Zwischen Augustus und Antinoos: Tradition und Innovation im Prinzipat Hadrians 3515125868, 9783515125864, 9783515125949

Nach dem Tod des Princeps Traian sah sich sein Nachfolger Hadrian mit einem schweren Erbe konfrontiert. Mehr noch als di

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Zwischen Augustus und Antinoos: Tradition und Innovation im Prinzipat Hadrians
 3515125868, 9783515125864, 9783515125949

Table of contents :
Vorwort
INHALTSVERZEICHNIS
I. EINLEITUNG
1. DIE PREKäRE AUSGANGSLAGE DES HADRIANISCHEN PRINZIPATS
2. FORSCHUNGSÜBERBLICK UND METHODE
II. HADRIAN UND AUGUSTUS
1. DER POSTUME TRIUMPH DES TRAIAN
2. HADRIANUS AUGUSTUS. DIE AUGUSTUS-
VERWEISE HADRIANS
3. INNOVATIVE TRADITION. DIE ERINNERUNG AN AUGUSTUS UND DIE HADRIANISCHE IMAGO
4. DER HADRIANISCHE PRINZIPAT – RESTITUTIO UND NEUGRÜNDUNG
III. HADRIAN UND GRIECHENLAND
1. AURELIUS VICTOR UND DIE HADRIANISCHE IMAGO
2. EINE GRIECHISCHE ALTERNATIVWELT? DIE VILLA HADRIANA IN TIBUR
3. ANTINOOS UND SABINA. HADRIANISCHE INTERAKTION ZWISCHEN RÖMISCHER TRADITION UND HELLENISIERUNG?
4. BEIM BARTE DES KAISERS
IV. SCHLUSSBETRACHTUNG UND AUSBLICK: DIE PREKARITäT DES HADRIANISCHEN PRINZIPATS
V. APPENDIx: HEIRAT IST KEINE DESIGNATIONS STRATEGIE
VI. BIBLIOGRAPHIE
1. HERANGEZOGENE UND ZITIERTE QUELLENÜBERSETZUNGEN
2. LITERATUR UND KOMMENTARE
VII. REGISTER
1. NAMENSREGISTER
2. ORTSREGISTER

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Studies in Ancient Monarchies

Christian Seebacher

Zwischen Augustus und Antinoos Tradition und Innovation im Prinzipat Hadrians

Alte Geschichte Franz Steiner Verlag

studies in ancient monarchies Edited by Ulrich Gotter (Konstanz), Nino Luraghi (Oxford) and Kai Trampedach (Heidelberg)

volume 6

Zwischen Augustus und Antinoos Tradition und Innovation im Prinzipat Hadrians Christian Seebacher

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildungen: Links: King Tiglath-pileser III of Assyria. Stone panel, ca. 728 BCE. From the Central Palace in Nimrud, now in the British Museum. © akg / Bible Land Pictures Mitte: Emperor Justinian. Mosaic, ca. 540 CE. Church of San Vitale, Ravenna. © akg / Bildarchiv Steffens Rechts: Alexander the Great at the Battle of Issos. Mosaic, ca. 100 BCE. From the Casa del Fauno, Pompeii, now in the Museo Archeologico Nazionale di Napoli. © akg / Nimatallah Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12586-4 (Print) ISBN 978-3-515-12594-9 (E-Book)

Vorwort Dieses Buch ist die gekürzte und leicht überarbeitete Fassung meiner 2013 vom Fachbereich Geschichte und Soziologie der Universität Konstanz angenommenen Dissertation. Den langen Weg bis zur Publikation haben in den unterschiedlichen Stadien des Projekts zahlreiche Personen begleitet und unterstützt. Nun endlich kann ich ihnen allen danken: Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater Professor Ulrich Gotter (Konstanz) für die engagierte, inspirierende und nicht zuletzt geduldige Betreuung meines Dissertationsprojekts, aber auch für seine Begleitung und Förderung meines Studiums sowie die Gelegenheit, im Wintersemester 2017/2018 noch einmal an die Universität Konstanz zurückkehren zu können. Für die Übernahme des Zweitgutachtens und für den Einfluss, den seine Thesen zur römischen Kaiserzeit auf mich hatten, bin ich Professor Egon Flaig (Rostock) zu Dank verpflichtet. Ein ausdrückliches Bedürfnis ist es mir weiterhin, Professor Kai Trampedach, Loránd Dészpa und Norbert Kramer (alle Heidelberg) zu danken, deren kollegiale und freundschaftliche Förderung ausschlaggebend für meine intensive Auseinander­ setzung mit der Alten Geschichte war. Von entscheidender Bedeutung für meine Forschungen waren die zahllosen Anregungen und der fachliche Austausch mit Henning Börm (Konstanz), Wolfgang Havener (Heidelberg), Meret Strothmann (Bochum), Johannes Wienand (Braunschweig) und vielen weiteren Kolleginnen und Kollegen. In allen organisatorischen Belangen am Lehrstuhl für Alte Geschichte der Universität Konstanz konnte ich stets auf die Unterstützung von Patricia Katterre zählen. Professorin Linda­Marie Günther (Bochum) danke ich außerdem für ihren beharrlichen Zuspruch, die Publikation meiner Arbeit endlich voranzutreiben. Professor Ulrich Gotter, Professor Kai Trampedach und Professor Nino Luraghi (Oxford) danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe SAM (Studies in An­ cient Monarchies). Bei der Vorbereitung meines Manuskripts zur Drucklegung hat mir Jonas Haas (Konstanz) mit beeindruckender Sachkenntnis und größtem Enga­ gement wesentliche Teile der Arbeit abgenommen, wofür ich ihm unermesslich dankbar bin. Ohne die Freundschaft meiner Kollegen Boris Chrubasik (Toronto), Désirée Geiger (Rottenburg), Constanze Geisthardt und Johannes M. Geisthardt (beide Konstanz) würde es dieses Buch nicht geben: Sie haben nicht nur viel Zeit investiert, um die Arbeit zu lesen und unschätzbare Anmerkungen zu machen, sondern waren vor allem unerschrocken bereit, nicht nur die Ausführungen des Autors zu Hadrian, sondern auch den Autor selbst zu ertragen. Mein größter Dank gilt meinen Eltern Susanne und Erich Seebacher für ihre bedingungslose Unterstützung, Förderung und Liebe – weit über den Entstehungs­ prozess der vorliegenden Arbeit hinaus. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Vechta, im August 2019

„An excellent idea. They’ve bored me for the last 40 years. […] Only it cannot be done. […] if I were to shave off my whiskers, Austria whould be thrown into a state of turmoil. Think what it would do to our postage stamps, our coins, our bank notes …“ (ein fiktionalisierter Kaiser Franz Joseph I. über die Rasur seines Backenbarts in Billy Wilders Film „The Emperor Waltz“, USA 1948; Drehbuch: Charles Brackett/Billy Wilder)

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort...........................................................................................5 I. EINLEITUNG ................................................................................. 9 1. Die prekäre Ausgangslage des hadrianischen Prinzipats .....................9 Die Verantwortung für die Hinrichtung der vier Konsulare ............ 11 Die fragliche Adoption und die Herrschaftsübernahme Hadrians .. 14 Die Ausgangslage: Sozialstatus und Machtbasis der vier Konsulare ........................................................................................ 18 Das angebliche Attentat: Der Grad der Gefährdung Hadrians 117/118 n. Chr. .................................................................................. 20 Die ebenbürtige Konkurrenz: Die unumgängliche Ausschaltung der Konsulare.................................................................................. 24 Des Kaisers neues Umfeld: Ein Austausch der Führungselite ....... 25 Der hadrianische Prinzipat: Ein Systemwechsel? ..........................29 2. Forschungsüberblick und Methode ................................................... 32 II. HADRIAN UND AUGUSTUS ....................................................38 1. Der postume Triumph des Traian....................................................... 38 2. Hadrianus Augustus. Die Augustus­Verweise Hadrians.................... 44 Der neue Augustus – Hadrians programmatische Verortung im Münz­ und Bauprogramm ......................................................... 44 Die hadrianische restitutio augusteischer Bauwerke ...................... 59 Hadrianus restitutor – Ein Aspekt der hadrianischen Selbstbeschreibung? ....................................................................... 93 3. Innovative Tradition. Die Erinnerung an Augustus und die hadrianische Imago .........................................................................99 res publica restituta – Ein augusteisches Konzept? .......................99 Herausbildung und Bestimmung der pax Augusta .........................111 Die Herausbildung von pax Augusta und libertas restituta in nachaugusteischer Zeit .............................................................. 121 Hadrian und die Neugründung des Imperium Romanum..............173 4. Der hadrianische Prinzipat – restitutio und Neugründung .............. 176 Das stadtrömische Pomerium ....................................................... 176 Der Doppeltempel der Venus und Roma .......................................182 Hadrian und die kaiserliche Sieghaftigkeit................................... 186

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Inhaltsverzeichnis

III. HADRIAN UND GRIECHENLAND ...................................... 188 1. Aurelius Victor und die hadrianische Imago.....................................188 Hadrian und Numa.........................................................................188 Hadrian und die eleusinischen Mysterien...................................... 191 Hadrian und das Athenaeum ..........................................................192 ‚Griechische‘ Aspekte der hadrianischen Imago – zum weiteren Vorgehen ................................................................ 196 2. Eine griechische Alternativwelt? Die Villa Hadriana in Tibur ........ 198 Die antike Rede über die Villa Hadriana und ihre moderne Deutung ......................................................................... 203 Grundzüge und Voraussetzungen: Die republikanische Villegiatur ......................................................................................210 Die Villegiatur in der Hohen Kaiserzeit ........................................212 Die kaiserliche Villegiatur ............................................................ 240 Die Villa Hadriana – kaiserliche Villegiatur zwischen Tradition und Innovation .............................................................. 244 Bedeutung und Funktion der Villa Hadriana ................................ 262 3. Antinoos und Sabina. Hadrianische Interaktion zwischen römischer Tradition und Hellenisierung? ..................................... 282 Das Problem: Antinoos in Italien und Rom .................................. 282 Antinoos – antike Rede und offizielle Repräsentation ................. 284 Sabina Augusta – antike Rede und offizielle Funktion der Kaisergattin............................................................................. 298 Die Präsenz in Italien und Rom. Zur Funktionalisierung des Antinoos in der Zentrale ......................................................... 328 Antinoos, Sabina und der hadrianische Prinzipat ......................... 379 4. Beim Barte des Kaisers ................................................................... 382 IV. SCHLUSSBETRACHTUNG UND AUSBLICK: DIE PREKARITäT DES HADRIANISCHEN PRINZIPATS .394 V. APPENDIx: HEIRAT IST KEINE DESIGNATIONS STRATEGIE ................................................ 410 VI. BIBLIOGRAPHIE .................................................................... 413 1. Herangezogene und zitierte Quellenübersetzungen ..........................413 2. Literatur und Kommentare ...............................................................415 VII. REGISTER ...............................................................................438 1. Namensregister ................................................................................ 438 2. Ortsregister ...................................................................................... 442

I. EINLEITUNG 1. DIE PREKäRE AUSGANGSLAGE DES HADRIANISCHEN PRINZIPATS Das erste Jahr des hadrianischen Prinzipats stand unter keinem guten Stern, und obwohl es dem neuen Princeps gelang, die durch seinen Herrschaftsantritt bedingten akuten Krisen zu überdauern, bildeten sich gerade hierbei jene Symptome heraus, welche die spezifische Prekarität seines nahezu 21 Jahre währenden Kaisertums fortdauernd bestimmen sollten. Prägend dafür war die Hinrichtung von vier vormaligen Konsuln im Jahr 118 n. Chr., von der uns in der Römischen Geschichte des Cassius Dio und der vita Hadriani der Historia Augusta berichtet wird, über die aber auch auf Basis prosopo­ graphischer Studien zu den benannten Hauptopfern Sicherheit erzielt werden kann. Obgleich die beiden literarischen Berichte in zentralen Punkten widersprüchlich sind und wesentliche Details im Dunkeln bleiben, lassen sich folgende Geschehnisse re­ konstruieren: Während Hadrian sich nach seiner Akklamation zum Imperator durch die Trup­ pen in Syrien, wo er als Statthalter tätig war, noch im Osten des Imperium Romanum befand und dort die Herrschaft im Partherreich neu organisierte, Frieden zwischen Rom und zahlreichen aufrührerischen Provinzen stiftete, mehrere durch Traian er­ oberte und dem Reich hinzugefügte Gebiete in die Unabhängigkeit entließ und teils neue Befehlshaber und Statthalter einsetzte, kam es zur Tötung der vier ehemaligen Konsuln C. Avidius Nigrinus, Lusius Quietus, Aulus Cornelius Palma Frontonianus und Lucius Publilius Celsus. Sowohl Dio als auch die Hadriansvita bringen diese Aktion mit dem Vorwurf eines versuchten Attentats auf den neuen Princeps in Ver­ bindung. Der Historia Augusta zufolge handelte es sich bei Nigrinus um die treibende Kraft des Attentats, das bei einer Opferhandlung Hadrians in dessen Ermordung kulminieren sollte; jedoch entkam der Princeps („evasit“). Als weitere Beteiligte werden an gleicher Stelle namentlich Lusius Quietus sowie „multis aliis“ erwähnt. Aufgrund des vereitelten oder gescheiterten Attentats, das in der vita Hadriani mit dem Ausdruck insidiae bezeichnet wird, seien die Täter umgebracht worden („occisi sunt“). In diesem Kontext wird die Zahl der Attentäter auf vier präzisiert und dabei namentlich um Palma und Celsus ergänzt.1 1

SHA Hadr. 7,1f. In den Scriptores Historiae Augustae werden die enthaltenen Viten sechs ver­ schiedenen Autoren zugewiesen, die diese für Diocletian und Constantin abgefasst haben sollen, worauf mehrere Widmungen hindeuten. Dabei lautet der Name des vorgeblichen Autors der vita Hadriani (und einiger weiterer Viten) Aelius Spartianus. Allerdings wird sowohl die Benennung der Autoren als auch die zeitliche Einordnung in der aktuellen communis opinio als fingiert erachtet: Vorherrschend ist die Ein­Autoren­These und die Annahme einer Abfassung im späten vierten oder fünften Jahrhundert (anders: Lippold (1998) insbes. Ix–xxVI; 1–14); zur umstrittenen Datierungsfrage siehe Johne (1976) 11–65; Fündling (2006) 1–219; siehe auch

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I. Einleitung

Dieselben Personen tauchen auch bei Cassius Dio im entsprechenden Kontext auf, jedoch seien es Palma und Celsus gewesen, denen ein Attentatsversuch bei einer kaiserlichen Jagd vorgeworfen wurde, während Nigrinus und Quietus aufgrund an­ geblicher Kritik an Hadrian schlicht gleichzeitig abgeurteilt worden seien. Allerdings habe es sich bei beiden Vorwürfen um vorgeschobene Gründe gehandelt, realer Auslöser für die Entfernung der vier Personen sei ihr wesentlicher Einfluss sowie ihr Vermögen und ihr Ruhm gewesen.2 Was den Ort des (vorgeworfenen) Attentats betrifft könnten die Darlegungen Dios und der vita Hadriani relativ problemlos zusammengeführt werden: Da zu Beginn und Ende einer jeden antiken Jagd ein Opfer stattfand, wird seit der Analyse der Episode durch Wilhelm Weber und in dessen Nachfolge durch Anton von Premerstein im frühen 20. Jahrhundert ein angebliche Attentat im Kontext einer Jagd vorgeschlagen.3 Der zentrale Widerspruch in den Quellenpassagen liegt aber in der Frage nach der Faktizität der heute i. d. R. als sogenanntes oder angebliches Atten­ tat der vier Konsulare bezeichneten Ereignisse:4 Die große Mehrheit der Forschung schließt sich seit Weber und von Premerstein Dio und damit dem bloßen Vorwurf eines Attentatsversuchs an.5 Das ist zwar durchaus plausibel, allerdings stellt sich,

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Birley (1997b) 3f; vgl. Lambert (1984) 55f. Gemäß diesem Forschungskonsens wird in dieser Arbeit einfach von der Historia Augusta bzw. von ihren Viten bzw. Biographien (allen voran von der vita Hadriani) gesprochen. Cass. Dio 69,2,5. Das 69. Buch der Römischen Geschichte des Cassius Dio zum hadrianischen Prinzipat liegt heute (wie viele weitere Bücher des Werks, darunter auch das 68. zur traianischen Herrschaft) nur noch als Epitome des byzantinischen Mönchs Ioannes xiphilinos (2. Hälfte 11. Jh.) sowie in einigen Exzerpten vor (siehe Millar (1964) insbes. 1–4 sowie spezifisch zum 69. Buch: 60–72; Birley (1997b) 4; vgl. Lambert (1984) 56f). Der Einfachheit halber wird stets von Dio und seinem Werk gesprochen; gleichwohl ist die Problematik des nicht klar zu bewertenden Grads der Verkürzung stets mitzubedenken. Weber (1907) 78; von Premerstein (1908) 33; 68; siehe auch Mortensen (2004) 109 mit Anm. 364. Als ergänzender, die These eines (angeblichen) Attentats auf Hadrian im Kontext einer Jagd stüt­ zender Bericht wurde seit von Premerstein (1908) 59–71 mitunter eine Passage der Physiognomica des M. Antonius Polemo(n) identifiziert: Polemon berichtet von einem gescheiterten Attentat auf den Princeps durch einen Einzeltäter, das auf einer Reise im Rahmen einer Jagdgesellschaft statt­ gefunden habe und dessen Augenzeuge er als Begleiter Hadrians geworden sei. (Polemons ur­ sprünglich auf Griechisch abgefasstes Werk ist heute nur noch in einer arabischen Übersetzung erhalten, die Richard Förster ediert und ins Lateinische übertragen hat: Scriptores physiognomici Graeci et Latini. Vol. I, Leipzig 1893: siehe hier 138–142.) Allerdings ist diese Schilderung kaum mit dem sogenannten Attentat der vier Konsulare zu identifizieren. So hat Bowersock (1969) 120–123 von Premersteins Argumente entkräftet; zudem wurden durch Weiß (1995) 218–223 Modifikationen der Lesung des Texts plausibel gemacht, die es erlauben, den Bericht des Pole­ mon als Schilderung einer Lydien­Reise wohl im Jahr 124 (und keinesfalls 118) zu deuten. Eine eingehende Diskussion von Polemons Attentatsbericht, der in keiner anderen Quelle verbürgt ist, steht jedoch bislang aus. (Zur prosopographischen Einordnung des Polemon siehe das Kapitel Eine griechische Alternativwelt? Zur Villa Hadriana in Tibur.) Siehe dazu von Premerstein (1908): „Das Attentat der Konsulare auf Hadrian im Jahre 118 nach Christus“. Siehe von Premerstein (1908) passim; insbes. 73f; 80; Weber (1907) 76–81; siehe auch 27–29; 32–34. Für einen reinen Attentatsvorwurf spricht sich auch Anthony R. Birley in seiner ein­ schlägigen Biographie aus: Birley (1997b) 86–89. Weiterhin argumentieren für einen Vorwurf Lambert (1984) 34f; Zahrnt (1997) 126 sowie Bengtson (31982) 359; Dieter/Günther (1979) 263;

1. Die prekäre Ausgangslage des hadrianischen Prinzipats

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trifft die Annahme zu, die Frage nach den Gründen für diesen Vorwurf und der da­ raus resultierenden Tötung von gleich vier ranghohen Mitgliedern des Senats umso schärfer. Um Klarheit über die für den Herrschaftsantritt und den weiteren Prinzipat Ha­ drians bedeutende Episode zu gewinnen, soll das sogenannte Attentat der vier Konsu­ lare und sein Resultat einleitend einer erneuten Analyse unterzogen werden. Dabei soll die Frage im Zentrum stehen, welche Faktoren das neue hadrianische Regime dazu veranlassten, in einer schnellen Aktion vier ranghohe Mitglieder der senatorischen Elite zu exekutieren. Drohte dem Regime wirklich eine akute Gefahr, auf die derart kompromisslos und explizit reagiert werden musste? Oder spielten spezifisch politische Erwägungen die entscheidende Rolle bei der Beseitigung der vier Konsulare? Um diese Fragen zu ergründen, ist zunächst nach dem oder den Verantwortlichen für die Exekutionen sowie nach der stadtrömischen Bewertung dieses Vorgehens, insbesondere in der Reichselite, zu fragen. Von diesen Reaktionen ausgehend kann die Frage nach den Ursachen der Hinrichtungen neu gestellt werden. Dabei ist Ha­ drians Machtstellung in den Jahren 117 und 118 ebenso zu untersuchen wie die Posi­ tion besagter vier Konsulare. Diese sind sowohl auf ihre individuelle Situation und Position als auch auf das generelle Potential einer akuten oder zukünftigen Koope­ ration gegen den neuen Princeps und damit auf ihr Gefahrenpotential für den ha­ drianischen Prinzipat zu befragen. Die Verantwortung für die Hinrichtung der vier Konsulare Dio verknüpft seine Absage an ein erfolgtes oder auch nur geplantes Attentat auf Hadrian mit dem Verweis auf eine eidliche Erklärung des neuen Princeps, unschul­ dig an den Tötungen zu sein. Dass es sich dabei letztlich um einen Meineid gehan­ delt habe, zeigt Dio durch die Rahmung der Episode. So betont er, am Anfang wie am Ende der Passage, Hadrian habe nicht allein zu Beginn sondern auch gegen Ende seiner Herrschaft ἀρίστοι ἄνδρες töten lassen.6 Dio weist Hadrian also somit die eindeutige und alleinige Verantwortung für die Hinrichtungen zu und verurteilt diese ausdrücklich als Mord, Ermordung oder gar Blutbad (φόνος).

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etwas vorsichtiger: Heuß (92003) 346f; Garzetti (1974) 382–384. Von einem tatsächlich erfolg­ ten Attentat gingen die frühesten modernen Hadrian­Biographen Ferdinand Gregorovius und Ernst Kornemann aus, deren Arbeiten sich stark an der vita Hadriani der Historia Augusta orientierten, deren Lesung aber freilich nicht mehr dem Stand moderner Quellenkritik ent­ spricht: siehe Gregorovius (31884) 46–49; Kornemann (1905) 30f. Von einem tatsächlichen Attentat gehen v. a. populärwissenschaftliche Hadrian­Biographen aus (siehe Perowne (21977) 49–52; Schall (1986) 143–146; Danziger/Purcell (2006) 12), doch auch in der seriösen neueren Forschung ist gelegentlich noch von einer Opposition gegen Hadrian die Rede, die sich 117/18 in einem Anschlag auf sein Leben geäußert haben soll: siehe Opper (2008) 55f; Boatwright (2008) 163; Thornton (1975) 436; etwas moderater: Christ (62009) 318f; vgl. Speidel (1994) 47–49. Einen Forschungsüberblick bietet Mortensen (2004) 110–115. Cass. Dio 69,2,5–6; insbes. 5: „Obwohl Hadrian sehr mild regierte, zog er sich doch durch die Ermordung (φόνους) einiger ἀρίστοι ἄνδρες sowohl zu Beginn als auch gegen Ende seines Lebens harten Tadel zu.“

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I. Einleitung

Die Historia Augusta geht in der Zuweisung der Verantwortung auf den ers­ ten Blick andere Wege: Sie beruft sich direkt auf die Autobiographie Hadrians als Quelle, in der dieser zum Ausdruck gebracht habe, die Tat sei gegen seinen Willen („invito“) geschehen.7 Diese Aussage wird mit Hadrians umgehender Rückkehr nach Rom verbunden, wo er dem Vorwurf seiner Verantwortung für den Tod von gleich vier Konsularen und der daraus resultierenden schlechten Meinung durch ein doppeltes congiarium, die Erklärung seiner Schuldlosigkeit, eine Verheißung der zukünftigen Sicherheit des Senat sowie durch Wohltaten für die Bevölkerung der urbs zu begegnen gesucht habe. Zudem verweist die Hadrians­ vita auf einen anderen Verantwortlichen: P. Acilius Attianus, den ehemaligen, neben dem Princeps Traian selbst zweiten Vormund Hadrians, der zudem in spät­ traianischer Zeit als Praetorianerpraefekt fungierte.8 Allerdings spricht eine genauere Analyse dafür, dass auch die vita Hadriani darum bemüht ist, Hadrian die Verantwortung für die Tötung zuzuweisen und ihre diesbezügliche Darstellung lediglich etwas subtiler aufgebaut hat als Dio:9 In der Passage 9,3 wird von Hadrians angeblicher Begierde berichtet, Attianus aufgrund seiner mittlerweile übergroßen Macht niederzumetzeln („obtruncare“). Da Hadrian jedoch bereits den Ruf besessen habe, die vier Konsulare umgebracht zu haben (occidere), also ihr Mörder zu sein, habe er nicht gewagt, die Tat zu veranlassen und seinen Praefekten daher weggelobt, indem er ihm die ornamenta consularia verlie­ hen habe. Zugleich wird vermerkt, der Princeps habe die öffentliche Meinung ge­ fürchtet, obwohl er den gewaltsamen Tod bzw. die Ermordung („nex“) der Konsulare immer als Beschluss des Attianus (consilium Attiani) darzustellen gesucht habe.10 Der populus aber habe, so stellt die vita Hadriani durch den Rekurs auf die öffent­ lichen Vorwürfe klar, diese Strategie für unglaubhaft erachtet. Daneben stellt die Hadriansvita die autobiographische Selbstaussage des Princeps, die Hinrichtung sei senatu iubente geschehen, fuße also auf einem Senatserlass, wobei er selbst dieses Urteil abgelehnt habe.11 Ebenso wie im Falle des Vorwurfs an Attianus verwies Hadrian auf Entscheidungen, die er aufgrund seiner Abwesenheit aus Rom nicht ausreichend steuern konnte, war aber nun bemüht, nicht mehr von 7 8 9 10

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SHA Hadr. 7,2: „ […] invito Hadriano, ut ipse in vita sua dicit“. SHA Hadr. 7,3f. Siehe dazu bereits Weber (1907) 27–29. SHA Hadr. 9,3f: Bei dieser Aussage werden im gleichen Satz die Vokabeln, occidere, ‚um­ bringen‘, und nex, ‚Hinrichtung‘, aber auch ‚Mord‘ oder ‚gewaltsamer Tod‘, verwendet, wo­ mit nicht mehr der Eindruck einer freien, legitimen Aburteilung auf Senatsbeschluss vermit­ telt wird. Obgleich es plausibel ist, keine Beteiligung des Senats an der Tötung der vier Konsulare anzu­ nehmen, ist die Diskussion darüber seit von Premersteins Tagen nicht mehr abgerissen: Eine Zusammenfassung der Positionen und ihrer Varianten bietet Mortensen (2004) 113f. Die Abur­ teilung der angeblichen Attentäter hat sich wohl unter Hadrians Beteiligung in Kreisen vollzo­ gen, die sich in wie auch immer gearteter Kaisernähe befanden und in deren Interesse eine Si­ cherung und Stabilisierung des neuen Prinzipats lag (vgl. dazu bereits von Premerstein (1908) 34–40, der allerdings noch von der Existenz eines verstetigten consilium principis ausging, das unter Umgehung des Senats bereitwillig im kaiserlichen Sinne entschieden habe; siehe diesbe­ züglich zur grundsätzlichen Widerlegung Crook (1955).

1. Die prekäre Ausgangslage des hadrianischen Prinzipats

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Übergriffen eines Praetorianerpraefekten, die er als Princeps nicht verhindern konnte, zu sprechen, sondern von einem geregelt verlaufenen Senatsprozess. Indem nun aber die Historia Augusta beide Verteidigungsstrategien nebeneinander stellt und mit dem Narrativ kontrastiert, übt sie mindestens so radikal wie Dio Kritik an der Tötung der vier Konsulare und lastet die Verantwortung für sie eindeutig Hadrian an: Für sie handelte es sich, eben da der Urteilsspruch des Senats konstitutiv gewesen wäre, um schlichten Senatorenmord. Und als Mord bezeichnet die Historia Augusta die Tat mittels der Vokabeln occidere und nex auch ausdrücklich und erklärt in erster Linie den neuen Princeps zum (veranlassenden) Mörder des eigenen Standes. Ha­ drian habe, so die Zuschreibung, die durch die Elite von jedem neuen Herrscher eingeforderte civilitas sowie die explizit erwähnte clementia12 missachtet und in ihr krasses Gegenteil verwandelt: die brutale Begierde den eigenen Vormund und För­ derer niederzumetzeln. Ein derartiges Vergehen gegen jegliche dignitas führte zum erheblichen Akzeptanzverlust eines Princeps und legte seine faktische Alleinherr­ schaft offen.13 Angesichts dieser umfassenden Kritik und der Erwähnung weiterer hadrianischer Morde wird das Attentat letztlich auch in der vita Hadriani zweifelhaft. In jedem Fall aber wird das Vorgehen des Princeps in seiner Form für illegitim erklärt. Hadrians Schuldzuweisungen an Senat und Attianus zeigen, dass er um das Risiko und die Gefährlichkeit seines Handelns für seine gerade erst beginnende Herrschaft wusste. Freilich musste eine Verlagerung der Verantwortung gerade auf­ grund der Principes zugeschriebenen Allmacht chancenlos bleiben. In Anbetracht einer derart starken Hypothek auf die hadrianische Herrschaft ist umso fraglicher, weshalb die Hinrichtung der vier Konsulare initiiert wurde bzw. welche situativen Gegebenheiten ein solches Vorgehen unausweichlich machten.

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Der Vorwurf mangelnder civilitas und clementia Hadrians in allen antiken Texten, die seinen Prin­ zipat behandeln, deutet an, dass es sich um ein grundlegendes Element der Bewertung Hadrians in der Antike handelte. So spricht Eutr. 8,7,2 Hadrian jegliche clementia ab: „non magnam clementiae gloriam habuit“. Epit. Caes. 14,6 identifizieren ihre zunächst vorgenommene Charakterisierung Hadrians als „Varius multiplex multiformis“ gar als bewusste Täuschung des Princeps: „continentiam, facilitatem, clementiam simulans“. Der Vorwurf, Hadrian habe diese Tugenden gar nicht besessen, sondern allein behauptet, wird im Vorfeld („impetum mentis quodam artificio regens, ingenium invidum, triste, lascivum et ad ostentationem sui insolens callide tegebat“), vor allem aber direkt im Anschluss mit Hadrians ‚wahren‘ negativen Charaktereigenschaften kontrastiert: „contraque dissimulans ardorem gloriae, quo flagrabat“. Die positiven Eigenschaften werden also als simulatio gekennzeichnet, während die negativen dissimulatio sind, das bedeutet, verborgen werden. SHA Hadr. 5,5 konstatiert: „Tantum autem statim clementiae studium habuit“. Die herrscherliche Milde bestehe darin, dass der neue Princeps von einigen Morden an Angehörigen der Reichselite abge­ sehen habe. Da er diese Grenze aber durch die Ermordung der vier Konsulare im Narrativ kurz darauf überschreitet, ist dies eine eindeutig ironische Aussage. Siehe Aug. RG 34,2 zur Verleihung der corona civica an Augustus und der Aufstellung des clupeus virtutis, der auch die (kaiserliche) Tugend der clementia preist, in der curia Iulia durch den Senat im Jahr 27 v. Chr. Siehe zur von der senatorischen Elite eingeforderten kaiserlichen civilitas und clementia Alföldi (1970) 25; 128–131; Scheithauer (1987) 31; Helleguarc‘h (1972) 261–263.

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I. Einleitung

Die fragliche Adoption und die Herrschaftsübernahme Hadrians Ursächlich für die folgenden Ereignisse war der Herrschaftsantritt Hadrians, der ob seiner Prekarität den Princeps gerade nicht gegen eine Konkurrenzierung seiner Herrschaft imprägnieren konnte: Bereits mit den ersten Worten des dem hadrianischen Prinzipat gewidmeten 69. Buchs seiner Römischen Geschichte formuliert Cassius Dio die Prekarität der Herr­ schaft des zweiten sogenannten Adoptivkaisers eindeutig: „Hadrian war durch Traian nicht adoptiert worden.“14 Im Folgenden spielt Dio auf eine nicht klar benannte Intrige an, die von Traians Gattin Plotina und Hadrians zweitem Vormund, dem bereits erwähnten Praetorianerpraefekten Attianus, initiiert worden sei. Diese habe Hadrian den Prinzipat gesichert. Weiter begünstigt worden sei der Herrschaftsantritt durch das große Truppenkontingent, das Hadrian als Legat von Syria zur Verfügung gestanden habe. Schließlich lässt Dio seinen Beleg für die Intrige folgen: Der Tod Traians sei für mehrere Tage nicht publik gemacht worden, um Hadrians Adoption noch als Traians Maßnahme und Willensäußerung erscheinen zu lassen. Unge­ bräuchlicher­ und verdächtigerweise sei zudem der Brief Traians an den Senat bezüglich der Adoption von Plotina unterzeichnet gewesen,15 womit Dio Plotina und Attianus indirekt die Fälschung der Adoptionsbelege vorwirft. Im Gegensatz zu dieser eindeutigen Position hält sich die vita Hadriani zu Beginn bedeckt. Hier wird betont, Hadrian habe durchaus als Favorit bezüglich Adoption und Nachfolge Traians gegolten.16 Als treibende Kraft wird dabei Plotina bezeichnet, die Hadrian in wichtige ämter eingesetzt17 und ihm seinen zweiten Konsulat für das Jahr 118 verschafft habe, der seine Stellung als Prätendent absichern sollte.18 Diese engagierte Unterstützung wird in der Passage mehrmals als favor Plotinae bezeichnet,19 ein Ausdruck, der auch in der Forschung häufig als wesentli­ che Voraussetzung für den Herrschaftsantritt Hadrians Berücksichtigung findet.20 Auf diese Plausibilisierung der Rolle Hadrians als Prätendent folgt die Erwähnung, dass ihm seine Adoption am 9. August 117 bekannt geworden sei, während er am 11. August von Traians Tod erfahren habe.21 Bis zu diesem Punkt scheint die vita Ha­ driani für eine formal korrekte Adoption Hadrians durch Traian zu argumentieren, weshalb in der Forschung allzu häufig die positive Bewertung einer faktischen Adop­ tion angenommen wird.22 Freilich sollte hier nicht außer Acht gelassen werden, dass nicht nur Dio dieser Deutung widerspricht, sondern auch der Folgeabsatz der vita Hadriani selbst die Adoption zumindest mit einem großen Fragezeichen versieht: 14 15 16 17 18 19 20 21 22

Cass. Dio 69,1,1: Ἁδριανὸς δὲ ὑπὸ μὲν Τραϊανοῦ οὐκ ἐσεποιήθη. Cass. Dio 69,1,2–4. SHA Hadr. 4,3; siehe auch 3,10. SHA Hadr. 4,1. SHA Hadr. 4,4. Allerdings spricht einiges dafür, dass die designatio Hadrians zu seinem zwei­ ten Konsulat erst nach dem Tod Traians vorgenommen wurde: siehe Kienast (32004) 129. Siehe SHA Hadr. 2,10; 4,1; 4,4; siehe auch 4,10. Siehe z. B. Weber (1907) 1–47; Temporini (1978) 78–151; 157–159. SHA Hadr. 4,6–7. Siehe dazu zusammenfassend Mortensen (2004) 30f mit Anm. 25.

1. Die prekäre Ausgangslage des hadrianischen Prinzipats

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„Allerdings war das Gerücht verbreitet, Traian habe im Sinn gehabt, den Neratius Priscus, nicht den Hadrian zum Nachfolger zu machen, und zwar im Einvernehmen mit vielen seiner Freunde, und sei so weit gegangen, eines Tages zu Priscus zu sagen: ‚Dir befehle ich die Provinzen an für den Fall, dass mir etwas Schicksalhaftes zustoßen sollte.‘“23

Daran schließt die Hadriansvita die Annahme an, Traian habe womöglich, dem Vorbild Alexanders folgend, gar keine Adoption durchführen und somit die Nach­ folgefrage überhaupt nicht klären wollen.24 Zum Abschluss der Adoptions­Passage der Historia Augusta folgt schließlich gar die an Dio gemahnende Mutmaßung, es könne auch eine Intrige der Plotina und des Attianus bestanden haben, mittels derer nach dem Tod Traians eine falsche Adoption organisiert worden sei. So sei es möglich, dass anstelle Traians eine andere Person „mit leiser Stimme“ die Adoption Hadrians verkündet habe.25 Die vita Hadriani nennt also nach der vermutlich offiziellen Darstellung der Adoption Hadrians durch seinen Vorgänger drei Varianten. Sie folgt damit einem biographischen und historiographischen Topos, der simple ,Gerüchte‘, deren Urhe­ ber nie benannt werden, nach oder neben einer offiziellen Darstellung positioniert und diese damit konterkariert.26 Letztlich erteilt die vita Hadriani auf diese Weise der Adoption Hadrians ebenso eine Absage wie Dio. Neben diesen beiden Texten gesellen sich drei antike Kurzbiographien zum Kanon der literarischen Hauptquellen zu Hadrian und seinem Prinzipat:27 das zur 23

SHA Hadr. 4,8. Bei dieser Geschichte handelt es sich natürlich zunächst einmal lediglich um ein Gerücht, das in der narrativen Strategie nicht nur die Zweifel an der Adoption Hadrians untermau­ ern sollte, sondern seinen Prinzipat gar als gegen den Willen Traians gerichtet darstellen möchte. Die Geschichte wird in der Forschung seit jeher angezweifelt (zuerst von Weber (1907) 30 Anm. 104). Lediglich Birley (1999) 38f mutmaßt, dass eine mögliche Privilegierung des Neratius Priscus auch einer früheren Phase der traianischen Herrschaft entstammen könne. Gerade dieser Fall liefert aber kein Argument für eine Designation Hadrians, sondern im Gegenteil ein ergänzendes Argu­ ment für ein gezieltes Offenlassen der Nachfolgefrage: Gewiss äußerte sich Traian mitunter über den einen oder anderen seiner amici positiv und begünstigend, doch darf dies keinesfalls als impli­ zite Zusicherung der Adoption bzw. des Prinzipats verstanden werden. 24 Siehe SHA Hadr. 4,9: „Viele behaupten, Traian habe beabsichtigt, nach dem Beispiel Alexand­ ers des Makedonen ohne Bestimmung eines Nachfolgers zu sterben.“ 25 SHA Hadr. 4,10. 26 Zu dieser topischen Ausgestaltung klassischer Kaiserkritik der senatorischen Historiographie und Biographik sei nur auf das prominente Beispiel der, freilich deutlich subtileren, Schilde­ rung des Brands von Rom im Jahr 64 n. Chr. durch Tacitus (Tac. ann. 15,38–44) verwiesen: Hier werden zuerst angebliche rumores wiedergegeben, die besagen, Nero habe direkt nach Aus­ bruch des Feuers in Antium die Zerstörung Troias besungen (39), im Weiteren werden unstill­ bare rumores, der Brand sei auf Befehl gelegt worden, erwähnt (44), worauf Nero die Christen Roms als angeblich Verantwortliche hinrichten lässt, um die Gerüchte zu beenden (44), was (unterstützt durch Mitleid des Volks ob dieses Willküraktes; ebenfalls 44) an der kaiserlichen Urheberschaft des Brandes keine Zweifel mehr lässt, ohne dass dieser Vorwurf jemals zum Ausdruck gebracht worden wäre. 27 Allen drei Biographien lag vermutlich bis zu den Schilderungen des Jahres 284 und damit auch für den hadrianischen Prinzipat, die nicht erhaltene sogenannte Enmannsche Kaisergeschichte (direkt oder indirekt) zugrunde, auf die auch die Historia Augusta zurückgegriffen haben dürfte. Durch diese weitgehend akzeptierte Hypothese einer gemeinsamen Quelle werden Parallelen der vier Biographien erklärt. Siehe dazu Fündling (2006) 138–141.

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I. Einleitung

Mitte des 4. Jahrhunderts n. Chr. oder kurze Zeit danach entstandene Breviarium ab urbe condita des Eutropius, der ungefähr zeitgleich entstandene Liber de Caesaribus des Aurelius Victor sowie die fälschlich unter dem Namen Victors überlieferten, anonymen Epitome de Caesaribus. Während die Epitome nicht auf Adoption und Herrschaftsantritt Hadrians eingehen, folgt Eutrop in Entsprechung zu Dio der ex­ pliziten Absage an die Adoption und weist die hadrianische Herrschaftsübernahme als nicht weiter spezifiziertes „Betreiben“ (opera) der Plotina aus: „Nach dem Abscheiden Traians wird Aelius Hadrianus zum Princeps gewählt, zwar ohne ir­ gendwelche Absichten Traians, aber auf Plotinas Betreiben, der Gattin Traians; denn Traian hatte ihn zu Lebzeiten nicht adoptieren wollen, obwohl er Sohn einer Verwandten war.“28

Aurelius Victor schließlich führt aus, was die vita Hadriani etwas später eingehend illustrieren sollte: Auf eine Schilderung, die von einer Adoption Hadrians durch Traian ganz kurz vor dessen Tod berichtet,29 wird ein Gerücht anderer erwähnt, wie aus der Umschreibung „quamquam alii […] putent“ hervorgeht. Dieses Gerücht rekurriert auf den auch hier explizit genannten favor Plotinae: Die Gattin traians habe vorgegeben, dass Hadrian testamentarisch durch seinen Vorgänger „zum Erben der Herrschaft erklärt worden sei.“30 Eine die Herrschaft Hadrians legitimierende oder zumindest befördernde Adop­ tion durch seinen Vorgänger muss somit bereits in der Antike zumindest zweifelhaft gewesen sein und darf heute als unwahrscheinlich gelten.31 Insbesondere erscheint 28 29 30

31

Eutr. 8,6,1; vgl. Weber (1907) 13. Aur. Vict. Caes. 13,11. Aur. Vict. Caes. 13,13: „quae viri testamento heredem regni institutum simulaverat“. Bemer­ kenswert ist die Interpretation der Victor­Passage durch Mortensen (2004) 30: „Aurelius Victor erwähnt, daß Trajan Hadrian zur Herrschaft berufen habe, nicht aber, daß letzterer von ersterem adoptiert worden sei.“ Für diese wunderliche Aussage zieht die Forscherin Aur. Vict. Caes. 13,1 heran: „Er [= Traian] starb, während er auf Bitten der Senatoren nach Italien zurückkehrte, in hohem Alter an einer Krankheit, nachdem er zuvor seinen Mitbürger und Verwandten Hadrian zur Herrschaft herangezogen [= ascito] hatte.“ Das Verb ascire, das auch von Groß­Albenhausen und Fuhrmann (Tusculum) mit „berufen“ übertragen wurde, meint in diesem Kontext jedoch vielmehr „heranziehen“, da die formale Berufung zur Nachfolge im Prinzipat niemals durch den vorherigen Princeps vorgenommen wurde oder auch nur hätte werden können. Bestand keine (nahe) Verwandtschaft war die einzige Möglichkeit zur Stärkung eines potentiellen Nachfolgers die Adoption – und präzise im Kontext der Erzeugung einer solchen Nahbezie­ hung wird ascire verwendet. Zudem scheint Mortensen die Fortsetzung der Adoptions­Episode bei Victor übersehen zu haben: Mit keinem Wort würdigt sie das dort angeführte Gerücht der nicht erfolgten Adoption (13,3). Denn wenngleich Hadrians Herrschaftsantritt als (mögliches) Produkt eines Betrugs durch Plotina disqualifiziert wird, wird hier doch durch die Vokabeln heres und testamentum auf den juristischen Akt hingewiesen, der in Rom stets den nächst­ rangigen Familienangehörigen zum Haupterben, Nachfolger und somit neuen pater familias machte (siehe Söllner (51996) 28; 44–47; Dulckeit/Schwarz/Waldstein (91995) 42; 64f), was im Falle des Haupterben des Princeps gleichzeitig eine, freilich nicht verbindliche, bewusste Aus­ wahl als neuer pater patriae bedeutete (siehe auch Söllner (51996) 96f). Und eben die Umset­ zung dieses so wesentlichen Rechtsakts sei, so Victor, im Falle Hadrians unterblieben. Zur Zusammenfassung der Forschungsdiskussion bezüglich der Frage einer Adoption Ha­ drians siehe Mortensen (2004) 27–55; insbes. 33–55 zur mehrheitlichen Forschungsmeinung einer nicht erfolgten Adoption.

1. Die prekäre Ausgangslage des hadrianischen Prinzipats

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die Aussage der vita Hadriani, Traian habe die Frage nach seiner Nachfolge wom­ öglich gezielt offengelassen,32 durchaus plausibel: Wer konnte schon auf jenen Herrscher folgen, der sich selbst als optimus princeps beschrieb und sich durch zahllose Akzeptanzgesten als solcher vermarkten ließ?33 Allerdings dürfte dafür keine bloße Alexander­imitatio ausschlaggebend gewesen sein.34 Vielmehr hätte Traians Präsentation und damit Verfügbarkeit einer weiteren, ihm ebenbürtigen oder sogar überlegenen Herrscherpersönlichkeit zum Akzeptanzverlust seines Prinzipats insbesondere beim römischen Heer, aber auch bei den anderen Statusgruppen des Reichs, führen können. Dies hätte möglicherweise gar ein Usurpationsrisiko durch den potentiellen Nachfolger provoziert. Im Rahmen dieser Erkenntnis wäre übrigens die communis opinio der Forschung einer vermeintlich übergroßen Stärke und be­ sonderen Beständigkeit des traianischen Prinzipats35 einer erneuten Prüfung zu un­ terziehen. War ihm nicht vielmehr auch eine fortdauernde, gerade aus der eigenen Selbstdarstellung resultierende, strukturelle Schwäche inhärent?36 Trifft dies zu, wäre auch nicht weiter verwunderlich, dass Traian unterschied­ lichsten Persönlichkeiten in seinem direkten Umfeld wiederholt Privilegien und Würdigungen zubilligte,37 ohne eine explizite und irreversible Hervorhebung einer einzigen dieser Personen, und das hätte bedeutet ihre Adoption, vorzunehmen. Denn ein Nachfolger, den der optimus auswählte, musste doch selbst ein optimus, also der Beste, sein. Dieses superlativische Prädikat war jedoch im traianischen Herrschafts­ verständnis unteilbares Eigentum des Princeps. Dass es dann tatsächlich Hadrian war, der nach Traians Ableben 117 n. Chr. erfolgreich nach dem Purpur griff, lag in erster Linie in seinem Status als aktuellem Statthalter von Syria begründet. Von dort aus konnte er relativ problemlos akklamiert werden und seine dominierende Position entfalten, kontrollierte er doch mit drei oder vier Legionen (und einer entsprechenden Anzahl von Auxiliareinheiten) das größte Truppenkontingent des Imperium Romanum.38

32 33 34 35 36 37

38

SHA Hadr. 4,9. Siehe zu diesem Aspekt jetzt Geisthardt (2015) 83–145; insbes. 83–97. Siehe zu den diesbezüglichen Forschungspositionen Mortensen (2004) 44–46. Vgl. Weber (1907) 8–12; Fündling (2006) K 126 (4,8). So Strobel (1999) 17–29 (anders: Strobel (2010)); Eck (2002b) 7–20; Fell (1992) insbes. 275f; Heuß (92003) 345f; vgl. auch Fündling (2006) K 126 (4,8). So bislang nur Börm (2015) 240–243. Neben den geförderten vier Konsularen wäre hier v. a. an Neratius Priscus (SHA Hadr. 4,8), den dreimaligen Konsular L. Licinius Sura, der sich in einem amicitia­ und Klientelverhältnis zu Traian befand (Cass. Dio 68,15,32–16,1a; insbes. 15,4; siehe dazu auch PIR2 L 253) und mög­ licherweise an Hadrians Schwager L. Iulius Ursus Sevianus, Statthalter von Germania superior und Pannonia, zweimaliger Konsul, darunter im Jahr 102 consul prior vor dem Amtskollegen Sura (siehe PIR2 I 631) zu denken. Vgl. Birley (1999) 37–43. Siehe Jacques/Scheid (1998) 162, Tabelle 2 (Verteilung der Legionen); 162–164; Sartre (2001) 408; Zahrnt (1997) 125f; vgl. Weber (1907) 42f.

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Die Ausgangslage: Sozialstatus und Machtbasis der vier Konsulare Freilich bedeutete dieser durchaus gängige Weg zur Ergreifung der Herrschaft keine verbindliche Garantie fortdauernder Beständigkeit. Der auf solche Weise zur Macht gelangte Princeps konnte durch von ihren Legionen akklamierte Usur­ patoren herausgefordert oder Ziel einer Verschwörung werden.39 Angesichts seiner zweifelhaften Adoption und seines daher besonders prekären Herrschaftsantritts war die Situation für Hadrian diesbezüglich besonders gefährlich, wie ein Blick auf Status und Handlungsspielräume der vier des Attentats beschuldigten Konsu­ lare zur gleichen Zeit beweist: 1. Die frühesten Spuren des cursus honorum von C. Avidius Nigrinus sind ver­ mutlich in einem Volkstribunat des Jahres 105 auszumachen. Der Spross einer er­ folgreichen senatorischen Familie erreichte bereits fünf Jahre später den Suffektkon­ sulat, bevor er, wohl zwischen 111 und 114, zum legatus Augusti pro praetore in Achaia wurde. Das deutet auf besondere Gunst Traians hin, da Nigrinus offenbar von dessen Gnaden zum Statthalter einer üblicherweise senatorischen Provinz ge­ macht wurde. Es folgte eine weitere kaiserliche Legatur in Dakien, der Nigrinus 117 oder 118 durch den neuen Princeps Hadrian enthoben wurde, welcher ihn vermutlich zunächst als comes auf seiner Reise durch Asia Minor an sich zog.40 In diesen Kon­ text könnte auch die Aussage der Historia Augusta gehören, Hadrian habe den Nigrinus zu seinem Nachfolger ausersehen gehabt.41 Allerdings sind Zweifel an der Behauptung einer hadrianischen Nachfolgeregelung in den ersten Herrschaftstagen, die einen ungefähr gleichaltrigen Nachfolger vorsah und über Verwandtschaft Ha­ drians provokativ hinwegsah, nur zu berechtigt. Sofern Hadrian jemals eine entspre­ chende äußerung gemacht haben sollte, dürfte diese allenfalls ein taktisches Manö­ ver gewesen sein und besaß gewiss nicht den Charakter einer verbindlichen Zusage. Um die verwunderliche Aussage zu erklären, wurde außerdem diskutiert, ob die Lesung der Historia-Augusta­Passage verfälscht sei, was jedoch nicht gegeben scheint. So ist wohl weiterhin Weber zuzustimmen, der in der Aussage einen Vor­ verweis auf die hadrianische Adoption des Lucius Ceionius Commodus als Aelius Caesar sieht, bei dem es sich um den Schwieger­ und Stiefsohn des Nigrinus handelte, der auf diesem Weg letztlich zum Großvater des Princeps Lucius Verus wurde.42

39 40 41 42

Siehe dazu konzeptuell Flaig (1992) insbes. 205–239. PIR2 A 1408; Fündling (2006) K 167 (7,1); siehe auch Plin. epist. 5,13,6; 5,20,6; 7,6,2; 7,6,4. SHA Hadr. 7,1: „cum etiam successorem Hadrianus sibimet destinasset“. Siehe zur Forschungsdiskussion Fündling (2006) K 169 (7,1); zum Vorschlag einer veränderten Lesung: von Premerstein (1908) 15f; Birley (1997b) 87; zur Annahme eines Vorausverweises auf die direkte Verwandtschaft zu Aelius Caesar und zu dem Princeps Lucius Verus: Weber (1907) 78f mit Anm. 271, der vorschlägt, die Stelle gehöre in den narrativen Kontext von SHA Hadr. 23,10, wo von den Exekutionen der letzten Herrschaftsjahre Hadrians berichtet und auf die Verwandtschaftsbeziehungen hingewiesen wird. Allerdings muss die Passage dafür nicht zwangsläufig umgestellt werden; es könnte sich auch um eine Pointe des Narrativs handeln. Siehe zu den Verwandtschaftsverhältnissen auch PIR2 A 1408 („Avidia Plautia Nigrini filia“, die Mutter Aelius Caesars).

1. Die prekäre Ausgangslage des hadrianischen Prinzipats

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2. Als nächstes ist Lusius Quietus, der angeblich engste ‚Komplize‘ des Nigrinus, zu berücksichtigen, dessen Karriere einen ungewöhnlichen, doch sehr interessanten Verlauf genommen hatte. So handelte es sich bei ihm um einen indigenen Klientel­ fürsten, der maurische Stämme an der Grenze zum Imperium Romanum beherrschte. Durch die Tätigkeit für Traian in den Dakerkriegen stieg er, bereits von Domitian zum Ritter erhoben, zu einem der bedeutendsten kaiserlichen Feldherren auf. Die Bedeutsamkeit äußerte sich in der Übertragung weiterer Truppenkontingente im Partherkrieg, mit denen ihm ab 116 auch die Unterwerfung der revoltierenden Bevölke­ rung neu eroberter Gebiete gelang. So vertrieb er unter anderem die aufständischen Juden aus Mesopotamien. Als ein Aufstand in Iudaea losbrach, erfuhr Quietus eine adlectio inter praetorios durch Traian und wurde von diesem als legatus Augusti pro praetore nach Iudaea entsandt. Dort erreichte er 117 in absentia den Suffektkon­ sulat. Nach dem Ableben Traians wurde Quietus bald durch Hadrian von Statthalter­ schaft und Kommando entbunden und möglicherweise zunächst ebenfalls in die Reisegesellschaft des neuen Princeps aufgenommen.43 3. A. Cornelius Palma Frontonianus gehörte ebenfalls mit Sicherheit zu den „engsten Vertrauten Traians“. Er entstammte, im Gegensatz zu Quietus, einer Fami­ lie der Reichselite, doch hatte in dieser vor ihm wohl niemand den Konsulat beklei­ det. Palma selbst jedoch wurde schon auffallend früh, im Jahre 99, mit einem ordent­ lichen Konsulat ausgezeichnet, nachdem er zuvor möglicherweise als Statthalter von Iudaea tätig gewesen war. Danach wurde er legatus Augusti pro praetore von Hispania Citerior. In seiner darauf folgenden Zeit als Statthalter von Syria 104–106 eroberte er das Nabatäerreich, das damit zur Provinz Arabia wurde. Wohl nicht zuletzt für diese Leistung wurde Palma durch ein zweites ordentliches Konsulat ausgezeichnet, erhielt die ornamenta triumphalia und eine Ehrenstatue. Ob er danach am Parther­ krieg beteiligt war, ist nicht zu ergründen.44 4. Abschließend ist noch auf L. Publilius Celsus, den angeblichen Verbündeten des Palma, einzugehen. Leider sind nur die beiden Konsulate des Celsus gesichert: Den ersten bekleidete er als consul suffectus im Jahre 102, den zweiten als consul ordinem 113; dazwischen könnte eine Tätigkeit als britannischer oder panonischer Statthalter gelegen haben. Trotz dieser Unsicherheiten belegen die beiden Konsulate eine deutliche und langjährige Nähe auch des Celsus zu Traian, der seine exzeptio­ nelle Wertschätzung wie im Falle Palmas durch die Errichtung eines Standbilds für ihn zum Ausdruck brachte.45 Auf den ersten Blick ein Problem bei der Einordnung des Palma und des Celsus in spättraianischer Zeit bereitet allerdings die Passage 4,3 der vita Hadriani, in der es über Hadrian heißt: „Zu einer Zusage der Adoption kam es, als seine ständigen Widersacher [= inimicis semper suis] Palma und Celsus, gegen die er nachmals selbst eingeschritten ist, sich hochverräterischer Absichten auf den Thron verdächtig gemacht hatten.“46 43 44 45 46

PIR2 L 439; Fündling (2006) K 146 (5,8), wo auch jeweils auf die zahlreichen Vermerke des Quietus im 68. Buch der Römischen Geschichte des Cassius Dios verwiesen wird. PIR2 C 1412; Fündling (2006) K 111 (4,3) (Zitat: S. 369); siehe auch Cass. Dio 68,16,2. PIR2 P 1049; Fündling (2006) K 112 (4,3); siehe auch Cass. Dio 68,16,2. SHA Hadr. 4,3.

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I. Einleitung

Diese Aussage ist in das Narrativ von Hadrians finaler Förderung auf Basis des favor Plotinae und weiterer Maßnahmen eingebettet, die Hadrian den Prinzipat bescheren sollten,47 und kulminiert in der Darstellung seines Erhalts der Adoptionsnachricht und der darauf folgenden Nachricht von Traians Tod.48 Somit bleibt die angebliche Ungnade, die Palma und Celsus unter Traian widerfahren sein soll, maximal auf die letzten Wochen seines Prinzipats begrenzt, in denen Plotina, Attianus, Hadrian und andere Angehörige der traianischen Elite die potentielle Nachfolge des schwerkran­ ken Princeps zumindest insgeheim zu erwägen begonnen hatten.49 Allerdings rekur­ riert die Wendung „inimicis semper suis“, also „seine ständigen Widersacher bzw. Feinde“,50 der vita Hadriani nicht auf Traian, sondern auf Hadrian, der in den voraus­ gehenden Absätzen ebenso Subjekt ist wie in den nachfolgenden.51 Und auch ganz explizit wird der Zeitpunkt des Vorgehens gegen die angeblichen Hochverräter in der vita Hadriani zeitlich als „postea“, also „nachmals“, bestimmt. In der Textlogik geht somit Hadrian selbst nach seiner Herrschaftsübernahme gegen Palma und Celsus vor. Traian dürfte somit die Konsulare nicht abgeurteilt haben, es ist sogar sehr zweifelhaft, dass er irgendein Handeln der beiden als Hochverrat verstanden haben dürfte. Darauf deutete auch hin, dass Hadrians Adoption eben keineswegs, wie in 4,3 zunächst behauptet, abgesichert war, vermerkt die vita Hadriani doch im nächsten Absatz lediglich, dass die designatio zu einem zweiten Konsulat für das Folgejahr 118, die auf das Betreiben Plotinas zurückgehe, die Adoption verbürgen sollte.52 wie hätte außerdem Cassius Dio von Celsus und Palmas angeblicher Verantwortung für ein Attentat gegen Hadrian nach dessen Herrschaftsantritt bzw. von ihrer Exekution wegen übergroßer Macht53 sprechen können, wenn beide bereits beseitigt gewesen wären? Folglich ist zu konstatieren, dass den beiden Konsularen unter traianischer Herrschaft nicht nur nichts geschehen war, sondern dass sie sich sogar weiterhin (als potentielle Opponenten) in der engsten Umgebung des Princeps Traian befanden. Das angebliche Attentat: Der Grad der Gefährdung Hadrians 117/118 n. Chr. Bringt man also die Einzelbiographien der vier Konsulare auf einen gemeinsamen Nenner, liegt dieser in der jeweiligen persönlichen Nähe zu Traian und seiner Herr­ schaft begründet. Schließlich hatten diese Persönlichkeiten unter dem optimus princeps im Vergleich zur großen Mehrheit der anderen Angehörigen der Reichselite eine außergewöhnlich glanzvolle Karriere gemacht: Es handelte sich bei ihnen, wie ämter, aber auch sonstige Ehrungen und Ehrenstellungen deutlich bezeugen, neben 47 48 49 50 51 52 53

Siehe SHA Hadr. 4,1; 4,4–5. SHA Hadr. 4,6–7. Vgl. Strobel (2010) 401f, der allerdings davon ausgeht „dass Hadrian bereits […] im Frühling 117 die Leitung der Staatsgeschäfte“ (401) übernommen habe. SHA Hadr. 4,3. Siehe SHA Hadr. 4,1–7; siehe auch Fündling (2006) K 110 (4,4) und K 113 (4,3). SHA Hadr. 4,4. Vgl. aber Fündling (2006) K 110 (4,4); K 113 (4,3) zum unsicheren Zeitpunkt der designatio. Cass. Dio 69,2,5. Siehe auch Fündling (2006) K 113 (4,3).

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Hadrian um die führenden Persönlichkeiten des traianischen Prinzipats. So gehörten sowohl Celsus als auch Palma zum administrativen und zumindest Palma auch zum militärischen Führungszirkel. Für sein außergewöhnliches militärisches Potential war in noch höherem Maße Quietus bekannt, der trotz seiner peregrinen Herkunft einer der bedeutendsten, wenn nicht der bedeutendste Feldherr und Legat der neu­ eroberten bzw. befriedeten Gebiete im Kontext der traianischen Kampagnen war. Und auch Nigrinus übte neben seinem Konsulat die bedeutenden Statthalterschaften von Achaia und des gerade unterworfenen Dakiens aus, besaß also eine besondere Vertrauensstellung gegenüber dem optimus princeps. Somit bedeutete nach dem Ableben Traians grundsätzlich jeder der vier Konsu­ lare für sich genommen eine Alternative zur hadrianischen Herrschaft. Die aussichts­ reichsten Kandidaten unter den Vieren waren freilich Palma und Celsus, die an senioritas und Würdigungen, mit jeweils zwei Konsulaten auf ihrem Konto und mit der vermutlich besten Vernetzung im Senat nicht nur Quietus und Nigrinus überlegen waren, sondern sogar dem Suffektkonsul des Jahres 108: Hadrian. Allerdings hatten beide im Jahr 117 kein Kommando inne. Um gegen Hadrian usurpieren zu können, wäre es also sowohl für Palma als auch für Celsus erforderlich gewesen, ein Bünd­ nis mit mächtigen Truppenkommandeuren bzw. Statthaltern zu schließen und sich von den jeweiligen Legionen akklamieren zu lassen. Dafür boten sich wiederum Nigrinus und Quietus besonders an. Insbesondere Quietus war als Maurenfürst zwar in die römische Reichselite aufgestiegen, konnte aber dennoch mit seinen lokalen Kontingenten einen im indigenen Status wurzelnden Kommunikations­ und Um­ gangsstil pflegen, der einen höheren Grad der Anbindung der Truppen an den direk­ ten Feldherrn zuließ, als dies bei durch den Princeps als oberstem Feldherrn domi­ nierten Legionen möglich war. Sofern es Palma oder Celsus zudem gelungen wäre, beide Statthalter zu gewinnen, hätte mit der Verfügungsgewalt über die Truppen­ kontingente von Dacia und Moesia superior sogar etwa ein Gleichgewicht zu den Truppen im Orient bestanden.54 In jedem Fall war das Szenario im August 117 für Hadrian brandgefährlich, das Risiko einer Usurpation gegen ihn war immens. Allerdings wusste Hadrian dem schnell zu begegnen: Er entzog Nigrinus und Quietus erfolgreich ihre Statthalterschaften und holte sie wohl zunächst in sein di­ rektes Umfeld. Auf diese Weise waren beide ihrer Legionskommandos verlustig gegangen, so dass eine Usurpationsgefahr, zumindest von ihrer Seite, nicht mehr drohen konnte. Der Vermerk in der vita Hadriani, Quietus sei durch den bereits in Iudaea befindlichen Marcius Turbo ersetzt worden, der nach abschließender Nieder­ schlagung der jüdischen Aufstandsbewegung beauftragt wurde, „die Aufstandsbe­ wegung in Mauretanien zu unterdrücken“,55 zeigt die autonome Befehlsgewalt und 54

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Siehe Jacques/Scheid (1998) 162, Tabelle 2 (Verteilung der Legionen); 162–164; Wilkes (2001) 277– 279; Sartre (2001) 408: Um das Jahr 115 lagen in Dacia und Moesia insgesamt drei Legionen, im gesamten Donauraum befanden sich vier weitere; die wohl relativ beträchtlichen Auxiliar­ kontingente sind nur schwer einzuschätzen. Quietus konnte in Iudaea zwar nur zwei Legionen und eine entsprechende Anzahl von Auxiliareinheiten kontrollieren, hätte aber versuchen können, die in Arabia liegende Legion sowie die syrischen Legionen Hadrians, denen jeweils auch eine entspre­ chende Anzahl von Auxiliareinheiten zuzuschlagen ist, zu konkurrenzieren. SHA Hadr. 5,8; siehe auch 5,2.

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I. Einleitung

Durchschlagskraft, die Quietus, wäre er Kommandant geblieben, zu entfalten im Stande gewesen wäre.56 Dem schob Hadrian durch die Berufung des getreuen Turbo einen Riegel vor. Somit hatte die Zeit zwischen dem Tod Traians bzw. der Akkla­ mation Hadrians und der Ablösung des Nigrinus und des Quietus noch nicht ausge­ reicht, eine personal wie auch immer geartet Kooperation zur Planung und Durch­ führung einer Usurpation zu begründen. Folglich blieb für alle vier Konsulare, wollten sie den Princeps Hadrian besei­ tigen, höchstens die Option einer Verschwörung, eines ‚Attentats‘ oder ‚Putsches‘ im engeren Sinne also, der ihnen ja auch, den Quellen zufolge, zur Last gelegt wurde. Nach Egon Flaig konnten gewaltsame Kaiserwechsel im Imperium Romanum seit jeher sowohl aus Usurpationen als auch aus Verschwörungen resultieren – aus­ schlaggebend waren die jeweils herrschenden Bedingungen.57 So konstatiert Flaig überzeugend: „Bei der Usurpation tritt ein Gegenkaiser auf, obwohl der amtierende noch lebt. Bei der Ver­ schwörung, deren Verlaufstypen von der Palastrevolte [...] bis zur innerfamiliären Anwendung von Gift [...] reichen können, wird immer zuerst der Herrscher getötet, anschließend der neue Monarch präsentiert.“58

Selbstverständlich entschied auch beim Putsch bzw. der Verschwörung wiederum das Heer – in Rom also die Praetorianer und die städtischen Kohorten – über die zu etablierende Nachfolge, wie sich u. a. im Sturz von Caligula, Domitian und Commodus manifestierte.59 Nun weichen allerdings gerade diese spezifischen Ver­ schwörungen in vier wesentlichen Aspekten von jener ab, die im Falle Hadrians den vier Konsularen vorgeworfenen wird: 1. Principes, die Opfer von Verschwörungen wurden, fielen häufig nach langer Herrschaftsdauer, in der sie stets aufs neue Akzeptanz der Statusgruppen gefunden hatten. Selbst der Sturz des Caligula, dessen Herrschaft relativ kurz währte, ist klar von der angeblichen Verschwörung gegen Hadrian zu sondern: Auch er hatte meh­ rerer Jahre geherrscht und wurde erst gestürzt, nachdem er seine bei Herrschaftsan­ tritt und in den ersten Monaten glänzende Reputation bei Senat und eigenem Umfeld vollständig verspielt hatte.60 Ganz anders Hadrian, der sich erst einmal um die grund­ legende Etablierung seiner Herrschaft bemühen musste. 2. In der Regel stürzten sogenannte mali principes bzw. als Tyrannen gewertete Herrscher die ihre Akzeptanz durch über Jahre hinweg begangene Willkürakte und Grausamkeiten kontinuierlich zerstört hatten.61 Hadrian war solch ein schlechter 56 57 58 59 60

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Vgl. Fündling (2006) K 132 (5,2) Flaig (1992) 205–207. Flaig (1992) 205. Siehe auch Flaig (1992) 206f. Siehe auch Flaig (1992) 206f. Zur positiven Rezeption der ersten Herrschaftsmonate Caligulas siehe (trotz thematischer Gliederung) Suet. Calig. 13–21; zum Verlust seiner Popularität Ios. ant. Iud. 19,211; zur Analyse der Herrschaftsrepräsentation, ihres Wandels und des schließlich er­ folgten Sturzes Winterling (32004). Die bis in die Spätantike hinein tradierten Mustern folgende römische Historiographie und Biographik schreibt den mali principes primär crudelitas, die sich in der Regel gegen den Se­ nat gerichtet habe, zu, um diese zu verurteilen. Da es sich bei der Zuschreibung von crudelitas

1. Die prekäre Ausgangslage des hadrianischen Prinzipats

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Charakter, der jede weitere Akzeptanz unmöglich gemacht hätte, zu Beginn seines Prinzipats nicht zuzuschreiben: Weder konnten ihm bislang kommunikative Verstöße vorgehalten werden, noch hatte seine Herrschaft schon fundamental neue Wirkung gezeigt. Der Nährboden für eine entsprechende Verschwörung war schlicht noch nicht bereitet. 3. Üblicher Ort von Verschwörungen gegen den Kaiser war Rom. Das resultierte daraus, dass hier das Setting für den Schlag präziser kontrolliert werden konnte als auf Reisen (oder während Jagdgesellschaften): Feststehende Termine, gewohnheits­ mäßige oder alltägliche Handlungen sowie die Möglichkeit von langer Hand geplant im Kontext bestimmter Ereignisse zuzuschlagen, verringerten das Risiko eines Schei­ terns der Verschwörung: so beispielsweise die Spiele, die den Hintergrund für die Ermordung Caligulas bildeten.62 4. Die angeblichen Verschwörer, die ohnehin keine Garantie hatten, nach erfolg­ reichem Putsch akklamiert zu werden, verfügten im direkten Umfeld des neuen Princeps gewiss über kein militärisches Netzwerk, wie es die städtischen Kohorten und die Praetorianer in Rom bildeten. Konfrontiert mit den Truppen, durch die Hadrian gerade noch akklamiert worden war, scheint ein solcher Spielraum nicht bestanden zu haben. All diese hinderlichen Aspekte erweisen endgültig, dass es das Attentat der vier Konsulare auch in Form einer Verschwörung nicht gegeben hat, sondern tatsächlich schlicht ein Vorwurf des hadrianischen Regimes war. Die mangelhafte Vernetzung und Beziehungslosigkeit der vier Konsulare untereinander trug ein Übriges zur Unmög­ lichkeit organisierten Vorgehens bei. Kurzum: In diesem frühen Stadium des hadria­ nischen Prinzipats bestand keine Grundlage für eine Kooperation der vier Konsulare. So wäre bereits – ganz jenseits der möglichen Chancen der Einflussnahme darauf überhaupt – völlig ungeklärt gewesen, welcher der vier Senatoren im eigenen Kreis den Status als Herrschaftskandidat hätte erhalten sollen; ein solches auf Vertrauen basierendes Bündnis hätte erst reifen müssen. Bislang dürften die vier Konsulare ein­ ander aber schlicht und ergreifend als Konkurrenten gegenübergestanden haben. Die Frage bleibt also bestehen: Warum sahen sich Hadrian bzw. Attianus genö­ tigt in derartiger Geschwindigkeit vorzugehen und gleich vier ranghohe Mitglieder der Reichselite auf einen Schlag zu eliminieren? War das derart zügige und absolute Vorgehen allein der Notwendigkeit geschuldet, eine Bedrohung Hadrians gar nicht erst aufkommen zu lassen? Hätte man es nicht dabei bewenden lassen können, zu­ nächst einmal das Potential für Usurpationen zu unterbinden? Weshalb nahm man stattdessen, wohl um die Prekarität von Senatorenmorden wissend, eine derart ge­ waltige Hypothek auf die gerade erst beginnende Herrschaft auf?

um die Verwendung des Gegenbegriffs von clementia handelt, wird den schlechten Principes auf diese Weise das Fehlen von civilitas vorgeworfen. Siehe dazu Scheithauer (1987) 21–26; 36; 42–45; 54–58. 62 Zur ausführlichsten Darstellung der Ermordung des Caligula während der Spiele siehe Ios. ant. Iud. 19,17–211.

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I. Einleitung

Die ebenbürtige Konkurrenz: Die unumgängliche Ausschaltung der Konsulare Ironischerweise dürfte es gerade die ausgeglichene Konkurrenz zwischen den Kon­ sularen gewesen sein, die eine Reaktion des hadrianischen Regimes unumgänglich machte. Das zeigt sich zunächst einmal darin, dass Attianus Hadrian, sofern die Reihenfolge der Historia Augusta hier zuverlässig ist, bereits kurz vor der Tötung der Konsulare empfohlen hatte, weitere Angehörige der Reichselite töten zu lassen („necaretur“): Neben M. Laberius Maximus und C. Calpurnius Piso Crassus Frugi, zwei in der Verbannung lebenden Gegnern Nervas bzw. Traians,63 d. h. zwei bereits vor 20 Jahren für ‚princepsfähig‘ erachteten Personen, schlug Attianus als poten­ tielles Opfer auch den letzten durch Traian eingesetzten praefectus urbi Q. Baebius Macer vor. Zwar sah Hadrian von den Tötungen ab,64 dennoch wurde Macer wohl schon im September 117 auf Veranlassung des Attianus durch M. Annius Verus ersetzt.65 Ursächlich dafür dürfte in jedem Fall gewesen sein, wie Macer in das neben dem Konsulat höchste, verwaltungsrelevante und über die Annuität hinaus währende Amt Roms gelangt war. So wissen wir von Macers Tätigkeit als Suffekt­ konsul im Jahr 103 und wohl als legatus Augusti pro praetore des Jahres 113 – eine Statthalterschaft, die er in der von Traian eroberten Schlüsselprovinz Dacia ausgeübt hatte.66 Auch Macer gelangte in seine hohe Stellung also ganz offensichtlich durch die Nähe zu Traian persönlich. Somit kann er Hadrian und den vier Konsularen als sechste Person gleichrangig an die Seite gestellt werden. Dabei war die Nähe zum Princeps für das Erreichen idealer Karrieren traditionellen Komponenten wie Ab­ stammung von einer alten gens mit leistungsstarken Ahnen und einem hervorra­ genden Durchlaufen des kompletten cursus honorum unschlagbar überlegen.67 Aus­ schlaggebend war also primär das möglicherweise vom ursprünglichen Status vollkommen abweichende soziale Kapital, das der Princeps jenseits von Tradition oder formalen Beschränkungen vergab: Das zeigt sich gerade in der über alle Ahnen hinausgehenden, durch ein zweifaches Konsulat gekrönten Karriere des Celsus und noch mehr in der Person des ursprünglich peregrinen, zum Ritter gemachten, schließlich von Traian für besondere Kommandos genutzten und zum Senator und Konsul erhobenen Lusius Quietus. Es war gerade Attianus, der alle sechs Konsulare sowie alle weiteren von Traian in Schlüsselstellungen erhobenen höchstrangigen Persönlichkeiten kannte wie kein zweiter: Zwar hatte er selbst seinen ritterlichen Status behalten, doch fungierte der langjährige kaiserliche Vertraute, der wie Traian (und auch Hadrian) aus Italica in der Baetica stammte, als Praetorianerpraefekt. Aus seinen Kenntnissen heraus er­ kannte er das Gebot der Stunde, das nach Traians Tod unweigerlich zum drängenden Problem werden musste: Der gezielte und beständige Adoptionsverzicht Traians SHA Hadr. 5,5. Zu Laberius Maximus siehe PIR2 L 9; Fündling (2006) K 142 (5,5); zu Calpur­ nius Crassus Frugi, der schließlich doch noch den Tod fand (SHA Hadr. 5,6), siehe PIR2 C 259; Fündling (2006) K 143 (5,5). 64 SHA Hadr. 5,5. Zu Baebius Macer siehe PIR2 B 20; Fündling (2006) K 141 (5,5). 65 Siehe dazu Cass. Dio 69,21,1; SHA Aur. 1,2. 66 PIR2 B 20; Fündling (2006) K 141 (5,5). 67 Siehe dazu Barghop (1994) 69–76 und passim.

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1. Die prekäre Ausgangslage des hadrianischen Prinzipats

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ging mit dessen gleichzeitiger Taktik einher, statt einer Einzelpersönlichkeit einen ganzen, wenn auch begrenzten, Kreis von Persönlichkeiten mit ämtern, Ehrenstel­ lungen und Würdigungen auszustatten und somit gleichmäßig zu privilegieren. Letzt­ lich ragte aber, und das war für Traian entscheidend, aus diesem Kreis nur er selbst als optimus princeps heraus. Mit dem Ableben dieser singulären Spitze blieb dann eine neue, ihr Sozialkapital betreffend nicht ausreichend diversifizierte, kleine Spitzengruppe zurück, die sich aus den vormals privilegierten Günstlingen Traians rekrutierte. Diese Gruppe war aber nicht untereinander vernetzt – ihre einzige Ge­ meinsamkeit war die bisherige Nähe zu Traian selbst gewesen. Hier griff nun der in der Sterbestunde bei Traian befindliche Attianus ein, um die für den Prinzipat erforderlichen Machtverhältnisse wiederherzustellen: Gewiss handelte er damit primär im Interesse des Erhalts nicht nur der eigenen Privilegien, sondern gar des eigenen Überlebens, wenn er sich für sein ehemaliges Mündel Hadrian als neuen Princeps entschied und gemeinsam mit Plotina für dessen Adop­ tion sorgte. Zentral für Attianus Entscheidung für Hadrian war vermutlich die gege­ bene Verbindung als dessen ehemaliger Vormund, letztlich entscheidend war aber Hadrians Statthalterschaft in Syria. Damit hatte Attianus aus dem engsten traianischen Kreis zwar den am leichtesten plausibilisierbaren Kandidaten ausgewählt, der sich zunächst auch durchsetze, doch bedeutete dies noch keine Garantie beständiger Herrschaft: Zumindest Lusius und Nigrinus befanden sich nämlich weiterhin in Schlüsselstellungen des Reichs, die sie eben gerade nicht, und hier liegt das ent­ scheidende Problem, Hadrian verdankten. Dieser war für sie nur einer ihresgleichen: eine von Traian privilegierte Person. Des Kaisers neues Umfeld: Ein Austausch der Führungselite Die konkurrierenden Konsulare spättraianischer Zeit besaßen folglich in jedem Fall das Potential Hadrians Herrschaft dauerhaft und nachhaltig zu gefährden. Somit entschieden sich Hadrian und Attianus, und zwar höchstwahrscheinlich gemeinsam, diese Personen um jeden Preis loszuwerden, bevor eine von ihnen sich in der nicht ganz von der Hand zu weisenden Überzeugung, selbst zur Herrschaft berechtigt zu sein, zu erheben suchte – oder bevor mehrere von ihnen sich zu einer funktionsfä­ higen Verschwörung verbinden konnten. Das sogenannte Attentat der Konsulare war aber in jedem Fall eine Konstruktion. Ein weiteres Indiz dafür ist, dass sich der Historia Augusta zufolge zum Zeitpunkt ihres Todes keiner der vier Konsulare mehr im direkten Umfeld Hadrians befand, also auch in keiner Jagd­ oder Reisegesellschaft des noch nicht nach Rom zurückgekehrten neuen Princeps. Waren sie überhaupt jemals kaiserliche comites gewesen? So sollen drei der vier Konsulare in unterschied­ liche italischen Städten ihr Ende gefunden haben und auch Lusius wurde „unterwegs“ („in itinere“) ermordet.68 Vermutlich befanden sich also alle vier Konsulare, ihres Kommandos und ihres Förderers Traian verlustig, auf verschiedenen Routen auf der 68

SHA Hadr. 7,2: „[…] Palma Tarracinis, Celsus Baiae, Nigrinus Faventiae, Lusius in itinere […] occisi sunt.“ Vgl. von Premerstein (1908) 81.

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I. Einleitung

Rückreise nach Rom. Dort wollte das Regime die Konsulare freilich gar nicht erst ankommen lassen, um wirklich keine Vernetzung der vier potentiellen Konkurrenten Hadrians zu ermöglichen, die vielleicht unter Standesgenossen Früchte getragen und einen tatsächlichen Aufstand oder gar eine Usurpation provoziert hätte. In diesen Kontext gehört womöglich auch die Ermordung bzw. Absetzung des Macer, auf die Attianus gedrungen haben soll. Der praefectus urbi hatte in Abwesenheit des Princeps das imperium und die Gerichtsbarkeit sowie das Kommando über die cohortes urbanae inne.69 Wurde mit der Ersetzung des von Traian berufenen Macer also ein Gegenspieler des sich wohl ebenfalls in Rom befindenden Praetorianerpraefekten Attianus kaltgestellt, damit dieser nicht für die Konsulare Partei ergreifen und sich auch nicht gegen ihre Ermordung positionieren konnte? Zwar reichten die cohortes urbanae gewiss nicht aus, die Praetorianergarde zu konkurrenzieren, 70 doch hätte Macer mittels seiner Amtsbefugnisse, seiner auctoritas und seiner wohl weitver­ zweigten amicitia­Beziehungen aufgrund der Ereignisse durchaus Stimmung gegen das neue hadrianische Regime machen können. In jedem Fall aber bot die Behauptung eines Attentats Hadrian die Möglichkeit, einen eigenen Kreis engster Vertrauter zu konstituieren. Einen Grundstock bildeten bald Q. Marcius Turbo und C. Septicius Clarus. Turbo war Hadrian möglicherweise bereits als junger, damals in domitianischen Diensten stehender Militärtribun aus sei­ ner Zeit als Centurio in der legio II adiutrix bekannt geworden. Erst danach machte er unter Traian eine, wenngleich limitierte, ritterliche Karriere. Wie bereits erwähnt, wurde Turbo durch den neuen Princeps Hadrian zur Beseitigung des maurischen Auf­ stands eingesetzt. Doch damit nicht genug: Im Anschluss daran übertrug ihm Hadrian ein Sonderkommando über das große Gebiet von Pannonia inferior und Dacia, das er zunächst auf Genehmigung des Princeps als ritterlicher Legat leitete. Zudem ersetzte Turbo bald Attianus als Praetorianerpraefekten.71 Hadrian begünstigte also ganz offen­ bar eine Persönlichkeit aus zweiter oder dritter Reihe des traianischen Umfelds, die er noch weiter fördern konnte, ohne sie mit sich auf eine Stufe stellen zu müssen. Die zweite neue Praetorianerpraefektur übernahm Septicius Clarus von dem ebenfalls noch durch Traian eingesetzten Servius Sulpicius Similis.72 Über eine vorausgehende Karriere des Septicius Clarus ist nichts bekannt. So ist es sogar möglich, dass Hadrian ihn durch gemeinsame Kontakte mit den Literaten Sueton und Plinius minor kannte und neu in sein Umfeld aufnahm, um ihn intensiv an sich zu binden.73 69 Cadoux (21970) 872; Lippold (1979) 1107; Gutsfeld (2001b) 252. 70 Siehe Campbell (1997) 62; Gutsfeld (2001b) 252: Die drei bis vier durch den praefectus urbi befehligten cohortes urbanae von je 500 Mann hatten die Funktion reiner stadtrömischer Ord­ nungskräfte, die den neun cohortes praetoriae, die vielleicht sogar aus je 1000 Mann bestanden und als Leibwache des Kaisers dienten, jederzeit aufs Deutlichste unterlegen waren. Vgl. Weber (1907) 43f; Fündling (2006) K 141 (5,5). 71 Siehe SHA Hadr. 4,2; 5,8; 7,3; 9,4; vgl. 8,7. Siehe auch PIR2 M 249; Fündling (2006) K 109 (4,2) (zu den biographischen Daten Turbos); K 207 (9,4) (zu Attianus Ersetzung durch Turbo); siehe außerdem K 147 (5,8); K 174 (7,3); K 337 (15,7). 72 SHA Hadr. 9,5. 73 Zu Sulpicius Similis siehe PIR2 S 1021; Fündling (2006) K 208 (9,5); zu Septicius Clarus siehe PIR2 S 411; Fündling (2006) K 209 (9,5); K 331 (15,2).

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Immerhin ein unter die Patrizier aufgenommener Senator war der bereits erwähnte M. Annius Verus74 (I), der zum Zeitpunkt seiner Stadtpraefektur 118 bereits den Konsulat bekleidet hatte; doch lag dieser damals bereits 21 Jahre zurück. Unter der Herrschaft Traians spielte Annius Verus keine zentrale Rolle: Prosopographisch nachweisbar ist lediglich seine adlectio unter die fratres Arvales; möglicherweise war er außerdem Pontifex. Neuen Auftrieb erhielt seine Karriere erst unter Hadrian, in dessen Prinzipat er nach seiner Stadtpräfektur in den Jahren 121 und 126 noch zwei weitere Konsulate bekleidete. M. Annius Verus war also vom unbedeutenden Sena­ tor unter Traian zum Angehörigen des engsten hadrianischen Kreises befördert wor­ den. Mit den Annii Veri hatte Hadrian wiederum eine gens zur Förderung ausgewählt, mit der er bereits bekannt, in diesem Fall sogar verschwägert war (und das mögli­ cherweise doppelt).75 Dass Marcus Annius Verus darüber hinaus später Schwieger­ vater des Antoninus Pius und Großvater des Marcus Aurelius werden sollte, ist hinlänglich bekannt.76 Darüber hinaus benennt die vita Hadriani in Passage 4,2 weitere Persönlichkei­ ten des traianischen Regimes, die in diesem verschieden einflussreiche Positionen ausgefüllt, Hadrian aber in jedem Fall bereits vor seinem Herrschaftsantritt nahege­ standen hatten77 und zumindest auch in seinem frühen Prinzipat zu seiner Umgebung gehört haben dürften. Am einflussreichsten war zunächst wohl ein weiterer Ange­ höriger des ordo equester: Ti. Iulius Aquilinus Castricius Saturninus Livianus, Prae­ torianerpraefekt seit etwa 100/101 bis zu einem unbekannten Zeitpunkt im traianischen Prinzipat.78 Als senatorische amici Hadrians hebt die vita Hadriani Platorius Nepos und einen gewissen Papus hervor: Über Papus ist letztlich nur zu eruieren, dass es sich um einen Angehörigen der Familie der Messii Rustici handelte, in der zu Beginn des zweiten Jahrhunderts niemand eine exzeptionelle Karriere vorweisen konnte. Mögli­ cherweise ergab sich die Nähe zu Hadrian aus der gemeinsamen Herkunft aus der Baetica oder einer Villennachbarschaft in Tibur.79 Ausschlaggebend ist aber erneut, dass Hadrian eine Person in sein Umfeld übernahm, die ihm nicht gleichgestellt und daher zu Dank verpflichtet war: Ihre Karrieren verdankten Papus und Angehörige seine gens erst Hadrian selbst,80 sie waren Profiteure seines Regimes, keine gefähr­ liche Konkurrenz.

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Zu M. Annius Verus siehe hier und im Folgenden PIR2 A 695; Fündling (2006) K 502 (24,3); K 141 (5,5). M. Annius Verus (I) war Gatte von Sabinas Stiefschwester Rupilia Faustina (Fündling (2006) K 149 (5,9)), sein Sohn, M. Annius Verus (II), war mit Domitia Lucilla verheiratet, die möglicher­ weise mit Hadrian verwandt war (PIR2 A 696; Fündling (2006) K 500 (24,1); K 477 (23,2); K 13 (1,2); K 16 (1,2); K 18 (1,2); K 30 (1,4)). Siehe SHA Hadr. 24,3; SHA Pius 2,3; SHA Aur. 1,1–4; 1,7; Cass. Dio 69,21,1; PIR2 A 696–697; siehe auch Fündling (2006) K 499 (24,1); K 500 (24,1). Außerdem wurde Marcus Annius Verus (III) bzw. Marcus Aurelius auf Hadrians Geheiß mit Ceionia, der Tochter des Aelius Caesar, verlobt (SHA Aur. 4,5; siehe auch Fündling (2006) K 489 (23,11); K 500 (24,1)). Siehe SHA Hadr. 4,2. PIR2 C 913; Fündling (2006) K 108 (4,2). Siehe zur problematischen Identifikation Fündling (2006) K 105 (4,2); siehe auch PIR2 M 524. Sollte es sich um einen gewissen Aemilius Papus gehandelt haben, wurden im Jahr 135 gleich­

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I. Einleitung

Noch deutlicher wird diese kaiserliche Intention im Verhältnis zu A. Platorius Nepos Aponius Italicus Manilianus C. Licinius Pollio. Bei diesem handelte es sich wohl um einen homo novus, der Hadrian selbst als Tribun der legio XXII Primigenia vorausging oder nachfolgte. Die Bekanntschaft der beiden ging also möglicherweise bereits auf den Prinzipat Nervas zurück. Nepos war als Legat der legio I Adiutrix am Partherkrieg beteiligt und wurde 115 oder 117 bis Ende 118 oder Anfang 119 Statt­ halter der Provinz Thracia, wo er spätestens Hadrian auf der Rückreise nach Rom begegnete, dessen Kollege im Konsulat er als consul suffectus wurde. Danach wurde Nepos Statthalter von Germania inferior und von 122 bis mindestens 124 schließlich von Britannia, wo er die Errichtung des Hadrianswalls überwachte.81 Im weiteren Verlauf des hadrianischen Prinzipats fiel jedoch der aus der zweiten Reihe stammende, aber intensiv geförderte kaiserliche amicus der vita Hadriani zufolge in Ungnade: Der alternde Hadrian habe Nepos neben anderen Persönlichkeiten als möglichen capax imperii und somit als herrschaftsgefährdend eingestuft.82 Dies belegt wiede­ rum, wie sensibel und uneindeutig mit den Protagonisten des eigenen Umfelds zu verfahren war, wollte man keinen potentiellen Konkurrenten produzieren. Wie ist nun aber in diesem Kontext die Ersetzung des Attianus zu bewerten? Fiel dieser (und mit ihm der vermutlich ebenfalls an der Förderung Hadrians betei­ ligte Similis) hiermit nicht seiner eigenen Politik der Ersetzung der traianischen Führungselite zum Opfer? Die vita Hadriani scheint dies nahezulegen: Wie bereits dargestellt, hätte Hadrian den ehemaligen Vormund und entschiedens­ ten Förderer seiner Herrschaft am liebsten ermorden lassen, sei aber aufgrund der nun bestehenden Hypothek der Ermordung der vier Konsulare davor zurückgeschreckt. Stattdessen habe er Attianus zum Rücktritt gezwungen,83 ihm (und wohl auch Similis)84 aber die ornamenta consularia verliehen und ihn zum Senator gemacht.85 Zweifel­ los befindet sich die intentionale Deutung der Vita in Schräglage zu den berichteten Ereignissen:86 Hadrians Vorgehen darf gewiss nicht als unehrenhafte Entlassung gelten, adäquater Ersatz für die Ermordung des Attianus war sie keinesfalls. Und dennoch: Die Entfernung des Attianus aus dem direkten Umfeld des Princeps ging über den Versuch einer Tilgung der Hypothek hinaus und kam auf diese Weise einer politischen Kaltstellung gleich. Hadrian entfernte die zentrale Person, der er die Etablierung seiner Herrschaft zu verdanken hatte, aus seinem Kreis. Hätte er dies nicht getan, hätte der Praetorianerpraefekt faktisch über mehr Macht und Verdienst verfügt als der Princeps, der diesem dann zu Dank und Loyalität verpflichtet, kurzum regelrecht durch ihn erpressbar gewesen wäre.87 Die Entlassung des Attianus, auch zeitig sein Sohn M. Messius Rusticus Aemilius Papus Konsul und seine Enkel praefectus urbi feriarum Latinarum (siehe Fündling (2006) K 105 (4,2); siehe auch PIR2 M 526). 81 PIR2 P 449; Fündling (2006) K 106 (4,2); K 331 (15,2). 82 Siehe SHA Hadr. 2,4; 2,6; siehe auch 15,2; dazu: Fündling (2006) K 106 (4,2); vgl. Birley (1997b) 202. 83 SHA Hadr. 9,3f. 84 Fündling (2006) K 208 (9,5). 85 Siehe SHA Hadr. 8,7. Zur Aufnahme von Praetorianerpraefekten in den Senat vgl. auch Fündling (2006) K 195 (8,7); K 196 (8,7) sowie allgemein Gutsfeld (2001a) 250. 86 Vgl. Flaig (1992) 14–37. 87 Zur konsequenten Herausnahme des Princeps aus der Reziprozität und zu seiner Verpflichtung

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wenn sie eine ehrenvolle war, bedeutete für Hadrian die Entfernung einer weiteren einflussreichen Persönlichkeit, die durch ihre Verfügungsgewalt über die Praetoria­ ner in der Lage gewesen wäre, jederzeit einen neuen Prätendenten zu fördern und in dessen Dienst gegen Hadrian zu putschen. Ein solches Vorgehen folgte durchaus erprobten Mustern der Herrschaftsübernahme im römischen Prinzipat: Bereits Cali­ gula ersetzte Macro, der direkt nach dem Tod des Tiberius für seine Akklamation zum neuen Imperator gesorgt hatte, nach wenigen Monaten und trieb ihn wohl in den Selbstmord;88 Nerva opferte bei einer Meuterei der Praetorianer gegen seine Herrschaft T. Petronius Secundus, der ihm die Kaiserwürde beschert hatte;89 zudem ließ vermutlich auch Nero im Rahmen der Emanzipation von seinen Beratern Burrus beseitigen, der ihm im Jahr 54 die Akklamation gesichert hatte.90 Dass Hadrian hier wohl weniger rigide agierte, lag darin begründet, dass in der ohnehin prekären Situation weiterer Blutzoll, ganz so wie in der Historia Augusta vermerkt, ebenso inakzeptabel war, wie noch bestehende Loyalitäten der Praetorianergarde gegenüber Attianus auf die Probe zu stellen. Die ehrenvolle Entlassung des Similis tat ein Übriges dazu, Hadrian von sämtlichen mächtigen Persönlichkeiten des traianischen Prinzipats zu befreien, die Vergabe der Schlüsselpositionen im Reich im Weiteren autonom vorzunehmen und nur noch von der Loyalität zu seiner eigenen Person abhängig zu machen. Der hadrianische Prinzipat: Ein Systemwechsel? An dieses Ergebnis anschließend ist bezüglich des Attentats eine letzte Frage zu klären: Deutet die in der vita Hadriani das Verhältnis zwischen Hadrian einerseits und Palma und Celsus andererseits charakterisierende inimicitia91 auf Differenzen über den Kurs der künftigen Reichslenkung hin? War somit der Attentatsvorwurf und die Hinrichtung der vier Konsulare ein politisch motivierter Mord an Oppositionellen? In der Tat wurde die Neuordnung der eroberten, teils in Aufruhr begriffenen Gebiete, inklusive der Aufgabe von Traian eroberter Provinzen92 seit von Premerstein in der Forschung wiederholt als „Systemwechsel“ Hadrians von einer Kriegs­ zu einer Friedenspolitik interpretiert. Diese neuartige Politik sei nach Traians Tod durch eine oppositionelle Partei mit Hadrian und Attianus an der Spitze umgesetzt worden, während die Gegenpartei eine Fortführung traianischer Politik angestrebt habe und daher ausgeschaltet worden sei.93

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der Aristokratie auf Loyalität und Gehorsam (am konstitutiven Beispiel des Prinzipats des Ti­ berius) siehe Flaig (1993) 289–205. Suet. Cal. 26,1; siehe auch Cass. Dio 59,10,6. Ioannes Antiochenus (ed. Müller, FHG IV); siehe auch Epit. Caes. 12,8; Cass. Dio 68,3,3. So zumindest Suet. Nero 35,5 und Cass. Dio 62,13,3. Siehe auch Tac. ann. 14,51 sowie zum Versuch des Burrus gegenüber Nero die Gehorsamsmodalitäten des Prinzipats regelrecht um­ zukehren Cass. Dio 62,13,2. SHA Hadr. 4,3. Siehe SHA Hadr. 5,1–4; 9,1f; siehe auch Cass. Dio 69,5,1. Kornemann (1905) 1f und passim; von Premerstein (1908) 75–77; in der Nachfolge: Birley (1997b) 87; Heuß (92003) 346; indirekt auch Schall (1986) 146.

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I. Einleitung

Diese These betreffend ist zunächst einmal zu festzuhalten, dass der Terminus „Systemwechsel“ in der althistorischen Forschung unserer Tage keine Anwendung mehr finden sollte: Die außerordentliche Beständigkeit des römischen Kaisertums ist mittlerweile unstrittig, die Kommunikationsstrukturen zwischen Kaiser und Sta­ tusgruppen blieben bis in die Spätantike hinein die gleichen und auch die Reichs­ verwaltung wurde bis zum Ende des 3. Jahrhunderts nicht angetastet.94 Das Potential für eine Konkurrenzierung Hadrians, das letztlich die Ausschaltung der vier Konsu­ lare bedingte, lag vielmehr in der agonalen Auseinandersetzung der Reichselite um Ansehen und Status und ihrer Generierung aus der Nähe zum Princeps begründet.95 Gewiss existierten bereits in traianischer Zeit Rivalitäten, doch rührten diese, wie gezeigt, von einer Gleichrangigkeit des Umfelds her und eben nicht von zwei ein­ ander gegenüberstehenden, organisierten und opponierenden politischen Gruppie­ rungen. Noch viel weniger plausibel ist, dass eine dieser Gruppen pro­traianisch und die andere anti­traianisch war. Vielmehr hätten alternative Prätendenten Hadrians ihr Prinzipat zu Beginn vielleicht sehr ähnlich inszeniert, wären sie doch mit der gleichen Prekarität ihres Herrschaftsantritts aufgrund nicht erfolgter Adoption, den gleichen militärischen und politischen Herausforderungen und der gleichen Ausei­ nandersetzung mit jenem Vorgänger der sich selbst als optimus beschrieb, konfron­ tiert gewesen. Vergleicht man also den Prinzipat Traians mit dem Prinzipat Hadrians, hatte sich zwar kein systemischer Wandel vollzogen, zu einem Wandel auf der Handlungsebene war es aber sehr wohl gekommen: Hadrian beendete die Militäraktionen seines Vorgän­ gers, gab gar eroberte Provinzen zurück,96 bereiste das reich97 und betonte in seiner Selbstdarstellung seine spezifische herrscherliche Leistung auf neuartige Weise. Welche Gründe waren dafür ausschlaggebend? Nach dem Tod der Konsulare konnte es Hadrian, wie gezeigt, zunächst nicht mehr gelingen, civilitas zu plausibilisieren. Zwar ließ er zahlreiche clementia­Münzen prägen98 und war somit besonders darum bemüht, diese Tugend für sich und seine Herrschaft zu reklamieren, doch stellte sich, zumin­ dest der Bewertung der Quellen zufolge, kaum Erfolg ein. Trotz der stets nach der Durchsetzung eines vom Heer akklamierten Herrschers erfolgten Anerkennung durch den Senat,99 machte es die Hypothek Hadrian besonders schwer, eine längerfristige Akzeptanz durch die Reichselite zu erzielen.100 Das galt umso mehr, als sich der 94 95 96 97

98 99 100

Siehe Dahlheim (21989) 111–113; Flaig (1992) 208–232 und passim; Gotter (2015) 215; vgl. Millar (1977). Siehe zur traditionellen senatorischen Agonalität Barghop (1994) 67–69; siehe auch 113–120. Siehe SHA Hadr 5,1–4; 9,1; Eutr. 8,6,2; Cass. Dio 69,5,1; Aur. Vict. 14,1; Epit. Caes. 14,10; Paus. 1,5,5. Zu einem Quellenüberblick siehe Mortensen (2004) 125f. Siehe Cass. Dio 69,9,1–12,1; 16,1f; SHA Hadr. 9,6; 10,1–14,7; 19,1–3; Eutr. 8,7; Epit. Caes. 14,4. Zum Quellenüberblick siehe Mortensen (2004) 186–192; zum Intinerar Hadrians Halfmann (1986) 188–210; Weiß (1995) 213–224; Schwertheim (1985) 37–42; Syme (1988) 159–170; Birley (2003) 425–441; Mortensen (2004) 179–182. Siehe z. B. RIC II Hadr. 116 var. b; c; 207; 359. Siehe Flaig (1991) 374f; 378f; Flaig (1992) 126–131 und passim. Vgl. dazu Winterling (32004) 26–33; 93–101 zur unbeabsichtigten bzw. beabsichtigen Offen­ legung der Doppelbödigkeit der Kommunikation zwischen Princeps und Senat bei Tiberius bzw. Caligula und den daraus resultierenden Risiken und Gefahren.

1. Die prekäre Ausgangslage des hadrianischen Prinzipats

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hadrianische Prinzipat keineswegs alternativlos präsentierte – diesen Befund hatte ja gerade die Ausschaltung der bislang gleichrangigen Konsulare offenbart, aber nicht nachhaltig gebannt. Daraus folgte eine besonders große Prekarität des hadri­ anischen Regimes in seinen frühen Tagen, die freilich durch die Ermordung weiterer Senatoren nicht einfach bereinigt werden konnte. Im Gegenteil: ‚Senatorenmordende Kaiser‘ verloren nicht nur ihre dignitas, sondern wurden als Tyrannen bewertet, deren Beseitigung besonders dringlich erschien und tatsächlich Verschwörungen oder Usurpationen hervorrufen bzw. potenzieren konnte.101 Wollte Hadrian diesem Teufelskreis entgehen, musste er schleunigst daran gehen, seine Herrschaft auszu­ formen, sein Umfeld weiter zu verstärken und, soweit ihm dies möglich war, die belastende Hypothek auszugleichen, die er sich selbst auferlegt hatte. Eine getreue Fortsetzung des traianischen Prinzipats war jedoch diesbezüglich gerade nicht mög­ lich. So hatte Traian in seiner Selbstbeschreibung stets seine individuelle und ganz ausschließlich aus seinen Fähigkeiten und Taten resultierende Leistung betont.102 Wollte Hadrian nicht als epigonal, profillos und höchstens zweitbester Herrscher nach dem Optimus gelten, musste er ein eigenes Profil entwickeln, durch das er seine ein­ zigartigen Leistungen zum Wohl des Reichs plausibilisieren konnte und mit dem er gleichzeitig andere Angehörige der traianischen Elite ausstach.103 Um zu untersuchen, inwiefern Hadrian diese neue Profilierung überzeugend und erfolgreich gelang, müssen sowohl die unterschiedlichen Anforderungen an seine Herrschaft als auch die hadrianische Selbstrepräsentation, die von programmatischen Anlehnungen an Augustus über die Errichtung eines monumentalen Villenkomplexes, bis hin zu seiner Reisetätigkeit und der Etablierung des Antinoos­Kultes reichte, untersucht werden. Dabei bedeutete der Tod der vier Konsulare nicht nur eine an­ fängliche Hypothek auf den hadrianischen Prinzipat, sondern hatte entscheidende Relevanz für die Reaktion der Statusgruppen auf den Princeps, die darauf aufbauende Kommunikation und Selbstdarstellung und die daraus wiederum resultierenden for­ dernden, affirmativen oder prekären kommunikativen Aushandlungsprozesse der insgesamt 21 Jahre währenden Herrschaft.

101 Vgl. Winterling (32004) 87–174 zur Eskalation der Konflikte zwischen Caligula und dem Senat. 102 Siehe umfassend Strobel (2010) 304–337; Seelentag (2004) 297–408; 499–501; siehe auch Got­ ter (2015) 225. 103 Siehe auch Gotter (2015) 225.

2. FORSCHUNGSÜBERBLICK UND METHODE Die Forschung1 hat seit den Hadrian­Studien von Ferdinand Gregorovius und Julius Dürr, gefolgt von Ernst Kornemann,2 über nahezu ein Jahrhundert hinweg den hadria­ nischen Prinzipat als primär von griechischen Praktiken und einem griechischen Erscheinungsbild dominierte, unorthodoxe und singuläre Herrschaftsperiode darge­ stellt. Diese Deutung war durch die vita Hadriani der Historia Augusta vorstruktu­ riert, die Hadrian eine persönliche Griechenlandbegeisterung, die als Naturanlage (ingenium) verstanden werden soll, attestiert und von seiner wohl zeitgenössischen Titulierung mit dem Spottnamen „Graeculus“ berichtet.3 Die Forschung entwickelte daraus einen streng personenorientierten, psychologisierenden Ansatz, der Hadrians angeblichen Philhellenismus unter dessen Charakterzügen verbuchte,4 aber auch weitere Spezifika des hadrianischen Prinzipats in diese Matrix einer von persönlichen Interessen, Leidenschaften und Kompetenzen geleiteten hadrianischen Politik ein­ ordnete: Insbesondere der weitgehende Verzicht auf kriegerische Aktivitäten und die an ihre Stelle gesetzten Reisen durch das Reich sowie die expliziten Bezugnah­ men Hadrians auf den Schlüsselbegriff pax, aber auch die Erhöhung des Antinoos unter die Götter und der Rückzug in die tiburtinische Villa fanden Einordnung in das Bild eines ‚griechischen Regierungsprogramms‘ des Princeps. Dieses wurde erhitzt debattiert, wobei sich pejorative Bewertungen eines selbstvergessenen, anti­ römischen, auf dem militärischen Sektor ebenso wie innerhalb der urbs inkompe­ tenten Herrschers5 mit affirmativen Bewertungen des kulturbegeisterten, ein univer­ salistisch­harmonisches Weltreich etablierenden Kaisers6 abwechselten. Auf diese ‚griechische Periode‘ folgten in der jüngeren Forschung nüchternere, vornehmlich biographische Arbeiten – dominierend ist hier Anthony R. Birleys Hadrian. The Restless Emperor7 – die griechische Praktiken neben andere Charakteristika und ereignisgeschichtliche Faktoren stellten, darunter auch als genuin römisch erachtete 1

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Für einen umfassenden, gegliederten Forschungsüberblick bis 2004 darf auf Mortensen (2004) (Hadrian. Eine Forschungsgeschichte) verwiesen werden. An dieser Stelle mag eine Skizze älterer und neuerer Forschungstendenzen und ­richtungen genügen. Zur Kritik der Hadrian­ Forschung siehe auch Seelentag (2011) 298f; 310. Gregorovius (31884); Dürr (1881); Kornemann (1905). SHA Hadr. 1,5: „und er versenkte sich ganz besonders eifrig in die griechischen Studien, wobei seine Naturanlagen so zu diesen tendierten, dass er von einigen Graeculus genannt wurde.“ Aller­ dings bezieht sich diese Aussage eigentlich nur auf die Ausbildung Hadrians in seiner Jugend… So z. B. Syme (1965) 243–253 und Birley (1997a) 209–245; siehe dazu Mortensen (2004) 211 mit Anm. 20. So u. a. Kornemann (1905) 1f und passim; Kornemann (61970) 245–247; 258; Gregorovius (31884) 114. So u. a. Schall (1986); Perowne (21977); Henderson (1923) 133; Thornton (1975) 445–460. Birley (1997b). Das Werk ist zudem als Birley (2006b) in deutlich gekürzter, aber reich bebil­ derter Form unter dem Titel Hadrian – Der rastlose Kaiser in deutscher Sprache erschienen. Eine weitere wichtige, allerdings frühe biographische Arbeit ist Weber (1907), die zwar nicht mehr dem Forschungsstand entspricht, doch aufgrund des reichhaltigen darin dokumentierten Materials lohnend bleibt. (Siehe aber auch Mortensen (2004) 12–14 zu den teils problemati­

2. Forschungsüberblick und Methode

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Aspekte, u. a. Bezugnahmen auf Augustus und Hadrians Propagierung von pax.8 Allerd­ ings wurden dem Genre der Biographie gemäß diese Aspekte vielfach konzeptionell unverbunden nebeneinandergestellt.9 Daneben hat sich aber auch eine jüngere wissenschaftliche Gegenposition zum philhellenischen, ‚griechisch herrschenden‘ Hadrian etabliert, besonders forciert durch die Ausstellung Hadrian. Empire and Conflict des British Museum,10 die sich regelrecht um eine ‚Re­Romanisierung‘ Hadrians bemühte. Mit dieser Zielsetzung wird insbesondere der Bar­Kochba­Krieg als genuin römisch interpretiert, da es sich bei ihm um eine militärische Operation Hadrians handelte11 – eine auch abge­ sehen von der Singularität dieses Krieges wenig überzeugende Festsetzung ‚typisch römischen‘ Handelns. Daneben wurden die Reisen Hadrians nun, bei gleichzeitiger Vernachlässigung seiner Interaktion mit römischen Eliten, als Inspektionsreisen zu den römischen Legionen verstanden12 und auch eine Genese des hadrianischen Erscheinungsbilds, insbesondere seiner Barttracht, aus römischen Vorbildern be­ hauptet.13 So viel es für sich hat, einen römischen Princeps primär als römischen Princeps zu betrachten, läuft diese Forschungsrichtung doch allzu häufig Gefahr, die Vorzeichen des ‚Graeculus‘­Klischees lediglich umzukehren14 und damit ex negativo zu reproduzieren. Die vorliegende Studie möchte daher eine andere methodische Herangehensweise vorschlagen: Sie beruft sich zum einen auf die bereits existierende, häufig überzeugend auf materieller Basis argumentierende neuere Spezialforschung zu Hadrians Reisen bzw. Provinzaufenthalten. In dieser wird das Handeln Hadrians sowohl nach griechischen als auch nach römischen Vorbildern und Maximen ernstgenommen und analysiert.15 Unberücksichtigt blieb dabei jedoch weitgehend, dass bereits von Zeitgenossen als ‚griechisch‘ identifizierte Aspekte hadrianischen Handelns und hadrianischer Selbst­ darstellung auch in Rom als traditioneller Hauptwirkungsstätte des Princeps und als

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schen ideologischen Tendenzen der Arbeiten Webers). Siehe zudem die biographischen Kurz­ darstellungen Zahrnt (1997) 124–136; Boatwright (2008) 155–180; Eck (1998b) 59–64. Thornton (1975) 434–445, die bezeichnenderweise Antinoos völlig unterschlägt. Zur Identifikation ähnlicher Mängel des ausschließlichen (älteren und neueren) biographischen Zweigs der Altertumswissenschaften (aber auch der rein strukturgeschichtlichen Analysen) siehe Winterling (2011) 1–8. Siehe insbes. den zugehörigen umfangreichen Katalog Opper (2008); vgl. Levi (1993); Levi (1994). So Opper (2008) 89–92; vgl. Garzetti (1974) 381f. So Opper (2008) 64–96; Birley (2013) 132–134; Birley (2003) 425–441; vgl. Wesch­Klein (1995) 147–165. So Vout (2003) 442–457; Vout (2006b) 96–123; Opper (2008) 69–72. In vergleichbarer Weise kritisiert Winterling (2011) 8 bezüglich der Erforschung als ‚wahnsinnig‘ deklarierter Principes „[d]ie Ratlosigkeit historischer Biographie, die im Nachvollzug oder in der – oft beliebig erscheinenden – Umwertung der denunziatorischen Quellen sichtbar wird.“ Siehe u. a. Zahrnt (1979) 215–218; Zahrnt (1988a) 669–706; Zahrnt (1988b) 229–249; Zahrnt (1989a) 173–176; Zahrnt (1989b) 177–180; Zahrnt (1991) 463–486; Zahrnt (2008) 227–245; Boatwright (2000); Spawforth/Walker (1985) 78–104; Spawforth/Walker (1986) 88–105; Wörrle (1988); Willers (1990) 103; Winter (1996) 84f; 89–91; Jones (1996) 29–56; Fraser (2006). Siehe dazu Mortensen (2004) 218–226; 230–235; 241–247.

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I. Einleitung

grundlegender Ort seiner Herrschaft und Akzeptanz ausgemacht werden konnten.16 Dabei greift das Erklärungsmodell einer notwendigen Thematisierung Griechenlands im Zentrum des Imperium Romanum durch Hadrian aufgrund seiner häufiger Ab­ wesenheit und des Rekurses auf seine differente Kommunikation mit dem griechi­ schen Osten zu kurz. Zwar ist diese Tendenz einer rechtfertigenden Begründung nicht vollständig von der Hand zu weisen, allerdings hätten die entsprechenden Bezüge auf griechische respektive als griechisch erachtete Aspekte gewiss nicht derart intensiv thematisiert werden müssen. Somit soll in der vorliegenden Arbeit komplementär zu bisherigen Studien nach der Wirkungsmöglichkeit der griechischen Ressource in Stadtrom und im italischen Kontext für Hadrian und sein Prinzipat gefragt werden. Verzichtet wird dabei auf psychologisierende Postulate einer dominant privaten Interessenlage und freien Charakterentfaltung des Princeps. Bei Arbeiten, die dieses Paradigma verfolgen, unterblieb oftmals die Differenzierung zwischen den Evidenz­ klassen, ihrem Absender und ihrem intendierten Empfänger, d. h. primär zwischen der Selbstdarstellung Hadrians und der Bewertung seiner Herrschaft. Dem wird in dieser Arbeit eine Fokussierung auf die kommunikativen Aushandlungsprozesse zwischen Princeps und stadtrömischen Statusgruppen, insbesondere mit Senat und Senatoren, entgegengesetzt.17 Es gilt daher, Hadrians öffentliche Betonung der pax als programmatisches Konzept zu erfassen und die damit verbundenen politischen Intentionen zu interpretieren. Ebenso wird eine Analyse jener Programmatik Hadrians vorgenommen, die hinter seiner lediglich etikettierenden Bezeichnung als ‚Graeculus‘ oder Philhellene steht. Erst auf diese Weise wird es möglich, die Griechenland­ Bezüge in Rom und Italien auf ihre Relevanz und ihre intentionale Zielsetzung in der hadrianischen Selbstdarstellung zu befragen sowie die entsprechenden oder ge­ genläufigen Erwartungen und Reaktionen der vor Ort befindlichen Statusgruppen zu ergründen. Dieser konsequente Ansatz an der Außenseite des hadrianischen Regimes ist methodisch insbesondere an Egon Flaigs Identifikation des römischen Prinzipats als Akzeptanzsystem angelehnt. Ausgangspunkt Flaigs ist das Fehlen einer Prinzipats­ verfassung und damit auch einer fixierten und dauerhaften Legitimierung des Princeps. Dieser musste sich vielmehr stetig um die fortwährende Akzeptanz der drei Status­ gruppen plebs urbana, Senat und Heer bemühen. Gleichzeitig handelte es sich bei der juridisch nicht zu fixierenden römischen Monarchie aber auch um eine beständige und nicht mehr umzustürzende Herrschaftsform, wie im stetig durchgeführten, von allen drei Statusgruppen eingeforderten Aushandlungsprozess offenbar wurde; allein der Machterhalt der Person des Monarchen in diesem System war prekär.18 Die große 16

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Einen die Griechenland­Bezüge zusammenbindenden und ihre Auswirkungen für Rom berück­ sichtigenden Ansatz unter Beachtung paralleler dezidiert römischer Zielsetzungen Hadrians bietet (leider teils psychologisierend) allein Calandra (1996). Vgl. zum Verhältnis von Provin­ zial­ und Zentrumsgeschichte Winterling (2011) 5. Vgl. Winterling (2011) 1–11, insbes. 10f, der für die Zusammenführung moderner Biographie­ und Strukturgeschichte zu einer ‚Kaisergeschichte‘ als neuem Paradigma der Altertumswissen­ schaften plädiert. Vgl. such Seelentag (2011) 302f; 310. Siehe Flaig (1991) 372; Flaig (1992) 208f und passim.

2. Forschungsüberblick und Methode

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Anforderung an den Princeps bestand folglich darin, dass jede Statusgruppen, „ein genau umrissenes Verhalten“ von ihm einforderte.19 Der Princeps musste also bemüht sein, die Widersprüche bei der Erfüllung dieser differenten Gruppeninteressen durch stetiges Oszillieren zwischen den Gruppen auszugleichen.20 Das kaiserliche Handeln blieb auch in nach­augusteischer Zeit auf die Aushand­ lungsprozesse mit den genannten Sektoren begrenzt.21 Nun hat aber die Auseinan­ dersetzung mit der prekären hadrianischen Herrschaftsübernahme deutlich gemacht, dass es zwar zu keinem Systemwechsel in Rom kam (und wohl auch gar nicht kom­ men konnte), der neue Princeps in seinem Handeln und seiner Selbstrepräsentation aber dennoch auch eigene und originäre Schwerpunkte und Akzente setzte. Dieses durchaus aktive und dynamische Handeln und Auftreten blieb nicht auf die Zeit der Herrschaftsübernahme Hadrians beschränkt, sondern war während seines gesamten Prinzipats zu konstatieren. Wie ist dieser widersprüchliche Befund der starren Funk­ tionsmechanismen des Prinzipats einerseits und der flexiblen Selbstdarstellung der jeweiligen Principes andererseits zu erklären? Dieses Paradoxon soll im Folgenden durch Pierre Bourdieus Soziologie des sozialen Handelns analysiert werden.22 Bourdieu zeigt, dass soziales Handeln in sozialen Feldern verläuft. Auf diesen Feldern sind Akteure zu verorten, die gemäß gemeinsamen inhärenten Regeln in soziales Kapital investieren, indem sie bereits erworbene bzw. ihnen zur Verfügung stehende Kapitalsorten zum Einsatz bringen. Die soziale Sinnhaftigkeit des Handelns der im Feld situierten Akteure, kurz der Glaube (croyance) an die Regeln nach denen das Feld, in das man hineingeboren worden ist, funktioniere, entspringt direkt ihrem Habitus, der implizit und vorre­ flexiv ist. Dieser Habitus ist nicht nur konstitutiv für das Feld, sondern auch Produkt des Feldes, auf das sich die Akteure im sozialen Aushandlungsprozess unhinterfragt beziehen.23 Damit sind dem Habitus des jeweiligen Felds Grenzen inhärent, die auf Systemen von erlernten Dispositionen beruhen. Auf der anderen Seite aber deter­ miniert auch der Habitus das Feld stetig neu, indem die durch den Akteur vollzo­ genen Praktiken auch innovatives Handeln zulassen, das allerdings immer auf der habituellen Logik des Felds fußt und diese nicht überschreitet.24 Bourdieu skizziert damit eine Systematik historischer Vorgänge, die als Modell zur historischen Analyse 19 20 21 22

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Flaig (1992) 71. Siehe Flaig (1992) 178–184. Das heißt nach Flaig (1992) 175f auf die von Augustus konstituierte, über Jahrhunderte stabile imperiale Ordnung als ‚historischem Pakt‘ der Sektoren; siehe auch Flaig (1992) 232. Die Soziologie des sozialen Handelns wird hier auf Basis der beiden wichtigsten Werke Bourdieus diskutiert: Bourdieu (1982) ist die deutsche Übersetzung von La distinction. Critique sociale du jugement, Paris 1979; Bourdieu (1987) jene von Le sens pratique, Paris 1980. Herangezogen wer­ den zudem kritische Zusammenfassungen: Müller (1986) 162–190; Bohn (1991); Flaig (2000) 358–382; Barghop (1994) 16–18; 31–62. Siehe Bourdieu (1987) 122–124; 147–150; Bohn (1991) 29f; 32 („Zwei Leistungen charakterisie­ ren das strukturierte und strukturierende Prinzip Habitus: es ist gleichzeitig Erzeugungsprinzip und Wahrnehmungs­, Interpretations­ und Bewertungsmatrix von Praktiken und Werken“); siehe auch Flaig (2000) 373f; Bourdieu (1982) 31–38; 378–399; Müller (1986) 170–172. Siehe Bourdieu (1987) 79–121; insbes. 98f; siehe auch Bourdieu (1982) 171–195; 277–282; Flaig (2000) 372.

