnummer mit 1526987 mitgeteilt hatte, fügte er – und das auf einem vom 1. Februar 1940 von ihm datierten Formular und damit bald eineinhalb Jahre nach seiner Rückkehr nach Wien – „Ortsgruppe Dachau bei München“ hinzu.300 Derselbe Hinweis findet sich auch auf einem von Doderer und Gütersloh unterschriebenen „Erhebungsbogen“, frühestens aus dem Jahr 1939, in dem beide angaben, Mitglieder der „NSV.“ zu sein. Doderer fügte noch an  : ­„NSDAP Ortsgruppe Dachau b. München.“301 Da Doderer am 1. Februar 1940 angab bei der „Ortsgruppe Dachau bei München“ gemeldet zu sein, hatte er sich nicht im Frühjahr 1939, wie Wolfgang Fleischer schreibt, von der Ortsgruppe Dachau zur Ortsgruppe Wien umgemeldet, „wozu er sich am 18. März bei Maria für die ,getane Besorgung‘ bei der Ortsgruppe bedankte und den Ummelde-Schein beilegte“.302 Doderer hatte seit seiner Rückkehr noch keine Mitgliedsbeiträge in Wien bezahlt. Er dürfte vielmehr, bis er zur Wehrmacht einrückte, seine Mitgliedsbeiträge weiterhin an die Ortsgruppe Dachau überwiesen haben, denn in seinem im Jahr 1946 gestellten „Ansuchen um Nachsicht von der Registrierung“ (als ehemaliger Nationalsozialist) schrieb er, dass er „zuletzt noch einmal im Frühjahr 1940“ an „die deutsche Ortsgruppe“ einen „Beitrag“ überwiesen habe und diese ihm mitgeteilt habe, er sei ihr „als Parteigenosse nicht bekannt“.303 300 „Fragebogen für Mitglieder der NSV.“ von „Dr. Heimito von Doderer“ an „NSV. Gau Wien.“ vom 1.2.1940. (WStLA, NSDAP Wien, Gauakten, A 1  : 61.843 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.) 301 Bei diesem undatierten „Erhebungsbogen“ handelt es sich um Angaben zu den Mietern in der Buchfeldgasse 6/13. Es sind Gabriele Murad u. Edmund Schüller mit dem Hinweis „ausgezogen am 11/XI/1938 nach I Singerstr. 27 Atelier“ sowie Albert Gütersloh und „von Doderer Dr Heimito“ angegeben. „Erhebungsbogen“ (Buchfeldgasse N° 6) [o. J.  ; 1939  ?] – WStLA, NSDAP Wien, Gauakten, A 1  : 60.172 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. 302 Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, Zit. S. 284 u. Wolfgang Fleischer  : Heimito von Doderer. Das Leben. Das Umfeld des Werks in Fotos und Dokumenten. Wien 1995, S. 147. 303 „Ansuchen um Nachsicht von der Registrierung, gem. Verordnung v. 11.VI.1945“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ (in „Weissenbach am Attersee“) an „das magistratische Bezirksamt Wien VIII. Josefstadt“ vom 21.2.1946 (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 8. Bez./3932 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.)

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Dass Doderer, seit er im September 1938 wieder in Wien lebte, keine Mitgliedsbeiträge in Wien bezahlt hatte, dürfte die NS-Behörden auf ihn aufmerksam gemacht haben. Zahlungen waren keine eingegangen, das geht aus der „Mitglieder-Überweisung“ hervor, einem Vordruck vom 22. Dezember 1939 vom „Gauschatzmeister“ der „NSDAP. Gau Wien“ an den „Kassenleiter der Ortsgruppe der NSDAP.“ Es heißt darin  : Der obgenannte Parteigenosse ist sofort in Zugang zu bringen. Sollte sich der Parteigenosse bei Ihrer Ortsgruppe noch nicht angemeldet haben, so ist er vom zuständigen Blockleiter aufzusuchen und zu veranlassen, sich ordnungsgemäß bei der Ortsgruppe anzumelden.304

Auf dem Formular wurde der Eingangsstempel „Gauschatzamt Wien“ mit 13. Juni 1940 hinzugefügt und die handschriftliche Anmerkung „derzeit b. d. Wehrmacht“.305 Vermutlich aus dem Jahr 1940 – vom „7/4“ – stammt ein Zettel, auf dem handschriftlich geschrieben steht  : „Pg. Dr Ernst [sic] Hainsto [?] Doderer 8. Buchfelg. [sic] 6/IV/13 soll sich lt. Gauleitung dringend bei uns anmelden kommen  !“306

Das „uns“ im Text dürfte auf die zuständige Ortsgruppe im 8. Bezirk verweisen. Die handschriftliche Antwort auf demselben Zettel muss aus Mai oder Juni 1940 stammen, denn sie lautet  : „eingerückt Kamenz“. Da Doderer, nachdem er zur Wehrmacht eingerückt war, keine Mitgliedszahlungen mehr zu leisten hatte, dürfte dies die Nachforschungen auch beendet haben. Doch davor wurden noch andere Stellen aktiv  : So gab es am 9. Mai 1940 eine Anfrage der „Geheime[n] Staatspolizei Staatspolizeileitstelle Wien“. „An

304 „Mitglieder-Überweisung“ von „NSDAP. Gau Wien Der Gauschatzmeister“ an „den Kassenleiter der Ortsgruppe der NSDAP.“ vom 22.12.1939 (Eingang  : 13.6.1940). (ÖStA/AdR, 02/BMI, Gauakt 177.291, Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.) 305 Vgl. ebd. 306 „Pg. Dr. Ernst [sic] Hainsto [  ?] Doderer“ (handschriftlich, Unterschrift unleserlich, „7/4“ [o. J. – 1940  ?]) (Ebd.)

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die NSDAP. Gauleitung Wien Personalamt bzw. An die Kreisleitung Ortsgruppe“. Auf dem Vordruck wurde um „Bekanntgabe der politischen Beurteilung des Nachgenannten ersucht“  : „Dr. Doderer“ „Heinito“ [sic].307 Diese Anfrage wurde an den „Ortsgruppenleiter“ und „Personalamtsleiter“ weitergeleitet, die am 14. Juni 1940 das „Gutachten“ mit dem Hinweis schlossen  : Der Angefragte ist derzeit zur Wehrmacht eingerückt und wohnt hier in Untermiete, sodass eine verlässliche Auskunft nicht zu erhalten ist. Laut Angabe seiner Quartiergeberin ist Dr. Doderer illegaler Pg., musste im Jahre 1934 nach Bayern flüchten und soll heute noch Mitglied der Ortsgruppe Dachau sein. Ein politisches Urteil kann wegen der Kürze seines Aufenthaltes hier nicht gegeben werden, und [sic] ist auch seine frühere Adresse nicht bekannt.308

Bei der namentlich nicht genannten „Quartiergeberin“ könnte es sich um Leo­ poldine Kresswaritzky handeln, deren Name 1938/1939 auf den Meldeunterlagen der Buchfeldgasse 6/13 unter der „Unterschrift des Hauseigentümers (Stellvertreters)“309 aufscheint. Unklar ist, ob die „Quartiergeberin“ es nicht besser wusste oder Doderer helfen wollte, als sie fälschlich angab, er habe 1934 nach Bayern flüchten müssen (abgesehen davon war er ab 7. November 1939 als ,Hauptwohnpartei‘ und nicht mehr als ,Unterpartei‘ gemeldet 310). Interessant ist aber der erneute Hinweis, dass er „heute noch Mitglied der Ortsgruppe Dachau“ sein soll. Trotzdem muss es noch zu einer Ummeldung von Dachau nach Wien gekommen sein, auch wenn diese folgenlos blieb, da Doderer von 1940 bis Kriegsende zur Wehrmacht eingezogen war  ; denn auf seiner NSDAP-Mit-

307 „Geheime Staatspolizei Staatspolizeileitstelle Wien.“ an „die NSDAP. Gauleitung Wien Personalamt bzw. An die Kreisleitung Ortsgruppe“ vom 9.5.1940. (Ebd.) 308 „Gauleitung Wien Personalamt Hauptstelle politische Beurteilungen“ an „die NSDAP. Gauleitung Personalamt bzw. An die Kreisleitung I Ortsgruppe“ vom 9.5.1940. (Ebd.) 309 „Meldezettel für Unterparteien“ bzw. „Meldezettel für Haupt(Jahres- und Monats)wohn­par­ teien“, Wien 8, Buchfeldgasse 6/13, von (Leopoldine) Kresswaritzky in den Jahren 1938/1939 unterschrieben, unter  : „Unterschrift des Hauseigentümers (Stellvertreters)“. (Vgl. z. B. auf dem Meldezettel von Gregor Sebba  ; „Meldezettel für Haupt(Jahres- und Monats)parteien“ von Dr. Gregor Sebba  : 6.10.1936 [Anm.] – 30.4.1938 [Abm.]  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13 – WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Wien 8, Buchfeldg. 6.) 310 „Meldezettel für Haupt(Jahres- und Monats)wohnparteien“ für den VIII. Bezirk Buchfeldgasse Nr. 6 Tür 13 4. Stock, „Dr. Heimito von Doderer“, angemeldet am 7.11.1939, abgemeldet am 15.12.1947. (Vgl. ebd.)

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gliedskarte sind unter „Ortsgruppe“ die Einträge „Döbling“ (wo er lebte, als er 1933 Mitglied wurde) und „Dachau“ gestrichen und „Wien“ (wo er seit 1938 wieder lebte) hinzugefügt, und unter „Gau“ wurden „Wien“ und „Mü Oby“ (München Oberbayern) gestrichen und „Wien“ neuerlich angeführt  ; dementsprechend sind unter „Anschrift“ seine Adresse in der Obkirchergasse 45 im 19. Bezirk in Wien angegeben (wo er vom 2. 12. 1932 bis 31. 12. 1934 gemeldet war) und unter „Neue Anschrift“ die Münchenerstr. 33 in Dachau und „Wien VIII, Buchfeldgasse 6“. Auf der Mitgliedskarte unten steht  : laut Behörde München Oberbayern 30. 3. 40 („lt. Beh. Mü Oby 30. 3. 40“) – vielleicht ein Hinweis auf eine daraufhin veranlasste Ummeldung.311 Dass er in der NSDAP keine Funktionen gehabt hat, geht aus dem „Fragebogen für Mitglieder der NSV.“ vom 1. Februar 1940 hervor, in dem Doderer die Fragen nach „Ämter in der NSDAP.“ und „Öffentliche Ämter“ verneinte. Ebenso verneinte er die Fragen, ob er aus der Partei „ausgetreten“ oder „ausgeschlossen“ worden sei, und gab zu „Zeitpunkt des Austritts bzw. Ausschlusses“ an  : „ist nicht der Fall“.312 Die Unterlagen bestätigen damit, was schon in Wolfgang Fleischers Doderer-Biografie deutlich wird, nämlich einerseits, dass Doderer nicht aus der NSDAP ausgetreten ist, andererseits, dass Doderer in der Partei kein politisch aktives Mitglied war. Ihm lag offensichtlich nichts daran, sich nach seiner Rückkehr nach Wien als NSDAP-Mitglied ummelden zu lassen. Ob er in Wien 1933 oder in Dachau zwischen 1936 und 1938 jemals an Mitgliederversammlungen der Ortsgruppen teilgenommen hat, ist nicht bekannt. Trotzdem war es 1937 noch kein Bruch mit dem Nationalsozialismus, sondern eine progressive Ernüchterung  : 1934 die erste Enttäuschung, vom „Dritten Reich“ noch nicht als Schriftsteller entdeckt worden zu sein  ; 1936 erste 311 Im NSDAP-Mitgliedsbuch finden sich bei Doderer, abgesehen von Angaben zu Mitgliedsnummer, Name, Eintritt, Geburtsort und -tag, Heimatgemeinde, Ortsgruppe, Gau, Bezirk, Beruf, Anschrift, Familienstand (keine Angaben zu Letzterem bei Doderer) nach dem Hinweis „Prov. Mitgliedskarte ausgestellt am  : 11. Mai 1933“ und „Mitgliedsbuch ausgefertigt am“, folgende in Kurrentschrift abgekürzte und schwer leserliche Hinweise  : „lt. Abr. Stelle [laut Abrechnungstelle] d. L.L. [der Landesleitung  ?] Oesterr. [Österreich] v. [  ?] 22.9.36 nach [  ?] Dachau. // lt. Mü. Oby. [München Oberbayern] v. [  ?] 139./128 nach [  ?] Wien // lt. Beh. [Behörde] Mü. Oby. 30.3.40/3 (4.39) nach [?] Dachau.“ BArch (ehem. BDC), NSDAP-Mitgliederkartei, Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. 312 Vgl. „Fragebogen für Mitglieder der NSV.“ von „Dr. Heimito von Doderer“ an „NSV. Gau Wien.“ vom 1.2.1940. (WStLA, NSDAP Wien, Gauakten, A 1  : 61.843 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.)

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Ansätze einer Distanzierung nach seinem Umzug nach Deutschland wegen persönlicher Enttäuschungen und seiner Ablehnung dessen, was er als sozialistisch am Nationalsozialismus empfand  ; 1939/1940 seine Konversion zum Katholizismus und 1940 seine Einberufung zur Wehrmacht. Doch, wie schon Wolfgang Fleischer schrieb  : „[A]uch als – ab 1940 – seine innere Emigration immer deutlicher wurde, hütete er sich sehr gründlich, äußerliche Zeichen zu setzen, die als Widerstand gedeutet hätten werden können.“313

4. Mitglied der Reichsschrifttumskammer „Heute langten die Vorschreibungen der Schrifttums-Kammer bei mir ein. Ein ganzer Akt. Ich kann dem freilich tadellos gerecht werden, da ich ja alle Voraussetzungen erfülle  : jedoch wird’s zeitraubend sein. Und vor Erledigung darf ich nirgends veröffentlichen. Der Anblick solcher riesenhafter bürokratischer Maschinerie wirkte auf mich äusserst niederschlagend“, schrieb Doderer am 27. August 1936 in sein Tagebuch.314 Autoren, die ihren Wohnsitz im „Reichsgebiet“ hatten und dort veröffentlichen wollten – wie Doderer nach seinem Umzug nach Dachau 1936 –, mussten Mitglieder der Reichsschrifttumskammer sein.315 Das entspricht auch Doderers Darstellung in seinem „Ansuchen um Nachsicht von der Registrierung“ (als ehemaliges NSDAP-Mitglied) im Februar 1946  : Ich bemerke noch, dass ich in Deutschland, um überhaupt einen Verlagsvertrag abschliessen zu können, in die „Reichs-Schrifttums-Kammer“ als Zwangs-Organisation für Berufs-Schriftsteller aufgenommen werden musste (nur im Nebenberuf litterarisch Tätige erhielten einen sog. Befreiungs-Schein).316

Doch Doderer wurde den Anforderungen der Kammer keineswegs „tadellos gerecht“, wie er schrieb, denn 1936 war er noch mit Gusti Hasterlik verheira-

313 Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 285. 314 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 852 (27.8.1936). 315 Vgl. Klaus Amann  : Der Anschluß österreichischer Schriftsteller an das Dritte Reich. Institutionelle und bewußtseinsgeschichtliche Aspekte. Frankfurt/Main 1988, S. 57 u. 59. 316 „Ansuchen um Nachsicht von der Registrierung, gem. Verordnung v. 11.VI.1945“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „das magistratische Bezirksamt Wien VIII. Josefstadt“ vom 21.2.1946. (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 8. Bez./3932 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.)

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tet, und sie galt nach den Nürnberger Gesetzen als Jüdin. In der „Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935“ hieß es  : „§ 5. (1) Jude ist, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt“ und unter „§ 2 Abs. 2 Satz 2“  : „Als volljüdisch gilt ein Großelternteil ohne weiteres, wenn er der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat.“317 Dass Gusti Hasterlik als Jüdin galt, hätte für eine Ablehnung von Doderers Ansuchen gereicht. So wurden Beitrittsansuchen an die Reichsschrifttumskammer anderer Autoren etwa aus folgenden Gründen abgelehnt  : „Ehefrau Jüdin“, „Ehefrau Mischling I“, „Mischling I“ (zwei jüdische Großeltern), „Mischling II“ (ein jüdischer Großelternteil)318 oder auch  : „politisch unzuverlässig“.319 Doch muss sich die Reichsschrifttumskammer mit Doderers Erklärung, dass er von seiner Frau seit 1932 getrennt war, begnügt haben  ; dabei könnte seine NSDAP-Mitgliedschaft seit 1933 zu seinen Gunsten entschieden haben, obwohl diese keine Voraussetzung für eine Aufnahme war. Die Unterlagen, die Heimito von Doderer für die Reichsschrifttumskammer auszufüllen hatte, liegen gemeinsam mit anderen Formularen und seinen Briefen an die Kammer im Bundesarchiv Berlin (BArch), dem ehemaligen Berlin Document Center (BDC), auf.320 Doderer hatte am 17. August 1936 um die Aufnahme in der Kammer angesucht. Die Formulare wurden ihm am 25. August geschickt. Sieben Unterlagen mussten eingereicht werden  : „Aufnahme-Erklärung“, „Fragebogen“, „Lebenslauf “, „Pol. Führ. Zgn.“ (Politisches Führungs-Zeugnis), „eig. Ariernachweis“, „A. [Arier] Nachw. Ehegatte“, „Beitr.-Erkl.“ (Beitritts-Erklärung). Von den sieben geforderten Unterlagen wurden nur zwei zunächst noch als fehlend gekennzeichnet  : das Politische Führungszeugnis und der eigene Ariernachweis, aber auch das wurde nachgebracht und in der Rubrik „in Ordng.“ (in Ordnung) mit „ja“ gekennzeichnet  ; 317 „Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz. Vom 14. November 1935. RGBl I 1935, 1333.“ (Ins­ titut für österreichische und deutsche Rechtsgeschichte der Johannes Kepler Universität Linz  ; http  ://www.rechtsgeschichte.jku.at/Lehrveranstaltungen/Allgemeines/Lernbehelfe/WS/09. Oesterreich%20unter%20dem%20Recht%20der%20Herrenrasse%20(Nationalsozialismus)/ 1.%20verordn.%20reichsbuergersetz.pdf ). 318 Vgl. Beate Meyer  : „Jüdische Mischlinge“. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933–1945. 2. Aufl. Hamburg 2002, S. 101. 319 Vgl. BArch (ehem. BDC), RK [Reichsschrifttumskammer], R 65 V. 320 BArch (ehem. BDC), RK/2100/B33/1125, Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. (Gerald Stieg veröffentlichte daraus eine Abbildung vom „Fragebogen für Mitglieder“ und eine Abschrift der beiden Lebensläufe Doderers für die Reichsschrifttumskammer  ; Gerald Stieg  : Frucht des Feuers. Canetti, Doderer, Kraus und der Justizpalastbrand. Wien 1990, S. 216–227.)

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beim „A.[rier] Nachw. Ehegatte“ stand, obwohl das für 1936 unzutreffend war, „gesch.“ (geschieden).321 In der Aufnahmeerklärung hatte man „arisch“ oder „jüdisch“ zu streichen, Staatsangehörigkeit, Namen, Datum und Ort der Geburt und Adresse anzugeben und sich mit seiner Unterschrift zu verpflichten, den Mitgliedsbeitrag zu zahlen und den Mitgliedsausweis als Eigentum der Reichsschrifttumskammer anzuerkennen.322 In dem vierseitigen Fragebogen für Mitglieder musste zusätzlich die Religion angegeben werden. Doderer hatte „Konfessionslos (seit 1930) früher lutherisch“ eingetragen. In der Rubrik Familienstand „Gesch.“ (geschieden) hatte er „getrennt seit November 1932“ hinzugefügt und alle Daten Ehefrau und Kinder betreffend gestrichen.323 In seinem Lebenslauf schrieb er  : „In diese Zeit fällt auch meine kurze und unglückliche Ehe mit einer Frau jüdischer Abkunft (1930–1932). Diese Ehe blieb kinderlos. Ich habe meine gewesene Gattin zum letzten Mal im November des Jahres 1932 persönlich gesprochen.“324 Der unmittelbar folgende Satz lautet wohl nicht zufällig  : „Im Frühjahre 1933 bin ich der N.S.D.A.P. beigetreten, und habe, wie eben jeder österreichische Nationalsozialist, deren schweres Schiksal durch die letzten Jahre geteilt, war naturgemäss auch in Polizeihaft.“325 Die im Fragebogen für Mitglieder gestellte Frage nach Vorbestrafungen hatte er allerdings durchgestrichen. Die Behauptung der „Polizeihaft“ ist zweifelhaft. Vielleicht war ihr Sinn nur jener, die unmittelbar davor erwähnte „Ehe mit einer Frau jüdischer Abkunft“ mit seiner frühen NSDAP-Mitgliedschaft aufzuwiegen. Im Auszug aus dem Strafregister steht, dass „keine Verurteilungen vermerkt“ wurden.326 Andere Fragen betrafen die Teilnahme am 1. Weltkrieg, ehemalige Mitgliedschaften bei politischen Parteien, die Zugehörigkeit zu den Freimaurern oder Bibelforschern. Es gab ferner Fragen zum Beruf, zur Mitgliedschaft bei 321 „Bearbeitungsblatt für Aufnahme“; BArch (ehem. BDC) RK/2100/B33/1125, Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. 322 Vgl. ebd., „Aufnahme-Erklärung“. 323 Vgl. ebd., „Fragebogen für Mitglieder“. 324 Vgl. ebd., „Lebensbeschreibung“ „A.) Gedrängte Übersicht in Daten (sogen. ,Curriculum vitae‘)“. 325 Ebd. 326 Vgl. ebd., „Auszug aus dem Strafregister“ (mit Eingangsstempel der RSK vom 23.7.1937). Es handelte sich um das „Ersuchen um Auskunft aus dem Strafregister“ der RSK an die „Oberstaatsanwaltschaft beim Volksgerichtshof “ in Berlin. Das Dokument wurde mit dem Stempel „Auslandsstrafregister“ versehen.

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Schriftstellerverbänden und zu Veröffentlichungen. Doderer beantwortete die Frage nach den Schriftstellerverbänden mit  : „ehem. ,Schutzverband der deutschen Schriftsteller in Österr.‘“ und „ehemalige ,Organisation der Wiener Presse‘“ – keiner der beiden zählte zu jenen österreichischen pronationalsozialistischen Organisationen, die bemüht waren, den Anschluss Österreichs von innen vorzubereiten (wie z. B. der Reichsverband Deutscher Schriftsteller oder der Bund der deutschen Schriftsteller Österreichs).327 Als Auskunftspersonen mussten zwei Personen, die „erschöpfend Auskunft geben können“, und zwar „bezügl. pol. Einstellung“ und „bezügl. schriftst. Tätigk.“, angegeben werden. Doderer gab fünf Personen an  : „in polit. und litterar. Hinsicht Dr. Gerhard Aichinger (D.N.B.)“, wobei D.N.B. für das Deutsche Nachrichtenbüro steht. Gerhard Aichinger war ein Freund Doderers und der ehemalige Chefredakteur des NS-Organs Deutschösterreichische Tageszeitung (Dötz). Bevor die Dötz am 22. Juli 1933 in Österreich verboten und daraufhin eingestellt wurde, konnte Doderer vier seiner Kurzgeschichten veröffentlichen  : „Ein Schneegewitter“ am 2. April 1933 (erstmals im Wiener Tag vom 26. März 1931), „Der Golf von Neapel“ am 7. Mai 1933, „Im Irrgarten“ am 4. Juni 1933 und „Ein sicherer Instinkt“ am 9. Juli 1933. Doch sind diese Erzählungen weder „völkisch“ noch nationalsozialistisch  : „Weder Krieg noch Heldentum, weder Blut noch Boden, weder Judenhaß noch Rassedenken, weder Heimat noch Volkstum spielen in ihnen eine Rolle.“328 Doderer gab für seine schriftstellerische Tätigkeit „auch in wissenschaftl. Hinsicht“ die Namen von Prof. Dr. Oswald Redlich und Prof. Dr. Heinrich von Srbik an  ; für seine politische Einstellung H. Müllner, seinen Blockwart in Wien, und Joachim Dressel in München.329

327 Vgl. Ernst Fischer  : „Schriftstellerorganisationen der Zwischenkriegszeit I. Zur Geschichte österreichischer Schriftstellerorganisationen in den dreißiger Jahren. Überlegungen und Thesen“. In  : Klaus Amann u. Albert Berger (Hg.)  : Österreichische Literatur der dreißiger Jahre. Ideologische Verhältnisse, institutionelle Voraussetzungen, Fallstudien. Wien u. Köln 1990, S. 147–149  ; vgl. auch Klaus Amann  : Der Anschluß österreichischer Schriftsteller an das Dritte Reich. 328 Gerald Sommer  : „Eine ,Person von Porzellan‘ im ,Golf von Neapel‘. Heimito von Doderers literarische Winkelgänge im ,Irrgarten‘ der bürgerlichen Gesellschaft“. In  : Christoph Deupmann u. Kai Luehrs-Kaiser (Hg.)  : „Die Wut des Zeitalters ist tief “. Die Merowinger und die Kunst des Grotesken bei Heimito von Doderer. Würzburg  : Königshausen & Neumann 2010. (Schriften der Heimito von Doderer-Gesellschaft, 4), S. 397–414. Ich danke Dr. Gerald Sommer für die Zusendung seines Beitrags noch vor Veröffentlichung. 329 „Fragebogen für Mitglieder“; BArch (ehem. BDC) RK/2100/B33/1125, Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.

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Der Vordruck für den „Abstammungs-Nachweis“ ging bis zur Generation der Urgroßeltern mit Angaben zu Name, Ort und Datum der Geburt, Heirat, Beruf (nur für Männer), Religion und Kirche (zuständige Pfarre).330 Doderer hatte zwei Lebensläufe geschrieben, einen ersten, den er „Lebensbeschreibung“ nannte und der (in Aufsatzform) dem üblichen Modell entsprach, bei dem aber auch die Zeit, in der er geschrieben wurde, und der Adressat berücksichtigt wurden, beispielsweise als Doderer schrieb  : „1920 entrann ich dem roten Russland“ oder auch sein Hinweis auf die jüdische Herkunft seiner Frau und seine NSDAP-Mitgliedschaft.331 Und er legte einen zweiten bei, den er als „Wesentliche Lebensbeschreibung“332 bezeichnete. Es handelt sich dabei um einen elfseitigen maschinengeschriebenen Text. Doch hatte er denselben Text zuvor schon für Gerhard Aichinger verfasst und ihn fast unverändert übernommen.333 In diesem zweiten Lebenslauf ging er auf sein theoretisches Konzept als Romanschriftsteller ein und entwickelte Ideen, die ihn dauerhaft beschäftigen sollten. Das ist etwa der Fall, als er von der Notwendigkeit spricht, zu Geburt und Tod ein Drittes im Leben eines Menschen zu setzen  : „die Geburt der eigenständigen Person“,334 was in seinen Romanen der sogenannten „Menschwerdung“ entspricht. Ein anderes Konzept Doderers ist jenes von der „Totalität des Lebens“, der zufolge alles miteinander verbunden sei.335 Doderer wollte dieser „Totalität“ in seinen Romanen gerecht werden. Auch ein später oft wiederholter Gedanke Doderers scheint schon hier auf  : „Seine [des Erzählers] grundsätzliche Zustimmung zum Leben wie es ist und wirklich geschieht (nicht wie es sein soll  !)“.336 Auch auf die Bedeutung der „Transzendenz“ geht er ein und  : Der „wirkliche Roman ist immer Gesellschaftsroman  !“337 Als Schriftsteller lehnte er die Vorgangsweise des Historikers und seine „wissenschaftlich[e] Sprache“ ab, was für ihn stattdessen zählte, war, wie der Einzelne Geschichte erlebt.338 330 Vgl. ebd., „Abstammungs-Nachweis“. 331 Vgl. ebd., „Lebensbeschreibung“ „A.) Gedrängte Übersicht in Daten (sogen. ,Curriculum vitae‘)“. 332 Vgl. ebd., „Lebensbeschreibung“ „B.) Wesentliche Lebensbeschreibung“. 333 Siehe weiter unten  : „Die Dämonen der Ostmark“  : Doderers Darstellung der „Dämonen der Ostmark“ 1936. S. 224–228. 334 Vgl. „Lebensbeschreibung“ „B.) Wesentliche Lebensbeschreibung“, S. 1. BArch (ehem. BDC) RK/2100/B33/1125, Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. 335 Vgl. ebd., S. 5. 336 Ebd., S. 6. 337 Ebd., S. 7. (Im Original in Klammern.) 338 Vgl. ebd., S. 7f. (Im Original in Klammern und Anführungszeichen.)

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Auf drei weiteren Seiten schrieb Doderer über den Roman, an dem er arbei­ tete  : „Die Dämonen der Ostmark“.339 In seinem 1930 veröffentlichten Roman Das Geheimnis des Reichs, der zur Zeit des 1. Weltkriegs und der russischen Revolution spielt, verwahrte er sich dagegen, diesen als Kriegsroman zu bezeichnen.340 Krieg und Revolution bilden tatsächlich nur den Hintergrund für die Geschichte von Kriegsgefangenen in sibirischen Lagern, die von Doderers eigenen Erfahrungen zwischen 1916 und 1920 inspiriert sind. Ob die Reichsschrifttumskammer die Genehmigung für eine Veröffentlichung dieses Romans gegeben hätte  ? Das Geheimnis des Reichs war zweifellos problematisch, denn zum Bild vom guten deutschen Bauern kam jenes des guten russischen Bauern.341 Außerdem kritisierte Doderer die Konterrevolutionäre und die sie unterstützenden tschechischen Einheiten,342 während seine Kritik der russischen Revolution gemäßigt ausfiel. Vor allem aber werden die Revolution und führende Revolutionäre sogar gewürdigt, etwa als „auf die überlegene Persönlichkeit Lenins […] und auf Leo Trotzkis militärisches Ingenium“343 hingewiesen wird. Das „Geheimnis des Reichs“ – nämlich, dass die russische Revolution erfolgreich war – besteht für Doderer darin, dass Lenin, ohne es selbst zu wissen, wohl der „treueste Knecht des heiligen Rußland“344 war. Dieser Lebenslauf kann daher nicht auf eine opportunistische Haltung reduziert werden, mit der Doderer seine Aufnahmechancen erhöhen wollte (auch seine Länge und Komplexität dürften eher abschreckend gewirkt haben). Doderer formulierte darin vor allem Gedanken, wie jene zuvor erwähnten, die sich in seinem Werk niederschlugen und ihn wohl bis zu seinem Tod beschäftigt haben. Am 23. Dezember 1936 wurde Heimito von Doderer als Mitglied der Reichsschrifttumskammer mit der Mitgliedsnummer 13801 aufgenommen. Erst die Mitgliedschaft bei der Kammer ermöglichte Doderer zu veröffentlichen  : Beim Beck Verlag in München erschienen 1938 sein Roman Ein Mord den jeder begeht und 1940 Ein Umweg, den er zwar schon 1931 beendet, mangels Verlag 1934 aber überarbeitet hatte.345 339 Vgl. ebd., S. 8–11. (Zu „Die Dämonen der Ostmark“ siehe weiter unten  : „Die Dämonen der Ostmark“  : Doderers Darstellung der „Dämonen der Ostmark“ 1936, S. 224–228.) 340 Vgl. ebd., S. 4f. 341 Vgl. Heimito von Doderer  : Das Geheimnis des Reichs. In  : Heimito von Doderer  : Frühe Prosa, z. B. S. 334, 372 u. 416. 342 Vgl. ebd., z.B. S. 403f., 416f,. 423 u. 441. 343 Ebd., S. 358. 344 Ebd., S. 358f., Zit. S. 359. 345 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 221f., S. 300 u. 304f.

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In einer Anfrage der Reichsschrifttumskammer vom 17. Juni 1938 erklärte Doderer, vom Beck Verlag seit dem 1. Oktober 1937 monatlich 200 Reichsmark (RM) zu beziehen.346 Laut Erklärung für die Reichsschrifttumskammer vom 25. Januar 1940 beliefen sich seine Brutto-Einnahmen für das Jahr 1939 auf 2 400 RM,347 was der vom Verlag monatlich bezahlten Summe entspricht. Ein bescheidenes Einkommen, wenn man es zum Beispiel mit jenem von Alexander Lernet-Holenia (einem Bekannten Doderers aus der Nachkriegszeit) vergleicht, der 1940 13 000 RM und 1942 30 864 RM verdiente,348 obwohl er kein NSDAP-Mitglied war, dafür aber „uk“349 (unabkömmlich) gestellt und somit vom Militärdienst befreit worden war. Anfang Juni 1938 schrieb Doderer, er sei unentschlossen, ob er in Dachau bleiben, nach München, Salzburg (wo Gütersloh wohnte) oder Wien ziehen sollte.350 Schließlich zog er Anfang September von Dachau nach Wien in den 8. Bezirk,351 in die Buchfeldgasse 6/13. Die Wohnung hatte, wie schon die Dachauer Wohnung, seine Freundin Gabriele Murad für ihn gefunden oder an ihn abgetreten. In dieser Wohnung hatte vor Gabriele Murad Gregor Sebba gewohnt. Da dieser, laut Angabe in den Meldeunterlagen, der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte, stellt sich die Frage, ob er diese Wohnung 1938 verlassen musste, das heißt, ob seine Wohnung, in der er als Hauptmieter lebte, arisiert wurde und von wem  ? Über eine Arisierung dieser Wohnung durch Doderer gibt es bisher nur Widersprüchliches an Aussagen. Daher wird diesem komplexen Sachverhalt im Anhang ein eigener Abschnitt gewidmet. Vorab lässt sich sagen, dass beim derzeitigen Kenntnisstand die Behauptung, Doderer hätte die Wohnung arisiert, nicht zu beweisen und auf Grundlage der 346 Vgl. „Fragebogen zur Bearbeitung des Aufnahmeantrages für die Reichsschrifttumskammer“  ; Eingang  : 17.6.1938. BArch (ehem. BDC) RK/2100/B33/1125, Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. 347 Vgl. ebd., „Erklärung für die Reichsschrifttumskammer“. 348 Zu Alexander Lernet-Holenia, seiner finanziellen Situation während des NS-Regimes und seiner teilweise angespannten Beziehung zur Reichsschrifttumskammer vgl. Gerald Sommer  : „Er dient um die Erlaubnis, eine öffentliche Heimsuchung sein zu dürfen.“ Anmerkungen zu Willkür und Wohlwollen fiskalischer Organe ausgehend von Alexander Lernet-Holenias Roman Das Finanzamt. In  : Thomas Hübel, Manfred Müller u. Gerald Sommer (Hg.)  : Alexander Lernet-Holenia. Resignation und Rebellion. „Bin ich denn wirklich, was ihr einst wart  ?“ Beiträge des Wiener Symposions zum 100. Geburtstag des Dichters (12.–14. Mai 1997). Riverside/CA 2005, S. 171–187, hier v. a. S. 181–185. 349 Ebd., S. 184. 350 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 1085 (4.6.1938). 351 Vgl. ebd., S. 1108; „Wien, Samstags, 3. September (Buchfeldgasse)“ 1938.

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Daten auf den Meldeunterlagen sowie von Doderers Tagebucheintragungen und seinem Briefwechsel mit Albert Paris Gütersloh nicht haltbar ist.352 5. Konversion zum Katholizismus Heimito von Doderers Familie war zum Großteil evangelisch, so wie ursprünglich auch er, doch trat er 1930 aus der Kirche aus. Bei seiner Bewerbung um Aufnahme bei der Reichsschrifttumskammer hatte er auf die Frage nach der Religion „Konfessionslos (seit 1930) früher lutherisch“353 angegeben. Auf seinem Meldezettel vom 7. November 1939 verwendete er stattdessen den Ausdruck „gottgläubig“354, einen Begriff, der dem NS-Regime gemäß war in seinen Bestrebungen, die Macht der Kirchen einzuschränken, den individuellen christlichen Glauben aber zuzulassen.355 Am 28. April 1940 wurde Doderer in die katholische Kirche aufgenommen.356 Dies entsprach, auch wenn es sich dabei um einen rein privaten Akt gehandelt haben mag, nicht der NS-Ideologie. Doderer nahm vor seiner Taufe Religionsunterricht bei den Patres Bichlmair und Born, zwei Gegnern des Nationalsozialismus, die sich für Christen jüdischer Herkunft einsetzten.357 Doderers Freund Ferdinand von Steinhart dürfte bei Doderers Entschluss, zum Katholizismus zu konvertieren, eine Rolle gespielt haben, da er kurz vor Doderer wieder in die Kirche eingetreten war  : 1946 schrieb Provinzial Bichl­ mair  : „Herr Dr. Steinhardt [sic] war aus der Kirche ausgetreten. Ich habe ihn im Jahre 1939, im Herbst, wieder in die Kirche aufgenommen.“358 Im Herbst 352 Siehe weiter unten  : Anhang  : Hat Heimito von Doderer eine Wohnung „arisiert“  ?, S. 401–422. 353 Vgl. „Fragebogen für Mitglieder“. BArch (ehem. BDC) RK/2100/B33/1125, Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. 354 Laut Meldezettel war Doderer vom 3.10.1939 bis 3.11.1939 als Untermieter am Schmerlingplatz 2/12 gemeldet, ab 7.11.1939 wieder in der Buchfeldgasse 6/4/13. (WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Wien 8, Buchfeldg. 6.) Wolfgang Fleischer schreibt, dass Doderer seine Wohnung in der Buchfeldgasse kurzfristig an Gabriele Murad verh. Steinhart, ihren Mann und deren neugeborene Tochter abgetreten hatte. (Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 292.) 355 Vgl. Wolfgang Fleischer, ebd., S. 293. 356 Vgl. „Abschrift.“ (Wolfgang Fleischer  : Heimito von Doderer, S. 148). 357 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 293f. 358 In seinem Schreiben führte Provinzial Bichlmair an, was auf den Bruch Steinharts mit der NSDAP seit 1939 bzw. auf seine demokratische Gesinnung verwies. („Bestätigung.“ von „Provinzial.“ „Bichlmair“, [mit Eingangsstempel von] „Registrierungsbehörde (Meldestelle) zur Registrierung der Nationalsozialisten für den 1. Bezirk“, 25.5.1946. – WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 1. Bez./1927 zu Steinhart, Ferdinand, geb. 24.6.1910.)

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1939 dachte auch Doderer „ernsthaft an den Eintritt in die katholische Kirche“. Pater Bichlmair und Pater Born hatte er über Gaby und Ferdinand von Steinhart kennengelernt.359 Mit Ferdinand von Steinhart führte Doderer auch einen brieflichen Gedankenaustausch zu theologischen Fragen. Doderer entdeckte für sich Ente et essentia von Thomas von Aquin, woraus er seine konservative Theorie der ersten Wirklichkeit entwickelte (für Doderer ein positiv besetzter Begriff, der bedeutet, die Welt zu sehen, wie sie ist, ohne verändernd einzugreifen), im Gegensatz zu einer zweiten, oder geminderten Wirklichkeit (die Welt zu sehen, wie sie sein sollte, mit dem Bestreben, sie zu verändern, zu verbessern, was Doderer ablehnte).360 Über die Auswirkungen seiner Konversion auf literarischer Ebene schrieb Wolfgang Fleischer  : Ebenso sicher behauptete er jetzt, ein wahrer Romanschriftsteller müsse katholisch sein  : denn große, sich schließende Romankompositionen, in denen alles in Bezug zueinander steht, sind nur in einem völlig monistischen System zu rechtfertigen, wo die Klammer der „analogia entis“ auch die disparatesten Teile verbindet. In diesem Sinn fasste er seine literarische Arbeit […] als religiös im eigentlichen Wesen auf […] Wäre hingegen Religiöses direkt in den Texten aufgetreten, so hätte er dafür seine Worte von der „geronnenen Transzendenz“ parat gehabt  : gemeint als ein erneutes Verlassen der „ersten Wirklichkeit“.361

6. Russland, Revolution und Kommunismus Doderers Bild von der russischen Bevölkerung war durch seine Erfahrungen als Kriegsgefangener zwischen 1916 und 1920 in Russland geprägt, und zwar positiv, dabei aber abstrakt und klischeehaft. Näheren Kontakt zu Russen dürfte er nicht gehabt haben, und im Gegensatz zu anderen Kriegsgefangenen lernte er in den vier Jahren kein Russisch, was er rückblickend bereute.362 „Es lebe Russland  !“ schrieb er im Mai 1924, an seinem „russischen Divertimento“ (dem späteren Roman Das Geheimnis des Reichs) arbeitend.363 Im September 1925 schrieb er von „Russland, das ich [innig] liebe“ und von seinen

359 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 293f., Zit. S. 293. 360 Vgl. auch ebd., S. 294–296. 361 Ebd., S. 296. 362 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 1248 (13.12.1939). 363 Vgl. ebd., Bd. I, S. 216 (Mai 1924).

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„russischen Brüdern“.364 Selbst seine NSDAP-Mitgliedschaft beeinträchtigte zunächst sein Bild von Russland nicht  : Deutsche und Russen waren für ihn gleichermaßen „Völker ohne Chauvinismus“.365 Und im Mai 1937, schrieb er, nach anerkennenden Worten für Dostojewski, lobend über den „Takt des Russen“ im Gegensatz zur „ausgeschwitzte[n] Ideologie“ der „reichsdeutschen Schriftsteller“.366 Auch die russische Revolution schnitt bei Doderer zunächst positiv ab, worauf mehrere Tagebucheinträge in den Jahren 1924 und 1925 hinweisen, insbesondere deren „Jugendlichkeit“ zog ihn daran an. Doch stellte er gleichzeitig klar, dass er über den Bolschewismus als politisches Programm nichts wisse.367 Für ihn hatte die Revolution die „herrlichsten Menschen“, aber auch viel „Schmutz“ hervorgebracht.368 Als er in Wien den Vortrag eines antikommunistischen russischen Redners über Russland und den Bolschewismus gehört hatte, kritisierte ihn Doderer als „etwas zu reaktionär“.369 Für Doderer hob sich der russische Osten dank seiner „gewaltigeren Masse der rohen Kraft“370 positiv vom Westen ab, wobei er die jüdischen Russen nicht als Russen definierte und sie dem von ihm negativ besetzten Westen zuordnete.371 Dazu gehörte auch das für ihn als negativ empfundene „Intellectuell-Constructive“, die „marxistische Auffassung“, die zum „jüdischen Geiste“ zähle, im Gegensatz zu „rein geistigen Essenzen“.372 Eine Unterscheidung, die er schon 1923 getroffen hatte, als er Gusti Hasterlik des „jüdischen Intellectualismusses“ bezichtigte, während er sich im Gegensatz dazu als „Spiritualist“ sah.373 Doch Russland habe, so Doderer, keine „jüdisch[e] Gefahr“ zu befürchten, weil die Juden, „noch dazu bei solcher Minorität“, als „uraltes Volk“ ihr „grosses kulturelles Schicksal längst zu Ende gelebt“ hätten  :

364 Ebd., S. 286 (Sept. 1925). Das Wort „innig“ wurde gestrichen. 365 Vgl. Doderers Aufsatz  : „Völker ohne Chauvinismus/Deutsches und russisches Nationalgefühl. [Der Zusatz „Mühsame Chauvinisten“ wurde gestrichen]/von Heimito Doderer“. Ebd., S. 609– 611 (August 1933). Den Schrägstrichen entsprechen im Original Absätze. 366 Ebd., Bd. II, S. 985 (26.5.1937). 367 Vgl. ebd., Bd. I, S. 293 (Sept. 1925). 368 Vgl. ebd., S. 289 (Sept. 1925). 369 Ebd., S. 261 (20.1.1925). 370 Ebd., S. 293 (Sept. 1925). 371 Vgl. ebd., S. 292 (Sept. 1925). 372 Ebd., S. 293 (Sept. 1925). 373 Vgl. ebd., S. 127 (24.2.1923).

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Der angeblichen „Infection durch jüdischen Geist“ etc. etc. könnten höchstens geistig gänzlich entfärbte u. entsaftete Schichten grossstädtischer Bevölkerung unterliegen, […] Schichten welche ohnehin längst kein lebenswichtiges Glied am Kulturkörper mehr bilden, sondern eine Art Derivat oder Abfallsproduct.374

Doderers relativ positive, wenn auch dezidiert unpolitische Sichtweise der russischen Revolution und damit des Bolschewismus – 1925 schrieb er  : „Gott bewahre Russland auch in der fernen Zukunft  ! vor jeder Reaction“375 – wurde aber in den 1930er-Jahren revidiert, zu einem Zeitpunkt, als seine nationalsozialistischen, antisemitischen Überzeugungen ihren Höhepunkt erreichten (etwa 1934 bis 1936). 1936 verwendete er den Begriff Bolschewismus in dem Ausspruch „der Kältetod der Zivilisation, der wahre Bolschewismus“376 erstmals abwertend und schrieb von der „Gefahr des Bolschewismus“.377 Auch sein positives Bild der Revolution sollte sich endgültig ändern. Hatte er 1924 unter dem Titel „Die neue Revolution“ noch geschrieben, er hoffe, sich möglichst rasch des 19. Jahrhunderts zu entledigen, um sich entschlossen der Zukunft zuzuwenden und er fühle sich beflügelt von der Idee, sich von jeglicher Tradition zu befreien,378 so warf er Ende 1939 den Revolutionären vor, in Klammern fügte er „Marxisten  !“ an, sich der „Apperception“ (die Welt zu sehen, wie sie ist) zu verschließen.379 Doderer lehnte nunmehr alles Revolutionäre, die russische Revolution ebenso wie die „nationale Revolution“ der Nationalsozialisten, ab. Dass Doderer diese als Revolution verstand, geht schon aus einem Tagebucheintrag 1936 hervor, als er schrieb  : „Das Grunderlebnis (das revolutionäre Grunderlebnis) welches später den nationalen Namen erhielt“.380 In einem Tagebucheintrag im Juni 1946, der nicht in den Tangenten erschien, wurde er noch deutlicher, als er über die Anziehung, die der Nationalsozialismus auf ihn ausgeübt hatte, festhielt  : Dieses Revolutionäre bot sich im eben damals einsickernden Nazismus dar, den ich sogleich, ohne mir vorher die Mühe irgendeiner Untersuchung zu machen, mit 374 Ebd., S. 294 (Sept. 1925). 375 Ebd., S. 290 (Sept. 1925). Im Original in Klammern. 376 Ebd., S. 664 (23.2.1935). 377 Ebd., Bd. II, S. 847 (25.8.1936). 378 Ebd., Bd. I, S. 255 (21.11.1924). 379 Ebd., Bd. II, S. 1247–1249, Zit. S. 1248 (13.12.1939). (Zur „Apperception“ siehe weiter unten  : Sexualität und totaler Staat, S. 276–280.) 380 Ebd., S. 893 (8.12.1936).

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meinem „konstruktiven Denken“ vom neuen Reiche überbaute und umgab. Ich setzte eine Erscheinung in der Aussenwelt ohne weiteres gleich mit meinen eigenen Vorstellungen – was den Ausschluss jeder Apperception bedeutete – und nahm von jedem Kerl in weissen Strümpfen oder im braunen Fracke an, er leide unter den gleichen Schmerzen, komme aus denselben kontradiktorischen Lagen, strebe zu den gleichen Zielen und meine […] das gleiche wie ich. Das Nicht-Appercipieren wurde hier geradezu eine geübte Praxis  : niemals las ich irgendwelche Bücher oder Schriften, die von dieser Seite kamen, auch Hitlers Buch nicht  ; niemals trat ich in irgendeine persönliche Verbindung mit solchen Kreisen  ; sondern ich sah nur dann und wann auf der Straße einen uniformierten Klachel gehen, nicht ohne Scheu und Ehrfurcht vor „dem transcendentalen Gepäck im Tornister des Sturmabteilungs-Mannes“, das ich dort hinein illusionierte.381

Doderer definierte Revolutionäre als „sublime Faulpelze“, die sich der Gegenwart verweigern würden, um alles auf eine unbestimmte Zukunft aufzuschieben.382 In Doderers „Begreifbuch“, dem Repertorium 383 (einer Sammlung von Aphorismen, auch wenn er selbst diesen Begriff dafür vermied), an dem er von 1941 bis zu seinem Tod 1966 schrieb, ist die Definition von „Revolution“ und „Revolutionär“ ausschließlich negativ. 1944 schrieb er etwa  : „Im Kerne ist jeder Revolutionär ein Reaktionär. Seine Sterilität hindert ihn, geistige Zukunft zu sehen […].“1950, offensichtlich auf die „nationale Revolution“ der Nationalsozialisten anspielend, schreibt er  : Revolution ist Lebensmüdigkeit. Man löst das Politikum durch totalitäre Abschaffung der Politik, jedes Problem durch Abschaffung der Dialektik, die eingebildete oder wirkliche „Judenfrage“ durch Abschaffung der Juden – und so weiter, bis zur Abschaffung des Lebens überhaupt.384

381 Ser. n. 14.078 der ÖNB, Tagebucheintrag vom 18.6.1946, zit. nach Kai Luehrs u. Gerald Sommer  : „Nach Katharsis verreist. Heimito von Doderer und der Nationalsozialismus“. In  : Christiane Caemmerer u. Walter Delabar (Hg.)  : Dichtung im Dritten Reich  ? Zur Literatur in Deutschland 1933–1945. Opladen 1996, S. 53–75, Zit. S. 69. Vgl. auch den vollständigen Tagebucheintrag Doderers in  : François Grosso  : „Anhang“. In  : François Grosso  : Primum scribere, deinde vivere, S. 239–242 (17. u. 18.6.1946). 382 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 743 (8.4.1950)  ; vgl. auch Doderers Kritik an „revolutionären Typen“, S. 624 (23.8.1948). 383 Heimito von Doderer  : Repertorium. Ein Begreifbuch von höheren und niederen Lebens-Sachen. [1969] Hg. von Dietrich Weber. 2. Aufl., München 1996. 384 Ebd., S. 197.

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Auch die Begriffe „Materialismus“, „Sozialismus“ und „Proletarier“ definierte er abwertend.385 Doch obwohl Doderer nicht frei von der Stimmung des Kalten Krieges war, stellte er diese nicht öffentlich zur Schau – im Gegensatz zu den zurückgekehrten Exilanten Friedrich Torberg und Hans Weigel, deren antikommunistische Haltung (angeführt von Torberg, unterstützt von Weigel) zu einem jahrelangen Boykott der Stücke Brechts auf österreichischen Bühnen führte,386 und den der „inneren Emigration“ zugerechneten Autoren Rudolf Henz, wie seiner Autobiografie zu entnehmen ist,387 und Alexander Lernet-Holenia, der als Präsident des österreichischen PEN-Clubs zurücktrat, um seinen Protest gegen die Verleihung des Nobelpreises für Literatur an den „besonders unappetitlichen Bolschewiken Böll“ kundzutun.388 In der Nachkriegszeit wurde die Entnazifizierung sehr rasch immer mehr durch den Antikommunismus abgelöst. So berichtet der Schriftsteller Ernst Lothar, der in der NS-Zeit in die USA emigrieren musste und 1946 als amerikanischer Staatsbürger im Dienst der US-Armee nach Wien zurückgekehrt war, dass er, als er die Rehabilitation eines Künstlers ablehnte, weil dieser seit 1937 NSDAP-Mitglied gewesen sei, von seinem Vorgesetzten zurechtgewiesen worden sei  : „,Oh, forget it  !‘ habe man mich beschieden und außerdem belehrt, ich müsse einen Salto (,somersault‘) machen  ; denn um die Nazis handle es sich nicht mehr, nur noch um die Kommunisten.“389 385 Vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten  ; zu Materialismus, S. 622 (23.8.1948), zu den Begriffen Sozialismus und Proletarier, S. 632 (11.9.1948). 386 Zum Brecht-Boykott vgl. Kurt Palm  : „Brecht und Österreich. Anmerkungen zu einigen Auseinandersetzungen um Brecht in den fünfziger Jahren“. In  : Friedbert Aspetsberger, Norbert Frei u. Hubert Lengauer (Hg.)  : Literatur der Nachkriegszeit und der fünfziger Jahre in Österreich. Wien 1984, S. 128–138. 387 Rudolf Henz  : Fügung und Widerstand. Eine Autobiographie. [1962] Erw. Ausg., Graz, Wien u. Köln 1981. 388 Alexander Lernet-Holenia zit. nach Volker Kaukoreit u. Kristina Pfoser (Hg.)  : Die österreichische Literatur seit 1945. Eine Annäherung in Bildern. Stuttgart 2000, S. 174. 389 Ernst Lothar  : Das Wunder des Überlebens. Erinnerungen und Ergebnisse. Wien u. Hamburg 1961, S. 360. Zu diesem Thema vgl. auch Oliver Rathkolb  : „NS-Problem und politische Restauration“, u. Brigitte Galanda  : „Die Maßnahme der Republik Österreich für die Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus – Wiedergutmachung“. In  : Sebastian Meissl, Klaus-Dieter Mulley u. Oliver Rathkolb (Hg.)  : Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne. Entnazifizierung in Österreich 1945–1955 (Symposion des Instituts für Wissenschaft und Kunst, Wien, März 1985). Wien 1986, resp. S. 73–99 u. 137–149. Vgl. auch Wolfgang Neugebauer  : „Das Exil und die österreichische Identität. Referat anlässlich der Jahrestagung der Gesellschaft für Exilforschung

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Doderers Bekannten- und Freundeskreis war seine Haltung in der Zeit des Kalten Krieges aber durchaus bekannt. So schrieb Hilde Spiel in ihrer Autobio­ grafie auf Doderer bezogen, dass sie sich damit abgefunden habe, dass  : in Heimitos Wiener Wohnung zwei Fotografien in krasser Kontrapunktik an die […] Seitenwand eines Bücherregals geheftet waren  : Papst Pius XII. in der engelhaft weißen Soutane […] und darunter ein in der Tat abstoßendes Bild der ostdeutschen Justizministerin Hilde Benjamin, deren Mann [Georg, Walter Benjamins jüngerer Bruder, Kommunist jüdischer Herkunft, der 1942 im KZ Mauthausen umkam]390 von den Nazis erschlagen worden war und die jetzt, gegenüber den Schergen des „Dritten Reiches“, im Gerichtssaal keine Gnade kannte.391

Und Wolfgang Fleischer  : [B]ei einem meiner ersten Besuche bei Doderer, als siebzehn-, achtzehnjähriger [Anfang der 60er Jahre], als ich noch Gymnasiast war, hat er mich geradezu schockiert mit seiner Bemerkung, dass jetzt weltpolitisch der ideale Moment für die Amerikaner wäre Russland mit einem atomaren Präventivschlag zu vernichten. Ich habe ihn entsetzt angeschaut, da meinte er, er kenne ja die Russen, das ginge nicht anders für die Zukunft.392

e. V. „Exil in Österreich – das österreichische Exil“ (Wien, 24.–26. März 2000)“. (Dokumenta­ tionsarchiv des Österreichischen Widerstandes  ; www.doew.at/thema/exil/exiloeid.html). 390 Zu Hilde u. Georg Benjamin, vgl. den Eintrag zu Hilde Benjamin im Deutschen Historischen Museum  ; www.dhm.de/lemo/html/biografien/BenjaminHilde. Zu Georg Benjamin vgl. auch (ohne Nennung des KZs und Todesjahres) Yad Vashem  : The Central Database of Shoah ­Victims’ Names  ; http  ://www.yadvashem.org/wps/portal/IY_HON_Welcome  : Benjamin, Georg. 391 Hilde Spiel  : Welche Welt ist meine Welt  ? Erinnerungen 1946–1989. München u. Leipzig 1990, S. 222–224. (Dorothea Zeemann erinnerte sich an dieselben Bilder in Doderers Wohnung  ; Dorothea Zeemann  : Jungfrau und Reptil, S. 100.) 392 Siehe weiter unten  : Anhang  : Gespräch mit Wolfgang Fleischer, S. 364.

III. Offizier bei der Wehrmacht

In einem Brief des US-Konsulats in Wien vom 9. Mai 1940 an Heimito von Doderer heißt es  : „Sie sind auf der deutschen Warteliste am 10. April 1940 unter No. 76256 eingetragen.“393 War dies ein Versuch, Einberufung und Krieg zu vermeiden  ? In seinem „Ansuchen um Nachsicht von der Registrierung“ vom 21. Februar 1946 schrieb er dazu  : 1938 im Herbst habe ich, da ich eine Zeit lang befürchtete, der Anschluss Öster­reichs könnte ein dauernder bleiben, beim amerikanischen Konsulat in Wien um eine Auswanderungsnummer angesucht und sie erhalten. […] Der Name der Beamtin, welche damals meinen Antrag behandelte, ist  : Frl. Zdenka Murad, Wien I. Schmerlingplatz 2, 4. Stock, Tür 12. Auch sie kann über meine politische Einstellung seit langer Zeit Auskunft geben. Ihre beiden Brüder sind amerikanische Bürger.394

Auch Ferdinand von Steinhart gibt – allerdings für das Jahr 1939 – an, einen Antrag auf Auswanderung in die USA gestellt zu haben, und verweist auf ein Schreiben vom „Amerikanischen Generalkonsulat“  ; in seinem Fall lautete die Nummer G 76267 mit demselben Datum wie bei Doderer, dem 10. April 1940.395 Der geringfügige Unterschied zwischen den Nummern legt nahe, dass die Anträge von Doderer und Steinhart zur selben Zeit gestellt wurden, wobei als Datum 1939 wahrscheinlicher ist als der von Doderer angegebene Herbst 1938. Zdenka Murad, die Doderer in seinem Schreiben angibt, ist die Schwester von Gabriele Murad verh. von Steinhart. Sie nahm 1938 eine Stelle beim „amerikanischen Konsulat“ an, führte aber ab 1940 den gemeinsamen Haushalt für ihre Mutter und die Familie ihrer Schwester und zog die (bis 1949 mittlerweile) sechs Kinder der Familie Steinhart auf. Die von Doderer erwähnten Brüder René Murad, ein Arzt, und Anatol Murad, ein Universi-

393 Eine Abbildung des Briefs findet sich bei Wolfgang Fleischer  : Heimito von Doderer, S. 149. 394 „Ansuchen um Nachsicht von der Registrierung, gem. Verordnung v. 11.VI.1945“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „das magistratische Bezirksamt Wien VIII. Josefstadt“ vom 21.2.1946. (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 8. Bez./3932 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.) 395 „Gesuch um Ausnahme von den Suehnefolgen gem. § 27 des Verbotsgesetzes 1947“ von „Dr. Ferdinand Steinhart“ an „den Herrn Bundespräsidenten der Republik Oesterreich.“ vom 5.7.1947. (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 1. Bez./1927 zu Steinhart, Ferdinand, geb. 24.6.1910.)

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tätsprofessor für Nationalökonomie, waren übrigens schon nach dem Ersten Weltkrieg in die USA ausgewandert.396 Welche Rolle Zdenka Murad bei diesen Ansuchen für Doderer und Steinhart auch zugekommen sein mag, sehr groß dürfte das Anliegen, in die USA auszuwandern, nicht gewesen sein (umso mehr, als man sich auch um ein „Affidavit“ von jemandem in den USA Lebenden bemühen hätte müssen), denn Doderer erwähnte 1957 keine gescheiterten Emigrationsbemühungen, sondern schrieb vielmehr  : „Wie kam ich zum deutschen Militär  ? Weil ich nicht ausgewandert war. Warum wanderte ich nicht aus  ? Weil ich vermeinte, mich noch komplettieren zu müssen, und hier.“397 Von seiner bevorstehenden Einrückung wusste Doderer schon seit 1939. Das geht aus einem Brief Doderers an die Reichsschrifttumskammer (RSK) mit dem Eingangsdatum 25. September 1939 hervor. Er ersuchte die RSK, den Erhalt seines Abstammungsnachweises im Jahr 1936 zu bestätigen, da er seinen „Ariernachweis“ für das „Wehrbezirkskommando“ benötige, derzeit aber keinen Zugang zu seinen persönlichen Dokumenten habe. Doderer erhielt diese Bestätigung von der RSK, doch war sein Vorname falsch geschrieben worden (Heinrich statt Heimito), was das Schreiben unbrauchbar machte und eine neuerliche Verzögerung bedeutete.398 Im Januar 1940 erhielt Doderer seinen Stellungsbefehl, am 13. Februar 1940 eine Vorladung zur Musterung. Zwei Tage danach schrieb er  : „Man darf im Leben nicht zu viel strampeln und nicht zu aktiv sein, wie sich’s faltet, so liegt’s, und gut. Das ist meine einzige bewährte Weisheit.“399 Unter der Devise „Pax in bello“ (Frieden im Krieg) wollte er die Zeit des Krieges, seine Zeit bei der Wehrmacht, verbringen  : „Pax in bello. Wer es versteht und den Weg weiß, der lebt auch in der Hölle behaglich, sagt ein tibetanisches Sprichwort.“400 Dass diese Haltung nicht unproblematisch war, gestand er sich in einem Tagebucheintrag aus dem Jahr 1944 selbst ein. Doderer 396 „Gesuch gem. § 27 des V.G.“ von „Dr. Ferdinand Steinhart“ an „die Registrierungsbehörde zur Registrierung der Nationalsozialisten für den 1. Bezirk“ vom 15.3.1949. (Ebd.) 397 Heimito von Doderer  : Commentarii 1957 bis 1966, S. 117 (15.12.1957). 398 Vgl. BArch (ehem. BDC), RK/2100/B 33/1125, Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. 399 Brief von Doderer an Emma Maria Thoma, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 297. 400 Die Devise „pax in bello“ findet sich (unter „pax“, „pace“, „pacem“) mehrmals in Doderers Tagebuch. Vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten, z. B. S. 253 (7.12.1944). Vgl. auch Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 464–485, hier S. 464.

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war 1944 von Wien, wo er unter für ihn relativ günstigen Umständen leben und arbeiten konnte, nach Waldsassen in Deutschland versetzt worden, wo er unter dem rigiden Militärkommando litt. Aus dieser Zeit stammt sein Eintrag, dass sich der Krieg genau von all jenen nährt, die sich (im Grunde so wie er) bemühen, während des Krieges so zu leben als sei Frieden  : Pax in bello  : diese Situation kann sich auch isolieren […]. Sie erfließt dann nicht aus einer glücklichen Schwebe des Zustandswertes, sondern aus der ApperzeptionsVerweigerung  ; sie konsolidiert den Egoismus, die Persons-Erhaltung, auf einer zu geringen Ebene. Sie wird von Angst und Mißgunst begleitet. In der Hölle lebt nicht behaglich, wer selbst ein Teil der Hölle ist. […] Paradoxal genug ist es, daß gerade von ihr der Krieg sozusagen lebt.401

In diesem Sinn kann auch ein Tagebucheintrag Doderers vom 8. Mai 1945 nach der Kapitulation Deutschlands gelesen werden. Doderer war kurz zuvor nach Oslo versetzt worden. „Man kann durch Dulden schuldig werden. So letzten Endes, hat der totale Staat den Menschen eingesackt […].“402

1. Ausbildung in Deutschland  : April 1940 bis August 1940 Doderer musste am 30. April 1940 im Alter von 43 Jahren einrücken. In Bezug auf die Altersgrenze steht im „Wehrgesetz vom 21. Mai 1935“ zu „§ 4 Dauer der Wehrpflicht“  : „Die Wehrpflicht dauert vom vollendeten 18. Lebensjahre bis zu dem auf die Vollendung des 45. Lebensjahres folgenden 31. März.“ Und im „§ 6 Erweiterung der Wehrpflicht“  : „Im Kriege […] ist der Reichskriegsminister ermächtigt, den Kreis der für die Erfüllung der Wehrpflicht in Betracht kommenden deutschen Männern zu erweitern.“403 Doderer spielte auf seine Einrückung an, als er am 12. Mai 1945 in Norwegen mit jenen mitfühlte, die, seiner Einschätzung nach, weitaus mehr als er darunter litten, Kriegsgefangene zu sein  : „Aber ich für mein Teil bin nun schon über fünf Jahre gefangen, nämlich seit dem 30. April 1940 […].“404 Seine Einberufung hatte mit einer achtwöchigen Ausbildung in Kamenz (Sachsen) 401 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 255 (9.12.1944). 402 Ebd., S. 318 (8.5.1945). 403 Arno Buschmann  : Nationalsozialistische Weltanschauung und Gesetzgebung 1933–1945. Bd. II, S. 235. 404 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 318f.

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begonnen. Ein Hinweis auf diese Ausbildung Doderers findet sich auch in den Archiven der Deutschen Dienststelle (WASt) in Berlin, zu Doderer „als Leutnant der 3. Kompanie Anwärter-Ausbildungs-Bataillon Kamenz/Sachsen“.405 Von Kamenz schrieb er am 26. Mai 1940 an Albert Paris Gütersloh  : Es wird also hier den zu verwendenden Herren Offizieren auf das anschaulichste gezeigt, durch 8 Wochen, wie der Soldat lebt, der ihnen dann unterstellt sein wird. Immanent betrachtet, eine Unterrichts-Methode von hoher Vollkommenheit. Nicht alle halten sie freilich aus, viele mussten schon ausscheiden, etwa ein Drittel.406

Ob Doderer es als zu gefährlich erachtete oder ob es mit seinem Stolz nicht in Einklang zu bringen war, warum er sich nicht bemühte, zu jenem Drittel zu gehören, die körperlich nicht mithalten konnten, ist nicht bekannt, denn von einer Kriegsbegeisterung seinerseits finden sich keine Spuren. Nach seiner Ausbildung und einem kurzen Urlaub wurde er auf einen Militärflugplatz nach Breslau in Schlesien, Deutschland (seit der Potsdamer Konferenz 1945 Wroclaw in Polen) geschickt. Er wurde zur Luftwaffe beordert  : Seine Aufgabe waren administrative Arbeiten und das Kommandieren von Bodentruppen. Seiner Freundin Emma Maria Thoma schrieb er von einer „verantwortungsreiche[n] Stelle“.407 Im Juni 1945 betrachtete er seine fünf Jahre zurückliegende Ausbildung in Kamenz kritisch und zog ihr die Kriegsgefangenschaft vor, wobei der Hinweis auf seine „passive Haltung“ für ihn eine positive Wertung hat  : „Tief in meiner passiven Haltung ruhend wie in einem Fauteuil, dachte ich an Kamenz 1940 und an die preußische Unterwelt dort  : und ich fand die damalige Lage doch weit, weit schlimmer.“408

2. Offizier in Frankreich  : August 1940 bis April 1942 Am 23. August 1940 kam Doderer erstmals nach Paris, ein paar Tage später fuhr er in die Normandie nach Falaise. Von dort schrieb er seiner Mutter, dass 405 Erkennungsmarke  : „-865-3./Anw. Ausb. Bataillon Kamenz/Sa“. Deutsche Dienststelle (WASt – Wehrmachtsauskunftsstelle) Berlin, V–21–677/649, Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. 406 Brief von Doderer an Gütersloh vom 26.5.1940. (Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 150.) 407 Brief von Doderer an Emma Maria Thoma vom 24.7.1940, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 300. 408 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 339 (26.6.1945).

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er in einem kleinen Schloss untergebracht sei und sich wieder seiner Französischkenntnisse entsinne.409 Nach dem Krieg verglich er seine Situation beim Militär, nämlich ständig versetzt zu werden, mit jener eines Postpakets  : Von seiner Ausbildung in Kamenz 1940 bis zum Kriegsende in Norwegen musste er wiederholt Ort und Land wechseln. Allein in Frankreich wurde er innerhalb der ersten vier Monate an 15 Orte in der Normandie und Picardie geschickt  : Falaise, Janville, Dieppe, St. Riquier-ès-Plains, Sasseville, Catteville, Beauvais, Amiens, Le Havre, Yvetot, Cany, Rabuel, Lisieux, Brionne und Rouen.410 Sein Aufgabenbereich muss mit der geplanten Invasion Englands in Zusammenhang gestanden haben. Aus seinem Tagebuch geht diesbezüglich nichts hervor. Über das Dorf St. Riquier-ès-Plains im Durdent-Tal schrieb Doderer nur  : „Ein Schloß in Nordfrankreich, vom Meer nicht weit, und ich unter dem ciel de lit [Himmelbett (richtig  : „lit à baldaquin“)] dort einquartiert, als Offizier nämlich, denn wir haben Krieg.“411 Doderer sah den Unterschied dieses Krieges zu vorangegangenen deutlich. Für ihn waren dafür aber weder die moderne Kriegsmaschinerie noch die Truppen – immer dieselben „Lumpenkerle“ – ausschlaggebend, sondern vielmehr die fehlende „Aura“  : „das Leben, tief gekränkt, hat sich verflüchtigt“.412 Diesen Gedanken nahm er auch in seiner 1963 erstmals erschienenen Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ auf.413 An Emma Maria Thoma schrieb er 1940 nach Veröffentlichung seines Romans Ein Umweg  : „Darum lies mein letztes Buch mit Respect. Darauf hab ich Anspruch, wenn Dich schon das Schicksal berufen hat als Zeugin dieses Untergangs.“414 Sein 1964 erschienenes Tagebuch Tangenten wird auf der Umschlagseite (U4) als „Kriegs- und Nachkriegstagebuch“ angekündigt. Doch über Krieg und Nachkrieg erfährt man äußerst wenig. Was Doderer als Offizier der Wehrmacht machte, kommt fast gar nicht zur Sprache. Von seinem Aufenthalt in Frankreich gibt es einige idyllische Schilderungen von Orten und Landschaften. Erst ein Tagebucheintrag von 1950 gibt ansatzweise einen Hinweis  : 409 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 301. 410 Vgl. ebd., S. 303f. 411 Dieser Teil des Tagebuchs ist mit 1940 bis 1944 datiert. Der Eintrag dürfte aus dem Jahr 1940 sein, da er am Anfang des Tagebuchs steht und Doderer sich zu diesem Zeitpunkt in der Normandie aufhielt. (Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 52.) 412 Ebd. 413 Siehe weiter unten  : „Unter schwarzen Sternen“, S. 291f. 414 Brief von Doderer an Emma Maria Thoma vom 18.10.1940, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 304.

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[I]n Nordfrankreich, in diesem zur Herbstzeit südlich angegoldeten Lande, genoß ich doch manche Stille – pacem in bello – und manches Gesammeltsein, auch in meinem kleinen Zimmer in jenem Palais oder Landhaus, das einem sehr distinguierten lieben kleinen alten Ehepaar gehörte, dem sie viel Schaden taten mit Versauen und Ruinieren von Privateigentum, das beiseite geworfen und im Keller wüst durcheinandergestopft worden war. All das vermehrte meinen Haß und mir war, als wäre der Feind in’s eigene Vaterland eingebrochen  ; denn Frankreich war mein Vaterland als Europäer sozusagen, und muß von jedem Europäer so empfunden werden.415

Anfang 1941 wurde Doderer nach Biarritz versetzt.416 Nach einem Urlaub in Wien kam er zunächst nach Bordeaux, anschließend für eine Woche nach Paris, wo er seine ehemaligen Wiener Quartiergeber Greta Freist und Gottfried Goebel aufsuchte, beide Antifaschisten und NS-Gegner, mit denen er auch nach dem Krieg Kontakt hatte. Von Bordeaux kam er über Poitiers zum Flugfeld von Paluel. Er war zum Oberleutnant befördert worden. Weil er bauliche und administrative Arbeiten am Flugfeld von Paluel zu leiten hatte, verglich er sich mit seinem Vater, dem Bauingenieur, genauer gesagt mit einer „komische[n] Miniaturausgabe vom alten Herrn“,417 und fühlte sich überfordert. Doch nachdem eine Landung in Großbritannien wiederholt verschoben und letztlich darauf verzichtet worden war, wurden die Arbeiten im Juni 1941 eingestellt. Nach dem abgebrochenen Unternehmen „Seelöwe“ begann das Unternehmen „Barbarossa“, die Invasion der Sowjetunion.418 Nach Biarritz, Cognac und Südfrankreich ging es wieder nach Bordeaux, wobei Doderers Dienst vor allem aus Exerzieren und sportlichem Training der Mannschaft bestand. Im Juli kam er nach Mont-de-Marsan, einer Stadt nördlich von Pau, wo die Offiziere in der Villa des ehemaligen Direktors der von der deutschen Wehrmacht besetzten Heilanstalt Sainte-Anne untergebracht worden waren. Neben Reisen nach Biarritz widmete Doderer sich hier seinem Tagebuch und dachte über eine mögliche Fortsetzung der Dämonen nach.419 Er notierte Erinnerungen aus dem Jahr 1915, seine erste Begegnung 415 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 777f. (11.8.1950). 416 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 305. 417 Brief von Doderer an seine Mutter Willy von Doderer vom 18.4.1941, zit. nach Wolfgang Fleischer, ebd., S. 306. 418 Vgl. Wolfgang Fleischer, ebd., S. 303 u. 305–309. Siehe auch Peter Schenk  : Landung in England. Das geplante Unternehmen „Seelöwe“. Der Beginn der amphibischen Großunternehmen, Berlin 1987. 419 Vgl. Wolfgang Fleischer, ebd., S. 306f.

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mit Ernst Pentlarz, mit dem er gemeinsam in der Reserveoffiziersschule der k. u. k. Kavallerie die Offiziersprüfung gemacht hatte. Diese Aufzeichnungen verwendete er später teilweise in seinem Roman Die Strudlhofstiege.420 Die Aktionen von Widerstandskämpfern in Frankreich verschärften sich mit dem Abzug deutscher Truppen aus Frankreich an die Ostfront. Als Racheakt wurden von der Wehrmacht jüdische und kommunistische Geiseln erschossen.421 Darüber erfährt man von Doderer nichts. Im Gegensatz dazu geht es in Erzählungen und Gedichten von Bertrand Alfred Egger (1924–1988), Herbert Eisenreich (1925–1986) und insbesondere Gerhard Fritsch (1924–1969), die als Soldaten zur Wehrmacht eingezogen worden waren (Bertrand Alfred Egger desertierte 1944), um die Erschießung von Geiseln und Widerstandskämpfern in Frankreich und um Vernichtungslager im Osten.422 Zum Jahreswechsel 1941/1942 war Doderer in Wien, anschließend wieder in Paris, Mont-de-Marsan, Biarritz und schließlich Bordeaux. Über seine Beförderung zum Hauptmann423 war er beunruhigt, wie er Albert Paris Gütersloh am 7. März 1942 schrieb  : „[I]ch leide unter einer gewissen Überfülle und zugleich Nerven-Müdigkeit  ; zudem hat man mich neuerlich befördert und das läuft auf eine Versetzung und in’s Ungewisse hinaus […].“424

3. In der Sowjetunion  : April 1942 bis Januar 1943 Doderer wurde in die Sowjetunion versetzt  : Am 17. April 1942 nahm er den Zug von Bordeaux, kam zwölf Tage später in Kursk an und wurde in Ryschkowo bei Kursk untergebracht. Die „Operation Blau“, der erste Teil der Sommeroffensive der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion, der am 28. Juni 1942 begann, hatte die Eroberung der Schwerindustrie im Donezbecken und

420 Vgl. Doderers Tagebucheintrag in Mont-de-Marsan vom 11.3.1942. (Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 107f.) (Mont-de-Marsan wird in der Strudlhofstiege beiläufig erwähnt  ; vgl. Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege, S. 629.) 421 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 308. 422 Vgl. Hans Weigel (Hg.)  : Stimmen der Gegenwart, Wien 1951 u. Wien 1952. Vgl. auch das Kapitel „Der ausgestreckte Zeigefinger“. In  : Gerhard Fritsch  : Katzenmusik. Prosa. Aus dem Nachlaß hg. von Alois Brandstetter. Salzburg 1974, S. 78–80. 423 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 309. 424 Brief von Doderer an Gütersloh vom 7.3.1942. (Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 168.)

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der kaukasischen Erdölfelder zum Ziel.425 Die Arbeit auf den Fliegerhorsten wurde dafür intensiviert. Ab Mitte Mai führte Doderer eine Kompanie, mit der er im Juli drei Wochen an einem Fronteinsatz teilnahm, nicht an vorderster Linie, sondern zur Absicherung dahinter.426 Zu diesem Fronteinsatz finden sich bei Doderer nur Anspielungen. Aus seiner Feldpostnummer L 21926, die Doderer auf einem Brief an Ernst von Scharmitzer vom 24. September 1942 angegeben hatte, lässt sich schließen, dass sie der „Nachschubkompanie der Luftwaffe 8/III“ zugeordnet war, wobei es sich um eine „Nachschubkompanie aus dem Luftgau III“ (und damit um die Bodeneinheiten) handeln dürfte.427 An seinen Freund, den „Hochwohlgeboren Herrn Hauptmann Dr. Ernst von Scharmitzer“, hatte Doderer über diesen Einsatz geschrieben  : Mein lieber guter Ernst, heute ist Dein Brief gekommen […] er hat 25 Tage bis hierher nach Kursk (welches eine ungewöhnlich schöne, in Trümmern liegende Stadt ist) gebraucht. […] Ich war ein und ein halbes Jahr in Frankreich, von der Normandie bis nach Biarritz, das Land war mir (durch die Sprache meiner Kindheit) sogleich vertraut. […] Ich hab’ hier einiges gearbeitet. Im Juli war der Krieg peinlich.428

Mit Arbeit meinte Doderer seine schriftstellerische Arbeit. Über den als „peinlich“ bezeichneten Krieg ging er in diesem Brief nicht ein. In seinem Tagebuch vom 15. Juli 1942 schrieb er darüber  : Seit der Nacht vom 8. auf den 9. Juli, der schlimmsten, die uns am Morgen endlich – und so erschöpft, zutiefst, im Nervösen, daß man ein fast jungfräuliches, ein ausgeräumtes Lebensgefühl hatte – in gerissene Lücken, geschlagene Löcher, mit Splittern und Trümmern getüpfelte Straßen und in die eilfertige Arbeit des Feuers bei weitgedehnten, düsteren Bränden starren ließ – seit dieser Nacht zerfallen die Tage, wie von der Nachwirkung ihrer Erschütterungen, in noch kleinere Brocken, da die Sicherheitsmaßnahmen, welche ich für meine Truppe nach nun schon mehreren 425 Zur „Operation Blau“ vgl. Werner Röhr  : Stalingrad  : Von der Hybris zur Nemesis. Wissenschaftliches Colloquium zum 60. Jahrestag der Schlacht von Stalingrad. 30. Januar 2003, Universität Potsdam  ; http  ://www.nfhdata.de/cgi-local/frame/indexpage.pl  ?http  ://www.nfhdata.de/pre mium/newsboard2/dcboard.php  ?az=show_mesg&forum=117&topic_id=142&mesg_id=147. 426 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 310–312. 427 Deutsche Dienststelle (WASt) Berlin, V–21–677/649, Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. 428 Brief von Doderer an Ernst von Scharmitzer mit einem Militärstempel vom 24.9.1942. („Briefe“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie).

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Nächten der Beschießung endlich treffen mußte, einen erheblichen Teil der Zeit blockieren.429

Doderer schloss mit der Aussage, die er, wie er anmerkte, bereits am 3. Juli notiert hatte, nämlich, dass er sich zu einem Zeitpunkt, in dem sich die äußere Lage zuspitze, innerlich glücklicher fühle  : „[I]m Grunde hat sich nur der Schwerpunkt meines Unglücks verschoben, von innen etwas mehr nach außen, das heißt, ich bin unter unglücklicheren äußeren Umständen – glücklicher geworden.“430 Seine Eindrücke nach einer ersten im Zelt verbrachten Nacht während der Kämpfe im Juli hatte er auch Emma Maria Thoma in einem Brief vom 14. Juli geschildert, als das „weichende Dunkel am Morgen eines der düstersten und grauenvollsten Bilder enthüllte, die ich je gesehen“.431 Die „Ereigniss[e] des Juli“432 hätten, so Doderer, in seiner Truppe aber weder zu Toten noch zu Verletzten geführt.433 In Doderers Tagebüchern nach dem Krieg erfährt man nichts über NS-Kriegsverbrechen (wie gezielte Tötung von Zivilisten, Tötung von Gefangenen, Geiselerschießungen, Völkermord) in der Sowjetunion und damit auch nichts über die Massenvernichtungen im Osten, die nicht nur von der SS und den Einsatzgruppen durchgeführt worden waren, sondern auch mit Unterstützung der Wehrmacht.434

429 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 146 (15.7.1942). 430 Ebd. 431 Brief von Doderer an Emma Maria Thoma vom 14.7.1942, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 312. 432 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 157 (5.10.1942). 433 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 312. 434 Die Historiker Hannes Heer und Klaus Naumann schreiben über die Kriegsverbrechen der Wehrmacht von 1941 bis 1944 an der Ostfront  : „In den sogenannten ,verbrecherischen Befehlen‘, die dem Feldzug voraufgingen, [sic] wurden die Opfergruppen für die Wehrmacht klar definiert  : Kommissare waren zu erschießen, den Kriegsgefangenen wurde ihr international geschützter Status verwehrt, die Zivilbevölkerung verfiel als partisanenverdächtig dem Terror der Besatzer, die Juden wurden zwar den Einsatzgruppen übereignet, aber die Wehrmacht war über jeden Schritt des Vernichtungsprogramms unterrichtet und übernahm es, dessen Prolog zu organisieren.“ Hannes Heer u. Klaus Naumann  : „Einleitung“. In  : Hannes Heer u. Klaus Naumann (Hg.)  : Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944. Hamburg 1995, S. 25–36, hier S. 29f. Über die Kriegsverbrechen der Wehrmacht an der Ostfront ab 1941 vgl. auch Hannes Heer  : Tote Zonen. Die deutsche Wehrmacht an der Ostfront, Hamburg 1999, hier v. a. S. 11–40.

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Im November 1942 litt Doderer an einer Trigeminusneuralgie. Laut ärztlichem Befund war Doderer „g.v.H.“, also „garnisonsdienstverwendungsfähig Heimat“. Er hatte somit weiterhin Wehrdienst zu leisten, aber in der „Heimat“. Am 4. Januar 1943 erhielt er den Marschbefehl für Frankfurt an der Oder, am 6. Januar verließ er Kursk. Einen Monat später wurde die Stadt von der sowjetischen Armee zurückerobert.435

4. Von Deutschland nach Wien  : Januar 1943 bis Oktober 1944 Am 10. Januar 1943 kam Doderer zunächst nach Frankfurt an der Oder zur 3. Kompanie des Flieger-Ersatz-Bataillons III, anschließend nach Berlin für ein neurologisches Gutachten, nach einem Urlaub in Wien neuerlich nach Frankfurt und für fünf weitere Tage nach Wiesbaden. Anschließend wurde er nach Schongau in Oberbayern versetzt, wo er am 26. Februar eine Kompanie übernahm mit dem Aufgabenbereich  : Übungen, Exerzieren, Verwaltung, Inspektionen. Schließlich ging es nach Merzhausen im Taunus, wo er in einem Lehrgang der Luftdienst-Abteilung unterrichtete. In Bayern lebte auch seine Freundin Emma Maria Thoma, doch da er nicht mit ihr verheiratet war, hatte er meist nur Anspruch auf ein freies Wochenende pro Monat.436 Im März 1947 schrieb er über „Die Liebe beim deutschen Militär“  : Die tief abstoßende Förderung, welche das sogenannte Liebesleben des Soldaten beim Hitlerischen Militär fand, wo allem Derartigen ein durchaus positives Vorzeichen verliehen wurde, die feierliche Bevorzugung der Verheirateten, die Einbürgerung auch des sehr dehnbaren Begriffes einer „Braut“ […].437

Am 29. April 1943 kam Doderer nach Wien und begann am 3. Mai zunächst seinen Dienst in Wiener Neustadt beim Luftdienstkommando 1/XVII. Er lebte dort, wie schon des Öfteren, in der ihm so verhassten Umgebung von Hallen und Barackenlagern. Am 13. August 1943 gab es erstmals Luftangriffe auf Wiener Neustadt,438 doch Doderers Einheit war bereits nach Bad Vöslau versetzt worden. 435 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 314f. 436 Vgl. ebd., S. 316f. 437 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 550 (20.3.1947). 438 Vgl. ebd., S. 283 (28.1.1945).

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Schließlich wurde Doderer nach Wien versetzt, wo er am 17. September 1943 seinen Posten in der Prüfungsstelle für Offiziersanwärter der Luftwaffe in der Schopenhauerstraße 44–46 im 18. Bezirk antrat. Seine Aufgabe bestand darin, junge Kandidaten (oft noch Schüler) auf ihre Eignung als „Offiziersanwärter der Luftwaffe“ zu prüfen, wobei er für die Allgemeinbildung zuständig war.439 Doderers autobiografisch geprägte Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ spielt an diesem Ort, auch der Ich-Erzähler prüft Offiziersanwärter der Luftwaffe. Doderers Versetzung nach Wien ermöglichte es ihm auch, erstmals wieder für längere Zeit in seiner eigenen Wohnung zu leben. Seine Aufgabe bezeichnete er in einem Brief an Emma Maria Thoma vom September 1943 als „sehr ehrenvoll“, „vor allem aber eine feste Stellung (hoffen wir’s), und eine Tätigkeit psychologischen Einschlags, die mir etwas näher liegt. Und weg von den Fliegerhorsten  !“440 In einem späteren Brief bekräftigte er diesen positiven Eindruck  : Die Verhältnisse hier scheinen für mich ausserordentlich günstig zu sein, weit besser noch als in Vöslau, schon deshalb, weil ich in einer physiognomisch-psychologischen Art hier arbeiten muß, die mir freilich zu Gebote steht, während ich ja von Flugzeugen kaum einen blauen Dunst habe.441

1962, fast zwanzig Jahre danach, schrieb Doderer über die Prüfungsstelle für Offiziersanwärter der Luftwaffe  : Wir atmeten und liefen herum in dieser Schopenhauerstraße  : ich allerwege wußte doch vom Blödsinnigen des ganzen Institutes, in welchem ich einen mir hochwillkommenen Schwindel sah. Daß ich den Untergang jener ganzen Naziwelt noch erleben durfte, empfand ich schon damals als das größte und unverdienteste Beneficium, welches mir das Leben bereitet und geschenkt hatte.442

Am 10. September 1944 schlug der Luftangriff auf Wien „viele Wunden in die Stadt“,443 im Zentrum und auch im 8. Bezirk etwa 60 Meter von Doderers

439 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 323f. 440 Brief von Doderer an Emma Maria Thoma vom 19.9.1943, zit. nach Wolfgang Fleischer, ebd. S. 323. 441 Brief von Doderer an Emma Maria Thoma vom 2.10.1943, ebd. 442 Heimito von Doderer  : Commentarii 1957 bis 1966, S. 324 (16.3.1962). 443 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 237 (10.9.1944).

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Wohnung.444 Am 24. September 1944 fragte er sich  : „Wird der Krieg etwa unsre Stadt erreichen, und wann und wie  ?“445 Ab Oktober nahmen die Luftangriffe zu. Im November wusste Doderer bereits, dass er Wien verlassen musste. Sein letzter durchaus nicht unkritischer Eintrag aus Wien stammte vom 18. November 1944  : Der Nebel, den ich morgens an’s Fenster tretend erblicke […] erscheint mir wie ein gnädig über die schwerverwundete Stadt gelegter Verband  : nun genug für diesmal, genug der Buße, der Geißelhiebe, der Wunden, des Schreckens. Aber am Vormittage, […] da reißt der Nebel auf. Nie war auch nur zu träumen, daß man ein solches Aug’ zum erblauenden Himmel dereinst aufschlagen werde, wie man heute tut […]  : die Zeichen des Himmels, früher unsre Tröster, sind uns zu Zeichen der Angst geworden und daraus allein schon kann man klar abnehmen, wie weit wir’s gebracht haben.446

5. Von Deutschland nach Norwegen  : November 1944 bis Mai 1945 Heimito von Doderer wurde zunächst nach Eger in Böhmen und am 5. Dezember nach Waldsassen in Bayern versetzt. An beiden Orten war er zwar weiterhin in Prüfungskommissionen beschäftigt, doch empfand er nur noch großes Unbehagen. In Eger schrieb er über seine „Niedergeschlagenheit“447 und unter dem Titel „Mein Kommandeur und ich“  : „Wenn zwei Menschen dergestalt reziprok von einander denken, daß der eine den andern für einen harmlosen Trottel hält, der zweite den ersten aber für einen gefährlichen Idioten  : welcher von beiden hat da die günstigere Stellung bezogen  ?“448 Den „harmlosen Trottel“ bezog Doderer zweifellos auf sich, so wie auch sein Alter Ego René von Stangeler in den Dämonen als „ein völlig harmloser gelehrter Idiot“449 beschrieben wird. In Waldsassen fühlte er sich wegen des strikt durchorganisierten Tagesablaufs, vom Wecken um 6 Uhr bis zum Abendessen um 18 Uhr 30, an eine „Kadettenschule“, ein „Knabenpensionat“ oder an eine „Erziehungsanstalt“ erinnert und fühlte sich wie in einer Straf-

444 Vgl. ebd. 445 Ebd., S. 238 (24.9.1944). 446 Ebd., S. 247 (18.11.1944). 447 Ebd., S. 250 (30.11.1944). 448 Ebd., S. 250 (29.11.1944). 449 Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 335.

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anstalt („in einer Pönitenz“),450 insbesondere, weil er mit fremden Menschen leben musste und sich ständig an neue Umstände anzupassen hatte  : „… leider leicht zu erschüttern, ébranlable [leicht zu erschüttern], verletzlich, hundertmal verletzlicher als jeder andere in meiner Umgebung. Besorgt seh’ ich die Mindrung [sic] meines Nervenkapitals […].“451 Aus dieser Zeit stammt auch Doderers verallgemeinernde Ablehnung der Deut­schen, die er sich bemühte durch ein theoretisches Konstrukt zu stützen  : „Deutschenhaß, seine Ursachen“ nannte er diese Einträge vom 15. und 16. Dezem­ ber 1944.452 Auch seine Überlegungen zur „Schuld“, seiner eigenen inklusive, hielt er in einem Tagebucheintrag im Dezember 1944 fest, doch so, als wäre sie schicksalsbedingt – als „tragische Schuld“ – nicht vermeidbar gewesen. Die Schuld. Vielleicht ist mir meine Beteiligung an dem heutigen allgemeinen Unglück der Welt, an der Herbeiführung dieses Unglücks nämlich, noch nie so scharf vor Augen gestanden wie jetzt, wo ich die sprachliche Katastrophe, welche das neunzehnte Jahrhundert gebracht hat, als Wurzel des Übels erkenne, die auch mich noch durchwuchs und durchwächst, der ich besser belehrt worden bin  : wie hätten dann andre dieser Wucherung entrinnen sollen  ?  ! Nein, hier handelt es sich nicht um begangene Fehler, sondern um eine verhängte Untreue am Geiste  ; beinah’ glaub’ ich jetzt an jene tragische Schuld, von der Gütersloh sprach  !453

Der psychische Zustand Doderers verschlechterte sich noch weiter  : Am 4. Januar 1945 wurde er nach Hannover an die dortige „Aufnahmestelle 2 für Offiziersbewerber der Luftwaffe“ geschickt. Unter dem Titel „Das fehlende 450 Vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 253f. (7.12.1944). 451 Ebd., S. 261 (16.12.1944). 452 Vgl. ebd., S. 260 (15.12.1944) u. S. 261 (16.12.1944). 453 Ebd., S. 258 (13.12.1944). Das Thema Schuld beschäftigte Doderer auch in seinem erstmals 1947 in Otto Basils Zeitschrift Plan unter dem Pseudonym René Stangeler erschienenen Essay „Von der Unschuld im Indirekten. Zum 60. Geburtstag Albert P. Güterslohs“. (Vgl. Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 111–125.) Doch es geht noch weiter zurück  : In seinem 1938 erschienenen Roman Ein Mord den jeder begeht verweigert der jugendliche Conrad einem Mann seine Hilfe und wird kurze Zeit später Zeuge, wie sich dieser erschießt  ; später kommt durch Conrads Teilnahme an einem Streich ohne sein Wissen eine Frau zu Tode. In Doderers 1967 posthum veröffentlichtem Romanfragment Der Grenzwald stellt sich die Schuldfrage neuerlich, als Zienhammer, ein österreichischer Kriegsgefangener in Sibirien, von einem tschechischen Offizier unter Druck gesetzt wird, die Namen von neun ungarischen Kriegsgefangenen zu bestätigen, was er auch macht, wohl wissend, dass dies für die so identifizierten Kameraden den Tod bedeutet.

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Gift“ beschrieb er im Februar 1945 neben seinen Entzugserscheinungen, da er kaum Zigaretten hatte, seinen schlechten Zustand  : „Heute alle Arten Angstzustände, Gefühl schrecklichster Einsamkeit, Sehnsucht nach meinen Freunden, nach der Heimat, mal de pays [Heimweh (richtig  : mal du pays)] […].“454 Über einen der Luftangriffe auf Hannover schrieb er an Emma Maria Thoma, dieser „übersteigt, was die Schrecklichkeit der Bilder betrifft, vieles in beiden großen Kriegen von mir Gesehene“.455 Am 11. Februar fuhr er nach Bückeburg, denn „hier zu arbeiten ist nicht mehr möglich“.456 Von dort wurde er nach Waldsassen und dann nach Karlsbad geschickt. Er litt neuerlich an seiner Neuralgie und seinen Depressionen.457 Am 30. März wurde er nach Oslo versetzt. Er reiste noch am selben Tag ab  ; als er in Dänemark ankam, versuchte er erfolglos die gefährliche Überfahrt mit dem Schiff zu vermeiden und stattdessen zu fliegen. Sein psychischer Zustand verschlimmerte sich dermaßen, dass er ihn als seine erste wirkliche Depression bezeichnete  : „Die Einsamkeit sitzt mir wie ein Cauchemar [Albtraum] auf der Brust, die Sehnsucht würgt mich an der Kehle und allerlei Angstzustände liegen immer sprungbereit.“458 Am 24. April 1945, zwei Wochen vor Kriegsende, kam Doderer in Oslo an.459

454 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 285 (10.2.1945). 455 Brief von Doderer an Emma Maria Thoma vom 18.1.1945, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 331. 456 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 286 (11.2.1945). 457 Vgl. ebd., S. 291 (17.3.1945), S. 292 (19.3.1945 u. 20.3.1945) u. S. 292–294 (21.3.1945). 458 Ebd., S. 300 (15.4.1945). 459 Vgl. ebd., S. 309 (Oslo, 25.4.1945).

IV. Nachkriegszeit  : Von der Kriegsgefangenschaft zum Ruhm 1. Kriegsgefangener  : Mai 1945 bis Januar 1946 Die Kapitulation Deutschlands, die britische Armee in Norwegen, die Freude der Norweger über das Kriegsende, die Tatsache, dass er selbst in den überfüllten Straßen in Uniform und bewaffnet unbehelligt gehen konnte, das sind Doderers Eindrücke vom 7. und 8. Mai 1945.460 Er erlebte diesen Moment als „Wiederkehr des Lebens“.461 In der Nacht vom 7. auf den 8. Mai wurde die „Frontbuchhandlung“ zerstört. Doderer zeigte sich darüber erfreut  : Gut getroffen  ! Heute nacht ist die deutsche „Frontbuchhandlung“ – also eine Buchhandlung, in der bestimmt keines meiner Bücher je zu haben gewesen ist  ! – demoliert worden. Man möchte fast meinen  : feiner Instinkt der Osloer, auf ’s Wesentliche gerichteter Instinkt, der die Sachen an der Wurzel packen will … Aber es wurden fast alle deutschen Propagandaschaufenster zerstört.462

Doderer stellte sich auf seine bevorstehende Kriegsgefangenschaft ein  ; eine Situation, die ihn gleichzeitig beunruhigte und erleichterte und für die er sich Mut zu machen versuchte  : „Wir gehen der Kriegsgefangenschaft entgegen, der Deklassierung, wieder einmal dem Leben in trüber Masse in Baracken und hinter Stacheldraht… ,wir‘  : das hat ein Ende. Dieser doppelte Boden bricht ein. Jetzt heißt es  : ich. Und ich will’s ertragen.“463 Von Mai 1945 bis Ende Januar 1946 war Doderer in verschiedenen Kriegsgefangenenlagern interniert, zunächst in britischer Kriegsgefangenschaft in Norwegen, dann in amerikanischer Kriegsgefangenschaft in Deutschland. In seinem ersten Lager in Eggemoen in den norwegischen Bergen verbrachte er die Zeit schlafend, schreibend und turnend – für ihn ein „Elysium“.464 Anderer-

460 Vgl. ebd., S. 315 (7.5.1945) u. S. 316f. (8.5.1945). 461 Ebd., S. 316 (7.5.1945). 462 Ebd., S. 316 (8.5.1945). 463 Ebd. 464 Ebd., S. 318–320 (12.5.1945), S. 325f. (23.5.1945) u. S. 332 (12.6.1945), Zit. S. 332.

Nachkriegszeit  : Von der Kriegsgefangenschaft zum Ruhm

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seits lehnte er den, wie er schrieb, ihm feindlich gesinnten „Bochewismus“465 ab, die Tatsache nämlich, dass weiterhin Dienst gemacht, Befehle erteilt und Versammlungen abgehalten wurden und er Aufgaben übernehmen sollte. Am 25. September wurden die Österreicher von den Deutschen getrennt und in ein anderes Lager nach Larvic verlegt. An Nahrungsmitteln fehlte es den Kriegsgefangenen nicht, aufgrund der großen von der Wehrmacht zuvor angelegten Reserven. Was Doderer in Eggemoen noch als „Bochewismus“ abgelehnt hatte, akzeptierte er jetzt im österreichischen Lager, als er eine Kompanie übernahm, an den Offiziersversammlungen teilnahm und sich mit Mangel an Disziplin, Diebstählen und der Essensversorgung zu beschäftigen hatte.466 Nachdem er wiederholt seine Antipathie den Deutschen gegenüber ausgedrückt hatte, befand er sich jetzt ausschließlich unter Österreichern – und war doch keineswegs mit seinen Landsleuten zufrieden. Unter den 198 österreichischen Soldaten, die zuvor in Eggemoen gewesen waren, kritisierte er die „,revolutionäre‘ Stimmung“  : Ich wollte, die Idioten wären ein paar Jahre früher revolutionär gewesen oder gleich 1938, dann hätten wir uns viel, wenn nicht alles, erspart  ! – Ich habe immer gewünscht, in ein rein österreichisches Lager zu kommen, wie dieses hier. Nun ist es so weit. Aber unsere Landsleute bieten nur zu einem kleinen Teil ein sympathisches Bild.467

Anfang Dezember kam Doderer nach Wesermünde in ein Kriegsgefangenenlager in Deutschland. Während die österreichischen Kriegsgefangenen, die sich für die russische, amerikanische oder britische Zone in Österreich gemeldet hatten, weiterbefördert wurden, mussten jene, die sich für die französische Zone gemeldet hatten, bleiben. Somit auch Doderer, der sich für Tirol entschieden hatte, wo ein Teil seiner Familie lebte. Noch im Dezember kam er in ein Kriegsgefangenenlager nach Darmstadt. 468 Doderer gab nun nicht mehr Tirol, sondern das in der amerikanischen Zone gelegene Ober­ österreich an.469 Damit vermied er die Zonen unter russischer Kontrolle, wie 465 Ebd., S. 334 (16.6.1945). (Zum Begriff des „Bochewismus“ siehe weiter oben  : Herkunft und Jugend  : Doderer  : „Ur-Wiener“ oder Deutscher  ?, S. 25.) 466 Vgl. ebd., Doderers Tagebucheinträge vom 21.9.1945, 25. 9.1945, 26. 9.1945 u. 6.10.1945, S. 375– 378. 467 Ebd., S. 377 (6.10.1945). 468 Vgl. ebd., S. 388f. („Wesermünde“, 2.12.1945 u. „Darmstadt, K.G.Lager“, 28.12.1945). 469 Vgl. ebd., S. 395 (3.2.1946).

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Heimito von Doderer – Leben

Niederösterreich, wo sich das Landhaus der Familie in der Prein befand, und Teile von Wien.

2. Rückkehr nach Österreich 1946 Am 28. Januar 1946 konnte Doderer das Kriegsgefangenenlager in Darmstadt verlassen und per Bahn nach Linz fahren. Dort wurde er am 31. Januar 1946 aus dem Gefangenenlager entlassen.470 Er reiste weiter nach Weißenbach am Attersee in Oberösterreich zu seinem Onkel Richard von Doderer. Von ihm erfuhr er, dass Mutter und Schwestern sich im Landhaus in der Prein befanden. Er musste noch bis zum 29. April 1946 warten, bevor er erstmals Nachricht von seiner Freundin Emma Maria Thoma erhielt.471 Doderer blieb bis Mai 1946 in Weißenbach bei seinen Verwandten. Im Februar 1946 schrieb er seiner Nichte Inge Martinek, der Tochter seiner Schwester Almuth, über seine aktuelle Lage  : „Ich hab jetzt sozusagen ein schweres crux mit einer längst überwundenen Vergangenheit, in welcher ich mir, wie sich jetzt zeigt, sehr erfolgreich selbst ein Bein gestellt habe. Dieser Knochen steht jetzt überall heraus, mag er gleich alt und gebleicht sein.“472 Gabriele Murad, seit 1939 verheiratete von Steinhart, ermutigte ihn, nach Wien zurückzukommen. Sie versicherte ihm, dass seine Wohnung im 8. Bezirk zur amerikanischen und nicht zur russischen Zone gehöre.473 Albert Paris Gütersloh, der weiterhin in der gemeinsamen Wohnung lebte und unmittelbar nach dem Krieg einen Posten an der Akademie der Schönen Künste erhalten hatte, schrieb Doderer, dass er daran denke auszuwandern und empfahl ihm dasselbe.474 Doch beide blieben in Wien. Doderer kehrte am 19. Mai 1946 in seine Wiener Wohnung in der Buchfeldgasse zurück.475 Das Dach des Hauses war zwar bei Luftangriffen beschädigt worden, doch wurde es noch im Frühjahr repariert. Während er in den norwegischen und deutschen Kriegsgefangenenlagern ausreichend zu essen gehabt hatte, litt er im Österreich der ersten 470 Vgl. ebd. 471 Vgl. ebd., S. 395f. (3.2.1946) u. S. 437 (29.4.1946). 472 Brief von Doderer an Inge Martinek vom 3.2.1946, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 341. 473 Vgl. Wolfgang Fleischer, ebd., S. 343. 474 Brief von Gütersloh an Doderer in Weißenbach vom 28.2.1946. (Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 180f.) 475 Vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 445 (19.5.1946).

Nachkriegszeit  : Von der Kriegsgefangenschaft zum Ruhm

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Nachkriegsjahre an Hunger.476 Heimito von Doderer  : gealtert und verarmt, so beschrieb ihn Heinrich Kopetz, ein Bekannter, in Briefen aus den Jahren 1947 und 1949.477

3. ,Erniedrigt und verfolgt‘ – die Entnazifizierung Der Historiker und Wirtschaftswissenschaftler Dieter Stiefel beschäftigte sich eingehend mit der Entnazifizierung, das heißt mit der politischen Säuberung vom Nationalsozialismus in Österreich.478 Die Entnazifizierung begann 1945 und endete mit der letzten Amnestie im Jahr 1957. Doch bereits 1948 war sie für über 90 Prozent aller registrierten Nationalsozialisten, die unter die Minderbelastetenamnestie von April/Mai 1948 fielen, abgeschlossen.479 Die Entnazifizierung bestand in unterschiedlich angewandten Sühne- und Strafmaßnahmen  : Entlassungen, Berufsverboten und Arbeitspflicht (Aufräumarbeiten und Ernteeinsatz)  ; Einkommens- und Vermögensstrafen in Form einer „Sühneabgabe“  : einer zusätzlichen Lohn- und Einkommenssteuer und einer einmaligen Vermögensabgabe  ; Entzug staatsbürgerlicher Rechte (aktives und passives Wahlrecht) oder auch Freiheitsentzug.480 Dieter Stiefel unterteilt die Entnazifizierung in drei Phasen  : In der ersten Phase, von April 1945 bis Januar 1946, nahmen die alliierten Besatzungsmächte vor allem Verhaftungen und Internierungen vor. Die österreichische Regierung, deren Wirkungsbereich sich zunächst nur auf die russische Zone beschränkte, erließ im Mai 1945 das Verbots- und im Juni 1945 das Kriegsverbrechergesetz. Mit dem Verbotsgesetz wurden die NSDAP, alle NS-Organisationen sowie jegliche nationalsozialistische Betätigung verboten.481

476 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 346f. 477 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5028, 1947/10/11 u. item 1267, 1949/03/01, Briefe von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria]. 478 Dieter Stiefel  : Entnazifizierung in Österreich. Wien, München u. Zürich 1981, u. Dieter Stiefel  : „Nazifizierung plus Entnazifizierung = Null  ? Bemerkungen zur besonderen Problematik der Entnazifizierung in Österreich“. In  : Sebastian Meissl, Klaus-Dieter Mulley u. Oliver Rathkolb (Hg.)  : Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne, S. 28–36. 479 Vgl. Dieter Stiefel  : Entnazifizierung in Österreich, resp. S. 81, 314 u. 307f. 480 Vgl. ebd., resp. S. 270, 277, 281f., 293f. u. S. 263. 481 Vgl. ebd., S. 94.

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Die zweite Phase entspricht dem Zeitraum Februar 1946 bis Anfang 1948. Das Verbotsgesetz wurde vom Alliierten Rat am 10. Januar 1946 genehmigt und trat am 5. Februar 1946 für ganz Österreich in Kraft, damit war Österreich, unter Kontrolle des Alliierten Rates, für die Entnazifizierung in ganz Österreich zuständig.482 Ehemalige Mitglieder der NSDAP oder der Wehrverbände SS, SA, NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps) und NSFK (Nationalsozialistisches Fliegerkorps) sowie Parteianwärter mussten sich melden und registrieren lassen.483 Sie wurden über die Gemeinden und Arbeitsämter erfasst. Unterschieden wurde beim Verbotsgesetz von 1945 zwischen jenen, die zwischen dem 1. Juli 1933 und dem 13. März 1938 Mitglieder der NSDAP waren, den sogenannten Illegalen484 (da die NSDAP am 19. Juni 1933 in Österreich verboten worden war), und jenen, die 1938 nach dem Anschluss beigetreten waren und nur als Mitläufer galten. 1946 waren in Österreich 536.000 ehemalige Nationalsozialisten registriert, davon etwa 100.000 Illegale.485 Bereits ein Jahr später, im Februar 1947, wurde das Verbotsgesetz von 1945 durch ein neues Gesetz abgelöst  :486 Der Unterschied beruhte nun nicht mehr auf dem Beitrittsdatum (vor oder nach dem Anschluss), sondern ob man als „belasteter“ oder „minderbelasteter“ Nationalsozialist eingestuft wurde. Als Belastete galten jene, die eine politische Funktion in einer NS-Organisation innegehabt hatten oder für illegale Aktivitäten ausgezeichnet worden waren. Minderbelastete waren einfache Parteimitglieder und -anwärter, für sie waren die Entnazifizierungsmaßnahmen geringfügiger. Von mittlerweile 537.000 Registrierten galten nur noch 42.000 als Belastete.487 Mit dem neuen Gesetz waren zu den bisher Registrierungspflichtigen (den Parteimitgliedern, Parteianwärtern, Mitgliedern von Wehrverbänden) u. a. „Verfasser nationalsozialistischer Druckwerke“ neu hinzugekommen.488 Die dritte Phase betraf den Zeitraum 1948 bis 1957  : Es war die Zeit der Amnestien. Die Minderbelastetenamnestie 1948 war davon die wichtigste, da zu diesem Zeitpunkt über 90 Prozent der ehemaligen Nationalsozialisten amne482 Vgl. ebd. 483 Vgl. ebd., S. 82. 484 Vgl. ebd., S. 84. 485 Vgl. Dieter Stiefel  : „Nazifizierung plus Entnazifizierung = Null  ?“ In  : Sebastian Meissl, KlausDieter Mulley u. Oliver Rathkolb (Hg.)  : Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne, S. 31f. 486 Vgl. ebd., S. 111. 487 Vgl. ebd., S. 33, u. Dieter Stiefel  : Entnazifizierung in Österreich, S. 103. 488 Vgl. Dieter Stiefel  : Entnazifizierung in Österreich, S. 115.

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stiert wurden.489 Es blieben 40.000 Belastete, deren Sühnefolgen in den 1950erJahren ausliefen oder die unter die Amnestien von 1955 und 1957 fielen.490 In welcher Weise war Doderer von der Entnazifizierung betroffen  ? Als ehemaliges Mitglied der NSDAP musste er sich registrieren lassen. Als er Ende Januar 1946 nach Österreich zurückkehrte, lebte er von Februar bis Mai bei seinem Onkel Richard von Doderer in Weißenbach am Attersee in Ober­ österreich.491 Doderer gelang es dort nicht, seine Freistellung als Schriftsteller am Arbeitsamt durchzusetzen,492 und er musste daher einer anderen Arbeit nachgehen (dem Bemalen von Dominosteinen mit österreichischen Motiven für amerikanische Soldaten), um so zu Lebensmittelzusatzmarken zu kommen.493 Da er seit April 1933 bei der NSDAP gewesen war, musste er nach dem Verbotsgesetz von 1945 als „Illegaler“ gelten, für die strengere Strafen vorgesehen waren. Und auch wenn er sich in seinem Tagebuch wiederholt über die Entnazifierungsmaßnahmen beklagte, denen er sich zu unterziehen hatte, so schrieb er doch im Juni 1946 von der „Milde (wie mich bisher dünkt) der auferlegten Buße“.494 Heimito von Doderer war bemüht, die für die Entnazifizierung zuständigen Behörden von seinem frühen Bruch mit dem Nationalsozialismus zu überzeugen. Das war insofern sinnvoll, als das Verbotsgesetz „die Möglichkeit einer ausnahmsweisen Nachsicht der Registrierung und der Sühnefolge durch einen Gnadenakt des Staatsoberhauptes“495 vorsah. Der Artikel des Gesetzes lautete  : Ausnahmen […] sind im Einzelfalle zulässig, wenn der Betreffende seine Zugehörigkeit zur NSDAP oder einen ihrer Wehrverbände […] niemals mißbraucht hat und aus seinem Verhalten noch vor der Befreiung Österreichs auf eine positive Einstellung zur unabhängigen Republik Österreich mit Sicherheit geschlossen werden kann.496 489 Vgl. ebd., S. 308. 490 Vgl. Dieter Stiefel  : „Nazifizierung plus Entnazifizierung = Null  ?“ In  : Sebastian Meissl, KlausDieter Mulley u. Oliver Rathkolb (Hg.)  : Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne, S. 33. 491 Vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 396 (3.2.1946). 492 Das Arbeitspflichtgesetz von Februar 1946 galt nicht nur für ehemalige Nationalsozialisten, auch wenn es insbesondere bei ihnen als eine Art der Sühne durchgesetzt wurde, sondern generell für alle arbeitsfähigen Österreicher, für die es aber nur geringfügig angewendet wurde. (Vgl. Dieter Stiefel  : Entnazifizierung in Österreich, S. 276–279.) 493 Vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 404 (19.2.1946) u. S. 431 (17.4.1946). 494 Unveröffentlichter Tagebucheintrag von Doderer, zit. nach François Grosso  : „Anhang“. In  : François Grosso  : Primum scribere, deinde vivere, S. 236 (12.6.1946). 495 Vgl. Dieter Stiefel  : Entnazifizierung in Österreich, S. 88. 496 Ebd.

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Da daraufhin zwischen 85 und 90 Prozent der registrierten Nationalsozialisten von der Ausnahmebestimmung Gebrauch machten, war das Verbotsgesetz von 1945 undurchführbar geworden.497 Im Parlament wurde im Juli 1946 die Problematik dieses Versuchs einer individuellen statt kollektiven Entnazifizierung angesprochen  : In Wien haben etwa 90 Prozent der Registrierungspflichtigen Befreiungsansuchen eingebracht. Es gab plötzlich keine nationalsozialistischen Parteimitglieder mehr. Jeder erbrachte zahlreiche, unkontrollierbare Bestätigungen über sein Wohlverhalten. Der Natur nach zeugt ein solches System nur Lippenbekenntnisse.498

Doderer hatte, als er sich am 21. Februar 1946 in der Gemeinde Steinbach am Attersee als ehemaliger Nationalsozialist registrieren ließ, ebenfalls „um Abstandnahme von der Registrierung angesucht“.499 Auf diesem Meldeblatt machte er unter „Allfällige Bemerkungen“ die Angabe  : „Aus der NSDAP ausgeschieden Ende 1939 […]“. Unter „Mitglied der NSDAP“ gab er an  : „1.) 1. April 1933 bis 19. Juni 1933“ und „2.) 13. März 1938 bis Ende Dezember 1939“.500 Nach seinen Angaben wäre er somit nach dem Verbot der NSDAP in Österreich am 19. Juni 1933 nicht mehr NSDAP-Mitglied gewesen, doch wäre seine Mitgliedschaft mit dem Anschluss 1938 reaktiviert worden. Man könnte sagen, er trennte seine NSDAP-Mitgliedschaft in Österreich von jener in Deutschland. Das dürfte ein Versuch gewesen sein, einer Einstufung als „Illegaler“ zu entgehen, die für Nationalsozialisten galt, die schon zwischen dem 1. Juli 1933 und dem 13. März 1938 NSDAP-Mitglieder gewesen waren. Tatsächlich hatte er sich aber in Deutschland 1936 seine NSDAP-Mitgliedschaft aus dem Jahr 1933 bestätigen lassen können und war damit NSDAP-Mitglied geblieben, bis seine Mitgliedschaft mit seiner Einberufung Ende April 1940 (bis Kriegsende) „ruhte“.501 497 Vgl. ebd., S. 97f. 498 Migsch, 28. Sitzg., 24.7.1946, S. 582, zit. nach Dieter Stiefel  : Entnazifizierung in Österreich, S. 295f. 499 „Vom Bürgermeister (Gemeindevorsteher) bezw. [sic] Meldestelle auszufüllen  : Wurde um Abstandnahme von der Registrierung angesucht  ? ja.“ – „Meldeblatt zur Registrierung der Nationalsozialisten im Sinne des Art. II des Verfassungsgesetzes vom 8. Mai 1945, St. G. Bl. Nr. 13, über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz)“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „Gemeinde Steinbach am Attersee“ vom 21.2.1946. – WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 8. Bez./3932 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. 500 Ebd. 501 Zu Doderers NSDAP-Mitgliedschaft siehe weiter oben  : Antisemitismus und Nationalsozialismus  : Doderer und der Nationalsozialismus, S. 64–82.

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In seinem „Ansuchen um Nachsicht von der Registrierung, gem. Verordnung v. 11. VI. 1945“ im Februar 1946 schrieb er  : 1937 im Frühjahr hatte ich mit dem Nazismus auch tief innerlich bereits endgültig gebrochen und habe in der Folge ohne Scheu alle daraus sich ergebenden Konsequenzen gezogen  : dergestalt, dass ich nach dem Anschlusse Österreichs aus der nun wieder actuell gewordenen Partei ausschied (1939) – ich meldete mich nach meiner zweiten Rückkehr aus Deutschland im Herbst 1938 in Wien überhaupt nicht mehr als Parteigenosse und liess mich auch späterhin beim Blockleiter meines Wohnhauses als Nicht-Parteigenosse eintragen, während die deutsche Ortsgruppe, der ich zugewiesen worden war, mir zweimal, zuletzt noch einmal im Frühjahr 1940, auf einen überwiesenen Beitrag hin, nach Wien brieflich mitteilte, ich sei bei ihr als Parteigenosse nicht bekannt.502

Dass Doderer sich als „Nicht-Parteigenosse“ eintragen lassen hätte, widerspricht seinen Angaben auf dem „Erhebungsbogen“ als Wohnungsmieter der Buchfeldgasse 6/13 vermutlich aus dem Jahr 1939.503 Doderer wurde, wie aus seinen eigenen Angaben im Februar 1940, seiner NSDAP-Mitgliedskarte und Schreiben von NS-Behörden hervorgeht, weder aus der Partei ausgeschlossen noch ist er ausgetreten.504 September 1938 war seine erste dauerhafte Rückkehr nach Wien, während er bei seiner Registrierung als erste Rückkehr aus Deutschland „gegen Ende des Jahres 1937“ angab, dabei handelte es sich aber nur um einen einwöchigen Aufenthalt in Wien für die Feiertage (vom 24. 12. bis zum 31. 12. 1937), gefolgt von einem Besuch Güterslohs in Salzburg, wo er im Hotel Europa wohnte.505 Mehrere Gründe erscheinen für seine Angabe einer „zweite[n] Rückkehr aus Deutschland“ sinnvoll  : nicht den Eindruck entstehen zu lassen, er hätte den Anschluss abgewartet, bevor er sich entschloss, wieder nach Wien zurückzukehren  ; deutlich zu machen, dass er nicht zu jenen illegalen Nationalsozialisten zählte, denen eine Rückkehr nach Wien vor dem Anschluss verwehrt war und um bereits für das Jahr 1937 Entlastungszeugen anführen zu können. Er schrieb  : 502 „Ansuchen um Nachsicht von der Registrierung, gem. Verordnung v.11.VI.1945“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „das magistratische Bezirksamt Wien VIII. Josefstadt“ vom 21.2.1946. (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 8. Bez./3932 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.) 503 Siehe weiter oben  : Antisemitismus und Nationalsozialismus  : Doderer und der Nationalsozialismus, S. 78. 504 Vgl. ebd., S. 79–81. 505 Vgl. WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896, sowie Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 271.

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Heimito von Doderer – Leben

Ich habe gegen Ende des Jahres I937 in Wien nach meiner ersten Rückkehr aus Deutschland aus der nunmehr grundsätzlich gewordenen und völligen Änderung meiner Gesinnung kein Geheimnis gemacht und es gibt daher eine grosse Zahl von Personen, die meine Einstellung schon von damals her kennen müssen und auch solche, die sie in der Zeit nach dem Anschlusse kennengelernt haben […].506

Er gab dafür Konsistorialrat P. Till, Leopoldine Kresswaritzky, Antoinette Langer, Ritter von Jantsch und Fritz Feldner an.507 Von ihnen muss er überzeugt gewesen sein, dass sie weder NSDAP-Mitglieder gewesen waren, noch ihnen NS-Sympathien nachgesagt werden konnten, denn Albert Gütersloh und Gabriele Murad verh. von Steinhart fehlen auf dieser Liste. Als Grund für seine NSDAP-Mitgliedschaft gab er an  : Mein Eintritt in die Partei war ein Akt theoretischer Zustimmung, wie ich damals auch offen erklärt habe. Ich dachte an ein Gebilde in der Art des römisch-deutschen Reiches, nicht an den preussischen Zentral-und [sic] Totalstaat. Deshalb blieb ich dem Nationalsozialismus theoretisch nur zugänglich, bis ich selbst nach Deutschland gekommen war und selbst sah. Dort stellte sich mir nach verhältnismässig kurzer Zeit das Absurde meiner gehabten Ansichten klar vor Augen.508

Seinen Umzug nach Deutschland 1936 begründete er damit, dass sein Verleger in Österreich in Konkurs gegangen sei und er daher einen neuen Verlag in Deutschland gesucht hätte. Er gab auch seine Aufnahme in die katholische Kirche am 28. April 1940 sowie sein Ansuchen beim amerikanischen Konsulat in Wien im Jahr 1938 an, um eine Auswanderungsnummer zu erhalten, weil er „befürchtete, der Anschluss Österreichs könnte ein dauernder bleiben“. 509 Aus dem Brief des amerikanischen Konsulats aus dem Jahr 1940 geht nicht hervor, zu welchem Zeitpunkt Doderer das Ansuchen gestellt hatte  ; es könnte also auch später gewesen sein.510 Er verwies ferner auf seinen Militärdienst von 506 „Ansuchen um Nachsicht von der Registrierung, gem. Verordnung v.11.VI.1945“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „das magistratische Bezirksamt Wien VIII. Josefstadt“ vom 21.2.1946. (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 8. Bez./3932 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.) 507 Vgl. ebd. 508 Ebd. 509 Ebd. 510 Die Abbildung des Briefes vom „American Consulate General“ an „Dr. Heimito von Doderer“ findet sich in  : Wolfgang Fleischer  : Heimito von Doderer, S. 149.

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Mai 1940 bis Kriegsende und erwähnte seine Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft am 31. Januar 1946.511 Nachdem Doderer sich bei der Gemeinde Steinbach am Attersee „zur Registrierung der Nationalsozialisten“ am 21. Februar 1946 gemeldet hatte, meldete er sich am 23. Mai 1946 bei der Gemeinde Wien, als er wieder in Wien lebte. Diesmal war die Formulierung etwas behutsamer gewählt, es hieß nicht mehr „[a]us der NSDAP ausgeschieden Ende 1939“, sondern Mitglied der NSDAP bis „Ende 1939 Keine Beiträge mehr geleistet (Einberufung 1.5.40)“. Auch wenn er in Wien tatsächlich keine Mitgliedsbeiträge mehr gezahlt hatte, so doch vermutlich weiterhin an die Ortsgruppe Dachau. Mag es auch bei seinen Zahlungen der Mitgliedsbeiträge zwischen Ende 1939 bis zu seiner Einberufung am „1.5.1940“ Unklarheiten gegeben haben, so blieb er doch weiterhin NSDAP-Mitglied.512 Auf seinen vom 14. Juni 1946 datierten Lebenslauf hatte Doderer eine „Klarstellung“ folgen lassen, die in etwa seinen Angaben vom Februar 1946 entspricht. Die Aussagen über seinen frühen Bruch mit dem Nationalsozialismus wurden durch eine entlastende „Erklärung“ von Doderers Hausbesorgerin Leopoldine Kresswaritzky und eine weitere „Erklärung“ von Doderers Freund und Mitbewohner Albert Paris Gütersloh gestützt  ; beide Schreiben waren vom 21. Mai 1946 datiert.513 Doderer empfand es als ungerecht, dass auch er von den Entnazifizierungsmaßnahmen betroffen war. In einem Tagebucheintrag von Mai 1946 schrieb er unter dem Titel „Interpretation der eigenen Lage“ von „Erniedrigten und Verfolgten“, womit er ehemalige Nationalsozialisten meinte  : Jedoch heute befinde ich mich selbst in den langen Reihen der Erniedrigten und Verfolgten und bekomme den Druck unserer Polizeimechanik zu spüren. Ohneweiters will ich mir eingestehen, daß ich, wäre dem nicht so, in dulci jubilo, in kritikloser Bejahung, in einer hemmungslosen Sympathie für unseren wiedererstandenen österreichischen Staat schwelgen würde, ohne den Verfolgten – deren Leiden ich dann nicht 511 Vgl. „Ansuchen um Nachsicht von der Registrierung, gem. Verordnung v.11.VI.1945“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „das magistratische Bezirksamt Wien VIII. Josefstadt“ vom 21.2.1946. (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 8. Bez./3932 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.) 512 Siehe weiter oben  : Antisemitismus und Nationalsozialismus  : Doderer und der Nationalsozialismus, S. 78–82. 513 Vgl. die Abbildung der „Erklärung“ von Leopoldine Kresswaritzky (Wolfgang Fleischer  : Heimito von Doderer, S. 161) und Ausschnitte aus den drei Schreiben (Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 348).

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anschaulich kennengelernt hätte – die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken  ; ja, vielleicht hätte sogar die Rachsucht, welche heute das Feld beherrscht, auch über mich Macht gewonnen und ich hätte den Unterlegenen die über sie verhängten Peinigungen vergönnt. Solcher Entgleisungen jedoch bin ich nun überhoben.514

Während aus dem Meldeblatt nach dem Verbotsgesetz von 1945 nicht hervorgeht, ob Doderer als „Illegaler“ eingestuft worden war, so geht aus jenem von 1947 eindeutig hervor, dass er nicht als Belasteter, sondern als Minderbelas­ teter galt. Auf dem „Meldeblatt zur Verzeichnung der Nationalsozialisten gemäß § 4 des Verbotsgesetzes 1947.“ kam nun eine neue, wichtige Information hinzu  : Nach dem Vordruck „Minderbelastet gemäß § 17, Abs. (3), VG. 1947  :“ wurde von der Registrierungsbehörde handschriftlich „Ja“ hinzugefügt.515 Als Minderbelastete galten jene, die, im Gegensatz zu den Belasteten, weder eine politische Funktion in einer NS-Organisation (vom Zellenleiter aufwärts) innegehabt hatten noch für illegale Aktivitäten ausgezeichnet worden waren  ;516 dies traf auch auf Doderer zu. Alle ehemaligen registrierten Nationalsozialisten, Belastete und Minderbelastete, hatten eine Sühneabgabe, die vom gesamten Vermögen erhoben wurde, durch Selbstbewertung in vier Teilbeträgen zu zahlen, wobei die erste Rate einen Monat nach Inkrafttreten des NS-Gesetzes fällig war. Die Finanz­ ämter waren für die Überprüfung und die endgültige Festsetzung der Höhe der Sühneabgabe zuständig. Diese war für Minderbelastete niedriger als für Belastete  : Der abgabefreie Betrag betrug für Minderbelastete 10.000 Schilling, für Belastete nur 5.000 Schilling.517 Doderer versetzte einiges im Auktionshaus Dorotheum und erhielt von seiner Schwester Astri von Stummer Geld, um den geforderten Betrag bezahlen zu können. Schließlich musste er noch eine Nachzahlung leisten  : einen Betrag, der auf der Grundlage seines Erbes errechnet wurde (Doderers Mutter war am 5. November 1946 verstorben), obwohl er noch keinen Anspruch auf seinen Erbanteil hatte. Die Gesamtsumme, inklusive deutscher Wertpapiere, betrug 3.310 Schilling.518 514 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 441 (2.5.1946)  ; „in dulci jubilo“  : in süßem Jubel  ; mit großer Freude. 515 „Meldeblatt zur Verzeichnung der Nationalsozialisten gemäß § 4 des Verbotsgesetzes 1947.“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „Registrierungsbehörde“ vom 23.5.1946 [sic – 1947  ?]. (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 8. Bez./3932 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.) 516 Vgl. Dieter Stiefel  : Entnazifizierung in Österreich, S. 103. 517 Vgl. ebd., S. 283–285. 518 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 363f. u. 367.

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Laut Wolfgang Fleischer war Doderer mit der Zahlung der Sühneabgabe 1947 entnazifiziert.519 Eine derartige Verbindung stellt Dieter Stiefel in seinem Kapitel „Sühne und Strafen“, in der es um die einmalige Vermögensabgabe geht, allerdings nicht her.520 Doderer muss vielmehr als „Minderbelasteter“ unter die allgemeine „Minderbelastetenamnestie“ im Jahr 1948 gefallen sein, umso mehr, als es vom Februar 1948 noch einen Eintrag zu Doderer von der Regis­ trierungsbehörde gibt.521 Die Minderbelastetenamnestie wurde vom Nationalrat am 21. April 1948 beschlossen und vom Alliierten Rat am 28. Mai desselben Jahres genehmigt  : Sie kam 487.067 Personen zugute.522 Mit der „Streichungsamnestie“ von Juli 1949 sollte „die Verzeichnung von Minderbelasteten in den Registrierungslisten fallengelassen werden“.523 Auf Doderers Meldeblatt wurde mit einem Stempel vermerkt  : „Laut Liste (Bestätigung) des Finanzamtes Josefstadt vom 10.9. [  ?] 49 […] keine Sühneabgabeschuld. Gestrichen gemäß § 1 des Bundesverfassungsgesetzes von 13.7.1949 B. G. Bl. Nr. 162/49. Wien, am 21.9.49 Der Bezirksamtsleiter“.524 Berufsverbot wegen ,politischer Schönheitsfehler‘  ? Inwiefern war Doderer als Schriftsteller von der Entnazifizierung betroffen  ? In der Doderer-Forschung wird allgemein davon ausgegangen, dass Doderer nach dem Krieg nicht veröffentlichen durfte.525 Diese Feststellung wird allerdings nicht durch die damaligen Regelungen und Gesetze untermauert, sondern dürfte sich 519 Ebd., S. 364. 520 Vgl. Dieter Stiefel  : Entnazifizierung in Österreich, S. 281–293, v. a. S. 283–286. 521 Vgl. „Magistratisches Bezirksamt für den I. Bezirk (Registrierungsbehörde für den I. Bezirk)“ an das „magistratische Bezirksamt für den VIII. Bezirk (Registrierungsbehörde für den VIII. Bezirk)“, 5. Februar 1948, Eingang  : 9. Februar 1948. (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 8. Bez./3932 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.) 522 Vgl. Dieter Stiefel  : Entnazifizierung in Österreich, S. 307–309. 523 Ebd., S. 310. 524 „Meldeblatt zur Registrierung der Nationalsozialisten im Sinne des Art. II des Verfassungsgesetzes vom 8. Mai 1945, St. G. Bl. Nr. 13, über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz)“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „Gemeinde Steinbach am Attersee“ vom 21.2.1946. (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 8. Bez./3932 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.) Handschriftliche Hinzufügungen wurden von mir kursiv gesetzt. 525 So z. B. bei Andrew W. Barker  : „Das Romanschaffen Heimito von Doderers im Bannkreis des Faschismus“. In  : Niederösterreich-Gesellschaft für Kunst und Kultur (Hg.)  : Internationales Symposion Heimito von Doderer. Ergebnisse (4., 5. Oktober 1986 Prein/Rax, NÖ). Wien u. Wolkersdorf o. J. [1988], S. 15–27, hier S. 17.

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allein auf die Tatsache stützen, dass Doderer NSDAP-Mitglied gewesen war (noch dazu als „Illegaler“) und seine erste Neuerscheinung nach dem Krieg, Die Strudlhofstiege, erst im Jahr 1951 veröffentlicht worden war. Dass Schriftsteller, die „Illegale“ gewesen waren, nach dem Verbotsgesetz 1945 mit einem Berufsverbot und damit einem Publikationsverbot belegt worden waren, ist unwahrscheinlich. Denn erst im Verbotsgesetz von 1947 (in dem es die Kategorie des „Illegalen“ nicht mehr gab) galt für „Verfasser nationalsozialistischer Druckwerke“ ein Berufsverbot526 – dieses betraf Doderer aber nicht. Dieter Stiefel stellt allerdings in seinem Buch Entnazifizierung in Österreich fest  : „Die kompliziertesten aller Berufsverbote und zugleich auch jene, die den kleinsten Personenkreis betrafen, waren die im Bereich des kulturellen Lebens und der Öffentlichkeitsarbeit.“527 Doderer dürfte (von Veröffentlichungen in Zeitungen abgesehen) nie von einem Publikationsverbot betroffen gewesen sein. Dieser Schluss basiert auf seinen (nicht veröffentlichten) Tagebucheintragungen, seinem Vertrag 1946 mit dem Luckmann Verlag in Wien und dem Empfehlungsschreiben der Magistratsabteilung im Jahr 1946, das Doderer ermöglichen sollte, „seine literarischen Arbeiten fortzusetzen“. Er ist außerdem auf die damalige Gesetzeslage zurückzuführen  : Mag die Situation unter dem Verbotsgesetz 1945 auch unklar gewesen sein, so war sie es spätestens seit dem Verbotsgesetz von Februar 1947 nicht mehr. Doderer galt nunmehr als „Minderbelasteter“, und das Berufsverbot betraf nur „Belastete“, also jene, die entweder politische Funktionen in einer NS-Organisation innegehabt hatten oder Autoren von „nationalso­ zialistischen Druckwerken“ waren. Trotzdem war Doderer, als er 1946 aus der Kriegsgefangenschaft nach Österreich zurückkehrte, von der Entnazifizierung als Schriftsteller betroffen. So versicherte Gütersloh Doderer schon im Februar 1946, also nur zwei Wochen nach Doderers Rückkehr nach Österreich, seiner Unterstützung  : Was Rollett [Edwin Rollett war der Präsident des Verbandes demokratischer Schriftsteller und Journalisten Österreichs] betrifft, […] so werde ich ihn vielleicht selbst, vielleicht durch eine geeignetere Person, mit Ihrer Angelegenheit befassen. […] Seien Sie aber versichert, lieber Freund, daß kein günstiger Umstand unbenützt, und keine Verbindung, die man hat, unbelästigt bleiben wird. Es handelt sich ja um das Erscheinen Ihrer Bücher  !528 526 Vgl. Dieter Stiefel  : Entnazifizierung in Österreich, S. 115. 527 Ebd., S. 212. 528 Brief von Gütersloh an Doderer vom 13.2.1946 (Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 180).