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I. Einleitung

genutzt werden kann:25 „Diese Selbständigkeit, ist die der abgehandelten und fort­ wirkenden Vergangenheit, die […] Geschichte aus Geschichte erzeugt und damit die Dauerhaftigkeit im Wandel gewährleistet.“26 Folglich ist das Vergangene kon­ stitutiv für das weitere Bestehen des Feldes und des in ihm wirkenden Habitus, d. h. des Agierens der Akteure, die stets auf das als gegeben Erlernte und als sozial einzig sinnhaft Geglaubte zurückgeworfen sind. Dennoch ist es, so Flaig, unmöglich, das Bestehende im fortdauernden Handeln „identisch zu reproduzieren“, da jede Wiederholung unter neuen Bedingungen geschieht und damit auch unweigerlich Neues schafft.27 Entsprechend befanden sich auch die Augustus nachfolgenden Principes in einem sozialen Feld, das durch Augustus bzw. seine primus-inter-pares­Konstruktion und seinen dezidierten Zugriff auf die Schlüsselpositionen der Macht Modifikationen und Transformationen erfahren hatte. Da jeder Princeps seine dominierende Rolle ausfüllen wollte und dies auch der allgemeinen Erwartung aller Statusgruppen ent­ sprach, d. h. von diesen geglaubt wurde, folgten die Nachfolger des Augustus den Anforderungen des Felds. Andererseits war der augusteische Prinzipat nicht voll­ kommen reproduzierbar, so dass jeder Princeps bei der Bewerbung um Akzeptanz stets neue Aspekte des Habitus entwerfen und aufrufen musste, die zwar stets in der Logik des Feldes lagen, auf diese Weise das Feld aber auch stets modifizierten. Das Profil eines jeden Princeps konstituierte sich also im sozialen Feld des römischen Prinzipats durch einen fortwährenden kommunikativen Aushandlungsprozess, der die jeweilige Herrschaft zwischen Tradition und Innovation verankerte. Um diesen Prozess zu beschreiben, wird der Begriff Imago verwendet, der hier kein antikes Phänomen bezeichnet, sondern als moderner Beschreibungsoperator genutzt wird. Damit positioniert sich diese Arbeit im Feld neuerer Forschungsten­ denzen.28 So definiert Aloys Winterling die von ihm eingeforderte ‚neue Kaiserge­ 25 26 27 28

Bourdieu (1987) 101–103. Bourdieu (1987) 105. Flaig (2000) 380; siehe auch Flaig (22004) 10. Siehe Osgood (2011) (Claudius Caesar. Image and Power in the Early Roman Empire), der den Princeps Claudius als den wesentlichen Protagonisten seiner Epoche darstellt, der auf Gegeben­ heiten reagierte, aber auch agierte, mit anderen Gruppen interagierte und auf diese Weise den Prinzipat trotz und in Reaktion auf alle Zwänge nachhaltig transformierte und modifizierte. Siehe Weiß (2008) 1–45 zur Notwendigkeit der Konstitution eines ‚Images‘ (insbes. 41) bei Herrschafts­ antritt und zu dessen Ausformung im Fall des Antoninus Pius. Siehe auch Gotter (2015) 215–233, der den Begriff persona verwendet, womit nicht etwa die (ohnehin nicht zu ermittelnde) Persön­ lichkeit historischer Protagonisten gemeint ist, sondern die Rolle oder das Profil, das sich ein Protagonist zulegt und in seine Selbstdarstellung übernimmt. Die vorliegende Arbeit verwendet hier i. d. R. die Begriffe ‚Profil‘ und, zur Bezeichnung des Produkts aus der Selbstprofilierung des Princeps und der Erwartungshaltung der Statusgruppen, ‚Imago‘. Siehe ferner Levick (2010) (Augustus. Image and Substance) und Michels (2018). Auch Seelentag (2011) 295–315 verweist auf die divergierenden Rollen der Principes Traian, Hadrian und Antoninus Pius und ihre herr­ schaftspragmatische Zielsetzung, hält diese aber letztlich für die Verkleidung immer gleicher politischer Akte, vornehmlich die kaiserliche Sieghaftigkeit und Fürsorge, und warnt sogar davor, „den Beteuerungen der Herrschaftsdarstellung eines neuen Princeps zu glauben“ (303). Die Rol­ lenübernahme des Princeps dient nach seiner Ansicht lediglich der neuen Einkleidung des ohne Brüche fortgesetzten Regierungsprogramms der Vorgänger unter Berücksichtigung der bislang

2. Forschungsüberblick und Methode

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schichte‘ als „strukturgeschichtlich fundierte Ereignisgeschichte der aristokratische Kommunikation, in deren Zentrum – ihr unterworfen und sie gleichzeitig prägend – die römischen Kaiser standen.“ Dabei sei die aristokratische Kommunikation auf ihr „Gelingen oder Scheitern“ hin zu untersuchen.29 ähnlich dieser paradigmatische Setzung soll auch hier der Terminus Imago die Gesamtheit der geschilderten wech­ selseitigen Kommunikationsvorgänge in ihrer Kreativität, also die Aspekte Ima­ geaufbau, ­pflege, ­kontrolle, ­rezeption, ­erfolg, ­fortentwicklung usw. bündeln und erfassen. Indem der jeweilige Princeps seine persönliche Imago dem sozialen Feld vorschlug und zur Rezeption zu Verfügung stellte, suchte er seine spezifische Leis­ tungsfähigkeit hervorzuheben und seiner Herrschaft Profil zu verleihen. Die kaiser­ liche Imago ist also Ergebnis der Aushandlung innerhalb des sowohl beständigen als auch dynamischen sozialen Felds und war zugleich Produkt der vorhandenen Erwartungshaltungen und Gegebenheiten sowie Motor der Modifikation oder Trans­ formation dieser Erwartungen und Gegebenheiten. Das gilt auch für den hadrianischen Prinzipat. Welche Imago­Aspekte Hadrian zur Rezeption anbot, welchen Anforderungen, Erwartungen und vermeintlichen Traditionen er dabei folgte, inwiefern er diese im Interesse der Selbstprofilierung modifizierte, welche vollständig innovativen Aspekte er vorschlug und aus welcher Motivation heraus das geschah, ist Gegenstand dieser Arbeit. Weiterhin wird nach dem Erfolg der hadrianischen Imago gefragt: Inwiefern bzw. auf welche Weise passten ihre Aspekte und Elemente in das Feld bzw. mussten dafür passfähig gemacht werden? Inwiefern rief die kaiserliche Imago neue Prekaritäten hervor? Und wie gelang es Hadrian seine Herrschaft bis zum Lebensende zu bewahren? Zudem möchte die vorliegende Arbeit durch die Untersuchung der Modifikationen des sozialen Felds durch die vorausgehenden Principes sowie ihrer, teils bereits zur memoria diffundierten, Imagines als Voraussetzung für die Konstituierung und Rezeption der Imago Hadrians einerseits sowie der durch die hadrianische Imago andererseits bedingten Modifikationen einen kleinen Beitrag zur Analyse der Fortentwicklung des römischen Prinzipats leisten.

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erzielten Erfolge sowie der Kompensation bisheriger Misserfolge und problematischer Aspekte des eigenen Potentials (siehe bzgl. Hadrians insbes. 309f). Siehe Winterling (2011) 7; 10f (Zitate: 10f; 10).

II. HADRIAN UND AUGUSTUS 1. DER POSTUME TRIUMPH DES TRAIAN Bald nach dem Herrschaftsantritt Hadrians fand in Rom der vita Hadriani zufolge ein ungewöhnlicher Triumphzug statt. So handelte es sich bei dem Triumphator nicht um den neuen Princeps, sondern um seinen im Verlauf der Kampagne gegen die Parther im Jahr zuvor verstorbenen Vorgänger Traian. ‚Vertreten‘ wurde dieser durch ein Bildnis seiner Person, das auf dem Triumphwagen mitgeführt wurde. Hadrian selbst soll diese letzte, postume Ehrung für Traian vorgeschlagen haben, nachdem er das Angebot des Senats, den Triumph über die Parther in seinem Namen zu feiern, abgelehnt hatte.1 Die Historizität der Episode findet ihre Bestätigung im Münzpro­ gramm, im dem der TRIVMPHVS PARTHICVS des Divus Traianus Parthicus, eines verstorbenen und vergöttlichten Princeps also, verkündet wird.2 Wie kam es zu diesem in der römischen Geschichte einzigartigen Ereignis und welcher Intention entsprang der Vorschlag Hadrians? Stewart Perowne suchte den Triumphverzicht und seine Übertragung auf den Vorgänger als einen (absurderweise für ‚aufrichtig‘ befunden) Hinweis auf kaiserliche pietas darzustellen.3 Birley folgt dieser Deutung mit mehr Nüchternheit, kann sich aber darüber hinaus auch eine Kaschierung der eigentlich gescheiterten parthischen expeditio durch Abhaltung eines Triumphs vorstellen.4 Während diese zuletzt genannte Hypothese zu verwerfen ist – schließlich ist einem angestrebten Verschweigen ein dieses Verschweigen explizit verkündender performativer Akt eher abträglich –, konnte der Verzicht durchaus als hadrianischer Pietasgestus gegenüber dem Vorgänger verstanden werden kann.5 Doch dem Agieren des Princeps ist noch eine weitere herrschaftsprogrammati­ sche Zielsetzung inhärent. So verbindet die Epitome de Caesaribus den Zug mit der Beisetzung Traians in der Traianssäule, die auch Cassius Dio6 vermerkt: „Die Asche seines verbrannten Leichnams wurde nach Rom gebracht und auf dem Forum des Traian unter seiner Säule beigesetzt; auch seine Statue, die darauf steht, wurde unter Beglei­ tung von Senat und Heer, wie gewöhnlich die Triumphatoren, in die Stadt eingeführt.“7

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SHA Hadr. 6,3. RIC II Hadr. 26; siehe auch RIC II Hadr. 27–28; zu Kontextualisierung und Deutung siehe Strack (1933) 53f; Kierdorf (1986) 151. Zur älteren Forschung siehe Kierdorf (1986) 147–156; insbes. 147, Anm. 1. Perowne (21977) 45. Siehe Birley (1997b) 99f. Siehe auch Fündling (2006) K 157 (6,3); Vgl. mit anderer Nuance Huttner (2004) 431f mit Anm. 57, der hier von einer recusatio imperii ausgehen möchte. Cass. Dio 69,2,3. Epit. Caes. 13,11.

1. Der postume Triumph des Traian

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Dabei ist bemerkenswert, dass die Epitome die Beisetzung Traians zum Ziel des Triumphzugs erklärt.8 Handelte es sich beim geschilderten Ereignis also um einen Leichenzug?9 Im in der Republik von jeder senatorischen Familie gefeierten traditionellen Leichenzug, der sogenannten pompa funebris, wurden die als imagines bezeichneten Wachsmasken des Verstorbenen und seiner bedeutenden Vorfahren mitgeführt und von Schauspielern getragen.10 Mit dem Prinzipat wurden diese pompae durch die kaiserliche Familie umgeformt: Harriet Flower zeigt, dass erstmals bei dem Leichen­ zug für Sulla und schließlich in erhöhtem Maße für die Principes die Register von pompa triumphalis und pompa funebris vermischt wurden, wobei die Bestandteile des Triumphzugs helfen sollten, den Glanz, die Sieghaftigkeit und die göttliche Überhöhung des zu Bestattenden und seiner Familie zu forcieren.11 Solcherlei modifizierte Züge werden in der Augustus­Vita Suetons und im 56. Buch Cassius Dios dargestellt. So wurde nach Sueton im Senat der Vorschlag geäu­ ßert, der „Leichenzug“ des Augustus „solle durch die porta triumphalis ziehen“,12 während Dio eine pompa funebris für Augustus beschreibt, der zahlreiche triumphale Elemente inhärent waren: Der Leichnam des ersten Princeps wurde im geschlosse­ nen Sarg auf einer Bahre vom Palatin zum Forum getragen. Auf dieser Bahre befand sich auch ein „εἰκών […] κηρίνη“, ein wächsernes Bildnis des Augustus im Trium­ phalgewand; ein weiteres, goldenes εἰκών des ersten Princeps wurde aus der curia herbeigetragen, ein drittes auf dem Triumphwagen mitgeführt. Es folgten εἰκόνες von Ahnen und verstorbenen Verwandten, von großen Männern der römischen Ge­ schichte und Personifikationen unterworfener Länder.13 Gerade die Präsentation von dem Imperium eingegliederten Gebieten ist ein eindeutig triumphales Element. Die griechische Vokabel εἰκών korrespondiert mit der lateinischen imago: Beide Begriffe bedeuten Bildnis.14 Die Inkorporierung von summi viri in die pompa, entsprechend zum Aufstellungsprogramm des Forum Au­ gustum, stilisierte Augustus über die traditionelle Rolle des pater familias hinaus zum pater patriae. Wesentlich war für die Principes also, so Egon Flaig, nicht mehr die Akkumulation von sozialem Kapital im aristokratischen Wettstreit um familiale 8 9

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Vgl. Kierdorf (1986) 152f. Vgl. Fündling (2006) K 157 (6,3), der für eine Trennung der Prozessionen plädiert, da das Bild­ nis der pompa funebris „auf dem gleich einer Totenbahre getragenen Schrein, der die Urne enthielt“ gelegen habe, während in der pompa triumphalis der Triumphwagen „natürlich mit einer aufrecht stehenden imago des Toten besetzt“ gewesen sei. Freilich erfahren wir über die angeblich abweichende Positionierung des Bildnisses auf dem Triumphzug weder durch die vita Hadriani noch durch sonstige Quellen; auch weitere Argumente für eine Unterteilung in zwei Prozessionen für Traian in kürzester Folge liegen nicht vor. Flower (1996) insbes. 32–59; 115; Flaig (22004) 49–98. Zu beachten ist, dass der imago­Begriff hier allein die traditionellen Bildnisse der römischen Republik und Kaiserzeit bezeichnet; er ist nicht mit dem in dieser Arbeit als Beschreibungs­ und Analyseinstrumentarium angewandten Imago­Begriff gleichzusetzen. Flower (1996) 101f; 123f; siehe auch 107–109. Suet. Aug. 100,2. Cass. Dio 56,34,1–3 (Zitat: 56,34,1); siehe auch Flower (1996) 244. Zu (nicht zwangsläufig wächsernen) Masken von Principes in pompae funebres siehe auch Flaig (22004) 95f.

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II. Hadrian und Augustus

dignitas, sondern die mittels des Einsatzes von triumphalem Habitus reklamierte Konkurrenzlosigkeit der kaiserlichen pompae funebres.15 Nach Wilhelm Kierdorf verfolgten die triumphalen Elemente des traianischen Leichenzugs jedoch auch ein weiteres Ziel: Traians Leichnam war notwendigerweise bereits vor seinem langen Rücktransport nach Rom eingeäschert worden, so dass eigentlich die Abhaltung eines funus imaginarium erforderlich gewesen wäre. Al­ lerdings war der neue Princeps Hadrian zum Zeitpunkt der Ankunft der Asche seines Vorgängers noch nicht in Rom eingetroffen. Daher fand die consecratio Traians wohl erst Monate später unter Beteiligung Hadrians statt. Folglich sei zunächst, so Kierdorf, die umgehend erforderliche Beisetzung Traians durch triumphale Symbolik beson­ ders glanzvoll gestaltet und durch die Bestattung des optimus princeps in der Traians­ säule noch unterstrichen worden.16 Die Frage der Präsenz oder Absenz Hadrians ist von der Datierung abhängig: Kierdorf widerspricht einer Datierung des Ereignisses in das Jahr 11817 und hat eine überzeugende Frühdatierung ins Jahr 117 vorgenommen. Dabei ist die frühe Verkündung des Triumphs im Münzprogramm ebenso ausschlaggebend wie der Kontext des sechsten Absatzes der vita Hadriani, der durchweg Wünsche, Ansprü­ che und Aufträge Hadrians formuliert, die dieser in Abwesenheit geäußert hat. Umschlossen von den geschilderten Handlungen muss somit auch die persönliche Ablehnung und die Übertragung des Triumphs auf Traian in diese Situation gehö­ ren.18 Somit ist das in der vita Hadriani in dieser Aussage verwendete „Verb vexit kausativ zu deuten (‚er veranlasste, daß man ein Bild Trajans auf dem Triumphal­ wagen fahren ließ‘).“19 Allerdings hat in jüngerer Zeit Anthony R. Birley die Spät­ datierung noch einmal aufgegriffen, indem er Kierdorfs Deutung ohne Angabe von Gründen für nicht überzeugend erklärte und behauptete: „HA Hadr. 6,3 […] surely implies Hadrian’s personal participation.“20 Davon kann jedoch keine Rede sein. Gerade im Kontext der Ablehnung des Triumphs kann die Formulierung nicht den von Birley intendierten Sinn reklamieren, Hadrian habe den Triumphalwagen selbst gefahren. Wenn Hadrian nämlich als Lenker des Triumphalwagens aufge­ treten wäre, hätte die rezipierende Bevölkerung unweigerlich ihn, den neuen Princeps, als Triumphator betrachtet,21 der lediglich aufgrund seiner pietas ein Bildnis des Vorgängers mitführte. Damit wäre das klar formulierte und in den Quellen akzeptierte Ziel eines Triumphs für Traian nicht erreicht worden. Auch Birleys Vorschlag, Hadrian sei als Liktor des Triumphators Traian dem Triumph­ 15 16 17 18 19 20 21

Siehe dazu ausführlich Flower (1996) 224–241; 244–246; Flaig (22004) 95–98; zum Erwerb so­ zialen Kapitals durch pompae funebres siehe 69–94. Kierdorf (1986) 154–156. Siehe Kienast (1980) 391 mit älterer Literatur in Anm. 1; siehe auch Temporini (1978) 160; 220 mit Anm. 137; Fündling (2006) K 157 (6,3). Kierdorf (1986) 152–154 mit Anm. 43f (153) in Nachfolge der Datierung von Weber (1907) 63–66 in den Oktober 117. Kierdorf (1986) 153. Birley (1997b) 328, Anm. 20. In diesem Fall hätte ein Fehlen des Triumphalgewands höchstens einen Irritationseffekt auslö­ sen, aber die Lesbarkeit des Rituals nicht komplett verändern können.

1. Der postume Triumph des Traian

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wagen vorausgeschritten,22 ist widersinnig: Kein Princeps hätte den unvorstellba­ ren sozialen Abstieg zum Amtsdiener akzeptiert, geschweige denn umgesetzt. Birleys Einspruch gegen Kierdorfs These erübrigt sich also durch simple Über­ prüfung des optionalen Spielraums. Und das bleibt auch gültig, falls Hadrian sich zum Zeitpunkt der pompa doch in Rom befunden haben sollte: Die vita Hadriani hebt Hadrians Nichtbeteiligung daran klar hervor. Für eine pompa funebris war das freilich höchst prekär, folgte dieser doch stets ein weiterer ritueller Akt: die laudatio funebris. Anders als die republikanische laudatio23 war die Leichenrede auf den Princeps ein Sonderfall: Für den Nachfolger des beigesetzten Kaisers war die laudatio funebris nicht auf die Akkumulation von Kapital für die gens ausgerichtet, sondern besaß in hohem Maße individuellen Cha­ rakter. Der Nachfolger des verstorbenen Princeps konnte darin vor der versammel­ ten römischen Stadtöffentlichkeit demonstrieren, sich der Verpflichtung gegenüber sämtlichen großen Gestalten Roms – von mythologischen exempla bis zu den er­ folgreichsten Feldherren der späten Republik und den vorausgehenden Principes – bewusst zu sein und Rom auf geschaffener Grundlage zu noch bedeutenderer Größe zu führen. Folglich bestand das distinktive Charakteristikum des kaiserlichen Lei­ chenzugs in der Leichenrede: In ihr demonstrierte der neue pater patriae den nur auf ihre gens fokussierten patres familiae seine eindeutige und uneinholbare Über­ legenheit. Er war der alleinige Profiteur der laudatio funebris.24 Umso auffälliger ist, dass weder die vita Hadriani noch die Epitome de Caesaribus in diesem Kontext eine Leichenrede vermerken. Ganz gleich ob in Rom oder noch im Osten – Hadrian nahm weder aktiv an der pompa für Traian teil, noch dürfte er die laudatio funebris auf ihn gehalten haben. Dies ist umso bezeichnender, als wir Belege besitzen, dass Hadrian in anderen Fällen sehr wohl laudationes gehalten hat: So erwähnt Dio bei seiner Schilderung der Beisetzung Traians25 eine hadrianischen laudatio funebris mit keinem Wort, vermerkt jedoch später, dass Hadrian die verstorbene Plo­ tina geehrt und eine Leichenrede auf sie gehalten habe, aus der sogar ein Satz zitiert wird.26 Ein sehr ähnlich formulierter Satz hat sich als Kopie einer aus Tibur stammen­ den Inschrift erhalten,27 die als zweiter Belege einer hadrianischen laudatio funebris für eine Angehörige der domus Augusta, in diesem Fall für Matidia, gelten darf.28 Hadrians Verzicht auf eine Leichenrede für Traian war also zielgerichtet. 22

Siehe zum Allgemeinen Aufbau der Triumphprozession Künzl (1988) 88; 86, Abb. 51; siehe auch Flaig (22004) 33 (mit weiterer Literatur in Anm. 5 (262)). 23 Siehe Flaig (22004) 51–59 sowie Flower (1996) passim. 24 So ist zwar gut möglich, dass Augustus seine Bestattung selbst geplant hatte (Cass. Dio 56,33,1), Mehrwert besaß ihre Durchführung aber lediglich für seine Erben bzw. seinen Nachfolger. So sollen sowohl der jüngere Drusus als auch Tiberius vor der Verbrennung des Leichnams des Augustus laudationes gehalten haben (Suet. Aug. 100,3; Cass. Dio 56,34,4–41,9). Tac. ann 13,3,1 vermerkt zudem, dass Nero seinen verstorbenen Adoptivvater und Vorgänger Claudius mit einer laudatio funebris geehrt habe. Vgl. Flower (1996) 237. 25 Siehe Cass. Dio 69,2,3. 26 Siehe Cass. Dio 69,10,31; 3. 27 CIL xIV 3579 = AE (2005) 436. 28 Zu einer eingehenden Diskussion der Leichenreden Hadrians auf die beiden Frauen der traia­ nisch­hadrianischen Familie siehe Temporini (1978) 168–173.

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II. Hadrian und Augustus

Sollte die pompa des Jahres 117 deswegen als Triumphzug des Divus Traianus verstanden werden, wie die diskutierten Münzreverse eindeutig belegen, obgleich Traian in ihrem Rahmen auch bestattet wurde?29 Im Gegensatz zum Leichenzug wurde beim Triumphzug traditionell nur eine Person geehrt: der Triumphator selbst. Wollte das neue Regime durch die offizielle Denomination der pompa als Triumph­ zug für Traian über die Prekarität der fehlenden Partizipation Hadrians am Ritual hinwegtäuschen? Das scheint nicht der Fall zu gewesen zu sein, musste doch die mit dem Triumph­ ritual verbundene alleinige Heraushebung des Triumphators eigentlich scheitern, wenn dieser bereits verstorben war. Dass es sich dabei dennoch um ein intendiertes Ziel Hadrians handelte,30 offenbart sich ausgerechnet bei genauerer Untersuchung der traditionellen Semantik des Rituals: Triumphe würdigten jeweils den militärisch sieghaften Feldherrn, der in seiner Präsentation an die exemplarischen Gestalten Roms anschloss und in seinem Erscheinungsbild in die göttliche Sphäre erhoben wurde, um sich, diesen exempla gleich, als übermenschlich leistungsfähiger „Garant des Glückes von Staat und Menschen“ zu präsentieren.31 Und eben diese an militä­ rischer Sieghaftigkeit orientierte allüberlegene fürsorgliche Leistungsfähigkeit über­ ließ Hadrian allein seinem verstorbenen Vorgänger: Er selbst spielte in dem Triumph keine Rolle und lehnte die Übertragung auf seine Person, die ihm nun als neuem Imperator gebührt hätte,32 ausdrücklich ab. Dieses Verhalten war sowohl der römi­ schen Sitte als auch der Selbstrepräsentation der Vorgänger diametral entgegengesetzt: Einen Triumph zu erringen war eine der höchsten traditionellen Ehrungen, die tief im Selbstverständnis des römischen Gemeinwesens und seiner Führungselite wur­ zelte. Wenn Hadrian also hiervon Abstand nahm, entsprang dies zweifellos einer intendierten und betont neuartigen Zielsetzung und Programmatik. Das Angebot eines Triumphs konnte jeder Princeps erhalten bzw. durchsetzen. Hadrian aber machte deutlich, dass er das Wohlergehen Roms und des Imperiums auf andere Weise um­ setzen und garantieren werde als seine Vorgänger. Bei dieser gezielten Absetzung von Traian (aber auch von weiteren Vorgängern) bezog sich der neue Princeps Hadrian insbesondere und ganz unmittelbar auf Au­ gustus und seine Herrschaft: In zahlreichen Akten und Medien machte Hadrian pax Augusta zu einem Schlüsselbegriff seines Prinzipats und präsentierte sich somit als Friedenskaiser in Nachfolge und Tradition des Augustus. Diese Selbstbeschreibung hatte für nahezu zwei Jahrtausende prägenden Erfolg. So war der Forschung immer

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Mit dieser Interpretation lässt sich nicht nur die Darstellung der Historia Augusta, sondern, sogar insbesondere, jene der Epitome de Caesaribus verbinden, in der Traian, mit einem Triumphator verglichen und damit als Anführer der Prozession begriffen wird. Die aus dem bloßen Vergleich mit einem Triumphator hervorgehende Irritation ist der fortdauernden Einma­ ligkeit eines postumen Triumphs geschuldet. Vgl. auch Fündling (2006) K 157 (6,3). Künzl (1988) 106. Siehe dazu Fündling (2006) K 157 (6,3) mit der zutreffenden Feststellung, ein unterbliebenes Angebot der Übertragung des Triumphs auf Hadrian „wäre […] dem Versuch gleichgekommen, Hadrian in diesem Punkt das ‚Erbe‘seines Adoptivvaters abzusprechen.“

1. Der postume Triumph des Traian

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wieder daran gelegen, Referenzen auf Augustus zu identifizieren und Hadrian zum neuen Augustus zu erklären.33 Nun sind aber Bezugnahmen auf Augustus im Prinzipat auch in der vor­ und nachhadrianischen Zeit ohne Weiteres und zahllos zu konstatieren, was bei der De­ terminiertheit des sozialen Feldes auch kaum verwundern dürfte; schließlich handelte es sich bei Augustus um den Begründer der kaiserlichen Herrschaft über das Impe­ rium Romanum. Doch damit nicht genug: Auch in mittelalterlichen und neuzeitlichen Monarchien wurden immer wieder Rekurse auf Augustus unternommen, um den Herrscher oder das Regime besonders exponiert darzustellen. Dabei handelte es sich selbstverständlich um die Evozierung von jeweils zeitgenössischen Bildern des Au­ gustus und seiner Herrschaft. Eine solche, Zeitgebundenheiten geschuldete, Modi­ fikation der Erinnerung an Augustus, und d. h. eine Augustus­Rezeption, begann natürlich ebenfalls schon in der Antike und spielte hier eine wesentliche Rolle. Und in besonderer Intensität gilt das für den hadrianischen Prinzipat. In welchen Kontext der Augustus­Rezeption Hadrian sich hier stellte, welche Innovationen er für die Augustus­Rezeption hervorbrachte und auf welche Weise und mit welcher Zielrich­ tung er diese für seine Herrschaft produktiv machte, soll im Folgenden in den Blick genommen werden. Um dabei das spezifisch hadrianische Augustus­Bild und seine Nutzbarmachung für die eigene Herrschaft klar konturieren zu können, wird im Weiteren die Entwicklung der Augustus­Rezeption und ihre jeweilige, schwankende Relevanz in den vorausgehenden Prinzipaten nachgezeichnet. Auf dieser Basis wer­ den schließlich sowohl Kontinuitäten und Diskontinuitäten der hadrianischen Au­ gustus­Rezeption als auch Zielsetzung und Intention des erneuten und doch neuar­ tigen Zugriffs auf dieses Konzept offenbar.

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So u. a. Thornton (1975) 435; Kornemann (61970) 245–247; 258f; Kornemann (1905) 1 und passim; siehe dazu Mortensen (2004) 97; 121f.

2. HADRIANUS AUGUSTUS. DIE AUGUSTUS­VERWEISE HADRIANS Der neue Augustus – Hadrians programmatische Verortung im Münz­ und Bauprogramm Im Jahr 123 n. Chr. erfuhr ein Charakteristikum der hadrianischen Münzprägung eine Wandlung, die als einzigartig in der Geschichte des Prinzipats gelten darf: Die Kai­ sertitulatur, die von Hadrians Herrschaftsantritt an, in ihrer gebräuchlichen, im Ver­ lauf des Prinzipats tradierten Form auf den Aversen seiner Münzen erschien, wurde nun auf HADRIANVS AVGVSTVS1 verkürzt – eine Benennung, die sich bis zum Tod des Princeps nicht mehr ändern sollte. Komplettiert wurde die Titulatur nur durch die Spezifizierung COS III auf den Münzreversen. Als Hadrian im Jahr 128 oder 129 den vom Senat vergebenen Ehrentitel pater patriae annahm,2 wurde die Münztitulatur endgültig und dauerhaft um die Angabe PP ergänzt, die in der Regel auf dem Avers erschien.3 Diese hadrianische Münztitulatur ab dem Jahr 123 bzw. 128/129 war der explizite Gegenentwurf zur Titulatur der unmittelbar nach dem Herrschaftsantritt Hadrians im Jahr 117 geprägten Münzen: So stand der Name des Princeps teilweise, wie auf den traianischen Prägungen seit dem Jahr 103/4, im Dativ, zum anderen wurden Hadrian sämtliche traianische Ehrennamen zugeschrieben. Entsprechend ergab sich für kurze Zeit folgende Avers­Umschrift: IMP(eratori) CAES(ari) TRAIAN(o) HADRIANO OPT(imo) AVG G(ermanico) D(acico) PARTH(ico). Der Revers fuhr mit Filiation, Pontifex-Maximus­Titel, tribunicia potestas, dem zu diesem Zeitpunkt einzigen Konsulat Hadrians und dem Ehrennamen pater patriae fort und lautete daher PARTHIC DIVI TRAIAN AUG F PM TR P COS PP.4 Doch bereits in der zweiten hadrianischen Emission, die ebenfalls aus dem Jahr 117 stammt, entfallen, wenn auch unter Beibehaltung der Dativform, die Zuschreibung der traianischen Siegesbeinamen und des titels pater patriae; gleichzeitig wird andererseits die Filiation auf Nerva ausgeweitet. Damit erhielt Hadrian nun folgende Titulatur: Avers: IMP CAES TRAIAN HADRIANO AVG DIVI TRA Revers: PARTH F DIVI NER NEP PM TR P COS5

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Strack (1933) 1; 13–17; siehe auch Thornton (1975) 440f; Birley (1997b) 147; Mortensen (2004) 94. Zudem treten vereinzelt AVGVSTVS­HADRIANVS­Prägungen auf (Strack (1933) Nr. 146; 147 (beide Taf. II); 621). Zur vorläufigen Ablehnung des pater-patriae­Titels siehe Eck (1982) 217–229; siehe auch Kienast (32004) 129. Siehe Strack (1933) 17–33; Eck (1982) 217–229; Thornton (1975) 441f; Birley (1997b) 201; 342, Anm 26. Z. B. RIC II Hadr. 5–6; siehe Strack (1933) 3. Z. B. RIC II Hadr. 12; siehe Strack (1933) 3f; Thornton (1975) 439f. Hinzu kommen gleiche Prägungen, die Hadrians Designation zu seinem zweiten Konsulat 118 mit COS DES II ange­ ben (z. B. RIC II Hadr. 20f).

2. Hadrianus Augustus. Die Augustus­Verweise Hadrians

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Das schnelle Verschwinden der Beinamen wird in der Forschung häufig als Reaktion des neuen Princeps auf die erste Emission interpretiert, die ohne seine Zustimmung in Analogie zur gewohnten traianischen umgesetzt worden sei. Da dies nicht dem Willen Hadrians entsprochen habe, sei sie in einer wohl nur zwei Wochen später folgenden neuen Emission seinen Vorgaben gemäß korrigiert worden.6 Diese Deutung leitet sich von der in der Hadrian­Vita der Historia Augusta erwähnten Ablehnung des pater-patriae­Titels her, die mit der Begründung erfolgt sei, auch Augustus habe den Ehrentitel erst spät erhalten.7 So verschwindet pater patriae im September 117 zunächst gemeinsam mit den traianischen Siegesbeinamen, deren, freilich endgültige, Ablehnung daher zumeist ebenfalls als recusatio interpretiert wird.8 Dass die Zielsetzung allerdings eine andere war, wird darin deutlich, dass es im Jahr 117 noch zu einer vierten hadrianischen Emission mit weiteren Modifikationen kam. Dabei fällt die Bekanntgabe der Designation Hadrians zu seinem zweiten Konsulat weniger ins Gewicht als der Wechsel in die vor Traian übliche Nominativ­ konstruktion der kaiserlichen Münztitulatur sowie der Verzicht auf die Filiation. Damit erscheint Traian nur noch als Teil des Namens des Princeps auf dem Avers, als Vater und Großvater werden er und Nerva auf dem Revers künftig nicht mehr erwähnt.9 Die Titulatur wird auf den Emissionen der Jahre 118 bis 123 beibehalten, einzige änderung ist der Vermerk des zweiten hadrianischen Konsulats, der Desig­ nation und schließlich der Übernahme des dritten.10 Somit besaß die Münztitulatur nun bis auf weiteres eine recht traditionelle Fügung – lediglich die direkte Filiation und die Angabe der jährlichen Erneuerung der tribunicia potestas entfielen.11 Stan­ dardisiert ergab sich somit in den ersten Jahren der hadrianischen Herrschaft eine Münzinschrift folgenden Zuschnitts: Avers: IMP CAES TRAIAN HADRIANVS AVG Revers: PM TR P COS xy12

Dem entgegen steht folgende äußerung Birleys, der freilich der diachronen Ent­ wicklung des frühen hadrianischen Münzprogramms, keine Beachtung schenkt: „The need to proclaim the legitimacy of the succession is manifest.“13 Tatsächlich bleibt die Annahme der in der Umbruchszeit zur hadrianischen Herrschaft eigenmächtig handelnden viri monetales letztlich Hypothese. Trifft sie aber nicht zu, ist eine derart 6 7 8 9 10

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Strack (1933) 40; vgl. Birley (1997b) 81. SHA Hadr. 6,4. So Strack (1933) 40; 1 mit Anm. 2; 3f; Fündling (2006) K 159 (6,4); K 160 (6,4). Z. B. RIC II Hadr. 20f; siehe Strack (1933) 4. Siehe Strack (1933) 5–11. Insgesamt übernahm Hadrian (lediglich) drei Konsulate, die in die Jahre 108, 118 und 119 datieren und sich jeweils in seiner Münzprägung niederschlugen (z. B. RIC II Hadr. 5–6 zum ersten, RIC II Hadr. 35–36 zum zweiten und RIC II Hadr. 55–56 zum dritten Konsulat); im Vorfeld wurden die jeweiligen Designationen zum zweiten (z. B. RIC II Hadr. 20–21) und dritten Konsulat (z. B. RIC II Hadr. 48–49) vermerkt (siehe dazu Strack (1933) 3–6; siehe auch Kienast (32004) 128–130). Die i. d. R. auf den Reversen der Vorgänger und Nachfolger angegebenen Imperator­Akklama­ tionen entfallen bei Hadrian völlig. Siehe Strack (1933) 6–10. Birley (1997b) 81.

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II. Hadrian und Augustus

rasche Modifikation der Münztitulatur umso bemerkenswerter: Wenn Hadrian oder sein direktes Umfeld von Beginn an ihrer Konzeption beteiligt waren, kann nur geschlossen werden, dass die traianische Vorlage zu Anfang gezielt auf den neuen Princeps angewandt wurde, um ihr nach zwei Wochen ausdrücklich, ganz offiziell und sofort ersichtlich sämtliche Siegesbeinamen wiederum zu nehmen. Dieses Vor­ gehen darf durchaus gemeinsam mit dem erläuterten Triumphverzicht und somit als Betonung der Absetzung des neuen Princeps und seines Prinzipats von seinem Vorgänger, seinen individuellen Leistungen und offiziellen Leitlinien interpretiert werden. Es ging also gerade nicht darum, durch einen Anschluss an Traian Legiti­ mität zu reklamieren, sondern diese aus einer offiziellen Verkündung der eigenen Differenz herzuleiten. Diese hadrianische Intention wurde noch deutlicher, als noch im gleichen Jahr parallel zur Rücknahme der traianischen Dativkonstruktion mittels des Vermerks der Designation Hadrians zu seinem zweiten Konsulat auf eine persön­ liche Übernahme der Verantwortung für das Gemeinwesen verwiesen wurde, die nicht aus Leistungen des Vorgängers abgeleitet werden sollte. Damit ist auch die bereits anfangs beschriebene radikale Verkürzung der Münz­ titulatur ab 123 in diesem Kontext zu lesen. In ihr fand die sukzessive Verdrängung von allem ‚Traianischen‘ aus der hadrianischen Münzprägung ihre Vollendung. Was wird an dessen Stelle gesetzt? Auf den ersten Blick nichts Neues: Neben TRAIAN verschwinden auch die Bestandteile IMP und CAES(AR) des Kaisernamens. Ledig­ lich Augustus bleibt als Namensbestandteil erhalten; allerdings vielfach nicht mehr wie bisher als AVG sondern in ausgeschriebener Form als AVGVSTVS. Indem Hadrian seinen Namen direkt und singulär neben jenen des Augustus setzte, verkün­ dete er sehr suggestiv seinen Anschluss an den ersten Princeps. Die hadrianischen Münzbildnisse unterstreichen die Verweisstruktur: Bereits im Jahr 123 wird auf dem Revers einer Münze mit der neuen, schlichten Titulatur der Steinbock abgebildet.14 Bei dieser Abbildung handelte es sich um die Wieder­ aufnahme einer augusteischen Prägung,15 die auf die Sternenkonstellation zur Zeit der Geburt des Augustus im September 63 v. Chr. verwies. Diese Reversdarstellung erschien nach 150 Jahren erstmals wieder.16 Ein etwas andersartiger Rekurs auf den ersten Princeps lässt sich aus einer Provinzialprägung, einer Tetradrachme aus Asia, erschließen, die in Bezug zu den eleusinischen Mysterien steht. Der Avers dieser Münze zeigt eine Augustus­Büste mit der traditionellen Titulatur IMP CAESAR AVGVSTVS, der Revers Hadrian als Togatus mit der Titulatur HADRIANVS AVG PP REN(atus).17 In erster Linie verwies die Prägung auf die Initiation des Hadrian in den Mysterienkult, die er als erster Princeps seit Augustus erfuhr.18 Hierbei handelt es sich zwar ausdrücklich um die 14 15 16 17 18

RIC II Hadr. 189 var. c; var. d. RIC I2 Aug. insbes. 521–522. Siehe Strack (1933) 13; vgl. Grant (1954) 205f. RIC II Hadr. 532; siehe Grant (1954) 208f; spätestens seit Kienast (1959/60) 61–65 gilt die Le­ sung REN(atus) als verbürgt. Siehe Kienast (1959/60) 64f; vgl. u. a. Grant (1954) 208–210, der aber eine Selbstdarstellung Hadrians als wiedergeborener Augustus zu identifizieren glaubte, die visuell nicht auszuma­ chen ist. Von der Einweihung des Augustus berichtet Cass. Dio 51,4,1; 54,9,10; von jener des

2. Hadrianus Augustus. Die Augustus­Verweise Hadrians

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Interaktion Hadrians mit den Provinzen, doch wurde diese in der urbs ebenfalls rezipiert, wie Kienast an Reichsprägungen, die Hadrian mit ährenkranz abbilden, gezeigt hat.19 So stellte sich Hadrian auf der Tetradrachme auch visuell neben Au­ gustus als alleiniger Referenz, an der er gemessen werden wollte. Der erste und der gegenwärtige Princeps sind folglich nicht nur im Wortsinn zwei Seiten ein­ und derselben Münze. Somit kann die Bezeichnung Hadrians als renatus auch als direk­ ter Augustus­Bezug verstanden werden: Die Wiedergeburt durch die eleusinischen Mysterien bzw. ihre materialisierte Darstellung kann auch als Wiedergeburt des Imperium Romanum verstanden werden, die den alleinigen Leistungen Hadrians entsprang. Damit stellte sich dieser als Neugründer Roms und des Reichs in die ebenbürtige Nachfolge des Augustus, der in der Rezeption des kaiserzeitlichen Felds seit langer Zeit als (Neu­)Gründer Roms betrachtet wurde. Schon Michael Grant glaubte im hadrianischen Münzbefund einen direkten Rekurs auf augusteische Jahrestage, die etwa 150 Jahre zurück lagen, namentlich die Schlacht bei Actium sowie die Annahme des Augustus­Namens, zu identifizieren.20 Diese These verfolgte insbesondere A. R. Birley weiter, der in dem „A New Augustus“21 betitelten Kapitel seiner Hadrian­Biographie die Reise des Princeps in seine spani­ sche Heimat nachzeichnet, wo dieser den Winter 122/123 in der Provinzhauptstadt Tarraco verbracht habe. Die vita Hadriani berichtet, dass er dort auf eigene Kosten den provinzialen Altar für den Divus Augustus wiedererrichtet habe („restituit“).22 Diese durch den Princeps vorgenommene restitutio des Heiligtums war wohl ge­ ringfügig, darf aber durch archäologische Untersuchungen als verbürgt gelten.23 Dass Hadrian mit der Geste auf Augustus rekurrierte, ist evident und passt zu vergleich­ baren Baumaßnahmen in den Provinzen und in Rom. Problematisch sind allerdings Birleys weitere Ausdeutungen: Er versucht, Hadrians Spanien­Reise nicht nur als Feier des 150. Jahrestags der Annahme des Augustus­Namens, sondern auch der Anwesenheit des Augustus in Tarraco darzustellen. Diese Feier habe Hadrian durch die Überwinterung, die Renovierung des Heiligtums sowie die Verkürzung seiner Münztitulatur begangen.24 Allerdings wäre hier zunächst einmal zu fragen, weshalb Hadrian Rom verließ, wenn er die dort vollzogene Begründung des Prinzipats zu

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Hadrian Cass. Dio 69,11,1 und SHA Hadr. 13,1; siehe auch Kienast (1959/60) 61–69; Kienast (1993) 198; 200; 207; vgl. Aur. Vict. Caes 14,4 (siehe dazu das Kapitel Aurelius Victor und die hadrianische Imago). Siehe Kienast (1959/60) 67–69 und Tafeln II + III. Siehe Grant (1954) 202–213. Birley (1997b) 142–161. SHA Hadr. 12,3: „[…] Hispanias petiit et Tarracone hiemavit, ubi sumptu suo aedem Augusti restituit“; siehe Birley (1997b) 147; siehe auch Kuhlmann (2002) 151f. Zu umfassenden Infor­ mationen zum Tempel siehe Fishwick (2004) 5–30; siehe auch Fishwick (1987) 150–154 mit Pl. xxVII–xxxV; xxxVIIb. Fishwick (2004) 26f; 29 und Fishwick (1987) 150 mit Datierung auf den Winter 121/122; siehe auch Boatwright (2000) 137. Einen epigraphischen Beleg der Renovierungsarbeiten bietet ver­ mutlich RIT 264. Zur Geschichte der aedes Augusti und der Erlaubnis ihrer Errichtung durch Tiberius sowie ihrer den Kaiserkult im Westen endgültig etablierenden, Trend setzenden Funk­ tion siehe Tac. ann. 1,78,1; siehe auch Fishwick (2004) 5–7; Fishwick (1987) 151f; 154; Kuhlmann (2002) 151f; Zanker (42003) 301; 302, Abb. 237. Birley (1997b) 147f.

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II. Hadrian und Augustus

feiern gedachte – das wäre auch für den ‚Reisekaiser‘ eine wunderliche Entscheidung gewesen. Auch existieren keinerlei Evidenzen, die eine solch große Feier andeuten würden. Zudem wich der Charakter der augusteischen Spanien­Reise sehr von dem der hadrianischen ab: Augustus musste sich mit der Beendigung eines langwierigen Krieges gegen die ehemaligen Gefolgsleute des Antonius auseinandersetzen, der die Akzeptanz seines imperium proconsulare erst möglich machte.25 Somit steht ein längerer, Macht in Reich und Zentrum festigender kriegerischer Akt, einer friedlichen Provinzreise des Hadrian im etablierten Prinzipat gegenüber. Darüber hinaus bleibt unklar, inwiefern die Erneuerungsarbeiten an einem Heiligtum, dessen Bau unter Tiberius begonnen, aber höchstwahrscheinlich erst unter den Flaviern vollendet wurde,26 direkt auf einen augusteischen Jahrestag verweisen sollten. Hadrian wollte wohl schlicht, wie er das auf anderen Reisen27 und in der urbs selbst tat, angebliche Bezugnahmen seines Prinzipats auf jenes des Augustus durch Rekurse markieren. Hingegen ist nicht davon auszugehen, dass Bezugnahmen auf weit in der Vergan­ genheit liegende exakte Daten stattfanden, wenn diese nicht im Vorfeld gezielt und in aller Deutlichkeit hervorgehoben worden waren. Das augusteische Zeitalter dürfte ob seiner Darstellung durch den ersten Princeps selbst ganz allgemein als saeculum aureum erinnert worden sein, worauf die hadrianische Münzprägung tatsächlich immer wieder anspielte.28 Wesentlich waren nicht direkte Bezugnahmen auf auguste­ ische Akte und die Feier von Jahrestagen, für die ohnehin keine Nachweise vorhan­ den sind und die für den aktuellen Zustand des Prinzipats irrelevant waren, sondern die Gemahnung an eine im Feld positiv konnotierte Herrschaft, an die Hadrian von Beginn seines Prinzipats an anzuknüpfen versprach bzw. behauptete. Dabei wäre eine Kopie von Handlungen des Augustus, wie sie Birley zu Unrecht in der Spanien­ Reise sehen möchte, ebenso wenig sinnvoll wie möglich gewesen. Die Handlungen des Princeps mussten sich am zeitgenössischen Kontext orientieren, also eigene Zielsetzungen, aktuelle Erwartungen und die politische Situation mit den prägenden, historisch gewachsenen sozialen Verhältnissen in Einklang bringen. Folglich bedeu­ teten die hadrianischen Augustus­Rekurse niemals eine bloße Nachahmung des Augustus und seiner Politik. Aus diesem Grund entbehrt eine Charakterisierung Hadrians als „an admirer of Augustus“29 jeglicher Grundlage; die Aussage „he wished to be seen as a new Augustus“30 ist zudem eine allzu starke Generalisierung: weder werden die Rezeption und ihre möglichen Intentionen noch die Art und Tragweite der angeblichen Zielsetzung klar umrissen und erläutert. Ebenfalls die Modifikationen der Münztitulatur bespricht M. K. Thornton in ihrem ANRW­Aufsatz zum hadrianischen Prinzipat.31 Dabei gelangt sie aufgrund 25 26 27

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Siehe Kienast (42009) 351f. Zur Datierung und Einteilung in Bauphasen siehe Fishwick (2004) 22–30. Auf diese Projekte kann hier im Einzelnen nicht eingegangen werden; zu einer umfassenden Darstellung und Analyse siehe Boatwright (2000). Dio vermerkt neben dem Augustus­Heiligtum in Tarraco die Fertigstellung des Olympieions (Cass. Dio. 69,16,1f), die bereits Klientelkönige zu Ehren des Augustus vornehmen wollten (Suet. Aug. 60,1); siehe auch Kienast (1993) 202; 207. Vgl. Grant (1954) 204f; 211–213. Grant (1954) 212. Birley (1997b) 147. Thornton (1975) 439–443.

2. Hadrianus Augustus. Die Augustus­Verweise Hadrians

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des Befunds, dass ab 12332 HADRIANVS AVGVSTVS lediglich durch COS III sowie ab 128 zusätzlich durch PP ergänzt wurde, zu der Annahme, Hadrian habe sich auf seinen Münzen ausschließlich über zivile ämter und Ehren identifizieren lassen wollen, um sich als Friedensherrscher zu stilisieren.33 Dies sei eine eindeutige An­ knüpfung an Augustus gewesen, zumal Hadrian im gleichen Zuge auch auf den klar militärisch konnotierten Imperator­Titel sowie den Namen des Feldherrn Caesar verzichtet habe: „The title Augustus does not have a military significance; conse­ quently it is more suitable for Hadrian’s peacetime activities than is a title such as Caesar or imperator.“34 Insgesamt erachtet Thornton den Prinzipat Hadrians anachronistisch als eine Rückkehr zu einer „Augustan Policy of Containment“, womit sie die Aufrechterhal­ tung des status quo des Reichsgebiets meint.35 Freilich ist die Definition des Augus­ tus als einen um Friedenserhalt bemühten Herrscher schlichtweg falsch – und zwar sowohl in der historischen Praxis als auch in der augusteischen Selbstdarstellung.36 Der dafür als Beleg ins Feld geführte Rat des Augustus nach den Annalen des Tacitus, das Imperium in seinen Grenzen zu halten,37 vermag nicht als Argument für eine unkriegerische und das Reichsgebiet friedlich erhaltende Politik38 zu dienen: Die Worte fassen keineswegs die Politik des Augustus zusammen, sondern sind schlicht eine Empfehlung des sterbenden Princeps an seinen Nachfolger Tiberius. Dagegen war das augusteische Zeitalter stets von Kriegen geprägt. So verstand es Octavian/ Augustus zwar zu Beginn seiner Herrschaft alle konkurrierenden Prätendenten aus dem Weg zu räumen und sich als Beender der Bürgerkriege zu präsentieren, was er unter anderem durch die programmatische Schließung der Tore des Ianus­Tempels markierte.39 Aber auch nach diesem performativen Akt setzte die Politik des Augustus weiterhin auf dessen Sieghaftigkeit, wie die Wendung „omnium provinciarum populi Romani, […] fines auxi“ der Res gestae und vor allem die sich daran anschließenden, acht Kapitel übergreifenden Darlegungen erfolgreicher augusteischer Eroberungs­ kriege und der kaiserlichen Neugliederungen des Imperiums belegen.40 Dass dieses militärische Potential als relevant für die Herrschaft erachtet wurde, zeigen zahlrei­ che materielle Referenzen – besonders explizit die Panzerstatue von Primaporta.41 Auch die Nachfolger des Augustus setzen mehrheitlich auf eine stark militärische Konnotation ihrer Politik und betonten in der Selbstdarstellung ihre Sieghaftigkeit,

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Bzw. nach Thornton (1975) „around A. D. 124“. Siehe Thornton (1975) 442f. Thornton (1975) 442. Thornton (1975) 435 (Zitat: Absatz­Überschrift). Zur „militärischen persona“ des Augustus und zum Aspekt der Sieghaftigkeit in der Selbstdar­ stellung des ersten Princeps siehe jetzt Havener (2016). Tac. ann. 1,11,4: „Das alles hatte Augustus eigenhändig genau aufgezeichnet und den Rat hin­ zugefügt, man solle sich bescheiden innerhalb der jetzigen Grenzen des Reiches.“ Thornton (1975) 435. Zur programmatischen Schließung des Ianus­Tempels siehe Aug. RG 13; Suet. Aug. 22; Cass. Dio 51,20,4; 53,26,5; siehe auch Kienast (42009) 222f. Aug. RG 26–33 (Zitat: 26,1). Siehe Zanker (42003) 188–196; Havener (2016).

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II. Hadrian und Augustus

die offenbar probates Mittel der Akzeptanzerzeugung gegenüber allen relevanten Statusgruppen war.42 Wenn nun also Hadrian aus seiner Münztitulatur alle Elemente bis auf den Na­ men Augustus löschte, ist zu fragen, mit welcher Intention er das tat und welche Modifikationen am Augustus­Bild er vornahm, um es leitmotivisch für seine ganz anders geartete Politik sprechen zu lassen. Neben der Friedenspolitik wurde bisweilen auch die Adoptionspolitik Hadrians, insbesondere deren zweite Regelung nach dem vorzeitigen Tod des Aelius Caesar wurde in der Forschung als Analogie zur augusteischen Politik dargestellt. Die Zweigenerationenlösung einer Adoption des Antoninus Pius durch Hadrian und der Anordnung an den neuen Sohn, Aelius Caesars Sohn Commodus und Marcus Annius zu adoptieren, war nach Cassius Dio durch Hadrians Wunsch motiviert, seine Nach­ folge so lange wie möglich durch persönliche Ernennung zu regeln.43 Birley sieht darin hingegen eine gezielte Anlehnung an die augusteische Nachfolgepolitik, die auch erst nach mehreren Versuchen, welche durch die jeweiligen Todesfälle der intendierten Nachfolger notwendig geworden waren, Erfolg hatte: Als Tiberius 4 n. Chr. adoptiert wurde, war er zuvor dazu angehalten worden, seinen Neffen Germanicus durch Adoption neben seinen leiblichen Sohn Drusus zu stellen.44 Daraus folgert Birley: „The ‚two tier‘ adoption of 138 is, indeed, reminiscent of Augustus’ plans […]. Hadrian, who had played the role of a ‚new Augustus‘ for the past fifteen years, is likely enough to have been emulating the first Princeps in this sphere too.“45

Hier ist Widerspruch anzumelden. So hat bereits Jörg Fündling angedeutet, dass es sich bei der hadrianischen Zweigenerationenregelung in erster Linie um eine Not­ lösung gehandelt habe, um durch einen bislang nicht vorgesehenen ‚Platzhalter‘ dynastische Kontinuität zu gewährleisten, was beim ersten Adoptionsversuch nicht nötig gewesen wäre, da Aelius Caesar mit dem jüngeren Lucius Ceionius Commo­ dus, dem späteren Lucius Verus, bereits einen Sohn besaß. Dabei handelte es sich 42

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So wird nach Eutr. 8,2,2 tatsächlich Traian mit Augustus verglichen: Er habe als Erster seit Augustus die Grenzen nicht verteidigt, sondern offensiv ausgedehnt. Dieser militärische Ruhm sei neben seiner pietas, so Eutr. 8,5,3, auch der Ursprung der Senatsakklamation „Felicior Au­ gusto, melior Traiano“ für Principes gewesen. Cass. Dio 69,20f; SHA Hadr. 24,1–7; siehe auch Fündling (2006) K 497 (24,1)–K 506 (24,7). Suet. Tib. 15; siehe auch Suet. Aug. 65,1; Cass. Dio 55,13,2; Vell. 103,1–104,2; vgl. Kienast (1980) 408, der hier irrtümlich behauptet, Tiberius habe „den Agrippa Postumus und den Germanicus adoptieren müssen“ (ein Fehler, der in Kienast (42009) 138f nicht wiederholt wird). In den Quellen wird durchweg entweder von der alleinigen Adoption des Germanicus durch Tiberius (neben dem leiblichen Sohn Drusus), von der gleichzeitigen Adoption des letzten verbliebenen Agrippa­Sohnes und des Tiberius durch Augustus oder von beiden Ereignissen gesprochen; Postumus wurde freilich bald nach dieser möglichen Adoption verbannt, wohl enterbt (Suet. Aug. 65,1) und gemäß eines der letzten Befehle des Augustus oder eines der ersten des Tiberius umgebracht (Suet. Tib. 22). Birley (1997b) 296; siehe auch Kienast (1980) 408. Opper (2008) 216–221 diskutiert die hadria­ nische Nachfolgeregelung ausführlich und konstatiert generelle ähnlichkeiten mit dem augus­ teischen Vorgehen; vgl. Kornemann (1930) 74. Siehe zusammenfassend und mit kritischen Anmerkungen Fündling (2006) K 499 (24,1).

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fraglos um eine klare Differenz zum augusteischen Vorgehen,46 in dem v. a. ver­ schiedene Generationen und Zweige der eigenen domus neu situiert werden mussten. Freilich gehörten aber auch Marcus Aurelius und Lucius Verus zum weiteren Verwandtenkreis des Princeps:47 Die Verwandtschaft des Marcus wurde bereits dis­ kutiert.48 Was Lucius Verus anbelangt, sind zwar die vereinzelten modernen Hypo­ thesen, die Aelius Caesar zum Resultat eines Fehltritts des Hadrians mit der Mutter seines vorgesehenen Nachfolgers machten und damit die Adoption begründet hätten, in das Reich der Fabel zu verweisen,49 doch war er durch die vorausgehende Adop­ tion seines Vaters bereits zum Enkel Hadrians geworden. Die doppelte Alternative in der übernächsten Generation unterstrich dabei den unbedingten Willen Hadrians zur Begründung einer Dynastie. Allerdings ist einem solchen Vorgehen kein zielge­ richteter und spezifischer Anschluss an Augustus inhärent: Dynastische Bestrebun­ gen waren ganz übliche Bemühungen fast eines jeden Princeps.50 Erinnert sei neben dem augusteischen Vorgehen nur an die explizite Intention des Vespasian zur Nach­ folge durch seine Söhne, die principes iuventutibus,51 auf Marc Aurels Einsetzung seines Sohnes Commodus als untergeordnetem Mitherrscher52 sowie auf ein ver­ gleichbares Vorgehen des Septimius Severus.53 Zwar ist Flaigs Einwand zu bestäti­ gen, dass im Fall eines Putschs oder einer Usurpation der Sohn mit dem herrschen­ den Vater stürzte und der Prinzipat daher nie zu einer gesicherten und unhinterfrag­ ten Erbmonarchie geworden ist.54 Allerdings darf ein dynastisches Prinzip im Ak­ zeptanzsystem deswegen nicht für wirkungslos und daher inexistent erklärt werden, da nicht nur jegliche reibungslose Nachfolge auf diese Weise geregelt war, sondern Bestrebungen zur Dynastiebildung oder ­erhaltung stets vorgenommen wurden und somit intentional im Feld als bevorzugte Herrschaftsoption verankert waren.55 46 47

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Fündling (2006) K 499 (24,1). Zwar waren beide ursprünglich keine Angehörigen der kaiserlichen domus gewesen; dennoch besaß Hadrian neben ihnen sowie dem 90­jährigen L. Iulius Ursus Servianus, Witwer seiner Schwester Paulina, und dessen 18jährigem Enkel Cn. Pedanius Fuscus Salinator keine Ver­ wandten. Zu Servianus und Fuscus siehe Opper (2008) 218f, wobei die hier angenommene Verschwörung des Fuscus gegen Hadrian nicht verbürgt ist: Servianus und Fuscus mussten möglicherweise schlicht als potentielle Konkurrenten der präferierten Nachfolgelösung wei­ chen. Zum Tod der beiden siehe SHA Hadr. 15,8; 23,2f; 23,8; 25,8; Cass. Dio 69,17,1f; Birley (1997b) 291f. Siehe dazu die Einleitung. So Carcopino (1949) 290–312; 320f; Carcopino (1965) 67–79. Siehe zutreffend Fündling (2006) K 487 (23,10); PIR2 C 605; Eck (1997) 1046 (zum älteren L. Ceionius Commodus/Aelius Cae­ sar) sowie K 498 (24,1); K 499 (24,1); PIR2 C 606; Eck (2002c) 104f (zum jüngeren Lucius Ceionius Commodus/Lucius Verus). Siehe dazu auch Börm (2015) 241f. Siehe z. B. RIC II/1 Vesp. 54; 64a; 64b; 1318; 1387; 662; 719; 1080–1088; Suet. Vesp. 25; Suet. Tit. 5,2–6,1; CIL VI 31538c. Siehe z. B. RIC III Aur. 336; 600–603; 1617–1618; SHA Aur. 12,7–10; SHA Comm. 11,13; SHA Aur. 27,5; SHA Comm. 2,3f; CIL VIII 2488 (p 953); siehe auch Birley (1987) 147; 195f. Siehe z. B. RIC IV Sept. Sev. 132; 164; 157var. a; b; 180; 521a; b; 542; 544; SHA Sept. Sev. 10,3; IGR IV 566 = ILS 8805; CIL III 205,1 (p 973, 1059, 1229) = CIL III 12095b1. Siehe Flaig (1997) 20. Das gilt auch und sogar insbesondere für das sog. Adoptivkaisertum: Entkleidet man die angeb­ liche Auswahl des Besten von ihrer plinianisch­panegyrischen Neuverortung, geschieht die

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Folglich sind Hadrians Adoptionen im Kontext der allgemeinen Nachfolgepolitik des römischen Prinzipats zu verstehen. Dieser Anschluss an Konventionen und De­ terminanten des Handlungsfelds, die allgemeinen Anforderungen und Erwartungen entsprachen, kann also nicht als spezifischer und inszenierter Augustus­Bezug Ha­ drians verstanden werden. Der erste Princeps hatte für die Nachfolgepolitik lediglich ein Modell entworfen, das seinen grundsätzlichen Erfolg schnell erwies und daher prägend für das Feld wurde.56 Dynastische Bestrebungen hinterließen auch Spuren im hadrianischen Baupro­ gramm: etwa im Mausoleum Hadriani, einer der deutlichsten Markierungen im Stadtbild Roms. Sind aber diesem Monument, wie in der Forschung teils behauptet, auch augusteische Referenzen eingeschrieben oder diente es ebenfalls allein der Präsentation einer hadrianischen Dynastie? Das in der vita Hadriani der Historia Augusta erwähnte Monument57 liegt, wie es sich für römische Bauwerke funeralen Charakters gehörte, außerhalb des Pomeriums rechts des Tiber. Jedoch wird die Lage durch die Erwähnung einer Brücke im gleichen Satz der Hadrian­Biographie spezifiziert: „fecit et sui nominis pontem et selpulchrum iuxta Tiberim.“58 Beide Monumente erhielten folglich den Namen ihres Bauherrn Hadrian; die Brücke wird auch von Dio als pons Aelius bezeichnet.59 Das Mausoleum Hadriani selbst war seinerzeit mit einer Höhe von knapp 50 Metern das höchste Ge­ bäude Roms und somit für zahlreiche Reisende das erste Objekt, das sie vor ihrer Ankunft in der urbs erblickten.60 Zwar ist das Mausoleum Hadriani rund, ruht aber auf einem quadratischen Fundament von etwa 85 Quadratmetern Durchmesser, von dem ein ca. 10 Meter hoher Sockel aufragte.61 In diesen Sockel ist ein Zylinder eingelassen, der sich 21 Meter darüber hinaus erhebt, am Fundament einen Durchmesser von 74 Metern besitzt, sich aber nach oben bis auf 68 Meter verjüngt. Etwa 10 Meter über dem Eingangsniveau befindet sich der Gebäudekern, der seinerseits als Turm den Zylinder um 21 Meter überragt.62 Von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit hinein erfuhr das Bauwerk diverse Umgestaltungen und diente schließlich unter der Bezeich­ Adoption schlicht aus einer Notlage, dem Fehlen von leiblichen Nachkommen heraus. So sind die Nachfolger, wenn möglich stets nah verwandt, oder es wird, wie im Fall des Antoninus Pius, Verwandtschaft so frühzeitig geschaffen und fortwährend inszeniert, dass ihr Wert nicht in Frage gestellt wurde und wohl einen Akzeptanzvorsprung erzeugte. Umso auffälliger wird dies durch Marcus Aurelius, der als erster Princeps wieder einen Sohn vorweisen konnte, diesen zum Nachfolger erklärte und diese Nachfolge sich durchsetzte und behauptete. Der Sturz des Commodus erfolgte erst nach 12 Jahren und taugt daher nicht als Beleg einer fehlgeschlagenen Nachfolgepolitik. Zur allgemeinen und traditionellen Gleichberechtigung adoptierter und leib­ licher Söhne im römischen Recht (und der römischen Gesellschaft) siehe Söllner (51996) 44f; 28f; Dulckeit/Schwarz/Waldstein (91995) 42; siehe auch Alföldy (31984) 46. 56 Siehe auch Gotter (2012) 57–62. 57 SHA Hadr. 19,11. 58 Zur Lage siehe Kienast (1980) 407; Liverani (2001) 15; Boatwright (1987) 161; 164–169; Blake/ Bishop (1973) 55f; Nash (1962) 44; Giustozzi (2003) 12f. 59 Cass. Dio 69,1; siehe Kienast (1980) 407, Anm. 86. 60 Boatwright (1987) 176. 61 Boatwright (1987) 170f; 173; Liverani (2001) 16; N.N. (1996) 254; Blake/Bishop (1973) 56f; Knell (2008) 48; Opper (2008) 212f; Kienast (1980) 407; Nash (1962) 44; Giustozzi (2003) 26. 62 Boatwright (1987) 171f; Knell (2008) 48; Blake/Bishop (1973) 58f; Opper (2008) 212f; Kienast

2. Hadrianus Augustus. Die Augustus­Verweise Hadrians

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nung Castel SantʼAngelo den Päpsten als Gefängnis oder befestigte Burganlage.63 Dieser neuen Benennung geschuldet wird sie heute von der Statue eines Engels gekrönt, die wohl eine von Hadrian gelenkte Quadriga ersetzte.64 Im Originalzustand war der Zylinder wohl durch eine Erdaufschüttung zum Turm hin bedeckt und bepflanzt.65 Vermutlich war der Monumentalbau zudem außen wie innen mit Statuen geschmückt.66 Zudem belegen Fragmentfunde, dass jede Seite des großen Sockels durch Marmor­ pilaster beschlossen wurde, während dazwischen im Säulengebälk ein durchgehender Bukephalienfries verlief, in dem Stierköpfe verbunden mit nach unten hängenden, schweren Girlanden sowie darüber schwebendem Opfergerät dargestellt war. Ein zweiter Fries am Zylinder bildete ebenfalls Stierköpfe ab, die als Träger von Fruchtgir­ landen fungierten, darüber befanden sich Schilde, die sich kreuzförmig überlagerten.67 Der Baubeginn des Mausoleums kann nicht eindeutig bestimmt werden: Einen terminus post quem erbringen die frühesten Ziegelstempel aus dem Jahr 123. Fertiggestellt wurde die Anlage, wie die Weihinschrift des Mausoleums selbst kundtut, erst im Jahr 139, d. h. unter der Herrschaft des Antoninus Pius, der Hadrian, Sabina und Aelius Caesar, die zuvor an einem anderen Ort beigesetzt worden waren, dort bestatten ließ.68 Heiner Knell u. a. haben einen Verweischarakter des Mausoleum Hadriani auf das Mausoleum Augusti behauptet;69 Dietmar Kienast hat versucht, diesen Vorbildcharakter des Augustus­ für das Hadrian­Mausoleum durch Betonung der Nähe der beiden Mo­ numente zueinander zu unterstreichen.70 Die Beweiskraft hält sich freilich in Grenzen:

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(1980) 407; Platner/Ashby (1929) 338; N.N. (1996) 254; Liverani (2001) 16; 244, Fig. 5; 245, Fig. 7; Giustozzi (2003) 26. Siehe Boatwright (1987) 171–173; zur Geschichte des Bauwerks siehe Giustozzi (2003); N.N. (1996) 253–255; Liverani (2001) 17–19; Platner/Ashby (1929) 336f. Ioannes Antiochenus 197 (= Exc. Salm. 2,60); siehe Knell (2008) 48; Boatwright (1987) 173; Liverani (2001) 18; Kienast (1980) 407; Blake/Bishop (1973) 59; Platner/Ashby (1929) 336; N.N. (1996) 254; Nash (1962) 44–48. Blake/Bishop (1973) 59; Knell (2008) 48; N.N. (1996) 254; Platner/Ashby (1929) 338; skeptisch: Boatwright (1987) 174; Giustozzi (2003) 26. Durch einen Belagerungsbericht des Prokop (Prok. hist. 5,22,12–25 = Prok. Goth. 1,22,12–25) erfahren wir, dass sich während der gotischen Belagerung Roms im Jahr 537 die Verteidiger der Stadtmauer zur Wehr setzten, indem sie vom Mausoleum aus Marmorstatuen auf die Angreifer warfen, was auf dessen Außendekoration hinweisen dürfte. Im Inneren des Mausoleums wurden ebenfalls Skulpturüberreste entdeckt. Da es an dieser Stelle ausschließlich um die In­ terpretation des Monuments im städtischen Bauprogramm Hadrians gehen soll, darf hier auf die detaillierte Besprechung der Dekoration sowie der Raum­ und Gangstrukturen verzichtet werden: siehe dazu Liverani (2001) 18; Platner/Ashby (1929) 336–338; Knell (2008) 48–53; Boatwright (1987) 171–173; Blake/Bishop (1973) 57f; Opper (2008) 214–216; Giustozzi (2003) 33; Nash (1962) 44. Siehe Grüßinger (2001) 115; Kat. 31–32; siehe auch Knell (2008) 55; 54, Abb. 44f; Blake/Bishop (1973) 59; Liverani (2001) 18; Boatwright (1987) 170; Giustozzi (2003) 32. ILS 322; ILS 329; Cass. Dio 69,23,1; SHA Pius 5,1; 8,2; SHA Verus 11,1; SHA Hadr. 25,7; siehe auch Fündling (2006) K 416 (19,11) und Boatwright (1987) 161; 180. Zu den Ziegelstempeln sowie weiteren Fragmenten des Bauwerks siehe Tomei (2001) 19–21; Liverani (2001) 16; Giu­ stozzi (2003) 22. Vgl. Knell (2008) 47–58 und Opper (2008) 208; 213, mit dem letztlich unbe­ legten Versuch einer früheren Datierung. Vgl. z. B. Knell (2008) 49; 58. Kienast (1980) 407f (Zitat: 407); siehe auch Boatwright (1987) 179.

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II. Hadrian und Augustus

Zwar bestand das Mausoleum Augusti aus zwei ineinander eingelassenen Zylin­ dern und besaß eine Höhe von 40–45 Metern sowie einen Durchmesser von 87 Metern. Allerdings verschmälerte sich der Sockelzylinder durch Gänge beinhaltende Ring­ mauern nach oben zunehmend und war mit Erde aufgeschüttet und mit Bäumen bepflanzt. Daraus ragte zentral der zweite, schmalere Zylinder empor, auf dem bis zum Podest einer Kolossalstatue des Augustus wiederum ein bepflanzter Erdhügel aufgeschichtet war.71 Sowohl das Augustus­ als auch das Hadrian­Mausoleum waren also wohl mit Erdaufschichtungen versehen und erschienen damit als Grabhügel; beide besaßen eine ähnliche Höhe und Breite und waren von einem Bildnis des je­ weiligen kaiserlichen Bauherrn bekrönt. Allerdings waren die Differenzen zwischen den beiden Bauwerken ungleich prononcierter: Nicht nur verwendete Hadrian für sein Mausoleum eine Quadriga anstelle einer Kolossalstatue, auch die Zylinder, aus denen beide Grabbauten teils bestanden waren auf verschiedene Arten gefertigt und unterschieden sich deutlich in ihrem Erscheinungsbild.72 Vor allem aber ruhte nur das hadrianische Mausoleum auf einem rechteckigen Fundament, während die an­ zunehmende Erdaufschüttung und Bepflanzung des großen Zylinders im Gegensatz zum augusteischen Grabmal nicht durch eine Stufung unterbrochen war. Damit nahm das Mausoleum Hadriani gleichzeitig auf zwei antike Gebäudetypen Bezug und kombinierte diese: die traditionellen etruskisch­italischen tumulus­Gräber und den namengebenden hellenistischen Grabtypus des Mausoleums.73 Zwar waren helle­ nistische Mausoleen komplett rechteckig (bezüglich der Rundform griff das Vorbild der tumuli), doch übernahm Hadrian von ihnen das Bauprinzip ineinander geschich­ teter Zylinder. Zudem besaß sowohl der Urtyp des Maussolos von Halikarnassos als auch der hadrianische Bau wahrscheinlich ein Statuenprogramm und war von einer Quadriga bekrönt.74 Zwar sind beide Vorbilder antiker Grabmonumente auch am Augustus­Mausoleum auszumachen,75 doch waren ihre Einflüsse am hadrianischen Bau jeweils ungleich expliziter und augenfälliger.76 Somit orientierte sich das Mau­ soleum Hadriani in Aufbau und Ausstattung ohne den Umweg über das Mausoleum Augusti, das den Blick auf spezifische Charakteristika möglicherweise eher verstellt hätte, direkt an den tradierten und traditionellen Vorbildern. Eine Augustus­Nach­ ahmung lag folglich nicht vor. Bedeutet das nun aber, dass Hadrian mit seinem

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Zur Rekonstruktion des Mausoleum Augusti siehe von Hesberg/Panciera (1994); Davies (1996) 733–736; Platner/Ashby (1929) 332–335; Zanker (42003) 80–84 mit Abb. 57–59; Nash (1962) 38–43 mit Abb. 719–725; Boatwright (1987) 164 sowie die bald nach der Errichtung entstandene Beschreibung in Strab. Geogr. 5,3,8. Siehe Boatwright (1987) 179. Eisner (1979) 321–324; vgl. Giustozzi (2003) 26f; vgl. auch Richard (1970); Boatwright (1987) 179. Siehe Jeppesen (1998) 161–231; Jeppesen (1976) 47–99; Opper (2008) 216. Während das Maussolleion Bildnisse der Dynastie präsentierte, waren auf dem hadrianische Bauwerk wohl römische summi viri dargestellt. Siehe dazu Zanker (42003) 82f; Eisner (1979) 319–324. Siehe auch Opper (2008) 216: „In total, these remains suggest a monument more similar in the richness of its sculptural decor to the Mausoleum of Halicarnassos, one of the wonders of the ancient world, than the tomb of Augustus with its sombre tree­lined earthen mound“; siehe zudem Boatwright (1987) 179; Liverani (2001) 18.

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Mausoleum keinerlei Augustus­Bezüge intendierte? Dio jedenfalls identifiziert nur praktische Erwägungen für einen zweiten Mausoleenbau: „Er [= Hadrian] wurde beigesetzt in unmittelbarer Nähe des Flusses beim Pons Aelius, wo er seine Ruhestätte hatte anlegen lassen; denn das Grabmal des Augustus war voll, und niemand wurde seitdem mehr dort bestattet.“77

In der Tat ist Hadrians Vorvorgänger Nerva der letzte Princeps, der im Mausoleum Augusti beigesetzt wurde.78 Doch gerade in diesem Sachverhalt liegt ein über reinen Pragmatismus hinausgehendes Motiv für den Bau des Mausoleum Hadriani begründet. Traian hatte mit seiner Entscheidung, seine Überreste im Sockel seiner Säulen auf seinem Forum und somit innerhalb des Pomeriums beisetzen zu lassen, nicht nur mit den traditionellen und nahezu unumstößlichen römischen Bestattungsregularien ge­ brochen. Vielmehr brach er auch mit der bisherigen Praxis der Beisetzung römischer Principes in einem Grabmonument der Dynastie bzw. der Vorgänger.79 traian suchte sich also, auch seiner sonstigen Selbstdarstellung als optimus entsprechend, über seine Vorgänger und nicht einfach in die Traditionen des Prinzipats zu stellen, sondern seine singuläre Position zu unterstreichen. Mit dieser Entscheidung nahm er aber gleichzei­ tig auch seinem Nachfolger die Möglichkeit, sich in die Tradition der bisherigen Principes im Allgemeinen sowie der dynastischen Nachfolge des Vorgängers im Be­ sonderen zu stellen. Verblüffend daran ist zunächst, dass Hadrian, der sich als neuer Princeps und unter Verweis auf Regelhaftigkeit problemlos über die traianische Ver­ fügung seiner Bestattung innerhalb des Pomerium hätte hinwegsetzen können, genau dies nicht tat. Diese Entscheidung geht nicht nur in der zeitlichen Abfolge, sondern auch intentional mit dem postumen Triumph für Traian einher. Hadrian ließ die gezielte Differenzbildung Traians gegenüber dem bisherigen Prinzipat zu, vollzog aber selbst durch den Bau seines neuen Mausoleums eine Kehrtwende, die ihm nun selbst die größtmögliche Differenzbildung gegenüber Traian ermöglichte. Dies tritt in Ausrichtung und Standort des Mausoleum Hadriani klar zu Tage: Der gleichzeitig errichtete pons Aelius führte direkt auf das Hauptportal der Grabstätte zu und war mit der Via Recta, an die sich zahlreiche Gebäude des am gegenüberliegenden Ufer befindlichen Campus Martius, allen voran das Pantheon, lagerten, axial in nahezu rechtem Winkel verbunden.80 Daraus ist zu schließen, dass das Mausoleum, obgleich eigentlich als private Bauinitiative jenseits des Pomeriums errichtet, dem Baukontext des Campus Martius visuell als zugehörig präsentiert werden sollte bzw., noch radi­ kaler, eine Erweiterung des Campus Martius schuf. Die Relevanz der die Verbindung schaffenden Brücke ging auch aus ihrer Prägung auf hadrianische Medaillons hervor, was den intentionalen Charakter des Bauvorhabens offenbart.81 Somit erhielt das 77 78

Cass. Dio 69,23,1. Epit. Caes. 12,12; siehe auch Platner/Ashby (1929) 134; Nash (1962) 38; Davies (1996) 733; Kienast (1980) 410; Boatwright (1987) 164; Knell (2008) 48f. 79 Die flavischen Principes wurden in der von Domitian errichteten aedes gentis Flaviae beige­ setzt, von der sich zwar keine architektonischen Überreste erhalten haben, die aber in Suet. Dom. 17,3 Erwähnung findet; zu weiteren literarischen, epigraphischen und numismatischen Verweisen siehe Darwall­Smith (1996) 159–165; Boatwright (1987) 164; Opper (2008) 211. 80 Siehe dazu die Karte bei Boatwright (1987) 34, Ill. 1. 81 Boatwright (1987) 171; 176–179; Knell (2008) 53 mit Abb. 43; 55; Opper (2008) 212; 216. Zur

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eigentlich private Monument eine wesentliche Rolle in einem Bereich Roms, der für seine glanzvollen Bauten berühmt82 und für Hadrian, wie bereits für Augustus, eine der zentralen Wirkungsstätten seines Bauprogramms war. Auf diese Weise bildete das Mausoleum Hadriani sogar einen visuellen Kulminationspunkt: Der Campus Martius lief geradewegs auf ein Gebäude zu, dessen Bedeutung das Gedenken an jenen Princeps war, dem man den neuen Glanz des Areals und damit auch den Glanz Roms zu ver­ danken hatte, wie nicht zuletzt die das Gesamtwerk überschauende Quadriga auf dem Mausoleum verdeutlichte. Hadrian schuf also durch die Errichtung eines neuen dy­ nastischen Grabmals an ebenso prominentem wie traditionellem Platz einen ideellen Augustus­Bezug, der jenseits jeglicher visueller Kopie funktional war. Durch die Ein­ schreibung in die Geschichte Roms und die Anknüpfung an ihre augusteischen Evi­ denzen hatte Hadrian sein Prinzipat aufs Expliziteste gegen das traianische positioniert. Ein weiterer archäologischer Befund vermag diese Zielsetzung zu unterstreichen: Bereits in der späten Republik erfreuten sich Girlanden­ und Rankenmotive vor allem in Friesen besonderer Popularität.83 Am beliebtesten war der Bukranienfries, eine bildliche Darstellung von jeweils zwei skelettierten Rinderschädeln, an denen soge­ nannte bucrania, Girlanden aus diversen Laubarten, die in der Regel auch mit Früch­ ten versehen waren, aufgehängt waren. Zudem befanden sich, gemäß hellenistischen Vorbildern, über diesem Motiv häufig Abbildungen von Opfergerät.84 Eine Ergänzung des Formenrepertoires und eine Perfektionierung der plastischen Ausgestaltung erfuhr der römische Bukranienfries schließlich im augusteischen Prinzipat,85 beispielsweise auf der inneren Altarumhegung der Ara Pacis. Dieser qualitativ herausragende und prägende Bukranienfries korrespondierte in seiner Aussageabsicht mit den übrigen Reliefs des Altars – erinnert sei nur an die vielfachen Rankendarstellungen und das Relief der ‚Fruchtbarkeitsgottheit‘. Hinzu tritt in einer Prozessionsdarstellung die Fa­ milie des Augustus. Der erste Princeps demonstrierte folglich auf der Ara Pacis seine allüberlegene Leistungsfähigkeit und garantierte dem Reich Blüte und Wohlergehen.86 Seit spätflavischer Zeit ersetzte vermehrt der Fruchtgirlandenfries, teils mit Eroten­ Bildnissen, die Darstellung von Bukranien und Opfergegenständen.87 Die Architekturfriese des Mausoleum Hadriani bilden eine beachtenswerte Aus­ nahme. Hier erschienen an Rinderköpfen aufgehängte Girlanden, der untere Fries war mit Opfergerät kombiniert. Der Archaismus dieser Darstellung war bezeichnend.

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Abbildung der Brücke auf späthadrianischen Medaillons siehe Mittag (22012) 102f mit Anm. 376–378; Taf. 56, Kat. Hadr 94,1; 94,2; Taf. 65; Kat. Hadr. 126; Gnecchi (1912) Adriano N. 51f; Tav. 42., N. 4. Zur Datierung des pons Aelius auf das Jahr 134 siehe die Angabe der tribunicia potestas in CIL VI 973; siehe auch Fündling (2006) K 416 (19,11). Siehe de Fine Licht (1968) 227–230 mit einem Überblick über die baulichen Entwicklungen des Campus Martius vom 3. Jahrhundert v. Chr. über ihren Höhepunkt während des Prinzipats des Augustus bis in nachhadrianische Zeit; Knell (2004) 25–28; 35; 57–63; 66–72; siehe insbes. 57 Abb. 60; zu Ausbau und Bedeutung des Marsfelds im augusteischen Prinzipat siehe Zanker (42003) 144–148; siehe zudem im Folgenden. Siehe Grüßinger (2001) 65–74. Grüßinger (2001) 66; zu Bukranienfriesen und Girlandentypen im Allgemeinen siehe 14–17. Siehe Grüßinger (2001) 65–74. Zanker (42003) 122–124; siehe auch 184–188. Siehe Grüßinger (2001) 74–85; 102–111.

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Allerdings handelte es sich hier nicht um Reliefabbildungen von skelettierten Rinder­ schädeln, sondern von fellbedeckten Rinderköpfen, den sogenannten bukephalia. Nun war der Bukephalienfries bereits in voraugusteischer Zeit in Mittelitalien nicht mehr gängig.88 Ralf Grüßinger plädiert daher für einen Einfluss von zeitgenössischen Bukephaliendarstellungen aus dem griechischen Osten, beispielsweise der Friese am Markttor von Milet und am Parthermonument von Ephesos.89 ohne nun die Richtung des Einflusses ausmachen zu können, ist zumindest zu konstatieren, dass das Dekorationsmodell während des hadrianischen und frühantoninischen Prinzipats ein charakteristischer Typus kaiserliche Repräsentationsmonumente im Reich war. So konnten Bukephaliendarstellungen in beiden Bereichen unterschiedliche Rezep­ tionen hervorrufen: Partizipierte der Princeps damit im Osten an einer im späten ersten Jahrhundert aufkommenden modischen Bauästhetik, suchte er in der urbs durch ihre Verwendung auf die große römische Vergangenheit zu verweisen und so seine Verpflichtung gegenüber den Sitten der Ahnen zu demonstrieren. Dazu passt auch, dass es sich beim Mausoleum Hadriani um ein Grabmal als traditionellem Ort für Bukranien­ und Bukephalienfriese handelte.90 Darf dann bei den Bukephalienfriesen des Bauwerks aber überhaupt von einer Bezugnahme auf Augustus bzw. auf augusteisches Bauen gesprochen werden?91 wie gezeigt, gehörten Bukranien­ und Bukephaliendarstellungen in ihrer Kombination mit Opfergerät und Girlanden in den sakralen Bereich von Fest und Ritual92 und verwiesen auf Fülle und Fruchtbarkeit. So sind zwar Ara Pacis und Mausoleum Hadriani unterschiedliche Gebäudetypen mit unterschiedlicher Funktion, doch stand bei beiden der Herrscher und die Blüte des Zeitalters aufgrund von dessen Leistun­ gen im Mittelpunkt. Indem darüber hinaus auf die jeweilige gens des Princeps ver­ wiesen wurde, vermittelten, jenseits einer simplen Nachahmung von Adoptionsakten durch Hadrian, beide Monumente ein Bemühen um Dynastiebildung. Dennoch han­ delte es sich bei der Wahl von Bukephalien für die Friesgestaltung des Mausoleum Hadriani um einen Rückgriff auf Darstellungskonventionen republikanischer Zeit. Dieser sichtbare Archaismus war besonders geeignet, einen Neuanfang für das Im­ perium anzudeuten. Um die Selbstbeschreibung als Urheber eines solchen Neube­ ginns war Hadrian jedoch auf gleiche Weise bemüht wie einst Augustus. So wurden sowohl bei der Gestaltung der Ara Pacis als auch bei jener des Mausoleum Hadriani im Feld determinierte oder zumindest erinnerte Bilder der römischen Geschichte aufgerufen und ex eventu als bedeutende, dem Reich förderliche Traditionen definiert. 88 Siehe Grüßinger (2001) 115; siehe auch Börker (1975) 244–250. 89 Siehe Grüßinger (2001) 116–118; zu den Bukephalienfriesen am Markttor von Milet siehe Strocka (1981) 31–35 mit Abb. 28–31; zu jenen am Parthermonument von Ephesos Oberleitner/ Gschwantler/Bernhard­Walcher/Bammer (1978) 68–75, Abb. 50–54 sowie 90–92, Nr. 84f mit Abb. 71. 90 Siehe Grüßinger (2001) 64f ;121f. 91 Zwar haben Hesberg/Panciera (1994) 53 mit Anm. 350 argumentiert, dass auch am Mausoleum Augusti Girlandenfriese angebracht gewesen sein könnten, doch hat Grüßinger (2001) 116 gezeigt, dass zumindest die durch die beiden Forscher im Dienste ihrer Hypothese herangezogenen Frag­ mente nicht vom Mausoleum Augusti, sondern von einem Sarkophag des zweiten Jahrhunderts n. Chr. stammen. 92 Siehe Grüßinger (2001) 118; Börker (1975) 244–250.

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Ihr Aufgreifen produzierte die Aussage, dass der jeweilige Princeps das Imperium Romanum durch den Rückgriff auf althergebrachte Tugenden und Leistungen zu neuer alter Blüte führe, im Grunde also neu erschaffen werde. Möglicherweise wird also hier visuell unterstrichen, was Hadrian praktisch vornahm: die Rückkehr zum Marsfeld als traditionellem imperialen Bestattungsraum für sich selbst, für seine Familie und für die zukünftigen Principes nach der exzeptionellen und singulären Bestattung des Traian innerhalb des Pomeriums. Somit evozierte Hadrian auch in diesem Bereich der Selbstrepräsentation die Imago des Neugründers. Schließlich ist, bei aller Varianz der beiden kaiserlichen Mausoleen, eine be­ zeichnende Reminiszenz des Hadrian­Mausoleums auf den Vorläufer zu konstatieren: Die Bukephalienfriese des Zylinders, die anstelle von Opfergerätschaften mit Schil­ den dekoriert waren und damit einen einzigartigen Typus des Girlandenfrieses bil­ deten, erinnern an die Verblendung des oberen Zylinders des Augustus­Mausoleums mit echten Schilden und Waffen.93 Die Kombination der Schilde mit den Bukepha­ lienfriesen und ihrem sakralen, auf das Opfer verweisenden Charakter auf dem Monument Hadrians erzeugen aus zwei differenten Augustus­Bezügen eine voll­ kommen neue, allerdings in traditionelles Gewand gekleidete Bedeutung: Die Waffen ruhen im Wohlstand und der Fruchtbarkeit des ‚neugegründeten‘ Reiches. Der Akt des Bauens und die Selbstdarstellung durch die errichteten Bauwerke war Zielsetzung eines jeden Princeps, wurde jedoch von diesen auf unterschiedlichste Art und mit unterschiedlichsten Intentionen umgesetzt. So visualisierte und propa­ gierte die von Hadrian errichtete Grabstätte gewissermaßen die Kulmination der gesamten Prinzipatszeit in der hadrianischen Herrschaft. Dies sollte auch durch die zahlreichen Linien des Marsfelds verdeutlicht werden, die, wie gezeigt, auf das im Entstehen begriffene Monument zuliefen: Ein saeculum aureum hatte sich, nach vorgeblich augusteischem Vorbild, durch die Leistungen und die überlegene auctoritas des Princeps Hadrian aufs Neue erhoben. Nun galt es durch weiteres Wirken dessen Bestand zu garantieren. Es darf also festgehalten werden, dass Hadrian bei der Errichtung des Mauso­ leums in der Tat Verweise auf Augustus zu evozieren suchte, diese aber innovativ gemäß aktuellen Zeitgegebenheiten und Modifikationen seines sozialen Felds neu fasste und zur Differenzbildung gegenüber Traian nutzte: Wie Augustus und Agrippa machte Hadrian das Marsfeld zum zentralen Bereich seiner stadtrömischen Bautä­ tigkeit sowie seiner Selbstdarstellung und ­profilierung. So errichtete er an seinem Rand auch das erste imperiale Mausoleum seit augusteischer Zeit. Das Bild der augusteischen Herrschaft als Goldenes Zeitalter war fest und dauerhaft in das Feld der res publica eingeschrieben. Hadrian machte sich die Monumente dieses Zeital­ ters zunutze, da diese noch immer im Stadtbild vertreten waren und mit den Augustus zugeschriebenen Leistungen assoziiert wurden. So suchte er sich durch umfangrei­ che Rekurse auf das augusteische Bauprogramm als würdiger Nachfolger des ersten Princeps und Erneuerer seiner Leistungen zu vermarkten. Die Bezugnahme auf ‚Au­ gusteisches‘ diente also dem Entwurf eines spezifischen Profils des Princeps Hadrian, der sich in der Nachfolge und nach dem Vorbild des Augustus als Neubegründer des 93

Grüßinger (2001) 119; von Hesberg/Panciera (1994) 53.

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Reichs und Stifter allgemeinen Wohlergehens akzeptiert zu werden bemühte. Das bedeutet, es war nicht die Kopie des Monuments selbst, sondern die grundsätzliche Idee eines Mausoleenbaus und dessen spezifische Präsentation, die in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. eine entsprechende Deutung erzeugte. Folg­ lich kam es bei den hadrianischen Rekursen auf Augustus eben nicht, wie in der Forschung allzu häufig behauptet, auf ‚Augustus­Nachahmung‘, d. h. Reproduktion augusteischer Produkte, an, sondern auf die Evozierung von mit Augustus identifi­ zierten Handlungskomplexen. Wenn Hadrian als neuer Augustus betrachtet werden kann, dann in diesem innovativen, seiner eigenen Programmatik dienlichen Sinn im Kontext zur Verfügung stehender Augustus­Bilder seiner Zeit, die grundsätzlich jedem Princeps zur eigenen Ausformung und weiteren Transformation zur Verfügung standen.94 Für Hadrian diente der Zugriff auf diese Augustus­Bilder dem Ziel, sich des traianischen Erbes zu entledigen und mittels der Alterität seiner Selbstdarstellung die Eigenständigkeit seines Prinzipats zu betonen. Dabei ist sein Rekurs auf Augustus nicht nur am Münzprogramm abzulesen und aus der Verweisstruktur des Mausoleum Hadriani zu erschließen, sondern kommt noch expliziter am weiteren hadrianischen Bauprogramms zum Ausdruck, das sich in Rom selbst primär der Renovierung oder Neuerrichtung, kurz der restitutio, augusteischer Bauwerke widmete. Die hadrianische restitutio augusteischer Bauwerke In der antiken Historiographie wird der hadrianischen Bautätigkeit breiter Raum gegeben. Dabei berichtet die vita Hadriani der Historia Augusta über Mausoleum und Pons Aelius hinaus von einem Programm, das nicht primär auf die Schaffung von Neubauten abzielte: „Obwohl er allerorten eine Unmenge von Bauten errichtet hatte, brachte er niemals seinen ei­ genen Namen an, ausgenommen den Tempel seines Vaters Traian. Zu Rom restaurierte er das Pantheon, die Saepta, die Basilica Neptuni, viele Tempel, das Forum Augusti, die Thermen des Agrippa, und dies alles weihte er unter dem Namen der ursprünglichen Schöpfer. Er baute auch unter seinem Namen eine Brücke und ein Grabmal am Tiber und den Tempel der Bona Dea. Durch den Architekten Decrianus ließ er auch den Koloss in senkrechtem Schwebezustand von der Stätte, wo nun das Templum Urbis steht mit so gewaltigem Kraftaufwand versetzen, bot er doch für den Transport sogar 24 Elefanten dar. Und da er diese Statue, die ursprünglich Neros Züge, für den sie zuvor bestimmt gewesen war, aufwies, Sol geweiht hatte, wurde auf den Rat des Architekten Apollodorus hin geplant, eine ähnliche der Luna zu fertigen.“95 94 95

Freilich griffen nicht alle Principes auf (zeitgenössische) Augustus­Bilder zurück. SHA Hadr. 19,9–13: „cum opera ubique infinita fecisset, numquam ipse nisi in Traiani patris templo nomen suum scripsit. Romae instauravit Pantheum, Saepta, Basilicam Neptuni, sacras aedes plurimas, Forum Augusti, Lavacrum Agrippae; eaque omnia propriis auctorum nominibus consecravit. fecit et sui nominis pontem et selpulchrum iuxta Tiberim et aedem Bonae Deae. transtulit et Colossum stantem atque suspensum per Decrianum architectum de eo loco in quo nunc Templum Urbis est, ingenti molimine, ita ut operi etiam elephantos viginti quattuor ex­ hiberet. et cum hoc simulacrum post Neronis vultum, cui antea dicatum fuerat, Soli con­ secrasset, aliud tale Apollodoro architecto auctore facere Lunae molitus est.“ Zu der problema­ tischen Übersetzung von 19,12 siehe Fündling (2006) K 418 (19,12); K 420 (19,12) sowie jener von 19,13 K 423 (19,13).

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Wie das hier verwendete Verb instaurare, ein Synonym für restituere, markiert, kon­ zentrierte sich das hadrianische Bauprogramm auf die Wiederherstellung von tradi­ tionell im Stadtbild verankerten Bauwerken und Plätzen. Als restituierte Bauwerke genannt werden das Pantheon, die Saepta Iulia, die Basilica Neptuni, nicht weiter spezifizierte Tempel, das Forum Augustum sowie die Agrippa­Thermen. Als Neu­ bauten werden eine Kultstätte für Traian, der Pons Aelius und das Mausoleum Ha­ driani sowie ein Tempel für Bona Dea erwähnt. Letzterer könnte sich, wie der Zu­ sammenschluss mit Brücke und Grabmal in einem Satz nahelegt, in unmittelbarer Nähe zu den beiden Monumenten befunden haben, doch wurden weder durch Gra­ bungen Überreste zu Tage gefördert, noch ist ein hadrianisches Bauwerk für die Göttin durch zusätzliche Evidenzen verbürgt.96 Der (wohl bereits unter Vespasian) zu Sol umgestaltete Koloss des Nero erfuhr der vita Hadriani zufolge eine Verlegung und Neuweihung;97 es handelte sich also auch hierbei um eine Wiederherstellung. Das Standbild für Luna wurde, sofern tatsächlich jemals vorgesehen, nicht realisiert.98 Schließlich wird noch ein weiteres Bauwerk erwähnt, das Hadrian zwar nicht expli­ zit zugeschrieben wird, bei dem es sich aber zweifellos um sein eigenes und größtes Bauprojekt handelte, für das auch der Koloss von seinem bisherigen Platz zu weichen hatte:99 das „Templum Urbis“, der Tempel für Venus und Roma.100 Diese Darstellung der vita Hadriani wirft auf den ersten Blick ein gewisses Problem auf. Hier wird gleich zu Beginn der Schilderung des stadtrömischen Bau­ programms erklärt, Hadrian habe s0ich, mit Ausnahme der Errichtung eines Tempels

96 Zur Zusammenfassung der Diskussion um einen hadrianischen Bona Dea­Tempel siehe Kuhl­ mann (2002) 160–162 und Fündling (2006) K 417 (19,11), die sich allerdings trotz des dargestell­ ten und bestätigten vollständigen Fehlens von Nachweisen für eine Wiederherstellung des Haupttempels der Bona Dea Subsaxana aussprechen; so auch Boatwright (1987) 212–218. Einziges Indiz dafür ist, dass unter den in der zitierten Passage allgemein erwähnten zahlrei­ chen aedes, die wiederhergestellt wurden, das Auguratorium stillschweigend berücksichtigt worden sein könnte, dessen Wiedererrichtung Hadrian vermutlich vorgenommen hat. So soll Romulus an der Stelle des zukünftigen Auguratoriums, Remus an jener des später errichteten Tempels der Bona Dea Subsaxana ein Vogelzeichen erhalten haben (siehe Fündling (2006) K 412 (19,10); K 417 (19,11)). Da Nachweise für ein solches Textkonstrukt jedoch ebenso fehlen wie archäologische Evidenz für einen wo auch immer zu situierenden und wann auch immer errichteten Bona­Dea­Tempel, ist eine weitere Auseinandersetzung mit dem letztgenannten angeblichen Monument wenig zielführend. 97 Zum Koloss des Nero siehe Plin. nat. 34,45f; Suet. Nero 31. Zur Forschung bezüglich dieser größten Statue der Antike siehe Bergmann (1994) 7–17; Fündling (2006) K 418 (19,12); K 420 (19,12); K 421 (19,13); Boatwright (1987) 128; vgl. Kuhlmann (2002) 162–165. Der Austausch des Kopfs des Standbilds darf auf Basis von Plin. nat. 34,45 und Suet. Vesp. 18 vermutet werden. Siehe auch Cass. Dio 66,15,1, der auch berichtet, der Koloss sei erst 75 n. Chr. und somit in flavischer Zeit auf der Via Sacra aufgestellt worden, was nicht zu beweisen, aber, bedenkt man die Ersetzung des Haupts der Monumentalstatue, gut möglich ist; für die Verlegung und Neu­ einweihung durch Hadrian würde sich hierdurch jedenfalls nichts ändern. 98 Fündling (2006) K 422 (19,13) geht von einer „Eigenkreation des Autors“ der SHA aus; siehe auch K 423 (19,13); vgl. Kuhlmann (2002) 163f, der trotz fehlender Belege von der Errichtung einer Luna­Statue ausgeht. 99 Siehe Fündling (2006) K 418 (19,12); Kuhlmann (2002) 163. 100 Siehe zu dem Tempel Fündling (2006) K 419 (19,12); siehe auch Kuhlmann (2002) 163.

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für Traian als Akt der pietas,101 niemals („numquam“) inschriftlich als Gebäudestif­ ter verewigt. In aller Deutlichkeit ist diesbezüglich darauf hinzuweisen, dass sich diese Aussage allein auf die urbs bezieht.102 Das geht schon aus dem Aufbau des 19. Kapitels der vita Hadriani hervor: Nach einer Auflistung der Übernahme lokaler ämter durch den Princeps, wird von seiner reichsweiten Tätigkeit als Bauherr und Spender von Spielen, insbesondere in Athen, berichtet.103 Im Anschluss kommt die Vita auf die Spiele in Rom zu sprechen, die relativ ausführlich geschildert werden.104 Erst darauf folgt die hier zitierte Passage zum hadrianischen Bauprogramm, die durch diesen literarischen Kontext, der Bewegung von den Provinzen auf Rom zu, mit Sicherheit auch auf die urbs bezogen ist. Zwar wird diese im ersten zugehörigen Satz nicht erwähnt und äußerst vage von Bauten ohne hadrianische Inschriften allerorten oder überall („ubique“) berichtet, doch sichert der Standort im Text die Aussage ab, dass damit das gesamte Stadtgebiet, womöglich unter Einbeziehung des Umlands von Rom, gemeint ist.105 Soweit die literarische Ausgestaltung der hadrianischen Baupraxis in der urbs. Allerdings werden im nächsten Satz mit dem Pons Aelius und dem Mausoleum Hadriani zwei Monumente, die der Princeps „sui nominis“ erbaut habe, genannt;106 der Name des Princeps spiegelt sich bis heute in ihren Namen wieder. Es ist nicht unmöglich, dass die beiden Gebäude erst nach Hadrians Tod diese explizite Benen­ nung erfuhren, die dann von der Historia Augusta und von Dio übernommen wurde. In jedem Fall führen die epigraphischen Zeugnisse zur Errichtung beider Bauwerke nicht ihre nun gängigen Namen: Das Grabmal trägt eine antoninische Inschrift, die das Monument Hadrian und Sabina weiht,107 die Brücke eine simple Bauinschrift 101 So Fündling (2006) K 407 (19,9); siehe auch K 408 (19,9). Die Inschrift des verlorenen Tempels ist fragmentarisch erhalten und bestätigt die Aussage der vita Hadriani: [e]x s(enatus) c(onsulto) divi[s Tr]aiano Parthico et [Plotinae] / [Imp(erator) Caes[ar di]vi Traiani Parthici [f(ilius)] divi N[ervae] / [nepos Traia]nus Hadrianus Aug(ustus) pont(ifex) m[ax(imus)] / [trib(unicia) pot(estate) 3] co(n)s(ul) III parentibus sui[s] (CIL VI 966; 31215 = ILS 306); vgl. dzu Orlandi (2012) 43–46. Den Versuch einer neuen Lokalisierung des Tempels auf dem Forum Traianum unternimmt Claridge (2007) 55–94; siehe auch Claridge (2013) 5–18. Letztlich ist der Tempel aber überhaupt nicht mehr zu situieren: siehe dazu zusammenfassend Strobel (2017) 61–66. 102 Davon geht auch Willers (1990) 93 aus, der für Athen auf Inschriften für Hadrian an Ehrenbö­ gen verweist; auch Fündling (2006) K 407 (19,9) spricht sich für die Existenz von Ehrenin­ schriften für Hadrian zu dessen Lebzeiten aus. Horster (2001) 84–87 nennt zahlreiche nament­ liche Bauinschriften Hadrians aus den Provinzen, die durch den Gebrauch des Verbs „restituit“ eindeutig Wiederherstellungen kennzeichnen, was meist sogar ohne Benennung des jeweiligen Ersterrichters geschieht (Horster (2001) 31–38). Siehe auch Velaza (2005) 260f. 103 SHA Hadr. 19,1–3. 104 Zunächst wird in SHA Hadr. 19,4 festgehalten, Hadrian habe nie einen Venator oder Schauspie­ ler aus Rom zugunsten der Provinzen abgezogen, darauf folgt 19,5–8 die Beschreibung der hadrianischen ludi in Rom. 105 Hierzu bereits mit einer Sammlung der in der Historia Augusta gebrauchten Ausdrücke „von Bautätigkeit und Statuenaufstellung in vielen Städten“ Horster (2001) 27, Anm. 73; siehe auch Fündling (2006) K 407 (19,9); vgl. Velaza (2005) 258f. 106 SHA Hadr. 19,11. 107 ILS 322: Imp(eratori) Caesari divi Traiani Parthici filio divi / Nervae nepoti Traiano Hadriano Augusto / pont(ifici) max(imo) trib(unicia) pot(estate) xxII imp(eratori) II co(n)s(uli) III

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(„fecit“).108 Trotz dieser möglichen Interpretation ist die Widersprüchlichkeit der Aussage namentlicher Bauherrenschaft Hadrians in der vita Hadriani kaum auf solch simple Weise aus dem Weg zu räumen: Auf der textuellen Ebene ist die Wendung „sui nominis“ nicht überzeugend zu widerlegen, während im materiellen Befund der Mangel einer hadrianischen Bauinschrift durch die wahrscheinliche statuarische Präsenz Hadrians auf einer Quadriga, welche die Spitze des höchsten Bauwerks von Rom bildete, mehr als ausgeglichen wurde. Nach Jörg Fündling greift an dieser Stelle ein literarischer Topos, der die pietas des römischen Princeps unter anderem an seiner modestia im Bauprogramm misst, die häufig durch den Verzicht auf das Set­ zen einer Bauinschrift im eigenen Namen gekennzeichnet wird, zum Ausdruck kom­ men sollte.109 Interessanterweise handelt es sich bei der Sammlung entsprechender biographischer und historiographischer Passagen, in denen Principes auf eine Bau­ inschrift im eigenen Namen verzichten (oder nach Maßstab der Autoren besser ver­ zichtet hätten) stets um Reparaturen, Renovierungen, Erweiterungen oder Neuwei­ hungen bereits bestehender Gebäude, die im Namen ihres Urhebers wiedererstehen sollten.110 Folglich ist der vita Hadriani hier keine versehentliche Selbstwiderlegung und wohl auch keine Ironie oder Kritik zu unterstellen, wie in der Forschung gele­ gentlich vermutet wurde.111 Dem Topos entsprechend wird Hadrians Verzicht auf die eigene Namensangabe in Rom nur in Fällen von Wiederherstellungen gerühmt und gilt nicht für neu errichtete Bauwerke. Wenn der Blick damit auf die in ungewohnt großem Umfang unternommenen Wiederherstellungsarbeiten gelenkt wird, ist daher zunächst einmal zu prüfen, wel­ che als tradiert geltende Inschriften Hadrian an den jeweiligen Gebäuden anbrin­ gen ließ, d. h. wem er diese dedizierte bzw. wem diese dediziert blieben. Der vita Hadriani zufolge weihte er sie im Namen ihrer Ersterrichter neu112. Wer aber wa­ ren diese? Der Befund ist eindeutig: Neben den nicht spezifizierten zahlreichen Tempeln113 und dem Forum Augustum wurden die übrigen benannten Wiederher­ stellungen an von M. Vipsanius Agrippa errichteten Bauten vorgenommen.

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p(atri) p(atriae) et divae Sabinae / Imp(erator) Caesar T(itus) Aelius Hadrianus Antoninus Aug(ustus) Pius / pontifex max(imus) tribun(icia) potest(ate) II co(n)s(ul) II design(atus) III p(ater) p(atriae) / parentibus suis. CIL VI 973: Imp(erator) Caesar divi Traiani Parthici filius / divi Nervae nepos Traianus Hadrianus / Augustus pontif(ex) maxim(us) tribunic(ia) potest(ate) / xVIII co(n)s(ul) III p(ater) p(atriae) fecit. Siehe Fündling (2006) K 407 (19,9). Suet Aug. 31,5 („itaque et opera cuiusque manentibus titulis restituit“); Cass. Dio 60,6,8f; Suet. Dom. 5 („Plurima et amplissima opera incendio absumpta restituit […]; sed omnia sub titulo tantum suo ac sine ulla pristini auctoris memoria“); Cass. Dio. 68,7,2f. Die von Fündling (2006) K 407 (19,9) vorgeschlagene Passage Suet. Aug. 29,4, in der von Augustus’ Errichtung diverser Neubauten („opera […] fecit“) unter Verzicht auf die eigene Namensnennung berich­ tet wird, gehört nicht zu diesen topischen Schilderungen, da der erste Princeps hier Familien­ angehörige als jeweilige Bauherren benennt und somit gerade nicht auf Rückschlüsse auf seine eigene Person im imperialen Bauprogramm verzichtet. Siehe auch Boatwright (2013) 21f. Siehe auch Fündling (2006) K 415 (19,10); K 416 (19,10); vgl Velaza (2005) 257–272. SHA Hadr. 19,10; vgl. zu Problemen der Textüberlieferung: Fündling (2006) K 415 (19,10). Eine Zusammenfassung der Forschungshypothesen zur hadrianischen Wiederherstellung stadt­ römischer Tempeln (sowie zu Neubauten) bietet Fündling (2006) K 412 (19,10).

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Bedenkt man Agrippas Position als zweitwichtigstem Mann des augusteischen Prinzipats, markiert durch die gemeinsamen Konsulate mit Augustus in den so we­ sentlichen Jahren 28 und 27 v. Chr. sowie durch die gemeinsame Verlängerung des imperium proconsulare (23 und 18 v. Chr.) und der tribunicia potestas (jährlich ab 18 v. Chr.), schließlich durch seine Zugehörigkeit zur Dynastie als potentieller Nach­ folger bzw. als zweiter Stammvater nach der Heirat mit Augustus’ Tochter Iulia 21 v. Chr., war seine enge Verbindung zum ersten Princeps und seiner Herrschaft ein­ deutig gegeben und in Erinnerung geblieben.114 Dies ist auch durch die Darstellung des Agrippa als Mitglied der domus Iulia auf der Ara Pacis offenkundig und darf daher in der urbs als bekannt vorausgesetzt werden.115 Wesentlich ist aber für das Folgende insbesondere Agrippas Bekleidung der Aedilität im Jahr 33 v. Chr., begann er doch in dieser Funktion und zu diesem Zeit­ punkt mit seinem Bauprogramm, das die vornehmlich sakralen augusteischen Bau­ ten durch zivile ergänzte. Auf diese Weise kam es zu einem Zusammenspiel zwischen Monumenten des Augustus und Monumenten des Agrippa, das auch im 2. Jahrhun­ dert noch im Alltagsleben Roms präsent war. Paul Zanker und Dietmar Kienast haben herausgearbeitet, wie Agrippa auf dem bisher unbebauten Marsfeld ein neues, modernes Stadtviertel schuf, das Glanz und Größe Roms und seines Imperiums unter neuer Herrschaft visualisieren und reprä­ sentieren sollte. So wurden im Zentrum des Marsfelds unter anderem die Saepta Iulia, die Basilica Neptuni, die Agrippa­Thermen und natürlich das Pantheon erbaut.116 Folglich tritt in Hadrians Bauprogramm durch die Wiederherstellungsmaßnahmen eindeutig das Bemühen um Augustus­Verweise zutage. Die Intention dieser hadria­ nischen instaurationes gilt es im Folgenden zu ermitteln. M AGRIPPA L F COS TERTIVM FECIT – Das hadrianische Pantheon Das ursprünglich durch Agrippa geschaffene und Cassius Dio zufolge im Jahr 25 v. Chr. vollendete (ἐκτελέω) Gebäude117 war 110 n. Chr. durch einen Blitzein­ schlag stark beschädigt worden, 118 wurde aber in dessen Folge, so die unter

114 Kienast (32004) 72f. Zu einem Versuch der Bewertung der Rang­ und Machtstellung Agrippas sowie deren Wandel siehe Roddaz (1984) 91f; 199–209; 337–381; vgl. Knell (2004) 83–85. 115 Dass die Motivik der Ara Pacis und ihres Prozessionsfrieses, der die Familie des Augustus darstellt, in der gesamten Antike eine entscheidende Rolle spielte, zeigen ihre Restaurierungen, Ausbesserun­ gen und Veränderungen über Jahrhunderte hinweg – u. a. auch während des hadrianischen und antoninischen Prinzipats (siehe Conlin (1997) 47–52). Zur Darstellung des Agrippa in der Szene siehe Holloway (1984) 626–628; Conlin (1997) 80; Fig. 3; Zanker (42003) 126–129 mit Abb. 100 a; b. 116 Siehe Zanker (42003) 144–152; Kienast (42009) 415f; ferner Roddaz (1984) 231–305; Boatwright (1987) 35–37; Shipley (1933) 37–69 und passim. Den ausführlichsten antiken Bericht zum au­ gusteischen Bauprogramm auf dem Marsfeld bietet Suet. Aug. 28,3–30,2; 31,5; eine auf Agrippa fokussierende Darstellung Cass. Dio 53,27,1–4. 117 Siehe Cass. Dio 53,27,2; siehe auch Roddaz (1984) 261f. 118 Oros. hist. 7,12,5 und Hier. chron. a. Abr. p. 195 (ed. Helm); siehe auch Ziolkowski (1999) 54; Knell (2008) 31f; Opper (2008) 111.

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II. Hadrian und Augustus

Berufung auf die vita Hadriani über lange Zeit gängige These, durch Hadrian wiedererrichtet und zwischen 125 und 128 fertiggestellt.119 Der Bau besteht in einer den äußeren Gesamteindruck beherrschenden, nach Norden ausgerichteten Giebelfront, an die ein achteckiges Propylon, das als Pronaos dient, anschließt. Darauf folgt ein Mittelschiff, das durch seine innere Ausführung als Tonnengewölbe direkt in die als Rotunde ausgeführte Haupthalle mündet, die von einer Kuppel bekrönt wird.120 Das Propylon, dessen Abmessungen 34,20 × 15,62 Meter betragen, besitzt vier Reihen von jeweils vier korinthischen Säulen und steht gemeinsam mit dem Mittelschiff auf einem 1,32 Meter über dem Bodenniveau ge­ legenen Podest, zu dem auf der Frontseite fünf marmorne Stufen führen. 121 Die Flanken des Pronaos waren an ihrer Innen­ und Außenseite reich geschmückt. Zudem war wohl im Giebel des Pronaos eine corona civica dargestellt.122 Durch die Säu­ lenordnung des Propylons werden drei Gänge geschaffen: Während der breite Mit­ telgang zum Eingang führt, enden die schmaleren seitlichen Gänge in zwei Nischen des Mittelschiffs, das 34,40 Meter hoch ist und dessen Tiefe 4,65 Meter in der Mitte und 9,85 Meter in den Nischen beträgt.123 Auch hier finden sich wiederum zahlreiche reliefierte Dekorationselemente. Insbesondere sind 28 Marmorplatten mit dem tra­ ditionellen Motiv an Kandelabern aufgehängter Girlanden erhalten, über denen sich Opfergerät und ähnliche Bildnisse befinden.124 Durch die Entsprechung des zur Tür­ öffnung führenden mittleren Bereichs in Höhe und Breite zum Mittelgang des Pro­ pylons bildet das Mittelschiff einen Mediator zwischen Pronaos und Haupthalle.125 Hier führt auch ein Treppenhaus in das obere Stockwerk des Gesamtkomplexes, zum Dach der Vorräume sowie zur Kuppel der Haupthalle.126 Die als Rotunde ausgeführte Haupthalle ist an der Außenseite bis zur Erhebung des Kuppelaufsatzes ebenfalls 30,40 Meter hoch, ihr Durchmesser beträgt 56 Meter.127 Die Kuppel besitzt einen Radius von 22,04 Metern und eine Höhe von 21,72 Metern im Mittelpunkt; ihr Dekor besteht in fünf mit zunehmender Höhe kleiner werdenden Reihen von Kassetten, in der obersten Reihe gefolgt von einem undekorierten Ring, der ein Opeion mit einem Durchmesser von 8,92 Metern umgibt, bei dem es sich um die einzig direkte Licht­ 119 Siehe de Fine Licht (1968) 186; Ziolkowski (1999) 56. 120 Zur Dokumentation des hadrianischen Pantheons siehe die eingehende Studie von de Fine Licht (1968) 35–146; die aktuellere Zusammenfassung von Ziolkowski (1999) 57–60; ferner Knell (2008) 12–34; Opper (2008) 110–123; Boatwright (1987) 43–46; Blake/Bishop (1973) 42–48; zur Innenausstattung auch Virgili (1999) 284. 121 Ziolkowski (1999) 57; de Fine Licht (1968) 35–40; siehe auch Knell (2008) 15. 122 Zur Dekoration des Pronaos und der Bronzeverkleidung seines Dachs siehe de Fine Licht (1968) 41–58; insbes. zur corona civica siehe 46; siehe auch Martini (2006) 22; 27; Boatwright (1987) 46; Kuhlmann (2002) 156–158; Ziolkowski (1999) 58; vgl. Heilmeyer (1975) 345; vgl. Herdejürgen (1990) 123–128. 123 Ziolkowski (1999) 58; Knell (2008) 15; siehe auch de Fine Licht (1968) 59–62. 124 Siehe de Fine Licht (1968) 80–84; siehe auch Ziolkowski (1999) 58; Herdejürgen (1990) 128. 125 Ziolkowski (1999) 58; siehe ausführlich de Fine Licht (1968) 85–88; ferner Knell (2008) 15f. 126 Siehe de Fine Licht (1968) 64–72; 96; ferner Knell (2008) 16. Zur Diskussion des Stockwerks über den Vorräumen und der Rotunde sowie die Zugänglichkeit gewisser Teile der Dächer siehe de Fine Licht (1968) 96–100. 127 Ziolkowski (1999) 59; Knell (2008) 15; siehe auch de Fine Licht (1968) 89–102.

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quelle der Halle handelt.128 Der Innenraum des Zylinders weist unterschiedlichste Bau­ und Dekorationselemente auf. Verwiesen sei nur auf die acht Exedren, von denen eine auf der Nordseite als Türöffnung angelegt ist. Darauf folgen im Wechsel rechteckige und apsidale Nischen, deren größte als in die Südwand einschneidende Apsis gestaltet ist. Während in die seitlichen Exedren jeweils zwei korinthische Säulen einbeschrieben sind, die bis zum beschließenden Architrav reichen, besitzt die Südapsis statt des Architravs eine höhere gewölbte Decke und zwei vorgelagerte Säulen. Auf diese Weise wird der Blick beim Eintritt in die Haupthalle von der ausgesparten Exedra des Eingangs direkt auf die durch abweichende Ausgestaltung herausgehobene Südapsis an der gegenüberliegenden Seite gelenkt. Zwischen den Exedren, und damit den acht Hauptpfeilern vorgelagert, befinden sich an der Hallen­ wand acht kleine Aedikulen, die teilweise Dreiecks­, teilweise Rundgiebel besitzen und auf beiden Seiten von Säulen eingerahmt sind. Die sonstige Marmor­ und Bron­ zedekoration bleibt einfachen Mustern verpflichtet, verleiht der Halle aber auch traditionellen Prunk.129 Der Giebel des weitgehend bis heute erhaltenen, restituierten Pantheons trägt eine bronzene Monumentalinschrift, die auffälligerweise auf den Ersterrichter M. Vipsanius Agrippa als Bauherrn verweist: M AGRIPPA L F COS TERTIVM FECIT.130 Gegenüber der lange kanonischen Datierung in Hadrians Zeit, wird in den letz­ ten Jahrzehnten verstärkt eine Datierung des Pantheons in traianische Zeit erwogen.131 Die Klassifikation des Pantheons als traianisches Bauvorhaben hätte entscheidende 128 Ziolkowski (1999) 59; Knell (2008) 23–25; de Fine Licht (1968) 133–142. 129 Zur Innen­ und der Außendekoration der Haupthalle sowie der äußeren Dekoration der Kuppel siehe de Fine Licht (1968) 102–132; 142–146; siehe auch Ziolkowski (1999) 60; Knell (2008) 25–29. 130 CIL VI 896,1. Datiert man nach dieser Inschrift erhält man als Datum statt dem von Cass. Dio 53,27,2 genannten Jahr 25 bereits das Jahr 27 v. Chr., in dem Agrippa (gemeinsam mit Augustus) seinen dritten Konsulat bekleidete (siehe auch Ziolkowski (1999) 54); gegebenenfalls rekurriert die Angabe aber auch nur auf die bisher innegehabten Konsulate (Boatwright (2013) 24; Shipley (1933) 56f). Unter der hadrianischen Inschrift des Bauherrn Agrippa ist eine weitere Inschrift an­ gebracht, die auf Reparaturarbeiten am Pantheon durch Septimius Severus und Caracalla im Jahr 202 verweist (CIL VI 896,2: IMP CAES L SEPTIMIVS SEVERVS PIVS PERTINAx AVG ARABICVS ADIABENICVS PARTHICVS MAxIMVS PM TRIB POTEST x IMP xI COS III PP PROCOS ET / IMP CAES M AVRELIVS ANTONIVS PIVS FELIx AVG TRIB POTESTAT V COS PROCOS PANTHEVM VETVSTATE CORRVPTVM CVM OMNI CVLTV RESTI­ TUERUNT; zur Datierung siehe CIL VI 896,2 p. 4303 = CIL VI Ps. 8 Fasc. 2: Addenda et corri­ genda: p. 4303 durch Géza Alföldy und Gabriele Wesch­Klein: „Titulus Septimii Severi Cara­ callaeque inter d. 1 Ian. et d. 9 Dec. a 202 insculptus est“). Zudem kam es bereits vor den Severern zu kleineren Renovierungsarbeiten (SHA Pius 8,2). Im Jahr 608 soll Kaiser Phocas das Pantheon auf Bitten von Papst Bonifatius IV. in eine Kirche umgewandelt haben (Lib. pontif. 107 (MGH 3,1). Siehe auch Ziolkowski (1999) 57; de Fine Licht (1968) 190; 238–240; Opper (2008) 111; 114. 131 Siehe Heilmeyer (1975) 316–347 sowie in dessen Nachfolge: Gruben/Gruben (1997) 62; Heene (22008) 101–103; Knell (2008) 31f; Sperling (1999) 2f mit Anm. 3; 319–333 (Versuch durch einen Vergleich mit der Traianssäule für einen Baubeginn unter Traian zu argumentieren). Siehe jetzt: Hetland (2007) 95–112; Wilson­Jones (2013) 31–49; Hetland (2015) 79–98; DeLaine (2015) 160–192; Wilson­Jones (2015) 193–230; Waddell (2015) 132–159; Marder/Wilson Jones (2015) 23f; Martines (2015) 99–131. Kritisch gegenüber diesen Befunden: Haselberger (1994) 296–298; Boatwright (2013) 19–30; Ziolkowski (1999) 56f; Gros (2001) 532f; 534.