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Doderer sah sich sichtlich in seiner Arbeit als Schriftsteller behindert, als er Gütersloh im April 1946 noch aus Weißenbach am Attersee in Bezug auf eine Bearbeitung von Der Fall Gütersloh schrieb  : „Immerhin, Sie sind der Öffentlichkeit wiedergegeben  : schaffen [sic] Sie sich nur, verehrter Freund, nicht etwa geschwinde einen neuen Biographen an, so lange mein Train auf dem Stockgeleise steht  : das möcht’ ich praesumieren.“529 In sein Tagebuch schrieb Doderer im Juni  : „[U]nd jetzt, 1946 […] soll ich […] eine ,Beschäftigung als Schriftsteller‘ (  !) nicht ausüben dürfen […].“530 Doch das entsprach noch keinem Berufsverbot, sondern Hürden, die er als ehemaliges NSDAP-Mitglied erst zu überwinden hatte. So konnte er wegen seiner früheren NSDAP-Mitgliedschaft dem 1945 gegründeten „Verband demokratischer Schriftsteller und Journalisten Österreichs“ (VdSJÖ), der quasi offiziellen Status hatte, nicht beitreten, damit war er aber auch nicht von der Arbeitspflicht befreit und hatte keinen Anspruch auf Lebensmittelzusatzkarten.531 Die Arbeitspflicht konnte er dank Empfehlungsschreiben vermeiden  : Monsignore Otto Mauer vom Erzbischöflichen Seelsorgeamt setzte sich für ihn ein, nannte ihn einen „sehr geistigen Menschen“ und verwies für weitere Referenzen auf Gütersloh  ;532 der Verband demokratischer Schriftsteller und Journalisten Österreichs gab an, dass Doderer zwar kein Mitglied des Schriftstellerverbandes sei, bestätigte aber, dass er als „hauptberuflicher freier Schriftsteller“ tätig sei  ;533 und der Luckmann Verlag schrieb, dass Doderer an einem Roman arbeite. Diese Empfehlungen gingen an den Leiter der Magistratsabteilung 6 (Kultur und Volksbildung), Dr. Friedlaender, der seinerseits dem Leiter des Arbeitsamtes im Dezember 1946 empfahl  : „Es wird daher angeregt, Herrn Heimito v. Doderer aus kulturellem Interesse von der Verpflichtung zum Arbeitsdienst freizustellen, damit er seine literarischen Arbeiten fortzusetzen vermag.“534 529 Brief von Doderer an Gütersloh vom 17.4.1946. (Ebd. S. 183f., Zit. S. 184.) 530 Unveröffentlichter Tagebucheintrag von Doderer, zit. nach François Grosso  : „Anhang“. In  : François Grosso  : Primum scribere, deinde vivere, S. 237 (14.6.1946). 531 Zum VdSJÖ vgl. Gerhard Renner  : „Entnazifizierung der Literatur“. In  : Sebastian Meissl, KlausDieter Mulley u. Oliver Rathkolb (Hg.)  : Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne, 202–229, v. a. S. 207f. u. 223–229, hier S. 207. 532 Eine Abbildung des Briefs von Otto Mauer vom 22.6.1946 findet sich in  : Wolfgang Fleischer  : Heimito von Doderer, S. 161. 533 „Beschäftigtenliste“ vom 4.7.1946. (Vgl. ebd., S. 162.) 534 „An den Leiter des Arbeitsamtes Wien I“, Brief vom 19.12.1946 gezeichnet Friedlaender „Leiter der Magistratsabteilung 8 (Kultur und Volksbildung)“. (Ebd. S. 164.)

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Ein Publikationsverbot ist meines Erachtens auszuschließen, da Doderer schon Anfang Juli 1946, wie man seinem folgenden Tagebucheintrag entnehmen kann, auf dem Arbeitsamt ein „Beschäftigungs-Nachweis“ als Schriftsteller ausgestellt wurde  : Auch am Dienstag den 2. Juli hat es Alarm gegeben. Es hieß, die nächsten Lebensmittelkarten würden nur gegen Vorweisung des „Beschäftigungs-Nachweises“ ausgefolgt. Und ich hatte noch keinen. (Ich arbeite täglich von 6 Uhr 15 morgens an  : aber wichtiger als meine litterarische Leistung scheint im Narrenhaus der „BeschäftigungsNachweis“ zu sein, woraus dann erst hervorgeht, dass ich wirklich ein Schriftsteller sei…). Der „Verband demokratischer Schriftsteller und Journalisten in Österreich“ […] darf mich als Mitglied nicht aufnehmen, wegen der politischen „Schönheitsfehler“ in meiner Vergangenheit (so wird’s heute genannt). Also konnt’ ich von dort keinen „Beschäftigungs-Nachweis“ haben, weil es mich dort als Schriftsteller garnicht [sic] geben darf… nun, es wurde ein Weg gefunden, aber ich musste auf ’s Arbeitsamt  ; […] Aber es ist schließlich doch alles gut gegangen, und jetzt hab’ ich denn mein rosa Büchl mit der Nummer meiner „Berufsgruppe“.535

Mit dem Datum vom 4. Juli 1946 hatte sich Doderer in die „Beschäftigtenliste“ als „freier Schriftsteller (hauptberufl.)“ eingetragen. 536 Untersagt waren Doderer aber Veröffentlichungen in Zeitungen. Doderer schrieb über die Einschränkungen, die ihn als Schriftsteller betrafen, in sein Tagebuch in Anspielung auf den Verband demokratischer Schriftsteller und Journalisten Öster­ reichs am 18. Oktober 1946  : Jener ruhmvolle Verband – die Fusion des Schwimmvereins der Gamsböcke mit der alpinen Vereinigung der Fische – hat mich noch immer nicht als Mitglied aufgenommen. Daher keine zusätzliche Lebensmittelkarte […]. Da ich aber nicht Verbandsmitglied bin, ist mir die Möglichkeit gesperrt, mehr zu verdienen als das, was mein Verleger mir gibt, denn ich kann nicht in Zeitschriften veröffentlichen, wozu ich allerseits aufgefordert wurde.537

535 Unveröffentlichter Tagebucheintrag von Doderer, zit. nach François Grosso  : „Anhang“. In  : François Grosso  : Primum scribere, deinde vivere, S. 244 (13.7.1946). 536 Abbildung der „Beschäftigtenliste“, „Wien, am 4. Juli 1946“. In  : Wolfgang Fleischer  : Heimito von Doderer, S. 162. 537 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 511f. (18.10.1946).

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Seit 16. Mai 1946 lebte Heimito von Doderer wieder in Wien, und schon Anfang August hatte er einen Vertrag mit dem Wiener Luckmann Verlag geschlossen.538 Der Luckmann Verlag zahlte Doderer für seine Arbeit an der Strudlhofstiege einen monatlichen Betrag aus  : Innerhalb von zwei Jahren, bis zum Abschluss des Romans im Juli 1948, waren das rund 10.000 Schilling.539 Und schon 1947 hatte Ilse Luckmann den 1940 erstmals beim Beck Verlag erschienenen Roman Ein Umweg von Doderer in einer Neuauflage herausgebracht. Im Sommer 1947 hatte sie Doderer benachrichtigt, dass das Unterrichtsministerium eine Veröffentlichung seines Romans befürwortet habe.540 Doderer schrieb an Emma Maria Thoma im Mai 1947  : [I]m Spätherbst soll hier eine Ausgabe für Österreich (mit Beck’scher Genehmigung) von „Ein Umweg“ erscheinen, deren Druckbogen ich bereits corrigiert habe. Freilich ist das alles nebensächlich und mich beschäftigt nur mein neuer Roman  : dieser muss fertig werden und soll im nächsten Jahr erscheinen.541

Warum sein „neuer Roman“, Die Strudlhofstiege, erst 1951 und nicht schon 1948 erschien, hat mit einem Berufsverbot nichts zu tun. Diese Verzögerung ist einerseits auf (finanzielle) Bedenken des Verlags und andererseits auf Doderers intensives Studium am Institut für österreichische Geschichte zurückzuführen. Der frühe Vertragsabschluss mit dem Luckmann Verlag 1946 und die Neuauflage des Umweg 1947 sprechen jedenfalls gegen ein Berufsverbot  : Der Verlag hätte wohl kaum einen Schriftsteller mit regelmäßiger monatlicher Bezahlung unter Vertrag genommen ohne die Möglichkeit, sein Werk auch veröffentlichen zu können. Hinzu kommt, dass Doderers Name nicht auf der vom Unterrichtsministerium im Januar 1946 veröffentlichten „Liste der gesperrten Autoren und Bücher“ aufschien. Auf dieser Liste wurden Namen und Buchtitel von 1606 Autoren genannt, deren Werke entweder zum Teil oder zur Gänze verboten worden waren. Gerhard Renner führt aus dieser Liste die Namen der österreichischen Autoren an, insgesamt 46, darunter Schriftsteller

538 Vgl. ebd., S. 497 (2.8.1946). 539 Vgl. ebd., S. 611 (10.7.1948). 540 Es geht aus der Formulierung nicht eindeutig hervor, um welchen Roman es sich handelt  ; vermutlich um den Umweg und noch nicht um die Strudlhofstiege. (Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 366.) 541 Briefentwurf von Doderer an Emma Maria Thoma vom 27.5.1947, zit. nach François Grosso  : „Anhang“. In  : François Grosso  : Primum scribere, deinde vivere, S. 223f., Zit. S. 224.

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wie Brehm, Jelusich, Schreyvogl und Weinheber, aber nicht Doderer.542 Und Dieter Stiefel merkt an  : Aufgrund dieser Liste waren alle Schriften, die eindeutig national-sozialistische Ideo­ logie enthielten oder der Kriegsverherrlichung, dem positiven Militarismus und der Förderung des Rassenhasses dienten, sowie alle Autoren, die bekannte Faschistenführer oder Kriegsverbrecher waren, von der Verbreitung und dem Gebrauch an Bibliotheken ausgeschlossen.543

Unterrichtsministerium und Landesregierungen hatten „in mehreren Erlässen die Schulbehörden, Volksbildungsstätten, Bibliotheken, Leihbüchereien und Buchhandlungen [angewiesen], nationalsozialistische Literatur und alle der Völkerversöhnung feindlichen und den Rassenhaß fördernden Schriften auszuscheiden und unter Verschluß zu halten.“544 Dies traf auf Doderers veröffentlichte Werke nicht zu. Über die Publikationsverbote schreibt Dieter Stiefel  : Belasteten war es verboten, literarische Werke, deren Urheber sie waren, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Verbot bezog sich auf die Person des Schreibenden und nicht auf bereits früher publizierte Werke. […] Belastete [durften] sich nicht mehr an einer Zeitung, einer Zeitungskorrespondenz oder einem Sammelwerk beteiligen. […] Minderbelasteten war von all dem nur das Schreiben in einer Zeitung verboten […].545

Somit war Doderer als Minderbelastetem nur die Veröffentlichung in Zeitungen verboten. Über dieses neue Gesetz und die Kritik daran im Österreichischen Tagebuch schrieb der Literaturwissenschaftler Gerhard Renner  : „Da in politischer Hinsicht die meisten kompromittierten Autoren ,Minderbelastete‘, also höchs­ tens einfache Parteimitglieder waren, die keine Sühnefolgen zu tragen hatten, konnte das VG [Verbotsgesetz] 1947 diese Autoren nicht erfassen.“546

542 Vgl. Gerhard Renner  : „Entnazifizierung der Literatur“. In  : Sebastian Meissl, Klaus-Dieter Mulley u. Oliver Rathkolb (Hg.)  : Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne, S. 209. 543 Dieter Stiefel  : Entnazifizierung in Österreich, S. 239. 544 Ebd. 545 Ebd., S. 212f. 546 Gerhard Renner  : „Entnazifizierung der Literatur“. In  : Sebastian Meissl, Klaus-Dieter Mulley u. Oliver Rathkolb (Hg.)  : Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne, S. 224.

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Die Behauptung, Doderer hätte bis 1950 Publikationsverbot gehabt, wie es, wie schon erwähnt, in der Doderer-Forschung wiederholt heißt, ist also in vielfacher Hinsicht nicht haltbar. Historisch hat das Datum 1950 oder 1951 (mit Erscheinen der Strudlhofstiege) für die Entnazifizierung im Übrigen keine Bedeutung, denn Doderer konnte schon 1947 als Minderbelasteter nicht mehr unter das Publikationsverbot fallen  ; und mit der Minderbelastetenamnestie von 1948 war jegliches Berufsverbot aufgehoben.547 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Doderer von Anfang an nicht unter das Berufsverbot fiel, dass er aber wegen seiner NS-Vergangenheit auch beruflich sehr wohl Hürden zu überwinden hatte. Das gelang ihm dank der Unterstützung von politisch Unbelasteten. Im Übrigen  : Selbst als es Doderer noch verboten war, für Zeitungen und Zeitschriften zu schreiben, ließ ihn die Kulturzeitschrift Plan veröffentlichen. Doderer zeichnete mit einem Pseudonym und wählte dafür den Namen einer seiner autobiographisch geprägten Romanfiguren  : René Stangeler. Sein erster Beitrag erschien 1947 im Heft 1 des Plan unter dem Titel „Von der Unschuld im Indirekten. Zum 60. Geburtstag Albert P. Güterslohs“. Sein zweiter Beitrag wurde 1948 im Heft 6 unter dem Titel „Offener Brief an Baron Kirill Ostrog“ über Güterslohs Roman Eine sagenhafte Figur veröffentlicht.548 Obwohl der Plan eine klar definierte antinazistische Haltung hatte, ließ sein Herausgeber Otto Basil Doderer dennoch publizieren. Es ist zu vermuten, dass er von dem Bruch Doderers mit der NS-Ideologie überzeugt war, vielleicht von Gütersloh darin bestärkt. Zum anderen suchte der Plan wohl einen Autor, der Gütersloh gut kannte, um diesen den Lesern vorzustellen. Doderers Essay Der Fall Gütersloh war Basil bekannt. Doderer hatte seinerseits bereits im März 1946 Kenntnis vom Plan, der einen Beitrag von Gütersloh enthielt und in dem er auf den Namen eines Bekannten, Gottfried Goebel, als Mitglied des „Pariser Redaktionskollegium[s]“, gestoßen war.549 Am 22. Dezember 1947 kündigte Otto Basil seinem Freund Wilhelm ­Szabo brieflich als Weihnachtsgeschenk zwei Bücher an  : ein Buch von Ernst ­Fischer und „einen Roman meines Freundes Heimito Doderer, der seinerzeit ein

547 Vgl. Dieter Stiefel  : Entnazifizierung in Österreich, S. 213f. 548 Zu den zwei Beiträgen Doderers im Plan vgl. Gerald Sommer  : „Basil – Doderer – Gütersloh  : Kleiner Traktat über zwei Katheten und eine Hypotenuse“. In  : Volker Kaukoreit u. Wendelin Schmidt-Dengler (Hg.)  : Otto Basil und die Literatur um 1945. Tradition – Kontinuität – Neubeginn. Wien 1998 (Profile 1, H. 2), S. 37–55. 549 Vgl. Brief von Doderer an Gütersloh vom 17.3.1946. (Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 181f.)

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schönes Buch über Gütersloh veröffentlicht hat“.550 Doch in Basils 1966 erschienenem satirischen Roman Wenn das der Führer wüßte zeichnete er ein sehr kritisches Porträt Doderers, der in der Figur des Henricus Arbogast Edler von Schwerdtfeger deutlich zu erkennen ist. Er wird als Opportunist dargestellt, der es versteht, sich geschickt mit dem Regime zu arrangieren. In Wenn das der Führer wüßte ist das NS-Regime als Sieger aus dem 2. Weltkrieg hervorgegangen. Die Welt ist in zwei Einflussbereiche geteilt  : in das „Germanische Weltreich“ und die „Magna Iaponica“. Der Tod Hitlers führt, von Spannungen innerhalb der nationalsozialistischen Partei ausgelöst, zu einem Bürgerkrieg, der sich auf einen 3. Weltkrieg ausweitet. Dieser wird zunächst mit konventionellen Waffen und schließlich mit Atomwaffen geführt. Der Roman ist als Kritik an der Nachkriegsordnung zu lesen, mit der Konfrontation von zwei Großmächten, die den Übergang vom Kalten Krieg zum Krieg vollziehen.551 Schwerdtfeger, für den Doderer als Modell diente, ist ein berühmter Schriftsteller aus Wien  : Kugelrunder, kurzgeschorener Schädel – die gemeißelte Fülle der Stirn war beachtlich –, Henkelohren, schräge gelbe Augen, gespitztes glattrasiertes Mündchen, aufgeworfene, ständig geschürzte Lippen. Die Zähne sichtlich falsch. Der mächtige viereckige Brustkasten […] gab dem Mann das Aussehen einer athletisch gebauten Panoptikumsfigur. Schwerdtfegers Hände waren so fein und chevaleresk wie seine Umgangsformen. („Vorkriegskavalier  !“). Sein jüngster Roman, „Die Dämonen der Ostmark“, ein dicker Wälzer, in dem er ein breitangelegtes Gesellschaftsbild der Systemzeit entworfen hatte, war ein […] lärmender Verkaufserfolg gewesen […].552

4. Mitglied des PEN-Club Heimito von Doderers Aufnahme in den PEN-Club, in die österreichische Organisation der internationalen Schriftstellervereinigung, wurde schon 1947 vorgeschlagen, doch ohne Erfolg.553 Bei einer neuerlichen Diskussion Anfang 550 Vgl. die Abbildung des Briefs in  : Volker Kaukoreit u. Wendelin Schmidt-Dengler (Hg.)  : Otto Basil und die Literatur um 1945, S. 34. 551 Zu Inhalt und Interpretation des Romans vgl. Gerald Sommer  : „Basil – Doderer – Gütersloh“. In  : Volker Kaukoreit u. Wendelin Schmidt-Dengler (Hg.)  : Otto Basil und die Literatur um 1945, S. 48–52. 552 Otto Basil  : Wenn das der Führer wüßte. Roman. Wien u. München 1966, S. 24. 553 Vgl. Klaus Amann  : P.E.N. Politik, Emigration, Nationalsozialismus. Ein österreichischer Schriftstellerclub. Wien, Köln u. Graz 1984, S. 103.

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1950 verlangte Rudolf Henz von den Referenten Doderers, Franz Theodor Csokor und Edwin Rollett, „auch das politische Verhalten Doderers in ihre Prüfung und ihr Referat einzubeziehen, vor allem inwieweit die Darstellung Doderers mit den Tatsachen übereinstimmt oder nicht […]“.554 Diese Anfrage scheint gerechtfertigt, ist aber aus verschiedenen Gründen nicht unproblematisch. Zunächst, weil sie von Rudolf Henz gestellt wurde, dem dazu selbst die moralische Glaubwürdigkeit fehlte. Er war zwar nach dem Anschluss als Repräsentant des „Ständestaates“ aus der RAVAG (Radio Verkehrs AG) entlassen worden, doch gelang ihm im Juli 1939 zumindest die Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer (RSK). Dafür hatte er in einem Brief an die RSK angegeben, dass er aus der von ihm geleiteten Radioabteilung Emigranten „grundsätzlich“ ausgeschlossen hatte (gemeint sind jene, die ab 1933 aus Deutschland vom NS-Regime nach Österreich flüchteten) und „die wenigsten Juden unter allen Abteilungen“ beschäftigt habe.555 Problematisch war diese Forderung aber vor allem auch deshalb, weil der PEN-Club bereits Mitglieder aufgenommen hatte, die sich, im Gegensatz zu Doderer, öffentlich als Befürworter des Nationalsozialismus kompromittiert hatten  : Franz Nabl war 1948 in den PEN-Club aufgenommen worden, und das, obwohl er 1933 aus dem PEN-Club ausgeschieden war aus Protest gegen dessen NS-kritische Resolution  ; er war auch Mitunterzeichner eines antisemitisch geprägten offenen Briefs gewesen, in dem eben diese Resolution kritisiert worden war. Nach dem Anschluss wurde er Theaterkritiker der steirischen NS-Zeitung Tagespost und 1943 zum Ehrendoktor der Universität Graz ernannt.556 Max Mell wurde 1949 Mitglied des PEN-Clubs, auch in seinem Fall waren seine ehemaligen NS-Sympathien für eine Aufnahme kein Hindernis gewesen  : Er war 1936 Präsident des (inoffiziell) pronationalsozialistischen Bundes der deutschen Schriftsteller Österreichs (BdSÖ) geworden und hatte sich im Bekenntnisbuch österreichischer Dichter, das 1938 nach dem Anschluss veröffentlicht worden war, in einem Text zu Hitler bekannt. Seinen ursprüng554 Archiv des Österreichischen PEN-Clubs, Wien, Versammlung vom 10.1.1950, zit. nach Klaus Amann, ebd., S. 103. 555 Vgl. Klaus Amann  : „Vorgeschichten. Kontinuitäten in der österreichischen Literatur von den dreißiger zu den fünfziger Jahren“. In  : Friedbert Aspetsberger, Norbert Frei u. Hubert Lengauer (Hg.)  : Literatur der Nachkriegszeit und der fünfziger Jahre in Österreich, S. 46–58, hier S. 55. Zu Henz vgl. Friedbert Aspetsberger  : Literarisches Leben im Austrofaschismus. Der Staatspreis. Königstein/Ts. 1980, S. 93ff., sowie Karl Müller  : Zäsuren ohne Folgen. Das lange Leben der literarischen Antimoderne Österreichs seit den 30er Jahren. Salzburg 1990, S. 227–232. 556 Vgl. Klaus Amann  : P.E.N., S. 97.

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lichen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP im Jahr 1940 hatte er allerdings 1942 wieder zurückgezogen.557 Rudolf Henz war im Übrigen einer der Referenten von Friedrich Schreyvogl gewesen, dessen Kooperation mit dem NS-Regime bekannt war  : Sein Name findet sich auf der „Liste der gesperrten Autoren und Bücher“ von 1946.558 Im Januar 1952 fand erneut eine Wahl der drei bisher abgelehnten Kandidaten statt  : Heimito von Doderer, Arnolt Bronnen und Friedrich Schreyvogl. Keiner erhielt die erforderliche Zweidrittelmehrheit, doch wurde der Beschluss gefasst, ihren Fall neuerlich zu diskutieren. Am 19. Februar 1952 wurde schließlich Arnolt Bronnen erneut abgelehnt, während Heimito von Doderer und Friedrich Schreyvogl aufgenommen wurden.559 Der Fall Bronnen hatte schon zu Zeiten des NS-Regimes Kontroversen ausgelöst  : Während er zunächst auf Goebbels’ Unterstützung zählen konnte, erhielt er 1943 Publikationsverbot und wurde 1944 zum Militär eingezogen. Wegen antinazistischer Reden wurde er schließlich des Hochverrats angeklagt. Er schloss sich dem österreichischen Widerstand an  : in Salzburg und in seinem Bataillon in Brünn/Brno.560 Bronnens Ablehnung ist wohl auf seine KPÖ-Mitgliedschaft zurückzuführen und nicht auf seine ehemaligen Sympathien für das NS-Regime, die er mit Doderer und Schreyvogl geteilt hatte. Doderer dürfte die Aufnahme in den PEN-Club seinem Durchbruch als Schriftsteller mit der 1951 veröffentlichten Strudlhofstiege verdanken. 1956 organisierte der PEN-Club zu Doderers 60. Geburtstag und dem Erscheinen seiner Dämonen große Feierlichkeiten in Wien.561 1966 lud er ge557 Vgl. ebd., S. 97–100. Zum BdSÖ vgl. Klaus Amann  : Der Anschluß österreichischer Schriftsteller an das Dritte Reich, S. 156–163, u. zu Max Mells Antrag, S. 217, Fn. 670. Vgl. auch Max Mell  : „Am Tage der Abstimmung – 10. April 1938“. In  : Bund deutscher Schriftsteller Österreichs (Hg.)  : Bekenntnisbuch österreichischer Dichter. Wien 1938, S. 68. 558 Vgl. Klaus Amann  : P.E.N., S. 101f.  ; zu Schreyvogls Namen auf der Liste, vgl. Gerhard Renner  : „Entnazifizierung der Literatur“. In  : Sebastian Meissl, Klaus-Dieter Mulley u. Oliver Rathkolb (Hg.)  : Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne, S. 209. 559 Vgl. Klaus Amann, ebd., S. 104. 560 Vgl. Friedbert Aspetsberger  : „Bürokratie und Konkurrenzen – eine Möglichkeit des (literarischen) Überlebens  ? Zu Arnolt Bronnen während der NS-Herrschaft.“ In  : Uwe Baur, Karin Gradwohl-Schlacher u. Sabine Fuchs (Hg.)  : Macht Literatur Krieg. Österreichische Literatur im Nationalsozialismus. Wien, Köln u. Weimar 1998, S. 202–226. 561 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 441. Marie-Louise gesch. Wydler verh. Reiter, eine Freundin Gusti Hasterliks und Doderers, beschrieb die Feierlichkeiten in Briefen  ; vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5307,

Nachkriegszeit  : Von der Kriegsgefangenschaft zum Ruhm

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meinsam mit dem Biederstein Verlag in München zu Doderers 70. Geburtstag ein. Zu dieser Feier waren mehr als hundert Gäste geladen, darunter der ÖVP-Bundeskanzler Josef Klaus  ; Reden hielten der Unterrichtsminister Theo­ dor Piffl-Perčević, die Schriftsteller Franz Theodor Csokor und Hans Weigel. Doderer las aus seinem Roman Der Grenzwald.562 1957 schlug der österreichische PEN-Club Heimito von Doderer als Kandidaten für den Nobelpreis für Literatur vor,563 den in diesem Jahr allerdings Albert Camus erhielt. Noch im April 1959 organisierte das österreichische Außenministerium für Doderer, wohl in der Hoffnung auf einen Nobelpreis für Österreich, eine Tournee durch Finnland, Schweden und Dänemark. 564 Doderers ehemaliger Schulfreund, der Germanist Ernst Alker, unterstützte ihn noch 1960, indem er Texte über Doderers Werk vorbereitete und ihm erklärte, welche Strategie zu verfolgen sei.565 Was Doderer nicht wusste, war, dass er aus politischen Gründen keine Chance auf den Nobelpreis hatte. Dies erfuhr er 1961 von seinem Freund, dem Schriftsteller und Germanisten Ivar Ivask, der herausgefunden hatte, dass Doderer wegen seiner ehemaligen NSDAP-Mitgliedschaft nicht in Betracht kam. Ivar Ivask war bemüht, Doderer in den USA zu rehabilitieren, auch wenn sich seine Kenntnisse über diesen Lebensabschnitt Doderers, den er erst nach dem Krieg kennengelernt hatte, nur auf Doderers eigene Darstellung stützten.566 Doderer schrieb ihm im Januar 1962  : „Ihre Absicht, über meinen ,Nazismus‘ endlich in der englisch sprechenden Welt die Wahrheit zu verbreiten, ehrt mich und freut mich innig  !“567

1956/09/27, Brief von Wydler-Reiter, Marie-Louise an Elbogen, Paul (Paul Elbogen schickte den Brief an Gusti Hasterlik weiter) u. item 5417, 1956/10/14, Brief von Wydler-Reiter, MarieLouise an HA [Hasterlik, Auguste].) 562 Vgl. Wolfgang Fleischer, ebd., S. 530. Diese Geburtstagsfeier Doderers wurde vom ORF aufgezeichnet und ist in einem kurzen Ausschnitt in einer Sendung der ZiB (Zeit im Bild) vom 6.9.1966 enthalten. Ich danke Dr. Augustine Wöss (ORF) für den Hinweis. 563 Vgl. Wolfgang Fleischer, ebd., S. 459f. 564 Vgl. ebd., S. 469f. 565 Brief von Ernst Alker an Doderer vom 10.1.1960 u. Brief von Doderer an Ernst Alker vom 10.4.1960, resp. 523/18–12. Han u. 523/18–12. Han (Briefdurchschl.) der ÖNB. 566 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 496. 567 Brief von Doderer an Ivar Ivask vom 8.1.1962. (Heimito von Doderer  : Von Figur zu Figur. Briefe an Ivar Ivask über Literatur und Kritik. Hg. von Wolfgang Fleischer u. Wendelin Schmidt-Dengler. München 1996, S. 48f.)

V. Der Erfolg

1. Späte Anerkennung  : Die Strudlhofstiege Heimito von Doderer hatte seinen ersten Gedichtband Gassen und Landschaft 1923 und seinen ersten Roman Die Bresche. Ein Vorgang in vierundzwanzig Stunden 1924 (beide im Haybach Verlag, Wien) veröffentlicht. Es folgten weitere Romane, Schriften und Erzählungen. Doch erst 1951, 28 Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung, erhielt er mit dem Erscheinen der Strudlhofstiege breite öffentliche Anerkennung als Schriftsteller. Die Arbeiten an der Strudlhofstiege begann mit Tagebuchaufzeichnungen Doderers in Frankreich 1941/1942 und in der Sowjetunion 1942.568 Mitten im Krieg beschäftigte sich Doderer mit Kindheits- und Jugenderinnerungen und mit verschiedenen Gegenden in Wien.569 Das Gedicht mit dem Titel Strudlhofstiege hatte er im Dezember 1944 in Wien geschrieben  ; es steht mit geringfügigen Änderungen am Anfang der Buchausgabe.570 In den Kriegsgefangenenlagern in Norwegen schrieb er 1945 an seinem Roman weiter. Bevor Doderer Norwegen verließ, hatte er Artikel für sein Repertorium, 150 Seiten Tagebuch und sein Manuskript der Strudlhofstiege einem norwegischen Offizier in Hamar anvertraut. Er wollte damit einer möglichen Konfiskation seiner Schriften entgehen.571 Vereinbart war, dass dieser sie Doderers Freund Ernst Alker, der an der Universität Lund in Schweden unterrichtete, übergeben sollte. Doch noch im Juni 1946 wusste Doderer nichts über den Verbleib seiner Manuskripte und befürchtete, 110 Seiten der Strudlhofstiege verloren zu haben.572 Das hinderte ihn nicht daran, an seinem Roman weiterzuschreiben, bereit, das Verlorene neu zu schreiben. Diesen (vermeintlichen) Verlust sah Doderer als „Möglichkeit einer Buße schlichthin [sic] […] und es leuchtet

568 „III/Am Weg zur Strudlhofstiege/Rotes Notizbuch/Mont de Marsan – Biarritz –/Ryschkowo bei Kursk“. Diese Kapitelüberschriften wählte Doderer für die Veröffentlichung der Tangenten. Die Schrägstriche entsprechen im Original Absätzen  ; der Text wurde im Original in Großbuchstaben gedruckt. (Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 101f., Zit. S. 101.) 569 Vgl. ebd., z. B. S. 103–106 (6.12.1941). 570 Vgl. ebd., S. 269f. (27.12.1944) u. Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege, S. 7. 571 Vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 434f. (26.4.1946) u. S. 492f. (27.7.1946). 572 Vgl. ebd. S. 435 (26.4.1946) u. S. 492 (27.7.1946).

Der Erfolg

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mir ein, daß ich Buße gerade auf diesem Gebiete leisten muß, im Kerngebiet meines Lebens.“573 Erst im Oktober 1946 erfuhr er, dass seine Manuskripte nicht verloren waren.574 Am 9. Juni 1948 hatte er die Strudlhofstiege abgeschlossen.575 Dem Abschluss folgte eine Depression  : „Leb’ ich noch gern  ? Da wag’ ich keine Antwort“, schrieb Doderer.576 Seine Zukunft als Schriftsteller war weiterhin ungewiss, sein Lektor Karl Strobl war von dem Buch nicht überzeugt, und Ilse Luckmann, verheiratete Strobl, schloss sich dem Urteil ihres Mannes an. Doderer litt unter der „Geringschätzung [s]eines Werkes“.577 Mit der Vollendung des Romans endeten auch die monatlichen Zahlungen des Luckmann Verlags.578 Doderers prekäre finanzielle Lage und ungewisse Zukunft als Schriftsteller dürften ihn dazu bewogen haben, sich neuerlich für einen Kurs am Institut für Österreichische Geschichtsforschung einzuschreiben. Diesmal beendete er die erstmals 1923 begonnene, dann aber abgebrochene Ausbildung,579 vermutlich um anschließend eine Anstellung in einem Archiv oder einer Bibliothek zu finden. Das Studium war intensiv und ließ ihm kaum Zeit für schriftstellerische Arbeiten. Es begann im Oktober 1948 und endete im Juni 1950  ; Doderer schloss es mit einer Abschlussarbeit über „Die Abtwahlformeln in den Herrscherurkunden bis zum 10. Jahrhundert“ ab.580 Seine diesbezüglichen Recherchen über die Merowinger und Karolinger verwendete er in stark verzerrter Form für seinen Grotesk-Roman Die Merowinger.581 Nach seinem erfolgreichen Abschluss hatte sich Doderers Situation zu seinen Gunsten verändert, denn Ilse Luckmann hatte sich entschieden, die Strudlhofstiege doch zu veröffentlichen. Dafür benötigte sie aber die finan­zielle 573 Ebd., S. 495 (28.7.1946). 574 Vgl. ebd., S. 512–514 (21.10.1946). 575 Vgl. ebd., S. 650 (11.7.1949). 576 Vgl. ebd., S. 645 (8.11.1948). Zu Doderers schlechtem Zustand siehe auch S. 615 (2.8.1948), S. 638 (27.9.1948), S. 640 (29.9.1948), S. 643 (26.10.1948). Über Doderers Depressionen nach abgeschlossener Arbeit vgl. Wendelin Schmidt-Dengler  : „Doderers Krisen“. In  : Pierre Grappin u. Jean-Pierre Christophe (Hg.)  : L’actualité de Doderer. Actes du colloque international tenu à Metz (Novembre 1984). Paris 1986, S. 11–25. 577 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 595 (10.6.1948). 578 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 366 u. 368f. 579 Vgl. ebd., S. 152. 580 Vgl. ebd., S. 373f., 380 u. 386f. 581 Heimito von Doderer  : Die Merowinger oder Die totale Familie [1962]. Roman, München 1995.

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Unterstützung des Beck Verlags, bei dem Doderer seit 1937 unter Vertrag stand. Dieser konnte, zunächst ohne Lizenz, seine Aktivitäten erst 1949 wieder aufnehmen. Ein Cousin von Heinrich Beck, Gustav End, erhielt schließlich eine Lizenz zur Gründung des belletristischen Biederstein Verlags, in dem dann auch die Werke Doderers veröffentlicht wurden.582 Doderer wollte direkt mit dem Beck Verlag Kontakt aufnehmen, doch musste er bis Ende September 1949 auf eine Reisegenehmigung warten  ; erst Anfang November 1949 erhielt er dann auch einen Pass.583 Bevor er nach München fuhr, besuchte er in Landshut in Bayern seine Freundin Emma Maria Thoma, die er nach viereinhalbjähriger Trennung erstmals wiedersah.584 Luckmann und Biederstein gaben die Strudlhofstiege und weitere Werke des Autors gemeinsam heraus. Doderer erhielt nun monatlich 350 DM von Biederstein. Trotzdem verzögerte sich die Veröffentlichung des Romans noch bis 1951, da Doderer sich zunächst auf seinen Studienabschluss konzentrierte. 585 Im März 1951 erschien schließlich sein Roman Die erleuchteten Fenster oder Die Menschwerdung des Amtsrates Julius Zihal, den er schon 1939 geschrieben hatte,586 im April gefolgt von der Strudlhofstiege. Die ausgesparten Themen in der Strudlhofstiege Die Kriegs- und Nachkriegszeit, also jener Abschnitt, in dem Doderer die Strudlhofstiege schrieb, ist nicht Thema des Romans  : Es geht weder um NSHerrschaft und 2. Weltkrieg noch um die schwierige Zeit, mit der Doderer selbst während des Schreibens konfrontiert war  : Krieg, Kriegsgefangenenlager, Entnazifizierung, Hunger, Depressionen, Krankheit, Entbehrungen, finanzielle und berufliche Ungewissheit, die Angst vor dem Verlust der Wohnung und den Tod seiner Mutter 1946. Die Geschichte des Romans spielt vor allem in Wien und Umgebung von den 1910er- bis zu den 1920er-Jahren – mit den zwei Eckdaten 1911 und 1925, die weniger auf historischer als auf persönlicher Ebene eine Rolle spielen. His­

582 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 383. 583 Vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 689 (14.10.1949). 584 Vgl. ebd., S. 296 (10.5.1945). 585 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 386. 586 Zu Doderers Erleuchteten Fenstern siehe  : Stefan Winterstein (Hg)  : „Er las nur dieses eine Buch.“ Studien zu Heimito von Doderers Die erleuchteten Fenster. (Schriften der Heimito von DodererGesellschaft  ; 5) Würzburg 2009.

Der Erfolg

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torische Ereignisse dieser Zeit werden nur beiläufig erwähnt  : der 1. Weltkrieg, das Ende der Monarchie, der Beginn der 1. Republik, der Übergang von einem großen Reich zu kleinen Nationalstaaten, der politische und soziale Wandel, die Hungerrevolte von 1911, der Mangel an Nahrungsmitteln in Wien Anfang der 1920er-Jahre.587 Doderer setzte für sich die Zäsur nicht mit dem Beginn oder dem Ende des 1. Weltkriegs, sondern 1916. Dieses Jahr ist für ihn, zumindest im Rückblick, entscheidend, weil er in der Kriegsgefangenschaft regelmäßig zu schreiben begonnen hatte und dies den Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit markierte. Den Weltkrieg und seine Folgen ließ er als Zäsur nicht gelten. Doderer spart die historischen Ereignisse in seinem Roman zwar weitgehend aus, doch wird auf manche zumindest angespielt  : so etwa auf Eulenfelds Rolle im Spartakusaufstand in Berlin  ; oder Fraunholzer, der 1920, im Wiener Hungerjahr, mit seiner Familie nach Oberösterreich zieht, weil die Nahrungsmittelversorgung auf dem Land besser ist  ; oder auch die Diskussion von Freunden 1925 über die Stabilisierung der Währung.588 Wien zur Zeit der Monarchie wird zwar am Rande geschildert, doch Melzers Nostalgie für diese Zeit ist nicht jene für die Monarchie, sondern beruht auf seinen persönlichen Erinnerungen.589 Nur der verschrobene pensionierte Amtsrat Zihal, eine Verkörperung des Beamten schlechthin, wird als nostalgischer Anhänger der Monarchie gezeichnet. Er weist (wie auch Doderer selbst) darauf hin, dass die Zäsur zwischen Monarchie und Republik überbetont werde, während für ihn der Unterschied geringfügig ist  : … die Republik ist vielleicht aus einem feineren, weniger sichtbaren Stoff gemacht als die Monarchie. In meinem Alter freilich bleibt man mit seiner Liebe und seinen Erinnerungen bei den früheren Zeiten. Aber warum soll ich nicht sehen, was mich heutigentags freut. Ich leb’ recht gern.590

Die gewählten Eckdaten haben zumindest einen historischen Hintergrund  : Melzer hört am 22. August 1925 einen Militärmarsch, der auf einer Drehorgel gespielt wird – und zwar denselben, den er schon am 18. August 1911591 zum 587 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 353. 588 Vgl. Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege, S. 89, 158 u. 506. 589 Vgl. ebd., S. 302. 590 Ebd., S. 733f. 591 Vgl. ebd., S. 482.

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81. Geburtstag von Kaiser Franz Joseph gehört hatte –, und überbrückt damit auch die (nach Doderers Ansicht überbewertete) Zäsur von 1918. Damals befand Melzer sich mit Freunden auf dem Land zu Gast bei der Familie Stangeler.592 Die Musik dient als Auslöser für seine Erinnerungen. Die Ermordung des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo 1914 wird erwähnt, doch ohne dass dieses Ereignis, so der Erzähler, die österreichische Jugend beeindruckt hätte, die sich der unmittelbaren Kriegsgefahr nicht bewusst gewesen sei, was auch für Doderers Alter Ego René von Stangeler gilt.593 Die Figuren sind vor allem mit sich selbst und nicht mit den politischen Ereignissen ihrer Zeit beschäftigt. Doderer hielt sowohl die „politische Geschichte“ als auch den „Einhieb von 1918“ für überbewertet.594 Der 1. Weltkrieg wird über die Aufzählung von Orten, an denen bekannte Schlachten stattgefunden hatten, erwähnt, an denen Melzer sich zwischen 1914 und 1918 befand. Der Erzähler kritisiert am Krieg, dass er dem Einzelnen nicht ermögliche, zu sich selbst zu kommen, sondern ihn „an’s Kollektiv zurückverteil[e]“.595 Für Stangeler ist der Ausbruch des 1. Weltkriegs auf die seit Langem „,total verkehrte‘“ Politik Österreichs England gegenüber zurückzuführen. Mit einer anderen Ausrichtung hätte der Krieg vermieden werden können, auch ohne die Deutschen zu verärgern „,und zuletzt zu ihrem Heile, denn sie wären von uns dann nicht obendrein noch in einen Krieg hineingerissen worden‘“.596 Das ist eine der seltenen Passagen in Doderers Werk, in denen nicht Deutsche, sondern Österreicher zur Verantwortung gezogen und kritisiert werden  ; doch auch Doderers Abneigung gegen Deutsche kommt in diesem Roman zum Ausdruck.597 Der Erzähler weist auf Stangelers untypische Position hin, die der revanchistischen Haltung der österreichischen Offiziere der damaligen Zeit nicht entsprach  :

592 Vgl. ebd., S. 296 u. 298. 593 Vgl. ebd., S. 150. 594 Vgl. Heimito von Doderer  : „Athener Rede. Von der Wiederkehr Österreichs“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 239–247, hier S. 239f. 595 Vgl. Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege, S. 85, u. Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 326 (23.5.1945). 596 Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege, S. 493f., Zit. S. 494. 597 So bleiben, laut Erzähler, die Rumänen und Bulgaren in Wien zwar Ausländer, aber „nicht so konsolidiert fremd wie die Norddeutschen“. Ein Deutscher namens Wedderkopp aus Wiesbaden wird als „specknackige Unentwegtheit“ und „Genickler“ bezeichnet, bei Doderer ein Ausdruck tiefer Antipathie. (Vgl. ebd., S. 9 u. 599.)

Der Erfolg

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René sagte noch einiges, was alles im offenen Widerspruch stand zu sämtlichen Gesprächen in der Offiziers-Messe von Trnovo an der Jelesnitza in Bosnien, wie sie nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers dort geführt worden waren und an welchen auch Melzer im gleichen kriegerisch-optimistischen Racheschwunge sich beteiligt hatte […].598

Melzers Wandel – vom Offizier zum Beamten zum „Menschen“599 – führt dazu, dass er das Interesse am Militärischen verliert und 1925 auch nicht mehr am Begräbnis des Feldmarschalls Conrad von Hötzendorf teilnimmt,600 dem General und Heerführer im 1. Weltkrieg. Auch der 2. Weltkrieg wird erwähnt, etwa als Editha Pastré, Melzer und Stangeler einen Umweg über die Treppenanlage, die Strudlhofstiege, nehmen und der Erzähler am Rande eine Vorausdeutung auf zukünftige Kriegszerstörungen macht.601 Erzähler und Autor scheinen identisch, wenn Doderer den Erzähler in der Strudlhofstiege sagen lässt  : „Wenn ich im April 1945 […] in meinem kalten Hotelzimmer zu Oslo über Melzer nachdachte – und ich pflegte das nicht selten zu tun […]“602 und Doderer, der selbst im April 1945 im „Parkhospiz“ in Oslo untergebracht gewesen war und in sein Tagebuch schrieb  : „Wenn ich hier zu Oslo […] in meinem kalten Hotelzimmer über den Leutnant Melzer nachdenke, wie so oft schon […]“.603 Die Wahl eines Offiziers als zentrale Romanfigur ist nicht unabhängig von Doderers eigenem Offiziersdasein zwischen 1940 und 1945 zu sehen. Trotzdem gibt es entscheidende Unterschiede, denn Melzer ist aktiver Offizier, während Doderer Reserveoffizier war. Melzer steigt bis zum 1. Weltkrieg vom Rang des Leutnants zum Oberleutnant, Hauptmann und schließlich Major auf.604 Doderer war im 1. Weltkrieg Fähnrich in der Reserve und wurde 1921 nachträglich mit dem Datum vom 1. Februar 1917 zum Leutnant der Reserve befördert.605 Der Erzähler gibt an, Melzer schon seit Jahren aus Wien gekannt zu haben und ihn wieder gesehen zu haben, nämlich „zu Kursk im Jahre 1942, wo er als Oberstleutnant auftauchte (er hat als ehemaliger österreichischer 598 Ebd., S. 493–495, Zit. S. 494. 599 Vgl. ebd., S. 858. 600 Vgl. ebd., S. 695. 601 Vgl. ebd., S. 325. 602 Ebd. S. 85. 603 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 316 (7.5.1945). 604 Vgl. Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege, S. 371. 605 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Heimito von Doderer, S. 63 u. 72.

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Offizier bei den Deutschen wieder einrücken müssen).“606 Doderer war 1942 ebenfalls in Kursk gewesen, allerdings als Hauptmann. Auch Namen anderer Orte, an denen Doderer sich als Offizier aufgehalten hatte, werden im Roman erwähnt, doch außerhalb des realen Kontextes  : Mont-de-Marsan, Arcachon, Biarritz, Bordeaux und Paris.607 Der Krieg wird in der Strudlhofstiege als „Welt des legal organisierten Schreckens“608 kritisiert, doch der Offizier Melzer als besonders anständiger und integrer Mann beschrieben, der lieber sich selbst als anderen misstraut. 609 Melzer gelingt letztlich seine „Menschwerdung“ – die eine „Einheit der Person“ voraussetzt –,610 indem er seinen „Zivilverstand“611 entwickelt. Dieser kennzeichne sich durch Beobachtungsgabe und Intelligenz  ; zwei Eigenschaften, die Melzer anfangs fehlen.612 Melzers Menschwerdung ereignet sich erst sieben Jahre, nachdem er das Militär verlassen hat. Die Zahl sieben dürfte ebensowenig zufällig gewählt sein wie die Zahl 14, die zwischen den gewählten Eckdaten 1911 und 1925 liegt. Diese Wahl ist wohl auf Hermann Swobodas Einfluss zurückzuführen.613 Für Doderer, der sich 1949 an seine Zeit in Kursk 1942 erinnerte, benötige es sieben Jahre, bis eine Erfahrung zur Vergangenheit werde  : „[E]s sind nun sieben Jahre grad her, seitdem, das erschreckt mich  ; so viel Zeit muß vergehen, damit etwas auch nur einigermaßen Vergangenheit wird […].“614 Trotz der Kritik am Krieg wird diese Kritik nicht auf den Dienst beim Militär ausgedehnt. Dieser ist mit dem Zivilverstand nicht unvereinbar, denn Melzer bleibt im Grunde Soldat  : „Der Major, nunmehr im Besitze eines rasch gereiften Verstands und Verstehens befindlich, stand seinen Zivilisten auf den Beinen eines Infanteristen ohne Tadel.“615

606 Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege, S. 85. 607 Vgl. ebd., zu Arcachon u. Biarritz, S. 375  ; zu Paris, S. 395  ; zu Bordeaux, S. 595, u. zu Mont de Marsan, S. 629. 608 Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege, S. 85, u. Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 326 (23.5.1945). 609 Vgl. Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege, S. 503, 508, 644 u. 676. 610 Ebd., S. 181. 611 Ebd., S. 530f. u. 740. 612 Ebd., S. 226 u. 448. 613 Zu Swoboda siehe weiter oben  : Antisemitismus und Nationalsozialismus  : Doderer und der Nationalsozialismus, S. 73f. 614 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 696f. (17.11.1949). (Hervorhebungen im Original.) 615 Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege, S. 876.

Der Erfolg

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Zum Erfolg der Strudlhofstiege mag das Wiedererschaffen einer verschwundenen Welt, das insgesamt friedliche Leben, die großbürgerlichen Figuren ohne Existenzprobleme, ein wunderschöner Sommer unter Freunden am Land beigetragen haben. Wolfgang Fleischer wies auf Doderers Stärken als Schriftsteller, aber auch auf Diskrepanzen hin  : [S]ein ganzes, durch ständige „spirituelle“ Übungen vertieftes Instrumentarium an auratischer Feinfühligkeit, sein verständnis- und oft liebevolles Eingehen auf Schlichtes und Nebensächliches, die ruhige Ausgewogenheit allem gegenüber, die sachte Zurückhaltung und nie verletzende Ironie, ja, die eigentlich tief menschenfreundliche Grundhaltung sowie eine immer wieder bedachtsam hergestellte Harmonisierung in den großen Romanen – das alles war mühsamst erarbeitet und entsprach zwar seinen Wünschen und dem, was in ihm humanistisch domestiziert werden konnte, aber ganz und gar nicht seinem vielfach zerklüfteten Wesen. So charakteristisch sein persönlicher Tonfall dabei auch geworden war […]  : er lieferte dennoch keinen „Ausdruck seiner selbst“.616

Hilde Spiel beschrieb in ihrer Autobiografie die Wirkung, die die Strudlhofstiege auf sie gehabt hatte, so  : Doderers Strudlhofstiege hatte mich verzaubert. Daß der gewaltige Roman, dessen „Rampe“ dieses Buch gewesen war, ursprünglich Die Dämonen der Ostmark heißen sollte und deutlich antisemitische Züge trug, dass in ihm die Ereignisse des 15. Juli 1927 [der Brand des Justizpalastes] auf fragwürdige Weise dargestellt wurden – was verschlug’s  ? Ich war wehrlos gegenüber dieser Verdichtung wienerischen Lebensgefühls, dieser so präzisen wie skurrilen Sprache, dieser Kraft des Aufbaus bei immer wieder frappierender Anschaulichkeit der Details.617

2. Doderer in der Öffentlichkeit Die Veröffentlichung der Strudlhofstiege wurde am 6. April 1951 mit einem großen Presseempfang im Münchner Verlag gefeiert. Am 6. Juli hielt Doderer eine Lesung in Wien, in der von Haybach geleiteten Secession, Ende September erschien sein Roman in der österreichischen Ausgabe im Luckmann Verlag. Am 23. Oktober hielt er eine Lesung in der Buchhandlung Heger, am 616 Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 456f. 617 Hilde Spiel  : Welche Welt ist meine Welt, S. 224.

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4. November in der Secession, diesmal um die Österreichische Buchwoche zu eröffnen. Am Tag darauf fuhr er für Lesungen nach Deutschland  : Hamburg, Hannover, Frankfurt, Darmstadt und Stuttgart. Im Februar 1952 wurde er Mitglied des PEN-Clubs, nachdem ihm Franz Theodor Csokor schriftlich mitgeteilt hatte, dass er auf Entschluss des Vorstandes zum Beitritt in den PEN Club eingeladen worden war.618 1952 hielt er Lesungen in Berlin, später in Hamburg. Am 24. September 1952 heirateten Heimito von Doderer und Emma Maria Thoma standesamtlich und am Tag darauf kirchlich. Sie lebten weiterhin größtenteils getrennt, Emma Maria von Doderer in Landshut und Heimito von Doderer in Wien.619 Am 7. September 1954 erhielt Doderer den Literaturpreis der deutschen Industrie in Bamberg. Anfang Oktober desselben Jahres gab er Lesungen in London, wo er neuerlich Hilde Spiel begegnete, die er schon aus Wien kannte. Es verband sie zwar eine freundschaftliche Beziehung, doch sagte Doderer im Gespräch mit Wolfgang Fleischer über sie  : „Hüten Sie sich, das ist eine gescheite Frau – aber eine alttestamentarische Rachegöttin  !“.620 Ende Januar 1957 war er neuerlich in London, wo er Elias Canetti traf, den er ebenfalls zuvor in Wien bei einer Lesung gehört und über dessen Roman Die Blendung er sich anerkennend geäußert hatte. Doderer war auch anwesend, als Canetti 1966 der Preis der Stadt Wien für Dichtung verliehen wurde.621 Doch sein zunächst positiver Eindruck – im August 1955 schrieb er  : „Gestern mit Elias Canetti  : ein sehr leidenschaftlicher und ernster Mann, der sich von der Bagasch in Wien offen und eindeutig distanziert hat“622 – hielt nicht an. Verärgert schrieb er Hilde Spiel im April 1963  : Elias Canetti hatte die Güte mir die deutsche Ausgabe von „Masse und Macht“ zu senden, macht mir aber das Leben schwer, indem er es mir unmöglich macht ihm für dieses großartige Geschenk zu danken  : denn er schreibt seine Adresse ganz unleserlich […] Ich finde solcherlei Genie-Gepflogenheiten wirklich überflüssig, sie erzeugen nur Schreibereien und Aufenthalt […].623 618 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 393, 401, 405–409. 619 Vgl. ebd., S. 414. 620 Doderer im Gespräch mit Wolfgang Fleischer in den 1960er-Jahren, zit. nach Wolfgang Fleischer, ebd., S. 424. 621 Vgl. ebd., S. 419 u. 528. 622 Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, S. 449 (25.8.1955). (Im Original in Klammern.) 623 Brief von Doderer an Hilde Spiel vom 25.4.1963 („Briefe“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie).

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Canetti und Doderer wahrten zwar die Höflichkeitsformen, empfanden aber keine Sympathien füreinander.624 Canetti beschrieb in seiner Autobiografie Doderers Verhalten in den 1930er-Jahren bei einer Vernissage eines Malers [Gottfried Goebel] als überheblich und arrogant.625 Da er aber, so Wolfgang Fleischer, bei seiner Beschreibung Orte und Personen verwechselte, stellt sich die Frage, was an dieser Erinnerung überhaupt der Wirklichkeit entsprach.626 Canetti erzählte auch, dass Doderer ihn gefragt habe, „ob ich je einen Menschen getötet hätte, als ich verneinte, sagte er, alle Verachtung grimassierend, deren er fähig war  : ,Dann sind Sie eine Jungfrau  !‘“627 Selbst wenn Doderer diese Frage gestellt und die darauf folgende Antwort gegeben haben sollte, bleibt immer noch offen, ob er das mit „Verachtung grimassierend“ getan hatte oder ob hier nur Canettis Antipathie für Doderer durchkam. Denn Doderer zeichnet sich in seinen Schriften keineswegs durch Kriegsbegeisterung aus, und von seiner Haltung im 1. Weltkrieg distanzierte er sich bereits im Juli 1923, als er in sein Tagebuch schrieb  : „Ich sah meine Aufzeichnungen von der Front durch – mit Entsetzen  ! Welche Pose, welch’ ein schneidiger Jargon, welches Wichtigtun mit kriegerischen Dingen – ach genug  ; mir graut.“628 Doderer verwendete aber durchaus den Begriff „Jungfrau“ für jemanden, der noch nie getötet hatte. So bei der unsympathisch gezeichneten Figur Zien­ hammer im Romanfragment Der Grenzwald  : Al fine  : Zienhammer […] begreift die Merkwürdigkeit, daß zwischen einem Mann, der bereits getötet hat, und einem, der dies noch niemals tat, ein analoger Unterschied besteht, wie zwischen einer Jungfrau und einer Frau. Nun, er für sein Teil hatte seine diesbezügliche Unschuld schon 1916 im Schützengraben bei Olesza verloren.629

Zu Doderers Freunden nach dem Krieg und bis zum Ende seines Lebens zählten Gegner der Nationalsozialisten wie Helmut Qualtinger, der mit seinem Herrn Karl und späteren Lesungen aus Hitlers Mein Kampf auch als scharfer 624 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 448. 625 Vgl. Elias Canetti  : Das Augenspiel. Lebensgeschichte 1931–1937. München u. Wien 1985, S. 302–304. 626 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 244. 627 Elias Canetti  : Das Augenspiel, S. 304. 628 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 132 (18.7.1923). 629 Heimito von Doderer  : Commentarii 1957 bis 1966, S. 420 (19.4.1964).

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Kritiker von Österreichs Umgang mit seiner NS-Vergangenheit bekannt ist. Doderer hatte Qualtinger gegen Ende des 2. Weltkriegs kennengelernt. Hans Weigel kannte er seit der Nachkriegszeit. Dieser hatte 1938 wegen seiner jüdischen Herkunft aus Österreich emigrieren müssen, war aber bereits kurz nach Kriegsende wieder nach Wien zurückgekehrt. Die älteste Freundschaft war jene mit Xaver Schaffgotsch, den er aus der Zeit seiner russischen Kriegsgefangenschaft im 1. Weltkrieg kannte. Schaffgotsch, ursprünglich Anarchist, hatte damals seine persönliche Bekanntschaft mit Leo Trotzki zugunsten der Kriegsgefangenen eingesetzt, sich in späteren Jahren aber von der Politik abgewandt.630 Doderers Erfolg wurde mit der Veröffentlichung der Dämonen 1956 bestätigt und bekräftigt. Nach den vom PEN-Club für ihn organisierten Feierlichkeiten reiste er neuerlich zu Presseterminen nach Deutschland  : zu einem Fernsehinterview in Hamburg, zur Frankfurter Buchmesse und zu einer Feier in München, die sein Verlag für ihn organisiert hatte. In der Spiegel-Ausgabe vom 5. Juni 1957 war Doderer auf dem Titelblatt abgebildet.631 Bis 1957 waren 10.000 Exemplare von Doderers Dämonen verkauft worden, 18.000 von der Strudlhofstiege, 20.000 von Ein Mord den jeder begeht, 15.000 von Ein Umweg und 5.000 von den Erleuchteten Fenstern.632 Seine Bücher wurden ins Italienische, Französische, Englische, Japanische und in weitere Sprachen übersetzt.633 Im März 1958 wurde ihm, gemeinsam mit Franz Karl Ginzkey, der Große Österreichische Staatspreis für Literatur verliehen.634 1962 veröffentlichte Doderer Die Merowinger oder Die totale Familie, einen Roman, der trotz des Titels im 20. Jahrhundert spielt  : Die Familiengeschichte umfasst vier Generationen, die Hauptfigur Childerich III. von Bartenbruch ist 1890 geboren. Ein Großteil des Romans spielt nach dem 2. Weltkrieg. Es geht um den von sinnlosen Wutanfällen geplagten Childerich III., der durch Heirat der Witwen seines Großvaters, seines Vaters und seines Stiefsohns (sowie am 630 Zu Schaffgotsch vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 92, 102, 105, 426 u. 465. 631 Vgl. das Titelblatt sowie den Artikel  : „Doderer. Der Spätzünder“. In  : Der Spiegel, Nr. 23, 11. Jahr (5.6.1957), S. 53–58. 632 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 453. 633 Zu Doderers Veröffentlichungen in andere Sprachen, hier Englisch, Französisch und Italienisch, vgl. Heimito von Doderer-Gesellschaft  : http  ://www.doderer-gesellschaft.org/english/ doderer/work.html  ; http  ://www.doderer-gesellschaft.org/francais/doderer/oeuvre.html  ; http  ://www.doderer-gesellschaft.org/italiano/doderer/opere.html. 634 Vgl. „Staatspreisträger  : Heimito Doderer“. In  : Neuer Kurier, 25.2.1958 [o. S.]. (Aus dem Archiv des Kurier.)

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Ende noch durch Adoptionen) versucht, durch Erwerb familiärer Chargen die „totale Familie“ – und somit die totale (Familien-)Macht – zu verwirklichen. Die Befürchtungen Heimito von Doderers zur Aufnahme der Merowinger erwiesen sich als grundlos. An Hilde Spiel hatte er zuvor geschrieben  : „Das Werk ist gewagt und bietet frei die Flächen zum Angriff, was manchen dazu provozieren wird (auch abgesehen von meinen notorischen Feinden…).“ 635 Die ersten beiden Auflagen waren schon im Erscheinungsjahr ausverkauft.636 1959 hatte Doderer den Roman Die Wasserfälle von Slunj begonnen, der im August 1963 zunächst in Fortsetzungen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und im September als Buch veröffentlicht wurde. Der Erfolg der Wasserfälle übertraf noch jenen der Merowinger.637 1964 veröffentlichte er die Tangenten. Aus dem Tagebuch eines Schriftstellers 1940–1950. Von 1961 bis zu seinem Tod 1966 arbeitete er am Grenzwald. Seit dem Erfolg der Strudlhofstiege war Doderer zunehmend vor allem in der österreichischen und deutschen Öffentlichkeit präsent. Er unternahm zahlreiche Reisen ins Ausland, darunter im März 1958 nach Paris, um einen Vortrag über die „Grundlagen und Funktion des Romans“638 zu halten. Vom österreichischen Bundeskanzleramt wurde er im April 1960 nach Berlin entsandt, um dort mit Fritz Hochwälder, Franz Theodor Csokor und Friedrich Schreyvogl an der „Österreich-Woche“ teilzunehmen.639 Im November 1961 war er neuerlich in Berlin und las vor 2.000 Zuhörern Ausschnitte aus den Wasserfällen im Rahmen der Internationalen Lesereihe „Literatur im technischen Zeitalter“.640 Im Frühling 1964 hielt er einen Vortrag in Athen, in dem er von einem österreichischen „übernationalen – Nationalgefühl“ als Verinnerlichung der Donaumonarchie sprach. Er bezog darin auch Stellung für die kroatischen, ungarischen (magyarischen) und slowenischen Minderheiten in Österreich. Diese Ideen hatte er schon in Stuttgart im November 1957 präsentiert und

635 Brief von Doderer an Hilde Spiel vom 31.8.1962, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 499. 636 Vgl. Wolfgang Fleischer, ebd. 637 Vgl. ebd., S. 508. 638 Heimito von Doderer  : „Grundlagen und Funktion des Romans“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 149–175. 639 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 475. 640 Vgl. ebd., S. 494.

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als „Athener Rede“ 1964 veröffentlicht.641 Doderer wollte sich aber nicht als Internationalist verstanden wissen, sondern als Befürworter aller Nationen und ihrer Eigenarten.642 1961 schloss er sich dem von Friedrich Heer initiierten Appell gegen die von Angehörigen der deutschsprachigen Minderheit verübten Bombenattentate in Südtirol an. Die öffentliche Meinung verurteilte diese Attentate nicht, sondern machte Italien für das Klima der Gewalt verantwortlich. Friedrich Heers Appell wurde im August 1961 in der Presse veröffentlicht, die sich von der Position der Unterzeichnenden – Heimito von Doderer, Gottfried von Einem, Friedrich Heer, Fritz Hochwälder, Alexander Lernet-Holenia, Hans Thirring, Friedrich Torberg, Msgr. Leopold Unger und Fritz Wotruba – distanzierte.643 Im September 1961 erschienen Doderers Dämonen in englischsprachiger Übersetzung (The Demons) im Alfred Knopf Verlag mit einem Vorwort von Thornton Wilder. Doderer sollte nach New York kommen, doch musste er die Reise wegen einer Operation an seinen Stimmbändern absagen.644 Frederic Morton, ein amerikanischer Schriftsteller österreichischer Herkunft, der nach dem Anschluss als 14-Jähriger aus Österreich emigrieren musste,645 hatte eine sehr positive Kritik des Romans in The New York Times Book Review veröffentlicht.646 Doch neben anerkennenden Rezensionen gab es auch sehr negative, wie jene, damals oft zitierte, von Georg Steiner in The Reporter unter dem Titel „The Brown Danube“, der wohl auf Doderers NS-Vergangenheit anspielen sollte, ohne deutlich zu werden.647 Im Frühjahr 1964 folgte die Übersetzung 641 Vgl. Heimito von Doderer  : „Athener Rede“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 239–247, hier S. 242f., Zit. S. 243. 642 Vgl. Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, S. 354 (12.10.1954). 643 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 490f. 644 Vgl. ebd., S. 483, 486 u. 488. 645 Frederic Morton wurde am 5.10.1924 in Wien als Fritz Mandelbaum geboren. Die Familie flüchtete 1939 über Großbritannien nach New York (1940). Über Doderer sagte Morton  : „Ich habe für die ,New York Times‘ Doderers ,Die Dämonen‘ rezensiert, als sie auf Englisch erschienen. Daraufhin bekam ich einen Brief von Doderer, wir hatten einen langen Briefwechsel, und als ich nach Wien kam, haben wir uns öfters getroffen. Natürlich war ich sehr beeindruckt.“ („Lebenslauf Frederic Morton“ u. „Vom Türkenplatzl zur Thelemanngasse. Ein Interview mit Frederic Morton“ von Helmut Schneider. In  : Frederic Morton  : Ewigkeitsgasse. Roman. Wien 1984, o. S.) 646 Über die Aufnahme von The Demons vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 492. 647 Georg Steiner  : „The Brown Danube“. In  : The Reporter (12.10.1961), S. 58–60. Zur Kritik von Georg Steiner und weiteren Rezensionen siehe  : Vincent Kling  : „Patterns of History. Historiography as Polemic in Heimito von Doderer’s Die Strudlhofstiege and Die Dämonen“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 191–222, hier S. 218f.

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von Ein Mord den jeder begeht unter dem Titel Every Man a Murderer.648 Ein neuerlicher Termin für eine US-Tournee wurde für Herbst 1967 festgesetzt.649 Doch am 6. November 1966 wurde Heimito von Doderer ins Krankenhaus Rudolfinerhaus in Döbling eingeliefert, wo ein Darmkrebs diagnostiziert wurde und er nach der zweiten Operation am 23. Dezember 1966 starb. Sein Begräbnis fand am 2. Januar 1967 in Wien auf dem Grinzinger Friedhof statt.650

3. Doderer und die junge Schriftstellergeneration In einem Gespräch mit Wolfgang Fleischer sagte Doderer, dass er weniger an älteren Lesern interessiert sei, die seine Bücher nur aus Nostalgie lesen, als an jungen Lesern, die sein Werk vorwärts bringen würden.651 Doderer fürchtete, so Fleischer, um die Zukunft seines Werks  : Aber es gab noch eine Angst in diesen letzten Jahren  : daß sein Werk, mit dem er vor allem in die Zukunft weisen wollte […] beiseite geschoben und als obsolet und veraltet hingestellt würde […]. Dabei war gerade das „alte Eisen“, auf dem Grunde eines andern Mißverständnisses, ein Atout für sein Werk  : da nicht nur die meisten Leser, sondern auch viele der Kritiker vor allem seine thematische Auseinandersetzung mit Alt-Österreich sahen, verlor er unerhört schnell […] den Ruf, überhaupt ein zeitgenössischer Autor zu sein, sondern avancierte zum spät eingetroffenen Klassiker einer anderen Zeit  ; als wäre sein äußerliches Vorhandensein nur ein fossiler Überrest aus jener. Er wurde der Literatur der großen Verstorbenen integriert, irgendwo neben Musil oder Broch […]. Zwischen dem Versinken in der Klassikerabteilung der Bücherschränke und dem Mißachtetwerden neben neueren Sichtweisen in der Literatur – damals etwa des „nouveau roman“ – fürchtete er um sein Werk und dessen eigentliche (paradigmatische) Bedeutung.652

An Doderer als bekannten Schriftsteller wandten sich junge Autoren, die nach dem Krieg zu veröffentlichen begannen. So etwa Peter von Tramin und Her648 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 515. 649 Vgl. ebd., S. 533. 650 Vgl. ebd., S. 532–534. 651 Siehe weiter unten  : Anhang  : Gespräch mit Wolfgang Fleischer, S. 361. 652 Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 493f.

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bert Eisenreich,653 die sich als seine Schüler sahen  ; auch Ingeborg Bachmann, die hoffte, über Doderers Vermittlung einen Verlag für ihr Romanmanuskript Stadt ohne Namen zu finden. Doderer hatte es im Januar 1952 gelesen654 und an den Beck Verlag geschickt. Bei seinen Lektoren Horst Wiemer und Lu Laporte fragte er nach  : „… was macht die Bachmann (Stadt ohne Namen)  ? Macht sie Dich und Lu bereits verrückt  ? Geniales Frauenzimmer (25 Jahre  !) Gehört in eine Anstalt.“655 Das Manuskript dieses Romans ging später verloren.656 Doderer hatte sich 1953 auch bemüht, einen Verlag für die Dichterin und Schriftstellerin Jeannie Ebner zu finden und hatte ihr geschrieben  : „Ich für meinen Teil kenne jetzt drei von den jungen weiblichen Autorinnen  ; eine davon ist schon bekannt geworden. Aber ich halte Sie, verehrtes Fräulein Jeannie, für die begabteste unter allen dreien.“657 Wie ernst dieses Lob gemeint war, ist allerdings fraglich, denn später dürfte er sich eher abschätzig über Jeannie Ebner geäußert haben, die, so Doderer, nur das Glück gehabt habe, nach dem Krieg zu den Ersten zu zählen, denen es gelungen war zu veröffentlichen.658 Die zwei anderen „jungen weiblichen Autorinnen“ sind die zu der Zeit bereits bekannte Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann. Über Ilse Aichingers Erzählung „Die geöffnete Order“659 hatte er sich ihr gegenüber anerkennend geäußert  ; Ilse Aichinger erzählte über Doderer  : Ich sah ihn einmal. Er mochte eine Erzählung von mir „Die geöffnete Order“. Das ist eine militärische Geschichte, die auf einen Film zurückgeht, in dem zwei Soldaten durch einen Wald fahren. Jedenfalls gefiel ihm die Geschichte. Er sagte, es sei 653 Für Herbert Eisenreich schrieb Doderer ein Vorwort. In  : Herbert Eisenreich  : Die Freunde meiner Frau und neunzehn andere Kurzgeschichten. [1966] Zürich 1978, S. 7f. 654 Vgl. Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, S. 99 (2.1.1952). 655 Brief von Doderer an Horst Wiemer vom 4.3.1952, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 401. 656 Siehe weiter unten  : Anhang  : Gespräch mit Wolfgang Fleischer, S. 362. 657 Brief von Doderer an Jeannie Ebner vom 17.2.1953, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 425. 658 Aus den derzeit noch unveröffentlichten Erinnerungen von Eugen Banauch an Doderer. Ich danke Herrn Mag. Banauch für die Zusendung einer ersten Fassung seiner Erinnerungen vom 9. und 13. Mai 2009. 659 Ilse Aichinger  : „Die geöffnete Order“. In  : Ilse Aichinger  : Der Gefesselte. Erzählungen I (1948– 1952). Hg. von Richard Reichensperger. Frankfurt/Main 1996, S. 30–38. (Vgl. auch „Bibliographische Hinweise“, ebd., S. 114, den Hinweis auf den Erstdruck in  : Frankfurter Hefte. 7. Jg., 1951, S. 134–142.)

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erstaunlich, dass eine Frau überhaupt so viel von militärischen Gegebenheiten weiß. Ich wusste aber überhaupt nichts davon. Da hat er mir glaube ich geschrieben und ich habe ihm geschrieben.660

Doderer hatte Helmut Qualtinger (1928–1986) 1943 über dessen Vater Friedrich Qualtinger kennengelernt, der, wie Doderer, in der Prüfungsstelle für Offiziersanwärter der Luftwaffe diente. Helmut Qualtinger war damals 15 Jahre alt661 und spielte bereits Theater in einer Laienspielgruppe.662 Das Verständnis, das Doderer für Helmut Qualtingers künstlerische Interessen entgegenbrachte, entwickelte sich zu einer anhaltenden Freundschaft.663 Carl Merz’ und Helmut Qualtingers Stück Der Herr Karl, das zunächst im Fernsehen gezeigt und anschließend im Theater mit Qualtinger in der Rolle des Herrn Karl aufgeführt wurde, beinhaltete anhand der Person eines Wiener Kleinbürgers, dem Herrn Karl, einem überzeugten Opportunisten und Nazi (solange es opportun war) eine scharfe Kritik an Österreich (bzw. den Österreichern) und widersprach der selbststilisierten Opferrolle Österreichs. In der monologischen Schilderung seines Lebens erweist sich der Herr Karl als einer, der es sich immer richten konnte (ohne dass ihm dabei allerdings der soziale Aufstieg gelungen wäre). Durch seine Mitgliedschaft in der Sozialistischen Partei kam er zu einer Gemeindewohnung  ; als es gefährlich wurde, Sozialist zu sein, ging er zu den (faschistischen) Heimwehren. Er heiratete kirchlich, als dies zur Zeit des christlichen „Ständestaats“ von Vorteil war. Schließlich trat er der NSDAP bei und übernahm mit Überzeugung die Funktion des Blockwarts  ; seinen jüdischen Nachbarn zu demütigen, ist für ihn eine „Hetz“. Auch in der Nachkriegszeit arrangierte er sich problemlos, zunächst mit den sowjetischen, dann mit den amerikanischen Militärs und letztlich mit der österreichischen Demokratie

660 Aus meinem unveröffentlichten Gespräch mit Ilse Aichinger vom 1.2.2001 in Wien. Auf meinen Hinweis, Doderer sei Mitglied der NSDAP gewesen, war Ilse Aichingers Reaktion  : „Warum ist Doderer zur Partei gegangen  ? Er ist ja zu allem gegangen. Er war so ein Schickeria-Typ. Er war auch so wie Thomas Bernhard eine Kultfigur zu seiner Zeit.“ (Ebd.) 661 Vgl. Friedrich Qualtinger  : „Im Krieg und nachher“. In  : Xaver Schaffgotsch (Hg.)  : Erinnerungen an Heimito von Doderer, S. 111–114. 662 Vgl. Helmut Qualtinger  : „Erlebnisse mit Heimito“. In  : Michael Horowitz (Hg.)  : Begegnung mit Heimito von Doderer. [Mit Beiträgen von] Hans Dichand, Peter Handke, Viktor Matejka, Helmut Qualtinger, Wendelin Schmidt-Dengler, Herta Staub, Astri von Stummer-Doderer, Hans Weigel, Dorothea Zeemann, Franz Blauensteiner. Wien u. München 1983, S. 25–29, hier S. 25. 663 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 356, 400 u. 465.

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und Unabhängigkeit.664 Die Aufführung hatte zunächst heftige Reaktionen ausgelöst, was Doderer jedenfalls nicht daran hinderte, seinen Freund durch seine Anwesenheit bei der Aufführung zu unterstützen.665 Doderer lernte über Dorothea Zeemann Gerhard Rühm, Oswald Wiener, Friedrich Achleitner und Hans Carl Artmann kennen, die später als sogenannte Wiener Gruppe bekannt wurden. Als Doderer 1958 vom Kurier das Angebot erhielt, die literarische Seite zu gestalten, übernahm Dorothea Zeemann die redaktionelle Arbeit.666 Doderer kannte und schätzte die Arbeiten der „Wiener Gruppe“, die zu dieser Zeit mit ihren experimentellen Texten und „Happenings“ auf Desinteresse und Unverständnis, wenn nicht auf offene Ablehnung stieß. So hatte etwa die Veröffentlichung von experimentellen Texten von Ernst Jandl, Ernst Kein und Gerhard Rühm in der Zeitschrift Neue Wege im Mai 1957 einen Skandal ausgelöst,667 ebenso wie die Veröffentlichung von Texten von Konrad Bayer und Gerhard Rühm 1964 in Wort in der Zeit heftige Gegenreaktionen traditionell schreibender Autoren zur Folge hatte.668 Heimito von Doderer hatte der „Wiener Gruppe“ seine Seite im Kurier angeboten, doch weigerte sich der Kurier, ihre Texte zu veröffentlichen. Daraufhin beendete Doderer nach nur vier Monaten, von März bis Juni 1958, sein Abkommen mit dem Kurier. Er blieb mit der „Wiener Gruppe“ in Kontakt, war über H. C. Artmanns Erfolg 1958 mit seinem Gedichtband med ana schwoazzn dindtn erfreut, einem Erfolg, den Doderer 1959 in seinem Vorwort zu hosn rosn baa, einem Gedichtband von Friedrich Achleitner, H. C. Artmann und Gerhard Rühm, als „schöpferisches Mißverständnis“ bezeichnete. Denn der Bruch mit der traditionellen Dialektdichtung, die Doderer als Heimatdichtung von lediglich regionaler Bedeutung ablehnte, war nicht verstanden worden, während Artmann, Rühm und Achleitner sich in ihrem Schaffen von Klang und „Konkretheit der Mundart“ angezogen fühlten, aber keineswegs Heimatliteratur produzieren wollten. Er unterstrich das oftmals parodistische Element ihrer Dichtung und „den Dialekt selbst parodierende[n] Charakter. Das läßt

664 Vgl. Carl Merz u. Helmut Qualtinger  : Der Herr Karl. Wien 2007, S. 14f., 18f., 21f., 28f. u. 33. 665 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 494. 666 Vgl. ebd., S. 462. 667 Vgl. Andreas Okopenko  : „Der Fall ,Neue Wege‘“. In  : Otto Breicha u. Gerhard Fritsch (Hg.)  : Aufforderung zum Mißtrauen. Literatur, bildende Kunst, Musik in Österreich seit 1945. Salzburg 1967, S. 297–304, hier S. 302. 668 Vgl. Gerhard Fritsch  : „Literatur“. In  : Otto Breicha u. Gerhard Fritsch (Hg.)  : Aufforderung zum Mißtrauen, S. 319f., hier S. 319.

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an Karl Kraus denken, aber nie an Stelzhammer oder Thoma.“669 Doch trotz Doderers Bemühung als Vermittler zwischen den Dichtern und Lesern hatte das Buch keinen Erfolg.670 Friedrich Achleitner schildert Doderer und dessen Kontakt zur „Wiener Gruppe“ („unsere Bande“, schreibt Achleitner) im Rückblick nicht unkritisch  : In den fünfziger Jahren gehörte ich zur Fraktion jener Literaten, die, ich glaube zurecht, die beschreibende Literatur verachtet haben. […] Vielleicht ist das eine ausreichende Begründung, weshalb ich zu den schwachen oder zufälligen Doderer-Lesern zähle. Ich könnte noch weitere Gründe anführen, etwa, daß ich ihn persönlich kannte, was eher die Distanz vergrößert hat  : Ich fühlte mich in seiner Gegenwart nie sehr wohl – ich hatte auch zu großen Respekt vor dem Mythos Doderer –, außerdem hatte er, sozusagen spiegelbildlich, unserer Bande gegenüber, ein beklemmend verklemmtes Verhältnis. Er konnte einige meiner Dialektgedichte auswendig und versuchte sie in Wirtshausrunden emphatisch vorzutragen, was für mich mehr Qual als Ehre bedeutete, weil in seinem Vortrag jeder Ton, wirklich jeder Ton falsch war. Vom Dialekt ganz zu schweigen.671

Friedrich Achleitner ging, wie er schrieb, Doderer letztlich „aber doch in die Falle“672  : Beim Lesen von ausgewählten Passagen der Strudlhofstiege stellte er überrascht und anerkennend fest, dass Doderer die Stiege nicht beschreibe, sondern vielmehr durch das Schreiben erst einen Ort schaffe.673 Im September 1966 war Doderer in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur bei einer Lesung von Friederike Mayröcker und Ernst Jandl zugegen  ; insbesondere Ernst Jandls Gedichtband Laut und Luise schätzte er sehr.674 Doderers Anerkennung der Avantgarde zeigt ein weiteres Mal, wie falsch es wäre, ihn auf das Bild des Konservativen zu reduzieren.675 669 Heimito von Doderer  : „Drei Dichter entdecken den Dialekt“. In  : Friedrich Achleitner, H. C. Artmann u. Gerhard Rühm  : hosn rosn baa. [1959] 2. Aufl., Wien 1968, S. 5f. 670 Vgl. Wendelin Schmidt-Dengler  : Bruchlinien, S. 138. 671 Friedrich Achleitner  : „Von der Unmöglichkeit, Orte zu beschreiben. Zu Heimito von Doderers Strudlhofstiege“. In  : Kai Luehrs (Hg.)  : „Excentrische Einsätze“, S. 126–135, Zit. S. 126f. 672 Ebd., S. 127. 673 Ebd., S. 132 u. 134. „Doderer führt uns das Kunststück vor, einen Ort durch seine Nicht-Beschreibung mit Bedeutung aufzuladen, die ihm jede tatsächliche Beschreibung nehmen würde.“ (Ebd., S. 134.) 674 Vgl. den Brief von Doderer an Ernst Jandl vom 30.9.1966 („Briefe“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie). 675 Vgl. auch Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 531.

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Der Bezug zwischen Leberts Wolfshaut und Doderers Grenzwald Doderer hatte Hans Leberts Roman Die Wolfshaut 676 im Dezember 1960 gelesen und ihn bis Mai 1961 wiederholt in seinem Tagebuch kommentiert.677 Im März 1961 hatte er eine Rezension geschrieben, die er als zu kritisch empfand und daher nicht veröffentlichte. Er schrieb eine zweite anerkennende Rezension, die im August 1961 in der Zeitschrift Merkur erschien.678 Hans Lebert (1919–1993) hatte im 2. Weltkrieg den Wehrdienst verweigert, weshalb er der „Wehrmachtzersetzung“ angeklagt worden war. Er gab vor, psychisch krank zu sein, und musste in eine Heilanstalt, die er 1942 verlassen konnte.679 Ab 1946 veröffentlichte er Gedichte, ab 1952 Erzählungen in Zeitschriften, 1953 erhielt er für seine Erzählung „Das Schiff im Gebirge“ den Förderungspreis der Stadt Wien.680 Doch erst 1960 machte er mit dem Roman Die Wolfshaut in Österreich auf sich aufmerksam. Dieses Buch hatte Gerhard Fritsch schon bei seinem Erscheinen sehr positiv beurteilt, 1967 fasste er das Buch so zusammen  : „Diese Geschichte einer Verführung durch Schwäche, Bosheit und kollektiven Faschismus ist die vielleicht deutlichste Entlarvung des Provinziellen in und an Österreich.“681 Der Zeitrahmen ist in der Wolfshaut genau angegeben  : 8. November 1952 bis 14. Februar 1953. Zu einer Zeit, als die Dorfbewohner glauben, ihre kriminelle Vergangenheit während der NS-Zeit – die Erschießung ausländischer Zwangsarbeiter im Frühling 1945 – als vergessen und begraben erachten zu können, kommt diese wieder an die Oberfläche. Ein Matrose, der nach dem Krieg in sein Heimatdorf mit dem sprechenden Namen „Schweigen“ zurückkehrt, kommt dem Verbrechen auf die Spur. Es wird von einer dunklen Macht gerächt, zu dessen Instrument der dorffremde Fotograf Maletta wird, das negative Alter Ego des Matrosen. Allein der Anführer des Verbrechens, 676 Hans Lebert  : Die Wolfshaut. Roman. [1960] Hg. von Jürgen Egyptien. Wien u. Zürich 1993. 677 Vgl. Wendelin Schmidt-Dengler  : „Das Verbrechen, die Verbrecher und der Autor als Leser. Zu Heimito von Doderers Romanfragment Der Grenzwald“. In  : Kai Luehrs (Hg.)  : „Excentrische Einsätze“, S. 247–262, hier S. 247 u. 252. 678 Vgl. ebd., S. 249. 679 Vgl. Franz Zeder  : „Hans Lebert – eine biographische Skizze“. In  : Gerhard Fuchs u. Günther A. Höfler (Hg.)  : Hans Lebert. Graz u. Wien 1997, S. 309–311. 680 Hans Lebert  : Das Schiff im Gebirge. Erzählung. Wien 1955 (Neue Dichtung aus Österreich  ; 1), o. S. [letzte Seite]. 681 Gerhard Fritsch  : „Literatur“. In  : Otto Breicha u. Gerhard Fritsch (Hg.)  : Aufforderung zum Mißtrauen, S. 125–127, hier S. 127.

Der Erfolg

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der Oberförster, entgeht der Rache, denn er ist als Abgeordneter seiner politischen Immunität wegen unangreifbar.682 In seiner unveröffentlichten Rezension schrieb Doderer über die Wolfshaut  : „Der Oberförsterbart entschließt sich zur Rasur und wird dann Landtags-Abgeordneter.“683 Und unterstrich so jene rein äußerliche Anpassung ehemaliger Nationalsozialisten, denen damit der Einstieg in die Politik gelang.684 Doderer hatte mit dem Grenzwald zu einem Zeitpunkt begonnen, als er die Wolfshaut schon kannte. Obwohl Doderers Roman zu einer anderen Zeit spielt als die Wolfshaut, nämlich im und nach dem 1. Weltkrieg, wies Wendelin Schmidt-Dengler neben Unterschieden auch auf die Ähnlichkeiten der Romane hin  : Die Parallelen sind auffallend  : Es geht in beiden Fällen um die Erschießung von Kriegsgefangenen, es geht um die Ermordung der Mitwisser, es geht um die Verbrechen der Vergangenheit, die in einer Gegenwart unter geänderten politischen Bedingungen herausapern.685

Zu den Unterschieden zählt, dass in der Wolfshaut das Verbrechen als Ausgangspunkt des Romans bereits stattgefunden hat. Im Grenzwald kommt es erst im Laufe des Romans zum Kriegsverbrechen, als ungarische Kriegsgefangene von einem Erschießungskommando der tschechischen Legion hingerichtet werden. Ein Verbrechen, in das der Protagonist Zienhammer, ein Österreicher, verwickelt ist. Auf Zienhammer wird vom tschechischen Kapitän Susanka Druck ausgeübt, auf einer Liste jene Namen der ungarischen Kriegsgefangenen zu bestätigen, die erschossen werden sollen. Damit sollen Namensverwechslungen ausgeschlossen werden. Andernfalls drohe Zienhammer die Verhaftung, so Susanka, da Zienhammer als „Tscheche“ (tatsächlich ist nur seine Mutter tschechischer Herkunft) verpflichtet gewesen 682 Vgl. auch Jürgen Egyptien  : „Kreuzfahrten durch den leeren Himmel. Hans Leberts ,Wolfshaut‘ als transzendentales Logbuch“. In  : Hans Lebert  : Die Wolfshaut, S. 599–629, hier S. 599, 603, 607 u. 611–613. 683 Heimito von Doderer  : „Symphonie in einem Satz“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 180–182, Zit. S. 180. (Diese Rezension veröffentlichte Doderer nicht, sondern eine andere unter dem Titel „Bildnis eines Dorfes“ 1961 in der Zeitschrift Merkur  ; vgl. Wendelin Schmidt-Dengler  : „Anmerkungen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 308f.) 684 Vgl. auch Wendelin Schmidt-Dengler  : Bruchlinien, S. 111. 685 Wendelin Schmidt-Dengler  : „Das Verbrechen, die Verbrecher und der Autor als Leser“. In  : Kai Luehrs (Hg.)  : „Excentrische Einsätze“, S. 247–262, Zit. S. 253.

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wäre, sich der tschechischen Legion anzuschließen. Diese Drohung könnte nun eigentlich als Entlastung für Zienhammer angeführt werden, denn dieser hätte – außer er wäre bereit gewesen sich verhaften zu lassen – gar keine andere Wahl gehabt, als seine Kameraden auszuliefern. Doch diesen Ausweg lässt Doderer nicht zu  : Zienhammer selbst entkräftet dieses Argument, als er sich sagt  : „Daß Susanka ihn festnehmen lassen könnte, weil er nicht zur Legion gegangen war, zeigte sich jetzt doch als glatter Unsinn. Ein Großmaul.“686 Zienhammer handelt allein in seinem eigenen Interesse und versucht nirgendwo anzuecken, er achtet stets auf seinen Vorteil und handelt danach. Das Schicksal der Ungarn, über das er sich im Übrigen keine Illusionen macht, beschäftigt ihn nicht. Die Frage, ob er die Hinrichtung seiner Kameraden verhindern hätte können, wird nicht gestellt. Keinen Moment spielt er auch nur mit dem Gedanken, seine Kameraden zu warnen, sein Versuch, Susanka von ihrer Unschuld zu überzeugen, ist halbherzig, und er verweigert auch seine Aussage nicht, obwohl er Susankas Drohung als haltlos erkannt hat. Doderer beschreibt Zienhammer in seinem Tagebuch so  : „Zienhammer ist weitaus kein perfekter Schurke, wenn es so etwas überhaupt gibt. Ihn schleppt seine Besessenheit, ,es richtig und vorteilhaft‘ zu machen hinterdrein und seine Genauigkeit und Vigilanz tun das ihre. Großer Verbrecher aus kleinlichen Motiven  !“687 Dem ,großen Verbrecher aus kleinlichen Motiven‘ (er sollte gegen Ende des Romans den vermeintlichen Augenzeugen seiner Tat erschießen) wird im Roman die Haltung der historischen Persönlichkeit Elsa Brandström688 [sic] gegenübergestellt. Eine Schwedin des Roten Kreuzes, die sich mit allen Mitteln und bis zum Schluss, wenn auch erfolglos, für das Leben der Ungarn einsetzte und die sich, trotz der weitaus gefährlicheren Drohungen, nicht von ihrem Engagement abhalten ließ  : „Man bedrohte sie mit dem gleichen Schicksal, das die Ungarn später erlitten haben. […] Sie wich nicht. Sie sagte  : ,Mich können 686 Heimito von Doderer  : Der Grenzwald, S. 163. 687 Heimito von Doderer  : Commentarii 1957 bis 1966, S. 457 (27.4.1965). 688 Elsa Brändström wurde 1888 als Kind schwedischer Eltern, der Vater war Diplomat, in Sankt Petersburg geboren. „Engel von Sibirien“ nannte man sie, weil sie sich für die Kriegsgefangenen eingesetzt hatte. In den 1930er-Jahren lebte sie in Deutschland, wo sich das NS-Regime bemühte, sie für sich zu gewinnen. Stattdessen ging sie 1934 mit ihrer Familie ins US-Exil, wohin sie auch Verfolgten des NS-Regimes verhalf. Sie starb 1948 in den USA. (Vgl. Deutsches Rotes Kreuz  : „Elsa Brändström“  ; http  ://www.drk.de/alt/generalsekretariat/braendstroem. htm.)

Der Erfolg

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Sie erschießen, die Stimme des schwedischen Volkes bringen Sie nicht zum Schweigen.‘“689 Den folgenden Absatz, den Heimito von Doderer im Januar 1966 geschrieben hatte, ist als Kritik seiner Zeit zu lesen  : Zienhammer also ist keinesfalls böse, anders  : er hat auch in dieser Dimension kein Format, noch weniger wahrscheinlich, als ich selbst, obwohl’s da wirklich nicht weit her ist. Zienhammer ist ein wahrer Repräsentant unserer Zeit  : ein Mann der routinehaften, impotenten Wurstigkeit, unansprechbar, aber auch unangreifbar  : es ist daher ganz selbstverständlich, daß er siegt, daß er vernichtet, was ihm in den Weg gerät.690

689 Heimito von Doderer  : Der Grenzwald, S. 173f. 690 Heimito von Doderer  : Commentarii 1957 bis 1966, S. 487 (4.1.1966).

VI. Erinnerung und Verdrängung  : ,die nichtjüdischen jüdischen‘ Freunde Doderers

Die meisten Freunde und Bekannten Heimito von Doderers, um die es hier geht, waren weder jüdischen Glaubens, noch definierten sie sich selbst als Juden. Als „non-Jewish Jew“ bezeichnete Isaac Deutscher jene, die „über das Judentum hinausgelangt“ seien, und dachte dabei an Acher, Spinoza, Heine, Marx, Rosa Luxemburg, Trotzki und Freud.691 Doderers Schriftstellerfreund Paul Elbogen schrieb 1986  : „Meine Familie war eine der ,entjudeten‘ grossbürgerlichen, wie sie in Wien um 1900 alltäglich waren, mein Vater ein ,guter Europäer‘. (Siehe Freud oder Schnitzler).“692 Auf der Grundlage der Nürnberger Gesetze von 1935, die nach dem Anschluss auf das österreichische Gebiet ausgeweitet wurden, wurde festgelegt, wer als Jude zu gelten habe, wobei die jüdische Religionszugehörigkeit der Großeltern (selbst, wenn diese zum Christentum konvertiert waren) ausschlaggebend war. Als „Volljude“ galt jeder, der mindestens drei jüdische Großeltern hatte, als „Mischling I. Grades“ oder „Halbjude“ jeder, der zwei jüdische Großeltern hatte. Von dieser Zuordnung war etwa Doderers Privatlehrer zu Schulzeiten und langjähriger Freund Albrecht Reif betroffen. „Mischling II. Grades“ oder „Vierteljude“ bezeichnete alle, die einen jüdischen Großelternteil hatten, wie zum Beispiel Doderers Freund, der Schriftsteller und Maler Albert Paris Gütersloh. Die Reaktion von Doderers erster Ehefrau Gusti Hasterlik und ihrer Familie, die katholisch, jüdischen Ursprungs war, auf dieses lange vor 1938 verbreitete antijüdische und antisemitische Klima und auf die die Juden entrechtende Gesetzeslage nach dem Anschluss schilderte Gusti Hasterliks Nichte Giulia Hine geb. Koritschoner in einem Interview 1998. Sie war am 23. Dezember 1938 mit 13 Jahren ins Schweizer Exil gekommen und hatte dort die Kriegsjahre verbracht. 691 „Der nichtjüdische Jude“ ist der Titel eines Kapitels von Isaac Deutscher  : Die ungelöste Judenfrage. Zur Dialektik von Antisemitismus und Zionismus. Berlin 1977, S. 7–20, hier S. 8. Im englischen Original lautet der Buchtitel  : The non-Jewish Jew and other essays. London, New York u. Toronto 1968. 692 Privatsammlung von Giulia Hine, item 1952, 1986/10/23, Brief von Elbogen, Paul an Pfeiffer, Engelbert. (Brief mit Schreibmaschine geschrieben  ; die s-Schreibung wurde beibehalten, die Umlaut-Schreibung korrigiert.)

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Ich weiß, dass mein Großvater mir nie etwas über diese jüdischen Angelegenheiten erklärt hat. Es schien meiner Familie, meiner Mutter, meinem Großvater, Gusti und anderen sehr peinlich zu sein, als Juden bezeichnet zu werden.693 Darüber sprach man nicht. Sie wollten alle Nicht-Juden sein. Ich meine, nicht Katholiken oder so, aber sie wollten nicht mit den Juden in einen Sack gesteckt werden. Das wurde nicht einmal erwähnt. „Andere Leute sagen, dass wir Juden sind, kannst du dir das vorstellen  ?“ Ich meine, wie schrecklich. In dieser Art. Also, lass uns von hier weggehen. Dann wurde viel von Halb-Jude, Viertel-Jude, Dreiviertel-Jude gesprochen. Es wurde viel über die Windungen des Familienstammbaums gesprochen, rückblickend, wer ist ein Viertel, wer ist Dreiviertel  ? Und über all das wurde nach dem Motto „ist das nicht lächerlich“ gesprochen, verstehst du, in dieser Art.694

Kurz nach dem Anschluss Österreichs galten auch hier die Nürnberger Gesetze, darauf weist auch ein von Paul Hasterlik (Gusti Hasterliks Vater) ausgefüllter Vordruck von April 1938 hin, in den er nur sein Geburtsdatum, den Namen seiner Frau und ihre Religionszugehörigkeit hinzuzufügen (im Folgenden kursiv gesetzt) und Nichtzutreffendes zu streichen hatte  : Ich bin geboren am 21. VI. 1866 Ich bin Jude (§ 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935, Reichsgesetzbl. I S. 1333) und – deutscher […] Staatsangehörigkeit […].

693 In einer E-Mail an mich vom 19.7.2008 schwächt Giulia Hine „sehr peinlich“ auf „eher peinlich“ ab. Auf ihren Großvater passe die Beschreibung im Übrigen nicht, denn, wie sie hinzufügt  : „Es war meinem Großvater nicht peinlich, wenn ich so darüber nachdenke. Er nahm mich hie und da zum jüdischen Zentralfriedhof mit, um Steinchen auf seines Vaters Grab zu setzen (eine jüdische Tradition) und vielleicht im Stillen ein Gebet zu sagen.“ 694 „I know that my grandfather never explained anything about this Jewish business to me. My parents, my mother and grandfather and Gusti and so on, it seemed like a big embarrassment for them to be called Jewish. One didn’t talk about that. They all wanted to be non-Jews. I mean, not Catholic or anything but they didn’t want to be lumped in with the Jews. That kind of wasn’t even mentioned. ,Other people say we are Jews, can you imagine  ?‘ I mean, how horrible. That kind of thing. So let’s get out of here. Then there was lots of talk about half Jew, quarter Jew, three-quarter Jew. There was a lot of talk about the way the family tree went, a backlash, who is a quarter, who is a three-quarter  ? And it all was talked about in a way ,isn’t it ridiculous‘, you know kind of thing.“ (Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5209 1998/06/  ?  ?, „Edith Cory-King nee Koritschoner interview with Giulia Hine nee Koritschoner“). Edith Cory, deren Vater den Familiennamen Koritscho­ ner auf Cory abändern lassen hatte, ist eine Cousine von Giulia Hine geb. Koritschoner. Das Interview wurde auf Englisch geführt.

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Da ich – Jude deutscher Staatsangehörigkeit […] bin, habe ich dem nachstehenden Vermögensverzeichnis mein gesamtes inländisches und ausländisches Vermögen angegeben und bewertet […]. Ich bin verheiratet mit Irma H. geb. Regenstreif (Mädchenname der Ehefrau) Mein Ehegatte ist der Rasse nach – jüdisch […] und gehört der röm. kath. Religionsgemeinschaft an.695

Der oben erwähnte „§ 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935“ besagte, wie bereits erwähnt, u. a. „Jude ist, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt“. Und im Paragraph 2 hieß es diesbezüglich  : „Als volljüdisch gilt ein Großelternteil ohne weiteres, wenn er der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat.“696 Von den Freunden und Bekannten Doderers jüdischer Herkunft, die nach den Nürnberger Gesetzen als „Mischling I. Grades“ (zwei jüdische Großeltern), „Mischling II. Grades“ (ein jüdischer Großelternteil) oder als „Juden“ (mindestens drei jüdische Großeltern)697 galten und denen die Flucht in ein sicheres Exilland nicht mehr gelang, überlebte kaum einer. Von jenen unter ihnen, die deportiert wurden, überlebte keiner. Und von den Exilanten kehrte kaum jemand nach dem Krieg nach Wien zurück. Im folgenden Abschnitt wird das Leben von Doderers Freunden während der NS-Zeit, Deportation und Exil und von Überlebenden in der Nachkriegszeit geschildert sowie Doderers Reaktionen dazu in Briefen und in seinen Ta695 „Verzeichnis über das Vermögen von Juden nach dem Stand vom 27. April 1938“, Formular der „Vermögensverkehrstelle im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit“ ausgefüllt von Paul Hasterlik. (Ebd., item 8229 – 0009, 0010, 0011, 0012, 0013  ; 1938/07/13, „Document – Inventory of Jewish [a]ssets“). Paul Hasterlik hatte im Formular „staatenloser Jude“, „Jude fremder Staatsangehörigkeit“ „[Ehegatte] nichtjüdisch“ durchgestrichen. (Im Original sind folgende Hervorhebungen in Fettdruck  : „mein gesamtes inländisches und ausländisches“). Abbildung des deutschsprachigen Originals auf der Website der FSU, Hine Collection. 696 „Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz. Vom 14. November 1935. RGBl I 1935, 1333.“ (Ins­ titut für österreichische und deutsche Rechtsgeschichte der Johannes Kepler Universität Linz  ; http  ://www.rechtsgeschichte.jku.at/Lehrveranstaltungen/Allgemeines/Lernbehelfe/WS/09. Oesterreich%20unter%20dem%20Recht%20der%20Herrenrasse%20(Nationalsozialismus)/ 1.%20verordn.%20reichsbuergersetz.pdf ). 697 Als Jude galt man auch, wenn man von zwei „volljüdischen“ Großeltern abstammte und der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte bzw. mit einem Juden verheiratet war oder ein Kind aus einer Ehe mit einem Juden war, die nach Inkrafttreten des Gesetzes vom 15. Sept. 1935 geschlossen worden war bzw. ein uneheliches Kind war, das danach gezeugt worden war. (Vgl. ebd., § 5 [2] a bis d.)

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gebüchern. Außerdem wird gezeigt, wie diese (ehemaligen) Freunde Doderer und sein Werk in der Kriegs- und Nachkriegszeit wahrnahmen. Dies soll, zumindest ansatzweise, ein Bild der Zeit aus der Sicht der Verfolgten ermöglichen und Doderers Umgang damit zeigen. Dank der zahlreichen Briefe und Dokumente der Hine Collection liegt hier ein aufschlussreiches und persönlich geprägtes Zeitdokument vor.698

1. Ehemalige Freunde Doderers Noch wenige Monate vor Kriegsende findet sich für Doderers Antisemitismus (und damit eine Verweigerung, die Realität wahrzunehmen) ein Hinweis  : der bereits erwähnte Tagebucheintrag von Dezember 1944, in dem er Deutschen und Juden gleichermaßen den (für ihn schwerwiegenden) Vorwurf fehlenden unbewussten Denkens machte.699 Im Oktober 1946 gedachte er wiederum verstorbener Freunde und Bekannten, wobei auffällt, dass von den Erwähnten alle außer einem jüdischen Ursprungs waren und ihm der gewaltsame Tod von Béla Fáludi und Karl von Motesiczky bekannt war  : Es fehlt fast keiner mehr. Bis auf die Toten. Franz Blei700 hat mit seinem Abgange ein unvorstellbar großes Leck in den Bugwall des Geistes gerissen, durch das die Plebejer einströmen. […] Bis auf die Toten. Zu Anfang des Jahres 1944 ist mein Lehrer Oswald Redlich701 verschieden. Nicht lange danach mein einstmaliger Erzieher Dr. Albrecht Reif. Den Faludy [sic] Béla haben die Deutschen ermordet und Karl von Motesiczky ist im Konzentrationslager gestorben. Diese letzten beiden gehörten schon der Peripherie meines Lebenskreises an.702

698 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU  ; http  ://www. fsu.edu/~ww2/Hine/hine_collection.htm – Collection of Letters. 699 Siehe weiter oben  : Herkunft und Jugend  : Doderer  : „Ur-Wiener“ oder Deutscher  ?, S. 26f. 700 Doderer hatte den im US-Exil verstorbenen Franz Blei über Gütersloh kennengelernt. Von seinem Tod hatte er 1943 in Wien im amerikanischen Radiosender gehört. Vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 363 (14.8.1945). 701 Von den hier Erwähnten ist nur Oswald Redlich nichtjüdischer Herkunft. 702 Heimito von Doderer, Tangenten  : S. 516f. (24.10.1946).

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Albrecht Reif Albrecht Reif, Anwalt, ehemaliger Privatlehrer, Freund und erster Liebhaber von Heimito von Doderer galt nach den Nürnberger Gesetzen als „Mischling I. Grades“703 (zwei jüdische Großeltern). „Mischlinge I. Grades“ lebten in der Ungewissheit, ob für sie nicht dieselben Bedingungen gelten würden wie für „Volljuden“.704 1942 ließ der Oberlandesgerichtspräsident Dr. Schober dem Reichsstatthalter und der Gestapo brieflich den Namen des einzigen noch im Amt verbliebenen jüdischen Anwalts und die Namen der wenigen Anwälte, die als „Mischling I. Grades“ galten, zu denen auch Albrecht Reif zählte, zukommen.705 Reif starb im Februar 1944 zu Hause. Tot auf der Couch liegend, mit einer Tasse neben sich, als würde er schlafen, so fanden ihn Doderer und Gütersloh am nächsten Tag vor. Doderer gab als Geburtsjahr von Albrecht Reif 1893 an (während Wolfgang Fleischer 1891 als Reifs Geburtsjahr angibt)  : Reif war also erst Anfang 50, als er starb.706 Doderer äußerte sich nicht dazu, ob Reifs Tod auf eine natürliche Ursache zurückzuführen war oder ob er sich das Leben genommen hatte. Wolfgang Fleischer sah in Doderers Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ eine Art Requiem auf dessen Freund Albrecht Reif. Doderer schrieb im September 1945 über ihn  : Mein alter Freund und Erzieher, Doktor Reif, fällt mir oftmals ein in den letzten Tagen  : daß er dies nicht mehr hat erleben dürfen, den Untergang dieser ganzen Schmach, den er so sehr ersehnte  ! Würde er doch zu den mehr oder weniger glücklich Überlebenden gehören  ! Er hätt’s verdient, scheint mir fast  !707

Im Mai 1952 fügte er in seinem Tagebuch eine Anmerkung über Reif bei  : „*Albrecht Philipp Reif, geb. zu Kattowitz [Schlesien] 1893, gest. Wien 1944, Doctor iuris, Rechtsanwalt, Komponist, Dichter, Sänger, Schauspieler und Potator [Trinker].“708 703 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 304. 704 Die Ungewissheit, als „Mischling I. Grades“ die NS-Zeit zu überleben, beschreibt Ilse Aichinger in  : Hermann Vinke  : „Sich nicht anpassen lassen…Gespräch mit Ilse Aichinger über Sophie Scholl“. In  : Samuel Moser (Hg.)  : Ilse Aichinger. Leben und Werk. Frankfurt/Main 1995, S. 36–41. 705 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 322. 706 Vgl. ebd., S. 327f. 707 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 374 (12.9.1945). 708 Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, S. 125 (4.5.1952).

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Béla Fáludi Doderer lernte Béla Fáludi709 Ende der 1920er-Jahre kennen. Fáludi war mit Lotte von Paumgarten, einer Freundin von Doderer, liiert. In den Dämonen dienten ihm die beiden als Modell für Imre von Gyurkicz und Charlotte von Schlaggenberg, genannt Quapp. Gyurkicz macht sich und anderen etwas vor und ist bemüht, seine jüdische Herkunft ebenso wie seine kommunistische Vergangenheit zu verbergen.710 Fáludi war Ungar jüdischer Herkunft und hieß Friedmann, bevor er offiziell seinen Künstlernamen Fáludi eintragen ließ. 1934, kurz vor seiner Hochzeit, konvertierte er zum Katholizismus. In Ungarn hatte er sich aufseiten der revolutionären Regierung Béla Kuns engagiert und war nach dem Zusammenbruch der Räterepublik nach Österreich geflüchtet.711 In Wien arbeitete er als Karikaturist für Zeitungen. Politisch machte er im Laufe der Jahre einen radikalen Wandel durch und schloss sich in den 1920er- oder 1930er-Jahren den (faschistischen) Heimwehren an. 1932 bot Fáludi Doderer an, sein Atelier (de facto waren es zwei Wohnungen) in der Obkirchergasse in Döbling mit ihm zu teilen. Bis zu Fáludis Hochzeit lebten sie gemeinsam dort. Zwischen den beiden kam es zu Spannungen, da Fáludi auf der Seite der „Austrofaschisten“, Doderer auf der Seite der Nationalsozialisten stand. Unmittelbar nach dem Anschluss flüchtete Fáludi nach Budapest. Im Mai 1938 kam seine Frau Christine („Christl“) nach. 1944 wurde er nach Nisch in Serbien in ein Konzentrationslager deportiert.712 Marie Louise Wydler, eine Freundin von Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer, beschrieb in einem Brief von Februar 1946 Gusti die Umstände von Béla Fáludis Tod, von denen ihr Fritz Feldner, ebenfalls ein Freund Doderers, erzählt hatte. Da Doderer auch nach dem Krieg mit Marie Louise Wydler und Fritz Feldner befreundet war, musste er den Sachverhalt kennen. Marie Louise Wydler schrieb  : Nun kommt ein sehr trauriges Kapitel und das ist Bela Faludi [sic]. Er war zuerst durch seine Frau und das Kind, das ein unbeschreiblich süsser Bub ist, geschützt, bis

709 Doderer schrieb „Faludy“. Die richtige Schreibweise des Namens ist Fáludi. 710 Siehe weiter unten  : „Die Dämonen der Ostmark“, ein antisemitisches Romanprojekt  : Die „Unsrigen“, S. 235–238. 711 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, resp. S. 229 u. 195. 712 Vgl. ebd., S. 330f. Wolfgang Fleischer hatte mit „Christl“, der Witwe Béla Fáludis, gesprochen, die nach dem Krieg Otto Basil geheiratet hatte. (Vgl. ebd., S. 539.)

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dann auch in Ungarn das scharfe System kam, da haben sie ihn abtransportiert. Er hat dann ganz in Sepps [Sepp Wydler, der Mann von Marie Louise, war Offizier bei der Wehrmacht  ; sie ließen sich nach dem Krieg scheiden] Nähe gearbeitet, in einem Kupferbergwerk, in einem Konzentrationslager, als die Russen sich näherten, hat man alle abtransportiert und er schleppte sich noch tagelang auf Krücken weiter, bis man ihn „erledigte“. Ich habe Sepp gefragt, ob er denn garnichts [sic] für ihn hätte machen können worauf er mir lange gewundene Erklärungen abgab – er hat nichts für ihn getan und auch das hat mir das Auseinandergehen leichter gemacht, ich kann mir nicht vorstellen, dass es wirklich unmöglich war, wenn er doch so ein hohes Tier war […].713

Die Gedenkstätte Yad Vashem gibt für Béla Fáludi zwei Todesdaten an  : den 17. September 1944 und den 15. Oktober 1944.714 Als Doderer 1946 von Fáludis Tod zunächst über Gabriele Steinhart erfuhr, schrieb er ihr  : „Wegen Béla bin ich wirklich entsetzt  ! Das ist jetzt (nach Dr. Motesitzy) [sic] der zweite von meinen Freunden, den diese SS Haderlumpen ermordet haben.“715 Im März 1946 schrieb Doderer noch von „SS Haderlumpen“, daraus wurden in seinem oben zitierten Tagebucheintrag von Oktober 1946 „die Deutschen“ – es hätten ebenso Österreicher sein können. Von der Empörung über die SS blieb in Doderers Erzählung „Unter schwarzen Sternen“, in der es um das „Substrat Krieg und Nazizeit“716 geht, nichts zurück  : Der einzige SS-Mann der Erzählung ist ein guter Freund des Erzählers, der einem jüdischen Arzt Ende 1943 oder noch später (zu einem Zeitpunkt, als Juden die legale Emigration schon lange verboten war) zur gelungenen Flucht aus Wien verhilft.

713 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3182, 1946/02/02, Brief von Wydler, Marie-Louise an HA [Hasterlik, Auguste]. (Tippfehler wurden korrigiert, handschriftliche Korrekturen auf dem mit Schreibmaschine geschriebenen Brief übernommen.) 714 Vgl. Yad Vashem  : The Central Database of Shoah Victims’ Names  ; http  ://www.yadvashem. org/wps/portal/IY_HON_Welcome  : Faludi, Bela.) 715 Brief von „Dr. Doderer“ an „Hochwohlgeboren Frau Dr. med. Gaby von Steinhart-Murad“ vom 22.3.1946 („Briefe“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie). 716 Brief von Doderer an Ivar Ivask vom 21.5.1963. (Heimito von Doderer  : Von Figur zu Figur, S. 67.)

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Karl von Motesiczky Karl Wolfgang Franz Motesiczky wurde am 27. Mai 1904 in Wien geboren.717 Heimito von Doderer und Karl von Motesiczky, genannt Mote, freundeten sich in den 1920er-Jahren an. Motesiczky hatte öffentliche Lesungen für Doderer organisiert, bei denen dieser seine als Divertimenti bezeichneten Erzählungen vortrug. Motesiczky war nach dem Anschluss als „Mischling II. Grades“ (ein jüdischer Großelternteil) eingestuft worden. Er hatte sich, obwohl er deshalb nicht einberufen worden wäre, als Freiwilliger zur Wehrmacht gemeldet, in die er zwar aufgenommen, kurz darauf aber wieder ausgeschlossen wurde. Motesiczky war mit dem Ehepaar Ella und Kurt Lingens befreundet. Ein Jugendfreund der Lingens, Alexander Weißberg,718 ein Kommunist jüdischen Ursprungs, hatte sich an diese gewandt, um aus Österreich zu fliehen. Die Lingens baten Motesiczky um Hilfe. 1942 hatte ein Mann namens Klinger, jüdischer Herkunft, Motesiczkys Onkel Heini Lieben gegen Bezahlung zur Flucht nach Ungarn verholfen. Doch Heini Lieben dürfte nicht überlebt haben, denn die Gedenkstätte Yad Vashem führt einen Heinrich Lieben an, der am 17. Februar 1894 geboren wurde, in Wien lebte und von Budapest zunächst ins Vernichtungslager Auschwitz und von dort ins KZ Buchenwald deportiert worden war, wo er am 13. März 1945 starb.719 Als Karl von Motesiczky sich an Klinger wandte, erwies sich dieser als Gestapo-Agent und verriet ihren Plan. Karl von Motesiczky und Ella Lingens wurden nach Auschwitz deportiert, dort erfuhr Ella Lingens, dass Motesiczky an Typhus gestorben sei.720 Doch laut Wolfgang Fleischer, der sich auf Akten des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes stützt, wurde Karl von Motesiczky am 25. Juni 1943 hingerichtet.721 717 Vgl. Yad Vashem  : The Central Database of Shoah Victims’ Names  ; http  ://www.yadvashem. org/wps/portal/IY_HON_Welcome  : Motesiczky, Karl. 718 Zu Alexander Weißberg habe ich keinen Eintrag auf der Website von Yad Vashem gefunden. 719 Vgl. Yad Vashem  : The Central Database of Shoah Victims’ Names  ; http  ://www.yadvashem. org/wps/portal/IY_HON_Welcome  : Lieben, Heinrich. 720 Ella Lingens überlebte Auschwitz. Auch Kurt Lingens überlebte  : Er war inhaftiert und dann in einer Strafkompanie an die Ostfront geschickt worden, wo er schwer verletzt wurde. (Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 321.) 721 Vgl. ebd., S. 319–321, sowie den Hinweis auf Wolfgang Fleischers Gespräch mit Ella Lingens (Kapitel III/24, S. 552, Fn. 7). Vgl. auch  : Yad Vashem  : The Central Database of Shoah Victims’ Names  ; http  ://www.yadvashem.org/wps/portal/IY_HON_Welcome  : Motesiczky, Karl.

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2. Die Familie Hasterlik In den Jahren vor dem Anschluss wurden nationalsozialistische und antisemitische Tendenzen auch in Österreich immer mehr salonfähig.722 Im Februar 1936 schrieb Paul Hasterlik dazu an seine Tochter Mia  : Es war sicher die Tauferei die Hauptschuld an unserem Nirgend [sic] hingehören, respektive mein ideales Vertrauen auf die Idee des Liberalismus, der zur Zeit meiner Jugend in grösster Blüte stand, die aber nur scheinbar war. Ende des neunzehnten Jahrhunderts war alles voll Ideen der Freiheit, Gleichberechtigung, der Nationen sowohl, wie der Religionen und Konfessionen und man hätte geglaubt, dass alle Menschen liberal denken und fühlen. Aber das war alles nur modern tuende Floskel […]. Ich dachte, wie ich es auch oft gelesen habe, dass es nicht auf die Konfession oder Nationalität ankommt, sondern darauf, ob einer ein anständiger Mensch ist oder nicht […]  ; wenn jetzt ein alter Liberaler von den Toten aufstünde, so würde er die Welt gar nicht fassen können. Dass man nicht von Land zu Land reisen kann, dass man nicht einmal sein Geld ausgeb[e]n kann wofür man will, dass man in einem grossen Millionenvolk nur zu einer einzigen Partei gehören darf, weil man sonst eingesperrt wird, dass die Juden, eine Verfolgung mitmachen wie im finstersten Mittelalter, das wäre ihm gewiss unfassbar. Aber gerade unsere Generation war bestimmt den grossen Krieg zu erleben und die grosse Revolution, die jetzt im Gange ist, lauter Dinge auf die sie gern verzichten möchte.723

Gusti Hasterlik (Doderer, Kalmus) Auguste (Gusti) Hasterlik hieß, seit ihrer Heirat am 28. Mai 1930 mit Heimito von Doderer bis zu ihrer zweiten Trauung am 27. Januar 1949, Auguste (von) 722 Der zunehmende Antisemitismus und Nationalsozialismus in Österreich vor dem Anschluss wird etwa in Torbergs 1938–1939 verfassten Roman Auch das war Wien thematisiert, ebenso in Franz Werfels 1940 geschriebener Erzählung „Eine blassblaue Frauenschrift“. (Auch in Briefen der Hine Collection werden ab Mitte der 1930er-Jahre Antisemitismus und Nazis immer häufiger thematisiert  ; Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU  ; http  ://www.fsu.edu/~ww2/Hine/hine_collection.htm  : Collection of Letters.) 723 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3667, 1936/02/16, Brief von Hasterlik, Paul an HM [Hasterlik, Maria]. (Brief mit Schreibmaschine geschrieben  ; die s-Schreibung wurde beibehalten, Tippfehler korrigiert. „Millionenvolk“ und „grosse Revolution“ sind Hinweise auf Deutschland und die „nationale Revolution“ der Nationalsozialisten.)

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Doderer. Kurz nach dem Anschluss bereitete sie aktiv ihr Exil vor und schrieb dafür an Freunde im Ausland und an Botschaften. Gusti Hasterlik erfasste die Gefahr rasch und genau, im Gegensatz zu vielen anderen, Juden und Nichtjuden, darunter auch Doderer, der sich zwar theoretisch mit der „Apperzeption“ befasste, das heißt die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist, was ihm aber keinen politischen Durchblick gab. Sie bemühte sich um Ausreisegenehmigungen für sich und ihre Familie bzw. wollte diese möglichst schnell nachkommen lassen, was ihr vom Ausland aus einfacher erschien. Mithilfe einer Bekannten aus Australien bemühte sie sich um ein Visum für Australien. Etwa drei Monate nach dem Anschluss und mehrere Monate vor dem November-Pogrom (Reichskristallnacht) schrieb Gusti Hasterlik im Juni 1938 ihrer Bekannten  : Wir sind absolut sicher, dass sehr bald keine Juden mehr das Recht haben werden in Deutschland zu leben. Das Tempo mit dem sie aus Österreich ausgewiesen werden, ist viel höher, als es in Deutschland der Fall war. Deshalb muss man über die Möglichkeiten nachdenken, unsere Eltern mit uns zu nehmen oder sie nachkommen zu lassen. Ich glaube, dass Europa mit Emigranten überfüllt ist, wie es auch schon für einen Teil Amerikas der Fall ist. […] Falls es mit Australien nicht klappt, dann haben wir nicht nur sehr wertvolle Zeit verloren, sondern wirklich keine andere Möglichkeit als hier zu warten bis sie uns auch schnappen.724

Gusti Hasterlik unternahm einen zusätzlichen Versuch, in die britische Kolonie Kenia zu emigrieren und wandte sich an das Kolonialbüro in London und an das englische Konsulat in Wien um ein Visum.725 Außerdem bemühte sie sich,

724 „We are absolutely convinced, that no Jewish people is permitted to live in Germany in a very short time. The tempo in Austria is much higher in putting them out as it was in Germany. For that reason one has to think over the possibilities of taking ones parents with us, or letting them come after. I think that Europe is overcrowded with emigrants, as part of America is already too. […]/When the Australian thing goes wrong, we haven’t not only lost very valuable time, but have really no other possibility, then wait here, till they catch us too.“ (Ebd., item 2508, 1938/06/24, Brief von HA [Hasterlik Auguste] an „P, Mrs.“ – vermutlich  : Peggi Saywell  ; der Schrägstrich entspricht im Original einem Absatz  ; Original auf Englisch. Vgl. auch  : item 2599, 1938/07/06, Brief von HA an „Mrs. Saywell“.) 725 Vgl. ebd., item 2597, 1938/09/15, Brief von „Knaggs, F., Commissioner for Kenya, Northern Rhodesia, Nyasaland, Tanganyika, Uganda, Zanzibar“ an HA [Hasterlik Auguste]  ; vgl. auch ebd., item 2593, 1938/09/13, Briefentwurf von HA an das „English Imperial General Consulate, Vienna“ („An das engl. köngl. Generalkonsulat, Wien I, Wallnerstr.“).

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von Freunden und Verwandten in den USA ein „Affidavit“ (eine finanzielle Bürgschaft) zu erhalten, um in die USA emigrieren zu können. Ina Carnap, eine Freundin der Familie Hasterlik, die mit ihrem Mann, dem deutschen Philosophen und Mitglied des Wiener Kreises Rudolf Carnap, bereits in den USA im Exil lebte, wandte sich an Sam Hasterlik in Chicago, einen Verwandten der Familie Hasterlik, damit er für Gusti bürge, und erklärte ihm die Einreisebedingungen für Exilanten  : Um ein Einreisevisum zu erhalten, benötigt sie ein Unterstützungs-Affidavit, das heißt eine Garantie, dass sie der öffentlichen Hand nicht zur Last fallen wird. Wir haben bereits anderen Freunden in Wien Affidavits ausgestellt oder versprochen, bis zur äußersten Grenze unseres Einkommens und ich glaube nicht, dass das amerikanische Konsulat in Wien ein anderes von uns für Gusti akzeptieren würde. Aber wir verspüren zutiefst das Bedürfnis unseren jüdischen Freunden in Europa auf die eine oder andere Weise zu helfen. Ich wende mich sogar an Fremde, die möglicherweise etwas für die gute Sache tun könnten  ; Sie verstehen daher, dass ich Sie, von dem ich annehme ein Verwandter von ihr zu sein, nicht ausnehmen kann.726

Doch Sam Hasterlik konnte Gusti Hasterlik nicht helfen.727 Dafür gelang es dem Ehepaar Carnap letztlich doch, ein weiteres Affidavit für Gusti Hasterlik auszustellen, so wie auch im Jahr darauf für ihren Vater.728 Ina Carnap hatte Sam Hasterlik auch mitgeteilt, dass Gusti mit einem Nichtjuden verheiratet sei, sich aber vor ihrer Einreise in die USA scheiden lassen wolle.729 Es stand daher für Gusti Hasterlik spätestens seit Mai 1938 fest, dass sie sich scheiden lassen wollte. Sie musste bis zum 25. November 726 „In order to obtain an immigration visa she needs an affidavit of support, that is to say a guarantee that she will not become a public charge. We have already either issued or promised affidavits to other friends in Vienna to the utter limits of our income and I do not think the American Consulate in Vienna would accept another one from us for Gusti. But we deeply feel the urge to help our Jewish friends in Europe one way or the other. I am even approaching strangers who might be willing to do something for the good cause  ; therefore you will see that I cannot spare you whom I believe to be a relative of her.“ (Ebd., item 3576, 1938/05/23, Brief von Carnap, Ina an Hasterlik, Sam. – Original auf Englisch). 727 Vgl. ebd., item 3578, 1938/06/16, Brief von Hasterlik, Samuel an Carnap, Mrs. R.C. [Ina], item 3578, 1938/06/16. 728 Vgl. ebd., item 0890, 1939/12/02, Brief von Carnap, Rudolph an U.S. Consul, document – affidavit of support. 729 Vgl. ebd., Briefwechsel zwischen Carnap, Ina [auch  : Carnap, Mrs. R.C.] und Hasterlik, Sam [auch  : Samuel], item 3576, 1938/05/23  ; item 3577, 1938/06/11 u. item 3578, 1938/06/16.

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1938 warten, bis es zur Verhandlung kam und ihre Ehe „mit Rechtskraft dieses Urteiles aufgelöst“730 wurde. Es lässt sich angesichts der Quellen aber nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es zutrifft, dass Gusti Hasterliks Emigration durch Doderer verzögert worden war, wie sie selbst es darstellte,731 was Doderers Angaben nach dem Krieg widersprechen würde. Nachdem er von 1936 bis 1938 in Dachau gelebt hatte, gab er an, „dort gesehen und erkannt [zu haben], was zu sehen und erkennen unvermeidlich war, und daraus schon Ende des Jahres 1937 zu Wien kein Hehl gemacht“732 und insbesondere seine jüdischen Freunde gewarnt zu haben.733 Davon kann, was die Familie Hasterlik betrifft, keine Rede sein, und auch von anderen Freunden, die von ihm gewarnt worden wären, ist nichts bekannt. In der Urteilsbegründung heißt es  : Klägerin hat ihr Ehescheidungsbegehren auf schwere Eheverfehlungen des Beklagten, insoferne [sic] er für ihren Unterhalt nicht sorgte und sie ständig beschimpfte und misshandelte gestützt, die schliesslich zu einer vollständigen Zerrüttung der Ehe und seit November 1932 auch zu einer Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft führten.734

Bei der Verhandlung am 25. November 1938 stellte sie die Verschuldensfrage zurück (sicherlich um den Urteilsspruch zu beschleunigen) und beschränkte sich auf die „Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft“ als Scheidungsgrund. Unmittelbar darauf emigrierte sie in die USA  : Am 8. Dezember 1938 kam sie

730 Ebd., item 1599, 1938/12/28, „Document – divorce decree Doderer/Gusti“ („Im Namen des deutschen Volkes  !“ – Faksimile auf Deutsch mit Datum vom 25.11.1938 [Tag der Verhandlung], Stempel vom 28.12.1938 und Stempel „Diese Ausfertigung ist vollstreckbar […] am 16. Jan. 1939“.) 731 Siehe weiter unten  : Anhang  : Korrespondenz mit Giulia Hine, S. 374. 732 Zu Doderers Darstellung nach dem Krieg von seinem Bruch mit dem Nationalsozialismus siehe weiter oben  : Nachkriegszeit  : Von der Kriegsgefangenschaft zum Ruhm  : ,Erniedrigt und verfolgt‘ – die Entnazifizierung, S. 115–120. Siehe diesbezüglich auch den Brief von Fritz Feldner an Hilde Spiel vom 2.6.1951 (Auszüge zit. weiter unten  : „Die Dämonen der Ostmark“  : Doderers „Aide mémoire“ als Inhaltsangabe des Romanprojekts, S. 217f.). 733 Vgl. Briefentwurf von Doderer an Paul Elbogen vom 29.8.1951. („Briefe“, Doderer-Archiv, Ins­ti­ tut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie.) 734 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 1599, 1938/12/28 „Document – divorce decree Doderer/Gusti“. („Im Namen des deutschen Volkes  !“ – Faksimile auf Deutsch mit Datum vom 25.11.1938 [Tag der Verhandlung], Stempel vom 28.12.1938 und Stempel „Diese Ausfertigung ist vollstreckbar […] am 16. Jan. 1939“.)

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in New York an.735 In den USA fand sie zwischen 1939 und 1945 meist nur kurzfristige Stellen als Musik- und Klavierlehrerin, so zum Beispiel im katholischen St. Catherine College in St. Paul, Minnesota, oder (vermutlich auch als Erzieherin) im Camp Louise in Maryland, einem jüdischen Sommercamp für Mädchen  ;736 zwischendurch nahm sie auch Stellen als Haushaltshilfe, Erzieherin, Musiklehrerin oder auch Deutschlehrerin bei Privatfamilien an.737 Am 15. Januar 1945 wurde sie amerikanische Staatsbürgerin.738 Während des Kriegs hatte sie den Physiker Ernst Kalmus, einen Exilösterreicher jüdischen Ursprungs, kennengelernt.739 Am 27. Januar 1949 heirateten sie740 in Santa Fe und zogen nach Los Alamos, New Mexico, wo Kalmus im Kernforschungszentrum arbeitete. Von ihrem Entschluss zu heiraten war Gusti Has­ terlik weder vor noch nach der Hochzeit wirklich überzeugt  ;741 sie dachte recht bald an Scheidung.742 Nach dem Krieg fuhr sie wiederholt nach Österreich, ihre erste Reise nach Wien unternahm sie vermutlich 1954,743 doch lässt nichts drauf schließen, dass sie Doderer je wiedergesehen hat. Gusti Hasterlik und Ernst Kalmus dachten daran, wieder nach Wien zu ziehen,744 doch verwirklichten sie ihr Vorhaben nicht. Ernst Kalmus starb am 735 Vgl. ebd., item 3214, 1938/12/08 „Document – Ship’s Landing Pass HA [Hasterlik Auguste]“. 736 Vgl. auch ebd., item 3852, 1949/  ?  ?/  ?  ?, „Document – Curriculum vitae, HA [Hasterlik Au­ guste]“. Ich danke Mag. Robert Walter, der mir seine Recherchen zur Personalakte von „Augusta [sic] von Doderer“ im Archiv des College of St. Catherine, Saint Paul, Minnesota, zur Verfügung gestellt hat. 737 Vgl. ebd., z. B. item 3671, 1940/06/19, Brief von Spaeth, Eloise an HA [Hasterlik, Auguste]. 738 Das Dokument enthält einige Fehler, wie die Schreibung ihres Vornamens  : Augusta statt Au­ guste von Doderer. (Vgl. ebd., item 3907, 1945/01/15, „Document – naturalization“.) 739 Siehe weiter unten  : Anhang  : Korrespondenz mit Giulia Hine, S. 375f. (Zu Ernst Kalmus vgl. auch  : Privatsammlung von Giulia Hine, item 9069, 2003/07/23, Brief von Hass, Barbara an Calbrese, Joe.) 740 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5722, 1949/01/27, „Document – marriage certificate Kalmus“ [HA u. Kalmus, Ernst]. 741 Brief von Angela Stadtherr an Gusti Hasterlik vom 4.3.1948. Othmar Hanak (Hg.)  : Helene König. Dr. Paul Hasterlik. Angela Stadtherr. Briefwechsel im Umkreis Anton Hanaks. Mit Beiträgen v. Erich Gusel u. Giulia Hine. Wien u. Berlin 2009, S. 120. 742 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 0786, 1945/02/06, Brief von KG [Koritschoner, Giulia] an HM [Hasterlik, Maria]. 743 Briefe von Angela Stadtherr an Gusti Hasterlik vom 13.6.1955 u. 8.12.1955. Othmar Hanak (Hg.): Helene König. Dr. Paul Hasterlik. Angela Stadtherr, resp. S. 128–130, hier S. 129 u. S. 130–132, hier S. 131. Vgl. auch  : Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3890, 1954/06/03, „document – travel“ (Occupational Force Travel Permit to A. Kalmus). 744 Im Juli 1960 schickte Alexander Grünberg Gusti Kalmus (geb. Hasterlik) Angebote für den

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19. Juni 1962,745 Gusti Hasterlik blieb in Los Alamos, so lange ihr Gesundheitszustand dies zuließ. Ihre Nichte Giulia Hine, die sich um sie kümmerte, holte sie im April 1978 zu sich nach Boulder (Colorado), wo sie in einem Altersheim lebte. Sie starb am 28. Oktober 1984746 im Alter von 88 Jahren. Ihre Urne wurde in Wien auf dem Dornbacher Friedhof beigesetzt, wie jene ihrer Schwester Mia und deren Mann Thomas Heller, in einem Familiengrab, in dem 1938 schon Irma Hasterlik beigesetzt worden war.747 Heimito von Doderer erfuhr nach dem Krieg über Marie-Louise Wydler von seiner ehemaligen Frau. Er hatte Gusti Hasterliks Brief aus dem Jahr 1945 oder 1946 gelesen, in dem stand  : „Weiß wer, wo mein Verflossener, plus Familie wandelt, möcht mich interessieren, ob’s wen erwischt hat. Keiner hat was dort zu lachen, aber nicht alle haben sich’s selber so eingebrockt, wie diese Herrschaften.“748 Heimito von Doderer war von Gusti Hasterliks Ton sichtlich betroffen, in seinem Tagebuch vom 24. Oktober 1946 übernahm er ihre Formulierung und reagierte darauf  : Mit Nordamerika und Südamerika hab’ ich Verbindung. Sogar in gewissem Sinne mit Gusti, durch ihre Freundin Maria-Louise W. Ich hab’ sogar einen Brief Gusti’s an jene gelesen, worin sie sich beiläufig erkundigt, ob’s mich in diesem Kriege glücklich „erwischt“ hätte  ?  ! (Kann leider nicht dienen – sitze am Schreibtisch, wenn auch frierend.) Gusti geht es übrigens gut, dem Himmel sei Dank. Sie ist längst amerikanische Bürgerin und will nie mehr hierher. Ich kann’s verstehen.749

Dass Gusti Hasterlik in den USA lebte, war Doderer schon lange bekannt. Schon im Herbst 1938 wusste er, dass sie emigrieren wollte  ; seiner Freun-

Kauf einer Wohnung in Wien u. Umgebung. (Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 8060, 1960/07/22, Brief von Gruenberg, Alexander an HA [Hasterlik, Auguste]). 745 Vgl. ebd., item 3900, 1962/06/19, „Document – death certificate – Kalmus“. 746 Vgl. Privatsammlung von Giulia Hine, item 3976, 1985/08/14, „City of Vienna Magistrate, Cemeteries“ an Hine, Harvey  : „Financial – Receipt“. 747 Vgl. ebd., item 3974, 1985/12/05, Brief von Ziegler, Karl an Hine, Harvey. 748 Brief von Gusti Hasterlik an Marie-Louise Wydler, zit. nach Wolfgang Fleischer: Das verleugnete Leben, S. 340, ohne Angabe des Datums. Im Februar 1946 informierte Marie-Louise Wyd­ ler Gusti Hasterlik erstmals über Doderer. (Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3182, 1946/02/02, Wydler, Marie-Louise an HA [Hasterlik, Auguste]). (Umgangssprachliche Formulierungen und Verkürzungen wurden übernommen.) 749 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 517 (24.10.1946).

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din Emma Maria Thoma hatte er im September 1938 geschrieben  : „Daß die Scheidung in Ordnung kommen dürfte, freut mich sehr. Meine gewesene Frau gedenkt – wie mir mein Rechtsanwalt vor einigen Tagen schrieb – nach Amerika (USA) zu übersiedeln. Dazu braucht sie (von der amerik. Behörde) meine Einwilligung […]“750 Auch aus Doderers Tagebucheintrag vom 13. Mai 1942 geht hervor, dass ihm bekannt war, dass seine ehemalige Frau in den USA lebte.751 In einem Tagebucheintrag von Januar 1953 erinnerte sich Doderer, der mittlerweile wieder an den Dämonen arbeitete, an Gusti Hasterlik, als „Frau eines Physikers [Ernst Kalmus]“ und an Paul Elbogen, der in Wien am Schottenring752 gewohnt und in Hollywood gearbeitet hatte  : Ich sehe in Wien zur kritischen Zeit (DD)753 eine Handvoll Menschen beisammen, deren Entelechien damals unbekannt sein mußten. Man konnte von der einen Person unmöglich wissen, dass sie dereinst in Amerika leben werde, als Frau eines Physikers  ; und ebenso undurchsichtig war uns und sich selbst ein kleiner Herr vom Schottenring, der heute in Hollywood Literatur macht.754

Dass Doderer über seine gescheiterte Beziehung mit Gusti Hasterlik nicht wirklich hinweggekommen war, fiel auch Heinrich Kopetz, Mia Hasterliks Freund, auf. Er kannte Doderer und hatte auch nach dem Krieg noch Kontakt mit ihm, u. a. über seine Frau Johanna Kopetz geb. Laufer, eine Cousine von Marie-Louise Wydler.755 An Mia Hasterlik schrieb Heinrich Kopetz im April 1947  :

750 Brief von Doderer an Emma Maria Thoma vom 26.9.1938, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 279. 751 Vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 111 (13.5.1942). 752 Paul Elbogen (Doderer schrieb nur die Initialen „E. P.“) wohnte am Schottenring 14. Vgl. Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, S. 360f (3.11.1954). 753 „DD“ steht bei Doderer für sein Romanprojekt „Dicke Damen“ bzw. „Die Dämonen“. 754 Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, S. 183 (14.1.1953). 755 Am 4. Nov. 1948 war Doderer bei Johanna geb. Laufer und Heinrich Kopetz zu Gast und hatte sich mit zwei Gedichten eingetragen  ; zunächst versehentlich ins Stammbuch, dann ins Gästebuch. Frau Kopetz schrieb mir am 2.3.2005 über Doderer  : „Er war oft bei mir zu Gast und war mit meiner Cousine Marieluise (Mimmi) Wydler, Reiter geborene Spitzer sehr befreundet und ich habe ihn auch bei ihr kennengelernt.“ Ihr persönlicher Eindruck von Doderer, so Johanna Kopetz in einem Telefongespräch, „ein schwieriger Mensch“ und „sehr nett“. Ich danke Frau Johanna Kopetz, die mir die Originale dieser beiden Einträge von Doderer zukommen ließ.

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Heimito ist jetzt sehr katholisch geworden und hat die Wydler um Gustis Adresse gebeten. Vielleicht will er wenigstens akademisch etwas wieder gut machen. (Oder vielleicht nur ein Carepaket.756 Man muss immer auf alles gefasst sein, bei den lieben Mitmenschen.) Aber für Gusti wäre der erstere Fall schon gut und es wäre eine Genugtuung für sie und sie wäre dann vielleicht weniger eigentümlich.757

Und im September 1948 schrieb er ihr  : „Heimo habe ich einige Male getroffen. Komischer Weise habe ich das Empfinden, dass er die Angelegenheit mit G. [Gusti] nicht überwunden hat und irgendwie daran herumlaboriert. Ich hätte das nicht gedacht.“758 Auch Gusti Hasterlik ,laborierte daran herum‘. 1942 ließ sie sich von der in New York lebenden Bibliothekarin Elsie Basset (sie kannten sich über gemeinsame Bekannte) eine Liste mit den bisher erschienenen Büchern Doderers schicken.759 Dass Doderer sie auch nach dem Krieg und über seinen Tod hinaus beschäftigte, lässt sich aus den Antwortbriefen ihrer Familie und Freunde herauslesen, da meist nur deren Briefe und nur wenige Briefe von Gusti Hasterlik selbst in der Briefsammlung der Hine Collection sind  : Immer wieder fragte sie nach Doderer und wollte die Mei756 Die CARE-Pakete enthielten ursprünglich Grundnahrungsmittel und Alltagsgegenstände. Sie wurden von Privatpersonen in den USA bezahlt und nach Europa zu Freunden, Verwandten und Bekannten geschickt. Im Juli 1946 kamen die ersten CARE-Pakete nach Wien, insgesamt wurden in den Nachkriegsjahren etwa eine Million CARE-Pakete nach Österreich geschickt. (Vgl. „Das Care-Paket“. In  : Care Österreich  : http  ://www.care.at/de/ueber-care/das-carepaket.html.) Gusti Hasterlik hatte viele CARE-Pakete an Freunde und Bekannte nach Wien, München und Athen geschickt. (Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, „CARE package“.) 757 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 0392, 1947/04/01, Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria]. (Tippfehler wurden korrigiert.) Es findet sich keine Erwähnung in der Briefsammlung, dass Doderer Gusti Hasterlik tatsächlich geschrieben hätte. Zu Heinrich Kopetz siehe weiter unten  : Anhang  : Brief von Heinrich Kopetz an Gusti Hasterlik 1958, S. 393–401. 758 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 1147, 1948/09/06, Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria]. 759 „Ein Mord, [sic] den jeder begeht  ; Roman. München, Beck, 1938. 445 S. Ein Umweg  ; Roman. München, Beck, 1940. 248 S. Die Breche [sic]. Ein Vorgang in 24 Stunden. Wien, Haybach-Verlag, 1924. 106 S. Gassen u. Landsch. Ebd. 1923. 18 bl. Das Geheimnis d. Reichs. Roman. Wien, Saturn-Verlag, 1930. 251 S. Der Fall Gütersloh. Ein Schicksal u. s. Deutung. Wien, Haybach, 1930. 228 S., 48 eingedr. Taf.“ (Ebd., item 8243, 1942/11/18, Brief von Elsie Basset an HA [Has­ terlik, Auguste]. (Handschriftliche Liste, im Original mit Absätzen, ohne weiteren Text, nur mit Adresse der Absenderin, der Empfängerin, Briefmarke und Poststempel  ; beide lebten zu dem Zeitpunkt in New York.)

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nung der anderen über seine Romane wissen. Das trifft insbesondere auf ihre Korrespondenz mit Paul Elbogen und Marie-Louise Wydler zu, in geringerem Ausmaß auch auf jene mit Heinrich Kopetz und ihrer Schwester Mia.760 Offensichtlich wird es in einer Reaktion von Marie-Louise Wydler, die Gusti Hasterlik am 14. Oktober 1956 schrieb  : Liebste Gusti  ! Dein Brief […] hat mich erschüttert […]. Mit Deinen Zeilen steigt ja unsere Jugend mit allen ihren Problemen vor mir auf und so vieles, was scheinbar doch begraben war  ! [Über Sepp Wydler, ihren kürzlich verstorbenen ersten Ehemann, schreibt sie, dass er] natürlich doch der Mann meines Lebens war. […] bei Dir war es, nach allem, was ich aus Deinem Brief herauslas, der Heimito… sehr zu verstehen, wie ich Dir sagen muss  ! Du weisst, mir hat er auch einmal gefallen […]. Und damit komme ich vielleicht zum Hauptproblem Deiner Betrachtungen  : er sitzt immer noch wie ein Dorn in Deinem Fleisch und – wenn es Dir eine Befriedigung gibt – auch Du in dem seinen, wenn er es auch niemals mehr wird wahrhaben wollen. Nicht Umsonst [sic] ist auch Deine Figur, wie ich hörte, in den „Dämonen“ wieder existent und nicht freundlich gezeichnet. […] Im Übrigen bist Du eine legendäre Figur geworden und ein Abglanz davon fällt auf mich, ich bin „diejenige, welche die erste Frau gekannt hat“ … nachdem kaum jemand die 2. kennt… ein Unikat, sozusagen  ! In alter Freundschaft Deine Marieluis.761

Im Februar 1967, knapp zwei Monate nach Doderers Tod, schrieb Paul Elbogen an Gusti Hasterlik  : „Daß dieser außerordentliche Mann Sie leben[s]lang beschäftigt, ist keineswegs verwunderlich.“762 Paul Hasterlik Gusti Hasterlik hatte eine sehr nahe und herzliche Beziehung zu ihrem Vater Paul und eine konfliktreiche zu ihrer Mutter Irma. Auch Heimito von Doderer schätzte seinen Schwiegervater sehr, während er seine Schwiegermutter nicht mochte. 1958 erinnerte sich Doderer an seine erste Begegnung „mit dem Schrecken Irma H., geborene Regenstreif. […] Notorisch ist, daß ich vor jenen 760 Vgl. die Briefe von Paul Elbogen, Marie-Louise Wydler, KH [Kopetz, Heinrich], HM [Hasterlik, Maria] u. a. m. an HA [Hasterlik, Auguste] – Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU. 761 Ebd., item 5417, 1956/10/14, Brief von Wydler-Reiter, Marie-Louise an HA [Hasterlik, Auguste]. 762 Ebd., item 5265, 1967/02/13, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste].

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Leuten hätte davonlaufen müssen.“763 Irma Hasterlik war oft leidend und starb am 13. Juli 1938 an den Folgen eines Schlaganfalls.764 Über Paul Hasterlik, in Doderers Tagebuch auch unter der ,Alte‘ zu finden,765 äußerte er sich fast durchgehend positiv.766 Gusti Hasterlik bemühte sich nach ihrer Ankunft in New York Anfang Dezember 1938 unablässig, ihren Vater nachkommen zu lassen, indem sie ihm ein Affidavit mithilfe und finanzieller Unterstützung des Ehepaars Carnap verschaffte und ihn gleichzeitig wiederholt von der Notwendigkeit einer Flucht zu überzeugen versuchte.767 Doch das Affidavit auf ihren Namen dürfte vom US-Konsulat nicht als ausreichend erachtet worden sein, denn 1939 wurde erneut ein Affidavit für Paul Hasterlik ausgestellt, diesmal direkt vom Ehepaar Carnap. Was ihr Vater ihr in einem Brief vom 3. Januar 1939 schrieb, taucht in ähnlicher Form auch in vielen späteren Briefen immer wieder auf  : Paul Hasterlik hatte nicht den politischen Scharfblick seiner älteren Tochter, verlor aber trotz der sich ständig verschärfenden Diskriminierung, der er ausgesetzt war, seine zuversichtliche Lebenseinstellung nicht  : Du schreibst, dass Du kein Heimweh hast u. trotzdem denkst Du an nichts anderes, als wie Du uns alle nach USA bringen könntest. Aber mache Dir keine Sorgen, wir leben ganz ruhig u. im sicheren Gefühl u. hoffen, dass es so bleibt. Die Wohnungen werden auch sicher bleiben, es sind viel zu viel Zettel an den Toren.768

Paul Hasterlik spielt mit dem Hinweis auf die „Zettel an den Toren“ wohl auf freistehende Wohnungen an, weil viele Einwohner das ehemalige Österreich aufgrund politischer oder rassischer Verfolgung verlassen hatten, oder auch, weil ihre Wohnungen arisiert worden waren. Auch Paul Hasterlik musste um763 Heimito von Doderer  : Commentarii 1957 bis 1966 (15.8.1958), S. 69. 764 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3039, 1939/05/15, Brief von Hasterlik, Paul an Hasterlik, Germina. 765 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Band I, S. 179, 390, 642 u. Band II, S. 749. 766 Vgl. ebd., Band I, 3.8.1922, S. 91 u. 20./21.2.1924, S. 176. Es finden sich zwei kritische Anmerkungen vom 5.11.1921, S. 54, u. 22.1.1922, S. 79. 767 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU. Paul Has­ terliks Reaktionen auf die Briefe seiner Tochter Gusti, allein für Ende Nov. u. Dez. 1938  : item 3584, 1938/11/30  ; item 3042, 1938/12/04  ; item 3589, 1938/12/07  ; item 3109, 1938/12/13  ; item 3041, 1938/12/15 u. item 3118, 1938/12/25. 768 Ebd., item 3117, 1939/01/03, Brief von Hasterlik, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]. (Tippfehler wurden korrigiert.)

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ziehen, als seine Wohnung in der Wickenburggasse 1940 arisiert wurde.769 Anfangs wollte er sich keinen neuen Pass ausstellen lassen aus Sorge, durch den Hinweis einer baldigen Emigration seine Pension zu verlieren. Es belastete ihn auch der Gedanke, seiner Tochter im Exil finanziell zur Last zu fallen. 770 Was ihn außerdem in Wien hielt, war nach Ansicht der Töchter seine Liebe zu Helene (Lili) König. Es gelang ihnen, auch ihr ein Affidavit zu verschaffen,771 doch wurde sie schon 1941 deportiert. Angela Stadtherr, eine Freundin Lili (Lilli/Lilly) Königs, beschrieb 1947 rückblickend den Abschied  : Papi [Paul Hasterlik] und ich begleiteten die arme Lilly am Weg in die Hölle „Sperlgasse“ [zum jüdischen Sammellager in der Kleinen Sperlgasse 2a, im 2. Bezirk in Wien] mit ihren Habseligkeiten. Nie im Leben kann ich den Abschied + das Drama im Hause König vergessen – Lilly war doch Zuversichtlich [sic] + glaubte dass es nur 3 Monate dauern wird. Eine Karte konnte sie noch herausschmuggeln „Ich befinde mich unter lauter Helden“ + dann Nichts [sic] mehr.772

Sie wurde am 23. Oktober 1941 ins Getto Litzmannstadt (Litzmannstadt, nach 1945 wieder Łódź, Polen) deportiert. Sie überlebte nicht.773 Über die Deportation im Jahr 1942 von Paul Hasterlik und Helenes Vater Gustav König schrieb Angela Stadtherr  : „Ich besuchte noch oft Papi [Paul Hasterlik] er wurde in die Nussdorferstr. übersiedelt – bis auch er ,ausgehoben‘ wurde. Bekannte erzählten mir dass er + Herr König auf einem Lastauto gesehen wurde[n] […].“774 Gusti Hasterlik erfuhr 1945 vom Tod ihres Vaters, über den sie nicht hinwegkam.775 769 Vgl. ebd., item 3544, 1940/07/05, Brief von Hasterlik, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]. 770 Vgl. ebd., item 3063, 1939/01/20 u. item 3062, 1939/02/22, Briefe von Hasterlik, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]. 771 Brief von Angela Stadtherr an Gusti und Mia Hasterlik vom 15.4.1941. Othmar Hanak (Hg.)  : Helene König. Dr. Paul Hasterlik. Angela Stadtherr, S. 95f., hier S. 95. 772 Brief von Angela Stadtherr an Gusti Hasterlik vom 30.3.1947. (Ebd., S. 114–116, Zit. S. 116.) Vgl. auch  : Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 0295, 1941/11/  ?  ? [genaues Datum unbekannt] Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Has­ terlik, Maria (Mia)]. 773 Das Datum von Lili Königs Tod ist unbekannt. (Vgl. Yad Vashem  : The Central Database of Shoah Victims’ Names  ; http  ://www.yadvashem.org/wps/portal/IY_HON_Welcome  : Koenig, Helene.) 774 Brief von Angela Stadtherr an Gusti Hasterlik vom 30.3.1947. Othmar Hanak (Hg.)  : Helene König. Dr. Paul Hasterlik. Angela Stadtherr, S. 114–116, Zit. S. 116. 775 Vermutlich hatte sie es von ihrer Schwester Mia erfahren, der es 1945 brieflich von ihrer in der

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Dabei schien 1941, als nach über einem Jahr Paul Hasterliks Affidavit für die USA endlich anerkannt worden war, seine Ausreise aus Wien erstmals kurz vor der Verwirklichung zu stehen. Das Affidavit von Ina und Rudolf Carnap für Paul Hasterlik wurde vom US-Konsulat nach mehreren Verzögerungen letztlich doch anerkannt  : Am 2.12.1939 hatte Rudolf Carnap Paul Hasterlik ein Affidavit gesandt, das dieser aber erst 118 Tage später erhielt. Das USKonsulat in Wien verlangte zusätzliche Informationen, die er am 31.7.1940 nachlieferte. Am 20.10.1940 schickte Rudolf Carnap eine neue Anfrage an das US-Konsulat in Wien, und am 25.1.1941 informierte Paul Hasterlik seine Töchter, dass die zusätzlichen Unterlagen von Rudolf Carnap für das Konsulat eingetroffen waren.776 Im Mai 1941 schrieb der damals knapp 75-jährige Paul Hasterlik mit einer Gelassenheit, die zwar sicher seine Töchter beruhigen sollte, aber auch seiner Lebenseinstellung entsprach  : „Ich fürchte mich vor gar nichts, also auch nicht vor der Reise […]“ oder auch  : „macht Euch nur gar keine Sorgen, bin stets guter Laune.“777 Als weiteres Dokument wurde seine Geburtsurkunde verlangt, die er sich aus Nový Bydžov/Neubidschow (Böhmen) schicken lassen musste.778 Sie kam nicht nur viel später als erwartet, sondern wies auch einen Fehler auf  : unter dem Geschlecht war weiblich angegeben,779 womit das Dokument unbrauchSchweiz lebenden Tochter Giulia mitgeteilt worden war. (Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 0786, 1945/02/06, Brief von KG [Kori­ tschoner, Giulia] an HM [Hasterlik, Maria]). Gusti Hasterlik machte sich Vorwürfe wegen des Todes ihres Vaters. (Vgl. ebd. u. a. item 3769, 1947/12/12, Brief von Josefovits, Josephine [recte  : Josefine] an HA [Hasterlik, Auguste] u. item 5417, 1956/10/14, Brief von Wydler-Reiter, Marie-Louise an HA). 776 Ebd., resp. item 0890, 1939/12/02, Brief von Carnap, Rudolph an „U.S. Consul“  ; item 0897B, 1940/07/31 Brief von „U.S General Consulate“ an Hasterlik, Paul  ; item 0756, 1940/10/20 Brief von Carnap, Rudolph an „American Consulate“  ; item 0192, 1941/01/25 Brief von Hasterlik, Paul an HA u. HM u. item 0189, 1941/05/17 Brief von Hasterlik, Paul an HA u. HM. 777 Ebd., item 0189, 1941/05/17, Brief von Hasterlik, Paul an seine Töchter HA und HM [Hasterlik Auguste u. Maria] in den USA. 778 Ebd., item 0906, 1941/06/27 u. item 0905, 1941/08/31, Briefe der Jüdischen Kultusgemeinde Neu-Bidschow an Hasterlik, Paul bezüglich seines Geburtsscheines. 779 Ebd., item 3272, 1941/06/24, Brief von Hasterlik, Paul an Koenig-Wachtel, Grete. (Vgl. auch die Bemühungen von Paul Hasterlik, an seine korrigierte Geburtsurkunde zu kommen, in den drei Antwortschreiben der Jüdischen Kultusgemeinde Neu-Bidschow  ; Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 0904, 1941/06/13  ; item 0906, 1941/06/27 und item 0905, 1941/08/31.)

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bar war. Am 25. August 1941 schrieb er an seine Enkelin Giulia Koritschoner (Hine), im Schweizer Exil  : „Meine Ausreise ist wegen Dokumenten u. andern Dingen für immer, glaube ich, ins Wasser gefallen.“780 Sein Ticket für die Überfahrt von Lissabon in die USA, das bereits für ihn gebucht worden war, musste er annullieren.781 Doch Gusti Hasterlik ließ nicht locker und suchte nach Ersatzausreisemöglichkeiten über Kuba,782 auch wenn ihr die für Sommer 1941 geplante und gescheiterte Ausreise als letzter Ausweg schien. Ihr Vater und sie hatten die sich verschärfende Lage richtig eingeschätzt, denn ab 23. Oktober 1941 war Juden die Ausreise verboten.783 Im Dezember 1941 schrieb Gusti Hasterlik ihrer Nichte Giulia  : Das Schrecklichste am Krieg für mich, ist die fast gänzliche Aussichtslosigkeit Ogrosl [Paul Hasterlik] je wiederzusehen, und Dir brauche ich nicht sagen, wie ich mich kränke, dass er im Sommer den Anschluss versäumt hat. Es gibt aber immer noch Wunder und auf solche hoffe ich, um nicht ganz zu verzweifeln, was ihn anlangt.784

Wolfgang Fleischer schreibt in seiner Doderer-Biografie, dass Paul Hasterlik von zwei SS-Offizieren aus der Straßenbahn geworfen worden sei, weil er den Hitlergruß verweigert habe, was seine Deportation zur Folge gehabt hätte.785 Das dürfte auf eine Darstellung von Mia Hasterlik ihren Töchtern gegen­über zurückgehen.786 Tatsächlich hatte Paul Hasterlik als Fußgänger am 19. Juli 1939 einen schweren Unfall mit einer Straßenbahn gehabt. Mia, die zu diesem Zeitpunkt noch in Wien lebte, beschrieb den Vorfall einem Freund  :

780 Ebd., item 4173, 1941/08/25, Brief von Hasterlik, Paul an KG [Koritschoner, Giulia]. 781 Eine Umbuchung war nicht möglich, die Plätze auf Monate ausverkauft. (Vgl. ebd., item 0745, 1941/07/01, Brief der American Lloyd an Hasterlik, Paul.) 782 Vgl. ebd., item 3767, 1941/11/10, Brief von Hasterlik, Paul an HA und HM [Hasterlik, Auguste u. Maria]. 783 Vgl. Reinhard Rürup (Hg.)  : Topographie des Terrors. Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt auf dem „Prinz-Albrecht-Gelände“. Eine Dokumentation. 14. überarb. u. erw. Aufl.  ; Berlin 2002, S. 117. 784 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 0551, 1941/12/09, Brief von HA [Hasterlik, Auguste] an KG [Koritschoner, Giulia]. (Brief mit Schreibmaschine geschrieben, Tippfehler wurden korrigiert, handschriftliche Korrekturen übernommen.) 785 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 313. 786 Siehe weiter unten  : Anhang  : Korrespondenz mit Giulia Hine, S. 378f.

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Etwas Schreckliches ist geschehen. Unser geliebter Vater ist vorgestern von einer Tram überfahren worden u. liegt mit schweren Kopfverletzungen im Allgemeinen [Krankenhaus]. Es ist u. war Alles [sic] so grauenhaft[,] daß ich nicht die Kraft noch habe Dir näheres zu schreiben. Das ganze geschah Ecke Wickenburg u. Alserstraße[,] ich wurde gerufen u. fand ihn und die Feuerwehr hat den Wagen erst heben müßen, nein Rudi ich kann nicht schreiben – Heute nachmittag [sic] war er aber Gottlob [sic] und gepriesen bei Bewußtsein ein bißchen und wir hoffen Alle [sic] der liebe Gott möge sich erbarmen und uns dieses geliebte Wesen wiedergeben. – Da dieser Unglücksfall scheinbar durch einen Irrtum in allen Zeitungen genauest erschienen ist Völk. Beob. etc. fürchte ich[,] daß Gusterl doch etwas erfährt.787

Da der Unfall in Zeitungen beschrieben worden war, hätte Heimito von Doderer, der noch dazu in unmittelbarer Nähe der Wickenburggasse und Alserstraße wohnte, ebenfalls davon erfahren können. Daraus kann aber noch nicht geschlossen werden, dass dieser Unfall eine Rolle bei der Beschreibung von Mary K.’s Straßenbahnunfall in der Strudlhofstiege spielte, die im Roman im selben Wohnhaus wie die von der Familie Hasterlik inspirierte Familie Siebenschein lebte. Einen zweiten ähnlichen, wenn auch weniger schwerwiegenden Unfall hatte Paul Hasterlik am 30. Dezember 1940.788 Bevor Giulia Hine die Familienbriefe entdeckt, gelesen und übersetzt hatte, dachte sie, ihr Großvater Paul Hasterlik hätte möglicherweise versteckt als sogenanntes „U-Boot“ bei Heinrich Kopetz gelebt.789 Diese von Wolfgang Fleischer übernommene Version stellte sich letztlich als falsch heraus.790 Auf Grundlage der antisemitischen Bestimmungen hatte Paul Hasterlik seine Wohnung in der Wickenburggasse 18 verlassen müssen. Er zog am 20. Juli 1940 in eine Zweizimmerwohnung in die Langegasse 74, die er erneut verlassen musste, um am 30. April 1942 in einen kleinen Raum in die Nußdorferstraße 4, in das Gebäude des ehemaligen Kolosseum-Kinos, im 9. Bezirk zu ziehen.791 Von seinem ersten 787 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3300, 1939/07/21, Brief von HM [Hasterlik, Maria] an Nettel, Rudi. (Einen Hinweis auf Paul Hasterliks Unfall in der Wiener Ausgabe des Völkischen Beobachters konnte ich nicht finden, obwohl derartige Unfälle in Kurznotizen erwähnt wurden.) 788 Vgl. ebd., item 1457, 1941/01/21, Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an „Grete“ [ohne Angabe des Nachnamens]. 789 Siehe auch weiter unten  : Anhang  : Korrespondenz mit Giulia Hine, S. 378f. 790 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 313. 791 Die Frau, die bei der Familie Hasterlik arbeitete, hatte auch nicht dazu beigetragen, die Wohnung zu „arisieren“, wie Wolfgang Fleischer schreibt. (Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete

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erzwungenen Umzug schrieb Renée, eine Freundin Gustis, im Juli 1940  : „Meine ganze Liebe zu Dir habe ich jetzt auf Papschi [Paul Hasterlik] konzentriert. Er ist so etwas Süßes und Liebes und immer lustig und guter Dinge. Er sieht auch sehr gut aus und packt die Übersiedlung wie ein Jüngling an.“792 Am 22. Juli 1942 wurde Paul Hasterlik ins Getto Theresienstadt/Terezín deportiert, wo er am 7. März 1944 an einer Grippe starb, geschwächt von den psychischen und physischen Schikanen.793 Eva Freundlich, eine Freundin oder

Leben, S. 313.) Über Paul Hasterliks erzwungene Umzüge, vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, Briefe von Hasterlik, Paul an HA [Hasterlik, Auguste], item 3544, 1940/07/05  ; an HM [Hasterlik, Maria], item 0184, 1940/08/01  ; an KG [Koritschoner Giulia] item 0713, 1942/05/01 u. Brief von Gruenberg, Alexander an HA, item 4650, 1947/04/19. 792 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3542, 1940/07/26, Brief von Renée [Gaertner] an HA [Hasterlik, Auguste]. Auch Renée bemühte sich aus Wien zu fliehen. Im selben Brief schrieb sie  : „Wir wissen noch immer nicht, ob das Affidavit, das Lisl von Herrn Morton Katz bekam, durch Dich verschafft wurde. Doch nehmen wir es an und sind unendlich dankbar. Ich besitze jetzt fünf Affidavits, und ich hoffe von Herzen, daß eines davon ganz in Ordnung ist und dem Konsul gefällt.“ (Ebd.) 793 Brief von Václava Suchá von der Gedenkstätte Terezín an Julia Grissinger (Urenkelin von Paul Hasterlik) vom 3.1.1995. Als Datum für die Deportation ist der 23.7.1942 angegeben („Dokumentation Heimito von Doderers Frauen, Gusti Hasterlik Dokumente“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie). Das richtige Datum ist der 22.7.1942  : „Transport-Nr. 33/Abgangsdatum 22.7.1942/Zielort Theresienstadt/Anzahl der Personen 1.005“ (Jonny Moser  : Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938–1945. Wien 1999, S. 81.) In der Hine Collection gibt es Briefe an Gusti und Mia Hasterlik von Freunden, die den Kontakt mit Paul Hasterlik während des Kriegs aufrechterhielten, darunter Heinrich Kopetz, der ihm Nahrungsmittelpakete ins Getto schicken ließ, Erwin Ratz, Alexander Grünberg, Eva Freundlich und Josephine Josefovits, die wie Paul Hasterlik ins Getto Terezín deportiert worden waren, die Schönberg-Schülerin und Pianistin Olga Novakovic. Sie wusste vielleicht von seiner bevorstehenden Deportation, als sie am 22.6.1942 an seine Töchter über die Schweiz vom „alte[n] Herr[n]“ schrieb in einer wegen der Zensur kodierten Sprache und ihnen riet, seine Post an sie zu schicken, denn „es ist möglich, dass er übersiedelt“. (Vgl. Briefe von KH [Kopetz, Heinrich] an KG [Koritschoner, Giulia], item 0358, 1946/01/26  ; an HM [Hasterlik, Maria], item 0270, 1946/02/01  ? [genaues Datum unbekannt] u. an HM, item 0374, 1946/02/09  ; Erwin Ratz an HA [Hasterlik, Auguste], item 4035, 1947/10/04, Alexander Grünberg an HA, item 4287, 1947/03/21  ; Freundlich, Eva an Sigerist-Ott, Alice, item 2840, 1944/04/08 u. Josefovits, Josephine an HA, item 3222, 1947/03/18 u. item 3769, 1947/12/12  ; Novakovic, Olga an Sigerist-Ott, Alice, item 1035, 1942/06/22. Ebenfalls in Kontakt mit Paul Hasterlik blieb die Hanak-Schülerin Angela Stadtherr. Briefe von Angela Stadtherr an Gusti Hasterlik von 1939–1974, in  : Othmar Hanak (Hg.): Helene König. Dr. Paul Hasterlik. Angela Stadtherr, S. 113–143.

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Verwandte der Familie Hasterlik, die von Prag ins Getto Theresienstadt deportiert worden war, konnte noch eine Karte in die Schweiz an Alice SigeristOtt schicken, bei der Giulia Koritschoner (Hine) lebte. Laut Stempel kam die Karte über Berlin. Der vollständige Text lautet  : Theresienstadt, 8. IV. 44 Liebe, wollen Sie Giulia, ihrer Mutter und Tante sagen, dass Grossvater am 7. März sanft verschieden ist. Ich konnte bis zuletzt um ihn sein und ihm helfen. Hört Tante von Julius [Eva Freundlichs Sohn]  ? Ich wäre Ihnen Allen für jede Zeile dankbar. Wir sind gesund und arbeiten. Herzlichst grüssend Tante Eva.794

Eva Freundlich wurde am 28. Oktober 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert – sie überlebte nicht.795 Im März 1947 erhielt Gusti Hasterlik einen Brief von Josefine Josefovits, einer Überlebenden des Gettos Theresienstadt  : Sehr verehrte, liebe Frau Doderer  ! […] Ich freue mich aufrichtigst die directe Verbindung zu Ihnen gefunden zu haben die ich ja gleich nach meiner Rückkehr im Juli 45 schon durch Leo [ihren Neffen] gesucht habe, um Ihnen noch letzte Grüße Ihres leider auch in Theresienstadt verstorbenen Vaters auszurichten. Als einzigen und größten Trost kann ich Ihnen berichten, daß es Ihrem verewigten Vater sowohl hier in Wien noch vor seinem Abtransport nach Th. und dann auch dort, soweit man das behaupten kann, denn seelischen u. körperlichen Chikanen [sic] waren wir ja alle ausgesetzt, verhältnismäßig noch gut ergangen ist. Vor den ärgsten Quälereien war er und auch meine dahingegangenen Teueren bewahrt.796 794 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 2840, 1944/04/08, Brief von Freundlich, Eva an Sigerist-Ott, Alice. Ihr Sohn Julius, im Schulalter, lebte in Großbritannien im Exil. (Vgl. ebd., item 3808, 1941/01/22, Brief von Magden, Therese an HA [Hasterlik, Auguste]). 795 Eva Freundlichova (unter diesem Namen hatte Paul Hasterlik sie auch in seinen Briefen erwähnt), geb. am 7.6.1895, wurde am 13.7.1943 von Prag ins Getto Theresienstadt und von dort am 28.10.1944 nach Auschwitz deportiert. (Vgl. Yad Vashem  : The Central Database of Shoah Victims’ Names  ; http  ://www.yadvashem.org/wps/portal/IY_HON_Welcome  : Freund­ lichova, Eva.) 796 Ein Hinweis darauf, dass sie im Getto Theresienstadt gestorben sind und nicht von dort in ein Vernichtungslager deportiert und vergast wurden.

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Er war fast jeden Abend unser Gast und gemeinsam mit meinem geliebten Bruder J. Rosenhek, versuchten sie uns, sehr bedrückten Frauen, noch mit viel Humor über die Tragik der Situation zu helfen. So unglaublich dies klingt wir konnten noch heiter zusammensein. Aber unser starkes Geschlecht war doch das Schwächere im Kampfe gegen Hunger u. Entbehrungen aller Art geblieben. […] Unter den Freunden an die ich mich klammerte [nach dem Tod ihres Bruders und ihrer Schwester im Getto] war auch Ihr guter Vater, der alte Gustav König,797 den man auch 83jährig von seiner todkranken Frau im Rothschildspital riß und nach Theresienstadt brachte. Aber das unerbittliche Schicksal raubte mir auch die letzten Freunde, eine Grippeepidemie raffte auch diese Guten dahin. Wie ich das alles ertragen habe verstehe ich noch heute nicht. Ich war halt auserkoren am Leben zu bleiben wahrscheinlich um den geretteten Kindern all der geliebten Dahingegangenen über die letzten Jahre, Tage und Stunden Auskunft geben zu können, und den großen Trost zu bringen, daß die Teueren eines normalen Todes gestorben und noch menschenwürdig eingesegnet wurden.798

Sie selbst lebte zu dreiviertel erblindet in einem Blindenheim und „nur eine Staroperation u. Spitalsaufenthalt rettete mich vor dem Vergasen. Sechzig meiner Leidensgenossen aus dem Heim kamen nach Auschwitz.“799 In einem Brief von Dezember 1947 an „Meine sehr liebe Frau Gusti  !“ reagierte Josefine Josefovits auf Gusti Hasterliks Schuldgefühle wegen des Tods ihres Vaters  : Ihr verehrter unvergeßlich lieber Vater ist mir noch beim Tode meines geliebten Bruders Jacob Rosenhek und meiner teuersten Schwester Lotte tröstend zur Seite gestanden u. hat mich noch oft besucht. Er war sehr zuversichtlich, hatte aus Prag glaube ich irgendwie Nachrichten aus der für uns damals total versunkenen Welt u. erhielt auch etwas Lebensmittelpäckchen. Sein Humor half ihm und seiner Umgebung über manche traurige Stunde. […] Liebste Frau Gusti ich hätte dieses Thema lieber nicht mehr berührt. Ich lese aber in Ihren Zeilen, daß Sie sich mit Selbstvorwürfen unberechtigterweise quälen, und bitte Sie sehr dies nicht zu tun. Sie haben gewiß alles versucht und getan was möglich war […] Auf Ihre so teilnehmenden 797 Gustav König, der Vater von Lili König, wurde von Wien am 29.7.1942 mit dem Transport IV/6 von Wien ins Getto Theresienstadt deportiert, wo er am 9.4.1943 starb (Vgl. Yad Va­ shem  : The Central Database of Shoah Victims’ Names  ; http  ://www.yadvashem.org/wps/por tal/IY_HON_Welcome  : Koenig, Gustav). 798 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3222, 1947/03/18, Brief von Josefovits, Josephine [richtig  : Josefine] an HA [Hasterlik, Auguste]. 799 Ebd.

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Fragen nach meinem Befinden kann ich Ihnen mitteilen, daß es mir körperlich, dem Alter (im 72. Jahre) entsprechend u. auch dem Erlebten nach, zufriedenstellend geht, seelisch zu tief verwundet, um noch zu heilen […].800

,Mein Schwiegervater, einer der besten und wohlwollendsten Menschen‘ Zwischen Heimito von Doderer und Paul Hasterlik dürfte es, vermutlich noch vor Kriegsbeginn, zu zufälligen Begegnungen gekommen sein. Denn Gusti Hasterlik, die nach dem Krieg dank der Vermittlung ihrer Nichte Giulia Kori­ tschoner (Hine) wieder Kontakt mit Marie-Louise Wydler hatte, schrieb ihrer Nichte im März 1946  : Marie-Louisens Brief, den sie mir kürzlich schrieb,801 verdanke ich Dir, es gab viel Neues drin, unter anderm, dass Heimito vermisst ist, wer weiss, vielleicht gestorben. Dass er seit 38 ein wilder Nazi-fresser geworden sein soll, kann mich nicht verzeihen machen, dass er unsern Papschi nicht einmal gegrüsst hat, wenn er ihn im Pia­ ristenkeller traf, und was hat Papi für Herzleid um den Kerl ausgestanden  ! Lauter Schweine  !802

Paul Hasterlik hatte sich wiederholt positiv zu Doderers Romanen und Schriften geäußert  : 1924 zur Bresche, als Doderer in sein Tagebuch schrieb  : „Es gelang mir durch das Buch auch dem [sic] von mir so geschätzten Dr. Hasterlik stark in Schwingung zu bringen  !“803 1930 schrieb Gusti Hasterlik zum Fall Gütersloh an Doderer  : „Mit Haybach [Doderers Freund und Verleger] sprach ich wieder, er hat Papis Bild [im Fall Gütersloh ist die Abbildung eines Porträts Paul Hasterliks von Gütersloh] zurückgeschickt, er weiss nichts aus Cagnes [wo Gütersloh bis 1931 lebte] und über das Buch [gemeint sind vermutlich die Reaktionen auf das Buch nach seiner Veröffentlichung], das Papi jetzt mit sehr viel Interesse liest, Du gefällst ihm ausgezeichnet, sagte er mir heute, er hält Riesenstück[e] auf Dich.“804 Noch im Juni 1939, in einem Brief an seine En800 Ebd., item 3769, 1947/12/12, Brief von Josefovits, Josephine an HA [Hasterlik, Auguste]. 801 Ebd., item 3182, 1946/02/02, Brief von Wydler, Marie-Louise an HA [Hasterlik, Auguste]. 802 Ebd., item 0367, 1946/03/17, Brief von HA [Hasterlik, Auguste] an KG [Koritschoner, Giulia]. (Umlautschreibung wurde korrigiert.) 803 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 176 (20./21.2.1924). 804 Brief von Gusti Hasterlik an Doderer vom 24.9.1930, o. S. [S. 4] („Gusti II, 1927–31“, DodererArchiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie). Der im Haybach-Verlag erschienene Fall Gütersloh von Doderer enthält Abbildungen von Aquarellen, Ölbildern, Lithografien

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kelin Giulia Koritschoner (Hine), schrieb Paul Hasterlik über Doderers 1938 erschienenen Roman Ein Mord den jeder begeht  : „Heimito Doderer, Gustis geschiedener Mann, [schrieb] einen sehr guten Roman, den ich zweimal gelesen habe und der dem Bony [Heinrich Kopetz] auch gut gefallen hat.“805 In Doderers Dämonen (und zuvor in seinen „Dämonen der Ostmark“) waren die Familien Schedik und Siebenschein von der Familie Hasterlik und Ferry Siebenschein und Dr. Schedik jeweils von Paul Hasterlik inspiriert. In seinem 1940 verfassten 18. Kapitel des Romans fasst der Chronist G-ff den Entschluss, Dr. Schedik zu besuchen.806 Doderer selbst wohnte keine zehn Gehminuten von Paul Hasterlik entfernt  : Im September 1938 war Doderer in die Buchfeldgasse 6 gezogen, während Paul Hasterlik in der Wickenburggasse 18, zwei Parallelstraßen von der Buchfeldgasse entfernt, wohnte  ; 1940 musste Paul Hasterlik seine Wohnung verlassen  ; er zog in die Langegasse 74, die paral­lel zur Buchfeldgasse verläuft. Doch Doderer besuchte ihn nicht, obwohl Paul Hasterlik wegen der sich verschärfenden antisemitischen Gesetze und Bestimmungen immer mehr auf Hilfe angewiesen war, die er von Bekannten – meist Freunden seiner Töchter – bekam. Im Gegensatz zu Doderers ehemaligen in Lagern umgekommenen Freunden, von deren Tod er in seinem Tagebuch oder Briefen schrieb, erwähnte er Paul Hasterliks Tod im Getto Theresienstadt nicht. Es steht aber außer Zweifel, dass er davon wusste  : Er war nach dem Krieg wiederholt Gast bei Marie-Louise Wydler, Gusti Hasterliks Freundin, die in ihrer Wohnung als Andenken ein Foto von Paul Hasterlik gut sichtbar aufgestellt hatte. So schreibt Erwin Ratz, ein Freund von Gusti Hasterlik, 1947  : „Unlängst war ich bei Frau Wydler und war sehr gerührt als ich sein Bild [von Paul Hasterlik] auf dem Kamin sah.“807 u. Kreidezeichnungen Güterslohs, darunter ein Porträt Paul Hasterliks (unter „Verzeichnis der Abbildungen“  : „XLVIII Bildnis Dr. P. H., 1930“. (Heimito Doderer  : Der Fall Gütersloh. Ein Schicksal und seine Deutung, Wien 1930, S. 226.) (Das Bild ist im Besitz von Giulia Hine.) Auf einer Postkarte mit Poststempel 10.1930 schreibt Gusti Hasterlik an Doderer  : „Papi lernt den Gütersloh ,auswendig‘“, was sich ebenfalls auf den Fall Gütersloh beziehen dürfte („Gusti II, 1927–31“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie.) 805 Der Brief ist mit Schreibmaschine geschrieben, die Passage „Gustis geschiedener Mann“ übertippt. (Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 0859, 1939/06/06, Brief von HM [Hasterlik, Maria] und Hasterlik, Paul an KG [Koritschoner, Giulia]). 806 Vgl. Heimito von Doderer  : „Roman-Studien IV (,Dämonen‘) [/] 1940 [/] ,Auf offener Strecke‘“. Ser. n. 14.184 d. ÖNB, S. 8. 807 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 4035, 1947/10/04, Brief von Ratz, Erwin an HA [Hasterlik, Auguste].

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Doderers Freund, der Regierungsrat Dr. Ferdinand von Steinhart, hatte trotz seiner NSDAP- und SS-Mitgliedschaft seit Ende 1935 nach dem Krieg angegeben, mehreren Menschen geholfen zu haben, die aus rassischen oder politischen Gründen vom NS-Regime verfolgt worden waren, was einige auch bereit waren zu bezeugen. Darunter auch – „unter Ausnützung seiner Amtsstellung“, so die Formulierung eines Zeugen – dem (gemäß der NS-Terminologie) „volljüdischen“ Arzt Dr. Barrasch, dem er Ende 1938 oder Anfang 1939 zur Ausreise in die USA verholfen hatte, ebenso einer polnischen Frau mit ihren Kindern und einem polnischen Ehepaar, denen er (vermutlich 1940) zur Ausreise in die Schweiz verholfen hatte, dem Mann von Warschau über Berlin (wohin Steinhart Ende 1939 für ein Jahr versetzt worden war) nach Genf.808 Doderer hatte seine Freundschaft mit Steinhart nicht genutzt, um seinem von ihm so geschätzten ehemaligen Schwiegervater Paul Hasterlik zur Ausreise in die USA zu verhelfen. Vergessen hatte Doderer Paul Hasterlik nicht. In den Dämonen ist er – wie schon erwähnt – Modell für die Romanfiguren Dr. Siebenschein und Medizinalrat Schedik. Den Chronisten Geyrenhoff (mit autobiografischem Einschlag) ließ Doderer über Dr. Siebenschein in den Dämonen sagen  : „einer der integersten Menschen, die ich je kannte“. Und die stark autobiografisch geprägte Figur Kajetan von Schlaggenberg äußert  : „Mein Schwiegervater, der Medizinalrat Schedik, einer der besten und gerechtesten Menschen, die ich je gekannt habe – wie ich heute wohl weiß […].“809 Diese anerkennenden Worte über seinen ehemaligen Schwiegervater wurden bereits 1946 geschrieben, als Doderer in sein Tagebuch notierte  : „[M]ein Schwiegervater war Obermedizinalrat im Stadtphysikat, einer der besten und wohlwollendsten Menschen von allen, die mir je im Leben begegnet sind […]“.810 Mia Hasterlik (Weiss, Koritschoner, Heller) Heimito von Doderers Beziehung zu Gusti Hasterliks Schwester Maria (Mia) war, nach Doderers Tagebucheintragungen, anfangs gut, dürfte sich 808 Zu Ferdinand von Steinhart siehe weiter oben  : Antisemitismus und Nationalsozialismus  : Doderer und der Nationalsozialismus, S. 66f.; sowie weiter unten  : „Unter schwarzen Sternen“, S. 295 u. 301f. 809 Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 57 u. 1078. 810 Unveröffentlichter Tagebucheintrag von Doderer, zit. nach François Grosso  : „Anhang“. In  : François Grosso  : Primum scribere, deinde vivere, S. 240 (17.–18.6.1946), Zitat im Original in Klammern.

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aber mit der Zeit verschlechtert haben. Noch kritischer fiel sein Porträt von Julius Koritschoner, dem zweiten Ehemann von Mia Hasterlik in der Figur des Cornel Lasch aus. Julius Koritschoner war ein wohlhabender, zuletzt jedoch hoch verschuldeter Mann und litt, wie eine Zeit lang auch Mia, unter Morphium-Abhängigkeit.811 Mia erhielt am 17. Dezember 1928 in Wien ein Telegramm von der Österreichischen Gesandtschaft  : „Doktor Julius Koritschoner gestern verschieden“.812 Laut Polizeibericht hatte sich der 31-jährige Julius Koritschoner „im Hotel Bristol“ in Istanbul „durch einen Revolverschuss getoetet“.813 Von den drei Ehemännern Mia Hasterliks war ihr erster Mann Ernst Weiss Jude, Julius Koritschoner und Thomas Heller waren jüdischer Herkunft. Thomas Heller wurde deshalb in Wien im Januar 1939 inhaftiert, aber dann mit der Auflage, Wien bis spätestens 15. April 1939 zu verlassen, wieder in Freiheit gesetzt. Doch die bürokratischen Auflagen hielten ihn noch bis Juni 1939 in Wien zurück. Schließlich gelang es ihm, nach Großbritannien auszureisen, wo er am 1. Juli 1940 in einem Lager interniert wurde.814 1943 konnte er nach New York emigrieren, wo er und Mia Hasterlik im selben Jahr heirateten.815 Ernst Weiss, der Vater von Suzanne, der älteren Tochter Mias, starb am 8. März 1940. Nachdem die Möglichkeit einer Ausreise nach Großbritannien 811 Siehe weiter unten  : Anhang  : Korrespondenz mit Giulia Hine, S. 381f. 812 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 0564, 1928/12/17, Telegramm [„Radiogramm“] von „Austrian Embassy“ [„Österreichische Gesandtschaft“] an HM [Hasterlik, Maria]. (Im Original in Großbuchstaben.) 813 Der Polizeibericht gibt als Todesdatum allerdings den 17. Dez. 1928 an. (Vgl. ebd., item 5063, 1929/11/03 „document – Police report death of Julius K.“ – Abbildung  : auf türkisch und deutsch). Die von Wolfgang Fleischer übernommene Version, auf deren Unwahrscheinlichkeit er selbst hinweist, ist unrichtig  : Julius Koritschoner wäre verschwunden oder hätte sich ertränkt, dabei aber seine Koffer am Rand des Bosporus stehen lassen. (Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 205). Das Reisegepäck spielte tatsächlich eine Rolle. In einem Brief vom Bezirksgericht an den Notar steht  : „Die Reiseeffekten sind durch die Hotelspesen aufgezehrt.“ (Hine Collection, ebd., item 4606, Dokument [„Todfallsaufnahme“] von „District Court“ an „Notary“, 1929/01/16.) 814 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 0876, 1939/01/08, Brief von HM [Hasterlik, Maria] an KG [Koritschoner, Giulia]  ; item 3111, 1939/01/25, Brief von Hasterlik, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]  ; item 1061, 1939/02/10 u. item 1058, 1939/03/06, Briefe von HM an KG  ; item 3084, 1939/06/10, Brief von Hasterlik, Paul an HA  ; item 3840, 1940/07/04, Brief von HM an HA und item 1813, 1940/09/14, Brief von Heller, Thomas an HM. 815 Vgl. ebd., item 1825, 1943/08/07, Telegramm von Heller, Thomas an HM [Hasterlik, Maria] u. item 1928, 1943/11/14, Brief von WS [Weiss, Suzanne] an HM [Hasterlik, Maria].

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sich zerschlagen hatte, sollte er nach Palästina. Paul Hasterlik beschrieb in einem Brief den Tod von Ernst Weiss in Wien als Unfall,816 doch kann aufgrund der Art der Darstellung nicht ausgeschlossen werden, dass Ernst Weiss sich das Leben nahm.817 Mia Hasterlik begleitete ihre Töchter ins Ausland. Am 23. Dezember 1938 kam sie mit Giulia (geb. 30. September 1925), ihrer jüngeren 13-jährigen Tochter, in die Schweiz. Giulia wurde in Schaffhausen bei einer ihnen unbekannten Familie, Alice Siegerist-Ott und deren Tochter Gretli, untergebracht. Geplant war dies als Zwischenstation für ein paar Monate, bevor sie nach Großbritannien oder in die USA weiterreisen sollte,818 doch scheiterte dies an bürokratischen Hürden. Sie lief sogar Gefahr, aus der Schweiz ausgewiesen zu werden, weshalb Paul Hasterlik im Juni 1940 vorschlug, sie zu sich nach Wien zu nehmen  !819 Im August 1941 erkrankte sie an Poliomyelitis  ; sie war anfangs fast vollkommen gelähmt und musste über ein Jahr im Krankenhaus und in einer Rehabilitationsklinik verbringen.820 Ihr Gesundheitszustand verbesserte sich, trotzdem ließen die US-Behörden sie erst im April 1946 in die USA zu ihrer Mutter nach New York einreisen.821 Suzanne Weiss (1. 11. 1920–23. 8. 2008) verließ Wien im Februar 1939 als 18-Jährige. Ihre Mutter begleitete sie nach Venedig, wo Suzie Weiss sich nach

816 Vgl. ebd., item 3605, 1940/03/12, Brief von Paul Hasterlik an HA [Hasterlik, Auguste] u. auch item 0418, 1940/05/01, Brief von Weiss, Bertha an HM [Hasterlik, Maria]. Über das weitere Schicksal von Bertha Weiss, der Großmutter von Suzanne Weiss (Wolff ), ist nichts bekannt. Ihr letzter Brief in der FSU Hine Collection ist von 1942. (Ebd., item 1891, 1942/09/07, Brief von Weiss, Bertha in „Hungary, Kassa, Tordassy u 5.“ an Sigerist-Ott, Alice. Es muss davon ausgegangen werden, dass sie deportiert wurde und nicht überlebte. (Vgl. ebd., item 5209 1998/06/  ?  ? [genaues Datum unbekannt], „Edith Cory-King nee Koritschoner interview with Giulia Hine nee Koritschoner“.) 817 Ernst Weiss starb im Krankenhaus an einer Lungenentzündung. Paul Hasterlik schreibt  : „Die Ursache der Entzündung ganz grotesk. Er zündete sich am 2 III Abends im Clo einen Petroleumofen ganz falsch an u wurde früh bewusstlos gefunden u erholte sich nicht mehr.“ (Ebd., item 3605, 1940/03/12, Brief von Paul Hasterlik an HA [Hasterlik, Auguste].) 818 Vgl. ebd., item 4619, 1995/10/27, „Shoah interview with Giulia Hine nee Koritschoner“. 819 Vgl. ebd., item 2607, 1939/03/03, Brief von HM [Hasterlik, Maria] an KG [Koritschoner, ­Giulia]  ; item 4241, 1940/02/07, Brief von Sigerist-Ott, Alice an HM u. item 3541, 1940/06/23, Brief von Hasterlik, Paul an Koenig, Grete (Wachtel). 820 Vgl. ebd., item 2756 – transcript – German, 1940/06/28 – 1943/11/28, „Diary – KG [Kori­ tschoner, Giulia]“ – Eintrag vom 14. Dez. 1942. (Original auf Deutsch und Schweizerdeutsch.) 821 Vgl. ebd., item 0627, 1946/04/27, „Plane ticket KG [Koritschoner, Giulia] from Paris to NY on TWA“.

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Kenia einschiffte. Eine Einladung eines ihr unbekannten österreichischen Exilanten, Robert Seemann, der über die Vermittlung einer Freundin von ­Gusti Hasterlik kontaktiert worden war, ermöglichte ihr die Flucht. Unter dem Druck der Behörden, ausgewiesen zu werden, musste sie Seemann ein paar Tage nach ihrer Ankunft heiraten. Erst 1942 gelang es ihr, sich von Robert Seemann, der sie misshandelte, zu trennen. 1944 heiratete sie in Kenia den deutschen Exilanten Eberhard (genannt Ted) Wolff.822 Auch Mia Hasterlik verließ auf wiederholten Rat ihres Vaters und ihrer Freunde Heinrich Kopetz und Thomas Heller823 Wien am 21. August 1939. Am 26. August 1939 kam sie über die Schweiz kurz vor Kriegsausbruch in London an. Ihre Aufenthaltsgenehmigung wurde nicht verlängert und die Behörden übten Druck auf sie aus, England zu verlassen. Mit der Unterstützung ihrer Schwester Gusti konnte sie schließlich in die USA einreisen  : Am 3. Oktober 1940 kam sie in New York an.824 Gegen Kriegsende und in der Nachkriegszeit stellte sich für die Exil-Österreicher die Frage, ob sie nach Österreich zurückkehren würden, und sei es nur für einen Besuch. Mia Hasterlik nannte ihrem langjährigen Freund Heinrich Kopetz in Wien und ihrer Tochter Giulia in der Schweiz folgende Gründe, warum sie nicht mehr in Wien leben wollte  : die Demütigungen, denen sie vor ihrem Exil in den Jahren 1938/1939 in Wien ausgesetzt gewesen war,825 die erzwungene Trennung von ihren Töchtern, die Vertreibung aus dem eigenen Land,826 die Deportation und der Tod ihres Vaters sowie die von Österreichern begangenen Verbrechen.827 In einem Brief von Mai 1945 versuchte Mia ihre Tochter Giulia zu überzeugen, dass es mit ihrer Sehnsucht nach Grinzing, wo sie gelebt hatten, in New York bald vorbei wäre, und nannte ihren Mann 822 Vgl. ebd., item 3070, 1939/03/12, Brief von KG [Koritschoner, Giulia] an HA [Hasterlik, Auguste]  ; item 3096, 1939/04/03, Brief von KG an HA  ; item 1919, 1942/05/  ?  ? [genaues Datum unbekannt], Brief von WS [Weiss, Suzanne] an HM [Hasterlik, Maria]  ; item 2972, 1943/06/08, Brief von WS an HM  ; item 2983, 1944/12/05, Brief von Wolff, Ted an HM u. item 1937, 1945/02/25, Brief von WS an HM. 823 Vgl. ebd., item 3080, 1939/09/04, Brief von HM [Hasterlik, Maria] an HA [Hasterlik, Auguste] u. WS [Weiss, Suzanne]. 824 Vgl. ebd., item 3044, 1939/08/27, Brief von Hasterlik, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]  ; item 4247, 1939/08/27, Brief von HM [Hasterlik, Maria] an Sigerist-Ott, Alice  ; item 3080, 1939/09/04, Brief von HM an HA u. WS [Weiss, Suzanne]  ; item 3053, 1939/10/27, Brief von HM an HA u. item 3530, 1940/10/04, Brief von HM an HA. 825 Vgl. ebd., item 0341, 1946/03/03, Brief von HM [Hasterlik, Maria] an KH [Kopetz, Heinrich]. 826 Vgl. ebd., item 1213, 1946/02/15, Brief von HM an KG [Koritschoner, Giulia]. 827 Vgl. ebd., item 0493, 1945/06/23, Brief von HM [Hasterlik, Maria] an KG.

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Thomas (Thomascili) und ihre Schwester Gusti (Gu) als Beispiel für eine gelungene Integration in den USA  : Aber wenn wir einmal beisammen sind dann wirst Du sehen, wie Du gar kein Heimweh nach Grinzing etc. haben wirst, im Gegenteil. Sowohl Gu als auch Thomascili und viele andre Menschen sind restlos glücklich hier  ; Thomas würde nicht träumen wieder zurückzugehen, auch wenn er könnte. Und ich auch nicht, wenn Du einmal da bist. Nach all den Erfahrungen und nach dem was man unserm armen armen Papi Ogrosl [Paul Hasterlik] angetan hat. Wird man ohne Berge leben und ohne Heurigen. Man hat viele andre Kompensationen dafür.828

Weder Gusti noch Mia kehrten nach Österreich zurück, um dort zu leben. Gusti Hasterlik/Doderer/Kalmus und Mia Hasterlik/Weiss/Koritschoner/ Heller kamen zwar wiederholt nach Wien zu Besuch, lebten aber weiterhin in den USA. Für die Töchter Mias war die Situation etwas anders  : Giulia Kori­ tschoner/Hine kehrte 1962 erstmals seit 1938 nach Wien zurück  ; mit ihrer Familie lebte sie von 1964 bis 1974 in Wien, übersiedelte aber dann wieder in die USA.829 Suzanne Weiss/Seemann/Wolff zog nach ihrem Exil in Kenia nach England, dann kehrte sie nach Österreich zurück. Sie mied bewusst Wien und zog in den 1960er-Jahren nach Kitzbühel in Tirol,830 wo sie 87-jährig im Jahr 2008 starb. Mia Heller nahm sich 1973 das Leben.831 In einem Brief riet Mia ihrer Schwester Gusti davon ab, mit Heimito von Doderer, wie ihr Marie-Louise Wydler geraten haben dürfte, brieflich Kontakt aufzunehmen. Sie schrieb auch von ihrer Reaktion auf die Strudlhofstiege und die Dämonen. Eine persönlichere Stellungnahme wäre zu erwarten gewesen, da sowohl sie als auch ihre Familie und ihr zweiter Ehemann Julius Koritschoner als Modelle für Figuren der Romane gedient hatten – insbesondere in den Dämonen. Mia Hasterlik begann mit einer für sie so typischen Wortprägung, indem sie aus der Strudlhofstiege die „Strudelteigstiege“ machte, die wohl auf die Länge des Romans und fehlende Spannung hinweisen sollte. Was sie an den Romanen abstieß, führte sie nicht aus  : 828 Ebd., item 1173, 1945/05/14, Brief von HM [Hasterlik, Maria] an KG [Koritschoner, Giulia]. 829 Siehe weiter unten  : Anhang  : Korrespondenz mit Giulia Hine, S. 384f. 830 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 4611, 1997/07/03, „Shoah interview with Suzanne Wolff nee Weiss“. 831 Vgl. Privatsammlung von Giulia Hine, item 2068, 1973/05/07, „Mia’s farewell notes – suicide“, Brief von Hine, Gerald (ursprünglicher Name  : Heine, Hans Gerhard) an KG [Koritschoner, Giulia].

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Nun zu H. D. [Heimito von Doderer]. Mich interessiert das alles sehr. Ich hab nur nie darüber geschrieben weil ich nicht wusste, obs Dich kränkt oder halt stört nur davon zu hören. […] Ich konnte weder Die Sturdelteigstiege [sic] noch die Dämonen richtig lesen. Es dreht sich mir unentwegt der Magen um. Ich werd hier oft um meine Meinung gefragt, sag immer allen, dass ich nicht objektiv genug sein kann, um eine solche zu haben. Es hat aber noch kein einziger meiner Bekannten das Buch lesen können, viele hams aus Neugierde angefangen, aber nicht zu End gelesen. Ich finde natürlich dass er sehr begabt ist, das wissen wir ja schon lang, finde aber alles soooo completely undramatisch und vor allem eine Zumutung dem Leser gegen­ über. Wer kann sich in dem Labyrint [sic] von Menschen und Episoden auskennen, wen kann das interessieren, es geht doch nichts vor, wie uninteressante Schicksale im Grunde. Wie kann er sich mit Dostojewsky [sic] vergleichen ha ha. Aber vielleicht bin ich zu bled dazu, kann natürlich sein, trotzdem find ich, dass Du auf keinen Fall anfangen sollst mit ihm wieder zu korrespondieren etc. wenn er nicht darauf besteht. Aber verlass Dich ja nicht auf M. L. [Marie-Louise Wydler] Du hast auch vollkommen recht mit der Kälte und Menschenverachtung, er hat so einen klinischen Blick und kommt über seinen Mittelpunkt nicht heraus. Er seziert alle Menschen die drin vorkommen und beobachtet sicher sehr gut und kanns sehr gut zu Papier bringen, aber es fehlt dem Buch meiner Ansicht viel zu viel um es wirklich berühmt zu machen, in unsrem guten alten Sinn.832

3. Gemeinsame Freunde von Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer Marie-Louise Spitzer (Wydler, Reiter) Während Doderer sich wegen seiner NS-Vergangenheit oft angegriffen fühlte, nahmen ihn Marie-Louise Wydler (Reiter)833 und Hans Weigel in Schutz. Ihre positive Haltung ihm gegenüber, auch in der Öffentlichkeit, hatte umso mehr 832 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 2884, 1960  ?/01/28 [ohne Angabe der Jahreszahl  ; von Giulia Hine nachdatiert], Brief von HM [Has­ terlik, Maria] an HA [Hasterlik, Auguste]. (Die Umlautschreibung wurde korrigiert.) 833 Marie-Louise Wydler (nach dem Namen ihres ersten Ehemannes) hatte nach dem Krieg wieder geheiratet und den Namen ihres zweiten Ehemannes Reiter angenommen. Ihr Vorname wird in den Briefen der FSU Hine Collection unterschiedlich geschrieben  ; sie selbst unterschreibt „Marieluis“ und verwendet die Abkürzung „M. L.“. (Vgl. ebd., z. B. item 5307, 1956/09/27, Brief von Wydler-Reiter, Marie-Louise an Elbogen, Paul.)

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Gewicht, als beide wegen ihrer jüdischen Herkunft die Jahre des NS-Regimes im Exil hatten verbringen müssen. Marie-Louise Wydler kannte Doderer über Gusti Hasterlik seit den 1920er-Jahren. Gleich nach ihrer Rückkehr nach Wien nahmen sie wieder Kontakt auf. Hans Weigel hatte er erst nach dem Krieg kennengelernt  ; sie wurden gute Freunde. Über seinen Einstieg ins literarische Leben nach dem Krieg schrieb Doderer  : [D]amals sank ich […] in das literarische Leben Wiens ein, trotz der, durch meine Vergangenheit und den Wechsel der Dinge gegen mich herrschende OberflächenSpannung, einfach deshalb, weil ich trotz allem, Anhänger hatte, Inseln meiner Verteidigung  : solche waren Hans Weigel und Marialouise.834

Marie-Louise Wydler war mit ihrem Sohn 1938 nach Zürich emigriert,835 ihr Mann Sepp Wydler war in Wien geblieben und Offizier bei der Wehrmacht gewesen. Ihre Brüder waren nach Hawaii bzw. Südrhodesien (heute Sim­babwe) emigriert.836 Vermutlich war nur ihr Vater jüdischen Ursprungs, da ihre Mutter in den Kriegsjahren weiterhin in Wien in ihrer Wohnung lebte.837 Marie-Louise Wydler litt unter dem Leben im Schweizer Exil.838 Schon 1945 gelang ihr eine erste illegale Reise nach Wien mit Unterstützung von befreundeten Widerstandskämpfern  ; sie reiste mit ihrem Schweizer Pass, doch ohne die erforderlichen Reisegenehmigungen der Alliierten erhalten zu haben. 839 1946 oder 1947 kehrte sie nach Wien zurück.840 Marie-Louise Wydler übernahm eine Art Vermittlerrolle zwischen Gusti Has­terlik und Heimito von Doderer, da sie mit beiden befreundet war. An 834 Heimito von Doderer, Commentarii 1951 bis 1956, S. 447 (22.8.1955). 835 Paul Hasterlik erwähnt ihren Schweizer Aufenthalt in einem Brief Anfang Jan. 1939 (vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3117, 1939/01/03 von Hasterlik, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]) und schickte im Feb. 1939 seiner Tochter Gusti die Adresse von Marie-Louise Wydler in Zürich (vgl. ebd., item 3110, 1939/02/02, Brief von Hasterlik, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]). 836 Vgl. ebd., item 3182, 1946/02/02, Wydler, Marie-Louise an HA [Hasterlik, Auguste]. 837 Vgl. ebd., item 5417, 1956/10/14, Brief von Wydler-Reiter, Marie-Louise an HA. 838 Vgl. ebd., item 2756 – transcript – German, 1940/06/28 – 1943/11/28, „Diary – KG [Kori­ tschoner, Giulia]“ – Eintrag vom 14. Dez. 1942. (Original auf Deutsch und Schweizerdeutsch.) u. item 2756 H English, 1944/05/28, „Diary – KG“  ; item 0785, 1945/05/28, Brief von KG an HM [Hasterlik, Maria] u. item 0495, 1945/11/15, Brief von HA [Has­terlik, Auguste] an KG. 839 Vgl. ebd., item 3182, 1946/02/02, Brief von Wydler, Marie-Louise an HA [Hasterlik, ­Auguste]. 840 Vgl. ebd., item 0392, 1947/04/01, Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria].

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ihre Freundin Gusti schrieb sie über Neuigkeiten Doderer betreffend und verteidigte ihn. Doderer ließ sie Briefe von Gusti Hasterlik lesen (zumindest von einem ist es bekannt)  ; vermutlich wusste er auch von ihr, dass seine ehemalige Ehefrau neuerlich geheiratet hatte und amerikanische Staatsbürgerin geworden war.841 Im Februar 1946 berichtete Marie-Louise Wydler, damals noch aus Zürich, Gusti Hasterlik von ihrer ersten Reise nach Wien 1945  : Nun muss ich Dir noch erzählen, was es Neues von alten Bekannten gibt  : vor Allem [sic], in Kitzbühel stieg ein sehr herziges junges Mädchen ein, setzte sich zu uns ins Coupé […] und fragte mich aus, wie es in der Schweiz sei, dann fiel auf einmal das Wort Prein und da fragte ich sie, ob sie Doderers [sic] kenne, worauf sich herausstellte, dass sie die Tochter vom [sic] Imo [Heimitos Bruder] ist, sie […] leugnet natürlich aufs entschiedenste, dass sie alle jemals Nazis waren, was ich ihr auf den Kopf zu sagte. Heimito sei in Frankfurt zuletzt gewesen und seither verschollen, er ist unverheiratet und war zuletzt eine Art Instruktionsoffizier. Dasselbe erzählte mir Fritz Feldner, ich weiss nicht, ob Du ihn gekannt hast, er war ein Freund Bela Faludis […]. Ja, Fritz Feldner erzählte mir noch, dass Heimito seit 38 ein wilder Nazifresser war, weil er sich in Deutschland davon hatte überzeugen können, wie sie wirklich waren. Fritz F. nimmt ihn sehr in Schutz und nachdem er selber alles eher als ein Nazi war, sondern immer hundert % ig [sic] wusste, was er wollte, was er damit bewies, dass er z. B. nicht einen Tag Militärdienst leistete, sollte man ihm fast glauben.842

Doch dass man auf die Richtigkeit von Fritz Feldners Darstellung von Doderer nicht vertrauen sollte, zeigt ein Brief von ihm an Hilde Spiel, in dem er Doderer verteidigte, in dem aber fast alle Informationen falsch sind.843 Marie-Louise Wydlers Darstellung wurde zwar von Heinrich Kopetz bestätigt, doch mag seine nicht näher angegebene „Quelle“ auch Fritz Feldner gewesen sein, als er im September 1946 schrieb  : „Gestern hat Gütersloh eine Radiovorlesung gehalten. Haimo [sic] Doderer ist auch in Wien und soll seit

841 Vgl. Heimito von Doderer, Tangenten, S. 517 (24.10.1946), u. Heimito von Doderer, Commentarii 1951 bis 1956, S. 183 (14.1.1953). 842 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3182, 1946/02/02, Brief von Wydler, Marie-Louise an HA [Hasterlik, Auguste]. 843 Zu Fritz Feldners Brief an Hilde Spiel siehe weiter unten  : „Die Dämonen der Ostmark“  : Doderers „Aide mémoire“ als Inhaltsangabe des Romanprojekts, S. 217f.

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Jahren schon ein Nazigegner gewesen sein, wie ich aus verlässlicher Quelle hörte. Trotzdem dürfte er jetzt Schwierigkeiten haben.“844 In einem drei Seiten langen, mit Schreibmaschine geschriebenen Brief vom Oktober 1956 zeichnete Wydler ein Porträt Doderers voll der Bewunderung, in das sie aber gelegentlich auch Kritisches einfließen ließ. Dieser Brief zeigt auch den Einfluss, den Doderer auf sie hatte, einige Ideen dürften direkt von ihm übernommen worden sein, bis hin zur Formulierung. Auf die Frage, die Gusti Hasterlik gestellt haben muss, ob Doderer glücklich geworden sei, antwortete sie  : Glaube mir, er ist bestimmt nicht glücklich, auch heute, auf der Höhe seines Ruhmes, der, wie ich glaube, auch finanziell sich auswirkt, nicht, aber einfach deshalb nicht, weil er ein Besessener ist, wie jeder wirklich grosse Künstler und das ist er. Ich fürchte, wir alle haben nicht genug Abstand zu ihm, uns erscheinen seine Unechtheiten, seine Verkrampftheit, sein Geltungstrieb und seine Verschrobenheit wichtig, sie sind es bestimmt nicht, denn gelten darf bei ihm, so sagt er selbst es auch immer, sein Werk und das ist großartig. […] Du frägst [sic] mich nach dem „Sinn“ der „Strudlhofstiege“. Ich weiss ihn nicht, ich halte das Buch für eine grossartige Schilderung unserer Zeit, für ein Riesengemälde, in dem doch jede Figur lebt und dass es möglich war, diese Zeit unserer Jugend einzufangen, die unwiederruflich [sic] verloren gegangen ist, schon allein für einen Verdienst. […] Heimito ist ein tief religiöser Mensch geworden, der im Jahr 1939 aus Trotz gegen die Nazi katholisch wurde und es auch immer wieder nicht nur beteuert, sondern auch demonstriert. Ich hoffe für ihn, dass ihm die Religion wirklich so viel gibt, wie sie es bestimmt kann […].845

Über Doderers Mischung aus Religiosität, Aberglauben, Halbwahrheiten und über seine schwierige finanzielle Lage nach dem Krieg schrieb Sofie Chlumezky, die Doderer (möglicherweise über Heinrich Kopetz) persönlich kannte, 1949 an Mia Hasterlik  : Boni [Heinrich Kopetz] war vor kurzem bei Maria Louise und da kamen noch einige Bekannte, unter anderem Herr v. Doderer hin, und gab zum besten was durch ein Wunder ihm widerfahren ist. M. L. und B. hörten zu sagten aber nicht, dass sie davon

844 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 0382, 1946/09/30, Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria]. 845 Ebd., item 5417, 1956/10/14, Brief von Wydler-Reiter, Marie-Louise an HA [Hasterlik, ­Auguste].

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wussten. Und zwar erzählte er, zu Weihnachten ging es ihm so schlecht, dass er zur hl. Maria gebetet habe und siehe, eines Morgens stand eine Dame mit schneeweissem Haar vor seiner Tür. Sie überreichte ihm einen Brief mit Inhalt, so dass er sich gleich seine Schreibmaschine auslösen konnte, und seither geht es ihm besser. Aber er sagte nicht, dass dies aus Dankbarkeit für seines Vaters Wohltat, wie es im Brief gestanden ist, geschah, sondern bezog das auf sich, als ob jemand aus Verehrung für ihn oder seine Bücher ihm dies zugewendet hätte. Jedenfalls freut es mich, dass sein Glaube gestärkt wurde.846

Über das vom PEN-Club im September 1956 organisierte Fest zu Ehren Doderers berichtete Marie-Louise Wydler  : „Aber der Heimito war schlau  !847 – Er sprach frei und wirklich eindrucksvoll – ich werde ihn, mit erhobenen Armen immer vor mir stehen sehen, denn es war ein Höhepunkt in seinem und meinem und auch, wenn Du nicht hier warst, in Deinem Leben […].“848 Gusti Hasterlik dürfte Doderer als Nazi bezeichnet oder sich kritisch über seine NS-Vergangenheit geäußert haben, denn Marie-Louise Wydler antwortete  : Heimito ist alles eher als ein Nazi, er hat sich in einem blendenden Essay damit auseinandergesetzt,849 lass die alten Sachen begraben sein, glaub mir, es ist zu Deinem Besten. Ich weiss, dass der Tod Papi’s [Paul Hasterlik] eine immer offene Wunde sein wird, sie ist es auch für mich. – Aber es steht  : lasset die Toten ihre Toten begraben  ! – Leg nicht auch Dein Herz dazu. Er ist kein Zyniker, er ist eher ein Mensch, der schwer an der Last seiner Begabung und an seiner Verantwortung, die ihm diese auferlegt, trägt  !850

846 Ebd., item 0834, 1949/07/28, Brief von Chlumezky, Sofie an HM [Hasterlik, Maria] u. Heller, Thomas. 847 Im Gegensatz zu Gütersloh, dessen Geburtstagsansprache für Doderer, so Maria-Louise ­Wydler, endlos und langweilig gewesen sei. 848 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5417, 1956/10/14, Brief von Wydler-Reiter, Marie-Louise an HA [Hasterlik, Auguste]. 849 Vermutlich ein Hinweis auf Doderers Essay „Sexualität und totaler Staat“. Doch im Gegensatz dazu, was Maria-Louise Wydlers Aussagen vermuten lassen könnten, setzte sich Doderer in diesem sehr abstrakten Essay nicht mit seiner eigenen NS-Vergangenheit auseinander. (Siehe weiter unten  : „Sexualität und totaler Staat“, S. 276–283.) 850 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5417, 1956/10/14, Brief von Wydler-Reiter, Marie-Louise an HA [Hasterlik, Auguste].

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In einem Brief an Paul Elbogen kommentierte Marie-Louise Wydler sowohl den Erfolg Doderers als auch ihre Rückkehr aus dem Exil nach Wien. Es liest sich, als müsse sie sich für ihren Entschluss, nach dem Krieg nach Wien zurückgekehrt zu sein, rechtfertigen. Und das umso mehr, als sich ihr Brief an jemanden richtete, der sich entschieden hatte, nicht mehr zurückzukehren. Ihre gespaltenen Gefühle werden deutlich, doch war letztlich das, was sie an Wien anzog, stärker als das, was sie daran abstieß. Nach einer Beschreibung der PEN-Club-Festivitäten an der Strudlhofstiege und der Rede Güterslohs fuhr sie fort  : Wichtig dagegen war, dass auf einmal der alte Heimo, mit dem man doch eigentlich fast ein ganzes Leben gut oder bös, aber doch verbracht hat, auf der Rampe stand, angestrahlt von den Scheinwerfern der Wochenschau und dass man also doch einmal erlebte, dass diese[s] geliebte Sch… land Österreich einen ihrer geistigen Menschen ehrt und es tut, wie man wahrscheinlich nirgendswo [sic] sobald die Möglichkeiten hat  : mit einer Musik, die hier gewachsen ist, unter Bäumen, die im Abendwind mit­ agierten und in einer Sprache, die halt eben doch die unsere ist  ! – Sie werden sich denken  : die wird auch alt und sentimental. Das war ich immer, sonst wär ich ja nicht hier  ! –851

Paul Elbogen Paul Elbogen und Richard Goetz waren beide als Journalisten tätig, als sie halfen, Doderers Beiträge in Zeitungen unterzubringen. Beide emigrierten. Goetz, Feuilletonchef der Zeitung Der Tag, emigrierte Anfang der 1930erJahre.852 Doderer notierte im Dezember 1932 in sein Tagebuch  : „als R G [Richard Goetz] noch in unserem Kreise war (,die Macht der Presse‘)“.853 „Unser Kreis“ könnte dem Freundeskreis der „Unsrigen“ entsprechen und Goetz als Feuilletonchef möglicherweise dem „Feuilleton-Redakteur“ 854 Holder in den „Dämonen der Ostmark“ und den Dämonen. 851 Ebd., item 5307, 1956/09/27, Brief von Wydler-Reiter, Marie-Louise an Elbogen, Paul. (Paul Elbogen hatte diesen Brief mit einer handschriftlichen Anmerkung an Gusti Hasterlik weitergeschickt.) 852 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 171, 189f. u. 235. 853 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 567 (22.–24.12.1932). 854 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien I“ [zu „Die Dämonen der Ostmark“, Kapitel 1–8], Ser. n. 14.238 d. ÖNB, S. 91f.  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 331. („Feuilletonschriftleiter“ wurde in den Dämonen durch „Feuilleton-Redakteur“ ersetzt.)

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Paul Elbogen war Redakteur bei der Modernen Welt.855 Doderer hatte ihn 1921 kennengelernt, er sollte ihm bei der Veröffentlichung von Artikeln behilflich sein. Sie freundeten sich an, beide waren Schriftsteller und lasen sich aus ihren jeweiligen Schriften vor.856 Doderer schrieb 1924 über Paul Elbogen  : „ein feiner, lieber Mensch – ein bisschen äusserlich-pretentiös-decorativistisch  ; keine originale Potenz  ; aber ich mag ihn ansonst recht gern.“857 Paul Elbogen858 emigierte nach dem Anschluss über Italien nach Frankreich,859 wo er in einem Lager interniert wurde,860 doch gelang ihm gemeinsam mit seiner Frau die Flucht über Spanien nach Portugal. Am 2. September 1941 kamen sie in den USA an. Er übernahm verschiedene kleine Jobs und arbeitete eine Zeit lang als Berater einer Filmgesellschaft in Hollywood.861 Er schrieb weiterhin Romane, Essays und Rezensionen. Seine Frau und er starben 90- und 92-jährig am 10. Juni 1987 bei einem Autounfall.862 Ein Brief an Gusti Hasterlik aus dem Jahr 1963 illustriert Paul Elbogens Zerrissenheit bezüglich der Entscheidung, Wien zu besuchen oder nicht (eine Reise, die er und seine Frau letztlich doch unternahmen)  : „Unsere ,Charakterstärke‘ war übrigens nicht so gross, denn vor zwei Jahren waren wir ja doch in Wien. Minnerl wollte gleich nicht und dann nach drei Tagen um jeden Preis fort. Sie hielt einfach die Leut nicht mehr aus, ich auch nicht.“863

855 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. I, S. 175 (Mitte Februar 1924). 856 Vgl. ebd., S. 175f. (Mitte Februar 1924) u. S. 227 (9.7.1924). 857 Ebd., S. 230 (31.7.1924). 858 Vgl. auch die Autobiografie von Paul Elbogen  : Der Flug auf dem Fleckerlteppich. Wien – Berlin – Hollywood. Hg. von Günter Rinke, Wien 2002. 859 Vgl. Gerald Sommer  : „Exil. Forschung. Erkenntnisse. Ergebnisse 22 (2002), H. 1“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 483. 860 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5258, 1963/02/08, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]. 861 Vgl. Gerald Sommer  : „Exil. Forschung. Erkenntnisse“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 483. 862 Vgl. Privatsammlung von Giulia Hine, Brief von „Hanni Forester“, der Nichte von Paul und „Minnerl“ Elbogen, an „Dear friends of Paul and Minnerl Elbogen“ vom 16.6.1987 mit einem Zeitungsausschnitt über den Autounfall im San Francisco Chronicle  : „Canadian Accident Kills Elderly Couple From San Francisco“ vom 12.6.1987. 863 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5252, 1963/07/30, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]. (Die Umlautschreibung wurde korrigiert.)

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Doderer schrieb im Oktober 1956 in seinem Tagebuch, einen Brief von Paul Elbogen erhalten zu haben  : „Heut’ kam aus USA ein Brief von E. P.,864 der übrigens kurz vorher G. [Gusti Hasterlik] gesehen hat  : dies kann bei mir freilich heute kaum mehr ritzen.“865 Und 1958 erfuhr er von Hans Flesch, ebenfalls ein ehemaliger Exilant und Freund von Paul Elbogen866 und Doderer,867 was „Hollywood“, d. h. Paul Elbogen, über ihn dachte  ; Doderer schrieb  : „Flesch war bei mir. […] Machte mir Eröffnungen bezüglich dessen, was man so gegen mich vorbringt und redet  ; lauter Menschen und Sachen, die für mich gleichgültig sind, ob ihm jetzt aus Hollywood was geschrieben oder in der Döblinger Suttingergasse was erzählt wird.“868 Elbogen empfand für seinen ehemaligen Freund Bewunderung (er hielt Doderer für ein Genie, wie er wiederholt in Briefen betonte) und zugleich Abneigung. Im Januar 1943 reagierte Paul Elbogen auf einen Brief Gusti Hasterliks über Doderers Roman Ein Umweg, der 1940 erschienen war  : „Was Sie mir über Doderers Bücher sagen, ist fesselnd. ,Umweg‘ sollte sein ganzes Leben heißen. Ohne Ziel. ,Umweg ohne Ziel‘, das ist er. Welche Schrecklichkeit ist dieser Mensch  !“869 Im Juni desselben Jahres antworte Paul Elbogen Gusti Hasterlik auf einen Brief, in dem sie ihren Freund – vermutlich Ernst Kalmus – geschildert hatte  : Ihre „True Confessions“ about that tender guy haben mich gefreut. Besser so als ein Doderer. Ein Nazi ist schlimm. Ein Genie als Freund zu haben ist schlimm. Ein bösar864 Doderer schrieb die Abkürzung E. P. auch für seine ehemaligen Freunde Ernst Pentlarz und Ernst Polak, P. E. auch für Paul Elbogen. In diesem Kontext handelt es sich um Paul Elbogen, der in Hollywood lebte, Ernst Pentlarz und Ernst Polak waren beide schon verstorben, der erste im Getto von Riga, der zweite im Exil in England. 865 Heimito von Doderer  : Commentarii 1957 bis 1966, S. 30 ([Nachtbuch, 1954–1958] 8.10.1956). 866 Paul Elbogen schrieb Gusti Hasterlik über Doderers Roman Die Merowinger und erwähnte dabei „die koestlichen Fussnoten, in denen zweimal mein Freund Hans Flesch vorkommt […]“ (Privatsammlung von Giulia Hine, item 5283, 1975/06/25, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste].) Über die Freundschaft von Paul Elbogen u. Hans Flesch vgl. auch Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5059, 1943/06/09, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]. 867 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 410. 868 Heimito von Doderer  : Commentarii 1957 bis 1966 (30.6.1958), S. 135. In der Suttingergasse wohnte Christine Basil, die Witwe Béla Fáludis, mit ihrem zweiten Ehemann, Otto Basil. (Ich danke Dr. Gerald Sommer für den Hinweis.) 869 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5051, 1943/01/20, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste].

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tiges Genie als Freund zu haben ist schlimm. Und Kombination aus all dem und zehn anderen Teufeleien  ? Arme Gusti. Seien Sie selig, dass Sie derlei überstehen konnten. Was kann Ihnen noch geschehen  ?870

1951 hatte Paul Elbogen die Strudlhofstiege mit einer Widmung Doderers erhalten  ; an Doderer schrieb er im Juni 1951, auf Doderers NS-Vergangenheit und die Widmung Bezug nehmend  : „Vielleicht war alles Lüge was man mir berichtete. Vielleicht nicht. In diesem Falle ist es mir gänzlich unmöglich, nicht noch ,zu keppeln‘ wie du den mir verdammt seriösen Fall verniedlichst und mit einer – liebenswürdigen – Handbewegung abzutun versuchst.“871 In dieser ersten Reaktion und noch bevor er das Buch gelesen hatte, re­ agierte er scharf auf Doderers Mitgliedschaft in der NSDAP  : „Aber gerade ein Historiker und schärfster Geist wie Du, ein Mann, der die seltene Kombination darstellt von Intellekt und Lyrik, von Gehirn und Gefühl … ihm bürdete ich die volle Verantwortung für seine wahrhaft fürchterliche Verfehlung auf.“872 In einem zweiten Brief vom 29. Juni 1951 schrieb Elbogen ihm eine viele Seiten lange Kritik der Strudlhofstiege, an der er u.a. Schwächen in der Komposition kritisierte, Romanfiguren, die wie Marionetten agierten, Frauen, die, mit Ausnahme von Grete Siebenschein und Paula Schachl, ohne eigene Identität seien, die sich alle gleichen würden, deren Ausdrucksweise zu gewählt sei, den Mangel an Handlung, Austriazismen.873 Acht Jahre später kam Paul Elbogen in einem Brief an Gusti Hasterlik in Verbindung mit Doderers „Innsbrucker Rede“874 nochmals auf die Strudlhofstiege zurück  :

870 Ebd., item 5059, 1943/06/09, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]. 871 Brief von Paul Elbogen an Doderer vom 7.6.1951. („Briefe“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien; Abschrift.) Die Widmung lautet  : „Lieber alter Paul, hör’ schon auf mich zu keppeln auf [sic] und lies amal was von mir, ich les’ ja deine Sachen auch – und mit Vergnügen. [/] Servus [/] Heimito [/] Mai, 1951.“ Elbogen Nachlass (Box 9) Shields Library (Special Collections) der UC Davis (Hinweis Dr. Gerald Sommer). 872 Ebd. 873 Vgl. den Brief von Paul Elbogen an Doderer vom 29.6.1951 in einer Abschrift von Engelbert Pfeiffer. (Ebd.) 874 Vgl. Heimito von Doderer  : „Innsbrucker Rede zum Thema Epik“. In  : Akzente 2 (1955), S. 522– 525, zit. nach Wendelin Schmidt-Dengler  : „Bibliographie“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 313–323, hier S. 318.

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In seiner „Innsbrucker Rede“ (dieser Titel allein verursacht mir Magendrücken) steht auch sechsmal „wir“ und eine Attacke auf den historischen Roman als solchen. Als ob die „Strudelhofstiege“ [sic] nicht historisch wäre. Indem sie doch eine Zeit und Welt behandelt, die versunkener ist als die Alexander des Grossen. Dass wir überlebten, ist ein sogenannter „Zufall“.875

Wenn der Begriff des historischen Romans für die Strudlhofstiege auch nicht angemessen ist – der Roman beschränkt sich auf Anspielungen historischer Ereignisse –, so ist es doch auffallend, dass die drei österreichischen Exilanten Paul Elbogen, Marie-Louise Wydler und auch Hilde Spiel das Gefühl ausdrückten, es handle sich um eine längst vergangene, für immer verschwundene Zeit. Dass die Strudlhofstiege deshalb aber nicht als „realistischer“ Roman einzustufen ist, schrieb Elbogen 1961 an Gusti Hasterlik  : „Ich kenne ja nur die ,Stiege‘. Und habe ihm damals viel darüber geschrieben. Es scheint nur realistisch, ist sehr ,stilisiert‘ und entmenschlicht.“876 Diese letzte Kritik wurde von Freunden Doderers, die sich oder andere in den Figuren seiner Romane erkannten, wiederholt vorgebracht. Schon Mia Hasterlik hatte ihrer Schwester Gusti über die Strudlhofstiege und die Dämonen geschrieben  : „Du hast auch vollkommen recht mit der Kälte und Menschenverachtung, er hat so einen klinischen Blick […]“.877 Ganz ähnlich auch die Kritik schon 1924 von Albrecht Reif an Doderers Roman Die Bresche, in der er sich vermutlich in der Figur des Komponisten Slobedeff erkannt hatte. Denn Doderer schrieb über Reifs Reaktion  : Reif dagegen878 ist mir danach fast böse  : er meint, meine Arbeit sei ja gut, aber irgendwie unmenschlich (nicht des „Inhaltes“, sondern der Haltung des Erzählenden wegen), kalt, Quarzlampe-Höhensonne statt warme, wirkliche Sonne u. dtto. Menschlichkeit etc. etc. Zweifellos diese Einstellung zur Analyse von Albrechts Charakter ein wertvoller Behelf. – Er dürfte übrigens in einigem das Richtige getroffen haben.879 875 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5241, 1959/06/01, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]. (Die Umlautschreibung wurde korrigiert.) 876 Ebd., item 5265, 1961/02/13, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]. 877 Ebd., item 2884, 1960  ?/01/28 [ohne Angabe der Jahreszahl  ; von Giulia Hine nachdatiert], Brief von HM [Hasterlik, Maria] an HA [Hasterlik, Auguste]. (Die Umlautschreibung wurde korrigiert.) 878 Im Gegensatz zu „dem von mir so geschätzten Dr. Hasterlik “, den Doderer mit diesem Buch „stark in Schwingung“ brachte. Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. I, S. 176. (Mitte Februar 1924). 879 Ebd.

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Am 7. Januar 1967, kurz nachdem er vom Tod Doderers erfahren hatte, re­ agierte Paul Elbogen auf die Wortwahl der Zeitschrift Time vom 6. Januar, die den Verstorbenen als „one of the most formidable writers of Austria“880 bezeichnet hatte  : „Formidable heisst furchtbar, schrecklich. Nun – das war er. Auf Ehre. Mich hat die Nachricht recht getroffen. Denn wir waren doch einmal vor endloser Zeit richtige Freunde. Und das verliert sich nicht ganz unter Männern. Trotz allem und allem.“881 Den Roman Doderers, den Elbogen wirklich und trotz aller Einwände schätzte und begeistert gegenüber Gusti Hasterlik verteidigte, war Die Merowinger oder Die totale Familie. Gusti Hasterlik hatte ihm das Buch geschickt. Er las es im Juni 1975 und versicherte ihr daraufhin, dass er zwar gut verstehen könne, „warum Sie es im Ganzen und im Detail ablehnen und zwar voll Grausen“,882 doch gleichzeitig erkannte er darin seine bisher falsche Einschätzung Doderers (etwa ihn mit Musil verglichen zu haben) und das Originelle an ihm  : Denn, lo and behold, [siehe da] so ein „Roman“ wurde noch nie geschrieben. Auch nicht annähernd. Weil es so ein Genie wie dieses noch nie gab. Bitte richtig zu verstehen  : ich meine ein sogeartetes [sic] Genie. […] Im Ganzen sehe ich, dass ich Doderer ganz falsch beurteilte. Er hat fast nichts mit Musil zu tun. […] Dieser Roman ist ein Ausdruck des unterschichtigen Sadismus Doderers, „Prügeln“ auf jeder zweiten Seite, „Dreschen“ und Fusstritte etc. auf jeder Dritten. Es ist das geniale Buch eines schwer pathologischen Autors, voll eines skurrilen, vertrackten Humors […]. Zugleich ist es wirklich komisch in Vielem, und hat auch mit „Nonsense-gedichten“ [sic] zu tun […]. Denn sowohl die totale Familie als die Wuterzeugungsfirma in London883 sind reine Spielerei, Narretei, Kauzerei. […] hier zeigt sich die biographische Vorgeschichte Doderers  : Historiker und seine Parodie und Verachtung der Wissenschaft, die er zugleich verehrt. Interessant ist auch die überaus beherrschte und ausgewählte, ja preziöse Sprache, untrennbar gemengt mit Austriazismen und Fehlern (bewussten Fehlern) […]. Was für ein Unglück war es für Sie, Ärmste, gerade diesem

880 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5262, 1967/01/07, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]. 881 Ebd. (Die Umlautschreibung wurde korrigiert.) 882 Privatsammlung von Giulia Hine, item 5283, 1975/06/25, Brief von Elbogen, Paul an HA [Has­ terlik, Auguste]. 883 Ziel der Firma „Hulesch & Quentzel ltd.“ mit Sitz in London ist es, durch ihre Produkte und ihr Know-how Wutanfälle auszulösen. (Vgl. Heimito von Doderer  : Die Merowinger, S. 142–148.)

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tollen Genie zu begegnen  ! Denn ein Genie ist und war er, daran zweifle ich jetzt noch weniger als je.884

Ernst Pentlarz Im Mai 1942, Heimito von Doderer war zu diesem Zeitpunkt als Offizier in der Sowjetunion, schrieb er über seinen ehemaligen Freund Ernst Pentlarz  : „Ob er noch lebt, weiß ich nicht (es gibt immerhin Gründe, das Gegenteil anzunehmen), vielleicht lebt er irgendwo und vielleicht geht es ihm gut.“885 Dass Doderer 1942 annahm, Ernst Pentlarz könnte nicht mehr leben – der unausgesprochene Grund dafür ist, dass Pentlarz nach den Nürnberger Gesetzen Jude war –, legt nahe, dass Doderer von dem Mord an Juden in großem Umfang (seit der Invasion der UdSSR im Juni 1941) wusste.886 Er konnte sich auch vorstellen, dass Pentlarz noch lebte – im Exil  : „E.P. – [ist] vielleicht ebenfalls [wie auch Gusti Hasterlik]887 in Amerika, es gibt sogar auch für diese Annahme Gründe.“888 Doderer beschrieb Ernst Pentlarz889 als mager, der aber von seiner Anlage her zu einem feister werdenden Nacken tendiere.890 Diese Doderer unangenehme Anlage steht in Verbindung zu einer klischeehaften Sicht von dessen (angeblich) jüdischer Physiognomie  : Das Weiße seiner Augen war nicht ganz rein, in diesem mandelförmigen Schnitt stand eine Trübung, die seltsamerweise ein Element seiner Anmut ausmachte. Der 884 Privatsammlung von Giulia Hine, item 5283, 1975/06/25, Brief von Elbogen, Paul an HA [Has­ terlik, Auguste]. (Die Umlautschreibung wurde korrigiert.) 885 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 111 (13.6.1942). 886 Zwischen 1939 und Ende 1941, d. h. noch vor den Vernichtungslagern, wurden schon etwa eine Million Juden umgebracht. (Vgl. Jean-Christophe Attias u. Esther Benbassa  : Dictionnaire de civilisation juive. Paris 1998, S. 258f.) Über die Kenntnis von und Teilnahme an den Verbrechen der Wehrmacht vgl. Hannes Heer u. Klaus Naumann (Hg.)  : Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944, Hamburg 1995. 887 Doderer schreibt  : „Jene also ist in Amerika“, womit Gusti Hasterlik gemeint ist, wie aus dem Zusammenhang hervorgeht. 888 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 111 (13.5.1942). 889 Vgl. auch das Foto von Ernst Pentlarz in der Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item „People – L to R – Photographs, Nicknames & vital statistics“. 890 Doderer hatte sichtlich eine Aversion gegen feiste Nacken, etwa das „fett[e] Stiergenick“ von Kurt Körger. In  : Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 460. (Vgl. auch Dorothea Zeemanns und Doderers gemeinsame Ablehnung gegen ein „feiste[s] Männergenick“  ; Dorothea Zeemann  : Jungfrau und Reptil, S. 54.)

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sehr kleine, gedrungene Körper, sehnig und muskulös, hatte doch die Neigung zum Speckansatz, er war der geeignete Platz dazu, möchte man sagen, das Fett hätte gut darauf gepaßt, und zwar in einer nicht angenehmen Weise, besonders an Hals und Nacken. Ich glaube, E. P. hätte, wäre er wirklich fett gewesen (und vielleicht ist er’s inzwischen geworden, wenn noch bei Leben […]) eine irgendwo in ihm vorhandene, nicht eben sympathische Möglichkeit seiner Physiognomie verwirklicht, und das hing mit seiner jüdischen Abkunft zusammen. Damals war er hiezu allerdings bei weitem zu mager und zu unglücklich, verlassen und anlehnungsbedürftig  : ein solcher état d’âme [wortwörtlich  : Seelenzustand  ; Verfassung] schaute ihm aus den Augen.891

Diesen Absatz übernahm Doderer fast wortwörtlich in die Strudlhofstiege, mit zwei entscheidenden Auslassungen  : Der Text in Klammern mit dem Hinweis auf den möglichen Tod von Ernst Pentlarz und seine „jüdisch[e] Abkunft“ wurden in den Roman nicht aufgenommen.892 Und in demselben Tagebucheintrag aus dem Jahr 1942 schrieb er über den „Antisemitismus“ – von Ernst Pentlarz  : Es gehörte diese Feindschaft [seinem Vater und Bruder gegenüber] und dieses Familienproblem zu ihm, wie seine blauen Augen, seine trüb-bräunliche Haut, seine schwarzbraunen Haare, sein extremer Antisemitismus und seine ebenso extreme Kaisertreue mitten in der Republik.893

Doderer fügte später an derselben Stelle seines Tagebuchs einen nicht datierten Eintrag an  : „* Er wurde nicht lange nach der Niederschrift dieser Zeilen in Auschwitz ermordet, wie ich heute weiß.“894 Paul Elbogen hatte nach dem Krieg über den Verbleib von Ernst Pentlarz recherchiert und nur erfahren, dass „Arnost Pentlarz“, „der kleine E. P.“, nach seiner Verhaftung verschollen war, wie er im Juni 1951 Doderer schrieb.895 Ernst Pentlarz war im selben Jahr geboren wie Doderer, nämlich am 16. Januar 1896. In den 1920er- oder 1930er-Jahren zog er von Wien nach Brünn/ 891 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 109f. (13.5.1942). 892 Vgl. Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege, S. 41 893 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 110f. (13.5.1942). 894 Ebd., S. 110 (o. D.). 895 Brief von Paul Elbogen an Doderer vom 29.6.1951 in einer Abschrift von Engelbert Pfeiffer. („Briefe“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Abschrift). Zu Elbogens Recherchen vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5237, 1947/01/21, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste].

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Brno, wo er in der Fabrik seines Bruders arbeitete und seinen Vornamen auf Arnost änderte.896 Laut Eintrag des Yad Vashem wurde er am 5. Dezember 1941 ins Getto Theresienstadt deportiert und am 15. Januar 1942 nach Riga. Der Eintrag endet mit  : „Status des Opfers Ende des 2. Weltkriegs“  : „verstorben“.897

4. Eine zwiespältige Freundschaft  : Albert Paris Gütersloh Die Freundschaft zwischen Heimito von Doderer und Albert Paris Gütersloh war eigen, auch deshalb, weil sie für Doderer auf einer unabänderlichen Hie­ r­archie beruhte  : Gütersloh teilte er die Rolle des „Meisters“ zu.898 Über den Einfluss von Gütersloh auf Doderer muss Gusti Hasterlik geschrieben haben, denn ihre Freundin Marie-Louise Wydler (Reiter) antwortete ihr im Oktober 1956 nach den offiziellen Feierlichkeiten zu Doderers 60. Geburtstag und dem Erscheinen seiner Dämonen  : Ich glaube, dass Du den „Paris“ [sic]899 an dem alles so echt ist, wie sein Name,900 was ich gelegentlich mit lauter Stimme äussere, der aber trotzdem auch ein wirklicher Künstler ist, nur leider ein schlechter Mensch, garnicht [sic] diesen Einfluss auf den Heimito hat, oder jedenfalls heute nicht mehr hat, denn der Heimito ist sich über die menschlichen Qualitäten des „Meisters“ sehr im klaren. Wenn er ihn auf den Weg geführt hat, auf dessen Gipfel heute der Heimito steht, dann hat dieser allen Grund dafür dankbar zu sein. Wenn ich ja auch glaube, dass dieser Gipfel nicht durch, sondern gegen den „Meister“ erreicht wurde  ! –901 896 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3655, 1935/08/27, u. item 3398, 1936/09/25, Briefe von Pentlarz, Ernst an HA [Hasterlik, Auguste]  ; item 3435, 1937/08/30, Brief von HA an Pentlarz, Ernst  ; item 3112, 1939/01/26, Brief von „Hasterlik, Paul et al“ an HA sowie Privatsammlung von Giulia Hine, item 1952, 1986/10/23, Brief von Elbogen, Paul an Pfeiffer, Engelbert. 897 „Victim’s Status End WW II“  : „died“. (Yad Vashem  : The Central Database of Shoah Victims’ Names  ; http  ://www.yadvashem.org/wps/portal/IY_HON_Welcome  : Pentlarz, Arnost.) 898 Vgl. Reinhold Treml  : „Einleitung“. In  : Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 12. 899 Vermutlich wollte sie zunächst schreiben  : dass Du den „Paris“ überschätzt. Der Satz müsste sonst lauten  : dass der „Paris“ […] gar nicht diesen Einfluss auf den Heimito hat […]. 900 Albert Paris Gütersloh hieß ursprünglich Albert Conrad Kiehtreiber. 901 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5417, 1956/10/14, Brief von Wydler-Reiter, Marie-Louise an HA [Hasterlik, Auguste].

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Albert Paris Gütersloh wurde am 5. Februar 1887 in Wien geboren. Er war zunächst Schauspieler, dann Schriftsteller und Maler. 1918 gab er, zusammen mit Franz Blei, die Zeitschrift Die Rettung heraus. Nach Aufenthalten in München, Italien und mehreren Jahren in Cagnes-sur-Mer in Südfrankreich kam er 1931 nach Wien zurück, um dort an der Kunstgewerbeschule, der späteren Akademie für angewandte Kunst, zu unterrichten.902 Heimito von Doderer hatte Güterslohs Tanzende Törin im 1. Weltkrieg im Kriegsgefangenenlager gelesen.903 Als er ihn 1924 persönlich kennenlernte, fand er ihn zwar wenig sympathisch, Güterslohs Anerkennung von seiner im selben Jahr erschienenen Bresche war ihm aber doch wichtig.904 1928 schlug Rolf Haybach, der einen Einmannverlag hatte, Doderer vor, eine Biografie über Gütersloh zu schreiben.905 Dieses Buch, Der Fall Gütersloh, erschien 1930 im Haybach Verlag und war ein Misserfolg.906 Doderer hatte für Gütersloh eine Wohnung im 19. Bezirk am Saarplatz 18 gefunden, kurze Zeit später zog er in dasselbe Wohnhaus.907 Ihr Weltbild wies Gemeinsamkeiten auf, beide waren hierarchisch und antiliberal eingestellt und vom Nationalsozialismus angezogen. Gütersloh schrieb 1929 an Haybach in Bezug auf ihr Zeitschriftenprojekt Chimäre von der Notwendigkeit, den österreichischen Staat zu stürzen mit den Mitteln der Literatur und Malerei. Für die Chimäre benötigten sie, so Gütersloh, die Unterstützung von hundert jungen, schönen, reinen und einfachen Menschen  : Das stürzt allen Misswuchs, bildenden wie politischen. Ich finde die Waffe, in einer schönen, reinen Hand, schöner als die Feder. Der schöne Mensch darf töten. Denn er tötet, vom Genius gelenkt, nie anderes, als das Häßliche, Alte, Vermorschte  ! Die Häßlichen sind immer Pazifisten  ! Sie wissen warum.908 902 Vgl. Reinhold Treml  : „Einleitung“. In  : Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 22–24 u. 30. 903 Vgl. Heimito von Doderer  : „Gütersloh. Zu seinem 75. Geburtstage“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 133–136, hier 133f. 904 Vgl. Reinhold Treml  : „Einleitung“. In  : Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 25f. 905 Ebd., S. 28. 906 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 214. 907 2006 wurde am Saarplatz 18 am Wohnhaus, in dem Gütersloh und Doderer gelebt hatten, eine Gedenktafel eingeweiht. (Vgl. Heimito von Doderer-Gesellschaft  : www.doderer-gesellschaft. org/aktuell/saarplatz.html). 908 Gütersloh zit. nach Reinhold Treml  : „Einleitung“. In  : Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 38.

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Doch nur Doderer trat 1933 der NSDAP bei. Gütersloh soll, nach Erhebungen des „Ortsgruppenleiters“ im Jahr 1939, Amtswalter der Vaterländischen Front und Mitglied des Heimatschutzes gewesen sein.909 Greta Freist und Gottfried Goebel, bei denen Doderer von Ende 1934 bis Sommer 1936 als Untermieter lebte, hörten Doderer und Gütersloh auf das „Dritte Reich“ anstoßen  ; 1936 gingen Freist und Goebel ins Exil nach Paris,910 Doderer zog nach Dachau bei München. Gütersloh blieb zunächst in Wien und beschrieb Doderer, bevor er nach Salzburg zog, voll Enthusiasmus den Anschluss am 13. März 1938  : Nun ist Alles [sic] so gekommen, wie wirs gewünscht haben, ich habe die Legitimität, dessen was ich nur entworfen und zusammengedichtet habe, von der Geschichte bestätigt erhalten. Der Führer ist der Kommissar, wie ich ihn gesehen habe, ja in Linz sprach er von dem „Auftrage“, den er in seiner Jugend erhalten hat. – Lieber Freund, nicht meine Feder ist schlecht, sondern die Hand bebt mir, ich habe fast keinen Schlaf seit Tagen, ich bin ein Stück des brüllenden, erlöst umherziehenden Volkes, in einem einzigen, schlechten Anzug und mit kaum einem Groschen in der Tasche seit Monaten […] Ich grüße Sie mit  : Heil Hitler  !911

Gütersloh beendete seinen Brief mit einem Gedicht über den „13. März 1938 / zur / Befreiung Österreichs und Südtyrols“, in dem es um Virilität und deutsches Blut geht.912 Im Gegensatz zu Doderer dürfte Gütersloh Doderers Antwort darauf nicht behalten haben.

909 Aus einem Brief vom 25.6.1937 geht hervor, dass Gütersloh zum Amtswalter vorgeschlagen worden war. („Der Bezirksführer“ an „die Landesführung Wien der V.F. [Vaterländischen Front] – D.O. Referat“ vom 25.6.1937 – ÖStA/AdR, 02/BMI, Gauakt 49.307 zu Gütersloh, Albert, geb. 5.2.1887.) In einem Vordruck vom „Ortsgruppenleiter“ vom 9.6.1939 steht zu Gütersloh  : „VF-Amtswalter angeblich erzwungen“ und Mitglied vom „Heimatschutz“. („Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Gau Wien Kreisleitung I.“ an den „Ortsgruppenleiter“ vom 30.3.1939 – ebd.) 910 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 243f. 911 Brief von Gütersloh an Doderer vom 13.3.1938. (Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 132f.) 912 Vgl. ebd., S. 133. Die „Befreiung Südtyrols“ zeigt, dass Gütersloh die Position Hitlers zu Südtirol entweder nicht kannte oder ignorierte. Die Frage Südtirols hatte die österreichischen Nationalsozialisten gespalten  : Jene, die für Südtirol als Teil Österreichs kämpften und daher Position gegen Hitler bezogen, und jene, die Hitlers Position teilten, der 1922 mit Mussolini eine Übereinkunft getroffen hatte  : Vermutlich hatte Mussolini Hitler militärisch unterstützt und im Gegenzug den Verzicht auf Südtirol verlangt. Schon in einer Rede von Nov. 1922 und in Hitlers

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Doch schon bald wurde Gütersloh selbst Opfer des neuen Regimes  : Ende Juni 1938 musste er in Frühpension gehen. Seine Verbindungen zum „austrofaschistischen“ Regime schadeten ihm nun. In Salzburg konnte er nicht bleiben, da er sich mit seiner Vermieterin zerstritten hatte. Doderer bot ihm daraufhin an, seine Wohnung im 8. Bezirk in Wien in der Buchfeldgasse 6 zu teilen, wo er seit 2. September 1938 gemeldet war. Gütersloh nahm das Angebot an und schrieb am 14. September bereits aus der Buchfeldgasse einen pathetischen Brief an Doderer am Riegelhof in der Prein  : Nicht nur also, daß ich, wie nur allzu begreiflich, in meinem Vaterlande bleiben will, mir scheint auch, daß ich’s müßte, daß eben jene Volksgemeinschaft, die mich entbehren zu können glaubt, weil die olympische Luft, die die Undankbaren athmen [sic], von den Ahnen her noch vorhält, des neuen Odem schaffenden Flügelschlages noch einmal dringend bedürfen wird. Sie allein, lieber Freund, wissens […] daß ich weder Dichter noch Gelehrter, daß ich nur ein Mann mit einem Amt bin, dessen amtliche Mittel die literarischen sind, und dessen Amtsbezirk nicht die „Welt“ der liberalen Träume, sondern Deutschland ist.913

Die politische Beurteilung Güterslohs, die auf Anfrage des „Gau Wien, Kreisleitung I“ 1939 durchgeführt worden war, endete mit einer negativen Bewertung. Im maschinengeschriebenen mit 9. Juni 1939 datierten „Gesamturteil“ kam der „Kreisleiter“ zu folgendem Schluss  : „Amtswalter der VF [Vaterländischen Front], Einstellung vaterländisch, nicht einwandfrei und nicht zuverlässig.“ Und handschriftlich wurde hinzugefügt  : „Abzulehnen  ! 1918 kommunist. Richtung u. entartete Kunst  !“914 Wofür Gütersloh „abzulehnen“ war, ist nicht angegeben. Ob es um seinen ehemaligen Posten, um eine Aufnahme in die Reichskammer der bildenden Künste915 oder etwas anderes ging, geht

Mein Kampf wurde auf Südtirol als Teil Österreichs verzichtet. Allerdings wurde in österreichischen NS-Zeitungen der Verzicht Hitlers auf Südtirol als „Lüge der Juden“ dargestellt. (Vgl. Bruce F. Pauley  : Hitler and the Forgotten Nazis, S. 44f.) 913 Brief von Gütersloh an Doderer vom 14.9.1938. (Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh, Briefwechsel, S. 146f.) 914 „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Gau Wien Kreisleitung I.“ an den „Ortsgruppenleiter“ vom 30.3.1939. (ÖStA/AdR, 02/BMI, Gauakt 49.307 zu Gütersloh, Albert, geb. 5.2.1887.) Der „Staatskommissar“ beim Reichsstatthalter“ hatte schon 1938 eine Anfrage zur politischen Beurteilung gestellt. („Der Staatskommissar beim Reichsstatthalter“ an „die Gauleitung Wien der NSDAP“ vom 28.11.1938. – Ebd.) 915 „Der Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste, beim Landeskulturwalter, Gau

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aus dem Schreiben nicht hervor.916 Vom 9. Juni 1939 stammte ein weiteres Dokument, das die Situation für Gütersloh noch verschärfte  : „Mischling u. z. ist der Grossvater mütterl.seits Jude gewesen.“917 (In einem Brief von Juni 1941 an die „Hauptstelle politische Beurteilung“ hieß es, dass „Obgenannter Mischling II. [zweiten] Grades ist. Sein mütterlicher Grossvater Albert Kohlgruber, ist Jude.“918) Die Informationen wurden am 18. Februar 1940 an die Gestapo weitergeleitet.919 Dass Gütersloh als „Mischling“ eingestuft wurde, dürfte der ausschlaggebende Grund gewesen sein, ihn nicht in die Reichskammer der bildenden Künste aufzunehmen. Seine diesbezügliche Anfrage wurde am 6. August 1940 abgelehnt  : „Vierteljude“920 steht auf seiner Akte.921 Damit konnte er weder Wien“ erinnerte am 22.8.1939 die „Gauleitung Wien der NSDAP“ an seine Anfrage einer politischen Auskunft zu Gütersloh vom 6.4.1929 [sic – 1939]. Das ablehnende Urteil in Bezug auf Gütersloh wurde dem „Landesleiter“ am 14.10.1939 schriftlich mitgeteilt. (Ebd.) 916 Der Fragebogen war vom „Ortsgruppenleiter“ zu beantworten. Hier Beispiele für Fragen zur politischen Beurteilung  : „Mitglied der NSDAP“  : „nein“  ; „Mitglied eines angeschlossenen Verbandes“  : „NSV eingetreten am 10.2.39“  ; „Hat sich der Betreffende schon vor dem Umbruch für die NSDAP ausgesprochen  ?“  : „erst ja, dann nein“  ; „Beteiligt er sich am öffentlichen politischen Leben  ?“  : „nein“  ; „Ist er gebefreudig bei Sammlung [u.a.] der NSV“ „ja“  ; „Ist er Leser der NSPresse  ?“ „ja“  ; „(Sind die Kinder in der HJ  ?)“ „nein“  ; „Kauft er bei Juden ein  ?“ „unbekannt“  ; „Legt er ein asoziales Verhalten an den Tag  ?“ „Anfragen an die Kunstakademie“  ; „Zusätzliche Bemerkungen des Ortsgruppenleiters“  : „Nicht zuverlässig, war zwar früher bei SS [dieser vermutlich fälschliche Hinweis wird in keinem der weiteren Dokumente aufgenommen], dann aber vaterländischer Amtswalter. Pension 120 RM. Aus der Verbotszeit [der NSDAP in Österreich] ist hier fast nichts in Erfahrung zu bringen.“ („Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Gau Wien Kreisleitung I.“ an den „Ortsgruppenleiter“ vom 30.3.1939. – Ebd.) 917 „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Gau Wien Kreisleitung I Personalamt“ an „das Gaupersonalamt der NSDAP. in Wien.“ vom 9.6.1939. (Ebd.) 918 „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Gauleitung Wien“ an „die Hauptstelle politische Beurteilung“ vom 18.6.1941. (Ebd.) 919 Vgl. „Personalamt Polit. Beurteilung“ an „die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Wien“ vom 18.2.1940. (Ebd.) 920 Victor Klemperer schrieb am 10. April 1933 in sein Tagebuch  : „Man ist ,artfremd‘ bei fünfundzwanzig Prozent nichtarischen Blutes. ,Im Zweifelsfalle entscheidet der Sachverständige für Rassenforschung.‘“ (Victor Klemperer  : LTI. Notizbuch eines Philologen. 19. Aufl., Leipzig 2001, S. 44.) 921 In den Unterlagen der Reichskulturkammer [RK] ist bei Gütersloh Folgendes angegeben  : „RkdbK [Reichskammer der bildenden Künste] [/] BeKA 20122/27.10.39/72–3“, sein Name  : „Gütersloh Prof. Albert Konrad“, Adresse (Buchfeldgasse), Geburtsort und -datum sowie „Maler“ und „Vierteljude“  : „Im Juli 1938 als Lehrer der Wiener Kunstgewerbeschule in den Ruhestand versetzt. Beantragt Aufnahme in ob.Kammer [sic]. Antrag am 6. 8. 40 abgelehnt.

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als Maler noch als Schriftsteller arbeiten. Er wurde in der Kriegsindustrie als Arbeiter und Buchhalter zwangsverpflichtet.922 Die Nachforschungen zu seiner Person gingen weiter. Am 17. September 1941 drängte die Gestapo nach einer ersten Anfrage von April, die unbeantwortet geblieben war, das Gaupersonalamt zu einer „Stellungnahme“ zu Gütersloh.923 Die „Ortsgruppe“ hatte ihre Stellungnahme zu Gütersloh dem Gaupersonalamt bereits am 1. September 1941 mitgeteilt  : Das Verhältnis des Angefragten zu Staat und Partei ist ein gutes  ; er hat sich auch schon vor dem Umbruch für die NSDAP ausgesprochen. Er lebt in bescheidenen Verhältnissen, ist dennoch Mitgl. der NSV und gebefreudig bei Sammlungen. Da er charakterlich und politisch einwandfrei erscheint, wird er von uns befürwortet.924

Im Sammelakt Güterslohs im Staatsarchiv in Wien (die dort vorhandenen Erhebungen der NS-Behörden beschränken sich auf die Jahre 1938 bis 1941) liegen keine weiteren Dokumente auf, aus denen hervorginge, ob diese Bewertung für Gütersloh (positive) Folgen hatte. Gusti Hasterlik war zwar mit einigen von Doderers Freunden ebenfalls freundschaftlich verbunden und traf diese zeitweise auch ohne ihn, doch Gütersloh gehörte nicht dazu. Auch Paul Elbogen schätzte ihn nicht. In einem Brief an Gusti Hasterlik im Juni 1943 schrieb er in Anspielung auf dessen Künstlernamen „Paris“  : „Wo mag der Güthersloh [sic] sein  ? In Paris  ? Der Paris. Oder in Rom  ? Oder in der Höll  ?925 Doderer hatte die Antipathie seiner [Handschriftlich  :] L.O. JÜD. BUCHH. etc. RSK KORR. S. 71“. BArch (ehem. BDC), RK 2000/X0033, Gütersloh, Albert geb. 5.2.1887. (Für den handschriftlichen Hinweis konnte ich im BArch keine Erklärung finden.) 922 Vgl. Reinhold Treml  : „Einleitung“. In  : Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 40. 923 „Mit meinem Schreiben vom 9.4.1941 habe ich eine Abschrift der Niederschrift mit Gütersloh mit der Bitte um neuerliche Stellungnahme auf Grund der Angaben des Genannten überreicht.“ („Geheime Staatspolizei Staatspolizeileitstelle Wien“ an „die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, Gauleitung Wien – Gaupersonalamt“ vom 17.9.1941. – ÖStA/AdR, 02/BMI, Gauakt 49.307 zu Gütersloh, Albert, geb. 5.2.1887.) Die erwähnte „Niederschrift“ liegt im Archiv nicht auf. 924 „Der Ortsgruppenleiter“ und „Der Personalamtsleiter“ [unterschrieben] an „das Personalamt Kreis I der NSDAP“ vom 1.9.1941. (Ebd.) 925 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5059, 1943/06/09, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste].

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Ex-Ehefrau Gütersloh gegenüber 1935 erwähnt, in dem er rückblickend seiner Beziehung zu Gütersloh den Vorzug gab  : Es läge aber völlig ausserhalb meiner Möglichkeiten, einer Frau, und sei sie wer immer, irgendeinen geringsten Einfluss zu gewähren auf eine decidierte Relation, die mich mit einem anderen Manne verbindet. […] Ich lebte mit einer Frau zusammen, die wesentlich und wirklich Ihre Feindin war  ; und habe, was ich hier sage, längst unter Beweis gestellt.926

Nach Kriegsende erhielt Gütersloh wieder eine Stelle an der Akademie der Schönen Künste.927 Am 29. Mai 1947 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Da er am „30. Juni 1938 aus politischen Gründen in den zeitlichen Ruhestand versetzt worden war“,928 wurde ihm seine Pension für den Zeitraum des 13. März 1938 (Datum des Anschlusses) bis zu seiner Ernennung als ao. Professor angerechnet.929 Der von Reinhold Treml herausgegebene Briefwechsel von Doderer und Gütersloh erstreckt sich über 34 Jahre, von 1928 bis 1962. Der Tonfall ist förmlich, sie siezen sich, das Privatleben kommt kaum vor. Es sind vor allem Überlegungen zu literarischen, manchmal auch politischen Fragen. Der Briefwechsel endet nicht zufällig mit einem Brief Güterslohs vom 18. Oktober 1962, in dem er den Erhalt von Doderers Merowingern bestätigte und das Erscheinen seines Romans Sonne und Mond noch vor Weihnachten ankündigte mit dem Versprechen, ein Exemplar mit Widmung an Doderer zu schicken.930 Dieser Roman führte zum endgültigen Ende ihrer Freundschaft. Zuvor hatte Doderer Gütersloh noch für den Österreichischen Staatspreis für Literatur 1961 vorgeschlagen und sich damit für Güterslohs Freundschaftsdienst aus dem Jahr 1955 revanchiert.931

926 Briefentwurf von Doderer an Gütersloh vom 7.10.1935. (Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 91.) 927 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 343. 928 „Hurdes e.h.“ an „Herrn ao. Prof Albert Paris GUETERSLOH“, „Abschrift“ vom 7.5.1951. (ÖStA/AdR, 03/BMU, Personalakt 3/49 zu Gütersloh, Albert, geb. 5.2.1887.) 929 Vgl. ebd. 930 Vgl. Brief von Gütersloh an Doderer vom 18.10.1962. (Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 244.) 931 Vgl. Reinhold Treml  : „Einleitung“. In  : Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 62.

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Schon das Zusammenleben mit Doderer seit 1938 war Gütersloh schwergefallen. In seinen Aufzeichnungen aus den Jahren 1938 und 1939 für Sonne und Mond schrieb Gütersloh über die von Doderer inspirierte Romanfigur Ario­vist von Wissendrum  : Zur Naturgeschichte des Herrn von Wissendrum. […] Ich habe jetzt die sicher nicht herbeigesehnte Gelegenheit, neben dem Herrn v. W. zu wohnen. Er sagt  : dies sei eine große Freude für ihn. Ich meine, er meint  : es sei eine große Ehre für mich. […] Acht Tage lang ging er blasend, pfauchend, mit den Flügeln schlagend wie ein Dorfgänserich, auf Storchenfüßen und mit eingezogenem Magen um mich herum. Er schlug mir seine Gedanken im Schnellfeuer um die Ohren, daß mir taub wurde wie einem Haubenstock, aber eben nur taub. […] Ich habe selten einen solchen Schwätzer gesehen bzw. gehört  ; […] und er redet nie Beiläufiges – ach wie erquickend wäre das  ! – nie übers Wetter, über die Gesund[heit], über eine Blume, über das Lächeln eines unbekannten Mädchens, aber wenn ja, dann ist’s sicher das Wetter des Jüngsten Gerichts, die Gesundheit, die ihm eigen ist, eine Blume, die auf Seite soundsoviel seines Buches blüht oder das Lächeln eines bemerkenswerten Zustandes, den er in dem Mädchen verkörpert gesehen hat.932

Und 1955 schrieb Gütersloh über Doderer  : „Ein Freund, der mich, nach fast dreißig Jahren Freundschaft, nun verlassen wird oder schon verlassen hat, dessen Freund bin ich von Herzen her nie gewesen und das hat wieder einmal an den Tag kommen müssen“.933 Doderer war in seinen Aufzeichnungen diskreter, doch berichteten sowohl Marie-Louise Wydler als auch Dorothea Zeemann, dass er Gütersloh nicht mochte.934 Auch Doderer drückte die „Abneigung des Künstlers gegen die schöpferische Sphäre von seinesgleichen“ aus – allerdings erst nachdem er Sonne und Mond gelesen hatte.935 Zuvor erwähnte er Gütersloh mit Respekt in seinen Romanen und Tagebüchern, die er ihm zu lesen gab.936 932 Notizen zu „Sonne und Mond“, Folioheft, zit. nach Reinhold Treml, ebd., S. 65f. 933 Notizbuch 1955/56, Ende 1955, zit. nach Reinhold Treml, ebd., S. 69. 934 „,Ich mag ihn auch nicht‘, sagt er. ,Das ändert nichts an meinem Verhältnis zu ihm.‘“ (Doderer zit. nach Dorothea Zeemann  : Jungfrau und Reptil, S. 63.) Vgl. auch den Brief von Marie-­Louise Wydler (Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5417, 1956/10/14, Brief von Wydler-Reiter, Marie-Louise an HA [Hasterlik, Auguste].) 935 Vgl. Reinhold Treml  : „Einleitung“. In  : Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 67. 936 Vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 420 (31.3.1946).

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Gütersloh hatte 1935 an Sonne und Mond zu arbeiten begonnen.937 Als Doderer den 1962 erschienenen Roman las, erkannte er sich in der überaus unsympathisch gezeichneten Romanfigur des Schriftstellers Ariovist von Wissendrum. Die gesamte Familie Wissendrum wird darin als hässlich, lächerlich und auf ihren erst kürzlich erworbenen Adelstitel, wie betont wird, eingebildet beschrieben. Der „Germane“ Ariovist von Wissendrum und der „Jude“ Brombeer stehen sich in einer konfliktreichen Verhandlung gegenüber. Wissendrum wehrt sich gegen Adelsehers Absicht, „die Relicta seiner vierhundertjährigen rein germanischen Vergangenheit ausgerechnet einem Juden zu verkaufen“.938 In der Figur des Ariovist von Wissendrum karikierte Gütersloh Eigenheiten Doderers  : Herr von Wissendrum, wann immer angetroffen und womit immer berührt, läßt sofort einen dichten und disziplinierten Reigen von außerordentlich richtigen, oft auch sehr schönen Gedanken auftanzen, zu dem der Tschinellenklang seiner Stimme die erregende barbarische Musik macht. Nach dieser Musik schwingt er seinen häßlichen Körper wie den Schellenbaum hin und her […] Dem Mann ist es wirklich Ernst mit dem Ernste, er ist wirklich ergriffen, allerdings – und das ist der Pferdefuß seiner Metaphysik – von sich selbst.939

Heimito von Doderer gab dazu keine öffentliche Stellungnahme ab. In seinem Tagebuch schrieb er zwar 1963 vom „Proletarier“940 und meinte damit Albert Paris Gütersloh, doch blieb er sonst, sogar in seinen Tagebüchern, zurückhaltend  : „Ariovist von Wissendrum nennt er ihn, und auch ich könnte ihn so nennen. Gut gezeichnet, leider auch, unfair genug, deutlich be-zeichnet (als ,Bogenschütze‘).941 Man muss das quittieren.“942 937 Vgl. Wendelin Schmidt-Dengler  : Bruchlinien, S. 149. 938 Albert Paris Gütersloh  : Sonne und Mond. Ein historischer Roman aus der Gegenwart. München 1962, Zit. S. 681. Zu Ariovist von Wissendrum und seiner Familie siehe „Herrn Mullmanns Beobachtungen oder XI. Kapitel“, S. 679–724, u. „Das Gespräch auf der ,Laetitia‘ oder XIII. Kapitel“, S. 753–788. 939 Ebd., S. 713f. 940 Heimito von Doderer  : Commentarii 1957 bis 1966, S. 358f., Zit. S. 358 (31.1.1963). 941 Doderers Leidenschaft für das Bogenschießen war bekannt. Der Spiegel hatte von ihm ein Foto als Bogenschützen abgebildet. „Doderer. Der Spätzünder“. In  : Der Spiegel, Nr. 23, 11. Jahr (5.6.1957), S. 58. 942 Heimito von Doderer  : Commentarii 1957 bis 1966, S. 350 (21.12.1962). Zu diesem Thema vgl. auch seine Eintragungen S. 358f. (31.1.1963) u. S. 371 (23.5.1963).

Teil 2  : Doderers Werk im Wandel der Zeit  : antisemitische und nazistische ,Substrate‘

Heimito von Doderers Buchpublikationen zwischen 1930 und 1940 hatten wenig mit Politik und noch weniger mit seinen ideologischen – nazistischen und antisemitischen – Neigungen zu tun.943 Ich teile daher Martin Loew­Cadonnas politische Lesart von Doderers 1938 erschienenem Roman Ein Mord den jeder begeht nicht. Er will darin „antifaschistische Stiche“944 und „eine warnende Allegorie der Heraufkunft des Dritten Reiches“ 945 erkennen und vermutet „Winke zum Volks- und Völkermord der Nazis“.946 Er kommt zu folgendem Vergleich  : „Conrads Schwärmen für die tote Veik und für die Staffage ihrer Ermordung wird lesbar als Vorschau en miniature auf die von den Nazis so vehement betriebene Ästhetisierung des Sterbens und Tötens.“947 Meines Erachtens lässt sich nichts davon im Text finden, auch nicht zeitbedingt verborgen und daher verschlüsselt. Er schränkt allerdings am Ende des Kapitels seine vorherigen Aussagen ein und gibt Beispiele für Textpassagen, die sich wiederum „schollig und deutschtümlich“948 lesen. „,Doderers Apolizität‘“,949 er zitiert hier den Germanisten Claudio Magris, ist für Martin Loew-Cadonna nur ein „Klischee“.950 Andrew W. Barker sieht wiederum in Doderers 1931 fertiggestelltem, 1934 überarbeitetem und erst 1940 veröffentlichtem Roman Ein Umweg typische Elemente für „völkische Literatur“.951 Doch belegt er diese

943 „Substrate“ im Titel ist ein Begriff Doderers, den er in Briefen an Ivar Ivask und Hilde Spiel verwendete, um auf seine Beschäftigung mit dem Thema NS- und Kriegszeit in seiner Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ zu verweisen. (Siehe weiter unten  : „Unter schwarzen Sternen“, S. 291.) 944 Martin Loew-Cadonna  : Zug um Zug. Studien zu Heimito von Doderers Roman „Ein Mord den jeder begeht“. Wien 1991, S. 272. (Zu diesem Themenkreis siehe v. a. „Kapitel 4.7.2. Die Politik des psychologischen Mordes. Vom autoritären Charakter zum nationalsozialistischen Klima“, S. 266–288.) 945 Ebd., S. 286. 946 Ebd., S. 272. 947 Ebd., S. 270. 948 Ebd., S. 305–309, Zit. S. 309. 949 Ebd., S. 286. 950 Ebd. 951 Andrew W. Barker  : „Das Romanschaffen Heimito von Doderers im Bannkreis des Faschismus“.

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Interpretation kaum mit Beispielen  ; und die wenigen, wie etwa flachsblondes Haar oder die gescheiterte Assimilation des spanischen Adeligen Manuel Cuendias,952 sind nicht überzeugend. Seine Hauptthese für das ,Faschistische‘ am Umweg dürfte darin bestehen, dass Doderer in seinem „Roman aus dem österreichischen Barock“ keineswegs die Absicht hatte, aktuellen Problemen aus dem Weg zu gehen. In dieser Hinsicht erinnert Ein Umweg an die vielen faschistischen historischen Romane, in denen die Geschichte bloß als Funktion der Gegenwart zu betrachten war.953

Doch das Kriterium des Aktualitätsbezugs von historischen Romanen (Geschichte als Funktion der Gegenwart) beschränkt sich nicht auf faschistische und nationalsozialistische Romane – man denke an Mirko Jelusichs 1933 erschienenen Cromwell,954 nach Angaben des Verfassers eine kaum versteckte Biografie Hitlers955 –, sondern trifft auch auf antifaschistische Romane zu. So wurden Heinrich Manns 1935 und 1938 im Exil veröffentlichte Henri-QuatreRomane als antifaschistische Literatur gewürdigt.956 Die literarischen Werke, die Heimito von Doderer zwischen 1930 und 1945 veröffentlichte,957 sind Das Geheimnis des Reichs. Roman aus dem russischen Bürgerkrieg und Der Fall Gütersloh. Ein Schicksal und seine Deutung über den Maler und Schriftsteller Albert Paris Gütersloh (beide Wien 1930)  ; die Romane Ein Mord den jeder begeht (1938) und Ein Umweg (1940) wurden in München veröffentlicht. Dass im Geheimnis des Reichs eine Nebenfigur, ein grausamer und In  : Niederösterreichische Gesellschaft für Kunst und Kultur (Hg.)  : Internationales Symposion Heimito von Doderer. Ergebnisse. (4., 5. Oktober 1986 Prein/Rax, NÖ), Wien u. Wolkersdorf o. J. [1988], S. 15–27, hier S. 23. 952 Vgl. ebd. 953 Ebd. 954 Mirko Jelusich  : Cromwell. Roman. Wien u. Leipzig 1933. 955 Vgl. Klaus Amann  : Der Anschluß österreichischer Schriftsteller an das Dritte Reich, S. 65f. 956 Die Romane lassen sich als Kritik am Nationalsozialismus lesen, verweisen auf das Elend der Exilsituation und gehen mit der Beschreibung der Bartholomäusnacht über das Massaker an den Hugenotten in Paris hinaus. (Heinrich Mann  : Die Jugend des Königs Henri Quatre. Roman. Amsterdam 1935, u. Heinrich Mann  : Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Roman. Amsterdam 1938.) 957 Doderer veröffentlichte in dieser Zeit auch Zeitungsartikel u. theoretische Schriften  : Den letzten derartigen Beitrag „Der Aquädukt“ veröffentlichte er 1938, dann erst wieder nach dem Krieg. (Wendelin Schmidt-Dengler  : „Bibliographie“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 313–323, hier S. 317.)

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opportunistischer Wiener Offizier tschechischer Herkunft, der Unschuldige foltern und ermorden lässt, Blau heißt, was eine möglicherweise jüdische Herkunft der Figur nahelegen soll, dürfte allerdings kein Zufall sein.958 Ebenso gibt es im Mord den jeder begeht mit der Diskussion im Freundeskreis über die Notwendigkeit einer „Geheimpolizei“959 einen recht obskuren Abschnitt. Doderer schrieb in dieser Zeit auch Das letzte Abenteuer. Ein Ritter-Roman (1936) und den Roman Die erleuchteten Fenster oder Die Menschwerdung des Amtsrates Julius Zihal (1939), doch wurden diese Romane erst respektive 1953 und 1951 veröffentlicht. Warum diese Romane nicht nach ihrer Fertigstellung erschienen sind, ist ungeklärt. Thomas Zirnbauer vermutet im Fall der Erleuchteten Fenster, dass diese durch das Erscheinen des Umwegs (1940) verschoben wurden und eine Veröffentlichung zu Kriegszeiten letztendlich am Papiermangel scheiterte  ; dieser hatte auch die geplante zweite Auflage von Ein Mord den jeder begeht verhindert.960 Die letzte Buchpublikation vor 1930 war Doderers Roman Die Bresche. Ein Vorgang in vierundzwanzig Stunden (Wien 1924)  ; nach dem Erscheinen seines Romans Ein Umweg 1940 (1943 in französischer Übersetzung) wurde bis Kriegsende nichts mehr von Doderer veröffentlicht, was wohl einerseits auf den Papiermangel, der allerdings die als kriegswichtig eingestufte Literatur nicht betraf, andererseits auf Doderers Kriegseinsatz von 1940 bis 1945 zurückzuführen ist. Im Januar 1946 gab, wie schon erwähnt, das österreichische Unterrichtsministerium eine „Liste der gesperrten Autoren und Bücher“ heraus, auf der die Namen von Autoren und die Titel jener Schriften standen, „die eindeutig nationalsozialistische Ideologie enthielten oder der Kriegsverherrlichung, dem positiven Militarismus und der Förderung des Rassenhasses dienten, sowie alle Autoren, die bekannte Faschistenführer oder Kriegsverbrecher waren […]“.961 958 Zur Figur und zum Namen Blau vgl. Martin Voracek  : „Rand der Wissenschaft, Beginn des Magischen“. Eine literar-onomastische Studie zu den Figurennamen im Werk Heimito von Doderers, Dissertation, Universität Wien 1992, S. 158f. 959 Heimito von Doderer  : Ein Mord den jeder begeht, S. 201–221, Zit. S. 203. 960 Zur Veröffentlichungsgeschichte vgl. Thomas Zirnbauer  : „Lesen – Schreiben – Sprache. Poetologische Aspekte in Heimito von Doderers Roman Die erleuchteten Fenster“. In  : Stefan Winterstein (Hg.)  : „Er las nur dieses eine Buch.“ Studien zu Heimito von Doderers Die erleuchteten Fenster (Schriften der Heimito von Doderer-Gesellschaft  ; 5.). Würzburg 2009, S. 73–188, hier S. 80–90. 961 Dieter Stiefel verweist auf den Artikel „Die Literaturreinigung“ aus der Wiener Zeitung vom 20.12.1946 (Dieter Stiefel  : Entnazifizierung in Österreich, S. 239 u. S. 245, Fn. 7).