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Auswirkungen für die bildliche Selbstrepräsentation des optimus princeps wie seines Nachfolgers. Aus diesem Grund muss an dieser Stelle zunächst eine Diskussion der Datierung des Pantheons, aber auch seiner Zurechnung unter das traianische oder hadrianische Bauprogramm erfolgen. Ihren Ausgangspunkt nimmt die Neudatierung von dem Bericht der Beschädi­ gung des Pantheons durch Blitzeinschlag und der Datierung dieses Ereignisses auf das Jahr 110 n. Chr. im gleichlautenden Text der Chroniken des Orosius und des Hieronymus.132 Die Forschung stellt diesbezüglich die Frage, weshalb die Wieder­ herstellungsarbeiten am zerstörten Pantheon erst unter Hadrian, also annähernd zehn Jahre später,133 aufgenommen worden sein sollten.134 Da mit dieser Frage, auch wenn man die Möglichkeit der Fehldatierung einer spätantiken Chronik nicht in Betracht zieht, über Plausibilitätserwägungen nicht hinauszukommen ist, werden weitere Indizien angeführt, um einen Baubeginn bereits unter Traian zu untermauern. Diese können in zwei Hauptargumentationsstränge unterteilt werden: 1. So hat Wolf­Dieter Heilmeyer den traianischen ‚Hofarchitekten‘ Apollodor von Damaskus als Architekten des neuen Pantheons identifiziert. Belegen sollen diese Zu­ schreibung architektonische ähnlichkeiten des Bauwerks und insbesondere seiner Kup­ pel mit weiteren Apollodor zugeschriebenen Bauten, namentlich den Traiansthermen und dem Komplex des Forum Traianum.135 Den endgültigen Beleg soll jedoch eine Passage bei Cassius Dio erbringen, in der von einer Rivalität zwischen Apollodor und dem, sämtlichen Quellen zufolge, architektonisch interessierten Hadrian gehandelt wird. Dieser Konflikt habe, so Dio, bereits seit der Herrschaft Traians zwischen den beiden Männern geschwelt: Als sich Hadrian einst in ein Gespräch zwischen dem optimus princeps und dem Architekten eingemischt habe, sei er von Apollodor mit der Auffor­ derung sich zurückzuziehen zurechtgewiesen worden: „Geh weg und male deine Kür­ bisse.“ Um sich für diese Demütigung zu rächen, habe Hadrian nach seinem Herrschafts­ antritt Apollodor die selbst angefertigte Skizze für einen Tempel geschickt, um ihm zu beweisen, dass bedeutende Bauwerke ohne sein Zutun errichtet werden könnten. Darauf­ hin habe Apollodor seinerseits Defizite des architektonischen Konzepts vehement kriti­ siert: Der Tempel sei nicht ausreichend über das Bodenniveau hinausgehoben, außerdem seien die skizzierten Statuen zu groß für die Proportionen des Heiligtums. Ob dieser erneuten Blamage sei Hadrian derart in Zorn geraten, dass er den Architekten zuerst verbannen, schließlich aber hinrichten ließ.136 Besagtes Kultbauwerk, dessen Entwurf Hadrian gezeichnet haben soll, wird in der Forschung meist als Tempel der Venus und Roma identifiziert. So nimmt Boatwright an, Apollodors Kritik betreffe eine planerische Abweichung von der üblichen Gestaltung römischer Tempelareale in dieser Zeit zuguns­ 132 Oros. hist. 7,12,5 und Hier. chron. a. Abr. p. 195 (ed. Helm): „Pantheum Romae fulmine concrematum“. 133 So die Datierung von Bloch (1947) 116, dem de Fine Licht (1968) 186; 286 (Anm. 28) und Ziolkowski (1999) 56f folgen. 134 Heilmeyer (1975) 328; Hetland (2015) 94f; Hetland (2007) 110f; siehe auch Wilson Jones (2013) 41. Dieses Problem spricht freilich bereits Bloch (1947) 116 an. 135 Siehe Heilmeyer (1975) 328–342; siehe jetzt auch Hetland (2015) 95–97; Waddell (2015) 146; 159; Wilson Jones (2015) 227f; Wilson Jones (2013) 35f; DeLaine (2015) 172; vorsichtiger: Martines (2015) 122. 136 Cass. Dio 69,4,1–5 (Zitat: 4,2).

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ten eines an griechischer Architektur orientierten Aufbaus: So habe das templum Urbis nicht auf einem Podium, sondern auf einem rundum laufenden Sockel mit sieben Stufen auf allen vier Seiten gestanden, während die Götterstatuen die Proportionen von Kult­ bildern der griechischen Klassik besessen hätten, die größer als ihre westlichen Pendants gewesen seien und daher für zu groß befunden wurden.137 – Ein entsprechender Paradig­ menwechsel von traditionell römischer zu griechischer Architektur, der mit der Ablösung Apollodors einhergehe und gemäß der Identifizierung als Tempel der Roma und Venus in die Jahre 121–123 gesetzt wird, ist wesentlich für Heilmeyers Argumentation: Er er­ schließt „Bauorganisationsreformen“ Hadrians um diese Zeit, die für Unterschiede zwi­ schen kaiserlichen Monumenten aus dem frühhadrianischen Prinzipat einerseits und jenen aus dem mittel­ bis späthadrianischen Prinzipat andererseits verantwortlich seien. Da die maßgeblichen Werkstätten traianischer Zeit nach dem definitiv unter Hadrian erfolgten Abschluss des Pantheons „nicht mehr geschlossen nachzuweisen“ seien, ist nach Heilmeyer davon auszugehen, dass sie ihre Bedeutung unter dem neuen Herrscher verloren hätten:138 „Am Venus­und­Roma­Tempel und am Hadriansmausoleum haben dann z. B. kleinasiatische Handwerkergruppen Beschäftigung gefunden.“139 Für Apollo­ dor habe es in diesem neuen System „keinen Platz mehr“ gegeben.140 Noch maßgeblicher scheint Heilmeyer aber Apollodors angebliche spöttische äußerung zu sein, Hadrian solle fortfahren, seine Kürbisse zu zeichnen. Der Forscher versteht dies als fachliche Kontroverse, die Hadrian erst nach dem Tod seines Vorgängers für sich habe entscheiden können. Mit den Kürbissen seien nämlich, und hierin bestehe die besondere Ironie des Texts, keine Stillleben gemeint gewesen, sondern die in heutiger Terminologie soge­ nannten Kürbiskuppeln, die Hadrian entworfen und während eines Gesprächs zwischen Traian und Apollodor unaufgefordert für ein Bauprojekt (möglicherweise das Pantheon) vorgeschlagen habe. Die angeblich skizzierte, auch Schirmkuppel genannte Form „mit ihren fächerförmig angeordneten Rippen und Segmenten“ finde sich an Gebäuden, die im späteren hadrianischen Prinzipat errichtet worden seien – insbesondere mehrfach im Komplex der Villa Hadriana. Die Kuppel des Pantheons entspreche im Gegensatz hierzu aber traditionellen Formen, die auch an traianischen Bauten zu konstatieren sei. Somit habe die Wiederherstellung des Pantheons während der Herrschaft des Traian begonnen und sei von Apollodor in dessen Auftrag geplant worden.141 Abschließend sucht Heilmeyer seine These noch durch die vermutete Darstellung der corona civica im wandschmuck zu untermauern: Sollte die Annahme zutreffend sein, wäre eine Entsprechung zu spät­ traianischen Münzdarstellungen und Herrscherporträts gegeben, die in frühhadrianischen Prägungen keine Wiederholung gefunden hätten, was den optimus princeps zum wahr­ scheinlichen Initiator des Bauwerks mache.142 137 138 139 140 141

Siehe Boatwright (1987) 119f; Mols (2003) 460f. Heilmeyer (1975) 329–332 (Zitate: 330; 331). Heilmeyer (1975) 332; siehe auch Wilson Jones (2015) 227–229; Wilson Jones (2013) 44f. Heilmeyer (1975) 332; 330 (Zitat). Heilmeyer (1975) 341f (Zitat: 342) folgt der Deutung von Brown (1964) 55–58; siehe auch Wilson Jones (2013) 43f; Wilson Jones (2015) 229. Zu diesem Kuppeltypus in hadrianischer Zeit siehe Rakob (1961) 140–144. 142 Heilmeyer (1975) 345 mit Anm. 65. Zur corona civica im traianischen Bildnisprogramm siehe z. B. RIC II Trai. 148–150; 644–650; 659; 660; Gross (1940) 75–84.

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2. Bereits Heilmeyer hat vereinzelte Ziegel des Pantheons angeführt, deren Stem­ pel er vor das Jahr 117 datiert:143 „ein Baubeginn, der um etliche Jahre vor Hadrians Regierungsantritt, vielleicht schon um 114 liegt, ist also nach den Aussagen der Zie­ gelstempel wahrscheinlicher als der um 119.“144 Lothar Haselberger befindet diese Datierung zwar als nicht ausreichend belegt,145 dennoch stimmt er Heilmeyer darin zu, dass auch die maßgebliche Datierung des Pantheons nach Herbert Bloch146 im Kern nur auf „ganze[n] drei Ziegelstempel[n]“ beruhe, weshalb er das Jahr 115 als terminus post quem für den Bau identifiziert.147 Mittlerweile hat Lise M. Hetland die Diskussion der problematischen Ergebnisse Blochs wieder aufgenommen und nach einer erneuten Evaluation seiner Daten gewisse Modifikationen eingefordert. Sie argumentiert, dass die 23 (von insgesamt 70) undatierten in situ befindlichen Ziegelstempel, die Bloch als problematisch, da höchstwahrscheinlich vorhadrianischen Datums, identifiziert hatte, eindeutig spättraianisch seien. Dies ist vom Vorkommen der gleichen Ziegel in bedeutenden traianischen Bauwerken in Rom (u. a. Traiansthermen, Forum Traianum, Basilica Ulpia), Portus und Ostia abzuleiten; auch unter 39 weiteren Ziegelstempeln des Pantheons, die Bloch als spättraianisch oder frühhadrianisch einordnen konnte, stammt lediglich einer eindeutig aus hadrianischer Zeit.148 Bloch hatte das Vorkommen der 23 traianischen Ziegelstempel in der Tat wenig überzeugend als „vecchie rimanenze“ gedeutet und verwies für weitere undatierte Ziegelstempel in situ auf identische Funde am Serapeum in Ostia, die er auf die Frühphase der Herrschaft Hadrians datierte,149 obgleich einige dieser Ziegel wohl aus den Jahren 113 bis 117 stammen.150 Die späte Verwendung dieser Ziegel suchte Bloch mit einer Hypothese bezüglich ihres Produ­ zenten M. Rutilius Lupus zu erklären: Lupus habe während seiner Amtszeit als praefectus Aegypti von 113 bis 117 zahlreiche Ziegel zurückgehalten, da er den Ver­ kaufsprozess in Abwesenheit finanziell nur unvollkommen hätte steuern können.151 Derlei personal begründete Thesen bleiben freilich stets zweifelhaft; Hetland postuliert zu Recht: „the building should give the date to the undated brickstamps, not vice versa.“152 Weiterhin hatten Boëthius und Bloch versucht, auf der Basis von Aussagen Vitruvs, denen zufolge Ziegel, um zu trocknen, mindestens zwei Jahre vor ihrer Ver­ wendung produziert werden sollten, für die Notwendigkeit einer langen Lagerungszeit zu argumentieren.153 Hetland hält dem entgegen, dass sich Vitruvs Aussage nur auf sonnengetrocknete Ziegel beziehe, während am Pantheon ausschließlich gebrannte 143 Siehe Heilmeyer (1975) 326–328. 144 Heilmeyer (1975) 327f. 145 Haselberger (1994) 298; siehe aber auch die grundsätzlich ablehnende Untersuchung von Smith (1978) 73–78. 146 Bloch (1947) 102–117. 147 Siehe Haselberger (1994) 297f (Zitat: 297). 148 Siehe Hetland (2007) 95–112; insbes. 103f mit Table 4 u. 5; 109–111 mit Table 6; Hetland (2015) 88f; 93f. 149 Bloch (1937) 108–113 (Zitat: 110); siehe auch Steinby (1977) 7–113; DeLaine (2002) 41–101. 150 Siehe dazu auch Heilmeyer (1975) 327, aber auch die Einwände von Haselberger (1994) 298. 151 Siehe Bloch (1947) 316–320; 113; 94, Anm. 82. Zur Kritik an der Hypothese siehe Hetland (2007) 104–107; Hetland (2015) 89–92. 152 Hetland (2007) 103; siehe auch Hetland (2015) 90. 153 Siehe Boëthius (1941) 152–156; Bloch (1959) 234f, die sich auf Vitr. 2,3,2 beziehen.

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Ziegel eingesetzt worden seien, bei deren Fertigung ein langsamer Trocknungsprozess durch Sonnenwärme unnötig war, sich eine Lagerung über Jahre hinweg somit erübrigte. In Vitruvs Werk finde sich daher auch keine Aussage zu derartigen Baumaterialien.154 Somit ist Hetland zufolge ein Beginn der Bauarbeiten in der letzten Phase des traiani­ schen Prinzipats, spätestens im Jahr 115, bewiesen; Hadrian habe sie nach Traians Tod lediglich, aber auch ganz selbstverständlich, fortgesetzt und abgeschlossen.155 Die Forscherin versucht ihre Neudatierung auf traianische Zeit zusätzlich durch eine Dis­ kussion der einschlägigen Quellenpassagen zum Pantheon zu plausibilisieren, die sich in der Tat über eine Wiederherstellungsinitiative Hadrians ausschweigen.156 Einzig die vita Hadriani der Historia Augusta berichtet von einer hadrianischen instauratio des Pantheons, die sich mit dem Vermerk einer weiteren instauratio des Bauwerks in der vita Antonini Pii des selben Werks deckt. Daraus schließt Hetland, dass sich die Vo­ kabel allein auf kleinere Reparaturen bzw. die Vollendung eines Bauprojekts beziehe und es daher, den geringfügigen antoninischen Bauarbeiten gleich, zu keiner selbstän­ digen Neukonzeption des Pantheons durch Hadrian gekommen sei; diese gehe auf Traian zurück.157 Die Idee, dass Hadrian lediglich für den Abschluss des Projekts verantwortlich sei, greift Mark Wilson Jones bereitwillig auf: Die Neudatierung dient ihm dazu, die außerordentlichen architektonischen Leistungen allein Traian bzw. Apollodor zuzuschreiben, während er die Leistungen Hadrians bezüglich des Projekts nicht nur minimiert, sondern geradezu disqualifiziert. So verweist Wilson Jones auf zwei angebliche bauliche Mängel des Pantheons: zum einen die nicht zur ursprüngli­ chen Planung gehörigen überdachten Gewölberäume (grottoni), die das Pantheon auf der Südseite mit der anschließenden sogenannten Basilica Neptuni verbanden,158 zum anderen das visuelle Missverhältnis von Pronaos und Mittelschiff einerseits sowie der Rotunde andererseits. Die grottoni sollten wohl dazu dienen, den Zylinder gegen einen bereits während der Bauphase entstandenen, sich bis in das Fundament ausbrei­ tenden Riss zu stabilisieren; ihr zügiges Aufmauern habe, so Wilson Jones, einen Baustopp in frühhadrianischer Zeit notwendig gemacht. Im weiteren Verlauf mussten dann auch die Bauarbeiten des Mittelschiffs unterbrochen werden, da die wohl für den Pronaos vorgesehenen Säulen in Höhe von 50 Fuß nicht vorrätig waren.159 154 Hetland (2007) 105f; Hetland (2015) 90. 155 Siehe Hetland (2007) 95–112; siehe auch Hetland (2015) 79–98; Wilson Jones (2013) 41f. De­ Laine (2015) 160–192 geht von einem (traianischen) Baubeginn nicht vor 114 aus, die Schätzung der in jedem Baujahr zur Verfügung stehenden bzw. erforderlichen Arbeitskräfte gelangt aber nicht über Plausibilitätserwägungen hinaus. 156 Hierbei bezieht sich Hetland (2007) 96f mit Anm. 8 auf Sextus Iulius Africanus, Kestoi (= P.Oxy 412, 63–68, Col. ii); Amm. Marc. 16,10,14 sowie das Werk Dios. Siehe auch Hetland (2015) 80f. 157 Siehe Hetland (2007) 96f und Hetland (2015) 82 zu SHA Hadr. 19,10 und SHA Pius 8,2. 158 Wilson Jones (2015) 201–203. Vgl. Boatwright (1987) 49f; de Fine Licht (1968) 153; Cordischi (1993) 182; Blake/Bishop (1973) 50 mit überholter Datierung der grottoni in späthadrianische Zeit. 159 P.Giss. 69 nimmt Bezug auf den außerordentlichen Transport einer 50 Fuß hohen Säule vom Mons Claudianus zum Nil im fünften Herrschaftsjahr Hadrians, von wo aus sie vermutlich weiter nach Rom transportiert werden sollte. Über den genauen Bestimmungsort der Säule kann allerdings eben so wenig Klarheit erzielt werden wie über ihren Verbleib: Nach Wilson Jones (2015) 211–224 könnte sie bei einem Schiffbruch untergangen – eine beschädigte 50­Fuß­ Säule liegt heute auf dem Meeresboden unweit des alexandrinischen Hafens – oder in Rom anderweitig verbaut worden sein (zu einer Liste von 50­Fuß­Säulen in Rom, zu P.Giss. 69 so­

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Schließlich habe man sich für vorhandene Säulen von 40 Fuß entschieden, woraufhin der Baumaßnahmen wieder aufgenommen werden konnten, jedoch zu einer Modifika­ tion des Mittelschiffs und des Pronaos geführt hätten: Während letzterer nicht mehr in der Höhe synchronisiert werden konnte, konnte der östliche Treppenaufgang des Mitt­ schiffs nicht mehr mit der Rotunde, deren Bau fortgesetzt wurde, synchronisiert werden. Wilson Jones nimmt an, dass die Modifikationen auf Geheiß Hadrians und gegen die Intentionen Apollodors vorgenommen wurden, da der Princeps die ohnehin krisenge­ schüttelten Baumaßnahmen zu einem Ende führen und das ungeliebte Projekt seines Vorgängers zum Abschluss bringen wollte. Somit habe es sich beim Pantheon um einen traianischen Bau, den Hadrian notgedrungen fertigstellen musste, gehandelt. Entspre­ chend sei auch der von Dio behauptete Streit zwischen Hadrian und Apollodor als Auseinandersetzung um die Fortsetzung des Pantheonbaus zu verstehen. Diesen habe Hadrian schließlich durch einen eigenen Entwurf, der zwar ästhetisch minderwertig gewesen sei, aber eine Bauruine im Herzen Roms vermieden habe, abgeschlossen.160 Den beiden Argumentationssträngen ist wie folgt zu entgegnen: 1. Auch ungeachtet der für die gesamte Antike stets höchst problematischen Versuche, ein Bauwerk oder gar einen ganzen Baukomplex einem Architekten zu­ zuweisen, krankt die Argumentation Heilmeyers an dessen kaum abstrahierender Quellenlektüre. Die Apollodor­Anekdote Dios dient zweifelsohne der Charakteri­ sierung Hadrians und dessen Prinzipats, ihr historischer Gehalt sollte hingegen nicht überschätzt werden. Fraglich bleibt, ob ein entsprechendes Ereignis tatsächlich offi­ ziell dokumentiert wurde. Doch auch, wenn sich die Kürbis­Episode wie beschrieben zugetragen haben sollte, ist der eingeschränkte Bedeutungsgehalt der für Heilmeyer zentralen Dio­Vokabel kritisch zu begutachten: κολόκυντα bzw. κολόκυνθα oder κολοκύνθη bedeutet ausschließlich Kürbis; eine Verwendung zur Beschreibung architektonischer Befunde ist dem Thesaurus Graecae linguae und den einschlägi­ gen Wörterbüchern zufolge an keiner Stelle nachweisbar.161 Die Begrifflichkeit fin­ det erst als moderner Terminus zur exakten Beschreibung in der Archäologie Verwendung;162 zur Bezugnahme auf das Pantheon in der Antike taugt eine alleinige Erwähnung von Kürbissen hingegen nicht. Daran ändert auch die Feststellung nichts, dass ungefähr zwei Jahrzehnte nach dieser angeblichen Auseinandersetzung, in der Villa Hadriana heute als Schirm­, Kürbis­ oder Melonenkuppeln bezeichnete Bau­ formen geschaffen wurden, die in ihrem Aufbau sowohl deutlich von den Kuppeln wie zur potentiellen Nutzung der darin erwähnten Säule siehe Peña (1989) 126–132); so speku­ liert Wilson Jones u. a., dass die für das Pantheon bestellten Säulen auf Hadrians Befehl für den Tempel des Divus Traianus genutzt wurden; siehe auch Wilson Jones (2013) 36f; 43: Davies/ Hemsoll/Wilson Jones (1987) 133–153. 160 Zur breiten Darlegung dieser Hypothese siehe Wilson Jones (2015) 201–224; 226–230; zu einer konziseren Darstellung Wilson Jones (2013) 36–45; zu einer ähnlichen Konstruktion bereits Heene (22008) 101–103. 161 ThGL V s. v. Κολοκύνθη, s. Κολοκύντη, ἡ, Sp. 1758f; Gemoll (91965) s. v. κολοκύνθη, 445; Lid­ del­Scott (91940) s. v. κολοκύνθη, 973. Das lateinische Pendant cucurbita, das in der Forschung besonders stark gemacht wird, findet nach THlL IV s. v. cucurbita, Sp. 1283f ausschließlich als nomen fructus und als nomen instrumenti, quo medici sanguinem detrahunt Verwendung. 162 Zu Kürbis­, Melonen­ oder Schirmkuppeln siehe Krautheimer (1965) 362; siehe auch Paatz (1953) 44.

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des Pantheons als auch der Traiansthermen und der Bauwerke des Forum Traianum abweichen.163 Heilmeyer räumt sogar selbst ein, dass die Kuppeln des Pantheons und der Villa Hadriana ungefähr als zeitgleiche Schöpfungen anzusehen sind.164 Somit liegen lediglich unterschiedliche Dächer zylinderförmiger Bauten vor, deren Ausführungen different waren.165 Doch auch wenn wir rein auf der Ebene des Nar­ rativ der dioschen Anekdote argumentieren, ist es nicht zwangsläufig „unwahrschein­ lich, daß der professionelle Architekt den Dilettanten auf das Zeichnen von Stillleben verwiesen haben soll“,166 wie Heilmeyer meint. So hat Haselberger konstatiert: „Die sarkastische, tödlich beleidigende Schärfe erhält das Diktum allerdings aus der ge­ läufigen übertragenen Bedeutung von κολοκύνται (‚Kürbisse‘), die für die Kaiserzeit durch den Titel von Senecas Satire „Apocolocyntosis“ bezeugt ist […] und die im Neugriechischen (κολοκύνθια) bis heute gebräuchlich blieb – nämlich ‚Unsinn‘.“167 Konnte Cassius Dio folglich eine brutalere Demütigung Hadrians als Möchtegern­ künstler durch den renommierten und erfolgreichen Architekten Apollodor darstel­ len, als eine Disqualifikation des zukünftigen Princeps als Zeichner ruraler, klein­ geistiger Stillleben? Auch Dios nachfolgender Kommentar, Hadrian habe sich damals in der Tat viel auf das Gemälde eines Kürbisses eingebildet,168 geht über eine Erläu­ terung hinaus und erhöht die Verdächtigkeit des Narrativs: Es wurde wohl konstru­ iert, um Hadrians künstlerische Fähigkeiten selbst in Dios Geschichtswerk zu iro­ nisieren. Heilmeyer hingegen versteht die Anekdote als Verweis auf eine Ersetzung des traianischen Architekten aufgrund aus Hadrians Perspektive überholter Konzepte im Zuge einer Bauorganisationsreform. Freilich ist hier nicht der Ort eine klare charakteristische Differenzierung zwischen genuin griechischer und genuin römischer Baukunst vorzunehmen, es dürfte diese trennscharfen Kategorien auch kaum geben. Darüber hinaus war der Damaskener Apollodor selbst ein Kunstschaffender aus dem griechischen Osten des Imperium Romanum und dürfte sich wohl ebenso wie Ha­ drian Werkstätten aus dem kleinasiatischen Raum bedient haben. Letztlich kann also weder bestätigt werden, dass Apollodor der Architekt des Pantheons war, noch dass dies per se ausgeschlossen wäre (auch falls er später wirklich verbannt und ermordet worden sein sollte):169 Zumindest scheint es der vita Hadriani nicht weiter proble­ matisch, Apollodor den hadrianischen Auftrag zum Bau einer Luna­Statue zuzu­ schreiben.170 Ob es darüber hinaus unter Hadrian jemals zu einer „Bauorganisati­ onsreform“ gekommen ist, bleibt Gegenstand der Spekulation. Heilmeyer führt zum Beleg eine Passage aus der Epitome de Caesaribus über das Wirken Hadrians an: „Er war ungemeiner Anstrengungen fähig: alle Provinzen seines Reiches bereiste er zu Fuß, wobei er der Schar seiner Begleiter voranging, die zerstörten Städte 163 Vgl. Heilmeyer (1975) 342; 343, Abb. 19. 164 Heilmeyer (1975) 328. 165 Siehe jetzt auch Waddell (2015) 150; 159 mit Hinweis auf Gemeinsamkeiten von Pantheon und Villenbauten. 166 Heilmeyer (1975) 342. 167 Haselberger (1994) 298, Anm. 81; zum Terminus Apocolocyntosis siehe auch Dihle (1989) 113. 168 Cass. Dio 69,4,2. 169 Siehe auch Haselberger (1994) 298. 170 SHA Hadr. 19,13.

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wiederherstellte und Körperschaften in ihnen einrichtete. Er hatte sich hierbei die Legionen zum Vorbild genommen und Zimmerleute, Maurermeister, Werkmeister, kurz, was zur Errichtung oder Verschönerung von Gebäuden dient, in Zenturien und Kohorten eingeteilt.“171 Während generell zu beachten ist, dass die in dieser Kurzbiographie geschilderten kaiserlichen Reformvorhaben nicht belegbar sind,172 offenbart sich bei genauer Lektüre auch, dass sich die ‚Reform‘, sofern überhaupt von einer solchen zu sprechen ist, lediglich auf die restitutiones und die angebliche Einrichtung von militärisch organiserten ordines zu ihrer Umsetzung bezieht, die Hadrian auf seinen Provinzreisen vorgenommen haben soll. Von einer Veränderung der gesamten Organisation kaiserlicher Bauprojekte, zumal in der urbs, wird hier mit keinem Wort gesprochen. 2. Hingegen hat sich die Datierung des Baubeginns auf spättraianische Zeit auf Basis einer neuen Untersuchung der Ziegel des Bauwerks durch Hetland mittlerweile als communis opinio durchgesetzt. Zwar ist davon auszugehen, dass für stadtrömische Bauarbeiten des Princeps oder des Senats stets Baumaterialien zur Verfügung stan­ den und folglich erst einmal verwertet wurde, was bereits vorhanden war. Ein Schwei­ gen Vitruvs über die Lagerung von gebrannten Ziegeln bedeutet also nicht, dass sie nicht gelagert werden konnten, sondern höchstens, dass dies vor der Weiterverar­ beitung nicht erforderlich war. Eine solch hypothetische Annahme vermag aber nicht Hetlands Ergebnisse zu widerlegen. Daher sollen sich die folgenden Einwände nicht gegen die Neudatierung als solche, sondern gegen die daraus in der Forschung ge­ zogenen Interpretationen richten. Dafür ist zunächst der Blick auf den Gebrauch des Verbs instaurare in der Historia Augusta173 zu richten. Hetlands diesbezügliche An­ nahme krankt nicht nur an der Unmöglichkeit sowohl kleinere Reparaturarbeiten als auch die Fertigstellung eines gänzlich neuaufgebauten Pantheons unter ein angeblich niemals eine vollständige restitutio bezeichnendes Verb zu fassen. Vor allem belegt der Thesaurus linguae Latinae, dass der Begriff im spätantiken Latein synonym zu restituere gebraucht wurde und dabei (wie auch die restitutio selbst) ganz unter­ schiedliche Grade von Wiederherstellungen bezeichnen konnte.174 Eine umfassendere Kritik erfordert Wilson Jones von der Neudatierung ausgehende Interpretation über 171 Siehe Heilmeyer (1975) 329 mit Anm. 29 zu Epit. Caes. 14,4f. 172 Siehe Boatwright (2000) 208. Siehe auch die Widerlegung einer nach Epit. Caes. 14,11 vorgenom­ menen allgemeinen hadrianischen Verwaltungs­ und Heeresreform, die den Weg in die Spät­ antike bereitet habe, im Kapitel Eine griechische Alternativwelt? Die Villa Hadriana in Tibur. 173 SHA Hadr. 19,10; Pius 8,2. 174 THlL VII 1 s. v. instauro, I B (de restitutione, refecetione) Sp. 1976–1978; insbes. 1 b β II, Sp. 1977f. Auf diese Deutung beruft sich auch Fündling (2006) K 409 (19,10): „Das Verb instaurare ist in der Bedeutung ‚wiederherstellen‘ […] mit Bezug auf Gegenstände eindeutig spätantik […]; in der HA ist es die vorherrschende Verwendung […], doch begegnet besonders in den Hauptviten […] konkurrierend zu instaurare das klassische restituere.“ Zu den Stellenangaben des Gebrauchs der Wörter instaurare, instauratio, restituere und restitutio in der gesamten Historia Augusta siehe Lessing (1901–1906) 282f; 563. Ein Beispiel für die synonyme Verwen­ dung von restituere und instaurare ist die Aufzählung von Baumaßnahmen des Antoninus Pius in SHA Pius 8,2f, die alle zweifellos Wiederherstellungscharakter haben: Es wird insgesamt dreimal „restitutum“ bzw. „restitutio“ gebraucht, dazwischen steht einmal „instauratum“. Da der Kontext der gleiche, eine Differenzierung zwischen den Begrifflichkeiten also nicht mög­ lich ist, handelt es sich wohl schlicht um eine stilistische Variation.

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den Verlauf des Bauprojekts Pantheon: Zunächst einmal ist um einer allzu simplifi­ zierenden Deutung zu entgehen, darauf zu verweisen, dass kein römischer Princeps, so architekturinteressiert er auch war, Gebäude völlig selbständig konzipierte. Aus­ schlaggebend sind kaiserliche Bauprojekte, die von dem jeweiligen Princeps in Auftrag gegeben wurden und kaiserlichen Intentionen entsprechen mussten. Aus diesem Grund ist es zwar zutreffend, von kaiserlichen Bauprojekten bzw. Projekten des jeweiligen Princeps zu sprechen, ihre Planung und Umsetzung aber erforderte das know how von Architekten und Handwerksorganisationen. Das gilt auch für Hadrian, der die extensive Baupolitik im gesamten Imperium gewiss nicht selbst skizziert haben dürfte. Hätte Hadrian autodidaktisch mehr Wissen über Statik und Bauplanung erworben als Apollodor wäre dessen Rolle im traianischen Prinzipat und die Qualität seiner Bauten kaum erklärlich. Die Rettung des Pantheonrohbaus geschah sicherlich im kaiserlichen Auftrag durch den verantwortlichen Architekten, wer immer dies auch gewesen sein mag. Hierbei offenbart sich im Übrigen auch die Unstimmigkeit von Wilson Jonesʼ Versuchsaufbau: Die primär aus der Antike stam­ menden Risse im archäologische Befund des Pantheons offenbaren, dass der Bau der Rettung bedurfte. Er wurde also nicht architektonisch verunstaltet, sondern be­ wahrt. Konnte es sich somit wirklich um eine schnelle und eher notdürftige, wenn nicht gar gezielt die Qualität vermindernde Fertigstellung des Pantheons handeln, die Wilson Jones Hadrian im Kontrast zum sonst üblichen Lobpreis des Bauwerks vorwirft? So ist nachweisbar, dass Hadrian das Gebäude explizit für seine Herr­ schaftsrepräsenation nutzte: Nicht nur wurde das Pantheon zwischen 125 und 127 vollendet und selbst Wilson Jones nimmt an, dass Hadrian, der 125 von seiner Reise zurückkehrte, die Einweihung zelebriert habe,175 auch im weiteren Verlauf inszenierte der Princeps sich im Pantheon. So soll er darin, wie Dio berichtet, persönlich Recht gesprochen haben.176 Mit der Selbstrepräsentation als Bauherr und Nutzer des Pan­ theons im Rahmen seiner Leistungen für die res publica war Hadrian offensichtlich so erfolgreich, dass mit der vita Hadriani zumindest eine Quelle Hadrian als Bauherrn bezeichnet. Hingegen wird Traian nur in einer Quellenpassage überhaupt mit dem Pantheon in Verbindung gebracht: Dabei dient er als Zeitangabe für den Moment des Blitzeinschlags in besagten Texten des Orosius bzw. des Hieronymus.177 Im direkten Vergleich sind daher die Bezugnahmen auf Hadrian nicht nur vielfältiger, auch seine Verantwortung für den Wiederaufbau des Pantheons wird im Gegensatz zur angeblichen Veranlassung durch Traian explizit gemacht. Das soll nun nicht bedeuten, dass die Initiative nicht höchstwahrscheinlich von Traian ausging. Trotz­ dem war es Hadrian, der dem Bauwerk seinen Stempel aufprägte – zwar nur im übertragenen Sinn, aber dennoch evidenter als es jeglicher materielle Ziegelstempel vermocht hätte. Die Intentionen dürften sich diesbezüglich auch verlagert haben, d. h. Traian versuchte mit der Neuerrichtung gewiss andere Modi der Selbstbeschreibung aufzurufen als Hadrian. Dass es aber ausgerechnet Traian dabei aber um eine An­ lehnung an Augustus gegangen sei, an der ihm als optimus und aufgrund angeblicher Erwähnungen der beiden Principes in einem Atemzug besonders gelegen gewesen 175 Wilson Jones (2013) 41; siehe auch Wilson Jones (2015) 227. 176 Siehe Cass. Dio 69,7,1 und im Folgenden. Siehe auch Boatwright (2013) 25. 177 Siehe Oros. hist. 7,12,5 und Hier. chron. a. Abr. p. 195 (ed. Helm).

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sei, wie DeLaine argumentiert,178 kann getrost verworfen werden. Ist doch gerade für den Prinzipat Traians bezeichnend, dass er weitgehend auf Bezugnahmen auf seine Vorgänger im Dienste der Selbstbeschreibung als optimus princeps verzichtete. Dafür war natürlich vor allem die positive Absetzung von Domitian ausschlaggebend, doch wurde dieses Prinzip auch auf weitere Principes ausgeweitet, was sogar auf Augustus zutrifft, wie insbesondere der Panegyricus des jüngeren Plinius belegt.179 Es lässt sich somit vielleicht vermuten, dass Traians Fokus auf der neueren und glanzvolleren Errichtung des bisherigen Pantheons lag, womit er Augustus auch in dieser Schöpfung gezielt zu übertreffen und sich auf diese Weise selbst zum Gipfel­ punkt der gesamten römischen Geschichte zu stilisieren suchte. Auch wenn die Motive Traians das Pantheon betreffend bezeichnenderweise gerade nicht doku­ mentiert sind, darf als gesichert gelten, dass er sich hier wie in seinen sonstigen Akten, eben nicht als braver restitutor des Augustus zu präsentieren suchte. Dies trifft vielmehr auf Hadrian zu, der bei der Wiederherstellung des Pantheons, ähnlich wie im Fall des postumen Triumphs, keinerlei pietas gegenüber seinem direkten Vorgänger übte, sondern sich sogar (erfolgreich) darum bemühte, sämtliche Bezüge auf ihn zu löschen.180 Stattdessen stellte er sich gleichberechtigt neben den ersten Princeps Augustus: In diesem Kontext können auch Elemente der Außendekoration des Pantheons gelesen werden. Dabei ist zunächst einmal zu konstatieren, dass diese, dem Bau­ fortgang geschuldet, schlicht zum Zeitpunkt des Todes Traians noch nicht ausge­ führt gewesen sein können; die Dekoration der Fassade erfolgte nicht vor 122, vermutlich sogar erst 124/125 und damit kurz vor der Einweihung.181 Bei einer derart späten Anbringung wäre es verwunderlich, wenn ein eventuell existierendes traianisches Konzept eins zu eins übertragen worden wäre. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die äußere Ausstattung, deren Errichtung die Einwohner der urbs jeden Tag mitverfolgen konnten, eine dem hadrianischen Prinzipat entsprechende und damit veränderte Symbolik erhalten hatte, die im Rahmen der kurz darauf stattfindenden Einweihung eine hadrianische Zuschreibung forcierte. Zudem hat Helga Herdejürgen die Spätdatierung der Reliefdekoration einleuchtend belegt: „Berührt sei noch die kontroverse Frage, ob die Reliefs an den Außenseiten und in der Mittelnische […] aus dem zweiten oder dem dritten Jahrzehnt des 2. Jhs. n. Chr. stammen. Gegen den früheren Ansatz spricht, daß sich ihre Girlanden von der 178 Siehe DeLaine (2015) 191, die für die Feststellung „[Traian] was often spoken of in the same breath as Augustus“ keine Belege liefert. Vermutlich rekurriert sie allein auf Eutr. 8,5,3: „Felicior Augusto, melior Traiano“. 179 Zwar erfolgte die Annahme des optimus­Titels erst 114 n. Chr., doch hat Geisthardt (2015) 83–88 gezeigt, dass der Optimus­Diskurs stets zentrales Charakteristikum der Selbstbeschreibung Traians war und die Lobrede des Plinius ein „Hineinschreiben in den Optimus Princeps­Dis­ kurs“ (Kapitelüberschrift: 83–145) bedeutete; siehe auch 117 („Der zwischen idealer Vergan­ genheit und idealer Gegenwart entstandene Graben wird durch kaiserliche Negativbeispiele angefüllt, bei denen […] nicht einmal dem Prinzipatsbegründer eine positive Vorbildfunktion für den optimus Princeps zugesprochen wird.“) sowie 110 zur indirekten Kritik am „Adoptions­ verhalten“ des Augustus in Plin. paneg. 7,4. 180 Vgl. Opper (2008) 115; 123. 181 Siehe DeLaine (2015) 182; 189; Wilson Jones (2013) 41; Wilson Jones (2015) 227.

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üppigen, überquellenden Girlande auf dem Friesfragment des 113 n. Chr. geweih­ ten Venus­Genetrix­Tempels durch eine Verringerung des Volumens und ein durch­ sichtiges Gefüge deutlich unterscheiden; es gesellt sie zur Girlande eines Kapitells aus der Villa Hadriana, daß die Früchte glatten Kugeln gleichen […] Demnach ist die Verkleidung der Wände, einer der letzten Arbeitsgänge, nicht vor 120 n. Chr. erfolgt. Die Girlandenplatten dürfen also an den Außenseiten und in der Mittel­ nische als fest in den zwanziger Jahren verankerte Werke gelten.“182 Folglich muss auch die anzunehmende Darstellung einer corona civica in der Vorhalle nicht unbedingt als traianisch klassifiziert werden. Zwar spielt die Bürger­ krone im Bildprogramm Hadrians keine weitere Rolle, allerdings prägte er in seinem Münzprogramm als erster Princeps seit Augustus wieder alle vier Tugenden des clipeus virtutis: virtus, clementia, iustitia und pietas.183 Dieser Tugendschild war unter augusteischer Herrschaft programmatisch eng mit der corona civica verknüpft, wie die Res gestae bezeugen. Beide begegnen bereits in der Geburtsstunde des Prinzipats, der Senatssitzung vom 16. Januar 27 v. Chr.184 In dieser erhielt der neue C. Iulius Caesar gemäß Senatsbeschluss nicht nur den Augustus­Namen, ihm zu Ehren wurde auch der clipeus virtutis in der curia aufgestellt und die corona civica über dem Zugang zu seinem Haus angebracht. Die dem neuen Princeps zugeschrie­ benen Tugenden wurden damit in engen Zusammenhang mit der Verleihung der Bürgerkrone gerückt.185 Dieser Kranz von Eichenblättern bedeutete traditionell die Auszeichnung eines Römers für die Errettung eines anderen Römers. Dieses Bild des Retters von Römern wurde für Augustus, der die Flammen eines Bürgerkriegs gelöscht hatte, forciert:186 Augustus sollte durch diese Tat als Retter nicht nur eines oder mehrerer einzelner Römer, sondern als Retter des Gemeinwesen, der gesamten res publica, gerühmt werden. Diese hatte der Inhaber allüberlegener auctoritas mittels des Einsatzes seiner uneinholbaren Tugendhaftigkeit, dokumentiert auf dem clipeus virtutis, errungen und garantierte sie nun fortwährend. Hadrian verwies durch die Darstellung die corona civica am Pantheon als in augusteischer Zeit neu kontextualisiertem Objekt somit eindeutig auf den ersten Princeps: Als Ehrung zur Rettung und Bewahrung des Gemeinwesens war die Bür­ gerkrone dem offensiven militärischen Kontext enthoben worden – eine Aussage­ 182 Herdejürgen (1990) 128. 183 Wallace­Hadrill (1981) 304. 184 Siehe dazu Aug. RG 34: „In consulato sexto et septimo, postquam bella civilia extinxeram, per consensum universorum potens rerum omnium, rem publicam ex mea potestate in senatus populi­ que Romanni arbitrium transtuli. Quo pro merito meo senatus consulto Augustus appellatus sum et laureis postes aedium mearum vestiti publice coronaque civica super ianuam meam fixa est et clupeus aureus in curia Iulia positus, quem mihi senatum populumque Romanum dare virtutis clementiaeque iustitiae et pietatis caussa testatum est per eius clupei inscriptionem.“ Zu corona civica und clipeus virtutis siehe Zanker (42003) 97–100; Cooley (2009) 262–271. 185 Dabei ist unerheblich, ob der clipeus virtutis tatsächlich gleichzeitig verliehen wurde (dazu Cooley (2009) 266f). Ausschlaggebend ist, dass Augustus in den Res gestae diesen Eindruck zu erwecken suchte und die Verknüpfung evozierte. 186 Als Grundlage könnte die Anbringung einer corona civica an der rostra im Jahr 45 v. Chr. zu Ehren Caesars, der ebenfalls einen Bürgerkrieg ‚beendet‘ habe, gelten: siehe App. Civ. 2,16,106; Cass. Dio 44,4,5; siehe auch Cooley (2009) 264.

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absicht die traianischen Intentionen diametral entgegengelaufen wäre. Hadrian hin­ gegen war es möglich, mittels des expliziten Verweises auf die augusteische corona civica symbolisch seine überlegenen Leistungen als neuer Retter Roms und der res publica zu betonen, die ihr Heil und ihre Blüte allein ihm auf Basis seiner, der au­ gusteischen gleichkommenden Tugendhaftigkeit verdanke. In dieser diskursive Rahmung bedeutet auch die Inschrift M AGRIPPA L F COS TERTIVM FECIT187 keinesfalls, dass „Hadrian sich zu guter Letzt mit dem Bau nicht identifizieren lassen wollte“188 oder ist gar als verschämtes oder pikiertes Verschweigen der Verantwortung für den Bau189 zu verstehen.190 Die Inschrift wurde mit Sicherheit erst zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Pantheons und damit auf hadrianische Ini­ tiative angebracht191 oder wiederangebracht.192 Der explizite Aufwand ihrer Anbringung und die Auffälligkeit der Inschrift selbst gegen Abschluss der die ersten Jahre des hadrianischen Prinzipats durchziehenden Baumaßnahmen waren wohl kaum zu Dezenz und Distanzierung geeignet. Zudem wählte Hadrian bezeichnenderweise nicht die Option, auf Traian als auctor des neuen Pantheons zu verweisen, womit er immerhin neben einer Distanzierung auch seine pietas demonstriert hätte. Doch Hadrian zog offenbar vor, sich selbst als restitutor eines augusteischen Bauwerks und auf diese Weise in vorgeblicher Tradition zum ersten Princeps zu präsentierten – und dies gerade unter Auslassung des direkten Vorgängers Traian. Aber ging die Bezugnahme auf Augustus über die epigraphische Markierung und die damit verbundene geläufige Demonstration kaiserlicher pietas und modestia hinaus? Sollte dies nicht der Fall sein, läge nur eine simple Gemahnung des Betrach­ ters an Augustus ohne weitergehendes intentionales Kommunikationsangebot vor. Um somit weitere Bezugnahmen konstatieren oder ausschließen zu können, ist eine Beschäftigung mit den Unterschieden und Gemeinsamkeit des neuen Pantheons zu seinem augusteischen Vorläufer, soweit noch zu identifizieren, unabdingbar. Hierhin gehören, wie im Fall der Mausoleen, bauliche Charakteristika ebenso wie Bedeu­ tungszuschreibungen. Beginnen wir mit den baulichen Aspekten: Eine eindeutige Antwort kann auf die Frage nach dem Vorhandensein einer Kuppel auf dem ursprünglichen Bau getroffen werden. Zwar berichtet Cassius Dio bereits im 53. Buch und damit weit vor den Renovierungsmaßnahmen (Buch 69) von der erstmaligen Fertigstellung des Pantheons durch Agrippa und nennt im Fol­ genden die beiden Optionen, die nach seiner Ansicht die Benennung des Bauwerks 187 188 189 190

CIL VI 896,1. So Heene (22008) 103. So Wilson Jones (2013) 45f. Vgl. Boatwright (2013) 19–30 mit teils anders gelagerten Argumente für eine hadrianische Be­ zugnahme auf Augustus während des Pantheonbaus. 191 So Boatwright (2013) 19–30; Wilson Jones (2013) 45. Gegen eine Agrippa­Inschrift direkt vor dem Brand von 110 n. Chr. spricht eventuell die Kombination der Aussage in Hier. chron. a. Abr. p. 191 (ed. Helm) von Restitutionsmaßnahmen Domitians am Pantheon und der Aussage von Suet. Dom. 5, Domitian habe „Plurima et amplissima opera incendio absumpta restituit […]; sed omnia sub titulo tantum suo ac sine ulla pristini auctoris memoria.“ Siehe auch Alföldy (1990) 68–74; Alföldy (1992) 40, Anm. 6; Alföldy (2012) 430–434. 192 CIL VI 896 p. 4303 und Opper (2008) 111 sprechen sich für eine vorausgehende Inschrift des Agrippa aus.

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erklären könnten. So verdanke es seinen Namen womöglich der Präsenz von Bild­ nissen vieler Götter. Jedoch sei er selbst, so Dio weiter, der Meinung, die Bezeichnung rühre von der Kuppel des Pantheons her, die dem Himmelsgewölbe gleiche.193 Aller­ dings hat die archäologische Forschung weder eine Kuppel des ursprünglichen Bau­ werks freigelegt, noch existierten in augusteischer Zeit entsprechende Kuppelbauten. Das bautechnische und statische Expertenwissen hierfür war schlicht noch nicht gegeben. Folglich beschreibt Dio irrtümlich den ihm bekannten Neubau des Panthe­ ons und assoziiert diesen direkt mit dem augusteischen bzw. agrippaschen Bauwerk.194 Dio dürfte also keinerlei Kenntnis des ursprünglichen Baus und dessen divergieren­ der Struktur besessen haben, weshalb sein Werk nicht zu dessen Beschreibung her­ angezogen werden kann. Stattdessen ist es in den letzten Jahren gelungen, präzisere archäologischen Kenntnisse über die äußere Form des augusteischen Pantheons zu gewinnen. Dabei ist auch die Frage nach Bezügen der Haupthalle des von Hadrian ‚wiederhergestell­ ten‘ Pantheons zum Vorgängerbau zu beachten: Während die Forschung lange Zeit von einem rechteckigen Tempel ausging,195 haben mittlerweile die Funde von Über­ resten einer an einen ausgedehnten Vorraum anschließenden ca. zwei Meter hohen runden Umfassungsmauer, die zum ursprünglichen Bauwerk gehörte,196 zu der Hypo­ these geführt, dass es sich dabei nicht bloß um einen Hof, sondern um den grundle­ genden sakralen Gebäudebestandteil des augusteischen Pantheons gehandelt habe. Diesem könnten griechisch­hellenistische Tholoi zum Vorbild gedient haben.197 Allerdings hat Andreas Grüner allerdings überzeugend nachgewiesen, dass zum einen Tholoi keinen Pronaos besaßen und es sich zum anderen bei der gefundenen Mauer um einen Temenos bzw. ein templum, einen sakralen Bezirk also, handelte. Somit war das Pantheon des Agrippa kein sakrales Bauwerk (aedes), sondern primär ein für die Kultpraxis geschaffener abgegrenzter Hof, der jedoch, im Gegensatz zum hadrianischen Pantheon, nicht überdacht war: Es ist von einem hypäthralen, von einer Mauer umgebenen Bezirk auszugehen.198 Diese architektonische Ausführung entspricht relativ genau den Monumenten der ländlich­italischen Sakralarchitektur, was Grüner anhand von Grabungsbefunden vorrömischer templa und von idealty­

193 Cass. Dio 53,27,2. 194 So auch Boatwright (1987) 14; siehe auch Ziolkowski (1999) 55; 58. 195 Siehe Blake/Bishop (1973) 48; Boatwright (1987) 43f; siehe auch Roddaz (1984) 265–268; Kuhlmann (2002) 157; vgl. Ziolkowski (1999) 55. 196 Darauf verweist bereits de Fine Licht (1968) 178; eine Bezugnahme auf den Hof durch Errich­ tung der Rotunde vermutet auch Knell (2008) 21–23; 29; siehe zudem Opper (2008) 112; vgl. La Rocca (2015) 49–78. 197 Grüner (2004) 500–502 fasst die diesbezüglichen Thesen zusammen; vgl. La Rocca (1999) 281. 198 Siehe Grüner (2004) 500–503 (+ Rekonstruktionen); vgl. Gruben/Gruben (1997) 62–70, die al­ lerdings die These vertreten, es habe sich beim Pantheon um eine Stätte des Herrscherkults mit kosmischer Verweisstruktur gehandelt. Auch Plin. nat. 36,38 und SHA Pius 8,2 gebrauchen für das Pantheon den Begriff templum statt der Vokabel aedes (so Grüner (2004) 503; 502, Anm. 59; siehe auch Gruben/Gruben (1997) 58f). Möglicherweise kann auch die nicht erfolgte Zuord­ nung des Pantheons unter die sacrae aedes in SHA Hadr. 19,10 diese Argumentation unter­ mauern. Vgl. Ziolkowski (1999) 55; Godfrey/Hemsoll (1986) 199–201.

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pischen Reliefabbildungen augusteischer Zeit zu belegen vermag.199 Diese bildlichen Repräsentationen dürften im Prinzipat des Augustus aufgrund der weit zurücklie­ genden Wurzeln der Architekturform vorgenommen worden sein und deuteten damit auf einen Diskurs hin, der eine Rückkehr zu den mores maiorum zum Gegenstand hatte. Das gilt umso mehr für die Errichtung des Pantheons auf Veranlassung und durch die Leistung des Augustus bzw. des Agrippa: Insbesondere da die entspre­ chenden, an Traditionen gemahnenden Formen im Pantheon eine Monumentalisie­ rung erfuhren, waren sie als Markierung zu verstehen, die eine kaiserliche Garantie der Rückkehr in eine positiv konnotierte, vergangene Blütezeit formulierte.200 Folglich ist zu konstatieren, dass das Pantheon Hadrians zumindest insofern eine Wiederherstellung des ursprünglichen Baus bedeutete, als es die grundlegenden und im Stadtbild präsenten Elemente der Struktur des Komplexes insgesamt beibehielt, auch wenn aus dem bisherigen Rundhof ein monumentaler überdachter Zylinder wurde. Zwar ist auch beim hadrianischen Neubau des Pronaos nicht von einer Tholos zu sprechen, doch erinnert der Innenraum der Haupthalle gerade aufgrund seiner überwölbenden Halbkuppel auf den ersten Blick an diese griechische Tempelform.201 Da aber das Propylon die nahezu gleiche Höhe wie der Zylinder der Haupthalle und darüber hinaus mit seiner großen Anzahl an Säulen eine ungewöhnliche Breite besitzt,202 ist die eher flache Halbkuppel, wenn man sich direkt vor dem Gebäude befindet, höchstens noch partiell zu erkennen. Aus diesem Grund mutmaßen Teile der Forschung, der hadrianische Außenbau habe den Blick auf die Rotunde bewusst verwehren wollen, um die intendierte Umwandlung des Pantheons in ein Bauwerk hellenistischen Charakters zu kaschieren. Dem gleichen Zweck hätten die auf Agrippa als Bauherr verweisende Inschrift sowie Reliefdarstellungen in den Vorhallen, also traditionell römische Elemente, gedient.203 Selbst ohne danach zu fragen, welchen Sinn die Errichtung eines Bauwerks in einem bestimmten Stil haben könnte, nur um dessen Charakteristika im Nachhinein zu ver­ bergen, bleiben erhebliche Zweifel an der Deutung einer ‚Gräzisierung‘ des Pantheons anzumelden: Kuppelbauten, wenn auch teils anderen Charakters, gehörten im Rom des 2. Jahrhunderts n. Chr. durchaus zum Stadtbild. Der dem hadrianischen Pantheon zeit­ lich am nächsten liegende Befund begegnet in den sechs Halbkuppeln der Traiansther­ men.204 Außerdem kann das Pantheon durchaus aus diversen Perspektiven betrachtet werden, bei denen die Kuppel nicht verborgen bleibt, war und ist doch die Option frontal vor dem Pantheon zu stehen und daran heraufzuschauen keinesfalls exklusiv. Daher darf die Möglichkeit erwogen werden, ob die Kuppel des hadrianischen Pan­ theons den Vorgängerbau nicht vielmehr durch eine weitere Monumentalisierung auf besonders expressive Weise hervorheben und damit Hadrians restituierende Bezugnahme

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Siehe Grüner (2004) 506–511. Grüner (2004) 511. Zur augusteischen restitutio der mores maiorum siehe Zanker (42003) 161–170. So auch Grüner (2004) 502f. Ziolkowski (1999) 58; siehe Martini (2006) 13–17; Knell (2008) 15–23; de Fine Licht (1968) 85–88. Siehe Boatwright (1987) 45–47; Kuhlmann (2002) 156–158. Siehe Heilmeyer (1975) 340f, der mit diesem Hinweis allerdings auch versucht, seine These einer unter Traian beginnenden Wiedererrichtung des Pantheons durch den Architekten Apollodor zu untermauern.

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auf Augustus noch eindeutiger betonen sollte.205 Möglicherweise ist also die Haupthalle des neuen Pantheons mit zusätzlichem Prunk versehen worden, um sie als hadrianische Vervollkommnung des augusteischen Vorläufergebäudes präsentieren zu können.206 Diese Evozierung der Tradition steht zunächst einmal in keinem intendierten Zusammen­ hang mit wie auch immer gearteten ‚griechischen‘ Aspekten. Problematisch bleibt allerdings, dass in der römischen Architektur vor Hadrian kein Vorbild für einen mit Kuppel versehenen Tempel existiert.207 Diverse Forscher verstehen das hadrianische Pantheon als Markierung eines herrscherlichen Absolut­ heitsanspruchs, da seine Rundform die Beherrschung des gesamten Kosmos zum Ausdruck bringe. Auf dieser Basis wird in einigen aktuellen Studien behauptet, die Errichtung des Pantheons unter Hadrian sei mit dem Ziel verbunden gewesen, es zu einer Kultstätte der hellenistischen Herrscherverehrung in der urbs umzugestalten. Dafür sei auch die Herkunft des Konzepts eines Pantheion aus dem hellenistischen Osten wesentlich, das stets auch Stätte eines Herrscherkults gewesen sei.208 Auf dieser Basis argumentierte Wolfram Martini, dass die hadrianische Selbstrepräsentation durch den monumentalisierten Neubau des Pantheons Hadrian außerhalb der res publica positioniert und damit ein neues kaiserliches Herrschaftsverständnis markiert und forciert habe.209 Um diese Annahme zu stützen, wird mitunter eine Passage aus dem 69. Buch des Cassius Dio herangezogen, in der berichtet wird, Hadrian habe bisweilen auf dem Pala­ tin, bisweilen auf dem Forum oder im Pantheon sowie an vielen anderen Orten210 unter Mitwirkung der ersten Männer der Nobilität Gericht gehalten. Dabei habe er sich stets auf einem Tribunal (βῆμα) befunden.211 Aus dieser Definition des Pantheons als Ort der hadrianischen Rechtsprechung wurde in Teilen der Forschung das Argument einer Selbst­ vergottung Hadrians zu Lebzeiten abgeleitet.212 Nach Martini ergibt sich folgendes Bild: „Stellt man sich […] die in diesem Raum realisierte Inszenierung seiner selbst vor, wenn er, Hadrian, im Pantheon auf dem gewölbten marmornen Erdenrund unter dem Himmelsgewölbe inmitten der in den ädikulen versammelten Hauptgötter thronte, zwar sicher weniger hoch als 205 Siehe Knell (2008) 19–23. Gruben/Gruben (1997) 4–74 sprechen neben weiteren Indizien in ähnlicher Weise von einer Beibehaltung der Türen des agrippaschen Pantheons im hadriani­ schen Bau, die freilich „monumental gefaßt“ (62) worden seien; zudem heben die Forscher weitere Bezugnahmen Hadrians auf das augusteische Monument hervor (insbes. 70–72). Allge­ mein zur Monumentalität des Pantheons siehe Opper (2008) 122f. 206 Auf den Prunk des hadrianischen Pantheons gegenüber seinem augusteischen Vorgängerbau verweist auch de Fine Licht (1968) 199–201. Aus dieser Beobachtung folgert er 201f, dass Ha­ drian bestrebt war, an Augustus anzuschließen oder sich ihm vergleichbar zu machen. Aller­ dings beachtet de Fine Licht nicht, dass der hadrianische Augustus­Anschluss keine ‚realpoli­ tischen‘ Bezüge zum Prinzipat des Augustus aufweisen muss, sondern vielmehr eine Augustus­ Rezeption zu evozieren und gewisse Charakteristika des augusteischen Prinzipats auf das ha­ drianische zu projizieren suchte. Allgemein zum Prunk des Pantheons siehe Opper (2008) 122f. 207 Siehe Heene (22008) 32–68; siehe auch Opper (2008) 116; 120; Martini (2006) 12. 208 So Martini (2006) 39f; Knell (2008) 29–31; vgl. Opper (2008) 112–114. 209 So insbes. Martini (2006) 40–43; siehe auch Godfrey/Hemsoll (1986) 201–205. 210 Siehe dazu u. a. MacDonald/Pinto (1995) 78f sowie das Kapitel Eine griechische Alternativ­ welt? Die Villa Hadriana in Tibur. 211 Cass. Dio 69,7,1. 212 So Martini (2006) 37–43.

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II. Hadrian und Augustus die Götterstatuen, aber vermutlich höher als die viri illustres und noch etwas höher als sein Hofstaat, so erhebt er fast noch konkreter als seine diesbezüglichen Vorgänger Nero und Domi­ tian den Anspruch auf Göttlichkeit, zumal der Bau mit seiner Säulenvorhalle von außen das Erscheinungsbild eines Tempels evozierte.“213

Diese These ist freilich fragwürdig: Auch jenseits der Deutung als traditionell­itali­ scher Sakralbezirke, der kaum sinnhaft mit griechischem Herrscherkult verbunden werden könnte, waren Orte für politische Handlungen des Princeps ebenso wie der Reichselite in Rom ganz üblicherweise, und im Gegensatz zur kategorischen Exklu­ sivität von Religion und Politik (als Zivilem) unserer Tage, aedes, also Tempel. Und da es sich dabei sogar um ein gezieltes Bestreben handelte, besteht keine Grundlage dafür, im singulären Fall von Hadrian im Pantheon auf Selbstvergottung zu schließen. Dagegen spricht auch nicht, dass für das Pantheon (in vorchristlicher Zeit) literarisch kein Götterkult bezeugt ist und es dafür auch keine eindeutigen archäologische In­ dizien gibt.214 Denn zum einen ist damit ein Kult im Pantheon keineswegs endgültig ausgeschlossen, zum anderen ist die Haupthalle des Bauwerks in jedem Fall als templum oder Temenos aufzufassen. Und in Rom waren alle wichtigen Versammlung­ sorte wie Curia und Comitium rein formal von den Auguren geweihte templa. Diese Weihung definierte den zentralen Bezirk als sakral und setzte die Sakralität entspre­ chend frei (effatum et liberatum), ohne dass es sich dabei um aedes handeln musste,215 was auch für das hadrianische Pantheon zutreffend sein könnte.216 In jedem Fall traf sich Hadrian hier Dio zufolge mit Teilen der Senatorenschaft, um Gericht zu halten,217 wobei es sich selbstverständlich ebenso wie bei Senatssitzung und Volksversammlung um einen Akt im Dienste der res publica handelte, dem auch sakraler Charakter inhärent war. Weiterhin war dabei auch die Erhöhung des Gerichtsherrn durch des­ sen Platz auf einem Tribunal zur Markierung der richterlichen Gewalt usus.218 Dio bringt diesen ganz formalen Aspekt durch den Gebrauch der finalen Konjunktion ὥστε zur Einleitung eines Nebensatzes klar zum Ausdruck, der die Veröffentlichung der von Hadrian gesprochenen Gerichtsurteile zum Gegenstand hat, nachdem im Hauptsatz vom Tribunal, auf dem der Princeps saß, gehandelt wurde.219 213 Martini (2006) 40. 214 Das epigraphisch verbürgte Treffen der fratres Arvales (CIL VI 2041) war zwar auch mit einem Opfer an Dea Dia verbunden, doch traf sich die Bruderschaft, so Godfrey/Hemsoll (1986) 198, „in various places and not necessarily in temples“. Siehe auch Knell (2008) 29–33; vgl. Ziolkowski (1999) 54; 56. 215 Siehe Beard/North/Price (1998a) 22. 216 Siehe Ziolkowski (1999) 60, der jedoch bezüglich des Pantheons des Agrippa an eine Kultstätte für Mars glauben möchte (dazu auch Ziolkowski (1994) 261–277), wofür es keine ausreichen­ den Belege gibt. 217 Cass. Dio 69,7,1. 218 Siehe Höcker (2001a) 825f. 219 Siehe Cass. Dio 69,7,1: „Ἔπραττε δὲ καὶ διὰ τοῦ βουλευτηρίου πάντα τὰ μεγάλα καὶ ἀναγκαιότατα, καὶ ἐδίκαζε μετὰ τῶν πρώτων τοτὲ μὲν ἐν τῷ παλατίῳ τοτὲ δὲ ἐν τῇ ἀγορᾷ τῷ τε Πανθείῳ καὶ ἄλλοθι πολλαχόθι, ἀπὸ βήματος, ὥστε δημοσιεύεσθαι τὰ γιγνόμενα.“ („Alle wichtigen und dringlichsten Geschäfte erledigte er in Zusammenarbeit mit dem Senat und hielt im Beisein der Ersten seine Gerichtssitzungen ab, einmal auf dem Palatin, dann auf dem Forum, im Pantheon oder sonst an verschiedenen Orten. Dabei saß er stets auf einem Tribunal, so dass alle Vorgänge öffentlich bekannt wurden.“)

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Zwar besitzen wir keine Belege für eine Nutzung des Pantheons als Ort von Gerichtssitzungen in vor­ oder nachhadrianischer Zeit, doch spricht vieles dafür, dass Hadrian hier tatsächlich Recht sprach. So vermochten wie dargestellt, allein schon Neubau, Neuweihung und Neugestaltung des Komplexes im hadrianischen Prinzipat unter Rückverweis auf Agrippa die pietas gegenüber den mores maiorum zu evo­ zieren. Durch diese Akte der Wiederherstellung des Pantheons und, mehr noch, der Einbeziehung in seine Herrschaft durch (persönliche) Durchführung der Rechtspre­ chung an diesem Ort schrieb sich Hadrian performativ in die Sitten und Erfordernisse der res publica ein. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass sich der Princeps besonders vor den mit ihm zu Gericht sitzenden Senatoren und der gesamten stadt­ römischen Öffentlichkeit prononciert und besonders glanzvoll inszenierte – allerdings unterstrich er damit seine zivilen Leistungen für das Wohlergehen Roms als dessen pater patriae, ohne seine Erhebung zu einem Gott zu beanspruchen: Zieht man die prunkvolle Überdachung und v. a. die besonders ausladende Exedra des südlichen Abschlusses der Pantheon­Haupthalle in Betracht, darf vermutet wer­ den, dass sich Hadrians Tribunal genau hier, gegenüber dem Eingang, befand. Auf diese Weise wurde er vom Schein des Opeions, der einzigen Lichtquelle der Halle, angeleuchtet. Je nach Tageszeit war also wahrhaft der Spot auf ihn gerichtet.220 Auch Thornton möchte hierin einen Anschluss Hadrians an Nero erkennen. So seien beide Principes bemüht gewesen, einen Sol­Kult zu etablieren: „the circular form of the Pantheon is the shape most suggestive for worship of a sun deity.“ Im Raum des Pantheons habe sich Hadrian dann, so die Forscherin weiter, als Sol verehren las­ sen.221 Freilich fehlen dafür sämtliche Nachweise: Weder haben die von Thornton angeführten Münzprägungen, auf denen Hadrian einen Fuß auf ein Krokodil setzt,222 diesbezüglich auch nur den geringsten Aussagewert noch belegen die in der Historia Augusta erwähnte der Verlegung der Sol­Statue, deren Nero­Kopf vermutlich bereits unter Vespasian ersetzt worden war,223 und die nicht nachweisbare Schaffung einer 220 Siehe auch Godfrey/Hemsoll (1986) 202; 208, Anm. 58; vgl. MacDonald (1976) 74f. 221 Thornton (1975) 457. Vgl. auch Sperling (1999) 181–236, der ohne Eingrenzung auf Augustus oder Hadrian eine Deutung zu „Sonnensymbolik und Staatsideologie“ (Kapitel 16) unternimmt; zur Kritik an der Spekulativität vieler Thesen Sperlings siehe Gros (2001) 531–534; Grüner (2004) 501, Anm. 51. 222 Thornton (1975) 457. Bei den Münzen handelt es sich um RIC II Hadr. 782 var. a; d; e; f; h; i; 830 var. d; e; f. 223 Nach Plin. nat. 34,45 wurde der Koloss nach Neros damnatio neu für Sol geweiht. Darauf, dass dies im Prinzipat Vespasians geschah, deutet Suet. Vesp. 18 hin, wonach ein refector des Kolosses vom Princeps mit congiarium und Honorar belohnt worden sei. Ein Indiz dafür, dass die Monu­ mentalstatue nun die Züge Sols erhalten hatte, liefert Mart. De Spectaculis Liber 2,1, der vom sidereus colossus spricht. Andererseits berichtet Cass. Dio 66,15,1, der Koloss sei im Jahre 75 aufgestellt worden und habe zufolge einiger Quellen die Gesichtszüge Neros, zufolge anderer jene des Titus besessen. Dass Cassius Dio hier Quellen bemühen musste, könnte dem Umstand geschuldet sein, dass Commodus das Haupt der Statue (erneut, wenn auch wohl nur vorüberge­ hend?) durch ein Abbild seines eigenen Kopfes ersetzen ließ (Herodian. 1,1,59; SHA Comm. 17,9f). Somit könnte Dio die Beseitigung der neronischen Züge entgangen sein; die Verwendung jener des Titus ist gemessen an der Selbstrepräsentation der ersten beiden Flavier äußerst unwahr­ scheinlich. In SHA Hadr. 19,13 wird so auch lediglich festgestellt, dass der Koloss ehemals die Züge Neros besessen habe. Die nach der vita Hadriani von Hadrian veranlasste Weihung des

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Luna­Statue die Initiierung eines Sol­Kults unter Hadrian. Die Hadrians­Vita möchte hier primär die eindrucksvolle Verlegung des monumentalen Standbilds zugunsten des Tempels für Roma und Venus beschreiben. Zudem hat Marianne Bergmann gezeigt, dass im Gegensatz zur Herrschaft des Nero und der Severer in hadrianischer Zeit keine kaiserliche Bezugnahme auf Sol zu verzeichnen ist.224 Auch Cassius Dios Beschreibung der Kuppel des Pantheons als Gemahnung an das Himmelsgewölbe im 53. Buch kann nicht für die These eines auf Hadrian bezo­ genen Sol­Kults reklamiert werden. So steht der Vergleich der gewölbten Kassetten­ decke bei Dio eben nicht in dessen Narrativ der hadrianischen Rechtsprechung an diesem Ort, sondern in der anachronistischen Beschreibung des augusteischen Pan­ theons.225 Folglich soll die Deutung als Himmelsgewölbe nicht als maßgeblich für Hadrians Handeln im Interesse der res publica dargestellt werden. Darüber hinaus ist zu erwägen, ob nicht die severische Zeit, in der Dio sein Werk zur Niederschrift brachte,226 während der Sol­Kult eine gelenkte Konjunktur erfuhr227 und das Pantheon erneut restituiert wurde,228 dessen Deutung des Bauwerks bedingt haben könnte. Hadrian nutzte die symbolische Überhöhung seines Pantheons vielmehr, um sich selbst als alles bestimmenden Lenker Roms und des Reiches zu inszenieren.229 Diese Form der Selbstrepräsentation darf nur als eine Stufe in der fortwährenden Modifika­ tion des sozialen Felds erachtet werden: Hadrians Vorgehen war schlicht im Verlauf des Prinzipats durch die Selbstrepräsentation seiner Vorgänger, politische und soziale Ereignisse und die Entwicklung der Erwartungshaltungen an die Principes möglich geworden und hatte Anerkennung erreicht.230 Folglich strebte Hadrian gewiss keine plötzliche, unerwartete und weiterhin inakzeptable Selbstvergottung auf Basis des

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Kolosses für Sol, meint entweder eine Neuweihung für den Gott nach der Standortverlegung oder ist irrig. Siehe Bergmann (1994) 9–17; siehe auch Fündling (2006) K 421 (19,13). Bergmann (1998) 167; 243. In Analogie zur Sol­ und zur angeblichen Luna­Statue wäre allenfalls noch eine lokale Münzprägung aus Tarsos in Kilikien (BMC xxI Cilicia 153f; Pl. 34,7; SNG xIII 5985; Taf. 203; siehe auch Bergmann (1998) Taf. 45,2) zu nennen: „Hadrian auf dem Avers trägt die Strahlenkrone, die Sabinabüste auf dem Revers ruht in einer Mondsichel. Es ist gut möglich, daß diese Münzen beim Aufenthalt Hadrians in Kilikien im Jahr 129 n. Chr. entstanden sind und Kaiser und Kaiserin aus diesem Anlaß ehrten“ (Bergmann (1998) 243). Es dürfte sich dabei aber in erster Linie um einen Verweis auf die concordia des Herrscherpaars und die aeternitas des durch dieses geschaffenen und garantierten Goldenen Zeitalters handeln, die in zahlreichen kai­ serlichen Münzprägungen präsent war; eine entsprechende Funktion erfüllte gewiss auch die Neuaufstellung der Sol­Statue vor dem Tempel der Venus und der Roma Aeterna (Bergmann (1998) 271). Zu den aeternitas­ und Roma­aeterna­Prägungen siehe z. B. RIC II Hadr. 38; 48; 81 var. a–b; 597a–d; 263; 265; 774. Siehe auch das Kapitel Antinoos und Sabina. Hadrianische Inter­ aktion zwischen römischer Tradition und Hellenisierung? Auch Ziolkowski (1999) 60 verweist auf Cass. Dio 69,7,1 um Einspruch gegen die Darstellung eines Himmelsgewölbes als intendierter Programmatik Hadrians zu erheben. Siehe Millar (1964) 28–39. Siehe Bergmann (1998) 243; 267–274. Siehe CIL VI 896,2. Vgl. Knell (2008) 32–34; Opper (2008) 110. Beispielhaft erinnert sei nur an die Ersetzung des ostentativ bescheidenen Hauses des Augustus durch den Palast Domitians, der auch von seinen Nachfolgern, einschließlich Hadrians, be­ wohnt und weiter ausgebaut wurde: siehe Zanker (2004) 92; 97–99; Knell (2004) 157–167; Krause (2004) 58 mit Abb. 88; 49, Abb. 70; 52, Abb. 75.

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hellenistischen Herrscherkults an. Vielmehr markierte er sein Handeln für die res publica, wobei er gerade durch die Bezugnahme auf das Pantheon eindeutig auf Au­ gustus und dessen im sozialen Feld erinnerte außerordentliche Leistungen verwies, die dem Reich Ruhe und Wohlstand gebracht hatten. Die charakteristische Rundform des Gebäudes umschrieb, wie gezeigt, den sakralen Bezirk, der für Räume, in denen Hand­ lungen der res publica vorgenommen wurden, erforderlich war, und führte in die große römische Vergangenheit zurück, was Hadrians Selbstverpflichtung gegenüber den mores maiorum unterstrich. Zu einer Kultstätte für Hadrian konnte das Pantheon bei einer derart traditionalen Verweisstruktur aber gerade nicht werden. Auch Kuppel und Opeion dürften als neuartige und eindrucksvolle Gestaltungselemente die überlegene und in dieser Form vorläuferlose Leistung und Qualität des Prinzipats des Hadrian und seine Rechtsakte unterstrichen haben. Folglich ist in der Tat primär zu konstatieren, dass mit der hadrianischen Wieder­ errichtung des Pantheons in besonderer Weise ein Augustus­Verweis evoziert wurde. Ablesbar wird dieser auf den ersten Blick durch die inschriftliche Benennung Agrippas als Bauherrn, bei der es sich wohl um eine invention of tradition handelte. Eine weitere hadrianische Bezugnahme auf Augustus könnte aus der bereits mehrfach in Betracht gezogenen anachronistischen Schilderung im 53. Buch Dios hervorgehen: Dieser zufolge habe Agrippa im neuerrichteten Pantheon neben die Götterbilder auch eine Statue des Augustus setzen und das Bauwerk nach ihm be­ nennen wollen. Als Augustus dies ablehnte, habe Agrippa stattdessen eine Statue für den Divus Iulius aufstellen lassen, während er Augustus und sich selbst durch Statuen im Pronaos verewigt habe.231 Diese Anekdote eröffnet zumindest Deutungsspiel­ räume: Da Dio das ursprüngliche Pantheon nicht richtig beschreibt, ist sogar sehr wahrscheinlich, dass die Statuen des Augustus und des Agrippa gerade im Vorraum (d. h. im Peristyl oder im Mittelschiff) des durch Hadrian im Rahmen der restitutio völlig neugestalteten Bauwerks aufgestellt waren. Als Aufstellungsort für die beiden Standbilder wären dabei gemäß communis opinio der Forschung die beiden Apsiden rechts und links des Mittelgangs vor dem Übergang in die Haupthalle besonders plausibel.232 Dabei ist nicht wirklich erheblich, ob Statuen des Augustus und des Agrippa bereits im Jahr 25 v. Chr. im ursprünglichen Pantheon einen Platz gefunden hatten. Von Bedeutung ist wiederum der hadrianische Verweis auf Augustus – auch wenn das diesbezügliche Handeln Hadrians vorbildlos sein gewesen sollte. Auf diese Weise reklamierte Hadrian für sich den Anschluss seiner Herrschaft an den auguste­ ischen Prinzipat und die Leistungen des ersten Princeps, insbesondere die Errettung Roms aus dem Bürgerkrieg und eine neuen Blüte des Reichs. Folglich schloss Hadrian an die Neugründung Roms durch Augustus an, die dieser in seiner Baupolitik durch den Akt des Bauens selbst ebenso wie durch die Monumen­ talität und Dauerhaftigkeit des Geschaffenen eindrücklich demonstriert hatte. Hadrian präsentierte sich durch die Neuerrichtung eines mit dem ersten Princeps verbundenen Gebäudes als dessen einzig würdiger Nachfolger, dessen Herrschaft einen vergleich­ baren Effekt auf das Wohlergehen des Reiches haben werde. Er suchte also durch an 231 Cass. Dio 53,27,2f. 232 Ziolkowski (1999) 58; de Fine Licht (1968) 71; 186; Opper (2008) 112–114.

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Augustus gemahnende Verweise ebenfalls als Neugründer Roms zu erscheinen, dessen Leistungen nur mit jenen des ersten Princeps zu vergleichen seien oder diese, denkt man an die deutlich glanzvollere Neuerrichtung des Pantheons, sogar übertrafen. Dabei verletzte Hadrian dezidiert nicht die Erwartungen des Felds an den Princeps, das eine Selbstvergottung oder göttliches Auftreten zu Lebzeiten nicht akzeptierte: Wie vor ihm Augustus, so betonte auch Hadrian zumindest vordergründig seine Verpflichtung ge­ genüber der res publica und machte ihr Wohlergehen explizit zum ausschließlichen Ziel seiner außerordentlichen persönlichen Leistungen. Diese Außerordentlichkeit wurde auch durch die Nutzung des Pantheons als Ort von Hadrians juristischer Tätigkeit betont: Die Dekoration schon des Vorraums mit der corona civica verkündete in der Materia­ lität die auf den Princeps Hadrian monopolisierten Leistungen, mit denen die res publica stehe und falle, öffentlich und ausdrücklich. Es bleibt somit festzuhalten, dass Hadrian beim Bau des Pantheons auf Augustus rekurrierte und damit eine ihn mit seinem be­ deutenden Vorgänger gleichsetzende Rezeption intendierte. Hadrian und Agrippa – Die Bauten im Umfeld des Pantheons Hadrian verstand nicht nur die Wiederherstellung des Pantheons, sondern auch jene der weiteren Bauten Agrippas auf dem Marsfeld für seine Selbstdarstellung zu nutzen.233 Zwar wird in der Forschung gelegentlich rein pragmatisch argumentiert, es habe sich beim Neubau des Pantheons und der übrigen Gebäude um ein Projekt gehandelt, durch das jener Teil des Campus Martius, in dem sie sich befanden, über den Hochwasserspie­ gel des Tiber gehoben werden sollte, um die Region künftig vor Überschwemmungen zu schützen. Auch wenn Belege für diese Annahme vorhanden sind,234 hat die Diskussion des Pantheons bereits gezeigt, dass die Absichten, die mit der Verwirklichung des Projekts verbunden waren, über den pragmatisch­technischen Aspekt hinausreichten. So war auch der instauratio der Saepta Iulia neben dem pragmatischen Zweck kommunikatives Po­ tential inhärent: Bereits der Vorgängerbau der Saepta schloss relativ eng an das Pantheon Agrippas an.235 Was den hadrianischen Befund anbelangt, ist heute noch eine ursprünglich mindestens zehn Meter hohe und 2,09 Meter dicke Ziegelmauer erhalten, die direkt östlich an der Haupthalle des Pantheons entlangläuft und zeitgleich mit dieser zu datieren ist.236 Auf der Ostseite der Struktur befinden sich rechteckige Wandnischen. Damit handelte es sich um die Rückwand einer Porticus. Fragmenten der Forma 233 Siehe dazu auch Opper (2008) 123–125. Vgl. aber Hetland (2015) 92: „There is at least one aspect of Bloch’s theory that seems correct, namely, that the Pantheon was contemporary with the group of early Hadrianic buildings […] – only these buildings were in fact Trajanic.“ Aller­ dings wurden diese Bauwerke offiziell ebenso Hadrian zugeschrieben wie das Pantheon. 234 Blake/Bishop (1973) 42; 51; Boatwright (1987) 71 mit Anm. 111; 176f, Anm. 54. 235 Knell (2008) 21; Gatti (1937) 18; Roddaz (1984) 256–261; 267f; La Rocca (2015) 49; 50, Abb. 2.1; 77, Abb. 2.11. 236 Am äußersten Punkt des Rotundenkreises betrug der Abstand lediglich 42 cm; zu einer ausführ­ lichen Beschreibung und Analyse der Mauer in der Baustruktur des Pantheons siehe de Fine Licht (1968) 163–171.

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Urbis ist zu entnehmen, dass die Saepta aus vier Portiken bestand,237 so dass sich wohl ein Gesamtkomplex von 310 × 120 Metern am Pantheon entlang von Norden nach Süden erstreckte.238 Der ältere Plinius informiert über die Dekoration der Por­ tiken mit mythologischen Bildern, die zum einen Pan und die olympischen Götter, was wohl auf den Mythenkreis von Jason und den Argonauten verweisen sollte, zum anderen Chiron und Achill zeigten.239 Somit dürfte es sich um die Porticus Argo­ nautarum und die Porticus Meleagri gehandelt haben, wie sie die spätantiken Kata­ loge Curiosum urbis Romae regionum XIV (cum breviariis suis) und Notitia regionum urbis Romae XIV vermerken.240 Die Porticus Meleagri ist nicht erhalten, entsprach aber wohl im Osten der Saepta der westlich gelegenen Porticus Argonautarum.241 Die Errichtung der Saepta Iulia wurde vermutlich von Iulius Caesar begon­ nen242 und von M. Aemilius Lepidus, der bei Cassius Dio als Bauherr ausgewie­ sen ist,243 fortgesetzt. Agrippa zeichnete schließlich für die Dekoration und die Benennung des Bauwerks verantwortlich, womit er, so Dio weiter, Augustus habe ehren wollen.244 Im Weiteren dürfte die Saepta Iulia als Wandel­ und Markt­ platz, vor allem aber als Repräsentationsplatz gedient haben.245 Hier wurden im augusteischen Prinzipat zu zwei Anlässen Spiele abgehalten; zudem wurde be­ schlossen, hier die ludi saeculares zu veranstalten.246 Zusätzliche Relevanz für die Herrschaftsrepräsentation erhielt die Saepta im Jahr 9 n. Chr.: Anstelle eines Triumphes aufgrund der siegreichen Rückkehr des Tiberius aus Illyrien zog dieser lorbeerbekränzt in Rom ein, bestieg in der Saepta ein speziell zur Begrüßung des Volks errichtetes Tribunal und nahm gleichzeitig mit Augustus und von den Konsuln flankiert Platz. 247 Dieser Akt verdeutlichte die nun intendierte

237 Forma Urbis Taf. xxVI (hg. v. Rodriguez Almeida (1981); siehe dort auch 122–126); siehe auch Cass. Dio 53,23, der, wie gezeigt, ebenfalls den hadrianisch­severischen Befund beschreibt. 238 Coarelli (2007) 289; Boatwright (1987) 50; siehe auch Gatti (1937) 8–23. 239 Plin. nat. 36,29; Cass. Dio 53,23,2; siehe auch Gatti (1937) 10f. 240 Curios. urb., regio Ix Circus Flamineus, Zeile 22f; Not. reg., regio Ix Circus Flaminius, Zeile 23f (hg. v. Jordan (1871) p. 556). Zum Curiosum urbis Romae regionum XIV, der Notitia regionum urbis Romae XIV und der Datierung dieser Werke siehe den Kommentar in der Edition der beiden Kataloge sowie der Mirabilia Romae von Jordan (1871) 1–139. 241 Einen allgemeinen Überblick über die Gesamtanlage geben Gatti (1999) 228f; Boatwright (1987) 36; 49–52; siehe auch Blake/Bishop (1973) 50; Knell (2008) 21–23; Roddaz (1984) 259f. 242 Cic. Att. 4,17,8. 243 Cass. Dio 53,23,2. 244 Cass. Dio 53,23,2. 245 Siehe Gatti (1999) 228; Boatwright (1987) 36; Knell (2008) 21. 246 Cass. Dio 55,8,5 (7 v. Chr.: ludi aus Anlass des Todes des Agrippa); 55,10,7 (2 v. Chr.: ludi aus Anlass der Weihung des Mars­Ultor­Tempels); Suet. Aug. 43,1 und auch 43,4 (unspezifisch); CIL VI 877 = CIL VI 32323 = CIL VI 32324 = AE (1892) 1 = AE (1988) 20 = AE (1988) 21 = AE (2002) 192 = AE (2003) 146 (17 v. Chr.: Beschluss zur Abhaltung der ludi saeculares). Siehe zu weiteren ludi in der Saepta Iulia: Suet. Cal. 18,1; Suet. Cal. 21,4; Cass. Dio 59,10,5; Suet. Nero 12,4; siehe Boatwright (1987) 51; Gatti (1937) 92f; vgl. Gatti (1999) 228, der aus Cass. Dio 55,10 fälschlich eine naumachia ableitet. 247 Suet. Tib. 17,2; Cass. Dio 59,1,1 siehe auch Gatti (1999) 228.

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Nachfolgepolitik des Augustus und somit auch die künftige Sicherheit des Rei­ ches (gerade in Anbetracht der Niederlage des Varus).248 Zwar ist von der durch Hadrian restituierten Saepta Iulia (in der Nachfolge von Wiederherstellungsarbeiten Domitians)249 nur besagte Rückwand der Porticus Ar­ gonautarum erhalten geblieben, dennoch ist aus dem äußerst geringen Abstand zum Pantheon zu schließen, dass ein Zusammenwirken der beiden Bauten durchaus evo­ ziert werden sollte.250 Das deuten auch einige Überreste der Saepta an: 1. Das Dachgesims der Saepta war wohl von gleicher Höhe wie die Vorhalle des Pantheons.251 2. Im Mauerwerk der beiden Bauten befand sich ein (später geschlossener) Durch­ gang, der diese zu einem gemeinsamen Baukomplex verband.252 3. Das Mauerwerk des Pantheons und die Rückwand der Porticus Argonautorum weisen über die Datierung hinaus 253 auch in Struktur und Bauweise deutliche Ent­ sprechungen auf.254 4. Möglicherweise sind ein Simsgebälkfragment und ein Säulenkapitell, die beide in Entsprechung zum Pantheon im korinthischen Stil ausgeführt sind, der Saepta zuzuordnen.255 Aufgrund dieser direkten Vereinigung mit dem neuerrichteten Pantheon zu einem Baukomplex kann es sich bei der hadrianischen ‚Wiederherstellung‘ um keine exakte Renovierung der Saepta Iulia des Agrippa bzw. Lepidus gehandelt haben. Vielmehr muss ihr Erscheinungsbild durch eine neue Konzeption deutlich verändert worden sein. Dennoch verwies die hadrianische Anlage ausdrücklicher auf Augustus: Anstatt die neue Saepta aufgrund ihrer tradierten Funktion als (ehemaliger) Ort für Volks­ versammlungen256 als konstitutives Bauwerk des römischen Gemeinwesens und seiner großen Traditionen zu präsentieren, assoziierte Hadrian sie gerade durch die neue architektonische Verbindung mit dem Pantheon und dessen expliziten zeit­ typischen Augustus­Verweisen eindeutig mit ihrem Ersterrichter bzw. Fertigsteller Agrippa und damit letztlich mit Augustus. Hadrian hatte also seine restitutio auch in diesem Fall neu und originär gefasst und machte ihre Verweisstruktur gemäß den Erfordernissen, Erwartungshaltungen und Möglichkeiten seines Interaktionsfelds durch aktualisierte Formen für seine Imago und die Akzeptanz seiner Herrschaft nutzbar. Dieses Vorgehen lässt sich auch bei einem dritten Bauwerk auf dem südlichen Marsfeld feststellen, das sich auf der Südseite des Pantheons und somit gegenüber von dessen Vorhalle und Portal befand. Allerdings kann aus dem archäologischen Befund – einzig die Nordwand und von dieser ausgehend jeweils ein Übergang in 248 249 250 251 252 253 254 255

Siehe u. a. Suet. Tib. 15,1–16,1. Hier. chron. a. Abr. p. 191 (ed. Helm). Vgl. Knell (2008) 21f. Gatti (1940) 69; Blake/Bishop (1973) 50; vgl. Boatwright (1987) 51. de Fine Licht (1968) 165; siehe auch Boatwright (1987) 51. Siehe hierzu auch Gatti (1940) 69f. Siehe de Fine Licht (1968) 164; 170; Blake/Bishop (1973) 50. de Fine Licht (1968) 278, Anm. 6 (mit Forschungsüberblick) und Fig. 271; vgl. Boatwright (1987) 50f, die allerdings die Funde (48 mit Anm. 47) nach Leon (1971) 211f mit Anm. 6 der sog. Basilica Neptuni zuschreibt. 256 Siehe Cic. Att. 4,17,8; siehe auch Höcker (2001b) 1213; Dulckeit/Schwarz/Waldstein (91995) 200f.

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Ost­ und Westwand konnten freigelegt werden – nicht definitiv geschlossen werden, dass es sich dabei um die der vita Hadriani zufolge ebenfalls wiederhergestellte Basilica Neptuni257 handelt. Aus diesem Grund wird das Bauwerk in der Forschung, orientiert an seiner Lage zum Pantheon, als „South Building“ bezeichnet.258 Dennoch belegen Rekonstruktionen dieses südlich der Rotunde in ca. 20 Metern Abstand si­ tuierten Gebäudes eine Basilica­Struktur: Mit 48,55 Metern Außen­ sowie 45 Metern Innenumfang besaß es in der Mitte der Nordwand eine ausladende Apsis, die bis auf 1,75 Meter an das Pantheon heranreichte und auf beiden Seiten von je drei kleinen Nischen, jeweils einer halbkreisförmigen und zwei rechteckigen, flankiert wurde. In der Ost­ und der Westmauer befand sich jeweils an der gleichen Stelle eine recht­ eckige Nische, so dass die beiden gegenüberliegenden Wände einander spiegelten. Zudem lässt ein Plan des Gesamtkomplexes aus der Renaissance den Schluss zu, dass besagtes Gebäude 19 bis 20 Meter lang war, wobei die fehlende Südmauer abzüglich der Apsis ihrem erhaltenen nördlichen Pendant entsprochen zu haben scheint. Somit dürften im Inneren jeweils vier kannelierte Säulen im Norden und Süden drei Kreuzgewölbe getragen haben.259 Das Säulengebälk besaß insgesamt eine Höhe von 250,5 Zentimetern. Während dessen Architrav und Deckenleiste mit klassischen Reliefs wie Eierstab, Zahnschnitt und Perlenmotivik, im Architrav kam außerdem Laubdekoration, unter anderem bestehend aus Acanthusblättern, hinzu, geschmückt waren, war der Fries, wie Fragmentfunde belegen, mit Reliefdarstel­ lungen maritimer Motive dekoriert: springende Delfine, Muscheln und Dreizacke.260 Auch diese restituierte Basilica weist charakteristische Gemeinsamkeiten mit dem neuerrichteten Pantheon auf: 1. Das genutzte Material und die Struktur der Basilica­Mauer stimmen wiederum weitgehend mit der Beschaffenheit der Außenmauer des neuen Pantheon überein.261 2. Auch die innere Ordnung der Basilica wies, wie Fragmente zeigen, klare Ent­ sprechungen zum hadrianischen Pantheon auf: Hier wie dort waren die Säulen im korinthischen Stil gehalten262 und aus dem gleichen weißen Marmor gefertigt.263 3. Die Basilica und das Pantheon besaßen nicht nur nahezu den gleichen äußeren wie inneren Umfang,264 auch die Höhe der Säulengebälke war aufeinander abgestimmt:265 So schloss das Säulengebälk der Basilica auf der Höhe des zweiten Gesimses des Pantheons ab.266 4. Die Apsis der Basilica lag auf der gleichen Achse und besaß die gleiche Aus­ dehnung wie die große Apsis am Nordende des Pantheons. Die beiden größten 257 SHA Hadr. 19.10. 258 So v. a. de Fine Licht (1968) insbes. 147–156; Boatwright (1987) 48; vgl. La Rocca (2015) 50, Abb. 2.1. 259 Siehe Cordischi (1993) 182; Blake/Bishop (1973) 48–50; Boatwright (1987) 48–50; Knell (2008) 19; zu einer ausführlichen kritischen Auseinandersetzung siehe de Fine Licht (1968) 147–156. 260 de Fine Licht (1968) 150f mit Fig. 163–166. Siehe auch Cordischi (1993) 182; Boatwright (1987) 49. 261 de Fine Licht (1968) 148; Blake/Bishop (1973) 50. 262 Boatwright (1987) 49. 263 de Fine Licht (1968) 149. 264 Boatwright (1987) 48. 265 de Fine Licht (1968) 150. 266 Boatwright (1987) 48.

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Nischen spiegelten einander also,267 was wohl den Schluss auf gleichzeitige Planung und Ausführung der ‚Wiederherstellungen‘ zulässt.268 Diese Erweiterung wurde im weiteren Bauverlauf durch die Errichtung der Gewölberäume forciert, die, wie gezeigt, statischen Erfordernissen folgten, aber sicherlich auch ästhetischen Erwägungen Rechnung trugen: In seiner äußeren Struktur wurde nun die Rotunde von zwei vor­ gelagerten, sehr ähnlichen langgestreckten Pronaoi umschlossen.269 Die Wirkabsicht des Ensembles aus Pantheon, Saepta und Basilica auf dem südlichen Campus Martius ist eindeutig: Dem Betrachter sollten durch direkte Bezüge und durch den geringen Abstand der Standorte der Eindruck eines zusammenhän­ genden Gebäudekomplexes vermittelt werden. Intensiviert wurde dieser Eindruck vermutlich durch die Dekoration sowohl der Porticus Argonautorum als auch der Basilica mit Reliefs maritimer Motive.270 Bezüglich des Pantheons und der Saepta Iulia wurde bereits ein Augustus­Bezug identifiziert, den Hadrian bei den entsprechenden Wiederherstellungsarbeiten zu evozieren bemüht war. War auch der Basilica eine solche Bezugnahme inhärent? Und wie ist mit dem Problem der Bewertung der gegebenen Struktur als Basilica Neptuni umzugehen? Handelte es sich bei diesem „South building“ tatsächlich um ein weiteres Bauwerk des Agrippa bzw. um ein Gebäude augusteischer Zeit handelt? Diesbezüglich sind fünf Aspekte in Betracht zu ziehen: 1. Das Bauwerk war architektonisch als Basilica zu klassifizieren und bei den maritimen Darstellungen, insbesondere dem Dreizack, handelte es sich um tradierte Attribute Neptuns bzw. Poseidons.271 Das vermag die Identifikation als Basilica Neptuni nahezulegen, letztlich aber nicht zu beweisen.272 Zudem ergibt sich daraus keine Aussage über den Urheber. 2. Die vita Hadriani erwähnt, wie bereits gezeigt, eine Basilica Neptuni, der, wie dem Pantheon und der Saepta Iulia zuvor, das Verb „instauravit“273 zugewiesen wird. Erst danach werden schlicht ‚zahlreiche Tempel‘ genannt, die wiedererrichtet worden seien. Durch diese unspezifische Erwähnung geht die Vita möglicherweise von der Schilderung eines Gebiets mit einem baulichen Gesamtkomplex, dessen Einzelbauten darüber hinaus von einem einzigen Bauherrn stammten, zu weiteren Bauten über. 3. Erwähnung findet die Basilica Neptuni, neben ihrem singulären Vermerk in der Historia Augusta, im wohl ungefähr zeitgleich entstandenen Curiosum urbis Romae.274 Bei Cassius Dio ist derweil von einem „Ποσειδώνιον“ die Rede, das 267 268 269 270 271 272

Boatwright (1987) 48; de Fine Licht (1968) 147f. Blake/Bishop (1973) 50f; de Fine Licht (1968) 147; Boatwright (1987) 48. Siehe dazu Boatwright (1987) 50. Gatti (1940) 67f; siehe auch Boatwright (1987) 52. Siehe Blake/Bishop (1973) 50; siehe auch Roddaz (1984) 270f. So insbes. de Fine Licht (1968) 154–156, der die maritimen Friesdarstellungen in die Agrippa­ Thermen verlegen möchte und die Basilica als Bibliothek des Alexander Severus identifiziert (Sextus Iulius Africanus, Kestoi (Schluss von Buch 18): P.Oxy 412, 63–68 (Col. ii)); siehe auch Cordischi (1993) 182f. Doch auch de Fine Lichts Funktionszuschreibung bleibt aufgrund feh­ lender Belege hypothetisch: so Boatwright (1987) 49 mit Anm. 51. 273 SHA Hadr. 19,10. 274 Curios. urb., regio Ix Circus Flamineus, Zeile 16 (hg. v. Jordan (1871) p. 556).

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Agrippa erbaut habe275 und das im Kontext des großen Brands von Rom im Jahr 80 n. Chr. zerstört worden sei.276 Darunter sei, so erstmals Guglielmo Gatti, die Basilica Neptuni zu verstehen.277 Doch verfasste Dio sein Werk, wie schon problematisiert wurde, erst in severischer Zeit. Somit ist zwar nicht unwahrscheinlich, dass in der Tat unter Agrippa ein Bauwerk geschaffen wurde, dass den Namen Basilica Neptuni erhielt oder bei dem es sich zumindest um die später sog. Basilica Neptuni handelte, doch kann es keineswegs als erwiesen gelten. Zudem geht aus Dio nicht hervor, wo das Agrippa zugeschriebene Poseidonion zu lokalisieren ist: Zwar wird im folgenden Abschnitt Agrippa auch als Bauherr des Pantheons berücksichtigt,278 doch ist auch hier die Interpretation, dass die Stoa sich mit den anderen Bauwerken auf dem Marsfeld befunden habe, nicht allzu belastbar. Letztlich bliebe auch offen, wann (und ob) die Stoa zur Basilica wurde. 4. Im Fundament der Basilica neben dem Pantheon sind keine Überreste einer früheren Struktur, wie eines Vorgängerbaus aus augusteischer Zeit, auszumachen.279 Allerdings ist auch andernorts bisher kein Poseidonion entdeckt worden. 5. Darüber hinaus wird gelegentlich auf eine in den Mirabilia Romae, einem hochmittelalterlichen Pilgerführer, überlieferte Legende verwiesen.280 In dieser wird erzählt, wie Agrippa, beauftragt die Sueben, Sachsen und ‚die anderen westlichen Völker‘ zu unterwerfen, darin in einem Traum von Kybele bestärkt wird. Die Göttin verspricht Agrippa Unterstützung, fordert ihn aber auf, zum Dank einen Tempel zu errichten, der ihr und Neptun dediziert werden solle. Agrippa verspricht dies und handelt nach siegreicher Heimkehr entsprechend.281 – Abgesehen davon, dass derlei mittelalterliche Narrative kaum als Belege für ein Bauwerk der Antike herangezogen werden können, genügt auch die Benennung Neptuns als Gott, dem der Tempel geweiht worden sei, nicht als Nachweis für eine durch Agrippa erbaute Basilica Neptuni. Noch weniger zu klären ist die angebliche Kultgemeinschaft mit Kybele. Darüber hinaus habe Agrippa der Legende zufolge den Kreis der Götter neben Kybele und Neptun um alle demones, d. h. alle antiken Gottheiten, erweitert und den ent­ sprechenden Tempel Pantheon genannt.282 Folgerichtig ist dieser Absatz der Mirabilia überschrieben mit „Quare factum sit Pantheon“.283 Die Forschung hat versucht, die Darstellung als Beschreibung eines bereits in augusteischer Zeit zusammengeschlos­ senen Baukomplexes von Pantheon und Basilica Neptuni zu deuten.284 Valide Kommentare vermögen die Mirabilia aber nicht zu vermitteln. 275 Cass. Dio 53,27,1; Ernest Cary übersetzt hier, nicht unbedingt korrekt interpretierend, „the building called the Basilica of Neptune“ (Loeb, Cassius Dio, Bd. VI, 263). 276 Cass. Dio 66,24,2; hier schlägt Cary „the temple of Neptune“ vor (Loeb, Cassius Dio, Bd. VIII, 309); siehe auch Darwall­Smith (1996) 96f; 137. 277 Siehe Gatti (1940) 61–73. 278 Cass. Dio 53,27,2; vgl. Cass Dio 66,24,2. 279 Shipley (1933) 47; Boatwright (1987) 52. 280 Gatti (1940) 72; Roddaz (1984) 270. Zu den Mirabilia und ihrer Datierung siehe den Kommen­ tar von Jordan (1871) 357–536. 281 Siehe Mirabilia Romae 18 (hg. v. Jordan (1871) p. 621f). Siehe auch Roddaz (1984) 270 mit Anm. 228. 282 Mirabilia Romae 18 (Jordan (1871) p. 622) Zeile 24: „et posuit hoc templo nomen Pantheon“. 283 Mirabilia Romae 18 (Jordan (1871) p. 621) Zeile 36. 284 Siehe dazu Gatti (1940) 72; Roddaz (1984) 270.

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Dennoch macht die anzunehmende Dekoration des Frieses mit maritimer Mo­ tivik einen Vorläuferbau des Agrippa recht plausibel. Handelte es sich dabei doch um ein in der Zeit Octavians respektive des jungen Augustus äußerst prominentes Dekorationselement, das sich von der Siegessymbolik nach Naulochos und Actium herleitete. Auf diese Weise wurde die Sieghaftigkeit des neuen Regimes und der diese ermöglichende oder zumindest unterstützende dauerhafte göttliche Beistand Neptuns betont.285 Die Mannigfaltigkeit der dargestellten maritimen Motive und ihre schnelle Übernahme in private Kreise286 sicherte ihnen ein langes Nachleben und vermochte weiterhin Assoziationen mit Agrippa und Augustus respektive ihren Leistungen hervorzurufen. Außerdem sei Cassius Dio zufolge Agrippa aufgrund der Seesiege vom Senat ein Triumph zuerkannt worden, den er allerdings ablehnte.287 Im Kontext dieser triumphalen Ehren könnte Agrippa aber dennoch als letzter Feld­ herr der Republik der üblichen Selbstrepräsentation eines Triumphators gefolgt sein, durch ein öffentliches Bauwerk an seinen Sieg zu erinnern. Dabei könnte sich ein Tempel für Neptun besonders angeboten haben, da ein solcher nicht allein auf Agrippas Leistungen verwiesen hätte,288 sondern auch auf die göttliche Verbindung des augusteischen Prinzipats. Tatsächlich könnte ein Eintrag in den Fasti Fratres Arvalium auf ein solches Bauengagement Agrippas hindeuten, jedoch scheint die entsprechende Inschrift lediglich über die Errichtung eines kleinen Neptunschreins als sacrum privatum zu informieren. Das schließt aber nicht aus, dass eben dieser kleine Schrein im Rahmen der hadrianischen Bauarbeiten auf dem Marsfeld zur Basilica ausgebaut wurde.289 Folglich wäre sogar erneut die Monumentalisierung einer augusteischen Struktur auf dem Marsfeld im Rahmen einer angeblich bloßen instauratio zu verzeichnen. Freilich sind dies lediglich Plausibilitätserwägungen, die ohne archäologischen Befund hypothetisch bleiben müssen. Dennoch kommt der Meeressymbolik der Überreste des hadrianischen Basilica intentionale Relevanz zu. So vereinigte sich die Basilica nicht nur durch direkten Anschluss als zweiter Pronaos mit dem Pantheon, sondern wies auch in Entsprechung zur Saepta maritime Dekorationselemente auf, was die Vereinigung der drei Bauwerke zu einen Gesamtkomplex unterstrich. Damit ist zwar weder mit Sicherheit zu entscheiden, ob es sich bei dem hadrianischen Bauwerk um die Basilica Neptuni handelte, noch ob es einen augusteischen Vorläu­ ferbau gegeben hatte. Andererseits aber wurde dem Gebäude durch die direkte Ver­ bindung mit dem ansonsten eindeutig als augusteisch präsentierten Baukomplex ein Augustus­Bezug eingeschrieben, der selbst dann Relevanz besaß, wenn die Basilica auf dem südlichen Marsfeld ein vorbildloses hadrianisches Objekt war.

285 Siehe Zanker (42003) 88–90; Shipley (1933) 44; Roddaz (1984) 270. Zu dem Neptun, Mars und Apollo geweihten augusteischen Siegesdenkmal von Nikopolis siehe Lange (2009) 95–123. 286 Zanker (42003) 89f. 287 Cass. Dio 48,49,2–4. 288 Siehe Shipley (1933) 44, der allerdings das Hadrianeum mit der Basilica Neptuni gleichsetzen wollte. 289 So Ziolkowski (1994) 261–277 zu CIL VI 2295 = CIL VI 32482 = InscrIt xIII 2,2: […] f(eriae) ex s(enatus) c(onsulto) q(uod) e(o) d(ie) Imp(erator) Caesar Aug(ustus) pont(ifex)/ma[x(imus)] natus est Marti Neptuno in campo / Apo[l]lini ad theatrum Marcelli […].

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Natürlich war maritime Symbolik weder eine augusteische Invention, noch schwand ihre Popularität zwischen den Prinzipaten des Augustus und des Hadrian vollends. Gerade kaiserliche Sieghaftigkeit wurde in den folgenden Prinzipaten in vergleichbarer Bildsprache artikuliert.290 Dennoch führte gerade die Prominenz mari­ timer Ornamentik im augusteischen Prinzipat dazu, dass sie als Modeerscheinung in private Kreise der römischen Aristokratie Eingang fand.291 Aufgrund dieser Popu­ larität bei vorausgehenden Generationen auch im privaten Bereich war die Klassi­ zität der maritimen Ornamentik ebenso bekannt wie ihr Ursprung im augusteischen Prinzipat. An diese tradierte Zuschreibung schloss Hadrian an, um mittels maritimer Ornamentik auf Augustus zu verweisen. Dabei berief er sich aber im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht auf den Aspekt der Sieghaftigkeit. Entsprechend wird durch die maritime Symbolik weiterhin das gute Verhältnis zur göttlichen Sphäre und die kaiserliche Sorge um das Wohlergehen Roms und des Reichs betont, die militärische Selbstrepräsentation jedoch durch den Verweis auf augusteische Traditionen, die Hadrian wieder aufzurichten versprach, ersetzt. Hadrian suchte folglich eine spezi­ fische Deutung von Augustus im Feld der urbs aufzurufen, die ebenso wenig den Inhalten der Herrschaft des ersten Princeps entsprach, wie dies beim Baustil, bei der inneren und äußeren Ausgestaltung sowie bei der dekorativen Ausführung der Monumente, die diese Botschaft aussenden sollten, notwendig war. Somit waren sowohl der freie Neuaufbau augusteischer Gebäude als auch die Inkorporierung von Augustus­Verweisen in neue Bauwerke möglich. Das südliche Marsfeld betreffend schreibt die vita Hadriani schließlich noch einem weiteren Bauwerk eine hadrianische instauratio zu: dem „lavacrum Agrippae“. Dabei handelt es sich um die in direkter Nähe zum beschriebenen Komplex gelege­ nen Agrippa­Thermen,292 die durch archäologische Überreste und die severische Forma Urbis verbürgt sind.293 Allerdings sind keine hadrianischen Wiederherstel­ lungsarbeiten an den Thermen auszumachen: Die archäologisch nachweisbaren Renovierungen gehören in severische oder constantinische Zeit.294 Selbstverständlich ist eine instauratio der Thermae Agrippae durch Hadrian dennoch möglich. Sollte aber eine solche Wiederherstellung stattgefunden haben, muss sie konservativer gewesen sein als bei den bislang diskutierten Gebäuden: Wie der Befund zeigt, wur­ den keine großen Veränderungen an den Thermen vorgenommen. Es sei, so Boatwright, allerdings möglich, dass diese Beschränkung auf den status quo 290 Folglich führt auch die Feststellung von Boatwright (1987) 49, dass Reliefs mit Delfinen populär geblieben seien und beispielsweise auch am Palast Domitians auf dem Palatin auszumachen wa­ ren, zu keiner Einschränkung des konstatierten hadrianischen Augustus­Rekurses. Dass dem Del­ fin in der Antike vor und nach Augustus auch andere Bedeutungen zugeschrieben wurden und er in unterschiedlichsten Kontexten dargestellt wurde (Gury (1997) Sp. 1176 zum Delfin als stella­ rem Symbol; Preston (1997) 33 zum Delfin als Attribut diverser Götter), unterstreicht gerade die Zeit­ und Situationsgebundenheit der jeweils vorgenommenen Interpretation. 291 Siehe Zanker (42003) 264–293. 292 Zu einer Darstellung des Befunds und seiner Geschichte siehe Roddaz (1984) 278–282; Boatwright (1987) 52. 293 Boatwright (1987) 52; Forma Urbis Taf. xxxI (hg. v. Rodriguez Almeida (1981); siehe dort auch 148). 294 Siehe Boatwright (1987) 52. Auf Renovierungen in constantinischer Zeit weist ggf. CIL VI 1165 hin.

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praktische Gründe gehabt habe, da kein Platz für eine glanzvolle Vergrößerung oder Erweiterung der Bäder vorhanden war. Auch wurden sie nicht mit der Saepta Iulia oder der Basilica verbunden.295 Dennoch ist auch ohne entsprechende archäologische Zeugnisse wiederum auf die interessante Zuschreibung einer instauratio der thermen in der vita Hadriani hinzuweisen: Die Wiedererrichtung augusteischer Monumente (und insbesondere des Komplexes auf dem südlichen Marsfeld) wurde offenbar als wesentliches Spe­ zifikum des hadrianischen Prinzipats rezipiert. Hadrian und das Forum Augustum Neben dem Campus Martius schreibt die vita Hadriani explizit noch einem weiteren Bereich hadrianische instaurationes zu: dem Forum Augustum. Bis in die 1960er Jahre hinein war die archäologische Forschung auf Basis der Angaben der Historia Augusta davon ausgegangen, große Teile der erhaltenen Ausstattung des ersten Kaiser­ forums seien hadrianischen Ursprungs.296 Heute besteht jedoch dank einer umfas­ senden Untersuchung von Donald E. Strong und John B. Ward­Perkins Konsens darüber, dass der Baubefund angeblich zwischen flavischer und hadrianischer Zeit restaurierter Bauwerke in Aufbau, Beschaffenheit, Reliefierung, Materialverwendung, Bautechniken und Elementen der Dekoration eindeutig dem augusteischen Urzustand entspricht. Vermutlich hat das Gros der augusteischen Bauwerke Roms, das Marsfeld sei hier einmal ausgenommen, im späten ersten und frühen zweiten Jahrhundert keine wesentlichen Wiederherstellungen oder Umgestaltungen erfahren, zumindest sind kaum stilistische Veränderungen zu verzeichnen. Das gilt neben vielen anderen Monumenten auch für den Mars­Ultor­Tempel und die übrigen Teile des imperialen Forums.297 So sind insgesamt nur geringfügige „hadrianische Ausbesserungen an der südlichen Portikus“ des Forum Augustum feststellbar.298 Bei diesen instaurationes handelt es sich um ein 0,953 Meter hohes korinthisches Kapitell,299 ein Friesfragment der nördlichen Exedra,300 einen Stirnziegel des Mars­Ultor­Tempels301 und vier von insgesamt fünf erhaltenen Löwenkopfwasserspeiern, die allesamt schlicht augusteische Bauelemente ersetzten, die wohl beschädigt waren.302 Bei diesen ha­ drianischen Arbeiten ist also im Gegensatz zum Komplex auf dem südlichen Mars­ feld kein innovativer Charakter zu konstatieren. Das wird besonders an den vier 295 Siehe Boatwright (1987) 53f. Eine Verbindung vermuteten Gatti (1940) 73 und de Fine Licht (1968) 154–156. 296 Siehe Gerkan (1953/54) 200–206. Für eine kurze Diskussion dieser heute überholten Thesen siehe Zanker (1968) 11; Leon (1971) 142; Boatwright (1987) 95 mit Anm. 59. 297 Strong/Ward­Perkins (1962) 1–30; Heilmeyer (1970) 31f; siehe auch Leon (1971) 142–208. 298 Zanker (1968) 11. 299 Siehe Zanker (1968) 11; 30, Anm. 36. sowie Abb. 23 und 24; Heilmeyer (1970) 32 mit Anm. 121 und Taf. 30,1; siehe auch Boatwright (1987) 95 mit Abb. 18. 300 Siehe Kraus (1953) 54; Kockel (1983) 438; Boatwright (1987) 95; Leon (1971) 142; Heilmeyer (1970) 31f. 301 Siehe Kockel (1983) 438; Boatwright (1987) 95. 302 Siehe Kockel (1983) 439; Boatwright (1987) 95f.

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Löwenkopfdarstellungen deutlich, die eine präzise Nachahmung des einzig erhalte­ nen augusteischen Originalstücks sind.303 Somit bedeuteten die instaurationes auf dem Augustusforum im Gegensatz zu jenen am Pantheon tatsächlich Wiederherstel­ lungen im Sinne von Reparaturarbeiten.304 Trotzdem darf nicht aus dem Blick geraten, dass die Rezeptionssituation in hadrianischer Zeit eben nicht jener der Zeit des Augustus entsprach. Aus diesem Grund waren auch die begrenzten Reparaturarbeiten am Forum Augustum ein kai­ serliches Interaktionsangebot an die Statusgruppen: Indem sich Hadrian ergänzend zu den Arbeiten auf dem Marsfeld an die instauratio einer weiteren augusteischen Struktur machte, intensivierte er seine Bezugnahme auf Augustus. Dabei besaßen die Bauarbeiten zweifelsohne eine gezielt performative Qualität. Die instauratio des imperialen Forums war besonders geeignet, die Selbstverpflichtung des Princeps gegenüber der Vergangenheit zum Ausdruck zu bringen, zeigte das Statuenprogramm doch die für die Größe Roms verantwortlichen exemplarischen Gestalten als summi viri, die visuell auf Augustus als Kulminationspunkt zuliefen.305 Diese kaiserlichen Renovierungsarbeiten waren auch besonders auffällig, weil, abgesehen von den 19 n. Chr. hinzugefügten Bögen des Drusus und Tiberius, wohl keine weiteren Bau­ arbeiten vor dem hadrianischen Prinzipat vorgenommen worden waren.306 Auf diese Weise gelang es Hadrian nicht nur, seine pietas zu demonstrieren, sondern auch und vor allem eine weitere Ebene der Intention zu erreichen: Durch die Bauarbeiten stand er als neuer auctor auch über Augustus, der nun als eine, wenn auch die bedeutendste, jener großen Gestalten der res publica dargestellt wurde, auf die sich Hadrian berief und auf deren Werk er aufbaute, indem er es durch seine Leistung der Neuaufrichtung zu vollenden versprach. Dabei konnte der Urzustand des Forums nicht nur unprob­ lematischerweise beibehalten werden, der Befund unterstützte die Intentionsabsicht Hadrians sogar. Doch selbst wenn die nur geringfügigen hadrianischen Wiederherstellungsmaß­ nahmen schlicht Beschädigungen beseitigen sollten und keine programmatische Aussage damit verbunden war, ist bezeichnend, dass die vita Hadriani dem Princeps neben der nicht zu bezweifelnden instauratio des südlichen Campus Martius auch eine solche des Forum Augustum zuschreibt. Die Reparaturmaßnahmen wurden also analog zur programmatischen Wiedererrichtung des Marsfelds rezipiert. Die Wirk­ mächtigkeit hadrianischer restitutiones war so nachhaltig, dass diese Niederschlag in der Überlieferung fanden. Hadrianus restitutor – Ein Aspekt der hadrianischen Selbstbeschreibung? Dass Wiederherstellungsarbeiten primär von augusteischen Monumenten in der urbs wesentlicher Aspekt der Herrschaftszeit Hadrians waren bzw. als solcher erachtet wur­ den, steht außer Frage. Aber inwiefern waren diese restitutiones auch ein strategisches, 303 304 305 306

Kockel (1983) 439. Kockel (1983) 439; siehe auch Leon (1971) 142. Siehe Zanker (1968) 12–27; Zanker (42003) 196–217. Zu diesem Befund siehe Heilmeyer (1970) 25–32.

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regelmäßig eingesetztes und intentionales Konzept der hadrianischen Selbstdarstel­ lung? Verwendete Hadrian den Begriff selbst, nutzte er ihn in der oder zur Erzeugung einer Kommunikation mit den Statusgruppen? Sollte dies der Fall sein, wäre im Weiteren zu fragen, welche Aussagen er damit verband und inwiefern die restitutio zum Teil seiner spezifischen Imago wurde. Um diese Fragen zu beantworten, ist nun der stadtrömische epigraphische Befund in den Blick zu nehmen: Bislang sind fünf Inschriften bekannt, die Hadrian eine restitutio zuwiesen bzw. in denen sich der Princeps selbst als restitutor beschrieb. Hier besteht ein grundsätzlicher Unterschied zur Giebelinschrift des Pantheons: Während darin gezielt und ausschließlich auf Agrippa verwiesen wurde, sind nun Inschriften zu untersuchen, welche die restitutio beim Namen nannten und sich, sofern korrekt rekonstruiert, direkt auf Hadrian bezogen. Zwar steht eine dieser Inschriften im Dativ, eine weitere bringt die Kaisertitulatur im Ablativ, doch entsprach ihre Setzungen gewiss Intentionen des Princeps, handelte es sich doch um einen Teil seiner Bauprojekte. Dass es aber dennoch dem Senat zukam, die Setzung von Ehren­ inschriften zu beschließen,307 entband den Princeps vom Vorwurf mangelnder modestia. Somit dürfen die im Folgenden diskutierten Inschriften, ist ihre Lesung korrekt, durchaus als Evidenzen der hadrianischen Selbststilisierung verstanden werden, die durch die Rezeption aufgenommen und als Aspekt der hadrianischen Imago gedeutet werden sollte. Einschlägig in diesem Zusammenhang ist die auf einigen cippi erhaltene Inschrift, die Hadrians Wiederherstellung des Pomeriums, der kultischen Grenze Roms, the­ matisiert: ex s(enatus) c(onsulto) collegium / Augurum auctore / Imp(eratore) Caesare divi / Traiani Parthici f(ilio) / divi Nervae nepote / Traiano Hadriano / Aug(usto) pont(ifice) max(imo) / trib(unicia) pot(estate) V / co(n)s(ule) III proco(n)s(ule) / terminus pomerii / restituendos curavit308

Dieser Befund weist noch eine weitere Differenz zu den bisher diskutierten Wieder­ herstellungen auf: Nicht nur schweigt sich die vita Hadriani über sie aus, auch ein expliziter oder auch impliziter Augustus­Bezug scheint hier nicht vorhanden zu sein. Er fehlt auch bei zwei Bauinschriften gleichen Wortlauts, die Javier Velaza als Überreste einer „série plus large“ erachtet und deren Fragmente an verschiedenen Zugängen zur urbs gefunden wurden:309 Imp(erator) Caesar Traianus / Hadrianus Aug(ustus) p(ater) p(atriae) vetustate / dilapsas per regiones urbis restituit310

307 Siehe Kuhoff (1993) 43f; 215–236; Horster (2001) 99–102. Beispielhaft sei nur auf die Traian durch den SPQR dedizierte Ehrensäule nebst ihrer Inschrift verwiesen, die sich als vorgesehe­ nes Bauglied in das kaiserliche Gesamtprojekt des Traiansforums einfügte. 308 CIL VI 31539; siehe auch 1233a–b. Zum Pomerium siehe detaillierter das Kapitel Der hadriani­ sche Prinzipat – restitutio und Neugründung. 309 Velaza (2005) 265f (Zitat: 265). 310 CIL VI 40519 p. 4453 (= CIL VI Ps. 8 Fasc. 2: Addenda et corrigenda: p. 4313 durch Géza Alföldy und Gabriele Wesch­Klein) = 981 (cf. p. 3777); siehe auch CIL VI 40520 p. 4453 (= CIL VI Ps. 8 Fasc. 2: Addenda et corrigenda: p. 4313 durch Géza Alföldy und Gabriele Wesch­Klein).