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Doderers Name scheint unter den 1606 Autoren, davon 46 österreichi­ schen,962 nicht auf. Die in den 1930er- und 1940er-Jahren geschriebenen und zum Teil erst nach dem Krieg veröffentlichten Werke wären für das von mir gewählte Thema über Antisemitismus und Nationalsozialismus in Doderers Werk kaum ergiebig. Doch wäre es unsinnig, allein daraus zu schließen, es sei ihm gelungen, seine damalige antisemitische und pro-nazistische Einstellung von seinem Schreiben zu trennen. Ein solcher Schluss würde angesichts seiner unveröffentlichten Schriften aus dieser Zeit sichtlich zu kurz greifen. Daher beschäftige ich mich hier auch mit bisher nicht veröffentlichten und kaum besprochenen Schriften Doderers aus den 1930er Jahren, die einen deutlichen Bezug zu seiner damaligen antisemitischen Haltung und seinen nazistischen Sympathien aufweisen. Der Schwerpunkt liegt dabei, schon allein wegen des großen Umfangs, auf seinem über 700 Seiten starken, aber selten besprochenen antisemitischen Romanprojekt „Die Dämonen der Ostmark“.963 Nach gravierenden Änderungen erschien der Roman 1956 unter dem Titel Die Dämonen964 als eines der Hauptwerke Doderers, das seinen Erfolg, nach seinem Durchbruch mit der Strudlhofstiege 1951, festigte und verstärkte. Es geht des Weiteren um veröffentlichte Schriften Doderers nach dem Krieg mit Bezug

962 Zählung nach Gerhard Renner  : „Entnazifizierung der Literatur“. In  : Sebastian Meissl, KlausDieter Mulley, Oliver Rathkolb (Hg.)  : Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne, S. 210. 963 Heimito von Doderers „Die Dämonen der Ostmark“ befinden sich unter dem Titel „RomanStudien“ I bis IV in der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) mit den Seriennummern 14.238, 14.239, 14.240 u. 14.184. Eine Veröffentlichung im Rahmen einer historisch-kritischen Ausgabe der Dämonen war geplant. Wendelin Schmidt-Dengler u. Gerald Sommer  : „Heimito von Doderer. Historisch-kritische Edition der ,Dämonen‘“. In  : Bernhard Fetz u. Klaus Kastberger (Hg.)  : Von der ersten zur letzten Hand. Theorie und Praxis der literarischen Edition. Wien u. Bozen 2000, S. 121–127. Erste aufschlussreiche Hinweise, die über das Aide mémoire hinausgehen, finden sich in Beiträgen von Gerald Sommer. Heimito von Doderer  : „Aide mémoire zu  : ,Die Dämonen der Ostmark‘. Herausgegeben und kommentiert von Gerald Sommer“ u. Gerald Sommer  : „In die ,Sackgasse‘ und wieder hinaus. Über den zur Romantendenz erhobenen Antisemitismus in Heimito von Doderers ,Aide mémoire‘. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften. Heimito von Doderers „Dämonen“ vom Zentrum und vom Rande aus betrachtet. Würzburg 2001(Schriften der Heimito von Doderer-Gesellschaft  ; 3) resp. S. 39–72 u. 73–86. Auf die Interpretationen der „Dämonen der Ostmark“ von Anton Reininger und Andrew W. Barker, die ich nicht teile, wird weiter unten eingegangen, resp. „Die Dämonen der Ostmark“, ein antisemitisches Romanprojekt  : Die „Unsrigen“, S. 235-238  ; Der Wandel 1940  : „Auf offener Strecke“, S. 265–275. 964 Heimito von Doderer  : Die Dämonen. Nach der Chronik des Sektionsrates Geyrenhoff. Roman. [1956] München 1995.

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auf die NS-Zeit  : Sein „barbarischer Irrtum“,965 wie Doderer es nannte, beschäftigte ihn nach dem Krieg, auch wenn sein 1947 veröffentlichter Essay „Von der Unschuld im Indirekten“966 und sein 1948/1951 verfasster und 1970 posthum veröffentlichter Traktat „Sexualität und totaler Staat“967 weder eine direkte, konkrete Auseinandersetzung mit der NS-Zeit noch eine (selbst)kritische Beschäftigung mit seinem oder Österreichs ,barbarischem Irrtum‘ sind. Abschließend wird es um seine erstmals 1963 erschienene Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ gehen,968 die man trotz genauer Ort- und Zeitangabe – Wien Ende 1943 – und trotz der Wahl der Figuren – Offiziere, ein SS-Mitglied, ein hoher Beamter und verfolgte Juden – schwerlich als realistische Erzählung lesen kann. Denn was hier womöglich als typisch für die „einigermaßen intelligenten Bevölkerungskreise“969 von Wien gezeigt werden soll, nämlich das Entstehen von „echten Notgemeinschaften“970 im geselligen Zusammentreffen in einer Privatwohnung von einem SS-Mitglied, Offizieren der Wehrmacht, Zivilpersonen und versteckt lebenden Juden, ist, wenn überhaupt in der Form möglich, dann als Ausnahmeerscheinung anzusehen. Weitere historische Unwahrscheinlichkeiten, auf die noch einzugehen sein wird, weisen darauf hin, dass es Doderer in dieser Erzählung nicht um eine wirklichkeitsgetreue Darstellung der NS-Zeit, sondern um etwas anderes gehen musste.

965 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 443 (5.5.1946). 966 Heimito von Doderer  : „Von der Unschuld im Indirekten. Zum 60. Geburtstag Albert P. Güterslohs“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen. Aufsätze/Traktate/Reden. [1970] Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler, Vorwort v. Wolfgang H. Fleischer. 2. durchgesehene Aufl., München 1996, S. 275–398. Der Beitrag erschien erstmals in Otto Basils Zeitschrift Plan unter dem Pseudonym René Stangeler. 967 Heimito von Doderer  : „Sexualität und totaler Staat“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 275–398. 968 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. [1963] In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen. Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler. München 1995, S. 464–485. 969 Ebd., S. 470. 970 Ebd.

I. „Die Dämonen der Ostmark“ Doderer hatte – bis zum Erscheinen des Romans 1956 unter dem Titel Die Dämonen – den Arbeitstitel seines Romanprojekts mehrmals geändert  : „Chronique scandaleuse“ nannte Doderer es erstmals im Sommer 1929,971 unmittelbar gefolgt von „DD“ was zunächst für „Dicke Damen“ und später für Die Dämonen stand.972 Im Zentrum des Romans sollte zunächst die von reifen, korpulenten, jüdischen Frauen besessene Romanfigur René von Stangeler stehen.973 Im weiteren Verlauf der Romangenese wird René von Stangeler von der Figur des Kajetan von Schlaggenberg abgelöst, bei beiden Romanfiguren handelt es sich im Übrigen um Alter Egos des Autors in verschiedenen Lebensphasen. Doderer selbst datierte den Beginn seines Romans erst mit dem Jahreswechsel 1930/1931, doch könnte man diesen auch bereits in jener Zeit des Jahres 1929 verorten, als Doderer eine Liste der als „Mottenschwarm“ bezeichneten Romanfiguren erstellte.974 Auch seine damalige Freundin und spätere Frau Gusti Hasterlik muss von diesem Projekt gewusst haben, denn im August 1929 schrieb sie ihm  : „Ich weiss wunderbaren neuen Tratsch für die D. D. [Dicke Damen], sehr gut zu gebrauchen, wir werden inserieren, wenn ich zurückkomme, ich verspreche mir da allerhand.“975 Am 17. November 1929 erschien Doderers Inserat in der Neuen Freien Presse  : Junger Doktor aus guter Familie, finanziell unabhängig, tadellose Erscheinung, sucht Anschluß an ca. 40 jährige distinguierte israelitische Dame (Wienerin) von nur sehr starker korpulenter größerer Figur und schwarzem Haar. Strengste Diskretion. Unter „Neue Jugend Nr. 47302“ an das Ankündigungs-Büro des Blattes 47302.976 971 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 208. 972 Vgl. Elizabeth Hesson  : Twentieth Century Odyssey, S. 22. („Dicke Damen“ ist der Titel des ersten Kapitels des dritten Teils in  : Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 851–861.) 973 Vgl. das 2007 erstmals veröffentlichte Fragment von Heimito von Doderer  : „Chronique Scandaleuse oder René und die dicken Damen“ (der Titel wurde von den Editoren Gerald Sommer und Martin Brinkmann gewählt) u. Gerald Sommer  : „Doderer, dicke Damen und ,Dämonen‘“. In  : Krachkultur, Ausgabe 11/2007, resp. S. 94–112 u. 127–132. 974 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 208. 975 Brief von Gusti Hasterlik an Doderer vom 24.8.1929, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 208. (Vgl. auch  : „Gusti II, 1927–31“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie.) 976 Zit. nach Elizabeth Hesson  : Twentieth Century Odyssey, S. 21 u. S. 12, Fn. 4.

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1932 schenkte Gusti Hasterlik Doderer Dostojewskis Dämonen mit der Widmung „Heimerl zum Geburtstag 1932“ (in ihrer Handschrift, wenn auch nicht unterschrieben). Darunter findet sich in Doderers Handschrift der Eintrag „Eigentum von Heimito von Doderer“.977 Am 20. März 1933 scheint das Romanprojekt unter dem Titel „Dämonen I“, am 19. Juli 1933 dagegen unter dem Titel „Die Dämonen der Ostmark“ auf.978 Letztendlich sollte er nicht nur den Titel von Dostojewskis Roman Die Dämonen übernehmen, sondern auch Thematisches, wie die Verurteilung revolutionärer Anschauungen, Dokumente mit enthüllender Funktion, mehrere gewaltsam zu Tode gekommene Figuren, die Brandlegung, ähnliche Konstellationen bei Paaren, die Thematisierung der Sprache bestimmter Figuren, Begebenheiten, die von einem Chronisten in der ersten Person erzählt werden (was nicht bis zum Ende beibehalten wird) und das Namenskürzel des Chronisten, „G-ff “, ebenso wie die Bezeichnung des Freundeskreises als „die Unsrigen“.979 In den 1960er-Jahren lehnte Doderer es allerdings ab, Dostojewski als „erstrebenswertes literarisches Vorbild“ zu sehen, und schrieb  : „Es gehört hierher, daß die Kritik eine intensive Beziehung zwischen Dostojewski und mir nie festgestellt hat. Ich wollte lediglich ein analoges Substrat auf gänzlich andere Weise bewältigen […].“980 Bei seinem Vergleich von Doderers „Dämonen der Ostmark“ mit Dostojewskis Dämonen kommt Éric Chevrel zu dem Schluss, dass das Manuskript von Doderer als eine nazistisch-österreichische Variante von Dostojewskis Roman verstanden werden kann. Allerdings mit einer entscheidenden Akzentverschiebung  : nicht mehr die Radikalen, Nihilisten und ihre liberalen Väter sollen an den Pranger gestellt wer-

977 Es handelt sich dabei um den ersten Band von F. M. Dostojewski  : Die Dämonen. Hg. von Moeller van den Bruck. München 1921. (Dieses Buch hatte nach Gusti Hasterliks Tod Giulia Hine, die es Othmar Hanak schenkte. Othmar Hanak danke ich für die Zusendung der Kopien der von Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer beschriebenen Seiten.) 978 Vgl. Elizabeth Hesson  : Twentieth Century Odyssey, S. 24. 979 Vgl. Éric Chevrel  : Die Dämonen. Doderer und der Fall Dostojewskij(s). In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 141–168, hier S. 152–155 und 158–162. In seinem Beitrag geht Éric Chevrel näher auf diese Gemeinsamkeiten (und Unterschiede) ein. 980 Doderer in einem wahrscheinlich 1965 verfassten Schreiben an das ZDF, das ihn zu einer Sendung über Dostojewski eingeladen hatte. Éric Chevrel zitiert einen längeren Ausschnitt dieses Briefes. (Ebd., S. 142.)

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den, sondern – die Juden, wobei Doderer es nicht nötig hatte, sich von Dostojewskis eigenem Antisemitismus beeinflussen zu lassen […].981

Die „liberalen Väter“ werden allerdings auch in den „Dämonen der Ostmark“ kritisiert, vor allem unter einem antisemitischen Gesichtspunkt.982 Den politischen Gehalt seines Romans legte Doderer im Juni 1932 dem Diederichs Verlag dar  : „[E]in großer Zeitroman, der das sozusagen ,unterirdische‘ Werden eines neuen Deutschland, welches jetzt schon im Tagbau erfasst werden kann, in seiner Vorgeschichte gestalten will […]“.983 Man kann auf Grundlage des bisher Gesagten wohl annehmen, dass das „neue Deutschland“ für ein nationalsozialistisches Deutschland stehen soll.

1. Doderers „Aide mémoire“ als Inhaltsangabe des Romanprojekts Heimito von Doderer schrieb ein „Aide mémoire“, so seine Bezeichnung, das er in seinem Notizheft 1953 mit dem Jahr 1934 datierte  : „DD Material. Aide mémoire 1934“.984 Man könnte es als romanhafte Inhaltsangabe der zum Teil schon geschriebenen, zum Teil noch geplanten Kapitel der „Dämonen der Ostmark“ beschreiben. Dieses „Aide mémoire“, dessen vollständiger Titel „Aide mémoire zu  : Die Dämonen der Ostmark“ lautete, wobei „der Ostmark“ durch (späteres) Abschneiden des Seitenrandes wegfiel,985 ist in der Form von drei Briefen geschrieben, die jeweils mit „Lieber Fritz  !“ beginnen. Die Briefe sind in der ersten Person verfasst, die aber nicht Doderer, sondern einem IchErzähler entspricht, der in direktem Kontakt zu den Romanfiguren und dem 981 Ebd., S. 151f. 982 Siehe weiter unten  : „Die Dämonen der Ostmark“, ein antisemitisches Romanprojekt  : Die Sünden der Väter, S. 262–264. 983 Briefentwurf von Doderer an Dr. Eugen Bergmann. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920– 1939, Bd. I. S. 495 („ab am 3/4. Juni 32 von Prein“). 984 Zit. nach Elizabeth Hesson  : Twentieth Century Odyssey, S. 25. Im Aide-Mémoire gibt es Hinzufügungen und Streichungen  ; Korrekturen mit der Schreibmaschine, die vermutlich unmittelbar nach der Niederschrift gemacht wurden, und handschriftliche Korrekturen, die 1939 und 1953 hinzugefügt wurden, möglicherweise aber auch zu anderen Zeitpunkten. Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 39. 985 Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 57.

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Romangeschehen steht. Unklar ist, ob sich diese Briefe tatsächlich an „Fritz“ richteten oder ob sie Doderer nicht vielmehr als Gedächtnisstütze und Orientierungshilfe dienen sollten. Für die zweite Hypothese spricht der für einen Brief ungewöhnliche Inhalt, da das „ich“ des Briefs eine Romanfigur ist.986 Der „Fritz“, an den diese Briefe gerichtet sind, ist wohl Fritz Feldner, ein Werbetexter und Freund Doderers.987 In seinem Tagebuch erwähnt Doderer dessen mögliche Teilnahme an der Konzeption eines Teils des Romans, wobei er an dieser Stelle aber den Namen der von Feldner inspirierten Romanfigur (Höpfner) verwendet.988 Ob jenem das „Aide mémoire“ bekannt war, ob er diese Briefe oder Scheinbriefe jemals bekommen hat, ist unbekannt. Es wäre zumindest überraschend, da das „Aide mémoire“ offen antisemitisch ist, was der Haltung des realen Fritz Feldner ebenso widersprochen haben dürfte wie der der Romanfigur Robert Höpfner, für die der Antisemitismus der anderen völlig unverständlich ist. Im Gegensatz zu anderen Figuren (auch den von Doderer inspirierten) spielt es für Höpfner keine Rolle, ob jemand Jude ist oder nicht, er fühlt sich, wiederum im Gegensatz zu den anderen Nichtjuden, in Gesellschaft aller wohl.989 Fritz Feldner sei, so betonte Marie-Louise Wydler 1946 kurz nach ihrer Rückkehr aus dem Schweizer Exil nach Wien, nie ein Nazi gewesen, was sie aus seiner Haltung, seinen Gedanken und Handlungen schloss.990 Fritz Feldner beschrieb sich selbst in einem Brief aus dem Jahr 1951 an Hilde Spiel als jemanden, „der den Nazismus seit eh und je bestens gehaßt hat […]“.991 In diesem Brief wollte er Hilde Spiel vom frühen Bruch Doderers mit dem Nationalsozialismus überzeugen. Auffallend ist dabei, dass fast alles, was er 986 Gerald Sommer bezweifelt ebenfalls, dass es sich um Briefe handelt (vgl. ebd., S. 73). 987 Vgl. ebd., S. 73f. 988 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. II, S. 714 (30.5.1935) u. S. 720 (21.6.1935). Laut Gerald Sommer handelt es sich um das Kapitel „Der Eintopf “. Gerald Sommer  : „In die ,Sackgasse‘ und wieder hinaus“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 73f., Fn. 2. 989 Vgl. Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“ [zu „Die Dämonen der Ostmark“, Kapitel 14–17], Ser. n. 14.240 d. ÖNB, S. 587. 990 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, Florida State University (FSU) – http  ://www.fsu.edu/~ww2/Hine/hine_collection.htm – Collection of Letters, item 3182, 1946/02/02, Brief von Wydler, Marie-Louise an HA [Hasterlik, Auguste] – zitiert weiter oben  : Erinnerung und Verdrängung  : ,die nichtjüdischen jüdischen‘ Freunde Doderers  : Marie-Louise Spitzer (Wydler, Reiter), S. 188. 991 Brief von Fritz Feldner an Hilde Spiel vom 2.6.1951 („Briefe“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien; Kopie).

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darüber schreibt, falsch ist. War dies unbeabsichtigt und nicht wider besseres Wissen, dann konnte er das „Aide mémoire“ nicht gekannt haben. Fritz Feldner schrieb, dass Heimito von Doderer zwar NS-Sympathisant gewesen sei, sich aber „lange vor“ der „Machtergreifung“ Hitlers im Januar 1933 vom Nazismus abgewandt und sich 1938 gegen einen Anschluss ausgesprochen hätte. Die Aussagen von Fritz Feldner stehen ebenso im Widerspruch zu Doderers NSDAP-Beitritt 1933 wie zu Doderers eigener Aussage, der seinen Bruch mit dem Nationalsozialismus mit Anfang 1937 datierte, und nicht zuletzt im Widerspruch mit seiner Arbeit an seinem antisemitischen Romanprojekt „Die Dämonen der Ostmark“. Im folgenden Ausschnitt aus dem Brief Fritz Feldners ist nur der Anfang richtig  : Heimito Doderer war von den nationalsozialistischen Ideen zweifellos stark beeindruckt und hat – ohne daraus ein Hehl zu machen mit ihnen sympathisiert – freilich zu einer Zeit, da der Werwolf noch in einem blühweißen [sic] Schafspelz am politischen Horizont erschien, also lange vor 1933. […] Schon vor der „Machtergreifung“ im Jahre 1933 erkannte er die Hohlheit, die Verlogenheit und das Verbrecherische dieser völlig ungeistigen Proletenfigur.992

Fritz Feldner dürfte allerdings bewusst Doderers „Militärdienstzeit, vor al­­lem in den besetzten französischen Gebieten“ erwähnt haben, wo er „seine Mensch­lichkeit exerzierte“,993 während er Doderers Einsatz in der Sowjet­ union unerwähnt ließ. Auch wenn es Fritz Feldner nicht gelungen sein sollte, Hilde Spiel mit seiner „Apologie“, wie sie schrieb, zu überzeugen, so war dies, laut Hilde Spiel, doch Doderers Strudlhofstiege geglückt  : Im Übrigen hätte ich ihm wohl auch verziehen, wenn er Schlimmeres getan hätte. Verzeihen müssen. Denn sein Buch geht mir in einer Weise nahe, wie noch nie eines, einfach weil es auf das Diffizilste wachruft, was mir das Wichtigste im Leben ist  : Erbgut und Kindheit in Wien. […] Was mich betrifft, so kann ich nur sagen, dass ich, so oft ich kann, Gutes über Doderer schreiben werde. Und damit hab ich auch schon angefangen.994

992 Ebd. 993 Ebd. 994 Brief von Hilde Spiel an Fritz Feldner vom 13.6.1951 („Briefe“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie). Die Umlautschreibung wurde korrigiert.

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Marie-Louise gesch. Wydler verh. Reiter schilderte Fritz Feldner als bedingungslosen Freund Doderers. In einem Brief vom September 1956 an den im US-Exil gebliebenen Schriftsteller und ehemaligen Doderer-Freund Paul Elbogen beschreibt sie die vom PEN-Club in Wien zu Doderers 60. Geburtstag und dem Erscheinen der Dämonen organisierten Feierlichkeiten und kommentierte dabei die unverbrüchliche Freundschaft Feldners für Doderer  : „Sie haben wirklich recht  : Fritz Feldner ist alles eher als ein Todl [sic] ausser man sieht seine immerwährende und zu allem bereite Freundschaft als Beweis für ein ,Blödsein‘ an  ! – Die hat er wieder einmal rührend bewiesen, als das Fest für Heimito gefeiert wurde.“995 Die Themen des „Aide mémoire“  : ,Rassisches Unglück und geistige Gefährdung‘ In seinem „Aide mémoire“ bezeichnet Doderer als Hauptthema des Romans „die Zerlegung der Gesellschaft durch die Entscheidung jenes – fälschlich ein ,Problem‘ genannten – Komplexes, den man gemeinhin mit dem Worte Judenfrage zu bezeichnen pflegt, obgleich es sich da, weiss Gott, auch um eine Reihe von Menschen handelt, bei denen sich nicht ein einziger Tropfen jüdischen Blutes nach-weisen [sic] liesse.“996 Unter „Zerlegung der Gesellschaft“ verstand Doderer die für ihn zu diesem Zeitpunkt als notwendig erachtete Trennung der Juden von den Nichtjuden. Diese Trennung sollte auf allen Ebenen stattfinden  : privat, gesellschaftlich und beruflich. So wird er es 1936 in seiner Beschreibung der „Dämonen der Ostmark“ noch ausführen.997 Dass es sich bei den Juden auch „um eine Reihe von Menschen“ handle, „bei denen sich nicht ein einziger Tropfen jüdischen Blutes“ nachweisen ließe, oder, anders ausgedrückt, dass „Arier“ zu „Juden“ werden können (aber wohl nicht umgekehrt), blieb in den mehr als 700 Seiten seines Romanprojekts allerdings ohne Folgen  : Denn alle „Juden“ in den „Dämonen der Ostmark“ sind auch jüdischer Herkunft. Sie unterscheiden sich von den nichtjüdischen Romanfiguren durch ihre ,rassische‘ Zugehörigkeit und ihre „Geistesart“. So scheitert etwa die Beziehung zwischen dem von Do995 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5307, 1956/09/27, Brief von Wydler-Reiter, Marie-Louise an Elbogen, Paul. (Paul Elbogen schickte diesen Brief an Gusti Hasterlik weiter.) 996 Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 48. 997 Siehe weiter unten  : „Die Dämonen der Ostmark“  : Doderers Darstellung der „Dämonen der Ostmark“ 1936, S. 224–228.

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derer inspirierten nichtjüdischen Kajetan von Schlaggenberg und seiner von Gusti Hasterlik inspirierten jüdischen Frau Camy Schedik infolge ihrer „Rassenkluft“.998 Und wenn Kajetan von Schlaggenberg sich bemüht, das ebenfalls von Heimito von Doderer und Gusti Hasterlik inspirierte Paar René von Stangeler und Grete Siebenschein, Letztere aus „jüdisch-kleinbürgerliche[m] Milieu“,999 zu trennen, dann deshalb, weil er weiß, dass ihre Beziehung wegen „grundverschiedener Rassen- und Geistesart“1000 zum Scheitern verurteilt ist. Im ersten Teil des Romans geht es um den Investor Levielle, den Geschäftsmann Lasch und den Bankier Altschul, die für den im „Aide mémoire“ angekündigten, im Romanprojekt aber nicht mehr ausgeführten Zusammenbruch der großen Bank – es geht dabei um die Creditanstalt – verantwortlich sind.1001 Dass alle drei Juden sind, geht aus dem „Aide mémoire“ klar hervor. Ursprünglich ,Haus-Jude‘1002 der Familie von Schlaggenberg hat es Levielle schon bald zum Vermögensverwalter des schwerreichen (nichtjüdischen) Rittmeisters Ruthmayr gebracht. Auch nach dessen Tod verbleibt er in dieser Rolle (nun im Dienste von dessen Witwe Friederike). Diese Stellung (und die mit einem großen Vermögen verbundene Investiv-Macht) soll ihm auch seine leitende Position im Zeitungskonzern „Allianz“ eingebracht haben. Levielle verhindert, dass (der ebenfalls nichtjüdischen) Charlotte von Schlaggenberg, genannt Quapp, der Anteil des Vermögens Ruthmayrs, der ihr rechtlich zustehen würde, von dem sie aber nichts weiß, ausbezahlt wird.1003 Von Cornel Lasch und Levielle und ihren undurchsichtigen Geschäften (sie benutzen zunächst Altschuls Position als Bankdirektor für ihre Zwecke und lassen ihn dann fallen) heißt es, unter Verwendung des negativ jüdisch besetzten Begriffs, sie würden „mauscheln“.1004

  998 Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 46f., Zit. S. 46.   999 Ebd., S. 44. 1000 Ebd. 1001 Vgl. ebd., S. 43, 52 u. 54. Es geht dabei um einen Gerichtsprozess, in den die drei Romanfiguren verwickelt sind (S. 41f.). Dieser Prozess kommt weder in den „Dämonen der Ostmark“ noch in den Dämonen vor. Gerald Sommer weist auf Themen im „Aide mémoire“ hin, die in keine der beiden Versionen des Romans übernommen wurden. Gerald Sommer  : „In die ,Sackgasse‘ und wieder hinaus“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 73–86. 1002 Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 42. 1003 Vgl. ebd., S. 43. 1004 Ebd., S. 44f.

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Altschul, der Bankdirektor der Creditanstalt, ist „ein Frankfurter Jude, ein naturalisierter Oesterreicher und ein ausgezeichnet aussehender und anständiger Mann“.1005 René von Stangeler, der sich, als Levielle und Lasch ihre Geschäfte besprechen, ohne deren Wissen schlafend im selben Zimmer befindet, schnappt ein paar Worte der beiden auf. Mit seiner „hohen Fistelstimme“1006 dringt Levielle in Renés Traum, der damit zu einem Albtraum wird, zu einem „Gemisch aus rassischem Unglück und geistiger Gefährdung […]“.1007 In diesem ersten Teil des Romans erfährt man auch, warum die Ehe von Kajetan von Schlaggenberg und Camy Schedik scheitern musste, und von den Folgen dieses Scheiterns auf Kajetan. Dieser konstruiert sich eine Ideologie vom „Regress auf die Pubertätserotik“,1008 die er nicht auf sich selbst beschränkt, sondern auf junge Männer insgesamt ausweitet. Er strebt die Verbindung zwischen jungen Männern und „reifen Frauen“ an, denn bei diesen würden die Männer das „gelobte Land“ finden  ; bei den „reifen, starken, üppigen Weiber[n]“, den „,dicken Damen‘“,1009 die ihre „weiblichen Aufgaben“1010 (gemeint ist, Kinder zu bekommen) bereits erfüllt haben und daher nicht mehr unbedingt geheiratet werden wollen. Der Briefschreiber des „Aide mémoire“ erklärt, dass er mit der Niederschrift des Romans am Ende dieses ersten Teils angelangt ist.1011 Im angekündigten zweiten Teil mit dem Titel „,Dicke Damen oder die grosse chronique scandaleuse‘“1012 soll es um den von jüdischen Frauen besessenen Schlaggenberg gehen  : Nun aber stellt dem guten Schlaggenberg dabei die merkwürdige Neigung vieler Arier für das jüdische Weib ein belustigendes Bein. Um mich kurz zu fassen, sage ich  : er gerät im zweiten Teil ins Judentum, dort, wo es am dicksten, und – wort wörtlich [sic] genommen, – am feistesten ist und siehe da, am Ende auf einem weiten Umwege und unversehens mitten in die Siebenschein’sche Verwandtschaft.1013

1005 Ebd., S. 42. 1006 Ebd., S. 45. 1007 Ebd. 1008 Ebd., S. 47. 1009 Ebd. 1010 Ebd. 1011 Vgl. ebd., S. 48. 1012 Ebd., S. 46. 1013 Ebd., S. 47. (Hervorhebung im Original.)

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Die sexuelle Anziehung Schlaggenbergs für jüdische, korpulente Frauen, die älter sind als er, wird durch die Wortwahl des Erzählers und durch Schlaggenbergs Einstellung selbst als etwas Abstoßendes dargestellt  : „[W]ir sehen unseren Kajetan in den Kapiteln ,Fleisch mit Augen‘ und ,Die Idiotenhölle‘, immer von seiner tollen Ideologie geführt, bis in den untersten Bauch der Sauerei steigen“1014 und  : „Schlaggenberg, der in diese Kreise des Café Siller insoferne eingedrungen ist, als er in einige üppige orientalische [gemeint sind damit jüdische] Betten fand und im untersten Grund der Schweinerei, sozusagen in der Dreckhölle selbst, angelangt ist […]“.1015 Als Schlaggenberg nach diesen sexuellen Erfahrungen zu einem Empfang bei der zwar korpulenten,1016 aber nichtjüdischen Friederike Ruthmayr eingeladen wird, fühlen sich beide voneinander angezogen. Trotzdem beschließt Schlaggenberg, auf sie zu verzichten (stattdessen will er aus Friederike und René ein Paar machen1017)  : „Er steht da, voll Ekel nach den Erlebnissen der Chronique Scandaleuse, welche ihm diejenigen Organe, mit denen er eine Friederike Ruthmayr hätte erfassen können, verschmutzt hat.“1018 Im angekündigten dritten Teil soll das im ersten Teil eingeführte Thema der „Zerlegung der Gesellschaft“1019 seinen Höhepunkt erreichen. Diese „Zerlegung“ wird anhand eines Freundeskreises, genannt die „Unsrigen“, vorgeführt. „Zerlegung der Gesellschaft“ bedeutet für die nichtjüdischen „Unsrigen“, insbesondere für Kajetan von Schlaggenberg, Otto von Eulenfeld, Rechtsanwalt Körger und Geza von Orkay,1020 die vehement betriebene „Ausscheidung aller wesensfremden Elemente aus jenem Kreis“  ; gemeint sind damit die „Juden“  :1021 Diesen Druck hat neben Grete Siebenschein, dem Studenten Neuberg, einer gewissen Frau Glöckner (sämtlich Juden) in mehr indirekter Form auch ein Element wie Gyurkicz zu spüren, dessen schlecht verhüllte Abkunft jeder kennt […]. 1014 Ebd., S. 49. 1015 Ebd., S. 48. 1016 Diese Beschreibung ist nicht dem „Aide mémoire“, sondern den „Dämonen der Ostmark“ entnommen. (Heimito von Doderer  : „Roman-Studien I“ [zu „Die Dämonen der Ostmark“, Kapitel 1–8], Ser. n. 14.238 d. ÖNB, S. 17f.) 1017 Vgl. Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 51. 1018 Ebd., S. 55. (Hervorhebung im Original.) 1019 Ebd., S. 48. (Hervorhebung im Original.) 1020 Körger heißt im „Aide mémoire“ Körber, während Geza von Orkay noch namenlos ist und als ungarischer Adeliger eingeführt wird (ebd., S. 52). 1021 Ebd.

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Wir haben in ihm auch einen wesentlichen Vertreter der „Allianz“ [dem von Juden dominierten Zeitungskonzern] zu erblicken, worin uns seine gern und oft geführten antisemitischen Reden in keiner Weise beirren dürfen.1022

Die „gemischten“ (jüdisch-nichtjüdischen) Paare trennen sich  : Camy und Kajetan von Schlaggenberg, die wieder zueinandergefunden hatten, gehen endgültig auseinander,1023 ebenso Grete Siebenschein – „rassisches Minderwertigkeitsgefühl“1024 kennzeichnet sie – und René von Stangeler. Grete Siebenschein, die als „eine der sympathischsten Figuren des ganzen Kreises“1025 bezeichnet wird, beginnt eine Beziehung mit Hans Neuberg, der – wie sie – jüdischer Herkunft ist. Zuvor trennen sich Hans Neuberg und die nichtjüdische Angelika Trapp, weil sie „wesensfremd“1026 sind. Angelika Trapp heiratet den nichtjüdischen Geschäftsmann Dulnik und entspricht somit „gut bürgerlich“ der „gottgewollten Rassenkluft“.1027 Die Beziehung zwischen dem sich (als jüdisch) ,entlarvenden‘ Gyurkicz und der nichtjüdischen Quapp wird ebenfalls beendet.1028 Die dunklen Geschäfte des Finanzberaters Levielle werden aufgedeckt, auf weitere Intrigen wird hingewiesen, doch der Brand des Justizpalastes 1927, der in den Dämonen so eine wichtige Rolle spielt, wird im „Aide mémoire“ nur zweimal erwähnt.1029 Im dritten Teil werden die „Unsrigen“ zu einem Kreis, der „wirklich geschlossen und frei von allen wesensfremden Elementen“ ist.1030 Sie gruppieren sich um den von Albert Paris Gütersloh inspirierten „Lehrer“ Kajetans  : „Dieser Mann bildet sozusagen den sinnbildlichen Mittelpunkt für den jetzt neuen, gereinigten Kreis, dessen spirituelle Stellungnahme sich eben in diesem einen Mann am stärksten verkörpert hat.“1031 Als Doderer das schrieb, wusste er wohl noch nichts von Güterlohs Großvater jüdischer Herkunft  ; 1939 war Gütersloh von den NS-Behörden als „Mischling II. Grades“

1022 Ebd. 1023 Ebd., S. 55. 1024 Ebd., S. 51. 1025 Ebd., S. 54. (Diese Stelle wurde im „Aide mémoire“ gestrichen.) 1026 Ebd. 1027 Ebd., S. 55. 1028 Vgl. ebd., S. 54. 1029 Vgl. ebd., S. 48f. 1030 Ebd., S. 56. (Diese Stelle wurde im „Aide mémoire“ gestrichen.) 1031 Ebd. (Diese Stelle wurde im „Aide mémoire“ gestrichen.)

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eingestuft worden.1032Alle „Andersartigen“1033 – anders ausgedrückt  : alle Juden – gruppieren sich um Levielle, Lasch, Altschul, die „Allianz“, die Familie Siebenschein und Camy Schedik  :1034 [D]a findet jeder dorthin, wo er hingehört, und am Schluss stehen zwei völlig wesensfremde Fronten geschlossen einander gegenüber – wobei allerdings das Judentum sich dem Ariertum im Punkte der Dezidiertheit turmhoch überlegen erweist. In diesem letzten Umstand liegt, nebenbei bemerkt, meines Erachtens eine wirkliche und furchtbare Möglichkeit zu dem, was man allen Ernstes den „Untergang des Abendlandes“ nennen könnte.1035

Der dritte Teil des Romanprojekts endet 1932  : fast ein Jahr noch vor der deutschen Revolution, welche jene von jedem Wissenden bereits damals empfundene Scheidung zu einer ganz allgemeinen und legalen Tatsache gemacht hat, sie mit ihren politischen Mitteln bis zum Aeussersten verflachend, so dass wir im Reiche1036 bald wieder so weit sein werden, jene Cretins bekämpfen zu müssen, welche aus dem Umstande einer arischen Abkunft, bei völliger Abwesenheit jeder Intelligenz, meinen, eine Qualifikation machen zu können.1037

2. Doderers Darstellung der „Dämonen der Ostmark“ 1936 Im Juli 1936 schickte Doderer Gerhard Aichinger, einem Freund, einen ausführlichen Lebenslauf, in dem er auf sein Werk und im Besonderen auf die

1032 Zu Gütersloh siehe weiter oben  : Erinnerung und Verdrängung  : ,die nichtjüdischen jüdischen‘ Freunde Doderers  : Eine zwiespältige Freundschaft  : Albert Paris Gütersloh, S. 203. Dass Doderer später von Güterslohs jüdischem Großelternteil wusste, lässt sich aus seiner Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ (siehe weiter unten, S. 294) ableiten. 1033 Vgl. Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 54. 1034 Camys Familienname im „Aide mémoire“ zunächst Schädik geschrieben, wird auf Schedik korrigiert. (Ebd., S. 43). 1035 Ebd., S. 48f. Doderer bezieht sich auf Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes, den er gelesen hatte. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. I, S. 9 (21.10.1922). 1036 Es hieß zunächst „Reiche Gottes“  ; „Gottes“ wurde im „Aide mémoire“ gestrichen. Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 49. 1037 Ebd.

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„Dämonen der Ostmark“ einging. Dieser Briefentwurf findet sich in seinem Tagebuch,1038 ebenso wie ein Hinweis darauf zwei Tage später  : Die vorstehende kleine „Selbst-Biographie“ schrieb ich, wenn auch sehr verspätet, für Gerh. A. Mag sie nun zu ihrer Bestimmung kommen oder auch nicht  : für mich war diese Niederschrift von Vorteil, und dies Geschriebene wird vielleicht noch Verwendung finden, in irgendeiner Weise.1039

Tatsächlich fand er für das Geschriebene kurz darauf Verwendung  : Als Doderer Ende August 1936 von der Reichsschrifttumskammer Unterlagen zugeschickt bekam, um seinen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen, schickte er diesen Lebenslauf unter „B.) Wesentliche Lebensbeschreibung“ nahezu ohne Änderungen gemeinsam mit anderen Unterlagen ein.1040 Gerhard Aichinger hatte von April bis Juli 1933 vier Erzählungen von Doderer in der Dötz, der Deutschösterreichischen Tageszeitung, dem Hauptblatt der N.S.D.A.P.-Hitlerbewegung Österreichs, veröffentlicht  : „Ein Schneegewitter“, das 1931 schon im Wiener Tag erschienen war, „Der Golf von Neapel“, „Im Irrgarten“ und „Ein sicherer Instinkt“.1041 Gerhard Aichinger war Redakteur der Dötz gewesen, die nach dem Verbot der NSDAP im Juni 1933 eingestellt werden musste. Als Doderer sich 1936 an Aichinger wandte, arbeitete dieser für das Deutsche Nachrichtenbüro (D.N.B.).1042 Über die Veröffentlichung von Doderers Erzählungen in dem NS-Organ Dötz schreibt Gerald Sommer  : Bei alledem bleibt es, sieht man von biographischen Gründen wie Doderers Freundschaft zu Gerhard Aichinger und seiner bereits vor Eintritt in die NSDAP am 1. April

1038 „An Gerhard A. Riegelhof, 21. VII. 36“ (Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. II, S. 813–821). 1039 Ebd., S. 821 (23.7.1936). 1040 Vgl. BArch (ehem. BDC) RK/2100/B33/1125, Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. Ge­rald Stieg veröffentlichte daraus eine Abbildung vom „Fragebogen für Mitglieder“ und eine Abschrift der beiden Lebensläufe Doderers für die Reichsschrifttumskammer. (Gerald Stieg  : Frucht des Feuers, S. 216–227). Siehe auch weiter oben  : Antisemitismus und Nationalsozialismus  : Mitglied der Reichsschrifttumskammer, S. 86f. 1041 Zu Doderers Erzählungen in der Dötz vgl. Gerald Sommer  : „Eine ,Person von Porzellan‘ im ,Golf von Neapel‘“. In  : Christoph Deupmann u. Kai Luehrs-Kaiser (Hg.)  : „Die Wut des Zeitalters ist tief “, S. 397–414, hier S. 412f. 1042 Siehe weiter oben  : Antisemitismus und Nationalsozialismus  : Mitglied der Reichsschrifttumskammer, S. 85.

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1933 bestehenden Nähe zum Nationalsozialismus ab, zunächst unklar, inwiefern ein Parteiorgan wie die „Dötz“ von Doderers Geschichten profitieren konnte. Zwar waren zwei der vier Geschichten antibürgerlich [„Ein Schneegewitter“ und „Ein sicherer Instinkt“], (was durchaus im Sinne des Nationalsozialismus sein konnte, aber von den Lesern der „Dötz“ nicht zwangsläufig registriert oder gar goutiert werden mußte), ansonsten aber bedienten sie in keiner Weise die literarischen Präferenzen völkischer oder nationalsozialistischer Literatur. Weder Krieg noch Heldentum, weder Blut noch Boden, weder Judenhaß noch Rassedenken, weder Heimat noch Volkstum spielen in ihnen eine Rolle.1043

Über die „Dämonen der Ostmark“1044 schrieb Doderer, dass er aus einer ausserordentlichen Fülle privater, gesellschaftlicher und beruflicher Erfahrungen [erkannt habe, dass] dem Judentume in Österreich und besonders in Wien bei Entscheidungen, deren Heran-Nahen man damals schon fühlte, eine geradezu überwältigende Bedeutung werde zukommen müssen.1045

Da er im Satz davor seine Arbeit an den „Dämonen der Ostmark“ mit dem Jahreswechsel 1930/1931 ansetzt, sind mit den „Entscheidungen, deren Heran-Nahen man damals schon fühlte“ wohl die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 gemeint. Über die „Bedeutung“, die „dem Judentume“ dabei zukommen müsse, geht Doderer zunächst auf den Liberalismus der 1880er-Jahre zurück, dem er anlastet, über die Wirtschaft die Gesellschaft „vom jüdischen Elemente durchwachsen“1046 lassen zu haben. Daraus folgerte er  : „[D]iese Gesellschaft […] musste ganz ordentlichen Zerreissungen entgegen gehen, wenn solche Spannungen und Gegensätze, wie ich etwa sie damals schon infolge der Reinheit meines Blutes allüberall spürte, um sich greifen und allgemein auftreten würden.“1047 Die zwischen Juden und Nichtjuden bestehenden „Spannungen und Gegensätze“ sollten somit zu „Zerreissungen“ führen, deren Ergebnis die Trennung der Juden von den Nichtjuden sein sollte. Ursprünglich war geplant, die 1043 Gerald Sommer  : „Eine ,Person von Porzellan‘ im ,Golf von Neapel‘. In  : Christoph Deupmann u. Kai Luehrs-Kaiser (Hg.) : „Die Wut des Zeitalters ist tief “, S. 413. 1044 Im Text wurde „der Ostmark“ gestrichen, nicht aber gegen Ende des Briefentwurfs. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 820 (21.7.1936). 1045 Ebd., S. 819. 1046 Ebd. 1047 Ebd.

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Romanhandlung ein Jahr „vor dem Antreten der neuen Epoche“1048 enden zu lassen, also 1932, dem Jahr vor Hitlers Machtübernahme. In seinem Roman wollte Doderer das von ihm so bezeichnete „Theatrum Judaicum“1049 auf drei Ebenen zeigen  : „auf der Ebene des familiären und erotischen Lebens, auf der Ebene der Presse und der Öffentlichkeit, und endlich auf der Ebene der Wirtschaft, in der Welt der grossen Banken“.1050 Er gab an, den ersten von zwei Bänden unter dem Titel „Der Eintopf “ (gemeint war damit eine jüdisch-nichtjüdisch gemischte Gesellschaft) bereits im Juni 1936 abgeschlossen zu haben. Dieser erste abgeschlossene Band „zeigt die Fundamente und Voraussetzungen, er führt den ganzen Körper vor, und weist jene Punkte, die beim späteren Geschehen entscheidend wurden“.1051 Anders ausgedrückt  : Die Ausgangslage („die Fundamente“) ist jene einer gemischten jüdisch-nichtjüdischen Gesellschaft, die im privaten, öffentlichen und wirtschaftlichen Bereich vorgeführt wird und die aufgrund dieser Mischung von „Spannungen und Gegensätze[n]“ geprägt ist. Das sind die „Voraussetzungen“, die im zweiten Band mit dem Titel „An der Wasserscheide“, der „sich noch in Arbeit [befindet]“,1052 wie im „Aide mémoire“ angekündigt wird, zur „Zerlegung der Gesellschaft “ führen sollten und damit zu einer Spaltung der Gesellschaft in „zwei völlig wesensfremde Fronten“1053 – und damit in Juden und Nichtjuden. Während der Titel des ersten schon geschriebenen Bandes „Der Eintopf “ auf eine jüdisch-nichtjüdisch gemischte Gesellschaft verweist und die Probleme, die sich daraus unweigerlich ergeben würden, steht der Titel für den zweiten noch nicht geschriebenen Band „An der Wasserscheide“ für die Trennung auf privater, gesellschaftlicher und beruflicher Ebene von Juden und Nichtjuden. Dies wird im „Aide mémoire“ angekündigt, und der Wunsch nach einer derartigen Trennung vonseiten der Nichtjuden zeichnet sich auch in den „Dämonen der Ostmark“ ab. In seinem Briefentwurf 1936 geht Doderer allerdings nicht näher auf die Bedeutung der „Wasserscheide“ ein. Er verweist nur darauf, dass die historischen Ereignisse, auf die im ersten Band nur angespielt wird, im zweiten Band ausgeführt werden sollen  : der bevorstehende Zusam1048 Ebd. 1049 Ebd., S. 820. (Hervorhebung im Original.) 1050 Ebd. 1051 Ebd. S. 819. 1052 Ebd. 1053 Vgl. Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 48. (Zitat siehe weiter oben  : „Die Dämonen der Ostmark“, ein antisemitisches Romanprojekt  : Doderers „Aide mémoire“ als Inhaltsangabe des Romanprojekts, S. 219.)

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menbruch der großen Banken,1054 Doderer dachte dabei an den Zusammenbruch der Creditanstalt 1931,1055 und die „marxistischen Gärungen, die im Juli des Jahres 1927“ mit dem Brand des Justizpalastes in Wien „ihren blutigen Ausbruch fanden“.1056 Für Doderer stützte sich seine Befähigung, über das für den Roman gewählte Thema zu schreiben, darauf, selbst nicht Jude zu sein  : Ich glaube, es ist das erste Mal, dass die jüdische Welt im Osten deutschen Lebensraumes von einem rein deutschen Autor in den Versuchsbereich der Gestaltung gezogen wurde. Denn die bisher darüber schrieben (Schnitzler, Wasserman [sic] etc. etc.) waren selbst Juden und ihre Hervorbringungen können wohl seit langem schon nicht mehr ernsthaft gelesen werden.1057

1054 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. II, S. 819 (21.7.1936). 1055 Über den Zusammenbruch der Creditanstalt siehe Walter Goldinger u. Dieter A. Binder  : Geschichte der Republik Österreich 1918–1938. Wien u. München 1992, S. 180–192. Vgl. auch die Erklärungen von Gerald Sommer in seinem Kommentar zu  : Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 65f., Fn. 18. 1056 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. II, S. 819 (21.7.1936). 1057 Ebd., S. 820.

II. „Die Dämonen der Ostmark“, ein antisemitisches Romanprojekt 1. Die Entstehungsgeschichte der „Dämonen der Ostmark“ Die Fassung der „Dämonen der Ostmark“, die Heimito von Doderer aufbewahrt hatte, entspricht nicht seiner ersten Fassung, ist aber die einzige, die uns heute vorliegt.1058 Die ersten siebzehn Kapitel des ersten Bandes sind mit Schreibmaschine geschrieben und weisen vergleichsweise geringfügige Korrekturen auf. Der Titel des ersten Kapitels lautet „Ouvertüre zu ,Die Dämonen der Ostmark‘“, wobei „der Ostmark“ gestrichen wurde. 1935 überarbeitete Doderer mehrere Kapitel  ; all diese Änderungen sind in der aktuellen Fassung bereits eingearbeitet. Die ersten sechzehn Kapitel schrieb Doderer zwischen 1930 und 1934, 1935 folgte die „Ouvertüre“, 1936 das 17. Kapitel „Der Eintopf “.1059 Das 18. Kapitel entstand 1940, es liegt in der Handschrift vor und weist weitaus mehr Korrekturen auf als die vorhergehenden Kapitel. Doderer notierte 1931 die Überschriften der ersten acht Kapitel,1060 die er in der späteren Fassung der „Dämonen der Ostmark“ meist beibehielt oder nur geringfügig abänderte. Im November 1934 beschloss Doderer, dass er dem ers­ ten Kapitel eine „Ouvertüre“1061 voranstellen wolle, die er 1935 auch schrieb. Mit der „Ouvertüre“ kam es gleichzeitig zu einem Wechsel in der Erzähler­ perspektive  : der Ich-Erzähler wurde durch den Chronisten „G-ff “ ersetzt. Das hatte zur Folge, dass Doderer im Juni 1935 auch das 2. und 3. Kapitel überarbeiten musste. Anfang 1936 schrieb er  : Die erste Hälfte des abgelaufenen Jahres brachte die „Ouvertüre“ (für das Schicksal des ganzen Buches entscheidend) und eine gänzlich neue Niederschrift der ihr fol-

1058 Das Original liegt in der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) in Wien auf  ; die Kopie im Doderer-Archiv am Institut für Germanistik an der Universität Wien. 1059 Vgl. das Kapitel „The Genesis of Die Dämonen“. In  : Elizabeth Hesson  : Twentieth Century Odyssey, S. 20–53. 1060 „exponierende Kapitel“; Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. I, S. 392 (18. 10.1931)  ; zur Komposition von „DD“, S. 390–394. 1061 Ebd., Bd. II, S. 648 (Nov. 1934). Mit der „Ouvertüre“ beginnen auch die Dämonen. (Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 7–21.)

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genden Kapitel, deren alte Fassung sich als völlig unbrauchbar erwies, und die denn jetzt auch ein Vielfaches an Umfang haben.1062

Die uns vorliegende Fassung dürfte somit aus dem Jahr 1936 stammen, aufgrund der zuvor zitierten Datierung Doderers und der Niederschrift des 17. Kapitels „Der Eintopf “1063 von Januar bis Juni 1936.1064 Im Dezember 1935 las Doderer vor Freunden die „Ouvertüre“ und das Kapitel über den Zeitungskonzern „Allianz“.1065 Für seinen zweiten Band recherchierte er im Juni 1936 über den Brand des Wiener Justizpalastes im Juli 1927. Ende November 1936 schrieb Doderer einen Textentwurf für die letzte Szene des geplanten Abschlussbandes. Der Roman sollte nun nicht mehr aus zwei, sondern aus fünf Bänden bestehen und nicht mehr 1932, sondern 1936 enden.1066 Der Titel lautete „Die Heimkehr oder ,Im Spital zum deutschen Geist‘“ und spielte, so Doderer, 1936 im „Reich“ (in Berlin oder einer anderen deutschen Großstadt). In dieser „apokalyptischen Szene“1067 kommt es zur Begegnung zwischen Kajetan von Schlaggenberg und seiner von ihm getrennt lebenden Frau Camy Schedik, die er zuletzt 1932 in London gesehen hatte. Camy, die den Namen Änn Hildegard Wusterstiebel 1068 angenommen hat, (dieser „arische“ Name sollte ihre jüdische Herkunft verbergen) wird als kalt, hart und entschlossen, kurz  : als unsympathisch, beschrieben. Sie droht Schlaggenberg, da sie befürchtet – zu Unrecht, wie Schlaggenberg ihr versichert –, er könne ihre neue Identität verraten  : Sie hat gefälschte Dokumente, die ihr 1062 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. II, S. 780 (18.1.1936). 1063 Doderer übernahm die Kapitelüberschrift „Der Eintopf “ in die Dämonen (Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 389–467). 1064 Vgl. Elizabeth Hesson  : Twentieth Century Odyssey, S. 28. 1065 Ebd., S. 27. (Doderer übernahm die Kapitelüberschrift „Die Allianz“ in die Dämonen  ; Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 329–347.) 1066 Die fünf Bände sollten heißen  : „Die Dämonen der Ostmark  : 1. Der Eintopf – 2. An der Wasserscheide – 3. Nach dem Siege (Österreich Februar 1933 bis Juli 1934) – 4. Ein Maskenball (Österr. Juli 1934 – bis etwa 1936) – 5. Die Heimkehr oder „Im Spital ,zum deutschen Geist‘“. (spielt im Reich 1936) […].“ Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. II, S. 882f (16.11.1936). 1067 Ebd., S. 882. 1068 Zu dieser Begegnung kommt es weder in den „Dämonen der Ostmark“ noch in den Dämonen  ; auch der Name kommt nicht vor. In Doderers Wasserfällen von Slunj heißt so die Frau eines Pastors, eine alte Dame, die wegen ihrer Sensibilität für das Unglück des Anti-Helden Donald Clayton – trotz ihres Namens – eine durchaus sympathische Figur ist. (Heimito von Doderer  : Die Wasserfälle von Slunj, S. 313–315, 319, 325 u. 376.)

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einen „arischen“ Ursprung attestieren. Doderer selbst verwendet den Ausdruck „arisch“ nicht, er lässt Camy vielmehr sagen, dass sie die „vorgeschriebenen Belege“ der „Behörden“, und zwar „einschließlich der Abstammung“,1069 hat – ein Hinweis auf den „Ariernachweis“. Doderer stellt in diesem Eintrag die direkte Verbindung zwischen „G.“ (Gusti Hasterlik) und Camy Schedik bzw. Änn Hildegard Wusterstiebel her – „sie [dieses „sie“ bezieht sich auf Gusti Haster­lik ebenso wie auf ihre Romanfigur Schedik/Wusterstiebel] gäbe jene vortreffliche Fürsorgerin ab, die, so einst wie heute, gegen mich recht behält.“1070 Doderer unterbrach seine Arbeit an den „Dämonen der Ostmark“ für die Niederschrift anderer und weniger umfangreicher Texte  : Ein Mord den jeder begeht (1937/1938 geschrieben  ; 1938 veröffentlicht), Die erleuchteten Fenster (1939 geschrieben  ; 1951 veröffentlicht), Das letzte Abenteuer (1936 geschrieben  ; 1953 veröffentlicht).1071 Die Gründe, warum Heimito von Doderer die „Dämonen der Ostmark“ nicht veröffentlichte, sind im gewaltigen Umfang des Projekts zu vermuten. Heimito von Doderer hatte außerdem eine Abneigung gegen Fragmente, andernfalls hätte der erste 700 Seiten starke Band mit dem Handlungszeitraum Ende 1926 bis Mai 1927 vermutlich in absehbarer Zeit veröffentlicht werden können. Doch der zweite Band sollte ebenso umfangreich werden wie der ­e rste und bis ins Jahr 1932 reichen und der fünfte und letzte Band sollte im Jahr 1936 enden.1072 Doderers diesbezügliche Angaben in seinem letzten Lebensjahr entsprechen jedenfalls nicht den Tatsachen  : „Die Dämonen, deren erster Teil im Ma1069 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. II, S. 886 (26.11.1936). Doderer bezieht sich dabei auf Hans Moser, dem es, so Doderer, auch gelungen sei, sich „erforderliche Belege“ zu verschaffen. (Ebd., 16.11.1936, S. 882.) In der NS-Zeit gab es das Gerücht, Hans Moser sei Jude, hätte als Lieblingsschauspieler von Hitler aber nichts zu befürchten, ja dürfe sogar als Schauspieler arbeiten. Tatsächlich war nicht Hans Moser, sondern seine Ehefrau jüdischen Ursprungs. Nachdem sie gezwungen worden war, das Land zu verlassen, lebte sie in Ungarn, wo Hans Moser sie offiziell besuchen durfte. Nach dem Krieg lebte das Ehepaar Moser wieder in Österreich. (Zu Hans Mosers Leben vgl. Deutsches Historisches Museum  ; http  ://www.dhm.de/lemo/html/biografien/MoserHans/index.html.) 1070 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. II, S. 882 (16.11.1936). 1071 Zu Ein Mord den jeder begeht siehe Martin Loew-Cadonna  : Zug um Zug  ; zu Die Erleuchteten Fenster siehe Stefan Winterstein (Hg.)  : „Er las nur dieses eine Buch“  ; zu Das letzte Abenteuer siehe das „Nachwort“ von Wendelin Schmidt-Dengler in  : Heimito von Doderer  : Das letzte Abenteuer. Ein Ritter-Roman. Mit einem autobiographischen Nachwort. [1953] Stuttgart 1981, S. 101–107. 1072 Vgl. Elizabeth Hesson  : Twentieth Century Odyssey, S. 31.

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nuskript fertig vorlag, wollte ich dem Verlag gar nicht zumuten. Dieses Buch wäre ja unter den damaligen Verhältnissen unpublizierbar gewesen.“1073 Mit dieser Formulierung sollte wohl ausgedrückt werden, dass der Roman aufgrund seiner kritischen Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus nicht hätte erscheinen können.1074 Tatsächlich war aber eine Veröffentlichung sehr wohl geplant, da Heimito von Doderer seinem Verleger Heinrich Beck im Februar 1939 schriftlich für die Zusendung des Vertrags dankte und ihm vorschlug, den Abgabetermin von Frühling auf November 1940 zu verschieben.1075 Vom 15. Februar bis 2. Mai 1940 schrieb Doderer das 18. Kapitel „Auf offener Strecke“.1076 Dann fehlte ihm die notwendige Zeit, denn vom 30. April 1940 bis Kriegsende war Doderer beim Militär. Über den Roman reflektierte er von nun an in seinem Tagebuch. Diese Überlegungen sind unter dem Titel „Epilog auf den Sektionsrat Geyrenhoff. Diversion aus ,Die Dämonen‘, 1940/44“ in Doderers Tagebuch Tangenten nachzulesen, das 1964 (und somit zu seinen Lebzeiten) veröffentlicht wurde – hier überschneiden sich Roman, Überlegungen zum Roman und Doderers aktuelle Lage.1077 1938 erschien im Beck Verlag Doderers Roman Ein Mord den jeder begeht, 1940 dann Ein Umweg. Den Großteil der „Dämonen der Ostmark“ schrieb Doderer, wie schon erwähnt, bis 1934, die „Ouvertüre“ 1935 (samt der dadurch notwendig gewordenen Überarbeitung der nachfolgenden Kapitel) und das 17. Kapitel „Der Eintopf “ 1936. Während das Grundthema dieses ersten Teils antisemitisch ist – gezeigt werden die Spannungen, die sich aus dem Zusammenleben zwischen Juden und Nichtjuden ergeben würden –, weisen das 1940 verfasste 18. Kapitel und Doderers diesbezügliche Tagebuchtexte zwischen 1940 und 1944 auf eine Distanzierung von dem ursprünglich gewählten Thema hin. Doderer löste sich von dem geplanten Thema der „Wasserscheide“1078 und damit von der ursprünglich als notwendig erachteten Trennung der Nichtjuden von den Juden. 1073 Doderer zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 267. 1074 Vgl. Wolfgang Fleischer, ebd. 1075 „(An Doctor Heinrich Beck)“; Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. II, S. 1151– 1153 (Feb. 1939). 1076 Vgl. Elizabeth Hesson  : Twentieth Century Odyssey, S. 34. (Doderer übernahm die Kapitel­ überschrift „Auf offener Strecke“ auch in die Dämonen  ; Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 471–498). 1077 Vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 49–100. 1078 Ebd., S. 39 (31.1.1940).

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2. Ein unvollendeter Roman Eine Interpretation der „Dämonen der Ostmark“ erweist sich, da der Text Fragment geblieben ist, als schwierig. Hinzu kommt, dass die mögliche Vergleichsfolie, der 1956 erschienene Roman Die Dämonen, nicht so vollendet wurde, wie Doderer es für die „Dämonen der Ostmark“ vorgesehen hatte. Nach vollzogener Neukonzeption waren die Juden im publizierten Roman nicht länger das Feindbild. Dementsprechend wurden sie auch nicht mehr für die Probleme der nichtjüdischen Romanfiguren auf privater und beruflicher Ebene verantwortlich gemacht. Der Schluss, dass eine Trennung der Gruppen notwendig sei, war damit als Botschaft des Textes hinfällig geworden. Vergleicht man die Fassung der „Dämonen der Ostmark“ mit den Dämonen von 1956, so lässt sich, dank der Berechnungen von Gerald Sommer, zunächst folgende neutrale Aussage machen  : 37 Prozent Textmasse der „Dämonen der Ostmark“ wurde nicht in Die Dämonen übernommen. Auch wenn ein Großteil dieser Kürzungen auf stilistische Korrekturen zurückzuführen ist, so ergibt sich ein weiterer Teil aus der Neukonzeption des Romans.1079 Diese 37 Prozent betreffen somit nicht nur, aber auch ideologisch problematische Stellen. Den größten Wandel machte dabei der Chronist G-ff durch  : War er in den „Dämonen der Ostmark“ noch überzeugt davon, dass die anstehenden gesellschaftlichen Probleme allein durch eine Trennung der Juden von den Nichtjuden gelöst werden könnten, so distanziert er sich in den Dämonen vom Antisemitismus der anderen. Bei anderen Figuren, die in den „Dämonen der Ostmark“ als überzeugte Nationalsozialisten gelten können, wie Körger und Orkay, im Weiteren auch Eulenfeld und Schlaggenberg, waren die Eingriffe weniger stark. Dies deshalb, weil der Chronist G-ff bereits in den „Dämonen der Ostmark“ Zweifel an dieser sehr politischen Ausrichtung hatte. Das heißt, er teilte zwar dasselbe Ziel, wollte es aber mit anderen Mitteln erreichen. In der Fassung der Dämonen war es daher oft mit geringfügigeren Streichungen getan bzw. einer deutlicheren Distanzierung von den vorgenannten Figuren. Im Folgenden soll, soweit nicht anders angegeben, nur auf die „Dämonen der Ostmark“ als eigenständigen Text eingegangen werden. Ein Überblick über die wichtigsten Änderungen zwischen den „Dämonen der Ostmark“ und den Dämonen, die sich aus der Neukonzeption des Romans ergeben, wird im 1079 Gerald Sommer  : „Der entbehrliche Dr. Hartog oder die ,große Flut‘ überflüssigen Geredes. Anmerkungen zu ,Die Dämonen der Ostmark‘“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 223–234, hier S. 234.

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Kapitel „Die Dämonen“ gegeben. Trotzdem wird schon jetzt in den Fußnoten darauf hingewiesen, was in die Dämonen übernommen wurde und was nicht, ohne dass daraus immer eindeutige Schlüsse zu ziehen wären. Denn wenn die Erklärungen, warum etwas nicht übernommen wurde, meist eindeutig sind – sei es, um antisemitische Positionen abzuschwächen oder Hinweise auf den kommenden und erwarteten Nationalsozialismus zu vermeiden –, so ist es bei den Passagen, die trotz ihres antisemitischen Gehalts übernommen wurden, schwieriger. Meist handelt es sich dabei aber um antisemitische Äußerungen von Figuren, von denen sich der Chronist G-ff oder Stangeler – und mit ihnen gewissermaßen auch der Autor – distanzieren. Jede Interpretation der „Dämonen der Ostmark“ muss sich der Tatsache stellen, dass der Text eine Vielzahl von Vorausdeutungen enthält, die jedoch, bedingt durch dessen Unabgeschlossenheit als Fragment, notwendigerweise ohne Bezugspunkte oder Auflösung bleiben. Dies ist insofern problematisch, als Doderers Romane stets eine Fülle motivischer Bezüge aufweisen. Die Bedeutung einzelner Passagen lässt sich so oft erst aus dem erweiterten Kontext oder in Kenntnis des Endes eines Textes erschließen. Eben dies, erweiterter Kontext und Ende, fehlen jedoch dem Fragment der „Dämonen der Ostmark“. Schlussfolgerungen sind in den „Dämonen der Ostmark“ also nur begrenzt und teilweise nur mithilfe des „Aide mémoire“ und der Beschreibung seines Romans von 1936 möglich, denn der erste schon geschriebene Band des Romans ist ganz auf den zweiten ausstehenden Band ausgerichtet, das heißt auf die Trennung von Juden und Nichtjuden, die sich, wie es im „Aide mémoire“ heißt, nunmehr in zwei gegnerischen Fronten gegenüberstehen sollten. Doch dieser letzte Band wurde nicht mehr geschrieben. Hier ist das „Aide mémoire“, in dem die verschiedenen Etappen angekündigt werden und der erste Teil als Einführung für das Nachfolgende angekündigt wird, ein wertvolles Hilfsmittel für die Interpretation. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass in den „Dämonen der Ostmark“ (wie in den Dämonen) vorausdeutende Anspielungen oft derart vage und allgemein gehalten sind, dass sie widersprüchliche Interpretationen ermöglichen. So könnte man folgenden Satz in den 1956 erschienenen Dämonen als Kritik am Nationalsozialismus auffassen  : „Furchtbares hat sich begeben in meinem Vaterlande und in dieser Stadt, meiner Heimat, zu einer Zeit, da die Geschichten, ernst und heiter, die ich hier erzählen will, längst geendet hatten.“1080 1080 Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 21.

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Doch derselbe Satz steht schon in der 1935 verfassten „Ouvertüre“ der „Dämonen der Ostmark“ mit dem kleinen, aber bedeutenden Unterschied, dass Doderer zunächst „in meinem engeren Vaterlande“ geschrieben hatte.1081 Das engere Vaterland steht für Österreich, während das Vaterland für einen Anschluss-Befürworter unter Hitler, wie Doderer es damals war, Deutschland bedeutete. Die furchtbaren Geschehnisse könnten daher eine Anspielung auf den österreichischen Bürgerkrieg von Februar 1934 sein, doch beziehen sie sich wohl eher auf die gewaltsamen Konflikte zwischen dem österreichischen „Ständestaat“ und den österreichischen Nationalsozialisten im selben Jahr (Bombenattentate, Verhaftung und Vollzug der Todesstrafe für die Attentäter, Ermordung des Bundeskanzlers Dollfuß am 25. Juli 1934), die Doderer, nach seinen Tagebucheintragungen zu schließen, mehr beunruhigten.1082

3. Die „Unsrigen“ Der Chronist Sektionsrat G-ff – so sein Name in den „Dämonen der Ostmark“, während er in den Dämonen nicht nur G-ff, sondern auch Geyrenhoff und Georg von Geyrenhoff genannt wird1083 – ist zu Beginn des Romans nach vorangegangener Frühpensionierung in eine grüne Stadtrandlage von Wien gezogen. Erst in den Dämonen wird diese mit Döbling bezeichnet.1084 Bekannte und Verwandte des Chronisten ziehen in dieselbe Gegend, bald bildet sich ein Kreis rund um den Schriftsteller Kajetan von Schlaggenberg. Es folgen seine Schwester Charlotte, genannt Quapp, eine gescheiterte Geigerin, und Imre von Gyurkicz, ein Karikaturist, der sich um Quapp bemüht. Schließlich folgen noch G-ffs Cousin Geza von Orkay, ein ungarischer Diplomat, sowie G-ffs Neffe Dr. Kurt Körger, ein Jurist. Eine Zusammenkunft, die im März 1927 bei Kajetan von Schlaggenberg stattfindet, wird rückblickend als „Gründungsfest“1085 der „Unsrigen“ bezeichnet. G-ff, der sich entschlossen hat, die Rolle eines Chronisten der Gruppe zu übernehmen, stellt eine „gewisse Zwiespältigkeit“ als „Geburtsfehler“ dieses 1081 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien I“, S. 20. 1082 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. II, S. 640 (24.7.1934), S. 643 (25.7.1934), S. 643f. (28.7.1934). 1083 Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 352, 552 u. 1040. 1084 Ebd., S. 47. 1085 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“ [zu „Die Dämonen der Ostmark“, Kapitel 9–13], Ser. n. 14.239 d. ÖNB, S. 326  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 243.

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Freundeskreises fest.1086 Er verweist damit, ohne die Tatsache jedoch ausdrücklich zu benennen, auf die gemischte Zusammensetzung des Kreises aus Juden und Nichtjuden. Das wird bei der Beschreibung des Gründungsfestes deutlich. Anwesend sind  : G-ff, Kajetan von Schlaggenberg, Quapp, Imre von Gyurkicz, der kultivierte Alkoholiker und Ex-Rittmeister Otto von Eulenfeld, der Historiker René von Stangeler, der Werbetexter Robert Höpfner, die Leiterin einer Sportschule Hedwig Glöckner, der Journalist Holder und Hans Neuberg, ebenfalls Historiker. An diesem Abend wird die Kluft innerhalb der Gruppe besonders deutlich, als über Krieg gesprochen wird. Zwei unterschiedliche Weltanschauungen spalten die Gruppe  : die pazifistische von Neuberg, Glöckner und Holder, alle drei Juden, und die gegen den Pazifismus gerichtete der beiden Adeligen Eulenfeld und Schlaggenberg, beide Nichtjuden. Eine Sonderrolle nimmt Imre von Gyurkicz ein, der zwar Stellung für den Krieg bezieht, aber nur, weil ihn das Abenteuer daran reizt und er bemüht ist, seine jüdische Herkunft zu verbergen. Die Beschreibung der Diskussion, die Art der Argumentation der jeweiligen Romanfiguren machen deutlich, für wen der Chronist Sympathien hegt. Otto von Eulenfeld, so heißt es, hat die Gabe, dass man ihm zuhört, da er gelassen argumentiert. Er verteidigt die Werte des Kriegs und die Pflichterfüllung des Soldaten für seine Heimat und verwehrt sich gegen das Lächerlichmachen des Begriffs „Heldentod“.1087 Im Gegensatz dazu sieht Hans Neuberg in den gefallenen Soldaten nicht Helden, sondern Opfer eines Systems und einer überholten Ideologie. Die Reaktion Eulenfelds auf Neubergs Einwand wird so beschrieben  : „Eulenfeld antwortete nichts. Er sass vorgebeugt und ich [G-ff] bemerkte zu meinem Staunen, dass er mit den Nasenflügeln ganz kleine Bewegungen ausführte, die den Eindruck erzeugten, als wittere er irgend­etwas.“1088 Was Eulenfeld ,wittert‘, wird nicht gesagt, doch soll hier wohl der Pazifismus als „jüdische“ Ideologie und nicht haltbare Position dargestellt werden. Glöckner wiederum reagiert spontan und emotional, zusammenhanglos, mit Ausrufungen, um den Krieg als etwas Schreckliches zu verurteilen. Sie beruft sich dabei auf ein Buch, das sie gelesen hat, und spricht sich für die Verhinderung eines neuerlichen Krieges aus. Sie agiert gewissermaßen im Sinne ihrer Rolle als Frau – oder was man darunter verstehen möchte  : spontan, emotional, 1086 Ebd., S. 327. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1087 Ebd., S. 338f.  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 250. 1088 Ebd., S. 339  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 250.

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angelesenes Wissen, während Männer wie Eulenfeld aus Erfahrung sprechen –, und so wendet Schlaggenberg sich auch an sie als Frau, um ihre Argumente abzutun – im Gegensatz zu Glöckner in einem elegant formulierten, aber von Gyurkicz unterbrochenen Satz  : „,Ich verstehe Sie als Frau vollkommen, liebe Gnädige‘, sagte Schlaggenberg, ,indessen kann etwas rein Negatives, wie die Verhinderung des Krieges, hier noch keine Einstellung bedeuten […]‘“.1089 Als Gyurkicz vom sportlichen Aspekt und dem gesteigerten Alkoholkonsum im Krieg schwärmt, missfällt G-ff dessen Eitelkeit und dass er sich mit einem „unechten Naturburschentum“1090 schmückt. Die zwei Fronten, die sich schon beim „Gründungsfest“ abzeichnen, zeigen sich auch bei weiteren Treffen. Im „Aide mémoire“ werden sie, wie schon erwähnt, so beschrieben  : Von ihm [Schlaggenberg] und dem Rittmeister [Eulenfeld], weiterhin aber auch besonders von einem gewissen Dr. Körger und einem […] jungen ungarischen Aris­ tokraten [Geza von Orkay] […] gehen ja vorwiegend jene Einflüsse aus, die sich in der oben angedeuteten Richtung bewegen, nämlich der Ausscheidung aller wesensfremden Elemente aus jenem Kreis, den ich mit dem Worte die „Unsrigen“ gerne bezeichne. Diesen Druck hat neben Grete Siebenschein, dem Studenten Neuberg, einer gewissen Frau Glöckner (sämtlich Juden) in mehr indirekter Form auch ein Element wie Gyurkicz zu spüren […].1091

Über die „Unsrigen“ in den „Dämonen der Ostmark“ schreibt Anton Reininger  : „Die Schwierigkeiten Doderers, hier konkret zu werden, sind nicht abzuleugnen.“1092 Diese Kritik ließe sich vielmehr auf Reiningers Analyse beziehen, wenn er schreibt  : „Die Grenzen zwischen den beiden wesensverschiedenen Gruppen entziehen sich einer klaren Festlegung […].“1093 Tatsächlich verläuft aber diese Grenze in den „Dämonen der Ostmark“ ganz klar zwischen Juden und Nichtjuden. Reininger ignoriert das antisemitische Fundament der „Dämonen der Ostmark“ und definiert, Dietrich Weber zitierend, in seinem Kapitel „Die Entstehung der ,Dämonen‘“ das Thema „Wasserscheide“ als „die Zerreißung der 1089 Ebd.  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 250. 1090 Ebd., S. 340  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 251. 1091 Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 52. 1092 Anton Reininger  : Die Erlösung des Bürgers. Eine ideologiekritische Studie zum Werk Heimito von Doderers. Bonn 1975, S. 41. 1093 Ebd., S. 38. (Zu diesem Themenbereich siehe auch ebd., S. 38–40 u. 45–49.)

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Wiener Gesellschaft durch den totalitär werdenden Antisemitismus“. Zwar will er dies erst für die Zeit nach Doderers „Abwendung vom Nationalsozia­ lismus“ gelten lassen, doch er selbst umschreibt „Wasserscheide“ reichlich verschwommen als „das geheime Schlüsselwort, um die vielfältigen und oft widerspruchsvollen Ereignisse dieser Welt deuten zu können.“1094 Tatsächlich verwies die „Wasserscheide“ auf die als notwendig erachtete Trennung der Juden von den Nichtjuden. Damit war die „Zerreißung der Gesellschaft“ keinesfalls als Kritik am Antisemitismus gedacht, sondern vielmehr Ausdruck von Doderers damaligem Antisemitismus, der für ihn durch die Spannungen im Zusammenleben zwischen Juden und Nichtjuden begründet lag.1095

4. Anspielungen und Unausgesprochenes im Roman Aufstieg des Nationalsozialismus Doderer lässt seinen Roman im Wien des Jahres 1926 beginnen. In seinem bereits zitierten Brief an den Diederichs Verlag 1932 erklärte er, mit seinem Roman „das sozusagen ,unterirdische‘ Werden eines neuen Deutschland“ aufzeigen zu wollen und wies ferner darauf hin, dass dieses „Werden“ bereits in der von ihm beschriebenen Zeit wahrnehmbar sei.1096 Auf den Aufstieg des Nationalsozialismus oder die Machtübernahme Hitlers wird in den „Dämonen der Ostmark“ nur mit Ausdrücken wie „groß[e] Veränderungen“ oder „entscheidende Augenblicke“1097 hingewiesen. So etwa im Zusammenhang mit dem Zeitungskonzern „Allianz“, für den Kajetan von Schlaggenberg arbeitet. Cobler ist Chefredakteur des Zeitungskonzerns „Allianz“. Die in den „Dämo-

1094 Dietrich Weber  : Heimito von Doderer, S. 181, und Anton Reininger  : Die Erlösung des Bürgers, S. 37. 1095 Zur Bedeutung der Begriffe „Zerreissung“ [sic] bzw. „Zerlegung der Gesellschaft“ siehe weiter oben  : „Die Dämonen der Ostmark“  : Doderers „Aide mémoire“ als Inhaltsangabe des Romanprojekts, S. 219–224 sowie  : Doderers Darstellung der „Dämonen der Ostmark“ 1936, S. 226–228  ; zum Begriff „Wasserscheide“ siehe weiter unten  : Die Dämonen der Ostmark“  : Die „Wasserscheide“, S. 252–256. 1096 Vgl. Briefentwurf von Doderer an Dr. Eugen Bergmann. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I., S. 495 („ab am 3/4. Juni 32 von Prein“). 1097 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“ resp. S. 542 u. 543. („entscheidende Augenblicke“ wurde nicht in die Dämonen übernommen  ; von „großen Veränderungen“ spricht in den Dämonen Kajetan, Dr. Körger offensichtlich zitierend  ; Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 368.)

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nen der Ostmark“ erwähnten Journalisten der „Allianz“ sind größtenteils Juden, mit Ausnahme von Schlaggenberg. Das ist auch der Grund, warum Cobler Schlaggenberg zu einem Empfang schickt, der vom deutschen Gesandten zu Ehren eines berühmten deutschen Dichters aus dem „Reiche“ gegeben wird.1098 Schlaggenberg ist erfreut und fühlt sich geehrt, versteht aber nicht, warum Cobler sich dafür nicht an einen festen Mitarbeiter der Zeitungsredaktion wendet, wie etwa an den Feuilletonchef Holder  : Kajetan äusserte Coblern gegenüber, als er mit ihm allein sich im Chefzimmer befand, seine Befriedigung darüber, dass man gerade ihn „zu dieser interessanten Aufgabe herangezogen habe …“ da drehte sich aber der eilige Gönner [Cobler] auf den Haken [sic] zu Kajetan herum […] und sprudelte hervor  : „[…] was stellst Du Dir denn vor, soll ich vielleicht einen von – denen da auf die deutsche Gesandschaft [sic] schicken  ?  !“ Und diese Auslassung war begleitet und gefolgt von Gebärden, welche die Physiognomie, Haltung und den ganzen Personscharakter jener kleinen, dunklen, meist leicht verfetteten Männer da draussen sozusagen karikaturistisch umrissen. Hiebei [sic] ging Schlaggenberg freilich ein Licht auf.1099

Kajetan von Schlaggenberg, von dem zuvor nur gelegentlich Artikel erschienen waren, bekommt nach Levielles Intervention eine Stelle bei der „Allianz“, die er sich aus finanziellen Gründen anzunehmen gezwungen sieht, wenn auch mit Unbehagen. Der Grund für dieses Unbehagen bleibt unausgesprochen, doch scheint ihn dabei, zusätzlich zu Levielles Rolle, vor allem die Tatsache zu stören, dass die meisten Mitarbeiter Juden sind. Dieses Faktum wird wiederum mit Korruption und Vetternwirtschaft verknüpft.1100 Schlaggenberg erzählt denn auch G-ff, dass er eine Stelle in der „Allianz“ erhalten habe, sich darüber aber nicht freuen könne, weil er sich in „Feindesland“, von etwas

1098 Vgl. Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, S. 488. (In den Dämonen ist es ein Bericht über einen „aus Deutschland anwesenden Philosophen“  ; Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 341.) 1099 Ebd., S. 488–490, Zit. S. 489f. (Das Gespräch zwischen Schlaggenberg und Cobler wurde in den Dämonen abgewandelt. Es geht nun um die „Physiognomie“ Schlaggenbergs, aus der Cobler schließt, dass dessen Zeitungsartikel gut sind, ohne sie je gelesen zu haben  ; Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 343.) 1100 Um Korruption und Vetternwirtschaft geht es im 13. Kapitel „Die Allianz“ in  : Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 465–499. (Der Titel wurde für das 11. Kapitel des 1. Teils in  : Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 329–347, beibehalten.)

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„Fremde[m]“1101 bedroht fühle – wobei mit dem Fremden und Feindlichen in den „Dämonen der Ostmark“ die Juden gemeint sind. Schlaggenberg befürchtet außerdem, wie er G-ff anvertraut, dass seine Stelle beim Zeitungsverlag keine dauerhafte sei  : „Und dann – erwägen Sie einmal, wir stehen möglicherweise knapp vor großen Veränderungen oder schon mitten darin und man könnte wohl sagen, das [sic] dies alles demnach nur einen vorübergehenden Vorteil bieten kann …“1102 Die „großen Veränderungen“ verweisen unausgesprochen auf „das sozusagen ,unterirdische‘ Werden eines neuen Deutschland“ und damit auf den Nationalsozialismus. Kurt Körger, der Jurist im Freundeskreis der „Unsrigen“, dessen Haltung, wiederum nur angedeutet, jene eines Nationalsozialisten ist, zeigt sich dennoch erfreut, von der neuen Position Schlaggenbergs in der „Allianz“ zu erfahren und ermutigt ihn, dort eine „ganz feste Position“ anzustreben, denn  : „Das kann für uns von der allergrößten Bedeutung werden.“ Körger fügt hinzu  : „Im entscheidenden Augenblicke werden Sie für uns einmal Informationen liefern können, die schlechthin unbezahlbar sein dürften.“1103 G-ff, der diese Anspielung Kurt Körgers nicht versteht, fragt Schlaggenberg, was „für uns“ und „im entscheidenden Augenblicke“ bedeuten soll. Schlaggenberg lässt diese Frage offen. Es ist wohl am Leser, sie zu beantworten. Mit Kurt Körger und Geza von Orkay zum Nationalsozialismus mit „politischen Mitteln“ Den Nationalsozialismus mit „politischen Mitteln“ durchzusetzen, widersprach dem Spirituellen – „Transcendenz“ und „Fluidisches“,1104 wie Doderer

1101 Ebd., 15. Kapitel „Literarische Unterhaltung“, resp. S. 543 u. 544. (Diese Unterhaltung ­zwischen G-ff und Schlaggenberg wurde gekürzt und abgeschwächt in die Dämonen im 12. Kapitel des 1. Teils „Die Unsrigen II“ übernommen. Es wird zwar weiterhin das bedrohliche „Fremde“ erwähnt, aber nicht die Bezeichnung „Feindesland“, das in den „Dämonen der Ostmark“ für die „Allianz“ ebenso wie für die „dicken Weiber“ steht  ; Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 348–388, hier S. 368.) 1102 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 542. (Vgl. auch leicht abgeändert in  : Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 367f., wo der Satz mit „daß dies alles vielleicht jetzt und heute schon gegenstandslos sei …“ endet.) 1103 Ebd. S. 543. (Hervorhebungen von mir.) 1104 Zitate aus Doderers Brief an Rolf Haybach vom 16.10.1936, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 254f. (Ein Ausschnitt des Briefes wurde weiter oben zitiert  : Antisemitismus und Nationalsozialismus  : Doderer und der Nationalsozialismus, S. 72f.)

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schrieb –, das Doderer im Nationalsozialismus sah. Das erklärt auch das negative Bild der offensichtlich als Nationalsozialisten angelegten Figuren Körger und Orkay in den „Dämonen der Ostmark“. Politische Mittel, um die „Scheidung“ (gemeint ist die Trennung der Juden von den Nichtjuden) durchzusetzen, lehnte Doderer als „bis zum Aeussersten verflachend“ ab.1105 Er verwehrt sich dabei nicht gegen die „Scheidung“ an sich, sehr wohl aber gegen die Methode. Obwohl die „Dämonen der Ostmark“ in den Jahren 1926 und 1927 spielen, lässt sich die Position von Kurt Körger und Geza von Orkay als jene von frühen Nationalsozialisten interpretieren, die aktiv bemüht sind, in ihrem Freundeskreis die Trennung von Juden und Nichtjuden voranzutreiben. Im „Aide mémoire“ wird das als „Reinigung beider Fronten von Fremdkörpern“ bezeichnet, die „schon jahrelang der deutschen Revolution vorauslief “.1106 Dass Kurt Körger und Geza von Orkay bereits 1927 Nationalsozialisten sind, wäre aus historischer Sicht jedenfalls nicht abwegig  : Die nationalsozialistische Partei wurde in Deutschland 1919 gegründet,1107 ihr österreichisches Pendant, die „NSDAP Österreichs (Hitler-Bewegung)“ am 4. Mai 1926 (auch wenn die Wurzeln des österreichischen Nationalsozialismus auf den Beginn des 20. Jahrhunderts zurückgehen).1108 Der Chronist G-ff und andere der „Unsrigen“ durchschauen im Gegensatz zu Schlaggenberg die politische Position von Körger und Orkay noch nicht. Bei einem gemeinsamen Ausflug des Freundeskreises werden die beiden von G-ff so beschrieben  : 1105 Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 49. (Weiter oben zitiert  : „Die Dämonen der Ostmark“, ein antisemitisches Romanprojekt  : Doderers „Aide mémoire“ als Inhaltsangabe des Romanprojekts, S. 224.) 1106 Ebd., S. 55. 1107 1919 unter dem Namen Deutsche Arbeiterpartei gegründet, wurde sie 1920 auf Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) umbenannt. (Karl Vocelka  : Geschichte Öster­ reichs. Kultur – Gesellschaft – Politik. 3. Aufl. München 2004, S. 293.) 1108 Die historischen Wurzeln des österreichischen Nationalsozialismus gehen auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück  : 1903/1904 wurde die Deutsche Arbeiterpartei (DAP) als Vorläuferin der NSDAP in Österreich gegründet, die 1919 auf Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei (DNSAP) umbenannt wurde. (Vgl. Bruce F. Pauley  : Hitler and the Forgotten Nazis, S. 16, 24f. u. 28.) Nach der Spaltung der DNSAP wurde 1926 die „NSDAP Österreichs (Hitler-Bewegung)“ unter Hitlers Führung gegründet. (Gerhard Botz  : „Arbeiter und andere Lohnabhängige im Nationalsozialismus“. International Conference of Labour and Social History. 42. Linzer Konferenz (14.–17. Sept. 2006), S. 6  ; Ludwig Boltzmann-Institut für His­ torische Sozialwissenschaften  ; http  ://www.lbihs.at/BotzArbeiterNS.pdf ). Pauley schreibt  : „NSDAP (Hitlerverein)“. (Bruce F. Pauley, ebd., S. 43.)

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Zunächst einmal schien irgend eine [sic] Art schweigenden Einverständnisses zwischen ihnen vorhanden zu sein. So etwa pflegten sie in unserem Kreise sehr oft […] beide gleichzeitig zu lächeln, oder besser gesagt zu grinsen, etwa wie Menschen, die im Besitze einer Erfahrung oder eines sicheren Wissens sind, einen Anderen dabei aber blind herumtappen sehen und zugleich genau erkennen, jener werde früher oder später den nämlichen Ausweg finden müssen, den man selbst schon gefunden hat – sei er auch jetzt noch durchaus gegenteiliger Meinung.1109

Die Augenblicke, in denen Körger und Orkay lächeln oder grinsen, sind jene, in denen sie sich in ihrer antisemitischen Haltung bestätigt fühlen. Als Kurt Körger Grete Siebenschein provoziert (sie ist Jüdin), löst dies sofort eine Gegenreaktion (gegen Körger) von Neuberg, Holder, Glöckner und vor allem von Gyurkicz aus (die alle Juden sind).1110 G-ff stellt in diesem Moment bei seinem Cousin Geza von Orkay „ein geradezu schamloses Grinsen“1111 fest. Wenn Kurt Körger und Geza von Orkay zusammen sind, reden sie, laut G-ff, ausgiebig „über die ,zwei Parteien‘ […] und die ,fremde Macht‘, von der unsere Stadt ,angefressen oder schon halb aufgefressen‘ ist“.1112 Als „fremd“ werden in diesem Romanprojekt Juden bezeichnet. Schlaggenberg und Eulenfeld stehen der ideologischen Entwicklung von Körger und Orkay am nächsten. Schlaggenberg verwendet dieselbe Ausdrucksweise wie sie, als er bedauert, dass er, nachdem er die Stelle beim Zeitungskonzern angenommen hat, wieder mit demselben Milieu in Berührung ist, von dem er dachte, sich mit der Trennung von seiner Frau Camy Schedik (jüdischen Ursprungs) befreit zu haben. Er fragt sich  : „[…] soll ich immer auf ’s neue [sic] verstrickt werden in diese andere fremde Welt, von der unsere halbe Stadt hier aufgefressen ist, und bald aufgefressen sein wird  ?“1113

1109 Heimito von Doderer, „Roman-Studien II“, S. 438  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 308. 1110 Im „Aide mémoire“ heißt es nach der Aufzählung der Namen  : „sämtlich Juden“. Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 52. 1111 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II, S. 435f.  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 306. 1112 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 559. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1113 Ebd., S. 550. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.)

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„Arier“ = „unter uns“ In seinem „Aide mémoire“ verwendete Doderer die Begriffe „Arier“, „Ariertum“1114 und „,gotisch‘“.1115 Nichts davon wird in den „Dämonen der Ostmark“ verwendet  : Im Roman wird „Arier“ durch den Ausdruck „unter uns“1116 ersetzt. G-ff beschreibt zwei Begegnungen, bei denen ausschließlich der nichtjüdische Teil der „Unsrigen“ ,unter sich‘ ist, als Momente des Glücks und als Kontrast zu jenen spannungsgeladenen Begegnungen, wenn die „Unsrigen“ vollständig (Juden und Nichtjuden) versammelt sind. Dieses Wohlgefühl zeigt sich bei einem Schiausflug, bei dem sie ,unter sich‘ sind, nämlich G-ff, Schlaggenberg, Körger, Orkay, Höpfner, Eulenfeld und Stangeler (alle Nichtjuden). Charlotte von Schlaggenberg (Quapp) nimmt allerdings an diesem Ausflug nicht teil. Doch wird sowohl ihre als auch Stangelers Haltung (beide Nichtjuden) als problematisch für die anderen nichtjüdischen „Unsrigen“ dargestellt. Der Grund  : Beide haben mit Grete von Siebenschein bzw. Imre von Gyurkicz jüdische Beziehungspartner.1117 G-ff unterstreicht das Gefühl des Wohlbefindens, das die Freunde verspüren, wenn sie ,unter sich‘ sind  : Ja, wahrhaftig, wir waren unter uns, im flachsten, aber dahinter wohl auch in einem bedeutenderem [sic] Sinne, wir waren unter uns und damit von allen unfruchtbaren Gegensätzen und ihrer Qual beurlaubt, freie Herren, die fröhlich und guter Dinge sein durften. Denn hier blieb draussen, was sich dem Verständnis sperrte und den Menschen zwang, gebückt auf fremden Pfaden zu tasten  ; hier durfte einer im höchs­ ten wie im niedrigsten Grade immer er selbst sein.1118

Das zweite Treffen, bei dem die nichtjüdischen „Unsrigen“ ,unter sich‘ sind, findet in einem Gasthaus statt. Diesmal fehlt René von Stangeler, während Quapp dabei ist. G-ff stellt fest, was die „Unsrigen“, wenn sie ,unter sich‘ sind, trotz all ihrer Unterschiede eint bzw. was sie von den anderen unterscheidet. 1114 Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 47 u. 48. 1115 „[von der] jüdischen oder von der ,gotischen‘ [Seite]“ (Ebd., S. 54). (Die Anführungszeichen wurden handschriftlich hinzugefügt.) 1116 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, z. B., S. 381. (Der Ausdruck „unter uns“ findet sich auch in den Dämonen  ; Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 283.) 1117 Vgl. ebd., S. 442f. 1118 Ebd., S. 383  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 285.

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So ist etwa Robert Höpfner (die von Fritz Feldner inspirierte Figur) einer von ihnen, und das, obwohl G-ff ihn verdächtigt, sich ebenso gut mit ihnen zu verstehen wie mit Grete Siebenschein, Neuberg, Glöckner, Gyurkicz und Holder, die im „Aide mémoire“ als „Juden“1119 bezeichnet werden  : Immerhin, heute waren wir wieder einmal „beisammen und ganz unter uns“. […] Schien nicht Höpfner zum Beispiel nur ein seltsamer Fremdling unter uns zu sein […]. Ich glaube, er begriff im Grunde keineswegs, worüber wir uns heute freuten, er begriff nicht, dass wir – mit ihm  ! – „unter uns“ waren, und er wusste auch nicht, was die Abwesenheit einer Grete Siebenschein, eines Neuberg, einer Glöckner (so vortrefflich sie immer sein mochte  !) und schon gar eines Gyurkicz hier bedeutete, von Holder und anderen seiner Art überhaupt zu schweigen. Höpfner hätte sich mit allen diesen vielleicht ebenso behaglich gefühlt, wer konnte das schon wissen  ? Wir aber mit ihnen nicht – gleichwohl indessen mit ihm.1120

Was verbindet sie miteinander, wenn sie ,unter sich‘ sind, und was trennt sie von den anderen  ? Es ist keine Frage der Sympathie oder Antipathie, und die Tatsache, dass von der „trefflichen“1121 Glöckner die Rede ist, ändert nichts daran, dass sie nicht zu ihnen gehört. Die Einheit, wenn sie ,unter sich‘ sind, ist auch nicht auf ein besseres gegenseitiges Verstehen zurückzuführen, da Höpfner, obwohl er sie nicht versteht, doch zu ihnen gehört. Es ist vor allem die Bedrohung, die von den anderen ausgeht, die die „Unsrigen“ ,unter sich‘ eint. Für G-ff rufen die anderen (gemeint sind die Juden), hier am Beispiel von Grete Siebenschein, „Angst“ hervor, es geht von ihnen „Leere“ und „Fremdheit“ aus, sie gehören einer feindlichen „fremden Macht“ an  : Wohl, es gab Misstöne, Flachheiten, es gab ein gegenseitiges Nichtverstehenkönnen da und dort, in dem und jenem, aber nie doch griff man so glatt aneinander vorbei, dass die Hand ganz in’s Leere fuhr, wodurch das Gleichgewicht gefährdet wurde und etwas wie Angst zu fühlen war, eine Angst, die man solch einem im Grunde doch lächerlichen Püppchen, wie Grete gegenüber, sehr wohl erleben konnte. Hier lag die Fremdheit so tief, dass sie Dir [sic] das Wort im eigenen Munde verdrehte, dass sie dem eindeutigsten Ausdrucke doch einen anderen Sinn noch mitzugeben wusste  : 1119 Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 52. 1120 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 587. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1121 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, S. 333  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 247.

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jede Silbe, und selbst die der Zustimmung, ein vermummt fechtender Soldat einer fremden Macht.1122

„Jude“ Die Begriffe „Jude“, „jüdisch“, „Judentum“, „Judenfrage“1123 werden im „Aide mémoire“ verwendet, während es in den „Dämonen der Ostmark“ nur von Camy Schedik, der Frau von Kajetan von Schlaggenberg, ausdrücklich heißt, dass sie eine „katholisch getauft[e] Tochter aus kleinbürgerlich-jüdischem Hause“1124 sei. Dr. Schedik, der Vater von Camy, wirft Kajetan vor, seine Tochter „zur fanatischen Jüdin gemacht“1125 zu haben, was G-ff seinerseits wiederum für positiv hält  : „Hier liegt Ihr einziges Verdienst, Kajetan  : Sie haben jemand, der Ihren Lebensweg kreuzte, gezwungen, sich zu definieren, Farbe zu bekennen, Verkleidungen abzulegen, und seien diese noch so anmutig gewesen. Sie haben Camy gezwungen, sozusagen ihre eigene Abkunft einzuholen …“1126

Um darauf hinzuweisen, dass eine Romanfigur jüdisch ist, werden „Abkunft“ oder „Herkunft“1127 erwähnt, ohne diese näher zu bestimmen. Bei Grete Siebenschein verweisen auch die Wahl ihres Familiennamens und ihre „blauschwarzen Haare“1128 (wissend, dass Gusti Hasterlik, das Modell für Grete Siebenschein, rotblond war und Doderer sich 1929 in seinem bereits zitierten Presse-Inserat eine „israelitische Dame“ mit „schwarzem Haar“ wünschte) auf die jüdische Herkunft hin. Wenn vom „menschlichen und geistigen Auslande“ und von „Ausländerin“1129 die Rede ist, ist Camy Schedik gemeint  ; ebenso 1122 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 588. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1123 Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften  : zu „Jude“ S. 42 u. 53  ; zu „jüdisch“, S. 44, 48, 49, 55  ; zu „Judentum“ S. 48, 49, 55  ; zu „Judenfrage“ S. 49. 1124 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien I“, S. 49. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1125 Ebd., S. 50. (Vgl. auch Dr. Schediks Vorwurf an Kajetan, aus seiner Tochter eine „aufgehetzte, fanatische Jüdin“ gemacht zu haben  ; Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 1078). 1126 Ebd. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1127 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, zu Levielle über das Paar René und Grete, resp. S. 389 u. 390. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1128 Ebd., S. 196  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 192. 1129 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien I“  : zu „Auslande“ S. 55 u. 56  ; zu „Ausländerin“, S. 56. (Diese Stelle wurden nicht in die Dämonen übernommen.)

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sei sie „ein fremdartiges ja eigentlich artfremdes […] Wesen“.1130 Der Begriff „artfremd“ entspricht der NS-Terminologie für Juden, wie etwa im Ehegesetz vom 6. Juli 1938 über das „Verbot von Eheschliessungen zwischen Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes und Personen artfremden Blutes […].“1131 Und „Feindesland“ wird sowohl für den Zeitungskonzern „Allianz“ als auch für die „dicken Damen“ verwendet.1132 Was die Juden miteinander verbindet, ebenso wie ihrerseits die Nichtjuden, ist ihre „Wesensverwandtschaft“.1133 Diese besteht auf der einen (jüdischen) Seite zwischen der Familie Siebenschein und einem Freundeskreis, der als „Troupeau“1134 (Herde) bezeichnet wird, und auf der anderen (nichtjüdischen) Seite zwischen Stangeler, Eulenfeld und Schlaggenberg. Imre von Gyurkicz (Jude) ist bemüht, Quapp (Nichtjüdin) von jenen zu trennen, mit denen sie eine gemeinsame „Wesensverwandtschaft“ verbindet. Juden und Nichtjuden sind durch „jene unterirdische Spannung und Feindschaft einer tiefen Artfremdheit“1135 voneinander getrennt. So wird die Beziehung zwischen Kajetan von Schlaggenberg und Camy Schedik charakterisiert, nicht aber jene, die er mit Laura von Konterhonz hat, die er im Übrigen ablehnt. G-ff führt diesen Gedanken aus  : „[I]ch weiss mit Bestimmtheit, dass Kajetan gegen die Konterhonz stets Abneigung empfand, nicht jene tiefverborgene, von Bewunderung gänzlich überdachte, die er Camy gegenüber in sich trug (und das grenzte ja schon beinahe an geheime Furcht) […].“1136 Die Angst spielt daher eine wichtige Rolle bei der Definition von „Jude“  : die „geheime Furcht“1137 Kajetans gegenüber Camy  ; die „Angst“,1138 die man laut G-ff gegenüber jemandem wie Grete Siebenschein verspüren kann  ; jene 1130 Ebd., S. 34. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1131 Zit. nach Arno Buschmann  : Nationalsozialistische Weltanschauung und Gesetzgebung 1933– 1945. Bd. II, S. 622. (Hervorhebung von mir.) 1132 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 543f. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1133 Ebd., zu  : „Wesensverwandtschaft“, S. 292, 294, 391  ; zu „wesensverwandt“, S. 391 u. 431. (In dieser Bedeutung nicht in den Dämonen.) 1134 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, z. B. S. 293  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, z. B. S. 76. 1135 Ebd., S. 412  ; dieser Satz ist im Typoskript durch- und am Seitenrand angestrichen. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1136 Ebd. (In den Dämonen heißt es leicht abgeschwächt  : „die er Camy gegenüber mitunter in sich trug“  ; Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 297.) 1137 Ebd. 1138 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 588.

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„schreckliche Angst“, die René von Stangeler „oft“ bei der Familie Siebenschein empfindet  ; und Kajetan, der es „unheimlich“ findet, seit Grete Siebenschein zum Kreis der „Unsrigen“ gestoßen ist.1139 Als G-ff und Schlaggenberg über Camy Schedik reden, bezeichnet G-ff all jene, die die Position Camys gegen Kajetan vertreten, als „Gegenpartei“ 1140 und Körgers und Orkays Sprache reproduzierend  : „,Vielleicht gibt es hier wirklich so etwas wie zwei Parteien‘, sagte ich endlich halblaut, und wie im Selbstgespräche vor mich hin, ,deren Mitglieder sich gleichsam auf den ersten Blick erkennen. Übrigens, alles Unsinn […]‘“.1141

5. Die Beziehungen zwischen „Ariern“ und „ Juden“ Die Paare Im Roman sind die Beziehungen der gemischten jüdischen-nichtjüdischen Paare prinzipiell schwierig, da sie mit spezifischen Problemen zu kämpfen haben. Die Beziehungsprobleme der Paare Kajetan und Camy sowie René und Grete, die beide von der Beziehung Heimito von Doderers mit ­Gusti Hasterlik inspiriert sind, sind daher auch ähnlicher Art und werden in ähnlicher Weise beschrieben. So gibt es auch einige Schwankungen bei Doderer, welche Eigenschaft er welcher seiner Figuren zuordnen soll  : Im „Aide ­mémoire“ etwa stammt Grete Siebenschein explizit aus einem „jüdisch-kleinbürgerlichen Milieu“,1142 während dies in den „Dämonen der Ostmark“ über Camy Schedik gesagt wird.1143 Doch weder spielt das Jüdische (sei es als Religion oder Identität) eine Rolle bei den Familien Siebenschein und Schedik, noch ist die Bezeichnung kleinbürgerlich adäquat zur Beschreibung der Familien. Sie passt weder zu den Berufen der Männer  : Dr. Ferry Siebenschein ist Anwalt und Dr. Schedik ist Arzt (wie Gusti Hasterliks Vater), noch zur Ausbildung von Frau Siebenschein als Pianistin (wie Gusti 1139 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, resp. S. 310 u. 493. 1140 Ebd., S. 267  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 228. 1141 Ebd.  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 228. 1142 „dem jüdisch-kleinbürgerlichen Milieu der Siebenschein“; Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 44. 1143 „aus kleinbürgerlich-jüdischem Hause“  ; Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, S. 49. (In den Dämonen wird die „jüdische Abkunft“ von Camy Schedik erwähnt, u. bei der Familie Siebenschein ist von „kleinbürgerlicher Trotzdem-Zurückhaltung“ die Rede  ; Heimito von Doderer  : Die Dämonen, resp. S. 67 u. 190.)

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Hasterliks Mutter) oder zum großen Empfang bei der Familie Siebenschein und ihren kulturellen Interessen. Die Absicht, die dahinterstecken mag, ist es, den gesellschaftlichen Status dieser beiden Familien zu drücken. Dadurch wird wiederum der soziale Abstand zum adeligen Schwiegersohn Kajetan von Schlaggenberg bzw. René von Stangeler vergrößert. Des Weiteren sollte ursprünglich auf Camy die Erfindung des Namens „Montmârtre“ [sic] als Bezeichnung für die „Unsrigen“ zurückgehen, doch letztlich wird der Begriff dann von Grete geprägt.1144 Aus Doderers Aufzeichnungen geht hervor, dass René von Stangeler sich von den „dicken Damen“ angezogen fühlt, während das im „Aide mémoire“ und in den „Dämonen der Ostmark“ auf Kajetan von Schlaggenberg zutrifft.1145 Zu Romanbeginn hat sich das Paar Kajetan und Camy wegen der „unüber­ brückbare[n] Kluft“1146 zwischen ihnen bereits getrennt. René und Grete sind noch zusammen, doch Kajetan versucht, sie, mit Otto von Eulenfelds Unterstützung, aus eben diesem Grund auseinanderzubringen.1147 Als „doppelte[n] Boden“ verspürt René von Stangeler die Tatsache, dass er einerseits mit Grete, andererseits aber auch mit den „Unsrigen“ zusammen ist.1148 Kajetan von Schlaggenberg erwartet sich in einer Beziehung eine vollkommene Unterordnung der Frau. Dies bedeutet nicht nur die vollkommene Hingabe vonseiten der Frau, sondern auch, dass sie ihren ursprünglichen Glauben (auch wenn sich dieser wohl nicht auf die Religion beschränkt) aufgibt, um den ihres Ehemannes anzunehmen. Schlaggenberg setzt das G-ff auseinander  : […] „erlauben Sie, ich behaupte ganz allgemein, dass ein Weib zu ihrem Manne gehört und also auch zu seinem Glauben oder wie man’s sonst benennen mag. Durch diesen Übertritt, gleichgültig woher, jedenfalls aber zu ihm hinüber, wird sie wohl erst die Seine. Die Frau wird zweimal geboren, einmal von ihrer Mutter, das andere Mal von ihrer Liebe.“1149

1144 Vgl. ebd., S. 322. (Als „Döblinger Montmartre“ findet sich dieser Begriff auch in  : Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 81.) 1145 Vgl. Elizabeth Hesson  : Twentieth Century Odyssey, S. 21. 1146 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, S. 426. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1147 Ebd., S. 352 u. 426. 1148 Ebd., S. 405. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1149 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien I“, S. 31. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.)

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Die Tatsache, dass Camy Schedik diese Rolle nicht angenommen hat, wird von Kajetan von Schlaggenberg als „Verrat“1150 empfunden. Die Trennung findet unabhängig der Gefühle, die Kajetan nach wie vor für sie empfindet, statt. Für Kajetan ist es eine „klaffende Wunde“  ;1151 er fühlt sich auch weiterhin von Camy gleichermaßen angezogen wie abgestoßen  : Er vermisste jetzt ganz plötzlich und in tiefem Erschrecken jedes lebendige Gefühl von dem unheilbaren Gegensatze zwischen seiner eigenen Welt und der Camy’s, die Spannung zwischen diesen äussersten Gegenpolen schien erloschen und in sich zusammengestürzt, zu Brei geworden.1152

Wegen des Scheiterns seiner Beziehung zu Camy Schedik entwickelt Kajetan von Schlaggenberg seine Theorie, dass junge Männer sich reifen und korpulenten Frauen zuwenden sollten, da junge Frauen ihnen nicht geben könnten, was sie brauchen. Von nun an wird, laut „Aide mémoire“, Kajetan von Schlaggenbergs Neigung zu reifen, korpulenten, jüdischen Frauen zur Besessenheit. Um die „dicken Damen“ geht es zwar im Kapitel „Ein entzückendes Konzil“,1153 die Beziehungen zwischen Schlaggenberg und den „dicken Damen“ werden in den „Dämonen der Ostmark“ allerdings nicht ausgeführt.1154 Ähnliche Beziehungsprobleme beschäftigen das Paar Imre von Gyurkicz (Jude) und Charlotte von Schlaggenberg (Nichtjüdin). Sie ist nur dann wirklich glücklich, wenn sie sich in Gesellschaft der „Unsrigen“ („unter uns“)1155 befindet, während Imre von Gyurkicz bemüht ist, sie von den „Unsrigen“ zu trennen und sie in seinen eigenen Freundeskreis zu ziehen.1156 Hans Neuberg (Jude) und Angelika Trapp (Nichtjüdin) haben ebenfalls Beziehungsprobleme.

1150 Ebd. 1151 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, S. 428  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 302. 1152 Ebd., S. 402  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 292f. 1153 Ebd., 10. Kapitel, S. 354–374. (Doderer übernahm den Titel für das 9. Kapitel in  : Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 261–277.) 1154 Darüber gibt dafür das 2007 veröffentlichte Fragment Doderers Aufschluss. Bei der Abfassung dieses Textes war es statt Kajetan noch René, der von den „dicken Damen“ besessen war. Heimito von Doderer  : „Chronique Scandaleuse oder René und die dicken Damen“ (der Titel wurde von den Editoren Gerald Sommer und Martin Brinkmann gewählt) sowie Gerald Sommer  : „Doderer, dicke Damen und ,Dämonen‘“. In  : Krachkultur, 11/2007, resp. S. 94–112 u. 127–132. 1155 Vgl. Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 581, 585 u. 589. 1156 Ebd., S. 630.

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Für Angelika Trapp gäbe es „im Geistigen“ einerseits eine Wahlverwandtschaft zwischen Hans Neuberg und Grete Siebenschein, so wie andererseits eine zwischen ihr und Kajetan von Schlaggenberg.1157 Die Position von G-ff – oder wie kann man seinen Antisemitismus leben  ? G-ff hat den Ruf, „massvoll“ und „gegen Übertreibungen“ zu sein.1158 Grete Siebenschein ist daher überrascht, ihn bei den „Unsrigen“ anzutreffen, und drückt dies auch G-ff gegenüber aus  : „,[…] wenigstens ein wirklich vernünftiger, objektiver Mensch ohne irgendwelche Voreingenommenheiten …‘ […]“.1159 Doch G-ff hat sich, wie er selbst feststellt, verändert  : Ich sah die Dinge wirklich schon mit anderen Augen an, damals, oder ich begann sie zumindest mit anderen Augen zu sehen – versuchte aber noch immer, mir einzureden, dass das alles Einbildungen und „Vorurteile“ seien, und dass ich mich nur „auf mich selbst besinnen“ müsse, um diesen ganzen herandringenden SchlaggenbergEulenfeld-Körger’schen Ideologien nicht zu erliegen …1160

Auch wenn G-ff die Methoden der anderen nicht billigt, so wirft er ihnen doch vor, dass sie ihre Beziehungen zu den Juden aufrechterhalten  ; eine Haltung, die er für verlogen hält  : „Man brauchte nur zu wissen, dass hier alles in einer Verlegenheit, einer Halbheit, einer Notlüge, in irgend einem Nachgeben seine erste Herkunft hatte, diese ganze Gesellschaft, wie sie war.“1161 Für G-ff ist dieser „Eintopf “ (Juden und Nichtjuden) nicht nur typisch für den Kreis der „Unsrigen“, sondern für die gesamte Wiener Gesellschaft. Die Beispiele, die er dafür anführt, sind  : ein Ball bei Frigori (Jude)  ; die Opernloge von Frau Ruthmayr (Nichtjüdin), die sie mit Levielle (einem Juden) teilt  ; eine Konditorei, in der sich die jüdischen „dicken Damen“ treffen. Er kommt zu dem Schluss,

1157 Ebd., S. 654, vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 431. 1158 Ebd., S. 688. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1159 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, S. 434  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 304. In den Dämonen wurde „ein“ nicht mehr hervorgehoben. 1160 Ebd.  ; vgl. auch abgeändert in  : Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 305. 1161 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 695  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 459.

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dass in unserer Stadt eben überall die ungefähr gleiche Beschaffenheit und Mischung der Menschen herrschte. Gleichgültig wo, ob etwa auf dem „Hausball“ bei einem Frigori […] oder in der Loge einer Frau Ruthmayr, oder in der zimperlichen Welt einer renommierten Konditorei …1162

G-ff scheint entschlossen bei dieser „Mischung“ nicht mehr mitzumachen  : Er zeigt es, indem er eine Einladung bei der Familie Siebenschein ausschlägt, wo es ein „,Plenum‘ der Unsrigen“1163 gibt, erklärt sich aber bereit, kurz vorbeizuschauen.1164 Und als ihn Frigori in der Oper anspricht, bleibt er zwar höflich, doch bricht er das Gespräch kurzerhand ab und verlässt ihn sogleich. Das, was Grete Siebenschein als seine Qualitäten bezeichnet hatte, davon versucht G-ff sich zu lösen  : Mit einem Schlage wusste ich auch, dass ich aus veraltetem Zeug mir heute noch Tugenden baute  : da war ich „massvoll“ im Urteil, verwahrte mich gegen „Übertreibungen“ […] Für einige Secunden nur fühlte ich damals eine kommende Klarheit über mir  ; ich fühlte sie geradezu über mir hangen, in einem noch gänzlich unbenannten Vorwissen des Künftigen  : „Ja – von dort aus wird man solche Tugenden einmal haben dürfen“ – so etwa flüs­ terte ich vor mich hin – „heute aber kommt man nur – hinunter damit, ist für nichts mehr gut …“1165

„[F]ür nichts mehr gut“,1166 das sagt Levielle, als er Lasch ankündigt, dass sie Altschul fallen lassen würden. Für G-ff bedeutet es wohl die Notwendigkeit einer Trennung, wie er es auch, nicht allein auf Camy bezogen, schon formuliert hatte  : Ich dachte an Kajetans Frau und jene Beschreibung ihres Inneren, welche sie Schlaggenberg einst gegeben hatte. Nun, wahrhaftig  ! ich fühlte mein eigenes Wesen keineswegs so wie Frau Camy, als einen allseits abgeschlossenen, wohlvertrauten Raum, aus 1162 Ebd., S. 685f. (In den Dämonen wurde nur der erste Satz ohne das Wort „Mischung“ übernommen  ; Heimito von Doderer  : Die Dämonen, ebd., S. 454.) 1163 Ebd., S. 687  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 454. 1164 Vgl. ebd., S. 684–687. 1165 Ebd., S. 688  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 454  ; nur der Satz „Für einige Secunden … Künftigen“ wurde übernommen. 1166 Ebd., S. 592  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 474.

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welchem unmöglich etwas mir selbst noch Unverständliches, etwas geradezu Neues kommen und mich antreten könne. Wenn das eben bei jenen dort sich so verhielt – dann musste es gerechterweise einmal einen Abschied geben, und einen ohne Verständigung. Und ohne Tugenden und gute Eigenschaften und ohne …1167

G-ff wendet sich direkt an den Leser, um seinen Entschluss zu erklären, wa­ rum er die Einladung bei der Familie Siebenschein ausgeschlagen hat. Eine Einladung, bei dem der gesamte „Eintopf “ (der jüdische und nichtjüdische Bekann­tenkreis) anwesend ist. G-ff erinnert sich an die Anfänge des „Eintopfs“ und stellt, wie schon erwähnt, fest, dass diese „Mischung der Menschen“1168 nicht nur für den Kreis der „Unsrigen“, sondern typisch für „unsere Stadt“1169 ist.1170 G-ff kündigt mit einer recht drastischen Wortwahl – „Bäume“, die man „würde umhauen müssen“ – seinen Bruch mit dem „Eintopf “ an, um (Kaje­ tan zitierend, der sich aber selbst nicht daran hält, wie G-ff kritisch anmerkt) „ganz und geschlossen“1171 zu werden  : [Ich] sah ein schon recht ausgedehntes Fahrwasser hinter uns, in welches ich mit dieser ganzen Gesellschaft hineingeraten war. Wie war’s dahin gekommen  ? Nun  : so und so… aber es blieb doch befremdlich, erstaunlich. Die neuen Zustände, die neuen Abschnitte, die neuen Krankheiten im Leben wachsen so unerklärlich wie Bäume, aus irgendeinem nährenden Grund hervor… Dass man aber alle diese Bäume, gerade diese Bäume, die da jetzt wuchsen, würde umhauen müssen, in Bälde, das, wahrhaft, wusste ich erst seit kurzer Zeit  !1172

6. Die „Wasserscheide“ „An der Wasserscheide“, so sollte der Titel des zweiten Bandes der „Dämonen der Ostmark“ lauten.1173 In diesem sollten die „Spannungen und Gegensätze“, die Doderer in seiner Beschreibung des Romanprojekts 1936 auf die „über1167 Ebd., S. 701  ; vgl. auch leicht abgeändert  : Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 464  ; dort heißt es  : „dann mußte es einmal eine Trennung geben, und eine ohne Verständnis“. 1168 Ebd., S. 688. 1169 Ebd., S. 687. 1170 Vgl. ebd., S. 685–688  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 453–455. 1171 Ebd., S. 686  ; vgl. Kajetans Ausspruch auch in  : Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 370. 1172 Ebd. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1173 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 819 (21.7.1936).

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wältigende Bedeutung“ des „Judentume[s] in Österreich“ zurückführte, zu ihrem Höhepunkt gelangen  : der „Zusammenbruch der grossen Banken“ (für die Levielle, Lasch und Altschul, alle drei Juden, verantwortlich sind) und die „marxistischen Gärungen, die im Juli des Jahres 1927 ihren blutigen Ausbruch fanden“.1174 Die „Wasserscheide“ steht für die im „Aide mémoire“ angekündigte „Zerlegung der Gesellschaft“ – auf die es im ersten Band bereits Hinweise gibt – mit der Bildung zweier „Fronten“.1175 Das geplante Ende mit einer Zwei-Fronten-Bildung, wie Doderer es im „Aide mémoire“ angekündigt hatte, wurde letztendlich in seinem Roman nicht verwirklicht. Die eine Front sollte sich, laut „Aide mémoire“, aus allen „Andersartigen“,1176 anders ausgedrückt, aus den „Juden“, rund um Levielle, Lasch, Altschul, den Pressekonzern „Allianz“, die Familie Siebenschein und Camy Schedik, zusammensetzen. Diese Gruppe wird aus Menschen gleichen „Blutes“ gebildet – der im „Aide mémoire“ verwendete Begriff dafür ist „blutmässige Tatsache“1177 –, aber auch aus „Menschen, die keinen Tropfen semitischen Blutes haben  : Münzen sozusagen, die auf beiden Seiten eine einzige Prägung zeigen, nämlich die des Defektes […]“.1178 Die zweite Front wird vom „Kreis der Unsrigen“ gebildet, nachdem dieser „wirklich geschlossen und frei von allen wesensfremden Elementen“1179 ist. Sie gruppiert sich um die von Gütersloh inspirierte Romanfigur Scolander  : „Dieser Mann bildet sozusagen den sinnbildlichen Mittelpunkt für den jetzt neuen, gereinigten Kreis, dessen spirituelle Stellungnahme sich eben in diesem einen Mann am stärksten verkörpert hat.“1180 Gerald Sommer zeigt auf, ob und inwieweit Ankündigungen des „Aide mémoire“ und dessen antisemitischen Inhalte in die Dämonen übernommen wurden.1181 Zum „Apartheidsmodell ,An der Wasserscheide‘“ merkt er an  : „[Es] 1174 Ebd. 1175 Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 48. 1176 Ebd., S. 54. 1177 Ebd. 1178 Ebd. 1179 Ebd., S. 56. 1180 Ebd. (Diese im „Aide mémoire“ gestrichene Stelle wurde weiter oben zitiert  : „Die Dämonen der Ostmark“, ein antisemitisches Romanprojekt  : Doderers „Aide mémoire“ als Inhaltsangabe des Romanprojekts.) 1181 Vgl. Gerald Sommer  : „In die ,Sackgasse‘ und wieder hinaus“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 75f.

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gelangte als Text nie über das Stadium seiner Planung hinaus und dies, obwohl Doderer zwischen Abfassung des ,Aide mémoire‘ (1934) und Erscheinen der Dämonen (1956) […] hinreichend Gelegenheit dazu gehabt hätte.“1182 Doch auch wenn das Thema „Wasserscheide“, anders ausgedrückt  : die Trennung der Juden von den Nichtjuden, letztlich nicht verwirklicht wurde, so ist das „Fundament“1183 dazu, also der Wunsch und die Notwendigkeit einer derartigen Trennung in den „Dämonen der Ostmark“ in seiner erzählerischen Vorbereitung sehr wohl präsent. Auf die „Wasserscheide“ bzw. auf die „Zerlegung der Gesellschaft“ wird in den „Dämonen der Ostmark“ mit dem wiederholten Auftauchen eines unbekannten „Mädchen[s]“ hingewiesen. Ihre Rolle besteht darin, die Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit einer derartigen Trennung zu lenken. Sie taucht bei einem Schiausflug der „Unsrigen“ auf, als diese ,unter sich‘ (das heißt ohne Juden) sind. Sie fährt knapp an ihnen vorbei. Ihre unterschiedliche Art des Schilaufens ist im übertragenen Sinn zu verstehen  : Während sie „ihre Fahrtrichtung immer beibehielt“,1184 heißt es von den „Unsrigen“  : „[W]ir änderten den Kurs“.1185 Ein Hinweis auf die ambivalente Haltung der „Unsrigen“, die sich zwar nur dann wirklich wohl fühlen, wenn sie ,unter sich‘ sind, andererseits aber den Zeitpunkt des Bruchs mit den restlichen „Unsrigen“ (den Juden) hinausschieben. Dieses Hinauszögern des Bruchs wird auch im 1940 verfassten Kapitel „Auf offener Strecke“ wieder aufgenommen, als G-ff von einer „General-Bereinigung“ spricht, die der (aus Juden und Nichtjuden zusammengesetzte) Kreis zwar benötige, die aber daran scheitere, dass „sich jedoch niemand von den Herr-schaften [sic] anschickte“ (in diesem Fall den Nichtjuden), es auch zu tun.1186 Bei einem anderen (zuvor geschilderten) Ausflug, an dem alle „Unsrigen“ (Juden und Nichtjuden) teilgenommen hatten, geht dieselbe Unbekannte mitten durch die Gruppe, diese so in zwei teilend, de facto in Juden und Nichtjuden. Sie teilt somit, „was aus Wahrheit nicht zusammengehörte, in dieser wenig glücklich und doch nach dem Willen des Lebens gemischten Gesellschaft“.1187 1182 Ebd., S. 82. 1183 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 820 (21.7.1936). 1184 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, S. 382  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 284. 1185 Ebd. 1186 Vgl. Heimito von Doderer  : „Roman-Studien IV (,Dämonen‘) [/] 1940 [/] ,Auf offener Strecke‘“, [Kapitel 18], Ser. n. 14.184 d. ÖNB, S. 4f. 1187 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien I“, S. 15f.  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 17.

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In der ersten Gruppe, die sich durch die Zweiteilung der Unbekannten gebildet hat, befinden sich Otto von Eulenfeld, Kurt Körger, Geza von Orkay, Kajetan von Schlaggenberg, René von Stangeler, Quapp und G-ff – und damit ausschließlich die Nichtjuden. In der zweiten Gruppe befinden sich Laura von Konterhonz und Robert Höpfner, gefolgt von Holder und Hans Neuberg und dem Rest der Gruppe  : Grete Siebenschein, Imre von Gyurkicz, Hedwig Glöckner und Angelika Trapp. René von Stangeler wird sich der Trennung bewusst, doch ohne ihre Bedeutung zu verstehen  : „Man marschiert heute sozusagen getrennt“, sagte Stangeler, der sich umgewandt hatte, „in zwei gänzlich gesonderten Gruppen. Nicht einmal die beiden Ungarn sind beisammen  !“ Orkay lachte kurz auf. „Fassen Sie dieses getrennte Marschieren sinnbildlich auf, dann kommen Sie dem wahren Sachverhalt am nächsten,“ bemerkte mein Neffe [Körger]. „Wie –  ?“ fragte Stangeler. „Von mir aus als die Vision einer besseren Zukunft.“1188

In der zweiten Gruppe befinden sich noch Juden und Nichtjuden gemischt  : Kurt Körger ist bereit, Robert Höpfner, Angelika Trapp und Laura Konterhonz in seine Gruppe aufzunehmen – alle drei Nichtjuden. Grete Siebenscheins Wunsch, sich anzuschließen, lehnt er ohne weitere Erklärung kategorisch ab. Obwohl G-ff über Orkay an anderer Stelle anmerkte, er sei jemand, der nichts gegen ein „kleines Pogrom“ 1189 einzuwenden habe, erträgt er, ebenso wie Otto von Eulenfeld, die Unhöflichkeit Körgers gegenüber Grete Siebenschein nicht. Da sie nicht weiß, worum es tatsächlich geht (nämlich um die Trennung von Juden und Nichtjuden), gibt Orkay vor, es handle sich um die Zusammenstellung eines Tischtennis-Teams, in dem Körger nur die besten Spieler akzeptieren würde.1190 Grete Siebenschein gibt sich mit dieser Erklärung zufrieden  :

1188 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, S. 440  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 309. 1189 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 542. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1190 Vgl. Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, S. 440f.  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 309.

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Sie war gleich wieder beruhigt, harmlos und lustig. Ihr scharfer und ahndungsvoller Instinkt, der sie sozusagen im richtigen Augenblicke zu uns hierher geführt hatte, war alsbald bereit, sich einschläfern zu lassen, und zugleich gewann wieder irgend ein wohlwollend-freundlicher Wunsch die Macht eines Vaters ihrer weiteren Gedanken. Wir aber wurden durch die von uns geduldete, ja gutgeheissene Lüge Orkay’s auf seltsame Art zu einer wissenden Gemeinschaft zusammengeschlossen, der sie nun als Fremde gegenüberstand.1191

Grete Siebenschein schlägt vor, ein Tischtennis-Turnier in der elterlichen Wohnung zu veranstalten. Dieser Nachmittag der „Unsrigen“ in der Wohnung der Familie Siebenschein wird im Kapitel „Der Eintopf “ geschildert.1192 Schlaggenberg, trotz der „Zuneigung“,1193 die er für Grete Siebenschein bei ihrer ersten Begegnung empfunden hatte, ist sich bewusst, dass sie diesem Kreis niemals wirklich angehören kann, und das trotz ihres guten Willens  : „[,…] Aber was wartet auf sie  ? Unser – ich mag kaum sagen ,besseres‘ – Wissen und damit der doppelte Boden unseres Verhaltens….‘“ Und der Chronist G-ff fügt an  : „Damals widersprach ich ihm noch.“1194

7. Kugel, Apfel und Perle  : Einheit und Schicksal René von Stangeler René von Stangeler vertraut G-ff zwei seiner Erinnerungen an, mit denen er sein Gefühl einer „Zweigeteiltheit“1195 oder „Bruchlinie“,1196 wie er es auch bezeichnet, zu veranschaulichen versucht. Eine „Bruchlinie“, die er bereits als Kind verspürte, als er nach einer Rauferei verschwitzt und verschrammt nach Hause gekommen war und unmittelbar danach, sauber und entsprechend gekleidet, den Abend mit seinen Eltern in der Oper verbracht hatte. Von einem 1191 Ebd., S. 441  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 310. 1192 Vgl. Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, Kapitel 17, „Der Eintopf “, S. 591–705. (Der Titel wurde in den Dämonen für das 13. Kapitel beibehalten. Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 389–467.) 1193 Vgl. Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, S. 427  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 301. 1194 Ebd.  ; im Original in Klammern. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1195 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 507. (Dieser Begriff wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1196 Ebd., S. 503. (Dieser Begriff wurde nicht in die Dämonen übernommen.)

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vergleichbaren Erlebnis erzählt er, als er als junger Mann, 1920 vom Kriegsgefangenenlager in Sibirien kommend, verschmutzt und leicht verletzt in St. Petersburg in der mittlerweile heruntergekommenen ehemaligen Botschaft der österreichisch-ungarischen Monarchie Unterkunft fand. Diesmal wird ihm die „Bruchlinie“ bewusst, als er in dem verfallenen Gebäude überraschend auf ­einen intakten, wunderschönen Raum stößt. Von dem Ort und der Ruhe dort verzaubert, von den Gerüchen geleitet, wird er auf sich selbst zurückgeworfen. Er erinnert sich in diesem Moment daran, was er damals in der Oper verspürt hatte, als er „nur äusserlich sauber und geschniegelt, innen aber irgendwie noch roh und heiss“1197 war. „,Man hätte – so fühlte ich das damals – wählen müssen, wohin man eigentlich gehörte […].‘“1198 Ohne dieses Gefühl der „Zweigeteiltheit“, zunächst in seiner Kindheit und dann als junger Mann, wäre er wie eine „runde, geschlossene, feste Kugel“1199 gewesen, die, wohin immer sie auch rollt, „bleibt, was sie ist, sie wird nicht gespalten oder aufgespalten“ und „sie findet auch alsbald den Platz […] wieder, wo sie […] hingehört“.1200 Einheit und Schicksal sind zwei Themen, auf die man in Doderers Romanen immer wieder stößt. Renés Definition vom Sinn des Lebens lautet, dass wir im Leben den Platz zu finden hätten, der uns vom Schicksal her bestimmt sei  : „Ja, wenn es schon durchaus einen „Sinn“ haben muss, das Leben […] – so wird doch dieser Sinn keinesfalls in den – Tatsachen liegen, um die ihr so besorgt seid, draussen also, sondern gewiss doch innen […] und eben in der Erfüllung – des eigenen Schiksals das gemeint war von Anfang an, welches man endlich einholt […]“.1201

Zum Bild der ,runden, geschlossenen, festen Kugel‘ kommt jenes des Apfels. Während René in der Wohnung der Familie Siebenschein auf einer Couch schläft, sprechen Levielle und Lasch im selben Zimmer über ihre Intrigen gegen den Bankdirektor der Creditanstalt Altschul, ohne sich der Anwesenheit Renés zunächst bewusst zu sein. Bei dieser Besprechung sagt Levielle zu Lasch etwas über Altschul, was René im Halbschlaf hört  : „,mag er fallen, für nichts mehr gut, soll ihn der Teufel holen  !‘“1202 1197 Ebd., S. 507. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1198 Ebd., S. 503. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1199 Ebd., S. 508. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1200 Ebd. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1201 Ebd., S. 693  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 458. 1202 Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften,

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Ein Vorfall über den sowohl im „Aide mémoire“ als auch in den „Dämonen der Ostmark“ berichtet wird. Im „Aide mémoire“ wird der antisemitische Gehalt desselben Vorfalls deutlicher formuliert  : Die Stimme Levielles, die „in den Traum unseres unglückseligen Fähnrichs [Stangeler] [drang], er bezog es [die für Altschul bestimmten Worte] im Traum sozusagen auf sich, hatte einen rauhen Angsttraum, der ein merkwürdiges Gemisch aus rassischem Unglück und geistiger Gefährdung darstellte und fuhr schliesslich, da Levielles spitze Stimme immer drängender in seinen Angsttraum eindrang und sich dort verkörperte, mit einem Schrei in die Höhe“.1203 Doch auch in den „Dämonen der Ostmark“ wird dieses von René von Stangeler empfundene „merkwürdig[e] Gemisch aus rassischem Unglück und geis­ tiger Gefährdung“ mehrfach, auf indirekte Weise, angesprochen. Bei einem Ausflug der „Unsrigen“ erzählt Stangeler seinen Traum und erklärt die Bedeutung, die das von Levielle Gesagte für ihn angenommen hatte  : Es bezog sich im Traum auf mich. Ich sollte in die Versenkung. Oder fallen – bodenlos. Überhaupt ganz und gar und für immer verloren sein … Da war im Traum ein riesiges, finsteres Mühlrad, das drehte mich hinunter in die Radgrube, in die wegschwemmenden Wassermassen hinein, und als ich fiel, da schwollen die drehenden, rumpelnden Geräusche bis zum äussersten an …1204

Auslöser für dieses Gefühl der Gefahr ist Levielle, auf dessen jüdischen Ursprung im Roman wiederholt hingewiesen wird. Um die Angst vor Juden geht es auch im „Aide mémoire“, als es heißt, dass das „Judentum“ gegenüber dem „Ariertum“ wegen seiner „Dezidiertheit“ weit überlegen sei und so die Gefahr vom „,Untergang des Abendlandes‘“ in sich berge.1205 In den „Dämonen der Ostmark“ hatte Stangeler sich im Traum als „eine Art Kugel“ oder genauer als „Apfel“1206 gesehen  :

S. 45. (Dieselben Begriffe finden sich in veränderter Reihenfolge in  : Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, S. 454  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 320.) 1203 Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“, In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 45  ; „rassisch[e] Gefährdung“ wurde durch „rassische[s] Unglück“ ersetzt. 1204 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, S. 454  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 320f. 1205 Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 48f. 1206 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, S. 452.

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„Dieser Apfel war – ich selbst. Weiss. Innen weiss. Nicht fertig. Ein Teil fehlte. Etwas Scharfes, Spitzes drang an mich heran, fraß sich in meine Rundung hinein […]. Ich musste aber ganz und heil bleiben, oder eigentlich ganz – werden, „mich kugelig schliessen“ […] … es hing ausserordentlich viel davon ab, diese Rundung zu vollbringen, oder aber den – abgesplitterten Teil, der durch die eindringende Spitze abgespalten und verdorben wurde, wieder ganz zu ersetzen …“1207

Dieses Spitze, von dem Stangeler sich im Traum bedroht fühlte, wird von ihm als die Stimme Levielles interpretiert. Welche Bedeutung dem „Apfel“ zukommt, wird klar, als Kurt Körger Stangeler unterbricht  : „,Vielleicht ein Rossapfel,‘ bemerkte Doktor Körger leise, ,oder vielleicht gar ein – Reichsapfel‘ […]‚ Stangeler kugelig geschlossen, als Denk-Kugel frei im Raume schwebend […] sozusagen ,le globe philosophique‘ – Stangeler in Reichsapfelgestalt  !  !‘“1208 Der „Reichsapfel“ ist eine Anspielung Doderers auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das ihm im „Dritten Reich“ fortgesetzt schien.1209 Die Bedeutung des Reichsapfels wird von Gerald Sommer erklärt  : Mit dem politisch wie historisch bedeutsamen Reichskleinod des Reichsapfels, einem Herrschaftszeichen der Kaiser und Könige des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation[,] gestaltet Doderer einen gefährdeten, ja bereits in seiner Integrität beschädigten christlich-deutschen Gegenpol zu der diesen zersetzenden jüdischen Seite, die von Lasch und Levielle repräsentiert wird.1210

Das Bedürfnis nach Einheit der Romanfiguren zieht sich durch viele Romane Doderers (etwa bei Melzer oder den Zwillingen in der Strudlhofstiege), doch im Gegensatz zu den „Dämonen der Ostmark“ ohne antisemitischen Gehalt. In den „Dämonen der Ostmark“ empfinden Stangeler, Schlaggenberg und G-ff diese Einheit durch ihren Umgang mit Juden als bedroht. 1207 Ebd., S. 452f.  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 319. 1208 Ebd. (Ohne den Vergleich mit dem Reichsapfel in  : Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 319.) 1209 Vergleich Doderers in seinem „Ansuchen um Nachsicht von der Registrierung, gem. Verordnung v. 11.VI.1945“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „das magistratische Bezirksamt Wien VIII. Josefstadt“ vom 21.2.1946. (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 8. Bez./3932 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.) 1210 Gerald Sommer  : „In die ,Sackgasse‘ und wieder hinaus. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 79.