2. Hadrianus Augustus. Die Augustus­Verweise Hadrians

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Zwar mutmaßt Velaza in Anlehnung an Alföldy, dass das Partizip „dilapsas“ auf die, der vita Hadriani zufolge, zahlreichen restaurierten aedes311 rekurriere,312 doch ist diese Annahme nicht belastbar und bei Beachtung des Fundkontexts der beiden Fragmente auch kaum überzeugend: Gerade wenn man den Befund als „une série préparée pour un vaste programme de restauration per regiones Vrbis“ deuten möchte,313 ist ein allgemeiner Bezug auf die reparierten, auf Rom bzw. seine Regionen zulaufenden viae und portae selbst,314 die jedem Besucher Roms beim Eintritt in die urbs als Verdienst des Princeps präsentiert wurden, deutlich wahrscheinlicher. Dafür spräche auch das auf „regiones“ bezogene „per“, also hindurch oder ringsum, in beiden Inschriften. Allgemeine Bauinschriften wie diese konnten freilich problemlos im Nominativ stehen. Indem der Princeps über seine Tätigkeit als Bauherr selbst im Nominativ Auskunft gab, führte er seine Fürsorge aber auch seine alles kontrollie­ rende Machtstellung im Zentrum des Imperiums jedem Bürger und jedem Besucher Roms, expressis verbis vor Augen. Die Vokabel vetustas unterstreicht dabei, dass Hadrian an die mores maiorum und damit an die Gründergestalten Roms anknüpfte. Als restitutor eines spezifischen Bauwerks präsentierte sich Hadrian selbst aber nur in folgender Inschrift, die im Fußboden von San Giovanni in Laterano gefunden wurde: Caesar divi Traiani / Parthici f(ilius) divi Nervae n(epos) / Traianus Hadrianus / Aug(ustus) pontif(ex) max(imus) trib(unicia) pot(estas) xx / Imp(erator) II co(n)s(ul) III p(ater) p(atriae) / Augurato[rium] dilaps(um) / a solo pe[c. sua restitu]it315

Sie bezeichnet eine auf das Jahr 136 n. Chr. zu datierende Wiederherstellung des so­ genannten Auguratoriums, das allerdings archäologisch bisher nicht nachgewiesen werden kann.316 Auch in der Historia Augusta findet diese angebliche Wiederherstellung keinen Niederschlag. Jedoch berichten die Mirabilia sowie die spätantiken Kataloge Curiosum urbis Romae regionum XIV (cum breviariis suis) und Notitia regionum urbis Romae XIV für die regio X von einem Auguratorium auf dem Palatin,317 das somit den Ort markiert haben könnte, an dem Romulus dem Mythos zufolge die Au­ spizien zur Gründung der urbs empfing.318 So bildet diese Inschrift, die den restitutor Hadrian, aber nicht den Ersterrichter des stadtrömischen Gebäudes nennt, zwar die Ausnahme von der Regel. Andererseits war, sofern die Deutung des Auguratoriums als auf Romulus verweisendem Monument 311 SHA Hadr. 19,10. 312 So Velaza (2005) 265f und der Kommentar von CIL VI 40519 p. 4453: „ex forma monumenti (cf. titulum insequentem) fortasse aedes intellegendae sunt“. 313 Velaza (2005) 266. 314 Siehe dazu Kolb (22002) 415–417. 315 CIL VI 976; siehe auch Velaza (2005) 263f. 316 Die Annahme von Schneider Graziosi (1914) 147–175, es handele sich beim Auguratorium um die hadrianische Aedicula östlich des Tempels der Magna Mater (siehe auch Platner/Ashby (1929) 61), wurde von Blake/Bishop (1973) 64f mit Anm. 188 angezweifelt und von Pensabene (1979) 67–74 endgültig widerlegt. 317 Curios. urb., regio x Palatium; Not reg., regio x Palatium (hg. v. Jordan (1871) p. 557) Zeile 9. 318 Coarelli (1993b) 143; Platner/Ashby (1929) 61. Siehe aber auch Boatwright (1987) 217 mit Anm 122, die diese Hypothese problematisiert und Identifikationen weiterer Bauwerke mit dem Auguratorium diskutiert.

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II. Hadrian und Augustus

stimmt, die Benennung eines Ersterrichters aufgrund der jedem Römer bekannten Verbindung mit dem Gründer der urbs unnötig. So konnte Hadrian auch ohne dessen Erwähnung an ihn anschließen und sich als ihm nachfolgender Neugründer Roms präsentieren. Ein Bezug zu Augustus ist allerdings erneut nicht festzustellen. Schließlich bleibt noch eine weitere stadtrömische Inschrift, die auf besonders originelle Weise eine Verbindung Hadrians mit restitutiones zu evozieren scheint.319 Diese ist nur noch äußerst fragmentarisch überliefert. Der einzig erhaltene Stein wurde Theodor Mommsen zufolge in der römischen Patriarchenbasilica Sancti Pauli extra muros (San Paolo fuori le Mura) an der Via Ostiense verbaut, wo er sich im Hauptschiff zwischen der fünften und sechsten Säule befinden und folgende Buch­ stabenfolge aufweisen soll:320

aus: Inscriptiones Urbis Romae Latinae. Pars Prima, hg. v. E. Bormann/W. Henzen/G. B. de Rossi (Corpus Inscriptionum Latinarum. Bd. VI 1, hg. v. Academia Litterarum Regia Borusica) Berlin 1976, S. 183.

Aus der Kaisertitulatur lässt sich neben der Benennung des nepos des Nerva lediglich eindeutig erschließen, dass sie im Dativ steht, weshalb es sich um eine Ehreninschrift für den Princeps Hadrian handeln dürfte. Präziser kann die Inschrift jedoch nicht in ihrem ursprünglichen Kontext verortet werden. Hierzu trägt auch ihre Rekonstruk­ tion durch Mommsen nichts bei, die wie folgt lautet: [Imp(eratori)] Cae[sari divi Traiani Parthici f(ilio)] / [divi Ne]rvae n[epoti Traiano Hadriano Aug(usto)] / r[estitutori rei publicae] / [atq]ue virtu[tis maiorum.321 Die anzunehmenden folgen­ den Zeilen wurden aufgrund des Fehlens sämtlicher weiterer Textfragment nicht rekonstruiert. Neben der gebräuchlichen genealogischen Bezugnahme Hadrians auf seine Vorgänger Nerva und Traian weckt die Rekonstruktion der Inschrift Assozia­ tionen mit der Augustus in der Forschung häufig zugeschriebenen Wiederherstellung der Republik, die heute üblicherweise unter dem Slogan „res publica restituta“322 firmiert. Greift die Inschrift damit ein augusteisches Konzept auf, auf das Hadrian gezielt rekurrierte? Allerdings haben Géza Alföldy und Gabriele Wesch­Klein eine Veränderung der Lesung vorgeschlagen, die gewisse Zweifel an der Annahme wecken dürfte: 319 Siehe CIL VI 983 p. 4313 (= CIL VI Ps. 8 Fasc. 2: Addenda et corrigenda: p. 4313 durch Géza Alföldy und Gabriele Wesch­Klein). 320 CIL VI 983 (inkl. Dokumentation durch Theodor Mommsen). 321 CIL VI 983 (Rekonstruktion nach Mommsen). Siehe auch Perret (1929) 92. 322 Siehe z. B. Zanker (42003) 96–103.

2. Hadrianus Augustus. Die Augustus­Verweise Hadrians

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Unter Beibehaltung der mommsenschen Lesung der dritten Zeile (r[estitutori rei publicae]) plädieren sie für eine abweichende Rekonstruktion von Zeile vier als [atq]ue virtu[tes omnium ante se maximorum principum supergresso].323 Basis für diese Lesung bildet das Vokabular einer Inschrift, die ein Lob des Marcus Aurelius formuliert.324 Für unsere Frage nach einer Bezugnahme Hadrians auf Augustus in der diskutierten Inschrift ist auf der Grundlage dieser Revision in einem ersten Schritt auf die Ersetzung von „virtutis maiorum“ durch das kürzere „virtutes omnium“ zu verweisen. Mit dieser Korrektur entfällt die interessante Zuschreibung der virtus der Vorväter an Hadrian, die hervorragend mit der angeblich ebenfalls formulierten Rolle des Princeps als restitutor der res publica kongruiert hätte. Freilich bleiben auch an dieser Rekonstruktion Zweifel: Zum einen war das als Baustoff genutzte Inschriftenfragment für Alföldy und Wesch­Klein nicht mehr in San Paolo auffindbar325 und erfuhr seine neue Lesung daher allein auf Grundlage der Skizze Mommsens. Zudem scheint die Rekonstruktion der dritten Zeile der hadrianischen Inschrift nach besagter, sich auf Marcus Aurelius beziehender Inschrift keineswegs gewährleistet. So wird dieser weder als restitutor bezeichnet, noch wird restitutio, restituere oder eine vergleichbare Vokabel gebraucht und auch die res publica findet keine Erwähnung. Es bleibt somit zu erwägen, ob die Wahl der Inschrift des Marcus Aurelius zur präziseren Rekonstruktion verfehlt war. Zwar war derart überhöhte Kaiserehrung, wie vergleichbare Dokumente des zweiten Jahrhunderts n. Chr. belegen, durchaus üblich,326 doch ist und bleibt eine Vervollständigung der hadrianischen Inschrift nach dem Muster der Inschrift zu Ehren Marc Aurels reine Spekulation: Weder wissen wir vom ursprünglichen Kontext und Umfang der Ehreninschrift für Hadrian, noch han­ delt es sich bei „virtutes omnium ante se maximorum principum supergresso“ um eine allgemein gängige Wendung: Sie ist ausschließlich in der herangezogenen Ehrung Marc Aurels nachweisbar. Zudem sind auch die von Alföldy und Wesch­Klein bei­ behaltenen Elemente der Rekonstruktion Mommsens kritisch zu hinterfragen. Zwar konnte der Vater der Altertumswissenschaften das Fragment selbst untersuchen, doch war dieses bereits zu seiner Zeit dekontextualisiert. Somit war es eigentlich unmög­ lich, aus einem simplen „R“ ohne Kenntnis des weiteren Zeilenverlaufs die Lesung „restitutori rei publicae“ zu generieren. Die einschlägigen Lateinwörterbücher ver­ zeichnen unter dem Lemma „R“ neben „restitutor“ durchaus noch die eine oder andere weitere Vokabel. Es ist also zu vermuten, dass Mommsen bei seinem Rekonstrukti­ onsversuch der Inschrift Hadrians evidente Bezugnahmen auf Augustus im Sinn hatte und es daher für ausreichend plausibel hielt, sie für die Inschrift zu übernehmen. 323 Siehe CIL VI 983 p. 4313 (Rekonstruktion und Dokumentation nach Alföldy und Wesch­Klein). 324 Siehe CIL VI 1014 (p. 842) = ILS 374: s(enatus) p(opulus)q(ue) R(omanus) / Imp(eratori) Caes(ari) divi Veri Parth(ici) Max(imi) fratr(i) divi Hadriani nep(oti) divi Traiani Parth(ici) pronep(oti) divi Nervae abnep(oti) M(arco) Aurelio Antonino Aug(usto) Germ(anico) Sarm(atico) pontif(ici) maxim(o) tribunic(ia) pot(estate) xxx Imp(eratori) VIII co(n)s(uli) III p(atri) p(atriae) quod omnes omnium ante de maximorum imperatorum glorias supergressus bellicosissimis gentibus deletis aut subactis. 325 CIL VI 983 p. 4313 im Kommentar: „In basilica S. Pauli frustra quaesivit ALFÖLDY a. 1987 et 1988.“ 326 Siehe den Kommentar zu CIL VI 983 p. 4313 mit Literatur zu diesem Aspekt.

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II. Hadrian und Augustus

Daher hat Mommsen vielmehr seine eigene Deutung des Princeps als restitutor der res publica (und in Analogie hierzu die angeblichen Evozierung der virtus der Vor­ väter Hadrians) in den fragmentarischen Befund eingeschrieben; Alföldy und Wesch­ Klein übernahmen diese Zuweisung. Folglich scheint es angebracht, künftig auf die Einbeziehung dieser Inschrift in das kleine Corpus der restitutio­ bzw. restitutor­ Zeugnisse des hadrianischen Prinzipats zu verzichten, zumal es sich dabei um die erste bekannte epigraphische Quelle handeln würde, die einen römischen Princeps als restitutor der res publica bezeichnet. Die Verwendung der Vokabel restituere in Inschriften des hadrianischen Prinzi­ pats ist also (zumindest in einem kleinen Sample) gegeben. Allerdings bleiben diese restitutio­Inschriften auf das hadrianische Bauprogramm beschränkt327 und explizite Augustus­Bezüge sind nicht zu konstatieren. War also die restitutio überhaupt ein Element der hadrianische Selbstdarstellung oder handelte es sich dabei schlicht um ein konstitutives Element des von Augustus etablierten monarchischen Systems, das, vergleichbar der Ehrung des Vorgängers oder demütigen Rekusationsgesten, nach Möglichkeit von jedem Princeps zu erbringen war, um seine modestia, civilitas und pietas zu demonstrieren und vorerst Akzeptanz zu erringen. Dafür würde sprechen, dass auch andere Principes restitutiones vollbrachten, den Begriff gebrauchten und/ oder sich (auf unterschiedliche Weise) auf Augustus bezogen. Waren also die beo­ bachteten Rekurse Hadrians auf Augustus und ‚augusteische‘ restitutiones, die eine Annäherung an bzw. das Übertreffen des ersten Princeps und, dessen Beispiel folgend, die Begründung eines neuen saeculum aureum und die Neugründung Roms zum Ausdruck brachten, rein überindividuelle Repräsentationsformen? Das ist insofern unwahrscheinlich, als Hadrian im Bemühen um eine Absetzung von Traian, auch die Bezugnahme auf Augustus und restitutio ungleich intensiver als dieser aufnahm. Um den Befund strukturieren, erläutern und spezifische Aussagen über die in­ dividuelle Imago Hadrians treffen zu können, werden im nächsten Schritt die Genese des restitutio­Konzepts im augusteischen Prinzipat sowie die Kontexte, in die Au­ gustus das Konzept zugunsten seiner Selbstdarstellung einordnete, untersucht. Darauf werden Wirkmächtigkeit, Dimensionen und ggf. Adaptionen und Fortentwicklungen der restitutio und mit ihr verbundener Konzepte und Begrifflichkeiten in der inten­ tionalen Selbstdarstellung der Nachfolger des Augustus bzw. der Vorgänger des Hadrian analysiert. Die dabei konstatierten Differenzen und Gemeinsamkeiten zu den Rekursen Hadrians sowie die systemimmanenten Prozesse, aber auch dynami­ schen Entwicklungen des Felds ermöglichen die Identifikation der spezifischen ‚au­ gusteischen Aspekte‘ der Imago Hadrian sowie der damit intendierten Zielsetzungen.

327 Siehe zur restitutio in stadt­ wie provinzialrömischen Inschriften Horster (2001) 84–87 mit Belegen.

3. INNOVATIVE TRADITION. DIE ERINNERUNG AN AUGUSTUS UND DIE HADRIANISCHE IMAGO res publica restituta – Ein augusteisches Konzept? Wie die Diskussion der Inschrift CIL VI 983 gezeigt hat, suchte bereits Theodor Mommsen Hadrian die direkte Übernahme des vermeintlich augusteischen Konzepts einer restitutio rei publicae zuzuschreiben und auf diese Weise dessen eindeutige Bezugnahmen auf Augustus zu unterstreichen und zu systematisieren. Freilich berief sich Mommsen dabei primär auf seine eigene Deutung einer restitutio der res publica oder gar der (römischen) Republik1 durch Augustus, die dieser in einem großen Staatsakt am 13. Januar 27 v. Chr. umgesetzt habe.2 Obgleich die Ablehnung des staatsrechtlichen Paradigmas für die römische Kaiserzeit mittlerweile communis opinio der altertumswissenschaftlichen Forschung ist, hielt diese bis heute weit­ gehend an Mommsens Konstruktion eines augusteischen res publica restituta­Kon­ zepts fest.3 Doch existierte dieses für die Augustus­Forschung angeblich so zentrale augusteische Herrschaftskonzept, das Hadrian übernehmen oder zu übernehmen behaupten konnte, wirklich? Und inwiefern rekurrierte Augustus selbst in seinen Res gestae darauf? Die Res gestae divi Augusti und die translatio der res publica Bei Res gestae 34 handelt es sich um den vorletzten, wohl bekanntesten und meist­ analysierten Absatz des monumentalen augusteischen Tatenberichts. Der entschei­ dende erste Satz lautet: „Nachdem ich die Bürgerkriege beendet hatte und durch allgemeine Zustimmung Gewalt über alles besaß, überführte ich während meines sechsten und siebten Konsulats die res publica aus meiner potestas in die Verfügungsgewalt von Senat und römischem Volk.“4 1

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Mommsen (31887) 793–796; 844–846 und passim identifizierte das Prinzipatssystems als Dy­ archie von Senatsherrschaft und Kaisertum, ließ dabei aber die entscheidende Differenz von Republik als (historiographischer) Epochenbezeichnung und res publica als zeitübergreifender Eigenbezeichnung des römischen Gemeinwesens, in deren Dienst sich jeder Angehörige der Reichselite (inkl. des Princeps) stellen sollte, außer Acht; vgl. auch: Winterling (2005) 177–198. Mommsen (31887) 881. Siehe z. B. Syme (1939) 2f; 323f; Zanker (42003) 96–103, Kienast (42009) 1–77; 81–84 mit Anm. 17 und passim; Dahlheim (21989) 14; Bleicken (1998) 323f; 332–334; Bringmann (2007) 105–173; vgl (ohne die explizite Einforderung einer faktischen restitutio der res publica) Strothmann (2000) 13–41. Aug. RG 34,1: „In consulato sexto et septimo, postquam bella civilia extinxeram, per consensum universorum potens rerum omnium, rem publicam ex mea potestate in senatus populique Romani arbitrium transtuli.“ Mommsen (21883) 144 rekonstruierte in seiner ersten Edition: „[…] per consensum universorum potitus rerum omnium […]“ (Hervorhebung: C.S.), was für 120 Jahre prägend blieb. Mittlerweile ist aber durch ein Inschriftenfragment des Monumentum Antiochenum, das TENS RE lautet, die Lesung von potens erwiesen: siehe dazu Botteri (2003)

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In einer eingehenden Neubewertung der im Tatenbericht geschilderten Handlung Octavians vor dem Senat haben Henning Börm und Wolfgang Havener einleuchtend demonstriert, dass gerade der reklamierte consensus universorum einen klaren Bruch mit der res publica bedeutete.5 Da Octavian zu diesem Zeitpunkt keine staatlichen Vollmachten besaß, konnte er am 13. Januar 27, so Börm und Havener weiter, kein­ erlei Kompetenzen an Senat und Volk übertragen oder gar zurückgeben: „Worum es während Octavians sechstem und siebtem Konsulat wirklich ging, waren zum ei­ nen symbolische Gesten, die das Ende der faktisch gesetzlosen Gewaltherrschaft eines Bür­ gerkriegsgenerals und den Übergang in einen geordneten Zustand markieren sollten. […] In unauffälliger Weise legitimierte man damit die völlig unrechtmäßige Machtposition, die sich Octavian zuvor im Bürgerkrieg erkämpft hatte: Der Staat empfing quasi sich selbst aus der Hand eines Privatmannes, eine absolute Ungeheuerlichkeit.“ 6

Grundlegend für diese Inszenierung eines Staatsakts war das Bestreben Octavians, seine Macht in ein äußerlich legales Gewand zu kleiden, um die dignitas des Senats zu wahren. Rein formal war dieser es nun wieder, der sowohl Augustus als auch den anderen Standesgenossen ihre Amtsbefugnisse zuerkannte. Der Gestus der Überfüh­ rung der Kompetenzen an Senat und Volk garantierte vor allem der Reichselite durch ihre äußerliche Wiedereingliederung in den politischen Prozess „Regeln, relative Rechtssicherheit und vor allem einen nur zurückhaltenden Gebrauch der Macht, der es ihnen ermöglichte, ihr Sozialprestige zu wahren.“ Durch diese Berufung auf die res publica und die Zusicherung von dignitas und rechtlicher Kompetenz konnte Octavian sich gleichzeitig „der Kooperation der Reichselite versichern“.7 Die wendung res publica restituta wird in Absatz 34 der Res gestae ebenso wenig verwendet wie im gesamten übrigen Tatenbericht. Da es dem Princeps lediglich darum ging, sein Handeln mit den Regeln der res publica übereinstim­ mend darzustellen, dabei aber doch seine absolute Macht zu wahren, wäre es für ihn geradezu kontraproduktiv gewesen, eine Rückgabe des Staates zu inszenieren. Was Octavian/Augustus gemäß seiner eigenen Interpretation in den Res gestae wirklich tat, war die res publica „in die Verfügungsgewalt von Senat und römi­ schem Volk“ zu übertragen oder überführen (transferre).8 Das macht nochmals

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261–267; Lebek (2004) 60; Scheid (2007) 82–86; Cooley (2009) 98; 257; Drew­Bear/Scheid (2005) 233–236; siehe auch Börm/Havener (2012) 203 sowie bereits Krömer (1978) 135 zu einer Hypothese Rudolf Kassels. Siehe Börm/Havener (2012) 207–209; 213; siehe auch Havener (2016) 186–189. Börm/Havener (2012) 216. Börm/Havener (2012) 216f; vgl. Millar (1973) 50–67. Gleiches gilt für den griechischen Text: Hier steht „μετήνεγκα“ (μεταφέρω), also ebenfalls übertragen. Gerade in deutschen Übersetzungen der Res gestae schleicht sich allerdings wie­ derholt ein wieder überführen bzw. wieder übereignen ein, so dass hier dennoch eine angeblich von Augustus durchgesetzte res publica restituta postuliert wird: so in den Übersetzungen von Marion Giebel (Augustus, Res gestae. Tatenbericht (Monumentum Ancyranum). Lateinisch, Griechisch und Deutsch, Stuttgart 1975) sowie von Ekkehard Weber (Augustus, Res gestae divi Augusti. Meine Taten. Nach dem Monumentum Ancyranum, Apolloniense und Antiochenum. Lateinisch – griechisch – deutsch, Düsseldorf/Zürich 2004).

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ganz deutlich, dass es sich um einen Gnadenakt der Übereignung der res publica handelte, keinesfalls aber um eine faktische Rückgabe der Leitung des Staats.9 Dass Octavian im Anschluss an die ‚Übertragung‘ vom Senat geehrt wurde, und zwar durch die Verleihung des Augustus­Namens, Lorbeerschmuck an seinem Haus, die corona civica und die Aufstellung des clupeus aureus resp. virtutis in der Curia Iulia,10 bedeutet keine neuen Bedingungen, die er als restitutor nun gegenüber dem Senat erfüllen musste, sondern die Aufnahme einer Kommunikation des Senats mit dem Monarchen in einem Akzeptanzsystem. Das geht aus der Angabe des Grundes für die Ehrungen hervor, wie ihn die Res gestae überliefern: Geehrt wurde Augustus nach eigener Aussage „pro merito meo“,11 das bedeutet für seinen Gnadenakt der translatio der res publica, nicht für ihre Rückgabe. Andererseits benennt Augustus zu Beginn seiner Res gestae zwei Mal den Auftrag „rei publicae constituendae“ des von ihm gemeinsam mit Antonius und Lepidus be­ kleideten Triumvirats.12 Dabei handelt es sich aber um keinen Widerspruch zum bisher erzielten Ergebnis, da der Terminus eben keine Rückgabe, sondern eine Neuordnung bzw. Wiederherstellung13 des im kollektiven Bewusstsein bereits Bestehenden bezeich­ net, die im Jahr 27 v. Chr. als bereits erfolgreich umgesetzt gelten sollte. Wiederum wird uns also eine Leistung des autonomen Octavian/Augustus präsentiert, die er der res publica huldvoll zuteilwerden lässt. Hierhin gehören auch weiter Leistungen, die sich Augustus in seinem Tatenbericht zuschreibt: Zwar wird auf die Termini restitutio und restituere wohl bewusst verzichtet, doch handelt es sich bei der Neuetablierung (reducere) der „exempla maiorum“14 und der Wiederherstellung (reficere/perficere) traditioneller stadtrömischer Bauwerke15 zweifellos um Restitutionsgesten, die Augustus im Dienste der res publica, aber auf Basis persönlicher, unüberbietbarer Leistungen vollbrachte. Folglich können restitutio und verwandte Termini sowohl eine Rückgabe als auch eine Wiederherstellung bzw. Neuordnung bezeichnen. In letzterem Sinne ist sie uns bezüglich des hadrianischen Bauprogramms begegnet und war ganz offenbar auch in der augusteischen Herrschaftsprogrammatik üblich. LEGES ET IURA P R RESTITVIT – Ein octavianischer Aureus aus der Provinz Asia Die Imago des Wiederherstellers Augustus wird auch durch einen in zwei Exemp­ laren erhaltenen, in Ephesos geprägten Aureus16 zum Ausdruck gebracht: Seine Vorderseite wird von einem Porträt Octavians, den Kopf nach rechts gerichtet und 9 10 11 12 13 14 15 16

Börm/Havener (2012) 202–220; vgl. Lange (2009) 181–183; Rich/Williams (1999) 213; Levick (2010) 76. Aug. RG 34,2. Aug. RG 34,2. Aug. RG 1,4; 7,1. Vgl. Judge (1974) 285–288. Aug. RG 8,5. Aug. RG 20. Katalog­Daten für Exemplar 1: Numismatica Ars Classica AG, Zürich, Auktion 5 vom 25. Fe­ bruar 1992, Nr. 400. Exemplar 2: Abdy/Harling (2005) 175f; Pl. 15, B und Pl. 15, A; siehe auch

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von Lorbeer bekränzt, eingenommen; in der Umschrift wird er als IMP(erator) CAESAR DIVI F(ilius) CO(n)S(ul) VI bezeichnet, was zu einer Datierung der Münze auf das Jahr 28 v. Chr. führt. Der Revers zeigt einen Togatus, der, eine Schriftrolle in der rechten Hand haltend, auf einer sella curulis sitzt; links zu seinen Füßen steht ein zylinderförmiges Objekt, bei dem es sich wohl um das scrinium handelt, dem die Schriftrolle entnommen wurde. Der Togatus, bei dem es sich ebenfalls um Augustus handelt, ist somit als Magistrat gekennzeichnet. Die Revers­Umschrift schließlich führt das Verb restituere: LEGES ET IURA P R RESTITVIT.17 Daraus kann jedoch nicht auf eine augusteischen Rückgabe der res publica geschlossen werden, wie Rich und Williams einflussreich argumentiert hatten: Die beiden Forscher gehen davon aus, dass der Aureus auf ein senatorisches Ehrendekret für Augustus referenziere und somit, obgleich es sich um eine Provinzialprägung handelte, ein stadtrömisches offizielles Bildprogramm wiedergebe.18 Sofern diese Annahme korrekt ist, wäre die Münze aber ein Beleg für den Dank, der Augustus für seine Leistungen zukam, keine Selbstbeschreibung. Das gilt umso mehr als in jüngerer Zeit sowohl Kurt Raaflaub als auch Wolfgang Havener plausibel gemacht haben, dass nicht zwangsläufig von einem durch Octavian gelenkten, offiziellen Bildnisprogramm zur Betonung seiner Herrschaftsprogrammatik ausgegangen werden muss. Gewiss musste Octavian die Münze genehmigt haben, doch fand das wohl zugrundeliegende Ehrendekret in der aktuellen wie auch der späteren Selbst­ beschreibung des Octavian/Augustus keinerlei Niederschlag, wurde somit also nicht weiter genutzt. Folglich ist eine rein provinziale Rezeption zur Ehrung des Octavian durchaus plausibel, zumal diese Ehrung sich gemäß der Reverslegende auch auf die Beendigung des Bürgerkriegs beziehen könnte,19 was durch zwei weitere Argumente gestützt wird: 1. Der erhaltene Bestand von nur zwei Prägungen ist nicht zufällig: Der Aureus war niemals gängiges, verbreitetes Zahlungsmittel, so dass auch die Aussage keine effektive Verbreitung finden konnte und in der intendierten Selbstdarstellung Octa­ vians wohl auch gar nicht sollte.20 2. Die Wendung res publica restituta findet hier gar keinen Niederschlag: Die Neuordnung bzw. erneute Etablierung der Rechte und Gesetze für den populus Ro­ manus nach den wirren des Bürgerkriegs21 bedeutete also tatsächlich eine Wieder­ herstellung des status quo, für die Octavian geehrt wurde – und damit wiederum nicht die ‚Rückgabe‘ von Kompetenzen.

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Mantovani (2008) 5; 52, Tav. I, Abb. 2 und 1; Suspène (2009) 145–147 mit Anm. 3; zur Verortung siehe Rich/Williams (1999) 174–176. Zur Beschreibung siehe von Kaenel (1994) 2; Abdy/Harling (2005) 175f. Vgl. Rich/Williams (1999) 169–213; Mantovani (2008) 5–54; Kienast (42009) 83, Anm. 17; Millar (2000) 5–7; Ferrary (2003) 419f; Hurlet/Mineo (2009) 14f; Levick (2010) 67–69 mit Fig. 7; Bringmann (2002) 119f mit Anm. 36; Eder (2005) 23f; Cooley (2009) 258f mit Fig. 30. Zur der der communis opinio entsprechenden Aufschlüsselung der Reverslegende mit populo Romano anstelle von populi Romani (so von Kaenel (1994) 4) siehe Rich/Williams (1999) 182. Rich/Williams (1999) 186f. Raaflaub (2007) 234–236; Havener (2016) 246–248, Anm. 259f. Raaflaub (2007) 236; siehe auch Abdy/Harling (2005) 176. Vgl. Havener (2016) 247f, Anm. 260.

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Die Aufrichtung der res publica – Der Aureus des Lentulus Andererseits scheint auf den ersten Blick ein stadtrömischer Aureus auf die Prokla­ mation einer res publica restituta durch Augustus hinzuweisen:22 Die Averstitulatur lautet AVGVSTVS DIVI F und bezeichnet die abgebildete Büste des Princeps. Das Reversbild zeigt einen Togatus, der einer vor ihm knienden Gestalt die rechte Hand reicht, um diese zu erheben. Zieht man die Umschrift COSSVS LENTVLVS RES PVB AVGVST23 in Betracht kann der Togatus als Augustus, die kniende Gestalt als Personifikation der res publica identifiziert werden. Somit ist dem Münzbild zweifel­ los ein auf Augustus zu beziehender Restitutionsgestus inhärent24. Verantwortlich für den Aureus zeichnete Cossus (Cn. f.) Cornelius Lentulus, der vermutlich im Jahr 12 v. Chr., einer der III viri monetales war.25 Da die III viri monetales eine gewisse Möglichkeit der Motivwahl besaßen,26 ist durchaus wahrscheinlich, dass Lentulus durch die betont affirmative Lesweise der neuen Ordnung seine Zustimmung zum Princeps und seinem Regime zum Aus­ druck zu bringen und auf diese Weise seine Karriere zu befördern suchte. Tatsächlich bekleidete Lentulus im weiteren Verlauf seiner Karriere nicht allein den Konsulat, sondern auch den Prokonsulat der kaiserlichen Provinz Africa und erhielt schließlich das Amt des praefectus urbi.27 So handelte es sich zunächst auch bei diesem Aureus um keine Selbstbeschreibung des Augustus, sondern um den Versuch eines Profiteurs seiner Herrschaft ihn zu rühmen, um die persönliche Nähe zum Princeps ebenso zu demonstrieren wie aus der demonstrierten Affirmativität weiteren Profit zu generie­ ren. Doch war es auch für Augustus unproblematisch, auf das akzeptanzmarkierende Interaktionsangebot des angehenden Senators einzugehen: Das Reversbild des Aureus propagiert gerade keine Rückgabe der res publica, sondern stellt eindeutig ihre Wiederaufrichtung, und das heißt ihre Neuordnung, als kaiserliche Leistung, dar. Lentulus dankte dem neuen Princeps folglich weiterhin für die durch ihn vollbrachte Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung nach unruhigen und unheilvollen Jahr­ zehnten. Diese büßte ganz offenbar ihre Attraktivität nicht ein, vielmehr erhöhte sich ihr Ansehen im augusteischen Prinzipat sogar sukzessive, da ihre dauerhafte Bestän­ digkeit immer klarer zutage trat.

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So Zanker (42003) 96f; Levick (2010) 210; Suspène (2009) 152f; Rich/Williams (1999) 209. RIC I2 Aug. 413; siehe auch Zanker (42003) 96, Abb. 74. Zanker (42003) 97; Vermeule (1960) 5–11; Rich/Williams (1999) 208f; Suspène (2009) 153; siehe auch Komnick (2001) 6, der auf Restitutionsgesten im republikanischen Münzprogramm ver­ weist. Zum sog. Restitutor­Typus im Allgemeinen siehe Regling (1930) 564f. PIR2 C 1380; RIC I2 S. 34 (Sutherland); Vermeule (1960) 5f; Nitschke (2001) 46; Suspène (2009) 152; 154; 159. Mit RIC I2 Aug. 412; 414 sind zudem zwei weitere, Agrippa ehrende Prägungen des Lentulus bekannt. Siehe RIC I2 S. 32 (Sutherland); Sutherland (1976) 11–22; Galinsky (1996) 31–34; vgl. Levick (2010) 95; 119f; 208–210; Suspène (2009) 147–159. PIR2 C 1380; Nitschke (2001) 46; vgl. Suspène (2009) 155 mit Anm. 49.

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Offizielle Performanz und private Rezeption – Die Laudatio Turiae Auch in einer rein privaten Evidenz wird Augustus dafür geehrt, durch seine Leistung den Bürgerkrieg beendet, die Bürgerkriegswirren beseitigt und die Einheit der Bür­ gerschaft wiederhergestellt zu haben. Es handelt sich dabei um die sogenannte Laudatio Turiae, eine Grabinschrift eines namentlich nicht bekannten Ehemanns für seine spätestens 9 v. Chr. verstorbene Ehefrau, die durch Fragmentfunde knapp zur Hälfte rekonstruiert werden konnte.28 Hierin wird der Trauer des Gatten Ausdruck verliehen und das gemeinsame Leben des Ehepaares dargestellt: Nach Verwicklung in die Bürgerkriege wurde der Mann Opfer der Proskriptionen, erfuhr schließlich aber Rehabilitierung durch Octavian.29 Dieses Ereignis wird zweimal mit den Wor­ ten restitutio mea bezeichnet,30 die schließlich mit einer Augustus zugeschriebenen res publica restituta parallelisiert wird: „Pacata orbe terrarum, res[titut]a re publica quieta deinde n[obis et felicia] tempora contigerunt.“31

Die Durchsetzung des Endes der Proskription bedeutet hier den Endpunkt der Wir­ ren des persönlichen Schicksals; analog dazu war der Abschluss der Bürgerkriege auch Endpunkt der Wirren des Staatsgefüges. Entsprechend schweigt auch die In­ schrift über eine Involvierung der Eheleute in die späteren politischen Abläufe; sie scheinen nicht stattgefunden zu haben. Es handelt sich also um die private Artiku­ lation des Danks an den ersten Princeps für endlich eingekehrte und dauerhafte Ruhe unter der Verwendung eines Schlagworts, das nicht zum augusteischen Vokabular gehörte. Flaccus und Augustus – Die Fasti Praenestini Ein Fragment der sogenannten Fasti Praenestini zum 13. Januar 27 v. Chr., bezieht sich nach der Rekonstruktion Theodor Mommsens auf eine augusteische restitutio der res publica:32 28 29 30 31 32

Zu Einordnung, Forschungsgeschichte, Rekonstruktion und Inhalt siehe Flach (1991) 1–43; siehe auch Kienast (42009) 41, Anm. 154; vgl. Kierdorf (1980) 33–48; Millar (1973) 59; 63; Dahl­ heim (2010) 63; Judge (1974) 299. CIL VI 41062 = CIL VI 1527 (p. 3142, 3444, 3805) = CIL VI 31670 = CIL VI 37053 = ILS 8393 (p. 190); zitiert wird die Inschrift nach der Edition von Flach (1991) 52–64. Z. II 13; 16; vgl. Judge (1974) 300f. Z. II 25f; siehe auch Flach (1991) 32f. Das Inschriftenfragment wird seit Mommsen als direkte Wiedergabe des senatus consultum vom 13. Januar 27 v. Chr. und daher als offizielle Selbstdarstellung des Augustus als resitutor rei publicae erachtet (so Rich/Williams (1999) 210; Ferrary (2003) 419; Komnick (2001) 6). Zwar enthielten diverse Fasti tatsächlich Zitate aus Senatsakten (Judge (1974) 288), allerdings waren im konkreten Fall der Fasti Praenestini mehr als zwei Drittel der Buchstaben restaurie­ rungsbedürftig: Judge (1974) 288–298 verweist darauf, dass die res publica als Bezeichnung für die Gesamtheit der römischen Bürger mit dem erhaltenen „PR“ für populus Romanus synonym und ihre Einfügung daher sinnlos sei und schlägt folgende Neulesung vor: „corona querc[ea autem id est civica uti super ianuam] Augusti poner[etur] quod civibus ab eo servatis ipse] p. R. rest[it]u[i sibi videbatur eodem s.c. sanctum est]“ (298). Die Meriten dieser wiederholt ange­

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„[…] corona querc[ea uti super Ianuam domus Imp(eratoris) Caesaris] / Augusti poner[etur senatus decrevit quod rem publicam] / p(opulo) R(omano) rest[it]u[it] […]“33

Beim Errichter der Fasti Praenestini handelte es sich um den kaiserlichen Freige­ lassenen M. Verrius Flaccus, der Sueton zufolge als Lehrer der principes iuventutis Gaius und Lucius fungiert hatte. Nach deren frühem Tod zog er sich nach Praeneste zurück, wo er unter tiberianischer Herrschaft starb. Die Fasti Praenestini wurden hier Sueton zufolge ursprünglich unter einem Standbild des Flaccus in einer Mauer­ nische des Fortunatempels zwischen 4 und 10 n. Chr. publiziert.34 Somit handelt es sich wiederum um eine private Konzeption, deren Produzent gerade als sozialer Aufsteiger im lokalen Kontext sein Prestige durch Demonstration von Kaisernähe zum Ausdruck zu bringen suchte, die durch das Zusammenwirkung seiner Statue und der auf Augustus bezogenen Einträge in die Fasti deutlich zur Geltung kommen. Dabei wird auf die Ausstattung der domus des Augustus mit der Bürgerkrone durch den Senat verwiesen, die Augustus als Retter der gesamten Bürgerschaft durch die von ihm erreichte Beendigung des Bürgerkriegs kennzeichnete. Ehrungen erfuhr Augustus folglich für seine Neuaufrichtung und Ordnung der res publica, nicht für den Akt einer Rückgabe. Die augusteische res publica restituta – Ein Konzept der Prinzipatszeit? Im augusteischen Befund lässt sich also die Wendung res publica restituta explizit maximal in zwei Fällen konstatieren. Dabei wurde sie nie im Kontext einer Rückgabe der res publica an Senat und Volk von Rom, d. h. im staatsrechtlichen Sinne, ver­ wendet und auch nicht von Augustus selbst gebraucht. Dennoch legte der neue Princeps in seiner Herrschaft einen Restitutionsgestus an den Tag, mittels dessen er sich als Neuordner und Wiederhersteller des bereits Bestehenden nach den Wirren der Bürgerkriege präsentierte. Genau hierfür wurde Augustus auch geehrt. Wie aber ging in Retrospektive die antike Geschichtsschreibung mit diesem Aspekt der au­ gusteischen Herrschaft um? Welche Rezeption erfuhr er und welche Imago wurde Augustus auf dieser Basis verliehen?

33 34

zweifelten Lesung (v. a. Rich/Williams (1999) 210; Ferrary (2003) 419) liegen darin, spekula­ tive Elemente der bisherigen Rekonstruktion zu offenbaren (so auch Levick (2010) 107, Anm. 37; Hurlet/Mineo (2009) 11f mit Anm. 10; 13f mit Anm. 16; Ferrary (2003) 418). Mommsens Rekonstruktion (CIL I2 p. 231) könnte somit wiederum auf seiner staatsrechtlichen Deutung fußen. In jedem Fall aber ist zu konstatieren, dass, sollte es sich bei dem Text wirklich um ein senatus consultum gehandelt haben, dessen expliziter Wortlaut im Wesentlichen nicht mehr zu erschließen ist. Judge geht außerdem von einer Adaption des Senatsbeschlusses vom 13. Januars aus: So wird darin Octavian als Augustus bezeichnet, obgleich er diesen Ehrennamen erst am 16. Januar erhielt; der Errichter der Fasti Praenestini zielt hier also nicht auf juristische Präzi­ sion ab, sondern fungiert als Berichterstatter für die Nachwelt (288f; siehe außerdem 290f zur informellen Bezeichnung der corona civica als corona quercea, die nicht in dieser Form in den Senatsakten gestanden haben dürfte). InscrIt xIII,2 17 = AE (1898) 14 = AE (1922) 96 = AE (1953) 236 = AE (1993) 144 = AE (2002) 181 = AE (2007) 312 = CIL I2 p. 231. Siehe Suet. de. gramm. 17. Siehe auch Judge (1974) 288f; CIL I2 p. 231 durch Theodor Mommsen.

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Chronologisch ist hier zunächst der Bewertung der augusteischen Herrschaft in der Historia Romana des Velleius Paterculus Beachtung zu schenken. In diesem in tiberianischer Zeit durch einen Zeitgenossen, der Augustus und Tiberius seine Kar­ riere zu verdanken hatte,35 verfassten Werk, ist insbesondere das Kapitel 2,89 aus­ sagekräftig: Grundlegend für die Wiederkehr der Vergangenheit sowie für die Rück­ kehr zu vergangenem Wohlstand und zu vergangener Größe ist Velleius zufolge die Beendigung des Bürgerkriegs.36 Dieser innere Kriegszustand wird als finaler Aus­ druck des Verlusts aller römischen Tugenden beschrieben, die durch Octavians Sieg bei Actium aufs Neue angewachsen seien. So wird die octavianische bzw. augusteische Leistung37 nach dem Sieg bei Actium folgendermaßen dargestellt: „Finita vicesimo anno bella civilia, sepulta externa, revocata pax, sopitus ubique armorum furor, restituta vis legibus, iudiciis auctoritas, senatui maiestas, imperium magistratuum ad pristinum redactum modum.“38

Folglich findet im Geschichtswerk des Velleius Paterculus an dieser Stelle die Vo­ kabel „restituere“ Verwendung. Allerdings ist „restituere“ in dieser Textpassage nur eines von vielen sehr ähnlichen Verben: Das bellum civile wird beendet („finita“), die auswärtigen Kriege begraben oder beigelegt („sepulta“), der Friede (als Konse­ quenz daraus) wieder hervorgerufen („revocata“), der „furor“ sämtlicher Waffen eingeschläfert, also zur Ruhe gebracht („sopitus“) – und schließlich eben auch die Kraft der Gesetze („vis legibus“), das Ansehen der Gerichte („iudiciis auctoritas“) sowie die Würde der Erhabenheit des Senats („senatui maiestas“) wiederhergestellt („restituta“). Diese Handlungen habe Augustus nach seiner Rückkehr nach Rom sogleich ausgeführt („repraesentaverit“) – und zwar für die res publica, das römischen Volk und die ganze Welt („rei publicae populoque Romano terrarumque orbi“).39 Es handelt sich also auch bei Velleius um keine restitutio der res publica, sondern um eine restitutio (im Sinne einer Wiederherstellung) im Dienste der res publica – das bedeutet, eine Leistung am Gemeinwesen und dem römischen populus. Im weiteren Verlauf des kurzen Kapitels führt Velleius den Umgang Octavians mit der res publica nach der Beendigung der Bürgerkriege aus:40 So habe Octavian nach den Bürgerkriegen eine revocatio der Form der res publica herbeigeführt. Der Terminus meint eine Rückberufung und damit ein Anknüpfen an die Größe und Ordnung Roms zur Zeit der Vorfahren, also an im sozialen Feld als Tradition erachtete 35 36 37 38 39

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So Vell. 2 passim. Zur Velleius­Vita siehe Schmitzer (2000) 23–25; Cowan (2011a) x; Dihle (1955) 637–659; Biesinger (2016) 277; 285. Siehe auch Havener (2016) 83–85. Biesinger (2016) weist darauf hin, dass bereits in dieser Passage Caesar vorzeitig zu Augustus wird und somit der Ehrenname ebenso wie die neue Machtstellung direkt aus der Beendigung des Bürgerkriegs resultieren soll. Vell. 2,89,3; vgl. Bloomer (2011) 97. Vell. 2,89,2; vgl. Woodman (1983) 251–254. Biesinger (2016) 306–309 zeigt, dass Velleius die au­ gusteischen publica magnificentia nicht nur als Antithese zur luxuria inszeniert, sondern gera­ dezu als Überwindung der Krisenphänomene der beiden vorausgehenden Jahrhunderte begreift: „Die Konversion von privater Verschwendung zu öffentlicher Investition gehörte schon bald zum octavianischen Erfolgpogramm und wurde intensive ideologisiert […]“ (309). Die „kaiserliche restitutio“ (309) als Leistung für das Gemeinwesen bestand nach Velleius genau darin. Vell. 2,89,4.

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bzw. tradierte Aspekte. Die zurückgerufene („revocata“) alte Form der res publica bewirkte nach Velleius eine reditio, also eine Rückkehr, zu Roms Größe und Glück durch das nun möglich gewordene Aufblühen der als wesentlich erachteten Bereiche: der Landwirtschaft, des sakralen Bereichs, des allgemeinen Zustands der Menschheit, der sich nun wiederum in Gemütsruhe („securitas“) und materieller Sicherheit („certa cuique rerum suarum possessio“) befinde. Damit habe die durch Octavian/Augustus erbrachte Reformleistung zur Rückkehr eines ursprünglichen Goldenen Zeitalters geführt. Die revocatio der alten Form meint also bei Velleius eine Rückkehr zu den als grundlegend erachteten mores maiorum, die Rom und das Reich unweigerlich auf den Pfad von Prosperität und Erfolg zurückführten. Die dabei ausschlaggebenden Leistungen des Octavian/Augustus, die ebenfalls als Wiederherstellung der mores maiorum dargestellt werden, nennt Velleius im Folgenden. Allerdings handelt es sich bei diesen Restitutionsakten um eine Wiederherstellung in erweitertem Sinne: Wie später Hadrian bei seinen baulichen restitutiones Monumentalisierungen und Vervollkommnungen vornahm, erfuhren Velleius zufolge unter Augustus die beste­ henden, althergebrachten Gesetze Verbesserungen und Ergänzungen. Derweil resul­ tierte das öffentliche Wohl ganz offenbar aus keiner wiederhergestellten Senatsherr­ schaft, die Velleius erst gar nicht in Betracht zieht. Auch die Gesetze und der Zugang zum Senat lagen nun, so Velleius indirekt, in der Verfügungsgewalt und Kontrolle des ersten Princeps. Allein bezüglich des Bauprogramms der urbs wurden die be­ deutendsten Feldherren und Amtsträger von Augustus zur Beteiligung aufgerufen. Dabei bleibt jedoch offen, ob das genutzte adhortatori als aufmuntern oder als er­ mahnen zu verstehen ist. Eine Ermahnung könnte auf die fortdauernden senatorischen Pflichten rekurrieren, während eine Aufmunterung lediglich bedeuten würde, den Senatoren Gelegenheit zu einer Beteiligung am Bauprogramm einzuräumen. Doch da der Princeps dies überhaupt erst anregen muss, also die Erlaubnis erteilt, stellt er sich, gleichgültig, ob er ermahnt oder ermuntert, eindeutig über Senat und potestates der res publica. Die augusteischen Restitutionsakte decken sich bei Velleius in ihrer Wortwahl wie in ihrer Interpretation als uneinholbare und universale Leistungen aus eigener Gnade zum Wohle der res publica weitgehend mit der augusteischen Selbstdarstel­ lung. Der Unterschied liegt nur darin, dass hier ein Aufsteiger durch Gnade der Principes Augustus und Tiberius diese formuliert. Damit betont Velleius nicht nur seine Kaisernähe, sondern wendet sich auch an ein neues senatorisches Publikum, das sein Werk, wie Ulrich Gotter treffend formuliert, zu einem „Produkt des Zeit­ geistes“, einer „Quelle für Gesch[ichts]bild und Befindlichkeit, Vergangenheitssicht und Weltanschauung derjenigen aus der regimentsfähigen Schicht Roms“ machte, „die das neue Regime akzeptierten“.41 Wie aber wertete und interpretierte etwa ein Jahrhundert später, im längst etab­ lierten Prinzipat, Sueton in seiner keineswegs gleichermaßen affirmativen Augustus­ Vita die augusteischen Restitutionsgesten? Hier lassen sich durchaus zahlreiche Wendungen finden, die von Wiederherstellungen berichten.42 So schildert Sueton 41 42

Gotter (1997) 676. Siehe auch Biesinger (2016) 309–311. Neben der Diskussion augusteischer Wiederherstellungen spricht Suet. Aug. 28,1 (einmalig) auch von einer Rückgabe der res publica, verwendet aber hier nicht restituere sondern reddere

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das stadtrömischen Bauprogramm sowie politische, juristische und religiöse Hand­ lungen des Augustus:43 Darin wird mit reficere auf den Wiederaufbau von Kultstät­ ten („aedes“) verwiesen, die aufgrund ihres Alters und durch Brände beschädigt worden waren.44 Weiterhin rekurriert die Wendung „rursus ad pristinam rationem redegit“45 auf die Wiedereinführung des caesarischen Reformkalenders. Für Augustusʼ Neubegründung alter, nicht mehr praktizierter religiöser Feierlichkeiten, in der

43 44 45

und macht deutlich, dass Octavian/Augustus eine solche Rückgabe zwei Mal erwogen, aber bezeichnenderweise nicht umgesetzt habe: „Zweimal hat er daran gedacht, die res publica zu­ rückzugeben: Das erste Mal gleich nachdem er mit Antonius fertig war; da fiel ihm ein, dass der ihm des Öfteren vorgeworfen habe, er selbst sei sozusagen das Hindernis, sie [= die res publica] zurückzugeben; und dann wiederum, als er infolge einer langwierigen Krankheit alles leid war […].“ Gerade die Octavian zugeschriebene Befürchtung, durch eine explizite Rück­ gabe erst zu enthüllen, dass er die res publica illegitim an sich gerissen habe, offenbart den antimonarchischen Zug dieser Aussage, die zudem als bloße Schilderung einer persönlichen Erwägung zu einem dann nicht ausgeführten Akt rein anekdotischen Charakter haben dürften. Mit noch schärferer antimonarchischer Stoßrichtung beschreibt Cass. Dio 52,1,1 den Beginn des augusteischen Prinzipats folgendermaßen: „Das waren die Taten und Leiden der Römer unter dem Königtum, der Republik und der Gewaltherrschaft, in einem Zeitraum von 725 Jah­ ren. Danach begannen sie, genau gesagt, wieder unter einer Monarchie zu leben, obwohl es Caesars [= Augustus] Absicht war, die Waffen niederzulegen und die Staatsangelegenheiten dem Senat und Volk zu übertragen.“ Dabei verwendet Dio mit ἐπιτρέπειν, also übergeben, überlassen, anheimstellen, kein griechisches Synonym zu restituere, sondern zu transferre und folgt somit in der Wortwahl der Selbstbeschreibung des Augustus in Res gestae 34,1. Allerdings versteht Dio diese translatio des Gemeinwesens als eine nicht eingelöste Absichtserklärung des Augustus; stattdessen sei es zur Wiedererrichtung einer durch Gewaltherrschaft geprägten Monarchie gekommen. Diese für die senatorische Historiographie typische antimonarchische Position wird noch dadurch forciert, dass auf den zitierten ersten Satz des 52. Buchs der fiktive Verfasungsdialog zwischen Agrippa und Maecenas folgt (siehe zu Dios Bewertung der Monar­ chie Manuwald (1979) 8–26; 84: Millar (1964) 74). Darüber hinaus verwenden App. civ. 5,132 und Cass. Dio. 50,7,1f mit ἀποδιδωμι eine Übersetzung von restituere und werfen Octavian während des Triumvirats (Appian) bzw. Antonius während des Bürgerkriegs gegen Octavian (Dio) vor, sie hätten jeweils für die Zeit nach der Erledigung ihrer Aufgaben eine Rückgabe der res publica versprochen, aber eigentlich nur die Absicht gehabt, ihre Macht weiter auszubauen und ihre Herrschaft zu festigen. Wohl nicht zuletzt aus diesem Grund wollten nicht nur Augustus, sondern sämtliche Herrscher bis ins vierte Jahrhunderte hinein nicht mit einer Rück­ gabe res publica in Verbindung gebracht werden und verzichteten daher auf die in dieser Weise misszuverstehenden und in antimonarchischen Diskursen Verwendung findenden Formeln res publica restituta und restitutor rei publicae. (Erst in einer Münze Constantins taucht die Wen­ dung offiziell auf (RIC VII Const. 297: Av.: CONSTANTINOPOLIS; Rev.: RESTIVTOR REI P.) und findet dann in der Münzprägung Iovians (z. B. RIC VIII Iov. .328; 335: RESTITVTOR REI PVBLICAE bzw. RESTITVTOR R P) und v. a. in jener des Valens und Valentinians I. Verbreitung (z. B. RIC Ix Valens/Valentinian I 1a–k; 2a–f; 11a–b; 13; 14a–b; 20a)). Die Ableh­ nung der Formel hinderte aber weder Augustus noch, wie wir sehen werden, seine Nachfolger daran, Akte der Wiederherstellung und damit eine restitutio in diesem Sinne als konstitutiven und eingeforderten Aspekt der eigenen Herrschaft durchzuführen und ggf. deutlich zu pronon­ cieren. Vgl. Millar (1973) 65. Siehe Suet. Aug. 28,3–46. Eine Diskussion bietet Wallace­Hadrill (2005) 55; 84. Suet. Aug. 30,2: „Heiligtümer [= aedes], die wegen ihres Alters eingestürzt oder einem Feuer zum Opfer gefallen waren, ließ er wiederaufbauen [= refecit]“); siehe auch Suet. Aug. 29,4. Suet. Aug. 31,2: „brachte er von Neuem in das vormalige System zurück“.

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Forschung häufig als Programm religiöser Erneuerung bewertet,46 kommt schließlich die Vokabel restituere zum Einsatz;47 ebenso beim Wiederaufbau der Grabmonumente von bedeutenden Feldherren der Republik.48 Jeder dieser restitutiones fügte Augustus Sueton zufolge noch etwas Neues hinzu: Die Kultstätten stattete er mit Geschenken aus („adornavit“),49 er ließ den Monat Sextilis nach sich selbst benennen („nuncupavit“),50 führte, ergänzend zur göttlichen Verehrung durch Feste, eine organisierte Larenverehrung ein („instituit“)51 und weihte den Feldherren Triumphalstatuen auf dem Forum Augustum („dedicavit“), wodurch er sie zu exempla erklärte.52 In Anbetracht dieser Ergänzungen zu den restitutiones dürfen auch weitere geschilderte Akte zu diesen gerechnet werden, die traditionale Elemente nicht nur erneuerten, sondern teils ausbauten, vergrößerten, in besonderer Weise ausschmückten oder schlicht veränderten: Genannt seien hier nur die glanzvolle Schmückung der durch Zerstörung und Brand in Mitleidenschaft gezogenen urbs („excoluit“),53 die Vergrößerung von Zahl, dignitas aber auch Ein­ kommen der Priesterschaft („auxit“)54 und die Ergänzung der drei Richterdekurien durch eine vierte, die ducenarii („addidit“).55 Diese restitutiones, die sich nicht in bloßer Nachahmung erschöpften, sondern den wiederherzustellenden Objekten oder Tatbeständen mehr Glanz oder eine neue, möglicherweise an den Zeitgegebenhei­ ten orientierte Bedeutung verliehen, erinnern an die Darstellung des Velleius, ent­ sprechen aber auch Hadrians späteren baulichen restitutiones. Derartige restitutio­ Praktiken im weiteren Sinne schreibt sich Augustus in den Res gestae auch selbst zu. So gebraucht er seine Renovierung bedeutender Bauwerke der Republik betref­ fend fünfmal die Vokabel reficere. Daneben stehen Vokabeln der baulichen Vollen­ dung (perficere) oder Erweiterung (ampliare, duplicare).56 Folglich hatte entweder Augustus diese Bedeutungserweiterung, die seine besondere, auch den vorausge­ henden Generationen überlegene Leistungsfähigkeit forcieren sollte, nachhaltig etabliert oder sie war bereits vor seiner Zeit Element individueller senatorischer Selbstbeschreibung und ­darstellung gewesen. In jedem Fall sind die von Sueton geschilderten augusteischen restitutiones von Bauwerken, Verwaltung und Bräuchen gemäß der mores maiorum nachweislich von Augustus umgesetzt worden. Mittels dieser Modi der Herrschaftsrepräsentation 46 47 48

49 50 51 52 53 54 55 56

Vgl. Zanker (42003) 108–140; Scheid (2009) 119–128; siehe auch Scheid (2005) 175–193. Suet. Aug. 31,4: „Auch von den alten Bräuchen belebte er den einen oder anderen wieder neu [= restituit], der allmählich abgeschafft worden war.“ Suet. Aug. 31,5: „Gleich nach den unsterblichen Göttern bezeugte er dem Andenken der Feld­ herren seine Ehrerbietung, die das Reich des römischen Volkes aus kleinsten Anfängen zum größten gemacht hatten. Deshalb setzte er die Bauwerke eines jeden wieder instand [= restituit], wobei die Inschriften erhalten blieben.“ Suet. Aug. 30,2. Suet. Aug. 31,2. Suet. Aug. 31,4. Suet. Aug. 31,5. Suet. Aug. 28,3. Suet. Aug. 31,3. Suet. Aug. 32,3. Aug. RG 20.

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reklamierte Augustus die Etablierung neuer Prosperität für Rom nach der Beendigung der Bürgerkriege für sich. Durch die Vervollkommnung zahlreicher restitutiones war er zudem bemüht, das durch seine vergangene, gegenwärtige und fortwährende Leis­ tung beständige Goldene Zeitalter in bisher unbekannte Höhen zu erheben, um so sich und seine Herrschaft als neuen Gipfelpunkt römischer Geschichte erscheinen zu lassen. Dies habe er durch seine allen überlegene auctoritas erreicht. Die restitutiones augusteischer Zeit bezogen sich somit auf die Traditionen Roms, ihre Wiederbelebung und Weiterentwicklung durch den Princeps, der sich mit dieser Beschreibung seiner Fähigkeiten und Leistungen um die Akzeptanz der Statusgruppen bewarb. Der erste Princeps hatte mit den auf Akzeptanz rekurrierenden Interaktionen mit den Gruppen des Reiches, ein Modell geschaffen, das den Prinzipat über Jahrhunderte bestimmen sollte und das seine Nachfolger übernehmen mussten, wollten sie sich an der Herrschaft halten.57 Dabei kam den Restitutionsakten des Augustus bezüglich durch Alter, Brände, Naturkatastrophen oder andere Zerstörungen in Mitleidenschaft gezogener Bauwerke offenbar in der Tat eine Vorbildfunktion für nahezu sämtliche Nachfolger zu. Dies wird sowohl durch den materiellen Befund dokumentiert als auch in der antiken Historiographie und Biographik kommentiert:58 So hat nach Sueton Tiberius „restitutionem[…] Pompeiani theatri“ begonnen, aber nicht vollendet,59 was als einer von zahlreichen Aspekten des moralischen Niedergangs des zweiten Princeps dargestellt wird. Im Gegensatz dazu habe Titus sich Sueton zufolge, um das durch den Vesuvausbruch 79 n. Chr.60 in Mitleidenschaft gezogene Kampanien wiederaufzubauen („restituendae Campaniae“), neben anderen Wieder­ herstellungsmaßnahmen um die restitutio „der hart betroffenen Gemeinden“ sowie um die Finanzierung dieses Vorhabens bemüht.61 Der als „amor ac deliciae generis humani“62 präsentierte Titus vollzog somit in Perfektion ein Krisenmanagement, das auch in anderen Quellen von der Prinzipatszeit bis in die Spätantike63 immer wieder als Erwartung an den Princeps formuliert wird. Folglich dient die Herrschertugend des Wiederaufbaus in der römischen Biographik und Geschichtsschreibung dazu, die kaiserliche cura bzw. Fürsorgepflicht zu bewerten. Es handelte es sich also bei restitutiones in diesem Sinne tatsächlich um ein gängiges, der Erwartungshaltung und dem Anforderungsprofil entsprechendes Vor­ gehen eines jeden Princeps, der Akzeptanz erringen wollte. Freilich war ein direkter Augustus­Bezug durch restitutiones allein nicht zwangsläufig gegeben. Es ist somit zu prüfen, ob durch ein Bemühen um besondere Prominenz bestimmter Konzepte der restitutio eine Augustus­Bezugnahme einzelner Principes zu konstatieren ist. Hier ist die im Verlauf der nachaugusteischen Geschichte vielfach mit Restitutionsakten 57 58 59 60 61 62 63

Siehe Flaig (1992) passim. Vgl. Strothmann (2000) 17 mit Anm. 18. Suet. Tib. 47. Siehe Suet. Tit. 8,3. Suet. Tit. 8,4. Suet. Tit. 1. Dass restitutiones in spätantiken Werken wesentlicher Bestandteil der Bewertung von Herr­ schertugenden blieben, hat bereits die Beschäftigung mit der vita Hadriani und der vita Antonini (SHA Pius 8,2–4) gezeigt.

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verbundene Wendung pax Augusta zu untersuchen, die insbesondere seit dem Vier­ kaiserjahr 68/69 n. Chr. Eingang in die kaiserliche Münzprägung fand.64 Da diese pax eindeutig auf Augustus rekurrierte, markierte der jeweilige Princeps durch ihre Formulierung, dass seine restitutiones in ihrem Kontext vollzogen wurden und als Augustus­Bezug zu verstehen seien. Herausbildung und Bestimmung der pax Augusta Die Ara Pacis Augustae – augusteischer Frieden und augusteische Sieghaftigkeit Um die kennzeichnende Repräsentanz der pax im augusteischen Zeitalter handelt es sich bei der Ara Pacis Augustae. Dieser Altar für die Göttin Pax wurde am 30. Januar 13 v. Chr. aus Anlass der Rückkehr des Augustus von einer drei Jahre wäh­ renden Kampagne in Gallien und Hispanien vom Senat dediziert.65 Die Außenmauer, die den heiligen Bezirk des Altars umgrenzte, wurde mit sechs Reliefs geschmückt. Neben den beiden eine idealisierte Prozession darstellenden Reliefs an den Langseiten, weisen die Fronten der West­ und Ostseite jeweils zwei Reliefs auf, die mythologische Szenen bzw. Götterdarstellungen abbilden. So sind zum einen Aeneas und Iulus zu identifizieren. Ein weiteres mythologisches Bild dürfte Mars neben Romulus und Remus sowie der Wölfin gezeigt haben. Weiterhin begegnet im nordöstlichen Relief wohl die Göttin Roma. Das Relief auf der Südost­ seite schließlich zeigt das bekannteste Bildnis der Ara Pacis: Eine Gottheit mit zwei Kleinkindern auf dem Schoß sitzt inmitten von Symbolen der Erde und Fruchtbarkeit sowie von Personifikationen der Luft und des Wassers.66 Der Verweis gerade dieses Reliefs auf Fülle und Fruchtbarkeit wird durch Ranken­, Girlanden­ und Bukranien­ motivik an der Außen­, aber auch an der Innenmauer der Ara Pacis abgerundet.67 Im Widerspruch zu diesem Aspekt scheinen auf den ersten Blick die Präsenz von Roma und Mars zu stehen. Beide Gottheiten haben einen dezidiert kriegerischen Charakter,68 der bei genauerer Betrachtung des Reliefs sogar noch intensiviert wird. So besitzt Roma zwar auch den Charakter einer Muttergottheit, doch sitzt sie auf der Ara Pacis auf einem Waffenhügel und wurde wohl von den Personifikationen der

Siehe z. B. RIC I2 Galba 37a–b. Aug. RG 12,2; Ov. fast. 1,709f; siehe auch Galinsky (1996) 141f; 146; Kleiner (1992) 90; Conlin (1997) 3; Zanker (42003) 126; Kienast (42009) 239. 66 Zum Aufbau und zu den Abbildungen des Reliefprogramms siehe Kleiner (1992) 90–98 mit Abb. 71–80; Kleiner (2005) 218–225 mit Fig. 24; siehe auch Pollini (2002) 137–157 mit. Abb. 3; 9–24; Zanker (42003) 126–130; 177–179 mit Abb. 136; 165, Abb. 126; 175, Abb. 135; Galinsky (1996) 14; 141–153 mit Abb. 58–70; Kienast (42009) 239–241; Conlin (1997) 4–8. Zum Prozessionsfries (und seinen sogar privilegiert militärischen Implikationen) siehe Havener (2016) 218–222. 67 Kleiner (1992) 91f; Pollini (2002) 148–153; Zanker (42003) 122–124; 184; Kienast (42009) 239; Galinsky (1996) 147f. 68 Zu Roma siehe Mellor (1967) insbes. 117: „The altars of Roma and Augustus were guarantees of security and invincible power“; siehe auch Mellor (1975) 199f; zu Mars siehe Hobbold (1995) 13–19; 97–99. Siehe dazu jetzt auch Havener (2016) 214–216. 64 65

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militärischen Tugenden Honos und Virtus gerahmt.69 Mars nimmt auf dem Altar die Doppelrolle des Stammvater der iulisch­claudischen Dynastie sowie, kenntlich ge­ macht durch Helm und Rüstung, von Mars Ultor ein, der von Octavian im Kampf gegen die Caesar­Mörder als Unterstützer reklamiert worden war. Zudem befand sich der Altar der Pax auf einem dem Mars dedizierten und somit als Sammelplatz des Heeres genutzten Gelände, dem Campus Martius.70 Neben den Darstellungen der Ara Pacis wird auch in anderen Evidenzen die Sieghaftigkeit des Augustus massiv betont. So spricht der Princeps in seinem Taten­ bericht von der Rückgabe der römischen Feldzeichen durch die Parther.71 Diese Rückgabe fand ihren Niederschlag auch in der Bildkunst und weist somit dem Mo­ tiv der Sieghaftigkeit zur Friedensstiftung einen zentralen Platz in der Herrscherper­ formanz zu. Am Prononciertesten wurde die Rückgabe der Feldzeichen auf dem Panzer der Augustus­Statue von Primaporta zur Darstellung gebracht: Die Szene wird von Personifikationen und Göttern gerahmt, unter denen vor allem eine am unteren Bildrand lagernde Göttin weitgehend der Muttergottheit auf der Ara Pacis entspricht. Ihr Attribut des Füllhorns verstärkt außerdem die Verheißung von Frucht­ barkeit und Fülle der pax. Doch war es auch hier erst die Sieghaftigkeit, die als Garant von Sicherheit und Prosperität dieses Friedens vermittelt wurde und die darin zur Geltung kommt, dass Augustus nicht als Togatus auftritt, sondern einen Panzer trägt.72 Dass dem Konzept der pax Augusta zur Zeit seiner Ausformung unter Augustus auch militärische Elemente inhärent waren, ist schon lange communis opinio der Forschung.73 ältere Perspektiven, in denen Augustus als Friedensfürst, der sämtlich Kriege eingestellt habe, erschien, hatten sich aus der translatio des Pax­Begriffs in christliche Kontexte sowie aus anachronistisch adaptierten Friedenskonzeptionen ergeben und dürfen getrost verworfen werden.74 Die Mehrheit der modernen Studien 69

Kleiner (1992) 96–98; Pollini (2002) 148f mit Abb. 14. Zur Rolle der Roma im augusteischen Prinzipat siehe Mellor (1975) 199f; Mellor (1967) 24–50; 105–114. 70 Kleiner (1992) 96; Pollini (2002) 142; 145 mit Abb. 10; 155, Abb. 22; siehe auch Schmitzer (2006) 102; Havener (2016) 217f. Zur Rolle des Mars (Ultor) im augusteischen Prinzipat und insbesondere auf der Ara Pacis siehe Galinsky (1996) 149; Kienast (42009) 241–244; siehe auch Zanker (42003) 198f. 71 Aug. RG 29,2: „Die Parther habe ich dazu gezwungen, mir die Beutestücke und die Feldzei­ chen dreier römischer Heere zurückzugeben und bittflehend um die amicitia des römischen Volkes nachzusuchen. Diese Feldzeichen ließ ich im innersten Raum des Mars­Ultor­Tempels aufstellen.“ Siehe auch Zanker (42003) 188–191. 72 Siehe Havener (2016) 262–266; siehe auch Kleiner (1992) 63–67 mit Abb. 42; Zanker (42003) 192–196. 73 Siehe Fuchs (21965) [1. Auflage: 1926] 182–205; Straub (1977) 136–148; Rubin (1984) 21–34; Dahlheim (2010) 250–254; Kienast (42009) 334; vgl. Chantraine (1984) 35–40; Schmitzer (2006) 93–111. 74 Zu einer kritischen Zusammenfassung siehe jetzt Havener (2016) 193–209; siehe auch Cornell (1993) 139–142 mit Anmerkungen. Zur christlichen Übernahme und starken Modifikation des Pax­Begriffs in Antike und Mittelalter siehe Fuchs (21965) 205–248; Schmitzer (2006) 110f. Populär ist auch die Position, dass bereits ‚die Römer‘ mit ihrer pax Romana die wesentlichen Grundlagen für eine Einigung Europas geschaffen hätten, was besonders prominent in einer Ausstellung des DHI Museums Berlin im Jahr 2003 mit dem Titel Idee Europa. Entwürfe zum

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hat entsprechend die außenpolitischen, expansiven Effekte der pax Romana/Augusta in den Vordergrund gestellt: Der römische Frieden wurde in einem bellum iustum bzw. einem Angriffs­ und Eroberungskrieg errungen. Die unterworfenen Barbaren wurden in römischer Perspektive befriedet (pacare) und gelangten somit in den Genuss der pax Romana. Vor allem aber war die römische Expansionspolitik ein Indikator für den friedlichen Zustand der res publica: Kaiserzeitliche Historiographen wie Tacitus, Florus oder Velleius Paterculus handeln intensiv von den militärischen Taten der Römer bzw. kritisieren deren Vernachlässigung, da diese zu Erschlaffung und Bedrohung führe.75 Zeev Rubin konstatiert: „Sogar wenn die Pax­Symbolik in außenpolitischen Zusammenhängen hervortritt, ist sie am besten vor dem Hintergrund innenpolitischer Umstände zu verstehen.“76 Umso befremdlicher ist, dass, so eben­ falls Rubin, Pax­Prägungen des augusteischen Prinzipats gänzlich fehlen,77 betonte doch auch Augustus in den Res gestae seine stetige Sieghaftigkeit.78 Havener hat gezeigt, dass Augustus in erster Linie seine militärische Leistung betonte. So ist die Victoria im Gegensatz zur Pax im augusteischen Münzprogramm, aber auch in der sonstigen Selbstdarstellung über die Jahrzehnte hinweg in hohem Maße präsent.79 Der pax Augusta kommt im augusteischen Prinzipat, so Havener im Weiteren, die Bedeutung eines ‚Siegfriedens‘ zu, den Augustus in seinem Tatenbericht als parta vitoriis pax, durch Siege errungener Friede, bezeichnet.80 In diesem Kon­ text diente die pax auch der Erfüllung von Erwartungen und Bedürfnissen des sozi­ alen Felds nach Ruhe und Sicherheit durch den ersten Princeps, die aufgrund der Bürgerkriegswirren hervorgerufen worden waren. Folglich waren Augustusʼ Rekurse auf die pax und ihr Zusammenwirken mit der Sieghaftigkeit Gegenstand von Aus­ handlungsprozessen zwischen den Polen von Macht und Akzeptanz. So ließ Augus­ tus auch zahlreiche Würdigungen seiner Person als Stifter der pax zu, in denen sich, wie in der Rezeption der restitutio des Princeps, Dankbarkeit und die Hoffnung auf Ruhe im neuen Regime artikulierten. Damit wurde aber gleichzeitig auch das ex­ pansive militärische Handeln des Augustus, das die Verteidigung dieser pax garantierte, aber eben auch seine Omnipotenz (durch die Kontrolle des Heers)

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„Ewigen Frieden“. Ordnungen und Utopien für die Gestaltung Europas von der pax romana zur Europäischen Union präsentiert wurde; der gleichnamige Ausstellungskatalog bildet zwar einzelne Objekte mit Bezug zu Pax oder Victoria ab, informiert jedoch nicht weiter über die angebliche translatio: siehe von Plessen (2003) insbes. 45f. ähnliche Rezeptionen und Aktua­ lisierungen früherer Jahrhunderte fasst Straub (1977) 143f zusammen. Siehe Straub (1977) 136–143; Fuchs (21965) 182–205; Kehne (2000) 454f. Rubin (1984) 27–31; 34. Rubin (1984) 22–25; siehe auch Havener (2016) 131f. Lediglich RIC I2 Aug. 476 (siehe dazu im Weiteren) bildet auf dem Revers eine als solche bezeichnete Personifikation der Pax ab; nur drei weitere Prägungen (31–29 v. Chr.) zeigen auf ihren Reversen eine weibliche Figur mit den Pax­Attributen Ölzweig und Füllhorn, eine Benennung fehlt jedoch (RIC I2 Aug. 219–220; 252). Siehe Aug. RG 1,1–3,1f; 26–31; siehe zudem Aug. RG 4; siehe dazu Havener (2016) 193–200. Über seine gesamte Herrschaftszeit ließ Augustus verschiedenste Münzen mit Victoria­Darstel­ lungen für sich und in der Spätphase seiner Herrschaft auch für Tiberius schlagen; insges. werden in RIC I2 Aug. 71 Nominale wiedergegeben; siehe dazu Havener (2016) 131–135; 231f mit Anm. 183. Aug. RG 13,1; siehe Havener (2016) 194; 206–212.

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akzeptiert.81 Entscheidend für die allmähliche Genese der pax Augusta war also die Einforderung und weiterführende Rezeption durch das soziale Feld. Dieser im augusteischen Prinzipat einsetzende Aushandlungsprozess ist grundle­ gend ablesbar an einer spezifischen Quellengattung der Zeit, die Positionen der Sieg­ haftigkeit einerseits und der Erzeugung, des Schutzes und des Erhalts der pax ande­ rerseits aufnahm und zu vereinigen suchte: die Dichtung des augusteischen Zeitalters.82 Dabei ist zunächst einmal auf das Carmen Saeculare des Horaz hinzuweisen.83 Bei diesem anlässlich der Saecularspiele geschaffenen Werk handelt es sich um einen an römische Gottheiten gerichteten Bittgesang.84 Die Götter werden gebeten, durch Wohltaten für die Menschheit eine neue Zeit der Fruchtbarkeit und des Schutzes zu begründen85 und deren Dauer zu garantieren, wie in zahlreichen Formulierungen der Ewigkeit, d. h. eines glücklichen Jahrhunderts bzw. der Wiederkehr einer ruhm­ reichen und glücklichen Vergangenheit, zum Ausdruck kommt.86 Diese wiederkehr sei durch die Anknüpfung des als erlauchter Abkömmling vom Blute des Anchises und der Venus87 bezeichneten Augustus an die Leistungen und Tugenden des Ahn­ herrn Romulus, des Sohns der Göttin und des Troianers, errungen worden.88 Das zeige sich an der Sieghaftigkeit des Augustus, der sich nun die gesamte Welt beuge.89 Und wie in den Darstellungen der Ara Pacis sei es diese nur an Romulus zu messende Leistung des Augustus gerade im Bereich expansiven Handelns, die zu einer resti­ 81 82 83 84

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Havener (2016) 209–252; inbes. 209–213 zur augusteischen „Formel parta victoriis pax“. Havener (2016) 250–252; siehe auch Galinsky (1996) 93–100; Schmitzer (2006) 95–97. Siehe einführend Putnam (2000). Dass das Carmen tatsächlich vorgetragen wurde, geht aus dem fragmentarisch erhaltenen Fest­ programm hervor: CIL VI 877 (p. 3070, 3824, 4302, 4351, 4367) = CIL VI 32323 = CIL VI 32324 = ILS 5050, Z. 147–149: (Mommsen (1899) 225–309; inbes. 227–233; siehe auch Mommsen (1905) 351; 356–358; vgl. De ludis saecularibus populi Romani Quiritium 3,3 (Commentarium ludorum saecularium septimorum) p. 164–167 (ed. Pighi 21965) sowie zum Forschungsstand Moretti (1982–1984) 361–379). Daneben spricht auch Horaz in seinem Werk von der Erstellung des offiziellen Carmen Saeculare für die augusteische Feier: siehe Hor. od. 4,6,41–44; Hor. epist. 2,1,132–138; Hor. carm. saec. 5–7. Zum Carmen Saeculare als ‚Auftragswerk‘ siehe Cancik (1996) 99–113; siehe auch Nilsson (1920) 1712; 1715; Galinsky (1996) 102; Price (21996) 834; 836; Putnam (2000) 144. Formuliert wird der Gebetscharakter gleich in Hor. carm. saec. 1–4, wenn Phoebus und Diana Objekt des Gebets werden (3: „precamur“). Weiterhin wird Diana (Ilityia/Lucina/Genitalis) 13–20 um Schutz der Mütter und der neuen Ehegesetze sowie um Kindersegen gebeten. So richtet sich Hor. carm. saec. 8–12, an Sol, dessen tägliche Fahrt mit dem Strahlenwagen, d. h. der fortwährende Sonnenverlauf, gepriesen und mit dem Schicksal Roms verknüpft wird: Die (ewige) Sonne solle niemals mehr Größeres erblicken als Rom. 21–24 wird die lange Dauer des Goldenen Zeitalters umrissen: Mit elf Jahrzehnten dauere es über ein Jahrhundert an, danach werde der Kreis der Zeit durch die nächsten Saecularfeiern erneuert, was durch die von Diana gewährte Reproduktion gelinge. Dauerhaftigkeit wird schließlich 65–68 verkündet: „[Phoebus] lässt, wenn zum Palatin er huldvoll niederschaut, Roms Macht und das Glück Italiens auf ein neu Jahrhundert von Jahr zu Jahr stets schöner erblühen.“ Siehe auch Galinsky (1996) 100–104. Hor. carm. saec. 50: „Clarus Anchisae Venerisque sanguis“. Siehe Hor. carm. saec. 37–48; siehe auch Galinsky (1996) 103f. Hor. carm. saec. 51–56: „bellante prior“ (51); „Seinem Arm, allmächtig zu Land und Meer, und Albas Beilen beugt sich nun scheu der Meder; Skythen, jüngst noch trotzig, und Inder holen seine Bescheide“ (53–56).

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tutio des als ursprünglich definierten bzw. tradierten Zustands geführt habe. Folglich seien die mores maiorum in Gestalt der Pax und ihr verwandten Tugenden zurück­ gekehrt. Bei einer davon handelt es sich um den wohl auch auf dem augusteischen Friedensaltar präsentierten Honos, der somit den friedlichen, glückbringenden Ur­ zustand mit der kaiserlichen Sieghaftigkeit verknüpft,90 also die wehrhafte Sicherheit des Reiches verspricht. Dem Carmen Saeculare zufolge äußert sich dieser glückliche, lang andauernde, auf den Leistungen des Princeps basierende Ur­ und Friedenszu­ stand im Übrigen in der Wiederkehr zweier Göttinnen, die das nun kommende Jahrhundert als Zeitalter des Wohlstand und der Fruchtbarkeit charakterisieren: die Erd­ und Muttergottheit Tellus sowie Ceres als Getreide­ und Fruchtbarkeitsgöttin.91 Das hier dargestellte und mit dem Gebet angebrochene saeculum aureum war somit sicherlich als Kontrastbild zu den Unruhen der Bürgerkriegszeit konzipiert. Diesen setzt Augustus seine militärische Überlegenheit entgegen, um das Reich zu neuer Größe und neuem Ruhm zu führen. Dabei galt es, sich der vergangenen Leistung der Ahnen zu verpflichten und wie jene für das Wohlergehen und die Fortdauer des Reiches zu sorgen. Augustusʼ alles und alle überragende Sieghaftigkeit hatte Rom die pax beschert und garantierte ihre Fortdauer. Somit wird auch in dieser dichteri­ schen Evidenz der militärische Aspekt der augusteischen Herrschaft als dominant und prägend für die pax Augusta dargestellt.92 Auch in anderen Werken des augusteischen Zeitalters wurden victoria und pax in ein ähnliches Verhältnis gesetzt,93 so etwa durch Vergil in der Heldenschau seiner Aeneis: „Dieser Mann, der ist es, der dir, du hörst es immer wieder, verheißen wird, Augustus Caesar, des Divus Sohn. Goldene Zeiten wird er für Latium begründen [condet], allüberall in den Landen, die einst von Saturn beherrscht wurden. Er wird weit über Garamanten und Inder hinaus sein Imperium ausdehnen. Ihre Länder liegen fernab von unseren Sternen, fernab von der Sonne Jahreslauf. Dort lässt der Himmelsträger Atlas das sternübersäte Gewölbe auf seinen Schultern kreisen. Vor seinem Kommen erbeben, denn Götter taten es kund, schon jetzt die kaspischen Reiche und das maeotische Land, und des Nils sieben Mündungsarme zittern und zagen.“94

Hier wird das Kommen eines saeculum aureum durch Augustus in Nachfolge und nach dem Vorbild des Saturn, der mythologisch mit der friedlichen und goldenen Ursprungszeit verknüpft ist, verkündet. Diese augusteische Leistung beschreibt Ver­ gil mit dem Verb condere: Augustus wird also zum Gründer des Goldenen Zeitalters stilisiert. Analog zu dem Saturn zugeschriebenen kriegerischen Handeln95 wird Augustusʼ stetige Leistungsfähigkeit besonders hervorgehoben. So fußt die Ur­ und Friedensordnung, die augusteische pax, auch hier auf der militärischen, zur Welt­ 90

Hor. carm. saec. 57–60: „Und schon wagt auch Fides und Pax und Honos und der Vorzeit Zucht [Pudor] und vergeßne Virtus sich zurück; glückspendend erscheint mit vollem Horne der Segen.“ Siehe auch Havener (2016) 251; Galinsky (1996) 104. 91 Ergänzt wird diese Leistung durch das von Iuppiter durch Luft und Niederschlag begünstigte Wachstum: Hor. carm. saec. 29–32. 92 Siehe jetzt auch Havener (2016) 250–252. 93 So z. B. Ov. fast. 1,711–722; Hor. epist. 2,1,253–257; Hor. carm. 4,15. 94 Verg. Aen. 6,791–800. Vgl. Verg. ecl. 4,6f; 17 und dazu eingehend Havener (2016) 61–68. 95 Siehe Galinsky (1996) 95–97; siehe Mastrocinque (2001) 117.

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herrschaft führenden Expansion, wie durch den Rekurs auf Atlas, der sich am Rande der Welt befindet und die Verbindung zum Himmelsgewölbe schafft, betont wird.96 Wenn Vergil schließlich formuliert, dass dem Princeps sein Ruhm vorausgeeilt sei und er nun in fernen Ländern gefürchtet werde, wird ihre unabwendbare, sichere Unterwerfung durch Rom gefeiert und damit eine weitere Garantie für die Sieghaf­ tigkeit des Augustus und des daraus für Rom entspringenden Siegfriedens abgegeben. Die Beschreibung des Augustus als Gründer bzw. Neugründer Roms sowohl bei Vergil als auch in anderen werken97 war wirkmächtig, wurde zum Gegenstand von Rekursen, Erwartungen und Rezeptionen. Die Wirkmächtigkeit bereits für das au­ gusteische Zeitalter hat John Pollini mit einer Deutung zur Ara Pacis demonstriert: Während das Sauopfer des Aeneas auf der Westseite des augusteischen Monuments auf die Weissagung und Gründung von Lanuvium vorausverweist, zeigt die Entde­ ckung und Fütterung von Romulus und Remus durch Lupa und Picus auf dem zweiten Relief der Westseite mit dem Lupercal auf dem Palatin den zukünftigen Gründungsort Roms. Mars wohnt diesem Geschehen bei, ist er doch „sowohl Vater der Zwillingsbrüder wie Gründervater der gens Romana, des römischen Volkes“ (aber auch der gens Iulia). Für den Rezipienten der Ara Pacis wurde somit „ein metaphorisches Bild von Augustus als ‚inaugurator‘ einer neuen Friedens­ und Blütezeit und als alter conditor, als ‚zweiter Gründer‘ Roms, evoziert“. Der Princeps der Prozession auf der Längsseite des Altars konnte somit als „Roms ‚zweiter Gründer‘“ im Sinne eines „Wiederhersteller[s] der Vergangenheit durch eine Sakral­ und Ritualhandlung“ gedeutet werden, die eine Rückkehr des Goldenen Zeitalters bedeutete, repräsentiert durch die Darstellungen der Fruchtbarkeitsgöttin und der Roma in den Reliefs der Ostseite.98 Letztlich war mit der Beschreibung des Augustus als conditor gerade im Kontext der pax Augusta ein Modell für zukünftige Principes geschaffen. So verkündete ein halbes Jahrhundert nach Augustus Nero die Schließung der Tore des Ianus­Tempels in seiner Münzprägung und bildete in dieser auch die Ara Pacis Augustae ab99 und gibt damit vor, programmatisch an eine vorgeblich an Augustus orientierte pax an­ zuknüpfen: Gerade den Verweis auf die beiden Monumente und die Wiederholung augusteischer Gesten nutzte Nero zumindest in der Frühphase seiner Herrschaft dazu, ein erneutes, nun durch seine Leistungen errungenes Goldenes Zeitalter und eine Neugründung Roms für sich zu reklamieren.100 Bezeichnenderweise spielte damit die pax Augusta für Nero und seine Herrschaft im gefestigten Prinzipat eine wesent­ lich prononciertere Rolle als für Augustus selbst, für den die Herrschaftssicherung 96 97 98 99

Siehe dazu auch Deremetz (2009) 286–288. Siehe auch die Stilisierung des Augustus als ianusgleicher custos der pax in Hor. epist. 2,1,255. Pollini (2002) 144–149 (Zitate: 145; 147; 148). Siehe RIC I2 Nero 50–51; 58; 263–271; 283–291; 300–311; 323–328; 337–342; 347–350; 353–355; 362; 366–367; 421; 428–429; 468–472; 510–512; 537–539; 583–585. Zur programmatischen Schließung des Ianus­Tempels im Rahmen der inszenierten Unterwerfung des Tiridates siehe Suet. Nero 13. Siehe auch Rubin (1984) 25. 100 Siehe Suet. Nero 10,1: „Um seine Grundeinstellung noch eindeutiger zu demonstrieren, legt er das Bekenntnis ab, er werde ganz nach den Regeln des Augustus regieren.“ Siehe auch Neros programmatische Gesten zur Begründung eines Goldenen Zeitalters (z. B. Suet. Nero 8–10; 13; 15,2–17); siehe dazu Griffin (1984) 55–66; 115.

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noch keinen dauerhaften monarchischen Bezugsrahmen besitzen konnte. Im neronischen Prinzipat hingegen war die Einschreibung des Augustus, seiner Herr­ schaft und seines politischen Handelns in das soziale Feld im fortdauernden, modi­ fizierenden Rezeptionsprozess, bei gleichzeitiger grundsätzlicher Gegebenheit des Prinzipatssystems, längst erfolgt. Der Rekurs auf Augustus konnten im stetigen Bewerben des aktuellen Princeps um Akzeptanz nutzbar gemacht werden, da das Bild des ersten Princeps mit der Erinnerung an eine prosperierende Zeit, die als von allen Gefahren befreit betrachtet wurde und hinsichtlich des herrschenden inneren Friedens als erfolgreich galt, verknüpft war. Velleius Paterculus, Tiberius und die pax Augusta Dass die Friedensstiftung zentrales Zuschreibungs­Charakteristikum der Imago des Neugründers Augustus im Feld geworden war, hatte sich bald nach seinem Tod gezeigt. Das wird wiederum besonders im Geschichtswerk des Velleius Paterculus deutlich, das wohl den Begriff pax Augusta geprägt hat: „Über alle Länder in Ost und West, bis an die Grenzen im Süden und Norden breitet sich die pax Augusta aus und bewahrt auch die entferntesten Erdenwinkel vor Räubereien.“101 Um den Intentionen der Schilderung des Velleius auf die Spur zu kommen, ist eine kurze Befassung mit seiner Biographie unerlässlich:102 Velleius Paterculus wurde wohl um 20/19 v. Chr. geboren und stammte väterlicherseits aus einer Familie des Ritterstandes und besaß mütterlicherseits verwandtschaftliche Beziehung zum muni­ zipalen Adel Kampaniens. Während des Partherfeldzugs des C. Caesar diente er als Militärtribun in Thracia und Macedonia, anschließend war er als praefectus equitum und legatus Augusti im Heer des Tiberius tätig, bevor er 14 n. Chr. noch von Augustus, aber vermutlich auf Betreiben des Tiberius, als Praetor empfohlen wurde und damit in den Senat einzog. Der letzte fassbare Zeitpunkt zu dem Velleius noch am Leben war ist das Jahr 30 n. Chr., in dem er sein Geschichtswerks dem consul ordinarius M. Vinicius widmete.103 Sein militärischer cursus, der Velleius mit den designierten Nach­ folgern des Augustus in Kontakt brachte, die ihm seine Statuserhöhung bescherten, verweisen auf ein Nahverhältnis des ursprünglich dem Dienstadel angehörenden Vel­ leius zur domus Augusta. Diese Nähe bestand insbesondere zu Tiberius, der in der Historia Romana durchweg positiv beurteilt wird.104 Die pax versteht Velleius als Produkt jener Leistungen, die vor inneren Zwistig­ keiten bewahrten. So habe Augustus durch die Beendigung des Bürgerkriegs und diverse Restitutionsakte zunächst eine revocatio der pax und „securitas hominibus“ herbeige­ führt.105 Dennoch blieben Velleius zufolge militärische Kampagnen weiterhin relevant. 101 Vell. 2,126,3; vgl. Havener (2016) 200f mit Anm. 43. 102 Biographische Daten zu Velleius lassen sich lediglich auf Basis seines Werks erschließen, das mit seiner Zeitgeschichte endet: siehe Vell. 2 passim. 103 Zu M. Vinicius und seiner Beziehung zu Velleius vgl. Rich (2011) 73–92; siehe aber jetzt Biesinger (2016) zur Funktion dieser Widmung in der Historia Romana des Velleius Paterculus. 104 Biesinger (2016) 286–288; 295; siehe auch Schmitzer (2000) 10. 105 Vell. 2,89,2–4 (Zitat: 4); Vell. 2,85,1; siehe auch Kuntze (1985) 189f; vgl. Havener (2016) 83–85.

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Auch in dieser Rezeption ist der pax Augusta also Sieghaftigkeit inhärent. So heißt es bei Velleius bereits über Octavian nach dem Sieg bei Actium: „Aberat in ordinandis Asiae Orientisque rebus Caesar, circumferens terrarum orbi praesentia sua pacis suae bonae.“106 Indem die Leistungen des Ordnens der Verhältnisse und des Spendens der Segnungen des Friedens im Satzgefüge als verkürzte Relativsätze nebeneinan­ dergestellt werden, werden beide Aspekte gleichgesetzt. Doch fungiert im Velleiischen Werk nicht Augustus als auctor, Initiator, Garant und Verteidiger der pax Augusta. Vielmehr übernimmt hier Tiberius direkt nach dem Sieg bei Actium die wichtigsten militärischen Aufgaben107 und wird als jener römi­ sche imperator und dux sowie als „perpetuus patronus Romani imperii“ gerühmt, der im augusteischen Prinzipat durch Angriffskriege allen Ländern die pax spendete. Die Führung dieser Kriege durch Tiberius war es also, die erst wirklich die pax Augusta etablierte. Folglich wird der Stiefsohn des Augustus als der eigentliche Schutzherr dargestellt, dessen militärische Potenz den dauerhaften ‚augusteischen Frieden‘ garantierte und der schließlich in seinem Prinzipat diese Garantie durch expansives Vorgehen aufrechterhielt und forcierte. So stellt Velleius auch Tiberiusʼ Kriege gegen Germanen und Pannonier in seinem Prinzipat als große Bedrohung Italiens dar,108 die dieser jedoch vollkommen abzuwenden und teils in militärische Erfolge expansiver Natur umzukehren verstand.109 Die vollkommene Durchsetzung und Erhaltung der pax Augusta, des sicheren Zustands Roms, resultieren in der Historia Romana somit aus der fortwährend betonten Sieghaftigkeit des als „tantum in bello ducem, quantum in pace […] principem“110 bezeichneten Tiberius. Die pax Augusta, so Velleius, sei folglich „sua [= Tiberiusʼ] atque ipsius [= Augustusʼ] opera“, wobei Tiberius zum zentraler Leistungsträger ausgestaltet wird.111 Ulrich Schmitzer kommt zu dem Schluss, „the pax of which Velleius writes is not so much a pax Augusta, but rather to a great extent a pax Tiberiana.“112 Somit wird auch die erreichte Dimension des augusteischen Friedens durch Sieg­ haftigkeit bei Velleius von einer augusteischen zu einer tiberianischen Leistung: Tibe­ rius ist es, der Roms Herrschaft über die gesamte Welt durchsetzt und aufrecht erhält, was in der Wendung orbis terrarum bzw. terrarum orbis zum Ausdruck kommt.113 Der endlose Erdkreis, schon in der augusteischen Dichtung zum Ruhm des Princeps genutzt,

106 Vell. 2,92,2: „Caesar war abwesend [von Rom], um die Angelegenheiten Asiens und des Ostens zu ordnen und im terrarum orbis durch seine Gegenwart die Segnungen seiner pax zu verbreiten.“ Vgl. Kuntze (1985) 190. 107 Angefangen mit Vell. 2,94; insbes. 2,95,1; siehe auch Gowing (2007) 413f. 108 Siehe Vell. 2,96,2; siehe auch Vell. 2,114,4. 109 Vell. 2,97,4: „Die Last des Krieges wurde daraufhin Tiberius Nero übertragen: Er meisterte sie mit der ihm eigenen virtus und fortuna; siegreich [= victor] durchzog er alle Teile der Germa­ nia ohne jeglichen Verlust für die ihm anvertrauten Truppen […]; er unterwarf sie [= die Ger­ mania] so vollständig, dass er sie fast zu einer steuerpflichtigen Provinz machte. Daraufhin erhielt er einen weiteren Triumph und einen zweiten Konsulat.“ 110 Vell. 2,113,1. 111 Vell. 2,123,2. 112 Schmitzer (2011) 192–195 (Zitat: 193). 113 Vell. 2,131.

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wurde in tiberianischer Zeit zu einem Element die Rezeption der pax Augusta114 und schließlich zu ihrer populären Beschreibung, aber auch zum Anforderungsprofil und bedeutenden Element der Selbststilisierung zahlreicher Principes. Durch die Darstellung des Velleius wird Tiberius also zum ersten Princeps, der den Erdkreis wahrhaft kontrollierte und aus dessen Leistung die securitas der Menschheit erwachsen war und stets aufs Neue erwachsen sollte. So wird bezüglich der Rückkehr des Tiberius von Rhodos und seiner Adoption beschrieben,115 dass der populus höchste Hoffnungen (spes) in ihn und seine zukünftige Herrschaft gesetzt habe: Er möge die Dauerhaftigkeit der Sicherheit (perpetua securitas) für die Be­ völkerung nach den Bürgerkriegen und auf diese Weise auch das ‚ewige‘ Bestehen des römischen Reichs (aeternitas Romani imperii) garantieren.116 Durch tiberianische Leistungen hätten sich salus, quies, pax und tranquillitas erhoben,117 die im weiteren unter dem terminus pax Augusta subsumiert werden.118 Ursächlich dafür, dass sich nach Velleius die voll entwickelte pax Augusta erst im Prinzipat des Tiberius und durch dessen Leistungen erhob, könnte sein, dass Augustus selbst als mitverantwortlich für die Unruhen der Bürgerkriegszeit betrach­ tet wurde. Somit bedurfte es eines ganz neuen, unbelasteten Mannes, der allein das Reich in einen vollkommenen, im krassen Gegensatz zum Bürgerkrieg stehenden Zustand der Sicherheit überführen konnte.119 Damit wird Tiberius als allüberlegen dargestellt. So ist im Rahmen der tiberia­ nischen Kriegszüge häufig gar kein allzu großer militärischer Einsatz von Nöten: Die Welt unterwirft sich dem allzu mächtigen und vorbildlichen Feldherrn freiwillig und allein durch dessen Präsenz.120 Auf diese Weise erscheint dieser als allen anderen 114 Siehe auch Vell. 2,85,1; siehe zudem die Laudatio Turiae Z. II 25. 115 Siehe auch Biesinger (2016) 282–284: „An der entsprechenden Stelle verschleift er [= Velleius] die Rückkehr des Tiberius von der Insel Rhodos und die erst rund zwei Jahre später erfolgende Adoption durch Augustus beinahe zu einem Ereignis“ (282). Auf diese Weise vermeide Velleius, so Biesinger weiter, die problematische Rhodos­Episode weitgehend, stelle aber umso mehr Tiberius Rückkehr als dynastisch gewollten und für Roms segensreiche Entwicklung erst ent­ scheidenden (einheitlichen) Schlüsselmoment dar. 116 Vell. 2,103,4: „Laetitiam illius diei concursumque civitatis et vota paene inserentium caelo manus spemque conceptam perpetuae securitatis aeternitatisque Romani imperii […]“ [= „Was das für eine Freude war an jenem Tag, wie die gesamte Bürgerschaft zusammenlief, was sie mit erhobenen Händen, als wollten sie den Himmel berühren, wünschten und gelobten, und wie sie sich Hoffnung machten auf beständige Sicherheit und ewige Dauer des römischen Reiches […]“]. Vgl. Kuntze (1985) 190f. 117 Vell. 2,103,5: „Tum refulsit certa spes liberorum parentibus, viris matrimoniorum, dominis patrimonii, omnibus hominibus salutis, quietis, pacis, tranquillitatis, adeo ut nec plus sperari potuerit nec spei responderi felicius“ [= „Damals erblühte sichere Hoffnung: bei den Eltern für ihre Kinder, bei den Männern für ihren Ehestand, bei den Gutsherren für ihr Eigentum und bei allen Menschen auf Wohlergehen, Ruhe von Aufruhr, Frieden und Gemütsruhe – ja man hätte wohl kaum mehr erhoffen, noch seine Hoffnungen glücklicher erfüllt sehen können“]. Zur Differenzierung der Zustandsbeschreibungen siehe Kuntze (1985) 191, Anm. 2: „quies = Ruhe von Krieg und Aufruhr; pax = Friede (politisch); tranquillitas = innere Ruhe, Gemütsruhe“. 118 Siehe Vell. 2,126,3. 119 Vgl. Kuntze (1985) 187–198. 120 Siehe Vell. 2,111,4 (Wendungen dux und imperator); Vell. 2,120,1 („perpetuus patronus Romani im­ perii“); Vell. 2,114,4 (freiwillige Unterwerfung Pannoniens nach kurzer Kampagne). Siehe zudem

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Feldherren der augusteischen Zeit überlegen.121 Doch darin erschöpft sich die Dar­ stellung keineswegs. Die Leistungen der tiberianischen Herrschaft sind tatsächlich als Wiederkehr der glorreichen römischen Vergangenheit zu verstehen, jener Zeit, in der Rom gewachsen sei und die virtus allenthalben Verbreitung gefunden habe, – so vermutlich die Darstellung des ersten Buchs des velleiischen Geschichtswerks, das leider nur noch fragmentarisch vorliegt. Zu Beginn des zweiten Buchs werden, nach Erringen der römischen Weltherrschaft, die virtutes mehr und mehr durch vitiae ersetzt, die sich bis zum Bürgerkrieg hin zuspitzen. Erst durch Octavian und seine Leistungen kommt es nach Velleius wieder zum Aufstieg und zu einer Rückkehr zur virtus. Doch bleibt Octavian/Augustus nur Vorstufe der vollständigen Rückkehr zur exemplarischen Qualität der Gründungs­ und Neugründungsheroen Roms und seines Imperiums.122 Diese Rolle wird erst Tiberius und seiner allüberragenden Leistung zugewiesen: In ihm kulminiert die römische Geschichte bzw. der Wiederaufstieg Roms zu alter Größe.123 So wird der Princeps im Allgemeinen Bericht seiner Leis­ tungen als exemplum maior gerühmt.124 Insbesondere teilt er seine Tugenden mit den hervorragendsten exemplarischen Protagonisten der römischen Geschichte. Wäh­ rend diese aber jeweils nur einige wenige präzise auf ihre Leistung ausgerichtete Tugenden, daneben aber auch negative Züge besitzen, vereinigt Tiberius sämtliche positiv konnotierten Tugenden auf sich. Zudem sind einige dieser Tugenden bei den Vorgängern eingeschränkter bzw. bei Tiberius besonders prononciert; somit ist er auch historischen Vorläufern klar überlegen.125 Schließlich wird Tiberius in einem das Werk beschließenden votum des Velleius gar noch zum Vorbild der nachfolgen­ den Herrscher erklärt.126 In jedem Fall ist zu konstatieren, dass die Selbstrepräsentation des Augustus und die (teils darauf basierenden) Rezeptionen seines Handelns, insbesondere bezüglich der Sicherung des Wohlergehens und der Wehrhaftigkeit, memorialisiert wurden. Im Werk des Velleius erfuhr die Selbstrepräsentation des Augustus eine spezifische Ausdeutung und Rezeption, die von nun an einen Zugriff auf das Kon­ zept der pax Augusta durch nachfolgende Principes oder durch einfordernde Statusgruppen ermöglichte. Dabei konnte das Konzept der augusteischen Pax je

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Kuntze (1985) 193f. Biesinger (2016) 279–285, insbes. 283f weist hier auf die kontrastive Darstellung einer mühseligen und nur bedingt erfolgreichen Kampagne im Jahre 9 v. Chr. bei Cass. Dio 56,12,2–3 hin, deren Schilderung nicht den Interessen des Velleius entsprochen hätte und daher mit dem Argu­ ment einer Genreerfordernissen geschuldeten Raffung der Ereignisse ausgespart bleibt. Insbesondere werden in Vell. 2,117,1–121,1 Tiberius und Varus kontrastiert. Siehe dazu Schmitzer (2000) 237–245; Bloomer (2011) 110f; Gowing (2007) 413. Zu grundlegenden Zügen der Entwicklung des Geschichtsbilds nach Vell. 1,16–18 siehe Biesinger (2016) 277–311; Marincola (2011) 135f; Rich (2011) 79; Bloomer (2011) 93–119; siehe auch Cowan (2011b) 34. Siehe auch Gowing (2007) 411–417; Cowan (2011b) 335–346. Vell. 2,126,5; siehe dazu Gowing (2007) 412. Siehe Gowing (2007) 411–417 (mit Vergleich der Charakterisierungen von Tiberius einerseits sowie von Scipio Aemilianus, Pompeius, Cato dem Jüngeren usw. andererseits); siehe dazu auch Steel (2011) 276. Vell. 2,131,2: „und nachdem er möglichst lange seine irdische Stelllung gehalten hat, schenkt ihm möglichst spät Nachfolger, aber solche, deren Schultern ebenso stark sind, die Last eines Weltreichs zu tragen, wie wir es bei ihm erlebt haben.“ Siehe auch Gowing (2007) 414.

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nach Anforderungen, zielgerichteter Selbstrepräsentation des Herrschers und Zeit­ erfordernissen fortentwickelt, transformiert oder gar im Bedeutungsgehalt zu we­ sentlichen Teilen neu kodiert werden. Die Herausbildung von pax Augusta und libertas restituta in nachaugusteischer Zeit securitas publica und libertas restituta Augustus hatte Grundlagen geschaffen, die, ausgehend von der Selbstprofilierung als conditor, fortentwickelt werden konnten. Das ist insbesondere an jenem Medium ablesbar, das in nachaugusteischer Zeit endgültig zum offiziellen herrscherlichen Kommunikationsinstrument wurde: die römische Münzprägung. In dieser begegnen seit der Herrschaftszeit Galbas in erheblichem Umfang Mün­ zen mit den Reverslegende LIBERTAS RESTIVTA und PAx AVGVSTA.127 Dieser LIBERTAS RESTITVTA­Typus wird in der Forschung vielfach als Augustus­Rekurs des galbanischen Münzprogramms interpretiert.128 Gewiss bezeichnete der libertas­ Begriff die Befreiung vom Bürgerkrieg, die auch für Augustus wesentlich war und die er nicht zuletzt durch seine Restitutionsakte zu gewährleisten suchte. Allerdings waren beide Termini im augusteischen Prinzipat nicht sonderlich präsent und mit Sicherheit kein Aspekt der gebräuchlichen Selbstdarstellung des ersten Princeps.129 Auch unter seinen Nachfolgern bis zum Vierkaiserjahr war die Personifikation der Libertas nicht prominent in der kaiserzeitlichen Münzprägung vertreten. So sind die Legenden LIBERTAS RESTITVTA und PAx AVGVSTA sowie ihre illustrierenden 127 So z. B. RIC I2 Galba 37a–b; 323. 128 So z. B. Flaig (1992) 252; vgl. Wirszubski (1950) 159. 129 So ist nur RIC I2 Aug. 476, ein ephesischer Cistophorus aus dem Jahr 28 v. Chr., bekannt, der Octavian als IMP CAESAR DIVI F COS VI LIBERTATIS P R VINDEx bezeichnet: Sein Aversporträt ist mit einem Lorbeerkranz versehen. Dieses an den Triumph des Vorjahres erin­ nernde Symbol wiederholt der Revers als Umrahmung der einzigen als PAx bezeichneten Fi­ gur der octavanisch­augusteischen Münzprägung, die auf einer Fackel (oder einem parazonium) steht und in der rechten Hand einen caduceus hält; hinzu kommt noch eine, dem lokalen Prä­ gekontext geschuldete cista mystica, aus der eine Schlange aufstrebt (siehe auch Raaflaub (2007) 233; vgl. Rich/Williams (1999) 173f; 183–187; Wirszubski (1950) 105f; Cooley (2009) 109–111; Ferrary (2003) 420; Millar (2000) 5f; Martin (1974) 56; Kienast (42009) 214). Allerdings war dieser Cistophorus, wie der bereits diskutierte, parallel geprägte ephesische Aureus (Rich/ Williams (1999) 175f), wohl auf provinzialer Ebene, ohne offizielle Maßgabe sowie lokal und zeitlich begrenzt geprägt worden (Raaflaub (2007) 233–237; Havener (2016) 246f mit Anm. 257; 259). Die einzige Erwähnung von libertas in den Res gestae gleich zu Beginn (Aug. RG 1,1) bezieht sich, wie Havener (2016) 243–246 zeigt, auf den Sieg im Bürgerkrieg über die Cae­ sarmörder, war doch libertas in der späten Republik ein Schlagwort, das den Sieg über eine das Gemeinwesen dominierende Einzelpersönlichkeit oder eine dieses gefährdende factio, also letztlich die rettung der res publica, bezeichnete (Gotter (1996) 169f). Der weitgehende Ver­ zicht auf die programmatische Nutzung des Terminus libertas durch Augustus könnte nach Havener (2016) 245f und Raaflaub (2007) 254 dadurch motiviert gewesen sein, dass der erste Princeps selbst eine letztlich illegitime autokratische Rolle innehatte.

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Darstellungen ein Novum galbanischer Zeit, das stilbildend wurde.130 Dennoch kann gezeigt werden, dass dieser Münztypus einen Augustus­Rekurs zu evozieren suchte und sich dabei rasch als Erfolgsmodell etablierte. Augustus hatte, wie dargelegt, programmatisch auf Restitutionsgesten zurück­ gegriffen, um für sich zu reklamieren, das Gemeinwesen durch persönliche Leistung in ein Goldenes Zeitalter geführt zu haben, in dem die Bedrohung durch Fruchtbar­ keit und Fülle, kurzum durch die Segnungen der pax, abgelöst worden sei. Aus dem Erreichen des Friedens erwuchs aber zugleich die Verpflichtung, diesen zu erhalten und zum dauerhaften Zustand zu machen. Dabei griff Augustus, nur scheinbar wider­ sinnig, zur Präsentation persönlicher Sieghaftigkeit.131 Die Wendung LIBERTAS AVGVSTA begegnet freilich erst in zwei Münzprä­ gungen des Claudius, die mit der Bezeichnung dieses Princeps als vindex libertatis auf dem Triumphbogen von Kyzikos korrespondieren. Damit wurde die im Senat teils artikulierte Forderung nach einer res publica libera nach der Ermordung des Caligula zwar durch Claudius aufgegriffen, doch nach Aburteilung der Caligula­ Mörder bei gleichzeitiger Demonstration von clementia gegenüber Senat und Volk auf die eigene Person als neuem Garanten monopolisiert:132 „Von Claudius an pro­ pagierte libertas die Abgrenzung gegen Tyrannis […] und das Ideal einer […] Herr­ schaft, die […] Sicherheit und Wohlbefinden der Untertanen gewährleistete.“133 Folglich handelte es sich bei der LIBERTAS AVGVSTA um eine libertas ganz neuen, kaiserzeitlichen Zuschnitts, die sich erst aus der Interpretation des Segnungen und Sicherheit versprechenden augusteischen Zeitalters geformt hatte. Augustus war lediglich der Referenzpunkt einer positiv konnotierten Vergangenheit, der libertas und pax zugeschrieben wurden. Auf dieser Basis entwickelten sich zur Zeit Galbas die trendsetzenden Münzprägungen der LIBERTAS RESTITVTA und der PAx AVGVSTA, bei der die innere Friedensordnung als zu erreichender Zustand der Sicherheit, des Wohlergehens und der Blüte das spezifische, als Tradition oder au­ gusteisches Erbe aufgefasste Charakteristikum war.134 Allerdings beruht dieser eben nicht auf einem Konzept des Augustus, sondern auf seiner aktualisierten und stets aktualisierbaren Imago: Wenn von nun an die pax Augusta medial entfaltet wurde, behaupteten Galba und diverse Nachfolger ihren Münzprägungen zufolge, durch den Schutz vor innerer Gefahr die libertas des augusteischen Zeitalters wieder­ errichtet zu haben und somit in ein Goldenes Zeitalter zurückgekehrt zu sein. libertas erhielt somit im Zuge der vollständigen Etablierung des Prinzipats mehr und mehr die Bedeutung einer Garantie der Sicherheit Roms und des Imperiums in Verpflichtung auf die mores maiorum:135 Zwar war libertas im senatorischen Ver­ 130 Siehe z. B. RIC I2 Galba 37a–b. 131 Siehe Aug. RG 20 sowie eingehend Havener (2016) 193–200; 212–253. 132 Siehe Raaflaub (2007) 239 mit Anm. 38f (257f); 254f. (Allerdings geht Raaflaub von einem „Ideal von Augustusʼ res publica restituta“ aus (255)). libertas in der Münzprägung: RIC I2 Claud. 97; 113; Inschrift von Kyzikos: ILS 217; zu Senat und res publica libera: Suet. Cal. 60; Suet. Claud. 10,3; Ios. ant. Iud. 19, 227–233; siehe auch 167–189. Vgl. Rich/Williams (1999) 186, Anm. 59. 133 Raaflaub (2007) 254f. 134 Vgl. Wirszubski (1950) 124. 135 Wirszubski (1950) 169.

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ständnis ursprünglich der Gegenbegriff zur Alleinherrschaft,136 doch führte die Alter­ nativlosigkeit des Regimes dazu, dass kaiserliche Handlungen als wesentlich für das allgemeine Wohl und für die Prosperität und Sicherheit Roms anerkannt wurden. Somit bedeutete die Monopolisierung der Herrschaft auch eine Monopolisierung der Befähigung securitas durchzusetzen, die als größtmögliche Freiheit verstanden wer­ den sollte.137 Ansätze der Zuschreibung einer solchen Monopolisierung sind bereits bei Velleius auszumachen, der Tiberius für die Vollendung von securitas, salus, quies und tranqulitas bzw. der pax zum Wohle des gesamten terrarum orbis preist. In seinem Panegyricus gestaltet Plinius den auserwählten besten Princeps Traian schließlich vollends zum Befreier des Senats aus domitianischer servitus: „Also vermied er [= Nerva] sorgfältig dieses Risiko und holte neben dem Urteil der Menschen auch das der Götter ein. Darum wurde die Adoption nicht in seinem Schlafgemach vollzogen, sondern in einem Tempel, nicht vor seinem Ehebett, sondern vor dem Kultbett des Iuppiter Optimus Maximus. Damit wurde endlich einmal nicht unsere servitus begründet, sondern un­ sere libertas, salus und securitas.“138

Im Weiteren besteht für Plinius das Wiedererstehen der libertas unter traian auch in seiner civilitas. So habe er ein Konsulat ausgeschlagen und erst auf Drängen des Senats angenommen, ganz im Gegensatz zu Domitian, der ständig den Konsulat ausgeübt habe.139 Dabei spricht Plinius auch explizit von einer restitutio der libertas: „Nun hatten also einfache Bürger die Ehre, das Jahr zu beginnen und die Fasten zu eröffnen, und so war auch dies ein Zeichen der zurückgegebenen libertas, dass ein anderer, nicht Caesar, Konsul war. Gerade so begann nach der Vertreibung der Könige der liber annus, geradeso sind nach dem Ende der servitus Namen einfacher Bürger in den Fasten erschienen.“140 „Deine Absicht ist es ja, die libertas zurückzurufen und zurückzuführen. Welches Amt solltest du demnach mehr lieben, welchen Titel öfter annehmen als den, den einst die wiedergewon­ nene libertas als ersten erfand? Zugleich Princeps und Konsul zu sein, das ist keineswegs we­ niger bürgerlich, als nur Konsul zu sein.“141

Folglich erscheint Traian durch die Umsetzung der libertas restituta bei Plinius nicht nur als Spender und Garant von securitas publica, sondern auch von dignitas für die Reichselite, die Plinius zufolge der Idealzustand senatorischer Freiheit im Prinzipat war.142 Die restitutio bedeutet hierbei die Zustandsbeschreibung einer Erneuerung oder Wiederherstellung, gewiss aber keine staatsrechtlich determinierte Rückgabe.143

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Wirszubski (1950) 124–129; 136–138. Vgl. Wickert (1949) 141. Plin. paneg. 8,1. Plin. paneg. 58,1. Plin. paneg. 58,3; siehe auch Wirszubski (1950) 168. Plin. paneg. 78,3; siehe auch Wirszubski (1950) 168. Siehe dazu auch Geisthardt (2015) 106; vgl. Wirszubski (1950) 158f; 167–171; Wickert (1949) 140; Kunze (1985) 185f. 143 Siehe auch Wirszubski (1950) 159: „it signifies a state of affairs, not a form of government.“

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pax Augusta und libertas restituta in der nachaugusteischen Münzprägung Doch kehren wir zunächst zurück zu Galba, seit dessen Münzprägung, wie erwähnt, für zwei Jahrhunderte ein Zusammenwirken diverser Formen von restitutio/restituere mit diversen Schlagworten großen Niederschlag fand. Zuvor hatten unter Claudius und Nero, die beide auf verschiedene Weise einen Bezug zu Augustus zu evozieren suchten, Augusta und Augusti144 zur attributiven Bezeichnung von Göttern und Per­ sonifikationen Einzug in das Münzprogramm des Prinzipats gehalten.145 – Egon Flaig skizziert die Programmatik von restitutio und pax Augusta in der Münzprägung Galbas wie folgt: „Eine umfassende Restitutionsideologie wurde formuliert, zusammengesetzt aus der Proklamie­ rung der Kontinuität des Prinzipats augusteischer Prägung [Themen wie Libertas Restituta], aus dem Hinweis, daß ein Kandidat bereit stehe, um den Tyrann abzulösen [Themen im Um­ kreis von Hercules Adsertor], aus der Versicherung, dass dies dem römischen Volke sowie der Menschheit zum Wohle ausschlage [Roma Renascens, Salus generis humani usw.], aus dem Aufruf, daß hierzu eine rächende Aktion vonnöten sei [Mars Ultor].“146

Die anonyme Münzprägung des Jahres 68 n. Chr. Vorläufer der Münzbotschaften Galbas begegnen schon auf den anonymen Münzen, die zwischen Anfang April und Mitte Juni 68 n. Chr., das heißt vom Vindex­Aufstand 144 Strack (1931) 49–56 schlägt eine Differenzierung des semantischen Gehalts von PAx­AVGVSTA­ und PAx­AVGVSTI­Münzen vor: Während die adjektivische Augustus­Ergänzung direkt auf Augustus rekurriere, weise die genitivische auf den aktuellen Princeps und den durch diesen ge­ schaffenen oder garantierten Frieden als Tugenderweis und Rechtsakt hin. Diese Annahme ist weder ausreichend belegt noch letztlich schlüssig: Zwar ist richtig, dass zwischen 68 und 98 n. Chr. diverse Pax­Darstellungen auf Münzreversen geschaffen wurden, die sich über Prinzipate hinweg in ihren Grundcharakteristika einheitlich fortsetzten und teils, sofern nicht abgekürzt, ei­ nerseits nur mit der Legende PAx AVGVSTI (z. B. sitzend mit Ölzweig und Szepter; stehend, mit Ölzweig und caduceus), andererseits nur mit PAx AVGVSTA (z. B. verbunden mit Victoria (Ne­ mesis)) geprägt wurden. In diesem Zusammenhang sind aber gerade die zahlreichen als PAx AVG oder PAx AVGVST abgekürzten Reverslegenden interessant, die sowohl auf den nach Strack ausschließlichen PAx­AVGVSTI­ als auch auf den als ebenso ausschließlich erachteten PAx­AVGVSTA­Prägungen begegnen. Sich dabei durch Rekurs auf das Münzbild für die eine oder andere Lesung zu entscheiden, hätte von den Zeitgenossen eine äußerst feinsinnige und komplexe Interpretationsleistung erfordert. Zudem stellte jeder Münzavers den aktuellen Princeps dar, so dass die Bezugnahme allein auf diesen im einen sowie die Bezugnahme allein auf den ersten Princeps im anderen Fall, kaum plausibel ist. Statt hier zu differenzieren, wäre es sinnvoller die generelle Wechselwirkung zu beachten: Offenbar geloben die jeweiligen Herrscher an das Augustus zugeschriebene Friedenkonzept anzuschließen. Die sich minimal unterscheiden­ den Legenden beruhten dabei womöglich schlicht auf der Entscheidung des jeweils verantwortli­ chen Münzmeisters. Entscheidend ist, dass der Verweis auf Augustus überhaupt vorgenommen wurde, insbesondere da dies, wie im Folgenden gezeigt wird, nicht zwangsläufig der Fall war. 145 Auszunehmen sind claudische Pax­Nemesis­Reversprägungen und eine mögliche, unbezeich­ nete Pax­Figur auf einem komplexen Rückseitenbild neronischer Zeit (siehe Muñoz/Diéz Jorge (1999) 220f; 223f; 238f; 243; siehe auch Belloni (1985) 137 mit Figura 6; 138 mit Figura 8). 146 Flaig (1992) 252 mit Anm. 44–47 (Anmerkungen in eckigen Klammern verkürzt zitiert).

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bis zum faktischen Beginn der Herrschaft Galbas, geprägt wurden. Diese zeichnen sich durch äußert vielfältige Vor­ und Rückseitenbildnisse aus, auf denen, mit Aus­ nahme weniger Averse mit Augustus­Porträt, kein Princeps und keine sonstigen Personen abgebildet waren. Als Prägeherr dürfen wahrscheinlich Galba oder sein Umfeld gelten, ohne dass dies aber vollständig gesichert wäre.147 Unter den Bot­ schaften, die in dieser Zeit entworfen wurden, sind hier in erster Linie die LIBERTAS­ und PAx­Prägungen relevant.148 Die erstmals in der Münzprägung zu konstatierende thematische Verbindung von libertas und pax wird auf Münzaversen formuliert, welche die Legende PAx ET LIBERTAS führen und somit die zahlreicheren SALVS­ ET­LIBERTAS­Prägungen ergänzen.149 Somit werden hier Aspekte einer an auguste­ ische Programmatik bzw. ihre Rezeption gemahnende Friedensordnung verkündet. Allerdings wurden die anonymen Münzen des Jahrs 68 teils mit anderen Bildnissen geprägt als in den darauf folgenden Prinzipaten: So findet sich die neugeschaffene LIBERTAS RESTITVTA als Porträtkopf auf Münzaversen und in einigen variieren­ den Reversdarstellungen.150 Auch die PAx wurde anonym vornehmlich „mit dem Bild zweier verschlungener Hände, die einen Caduceus mit oder ohne Füllhörner halten“ zur Darstellung gebracht. Im Gegensatz zu späteren Prägungen fehlt hier die Ergänzung zur PAx AVGVSTA/AVGVSTI noch,151 doch sind frühe Pax­Darstellun­ gen auf Münzen erhalten, die Augustus auf dem Revers zeigen und benennen.152 Dabei ist die Evozierung augusteischer pax und (restituierter) kaiserzeitlicher libertas mit Sicherheit nicht als bloße Nachahmung eines Konzepts des ersten Princeps zu verstehen.153 Daran hinderte die Nachfolger nicht nur die Unmöglichkeit 147 Siehe Martin (1974) 1f; 44–46. 148 Daneben ist auf die ROMA­ (Martin (1974) Nr. 17; 38f; 48; 84) bzw. ROMA­RESTITVTA­ (Nr. 15; 18), SECVRITAS­ (56f), SALVS­GENERI­HVMANI­ (Nr. 63; 76–80; 87; 93f; A 14), MARS­ ADSERTOR­ (Nr. 22f), MARS­VLTOR­ (Nr. 59f; 69–72; 92; siehe auch 24–36) und VICTORIA­Prägungen (Nr. 99; siehe auch A 36) zu verweisen. Siehe dazu Martin (1974) 18; 20f; 21–25; 28; 33f; 41–44; siehe auch Rosso (2009) 212. 149 Martin (1974) 21f; 23; RIC I2 civ. 57–58 (AV.: PAx ET LIBERTAS); RIC I2 civ. 64–66; siehe auch Martin (1974) Nr. 66f; 82. 150 Martin (1974) 33f; 43; RIC I2 civ 32–33; siehe auch 24–25 (Av.: LIBERTAS (P R); Büste; Rev.: RESTIVTA mit Personifikation); siehe zudem Martin (1974) Nr. 2; 22f; 30; siehe auch 15; 18; 49f. 151 Einzige Ausnahme: RIC I2 civ. 56; Martin (1974) Nr. 81 (Av.: PACI AVGVSTAE mit nach rechts ausschreitender, geflügelter „Pax­Nemesis“ (RIC), die mit der Rechten ihr Gewand hält und mit dem caduceus in der Linken auf eine Schlange deutet; Rev.: SPQR in Eichenkranz); siehe auch Muñoz/Diéz Jorge (1999) 239. 152 Martin (1974) 44 (Zitat); 27; 29; RIC I2 civ. 31 (Av.: PAx mit Handschlag); siehe auch 57–58 (Av.: PAx ET LIBERTAS mit Handschlag); 103 (Av.: CAESAR AVGVSTVS mit Büste; Rev.: PAx mit Handschlag); siehe zudem Martin (1974) A 22–A 24; siehe auch 41–48; vgl. Rosso (2009) 212f mit fig. 1. 153 Siehe auch Rosso (2009) 210; 221–223; 238f: „[…] les modalités ou les degrés d’imitation ob­ servables dans le monnayage sont d’une extrême variété – entre décalque parfait (image et lé­ gende), reprise de l’image avec modification de la légende, reprise de la légende avec modifi­ cation de l’image ou simple évocation d’un symbole augustéen, la palette très large des prin­ cipes de citation ne peut que refléter le caractère minutieux de la sélection et le soin apporté à l’altération sémantique des messages. C’est ainsi qu‘un même revers flavien peut constituer la synthèse complexe de plusieurs types monétaires, empruntés à différantes étapes, périodes ou

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einer vollkommenen Reproduktion vergangener Akte, vielmehr verlangten auch Erwartungen und Zeitgegebenheiten von ihnen abweichendes Handeln. Zudem hatte die Imago des Augustus im Interaktionsfeld des Prinzipats, determiniert durch Über­ reste augusteischer Zeit in Kombination mit nachaugusteischen Interpretationen, den historischen Augustus längst überformt. Diese komplexen Transformationsprozesse der Imago­Bildung waren niemals abgeschlossen; das bedeutet, dass jeder neue Princeps, der auf Augustus verwies, Aspekte änderte, entfernte oder ergänzte. Dabei wurde die Aneignung des Augustus immer wieder in der Interaktion ausgehandelt und neubestimmt, um sozialen Anforderungen zu genügen oder kommunikative Angebote zur Selbststilisierung und zum politischen Handeln zu unterbreiten (und diese wiederum der Rezeption zu übereignen). So spann die programmatische In­ tention des jeweiligen Prinzipats in ihrer Selbstdarstellung und ihren Medien die augusteische Imago fort und machte sie für die eigenen Absichten und Erfordernisse, kurz für die eigene Akzeptanz, nutzbar. Dabei blieben allerdings gewisse Charakte­ ristika, die für Konzepte der Selbstdarstellung des Augustus selbst von elementarer Bedeutung und damit auch für das beständige soziale Feld bestimmend waren, un­ verbrüchlich bestehen. Wie Augustus selbst niemals von einer restitutio der res publica im Sinne einer Rückgabe sprach, so verzichteten auch alle Nachfolger dar­ auf. Diese rekurrierten allein auf die restitutio als Neuetablierung als solcher erach­ teter Traditionen und inszenierten ihre pietas gegenüber den mores maiorum. Dazu war der ursprünglich radikalere, nun aber längst im Sinne römischer Alleinherrschaft neugefasste Begriff der libertas wesentlich geeigneter als jener der res publica. Galba In wirklich dem Prinzipat und der Selbststilisierung der Principes angehörende Bah­ nen wurden jene Münzprägungen, die einen angeblich augusteischen Bezug auf pax und libertas (restituta) besaßen, gelenkt, als Galba im Kontext seiner Usurpation den Schritt aus der Anonymität wagte.154 Anfangs, d. h. vor Galbas Erhalt des Augustus­Namens als dynastieübergreifen­ dem Titel, wurden nur VICTORIA­P(opuli)­R(omani)­Prägungen geschaffen.155 Nachdem Galba aber in Folge seiner Anerkennung als Princeps begann AVG(ustus) in seiner Titulatur zu führen, wurde auch im Münzprogramm auf ein Augustus zu­ geschriebenes pax­Konzept zugegriffen: Der neue IMP SVLP GALBA CAES AVG schuf PAx­AVGVSTA­Münzen, die Pax, den diskutierten Aversabbildungen der anonymen Bürgerkriegsprägungen folgend, nun in stilbildender Weise stehend und entweder mit caduceus oder mit cornucopia in der linken sowie einem Zweig oder ähren in der rechten Hand auf Reversen präsentierten.156 Zudem wird die PAx aires géographique du monnayage augustéen. Il s’agit toujours de citation, de transpositions, mais pas de reproduction au sens strict du terme.“ (239) Vgl. auch Muñoz/Diéz Jorge (1999) 238–241. 154 Siehe Flaig (1992) 250–252; Martin (1974) 44–46. 155 RIC I2 Galba 10–11; 98–99; 148; 173–175; 215–217; 233–234; siehe auch 100–101. 156 RIC I2 Galba 322–323; 415 (PAx AVGVSTA); 277–285; 320–321; 368–369; 371; 413–415 (PAx

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AVGVSTI – SC mit cornucopia in ihrer Linken und einer Fackel, mit der sie einen Waffenhügel in Brand setzt, in ihrer Rechten dargestellt.157 Die eminente Bedeutung von Victoria und insbesondere von Pax im Münzpro­ gramm Galbas ist sicherlich primär durch das Versprechen Galbas einer Beendigung des Bürgerkriegs determiniert, worauf auch weitere Prägungen, so beispielsweise ROMA RENASCENS, hindeuten.158 Zudem erhielt nun auch die libertas großes Gewicht: Sie erschien auf Münzreversen zum einen als LIBERTAS PVBLICA, zum anderen als LIBERTAS RESTITVTA in ebenso stilbildender Form wie die zeitglei­ che PAx AVGVSTA: Die Libertas restituta/publica hält in der Rechten einen pileus, in der Linken ein Szepter oder einen Stab.159 Aus diesem Befund lässt sich erschließen, dass Galba als erster Princeps, der nicht der iulisch­claudischen Dynastie entstammte, sich äußerst schnell entschloss, sein Münzprogramm nicht nur formal eindeutig an Augustus anzulehnen, sondern im rahmen seiner Selbstdarstellung die Bezüge zu diesem auch in seine Münzen einzuschreiben. So stellte er die restitutio der libertas neben die Victoria, mittels derer er die pax Augusta zu spenden versprach. Folglich soll der augusteische Friede des galbanischen Prinzipats eindeutig der Sieghaftigkeit entspringen, die zur Wie­ dergeburt Roms und damit zur Dauerhaftigkeit der kaiserzeitlichen Freiheit geführt habe, die, da sie in Galbas Herrschaftszeit nicht gewährleistet war, umso mehr betont wurde. Die augusteischen Bezüge dieser libertas des Galba wurden durch die Revers­ legende LIBERTAS AVGVSTA zum Ausdruck gebracht:160 Die wiederherzustellende Freiheit sollte als die Freiheit augusteischer Prägung erscheinen, die der neue Princeps behauptete durch die benannten Faktoren wieder herbeiführen zu können.161 Durch zwei weitere Münztypen werden die Augustus­Bezugnahmen Galbas zusätzlich untermauert: So reicht auf einigen Prägungen ein in die Toga geklei­ deter Galba einer vor ihm knienden Libertas die Hand, um diese zu erheben; zwischen den beiden ist vermutlich eine helmtragende und militärisch gewandete Roma abgebildet; die Reverslegenden lauten entweder LIBERTAS RESTITUTA oder ROMA RESTI(tuta).162 Der Restitutionsgestus dient dabei als Verheißung einer restitutio auf Basis der persönlichen Sieghaftigkeit Galbas im Sinne einer Erneuerung bzw. Neugründung Roms. Der zweite Münztypus ist durch die Re­ versumschrift auf den aktuellen Princeps personalisiert: VICTORIA GALBAE AVG.163 Dennoch stellt sich Galba wiederum in die Tradition des Augustus, der

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AVGVST); 129; 140 (beim Opfer); 319 (sitzend) (PAx AVG). Die Avers­Titulatur und die Ge­ staltung der Reversinschrift (teils durch SC ergänzt) weisen leichte Variationen auf. Vgl. Belloni (1985) 138. RIC I2 Galba 496–498. Siehe u. a. RIC I2 Galba 24–29; 40–43; 160–162; 200–204 (letztere fälschlich als ROMA RENACES). Siehe u. a. RIC I2 Galba 22–23; 37–39; 68–76; 158–159; 275–276. RIC I2 Galba 442–443 (LIBERTAS AVGVSTA); 296; 327; 441 (LIBERTAS AVGVST); 295 (LIBERTAS AVGVS); 294; 437–440 (LIBERT AVG). Anders: Belloni (1985) 138f. RIC I2 Galba 479–480 (LIBERTAS RESTITVTA); 485 (ROMA RE­STI / SC); siehe auch Rosso (2009) 216f; Komnick (2001) 6f. RIC I2 Galba 131–132; siehe auch 133; vgl. Rosso (2009) 230.

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hier in Bezug auf die Victoria als Beiname erwähnt wird. Diese explizite Orien­ tierung Galbas an Augustus und damit formulierte Versprechen, sich an seinen Leistungen und Tugenden zu orientieren, war, wie das Folgende zeigen wird, keine Selbstverständlichkeit. Otho Auch Otho ließ Victoria­ und pax­Münzen in neuer Darstellung schlagen. So hält die stehende Pax auf othonischen Reversen ebenfalls den caduceus in der einen und einen Zweig in der anderen Hand, ihre Umschrift benennt sie allerdings nicht als PAx AVGVSTA sondern als PAx ORBIS TERRARVM.164 Noch expliziter wird der Verzicht auf Augustus­Verweise in der Ersetzung der VICTORIA­AVGVSTA­ durch VICTORIA­OTHONIS­Prägungen.165 Zwar führte Otho den Augustus­Namen in seiner Titulatur, erachtete ihn folglich als Kennzeichen seiner kaiserlichen Gewalt, bemühte sich aber im Münzprogramm aus gegebenen Formen neue Bezüge zu gewinnen, die den dynastischen Bruch klar markierten: Otho siegte auf der Basis persönlicher, aber nicht traditionalisierter virtus und trug die pax somit in die gesamte Welt – eine deutliche Überhöhung der eigenen Position, die als keinem Vorgänger erreichbar ausgestaltet wurde. Natürlich galt das insbesondere gegenüber dem direkten Vorgänger Galba, gegen dessen Au­ gustus­Bezüge sich Otho explizit situierte. Auch jenseits des Münzprogramms gibt es Hinweise darauf, dass Otho nach anderen Bezugspunkten Ausschau hielt. Eine Möglichkeit dazu schien der neue Princeps in seinem vormaligen Nahverhältnis zu Nero zu sehen:166 Auch wenn Othos Stellung als enger amicus bei Hofe im Streit um seine Gattin Poppaea Sabina mit Nero geendet hatte, der zur Scheidung und kaschierten Verbannung Othos (er wurde für zehn Jahre Quaestor in Lusitanien) sowie zur Heirat von Nero und Poppaea geführt hatte,167 wurde die einstmalige Verbindung Othos mit dem Vorvorgänger offenbar von der plebs urbana und dem Heer für nahe genug erachtet, um darauf positiv zu reagieren,168 insbesondere, da das Nahverhältnis zu Galba durch dessen traditionell­aristokratischen Habitus missglückt war, weshalb dieser auch niemals Akzeptanz gegenüber plebs und Heer in seiner Gesamtheit zu erringen vermochte.169 164 RIC I2 Otho 3–6. 165 RIC I2 Otho 13–17. 166 Suet. Otho 2,2 zufolge habe Otho Beziehungen zu einer Freigelassenen unterhalten, die dafür gesorgt habe, „dass er sich bei Nero einschmeicheln konnte; so gelang es ihm leicht, einer seiner engsten Freunde zu werden, denn beide waren vom Charakter her gleich.“ Dieses ex eventu geschaffene Charakterbild, das Otho durch Vergleich und Nahverhältnis mit Nero ver­ urteilen sollte, ist freilich höchstens Indiz für intendierte Nero­Bezugnahmen als Princeps. 167 Plut. Galba 19,2–20,1; Suet. Otho 2,2–3,2; Tac. ann. 13,45f; Tac. hist. 1,13,3. 168 Siehe Tac. hist. 1,78,2. Zum Verhältnis des Otho zu den Statusgruppen siehe Flaig (1992) 305–314. 169 Schnell verspielte Galba auch die Akzeptanz des Senats. Flaig (1992) 293–305 legt offen, dass Galbas gesamte Herrschaft von politischem Fehlverhalten geprägt war, indem dieser sämtliche Normen, auf denen der römische Prinzipat basierte, verletzte und konstatiert 307: „Nach den enttäuschenden Erfahrungen mit Galba leuchtete anscheinend das Regime Nero nachträglich

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Plutarch zufolge waren die beiden Statusgruppen dann auch darum bemüht, den akklamierten und vom Senat anerkannten Otho durch den Zuruf „Nero Otho“ zu ehren.170 Zwar handelte es sich bei dem Zuruf um eine affirmative Geste als Inter­ aktionsangebot von plebs und Heer an den neuen Princeps, doch schreckte dieser, so zumindest Tacitus und Plutarch, vor einer offiziellen Annahme des Namens zu­ rück171 – vermutlich um den Senat, der Nero als Tyrannen und damit als Gegner der libertas damniert hatte, nicht zu brüskieren. Dennoch nahm Otho in einigen Bereichen das Kommunikationsangebot von Heer und plebs auf: So soll Otho, Plutarch zufolge, für eine Weile unter Hinzufügung des Nero­Namens in seine Titulatur gesiegelt haben, was der Nobilität freilich missfiel.172 Das ist als Bemühen um Akzeptanz zu verstehen, nahm Otho doch deutlich eine Zuschreibung auf, die den Anforderungen zweier Statusgruppen entsprang. Dass es sich bei Othos Handeln aber nicht um bloße Beantwortung von Forderungen und Bedürfnissen handelte, sondern dass er selbst auch kommunikative Angebote unterbreitete, geht aus den Darstellungen des Tacitus und des Sueton hervor: So habe der Princeps Statuen der Poppaea wiederaufrichten lassen und zumindest erwogen, auch Nero wieder zu würdigen.173 Folglich bedeutete das senatus consultum zur repositio der Poppaea­ und wohl auch der Nero­Stand­ bilder gleichzeitig die (vorübergehende) Aufhebung der neronischen damnatio memoriae.174 Wenn Sueton zudem betont, dass neronische Procuratoren und Frei­ gelassene ihre officia in der kaiserlichen Verwaltung wiedererlangt hätten,175 wird damit zwar eine Form sozialadäquater Kritik der Reichselite artikuliert, wie wir sie aus zahlreichen entsprechenden Werken kennen. Allerdings dürfte dieses Vorgehen eine gewisse politische ratio besessen haben: Gerade die Versöhnung des Nachfol­ gers mit einem vorausgegangenen und über nahezu eineinhalb Jahrzehnte etablierten System und gegebenenfalls seiner Fachleute konnte der neuen Herrschaft nur dien­ lich sein und gleichzeitig die Zustimmung zum Regime erhöhen.176 Die Initiative zum Weiterbau der Domus Aurea schließlich, über die ebenfalls Sueton schreibt,

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in viel makelloserem Glanze als von 59 bis 68; die Plebs erinnerte sich nun daran, daß die er­ sten fünf Jahre der neronischen ära die glücklichste, geradezu märchenhafteste Zeit der Haupt­ stadt gewesen waren.“ Plut. Otho 3,1: „Er selbst zeigte wegen persönlicher Feindschaften keinerlei Rachsucht und lehnte es der Menge zu Gefallen anfänglich in den Theatern nicht ab, Nero genannt zu werden, und als einige Bildsäulen Neros öffentlich aufstellten, schritt er nicht dagegen ein.“ Siehe auch Tac. hist. 1,78,2; Suet. Nero 7,1. Plut. Otho 3,1; Tac. hist. 1,78,2; vgl. Suet. Otho 7,1. Kienast (32004) 105 geht von einer vorüber­ gehenden Führung des cognomen Nero in Othos Titulatur aus, vermerkt aber auch das Fehlen urkundlicher Zeugnisse. Plut. Otho 3,1; vgl. Suet. Otho 7,1; siehe dazu auch Flaig (1992) 308. Tac. hist. 1,78,2. Suet. Otho 7,1 ist sich der Wiedererrichtung der Nero­Standbilder sogar sicher. Das geht indirekt aus Tac. hist. 1,78,2 hervor: „de celebranda Neronis memoria“. Siehe Kienast (32004) 97. Suet. Nero 7,1. Siehe als weiteren Beleg: Plut. Otho 5,2: „Zum Statthalter in Rom ernannte er [= Otho] Flavius Sabinus, den Bruder Vespasians, sei es, dass er auch das Nero zu Ehren tat (denn von ihm hatte Sabinus das Amt erhalten, und Galba hatte es ihm genommen).“ Dass Otho aber dennoch auch Unrecht neronischer Zeit aufhob und diesbezüglich sogar Züge der Politik Galbas fortsetzte, freilich ohne sich dabei auf den damnierten Vorgänger zu berufen, zeigt Plut. Otho 1,3: „allen

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bedeutete auch kein Schwelgen in selbstvergessener luxuria, sondern Othos Fort­ setzung imperialer Baupolitik zum Glanze Roms, die als kaiserliche liberalitas auch erwartet wurde. Ganz selbstverständlich standen Otho dazu nach seinem Herrschafts­ antritt vorwiegend die unvollendeten Bauwerke Neros zur Verfügung, deren Fertig­ stellung ihm zudem Möglichkeit geboten hätte, wiederum indirekt eine Deutung seiner Person als neuer Nero anzubieten.177 Die Verunglimpfung der neronischen Baupolitik als Okkupation des öffentlichen Raums durch den pflichtvergessenen Tyrannen ist erst Erfindung der Flavier, deren Baupolitik eine ‚Rückgabe‘ des Raums an die Öffentlichkeit demonstrieren sollte.178 Was war nun aber der Zweck dieser Nero­Bezugnahmen? Wilson und Flaig haben darauf hingewiesen, dass Otho in gewisser Hinsicht eine familiäre Statusgleichheit mit Nero besessen habe, da beide mit der gleichen Frau verheiratet waren. Der Kern liegt dabei aber m. E. höchstens sekundär in einem versuchten „Anschluß an die julisch­ claudische Dynastie“ begründet.179 Gerade die Missachtung oder gar die zeitweise Abschaffung der Erklärung Neros zum hostis, die so grundlegend für die Anerkennung der Herrschaft Galbas war,180 bedeutete den Versuch Othos, sein Profil als neuer Herr­ scher in absoluter Abgrenzung von seinem Vorgänger Galba zu generieren. Dabei handelte es sich gewiss um das allgemein gebräuchlich und notwendig Verhalten eines jeden neuen Princeps, war aber besonders in der direkten Nachfolge eines gewaltsam ums Leben gekommenen Herrschers von Nöten. Was konnte also in der damaligen Situation plausibler erscheinen, als sich von den klar anti­neronischen Augustus­Re­ ferenzen des Galba (die letztlich das damit gegebene Versprechen nicht erfüllten) durch eine Rückkehr zur Herrschaft Neros abzusetzen, deren Segnungen Galba zerstört habe? Dass dies bis zum Untergang Othos die primäre Leitlinie seiner Selbstrepräsen­ tation bleiben sollte, zeigt sich an einer äußerung Suetons: Kurz vor seinem Suizid schreibt Otho einen Brief „an Messalina, die Witwe Neros, die er hatte zur Frau nehmen wollen; darin empfahl er ihr seine Überreste und sein Gedenken“181. Folglich suchte sich Otho von Galba abzusetzen, indem er auf eine Wiederkehr nicht der augusteischen, sondern der neronischen Herrschaft setzte. Dass die Politik auch im Falle Othos eine andere war als jene Neros,182 ist dabei unproblematisch.

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unter Nero verbannten und unter Galba zurückgekehrten [!] Senatoren gab er ihre Güter zurück, soweit er sie nicht schon verkauft fand.“ Freilich wurden othonische Bauprojekte der Kürze dieses Prinzipats geschuldet nicht umgesetzt. Zur Umwertung durch die Flavier siehe auch Darwall­Smith (1996) 35–41 und passim. So Flaig (1992) 307f (Zitat: 308) und Wilson (1983) 191f auf Basis von Tac. ann. 13,46,1 („[…] wenn sie beide die gleiche Frau besäßen, durch dieses Band sich zusätzliche potentia zu ver­ schaffen [..]“). Wilsons Annahme, dass damit in gewisser Weise Otho zu Neros (oder Nero zu Othos?) Schwiegervater geworden wäre, ist jedoch recht artifiziell. Was Otho versuchte und was Tacitus auch identifizierte (und als manipulativ bewertete), war zu mehr potentia zu gelan­ gen, indem er dem Princeps Nero seine Frau zuführte. In der Wiedererrichtung der Poppaea­ Statuen wurde die Bezugnahme auf Nero über die ‚gemeinsame‘ Gattin dann für den othoni­ schen Prinzipat evoziert. Zum ‚juristischen‘ Nachfolger konnte Otho aber auf diesem Weg keinesfalls werden (was Flaig (1992) 308 mit Anm. 62 letztlich auch andeutet). Siehe dazu auch Flower (2006) 199–201. Suet. Otho 10,2. Flaig (1992) 307: „die Politik des neuen Kaisers knüpfte an keinem essentiellen Punkt an Nero an.“

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Somit ging die Überhöhung des im Bürgerkrieg äußert relevanten militärischen Potentials Othos, das einer eigenen Logik folgen und als unvergleichlich dargestellt werden sollte, geradezu mit seiner Nero­Bezugnahme Hand in Hand: Dass der Nero­ Anschluss kein erfolgreiches, zukunftsträchtiges Modell bieten sollte, musste sich wohl erst historisch erweisen.183 Vitellius Vitellius wiederum schloss teils an Galbas Vorbild an. So nahm er die Prägung von LIBERTAS­RESTITVTA­Münzen in gleichem Stil auf;184 hinzu kamen VICTORIA­ AVGVSTI­Münzen.185 Auch eine LIBERTAS­AVGVSTI­186 und einige PAx­ AVGVSTI­Prägungen187 wurden nach der Anerkennung des Vitellius durch den Senat, geschaffen. Allerdings bleiben die vitellianischen Prägungen problematisch. Die Averstitu­ latur des Princeps belegt nicht nur die durch Tacitus vermerkte Ablehnung des Vi­ tellius des ihm vom Senat übertragenen Caesar­Titels (mit der er das Gremium brüskierte).188 Zahllose Aversumschriften offenbaren auch, was bisher unbeachtet geblieben ist: Der Augustus­Titel fehlt nicht nur auf jenen Prägungen des Vitellius, die vor dessen dies imperii am 19. April liegen,189 sondern auch auf einem Viertel der danach zu datierenden Münzen.190 Daneben bestehen, auch wenn die Prägungen und die genutzten Schlagworte auf den späten Münzen etwas vielseitiger sind, die früheren Reversumschriften in weitgehend gleichbleibender Darstellung fort (VIC­ TORIA AVGVSTI; LIBERTAS RESTITVTA; I O MAx CAPITO / CAPITOLINVS; IVPP VICTOR; CONCORDIA P R; xV VIR SACR FAC). Hat also Vitellius nach seinem dies imperii noch für eine gewisse Zeit auf die Übernahme des Augustus­Beinamens verzichtet, um ihn schließlich doch zu akzep­ tieren? Leider ist in der spätvitellianischen Gruppe von Ende April bis zum Tod des Vitellius am 20. Dezember 69 eine weitere chronologische Binnendifferenzierung unmöglich. Die Annahme einer späten (wohl nach dem April liegenden), dann aber 183 184 185 186 187 188 189 190

Siehe dazu auch Flaig (1992) 308; 343. RIC I2 Vitell. 9–10; 43–44; 69; 80–81; 104–105; siehe außerdem Rosso (2009) 215. RIC I2 Vitell. 13–14; 34–38; 46; 61–63; 111–112; 123–124; 143; 169; siehe auch 151–152; 165; 176. RIC I2 Vitell. 128 (Av.: A VITELLIVS GERMANICVS IMP AVG P M TR P; Ende April–20. Dezember 69). RIC I2 Vitell. 117–118; 138–140; 146–149; 157; siehe auch 164; 172. Siehe Tac. hist. 2,62,2; 1,62,2; vgl. 3,58,3. Siehe dazu die knappe Forschungsdiskussion bei Flaig (1992) 338. Commentarii fratrum arvalium, qui supersunt Nr. 40 I, Z. 85 (p. 102) (ed. Scheid 1998); siehe auch Kienast (32004) 106. „late april – 20 december 69“: RIC I2 Vitell. 67–71; 69A (Av.: A VITELLIVS GERMANICVS IMP); 72–83; 85–88 (Av.: A VITELLIVS GERMAN IMP TR P); 91 (Av.: A VITELLIVS GERM IMP TR P); siehe auch das sporadische Auftauchen von AVG auf früheren Aversprä­ gungen: 2; 4; 13 („january – june 69“); 64–65 („march – july 69“). Siehe auch Tac. hist. 2,62,2 zu Vitellius: „Dieser sandte nach Rom eine Bekanntmachung voraus, durch die er den Namen Augustus vorläufig, jenen Caesars überhaupt ablehnte.“

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konsequenten Übernahme von AVG in die vitellianische Titulatur ist zwar wahr­ scheinlich, aber letztlich nicht beweisbar. Dazu passen würde die Aussage des Tacitus, Vitellius habe im November 69 den Caesar­Titel doch noch angenommen. Dem steht freilich entgegen, dass CAES im Münzprogramm auch weiterhin auf sämtlichen Münzen fehlt.191 Überzeugender würde für diese Option sprechen, dass der LIBER­ TAS­AVGVSTI­Revers und die PAx­AVGVSTI­Reverse nur parallel mit AVG in der Averstitulatur erscheinen.192 Dass die mehrheitliche Hineinnahme von AVG in die Titulatur in den spätesten Prägungen dominierend wurde, zeigte ebenso wie die sehr späte, erzwungene Annahme des Caesar­Titels, dass die Statusgruppen von ihrem Princeps erwarteten, die mittlerweile tradierten Namensbestandteilen in der Titulatur zu führen. Der dynastische Name hatte sich also nun mit Sicherheit in einen Titel verwandelt. Für den disparaten Befund wäre damit Vitellius Mühe ursächlich, sich von bis­ herigen Konzeptionen des Prinzipats abzusetzen, ohne dabei den Senat, aber auch die anderen Statusgruppen zu brüskieren. Eigentlich hatte sich Vitellius nämlich andere Bezugspunkte bzw. ­personen für seine Selbststilisierung erwählt. So legte sich Vitellius, wie die bisherige Analyse bereits gezeigt hat, das cognomen Germa­ nicus zu, das auch zum Namen seines kleinen Sohnes wurde. Flaig konstatiert: „Das Cognomen Germanicus vertrat, ja verdrängte das Cognomen Cäsar. Das muß einem pro­ grammatischen Zweck gedient haben. Es ist wahrscheinlich, daß der Germanicus­Name ein Versprechen an sämtliche reichsbezogene Sektoren darstellte: Germanicus war die populärste Figur vielleicht der ganzen römischen Geschichte. Seine Beliebtheit bei der Plebs urbana, bei den Soldaten, beim Ordo senatorius und auch bei den provinzialen Oberschichten überstieg alle bis dahin bekannten Dimensionen. Der mythogene Klang seines Namens stand weniger für ein klar konturiertes Programm als vielmehr für einen ganz spezifischen Stil des Umgangs, den der Machthaber mit den jeweiligen Gruppen pflegen sollte: äußerste Offenheit und Zu­ vorkommenheit sowie eine vollständige und sichere Beherrschung derjenigen symbolischen Gesten, die affektive Bindungen sichern und bestärken – kurzum, die legendäre Koinzidenz von Maximum an Kommunikationsbereitschaft und Optimum an Kommunikationsformen in einer Person.“193

Dass die Rekurse des Vitellius auf Germanicus nicht zum Erfolg führten, war nicht allein der Missachtung der Verleihung der Titel Caesar und Augustus durch den Senat geschuldet. Flaig hat darüber hinaus gezeigt, dass die Übernahme des Germa­ nicus­Namens den Abfall der Truppen mit verursachte: Frühe Münzen tragen die Titulatur IMP GERMANICVS, wodurch Vitellius (auch) als Imperator der germa­ 191 Siehe Tac. hist. 3,58,3; Kienast (32004) 106. 192 Allerdings erscheint in der spätvitellianischen Phase auch eine PAx­GER­ROM­Prägung, die die Verantwortung für die Friedensstiftung auf Germanicus Vitellius und natürlich auf Rom zurückführt. 193 Flaig (1992) 340. Siehe Tac. hist. 1,62,2: „Dem Vitellius legte man gleich den Namen Germanicus bei: als Caesar ließ er sich aber nach seinem Sieg nicht bezeichnen“; 2,59,2: „Dann musste auf seinen Befehl das ganze Heer seinem noch unmündigen Sohn entgegenziehen; als man ihm das Kind überreicht und er es in seinen Feldherrenmantel gehüllt hatte, behielt er es auf dem Schoß, nannte es Germanicus […]“; 2,64,2 „Angeblich hatte sie [= Vitelliusʼ Mutter] auf den ersten Brief ihres Sohnes hin sogar geäußert, sie habe nicht einen Germanicus sondern einen Vitellius geboren.“ Siehe auch Keenan/Thomas (1988) 114f.

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nischen Truppen bezeichnet wurde, denen er den Erfolg seiner Usurpation und damit seine Herrschaft in der Tat verdankte. Folglich erschien er nicht mehr als „Dienstherr sämtlicher römischer Truppen“.194 Zwar bedeutete die schließlich vorgenommene Vertauschung der Reihenfolge in der Münztitulatur zu GERMANICVS IMP die Etablierung als cognomen, durch das dann deutlicher auf den als größten Römer rezipierten Feldherrn aus der iulisch­claudischen Familie Bezug genommen werden konnte.195 Letztlich änderte das aber wenig: Nero Claudius Germanicus bzw. C. Iulius Caesar Germanicus hatte sein cognomen, das zum Rufnamen wurde, aufgrund der erfolgreichen Germanienfeldzüge seines Vaters Drusus erhalten, war aber auch selbst als erfolgreicher Feldherr in Germanien tätig gewesen. Damit war auch er Oberbe­ fehlshaber der Rheinlegionen. Wenn also die Berufung auf den ehemaligen Feldherrn nach einem halben Jahrhundert gegenüber der personell und sozial völlig neu kon­ stituierten Gruppe des Heers, dessen Legionen besonderen Wert auf ein Nahverhält­ nis zum aktuellen Princeps (und höchstens noch zu dessen direktem Vorgänger) legten, überhaupt zielführend war, so vermochte Vitellius mit seiner Selbstdarstel­ lung als neuer Germanicus nur die Rheinlegionen anzusprechen, die dann wiederum als privilegiert erschienen. Das Nahverhältnis zum Gesamtheer als Statusgruppe war damit zerrüttet, weitere Usurpationen kündigten sich an. Der Zugriff auf Germanicus lag wohl darin begründet, dass Vitellius sich dazu gezwungen sah, die Profilierung seiner Sieghaftigkeit und die Stiftung der pax des Reichs, mit deren Erwartung er durch den Bürgerkrieg konfrontiert wurde, in Ab­ setzung von Galba umzusetzen: Zwar folgte er, in der Münzprägung allgemeinen galbanischen Vorgaben, modifizierte sie aber ebenso wie dessen politische Akte. Dieses offensichtliche Vorgehen des Vitellius resultierte daraus, dass seine Usurpa­ tion ursprünglich gegen Galba und nicht gegen Otho gerichtet war, dessen Profilie­ rung erst zeitgleich begann.196 Das wird auch daran deutlich, dass Vitellius, sobald er in Rom eingetroffen war, die Nero­Bezugnahmen Othos sogar noch intensivierte.197 Offensichtlich hatte ein Aspekt des othonischen Handelns gegenüber der plebs urbana es für den neuen Princeps notwendig gemacht, sich den aufgekommenen Erwartungen weiterhin gewogen zu 194 Siehe Flaig (1992) 339f (Zitat: 340). 195 Siehe Flaig (1992) 340. 196 Siehe Tac. hist. 1,50,1; siehe auch Flaig (1992) 299f mit Anm. 29; 305–307 mit Anm. 52; Kienast (32004) 105f mit Datierung; vgl. Commentarii fratrum arvalium, qui supersunt Nr. 40 I, Z. 35 (p. 100) (ed. Scheid 1998). 197 Siehe Tac. hist. 2,95,1f: „Für das gemeine Gesindel erfreulich, von üblem Eindruck aber auf die Gutgesinnten war es, dass er auf dem Marsfeld Altäre errichten und für Nero eine Totenfeier veranstalten ließ. Im Namen des Staates wurden dabei Opfertiere geschlachtet und verbrannt. Die Fackel legten die Augustalen an, eine Priesterschaft, die nach dem Muster der von Romu­ lus für König Tatius gestifteten [Priesterschaft] Caesar Tiberius für die gens Iulia gestiftet hatte“; Suet. Vitell. 11,2: „Damit bei niemandem ein Zweifel aufkomme, wen er sich als Vorbild in der Leitung der res publica ausgesucht habe, veranstaltete er mitten auf dem Marsfeld eine Totenfeier für Nero, bei der die Staatspriester in großer Zahl beteiligt waren, und drang beim Festessen ungeniert in einen Kitharöden, der seinen Beifall gefunden hatte, auch etwas aus dem ‚Dominicus‘ vorzutragen; als dieser die Gesänge Neros anstimmte, sprang er als erster wiederholt vom Sitz hoch und klatschte Beifall.“

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zeigen, die nach den Erfahrungen mit Galba Teil des dringenden Bedürfnisses der plebs zur Gewährleistung von Kaisernähe geworden waren.198 Die Betonung des An­ schlusses an Nero wurde zudem dadurch erforderlich, dass auch Vitellius aus dessen engerem Zirkel stammte: Nach Sueton schon in der Gunst des Caligula und des Clau­ dius stehend, wurde er „aliquanto Neroni acceptior“, der sich insbesondere als Vereh­ rer der kaiserlichen Kunstfertigkeit bei den Neronia präsentierte.199 Es handelte sich bei dem Anschluss also weniger um persönliche Sympathien eines ehemaligen amicus200 als um die Thematisierung seiner ohnehin prominenten Rolle bei den Neronia. Zwar präsentierte sich Vitellius im Vergleich zu Otho nicht oder zumindest weniger ausdrücklich als zweiter Nero, umso deutlicher markierte er jedoch, dass er die Seg­ nungen des neronischen Zeitalters fortzusetzen gedenke: Wenn das von Sueton über­ lieferte Ereignis der Wahrheit entspricht, erlebte nicht nur das dichterische Werk Neros auf Initiative des neuen Princeps eine enthusiastische Renaissance, Vitellius gelobte damit auch ebenso enthusiastisch, für eine Fortsetzung des neronischen Prinzipats zu sorgen. Nicht grundlos war Nero in Rom als Kitharöde aufgetreten. Wenn zu Beginn des vitellianischen Prinzipats daran angeknüpft wurde, sind jene angeblichen Traditi­ onen wiederbelebt, mit denen Nero die Blüte seiner Herrschaft besonders glanzvoll zu inszenieren suchte.201 Damit verspielte er aber auch zusehends die Akzeptanz des Senats und jene des Heers.202 Durch die allzu ausufernde Interaktion mit der plebs gelang es ihm nicht, die concordia­Erwartungen des Senats, die er zumindest in der Münzprägung basierend auf dem Vorbild der bisherigen Principes203 proklamierte, zu gewährleisten. Das wird durch die Vitellius entgegenschlagende sozial motivierte Verachtung der His­ toriographie und Biographik deutlich. Gegen Vitellius gelang es schließlich Vespasian, Dominanz im Kampf um die Macht zu erlangen.204 Damit war dieser aber nun seiner­ seits gezwungen, seiner Herrschaft individuelles Profil zu verleihen, wobei er eine deutliche Absetzung von den Bemühungen des Vitellius (und des Otho) vornahm. Folglich bedeuteten gerade die Usurpationen 68/69 n. Chr. und die Versuche der jeweiligen Principes, sich an der Herrschaft zu halten, einen entscheidenden Moment der Bewusstwerdung unumstößlicher Konstituenten des römischen Prinzipats. Dabei offenbarten sich ebenso mögliche wie unmögliche Interaktionsmechanismen, wie gerade die teils neu entwickelten oder neu kontextualisierten Schlagworte im Münz­ programm belegen. Natürlich wurden diese Interaktionsangebote bzw. Antworten auf Erwartungen wiederum der weiteren Modifikation im Rahmen der folgenden Herrschaftsrepräsentationen überantwortet. 198 Zu diesem Bedürfnis und der erfolgreichen Interaktion des Vitellius mit der plebs siehe Flaig (1992) 342f. 199 Suet. Vitell. 4 nutzt diese Darstellung, um Vitellius zu delegitimieren: Er sei bei seinen Vorgän­ gern gerade darum beliebt gewesen, da er ihre Untugenden geteilt und sich als Schmeichler geriert habe; siehe auch Tac. hist. 2,71,1. Vgl. Yavetz (1969) 564–566. 200 So Tac. hist. 2,71,1 und Cass. Dio 65,4,1. 201 Zur diese Aspekte weiterführenden Analyse siehe Flaig (1992) 343; siehe auch Flower (2006) 208. 202 Siehe dazu ausführlich Flaig (1992) 344–355; 370–398; siehe auch Yavetz (1969) 563–566. 203 RIC I2 Vitell. 66; 72–73; 89–91 (CONCORDIA P R); 126; 133; 161–162; 170–171 (CONCORDIA AVG/AVGVSTI); vgl. auch die CONCORDIA PRAETORIANORVM: 19. 204 Siehe dazu die Darstellung und Interpretation bei Flaig (1992) 356–416.

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Vespasian Vespasian hatte erkannt, dass die Betonung eines Anknüpfens an Augustus bzw. seine sich primär als Erfolgsgeschichte fortschreibende Rezeption ein ungleich höheres Potential zur Imagoausbildung bot und wohl eher erwartet und gefordert wurde, als der Rückgriff auf den vorvergangenen Prinzipat – gerade wenn dieser vornehmlich als gescheitert beurteilt wurde. Die erneute Damnierung des Nero,205 wurde auch dadurch erleichtert, dass Vitellius in seinen letzten Herrschaftstagen auch die Ak­ zeptanz der plebs verspielt hatte.206 Indem Vespasian konsequent den Augustus­ Namen in seine Titulatur aufnahm, schuf er endgültig ein Vorbild für Jahrhunderte. Darüber hinaus suchte er mit erneut intensivierten Augustus­Bezugnahmen bzw. Bezugnahmen auf die aktuelle und in Grenzen formbare Imago des ersten Princeps eine neue Blüte Roms nach dessen Vorbild und diesem verpflichtet zu evozieren.207 Bei einem derartigen Zugriff auf die Imago mag zunächst verwundern, dass gleichzeitig auch ein Anschluss Vespasians an Claudius zu konstatieren war, wie aus zahlreichen Referenzen hervorgeht: Besonders prominent waren die Wiederaufnahme des Baus am durch Agrippina begonnenen, aber durch Nero nicht vollendeten Tem­ pel für den Divus Claudius und die erste Erweiterung des Pomeriums seit der clau­ dischen Herrschaft.208 Zwar war Claudius in seinem Prinzipat bemüht gewesen, einen gewissen Anschluss an Augustus zu suchen, arbeitete sich jedoch vor allem an seinem Vorbild ab und suchte ihn zu übertreffen. Die Gründe für dieses Handeln lagen darin begründet, dass die vorausgegangenen Prinzipate des Tiberius und vor allem des Caligula nun primär negativ konnotiert waren, so dass eigentlich nur auf Augustus positiv Bezug genommen werden konnte. Da Claudius seine Herrschaft aber in einer Zeit antrat, in der noch zahlreiche Zeitgenossen des Augustus lebten, konnte er dessen Handeln nicht einfach evozieren, ohne als epigonal und profillos zu gelten. Hinzu kam noch, dass der Grad der Verwandtschaft des Claudius zu Au­ gustus weitläufiger denn je war.209 So stilisierte sich Claudius als Princeps, der sich durchaus auf gewisse augusteische Konzepte berief,210 andererseits aber auch in zahlreichen Handlungen geradezu als Anti­Augustus auftrat.211 Auf diese Siehe auch Kienast (32004) 97. Siehe dazu die Analyse von Yavetz (1969) 557–569; siehe auch Flaig (1992) 397f mit Anm. 137. Vgl. Rosso (2009) 209–242; Gross (1981) 602f. Zur Fortsetzung des Tempelbaus siehe Suet. Vesp. 9,1; siehe auch Darwall­Smith (1996) 48–52. Zur Erweiterung des Pomeriums in der Nachfolge des Claudius siehe CIL VI 930 (p. 3070, 3777, 4307, 4340) = CIL VI 31207 = ILS 244 (p. 170) §5 (nach Paragraphen in ed. Freis 21994, Nr. 49). Generell zum Befund des Anschlusses des Vespasian an Claudius siehe Flaig (1992) 405f; Levick (1999) 72–74; vgl. Darwall­Smith (1996) 52–55. 209 Siehe jetzt Osgood (2011); siehe auch Flaig (1992) 224–239. 210 Siehe Suet. Claud. 11,2 zum für den Princeps essentiellen und regelmäßig angewandten „Schwur bei Augustus“; siehe dazu auch Osgood (2011) 29–38. 211 So galten die meisten und wesentlichsten Gesten der pietas des Claudius bei Herrschaftsantritt seiner Großmutter Livia, die er divinisierte, und seinen Eltern Drusus und Antonia – letztere erhielt sogar das „cognomen Augustae“ (Suet. Claud. 11,2); er würdigte sogar seinen damnier­ ten Großvater Marcus Antonius (Suet. Claud. 11,3). Damit betonte Claudius die eigene gens sowie ihre Leistungen und Kapazitäten, an die er anzuknüpfen gelobte (siehe auch Osgood (2011) 56–65 unter Hinzuziehung numismatischer und archäologischer Belege). Explizit gegen

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Weise suchte er nach den Regimen des Tiberius und des Caligula (bzw. ihrer aktu­ ellen Rezeption) einen Neuaufbruch des Prinzipats nach eigenem Recht und auf Basis der eigenen Leistungen zu markieren. Um effektiv Leistungen für die res publica vollbringen zu können und sich Akzeptanz zu sichern, hatte sich Claudius um persönliche Sieghaftigkeit bemüht: Die Eroberung von Britannien und die Ein­ gliederung der Insel als Provinz war der größte expansive Erfolg, den das Imperium seit Jahrzehnten verzeichnen konnte.212 Daneben fungierte Claudius 47 n. Chr. als Censor, um eine Volkszählung durchzuführen und dabei das Reich in seiner Aus­ dehnung zu erfassen, Interaktion mit den unterschiedlichsten Gruppen aufzunehmen, Bürgerrechte zu gewähren und der urbs die Macht Roms zu demonstrieren – kurzum um die persönliche Fürsorge zu erweisen.213 Freilich basierten diese politischen Akte des Claudius eindeutig auf dem Vorbild der augusteischen Herrschaft, doch eignete sich Claudius die Akte an und präsentierte sie als individuelle Leistungen, die zu einer neuen Blüte Roms geführt hätten. Um nun Vespasians eigentümlichen Anschluss an Claudius zu bewerten, ist zunächst einmal zwischen einem Anschluss an die Politik und einem programma­ tischen Anschluss an die aktuelle Imago des vierten Princeps zu unterscheiden. Vespasian nahm nur letzteren vor, womit er eindeutig den konzeptuellen Charak­ teristika des othonischen und des vitellianischen Anschlusses an einen Vorgänger (bei dem es sich nun nicht mehr um Nero handelte) folgte.214 Beachtet man, dass dabei eine Rezeption des Claudius durch Vespasian zur Zeit von dessen Prinzipat die entscheidende Rolle spielte, schließt sich auch der Graben, den Claudius zwischen Augustus (bzw. seiner zeitgenössischen Erinnerung) und sich selbst aufgeworfen hatte. So handelte es sich bei Claudius in vespasianischer Perspek­ tive schlicht um einen jener drei Principes der iulisch­claudischen Dynastie, die nicht als Tyrannen rezipiert wurden, und einen von nur zwei kaiserlichen divi unter den bisherigen Principes.215 Genau diese Signalwirkung hätte ein programmatischer Anschluss an die drei kurzzeitigen Vorgänger eben nicht geboten, wobei dafür ohnehin nur Galba und gegebenenfalls noch Otho, nicht aber der direkte Konkurrent Vitellius in Frage ge­

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Augustus (wenn auch auf Basis von Performanzen nach seinem Modell) wandte sich Claudius in zwei anderen Akten: 1) Nach Suet. Claud. 20,1 ließ er am Fuciner See einen Abflusskanal sowie den Hafen von Ostia erbauen, „obwohl er wusste, dass von den beiden Bauten der eine [= der Abflusskanal] von Augustus den Marsern, die ihm deswegen mit ihrem beharrlichen Bitten ständig in den Ohren gelegen hatten, abgelehnt worden war […]“; 2) Bereits 67 Jahre nach Augustus, im Jahr 47 n. Chr., ließ Claudius erneut Saecularspiele durchführen, „wobei er“, so Suet. Claud. 21,2 „so tat, als habe Augustus sie vor der Zeit veranstalt und nicht für den rechten Zeitpunkt aufgespart“; siehe dazu auch Osgood (2011) 147; 151–158. Siehe Osgood (2011) 84–106. Siehe Osgood (2011) 153–165. Siehe auch Flaig (1992) 406. Flaig (1992) 406: „Er [= Vespasian] signalisierte damit der Senatorenschaft, daß die Vergöttli­ chung des toten Kaisers nicht eine auf Augustus beschränkte Episode war, sondern im Gegen­ teil als sanktioniertes Ritual zu erachten war, womit ein akzeptierter Princeps in die verbindli­ che Reihe römischer Monarchen aufgenommen wurde.“

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kommen wären216 – und Nero besaß das entsprechende Potential erwiesenermaßen noch viel weniger. Somit war Claudius jener Princeps, der den nächstliegenden Anknüpfungspunkt für einen neuen positiven Prinzipat bot. Dabei konnte der An­ schluss nicht nur als gezielte Absage an die gescheiterten direkten Vorgänger ver­ standen werden. In erster Linie ermöglichte er, dass Vespasian (nach erneuten Bür­ gerkriegen) versprechen konnte, eine neue Blüte Roms herbeizuführen, das heißt einen Frieden zu garantieren, der auf der nicht überbietbaren Sieghaftigkeit des Princeps beruhte und somit als wahrhafte pax Augusta verstanden werden konnte. Auf diese Weise gestaltete sich Vespasian als Neugründer Roms und des Imperiums in Entsprechung zu den beiden bisherigen boni principes Augustus und Claudius. In dieser Perspektive war eine Reihung dreier Herrscher entstanden, die keine chrono­ logische Kontinuität benötigte, sondern im Gegenteil ohne diese umso prägnanter wirkte und in der die etablierten Imago­Konstituenten pax, victoria und saeculum aureum prägend für die imperiale Selbststilisierung waren. Folglich bedeuteten die beiden Principes Augustus und Claudius bzw. ihre Ima­ gines für Vespasian keine Gegensätze mehr. Ihre grundlegenden, wenngleich unter­ schiedlich vermarkteten Gemeinsamkeiten in der Betonung der benannten konsti­ tutiven Ziele sowie in ihrer Divinisierung, ermöglichten den idealen vespasianischen Rekurs auf positiv bewertete und akzeptierte Herrschaft. So treten Augustus und Claudius unter Hinzuziehung von Tiberius auch als Bezugsgrößen und wahrhafte Vorgänger in der lex de imperio Vespasiani auf.217 Die Gleichsetzung der beiden Vorgänger wird auch in Suetons Vita des ersten Flaviers weitergeführt: Die Erwäh­ nung der Fertigstellung des Claudius­Tempels wird hier gerahmt von jener des Baus des Pax­Tempels und, ganz eindeutig, des Colosseums, „da er in Erfahrung gebracht hatte, dass schon Augustus sich das fest vorgenommen hatte.“218 Damit präsentierte sich Vespasian als der Tradition verpflichteter Neugründer Roms, wie auch durch eine Analyse seines Münzprogramms demonstriert werden kann:219 Vespasian ließ bis ins Jahr 71 Münzen mit LIBERTAS­RESTITVTA­220 und LIBERTAS­AVGVSTI­221 sowie bis ins Jahr 73 mit LIBERTAS­PVBLICA­ Reversen222 schlagen. Insbesondere die LIBERTAS­RESTITVTA­Münzen wieder­ holen dabei weitgehend die galbanische Darstellung der Personifikation der Libertas, die nun vor Vespasian kniet, der ihr die Hand zur Erhebung entgegenstreckt.223

216 Siehe dazu Flaig (1992) 405f. 217 CIL VI 930 (p. 3070, 3777, 4307, 4340) = CIL VI 31207 = ILS 244 (p. 170), insbes. §1; 2; 6; 7 sowie § 5 mit dem Bezug nur auf Claudius (zur Pomeriumsausdehnung). 218 Suet. Vesp. 9,1. 219 Vgl. zu einer Analyse des vespasianischen Münzprogramms auch Buttrey (1972) 89–109. 220 RIC II/1 Vesp. 52; 88–89. Allgemein zum vespasianischen Münzprogramm siehe auch Levick (1999) 65–72. 221 RIC II/1 Vesp. 170–172; siehe auch die ägyptisch­iudäisch­syrischen Prägungen Vespasians, die auf das Jahr 72/73 datiert werden: LIBERTAS AVGVSTA (RIC II/1 Vesp. 1522); LIBERTAS AVG (RIC II/1 Vesp. 1543). 222 RIC II/1Vesp. 63; 82–87; 137; 141; 173–174; 237; 272; 309–310; 377; siehe auch die diversen provinzialen Prägungen 1339; 1345–1347; 1384. 223 Siehe auch Rosso (2009) 214–217 zu den im gleichen kaiserlichen Gestus die Erhebung der Roma

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Während Vespasians gesamtem Prinzipat entstanden zudem Prägungen mit VICTORIA­AVGVSTA und VICTORIA­AVGVSTI­224 sowie PAx­AVGVSTA­, PAx­AVGVSTI­225 und PAx­P­ROMANI­Reversen.226 Die mit diesen Umschriften gekennzeichneten Pax­Darstellungen folgen in ihrer Ikonographie dabei weitgehend den Vorbildern Galbas: Die stehende Pax hält (teils auf eine Säule gelehnt) Zweig und cornucopia oder caduceus in den Händen.227 Auf ephesischen Münzen wurden Vespasian zwischen den Jahren 69 und 74 Pax­Prägungen dediziert: PACI AVG/ AVGVSTAE steht auf den Reversen, in deren Bildnis allerdings nicht die Pax sondern die Personifikation einer Victoria mit Siegerkranz und Palmzweig dargestellt ist. Hinzu kommen ephesische Münzen mit PACI­ORB­TERR­AVG­Reverslegenden, die eine weibliche Büste mit Mauerkrone abbilden,228 es dürfte sich also um Roma oder eine weitere mit dem Gründungsakt verknüpfte Gottheit handeln. In diesen

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darstellenden ROMA­RESVRGES­Münzen (RIC II/1 Vesp. 109–110; 194–195; 382), welche die sehr ähnlichen ROMA­RESTITVTA­Münzen des Galba ersetzen. Inkl. den Abkürzungen VICTORIA AVGVST, VICTORIA AVG und VIC AVG: RIC II/1 Vesp. 47–48; 57–58; 65a–b; 127–132; 140; 212–226; 255–256; 283; 328–334; 362; 389–390; 508; 525–527; 602–604; 709–711; 732–735; 792–803; 824; 855; 897–899; 946; 1013–1014; 1071; 1094; 1128–1129; 1175–1177; 1203; 1241–1242; siehe auch die ägyptisch­iudäisch­syrischen Prägungen 1547; 1551; 1557 sowie die VICT AVG­Münze 1343 aus einer unbekannten östlichen Prägestätte frühflavischer Zeit oder aus der Zeit des Bürgerkriegs. Analoge Reversbildnisse und ­umschrif­ ten wurden für die Münzen der Caesaren Titus und Domitian geschaffen: a) für Titus: RIC II/I Vesp. 355; 367; 412; 416; 433; 452–453; 463–464; 485; 501–502; 511; 532–536; 565–566; 572; 641–643; 753–755; 804–810; 916; 955–956; 1035–1038; 1284; b) für Domitian: RIC II/I Vesp. 493–494; 560–561; 649; 676–678; 790–791; 811–812; 934; 1055–1056; 1089; 1103. Siehe auch die VICTORIA NAVALIS­Reverse (u. a. RIC II/1 Vesp. 284–285; 335–339; 406–407; 1243–1244; sowie für Titus Caesar z. B. 454; 471; 1274); die ägyptisch­iudäisch­syrische Prägung IVDAEA DEVICTA; VICT / AVG (auf Schild) für Titus (1536) sowie bis ins Jahr 73 ROMA­VICTRIx­ Reverse, die Victoria neben Roma abbilden (196; 397; 439–440; 467; 483; 506; 619). Wiederum werden AVG und AVGVST mitberücksichtigt: RIC II/1 Vesp. 12; 31; 34; 53; 95–100; 135; 179–186; 240–243; 273–276; 311–312; 378–380; 393; 512; 521; 542–543; 575; 583–584; 589–590; 712; 726–728; 770–771; 814; 819; 880–883; 992–993; 1007; 1142–1144; 1190–1191; 1219; siehe auch die ägyptisch­iudäisch­syrische Prägung 1550. Analoge Reversbildnisse und ­um­ schriften wurden für die Münzen der Caesaren Titus und Domitian geschaffen: a) für Titus: RIC II/1 Vesp. 423–424; 446–447; 458; 496; 509; 529; 551–552; 607–608; 616; 627–629; 737; 747–750; 782; 827–828; 905–907; 910; 1258–1262; 1276–1277; b) für Domitian: RIC II/1 Vesp. 488; 651–652; 660–661; 669–670; 831; 924–925; 1042; 1046; 1098; 1287. Ausnahmen bilden zwei Prägungen: In der ersten, die aus dem Jahr 71 stammt, wird die Pax­Personifikation mit der othonischen Legende PAx ORBIS TERRARVM bezeichnet (RIC II/1 Vesp. 101); in der ande­ ren, bei der es sich um eine wohl noch frühere spanische Prägung handelt, wird die abgebildete Personifikation nur als PAx bezeichnet (1300). RIC II/1 Vesp. 187–189. Siehe aber auch Belloni (1985) 134f; 139f; Muñoz/Diéz Jorge (1999) 239. RIC II/1 Vesp. 1390–1391; 1396–1397; 1406–1407; 1412–1413; 1421–1423; 1425–1426; 1431–1434; 1454; 1457–1458; 1465–1467; siehe auch die analoge ägyptisch­iudäisch­syrische PACI ORB TERR AVG­Prägung. Analoge Reversbildnisse und ­umschriften wurden auch für die ephesi­ schen Münzen der Caesaren Titus und Domitian geschaffen: a) für Titus: 1441–1444; 1461–1462; 1470; 1546; b) für Domitian: 1447–1449. Zu den PACI­AVGVSTI­Prägungen kommen zudem noch zwei Aurei des Jahres 71 aus Lugdunum, auf deren Revers die Nemesis abgebildet ist: RIC II/1 Vesp. 1130; 1180.

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Prägungen aus Ephesos wechseln sich nicht nur Pax­ und Victoria­Münzen ab, viel­ mehr ist Victoria der im Dativ stehenden Pax dienlich. Auf diese Weise wird hier die Sieghaftigkeit als entscheidend zur Erzeugung des Friedens dargestellt. Die Masse dieser Prägungen belegt außerdem, dass die Münzen programmatisch den Princeps Vespasian zu charakterisieren suchten. Dass dabei dennoch durch das At­ tribut AVG/AVGVSTA auf den ersten Princeps und dessen angeblichen Frieden rekurriert wurde, unterstreicht die aktuelle Rezeption des Augustus als Friedens­ spender, an die Vespasian anzuschließen gelobte. Da seine Münzprägung ebenfalls auf die Sieghaftigkeit rekurrierte, wird die Durchsetzung und Gewährleistung des Friedens durch überragende militärische Leistung wiederum als grundlegendes Charakteristikum der pax Augusta präsentiert. Das gilt, in etwas zurückgenommener Weise, auch für jene stadtrömischen Prägungen, auf denen die PAx AVG dargestellt ist: Neben ihrem Attribut des Füllhorns besitzt sie mit dem caduceus auch ein Gerät aus dem militärischen Bereich, welches Herolde zur Verkündigung von Siegen bei sich trugen und welches die siegreiche Heimkehr des Heers verbürgte. Die ephesischen PACI­ORB­TERR­AVG­Münzen schließen zwar einerseits an das Vorbild der besprochenen Prägung Othos an, ergänzen aber wiederum den Augustus­Bezug, den Otho dezidiert vermieden hatte. Die zu vermutende Darstellung von Roma auf den Reversen, die mit dieser Umschrift versehen waren, stellt Rom als verantwortlich für die Expansion dieses Friedens dar. Wiederum ist also der Charakter der Sieghaftigkeit wesentlich, bei dem sich Vespasian auf Augustus und seine militärischen Erfolge sowie dessen Proklamation der Herrschaft über den terrarum orbis beruft. Der Bezug zur Gottheit mit der Mauerkrone verleiht Vespasian zudem die Imago eines Neugründers der urbs und des Imperiums nach dem Vorbild der augusteischen Selbstbeschreibung. Dass andererseits bald nach dem flavischen Triumph die im Bürgerkrieg eine Garantiefunktion übernehmenden Prägungen der wiederherzustellenden libertas nicht mehr geschlagen wurden, bedeutet wohl, dass die restitutio als abgeschlossen229 und in der pax Augusta aufgegangen, d. h. von nun an durch den Princeps Vespasian garantiert, betrachtet werden sollte. Bereits bei den zuvor geprägten LIBERTAS­ RESTITVTA­Münzen Vespasians ist auffällig, dass der Princeps im Gegensatz zu den galbanischen Vorläuferprägungen nicht im Militärgewand, sondern in die Toga gekleidet abgebildet wurde. Zudem ist der Princeps in der vespasianischen ROMA RESVRGES­Prägung im Gegensatz zu den galbanischen ROMA­RESTITVTA­ Münzen zivil gewandet und auch die Personifikation der Roma ist ihrer Rüstung und den weiteren militärischen Attributen entkleidet.230 Dabei ist wesentlich, dass die entsprechenden Prägungen erst im Jahr 71 begannen (und bis 73 währten).231 Daraus geht hervor, dass Vespasian, der sich für den Moment alternativlos als Princeps durchgesetzt hatte, nun in stadtrömischen Prägungen gegenüber den 229 Vgl. Rosso (2009) 217. 230 Siehe auch Rosso (2009) 217 sowie 215, fig. 3. 231 Rosso (2009) 217 übersieht diese zeitliche Dimension. Vgl. die ebenfalls nach der Durchset­ zung Vespasians 69/70 entstandene, aber in der Titulatur noch schlichtere ROMA­ RESVRGENS­Münze [Hervorhebung C. S.] RIC II/1 Vesp. 1360, die unter die „Uncertain Early and Military Issues“ gerechnet wird.

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Statusgruppen betonen wollte und musste, dass er auf Basis seiner Leistungen die libertas restituiert, daher nun ein neues ruhiges und friedliches Zeitalter etabliert habe und garantiere, was in der Proklamation der sieghaften Pax in der folgenden Münzprägung zum Ausdruck kommt. Schließlich zeigen einige Reverse vespasianischer Münzen des späten Jahres 70 sowie des Jahres 71 noch in einer das galbanische Programm erweiternden Serie die Umschrift ADSERTORI LIBERTATIS PVBLICAE bzw. PVBLIC, dem Verfechter der öffentlichen Freiheit. Diese Reverslegende ist in einen Eichenkranz eingeschrieben und durch den SPQR dediziert.232 Auf diese Weise tritt Vespasian in göttliche Fuß­ stapfen, hatte doch bereits die anonyme Prägung des Jahres 68 Mars zum adsertor der zu restituierenden libertas gemacht.233 Somit bleibt auch hier der Bezug zur Sieghaftigkeit im Rahmen der Friedensschaffung zumindest indirekt erhalten. Vor allem aber weckt die Abbildung des Eichenkranzes natürlich Assoziationen mit der Augustus durch Senat und Volk verliehenen corona civica. Die Münzprägungen zur öffentlichen Freiheit wurden also im vespasianischen Prinzipat ebenfalls in eine Augustus­Bezugnahme eingeschrieben.234 Zur gleichen Zeit knüpfte Vespasian zudem an einen Prägetypus an, den Nero begründeten hatte: Dieser hatte erstmals SECVRITAS­AVGVSTI­Reverse schlagen lassen, die eine Personifikation der Securitas in einem recht komplexen Bild zeigten;235 Galba, Otho und Vitellius ver­ einfachten die Abbildung der Personifikation stark und bezeichneten sie als SECVRITAS P R/P ROMANI.236 Vespasian ließ sie, um einen Altar, auf den sich die Securitas von nun an lehnen durfte, und teils um ein Szepter ergänzt weiter schlagen,237 veranlasste aber auch erstmals wieder die Prägung von SECVRITAS­ AVGVSTI­Reversen, deren Münzbild weitgehend dem von SECVRITAS P R ent­ sprach, allerdings das Attribut des Szepters, also des imperialen Herrschaftssymbols, stetig verwendete.238 So kommt die securitas dem populus Romanus zu Gute, ver­ antwortlich für ihre Schöpfung, ihr Garant und letztlich auch Herr über sie war aber der Princeps allein: Es war die ihm zugeschriebene securitas, die aus seiner restitutio der als augusteisch erachteten libertas entsprungen sei. Folglich wurde der Friedens­ zustand als augusteisch definiert, das bedeutet mehr denn je vom Princeps garantiert, damit aber auch dominiert, dargestellt. Nicht grundlos begann zum Zeitpunkt des flavischen Triumphs und zeitgleich mit dem Ende der libertas­Prägungen der Bau für den ersten wirklichen Tempel für Pax 232 RIC II/1 Vesp. 35; 121–124; 207–210; 252. 233 Siehe aber RIC I2 civ. 133 und Martin (1974) Nr. 22–23: Av.: LIBERTAS RESTITVTA (Büste der Libertas); Rev.: MARS ADSERTOR (Mars, stehend mit Helm, Schild und vexillum, resp. tropaion). Vgl. Martin (1974) Nr. 21: Av.: ADSERTOR LIBERTATIS (Büste des jugendlichen Mars mit Helm); Rev.: LEGION xV PRIM…… (Victoria errichtet tropaion); Martin beruft sich hier auf die erste Auflage von RIC I; die zweite verzeichnet diese Münze nicht mehr. 234 Vgl. Rosso (2009) 218–220 mit gleichem Befund, aber etwas anderer Deutung. 235 RIC I2 Nero z. B. 112–114; 190–195; 403–408. 236 RIC I2 Galba 504–506; RIC I2 Otho 7–12; RIC I2 Vitell. 175; siehe auch RIC I2 bell civ. 37–38. Vitellius ließ zudem SECVRITAS IMP GERMAN­Münzen prägen: RIC I2 Vitell. 11–12. 237 RIC II/1 Vesp. 38; 281; 326–327; siehe auch 1386; 1375A (= „Uncertain Early and Military Issues“), die den Altar nicht zeigen, dafür aber der Securitas ein Szepter verleihen. 238 RIC II/1 Vesp. 280; 1155–1157; 1171–1174; 1197; 1265–1267.

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in der urbs, der bereits im Jahr 75 eingeweiht wurde.239 Gemeinsam mit der Ara Pacis Augustae konnte dieser in Zukunft auf die wesentlichen Neugründer in der Geschichte des Prinzipats verweisen. Dabei wurde allerdings im Falle des Vespasian die Kompo­ nente der Sieghaftigkeit im Rahmen der pax Augusta noch zusätzlich überhöht: Die Objekte des jüdischen Tempels (und die neronischen Kunstschätze) wurden zur Finanzierung, vor allem aber zur Schmückung des Pax­Tempels herangezogen.240 Der vespasianische Augustus­Rekurs zeigte sich neben Münzprogramm und Tem­ pelbau auch in der erneuten Schließung des Ianus­Tempels,241 die schon Nero als Bezugnahme entwickelt hatte, die aber nun nach der Beendigung eines erneuten Bürgerkriegs noch gesteigerte Aussagekraft erhielt. Titus und Domitian Unter der Herrschaft der Söhne des Vespasian erschienen keine neuen LIBERTAS­ RESTITVTA­Münzen,242 die Bürgerkriegsthematik spielte in der zweiten Generation der Dynastie endgültig keine Rolle mehr. Zudem prägten Titus und Domitian (gemäß spätvespasianischem Vorbild) nun einige Münzen, mit ROMA­Titulatur auf dem Revers, denen Attribute, z. B. RESVRGE(N)S oder VICTRIx, vollständig fehlten; gleiches gilt für die, freilich bereits unter Vespasian nicht gebrauchten, Attribute RESTIVTA oder RENASCE(N)S: Dass Wohlbefinden und Blüte Roms bereits als erreicht gelten sollten, zeigte auch das Reversbildnis, auf dem Roma mit Siegeskranz und parazonium auf einem Waffenhügel thront; mitunter befindet sich Victoria bei ihr.243 Andererseits dauerte die Prägung der PAx­AVGVST/AVGVSTI­244 und VICTORIA AVG/AVGVST/AVGVSTI­Reverse245 unter Titus an: Die Verbindung von ‚augusteischem‘ Frieden in und durch Sieghaftigkeit blieb in der potenzierten Formulierung Vespasians nach dem Jahr 73 erhalten. Auch die SECVRIT(AS)­AVG(VST)­Prägung überlebte246 und stand weiterhin im Wechselspiel mit SECVRIT(AS) P R:247 Die Garantie des augus­ 239 Siehe Darwall­Smith (1996) 55–68 mit archäologischen und literarischen Belegen; Rosso (2009) 213f. 240 Siehe zur Finanzierung, Ausschmückung und Deutung des Tempels Darwall­Smith (1996) 58–61; 65–68. 241 Tac. hist. fragm. 5 = Oros. hist. 7,19,4. Zum Rekurs auf Augustus siehe auch Rosso (2009) 213f mit Anm. 18. 242 Vgl. Seelentag (2004) 469. 243 RIC II/1 Tit. 153–164; 202; 503; RIC II/1 Dom. 833; 839. Für die entsprechenden spätvespasiani­ schen Darstellungen siehe z. B. RIC II/1 Vesp. 1220–1224; 1263–1264; vgl. auch die Ausnahme einer vereinzelten frühvespasianischen, wohl aus Tarraco stammenden Reversprägung der ROMA RENASC: RIC II/1 Vesp. 1317. 244 RIC II/1 Tit. 62; 70–72; 134; 154–158; 199–201; 229–236; siehe auch 498 sowie 58–59; 85; 275; 283; 288–291; 341a–b; 342 a–b (für den Caesar Domitian) und 396 (für IVLIA IMP T AVG F AVGVSTA). 245 RIC II/1 Tit. 76–82; 91–95; 180–183; 246–251 sowie 87–88; 272–274; 286–287; 304–306; 324– 329; 354–355; 366–367; 384 (für den Caesar Domitian). 246 RIC II/1 Tit. 75; 206–208; 240–245; siehe auch 353 (für den Caesar Domitian). 247 RIC II/1 Tit. 68; 209–211.

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teischen Friedens, aber auch die Herrschaft über alle an ihm partizipierenden Gruppen blieb also wesentlicher Gegenstand der Münzprägung des Titus. Domitian nahm die augusteischen Pax­Prägungen zwar stark zurück,248 ließ aber immerhin zwei PACI­AVGVST­Reverse schlagen, auf denen eine Pax mit Cornucopia und Fackel einen Waffenhügel in Brand steckte,249 also nach dem Vorbild der gal­ banischen PAxS­AVGVSTI­Münzen ausgestaltet war. Doch auch die VICTORIA­ AUVGVST/AVGVSTI­250 bzw. bald VICTORIAE­AVGVSTAE­Reversprägungen bestanden fort, wobei sich bei letzteren das Bild veränderte und damit intensivierte: Statt Victoria einfach mit Siegeskranz und Palmzweig darzustellen, beschriftete sie nun, weiterhin mit Palmzweig ausgestattet, einen auf einem tropaion ruhenden Schild251 – die Vollkommenheit des Sieges respektive der Sieghaftigkeit wird visu­ alisiert. Zudem beinhaltet das domitianische Münzprogramm eine Vielzahl von auf die Sieghaftigkeit durch Iuppiter bezogenen IOVI­VICTORI­Reversen, auf denen Iuppiter Victoria und Szepter hält.252 Insgesamt überhöhte also Domitian die Dar­ stellung der Sieghaftigkeit noch weiter, vergaß aber, obwohl die Prägung der Pax­ Münzen zurückging, nicht, die Gewissheit des fortwährenden Sieges und des daher bestehenden kontrollierten Friedenszustands zu betonen. Allerdings nimmt er damit von einem allzu deutlichen Augustus­Rekurs Abstand und rekurriert, seiner Herr­ schaftskonzeption gemäß, stärker auf die direkte Unterstützung des ersten Staatsgottes. In einem weiteren Fall ist außerdem schwer zu ergründen, ob eine Bezugnahme auf Augustus vorlag. So begann unter Titus und Domitian anstelle der Münzen zur Wiederherstellung der Freiheit die Prägung sogenannter Restitutionsmünzen (aller­ dings im Fall Domitians nur in den ersten Jahren seiner Herrschaft253), die im An­ schluss durch Nerva und Traian fortgesetzt wurde. Bei diesen besonderen Prägungen handelte es sich um Kopien von Münzen früherer Herrscher und ihre Familien, die nun erneut, respektive in abgewandelter Form geschlagen wurden. So werden auf den Aversen die ehemaligen Principes dargestellt, die Reverse zeigen ein zu dieser oder einer anderen Münze gehörendes Bild oder schlicht ein großes SC; gelegentlich erscheint auch ein neu geschaffenes Bild. Die Reverslegende schreibt Titus und Domitian als Prägeherren zudem jeweils die Verbform restituit zu. Der Gebrauch des Terminus in Verbindung mit dem Namen des Princeps hatte in jedem Fall den Zweck, Münzwert und ­gültigkeit zu verbürgen, was in diesem Fall eben nicht, wie sonst üblich, durch Aversporträt und ­titulatur gewährleistet war.254 Wirtschaftlich­ pragmatische Gründe für die Restitutionsprägungen sind möglich,255 doch dürfte es 248 RIC II/1 Dom. verzeichnet nur die beiden aus einer östlichen Prägestätte stammenden Sesterze 831 und 837. 249 RIC II/1 Dom. 276; 354. 250 RIC II/1 Dom. 115–121. 251 RIC II/1 Dom. 297–298; 373; 389; 410; 422; 483; 498. 252 RIC II/1 Dom. 275; 352–353; 398; 464–465; 526–527; 633–634; 702; 751; 794. 253 Siehe dazu Komnick (2001) 98f; siehe auch Mattingly (1920) 184f. 254 Komnick (2001) 1–5; Mattingly (1920) 177; 185f; Mattingly (1926) 265; Seelentag (2004) 410 mit Anm. 1. 255 Die Forschung zu den Restitutionsmünzen verweist häufig auf Cass. Dio 68,15,31, wo zur Rück­ kehr Traians aus den Dakerkriegen 107 n. Chr. vermerkt wird: „Er ließ auch alle Münzen ein­ schmelzen, die abgegriffen waren.“ Natürlich ist es möglich, dass Traian aus dieser Motivation

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auch programmatische Gründe dafür gegeben haben, Münzen der römischen Ge­ schichte zu reproduzieren, statt nach ihrem Einschmelzen neue Bilder zu entwickeln und zu prägen: beispielsweise die Erinnerung an und Würdigung von Persönlich­ keiten und Ereignissen sowie die Propagierung eines Anschlusses an die großen Vorgänger oder die Vorgängerdynastie.256 Markiert die Vokabel „restituit“ auf den Münzen in diesem Kontext nun eine Bezugnahme auf Augustus? Im Fall von Titus und Domitian wurden durchaus Res­ titutionsmünzen des bzw. für Augustus geprägt. Zwar rekurrieren all diese auf den DIVVS AVGVSTVS PATER,257 sind daher vermutlich tiberianische (oder neu ent­ worfene, traditionell anmutende) Prägungen, allerdings ist dabei der Rekurs auf den vergöttlichten Augustus explizit, nicht jener auf Tiberius. Andererseits wurden auch Münzen für Livia, Tiberius, Drusus, Germanicus, Claudius und die ältere Agrippina geprägt258 – also, abzüglich des Caligula und des Nero, der gesamten iulisch­clau­ dischen Dynastie. Sollte damit also vielmehr ein Anschluss an diese markiert und damit betont werden, dass ihr nun eine neue, nicht minder ideale Dynastie nachfolge?259 Das würde zumindest die von Titus restituierten Münzen Galbas nicht erklären.260 So ergibt sich vielmehr folgendes Bild: Die Flavier nahmen Bezug auf alle bisherigen legitimen Herrscher und weitere wesentliche, positiv konnotierte Gestalten des bisherigen Prinzipats, die eben mit einer Ausnahme sämtlich Iulio­ Claudier waren. Daher ist schlicht von einer Einschreibung des Titus und des Domi­ tian in die Folge guter Principes zu sprechen. Auf diese Weise brachten die jüngeren Flavier ihre pietas zum Ausdruck. Der Versuch eines Verweises auf Kontinuität, in die Titus und Domitian ihre Herrschaft nun zu stellen versprachen, im Dienste der Akzeptanzerzeugung spielte also eine wesentliche Rolle für die Prägungen. Dass nur Augustus als divus restituiert wurde, lag wohl darin begründet, dass ihm die beiden flavischen Principes eine Schlüsselstellung zuzuerkennen suchten. Er war der erste Princeps gewesen und hatte damit faktisch die Monarchie begründet

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heraus, die Münzen restituierte, doch belegt Dios Aussage nicht die Schaffung von Restitutions­ münzen. Auch darf ein Einschmelzen zahlreicher Aurei, die ein Novum der traianischen Resti­ tutionsmünzen waren, als höchst zweifelhaft gelten. Zudem existieren auch keine Belege für ein entsprechendes Einschmelzen abgegriffener Münzen durch die Flavier und durch Nerva. Einen umfassenden Forschungsüberblick bieten Komnick (2001) 9–26; 158–164; Mattingly (1926) 265–269; Seelentag (2004) 414; vgl. Buttrey (1972) 102–108. So Mattingly (1920) 179–182; Mattingly (1926) 269f; siehe dazu Komnick (2001) 17–19; 21; 23; 26; 164–178. RIC II/1 Tit. 399; 401–404; 445–469; siehe auch 400; RIC II/1 Dom. 823–824; siehe das zusam­ menfassende Verzeichnis bei Komnick (2001) 32–35; 44–50; 93–94; siehe auch Mattingly (1920) 183–185; 187–204. RIC II/1 Tit. 405–420; 424–443; 470–482; 484–490; RIC II/1 Dom. 525–530; siehe auch Kom­ nick (2001) 35–39; 40–44; 50–54; 94–96; vgl. die hybriden Restitutionsprägungen des Titus, die auf den Reversen Gottheiten darstellen und die übliche Restitutionslegende verwenden, auf den Aversen jedoch Büsten und Titulaturen des Titus, des Caesar Domitianus und der flavi­ schen Iulia abbilden: RIC II/I Tit. 491–495; Komnick (2001) Tit. Typ. H. a (mit Taf. 1); Typ H. b–H. d (mit Taf. 6). Siehe Béranger (1973) 395f; siehe auch Komnick (2001) 22. Komnick (2001) Tit. Typ 13.0; 14.0; 14.1 (mit Taf. 2); Typ 29.0 (mit Taf. 3); Typ 61.0; 61.1; 62.0 (mit Taf. 7); RIC II/1 Tit. zählt sechs Prägetypen: 421–423; 444; 496–497.

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und für alle Gruppen akzeptierbar gemacht. Die boni principes und die anderen ‚guten‘ Gestalten aus der domus Augusta erscheinen dabei, wie die Imago des Clau­ dius unter Vespasian, als getreue und sämtliche Formen und politischen Handlungen nachahmende Fortsetzer ohne eigene Intentionen und ohne eigenes Profil, das über eine durch die Münzreverse vorgenommene Charakterisierung hinausging. In diesem intentionalen Kontext erklären sich auch besser die von Titus und Domitian parallel geschlagenen Prägungen für den DIVVS AVGVSTVS VESPASIAN/ VESPASIANVS,261 deren Aversporträt an jenes des DIVVS AVGVSTVS PATER angeglichen wurde: Für beide divi wurden Münzen geprägt, die sie mit Zweig und Szepter als Herrschaftsinsignien auf einer sella curulis sitzend darstellen.262 walter H. Gross hat außerdem gezeigt, dass einige DIVVS­AVGVSTVS­PATER­Münzen, die eine Büste des vergöttlichten ersten Princeps auf dem Avers zeigen, in der physio­ gnomischen Porträtgestaltung weniger der (idealisierten) Originaldarstellung tiberianischer Zeit als vielmehr den expressiveren flavischen Kaiserbildnissen ent­ sprechen. So besitzt Augustus hier teils einen kompakteren, volleren Charakterkopf mit tieferliegender Stirn, wie er aus den Bildnissen des Vespasian und seiner Söhne bekannt ist.263 Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass auch die meisten Averspor­ träts der weiteren auf den Restitutionsmünzen des Titus und des Domitian darge­ stellten Personen nicht schlicht wiederhergestellt, sondern in ihrer Physiognomie an die flavischen Principes, mit ihrer volleren Kopfform, weicheren Kinnpartie und tieferliegenden Stirn, angeglichen wurden.264 Auf diese Weise wurde die Anknüpfung der Flavier an die Reihe der boni principes visualisiert – und dies bezeichnenderweise durch Einbeziehung der iulisch­claudischen Dynastie (und des Galba) in die eigene Familie anstelle der eigenen Einschreibung in diese gens. Entsprechend rekurrierten die beiden jüngeren Flavier in ihren Prinzipaten primär auf die etablierte Imago ihres Vaters als Neugründer.265 Zwar war diese Vespasians eigenem Rekurs auf die augusteischen Imago in der Rezeption seiner Zeit entlehnt, doch war für Titus und Domitian in erster Linie relevant, sich selbst nahtlos in die Reihe der boni principes zu stellen, die der wesentlich unmittelbarere eigene Vater in den von Augustus begründeten Traditionen und diesem gänzlich ebenbürtig zu erfüllen proklamiert hatte. Folglich brachte der Erfolg des Vespasian seine beiden Söhne nacheinander in Zugzwang, die daher jeweils versprachen, sich dessen nach den Bürgerkriegswirren geschaffener und erstmals wieder dauerhaft akzeptierter Ordnung zu verpflichten und diese weiterzuführen. Das wurde unter anderem in der Fortsetzung der augusteischen Traditionen evozierenden PAx­ und VICTORIA­Prägungen zum Ausdruck gebracht. Logische Konsequenz für Domitian in der Frühphase seiner Herrschaft war es außerdem, 261 RIC II/1 Tit. 261; 356–361; 363–367; 370–384; siehe auch 257–260; 362; 369; RIC II/1 Dom. 146. Siehe Buttrey (1976) 449–457; siehe auch Komnick (2001) 24; 66–86; 167. Auf Restitutions­ münzen ihres Vaters verzichteten Titus und Domitian jedoch. 262 Buttrey (1976) 455f. 263 Gross (1981) 604. 264 Siehe Komnick (2001) Taf. 1–20: Exemplarisch verwiesen sei auf Tit. 8.1 (Drusus) 11.0 (Agrip­ pina) 15.0 (Iustitia­Livia); 20.0 (Tiberius); 52.0 (Agrippa); 54.1 (Claudius); 62.0 (Galba); Dom 7.0 (Germanicus). 265 Vgl. Buttrey (1976) 455f; Gross (1981) 603–605; Seelentag (2004) 410, Anm. 1; Komnick (2001) 24.

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sich in entsprechender Weise auch auf den Vorgänger Titus als divus zu berufen266 und damit Kontinuitäten zu beschwören – zumal sein Bruder bereits Mitherrscher des Vaters gewesen war, er selbst jedoch nicht.267 Damit fiel die Augustus­Bezugnahme bei Titus und Domitian, obgleich vorhanden, ungleich indirekter aus: Sie war der Rezeption des vespasianischen Prinzipats geschuldet, auf das sich Titus und in der Frühphase seiner Herrschaft auch Domitian beriefen bzw. dem sie gerade in den Aspekten von victoria, pax und securitas gerecht werden mussten. Möglicherweise waren die Augustus­Rekurse des Domitian in der späteren, deutlich prekäreren Phase seiner Herrschaft, in der er versuchte, dem Vergleich mit dem erfolgreichen Vater und Bruder zu entgehen und sich als überlegen zu präsentieren,268 etwas intensiver und direkter: Hier ist in erster Linie an die Restituierung des Marsfelds und des Capitols zu erinnern269. Freilich handelte es sich dabei aber auch um gebräuchliches kaiserliches Handeln und durch Brände notwendig gewordene Renovierungsarbeiten.

266 Domitian ließ, vermutlich zeitgleich mit seinen Restitutionsmünzen, Kommemorationsmünzen für DIVVS TITVS AVGVSTVS prägen: RIC II/1 Dom. 147; Komnick (2001) 98f mit Datie­ rung; vgl. Gross (1981) 605. 267 Dass Titus seinem Vater in politischen Akten und Performanzen gefolgt sein soll, mag im Rahmen der hier vertretenen Absetzung eines jeden Princeps von seinem Vorgänger befremdlich erscheinen. In gewisser Weise ist aber bei den Flaviern ein Sonderfall zu konstatieren: Gerade indem Titus schon zu Lebzeiten Vespasians für seinen Sieg in Iudaea einen Triumph gefeiert hatte (siehe Suet. Tit. 6,1; Ios. bell. Iud. 7,132–153) und im Folgenden aufgrund des gewiss vorgenommenen Versuchs der dynastischen Nachfolgesicherung an öffentlichen Auftritten und Handlungen seines Vaters teil­ nahm (siehe Suet. Tit. 6,1), hatte sich schon zu Beginn seiner Herrschaft ein ausdifferenziertes Profil herausgebildet, auf das Titus, nunmehr Principes, zurückgreifen konnte und wohl partiell auch musste, um den Anforderungen entsprechen zu können. Ob im Rahmen der stetigen Verhandlung von Akzeptanz im sozialen Feld im Weiteren der Wunsch nach einer Selbstprofilierung in Abset­ zung von Vespasian aufkam, lässt sich nicht ermessen, da die Herrschaft des Titus äußerst kurz blieb (79–81 n. Chr.). Es steht aber zu vermuten, dass dies nicht der Fall war, praktizierte Titus doch in seiner Selbstdarstellung eine gänzliche andere Form der Absetzung. So wird in Suet. Tit. 1,1 über­ rascht festgestellt, Titus habe sich mit seinem Herrschaftsantritt zum „amor ac deliciae generis humani“ gewandelt, „wohingegen er sich als privatus und unter dem Prinzipat seines Vaters sogar Hass zuzog und sich erst recht öffentlich Vorwürfe musste machen lassen.“ Der Hass dem Sohn des Princeps gegenüber lag sicherlich darin begründet, dass Titus im vespasianischen Prinzipat die Praetorianerpraefektur innehatte und in diesem Amt für Massenverhaftungen und Morde, oder in anderen Worten: für die Etablierung der Herrschaft Vespasians, verantwortlich gezeichnet hatte (siehe Suet. Tit. 6). Seine diesbezügliche Bewertung als „incivilius et violentius“ ist der Erfüllung dieser Aufgabe geschuldet. Mit dem Erwerb des Prinzipats war eine Wandlung zu den für die Ak­ zeptanz maßgeblichen, im Verständnis des Prinzipats verankerten, entgegengesetzten Tugenden civilitas und clementia erforderlich. Und dem neuen Princeps Titus gelang es, dieser Einforderung (vielleicht gerade im Kontrast zu seinen bisherigen Akten und den aus diesen erwachsenen Befürch­ tungen der Rezipienten) besonders adäquat zu entsprechen. Folglich bezog sich die Absetzung des Titus primär auf ihn selbst und seine bisherige Imago. 268 Suet. Dom. 2,3; 13,1. 269 Siehe Darwall­Smith (1996) 41–47; 96f; 105–110; 137. Zur Verkündigung CAPITOLIVM RESTITVIT siehe RIC II/1 Dom. 841–842.

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Nerva Nerva nahm nach dem Sturz Domitians die Prägung von Restitutionsmünzen nicht nur wieder auf, sondern bestimmte sie in grundlegender Weise neu.270 So wurden unter seiner Herrschaft ausschließlich Münzen für den DIVVS AVGVSTVS bzw. den DIVVS AVGVSTVS PATER restituiert.271 Auch bezüglich dieser Prägungen haben Harold Mattingly und Walter H. Gross nachgewiesen, dass Nerva das Münz­ porträt des vergöttlichten Augustus physiognomisch an sein Profil anpassen ließ: Die Alterslosigkeit des Augustus wurde durch die leicht hageren Züge und die spitze Nase des Nerva ersetzt.272 Daneben ließ der Princeps erstmals seit dem Jahr 73 wieder libertas­Münzen in klassischer Darstellung schlagen, die durchweg die Legende LIBERTAS PVBLICA (SC) erhielten.273 Darüber hinaus fand eine weitere Prägung ihre Renaissance: ROMA RENASCENS, die erneut mit Victoria und Speer abgebildet wurde.274 Die Prägungen der VICTORIA­AVGVST(­i/­a)­Reverse275 dauerten gleichfalls in konventioneller, nicht in der Nachfolge Domitians stehender, Darstellung an. Nach einer Unterbrechung durch Domitian wurden außerdem wieder PAx­AVG(ust­i/­a)­ Reverse geschlagen.276 Um seine persönliche Leistung als Friedensstifter in auguste­ ischer Nachfolge zu betonen, ließ Nerva zudem einen Denar mit der Reverslegende PAx AVGVSTI prägen, auf der er selbst beim Handschlag mit einem Soldaten dargestellt ist.277 Die Intention des Bilds ist klar: Der neue Princeps suchte sein gutes Einvernehmen mit dem Heer zu betonen und zu forcieren, um gegenüber dieser Statusgruppe Profil als Imperator zu gewinnen. Im gleichen Zug wollte er damit seine vollkommene Kontrolle über die Erhaltung des Friedenszustands im Reich durch seine Sieghaftigkeit, aber auch über die Armee selbst, unterstreichen. Eine vergleichbare Intention verfolgten sicher auch die zahlreichen CONCORDIA­ ExERCITVVM­Prägungen, deren Reverse zu dieser Umschrift einen Handschlag, 270 Siehe Komnick (2001) 100–109; 172–175; siehe auch Mattingly (1920) 181; 204–207. Zu einer Zu­ sammenfassung der Münzprägung des Nerva (mit anderem Ergebnis) vgl. Shotter (1983) 217f. 271 RIC II Nerva 126; 128–137; siehe die Zusammenfassung der nervanischen Restitutionsprägun­ gen bei Komnick (2001) 100; siehe auch Seelentag (2004) 410, Anm. 1. Die beiden früher Nerva zugewiesenen Restitutionsmünzen des Tiberius und für Agrippina haben sich als moderne Fäl­ schungen entpuppt: siehe dazu Komnick (2001) 103f; vgl. Mattingly (1920) 185; Gross (1981) 605–608. 272 Gross (1981) 606; 608; siehe auch Komnick (2001) 25; Taf. 20–23; Shotter (1983) 221. 273 RIC II Nerva 7a–b; 19a–b; 31a–b; 36; 64a–b; 65; 76a–b; 86a–b; 87; 100a–b; 101; vgl. Shotter (1983) 221. 274 RIC II Nerva 67; 91; siehe auch Shotter (1983) 221. 275 RIC II Nerva 10; 21a–b; 22a–b; vgl. Shotter (1983) 224. 276 RIC II Nerva 66; 88; 102; vgl. Shotter (1983) 224. 277 RIC II Nerva 32. Shotter (1983) 225 präferiert die Deutung der dem Princeps gegenüberstehen­ den Figur als Mars, womit zwar weniger das gute Verhältnis zum Heer, aber umso mehr die Relevanz von Sieghaftigkeit im Kontext der Friedensstiftung betont würde. Shotters Vermu­ tung, die Münze rekurriere auf die Adoption Traians, die nun faktisch Nervas Verhältnis zum Heer verbessert habe, ignoriert die ungleich direkteren Optionen, um auf eine Adoption zu verweisen (dabei ist sekundär, dass die Adoption im nervanischen Münzprogramm keine Be­ rücksichtigung fand). Vgl Muñoz/Diéz Jorge (1999) 239.

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zum Teil ergänzt durch Legionsstandarten, abbilden; der Avers zeigt den Princeps Nerva somit als concordia verbürgende Instanz.278 Dass bei der thematisierung des kaiserlichen Verhältnissen zu den Truppen, insbesondere zur stadtrömischen Status­ gruppe der Praetorianer, auch eine Bezugnahme auf Augustus vorgenommen wurde, geht aus einem der frühesten Sesterzen des Prinzipats Nervas hervor, obgleich die Vorbilder zunächst einmal Münzreverse des Caligula und des Nero waren, die die Principes bei der adlocutio an die Pratorianerkohorten präsentierten (ADLOCUT COH).279 Galba hatte Grundzüge des Bilds aufgegriffen, sich aber, seiner Rolle als Usurpator gemäß, bei der Ansprache an seine Bürgerkriegstruppen präsentiert. Das wird nicht nur durch das Fehlen des auf den neronischen Münzen im Bild sichtbaren Tempels im Hintergrund deutlich, sondern primär dadurch, dass Galba im Gegensatz zu Caligula und Nero nicht als Togatus, sondern als uniformierter Feldherr dargestellt ist.280 Nerva kehrte nun zur Form der neronischen adlocutio­Münzen zurück, um seine Präsentation gegenüber den Praetorianern und damit seine Akzeptanz durch diese Gruppe (sowie möglicherweise sogar seine Akklamation) zum Ausdruck zu bringen. Allerdings änderte er die Umschrift: Aus ADLOCVT COH wurde ADLOCVT AVG.281 Damit wird nicht mehr in erster Linie die Ansprache an die Truppen betont, sondern die Ansprache durch den Herrscher, der auf diese Weise als allein gültige, absolute Instanz präsentiert wird. Zudem benennt sich Nerva explizit als Augustus, womit die adlocutio­Prägung mit seinen Pax­ und Victoria­Prägungen, besonders mit der abweichenden PAx­AVGVSTI­Münze sowie mit seiner Gleichsetzung mit Augustus durch die Restitutionsmünzen korrespondiert. Dieser Befund dürfte auch gut zu den sonstigen Handlungen des neuen Princeps passen: Nach dem final als tyrannisches Regime gebrandmarkten Prinzipat des Do­ mitian, war Nerva bemüht, aber auch gefordert, sich selbst als fähigen bonus princeps zu präsentieren. So suchte nun auch er, wie die Vorgänger im Vierkaiserjahr, auf Augustus und die mit ihm verbundene Konzeption von Frieden durch Sieghaftigkeit, die Rom zu einem Neuanfang und dem Wiedererstehen der Freiheit führen sollte, zu rekurrieren. Die Proklamation der Freiheit sollte sicherlich als eine explizite Abwendung von Domitian und seiner Herrschaft verstanden werden,282 doch wurde diese Aussage grundsätzlicher als Produkt der augusteischen Friedensorganisation dargestellt. Dass es sich beim nervanischen Prinzipat um die Herrschaft eines neuen Augustus handeln sollte, wurde noch dadurch unterstrichen, dass das ausschließliche Aversporträt des Divus Augustus auf den Restitutionsmünzen Nervas an diesen an­ 278 RIC II Nerva 2a–b; 3a–b; 14a–b; 15a–b; 53–55; 69–70; 79; 80a–b; 81; 95–97; siehe auch Shotter (1983) 223. Die Prägung könnte ihr Vorbild in den zahlreichen CONSENSVS­ExERCITVVM­ und FIDES­ExERCITVVM­Münzen des Vitellius haben, der sich mit ähnliche Faktoren ge­ schuldeten Problemen bezüglich der Akzeptanz durch das Heer konfrontiert sah. Zudem prägte Vespasian in der ersten Phase seiner Herrschaft einige wenige CONSENSUS­ExERCITVVM/ ExERCITVS­Münzen. Vgl. Muñoz/Diéz Jorge (1999) 239. 279 RIC I2 Cal. 32; 40; 48; RIC I2 Nero z. B. 95–97; 130–136. 280 RIC I2 Galba 462–468. 281 RIC II Nerva 50; siehe auch Shotter (1983) 223. 282 Siehe dazu allgemein auch Seelentag (2004) 469, der allerdings verblüffenderweise behauptet: „So häufig die Freiheit auch auf Münzen der Republik abgebildet worden war, so selten wurden ihre Bilder im frühen Prinzipat emittiert.“ Hier konnte etwas anderes gezeigt werden.

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geglichen wurde. Damit erklärte der neue Princeps den vergöttlichten Begründer des Prinzipats zum einzig wahren Referenzpunkt seiner Herrschaft. Der Zugriff auf dieses Konzept und die damit verbundene Proklamierung der libertas kehrte folglich in einem Moment wieder, in dem erneut ein Princeps nach dem Ende einer Dynastie die Herrschaft antrat. Da Nerva zudem militärisches Po­ tential weitgehend fehlte, war sein Prinzipat fortwährend usurpations­ und putschgefährdet, wie sich schnell offenbaren sollte.283 Gerade aus diesem Grund suchte er in seiner Münzprägung militärische Fähigkeiten und vor allem höchste Verbundenheit mit den Truppen derart extensiv zu evozieren. Hinzu trat die Garan­ tie eines Siegfriedens und entsprechend einer Neubegründung Roms durch eigene Leistung, die Nerva aus einem Konzept schöpfte (dieses aber auch modifizierte), das keine 30 Jahre zuvor in einer Bürgerkriegssituation entworfen und programmatisch formuliert worden war. So reklamierte auch Nerva in seinem Münzprogramm für sich, Freiheit durch seine auf vorgeblich augusteischem Modell fußende Leistung in Krieg und Frieden geschaffen zu haben. Da Nerva diese Intention offiziell formu­ lierte, um Akzeptanz zu erreichen und sich folglich an der Herrschaft zu halten, ist ausgeschlossen, dass er mit seinen LIBERTAS­PVBLICA­Münzen vornehmlich dem Senat eine Rückkehr zu republikanischen Formen und sogar eine Rückgabe der res publica zu ermöglichen suchte, wie David Shotter argumentiert.284 So strebte Nerva durch die weiteren Verweise auf den populus, vor allem aber auf den Senat, in seinen Prägungen,285 lediglich an, seine civilitas zu proklamieren und den Senat unter dieser zu vereinen oder zumindest diese Einheit, die während seiner bedrohten Herrschaft kaum gegeben war, zu behaupten. Dabei handelte es sich gewiss nicht um das Versprechen einer libertas senatus im republikanischen Sinne oder der restitutio der res publica, sondern allein um eine Rückkehr in den segensreichen Zustand von Ruhe, Frieden und Sicherheit, den Nerva eindeutig als saeculum aureum augusteischer Prägung bzw. als securitas Augusti rezipiert wissen wollte. Trotzdem bewahrte ihn wohl primär die Adoption Traians bis zu seinem bald darauf erfolgen­ den Tod vor einem Sturz; zur Proklamation einer securitas Augusti im Münzpro­ gramm oder in anderen Akten und Darstellungsformen gelangte er im Gegensatz zu Vespasian und Titus nicht mehr. Traian Im traianischen Prinzipat wurde die Prägung sowohl der Restitutions­ als auch der Pax­Münzen in eine neue Qualität überführt. Das gleiche trifft auch auf den Umgang mit dem Verb restituere in der allgemeinen Münzprägung zu: Traian als vorerst letzter Restitutionsmünzen schaffender Princeps ließ zwar auch Münzen des bzw. für Augustus neu prägen, daneben aber auch wieder Münzen von dessen Nachfolgern; zudem erweiterte er das Spektrum in die republikanische 283 Siehe Cass. Dio 68,3,3–4 zum Putschversuch des Praetorianerpraefekten Casperius Aelianus und der daraufhin vorgenommenen Adoption Traians. 284 Vgl. Shotter (1983) 215; 221; 226. 285 Vgl. Shotter (1983) 221.

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Zeit hinein. Darüber hinaus sind weitere Differenzen zu den bisherigen Restitu­ tionsprägungen zu konstatieren: Nachdem Titus, Domitian und Nerva vornehm­ lich Aesmünzen geprägt hatten, prägte Traian seine republikanischen ‚Wiederherstellungen‘ als Denare, die kaiserzeitlichen, d. h. vorwiegend jene der Principes, als Aurei. Außerdem verzichtete er zwar auf die Darstellung der An­ gehörigen der gens Iulia, die keine Principes gewesen waren, erweiterte aber andererseits das bisherige Spektrum der restituierten Kaisermünzen um Vespasian und Titus sowie um seinen direkten Vorgänger und Adoptivvater Nerva. Schließ­ lich erhielten alle berücksichtigten, nach ihrem Tod divinisierten Principes sowohl Herrscherprägungen mit üblicher Titulatur als auch Divus­Prägungen.286 Dass es sich bei diesen kaiserzeitlichen Aurei um eine traianische Aneignung handelte, wird in ihrer Reversgestaltung deutlich: In wesentlich höherem Maße als bei den republikanischen Denaren sind die Rückseiten neu zugeordnet oder gar gänzlich erfunden.287 Darüber hinaus können bei den traianischen Restitutionsprägungen der divini­ sierten Principes drei Auffälligkeiten konstatiert werden, aus denen interessante Schlüsse zu ziehen sind: 1. Die Serie der Aurei beginnt nicht mehr mit dem DIVVS AVGVSTVS, sondern dem DIVVS IVLIVS.288 2. Wohl analog dazu verliert der DIVVS AVGVSTVS den Beinamen PATER, den er bei den beiden Flaviern konsequent, unter Nerva teilweise geführt hatte. 3. Die weiteren kaiserlichen Divi tragen, im Gegensatz zu den Prägungen des Titus und des Domitian für den DIVVS VESPASIANVS, respektive des Domitian auch für den DIVVS TITVS nicht mehr AVGVSTVS/AVG als weiteren Namensbestandteil;289 gleiches gilt für den DIVVS CLAVDIVS, obgleich dieser unter Nero als DIVVS CLAVDIVS AVGVSTVS bezeichnet worden war. Es ist somit eindeutig, dass Augustus in den Restitutionsprägungen des Traian seine exponierte Sonderstellung verlor, die er bei Nerva unangezweifelt und bei den jüngeren Flaviern zumindest eingeschränkt innehatte. Warum aber wählte Traian den für Restitutionsprägungen ganz neuartigen repub­ likanischen Ansatzpunkt? Dazu ist zunächst einmal ein knapper Überblick über den Befund und sein Bildprogramm zu geben: Geschlagen wurden Münzen des Zeitraums von 225 bis 40 v. Chr., wobei einige auf noch wesentlich frühere Zeiten der römischen Geschichte rekurrieren, dabei allerdings auch historische Personen verwechseln oder durch modifizierte Bezüge anachronistische Interpretationen vornehmen. Hinzu kom­ men außerdem zwei Denare, die Prägungen des uns bereits bekannten Münzmeisters 286 Zudem wurden Restitutionsmünzen von Tiberius und Galba geprägt, die nicht divinisiert worden waren. 287 Zu den Restitutionsmünzen des Traian siehe Komnick (2001) 110f; 175–178 sowie Woytek (2010) 167–169; 509–532 (mit geringfügigen Aktualisierungen und Korrekturen); siehe auch Mattingly (1926) 232–278; BMCRE III, lxxxvi–xciii (Mattingly); Seelentag (2004) 410–412. Siehe zudem die Beschreibung von Restitutionsmünzen­Neufunden: Seelentag (2007) 161–183; Seelentag (2009) 265–273; Woytek (2010) Nr. 817; 847A; 869. 288 RIC II Trai. 815–816; Komnick (2001) Trai. Typ. 54.0; V. 54.0 (mit Taf. 26). 289 Die einzige Restitutionsmünze die den Beinamen führt, konnte Komnick (2001) Trai. F. III (mit Taf. 27) als moderne Fälschung identifizieren.

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Cossus Lentulus wiedergeben und Augustus auf dem Avers zeigen, primär aber auf dem Revers Agrippas Leistungen würdigen.290 Augustus begegnet in den restituierten republikanischen Prägungen auch als CAESAR III VIR RP C, wobei auf dem Revers auf seinen ‚Vater‘ CAESAR DIC PER verwiesen wird.291 Daneben werden Münzen Caesars selbst sowie des Sextus Pompeius sowohl in die Silber­ als auch in die Gold­ münzen der traianischen Restitutionsserie einbezogen. Die drei Imperatores schaffen somit den Übergang vom einen Metall zum anderen und somit von Republik zu Mo­ narchie.292 Gunnar Seelentag hat vorgeschlagen, die Münzbilder als Rekurs auf die auch im Allgemeinen traianischen Münzprogramm sowie in der sonstigen Selbstdar­ stellung des Princeps ablesbaren kaiserlichen Leistungen und als Selbstzuschreibung von Tugenden zu lesen. Auf diese Weise habe sich der Optimus Princeps Traian in die Kontinuität der Geschichte Roms stellen und als ihr vervollkommnender und alle bislang als exemplarisch betrachteten Gestalten übertreffender Kulminationspunkt präsentiert.293 Mattingly teilt die Aspekte der Prägungen in vier Kategorien ein: „historical and legendary interest“294 rekurriert auf die wesentlichen Gründungsakte und ­väter Roms im Münzbild (Roma und die Wölfin; Aeneas; Quirinus/Romulus; Ancus Marcius; bedeutende Schlachten und ihre Feldherren; Pompeius; Brutus; Agrippa; Caesar; Octavian),295 „general interest of type“296 erfasst die Bezugnahme auf aktuelle und traditionelle Münztypen, gängige Motive, zentrale Bauwerke Roms, Symbole der Sieghaftigkeit usw.,297 „religious interest“298 drückt sich in Verweisen auf die Götter­ welt und einigen Personifikationen aus299 und „family references“300 meint die Münz­ meister oder die durch Prägung gewürdigten Persönlichkeiten der bedeutenden gentes der römischen Geschichte.301 Das bringt Mattingly im Katalog des British Museum auf folgende Formel: 290 RIC II Trai 817–818: Komnick (2001) Trai. Typ 50.0; 51.0 (mit Taf. 25); siehe auch Gross (1981) 609. 291 RIC II Trai. 807; Komnick (2001) Trai. Typ 45.0 (mit Taf. 25); siehe auch Seelentag (2009) 268 mit Anm 20. 292 Siehe Komnick (2001) 110f; 175–177; Mattingly (1926) 275f; Seelentag (2004) 410f mit Anm 3: Die Differenz bei der Darstellung Caesars besteht darin, dass dieser auf dem Denar als Dictator Perpetuus erscheint, auf dem Aureus als Konsul und, wie die meisten vertretenen Principes, als Divus. Während die Zurechnung Caesars bzw. des Divus Iulius unter die zentralen Gestalten der Monarchie unter anderem durch die Viten Suetons gegeben ist, ist die Hinzufügung des Sextus Pompeius beispiellos; siehe auch Gross (1981) 608f. 293 Siehe Seelentag (2004) 427–484. Seelentags Interpretation ist plausibel, beruht aber auf einer lediglich exemplarischen Analyse (420; 427). Zudem ist von seiner Deutung des angeblichen Rekurses einer Restitutionsmünze auf eine traianische Erweiterung des Pomeriums (436–438) Abstand zu nehmen: Weder besitzt die Prägung explizit eine derartige Aussage, noch hat Traian in seinem Prinzipat das Pomerium erweitert. 294 Mattingly (1926) 271. 295 Siehe Mattingly (1926) 271f. 296 Mattingly (1926) 271. 297 Siehe Mattingly (1926) 272. 298 Mattingly (1926) 271. 299 Siehe Mattingly (1926) 272f. 300 Mattingly (1926) 271. 301 Siehe Mattingly (1926) 273f.

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„The legendary glories of the Republic descend through the line of great Republican generals and statesmen and after them through the ‚good‘ Emperors to the ‚optimus princeps‘ who guarantees that ‚optimus status rerum‘.“302

Zu dieser kaiserlichen Garantie des Glückszustands durch Leistungen für die res publica war der Respekt vor der Tradition und göttliche Unterstützung erforderlich. Diese Leistung für das Staatswesen erfolgte natürlich immer gleichermaßen durch militärische wie zivile Taten für urbs und Imperium. Entsprechend benennen die Restitutionsmünzen verschiedenste Leistungen und vor allem Tugenden. So wird zum einen, vermehrt in den auf die Frühzeit rekurrierende Restitutionsmünzen, auf Prägungen von römischen Amtsträgern zurückgegriffen, die entscheidende Siege errungen haben.303 Durch wiederholte Darstellung der behelmten Roma304 und der Victoria,305 aber auch Abbildung der lorbeerbekränzten Götter Hercules,306 Neptun307 und Apollo,308 des Mars mit Federbuschhelm309 sowie der Kombination von Minerva, (teils lorbeerbekränztem) Iuppiter oder Iuno mit einer von Victoria gelenkten Triumphalquadriga,310 wurde die Sieg­ und Wehrhaftigkeit Roms unterstrichen. Restitutionen späterer republikanischer Münzen betonen vornehmlich die Verknüp­ fung von Gottheiten mit Fruchtbarkeit und Wachstum für Rom: Venus wird mit Kornähren gezeigt,311 ebenso Ceres,312 zudem ist immer wieder Vesta abgebildet.313 Daneben werden Tugenden wie Pietas und Concordia sowie die Zustandsbeschrei­ bungen Libertas und Bonus Eventus zur Charakterisierung ihrer Prägeherren oder des (von ihnen erreichten) Zustands Roms dargestellt.314 Zumindest ein Teil auch dieser Münzen ist militärisch konnotiert, das bedeutet, die fortwährende Sieghaftig­ keit der jeweiligen Persönlichkeit ist für den glücklichen Zustand verantwortlich: So beschwört PAVLLVS LEPIDVS die CONCORDIA mit seinem Vorfahren Lucius 302 BMCRE III, xciii (Mattingly). Siehe auch Mattingly (1926) 232–278; Komnick (2001) 178; Seelentag (2004) 414–417 mit knappem Forschungsüberblick; vgl. ebd. auch 427–484. 303 Zur besonderen Relevanz militärischer virtus siehe Komnick (2001) 175f; vgl. Mattingly (1926) 277. 304 RIC II Trai. 766–767; 769; 771–772; Komnick (2001) Trai. Typ 1.0; 3.0; 4.0; 5.0; 6.0 (mit Taf. 23); siehe auch RIC II Trai. 765; Komnick (2011) Trai. Typ 2.0 (mit Taf. 23). 305 Victoria ist vornehmlich auf Münzreversen dargestellt: RIC II Trai. 765; 769; 775; Komnick (2001) Trai. Typ 2.0; 4.0 (mit Taf. 23); 11.0; siehe aber auch die Aversabbildung auf RIC II Trai. 783; Komnick (2001) Trai. Typ 17.0 (mit Taf. 24). 306 RIC II Trai. 773; Komnick (2001) Trai. Typ 7.0 (mit Taf. 23); siehe auch RIC II Trai. 793; Kom­ nick (2001) Trai. Typ 31.0 (mit Taf. 24): „FELIx/Männlicher Kopf mit Diadem und Löwenfell (Herkules?)“; RIC II Trai. 39; Komnick (2001) Trai. Typ 39.0 (mit Taf. 25): Hercules auf dem Revers. 307 RIC II Trai. 786; Komnick (2001) Trai. Typ (Z)22.0 (mit Taf. 24). 308 RIC II Trai. 814; Komnick (2001) Trai. Typ 44.0 (mit Taf. 25); siehe auch Apollo ohne Kranz: RIC II Trai. 770; 804; Komnick (2001) Trai. Typ 18.0 (mit Taf. 24); 41.0 (mit Taf. 25). 309 RIC II Trai. 774; Komnick (2001) Trai. Typ 9.0. 310 RIC II Trai. 777–779; Komnick (2001) Trai. Typ 8.0; 12.0; V. 12.0; 13.0; V. 13.0; 14.0 (mit Taf. 24). 311 RIC II Trai. 782; Komnick (2001) Trai. Typ 15.0 (mit Taf. 24). 312 RIC II Trai. 781; Komnick (2001) Trai. Typ 20.0 (mit Taf. 24). 313 RIC II Trai. 789–790; 796; Komnick (2001) Trai. Typ 23.0; 26.0 (mit Taf. 24); 33.0 (mit Taf. 25); siehe auch RIC II Trai. 795; Komnick (2001) Trai. Typ 34.0: Vesta­Tempel auf dem Revers. 314 Zu Pietas und BON EVENT (LIBO) siehe RIC II Trai. 784; 787; Komnick (2001) Trai. (Z)19.0; 25.0 (mit Taf. 24).

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Aemilius Paullus, der mit seine Söhnen und Perseus an einem tropaion abgebildet ist;315 ein M CATO präsentiert auf dem Avers ein Porträt der Libertas, die allerdings nicht weiter spezifiziert ist, während auf der Rückseite die sitzende Victoria mit patera und Palmzweig sowie der Legende VICTRIx Darstellung findet.316 In den restituierten Prägungen der späten Republik eines Caesar, Q. Metellus Scipio, Pompeius, Octavian und Agrippa nehmen Verweise auf Siege oder Sieghaftigkeit wieder zu, vermehrt erscheinen aber auch Verweise auf Gründerfiguren Roms, wel­ che die exponierten Rollen, Fähigkeiten und Leistungen der Feldherren unterstreichen sollten.317 Auch in den als Aureus restituierten Münzen spielen Siege und militärische Symbolik bei einigen Herrschern ausdrücklich die zentrale Rolle: Eine Münze mit Caesar auf dem Avers zeigt auf dem Revers Venus, die genealogische Göttin der Iulier, die stehend Helm und Speer in Händen hält, während das Schild bereits zu ihren Füßen lagert;318 auf der Augustus­Prägung wird durch ein Krokodil auf dem Revers auf den Sieg über ägypten hingewiesen,319 während die Münze für den Divus Augustus mit Legionsadler und Standarten allgemeine militärische Symbole wiedergibt;320 die Flavier schließlich werden mit den aus den IUDAEA­CAPTA­ Prägungen bekannten knienden, unterlegenen Kriegsgegnern sowie mit dem Symbol des tropaion (Titus)321 abgebildet. Die übrigen Darstellungen weisen den Principes und Divi in der Regel große Tugenden zu oder zeigen auf ihren Reversen die Göttin Vesta:322 Beispielsweise wird auf der Restitutionsprägung Galbas die aus seinem

315 RIC II Trai. 788; Komnick (2001) Trai. Typ 24.0 (mit Taf. 24). 316 RIC II Trai. 775; Komnick (2001) Trai. Typ 11.0. 317 So geben RIC II Trai. 801 und Komnick (2001) Trai. Typ 38.0 (mit Taf. 25) auf dem Avers den Kopf der Venus wieder; der Revers trägt (neben der Restitutionsbekundung des Traian) die Legende CAESAR und bildet dazu die iulischen Stammherren Aeneas und Anchises ab. Die neu geschlagene Münze des Q METELL SCIPIO verweist durch eine Africa­Prägung (mit Elephantenmütze) auf dem Avers und Hercules Victor auf dem Revers auf den berühmten Vorfahren Scipio Africanus und damit auf das militärische Potential seiner Familie; neben Af­ rica bildet der Avers auch noch Kornähre und Pflug ab, womit sowohl auf zivile Leistungen des Metellus verwiesen, als ihm auch eine Gründer­Imago verliehen wird: RIC II Trai. 802; Kom­ nick (2001) Trai. Typ. 39.0 (mit Taf. 25). Octavian stellt sich auf dem Münzavers dar, leitet aber seine Macht (und ggf. auch seinen militärischen Erfolg) von CAES DIC PER auf dem Revers ab: RIC II Trai. 807; Komnick (2001) Trai. Typ 45.0 (mit Taf. 25). MAG PIVS IMP ITER lässt auf den Avers sein Porträt prägen, auf dem Revers betont er durch Anapias und Amphinomus, die ihre Eltern tragen, sowohl seine pietas, als auch durch die Präsenz des Neptun mit dem Fuß auf einem Schiffsbug und die Legende PRAEF CLAS ET ORAE MARIT Ex SC seine militä­ rischen Erfolge als Flottenpraefekt. Agrippa schließlich wird allgemein mit einer Reiterstatue oder speziell mit Schiffsschnäbeln und Mauerkrone für den Sieg bei Actium gewürdigt (jeweils Revers) und stellt seine Leistungen in den Dienst des AVGVSTVS bzw. AVGVSTVS COS xI (Avers); die Mauerkrone verleiht Augustus und Agrippa eine Gründer­Imago: RIC II Trai. 817–818; Komnick (2001) Trai. Typ 50.0; 51.0 (mit Taf. 25). 318 RIC II Trai. 806; Komnick (2001) Trai. Typ 53.0 (mit Taf. 26). 319 RIC II Trai. 819; Komnick (2001) Trai. Typ 56.0 (mit Taf. 26). 320 RIC II Trai. 820; Komnick (2001) Trai. Typ 57.0 (mit Taf. 26). 321 Vespasian: RIC II Trai. 826–827; Komnick (2001) Trai. Typ 64.0.; 64.1; 65.0; 65.1; H. a (mit Taf. 26); Titus: RIC II Trai. 831–832; Komnick (2001) Trai. Typ. 68.0; 69.0 (mit Taf. 27) 322 RIC II Trai. 822–823; 823A; 825; Komnick (2001) Trai. Typ 59.0; 60.0; 61.0; 62.0 (mit Taf. 26);

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Münzprogramm wohlbekannte Libertas restituta wiederholt – wenn auch ohne sie explizit bezeichnende Legende.323 Seelentag betrachtet die Repräsentation der libertas als grundlegendes Charak­ teristikum der traianischen Restitutionsprägung.324 Jedoch kommt neben der Galba­ Prägung ein libertas­Verweis nur noch auf drei weiteren Restitutionsmünzen vor, die allesamt auf die ‚republikanische‘ Denarprägung entfallen: Während zwei Mün­ zen die libertas ausdrücklich erwähnen,325 handelt es sich beim dritten Exemplar um die bereits besprochene Prägungen eines M CATO mit der unbezeichneten Per­ sonifikation in Verbindung mit Victoria. Seelentag betrachtet libertas­Bezugnahmen weiterhin als Verweise auf Tyrannenmord,326 was jedoch, wie gezeigt, für die kaiser­ zeitliche libertas nicht mehr gilt: Sie hatte sich in eine Zustandsbeschreibung von Sicherheit und Prosperität durch die Leistung des jeweiligen Princeps verwandelt. libertas­Münzen waren, wie dargestellt, seit dem Vierkaiserjahr insbesondere in oder direkt nach Bürgerkriegssituationen populär und gelobten die erneute Sicherung des bedrohten Imperiums durch den jeweiligen Princeps. Möglicherweise bleibt gerade aus diesem Grund die Libertas auf der Münze Galbas unbezeichnet, hätte eine Resti­ tuierung der kaiserzeitlichen Freiheit doch zu sehr eine Unordnung der Zeiten bekun­ det, die der Pragmatik der Restitutionsmünzen Traians doch stark widersprochen hätte. Im sonstigen Münzprogramm des traianischen Prinzipats fehlen fast sämtliche libertas­Bezugnahmen: Nur auf zwei Aurei­Reversen war vermutlich die, freilich unbezeichnete, Libertas abgebildet. Insgesamt markieren Traians Restitutionsprägungen einen Abstand, den der Optimus Princeps offenbar von Augustus zu nehmen gedachte. So stellte er durch die erstmalige Neuprägung von republikanischen Münzen mythologische wie historische Gründungsväter vor den in den bisherigen Restitutionsmünzen als pater bezeichneten ersten Princeps. Zwar erhält dieser auch bereits in den republikanischen Silbermünzen seinen Platz, allerdings wird hier, wie dargelegt, in erster Linie die Rolle Agrippas bzw. Caesars thematisiert. Dazu passt auch Gross’ Feststellung einer dieses Mal ganz anders gearteten Angleichung: Auf dem Avers der CAESAR III VIR RP C/CAESAR DIC PER­Münze wird der Triumvir Octavian „mit der schlichten Frisur und der unten vorgewölbten Stirn Traians“ abgebildet.327 Da Octavian sich darauf zu seiner Zeit aus dynastischen Intentionen in Bezug zu Caesar setzte, markiert der ‚traianisierte‘ Octavian der Wiederherstellung somit primär keine Annäherung Traians an Augustus, sondern an den erfolgreichen Feldherrn Caesar. Entsprechend hebt auch der Übergang in die römische Kaiserzeit aus chronologischer Perspektive nicht mit Augustus, sondern mit Caesar an, während die eigentlich vorkaiserzeitliche Aureusprägung nach Münzen des Sextus Pompeius ebenfalls auf Traian und sein

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siehe auch RIC II Trai 821; 828; 833; Komnick (2001) Trai. Typ. 58.0; 66.0 (mit Taf. 26); 70.0 (mit Taf. 27). RIC II Trai. 824; Komnick (2001) Trai. Typ 63.0; 63.1 (mit Taf. 26); vgl. Seelentag (2004) 469–475. Siehe Seelentag (2004) 468–484. RIC II Trai. 795; 797; Komnick (2001) Trai. Typ 34.0; 35.0; vgl. Seelentag (2004) 468; 471. Vgl. Seelentag (2004) 468f. Gross (1981) 609; vgl. Seelentag (2004) 68 mit Anm. 20.