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Kajetan von Schlaggenberg Levielle fordert Kajetan von Schlaggenberg auf, sich nicht mehr störend in die Beziehung von René und Grete einzumischen. Im Gegenzug dazu bietet er ihm einen Posten im Pressekonzern „Allianz“ an. Doch geht es ihm dabei nicht um Grete, wie er Kajetan gegenüber vorgibt. Der wahre Beweggrund Levielles, der Schlaggenberg aber nicht bekannt ist, ist dessen Befürchtung, Kajetan könne über René von seiner und Laschs Intrige gegen Altschul erfahren haben. Für Kajetan geht von Levielle etwas Negatives aus  ; seit dessen Besuch kommt er mit seiner Arbeit nicht mehr voran. Er braucht zwar die Stelle bei der „Allianz“ aus finanziellen Gründen, fühlt sich aber von Levielles Angebot bedroht, weil „man da jetzt neuerlich verfilzt und verschwistert wird mit dieser ganzen Gesellschaft  !“1211 Mit dieser „ganzen Gesellschaft“ ist nicht nur Levielle und die Allianz gemeint, sondern ebenso Grete Siebenschein  : „Also – wegen dieser Grete  ! Alles unheimlich… seit sie bei uns ist […] Zum Teufel, irgendetwas Bedenkliches ist doch da eingedrungen, seit der Alte bei mir war  !“1212 Als Kajetan über die Stelle, die ihm angeboten wurde, nachdenkt, ist er sich für einen Augenblick seiner Unsicherheit bewusst. Dieser Moment der Klarsicht wird mit einem „Perlchen, welches von einer Schnur fällt“1213 ver­glichen. Seinen Versuch, sich selbst mit rationalen Argumenten zu überzeugen, dass er Levielles Angebot ruhig annehmen könne, erkennt er als Selbstbetrug. Auch für diese Bewusstwerdung verwendet er das Bild der „Perle“, die hier deutlicher als „Perlchen Wahrheit“1214 bezeichnet wird. Wie René, der sich als Apfel sah, in den die schrille Stimme Levielles wie etwas, das „sehr sauer“1215 ist, eindrang, verwendet Kajetan das Bild von einem „Perlchen“  : Ein Perlchen rollte. Aber es war gross. Jedoch, zeigte es nicht schon Sprünge, wie von einem scharfen Gegenstande verletzt oder von irgend einer Säure verätzt  ? […] 1211 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, S. 495. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1212 Ebd., S. 493  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 345  ; nur der 2. Satz wurde übernommen. 1213 Ebd., S. 492  ; vgl. auch leicht abgewandelt in  : Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 345  : „wie ein Perlchen, welches vom Faden fällt“. 1214 Ebd., S. 495. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1215 Ebd., S. 452  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 319.

„Die Dämonen der Ostmark“, ein antisemitisches Romanprojekt

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Er ist eingedrungen wie … dieser säuerliche Widerling. Der hat mich, scheint es, im richtigen Augenblicke erwischt …1216

G-ff G-ff hält sich in der Opernloge von Frau Ruthmayr auf, als er eine plötzliche Eingebung hat, wieder einmal ausgelöst von einer Perle, die sich von seinem Hemd gelöst hatte  : Ich atmete tief. Meine Brust trat vor, das steife Leinen knisterte, bog sich, es gab einen kaum spürbaren kleinen Ruck. Ein Perlchen rollte vor mir auf dem roten Samt der Brüstung. Ich blickte auf und steil in den Raum hinaus. „Stangeler“, flüsterte ich vor mich hin, fast ohne es zu wissen. „Wie  ?“ sagte Frau Ruthmayr jetzt leise und fragend. Ich wandte mich ihr zu, sah sie voll an und schwieg. Konnte ich denn dies, oder irgendetwas, hier und jetzt erklären  ?1217

Das Erlebnis G-ffs ist Stangelers Erinnerungen aus Kindheit und Jugend, die er G-ff anvertraut hatte, ähnlich. Als G-ff sich in Vorbereitung auf den Abend in der Oper allein in seinem Badezimmer befindet, lösen die Stille und ein bestimmter Geruch ein Eintauchen in seine Vergangenheit aus, als alles noch „ein und dasselbe, und übersichtlich“1218 war. Und so wird sich G-ff, in der Stille und indem er sein Leben wie in einer „hohle[n] Hand“1219 sieht, dessen bewusst, am Anfang eines neuen Abschnitts in seinem Leben zu stehen, mit einer neuen Sicht auf die Dinge, die weder der „gross[e] Krie[g]“ noch „des alten Kaiserreichs Zusammenbruch“,1220 das heißt keine äußeren, historischen Begebenheiten, bewirken hatten können. Diese Wiederaneignung seiner Vergangenheit kann als Suche nach seiner Einheit und seinem eigenen Schicksal verstanden werden. René hatte G-ff seinen Eindruck geschildert, eine Wahl treffen zu müssen, um seinen Platz finden zu können  ; die „Bruchlinie“ in ihm führte er auf die 1216 Ebd., S. 495f . ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 346, ohne die beiden letzten Sätze. 1217 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 705  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 467. 1218 Ebd., S. 690  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 456. 1219 Ebd. 1220 Ebd.

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Doderers Werk im Wandel der Zeit  : antisemitische und nazistische ,Substrate‘

„Unvereinbarkeit dieser zwei Welthälften“1221 zurück. Diese unvereinbaren „zwei Welthälften“ bedeuteten für Stangeler ursprünglich einerseits, sein Inne­ res „noch roh und heiss“1222 (nach einer Rauferei auf der Straße) und andererseits seine nur „äusserlich[e]“1223 Sauberkeit (in der Oper) als Gegensatz zu empfinden. Eine Spaltung also zwischen Innen und Außen. Dass G-ff in der Oper plötzlich den Namen Stangelers flüstert, kann daher so verstanden werden, dass auch er sich darüber bewusst wird, in „zwei Welthälften“ zu ­leben, die miteinander unvereinbar sind. Einerseits war er bei der Familie Siebenschein, wo er mit dem von ihm so bezeichneten „Eintopf “ (also Juden und Nichtjuden) konfrontiert war, andererseits befindet er sich unmittelbar darauf, so wie René damals mit seinen Eltern, in der Opernloge mit (der nichtjüdischen) Friederike Ruthmayr. Er hätte somit, so wie auch René, eine Wahl zwischen den „zwei Welten“ (hier  : jüdisch und nichtjüdisch) zu treffen, um seinen Platz zu finden, was wiederum ein Vorgriff auf das im weiteren Verlauf des Romans durchzuführende Thema der „Wasserscheide“ ist.

8. Die Sünden der Väter „Die ,alten Sünden‘ oder ,Sünden der Väter‘ bestanden in diesem Falle darin, dass ein E. P. bei einem Reiterregiment des alten Kaiserstaates als Offizier dienen konnte“, heißt es in Doderers Tagebuch 1934.1224 Der Generation der Väter wird hier wohl vorgeworfen, zugelassen zu haben, dass einem Juden – wie „E. P.“ (Ernst Pentlarz) – überhaupt gestattet wurde, Offizier zu werden. Der Liberalismus war Doderer ein Dorn im Auge und somit eine der „Sünden der Väter“. Doderer kritisierte 1936 am Liberalismus der 1880er Jahre, die Juden ins Wirtschaftsleben integriert zu haben.1225 Der Historiker Karl Vocelka schildert, wie über die 1873 in Wien abgehaltene Weltausstellung und die damit verbundenen massiven Spekulationen, die zum „Großen Krach“ geführt hatten, eine Verbindung zwischen Antiliberalismus und Antisemitismus hergestellt worden war  :

1221 Ebd., S. 505. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1222 Ebd., S. 507. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1223 Ebd. 1224 Heimito von Doderer, Tagebücher 1920–1939. Bd. I, S. 627 (10.7.1934). 1225 Ebd., Bd. II, Doderers Briefentwurf an Gerhard Aichinger, S. 819 (21.7.1936).

„Die Dämonen der Ostmark“, ein antisemitisches Romanprojekt

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Das Misstrauen gegen Wirtschaft und Liberalismus ging Hand in Hand mit einem vehementen Antisemitismus. Ein beträchtlicher Teil der Unternehmer war jüdischer Herkunft, und so schlossen Antikapitalismus, Antiliberalismus und Antisemitismus ein Bündnis, das für die weitere ideologische Entwicklung der Deutschnationalen und Christlichsozialen prägend werden sollte.1226

In den „Dämonen der Ostmark“ erklärt Kajetan G-ff am Beispiel Levielles „die Sünden der Väter“  : Er ist sozusagen ein Erbstück meiner Familie, wie es denn durchaus dem Geiste dieser Achtzigerjahre entsprochen haben mag, derlei einzulassen [sic]… Sie haben von Eulenfeld ähnliches gehört. Solch ein „Erbstück“ kann aber unter Umständen ungeahnte Entwicklungen nehmen  ! Die Sünden der Väter.1227

Was Kajetan hier konkret seinem Vater zum Vorwurf macht, ist es, Levielle in eine wichtige Position gebracht zu haben, indem er ihn mit dem vermögenden Ruthmayr bekannt gemacht und ihm ein Familiengeheimnis anvertraut hatte  : Kajetan von Schlaggenbergs Schwester Quapp ist in Wirklichkeit Ruthmayrs außereheliche Tochter. Sie wurde unmittelbar nach der Geburt vom Ehepaar Schlaggenberg adoptiert, um einen Skandal zu vermeiden. Kajetan befürchtet, dass Levielle dieses Geheimnis aufdecken könnte. Was er nicht weiß, ist, dass Levielle daran gelegen ist, es zu bewahren, da er Quapp ihr Erbe vorenthält, das ihr mit dem Tod ihres biologischen Vaters, nämlich Ruthmayr, zustehen würde.1228 Die Unterhaltung Kajetan von Schlaggenbergs mit G-ff ist die Fortsetzung einer Diskussion, die anlässlich eines Ausflugs der „Unsrigen“ stattgefunden hat. Auf die Frage von Grete Siebenschein nach der Verbindung zwischen Levielle und der Familie Schlaggenberg hatte ihr Kajetan geantwortet, er sei der Finanzberater seines Vaters gewesen, und hinzugefügt  : „[,]Nun, wie immer, er war eben das, was man einen …‘ er schnappte plötzlich ab.“1229 Kurt Körger 1226 Karl Vocelka  : Geschichte Österreichs, S. 220. 1227 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 533. (In den Dämonen fällt der antisemitische Hinweis auf die „Sünden der Väter“ weg. Es heißt stattdessen  : „Levielle ist sozusagen ein Erbstück meiner Familie. Solch ein ,Erbstück‘ kann aber unter Umständen ungeahnte Entwicklungen nehmen  !“  ; Heimito von Doderer: Die Dämonen, S. 366f.) 1228 Vgl. Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 42f. 1229 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, S. 445. (In den Dämonen geht der Satz weiter  :

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versteht Kajetans abgebrochenen Satz richtig  : „,Typischer Fall der Achtzigerjahre‘, bemerkte vor uns Doktor Körger, und brach gleich danach in ein, wie mir schien, unpassend lautes Gelächter aus.“1230 Die Selbstzensur Schlaggenbergs vor Grete Siebenschein findet im „Aide mémoire“ nicht statt  : „Der alte Schlaggenberg hatte – was zu jener Zeit in grossen Häusern garnicht [sic] selten war – eine Art Haus-Juden, der alles machte und finanziellen Rat gab. Dieser eben war Levièlle (hiess damals wohl anders).“1231 Orkay und Eulenfeld, die ebenfalls an dem Ausflug der „Unsrigen“ teilnehmen und Schlaggenberg und Körger ideologisch nahe stehen, zeigen deutlich ihre Übereinstimmung. So fährt Orkay fort  : „,Ist bei uns in Ungarn heute noch sehr häufig‘ […].“1232 Und Otto von Eulenfeld fügt an  : „Der alte Eulenfeld hatte auch solch einen. Dr. Benno Isserlin.“1233 Daran anschließend erzählt er folgende Begebenheit  : Isserlin hatte beim Vater Otto von Eulenfelds um die Hand von dessen Schwester angehalten. Der Vater drückt die Abwegigkeit einer derartigen Anfrage Isserlins durch Verweigerung einer Antwort aus, stattdessen verweist er mit einem starren Blick Isserlin auf seinen Platz. Dieser ordnet sich unter, fühlt sich unbehaglich und verlässt den Raum rückwärts gehend (wie ein Untergebener sich von seinem Herrscher entfernen würde). Otto befürwortet das Verhalten seines Vaters  : „,Gleichwohl muss man sagen‘, fuhr Eulenfeld bedächtig fort ,diese alten Knochen allesamt hatten doch eine verdammt gute Art, ihre Grenzen zu wahren. Derlei fehlt uns heute.‘“1234

„und setzte dann hinzu  : ,Ein Manager.‘“  ; Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 313. Vgl. dazu auch die kritische Anmerkung von Gerald Sommer  : „In die ,Sackgasse‘ und wieder hinaus“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 85f.) 1230 Ebd., S. 446  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 313. 1231 Heimito von Doderer  : „Aide mémoire“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 43. 1232 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“, S. 446  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 313. 1233 Ebd.  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 313. 1234 Ebd., S. 447  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 314.

III. Der Wandel 1940  : „Auf offener Strecke“

Der Roman sollte mit einer Spaltung der Gesellschaft in Juden und Nichtjuden enden, allerdings offensichtlich nicht auf Grundlage einer antisemitischen Politik und antisemitischer Gesetze, sondern gewissermaßen aus dem Bedürfnis beider Gruppen heraus, insbesondere aber der Nichtjuden. Dem Leser wird zu verstehen gegeben, dass ein Zusammenleben und -arbeiten zwischen Juden und Nichtjuden nicht wünschenswert sei. Dass es sich dabei nicht um gleichwertige Gruppen handelt, wird ebenso deutlich aus der abwertenden Definition von „Juden“ in Doderers „Aide mémoire“ wie aus ihrer Beschreibung in den „Dämonen der Ostmark“. Es sind die Nichtjuden, die sich um eine Trennung bemühen, indem sie Druck auf die Juden ausüben. Doch dieser Druck geht von den politisiertesten Elementen der „Unsrigen“ aus, die G-ffs Sympathie eindeutig nicht haben – und das, obwohl er selbst eine Trennung wünscht. „Die Dämonen der Ostmark“ sind von Doderers eigenem Antisemitismus der 1930er-Jahre gekennzeichnet, und dies ganz im Gegensatz zu der von Andrew W. Barker gezogenen Schlussfolgerung, der schreibt  : Wenn man die Erstfassung der Dämonen im Lichte von Doderers politischen Äußerungen in den dreißiger Jahren liest, dann fällt ihr gemäßigter Ton sofort auf. Obwohl sehr viele jüdische Figuren darin vorkommen, ist es schwer das Werk als antisemitisch im landläufigen Sinne des Wortes abzuschreiben. […] Nur ab und zu wird eine Spur von Doderers Antisemitismus in der Erzählstimme hörbar, und obwohl sich der Chronist der Rassenunterschiede wohl bewußt ist, kann er nicht aus diesem Grund allein als rassistisch bezeichnet werden.1235

Doderer hatte die ersten siebzehn Kapitel der „Dämonen der Ostmark“ bis 1936 vor dem Hintergrund des dem Ganzen zugrunde liegenden Themas der „Wasserscheide“, also der Spaltung der Gesellschaft in Juden und Nichtjuden, geschrieben. Eine Tagebuchnotiz vom 31. Januar 1940 zeugt von seinem Entschluss, dieses Thema aufzugeben  :

1235 Andrew W. Barker  : „Das Romanschaffen Heimito von Doderers im Bannkreis des Faschismus“. In  : Niederösterreichische Gesellschaft für Kunst und Kultur (Hg.)  : Internationales Symposion Heimito von Doderer, S. 20.

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Einmal muß ich den Mut finden, nach dem XVII. Kapitel [Der Eintopf] mit den nun schon einmal vorhandenen Personen und ausgehend von den nun schon einmal gegebenen Situationen einen neuen Roman im totalen Sinne zu beginnen, wobei ich freilich diese Situationen ganz wesentlich anders interpretieren, das Thema „Wasserscheide“ lebensmäßig desavouieren und es auf einer ganz anderen Ebene überraschend sich verwirklichen lassen werde.1236

Am 15. Februar 1940 begann Doderer mit der Niederschrift des 18. Kapitels unter dem Titel „Auf offener Strecke“.1237 Der Chronist G-ff erinnert sich an den Abend, den er bei der Familie Siebenschein verbracht hat, und macht seinen Neffen Kurt Körger für die Organisation dieses „Eintopfs“ verantwortlich. Er wirft dem Kreis der „Unsrigen“ seine verlogene Haltung vor und wird sich seiner eigenen Verwicklung in die Bestrebungen einiger ihrer Mitglieder bewusst. Er stellt fest, dass er mit seiner Chronik in einer „Sackgasse“1238 gelandet ist, und sucht nun einen Ausweg. Er beschließt, auf Distanz zur Gruppe der „Unsrigen“ zu gehen und sich auf seine Vergangenheit (die Zeit vor den „Unsrigen“) zu besinnen. Auf diese Weise will er den notwendigen Abstand gewinnen, um besser sehen und verstehen zu können.1239 Über die „Unsrigen“ nachdenkend, erkennt G-ff, dass deren nichtjüdische Mitglieder davon ausgegangen waren, ihre Probleme seien auf den Kontakt mit Menschen jüdischer Herkunft zurückzuführen, sodass die naheliegende Lösung in einem Abbruch der Beziehungen zu den „Juden“ liegen müsse, was aber immer wieder auf eine unbestimmte Zukunft verschoben wurde – eine Einschätzung, die G-ff nun nicht mehr teilt. In G-ffs Sprache lautet das so  : [N]ein, man kam hier nicht mehr durch mit jener Erklärung für alles zusammen, die mir bisher doch im Grunde und im Grossen und Ganzen so ziemlich genügt hatte  : […] dass hier also Jeder die geheimen Gebrechen seines persönlichen und allzu persönlichen Lebens nach aussen schlug, über denselben Leisten, sie über den gleichen Nenner brachte, nämlich den, dass in unserer Gesellschaft und in diesen ganzen persönlichen Zusammenhängen Frauen und Männer von jüdischer Abkunft figurierten  :

1236 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 39 (31.1.1940). 1237 Vgl. Elizabeth Hesson  : Twentieth Century Odyssey, S. 34. (In den Dämonen ist „Auf offener Strecke“ das 1. Kapitel des 2. Teils  ; Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 471–498.) 1238 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien IV (,Dämonen‘) [/] 1940 [/] ,Auf offener Strecke‘“, [Kapitel 18], Ser. n. 14.184 d. ÖNB, S. 4  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 472. 1239 Ebd., S. 5  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 474.

Der Wandel 1940  : „Auf offener Strecke“

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hierin hatte man ein gemeinsames Depot für alles gefunden, was einen drückte, und Jeder besaß nun seinen Anteilschein. Niemand zweifelte daran, dass er selbst sogleich ein gänzlich Anderer von Grund auf sein würde, wenn nur dieses Joch eines profunden Übels von seinem Hals genommen wäre […].1240

Dennoch hatten sie ihre Verbindungen zu den anderen (gemeint sind die Juden) beibehalten unter dem Vorwand, dass in der Zukunft, nach einer „General-Bereinigung“,1241 alles bisher Gesagte und Gemachte sowieso überholt sei. G-ff wirft ihnen (den Nichtjuden) de facto vor, diese „General-Bereinigung“ (also die Trennung der Juden von den Nichtjuden) nicht in die Tat umgesetzt zu haben, was die gegenwärtige Situation nur umso mehr erschweren würde.1242 Die Verbindungen (nämlich jene zwischen Juden und Nichtjuden) beziehen alle Bereiche ein, seien diese im „geschäftlichen, geschlechtlichen oder literarischen Leben“.1243 Er kommt in seinen Überlegungen über die „Unsrigen“ zu folgendem Schluss  : „Heute aber war nicht mehr zu leugnen, dass sich etwa Frau Ruth­ mayr’s Vermögen möglicherweise schon in wirklicher Gefahr befand, es war auch nicht das Groteske dieses ganzen gestrigen Eintopfs zu leugnen […].“1244 G-ff, der sich selbst befangen weiß, beschließt daher, sich von den „Unsrigen“ zurückzuziehen und den Kontakt mit seinen Bekannten außerhalb und vor der Entstehung des Kreises der „Unsrigen“ wiederaufzunehmen. Eine erste Möglichkeit bietet sich ihm durch den Erhalt eines Briefs von Camy Schedik aus England  :1245 Er verspürt, wie er anmerkt, keinerlei Mitleid mit ihr (sie leidet unter ihrer, wenn auch mittlerweile beendeten, Beziehung zu Kajetan), zieht aber Nutzen aus ihrem Brief, da ihm dieser eine neue Perspektive eröffnet.1246 Gleichzeitig ermöglicht ihm dieser Brief eine Rückkehr in die Vergangenheit (er stellt fest, dass er Camy schon vor Kajetan kannte).1247 Eine weitere Möglichkeit, sich von den „Unsrigen“ zu lösen, bietet die Einladung zu einem großen Empfang bei Friederike Ruthmayr, zu 1240 Ebd., S. 4f.  ; Streichungen und Korrekturen wurden übernommen. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1241 Ebd., S. 4. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1242 Vgl. ebd., S. 4f. 1243 Ebd., S. 5. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1244 Ebd.  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 473. 1245 Vgl. ebd., S. 6f  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 475–477. 1246 Vgl. ebd., S. 6 u. 8  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 474 u. 477. 1247 Vgl. ebd., S. 6  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 474.

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dem sonst keiner der „Unsrigen“ gebeten wurde. Seine Rückbesinnung auf die Vergangenheit ist auch mit seinem Vorhaben verbunden, Dr. Schedik zu besuchen  : „Und dem alten Schedik hatte ich gestern auch versprochen, ihn bald einmal zu besuchen. […] Der alte Schedik hatte Aquarien. Ja, ich würde ihn besuchen.“1248 G-ff beginnt sich damit entweder von seinem Wunsch nach einer Trennung von Nichtjuden und Juden zu distanzieren, oder er macht im Fall der jüdischen Romanfigur Dr. Schedik eine Ausnahme, nicht anders als schon in dem 1936 verfassten Kapitel „Der Eintopf “, als G-ff sich im Zuge seines kurzen Aufenthaltes bei der Familie Siebenschein kurz mit Dr. Siebenschein und Dr. Schedik sowie Kajetan von Schlaggenberg zu einer Männerrunde zurückzog.1249 Zu dem von G-ff angekündigten Besuch bei Dr. Schedik kommt es allerdings nicht. G-ff nimmt sich außerdem vor, den Kontakt mit der Familie Stangeler wiederaufzunehmen, und er beschließt, sich mit seinem ehemaligen Chef Gürtzner-Gontard auszusprechen.1250

1. Der Brief von Camy Schedik Dass Doderer sich für London als Aufenthaltsort für Camy Schedik entschieden hatte, geht auf eine Wahl zurück, die er schon in Texten aus den Jahren 1935, 1936 getroffen hatte. Camy Schediks Brief aus London erscheint freilich in einem neuen Licht, sofern man den zeitlichen und biografischen Kontext berücksichtigt, in dem Doderer diesen Brief für seinen Roman verfasste  : Das Vorbild für die Figur, Gusti Hasterlik, lebte zu diesem Zeitpunkt, 1940, im USExil und schrieb zahlreiche Briefe an ihren Vater, der in Wien zurückgeblieben war. Camy Schedik wiederum schreibt an G-ff  : 1248 Vgl. ebd., S. 8  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 477f. (Laut Giulia Hine hatte ihr Großvater Paul Hasterlik wie seine Romanfigur Dr. Schedik ein Aquarium in seiner Wohnung in der Wickenburggasse.) 1249 Vgl. Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 699f.  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 463. Im „Eintopf “ lässt Doderer Kajetan von Schlaggenberg außerdem über seinen Schwiegervater Dr. Schedik sagen  : „,Ist famos in seiner Art, der Alte….‘“. Man könnte also meinen, dass Paul Hasterlik, Doderers ehemaliger Schwiegervater, eine Art Ausnahmestellung hatte und in der Romanfigur Schedik von Doderers Antisemitismus im Roman kaum oder nicht betroffen war. (Vgl. ebd., S. 698  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 462.) 1250 Vgl. Heimito von Doderer  : „Roman-Studien IV“, S. 8  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 477.

Der Wandel 1940  : „Auf offener Strecke“

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Lieber, guter Herr Sektionsrat  ! Sie haben nie von mir gehört, das müssen Sie mir verzeihen. Aber es war mir, nach alledem, in den ersten Wochen und Monaten wirklich eine Schwierigkeit, mich innerlich zurück zu der Heimat zu wenden, auch nur so eine Adresse zu schreiben mit „Wien XIX.“ und „Österreich“, ich konnte es nicht und durfte es eigentlich auch nicht, und so hat es gerade immer nur für den Papa gelangt, dass ich ihm alle acht Tage einen Brief geschrieben habe. […]1251

Auffallend an diesem Brief von Camy Schedik an G-ff ist die präzise Angabe, sie habe ihrem Vater „alle acht Tage“ geschrieben (man kann sich fragen, inwiefern das für G-ff von Interesse sein könnte)  ; ebenso die große Überwindung, die es sie koste, an Österreich zu denken oder gar eine österreichische Adresse zu schreiben, wenn der einzige Grund dafür nur die endgültige Trennung von Kajetan von Schlaggenberg ist. Dieser Brief gewinnt an Glaubwürdigkeit, wenn man berücksichtigt, dass Doderer, als er ihn verfasste, wusste, dass Gusti Hasterlik in die USA emigriert und wohl auch, dass ihr Vater in Wien zurückgeblieben war. Er erschiene so als ein Brief aus dem Exil, ohne absehbare Aussicht auf Rückkehr und mit der allzu berechtigten Sorge, ob bzw. wann die Absenderin ihren Vater jemals wieder sehen würde. Es ist eher Gusti als Camy, deren baldiger Aufenthalt in Wien ja in Aussicht steht,1252 – die ihren Vater betreffend hätte schreiben können  : „Ich habe schreckliche Sehnsucht nach ihm.“1253 Tatsächlich schickte Gusti Hasterlik ihrem Vater im Schnitt alle acht Tage einen Brief. Diese Briefe existieren sehr wahrscheinlich nicht mehr, doch lässt sich ein solcher Turnus aus den Antwortbriefen von Paul Hasterlik an seine Tochter Gusti ableiten  : Allein im Jahr 1939 sandte er ihr 48 Briefe, also durchschnittlich vier Briefe pro Monat.1254 Es ist also durchaus möglich, dass Doderer 1940 von den Briefen Gustis an ihren Vater wusste, da diese die Runde machten und Paul Hasterlik sie regelmäßig in seinem Freundeskreis vorlas. Ein Kreis, der auch Freunde seiner Töchter umfasste, von denen Doderer wiederum einige kannte. Doderer mag ebenso vom Inhalt mancher Briefe Gustis über gemeinsame Bekannte erfahren haben, nicht anders als nach dem Krieg, 1251 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien IV“, S. 6  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 475. 1252 Ebd.  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 475. 1253 Ebd., S. 7  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 475. 1254 Vgl. die Briefe von Hasterlik, Paul an HA [Hasterlik, Auguste] ab Nov. 1938. (Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU  ; http  ://www.fsu.edu/~ww2/ Hine/hine_collection.htm – Collection of Letters.)

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als Marie-Louise Wydler ihm Briefe (von einem ist es verbürgt) von Gusti Hasterlik zu lesen gab.1255

2. Der Besuch bei Gürtzner-Gontard Der Besuch G-ffs bei seinem ehemaligen Chef Gürtzner-Gontard spielt eine Schlüsselrolle. Als G-ff sich bemüht, ihm zu schildern, worin das Problem der „Unsrigen“ besteht, wird er sich dessen bewusst, wie schwer ihm das fällt, weil ihm, wie er erkennt, der eigene Standpunkt fehlt.1256 Er fühlt sich daher genötigt, die Worte der anderen – Eulenfeld, Schlaggenberg, Körger – zu gebrauchen, wenn auch mit weniger Virulenz.1257 Um sein Missbehagen innerhalb des Freundeskreises zu beschreiben, übertreibt er, wie er selbst feststellt, „jenen überall vorgeschobenen Gegensatz“1258 zwischen Juden und Nichtjuden. In einem aus dem Zusammenhang gerissenen und daher rätselhaften Satz spricht G-ff zu Gürtzner-Gontard sich selbst zitierend  : […] von einer „ganzen Fläche“ […], „die […] überall durchläuft, [sic] durch die verschiedensten Stände“ (wie seinerzeit in jenem Gespräche mit Kajetan, bei unserer ersten Wieder-Begegnung), oder vom „Abschied, den es da gerechterweise einmal geben müsse, ohne Verständigung und ohne Tugenden und ohne gute Eigenschaften“.1259

Um G-ffs Anspielungen verstehen zu können, muss man zum Romananfang zurückkehren, als G-ff Kajetan von Schlaggenberg etwas anvertraut, das er

1255 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 517 (24.10.1946). Dieser Eintrag wurde weiter oben zitiert  : Erinnerung und Verdrängung  : ,die nichtjüdischen jüdischen‘ Freunde Doderers  : Die Familie Hasterlik, S. 167. 1256 Vgl. Heimito von Doderer  : „Roman-Studien IV“, S. 9  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 480. 1257 Vgl. ebd., S. 10  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 480. 1258 Ebd., S. 9  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 480. 1259 Ebd., S. 10. Diese Stelle wurde gestrichen. Der zweite Satzteil findet sich schon in  : Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, „dann musste es gerechterweise einmal einen Abschied geben, und einen ohne Verständigung. Und ohne Tugenden und gute Eigenschaften und ohne …“, S. 701. (In den Dämonen leicht abgewandelt  ; „Abschied“ wurde durch „Trennung“ ersetzt  ; Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 464 u. 481.)

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„fast eine – Erkenntnis nennen möchte“.1260 Dabei geht es um einen Kreis von Leuten, mit denen er in einem Kaffeehaus wiederholt Bridge gespielt hat  : meist Frauen, manchmal auch in Begleitung ihrer Ehemänner. Erst durch dieses Zusammensein mit seinen Bridgepartnern – ungesagt, aber implizit geht es darum, dass diese Juden sind – sei ihm die „Unfruchtbarkeit“1261 von Kajetans Beziehung zu Camy Schedik klar geworden, deren Problem nun nicht mehr, wie er zunächst dachte, spezifisch für sie sei. Er stellt fest, dass seinen Bridgepartnern und Camy etwas gemein ist, und zwar trotz ihrer sozialen Unterschiede und Interessen, daher tue es nichts zur Sache, ob etwa die Familie Schedik an Kunst interessiert, Frau Steuermann an Astrologie und Rosi Altschul vollkommen unkultiviert sei.1262 Entscheidend ist für G-ff daher nicht das, was sie voneinander unterscheidet, sondern das, was ihnen gemein ist, das heißt – implizit – ihre jüdische Herkunft. Als G-ff sich selbst zitiert, indem er sagt, dass es eines Tages einen „Abschied“ geben müsse, beruft er sich auf das, was er schon in Bezug auf Camy Schedik gesagt hatte. In den Dämonen wurde der Begriff „Abschied“ durch „Trennung“ ersetzt.1263 Es geht hier neuerlich um die als von G-ff notwendig erachtete Trennung von Juden und Nichtjuden. Anders ausgedrückt, G-ff gelingt es noch nicht, sich von dem „Apartheidsmodell“1264 zu lösen, das er in seinem Gespräch mit Gürtzner-Gontard reproduziert, obwohl er weiß, dass dieses Modell nicht mehr gültig ist  : Er hat allerdings noch kein Ersatzmodell gefunden.

3. Die Rückkehr in die Vergangenheit Die Lösung besteht für G-ff in einer Rückbesinnung in die Vergangenheit. Als Chronist, so stellt er fest, muss er die Personen, über die er schreibt, besser kennen. Das Kapitel „Auf offener Strecke“ endet mit Erinnerungen G-ffs an die Familie Stangeler zu einem Zeitpunkt, als René noch Schüler war, und 1260 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien I“, S. 60. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1261 Ebd., S. 65. 1262 Vgl. ebd., S. 60f. 1263 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien IV“, S. 10  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 481. 1264 Diese Bezeichnung verwendet Gerald Sommer  : „In die ,Sackgasse‘ und wieder hinaus“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 82.

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daher weit vor den ideologischen Verstrickungen der „Unsrigen“. Dies ermöglicht Doderer auch, einem Thema – jenem der Trennung der Juden von den Nichtjuden – auszuweichen, das einerseits von der Realität 1940 schon längst eingeholt worden war (und weit mehr als das) und auch zu seiner ideologischen Distanzierung vom Nationalsozialismus nicht mehr passen konnte,1265 ohne dabei aber seine Möglichkeiten einer Veröffentlichung zu gefährden. Die Notwendigkeit, sich als Chronist mit der Zeit vor den „Unsrigen“ zu beschäftigen, erklärt G-ff so  : „Nie noch hab’ ich mir genaue Fragen hier vorgelegt (die Familie Stangeler betreffend, meinte ich) und ich wundere mich über den Burschen, obwohl sich vielleicht gerade von dorther die Halbscheidt [sic] seiner Verrücktheiten mühelos erklären liesse … einiges dämmert mir jetzt schon. Ich bin vollkommen dilettantisch vorgegangen  ! Schau Dir doch einmal die grossen Schriftsteller an, da kommt oft erst der Grossvater, der Vater, die Mutter, die ganze Familie, und dann erst die Figur, auf welche es so ein Dostojewskij oder Balzac abgesehen hat – na freilich  ! Und ich hab’ keine Ahnung von alledem.“1266

In der Folge und bis zum Ende des Kapitels rufen G-ff und Gürtzner-Gontard jeweils ihre Erinnerungen an die Familie Stangeler wach  : Gürtzner-Gontard erinnert sich an ein Abendessen bei ihnen, G-ff an ein Tennisturnier in deren Landhaus. Statt diese Textpassagen später in die Dämonen zu integrieren, übernahm Doderer letztlich einige dieser Erinnerungen an die Familie Stangeler in die Strudlhofstiege. Diese Schilderung der Familie Stangeler, geschrieben 1940, könnte somit rückblickend als Beginn der Niederschrift der Strudlhofstiege gesehen werden.

4. Die Lösung  : beobachten, ohne zu intervenieren Als G-ff seine Beschreibung der „Unsrigen“ durch Übernahme der antisemitischen Reden von Eulenfeld, Schlaggenberg und Körger und seinen Anspielungen auf seine eigenen, durchaus ähnlich gearteten Überzeugungen (die Notwendigkeit der Trennung) beendet, wird ihm klar, dass er sich neuerlich 1265 Zu diesem Thema siehe weiter unten  : Doderer mit dem Abstand der Zeit gelesen, S. 315–326. 1266 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien IV“, S. 19. (Diese Stelle wurde nicht in Die Dämonen übernommen.)

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in all diese Geschichten verstrickt hat  : „,So kann’s nicht weitergehen‘, schloss ich, damit schon geradezu und durchaus meine eigne [sic] Rede meinend.“1267 Gontard interpretiert diesen Ausruf von G-ff – „So kann’s nicht weitergehen“ – als Wunsch, die Welt zu verändern, und somit als revolutionäre Haltung  : „Sie sind ja ein Revolutionär geworden, lieber G-ff “, sagte Gontard lachend. „Übrigens hat vor ein paar Tagen hier der kleine Orkay dem Sinne nach ungefähr das gleiche gesprochen wie Sie […].1268Aber einen solchen darf man nicht missverstehen. Er ärgert sich, wenn er zu viel Israeliten1269 sieht, weil das für einen Ungarn [wie Orkay] sich einfach so gehört, und vergisst es wieder, wenn es ihm nicht mehr auffällt. Das kann zum Tolerieren führen oder zum Pogromisieren, je nachdem, beides unverbindlich, weil es nicht erheblich ist, weil man sich damit nicht quält. Das Problem (sofern da eines wäre) zu construieren fehlt jede Lust und Fähigkeit und man muss sich darüber wundern, wenn man nach Budapest kommt und die reichlichen aüsseren [sic] Anlässe erblickt, die dort dazu geboten werden. Jedoch, die Auffassung ist eben alles, das Material an sich nichts. Kein Sachverhalt hat uns je einen Schritt aufgezwungen, immer nur unsere Auffassung davon.“1270

Diese Sichtweise von Gürtzner-Gontard bleibt unwidersprochen. G-ff geht darauf nicht ein. Diese offensichtliche Verharmlosung eines Pogroms in einem Text, der Anfang 1940 geschrieben wurde, also kaum mehr als ein Jahr nach dem Novemberpogrom 1938 und zu einer Zeit, in der Juden (nach der Definition der Nürnberger Gesetze) ins Exil gezwungen bzw. aus der Gesellschaft ausgegrenzt worden waren (wenn nicht eingesperrt oder deportiert), zeigt, dass Doderer entweder mit seiner vorherigen Position noch nicht gebrochen oder das Gravierende der Situation nicht erkannt hatte. Man versteht, warum diese Stelle nicht in die Dämonen übernommen wurde. Ende 1939 hatte sich Doderer in seinem Tagebuch von Revolutionen mit dem Ziel, die Welt zu verändern, distanziert.1271 Diese Haltung nimmt nun 1267 Ebd., S. 10  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 481. 1268 Ebd. Der Begriff „ungefähr“ ersetzt das zunächst gewählte „genau“. (Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 481.) 1269 „Israeliten“ ersetzt das zunächst gewählte „Juden“. Da der Begriff „Jude“ abwertend gebraucht worden war, dürfte Doderer „Israeliten“ neutraler erschienen sein. 1270 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien IV“, S. 10. (Diese Stelle wurde nicht in die Dämonen übernommen.) 1271 Siehe weiter oben  : Antisemitismus und Nationalsozialismus  : Russland, Revolution und Kommunismus, S. 92f.

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auch G-ff ein. Als er von Gürtzner-Gontard als „Revolutionär“ bezeichnet wird, ermöglicht ihm dieses Missverständnis eine neue – als positiv gekennzeichnete passive – Haltung  : Ich nahm das Joch eines Mißverständnisses, das ich selbst geschaffen hatte, jetzt […] auf mich. Im Augenblick wurde mir auch schon besser und leichter zu Mute. Ich lächelte […] sogar, ich schwieg. Dieser ganze Verzicht darauf, […] die Vorstellungen eines anderen Menschen von mir und meiner Denkungsweise zurecht zu setzen, befreite mich ausserordentlich und schien mir […] für Augenblicke wie durch einen Schlitz fast etwas zu zeigen, wie eine neue Art zu leben, eine neue Magie. Da ich alles unverändert ruhig liegen liess, wie es war, wie es sich selbst zurecht gelegt hatte – und das wohl mit guten Gründen – konnte ich es viel deutlicher sehen  ; und ich bemühte mich nur, einen Weg zur Verallgemeinerung solcher neuer Haltung und Wissenschaft zu finden, die mir in diesen Augenblicken damals höchst erleuchtend und notwendig und als etwas von mir durchaus neu entdecktes [sic] erschien.1272

G-ff sucht nunmehr im Gespräch mit Gürtzner-Gontard eine Definition für „Revolutionär“  : „[,]Revolutionär wäre also jeder, der irgendetwas an der Welt ändern will  ?‘“1273 Doch da ihm diese Definition zu eng ist, weil dadurch jegliche Veränderung abgelehnt wird, kommt es zu folgender angreifbarer These, die aber Doderers persönlicher Erfahrung entsprechen dürfte, als er sich von der nationalsozialistischen „Revolution“ angezogen gefühlt hatte, und zwar wegen der „Unmöglichkeit und Unhaltbarkeit der eigenen Lage“, auch „die Allgemeinheit verändern“ zu wollen  : „Demnach wär’ es die Verallgemeinerung, was den Revolutionär ausmacht, und man wird’s, wenn man sich auf solche Weise vom Anschaulichen entfernt“ […].1274 „Revolutionär wäre demnach jeder, der wegen Unmöglichkeit und Unhaltbarkeit der eigenen Lage die Allgemeinheit verändern möchte“, sagte ich.1275

1272 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien IV“, S. 10. In eckigen Klammern sind die Stellen mit Streichungen gekennzeichnet. (Mit geringfügigen Änderungen in  : Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 481f.) 1273 Ebd., S. 11. (Mit geringfügigen Änderungen in  : Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 482.) 1274 Ebd.  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 483. 1275 Ebd., S. 12  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 484.

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Diese Haltung, nämlich zu beobachten, ohne zu intervenieren, die Dinge so zu akzeptieren wie sie sind, entspricht jener, die Doderer selbst einnehmen wollte, als er sich vom Nationalsozialismus abwandte. Mit einer derartigen Einstellung kann Doderers Bruch mit dem Nationalsozialismus auch keinen Übergang zum Widerstand bedeuten. Doderer war in der Zeit von 1940 bis 1945 als Offizier der Wehrmacht vor allem daran gelegen, möglichst nicht aufzufallen und sich, soweit das möglich war, Freiräume für das Schreiben zu schaffen, so der Eindruck, den seine Tagebücher und Briefe vermitteln.1276

1276 Vgl. z. B. Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 253 (7.12.1944)  ; Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 464 sowie Doderer zit. nach Wolfgang Fleischer. In  : Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 297.

IV. „Sexualität und totaler Staat“

Heimito von Doderer hatte 1948 den „Traktat“, so seine Bezeichnung, „Sexualität und totaler Staat“ geschrieben. Diese Fassung blieb nicht erhalten, dafür aber seine Überarbeitung aus dem Jahr 1951. „Sexualität und totaler Staat“ galt ihm als seine wichtigste theoretische Arbeit. Doch statt – wie zunächst geplant – 1966 in der Zeitschrift Merkur zu erscheinen, wurde sie erst 1970 posthum in der Wiederkehr der Drachen,1277 einem Sammelband von Aufsätzen, Traktaten und Reden des Autors, veröffentlicht.1278 Doderer setzt sich darin mit Konzepten auseinander, die ihn, wie aus seinen Tagebüchern hervorgeht, dauerhaft beschäftigten. Diese fanden, auch ohne Verwendung der komplexen Terminologie des Traktats, Eingang in die Dämonen (1956) und in seine Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ (1963). Doderer beschäftigt darin das, was er als „Krankheit der Zeit“1279 bezeichnet, nämlich „alles nehmen zu wollen, auch das, was durchaus nur hinzu-gegeben werden kann“.1280 Das kam für ihn einem „Verstoß gegen die Mechanik des Lebens“1281 gleich. Dieser Schlüsselbegriff von der „Mechanik des Lebens“ findet sich wiederholt in Doderers Traktat und wird dort auch als „Mechanik des äußeren Lebens“1282 bezeichnet, als „Mechanik des Geistes“,1283 als „eine Art von himmlischer Mechanik“ (nach einem Zitat von Baudelaire)1284, oder auch als „Grundplan“1285 und dürfte somit dem Doderer so wichtigen Schicksalsbegriff entsprechen. 1277 Heimito von Doderer  : „Sexualität und totaler Staat“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen. Aufsätze/Traktate/Reden. [1970] Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler, Vorwort v. Wolfgang H. Fleischer. 2. durchgesehene Aufl., München 1996, S. 275–398. 1278 Vgl. das „Vorwort“ von Wolfgang H. Fleischer und das „Nachwort des Herausgebers“ von Wendelin Schmidt-Dengler. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, resp. S. 7–14, hier S. 13 u. S. 301–306, hier S. 304. 1279 Heimito von Doderer  : „Sexualität und totaler Staat“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 277. 1280 Ebd. 1281 Ebd, S. 279  ; zu „Mechanik des Lebens“, S. 277, 278  ; „Lebensmechanik“, S. 278  ; „Mechanik“, S. 283. 1282 Zu „Mechanik des äußeren Lebens“, ebd., S. 275, 276, 278, 279, 281  ; zu „Mechanik äußeren Lebens“, S. 284. 1283 Ebd., S. 277, 282, 285, 297. 1284 Vgl. ebd., S. 297. 1285 Ebd., S. 282.

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Mit dem Verstoß gegen die „Mechanik des Geistes“ hatte sich Doderer ansatzweise schon in seinem 1947 veröffentlichten Essay „Von der Unschuld im Indirekten“1286 auseinandergesetzt. Darin nahm er Stellung für die Priorität der Form vor dem Inhalt (bzw. der Materie) und für die indirekte Annäherung, also den Umweg anstelle einer direkten Annäherung an die Dinge.1287 Doderer kritisierte am Positivismus des 19. Jahrhunderts, dass dieser, in dem Irrglauben, Themen in direkter und bewusster Weise abhandeln zu können, Form und Inhalt getrennt habe. Doch der „Sog des bewußten Denkens“1288 entspreche „in keiner Weise der indirekten und kurvenreichen Organik des Lebens“.1289 Am Positivismus kritisierte Doderer, „das Wissen gleichsam außerhalb des Menschen zu deponieren […]. Im zwanzigsten Jahrhundert folgte dem Wissen das nach außen verlegte Gewissen. Die unmittelbaren Folgen sind bekannt.“1290 In „Sexualität und totaler Staat“ verwendet Doderer eine Terminologie, die hier kurz wiedergegeben werden soll, um in der Folge zu zeigen, inwiefern sie zumindest indirekt Eingang in sein Werk fand. Es geht um folgende Gegensatzpaare  : „Wirklichkeit“1291 (wie sie tatsächlich existiert und nicht, wie sie sein sollte) versus „zweite Wirklichkeit“1292 (eine Scheinwirklichkeit)  ; „Apperception“1293 (die Fähigkeit, die Welt so zu sehen, wie sie ist) versus „Apperceptions-Verweigerung“  ;1294 ,Analogie‘1295 (als Brückenfunktion zwischen dem eigenen Inneren und der äußeren Welt) versus „Pseudologie“, („Lüge“1296 bzw. Selbstbetrug  ; oder in Doderers Worten  : der ,Pseudologe‘, der „[sich selbst] vernebelt“1297). 1286 Heimito von Doderer  : „Von der Unschuld im Indirekten“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 111–125  ; zu „Mechanik des Geistes“, S. 112 u. 117  ; „Geistesmechanik“, S. 118. (Der Beitrag erschien, wie schon erwähnt, erstmals 1947 in der Kulturzeitschrift Plan unter dem Pseudonym René Stangeler.) 1287 Vgl. ebd., S. 111–125, hier v. a. S. 115–117. (Vgl. auch  : Wendelin Schmidt-Dengler  : „Anmerkungen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 307–311, hier S. 308.) 1288 Ebd., S. 118. 1289 Ebd., S. 118f. 1290 Ebd., S. 116. 1291 Ebd., S. 281 u. 303  ; vgl. auch „von der ersten [Wirklichkeit]“, S. 296, und „analogische Wirklichkeit“, S. 282 u. 293. 1292 Ebd., S. 278, 293, 296  ; „pseudologischen Wirklichkeit“, S. 286  ; „geminderten Wirklichkeit“, S. 290. 1293 Ebd., S. 281, 283, 294. 1294 Ebd., S. 281, 282, 283, 293, 294, 297. 1295 „analogisch“, ebd., z. B. S. 281. 1296 Ebd., S. 280. 1297 Ebd., S. 277.

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Die „Wirklichkeit“ wird als minimale „Deckung“ zwischen dem Inneren und der äußeren Welt (,Analogie‘) definiert. Sie wird durch die „Apperception“ erfasst.1298 Im Gegensatz dazu befindet man sich in einer „zweiten Wirklichkeit“, wenn die Verbindung zwischen innen und außen unterbrochen ist. Das ist der Fall, wenn man sich von der Außenwelt abschirmt, indem man sich auf sich selbst zurückzieht, aber auch, wenn man sich ausschließlich auf äußere Fakten stützt.1299 In beiden Fällen errichtet man so „einen pseudologischen Raum, eine zweite Wirklichkeit“, in der alle Probleme nur „Schein-Probleme“ sind und damit auch „unlösbar“.1300 Man lebt in einer „Apperceptions-Verweigerung“, die durch die Unfähigkeit gekennzeichnet ist, die Wirklichkeit zu sehen, und zwar deshalb, weil man sich selbst belügt, was schließlich zur „Verdummung des Lügners“1301 führt  : „Die Dummheit ist hier nicht Dumpfheit, sie ist sehr wachsam, hellhörig, scharfsinnig geworden  : ja eigentlich eine Intelligenz mit umgekehrtem Vorzeichen zu nennen.“1302

1. Sexualität Doderer unterscheidet zwischen „zwei Arten von Sexualität“, zwischen einer, die „normal“ scheint, und einer, die „paradoxal“ ist, wobei die erste nicht die Regel und die zweite keine Ausnahme sei. Während es viele Dinge gebe, die man besser oder ausschließlich allein machen könne, wie „denken, schreiben, sich entschließen“, sei Sexualität nur zu zweit möglich. Er definiert die (wahre) Sexualität als Beziehung und Bindung schaffend und so im Gegensatz zu einer solipsistischen Haltung, einer exklusiven Konzentration auf sich selbst.1303 Sie sei etwas, das man sich nicht nehmen könne, sondern ein „Hinzu-Gegebenes“.1304 Im „Sexualakt“ sieht er „einen der intensivsten Fälle von Apperception […], eine der mächtigsten Klammern und zugleich Brücken zwischen innen und außen […] bei einem Mindestmaße von Deckung  ; und das heißt hier nichts anderes als  : Wirklichkeit“.1305 1298 Vgl. ebd., S. 281. 1299 Vgl. ebd., S. 297. 1300 Ebd., S. 278. 1301 Ebd., S. 281f. 1302 Ebd., S. 282. 1303 Ebd., S. 275. 1304 Ebd., S. 277. 1305 Ebd., S. 281.

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Im Gegensatz dazu ist der „Sexualakt paradox“, wenn er eine „Verlängerung einer unanschaulichen Vorstellung von der eigenen Sexualität“ ist.1306 (Diese Definition trifft in den Dämonen etwa auf Kajetan von Schlaggenbergs doktrinäre Vorstellung seines Frauentypus’ zu.) Damit wird die Sexualität zur „Pseudo-Sexualität“1307 degradiert, in der man allein tun möchte, was man nur zu zweit vermag. Zu glauben, man hätte einen Anspruch (etwa die Wahl des „Sexualobjekt[s]“ seinem Typus entsprechend) auf etwas, das nur ein „Hinzugegebenes“1308 sein kann, genau darin bestehe der Verstoß gegen die „Mechanik des Lebens“, denn das „Sexualobjekt“ ist dann nicht „aus der inappellablen Mechanik des äußeren Lebens hervorgegangen“.1309 Weil man gegen die „Mechanik des Geistes“ oder „Mechanik des Lebens“1310 verstoßen hat, bewegt man sich nunmehr in einem „pseudologischen Raum“1311 (in einer zweiten Wirklichkeit), wo man mit Problemen konfrontiert wird, für die es keine Lösungen geben kann, weil sie nur Scheinprobleme sind.1312 Man hat sich eine „zweite Wirklichkeit“1313 geschaffen, in der nicht nur die „Sexualität“ keine mehr ist, sondern auch die „Ordnung“, das „Wissen“, die „Sprache“ keine mehr sind. Diese „zweite Wirklichkeit“ unterscheidet sich von der ersten dadurch, dass eine Kommunikation von außen nach innen und von innen nach außen unmöglich geworden ist.1314 Doch auf jeglichen Versuch zur „Wiederherstellung des analogischen Grundzustandes“1315 reagiere die „Apperceptions-Verweigerung“ exzessiv und aggressiv1316 mit der Tendenz zur „Vernichtung, dessen […], was nun einmal nicht mehr appercipiert werden kann  ; und dies ist jetzt schon Alles schlechthin  : das Leben also […].“1317 Je mehr man in dieser Apperzeptionsverweigerung versinkt, desto gefährlicher wird es, sich davon wieder zu lösen. Doderer vergleicht diese Situation mit einer „Ziste“, die ein Stadium erreicht hat, in der ihre Entfernung lebensge1306 Ebd. 1307 Ebd. 1308 Ebd. 1309 Ebd., S. 278. 1310 Ebd., S. 277. 1311 Ebd. 1312 Vgl. ebd., S. 278. 1313 Ebd. 1314 Ebd., S. 279. 1315 Ebd., S. 282. 1316 Ebd., S. 283. 1317 Ebd.

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fährlich wäre.1318 Der Apperceptions-Verweigerer schlechthin ist für Doderer der „Typus des Revolutionärs“, der glaube, die Dinge auf der Welt nach bestimmten Prinzipien ordnen zu können.1319

2. Der „totale Staat“ Nach dem ersten Teil des Traktats (die ersten acht Punkte), der sich fast ausschließlich mit Themen rund um die Sexualität beschäftigt,1320 widmet sich der zweite Teil (die letzten sieben Punkte) der Problematik des „totalen Staats“.1321 Den Übergang von der „Sexualität“ zum „totalen Staat“ stellt Doderer her, indem er feststellt, dass die Europäer den totalen Staat in sexueller Praxis vorgeübt hätten. Das, was Doderer als Sexualität oder – genauer gesagt – als „sexuelle Herabgekommenheit“1322 beschreibt, nämlich die Errichtung zahlloser pseudologischer Räume, die Unanschaulichkeit, die habituell geworden sei, und die Unansprechbarkeit vom Analogischen her, die fast eine absolute sei,1323 so wird er in seinen folgenden Ausführungen auch den „totalen Staat“ definieren. In seinen sehr theoretischen Ausführungen unter Verwendung einer komplexen Terminologie bezieht Doderer sich kaum direkt auf die NSZeit. Seine konkreteste Aussage darüber ist folgende  : Was innerhalb Deutschlands von 1933–1945 geschah, wird nur sehr schwer in die Geschichte eingehen können, nicht seiner Schrecklichkeit wegen – damit hat jene immer und überall in reichstem Maße aufzuwarten –, sondern weil es aus einem anderen Stoffe gemacht ist […].1324

Für Doderer geht es bei der Beschäftigung mit dem „totalen Staat“ nicht darum, diesen an und für sich zu betrachten, da das Problem des „totalen Staates“ nicht in ihm selbst läge, dies wäre nur ein Scheinproblem, sondern darum, dass er möglich wurde.1325 Doderers Definition vom „totalen Staat“ lautet  : 1318 Ebd., S. 282. 1319 Ebd., S. 284. 1320 Ebd., S. 275–287. 1321 Ebd., S. 287–298. 1322 Ebd., S. 288. 1323 Ebd., S. 287. 1324 Ebd. 1325 Vgl. ebd. S. 293.

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[D]er totale Staat ist garnichts [sic] anderes als der Zusammenfall zahlloser pseudologischer Räume und ihre Konsolidierung in einem einzigen ungeheuer dickwandigen, was die Unansprechbarkeit aller darin Eingeschlossen zur Folge hat […]. […] der totale Staat ist konsolidierte Apperceptions-Verweigerung  : somit eine zweite Wirklichkeit.1326

Doderer definiert aufeinander folgend die Begriffe „Sozialismus“ und „Natio­ nalismus“ – so indirekt auf den „National-Sozialismus“ als reine Kombination der beiden verweisend. Bereits 1936, als Doderer in Deutschland lebte, enttäuschte ihn am Nationalsozialismus, dass dessen wahres Gesicht jenes des Sozialismus sei.1327 Sozialismus manifestiere sich, so Doderer in seinem Traktat, wenn das Innere mit dem Äußeren nicht mehr auf analogische Weise miteinander verbunden sei (was seiner Definition der „zweiten Wirklichkeit“ entspricht). Vergleichbar dazu tauche Nationalismus erst dann auf, wenn die Nationen fragwürdig werden.1328 Auch ein zweiter Hinweis von Doderer lässt sich konkret auf das NS-Regime anwenden, dies, wenn er beschreibt, was es bedeutet, sich in einem „pseudologischen Raum“ in einem bereits fortgeschrittenen Stadium zu befinden  : [W]as erst nur Taubheit gegen die leisen Warnungen des Gewissens war, ist jetzt schon zur dickwandigsten Blindheit gegenüber handfesten Fakten geworden  : sie können keinen Eindruck mehr erzeugen, die zweite Wirklichkeit hat sich consolidiert und ist nun von der ersten her ganz unansprechbar.1329 1326 Ebd. 1327 Brief von Doderer an Gütersloh vom 4.11.1936. (Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel 1928–1962, S. 105–108, hier S. 107.) 1328 Vgl. Heimito von Doderer  : „Sexualität und totaler Staat“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 296. 1329 Ebd. Diese von Doderer angesprochene Taub- und Blindheit erinnert an den bemerkenswerten Dokumentarfilm von Ruth Beckermann über die viel diskutierte Ausstellung „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“. Als die Ausstellung 1995 in Wien gezeigt wurde, hatte Ruth Beckermann mit über zweihundert Ausstellungsbesuchern gesprochen, vorrangig mit ehemaligen Soldaten der Wehrmacht. Die Ausstellung befasste sich mit Verbrechen der Wehrmacht in der Sowjetunion und in Jugoslawien. Zu sehen sind u. a. Soldaten in Uniform der Wehrmacht, die sich grinsend neben Partisanen am Galgen oder bei Demütigungen von Juden ablichten ließen. Die Filmemacherin kam nach den zahlreichen Gesprächen mit ehemaligen Soldaten der Wehrmacht zu folgendem, überraschendem Schluss  : „Die Vorstellung, die Kriegsschuld wäre nach der Niederlage verdrängt worden und

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Doderers Lösung für die „Krankheit der Zeit“, wie sie sich im Laufe seiner Ausführungen abzeichnet, liegt im Erkennen des Verstoßes gegen die „Mechanik des Geistes“ und damit in der Bedeutung derselben.1330 In seinen Romanen und Tagebüchern spricht sich Doderer für das Indirekte und damit den Umweg aus, für die passiv in sich ruhende Haltung, gegen das Sich-Auflehnen und Intervenieren. In diesem Sinn lassen sich auch seine Gedanken über das „Implicite“ im Leben lesen, das heißt darüber, wie es zu leben gilt  : Dieses analogische Implicite, wobei die Einzelheiten sich von selbst fügen und ergeben, alle gleichsam glattgekämmt in der natürlichen Fallrichtung und Flußrichtung der Sachen, ist die einzige Möglichkeit, den Eierkorb des Lebens einigermaßen heil und ohne allzugroße Verluste durch’s Gedränge der Zeiten zu bringen. Nur so gelangt man zu Form, die allein vermag, zahllose gerade kleine Strecken des Einzelnen und des Einzelsten in die Kurve des wirklichen und analogischen Geschehens zu schmelzen […].1331

Den Text „Sexualität und totaler Staat“ musste Marie-Louise Wydler gekannt haben, denn vermutlich spielte sie auf diese Schrift an, als sie im Oktober 1956 ihrer Freundin Gusti Hasterlik schrieb  : „Heimito ist alles eher als ein Nazi, er hat sich in einem blendenden Essay damit auseinandergesetzt […].“1332 Wolfgang Fleischer kommt in Bezug auf denselben Essay zu einem Schluss, der mir treffender scheint  : Abgesehen von klugen Einzelbemerkungen schuf er hier sicher nicht die universale Methode, sexuelle oder staatliche Fehlentwicklungen zu durchschauen. Eher schon fand er ein erweitertes Instrumentarium, um bei der Behandlung der ihn persön-

käme durch Aufarbeitung wieder hervor, scheint mir falsch zu sein. Die Verdrängung beginnt nicht danach. Es ist falsch zu glauben, daß sich 1945 schlagartig ein Tabu bildete. Bereits in der aktuellen Situation gab es Hinschauen oder Wegschauen, Mitmachen oder Verweigern.“ (Vgl. das zum Film erschienene Buch von Ruth Beckermann  : Jenseits des Krieges. Ehemalige Wehrmachtsoldaten erinnern sich. Wien 1998, hier resp. S. 17, 19, 21, Zit. S. 97.) 1330 Vgl. Heimito von Doderer  : „Sexualität und totaler Staat“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 297. 1331 Ebd., S. 295. 1332 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5417, 1956/10/14, Brief von Wydler-Reiter, Marie-Louise an HA [Hasterlik, Auguste]. (Siehe auch weiter oben  : Erinnerung und Verdrängung  : ,die nichtjüdischen jüdischen‘ Freunde Doderers  : Gemeinsame Freunde von Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer, S. 190.)

„Sexualität und totaler Staat“

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lich berührenden Themen – Sexualität und totaler Staat stellten in seinem Leben die empfindlichsten Schmerzpunkte dar – jede Sichtweise vermeiden zu können, die ihm Unangenehmeres über sich enthüllt hätte. Und genau das – statt der Absicht, das Zeitalter mit seiner Einsicht zu heilen1333 – dürfte der Grund für die Hartnäckigkeit gewesen sein, mit der er diese Themen immer wieder aufbereitete […]  : es hätte ihn sehr beruhigt, wenn sein verdrängendes Ausweichen als metaphysische Einsicht abgesegnet worden wäre.1334

1333 Das ist eine Anspielung auf Doderers Artikel „Von der Unschuld im Indirekten“. Dort heißt es  : „Sich selbst heilend, entdeckte er das Mittel gegen die Zeitkrankheit.“ (Heimito von Doderer  : „Von der Unschuld im Indirekten“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 112.) 1334 Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 377.

V. Die Dämonen

„Auf offener Strecke“ ist der Titel des 18. und letzten Kapitels der „Dämonen der Ostmark“. Dieses Kapitel hebt sich, auch wegen der zahlreich darin enthaltenen Reflexionen, deutlich von den vorhergehenden ab. Erst auf den letzten Seiten, als es um die Familie Stangeler geht, wird die Handlung wieder aufgegriffen. Diese Reflexionen dürften auf die Unschlüssigkeit Doderers zurückzuführen zu sein, der 1940 zwar entschieden hatte, das Thema der Segregation von Juden und Nichtjuden („Wasserscheide“) fallen zu lassen, sich aber noch nicht festgelegt haben dürfte, was an dessen Stelle treten sollte. Vom Leben der Familie Stangeler zu erzählen, ermöglichte ihm, das Problem der (antisemitischen) „Unsrigen“ zu umgehen, jedoch nicht, es auch zu lösen.1335 Der Roman wurde zwischen 1940 und 1944 im Tagebuch fortgesetzt, da Doderer während seines Militärdienstes nur begrenzt Zeit zum Schreiben fand. Auch hier ist ein beträchtlicher Teil Überlegungen gewidmet, etwa zu der Problematik, zeitgleich mit den Ereignissen zu schreiben.1336 Gegen Kriegsende und in den ersten Nachkriegsjahren war Doderer vor allem mit der Niederschrift der Strudlhofstiege befasst. 1951 schließlich findet sich, als er über eine mögliche Fortsetzung der Dämonen nachdachte, folgender Entschluss im Tagebuch dokumentiert  : „Die antisemitischen Komplexe einer Reihe von Individuen sind Objekt der Darstellung […].“1337 In den „Dämonen der Ostmark“ war es den nichtjüdischen „Unsrigen“ letztlich nur um eines gegangen  : die Trennung der Juden von den Nichtjuden, sei es durch die vergleichsweise gemäßigte Position eines G-ff oder die radikale eines Körger. In den Dämonen geht es hingegen um Romanfiguren, die in einer „zweiten Wirklichkeit“ eingeschlossen sind  ; anders ausgedrückt  : Mehrere zentrale Figuren leben in einer Scheinwirklichkeit. Sie sind aufgrund ihrer politischen (in den Dämonen eher faschistischen als natio­ nalsozialistischen) und sexuellen Ideologien für die (erste) Wirklichkeit nicht zugänglich. Sexualideologien betreffen Kajetan von Schlaggenberg, der von jüdischen, korpulenten, reifen Frauen besessen ist, ebenso wie Jan Herzka, dessen Prädilektion die sexuelle Inszenierung von Frauen als Märtyrergestalten ist. 1335 Zu „Auf offener Strecke“ siehe weiter oben  : Der Wandel 1940  : „Auf offener Strecke“, S. 265–275. 1336 Vgl. Heimito von Doderer  : „II. Epilog auf den Sektionsrat Geyrenhoff, Diversion aus ,Die Dämonen‘, 1940/44“. In  : Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 49–100. 1337 Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, S. 67 (24.8.1951).

Die Dämonen

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Nachdem Doderer Anfang 1955 das Manuskript der „Dämonen der Ostmark“ nochmals gelesen hatte, schrieb er in sein Tagebuch  : „Die Thematik ist qualvoll. Sie ist auf solche Art nie angegriffen worden, schon gar nicht seit 1945.“1338 Doderer führt nun auf verschiedenen Ebenen Änderungen ein  : durch Streichungen von zu explizit antisemitischen Stellen und Begriffen, Einführung neuer Romanfiguren und neuer Episoden  ; eine andere Darstellung und Bewertung der bereits zuvor existierenden Romanfiguren – und ein anderes Ende als ursprünglich vorgesehen. In der Fassung der 1930er-Jahre ging es vor allem um den Kreis der „Unsrigen“. In den Dämonen ermöglichen die neu eingeführten Figuren die Geschichten des Romans auszuweiten und die Aufmerksamkeit weit weniger als zuvor auf die „Unsrigen“ zu konzentrieren. Bereits im ersten Kapitel, „Draußen am Rande“, tauchen zwei Romanfiguren auf, die es in den „Dämonen der Ostmark“ nicht gab und die keinen Zusammenhang mit den „antisemitischen Komplexen“ haben  : der amerikanische Wissenschaftler William Dwight und die Tschechin Emma Drobil. Die zahlreichen antisemitischen Anspielungen der ersten Fassung werden in der endgültigen entschärft, anders bewertet oder gestrichen.1339 Dies betrifft insbesondere Geyrenhoff, denn Kritik an der radikalen politischen Haltung Körgers und Orkays zeichnete sich schon in der ersten Fassung ab. In den Dämonen werden Körger und die anderen eindeutiger für ihre ideologischen Positionen kritisiert. In den „Dämonen der Ostmark“ kritisierte G-ff an Körger, dass seinetwegen die neuerliche Vermischung von Juden und Nichtjuden (Stichwort „Eintopf “) zustande gekommen war, an Eulenfeld und Quapp deren verlogene Haltung,1340 die somit auch dazu beitragen, dass es zu diesem 1338 Ebd., S. 392 (27.1.1955). 1339 Vgl. dazu auch den Beitrag von Gerald Sommer  : „In die ,Sackgasse‘ und wieder hinaus“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 73–86. 1340 Grete Siebenschein war bei einem gemeinsamen Spaziergang der „Unsrigen“ erst verspätet in eine Diskussion eingestiegen und hatte daher nur noch von Körger zu hören bekommen, dass sie sich der Gruppe nicht anschließen dürfe. Der wahre, aber unausgesprochene Grund dafür ist, dass Körger sie als Jüdin ablehnt. Stattdessen lügt Orkay Grete an, als er ihr sagt, sie hätten über ein Tischtennisturnier gesprochen, bei dem Körger nur die besten Spieler akzeptiere. Orkay nennt Eulenfeld und Quapp als Beispiele, die sichtlich noch nie gespielt haben, die Lüge Orkays aber nicht aufdecken. Als das Tischtennisturnier dann tatsächlich stattfindet, täuschen beide Verletzungen an der Hand vor (verbunden bzw. behandschuht), damit ihre Lüge nicht auffliegt. (Vgl. Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“. S. 440–442). Darauf bezieht sich G-ff, als er die verlogene Haltung von Eulenfeld und Quapp kritisiert. (Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 640f. u. 694f.)

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„Eintopf “ kommt, und an René von Stangeler, den Kontakt zu Levielle wieder hergestellt zu haben.

1. Abschwächung der antisemitischen Haltung der ­Romanfiguren In den „Dämonen der Ostmark“ war G-ff davon überzeugt, dass Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden nicht funktionieren können. Diese Einstellung G-ffs wird in den Dämonen entscheidend abgeschwächt  : In den „Dämonen der Ostmark“ ist es noch G-ff, der im jüdischen Ursprung von Camy den Grund für das Scheitern der Ehe von Kajetan und Camy sieht. In den Dämonen ist es nunmehr Kajetan, der als Grund für das Scheitern seiner Beziehung Camys jüdischen Ursprung angibt. Eine Begründung, die Geyrenhoff nun nicht mehr nachvollziehen kann. Als Kajetan in den „Dämonen der Ostmark“ von seiner Frau Camy spricht, denkt G-ff  : „Eine plötzliche Erbitterung gegen seine Frau ergriff mich. Welch artfremdes zwecklos-seltsames Wesen  !“1341 Und als Kajetan ihm sagt, sie sei für ihn eine „Fremde“1342 gewesen, bestätigt G-ff ihn darin  : „Dass Sie mit einer Fremden lebten, daran habe ich nie gezweifelt […].“1343 In den Dämonen dagegen reagiert Geyrenhoff nur noch mit Unverständnis auf Kajetans Äußerungen. Die jüdische Herkunft Camys spielt zwar noch eine Rolle, allerdings nur eine untergeordnete, der wahre Grund liegt im Kampf der Geschlechter. Der Begriff „Fremde“, der in den „Dämonen der Ostmark“ als Synonym für Jude/Jüdin verwendet wird, wird dementsprechend in den Dämonen abgewandelt  : Sodann kam er auf die jüdische Abkunft seiner Frau zu sprechen. Auch das erkannte ich als Vehikel der Flucht. Ihre völlige geistige Fremdheit  ! Nun gut – ich sagte es nicht – dann kann’s ja gar keine tödliche Beleidigung geben … zudem  : eine größere Fremdheit als zwischen den verschiedenen Geschlechtern wird man wohl schwerlich finden, und alles übrige kann da nur eine Beigabe sein.1344

1341 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien I“, S. 34. 1342 Ebd., S. 44. 1343 Ebd. 1344 Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 67.

Die Dämonen

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Im 18. Kapitel der „Dämonen der Ostmark“ („Auf offener Strecke“) musste G-ff dem von ihm abwertend als das „Genick“ bezeichneten Kurt Körger zugestehen, sein Ziel erreicht zu haben, nämlich das „Groteske“ am „Eintopf “ (der Mischung von Juden und Nichtjuden) zu zeigen  : „[E]s war auch nicht das Groteske dieses ganzen gestrigen Eintopfs zu leugnen  : kurz, hier begann des Genickes durchaus berechtigte und rechtliche Macht, ja sogar Autorität.“ 1345 Diese Stelle wurde in den Dämonen zwar beibehalten, aber gleichzeitig abgeschwächt, denn nun geht nicht mehr Kurt Körger (Nichtjude), sondern Grete Siebenschein (jüdischer Herkunft) als Gewinnerin hervor  : Seit Samstag war sie [Grete Siebenschein] glücklicher. Die böswillige Veranstaltung Doktor Körgers hatte bei ihr, die jetzt in aller Stille endlich und nach manchem Aufstande unter das Gesetz ihrer Liebe zu finden begann, einen wesentlich anderen Erfolg gehabt, als, „die Unhaltbarkeit der Situation“ zu demonstrieren, was ja die Absicht Körgers und des ganzen Proponenten-Komité’s jener glorreichen Inszenierung gewesen war. Grete jedoch entnahm ihr den Beweis, daß ja alles ganz gut ging, sofern man nur wollte. Und dieser Beweis war zudem, wenn auch gänzlich unbeabsichtigt, zweifellos in gewissen Grenzen erbracht worden.1346

Andere antisemitische Stellen wurden gestrichen  : In den „Dämonen der Ostmark“ etwa, als sich ausschließlich die nichtjüdischen Freunde der „Unsrigen“ treffen, ist G-ff über die Abwesenheit (des ebenfalls nichtjüdischen) René von Stangeler erfreut, da er ihm seine Beziehung zu Grete Siebenschein, Levielle und der „Allianz“ vorwirft. In den Dämonen ist Geyrenhoff zwar immer noch über die Abwesenheit Stangelers erfreut, doch wird dafür kein Grund angegeben.1347

2. Kritik an faschistischen Positionen Während Doderer die antisemitische Haltung Geyrenhoffs in den Dämonen abschwächt, gestaltet er die politische Haltung von Körger, Orkay, Eulenfeld 1345 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien IV“, S. 5  ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 473. 1346 Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 696. 1347 Vgl. Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 585f . ; vgl. auch Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 387.

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und Schlaggenberg expliziter als zuvor. Mit dem Unterschied allerdings, dass Körger und Orkay sich, ohne dass der Begriff genannt würde, aber doch klar genug, in den „Dämonen der Ostmark“ am Nationalsozialismus orientieren, während sich die vier Romanfiguren in den Dämonen vom Faschismus (mit Bezug auf Ungarn) angezogen fühlen. Sie sind mit Pinta, dem „Faschisten“,1348 politisch auf derselben Wellenlänge und stehen den rechtsextremen „Frontkämpfern“1349 nahe. Diese Organisation war im Burgenland, nahe der ungarischen Grenze, 1926 unter Einfluss der Wiener Führung gegründet worden. Das Ziel dürfte gewesen sein, ein Eingreifen der ungarischen Diktatur in Österreich zu erleichtern, um (bei Bedarf ) einen rechtsextremen Putsch unterstützen zu können. Bei einem Treffen des sozialdemokratischen Schutzbundes in Schattendorf im Burgenland wurden am 30. Januar 1927 ein Kind und ein Kriegsinvalide von Mitgliedern der Frontkämpfer erschossen. Der Schattendorfer Prozess endete mit einem Freispruch für die Angeklagten, was Auslöser für die Demonstrationen vom 15. Juli 1927 war.1350 Im „Aide mémoire“ war vorgesehen, dass die „Unsrigen“ (nach Ausschluss aller Juden) sich um ihre geistige Führungspersönlichkeit Scolander gruppieren sollten. In den Dämonen löst sich der kurzlebige Kreis der „Unsrigen“, der nicht mehr als ein paar Wochen gehalten hat, stattdessen auf.1351 Eulenfeld und Körger verlassen ihn  : […] in einer immer eindeutigeren, man kann schon getrost sagen politischen Richtung. Schlaggenberg wurde durch den Allianz-Verlag in Anspruch genommen, und in seiner freien Zeit durch seine Manie mit den dicken Weibern (soll man das etwa auch eine „politische“ Richtung nennen  ?).1352

Eine Distanzierung von diesen vier faschistisch orientierten Romanfiguren wird durch René von Stangeler ausgedrückt, der, als er sich in einer Festung befindet, denkt  : „,Le donjon des fous‘. ,Der Wehrturm der Wahnsinnigen.‘ Hier gehörten sie alle her  : Schlaggenberg, Eulenfeld, Körger, Orkay.“1353 1348 „Niki erklärte den Pinta glatt für einen Faschisten […]“ (Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 559). 1349 Ebd. S. 620f. 1350 Vgl. Gerhard Botz  : Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918 bis 1938. München 1983, S. 107–111 u. S. 141–160. 1351 Vgl. Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 663. 1352 Ebd. 1353 Ebd., S. 737.

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In den „Dämonen der Ostmark“ ließ sich René durch Kajetan von der Unmöglichkeit seiner Beziehung zu Grete Siebenschein (wegen ihrer jüdischen Herkunft) bestärken. Im Gegensatz dazu heißt es in den Dämonen  : Er [René] fühlte plötzlich, daß der Umgang mit Schlaggenberg, mit Eulenfeld, mit Orkay, mit Körger ihm ununterbrochen schadete. Der Schaden, den ein Freund uns zufügt, ist manchmal fast so groß wie der Nutzen, den ein Feind uns bringt  ; […] René brach in diesen Augenblicken von seinem Leben dort in Wien weitgehend los […].1354

3. Rollenwechsel für die Romanfiguren jüdischen Ursprungs Die Antipathie G-ffs für Imre von Gyurkicz in den „Dämonen der Ostmark“ wird in den Dämonen abgeschwächt. Seine Darstellung ist zwar nach wie vor sehr kritisch, doch gesteht Geyrenhoff ihm in den Dämonen „Gutmütigkeit“1355 zu und sieht in ihm, als er am 15. Juli 1927 erschossen wird, rückblickend sogar einen Freund. Der Wandel Geyrenhoffs in seiner Haltung Gyurkicz gegenüber könnte jener Doderers gegenüber Béla Fáludi (von dem die Figur des Gyurkicz inspiriert ist) nahe kommen, als er 1946 von dessen Tod erfuhr  :1356 Béla Fáludi war in ein Arbeitslager nach Serbien deportiert worden  ; er starb – vermutlich wurde er erschossen – 1944.1357 In den „Dämonen der Ostmark“ waren die Betrüger Juden  ; in den Dämonen sind sie es zwar weiterhin, doch ist ihre Beschreibung moderater, es gibt auch positive Aspekte und das „Jüdische“ steht nicht mehr im Vordergrund. Oder anders  : Die jüdische Herkunft einer Romanfigur dient nicht mehr als Erklärung unehrenhaften, unlauteren oder betrügerischen Verhaltens. 1354 Ebd., S. 742. Orkay gelingt es, mit seinen politischen Überzeugungen zu brechen. Er bricht daher auch seinen Kontakt mit den Frontkämpfern ab. (Ebd., S. 978.) 1355 Ebd., S. 941. 1356 Brief von Doderer an Gaby von Steinhart-Murad vom 22.3.1946 („Briefe“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie). Aus diesem Brief wurde weiter oben zitiert  : Erinnerung und Verdrängung  : ,die nichtjüdischen jüdischen‘ Freunde Doderers  : Ehemalige Freunde Doderers, S. 160. 1357 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 3182, 1946/02/02, Brief von Wydler, Marie-Louise an HA [Hasterlik, Auguste]. Vgl. auch „List of Hungarian labor battalions victims“, Yad Vashem  : The Central Database of Shoah Victims’ Names  ; http  ://www.yadvashem.org/wps/portal/IY_HON_Welcome  : Faludi, Bela.

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Außerdem sollten sich in den „Dämonen der Ostmark“ letztlich alle jüdischnichtjüdischen Paare trennen  ; dies gilt zwar auch in den Dämonen für die Paare Hans Neuberg und Angelika Trapp, Imre von Gyurkicz und Charlotte von Schlaggenberg, Camy Schedik und Kajetan von Schlaggenberg, doch zumindest René von Stangeler und Grete Siebenschein bleiben zusammen. Nach Wiederaufnahme der Arbeit an den Dämonen zog Doderer in Erwägung, René von Stangeler gemeinsam mit Grete Siebenschein emigrieren zu lassen,1358 doch realisierte er diese Idee letztlich nicht. Stattdessen findet in den Dämonen jedoch ein anderes jüdisch-nichtjüdisches Paar zueinander  : Mary K. und Leonhard Kakabsa.1359 Der Brand des Justizpalastes in Wien im Juli 1927 sollte in den „Dämonen der Ostmark“, wie im „Aide mémoire“ angekündigt, auf „marxistische Gärungen“1360 zurückzuführen sein. Es ist anzunehmen, dass dabei das gängige Vorurteil der Nähe oder Identität von Marxisten und Juden bedient werden sollte. Auch dieses Vorhaben wurde so nicht mehr umgesetzt. In den Dämonen wurden die ,Marxisten‘ durch den „Ruass“1361 ersetzt, was Doderer ermög­ lichte, dieses politische Ereignis weitgehend zu entpolitisieren. Die Teilnehmer an diesem Konflikt (es geht in Doderers Roman kaum um die Masse der Demonstranten selbst), auf der einen Seite der sozialdemokratische Republikanische Schutzbund, auf der anderen Seite die Polizei, werden beide positiv dargestellt  : Der Schutzbund bemüht sich, die gespannte Lage zu beruhigen und Leben zu retten, die Polizei wird vor allem an dem einen Fall des hilfsbereiten Polizisten Zeitler als Opfer gezeigt – Zeitler wird erschossen. Tatsächlich gab es am Tag der Demonstration unter den 90 Toten einen Polizisten, der allerdings – in Zivilkleidung – versehentlich von seinen Kollegen erschossen wurde. In der Nacht des 16. Juli kamen bei Zusammenstößen drei weitere Polizisten ums Leben.1362 Gerald Stieg schreibt in seinem Buch Frucht des Feuers. Canetti, Doderer, Kraus und der Justizpalastbrand  : „Doderer stellt nirgends die Legitimität der Regierungs- und Polizeiaktionen in Frage. Aber er bemüht sich, ein ,gerechtes‘ Gleichgewicht zwischen den beiden Ordnungskräften des Tages, Schobers Polizei und dem Republikanischen Schutzbund, herzustellen.“1363 1358 Vgl. Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, S. 58 (19.7.1951). 1359 Zu diesem Thema vgl. auch Gerald Sommer  : „In die ,Sackgasse‘ und wieder hinaus. In  : ­Ge­rald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften, S. 81f. 1360 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. II, S. 819 (21.7.1936). 1361 Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 1308. 1362 Vgl. Gerald Stieg  : Frucht des Feuers, S. 27, detaillierter dargestellt auch auf S. 57. 1363 Zur Problematik der Darstellung der Ereignisse des 15. Juli 1927 vgl. ebd., S. 108–117, Zit. S. 113.

VI. „Unter schwarzen Sternen“

Ich schrieb in diesem Winter [1962/1963], dieser durchaus krisenhaften Zeit für mich, eine größere Erzählung, „Unter schwarzen Sternen“, deren Titel diese Zeit ausreichend kennzeichnet. Es ist hier übrigens das erste mal [sic], daß ich als Künstler das Substrat Krieg und Nazizeit berühre.1364

Im Juni 1961 entwarf Doderer die Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ zunächst unter dem Titel „Aus tiefer Wüste“.1365 Zwischen dem 25. Dezember 1962 und dem 10. Januar 1963 schrieb er sie nieder.1366 In der Erzählung „Unter schwarzen Sternen“1367 ist Wien 1943 versteinert, ohne „Aura“1368 und ohne Leben. So hatte Doderer die Stadt auch schon 1940 empfunden, als er in seinem Tagebuch von der „Absenz von Kraft, von Leben überhaupt“1369 und über „das graue, steinern erstarrte Meer um meine Wohnung in der Buchfeldgasse“1370 schrieb. Das Kriegsende wird im Gegensatz dazu von Doderer als „Wiederkehr des Lebens“ gewürdigt. Am 7. Mai 1945 schrieb er in Norwegen, wo er als Offizier der Wehrmacht stationiert war, über das Ende des totali-

1364 Brief von Doderer an Ivar Ivask vom 21.5.1963  ; Heimito von Doderer  : Von Figur zu Figur, S. 67. (Doderer verwendete diese Formulierung auch in einem Brief an Hilde Spiel vom 25.6.1963  : „[Z]um ersten Mal [Hervorhebung im Original] berühre ich hier das Substrat Krieg und Nazizeit.“  ; „Briefe“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie.) Zu den Krisen zwischen Ende 1962 und Anfang 1963, etwa Doderers Kränkung, als er sich in der unsympathischen Figur des Ariovist von Wissendrum in Güterslohs Roman Sonne und Mond wiedererkennen musste, seine gesteigerten Wutanfälle und eine beginnende Impotenz vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 499–503. 1365 Vgl. Wendelin Schmidt-Dengler  : „Anmerkungen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 512. 1366 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 501. 1367 Zur Interpretation des Titels vgl. Gerald Sommer  : „Von Dampfern, Unterseebooten und Wracks“. In  : Gerald Sommer u. Kai Luehrs-Kaiser (Hg.)  : „Schüsse ins Finstere“. Zu Heimito von Doderers Kurzprosa. Würzburg 2001 (Schriften der Heimito von Doderer-Gesellschaft, Bd. 2), S. 155–172, hier S. 162, Fn. 47. 1368 Vgl. Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 466. 1369 Unveröffentlichte Tagebucheinträge von Doderer, zit. nach François Grosso  : „Anhang“. In  : François Grosso  : Primum scribere, deinde vivere, S. 215 (1.9.1940). 1370 Ebd., S. 216 (9.10.1940).

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tären Staates – in seiner Terminologie das „geplatzte Tönnchen“1371 – und über die deutsche Kapitulation als „Wiederkehr des Lebens. Im heutigen Abend seh’ ich die Wiederkehr, die von mir lang erwartete, des komplexen Lebens.“1372

1. Eine Erzählung autobiografischer Inspiration Die Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ spielt im Herbst-Winter 1943 in Wien und erstreckt sich vermutlich über ein paar Monate.1373 Die zwei zentralen Orte sind die Privatwohnung des Anwalts Dr. Albrecht R. und das Institut für Offiziersanwärter der Luftwaffe, genannt „Dienststelle“. Die Verbindung der beiden Orte findet über den Ich-Erzähler statt, der als „Prüfer und Gutachter“ in der „Dienststelle“ arbeitet und bei den Einladungen seines Freundes Dr. Albrecht R. zu Gast ist. Die Ereignisse, die sich von Ende 1943 vermutlich bis 19441374 erstrecken, werden vom Ich-Erzähler mit einem Abstand von mindes­ tens siebzehn Jahren geschildert. Anlass des Erzählers ist jener Moment, zu dem er in Wien am „Graben“ einen Mann wiedererkennt, der ihm erstmals als Anwärter in der „Dienststelle“ begegnet war. Das entspricht in etwa der Zeit (1961), als Doderer den Plan zu seiner Erzählung fasste. Autobiographische Quellen gibt es in dieser Erzählung viele und leicht nachvollziehbare, so etwa die Funktion des Ich-Erzählers als „Prüfer und Gutachter“ in der „Dienststelle“ für „Anwärter für die Offizierslaufbahn“ oder seine „hoch gelegen[e]“ Wohnung in Wien in der Nähe des „Café Rathaus“.1375

1371 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 315f., Zit. S. 315 (7.5.1945  ; Hervorhebung im Original). Doderer bezeichnet das auch als „,Tonne‘ in Trümmern“, als „Zerspringen der ,Tonne‘“ und auf Französisch „tonneau éclaté“; ebd., resp. S. 371 (5.9.1945), S. 400 (5.2.1946) u. S. 317 (8.5.1945). Er verweist für diesen Ausdruck auf Gütersloh; ebd., S. 317 (8.5.1945). Zur Definition von „Tonne“ und „Tönnchen“, vgl. ebd., S. 308 u. 315f. 1372 Ebd., S. 316 (7.5.1945). 1373 „1943“, S. 464  ; „Herbstmorgen“, S. 465  ; „in diesen Monaten“, S. 469 u. „Schnee“, S. 482. (Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen.) 1374 Zumindest wurde Dr. Edmund Schüller im Jahr 1944 nach Riga abberufen  ; Modell für „Dr. E“, der an die Ostfront geschickt wird. Vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 232 (13.8.1944). Allerdings nahm es Doderer in seiner Erzählung mit den historischen Daten nicht so genau, wie noch gezeigt wird. 1375 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 464f.

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Der Ich-Erzähler ist ebenso wie Doderer 1943 Hauptmann1376 und wird als „Herr von S.“ angesprochen,1377 eine Abkürzung, hinter der man den Namen René von Stangeler vermuten darf, Doderers Pseudonym unmittelbar nach dem Krieg und Name seiner Romanfigur. Auch bei anderen Figuren ist deutlich erkennbar, von wem sie inspiriert sind. Der Rechtsanwalt Dr. Albrecht R. wird als ehemaliger „Erzieher“ bzw. „,Hofmeister‘“ des Erzählers vorgestellt  :1378 Sein Vorbild war Dr. Albrecht Reif, Doderers ehemaliger Hauslehrer und Freund. Er wohnte am Südtiroler Platz,1379 der in der Erzählung zum „Favoritenplatze“1380 wird, beide sind in unmittelbarer Nähe des Südbahnhofs gelegen.1381 Doch im Gegensatz zu anderen Gästen des Dr. R. wird die jüdische Herkunft von Albrecht Reif in der Erzählung nicht erwähnt – und das, obwohl er von den NS-Behörden als „Mischling I. Grades“ (das bedeutete zwei jüdische Großeltern) eingestuft worden war, was nicht nur eine Gefährdung des Arbeitsplatzes bedeutete.1382 Über die Ungewissheit, die NS-Zeit als sogenannter „Mischling“ zu überleben, schreibt Beate Meyer vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden  : Die „Mischlinge“ konnten nicht darauf vertrauen, daß „das deutsche Blut“ in ihren Adern oder die deutsche Staatsbürgerschaft ihnen eine andere Behandlung garantieren würde als den in den Holocaust einbezogenen „Mischlingen“ in den besetzten Ostgebieten. Sie mußten nach den Gerüchten, die im „Altreich“ über Massenmorde im Osten kursierten, befürchten, die NS-Herrschaft nicht lebend zu überstehen. In fast allen Berichten von Personen, die als „Mischlinge“ verfolgt wurden, kommt zum Ausdruck, daß ihnen die latente Todesgefahr – zumindest in zugespitzten Situationen – bewußt war.1383

Als Albrecht Reif am 18. Februar 1944 in seiner Wiener Wohnung starb, war er erst Anfang fünfzig. Doderer gedenkt seines Todes in seinem Tagebuch, ohne 1376 Ebd., S. 467f. 1377 Ebd., S. 469. 1378 Ebd., S. 466. 1379 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 304. 1380 Die Favoritenstraße mündet in den Südtiroler Platz  ; einen Favoritenplatz gibt es (zumindest heute) nicht. 1381 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 469. 1382 Siehe weiter oben  : Erinnerung und Verdrängung  : ,die nichtjüdischen jüdischen‘ Freunde Doderers  : Ehemalige Freunde Doderers, S. 158. 1383 Beate Meyer  : „Jüdische Mischlinge“, S. 373.

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dabei auf die Todesursache einzugehen. Es gibt keinen Hinweis darauf, ob er eines natürlichen Todes gestorben ist oder sich das Leben genommen hat. Doderer und Gütersloh hatten noch Gelegenheit, sich dort von dem Toten zu verabschieden. In der Erzählung entdecken unter ähnlichen Umständen Herr von S. und (der von Gütersloh inspirierte) Egon von H. das Ehepaar Gringo, das sich durch Einnahme von Gift das Leben genommen hat. Für Wolfgang Fleischer lässt sich diese Erzählung (auch) als verdecktes Requiem Doderers für Albrecht Reif lesen.1384 Die Figur Egon von H. wird, obwohl „Reserve-Offizier“, nicht zum Militär einberufen, was auf seine „jüdische Großmutter“ zurückzuführen ist  : Egon […] hatte eine jüdische Großmutter, sei’s nur dokumentarisch produziert, sei’s nach dahingehenden Bemühungen wirklich entdeckt. Reserve-Offiziere durften nicht unter ihrem Dienstgrade einrücken, er also gar nicht. Denn mit einer solchen Großmutter, so war die Meinung, konnte er als Offizier nichts taugen  : blieb also in seiner Stellung als Bureauchef bei einem Walzwerk.1385

Gütersloh war ebenfalls Reserveoffizier1386 und während der NS-Zeit als „Mischling 2. Grades“ (ein jüdischer Großelternteil  ; sein Großvater mütterlicherseits) eingestuft worden, was eine Einberufung als Offizier verhindert hätte. Im „Wehrgesetz vom 21. Mai 1935“ heißt es  : „§ 15 Arische Abstammung“  ; „(1) Arische Abstammung ist eine Voraussetzung für den aktiven Wehrdienst.“ Ausnahmen davon konnten zwar von einem „Prüfungsausschuss“ zugelassen werden, doch laut „(3) Nur Personen arischer Abstammung können Vorgesetzte in der Wehrmacht werden.“1387 Seine Stelle an der Akademie hatte Gütersloh aus politischen Gründen verloren, stattdessen war er zum Arbeitsdienst verpflichtet worden.1388

1384 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 328. 1385 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 475. 1386 „Hptm.R.“ so der Hinweis auf Gütersloh („Der Bezirksführer“ an „die Landesführung Wien der V.F. [Vaterländischen Front] – D.O. Referat“ vom 25.6.1937. – ÖStA/AdR, 02/BMI [Bundesministerium für Inneres], Gauakt 49.307 zu Gütersloh, Albert, geb. 5.2.1887). 1387 Zit. nach Arno Buschmann  : Nationalsozialistische Weltanschauung und Gesetzgebung 1933– 1945. Bd. II., S. 237. 1388 Vgl. Reinhold Treml  : „Einleitung“. In  : Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel 1928–1962, S. 40.

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Eine weitere Figur der Erzählung ist Dr. E., ein junger Arzt, der sechs Wochen nach einer der Abendeinladungen bei Albrecht R. an die Ostfront geschickt wird.1389 Dr. E. ist von Edmund Schüller1390 inspiriert, den Doderer über die gemeinsame Freundin Gaby Murad kennenlernte. Am 13. August 1944 wurde Edmund Schüller von Wien nach Riga abberufen. Doderer war davon sehr betroffen.1391 Der (verständlicherweise) namenlose SS-Mann, der vom Ich-Erzähler als „einer meiner liebsten Freunde“ bezeichnet wird, ist von Dr. Ferdinand von Steinhart inspiriert, der seit 1935 NSDAP-Mitglied1392 war und „nach einer […] Bewährungsfrist“1393 SS-Mitglied wurde. Nach seinen von mehreren Zeugen bestätigten Angaben hatte er „Volljuden“ und „jüdischen Mischlingen“ (gemäß der damaligen NS-Terminologie) und weiteren politisch Verfolgten in der NSZeit geholfen, darunter, wie auch in der Erzählung, einem jüdischen Arzt.1394

1389 Vgl. Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 470 u. 475. 1390 Zu den Erinnerungen Schüllers an Doderer, vgl. Edmund Schüller  : „De Spectationibus“. In  : Xaver Schaffgotsch (Hg.)  : Erinnerungen an Heimito von Doderer, S. 151–153. 1391 Edmund Schüller findet sich in Doderers Tagebucheinträgen von 1942 bis 1944. In  : Heimito von Doderer: Tangenten, als „Doktor Schüller“, S. 204  ; „Doktor Edmund S.“, S. 211  ; „Dr. S.“, S. 212  ; „Freund Edmund“, S. 214  ; „Frater Edmundus“, S. 214, und wiederholt als „Edmund“  ; Edmund Schüller wurde im August 1944 nach Riga versetzt (vgl. S. 232) und kehrte im September 1947 aus „Rußland“ zurück (vgl. S. 634). 1392 Seinen Beitritt zur NSDAP 1935 erklärte Ferdinand Steinhart im Juli 1945  : „Ich war Beamter der politischen Verwaltung des Landes Kärnten und hatte seit der Einführung des autoritären Regimes im Jahre 1934 das Sicherheitsreferat bei verschiedenen Bezirkshauptmannschaften zu führen. In dieser Funktion musste ich vielfach Dinge durchführen, die nach damaligen Begriffen mit einer korrekten und unpolitischen Amtsführung unvereinbar waren. Dadurch wurde ich immer wieder in die schwersten Gewissenskonflikte gebracht und als die NSDAP mich zur Mitarbeit aufforderte, entschloss ich mich im Dezember 1935 ihr beizutreten. Ihre Gewährsmänner waren keineswegs irgendwelche Radaubrüder sondern lauter gebildete, angesehene und viel ältere Kollegen aus der Verwaltung, die vielfach meine Lehrer und Ausbild­ ner im Fache und auch sonst in jeder Hinsicht meine Vorbilder waren.“ Der Hinweis auf den Beitritt zur NSDAP 1935 wurde handschriftlich unterstrichen. „Gesuch um Nachsicht von der Registrierung gem. §9 StGBl 18/1945/“ von „Regierungsrat Dr. Ferdinand Steinhart“ an „den Bürgermeister für den I. Bezirk (Meldestelle) vom 18.7.1945. (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 1. Bez./1927 zu Steinhart, Ferdinand, geb. 24.6.1910.) 1393 „Nach einer mir nicht mehr erinnerlichen Bewährungsfrist wurde ich in die SS aufgenommen.“ Die Aufnahme in die SS wurde handschriftlich unterstrichen. (Ebd.) 1394 Zu Ferdinand von Steinhart siehe weiter oben  : Antisemitismus und Nationalsozialismus  : Doderer und der Nationalsozialismus, S. 66f.

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Ein österreichischer, in der Erzählung namenloser Offizier ist von Friedrich Qualtinger, dem Vater Helmut Qualtingers, inspiriert. Laut Friedrich Qualtingers Erinnerungen an Doderer lernte er diesen 1943 in der „Annahmestelle für Offiziersbewerber der deutschen Luftwaffe in Wien“ kennen. Als ehemalige österreichische Reserveoffiziere hätten sie sich bald geduzt.1395 In der „Annahmestelle“ hätte er Doderer gegenüber die Bemerkung gemacht  : „Sie wohnen hier dem Begräbnis einer hohen Kultur bei und wir sind die pompes funèbres.“1396 In der Erzählung sagt der österreichische Hauptmann – diese Formulierung aufgreifend – sinngemäß das Gleiche zu seinem Sitznachbarn, dem Herrn von S., ebenfalls Hauptmann  : „Ich mache dich darauf aufmerksam, daß du hier dem Leichenbegängnisse einer Kultur assistierst.“1397 Mit einer Ausnahme werden die Figuren mit Initialen, Abkürzungen oder auch ohne Namen genannt  ; die Ausnahme bildet das Ehepaar Gringo. Was dieses Ehepaar von den anderen Figuren unterscheidet, ist, dass die anderen nach dem Vorbild realer Personen gestaltet wurden, während die „Gringos“ eine Idee veranschaulichen, nämlich die der „zweiten Wirklichkeit“  : Die Gringos sahen eigentlich nicht aus wie ein Mann und ein Weib (hintennach und viel, viel später kamen wir dahinter, dass Herr und Frau Gringo auf gar niemanden von den damals Anwesenden – soweit sich diese noch äußern konnten – eine Wirkung solcher Art auch nur im geringsten gehabt hatten). Sie sahen eher aus wie Schweinchen, doch solche mit mandelförmigen, traurig blickenden Augen.1398

2. Die Zusammenkünfte bei Dr. Albrecht R. Die Einladungen bei Dr. R. finden am späten Nachmittag in unregelmäßigen Zeitabständen statt, zu denen sich meist sechs bis acht Gäste einfinden.1399 Bei der vom Ich-Erzähler ausführlich geschilderten Einladung sind es allerdings doppelt so viele. Die meisten Gäste werden mit ihren Initialen und Berufen 1395 Vgl. Friedrich Qualtinger  : „Im Krieg und nachher“. In  : Xaver Schaffgotsch (Hg.)  : Erinnerun­ gen an Heimito von Doderer, S. 111–114, hier S. 111f. 1396 Ebd., S. 111. 1397 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 468. 1398 Ebd., S. 482. 1399 Ebd., S. 473.

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vorgestellt. Auf den zivilen Beruf des Ich-Erzählers wird nicht näher eingegangen, doch lässt seine Ähnlichkeit mit Doderer und die Erwähnung seiner Arbeit an seinem Schreibtisch zu Hause1400 vermuten, dass er Schriftsteller ist. Zum Rechtsanwalt Dr. R. kommen Musiker, Ärzte (Dr. S. und Dr. med. B.), ein hoher Beamter (Gringo) und Angestellte (darunter Egon von H.)  ; die nichtjüdischen sowie die nicht unabkömmlichen oder nicht invaliden Männer müssen Wehrdienst leisten.1401 Die Gäste Dr. R.s sind für die gewählte Zeitspanne der Erzählung 1943/1944 in Wien überaus überraschend, geradezu unvereinbar und nahezu unglaubwürdig  : ein SS-Mann, Offiziere der Wehrmacht und Juden  ;1402 letztere leben als „Unterseeboote“1403 bei Nichtjuden versteckt. 400 Menschen jüdischen Ursprungs überlebten die NS-Zeit in Wien als „UBoote“.1404 Doch dem Ich-Erzähler geht es nicht um die Lebensbedingungen der „U-Boote“ und er stellt diese Zusammensetzung nicht als außergewöhnlich für Wien dar  : „Man sieht’s  : Grenzen, die nach 1945 wieder sehr bedeutungsvoll werden sollten, waren gesprengt, echte Notgemeinschaften waren entstanden.“1405 Diese „Notgemeinschaften“ werden als Folge des Anschlusses geschildert, als wären sie aus einer gemeinsamen Ablehnung gegen die deutschen Ämter und Behörden unter „allen einigermaßen intelligenten Bevölkerungskreisen“ entstanden. Tatsächlich aber wäre eine derartige Zusammenkunft von SS, Offizieren und Juden, wenn überhaupt, dann die Ausnahme gewesen – und zwar in allen Bevölkerungskreisen. Peter Sprengel, der auf die problematische Darstellung verweist, schreibt von einem Text mit „Entlas­ tungs- und Ehrenrettungstendenz“.1406 Zur Erinnerung  : Die Erzählung spielt im Winter 1943 in Wien. Zu diesem Zeitpunkt lebten in Österreich nur noch 6.237 Juden von ca. 200.000 zum 1400 Ebd., S. 465 u. 482. 1401 Ebd., S. 466, 470f. u. 474f. 1402 Ebd., S. 464–485 u. 470f. 1403 Ebd., S. 470, 481 u. 482. 1404 Vgl. Brigitte Bailer-Galanda, Eva Blimlinger u. Susanne Kowarc  : „,Arisierung‘ und Rückstellung von Wohnungen in Wien. Die Vertreibung der jüdischen Mieter und Mieterinnen aus ihren Wohnungen und das verhinderte Wohnrückstellungsgesetz“. In  : Österreichische His­ to­rikerkommission (Hg.)  : „Arisierung“ und Rückstellung von Wohnungen in Wien. Wien u. München 2004, S.129. 1405 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 470. 1406 Peter Sprengel  : „Späte Einsicht eines stillen Wassers. Zum Verständnis von Heimito von Doderers Erzählung Unter schwarzen Sternen“. In  : Jahrbuch der Österreich-Bibliothek in St. Petersburg, Bd. 7 (2005/2006), S. 96–109, hier S. 98 u. „Entlastungsgeschichte“, S. 100.

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Zeitpunkt des Anschlusses 1938  : davon 181.882 jüdischen Glaubens und weitere geschätzte 24.000, die auf Grundlage der Nürnberger Gesetze ebenfalls als Juden galten.1407 Die Emigration gelang – wenn überhaupt – den meisten Betroffenen nur bis zum Kriegsausbruch 1939, dann wurden die Möglichkeiten zur Ausreise aus Wien sowie ein Land zu finden, das bereit war, Flüchtlinge aufzunehmen, noch schwieriger. Ab Oktober 1941 war Juden die Ausreise verboten.1408 Deportationen in großem Umfang hatten bereits bis 1942 stattgefunden, auch wenn sie noch bis März 1945 fortgesetzt wurden  :1409 „Ca. 65.000 österreichische Juden und Jüdinnen wurden bis 1945 ermordet, 130.000 gelang die Flucht und die erzwungene Emigration. 5.000 überlebten als Bedienstete des Ältestenrates, in ,Mischehen‘ oder als ,U-Boote‘.“1410 Eine Einladung mit einem Dutzend Gästen, von denen einige Juden sind und sich manche davon noch dazu zum ersten Mal sehen, wäre, abgesehen von der fehlenden Bereitschaft, ein sehr hohes Risiko gewesen, und zwar insbesondere für die jüdischen Gäste, die nur noch im Untergrund einer Deportation entgehen konnten. Selbst wenn es in der Erzählung Elemente gibt, die von der damaligen realen Situation ausgehen, so ist die Schilderung der Abendgestaltungen bei Dr. R. vor allem Ausdruck einer bestimmten Idee Doderers, nämlich jener der „zweiten Wirklichkeit“. Die Gäste Unter den jüdischen Gästen erkennt der Erzähler den Arzt Doktor med. B., eine Frau, die vom Ich-Erzähler als „alttestamentarische Schönheit“1411 beschrie-

1407 Vgl. Brigitte Bailer-Galanda, Eva Blimlinger u. Susanne Kowarc  : „,Arisierung‘ und Rückstellung von Wohnungen in Wien“. In  : Österreichische Historikerkommission (Hg.)  : „Arisierung“ und Rückstellung von Wohnungen in Wien, S. 105f. (Mit 206.000 Juden in Österreich am Stichtag des 13.3.1938 finden sich schon vergleichbare Schätzungen bei Jonny Moser  : Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938–1945, S. 27–29  ; für das Jahr 1943, S. 51.) 1408 Vgl. Reinhard Rürup (Hg.)  : Topographie des Terrors, S. 117. 1409 Vgl. Jonny Moser  : Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938–1945, S. 53 u. S. 80–83. 1410 Brigitte Bailer-Galanda, Eva Blimlinger u. Susanne Kowarc  : „,Arisierung, und Rückstellung von Wohnungen in Wien“. In  : Österreichische Historikerkommission (Hg.)  : „Arisierung“ und Rückstellung von Wohnungen in Wien, S. 217. 1411 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 470.

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ben wird – „alttestamentarisch“ oder auch „[von] uralter Rasse“ 1412 werden von Doderer als Synonyme für jüdisch verwendet –, und „eine ältere jüdische Dame“.1413 Über die „alttestamentarische Schönheit“ schreibt der Ich-Erzähler  : Es war eine außerordentlich schöne Frau, die jetzt eintrat, doch erschrak ich bei ihrem Anblick darüber, daß sie immer noch hier war  ; und jedermann in unserem Kreise empfand das wie selbstmörderischen Leichtsinn, um so mehr, als alle Bedingnisse für ihre Abreise geordnet vorlagen.1414

Später berichtet er von der „Ermordung der schönen Tochter des Generalstabsarztes  : sie hatte zu lange gezögert und starb in Theresienstadt.“1415 Dr. med. B. lebt versteckt bei Dr. E., ihm gelingt die Flucht mithilfe des ebenfalls anwesenden SS-Mannes. Er wird reich in den USA heiraten und den Kontakt mit seinen Wiener Bekannten abbrechen, selbst mit jenem, bei dem er zuvor versteckt gelebt hatte – „was man am Ende auch verstehen kann“.1416 Die jüdische Dame lebt bei einem ebenfalls anwesenden Freund des Erzählers und machte „ihm das Leben schwer“.1417 Sie stirbt bei den Luftangriffen auf Wien, da sie es nicht riskieren kann, im Keller Schutz zu suchen.1418 Es gibt außerdem einen Opernsänger, von dem der Erzähler zwar nicht ausdrücklich sagt, dass er jüdischen Ursprungs sei, wovon aber auszugehen ist, da es über ihn heißt, dass er „seine Papiere in Ordnung und sein Auslandsengagement in der Tasche hatte, alles auch reichlich verspätet […].“1419 Die Schilderung der „Juden“ (auf die Situation des Opernsängers und Egon von H. wird kaum eingegangen) ist immer leicht negativ besetzt  :1420 leichtsin1412 Über Mary K., jüdischer Herkunft, heißt es etwa  : „die jetzt fast ehrwürdig wirkenden Züge uralter Rasse“. (Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 36.) 1413 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 470. 1414 Ebd., S. 469f. 1415 Ebd., S. 470. Zwischen Nov. 1943 u. März 1945 gab es noch 21 Deportations-Transporte von Österreich nach Theresienstadt (Vgl. Jonny Moser  : Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938–1945, S. 82f.). 1416 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 470. (Im Original in Klammern.) 1417 Ebd. 1418 Vgl. ebd. 1419 Ebd. 1420 Vgl. auch Sigurd Paul Scheichl  : „Heimito von Doderer ,Unter schwarzen Sternen‘“. In  : Hubert Lengauer (Hg.)  : „Abgelegte Zeit“  ? Österreichische Literatur der fünfziger Jahre. Wien 1992, S. 97–107, hier S. 104.

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nig (die „schöne Frau“), undankbar (Dr. B.) und mühsam (die „ältere jüdische Dame“). Der Ich-Erzähler empfindet es als „selbstmörderischen Leichtsinn“, dass die „schöne Frau“ Österreich nicht verlässt. Er fragt sich nicht nach den Gründen für ihr Bleiben. Es wird so dargestellt, als läge es nur an ihr zu gehen, wenn sie es wünsche, da doch „alle Bedingnisse für ihre Abreise geordnet vorlagen“. Doch hier irrt der Ich-Erzähler (und Doderer), denn die Ausreise von Juden war ab Oktober 1941 verboten. Das Argument, sie könnte Ende 1943 das Land verlassen, wenn sie nur wolle, wird dadurch verstärkt, dass noch nach diesen Treffen bei Dr. R. sowohl der Opernsänger (legal) als auch Dr. B. (heimlich) das Land verlassen. Die anderen Gäste dieses Abends sind der Ich-Erzähler, der Gastgeber Dr. R., Dr. E., außerdem der SS-Mann sowie ein weiterer Freund des Erzählers, dessen Name nicht genannt wird, die Sekretärin von Dr. R. sowie eine weitere Frau und zwei junge Männer in Uniform, beide Musiker, die später weltberühmt werden sollten. Verzerrte Darstellungen Wie ist dieser Abend in Wien Ende 1943 zu verstehen, zu dem sowohl ein SSMann, Offiziere der deutschen Wehrmacht als auch Juden eingeladen sind  ? Das SS-Mitglied wird ausschließlich unter seinem positiven Aspekt gezeigt  : Er denunziert niemanden, stattdessen nimmt er das Risiko auf sich, denunziert zu werden, da er einerseits an dieser Abendveranstaltung unter Anwesenheit von illegal in Wien lebenden Juden teilnimmt, andererseits Dr. B., einem Juden, Ende 1943 die Flucht ermöglicht. Wie ihm ein zu dieser Zeit überaus schwieriges Unterfangen noch gelingen kann, darauf wird in der Erzählung nicht verwiesen. Die historischen Unwahrscheinlichkeiten dieser Erzählung werden verständlich, sobald man weiß, dass Doderer für seine Erzählung Daten abgeändert hat  : Was in der Erzählung auf die jüdischen Gäste bezogen mit 1943 datiert wird, hat zumindest im Fall von Dr. Barrasch, Modell für Dr. B., seine reale Grundlage in den Jahren 1938/1939 – also zu einem Zeitpunkt, als Juden sich im Allgemeinen noch legal um eine Ausreise bemühen konnten, bzw. auf sie von den NS-Behörden Druck ausgeübt wurde, das Land zu verlassen und sie somit auch noch nicht in den Untergrund gezwungen worden waren, um einer Deportation zu entgehen. Der SS-Mann der Erzählung ist, wie bereits erwähnt, von Doderers Freund Ferdinand von Steinhart, damals Regierungsrat, inspiriert  ; der jüdische Arzt

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Dr. B. von Dr. Erich Barrasch. In seinem „Gesuch um Nachsicht von der Registrierung“ schreibt Ferdinand Steinhart im Juli 1945  : „Ende 1938 beherbergte ich den flüchtigen volljüdischen Arzt Dr. Erich Barrasch und verschaffte ihm die Möglichkeit nach Amerika auszureisen.“1421 Was 1938/1939 noch möglich war, wäre für den SS-Mann und für Dr. B., um auf die Erzählung zurückzukommen – wenn überhaupt – Ende 1943 nur illegal und unter Lebensgefahr beider möglich gewesen. Zutreffender dürfte die Schilderung von Ernst Strasser vom „Staatsamt für Finanzen“, der Ferdinand Steinhart seit 1938 kannte, sein, der schrieb, dass Ferdinand Steinhart „Dr. med. Erich Barrasch‚ unter Ausnützung seiner Amtsstellung zur Ausreise verhalf “.1422 Deutlich wird in der Erzählung vor allem eines  : Es geht darin nicht um eine Auseinandersetzung damit, was es bedeutete, SS-Mitglied oder (von der Ostfront zurückgekehrter) Wehrmachtsoffizier zu sein (NSDAP-Mitglieder werden in der Erzählung nicht erwähnt). Auch Juden spielen in ihr nur am Rande eine Rolle. Was Doderer tatsächlich mit dieser kleinen Gruppe von Gäs­ten zeigen will, ist ein von Juden und Nichtjuden, Verfolgern und Verfolgten gegen „die Deutschen“ vereintes Österreich. Ferdinand Steinhart hatte 1945 für sein „Gesuch“ acht Zeugenaussagen eingereicht, die seine frühe NS-Gegnerschaft und seine demokratische Einstellung bestätigen sollten, was Voraussetzung für die Gewährung eines derartigen Gesuchs war. Manche der Zeugen schrieben darin auch von seiner Hilfe, die er ihnen als „Mischlinge“ oder politisch Verfolgte hatte zukommen lassen. 1946 kam noch ein Unterstützungsschreiben von Provinzial Bichlmair hinzu.1423 Ferdinand Steinharts erstes Gesuch war abgelehnt worden, doch auch als er im Juli 1947 neuerlich eines stellte1424 und im März 1949 der Aufforderung der „Registrierungsbehörde“ nachkam, sein Gesuch zu ergänzen1425 1421 „Gesuch um Nachsicht von der Registrierung gem. §9 StGBl 18/1945/“ von „Regierungsrat Dr. Ferdinand Steinhart“ an „den Bürgermeister für den I. Bezirk (Meldestelle) vom 18.7.1945. (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 1. Bez./1927 zu Steinhart, Ferdinand, geb. 24.6.1910.) 1422 Dieser Brief von Ernst Strasser ist einer von acht Briefen, die dem „Gesuch um Nachsicht von der Registrierung“ von Ferdinand Steinhart beigegeben sind. (Ebd.) 1423 „Bestätigung.“ von „Provinzial.“ Bichlmair [mit Eingangsstempel  :] „Registrierungsbehörde (Meldestelle) zur Registrierung der Nationalsozialisten für den 1. Bezirk“, 25.5.1946. (Ebd.) 1424 „Gesuch um Ausnahme von den Suehnefolgen gem. § 27 des Verbotsgesetzes 1947“ von „Dr. Ferdinand Steinhart“ an „den Herrn Bundespräsidenten der Republik Oesterreich.“ vom 5.7.1947. (Ebd.) 1425 „Gesuch gem. § 27 des V.G.“ von „Dr. Ferdinand Steinhart“ an „die Registrierungsbehörde zur Registrierung der Nationalsozialisten für den 1. Bezirk“ vom 15.3.1949. (Ebd.) Das Gesuch

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– entlastende Aussagen von Dr. Barrasch (oder auch von zwei polnischen Familien, denen er zur Ausreise in die Schweiz verholfen hatte) waren nie dabei; ein Faktum mithin, auf das möglicherweise der Satz, „Dr. med. B.“ hätte sich „um keinen von uns […] jemals mehr gekümmert“, in Doderers Erzählung Bezug nimmt. Doch in einem bricht der Ich-Erzähler mit dem üblichen Diskurs, dass man von der Ermordung der deportierten Juden nicht gewusst hätte. Weder der Ich-Erzähler noch die anderen Gäste haben 1943 den geringsten Zweifel daran, dass sich die Frau als Jüdin in Wien in Lebensgefahr befindet.1426 Die Problematik von Schuld und Unschuld beschäftigte Doderer bis zu seinem Lebensende. Es ist eines der Schlüsselthemen seines letzten Romans Der Grenzwald. Schon am 8. Mai 1945 in Norwegen schrieb er in sein Tagebuch  : Man kann durch Dulden schuldig werden. So, letzten Endes, hat der totale Staat den Menschen eingesackt  ; und die Kulmination liegt dort, wo das was einer vorstellt, mit dem, was einer ist (um Schopenhauerisch zu reden), keinerlei Konnex mehr hat  : nur die Klammer jener Grundschuld durch Dulden hält beides noch zusammen.1427

Mit dieser Erzählung hat Doderer zweifellos ein für ihn heikles Thema gewählt, doch ist es weder ein Versuch, die historische Realität zu erfassen, noch eine Auseinandersetzung mit der Verantwortung der Österreicher oder der eigenen, vielmehr wird diese, wie schon so oft, auf „die Deutschen“ abgeschoben. Das Ehepaar Gringo oder die „Apperzeptionsverweigerung“ Nach dem Konzert verteilen sich die Gäste in der Wohnung von Dr. R.; erst das Eintreffen des Ehepaars Gringo vereint sie wieder. Das Paar wird von ihnen umringt, umsorgt und umhegt, man macht ihm den Hof, bietet ihm Champagner und Süßigkeiten an, flüstert ihm Dinge zu, streichelt es, so der Ich-Erzähler, der sich selbst von dem Paar, das ihm vorgestellt wird, fasziniert zeigt.

war schließlich „mit Entscheidung des Bundespräsidenten vom  : 28.2.1950 Zahl  : 2.958 Umfang der Ausnahme  : Art. III und § 18, lit. b. i.“ gewährt worden. („Meldeblatt zur Verzeichnung der Nationalsozialisten gemäß § 4 des Verbotsgesetzes 1947.“ – Ebd.) 1426 Vgl. Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 469f. 1427 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 318 (8.5.1945).

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Der Mann und die Frau gleichen einander „wie eben ein Ei dem anderen“.1428 Obwohl Manuel Gringo Reserveoffizier ist, wurde er nicht einberufen, da er als hoher Verwaltungsbeamter eines Ministeriums als unabkömmlich gilt. Kai Luehrs-Kaiser schließt nicht aus, dass die Gringos auch assimilierte Juden sein könnten.1429 Doch das Konzept von „assimilierten Juden“ macht unter dem NS-Regime keinen Sinn, wo nicht die Religion der betroffenen Person ausschlaggebend war, sondern ihre „Rasse“, die wiederum nach der (ursprünglichen) Religion der Großeltern bestimmt wurde. Außerdem hätte Manuel Gringo seine Position als hoher Beamter nicht behalten können, wenn er nach NS-Terminologie „Viertel-“ oder „Halbjude“ gewesen wäre. Gringo erklärt dem Erzähler, dass er seine „Pflicht“ tue, eine „fragwürdig gewordene Vokabel“,1430 die aber von Manuel Gringo in einem anderen oder früheren Sinn verwendet wird, so der Erzähler. Der Gebrauch dieses Begriffs ermög­ licht ihm, das Paar zu verstehen und seine Faszination für es zu erkennen  : [S]ie waren die einzigen von uns allen, die fähig waren – gänzlich in Unschuld, und ohne je für oder gegen eine Partei, eine Rasse oder Klasse gewesen zu sein – das was geschah, für bare Münze der Wirklichkeit zu nehmen, und nicht für einen schweren Unsinnstraum, wie wir es empfanden.1431

Der Erzähler erklärt die Macht, die von den Gringos ausgeht  : „[W]ir sahen in die ruhige Mitte hinein und in den Gringoschen Frieden, wo man sich so verhielt, als sei die Welt eine wirkliche geblieben wie sie immer gewesen war  : und 1428 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 472. 1429 Vgl. Kai Luehrs-Kaiser  : „Der Irrtum des Erzählers  ? Heimito von Doderers Erzählung ,Unter schwarzen Sternen‘ und ihr Bezug zu den Dämonen“. In  : Gerald Sommer u. Kai Luehrs-Kaiser (Hg.)  : „Schüsse ins Finstere“, S. 144. 1430 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 474. 1431 Ebd. Historisch glaubwürdig ist die Darstellung der Gringos, sie seien nie „für oder gegen eine Partei“ gewesen, nicht, zumindest dann nicht, wenn dies als Hinweis darauf gelesen wird, dass sie – und zwar insbesondere Manuel Gringo als hoher Beamter – keine NSDAP-Mitglieder waren. Laut dem Historiker Gerhard Botz waren „bei den dienstrechtlich und finanziell privilegierten (und kontrollierten) Beamten im engeren Sinn sogar gegen 90%“ NSDAPMitglieder geworden. „Höhere Beamte waren praktisch zu 100% PGs […]“. Gerhard Botz  : „Arbeiter und andere Lohnabhängige im Nationalsozialismus“. International Conference of Labour and Social History. 42. Linzer Konferenz (14.–17. Sept. 2006), S. 15  ; http  ://www. lbihs.at/BotzArbeiterNS.pdf .

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dieses Als-Ob schien uns durch Augenblicke oft stärker als jene Welt, in der wir jetzt so schwer atmeten.“1432 Wenn von den Gringos eine derartige Anziehungskraft ausgeht, dann deshalb, weil es den Gästen ein Entkommen aus der Wirklichkeit ermöglicht. Das Bedürfnis, einer Welt des „Un-Sinns“1433 zu entkommen, hatte der Erzähler bereits zuvor ausgedrückt  : „Als unausweichliche Folge kam es leicht zu einer Kette von Exzessen, deren Circulus vitiosus nicht abriß, und an welchen sich auch die Vernünftigsten und Mutigsten unter uns beteiligten. Denn auch sie bedurften der Betäubung.“1434 Bei Dr. Albrecht R. betäubt man sich mit Alkohol. Der Kult um das Ehepaar Gringo hat denselben Effekt. Am letzten vom Erzähler beschriebenen Abend, zu dem er verspätet kommt und daher nicht wie die anderen Gäste bereits unter Alkoholeinfluss steht, sieht er, wie die Gäste, und zwar insbesondere die Frauen, das „Unterseeboot“ ebenso wie „die Pompöse“1435 (das heißt die Jüdin ebenso wie die Nichtjüdin) damit beschäftigt sind, das Ehepaar völlig zu entkleiden. Die Gringos werden auf die „Platte des Kamins“ 1436 gesetzt, von der der Erzähler schon zuvor festgestellt hatte, dass diese leer war und etwas Dekoratives darauf fehle.1437 Die Gäste bilden einen Halbkreis um das Paar, nehmen sich an der Hand und verbeugen sich mehrmals feierlich und in vollkommener Stille.1438 Der Erzähler nimmt an der „rituellen Verehrung“1439 nicht teil und verlässt die Wohnung. Am nächsten Morgen finden der Erzähler und sein Freund Egon von H., alarmiert durch die Bedienerin der Gringos, das Paar tot in seiner Wohnung. Ein Schreiben ohne weitere Erklärungen weist auf die Personen hin, die zu kontaktieren sind. Kurz darauf stellt der Erzähler bei sich zu Hause fest, dass er bereits nicht mehr an die Gringos denkt  ; diesen Gedanken hat er auch in der „Dienststelle“, in die er sich unmittelbar danach begibt.1440 Dies deutet wohl auf einen Abschluss hin und kann als gelungene Loslösung des Ich-Erzählers von der „zweiten Wirklichkeit“ interpretiert werden. 1432 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 474. 1433 Ebd., S. 467. 1434 Ebd. 1435 Ebd., S. 481. 1436 Ebd., S. 482. 1437 Vgl. ebd., S. 475. 1438 Vgl. ebd., S. 481f. 1439 Ebd., S. 482. 1440 Vgl. ebd., S. 482–485.

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Die Rolle des Ehepaars Gringo ist daher im Zusammenhang mit der Bedeutung zu sehen, die für Doderer „Wirklichkeit“ und „Apperception“ hatten, Begriffe mit denen er sich in seinen Tagebüchern ebenso beschäftigte wie in theoretischen Arbeiten und Romanen. Er definiert „Wirklichkeit“ oder ­„erste Wirklichkeit“ als minimale Deckung (Analogie) zwischen der Innen- und Außenwelt.1441 Besteht diese Verbindung zwischen dem Inneren und der Außenwelt nicht mehr, so spricht Doderer von einer „zweiten“, „geminderten Wirklichkeit“ oder vom „Sturz in’s Irreale“.1442 Ebenso erklärte Doderer die zwölf Jahre NS-Regime  : „Der totale Staat entstand durch die Flucht aus der Analogia entis und die Etablierung einer zweiten Wirklichkeit neben dieser  : und genau so lebte ich.“1443 Unter „Apperzeption“ verstand Doderer die Fähigkeit, die Welt so zu sehen, wie sie ist, eine Art der Wahrnehmung, die eine existenzielle Veränderung herbeiführen würde.1444 Kai Luehrs-Kaiser erklärt  : „Den Gringos eignet […] die Doderer so teure Apperzeptionsfähigkeit, also das Vermögen, sich der Welt zuzuwenden und sie so wahrzunehmen wie sie ist.“1445 Das Gegenteil ist der Fall  : Die Fähigkeit der Apperzeption fehlt den Gringos. Sie leben in einer Wirklichkeit, die nicht mehr existiert. Sie glauben, den Ereignissen nach dem Krieg einen Sinn geben zu können, obwohl diese Zeit für den Erzähler, wie auch für Doderer, eine Zeit des Unsinns ist.1446 Dass sich die Gringos der „Apperzeption“ verweigern, erklärt auch ihr tödliches Ende  : Wie man’s denn damals überhaupt machte, daß man morgens noch aufstand, und wieder, und wieder  ? Emporgehoben und dahintreibend auf einer breiten Woge des Unsinns, obwohl wir es doch wussten und sahen, und um so schlimmer  ! Aber dieses Wissen allein war es zuletzt, was uns überleben ließ, während viel Bessere als wir verschlungen wurden.1447

Die Gringos werden in der Erzählung mehrmals mit Eiern verglichen  : „Herr und Frau Gringo waren zwei überzeugend gute und liebe, völlig arglose wan1441 Siehe weiter oben  : „Sexualität und totaler Staat“, S. 277f. 1442 Heimito von Doderer  : Tangenten, z. B., resp. S. 26, 414 u. 454. 1443 Ebd., S. 762 (10.7.1950). 1444 Siehe weiter oben  : „Sexualität und totaler Staat“, S. 277f. 1445 Kai Luehrs-Kaiser  : „Der Irrtum des Erzählers  ?“ In  : Gerald Sommer und Kai Luehrs-Kaiser (Hg.)  : „Schüsse ins Finstere“, S. 146. 1446 Vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten, z. B. S. 609f. (28.6.1948). 1447 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 466.

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delnde Ostereier […]“1448 Das Bild von einem Ei im Zusammenhang mit der Apperzeptionsverweigerung wurde bereits in einem Brief von Gütersloh an Doderer am 26. März 1942 geprägt. Gütersloh, der in Wien lebte, beschrieb darin die Nacht, in der erstmals Sirenen zu hören waren und in der die Bewohner des Hauses im Keller Schutz suchten  : unter ihnen „die auf keinem Bilde fehlende, in einer eirunden Aura von apperzeptionsverweigernder Abgeschlossenheit schwebende […] Modellmutter, die ihren Bambino an den Busen hält“.1449 Dasselbe Bild vom Ei und der Apperzeptionsverweigerung verwendete Doderer in den Dämonen in seiner Beschreibung der Frau Mayrinker  : „Sie machte ihre Toilette und entblätterte sich dazu, so daß ihre ganz weißen Rundlichkeiten sichtbar wurden, weiße Schultern und Arme, baby-haft.“1450 Die Beschreibung ihrer „weißen Rundlichkeiten“ erinnert an die ebenfalls entkleideten Gringos und ihre „rundlichen blanken Leiber“.1451 Und weiter zu Frau Mayrinker  : „Sie schaltete das Licht aus und rollte sich zu einem glatten weißen runden Ei unter dem Nachthemd zusammen, ein Ei der Apperzeptions-Verweigerung, aus dem sie niemals kroch.“1452 Über jenes Paar, das Doderer als Vorbild für das Ehepaar Mayrinker in den Dämonen diente, schrieb er 1955 im Tagebuch  : „Dieses Ehepaar ist mir vor Jahren in einem Eisenbahnzuge zwischen Salzburg und München gegenübergesessen. Diese Leute besaßen die Vollkommenheit einer Seifenblase oder Glaskugel.“1453 Diese Vorstellung findet sich in den Dämonen in der Beschreibung des Ehepaares Mayrinker wieder, das wie „im Innern einer Seifenblase“1454 schwebt, und in „Unter schwarzen Sternen“, wo das Ehepaar Gringo „wie in einer sicheren Kapsel“1455 lebt. Doch während Frau Mayrinker überlebt – es gelingt ihr, das Feuer in ihrer Küche einzudämmen, während draußen, von ihr unbemerkt, der Justizpalast 1448 Ebd., S. 472. 1449 Brief von Gütersloh an Doderer vom 26.3.1942. (Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel 1928–1962, S. 173–175, Zit. S. 174.) 1450 Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 1281. 1451 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 481. 1452 Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 1282. 1453 Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, S. 443 (13.8.1955). 1454 Heimito von Doderer  : Die Dämonen, S. 1180. 1455 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 474.

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brennt –, sterben die Gringos. Egon von H. spricht die Gefahr an, der sich die Gringos (durch ihr Leben in einer „zweiten Wirklichkeit“) ausgesetzt haben  : „,Ein solcher Grad von Ahnungslosigkeit […] ist sozusagen hochbrisant gefährlich. Es ist ein Lehrfall. Wenn der sich aber als nicht mehr möglich erweist, dann ist bald das Ende aller Zeiten nahe. Sie müßten überleben.‘“1456 Das Ehepaar Gringo jedoch überlebt nicht. Während Frau Mayrinker niemals aus dem „Ei“ ihrer „Apperzeptions-Verweigerung“ kriecht, bleibt das Ehepaar Gringo nur so lange vor der Wirklichkeit der Außenwelt geschützt, wie es in seiner „Kapsel“ der totalen Apperzeptionsverweigerung lebt. Außerhalb der „Kapsel“ ist das Paar nicht lebensfähig und geht daher in den Tod  : das Stadium der Nicht-Apperzeption, in dem es sich befunden hatte, war zu weit fortgeschritten, um eine Konfrontation mit der Wirklichkeit noch ertragen zu können.1457 Der Kult rund um das Paar Gringo ist jener der Apperzeptionsverweigerung  ; wenn der Erzähler im Gegensatz dazu an diesem Kult nicht mehr teilnimmt und kurz nach dem Tod der Gringos nicht mehr an sie denkt, so deshalb, weil ihr Tod auch das Ende seiner eigenen Apperzeptionsverweigerung bedeutet.

3. Die Dienststelle für Offiziersanwärter Die Personen, die in dieser „Dienststelle“ arbeiten, werden vom Erzähler mit ihrem militärischen Rang vorgestellt. Ihnen obliegt die Prüfung der jugendlichen Kandidaten auf ihre Eignung für eine Ausbildung zu Offizieren der Luftwaffe. Die Kommission besteht aus sieben Mitgliedern, man sitzt dabei nebeneinander an Tischen vom Ranghöchsten, dem Kommandeur Oberst V., bis zum Rangniedrigsten, Hauptmann Herrn von S., dem IchErzähler. Der Oberst V. wird als naiv beschrieben, weil er seine offensichtlich antinationalsozialistische Position viel zu offen zur Schau stellt. Der Begriff selbst 1456 Ebd., S. 475. 1457 Siehe auch weiter oben  : „Sexualität und totaler Staat“, S. 279f. Insofern ist das Schicksal der Gringos vergleichbar mit jenem von Etelka in der Strudlhofstiege  : Sie lebt bis zu dem Tag, an dem sich die Wirklichkeit nicht mehr länger verleugnen lässt, in einer dauerhaften Apperzep­ tionsverweigerung  ; da sie der Wirklichkeit weder gewachsen ist, noch länger Zuflucht in der Apperzeptionsverweigerung finden kann, nimmt sie sich das Leben. Zu dieser Lage Etelkas in der Strudlhofstiege vgl. Jacques Le Rider  : Melzer in Heimito von Doderers Roman „Die Strudlhofstiege“, S. 46f.

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wird gleichwohl nicht verwendet. Es heißt vielmehr  : „Nur der Oberst V. war unvorsichtig. Ich bangte oft um ihn, er hatte hier nicht nur Freunde.“1458 Zwischen dem Oberst und dem Erzähler besteht ein gutes Einvernehmen, das sich auf einen „alte[n] und übliche[n] Brauch zwischen Offizieren“ 1459 stützt. Um den Oberst vor sich selbst zu schützen, beschließen jene Offiziere, die ihn schätzen, darunter auch der Ich-Erzähler, ihn zu unterbrechen, wann immer er sich mit seinen Äußerungen in Gefahr zu bringen droht. Die Beschreibung der Offiziere stützt sich vor allem auf ihre militärischen Ränge im Ersten und Zweiten Weltkrieg und auf ihre Haltung zum Oberst V. Der zweite Oberst, Stellvertreter des Oberst V., ist ein österreichischer Adeliger und ehemaliger Hauptmann der Dragoner, der „im gegenwärtigen Betracht über jedem Zweifel“1460 steht. Oberstleutnant F. wiederum, im 1. Weltkrieg Reserveoffizier, wird im 2. Weltkrieg aktiver Offizier, und zwar aus strategischen Gründen  : Da er als Laie mit Sondergenehmigung des Bischofs Religionsunterricht hatte geben dürfen, wäre seine Stellung als Schuldirektor früher oder später „unhaltbar geworden“.1461 Das Militär wird ihm somit zu einer Art Zufluchtsort. Vom Oberstleutnant P. wird vermutet, dass er eine Gefahr für den Oberst V. darstellt  : Ein Mann mit Schnauzbart, starrsinnig und intelligent, der den Reden des Oberst allzu aufmerksam zuhört.1462 Ein Major aus Wien ist dem Erzähler zwar wenig sympathisch, doch „zweifellos ein Ehrenmann“.1463 Ein Hauptmann, ein ehemaliger öster­ reichischer Offizier, ist ebenfalls unverdächtig  : Einer der Kandidaten gibt eine durch NS-Ideologie und Schulung in der Hitlerjugend völlig verzerrte Darstellung der Germanen  ; der Erzähler weist auf die Widersprüche im Referat hin, woraufhin der Hauptmann dem Erzähler zuflüstert  : „Ich mache dich darauf aufmerksam, daß du hier dem Leichenbegängnisse einer Kultur assistierst.“1464 Der Ich-Erzähler hat mit Doderer, wie schon erwähnt, viele Gemeinsamkeiten  : Er ist Hauptmann, kommt von der Ostfront, versucht seine Position in der Dienststelle in Wien zu festigen und bemüht sich, nach folgender Devise 1458 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, Zit. S. 465  ; vgl. auch S. 468 u. 472f. 1459 Ebd., S. 464. 1460 Ebd., S. 473. 1461 Ebd., S. 472. 1462 Vgl. ebd., S. 472. 1463 Ebd., S. 473. 1464 Ebd., S. 468.