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militärisches Potential bezogen werden kann.328 All dies fügt sich ideal in Traians Selbstrepräsentation als entschlossener, erfolgreicher Feldherr ein. Die traianische Münzserie war also ein Gang durch die gesamte römische Geschichte mit all ihren von bedeutenden Gestalten vollbrachten großen Leistun­ gen. Dabei ist aber eine kleine Modifikation der These Mattinglys erforderlich: Ein Ansteigen von leistungs­ und tugendbedingtem Ruhm bis zu Traian hin ist kaum zu identifizieren. So wurde beispielsweise auch eine anonyme Prägung des Bürgerkriegs von 68 n. Chr. einbezogen. Zwar wurde mit dieser restitutio einer Münze für I O M CAPITOLINVS auf dem Avers und Vesta auf dem Revers329 ein zentrales und positiv konnotiertes Bildnis für die Geschichte Roms wiederholt. Sofern aber andererseits Rezipienten Wissen um die Ursprünge der Münze besaßen, deren chronologische Einordnung durch die Prägung in Gold erleichtert wurde, konnten sie aus ihr zumindest eine Unterbrechung der fortschreitenden Entwick­ lung zum Höhepunkt der Geschichte herauslesen. So bleibt letztlich nur der Wechsel des Metalls im Prägeprozess, der eine Wand­ lung und einen Fortschritt markiert: Durch den Übergang von Silber zu Gold wird allein die Monarchie als eindeutige Fortentwicklung Roms beschrieben. Dabei wird nicht mit Augustus begonnen, sondern mit den Vorgängern im Bereich militärischer Erfolge, gewissermaßen den wirklich ersten Imperatores. Traian identifiziert also imperiale Leistungen bzw. militärischen Erfolg als zentrales Charakteristikum des Aufbruchs in neue Zeiten, durch den die römische Geschichte zu neuen unbekann­ ten Höhen geführt werde. Die zivile Tugendhaftigkeit und die aus ihr entspringen­ den Leistungen werden schlicht ergänzt. Damit ergibt sich der weitere Fortschritt für Rom in diesem Medium erst durch den uneinholbaren Princeps selbst: Es ist logische Konsequenz, dass dieser nicht in der Prägung erscheint, sondern außerhalb dieser steht, sie gewissermaßen überschaut, ordnet, bewertet und schließlich über­ trifft. Die Uneinholbarkeit Traians wurde folglich für die Vergangenheit, Gegenwart und gemäß des chronologischen, aber eben nicht kulminierenden Aufbaus für die Zukunft festgeschrieben. Diese Aussage fand auch in anderen traianischen Evidenzen Niederschlag. So wurden in der Attikazone des Forum Traianum imagines clipeatae der bisherigen boni principes und der Augustae bis hin zu Traians Mutter Marcia angebracht, die im Grunde die Galerie der summi viri des benachbarten Forum Augustum fortsetzten. Erneut scheint die traianische Galerie außerdem mit Caesar begonnen zu haben;330 328 Komnick (2001) Trai. Typ 55.0 (mit Taf. 26). Zudem bildet die Münze auf dem Revers auch Sextus’ Vater Cn. Pompeius Magnus und seinen Bruder ab und vermag auf diese Weise pietas zu vermitteln: Av.: MAG PIVS IMP ITER (Porträt des Sextus Pompeius); Rv.: IMP CAESAR TRAIAN AVG GER DAC PP REST / PRAEF CLAS ET ORAE MARIT Ex SC (einander gegenüberstehende Köpfe des älteren und des jüngeren Cn. Pompeius Magnus mit lituus und Dreifuß). Siehe dazu auch Seelentag (2009) 265–273, der die in der Prägung zum Ausdruck kommende pietas in Analogie zu Traians Münzprägungen mit DIVI NER­ VAE ET TRAIANVS PAT(res) auf dem Revers sieht (z. B. RIC II Trai. 726), somit eine translatio der pietas als Möglichkeit die Vorgänger zu übertreffen deutet; siehe auch Seelen­ tag (2004) 248–254. 329 RIC II Trai. 825; Komnick (2001) Trai. Typ 62.0 (mit Taf. 26). 330 Siehe Packer (2001) 60–69 mit fig. 52–66; 182f; 380ff. Zur Interpretation siehe Kuhoff (1993)

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damit war auch Augustus erneut nur einer von zahlreichen Principes. Am prominen­ testen ist diese Intention aber im Panegyricus des jüngeren Plinius, in dem Traian nicht allein als Gegenbild zu Domitian, sondern auch als allen anderen Herrschern, Amtsträgern und Feldherren überlegen dargestellt wurde331 – und wiederum war Augustus nur einer unter ihnen. Somit kommt im Panegyricus die gleiche Bewertung Traians zum Ausdruck wie in seinem ihm von Senat und Volk von Rom verliehenen Beinamen OPTIMVS PRINCEPS, der sich, inklusive des SPQR, ab dem Jahr 103 auf traianischen Denaren und Aurei fand. Um den Titel wirklich als Dedikation erscheinen zu lassen, brachten die Münzen, wie bereits vermerkt, die traianische Kaisertitulatur von nun an im Dativ.332 Das gilt auch für einen Denar, der in eben diesem Jahr zum ersten Mal geprägt wurde: Sein Revers setzt die Titulatur fort und endet mit SPQR OPTIMO PRINCIPI PAx.333 In den traianischen Pax­Prägungen wird also nicht weiter auf Augustus rekurriert: Es entfallen nicht allein, ähnlich wie in den ‚restituierten‘ Divus­Prägungen, die diesen römischen Frieden bezeichnenden Attribute AVG, AVGVST und AVGVSTI (oder AVGVSTA); vielmehr wurde diese Pax durch die Fortführung der Titulatur auf dem Revers ungleich direkter als bei den Vorgängern mit dem herrschenden Princeps, und nur mit diesem, verbunden und somit als unmittelbares Resultat seiner eigenen Leistungen präsentiert.334 Dabei fällt nicht weiter ins Gewicht, dass die Prägehoheit offiziell an den SPQR übergeben wurde, da kein Zweifel daran bestehen kann, dass Traian, wie all seine Vorgänger, für die Garantie des Münzwerts sowie für die Auswahl und Entscheidung der geprägten Motive in seinem Prinzipat ver­ antwortlich zeichnete.335 ähnlich wie Otho schöpfte somit auch der optimus princeps den Frieden aus sich selbst und seiner militärischen Überlegenheit. Auch wurde im traianischen Prinzipat niemals eine VICTORIA­AVGVSTI­/ AVGVSTA­Münze geschlagen: Generell findet die Darstellung der Victoria vielfältige Verwendung auf Münzreversen Traians, allerdings ohne sie explizierende Legende.336 Nur in zwei Fällen wird analog zur besprochenen Pax­Prägung VIC DAC an OPTIMO PRINCIPI angeschlossen;337 DAC ersetzt somit AVG und führt wiederum zur direk­ ten Anbindung an Traian als Urheber der Sieghaftigkeit, die, das macht die analoge Ausführung der besprochenen Münzen deutlich, Quelle einer umfassenden pax des traianischen Zeitalters ist. Doch auch wenn in den meisten Fällen die Victoria nicht bezeichnet ist, lassen die nacheinander angenommenen und in das Münzprogramm

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183; siehe auch Komnick (2001) 178 mit Anm. 640–642; Seelentag (2004) 417; Seelentag (2009) 269 mit Anm. 22. Siehe Geisthardt (2015) 114–119; Seelentag (2004) 242–246; vgl. 438. Siehe Woytek (2010) 112; Strack (1931) 19; 25; 33; 40; Seelentag (2004) 240–242; Fell (1992) 73f. RIC II Trai. 102; vgl. Strack (1931) 52–56. Siehe dazu auch Fell (1992) 73–75. Siehe auch Belloni (1985) 139–141 zu weiteren Modifikationen. Vgl. Muñoz/Diéz Jorge (1999) 238–239. Fell (1992) 75. Siehe die unterschiedlichen Darstellungen in RIC II Trai. z. B. 10; 17; 22; 23a; 24–26; 41–43; 44a; 46–47; 57–68; 73; 74a–b; 75a–b; 76; 81–84; 128–133; 134a; 593–597; siehe auch die Victoria als Attribut des Traian (z. B. 550; 551a; 598), der Roma (z. B. 486b; 489b), diverser Götter (z. B. 148 var. a; 153–155) oder der Pax (17). RIC II Trai. II 527; 531.

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eingeschriebenen Siegesbeinamen DACICVS und PARTHICVS keinen Zweifel daran, dass Traian alleiniger Erzeuger der uneinholbaren Sieghaftigkeit und somit der vollkommenste aller Principes ist.338 Traians Selbstprofilierung erfolgte also, in krassem Gegensatz zu jener der meis­ ten seiner Vorgänger, ohne Bezugnahme auf Augustus. Lediglich als Bestandteil der Titulatur war der AVG­Beiname so vollkommen zum Titel geworden, dass selbst­ verständlich auch Traian ihn sich vom Senat verleihen ließ und gemäß den Erwar­ tungen über seine gesamte Herrschaftszeit hinweg führte. Doch auch über die Restitutionsmünzen hinaus erfuhr Traians Verwendung von restituere eine völlige Neubestimmung, die allerdings formal auf Vorbildern fußte. So wird der Princeps auf zahlreichen Münzreversen als restitutor Italiens bezeich­ net: REST ITAL oder ITALIA REST. Das Reversbild zeigt ihn als Togatus, der einer vor ihm knienden Italia­Personifikation die Hand zur Erhebung reicht. Diese bietet Traian teils einen Globus dar und trägt vermutlich ein Getreidebündel auf dem Rücken. Zwischen dem Princeps und der Personifikation befinden sich außer­ dem zwei Kinder.339 Dieses Bild verweist auf die besondere cura, die Traian Italia zukommen ließ: seine Alimentarstiftung, die auf einer Neuorganisation der Getrei­ deverteilung und einem Programm zur Versorgung italischer Waisen beruhte.340 Dieser Kontext wird durch die ALIM­ITAL­Reversprägungen erhellt, die entspre­ chende Bilder tragen: Traian erhebt zwei kniende Kinder;341 eine Frau und zwei Kinder erscheinen vor dem auf einem kurulischen Stuhl sitzenden und ein Szepter haltenden, folglich Amtsgeschäfte ausübenden, Traian;342 zu Füßen der Abundantia, der Personifikation des Reichtums und Überflusses, die durch die Attribute der Kornähren und des Füllhorns identifizierbar ist, lagert ein Kind.343 Dieses absolute Novum der expliziten Postulierung der Herrschaft und der mit ihr verbundenen cura bzw. liberalitas über den stadtrömischen Raum hinaus im Münzprogramm evozierte eine direkte Verbindung zwischen dem optimus princeps und seiner zivi­ len Leistung der alimentatio, die eine Wiederaufrichtung (restitutio) Not leidender Bürger gerade außerhalb Roms bedeutete. Dass es sich dabei um individuelle, nur aus seiner Herrschaft und der zu ihr gehörenden Tugendhaftigkeit entspringende Leistungen handeln sollte, die Ordnung in die Welt trage bzw. erhalte, wird insbe­ sondere aus der Übergabe des Globus durch Italia deutlich. Dass Traian darüber die urbs nicht vergaß, verbürgt das analoge Bild auf einem als ROMA REST be­ zeichneten Denarrevers: Traian erhebt nun die kniende Roma, zwischen den beiden Figuren befinden sich erneut Kinder.344 338 Auch OPTIMVS wird schließlich zum Ehrenbeinamen, der SPQR OPTIMO PRINCIPI ersetzt und auf sämtlichen Münzen in Erscheinung tritt. Zur Datierung der Titel im Münzprogramm siehe Strack (1931) 19; 24f; 38f. 339 RIC II Trai. 105–106; 470; 472; siehe auch 473 (REST ITALIA ohne SPQR OPTIMO PRINCIPI SC). 340 Einen Überblick über die traianische alimentatio bietet Strobel (2010) 323–329; siehe auch Geisthardt (2015) 146–157; vgl. Seelentag (2008) 208–241. 341 RIC II Trai. 93; 230. 342 RIC II Trai. 461a–b; 462. 343 RIC II Trai. 243; 459a–b; 604a–b; 605–606. 344 RIC II Trai. 474.

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Zusammenfassend sind starke Modifikationen und Abweichungen des restitutio­Konzepts in der Münzprägung Traians auf zwei Feldern zu konstatieren: 1. Während Traian vielfach und wohl mehrheitlich militärische Motive in seinen Münzprägungen und seiner Monumentalkunst prominent machte und damit seine Sieghaftigkeit betonte, garantierte er Rom und Italia Sicherheit und Ordnung durch zivile Leistungen: Er sorgte für Glanz und Blüte des Reichs durch außenpolitische Erfolge sowie materielle und ideelle Sicherheit im Inneren. Die Garantie der restitutio vor allem Roms machte die Garantie der Wiedergeburt (RENASCES/RENASCENS) oder Wiederauferstehung (RESVRGES/RESVRGENS), die Vorgänger in ihrem Münzprogramm verheißen hatten, obsolet. Traian betonte somit, Rom sei unter seiner Herrschaft nicht in Gefahr oder Unruhe und müsse daher nicht aufs Neue die Freiheit erhalten, um ein Leben in Frieden und Sicherheit zu ermöglichen. Weniger denn je müssten diese Segnungen verteidigt werden, sie ergäben sich ganz selbstverständlich aus Traians Fürsorge im Inneren und seinen militärischen Taten im äußeren. Auf den Kriegsruhm, den Traian Rom spendete, deutet vielleicht auch die Wahl der helmtragenden Roma in Rüstung auf republikanischen Restitutionsmünzen hin. Zu­ dem dürfen wir vermutlich „aus der Parallelität mit der Victoria der kaiserlichen Münze erschließen, daß man vorwiegend Roma Victrix unter diesem Bilde der Mün­ zen Traians verstand und sie gleich Victoria auf Erfolge an der Front, auf erhöhtes Ansehen bei den Fremdvölkern gedeutet wissen wollte.“345 Somit war durch das Bild der bewaffneten Roma wohl auch die reguläre Reichsprägung von einer entspre­ chenden Bipolarität geprägt. 2. Trotz der Übernahme des Restitutionsgestus, den, aus republikanischen Wurzeln entspringend, Cossus Lentulus zum Ruhm des Augustus aufgegriffen hatte, und der im Bürgerkrieg 68/69 zur Garantie einer restitutio der libertas zum Einsatz kam, verzichtete Traian auf diese Form des Restitutionsbezugs. Der optimus princeps stilisierte sich in Ausschließlichkeit als Herr und Spender der pax, die auf seinen zivilen und militärischen Leistungen basierte, und die nicht mehr mit der augusteischen pax in Zusammenhang gebracht werden sollte. Die Sieghaftigkeit war stets ein Grundcharakteristikum des auf Augustus rekurrierenden römischen Friedens gewesen, doch Traian löschte die Bezüge auf den ersten Princeps. Die libertas fehlt im traianischen Münzprogramm weitgehend, die securitas, deren Personifikation ohne Legende schwer zu identifizieren ist, tritt even­ tuell unbezeichnet, und daher ohne das Prädikat AVGVSTA/AVGVSTI, in zwei Fällen hervor. Sofern ihre Identifikation korrekt ist, kommt den beiden differenten Ausführun­ gen besondere Relevanz zu: In einem um das Jahr 107 geschlagenen Typus sitzt „die Göttin […] nach links, faßt mit der Linken das Gewand über der Schulter und hält in der Rechten ein langes Scepter, mit dem sie den ihr zu Füßen liegenden orbis berührt.“346 Im anderen, zwischen 99 und 102 geprägten Typus, den Paul L. Strack als „Securitas­ Annona“ bezeichnet, sitzt die „Göttin […] nach links in einem aus Füllhörnern gebilde­ ten Sessel; sie lehnt den linken Ellbogen auf die mit Früchten gefüllte Öffnung des vorderen Füllhorns, legt die linke Hand gegen den Leib und hält in der rechten – meist senkrecht – ein kurzes stabartiges Szepter, dessen untere Spitze in die Früchte des hinteren 345 Strack (1931) 69. 346 Strack (1931) 170f (Zitat: 170); Nr. 402 (mit Taf. VII). RIC II Trai. 517–518 beschreibt das Bild unpräzise.

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Füllhorns einsetzt.“347 Somit wäre auch im Kontext der traianischen securitas die Bipo­ larität militärischer und ziviler Tugenden für die Segnungen des Zeitalters deutlich betont. In dieser Ergänzung des zivilen Bereichs der liberalitas, das heißt im Novum ihrer programmatischen Verkündung auch im Münzprogramm, äußert sich letztlich eine wei­ tere Differenz zur pax Augusta­Konzeption der Vorgänger: Die Verbindung von Sieg­ haftigkeit und cura ist verantwortlich für einen noch nie dagewesenen Zustand, der jenem des augusteischen Zeitalters überlegen ist und den nur der beste Princeps vollbringen konnte, der zwar weiterhin um Akzeptanz bemüht ist, Augustus aber nicht als exemplum für die Ausgestaltung seiner Herrschaft betrachtet. Die großen Zeiten Roms liegen nicht mehr (als Anknüpfungspunkt) in der Vergangenheit, sondern (aus eigenem Recht) in der Gegenwart. Um diese in Qualität und Dimension bislang nicht dagewesene Aussage der traianischen Überlegenheit zu formulieren, wurden eigentlich bekannte Aspekte neu geformt und positioniert. Gerade in der liberalitas, die bei Traian die libertas ersetzt, äußert sich das Fortschreiten einer öffentlichen Markierung der kaiserlichen Allgewalt: Freiheit entspricht höchstens noch allgemein den Wohltaten, die der Princeps vollbringt, wofür ihm in dieser Logik auch die gesamte Münzprägung zu dedizieren ist. Bereits seit den Münzneuschöpfungen Galbas wurden Tugenden und geschaffene oder verheißene Zustände im kaiserlichen Münzprogramm prononcierter, in größerer Masse und inhalt­ lich vielfältiger als Personifikationen dargestellt als zu iulisch­claudischer Zeit. Dies wurde auch nach dem Bürgerkrieg beibehalten und erreichte bei Traian den vorüberge­ hend höchsten Grad (nur um darauf von Hadrian und Antoninus Pius erneut übertroffen zu werden), wie Andrew Wallace­Hadrill nachgewiesen hat. Zwar dominieren bei Traian die unbezeichneten Typen, doch ist durchaus interessant, wie stark die Tugenden als Summe der Eigenschaften des optimus princeps verstanden werden können und wohl auch sollten, um dessen Überlegenheit im Bereich der Leistungen über sämtliche Vor­ gänger zu betonen.348 Dass der Panegyricus des Plinius in vergleichbarer Form von einer Masse von Tugenden handelt, die Traian zugeschrieben und seinen Vorgängern abgesprochen werden,349 deutet darauf hin, wie wichtig diese Zuschreibungen für die traianische Selbstdarstellung waren. pax Augusta und libertas restituta in der hadrianischen Münzprägung Die Ausdifferenzierung der sogenannten pax Augusta in der Rezeption bereits in den Jahrzehnten nach Augustus’ Tod, vor allem aber in dem seit dem Bürgerkrieg 68/69 nahezu vergangenen halben Jahrhundert hatte Formen der Selbstrepräsentation ge­ 347 Strack (1931) 65. RIC II Trai. 1; 11; 32; 54; 382; 385–387; 398; 406; 411; 428–429; 444–445; siehe auch 415; 433: „Securitas seated l., holding sceptre and supporting her head on her r. hand; be­ fore her, altar.“ 348 Wallace­Hadrill (1981) 323; siehe auch 307–319. 349 Siehe Wallace­Hadrill (1981) 312f mit Anm. 67 mit einer Zusammenfassung der Tugendbegriffe im Panegyricus; siehe auch 316–319; wo unter Bezugnahme auf die Kaiserviten des Sueton gezeigt wird, dass sich die Tugenddiskussion als adäquates Modell zur literarischen Kaiserkri­ tik auch jenseits des kaiserlichen Willens durchsetzte (und gewiss wiederum die Selbstzu­ schreibung positiver Tugenden des jeweiligen Princeps bedingte).

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schaffen, auf die Hadrian, insbesondere im Münzprogramm, zurückgreifen konnte. Gerade das direkt vorausgehende Prinzipat Traians und dessen Selbstbeschreibung als bester aller Principes stellte Hadrian aber vor das große Problem, seinen Vorgän­ ger eigentlich nicht einholen zu können. Hadrian griff daher in der Münzprägung sowohl auf Muster der Vergangenheit als auch auf traianische Vorbilder zurück, die er allerdings vollkommen neu fasste: Zunächst einmal ist hier eine restitutio des Augustus­Bezugs selbst auszumachen, begann Hadrian doch wieder VICTORIA­AVGVSTI­/AVG­ und PAx­AVG­Reverse in gebräuchlicher Darstellung prägen zu lassen.350 Hinzu kamen, um die Umsetzung des augusteischen Friedens zu verbürgen, in späthadrianischer Zeit SECVRITAS­ AVG­Münzen, die zum ersten Mal seit der flavischen Herrschaft wieder geschlagen wurden: Wie in den flavischen Bildnissen wird die Personifikation der augusteischen Ruhe und Sicherheit mit dem Attribut des Szepters abgebildet, im Gegensatz zum Vorgängermotiv wird allerdings der Ruhezustand des Reichs dadurch zusätzlich unterstrichen, dass Securitas nun nicht mehr stehend, sondern auf einem Sessel mit hoher Lehne sitzend dargestellt ist.351 Auch taucht auf einer frühhadrianischen Münzrückseite die LIBERTAS RES­ TITVTA352 sowie auf einigen frühhadrianischen Reversen der LIB PVB353 wieder auf, die zudem auf zwei späthadrianischen Fassungen als LIBERTAS PVBLICA354 ausgeführt wurde. Dies geschah, obgleich keine Bürgerkriegssituation vorlag, die bislang Anlass zur Prägungen dieses Münztypus gegeben hatte. Zwar mussten in der Frühphase der hadrianischen Herrschaft zumindest Stabilisierungsmaßnahmen getroffen werden, doch konnte Hadrian im Gegensatz zu den Usurpatoren des Vier­ kaiserjahres und zu Nerva die Kontrolle weitgehend bewahren.355 Und auch in weite­ ren hadrianischen Prägungen begegnen immer wieder Verweise auf restitutiones, allerdings wurde, vergleichbar dem traianischen Prinzipat, doch in grundlegend anderer Programmatik, die Vokabel im Bereich ihrer Möglichkeiten neu bestimmt.

350 In der Regel hält die VICTORIA AVGVSTI­Personifikation, sitzend, stehend oder auch in Bewegung begriffen, einen Zweig und einen Siegerkranz in Händen: RIC II Hadr. 282 var. a; c–d; 283 var. a; c–e; 284 var. a–b; 285 var. a; c; 286 var. a–b; d; siehe auch die frühen Rever­ sprägungen der Victoria mit tropaion: 596b–c. Die PAx AVG wird stehend mit Zweig und Füllhorn dargestellt, sitzend mit Zweig und Szepter: RIC II Hadr. 769 var. c; f; 770 var. a; d; 821 var. a; d; siehe auch 1080 (sitzende Variante für den Caesar Antoninus); vgl. Strack (1933) 47–49. Die frühesten Prägungen des Jahres 117 zeigen auf dem Revers die gleichen Pax­Typen, wenden aber noch die traianische Legende an; im weiteren Verlauf des Jahrs folgt der Wechsel in den Nominativ und die Siegesbeinamen entfallen. Rein formal erfahren die Prägungen aber (vorläufig) keine Veränderungen: Folglich wird PAx hier ohne Spezifizierung unter das Re­ versbildnis gesetzt: siehe RIC II Hadr. 7a–c; 12; 21; 44 var. a; c. 351 RIC II Hadr. 271 var. a–b; 272 var. a; c; f?; 569; siehe auch 273 (mit cornucopia statt Szepter); siehe dazu auch Strack (1933) 61. Zudem wurden eine Prägeserie für die gleich gestaltete SECVR PVB (221 var. a; c–d) sowie zwei Prägungen mit Securitas­Darstellungen ohne Legende (606; 1087: Avers des Antoninus Caesar; mit patera und cornucopia statt Szepter) geschaffen. 352 RIC II Hadr. 568. 353 RIC II Hadr. 127 var. a–d; 128 var. a–c; 129 var. b–c; 130; 131 var. a–c; 132 var. a–c. 354 RIC II Hadr. 818–819. 355 Siehe dazu die Einleitung.

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So erhielt bereits die LIBERTAS­RESTIVTA­Münze Hadrians ein vollständig neu gefasstes Reversbild: Hadrian sitzt erhöht auf einem Tribunal und streckt seine Rechte in Richtung einer vor ihm stehenden Frau, die zwei Kindern an der Hand hält.356 Diese Darstellung wiederherzustellender Freiheit folgte in ihren Grundzügen den Charakteristika der traianischen Prägungen zur alimentatio. Sie entstand zur gleichen Zeit wie die hadrianischen Prägungen für die LIBERALITAS AVG, auf denen Hadrian ebenfalls mit ausgestreckter Rechter auf einem Tribunal sitzt und wohl einen Bediensteten anweist, Zuteilungen an einen Bürger vorzunehmen, dem auch in der Tat etwas übergeben wird; im Hintergrund hält sich die Personifikation der Liberalitas mit einem Gefäß auf, was explizit die Zuteilungen anspricht und implizit Fülle evoziert.357 In späteren Jahren werden Münzen mit gleicher Revers­ legende geprägt, die im korrespondierenden Bild Liberalitas selbst mit Gefäß und Füllhorn oder beim Ausschütten eines Füllhorns abbilden;358 um 125 kehrt auch die Darstellung Hadrians auf dem Tribunal wieder, wobei ihm nun die Liberalitas selbst gegenübersteht und ihr Füllhorn ausschüttet und ein Bürger das Geschehen betrach­ tet.359 Somit werden die zu Traians Zeit neu entwickelten Münzbilder kaiserlicher Freigebigkeit von Hadrian zu seiner Selbstdarstellung übernommen und auf die von ihm wiederbelebte (zu restituierende) libertas Roms übertragen. Dabei erlebte auch das Prädikat AVG eine Renaissance: Es ist auf nahezu allen hadrianischen Münzen auszumachen. Dabei wird die libertas in diesem Kontext ebenso, und durch ihre ex­ plizite Einbettung in den Darstellungskontext sowie das deutlich höhere Tribunal des Bilds vielleicht noch ausdrücklicher, als autonome, nur durch den Princeps zu vollbrin­ gende Leistung dargestellt wie unter dem Vorgänger: Hadrian beanspruchte für sich, durch seine zivile Tätigkeit die libertas wieder aufzurichten, Glück und Wohlstand für alle Bürger und damit ein glückliches Zeitalter des Friedens zu etablieren und betonte, dass er sich dabei in die Nachfolge des Augustus und der diesem zugeschrie­ benen Schaffung eines saeculum aureum stelle. Dass Hadrian jenseits der in diesem Bereich erneuerten Augustus­Bezugnahme formal in der Visualisierung auf traiani­ sche Vorbilder zurückgriff, machte er freilich nicht explizit. Er rekurrierte lediglich auf bekannte, für das soziale Feld klar lesbare Bildmuster, mittels derer er für sich reklamierte, die Erwartungen an seine Person und seine Herrschaft zu erfüllen. Dabei verstand der Princeps die bekannten Muster als modifizier­ und transformierbar, so dass er dem Feld auch neuartige Interaktionsangebote machen konnte. Allerdings ließ Hadrian in Entsprechung zu einem traianischen Motiv und dem darin wiederbelebten Restitutionsgestus auch Münzen schlagen, respektive offiziell vom Senat dedizieren, auf deren Reversen er zum RESTITVTORI ITALIAE SC erklärt wird (während die Averslegende jedoch im Nominativ bleibt): Hadrian steht auf dem Münzbild als Togatus, eine Schriftrolle in der Linken, vor der knienden Personifikation der Italia mit Füllhorn und ist im Begriff diese mit seiner Rechten 356 RIC II Hadr. 586. 357 RIC II Hadr. 552; 567; vgl. Strack (1931) 178f; Strack (1933) 59; 111–113; 186–188. 358 RIC II Hadr. 216 var. a; c–f; I; 217 var. a; c–d; 253; var. a; c–f; 712 var. d; j; 713 var. d; j; 729 var. c–d; f; j; 817 var. a; d; siehe auch 650–652 (Reversabbildung mit Neptun; Verbindung von Liberalitas und Neptun in der Reverslegende). 359 RIC II Hadr. 648 var. a; d; siehe auch 649.

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zu erheben.360 Damit orientiert sich die Münze an zivilen Prägungen Traians, zu denen freilich keine expliziten Bezüge hergestellt werden. Zudem verweist die ha­ drianische Prägung nicht nur auf die kaiserliche restitutio, sondern bezeichnet den Princeps selbst als restitutor.361 Die restitutio wurde nun also, jenseits aller Bürger­ kriege und sonstigen Bedrohungen und ihrer bislang relevanten Bezüge auf Sieg­ haftigkeit, zu einer grundlegenden Leistung Hadrians im rein zivilen Kontext, für deren Visualisierung er sich auf ein als augusteisch definiertes Vorbild berief. Dass das Handeln Hadrians als ideelle Weiterführung der restitutio erscheinen sollte, wird durch weitere Reversprägungen deutlich, die ihm als RESTITVTORI ORBIS TERRARVM durch SC dediziert waren, und auf denen er eine vor ihm kniende Frau mit Mauerkrone und Globus erhebt.362 Somit wird Hadrian als Neu­ begründer der eroberten Welt im Rahmen einer zivilen restitutio, also der Aufrichtung des Gesamtreichs, präsentiert. Dass diese hadrianische zivile restitutio in ein Gol­ denes Zeitalter führe, wird durch Prägungen zum Ausdruck gebracht, die den Princeps schon in der Frühzeit zum LOCVPLETATORI ORVBIS TERRARVM SC erklärten. Dieser völlig neue und einzigartige leistungsbezogene Ausdruck zur Selbstprofilie­ rung (trotz Dedikation) besitzt wesentliche Gemeinsamkeiten mit den Prägungen der LIBERALITAS AVG und LIBERTAS RESTIVTA: Die Personifikation der Liberalitas (oder der Libertas) steht vor dem auf einem Tribunal sitzenden Hadrian und schüttet auf dessen Geheiß, ausgedrückt durch seinen ausgestreckten rechten Arm, ihr Füllhorn aus, dessen Inhalt zwei Bürger mit ihrer Toga auffangen.363 Zwar erinnern diese Prägungen auf den ersten Blick an Othos PAx­ORBIS­TERRA­ RVM­Münzen, stehen nun aber im Kontext der zeitgenössischen Prägung von Mün­ zen mit Augustus­Bezügen. Zudem rekurriert die Darstellung der Fülle und der Formulierung der kaiserlichen für Leistung für den orbis terrarum auf die Ausge­ staltung des saeculum aureum in der augusteischen Dichtung (bzw. ihrer zeitgenös­ sischen Interpretation). Dass sich die programmatische Tätigkeit Hadrians als ziviler restitutor über die urbs und Italien hinaus auf den gesamten Erdkreis, also das ganze Reich, erstrecke, wird in späthadrianischen Prägungen ausformuliert.364 Dafür wurde das traianische Bildprogramm zur restitutio Italiens und Roms durch alimentatio übernommen, aber im Sinngehalt transzendiert und erweitert. Gleichzeitig entfiel die Prägung von Resti­ tutionsmünzen, durch welche die traianische Leistung insbesondere auf der Grundlage von Rekursen auf militärische Aspekte gewürdigt worden war. Hadrians Leistung verblieb seiner Münzprägung zufolge im zivilen Bereich, erstreckte sich aber ebenfalls ausdrücklich über das gesamte Imperium Romanum. So wird der Princeps restitutor 360 361 362 363

RIC II Hadr. 956 var. c; f; 957 var. c; g; siehe auch 328; siehe dazu auch Strack (1933) 61f. So auch Dészpa (2015) 245. RIC II Hadr. 594a–b; siehe auch 603. RIC II Hadr. 585a–b. Siehe dazu Dészpa (2015) 245: „The theme of this new age was made vi­ sible through terms such as restituere (RESTITUTORI ORBIS TERRARUM) and locupletator (LOCUPLETATORI ORBIS TERRARUM). The perspective offered here is no longer confi­ ned to Rome or to Italy, but embraces the whole of the Imperium Romanum.“ Siehe auch Strack (1933) 62. 364 So auch Dészpa (2015) 245f.

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der Provinz Africa dargestellt (RESTITVTORI AFRICAE (SC)): Die kniende, durch den vor ihr stehenden, in Toga gewandeten und eine Schriftrolle haltenden Princeps zu erhebende Figur ist durch die Elephantenkappe als Personifikation der Africa ge­ kennzeichnet; sie trägt Kornähren, auf dem Boden vor ihr wächst Korn.365 Dies rekur­ riert auf die Funktion von Africa als Kornkammer Roms, die der urbs, aber auch dem gesamten Reich und damit auch der spezifischen Provinz, zu Gute komme. Dieser Fokus auf das Gesamtreich liegt auch in zahlreichen weiteren Prägungen vor, die Hadrian zum RESTITUTORI ACHAIAE / GALLIAE / HISPANIAE / MACEDONIAE / ARABIAE / ASIAE / BITHYNIAE / LIBYAE / NICOMEDIAE / PHRYGIAE / SICILIAE machen. Neben der Legende sind die Personifikationen der einzelnen Pro­ vinzen oder Reichsgebiete (mit charakterisierenden Attributen), die Hadrian erhebt, sowie gelegentlich weiterer Charakteristika abgebildet.366 Diese Verkündung von restitutiones ist Teil einer ganzen Serie von Provinz­ prägungen367 des hadrianischen Prinzipats.368 So wird zunächst einmal auf einer Reihe von Münzen die Ankunft Hadrians in den Provinzen und Gebieten dargestellt, was durch ihre Dedikation für den adventus Hadrians, der das Attribut AVG erhält, zum Ausdruck kommt: Beispielsweise steht unter der Reverslegende ADVENTUI AVG ITALIAE (SC) Hadrian auf der linken Bildseite, mit grüßender rechter Hand und Schriftrolle in der linken, der Personifikation von Italia mit Füllhorn gegenüber, die aus einer patera in ihrer Rechten Opfergaben auf einem Altar ausgießt.369 In analoger, schlicht das Füllhorn durch lokale bzw. provinziale Attribute ersetzender, Darstellung, folgen ADVENTVI AVG AFRICAE / ALExANDRIAE / HISPANIAE / ARABIAE / ASIAE / BITHYNIAE / BRITANNIAE / CILICIAE / GALLIAE / IVDAEAE / MACEDONIAE / MAVRETANIAE / MOESIAE / NORICI / PHRYGIAE / SICILIAE / THRACIAE.370 Mit diesem Opfer zur Ankunft Hadrians 365 RIC II Hadr. 322 var. a; c–e; h; 323 var. d–e; g–i; 940; 942 var. a; e–f; 943 var. c; siehe Toynbee (1934) 33–38. 366 Siehe RIC II Hadr. 321 var. b–d; 324 var. a; d–f; i; 325; 326 var. a; d; i; 327 var. a; c–d; f; j; 328–329; 388; 938 var. c; f; h; 939 var. c–d; f; 942 var. c; e–f; 943 var. c; f; 944; 945 var. c; f; 946 var. c; f; 947 var. c; f; j; 948 var. c; f; 949 var. c; f; 950 var. c–d; f; j; 951 var. c–d; f; h; 952 var. c; f; i; 953 var. d–e; 954 var. d; f; h; 955 var. a; c; f–g; 958; 959 var. c; f; j; 960; 961 var. a; f; 962 var. a; c–d; f; j; 963 var. a; d; 964; 965 var. c; f; 966 var. c; d; siehe auch 1009 (die Umschrift dieser Münzen ist teils durch SC ergänzt); siehe auch Strack (1933) 152–162. Im Opfervorgang in Präsenz von Hadrian taucht die Personifikation von Iudaea auch einfach als IVUDAEA SC auf: RIC II Hadr. 853 var. a; d (siehe dazu auch Strack (1933) 162f). 367 Nicht zu verwechseln mit Provinzialprägungen. 368 Siehe zu diesen Typen, ihrer Beschreibung, ihren Charakteristika und ihrer Analyse Toynbee (1934) 1–143. Allerdings erachtet Toynbee die Prägungen als auf griechischen Modellen fußend, auf die der intensiv mit Griechenland assoziierte Hadrian zugegriffen habe; m. E. sind aber die direkten Vorbilder der kaiserzeitlichen und insbesondere der traianischen Münzprägung aus­ schlaggebend, die Hadrian übernahm und, wenn auch teilweise in andere Richtungen, weiter­ entwickelte. Siehe ebenso Strack (1933) 139–166; Dészpa (2015) 245f. 369 RIC II Hadr. 320 var. a; c; h; 888 var. c; f; j; 889 var. c; f; g; vgl. Strack (1933) 154. 370 RIC II Hadr. 315–319; 872 var. c; f; h; j; 873–877; 878 var. a; f; j; 879; 880 var. c; f; 881 var. c; f; 882; 883 var. c.; f; 884 var. c; f; h; 885 var. d; f; 886 var. c; f; h; 887 var. c–d; 890 var. c; f; 891; 892; 893 var. c; f; 894 var. c; f; 895 var. c; f; 896 var. c; g; 897 var. a; c–d; f; 898; 899 var. f; h; 900 var. c; f; 901–905; 906 var. c; f; 907 var. f; h; siehe auch Strack (1933) 152–162.

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sollte wohl seine Tätigkeit als restitutor beginnen. Ein solches Opfer war selbst­ verständlich bei der Ankunft eines jeden Princeps in den Provinzen erforderlich; neu war, dass es reichsweit prominent gemacht und damit das kaiserliche Nahver­ hältnis zu sämtlichen Teilen des Imperiums für diese im Einzelnen, aber auch gegenüber der Gesamtheit des Reichs intensiv betont wurde. Weitere Provinzprägungen markieren explizit den Erfolg der hadrianischen restitutiones, indem auf den entsprechenden Reversen Glück, Ruhe und Wohlstand der Provinzen dargestellt werden. Diese sind relativ uniform als gleichbedeutende Teile des Imperium Romanum dargestellt und ihr Glückszustand wird in Bezugnahme auf die Averse mit Hadrians Porträt und Titulatur zum Produkt seiner Leistung und seines Zeitalters erklärt.371 Beispielhaft sei auf jene Prägungen mit der schlichten Reversumschrift AFRICA (SC) verwiesen: Sie zeigen die liegend ausgestreckte, also im absoluten Ruhezustand befindliche Personifikation der Provinz mit ihrem Attribut der Elephantenkappe. In einer Fassung ruht ihre rechte Hand auf einem Löwen und ihr linker Arm auf einem Korb, der Getreideähren enthält, also Wohlstand, Sicherheit und Fruchtbarkeit symbolisiert.372 Die andere Fassung zeigt die ruhig lagernde Africa mit dem linken Arm auf einen Felsen gestützt, einen Skorpion und ein Füllhorn in Händen haltend; vor ihr befindet sich ein Getreidekorb.373 In beiden Varianten wird auf Wohlstand und Fruchtbarkeit, aber durch die Darstellung wilder Tiere auch auf die Kontrolle der naturräumlichen Grundlagen und damit die Sicherung des provin­ zialen Raumes, d. h. auf securitas in ihrem ganzen Umfang, verwiesen. Auch AEGYPTOS,374 ALExANDRIA,375 HISPANIA376 und NILVS377 werden auf Rever­ sen der hadrianischen Münzprägung im Ruhezustand mit Zweig, Feldfürchten oder Füllhorn und sie charakterisierenden Attributen wiedergegeben. Außerdem werden tiber378 und oceanus379 als ruhig lagernde Personifikationen bzw. Gottheiten abge­ bildet. Hinzu kommen noch einige entweder stehende oder schreitende Provinz­ personifikationen.380 371 372 373 374 375 376 377 378 379 380

Siehe auch Strack (1933) 152–162. RIC II Hadr. 298; vgl. 253; 668 var. a–b; d; 676 var. a; d; 680. RIC II Hadr. 254; 299; 840; 841; siehe auch 842. RIC II Hadr. 296 var. a; c; g–j; 297 a–e; g; 375; 386; 838 var. c; e–f; h; j; 839 var. c–d; f–h (Prä­ gungen mit und ohne SC). RIC II Hadr. 843 var. c; f; h; 844 c; f–g; siehe auch 300 (Prägungen mit und ohne SC); siehe zudem 153–164. RIC II Hadr. 305 var. a; c–d; g–h; 306 var. a–b; d; f–g; 851 var. c; f; h; 852 var. a; c–d; f–g; siehe auch 1077 (Aelius Caesar) (Prägungen mit und ohne SC). RIC II Hadr. 308 var. a; h; j; 309; 310 var. a; c–d; g; 311; 861 var. a; c; f; 862 var. a; c; f; 863 var. c; f; 864; 865 var. a; f; g; 866; 867; 868 var. c; f; 869–870 (Prägungen mit und ohne SC); siehe zudem 165–166. RIC II Hadr. 79. RIC II Hadr. 75. Diese sind etwas wehrhafter dargestellt: Es besteht ein Zusammenhang zu den exercitus­Prä­ gungen in truppenreichen Grenzregionen: RIC II Hadr. 845; 846 var. c (BRITANNIA SC; dazu auch Strack (1933) 70f); 847 var. a; c; f; h; j (CAPPADOCIA SC); 302 var. a; d; f; g; 303 var. a; c–d; 304 g; i (GERMANIA); 301 (ASIA); 854 var. a; c; f; j; 855; 856 var. d; f; 857; 858 var. c–d; f; j; 860 var. c; f (MAVRETANIA SC); siehe auch 871 (SICILIA (SC?)). Hinzu kommt ITALIA, die auch als ITALIA FELIx geprägt wurde, und in Analogie zu den ROMA­FELIx­ und

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Diese hadrianischen Münzprägungen zu adventus, restitutio und Glückzustand der Provinzen sind freilich nicht unbedingt als lineare Verlaufsschilderung zu lesen: Die Themen wurden wohl weitgehend gleichzeitig geschlagen und waren selbstver­ ständlich parallel im Umlauf. Der positiv konnotierte Zustand der Provinzen konnte somit immer wieder ursächlich an die hadrianische Leistung rückgebunden werden. Außerdem sollte der Ruhezustand der Provinzen nicht zum Ausdruck bringen, dass das hadrianische Engagement mittlerweile an sein Ende gelangt sei: Zwar waren grundsätzliche Erfolge zu verzeichnen, doch war wie im Bereich der militärischen Fähigkeiten auch in diesem Kontext die Demonstration des fortdauernden Engage­ ments Hadrians erforderlich. So korrespondierten die Prägungen auch mit den ha­ drianischen Reisen und konnten als Bericht und Kommentar eines ungewöhnlichen und innovativen Herrschaftsprogramms dienen, durch das sich Hadrian zu profilie­ ren suchte. Freilich lassen die Prägungen der einzelnen Landschaften und Provinzen keine Rekonstruktion des Itinerars zu: Hadrian muss nicht an jedem Ort, den die Münzen berücksichtigen, gewesen sein; zudem fehlen Gebiete, in denen er sich erwiesenermaßen aufhielt. Für die Reichsprägung waren die Details der hadrianischen Reisen jedoch unerheblich, thematisiert wurde schlicht die kaiserliche Abwesenheit und die vollbrachte Leistung: Hadrian trat mit den Provinzen des Reichs in Interak­ tion, das heißt er besuchte und förderte sie, richtete sie gewissermaßen wieder auf, und bescherte ihnen und dem Reich damit einen segensreichen Zustand. Auffällig ist darüber hinaus, dass Hadrian in diesen Prägungen jeweils in Toga, also zivil auftritt;381 die Schriftrolle deutet dabei Regierungshandeln an – auch die zu vollbringenden Restitutionsakte sind also ziviler Natur: Erstmals betont ein Princeps im reichsweiten Kontext nicht, Unterwerfung, Kontrolle und Expansions­ tätigkeit, sondern Pflege und Wiederaufrichtung als wesentlich für den Zusammen­ halt des Reichs. Dabei wurde den Provinzen und Landschaften garantiert, sie zu neuem ungeahnten Glanz zu erheben, indem Hadrian sie zu gleichberechtigten Teilen des Reichs machte, womit er auch seinen Ruhm erhöhte.382 Konsequenter­ weise ließ Hadrian auch keine provincia-capta­Münzen nach augusteischem, fla­ vischem und traianischem Vorbild mehr schlagen, in denen die Personifikationen unterlegener Völkerschaften im Trauergestus abgebildet waren oder Gefangene am Boden kauerten und ein tropaion oder die siegreichen Imperatoren danebenstan­ den.383 Vielmehr wurden nun auf der darstellenden und intentionalen Ebene die ROMA­AETERNA­Prägungen ausschließlich stehend und mit Szepter und Füllhorn versehen dargestellt ist: RIC II Hadr. 307 var. a; c–e; 368. 381 Toynbee (1934) 4 mit Anm. 1. 382 In diesen Kontext wurde auch Italia hineingenommen, das im hadrianischen Prinzipat tatsäch­ lich (zunächst vorläufig) eine weitgehende Provinzialisierung erfuhr: siehe dazu Eck (1995) 315–326; Eck (1998c) 304–306; Eck (1998a) 50f; siehe auch Uggeri (1998) 1156; Toynbee (1934) 106–116; vgl. Tarpin (2001) 23f. 383 Bereits von Octavian sind ARME(nia)­CAPT(a)­Prägungen in entsprechender Darstellung er­ halten (RIC I2 Aug. z. B. 290–292; siehe auch 513–520 sowie die nur über die Reverslegende (und teils ein Krokodil) verkündete captatio von Aegypten (AEGYPTO CAPTA): z. B. 275; 544); Vespasian und Titus knüpften mit IVDAEA­CAPTA­ (RIC II/1 Vesp. z. B. 51; 59; 134; 303–308; 375–376; 422; sowie 445; 457; 626 (für Titus Caesar); Tit. 57; 133; 502; sowie 369 (für den Divus Vespasianus)), Domitian mit GERMANIA­CAPTA­Münzen (RIC II/1 Dom. z. B.

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Personifikationen und ihr Verhältnis zum Princeps, weniger zum Imperator, in neuer Weise präsentiert: Hadrian trat den (freilich bereits unterworfenen) Provinzen selbst gegenüber, um sich beim adventus­Opfer zu ihnen ins Nahverhältnis zu setzen, richtete sie dann wieder auf und garantierte ihnen damit die Segnungen Roms. Durch die Provinzen personifizierenden Figuren in Kommunikation mit Hadrian und mit der Postulierung des Erfolgs seines Handelns, also den Reversbildern der nicht mehr kauernden, sondern ruhig lagernden, sich im Ruhezustand befindenden, und mit Attributen der Fülle und Fruchtbarkeit versehenen Provinzen und Landschaften, verkündete Hadrian eine neue Politik. Diese fand Umsetzung in den kaiserlichen Reisen, die, und damit war ein faktischer Gegensatz zu den Vorgängern gegeben, nicht Kriegszügen, sondern der Inspektion der Truppen und der Interaktion mit städtischen und provinzialen Eliten dienten. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass Traian auch in diesem Kontext in gewisser Weise eine vorbildhafte Münzprägung geschaffen hatte. Auf einer frü­ hestens 112 geprägten Münze wird die Provinzialisierung des eroberten Dakiens gefeiert: Der Revers verkündet DACIA AVGVST PROVINCIA und zeigt die Per­ sonifikation der Dacia auf einem Felsen mit römischer Standarte. Neben der Dacia und im Vordergrund befindet sich jeweils ein Kind, womit sicherlich auf den Auf­ bruch in eine neue Zeit, die nun mit der Eingliederung in das Imperium Romanum anhebe, verwiesen werden sollte. Dass es sich dabei um eine segensreiche Zeit handeln sollte, ist daraus abzulesen, dass die Kinder Getreide bzw. Trauben als Verweis auf Versorgung und Fruchtbarkeit in ihren Händen halten.384 Dass im An­ schluss an die Eroberung eine neue zivile Ordnung geschaffen wurde, war selbst­ verständlich und passt auch präzise zur Darstellung der Tätigkeiten des Militärs auf der Traianssäule: Hier ist Traian schon durch sein Erscheinen sieghaft und provoziert Unterwerfung; kriegerische Initiativen übernehmen in erster Linie Auxiliartruppen, während das römische Heer und der Princeps als oberster Feldherr durch Bauprojekte und andere organisatorische Aufgaben die neue Ordnung stiften.385 Das DACIA­ CAPTA­Münzbild war folglich für Hadrian mit Sicherheit wesentliche Vorlage für die neuartige Darstellung von territorialen und provinzialen Personifikationen in seinen Prägungen. Dabei entfernte er allerdings alle expliziten (Standarte) und im­ pliziten (besiegter Kriegsgegner) militärischen Bezüge und mit ihnen auch alle Ver­ weise auf Traian, der diese besonders betonte. An ihre Stelle setzte Hadrian seine persönliche Präsenz und die in dieser vollbrachten zivilen Leistungen, die zur Blüte der Provinzen führten. Die in der Forschung häufig vertretene These, Hadrian habe das römische Reich als Welt gleichberechtigter Partner neu zu fassen versucht und damit eine bisher 274; 632) daran an; Traian folgte mit DACIA­CAPTA­ (RIC II Trai. 585) und PARTHIA­ CAPTA­Prägungen (RIC II Trai. 324–325). Siehe Toynbee (1934) 7–23. 384 RIC II Trai. 621–623. 385 Siehe Lummel (1991) 109–120; insbes. 118 mit Taf. 20 (Sieghaftigkeit durch Präsenz); 113f mit Taf. 181 (große Unterwerfungsszene der Daker vor Traian); 111f mit Taf. 17,2; 116 mit Taf. 18,2 (Kampf der Auxiliartruppen); 110f mit Taf. 16 zur Ordnungsstiftung: „Neben den Bauarbeiten an Lagern und Festungen sind die Legionäre damit beschäftigt, Wälder zu roden, Straßen zu bauen und Flüsse mittels Brücken passierbar zu machen“ (110). Siehe auch Strobel (2010) 320f.

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nicht dagewesene Einheit geschaffen, ist allerdings nur ein Aspekt der vermittelten Botschaften.386 Gewiss darf angenommen werden, dass Hadrian Unterschiede ni­ vellierte und die Romanisierung lokaler Eliten weiter förderte sowie günstigere Lebensbedingungen für angesiedelte Veteranen schuf und die im Reich stationierten Truppen aufsuchte. Mindestens ebenso erheblich ist aber die für die urbs und ihre Statusgruppen kommunizierte Botschaft, die in der Reichsprägung Ausdruck fand: Hadrian situierte sich durch die neuen Formeln als alleiniger Herr über das Reich. So griff er ganz offensichtlich in alle Lebensbereiche ein, indem er zivile Akte durchführte und nach eigenem Willen regelte. Damit markierte er gerade den Sena­ toren gegenüber seine uneinholbare Position. Zwar übten diese weiterhin ihre äm­ ter aus, doch betonte Hadrian noch eindeutiger als seine Vorgänger, dass er die Quelle letztgültiger Entscheidungen war. Zudem unterminierte er durch die intensivierte Interaktion mit den einzelnen Provinzen bzw. ihren Eliten die bislang konstitutiven und den Angehörigen der Reichselite ihre Würde, aber auch ihren Einfluss belas­ senden, Patronagebeziehungen. Diese wurden nun offensichtlicher denn je vom Princeps kontrolliert, dominiert und letztlich vollständig übernommen. Auf diese Weise waren die hadrianischen Leistungen gerade durch ihre Monopo­ lisierung auf den zivilen Bereich sogar absoluter als persönliches, uneinholbares Han­ deln offengelegt worden, als die Vorgänger dies mit der Selbstprofilierung durch Sieg­ haftigkeit je vermocht hatten. Diese alleinige kaiserliche Leistung und Dominanz gegenüber allen Teilen des Reichs fand, wie wir gesehen haben, auch in den LIBERTAS­RESTITVTA­ und LIBERALITAS­AVG­Prägungen Ausdruck: Hadrian persönlich übernimmt die Verteilung von Gütern und Wohltaten bzw. weist Amtsdie­ ner dazu an und bleibt dabei präsent. Hadrian war also bemüht, nicht nur als höchster, sondern nahezu als ausschließlicher Herr der Verwaltung des Imperiums zu erscheinen und alleinige Quelle aller Verwaltungsakte und jeglicher Fürsorge zu sein. Selbstverständlich verlor die Stadt Rom ihre zentrale Rolle im Imperium Roma­ num dabei nicht. Das geht schon daraus hervor, dass es gerade die Reichsprägung war, in der die Leistungen Hadrians in dessen Abwesenheit und seine dabei vollbrachten Taten thematisiert und mit einem Deutungsangebot versehen wurden. Doch das hadrianische Münzprogramm berücksichtigte die urbs auch durch all­ gemeine ADVENTVS­AVG/AVGVSTI­(SC)­Prägungen. Die Ankunft in Rom sowohl in der Früh­ als auch in der Spätphase (nach den ausführlichen Reisen der 130er Jahre) der hadrianischen Herrschaft war der generelle und einzig wirklich relevante kaiserliche adventus: Der Princeps kommt nach Rom, wo er mit den sich selbst als wesentlich erachtenden Bürgern in Interaktion tritt. Bezeichnend ist in diesem Kontext auch, dass die Reverstitulatur nur in diesem Fall im Nominativ steht: Wurde Hadrian bei den adventus in den Provinzen ausdrücklich für seine Leistungen (im Dativ) gewürdigt,387 widmete er selbst den stadtrömischen adven­ tus, die Heimkehr in die eigentliche Zentrale, Senat und Volk. Die entsprechende Münze musste folglich zur modifizierten Umschrift auch ein völlig anderes Re­ versbild erhalten: Zwar zeigt es auch Hadrian und eine Personifikation, doch han­ 386 Vgl. v. a. Thornton (1975) 432–460. 387 Siehe auch Dészpa (2015) 245f.

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delt es sich dabei um die stehende Roma in Panzerhemd und Waffen im Handschlag mit dem Togatus Hadrian.388 Auf diese Weise wurde formuliert, dass Hadrians Handlungen und Leistungen im Dienste und Interesse sowie mit der Zustimmung Roms geschahen und alles auf seinen Reisen Geschaffene zu Ehre, Blüte und Wohlstand des Reichs, aber insbesondere der urbs beitrage. In ähnlicher Logik stehen die im hadrianischen Prinzipat neu entwickelten, die seit der Zeit Galbas verwendete Motivik ersetzenden ROMA­FELIx und ROMA­ AETERNA­ bzw. ROMAE­AETERNAE­Reverse.389 Ihre Legende enthält nie ein SC,390 zuweilen wird aber COS III und PP auf der Münzrückseite, also die Auszeich­ nung des Princeps selbst als Amtsträger der res publica einerseits und als Vater des Vaterlandes andererseits, ergänzt. So präsentiert sich Hadrian wiederum als einzig ausschlaggebend für die Blüte Roms, die gemäß seinen Leistungen erstehe: Rom wird durch ihn in einen Glückszustand versetzt (FELIx) und bekommt als klaren Marker eines Goldenen Zeitalters Ewigkeit verliehen (AETERNA). Roma ist stets bewaffnet und trägt häufig die Victoria bei sich, als ROMA FELIx hält sie oftmals in Analogie zur PAx AVG einen Zweig und ein Szepter in Händen.391 Hinzu kommt eine ROMA­AETERNA­Münze, auf der die Göttin Büsten von Sol und Luna in Händen hat,392 womit die kosmische Stabilität des erneuerten Goldenen Zeitalters betont wird. Dass die Göttin im Münzprogramm Hadrians militärisch gewandet und gerüstet bleiben musste,393 erklärt sich nicht nur aus ihrer standardisierten Ikonographie, sondern auch daraus, dass ihre wehrhafte Erscheinung die Sicherheit Roms verkör­ perte. Zwar war die Sieghaftigkeit für die Selbstprofilierung Hadrians nicht aus­ schlaggebend, doch kam er nicht umhin, der urbs und dem Reich im Glückzustand, den er beschert zu haben beanspruchte und zu erhalten versprach, stets potentielle Wehrhaftigkeit, die dauerhafte SECVRITAS AVG, zu garantieren. Im gleichen Sinne markiert auch die VICTORIA AVG in der hadrianischen Münzprägung, die Dauer­ haftigkeit des Sieges. Dass diese Sicherheit des Imperiums fortwährend gegeben war, blieb für Hadrian, wenngleich er sein Profil ansonsten anders zu situieren suchte, unverzichtbares Versprechen an die Erwartungen des sozialen Felds. In diesem Kontext sind auch die hadrianischen ExERCITVS­Münzen zu deuten: Nur in frühhadrianischer Zeit begegnete der besonders aus dem nervanischen Prin­ zipat bekannte CONCORDIA­ExERCITVVM­Revers.394 Es folgten in späthadria­ nischer Zeit die nach Provinzen ihrer Stationierung bezeichneten Heeresverbände: ExERC / ExERCITVS BRITAN / GERMANICVS / GERMA / HISPAN / HISPANICVS / MAVRETANICVS / RAETICVS / SYRIACVS SC.395 Natürlich 388 RIC II Hadr. 224 var. a; c; 225 var. a; c–d; f; 226 var. a; c; 227 var. a; c; 374; 547; 554; 740 var. c–d; f; 741 var. c; f; h; 793 var. a; c–d; f; 794 c–e; vgl. Strack (1933) 58. 389 Siehe auch Strack (1933) 180 sowie das Kapitel Der hadrianische Prinzipat – restitutio und Neugründung. 390 Vgl. die ROMA­SC­Münzen ohne Attribut: RIC II Hadr. 773 var. d–e; 824 var. a; d sowie 262A (ohne SC). 391 RIC II Hadr. 220; 264 var. d; f; i; vgl. 369. 392 RIC II Hadr. 263 var. c; vgl. 263A var. a; c; 265 var. a–d; g; 774–775. 393 Siehe auch Toynbee (1934) 135–137. 394 RIC II Hadr. 581a. 395 RIC II Hadr. 913; 915 var. c; 916–925; 928 var. c; 929; 930 var. c; 933 var. c.; 935; 936 var. a; 937

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suchte Hadrian auch mit diesen Münzen die CONCORDIA mit dem Heer zu evo­ zieren, wobei angesichts der fast vollständigen Absenz kriegerischer Handlungen die spezifische Referenz auf die einzelnen in den Provinzen stationierten Truppen umso relevanter wurde. Wie aus den Varianten hervorgeht, scheint gerade der Bezug auf das Einvernehmen mit dem Heer in den fernen Grenzprovinzen von erheblicher Bedeutung gewesen zu sein.396 Folgerichtig zeigen sämtliche exercitus­Reverse Ha­ drian, der (meist zu Pferde) in Interaktion mit einer Gruppe von Soldaten steht, zum Teil sind außerdem Ausrüstung und Legionsstandarten dargestellt. Dabei verfolgte der Princeps neben dem Ziel, sein faktische Nahverhältnis zum Heer zu forcieren, die Intention, den Rezipienten mitzuteilen, dass die Legionen durch seine Inspekti­ onen, von denen wir aus verschiedenen Quellen wissen, gut ausgerüstet, diszipliniert und trainiert waren.397 Auf diese Weise wurden zwei kontrastierende Aussagen ge­ macht, die jedoch beide innerhalb der hadrianischen Selbstdarstellung uneinholba­ rer Leistungsfähigkeit lesbar waren: Einerseits wurde die Wehrhaftigkeit Roms und somit die Absicherung des Goldenen Zeitalters beteuert, andererseits die kaiserliche Dominanz markiert, die in der absoluten Kontrolle über das römische Heer und dessen Treue zum Princeps bestehe, die wiederum Usurpationen unmöglich mache.398 In erster Linie im Sinne der Postulierung eines Goldenen Zeitalters durch die Leistungen Hadrians sind auch dessen späte Prägungen der TELLVS STABIL(ita) zu verstehen. Beim Beinamen der Göttin handelte es sich um eine Neuschöpfung des hadrianischen Prinzipats, die in Analogie zu ROMA AETERNA steht: Die hadrianische Tellus verbürgt gleichfalls Dauerhaftigkeit und Beständigkeit. Durch die einer Erd­ und Muttergottheit zuzuschreibende Fruchtbarkeit ist Tellus zudem Ausdruck von Prospe­ rität und Blüte eines glücklichen Zeitalters, womit sie ebenfalls mit ROMA FELIx korrespondiert. Geprägt wurde TELLVS STABIL in zwei Motiven:399 1. Der Reverstypus der auf einen Korb mit Feldfrüchten gestützten Tellus, die zudem meist mit Weltkugel in der rechten und Weinrebe in der linken Hand dar­ gestellt wird,400 ähnelt stark den zeitgleichen Provinzprägungen. Somit liegt hier eindeutig das Bild eines prosperierenden und friedlichen Zeitalters vor, dass sich auf das ganze Reich bezog. Zwar wollte Jocelyn Toynbee die abgebildete Weltku­ gel hauptsächlich als den den Jahreszyklus kennzeichnenden „orbis anni“ be­ trachten und das Bild, weniger abstrakt, als Ankündigung landwirtschaftlicher Fruchtbarkeit interpretieren,401 doch bezog sich, wie bereits festgestellt, bereits Vergil im Kontext der Postulierung eines segensreichen Zeitalters auf den Lauf der Sonne und auch einer hadrianischen ROMA­AETERNA­Münze ist Astral­

396 397 398

399 400 401

sowie 690 (ExERCITVS SYRIACVS SC aus den Jahren 125–128). Siehe auch Strack (1933) 148–150; Toynbee (1934) 5. Vgl. dazu auch Strack (1933) 148–150. Siehe dazu auch Dészpa (2015) 245f. Eine ganz wesentliche, aber eben nicht stadtrömische, dritte Dimension bestand selbstver­ ständlich in der kaiserlichen Kommunikation mit den jeweiligen Legionen selbst. Diese wird im Kapitel Schlussbetrachtung und Ausblick: Die Prekarität des hadrianischen Prinzipats besprochen. Siehe auch Strack (1933) 182–184. RIC II Hadr. 277 var. a; d; 278; 791 var. c–d; f; 835 var. c–d; f (mehrheitlich mit SC). Toynbee (1934) 142.

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symbolik inhärent. Während die Landwirtschaft zwar als Teilaspekt der Aussage­ absicht verstanden werden kann, bezeichnet stabilita eher bereits Feststehendes, Dauerhaftes. Das prosperierende Zeitalter Hadrians hat also bereits begonnen und wird nicht erst verkündet, die Weltkugel liegt nicht nur auf der visuellen Ebene vollständig und ruhig in der Hand der Tellus. 2. Einige Denarreverse stellen, ganz einzigartig, keine ruhende, sondern eine tätige TELLVS STABILITA dar, die, in einen kurzen Chiton gekleidet, Pflug und Hacke in Händen hält, während zwei Kornähren zu ihren Füßen sprießen.402 tel­ lus vollbringt also Feldarbeit. Toynbee meint dazu: „Here we have a personifica­ tion, not of the agricultural year, but of the actual operations of agriculture. Tellus symbolises the whole body of agricultural workers, whose tasks, thanks to the Emperor’s stabilising policy, can go forward undisturbed.“403 Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass eine stadtrömische, im Gegensatz zu der anderen Tellus­ Variante reine Denarprägung primär die Kommunikation mit Landarbeitern be­ fördern sollte. Was Hadrian auf dieser Münze vielmehr artikulieren möchte, ist die gute Versorgungslage Roms, die Wohlstand, Blüte und ruhige Sicherheit er­ mögliche. Dabei verkörpert die tätige Tellus die Leistungen des Princeps, der die Früchte alles bisher Erbrachten (Kornähren) dauerhaft (STABILITA) zu ernten (Pflug, Hacke) verspricht. Dieses Bild der bereits eingetretenen Dauerhaftigkeit von Wohlstand, Blüte und ruhiger Sicherheit auf der Basis kaiserlicher Leistungen korrespondiert nicht nur mit der hadrianischen PAx AVG (und der VICTORIA AVG) durch LIBERTAS REST sowie der Herbeiführung von LIBERALITAS AVG, sondern besitzt auch zahlreiche Übereinstimmungen mit dem saeculum aureum augusteischer Prägung bzw. seiner Rezeption: Häufig wird die von Symbolen der Fruchtbarkeit umgebene und zwei Kleinkinder haltende Gottheit auf der Ara Pacis als Tellus oder Italia­Tellus inter­ pretiert. Auch auf der Gemma Augustea ist hinter dem augusteischen Thron eine Göttin mit Füllhorn abgebildet, an deren Seite ein nacktes Kind steht. Während diese Göttinnen sitzend dargestellt sind, zeigt der Panzer der Augustus­Statue von Prima­ porta auf seinem untersten Teil eine lagernde Gottheit, die in einen Chiton gekleidet ist, außerdem trägt sie einen Kornkranz auf dem Kopf und hält ein Füllhorn und ein Kleinkind in Händen. Auch hier wird meist eine Darstellung der Tellus angenommen. Zwar fehlen durchweg die schriftlichen Bezeichnungen, woraus Zanker schließt, dass nicht auf eine spezifische Göttin, sondern allgemein auf eine Fruchtbarkeits­ gottheit Roms verwiesen werden sollte,404 doch muss diese interpretative Offenheit ihre Gültigkeit nicht zwangsläufig bis in hadrianische Zeit bewahrt haben. Zwar ist Tellus ansonsten in der kaiserzeitlichen Münzprägung nicht allzu prominent vertre­ ten, doch wird die Gottheit in den wenigen vorhandenen Münzbildern stets lagernd und im Kontext der Fruchtbarkeit dargestellt. So kehrte TELLUS STABIL in einer Prägung des Septimius Severus wieder, der außerdem für sich und für Caracalla zwei Münzen schlagen ließ, die ihn bzw. seinen Caesar beim Opfer in der Präsenz 402 RIC II Hadr. 276 var. a–d; g–h; siehe auch Toynbee (1934) 143. 403 Toynbee (1934) 143. 404 Siehe Kleiner (1992) 96; Zanker (42003) 177–179; siehe auch Toynbee (1934) 140f.

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von Hercules, Bacchus, Musikern und eben auch der liegenden Tellus zeigen.405 Diesen severischen Prägungen ähnelt insbesondere ein Münzbild Domitians, das die Verbindung der tellus mit einem saeculum aureum konzeptualisierte und zur weiteren Rezeption zur Verfügung stellte: Domitian ist gemeinsam mit der ruhenden Tellus beim Opfer eines Schweins an einem Altar dargestellt, im Hintergrund halten sich Lyra­ und Flötenspieler auf; die Reversumschrift setzt die domitianische Titulatur des Averses fort und lautet COS xIII LVD SAEC FECIT; SC.406 Tellus wir folglich von Domitian präzise in den Kontext der von ihm initiierten und der augusteischen Zählung folgenden Saecularspiele gestellt. Folglich wurde Tellus bereits unter Domi­ tian als Gottheit des saeculum aureum augusteischer Prägung betrachtet. Diesen Rekurs ermöglichte unter anderem das Carmen Saeculare des Horaz, in dem Tellus angerufen und zur Wiederkehr aufgefordert wird, um dem neuen, lange währenden Goldenen Zeitalter Wohlstand und Fruchtbarkeit zu bescheren. Folglich visualisierten die TELLVS­Münzen einen programmatischen Anschluss Hadrians an ein dauerhaftes, sicheres und prosperierendes Zeitalter der pax Augusta: Das Motiv der Bestellung des Felds auf der einen dieser Prägungen rekurriert auf eine ideelle Neugründung Roms, das aufgrund der individuellen Leistungen Hadri­ ans ein Goldenes Zeitalter (in intendierter Augustus­Nachfolge) erlebe. Diese Grün­ derimago kommt in einem hadrianischen Medaillon, das Toynbee diskutiert, noch deutlicher zur Geltung: „Here we have the same type of Tellus [Stabilita] reclining against a basket and holding a vine­branch in her left hand, while her right rests upon a globe. But in this case the globe is surrounded by the figure of four children, representing the Four Seasons, showing quite clearly that the idea expressed is that of the procession of the season as the year revolves […]. The obverse­portrait of this medallion presents another interesting point. The Emperor is repre­ sented as Hercules, with a lion­skin upon his head. Hercules is a prominent figure in the gold and silver issues of A. D. 119–122, where the types foreshadowed the ‚labours of Hadrian‘ entailed in his lengthy journeys round the Empire. So it is fitting that, on a piece struck to com­ memorate one of the chief results of those ‚labours‘, the Emperor should assume the attribute of his divine prototype.“407

Die Gleichsetzung Hadrians mit Hercules präsentiert den Princeps folglich als Neu­ begründer und Garanten eines Goldenen Zeitalters auf Grundlage seiner tatkräftigen und gottgleichen, für andere Menschen also uneinholbaren Leistungen, die er gerade auch im Kontext seiner Reisen vollbrachte. Commodus sollte diese Gründer­Imago durch Gleichsetzung mit Hercules übernehmen und vervollkommnen (wobei er ebenfalls die Segnungen der Pax herauskehrte): Neben der Aufnahme des Hercules­ Namens in seine Titulatur in der Spätphase seiner Herrschaft sowie zahlreichen weiteren Hercules­Darstellungen in seinem Münzprogramm und darüber hinaus, trat Commodus auf zwei Reversen als Hercules beim Pflügen eines Ackers auf: Hier zieht er mit der Ackerfurche die Grenzen des Reichs neu und wird damit zum HERC ROM CONDITORI, der durch seine Taten Ordnung in der Welt schafft.408 405 406 407 408

RIC III Sev. 418; 758; 761. RIC II/1 Dom. 612–614. Toynbee (1934) 142f; siehe auch Mittag (22012) 100f; Kat. Hadr 112; Strack (1933) 184. RIC III Comm. 616; 629; siehe Hekster (2005) 209–214; vgl. Toynbee (1934) 143.

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Dieser Gedanke dürfte bereits im hadrianischen Prinzipat virulent gewesen sein, zumal Hadrian neben dem Medaillon auch weitere Hercules­Münzen prägen ließ. So wurden zwei grundsätzliche Reversvarianten (mit leichten typologischen Abwei­ chungen) geschlagen: 1. Der erste Typus ist jener des stehenden nackten Hercules, der sich mit der Rechten auf seine Keule stützt, mitunter Hesperidenäpfel in der linken Hand hält und/oder ein Löwenfell als Kopfbedeckung trägt; außerdem steht er gele­ gentlich vor einem Tempel. Auf einigen Reversen wird darüber hinaus ergänzend eine ausgestreckt liegende, ruhende, Flussgottheit abgebildet. 409 Die erläuternde Legende HERC(ules) GADIT(anus) auf einer dieser Münzen410 offenbart, dass hier eine zentrale Gottheit der spanischen Heimat Hadrians gezeigt wird.411 Da­ neben ist der Hesperidenapfel ein Verweis auf die herculeischen Taten, die mit den kaiserlichen Leistungen assoziiert werden sollten. Außerdem waren die Früchte aus dem Garten der Hesperiden mit ewiger Jugend und Unsterblichkeit verknüpft, die der auf dem Avers gezeigte Princeps dem Imperium Romanum nun auf seinen herculeischen Reisen zu bringen versprach. Damit ist wiederum die Garantie, Rom und das Reich zu neuer Blüte zu führen, formuliert. Der Erfolg diese Handelns wird für den hadrianischen Prinzipat durch die Präsenz der ruhenden Personifikation, die in Analogie zu den Provinzprägungen geschah, in die neuartigen die kaiserlichen Leistungen definierenden Formen gegossen.412 2. Die zweite Reversvariante stellt den sitzenden Hercules dar, der auf einem Waffenhügel mit darüber gebreitetem Löwenfell oder auf einer Rüstung Platz genommen hat, während die Keule auf einem Schild oder seinem Schenkel ruht; er hält entweder ein nicht klar zu identifizierendes Attribut, die Einschätzungen reichen von Schwert über Pfeilköcher bis zur Spindel, oder eine Victoria in Händen, in einigen Prägungen ruht sein Ellbogen auf einem Löwenkopf.413 Waf­ fenhügel und Victoria machen den Hercules dieser vorbildlosen Darstellung als Hercules Victor identifizierbar, 414 obgleich die Sieghaftigkeit ansonsten kein Teil der Selbstdarstellung Hadrians war.415 Vermutlich sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass die zentralen Siege bereits errungen seien und nun Ruhe und Ord­ nung herrsche. Dabei ist besonders wesentlich, dass die Mehrheit der Hercules­ Münzen bereits in frühhadrianischer Zeit geschlagen worden sind:416 Der Waf­ fenhügel beschreibt die Welt als vollständig unterworfen und unter wehrbereiter (und damit allein schon gesicherter) Kontrolle. Der mitunter abgebildete Löwen­ kopf repräsentiert den Einklang mit der Natur, der sich aus der Ordnungsstiftung 409 RIC II Hadr. 56–61; 125; 494; siehe Strack (1933) 85f. 410 RIC II Hadr. 125; siehe Strack (1933) 85; siehe auch Hekster (2005) 207f. 411 Strack (1933) 85f und (1931) 95–104 geht davon aus, dass auch die durchweg unbenannten traia­ nischen Reversdarstellungen Hercules Gaditanus dediziert waren bzw. eine ihm dedizierte Sta­ tue abbilden (siehe RIC II Trai. 37; 49–51; 79; 112; 152; 689–690). Dagegen argumentiert Hekster (2005) 206f; 215f, Anm. 18. 412 Auf den traianischen Hercules­Prägungen ist eine solche Figur nicht abgebildet. 413 RIC II Hadr. 55; 148 var. c–d; 149 var. c–d; 150; siehe Strack (1933) 88f. 414 So Strack (1933) 89; vgl. Strack (1931) 95–104; 133–138. 415 Anders: Strack (1933) 81; 89 zur möglichen Referenz auf kleine Kampagnen und Grenzkonflikte. 416 Siehe, neben der Datierung in RIC, Strack (1933) 85; 88f.

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II. Hadrian und Augustus

mittels der überlegenen Leistungsfähigkeit des Hercules und letztlich auch des Princeps Hadrian ergeben habe. Die Neuordnung417 ist also im Motiv bereits etabliert: Es herrscht die neuartige pax Augusta des hadrianischen Prinzipats, die hier ebenso zum Ausdruck kommt wie im Zusammenwirken der VICTORIA­ AVG­, SECVRITAS­AVG­ und PAx­AVG­Prägungen. Sollte es sich bei dem nicht klar identifizierbaren Objekt auf den Hercules­Münzen um eine Spindel handeln, würde zudem auf den Strom der Zeit und damit auf eine lange Dauer des neu begründeten Goldenen Zeitalters hingewiesen. Explizit tritt die Selbstbeschreibung Hadrians als Neugründer des Imperiums in der ebenfalls innovativen Prägung von conditor­Münzen hervor, die dem Revers zu­ folge dem ROMVLO CONDITORI dediziert waren.418 So reihte sich Hadrian durch seine TELLVS­STABIL­ und weitere Prägungen in die Reihe der Neugründer Roms auf Basis seiner individuellen, uneinholbaren Leistungen ein, die im gesamten römi­ schen Prinzipat der von ihm angebotenen Deutung zufolge nur mit jenen des Augustus vergleichbar waren. Interessant ist dabei, dass der zweite, Tatkraft darstellende Typus der Tellus Stabilita im Gegensatz zum ersten niemals mit SC versehen wurde: Aktives Vorgehen blieb dem Princeps vorbehalten. Hadrian suchte sich durch die Postulierung einer Neugründung, der restitutio des Glückzustands, als Wiederbegründer der pax Augusta zu profilieren, die als grundlegend für ein saeculum aureum aufgefasst wurde. Dass Hadrian daran gelegen war, sich explizit zum Begründer eines saeculum aureum zu stilisieren, geht schließlich aus einer weiteren Münzprägung hervor, de­ ren Reversumschrift tatsächlich SAEC AVR lautet: Ihr Bildnis zeigt vermutlich Hadrian als Genius des Goldenen Zeitalters, „mit der Rechten den Zodiakus haltend, mit der Linken die Himmelskugel mit einem darauf sitzenden Phoenix.“419 Strack deutet das Münzbild wie folgt aus: „Das saeculum aureum erscheint also hier als ein dem eigenen Zeitlauf (Zodiakus) eingeordne­ ter und in ihm von neuem wiederkehrender Zeitabschnitt; der Gedanke der Selbsterneuerung in der Zeit wird durch das Attribut des Phoenix bestärkt.“420

Wiederum wird also der Princeps als alleiniger, unübertrefflicher Spender aller Seg­ nungen präsentiert: Als Genius des Goldenen Zeitalters ist er selbst dessen Quelle. Durch die Diskussion einiger weiterer Münzmotive, vor allem aber ausgewähl­ ter Medaillons weist Strack nach, dass es über den gesamten Prinzipat Hadrians hinweg zu einer ganzen Serie von Prägungen gekommen war, welche die Genese bzw. die Präsenz eines Goldenen Zeitalters verkündeten.421 So wirkt die Darstellung der als augusteisch präsentierten Ruhe, die TRANQVILLITAS AVG mit der SECVRITAS AVG zusammen: Die Schlagworte benennen etablierte Grundcharakteristika, die be­ reits bei Velleius Paterculus die pax Augusta des Goldenen Zeitalters auszeichneten und die Hadrians durch seine Leistungen wieder hervorzurufen verspricht.422 417 Vgl. Hekster (2005) 208 mit Anm. 21 (S. 216). 418 RIC II Hadr. 266; 370; 376; 653; 776; siehe auch Dészpa (2015) 245f und das Kapitel Der hadrianische Prinzipat – restitutio und Neugründung; Strack (1933) 181f. 419 RIC II Hadr. 136; Strack (1933) 100–102 (Zitat: 100f); siehe auch Dészpa (2015) 245. 420 Strack (1933) 101. 421 Siehe Strack (1933) 95–110; 181f. 422 RIC II Hadr. 222 var. a–c; f; 223; 367 var. c–g; 730 var. c; f; siehe Strack (1933) 124.

3. Innovative Tradition. Die Erinnerung an Augustus und die hadrianische Imago

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Darüber hinaus wird auf einem Medaillon auf die im Prinzipat Hadrians durchge­ führte Feier des dies NAT(alis) VRB(is) verwiesen;423 auf einem weiteren sind die auch in der zeitgenössischen Tellus­Motivik gegebenen „vier spielende[n] Knaben mit den Attributen der vier Jahreszeiten“ unter der Legende TEMPORVM FELICITAS abgebildet.424 Außerdem bietet eine hadrianische Großprägung mit wesentlichem narrativen Potential Szenen aus dem Leben des Aeneas dar.425 Gerade dieses Me­ daillon verbindet die Blüte des Zeitalters mit einem Gründungsakt und verkündet damit erneut den Anspruch Hadrians mit großen, nicht einholbaren Taten an die Gründerväter Roms, und nur an diese, anzuschließen. Hadrian und die Neugründung des Imperium Romanum Hadrian rückte in seiner Münzprägung als Medium seiner Herrschaftsrepräsentation und ­programmatik (trotz Wiederaufnahmen diverser Prägungen) vom Modell der galbanischen, vitellianischen, flavischen und traianischen Sieghaftigkeit ab. Seine pax Augusta sollte als Produkt seiner Neuordnung des Imperium Romanum erscheinen. Zu diesem Zweck schuf Hadrian eine originäre, neuartige Grammatik der Augustus­ Bezüge: Wurde Augustus bereits in vorhadrianischer Zeit als restitutor der libertas zur Erzeugung von pax Augusta erachtet, ging Hadrian daran diesen spezifisch rö­ mischen Frieden nach angeblich augusteischem Vorbild neu zu bestimmen. Nachdem die Flavier die Sieghaftigkeit, die sie als augusteisches Grundcharakteristikum der pax verstanden hatten oder verstehen wollten, immer neuen Höhen entgegengetrie­ ben und Traian schließlich in Absetzung von Augustus (damit aber dennoch im in­ direkten Rekurs auf dessen Imago) seine militärisch konnotierten Leistungen über jene aller Zeitgenossen einerseits und sämtlicher kaiserlicher Vorgänger andererseits zu setzen gesucht hatte, präsentierte Hadrian sich als Spender unübertreffbarer zivi­ ler Leistungen. Damit verlieh er der pax Augusta eine Qualität, die vorbildlos war. Das bedeutet, sie entsprach weder Augustus’ intendierter Selbstprofilierung noch der Augustus­Rezeption seiner Vorgänger: Sie war vielmehr ein kommunikatives Angebot einer möglichen Augustus­Imago an das soziale Feld (in unterschiedlichen Graden). Dazu war die Anknüpfung an die restitutio des saeculum aureum als an­ geblich augusteische, in der kollektiven Erinnerung mit Sicherheit positiv rezipierte Leistung ein probates Mittel: Längst hatte Augustus in die Reihe jener Gründerge­ stalten Eingang gefunden, denen zugeschrieben wurde, Rom zu einer Blüte geführt zu haben. Ein solches, neben Hercules und Romulus stehendes, gewissermaßen mythifiziertes Bild des Augustus war Anknüpfungspunkt wesentlicher Aspekte der Selbstprofilierung Hadrians – zumindest insofern die relevanten Statusgruppen bereit waren, den kommunikativen Vorschlag aufzugreifen oder ‚weiterzuverarbeiten‘.

423 Strack (1933) 102–105; Nr. 56 (mit Taf. I, 420, 545). 424 Strack (1933) 182 (Zitat); Nr. 465; Mittag (22012) 101; Kat. Hadr 113–114. 425 Strack (1933) 182: „Hier sind also mit der Ankunft des Aeneas sogleich die Erfolge seines Wir­ kens, die Gründung der Stadt und die sichere Bergung des Palladiums im Tempel der Vesta miteinander verknüpft“; siehe Nr. 483; Mittag (22012) 85; Kat. Hadr 98.

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II. Hadrian und Augustus

Hadrian bemühte sich, diesen Anschluss an Augustus und die damit verbundene Verheißung einer Blüte des Reiches auch auf sämtlichen Münzaversen ab dem Jahr 123 zu evozieren: Wie gezeigt, waren in den vorausgehenden Jahren nach und nach alle traianischen Elemente aus der hadrianischen Titulatur entfernt worden, bis schließlich der Name Traianus selbst entfiel. Von nun an nannte sich Hadrian auf seinen Münzen nur noch Hadrianus Augustus. In dieser Beinahe­Umkehrung der Löschung des Attributes ‚Augusti‘ auf zahlreichen Münzen Traians stellte sich Ha­ drian nur noch dem ersten Princeps an die Seite. In anderen Worten: Traian hatte (im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger) zahlreiche Augustus­Verweise gelöscht, um aus dem ersten Princeps nur noch einen Vorgänger unter vielen, aber keinesfalls mehr einen Referenzpunkt zu machen – eine Referenz der es nachzueifern galt, wäre im Kontext der Selbststilisierung als Optimus ja auch schlicht kontraproduktiv ge­ wesen. Hadrian löschte nun, nicht zuletzt um gegen die für ihn selbst prekäre Selbst­ beschreibung seines direkten Vorgängers Traian als bestem Princeps ein eigenes Profil setzen zu können, nicht nur diesen, sondern gewissermaßen sämtliche Vor­ gänger von seinen Münzaversen: Niemand stand im Schriftbild zwischen Hadrian und Augustus. Der eine hatte Rom neu begründet, sein einzig berechtigter Nachfol­ ger schickte sich nach dessen Vorbild an, dies ein weiteres Mal zu tun. So präsentierte Hadrian sich tatsächlich gerade durch seine restitutiones im Bereich der Bauwerke als Erneuerer des ‚mythifizierten‘ augusteischen Zeitalters, dessen Glanz er durch die modernere und noch glanzvollere Ausgestaltung der ent­ sprechenden Monumente noch erhöhte. Auf diese Weise suchte der Neugründer dezidiert gegen seinen direkten Vorgänger Traian Profil zu generieren, dessen Selbst­ beschreibung die differente Selbstbeschreibung Hadrians gerade notwendig gemacht hatte. Dabei folgte Hadrian nicht nur in anderer Weise dem gleichen Ziel der For­ cierung und Überhöhung der eigenen Leistungen über alles bisher Dagewesene, sondern nutzte oft bestehende Sprachregelungen, die generell lesbar waren und die er gemäß seinen Intentionen schlicht transformierte und modifizierte. Neben den Zwängen des Prinzipats bzw. den konstitutiven Merkmalen des Akzeptanzsystems waren durch die vorhergehenden Principes und besonders durch das direkt voraus­ gegangene Prinzipat Traians Erwartungen und Zeitumstände entstanden, denen sich der Nachfolger auch nicht verweigern konnte. Daher baute Hadrian unter anderem bei der programmatisch formulierten, aber auch durch politische Akte vorangetrie­ benen, restitutio der Provinzen eindeutig auf der alimentatio Traians für Italia auf, erinnerte dabei aber mit keinem Wort an seinen Vorgänger. Vielmehr setzte er sein Handeln in eine andere, neuartige intentionale Herrschaftslogik. Folglich wurde es zum verborgenen Charakteristikum der Herrschaft Hadrians, dass dieser trotz Ent­ sprechungen die Erinnerung an Traian und auch seine weiteren Vorgänger verschwieg, sie geradezu ihres Platzes in der Geschichte Roms beraubte. Mommsen hatte, wie gezeigt, nicht nur Augustus eine Rückgabe der res publica zugewiesen, sondern auch Hadrian als Fortsetzer oder Nachahmer, geradezu Wieder­ holer des Prinzipats des Augustus betrachtet. Doch hat die vorangegangene Analyse bewiesen, dass kein Princeps die Handlungen eines Vorgängers einfach in dessen Sinne wiederholte. Das war weder sinnvoll noch möglich. Folglich war auch Had­ rians Referenz auf Augustus kein Versuch diesem zu entsprechen. In Analogie zur

3. Innovative Tradition. Die Erinnerung an Augustus und die hadrianische Imago

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imitatio Alexandri, den Alexander­Bezugnahmen auch zahlreicher römischer Herr­ scher, die (schon der Andersartigkeit des politischen Systems geschuldet) keinesfalls bloße Nachahmung, sondern Gemahnung an Alexanders Taten in gewissen Kom­ munikations­ und Rezeptionskontexten war, wäre geradezu von einer imitatio Augusti zu sprechen.426 Am Ende verhalf Hadrian also die Evozierung eines längst mythifi­ zierten, von der Nachwelt beharrlich neudefinierten und weiterhin neukodierbaren ‚Augustus‘ zu einem höheren Grad an Selbstprofilierung, als es durch einen perfor­ mativen Anschluss an seinen direkten Vorgänger möglich gewesen wäre, der sich problematischer Weises zum optimus princeps stilisiert hatte.

426 Siehe Kühnen (2008) 202: „In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die historische Figur Alexander der Große längst zum Mythos geworden war, der sich im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr verselbständigt hatte.“

4. DER HADRIANISCHE PRINZIPAT – RESTITUTIO UND NEUGRÜNDUNG Das stadtrömische Pomerium Folgte man den Aussagen der antiken Historiographen und Biographen, müssten die ersten, zum Zweck der Zelebrierung militärischer Erfolge, vorgenommenen Erwei­ terungen des Pomeriums in republikanische Zeit datiert werden.1 So soll das stadt­ römische Pomerium ursprünglich analog zur mythologischen Stadtgründung des Romulus im Jahr 753 v. Chr. die palatinische Stadt umschlossen haben: Romulus wird zugeschrieben, mit einem von einem Ochsen (und einer Kuh) gezogenen Pflug eine Furche gezogen zu haben, um den Tempel für den Gründungsvater Hercules mit in das neuen Stadtgebiet aufzunehmen.2 Für die folgenden Jahrhunderte schrei­ ben die Quellen den beiden Königen Titus Tatius und Servius Tullius Erweiterungen des Pomeriums zu,3 was weder nachweisbar noch wahrscheinlich ist, aber die Figuration der Erweiterung begründet. In historisch greifbaren Zeiten wurde dem Pomerium eine wesentliche Funktion für die politischen Prozesse und die Konstitution der res publica zugewiesen: Es handelte sich, jenseits aller über diesen Raum hinausgehenden Besiedlung, um den sakralen Bereich Roms, in dem allein es gestattet war, die Entscheidung über Krieg und Frieden auf Basis des Vogelflugs zu treffen. Zudem durfte sich die Armee nicht innerhalb des Pomeriums aufhalten, auch das Tragen von Waffen war (jenseits des Triumphs) nicht erlaubt. Zudem mussten auch römische Magistrate, die außerhalb Roms gewesen waren, bei der Rückkehr hier ihre Amtsinsignien wieder anlegen. Diese Praxis sollte zum Schutz des Konsensprinzips innerhalb des Senats dienen, in dem kein senatorischer Amtsträger eine dominierende Stellung einnehmen sollte.4 Zu einer Erweiterung des Pomeriums kam es allerdings Tacitus zufolge erst wieder mit dem Ende der Republik und dem Anbrechen der frühen Kaiserzeit: „Auch das Pomerium erweiterte der Caesar [Claudius] entsprechend der alten Sitte, wonach de­ nen, die das Reich vergrößert haben, auch gestattet wird, die Grenzen der Stadt hinauszurücken. Doch hatten die römischen Heerführer, obgleich große Völkerschaften unterworfen worden waren, dieses Recht nicht in Anspruch genommen außer L. Sulla und dem Divus Augustus.“5 1 2 3 4 5

So Liv. 1,44,4f; Dion. Hal. ant. 1,88,2; Varro l.l. 5,143; Gell. 13,14,1; siehe dazu Boatwright (1986) 13–27; Andreussi (1999) 96–105; von Blumenthal (1952) 1868–1872; Liou­Gille (1993) 96–106; Platner/Ashby (1929) 392; Labrousse (1937) 165–199. Tac. ann 12,24,1; siehe auch Dion. Hal. ant. 1,88,1f; Gell 13,14,2; siehe dazu Platner/Ashby (1929) 392f; von Blumenthal (1952) 1872f; Labrousse (1937) 174f; Boatwright (1986) 14; vgl. Andreussi (1999) 98. Siehe Dion. Hal. ant. 4,13,1–4,14,1; Liv. 1,44,3; Gell. 13,14,4; 13,14,5–7; siehe dazu Labrousse (1937) 173–175; von Blumenthal (1952) 1873; Liou­Gille (1993) 94f; vgl. Andreussi (1999) 97f. Siehe Gell. 15,27,5; Varro l.l. 5,143; Dion. Hal. ant. 8,87,6–8; siehe auch Cic. nat. 2,11; Cic. div. 1,33; Cass. Dio 51,19,6; Gell. 13,14,5f; Liv. 1,44,4f; 3,20,6f; Tac. ann. 3,19,3; siehe zusammenfas­ send von Blumenthal (1952) 1869f; Boatwright (1986) 15f; Liou­Gille (1993) 100–106. Tac. ann. 12,23,2.

4. Der hadrianische Prinzipat – restitutio und Neugründung

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Zwar finden sich in einigen weiteren literarischen Quellen entsprechende Zuschreibungen,6 doch kann heute eine Erweiterung des Pomeriums durch den Diktator und den ersten Princeps ausgeschlossen werden.7 weder sind cippi aus der Zeit von Sulla oder Augus­ tus erhalten, noch vermerken die Res gestae eine Erweiterung des sakralen Bereichs. Entscheidend ist jedoch, dass in der lex de imperio, die Vespasian auch eine Erweiterung des Pomerium gestattet, allein auf Claudius, dessen Erweiterung verbürgt ist, und eben nicht auf Augustus rekurriert wird, was in den übrigen erhaltenen Paragraphen an erster Stelle geschieht.8 Somit war es tatsächlich Claudius, der für die erste anhand der cippi archäologisch nachweisbare und auf 49 n. Chr. zu datierende Erweiterung des Po­ meriums verantwortlich zeichnete:9 VIII // pomerium // Ti(berius) Claudius / Drusi f(ilius) Caisar / Aug(ustus) Germanicus / pont(ifex) max(imus) trib(unicia) pot(estate) / VIIII imp(erator) xVI co(n)s(ul) IIII / censor p(ater) p(atriae) / auctis populi Romani / finibus pomerium / ampliavit terminavitq(ue)10

Aus der Partizip­Konstruktion „auctis populi Romani finibus“ geht unmittelbar hervor, dass die Erweiterung des Pomeriums durch Claudius als symbolische Präsentifizierung einer propagatio imperii in der Hauptstadt nach militärischen Erfolgen des Princeps zum Ausdruck fungieren sollte.11 Tacitus formuliert dies zudem expressis verbis:12 „Auch das Pomerium erweiterte der Caesar entsprechend der alten Sitte, wonach denen, die das Reich vergrößert haben, auch gestattet wird, die Grenzen der urbs hinauszurücken.“13

Allerdings scheint die angebliche Sitte der Vorfahren reine Fiktion zu sein. Boatwright argumentiert überzeugend, dass die mehrfach in den Quellen behauptete Pomerium­ serweiterung durch Augustus auf einer Erfindung des Claudius beruhte, um durch eine solche Referenz das eigenes Profil zu stärken.14 Allerdings greift die Forscherin in ihrer Bewertung der Intentionen des Claudius etwas zu kurz: Was von ihr als lediglich affirmative oder dem Vorbild des Augustus folgende Annäherung an diesen oder gar als Fortführung seines Programms betrachtet wird, ist vielmehr als ein Abarbeiten an den augusteischen Leistungen zu verstehen, die Claudius zum Zweck seiner Selbstprofilierung zu übertreffen suchte: Claudius präsentierte sich also auch in diesem Kontext als ‚besserer‘ Augustus.15 6 7 8

9 10 11 12 13 14 15

Gell. 13,14,4; Cass. Dio. 43,50,1; SHA Aurelian. 21,9–11. Siehe Boatwright (1986) 13–27; siehe auch Labrousse (1993) 167–170; vgl. von Blumenthal (1952) 1873f; Platner/Ashby (1929) 393; Andreussi (1999) 101. CIL VI 930,14–16, §5: „utique ei fines pomerii proferre promovere cum ex re publica / censebit esse liceat ita uti licuit Ti(berio) Claudio Caesari Aug(usto) / Germanico.“ Siehe Boatwright (1986) 16; 19; 23f; siehe auch Andreussi (1999) 103; von Blumenthal (1952) 1874; Platner/Ashby (1929) 395; Labrousse (1937) 165–199. Siehe Osgood (2011) 159–161; 162, Fig. 36; Andreussi (1999) 101f; Boatwright (1986) 16–19; von Blumenthal (1952) 1874; Platner/Ashby (1929) 393; Labrousse (1937) 165–199. CIL VI 31537 (hier: CIL VI 31537d = CIL VI 1231a (p. 4359) = ILS 213 (p. 170)). Siehe Dészpa (2015) 244. Siehe auch Osgood (2011) 159. Tac. ann. 12,23,2. Siehe zudem Tac. ann. 12,24,2; Gell. 13,14,2f; SHA Aurelian. 12,10. Boatwright (1986) 17–19 mit Anm. 20; 26f. Siehe Osgood (2011) 147–167; siehe auch das Kapitel Innovative Tradition. Die Erinnerung an Augustus und die hadrianische Imago.

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II. Hadrian und Augustus

Dem claudischen Beispiel einer Erweiterung des Pomeriums als symbolische Präsentifizierung einer propagatio imperii folgten im Jahr 75 Vespasian und Titus, was sich wiederum durch cippi­Funde eindeutig nachweisen lässt:16 [Imp(erator) Caesar] / [Vespasianus Aug(ustus) pont(ifex)] / [m]ax(imus) trib(unicia) pot(estate) VI im[p(erator) xIV] / p(ater) p(atriae) censor co(n)s(ul) VI desig(natus) V[II et] / T(itus) Caesar Aug(usti) f(ilius) / Vespasianus imp(erator) VI(II) / pont(ifex) trib(unicia) pot(estate) IV censor co(n)s(ul) IV desig(natus) V auctis p(opuli) R(omani) / finibus pomerium / ampliaverunt terminaveruntq(ue)17

Zwar hatte diese Maßnahme, wie bereits erwähnt, in ihrer Vorbereitung durch die lex de imperio Vespasiani allein auf Claudius rekurriert, doch wurde auch bereits gezeigt, dass für Vespasian (und die zeitgenössische Rezeption) eine faktisch im claudischen Prinzipat bestehende Opposition zu Augustus und seinem Prinzipat durch das Bild einer positiv konnotierten claudischen Herrschaft in augusteischer ‚Tradition‘ abgelöst worden war. Somit war der alleinige Bezug auf Claudius bezüg­ lich des Pomeriums lediglich der Tatsache geschuldet, dass nur dieser es erweitert hatte, während in der vespasianischen Selbstprofilierung die Demonstration der eigenen, überlegenen Sieghaftigkeit in die kaiserlichen Akte der Neuetablierung und Garantie der pax Augusta eingeordnet wurde. Hadrian nun ging im Umgang mit dem Pomerium, einen Weg, der vom claudi­ schen und vespasianischen Vorbild der Präsentifizierung einer propagatio imperii abwich. Der Text seiner Pomerium­cippi macht das zweifellos deutlich: ex s(enatus) c(onsulto) collegium / Augurum auctore / Imp(eratore) Caesare divi / Traiani Parthici f(ilio) / divi Nervae nepote / Traiano Hadriano / Aug(usto) pont(ifice) max(imo) / trib(unicia) pot(estate) V / co(n)s(ule) III proco(n)s(ule) / terminos pomerii / restituendos curavit18

Hier begegnet der für die hadrianische Herrschaftsprogrammatik besonders wesent­ liche restitutio­Begriff wieder: Hadrian restituierte, wie auch der Grabungsbefund ergibt, mit seinen cippi das vespasianische Pomerium.19 Und obgleich pragmatische Gründe für die restitutio des Pomeriums konstatiert werden können,20 ist dieser erst­ und v. a. einmalige Akt nicht ausschließlich durch solche zu erklären. In diesem Kontext ist zunächst einmal von Bedeutung, dass entgegen anderslautender For­ schungspositionen21 unter Traian keine Erweiterung des Pomeriums erfolgte. So fehlen im scharfen Kontrast zu den zahlreich gefundenen cippi des claudischen, des vespasianischen und des hadrianischen Pomeriums sämtliche Grenzsteine einer Er­ weiterung durch den optimus princeps22 und auch die Vita des Aurelian der Historia Augusta, die Augustus, Nero, Traian und Aurelian eine Erweiterung des Pomeriums 16 17 18 19 20 21 22

Siehe Andreussi (1999) 103f; Boatwright (1986) 19–21; Boatwright (1987) 41; von Blumenthal (1952) 1874f; Platner/Ashby (1929) 395; vgl. Labrousse (1937) 165–199. CIL VI 31538 (hier: CIL VI 31538b = CIL VI 1232 (p. 3795, 4359) = ILS 248). CIL VI 31539 (hier: CIL VI 31539b (p. 3795, 4359) = ILS 311). Siehe Labrousse (1937) 165–199; Andreussi (1999) 104; Boatwright (1986) 21; Platner/Ashby (1929) 396. Siehe Boatwright (1987) 64–72; Boatwright (1986) 21. So Bennett (1997) 148; Seelentag (2004) 436–438; Woytek (2010) 127 mit Anm. 173. Siehe Boatwright (1986) 25f mit Anm. 41; von Blumenthal (1952) 1875; Labrousse (1937) 167;

4. Der hadrianische Prinzipat – restitutio und Neugründung

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zuschreibt, gehört zu den späten, nur wenig zuverlässigen Kaiserbiographien des Werks.23 Sie geht nicht nur im Fall des Augustus fehl, auch für Nero mangelt es völlig an weiteren Belegen.24 Die Unzuverlässigkeit der einzigen literarischen Bemerkung einer Pomeriums­ erweiterung durch Traian sowie das Fehlen traianischer cippi hat Teile der Forschung allerdings nicht daran gehindert, sich um den Beleg eines solchen Akts der Erwei­ terung, der einem optimus princeps doch zur Ehre gereicht haben dürfte, zu bemü­ hen.25 Insbesondere Gunnar Seelentag hat vorgeschlagen, aus Münzreversen, die einen Priester (Traian?) beim Ziehen einer Furche durch einen mit einem Ochsen und einer Kuh bespannten Pflug abbilden,26 eine traianische Erweiterung des Pome­ riums abzulesen.27 Strack argumentierte hingegen, dass die nach dem Zweiten Da­ kerkrieg geschlagene Münze, die Neugründung von Sarmizegetusa als Provinzhaupt­ stadt der Colonia Dacica meinte.28 Das erkennt Seelentag zwar an, möchte aber wissen, dass bei der Prägung von einer „Polysemie römischer Bildaussagen“ auszu­ gehen sei, und diese daher auch eine 106 n. Chr. von Traian vorgenommenen Erwei­ terung des Pomeriums rezipiere.29 Freilich kann eine Münze eine solch komplexe Aussage ohne Hinzufügung einer Legende nur verbreiten, wenn sie entsprechende Vorbilder (oder wenigstens Nachahmer) besaß, was aber nicht der Fall war. Zudem hat Strack auch gezeigt, dass die Prägung ihre Vorläufer im allgemein bekannten Muster der colonia­Prägungen besaß30 und darauf hingewiesen, dass „das Ritual des primigenius sulcus […] für keine der bekannten Pomeriumerweiterungen be­ zeugt“ ist.31 Auch die von Seelentag herangezogene republikanische Restitutionsmünze mit ähnlichem Reversmotiv eines Pflügenden32 vermag seine Argumentation nicht zu stützen, zumal er die Interpretation als colonia­Prägung letztlich selbst bestätigt:

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Strack (1931) 130; siehe auch Andreussi (1999) 104, die leider fälschlich den Eindruck erweckt, Strack (1931) plädiere für eine Erweiterung des Pomeriums durch Traian. SHA Aurelian 21,9–11. Siehe Andreussi (1999) 103; Boatwright (1986) 25 mit Anm. 41; Labrousse (1937) 167; vgl. von Blumenthal (1952) 1874, Platner/Ashby (1929) 393; Seelentag (2004) 437, Anm. 36. Eine pro­ grammatische Erweiterung des Pomeriums durch Aurelian ist ebenso zweifelhaft: Möglicher­ weise glich er das Pomerium nur an die neue Verteidigungsmauer Roms an ohne es neu zu begründen und zu weihen (siehe Andreussi (1999) 105; Boatwright (1986) 26; von Blumenthal (1952) 1875; vgl. Labrousse (1937) 170; 180; Platner/Ashby (1929) 393). Nur knapp verwiesen sei auf Bennett (1997) 261, Anm. 59 sowie auf Woytek (2010) 127, Anm. 173f. Bennett führt als Belege einer Erweiterung des Pomeriums durch Traian neben der Passage der Historia Augusta ohne einleuchtendes Argument die cippi der claudischen Erweiterung sowie den Bericht darüber aus den Annalen an, während Woytek befindet: „[d]ie Erweiterung unter Traian ist zwar nur in der HA belegt […], ihre Historizität ist aber aufgrund der inneren Wahr­ scheinlichkeit nicht anzuzweifeln, die sich bei Betrachtung der Parallelfälle ergibt“; dabei erge­ ben sich diese Parallelfälle freilich nur aus einer durch Woytek selbst vorgenommenen Paralleli­ sierung mit einer a priori gesetzten Behauptung einer traianischen Pomeriumserweiterung. RIC II Trai. 567–568; Strack (1931) Nr. 384; siehe auch S. 129. Seelentag (2004) 436–438. Siehe Strack (1931) 129f. Seelentag (2004) 437f (Zitat: 438). Siehe Strack (1931) 130. Strack (1931) 130. RIC II Trai. 781; Komnick (2001) Trai. Typ 20.0.

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II. Hadrian und Augustus

„Das Original spielte auf eine Städtegründung an, wahrscheinlich auf die des Serto­ rius in Spanien.“33 Die Münze verweist also schlicht auf einen spezifischen oder allgemeinen Gründungsakt. Damit soll selbstverständlich nicht bestritten werden, dass Traian als Ordnungsstifter Roms und des Imperiums aufzutreten suchte. Bei diesem allgemeinen Befund handelt es sich aber gewiss um keinen Beleg dafür, dass Traian das Pomerium erweiterte.34 Dies war ohnehin niemals die einzige und allge­ mein gebräuchliche Versinnbildlichung einer propagatio imperii.35 Darüber hinaus setzte Traian während seiner gesamten Herrschaft, entgegen der Praxis seiner Vor­ gänger, seine militärischen Kampagnen stetig fort und zog noch 114 gegen Parthien.36 So widmete sich nach dem vespasianischen Prinzipat erst Hadrian wieder pro­ grammatisch dem Pomerium: Mittels der nun auch hier etablierten restitutio präsentierte er sich auch in diesem Kontext als Neugründer Roms und des Imperium Romanum. Mihály Loránd Dészpa hat gezeigt, dass es sich bei der hadrianischen restitutio des Pomeriums um die prononcierteste Markierung der neuartigen, reichsweiten Ord­ nungsstiftung durch Hadrian handelte. Mittels des ebenfalls neuartigen Vokabulars der hadrianischen cippi wurde der bisher in der Pomeriumerweiterung fomulierten propagatio imperii eine ausdrückliche Absage erteilt: „restituere and termini carry methonymical meanings in this context and represent pars pro toto the restituion of the borders and of order throughout the empire.“37 Diesen Bezug auf das Gesamtreich und auf eine Ordnungsstiftung in Friedenszeiten weist besonders, so Dészpa, der in den cippi erstmals in der kaiserlichen Titular gebrauchte Titel eines Proconsuls auf, der als Statthalter die Aufgaben der Reichsverwaltung der bereits durch Rom ‚be­ friedeten‘ Gebiete wahrnahm.38 Auch die Form des Senatsbeschlusses ist ein inter­ essantes distinktives Merkmal: Diesem folgend führte das collegium Augurum auf Veranlassung Hadrians eine restitutio des Pomeriums durch. Präsentierte sich Had­ rian somit als konsensual mit seinen Standesgenossen zusammenarbeitend, kurzum: demonstrierte er seine moderatio und modestia? Vordergründig scheint das der Fall gewesen zu sein: Hadrian tritt nicht selbst als Errichter der Inschrift und als restitu­ tor auf, sondern lediglich als Veranlasser. Allerdings macht gerade die explizite Kennzeichnung Hadrians als auctor der Initiative die absolute Verfügungsgewalt des Princeps überdeutlich. Hadrian war somit alleiniger Urheber der Stiftung von 33 34

35 36 37 38

Seelentag (2004) 436. Auch der Verweis von Seelentag (2004) 437 mit Anm. 39 auf Tac. ann. 12,23,2, also zur Pome­ riumserweiterung des Claudius, mag zwar „Wirkungsmacht in traianischer Zeit besessen ha­ ben“ und die „Worte des traianischen Historiographen Tacitus legen“ womöglich auch „gerade davon Zeugnis ab“ (Zitate: Anm. 39), doch ist nicht ersichtlich, inwiefern das eine Pomeriums­ erweiterung durch Traian belegen sollte. Zwar behandelt Tacitus in seinem Werk den römi­ schen Prinzipat unweigerlich aus der Perspektive des späten ersten und frühen zweiten Jahr­ hunderts, das darf aber nicht dazu führen, seine Aussagen ohne weitere Hinweise auf Traian zu transferieren und als faktische Verbalisierung seiner Taten zu lesen. Tacitus war mit Sicherheit kein ‚traianischer Historiograph‘, sondern ein Historiograph traianischer und die Annalen be­ treffend ohnehin eher hadrianischer Zeit. Diese Funktion kam im traianischen Prinzipat vielmehr dem Forum Traiani zu. Vgl. Dészpa (2015) 242f. Dészpa (2015) 244. Dészpa (2015) 244.

4. Der hadrianische Prinzipat – restitutio und Neugründung

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Ordnung, Frieden und Sicherheit und d. h. eines neuen Goldenen Zeitalters. So bestimmte die Wiedererrichtung des Pomeriums die Grammatik der hadrianischen Selbstbeschreibung als Princeps entscheidend mit, die ihm die Absetzung von Traians Profilierung als angeblich bester aller Principes ermöglichen sollte und weitgehend auch ermöglichte.39 Damit verlieh Hadrian durch die Restitution der sakralen Grenze letztlich auch der pax Augusta eine neue Bedeutung, die sich nun fundamental von ihrer Genese bzw. Bewahrung durch virtus, Sieghaftigkeit und propagatio imperii, kurz von der militärisch konnotierten Ordnungsstiftung, abhob, die Claudius und Vespasian durch ihre programmatische Erweiterung des Pomeriums zum Ausdruck zu bringen gesucht hatten. Die Erwähnung der Auguren auf den cippi des hadrianischen Pomeriums kann zudem als Verpflichtung des Princeps auf die mores maiorum gelesen werden.40 Auf diese Weise knüpfte Hadrian an das Auspizium an, das Romulus zur Gründung Roms erhalten hatte und durch das die zukünftige Größe der urbs grundlegend gewähr­ leistet worden war. Folglich inszenierte sich Hadrian wiederum als zentrale Gründerfigur,41 die neben dem Stadtgründer Romulus und dem ersten Princeps Au­ gustus stand, dem auf Basis der (diametral motivierten) Konstruktion des Claudius auch eine Pomeriumserweiterung zugeschrieben wurde. Die restitutio Hadrians sicherte und garantierte nun bei gleichzeitiger Unterschlagung der Erweiterungen des Claudius und vor allem jener des Vespasian und des Titus, deren cippi schlicht unterhalb des von Hadrian angehobenen Bodenniveaus verblieben und ohne Angabe ihres Namens ersetzt wurden,42 die zentralen Errungenschaften der Gründer Romu­ lus und Augustus. Dabei sei noch einmal betont, dass die Anknüpfung Hadrians an Augustus in keiner Weise der Selbstprofilierung des Augustus und dessen Rezeption während seines Prinzipats entsprach, sollte doch seine Ordnungsstiftung keineswegs als rein zivile Leistung gedeutet werden. Hadrian stellte sich also öffentlich und explizit in die ausschließliche Nachfolge des Augustus, ahmte dessen Akte jedoch nicht nach, sondern griff auf zwischenzeitlich etablierte, nachaugusteische Rezep­ tionen zurück, modifizierte und veränderte diese im Interesse seiner Selbstprofilierung und der Erwartungen seiner Umwelt weiter und trug damit letztlich selbst zu einer Transformation der Augustus­Imago der Zukunft bei. Folglich trieb Hadrian bei der restitutio des Pomeriums seine Selbstprofilierung noch einen entscheidenden Schritt weiter: Sein Handeln sollte als generell vorbildlos und als Maßnahme eigenen Rechts erscheinen. Durch das Verschweigen nicht nur Traians, sondern aller Nachfolger des Augustus präsentierte er sein Prinzipat als erste traditionelle, sichere, friedliche, heil­ bringende Herrschaft seit jener des ersten Princeps. Damit war das hadrianische Prinzipat fürwahr als neues saeculum aureum charakterisiert.

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Siehe auch Dészpa (2015) 235–246. Siehe allerdings zum Auspizium der Pomeriumserweiterung generell Blumenthal (1952) 1875. Siehe zur hadrianischen Anlehnung an Romulus Conditor auch Boatwright (1986) 22. Siehe Boatwright (1986) 21f.

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II. Hadrian und Augustus

Der Doppeltempel der Venus und Roma Die Bauarbeiten am einzigartigen römische Doppeltempel der Venus und Roma haben wohl bald nach seiner Dedikation im Jahre 121 n. Chr. begonnen, ihr Ende fanden sie jedoch erst zwischen 139 und 144 n. Chr., also unter der Herrschaft des Antoninus Pius.43 Dass es sich dennoch während der Bauarbeiten um ein spezifisches Projekt Hadrians mit zielgerichteter Aussageabsicht für dessen Prinzipat gehandelt hatte, ist, neben dem Bauvorgang als solchem, durch die zeitgleich einsetzenden, bereits erwähnten ROMA­AETERNA­ bzw. ROMAE­AETERNAE­Reversprägun­ gen des hadrianischen Münzprogramms deutlich. Diese zeigen die ikonographisch gebräuchliche bewaffnete Roma in Rüstung mit Victoria, die aber dennoch, wie gezeigt, die securitas Augusta garantierte und auf diese Weise ein neues, dauerhaftes und glückliches Zeitalter, kurzum ein saeculum aureum, verhieß.44 Zudem wurden analoge Münzen für die VENERI FELICIS geschaffen. Darauf wird Venus in sit­ zender Position mit Amor und einem umgekehrten Speer abgebildet.45 Das Prädikat macht damit auch Venus zur Garantin eines glücklichen Zeitalters, was durch den umgekehrten Speer als Attribut verdeutlicht wird: Zwar ist die grundsätzliche Weh­ rhaftigkeit noch gegeben, es gibt aber keine Feinde, gegen die man die Waffe richten müsste. Wie der Kasus zeigt, waren diese Münzen der Venus Felix dediziert, worin sie mit den ROMAE­AETERNAE­Prägungen korrespondieren. Somit begleiteten wohl insbesondere diese beiden Prägetypen den Bau des Tempels und verkündeten dessen Weihung für Roma Aeterna und Venus Felix.46 Neben der bereits diskutierten Verschränkung der Attribute felix und aeterna als Basis eines Goldenen Zeitalters kam auch der Weihung eines Tempels gerade für diese beiden Gottheiten im hadrianischen Prinzipat eine besondere Funktion zu. So hatte es sich bei der Venus um die Stammgöttin der gens Iulia gehandelt. Die Be­ zugnahme des Augustus auf sie, zum Beispiel in der Münzprägung und dabei teils in einem Synkretismus mit Livia, sowie, besonders prominent, auf dem Forum Augustum machte sie zur Stammgottheit Venus Genetrix der iulisch­claudischen Dynastie. Entsprechend ließ auch Hadrian für sich wie für seine Gattin Sabina VENERI­GENETRICI­Münzreverse schlagen. Das Reversbild der Hadrian­Prägun­ gen zeigt Venus stehend mit Szepter und Tropaion präsentierender Victoria und der linken Hand auf einem Schild ruhend, der sich auf einem abgelegten Helm befand.47 43

44 45 46 47

Siehe hier und im Folgenden Mols (2003) 461–463 mit älterer Literatur; Cassatella (1999) 121; Boatwright (1987) 121–124; 130–132; Knell (2008) 39f; 44–46; siehe ferner Fündling (2006) K 419 (19,12); Kuhlmann (2002) 163; vgl. Opper (2008) 126; Blake/Bishop (1973) 40f; Beaujeu (1955) 128–136; 139–160. Siehe dazu auch Opper (2008) 126. RIC II Hadr. 280 var. a; c–d; vgl. Boatwright (1987) 123; 130–132; Mols (2003) 461; 463; Knell (2008) 44f; Beaujeu (1955) 136–139. Ob es sich dabei in der Tat um eine Abbildung der Kultbilder des neuen Tempels handelte, wie Boatwright (1987) 123, Mols (2003) 463–465 und Knell (2008) 44 meinen, muss dahingestellt bleiben. RIC II Hadr. 279 var. a; c; g sowie RIC II Hadr. 396; 1035 var. a–b; 1945; 1049–1050 (für Sabina). Siehe dazu das Kapitel Antinoos und Sabina. Hadrianische Interaktion zwischen römischer Tradition und Hellenisierung?