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zu leben  : „Pax in bello. Wer es versteht und den Weg weiß, der lebt auch in der Hölle behaglich.“1465 Die sieben Offiziere der Prüfungskommission werden, abgesehen von dem zu misstrauenden Oberstleutnant P., alle positiv, zumindest aber als ,Ehrenmänner‘ beschrieben, die, wie auch aus ihrer Haltung zum Oberst V. deutlich wird, wohl innerlich gegen das NS-Regime sind. Mit Nostalgie werden die ehemaligen noch auf den Ersten Weltkrieg zurückgehenden Bräuche zwischen Offizieren erwähnt. Bei den Mitgliedern der Prüfungskommission wird auf die ehemalige Funktion, die sie jeweils in der österreichisch-ungarischen Armee innehatten, hingewiesen. Bei vier der sieben Offiziere wird nachdrücklich genug erwähnt, dass sie Österreicher sind. Da auf die Nationalität des unvorsichtigen, naiven Oberst V. und des potenziell gefährlichen Oberstleutnants P. nicht näher eingegangen wird, kann man vermuten, dass sie Deutsche sind. Was Doderer in seinem Tagebuch ganz konkret festhält, zeigt sich auch in „Unter schwarzen Sternen“  : Die Österreicher werden im Vergleich zu den Deutschen positiv dargestellt. Der Prager Kandidat Einer der Kandidaten, den der Erzähler zu begutachten hat, ein junger Prager, fällt aus der Reihe  : Er wurde, wie der Erzähler errät, von seinem Vater nach Wien geschickt, um einerseits durch die aufwendige Offiziersausbildung Zeit zu gewinnen, andererseits durch Aufnahme in einen entsprechenden Truppenteil zu verhindern, dass er an die Front geschickt wird. Der Vater ist Kunsthistoriker und Kustos an einem Prager Museum, eine „zur Zeit etwas deplazierte Existenz“.1466 Offiziersanwärter bei der „Fliegertruppe“ und der „Fliegerabwehr“ werden tatsächlich zunächst für den Einsatz an der Front gesperrt, doch ausgerechnet jene Truppe, für die sich der Sohn auf Anraten seines Vaters bewerben soll, nämlich die „Luftnachrichtentruppe“, beginnt mit einer „Frontbewährung“.1467 Der Erzähler empfindet augenblicklich Sympathie für den Prager Kandidaten, beschließt ihn zu retten1468 und somit vor einem Fronteinsatz zu bewahren. Die Besonderheit des Kandidaten bestätigt sich in der Unterhaltung  : 1465 Ebd., S. 464. Vgl. auch Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 253 (7.12.1944). 1466 Ebd., S. 477. 1467 Ebd., S. 477f. 1468 Vgl. ebd., S. 476.

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„Bin zum ersten Mal in Wien“, sagte er gemütlich und meine Frage gleichsam kopierend. Sein Benehmen war gänzlich zivilistisch, nicht von irgendeinem paramilitärischen Verband geprägt, wie das bei den meisten jungen Leuten damals der Fall war. Er hatte das Benehmen eines Buben aus gutem Hause.1469

Im Gegensatz zu den anderen Kandidaten steht er nicht stramm, wenn er befragt wird, und antwortet mit einem ungezwungenen „Ja“ statt wie die anderen mit „Jawoll, Herr Hauptmann  !“ Was er sagt und wie er es sagt, entspricht nicht der militarisierten Gesellschaft. Er interessiert sich nicht für Technik und liest englischsprachige Autoren  : „,Den Defoë, den Stevenson, den Cooper, den Swift, den Dickens, den Hardy, den Meredith, den James, den Wilde, den Joseph Conrad.‘“1470 Die Schriftsteller entsprechen weder dem Zeitgeist noch den Themen (Germanen) der anderen Anwärter. Der Erzähler macht nun dem Kandidaten diskret verständlich, dass er sich für eine andere Ausbildung als vorgesehen bewerben müsse, wenn er nicht sofort an die Front geschickt werden wolle. Der Prager „begann endlich zu verstehen, das heißt die Direktiven seines Vaters zu verlassen. Ich hatte lange genug mit seinem verspielten Unverstande zu ringen.“1471 Der Erzähler schlägt ihn schließlich für die Flak vor, was ihm zunächst einige Unannehmlichkeiten einbringt, da der Oberstleutnant P. den Kandidaten für die LuftnachrichtenTruppe geeignet hält, bevor er sich letztlich doch dessen offizieller Begründung – „,Ein a-technischer Typ‘“1472 – anschließt.1473 4. Alt-Österreich versus „preußisches“ Deutschland Die verallgemeinernde Antipathie Doderers den Deutschen gegenüber kommt in den Tangenten, seinem Tagebuch aus der Zeit von 1940 bis 1950, immer wieder zum Ausdruck. Am 13. März 1946, dem Jahrestag des Anschlusses, erinnert er an den Verlust der österreichischen Unabhängigkeit acht Jahre zuvor bei gleichzeitiger Kritik der Deutschen. Nicht Österreicher, sondern Deutsche, und zwar jene, die nach dem Anschluss nach Österreich geschickt wurden, bezeichnet er als „Menschenpeiniger in Zivil“. Sie seien als „Organe 1469 Ebd., S. 477. 1470 Ebd. 1471 Ebd., S. 478. 1472 Ebd., S. 479. 1473 Vgl. ebd., S. 481.

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des Volks der Richter und Henker“, „feistnackige Zivilisten“, „Bochewisten“1474 gekommen, um die Geschäfte zu leeren, Wein zu konfiszieren und das „,richtige Wiener Leben‘“1475 zu zerstören. Das Fehlen jeglicher Kritik an den Vorbereitungen für den Anschluss von innen, also innerhalb von Österreich und durch Österreicher, an österreichischen ,Menschenpeinigern‘ und ,Henkern‘ sowie an Selbstkritik ist auffallend. Mit den Auslassungen Doderers über Deutsche1476 geraten die Österreicher automatisch in ein günstigeres Licht.1477 Dementsprechend selten sind in Doderers Tagebüchern kritische Aussagen über Österreich oder die Österreicher  ; im Vergleich mit seiner Kritik an Deutschland, den Deutschen oder den „Preußen“ fallen sie kaum ins Gewicht. Die Sympathie für das alte Österreich und die Antipathie gegenüber Deutschland wird auch in „Unter schwarzen Sternen“ deutlich, bei der Beschreibung der Treffen in der Wohnung von Albrecht R. ebenso wie bei jener der Offiziere in der Dienststelle. So sind in R.s Wohnung die Österreicher (gegen die Deutschen) vereint, seien sie nun Mitglieder der SS, der Wehrmacht oder eben Juden. Der Ich-Erzähler veranschaulicht die Unterschiede zwischen den Deutschen und den Altösterreichern exemplarisch am Beispiel von zwei Anwärtern  : Ein militaristischer Jugendlicher mit blondem Haar, blauen Augen aus der norddeutschen Stadt Flensburg1478 und im Gegensatz dazu ein zivilistisch auftretender, sympathischer junger Mann aus Prag. Das Referat des jungen Norddeutschen vor der Prüfungskommission über die Germanen karikiert die Sichtweise, die man, gemäß der NS-Ideologie, zu haben hatte. Der Ich-Erzähler weist den Prüfling auf Widersprüche in seinem Referat hin  : „Woher hast du den Unsinn  ?“, fragte ich. Was nun kam, erinnerte mich an eine Zeit, da ich eifrig dem Studium der Repti­ lienkunde oblegen war. Der dünne blonde Junge mit den starr aufgerissenen blauen 1474 Zu diesem Begriff siehe weiter oben  : Herkunft und Jugend  : Doderer  : „Ur-Wiener“ oder Deutscher  ?, S. 25f. 1475 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 413 (13.3.1946). 1476 Ebd. (Zu Doderers „Deutschenhaß“ vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten, z. B. S. 260, 334, 355, 450, 460 u. 631, u. Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, z. B. S. 275). 1477 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 406 (20.2.1946). 1478 Doderer war am 10.4.1945 in Flensburg gewesen, einer Stadt, die für ihn keinerlei Charme besaß und deren Protestantismus und Sauberkeit ihn abstieß. Vgl. ebd., S. 296 (10.4.1945).

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Augen versteifte sich und reckte sich mit dem Oberkörper auf wie gewisse Eidechsenarten, wenn sie erschreckt werden. Dann schrie er mich geradezu an, immer noch in strammer Haltung  : „Von der H. J., Herr Hauptmann  !“ […]. „Na servus“, sagte ich, aber mehr nicht.1479

„Na servus“, dieser typisch wienerische Ausdruck betont explizit den Unterschied zwischen der Ausdrucksweise des jungen Deutschen und jener des österreichischen Erzählers. Der junge Prager wiederum, gänzlich antimilitaristisch, der in den „im ganzen doch durchaus preußisch ausgerichteten Kommiß etwa so passen mochte wie ein Kochlöffel zum Schießen“,1480 „antwortete in gutem Österreichisch, welches dort einst daheim war“.1481

5. Kontinuität  : vom Ehepaar Gringo zum jungen Prager Es kommt zu keiner Begegnung zwischen den Gringos, die bei Albrecht R. zu Gast sind, und dem jungen Prager in der Dienststelle. Trotzdem wird vom Erzähler eine Verbindung hergestellt, zunächst in der äußeren Ähnlichkeit zwischen dem Ehepaar und dem Prager. Der Prager „war ein dicklicher, kaum mittelgroßer Bub […] mit einem gutartigen Gesicht, in welchem die mandelförmigen Augen etwas schräg standen. In Wien nennt man das ein ,eierförmiges G’schau‘.“1482 Mit den Gringos hat der junge Mann die Rundungen, die mandelförmigen Augen, den Vergleich mit dem Ei und die Gutartigkeit gemein. Das Bild vom Ei – und damit das Zeichen der Apperzeptionsverweigerung – trifft sowohl auf den jungen Mann als auch auf die Gringos zu, alle drei leben so weiter wie zuvor (vor Anschluss und Krieg), als wäre nichts geschehen. Eine weitere Verbindung zeigt sich in dem Augenblick, als der Ich-Erzähler nach Verlassen der Wohnung der toten Gringos glaubt, dass seine Unterstützung für den jungen Prager sinnlos war  : „,Den Buben hättest du getrost zu seiner Luftnachrichtentruppe rennen lassen können.‘“1483 Doch als er in der

1479 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 468. 1480 Ebd., S. 476. 1481 Ebd., S. 477. 1482 Ebd., S. 476. 1483 Ebd., S. 484.

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Dienststelle erfährt, dass dieser nun doch für eine Ausbildung bei der Flak angenommen wurde, denkt er „,also wenigstens dieser‘“1484 – konnte in Sicherheit gebracht werden, könnte man hinzufügen. 17 Jahre nach den erzählten Vorfällen, also etwa 1960/1961, erfährt der Erzähler, dass der junge Mann, wie schon sein Vater – wieder ein Zeichen der Kontinuität – Kunstgeschichte studiert und Kustos, zwar nicht eines Prager, dafür aber eines Wiener Museums geworden ist, wobei die Wahl der Städte Prag und Wien wiederum als – altösterreichische – Kontinuität verstanden werden kann. Monate später erkennt er den mittlerweile noch etwas rundlicheren „Prager“ mit den „etwas schräg gestellten, mandelförmigen Augen“ und dem „,eierförmigen G’schau‘“ bei einer Begegnung am Wiener Graben wieder  : „Er passierte knapp an mir vorbei, ohne mich zu erkennen. Warum auch hätte er mich erkennen sollen  ? Die Gringos hatten ihn ja in Sicherheit gebracht, so weit das damals möglich war, nicht ich.“1485 Siebzehn Jahre zuvor erschienen dem Erzähler die bewegungslos liegenden Gringos wie „die noch sichtbaren Spitzen eines ansonst untergegangenen Kontinents. Ein Doppel-Eiland.“1486 Dieses „Doppel-Eiland“, so Gerald Sommer, steht für die „Doppelmonarchie“  : Die Gringos erscheinen so als Relikte und zugleich Repräsentanten der staatlichen Vergangenheit Österreichs, die, das „Doppel-Eiland“ deutet das an, nicht nur die Erste Republik, sondern auch die Doppelmonarchie inkludiert. Dauerhaft mit dieser Vergangenheit assoziiert, sind die Gringos die heimlichen Garanten einer offiziell nicht mehr gegebenen Tradition. […] Trotz ihres Todes bleibt die Kontinuität der Tradition, für die sie gestanden haben, gewahrt, da diese mit dem Tod ihrer Exponenten auf einen anderen – zukunftsorientierteren – Träger, den „zivilistischen“ Offiziersanwärter aus Prag übergeht.1487

Der Erzähler sagt sich, dass nicht er, sondern die Gringos den Prager gerettet hätten. Doderer selbst ist gegen direktes Handeln und für das Indirekte. In der Erzählung handelt der Ich-Erzähler indirekt, und zwar durch das Ehepaar Gringo, um dem jungen Prager, der wie das Paar in Apperzeptionsverweige1484 Ebd., S. 485. (Im Original in Klammern.) 1485 Ebd. 1486 Ebd., S. 484. 1487 Gerald Sommer  : „Von Dampfern, Unterseebooten und Wracks“. In  : Gerald Sommer u. Kai Luehrs-Kaiser (Hg.)  : „Schüsse ins Finstere“, S. 164f.

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rung lebt, dasselbe tödliche Ende zu ersparen, indem er ihn behutsam seine Fehlentscheidung (bzw. die seines Vaters) erkennen lässt. Der Tod der Gringos ist wohl auf eine für sie zu brutale Konfrontation mit der (ersten) Wirklichkeit zurückzuführen. Auf die tödliche Gefahr einer „Apperzeptions-Verweigerung“ verweist Doderer in „Sexualität und totaler Staat“.1488 Die „Wiederkehr“, von der in dem folgenden Zitat die Rede ist und mit der die Erzählung schließt, kann als „Wiederkehr des Lebens“ und „Wiederkehr der Wirklichkeit“1489 interpretiert werden  : „Nun ja. Es gibt Gedanken, die sich nur bei ganz stillem Wasser hervorwagen. Dann aber schwänzeln sie mit der größten Selbstverständlichkeit dahin wie die silbernen Fischlein. Und im stillsten Wasser ist die Wiederkehr.“1490

1488 Heimito von Doderer  : „Sexualität und totaler Staat“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 282. 1489 Heimito von Doderer  : Tangenten  : zu „Wiederkehr des Lebens“, S. 316 (7.5.1945), 317 u. 318 (8.5.1945)  ; zu „Wiederkehr der Wirklichkeit“, S. 324 (15.5.1945) u. 447 (26.5.1946). 1490 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 485.

VII. Doderer mit dem Abstand der Zeit gelesen

Heimito von Doderer schuf sich weder nachträglich eine Vergangenheit als Widerstandskämpfer wie Friedrich Schreyvogl, noch verleugnete er seine NSDAP-Mitgliedschaft wie Karl Heinrich Waggerl. So hatte sich Schreyvogl bemüht, von den Listen der Entnazifizierungsbehörden als ehemaliges ­N SDAP-Mitglied gestrichen zu werden, indem er angab, österreichischer Patriot, Katholik und seit 1943 aktiver Widerstandskämpfer gewesen zu sein. Die zuständigen Behörden konnte er davon allerdings nicht überzeugen und sein Gesamtwerk war verboten worden.1491 Waggerl wiederum hatte im Oktober 1945 angegeben  : „Ich habe mich niemals um Aufnahme in die nationalsozia­ listische Partei beworben und habe nie und nirgends eine Beitrittserklärung abgegeben.“1492 Tatsächlich geht aber aus der NSDAP-Mitgliederkartei des Bundesarchivs Berlin hervor, dass er und seine Frau Edith seit 1. Mai 1938 NSDAP-Mitglieder waren  ;1493 außerdem gibt es ein von ihm unterschriebenes Dokument als Mitglied der Reichsschrifttumskammer vom 15. Mai 1939, in dem er selbst angab, seit 1938 NSDAP-Mitglied zu sein.1494 Doderer gestand sich seinen „barbarische[n] Irrtum“1495 in seinem Tagebuch ein. Andererseits versuchte er aber, sich und sein Umfeld davon zu überzeugen, dass er im Frühjahr 1937 mit dem Nationalsozialismus gebrochen hatte. Tatsächlich dürfte seine Distanzierung aber einem sukzessiven Abrücken entsprochen haben, wobei sich ein Bruch mit seinen ehemaligen NS-Sympathien deutlich erst 1939/1940 abzeichnet. Noch 1942 findet sich ein antisemitisch geprägter Eintrag in seinem Tagebuch, als er bei seinem „mager[en]“ (ehemaligen) Freund Ernst Pentlarz eine „Neigung zum Speckansatz […] besonders an Hals und Nacken [sah]. Ich glaube, E. P. hätte, wäre er wirklich fett gewesen […] eine irgendwo in ihm vorhandene, nicht eben sympathische Möglichkeit seiner Physiognomie verwirklicht, und das hing mit seiner jüdischen

1491 Vgl. Karl Müller  : Zäsuren ohne Folgen, S. 210f. u. S. 328. 1492 Karl Heinrich Waggerl am 20.10.1945, zit. nach Karl Müller, ebd., S. 89f. 1493 Vgl. BArch, (ehem. BDC), NSDAP-Mitgliederkartei, Waggerl, Karl Heinrich, geb. 10.12.1897, und Waggerl, Edith, geb. 5.3.1897. 1494 Vgl. Karl Müller  : Zäsuren ohne Folgen, S. 85. 1495 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 443 (5.5.1946).

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Abkunft zusammen.“1496 Doderer war zum Zeitpunkt dieses Tagebucheintrags als Hauptmann bei Kursk in der Sowjetunion stationiert. Man kann davon ausgehen, dass ihm als Offizier der Wehrmacht an der Ostfront die NS-Verbrechen bekannt waren.1497 Was Doderer konkret am Nationalsozialismus anzog, ist schwieriger nachzuvollziehen. Hitler kommt in Doderers Tagebüchern 1920 – 1939 nur in insgesamt fünf Eintragungen der Jahre 1936 und 1937 vor, drei Erwähnungen resultieren aus diesbezüglich wenig aufschlussreichen Zeitungsausschnitten, in den nachfolgenden Tagebüchern erscheint er nur mehr in negativer Bewertung. Der erste Zeitungsausschnitt aus dem „Völkischen Beobachter“ trägt den Titel „Telegramm des Führers an den ersten Deutschen Reichsposaunentag“. Doderer fand für die darin erwähnten Posaunenbläser und den „Posaunengeneral“ Pastor Kuhlo Verwendung in seinem Werk.1498 In den nächsten Zeitungsausschnitten, ebenfalls aus dem Völkischen Beobachter, geht es insbesondere um die „kulturpolitischen Leistungen der nationalsozialistischen Presse“, ein weiterer Ausschnitt ist der Buchrezension des Schriftstellers Gerhard Schumann gewidmet, der seine „Echtheit, Kraft und Tiefe“ aus der „Einheit des Religiösen und Politischen“ schöpft, in der ein „junger, gläubiger Soldat“ seine „Treue im Dienste des Führers“ leistet und das „völkische ,Reich‘ als naturhafte, wirklichkeitsfeste Form des ,Reiches Gottes‘ […] aufgefaßt wird“.1499 Im dritten Zeitungsausschnitt, aus der Münchener Zeitung, wird ein Telegramm von Hitler an Mussolini erwähnt, in dem Hitler seine „Entrüstung“ über das Attentat auf Marschall Graziani, Vizekönig von Äthiopien, ausdrückt.1500 Doch Doderer bezweifelt, dass die daraufhin erfolgte Erschießung fast aller 2.000 1496 Ebd. (13.5.1942), S. 109f. Zu Ernst Pentlarz siehe weiter oben  : Erinnerung und Verdrängung  : ,die nichtjüdischen jüdischen‘ Freunde Doderers  : Gemeinsame Freunde von Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer, S. 197–199  ; sowie  : „Die Dämonen der Ostmark“, ein antisemitisches Romanprojekt  : Die Sünden der Väter, S. 262. 1497 Zur Kenntnis von bzw. Teilnahme an NS-Verbrechen der deutschen Wehrmacht vgl. Hannes Heer  : Tote Zonen. Die deutsche Wehrmacht an der Ostfront. Hamburg 1999  ; Hannes Heer u. Klaus Naumann (Hg.)  : Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944. Hamburg 1995, sowie Ruth Beckermann  : Jenseits des Krieges. Ehemalige Wehrmachtssoldaten erinnern sich. Wien 1998. 1498 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 873 (12.10.1936). Die Posaunenbläser und Pastor Kuhlo – als Posaunengeneral Pastor Kruhlow – wurden in die Wasserfälle von Slunj aufgenommen  ; Heimito von Doderer  : Die Wasserfälle von Slunj, S. 313f. 1499 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 868  ; mit der handschriftlichen Hinzufügung Doderers  : „Alle Ausschnitte aus ,Kulturpolitik u. Unterhaltung‘ VB, 15. Oktober 1936“. 1500 Vgl. ebd., S. 935 (Münchener Ztg. 22.2.1937).

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Verhafteten nach dem Attentat, nur weil bei ihnen Waffen gefunden worden waren, gerechtfertigt gewesen sei.1501 Positiv wird 1936 noch die „Führerperson“ erwähnt1502 und Hitler Ende Oktober 1937 in einem Tagebucheintrag, ohne weitere Anmerkungen, zitiert  : „Genau wie in der Politik gab es auch hier eine Verschwörung des Unzulänglichen und Minderwertigen gegen das bessere Vergangene und das befürchtete bessere Gegenwärtige oder auch nur geahnt bessere Zukünftige.“ (Adolf Hitler, 18. Juli 1937)1503

Positiv wird das NS-Regime noch in seinem Tagebucheintrag vom 25. August 1936 bewertet, als Doderer „zu einer richtigen Wertung aller Taten, die hier [im Reich] getan wurden – und getan werden mussten“ gelangen wollte. An welche „Taten“ er dabei konkret dachte, darauf ging Doderer nicht ein. Dafür zählte er die Voraussetzungen auf, die zu den „Taten“ geführt hatten, die „getan werden mussten“  : „der verlorene Krieg, die grenzenlose Gehässigkeit der französischen Politik, die Gefahr des Bolschewismus und zugleich die Müdigkeit der Zeit am Materialismus […]“.1504 Doch erst, dass diese Voraussetzungen „in jene Art von […] chemischer Verbindung getreten“ seien (wobei Doderer „chemische Verbindung“ später positiv als „Apperception“ definieren wird),1505 mache „das Wesen einer einmaligen geschichtlichen Lage, einer Konstellation“ aus  : „daher denn auch fleischgeworden in der Führerperson unter einem Strahl vom Himmel, den schliesslich niemand mehr übersehen konnte“.1506 Auch als Doderer im Oktober 1936 an seinen Freund Rolf Haybach von der Einigkeit einer „überwältigenden Mehrheit aller Deutschen“ in ihrer „wirkliche[n] Liebe“ zum „Führer“ schrieb, weist nichts darauf hin, dass er sich davon ausnahm, umso mehr, als er sich mit seinem Brief ebenfalls an ein NSDAP-Mitglied richtete.1507 1501 Vgl. ebd., S. 934. 1502 Vgl. ebd., S. 846f. (25.8.1936). 1503 Ebd. S. 1082 (18.7.1937). 1504 Im Original in Klammern. 1505 „Die Apperception […] ist […] ein Vorgang von gründlicherer, verwandelnder Art, eine chemische Verbindung.“ (Heimito von Doderer  : „Sexualität und totaler Staat“. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 281.) 1506 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 846f. (25.8.1936). 1507 Brief von Doderer an Rolf Haybach vom 16.10.1936, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 254 und S. 550, Fn. 5.

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Eine hegemoniale Stellung Deutschlands unter Hitler dürfte Doderer befürwortet haben, so ließe sich zumindest die Verbindung interpretieren, die er in seiner „Rede gehalten im Atelier A. P. Guetersloh“ im Jahr 1932 zwischen dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und dem „Dritten Reich“ herstellte.1508 Dieser Vergleich diente ihm noch nach dem Krieg, in seinem „Ansuchen um Nachsicht von der Registrierung“ als ehemaliges NSDAP-Mitglied, als Rechtfertigung  : „Mein Eintritt in die Partei war ein Akt theoretischer Zustimmung, wie ich damals auch offen erklärt habe. Ich dachte an ein Gebilde in der Art des römisch-deutschen Reiches, nicht an den preussischen Zentral- und Totalstaat.“1509 Er sprach sich für eine hierarchische Gesellschaft aus und lehnte Liberalismus, Kapitalismus und Marxismus – als sein Antisemitismus Ende der 1920er-Jahre bis Mitte der 1930er-Jahre seinen Höhepunkt erreichte – als jüdisch ab.1510 All das trug zu Doderers Zustimmung zum Nationalsozialismus bei. Die Organisation der NS-Diktatur war ihm dagegen schon 1934 suspekt, Kritik an den politischen Methoden findet sich demgemäß schon in seinem „Aide mémoire“. Diese Kritik weitete er 1936 (dem Jahr seines Umzugs nach Deutschland) auf seine Ablehnung der „Vertreter der anderen Seite – der nationalökonomischen, sozialen, technischen und nationalen ohne Transcendenz“1511 aus. Denn Doderer war vom „Spirituellen“ angezogen, das er in der NS-„Bewegung“ verkörpert sah, im Gegensatz zum „,jüdischen Intellectualismu[s]‘“.1512 Mit seiner zunehmend deutlich formulierten Abscheu für die Politik mit ihren „rationalen“ Zielsetzungen nahm auch seine Begeisterung für den Nationalsozialismus ab. Denn diese Politik stand im Gegensatz zu dem, was ihn am Nationalsozialismus angezogen hatte  : das Transzendentale, Spirituelle und Magische.1513 1508 Vgl. Heimito von Doderer  : „,Das Neue Reich‘. REDE, gehalten am 1. Juli 1932, im Atelier Paris Guetersloh“  ; [Essays – Reden – Traktate], Ser. n. 14.306 d. ÖNB, fol. 90r–98r., S. 6–10. 1509 „Ansuchen um Nachsicht von der Registrierung, gem. Verordnung v. 11.VI.1945“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „das magistratische Bezirksamt Wien VIII. Josefstadt“ vom 21.2.1946. (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 8. Bez./3932 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.) 1510 Vgl. Heimito von Doderer  : [Essay ohne Titel  ; o. J.]. In  : „Überzählige Reden und Aufsätze“ [Sammelmappe]. Ser. n. 14.311 d. ÖNB., S. 8. 1511 Brief von Doderer an Rolf Haybach vom 16.10.1936, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 255 und S. 550, Fn. 5. (Hervorhebungen im Original.) 1512 Diesen „,jüdischen Intellektualismu[s]‘“ wirft er Gusti Hasterlik vor, während er sich selbst als „Spiritualist“ bezeichnet. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 127 (24.2.1923). Dieser Tagebucheintrag wurde weiter oben zitiert  : Antisemitismus und Nationalsozialismus  : Doderers Antisemitismus am Beispiel von Gusti Hasterlik, S. 58. 1513 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 127 (24.2.1923) u. ebd. Bd. II,

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Interessant an Doderers Entwicklung von NS-Begeisterung zu Ablehnung des Nationalsozialismus ist der Wandel in seiner Bewertung des Begriffs „Revolution“. Zunächst wird dieser von ihm noch positiv bewertet, und zwar ausgehend von der russischen Revolution 1917. Doch was ihn am Bolschewismus anzog, war weder dessen politisches Programm, für das er sich nicht interessierte, noch der Marxismus, den er ablehnte, sondern die „Jugendlichkeit“ der Bewegung  : „Man mag über den Bolschewismus als politisches Programm denken wie man will (ich kann darüber nichts Rechtes sagen, denn ich habe mich dafür nur insoferne interessiert – als ich eben eine so grosse Bewegung um ihrer Jugendlichkeit willen schon begrüsste) – […].“1514 Ihre „Jugendlichkeit“, und in Verbindung damit das Neue, dürfte Doderer auch als anziehend bei der NSDAP empfunden haben. Und wohl nicht nur er  : Bis 1933 zumindest wurden überproportional viele 18- bis 35-Jährige und arbeitslose Intellektuelle Mitglied bei der österreichischen NSDAP.1515 Doderer war 36, als er im April 1933 beitrat, seine NS-Sympathien dürften aber seit ca. 1927 bestanden haben.1516 Seine Begeisterung für die „Revolution“ als solche formulierte er 1924 so  : Die neue Revolution […] Wir müssen dieses XIX. Jh. endlich wie Mist hinter uns schmeißen  ! Jeder entscheide sich  : Zukunft oder Vergangenheit. Ich habe mich bedingungslos für die Zukunft entschieden. Ich liebe diese Zeit jetzt (unsere Gegenwart) aus erregtem Herzen – soweit sie Zukunft ist  ! Noch namenlose Zukunft  ! Welche Möglichkeiten  ! Bald werde ich jede Tradition wegwerfen dürfen.1517

Am Nationalsozialismus hatte offensichtlich das Revolutionäre1518 seinen Reiz auf ihn ausgeübt, er selbst bezeichnete das 1946 selbstkritisch als „Abrutsch

S. 939 (23.2.1937). (Vgl. auch  : Brief von Doderer an Gütersloh vom 4.11.1936  ; Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel 1928–1962, S. 107.) 1514 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 293 (Sept. 1925). 1515 Vgl. Bruce F. Pauley  : Hitler and the Forgotten Nazis, S. 91 u. 93. 1516 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 191. 1517 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. I, S. 255 (21.11.1924). 1518 Über den Stellenwert der Revolution im Faschismus (und Nationalsozialismus) siehe ­Roger Griffin  : The nature of fascism, London 1991. Siehe auch  : Enzo Traverso  : „Interpréter le ­fascisme à propos de George L. Mosse, Zeev Sternhell et Emilio Gentile“. In  : La revue internationale des livres & des idées, Jan.-Feb. 2008.

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in’s Revolutionäre“,1519 ebenso auch das ,Transcendentale‘, die „Metaphysik“ und das „Spirituelle“1520 sowie die Idee von einem „neuen Reich“  : „Dieses Revolutionäre bot sich im eben damals einsickernden Nazismus dar, das ich sogleich, ohne mir vorher die Mühe irgendeiner Untersuchung zu machen, mit meinem ,konstruktiven Denken‘ vom neuen Reiche überbaute und umgab.“1521 Er fühlte sich von den Nationalsozialisten – er nennt die SA und damit wohl das (zu jener Zeit) revolutionäre Element innerhalb der NSDAP – angezogen, nämlich von „jedem Kerl in weissen Strümpfen oder im braunen Fracke“, von dem er annahm, dieser „leide unter den gleichen Schmerzen, komme aus denselben kontradiktorischen Lagen, strebe zu den gleichen Zielen und meine überhaupt durchaus das gleiche“ wie er selbst  ; wesensverwandt erschien ihm obendrein das scheinbar „transcendentale Gepäck im Tornister des Sturmabteilung-Mannes“.1522 Es war eine so weit gewordene Kluft zwischen Subjektivität und objektiver Tatsächlichkeit bei mir entstanden, dass die Brücke zwischen beiden früher oder später vollends einbrechen musste. Die Katastrophe meines Lebens war damit in ihren Bedingnissen veranlagt und vorbereitet. Man könnte auch, zusammenfassend und in epigrammatischer Kürze, hier sagen  : ich geriet damals (während der letzten Jahre mit meiner Frau) immer mehr dahin, mein Leben durch unproduktive Mittel beherrschen, ja erlösen zu wollen.

Damit lässt sich auch Doderers eigene, wenn auch nicht sehr präzise Angabe über den Beginn seiner NS-Sympathien datieren  : „während der letzten Jahre mit meiner Frau“, wobei Doderer Gusti Hasterlik auch schon vor der Hochzeit als seine Frau bezeichnete. Doderer weiter über seinen damaligen Antisemitismus  : Man hat zu jener Zeit – nämlich ich selbst und einige mir Nahestehende – […], nicht nur die Geschichte, sondern gleich die Metaphysik und das Spirituelle und das Anti-

1519 Unveröffentlichte Tagebucheinträge von Doderer, zit. nach François Grosso  : „Anhang“. In  : François Grosso  : Primum scribere, deinde vivere, S. 241 (17. u. 18.6.1946). 1520 Ebd. 1521 Ebd. 1522 Dieser Abschnitt wurde ausführlicher weiter oben zitiert  : Antisemitismus und Nationalsozialismus  : Russland, Revolution und Kommunismus, S. 92f.

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Spirituelle hinein interpretiert  : ja, bis zum Verfolgungswahn, bis zur mania persecutoria allen Lebens-Äusserungen jüdischer Kreise gegenüber, die nicht anders waren als jene der übrigen bürgerlichen Konventikel auch.1523

Den „Abrutsch in’s Revolutionäre“1524 erklärt Doderer mit seiner „LebensImpotenz“1525 und damit, nichts zu gelten – „weder in der Welt noch in der Litteratur und der litterarischen Welt“1526 – sowie mit seiner Unfähigkeit zur Ehe und letztlich seiner Flucht daraus,1527 wobei die „heraufkommenden Zeitumstände förderlich gewesen“ seien, sodass er „die Trennung von [s]einer Frau als paradigmatische Tat, ja als eine geradezu vor dem geschichtlichen (  !) Hintergrunde zu vollziehende Entscheidung […] statuierte“ und die Familie seiner Frau „jüdischer Abkunft“ als „,metaphysisch feindlich‘ etikettierte“.1528 Als Grund für das Scheitern seiner Ehe die jüdische Herkunft seiner Frau vorzuschieben, davon löst sich Doderer mit der Erkenntnis, dass man einräumen könne, diese ganze Ehe [wäre] aus Disharmonie der Charaktere in kein erträgliches Gleichgewicht zu bringen gewesen, „weil ihr beide einen modus vivendi miteinander nicht zu finden vermochtet.“ Damals hätt’ ich vermeint, ein so Sprechender rede glatt an mir und an dem Wesentlichen, worauf es aber ankäme, vorbei. Heute würde ich höchstens einige Einwände machen und sagen, dass die Unmöglichkeiten doch vornehmlich in sich ihre Wurzeln hatten, während meine Frau durch ihre Klugheit wohl mit Jedem noch irgendwie ausgekommen wäre, dessen Torheiten nicht geradezu in’s Maßlose gewuchert hätten wie’s denn bei mir der Fall war […].1529

Der Übergang von Doderers Begeisterung für das revolutionäre Moment des Nationalsozialismus zu seiner Ablehnung von Revolutionen und Revolutionären kann somit als ein weiterer Hinweis für seinen Bruch mit dem Nationalsozialismus gesehen werden. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass die Kritik an den Revolutionen zeitgleich mit seiner Los­ 1523 Unveröffentlichte Tagebucheinträge von Doderer, zit. nach François Grosso  : „Anhang“. In  : François Grosso  : Primum scribere, deinde vivere, S. 241 (17. u. 18.6.1946). 1524 Ebd. 1525 Vgl. ebd., S. 239. 1526 Ebd., S. 240. 1527 Vgl. ebd., S. 239. 1528 Vgl. ebd., S. 240. 1529 Ebd., S. 241.

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lösung vom antisemitischen Thema der „Dämonen der Ostmark“ beginnt. In einem Tagebucheintrag von Dezember 1939 stellt er einen Zusammenhang zwischen „ Jugend“, der „Neigung zum ,Revolutionären‘“ und der „Apperceptions-Verweigerung“ her. Er kommt zu dem Schluss  : „Jede weltverbessernde Doctrin wurzelt in Apperceptions-Verweigerung […] (Marxisten  !).“1530 Es geht hier zwar noch um die Kritik an den (revolutionären) „Marxisten“, doch ist es, meines Erachtens, bereits als eine allgemeine Verurteilung jeglicher Revolution zu lesen, auch wenn Doderer selbst seine Ablehnung des Revolutionären im Nationalsozialismus erst 1946 dezidiert kundtat. Den Beitritt zur NSDAP als opportunistischen Akt abzutun, ist daher unzutreffend, mag Doderer sich auch als Folge davon erhofft haben, dass ihm dieser den Erfolg als Schriftsteller in Deutschland nach 1933 erleichtern würde. Es war Überzeugung, nicht Opportunismus, das zeigen nicht nur seine damaligen Schriften und Tagebücher, sondern auch seine diesbezüglichen selbstkritischen Überlegungen aus der Nachkriegszeit. Letztlich bleibt es allerdings schwierig festzustellen, was für seinen NSDAP-Beitritt ausschlaggebend war. Der Antisemitismus hat auf die Ausstrahlung, die der Nationalsozialismus auf Doderer hatte, zweifelsohne eine wichtige Rolle gespielt. Er verband dabei seinen christlichen und biologistisch rassistischen Antisemitismus mit einem metaphysischen Antisemitismus (das „Judentum“ als „Geistesrichtung“). In seiner „Rede über die Juden“ warf Doderer den Juden „Nichtergriffenheit“ bei „Erscheinen Jesu Christi“ vor.1531 Doderer beendete seinen Essay wohl mit einem Verweis auf die Nürnberger Gesetze von 1935, als er von einer „Lösung der sogenannten Judenfrage von reichswegen und im äusseren Leben“ schrieb. Nach dem „Reichsbürgergesetz“ vom 15. September 1935 galten nur „Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes“ als „Reichsbürger“, was Juden ausschloss, und mit dem „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ wurden die „Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“ verboten.1532 In einer „Verordnung zum Reichsbür-

1530 Vgl. Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 1247–1249, Zit. S. 1247f. (13.12.1939). 1531 Vgl. Heimito von Doderer  : [Essay ohne Titel  ; o. J.]. In  : „Überzählige Reden und Aufsätze“ [Sammelmappe]. Ser. n. 14.311 d. ÖNB, S. 3f. 1532 „Reichsbürgergesetz. Vom 15. September 1935. RGBl I 1935, 1146.“ u. „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre. Vom 15. September 1935.“ (Institut für öster-

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gergesetz vom 14. November 1935“ wurde erstmals definiert, wer „Jüdischer Mischling“ und wer „Jude“ sei, etwa  : „Jude ist, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt.“1533 Heimito von Doderer schrieb in seinem Essay  : Nach der Lösung der sogenannten Judenfrage von reichswegen und im äusseren Leben, welche Lösung sie zugleich aus dem äusseren Blickfelde schafft, muss es nun bei uns einen gewaltigen Fall ganz nach innen zurück tun wo es ein blankes „Nur“ gibt aber kein „Auch“ mehr.1534

„Auch“ stand bei Doderer abwertend für „das Nebeneinander, das Spannungslose, Beziehungslose, das nach aussen an blosse Zwecke hingegeben sein“.1535 Im Gegensatz dazu steht das „Nur“ für all das, was ihm als erstrebenswert galt  : Nicht nach dem Zweckmäßigen, sondern nach dem Sinn des Lebens zu suchen, oder auch dem „Willen des Schöpfers“ durch den „Willen zu seinem eigenen Schiksal“ zu entsprechen (wobei es ursprünglich „seinem eigenen deutschen Schiksal“ hieß) und schließlich durch die „Ergriffenheit dem Leben gegenüber“, die er Juden nicht zugestand.1536 Aufgrund der Anspielung auf die Nürnberger Gesetze dürfte diese unveröffentlichte und undatierte Rede wohl 1936 niedergeschrieben worden sein.1537 Dies entspräche jedenfalls der Tatsache, dass Doderers Antisemitismus, so wie er in seinen Tagebüchern und Schriften zum Ausdruck kommt, in den Jahren 1934 bis 1936 seinen Höhepunkt erreichte. Nach 1936 finden sich kaum noch reichische und deutsche Rechtsgeschichte der Johannes Kepler Universität Linz  ; resp. http  :// www.rechtsgeschichte.jku.at/Lehrveranstaltungen/Allgemeines/Lernbehelfe/WS/09.Oeste rreich%20unter%20dem%20Recht%20der%20Herrenrasse%20(Nationalsozialismus)/reichsbuergergesetz.pdf u. http  ://www.rechtsgeschichte.jku.at/Lehrveranstaltungen/Allgemeines/ Lernbehelfe/WS/09.Oesterreich%20unter%20dem%20Recht%20der%20Herrenrasse%20(N ationalsozialismus)/Gesetz%20Schutz%20dt.%20Blutes.pdf 1533 „Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz. Vom 14. November 1935. RGBl I 1935, 1333.“ (Ebd., http  ://www.rechtsgeschichte jku.at/Lehrveranstaltungen/Allgemeines/Lernbehelfe/WS/09.Oesterreich%20unter%20dem%20Recht%20der% 20Herrenrasse%20 (National sozialismus)/1.%20verordn.%20reichsbuergersetz.pdf.) 1534 Heimito von Doderer  : [Essay ohne Titel  ; o. J.]. In  : „Überzählige Reden und Aufsätze“ [Sammelmappe]. Ser. n. 14.311 d. ÖNB., S. 12. 1535 Ebd., S. 2. 1536 Von „ihr [der Ergriffenheit] ist der Jude frei.“ (Vgl. ebd. S. 2f.) 1537 Vgl. Gerald Sommer  : „Sündenbock und Prügelknabe“. In  : Kai Luehrs (Hg.)  : „Excentrische Einsätze“, S. 48.

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antisemitisch geprägte Einträge in den Tagebüchern des Schriftstellers, und 1940 beschloss er, das antisemitische Thema der „Dämonen der Ostmark“ fallen zu lassen.1538 Zu keinem Zeitpunkt findet sich bei Doderer – sei es in Tagebüchern oder in Briefen an Freunde oder seine spätere Frau, die ich einsehen konnte – eine wie immer geartete Kriegsbegeisterung. Selbst die Erfolge in den ersten Kriegsjahren der Wehrmacht erfüllten ihn nicht mit Begeisterung – ganz im Gegenteil  : Im Oktober 1940, als Offizier der Wehrmacht in Frankreich, nahm er in einem Brief an Emma Maria Thoma diese zur „Zeugin dieses Untergangs“.1539 Seine depressiven Zustände nahmen zu, er klagte über die nervliche Belastung, seine Trigeminusneuralgie wurde 1942 neuerlich akut, und er litt unter Angstzuständen. Trotz der verschiedenen Städte und Länder, in denen er als Offizier der Wehrmacht stationiert war, und ungeachtet der Aufgaben, für die er zuständig war, schwieg er darüber, was er über die von der Wehrmacht begangenen Verbrechen gesehen, gewusst oder gehört hatte. In seinem Tagebuch wird vor allem der Wunsch deutlich, nicht aufzufallen und Zeit zum Schreiben zu finden. Die andere Frage, die sich angesichts von Doderers Beziehung zum Nationalsozialismus stellt, ist die Art seines Umgangs mit der eigenen Vergangenheit nach dem Krieg. Da von seinen ursprünglichen Sympathien für den Nationalsozialismus im Laufe des Kriegs nichts mehr geblieben war, empfand er das Kriegsende 1945 mit der Kapitulation Deutschlands auch trotz seiner neuerlichen Kriegsgefangenschaft als echte Erleichterung. Doderer selbst stellte sich nach dem Krieg die Frage, wie es zu seinem Antisemitismus gekommen war  : Die Gründe dafür sah er zunächst im latenten Antisemitismus seines Umfelds seit seiner Kindheit, der sich allerdings erst infolge mangelnden Selbstbewusstseins als Erwachsener bei ihm gezeigt habe. Doch auch wenn in der Nachkriegszeit weder sein Verhalten noch seine Äußerungen antisemitisch waren – im Gegensatz zu seinem antisemitischen Gehabe in den 1920er- und insbesondere in der ersten Hälfte der 1930er-Jahre, dem vor allem seine Freundin und erste Ehefrau Gusti Hasterlik ausgesetzt war –, so bewunderte er doch weiterhin Otto Weininger. Als er 1960 von Hans Weigel eingeladen worden war, an einer Serie über die „,jüdische Frage‘“ in der öster1538 Siehe weiter oben  : Der Wandel 1940  : „Auf offener Strecke“, S. 265–275. 1539 Brief von Doderer an Emma Maria Thoma vom 18.10.1940, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 304. (Aus diesem Brief wurde weiter oben zitiert  : Offizier bei der Wehrmacht  : Offizier in Frankreich  : August 1940 bis April 1942, S. 100.)

Doderer mit dem Abstand der Zeit gelesen

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reichischen Wochenzeitung Heute1540 teilzunehmen, bezog sich Doderer auf den Philosophen Otto Weininger, der als „einziger großer Autor hier Gültiges formuliert“1541 habe. Trotzdem machte man es sich zu einfach, wenn man hinter jedem kritischen Begriff, der einer Romanfigur jüdischen Ursprungs zugeordnet wird, eine antisemitische Spitze Doderers vermuten würde, so wie übrigens auch umgekehrt, wenn man in dem positiv gezeichneten Porträt Doderers von Mary K. Philosemitismus1542 sähe. Die Porträts, die der Schriftsteller von seinen Figuren anfertigt, sind nuancierter, selbst wenn die Frage im Fall der Dämonen komplex ist, da dieser Roman aus einem klar antisemitischen Projekt entstand und Doderers Kurskorrekturen nicht immer glückten. Doderer hatte mit seinem Nationalsozialismus und Antisemitismus der 1930er-Jahre endgültig gebrochen, doch am Irrationalen als Erklärungsansatz hielt er fest  : Als er aufgefordert wurde, in einer Umfrage der Zeitung Die Kultur zur Schändung einer Synagoge in Köln Weihnachten 1959 Stellung zu nehmen, verwarf er rationale Begründungen und erklärte diese vielmehr mit der Theorie des siebenjährigen Zyklus von Hermann Swoboda.1543 ­Diese Schändung, so Doderer, sei auf eine „periodische Wiederkehr“ zurückzuführen  : „Es sind vom Verschwinden der totalitären Macht in Mitteleuropa bis zu der plötzlichen Welle antisemitischer Exzesse genau vierzehn Jahre vergangen.“1544 Damit endet die Erklärung bereits, und Doderer schloss seinen Beitrag mit dem Vorschlag, dass der Staat handeln solle  : „in einem zwar schweigenden aber um so rücksichtsloseren und brutaleren Niederschlagen aller Randalierer“.1545

1540 Vgl. Brief von Dr. Heinz Brantl, Chefredakteur von Heute (Die österreichische Wochenzeitung), an Doderer vom 17.2.1960 u. Doderers undatierten Briefentwurf an Heinz Brantl  ; beide 524/23–1. Han der ÖNB. 1541 Ebd. 1542 Mary K., jüdischen Ursprungs, hat im Übrigen dieselben Schwächen wie die nichtjüdische Asta von Stangeler. Zu den Ähnlichkeiten zwischen Mary und Asta vgl. Jacques Le Rider  : Melzer in Heimito von Doderers Roman „Die Strudlhofstiege“, S. 54f. 1543 Siehe weiter oben  : Antisemitismus und Nationalsozialismus  : Doderer und der Nationalsozia­ lismus, S. 73f. 1544 Doderers Antwortschreiben (Briefdurchschl.) 8.2.1960 auf einen Brief von Hans Dollinger u. Kurt Desch, „Redaktion und Verlag“, Die Kultur vom 25.1.1960  ; beide 525/7–1. Han der ÖNB. 1545 Ebd. Doderer schickte diesen Beitrag nach seiner Veröffentlichung auch an die Zeitschrift Heute.

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Doderers Werk im Wandel der Zeit  : antisemitische und nazistische ,Substrate‘

Ein weiterer problematischer Aspekt findet sich in der Art, in der sich Doderer mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzte, nämlich im Abwälzen der Verantwortung auf die Deutschen, wie etwa in seinen Tagebüchern und in seiner Erzählung „Unter schwarzen Sternen“. Damit stellt er sich dem Problem nicht, sondern umgeht es. Trotzdem kann der Schriftsteller Heimito von Doderer, der als solcher fast 50 Jahre produktiv war, weder auf diesen einen Aspekt seiner Biografie noch auf diesen einen seines Werks reduziert werden.

Schluss und Ausblick

In der Forschung zu Heimito von Doderer halten sich hartnäckig falsche Informationen zu Doderers NSDAP-Mitgliedschaft. Und das auch nach dem Erscheinen von Wolfgang Fleischers Doderer-Biografie und der darin vorgenommenen Korrekturen. Deshalb soll auch hier noch einmal betont werden  : Entgegen anderslautenden Aussagen ist Heimito von Doderer zwischen 1933 und 1945 nicht aus der NSDAP ausgetreten. Er ist ihr aber ebenso wenig erst nach ihrem Verbot in Österreich beigetreten. Was Wolfgang Fleischer bereits anhand in Familienbesitz befindlicher Dokumente über Doderer herausgefunden hat, konnte hier durch systematische Archivrecherchen bestätigt und um zusätzliche Informationen und Richtigstellungen erweitert werden. So etwa, dass Heimito von Doderer Anfang 1939, nach seiner Rückübersiedelung von Dachau nach Wien, der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) beitrat. In einem „Fragebogen für Mitglieder der NSV.“1546 von Anfang Februar 1940 gab Doderer an, Mitglied der NSDAP zu sein, weder ausgeschlossen worden noch ausgetreten zu sein und keine Funktionen innerhalb der NSDAP zu haben. Außerdem erklärte er, Mitglied der Ortsgruppe Dachau zu sein – und das, obwohl er schon knapp eineinhalb Jahre wieder in Wien lebte. Er hatte sich also nicht, wie es bei Wolfgang Fleischer heißt, unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Wien ummelden lassen. Das geht auch aus Dokumenten der NS-Behörden zwischen Ende 1939 und Mitte 1940 hervor, denen aufgefallen war, dass er keine Mitgliedsbeiträge in Wien zahlte. Nach dem Krieg gab Doderer an, noch 1940 einen Beitrag an die Ortsgruppe Dachau geschickt zu haben, den diese nicht mehr angenommen habe. Letztlich wurde die Ummeldung aber vollzogen, wenn auch vermutlich erst 1940, denn auf Doderers NSDAP-Mitgliedskarte sind nicht nur seine alte Wiener Adresse – zum Zeitpunkt seines Beitritts zur NSDAP – und seine Dachauer Adresse angegeben, sondern auch seine neue Wiener Adresse seit 1938. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass diese Ummeldung noch von Bedeutung war  : Da er von Ende April 1940 bis Kriegsende zur Wehrmacht eingezogen war, ruhte seine NSDAP-Mitglied1546 „Fragebogen für Mitglieder der NSV.“ von „Dr. Heimito von Doderer“ an „NSV. Gau Wien.“ vom 1.2.1940. (WStLA, NSDAP Wien, Gauakten, A 1  : 61.843 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.)

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schaft ohnehin automatisch – und somit waren auch keine Mitgliedsbeiträge mehr zu bezahlen. Doderers Sympathien für den Nationalsozialismus dürften auf das Ende der 1920er-Jahre zurückgehen  ; am 1. April 1933 wurde er legales Mitglied der ­NSDAP in Österreich. Für seine NS-Sympathien gibt es mehrere Gründe, auch wenn sie wegen des metaphysischen Gehalts zum Teil schwer fassbar sind. So zog ihn etwa das ,Transzendentale‘1547 der NS-Bewegung an, was immer er letztlich darunter verstanden haben mag. Es ist anzunehmen, dass auch eine anfängliche Anerkennung der Person Hitlers und eine erhoffte Vormachtstellung der deutschen Nation eine Rolle gespielt haben mögen, zweifelsohne aber sein Antisemitismus und sein Hoffen auf eine Umwälzung, insbesondere auf seine eigene Person bezogen, durch die „nationale Revolution“. Antisemitisch geprägte Eintragungen finden sich fast von Beginn an in Doderers Tagebüchern, die er (soweit sie erhalten sind) 1920 begonnen und bis zu seinem Tod 1966 fast durchgehend geführt hat. Ein beliebtes Ziel seiner antisemitischen Angriffe, allerdings keineswegs das einzige, war seine damalige Freundin und spätere Frau Gusti Hasterlik, die sich im Übrigen selbst nicht als Jüdin verstand. Doch auch wenn zuweilen das Scheitern seiner Beziehung mit Gusti Hasterlik als Grund für seinen Antisemitismus angesehen wird, so räumte Doderer 1952 doch selbst ein, dass dieser latent schon seit seiner Kindheit vorhanden gewesen sei. Er habe sich im „Kampf der Geschlechter“, das heißt während seiner turbulenten Beziehung zu Gusti Hasterlik, lediglich klar manifestiert. Auf diese Weise habe er, Doderer, versucht, seine „Unterlegenheit“ in diesem „Kampf “ mit einer „Überlegenheit des Rassen-Wertes“ 1548 wettzumachen. In Doderers Tagebüchern lässt sich die graduelle Entwicklung und Zuspitzung seines Antisemitismus klar nachvollziehen. Anfang der 1920er-Jahre provozierte Doderer ausweislich seiner Tagebuchaufzeichnungen Gusti Hasterlik mit antijüdischen (aber nicht rassistischen) Vorurteilen, von denen er sich zunächst noch selbstkritisch distanzierte. Es ging ihm dabei vor allem darum, seine Freundin abzuwerten und sie zu kränken. Die antijüdischen Äußerungen vermischten sich bald mit antisemitischen, denn nun begann auch das Kriterium der Rasse für ihn eine Rolle zu spielen.

1547 Brief von Doderer an Rolf Haybach vom 16.10.1936, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 254f. 1548 Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, S. 117f. (3.4.1952).

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In den Jahren 1934 bis 1936 radikalisierte sich sein Antisemitismus in Tagebüchern und schriftlich niedergelegten Reden und wurde insbesondere in seinem Romanprojekt „Die Dämonen der Ostmark“ offenbar. Nach 1936 verschwand das Thema fast völlig aus seinen Tagebüchern, selbst wenn es aus den Jahren 1938, 1942 und 1944 noch jeweils einen Eintrag gibt, bei dem Juden nicht gut wegkommen. Man kann darin einen Hinweis darauf sehen, dass er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht endgültig von seinem Antisemitismus gelöst hatte. Was Doderer am Nationalsozialismus als – wie er es nannte – ,transzendental‘, ,fluidisch‘ oder ,physionomisch‘1549 anziehend empfand, sollte in seinem 1929 begonnenen und 1936 mit Abschluss des ersten Bandes seines antisemitischen Romanprojekts „Die Dämonen der Ostmark“ eine durchaus konkrete Umsetzung erfahren  : mit der gesellschaftlichen Trennung der Juden von den Nichtjuden. Die bestehenden 705 maschinengeschriebenen Seiten sollten nur der erste von zunächst zwei (später fünf ) Bänden sein. Sein Titel „Der Eintopf “ steht abwertend für eine gemischte jüdisch-nichtjüdische Gesellschaft und war als „Fundament“1550 für den geplanten zweiten Band „Die Wasserscheide“ vorgesehen. Doch dieser zweite Band, in dem die Trennung von Juden und Nichtjuden auf allen Ebenen erzählerisch hätte vollzogen werden sollen, wurde nicht mehr geschrieben. Anhand des aus Juden wie Nichtjuden zusammengesetzten Bekanntenkreises der „Unsrigen“ werden im ersten Band in exemplarischer Weise die Spannungen und Gegensätze geschildert, zu denen es unweigerlich kommen müsse, wenn Juden und Nichtjuden gesellschaftlich miteinander verkehren. Diese Sicht entspricht der des nichtjüdischen Chronisten G-ff, der sich nur unter Nichtjuden wirklich wohlfühlen kann, und zwar aufgrund der „Wesensverwandtschaft“,1551 die sie miteinander verbinde, während Juden als „menschliche[s] und geistige[s] Ausland“1552 oder auch als „Feindesland“1553 bezeichnet werden. G-ffs Sicht der Dinge gilt auch für die anderen Nichtjuden in der Gruppe. 1549 Brief von Doderer an Rolf Haybach vom 16.10.1936, zit. nach Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 254f. 1550 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 820 (21.7.1936). 1551 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“ zu  : „Wesensverwandtschaft“, S. 292, 294, 391 u. „wesensverwandt“, S. 391 u. 431. 1552 So heißt es über Camy von Schlaggenberg. (Heimito von Doderer  : „Roman-Studien I“, S. 56.) 1553 Der Ausspruch ist von Kajetan von Schlaggenberg. (Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 543.)

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Für die autobiografisch geprägten Figuren René von Stangeler, Kajetan von Schlaggenberg und G-ff geht eine Bedrohung von Juden aus, für René und Kajetan im Besonderen durch Levielle, der in sie „eingedrungen“ sei und durch den René sich „verdorben“ fühlt und Kajetan „verätzt“.1554 Diesen Romanfiguren ist gemein, dass sie um die Einheit ihrer Person bemüht sind, die sie gespalten sehen, wobei die Juden für ihre innere Zerrissenheit verantwortlich gemacht werden. Unabhängig davon, ob eine jüdische Figur sympathisch oder unsympathisch ist, und egal, wie sie sich verhält, sie wird immer als Bedrohung wahrgenommen, das gilt auch für sympathisch geschilderte Figuren wie Grete Siebenschein. G-ff denkt zunächst darüber nach, was die Nichtjuden trotz aller „Misstöne“, „Flachheiten“ und „Nichtverstehenkönnen“ miteinander verbinde, und erklärt so, was sie von den Juden – „ein vermummt fechtender Soldat einer fremden Macht“ – trenne.1555 G-ff wirft seinem Neffen Kurt Körger und seinem Cousin Geza von Orkay vor, die endgültige Trennung letztlich doch immer wieder hinauszuschieben, auch wenn diese, und insbesondere Körger, wiederholt die jüdischen „Unsrigen“ provozieren. Körger will anhand einer gemeinsamen Tischtennispartie in der Wohnung der Familie Siebenschein, bei der alle „Unsrigen“ anwesend sind, die Unhaltbarkeit der Situation beweisen, was ihm auch gelingt, wie ­ G-ff in einem von Doderer 1940 neu geschriebenem Kapitel anerkennen muss. Die Figuren Körger und Orkay sind die politischsten Elemente der „Unsrigen“ und G-ff deswegen keineswegs sympathisch. Beide sind als frühe Nationalsozialisten erkennbar, werden aber nicht als solche bezeichnet. G-ff sind ihre Methoden zuwider, obwohl sie ein gemeinsames Ziel verfolgen  : die Trennung von den Juden. G-ffs Methode, wie sie sich 1936 abzeichnet, scheint darin zu bestehen, sich diskret und behutsam, aber bestimmt aus seinen Beziehungen mit Juden zurückzuziehen. Als Heimito von Doderer 1940 nach über dreijähriger Pause die Arbeit an den „Dämonen der Ostmark“ mit dem neuen Kapitel „Auf offener Strecke“ wieder aufnahm, hatte er mit dem ursprünglichen Projekt, der fiktionalen Darstellung einer gesellschaftlichen Trennung von Juden und Nichtjuden, die de facto in der Realität schon weitgehend verwirklicht worden war, gebrochen. In diesem Kapitelmanuskript distanziert sich G-ff auch von seiner ehemaligen Überzeugung und jener der nichtjüdischen „Unsrigen“, dass eine Trennung 1554 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien II“  : zu René, S. 452f.; zu Kajetan, S. 495f. 1555 Heimito von Doderer  : „Roman-Studien III“, S. 588.

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von den als ,profundes Übel‘ bezeichneten Juden all ihre Probleme gelöst hätte. Nachdem Doderer die Strudlhofstiege beendet hatte, widmete er sich wieder intensiv den Dämonen. Auch wenn zahlreiche Textpassagen der „Dämonen der Ostmark“ auch in den Dämonen erscheinen, so muss man doch eher von einer Verwertung denn von einer unveränderten Übernahme sprechen. Allein schon der vorgenommene Wechsel der Perspektive zeigt vieles nun in einem anderen Licht. Hinzu kommt eine Distanzierung von antisemitischen und faschistisch bezeichneten Figuren, obendrein wird ein Großteil der explizit antisemitischen Stellen gestrichen, insbesondere jene im Kontext G-ffs, der sich als Figur wohl am stärksten wandelt. Und selbstverständlich ging es in den Dämonen auch nicht mehr darum, die „Fundamente“ für eine bevorstehende Trennung von Juden und Nichtjuden zu legen. Stattdessen wählte Doderer eine Erzählhaltung kritischer Distanz zu den in einer „zweiten Wirklichkeit“ befangenen Figuren  : den Ideologen (wie Kurt Körger, Otto von Eulenfeld und Geza von Orkay) bzw. den Sexualdoktrinären (wie Kajetan von Schlaggenberg, aber auch Jan Herzka als neue Figur ohne antisemitischen Hintergrund). Schließlich wurden Figuren jüdischer Herkunft nun differenzierter gezeichnet und obendrein neue Romanfiguren und Episoden in den Roman eingeführt, die mit dessen ursprünglich antisemitischer Thematik nichts zu tun hatten. Laut Selbstauskunft Doderers hatte er bereits Anfang des Jahres 1937 mit dem Nationalsozialismus gebrochen. Ein solcher Schritt lässt sich in seinen Schriften aber erst ab Ende 1939, Anfang 1940 in überzeugender Weise nachvollziehen. Zuvor fand eine allmähliche Distanzierung statt, und zwar aus den verschiedensten Gründen, die von Misserfolgen auf privater Ebene über sein Desinteresse an Politik, das er schon 1934 formuliert hatte, bis hin zu seiner Abneigung gegen den Sozialismus gehen, den er, konfrontiert mit der Lebenswirklichkeit im NS-Staat, seit 1936 im Nationalsozialismus zu erkennen vermeinte. Er vergleicht in diesem Zusammenhang den Nationalsozialismus mit einer ehemaligen „Geliebten“1556, was die Auffassung, sein Beitritt sei ein Akt des Opportunismus gewesen, deutlich infrage stellt. Noch 1938 hatte er in Dachau ausgerechnet einen Angehörigen der SS als einzigen Freund, den er auch in der Kaserne besuchte, half – trotz Bruchs mit dem Nationalsozialismus – nicht der nunmehr bedrohten Familie Hasterlik und notierte noch kurz nach dem Novemberpogrom 1938, und vermutlich auf dieses bezogen, antisemi1556 Brief von Doderer an Gütersloh vom 4.11.1936. (Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel, S. 107.)

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tische Ansichten. Eine klare Loslösung vom Nationalsozialismus zeichnet sich dagegen Ende 1939 ab, als Doderer, der seine Hoffnungen auf die „nationale Revolution“ gesetzt hatte, begann, Revolutionen generell abzulehnen. Doderers Konversion zum Katholizismus 1939/1940 war im NS-Staat sicherlich keineswegs opportun. Dieser Entschluss dürfte nicht unwesentlich auf den Einfluss seines Freundes Ferdinand von Steinhart, seit 1935 NSDAPund SS-Mitglied, zurückzuführen sein, der 1939 der katholischen Kirche ebenfalls wieder beigetreten war und seitdem vom NS-Regime Bedrängten und Verfolgten geholfen hatte. Auch die Tatsache, dass Gütersloh, der Doderers Begeisterung für die NS-Bewegung geteilt hatte, nun aber als ,entarteter Künstler‘1557 und seit 1939 als „Vierteljude“1558 ausgegrenzt wurde, mag mit zu Doderers Bruch mit dem Nationalsozialismus beigetragen haben. Von NS-Sympathien ist spätestens seit Doderers Einberufung zur Wehrmacht Ende April 1940 weder in seinen Tagebüchern noch in den Briefen mehr etwas zu bemerken, im Gegenteil. Sein Dienst als Offizier der Bodentruppe der Luftwaffe ließ ihm nur wenig Zeit zum Schreiben, obendrein belas­ teten ihn die zahlreichen damit verbundenen Versetzungen. Das Kriegsende erlebte er in Norwegen. Ab Ende 1944 finden sich in seinem Tagebuch Einträge zum Thema „Deutschenhaß, seine Ursachen“1559 bzw. zur Verbindung zwischen dem „heutigen Deutschen“ und den „Juden“ mit der zumindest für Doderer schwerwiegenden Kritik, dass beiden oftmals „das unbewußte Denken, der Träger des Schicksals“ fehle und damit auch die Fähigkeit zur „Apperzeption“.1560 Damit hatte er nach den Juden einen neuen Sündenbock gefunden. Als Doderer Anfang 1946 nach britischer und amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach Österreich zurückkehrte, musste er sich als ehemaliges ­N SDAP-Mitglied registrieren lassen. Nach dem Verbotsgesetz von 1945 war er eigentlich als sogenannter „Illegaler“ einzustufen, da das Gesetz Personen, 1557 „Abzulehnen  ! 1918 kommunist. Richtung u. entartete Kunst  !“ („Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Gau Wien Kreisleitung I.“ an den „Ortsgruppenleiter“ vom 30.3.1939. – ÖStA/AdR, 02/BMI, Gauakt 49.307 zu Gütersloh, Albert, geb. 5.2.1887.) 1558 „Mischling u. z. ist der Grossvater mütterl.seits Jude gewesen.“ („Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Gau Wien Kreisleitung I Personalamt“ an „das Gaupersonalamt der ­N SDAP. in Wien.“ vom 9.6.1939 – Ebd.) „Vierteljude“; BArch (ehem. BDC), RK 2000/X0033, Gütersloh, Albert, geb. 5.2.1887. 1559 Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 260 (15.12.1944) u. S. 261 (16.12.1944). 1560 Zit. nach Gerald Sommer  : „Sündenbock und Prügelknabe“. In  : Kai Luehrs (Hg.)  : „Excentrische Einsätze“, S. 39–51, hier S. 49.

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die der Partei zur Zeit ihres Verbots zwischen dem 1. Juli 1933 und dem 13. März 1938 angehörten, strenger beurteilte als jene, die erst nach dem Anschluss 1938 beigetreten waren. Doderers Einstufung ist aus dem „Meldeblatt zur Registrierung der Nationalsozialisten“, das er im Februar 1946 auszufüllen hatte, nicht ersichtlich. Er hatte angegeben, nur vom „1. April 1933 bis 19. Juni 1933“ NSDAP-Mitglied gewesen zu sein, also zu einer Zeit, als die NSDAP in Österreich noch legal war. Tatsächlich hatte er aber seine österreichische NSDAP-Mitgliedschaft 1936 nach seiner Übersiedelung ins Deutsche Reich in Dachau ohne offiziellen Neubeitritt fortgeführt. Als Datum seines Wiedereintritts gab er 1946 fälschlicherweise den „13. März 1938 bis Ende Dezember 1939“ an.1561 Damit wollte er wohl einerseits einer Einstufung als „Illegaler“ entgehen, anderseits auf einen relativ frühen Bruch mit dem Nationalsozialismus verweisen. Doch Doderer war nie aus der NSDAP ausgetreten, auch seine Einberufung zur Wehrmacht 1940 und das damit verbundene Ruhen der Mitgliedschaft änderte daran nichts. Seit Februar 1947 galt ein neues Verbotsgesetz mit zwei entscheidenden Änderungen  : Es war nun nicht mehr das Datum des Parteibeitritts entscheidend, sondern ob man eine Funktion in der Partei innegehabt und ob man sich als „Verfasser nationalsozialistischer Druckwerke“1562 hervorgetan hatte. In diesen Fällen galt man als „belastet“. Da keines dieser beiden Kriterien auf Doderer zutraf, wurde er als „minderbelastet“ 1563 eingestuft. Das Berufsverbot galt nur für Belastete, während Minderbelastete wie Doderer nur für Zeitungen nicht schreiben durften. Im Mai 1948 wurden schließlich alle Minderbelasteten amnestiert. Doderer war also von einem Publikationsverbot nicht betroffen. Komplexer ist die Frage, ob er vor dem neuen Verbotsgesetz vom Februar 1947 nicht veröffentlichen durfte. Die Antwort lautet – trotz Unannehmlichkeiten, Verzögerungen und zu überwindenden Hindernissen aufgrund seiner ehemaligen NSDAP-Mitgliedschaft – nein. Dies zeigt auch ein Tagebucheintrag Doderers 1561 „Meldeblatt zur Registrierung der Nationalsozialisten im Sinne des Art. II des Verfassungsgesetzes vom 8. Mai 1945, St. G. Bl. Nr. 13, über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz)“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „Gemeinde Steinbach am Attersee“ vom 21.2.1946. (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 8. Bez./3932 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.) 1562 Dieter Stiefel  : Entnazifizierung in Österreich, S. 115. 1563 „Meldeblatt zur Verzeichnung der Nationalsozialisten gemäß § 4 des Verbotsgesetzes 1947.“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „Registrierungsbehörde“ vom 23.5.1946 [sic – 1947  ?] (WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 8. Bez./3932 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.)

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von Juli 1946, wo er vermerkt, endlich seinen „Beschäftigungs-Nachweis“ als Schriftsteller erhalten zu haben.1564 Über seine 1963 veröffentlichte Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ schrieb Doderer in Briefen an Hilde Spiel und Ivar Ivask, dass er hier erstmals „als Künstler das Substrat Krieg und Nazizeit berühre“.1565 Zuvor hatte er sich diesem Thema bereits in seinem 1948/1951 verfassten, aber erst 1970 posthum veröffentlichten „Traktat“ „Sexualität und totaler Staat“ genähert und darin die Grundlagen seiner Theorie von „erster“ und „zweiter Wirklichkeit“ festgehalten. Schon in den Dämonen beschreibt er dementsprechend in exemplarischer Weise Befangenheiten in einer zweiten Wirklichkeit, seien es die sexuellen Zwangsvorstellungen eines Kajetan von Schlaggenberg oder eines Jan Herzka, seien es – auf politischer Ebene – die Ideologien (ob nun faschis­ tisch oder nationalsozialistisch) eines Körger, Orkay oder Eulenfeld. All diese Figuren bewegen sich für Doderer in der Scheinexistenz einer „zweiten Wirklichkeit“. In einer „zweiten Wirklichkeit“ leben auch die Figuren in „Unter schwarzen Sternen“ im Wien Ende des Jahres 1943, Juden ebenso wie Nichtjuden. Dies zeigt sich im Kult um das Ehepaar Gringo, das von Doderer als Verkörperung seiner Theorie der „zweiten Wirklichkeit“ gestaltet wurde. Anbetung und Verehrung des Ehepaares geben das Bedürfnis wieder, sich in eine Scheinexistenz zu flüchten. In dieser Erzählung schildert Doderer eine der nach dem Anschluss entstandenen „Notgemeinschaften“.1566 In diesem Bekanntenkreis sind Offiziere und ein SS-Angehöriger ebenso vertreten wie Juden, die als „U-Boote“ bei den Nichtjuden versteckt leben. Man trifft sich zu Musikabenden in einer Privatwohnung, bei denen alle anwesend sind, auch die jüdischen U-Boote. Ein SS-Mann kann noch 1943 einem jüdischen Arzt zur Flucht verhelfen, eine jüdische Frau ergreift die Möglichkeit zur Emigration nicht und ein (möglicherweise jüdischer) Opernsänger kann dank eines Auslandsengagements ganz einfach und legal den Machtbereich des NS-Staates verlassen. Historisch

1564 Unveröffentlichter Tagebucheintrag von Doderer, zit. nach François Grosso  : „Anhang“. In  : François Grosso  : Primum scribere, deinde vivere, S. 244 (13.7.1946). 1565 Brief von Doderer an Ivar Ivask vom 21.5.1963. (Heimito von Doderer  : Von Figur zu Figur, S. 67.) Eine ähnliche Formulierung findet sich in einem Brief an Hilde Spiel vom 25.6.1963. („Briefe“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie.) 1566 Heimito von Doderer  : „Unter schwarzen Sternen“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 470.

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glaubwürdig ist diese Darstellung nicht, und zwar vor allem wegen der Wahl des Datums 1943. So hatte Doderer Ereignisse, die so oder in ähnlicher Weise 1938/1939 stattgefunden hatten, in eine Zeit mit wesentlich veränderten Umständen (generelles Ausreiseverbot für Juden ab Oktober 1941) verlegt. Dies etwa im Falle des Arztes „Dr. med. B.“, einer Figur, die von Dr. Barrasch inspiriert ist, den Doderers Freund Ferdinand von Steinhart, wie er nach dem Krieg angab, Ende 1938 bei sich zunächst beherbergt und ihm dann zur Flucht nach Amerika verholfen hatte. Die Zeitumstände werden also sichtlich verzerrt wiedergegeben. Doch ging es Doderer in seiner Erzählung vor allem darum, die NS-Zeit als „zweite Wirklichkeit“ darzustellen. Zugleich beschwört Doderer in seinem Text eine österreichische Kontinui­ tät, die mit Ende des NS-Regimes, das heißt zugleich dem Ende der zweiten Wirklichkeit, die „Wiederkehr des Lebens“ bzw. die „Wiederkehr der Wirklichkeit“ ermöglicht.1567 In Doderers Tagebüchern und Briefen erfährt man nur ansatzweise etwas über das Schicksal seiner ehemaligen Freunde jüdischer Herkunft  : Er erwähnt am Rande, dass Ernst Pentlarz, Béla Fáludi und Karl von Motesiczky deportiert und ermordet worden waren, dass Albrecht Reif, sein ehemaliger Hofmeister, 1944 in Wien gestorben war oder dass Gusti Hasterlik und Paul Elbogen in die USA emigriert waren. Von Paul Hasterliks Tod 1944 im Getto Theresienstadt gibt es keine explizite Notiz, gleichwohl aber, 1946, einen späten Nachruf im Tagebuch.1568 Das Leben dieser (ehemaligen) Freunde Doderers, allen voran das der Familie Hasterlik, die einst eine wichtige Rolle in seinem Leben gespielt hatten und als Romanfiguren auch weiterhin spielten, ließ sich dank der Briefsammlung von Giulia Hine, der Nichte von Gusti Hasterlik, rekonstruieren, die im Institute on World War II and the Human Experience der Florida State University in den USA zugänglich sind. Wolfgang Fleischers Doderer-Biografie, die sich erstmals eingehender mit dem Schicksal der Familie Hasterlik beschäftigt hatte, konnte auf Grundlage dieser Materialien, die dem Autor zur Zeit seiner biografischen Recherchen nicht zur Verfügung standen, in vielen Punkten ergänzt bzw. korrigiert wer1567 Heimito von Doderer  : Tangenten  : zu „Wiederkehr des Lebens“, S. 316 (7.5.1945), 317 u. 318 (8.5.1945)  ; zu „Wiederkehr der Wirklichkeit“, S. 324 (15.5.1945) u. 447 (26.5.1946). 1568 Unveröffentlichter Tagebucheintrag von Doderer, zit. nach François Grosso  : „Anhang“. In  : François Grosso  : Primum scribere, deinde vivere, S. 240 (17.–18.6.1946). Zitat im Original in Klammern.

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den. Fleischers Angaben beruhten zumeist auf Familienerzählungen, insbesondere von der Mutter Giulia Hines, die es mit den Fakten nicht immer so genau genommen hatte. Dies betraf insbesondere das Leben des in Wien zurückgebliebenen Paul Hasterlik und die Umstände seiner Deportation nach Theresienstadt. Die Briefsammlung zeigt weiterhin, dass Doderers Leben, sein Erfolg und seine Romane bis in die 1960er-Jahre hinein ein Gegenstand des Austauschs und der Diskussion in seinem (ehemaligen) Freundeskreis waren. Auch indirekt blieben Doderer und Gusti Hasterlik so über gemeinsame Freunde und Bekannte miteinander verbunden. Doch obwohl Doderer sich Gusti Hasterliks Adresse in den USA hatte geben lassen und sie durchaus erwog, wieder Kontakt zu ihm aufzunehmen, kam es – ungeachtet ihrer wiederholten Aufenthalte in Wien – zu keiner weiteren Begegnung des geschiedenen Paars. Heimito von Doderer im Spiegel der Literaturkritik Heimito von Doderer wurde, obwohl seine ersten Werke bereits in den 1920erJahren erschienen waren, erst mit seinem 1951 erschienenen Roman Die Strudlhofstiege bekannt und 1956 im Alter von 60 Jahren mit den Dämonen berühmt. Dieser späte Erfolg lässt sich unter anderem damit erklären, dass seine Werke dem Zeitgeist gerade nicht entsprachen  : Die Texte der jungen Schriftstellergeneration, die nach 1945 zu veröffentlichen begann, waren nicht selten geprägt von traumatischen Erfahrungen während der NS-Herrschaft bzw. des Krieges, sie boten weder Diagnose noch Therapie, sondern waren vielmehr Ausdruck ihrer Betroffenheit.1569 Sie entbehren oft Orientierungshilfen, wie Ort, Zeit und Identität  : Es erscheinen darin Orte ohne Namen oder Namen, die bedeutungslos sind, die Zeit ist die des Krieges, aber er ist dem konkreten Kontext enthoben und die Identität ist gefährdet oder unsicher. Es wird keine Kontinuität mehr vermittelt, und die Schriftsteller wollen oder können keine Übersicht mehr geben.1570 Nachdem Otto Basil in der unmittelbaren Nachkriegszeit die junge Generation dazu aufgerufen hatte, sich mit Beiträgen an seiner Kulturzeitschrift Plan zu beteiligen, kam er angesichts der erhaltenen Einsendungen zu dem Schluss  : 1569 Vgl. Wendelin Schmidt-Dengler  : „Im Niemandsland. Zum Roman in Österreich um 1950“. In  : Friedbert Aspetsberger, Norbert Frei und Hubert Lengauer (Hg.)  : Literatur der Nachkriegszeit und der fünfziger Jahre in Österreich, S. 290–302, hier S. 300. 1570 Vgl. ebd., S. 293–296.

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Man kann feststellen  : optimistisch sehen diese Zwanzigjährigen nicht in die Zukunft, die ihnen gehören soll  ; jeder Zweckoptimismus wird verachtet. Irgendwie haben sie alle einen großen Knacks abbekommen – sie haben dem Tod zu oft ins Auge geblickt, man spürt es in vielem.1571

Vergleichbares notierte Heimito von Doderer im Dezember 1951  : „Es hat sich bei den jungen Literaten seit dem Kriege schon so etwas wie ein ,desperater Stil‘ herausgebildet  ; neue Kunstrichtung  : Desperatismus.“1572 Auf die ethische, ästhetische und soziale Erschütterung nach dem 2. Weltkrieg reagierte Doderer mit einem Ordnungskonzept, das sich in seiner Romankomposition ausdrücken sollte.1573 So bot er in der Strudlhofstiege eine grundsätzlich andere Antwort als die jungen Autoren.1574 Während die Erfüllung der vagen Hoffnung bei diesen oft nichts anderes als den Tod bedeutet, kann sich die Hoffnung in der Strudlhofstiege verwirklichen und besteht in einem, wenn auch begrenzten, so doch realen Glück.1575 Doderer strebte für seine Romane eine „Wieder-Eroberung der Außenwelt“1576 an. Zum Erfolg der Strudlhofstiege 1951 mag das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit beigetragen haben, das durch diese „Wieder-Eroberung der Außenwelt“ und die angebotenen Orientierungshilfen vermittelt wird. Obwohl der Roman in den 1910er- und 1920er-Jahren spielt, ist der 1. Weltkrieg nur eine Randerscheinung, wichtiger als historische Daten sind die für die Figur Melzer persönlich wichtigen Jahre 1911 und 1925 und die Brücke der Erinnerung, die zwischen ihnen geschlagen wird. Dadurch vermittelt Doderer, so Wendelin Schmidt-Dengler, Kontinuität  : „Wien, die Stadt, in der 1918 die Veränderung sich von der Monarchie vollzogen hatte, erscheint als der Ort der Dauer, wo sich in den privaten Räumen trotz aller Wandlungen nichts wandeln mußte.“1577 1571 Otto Basil  : „Stimme der Jugend“. In  : Otto Basil (Hg.)  : Plan, S. 307. 1572 Vgl. Heimito von Doderer  : Commentarii 1951 bis 1956, S. 89 (17.12.1951). 1573 Vgl. Wendelin Schmidt-Dengler  : Bruchlinien, S. 88. 1574 Vgl. ebd., S. 56f. 1575 Vgl. Wendelin Schmidt-Dengler  : „Im Niemandsland?“ In  : Friedbert Aspetsberger, Norbert Frei und Hubert Lengauer (Hg.)  : Literatur der Nachkriegszeit und der fünfziger Jahre in Österreich, S. 299 und 302. 1576 Heimito von Doderer  : Grundlagen und Funktion des Romans. In  : Heimito von Doderer  : Die Wiederkehr der Drachen, S. 169. 1577 Wendelin Schmidt-Dengler  : „Im Niemandsland“. In  : Friedbert Aspetsberger, Norbert Frei und Hubert Lengauer (Hg.)  : Literatur der Nachkriegszeit und der fünfziger Jahre in Österreich, S. 300.

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Schluss und Ausblick

Die Anerkennung, ja sogar herzliche Aufnahme und Empfehlung für die Strudlhofstiege vonseiten ehemaliger Exilanten – wie Hilde Spiel und Hans Weigel – erleichterte zweifelsohne die Integration Doderers in das österreichische Literaturleben. Weigel hatte in der Welt am Montag eine Rezension der Strudlhofstiege veröffentlicht, doch unterstrich er selbst die Bedeutung, die vor allem die wohlwollende Kritik Hilde Spiels in der deutschen Zeitschrift Der Monat1578 für den Erfolg des Romans hatte. In ihrer Autobiografie schilderte sie ihre Begeisterung für die Strudlhofstiege nicht zuletzt wegen der „so präzisen wie skurrilen Sprache“.1579 Doderer wollte mit seinen Romanen übrigens nicht die Nostalgiker längst vergangener Zeiten erreichen. Ihm war es wichtig, junge Leser zu haben  : „ein siebzehnjähriger Leser“, sei ihm, so vertraute er Wolfgang Fleischer an, „lieber als hundert Sechzigjährige, weil ihn die jungen Begeisterten in die Zukunft bringen und nicht die Alten, die das nur aus Nostalgie lesen“.1580 Im Übrigen täte man ihm unrecht, würde man ihn nur auf die durchaus spürbare Nostalgie der Strudlhofstiege reduzieren. Das dem nicht oder nicht nur so ist, wird in seinen „Kürzestgeschichten“1581 und in seiner Romangroteske Die Merowinger überdeutlich. So schlägt Wendelin Schmidt-Dengler denn vor, die Merowinger auch als „eine Satire auf den Männlichkeitswahn, der vor allem auch ein Machtwahn ist“,1582 zu lesen. Der kritische Strudlhofstiegen-Leser Paul Elbogen war ebenfalls ein begeisterter Leser der Merowinger, in denen er den „skurrilen, vertrackten Humor“ genoss  :1583 Ein Kuriosum, ein Unikat. Kein einziger, auch nur stilisierter Mensch kommt vor, sondern nur wüste Karikaturen, die an englische des achtzehnten Jahrh. erinnern (Rowlandson). Seis drum. Ich bin sehr dankbar für die Sendung. Das Buch beschäftigt mich endlos, regt mich an und auf. Unterhält mich und kotzt mich an, wenn ich so sagen darf.1584 1578 Hans Weigel  : „Liebeserklärung an Heimito“. In  : Michael Horowitz (Hg.)  : Begegnung mit Heimito von Doderer, S. 11–18, hier S. 13. 1579 Hilde Spiel  : Welche Welt ist meine Welt  ?, S. 224. 1580 Siehe weiter unten  : Anhang  : Gespräch mit Wolfgang Fleischer, S. 361. 1581 Heimito von Doderer  : „Kurz- und Kürzestgeschichten“. In  : Heimito von Doderer  : Die Erzählungen, S. 211–345, hier ab S. 310 „Acht Wutanfälle“. 1582 Wendelin Schmidt-Dengler  : Bruchlinien, S. 159. 1583 Privatsammlung von Giulia Hine, item 5283, 1975/06/25, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]. 1584 Ebd. (Die Umlautschreibung wurde korrigiert.)

Schluss und Ausblick

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Was Doderers Werk unter anderem so reizvoll macht, ist seine „Mosaik-Technik“, die für sein Spätwerk so typisch ist. Der Germanist Dietrich Weber unterscheidet die „monographischen“ Werke des Schriftstellers, in denen es vor allem um das Schicksal einer Figur geht, von den „polygraphischen“ Werken, in denen diese weder auf ein Thema noch auf eine Handlung reduziert werden können und es keine zentrale Figur gibt. Die Technik Doderers, so Weber weiter, zeichnet sich durch den ,exzentrischen Einsatz‘1585 aus, das heißt, der Autor setzt mit Randgeschehnissen oder Nebenfiguren ein. Ein weiterer Reiz an Doderers Werk ist seine Sprache. Ihre Besonderheit hatten Paul Elbogen und Hilde Spiel hervorgehoben, und selbst Heinrich Kopetz, für den Doderers Erfolg nicht nachvollziehbar war, gestand ihm zu, „tausende Seiten in einer guten Sprache, fern von Gemeinplätzen“1586 füllen zu können. Gerhard Fritsch bedauerte 1966, als Schriftsteller nicht sofort Doderers Bedeutung erkannt zu haben und stattdessen seine Romane zunächst nur aus „Freude an Details“ und an seinen „Skurrilitäten“ gelesen zu haben, denn  : „Doderer ist kein Thesenlehrer, zum Glück kein Vorbild und kein literarischer Modeschöpfer, aber dafür ein Autor, von dem man lernen kann, was ein Autor ist, der erzählen will und weiß, was er dabei tut, zu tun und zu lassen hat.“1587 Dass Arbeiten von Doderer in der Zeitschrift manuskripte – die die „experimentierende kritische und künstlerische Intelligenz“1588 vereinen wollte – erscheinen konnten, war nur deshalb möglich, weil er auch Autor von Texten war, die sich keineswegs dem Restaurationsklima zuordnen ließen. Selbst wenn es sich dabei nicht um „experimentelle“ Texte, wie jene der „Wiener Gruppe“, von Ernst Jandl, Friederike Mayröcker oder auch Peter Handke handelt, die ebenfalls in den manuskripten veröffentlichten. Und doch zeigt sich bei den humorvoll absurden Kürzestgeschichten Doderers seine Bereitschaft, sich auch auf das Risiko einzulassen zu missfallen  : Mit sinnlosen und vollkommen überzeichneten Gewaltausbrüchen, die er inszenierte, setzte er sich über die „guten Sitten“ hinweg.

1585 Dietrich Weber  : Heimito von Doderer, S. 56, 62, 154 und 161. 1586 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, Florida State University (FSU), item 5324, 1958/03/  ?  ? [von Giulia Hine nachdatiert], Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HA [Hasterlik, Auguste]. 1587 Gerhard Fritsch  : „Nachtrag zu einem Gespräch. Zum 70. Geburtstag Heimito von Doderers am 5. September“. In  : Die Furche, 36/1966. 1588 Alfred Kolleritsch  : „Marginalie“, manuskripte 7/63. In  : Alfred Kolleritsch u. Sissi Tax (Hg.)  : manuskripte  : 1960 bis 1980. Eine Auswahl. Basel und Frankfurt 1980, S. 27.

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Schluss und Ausblick

Doderer war sich dessen sehr wohl bewusst. Als 1962 sein Roman Die Merowinger erschien, teilte er Hilde Spiel seine Befürchtungen mit, die sich allerdings nicht bestätigten  : „Das Werk ist gewagt und bietet frei die Flächen zum Angriff, was manchen dazu provozieren wird (auch abgesehen von meinen notorischen Feinden […]“.1589 Oswald Wiener widmete Doderer einen Text unter dem Titel „PURIM ein fest. (für heimito dr. von doderer)“1590 in seinem Roman Die Verbesserung von Mitteleuropa, in dem der Einfluss des Autors der Merowinger deutlich wird. Paul Elbogen bezog sich sogar auf die Strudlhofstiege und nicht auf die Merowinger, die er zu diesem Zeitpunkt noch nicht gelesen hatte, als er Gusti Has­ terlik 1972 antwortete  : „Nur einige Worte über Ihre Frage wegen Doderers Ruhm. Er ist, nicht leicht zu begreifen, da wir, Sie und ich, ja die neuen Trends der deutschen Literatur nicht verstehen können.“ Seine Schlussfolgerung war, dass Doderer in einen „supermodernen Verlag“ wie Suhrkamp „irgendwie hineinpasst“.1591 Letztlich erweist es sich noch immer als schwierig, wenn nicht als unmöglich, Doderer als Schriftsteller klar einzuordnen, sei es als Romancier, der „Orte wie die Strudlhofstiege mit einer mythischen Qualität ausstattet“, oder als Autor der „Kürzestgeschichten mit ihrer geradezu aufdringlichen Ortlosigkeit“ und Grotesken wie Die Merowinger, doch wie Wendelin Schmidt-Dengler weiter erklärt  : Eine Entscheidung für den einen oder anderen Doderer ist keineswegs erforderlich, auch wenn sie immer wieder durchgeführt wird. Wer sich intensiv mit der Strudlhofstiege befaßt, denkt selten an die Merowinger – und umgekehrt. […] Wichtiger als jede Form der Präferenz ist die Einsicht in diesen faszinierenden Dialog, der sich zwischen den beiden Positionen in Doderers Werk abspielt. Wer dies erkennt, der hat seine Schwierigkeiten, wenn er Doderers Werk in einer der Nischen der Literaturgeschichte abstellen und für die Literaturtouristen zum Ausstellungsobjekt machen will. Achtung, diese Figur bewegt sich noch  !1592 1589 Brief von Doderer an Hilde Spiel vom 31.8.1962. („Briefe“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Kopie.) 1590 Oswald Wiener  : Die Verbesserung von Mitteleuropa. Roman. Reinbek/Hamburg 1969, S. CV. (Im Original in zwei Absätzen.) 1591 Privatsammlung von Giulia Hine, Brief von Paul Elbogen an Gusti Hasterlik von 1972/06/13. (Die Umlautschreibung wurde korrigiert, handschriftliche Änderungen übernommen.) 1592 Wendelin Schmidt-Dengler  : „Ortlosigkeit. Zu einer markanten Differenz in Doderers Erzählkunst“. In  : Stefan Winterstein (Hg.)  : Orten – Erörtern. Festschrift für Engelbert Pfeiffer zum 90. Geburtstag. Wien 2003, S. 106–111, Zit. S. 110f.

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I. Gespräch mit Wolfgang Fleischer 1960, noch als Gymnasiast, ging Wolfgang Fleischer zu einer öffentlichen Lesung Heimito von Doderers, die vom Verband Sozialistischer Studenten Öster­reichs organisiert worden war. Er bat den Schriftsteller, dessen Werk er sehr schätzte, um eine Widmung, schrieb ihm und wurde zu ihm eingeladen. 1963, Wolfgang Fleischer studierte an der Universität Wien Philosophie und Geschichte, schlug Doderer ihm vor, sein Sekretär zu werden. Zuletzt hatte diese Aufgabe Doderers Freundin, die Schriftstellerin Dorothea Zeemann, übernommen, auf Wunsch seiner Ehefrau war dieses Arbeitsverhältnis jedoch beendet worden. Wolfgang Fleischer nahm das Angebot an und kam zwei- bis dreimal wöchentlich am Spätnachmittag in Doderers Wohnung. Seine Aufgabe bestand darin, einen Teil der umfangreichen Korrespondenz des Autors zu erledigen sowie die Korrekturfahnen der Tangenten zu lesen. Er arbeitete für Doderer bis zu dessen Tod im Dezember 1966. Seit 1965 war Wolfgang Fleischer als freier Schriftsteller und Übersetzer tätig und machte zahlreiche Dokumentarfilme für das Fernsehen. 1995 veröffentlichte er Heimito von Doderer. Das Leben. Das Umfeld des Werks in Fotos und Dokumenten und 1996 Das verleugnete Leben  : Die Biographie des Heimito von Doderer. Die Gespräche mit Wolfgang Fleischer fanden am 24. August 2003 in Arbesthal (Niederösterreich) und am 1. Februar 2004 in Wien statt.1593

„Doderer war ein unpolitischer Mensch“ Wie war Ihr Kontakt mit Heimito von Doderer, als Sie von 1963 bis 1966 als Sekretär für ihn gearbeitet haben  ?

1593 Die Gespräche wurden aufgezeichnet, transkribiert, rekombiniert und Wolfgang Fleischer zur Genehmigung einer Veröffentlichung vorgelegt. Auszüge wurden 2006 auf der Website der Doderer-Gesellschaft veröffentlicht, unter  : http  ://www.doderer-gesellschaft.org/doderer/interviews/interview_fleischer1.html.

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Das war eigentlich immer sehr angenehm. War er da auch so „dunkel“ in seinen Aussagen, so rätselhaft, wie er es in seinen theoretischen Schriften ist  ? Er hat gerne erzählt. Natürlich weil es auch mit seiner Arbeit zusammenhing  ; er hat gerne von Sibirien erzählt, wo er von 1916 bis 1920 Kriegsgefangener war. Vom Militär, während des 2. Weltkriegs, hat er immer nur dieselben Geschichten erzählt, die in der Biografie stehen, wie die Erfindung des Tachinierens im Verband. [Während seiner Dienstzeit in Bad Vöslau 1943 suchte Heimito von Doderer gemeinsam mit seiner Truppe ein möglichst gedecktes Gebiet mit Badeplatz auf  ; statt der vorgeschriebenen militärischen Übungen konnte dort jeder machen, was er wollte  ; daher seine Bezeichnung „Tachinieren im Verband“.] Kann man dem Vertrauen schenken  ? Ich halte es durchaus für möglich. Er hat sich nicht wirklich auf ein Gespräch eingelassen, wenn man ihn nach dieser Zeit gefragt hat, sondern ist mit fertigen Geschichten gekommen, immer denselben. Genauso wie seine Theorie dazu geführt hat, dass er, zu irgendeinem Thema angesprochen, mehr oder weniger druckfertig Sachen gesagt hat, die genau in dieser Theorie schon längst präformuliert waren. Das waren alles Sätze, die er in geringfügigen Abwandlungen schon mehrfach geschrieben und publiziert hatte. Bekam man spontane Äußerungen von ihm zu hören, dann waren das wirklich nur Banalitäten. Dass er immer gerne geschweinigelt hat und Ähnliches. Das ist dann hie und da recht erholsam, wenn jemand sonst immer druckreif redet. Aus seinem Leben hat er sehr oft die Geschichte erzählt, wie er schon 1938 zu Maria [seiner zukünftigen zweiten Frau] sagt, „Maria, es gibt Krieg“, oder sogar „Maria, wir haben den Krieg schon verloren“. Und sie hat gefragt, „Welchen Krieg  ?“ Es waren immer wieder dieselben Anekdoten. Aber wenn man heute das Ganze überblickt  : dass er über irgendeine Frage nachgedacht oder etwas Neues gesagt hätte, das war einfach nicht der Brauch. Sonst war diese Zusammenarbeit recht angenehm. Ich bin zwei, drei Mal in der Woche neben dem Studium um fünf Uhr am Nachmittag zu ihm gekommen. Meistens haben wir eine Stunde getratscht, zum Teil auch über die Korrespondenz natürlich, von sechs bis acht Uhr habe ich ein paar Briefe für ihn geschrieben, und dann

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sind wir im Allgemeinen ins Wirtshaus gegangen. Meistens hat man dort irgendjemanden getroffen : Hans Weigel, Xaver Schaffgotsch, Helmut Qualtinger und andere. Das war recht gesellig. Er hat es auch genossen, wenn er im „Falstaff “ im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, in diesen letzten Jahren. Hans Weigel brachte auch bekannte Schauspielerinnen mit, wie Annemarie Düringer vom Burgtheater, heute eine Grande Dame. Hat seine Frau Maria gegen Ende seines Lebens in Wien gelebt  ? Ja, monatelang. Sie haben sie auch gekannt  ? Ja, natürlich. Sie ist jedes Jahr ein, zwei Mal auf vierzehn Tage, drei Wochen nach Wien auf Urlaub gekommen. Genauso wie er über Weihnachten, Neujahr bei ihr in Landshut war. Ich habe ihn dort übrigens auch einmal besucht, weil ich für ihn beim Verlag in München etwas erledigen und ihm dann etwas bringen musste. Da war ich sehr erstaunt, weil die Wohnung unerhört kleinbürgerlich, um nicht zu sagen scheußlich eingerichtet war, und während er in Wien immer Wert darauf gelegt hatte, zu Hause mit blank geputzten, knallenden Schuhen herumzugehen, ist er dort dann in Pantoffeln geschlurft, weil Maria ihn mit Schuhen nicht in die Wohnung gelassen hat. Die zwei Frauen, mit denen Heimito von Doderer verheiratet war, Gusti Hasterlik und Emma Maria Thoma, waren ziemlich unterschiedlich. Ja, absolute Gegensätze. Für mich ist Gusti ein selbstständiger, intellektueller und sehr lebhafter Mensch. Maria diese Mischung von ländlicher Gutartigkeit und einer gewissen Härte, wenn es um den eigenen Vorteil geht. Intellektuell, wenn man es nachsichtig formulieren will, träge. Sie hat die Bücher von Doderer nicht gelesen, das war ihr zu mühsam. Einzelnes hat sie schon gelesen, dem entkam sie sowieso nicht, da Doderer ihr ununterbrochen vorgelesen hat, weil er ja unerhört gerne vorgetragen und laut gelesen hat. Das Fragment des letzten Romans habe ich auch zur Gänze und zum Teil mehrfach in der Wohnung zu hören bekommen. Er meinte, dass es ihm wegen der Satzmelodie usw. sehr wichtig sei, es gesprochen zu hören und er Zuhörer bräuchte. Einmal wurde eine Aufnahme für eine Schallplatte gemacht, und er war völlig entsetzt, dass man ihn allein in eine Glaskabine sperrte. Er sagte, er könne nicht lesen,

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wenn nicht jemand dabei ist, dem er es vortragen kann. Daher hat er Maria auch ständig vorgelesen. Aber bei schwierigeren Sachen wie bei den Tangenten [Heimito von Doderers Tagebücher aus den Jahren 1940 bis 1950], bei denen ich – weil er nicht wollte – den Umbruch korrigiert habe, hatte ich den Auftrag, ihm alle Stellen aufzuschreiben, an denen Maria vorkommt, damit sie dort nachschlagen kann. Die Tangenten, das war auch ihm klar, sind schon ein Brocken. Haben die Ursprungs-Tangenten der Letztversion entsprochen, oder hat er sehr viel weggestrichen, geändert, umgeschrieben  ? Ich glaube nicht, dass er viel geändert hat. Es ging dann eigentlich nur um technische Fragen. Eine war zum Beispiel, wie Tacitus mit Vornamen hieß. Cornelius ist noch klar, aber ob er Gaius oder doch anders geheißen hat, das weiß man bis heute nicht, daher war das eigentlich auch ziemlich belanglos. In der Zeit, in der Sie ihn gekannt haben, hat man von ihm zwar nicht wirklich etwas erfahren, weil er seine vorgefertigten Sätze hatte, aber er war nicht unangenehm  ? Er konnte durchaus angenehm sein. Ich habe einen einzigen Brüllanfall von ihm erlebt. Er hat fast eine Stunde lang ununterbrochen geschrien, weil ich ihn gefragt habe, ob ich im Monat statt fünfhundert Schilling vielleicht fünfhundertfünfzig oder sechshundert bekommen könnte, die ich so dringend gebraucht habe. Ich dachte schon, er stirbt, weil er so einen roten Kopf vom Schreien bekommen hat. Irgendwann habe ich mir überlegt, während er so völlig sinnlos über seine lange Armut und alles mögliche herumgebrüllt hat, ob ich einfach aufstehen und die Wohnung verlassen soll. Aber dann war es aus, und eine Woche später habe ich stillschweigend sechshundert Schilling bekommen. Wie haben Sie Heimito von Doderer kennengelernt  ? Ich war siebzehn, also in der siebenten Klasse Gymnasium, als er bei den Sozialistischen Studenten eine Lesung hatte. Ich bin hingegangen und wollte nachher, wie etliche andere Leute auch, ein Autogramm oder eine Widmung. Entweder hat er mir damals angeboten, mich an ihn zu wenden, oder ich habe ihm geschrieben, so genau weiß ich es nicht mehr. Jedenfalls habe ich ihn dann so ein, zwei Mal im Jahr gesehen – er hat sehr viel Wert auf junge Leser

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gelegt – ich war damals durchaus begeistert, und er war, das kann man, glaube ich, heute sagen, er war zu der Zeit der größte Schriftsteller Österreichs. Natürlich habe ich ihm nie auf die Nase binden dürfen, dass mir Musil besser gefällt. Das habe ich früh gemerkt, schon damals mit siebzehn oder achtzehn habe ich ihn, als er von allen möglichen Leuten erzählt hat, nach Musil gefragt und ob er ihn auch gekannt hat. Daraufhin hat er sofort ganz angewidert das Gesicht verzogen und gesagt, ja, der saß im Café Herrenhof am Nebentisch und hatte eine unangenehm „hellgelbe Stimme“. Ich habe ihn gefragt, Herr von Doderer, was ist eine hellgelbe Stimme, bitte  ? Daraufhin er „Wie eine verstopfte Trompete  !“. Da wusste ich, Musil darf ich nie wieder erwähnen. Er hat viele große Schriftsteller kritisiert. Thukydides hat er überleben lassen, aber nicht gelesen. Baudelaire und Valéry mochte er. Zola war ihm schon wieder zu revolutionär. Er war den Lyrikern gegenüber viel rücksichtsvoller als den Romanschriftstellern. Er hat über Dostojewskij ungeheuer geschimpft, was für Fehler er in seinen Dämonen gemacht hätte. Irgendjemand hätte nach vierhundert Seiten plötzlich eine andere Haarfarbe und so etwas dürfe nicht passieren. Das gehöre auf dem Konstruktionsblatt eingetragen. Das macht aber doch wirklich nicht die Qualität seines Romans aus. Über Proust und Balzac hat er Negatives gesagt. Balzac und Tschechow hat er als Vielschreiber, beziehungsweise Schmie­ ranten bezeichnet. Von Balzac hat er eine Geschichte erzählt, die ich sonst nirgends gefunden habe. Balzac hätte sich oberhalb der Schreibfläche ein Gestell gebastelt, auf dem er für jede Figur eine Marionette aufhängte und die er herunterhängte, wenn eine der Figuren starb. Die Bedienerin hängte einmal eine der Marionetten wieder auf und das ist ihm gar nicht aufgefallen. Eine völlig absurde Geschichte, auch nicht glaubwürdig, ich weiß nicht, woher er sie hatte. So hat er sich am liebsten über die Leute lustig gemacht. Es war schon klar, dass er fest davon überzeugt war, mit seiner Romantheorie, mit seiner Kompositionstheorie einen objektiv gangbaren Weg entwickelt zu haben, der, wie er theoretisch gesagt hatte, weiter geführt werden könnte. Es war dann ganz merkwürdig, denn einerseits wollte er in diesem Sinn Schüler

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haben, aber als er sie dann hatte, wie etwa Peter von Tramin, und alle festgestellt haben, sie kommen an den Meister nicht heran, war er erst recht wieder sehr zufrieden. Nach dem 2. Weltkrieg hat sich Heimito von Doderer oft sehr abschätzig über die Deutschen geäußert, was umso mehr verwundert, als sowohl die Familie seiner Großeltern mütterlicherseits, als auch die seines Großvaters väterlicherseits Deutsche waren, ebenso wie seine zweite Frau. Hat er sich selbst nie als Deutscher gefühlt, ich meine nicht aus ideologischen Gründen, sondern wegen seiner deutschen Herkunft  ? Nein, er hat in den Sechzigerjahren, das heißt in der Zeit, in der ich ihn kannte, sehr den Österreicher hervorgekehrt, und das bei allen Gelegenheiten. Er war nach wie vor antideutsch. Das kann aber auch zu seinem Rollenspiel als Staatsdichter gewissermaßen gehört haben. Das muss für seine zweite Frau, Emma Maria Thoma, die aus Bayern stammte, doch beleidigend gewesen sein. Er hat die Bayern ausgenommen. Das steht zwar nirgends, gesagt hat er es aber  : Jedes Land braucht einen breiten Arsch und Lederhosen, auf dem es solide sitzt, deswegen hat Deutschland Bayern und Österreich Tirol. Ich dachte, Tirol und Bayern mochte er überhaupt nicht  ? Mögen nicht. Sehr höflich ist dieser Ausspruch sowieso nicht. Das ist ja auch kein Kompliment. Ich glaube, er hat die Deutschen im Krieg hassen gelernt  : das Kommando, dieses Herumgeschobenwerden. Ich frage mich, ob er es nicht wie viele Österreicher gemacht hat, die nach dem Krieg den Deutschen die Schuld zugewiesen haben, um nicht selbst Verantwortung übernehmen zu müssen  ? Bei Doderer ist das schwieriger, weil er doch recht eindeutig als illegaler Nazi mitverantwortlich war. Von 1936 bis 1938 hat er, wie Sie wissen, in Dachau gewohnt. Näheres habe ich darüber in der Biografie nicht geschrieben, weil mir für Recherchen in deutschen Archiven keine Zeit mehr blieb, es war auch nicht notwendig, aber ausgerechnet sein bester Freund Milo war Offizier. Was für ein Offizier kann er in Dachau schon gewesen sein  ?

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Sie meinen, dass er Aufseher im KZ war  ? Sicher. Es gab außer der SS im KZ keine Wehrmachtabteilung. Ich war in Dachau und habe nachgefragt. Als Doderer wieder in Wien war, hat Milo die Wohnung von Doderer in Dachau übernommen. Doderer ist später noch einmal hingefahren und hat eine Woche bei Milo gewohnt. Doderer hat in seinem Tagebuch geschrieben, er hätte über Dachau alles gewusst. Vielleicht war das gar nicht übertrieben und er wusste aufgrund seiner Freundschaft mit Milo tatsächlich mehr als andere  ? Ja, das ist absolut anzunehmen. Das war auch nach dem Krieg seine übliche Rechtfertigung und häufig wiederholte Darstellung, dass er 1938 von Dachau zurückgekommen sei und sofort alle vor dem, was auf sie zukommt, gewarnt habe. Vor allem die Juden in seinem Bekanntenkreis. Nun halte ich das aber für eine nachträglich geschönte Version. Denn gegen Gusti [Auguste Hasterlik, Doderers erste Frau jüdischer Herkunft] hat er sich genau in dieser Zeit noch höchst grauslich benommen, und „Alibijuden“ sind keine aufgetaucht. Man kann also nicht nachvollziehen, ob seine Darstellung tatsächlich stimmt. Nein. Seine späteren beiden „Alibijuden“, die er umschwärmt hat und die ihn hofiert haben, waren Hans Weigel und Hilde Spiel. Aber beide haben ihn in der Vorkriegszeit nicht gekannt, sondern erst Anfang der Fünfzigerjahre kennengelernt. Nochmals zu seiner Beziehung zu Österreich und Deutschland. 1922 beschwert er sich in einer Tagebucheintragung über seine Familie. Er wirft den Männern der Familie vor, primitive, ideologische deutsche Lümmel zu sein. Bedeutet das, dass er 1922 noch für ein Österreich als selbstständigen Staat und gegen einen Anschluss an Deutschland war, oder geht es ihm hier um Antisemitismus innerhalb seiner Familie  ? Die Beschimpfung der Familienmitglieder war sozusagen obligat für ihn, und dafür war ihm jedes Argument recht. Aber was meinte er mit „ideologischen deutschen Lümmeln“  ? Er hat diese Eintragung gemacht, nachdem Gusti Hasterlik zu ihm auf Besuch gekommen war, weil er krank

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war. Anschließend schrieb er über seine Familie, dass die Männer „deutsche ideologische Lümmel“ und die Frauen unfähig zu einer „weitergehenden Differenzierung“ wären. Bezieht er sich hier vielleicht auf eine Reaktion der Familie Gusti Hasterlik gegenüber  ? Es kann durchaus sein, dass es Widerstände gegen Gusti in seiner Familie gab. Lisl Scharmitzer, in deren Garten Doderer an einem Nachmittag mindes­ tens fünf bis sieben Stunden lang seinen ganzen Roman „Das Geheimnis des Reichs“ vorgelesen hatte – 1929 muss das gewesen sein – hat mir erzählt, dass von den elf oder zwölf geladenen Gästen die Mehrheit Juden waren. Die alte Scharmitzerin, sie war eine sehr alte Dame, sehr resolut, als ich sie interviewte, hat völlig ungeniert gesagt  : „Das war ja nicht auszuhalten, so viele Juden auf einmal im Garten.“ Doderer dürfte mehr damit spekuliert haben, dass die jüdische Intelligenz in Wien einfach eine größere Rolle spielt und ihm mehr helfen kann als andere. Wie verstehen Sie Doderers Antisemitismus  ? 1922 kritisiert er zwar in seinem Tagebuch den „bornierten Antisemitismus“ seiner Schwester, aber bereits 1926, 1927 wirft Gusti Hasterlik Doderer in ihren Briefen Antisemitismus vor  ? Wissen Sie, wie es zu diesem Wandel gekommen ist  ? Warum ist er zum Antisemiten geworden  ? Mein Eindruck ist, dass das sehr mit den Streitereien mit Gusti zusammenhing. Das war sozusagen kein ideologischer Antisemitismus, sondern zuerst einmal ein ganz persönlicher, der dann verallgemeinert wurde. Außerdem war damals die ganze Atmosphäre von Antisemitismus geschwängert. Man hat sich damals – ich habe das vielfach bei alten Leuten entweder bemerkt oder sie haben es selbst gesagt –, solange es keine Judenverfolgung gab, viel ungenierter antisemitisch geäußert. Durch den Holocaust ist es natürlich für die meisten Leute, die noch solche Gefühle hegen, einfach schwieriger geworden, es öffentlich auszudrücken. Wenn man daran denkt, wie der Antisemitismus von Karl Lueger, der sich diesbezüglich in einer wüsten Weise geäußert hat, zu seinen Wahlsiegen als Bürgermeister von Wien beigetragen hat, dann kann man sagen, dass Antisemitismus in den Zwanzigerjahren sicher keine besondere Sache war. Man könnte aber ganz im Gegenteil vermuten, dass jemand, der mit einer Frau jüdischen Ursprungs zusammen ist, kein Antisemit ist, da er selbst feststellen kann, dass es sich um Vorurteile handelt. Seine Probleme mit Gusti Hasterlik sind ja nicht darauf

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zurückzuführen, dass sie jüdischer Herkunft war, sondern es handelte sich offensichtlich um Beziehungsprobleme. Außerdem hat er ihren Vater doch ziemlich geschätzt  ; der muss auch ein großartiger Mensch gewesen sein. Sie haben geschrieben, dass Gusti Hasterlik 1939 in die USA fliehen konnte, ihre Schwester nach England und deren zwei Töchter in die Schweiz und nach Kenia. Die Mutter starb 1938, der Vater wurde 1942 in das Konzentrationslager Theresien­ stadt deportiert, wo er 1944 umkam. Kam Gusti Hasterlik nach dem Krieg nicht mehr nach Wien zurück, nicht einmal auf Besuch  ? Meines Wissens nie mehr  ; aber selbst wenn, dann hat sie sich sicher nicht bei Doderer gemeldet. Sie hat in den Fünfzigerjahren in New York von jemandem die Strudlhofstiege überreicht bekommen und sich nur empört darüber geäußert, was Doderer erzählt wurde. Sie waren einander bis zum Lebensende spinnefeind. Hatten Sie im Laufe Ihrer Recherchen die Möglichkeit, mit Verwandten von Gusti Hasterlik Kontakt aufzunehmen  ? Eine Großnichte von ihr, die in Wien lebt, war sehr hilfsbereit, über sie kam ich zu ihrer Mutter, der Nichte von Gusti Hasterlik, die damals in Kitzbühel lebte, vielleicht noch heute. Auch die zweite Nichte Gustis, mit der ich dann ausführlich Korrespondenz geführt habe, war unerhört hilfreich. Sie lebt in den USA und war bei Gusti bis zu deren Tod beziehungsweise, glaube ich, lebte Gusti Hasterlik die letzten Jahre bei ihr. Und dadurch habe ich von der Familie Hasterlik erstaunlich viel Hilfe bekommen. Sie waren alle daran interessiert, dass jemand nach der Darstellung in den Romanen die Wahrheit über Gusti Hasterlik schreibt, von der alle eine hohe Meinung hatten – bis zu einem gewissen Grad allerdings auch Respekt mit leichter Angst untermischt, weil sie im Alter sehr streng sein konnte. Aber sie ist in einem gewissen Sinn offensichtlich ein ziemlich revolutionärer Geist geblieben. In Amerika hat sie sich in den Fünfzigerjahren schon den ersten Bewegungen für Tierschutz, Naturschutz usw. ziemlich militant angeschlossen und das ganze Geld, das ihr geblieben war, auch diesen Vereinen zugewendet  ; im Gegensatz zu Doderer ist sie auch auf Demonstrationen gegangen, als alte Frau noch.

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Sie war auch politisch aktiv  ? Ich glaube, sie hat sehr bewusst, auch politisch bewusst, in ihrer Umwelt gelebt und daran aktiv teilgenommen und Spaß daran gehabt. Sie war ein ganz anderer Charakter als Doderer. Wussten die Verwandten von Gusti Hasterlik etwas über die Beziehung zwischen ihr und Heimito von Doderer  ? Ja, natürlich. Wie hat diese Beziehung aus deren Sichtweise ausgesehen  ? Ich habe mich mehr nach der Familie insgesamt erkundigt, nach dem Vater von Gusti Hasterlik und so. Man kann den Leuten auch nicht zumuten, in einem Brief die ganze Geschichte noch einmal zu erzählen. Das, was ich sicher in Erfahrung gebracht habe, ist, dass Gusti Hasterlik alle Briefe von Doderer vernichtet hatte, während er die ihren seiner Schwester Astri gegeben hatte. Gusti Hasterlik dürfte sie wirklich vernichtet haben, ich glaube, es war sogar jemand von der Familie zugegen. Es wäre natürlich schön, wenn es diese Briefe noch gäbe. Natürlich. Als ich erfuhr, dass sie in Colorado bei ihrer Nichte die letzten Lebensjahre verbracht hat, hatte ich schon die Hoffnung, dass sich etwas finden ließe. Es haben sich dann ganz erstaunliche andere Sachen gefunden, zum Beispiel eine ganze Partitur von Franz Schmidt, die Gusti Hasterlik gewidmet war. Diese Partitur und auch die vielen Briefe des Komponisten an Gusti Has­ terlik hat dann über meine Vermittlung die Nationalbibliothek gekauft. Die Familie konnte das Geld gut brauchen  ; sie hätte mir sicher etwas gegeben oder eventuell zum Verkauf angeboten, wenn von Doderer etwas da gewesen wäre. Wissen Sie, ob Gusti Hasterlik noch über Heimito von Doderer gesprochen hat  ? Wenn, dann schlecht. Das ist bekannt, weil einige Freunde, wie der Schriftsteller Paul Elbogen, ein Freund aus der Jugendzeit, der dann in den USA gelebt hat, nach dem Erscheinen der Strudlhofstiege einen kritischen Brief an Doderer

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geschrieben hat  ; ich weiß, dass dieser Freund auch mit Gusti Kontakt hatte. Er kannte sie aus Wien. Heimito von Doderer und Gusti Hasterlik haben sozusagen nur durch Mittelsmänner voneinander erfahren, aber jeder der beiden hätte einen direkten Kontakt abgelehnt. „Die Strudlhofstiege“ hat sie tatsächlich gelesen  ? Sie hat es nicht so gemacht, wie Marion Dubois, eine Cousine Doderers, die ein anderes Buch von ihm, wie sie ihm mitteilte, ungelesen in den Ofen geworfen hatte. Wahrscheinlich hat sie beide Bücher gelesen, Die Strudlhofstiege und Die Dämonen, aber das weiß ich nicht sicher, das hätte ich die Nichte in Amerika noch fragen können. Wie war das nach dem Krieg  ? War Heimito von Doderer dann noch Antisemit  ? Sicher nicht. Sollte er noch antisemitische Neigungen gehabt haben, dann hat er diese sehr gründlich verborgen. Aber ich glaube nicht, dass er die Naziideo­ logie, zum Beispiel die Rassentheorie, sehr ernst genommen hat. Ich würde sagen, die Rassentheorie ist in Wien überhaupt schwerer anzubringen als irgendwo in Norddeutschland. Das hat ihn auch nicht interessiert. Für ihn war die Faszination, die er mit Gütersloh geteilt hat, eine mythologische. Was war das für eine Reichsidee, die Heimito von Doderer und Albert Paris Gütersloh geteilt haben  ? Sie waren bald vom Dritten Reich enttäuscht, hofften aber noch auf ein Drittes Reich, das ihren Vorstellungen entsprechen würde. Was wäre das für ein Drittes Reich gewesen  ? Ein legitimer Nachfahre des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Da wären aber noch andere Länder dabei gewesen, nicht nur Deutschland und Österreich. Ja, aber es wäre eine Führungsstelle der deutschen Nation gewesen. Aus diesem Führungsanspruch, den Hitler im Namen der Rasse gestellt hat, hat sich dieses Missverständnis wahrscheinlich ergeben. Bei der Beschäftigung mit der Thematik habe ich mich aber immer wieder gewundert, wie ein Mann wie Doderer mit diesen Rabauken und Rüpeln etwas anfangen konnte.

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Er war sehr elitär, eigentlich erstaunlich, dass er Mitglied einer Massenbewegung geworden ist. In der Biografie habe ich den Ausspruch seiner Mutter erwähnt, die die Nazis nicht wählte mit der Begründung  : „Ich kann doch nicht dieselbe Partei wie mein Dienstmädchen wählen.“ So eine Reaktion hätte man sich bei Heimito von Doderer auch erwarten können. Ja, nur hat er offensichtlich angenommen, dass er sozusagen als geborener Aristokrat und „Herrenmensch“ von den Nazis in irgendeiner Führungsqualität anerkannt wird. Ich weiß, wie ehrgeizig Doderer und Gütersloh waren, was ihren literarischen Ruf angeht. Ich glaube, ihre Haupterwartung war, dass sie durch den Beitritt in die Reichsschrifttumskammer wichtige Autoren eines mächtigen Regimes werden. Und das hätte ihnen gefallen. Aber kein Mensch war an ihnen interessiert. Das war das Missverständnis. Als Doderer dann noch zum Militär musste, was er nicht wollte, war er sauer. Was war das für eine seltsame Freundschaft zwischen Gütersloh und Doderer  ? Warum hat sich Gütersloh in seinem Buch „Sonne und Mond“ an Doderer gerächt [Gütersloh zeichnet in seinem Roman ein sehr unsympathisches Bild Doderers in der Person des Ariovist von Wissendrum]  ? Weil Gütersloh als der Ältere viel, viel erfolgloser war als Doderer. Eine Neid-Reaktion  ? Das würde ich ausschließlich so sehen. Ab April 1933 war Heimito von Doderer Mitglied der NSDAP. War er bei Mitgliedstreffen  ? Die Partei wurde nur sechs Wochen nach seinem Beitritt verboten. Es gab keine Treffen und er hat nie an illegalen Versammlungen teilgenommen. Und als er von 1936 bis 1938 in Dachau gelebt hat  ?

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In Dachau hat er sich bemüht, erfolgreich bemüht, würde ich sagen, weil es für den Eintritt in die Reichsschrifttumskammer wichtig war, diesen Beitritt im Dreiunddreißigerjahr anerkennen zu lassen. Er hat in diesen zwei Jahren in Dachau auch Mitgliedsbeitrag gezahlt. War er bei den Treffen  ? Das weiß ich nicht. Er dürfte gewisse Zeitungen und Propagandamaterial der Nazis gelesen haben  ; er zitiert ja auch einige Male aus den Reden. Er dürfte sich im Radio einiges angehört haben, obwohl das fraglich ist. Als ich ihn kannte, hatte er kein Radio und hat es auch entschieden abgelehnt. Gestört hat ihn vor allem, dass man beim Aufdrehen des Radios mit Musik überschüttet wird. Er wollte Musik nur hören, wenn er ins Konzert ging, damit ihn die Musik dann voll traf. Er war also vermutlich bei keinen Treffen der NSDAP, weder in Wien noch in Dachau, hat sich aber in Zeitungen über die Partei informiert. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass aus Briefen Gusti Hasterliks hervorgeht, dass Heimito von Doderer möglicherweise 1927 die Hitlerbewegung gewählt hat oder zumindest Sympathien für die Partei hatte. Sie warnt ihn davor, weil er sich damit schaden könnte. In dieser ganzen Zeit können doch Albert Paris Gütersloh und Heimito von Doderer nicht mehr an die Verwirklichung ihrer Idee vom Dritten Reich geglaubt haben  ? Nein, deswegen habe ich in der Biografie auch über die regelmäßigen Attentate der Nazis in dieser Zeit geschrieben. Das konnte niemand für harmlos halten. Wahrscheinlich dürfte doch etwas stimmen an der sehr bösartigen Beschreibung Canettis von Doderer im Sechsunddreißigerjahr. Was schreibt Elias Canetti über Heimito von Doderer  ? Er beschreibt Doderer als lächerliche Gestalt, die sich als absoluter Herrenmensch aufführt. Es kann durchaus sein, dass sich Doderer mit dem Nazipöbel gar nicht auseinandergesetzt hat, dass ihn das gar nicht berührt hat, weil er automatisch davon überzeugt war, ihm würde eine Führungsrolle zugesprochen werden. Aber Aristokraten waren doch eher Feindbilder der Nazis, abgesehen vielleicht von denen, die wirtschaftlich für sie interessant sein konnten.

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Das stimmt schon. Die NSDAP war auch nicht gerade eine aristokratische Bewegung. Ilse Aichinger, die 1939 als sogenannte „Halbjüdin“ noch maturieren, aber nicht mehr studieren durfte, sagt über ihre Jugend in Wien, dass in der Schule die Feindbilder die Juden, aber auch die Aristokraten waren. Mir ist unverständlich, was Doderer an der NSDAP gefallen hat, denn an die gemeinsame Reichsidee können Gütersloh und er doch nur kurzfristig geglaubt haben. Bei Gütersloh ist nachweislich bekannt, wie er gefeiert hat und wie er aus Begeisterung über den Anschluss tagelang benommen durch die Straßen gezogen ist. Aber sie waren in Österreich beide nicht Mitglieder von Schriftstellerklubs, die den Anschluss vorbereitet haben, zumindest Heimito von Doderer nicht  ? Nein, Gütersloh auch nicht, der noch ganz gut an Großaufträgen der Austrofaschisten verdient hat. Sein Nazitum, sein sozusagen in der Seele liegendes Nazitum, hat er ziemlich geheim gehalten. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Gütersloh auch Dollfuß-Anhänger war. Oder war das bei ihm nur Opportunismus  ? Ich halte Gütersloh für einen unerhörten Opportunisten. Ich habe ihn nie leiden können. Das war ein ekelhafter alter Mann. Das merkt man in Ihrem Buch, dass Sie ihn nicht so gerne mögen. Das lässt sich nicht vermeiden. Beim Lesen Ihres Buches hatte ich auch manchmal den Eindruck, dass Sie Heimito von Doderer nicht mögen, aber gegen Ende des Buches werden Sie ihm gegenüber wieder etwas versöhnlicher. Das hat mir große Schwierigkeiten bereitet, weil ich den alten Doderer, dessen Sekretär ich war, recht gern gehabt habe. Er hat mir natürlich auch nicht immer Wahrheitsgetreues aus seinem Leben berichtet. Bei den Recherchen

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ist mir nach einem Jahr schwummrig geworden. Da wollte ich aufgeben, das Buch zu schreiben, das habe ich in der Biografie auch erwähnt. Weil Sie so viel entdeckt haben, das nicht zu ihm gepasst hat  ? Nein, weil ich mir gedacht habe, das kann ich alles gar nicht schreiben und will ich nicht schreiben. Daraufhin habe ich ein halbstündiges Telefongespräch nach Irland mit Ivar Ivask [Schriftsteller und Germanist  ; Freund Heimito von Doderers] geführt, der mich überzeugt hat, dass das genau der Zustand ist, in dem man weitermachen muss. Das prägt natürlich dieses Buch. Von seinem Verhalten Gusti gegenüber habe ich fast nichts gewusst  ; für die Nazizeit hatte Doderer seine ständige Formel, es sei ihm in Dachau klar geworden, was es mit den Nazis auf sich habe, und er wäre nach Wien zurückgekommen, um alle zu warnen – was natürlich nicht mit den Tatsachen übereinstimmt. Wann, glauben Sie, hat er sich dann wirklich, zumindest innerlich, von der NSDAP distanziert  ? So wie ich glaube, dass er ideologisch nie wirklich ein Nazi war, weil ihn das gar nicht interessiert hat – er hat sicher nicht Mein Kampf gelesen –, nehme ich auch an, dass er sich nie konkret von dem, was geschehen ist, distanziert hat. Dazu hat er in seinem seltsamen Essay „Sexualität und totaler Staat“ eine Theorie entwickelt, die er für unerhört wichtig hielt. Er wollte immer, dass dieser Essay in einer ganz besonderen Weise publiziert wird, und so ist er zu Lebzeiten schließlich gar nicht publiziert worden. Er hatte eine Zusage von Merkur in München, aber das war ihm nicht exklusiv genug. Für ihn war das nicht einfach ein Aufsatz, sondern eine Philosophie. In meinen Augen ist er einer konkreten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ausgewichen, indem er seine Theorie entwickelte und sich nur darauf konzentriert hat. Seine theoretischen Schriften sind mühsam zu lesen, und was er eigentlich sagen will, ist schwer zu verstehen. Was ist für ihn die Hauptaussage in „Sexualität und totaler Staat“. Warum war ihm dieser Essay so wichtig  ? Er war, wie Oswald Spengler, ein unerhörter Anhänger der Analogien. Er meinte, wenn man genug Analogien begreift, dann erfasst man das Schicksal. Für ihn war natürlich alles geplant, und im Grunde genommen wehrt er sich in „Sexualität und totaler Staat“ dagegen, dass man etwas rational erfassen kann.

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1951 schrieb er in seinem Tagebuch, er würde sich am liebsten sexuellen Exzessen etc. hingeben, habe aber „das weitaus gewagtere Abenteuer der Tugend gewählt“. Das hat mich doch gewundert, denn so tugendhaft ist sein Weg eigentlich nicht, umso mehr, als er das ja schon nach dem 2. Weltkrieg geschrieben hat. Der Tugendbegriff ist hier wiederum nicht auf die Oberfläche bezogen, sondern auf den Geist. Wenn man, wie er, so viel Zeit verwendet, um sich der Entwicklung des eigenen Geistes zu widmen und das metaphysische Weltbild immer klarer herauszuarbeiten, dann kann man sich schon tugendhaft finden. So wie auch im Sinne der römischen virtus, die auch nicht bedeutet, dass man keine Schweinereien daneben betrieben hat  ; sondern das war eine Gesinnung. Als Gesinnung kann man das, was Doderer insgesamt zusammentheoretisiert hat, durchaus betrachten, wenn man wohlwollend ist. Sie haben gesagt, dass Doderer einer konkreten Auseinandersetzung entgehen wollte oder entgangen ist, indem er sich hinter seinen theoretischen Schriften versteckt hatte. Könnte man seine Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ als Versuch einer Auseinandersetzung mit seiner Nazivergangenheit sehen  ? Darüber habe ich lange nachgedacht und auch öfter mit Wendelin SchmidtDengler gesprochen. Wenn, dann wäre sie so verklausuliert, dass sich die Erzählung nicht eindeutig in diesem Sinn interpretieren lässt, so dass ich es eher nicht glaube. Ich denke, dahinter steckt einfach die ganz persönliche Erinnerung an Albrecht Reif und seinen Tod. Ihm sind persönliche Dinge näher gegangen als das Abstraktum Politik. Warum hat er das Ehepaar so stilisiert, sollten das Albrecht Reif und seine Frau [seine Frau Hanni Fürst, jüdischer Herkunft, war allerdings schon vor Jahren mit dem gemeinsamen Sohn nach Italien gezogen] sein, die sich das Leben genommen haben und tot im Bett aufgefunden werden  ? Nein. Ich weiß es auch nicht. Ich finde die Geschichte verstörend rätselhaft. Sie ist eindrucksvoll, und man weiß nicht recht, was man damit anfangen soll. Ich hatte schon den Eindruck, dass die Erzählung stark autobiografisch geprägt ist. Sie spielt in SS-Kreisen  ; ich kann mir vorstellen, dass Doderer tatsächlich Freunde bei der SS hatte, vielleicht stimmt es sogar, dass sie jüdische Freunde versteckt hatten und

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ihnen noch über die Grenze helfen wollten. Dass es sich hier also um keine erfundene Geschichte handelt, sondern einiges eingeflossen ist, was er selber gekannt hat. Sicher. Er war in Wien an der Prüfungsstelle für Offiziersbewerber der Luftwaffe. Dort war er mit einer ganzen Reihe anderer Offiziere zusammen. Da er den ganzen Krieg hindurch bei der Wehrmacht war, dürfte er natürlich auch Umgang mit der SS gehabt haben. Die beiden Söhne seiner Schwester Astri – der Ältere ist gefallen – waren auch bei der SS. An SSlern in seiner Umgebung hat es ja nicht gemangelt. Heimito von Doderer behauptet, dass seine Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ eine Auseinandersetzung [„Berührung“] mit Krieg und Nazizeit sei. Er schreibt das Hilde Spiel und auch Ivar Ivask. Aber was soll das für eine Auseinandersetzung sein  ? Wenn es eine Metapher ist, dann habe ich sie nicht gut verstanden. Dass er sich überhaupt mit dem Thema beschäftigt, dass er es nicht einfach wegschiebt. Nicht so wie in seinem letzten Roman „Der Grenzwald“, in dem er sich wiederum mit dem 1. Weltkrieg auseinandersetzt, damit er sich ja nicht mit dem 2. Weltkrieg beschäftigen muss. Wobei ich mich doch frage, ob im „Grenzwald“ der 1. Weltkrieg nicht quasi für den 2. Weltkrieg steht. Das glaube ich nicht. Ich dachte das deshalb, weil der Ausgangspunkt für weitere Verstrickungen ein Kriegsverbrechen ist. Er wollte vielleicht nur zeigen, dass er auch in der Nazizeit eine übliche Doderer-Erzählung handeln lassen kann wie in jeder anderen Zeit. Also eine Alibi-Geschichte. Das ist ihm durchaus auch zuzutrauen. Eine echte Auseinandersetzung kann man das wirklich nicht nennen. Wenn ihm dann irgendwelche Leute gesagt haben, warum er sich nicht schriftlich damit auseinandersetzt, konnte er sagen, „Ätsch, da habt’s es, habe ich mich doch…“ Er hat eine Erzählung geschrieben, die sehr schön und beeindruckend ist, die aber sicher keine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist. Das wäre im Rahmen einer Erzählung auch schwierig. Da sind an die zwanzig Seiten wirklich nicht ausreichend. Ich bin ziemlich überzeugt davon, dass er sich

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konkret mit der Sache nie auseinandergesetzt hat. Für jemanden wie Doderer, der das Konkrete und Rationale für eine platte Oberflächlichkeit hält, ist klar, dass die Auseinandersetzung in den Tagebüchern und mit der Theorie der Totalität für ihn die einzige richtige Ebene war. Das heißt, man könnte durchaus annehmen, dass er aus seiner Sicht gemeint hat, er hätte sogar sehr viel Zeit damit zugebracht, sich damit auseinanderzusetzen, und tatsächlich eine ehrliche Antwort gefunden. Es ist ihm durchaus zuzutrauen, dass er das so gesehen hat. Gesagt hat er es auf jeden Fall so. Dass das für jemanden, der nicht in dieser Gedankenwelt lebt, nicht so überzeugend ist, ist auch klar. Für mich sind die Tagebücher ein unglaublicher Wust von Theorien, die im Grunde niemand braucht. Für ihn war es wahrscheinlich die wirkliche Auseinandersetzung. Eine Auseinandersetzung, wie sie zum Beispiel ein analytischer His­ toriker führt, wäre ihm zu platt vorgekommen. Das hätte geheißen, sich mit den sichtbaren Oberflächlichkeiten zu beschäftigen, aber nicht mit dem Eigentlichen. Und das Eigentliche ist natürlich für einen Metaphysiker das, was dieser für eigentümlich hält. Wann ist seine Begeisterung für das Dritte Reich zurückgegangen  ? Mit dem Krieg. Sie meinen, der Bruch war für ihn der Krieg, weil er gewusst hat, jetzt trifft es ihn selbst auch  ? Ich würde sagen, für ihn war das Hauptargument nicht, dass die Nazis einen Krieg führen, sondern dass sie ihn damit belästigen. Das war ganz egoistisch und hat wiederum nichts mit Ideologie zu tun. Es war für ihn einfach eine momentane Störung. Im Krieg ist er dann viel herumgeschoben worden, er war auch nicht mehr so jung. 1940 hat er – ohne Aussicht auf Erfolg – um ein Visum für die USA angesucht, im selben Jahr ist er auch der katholischen Kirche beigetreten. Hat das mit einer Distanzierung von den Nationalsozialisten zu tun  ? Ist seine Konversion zum Katholizismus unabhängig von den Nationalsozialisten zu sehen und er entdeckt zufällig in dieser Zeit, wie wichtig der katholische Glaube für ihn ist  ? Das hat viel mit Pater Born zu tun, der im Unterlaufen der Naziabsichten eine wichtige Rolle gespielt hat. [Pater Born war der geistliche Erzieher Heimito von

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Doderers und hat seine Aufnahme in die Kirche vorbereitet. Als Leiter der „Hilfsstelle für nichtarische Katholiken“ lief er selbst Gefahr, ein Opfer der Nazis zu werden.] Warum wollte Heimito von Doderer Katholik werden  ? Seine nachträglichen Begründungen, von denen ich nicht weiß, wie ernst man sie nehmen kann, waren, dass nur ein Katholik ein perfekter Schriftsteller werden kann, weil der Schicksalsbegriff im Katholizismus richtig behandelt, das heißt richtig erfasst wird. Das Ganze ist im Grunde genommen wirr. Den Zusammenhang, den er zwischen seiner Romantheorie und der Theorie des totalen Staates herstellte und das dann noch mit Katholizismus verbrämt, halte ich für eine genauso dunkle Geschichte wie seine Vorlieben intellektueller Art, wie etwa für Hermann Swoboda und andere Leute dieser Art. In dieser Hinsicht hat er sich nie geändert. Er war nie ein rationaler Mensch im Sinne eines Musil zum Beispiel, sondern hat immer hinter allem etwas Rätselhaftes vermutet. Dazu hat die katholische Religion gut gepasst  ? Da hat die katholische Religion auf einmal zu seiner Theorie gepasst, letztendlich auch zu seiner Romantheorie. Die Sache ist die, dass man Doderer sozusagen nicht rational auf einen Punkt bekommt, weil er das Rationale immer wieder ablehnte und von sehr seltsamen Dingen überzeugt war. Somit hatte Doderer dann ein Welterklärungssystem, das er in seinen Tagebüchern entwickelt. Was war seine Haltung zum Krieg  ? Maria, seine zweite Frau, hat – wie bereits erwähnt – ziemlich glaubwürdig berichtet, dass er zu Silvester 1938 zu ihr gesagt hätte, „Maria, es wird Krieg geben“, und ab dem Moment ist ihm schon schwummrig geworden. Das wollte er nicht. Ein Kriegsbegeisterter war er also keinesfalls  ? Ganz und gar nicht. Ich bin auch überzeugt, dass er den Krieg von den Nazis sozusagen getrennt hat. Man darf sich bei Doderer nicht erwarten, dass bei ihm irgendetwas klar und ideologisch abläuft, dass er die Ideologie der Nazis

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übernimmt, die er nicht einmal ganz kannte, sondern er war von irgendwelchen Sachen angesprochen, bis schließlich das Negative überwog. Da ist er in die Theorie des totalen Staates ausgewichen, aber dass er in Dachau zwei Jahre als besten Freund einen SS-Offizier aus dem KZ hatte, mit so etwas hat er sich nie auseinandergesetzt. Es ging nie ins Konkrete. Er hat Sachen geliebt, die ungreifbar waren  ; an die Zyklenlehre von Hermann Swoboda hat er bis zu seinem Tod geglaubt und gemeint, wenn die Leute nicht daran glauben, dann deshalb, weil sie so unempfindlich sind und nicht darauf achten, dass der Siebenjahreszyklus überall auftaucht. Die Theorie der „freisteigenden Erinnerungen“ ist doch haarsträubend. Er hat sich eingebildet, die „freisteigenden Erinnerungen“ wären im Gegensatz zu gewöhnlichen Erinnerungen nicht psychologisch verfälscht, weil sie rein psychisch und nicht durch Assoziatio­ nen hervorgerufen werden. So kommt man an die Wahrheit. Er hat sich tatsächlich eingebildet, dass er durch die „freisteigenden Erinnerungen“ nur die Wahrheit erinnert, wie niemand sonst. Das sind fast schon gefährliche Lehren. Wie gesagt, bei jemandem, der mit solchem Material gerüstet sein Leben bestreitet, kommt man mit den gewöhnlichen Kategorien nicht weiter. Dass man sagt, wir wissen genau, das und das hat ihm von den Nazis gefallen, daher hat er …, das passt nicht. Das ist einfach keine Vorgangsweise von Doderer. Die Maler Gottfried Goebel und Greta Freist, die Heimito von Doderer ein Zimmer untervermietet hatten, sind 1936 aus Ablehnung des „Austrofaschismus“ nach Paris emigriert. In Wien hatten sie noch mitbekommen, wie begeistert Doderer und Gütersloh vom Dritten Reich waren. Doderer hat sie 1940, als er Offizier der deutschen Wehrmacht war, in Paris besucht. Verwundert hat mich, dass Goebel und Freist kein Problem damit hatten, ihn zu sehen, obwohl er doch bei der Wehrmacht war und sie wussten, wie er in seiner Wiener Zeit dachte. Ich glaube, auch nach dem Krieg hatten sie noch Kontakt. Ich denke, zu dem Zeitpunkt, als Doderer Goebel und Freist in Paris besuchte, war er schon sehr angewidert vom Militär und sicher nicht mehr für die Nazis und den Krieg. Otto Basil ließ Heimito von Doderer 1947 unter dem Pseudonym René Stangeler in seiner Kulturzeitschrift „Plan“ veröffentlichen. Ist das auf den Einfluss von Goebel oder Gütersloh zurückzuführen, die auch für den „Plan“ geschrieben hatten  ? Warum hat Basil ihn veröffentlichen lassen, obwohl er sonst gegenüber ehemaligen NSDAPMitgliedern so kritisch war  ?