4. Der hadrianische Prinzipat – restitutio und Neugründung

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Die kriegerische Bedrohung erscheint also als längst abgewendet – Venus wacht nun über Frieden und Sicherheit. Hadrian hatte sich also in seinem Münzprogramm die Stammmutter der iulisch­claudischen Dynastie angeeignet und sie gleichzeitig neu als Glücksgottheit für das Reich und dessen Sicherheit gestaltet. Indem er von Au­ gustus und Livia für sich und Sabina die Venus Genetrix übernahm, wurde diese nun im Rahmen seines Münzprogramms göttliche Garantin der PAx AVG und SECVRITAS AVG eines SAEC AVR. Somit wurde auch in diesem Bereich die Bezugnahme auf den längst ideell überhöhten Augustus zum Versprechen der An­ knüpfung an traditionelle römische Größe. Roma hingegen hatte bislang in der urbs keinen Kult besessen, sie war lediglich im griechischen Osten in Verbindung mit dem Kaiserkult verehrt worden. Da ihre personifizierende Darstellung aber auch in Rom prominent war, man denke z. B. an die Ara Pacis, suchte Hadrian mit ihrer kultischen Etablierung mit Sicherheit keine Hellenisierung Roms zu erreichen, wie in der Forschung gelegentlich gemutmaßt wird.48 Vielmehr wollte er mit der erstmaligen Kultstiftung in Rom sowie der offi­ ziellen Benennung als Roma Aeterna und Roma Felix seinen Prinzipat als neues, glückliches, dauerhaftes und prosperierendes Zeitalter darstellen, das als völlige Erneuerung oder erneute Gründung Roms verstanden werden konnte. Und durch die Zusammenführung dieser Roma mit der neuen hadrianischen Venus in einem Tempel wurde deutlich gemacht, dass diese Leistung nur der Princeps vollbringen konnte. Zudem hatte er mit dem Kult für Roma Aeterna gewissermaßen Rom (wie­ der) nach Rom geholt,49 was als restitutio der libertas verstanden werden konnte, die als ausschlaggebend für die pax Augusta rezipiert wurde. Der Tempel, in dem nun dieser neue Kult der Roma und Venus eingerichtet wurde, ist durch Maxentius nach einer weitgehenden Zerstörung neu aufgebaut und im Jahr 307 wieder eingeweiht worden. Da der architektonische Aufbau dabei weit­ gehend verändert wurde,50 sei hier nur auf die gesicherten ursprünglichen Charak­ teristika hingewiesen: Errichtet wurde der Tempel auf einem monumentalen Podium (100 × 145 Meter), für dessen Bau vor dem Eingang zum Forum Romanum auf der Ostseite Platz geschaffen worden war und das die Talsenke zwischen Kolosseum und Forum ausglich. So führte auf der Westseite, die zum Forum hingewandt war, eine große Freitreppe zum eigentlich Tempel.51 Der Kern des Tempels selbst bestand aus zwei Cellae, die an ihrer Stirnseite aneinander anschlossen, zum Forum und zum Kolosseum hin geöffnet waren und den Blick auf die beiden Kultbilder freigaben. Aus den Libri Contra Symmachum des Prudentius erfahren wir, dass es sich (und das dürfte bereits für die Zeit vor Maxentius gelten) bei der östlichen Cella um die Kultstätte der Venus, bei der westlichen um jene der Roma handelte.52 48 49 50 51 52

So Stamper (2005) 206f; Opper (2008) 126f; vgl. Mols (2003) 462; Boatwright (1987) 130; Mellor (1967) 105–119. Vgl. Opper (2008) 126. Siehe dazu ausführlich Knell (2008) 40f; Cassatella (1999) 121f; Opper (2008) 126; Mols (2003) 460; Boatwright (1987) 124f; Blake/Bishop (1973) 41. Knell (2008) 39–42; Opper (2008) 126f; Mols (2003) 459–461; Cassatella (1999) 122; Blake/ Bishop (1973) 40; vgl. Boatwright (1987) 125–128. Prud. c. Symm. 215–22. Siehe dazu Cassatella (1999) 121; Mols (2003) 461; Knell (2008) 41f.

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II. Hadrian und Augustus

Die Cellae besaßen jeweils einen Pronaos mit Säulenfront, alle vier Seiten waren von einer dipteralen Ringhalle umgeben.53 Die gestalterische Außerordentlichkeit des Tempels liegt in sieben Aspekten begründet, deren Intentionen folgendermaßen interpretiert werden können: 1. Die Größe des Tempels ist in Rom vorbildlos. Heiner Knell führt aus: „Hierzu gehört, dass für das Format der Ringhallensäulen bei einer Gebälkhöhe von 3,80 m und einem Säulendurchmesser von mindestens 2,00 m mit einer Säulenhöhe von kaum weniger als 20 m zu rechnen ist. In ihrer Verbindung mit dem bekanntlich riesigen Grundriss ergibt sich ein Tempel von einer für Rom einzigartigen Monu­ mentalität. Diese bestätigen zugleich die mit einer Seitenlänge von 27 m bis 28 m annähernd quadratischen […] Cellaräume beider Teiltempel“; die Höhe der Cella­ wände dürfte etwa 26 Meter betragen haben.54 2. Kein anderer stadtrömischer Tempel war auf allen Seiten von einer dop­ pelten Säulenreihe umgeben. Der Dipteros war ein Import aus der griechischen Tempelarchitektur, doch waren die Cellae nach traditionell römischen Vorbildern ausgeführt.55 3. Zwei (einander spiegelnde) Heiligtümer für zwei Götter in einem einzigen und in der Gesamtwirkung einheitlichen Tempel waren im gesamten Imperium Romanum vorbildlos und fanden auch keine Nachahmung.56 4. Der Tempel befindet sich an einem Standort mit einem hohen Grad an tradi­ tioneller Sakralität: Er schloss an das Forum Romanum und die Via Sacra und somit an den wesentlichen Verkehrsknotenpunkt der urbs an. Vor allem aber hatte sich hier, wo sich zuletzt die Domus Aurea und der Sol­ bzw. Nero­Koloss erhoben, vormals wohl ein Heiligtum der römischen Penaten befunden.57 Folglich wurde das Bauwerk an einem Ort der traditionellen politischen und religiösen Ordnung Roms situiert. Somit bekundete Hadrian durch das Bauprojekt seinen Willen, diese Ordnung wie­ derzubeleben bzw. zu restituieren. 5. Der bauliche Anschluss an das Forum Romanum diente Hadrian dazu, den neuen Ruhm und die wachsende Prosperität unter und durch seine Herrschaft besonders prononciert zu verkünden: Indem das monumentale Heiligtum der Roma das Forum in östlicher Richtung erweiterte und die Haupttreppe des Bau­ werks ebenfalls auf dieser Seite lag, überschaute die Göttin Roma nun den zen­ tralen Platz Roms und damit letztlich ihre Stadt.58 Ihre Denomination als Roma Aeterna betonte Roms Herausgehobenheit unter den Städten des Reiches sowie den dauerhaften Bestand und die unverbrüchliche Macht und Dominanz der urbs. 53 54 55 56 57

58

Siehe Knell (2008) 41–43; Opper (2008) 127; siehe auch Mols (2003) 461; Cassatella (1999) 123; vgl. Blake/Bishop (1973) 41; Boatwright (1987) 125. Knell (2008) 43; siehe auch Opper (2008) 126; Mols (2003) 460; Cassatella (1999) 122f. Siehe Opper (2008) 126f; vgl. Knell (2008) 43f. Knell (2008) 43; Opper (2008) 126; Blake/Bishop (1973) 41; vgl. Boatwright (1987) 128f. Siehe Knell (2008) 36–39; Opper (2008) 126; Mols (2003) 459f; Cassatella (1999) 121; Boatwright (1987) 120f; 132; Blake/Bishop (1973) 40. Zur Verortung des Heiligtums der Penaten siehe Liv. 45,16,5; zum Koloss des Nero, seinen Veränderungen und seiner Verle­ gung siehe Fündling (2006) K 421 (19,13) sowie das Kapitel Hadrianus Augustus. Die Au­ gustus-Verweise Hadrians. Boatwright (1987) 132; Knell (2008) 41f; vgl. auch 46 sowie Mols (2003) 463.

4. Der hadrianische Prinzipat – restitutio und Neugründung

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Nicht zuletzt schärfte auf diese Weise auch Hadrian selbst subtil sein Profil als aktuell, aber auch historisch uneinholbarer und unüberbietbarer Inhaber der All­ gewalt, war er es doch gewesen, der Roma nach Rom gebracht hatte. Folglich thronten nunmehr die voll und ganz auf Hadrian bezogenen Göttinnen Roma und Venus als Segensspenderinnen über der res publica. 6. Der Tempel der Venus und Roma korrespondierte in seiner Lage mit dem sich am westlichen Ende des Forums erhebenden Tempel des Iuppiter Optimus Maximus.59 Hadrian setzte also den Tempel seiner Herrschaft und seiner Gottheiten auf die gleiche Ebene wie den zentralen Tempel der römischen res publica, womit er sich in die Nachfolge der legendären Frühzeit der römischen Geschichte stellte: Livius zufolge fällt die Weihung des IOM­Tempels mit dem Beginn der Republik zusam­ men.60 Hadrian präsentierte sich somit als Neugründer, dessen Leistungen für Rom ebenso bedeutsam waren wie jene der ‚Väter‘ res publica. 7. Der Doppeltempel verband außerdem das Forum Romanum mit den impe­ rialen Fora.61 Die prononcierte Monumentalität des hadrianischen Bauwerks ließ Stephan Mols schließen, Hadrian habe einen Tempel dieser Größenordnung errich­ tet, da ihm nicht genügend Platz zur Errichtung eines Kaiserforums zur Verfügung gestanden habe.62 Diese Deutung ist weder befriedigend noch überzeugend: Hätte Hadrian ein Forum bauen wollen, wäre es ihm möglich gewesen, Platz dafür zu schaffen. Allerdings hätte die Errichtung eines Kaiserforums eine extensive Betonung der kaiserlichen Sieghaftigkeit bzw. der propagatio imperii erzeugt, was eben gerade nicht hadrianischen Intentionen entsprach. Stattdessen schuf Hadrian ein spezifisch anderes und ganz neuartiges Bauwerk mit völlig differenter Aussage, das lediglich gemeinsam mit dem Tempel des Iuppiter Optimus Maximus nicht nur über dem Forum Romanum, sondern auch über sämtlichen Kaiserforen thronte. Damit sym­ bolisierte der Tempel der Venus und Roma in seiner Materialität nicht nur im Gegen­ satz zu den Foren eher zivile Aspekte der Ordnungsstiftung, sondern vor allem eine bedeutsamere und entscheidendere Leistung als jene der bisherigen republikanischen und kaiserlichen Leistungsträger, allein korrespondierend mit der Begründung des römischen Gemeinwesens selbst. Auf diese Weise fiel Hadrians Tempel der Venus und Roma eine entscheidende Marker­Funktion zu, der mit einfachen Konzepten wie jenem der Gräzisierung oder Hellenisierung Roms, jenem der singulären Anknüpfung an römische Traditionen oder auch nur der Wechselwirkung zwischen diesen beiden Konzepten nicht beizu­ kommen ist.63 Viel bedeutsamer war, dass der Tempel in jeder Hinsicht vorbildlos, 59 60

Mols (2003) 459. Siehe Liv. 2,8,6–9: „Der Jupitertempel auf dem Kapitol war noch nicht geweiht. Die Konsuln Valerius und Horatius ließen das Los entschieden, wer von ihnen beiden die Weihe vollziehen solle. Das Los fiel auf Horatius; Publicola brach zum Krieg gegen Veji auf. […] Dies waren nach der Vertreibung der Könige die Taten des ersten Jahres daheim und im Felde“; siehe dazu auch Graf (1999) 78; vgl. Stamper (2005) 10–12. 61 Vgl. Mols (2003) 459. 62 Siehe dazu Mols (2003) 458–465. 63 So Mols (2003) 458–465; Boatwright (1987) 131f; Beaujeu (1955) 128–161. Der in der Forschung häufig vertretenen Annahme, mittels der Apollodor­Anekdote bei Cass. Dio 69,4,1–5 lasse sich eine Hellenisierung der hadrianischen Architektur im Allgemeinen und des (freilich im Narrativ

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II. Hadrian und Augustus

auffällig, kurzum ein singuläres Objekt des kaiserlichen Bauens in Rom war. Er diente Hadrian folglich dazu, seine Neugründung Roms und des Imperiums auch visuell als besonders und überlegen gegenüber den Versuchen seiner Vorgänger dar­ zustellen, sofern er diese überhaupt gelten ließ. Somit korrespondiert das Bauprojekt Hadrians mit der restitutio des Pomeriums. Dass auch Hadrian diese Analogien zu Schärfung seiner Profils betont haben dürfte, zeigt sich darin, dass beide Akte im gleichen Jahr, 121 n. Chr., stattfanden und auf „Rome’s origins“ verwiesen.64 Mit der Weihung des auch Templum Urbis genannten Bauwerks65 während der im griechischen Raum als Rhomaia gefeierten Parilia, er­ folgte die Umbenennung dieses Festtags in Natalis Urbis Romae.66 wie aus dem neuen Namen des Fests hervorgeht, feierte es die Romulus zugeschriebene Gründung Roms durch die erste Ziehung des Pomeriums.67 Hadrian nun schloss eng und in Ausschließlichkeit an die Imago des Gründers Romulus und des Neugründers Au­ gustus an, um auf diese Weise sein Wirken für Rom als einzig den Vorbildern gleich­ rangig und damit als neue Begründung eines saeculum aureum erscheinen zu lassen. Hadrian und die kaiserliche Sieghaftigkeit Folglich bedeutete nicht nur der postume Triumph des Traian, den Hadrian explizit abgelehnt und an dem er vermutlich nicht einmal teilgenommen hatte, eine Absage an die prekäre, da als uneinholbar markierte, traianische Sieghaftigkeit. Auch das weitgehende Ende der Schaffung triumphaler Architektur und Kunst sowie militärisch konnotierte Modi der Selbstdarstellung, die in der traianischen, aber auch bereits in der flavischen Zeit, besonders prominent gewesen waren, verweist auf eine Neube­ stimmung der profilbildenden hadrianischen Ordnungsstiftung im zivilen Sektor. Diese wurde, als akzeptanzbildende Maßnahme, als Restituierung der großen römi­ schen Vergangenheit zum Wohl des populus Romanus nach dem Vorbild großer römischer exempla, insbesondere des als friedliebend neukonstruierten Augustus als angeblich einzig neben Hadrian zu stellendem Princeps, präsentiert. Der Absolutheitsanspruch Hadrians ist also nicht geringer als jener des Traian. Dessen kriegsbedingte Abwesenheit und Selbstprofilierung als ‚bester‘ Princeps und sieghaftester Feldherr zielte nicht zuletzt darauf ab, den beschränkten Einfluss des Senats offensichtlich zu machen und damit die senatorische dignitas in Frage zu stel­ len. Hadrian brachte in vielen Bereichen zwar teils diametral entgegengesetzte, teils bislang vollständig unvertraute Modi der Selbstprofilierung zum Einsatz.

64 65 66 67

nicht einmal namentlich benannten oder auch nur verbindlich als gemeint nachzuweisenden) Tempels der Venus und Roma im Besonderen belegen (vgl. Boatwright (1987) 119–121; 129; Knell (2008) 36; Mols (2003) 460; Blake/Bishop (1973) 41), ist bereits im Kapitel Hadrianus Augustus. Die Augustus-Verweise Hadrians entschieden widersprochen worden. Boatwright (1987) 122; siehe auch 218; 238. Siehe SHA Hadr. 19,12; Prud. c. Symm. 218–222; dazu Fündling (2006) K 419 (19,12); Cassa­ tella (1999) 121. Boatwright (1987) 122; Opper (2008) 126; Cassatella (1999) 121; Knell (2008) 36. Siehe auch Dion. Hall. ant. 1,88,2f.

4. Der hadrianische Prinzipat – restitutio und Neugründung

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Doch im Resultat reklamierte er auch für sich enorme Leistungsfähigkeit und war aufgrund seiner Reisen durch das zu ordnende und neuzugründende Reich ebenso häufig abwesend vom Zentrum wie sein Vorgänger. Hadrian scheint also mit seiner Selbstdarstellung ein vergleichbares Ziel verfolgt zu haben, dass er jedoch im Inte­ resse einer persönlichen Profilbildung anders ausgestaltete. Dass auch Hadrians zunächst einmal gänzlich unvertraute und der Etablierung sowie dem Erhalt von römischer Herrschaft auf den ersten Blick entgegenwirkende Anlehnung an griechi­ sche Konzepte diesem Ziel geschuldet war, ist im Weiteren zu zeigen.

III. HADRIAN UND GRIECHENLAND 1. AURELIUS VICTOR UND DIE HADRIANISCHE IMAGO Aurelius Victor erklärt bereits im ersten Satz seiner Kurzbiographie Hadrians, dieser sei „eloquio togaeque studiis accommodatior“ gewesen, was ungefähr mit „mehr der Beredsamkeit und der bürgerlichen Bildung zugeneigt“ zu übertragen ist.1 Somit wird Hadrian sowohl in seinen Verhaltensweisen als auch in seinem bevorzugten Kleidungsstils klar von Traian und dessen Herrschaftspragmatik der expansiven Kriegsleistungen und der kaiserlichen Sieghaftigkeit abgegrenzt: Hadrian habe die zivile Toga anstelle das Kriegsgewands getragen.2 Ganz folgerichtig lässt Victor im Weiteren den neuen Princeps Hadrian „pace ad orientem composita“, also den Krieg beseitigend, nach Rom zurückkehren.3 Die daraufhin dort umgesetzten Akte seiner Herrschaft beschreibt und klassifiziert Victor mit diesen Worten: „Dort begann er, sich nach griechischem Brauch oder jenem des Numa Pompilius um die Kulte, Gesetze, Gymnasia und die Lehrer der Wissenschaften zu bemühen, und zwar so nachdrück­ lich, dass er auch eine Schule für die freien Künste, die man Athenaeum nennt, gründete und in Rom die Initiationsriten der Ceres und der Libera, die sogenannten Eleusinischen, nach dem Brauch der Athener, feierte.“4

Hadrian und Numa Dem zweiten sagenhaften König Roms Numa wurde entgegen seinem kriegerisch dargestellten Vorgänger Romulus das Bild eines zivilen, Gesetze, Tempel und Kulte stiftenden Herrschers zugewiesen. Victor zufolge soll er sich um die Ordnung Roms verdient gemacht haben und wird in diesem Sinne mit Hadrian verglichen. Dass Hadrians mos Pompilii Numae hier aber wirklich eine den Princeps lobende oder gar rühmende Funktion haben soll, ist zu bezweifeln.5 Wenn im weiteren Text der Niedergang des Princeps Hadrian durch seinen (angeblichen) Rückzug in die Villa Hadriana seinen Anfang nimmt und schließlich im Verhältnis des Herrschers zu 1 2 3 4

5

Aur. Vict. 14,1. Der Statuenbefund zeigt freilich, dass diese Zuschreibung fehlgeht: siehe das Kapitel Beim Barte des Kaisers. Aur. Vict. 14,1. Aur. Vict. 14,2–4: „Ibi Graecorum more seu Pompilii Numae caeremonias leges gymnasia doctoresque curare occepit, adeo quidem, ut etiam ludum ingenarum artium, quod Athenaeum vocant, constitueret atque initia Cereris Liberaeque, quae Eleusina dicitur, Atheniensium modo Roma percoleret.“ Siehe auch Zoepffel (1978) 391–427.

1. Aurelius Victor und die hadrianische Imago

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Antinoos gipfelt, enthüllt Victor seine Position zum hadrianische Prinzipat und des­ sen Herrscher unzweideutig. Durch die im Kontext der Villegiatur des Princeps erwähnte Wendung „uti solet tranquillis rebus“, wird die Bequemlichkeit der gleich zu Anfang der Herrschaft etablierten (zu) vollständigen pax für ursächlich dafür erklärt, dass Hadrian in seiner komfortablen Situation luxuria und voluptas verfallen sei.6 Die Erwähnung Numas besitzt eine Entsprechung in der vita Hadriani der Historia Augusta, an deren Beginn Hadrian ein Orakel, die sortes Vergilianae einholt oder, unwahrscheinlicher, die Sibyllinischen Verse konsultiert. Dabei sei ihm mittels eines auf den rechtsstiftenden König Numa rekurrierenden Zitats aus der Aeneis die Herrschaft verheißen worden.7 Zwar ist Numa hier nicht namentlich erwähnt, doch verweist Renate Zoepffel einleuchtend auf Hadrians Weihung des Templum Urbis und die Feier der Parilia als Rhomaia am 21. April 121, wobei es sich nicht nur um den Jahrestag der Gründung der Stadt, sondern auch um den Geburtstag des Numa handelte.8 Folglich habe Hadrian mit einem Numa­Verweis an die im Kontrast zur Sieghaftigkeit des Romulus stehenden zivilen Leistungen des zweiten römischen Königs erinnert: Wie dieser habe der Nachfolger des ebenso seine Sieghaftigkeit betonenden Traian nun ein neues saeculum aureum verheißen, indem er sämtliche Kriege beendete und eine Ordnung Roms bzw. des Reichs, die nun nötig geworden sei, vornahm, also die Gründung somit erst vollende.9

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Aur. Vict. 14,6–9; vgl. Dészpa (2015) 235–247. SHA Hadr. 2,8; siehe auch Verg. Aen. 6,808–812 sowie zur Deutung Zoepffel (1978) 391–393; 422–426. Zum Geburtstag des Numa siehe Plut. Num. 3,4; siehe auch Glaser (1936) 1250f. Siehe Zoepffel (1978) 391–427: „Erst Romulus und Numa zusammengenommen haben Rom im höheren Sinne ‚gegründet‘, indem Romulus die faktische Gründung und die territoriale Ausdeh­ nung der Stadt bewerkstelligte, während Numa die sittliche Gründung und Befestigung durch Gesetze und Religion vollzog. Romulus – das ist das Symbol für die kriegerische, expansive, nach Herrschaft strebende Seite des Römertums, während Numa als Komplementärfigur Frieden und Sittlichkeit, Religiosität und Selbstbescheidung verkörpert. So sah man die beiden Gründer­ könige besonders, seit Augustus den Anspruch erhoben hatte, in sich das Wesen beider zu verei­ nigen.“ (404; siehe ebd. auch Anm. 68 mit Verweis auf Liv. 1,19,1) Allerdings sind die weiteren Folgerungen Zoepffels kritisch zu hinterfragen: „Ich bin deshalb auch überzeugt, daß die späteren Münzprägungen Romulo Conditori nicht indirekt Hadrian meinen, wie allgemein angenommen wird, sondern, abgesehen von der Reminiszenz an Augustus, doch Trajan. Den Zeitgenossen ist dies ganz klar gewesen, und eben in dem Anschluss an Trajan/Romulus liegt wieder ein Hinweis auf Hadrian/Numa“ (421). Eine solche Transferleistung war jedoch m. E. auch für „Zeitgenossen“ alles andere als „ganz klar“: Zunächst einmal verwundert, dass Hadrian Münzen geprägt haben soll, die seinen Vorgänger als Romulus gezeigt haben, aber kein Stück, das ihn selbst als Numa präsentierte, obgleich dies seine eigentliche Prägeintention gewesen sein soll. Doch auch wenn man davon absieht, bleibt erklärungsbedürftig, auf welche Weise Münzen mit dem Aversportrait Hadrians und der verkürzten, d. h. den Verweis auf Traian dezidiert aussparenden, Legende HADRIANVS AVGVSTVS (RIC II Hadr. 266; 370; 376; 653; 776) auf traianische Leistungen hingewiesen haben sollen. Zudem verweisen die hadrianischen Romulus­Prägungen nicht auf kriegerische Aspekte, sondern auf die Grundlage der Ordnung Roms, das in Grenzen gefasst und durch Bestellung der äcker fruchtbar gemacht wurde. Solch friedfertige Aspekte der Gründung waren, auch wenn sie Romulus zu verdanken waren, von Hadrian problemlos zu adaptieren und konnten entsprechend Wirkmächtigkeit entfalten.

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III. Hadrian und Griechenland

Weiterhin zeigt Zoepffel, dass Hadrian sich bei seiner Selbststilisierung am in der zeitgenössischen Numa­Biographie des Plutarch gezeichneten Bild eines plato­ nischen Philosophenkönigs orientiert habe.10 So schreibt Plutarch: „Denn es wird weder von einem Kriege noch von einem Aufstande oder politischen Unruhen aus Numas Königsherrschaft berichtet. Ebenso wenig findet sich eine Spur von Feindschaft oder Hass gegen seine eigene Person, hinterlistigen Plänen oder Verschwörungen ehrgeiziger Menschen, die nach dem Throne trachteten. Vielleicht wirkte hier die Furcht vor den Göttern, unter deren besonderem Schutze man den König glaubte, vielleicht war es auch die Hoch­ achtung vor seinen Tugenden oder eine göttliche Fügung, wodurch das Leben unter ihm von jeder Schlechtigkeit unberührt und rein erhalten wurde. Kurz, man hatte hier ein leuchtendes Beispiel und Zeugnis jenes Wortes vor sich, welches Platon, über die Politeía zu äußern wagte, dass nur in einem Ruhe und Erlösung vor allen menschlichen Übeln zu finden sei, wenn durch göttliche Fügung die Macht des Königs zusammenfalle mit dem Geist des Philosophen, und so die Tugend stark und siegreich über alle Schlechtigkeit mache.“11

Zudem betont Plutarch „den pythagoreischen Einfluß auf Numas Gesetzgebung, die sich, wie überall, günstig auf die sittliche Haltung der Bürger auswirkte.“12 Damit waren Hadrians Selbstdarstellung als Neugründer dezidiert griechische bzw. als griechisch zu interpretierende Züge inhärent. Zwar haben sich keine expliziten Numa­Verweise Hadrians erhalten, doch existiert ein bezeichnender Brief Frontos an Lucius Verus: Mit dem Ziel Verus’ militärische Leistung im Partherkrieg zu glorifizieren, kommt er auf Hadrian zu sprechen, kritisiert sein das Reich angeblich in Unordnung versetzendes Festhalten am absoluten Frieden bzw. die Absenz mili­ tärischer Aktivitäten und ironisiert dieses Vorgehen durch einen Vergleich mit Numa und seinen als viel bedeutender erachteten zivilen Leistungen.13 Ernster nehmen hingegen Eutropius und die Epitome de Caesaribus ihren Ver­ gleich des Antoninus Pius mit Numa,14 weilte dieser Princeps doch im Gegensatz zum Vorgänger während seiner ganzen Herrschaft in Rom und kehrte in seiner Selbst­ darstellung altrömische Werte und Tugenden besonders hervor. Denn Numa galt nicht nur als ziviler Ordnungsstifter sondern auch als exemplum angeblich traditio­ neller rusticalitas und pietas15 – sicherlich zwei der Tugenden mittels derer sich Antoninus von der Imago Hadrians abzusetzen suchte.16 In diesem Kontext wird offenbar, dass Victor den höchstwahrscheinlich von Hadrian vorgenommenen Selbstvergleich mit Numa ebenso ironisierte wie Fronto: Der mos Pompilii Numae hadrianischer Interpretation wird mit mores Graecorum gleichgesetzt, die Hadrian an Stelle von Kriegstaten vollbracht habe und auch die weiteren Ausführungen beschreiben (angebliche) Griechenland­Bezugnahmen

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Zoepffel (1978) 207; vgl. Glaser (1936) 1246; 1251. Plut. Num. 20,5–7; siehe dazu Zoepffel (1978) 404–407; 413–416; 420. Plut. Num. 8,4–10; 14,2–6; siehe Zoepffel (1978) 406; Glaser (1936) 1245–1252; Haase (2000) 1046. Front. II p. 206–208 (ed. Haines (Loeb)) [= Principia Historiae 11]; zu einer ausführlichen Deutung siehe Zoepffel (1978) 400–402 mit Anm. 53. Siehe Eutr. 8,81; Epit. Caes. 15,2f; siehe auch Zoepffel (1978) 398f. Siehe zu Numa: Glaser (1936) 1244–1252; Haase (2000) 1045f. Zum Numa­Bild der Antike siehe Zoepffel (1978) 403–405 mit Anm. 70; 407 Siehe Zoepffel (1978) 399f; siehe allgemein Weiß (2008) 1–45; Gotter (2015) 226.

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Hadrians, die schließlich ob der ihnen inhärenten Pflichtvergessenheit zum Scheitern der hadrianischen Herrschaft geführt hätten. Hadrian und die eleusinischen Mysterien Victor wirft Hadrian insbesondere eine Gräzisierung der Stadt Rom selbst vor. Der ‚Philhellenismus‘ des Princeps habe sich somit auch auf den Westen erstreckt und sei hier explizit zum leitenden Prinzip seiner Politik geworden. Allerdings sind die genannten ‚griechischen‘ Aspekte zumindest in ihrer Form, aber in Teilen auch faktisch zweifelhaft. Das gilt vor allem für die Bemerkung Victors zu den eleusinischen Mysterien. So sind Ceres und Libera römische Pendants zu Demeter und Persephone, den mit Fruchtbarkeit sowie Werden und Vergehen verknüpften Göttern des eleusinischen Mysterienkults, einem zentralen Fest des athenischen religiösen Jahrs. In der Tat hatte sich Hadrian in die eleusinischen Mysterien einweihen lassen, wie aus unter­ schiedlichsten Evidenzen hervorgeht:17 Die erste Stufe der zweistufigen Einweihung Hadrians fand wohl schon während dessen Bekleidung des eponymen Archontats in Athen im Jahr 111/112 oder, weniger wahrscheinlich, 112/113 statt.18 Nach seinem Herrschaftsantritt konnte Hadrian dies als Beleg dafür verwenden, dass er sich schon immer besonders für die Belange Athens und Griechenlands interessiert habe und diese Belange nun als Princeps garantiere, was er durch die Einweihung in die zweite Stufe der Mysterien um das Jahr 124/125 zusätzlich unterstreichen konnte.19 Gleich­ zeitig wurde den Statusgruppen in Rom, wo die Einweihung Hadrians sicher bekannt geworden war, offenbar, dass Hadrian die Interaktion mit provinzialen Eliten in bisher unbekannter Intensität und mit einem höheren Maß an Kaisernähe aufgenom­ men hatte. Hadrians programmatische und innovative Interaktion mit den Provinzen war somit in der urbs wohl bereits zu seiner Zeit Gegenstand der Rezeption. Sie könnte als zu intensive Befassung mit dem griechischen Osten, respektive zu hoher Präsenz dort, bei gleichzeitig mangelhafter Präsenz in Rom selbst, ähnlich kritisch ausgefallen sein wie im späteren Charakter­ und Herrschaftsbild des Aurelius Victor. Eine Etablierung des Eleusis­Kults in Rom dürfte folglich kaum vorgenommen worden sein, hätte ein solches Vorgehen doch unweigerlich einen eindeutig griechi­ schen Kult zu einem zentralen und grundlegenden Herrschaftscharakteristikum Ha­ drians erklärt. Wie durch die zwar innovative Etablierung des Roma­Kults und sei­ ner Verbindung mit dem Venus­Kult zum Ausdruck kam, war Hadrian trotz der neuen 17

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Cass. Dio 69,11,1 („Nach seiner Ankunft in Griechenland erhielt er [= Hadrian] den Grad eines Epoptos [= höchster Grad; zweite Stufe der Initiation] bei den Mysterien.“); SHA Hadr. 13,1 („Hierauf segelte er [= Hadrian] entlang Asia und den Inseln nach Achaia und ließ sich nach dem Beispiel des Hercules und des Philippus in die eleusinia sacra aufnehmen“); Hier. chron. a. Abr. p. 199 (ed. Helm); IG II/III2 3,1 3575; 3632; vgl. auch IG II/III2 3,1 5035; 5062; 3620; RIC II Hadr. 532 (Rev: HADRIANVS AVG P P REN(atus)). Siehe dazu auch Kienast (1959/60) 61–65; Fündling (2006) K 279 (13,1); K 280 (13,1). CIL III 550 (p. 985) = ILS 308 = IG II/III2 3286; Cass. Dio 69,16,1; vgl. SHA Hadr. 19,1. Siehe auch zu Forschungsstand und Datierung Fündling (2006) K 397 (19,1). IG II/III2 3,1 3575.

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III. Hadrian und Griechenland

Interaktionspartner stets darauf bedacht, im Interesse der Akzeptanz nicht von seiner Würdigung der Stadt Rom als dominanter Zentrale des Reichs abzurücken. Die Einführung eleusinischer Mysterien in Stadtrom war also zweifellos un­ möglich und dürfte auch Hadrian selbst, der ebenso wie die Rezipienten im sozialen Feld Roms verankert war, kaum jemals in den Sinn gekommen sein.20 Folglich dürfte die Aussage Victors auf einem Missverständnis der ihm vorliegenden Quellen zur Initiation Hadrians in Eleusis beruhen oder suchte diese gezielt zu ironisieren. Be­ merkenswert ist aber, dass Victor bzw. die seiner Arbeit in diesem Punkt zugrunde­ liegenden Berichte, ein solchermaßen offenes Philhellenentum Hadrians in Rom für möglich und als zu seiner Herrschaft passend erachteten. ‚Griechische‘ Aspekte waren also zumindest in der Rezeption des vierten Jahrhunderts n. Chr. charakteris­ tische Elemente der Imago Hadrians bzw. seines Prinzipats. Hadrian und das Athenaeum Das Werk des Aurelius Victor ist die einzige uns überlieferte Quelle, in der das Athe­ naeum in Bezug zu Hadrian gesetzt wird;21 freilich ohne über den baulichen und or­ ganisatorischen Aufbau, die Funktion oder die Lokalisierung der Einrichtung zu in­ formieren. Sie allein kann somit eine Errichtung in hadrianischer Zeit nicht belegen.22 Victor bezeichnet das Athenaeum als ludus ingenuarum artium.23 Allerdings meint der terminus ludus hier sicherlich nicht die Elementarschule, die damit sonst üblicher­ weise bezeichnet wird, wurden doch Kinder kaum in Rhetorik, Juristerei sowie in Po­ etik und Philosophie unterwiesen.24 Zudem waren die Söhne der Reichselite die haupt­ sächlichen Besucher des Athenaeums. Diese hätten mit Sicherheit keinen ärmlichen ludus mit sozial zumindest wenig geschätzten Lehrern besucht, sondern wurden zunächst in der domus ihrer Väter von Sklaven oder Freigelassen als Hauslehrern unterwiesen, bevor sie weitere Kompetenzen in Grammatik­ und schließlich in Rhetorenschulen erwerben konnten, wohin sie von einem paedagogus aus der familia begleitet wurden.25 Beim Athenaeum allerdings dürfte es sich um keinen in Rom etablierten Schultypus gehandelt zu haben. Die hier ausgeübten Praktiken entsprachen höchstens in gewissen Aspekten dem Kanon der als notwendig erachteten Ausbildung von Söhnen der Nobi­ lität für ihre zukünftige Tätigkeit und Position in der res publica. Das traf primär auf die Rhetorik zu, während Philosophie ganz entgegen griechischen Intentionen nur so lange akzeptiert wurde als sie politischen und gesellschaftlichen Nutzen brachte, also in den praktischen Dienst für die res publica gestellt werden konnte, senatorische Hie­ rarchien nicht hinterfragte und der konsensualen Praxis dienlich war.26 20 21 22 23 24 25 26

Anders: Beaujeu (1955) 166f; vgl. auch Fündling (2006) K 279 (13,1). Aur. Vict. 14,3. Siehe auch Coarelli (1993a) 131; vgl. Hülsen (1896) 2023. Aur. Vict. 14,3. Vgl. Braunert (1964) 19–25. Siehe dazu Wiedemann (1989) 143f; 163–168; Christes (2001) 263–266. Siehe dazu Christes (2001) 266 („Philosophie war bei den Römern Angelegenheit einer Minder­ heit; eine röm. Sch[ule] für Philos. hat es nie gegeben.“); Flaig (2002) 121–125; 133f.

1. Aurelius Victor und die hadrianische Imago

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Victor zufolge soll Hadrian das Athenaeum gegründet haben, um „Kulte, Gesetze, Gymnasia und die Lehrer der Wissenschaften [doctores] […] nachdrücklich“ zu fördern.27 Die Intention der angeblichen Gründung sei nach Victor also nicht allein die Förderung der Wissenschaften gewesen. Vielmehr seien für Hadrian auch die als griechische Sitten erachteten Kultformen und Gesetze ausschlagend gewesen, die traditionell in Kontrast zu kaiserlicher virtus gesetzt wurden. Hinzu soll, noch augenfälliger prekär, die Nutzung des Athenaeums als Gymnasium gekommen sein, also als dezidiert griechischer Ort der Leibesertüchtigung, der im traditionellen Selbst­ verständnis der res publica keinen Platz hatte und im mos­Diskurs als überfeinerte luxuria, wenn nicht gar als sexuelle Verworfenheit, deklassiert wurde.28 Somit erklärt Victor ‚sein‘ hadrianisches Athenaeum zu einer Stätte sowohl sportlicher als auch intellektueller Betätigung und wirft Hadrian damit vor, dem Ideal der Tätigkeit für die res publica entgegengehandelt zu haben: Er habe einen Ort etabliert, der, ähnlich seinem angeblichen Rückzug in die Villa, allein Privatinteressen und dem Genuss von luxuria dienlich gewesen sei, und damit das Gemeinwesen gefährdet habe. Natürlich war dieser Blick auf das Athenaeum keineswegs alternativlos. Das seit Pertinax historiographisch nachweisbare29 Athenaeum konnte gewiss von auf­ strebenden Senatorensöhnen zu Rhetorikübungen aufgesucht werden, solange das Konzept nicht gegen das senatorische negotium gesetzt wurde. Hinzu kommt, dass die luxuria­Praktiken zwar oftmals heftiger, an tradierten Werten orientierter Kritik ausgesetzt waren, andererseits aber auch als gezielt demonstriertes symboli­ sches Kapital im Wettbewerb der Senatoren untereinander um Akkumulation sozialen Kapitals eingesetzt wurden. Dabei eigneten sich Kulturpraktiken und Güter, die als griechisch erachtet wurden, ganz besonders.30 Damit würde sich die Etablierung des Athenaeums durch Hadrian gewiss sehr gut in dessen Selbstdarstellung einfügen. Und in der Tat konnte in der letzten Dekade die Archäologie eine hadrianischen Errichtung (und Gründung) des Athenaeums nahezu gänzlich absichern: Während die ältere Forschung spekuliert hatte, ob es sich beim Athenaeum um das Chalcidicium gehandelt habe, das an die Curia anschloss,31 wurde im Jahr 2008, im Zuge 27 28 29 30 31

Aur. Vict. 14,2–3. Siehe Cic. rep. 4,4; Tusc. 4,33; siehe auch Hadot (1998) 25; Hadot (1997) 19. SHA Pert. 11,3. Siehe Gotter (2001) Kapitel 7. Die nachcatonische Grammatik der römischen Rede über Grie­ chenland, Teilkapitel 7.2 Auslagerung: Die Politik des otium und die griechische Kunst. Dieser Hypothese zufolge wäre ein Athenaeum bereits durch Augustus errichtet worden. Grundlage dieser Annahme bildete eine Bemerkung von Cass. Dio 51,22,1: „Nachdem er [= Octavian] diese Festlichkeiten beendet hatte, weihte er das Athenaion, das auch den Namen Chalcidicium trägt, so­ wie die Curia Iulia, die zu Ehren seines Vaters erbaut worden war.“ Damit wäre das Athenaeum ein Appendix des Senatshauses gewesen. Allerdings ist die Identifikation mit dem Chalcidicium doch recht unwahrscheinlich: So bleibt unklar, weshalb ein Gebäude bei der Curia Iulia den Namen Athenaion getragen haben sollte. In diesem Kontext ist es überzeugender, Athenaion als „Tempel der Minerva“ (Otto Veh, Bd. IV; siehe auch Earnest Cary (Loeb), Bd. VI) zu übersetzen, wofür Dio, wie üblich, eine griechische Entsprechung verwendet hat (so wird bereits in der zitierten Passage neben dem Ἀθήναιον auch die Curia Iulia als Ἰουλίειον genanntes βουλευτήριον bezeichnet). Da Senatssitzungen und Staatsgeschäfte in Rom stets an sakralen Orten (templum) stattfanden, ist es wahrscheinlich, dass das hier gemeinte, zum Komplex der Curia gehörende Gebäude als Ort der res

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III. Hadrian und Griechenland

des Baus an der Linie C des Metrosystems von Rom, auf der Piazza Venezia, in direkter Nachbarschaft zum Forum Traianum eine Struktur freigelegt, bei der es sich um das hadrianische Athenaeum handeln dürfte, worauf nicht zuletzt Ziegelstempel, die aus den Jahren 125–128 stammen, hindeuten.32 Bei den Grabungen auf der Piazza wurde zwei rechteckige Bauwerke freigelegt, die jeweils eine großen Halle besaßen. Ergänzt durch ein bereits im 19. Jahrhundert entdecktes, mittlerweile überbautes drittes Bauwerk ver­ gleichbaren Aufbaus gelangten die Ausgräber unter Zuhilfenahme der Forma Urbis zu einer Rekonstruktion, die Silvia Orlandi prägnant wie folgt darlegt:33 „Die drei Räume [bzw. die Bauten, in denen sich diese befanden] ordnen sich strahlenförmig um eine Zugangsporticus, die im Osten mit dem Trajansforum verbunden ist.“34 Auf der Westseite waren den Bauwerken (bereits zuvor bestehende) tabernae vorgelagert. Die Zugangs­ porticus umfing das Forum bzw. seine Ausläufer auf der Nordseite bogenförmig und führte nach Süden hin bis zu den beiden Bibliotheken und der Traianssäule.35 Im Inneren der am besten erhaltenen mittleren Halle befanden sich nördlich und südlich zwei einander gegenüberliegende abgestufte Ränge: Die nördlich gelegenen Ränge ließen nur auf der Ostseite eine Nische offen, schlossen an der Westseite aber an die Hallenwand an; die südlichen Ränge waren an beiden Seiten durch Zugänge zum Verbindungsgang begrenzt, besaßen aber mehr Stufen und waren daher breiter. Zwischen den Sitzreihen beider Seiten befand sich ein relativ schmaler, mit bunten Marmorplatten versehener Streifen, der das unterste Bodenniveau einnahm und sich an der West­ und Ostseite der Südfront verbreiterte, um zu den beiden Zugängen zu führen. Auch ansons­ ten war die Halle mit buntem Marmor geschmückt.36 Die Hallen der beiden anderen Bauwerke besaßen einen, abgesehen von ihren Maßen und ihrer Ausrichtung, analogen Aufbau.37

32 33 34 35 36 37

publica und damit ergänzender Ort für Senatssitzungen genutzt wurde. Zudem gibt es für die Hypo­ these der Gleichsetzung von Chalcidicium und Athenaeum keine archäologischen Belege. Ledig­ lich eine weitere Passage bei Dio wird von Braunert (1964) 11; 30–40 und Coarelli (1993a) 131 zur Stützung angeführt: In dieser zitiert der Konsul M. Silius Messala eine nicht näher bestimmte Gruppe von Senatoren in das Athenaeum, um den seine Akzeptanz verlierenden Didius Iulianus zum Tode zu verurteilen, Pertinax zu divinisieren und Severus zum neuen Princeps zu akklamieren (Cass. Dio 74,17,4: „Der nun [= Messala] versammelte sie im Athenaeum, so genannt nach den da­ rin ausgetragenen gebildeten Übungen/Beschäftigungen“). Allerdings fehlt in der zeitlich späteren Passage nicht nur die erneute Verortung des genannten Athenaeums bei der Curia, neu ist v. a. die Charakterisierung des Athenaeums als kultureller Einrichtung. Hätte es sich im ersten Fall um das gleiche Athenaeum gehandelt, wäre Dio gewiss schon hier auf die kulturelle Ausrichtung des von ihm sog. Athenaions zu sprechen gekommen. Das von Messala initiierte Zusammentreffen wurde vermutlich in das Athenaeum verlagert, um unbeobachtet von Iulianus dessen Sturz vorzubereiten. Es dürfte sich also hier nicht um die Abhaltung einer Senatssitzung, sondern um das Zusammentref­ fen einer Verschwörergruppe gehandelt haben. Siehe zudem Egidi (2010) 114f. Siehe Orlandi (2012) 41–43; Egidi (2010) 93–96; 107–116; 119f; Serlorenzi/Saguì (2008) 175–178; siehe auch Strobel (2017) 59f; zum Bau der Metropolitana Linea C und den dabei gemachten archäologischen Funden siehe Bottini (2010) Ix–xIV; Martone (2010) 1–26. Egidi (2010) 110; 115; 112, fig. 31; 120, fig. 38; Orlandi (2012) 41; siehe auch Strobel (2017) 59f. Orlandi (2012) 41. Egidi (2010) 107; Orlandi (2012) 41; siehe auch Strobel (2017) 59f. Egidi (2010) 107–112 mit fig. 23; 119f; 121, fig. 39; siehe auch Orlandi (2012) 41; Strobel (2017) 59f. Egidi (2010) 110; 115; 112, fig. 31; 120, fig. 38.

1. Aurelius Victor und die hadrianische Imago

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Bei dem rekonstruierten Befund dürfte es sich also in der Tat um das Athenaeum gehandelt haben: Die drei Bauten waren auf eine große Zahl von Besuchern aus­ gelegt, die in der Mitte der jeweiligen Hallen stattfindenden Übungen und Auftrit­ ten beiwohnen konnten.38 Damit hatte Hadrian einen direkt an die Kaiserforen anschließenden Bereich besetzt, der allerdings wie der Tempel für Roma und Venus diesen triumphalen Strukturen eine alternative und ganz neuartige Einrichtung ent­ gegensetzte. So enthielt diese keinerlei Verweise auf militärische Sieghaftigkeit durch kaiserliche virtus, wie sie explizit auf der Traianssäule oder im traianischen Schlachtenfries39 (oder auch implizit durch die Errichtung des augusteischen Mars Ultor­Tempels40) zum Ausdruck kam. Folglich vollzog der hadrianische Baukom­ plex gemäß seinem Setting eine erneute dezidierte Abgrenzung von traianischer Architektur und damit letztlich von Traian selbst. Dies galt umso mehr als die an der hadrianischen Baustruktur entlanglaufende, einen Bogen beschreibende Porti­ cus den traianischen Forumskomplex umschloss, indem es ihn apsidial umrundete und damit in gewisser Weise von den neuartigen hadrianischen Bauten abgrenzte. Damit gestaltete Hadrian jenen Bereich den Symmachus als „Traiani platea ruina“ bezeichnete und der entweder das traianische Forum beschloss oder an dieses anschloss,41 vollständig neu und gemäß eigenen Intentionen. Folglich ist dieser Befund nicht mit Roberto Egidi als „il ‚coronamente‘ edilizio del Foro di Traiano sul versante rivolto verso la via Flaminia“42 zu erachten, sondern als Struktur eigenen Rechts: Gerade da Hadrian das Traiansforum mit einer Apsis beschloss bzw. die ursprünglich traianische Anlage in diesem Sinne abwandelte, visualisierte er auch in diesem Kontext seine Leistung der Vollendung und des Ab­ schlusses des traianischen Prinzipats. Vollendung meint hier die hadrianische Neu­ gründung Roms im Anschluss an die von Traian militärisch geschaffenen Gegeben­ heiten, die nun in einen Frieden neuer Qualität überführt wurden. Damit einher geht auch die Abwendung der flavischen und traianischen Ausgestaltung des Prinzipats, das in monumentaler Weise als auf kaiserlicher Sieghaftigkeit fußend präsentiert wurde. Hadrian war darum bemüht, in seinen Handlungen, aber auch in seinen materiellen Evidenzen einen ausdrücklichen Herrschaftswechsel zu verkünden. Nach dem Tod des Traian und seiner Beisetzung in der nun eingerahmten Säule hatte sich ein Kreis der Politik durch hadrianische Leistung geschlossen habe: Stadt und Reich befanden sich nun in einem sicheren und prosperierenden Goldenen Zeitalter, das als Ende, Erfüllung und glanzvoller, bisher unerreichter Höhepunkt der glorreichen Geschichte Roms verstanden werden sollte.43 38 39 40 41 42 43

Siehe Egidi (2010) 112f; siehe auch Strobel (2017) sowie, mit weiteren Indizien, Orlandi (2012) 42f. Siehe Lummel (1991) 108–124; 135; Fell (1992) 87–93. Aug. RG 21; 29; siehe Zanker (1968) 5f; 12; 14; 22–25. Symm. epist. 6,37; siehe Egidi (2010) 115f. Zur platea Traiani siehe auch Platner/Ashby (1929) 392. Egidi (2010) 116. Egidi (2010) 115f; 114, fig. 34 schlägt unter Berufung auf die Hypothese von Claridge (2007) 54–94; insbes. 72, Fig. 9a vor, Hadrian habe östlich der Porticus den Tempel für den Divus Traianus errichten lassen, was die hier vorgeschlagene Interpretation des Settings möglicher­ weise sogar noch unterstreichen würde. Allerdings bleibt die Verortung dieses Tempels (an wel­ chem stadtrömischen Standort auch immer) reine Spekulation: siehe zusammenfassend Strobel (2017) 61–66.

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III. Hadrian und Griechenland

Zwar hatte bereits Domitian mit seinem Odeion ein aus dem griechischen Osten stammendes und in ähnlicher Weise für Auftritte vor Publikum geeignetes Monument in Rom erbauen lassen,44 doch setzte er dieses auf das Marsfeld mit seinen teils durchaus otiöse Aspekte evozierende Bauten. Hier war es traditionell sinnvoller situiert45 als das sogenannte Athenaeum im Bereich der imperialen Fora. Diese brachten auf wesentlich explizitere Weise individuelle Leistungen und unumschränkte Macht des Herrschers, kurz dessen Allüberlegenheit im Staatswesen, zur Darstellung. Hadrian hatte folglich im lokalen Anschluss an das Forum Traianum eine Einrichtung geschaffen, die im bisherigen Prinzipat nicht dem zentralen Feld der res publica angehört hatte. Somit greifen wir in der Struktur eine spezifische Markierung der gezielten Alterität der Herrschaft des Hadrian, mittels derer er sich als Princeps positionierte, aber auch die Kritik eines Aurelius Victor herausforderte. ‚Griechische‘ Aspekte der hadrianischen Imago – zum weiteren Vorgehen Hadrian evozierte in seinem Prinzipat folglich nicht nur auf Reisen und in der Kom­ munikation mit der Provinzialbevölkerung, sondern auch in der urbs und damit in der Interaktion mit der plebs urbana und vor allem dem Senat gewisse als ‚griechisch‘ auffassbare und auch tatsächlich aufgefasste Aspekte. Der Versuchsaufbau der ha­ drianischen Herrschaft zielte somit darauf, auf dieser Basis dem Prinzipat ein von Traian abgesetztes Profil zu verleihen und dabei gleichzeitig auch innerhalb Roms eine spezifische und neuartige Interaktion mit den Statusgruppen zu begründen. Vergleichbar mit seiner intendierten Aussage bei der restitutio des Pomeriums, mar­ kierte Hadrian auch hierbei konsequent Alterität zu allen bisherigen Principes und ihren Prinzipaten: Damit präsentierte Hadrian seine Herrschaft als durch individuelle, in neue Höhen erhobene und innovative Leistungen geprägt, mittels derer er alle vorausgehenden Prinzipate übertraf. Das schließt gleichzeitig aus, dass Hadrians Evozierung ‚griechischer‘ Aspekte nur geschah, um die hadrianischen Reisen zu thematisieren und in Rom zu legitimieren oder um schlicht einem privaten Phil­ hellenismus zu frönen.46 Sicherlich waren Persönlichkeit und Interessen für die plau­ sible Profilierung eines Herrschers und seiner Herrschaft von gewisser Bedeutung, doch war Hadrian darüber hinaus bemüht, sein Handeln abzuwägen und sich in einer Weise zu präsentieren, die im Dienst einer intendierten Programmatik stand. Freilich löste die entsprechende Markierung von Alterität durch Hadrian im rezipierenden sozialen Feld durchaus Befremden aus: Die Hinwendung zu griechi­ schen Konzepten schien von Teilen der Rezipienten als Bedrohung der res publica aufgefasst zu werden und wurde dem Feld ganz offenbar dauerhaft als negativer Aspekt der hadrianischen Imago eingeschrieben. So gelangte dieser auch in den diskursiven Rahmen der antiken Biographik, in der Hadrian die Praktizierung eines pflichtvergessenen Philhellenismus vorgeworfen wurde, der die res publica gefährde. 44 45 46

Siehe Meinel (1980) 298f; Darwall­Smith (1996) 222f. Zur Bedeutung und Funktion des Marsfelds siehe Zanker (42003) 144–148. So Walker (1991) 272–275; Walker (1995) 83–93; Hekler (1912) xLf; Zanker (1995) 206–211; vgl. Wegner (1956) 7; Fündling (2006) K 527 (26,1).

1. Aurelius Victor und die hadrianische Imago

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Freilich war Hadrian selbst Teil des sozialen Felds, das ihn im Weiteren rezipieren sollte. Daraus ergibt sich die Frage, weshalb Hadrian eine Einschreibung solch traditio­ nell negativ rezipierter Aspekte in seine Imago überhaupt riskierte. Ihm war selbstver­ ständlich klar, dass sie die traditionellen Erwartungen an die kaiserliche Herrschaft in Rom zunächst einmal nicht erfüllten. Wären sie damit nicht eher zu kaschieren als in ihrer Alterität zu forcieren gewesen? Dass Hadrian anders handelte, zeigt, dass er mit seinem Vorgehen eine spezifische programmatische Zielsetzung verfolgte. Wenn dies aber der Fall war: Welchen kommunikativen Aufwand musste Hadrian dann vollbringen, um seine Akzeptanz und damit seinen Machterhalt dennoch sichern zu können? Darüber hinaus wäre zu erwägen, zu welchem Grad ihm das in der Tat gelungen ist. Um die Fragen beantworten zu können, muss zunächst eine weitere Frage gestellt werden: Welche ‚griechischen‘ Aspekte suchte Hadrian zu vermitteln? Mit anderen Wor­ ten: Wie waren im Rom des zweiten Jahrhunderts n. Chr. die Kategorien ‚griechisch‘ und ‚Griechenland‘ besetzt? Hadrian konnte nur ‚Griechenland‘­Bezugnahmen evozieren, wenn diese von ihm und dem Feld, dem er angehörte, auch als griechisch verstanden wurden. Alle Aspekte, die nicht als griechisch galten, wären als römisch, anderen mehr oder minder bekannten Bereichen entstammend oder lediglich als befremdliche, keiner Logik folgende Aspekte bewertet worden. Hadrians Griechenland­Bezugnahmen bzw. seine Bezugnahmen auf griechische Sitten und kulturelle Gebräuche und das von ihnen intendierte Interaktionsangebot entsprachen allenfalls sehr bedingt der Art und Weise, wie sich zeitgleich Griechenland bzw. einzelne griechische poleis selbst beschrieben hätten. Insofern besteht hier eine Analogie zur Rezeption des Augustus, die über die gesamte Kaiserzeit hinweg gewisse Grundcharakteristika bewahrte, die Perspektive auf die augusteische Imago und die potentiellen Anknüpfungspunkte jedoch im Kontext der eigenen fortwährenden, wenn auch begrenzten Modifikationen änderte und auf stets andere, neuartige Weise rezipierte. Genauso wie bei der Behandlung dieses Themas müssen auch bezüglich der Griechenland­Imago Hadrians die cha­ rakteristischen griechischen Referenzen identifiziert und der Grad ihrer Anpassung herausgearbeitet werden. Die hierbei erzielten Ergebnisse ermöglichen schließlich, die ganz neuartigen Verweise zu bewerten und im Kontext der politischen bzw. herrschaftspragmatischen Zielsetzung Hadrians zu verankern. Die prominentesten Verweise Hadrians, die von der Forschung unserer Tage, der antiken Historiographie und Biographik, aber auch den stadtrömischen Status­ gruppen des zweiten Jahrhunderts als spezifisch ‚griechisch‘ betrachtet wurden, waren die Villa Hadriana sowie die Bezüge auf Antinoos und seinen Kult. Mit diesen Verweisen, ihrer Rezeption als ‚griechisch‘, der damit verbundenen kaiserlichen Intention und der Frage ihres Erfolgs bei den Rezipienten sollen sich die folgenden beiden Kapitel befassen. Zudem wird Hadrians offizielles visuelles Erschei­ nungsbild eingehend in den Blick genommen: seine innovative, vorbildlose Bart­ und Haartracht, die in der Forschung ebenfalls häufig als ‚griechisch‘ bezeichnet wurde, ohne dass allerdings diesbezüglich nähere Definitionen vorgenommen worden wären.

2. EINE GRIECHISCHE ALTERNATIVWELT? DIE VILLA HADRIANA IN TIBUR mise en scène Als sich Papst Pius II. (1458–1464) im Spätsommer des Jahres 1461 auf einer Land­ partie in der Gegend um Tivoli aufhielt, besuchte er auch das Kloster Santa Caterina auf dem Monte Sant’Angelo. Von diesem Berg aus erblickten er und sein Gefolge, in dem sich auch der Humanist Flavio Biondo (1392–1463) befand, die Ruinen einer Villa.1 Zwar war dies im Grunde nichts Ungewöhnliches: In der Gegend um das antike Tibur hatten Angehörige der römischen Reichselite über Jahrhunderte hinweg einige der eindrucksvollsten Villen im Imperium Romanum erbaut, deren Überreste über das Mittelalter hinweg zum nicht weiter hinterfragten Teil der Landschaft ge­ worden waren. Jedoch war im Vergleich zu anderen Villen die ungewöhnliche Größe dieses Anwesen auffällig. Biondo, dessen Bericht uns Kenntnis über die Entdeckung vermittelt, informiert auch darüber, dass die Bewohner den Baukomplex aufgrund seiner Ausmaße für „Tibur vetus“, die antike Siedlung Tibur, hielten. Doch wider­ spricht Biondo dieser Deutung unter Rekurs auf eine Passage der vita Hadriani der Historia Augusta,2 die in Bezug auf Hadrian konstatiert „Tiburtinam Villam mire exaedificavit“ und eine Benennung einzelner Teile des Gesamtkomplexes vornimmt.3 Biondos Identifikation des Areals und seiner Bauten als jene wunderbar ausgebaute Villa des Hadrian konnte noch im 15. Jahrhundert durch das Ausstattungsprogramm als korrekt erwiesen werden4. Auch Papst Pius hatte diese Identifikation übernommen: In seinen „Lebensbe­ schreibungen“ („Commentarii rerum memorabilium que temporibus suis contige­ runt“) beschreibt er den von Verfall gekennzeichneten Zustand der Villa, der dem heutigen Erhaltungszustand freilich dennoch überlegen war. Nebenbei erhält der Leser eine erste landschaftliche Verortung der Villa, die, so Pius, ungefähr drei Meilen entfernt von Tivoli liege. Zudem wird als – teils für die Bauten nutzbar ge­ machter – Fluss der Gegend der Aniene, in der Antike als Anio bezeichnet, genannt.5

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Siehe Flavio Biondo 3,18, f. 65 (Brief an Gregorio Lolli Piccolomini, Giureconsulto; Rom, 12. September 1461) (in Edition: Scritti inediti e rari di Biondo Flavio. Con Introduzione di Barto­ lomeo Nogara. Direttore Generale dei Musei e delle Gallerie Pontificie, Rom 1927, 194). Flavio Biondo, Italia illustrata (1474) 105v (zitiert nach Edition: Biondo da Forlì, Roma ristau­ rata, et Italia illustrata. di. Trad. in buona lingua volgare per Lucio Fauno, Venedig 1542 (On­ line­Ressource: http://rara.biblhertz.it/Dg450­1420?&p=42); siehe auch Flavio Biondo 3,18, f. 72v (in Edition: Scritti inediti e rari di Biondo Flavio. Con Introduzione di Bartolomeo Nogara. Direttore Generale dei Musei e delle Gallerie Pontificie, Rom 1927, 201f). SHA Hadr. 26,5. MacDonald/Pinto (1995) 11; 207f; siehe auch Kähler (1950) 18; Adembri (22005) 48. Pius II. (= Enea Silvio Piccolomini), Commentarii rerum memorabilium que temporibus suis contigerunt (ed. van Heck) 5,27; siehe zudem 5,28 mit Teilzitat von SHA Hadr. 25,5. Siehe auch MacDonald/Pinto (1995) 207f.

2. Eine griechische Alternativwelt? Die Villa Hadriana in Tibur

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Genau genommen erstreckt sich das Areal der Villa Hadriana auf leicht hügeli­ gem Grund am Rande der Camapagna und ist im Osten und Nordosten von den Albaner Bergen eingefasst. Im Südwesten liegt in ca. vier Kilometern Entfernung die Stadt Tivoli; Rom befindet sich in direkter Linie 17 Kilometer westlich der Villa. Diese war in der Antike von beiden Städten aus über die Via Tiburtina erreichbar, die ca. fünf Kilometer vor Tivoli abzweigte und über eine Brücke den Anio über­ querte; im Weiteren folgte in nordwestlicher Richtung der Villenkomplex. Um die­ sen führte ein Wegesystem herum, das mehrere Zugänge eröffnete: im Wesentlichen zu Dienstquartieren im Süden und Westen und zum Hauptzugang im Norden, aber auch zum Vestibulum und einem kleineren, repräsentativen Eingang an der Südseite. Zusätzlich verband das System die einzelnen Teile des mindestens 120 Hektar großen Villenareals durch unterirdische Gänge. Die Reisedistanz zwischen Rom und der Villa beträgt insgesamt 28 Kilometer, war also in der Antike bei gemäßigt zügigem Ritt in drei Stunden zu überwinden. Aus etwas mehr als zwei Kilometern Entfernung zog sich schließlich von Osten zur Villa hin eine Wasserleitung, die von einem der Anio­Aquädukte, wahrscheinlich Anio Novus, abgeleitet worden war. Sie verlief hauptsächlich unterirdisch, in Villennähe wurde sie jedoch über Aquädukt­Brücken geführt. Auch ansonsten bot die Villa Hadriana modernste Annehmlichkeiten – beson­ ders die den Jahreszeiten angepasste Regulierung der Temperatur betreffend: ein Ambulatorium und weitere unterirdische Gänge sowie ein Heizungssystem für die Bäder, aber auch die Privatgemächer; die Ausrichtung der Einzelbauten nach den klimatischen Bedingungen des Umlands, um die adäquate Temperatur für jeden Bereich der Villa zu erzielen, tat ein Übriges.6 Wir besitzen keine Belege dafür, wann und auf welche Weise Hadrian das tibur­ tinische Areal erwarb und aus welchem Grund er es als Ort für die monumentale Struktur auswählte. Ausgrabungen konnten zeigen, dass sich dort, wo sich heute die Überreste der Villa Hadriana erheben, ein wesentlich kleinerer Vorläuferbau befand.7 Die Vermutung, jener sei im Besitz der Sabina gewesen und mit in die Ehe eingebracht worden, bleibt ebenso hypothetisch wie die Annahme, es habe sich um ererbten kai­ serlichen Besitz gehandelt.8 Mehr Klarheit lässt sich über den Baubeginn der Villa Hadriana gewinnen: Die frühesten Ziegelstempel am ehemals sog. Teatro Marittimo, einer Inselanlage der Villa, und an der apsidialen Halle stammen aus dem Jahr 117,9 so 6

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MacDonald/Pinto (1995) 25–32; Adembri (22005) 20–24; Opper (2008) 132; 155–158; 138 (Karte); Raeder (1983) 273; Kähler (1950) 17f; Mielsch (1987) 76f. Hier werden lediglich jene Bauwerke diskutiert, deren Beschreibung die Argumentation verlangt. Für eine Gesamtübersicht siehe die maßgebliche Studie MacDonald/Pinto (1995) und daneben Adembri (22005) (hg. von Ministero per i Beni e le Attività Culturali und von der Soprintendenza Archeologica per il Lazio). Das vormalige Standardwerk, das immer noch wichtige Aspekte beleuchtet, ist Kähler (1950); siehe außerdem Blake/Bishop (1973) 237–256; Mielsch (1987) 75–85; 150–158. Eine Übersicht über neuere Forschungsergebnisse bieten Opper (2008) 130–165 und Sapelli Ragni (2010). Adembri (22005) 24; Opper (2008) 135; MacDonald/Pinto (1995) 6; Raeder (1983) 273f. Kähler (1950) 20; Mielsch (1987) 77f; Raeder (1983) 273f; Opper (2008) 135. Im Weiteren stets mitzubedenken ist freilich, dass Hadrian, wie seine Vorgänger, nicht nur eine, sondern mehrere Villen in unterschiedlichen Regionen besaß (siehe dazu auch Opper (2008) 136). Zur Datierung aller Teile der Villa Hadriana siehe Bloch (1947) 21f (Nr. 13–18); 157f; 160–162; Adembri (22005) 24–28; 35f; Opper (2008) 142; vgl. Boatwright (1987) 142.

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III. Hadrian und Griechenland

dass zumindest von einem Beginn der Arbeiten in den ersten Herrschaftsjahren Ha­ drians auszugehen ist.10 Eine Mehrheit der sich mit der Villa befassenden Forscher plädiert sogar für die ersten Monaten des hadrianischen Prinzipats.11 So dürften in der frühesten Bauphase der westliche und der östliche Brunnenhof (vormals als lateinische und griechische Bibliothek bezeichnet), der Residenzsaal (oder Vorhof zu den Brun­ nenhöfen), die sogenannte Hospitalia, das östliche Belvedere (vormals Tempe) und ggf. die Heliocaminus­Bäder errichtet worden sein.12 Diese frühen Gebäuden weisen zwar nahezu keine Ziegelstempel auf,13 können jedoch durch den Baukontext als der Inselanlage vorausgehend datiert werden: Zum einen ist das Mauerwerks der Inselan­ lage mit jenem des östlichen Brunnenhofs verfugt, lehnt sich also an dessen Westseite, zum anderen sind die Fenster und das Treppenhaus eines an den Heliocaminus­Bädern entlanglaufenden Ganges nachträglich durch einen Alkoven an der Nordseite des Teatro zugemauert worden.14 Daraus aber mit Sicherheit auf eine erste Bauphase vor dem Herrschaftsantritt Hadrians zu schließen,15 widerspricht den von Kähler getroffenen einschränkenden Bemerkungen zur Aussagekraft datierter Ziegelsteine für die zeitliche Bestimmung von Bauten.16 Dennoch darf ein Baubeginn (spätestens) kurz nach dem Herrschafts­ antritt Hadrians als erwiesen gelten: Die Mehrzahl der Ziegelstempel an nahezu allen Gebäuden datiert in die Jahre 123/124.17 Unter Berücksichtigung dieses Befunds ist die gängige Einteilung in zwei bzw. drei Villenbauphasen, die gleichzeitig mit den hadrianischen Reisen in die Jahre 117–125 bzw. 117–121 und 121–125 sowie in den Zeitraum von 128 bis 134 datieren und während der Anwesenheit Hadrians in Italien unterbrochen worden seien, eher frag­ lich – umso mehr als meist schon von einem Ende des Ausbaus der Villa um 130 ausgegangen wird.18 Seine letzten Lebensjahre habe Hadrian schließlich abseits von Rom im vollendeten Villenbau zugebracht, wobei sein körperlicher Verfall mit dem Ende der baulichen Kreativität korrespondiert habe, wie in der Forschung auf Basis vorwiegend literarischer Quellen, vor allem der Passage 23,7 der vita Hadriani in der Historia Augusta, gern geschlossen wird.19 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

So geht u. a. Raeder (1983) 274 von einem Baubeginn im Jahr 121 aus. MacDonald/Pinto (1995) 6: Jahr 118; Boatwright (1987) 142: Jahr 117; Adembri (22005) 35: Jahr 118; Opper (2008) 142: Jahr 117; Bloch (1947) 182: Mitte des Jahres 118; siehe auch 160–162; vgl. Mielsch (1987) mit 118 als fehlerhaftem Jahr des hadrianischen Herrschaftsantritts. Siehe Kähler (1950) 21f; siehe auch Bloch (1947) 162; Mielsch (1987) 78f. Boatwright (1987) 142 zufolge soll die Vorgängervilla von dem Komplex „Biblioteche­Ospitali­Tempe“ überbaut worden sein. Die wenigen Ziegelstempel in den Heliocaminus­Bädern weist Kähler (1950) 22 späteren Um­/ Ausbauten zu. Kähler (1950) 21f. Siehe Kähler (1950) 21f und passim; siehe auch Raeder (1983) 274. Siehe Kähler (1950) 20. Siehe Bloch (1947) 119–146; 157–175; 182f und Kähler (1950) 25–28; Adembri (22005) 36; Opper (2008) 140. Siehe MacDonald/Pinto (1995) 6; Adembri (22005) 35f; Boatwright (1987) 142 mit Anm. 32; Raeder (1983) 274; Opper (2008) 140; vgl. Mielsch (1987) 79f. Siehe Raeder (1983) 274; Boatwright (1987) 142; MacDonald/Pinto (1995) 6; 344 (= Anm.)). Die

2. Eine griechische Alternativwelt? Die Villa Hadriana in Tibur

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Allerdings stellt inzwischen ein neuerer Grabungsbefund im Areal der Villa Hadriana den Abschluss der Bauarbeiten bis spätestens zur Mitte der 30er Jahre des zweiten Jahrhunderts n. Chr. in Frage: 1998 legten die Archäologen Zaccaria Mari und Sergio Sgalambro im südwestlichen Randbereich der Villa gegenüber den dort gelegenen Dienstquartieren (Cento Camerelle) 20 Überreste eines 63 × 23 Meter messenden rechteckigen Temenos mit zwei gegenüberliegenden Gebäudefundamenten und in ihrer Mitte einem kleineren gemauerten Fundament frei. Dieser bauliche Befund war am Straßenverlauf zum großen Vestibül der Villa orientiert. Eine ebenfalls freigelegte, den Temenos nach Westen hin be­ schließende breite Exedra mit einem Durchmesser von 27,3 Metern, die einen Säulenumgang besaß und an die auf beiden Seiten mit der Temenosmauer ver­ bundene Räumlichkeiten anschlossen, gab zuerst zu der Vermutung Anlass, bei der Anlage handele es sich um ein Nymphaeum. Ein solches war hier auch tat­ sächlich angelegt, befand sich aber auf der Südseite des Temenos, einem der beiden Gebäude gegenübergelegen, worauf entsprechendes Mauerwerk mit Ni­ schen hinweist. Diese Nischen waren Grotti nachempfunden und besaßen jeweils eine Wasserleitung, die wiederum aus der Nymphaeummauer gespeist wurde. Zwischen Mauer und Gebäude befanden sich zwei Bassins, die das Wasser aus den Nischen auffingen.21 Dieser Komplex weist in Struktur (rechtwinkliger Bau und Exedra), Größe, Anlage eines Wasserbassins und eines zentral liegenden Fundaments Analogien zum Serapeum auf dem Campus Martius in Rom auf. Dieser im Verbund mit dem Iseum stehende Tempel nahe des Pantheons war wohl im Kontext des hadrianischen Wiederaufbauprogramms berücksichtigt worden, ist heute allerdings nur noch auf den Fragmenten der Forma Urbis Romae überliefert. Aus diesem Vergleich schlossen Mari und Sgalambro, dass es sich bei dem Bau am Rande der Villa Hadriana ebenfalls um eine ägyptisie­ rende Struktur handeln dürfte. Und da auf das Fundament des stadtrömischen Serapeums mit ziemlicher Sicherheit der heute auf der Piazza Navona stehende Obelisk des Domitian gesetzt worden war, nehmen die Archäologen an, dass sich im Zentrum der ägyptisierenden Struktur der hadrianischen Villa der berühmte sogenannte Obelisk des Antinoos, der sich heute auf dem Pincio in Rom befindet,22 oder eventuell ein zweites entsprechendes oder ähnlich gestaltetes Exemplar, erhob.23 In jedem Fall ist dieser problemlos in einen Freiraum im mittleren Fun­ dament der Struktur einpassbar.24

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Quellen sind kein schlagender Beweis für einen Aufenthalt Hadrians in der Villa; ihre Tendenz und die daraus in der Forschung gefolgerten Deutungen werden im Folgenden diskutiert. Siehe Sgalambro (2010) 146–154. Mari/Sgalambro (2007) 83–104; Mari (2003/04) 263–314; Griesbach (2007) 30–32; Mari (2010) 129–133. Siehe Opper (2008) 181 und Abb. 158, 177. Siehe auch das Kapitel Antinoos und Sabina. Hadrianische Interaktion zwischen römischer Tradition und Hellenisierung? Anders, wenngleich ohne Gegenbeleg: Romeo (2007a) 92–98; Romeo (2005) 5–15; Romeo (2007b) 71. Siehe Mari/Sgalambro (2007) 86; 98–101; 90, Fig. 10; siehe auch Mari (2003/04) 303–309.

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III. Hadrian und Griechenland

Somit haben Mari und Sgalambro die Kultstätte als Antinoeion identifiziert, auf dessen Gelände der bithynische Jüngling sogar begraben worden sein könnte.25 Der ägyptisierende Charakter kann durch Fragmente von im direkten Umfeld gefundenen und wohl ursprünglich dort aufgestellten Skulpturen von ägyptischen Gottheiten untermauert werden.26 Entscheidend ist jedoch die Datierung des Bauwerks, die sich hier tatsächlich mittels Ziegelstempeln verlässlich vornehmen lässt: Sie stammen aus den Jahren 131 und 134,27 so dass es sich beim sogenannten Antinoeion um das trotz rascher und nur teilweise geschickter Konstruktion letzte Bauwerk der Villa Hadriana handeln muss.28 Der Vergleich der peripher gelegenen Struktur mit Grab­ monumenten oder Mausoleen sowohl an Straßen außerhalb der Stadtmauern als auch häufig in der Nähe von privaten senatorischen Villen29 zeigt, dass ein solches Bauwerk zum allgemeinen Villenareal gehören konnte. Zudem wird durch den Um­ bau der Zugangsstraße zur Villa Hadriana in eine Prachtstraße, um das neue Bauwerk einzubinden,30 deutlich, dass dieses zum Teil des Gesamtkomplexes gehören sollte und der Bau an der monumentalen Struktur während des gesamten hadrianischen Prinzipats fortgesetzt wurde. In Anbetracht dieses fortdauernden Bauprozesses stellt sich die Frage, inwiefern die Villa Hadriana einer traditionellen senatorischen Villa glich bzw. deren Definition (grundlegend) veränderte. Allgemeiner formuliert ist nach der intendierten Bedeutung und Funktion des hadrianischen Baukomplexes zu fragen. Eine Rolle bei der Dis­ kussion dieses Problems spielt auch die Bewertung der griechischen, respektive nicht­römischen, Wurzeln der Villegiatur generell, da diese im spezifischen Fall der Villegiatur Hadrians in der Forschung wiederholt als Aspekt des angeblichen Phil­ hellenismus dieses Princeps gedeutet wurde.

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Siehe Mari/Sgalambro (2007) 83; 92–96. Siehe auch das Kapitel Antinoos und Sabina. Hadrianische Interaktion zwischen römischer Tradition und Hellenisierung? 26 Siehe Mari/Sgalambro (2007) 91f; Mari (2010) 129–132. An dieser Stelle sei vermerkt, dass der sog. Canopus in der Forschung häufig als Kultstätte oder private Gedenkstätte für Antinoos erachtet und/oder wegen in dieser Struktur vorhandenen Gemeinsamkeiten mit dem Serapeum in Rom ganz oder teilweise selbst als Serapeum der Villa Hadriana bezeichnet wurde (siehe hierzu Grenier (1990); siehe auch Mari/Sgalambro (2007) 92, Anm. 12). Heute wird meist vor­ sichtig von einem „Scenic triclinium“ gesprochen, da dem künstlichen Kanal eine halbrunde künstliche Grotte vorgesetzt ist, die als Speisesaal diente (dazu: MacDonald/Pinto (1995) 108–116). Insgesamt dürfte die Annahme eines Antinoos­Kults im sog. Antinoeion mehr Plausi­ bilität beanspruchen als im „Scenic triclinium“. 27 Mari (2003/04) 308f; siehe auch Mari (2010) 132f. 28 Mari/Sgalambro (2007) 97; Sgalambro (2003/04) 315–343; Opper (2008) 177–181 sowie Fig. 156–164, der allerdings eine Fertigstellung erst nach Hadrians Tod 138 n. Chr. für möglich hält. 29 Mari/Sgalambro (2007) 97; siehe auch Rebenich (2008) 192–198 und Rebenich (2001) 190–193 zu Grabgärten von liberti im suburbanen Bereich, aber auch Gräbern, die direkt in senatori­ schen Villen lagen (siehe z. B. Cic. Att. 12,27; 12,48,2); Griesbach (2007) 30–32 behandelt das Antinoeion selbst in diesem Kontext. Als weiteren Verweis auf diese Praxis kann auch die Sepulchral­ bzw. Nekropolenlandschaft im Bereich der Villa des Herodes Atticus in Kephisia angeführt werden: siehe Galli (2002) 146–156; allerdings könnte hier auch das hadrianische Vorbild prägend gewesen seine (siehe hierzu wiederum Griesbach (2007) 32–40). 30 Mari/Sgalambro (2007) 102f.

2. Eine griechische Alternativwelt? Die Villa Hadriana in Tibur

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Die antike Rede über die Villa Hadriana und ihre moderne Deutung Zahlreiche ältere, doch auch einige neuere Interpretationen der Villa Hadriana neh­ men von der Rede über die Villa in der antiken Historiographie bzw. Biographik ihren Ausgang. So sind v. a. zwei biographische Werke für die antike Bewertung der Villa relevant: Dabei handelt es sich um die Kurzbiographie Hadrians im Liber de Caesaribus des Aurelius Victor und um zwei Berücksichtigungen der Villa in der vita Hadriani der Historia Augusta.31 Victor bettet die Villegiatur des Princeps in einen traditionellen römischen Diskurs ein: „Später zog er sich – wie es zu gehen pflegt, wenn alles ruhig ist – recht behaglich auf den ihm gehörigen Landsitz nach Tibur zurück, nachdem er die Verwaltung der Stadt dem Lucius Aelius Caesar überlassen hatte. Er selbst baute, wie üblich bei reichen Leuten in glücklichen Umständen, Paläste und ließ sich Festmähler, Statuenschmuck und Gemälde angelegen sein; schließlich war er mit peinlicher Sorge auf alles bedacht, was zu einem luxuriösen, ausschwei­ fenden Leben gehörte. Von hier kamen böse Gerüchte auf: er habe junge Leute geschändet und sich von den übel beleumdeten Diensten des Antinoos in Glut versetzen lassen.“32

Der spätantike Autor nutzt das Bild des Rückzugs des Senators oder Herrschers aus der Sphäre der res publica, dem Dienst für das Gemeinwesen, um sich von nun an dem ausschweifenden Genuss und der reinen ästhetik ohne jeglichen praktischen Nutzen hinzugeben. Auf diese Weise stellte Victor seine Ausführung in den Rahmen des seit Jahrhunderten über antike Schriften tradierten römischen luxuria­Diskurses. Die kritische Dimension des kaiserlichen Handelns verdeutlich er durch die Erwäh­ nung von „rumores mali“, die ihren Ursprung, lateinisch ortus („[…] orti […] iniecisse“), in Hadrians Hingabe an luxuria und lascivia besäßen: Exemplifiziert wird dies am ebenfalls nicht den traditionellen mores entsprechenden Vorwurf der Homosexualität oder Pädophilie des Princeps.33 Doch auch implizit stand dem an­ tiken Rezipienten, der in der traditionellen Topik des luxuria­Diskurses geschult war, die Kritik am Verhalten Hadrians klar vor Augen: Die verschiedenen Arten des Genusses sind hier ebenso bezeichnend wie die Bauleidenschaft des Princeps, der keine senatorische domus in Rom baute, sondern ein palatium außerhalb der urbs.34 In der Historia Augusta begegnen sowohl der Rückzug als auch die Hingabe an Bauten und Güter erneut. Zuerst wird hier der Aspekt des Rückzugs des Princeps in der letzten, durch Krankheit geprägten Phase seiner Herrschaft angesprochen: „Freilich unterdrückte er jeden Ausbruch seiner angeborenen Grausamkeit bis zu dem Zeitpunkt, da er in der Villa zu Tibur durch einen Blutsturz fast ums Leben kam.“35 31 32

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Zudem wird die Villa als palatium Hadriani in SHA trig. tyr. 30,27 erwähnt. Einen vollständi­ gen Überblick über alle Evidenzen zur Villa Hadriana von der Antike bis in die Neuzeit bieten MacDonald/Pinto (1995) 6–12. Aur. Vict. 14,5–7: „Deinde, uti solet tranquillis rebus, remissior rus proprium Tibur secessit per­ missa urbe Lucio Aelio Caesari. Ipse, uti beatis locupletibus mos, palatia exstruere, curare epulas signa tabulas pictas; postremo omnia satis anxie prospicere, quae luxus lasciviaeque essent. Hinc orti rumores mali iniecisse stupra pueribus atque Antinoi flagravisse famoso ministerio.“ Siehe Aur. Vict. 14,7. Aur. Vict. 14,6. SHA Hadr. 23,7: „et omnem quidem vim crudelitatis ingenitae usque eo repressit donec in Villa Tiburtina profluvio sanguinis paene ad exitum venit.“

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III. Hadrian und Griechenland

Der hier konstruierte Zusammenhang gestaltet den Blutsturz Hadrians als physisches Zeichen, vielleicht gar als physischen Auslöser der endgültigen Wende seines Regimes zum Staatsterror, dem Verwandte des Herrschers ebenso wie Senatoren zum Opfer fielen.36 Dieser Verfall wird durch die Korrespondenz von „repressit donec“37 mit dem „tunc libere“38 zu Beginn des folgenden Satzes gekennzeichnet: Als das mit „bis“ be­ zeichnete Ende der Selbstkontrolle („repressit“) erreicht ist, folgt darauf „dann“ die Befreiung („libere“) von allen entsprechenden Zwängen. Hier bildet die Villa die Kulisse der gesundheitlichen Krise und identifiziert den Rückzug in jenen nicht zur res publica gehörenden Raum als Auslöser der endgültigen, durch Prädispositionen möglich gewordenen Wandlung des Princeps zum Tyrannen. Deutlich sanfterer Kritik wird hingegen in der Historia Augusta an der Hingabe Hadrians an seine Villa geübt: „Die Villa in Tibur baute er auf erstaunliche Weise aus; er betitelte sie mit den berühmtesten Na­ men von Provinzen und Örtlichkeiten; zum Beispiel nannte er sie Lykeion, Akademie, Prytaneion, Canopos, Poikile und Tempe. Und, um ja nichts auszulassen, gestaltete er sogar einen Hades.“39

Somit wird die Ausgestaltung der Villa Hadriana durch Hadrian in der vita Hadriani der Historia Augusta mit dem Adverb „mire“, also „erstaunlich“ oder „wunderbar“ spezifiziert. Die Benennung („inscriberet“) diverser Gebäude mit den Namen der berühmtesten Provinzen und Orte, vornehmlich nach Räumen und Einrichtungen der griechischen und ägyptischen Welt, verortet die Villegiatur Hadrians ausdrück­ liche außerhalb der res publica. Allerdings wird dies lediglich durch die sanft spot­ tende Aussage ironisiert, Hadrian habe, um nichts zu übergehen („praetermitteret“) gar einen Hades gestaltet („inferos finxit“). Dies sollte wohl die ausschweifende Konzentration auf den Villenbau und damit auf eine Handlung kritisieren, die nicht den traditionellen Anforderungen und Erwartungen an einen Princeps entsprach. Die hier vorgestellten Interpretationsansätze zeigen, dass die Rede über die Villa in beiden antiken Hadrian­Biographien narrativen Strategien folgte, die populärere Diskurse übernahmen oder adaptierten. Dennoch verwendet die Forschung zur Villa Hadriana bis heute diese Passagen jenseits aller inhaltlichen wie auch zeitlichen Kontextualisierung als Steinbruch für zwei anachronistische Hypothesen zur Be­ deutung und Funktion der hadrianischen Villegiatur: 1. Zum einen handelt es sich um ein Konstrukt, das als Ruhestands­Hypothese bezeichnet werden kann. So formuliert beispielsweise Stewart Perowne in seiner Hadrian­Biographie nach panoramenhafter Beschreibung der Villa Hadriana:40 „So sah der prachtvolle Alterssitz aus, in dem Hadrian, endlich von seiner Wanderschaft heimgekehrt, seine letzten Jahre zu verbringen gedachte.“41 Und Ute Schall bemüht Henry V. Mortons Position zur Villa Hadriana, um auszuführen: 36 37 38 39 40 41

Siehe SHA Hadr. 23,1–9. Vom Körper­ und Sittenverfall Hadrians handelt auch Cass. Dio 69,17. SHA Hadr. 23,7. SHA Hadr. 23,8. SHA Hadr. 26,5: „Tiburtinam Villam mire exaedificavit, ita ut in ea et provinciarum et locorum celeberrima nomina inscriberet, velut Lyceum, Academiam, Prytaneum, Canopum, Poicilen, Tempe vocaret. et, ut nihil praetermitteret, etiam inferos finxit.“ Perowne (21977) 208–211. Perowne (21977) 212.

2. Eine griechische Alternativwelt? Die Villa Hadriana in Tibur

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„Während der Kaiser im fernen Asien und Griechenland weilte, entstand unweit von Rom beim zauberhaft romantischen Bergstädtchen Tivoli […] ein steinerner Traum, Hadrians Traum. ‚Nach der Gewohnheit glücklicher, reicher Menschen‘, wollte sich der Herr der Welt einst hier­ her zurückziehen, ‚um die letzten Tage seines Lebens in friedlichem Gepränge zu verbrin­ gen und sich ganz der Malerei, Musik, Dichtung und Literatur zu widmen.‘ Wie die meisten Menschen hoffte er auf ein langes Leben. Aber sein Traum vom beschaulichen Lebensabend sollte durch eine unheilbare Krankheit jäh zunichte werden.“42

Zudem schließt die Autorin, Hadrian habe sich nach der Rückkehr von seiner letzten Reise entschlossen, „den Besitz seines Alterssitzes jetzt ungestört zu genießen.“43 In ebenso problematischer Weise hatte bereits Kähler die Ruhestands­Hypothese ver­ treten. Er schreibt über Hadrian: „Als er fühlt, daß er seiner nicht mehr Herr ist, zieht er sich ganz in seine Villa bei Tibur zurück.“44 Auffällig an all den zitierten Positionen ist die Wahl von Ausdrücken wie „Alterssitz“, „Lebensabend“ oder des Verweises auf einen ‚Rückzug‘: Der Princeps zieht sich der Hypothese folgend ermattet von seinen Reisen und bereits schwer erkrankt in seine Villa zurück. Er geht also in Rente, wird Pensionär, möchte seine letzten Jahre genießen. 2. Noch populärer ist freilich die Museums­Hypothese, die nicht zuletzt durch ihre Wiederholung in der maßgeblichen Hadrian­Biographie von Anthony R. Birley forciert wird. Hier wie anderen Orts werden, basierend auf einer langen Forschungstradition, die in SHA Hadr. 26,5 erwähnten Benennungen einzelner Teile der Villa Hadriana auf reale materielle Befunde übertragen. So heißt es zum einen: „The long portico in the southern part of the palace, surrounding a pool, with a half­domed apsidal building at one end, corresponds in its dimensions to the Euripus of Alexandria’s Canopus.“45 Diese wie auch einige weitere Zuschreibungen waren so lange Zeit communis opinio, dass sie trotz mittlerweile überwiegender Skepsis in der aktuellen Forschung bezüglich derartiger Gleichsetzungen weiterhin als gebräuchliche Bezeichnungen der entspre­ chenden Überreste Verwendung finden.46 Birley jedoch scheint diesen neueren For­ schungsstand nicht rezipiert zu haben und folgert unbeirrt: „While the Serapeum […] symbolized Egypt […], the Canopus now stood for the whole Mediterranean.“47 Die baulichen Aktivitäten seien, so Birley weiter, im Kontext der Reisen Hadrians zu verstehen; es handele sich um „souvenir sections of the great Villa, recalling Athens above all“48. Perowne geht in seiner Deutung auf gleicher Basis noch einen Schritt weiter: Er versteht alle Teile der hadrianischen Villa als Nachbildungen von Orten, die Hadrian auf seinen Reisen besucht habe und das Ausstattungsprogramm als Nachbil­ dung griechischer Artefakte.49 Die Zuschreibung eines solchen, über bloße Symbolik oder Repräsentation hinausgehenden, Charakters erklärt die Villa endgültig zum 42 43 44 45 46 47 48 49

Schall (1986) 286 zitiert Morton (1957) 253 in deutscher Übersetzung; absurderweise sind die beiden zitierten Aussagen bereits bei Morton teilweise als Zitate gekennzeichnet, jedoch ohne deren Herkunft nachzuweisen. Schall (1986) 289f (Zitat: 290). Kähler (1950) 158. Birley (1997b) 193. Dies gilt überwiegend auch für die Terminologie dieser Arbeit. Birley (1997b) 285; siehe auch Grenier (1990). Birley (1997b) 306. Siehe Perowne (21977) 208–212; siehe auch Danziger/Purcell (2005) 186.

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III. Hadrian und Griechenland

Museum des Imperium Romanum sowie der hadrianischen Politik: „Er plante etwas, was wir heute eine ‚Reichsausstellung‘ nennen würden […], die diejenigen Gebiete des Reiches in Miniatur darstellen sollte, die ihrem kaiserlichen Inspektor am besten gefallen hatten.“50 Wann Hadrian allerdings den Hades besucht haben soll, der als unterirdisches Gebäude der Villa ebenfalls zumindest „geplant“ gewesen sei, und woher die Architekten Kenntnis seines Erscheinungsbildes gewonnen hatten,51 ver­ schweigt uns Perowne bedauerlicherweise. Auch Schall schreibt den einzelnen Bauten der Villa Hadriana die „Namen der berühmtesten Orte“ zu, die der Princeps „auf sei­ nen Reisen besuchte.“52 Weiterhin behauptet sie, dass die Gebäude über ihre Bezeich­ nungen hinaus „charakteristische Eigenschaften“ mit ihren griechischen oder ägypti­ schen Namenspaten „teilten“53. Auf diese Weise bettet Schall die Museums­Hypothese in die Ruhestands­Hypothese ein, argumentiert also, dass die Nutzung der angeblich an hellenistischen Vorbildern orientierten Gebäudefunktionen Hadrian nach dem an­ geblichen Rückzug aus der Politik uneingeschränkten privaten Lebensgenuss beschert hätten.54 Außerdem ist die Museums­Hypothese besonders geeignet, Hadrian als be­ deutenden ‚Philhellenen‘ zu präsentieren. So versteht Elena Calandra die Villa Had­ riana nicht allein als „museo immaginario“ und als „enciclopedia e microcosmo“ der panhellenischen politischen Kultur Hadrians,55 sondern verweist auch auf kunstsam­ melnde hellenistische Herrscher, die Hadrian zum Vorbild gedient hätten.56 Daneben zieht sie auch Nero und seine Domus Aurea als Vergleichsmaßstab orientalischer Selbstüberhöhung heran.57 Den beiden Hypothesen ist auf Basis der herausgearbeiteten Lesung der jewei­ ligen Passagen von Aurelius Victor und der vita Hadriani der Historia Augusta wie folgt zu entgegnen: 1. Zwar liegt die Verwandtschaft der bei Aurelius Victor benannten remissio Ha­ drians58 mit der Ruhestands­Hypothese auf der Hand, doch ist die Quellentendenz, wie gezeigt wurde, nicht zwangsläufig für bare Münze zu nehmen, sondern dem luxuria­ Diskurs als Form der traditionellen Kaiserkritik geschuldet. So tritt Hadrian in Victors Narrativ im Weiteren zumindest insofern wieder in die Öffentlichkeit, als er Antinoos­ Repräsentationen im Imperium Romanum errichten lässt.59 Außerdem kann besagte remissio und Hadrians daraus resultierende Erteilung der permissio urbis an Lucius Aelius Commodus60 nicht als dauerhaft betrachtet werden. Die Ausübung der Verwal­ tung durch den Caesar dürfte angesichts seines sehr bald nach der Adoption eingetre­ tenen Todes ohnehin nicht lange angedauert haben. In dieser Hinsicht ist das Schweigen 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Perowne (21977) 209. Perowne (21977) 209; vgl. auch Mac Donald/Pinto (1995) 59. Schall (1986) 290. Schall (1986) 290; entsprechend auch Kähler (1950) 27. Siehe Schall (1986) 286–299. Calandra (1996) 277; siehe auch Trimble (2001) 240. Calandra (1996) 260–265 (260: „il più antico modello proponibile rimonta senza dubbio all’età ellenistica, alla raccolta d’arte die re die Pergamo“); siehe auch Trimble (2001) 239f. Siehe Calandra (1996) insbes. 217–237; 267–277; siehe auch Trimble (2001) 239. Siehe Aur. Vict. 14,5. Siehe Aur. Vict. 14,7. Siehe Aur. Vict. 14,5.

2. Eine griechische Alternativwelt? Die Villa Hadriana in Tibur

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Victors über Aufenthaltsorte des Princeps nach dem Ableben des designierten Nach­ folgers, dessen frühen Tod er nicht einmal verschweigt,61 äußerst beredt. Zudem spricht der antike Biograph von Hadrians Bemühungen um eine neuerliche Adoption62 und behauptet somit im Kontrast zu den modernen Deutungen nicht einmal einen dauer­ haften Abschied von der res publica, sondern stellt schlicht kaiserliches Handeln im Interesse einer Dynastiebildung dar. Noch weniger Indizien für die Ruhestands­Hypothese bieten die Aussagen der Historia Augusta: Der in der Villa erlittene Blutsturz ist plastisch gemachter Anlass für besonders rege politische Tätigkeit des Princeps – wenn auch durch die Errichtung eines Terrorregimes. Zudem findet die neuerliche Adoption Erwähnung.63 Von einem Verbleib Hadrians in der Villa nach seiner Erkrankung ist hingegen nicht die Rede. Übrigens berichtet kein antiker Text zum hadrianischen Prinzipat davon, dass Ha­ drian in der Villa Hadriana gestorben sei. Unser Bild resultiert aus stillschweigenden Annahmen, die allerdings aus keiner Quelle zu schöpfen sind. Daher darf auch nicht aus der in der vita Hadriani direkt auf die Beschreibung der Villa64 folgenden Schil­ derung der Vorzeichen auf ein baldiges Ableben des Princeps65 geschlossen werden. Beide Aspekte gehören nämlich schlicht zum abschließenden Charakterbild und zu den am Ende eingebrachten wissenswerten Informationen über die beschriebene Person, die der biographischen Literatur suetonischer Prägung eigen sind und auch in der gesamten Historia Augusta Umsetzung finden. Doch schon generell wären Berichte in den antiken Texten über einen Kaiser, der in Ruhestand geht, sehr verwunderlich, da für ein solches Verhalten kein Vorbild existierte. Der pensionierte römische Herrscher scheint nicht einmal als Konzept denkbar gewesen zu sein: Seit Caesars Zeiten bis zum Ende der Antike ist kein freiwilliger Rücktritt von der Herrschaft zu verzeichnen.66 Die einzige Möglichkeit 61 62 63 64 65 66

Aur. Vict. 14,10: „Unterdessen war der Aelius Caesar gestorben.“ Siehe Aur. Vict. 14,10f. Siehe SHA Hadr. 24,1–7. SHA Hadr. 26,5. SHA Hadr. 26,6–10. Die einzige scheinbare Ausnahme bildet die sog. Erste Tetrarchie (286/293–305). Freilich geriet das idealiter eine Zweigenerationenlösung ermöglichende System nach dem frühen Tod des Con­ stantius Chlorus sehr schnell an seine Grenzen. So führte dieses Ereignis zu einem Wiedereintritt des emeritierten Augustus Maximian in die Tagespolitik, der 310 schließlich in einem, wenn auch schnell niedergeschlagenen, Bestreben nach der erneuten Übernahme des Kaisertums gipfelte. Gleichzeitig wurde die Präsenz des zweiten emeritierten Augustus Diocletian zur Ordnung der Wirren der sog. Zweiten Tetrarchie auf dem Konzil von Carnuntum 308 für notwendig erachtet; im Anschluss bekleidete Diocletian sogar nochmals den Konsulat (Bleckmann (2002b) 196–200; Bleckmann (1997) 577–587; Bleckmann (1999) 1067–1069). An diesem Befund ist die Unmög­ lichkeit des Rückzugs vom Kaisertum klar abzulesen (siehe auch Levick (2010) 304f): Zumindest Maximian scheint sich schließlich wieder am Modell des Prinzipats bis zum Lebensende orien­ tiert zu haben. Die beiden emeritierten Augusti blieben zudem Zeit ihres Lebens als Gründungs­ väter des neuen Systems und im Kontext der eigenen Adoptionspolitik Referenzpunkt der Legiti­ mation der neuen Augusti und Caesares. Somit wurden die Herrscher der Zweiten Tetrarchie in der Tagespolitik und auch in der Selbstdarstellung an der kollektiv verfestigten Imago ihrer Vor­ gänger gemessen, womit sich jeder römische Princeps konfrontiert sah und worauf er mit unter­ schiedlichem Grad an Affirmation reagieren konnte. Der Unterschied bestand im Fall der Tetrar­

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III. Hadrian und Griechenland

die Herrschaft eines römischen Kaisers vorzeitig zu beenden, bestand in seiner Er­ mordung. Und auch nach einem solchen Ereignis erlangte, wie nach dem Tod eines jeden Princeps, stets sofort ein Nachfolger den Purpur.67 Dieser war ebenso über sein gesamtes Prinzipat hinweg darauf angewiesen, ständig Akzeptanz gegenüber den Statusgruppen Roms auszuhandeln68 und seiner Herrschaft eigenes Profil zu verleihen, um dem Vergleich mit dem Vorgänger standhalten zu können. Daher war die Verrentung eines Herrschers im römischen Prinzipat undenkbar. Aus diesem Grund blieb auch Tiberius, der sich ab 26 n. Chr. nur noch in seiner Villa auf Capri und somit in einer deutlich den traditionellen Standorten entrückten Villegiatur aufhielt,69 politisch tätig70 – einzig der Zugang zu ihm war deutlich eingeschränkt. Weder er noch Hadrian konnten den in Principes gesetzten Erwartungen allzu ekla­ tant zuwiderhandeln; es dürfte ihnen nicht einmal in den Sinn gekommen sein. 2. Bezüglich der Museums­Hypothese wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Aussage der vita Hadriani, Hadrian habe in seiner Villa sogar einen Hades erbauen lassen als Ironisierung seines besonders extensiven Villenbaus zu verstehen ist. Zudem konnte der komische Effekt, Orte der ägyptischen und griechischen Welt mit der my­ thologischen und weniger positiv konnotierten griechischen Unterwelt zu kontrastieren, nur verstanden werden, wenn der kulturelle Kontext Beachtung fand, welchen die Museums­Hypothese vermissen lässt. So war es tatsächlich seit republikanischer Zeit üblich, Villenteile – teils an Funktion oder Aussehen orientiert, teils ohne erkennbare Grundlage – nach griechischen oder ägyptischen Orten zu benennen, wie schon allein diverse Passagen des ciceronischen Werks erweisen.71 Vom Ausmaß ihres Areals ab­ chie aber darin, dass die vormaligen Augusti noch am Leben waren und aufgrund ihrer auctoritas weiterhin als Augusti betrachtet wurden, was die affirmative Auseinandersetzung mit ihnen umso dringlicher machte (siehe auch Kolb (2001) 163–167). Erst die Entmachtung des Romulus Augu­ stulus 476 führte zum einzigartigen Fall eines römischen Kaisers im Ruhestand: Ihm wurden eine Pension und ein Landgut zur Verfügung gestellt, auf das er sich zurückzog. Natürlich handelte es sich dabei auch um eine programmatische Entscheidung: Die Absetzung des Romulus bedeutete das Ende des weströmischen Kaisertums und somit auch das Ende der auctoritas des Kaisers, die, so die intendierte Botschaft, nicht mehr als Alternative zur Herrschaft des rex Odoacer zu verste­ hen war (siehe Börm (2008) 49f mit Anm. 13; siehe auch Börm (2015) 239–264). 67 Siehe Flaig (1992) 224–232 zur Offenlegung des „Kräfteverhältnisses“ in der „Partialkrise“ des politischen Systems zwischen der Ermordung des Caligula und dem Herrschaftsantritt des Claudius im Januar 41 n. Chr.: Während der Senat als Gremium über die Ernennung eines neuen Princeps bzw. über die Wiedereinführung der Republik stritt, wurde Claudius von den städtischen Kohorten akklamiert, was den Senat vor vollendete Tatsachen stellte und damit die Unabdingbarkeit der Fortdauer des Prinzipats ein für alle Mal klarstellte. 68 Siehe Flaig (1992). 69 Tac. ann. 57–59; Suet. Tib. 39–45; Cass. Dio 58,1; siehe auch Levick (1976). 70 Trotz dem Vorwurf der Quellen, Tiberius habe sich aus der Politik zurückgezogen und sich den schrecklichsten Ausschweifungen hingegeben und trotz des Tobens der maiestas­Prozesse (die allerdings auch ein Zeichen der Bemühung um auctoritas auf Seiten des Princeps und des Kampfs um Kaisernähe auf Seiten der Reichselite waren), bekleidete Tiberius von Januar bis März 31 n. Chr. seinen fünften Konsulat, ordnete 34 n. Chr. Armenia neu (siehe dazu Levick (1976) 146f ) und erwies seine cura gegenüber den Überlebenden einer Feuerkatastrophe in Rom im Jahr 36 n. Chr. (Cass. Dio 58,26,5), um nur einige Beispiele zu nennen. 71 Cic. Tusc. 2,9; 3,7 (Academia); Cic. div. 1,8; 2,8 (Lyceum); Cic. Att. 13,49,1 (Parthenon); siehe dazu Raeder (1983) 274–276; 289f; Gotter (2001) zeigt, „daß sich die Villen geradezu demon­

2. Eine griechische Alternativwelt? Die Villa Hadriana in Tibur

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gesehen entspricht die Villa Hadriana in Lage, Architektur, Ausstattung und möglicher Benennung von Bauten recht präzise dem Modell der römischen Villenarchitektur seit spätestens dem ersten Jahrhundert v. Chr.72 Zudem hatte der Princeps sein Anwesen in die traditionelle Villenwelt von Tibur gesetzt. Es handelte sich also um keinen Verweis auf Hadrians Reisen, sondern um einen ausdrücklichen Anschluss an genuin römische, in republikanische Zeit zurückreichende, tradierte Vorbilder. Von einer spezifischen, neuartigen musealen Präsentation kann also keine Rede sein: Kein Rezipient war in der Lage hier Unterschiede zur langen Tradition der römischen Villegiatur auszumachen. Auch die Zuschreibung eines hadrianischen Anschlusses an das Vorbild kunst­ sammelnder und in Palästen residierender hellenistischer Herrscher ist unzutreffend: Kunstschätze aus dem gesamten Imperium, insbesondere aus dem griechischen Osten, gehörten zum üblichen, traditionellen Interieur senatorischer Villen. Zudem betätigte sich Hadrian weitgehend überhaupt nicht als Kunstsammler: Joachim Raeder hat in seinem maßgeblichen Katalog zur statuarischen Ausstattung der Villa Hadriana nach­ gewiesen, dass es sich beim gesamten erhaltenen statuarischen Material um hadria­ nische Schöpfungen handelte. Das bedeutet: Keine dieser Statuen war ein griechisches oder römisches Originale früherer Jahrhundert, höchstens eine entsprechende Kopie. Ergänzend ist zudem darauf zu verweisen, dass abgesehen von einigen wenigen antoninischen oder severischen Bildnissen von Kaisern bzw. Mitgliedern der kaiser­ lichen Familien keine Kunstwerke aus nachhadrianischer Zeit zu identifizieren sind.73 Hadrian schuf folglich in seinem eigenen Raum ein Bildnisprogramm, das allein auf ihn und sein Prinzipat verwies. Eine Gleichsetzung Hadrians mit einem hellenistischen Herrscher bzw. eine Selbstpräsentation als solcher ist damit nicht zu konstatieren. Auch Raeder lehnt die Museums­Hypothese in ihrer Gesamtheit ab.74 Allerdings entwickelt er aus eben dieser Ablehnung eine neue These, die gewisse Parallelen zur Ruhestands­Hypothese aufweist. So argumentiert Raeder, Hadrian habe sich durch seine Villegiatur als „bürgerlicher“ Kaiser, der „senatsfreundliche[…] Politik“ betreibe, stili­ sieren wollen, indem er in seiner Villa „mehr als Privatmann, denn als Kaiser auftrat“; somit sei das otium seiner Villa ausschließlich auf privaten Genuss gerichtet gewesen. Da es sich nun beim otium, das der Senator in seiner Villa in Absenz von Rom genoß in der Tat um ein seit der römischen Republik etabliertes Konzept handelte, interpretiert Raeder die Villegiatur Hadrians als „römisch­konservative Seite seiner [d. h. Hadrians] Politik“ sowie als Markierung einer „Rückkehr zu altrömischen Traditionen“.75

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74 75

strativ griechischer Nomenklatur bedienten“ (Kapitel 7. Die nachcatonische Grammatik der römischen Rede über Griechenland, Teilkapitel 7.2 Auslagerung: Die Politik des otium und die griechische Kunst). Mielsch (1987) 95–128; siehe auch MacDonald/Pinto (1995) 47f; Opper (2008) 148. Siehe die Stilanalyse bei Raeder (1983) 205–242; nachhadrianische Bildnisköpfe und ­büsten sind in Kat. I 56–59; 94f; 70; 72; 121–123 und ggf. in mehreren Werken unter II 15 zu erkennen; siehe auch MacDonald/Pinto (1995) 141–151. Zwar bringt Opper (2008) 154f; 165 gewisse Ein­ wände vor, doch beschränken sich diese auf die Möglichkeit einer Übernahme vorhadriani­ scher Mosaiken und einiger Funde ägyptischer Statuen aus der Zeit des Mittleren Königsreichs im Bereich des Antinoeions. Freilich wäre eine kultische Rolle, die das Antinoeion gespielt haben könnte, Grund genug für eine entsprechende Übertretung des sonstigen Konzepts. Siehe Raeder (1983) 314f. Raeder (1983) 281–285; 310f; 314f (Zitate: 283; 283; 282; 310; 310).

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III. Hadrian und Griechenland

Doch tritt insbesondere in der luxuria­Kritik, die im senatorisch­politischen respektive „römisch­konservative[n]“ Feld eine wesentliche Rolle spielte, klar zu Tage, dass es sich bei der Villegiatur zwar um eine römische Kulturpraxis, aber rein genuin eben um kein römisches Konzept handelte. Indem die senatorischen Villen lokal wie auch ideell explizit außerhalb von res publica und negotium situiert wurden, gelang es gerade in ihrem Bereich, die luxuria­Kritik auszublenden. Der Konsens als Grundvoraussetzung senatorisch­politischen Selbstverständnisses besaß in der Villegiatur keinerlei Geltung.76 Somit konnte sich Hadrian gar nicht, wie Raeder argumentiert, in der Villenlandschaft Tiburs als senatorischer Standesangehöriger präsentieren, befand er sich doch in einem durch die Senatoren selbst definierten Raum, der sich als außerhalb des konsensualen stadtrömischen Raums stehend begriff. Dieses prekäre Konzept fand auch bei Aurelius Victor seinen Niederschlag, der die hadrianische Villegiatur als Auslöser des moralischen Verfalls des Princeps kenn­ zeichnet. Allerdings handelt es sich bei diesem tradierten Topoi und Argumentati­ onslinien folgenden Text um einen äußerst späten Nachhall einer eigentlich schon republikanischen Auseinandersetzung. Grundzüge und Voraussetzungen: Die republikanische Villegiatur Ausgehend von der der uns im Textcorpus der späten Republik und frühen Kaiserzeit begegnenden Antinomie der stadtrömisch­senatorischen Sphäre einerseits und der der urbs entrückten Villegiatur andererseits, interpretiert die Forschung die römische Villa vielfach als Rückzugs­ und Zufluchtsort der von der Politik und ihrer Besetzung durch mächtige Einzelpersonen ernüchterten Senatoren. Damit wird sie als gezielt geschaffener Alternativraum des otium gegenüber der römischen Politik als Raum des negotium begriffen:77 In der Villa sei es gelungen, ein individuelles „regnum“ nach hellenistischem Vorbild zu errichten,78 das als „kompensatorische Ersatzwelt“79 zur senatorischen „Ersatzbefriedigungen“80 fungiere. Dieser gängigen These haben mit guten Argumenten Ulrich Gotter sowie zuletzt Johannes M. Geisthardt widersprochen.81 Zwar identifiziert auch Gotter das otium als griechisch ausgestalteten und verstandenen Lebensstil der Senatoren und verweist in Zusammenfassung des Forschungsbefundes darauf, dass es sich bei den römischen Villen um „ökonomisch afunktionale Bauten“ handelte, die „konzeptionell und ex­ plizit“ als „griechischer Raum“ verstanden wurden. Das wird im architektonischen Aufbau der Villa, am augenfälligsten im hellenistischen Bauelement des Peristylhofs, 76 77 78 79 80 81

Siehe Gotter (2001). So u. a. Schneider (1995) 18–22; 28f; Meier (1995) 57–66. Zur ausführlichen Kritik siehe Gotter (2001) Kapitel 7. Die nachcatonische Grammatik der römischen Rede über Griechenland, Teil­ kapitel 7.2 Auslagerung: Die Politik des otium und die griechische Kunst. Schneider (1995) 26–28; 148–150 und passim. Meier (1995) 62. Meier (1995) 64. Siehe Gotter (2001) Kapitel 7. Die nachcatonische Grammatik der römischen Rede über Grie­ chenland, Teilkapitel 7.2 Auslagerung: Die Politik des otium und die griechische Kunst; Geisthardt (2015) 158–188.

2. Eine griechische Alternativwelt? Die Villa Hadriana in Tibur

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der in der römischen Architektur bis dato keine Verwendung gefunden hatte, ebenso deutlich wie im Bildprogramm der Villenräume, das allein griechische Themen und Motive wiedergab.82 Jedoch überrascht zunächst, wie Gotter im Weiteren zeigt, die zeitgenössische Bewertung dieses Raums im Werk Ciceros, der einerseits in den Reden gegen Verres die Kunstliebhaberei und ­kennerschaft des ehemaligen Statthalters von Sizilien als krankhaft geißelte und sich selbst als der Kunst unkundig stilisierte,83 sich andererseits aber selbst in weiteren Werken als Kenner und Sammler griechischer Kunst erwies.84 Gotter analysiert diesen allgemeinen Widerspruch in der spätrepublikanischen Senat­ saristokratie, indem er die Antinomie der Konzepte des otium und negotium aufzeigt: Nur auf der Grundlage des Einsatzes für die res publica und durch die Übernahmen ihrer ämter auf der Basis des Annuitätsprinzips war Prestige zu erringen. Aus dieser Position heraus erfolgte die Deutung des otium als „Nicht­negotium“, dem all die Aspekte des Lebensstils und der Selbstrepräsentation der römischen Reichselite zu­ geschlagen wurden, die nicht in den Bereich der als traditionell definierten politischen Tätigkeiten passten. Dabei spielte in der literarischen Strategie die normative Abgren­ zung aller moralisch tadelnswerten Handlungen, die zwar gängige senatorische Pra­ xis waren, jedoch nicht im negotiösen Dienst für die res publica standen, als wert­ fremder, vollständig abgegrenzter ‚griechischer‘ Raum eine zentrale Rolle.85 Dabei sei der republikanischen Villegiatur durchaus ein politisches Konzept bzw. „politisches Potential des otium“ inhärent gewesen; ‚griechisch‘ dürfe also nicht per se als Syn­ onym für ‚apolitisch‘ verstanden werden:86 Zunächst einmal generierte der zeitweilige Standortwechsel vom Raum der res publica in den Raum der Villa aufgrund der Konstanz der senatorischen Protagonis­ ten keine völlig veränderte Kommunikationssituation, welche die, diese gesellschaft­ liche Gruppe erst determinierende ‚Interessenlage‘ der Politik ausgeklammert hätte. Dazu trug insbesondere die Fortdauer der Gastfreundschaft als Prinzip des Aufei­ nandertreffens auch in der Villa bei.87 Doch auch über diesen Aspekt hinaus war das Konzept selbst, d. h. die otiöse Praxis der römischen Villegiatur, Gotter zufolge von politischer Bedeutung. So konnte in der Villa der senatorische Wettbewerb um in­ dividuelle dignitas noch effektiver und hemmungsloser ausgetragen werden als im auf Konsens ausgerichteten Raum der res publica. Dies demonstriert Gotter am Beispiel des Gelageluxus: Je aufwändiger der Gastgeber seine Gäste bewirtete, umso mehr waren ihm diese nach den „Regeln der Reziprozität“ verpflichtet. Somit waren die Gäste als Gastgeber ihrer eigenen convivia bemüht, mit ihren Gastgebern gleich­ zuziehen oder sie zu übertreffen. Wem dies finanziell nicht gelang, der blieb seinem 82

Siehe Gotter (2001) Kapitel 7. Die nachcatonische Grammatik der römischen Rede über Grie­ chenland, Teilkapitel 7.2 Auslagerung: Die Politik des otium und die griechische Kunst. Be­ lege für diesen Befund bei Mielsch (1987) 49–63; 97–99; Schneider (1995) 35–52; siehe auch Zanker (42003) 36–38. 83 Zur Deutung siehe Gotter (2001) Kapitel 7. Die nachcatonische Grammatik der römischen Rede über Griechenland, Teilkapitel 7.2 Auslagerung: Die Politik des otium und die griechische Kunst. 84 Siehe ebd. mit Diskussion diverser Abschnitte der Atticus­Briefe. 85 Siehe ebd. 86 Siehe ebd. 87 Siehe ebd.

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III. Hadrian und Griechenland

Gegenüber verpflichtet, wodurch der unterschiedlich hohe Grad an dignitas zum sozialen Distinktionsmerkmal wurde. Auf diese Problematik reagierte bereits im zweiten Jahrhundert v. Chr. die römische Luxusgesetzgebung, die allzu großen Ta­ felluxus untersagte. Doch während dieser schon im Raum des negotium kaum aus­ reichend eingedämmt werden konnte, gelang die Reglementierung im Raum des otium überhaupt nicht. Die sich in der öffentlichen Diskussion verschärfende Ab­ grenzung der beiden Räume und die Interpretation des Villenraums als außerhalb des wirkungsbereichs der res publica gelegen, ermöglichte den Senatoren den distink­ tiven Wettbewerb um dignitas weiterhin auszuleben, ja ihn sogar rapide anwachsen zu lassen. Dabei bot die Villa neben der räumlichen Freiheit auch durch die zuvor erwähnten ‚griechischen‘ Kunstwerke und Baustile bedingte „Distinktionsangebote“: Villen vergrößerten sich fortwährend, die darin präsentierte Kunst wurde immer spektakulärer, wodurch sich Glanz und Wert stetig erhöhten.88 Auf diese Weise wurde die Villegiatur zum Raum agonal ausgetragener politisch­ sozialer Statusbestimmung: Die republikanischen Senatoren agierten zwar in einem ‚griechischen‘ Raum, setzten dessen Luxus jedoch in soziales Kapital für ihr dezi­ diertes Streben nach dignitas um. Die Villegiatur in der Hohen Kaiserzeit Gemäß ihren republikanischen Wurzeln dürfte Hadrian die Nutzung der Villegiatur zum Zweck hellenistischer Selbstdarstellung also kaum in den Sinn gekommen sein; noch viel weniger wäre sie für seine Rezipienten akzeptabel oder auch nur plausibel gewesen. Und doch sprengte die kaiserliche Villegiatur seit der Zeit des Tiberius und seiner Villa Iovis häufig die senatorische Semantik des Villenbaus, indem sie ihr eine neuartige prinzipale Semantik entgegensetzte, die insbesondere in der Monu­ mentalisierung des kaiserlichen Villenbaus bestand, die nur für den Princeps möglich war und seine allüberlegene Rolle unterstrich. Damit führte die prinzipale Semantik zu einer grundsätzlichen Modifikation des Konzepts der Villegiatur. Dieses wurde aber damit keineswegs entpolitisiert. Vielmehr übernahm die Senatorenschaft die prinzipale Semantik und folgte damit dem kaiserlichen Vorbild, soweit dies möglich war. Auf diese Weise blieb die senatorische Agonalität nicht nur bestehen, sondern verschärfte sich noch deutlich. Dirk Barghop schreibt dazu: „Die Villen, die die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft in den bevorzugten Landstri­ chen Italiens erbauen ließen, waren ein Synonym senatorischer Existenz und nicht einfach nur ein gleichsam ‚privater‘ Rückzugsort.“89

Barghop betrachtet die materielle Präsenz der kaiserzeitlichen Villegiatur und die Bestrebungen jedes Senators, die Villenbauten der Standesgenossen zu übertreffen, als einen Aspekt, der triumphalen Symbolik der Reichselite, die sich nach der Mo­ nopolisierung der Triumphe durch die Principes auf dieses und vergleichbare Felder

88 Siehe ebd. mit Quellen. 89 Barghop (1994) 137.

2. Eine griechische Alternativwelt? Die Villa Hadriana in Tibur

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verlagert habe.90 Damit habe die Materialität der Villa einen dauerhaften Sieg des jeweiligen Senators symbolisiert und folglich die anderen Senatoren zum Gleich­ ziehen und Übertreffen aufgefordert.91 Barghops Ansatz berücksichtigt den Anspruch der Senatoren auf dignitas und begrenzte auctoritas, der ihnen im Konstrukt der von Augustus für sich selbst beanspruchten primus-inter-pares­Stellung eingeräumt blieb. Diese dignitas wurde wie bereits in der Republik im Bereich der außerhalb der res publica liegenden Villegiatur agonal inszeniert. Und wenn ein Senator erfolgreich aus dem Wettbewerb hervorging, versetzte ihn das in die Lage, den Ertrag als sym­ bolisches Kapital für sich zu beanspruchen. Doch auf der Basis welcher sozialen und ökonomischen Ressourcen konnte diese Agonalität der Senatsaristokratie um dignitas in der Kaiserzeit erfolgen? Hatte es sich in der Republik bei den Senatoren um die unbestrittene Herrschaftsschicht des Imperium Romanum gehandelt, trat die Faktizität der kaiserlichen Macht im Verlauf des Prinzipats immer klarer zutage.92 Folglich benötigte die dignitas unter den neuen sozialen, politischen und ökonomischen Umständen eine aktualisierte Grundlage, auf die die Senatoren rekurrieren konnten, um ihre Ehrenstellung wei­ terhin präsentieren und im Wettbewerb plausibilisieren zu können.93 Diese neuartige senatorische Erzeugung von plausiblem symbolischem Kapital in und anhand der römischen Villenwelt ist Gegenstand diverser literarischer Texte der Prinzipatszeit.94 Sie soll im Folgenden durch die Analyse der Werke zweier sehr unterschiedlicher Autoren des späten ersten bzw. des frühen zweiten Jahrhunderts n. Chr. herausgearbeitet werden: Es handelt sich dabei um die Schilderung von Villen zweier Angehöriger der Reichselite in zwei Gedichten aus den Silvae des Statius sowie um die Schilderungen eigener Villen in zwei Briefen des jüngeren Plinius. Die Villenbeschreibungen in den Silvae des Statius Bei den herangezogenen Werken des Statius handelt es sich um Silv. 1,3 zur Villa Tiburtina Manili Vopisci und um 2,2 zur Villa Surrentina Polli Felicis.95 Beide Gedichte sprechen den jeweiligen, real existierenden Villenherrn an, um diesen und seine Villa respektive diesen durch jene bzw. jene durch diesen zu preisen: Zu Beginn von Silv. 1,3 werden zum einen die Lage und der grundsätzlicher Auf­ bau der tiburtinischen Villa geschildert: Sie besitzt zwei Gebäudeteile („geminos pe­ nates“), zwischen denen der Anio fließt („inserto Aniene“).96 Zum anderen wird die 90 91 92 93 94 95

Siehe Barghop (1994) 131–136. Siehe Barghop (1994) 136–142. Siehe Barghop (1994) passim; siehe auch Flaig (1992) 174–178. Vgl. Barghop (1994) 128–130. Vgl. Mayer (2005) 171–204; 210–219. Siehe jetzt auch Kreuz (2016) zu den im Weiteren diskutierten Silvae, insbesondere zu den Villengedichten Silv. 1,3 und 2,2 (425–547) sowie zu Silv. 1,1 (49–178) und Silv. 4,1–4,3 (201–304). Leider konnten Kreuz erhellende Interpretationen zum Verhältnis von Mensch und Raum, zur Dienstbarmachung des Raums im menschlichen Schaffensakt und seines Nachvoll­ zugs in Statius’ Schreiben (insbes. 594) nicht mehr einbezogen werden. 96 Stat. Silv. 1,3,2.