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Ich habe mit der Witwe Otto Basils gesprochen, die vorher mit Béla Fáludi verheiratet war [Heimito von Doderer kannte Béla Fáludi, der auch in seinem Roman „Die Dämonen“ eine Rolle spielt, doch ihre Freundschaft war zwiespältig, u. a. auch, weil Fáludi ein Anhänger der faschistischen Heimwehr wurde, während Heimito von Doderer überzeugter Nazi war. Fáludi war jüdischer Herkunft und kam 1944 bei einem Gefangenentransport um.] Sie hat Doderer immer tief gehasst  ; einfach so. Anlässlich meiner Recherchen kam ich zu ihr und überreichte ihr einen riesigen Blumenstrauß  ; sie meinte, der ist zwar wunderschön, aber ich sage Ihnen gleich, den Doderer mag ich nicht. Sie war sehr sympathisch. Da sich sehr schnell herausgestellt hat, dass ich auch Schwierigkeiten mit ihm habe … Sie hat ihn aber nicht näher gekannt  ? Doch, natürlich hat sie ihn gekannt. Sie meinen nach dem Krieg  ? Nach dem Krieg weniger. Um auf Otto Basil zurückzukommen  : Das Wiener Kulturleben der Nachkriegszeit war ein sehr beschränktes. Die wenigen Leute, die in diesem Bereich tätig waren, haben daher einander auch alle gekannt. Auch Doderer ist in den Art-Club und in den Strohkoffer gekommen. Alle saßen in denselben Kaffeehäusern und so viel ich damals als viel Jüngerer mitbekam, waren alle zu allen sehr, sehr höflich. Öffentliche Angriffe hat es kaum gegeben. Im Unterschied zu anderen Schriftstellern oder Kulturschaffenden seiner Generation war Doderer doch aufgeschlossener für die jüngere Generation von Schriftstellern. Andere sind über die jüngere Generation hergezogen, haben ihr zum Vorwurf gemacht, nach Deutschland zu gehen, oder haben sie als Nestbeschmutzer beschimpft. Das hat Doderer nicht gemacht. Aber auch da ist ein Kalkül dahinter. Er hat mir einmal gesagt, dass ihm ein siebzehnjähriger Leser lieber ist als hundert Sechzigjährige, weil ihn die jungen Begeisterten in die Zukunft bringen und nicht die Alten, die das nur aus Nostalgie lesen. Sie meinen, er hat die Jungen nur aus Eigeninteresse gefördert  ?

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Ja, bis zu einem gewissen Grad schon. Dorothea Zeemann hat behauptet, dass sie Doderer die Unterstützung Artmanns, Rühms usw. eingeredet hätte. Davon bin ich nicht ganz überzeugt  : Doderer konnte gewisse Gedichte, vor allem die ordinärsten, auswendig und sagte sie immer wieder mit Begeisterung allen möglichen Besuchern auf. Eines seiner Lieblingsgedichte war von Rühm „bei der heisldia“. Wissen Sie, ob er Ilse Aichinger gekannt hat  ? Oder Ingeborg Bachmann  ? Ingeborg Bachmann war einmal in den frühen Fünfzigerjahren bei Doderer. Da ist dann das Peinliche passiert, dass er ihr Romanmanuskript, das nur in einer Fassung vorlag, an den Beck Verlag, den späteren Biederstein Verlag, weitergegeben hat, und dieses Manuskript ist verloren gegangen. Ilse Aichinger hat er wohl kaum gekannt. Allerdings lernte man in Wien im Palais Pallavicini damals bei den Lesungen praktisch jeden kennen, der in der literarischen Szene war. Ich traue mich daher zu sagen, dass er sie gekannt hat, ohne es zu wissen, gewissermaßen. Nähere Beziehung gab es keine. Eine Beziehung, wenn auch nicht sehr nahe, gab es zu Elfriede Gerstl und Karl Wiesinger, die hat er, wenn er sie im Kaffeehaus getroffen hat, immer an seinen Tisch eingeladen. So habe ich das damals jedenfalls im Hawelka erlebt. Zum Erfolg Doderers als Schriftsteller. Viele österreichische Schriftsteller mussten – und müssen – nach Deutschland gehen, um überhaupt eine Chance auf Erfolg zu haben. Über den Erfolg in Deutschland hatten sie dann später auch Erfolg in Österreich. War das bei Doderer auch so, oder hatte er unabhängig davon, dass er Erfolg in Deutschland hatte, auch Erfolg in Österreich  ; oder war der Erfolg in Deutschland nicht so groß  ? Das war absolut gleichzeitig mit dem Erscheinen der Strudlhofstiege und diesen Monsterlesetouren, die er in Österreich und Deutschland gemacht hat. Das hat er immer sehr ernst genommen, die Selbstwerbung sozusagen. Man hat also in Österreich nicht abgewartet, ob er nun in Deutschland Erfolg hat oder nicht. Nein. Man könnte schon fast sagen, es war ein Bedürfnis nach einem Staatsdichter da. Wen gab es denn damals auch schon  ? Max Mell und diese alten Herren, auch Franz Theodor Csokor. Alle saßen tatterig herum und meinten,

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eine große Rolle im österreichischen Kulturleben zu spielen, aber in Wirklichkeit haben sie sich durchlaviert und überall und in jedem Wirtshaus „zu­ gschnallt“. Zu den „Dämonen“. Den ersten Abschnitt der Dämonen hat Doderer noch in den Dreißigerjahren fertig geschrieben, dann hat er das Werk ruhen lassen. Mussten „Die Dämonen“ tatsächlich nach dem Krieg in Bezug auf antisemitische Äußerungen kaum überarbeitet werden  ? Wendelin Schmidt-Dengler weiß darüber besser Bescheid als ich  ; er hat sich intensiv mit dem Text auseinandergesetzt. Heimito von Doderer hat die Dämonen tatsächlich in weiten Bereichen nicht verändert, was zeigt, dass Doderer nie ein politischer Mensch war. Man überschätzt das politische Element bei ihm. In den Dämonen ist schwer zu entscheiden, ob er den Justizpalastbrand so darstellte, weil er es nicht besser wusste oder weil er absichtlich beide Seiten gleichermaßen Recht haben lassen wollte. Ich denke, die Beschreibung des Justizpalastbrandes passt ganz gut in die Zeit der Großen Koalition. Die Konflikte der Vergangenheit zwischen Sozialdemokraten und Christlich-Sozialen werden tabuisiert. Man tut dem anderen nicht weh. Das wäre ein spekulatives Element, dass er es nämlich absichtlich so geschrieben hat. Vielleicht war er so geprägt von seiner Zeit, dass er mitgespielt hat. Er stand den Schwarzen natürlich näher. Er war auch sehr begeistert, als Bundeskanzler Klaus am Abend um sieben bei ihm angerufen hat – ich war damals zufällig bei ihm in der Wohnung – und gefragt hat, ob Doderer um acht Uhr für eine Stunde ins Bundeskanzleramt kommen könnte, man würde ihm eine Limousine schicken. Doderer war sofort begeistert. Doderer ist vielleicht auch insofern anders als andere seiner Generation, als er zur Zeit des Kalten Krieges, in der sich viele gegenseitig mit ihrem Antikommunismus überbieten wollten, nicht mitgemacht hat. Als Sartre zur Friedenskonferenz nach Wien kam, wollte man mit Sartre nichts zu tun haben. Aber Doderer hatte kein Problem, sich Huis Clos von Sartre anzusehen. War er nicht so ein aktiver Antikommunist  ?

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Das nicht, aber bei einem meiner ersten Besuche bei Doderer als Siebzehn-, Achtzehnjähriger, als ich noch Gymnasiast war, hat er mich geradezu schockiert mit seiner Bemerkung, dass jetzt weltpolitisch der ideale Moment für die Amerikaner wäre, Russland mit einem atomaren Präventivschlag zu vernichten. Ich habe ihn entsetzt angeschaut, da meinte er, er kenne ja die Russen, das ginge nicht anders für die Zukunft. Das macht es auch so schwer, Doderer zu verstehen. Er nimmt sich viel Zeit für seine Tagebücher, sein Schreiben, zum Nachdenken  ; er schreibt so gute Bücher, und dann sagt er solche Sachen… Ja, das ist Doderer. In den Kleinigkeiten, in den kleinen Dingen ist er manchmal so sensibel und dann sagt er so etwas. Aber in seinen Büchern schreibt Doderer doch immer recht positiv über Russland und über die Bevölkerung. Lügt er in seinen Büchern oder bei dem, was er sagt  ? Wie kann er das vereinbaren  ? Manchmal macht er sich einfach interessant durch seine intime Kenntnis, vorgegebene intime Kenntnis, der Bevölkerung. Das ist auch in den Wasserfällen von Slunj der Fall. Dort wird Tschechisch und Ungarisch geredet, er hat sich aber für die Sprachen nie interessiert und sie auch gar nicht gekonnt. Die Textstellen hat er sich schreiben lassen, weil er damit den Eindruck geben wollte, er könne Ungarisch und Tschechisch, und das ist in der Monarchie ganz üblich. Er konnte aber kein Wort. Doderer sprach von dem internationalen Erbe Österreichs – war es ihm damit ernst  ? Er hat wahrscheinlich eine schöne Formel für einen Aufsatz gefunden. Ich meine, er hat immer darauf geschaut, wie die Sachen ankommen. Seine echten Überzeugungen findet man in den seltsamen Dingen, wie zum Beispiel bei Hermann Swoboda oder im Genius loci. Daran hat Doderer tief geglaubt  ; das musste man erfassen, und er war der Mann, der das erfasst hat. Nach den Bombenattentaten in Südtirol hat er gemeinsam mit anderen ein Schreiben veröffentlicht, in dem er sich von den Attentaten distanziert. Das war ja eigentlich nicht zeitgeistig  ? Wieso hat er das gemacht  ?

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Er ist aufgefordert worden und hat mitgemacht. Also nicht aus Überzeugung  ? Ideen zur Tagespolitik hatte er überhaupt keine. Man muss davon ausgehen, dass der Typ des Künstlers, der etwas aus Überzeugung und nur aus künstlerischen Gründen macht, ganz egal, wie es ankommt, und der wirklich dazu steht, extrem selten ist. Es mischen sich so viele Motive dazu  : Eitelkeit, Erfolgsstreben. Doderer hatte immer Angst, zu wenig Geld zu haben, weil es ihm auch wirklich im Leben oft gefehlt hat. Es gibt so einen schwer durchschaubaren Mix. Und trotzdem ist Doderer als Schriftsteller gut, ich denke, jemand, der nur auf Ruhm aus ist, könnte nicht so schreiben. Er ist sehr gut, und er war auch vor allem – und darauf war er immer stolz – unerhört fleißig. Die Strudlhofstiege und dass er bis 1956 die Dämonen fertig machte, das ist eine ungeheure Leistung. Ich finde, seine Stärke liegt wirklich im Atmosphärischen, im Feinen. Ich meine nicht, dass es nur Kalkül ist. Allerdings  : Man darf Kalkül bei ihm nicht ausschließen. Das heißt, aus seinem Südtirol-Engagement kann man keine Schlüsse ziehen, zumindest keine politischen  ? Nein, davon bin ich heute überhaupt überzeugt  : Doderer war ein unpolitischer Mensch. Das kommt in der Biografie noch nicht so heraus, weil ich selber so entsetzt über dies und jenes war. Wen haben Sie, als Sie an der Biografie gearbeitet haben, interviewt  ? Ich habe vier Jahre ausschließlich an der Biografie gearbeitet und zwei Jahre hauptberuflich nur recherchiert. Ich hatte eine Ausrüstung bei mir, ein tragbares Fotokopiergerät und eine Fotoausrüstung mit Stativ  ; damit ich alles sofort aufnehmen konnte. Denn die meisten geben die Fotos nicht her, da sie sich nicht darauf verlassen können, sie zurückzubekommen. So habe ich sie vor Ort überrumpelt und unerhört viel Material gefunden, das ich dann Wendelin Schmidt-Dengler gegeben habe und das jetzt im Doderer-Archiv ist.

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Haben Sie damals auch die Briefe von Gusti Hasterlik gefunden  ? Doderer hat gesagt, er hätte sie seiner Schwester Astri zum Verbrennen gegeben. Ich wusste mehr oder weniger gerüchteweise, dass Astri sie hatte. Nach dem Tod von Astri bin ich zu ihrem Sohn Wolfgang gegangen  ; ich kannte ihn ganz gut, er war, wie bereits erwähnt, auch bei der SS, aber das habe ich freundlicherweise in der Biografie nicht erwähnt. Ich habe zu Wolfgang gesagt, jetzt zeigst du mir die Briefe von Gusti. Er hat gegrinst und einen weißen Leinensack gebracht, in dem sie alle drinnen waren. Ich bin zum Auto gegangen, habe aus dem Kofferraum meinen Riesenkoffer geholt und drei Stunden lang alle Briefe fotokopiert. Da konnte er nicht mehr widersprechen.

II. Korrespondenz mit Giulia Hine Heimito von Doderer und die Familie Hasterlik Heimito von Doderer und Auguste Hasterlik lernten einander 1921 kennen, heirateten 1930, trennten sich Ende 1932 und ließen sich 1938 scheiden. Ihre Beziehung dauerte elf Jahre, beschäftigte aber beide ein Leben lang. Heimito von Doderer und sein Werk kommen in der Hine Collection ab den 1920erJahren bis nach seinem Tod 1966 immer wieder zur Sprache. Gusti Hasterlik ist in Doderers Tagebüchern der Jahre 1920 bis 1939 die am häufigsten erwähnte Person, und Erinnerungen an sie tauchen immer wieder auch in seinen späteren Tagebüchern und bis kurz vor seinem Tod 1966 auf. Heimito von Doderer hatte als häufiger Gast in der elterlichen Wohnung Gusti Hasterliks in der Wickenburggasse 18 im 8. Wiener Gemeindebezirk regelmäßig Umgang mit ihren Eltern, insbesondere mit ihrem Vater Paul, den er sehr schätzte, aber auch mit ihrer Schwester Mia. Seine Beziehung zur Familie Hasterlik wird in seinen Tagebüchern ebenfalls thematisiert. Die Familienmitglieder inspirierten Doderer überdies zu einer ganzen Reihe von Figuren (Familien Siebenschein und Schedik) in seinen Romanen Die Strudlhofstiege und Die Dämonen. Die Wohnung in der Wickenburggasse 18 wurde Modell jener der Familie Siebenschein im Haus Althanplatz Nr. 6. Die Familie Hasterlik Die Familie, wie Doderer sie kannte, bestand aus den Eltern, Paul Karl und Maria Felicitas, gen. Irma, deren Töchtern Gusti (Auguste Leopoldine Hasterlik,

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gesch. Doderer, verh. Kalmus) und Mia (Maria Hasterlik, gesch. Weiss, verw. Koritschoner, verh. Heller) sowie Mias Töchtern Suzanne Weiss (gesch. Seemann, verh. Wolff ) und Giulia Maria Koritschoner (verh. Hine). Abgesehen von Suzanne Weiss, die nach Wunsch ihres Vaters Ernst Weiss jüdischen Glaubens war (wenn auch nur auf dem Papier), war die Familie katholisch, galt aber aufgrund ihrer jüdischen Herkunft nach den Nürnberger Gesetzen als jüdisch. 1938 und 1939 wurden die Mitglieder der Familie über mehrere Kontinente verstreut, je nachdem, welches Exilland bereit war, sie aufzunehmen  : Gusti Hasterlik ging in die USA, ihre Schwester Mia nach London, von dort gelang ihr ebenfalls die Ausreise in die USA, Suzanne Weiss emigrierte nach Kenia, Giulia Koritschoner in die Schweiz. Irma Hasterlik starb bereits am 13. Juli 1938. Trotz intensivster Bemühungen, tatkräftig unterstützt von dem deutschen Philosophen des Wiener Kreises Rudolf Carnap und seiner Frau Ina, scheiterten alle Versuche, Paul Hasterlik in die USA nachkommen zu lassen. Er wurde am 22. Juli 1942 aus Wien deportiert und starb am 7. März 1944 im Getto Theresienstadt (Terezín). Giulia Hine Giulia Hine, geb. 1925 in Wien, kam als Dreizehnjährige im Dezember 1938 in die deutschsprachige Schweiz, wo sie durch Vermittlung der Kinderflüchtlingsorganisation Kinderhilfe in Schaffhausen bei Alice Sigerist-Ott und deren Tochter Gretli untergebracht wurde. 1946 zog sie zu ihrer Mutter Mia nach New York. Von 1946 bis 1948 (bis zur Geburt ihrer Tochter Madeline) arbeitete sie als Laborantin im Rockefeller Center for Medical Research. 1947 heiratete sie den Kernphysiker Gerald Hine  ; sie zogen 1949 nach Boston und 1964, infolge der Anstellung Gerald Hines bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), mit ihren drei Kindern nach Wien. Dort war Giulia Hine u. a. in einem Antiquitätengeschäft tätig. 1974 kehrte sie in die USA zurück, zunächst nach Washington. Seit 1976 lebt sie in Boulder, Colorado. 1979 gründete Giulia Hine ihr eigenes Unternehmen (Herstellung von Federbetten), das sie 1997 verkaufte. Seitdem arbeitet sie unermüdlich an ihrer Briefsammlung, der Hine Collection. Die Hine Collection Nach dem Tod ihrer Mutter Mia (1973) und ihrer Tante Gusti (1984) erhielt Giulia Hine deren umfangreiche Brief- und Dokumentensammlungen, die später durch Briefe anderer Familienmitglieder erweitert wurden. Sie umfasst

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ca. 6.000 Briefe und Dokumente, wovon eines bis in das 18. Jahrhundert zurückgeht. Ein bedeutender Teil davon besteht aus Briefen an Mitglieder und von der Familie Hasterlik von Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 1990er-Jahren entdeckte Giulia Hine diese Schriftstücke wieder und begann, unterstützt von der ehemaligen Bibliothekarin Barbara Hass, diese zu sortieren, zu datieren, mit Schlüsselwörtern zu versehen und die meist deutschsprachigen Briefe ins Englische zu übersetzen. 2003 gingen alle Originale der Sammlung, die von 1777 bis 1969 datieren, durch Schenkung an die Florida State University, Institute for World War II and the Human Experience unter Leitung von Prof. Dr. William Oldson. Seit Dezember 2004 sind die von Giulia Hine angefertigten englischen Übersetzungen der Briefe (zurzeit bis zum Jahr 1949) auf der Website der Florida State University http  ://www.fsu.edu/~ww2/Hine/hine_collection.htm (und weiter über  : Collection of Letters) zugänglich. Das hier thematisch angeordnete Interview ist ein kleiner Ausschnitt einer Korrespondenz per E-Mail, die zwischen Sommer 2004 und Frühling 2005 stattfand.1594 Über Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer Ihre Briefsammlung umfasst ca. 6.000 Briefe und Dokumente. Im Doderer-Archiv in Wien gibt es Briefe Gusti Hasterliks an Heimito von Doderer. Gibt es in Ihrer Sammlung auch Briefe von Doderer an Ihre Tante Gusti Hasterlik  ? Es gibt mehr als 400 Briefe von Gusti Hasterliks Vater, meinem Großvater Paul Hasterlik, die größtenteils an Gusti gerichtet sind, aber nur wenige Briefe von Gusti an ihren Vater, dafür von vielen anderen Leuten und Familienmitgliedern. Ich habe keine Briefe von Gusti Hasterlik an Heimito von Doderer. Im Nachlass waren aber einige Fotos von Heimo. [Heimito von Doderer wurde im Freundeskreis Heimo genannt. Unter diesem Namen ist er teilweise auch auf der Website der Hine-Collection zu finden.] Ihre Tante hat Fotos von Heimito von Doderer aufbewahrt, aber nicht seine Briefe  ? Wissen Sie etwas über den Verbleib dieser Briefe, ob Gusti Hasterlik sie in Wien zurückgelassen hat, sie verloren gegangen sind oder ob sie die Briefe nicht behalten hat  ? 1594 Auszüge wurden 2005 auf der Website der Doderer-Gesellschaft veröffentlicht, unter  : http  :// www.doderer-gesellschaft.org/doderer/interviews/interview_hine1.html.

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Ich habe keine Ahnung, ob sie die Briefe wegwarf oder verbrannte, ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sie sie in die USA mitnahm. Das war wohl das Erste, was sie nicht in die USA mitnahm. Wussten Sie von der Beziehung zwischen Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer  ? Meine einzige Erinnerung aus der Kindheit ist, dass ich Blumenmädchen bei Doderers Hochzeit war. Ich bin mir nicht ganz sicher, es kann sein, dass es von der Hochzeit noch Fotos gibt. War Heimito von Doderer in der Familie Gesprächsthema  ? Es wurde sicher über ihn gesprochen, aber als Kind hört man nicht zu. Nach dem Krieg war Heimo für Gusti „Luft“. Sie war sehr böse auf ihn und erwähnte ihn nur mit Hass. Über Heimito von Doderers Strudlhofstiege und Dämonen Hatte Gusti Hasterlik nach dem Krieg Bücher von Heimito von Doderer gelesen, und wenn ja, welche  ? Lasen Sie seine Romane  ? Die „Dämonen“ und die „Strudlhofstiege“ lasen wir alle. Ich nehme an, dass Gusti alle Bücher von Heimo gelesen hat, kann es aber nicht beschwören. Wir alle waren neugierig, seine Denkweise zu erforschen. Ich stelle mir vor, dass Gusti darin sicherlich noch mehr Munition für ihre Emotionen suchte. Die restliche Familie suchte zuallererst nur die Stellen heraus, wo Familienmitglieder vorkamen. Zu der Zeit kamen so manche kritischen Berichte von Freunden aus Wien, denen die „Strudlhofstiege“ nicht gefiel. By now it is a „classic“. Welcher Art waren diese kritischen Berichte  ? Ging es dabei um das Werk oder um Heimito? In der Briefsammlung wird deutlich, dass meine Familie und deren Freunde zum Teil keine große Meinung von Doderer und dessen Schreiberei hatten. Allerdings ist fast nie von „Nazi“ die Rede, nur von seelischer Kälte.

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Erkennen Sie Ihre Tante und Ihre Mutter in den Romanfiguren wieder  ? Ja, ich erkenne alle Familienmitglieder in den Romanen, inklusive meinen Vater [als Geschäftsmann Cornel Lasch]. Wie kamen Sie und Ihre Familie zu den Büchern von Heimito von Doderer  ? Freunde in Wien sandten sie uns. Da ich auch Gustis Bibliothek erbte, habe ich einige alte Ausgaben der anderen Romane Heimos, die vor dem Krieg erschienen sind, manche sogar mit seiner Widmung. Auch ein in seiner Handschrift geschriebenes Gedicht. Diese Sachen hat Gusti aufgehoben  ! Wie war Gusti Hasterliks Reaktion auf die „Strudlhofstiege“ und die „Dämonen“  ? Konnte sie sich in den Figuren „Grete Siebenschein“ und „Camy Schlaggenberg“ wiederfinden oder lehnte sie diese Darstellungen Heimito von Doderers ab  ? Gusti fand Grete Siebenschein empörend, es vertiefte nur ihre Wut. Meine Mutter war nicht so betroffen, schlief aber bei der Lektüre ein. Ich muss gestehen, dass auch mir damals die Augen zufielen. Ich las die „Dämonen“ erst kürzlich teilweise wieder, und nach fast 50 Jahren schien Heimos Stil, ver­ glichen mit moderner Literatur, als angenehm romantisch. Ich kann mich erinnern, dass Marie-Louise Wydler [Freundin Gusti Hasterliks und Heimito von Doderers] sehr von Heimo und ebenso von seinen Büchern schwärmte, worüber Gusti damals sehr böse war, weil sie es als Verrat einer alten Freundin betrachtete. Weshalb war Gusti Hasterlik über die Figur der Grete Siebenschein empört  ? Ich kann nur sagen, dass der Name „Siebenschein“ uns alle äußerst unangenehm berührte, da es ein ausgesprochen abfälliger jüdischer Name ist und Heimos Antisemitismus bis nach der Hitlerzeit beleidigend in unser Gedächtnis rief. Dass er „nix dazugelernt hat“. Sicher hat Gusti noch andere Gründe gefunden. Sie müssen bedenken, dass unsere ganze Familie katholisch war, wenn auch Freidenker und wenig religiös, so doch nicht gewillt, rassisch „eingeschachtelt“ zu werden à la Nazi-Doktrin, den gelben Stern weiter tragen zu müssen. Weshalb ist der Name Siebenschein abfällig  ? Martin Voracek schreibt in seiner Dissertation über die Figurennamen im Werk Heimito von Doderers u. a. zu der Wahl

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des Namens „Siebenschein“, dass dieser „prononciert jüdisch“ und von Doderers Zahlenaberglauben beeinflusst sei  ; für „Schein“ bietet er eine positive und eine negative Erklärung an. Sie meinen also, dass Gusti Hasterlik diese Betonung der jüdischen Herkunft Grete Siebenscheins gestört hat  ? Das Erstaunliche für mich ist Ihre Reaktion auf meine Erklärung. Sie ist für mich irgendwie sehr erfreulich, weil es zeigt, wie Sie, die neue Generation, sich gar nicht mehr in die alte hineinversetzen kann. Speziell in die Folgen von Hitlers Rassenpolitik. Da ist große Hoffnung, was Antisemitismus betrifft. Sie und Herr Voracek können den Namen Siebenschein nur auf rein intellektueller Basis erklären. Das ist sehr lustig. Es dreht sich aber um ein Stigma, das kein Mensch angehängt haben will, wie ich sagte  : der gelbe Stern. Wie ein Aussätziger behandelt zu werden, verachtet, „subhuman“ und nicht als Mensch und Christ, der die Grete Siebenschein, also Gusti, wirklich war. Die Erinnerung und der Schmerz, den liebsten Menschen, den Vater, getötet zu wissen, verbrannte und verbannte Menschen, die Erniedrigungen, Flucht, Verlust des Vaterlandes, dies alles spielt nach dem Krieg, als das Buch erschien, mit  ! Nix dazugelernt. Namen wie Elbogen, Morgenstern, Grünspan, etc. waren ehemals absichtlich wegen ihrer Lächerlichkeit den Juden vorgeschrieben – ein Stigma par excellence. Warum das noch weiter betreiben  ? Noch mehr dazu erfinden  ? Warum dem Leser von der ersten Seite weg ein rassisches Vorurteil geben, statt der Möglichkeit, durch Beschreibungen herauszufinden, was für eine Persönlichkeit diese Frau ist oder nicht ist  ? Der Name ist wie ein Brandmal. Der Name „Grete Siebenschein“ stammt nicht aus der Nachkriegszeit, sondern steht für Heimito von Doderer schon mindestens seit 1931 fest. Er erwähnt ihn mehrmals in seinem Tagebuch. Heimo dachte schon 1931 an Siebenschein  ? Nicht zu verwundern, denn man ist von Kindheit an antisemitisch oder rassistisch, oder was auch immer. Ich weiß nicht, ob Sie sich bewusst sind, dass sehr viele intellektuelle Juden große Antisemiten waren, ebenso in gewisser Weise meine Familie, gegenüber den „Polnischen“, wie man sie nannte, der östlichen und speziell der jüdischen Unterschicht. Sie werden viele antisemitische Bemerkungen in den Briefen finden. Unsere Familie, die Generation Gusti, Mia und Kinder, fühlten sich als kultivierte Weltbürger und nicht als „Handlees“, Alteisen- und Fetzen-Händler. Zu Hause wurden wir Kinder immer ermahnt, nicht zu „jüdeln“, sondern

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ein gutes Deutsch zu sprechen. Das erklärt Ihnen vielleicht auch, warum es so ein Schock war, als wir plötzlich zu den „Handlees“ gezählt wurden (siehe Siebenschein). Allerdings wurden gern und oft jüdische Witze erzählt, die ja meistens aus einer Selbstveräppelung bestehen.

Sexualität Ist es richtig, dass Ihre Tante infolge einer Syphilis-Erkrankung 1928 – Heimito von Doderer hatte sie angesteckt – keine Kinder bekommen konnte  ? Oder war das ein persönlicher Entschluss  ? Gusti sagte mir selbst, dass sie deswegen keine Kinder haben konnte. Ich weiß nicht, ob das Einbildung (aus Bestemm) oder Tatsache war. Es wäre auch nicht gut möglich gewesen, da sie während der „besten Jahre“ nicht verheiratet war, sich dann mühsam in den USA durchschlagen musste und über 50 war, als sie nochmals heiratete. Heimito von Doderer fühlte sich sexuell von jüdischen Frauen angezogen. Ich denke, es war auch deshalb für ihn wichtig, in Gusti Hasterlik eine jüdische Frau zu sehen, damit sie dem Bild seiner sexuellen Wunschvorstellungen entsprach. In einer Aufzeichnung schreibt er von seiner Suche nach dicken jüdischen Frauen. Seine Vorstellung war, dass jüdische Frauen alles über Sexualität „wissen“, auch ohne Erfahrungswerte. Er hatte ein ambivalentes Verhältnis zu seiner Sexualität, einerseits die häufige Beschäftigung damit, anderseits fühlte er sich aber dadurch hinabgezogen. Ja, er hatte etwas für „Dicke Damen“ übrig, und wenn man Antisemit ist, ist Sex mit einer Jüdin noch viel reizvoller, es hat mit Wehtun und zugleich Lust zu tun. Tatsache ist, dass Gusti da nicht mitmachen wollte, sie hatte nichts für Sadismus übrig, erzählte mir, dass Heimo sie manchmal ans Bett gefesselt hatte, um sie dann zu peitschen. Er fand das aufregend, sie nur erniedrigend – was es auch war. Wolfgang Fleischer, [als er an seiner Biographie über Doderer arbeitete], sagte mir vor Jahren am Telefon, dass es nur eine symbolische Fesselung mit seidener Peitsche war. Bei Gusti klang es nicht danach, aber auch das Symbolische ist arg genug. Ich habe aber das Gefühl, dass es, bis auf die sadistischen Momente, sehr gut klappte. Vielleicht fiel es daher Gusti nur hinterher ein, als sie schon über 70 war und es mir erzählte, das war sozusagen dann ein Grund mehr, über Heimo zu schimpfen…

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Gusti Hasterlik gehörte jedenfalls nicht zu seinem Typus der „dicken Dame“. Es gibt übrigens unterschiedliche Aussagen über ihre Augen- und Haarfarbe. Heimito von Doderer beschreibt Gusti Hasterlik als blond und blauäugig, der Komponist Franz Schmidt [Lehrer und Liebhaber Gusti Hasterliks. Seine Briefe von 1916 bis 1921 an Gusti Hasterlik gab Giulia Hine der Österreichischen Nationalbibliothek] bezeichnet sie als „Verkörperung“ seiner „rothaarigen Heldin Fredigundis“, und auf ihrer US-Staatsbürgerschaftsurkunde von 1945 steht „braunhaarig“ und bei Augenfarbe „grau“. Was stimmt  ? Ich erinnere mich als Kind, dass Gustis dicke lange Haare rötlich-blond waren. Sie dunkelten etwas nach, aber nicht sehr, und wurden dann grau. Ihre Augenfarbe war eindeutig hellblau.

Beziehung – Heirat – Trennung – Scheidung – Flucht Auf die Beziehung zwischen Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer dürfte es einen gewissen Druck von Ihren Großeltern gegeben haben. Doderer schreibt in einer Tagebucheintragung vom 22. Januar 1922, dass Gusti Hasterlik Krach mit ihren Eltern hatte  : „Der Doctor und besonders Irma liessen den ganzen Brei von Problematik materiel­ler Natur, der mit unserer Verbindung gegeben ist, gründlich aufkochen und entleerten ein Wasserschaff voll berechtigter Bedenken und Einwände über die Geliebte …“ Heimos Ausspruch von der „Problematik materieller Natur“ trifft sicher auf meinen Großvater zu, meine Großmutter Irma war einfach immer und überall negativ und vor allem sehr darauf bedacht, in „höhere Gesellschaft“ zu kommen, arme Schriftsteller gehörten nicht in diese Rubrik. Großpapa Paul sorgte sich aber darüber, wie Gusti ihren Lebensunterhalt verdienen oder „erheiraten“ könnte. Wenn Sie Gustis Tagebuch aus dem Jahr 1928 lesen, dann sehen Sie auch, wie unentschlossen Gusti oft war und speziell in ihrer Beziehung zu Heimo. Heimito von Doderer gibt als Datum der endgültigen Trennung von Ihrer Tante November 1932 an, ein Wiedersehen danach schien ausgeschlossen. Wissen Sie etwas darüber  ? Gusti erzählte gerne, dass sie und Heimo, sobald sie verheiratet waren, kaum mehr etwas miteinander zu tun hatten. Ich vermute, dass Gusti von ihrer Mut-

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ter Irma äußerst gedrängt worden war, „unter die Haube“ zu kommen. Irma, Gusti und Mia waren in ständigem Kampf, speziell Gusti. Ich kann mich an Riesenkrachs erinnern. Ich weiß es nicht sicher, aber ich glaube, dass Gusti Heimo nach 1932 nie mehr sehen wollte. Da fällt mir ein, dass Gusti mir erzählte, dass Heimo ihr den Namen „Doderer“ abkaufen wollte, da er nicht wollte, dass eine Jüdin seinen („heiligen“) Namen führt. [Gusti geb. Hasterlik hieß bis zu ihrer zweiten Hochzeit 1949 mit Familiennamen von Doderer. In einem Tagebucheintrag vom 30. Mai 1935, d. h. zweieinhalb Jahre nach ihrer Trennung, schreibt Heimito von Doderer  : „Gestern war meine Frau bei Astri [seiner Schwester]. Hier scheint sich eine Entspannung ergeben zu haben und der Ausblick auf eine humane und conciliante Führung und Erledigung der Sachen  ; diesen Eindruck gewann ich aus Astri’s Bericht. Sie hat diese Unterredung in wahrhaft dankenswerter Weise übernommen, man müsste eigentlich sagen  : auf sich genommen.“ Ob es dabei auch um den Namen „Doderer“ ging, geht daraus nicht hervor. Paul Hasterlik schreibt 1936 in einem Brief an seine Tochter Gusti in einem Postskriptum (es dürfte dabei um den Empfänger-Namen auf dem Briefkuvert gehen)  : „Ich schreibe stets von Doderer, damit der Heimo zerspringt, wenn er es erfährt.“] Ich habe in Wolfgang Fleischers Buch „Das verleugnete Leben. Die Biographie des Heimito von Doderer“ gelesen, dass Doderer die Scheidung von Ihrer Tante hinausgezögert habe. In Ihrer Briefsammlung habe ich nichts gefunden, was drauf hinweist. Wissen Sie darüber mehr  ? [Gusti Hasterlik benötigte Heimito von Doderers Einverständnis oder die Scheidung, um in die USA auswandern zu können.] Ja, Gusti hat mir die Scheidungsverzögerung so erzählt (wütend), aber das war vielleicht gar nicht Heimito von Doderers Absicht. Im Rückblick hat ­Gusti wahrscheinlich die Verzögerung als lebensgefährlich ausgelegt. Nachdem man sah, was ihr hätte passieren können, war sie natürlich noch wütender und erzählte es auf diese Art. Wolfgang Fleischer schreibt weiters, dass Gusti Hasterlik erst fliehen konnte, als das Scheidungsurteil rechtskräftig wurde. Er gibt als Datum den 2. Februar 1939 an. Sie hatten mir geschrieben, dass Ihre Tante bereits am 8. Dezember 1938 in die USA kam. Gibt es vielleicht Unterlagen, die dieses Datum belegen  ?

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Gustis „Unbedenklichkeitserklärung“ [erforderliches Ausreisedokument für jüdische Exilanten, das nach „Steuerabzahlung“ für die gesamte „statistische Lebenserwartung“ und Verzicht auf das gesamte Vermögen zugunsten des Staates ausgehändigt wurde] ist mit 25. November 1938 datiert, ebenso die Scheidungsurkunde. Soweit ich mich erinnern kann, hat Gusti im Februar 1939 diese Dokumente von ihrem Rechtsanwalt zugeschickt bekommen. In Gustis Pass gibt es einen Stempel  : „Hamburg, Hafen ausgereist am 30. Nov. 1938“, vom 28. November 1938 eine Postkarte von ihrem Vater an sie, als sie schon abgereist war, und vom 8. Dezember 1938 ihre Anlegebescheinigung (Landing pass) mit dem Schiff „United States Lines“ [in New York].

Nach dem Krieg Ist Ihre Tante nach dem Krieg wieder in Österreich gewesen  ? Meine Tante flog nach dem Krieg sehr oft nach Europa, während der Sommerferien und auch sonst. Meistens auch nach Wien. Eine Zeit lang dachte sie sogar, sich dort für ihre „alten Tage“ eine Wohnung zu kaufen. Sie blieb aber in Los Alamos, New Mexico, bis sie zu gebrechlich wurde. Da brachte ich sie hierher nach Boulder in ein Altersheim, wo sie 1984 starb. Ich habe in Ihrer Briefsammlung Briefe von und über Ernst Kalmus gelesen. [Gusti Hasterliks zweiter Ehemann, ein österreichischer Exilant und Physiker in der Atomforscher-Stadt Los Alamos]. Ich habe den Eindruck, dass es wohl kaum Gemeinsamkeiten zwischen ihm und Heimito von Doderer gab. Das kann man überhaupt nicht mit der Heimito-Beziehung vergleichen. Ernst emigrierte mit seiner Mutter, und ich glaube seinem Bruder, nach New York. Er wohnte bei der Mama und kam (wollte) nicht von ihr los, bis er Gusti näher kennenlernte. Er jammerte viel, war recht umständlich und wahrscheinlich von Gustis Tatkraft beeindruckt. Gusti war nie in ihn verliebt, sie wollte einfach nicht alleine (ohne männliche Gesellschaft) sein und wäre nie auf die Idee gekommen, ihn zu heiraten. Sie war aber dazu gezwungen, als sie mit ihm in Los Alamos leben wollte. Gusti heiratete Ernst Kalmus am 27. Jänner 1949 in Santa Fe, New Mexico. Kaum war sie verheiratet, ging Ernst ihr so auf die Nerven, dass sie sich gleich wieder scheiden lassen wollte. Sie hielt es aber durch. In späteren Jahren sprachen sie kein Wort mehr miteinander, obwohl im selben

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Haus lebend. Sie genoss das Leben erst wieder, nachdem Ernst gestorben war. Sie bekam dann seine Rente, was wahrscheinlich anfangs auch ein Grund zur Heirat gewesen war. Man kann ja nicht ewig Klavierstunden geben … Gusti lebte lange in Los Alamos, sodass fast alle Leute sie kannten, sie war die „grand old dame“ aus Europa, Musikerin, Künstlerin aus „feinem“ Haus. Sie gab kleine Konzerte. Da war kein Kind, das nicht bei ihr Klavierstunden genommen hatte. Sie hatte viele Freunde und war verehrt. Kam Ihrer Tante bei Ihren Reisen nach Wien nie der Gedanke, Heimito von Doderer nochmals zu sehen  ? In Wien ist es ja teilweise schwer, jemanden nicht zufällig auf der Straße zu treffen … Ich bin sicher, sie wollte Heimo nie wieder sehen. Es gab zwar genug Gründe für Gusti Hasterlik, nichts mehr mit Heimito von Doderer zu tun haben zu wollen. Ein Brief von ihr an Marie-Louise Wydler aus dem Jahr 1946 zeigt aber, dass sie doch interessiert war zu wissen, ob er oder jemand von seiner Familie den Krieg überlebt hatte. Bei Heimito von Doderer ist es recht deutlich, dass er über seine Beziehung zu Gusti Hasterlik nie wirklich hinweggekommen ist, aber nach den Briefen von Marie-Louise Wydler an Gusti Hasterlik habe ich den Eindruck, dass es in gewisser Weise Ihrer Tante auch nicht gelungen ist. Marielouise hat vielleicht recht, dass Gusti nie über Doderer hinwegkam. Gusti sprach immer äußerst ärgerlich über ihn. Aber Hass und Liebe sind irgendwie verwandt oder dasselbe, eine enge Gebundenheit im Gegensatz zu Gleichgültigkeit. Da ich momentan weitere Briefe an Gusti – aus den 1970er-Jahren – bearbeite, fand ich eine Stelle, wo Gusti Ernst Scharmitzers [Freund von Heimito von Doderer] Adresse in Wien suchte. Sie hatten gesagt, dass Sie die Bücher haben, die Ihrer Tante gehörten. Welche Bücher von Heimito von Doderer sind dabei  ? „Gassen und Landschaft“, „Der Fall Gütersloh“, „Das Geheimnis des Reichs“, alle mit Widmungen von Doderer. „Die Strudlhofstiege“, „Die Dämonen“, „Tangenten“, „Die Wasserfälle von Slunj“, „Ein Umweg“, vielleicht noch andere. [„Ein Umweg“ in einer Taschenbuchausgabe, die 1965 im Fischer Verlag erschienen war, mit einer Widmung von Giulia Hine, die mit „Was lange währt…“ beginnt.

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Aus Briefen von Paul Elbogen an Gusti Hasterlik geht auch hervor, dass sie die „Merowinger“ gelesen hatte.] Die „Widmung“ im „Umweg“ ist meine eigene. Ich kann mich zwar nicht daran erinnern, dürfte aber zu der Zeit in Wien gewesen sein und Gusti das gewünschte Buch in die USA geschickt haben. Welche politische Einstellung hatten Ihre Tante und Ihr Großvater  ? In Ihrer Briefsammlung wird ab 1936 in Briefen von Paul Hasterlik an seine Tochter Gusti die „Vaterländische Front“ erwähnt [ab 1934 die politische Einheitsorganisation der Christlichsozialen, nach Verbot und Auflösung aller politischen Parteien]. Man gewinnt den Eindruck, dass zumindest Ihr Großvater in den Dreißigerjahren Mitglied der „Vaterländischen Front“ wurde, vielleicht sogar Ihre Tante. [Aus einem anderen Brief von Paul Hasterlik geht hervor, dass er ein enttäuschter Liberaler war.] Wahrscheinlich hat Großpapa der „Vaterländischen Front“ angehört, aber ­Gusti ziemlich sicher nicht, denn sie war sehr linksgerichtet, und in den USA war sie sogar Mitglied der (oder einer) kommunistischen Partei, was damals streng verboten war, speziell für einen Los-Alamos-Einwohner, wo die Atombombe entwickelt wurde. In einem Brief von Paul Elbogen an Gusti findet er Gustis Enthusiasmus für Kommunismus nicht sehr einsichtig… Ich kann mich nur erinnern, dass Gustis junger Rechtsanwalt in Los Alamos mir ca. 1977 sagte, dass er Gusti überreden musste, die Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei aufzugeben. Ich weiß nicht, wann das wirklich geschah, mir scheint, höchstens ein paar Jahre vorher. [Gusti Hasterlik war 1959 Mitglied der „United World Federalists“, einer US-amerikanischen Friedensorganisation, bei der wiederum Voraussetzung war, dass man weder „kommunistisch“ noch „faschistisch“ orientiert war.]

Paul Hasterlik Als Doderer „Die Dämonen der Ostmark“ in den Dreißigerjahren schrieb, war seine Beschreibung Ihres Großvaters als Ferry Siebenschein (Rechtsanwalt) oder als Dr. Schedik (Medizinalrat) nicht durchgehend freundlich, obwohl er ihn als herzlich beschreibt. Er schrieb über die „dickflüssige Resignation“ Ferry Siebenscheins und vom „schwammigen Gesicht“ Dr. Schediks. Aber schon in den Dreißigerjahren überwiegen die Stellen, in denen er positiv beschrieben wird.

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Großpapa war sicher in einer resignativen Phase, wahrscheinlich zwischen 1928 und 1931, vermutlich hauptsächlich wegen Mias zerbrochener Ehe und natürlich ihrer Drogensucht – das mit zwei kleinen Kindern –, zusätzlich noch Gustis Krankheit [Syphilis] und ihre wackelige Eheschließung und überdies noch die keifende Gattin (Irma). Boni [Mias Freund Heinrich Kopetz] erzählte mir, dass Paul oft nach Kritzendorf flüchtete, um fischen zu gehen, aber hauptsächlich um all „den Weibern“ zu entfliehen. Ich bin sicher, dass er zu Hause nie viel sagte – wo jeden Moment jemand einen Streit anfing oder in Tränen ausbrach. Wie kam es zur Deportation Ihres Großvaters  ? Hatte er bei seiner Lebensgefährtin versteckt gelebt  ? Wie wurde er gefunden, und was geschah mit ihr  ? Wann und wie erfuhr Ihre Familie von seiner Deportation und seinem Tod im Getto Theresienstadt  ? Das ist eine so lange Geschichte, dass Sie auf das Erscheinen der Website warten müssen, die ja eigentlich als Gedenken (Memorial) an meinen Großvater gedacht ist. [Die Website gibt es seit Dez. 2004  : http  ://www.fsu.edu/~ww2/Hine/ hine_collection.htm – Collection of Letters]. Darin können Sie an seinen eigenen Worten ersehen, wie er dachte, handelte und wo seine Interessen lagen. Nur kurz  : Er lebte nicht bei seiner großen Liebe, Lili König, versteckt. Sie wurde vor ihm, 1941, deportiert. Lilis Briefe an ihn und umgekehrt sandte ich alle an Prof. Gusel in Österreich. [Dieser Briefwechsel wurde 2009 veröffentlicht  : Othmar Hanak (Hg.)  : Helene König, Dr. Paul Hasterlik, Angela Stadtherr. Briefwechsel im Umkreis Anton Hanaks. Wien u. Berlin 2009.] Von Großvaters Tod am 7. März 1944 erfuhr ich, in der Schweiz lebend, als eine Karte aus Deutschland kam – von einer „Insassin“ aus Theresienstadt, einer alten Bekannten meines Großvaters –, dass er friedlich an Grippe gestorben war. Das war das erste Mal, dass ich von seiner Deportation nach Theresienstadt erfuhr. Nach dem Krieg hörten wir dann mehr Details von Wiener Freunden und dann vom Roten Kreuz, dass er 1942 deportiert worden war. Hatte Ihr Großvater bis 1942 bei Mias Freund Heinrich Kopetz gelebt  ? Großvater musste aus seiner Wohnung in der Wickenburggasse raus, zog in die Langegasse, wurde wieder vertrieben und wohnte dann in der Nußdorferstraße, von wo er deportiert wurde. Er hatte nie bei Boni gelebt, sondern immer allein. Anfangs hatte er viel Besuch. Boni wurde zum Militär eingezogen,

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war daher dann nicht mehr in Wien. Die Details sind alle in den Briefen nachzulesen. Da Wolfgang Fleischer sie nie gelesen hatte – wie hätte er auch können –, gibt es ein paar Fehler in seinem Buch, z. B. auch, dass Großvater aus der Tramway gestoßen worden sei, stimmt nicht. Er hatte beim Überqueren der Straße nicht aufgepasst und war von ihr umgestoßen worden. Das passierte zweimal  ! Dabei spielt die Phantasie meiner Mutter eine große Rolle, sie schmückte den Unfall aus – auf „Nazi Gräuel“. [Wolfgang Fleischer hatte für seine Doderer-Biographie mit Giulia Hine und ihrer Schwester Suzanne Wolff gesprochen. Die Darstellungen, die Familie Hasterlik betreffend, entsprechen daher der Familienüberlieferung. Giulia Hine entdeckte die Briefsammlung ihrer Tante erst wieder und begann sie aufzuarbeiten, nachdem Wolfgang Fleischers Buch 1996 veröffentlicht worden war. Er schreibt, dass Paul Hasterlik als „UBoot“ bei Heinrich Kopetz gelebt hätte. Zwei SS-Offiziere hätten Paul Hasterlik aus der fahrenden Straßenbahn geworfen, da er den Hitlergruß verweigerte. Die gleich darauf verständigte Gestapo hätte den Verletzten aufgegriffen und in der Folge deportiert.] Was waren das für Wohnungen, in denen Ihr Großvater nach der Wickenburggasse gewohnt hatte  ? Jede Wohnung war noch kleiner als die vorherige. Die letzte in der Nußdorferstraße war sicher winzigst. Es klingt so, als ob die anderen Mieter dort auch jüdisch waren, denn sie „zogen aus“. Seine Briefe sind immer hundertprozentig heiter und zufrieden, und man kann nicht richtig herausfinden, was wirklich los war. Wissen Sie, was aus Heinrich Kopetz geworden ist  ? Boni war beim deutschen Militär am Balkan, als Sanitäter in Griechenland. Gegen Ende des Krieges lief er zu Titos Armee über, um gegen Hitler zu kämpfen. Er kam gut nach Wien zurück, wollte Mia endlich heiraten, sie hatte aber 1943 in New York Thomas Heller geheiratet. Keiner wusste, wer überlebt hatte. Boni heiratete dann auch, Hansi (Johanna Laufer), die in Wien lebt. [Johanna Laufer starb 2009 in Wien.] Er war im September 1952 beruflich in den USA und natürlich bei Mia und mir zu Besuch. Er starb 1982. Während meiner Wien-Zeit, ich lebte dort ab 1964, war ich fast täglich mit ihm zusammen, er schrieb ein Buch, und wir diskutierten heftigst darüber. Es wurde unter dem Titel „Die unwiderstehlichen Neigungen“ veröffentlicht. Er war der netteste

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und lustigste Mensch und für mich als Kind eigentlich mein Vater. Er war immer bei uns und spielte sehr viel mit mir (Zinnsoldaten etc.). Meine Mutter hatte damals einen zweiten Verehrer, der auch sehr oft bei uns in der Langackergasse 1 in Grinzing war, nämlich Thomas Heller (der Sohn von dem Buchhändler-Heller). Er war muffig und brummig (Magengeschwür), nahm mich aber oft zum Skifahren in den Wienerwald mit. Wir hatten sehr viel Besuch, auch Peter Heller, Thomas’ Bruder, der einzigartig war. Lesen Sie Torbergs Briefwechsel mit Peter Heller. Torberg war auch ein Freund von Mia. Stimmt es, dass sich das frühere „Dienstmädchen“ die Wohnung Ihrer Großeltern in der Wickenburggasse angeeignet hatte  ? Nein, das frühere Dienstmädchen hat die Wohnung nicht übernommen oder bekommen. Wir selber hatten eine „Perle“ mit dem Spitznamen Popoldibi. Sie hätte uns ihr letztes Hemd gegeben. Paul hatte dann schon keine richtige Hilfe mehr. Wolfgang Fleischer schreibt, dass Ihr Großvater eine Bildersammlung hatte, darunter Klimt und Schiele. Was ist aus diesen Bildern geworden  ? Es heißt nur, dass Gusti Hasterlik das Porträt Ihres Großvaters, von Albert Paris Gütersloh gemalt, nach New York mitnehmen konnte. Er hatte natürlich Bilder, aber ich kann mich an keines speziell erinnern, es war kaum eine „Sammlung“. Meine Mutter hatte einen Schiele. Er sah aus wie viele andere Schieles auch, daher konnten meine Schwester und ich ihn nicht mit Sicherheit erkennen, als er ausgestellt wurde und uns eine Gelegenheit gegeben worden wäre, ihn zurückzubekommen. Ich versuchte auch das Gleiche bezüglich unserer wirklich schönen Bauhaus-Möbel, aber die dürften alle in Privatbesitz sein, was bedeutet, dass man keinen Anspruch mehr darauf hat. Gusti hat tatsächlich das Gütersloh-Ölgemälde von Großpapa mitgenommen, dann gab sie es meiner Mutter in New York, und dann erbte ich es. Es hängt vor mir, aber Sie werden es sehr bald selber sehen auf der Website als Einführung in die Briefsammlung. Mia Hasterlik Heimito von Doderer schätzte Ihre Mutter sehr [anfänglich, denn die Romanfigur, für die sie in der „Strudlhofstiege“ und den „Dämonen“ Modell war, Titi Lasch, ist nicht sehr freundlich gezeichnet]. In sein Tagebuch schreibt er am 21.7.1923 über sie  :

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„Merkwürdig, in letzter Zeit hab’ ich auch oft auch [sic] an Mia gedacht, in einer Weise, die mir bisher eigentlich fremd war  : dieses Gusti-verwandte Blut würde mich nicht kränken, sie wäre die Einzige an die ich jetzt ohne seelische Carambolage nahe herangehen könnte – aber sie liegt nicht innerhalb meiner Möglichkeiten  ; und ein Begehren in diesem Sinne ist auch bei mir nicht vorhanden. Sie soll aber jetzt die einzige Frau werden, mit der ich umgehe.“ Aus familienpatriotischen Gründen hat auch Mia nie ein gutes Wort über Heimo gesprochen, vor allem wegen  : „Nazi“. Dass Mia ihm gut gefallen hat, glaube ich gern – beide Schwestern wurden von Männern (aus verschiedenen Gründen) umschwärmt. Bitte denken Sie daran, dass fast alle meine Erinnerungen an solche Gespräche aus der Nachkriegszeit stammen, in der auch die Sicht der Sprecher (und in meinem Fall des Zuhörers) eine ganz andere war als vor dem Krieg. Im August 1923 schreibt Heimito von Doderer in sein Tagebuch  : „Sowohl das Beisammensein mit P. [Ernst Polak] als auch mit M [Mia Hasterlik]  : irgendwie reinigend, hebend für meine Dreckseele“. Warum Ernst Polak und Mia eine Seelenreinigung sein konnten  ? Mia war eigentlich sehr prüde und benützte nur verschleierte Ausdrücke, was Sex etc. anbelangt. Noch sehr viktorianisch, auch uns Kindern gegenüber. Eine längst vergangene Zeit. Im Gegensatz zu Gusti, die offener war, aber doch sehr elegant, was diese Themen betraf. Mia hasste „Schmutz“ (in Englisch „smut“). Sie war auch sehr ehrlich, irgendwie sehr katholisch in einem moralischen Sinn. Heimito von Doderer erfährt durch einen Brief von Gusti Hasterlik über den Sturz Ihrer Mutter aus dem 2. Stock. Er schreibt sehr betroffen darüber – ohne aber ein weiteres indirektes Opfer zu erwähnen. Jahre später ist es für ihn nur noch Anekdote. Im August 1943 schreibt er  : „bei ihrem Vorbeiflug hat einen alten Juden, welcher auf seiner tiefer gelegenen Veranda am Cafétisch saß, der Schlag getroffen“. Die Eintragung Heimos über Mias Fenstersturz ist genau so, wie meine Mutter immer erzählte, nicht mehr und nicht weniger. Die Familienüberlieferung (und die kann nur ungefähr stimmen) lautet, dass, während Mia mit ihrem ersten Gatten Ernst Weiss verheiratet war (sie klagte, er wäre nie zu Hause, er war u. a. ein Spieler) und sie in einem Hotel lebten (kein richtiges Heim), Mia anscheinend oft allein und betrübt war und ins Kaffeehaus flüchtete (ich

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nehme an ins „Herrenhof “). Dort verlieben sich Mia und Ernst Polak. Mia will die Scheidung von Ernst Weiss und Ernst Polak heiraten. Ernst Weiss sagt zu unter der Bedingung, das Kind (meine Schwester Susie) für sich zu behalten. Susie war 1923 noch keine 3 Jahre alt. Mia war so hin- und hergerissen, dass sie in Verzweiflung aus dem Fenster im 2. Stock sprang, um sich umzubringen. Anscheinend fiel sie aber auf eine aufgespannte Markise, die den Fall ziemlich milderte. Sie brach sich das Becken und den Fuß, an dem sie viel später sehr litt. Weiters, so lautet die Sage, saß tatsächlich unterhalb Mias Fenster ein älterer Herr, der bei Ansicht der fallenden jungen Frau einen Herzschlag bekam und starb. Nach allem, was ich herausfinden konnte, hatte Ernst Polak, der mit Kokain sehr freizügig war, Mia in den Drogenbann gebracht, was ihre Depression und Aktion erklären könnte. Mia war dann im Spital, Ernst Weiss willigte in die Scheidung ein, ohne das Baby zu behalten. Ernst Polak verlor das Interesse an Mia, vielleicht war es gegenseitig. Etwa ein bis zwei Jahre später verliebten sich Mia und Julius Koritschoner (mein Vater), anscheinend fand er Mias Fenstersprung derart „tapfer“, dass er ihr ganz verfiel. Allerdings war auch er von Morphium abhängig, und so war alles rosig. Er war damals mit Frieda verheiratet. Sie starb bald an Blutvergiftung wegen einer Morphiumspritze. Julius hatte ihr, vielleicht zur Hochzeit, eine Villa am Wolfgangsee gekauft (ich wollte, ich hätte diese jetzt). Er war äußerst wohlhabend, verlor dann das ganze Geld, da seine Geschäftspartner ihm nicht mehr trauten (Morphium). Total verarmt, beging er 1928 in Istanbul Selbstmord. Circa 1929 verliebte sich Milena Jesenská (die ehemalige Frau von Ernst Polak und Freundin von Franz Kafka) in meine Mutter. Beide im Morphiumrausch. Dann kam Boni und rettete nach Kämpfen Mia aus der Drogengeschichte (Entziehungskur). Ich habe von Milan Dubrovic das Buch „Veruntreute Geschichte“ gelesen, insbesondere den Beitrag über Ernst Polak. Ich habe den Eindruck, dass die Beschreibung zwischen Dichtung und Wahrheit liegt. Milan Dubrovic erzählt in seinem Buch, was er im Gespräch mit Mia erfuhr, er sah sie ein paar Mal, als sie in Wien war. Meine Mutter war eine sehr geschickte und oft herrlich komische Erzählerin und schmückte gerne die „G’schichteln“ aus, um bessere Effekte zu erzielen. Daher kann man nicht alles als reine Tatsachen nehmen.

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Wie war die Beziehung zwischen den Schwestern Mia und Gusti  ? Sie war von Eifersucht geprägt, die vermutlich aus der Kindheit stammt – beide wollten Vaters Lieblingskind sein. Als Mia und Gusti Streit hatten, schrieb Mia an Gusti [1944] über den Vater  : „He did take care of you. Papi haette weder mich noch die Kinder dem Obdachlosenheim uebergeben, sondern mich brav aufgepaeppelt. Er hat sich ja auch um Heimo gekuemmert und um Dich und ich kann mich nicht erinnern dass Du dich je erhalten haettest.“ Sind Sie bei Krachs zwischen Ihrer Mutter und Ihrer Tante oft zwischen die „Fronten“ geraten  ? Ich versuchte immer, eine neutrale Stellung einzunehmen und mich nicht hineinziehen zu lassen. Ich habe Gusti immer sehr gern gehabt, sie war viel vernünftiger mir gegenüber und hilfreich.

Suzanne Wolff und Giulia Hine Könnten Sie mir über die Flucht Ihrer Familie erzählen  ? Wie kam Ihre Schwester 1939 als Achtzehnjährige nach Kenia  ? Sie musste in Kenia sofort heiraten, um nicht ausgewiesen zu werden. Kannte sie ihren ersten Mann Robert Seemann schon aus Wien  ? Susie erzählte mir eben, dass Gusti eine Klavierschülerin namens Luscha hatte, die mit Kenia in Verbindung stand. Sie fand einen (vermutlich) jungen Mann in Nairobi, der sich für Susie interessierte. Er war ein Singer-Nähmaschinen-Vertreter für Kenia oder Westafrika. Susie sagt, dass er unserer Familie nicht fein genug war, finanziell sah es auch nicht sehr rosig aus. Daraufhin fand Luscha die Seemann-Familie. Die Großeltern von Robert lebten in Wien und Robert mit Eltern und Geschwistern in Kenia. Nach Luschas Beschreibungen ging es den Seemanns in Kenia herrlich und luxuriös, so wurde beschlossen, Susie hinzuschicken. Als sie ankam, war von Luxus oder Geld kaum die Rede … Robert hatte sie nie vorher gesehen. Ihre Schwester hat in Kenia ein zweites Mal geheiratet. Heute lebt sie in Kitzbühel in Tirol. In welchem Jahr ist sie von Kenia nach Österreich gezogen  ? [Suzanne Wolff starb am 23. 8. 2008 in Kitzbühel.]

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Susie und Familie zogen 1960 von Kenia nach London. Die Ferien verbrachten sie in Österreich, in Kärnten und Kitzbühel. Susie blieb, ich glaube ab ca. 1963, immer länger in Kitzbühel. Sie kamen mit dreizehn Jahren im Dezember 1938 in die Schweiz. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Schulzeit in Wien, welche Änderungen bedeutete der Anschluss im März 1938 für Sie  ? Ich war in Grinzing in der Volksschule, diese Schule dürfte es noch geben, gleich bei der Kirche, in der ich meine erste Kommunion bekam (nebbich), später in der Döblinger Mädchenmittelschule, dann kam ich in das Albertgasse-Gymnasium. Von dem Tag, an dem Hitler nach Österreich kam, durfte ich nicht mit meiner „arischen“ Freundin gemeinsam auf dem Gehsteig zur Schule gehen. Dann musste ich in die „Judenschule“. Die Leute beschimpften uns Kinder auf dem Nachhauseweg und beschmissen uns mit irgendetwas (mit Gemüse oder etwas in der Art), daraufhin ließ mich meine Mutter nicht mehr hingehen. Marie-Louise Wydler dürfte nach dem Krieg eng mit Heimito von Doderer befreundet gewesen sein. Hatten Sie nach dem Krieg noch Kontakt zu ihr  ? Sie „schwirrt“ durch viele Briefe auf meiner Website. Marieluis war so wie ich während des Krieges in der Schweiz, und ich war mit ihr in Verbindung, manchmal mehr, manchmal weniger. Ich habe sie später nicht mehr gesehen, obwohl ich mit Mann und Kindern von 1964 bis 1974 wieder in Wien lebte, da mein Mann Physiker war und an der Internationalen Atomenergiebehörde [IAEA mit Sitz in Wien] arbeitete. Damals hatte ich keine Ahnung von den „Familienbriefen“ und auch kein Bedürfnis, in der Vergangenheit zu kramen. Als Sie mit Ihrer Familie nach Wien zogen, war es das erste Mal, dass Sie seit dem 23. Dezember 1938 wieder in Wien waren  ? Haben Sie die Orte Ihrer Kindheit aufgesucht oder eher gemieden  ? Haben Sie Freunde der Familie wiedergesehen  ? Ich war schon vorher, 1962, mit Gerald [Gerald Hine, Giulias Mann] in Wien, hauptsächlich um Boni und Hansi zu sehen, ich zeigte Gerald, Madeline und Peter [Giulias ältere Kinder] meine alten Wohn- und Schulstätten. Ich kannte niemanden mehr außer Peter Heller und Ellen Christiansen [Freunde von Mia

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Heller], die noch und wieder da waren. Wir blieben nur kurz. Zwei Jahre später übersiedelten wir nach Wien. Madeline blieb nicht lange, sondern ging in Bosten aufs College, vielleicht ein Jahr später auch Peter. Gerald verließ die IAEA 1969 und nahm einen Job in Washington an. Ich blieb mit Harvey, meinem jüngsten Sohn, bis er mit der Schule fertig war, bis 1974 in Wien zurück.

Jüdische Herkunft – Exil – Österreicher und Deutsche Die Briefe, finde ich, zeigen, wie sehr meine Mutter unter den Auswirkungen der Emigration in späteren Jahren gelitten hatte. Sie wurde schwermütig. Auch Gusti kam nicht zur Ruhe – sie wurde teilweise entsetzlich kratzbürstig, – und ebenso Susie, die nicht wirklich glücklich wurde. Aus Ihrem Tagebuch aus Ihrer Schweizer Exilzeit und aus dem Interview, das Ihre Cousine Edith Cory-King, geb. Koritschoner, mit Ihnen geführt hat [in der HineBriefsammlung], spricht sehr viel Kraft, sich über vieles, Schwieriges und Schmerzhaftes hinwegsetzen zu können. [Aus den Aufzeichnungen wird deutlich, dass Giulia Hine trotz Trennung von der Familie und von vertrauten Orten und v. a. trotz einer Poliomyelitis-Erkrankung, wegen der sie ab August 1941 über ein Jahr im Krankenhaus und Rehabilitationszentrum, anfangs vollkommen gelähmt, verbringen musste, ihre fröhliche, lebenslustige und offene Art beibehielt.] Einiges zum Thema „jüdische Identität“ wurde mir erst durch die Korrespondenz mit Ihnen deutlich. Ich bin längst über mein Behindertsein hinweggekommen, obwohl ich nun schon fast nicht mehr gehen kann (post-polio). Ebenso „leide“ ich nicht unter jüdischer Abstammung, es macht mich eher böse, weil ich so gar keine Seelenverwandtschaft damit spüre, trotz Emigration etc. Böse bin ich natürlich über die Morde an den Juden und im Besonderen Großpapas. Aber ich kann nur von mir sprechen, und sicher geht es vielen anderen ganz anders. Was mir fremd ist, ist, sich als „Opfer“ zu fühlen. Waren die Ehepartner in Ihrer Familie jüdischer Herkunft  ? Die ältere Generation [Gusti und Mia Hasterlik] hatte im Exil österreichische Exilanten geheiratet, die jüngere Generation [Suzanne Weiss und Giulia Koritschoner] deutsche Exilanten  ? Wieso hatte Ihr Vater die ungarische Staatsbürgerschaft  ?

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Alle waren jüdischer Herkunft, einzig mein Vater war „Halbjude“, seine Mutter war Christin. Wieso er Ungar war, weiß ich nicht, er war auch Österreicher. Soviel ich weiß, war sein Vater Österreicher, ebenso Julius’ Geschwister. Ernst Weiss, Susies Vater, war jüdischen Glaubens. Ich weiß nichts über seine Hochzeit mit Mia, nicht einmal das Datum. Es war wohl eine Ziviltrauung  ; wahrscheinlich trat Mia nicht aus der Kirche aus. [Nach Recherchen 2007 in der Pfarre Dornbach, der IKG Wien und der MA 61 stellte sich heraus, dass ihre Mutter Mia am 4.12.1919 aus der katholischen Kirche ausgetreten war, um für ihre Hochzeit mit Ernst Weiss am 15.12.1919 zum jüdischen Glauben überzutreten. Von Ernst Weiss hatte sie sich am 30. August 1923 scheiden lassen und trat am 17.11.1927 aus dem Judentum aus, um am 19.11.1927 Julius Heinrich Koritschoner zu heiraten.] Wie war das bei Ihnen und Ihrer Schwester  ? Susies erster Gatte Robert war Wiener, der zweite, Ted, aus Berlin, beide waren jüdischer Herkunft. Mein Mann Hans Gerhard Heine (Gerald Hine) war ebenfalls jüdischer Herkunft, obwohl seine Mutter Elizabeth Schiff religionslos war, aber ihre Kinder protestantisch erzog (was deren Lebensphilosophie nie beeinflusst hatte). Ihre Briefe [in der Hine-Briefsammlung] stammen aus der Zeit, als die Familie von Hitler weg nach Paris übersiedelte. Mein Mann studierte damals an der ETH [Eidgenössischen Technischen Hochschule] Physik, und sein Bruder Kurt war an der Geheb-Schule, ebenfalls in der Schweiz. Aus Hans-Gerhard Heine wurde Gerald John Hine, er starb 1987, und aus Kurt Heine wurde Marc Heine. Er ist 85 Jahre alt, lebt in Mallorca und malt. [Marc Heine starb 2007.] Meine Mutter liebte die Deutschen (auch schon vor Hitler) nicht. Ihre Vorurteile intonierte sie ähnlich wie über die „Handlee Juden“. Sie nannte sie „Piefkes“ und war nicht sehr beglückt, dass beide ihrer Töchter „Piefke“ heirateten. Wie war der gesundheitliche Zustand Ihrer Tante im Alter  ? Aus Briefen geht hervor, dass sie nicht mehr selbst schreiben konnte und auch ihr bekannte Personen nicht wiedererkannte  ? Gusti lebte in Los Alamos. Ihr Mann war 1962 gestorben. 1976 kamen mein Mann und ich nach Boulder in ihre „Nähe“ (600 km). Sie wurde schwächer und brauchte Hilfe. Zuletzt war sie nicht mehr sehr klar im Kopf, und ich konnte nicht alle zwei Wochen nach Los Alamos sausen, um die entlassenen Hilfen, brave Mädel, die den Haushalt machten und Gusti pflegten, zu er-

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setzen und zu erneuern. Gusti ekelte jede Hilfe aus dem Haus. So brachten wir sie in ein Heim in Boulder. Dort behauptete sie, sie wäre in einem Hotel und beklagte sich oft über die Bedienung und anderes mehr. Ich besuchte sie täglich, es war nicht weit von unserem Haus, auch die Kinder kamen zu ihr zu Besuch. Später verwechselte sie mich mit Mia und war wirklich verwirrt. Sie starb dann ohne Schmerzen, das Herz stoppte. Kurz vor ihrem Tod holte das Heim einen katholischen Priester zur Letzten Ölung, da sie als Katholikin verzeichnet war, den Gusti mit erhöhter Stimme und voller Überzeugung aus dem Zimmer schmiss. Ich hab’ so lachen müssen. Der junge Pfarrer war ganz verdutzt. Es war so typisch Gusti bis zum letzten Moment.

III. Brief von Paul Elbogen an Gusti Hasterlik 1951 Paul Elbogen wurde 1894 in Wien geboren, wo er als Journalist arbeitete. Seit 1913/1914 kannte er Gusti Hasterlik und seit 1921 war er mit Heimito von Doderer befreundet  ; er hatte die beiden jeweils über den gemeinsamen Freund und seinen ehemaligen Schulfreund Ernst Pentlarz kennengelernt.1595 Während Doderers ehemalige Ehefrau Gusti Hasterlik in der Strudlhofstiege Modell für Grete Siebenschein war, erkannte sich Paul Elbogen in dem namenlosen Mann wieder, den Grete zufällig in Neapel trifft  : „ein alter Wiener Bekannter […] ein Literat“, der „ihr Cape“ holt, das er ihr „sorgfältig“ umlegt, besorgt, sie könne sich erkälten. „Der Mann hat weiter von ihr nichts wollen und sie nichts von ihm, nebenbei bemerkt.“1596 Grete kommen daraufhin die Tränen, da ihr diese Fürsorglichkeit von dem von Doderer inspirierten René unbekannt ist. 1962, nachdem Paul Elbogen von Ernst Kalmus’ Tod erfahren hatte, dem Ehemann von Gusti Hasterlik, schrieb er ihr  : „Liebste Gusti, ich habe Sie schon einmal auf jener Terrasse in Neapel getröstet – ich könnte und würde es auch jetzt. Ich tue es hiemit [sic] im Geiste.“1597 1929 zog Paul Elbogen nach Berlin, wo er mit viel Erfolg Briefe berühmter Künstler herausgab.1598 Seine Familie war katholisch jüdischen Ursprungs, zu 1595 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5248, 1953/03/18, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]. 1596 Heimito von Doderer  : Die Strudlhofstiege, S. 349. 1597 Ebd., item 8089, 1962/09/16, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]. 1598 Über das Leben von Paul Elbogen siehe seine Autobiografie  : Paul Elbogen  : Der Flug auf dem Fleckerlteppich  ; sowie Gerald Sommer  : „Exil. Forschung. Erkenntnisse“, u. „Paul Elbogen. Der Flug auf dem Fleckerlteppich“. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften,

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diesem hatte er keinen oder kaum Bezug, denn 1971 schrieb er in einem Brief über die NS-Verbrechen  : „[I]ch fühle doch nicht solidarisch mit diesen Unglücklichen als Jude, sondern ,nur‘ als Mensch. Da ich eben katholisch erzogen wurde.“1599 1938 war er nach dem Anschluss mit seiner Frau Hermine – genannt Minnerl – aus Wien emigriert, wohin sie aus Deutschland nach Hitlers Machtübernahme zurückgekehrt waren. In Frankreich wurde Paul Elbogen in einem Lager interniert, bevor dem Ehepaar 1941 die Flucht in die USA gelang. Sie lebten in Hollywood, wo Paul Elbogen für die Filmindustrie arbeitete, diverse kleine Jobs übernahm und nebenbei schrieb. Mehrere seiner Romane wurden nach dem Krieg veröffentlicht, so auch sein Künstlerroman Dram im Jahr 1949. Seit 1962 lebte das Ehepaar in San Francisco. Am 10. Juni 1987 auf ihrer Urlaubsreise in Kanada starben Paul und Minnerl Elbogen nach 58 gemeinsamen Jahren bei einem Autounfall.1600 Nach dem Krieg hatten sie beschlossen, nicht mehr nach Österreich zurückzukehren. In einem Brief 1982 schilderte Paul Elbogen die Gründe für seine Ablehnung von Wien und der älteren Wiener Bevölkerung  : Ich dachte nie an Heimkehr. […] Als wir eine Woche (vor mehr als zehn Jahren) in Wien waren, das ich Laden für Laden auswendig kenne und Gassl für Gassl […] war [alles] völlig verändert, mein Geburtshaus […] völlig neu fassadiert, das ganze Gegenüber inklusive Sühnhaus weggebombt, die Bevölkerung meist in Lodenkostümen […], als trüge man heute auf […] dem Forum Romanum […] Toga. Mehr als das  ; man war ebenso boshaft (die ältere Generation, meine ich) wie einst, mürrisch und dem Amerikaner gegenüber opportunistisch wie einst, redete aber einen uns wohl bekannten gestelzten Dialekt oder in einem Tonfall, der unwienerisch war – mit „mal“ und […] Schickeria in infinitum –, genau wie einst Ungebildete sprachen, die „Hochdeutsch“ reden wollten. Wo also sollte da das Heimweh herkommen  ?1601 resp. S. 480–483 u. 484–485. Siehe auch John F. Fetzer  : „Paul Elbogen“. In  : John M. Spalek u. Joseph Strelka (Hg.)  : Deutsche Exilliteratur seit 1933. Bd. I. Kalifornien. Teil 1. Bern u. München 1976, S. 323–330. 1599 Privatsammlung von Giulia Hine, Brief von Paul Elbogen an Gusti Hasterlik von 1971/02/13. 1600 2005 schickte Hanni Forester, die Nichte von Paul und „Minnerl“ Elbogen, Giulia Hine die Todesanzeige von 1987 u. einen Zeitungsauschnitt mit dem Hinweis auf den tödlichen Unfall. 1601 Aus  : „Mitteilungen von Paul Elbogen (San Francisco, Kalifornien) an Peter Eppel betreffend die Gründe für Elbogens Entschluss, nicht nach Österreich zurückzukehren, 11.8.1982“

Brief von Paul Elbogen an Gusti Hasterlik 1951

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Schon 1971, nachdem Paul Elbogen von Simon Wiesenthal The Murderers among us (Doch die Mörder leben) gelesen hatte, erklärte er Gusti Hasterlik (die wiederholt nach Österreich fuhr und auch daran gedacht hatte, wieder in Wien zu leben), warum er und seine Frau es ablehnten, nach Österreich oder Deutschland zurückzukehren  : „Und wenn Sie lesen, wie unsere ehemaligen Kakanier sich nach den Nazis benommen haben, grausts Ihnen noch mehr. Niemehr will ich diese beiden verfluchten Länder betreten und wiedersehen.“1602 Paul Elbogen dankte 1971 einem Freund1603 für die Sendung von Heimito von Doderers 1964 erschienenem Tagebuch Tangenten. Er hatte sich, wie er schrieb, durch Doderers Tagebuch „durchgebissen“. Die Tangenten bestätigten ihm einmal mehr, dass Doderer ein Genie sei (wie er auch Gusti Hasterlik wiederholt schrieb), wenn auch ein verwunschenes Genie – „,génie maudit‘“ nannte es Elbogen. Er war, wie Elbogen seinem Freund schrieb, mehrmals von Doderer in den Riegelhof, das Sommerhaus „seines imposanten Vaters“ in der Prein an der Rax in Niederösterreich, eingeladen worden. Schließlich erwähnte er die ersten Publikationen Doderers sowie ohne weiteren Hinweis „einen Naziroman“ und die Strudlhofstiege  : Er fand einen Verleger für ein schwieriges Büchlein „Die Bresche“ und merkwürdige Gedichte. […] Nun dann erschien die „Strudlhofstiege“ nach dem 2. Krieg […] und ich erfuhr aus Los Alamos, wo seine erste Frau noch heute als Witwe eines der dortigen Atomzauberer lebt, dass Doderer einen Naziroman vorher verlegt hatte und „einen Mord den Jeder begeht“ [sic].1604

An welchen Roman Paul Elbogen dabei dachte, geht aus dem Brief nicht hervor. Gusti Hasterlik hatte ihm im Januar 1943 über Doderers Roman Ein Umweg geschrieben, doch kann aus Elbogens damaliger Antwort nicht geschlos(DÖW E 20.781 Materialien) In  : Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.)  : Österreicher im Exil. USA 1938–1945. Eine Dokumentation. Einleitungen, Auswahl u. Bearbeitung v. Peter Eppel. Bd. 2. Wien 1995, S. 757  ; http  ://www.döw.at/frames.php  ?/ser vice/archiv/materialien/exil/usa_remigr_dok56.html. 1602 Privatsammlung von Giulia Hine, Brief von Paul Elbogen an HA [Hasterlik, Auguste], 1971/02/13. (Die Umlautschreibung wurde korrigiert.) 1603 Ebd., item 8178, 1971/08/30, Brief von Paul Elbogen an „Johannes“ [Familienname nicht angegeben]. 1604 Ebd. (Der Brief ist mit Schreibmaschine geschrieben, die Umlautschreibung wurde korrigiert, handschriftliche Änderungen wurden eingegeben.)

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sen werden, ob sie diesen als „Naziroman“ bezeichnet haben könnte, als er ihr schrieb  : „Was Sie mir über Doderers Bücher sagen, ist fesselnd. ,Umweg‘ sollte sein ganzes Leben heißen. Ohne Ziel. ,Umweg ohne Ziel‘, das ist er. Welche Schrecklichkeit ist dieser Mensch  !“1605 Denkbar wäre auch, dass sie ihm von Doderers Romanprojekt („Die Dämonen der Ostmark“) erzählt hatte, doch ob und wie viel sie, bis zu ihrer Trennung im November 1932, von dessen antisemitischem Inhalt mitbekommen hatte, ist nicht bekannt. Die Lebenswege von Ernst Pentlarz, Gusti Hasterlik, Heimito von Doderer und seinen eigenen schilderte Paul Elbogen 1986 Engelbert Pfeiffer, dem „Kustos der Doderer-Gedächtnisräume im Bezirks-Museum Wien/Alsergrund“.1606 Interessant ist Elbogens folgende kritische Kurzbeschreibung Doderers, von seiner problematischen Formulierung „pathologischer Veranlagung“ einmal abgesehen. So dürfte ihm Doderers Bisexualität bekannt gewesen sein, es sei denn, er hatte erst über Dorothea Zeemanns Autobiografie Jungfrau und Reptil davon erfahren  : Doderer den ich als Mensch sehr genau, als Autor nur mangelhaft kannte (Strudlhofstiege sandte er mir nach den US mit Widmung „in Farben“), „Dämonen“ stiess mich ab, obwohl ich in ALLEM das hohe Genie erkannte. Trotz offenkundiger pathologischer Veranlagung  : Sadismus, Bisexualität, Alkoholismus, SNOBISMUS (im spirituellen Sinne wie Betonung seiner nicht gerade alten adeligen Abstammung, MACHISMO (wildes Reiten, Bogenschiessen etc.) Bewunderung von Nietzsches Idealen  : den „Krieger“, den Abenteurer, den Frauenbetörer etc.)1607

Die Bewunderung für Nietzsche hatte Paul Elbogen ursprünglich geteilt, denn an Doderer schrieb er 1951 nach Erhalt der Strudlhofstiege  : „wir waren ja alle von Nietzsche infiziert und jubelten etwa über Dinge wie die überzeugende Kraft der Brutalität und des Verbrechens“.1608 1605 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5051, 1943/01/20, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]. 1606 Privatsammlung von Giulia Hine, item 1953, 1986/10/16, Brief von Pfeiffer, Engelbert an Elbogen, Paul. Zu Engelbert Pfeiffer siehe auch Stefan Winterstein (Hg.)  : Orten – Erörtern, sowie Engelbert Pfeiffer  : Anhänger haben keine Motoren. Verstreutes, Nachgelassenes, Dokumentation. Hg. von Ernst Kobau u. Stefan Winterstein, Wien 2008. 1607 Privatsammlung von Giulia Hine, item 1952, 1986/10/23, Brief von Elbogen, Paul an Pfeiffer, Engelbert. Eine Kopie dieses Briefs hatte Paul Elbogen Giulia Hine geschickt  ; der Brief ist mit Schreibmaschine geschrieben, die s-Schreibung wurde beibehalten, Umlautschreibung u. Tippfehler korrigiert. 1608 Im Original in Klammern. (Brief von Paul Elbogen an Doderer vom 7.6.1951 in einer Ab-

Brief von Paul Elbogen an Gusti Hasterlik 1951

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In der Hine Collection der Florida State University gibt es 42 Briefe von Paul Elbogen an Gusti Hasterlik gesch. Doderer verh. Kalmus1609 zwischen 1943 und 1969. In der Privatsammlung von Giulia Hine finden sich 34 weitere Briefe Paul Elbogens von 1970 bis 1986. Der letzte Brief an Gusti Hasterlik ist aus dem Jahr 1977, dann schrieb Paul Elbogen wegen des schlechten Gesundheitszustands von Gusti Hasterlik an Giulia Hine. Die beiden Exilösterreicher Gusti Hasterlik und Paul Elbogen, die nach dem Krieg in den USA geblieben waren, hatten Doderers Strudlhofstiege bereits in ihrem Erscheinungsjahr 1951 gelesen. In dem nun folgenden Brief von Paul Elbogen an Gusti Hasterlik vom 1. August 1951 geht es vor allem um ihre Leseeindrücke der Strudlhofstiege.1610 Paul Elbogen bezieht sich darin auch auf seinen „bösen Brief an den Doderer“. Elbogen hatte Doderer zwei Briefe geschrieben, nachdem er die Strudlhofstiege kurz nach ihrer Veröffentlichung mit einer Widmung Doderers erhalten hatte. In einer ersten Reaktion vom 7. Juni 1951 äußerte sich Paul Elbogen sehr kritisch über Doderers NS-Vergangenheit. Am 29. Juni 1951, mittlerweile hatte er die Strudlhofstiege gelesen, schickte er ihm einen zweiten, sehr langen Brief. Elbogen kritisierte darin u. a., dass die Komposition des Romans Schwächen habe, für Leser undurchschaubar sei, die Figuren farblos seien, wie Puppen agieren und sich zu gut ausdrücken würden, dass die Frauen ohne Individualität und von Asta bis Mary, mit Ausnahme von Grete und Paula, alle gleich seien, und schließlich die mangelnde Handlung und die Austriazismen.1611 In seinem Brief an Gusti Hasterlik äußerte sich Paul Elbogen verärgert und vor allem sehr besorgt darüber, dass sie zwar ausführlich über Doderer schrieb, ihren Verdacht auf Brustkrebs aber nur beiläufig erwähnte. Eine Befürchtung, die sich letztlich als grundlos herausstellte.1612

schrift von Engelbert Pfeiffer  ; „Briefe“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Abschrift.) 1609 In die Zählung nicht inbegriffen sind die Briefe aus der Privatsammlung von Giulia Hine ab 1970. 1610 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5244, 1951/08/01, Brief von Elbogen, Paul an HA (Hasterlik, Auguste). 1611 Vgl. die Briefe von Elbogen an Doderer in einer Abschrift von Engelbert Pfeiffer. („Briefe“, Doderer-Archiv, Institut für Germanistik, Universität Wien  ; Abschrift.) Die Originale sind im Besitz der Familie Stummer. 1612 Laut Giulia Hine hatte ihre Tante Gusti Hasterlik keinen Krebs.

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1. Brief von Paul Elbogen an Gusti Hasterlik 1951

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Brief von Heinrich Kopetz an Gusti Hasterlik 1958

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Mehrmals geht Paul Elbogen auf Aussagen von Gusti Hasterlik über die Strudlhofstiege ein, die es ermöglichen, zumindest einen Eindruck von ihrer Reaktion auf den Roman zu gewinnen. In der Strudlhofstiege erkannte sie sich und ihre Familie wieder  : Die Romanfigur Grete Siebenschein war von ihr inspiriert, ihre Eltern Paul und Irma Hasterlik das Modell für Dr. Ferry und Irma Siebenschein und ihre Schwester Mia und ihr Schwager Julius Koritschoner das Modell für Titi und Cornel Lasch. Gusti Hasterlik fühlte sich durch die „Überdeutlichkeit“, mit der ihre Familie im Roman geschildert worden war, verletzt, kritisierte aber gleichzeitig den „Mangel an wahren Details“. Für sie war der Roman antisemitisch, auch wenn er die Familie Siebenschein „schonend“ behandelte. Elbogen verteidigte den Roman als Stilisierung – in einem anderen Brief schrieb er, die Strudlhofstiege sei trotz ihres Anscheins kein realistischer Roman.1613 Er fand die Beschreibung der Familie Siebenschein „sympathisch“ und widersprach Gusti Hasterlik dezidiert, dass der Roman antisemitisch sei. Paul Elbogen erwähnt im Brief auch Doderers Essay „Sexualität und totaler Staat“ (er schreibt irrtümlich „Sexualität im totalen Staat“). Gusti Hasterlik dürfte in ihrem Brief auf diesen Essay hingewiesen haben. Da dieser von Doderer zwar 1948/1951 geschrieben worden war, aber erst 1970 posthum veröffentlicht wurde, zeigt das, dass Gusti Hasterlik, was Doderer betraf, von ihren Wiener Bekannten, insbesondere von ihrer Freundin Marie-Louise ­gesch. Wydler verh. Reiter und von Heinrich Kopetz (genannt „Boni“), recht genau informiert gewesen sein dürfte.

IV. Brief von Heinrich Kopetz an Gusti Hasterlik 1958 Heinrich Kopetz (1902–1982) kannte Heimito von Doderer über dessen erste Ehefrau Gusti Hasterlik  ; er war ein Freund von Gustis Schwester Mia. Doderer sah er auch nach dem Krieg wieder – manchmal bei Marie-Louise Reiter (geb. Spitzer, gesch. Wydler), der Cousine seiner Frau (seit 1949) Johanna Laufer – und lud ihn zu sich ein.1614 In der Hine Collection gibt es 357 Briefe von Heinrich Kopetz (meist mit einem seiner Spitznamen unterschrieben, darunter „Boni“). Seine ersten Briefe 1613 Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5265, 1961/02/13, Brief von Elbogen, Paul an HA [Hasterlik, Auguste]. 1614 Ich danke Frau Johanna Kopetz geb. Laufer für die Originale von Doderers Einträgen in ihr Gäste- und Stammbuch  ; beide vom 4.11.1948.

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an Mia Hasterlik sind aus dem Jahr 1929.1615 (In der Privatsammlung von Giu­ lia Hine finden sich noch weitere 23 Briefe von Heinrich Kopetz zwischen 1970 und 1982.) Das Ende ihrer Beziehung bedeutete nicht das Ende ihrer Freundschaft, diese hielt auch der geografischen Distanz stand  : Mia Hasterlik war im Exil in New York geblieben, wo sie 1943 den Exilösterreicher Thomas Heller geheiratet hatte  ; Heinrich Kopetz blieb in Wien. Ihre Freundschaft hielt bis zum Tod von Mia, die sich 1973 das Leben nahm. Nach dem Krieg begann Heinrich Kopetz an einem Buch zu arbeiten, das schließlich 1981, ein Jahr vor seinem Tod, unter dem Titel Die unwiderstehlichen Neigungen. Einflüsse des Irrationalen in unserer Kultur 1616 veröffentlicht wurde. Nachdem Mia Hasterlik 1939 aus Wien emigriert war, besuchte Heinrich Kopetz mindestens einmal pro Woche ihren Vater Paul Hasterlik, rief ihn regelmäßig an (solange es „Juden“ noch erlaubt war, ein Telefon zu haben) und half ihm, soweit es ihm möglich war. 1941 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Vor seiner Abreise organisierte er aber seine „Ablösung“ und bat seinen Kollegen Vodicka, der wie er bei der Firma Shell arbeitete, und dessen Frau, sich um Paul Hasterlik zu kümmern. Diese brachten ihm auch Nahrungsmittel. Heinrich Kopetz sah Paul Hasterlik zum letzten Mal im Juni 1942,1617 als er aus Saloniki, wo er stationiert war, nach Wien kam. Einen Monat später musste er von seinem ehemaligen Arbeitskollegen erfahren, dass Paul Hasterlik deportiert worden war. Über das Ehepaar Birer konnte er noch Nahrungsmittelpakete in das Getto Theresienstadt (Terezín) schicken lassen, wo Paul Hasterlik interniert war1618 und am 7. März 1944 starb. Von Griechenland kam Heinrich Kopetz nach Jugoslawien, wo er sich im März 1945 den Partisanen anschloss.1619 Im Juni desselben Jahres kehrte er nach Wien zurück, doch das 1615 Der erste Brief ist vom 10.8.1929. Vgl. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 1312, 1929/08/10, Brief von KH (Kopetz, Heinrich) an HM [Hasterlik, Maria (Mia)]. 1616 Heinrich Kopetz  : Die unwiderstehlichen Neigungen. Einflüsse des Irrationalen in unserer Kultur. Wien 1981. (Ich danke Frau Kopetz für das Buch.) 1617 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 0358, 1946/01/26, Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an KG [Koritschoner, Giulia]  ; item 0374, 1946/02/09, Brief von KH an HM [Hasterlik, Maria (Mia)]. 1618 Ebd., item 0358, 1946/01/26, Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an KG [Koritschoner (Hine), Giulia], u. item 0270, 1946/02/01  ? [Datum unbekannt, von Giulia Hine nachdatiert], Brief von „KH [Kopetz, Heinrich] and Ellen“ an HM [Hasterlik, Maria (Mia)]. 1619 Ebd.

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Wohnhaus, in dem er gelebt hatte, war bei Luftangriffen zerstört worden.1620 Heimito von Doderer wird in den Briefen von Heinrich Kopetz mehrmals erwähnt. 1946 schrieb er Mia Hasterlik, erfahren zu haben, dass Doderer schon seit Langem ein Gegner der Nazis gewesen sei, nun aber trotzdem mit Schwierigkeiten zu rechnen habe  ;1621 1947 erwähnte er, dass Doderer ­Marie-Louise Wydler nach Gustis Adresse gefragt habe  ;1622 1948, nachdem er Doderer einige Male gesehen hatte, kam er überrascht zu dem Schluss, dass dieser immer noch nicht über seine Beziehung mit Gusti Hasterlik hinweggekommen sei,1623 und 1952 erzählte er von der neuerlichen Heirat Doderers.1624 Im Juli 1951 schrieb er über Doderers Strudlhofstiege an Mia Hasterlik, im Roman Modell für die Figur der Titi Siebenschein  : Jetzt denke ich ganz unwillkürlich (wie der Rebbe bei der Totenrede auf die Kaiserin Elisabeth) an Dich, an alles Vergangene und zwar durch einen Anlass nolens volens bewogen. Dies ist Heimo’s Buch welches er Clu Clu [Sofie Chlumezky]1625 dediziert hat für ihre Samaritertat an ihm, die sie Dir sicher erzählt hat. Jedenfalls kommen alle drin vor, vor allem sehr lang und breit natürlich Gusti, aber auch Dressl, Doris [Stoerk], Julerl [Julius Koritschoner], ein bissi auch Du (nicht einmal schlecht wegkommend), Papi, Mama [Paul und Irma Hasterlik] und eine Menge andere, die ich nicht erkannt habe, die aber sicher auch nichts anderes sind als gute psychologische

1620 Ebd., item 0270, 1946/02/01  ? [Datum unbekannt, von Giulia Hine nachdatiert], Brief von „KH [Kopetz, Heinrich] and Ellen“ an HM [Hasterlik, Maria (Mia)], u. item 0374, 1946/02/09, Brief von KH an HM. 1621 Vgl. ebd., item 0382, 1946/09/30, Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria (Mia)]. 1622 Vgl. ebd., item 0392, 1947/04/01, Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria (Mia)]. 1623 Vgl. ebd., item 1147, 1948/09/06, Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria (Mia)]. 1624 Vgl. ebd., item 0376, 1952/08/19 [das Datum dürfte nicht stimmen, da Doderer und Emma Maria Thoma erst im September 1952 heirateten], Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria (Mia)]. 1625 Bei Sofie Chlumezky fand Heinrich Kopetz nach dem Krieg Unterkunft, da sein Wohnhaus während des Kriegs zerstört worden war. (Vgl. ebd., item 0374, 1946/02/09, Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria].) Über die Bekanntschaft zwischen Sofie Chlumezky und Doderer finden sich, abgesehen von zwei Briefen in der Hine Collection, keine weiteren Hinweise. (Vgl. ebd. item 1130, 1949/03/18, Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria], und item 0834, 1949/07/28, Brief von Chlumezky, Sofie an HM & Heller, Thomas.)

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Portraits. Ich verstehe nur nicht, wie dieses Buch außer den Hasterliks und ihren Bekannten, irgend jemand anderen auf dieser Welt interessieren kann. Trotzdem habe ich es einigemale mit Langweile weggelegt, ich meine trotzdem mich doch das Personelle sehr interessiert. Eine Handlung ist in den 900 (  !) Seiten kaum zu verfolgen, dafür ist aber alles mit viel gotischen Lozelachs [Schnörkeln] garniert. Ich hätte nach dem Gespräch mit ihm, mehr erwartet. Der Stil ist gut, doch manchmal gar zu sehr in Parade vorgeritten und halt recht kraus.1626

Und über den Spiegel-Artikel über Doderer 1957 schrieb er  : „Der deutsche ,Spiegel‘ hat Heimo im Titelbild nebst einem sehr langen Artikel über Ihn [sic] gebracht. Auch Papi [Paul Hasterlik] und Gusti sind erwähnt.“1627 Er erwähnte, dass Doderer 1957 von Österreich für den Nobelpreis vorgeschlagen worden war, den er nicht erhielt, und vom Österreichischen Staatspreis für Literatur, der ihm dafür 1958 verliehen worden war, sowie über ein Interview mit Doderer im österreichischen Radio. Heinrich Kopetz konnte den Erfolg Doderers als Schriftsteller nicht nachvollziehen, der, seiner Meinung nach, überschätzt wurde.1628 Anfang 1967 teilte Heinrich Kopetz Gusti Hasterlik mit, dass Heimito von Doderer gestorben war.1629 In einem Brief an Mia Hasterlik 1956, der dem hier nachfolgenden Brief vorausgeht, schrieb Heinrich Kopetz  : „Ich weiss nicht ob ich Dir geschrieben habe, dass ich einen langen Brief von Gusti bekam in dem sie sich über Heimo ausspricht. Ich habe ihr noch nicht geantwortet.“1630 Und in einem anderen 1626 Ebd., item 1364, 1951/07/24, Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria (Mia)]. 1627 Ebd., item 5313, 1957/06/13, Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria (Mia)]. Die Verweise auf Gusti Hasterlik und ihren Vater im Spiegel sind  : „Freunde des Autors wissen zu berichten, dass Doderer mit dem Kajetan von Schlaggenberg […] eine unglücklich verlaufende Ehe mit einer Jüdin gemein habe“ u. „1930 hatte Doderer die Tochter eines jüdischen Zahnarztes, Gusti Hasterlik, geheiratet. Die Ehe ging schon 1932 auseinander und wurde später geschieden. „Doderer  : Der Spätzünder“. In  : Der Spiegel, 11 (5.6.1957), H. 23, S. 53–58, Zit. resp. S. 54 u. 57. 1628 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5324, 1958/03/  ?  ? [Datum unbekannt  ; Brief von Giulia Hine nachdatiert], Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HA [Hasterlik, Auguste], und item 1566, 1957/07/03, Brief von KH an HM [Hasterlik, Maria (Mia)]. 1629 Ebd., item 5264, 1967/01/  ?  ? [Datum unbekannt  ; Brief von Giulia Hine nachdatiert], Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HA [Hasterlik, Auguste]. 1630 Ebd., item 0138, 1956/12/  ?  ? [Datum unbekannt  ; Brief von Giulia Hine nachdatiert], Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria (Mia)]. Tippfehler wurden korrigiert.

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Brief  : „Heimito Doderer wird immer mehr gefeiert. Gusti hat mir durch Maria Luise sagen lassen, warum ich ihr nicht schreibe  ? Ich habe nicht einmal ihre Adresse, fürchte sie aber von M. L. zu bekommen.“1631 Kopetz mochte Gusti Hasterlik nicht besonders  ; er fand sie etwas seltsam.1632 Doch Gusti Hasterlik schätzte ihrerseits Heinrich Kopetz, wie sie ihrer Nichte Giulia Koritschoner (Hine) 1946 schrieb  : „Grüss den Boni […] ich hab Riesenrespekt für seinen Mut, der hat wenigstens bewiesen, dass er die Nazi hasst, viele behaupten es jetzt, aber noch viel mehr sind genau dort wo sie waren.“1633 Schließlich antwortete Heinrich Kopetz doch noch auf Gusti Hasterliks Brief. Auslöser dafür war ein Radiointerview mit Doderer, das er gehört hatte. Dieser Brief ist aus mehreren Gründen interessant  : Er enthält eine Beschreibung Heimito von Doderers von jemandem, der ihn vor und nach dem Krieg gekannt hatte. Eine Beschreibung, die sehr gut zu dem Titel von Wolfgang Fleischers Doderer-Biografie passt  : Das verleugnete Leben. Heinrich Kopetz erklärt darin außerdem, warum er die Strudlhofstiege für überschätzt hält, wobei er dem Roman aber durchaus auch Qualitäten zugesteht. Der Brief ist ein interessantes Zeitdokument, sowohl zur kulturellen Situation Österreichs als auch zur Rezeption Doderers in Österreich und Deutschland nach dem Erscheinen der Dämonen 1956. Obwohl der Brief von Heinrich Kopetz undatiert ist, lässt sich zumindest feststellen, wann er den Brief zu Ende geschrieben hatte  : Er schreibt, den Brief am Tag des Radiointerviews mit Doderer begonnen zu haben, ihn dann aber drei bis sechs Wochen liegen gelassen zu haben, um ihn an dem Tag abzuschließen, an dem er das Foto von Doderer im Neuen Kurier entdeckt hatte. Das war der 25. Februar 1958  : Das Foto zeigt Heimito von Doderer mit der Strudlhofstiege im Hintergrund und dem Titel  : „Staatspreisträger  : Heimito Doderer“. In der Legende wird angekündigt, dass der Staatspreis für Literatur, mit dem „der Romancier Heimito Doderer und der Dichter Franz Karl Ginzkey“ ausgezeichnet werden, am 10. März vergeben werden soll  :

1631 Ebd., item 1389, 1957/02/25, Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria (Mia)]. 1632 Ebd., item 0392, 1947/04/01, Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HM [Hasterlik, Maria (Mia)], u. item 0209, 1954/04/  ?  ? [Datum unbekannt  ; Brief von Giulia Hine nachdatiert], Brief von KH an HM. 1633 Ebd., item 0367, 1946/03/17, Brief von HA [Hasterlik, Auguste] an KG [Koritschoner, Giulia]. (Die Umlautschreibung wurde korrigiert.)

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Unser Photo zeigt Heimito Doderer, der durch eine Reihe großangelegter Werke, wie „Die Strudelhofstiege“ [sic] und „Die Dämonen“, weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt geworden ist. Doderer gilt heute als der größte lebende Schriftsteller im deutschen Sprachraum.1634

Der nun folgende Brief wird hier mit Ausnahme der Absätze, die den Brief einleiten und beenden, vollständig wiedergegeben. Er beginnt mit Heinrich Kopetz’ Dank an Gusti Hasterlik für die Zusendung eines Buchs (New Yorker) und über den Niedergang der Wiener Kaffeehausliteratur und endet damit, dass er Marie-Louises Anfrage weiterleitet, ob Gusti einen „Bericht über das Leben in der Atomstadt“ (Gusti Hasterlik lebte in Los Alamos) schreiben könnte.1635 Brief von Heinrich Kopetz an Gusti Kalmus (gesch. Doderer, geb. Hasterlik) – 1958 Liebe Gusti  ! […] abgesehen vom grundsätzlichen Vorhaben, Dir zu schreiben, hat ein Interview, das Doderer im Wiener Radio gegeben hatte, die grimmige Freude, einmal den Mund (die Feder) in Bewegung setzen zu können über das, was sich da tut sozusagen aus ihren Fesseln gelöst. Ich habe bisher immer wo und wann und in welchem Sinne immer über das neue Phänomen des erfolgreichen Heimito geschwiegen. Ich hatte mich bei Maria Luise vor Jahren öfters mit ihm sehr gut unterhalten. Seine durch und durch Heimito v. Dodererhafte Art (und sonst ist da nichts) hat mich angeregt, amüsiert, seine Gespräche waren immer etwas Besonderes. Man erwartet sich auch nicht, wenn man zu Maria Luise kommt, etwas Erschütterndes zu erfahren, und ist angenehm berührt etwas Ungewöhnliches anzutreffen. Über Dinge zu hören, die man unter Automobilisten, Geschäftsleuten und Journalisten nicht zu hören bekommt. Du weißt wie eigenartig er ist und wie gebildet in einem sehr guten Sinne. Das war so als er noch ein unbekannter, so gut wie unbekannter Autor war.

1634 „Staatspreisträger  : Heimito Doderer“, Neuer Kurier, 25.2.1958, o. S. (Aus dem Archiv des Kurier.) 1635 Das Original ist mit Schreibmaschine geschrieben, sehr kompakt (kaum Absätze), Korrekturen und die Unterschrift „Boni“ fügte Heinrich Kopetz handschriftlich hinzu. Tipp- und Schreibfehler wurden korrigiert. Die Referenz für diesen Brief ist  : Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5324, 1958/03/  ?  ? [Datum unbekannt  ; Brief von Giulia Hine nachdatiert], Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HA [Hasterlik, Auguste].

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Die Darstellung seiner eigenen Persönlichkeit auf die doch alles, was er sagt, letzten Endes hinausläuft, ist unter den Larven der Alltagsmenschen von erfreulichem Wert. Und da macht es auch nichts – an solchen Nachmittagen, dass alles Gesagte und Behauptete unter dem bewussten Aspekt der autorenhaften Selbsterhöhung geschieht. Man nimmt es der Anregung willen hin, dass das Thema Illustration des Ausdrucks und nicht umgekehrt, dass der Inhalt Anlass zur Form und nicht Problem ist – als was es präsentiert wird. In der Albumsammlung des Lebens ist die Pagina Heimo eine die Mannigfaltigkeit der Formen bereichernde. Ein Species mehr und ein Species seltener Art mit wertvollen Qualitäten. Anders wird es aber, wenn nun diese ganze Sache in das Licht der Arriviertheit kommt. Das allein wäre noch immer nichts Übles. Ich würde mich sehr freuen, wenn ein Dichter mit dem ich auf dem Du-Fuß stehe bekannt wird, einen Welterfolg hat. Ich kann mich dessen berühmen, kann ihm vor allen Leuten Servus Heimo sagen, das macht einen guten Eindruck und wer macht einen guten Eindruck nicht gern  ? (Und dabei noch ein Mensch, der mich in irgendeiner Weise schätzt weil ich ihm vielleicht ein bisschen unheimlich (weil unheimoisch vorkomme, das weiß ich schon.) Dass aber diese nun weltoffenbar werdende Heimohaftigkeit (und sonst nichts als dieses) eine wichtige Affäre wird die so weit führt, dass sich das sich kulturwahrend gebende Österreich – das andere, wirkliche kennt ihn weder, noch hätte es das geringste Verständnis für ihn – sehr kränkt, weil er (Österreich schon wieder) nicht den Literaturnobelpreis bekam  ; – wenn er jetzt ins Englische übersetzt wird1636 wo er in die Welt der Angelsachsen passt wie der Humor ins Credo oder die Gemütlichkeit in den Klassenkampf, dann beginne ich (besser gesagt begann ich) zu schweigen, meine Ansicht für mich zu behalten, und mich aus der ganzen Sache herauszuhalten. Denn ich habe zu fürchten an mir selbst, an meinem Urteil zweifeln zu müssen. Ich kann nicht zustimmen, weil es eine Falschheit wäre und ich kann und will nicht sagen, was ich empfinde, weil ich mich schäme so gar nichts dem abgewinnen zu können, das so hochzuschätzen die intellektuelle Welt eifrig am Werke ist. Gusti, als ich vor Jahren, kurz nach ihrem Erscheinen die Strudelhofstiege [sic] zum ersten Mal in die Hand bekam, habe ich mich gefreut, etwas Herrliches lesen zu können und noch dazu von jemandem, dem man ein bisschen über die Schulter zu schauen in der Lage gewesen war. Die ersten Seiten begann ich mit Genuss. Dann aber sank die Erwartung, es wollte nicht recht weiter gehen, ich begann einige Absätze, einige Seiten zu überschlagen und dann endlich beschränkte ich mich darauf im Durchblättern alte Bekannte wiederzufinden. Das ist richtig, dass er die Leute ganz gut trifft. Am Besten natürlich sich selbst, den er immer in mehreren Figuren 1636 Die englischsprachige Übersetzung The Demons erschien 1961.

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erscheinen lässt, die aber alle die unverkennbare einmalige Person des mit aller Wichtigkeit und Bedeutungskumulation und nicht ohne liebevolle Zärtlichkeit dahingestellten Heimo v. Doderer. Die Spaltung einer Person in mehrere ist übrigens ein gern geübtes Mittel seiner Romane, um die persönliche Erfahrung in Ermangelung jeglicher Phantasie zu verwerten. Denn wenn die Lebhaftigkeit der Bewegung ohne die ein Roman seinen Namen nicht verdient weder durch eine Aussage noch durch eine Handlung genährt werden soll, so muss eine akribe [sic] und feinlinige [sic] Beschreibung möglichst vieler Personen das Bild des Lebens ersetzen. Die Sprache, das eigentliche und exquisiteste Element seines Wirkens muss sich in der Ausweidung möglichst vieler menschlicher Figuren ausleben. Dass dabei sehr behutsam, gleichsam mit Mikroskop und Skalpell zu Werke gegangen wird und gemeinhin unbeachtete Fasern und Einzelteile der bearbeiteten Objekte mit viel Sinn für Skurrilität und für die eigene Kunst, durch eigenartige Behandlung das Selbstverständliche zum Beachtenswerten zu machen, ist nun die wirkliche Kunst Doderers. Und dass dieses Vermögen mit jedem Atom überzeugt, und ohne die geringste Ablenkung, allen zu kund und wissen tut  : seht das ist unsere, meine, des Doderers Kunst, das macht die Kraft, die Suggestion, aber zugleich die Armut und erschreckende Eintönigkeit des Phänomens aus. Das ist es, dass hier der Welt das Genie vorgespielt wird und zwar in der obsoleten Form des Nurgenies, an dem nichts ohne eigenartige Bedeutung ist. Da gibt es keine Schwäche, kein versöhnlicher Zug der Banalität wird sich gestattet. Alles wird umgesetzt in Schnörkel der bemerkenswerten Eigenständigkeit. Ein Genie das keine private Minute kennt. Der Fleiß wird zur Unerbittlichkeit, die keinen Moment der Spannungslosigkeit riskiert, wird zum Selbst. Dieses Interview hat die Lebensarbeit Heimos enthüllt. Er vollfüllt [sic] das Ideal des geistigen Menschen der durch die Mittel den Zweck ersetzt. Ein konstruiertes Gebilde an dem peinlich alles Echte vermieden wird, weil dessen Kümmerlichkeit kompromittiert hätte. So ist alles Kunst geworden am künstlichsten der Künstler. Das ist es was ich zu Doderer zu sagen habe. Dir sage ich es zum ersten Male, vielleicht werde ich es auch anderen Leuten sagen, wenn über ihn gesprochen wird. Sein Erfolg ist für mich beunruhigend, weil ich ihn eigentlich nicht verstehe. Ist der Grund, dies nicht zu können der, dass ich ihn persönlich zu gut kenne  ? Oder ist sein Erfolg einfach die schreiende Armut der deutschen Literatur von heute, die froh ist wenigstens einen zu haben, der tausende Seiten in einer guten Sprache, fern von Gemeinplätzen vollschreibt  ? Ist dies genug um Aussage, Phantasie, Spannung, Handlung zu ersetzen  ? Ist das so viel um so viel nachzusehen  ? Nicht für mich. Ich bin vielleicht zu wenig Ästhet. Bis hierher kam ich. Es sind seither mindestens drei – 6 Wochen vergangen seit ich das Vorstehende schrieb. Ich konnte nicht mehr zu dem Brief finden, so sehr

Hat Heimito von Doderer eine Wohnung arisiert  ?

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mir das schlechte Gewissen zusetzte. Heute bringt der Kurier1637 ein Bild Heimos als Staatspreisträger. Das war das auslösende Zeichen. Ich stürzte nach Hause, holte die schon fast vergilbten Seiten hervor und schreibe wirklich den Brief zu Ende. Sei nicht bös Gusterl dass er so sehr spät kommt. Manchmal kann man etwas nicht machen, so sehr man sich dazu verpflichtet fühlt. Vielleicht musste ich auf dieses Bild warten. Jetzt ist es da. Heimo ist mit dem Staatspreis getröstet worden. Meistens bekommen die österreichischen Staatspreise Leute, deren Namen man zum ersten Male hört, wenn man darüber in der Zeitung liest. Jetzt haben sie sich eines anderen besonnen. […] Alles Liebe und Gute, die herzlichsten Grüße Dein alter Boni1638

V. Hat Heimito von Doderer eine Wohnung arisiert  ? Hat Heimito von Doderer 1938 in Wien eine Wohnung arisiert  ? Diese Frage beschäftigt auch heute noch. Dazu gab es bisher im Wesentlichen drei Versio­ nen. In der 1991 erschienenen Autobiografie des Zeitgenossen und Studienkollegen Doderers Viktor Matejka (1901–1993) heißt es, Doderer und Gütersloh hätten 1938 die Wohnung der Malerin Trude Waehner arisiert.1639 Matejka gab an, die von ihm geschilderte Arisierung so von Trude Waehner erzählt bekommen zu haben.1640 Dieser Darstellung geht Wolfgang Fleischer in seiner Doderer-Biografie 1996 nach, widerlegt dabei Matejkas Angaben und kommt zu dem Schluss, dass Doderer die Wohnung von Trude Waehner nicht arisiert hat.1641 In dem 2001 veröffentlichten Buch Unser Wien. „Arisierung“ auf österreichisch geht Stephan Templ weder auf die Schilderung Matejkas noch auf die Recherchen Fleischers ein. Er schreibt, Doderer hätte die Wohnung 1637 „Staatspreisträger  : Heimito Doderer“, Neuer Kurier, 25.2.1958, o. S. (Aus dem Archiv des Kurier.) 1638 Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, FSU, item 5324, 1958/03/  ?  ? [Original undatiert  ; von Giulia Hine nachdatiert], Brief von KH [Kopetz, Heinrich] an HA [Hasterlik, Auguste]. 1639 Vgl. das Kapitel „Eine Doderiade“, v. a. den Abschnitt „Zwei Arisierer“ (damit sind Doderer und Gütersloh gemeint). In  : Viktor Matejka  : Anregung ist alles. Das Buch Nr. 2. Wien 1991, S. 32–42, hier S. 40f. 1640 Ebd., S. 32. 1641 Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben. Die Biographie des Heimito von Doderer. 2. Aufl., Wien 1996, S. 275f., 350, 364, 368, 371 u. S. 551, Fn. III/21/2.

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von dem Vormieter Gregor Sebba arisiert.1642 2004 ist in einem Artikel im österreichischen Nachrichtenmagazin Profil von Marianne Enigl, die sich dafür auf das Buch Unser Wien beruft, nachzulesen  : „Der Dichter Heimito von Doderer […] arisierte im Mai 1938 das Atelier des Werbetexters Gregor Sebba in Wien-Josefstadt.“1643 Was bedeutet Arisierung  ? Im weiteren Sinn wird mit Arisierung der „Prozess der wirtschaftlichen Verdrängung und die Existenzvernichtung der Juden“ bezeichnet. Im engeren Sinn, so wie der Begriff hier verwendet wird, bedeutet es den Entzug von Eigentum bzw. im Fall von Mietwohnungen den „Eigentumstransfer von ,jüdischem‘ zu ,arischem‘ Besitz“.1644 Konkret geht es darum, ob Heimito von Doderer 1938, nach dem Anschluss, einen jüdischen Vormieter aus der Wohnung vertrieben hat, um sich dessen Wohnung anzueignen. Während Viktor Matejkas Darstellung völlig haltlos ist, wie noch gezeigt werden soll, und Wolfgang Fleischer sich in seinen Recherchen nur auf Trude Waehner bezieht, aber nichts über Gregor Sebba schreibt, weshalb seine Schlussfolgerungen zu kurz greifen, schreibt Stephan Templ, dass Doderer die Wohnung von Gregor Sebba arisiert habe. Doch obwohl er es als Tatsache formuliert und sich für seine Aussage auf das Meldearchiv stützt, ist es, wie noch gezeigt wird, nicht mehr als eine Vermutung. Außer Acht lässt er dabei auch, dass zwischen Gregor Sebba und Heimito von Doderer Gabriele Murad diese Wohnung gemietet hatte. Die Wohnung, um die es dabei geht, ist eine Mietwohnung in der Buchfeldgasse 6/13 im 8. Wiener Gemeindebezirk. Sie befindet sich im 4. und letzten Stock (Dachgeschoss) des Hauses. Heimito von Doderer hatte von Anfang August 1936 bis Ende August 1938 in Dachau bei München gelebt.1645 Sein letzter einwöchiger Kurzaufenthalt in 1642 Tina Walzer u. Stephan Templ  : Unser Wien. „Arisierung“ auf österreichisch. Berlin 2001. Der Abschnitt mit dem Titel „Topographie des Raubes“, um den es hier geht, wurde von Stephan Templ recherchiert und verfasst  ; zu Heimito von Doderer und Gregor Sebba vgl. S. 183f. Stephan Templ gibt als Quelle die MA 8, Meldearchiv an. (Meine E-Mail-Anfragen an Stephan Templ blieben unbeantwortet, und Tina Walzer, mit der ich sprach, konnte mir für diesen Teil des Buchs keine Auskunft geben.) 1643 Marianne Enigl  : „Der Adel und die Nazis, Teil 2  : Reich im Reich“. (profil.at. Das Online Magazin Österreichs, 27.5.2004  ; http  ://www.profil.at/index.html  ?/articles/0422/560/82825.shtml.) 1644 Brigitte Bailer-Galanda, Eva Blimlinger u. Susanne Kowarc  : „,Arisierung‘ und Rückstellung von Wohnungen in Wien“. In  : Österreichische Historikerkommission (Hg.)  : „Arisierung“ und Rückstellung von Wohnungen in Wien, S. 112. 1645 Doderers letzter Tagebucheintrag aus Dachau ist vom 30. Aug. 1938, sein erster Tagebucheintrag aus der Buchfeldgasse 6 in Wien vom 3. Sept. 1938. (Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939. Bd. II, S. 1108.)

Hat Heimito von Doderer eine Wohnung arisiert  ?

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Wien war Ende Dezember 1937 gewesen.1646 Ein knappes halbes Jahr nach dem Anschluss kehrte er nach Wien zurück und zog Anfang September 1938 in die Buchfeldgasse 6/13. Albert Paris Gütersloh, der „mit Wirksamkeit vom 30. Juni 1938 aus politischen Gründen in den zeitlichen Ruhestand versetzt“1647 worden war, bot er an, die Wohnung mit ihm zu teilen. Gütersloh nahm das Angebot an, und so war Doderer nach Gabriele Murad bis 1948 Hauptmieter der Wohnung in der Buchfeldgasse 6/13 und Gütersloh Untermieter. Bevor ich die Ergebnisse meiner Recherchen präsentiere, stelle ich die Hauptaussagen der drei Versionen vor  : Viktor Matejka  : Doderer, der „Arisierer“ Als „[z]wei Arisierer“1648 bezeichnet Viktor Matejka Heimito von Doderer und Albert Paris Gütersloh. Er schreibt  : Mit Beginn der NS-Herrschaft in Österreich bezog Doderer gemeinsam mit seinem Freund Albert Paris Gütersloh […] eine neue Wohnung im achten Wiener Gemeindebezirk in der Buchfeldgasse, ein Atelier […]. Dort hatte als Eigentümerin die Malerin Trude Waehner gewohnt.1649 Eines Tages waren bei ihr zwei Herren erschienen, der eine stramm und in Breecheshosen, der andere mehr im Hintergrund, und hatten der erschreckten Österreicherin mitgeteilt, daß die Räume beschlagnahmt seien. Waeh­ner entschloß sich zur Emigration […].1650

Nach dem Krieg kehrte Trude Waehner aus dem New Yorker Exil nach Wien zurück und prozessierte, „um ihre Wohnung von der Arisierung zu befreien“.1651

1646 Doderer war vom 24.12.1937 bis 31.12.1937 als Untermieter in Wien 1, Sterngasse 7/12, gemeldet, anschließend in Salzburg im Hotel Europe. (Vgl. WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.) Vgl. auch  : Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 271. 1647 „Hurdes e.h.“ an „Herrn ao. Prof Albert Paris GUETERSLOH“, „Abschrift“ vom 7.5.1951. (ÖStA/AdR, 03/BMU, Personalakt 3/49 zu Gütersloh, Albert, geb. 5.2.1887.) 1648 Vgl. den Abschnitt „Zwei Arisierer“ in dem Kapitel „Eine Doderiade“. (Viktor Matejka  : Anregung ist alles, S. 32–42.) 1649 Zu diesem Zeitpunkt war nicht Trude, sondern ihre Mutter Gisela Wähner Eigentümerin des Hauses. (Vgl. Bezirksgericht Josefstadt, KG 01005 EZ 131). 1650 Viktor Matejka  : Anregung ist alles, S. 40f. 1651 Ebd., S. 41.

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Wolfgang Fleischer  : das Arisierungs-Gerücht Wolfgang Fleischer zeigt, warum Viktor Matejkas Darstellung nicht stimmen kann. Matejka gibt als Datum der Arisierung den „Beginn der NS-Herrschaft in Österreich“ an  ; das wäre März 1938. Doch bis August 1938 lebte Doderer in Dachau bei München und Gütersloh noch in Salzburg.1652 Er schließt auch die von Matejka geschilderte wilde Arisierung aus. Über „jene Vermögensan­ eignung, die nicht behördlich genehmigt war“, heißt es im Bericht der Österreichischen Historikerkommission zu Arisierung von Wohnungen  :1653 Die „Arisierungen“ der Wohnungen gingen in verschiedenen Formen vor sich. Jüdische Mieter und Mieterinnen wurden von Privatpersonen, z. B. Nachbarn, Wohnungssuchenden usw. aufgefordert, die Wohnung binnen einer Frist zu verlassen. Diese „wilden Arisierungen“ hatten keine Rechtsgrundlage, die Wohnungen wurden von den neuen Mietern und Mieterinnen einfach in Besitz genommen. Die Vertriebenen mussten – hatten sie keine Möglichkeit zur baldigen Auswanderung – Unterschlupf bei Freunden oder Verwandten finden, die jedoch allzu oft selbst von der drohenden „Arisierung“ betroffen waren.1654

Laut Wolfgang Fleischer gab es im September 1938, als Doderer und Gütersloh in die Buchfeldgasse zogen, keine wilden Arisierungen mehr  ; zu diesem Zeitpunkt seien die Arisierungen bereits von den NS-Behörden übernommen worden.1655 Außerdem hätte Doderer die Wohnung von Trude Waehner nicht arisieren können, da sie keine Jüdin war.1656 Worauf Wolfgang Fleischer allerdings nicht hinweist, ist, dass Trude Waehners zweiter Ehemann Friedrich Schmidl jüdischen Ursprungs war. Auch Ehepaare, die in sogenannten „Mischehen“ (Ehen zwischen einem jüdischen und einem nichtjüdischen Partner) lebten, liefen Gefahr, ihre Wohnung durch Arisierung zu verlieren, auch 1652 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 276. Vgl. auch den Briefwechsel zwischen Gütersloh und Doderer für das Jahr 1938 (bis August) mit Angabe der Adressen Güterslohs in Wien und Salzburg und Doderers in Dachau. (Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel 1928–1962, S. 131–145.) 1653 Brigitte Bailer-Galanda, Eva Blimlinger u. Susanne Kowarc  : „,Arisierung‘ und Rückstellung von Wohnungen in Wien“. In  : Österreichische Historikerkommission (Hg.)  : „Arisierung“ und Rückstellung von Wohnungen in Wien, S. 112. 1654 Ebd., S. 115. 1655 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 275f. 1656 Ebd., S. 276.

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wenn eine „generelle Praxis der ,Arisierung‘ von Wohnungen bei ,Mischehen‘ […] nicht festgestellt werden“ kann.1657 Trude Waehner sei auch nicht auf Druck von Doderer und Gütersloh ins Ausland geflohen, sondern aus politischen Gründen, als überzeugte Gegnerin der Nationalsozialisten und da sie, den Kommunisten nahe stehend, selbst gefährdet war.1658 Wolfgang Fleischer schreibt außerdem, dass das Haus in der Buchfeldgasse ihrer Familie gehörte.1659 Genauer gesagt war ihre Mutter Hauseigentümerin der Buchfeldgasse 6  : „Das Eigentumsrecht einverleibt für Gisela Wähner allein (Kaufvertrag vom 11. Juni 1900)“.1660 Daran änderte sich auch bis zum Tod von Gisela Wähner am 19.12.1945 nichts, wie aus der Grundbuchseinlage hervorgeht. In der „Einantwortungsurkunde“ von Mai 1947 wurde die „Einverleibung des Eigentumsrechtes an der erbl. Liegenschaft, Haus in Wien, VIII., Buchfeldgasse No 6 […] für Gertrude Schmidl-Wähner“ vorgenommen.1661 Zurück zu Wolfgang Fleischers Schilderung, der darauf hinweist, dass Trude Waehner sich nach ihrer Hochzeit mit Nikolaus Szekely (sie hatten 1921 geheiratet) im Dachboden ein Atelier eingebaut hatte. Nach ihrer Emigration sei ihre Wohnung über eine Annonce zum Vermieten angeboten worden und von Gabriele Murad, einer Freundin Doderers, mit ihren Freunden Britta Blumencron und Edmund Schüller gemietet worden. Diese Wohnung hätten sie an Doderer abgetreten, als dieser nach Wien zurückkam.1662 Trude Waehner soll, so Wolfgang Fleischer, schon im August 1945 eine Räumungsklage eingereicht haben, doch da diese wegen eines Aufschubs nicht rechtswirksam geworden war, hob sie nun die ehemalige NSDAP-Mitgliedschaft Doderers hervor und bezeichnete ihre Wohnung als ,quasi-arisiert‘. Diese Aussage sei Grundlage für die Gerüchte gewesen, die Viktor Matejka ausgebaut habe.1663 Gütersloh schrieb wohl in Bezug auf die Räumungsklage am 13. Februar 1946 an Doderer, der sich noch bei seinem Onkel in Weißenbach am Attersee aufhielt  : 1657 Brigitte Bailer-Galanda, Eva Blimlinger u. Susanne Kowarc  : „,Arisierung‘ und Rückstellung von Wohnungen in Wien“. In  : Österreichische Historikerkommission (Hg.)  : „Arisierung“ und Rückstellung von Wohnungen in Wien, vgl. „2.2.4 Kündigungen bei ,Mischehen‘“, S. 123–127, Zit. S. 125. 1658 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 276. 1659 Vgl. ebd. 1660 „Stand vom 15. Juli 1927“. (Bezirksgericht Josefstadt, KG 01005, EZ 131.) 1661 „Einantwortungsurkunde“ 4600/47. (Bezirksgericht Innere Stadt, KG 01005, EZ 131.) 1662 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 276. 1663 Vgl. ebd., S. 350 u. S. 551, Fn. III/21/2.

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Die Buchfeldgasse steht noch. Einige unbedeutende, derzeit nicht behebbare Kriegsschäden mindern die Wohnlichkeit, aber mindern sie nur. […] Bedenklicher ist die amtliche Bedrohung. Man wollte nämlich den Hauptmieter [das ist Doderer] kündigen. Es ist – wie mir mein Anwalt vor einem Monat etwa sagte – gelungen, die Angelegenheit zu einem vorläufigen Stillstand zu bringen.1664

Beim Wohnungsprozess der Malerin Trude Waehner ging es, so Wolfgang Fleischer, nicht um Arisierung, sondern um den Anspruch an Eigenbedarf der Wohnung als Atelier.1665 Gütersloh war im Juni 1948 aus der Wohnung ausgezogen. Um ihr Atelier wieder nutzen zu können, schlug Trude Waehner Doderer vor, einen Stock tiefer zu ziehen, was er 1948 schließlich auch tat.1666 Am 30. April 1956 zog Doderer in den 9. Bezirk in die Währingerstraße 50, wo er bis zu seinem Lebensende wohnte.1667 Stephan Templ  : Doderer arisierte die Wohnung von Gregor Sebba Stephan Templ erwähnt Trude Waehner nicht. Er schreibt  : Buchfeldgasse 6, Wohnatelier Gregor Sebba Der Schriftsteller Heimito von Doderer […] „arisierte“ im Mai 1938 das Wohnatelier des Werbetexters Gregor Sebba (Türnummer 13). Der Maler Albert Paris Gütersloh zog später auch hier ein.1668

Er gibt auch Doderers NSDAP-Mitgliedsnummer und das Datum seines Beitritts an, wobei die Angabe des Monats falsch ist  : Doderer trat der NSDAP nicht am 1.10.1933 bei, wie Stephan Templ schreibt,1669 also zu einem Zeitpunkt, als die Partei in Österreich schon verboten war, sondern bereits am 1.4.1933, als sie noch legal war. Der Eintrag endet damit, dass Doderer in den 1950er-Jahren „weit über die Grenzen des deutschen Sprachraumes hinaus als Romancier bekannt wurde“ und in der „,Strudelhofstiege‘“ [sic], „die versunkene Welt Wiens um 1900 verklärte“.1670 1664 Brief von Doderer an Gütersloh vom 13.2.1946. (Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel 1928–1962, Zit. S. 179f.) 1665 Wolfgang Fleischer, Das verleugnete Leben, S. 276. (Es ist mir nicht gelungen, die Prozessakten ausfindig zu machen.) 1666 Ebd., S. 276 u. 371. 1667 Ebd., S. 435–437. 1668 Tina Walzer u. Stephan Templ  : Unser Wien, S. 183f. 1669 Ebd., S. 183. 1670 Ebd., S. 184.

Hat Heimito von Doderer eine Wohnung arisiert  ?

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Recherchen zur angeblichen Arisierung der Wohnung Stephan Templ stützt seine Aussage auf das „MA 8, Meldearchiv“. Dieser Quelle bin ich für meine Recherchen nachgegangen. Die Meldeunterlagen („Meldezettel“) des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 8, Wiener Stadt- und Landesarchiv, aus den Jahren 1925 (Datum der Anmeldung) bis 1947 (Datum der Abmeldung) ermöglichen eine Übersicht über die Mieter, die in dieser Zeit in der Buchfeldgasse 6/13 gemeldet waren  : Gertrude Wähner gesch. Szekely, verh. Schmidl, Dr. Friedrich Schmidl, Dr. Gregor Sebba, Gabriele F. Murad, Dr. Heimito von Doderer und Albert Gütersloh.1671 Außerdem konnte ich im Bezirksgericht Josefstadt im 8. Bezirk und im Bezirksgericht Innere Stadt im 3. Bezirk Einblick in die Grundbuchauszüge nehmen. Obwohl Stephan Templ die MA 8 als Quelle angibt, kam man dort nicht zum selben Schluss wie er, nämlich, dass Doderer die Wohnung des Vormieters Gregor Sebba arisiert hätte. Es wurde mir vielmehr mitgeteilt, dass aufgrund der in unserem Archiv verwahrten Bestände Ihre Frage, ob das Wohn­ atelier von Gregor Sebba in der Buchfeldgasse 6/13 von Heimito von Doderer „arisiert“ worden wäre, nicht eindeutig zu beantworten ist. In relevanten Aktenbeständen, wie etwa den VE-AV-Akten1672 oder den Rückstellungskommissionsakten des Landesgerichts für Zivilrechtssachen fanden sich keine diesbezüglichen Hinweise.1673

Gertrude Wähner Die folgenden Angaben zu Gertrude Wähner – sie schreibt sich auch Trude Waehner – stammen aus den Meldeunterlagen zur Buchfeldgasse 6. Sie wurde am 11. August 1900 in Wien geboren, war ursprünglich „r. katholisch“1674 und

1671 Vgl. WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Wien 8, Buchfeldgasse 6. 1672 VE-AV ist die Abkürzung für Vermögensentziehungs-Anmeldeverordnung, die ab Sept. 1946 „die Erfassung und auch Meldung entzogenen Vermögens durch die Betroffenen ermög­ lichte.“ Brigitte Bailer-Galanda, Eva Blimlinger u. Susanne Kowarc  : „,Arisierung‘ und Rückstellung von Wohnungen in Wien“. In  : Österreichische Historikerkommission (Hg.)  : „Arisierung“ und Rückstellung von Wohnungen in Wien, S. 162. 1673 Ich danke Oberarchivrat Dr. Karl Fischer u. Dr. Helmut Kretschmer für den Hinweis (zu  : WStLA, Historische Meldeunterlagen, Wien 8, Buchfeldgasse 6). 1674 Vgl. Meldezettel von Gertrude Wähner  : 4.9.1920 [Anmeldung] – 7.2.1921 [Abmeldung]  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/12. (WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Wien 8, Buchfeldg. 6.)

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ab 1925 „konfessionslos“.1675 Im Januar 1921 hatte sie Nikolaus Szekely geheiratet,1676 und am 13. April 1922 wurde ihr Sohn Gustav Szekely geboren. Das Ehepaar ließ sich scheiden, und Trude Waehner heiratete am 31. Oktober 1925 den damaligen Rechtsanwaltsanwärter und späteren Rechtsanwalt1677 Dr. Friedrich Anton Schmidl (geb. am 27.11.1897).1678 Als Beruf gab sie zunächst „Private“, dann „Privatlehrerin“ und schließlich „Malerin“ an.1679 Trude Waehner war schon von 1920 bis 1921, dann für zwei Monate im Jahr 1925 und nach ihrer Hochzeit mit Friedrich Schmidl schließlich für viereinhalb Monate im Jahr 1930 in der Buchfeldgasse 6 gemeldet gewesen, allerdings jeweils in Wohnungen im 3. Stock.1680 Erst von November 1925 und, mit Unterbrechungen, bis November/Dezember 1936 war sie in der Buchfeldgasse 6/13 in jener Wohnung als ,Mitwohnende‘ gemeldet, in der ab September 1938 Doderer und Gütersloh leben sollten. Die Meldezettel sind auf den Namen ihres Ehemannes Dr. Friedrich Schmidl als ,Hauptwohnpartei‘ ausgestellt  : Der erste vom 15. November 1925 bis 22. Oktober 1929  ; der zweite, ein knappes Jahr später, vom 15. Oktober 1930 bis 14. Dezember 1936  ; als Datum für den Umzug ist „Anfang November 1936“ angegeben.1681 Nach 1936 waren weder Friedrich Schmidl noch Trude Waehner in der Buchfeldgasse 6 gemeldet.

1675 Vgl. Meldezettel von Gertrude Szekely [geb. Wähner]  : 19.9.1925 [Anm.] – 16.11.1925 [Abm.]  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/12. (Ebd.) 1676 Als „Stand“ wurde zunächst „ledig“ angegeben, dann ihre Eheschließung mit Nikolaus Szekely hinzugefügt. (Vgl. Meldezettel von Gertrude Wähner  : 4.9.1920 [Anm.] – 7.2.1921 [Abm.]  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/12. – Ebd.) 1677 Vgl. Meldezettel von Dr. Friedrich Schmidl  : 17.10.1930 [Anm.] – 14.12.1936 abgemeldet  ; ausgezogen  : „Anf. November“  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13. (Ebd.) 1678 Vgl. Meldezettel von Gertrude Szekely  : 19.9.1925 [Anm.] – 16.11.1925 [Abm.]  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/12. (Ebd.) 1679 Vgl. resp. Meldezettel von Gertrude Wähner  : 4.9.1920 [Anm.] – 7.2.1921 [Abm.]  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/12  ; Gertrude Szekely  : 19.9.1925 [Anm.] – 16.11.1925 [Abm.]  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/12  ; Gertrude Schmidl  : [Anm.] 4.6.1930 – 18.10.1930 [Abm.]  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/14. (Ebd.) 1680 Vgl. ebd. 1681 Vgl. „Meldezettel für Haupt(Jahres- und Monats)wohnparteien“ von Dr. Friedrich Schmidl, 10.11.1925 [Anm.] – 22.10.1929 [Abm.]  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13  : ,Mitwohnende‘  : „Gertrude, früher Szekely, geb. Wähner“ u. „Gustav Szekely“, abgemeldet am 22.10.1929, „Gattin Dessau Deutschland abgereist“ sowie Dr. Friedrich Schmidl  : 17.10.1930 [Anm.] – 14.12.1936  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13  : ,Mitwohnende‘ „Gertrude Schmidl., geb. Wähner“, abgemeldet am 14. Dez. 1936, ausgezogen „Anf. November“. (Ebd.)

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Für den Zeitraum 3. November 1936 bis 8. April 1938 gab das Ehepaar die Langackergasse 1 „Gartenwohnung“ als Adresse an und vom 7. April 1938 bis 28. Oktober 1938 die Billrothstraße 83a, ebenfalls im 19. Bezirk. In der Rubrik „Umzug“ steht „angebl. in die Schweiz“.1682 Trude Waehner war zwar schon im Frühjahr 1938 in die Schweiz emigriert, doch Friedrich Schmidl kam erst später nach.1683 Während alle Meldezettel zwischen 1925 und 8. April 1938 auf Friedrich Schmidl als Hauptmieter (,Hauptwohnpartei‘) ausgestellt sind und seine Ehefrau Gertrude jeweils als ,Mitwohnende‘ angeführt ist, ändert sich das nach dem Anschluss  : Der letzte Meldezettel ist, wie schon angeführt, vom 7. April 1938 bis 28. Oktober 1938, aber diesmal mit Gertrude Schmidl als ,Hauptwohnpartei‘ und ihr Ehemann Friedrich als ,Mitwohnender‘ angegeben. Das dürfte darauf zurückzuführen sein, dass Friedrich Schmidl zwar konfessionslos war,1684 aber nach Nürnberger Gesetzen Jude.1685 Da die Malerin Trude Waehner und ihr Ehemann Friedrich Schmidl nach 1936 nicht mehr in der Buchfeldgasse gelebt haben, ist die schillernde Darstellung Matejkas, wie Doderer und Gütersloh Trude Waehner aus ihrer Wohnung vertreiben, eine Erfindung. Es stellt sich allerdings die Frage, ob Stephan Templ Recht hat, wenn er schreibt, dass Heimito von Doderer die Wohnung in der Buchfeldgasse 6/13 von Gregor Sebba arisiert hat. Gregor Sebba Gregor Sebba, Dr. der Rechts- und Staatswissenschaften („Dr. jur., Dr. rer. pol.“) ist am 22. August 1905 in Libau (Lettland) geboren. Er ist „staatenlos“, „ger. getrennt“, Religion  : mosaisch („mos.“). Als Beruf ist auf seinen Melde­ unterlagen zunächst „Schriftsteller“,1686 nach dem Anschluss dann „früherer Angestellter der Meinl AG“1687 angegeben. 1682 Vgl. Meldezettel von Dr. Friedrich Schmidl  : 7.11.1936 [Anm.] – 8.4.1938 [Abm.]  : Wien 19, Langackergasse 1, u. von Gertrude Schmidl  : 7.4.1938 – 28.10.1938  : Wien 19, Billrothstraße 83a. (Ebd.) 1683 Siehe weiter unten  : Anhang  : Gespräch mit Trude Waehners Sohn Gustav Szekely, S. 421. 1684 Ebd. 1685 Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien, Geburtsbuch, Rz. 2846 8  : Schmidl, Friedrich Anton, geb. 27.11.1897. (Austritt aus dem Judentum am 30.12.1924.) 1686 Vgl. „Meldezettel für Haupt(Jahres- und Monats)parteien“ von Dr. Gregor Sebba  : 6.10.1936 [Anm.] – 30.4.1938 [Abm.]  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13. (WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Wien 8, Buchfeldg. 6.) 1687 Vgl. „Meldezettel für Unterparteien“ von Dr. Gregor Sebba  : 13.6.1938 [Anm.] – 16.8.1938 [Abm.]  : Wien 1, Grünangergasse 1. (Ebd.)

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2. Gregor Sebba 1936

Gregor Sebba war vom 3. Oktober 1936 bis 30. April 1938 als ,Hauptwohnpartei‘ in der Buchfeldgasse 6/13 gemeldet (Friedrich Schmidl hatte als Datum für seinen Auszug Anfang November 1936 angegeben). Statt, wie üblich, der Angabe des neuen Wohnsitzes steht „unbek.“ (unbekannt). Während bisher Trudes Mutter Gisela Wähner die Meldezettel als Hauseigentümerin unterschrieben hatte, wurden diese ab 1936 von der Hausbesorgerin1688 Leopoldine Kresswaritzky als Stellvertreterin unterschrieben. Dass Gregor Sebba nur eineinhalb Monate nach dem Anschluss die Wohnung verlassen hatte, nur um für dreieinhalb Monate in eine andere Wiener Wohnung als Untermieter zu ziehen, bevor er Wien verließ, macht es durchaus wahrscheinlich, dass er gezwungen worden war, die Wohnung zu verlassen, kurz, dass seine Wohnung arisiert wurde. Doch auch das ist nur eine Hypothese, und selbst wenn diese sich als richtig herausstellen würde, könnte daraus noch nicht geschlossen werden, von wem die Wohnung arisiert wurde. 1688 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 276.

Hat Heimito von Doderer eine Wohnung arisiert  ?

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3. Gregor Sebba 1938

Wenn Stephan Templ schreibt, Heimito von Doderer hätte die Wohnung von Gregor Sebba arisiert, und sich dabei allein auf das „Meldearchiv“ bezieht, das er als Quelle angibt, so ist das nicht mehr als eine Vermutung. Er weist auch nicht darauf hin, dass zwischen der Abmeldung Sebbas aus der Buchfeldgasse 6/13 und der Anmeldung Doderers mehrere Monate vergehen  : Gregor Sebba hatte sich am 30. April 1938 aus der Wohnung abgemeldet, Heimito von Doderer am 2. September 1938, unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Wien, angemeldet. Anders ausgedrückt  : Im August 1938, als Heimito von Doderer noch in Dachau bei München lebte, war Gregor Sebba bereits nach Rotterdam (als Zwischenstation) emigriert. Was geschah in den vier Monaten zwischen Ende April und Anfang September mit der Wohnung  ? Gregor Sebba ist von 13. Juni 1938 bis 16. August 1938 im 1. Bezirk in der Grünangergasse 1 gemeldet. Für die Zeit zwischen Anfang Mai und Mitte Juni 1938 gibt es keine Hinweise. Er ist nun nicht mehr Haupt-, sondern Untermieter, und zwar von seiner ehemaligen Frau Elfriede Sebba. Am 20. Dezember 1931 hatten Gregor Sebba und (Alice) Elfriede geborene Ungar geheiratet  ; am

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24. August 1934 hatten sie sich scheiden lassen.1689 Als Beruf Gregor Sebbas ist hier „früherer Angestellter der Meinl AG“ angegeben  ; „früherer“ könnte ein Hinweis auf den Verlust seines Arbeitsplatzes als Jude sein.1690 Falls er sich gezwungen sah, die Wohnung zu verlassen, weil er für die Miete nicht mehr aufkommen konnte, entspräche auch das einer Arisierung bzw. einer Entziehung  : Verlor der Mieter [aus „rassischen“ Gründen] sein Einkommen, sodass er nicht mehr in der Lage war, den Mietzins zu bezahlen, worauf ihn der Vermieter wegen Zahlungsverzugs kündigte, so stellte dies auf Grund der Abhängigkeit dieser Kündigung von der nationalsozialistischen Machtergreifung ebenfalls eine Entziehung dar.1691

Mit 16. August 1938 ist er aus der Grünangergasse abgemeldet, am 15. August 1938 ausgezogen  : „nach Rotterdam, Holland“.1692 In einer Auflistung von „Österreichische[n] Soziologinnen und Soziologen im Exil 1933 bis 1945“ findet sich ein Eintrag zu „Gregor Sebba [geb.] Libau, Russland [Liepaja, Lettland] 22. August 1905 [gest.] Atlanta, Georgia 15. April 1985 amerikanisch-österreichischer Ökonom lettischer Herkunft“.1693 Gabriele Murad Gabriele Murad, eine Freundin von Heimito von Doderer, war seit 21. Juli 1938 in der Buchfeldgasse 6/13 gemeldet, das heißt fast drei Monate nach 1689 IKG Wien, Trauungsbuch, Stadttempel, Rz. 376/1931  : Sebba, Gregor. Auf seinen Meldeunterlagen sind als „Wohnungsgeber“ die Namen Elfriede Sebba und Frieda Bauer angegeben. (Vgl. „Meldezettel für Unterparteien“ von Dr. Gregor Sebba  : 13.6.1938 [Anm.] – 16.8.1938 [Abm.]  : Wien 1, Grünangergasse 1. – WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Wien 8, Buchfeldg. 6.) 1690 Im Archiv der Meinl AG konnte Gregor Sebba als Mitarbeiter nicht ausfindig gemacht werden. (Anfrage im Jahr 2009.) 1691 Georg Graf  : „Der Entzug von Mietrechten. Ein rechtshistorischer und rechtsdogmatischer Bericht unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklungen nach der Wiedererrichtung der Republik Österreich“. In  : Österreichische Historikerkommission (Hg.)  : „Arisierung“ und Rückstellung von Wohnungen in Wien, S. 11–90, hier S. 33. 1692 Vgl. Dr. Gregor Sebba  : 13.6.1938 [Anm.] – 16.8.1938 [Abm.]  : Wien 1, Grünangergasse 1. (WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Wien 8, Buchfeldg. 6.) 1693 „Österreichische Soziologinnen und Soziologen im Exil 1933 bis 1946“ – Eintrag  : Gregor Sebba. Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich. Institut für Soziologie. KarlFranzens-Universität Graz  : http  ://agso.uni-graz.at/soz/oes/oes_s.htm. (Es ist mir nicht gelungen, über das Archiv mehr über Gregor Sebba zu erfahren.)

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4. Gabriele F. Murad 1936

Gregor Sebbas Abmeldung. Sie ist bis 13. November 1938 in der Wohnung gemeldet (als Datum des Auszugs ist der Vortag angegeben),1694 obwohl Heimito von Doderer und Albert Paris Gütersloh schon seit Anfang September 1938 in der Wohnung lebten. Gabriele Murad ist somit die erste Mieterin nach Gregor Sebba, doch Stephan Templ erwähnt sie nicht. Wolfgang Fleischer schreibt, sie hätte die Wohnung über eine Annonce gefunden und diese gemeinsam mit ihrer Freundin Britta Blumencron und ihrem Studienkollegen Edmund Schüller gemietet.1695 1694 Gabriele Murad ist am 19.12.1913 in Wien geboren. Auf ihrem Meldezettel von 1938 ist u. a. angegeben  : katholisch, ledig u. Medizinstudentin („cand. med.“). („Meldezettel für Haupt(Jahres- und Monats)wohnparteien“ von Gabriele F. Murad  : 21.7.1938 [Anm.] – 13.11.1938 [Abm.]  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13. – WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Wien 8, Buchfeldg. 6.) Am 21.9.1939 heiratete sie den „Regierungskommissar“ Ferdinand Steinhart. (Ebd.) 1695 Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 276. (Heimito von Doderer gibt auf einem undatierten „Erhebungsbogen“ als Vormieter „Murad Gabriele“ und „Schüller Edmund“ an.

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5. Gabriele F. Murad 1938

Ob nun Gabriele Murad im Juli 1938 die Wohnung für sich und ihre Freunde gemietet hatte oder schon mit der Absicht, die Wohnung an Doderer abzutreten, sie war, wie sie 1981 im Gespräch mit Reinhold Treml sagte, die Wohnungssucherin für alle,1696 so auch für Doderer, für den sie 1936 die Wohnung in Dachau und 1938 die Wohnung in Wien gefunden hatte. Heimito von Doderer und Albert Paris Gütersloh Am 4. Juni 1938 schreibt Heimito von Doderer, der zu diesem Zeitpunkt noch in Dachau lebte, in sein Tagebuch  : „Meine Unentschlossenheit in Bezug darauf, ob ich hier bleiben werde, oder in Wien, München, Salzburg – diese Britta Blumencron wird nicht erwähnt  ; vgl. WStLA, NSDAP Wien, Gauakten, A 1  : 60.172 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896.) 1696 Reinhold Treml  : „Aus den Gesprächsprotokollen vom September 1981“  : Gaby Steinhart [unveröffentlicht].

Hat Heimito von Doderer eine Wohnung arisiert  ?

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6. Heimito von Doderer 1938

Unentschlossenheit bereitet mir ein Vergnügen.“1697 Laut Stephan Templ hat Doderer im „Mai 1938“ die Wohnung von Gregor Sebba arisiert  ; doch zu diesem Zeitpunkt lebte Doderer noch in Dachau. Am 5. August 1938 stand Doderers endgültige Abreise aus Dachau zwar mittlerweile fest, doch schien er für seinen neuen Wohnort immer noch keinen Entschluss gefasst zu haben. Er plante zuerst Gütersloh in Salzburg zu besuchen und anschließend auf den Riegelhof in der Prein an der Rax in Niederösterreich, dem Haus seiner Mutter, zu fahren. An Gütersloh schreibt er  : „Wie lange ich in Österreich bleiben werde und wo, das weiss ich nicht, ich bin ohne äussere Pläne und in dieser Hinsicht gleichgültig – sei’s nun Wien, München oder auch Salzburg als nächs­ ter dauernder Aufenthalt.“1698

1697 Heimito von Doderer  : Tagebücher 1920–1939, Bd. II, S. 1085 (4.6.1938). 1698 Brief von Doderer an Gütersloh vom 5.8.1938. (Heimito von Doderer/Albert Paris Gütersloh  : Briefwechsel 1928–1962, S. 143.)

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7. Heimito von Doderer 1939

Am 17. August 1938 wird erstmals die Buchfeldgasse als Unterkunft erwähnt, denn Gütersloh schreibt Doderer aus Salzburg  : Ich dürfte ja sehr bald in Wien sein, und wie Frl. Gaby [Gabriele Murad] mir sagte, besteht die Aussicht, daß Sie in der Buchfeldgasse hausen werden. Dort wäre dann wol [sic] der ideale Ort, uns miteinander auszusprechen. Denn darauf lege ich größten Wert  ! Steht doch im Herbste mein Wandern ins Exil in Aussicht.1699

Doch Gütersloh änderte seine Pläne  : Er ging nicht ins Exil, sondern zog in die Buchfeldgasse 6/13, wo er sich – unmittelbar nach Doderer – am 6. September 1938 als Untermieter anmeldete.1700 Doderer war seit 2. September 1938

1699 Brief von Gütersloh an Doderer vom 17.8.1938. (Ebd., S. 144.) 1700 Vgl. Meldezettel von Albert Gütersloh  : 7.9.1938 [Anm.] – [keine Angaben zur Abmeldung]  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13. (WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Wien 8, Buchfeldg. 6.)

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in der Wohnung gemeldet, zunächst ebenfalls als Untermieter, ab 6. November 1939 als Hauptmieter.1701 Fazit So aufschlussreich die Meldezettel auch sind – es geht aus ihnen eindeutig hervor, dass Doderer und Gütersloh Trude Waehner nicht aus ihrer Wohnung vertrieben haben –, geben sie doch keine endgültige Antwort. Im Fall von Doderer stimmen zwar die Daten seines Auszugs aus seiner Dachauer Wohnung Ende August 1938 und seiner neuen Wiener Adresse in der Buchfeldgasse Anfang September 1938 mit seinen Aufzeichnungen und den Meldezetteln überein, fraglich ist aber, ob die Wohnung in der Buchfeldgasse tatsächlich von 30. April 1938 bis 21. Juli unbewohnt war  ; es ist auch ungewiss, ob die Daten auf den Meldezetteln immer korrekt sind. Ebenso geht aus den Meldezetteln nicht hervor, warum Gregor Sebba die Wohnung verließ. Vermutlich könnten nur diesbezügliche Aufzeichnungen von Gregor Sebba oder jemandem, den er von seiner Lage in Kenntnis gesetzt hätte, Aufschluss darüber geben, warum und unter welchen Umständen er die Wohnung in der Buchfeldgasse verlassen hatte. Über die Schwierigkeiten, die Arisierung von Mietwohnungen zu eruieren, heißt es im Bericht der Österreichischen Historikerkommission  : Geschlossene Aktenbestände zum Tatbestand der sogenannten „missbräuchlichen Bereicherung“ nach dem § 6 des Kriegsverbrechergesetzes gibt es keine. Daher ist es ein mühsames Unterfangen, aus den Dokumenten, die vor allem im Landesgericht für Strafsachen in Wien lagern, die Geschichte der „Arisierung“ und deren Ahndung, im vorliegenden Fall im Besonderen die Geschichte der „Arisierung“ von Mietwohnungen zu rekonstruieren. In den meisten Fällen stößt man auf den § 6 erst in Zusammenhang mit Anklagen wegen anderer Delikte.1702 1701 Vgl. Meldezettel von Dr. Heimito von Doderer  : 2.9.1938 [Anm.] – 6.10.1939 [Abm.]  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13. (Untermieter)  ; 3.10.1939 [Anm.] – 3.11.1939 [Abm.]  : Schmerlingplatz 2  ; 7.11.1939 [Anm.] – 15.12.1947 [Abm.]  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13 (Hauptmieter). (Ebd.) Auf dem ersten Meldezettel hatte Doderer in der Rubrik Religion „konfessionslos“ angegeben  ; als Staatsbürgerschaft „Deutsches Reich (österr)“ u. in der Rubrik „Namen und Geburtsdaten der mitwohnenden [sic]“, „Gattin, auch Mädchenname“  : „Auguste, gebor. Hasterlik“ durchgestrichen und „verheiratet, getrennt, lebt seit 1932 nicht mehr in gemeins. Haushalte“. (Ebd.) 1702 Brigitte Bailer-Galanda, Eva Blimlinger u. Susanne Kowarc  : „,Arisierung‘ und Rückstellung von Wohnungen in Wien“. In  : Österreichische Historikerkommission (Hg.)  : „Arisierung“ und Rückstellung von Wohnungen in Wien, S. 144.

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Wegen der zahlreichen Wohnungen, die nach dem Anschluss aufgrund von Arisierungen und erzwungener Emigrationen zu mieten waren, könnten Gabriele Murad, Heimito von Doderer und Albert Paris Gütersloh gewusst haben – umso mehr als die Buchfeldgasse ein kleines Haus mit nur 14 Wohnungen ist –, dass der Vormieter Jude war und ob er gezwungen worden war, die Wohnung zu verlassen. Zumindest ließe sich so die Aussage von Dorothea Zeemann, der Freundin Doderers (sie kannten sich erst seit 1955), verstehen, als sie in ihrer 1982 erschienenen Autobiografie Jungfrau und Reptil schrieb  : „Doderer soll mit Gütersloh gemeinsam eine Judenwohnung bezogen haben  ; nach der damals gängigen Unmoral  : Tu ich’s nicht, tuts ein anderer.“1703 Am 15. September 1948 notierte Heimito von Doderer in seinem Tagebuch  : Heute werde ich meine Wohnung verlassen und im gleichen Hause um ein Stockwerk tiefer rücken. Mir wurde von der Eigentümerin des Hauses dieser Tausch aufgezwungen, da sie in den Besitz des Maler-Ateliers kommen wollte, darin Gütersloh als mein Nachbar bis zum 29. Juni gewohnt hat  : durch fast 10 Jahre. Nun, nach zehn vollen Jahren, räume auch ich hier ein Feld, auf dem immerhin einige Früchte mir gediehen sind, ob ich gleich nur vier Jahre hier säte und erntete (denn sechs Jahre lang mußt’ ich ja bei den Preußen sein)  : „Zihal“, „Die Strudlhofstiege“, und meine vier besten Essays.1704

Doderer teilte nunmehr die Wohnung mit Herrn Gold im dritten Stock. Herr Gold, so Gustav Szekely,1705 war Jude und hatte aufseiten der Partisanen in Jugoslawien für die Befreiung Österreichs gekämpft. Die 1950/1951 entstandene, aber erst 1958 veröffentlichte Erzählung Doderers „Die Posaunen von Jericho“ spielt, laut Wolfgang Fleischer, in dieser Wohnung, und die Dame in der Erzählung („Divertimento“) sei von Herrn Golds Mutter inspiriert.1706 Wie bereits erwähnt, war die alleinige Eigentümerin des Hauses in der Buchfeldgasse 6 Trudes Mutter Gisela Wähner.1707 Bis zu ihrem Tod wurde 1703 Dorothea Zeemann  : Jungfrau und Reptil. S. 53. 1704 Vgl. Heimito von Doderer  : Tangenten, S. 634 (15.9.1948). 1705 Siehe weiter unten  : Anhang  : Gespräch mit Trude Waehners Sohn Gustav Szekely, S. 419–422. 1706 Vgl. Wolfgang Fleischer  : Das verleugnete Leben, S. 379. 1707 Auf dem Dokument ist mit „Stand vom 15. Juli 1927“ der „(Kaufvertrag vom 11. Juni 1900)“ auf den Namen von Gisela Wähner eingetragen. (Bezirksgericht Josefstadt, KG 01005, EZ 131.) Der Hinweis „Stand vom 15. Juli 1927“ verweist auf die beim Brand des Justizpalastes verbrannten Grundbücher am 15. Juli 1927.

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kein Eigentümerwechsel verzeichnet. In der „Einantwortungsurkunde“ vom 27. Mai 1947 heißt es  : Der Nachlass nach der am 19.12.1945 ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung verstorbenen Gisela Wähner geb. Reiner, Musikpädagogin, zuletzt in Wien, VIII., Buchfeldgasse 6, wohnhaft gewesen, wird der erblasserischen Tochter Gertrude Schmidl-Wähner, 31 Park Terrace West New York 34, die auf Grund des Gesetzes eine bedingte Erbserklärung abgegeben hat, zur Gänze eingeantwortet.1708

Am 13. April 1971 verkaufte Trude Waehner das Haus an Olga und Kurt Hermann, wobei aber das „lebenslängliche […] Recht der Nutzung der Wohnung top. Nr 13/14“ der „Frau Gertrude Wähner und ihrem Sohn, Herrn Dr. Gustav Szekely“ zuerkannt wurde.1709 Am 20. Juli 1977 verkaufte Kurt Hermann das Haus an die Stadt Wien.1710 Gespräch mit Trude Waehners Sohn Gustav Szekely Die Gespräche mit Dr. Gustav Szekely, dem Sohn von Trude Waehner, fanden am 27. Juli und 29. August 2005 statt. Die folgenden Auszüge beruhen auf den Notizen, die ich mir während der Gespräche gemacht hatte. Als Zeitzeugen fragte ich Dr. Szekely auch nach seinen persönlichen und familiären Erfahrungen in Österreich. Der Anschluss bedeutete sowohl in seinem Leben als auch im Leben seiner Eltern einen Einschnitt  : Sein Vater, ein Beamter, der als ehemaliger Heimwehrführer den „Ständestaat“ unterstützt hatte, musste die neuen Machthaber nun fürchten. Er war daher bemüht, so Dr. Gustav Szekely, bis zur „Anbiederung“ dem NS-Regime seine Loyalität zu beweisen. Seine Mutter wiederum war eine Gegnerin der Nationalsozialisten 1708 „Einantwortungsurkunde“ 4600/47 (Bezirksgericht Innere Stadt, KG 01005, EZ 131). In der Grundbuchseinlage  : 131, Haus in der Buchfeldgasse Nr. 6 Konskr. Nr. 13  ; KG 01005, EZ 131, ist Gertrude Schmidl-Wähner mit 8.11.1947 eingetragen  : „8. November 1947, 4600/Auf Grund der Einantwortungsurkunde des Bezirksgerichtes Innere Stadt, vom 27.5.1947, 7a 98/46–21 wird das Eigentumsrecht einverleibt für Gertrude Schmidl-Wähner.“ (Schmidl ist durchgestrichen. Am 13. Feb. 1954 hatte Gertrude Schmidl-Wähner wieder ihren ursprünglichen Nachnamen „Wähner“ angenommen. (Bezirksgericht Josefstadt, KG 01005, EZ 131). 1709 Vgl. „Einantwortungsurkunde“, 4600/47 (Bezirksgericht Innere Stadt, KG 01005, EZ 131). In der Buchfeldgasse 6, auf der Tür Nr. 13 im 4. Stock, ist ein mit der Hand geschriebenes Schild auf den Namen „Waehner“  ; auf Tür Nr. 14 im 3. Stock lebt Trude Waehners Sohn Dr. Szekely. 1710 Vgl. Kaufvertrag 63200/71 (Bezirksgericht Innere Stadt, KG 01005, EZ 131).

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und stand den Sozialdemokraten oder Kommunisten nahe. Trotz der zahllosen Schwierigkeiten gelang es ihr, sowohl für sich als auch für ihren Sohn und ihren zweiten Ehemann Friedrich Schmidl, einem Rechtsanwalt jüdischer Herkunft, das Exil zunächst in die Schweiz und schließlich über Frankreich und Großbritannien in die USA zu organisieren. Im Jahr 2000 hatte Gustav Szekely den Bildband Aus dem Leben der Malerin Trude Waehner berichtet von ihrem Sohn veröffentlicht.1711 Die Familie Wähner Theodor Wähner, Gustav Szekelys Großvater, hatte von dem renommierten Architekten Joseph Urban das Haus in der Buchfeldgasse 6 erbauen lassen. Er stammte aus einer Grenzregion Österreichs, dem Joachimsthal (Sudeten, heute Jáchymov, Tschechische Republik), die „für deutsch-nationales Gedankengut oft anfällig“ war. Gustav Szekely vermutet daher, dass sein Großvater, Herausgeber einer Zeitung antisemitischer Prägung, deutsch-national orientiert war. Nach seinem frühen Tod erbte seine Frau Gisela Wähner das Haus. Gegen Ende des 2. Weltkriegs flüchtete sie vor den Luftangriffen aus Wien. Nach ihrem Tod Ende 1945 wurde Trude Waehner Eigentümerin des Hauses. In den 1920er-Jahren hatte Trude Waehner sich das oberste Stockwerk in der Buchfeldgasse als Atelier ausbauen lassen. [Es handelt sich um die Wohnung, in der von 1938 bis 1948 Heimito von Doderer und Albert Paris Gütersloh lebten.] Erinnerungen an den Anschluss Gustav Szekely war seit seiner Kindheit in Internaten. Die Trennung von seiner Mutter erlebte er als „sehr schmerzhaft“. In der Bundeserziehungsanstalt Traiskirchen war er einer „vaterländischen“ Ausbildung „ausgesetzt“ worden. Kurz vor dem Anschluss war es ihm gelungen, einen Internatswechsel durchzusetzen. Er kam in die katholische Neulandschule. Nach der „deutschen Er­ obe­rung Österreichs“ wurde in der Schule eine bronzene Hitlerbüste aufgestellt. Die Hitlerjugend gab dort nun den Ton an, dem sich selbst die Lehrer zu beugen hatten. Gustav Szekely wurde von ihnen geschlagen, da er sich geweigert hatte, eine Hakenkreuzschleife zu tragen. 1711 Gustav Szekely  : Aus dem Leben der Malerin Trude Waehner berichtet von ihrem Sohn. Hg. von Bezirksmuseum Josefstadt. Wien 2000.

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Andererseits besprach er aber mit einem seiner Schulkollegen einen möglichen Beitritt zur SS. Sein Vater, Nikolaus Szekely, ehemaliger Führer der Heimwehren, und der Vater seines Freundes, ehemaliger Minister der Regierung Schuschnigg, waren durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich gefährdet. Sein Vater unternahm alles, um sich „anzubiedern“, war bemüht zu beweisen, dass er seit Langem ein überzeugter Antisemit gewesen war, und ließ seinem Sohn Reitstunden geben, um diesen auf eine Karriere in der SS vorzubereiten. Gustav Szekely selbst war von der „Okkupation“ wenig begeistert. Er hatte keine Sympathien für die Nationalsozialisten, fühlte sich aber vor allem unpolitisch. 1938, im Alter von 16 Jahren, flüchtete er aus Österreich, um seiner Mutter Trude Waehner und Friedrich Schmidl zu folgen. Das Exil Trude Waehner war schon vor ihrem Sohn und ihrem Mann in die Schweiz emigriert. Sie traf dort die notwendigen Vorbereitungen, um die beiden nachkommen zu lassen. Bereits Anfang der 1930er-Jahre, zu ihrer Zeit als Studentin am Bauhaus in Dessau, rächten sich die Nationalsozialisten für ihre offen antinationalsozialistische Haltung, indem sie Hakenkreuze in ihre Bilder ritzten. Friedrich Schmidl wollte Wien nicht verlassen, doch gelang es Trude Waehner, ihn schließlich doch von der Notwendigkeit zu überzeugen. Da Friedrich Schmidl jüdischen Ursprungs war, rettete sie ihm damit das Leben. In der Nacht vom 4. Juli 1938 durchschwamm Gustav Szekely allein den Rhein in der Uniform der Hitlerjugend. An dieses Datum erinnert er sich, weil es dem „Independence Day“ seines späteren Exillandes, den USA, entspricht. Die Schweiz war nur die erste Etappe ihres Exils. Die Familie einer jungen Amerikanerin, einer Schülerin von Trude Waehner in Wien, verschaffte ihnen das notwendige „Affidavit“, um in die USA einreisen zu können. Doch scheiterte ihre Flucht von Frankreich in die USA zunächst an einem französischen Beamten. Schließlich gelang es ihnen aber, über England nach New York zu kommen. „Eine tapfere Frau“, so beschreibt Gustav Szekely seine Mutter Trude Waeh­ner. Auch wenn sie in New York als Malerin arbeitete, musste sie doch verschiedene Jobs annehmen, von deren Einnahmen die drei lebten. Weitere Unterstützung erhielten sie von einer Exilanten-Organisation. Gustav Szekely kam zunächst an eine „Boarding School“, später ans „College“. Schon früh interessierte er sich für die Wissenschaften, was er auch als eine Flucht vor

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den komplexen zwischenmenschlichen Beziehungen erklärt. Er arbeitete in der Forschung und musste nach dem Krieg, entgegen seinem Wunsch, nach Wien zurückzukehren und wegen der schwierigen beruflichen Integration in Österreich noch jahrelang zwischen New York und Wien pendeln. Trude Waeh­ner und Friedrich Schmidl hatten sich im US-Exil auseinander gelebt und scheiden lassen. Während Friedrich Schmidl in den USA blieb, kehrte Trude Waehner nach dem Krieg nach Wien zurück. Wien – Provence – Venedig Die Situation in Österreich nach 1945 missfiel Trude Waehner. Sie beschloss daher, nicht in Wien zu bleiben, sich dort aber ein Standbein zu behalten  : ihr Atelier in der Buchfeldgasse 6. Eine Zeit lang lebte sie in Frankreich in der Provence, später in Venedig. Ob sie den Kommunisten nahe stand, wie Wolfgang Fleischer schreibt, weiß Gustav Szekely nicht. Er schließt es aber nicht aus, da er sich an einen Brief von ihr erinnert, in dem sie die kommunistische Partei Österreichs für ihre Fehler kritisierte, damit aber gleichzeitig auch die Bedeutung zeigte, die diese für sie hatte. Zu ihrem Freundeskreis in New York zählten viele jüdische Sozialdemokraten. Heimito von Doderer und Edi Gold Gustav Szekely ist der Prozess seiner Mutter um die Wohnung nach dem Krieg bekannt. Er weiß allerdings nicht, ob die Wohnung als arisiert galt, und will daher zur Version Viktor Matejkas nicht Stellung beziehen. Seine Mutter hatte nach dem Krieg, so Gustav Szekely, bewusst eine Wohnung in ihrem Haus an einen Juden vermietet  : Edi Gold. Ingenieur Gold hatte an der Seite der jugoslawischen Partisanen für die Befreiung Österreichs gekämpft. Er zeigte sich „hervorragend entgegenkommend“, als er sich auf die Bitte Trude Waehners bereit erklärte, seine Wohnung mit Heimito von Doderer zu teilen. Somit kam Trude Waehner wieder zu ihrem Atelier im vierten Stock. Die wenigen Male, bei denen Gustav Szekely Gold und Doderer gemeinsam sah, wurden die Höflichkeitsformen immer gewahrt. An Heimito von Doderer erinnert er sich als einen „sehr höflichen und freundlichen Herrn“.

Dank

Dieses Buch geht auf meine Doktorarbeit „Le passé trouble de l’Autriche vu à travers sa littérature  : le cas de Heimito von Doderer“ an der Ecole Pratique des Hautes Etudes (EPHE) in Paris im Jahr 2006 zurück, die für den Druck stark überarbeitet und aktualisiert wurde. Mein Dank geht zuallererst an meinen Lebenspartner Prof. Gilbert Achcar für seine Ermutigung, mein Interesse für Literatur und die NS-Vergangenheit Österreichs in eine Doktorarbeit umzusetzen, für sein kritisches und sprachlich ausgefeiltes Lektorat der französischen Fassung und für seine Unterstützung in all den Jahren. Dankbar bin ich Prof. Jacques Le Rider für die Betreuung meiner Doktorarbeit, Prof. Wendelin Schmidt-Dengler und Prof. Gerald Stieg für ihre Begutachtung, die Zeit, die sie sich für die Auseinandersetzung mit meiner Arbeit genommen haben, und ihre hilfreichen Anmerkungen. Dank Prof. Wendelin Schmidt-Dengler konnte ich bei meinen Aufenthalten in Wien das DodererArchiv am Institut für Germanistik der Universität Wien ausgedehnt nutzen. Er unterstützte mich bei Recherchen, antwortete immer sofort und völlig unbürokratisch auf meine Anfragen und gab mir den entscheidenden Hinweis auf die Bedeutung der „Dämonen der Ostmark“. Ich wünschte, ich könnte mich dafür noch persönlich bei ihm bedanken. Dr. Gerald Sommer, Mitbegründer und Vorsitzender der Heimito von Doderer-Gesellschaft, sicherlich der beste Kenner von Doderers Werk mit einem „Überblick wie kaum ein anderer“ über das „reiche Material“, wie Prof. Wendelin Schmidt-Dengler über ihn schrieb, möchte ich besonders herzlich danken. Er war mir, dank der unzähligen Fragen, die er mir beantwortete, der zahlreichen Dokumente, die er mir zur Verfügung stellte und seiner besonders genauen und kritischen Durchsicht des Manuskripts eine unschätzbare Hilfe. Mein ganz besonderer Dank gilt auch dem Gutachter und dem FWF. Ständig im Einsatz für Recherchen zu kulturellen, literarischen, historischen und lateinischen Fragen war meine Familie in Wien, meine Eltern Doris und Dr. Herbert Kleinlercher und meine Schwester Birgit Kleinlercher, ebenso Sig­rid und Rolf Plutzar und Dr. Edda Fuhrich. Meinem Vater bin ich ganz besonders dankbar für die hartnäckigen und erfolgreichen Recherchen in österreichischen Archiven und meiner Schwester für das Lektorat – noch vor dem endgültigen Abschluss – des biografischen Teils. Persönliche Erfahrungen aus der NS- und Nachkriegszeit, von meiner Großmutter Trude Veit (2. Feb.

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Dank

1915–27. Juni 2007) geschildert, eine Generation nach Doderer, waren mir sehr wichtig. Eine entscheidende Rolle für dieses Buch spielten Wolfgang Fleischer und Giulia Hine  : am anschaulichsten zeigen das die Interviews, die sie mir gewährt haben. Wolfgang Fleischer erzählt humorvoll und fesselnd, manchmal auch provokant, was seine Gespräche, auch über die Interviews hinaus, immer zu etwas Besonderem machten. Mit Giulia Hine begann seit ihrer herzlichen Antwort auf meinen ersten Brief im Juni 2004 eine intensive Korrespondenz. Von ihr erfuhr ich von der Existenz Tausender Briefe der Familie Hasterlik, die sie 2003 dem Institute on World War II and the Human Experience der Florida State University (FSU) geschenkt hatte. Seitdem beantwortet Giulia Hine stets geradezu ansteckend gut gelaunt unzählige meiner Detailfragen zu den Familienbriefen. Danken möchte ich auch Barbara Hass, die mit Giulia Hine an der Hine Collection arbeitet und mir bei vielen Recherchen behilflich war. Sie ließ mir auch, im Einverständnis mit der FSU, eine CD-Rom der bereits übersetzten Briefe zukommen, als diese noch nicht im Internet veröffentlicht waren. Prof. William Oldson, dem Direktor des Institute on World War II and the Human Experience der Florida State University, und Joan Denman, Senior Archivist, bin ich dankbar für die Unterstützung bei meinen Recherchen in der FSU Hine Collection und die Genehmigung, Dokumente aus der Hine Collection zitieren und ausgesuchte Briefe veröffentlichen zu dürfen. Anne Marsh und Holly Sinco halfen mir bei technischen Fragen zur Benützung der Hine Collection auf der Website und schickten mir Fotokopien und Scans von Briefen in ihrer deutschsprachigen Originalfassung. Danken möchte ich auch für die Unterstützung, die ich in den Archiven erhielt, insbesondere Kirstin Hartisch vom Bundesarchiv Berlin  ; Herrn Wollny von der Deutschen Dienststelle (WASt) Berlin  ; Dirk Riedl von der KZ-Gedenkstätte Dachau  ; Mag. Wolf-Erich Eckstein von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien  ; Mag. Lotz von der Erzdiözese Wien  ; Dr. Klaralinda MaKircher, Dr. Karl Fischer, Dr. Helmut Kretschmer, Dr. Ferdinand Opll, Mag. Hannes Tauber, Katharina Smola und Herrn Simon vom Wiener Stadt- und Landesarchiv  ; Dr. Rudolf Jerabek, HR Dr. Ernst Petritsch und Mag. Hanna Keller vom Österreichischen Staatsarchiv sowie Dr. Wolfgang Weber vom Vorarlberger Landesarchiv. Für die Genehmigung zum Abdruck von Fotos, Briefen und Dokumenten danke ich Prof Dr. William Oldson und Joan Denman, Senior Archivist, vom Institute on World War II and the Human Experience, Florida State University

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(FSU), Giulia Hine und Barbara Hass (Privatsammlung Giulia Hine, Colorado, USA), Hannelore und Gustav König (Moosburg) und dem Wiener Stadt- und Landesarchiv. Zu diesem Buch haben im Laufe der Jahre viele beigetragen. Dankbar bin ich insbesondere Dr. Renate Beyer für das sorgfältige Schlusslektorat des Manuskripts, Dr. Reinhold Treml, der mir seine aufschlussreichen unveröffentlichten Gesprächsprotokolle von September 1981 mit Heribert Hutter, Milena von Dedovich und Gabriele Steinhart zur Verfügung stellte und mir so den lang gesuchten Schlüssel für die historischen Unstimmigkeiten in Doderers Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ lieferte  ; Mag. Robert Walter für seine kritischen Anmerkungen zu dem Buchabschnitt über Doderers Werk  ; Othmar Hanak für die Kopien der von Gusti Hasterlik und Heimito von Doderer beschriebenen Seiten auf den Dämonen Dostojewskis, einem Geschenk Gusti Hasterliks zu Doderers Geburtstag im Jahr 1932  ; Mag. Eugen Banauch für seine Recherchen über Doderer als Mitglied des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung und für seine Aufzeichnungen zu seinen persönlichen Begegnungen mit Doderer  ; Mag. Eva Blimlinger für die kritische Durchsicht des Abschnitts über die Arisierung  ; Mag. Stefan Winterstein, Dr. François Grosso, David Ramirer, Dr. Éric Chevrel, Oliver Hartlieb (Hartliebs Bücher), Dr. Alexander Potyka, Dr. Maria-Luise Häusler, Dr. Ve­rena Plutzar, Mag. Herbert Bitzan, Dr. Jean-Marc Dreyfus, Prof. Roger Griffin, Dr. Walter Kanelutti, Prof. Paul Pasteur, Dr. Alexander Ruoff, HR Dr. Erwin Schmidl, Prof. Enzo Traverso, Dr. Herbert Markwitz, Dr. Augustine Wöss, Georg Madeja, Frau und Herrn Rosenkranz (Buchhandlung am Rennweg-Center), Jutta Perisson-Waldmüller (Bibliothek des Österreichischen Kulturforums in Paris) und dem Team der Staatsbibliothek in Berlin  ; Dr. Monika und Dr. Artur Rosenauer sowie Barbara Holecek für Auskünfte über Freunde und Bekannte Doderers  ; Dr. Szekely für Gespräche über seine Mutter Trude Wähner und die Frage nach der Arisierung ihrer Wohnung in der Buchfeldgasse 6/13  ; Hanni Forester, der Nichte von Paul Elbogen, für Auskünfte über die Familie Elbogen  ; Johanna Kopetz geb. Laufer (1920–2009) für die Originale von zwei Widmungen Doderers aus dem Jahr 1948 und das Buch ihres Mannes Heinrich Kopetz  : Die unwiderstehlichen Neigungen. Einflüsse des Irrationalen in unserer Kultur  ; Suzie Wolff (1.11.1920 – 23.8.2008), der Schwester von Giulia Hine, für das Gespräch mit meinem Vater über ihre Erinnerungen im November 2004 in Kitzbühel  ; Prof. Catherine Colliot-Thélène und Dr. Pascale Laborier, den Direktorinnen des Centre Marc Bloch in Berlin und seinen Forscher/innen und Doktorand/innen sowie Prof. Clau-

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Danksagung

dine Delphis, die mir im Rahmen eines Methoden-Seminars die Möglichkeit gaben, meine Arbeit vorzustellen und zu diskutieren. Ihnen allen sei hier herzlichst gedankt.

Bibliografie Werke von Heimito von Doderer (in chronologischer Reihenfolge, mit Angabe der ersten Auflage in eckigen Klammern) Gassen und Landschaft. [Faksimile der Originalausgabe von 1923]. Würzburg  : Königshausen & Neumann 2005 (Schriften der Heimito von Doderer-Gesellschaft, Sonderband 1). Frühe Prosa  : Die sibirische Klarheit [1991]. Die Bresche [1924]. Jutta Bamberger [1968]. Das Geheimnis des Reichs [1930]. Hg. von Hans Flesch-Brunningen, Wendelin Schmidt-Dengler u. Martin Loew-Cadonna. München  : Beck 1995. Der Fall Gütersloh. Ein Schicksal und seine Deutung. Illustrationen. Wien  : Haybach 1930. Ein Mord den jeder begeht. Roman [1938]. München  : Beck 1995. Die erleuchteten Fenster oder Die Menschwerdung des Amtsrates Julius Zihal [1951]. Ein Umweg [1940]. Zwei Romane. München  : Beck, 2. Aufl. 1995. Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre. Roman [1951]. München  : Beck 1995. Die Dämonen. Nach der Chronik des Sektionsrates Geyrenhoff. Roman [1956]. München  : Beck 1995. Die Merowinger oder Die totale Familie. Roman [1962]. München  : Beck 1995. Die Wasserfälle von Slunj. Roman [1963]. München  : Beck 1995. Die Erzählungen [I. Divertimenti und Variationen, II. Kurz- und Kürzestgeschichten. III. Erzählungen [1972], Meine neunzehn Lebensläufe [1966]]. Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler. München  : Beck, 3. erw. Aufl. 1995. Der Grenzwald. Roman [Roman No 7. Zweiter Teil. Der Grenzwald. Fragment 1967]. Nachwort von Dietrich Weber. München  : Beck, 2. Aufl. 1995. Repertorium. Ein Begreifbuch von höheren und niederen Lebens-Sachen [1969]. Hg. von Dietrich Weber. München  : Beck, 2. Aufl. 1996. Die Wiederkehr der Drachen. Aufsätze/Traktate/Reden [1970]. Vorwort Wolfgang H. Fleischer. Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler. München  : Beck, 2. durchgesehene Aufl. 1996. Schriften und Erzählungen in Sammelbänden (in alphabetischer Reihenfolge) „Aide mémoire zu  : „Die Dämonen der Ostmark““. Herausgegeben und kommentiert von Gerald Sommer. In  : Gerald Sommer (Hg.)  : Gassen und Landschaften. Heimito

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Bibliografie

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Archive Bezirksgericht Innere Stadt (Wien) und Bezirksgericht Josefstadt (Wien) KG 01005, EZ 131  : Grundbuchseinlage  : Haus in der Buchfeldgasse Nr. 6 Bundesarchiv Berlin (BArch), ehemals Berlin Document Center (BDC) NSDAP-Mitgliederkartei Mit Angabe der Aufnahme in die NSDAP Doderer, Bertha, geb. 9.8.1880  ; Aufn. 1.11.1938 Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896  ; Aufn. 1.4.1933 Doderer, Herbert von, geb. 5.6.1903  ; Aufn. 1.10.1940 Doderer, Peter, geb. 8.8.1909  ; Aufn. 1.11.1938 Doderer, Richard, geb. 28.10.1876  ; Aufn. 1.11.1938 Doderer, Wilhelm [Immo] von, geb. 21.5.1886  ; Aufn. 1.6.1940 Dressel-Uyleveldt, Otto, geb. 19.1.1896  ; Aufn. 4.6.1932 Haybach, Rudolf, geb. 29.12.1886  ; Aufn. 1.4.1933 Thoma, Emma, geb. 27.03.1886  ; Aufn. 1.5.1937 Waggerl, Edith, geb. 5.3.1897  ; Aufn. 1.5.1938 Waggerl, Karl Heinrich, geb. 10.12.1897  ; Aufn. 1.5.1938 Rasse- und Siedlungshauptamt (RS) RS, Steinhart, Ferdinand von, geb. 24.06.1910. Reichsärztekammer (RÄK) Schüller, Edmund, geb. 28.5.1916  ; „Mitglied der NSDAP ja“ (o. J.) Steinhart von geb. Murad, Gabriele, geb. 19.12.1913  ; „Mitglied der NSDAP ja“ (o. J.)

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Reichskulturkammer (RK) R 65 V [Reichsschrifttumskammer]. RK/2000/ X0033, Gütersloh, Prof. Albert Konrad, geb. 5.2.1887. RK/2100/B 33/1125 [Reichsschrifttumskammer in der Reichskulturkammer], Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. SS-Unterführer und Mannschaften (SM) SM 6290/M0047, Milohnic, Andreas, geb. 18.10.1904. Deutsche Dienststelle (WASt) [Wehrmachtsauskunftsstelle]. Berlin, V–21–677/649, Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. Doderer-Archiv, Institut für Germanistik an der Universität Wien „Briefe“ Briefe an Doderer von  : Elbogen, Paul, 7.6.1951 u. 29.6.1951 (Abschrift  : Engelbert Pfeiffer). Briefe von Doderer an  : Elbogen, Paul, 29.8.1951 (Briefentwurf ) Jandl, Ernst, 30.9.1966 Scharmitzer, Ernst, 24.9.1942 Spiel, Hilde, 31.8.1962, 25.4.1963 u. 25.6.1963 Steinhart-Murad, Gaby von, 22.3.1946 Briefwechsel  : Fritz Feldner u. Hilde Spiel  : Feldner, Fritz an Hilde Spiel, 2.6.1951 Spiel, Hilde an Fritz Feldner, 13.6.1951 „Dokumentation Heimito von Doderers Frauen, Gusti Hasterlik Dokumente“ Brief von Václava Suchá an Julia Grissinger, 3.1.1995. „Gusti I 1921–1926“ Briefe von Auguste (Gusti) Hasterlik an Doderer, 16.4.1926, 21.4.1926 u. 30.4.1926. „Gusti II, 1927–31“ Briefe von Auguste (Gusti) Hasterlik an Doderer, 20.10.1927 u. [  ?].10.1930 [Postkarte]  ; 24.9.1930. Giulia Hine Privatsammlung  : Briefe und Dokumente ab 1970 Briefe von  : Elbogen, Paul an HA  : 1971/02/13  ; 1972/06/13  ; item 5283, 1975/06/25  ; an Johannes [Nachname nicht angegeben]  : item 8178, 1971/08/30  ; an Pfeiffer, Engelbert  : item 1952, 1986/10/23. Forester, Hanni an Hine, Giulia  : 1987/06/16 Hass, Barbara an Calbrese, Joe, item 9069, 2003/07/23  ; an Manhatten Project Heritage Preservation Association  : item 9075, 2003/07/23.

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Hine, Gerald (ursprünglicher Name  : Hans Gerhard Heine) an KG  : item 2068, 1973/05/07. Ziegler, Karl an Hine, Harvey  : item 3974, 1985/12/05. Dokumente  : „City of Vienna Magistrate, Cemeteries“ an Hine, Harvey item 3976, 1985/08/14. Pfarramt Dornbach  : 1900/55/44, Geburtsurkunde, Hasterlik, Maria, geb. 16.5.1900. Hine Collection, Institute on World War II and the Human Experience, Florida State University (FSU) http  ://www.fsu.edu/~ww2/Hine/hine_collection.htm – Collection of Letters, Florida State University 2003, aktual. 10.9.2009 (Stand  : 2.04.2010) Originale (meist deutschsprachig) von 1777 bis 1969 am Institute on World War II and the Human Experience, Florida State University (FSU). Englische Übersetzungen von Giulia Hine (teilw. Scans von Dokumenten auf Deutsch) bis ca. 1949 unter  : http  ://www.fsu.edu/~ww2/Hine/hine_collection.htm – Collection of Letters, Eingabe  : „Search“. Originale ab 1970 in der Privatsammlung von Giulia Hine. Die hier angegebenen Briefe lassen sich auf der Website unter „Search“ nach der ItemNummer, dem Datum, dem Namen des Absenders oder Empfängers oder nach anderen Stichwörtern aus den Briefen finden. Fragezeichen nach den Daten wurden von Giulia Hine bei undatierten, nachdatierten und unvollständig datierten Briefen angefügt. Einträge zu Heimito von Doderer finden sich auf der Website der FSU Hine Collection unter  : Heimito* (74), Heimo* (26), Heimchen* (2), Heimerl* (1) und H.* in Auguste Hasterliks Tagebuch („diary – HA“) von 1928 (auf Deutsch auf der Website). Zu Doderer* gibt es 212 Einträge, die sich ebenso auf Heimito als auch auf seine ehemalige Frau Auguste (Gusti) beziehen können, die den Familiennamen von Doderer bis zu ihrer zweiten Eheschließung im Jahr 1949 beibehielt. Auf der Website der Hine Collection verwendete Abkürzungen  : HA = Hasterlik, Auguste, genannt Gusti (gesch. Doderer, verw. Kalmus) HM = Hasterlik, Maria, genannt Mia (gesch. Weiss, verw. Koritschoner, verh. Heller) KG = Koritschoner, Giulia (verw. Hine) KH = Kopetz, Heinrich, genannt Boni WS = Weiss, Suzanne (gesch. Seemann, gesch. Wolff ) Briefe von  : American Lloyd an Hasterlik, Paul  : item 0745, 1941/07/01. Austrian Embassy an HM  : item 0564, 1928/12/17, [Radiogramm]. Basset, Elsie an HA  : item 8243, 1942/11/18. Carnap, Ina an Hasterlik, Sam  : item 3576, 1938/05/23  ; item 3577, 1938/06/11. Carnap, Rudolph an „U.S. Consul“ u. „American Consulate“ resp.  : item 0890, 1939/12/02, document – affidavit of support  ; item 0756, 1940/10/20. Chlumezky, Sofie an HM & Heller, Thomas  : item 0834, 1949/07/28.

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Elbogen, Paul an HA  : item 5051, 1943/01/20  ; item 5059, 1943/06/09  ; item 5237, 1947/01/21  ; item 5244, 1951/08/01  ; item 5248, 1953/03/18  ; item 5241, 1959/06/01  ; item 5265, 1961/02/13  ; item 8089, 1962/09/16  ; item 5258, 1963/02/08  ; item 5251, 1963/02/19  ; item 5252, 1963/07/30  ; item 5262, 1967/01/07  ; item 5265, 1967/02/13. Freundlich, Eva an Sigerist-Ott, Alice  : item 2840, 1944/04/08 [Karte]. Gruenberg [Grünberg], Alexander an HA  : item 4287, 1947/03/21  ; item 4650, 1947/04/19  ; item 8060, 1960/07/22. HA (Hasterlik Auguste) an „English Imperial General Consulate, Vienna“  : item 2593, 1938/09/13  ; an HM  : item 3442,1940/10/08  ; an Kalmus, Ernst  : item 5038, 1945/08/22  ?  ; an KG  : item 0551, 1941/12/09  ; item 0495, 1945/11/15  ; item 0367, 1946/03/17  ; an „Mrs. Saywell“  : item 2599, 1938/07/06  ; „P, Mrs.“ [Peggi Saywell]  : item 2508, 1938/06/24  ; an Pentlarz, Ernst  : item 3435, 1937/08/30. Hasterlik, Paul an HA  : item 1471, 1921/05/24  ; item 3305, 1932/07/29 [von „Hasterlik Paul u. Irma“]  ; item 3307, 1932/08/09  ; item 3362, 1936/12/18  ; item 3581, 1938/11/28  ; item 3584, 1938/11/30  ; item 3042, 1938/12/04  ; item 3589, 1938/12/07  ; item 3109, 1938/12/13  ; item 3041, 1938/12/15  ; item 3118, 1938/12/25  ; item 3117, 1939/01/03  ; item 3063, 1939/01/20  ; item 3111, 1939/01/25  ; item 3112, 1939/01/26, [von „Hasterlik, Paul et al“]  ; item 3110, 1939/02/02  ; item 3062, 1939/02/22  ; item 3084, 1939/06/10  ; item 3068, 1939/06/26–28  ; item 3044, 1939/08/27  ; item 3605, 1940/03/12  ; item 3588, 1940/04/19  ; item 3544, 1940/07/05  ; an HA & HM  : item 0192, 1941/01/25  ; item 0189, 1941/05/17  ; item 3767, 1941/11/10  ; an Hasterlik, Germina  : item 3039, 1939/05/15  ; an HM  : item 3667, 1936/02/16  ; item 0184, 1940/08/01  ; an KG  : item 4173, 1941/08/25  ; 0713, 1942/05/01  ; item 0713, 1942/05/01  ; an Koenig, Grete (Wachtel) u. Koenig – Wachtel, Grete resp.  : item 3541, 1940/06/23  ; item 3272, 1941/06/24. Hasterlik, Samuel an Carnap, Mrs. R.C [Ina]  : item 3578, 1938/06/16. Heller, Thomas an HM  : item 1813, 1940/09/14  ; item 1825, 1943/08/07 [Telegramm]. HM (Hasterlik Maria) an HA  : item 3071, 1939/04/23  ; item 3080, 1939/09/04, [an] HA & WS [Weiss, Suzanne]  ; item 3053, 1939/10/27  ; item 3840, 1940/07/04  ; item 3530, 1940/10/04  ; item 2884, 1960  ?/01/28  ; an KG  : item 0876, 1939/01/08  ; item 1061, 1939/02/10  ; item 2607, 1939/03/03  ; item 1058, 1939/03/06  ; item 0859, 1939/06/06, [von] HM & Hasterlik, Paul  ; item 1173, 1945/05/14  ; item 0493, 1945/06/23  ; item 1213, 1946/02/15  ; an KH  : item 0341, 1946/03/03  ; an Nettel Rudi  : item 3300, 1939/07/21  ; an Sigerist-Ott Alice  : item 4247, 1939/08/27. Josefovits, Josephine [Josefine] an HA  : item 3222, 1947/03/18  ; item 3769, 1947/12/12. Jüdische Kultusgemeinde Neu-Bidschow an Hasterlik, Paul  : item 0904, 1941/06/13  ; item 0906, 1941/06/27. item 0905, 1941/08/31.

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KG (Koritschoner Giulia) an HA  : item 3070, 1939/03/12  ; item 3096, 1939/04/03  ; an HM  : item 3070, 1939/03/12  ; item 0786, 1945/02/06  ; item 0785, 1945/05/28. KH (Kopetz Heinrich) an Grete [ohne Angabe des Nachnamens]  : item 1457, 1941/01/21  ; an HA  : item 5324, 1958/03/  ?  ? [sic – Brief von Feb. 1958] u. item 5264, 1967/01/  ?  ?  ; an HM  : item 1312, 1929/08/10  ; item 0295, 1941/11/  ?  ?  ; item 0270, 1946/02/01  ? [von] „KH and Ellen“  ; item 0270, 1946/02/01  ? [von] „KH and Ellen“  ; item 0374, 1946/02/09  ; item 0382, 1946/09/30  ; item 0392, 1947/04/01  ; item 5028, 1947/10/11  ; item 4402, 1948/07/01  ; item 1147, 1948/09/06  ; item 1267, 1949/03/01  ; item 1130, 1949/03/18  ; item 1364, 1951/07/24  ; item 0376, 1952/08/19  ; item 0209, 1954/04/  ?  ?  ; item 0138, 1956/12/  ?  ?  ; item 1389, 1957/02/25  ; item 5313, 1957/06/13  ; item 1566, 1957/07/03  ; an KG  : item 0358, 1946/01/26. Knaggs, F., Commissioner for Kenya, Northern Rhodesia, Nyasaland, Tanganyika, Uganda, Zanzibar an HA  : item 2597, 1938/09/15. Magden, Therese an HA  : item 3808, 1941/01/22. Meinhart, Hugo an HA  : item 1703, 1939/01/16. Neubauer, Erika an HA  : item 4041, 1947/10/04. Novakovic, Olga an Sigerist-Ott, Alice  : item 1035, 1942/06/22. Pentlarz Ernst, an HA  : item 3655, 1935/08/27  ; item 3398, 1936/09/25. Ratz, Erwin an HA  : item 4035, 1947/10/04. Renée [Gaertner] an HA  : item 3542, 1940/07/26. Schmidt, Franz an HA  : item 3721, 1919/08/01  ?  ; item 3723, 1919/09/04. Sigerist-Ott, Alice an HM  : item 4241, 1940/02/07. Spaeth, Eloise an HA  : item 3671, 1940/06/19. Stome, Nanne an HA  : item 3884, 1921/06/  ?  ?. U.S General Consulate an Hasterlik, Paul  : item 0897B, 1940/07/31. Weiss, Bertha an HM  : item 0418, 1940/05/01  ; an Sigerist-Ott, Alice  : item 1891, 1942/09/07. Wolff, Ted an HM  : item 2983, 1944/12/05. WS (Weiss Suzanne) an HM  : item 1919, 1942/05/  ?  ?  ; item 2972, 1943/06/08  ; item 1928, 1943/11/14  ; item 1937, 1945/02/25. Wydler bzw. Wydler-Reiter, Marie-Louise [gesch. Wydler  ; verh. Reiter] an Elbogen, Paul  : item 5307, 1956/09/27  ; an HA  : item 3182, 1946/02/02  ; item 5417, 1956/10/14. Dokumente zu Doderer, Heimito von und Hasterlik, Auguste  : item 0503, 1936/03/27, „document – marriage certificate – Doderer – HA“  ; item 1599, 1938/12/28 „Document – divorce decree Doderer/Gusti“. zu Hasterlik, Auguste  : item 3904, 1896/07/24, „birth/baptism certificate – (HA)“  ; item 3907, 1945/01/15, „Document – naturalization“  ; item 5722, 1949/01/27, „Document – marriage certificate Kalmus“ [HA u. Kalmus, Ernst]  ; item 3890,

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Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Archiv der Republik (AdR) Zu Doderer ÖStA/AdR, 02/BMI, Gauakt 177.291 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. – „Mitglieder-Überweisung“, von „NSDAP. Gau Wien Der Gauschatzmeister“ an „den Kassenleiter der Ortsgruppe der NSDAP.“, 22.12.1939 (Eingang  : 13.6.1940). – „Pg. Dr. Ernst [sic] Hainsto [  ?] Doderer“ (handschriftlich, Unterschrift unleserlich, „7/4“ [o. J. – 1940  ?]. – „Geheime Staatspolizei Staatspolizeileitstelle Wien.“ an „die NSDAP. Gauleitung Wien Personalamt bzw. An die Kreisleitung Ortsgruppe“, 9.5.1940. – „Gauleitung Wien Personalamt Hauptstelle politische Beurteilungen“ an „die NSDAP. Gauleitung Personalamt bzw. An die Kreisleitung I Ortsgruppe“, 9.5.1940. Zu Gütersloh ÖStA/AdR, 02/BMI [Bundesministerium für Inneres], Gauakt 49.307 zu Gütersloh, Albert, geb. 5.2.1887. – „Der Bezirksführer“ an „die Landesführung Wien der V.F [Vaterländischen Front] – D.O. Referat“, 25.6.1937. – „Der Staatskommissar beim Reichsstatthalter“ an „die Gauleitung Wien der NSDAP“, 28.11.1938. – „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Gau Wien Kreisleitung I.“ an den „Ortsgruppenleiter“, 30.3.1939. – „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Gau Wien Kreisleitung I Personalamt“ an „das Gaupersonalamt der NSDAP. in Wien.“, 9.6.1939. – „Der Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste, beim Landeskulturwalter, Gau Wien“ an die „Gauleitung Wien der NSDAP.“ – „Personalamt Polit. Beurteilung“ an „die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Wien“, 18.2.1940. – „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Gauleitung Wien“ an „die Hauptstelle politische Beurteilung“, 18.6.1941. – „Der Ortsgruppenleiter“ und „Der Personalamtsleiter“ [unterschrieben] an „das Personalamt Kreis I der NSDAP“, 1.9.1941. – „Geheime Staatspolizei Staatspolizeileitstelle Wien“ an „die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, Gauleitung Wien – Gaupersonalamt“, 17.9.1941. ÖStA/AdR, 03/BMU, Personalakt 3/49 zu Gütersloh, Albert, geb. 5.2.1887. „Hurdes e.h.“ an „Herrn ao. Prof Albert Paris GUETERSLOH“, „Abschrift“, 7.5.1951. Zu Milohnic ÖStA/AdR, 02/BMI/Abteilung 2, Karteikarte zu Milohnic, Andreas, geb. 18. 10.1904. Vorarlberger Landesarchiv Bregenz (VLA) VLA, 1194  : Milohnic, Andreas, geb. 18.10.1904.

Bibliografie

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„Registrierungsblatt zur Verzeichnung der Nationalsozialisten gemäß § 4 des Verbotsgesetzes 1947“ [o. J.] Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA)  : WStLA, NSDAP Wien, Gauakten, A 1  : 60.172 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. „Erhebungsbogen“ (Buchfeldgasse N° 6) [o. J. – 1939  ?]. WStLA, NSDAP Wien, Gauakten, A 1  : 61.843 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. „Fragebogen für Mitglieder der NSV.“ von „Dr. Heimito von Doderer“ an „NSV. Gau Wien.“, 1.2.1940. WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 8. Bez./3932 zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. – „Meldeblatt zur Registrierung der Nationalsozialisten im Sinne des Art. II des Verfassungsgesetzes vom 8. Mai 1945, St. G. Bl. Nr. 13, über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz)“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „Gemeinde Steinbach am Attersee“, 21.2.1946. – „Ansuchen um Nachsicht von der Registrierung, gem. Verordnung v. 11.VI.1945“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „das magistratische Bezirksamt Wien VIII. Josefstadt“, 21.2.1946. – „Meldeblatt zur Verzeichnung der Nationalsozialisten gemäß § 4 des Verbotsgesetzes 1947.“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „Registrierungsbehörde“, 23.5.1946 [sic – 1947  ?] – „Magistratisches Bezirksamt für den I. Bezirk (Registrierungsbehörde für den I. Bezirk)“ an das „magistratische Bezirksamt für den VIII. Bezirk (Registrierungsbehörde für den VIII. Bezirk)“, 5.2.1948. WStLA, M. Abt. 119, A 42  : 1. Bez./1927 zu Steinhart, Ferdinand, geb. 24.6.1910. – „Gesuch um Nachsicht von der Registrierung gem. §9 StGBl 18/1945/“ von „Regierungsrat Dr. Ferdinand Steinhart“ an „den Bürgermeister für den I. Bezirk (Meldestelle), 18.7.1945. – Brief von „Dipl. Cons. Akad. Ernst Strasser“ [mit Eingangsstempel  :] „Registrierungsbehörde (Meldestelle) zur Registrierung der Nationalsozialisten für den 1. Bezirk“ [1945]. – „Meldeblatt zur Registrierung der Nationalsozialisten im Sinne des Art. II des Verfassungsgesetzes vom 8. Mai 1945, St. G. Bl. Nr. 13, über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz).“ von Dr. Ferdinand Steinhart [Unterschrift des Meldepflichtigen], 30.7.1945. – „Bestätigung.“ von „Provinzial.“ „Bichlmair“, [mit Eingangsstempel  :] „Registrierungsbehörde (Meldestelle) zur Registrierung der Nationalsozialisten für den 1. Bezirk“, 25.5.1946. – „Meldeblatt zur Verzeichnung der Nationalsozialisten gemäß § 4 des Verbotsgesetzes 1947.“

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Bibliografie

– „Gesuch um Ausnahme von den Suehnefolgen gem. § 27 des Verbotsgesetzes 1947“ von „Dr. Ferdinand Steinhart“ an „den Herrn Bundespräsidenten der Republik Oesterreich.“, 5.7.1947. – „Gesuch gem. § 27 des V.G.“ von „Dr. Ferdinand Steinhart“ an „die Registrierungsbehörde zur Registrierung der Nationalsozialisten für den 1. Bezirk“, 15.3.1949. WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Wien 8, Buchfeldgasse 6/13 „Meldezettel“ von  : – Gertrude Wähner  : 4.9.1920 [angemeldet] – 7.2.1921 [abgemeldet]  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/12 (nach III, Rennweg 6). Gertrude Szekely  : (geb. Wähner) 19.9.1925 – 16.11.1925  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/12 (nach „verehelicht“). Gertrude Schmidl  : (geschied. Szekely) 4.6.1930 – 18.10.1930  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/14 (nach „mit Gatten umgezogen“). Gertrude Schmidl  : 7.4.1938 – 28.10.1938  : Wien 19, Billroth[str.] 83a, Atelier (nach „angebl. in die Schweiz“). – Dr. Friedrich Schmidl  : 10.11.1925 – 22.10.1929  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13 (nach „unbekannt Gattin Dessau Deutschland abgereist 22.10.29“). Dr. Friedrich Schmidl  : 17.10.1930 – 14.12.1936  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13 (ausgezogen „Anf. November“ nach 19. Langackerg. 1). Dr. Friedrich Schmidl  : 7.11.1936 – 8.4.1938  : Wien 19, Langackergasse 1 (nach 19. Billrothstr. 83a). – Dr. Gregor Sebba  : 6.10.1936 – 30.4.1938  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13 (ausgezogen am „unbek.“). Dr. Gregor Sebba  : 13.6.1938 – 16.8.1938  : Wien 1, Grünangergasse 1 (ausgezogen am 15.8.1938 nach „Rotterdam Holland“). – Gabriele F. Murad  : 28.12.1936 – 20.9.1939  : Wien 1, Schmerlingplatz 2 (ausgezogen am 19.9.1939 nach Buchfeldgasse 6/13). Gabriele F. Murad  : 21.7.1938 – 13.11.1938  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13 (ausgezogen am 12.11.1938 nach I. Singerst. 27). – Heimito von Doderer  : 2.9.1938 – 6.10.1939  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13 (ausgezogen am 5.10.1939 nach I. Schmerlingplatz 1/12). Dr. Heimito von Doderer  : 3.10.1939 – 3.11.1939  : Schmerlingplatz 2/12 (ausgezogen am 2.11.1939 nach „VIII. Buchfeldg. 6“). Dr. Heimito von Doderer  : 7.11.1939 – 15.12.1947  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13 (nach „Ummeldg.“). – Albert Gütersloh  : 7.9.1938 – [keine Angaben – 29.6.1948]  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13. WStLA, Historische Meldeunterlagen zu Doderer, Heimito von, geb. 5.9.1896. Wien 3, Stammgasse 12, 5.9.1896 – 28.4.1915, 15.8.1920 – 28.10.1928

Bibliografie

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Wien 14, Breitenseer Straße 84/1, 28.4.1915 – Einrückung Wien 19, Döblinger Hauptstraße 39/2/6, 26.10.1928 – 28.9.1929, Untermieter Wien 19, Scheibengasse 1/7, 19.10.1929 – 12.8.1930, Untermieter Wien 19, Pfarrwiesengasse 13/7, 29.10.1930 – 19.6.1931, Untermieter Wien 19, Saarplatz 18/11, 17.6.1931 – 5.2.1932, Untermieter Wien 9, Althanplatz 6/10, 2.2.1932 – 31.5.1932, Untermieter Prein an der Rax, Riegelhof Wien 19, Hardtgasse 34, 5.10.1932 – 2.12.1932, Untermieter Wien 19, Obkirchergasse 45/9, 2.12.1932 – 31.12.1934, Untermieter Wien 19, Hartäckerstraße 19/8, 2.1.1935 – 3.8.1936, Untermieter Dachau, Münchner Straße 33 Wien 1, Sterngasse 7/12, 24.12.1937 – 31.12.1937, Untermieter Salzburg, Hotel Europe Dachau, Münchner Straße 5, „Drei Rosen“ Wien 8, Buchfeldgasse 6/13, 2.9.1938 – 6.10.1939, Untermieter, 7.11.1939 – 15.10.1948, Hauptmieter Wien 1, Schmerlingplatz 2/12, 3.10.1939 – 3.11.1939, Untermieter Wien 8, Buchfeldgasse 6/12, 15.10.1948 – 3.4.1956, Hauptmieter Wien 9, Währingerstraße 50/14, 10.2.1956 – 23.12.1966 Yad Vashem. The Martyrs’ and Heroes’ Remembrance Authority The Central Database of Shoah Victims’ Names Benjamin, Georg [10/10/1895 Berlin – 26/08/1942 KZ Mauthausen]; http  ://www.ya dvashem.org/wps/portal/IY_HON_Welcome – Eintrag  : Benjamin, Georg  ; Berlin (Stand  : 28.06.2009) Faludi, Bela [Fáludi, Béla] (16/05/1903 Kispest/Hungary – 15/10/1944); http  ://www. yadvashem.org/wps/portal/IY_HON_Welcome – Eintrag  : Faludi, Bela (Stand  : 28.06.2009) Freundlichova, Eva (07/06/1895 – Transport Ev from Terezin to Auschwitz on 28/10/1944); http  ://www.yadvashem.org/wps/portal/IY_HON_Welcome – Eintrag  : Freundlichova, Eva (Stand  : 28.06.2009) Koenig [König], Gustav (20/09/1861 – 09/04/1943 Terezin, Camp); http  ://www. yadvashem.org/wps/portal/IY_HON_Welcome – Eintrag  : Koenig, Gustav  ; 1861 (Stand  : 28.06.2009) Koenig [König], Sofie [sic] Helene (04/04/1891 Wien – Transport from Wien to Litz­ mann­stadt/Lodz, Ghetto on 23/10/1941); http  ://www.yadvashem.org/wps/por tal/IY_HON_Welcome – Eintrag  : Koenig, Helene  ; 1891 (Stand  : 28.06.2009) Lieben, Heinrich (17/02/1894 Wien – 13/03/1945 Buchenwald, Camp); http  ://www. yadvashem.org/wps/portal/IY_HON_Welcome – Eintrag  : Lieben, Heinrich (Stand  : 28.06.2009) Motesiczky, Karl (27/05/1904 Wien – 25/06/1943 Auschwitz, Camp); http  ://www.ya-

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Bibliografie

dvashem.org/wps/portal/IY_HON_Welcome – Eintrag  : Motesiczky, Karl (Stand  : 28.06.2009) Pentlarz, Arnost [Ernst] (16/01/1896 – Transport K from Brno to Terezin on 05/12/ 1941  ; Transport P to Riga on 15/01/1942); http  ://www.yadvashem.org/wps/por tal/IY_HON_Welcome – Eintrag  : Pentlarz, Arnost (Stand  : 28.06.2009)

Bildquellennachweis

Hannelore und Gustav König, Moosburg Heimito von Doderer (Umschlagbild) Institute for World War II and the Human Experience, Florida State University  : Heimito von Doderer (Riegelhof – sitzend) Auguste (Gusti) Doderer, geb. Hasterlik (Reisepass 1938) Paul Hasterlik (Legitimationskarte 1934) Maria (Mia) Hasterlik gesch. Weiss, verw. Koritschoner (1939) Ernst Pentlarz Giulia Hine, Boulder/Colorado (Privatsammlung) Auguste (Gusti) Leopoldine Hasterlik (1914) Giulia Koritschoner und Suzanne Weiss (ca. 1930) Heinrich Kopetz Foto in Privatbesitz (Wien) Paul Elbogen Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA)  : – „Fragebogen für Mitglieder der NSV.“ von „Dr. Heimito von Doderer“ an „NSV. Gau Wien.“, 1.2.1940 – „Meldeblatt zur Registrierung der Nationalsozialisten im Sinne des Art. II des Verfassungsgesetzes vom 8. Mai 1945, St. G. Bl. Nr. 13, über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz)“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „Gemeinde Steinbach am Attersee“, 21.2.1946 – „Ansuchen um Nachsicht von der Registrierung, gem. Verordnung v. 11.VI.1945“ von „Dr. Heimito v. Doderer“ an „das magistratische Bezirksamt Wien VIII. Josefstadt“, 21.2.1946 (Blatt 1 und 2) Meldeunterlagen  : – Dr. Gregor Sebba  : 6.10.1936 – 30.4.1938  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13 – Dr. Gregor Sebba  : 13.6.1938 – 16.8.1938  : Wien 1, Grünangergasse 1 – Gabriele F. Murad  : 28.12.1936 – 20.9.1939  : Wien 1, Schmerlingplatz 2 – Gabriele F. Murad  : 21.7.1938 – 13.11.1938  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13 – Heimito von Doderer  : 2.9.1938 – 6.10.1939  : Wien 8, Buchfeldgasse 6/13 – Dr. Heimito von Doderer  : 3.10.1939 – 3.11.1939  : Schmerlingplatz 2/12

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Bildquellennachweis

Ich danke allen im Bildquellenverzeichnis Genannten sehr herzlich, für ihre Genehmigung, die angegebenen Fotos und Dokumente in diesem Buch zu veröffentlichen. Bei einem Foto ist es nicht gelungen, die Rechteinhaber zu ermitteln. Diese werden gebeten, sich mit dem Böhlau Verlag in Verbindung zu setzen.

Zeittafel 1896 1914 1915 1916

1918 1919 1920 1921 1923 1924 1925 1929 1930

1932 1933 1936

1937 1938

5. September  : Franz Carl Heimito Ritter von Doderer in Hadersdorf/Weidlingau bei Wien geboren 4. Juli  : Reifeprüfung  ; Aufnahme eines Jura-Studiums an der Universität Wien Mitte April  : Einrückung als Einjährig-Freiwilliger beim k. u. k. Dragoner-Regiment No. 3 ab Mitte Januar  : Teilnahme am Rußland-Feldzug an der galizischen Front 12. Juli  : Gefangennahme bei Olesza  ; anschließend Kriegsgefangenschaft in Sibirien  : Krasnaja Rjetschka Verlegung nach Nowo-Nikolajewsk Verlegung nach Krasnojarsk 14. August  : Rückkehr nach Wien  ; Aufnahme eines Studiums der Geschichte und Psychologie 24./25. Juli  : Kennenlernen von Auguste (Gusti) Hasterlik an ihrem 25. Geburtstag  ; Beginn der Beziehung 6. Juni  : Aufnahmeprüfung für das Institut für Österreichische Geschichtsforschung Erscheinen der Gedichtsammlung Gassen und Landschaft (Haybach-Verlag) Die Bresche. Ein Vorgang in vierundzwanzig Stunden (Haybach-Verlag) 22. Juli  : Promotion zum Dr. phil. Beginn eines Romanprojekts, zunächst unter dem Titel „Chronique scandaleuse“, später als „Dicke Damen“ bezeichnet Februar  : Das Geheimnis des Reichs (Saturn-Verlag) Austritt Heimito von Doderers aus der evangelischen und Gusti Hasterliks aus der katholischen Kirche zur Ermöglichung einer standesamtlichen Heirat am 28. Mai November  : Der Fall Gütersloh (Haybach-Verlag) November  : Endgültige Trennung von Gusti Hasterlik 1. April  : Eintritt in die NSDAP 19. Juli  : Umbenennung von „Dicke Damen“ in „Die Dämonen der Ostmark“ Abschluss der ersten 17 Kapitel der „Dämonen der Ostmark“ (705 Seiten) 1. August  : Umzug nach Dachau bei München 23. Dezember  : Mitglied der Reichsschrifttumskammer (RSK) 21. September  : Begegnung mit Emma Maria Thoma 23. September  : Verlagsvertrag mit C. H. Beck Ende Juni  : Albert Paris Gütersloh wird zwangsweise frühpensioniert Ende August/Anfang September  : Umzug Doderers nach Wien  ; gemeinsame Wohnung von Doderer (Hauptmieter) und Gütersloh (Untermieter) in der Buchfeldgasse 6/13, Wien VIII. 1. Oktober  : Ein Mord den jeder begeht (C. H. Beck) 25. November  : Scheidung der Ehe auf Antrag von Gusti Hasterlik  ; Ende November  : Gusti Hasterlik verlässt Wien und erreicht am 8. Januar 1939 das USExil

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Zeittafel

1939

9. Februar  : Eintritt Doderers in die NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) 9. Juni  : Gütersloh als „Mischling II. Grades“ eingestuft Abwendung Doderers von der antisemitischen Thematik der „Dämonen der Ostmark“ mit Beginn des 18. Kapitels „Auf offener Strecke“ 28. April  : Aufnahme in die katholische Kirche 30. April  : Einberufung zur Wehrmacht Mai-Juni  : Ausbildung in Kamenz (Sachsen)  : Leutnant der 3. Kompanie Anwärter-Ausbildungs-Bataillon  ; Militärflugplatz Breslau  : Bodentruppen 20. August  : Versetzung nach Nordfrankreich Ein Umweg (C. H. Beck) Januar  : Versetzung in den Süden Frankreichs  ; Beförderung zum Oberleutnant 2. September 1941  : Paul Elbogen im US-Exil nach Internierung in Frankreich Dezember  : erste Studien zum späteren Roman Die Strudlhofstiege 15. Januar  : Deportation von Ernst (Arnost) Pentlarz vom Getto Theresienstadt nach Riga Beförderung Doderers zum Hauptmann  ; 17. April  : Versetzung in die Sowjetunion  : Ryschkowo bei Kursk  ; Juli  : drei Wochen Fronteinsatz  : Nachschubkompanie der Luftwaffe 8/III (Bodeneinheiten) 22. Juli  : Deportation von Paul Hasterlik ins Getto Theresienstadt November  : Doderer in Krankenstand wegen Trigeminusneuralgie  ; frontuntauglich – „garnisonsdienstverwendungsfähig Heimat“ (g.v.H.) 4. Januar  : Versetzung nach Frankfurt/Oder  : 3. Kompanie des Flieger-Ersatz Bataillons III  ; Aufenthalt in Berlin  : neurologisches Gutachten  ; Versetzung nach Frankfurt, Wiesbaden, Schongau  ; in Merzhausen  : Lehrgang der Luftdienstabteilung 29. April  : Wien  ; 3. Mai  : Dienst in Wiener Neustadt  : Luftdienstkommando 1/XVII  ; Versetzung nach Bad Vöslau  ; 25. Juni  : Tod von Karl von Motesiczky in Auschwitz 17. September  : Wien  : Prüfungsstelle für Offiziersanwärter der Luftwaffe (Schopenhauerstraße 44–46, Wien XVIII.) 7. März  : Tod von Paul Hasterlik im Getto Theresienstadt September oder Oktober  : Tod von Béla Fáludi nach Deportation ins KZ Nisch in Serbien November  : Versetzung Doderers nach Eger und Waldsassen  : Prüfungskommissionen  ; Hannover  : Aufnahmestelle 2 für Offiziersbewerber der Luftwaffe  ; Versetzung nach Bückeburg, Waldsassen und Karlsbad 30. März  : Versetzung nach Oslo über Dänemark  ; 24. April  : Ankunft in Oslo Mai 1945–31. Januar 1946  : in alliierter Kriegsgefangenschaft (in Norwegen, später in Deutschland)

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459 1. Februar  : Aufenthalt in Weißenbach am Attersee (Oberösterreich) bei seinem Onkel Richard von Doderer 21. Februar  : Registrierung als Nationalsozialist, Gemeinde Steinbach am Attersee 19. Mai  : Rückkehr nach Wien 23. Mai  : Registrierung als Nationalsozialist, Gemeinde Wien Juli  : Beschäftigungsnachweis als Schriftsteller „Minderbelastet“ nach dem Verbotsgesetz 1947 Neuauflage Ein Umweg (Luckmann-Verlag) 28. Mai  : Minderbelastetenamnestie 9. Juni  : Abschluss der Strudlhofstiege Okt. 1948 – Juni 1950  : Kurs am Institut für österreichische Geschichtsforschung Niederschrift des Traktates „Sexualität und totaler Staat“ März  : Die erleuchteten Fenster oder Die Menschwerdung des Amtsrates Julius Zihal (Biederstein Verlag) April  : Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre (Biederstein Verlag) Februar  : Aufnahme in den PEN-Club 24./25. September  : standesamtliche und kirchliche Heirat mit Emma Maria Thoma Oktober  : Das letzte Abenteuer (Reclam) Mai  : Umzug in die Währingerstraße 50, Wien IX. September  : Die Dämonen. Nach der Chronik des Sektionsrates Geyrenhoff (Biederstein Verlag) Als Kandidat für den Nobelpreis für Literatur vorgeschlagen Herbst  : Erscheinen der Gedichtsammlung Ein Weg im Dunklen (Biederstein Verlag) März  : Großer Österreichischer Staatspreis Die Merowinger oder Die totale Familie (Biederstein Verlag) Die Wasserfälle von Slunj (Biederstein Verlag) Tangenten. Tagebuch eines Schriftstellers 1940–1950 (Biederstein Verlag) Unter schwarzen Sternen (Biederstein Verlag) Meine neunzehn Lebensläufe und neun andere Geschichten (Biederstein Verlag) 23. Dezember  : Nach einer zweiten Krebsoperation im Rudolfinerhaus in Döbling gestorben

Nachwort von Giulia Hine, Nichte von Doderers erster Frau Gusti Hasterlik Als ich im Juni 2004 eine Anfrage von Alexandra Kleinlercher zu meiner Tante Gusti Hasterlik bekam, war ich erstaunt und sehr erfreut. Erstaunt, dass jemand meine Briefsammlung entdeckt hatte und erfreut über das offensichtliche Interesse an deren Inhalt, nachdem ich schon elf Jahre an der Übersetzung der ca. 6.000 Familienbriefe gearbeitet hatte. 1993, als ich auf meinem Dachboden stöberte, war ich wieder einmal über die vielen alten Kartons mit Briefen gestolpert, die ich teils von meiner Mutter, teils von ihrer Schwester Auguste Hasterlik geerbt hatte. Nie hatte ich mir Zeit dafür genommen, aber diesmal fing ich an zu lesen und konnte, auf dem Dachboden sitzend, nicht mehr damit aufhören. Mir wurde klar, dass es einmal meine Kinder interessieren wird, ihre Familiengeschichte kennenzulernen. Da fast alle Briefe auf Deutsch geschrieben waren, blieb mir nichts anderes übrig, als sie für meine amerikanischen Nachkommen ins Englische zu übersetzen. Nach längerem fruchtlosem Suchen nach einem Holocaust-Archiv, das gewillt wäre, die Originalbriefe zu übernehmen und auch meine Übersetzungen auf der Website zu präsentieren, fand ich 1998 Professor William Oldson vom Institute for World War II and the Human Experience der Florida State University. Er war sehr daran interessiert, die Sammlung, die von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis 1970 reicht, zu archivieren und meine Übersetzungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Alexandra Kleinlercher war die erste und noch dazu eine außergewöhnlich gründliche, um nicht zu sagen, spitzfindige Interessentin. Aus meinen persönlichen Erinnerungen an meine Familie konnte ich viele ihrer Fragen beantworten. Umgekehrt füllte sie durch ihre Recherchen manche Lücken in Leben und Denken Heimito von Doderers und meiner Tante Gusti. Die Summe unserer Zusammenarbeit gab für mich ein viel detaillierteres Bild von gewissen Beziehungen in meiner eigenen Familie. Doch ein noch größerer Gewinn für mich ist die enge Freundschaft, die sich seitdem über die vielen Jahre zwischen der jungen tüchtigen Forscherin und mir, der alten Urgroßmutter, entwickelt hat. Obwohl es sehr beruhigend ist, Familienangehörige, speziell auch meinen geliebten Großvater Paul Hasterlik, in einem Buch weiterleben zu wissen, so ist das große Einverständnis zwischen Alexandra

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Nachwort von Giulia Hine, Nichte von Doderers erster Frau Gusti Hasterlik

und mir fast noch mehr wert. Diese wundervolle Überbrückung des „generation gaps“ gibt mir das beruhigende Gefühl, alles, was sich aus diesen historischen Korrespondenzen noch zukünftig entwickeln könnte, in den begabten Händen meiner jungen Freundin zu wissen. Giulia Hine 2. April 2010

Namenregister Acher (urspr. Elischa ben Abuja)  154 Achleitner, Friedrich  148f., 339, 429f., 441 Aichinger, Gerhard  85f., 224f., 262 Aichinger, Ilse  146f., 158, 354, 362, 435, 440, 443f. Alexander der Große  195 Alker, Ernst  131f., 449 Amann, Klaus  2, 13, 82, 85, 128–130, 210, 433, 437, 439 Artmann, H. C. (Hans Carl)  148f., 339, 362, 429, 441 Aspetsberger, Friedbert  94, 129f., 336f., 437, 441f. Attias, Jean-Christophe  197, 437 Axmann, David  436 Bachmann, Ingeborg  146, 362 Bailer-Galanda, Brigitte  94, 297f., 402, 404f., 407, 417, 437, 439, 441 Balzac, Honoré de  272, 345 Banauch, Eugen  146, 425, 430 Barker, Andrew W.  121, 209, 212, 265, 430 Barrasch, Erich (Arzt)  67, 181, 295, 300–302, 335 Basil, Christine (gen. Christl) verw. Fáludi, verh. Basil  159, 193, 361 Basil, Otto  48, 108, 127f., 159, 193, 213, 336f., 360f., 435, 437, 440, 443 Basset, Elsie  169, 446 Baudelaire, Charles  276, 345 Bauer, Frieda  411f. Baur, Uwe  130, 437 Bayer, Konrad  148 Beck, Heinrich  134, 232 Beckermann, Ruth  56f., 281f., 316, 437f. Benbassa, Esther  197, 437 Benesch  42 Benjamin, Georg  95, 453 Benjamin, Hilde  95, 440 Benjamin, Walter  95 Berger, Albert  13, 85, 433, 439 Bergh, Rolf  51

Bergmann, Eugen  216, 238 Bernhard, Thomas  147 Bichlmair, Georg  89f., 301, 451 Binder, Dieter A.  228, 439 Birer  394 Blauensteiner, Franz  147, 432, 435 Blei, Franz  157, 200 Blimlinger, Eva  297f., 402, 404f., 407, 417, 437, 441 Blumencron, Britta  405, 413f. Bolbecher, Siglinde  57, 438 Böll, Heinrich  94 Born, Ludwig VII, 89f., 358 Botz, Gerhard  241, 288, 303, 438 Bozdech  61 Brandstetter, Alois  102, 436 Brändström, Elsa  152, 438 Brändström, Familie  152 Brantl, Heinz  325, 449 Brecht, Bertolt  94, 441 Brehm, Bruno  126 Breicha, Otto  148, 150, 439, 441 Brinkmann, Martin  214, 249, 428 Broch, Hermann  145 Bronnen, Arnolt (urspr. Arnold Bronner)  130, 437 Bullitt, William C.  71 Bundespräsident s. Renner, Karl Bürgermeister v. Wien (1945–1951) s. Körner, Theodor Buschmann, Arno  23, 98, 246, 294, 438 Caemmerer, Christiane  93, 432 Calasso, Roberto  29, 436 Calbrese, Joe  166, 455 Camus, Albert  131 Canetti, Elias  83, 140f., 290, 353, 434f., 443 Carnap, Ina  52, 77, 164, 171, 367, 446f. Carnap, Rudolf  164, 171, 173, 367, 446 Chevrel, Éric  215, 430 Chlumezky, Sofie  189f., 395, 446

464 Christiansen, Ellen II, 384, 394f., 448 Christophe, Jean-Pierre  73, 133, 431f. Conrad, Joseph  310 Cooper, James Fenimore  310 Cory, Hans (urspr. Hans Koritschoner)  155 Cory-King, Edith geb. Koritschoner  155, 183, 385, 449 Csokor, Franz Theodor  129, 131, 140, 143, 362 Dedovich, Milena von s. Hutter-Dedovich Milena Defoe, Daniel  310 Delabar, Walter  93, 432 Denis, Ariel  436 Desch, Kurt  325, 449 Deupmann, Christoph  85, 225f., 434 Deutscher, Isaac  154, 438 Dichand, Hans  147, 432, 435 Dickens, Charles  310 Dischner, Gisela  29, 436 Doderer von, Familie I, 24, 32–34, 56, 58f., 89, 111f., 167, 214, 327, 346–348, 376 Doderer von, Schwestern  112 Doderer, Almuth von s. Wehofer, Almuth Doderer, Astri von s. Stummer, Astri von Doderer, Auguste (Gusti) von s. Hasterlik, Auguste Doderer, Bertha von  67, 444 Doderer, Carl Wilhelm von (Großvater Heimitos väterlicherseits)  24, 32, 346 Doderer, Emma Maria von s. Thoma, Emma Maria Doderer, Helga von s. Hauer, Helga Doderer, Herbert von  67, 444 Doderer, Ilse von s. Mayer, Ilse Doderer, Johanne Caroline Luise (gen. Willy) von geb. von Hügel  24, 30, 32, 44f., 53, 59, 72, 99, 101, 112, 120, 134, 352, 415 Doderer, Maria Imogena, gen. Mae (Tochter v. Wilhelm gen. Immo von Doderer)  188 Doderer, Peter von  67, 444 Doderer, Richard von VI, 67, 112, 115, 405, 444, 459

Namenregister

Doderer, Wilhelm Carl von  24, 30, 32, 34, 44, 53, 101, 190, 389 Doderer, Wilhelm von (gen. Immo)  33, 59, 67, 444 Doderers Großmutter mütterlicherseits: Luise Vietor  24 Doderers Großmutter väterlicherseits: Marie von Greisinger  24 Doderers Urgroßeltern mütterlicherseits: David Hügel u. Margarethe Brehm; Carl Vietor u. Johanette Diehl  24 Doderers Urgroßeltern väterlicherseits: Gottlieb Doderer u. Luise Diruf; Gustav Greisinger u. Wilhelmine Vogel  24 Dollfuß, Engelbert  65, 76, 235, 354 Dollinger, Hans  325, 449 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch  91, 186, 215f., 272, 345, 425, 430 Dressel von Uyleveldt, Otto Albert (gen. Otto Dressel)  46f., 65, 395, 444 Dressel, Joachim  85 Dressl s. Dressel Dubois, Marion  351 Dubrović, Milan  382 Düringer, Annemarie  343 E. N.  37 Ebner, Jeannie  146 Eggenberger, Hans  39 Egger, Bertrand Alfred  102 Egyptien, Jürgen  150f., 436, 438 Einem, Gottfried von  144 Eisenreich, Herbert  24, 102, 145f., 429f. Eisterer, Klaus  70, 442 Elbogen, Familie (Eltern v. Paul Elbogen: Adele u. Friedrich; Geschwister: Franz u. Trude; Nichten: Hanni, urspr. Anna, verh. Forester u. Mariedi, urspr. Marie, verh. Anders)  154 Elbogen, Franz  71 Elbogen, Friedrich  154 Elbogen, Hanni s. Forester, Hanni Elbogen, Hermine (gen. Minnerl)  192, 388f. Elbogen, Julia geb. Goldner  71 Elbogen, Paul IV, 11, 14, 18, 44f., 131, 154,

Namenregister

165, 168, 170, 186, 191–199, 204, 219, 335, 338–340, 350, 377, 387–393, 436, 438, 440, 443, 445, 447f., 455, 458, Elisabeth von Österreich-Ungarn  395 Ellen s. Christiansen, Ellen End, Gustav  134 Enigl, Marianne  19, 402, 438 Epler, Ernst  56f., 438 Eppel, Peter  388f., 438, 440 Fáludi, Christine s. Basil Christine Fáludi, Andreas (Sohn v. Béla u. Christine Fáludi)  159 Fáludi, Béla (urspr. Friedmann)  46, 48, 157, 159f., 188, 193, 289, 335, 361, 453, 458 Feldner, Fritz VIII, 46, 118, 159, 165, 188, 217–219, 244, 445 Ferstel, Max Freiherr von  34 Fetz, Bernhard  212, 433 Fetzer, John F.  388, 438 Fischer, Ernst  85, 127, 439 Fischer, Karl  407 Fleischer, Wolfgang H.  11, 15, 17f., 21f., 24, 32–35, 37–41, 43–48, 50, 54, 65–68, 71–73, 77f., 81f., 87, 89f., 95–97, 99–106, 109, 112f., 117–121, 123–125, 130f., 133–135, 137, 139–149, 158f., 161, 167f., 174f., 182, 191, 193, 200f., 205, 213f., 232, 240, 275f., 282f., 291, 293f., 317–319, 324, 327–329, 335f., 338, 341–366, 372, 374, 379f., 397, 401–406, 410, 413, 418, 422, 427–431, 433 Flesch-Brunningen, Hans (urspr. Johannes Evangelista Luitpold Flesch Edler von Brunningen)  32, 193, 427 Fließ, Wilhelm  74 Forester, Hanni (urspr. Anna) geb. Elbogen  71, 192, 388, 445 Franz Ferdinand von Österreich-Este  136f. Franz Joseph I.  32, 136 Franziska  61 Frei, Norbert  94, 129, 336f., 437, 441f. Freist, Greta  48, 101, 201, 360 Freud, Sigmund  154 Freundin („arische“ Freundin v. Giulia Hine; Name unbekannt)  384

465 Freundlich, Eva  176f., 378, 447, 453 Freundlich, Julius (gen. Julo)  177 Freundlichova, Eva s. Freundlich, Eva Friedell, Egon VII Friedlaender  123 Fritsch, Gerhard  102, 148, 150, 339, 430, 436, 439, 441 Fuchs, Gerhard  150, 439, 444 Fuchs, Sabine  130, 437 Fürst, Hanni verh. Reif  356 Gaertner, (?) Lisl (eigtl. Gärtner)  176 Gaertner, Renée (eigtl. Gärtner)  176, 448 Galanda, Brigitte s. Bailer-Galanda, Brigitte Gentile, Emilio  319, 443 Gerstl, Elfriede  362 Ginzkey, Franz Karl  142, 397 Goebbels, Joseph  130 Goebel, Gottfried  48, 101, 127, 141, 201, 360 Goetz, Richard  44, 191 Gold, Edi  418, 422 Gold, Mutter v. Edi Gold  418 Goldinger, Walter  228, 439 Gradwohl-Schlacher, Karin  130, 437 Graf, Georg  412, 439, 441 Grappin, Pierre  73, 133, 431f. Graziani, Rodolfo  316 Grete (ohne Angabe d. Nachnamens)  175, 448 Griffin, Roger  319, 439 Grissinger, Julia s. Wolff, Julia Grosso, François  25f., 93, 115, 123–125, 181, 291, 320f., 334f., 431 Gruenberg (eigtl. Grünberg), Alexander  166, 167, 176, 447 Grunwald, Henry  438 Gusel, Erich  166, 378, 439 Gütersloh, Albert Paris von (urspr. Albert Conrad Kiehtreiber)  10, 18, 25f., 32, 47, 50, 52, 66, 72, 75, 78, 88f., 99, 102, 108, 112, 117–119, 122f., 127f., 154, 157f., 169, 179f., 188, 190f., 199–207, 210, 213, 223f., 253, 281, 291f., 294, 306, 318f., 331f., 351–354, 360, 376, 380, 401, 403–409, 413–418, 420, 427– 430, 434, 436, 443, 445, 450, 452, 457f.

466 Gütersloh, Großvater v. A. P. Gütersloh s. Kohlgruber, Albert Gütersloh, Kinder v. A. P. Gütersloh (Alexandra geb. Kiehtreiber? u. Wolfgang Hutter)  203 HA s. Hasterlik, Auguste Hanak, Anton  166, 176, 378, 439 Hanak, Othmar  166, 172, 176, 215, 378, 425, 439 Handke, Peter  147, 339, 432, 435 Hanner, Ella  62 Hardy, Thomas  310 Hartl, Edwin  436 Hartungen, Pia von  46 Hass, Barbara  55, 166, 368, 445 Hasterlik, Auguste Leopoldine (gen. Gusti) gesch. von Doderer, verh. Kalmus  I–IV, 9–11, 15f., 18, 21, 31, 37, 41, 46–65, 77, 82–84, 86, 91, 130f., 154f., 159f., 162–199, 204–206, 214f., 217, 219f., 231, 245, 247f., 268–270, 282, 289, 316, 318, 320f., 324, 328, 335f., 338–340, 343, 347–351, 353, 355, 366–381, 383, 385–393, 395–401, 415, 417, 445–449, 455, 457, 461f. Hasterlik, Familie III, 10, 16, 18, 47, 50, 54–56, 58, 77, 154f., 162–164f., 167, 169, 175, 177, 180, 185, 270, 321, 331, 335f., 349f., 366–371, 378f., 381, 383–385, 392f., 396, 431, 461 Hasterlik, Germina (auch: Hermine)  171, 447 Hasterlik, Irma s. Regenstreif, Maria Felicitas Hasterlik, Karl  155 Hasterlik, Maria (gen. Mia) gesch. Weiss, verw. Koritschoner, verh. Heller IIf., 47–49, 55, 57–59, 113, 155, 162, 166–170, 172–177, 180–187, 189f., 195, 269, 336, 349, 366f., 370f., 374, 378–387, 393–397, 446–448, 455, 461 Hasterlik, Paul Carl (auch: Paul Karl) IIf., 18, 46–51, 53, 55, 58f., 155f., 162–164, 166, 170–185, 187, 190, 195, 199, 247, 268f., 335f., 349f., 366–368, 371, 373–375, 377–380, 383, 385, 393–396, 439, 446–449, 455, 458, 461 Hasterlik, Sam (auch: Samuel)  52, 77, 164, 446f.

Namenregister

Hauer, Helga geb. von Doderer  33, 59 Haybach, Rudolf (Rolf ) VII, 44, 66, 72, 76f., 139, 179, 200, 240, 317f., 328f., 432, 444 Heer, Friedrich  144 Heer, Hannes  104, 197, 316, 439f. Heine, Hans Gerhard s. Hine, Gerald Heine, Heinrich  154 Heine, Kurt s. Heine, Marc Heine, Marc  386 Heller, Hugo (Vater v. Peter, Thomas u. Clemens Heller)  380 Heller, Maria (Mia) s. Hasterlik, Maria Heller, Peter  380, 384 Heller, Thomas  167, 182, 184f., 190, 379f., 394f., 446f. Henri IV  210, 436 Henz, Rudolf  94, 129f., 436 Hermann, Kurt  419 Hermann, Olga  419 Hesson, Elizabeth C.  37, 214–216, 229–232, 248, 266, 431 Hine, Familie (Eltern: Giulia u. Gerald; Kinder: Madeline, Peter u. Harvey)  185, 350, 384, 461 Hine, Gerald John (urspr. Hans Gerhard Heine)  367, 384–386, 388, 446 Hine, Giulia s. Koritschoner, Giulia Hine, Harvey  167, 367, 384f., 387, 446, 461 Hine, Madeline verh. Raetz  367, 384f., 387, 461 Hine, Peter  367, 384f., 387, 461 Hirschfeld, Ludwig  45 Hitler, Adolf  13, 46, 64f., 72, 75, 93, 105, 128f., 141, 174, 201f., 210, 218, 225, 227, 231, 235, 238, 241, 308, 316–319, 328, 351, 353, 355, 370f., 379, 384, 386, 388, 420f., 435, 441 HM s. Hasterlik, Maria Hochwälder, Fritz  143f. Höfler, Günther A.  150, 439, 444 Hornbostel, Theodor  71 Hornig, Dieter  440 Horowitz, Michael  147, 338, 432, 435 Hoser, Paul  69, 440 Hötzendorf, Franz Conrad von  137 Hübel, Thomas  88, 443

Namenregister

Hügel, Heinrich von (Heimitos Großvater väterlicherseits)  24, 32 Hurdes, Felix  205, 403, 450 Hutter, Heribert  434 Hutter, Wolfgang  203 Hutter-Dedovich, Milena  434 Ivask, Ivar  131, 160, 209, 291, 334, 355, 357, 429 Jagschitz, Gerhard  441 James, Henry  310 Jandl, Ernst  148f., 339, 445 Jantsch, Ritter von VIII, 118 Jelusich, Mirko  126, 210, 436 Jesenská, Milena  382 Johannes (ohne Angabe d. Nachnamens; Freund v. Paul Elbogen)  389, 445 Josefovits, Josefine  173, 176–179, 447 Kafka, Franz  382 Kaiser, Konstantin  57, 438 Kalmar, Rudolf  71 Kalmus, Auguste (Gusti) s. Hasterlik, Auguste Kalmus, Bruder (?) v. Ernst  375 Kalmus, Ernst II, 48, 55, 166–168, 193, 375f., 385–387, 389, 447–449 Kalmus, Mutter v. Ernst  375 Kastberger, Klaus  212, 433 Katz, Morton (?)  176 Kaukoreit, Volker  94, 127f., 440, 443 Kehlmann, Daniel  436 Kein, Ernst  148 Keller, Elisabeth geb. Scheuchzer  392 Keller, Gottfried  392 KG s. Koritschoner, Giulia KH s. Kopetz, Heinrich Klarmann, Adolf D.  437 Klaus, Josef (österr. Bundeskanzler v.  1964– 1970)  131, 363 Kleinlercher, Alexandra  3, 22, 431, 440, 461 Kleinlercher, Herbert  13, 54 Klemperer, Victor  203, 440 Klimt, Gustav  380 Kling, Vincent  144, 431 Klinger  161

467 Knaggs, F.  163, 448 Knopf, Alfred  144 Kobau, Ernst  390, 436, 441 Koenig s. König Koenig-Wachtel, Grete s. König, Grete Kohlgruber, Albert  203, 223, 294, 332 Kolleritsch, Alfred  339f. König, Familie (Wien)  172 König, Grete verh. Wachtel (Wien)  173, 183, 447 König, Gustav (Moosburg)  4, 455 König, Gustav (Wien)  172, 178, 453 König, Hannelore (Moosburg)  4, 455 König, Hedwig (Wien)  178 König, Helene (Wien) gen. Lili/Lilli/ Lilly  166, 172, 176, 378, 439, 453 Kopetz, Heinrich (gen. Boni/Bony) III, 11, 18, 21, 47, 113, 168–170, 172, 175f., 180, 184, 187–189, 339, 378–380, 382, 384, 393–401, 440, 446–448, 455 Kopetz, Johanna (gen. Hansi) geb. Laufer  168, 393f., 379, 384, 393f. Koritschoner, Amalia Rebekka geb. Goldschmidt  386 Koritschoner, Edith s. Cory-King, Edith Koritschoner, Frieda Veronika geb. Frank  382 Koritschoner, Geschwister (Robert, Hans; Zwillinge Grete u. Julius; Arnold)  386 Koritschoner, Giulia (auch: Giulietta/Julietta) Maria verh. Hine IIf., 11, 16, 18f., 21, 48, 54f., 63, 77, 154f., 165–167, 173–177, 179f., 182–187, 192f., 195–197, 199, 215, 268, 335f., 338–340, 349–351, 366–391, 394–398, 401, 431, 439, 445–449, 455, 461f. Koritschoner, Hans s. Cory, Hans Koritschoner, Julius gen. Julerl (urspr. Heinrich Julius)  155, 182, 185, 370, 382, 385f., 392f., 395, 449 Koritschoner, Maria (Mia) s. Hasterlik, Maria Koritschoner, Robert Samuel  386 Körner, Theodor  295, 301, 451 Kornfeld, Mary  47 Korntner, Christine  22, 431, Kowarc, Susanne  297f., 402, 404f., 407, 417, 437, 441

468 Kraus, Karl  83, 149, 290, 434, 443 Kresswaritzky, Leopoldine verh. Engelbrecher VIII, 80, 118f., 410, 414f. Kretenika, (?) Adolf  416 Kretschmer, Helmut  407 Kuh, Anton  57f. Kuhlo, Johannes  316 Kun, Béla  159 Lang, Erwin  432 Langer, Antoinette VIII, 118 Laporte, Luise (gen. Lu)  146 Laufer, Johanna s. Kopetz, Johanna Le Rider, Jacques  73, 307, 325, 431, 440 Lebert, Hans  150f., 436, 438f., 444 Lengauer, Hubert  2, 94, 129, 299, 336f., 432, 437, 440–442 Lenin  87 Lernet-Holenia, Alexander von  88, 94, 144, 443 Lieben, Heinrich (gen. Heini)  161, 453 Lili  61 Lingens, Ella  161 Lingens, Kurt  161 Lisl s. Gaertner, Lisl Loew-Cadonna, Martin  27, 32, 43, 209, 231, 427, 429, 431 Lothar, Ernst  94, 436 Lotz, Andreas  54 Luckmann, Ilse verh. Strobl  125, 133 Lueger, Karl  348 Luehrs-Kaiser, Kai  26f., 30, 73f., 85, 93, 149–151, 225f., 291, 303, 305, 313, 323, 332, 430, 432–434 Luscha (Klavierschülerin v. Gusti Hasterlik)  383 Luxemburg, Rosa  154 Magden, Therese  177, 448 Magris, Claudio  209 Mann, Heinrich  210, 436 Manoschek, Walter  65, 443 Martinek, Almuth s. Wehofer, Almuth Martinek, Inge  112 Marx, Karl  154

Namenregister

Matejka, Viktor  71, 147, 401–405, 409, 422, 432, 435f. Mauer, Otto  123 Mayer, Ilse geb. von Doderer  33 Mayer, Kurt  46f., 65f. Mayröcker, Friederike  149, 339 Meinhart, Hugo  52, 448 Meissl, Sebastian  94, 113–115, 123, 126, 130, 212, 439, 441–443 Mell, Max  129f., 362, 436 Menasse, Robert  438 Meredith, George  310 Merz, Carl  147f., 436 Meyer, Beate  83, 293, 440 Migsch, Alfred  116 Milo s. Milohnic, Andreas Milohnic, Andreas (gen. Milo)  68–71, 331, 346f., 360, 445, 449f. Milohnic, Eltern  68 Moeller van den Bruck, Arthur  215 Morton, Frederic (urspr. Fritz Mandelbaum)  144, 436 Mosebach, Martin  22, 431 Moser, Blanca geb. Hirschler  231, 439 Moser, Hans  231, 439 Moser, Jonny  176, 298f., 440 Moser, Samuel  158, 435, 444 Mosse, George L.  319, 443 Motesiczky, Karl Wolfgang Franz (gen. Mote)  157, 160f., 335, 453f., 458 Müller, Bernhard  68, 441 Müller, Hans-Harald  436 Müller, Karl  129, 315, 441 Müller, Manfred  88, 443 Mulley, Klaus-Dieter  94, 113–115, 123, 126, 130, 212, 439, 441–443 Müllner, H.  85 Murad, Anatol (Bruder v. Gaby Murad)  VIII, 66, 96 Murad, Gabriele (Mutter v. Gabriele Felicitas Murad)  66, 96, 413, 416 Murad, Gabriele Felicitas (gen. Gaby) verh. von Steinhart  66f, 71, 78, 88f., 96, 112, 118, 160, 289, 295, 402f., 405, 407, 412–416, 418, 434, 444f., 452, 455

Namenregister

Murad, René (Bruder v. Gaby Murad)  VIII, 66, 96 Murad, Zdenka (Schwester v. Gaby Murad) VIII, 66, 96f. Musil, Robert Edler von  145, 196, 345, 359 Mussolini, Benito  201, 316 Nabl, Franz  129 Naumann, Klaus  104, 197, 316, 440 Nettel, Rudi  175, 447 Neubauer, Erika  47, 448 Neugebauer, Wolfgang  65, 94, 441, 443 Nietzsche, Friedrich  390 Novakovic, Olga  176, 448 Okopenko, Andreas  148, 441 Oldson, William  368, 461 Ormandy, Eugene  71 Palm, Kurt  94, 441 Palma Caetano, José António  7, 432 Pauley, Bruce F.  64f., 202, 241, 319, 441 Paumgarten, Lotte von  46, 60, 159 Pentlarz, Arnost s. Pentlarz, Ernst Pentlarz, Bruder v. Ernst  198f. Pentlarz, Ernst (gen. E. P.) IV, 41, 44f., 50–52, 55, 102, 193, 197–199, 262, 315f., 335, 387, 390, 447–449, 454f., 458 Pentlarz, Vater v. Ernst  198 Pernetz  61 Pfeiffer, Engelbert  14, 154, 194, 198f., 340, 390f., 433, 435f., 441, 445 Pfoser, Kristina  94, 440f. Piffl-Perčević, Theodor  131 Pius XII  95 Polak, Ernst  193, 381f. Proust, Marcel  345 Qualtinger, Friedrich  147, 296, 432 Qualtinger, Helmut  141f., 147f., 296, 343, 432, 435f. Rathkolb, Oliver  94, 113–115, 123, 126, 130, 212, 439, 441–443 Ratz, Erwin  176, 180, 448 Redlich, Oswald  85, 157

469 Regenstreif, Maria Felicitas (gen. Irma) verh. Hasterlik  46, 49f., 52f., 55, 58f., 156, 163, 167, 170f., 248, 349, 366f., 373f., 378, 380, 393, 395, 447 Reichensperger, Richard  146, 435 Reif (?), Sohn v. Albrecht Reif u. Hanni Fürst  356 Reif, Albrecht Philipp  11, 34f., 39, 45, 154, 157f., 195, 293f., 335, 356 Reininger, Anton  212, 237f., 432 Reiter, Ehemann von Marie-Louise Wydler  186 Reiter, Marie-Louise s. Wydler, Marie-Louise Renner, Gerhard  123, 125f., 130, 212, 442 Renner, Karl  96, 301f., 452 Riedl, Dirk  70 Rinke, Günter  192, 436 Roehsler, Peter  438 Röhr, Werner  103, 442 Rollett, Edwin VIII, 122, 129 Rosenhek (?), Leo (Neffe v. J. Josefovits)  177 Rosenhek, Jacob (Bruder v. J. Josefovits)  177f. Rosenhek, Lotte (Schwester v. J. Josefovits)  177f. Rosenkranz, Herbert  442 Rowlandson, Thomas  338 Rühm, Gerhard  148f., 339, 362, 429, 441 Rürup, Reinhard  174, 298, 442 Sartre, Jean-Paul  363 Saywell, Peggi  163, 447 Schaffgotsch, Xaver Reichsgraf von  22, 142, 147, 295f., 343, 432f., 435 Scharmitzer, Alice von (gen. Lisl) geb. von Woynarovicz  348 Scharmitzer, Ernst von  54, 66, 77, 103, 376, 445 Scheichl, Sigurd Paul  299, 432 Schenk, Peter  101, 442 Schiff, Anna Elizabeth verw. Laux, verw. Heine  386 Schmid, Georg  442 Schmidl, Erwin A.  70, 442 Schmidl, Friedrich Anton  404, 407–410, 420–422, 449, 452 Schmidl, Gertrude s. Waehner Gertrude

470 Schmidl-Wähner, Gertrude s. Waehner Gertrude Schmidt, Franz  51, 62f., 350, 373, 448 Schmidt-Dengler, Wendelin  5, 13, 17, 27, 31f., 43–45, 127f., 131, 133, 147, 149–151, 194, 207, 210, 212f., 231, 276f., 291, 336–338, 340, 356, 363, 365, 427–433, 435, 440, 442f. Schneider, Helmut  144, 436 Schnitzler, Arthur  154, 228 Schober, Friedrich  158 Schober, Johann  290 Scholl, Sophie  158, 443f. Schreyvogl, Friedrich  126, 130, 143, 315 Schüller, Edmund  66, 78, 292, 295, 405, 413, 433, 444 Schumann, Gerhard  316 Schuschnigg, Kurt Edler von  71, 421 Sebba, Alice Elfriede geb. Ungar  411f. Sebba, Gregor  18, 80, 88, 402, 406f., 409–413, 415, 417, 441, 449, 452, 455 Seemann, Familie  383 Seemann, Robert  184, 383, 386 Seemann, Susanne s. Weiss, Suzanne Seifert  61 Sherard, Robert  40 Siegl, Felician  39 Sigerist Margrith (gen. Gretli) verh. KnobelSigerist  183, 367 Sigerist-Ott, Alice  176f., 183f., 367, 447f. Sommer, Gerald  14, 26f., 29f., 73f., 85, 88, 93, 127f., 144, 192–194, 212, 214–217, 219f., 222, 224–228, 233, 237, 241–245, 247, 249, 253, 257–259, 263f., 271, 285, 290f., 303, 305, 313, 323, 332, 387, 427–435, 443 Spaeth, Eloise  166, 448 Spalek, John M.  388, 438 Spengler, Oswald VII, 73, 224, 355 Spiel, Hilde  95, 139f., 143, 165, 188, 195, 209, 217f., 291, 334, 338–340, 347, 357, 436, 445 Spinoza, Baruch de  154 Spitzer (?), Brüder v. M. L. Wydler  187 Spitzer (?), Mutter v. M. L. Wydler  187 Spitzer, Marie-Louise s. Wydler, Marie-Louise Sprengel, Peter  297, 434 Srbik, Heinrich Ritter von  85

Namenregister

Stadtherr, Angela  166, 172, 176, 378, 439 Staub, Herta  147, 432, 435 Steiner, Georg  144 Steinhart, Christiane von verh. Landgrebe (?), Tochter v. Gaby u. F. Steinhart  67 Steinhart, Familie  96 Steinhart, Ferdinand von  66f., 89f., 96f., 181, 295, 300f., 332, 335, 413f., 444, 451f. Steinhart, Gabriele von s. Murad, Gabriele F. Stelzhammer, Franz  149 Stendhal  61 Sternhell, Zeev  319, 443 Stevenson, Robert Louis  310 Stiefel, Dieter  113–116, 120–122, 126f., 211, 333, 443 Stieg, Gerald  83, 225, 290, 434, 443 Stoerk s. Störk Stome, Nanne  51, 448 Stopczyk, Annegret  29, 436 Störk, Doris  395 Störk, Walter  54 Strasser, Ernst  301, 451 Strelka, Joseph  388, 438 Strindberg, August  29, 392, 436 Strindberg-Uhl, Frida  392 Strobl, Karl  133 Stummer von, Familie  15, 391 Stummer, Astri von geb. von Doderer  34, 59f., 67, 112, 120, 147, 348, 350, 357, 366, 374, 432, 435 Stummer, Berti von  35 Stummer, Hans von  67 Stummer, Willy von  67, 357 Stummer, Wolfgang von  35, 67, 357, 366 Suchá, Václava  176, 445 Swift, Jonathan  310 Swoboda, Hermann  29, 73f., 138, 325, 359f., 364, 434–436, 443 Szabo, Wilhelm  127 Szekely, Gertrude s. Waehner, Gertrude Szekely, Gustav  408f., 418–422, 443 Szekely, Nikolaus  405, 408, 421 Tacitus  344 Tálos, Emmerich  65, 443

Namenregister

Tax, Sissi  339f. Templ, Stephan  18, 401f., 406f., 409, 411, 413, 415, 444 Thirring, Hans  144 Thoma Ludwigs Freundin u. Erbin: Lieberman von Wahlendorf, Maidi geb. FeistBelmont  68 Thoma, Emma Maria verh. von Doderer  67f., 77f., 97, 99f., 104–106, 109, 112, 125, 134, 140, 168, 324, 341–344, 346, 359, 395, 444, 457, 459 Thoma, Ludwig  68, 149 Thukydides  345 Till, P. VIII, 118 Tito  379 Torberg, Friedrich  94, 144, 162, 380, 436 Torberg, Marietta  436 Tramin, Peter von (urspr. Peter Richard Oswald Tschugguel)  34, 145, 346 Traverso, Enzo  319, 443 Treml, Reinhold  66f., 74, 199f., 204–206, 294, 414, 429, 434 Trotzki, Leo  87, 142, 154 Tschechow, Anton Pawlowitsch  345 Unger, Leopold  144 Urban, Joseph  420 Valéry, Paul  345 Vinke, Hermann  158, 443 Vocelka, Karl  241, 262f., 444 Vodicka, Ehepaar  394 Voracek, Martin  211, 370f., 434f. Wachtel, Grete s. König, Grete Waehner, Gertrude (gen. Trude) gesch. Szekely, gesch. Schmidl  401–410, 417–422, 443, 452 Waggerl, Edith  315, 444 Waggerl, Karl Heinrich  315, 444 Wähner, Familie  420 Wähner, Gertrude s. Waehner, Gertrude Wähner, Gisela geb. Reiner  403, 405, 410, 418–420 Wähner, Theodor  420

471 Walter, Robert  29, 64, 73, 166, 435 Walzer, Tina  18, 402, 406, 444 Wassermann, Jakob  228, 392 Weber, Dietrich  22, 93, 237f., 339, 427, 435 Wehofer, Almuth geb. von Doderer, gesch. Martinek  33 Weigel, Hans  94, 102, 131, 142, 147, 186f., 324, 338, 343, 347, 432, 435, 444 Weinheber, Josef  126 Weininger, Otto  28f., 64, 73f., 324f., 431, 435f., 440, 443 Weiss, Bertha  183, 448 Weiss, Ernst  57, 182f., 367, 381f., 386 Weiss, Maria (Mia) s. Hasterlik, Maria Weiss, Suzanne (gen. Suzie/Susie) gesch. Seemann, gesch. Wolff IIf., 54, 174, 182–185, 349, 367, 371, 378–386, 425, 446–449, 455 Weißberg, Alexander  161 Werfel, Franz  162, 437 Weyrer, Ursula  441 Wiemer, Horst  146 Wiener, Oswald  148f., 339f., 437, 441 Wiesenthal, Simon  389 Wiesinger, Karl  362 Wilde, Oscar  40, 310 Wilder, Thornton  144 Wilson, Tochter v. W. Wilson  392 Wilson, Woodrow  392 Winterstein, Stefan  134, 211, 231, 340, 390, 433, 435f., 441 Wolff, Eberhard (gen. Ted)  184, 383, 385f., 448 Wolff, Herr  45 Wolff, Julia gesch. Grissinger, verh. Bendaoud Ohayon  176, 349, 445 Wolff, Lutz-Werner  51, 435 Wolff, Suzanne s. Weiss, Suzanne Wöss, Augustine  131 Wotruba, Fritz  144 WS s. Weiss, Suzanne Wydler, Heini  187 Wydler, Marie-Louise (auch: Marie Louise/ Maria-Louise/Maria Louise/Maria Luise/ Marieluise/Marialouise/Marieluis/Mimmi/ M. L.) geb. Spitzer, gesch. Wydler, verh. Reiter  130f., 159f., 167–170, 173, 179f.,

472 185–191, 195, 199, 206, 217, 219, 270, 282, 289, 370, 376, 384, 393, 395, 397f., 448 Wydler, Sepp  160, 170, 187 Wydler-Reiter, Marie-Louise s. Wydler, Marie-Louise Zeder, Franz  150, 444

Namenregister

Zeemann, Dorothea (Dora Holzinger)  13, 21f., 32–34, 36, 95, 147f., 197, 206, 341, 362, 390, 418, 432, 435, 437 Ziegler, Karl  167, 446 Zirnbauer, Thomas  211, 435 Zola, Émile  345

LITER ATURGESCHICHTE IN STUDIEN UND QUELLEN HG. V. KLAUS AMANN, HUBERT LENGAUER, KARL WAGNER

BD. 1: KLAUS AMANN, HUBERT LENGAUER, KARL WAGNER (HG.) LITERARISCHES LEBEN IN ÖSTERREICH 1848–1890 2000. 155 X 235 MM. 920 S., GEB. ISBN 978-3-205-99028-4 BD. 2: WERNER MICHLER DARWINISMUS UND LITERATUR NATURWISSENSCHAFTLICHE UND LITERARISCHE INTELLIGENZ IN ÖSTERREICH 1859–1914 1999. 155 X 235 MM. 560 S. BR. ISBN 978-3-205-98945-5 BD. 3 (VERGRIFFEN): CHRISTIANE ZINTZEN (HG.) DIE ÖSTERREICHISCH-UNGARISCHE MONARCHIE IN WORT UND BILD AUS DEM KRONPRINZENWERK DES ERZHERZOG RUDOLF 1999. 210 X 270 MM. 312 S., 149 S/W-ABB., GEB. ISBN 978-3-205-99102-1 BD. 4: EBERHARD SAUERMANN LITERARISCHE KRIEGSFÜRSORGE ÖSTERREICHISCHE DICHTER UND PUBLIZISTEN IM ERSTEN WELTKRIEG 2000. 155 X 235 MM. 403 S. 3 S/W-ABB., GEB. ISBN 978-3-205-99210-3 BD. 5: HUBERT LENGAUER, PRIMUS HEINZ KUCHER (HG.) BEWEGUNG IM REICH DER IMMOBILITÄT REVOLUTIONEN IN DER HABSBURGERMONARCHIE 1848-49. LITERARISCH-PUBLIZISTISCHE AUSEINANDERSETZUNGEN. 2001. 155 X 235 MM. 558 S., GEB. ISBN 978-3-205-99312-4 BD. 6: KARL WAGNER, MAX KAISER, WERNER MICHLER (HG.) PETER ROSEGGER – GUSTAV HECKENAST BRIEFWECHSEL 1869–1878 2003. 155 X 235 MM. 739 S. 16 S. S/W-ABB., GEB. ISBN 978-3-205-99482-4

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BD. 7: WENDELIN SCHMIDT-DENGLER OHNE NOSTALGIE ZUR ÖSTERREICHISCHEN LITERATUR DER Z WISCHENKRIEGSZEIT 2002. 155 X 235 MM. 216 S., GEB. ISBN 978-3-205-77016-9 BD. 8: ALEX ANDER PECHMANN HERMAN MELVILLE LEBEN UND WERK 2003. 155 X 235 MM. 336 + 12 S. 24 S/W-ABB., GEB. ISBN 978-3-205-77091-6 BD. 9: DORIS MOSER DER INGEBORG-BACHMANN-PREIS BÖRSE, SHOW, EVENT 1999. 155 X 235 MM. 550 S., 65 DIAGR., 6 TAB., GEB. ISBN 978-3-205-77188-3 BD. 10: IRENE RANZMAIER GERMANISTIK AN DER UNIVERSITÄT WIEN ZUR ZEIT DES NATIONALSOZIALISMUS KARRIEREN, KONFLIKTE UND DIE WISSENSCHAFT 2005. 155 X 235 MM. 215 S. BR. ISBN 978-3-205-77332-0 BD. 11: KLAUS AMANN, FABJAN HAFNER, KARL WAGNER (HG.) PETER HANDKE POESIE DER RÄNDER MIT EINER REDE PETER HANDKES 2006. 155 X 235 MM. CA. 208 S., GEB. ISBN 978-3-205-77379-5 BD. 13: PRIMUS HEINZ KUCHER (HG.) ADOLPH RIT TER VON TSCHABUSCHNIGG (1809–1877) LITERATUR UND POLITIK Z WISCHEN VORMÄRZ UND NEOABSOLUTISMUS 2006. 155 X 235 MM. 304 S. 355 S. 25 S. FAKS. BR. ISBN 978-3-205-77491-4

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BD. 14: ROBERT LEUCHT EXPERIMENT UND ERINNERUNG DER SCHRIFTSTELLER WALTER ABISH 2006. 155 X 235 MM. 348 S. BR. ISBN 978-3-205-77512-6 BD. 15: ANJA POMPE PETER HANDKE POP ALS POETISCHES PRINZIP 2009. 155 X 235 MM. 249 S. 6 S/W-ABB. BR. ISBN 978-3-412-20386-3 BD. 16: ALEX ANDRA KLEINLERCHER Z WISCHEN WAHRHEIT UND DICHTUNG ANTISEMITISMUS UND NATIONALSOZIALISMUS BEI HEIMITO VON DODERER 2011. 155 X 235 MM. 466 S. 13 S/W-ABB. BR. ISBN 978-3-205-78605-4 BD. 17: IRINA DJASSEMY DIE VERFOLGENDE UNSCHULD ZUR GESCHICHTE DES AUTORITÄREN CHARAKTERS IN DER DARSTELLUNG VON KARL KRAUS 2011. 155 X 235 MM. 266 S. BR. ISBN 978-3-205-78615-3 BD. 19: SONJA OSTERWALDER DÜSTERE AUFKLÄRUNG DIE DETEKTIVLITERATUR VON CONAN DOYLE BIS CORNWELL 2011. 155 X 235 MM. 243 S. BR. ISBN 978-3-205-78602-3

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R AINER HACKEL

GERTRUD FUSSENEGGER – DAS ERZÄHLERISCHE WERK MIT EINEM VORWORT VON DIETER BORCHMEYER

Gertrud Fussenegger (1912–2009) gehört zu den nach wie vor meistgelesenen Autoren der österreichischen Literatur. Trotzdem wurde ihr Werk von der Literaturwissenschaft weithin vernachlässigt und in seinem Rang bisher nicht angemessen gewürdigt. Rainer Hackel legt mit seiner Monographie die erste wissenschaftlich fundierte Untersuchung über das Werk der großen Erzählerin vor. „Rainer Hackel betritt mit seiner fesselnden Monographie über die epischen Hauptwerke der großen österreichischen Autorin quasi Neuland. Es ist die erste wissenschaftlich fundierte Untersuchung über das erzählerische Oeuvre einer Autorin, deren eigentliche Wirkungsgeschichte erst der Zukunft angehört.“ Dieter Borchmeyer 2009. 400 S. GB. M. SU. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78429-6

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Der Holocaust gehört zu den traumatischen Ereignissen, die in Literatur, Film und bildender Kunst emphatisch heraufbeschworen, satirisch zersetzt oder ironisch gebrochen werden. Sozialisiert mit den Berichten der ersten Generation über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust, greift die zweite und dritte Generation die überlieferten „Ikonen der Vernichtung“ (Cornelia Brink) auf, um sie für die eigene Standortgewinnung in der Gegenwart zu nutzen. Tabubrüche werden gezielt eingesetzt. Der vorliegende Band beschäftigt sich vor diesem Hintergrund mit literarischen, filmischen und künstlerischen Produktionen der letzten Jahre. ÖÖ3ÖÖ37 !""Ö"2ÖÖ8ÖÖ--Ö )3".Ö    

Die Beiträge überzeugen […] mit ihrer intellektuell-theoretischen Stringenz, ihren sorgfältigen close readings und ihrer Reflexion aktueller Debatten. Kurzum: […] Ein Muss für diejenigen, die sich mit der deutschen und österreichischen Gegenwart und deren Erinnerungsdiskursen beschäftigen. Zeitschrift für Germanistik böhlau verlag, ursulaplatz 1, 50668 köln. t : + 49(0)221 913 90-0 [email protected], www.boehlau.de | köln weimar wien

SILKE HORSTKOTTE

NACHBILDER FOTOGR AFIE UND GEDÄCHTNIS IN DER DEUTSCHEN GEGENWARTSLITER ATUR

Zahlreiche Gegenwartsautoren fügen Fotografien in ihre Texte ein, die mehr sind als bloße Illustrationen. Sie dienen als Gedächtniszeugen, die mit den Texten vielschichtig verwoben werden. Das bekannteste Beispiel bilden die Werke W. G. Sebalds, doch auch Autoren wie Monika Maron, Stephan Wackwitz, Ulla Hahn, Kurt Drawert oder Marcel Beyer repräsentieren die Erinnerung an Krieg und Holocaust mit Hilfe fotografischer Bilder. In detaillierten Textanalysen und Bildbetrachtungen untersucht Silke Horstkotte, wie Fotos den Transfer von Erinnerungen zwischen den Generationen ermöglichen und inwieweit diese durch Respekt bzw. durch Grenzverletzungen bestimmt sind. 2009. 325 S. MIT 23 S/W-ABB. GB. 155 X 230 MM. ISBN 978-3-412-20321-4

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