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vorherrschende niedrige Temperatur in den Villengebäuden gepriesen, die schon im ersten Vers als „das eisige Tiburtinum des redegewandten Vopiscus“ bezeichnet wer­ den.97 In den Versen 6–8 wird der Grund für diese Kälte genannt: „Solch ein Winter ist unter den Dächern, unverschämte Kälte bricht die Sonne, und das Haus ist zur pi­ saeischen Jahreszeit nicht kochend heiß.“ Da es sich bei den pisaeischen um die olympischen Spiele handelt und diese im Hochsommer abgehalten wurden,98 wird auf die Sommerhitze des mediterranen Raums verwiesen, die auch beim Häuserbau Be­ rücksichtigung fand. Dass das Eindringen der Hitze ins Innere des Hauses durch günstige Ausrichtung der Räumlichkeiten und Fenster besonders im römischen Vil­ lenbau verhindert werden konnte, dokumentieren zahlreiche antike Texte, aber auch archäologische Untersuchungen.99 Und so mildert nach Statius auch das Tiburtinum des Vopiscus durch umsichtige architektonische Gestaltung die klimatischen Bedin­ gungen des Standorts selbst ab, was die Villegiatur angenehm gestaltet. Damit wird gleich zu Beginn des Gedichts in zwei Varianten sein wesentliches Thema angespro­ chen: das Verhältnis von Natur und Architektur. Der Villenherr nutzt die Möglichkeit einer Remodellierung der Natur innerhalb seines Besitzes nach eigenen Vorstellungen – beispielsweise durch den Einschluss des Anio zwischen den Gebäudeteilen – und zur Milderung, Nutzbarmachung oder Kontrolle ihrer Phänomene. Dabei erweist sich der Villenherr als fähig, die Macht der Natur zu bezwingen, indem er durch die Architek­ tur der Villa Zuflucht vor der mediterranen Sommerhitze Tiburs ermöglicht.100 Auch in den folgenden Versen wird die Opposition zwischen Natur und Architek­ tur fortgeschrieben und zeitgleich dargestellt, auf welche Weise der Mensch durch seine Fertigkeiten Kontrolle über die natürlichen Gegebenheiten erringt.101 So folgt zunächst eine Beschreibung der Beschaffenheit jener Landschaft, auf der sich schließ­ lich die Villa des Vopiscus erstrecken sollte (13–33): Die Natur bestand schon vor der Errichtung des Gebäudes aus zahlreichen „miracula“102, die Beschaffenheit des Bodens ist mild („mite“)103, das gesamte Areal wird aufgrund seiner Schönheit als glückliche bzw. gesegnete Stätte (beatus locus) bezeichnet. Dies galt bereits „bevor Hand und Kunst tätig wurden“104. Im nächsten Vers wird die Einmaligkeit des Naturidylls kon­ statiert: „nirgendwo sonst hatte sich die Natur reichhaltiger [= largius] ergangen.“105 97

98 99 100 101 102 103 104 105

Stat. Silv. 1,3,1. Herangezogen wurde hier auch die einzig vorliegende deutsche Übersetzung von Heinz Wißmüller in: Statius, Silvae, Neustadt, Aisch 1990 (Verlag Ph. C. W. Schmidt) nebst den Kommentaren. Allerdings verzichtet Wißmüller nicht nur auf die Widergabe des lateinischen Texts, sondern verschweigt auch, an welcher Edition er sich orientiert; hinzu kommen allzu freie Übertragungen, aber auch nebulöse Interpretationen. Kommentar von D. R. Shackleton Bailey in: Statius, Silvae, Cambridge, Mass./London 2003 (Loeb) (künftig: Loeb) 63 Anm. 3. Kommentar von Wißmüller in seiner Übersetzung (künftig: Wißmüller) 24 Anm. 1; Mielsch (1987) 70. Vgl. Newlands (2002) 131. Vgl. Newlands (2002) 119–153, die diese Opposition ebenfalls identifiziert, doch zu anderen Schlüssen kommt; vgl. auch die Zusammenstellung bei Mayer (2005) 196–199. Stat. Silv. 1,3,14. Stat. Silv. 1,3,15. Stat. Silv. 1,3,15f: „ante manus artemque“ (16). Stat. Silv. 1,3,16f.

2. Eine griechische Alternativwelt? Die Villa Hadriana in Tibur

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Die Exzeptionalität dieser Reichhaltigkeit wird besonders hervorgehoben, indem für „nirgendwo“ nicht nusquam verwendet wird, sondern das Adverb „largius“ zwischen „non“ und „usquam“ steht, folglich von den beiden Partikeln eingerahmt wird. Neben dieser Reichhaltigkeit wird auch die neugeschaffene Ruhe der Natur betont: Im Tiburtinum des Vopiscus stellt die Natur keine Belästigung oder Bedrohung mehr dar, sondern ermöglicht nun den wahren Genuss der Villegiatur. Diesbezüglich wird nochmals auf den Anio verwiesen: Obgleich der Fluss an Felsen entlang fließt, „nimmt er hier“, d. h. im Bereich der Villa, „die anschwellende Wut und das schäumende Rauschen zurück.“106 Das kommt dem otium des Vopiscus zugute. Der Anio wird selbst tätig, um alles Laute und Mächtige der Natur zu unterdrücken, „als ob [= ceu] fürchte er, die pierischen Tage und den Lieder spinnenden Schlaf des sanften/ruhigen/friedli­ chen [placidus] Vopiscus zu stören.“107 Zwar wird hier lediglich „ceu“ gebraucht, doch wird das Handeln des Anio als „miranda fides!“108 bezeichnet. Dem Fluss wird also eine „wunderbare Treue“ gegenüber der Villegiatur des Vopiscus zugeschrieben. Zudem wird durch die einzigartige Ideallandschaft die Einzigartigkeit der darin befindlichen Villa und damit auch die Einzigartigkeit des Villenherrn gepriesen. Wie also der Anio sich selbst besänftigt, beruhigt und befriedet, ist auch Vopiscus placidus. Die Architektur der Villa betreffend ist die dem Anio zugewiesene Rolle ebenfalls charakteristisch. So wird noch einmal seine Lage zwischen den Gebäudeteilen aufge­ griffen: „Beide Küsten sind zu Hause und der sanfteste Fluss teilt dich nicht; die An­ wesen bewahren beide Ufer, sie sind sich nicht fremd und klagen auch nicht, dass der Fluss sie hindere.“109 In dieser Aussage wird das Verhältnis von Menschenwerk und Natur eindeutig gemacht. So trennt oder hindert der Fluss als Teil der Natur die zwei Komplexe der Villa nicht, vielmehr „bewahren“ diese umgekehrt den Fluss. Der Fluss und die Villenteile stehen sich dabei nicht fremd gegenüber, sondern sind vielmehr als Einheit zu begreifen, da der Anio nach Statius in das Konzept menschlicher Kunst hineingenommen wurde und nun eine Spiegelachse der beiden an den Ufern gelegenen Strukturen bildet. Somit bestimmt nicht die Rücksicht auf den Fluss das Bauen, viel­ mehr wird die Natur in das Konzept inkorporiert, durch dieses eingerahmt und geschützt. Das von Menschen respektive vom Villenherrn Geschaffene ist somit der Natur über­ legen – umso mehr, da der Fluss mit dem Superlativ „mitissimus“ bezeichnet wird: Er ist derart mild oder sanft, dass er die beiden Gebäudekomplexe weder bedrohen noch beherrschen kann. Umgekehrt übernehmen die manifesten, steinernen Bauten diese Aufgabe gegenüber der wehrlosen Natur.110 weiterhin rekurriert der Vers „hic aeterna quies“111 erneut auf die Ruhe des Villenareals, die mit „keine Stürme haben ein Recht“112 spezifiziert wird. Das bedeutet: Der Natur wird die Berechtigung abgesprochen, ihre eigene Wirkung zu entfalten, sie wird von der Villa dominiert. 106 107 108 109 110

Stat. Silv. 1,3,21f. Stat. Silv. 1,3,22f. Stat. Silv. 1,3,20. Stat. Silv. 1,3,24–26. Siehe auch Stat. Silv. 1,3,59–63: Ein alter Baum muss nicht weichen, sondern wird durch die Gnade des Herrn zum Teil des Baus erklärt und in diesen eingebracht. 111 Stat. Silv. 1,3,29. 112 Stat. Silv. 1,3,29: „nullis hic iura procellis“.

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III. Hadrian und Griechenland

Auch im Weiteren wird das Verhältnis von Natur und Mensch bzw. Architektur bezüglich der Innenausstattung und des äußeren Erscheinungsbilds der Bauten in gleicher Weise charakterisiert. So wird die Wasserversorgung der Villa gerühmt113 und das ehrwürdige Alter ihrer Haine gepriesen.114 Beide Naturphänomene sind nun also in den Baukomplex eingebunden und damit zum Inventar der Villa und d. h. zum Besitz des Villenherrn geworden. Im Weiteren werden zwei Räumlichkeiten im Tibur­ tinum erwähnt: „die Halle, die zum Fluss hinabblickt“ und „die, die zum schweigenden Wald zurückblickt“115. Durch diese Aussage wird die Natur zum reinen Ambiente, zur Aussicht der Villa degradiert. Das bedeutet: Die Architektur wählt die Perspektive und lädt den Menschen zur distanzierten Naturbetrachtung ein.116 Die Natur ist folglich ganz dem Genuss des Villenherrn Vopiscus anheimgefallen, der abgeschirmt aus selbst gewählter Perspektive auf sie herunter­ oder zu ihr zurückblickt: Auf diese Weise wird Vopiscus über oder vor der Natur positioniert, er beherrscht sie. Diese Beherrschung bedeutet selbstverständlich nicht allein Unterwerfung der Natur sowie ihre Eingliederung in die Architektur im Dienste distanzierten ästhe­ tischen Genusses, sondern primär ihre praktische Nutzbarmachung. Damit wird der Natur eine dienende Funktion zugewiesen. So finden beispielsweise Flusswas­ ser und Feuer für „Bäder, die dampfen“ und “rauchende Öfen“ Verwendung.117 Darüber hinaus verdient eine Passage Beachtung, in welcher der Flussgott Anio sowie die göttlichen Personifikationen von Tibur und Albula geschildert werden, die des Nachts das klare Wasser der Villa genießen.118 Dies bringt die im Grunde keinen weiteren menschlichen oder aus Menschenwerk resultierenden Zwang er­ fordernde, dauerhafte Selbstunterwerfung der Natur gegenüber der römischen Villegiatur zum Ausdruck: Sie nimmt die Herrschaft an, da sie durch diese auch in den Genuss ihrer Segnungen gelangt. Darauf folgt eine längere Passage (76–89), in der aufgezählt wird, welche Landschaften durch jene des Tiburtinum übertroffen würden.119 Zu diesem Zweck werden zahlreiche Vergleiche mit den Landschaften Italiens und Griechenlands unternommen, in denen Statius mythologische Figuren und Heroen agieren lässt und die Überlegenheit des Vopiscus diesen gegenüber aufzeigt. Selbstverständlich ist ein solches Bemühen um Überhöhung des Senators als ein Hinweis auf die Fortdauer und Zuspitzung der senatorischen Agonalität zu lesen: Indem die Villa des Vopiscus und ihr Setting mit traditionellen Landschaften mit mythologischem Gehalt verglichen und als diesen überlegen dargestellt werden, wird Vopiscus, der analog im Raum der Villa agiert, den mythologischen Gestalten dieser Landschaf­ ten zugeordnet. Es handelt sich bei diesen um Alkinoos,120 Telegonos,121 turnus122 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122

Stat. Silv, 1,3,37: „die in alle Schlafstätten entsandten Nymphen“. Siehe dazu Wißmüller, 25 Anm. 1. Stat. Silv. 1,3,38f. Stat. Silv. 1,3,39f. Siehe Schneider (1995) 76–93. Stat. Silv. 1,3,43–46. Für weitere Beispiele siehe u. a. Stat. Silv. 1,3,64–69. Siehe Stat. Silv. 1,3,70–77; vgl. Newlands (2002) 134. Siehe auch Wißmüller, 26 Anm. 2. Stat. Silv. 1,3,81. Stat. Silv. 1,3,83. Stat. Silv. 1,3,83.

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und Antiphates;123 zudem wird indirekt auf Aeneas verwiesen.124 Bei ihnen allen handelt es sich um Herrscherfiguren, die ihren jeweiligen Raum beherrscht und gestaltet haben. Durch diese Analogiebildung wird das Tiburtinum zum Herrschafts­ raum und Vopiscus als sein Herr zum wahrhaften Herrscher über dieses stilisiert. Und da er die mythologischen Herrschergestalten übertrifft, darf er als bedeutend­ ster Herrscher überhaupt gelten. Diese Stilisierung zum Herrscher wird zusätzlich dadurch forciert, dass zumindest Telegonos und Aeneas auch historische Gestalten sind,125 deren Städtegründungen bzw. ­neuordnungen mit der Gründung und Ord­ nung des Villenraums durch Vopiscus korrespondieren: Er unterwirft sich wie die beiden Gestalten einen Raum und beherrscht ihn von nun an. In ähnlicher Weise setzt Statius Vopicus relativ zu Beginn des Gedichts ins Verhältnis zur göttlichen Sphäre: So ist Venus bemüht, die Schönheit der Villa zu erhöhen,126 unterstützt also den Villenbau und auf diese Weise auch den dafür ver­ antwortlichen Herrn. Bereits zuvor wird in einer leider nicht vollständig erhaltenen Passage die Personifikation des Vergnügens bzw. Genusses als Handelnde gezeigt: „Voluptas selbst muss mit dir [= tecum] gezeichnet haben.“127 Bei diesen in Zusam­ menarbeit mit dem Villenherrn erstellten Zeichnungen handelt es sich um die Grund­ risse der Villenbauten.128 Das Tiburtinum ist folglich nach Statius nicht nur mit göttlicher Unterstützung entstanden, der Villenherr arbeitete zudem bei der Konzep­ tion gleichberechtigt mit einer Göttin zusammen („tecum“). Indem Statius den Vopiscus also an mythologischen Heroen, Herrschern oder Naturgottheiten misst, betont er dessen Tugenden und dessen hochrangige soziale Position. Natürlich ist die literarisch gestaltete Überlegenheit gegenüber den Figuren des Mythos nicht wörtlich zu nehmen; sie dient als Bild der außerordentlichen Fähig­ keit des Vopiscus seiner Villa besonders großen Glanz zu verleihen, was seinen Sozialstatus anzeigt. Bei einer derart betonten Agonalität ist selbstverständlich kei­ nesfalls von der Villa als Rückzugsort zu sprechen, vielmehr wird der Villenherr Vopiscus in diesem Kontext zum ordnungsstiftenden Herrscher stilisiert. Wie diese ordnende Herrschaft aussehe, formuliert Statius gegen Ende des Ge­ dichts in aller Deutlichkeit: „Hier [= hic (d. h. in seiner Villa)] wird nämlich von ihm [dem Hausherrn] über die gewichtigen mores gegrübelt.“129 Dass dieses Grübeln über die mores praktiziertes otium des Vopiscus im dafür erforderlichen und adäquaten Bereich ist, wird schließlich im dritt­ und vorletzten Vers durch den Ausdruck doctum otium130 explizit gemacht. Dabei werden die Charakteristika seiner Villa als Ort des gelehrten otium näher bestimmt, wofür das „hic“ der vorhergehenden Verse wieder aufgenommen wird: „hier [= hic] drängt sich fruchtbare Ruhe [= fecunda quies].“131 123 124 125 126 127 128 129 130 131

Stat. Silv. 1,3,85. Siehe Wißmüller, 26 Anm. 5 zu Stat. Silv. 1,3,86f. Siehe auch Loeb, 69 Anm. 14. Siehe Stat. Silv. 1,3,10–12. Stat. Silv. 1,3,9. Siehe dazu Wißmüller, 24; siehe auch Loeb, 63. Stat. Silv. 1,3,90. Stat. Silv. 1,3,108f. Stat. Silv. 1,3,91.

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Indem die Ruhe nun durch die Erwähnung der fecunditas ergänzt wird, gemahnt Sta­ tius an die wiederkehr eines saeculum aureum, die, wie gezeigt, in Evidenzen der augusteischen Zeit und seither immer wieder in differenter Rezeption formuliert und als Phänomen eines positiven Zeitalters für das Imperium evoziert wurde.132 Carol E. Newlands interpretiert diverse Motive von Silv. 1,3 ebenfalls als Verweise auf ein Goldenes Zeitalters,133 indem sie ihre Genese aus Motiven eines saeculum aureum in den Eklogen des Vergil und Briefen des Horaz nachweist. Diese sicherlich korrekte Feststellung darf jedoch nicht zu dem Schluss führen, bei Vopiscus handele es sich lediglich um einen Poeten und auf die Förderung von Dichtern wie Statius134 beschränkten Patron, der ein Leben „sequestered from political ambition“ führe. Newlands setzt in ihrer Deutung, Statius betone die urbanen Annehmlichkeiten der Villa und übe gar sanfte Kritik an Vopiscus, einen senatorischen Rückzug in die Villegiatur voraus,135 der im Gedicht nicht gegeben ist: Vopiscus wird bei Statius die Rolle des handelnden, ordnungsstiftenden Herrn zugewiesen, der sich seine Villen­ welt erst schaffen musste. Vopiscus hatte also durch seine Gestaltungskraft zuerst den Sieg gegen die Natur davonzutragen, um dann pax durchsetzen zu können. Die über das individuelle Bedürfnis des Vopiscus nach Genuss des otium hinausgehende gesellschaftliche Relevanz solchen Handelns wird enthüllt, indem dieser am Ende des Gedichts in einem mythologischen Setting positioniert wird (90–110): „Es wäre wert [= dignum], dies [= haec] durch aegaeische Stürme und unter dem schneereichen Gestirn des Hyades und unter dem olenischen Stern aufzusuchen, wenn auch das Floß Malea anzuvertrauen und der Weg durch die sizilische Brandung (zu nehmen) sei.“136

Hier steht das Pronomen „haec“ nicht mehr einfach für die Villa des Vopiscus, sondern präziser für diese als Ort seines otium, das ihm durch die Durchsetzung der pax möglich geworden ist. Aufgrund dieser Qualität ist das Aufsuchen dieses Raums wert („dignum“) für jeden Standesgenossen geworden, wie die unpersönliche, nicht allein auf Vopiscus bezogene, Konstruktion der Passage zeigt. Es lohnt sich, wie ausgeführt wird, weite Distanzen trotz problematischer Wetterlagen, d. h. Stürmen, Schnee oder Regenzeit,137 zu überwinden und diverse Gefahren, hier spezifisch die durch ihre Brandung die Seefahrt bedrohende Straße von Messina, zu überstehen. Das bedeutet folglich: Jener Angehörige der Elite, der die Natur überwindet, welche den Raum der pax, also die Villa, umgibt, beweist durch diese virtus seine dignitas, die ihm erlaubt, am allein dort möglichen otium zu partizipieren. Durch die konjunktivische Konstruktion der zu vollbringenden, aber lohnenden Anstrengung, macht Statius deutlich, dass bisher kein Standesgenosse des Vopiscus den gleichen Sieg wie er errungen habe. Folgerichtig wird am Ende von Silv. 1,3 wieder indikativisch und personalisiert fortgefahren, Vopiscus also erneut direkt angesprochen und gepriesen.138 132 Siehe das Kapitel Innovative Tradition. Die Erinnerung an Augustus und die hadrianische Imago. 133 Siehe Newlands (2002) 135. 134 Zu diesen Rollen des Vopiscus siehe die Widmung des ersten Buchs der Silvae: „Statius Stellae suo salutem“. 135 Vgl. Newlands (2002) bes. 121; 142–153 (Zitat: 153); vgl. auch Newlands (2009) 395f. 136 Stat. Silv. 1,3,95–98. 137 Hierfür steht der olenische Stern; siehe auch Loeb, 70 Anm 17. 138 Siehe Stat. Silv. 1,3,108–110.

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Dieser Lobpreis betont durch die Erwähnung von Wolkenlosigkeit und der Bitte, Vopiscus möge das Alter Nestors erreichen, noch einmal die Exzeptionalität des Villenherrn im Kontext der durch Ordnungsstiftung bzw. virtus auf dignitas ausge­ richteten senatorischen Agonalität. Die senatorische Villegiatur im späten ersten Jahrhundert n. Chr. bedeutete somit zumindest Statius’ Silvae 1,3 zufolge keinen Rückzug der Reichsaristokratie, sondern die Demonstration von virtus, Sieghaftigkeit und ordnungsstiftenden Qualitäten. Es handelt sich hierbei um eine literarische Darstellung panegyrischen Charakters des Vopiscus, die in den anderen Senatoren, die sich am Wettbewerb beteiligten, Publi­ kum, aber auch Konkurrenz hatte und in der Materialität ihren Ausdruck fand.139 ähnliche Akzente setzt auch das zweite Villengedicht des Statius, Silvae 2,2, das an Pollius Felix gerichtet ist und an dessen Beginn ebenfalls die Lage der geschil­ derten Villa umrissen wird: „Zwischen den Mauern, bekannt unter dem Namen der Sirenen und dem Felsen, geschmückt mit dem Tempel der tyrrhenischen Minerva gibt es eine aufragende [celsus] Villa, die nach dem tiefen [profundus] dicarcheischen Meer ausspäht [= speculatrix].“140

Diese Verse wiederholen zwei bereits aus 1,3 bekannte Aspekte: die Überhöhung der Villa durch ihre Lage und die Einbettung in ein mythologisches, ursprüngliches und göttliches Setting141 sowie die durch „speculatrix“ zum Ausdruck gebrachte Perspektive auf Naturerscheinungen wie das Meer, die – unbedroht durch mögliche Wildheit – von der Villa ausgeht und für diese ausgewählt worden ist.142 Da somit diese Villa die Perspektive bestimmt und über die Natur erhaben ist, ist die Wohlgeordnetheit des Villenraums sowie die Bezwingung der Natur und die geregelte Herrschaft durch den im Weiteren erwähnten Villenherrn143 eindeutig literarisch markiert. Der folgende direkte Satzanschluss „qua“ verdeutlicht, dass die Villa auf hohem Felsland erbaut ist, das Bacchus, der hier mit dem Beinamen Bromius bezeichnet wird, liebe, und dessen Weintrauben den Vergleich mit Falernerwein nicht zu scheuen bräuch­ ten.144 Sowohl bei Bacchus als auch bei den Trauben handelt es sich um Verweise auf Fruchtbarkeit, womit die Villenlandschaft des Pollius als Ort, an dem ein saeculum aureum walte, beschrieben wird. 139 So mit anderen Belegen auch Rebenich (2008) 190f. 140 Stat. Silv. 2,2,1–3. 141 Die Villa nimmt ebenso eine erhöhte Position ein wie die Mauer um die nahe Stadt Sorrent (siehe Loeb, 122 Anm. 1; vgl. Wißmüller, 48 Anm. 1) und der Minerva­Tempel (siehe Loeb, 122 Anm. 2; Wißmüller, 48 Anm. 2). Die hohe Lage der Villa wird durch Opposition von „celsa […] villa“ und „Diarchei […] profundi“ (3), kombiniert in einem Hyperbaton (verschränkte Wortstruktur), heraus­ gearbeitet: Dem Adjektiv „celsa“ am Anfang der Zeile folgt „Diarchei“, während „profundi“ am Ende der Zeile nach der auf „celsa“ bezogenen „villa“ steht; in die Mitte der Zeile schließlich ist die Vokabel „speculatrix“ gesetzt. Damit fungiert der durch „speculatrix“ zum Ausdruck gebrachte Aussichtspunkt als Mediator zwischen hochgelegener Villa und tiefem Meeresgrund. 142 Die Villa ist hier das direkte Objekt (Akkusativ), das Meer das indirekte (Dativ). Da „speculatrix“ die Bedeutung „jemand, der nach etw. ausspäht“ besitzt, verlangt die Vokabel zwei Objekte, näm­ lich einen Akteur und ein das Handeln erduldendes Thema. Durch die Zuweisung der Objekte wird die Villa als über die Natur schauend und sie damit kontrollierend und beherrschend dargestellt. 143 Siehe Stat. Silv. 2,2,9f. 144 Stat. Silv. 2,2,4f.

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Weitere Forcierung erfährt diese Darstellung durch die Charakterisierung von Villenherr und Villenherrin. So rühmt Statius die „Beredsamkeit des sanften/ruhigen/ friedlichen Pollius“145 und die „jugendlichen Anmut der lieblichen Polla“146. Mittels dieser Zuschreibung verweist Statius schmeichelnd auf das lange Andauern des saeculum aureum durch Verdienst und Eigenschaften der beiden Villenbesitzer: Während Pollius den Frieden des Zeitalters schaffen konnte, der jetzt Grundlage seines otium in Gestalt von Beredsamkeit, „facundia“, ist, steht die Jugend der Polla für Fruchtbarkeit und Bewahrung des glücklichen Zustands in zeitlicher Dimension. Darauf wird die „Concordia“ zwischen den Eheleuten gerühmt,147 „deren Flammen sich in der vermischten Brust für lange Zeit [= in longum] vereinten und deren heilige Liebe die Gesetze der sittsamen Freundschaft bewahrt. Geht durch die Jahre und Jahr­ hunderte [= ite per annos et saecula[que]] und übertrefft die Namen altehrwürdigen Ruhmes.“148

Hier wird nun explizit die für ein Goldenes Zeitalter charakteristische lange Dauer durch die Würdigung des Paares in seiner Villegiatur betont. Das geschieht durch die Wendung „in longum“, welche sich auf die lange währende symbiotische Ge­ meinschaft des Paars bezieht. Heinz Wißmüller konstatiert: „Mit annos sind die noch bevorstehenden Lebensjahre gemeint, mit saecula die Zeit des Nach­ ruhmes, mit priscae titulos praededite famae soll angedeutet werden, daß sie [Pollius und Polla] auch berühmte Paare aus früheren Zeiten übertrafen und noch übertreffen können, eine für Statius typische Übersteigerung, gerade im Schlußsatz.“149

Dieser Ruhm und Nachruhm des Paars, das, Vopiscus vergleichbar, sogar die Leistung mythologischer Figuren übertrifft,150 resultiert folglich aus dem durch die beiden gestifteten und bewahrten saeculum aureum. Auf den ersten Lobpreis des Paars in seinem Sorrentinum folgt die Beschreibung der Annehmlichkeiten der Landschaft, in der es liegt.151 Allerdings ergeben sich, so Statius, diese Annehmlichkeiten nicht aus der Natur allein: „Vor dem Haus wacht der blaue Lenker der anschwellenden Wogen, Wächter des unbescholtenen Herds [= innocui custos laris]. […] Das glückliche Land beschützt Alcides.“152 Es wird somit den beiden Götter Neptun und Alcides, also Hercules, die in der Nähe Tempel und vermutlich davor Statuen besaßen, die Rolle der Beschützers der Laren der Villa des Pollius vor den Elementen zugeschrieben.153 Diese Schutzfunktion wird dabei durch den Kampf gegen die Natur erfüllt, den die Götter siegreich bestehen154:

145 Stat. Silv. 2,2,9: „placidi facundia Polli“. 146 Stat. Silv. 2,2,10: „nitidiae iuvenilis gratia Pollae“. 147 Siehe Stat. Silv. 2,2,121–155 (die Zeilen sind in den modernen Editionen umgestellt worden: auf 121–142 folgt direkt 147–155, dann fehlen einige Zeilen, bevor das Gedicht von 143–146 beschlossen wird). 148 Stat. Silv. 2,2,143–146. 149 Wißmüller, 53 Anm. 3. 150 Siehe Stat. Silv. 2,2,107–111; 121f. 151 Siehe Stat. Silv. 2,2,13–20. 152 Stat. Silv. 2,2,21–24. 153 Siehe auch Loeb, 124 Anm. 8f. 154 Siehe Stat. Silv. 2,2,24–28.

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„Der Hafen freut sich unter den doppelten Gottheiten: Dieser bewahrt das Land, jener stellt sich den wilden Fluten entgegen.“155 Soweit werden die günstigen, göttlich durchgesetzten Voraussetzungen für den Villenbau bei Sorrent dargestellt. Doch wechselt die Schilderung mitten in Vers 28 vom Kampf der Gottheiten auf eine andere Ebene über. Jedoch wird dabei durch den nur durch Komma und ein Bindewort, den Partikel –que,156 abgesetzten Anschluss eine Gleichwertigkeit der Eigenschaften und Fähigkeiten des Villenherrn Pollius mit jenen der Götter zum Ausdruck gebracht. So wechselt Statius mit den Worten „und die Teiche [= stagna] liegen ohne Aufruhr [= nullo[que] tumultu] maßvoll [= modesta] und ahmen die mores des Hausherrn [dominus] nach“157 von der Ebene göttlichen, in die Ebene menschlichen Ruhms. Anstelle der die Natur besiegenden und sie kontrollierenden Götter sowie der daraus resultierenden freiwilligen Besänftigung der unterlegenen Seite, dienen auch die Charaktereigenschaften des dominus Pollius der Natur seiner Villa zum mäßigenden Vorbild. Da es sich im Übrigen bei den „stagna“ der Wortbedeutung nach um künstliche Teiche handelt, wird der Charakter dieser Naturerscheinung als neugestaltet bzw. durch den eigenen Gestaltungswillen besiegt präsentiert. Diese Darstellung des im Kampf gegen die Natur seine virtus erweisenden, siegreichen, Ruhe und Frieden stiftenden Villenherrn wird auch durch die folgende Beschreibung einer „porticus arces“, die von den „stagna“ kommend den Felsen aufwärts verläuft, untermauert158. Dabei „bezwingt [sie] auf [ihrem] langen Rücken die schroffen Felsen.“159 Mit der Porticus wird also ein römisches Bauwerk mit der wilden Natur, repräsentiert durch die Schroffheit der Felsen, kontrastiert. Doch be­ zwingt bzw. zähmt die Porticus die Natur. Dass es sich bei der Errichtung um menschliche Tätigkeit handelt und damit auch die Sieghaftigkeit gegenüber der Natur dem seine Villa gestaltenden Villenherrn Pollius zuzuschreiben ist, wird durch die Beschreibung der Porticus als „urbis opus“,160 Werk der Stadt, hervorgehoben: Dieser auf den ersten Blick merkwürdig anmutende Verweis auf Städtebau, darf nicht als Gleichsetzung des Raums der Villa mit dem Raum der Stadt oder als Ver­ städterung des Villenraums verstanden werden, schließlich war die Porticus seit langer Zeit auch ein villentypisches Gebäude. Vielmehr wird durch die Bezeichnung als werk der urbs ein Antagonismus zwischen wilder, ungezähmter Natur einerseits und der menschlicher Gestaltung unterliegenden Welt, die primär im dicht besie­ delten städtischen Raum zur Entfaltung kommt, andererseits konstruiert. Durch den Bau der Porticus, so fährt Statius fort, sei es jetzt eine Lust dort zu gehen, wo zuvor „feritas inamoena viae“,161 die unerfreuliche Wildheit des Wegs, geherrscht habe. 155 Stat. Silv. 2,2,24f. 156 Stat. Silv. 2,2,26f: Dieser vorausgehende Satz enthält ebenfalls zwei Beschreibungen sanfter bzw. besänftigter Natur; allerdings sind die Aspekte stringenter durch „et“ verbunden und auf den göttlichen Einfluss bezogen. 157 Stat. Silv. 2,2,28f. 158 Stat. Silv. 2,2,30. 159 Stat. Silv. 2,2,31. 160 Stat. Silv. 2,2,31. 161 Stat. Silv. 2,2,33.

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Indem die inamoenitas als Charakteristikum der feritas des natürlichen Wegs fungiert, wird die amoenitas zum Gegensatz der Wildheit. Generell wird das Wort amoenitas bei Statius und Plinius, aber auch bereits bei augusteischen Autoren, zur Villenschil­ derung genutzt.162 Darüber hinaus wurden Elemente der locus-amoenus­Schilderun­ gen bereits seit Hesiod, dann aber insbesondere in den lateinischen Werken des frühen Prinzipatszeit zur Beschreibung eines glücklichen Urzustands, also eines Saturninischen oder Goldenen Zeitalters bzw. seiner erhofften Wiederkehr ge­ braucht.163 Die wilde Natur wird also durch Menschenwerk bzw. gestaltenden Wil­ len bezwungen, geordnet und kontrolliert. Diese Sieghaftigkeit des Menschen über die Natur dient der Schaffung und Erhaltung von pax als notwendigem Teil eines saeculum aureum. Statius lässt diesen Ausführungen eine umfassende Besichtigung des Areals des Sorrentinums folgen,164 der er eine rhetorische Frage voranstellt: „Soll ich zuerst die Anlage [= ingenium] des Ortes oder jene des dominus bewundern?“165 Diese Frage bindet die Villa und ihren dominus endgültig zusammen: Wie die Bauwerke durch ihr „ingenium“ die Natur kontrollieren und damit amoenitas bzw. voluptas erzeugen, so besitzt auch Pollius entsprechende ingenia mit durchaus repressivem Charakter: „Dieses Gebäude schaut zum Ursprung [= nach Osten] […], jenes hält das fallende Licht fest [detinere] und weigert sich [negare] das verbrauchte Licht zu entlassen, wenn der Tag schon müde ist.“166

Folglich wir den Gebäuden nicht nur die ordnungsstiftende Fähigkeit, den Lichtein­ fall durch ihre Ausrichtung zu regulieren, zugeschrieben,167 vielmehr wird durch detinere und negare, Gesten des aktiven und passiven Zwangs, erneut ein Sieg über die Natur beschrieben. Die konkrete Formulierung der Sieghaftigkeit der Villa liefert Statius gleich darauf unter Verwendung militärischer Vokabeln: „Diesem Ort ist die Natur gewogen, hier ergab [= cessare] sich die Besiegte [= victa] dem Bebauer.“168 Auch bei der 162 Zu entsprechenden Termini bezüglich des horazschen Sabinums siehe Hor. epist. 1,16,15; carm. 1,17,1f; vgl. auch Bowditch (2001) 239–246; Thomas (1982) 17. 163 Siehe Haß (1998) 127–139 zum Goldenen Zeitalter als erstem der fünf Weltalter nach Hes. op. 109–119; 132 und zum Fortleben des Goldenen Zeitalters in der (gestalteten) Natur im Rückbe­ zug auf angeblich traditionelles römisches Landleben nach Sen. Phaedr. 525–527. Bowditch (2001) 241 zeigt zudem, dass die idealisierte Villendarstellung von Hor. epist. 1,16, in der das Anwesen nach zahlreichen wundersamen Beschreibungen der umgebenden und einbezogenen Natur, die ruhigen und friedlichen Genuss ermögliche und unter anderem als Amona bezeich­ net wird (15), auch als Manifestationen eines Goldenen Zeitalters zu lesen ist. 164 Stat. Silv. 2,2,44–106. Die Villenbesichtigung ist in vier Abschnitte unterteilt: siehe Wißmüller, 49 Anm. 3. 165 Stat. Silv. 2,2,44f. 166 Stat. Silv. 2,2,45–48. 167 Siehe auch Stat. Silv. 2,2,50f zur Regulierung der Lautstärke zum Genuss der Natur in der Villa. 168 Stat. Silv. 2,2,52f. Vgl. Loeb, 127: Shackleton Baileys in der Übersetzung der Verse vorgenom­ mene differierende und ein Gegensatzpaar bildende Lokalisierung, d. h. einem Ort, den die Natur bevorzugt habe (statt ein Ort, dem sie gewogen sein müsse), und einem anderen, dem sie sich als Besiegte ergebe, folgt m. E. nicht der Intention des Statius. So ist die Syntax hier nicht, wie in bisherigen Fällen, in denen tatsächlich zwei verschiedene (gegensätzliche) Orte gemeint

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weiteren Rekapitulation des Villenbaus und dem Lob des vollendeten Komplexes wird Vokabular aus dem militärischen Bereich zum Ausdruck der Leistungen des Bauherrn genutzt: Durch die Wendung „domuit possessor“169 macht Statius unmiss­ verständlich klar, dass es der Besitzer der Villa, also der dominus Pollius, ist, der die wilde Natur durch die Durchführung des Bauprojekts bezwungen, gezähmt oder gebändigt (domare), mittels seiner virtus Ordnung geschaffen hat. Statius konkreti­ siert das mit folgenden Worten: „und der darauf entstehende fruchtbare Boden freut sich, während er [= der Besitzer] die Felsen umgestaltet [formare] und einnimmt [expugnare].“170 Dabei fasst die Wechselwirkung der Verben formare und expugnare den Verlauf des Schaffens von Ordnung präzise: Die Natur zu gestalten bedeutet, den Posten des Gegners zu erobern bzw. einzunehmen. Durch diese Form der virtus stiftet der Villenherr Ordnung, etabliert pax und ermöglich damit ein saeculum aureum. Dabei ist nicht ausschlaggebend, dass Pollius wohl nicht selbst aktiv am Prozess des Bauens beteiligt war. Wesentlich ist allein, dass die Bauten in seinem Auftrag und durch seine Mittel entstanden sind und ihm daher zugeschrieben werden können. Die Natur nimmt die Segnungen ihres Bezwingers bereitwillig an: „und sie [= die Natur] zähmte sich gelehrig im unbekannten Gebrauch.“171 Problematisch an der Deutung dieses offensiven Vorgehens des Villenherrn, das eben nicht einen bloßen Rückzug ins private regnum bedeutet, sind jedoch auf den ersten Blick die zahlreichen Bezüge des Villenraums zu Griechenland und Gütern der griechischen Welt.172 Diese werden sogar explizit auf Pollius bezogen, wenn an ihn gerichtet konstatiert wird, „dass Du das Griechische vorziehst und griechische Fluren bevölkerst.“173 Hiermit sind die im Kontext der vorausgehenden Villenschau geschilderten Luxusgüter des Pollius gemeint, die in Qualität und Masse von der übrigen senatorischen Oberschicht im agonalen Wettbewerb nicht zu überbieten gewesen seien. Stellt das Gedicht durch diesen rein materiell orientierten Verweis auf Pollius’ sozialen Status also doch den Rückzug in einen entpolitisierten Ersatz­ raum dar? Auch ein weiterer Aspekt des Gedichts hat die Forschung wiederholt dazu verleitet, dieses als Schilderung von Pollius’ Rückzug aus der Politik in den Privat­ raum seiner Villa zu lesen.174 So wird am Ende des Werks von der Überlegenheit seiner Villegiatur und der otiösen, philosophischen Beschäftigung im Gegensatz zu seiner früheren politischen Tätigkeit gehandelt:

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waren, mit hic… hic oder haec… haec gebildet. Hingegen wird „his […] locis“ als Ortsangabe in der betreffenden Passage durch das „hic“ des Folgeverses wiederaufgenommen. Zudem ist victa kein verkürztes Partizip, dass auf die gleiche Ebene mit dem flektierten Verb „cessit“ ge­ stellt werden kann, sondern ein substantiviertes Adjektiv, das „natura“ wieder aufnimmt und spezifiziert. Damit beugt sich die Natur nun bereitwillig, weil sie besiegt ist. Weitere Verben und Adjektive aus dem militärischen Bereich, die zeigen, wie sich die bezwungene Natur in den Sieg fügen bzw. sich dem Sieger unterordnen muss, folgen in Vers 58f. Vgl. Newlands (2002) 164–174; Mayer (2005) 200f. Stat. Silv. 2,2,56. Stat. Silv. 2,2,56–58. Stat. Silv. 2,2,53. Siehe insbes. Stat. Silv. 2,2,85–97. Stat. Silv. 2,2,95f. Siehe dazu Newlands (2002) 154–198.

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„Es gab eine Zeit, da sich bei der Abstimmung die Bürger von zwei Bezirken um dich stritten und du hoch auf dem Wagen durch die zwei Städte fuhrst, hier viel geehrt von den dicarchei­ schen Anwohnern, dort herbeigezogen von meinen. Gleicherweise freigebig für diese und jene, in jugendlichem Feuer und in hochmütigem Irrtum gegenüber dem Guten.“175

Die Passage rekurriert auf die Bemühungen des Pollius, als Patron der Städte Puteoli und Neapel fungieren zu dürfen.176 Doch schließlich habe er seinen Irrtum aufgege­ ben und sich aus dem politischen Tagesgeschäft zurückgezogen, so dass Statius im Folgenden das Erreichen des sicheren Hafens und die sanfte Ruhe von Pollius’ meta­ phorischem Schiff preisen und dem Villenherrn wünschen kann, dass es ihn niemals wieder in die Stürme der Politik ziehe und ihm stattdessen die quietas zu Gute kommen solle.177 Damit wird Pollius in einen Gegensatz zu seinen Standesgenossen gestellt, deren Schiff keinen sicheren und ruhigen Hafen erreiche.178 Durch den Vergleich konstatiert Statius folglich die Überlegenheit des Pollius und präsentiert ihn als Sieger im senatorischen Agon. Doch woraus resultiert dieser Sieg? Einen Hinweis darauf gibt Statius’ Darstellung und Diskussion des Statuenpro­ gramms der Villa.179 Unter den Büsten nehmen die „Gesichter von Feldherren und Dichtern und den ersten Weisen“180 einen prominenten Platz ein. Durch die Kombi­ nation von duces einerseits sowie von vates und sapientes andererseits, werden zwei eigentlich unvereinbare Bereiche, jener des negotium der res publica und jener des otium, das außerhalb dieser stand und u. a. dem Bereich der Villegiatur zuzuschlagen war, nebeneinandergestellt. So eiferte Pollius beiden Typen von Vorbildern nach, die auf diese Weise fast den Charakter von imagines der Vorfahren im atrium einer jeden domus als Referenzpunkt der eigenen sozialen Position und der daraus resultierenden Verpflichtung erhielten: „denen zu folgen, Dir Aufgabe ist, die Du von ganzem Herzen fühlst, frei von Sorgen und den Geist [animus] in ruhiger virtus wohlgeordnet [virtus quieta] und immer Dein.“181 Die beschworene virtus ruht somit auf zwei Polen: Sie besteht sowohl in militärischen und öffentlichen Taten bzw. Siegen als auch in geisti­ gen und otiösen Leistungen. Dabei ist die der virtus zugeordnete quietas Ausdruck der pax, ist doch die Ruhe des Villenherrn Bestandsgarantie des saeculum aureum. Diese Ruhe nun bedeutet keineswegs Ruhestand, sondern lässt den dominus als im Besitz von genügend auctoritas erscheinen, um den Bestand des römischen Wohlergehens garantieren zu können. Pollius dauerhafter Sieg sei, so Statius, gerade an seiner Villa ablesbar, da es sich beim nun dort praktizierbaren otium um das Produkt seiner durch virtus errungenen und durch diese stabilen, außerordentlichen dignitas und auctoritas als wesentlichem sozialen und politischen Faktor der res publica handele. Diese Garantie dauerhafter Sieghaftigkeit nach dem Stiften einer neuen Ordnung, das endgültige Übertreffen aller Standesgenossen an dignitas und auctoritas sowie die performative Betonung dieser Leistungen in Monumenten und Akten entspricht 175 176 177 178 179 180 181

Stat. Silv. 2,2,133–137. Siehe die Übersetzung in Loeb, 133 mit Anm. 37; anders: Wißmüller, 53 mit Anm. 1. Siehe Stat. Silv. 2,2,140–142. Stat. Silv. 2,2,139: „Die anderen werden immer wieder auf jenem Meer herumgeworfen.“ Siehe Stat. Silv. 2,2,63–72. Stat. Silv. 2,2,69: „ora ducum ac vatum sapientumque ora priorum“. Stat. Silv. 2,2,70–72.

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präzise den Markierungen römischer Principes, wie wir sie in der Feier kaiserlicher Siege, so z. B. im Triumph oder im traianischen Fries,182 und in Darstellungen der Ordnungsstiftung, so z. B. auf den Reliefs der Traianssäule bzw. des Traiansbogens von Benevent,183 bis heute identifizieren können. Statius übernimmt also Sprachregelungen, die von jedem Leser eindeutig als Teil der Selbstdarstellung und der akzeptanzerzeugenden Maßnahmen des Princeps verstanden wurden. Statius ist bemüht, den beiden Villenherren Kaisernähe durch Kaiserähnlichkeit zuzuschreiben und ihre Mitarbeit an der imperialen Ordnungs­ stiftung zu verkünden:184 In seiner Darstellung unterstützt die Durchsetzung eines saeculum aureum durch die beiden Senatoren jene im Gesamtreich. Die Stiftung eines Goldenen Zeitalters ist somit Verdienst des Princeps, doch wirken nach Statius seine senatorischen Auftraggeber daran mit – eine Betonung politischer Partizipation, die ihren sozialen Rang forciert. Das zeigt sich auch daran, dass beide zu duces und domini erklärt werden, was ihnen über die Bezeichnung als Hausherren hinaus Ehren­ namen des Princeps zuweist, wenngleich diese auch umstritten waren.185 182 Zum großen traianischen Schlachtenfries siehe Leander Touati (1987); Lummel (1991) 120–124. Siehe auch die Darstellung des dakischen Triumphs auf traianischen Münzreversen, die den Princeps in einer Quadriga mit Zweig und Szepter in Händen abbilden: RIC II Trai. 48; 72; 77; 86–87; 90; 137–141; 206–207; 405; 420; 458; 532–533; siehe dazu auch Lummel (1991) 82. 183 Zur Ordnungsstiftung des römischen Heers auf Befehl Traians siehe Lummel (1991) 110f mit Taf. 16 (110: „Neben den Bauarbeiten an Lagern und Festungen sind die Legionäre damit be­ schäftigt, Wälder zu roden, Straßen zu bauen und Flüsse mittels Brücken passierbar zu machen. Hierdurch wird der Eindruck erzeugt, daß nicht nur die Daker, sondern auch deren wildwüch­ sige Gebirgslandschaft bezwungen werden muß. Die Aufgabe wirkt doppelt schwer; die Be­ deutung des letztendlich errungenen Sieges wird dadurch gesteigert. Das technische Vermögen, jedes noch so große Naturhindernis zu überwinden, hebt das römische Heer positiv von den Dakern ab.“) Zur traianischen Versorgung von plebs und Heer, der alimentatio Italiae als Akt der liberalitas des kaiserlichen patronus sowie zur Inspektion der Grenztruppen als weitere Darstellungen von Akten der Ordnungsstiftung auf den Reliefs des Traiansbogens von Bene­ vent siehe Lummel (1991) 126–129 mit Taf. 24f; 27–29. 184 Vgl. Newlands (2002), die 174–191 Statius’ Lob des Pollius als implizite Kritik an Domitians Philosophenvertreibung (Suet. Dom. 10,3) und damit als Alternativraum der schweigenden Opposition deutet. Allerdings handelte es sich bei Poesie und Philosophie für einen römischen Senator gewiss niemals um „the essential foundation of a harmonious social order“. So spricht Statius auch nicht von Philosophendarstellungen, sondern von Darstellungen der ersten Weisen (zum Widerspruch von römischer Bildung und griechischer Philosophie und der Irrelevanz letzterer für das senatorische Statusdenken und für die Akkumulation sozialen Kapitals siehe Flaig (2002) 121–134). Zudem versteht Newlands das Paar Pollius und Polla als Gegenbild zu den angeblich „fractured family politics“ der flavischen Dynastie, die sie in einer bei Suet. Dom. 14,1 und Cass. Dio 67,15,3–4 behaupteten Beteiligung der Domitia an Domitians Sturz (der freilich erst nach Abfassung der Silvae eintrat) auszumachen glaubt. Die alleinige Zeich­ nung von Pollius und Polla als glückliches Paar, sagt allerdings über Domitian und seine Fami­ lie noch rein gar nichts aus. Überhaupt ist nicht erschließbar, inwiefern eine Gleichsetzung der eindeutig gepriesenen Villenherren Vopiscus und Pollius mit Domitian als Domitian­Kritik und eine Absetzung der Villenherren vom Princeps verstanden werden konnte. Wäre dies Statius’ literarisches Ziel gewesen, enthielten seine Werke vielmehr scharfe Differenzbildungen. Vgl. auch Newlands (2009) 387–404. 185 Suet. Dom. 13,1 wirft Domitian vor, er habe sich als dominus et deus würdigen lassen, während Augustus nach Suet. Aug. 53,1 die Ehrenbezeugung nicht zulässt; eine vergleichbare Ablehnung

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Diese Evozierung von Kaisernähe für Vopiscus und Pollius durch Statius ist durch einen Vergleich der Darstellung ihrer Eigenschaften und Kompetenzen mit dem Vokabular der Domitian gewidmeten Gedichte in den Silvae nachweisbar: 1. Auch Domitian wird regelmäßig von Statius in ein Nahverhältnis zu mytho­ logischen Figuren, Heroen und Gottheiten gesetzt, mit denen er zusammenarbeite bzw. denen er gar überlegen sei: So beschreibt Silv. 1,1 die Reiterstatue, die Domitian auf dem Forum Romanum für sich errichten ließ. Dabei wird diese in Analogie zum trojanischen Pferd, doch diesem überlegen beschrieben: „selbst nicht Aeneas und der große Hector könnten es führen.“186 Auf diese Weise stellt Statius also auch seinen Reiter, den Princeps selbst, als den mythischen Heroen überlegen dar. Wie also Vopiscus sein Villenareal gestaltet, ausbaut und kontrolliert, kurzum Ordnung stiftet, so verfährt auch Domitian mit dem Imperium Romanum, das durch seine Sieghaftigkeit anwächst und gesichert wird.187 Überlegen ist Domitian weiterhin, und wiederum in Entsprechung zu den beiden Villenherren, einer Naturgottheit, die er besiegt und die sich ihm daraufhin unter­ worfen habe. Indem das Pferd, das nach Statius habitus und animus des Princeps nachahmt,188 mit seinem „Huf auf das Haar des gefangenen Rhenus“ ,titt,189 wird der Sieg über den Rheingott, seine Gefangennahme und anschließende Kontrollier­ barkeit als Verdienst Domitians gekennzeichnet.190 Doch beschränkt sich Domitians Kontakt zur göttlichen Sphäre nicht auf die Über­ legenheit dem Naturgott Rhenus gegenüber. Bereits zuvor wurde die Statue mit fol­ gendem Vergleich gepriesen: „Nicht höher trägt das bistonische Ross den Mars, die

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wird in Suet. Tib. 27 Tiberius zugeschrieben; Traian wird von Plinius im 10. Buch seiner Epi­ stulae stets als dominus angesprochen, während er im Panegyricus den optimus princeps und parens vom Tyrannen und dominus Domitian abhebt (Plin. paneg. 2,3; 7,6; 45,3; 52,7; 55,7; 63,6; 85,2f; 88,1; siehe auch 50). Diese Ambivalenz bezüglich der Bezeichnung von Principes als domini zeigt, dass es sich dabei um einen durchaus Anwendung findenden Beinamen han­ delte, mit welchem versucht wurde, dem Princeps durch Betonung seiner höchsten Stellung Ehre zu erweisen. Somit ist auch die Anwendung auf andere Personen durch Statius zu ihrer panegyrischen Ehrung, zur Überhöhung ihrer Relevanz für das Imperium Romanum sowie zur Darstellung der im senatorischen Wettbewerb so wesentlichen persönlichen Kaisernähe beson­ ders geeignet. Siehe Stat. Silv. 1,1,11–13 (Zitat: 13); vgl. Newlands (2002) 46–73. Auch im Dankgedicht des Statius an Domitian (Stat. Silv. 4,2), wird dessen Palast in vergleich­ barer Weise zu jenem der Villen als ordnungsstiftende Maßnahme bzw. Markierung und damit letztlich auch als Ausdruck von Sieghaftigkeit geschildert (siehe dazu Wißmüller, 100 Anm. 1–5; Loeb, 250 Anm. 1). Siehe auch Darwall­Smith (1996) 227–233 (spezifisch zum Equus Domitiani); 249 (allgemein). Stat. Silv. 1,1,46: „sonipes habitus et animosque imitatus eriles.“ Stat. Silv. 1,1,51. Dieses Bild eines über Personifikationen, aber auch militärische Gegner hinwegreitenden Princeps oder des Princeps auf einem sich aufbäumenden Pferd begegnet nicht allein in diesem Gedicht des Statius und beim Equus Domitiani. Es handelte sich dabei generell um ein belieb­ tes Motiv kaiserlicher Sieghaftigkeit in flavischer und traianischer Zeit. So wurde wohl etwa 15 Jahre später ein Equus Traiani auf dem neuen kaiserlichen Forum errichtet: siehe dazu Berge­ mann (1990) 42f; 82 (= P31) mit Taf. 56–58, die zudem nachweist, dass entsprechende Darstel­ lungen auch im Münzprogramm dieser Zeit populär waren. Siehe auch das Kapitel Antinoos und Sabina. Hadrianische Interaktion zwischen römischer Tradition und Hellenisierung?

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Waffen erschöpft, und ist stolz(er) viel zu wiegen.“191 Domitian wird hier folglich dem Kriegsgott Mars gleichgestellt, womit erneut seine kriegerische virtus und seine Sieg­ haftigkeit hervorgehoben werden. Da Mars jedoch stolz dahinreitet, nachdem die Waffen erschöpft sind („exhaustis… armis“192), er die pax also bereits gebracht hat, wird auch der ihm als ebenbürtig geschilderte Princeps, der zu Beginn des Gedichts zudem mit dem Siegerbeinamen „Germanicus“ benannt ist, als Spender dieser pax durch seine virtus präsentiert. Umso stolzer kann auch er auf seinem ebenso stolzen Pferd dahinreiten, was über die bisherigen Erfolge hinaus seine zukünftige Sieghaf­ tigkeit und die Erhaltung des siegreichen Zustands respektive des Goldenen Zeitalters zum Ausdruck bringt. Die Analogie zum Lobpreis der Villenherren liegt auf der Hand. Die Garantie der beständigen Sieghaftigkeit Domitians verdeutlicht Statius mittels einer Detailbeschreibung der Reiterstatue weiter: Domitian trägt in der rechter Hand die tritonische Jungfrau, also die durchaus mit kriegerischen Aspekten ausgestattete Minerva, die selbst wiederum das Medusenhaupt in Händen hält, „als ob sie das Pferd anstachelnd entflammt“.193 Mit der Darstellung der Attribute wird auf das kriegerische Potential zur fortdauernden Erhaltung der kaiserlichen pax verwiesen. Zudem hält Domitian auf diese Weise im wörtlichen Sinne die Garantie der Sieghaftigkeit in Hän­ den: „Nirgendwo lagerte die Göttin auf einem süßeren Platz, selbst wenn der Vater selbst sie hielte.“194 Mit dem hier erwähnten „pater ipse“ ist Iuppiter gemeint.195 Folglich wird Domitian gar mit dem Göttervater auf eine Stufe gestellt und vermag wie dieser über alle anderen Götter zu verfügen – am augenscheinlichsten über Minerva, aber auch über Mars. Somit ist der Princeps in seiner virtus, seiner Sieghaftigkeit und der Durch­ setzung eines Goldenen Zeitalters ebenso erfolgreich wie der Göttervater. Das erinnert an die Gleichstellung bzw. Zusammenarbeit der Villenherren mit Göttern nach Statius. Eine solchermaßen gleichberechtigte Zusammenarbeit von Göttern und dominus wird bezüglich Domitians am deutlichsten in Silv. 4,1, einer Würdigung zum 17. Kon­ sulat des auch hier als „Aug. Germanicus“ bezeichneten Princeps, betont. Dabei wird der Princeps mit Ianus, dem Gott des Anfangs und des Endes, aber auch des Spenders und Erhalters der pax Augusta, die in ein saeculum aureum führe, gleichgesetzt. Domitian vollbringt dieses Schaffung eines Goldenen Zeitalters nach Statius nicht nur durch seine in Alexander­Bezügen196 und weiteren Verweisen197 betonte Sieghaftigkeit auf gleiche Weise wie Ianus, sondern ganz klar in Zusammenarbeit mit Ianus, was durch das in diesem Gedicht auf das Verhältnis angewandte Pronomen „mecum“ zum Ausdruck gebracht wird, das dem Gott gleich zweimal in den Mund gelegt wird: „Salve, großer Vater der Welt [= magne parens mundi], der Du Dich mit mir [= mecum] an­ schickst, die Zeitalter [= saecula] zu erneuen [= instaurare]“;198 „Mit mir [= mecum] 191 192 193 194 195 196

Stat. Silv. 1,1,18–20. Stat. Silv. 1,1,18. Stat. Silv. 1,1,37–39 (Zitat: 39). Stat. Silv. 1,1,39f. Siehe auch Loeb, 35 Anm. 14. Siehe Stat. Silv. 4,1,40–42: Die Erwähnung von Baktrien, Babylonien und Indien bedeutet eine Aufforderung Domitians zu einer Anabasis in Nachfolge Alexanders. 197 Siehe v. a. Stat. Silv. 4,1,39: „Tausend Trophäen wirst Du erringen, erlaube nur die Triumphe.“ 198 Stat. Silv. 4,1,17f.

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gründest Du [= condes] ein weiteres Zeitalter [= altera saecula].“199 Ianus wünscht diese Zusammenarbeit, da er Domitian als „magne parens mundi“ erachtet, womit dem Princeps auch in diesem Gedicht eine Iuppiter entsprechende Rolle zugewiesen wird. Folglich sorgen Ianus und Domitian gemeinsam für ein neues Zeitalter, das durch die erneuten Saecularspiele eingeläutet wird.200 Auch diese literarische Kennzeichnung der gleichberechtigten Zusammenarbeit von Princeps und Gottheit findet bis hin zur Verwendung der Pronomina („tecum“ bzw. „mecum“) ihre Entsprechung im Gedicht zur Villegiatur des Vopiscus. All diese Domitian zugeschriebenen Gleichsetzungen und Überlegenheitsan­ sprüche gegenüber Heroen und Göttern rühmen seine Fähigkeit zur Initiierung eines saeculum aureum. Diese wird in 4,1 durch die Vokabel „instaurare“ betont. Die er­ neute Übernahme des Konsulats durch den Princeps bedeutet folglich einen Akt des Wiedererrichtens oder Erneuerns des Zeitalters, was durch den Gebrauch der Verben condere und renovare201 forciert wird. Domitian wird somit durch Verwendung von Verben aus dem Bereich des Bauens ebenso als Gründerfigur ausgewiesen wie die Villenherren. Die Verwendung von „instaurare“ durch Statius verheißt in tradierter Sprachregelung, wie gezeigt wurde, eine restitutio der libertas und die Durchsetzung und Erhaltung der pax. Domitian ist folglich Spender eines saeculum aureum bzw. Neugründer Roms, während die Villenherren als Gründerväter ihrer Villa auftreten. 2. Auch in Silv. 4,3 findet die Markierungsfunktion der Gebäude und der Akt des Bauens als Ausdruck der Ordnungsstiftung, die für ein saeculum aureum wesentlich ist, in Bezug auf Domitian Berücksichtigung. So wird die Errichtung der Via Domiti­ ana als Sieg des Princeps über die Natur und Garantie ihrer weiteren Kontrolle be­ schrieben, indem von ihrer Beseitigung, Unterwerfung und dem Zwang zum Dienst am Menschen gesprochen wird.202 Wie in den Gedichten für die Villenherren wird auch hier zu diesem Zweck militärisches Vokabular verwendet, so u. a. die Wendung „hi caedunt nemus exuuntque montes.“203 Das Verb caedere bedeutet fällen, aber auch schlachten oder töten, exuere meint so viel wie ausziehen, also „Berge entkleiden“ oder „abtragen“, findet jedoch auch im übertragenen Sinne Verwendung im militäri­ schen Bereich als berauben oder plündern. Schließlich gipfelt die Schilderung der Naturbezwingung durch den Straßenbau in einem allgemeineren Vergleich: „Diese rechten Hände könnten auch den Athos durchstechen und das traurige Meer der seuf­ zenden Helle mit einer nicht schwimmenden Brücke bezwingen [= intercludere].“204 Der Gebrauch des Verbs „intercludere“, bedeutet so viel wie abschließen. Somit gelingt es wie beim Bau der Villa auch hier, sich durch Kunstfertigkeit dominant von der Umwelt abzugrenzen.205 199 Stat. Silv. 4,1,37. 200 Siehe Wißmüller, 98 Anm. 7; Loeb, 248 Anm. 13. 201 Stat. Silv. 4,1,38 ist auf den Wiederaufbau der ara Tarentini bezogen; siehe dazu Loeb, 249 Anm. 17; Wißmüller, 99 Anm. 2. 202 Siehe Stat. Silv. 4,3,49–60; vgl. Newlands (2002) 284–325. 203 Stat. Silv. 4,3,50. 204 Stat. Silv. 4,3,56–58. 205 Die übermenschliche Leistung des Straßenbaus wird dadurch unterstrichen, dass sie mit der historischen Überquerung des Hellespont durch xerxes verglichen wird. Siehe auch Wißmüller, 104 Anm. 30.

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Im Übrigen unterwirft sich die Natur in Silv. 4,3 beim domitianischen Straßenbau ebenso bereitwillig wie bei der Ausgestaltung der Villegiatur. So wendet sich der Flussgott Volturnus dankend und als Diener bezeichnend an Domitian:206 „grates ago servitusque tanti est.“207 Statius wiederholt also das Motiv der dienenden Natur. Darüber hinaus nennt Volturnus den Princeps „Guter Schöpfer [= conditor] meiner Ebenen“.208 Damit wird der gestaltende dominus erneut als Gründer beschrieben. Schließlich lässt Statius Sibylle auftreten und über Domitian sprechen. Dabei wird der Princeps als „deus“209 bezeichnet, dem Iuppiter befohlen habe, an seiner Statt die Erde zu beherrschen.210 Dies legitimiert Sibylle durch die Feststellung, kein Würdigerer habe seit Aeneas diese Herrschaft innegehabt.211 Im Folgenden wird die Angleichung an Iuppiter noch durch die Übertragung von dessen Ehrennamen auf Domitian intensiviert: Er wird von Sibylle zum „dux hominum et parens deorum“212 erklärt. Somit feiert sie ihn als Kriegsherrn für seinen Sieg über den Norden und prophezeit ihm den Sieg über den Osten, der in Nachfolge der anabaseis von Her­ cules und Bacchus (Euhan) errungen werde.213 Folglich wird Domitian ein weiteres Mal und in Analogie zu den Villenherren den Göttern gleichgestellt, um seine Leistung der Ordnungsstiftung entsprechend zu prononcieren. Dabei wird das Bauen als Ausdruck der Sieghaftigkeit sowie der als logische Konsequenz daraus folgenden imperialen Ordnungsstiftung präsentiert. Das bedeutet, großangelegter Straßen­ und Villenbau kann als visueller Verweis auf die Dimensionen des Imperium Romanum und die dort vollbrachten Ordnungsstif­ tung als andauerndem Prozess fungieren. In besonders eindrücklicher Weise zeigt sich das auch in einem anderen Medium: In den Reliefs der Traianssäule bedeutet Krieg nicht allein Kampfhandlungen, vielmehr werden darin der Kriegsherr und seine Soldaten bei der Erringung von pax Romana sowie beim Aufbau der neu er­ worbenen Gebiete, die zu Teilen des Reichs geworden sind, präsentiert.214 3. Die Darstellung des befriedeten und mit römischer Ordnung ausgestatteten Reichs, wie sie Statius dem Pollius durch Beschreibung des Ausstattungsprogramms seiner Villa zuteilwerden lässt, findet in den an Domitian gerichteten Silvae durch ähnliche Modi der Darstellung Entsprechung. So wird im Saturnalien­Gedicht 1,6 ausführlich auf Spezialitäten aller Länder des Imperium Romanum verwiesen.215 Gleiches gilt für die Palastbeschreibung in Statius’ Dankesgedicht 4,2 für die kai­ serliche Einladung zum Gastmahl. Hier wird immer wieder auf die Ausstattung des Palasts mit unterschiedlichsten Materialien und Gütern aus dem gesamten Reich rekurriert.216 Diese werden mit den Leistung des Palastherrn, d. h. des Princeps, 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216

Siehe Stat. Silv. 4,3,66–94. Stat. Silv. 4,3,81. Stat. Silv. 4,3,72. Stat. Silv. 4,3,128. Siehe Stat. Silv. 4,3,128f. Siehe Stat. Silv. 4,3,130–133. Stat. Silv. 4,3,139. Siehe v. a. Stat. Silv. 4,3,153–157. Siehe Lummel (1991) 109–120. Vgl. Newlands (2002) 227–259; Kreuz (2016) 178–201. Siehe z. B. Stat. Silv. 4,2,38f; vgl. Newlands (2002) 260–283.

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in Zusammenhang gebracht, der mit ruhigem Angesicht und in heiterer Erhabenheit das Zentrum seiner selbst gestalteten Welt erleuchte.217 Folglich äußert sich der dauerhafte Erfolg der domitianischen Ordnungsstiftung in Glanz und Wohlgeord­ netheit des Palastes, die mit dem Erscheinungsbild des mächtigen Herrschers korres­ pondieren, das allein genüge, um barbarische Feinde und unbekannte Völker zu seiner Anerkennung und damit zu ihrer Unterwerfung zu bewegen.218 Damit wird, analog zur Zurückgenommenheit von Kampfhandlungen auf der Traianssäule,219 auf die freiwillige Unterwerfung verwiesen, die aus dem Eindruck der aus Leistungen erworbenen auctoritas des Herrschers entspringt. Auf diese Weise wird der kaiserliche Palast ebenso wie die senatorische Villa als Visualisierung der Leistungen des jeweiligen dominus gefeiert, der aufgrund seiner Erfolge würdig und mächtig im Zentrum seiner otiösen Ordnung stehe. Diese Gleichsetzung von Villegiatur und Palastwelt sowie ihrer jeweiligen Herren vollzieht Statius durch Verwendung des gleichen Vokabulars: Besonders der Verweis auf Ruhe, tranquilitas, und Bescheidenheit, modestia, als zentrale Begriffe des saeculum aureum werden beiden Parteien zugeschrieben. 4. Bei all diesen Bemühungen um die Vergleichbarkeit der Leistungen und Er­ folge von Princeps und Villenherren überrascht auch nicht, dass Domitian in fast jedem ihm gewidmeten Gedicht der Silvae aeternitas oder aevum gewünscht wird, womit auf sein Prinzipat und somit auf die Dauer des ihm zugeschriebenen saeculum aureum rekurriert wird.220 Am deutlichsten wird das in Statius’ Würdigung von Domitians 17. Konsulat formuliert, wenn Ianus als „immensi reparator maximus aevi“, also als „der größte Wiederhersteller der unermesslichen Ewigkeit“,221 be­ zeichnet wird. Wie schon gezeigt, wird Domitian dem Ianus übergeordnet, mit dem zusammen er an der Durchsetzung eines saeculum aureum arbeitet, für das Statius sich Ewigkeit bzw. lange Dauer erhofft. Durch die Überlegenheit des tätigen Princeps wird seine nahezu unvorstellbare auctoritas hervorgehoben: Er ist größer als der größte reparator. Diesen wunsch nach langer Dauer des saeculum aureum Domitians auf Basis von dessen Leistungen, nutzt Statius in gleicher Weise zum Lobpreis der Villenher­ ren. Statius zufolge beteiligen sich diese ebenbürtig an der Schaffung des Goldenen Zeitalters ihrer Tage,222 handeln also durchaus politisch. 217 Stat. Silv. 4,2,41–43: „tranquillum vultus et maiestae serena, mulcentem radios summitten­ temque modeste fortunae vexilla suae.“ 218 Stat. Silv. 4,2,44f. 219 Lummel (1991) 113 mit Taf. 18,1 („Aussagekräftig für die Beurteilung der Rolle Trajans ist die große Unterwerfungsszene am Ende des ersten dakischen Krieges. Der Kaiser sitzt erhöht auf einem suggestus. Bittflehend knien drei pileati zu seinen Füßen. Unmittelbar dahinter stehen gefesselte Daker. Das übrige Kriegervolk des Feindes hat die Schilde zu Boden geworfen und streckt Trajan in flehender Haltung beide Hände entgegen.“); 117f mit Taf. 20. 220 Siehe neben Stat. Silv. 4,1 insbes. 4,2,57–62; 4,3,145–163; siehe auch 1,1,91–107; 1,6,98–102. 221 Stat. Silv. 4,1,11. 222 Siehe jetzt auch Kreuz (2016) 594: „Stets sind die im Gedicht beschriebenen Dinge Repräsen­ tanten des jeweiligen Herrn, ofenkundig im Falle des Equus maximus oder des Spiegelbildes als Double des Earinus (silv. 3,4), in anderen Fällen implizit durch symbolisches Eintreten des Objektes für seinen Herrn, wie die Villengedichte […] es zum Ausdruck bringen.“

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Mit dem alleinigen Rekurs auf die Silvae darf freilich die angestrebte Teilhabe der Senatoren an der Herrschaft des Princeps durch Ordnungsstiftung in und mittels der Villegiatur nicht als gängige senatorische Praxis identifiziert werden. Freilich könnte sie sinnfällig im senatorischen Wettbewerb um dignitas verankert gewesen sein, in dem auch stets aus dem Bemühen um Nähe zum Princeps und ihrer demons­ trativen Offenlegung Kapital generiert wurde. Dieser Wettbewerb um Kaisernähe wird von der Forschung seit langer Zeit untersucht,223 schlägt er sich doch in zahlreichen Quellen nieder. Ein plastisches Beispiel liefert der Briefwechsel des jüngeren Plinius mit Traian, den das zehnte Buch der plinianischen Epistulae dokumentiert. Darin informiert Plinius den Princeps u. a. über Beschwerlichkeiten und eingeschlagene Wege auf seiner Reise von Bithynien nach Ephesos und zurück. Als Grund für seinen Brief gibt er an „Quia confido, domine, ad curam tuam pertinere.“224 Darauf antwortet Traian wohlwollend, indem er nicht nur die ratio der geplanten Reiseroute, sondern auch die Relevanz des Briefs bestätigt: „Pertinet enim ad animum meum.“225 Plinius war folglich um Kaisernähe bemüht, um sich und seine Umwelt auf diese Weise seiner dignitas sowie eines gewissen Maßes an auctoritas durch Darstellung des guten Verhältnisses mit dem Princeps und seiner wesentlichen Rolle in dessen Herrschaft zu versichern. In diesem wie in vielen an­ deren Fällen findet die Kaisernähe in der Antwort Traians Bestätigung und unterstreicht die Position des Plinius im sozialen Gefüge des Imperium Romanum. Dass es sich dabei auch aus kaiserlicher Perspektive um eine konventionelle Kommunikationssi­ tuation handelte, zeigt der Gebrauch des Verbs pertinere sowie eines sich jeweils auf den Princeps beziehenden Personalpronomens in beiden Briefen: Wie seine amici handeln, geht Traian an bzw. interessiert ihn; gerade weil es sich um seine amici handelt. Plinius selbst erfuhr durch das Antwortschreiben Bestätigung und Erhöhung seines Prestiges und seiner Relevanz im senatorischen Wettbewerb. Seine amici und clientes wiederum bestätigten dieses Prestige durch ihre Bitten, mit denen sie in zahlreichen Fällen an Plinius herantraten, damit dieser aufgrund seiner guten Bezie­ hungen in verschiedensten Angelegenheiten an Traian appelliere. Schließlich dürften auch amici des Plinius die Herausgeber des Briefwechsels gewesen sein226 und auf diese weise ihre eigene dignitas durch Dokumentation guter Beziehungen zu einem Senator in äußerster Kaisernähe forciert haben. Das darf auch für die Texte des Statius gelten, der Villenherren auf gleiche Weise darstellte wie den Princeps und ihre analogen Leistungen rühmte. Folglich ist kein Rückschluss auf eine reale Villegiatur des Vopiscus und des Pollius erforderlich, vielmehr sind die narrativen, argumentativen und panegyrischen Strategien des Statius relevant, der den domini der Villen hohes Sozialkapital zuschrieb und damit seinen Text ebenso zur Präsentation der eigenen gesellschaftlichen Rolle nutzte wie 223 Zur Kaisernähe siehe u. a. Saller (1982) 41–78; Garnsey/Saller (1987) 148–159; Flaig (1992) insbes. 122–126; Barghop (1994); Barghop (1997) 51–70; speziell bei Plinius: Hoffer (1999); vgl. Millar (1977) 275–355. 224 Plin. epist. 10,15. 225 Plin. epist. 10,16. 226 Siehe Ludolph (1997) 50; zu den amici und clientes des Plinius siehe auch Gibson/Morello (2012) 136–168.

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die Freunde und Klienten des Plinius. Wesentlich war also nicht die Prosopographie der Patrone des Statius, denen er seine Gedichte oder ganze Bücher der Silvae wid­ mete und die Bewertung ihrer faktischen Nähe zum Princeps,227 sondern die ihnen zugeschriebenen Leistungen und die Demonstration ihrer angeblichen Kaisernähe. In der Konstruktion des Statius ist somit der Kaiser nicht allein „Zentrum der Ressourcenvergabe“,228 sondern selbst die einzig plausible Ressource des agonalen Strebens nach dignitas. Dass diese Strategie von den Patronen des Statius und der gesamten senatorischen Leserschaft verstanden wurde und den täglichen Wettbewerb um Kaisernähe und soziales Prestige adäquat be­ und fortschrieb, kann an den sog. Villenbriefen des Plinius aufgezeigt werden. Die Villenbeschreibungen in den Epistulae des Plinius Eine Schilderung von Villen und Villegiatur wird in den Epistuale des Plinius ins­ besondere in den beiden sog. großen Villenbriefen 2,17 und 5,6 vorgenommen. Diese beiden Texte sind in der Forschung bereits häufig diskutiert worden.229 Während daher auf die in diesem Rahmen erzielten Ergebnisse zurückgegriffen werden kann, nimmt die folgende Untersuchung dezidiert davon Abstand, die in diversen Studien wiederholt vorgenommenen Spekulationen über Grundrisse und präzise Lokalisierung der geschilderten Villen230 fortzusetzen, da hierbei letztlich keine seriösen Ergebnisse zu konstatieren sein dürften. Vielmehr ist auf jene Züge der plinianischen Villenauf­ fassung zu rekurrieren, die Gemeinsamkeiten oder charakteristische Differenzen zu den Villen­Gedichten des Statius aufweisen. Gefragt wird folglich nach dem Diskurs der Reichselite zu Villegiatur und Villenbau als Repräsentanz von Kaisernähe. Dabei ist zunächst einmal zu festzuhalten, dass im Gegensatz zu den Gedichten des Statius hier nicht von anderen Villenherren und ihrer Villegiatur berichtet wird, sondern jene des Plinius selbst Gegenstand ist. So stellt er seinen Briefpartnern Gallus (2,17) und Domitius Apollinaris (5,6) seine Villen vor und rückt auf diese Weise ihre Vorzüge in das bestmögliche Licht. Insofern ist auch der Wettstreit der Reichselite durch Darstellung der Vorzüge der eigenen Villen die implizite Motivation der Briefe. Die Beschreibung dieser Vorzüge wird zu beider Beginn als Grund für die Korrespon­ denz benannt. Selbstverständlich wird dabei die agonale Zielsetzung nicht ausformu­ liert: Plinius schreibt in 5,6 schlicht, er wolle Sorge [cura] und Unruhe [sollicitudo] des Domitius Apollinaris entkräften, der ihm von einem Sommeraufenthalt auf seinem tuscischen Gut wegen des ungesunden Klimas der Jahreszeit in diesem Gebiet abge­ raten habe.231 In 2,17 wiederum zeigt sich Plinius bemüht, Gallus zu erklären, weshalb

227 Siehe hierzu Hardie (1983) 67–70; siehe auch Newlands (2002) 154f. 228 Barghop (1994) 129. 229 Siehe Lefèvre (2009) 223–272; Förtsch (1993); Barghop (1994) 137–140; Bergmann (1995) 406–420; Mielsch (2003) 317–324; Mayer (2005) 210–219. 230 So Förtsch (1993) mit älterer Literatur; Bergmann (1995) 406–420; Mielsch (2003) 317–324. 231 Siehe Plin. epist. 5,6,1–3.

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ihm sein Laurentinum so viel Freude mache („tanto… delectet“), da sich der Brief­ partner darüber verwundert gezeigt zu haben scheint (einleitend: „Miraris“).232 Die Strategie der nun zu erwartenden Begründungen ist in beiden Fällen die gleiche. So fordert Plinius den Domitius Apollinaris auf: „höre von dem milden Klima, der Gegend und der Schönheit der Villa [= villae amoenitatem]“.233 Entspre­ chend geht Plinius zunächst auf die klimatisch günstigen Bedingungen zu allen Jahreszeiten ein,234 lässt die Schilderung der Idealität der Natur, in welche die Villa gesetzt wurde, folgen235 und beginnt darauf mit der ausführlichen Beschreibung der amoenitas des Anwesens. Dabei wird die günstige, die klimatischen Bedingungen optimal nutzende bzw. ihren negativen Einfluss eliminierende Ausrichtung der Einzel­ gebäude des tuscischen Villenkomplexes sowie die Eingliederung der Naturgege­ benheiten in diese236 dargestellt. Abgerundet wird der Spaziergang durch die Villa mit einem Exkurs über die Komposition des Briefes237 sowie der Feststellung, dass die Widerlegung der Einwände des Apollinaris nun geführt sei,238 was durch eine Betonung der otiösen Qualitäten und ihrer positiven Auswirkungen auf die Gesund­ heit noch unterstrichen wird.239 Bei dieser Gliederung des Textes ist auffällig, dass die natürlichen Gegebenheiten Klima und Landschaft nur drei bzw. sieben Absätze einnehmen, während der Klima und Landschaft kontrollierende und im Dienste der amoenitas gestaltende Eingriff des Menschen in die Natur durch den Villenbau fast 27 Absätze einnimmt. Die Relevanz der einzelnen Aspekte der plinianischen Darstel­ lung wird somit durch ihre Anordnung und durch sich steigernde Ausführlichkeit betont. Die Präferenz des gestaltenden Eingriffs und der menschlichen Kontrolle wird außerdem durch den letzten der Landschaft selbst gewidmeten Abschnitt forci­ ert: Bei Betrachtung der Landschaft erscheine diese ob ihrer Idealität nicht als Land­ strich, sondern als „außergewöhnlich schönes gemaltes Bild“,240 also als stilisiertes Produkt der Kunst. Zusätzliche Beachtung verdient ein Exkurs des Briefs.241 In ihm setzt Plinius die Lektüre der detaillierten Beschreibung der Bauwerke in direkte Analogie zum Spaziergang über das Villenareal. Das macht Plinius deutlich, indem er die Unter­ brechung der Lektüre mit einer Ruhepause auf einem realen, inspizierenden Spa­ ziergang gleichsetzt: „Denn ich fürchte nicht, daß Dir bei der Lektüre lästig würde, was Dir beim Betrachten gefallen hätte, zumal Du ja nach Belieben ausruhen, den Brief weglegen und Dich des Öfteren gleich­ sam hinsetzen kannst.“242 232 Siehe Plin. epist. 2,17,1. 233 Plin. epist. 5,6,2. 234 Siehe Plin. epist. 5,6,4–6. Diese gesunden klimatischen Umstände ergäben sich, so Plin. epist. 5,6,2, aus der Entfernung zum Meer und der Nähe zu den Apenninen. 235 Siehe Plin. epist. 5,6,7–13. 236 Siehe Plin. epist. 5,6,14–40. 237 Siehe Plin. epist. 5,6,40–44. 238 Plin. epist. 5,6,45. 239 Siehe Plin. epist. 5,6,44–46. 240 Plin. epist. 5,6,13. 241 Siehe dazu auch Hoffer (1999) 36. 242 Plin. epist. 5,6,41.

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Für ihn als den Autor, der diese Leseerfahrung ermöglicht, gälten dabei, so Plinius, die gleichen Gesetze wie für Homer und Vergil243 – nämlich die Intention des eige­ nen Werks (titulus suus; materia) konsequent zu verfolgen.244 Dieser Maxime ent­ sprechend hätten die beiden großen Dichter die Waffenschauen des Aeneas und Achill auf das Ausführlichste gestaltet und auch der Astronom Arat habe „auch den kleinsten Stern“ in seine Phainomena einbezogen.245 Auf entsprechende Weise han­ dele er, Plinius, nun auch selbst: „wenn ich bei dem Versuch, die ganze Villa Dir vor Augen zu stellen, sonst nichts Fremdes und gleichsam Abwegiges erzähle, so ist nicht der Brief, der beschreibt, sondern die Villa, die beschrieben wird, so groß.“246

Auf diese Weise wird die tuscische Villa als eigentliche künstlerische Leistung des Plinius dargestellt, die sich in ihrer Größe mit den größten Werken der Menschheit messen könne.247 Dass die Größe der Villa auch die Größe des Villenherrn Plinius visualisiert, dieser folglich den Vergleich mit Homer, Vergil und Arat nicht zu scheuen brauche, betont er durch die Klassifizierung seiner Villenschilderung als „amori meo“, die folgenden Grund habe: „denn ich liebe [= amo enim], was ich größtenteils selbst begonnen habe oder, wenn es schon begonnen war, zu Ende geführt habe.“248 Mit diesen Worten arbeitet Plinius heraus, dass es sich bei der Kontrolle und Inkor­ porierung der Natur im Dienste des Villenbaus um seine persönliche Leistung ge­ handelt habe. Dies erinnert stark an die erfolgreich gegen die Natur gewandte virtus der Villenherren Vopiscus und Pollius und ihren dauerhaften Erfolg. Auch Plinius kann schließlich in der aus eigener Leistung befriedeten Villa sein otium ausüben, indem er durch seine Briefe Dichtern und Wissenschaftlern nachzueifern sucht. Gleichzeitig steht der komplexe Villenbau als Materialisierung dieser dauerhaften Leistung in der Landschaft und die Form und Ausführlichkeit des Briefs nebst der Erläuterung seines literarischen Konzepts dient ebenfalls der agonal orientierten Darstellung des eigenen Sozialkapitals. Gleiches trifft auf die „diaeta“249 zu, die im Villenbrief an Gallus erwähnt wird. Diese bezeichnet Plinius als „mein[en] Lieblingsaufenthalt, ja wirklich mein[en] Lieblingsaufenthalt: ich selbst habe ihn angelegt.“250 Somit präsentiert sich Plinius auch im Falle des für ihn zentralen Raums seines Laurentinums – und bei diaetae handelt es sich um ein wesentliches otiöses Gebäude einer jeden Villa251 – als dessen Bauherr. Das wird im Weiteren wiederum als besondere Leistung der Naturkontrolle dargestellt.252 So hat der Villenherr durch die Konzeption der diaeta, die er sich 243 244 245 246 247

Siehe Plin. epist. 5,6,43. Siehe Plin. epist. 5,6,42. Plin. epist. 5,6,43. Plin. epist. 5,6,44. Jedoch relativiert Plin. epist. 5,6,44 seine Leistungen gegenüber jenen der drei Großen mit „parva magnis“. 248 Plin. epist. 5,6,41. 249 Plin. epist. 2,17,20. 250 Plin. epist. 2,17,20: „amores mei, re vera amores mei: ipse posui.“ 251 Förtsch (1997) 506. 252 Siehe Plin. epist. 2,17,20–23.

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selbst zuschreibt, die Nutzung der Natur in seiner Villegiatur,253 die Abschirmung von ihr254 sowie, ihres bedrohlichen Einflusses beraubt, ihre Nutzbarmachung als genussvoller Ausblick erreicht. Analog zur Villegiatur des Vopiscus nach Statius heißt es im plinianischen Brief zu einem Zimmer der diaeta: „Es kann ein Bett und zwei Sessel aufnehmen; zu den Füßen hat man das Meer, im Rücken Villen, vor sich Wälder: so viele Landschaftsansichten trennt und vereinigt durch ebenso viele Fenster.“255

Die Kontrolle der Natur durch die Architektur und ihre Degradierung zum ästheti­ schen Ambiente durch die verschiedenen Ausblicke aus entsprechenden Fenstern wurde auch Vopiscus, dem Sieger über die bzw. dem Beherrscher der Natur, in und durch seine Villegiatur zugeschrieben. Die gleiche Rolle räumt sich Plinius hier ein. Es dürfte sich dabei also um ein Zeitphänomen handeln. Plinius zeigt Gallus zudem die auf seine Leistung zurückgehende Idealität seines Laurentinums auf, um sein Sozialkapital im senatorischen Konkurrenzkampf zu betonen: „wenn ich mich in meine diaeta zurückziehe, habe ich den Eindruck, gar nicht auf meiner Villa zu sein und es macht mir, besonders während der Saturnalien, ein großes Vergnügen [magnus voluptas], wenn der übrige Teil des Hauses von der Ausgelassenheit dieser Tage und dem fest­ lichen Lärm widerhallt: denn weder störe ich selbst die Spiele der Meinen, noch diese meine Studien [studii mei].“256

Die voluptas, das Behagen, die Lust, der Genuss, bezeichnet im Gegensatz zum ausgelasseneren Charakter der Saturnalien das otium, das sich Plinius in seiner Vil­ legiatur zu gönnen vermag. Erneut zeigt sich darin die dauerhafte Naturkontrolle, die Plinius durch Leistung errungen hat und die er nun durch die Beschaffenheit der diaeta wie durch seine Studien darin visualisiert und zelebriert. Entsprechend betont er gegenüber Gallus die wesentliche Relevanz von voluptas und studium. Damit ist der rückzug in die diaeta hier nicht als Rückzug aus der Politik gekennzeichnet – und auch nicht als Rückzug im Rückzug.257 Vielmehr begeht Plinius ebenso wie seine Angestellten und ganz Rom die Saturnalien, wenn auch in äußerst eigenwilliger, gediegener Form: Er, der Senator, der unter den Flaviern, Nerva und Traian Karriere gemacht hatte, absentierte sich zu diesen Feiertagen vollständig von der Welt der Politik und seinem Umfeld, ersetzte also vorläufig, und nur vorläufig, negotium durch otium. Zudem variieren Gliederung und Umfang der Themen dieses Villenbriefs 2,17 den Brief 5,6. Die Verwunderung des Gallus über Plinius Freude an der Villa löst dieser auf, indem er „die Anmut der Villa, die günstige Lage des Ortes, die Ausdehnung des Strandes“258 beschreibt. Dabei beginnt Plinius mit eineinhalb Absätzen zum Villenareal.259 253 254 255 256 257

Siehe Plin. epist. 2,17,23. Siehe Plin. epist. 2,17,22f. Plin. epist. 2,17,21. Plin. epist. 2,17,24. So Mayer (2005) 212, der in dem angeblichen „secessus vom secessus“ „leicht komische Züge“ ausmacht. 258 Plin. epist. 2,17,1. 259 Siehe Plin. epist. 2,17,2f.

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Darauf schildert er in 23,5 Absätzen den Aufbau der Villa, deren gratia sich von der günstigen räumlichen Ausrichtung der Gebäude und der eingebrachten domes­ tizierten Natur, beispielsweise der Bepflanzung mit Buchsbaumpromenaden sowie der Nutzung von Quellen und Grundwasser als Springbrunnen und von Holz für das Heizungssystem.260 Danach beschreibt Plinius in zwei Abätzen die Lage an der Küste und die von dort in die Villa eingebrachten Erzeugnisse.261 Beschlossen wird der Brief durch eine rhetorische Frage, die nach dieser Beweisführung nur positiv beantwortet werden kann und eine Einladung an Gallus beinhaltet.262 Folg­ lich prononciert Plinius den für seine Selbstdarstellung maßgeblichen Aspekt, in seiner ausführlichen Darstellung mittels einer Rahmung durch die beiden anderen Themen besonders. Die Kontrolle und Dienstbarmachung der Natur sowie die Gestaltung der Villegia­ tur beschreibt Plinius also in beiden Briefen als seine persönliche Leistung, die in ein Goldenes Zeitalter führe. So belegt Plinius in 5,6 die gesundheitsfördernden Aspekte des günstigen, milden Klimas durch das vielfach erreichte hohe Alter der ortsansässigen Bevölkerung und konstatiert: „und wenn man hierher kommt, so könnte man glaube, man sei in einem anderem Zeitalter geboren.“263 Daraus schließt Stanley Hoffer: „Though literally Pliny means an earlier generation, the combination of utopian weather, longevity, and the idea of being reborn, as it were, into a prior world suggests myths of the Golden Age.“

Die Nutzung des milden Klimas und der günstigen Witterung geschieht jedoch erst durch menschliche Fähigkeiten und Leistungen.264 Auf dieser Basis präsentiert sich Plinius in der stabilen Materialität seiner Villa, aber auch im Genuss der von ihm selbst erzeugten Blüte als Schöpfer eines saeculum aureum. Damit schließt auch Plinius imitierend und damit seine eigene Leistung als dominus betonend an den zentralen dominus und Leistungsträger Traian an. Allerdings ist die agonale Funktion dieser Kaisernähe nicht für alle Angehörigen der Reichselite gleich effektiv, erfolgreich und umfassend zu erbringen. So erkundigt sich Plinius beispielsweise in seinem Brief 1,3265 bei Caninius Rufus, einem Ange­ hörigen der lokalen Elite von Comum und Besitzer eines nahegelegenen Landguts, das einem weiteren des Plinius benachbart lag, nach dessen Villegiatur. Dabei schil­ dert er das Landgut des Rufus in Idealität266 und fordert diesen auf, in seinem „otium“ die „alltäglichen armseligen Sorgen“ anderen (alii) zu überlassen, um dort studia zu betreiben.267 Eine solche Aufforderung ist nicht zuletzt als Lobpreis des bonus princeps Traian zu verstehen, der nach der Herrschaft des Domitian das wahre otium erst wieder ermöglicht habe. So sei, Plinius zufolge, die kaiserliche Herrschaft nun endlich wieder von virtus geprägt und garantiere damit libertas und securitas, also 260 261 262 263 264 265

Siehe Plin. epist. 2,17,3–26. Siehe Plin. epist. 2,17,27f. Siehe Plin. epist. 2,17,29. Plin. epist. 5,6,6. Siehe Hoffer (1999) 34f; 39 (Zitat: 34). Eine eindrucksvolle, doch eher auf poetologische Aspekte rekurrierende Analyse bietet Hoffer (1999) 29–44. 266 Plin. epist. 1,3,1. Siehe dazu auch Hoffer (1999) 31–38. 267 Plin. epist. 1,3,2.

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die Möglichkeit zu einer durchaus politisierten freien Meinungsäußerung der Sena­ toren und ihrer Umsetzung und Vervollkommnung in studia.268 Doch gerade in Plinius’ Drängen auf eine Verabsolutierung dieser Daseinsform wird offenbar, dass dieser zu betonen suchte, ihm bleibe ein dauerhafter Aufenthalt in Comum und damit auch die Konzentration auf otiöse studia verwehrt. Das macht bereits der erste Satz des Briefs, die Frage des von Comum Abwesenden an den dort Anwesenden, deutlich: „Was macht Comum, Dein und mein Lieblingsort?“269 Freilich lagen die­ ser differenten Lebensführung pekuniäre und soziale Differenzen zugrunde: Während für Rufus dessen Landgut die Lebensgrundlage bildete, hatte Plinius einen cursus honorum durchlaufen und setzte seine politische Tätigkeit, auch gefördert durch Traian, fort. Aus dieser Karriere wiederum schöpfte Plinius sein ungleich größeres Vermögen, das er u. a. für Bau, Erhaltung und Personal seiner Villen einsetzte.270 Wenn Plinius sich trotzdem für einen Rückzug ins otium ausspricht und bedauert, diesen nicht uneingeschränkt umsetzen zu können, handelt es sich dabei um eine literarische Strategie, die dazu dient, die Aufgaben für Kaiser und Imperium, das negotium der res publica, als äußerst vereinnahmend und als Aufopferung darzu­ stellen, um die eigene Bedeutung zu unterstreichen.271 Damit trifft das Werk des Statius den Genrekonventionen folgend in der Nuance eine andere Aussage als jenes des Plinius: In der dichterischen Lobrede darf un­ schlagbarer Größe, wie sie dem Kaiser, aber auch den Patronen des Statius zuge­ schrieben wird, permanente Gültigkeit zugesprochen werden, die schlichte Präsenz 268 Zur Verknüpfung von otium und libertas bei Plinius siehe Geisthardt (2015) 172–174, der 164–177 zeigt, dass Plinius zufolge das unter Traian mögliche otium durch studia stets politisch war und praktische Umsetzung im negotium für das Gemeinwesen erfuhr, während unter dem Tyrannen Domitian lediglich private und unpolitische voluptas möglich gewesen sei. An dieser Stelle sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Geisthardt mit dieser wesentlichen Darlegung den Diskurs des Plinius in den Epistulae und im Panegyricus quellenanalytisch offenlegt und erläutert. Damit ist die Unterstellung von Künzer (2016) 299–301, „Damit erliegt G.[eisthardt] der Repräsentati­ onsstrategie des Plinius“ (Künzer, 300), entschieden zurückzuweisen – zumal Künzers Vorwurf, Geisthardt betrachte das otium gemeinsam mit Plinius als Rückzug aus dem negotium sogar an Geisthardts Wiedergabe des plinianischen Diskurses diametral vorbeigeht. Dass Geisthardt hier in der Tat den plinianischen Diskurs analysiert und darlegt, könnten zudem ganz subtil einige Textmarker andeuten – exemplarisch seien genannt: „so zumindest die plinianische Darstellung“; „Bei Plinius ist die domitianische Herrschaft […] gekennzeichnet“ (beides Geisthardt, 172), „das senatorische otium […], wie Plinius es repräsentiert“ oder „Um also wieder zur inhaltlichen Ausgestaltung des Plinius zurückzukommen“ (beides Geisthardt, 174). Künzers Fortentwicklung ihres Missverstehens führt schließlich zum Vorwurf „die Ansicht G.[eisthardt]s impliziert, dass er an den Diskurs vom optimus princeps glaubt“ (Künzer, 301). Die Suche nach den ungenannten Textpassagen, an denen Künzer dies festmacht, dürfte sich erübrigen. Die Rezensentin verwech­ selt die wissenschaftliche Offenlegung eines Diskurses mit der Postulierung seiner Faktizität und unterstellt Geisthardt daher unreflektierten Glauben an diesen Diskurs. Damit stellt Künzer zu­ mindest nicht Geisthardt ins Abseits der Unwissenschaftlichkeit. 269 Plin. epist. 1,3,1; siehe auch 1,3,3; siehe dazu auch Page (2009) 52f. 270 Siehe Hoffer (1999) 30f; 33; Page (2009) 48–50. Plin. epist. 1,3,2–4 spielt in der Aufforderung an Rufus, literarisch tätig zu werden, auch stets auf dessen wirtschaftliche Lage an, die ihn davon abhalten könnte. 271 Siehe auch Geisthardt (2015) 168f und Hoffer (1999) 119–140 zu Plin. epist. 1,10; vgl. Page (2009) 53–55.

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des siegreichen dominus dauerhafte Unschlagbarkeit garantieren. Im Werk des Plinius wird hingegen deutlich, dass die kaisernahe Elite gerade des Tagesgeschäfts, d. h. der wirklichen Mitarbeit an der Verwaltung des Reichs bedurfte, um ihre Kaisernähe wahren zu können. Bekanntlich musste der Princeps selbst fortwährend politische Leistungen erbringen und die Fähigkeit zu diesen in seiner Selbstdarstellung de­ monstrieren: Im auf Akzeptanz basierenden System des römischen Prinzipats war der Ruhestand nicht vorgesehen, die Blüte des Reichs konnte nur gewahrt bleiben, solange sie garantiert wurde.272 Und ebenso wie der Princeps nur auf dem Weg der Reproduktion seiner Taten seine Macht bewahren konnte, war es dem am sozialen Agon teilnehmenden Senator nur möglich, soziales Kapital zu bewahren und zu vermehren, indem er stets aufs Neue die Nähe des Kaisers suchte und von diesem zu Tätigkeiten für die res publica herangezogen wurde, um die dabei errungenen Mittel wiederum materiell visualisieren und demonstrieren zu können. Folglich war die Villegiatur in Materialität, zeitweisem Lebensstil und literarischer Darstellung eine Möglichkeit, die persönliche Kaisernähe agonal zu markieren. Daraus folgte eine Konsolidierung des ungleichen Sozialstatus der Oberschichts­ angehörigen. Diese wird auch sichtbar, wenn Plinius im Panegyricus traian selbst den Verzicht auf das von ihm ersehnte otium zuschreibt, da der Dienst für die res publica ihn dazu zwinge, während er es gleichzeitig einem senatorischen Standes­ genossen zugebilligt habe, dem er eigentlich eine Aufgabe für das Gemeinwesen übertragen wollte.273 Damit bedeutet Plinius’ Aufforderung an Rufus auch die Nach­ ahmung eines kaiserlichen Habitus, der besonders geeignet war, den eigenen Status hervorzukehren und eine wesentliche politische Rolle für sich zu reklamieren: Da er den Leistungen des Princeps näherkomme als die senatorischen Konkurrenten, sei er dem Princeps zwar nicht gleich, aber doch sehr ähnlich. Es gab also von nun an mächtigere und weniger mächtige Senatoren, deren Status sich am Indikator ‚Princeps‘ bemaß, wodurch die senatorische „Disposition der Umkehrbarkeit“274 Schritt für Schritt vollständig außer Kraft gesetzt wurde. Wer bereits dignitas und bis zu einem gewissen Grad auctoritas besaß, befand sich in der Lage diese noch weiter akkumulieren und den Erfolg demonstrieren zu können. Allerdings führte diese alleinige Fokussierung auf den statusdefinierenden Faktor der Kaisernähe und ­nachahmung mehr und mehr zu einer Aushöhlung der Grundsätze der res publica und bewirkte damit auch eine Veränderung der Agonalität: Ihre Mono­ polisierung auf die Senatsaristokratie wurde gerade durch deren agonalen Wettbewerb gelöscht. Von nun an imitierten vermögende Ritter, maßgebliche Angehörige der pro­ vinzialen Elite und zu Wohlstand gelangte Freigelassene senatorische Konzepte der 272 Siehe dazu grundlegend Flaig (1992) 183. 273 Plin. paneg. 86,2f: „Ja, eine solche Handlungsweise verdient es, aufgezeichnet und der Nach­ welt überliefert zu werden: dass er [= Traian] einen Praetorianerpraefekten auswählt nicht aus dem Kreis derer, die sich nach dem Amt drängen, sondern aus denen, die sich ihm entziehen möchten; dass er ihm dennoch die Rückkehr ins otium erlaubt, weil sein Herz an ihm hängt; dass er, wenngleich selbst völlig in Anspruch genommen von der cura imperii, niemandem die gloria der quietas missgönnt. Da wurde uns klar, Caesar, welchen Dank wir Dir schulden für Dein mühevolles und aufreibendes Wächteramt! Denn das otium ist, als die beste Lebensform, zugleich Dein persönliches Wunschziel und Dein Geschenk an andere.“ 274 Zu diesem Begriff sowie zu dieser Problematik siehe Barghop (1994) 141f und passim.

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Selbstdarstellung – auch jenes der Villegiatur. Das begann mit der Anlage von Grab­ gärten im Stile der römischen Villengärten, die ähnliche Kunstwerke enthielten und auf ähnliche Weise Ordnung und Naturbeherrschung repräsentierten. Sie dienten zur Selbstdarstellung des Bestatteten, vor allem aber zu jener des meist aus dem Milieu der liberti stammenden Nachkommen.275 Diese Entwicklung griff auch auf die sena­ torische Villegiatur selbst über.276 So hatte Cicero bereits gegenüber Lucullus argu­ mentiert, mit seinem Villenluxus lediglich den Anschluss an seine beiden Nachbarn nicht verlieren zu wollen, die dem Ritter­ bzw. Freigelassenenstand angehörten.277 In der Kaiserzeit schließlich waren es insbesondere die liberti der familia Caesaris, die durch die Ausübung regelrechter Hofämter schon bald derart dauerhaft an der Herrschaft der wechselnden Principes beteiligt waren, dass ihre Macht und ihr Ver­ mögen sie die Zwänge der eigenen Statusgruppe transzendieren ließen. Auf diese Weise gelang es dieser vermögenden, einflussreichen, da dem Princeps noch näheren Gruppe, an der ehemals allein senatorisch geprägten Agonalität teilzunehmen, den aristokratischen Lebensstil zu imitieren und dabei mühelos zu übertreffen.278 Am Bei­ spiel der horti, die, auch wenn sie sich in Rom befanden, den Villenluxus und das Prinzip der Ordnungsstiftung adaptiert hatten, zeigt dies Stefan Rebenich: Neben dem Princeps handelte es sich im Prinzipat allein bei Personen aus dem direkten kaiserlichen Umfeld, also i. d. R. bei liberti Caesaris, um Besitzer großer Gartenanlagen wie jener des Pallas und des Epaphroditus auf dem Esquilin.279 Folglich handelte es sich bei der Villa immer mehr um einen Raum, der durch seine Auslagerung aus der Sphäre der res publica als visueller Beleg einer erfolgreichen Teilhabe an der faktischen Herrschaft diente, die von der Gnade, Patronage und amicitia des Princeps und eben nicht von senatorischem Konsens abhängig war. Darin offenbart sich aber auch die problematische Dimension der kaiserlichen Villegiatur vollständig: Der Princeps partizipierte an einem statusgebundenen Kon­ zept, dessen einzige, den Rang definierende Ressource und dessen Orientierungs­ rahmen er selbst war. Auf diese Weise wurde auch in der kaiserlichen Villegiatur deutlich, dass der jeweilige Princeps mit seiner überlegenen auctoritas und seinem Vermögen letztlich außerhalb der res publica stand. Rebenich hat nachgezeichnet, wie die Principes einhergehend mit der Konsolidierung des Prinzipats „durch Erb­ schaft, Schenkung oder Konfiskation“ die stadtrömischen horti erwarben, die sie aus den ehemals senatorischen Parzellen zu Anlagen nie dagewesener Dimension und nie dagewesenen Glanzes zusammensetzten und ausbauten,280 was ihre überle­ gene Position außerhalb der res publica sogar in der urbs unterstrich. Insgesamt dürfen wir mit Rebenich schließen: „Der Princeps steigerte die Herrschaftsrepräsen­ tation durch seine ‚villae und ‚horti‘ auf ein Maß, das ihn aus der Schicht, der er 275 276 277 278 279

Siehe Rebenich (2008) insbes. 192–199; siehe auch Rebenich (2001) 190f. Beispiele bei Rebenich (2001) 190. Siehe Cic. leg. 3,30–32; siehe Rebenich (2008) 189f mit Anm. 13. Barghop (1994) 140f; 186f. Rebenich (2001) 189. Zu den ursprünglichen horti Tauriani und ihrer Übernahme durch die kai­ serlichen Freigelassenen siehe Papi (1996) 85; zur Vorbildfunktion der Villengärten Rebenich (2008) 190–192. 280 Siehe Rebenich (2001) 188f (Zitat: 189).

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nach der augusteischen Ideologie des ‚primus inter pares‘ angehörte, heraushob.“281 Und an dieser Form der kaiserlichen Villegiatur beteiligte sich mehr oder weniger moderat und im Besitz von mehr oder weniger Landhäusern jeder römische Princeps. Die kaiserliche Villegiatur Damit kollidierte auch für den Princeps selbst seine alle Standesgenossen überragende auctoritas, die ihn auch zum meistbegünstigten Villenherrn machte, mit dem spezi­ fischen Anforderungsprofil seiner Rolle. So sah sich der Princeps mit der andauern­ den Notwendigkeit des Akzeptanzerwerbs konfrontiert, was ihm fortwährende Kom­ munikation mit den Statusgruppen und die Erfüllung ihrer Anforderungen bzw. das Unterbreiten von Angeboten abverlangte.282 Auf welche Weise aber konnten und wollten die Principes dem in ihrer Villegiatur, und das bedeutet gleichzeitig außerhalb der res publica, gerecht werden? Wiederum kann ein Brief des jüngeren Plinius Hinweise darauf geben: In 6,31 beschreibt Plinius einen Aufenthalt in einer Villa in Centumcellae, die dem Princeps Traian gehörte, der ihn dorthin in sein „consilium“ berufen hatte.283 Es handelt sich um einen Bericht dieser Zusammenkunft und der sich dabei in der Villa vollziehen­ den Ereignisse. Der Brief beginnt mit der ausführlichen Schilderung der juristischen Tätigkeit des consilium, die den breitesten Raum einnimmt:284 Beschrieben werden drei Fälle, die an drei aufeinanderfolgenden Tagen verhandelt werden.285 Darauf folgt die kurze Schilderung der Erholungsstunden („remissiones“), die in der Form abendlicher, traditioneller Gastmähler („cotidie cenae“) das juristische Tagwerk im otium ausklingen lassen.286 Mit dieser Schilderung leitet Plinius zum dritten The­ menkomplex über: Er rühmt die Lage der Villa in der Natur, erwähnt aber auch einen Damm, den Traian in eine dort gelegene Meeresbucht gesetzt habe.287 Wie verhält sich Traian also nach Plinius in seiner Villa? Und welche Aspekte der Villegiatur werden von ihm aufgegriffen, welche verändert oder ausgeklammert? Am unproblematischsten ist natürlich die Einladung von amici: Man präsentierte nahestehenden Senatoren die eigene Villa und das in ihr mögliche otium, um auf diese Weise auf Macht und Vermögen zu verweisen, Netzwerkbeziehungen zu be­ gründen oder zu intensivieren, aber auch um über Politik und politisches Vorgehen zu sprechen – das Gastmahl war hierfür eine besonders geeignete Gelegenheit. Pli­ nius arbeitet klar heraus, dass die remissio vom consilium in eine otiöse Phase des Villenaufenthalts erst nach dem vollbrachten Tagwerk, das im Gegensatz zum otium als „quam honesti, quam severi dies“ bezeichnet wird, folgte („sequebantur“).288 281 282 283 284 285 286 287 288

Rebenich (2001) 193. Siehe Flaig (1992) 174–207. Plin. epist. 6,31,1. Siehe Plin. epist. 6,31,2–12. Siehe Plin. epist. 6,31,3–12. Siehe Plin. epist. 6,31,13f. Siehe Plin. epist. 6,31,14–17. Plin. epist. 6,10,13.

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Somit geht es hier nur um einen vorübergehenden Rückzug zur Erholungszwecken und um kein regnum als Alternative zur Welt der Politik und des negotium. Damit sah sich der Princeps aber unweigerlich auch mit einem Problem kon­ frontiert: Die Relevanz von otium und negotium als zwei komplementären Teilen des senatorischen Lebens galt selbstverständlich auch für den Kaiser insbesondere, wenn man die Notwendigkeit des fortwährenden Akzeptanzerwerbs in Betracht zieht. So war Traian geradezu gezwungen, auch in der Villa seine Staatsgeschäfte fortzu­ setzen statt diese nur medial als äußerst erfolgreich darzustellen. Dieser prekären Konstellation von zeitweiligem Rückzug in den Raum der Villegiatur bei gleichzeiti­ ger Notwendigkeit, politisch tätig zu bleiben und diese Politik zu kommunizieren, begegnete der Kaiser nach dem Plinius­Brief mit der Einberufung eines consilium, das sich im konkreten Fall in den Bereich der reichsweiten Rechtsprechung einschaltete. Doch unter welchen Umständen übernahm der Princeps provinziale Fälle direkt?289 Im ersten Fall wurde ein Angehöriger der ephesischen Lokalelite, bei dem es sich auch um einen Patron der Stadt gehandelt haben dürfte, von Standesgenossen verleumdet und verklagt, doch in der Verhandlung freigesprochen.290 Die Übernahme des Falls resultiert somit aus der Kaisernähe der Kläger und des Beklagten. Gleiches gilt für den zweiten Fall, den ein Konsularlegat direkt nach der Meldung an den Princeps weitergab.291 So machte es die Nahbeziehung zum Princeps möglich, dass ein eigentlich ganz herkömmliches Ehebruchsverfahren kaiserliches Engagement erfuhr. Das dritte Verfahren war Traian wiederum durch direkte Kommunikation mit den Klägern zugefallen, die den Princeps um die Übernahme gebeten hatten, als er sich in Dakien, und damit offensichtlich in ihrem Zugriffsbereich, aufhielt.292 Alle drei Fälle waren somit durch die Kaisernähe der beteiligten Parteien direkt auf Traian und sein consilium als Entscheidungsinstanz übergegangen. Es handelte sich jeweils um Einzelentscheidungen, die nicht in die dauerhafte Verantwortung des Princeps übertragen werden mussten oder sollten. Das wird am zweiten Fall besonders deutlich, für den Plinius erwähnt: „Der Caesar fügte der Entscheidung den Namen des Centurio [der Beklagte und Verurteilte] und eine Belehrung über das militärische Disziplinarverfahren hinzu, um nicht den Anschein zu erwecken, er wolle alle derartigen Fälle an sich ziehen.“293

Mit dieser Aussage unterstrich Traian seine civilitas gegenüber den Prinzipien der res publica. Zudem lässt Plinius in seiner Schilderung nur zwei, nicht endgültig bestimmende direkte Aussagen des Princeps zu, während ansonsten Passivkonstrukt­ ionen keinen Agens bei Untersuchung, Beschluss und Urteilsverkündung benennen; so beispielsweise „itaque absolutus vindicatusque est“,294 „Sequenti die audita est Gallitta“295 und „Tertio die inducta cognitio est“.296 Auf diese Weise betont Plinius, 289 290 291 292 293 294 295 296

Siehe ausführlich zu diesen Fällen Millar (1977) 524–526; siehe auch Crook (1955) 53f. Siehe Plin. epist. 6,31,3. Siehe Plin. epist. 6,31,4–6. Siehe Plin. epist. 6,31,7–12. Plin. epist. 6,31,6. Plin. epist. 6,31,3. Plin. epist. 6,31,4. Plin. epist. 6,31,7.

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dass die juristische Tätigkeit in keinem kaiserlich oktroyierten Urteilsspruch gegip­ felt habe, sondern in den Kompetenzbereich des consilium gefallen sei. Die gleiche Zurückhaltung in der Präsentation der eigenen Rolle gilt auch für die Schilderung des otium, mittels dessen das senatorische Bild eines bonus princeps gezeichnet wird: Durch die relative Bescheidenheit der kaiserlichen Tafel bei den Gastmählern wird auf Traians modestia,297 durch Beschenken der teilnehmer am consilium auf seine humanitas298 verwiesen. Soweit wird die maßvolle Villegiatur im Grunde im Kontext senatorischer Praktiken geschildert. Doch dürfen wir dabei nicht vergessen, dass es sich bei Plinius um einen Senator in Kaisernähe handelte, um die er sich stets aufs Neue bewarb. Gleiches hat für die anderen nicht namentlich genannten teilnehmer am consilium zu gelten, die hier außerhalb der traditionellen konsensu­ alen ordnung der res publica handeln durften. Diese Problematik wirft also auch einen Schatten auf die traianische Villegiatur. Auch in der abschließenden Darstellung, dem traianischen Hafenbau, postuliert Plinius nur eine Modifikation senatorischer Gepflogenheiten im Villenleben, setzt jedoch zugleich das Lob des Princeps auf­ grund seiner in der Villegiatur zum Ausdruck kommenden Tugenden fort: Der Hafen wird in der Bucht „auf einem sehr starken Fundament erbaut“299 und der Damm als künstliche Insel angelegt, indem „gewaltige Felsblöcke“ per Schiff herantransportiert und ins Meer gesetzt wurden, um sie später noch mit Pfeilern zu versehen, „die im Laufe der Zeit eine natürlich gewachsene Insel nachahmen.“300 Gerade die Nachahmung dieses natürlichen Eindrucks bedeutet aber nicht die Durch­ setzung der Natur, sondern vielmehr die menschliche Fähigkeit, diese auf friedliche und nutzbringende Weise zu gestalten. Das zeigt sich wiederum an der Reaktion des Meeres als Teil der wilden Natur auf die kaiserlichen Hafenbauten: „Ein sehr breites Schiff fährt gewaltige Felsblöcke heran; diese werden dann einer nach dem anderen ins Meer gestürzt, bleiben [= manent] durch ihr Eigengewicht auf der Stelle und wer­ den allmählich zu einer Art Damm aufgeschichtet. Schon ragt ein steinerner Rücken empor [= eminet iam et apparet…] und wird sichtbar und bricht [= elidit] die brandenden Fluten und wirft sie außerordentlich weit herauf [= tollit]. Entsetzlich [= vastus] ist das Getöse und das Meer ist ringsum weiß von Schaum.“301

Diese Schilderung zeigt einen Kampf zwischen Menschenwerk und Natur, wobei letztere durch immense Bewegung und Lautstärke charakterisiert wird (elidere; tollere), während die Steine unbeweglich und lautlos an ihrer Stelle verharren (eminere; apparere). Durch diese Festigkeit und Unverrückbarkeit wird darauf ver­ wiesen, dass die kontrollierende Hand des Menschen aus der Auseinandersetzung mit der Natur dauerhaft siegreich hervorgehen werde. Entsprechend bezeichnet Pli­ nius den Hafen mit dem Adverb „salutaris“, heilbringend, und beschreibt die über weite Distanz singuläre Anlage als receptaculum, einen Zufluchtsort.302 wem diese bedeutenden Eigenschaften zu verdanken sind, betont Plinius auf das Deutlichste, 297 298 299 300 301 302

Plin. epist. 6,31,13: „erat modica, si principem cogitares.“ Plin. epist. 6,31,14. Plin. epist. 6,31,15. Plin. epist. 6,31,15–17 (Zitate: 15; 17). Plin. epist. 6,31,16f. Plin. epist. 6,31,17.

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wenn er formuliert: „Dieser Hafen wird den Namen des Erbauers [= nomen auctoris] tragen und trägt ihn jetzt schon.“303 Dieser auctor des Bauprojekts ist der Princeps, der in seiner Villegiatur als Schöpfer oder Begründer einer die Natur kontrollieren­ den Ordnung gefeiert wird. Er ist, wie dies Vopiscus und Pollius zugeschrieben wird und wie sich Plinius selbst stilisiert, der dominus seiner Villa. Das äußert sich in seiner Unterwerfung und Kontrolle der Natur durch eine Neugestaltung nach eigenem Gutdünken, in der architektonischen Einrahmung und Eindämmung sowie in der Formulierung der persönlichen Urheberschaft und Sieghaftigkeit und daraus resul­ tierend in der Stilisierung zum Schöpfer eines saeculum aureum. Folglich wird die virtus Traians nach Plinius als visuelle Manifestation der römischen Ordnungsstiftung in der Topographie verankert. Problematisch war dabei, dass der Princeps sich in einer Art und Weise präsen­ tierte oder präsentieren ließ, die auf dessen eigene offizielle Selbstdarstellung rekur­ rierte. Indem er diese in der Villegiatur vornahm, wurde seine Überlegenheit und Dominanz umso expliziter. Plinius’ Schilderung des Hafenbaus pointiert diese Dar­ stellung noch: Traian wurde genau genommen nicht in seiner Villa gestaltend tätig, sondern nahm Übergriffe auf das Umland vor. In dieser Ausweitung der gestalteri­ schen Praxis über die Grenzen der Villa hinaus, wird der kaiserliche Anspruch auf die imperiale Ausrichtung der Sieghaftigkeit, Dominanz und Gestaltungshoheit offen­ bar. Allen anderen domini überlegen, handelte Traian, in plinianischer Deutung, zum Wohle aller, indem er kaiserliche cura walten ließ. Folglich nutze Traian seine Villegiatur zu einer durchaus prekären, aber auch eindrücklichen und umfassenden Selbstbeschreibung seiner kaiserlichen Tätigkeit für Rom und das Reich. So signalisierte und bestätigte er durch fortwährenden Kampf und immer neue Projekte – wie beispielsweise den traianischen Hafenbau – seine dauerhafte Sieg­ und Tugendhaftigkeit. Traian zog sich eben nicht aus dem politischen Tagesgeschäft zurück, indem er behauptete, den Sieg ein­ für allemal sichergestellt zu haben. Damit hätte er sich in eine Rolle gerückt, die nur in lobpreisenden litera­ rischen Werken den absoluten Kulminationspunkt bilden konnte, wie Statius uns dies mit Pollius vor Augen führt, der, im Gegensatz zu Traians Kampf um Damm und Hafen, vom einstmals sein Handeln beschreibenden militärischen Aspekt abgesetzt und dem dauerhaften Genuss des Sieges als teilhaftig geschildert wird. Freilich konnte die Erfüllung dieses Zustandes im Boden der res publica, wie Plinius’ Villegiatur und die Notwendigkeit des Akzeptanzerhalts verdeutlichen, niemals Wurzeln schlagen. Somit handelte sich also bei Hadrian keineswegs um den ersten Princeps, der seine Villegiatur in sein Herrschaftskonzept einbezog. Trotzdem erhielt sie bei ihm eine wesentlich prominentere Rolle als bei den meisten seiner Vorgänger. Unterschied sich die Villa Hadriana in ihrer Ausführung folglich auch von den senatorischen und kaiserlichen Vorgängerbauten und wurde sie auf andere und neuartige Weise genutzt?

303 Plin. epist. 6,31,17.

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III. Hadrian und Griechenland

Die Villa Hadriana – kaiserliche Villegiatur zwischen Tradition und Innovation Eine Befragung der Villa Hadriana auf das Ausmaß ihrer Verortung in der Tradition der römischen Villegiatur muss in einem ersten Schritt ihre Datierung in das Zentrum der Betrachtung rücken: Wie gezeigt, erstreckten sich die Bauarbeiten an der tiburti­ nischen Villa über die gesamte Herrschaftszeit Hadrians. In seiner besonderen Weise bedeutete dieser fortwährende Ausbau der kaiserlichen Villa während des hadrianischen Prinzipats eine Anknüpfung an die seit der späten Republik festzustellende Funktio­ nalisierung der römischen Villegiatur. Das ständige weitere Anwachsen der Villenbau­ ten und ihre immer glänzendere und kostspieligere Ausstattung war wesentliches Element der senatorischen Agonalität, das den asymmetrischen, privilegierten Zugang zu Ressourcen in soziales Kapital zu übersetzen suchte. Hadrian beteiligte sich daran ungeachtet seiner prekären Rolle ebenso wie seine Vorgänger. So ließ der Princeps den Bau seiner Villa über seine 20jährige Herrschaft hinweg immer weiter fortführen: Beginnend mit Gebäuden, die eine repräsentative bzw. herrschaftliche Infrastruktur zur Verfügung stellten, wurden im Weiteren Dienst­ quartiere ergänzt, um daraufhin auf unterschiedlichen Terrassen zusätzliche, teils eindeutig otium ermöglichende Bauten anzuschließen.304 Über die kontinuierlichen Bauvorhaben hinaus wurden änderungen der Pläne während des Bauens bzw. än­ derungen der fertiggestellten Bauten sowie das Überbauen diverser Strukturen bald zu prägenden Charakteristika der Villa Hadriana.305 Gerade bei der sogenannten Inselanlage handelt es sich um ein beispielhaftes Gebäude, das direkt an einen bereits bestehenden Komplex angeschlossen wurde und selbst wiederum zahlreiche Anschlussmöglichkeiten für nachfolgende architektonische Strukturen bot. So wurde die Inselanlage auf ihrer Nordseite über Treppen mit dem Hof der sogenannten Residenzgebäude verbunden, andere Gänge und Wege führen direkt oder indirekt zu weiteren Gebäuden.306 Als weiteres Beispiel kann das sogenannte Antinoeion betrachtet werden, das erst in späthadrianischer Zeit am Rand des bebauten Areals an den Gesamtkomplex der Villa angebunden und in die Infrastruktur eingebettet wurde, wie die Umleitung der zuvor hier verlaufenden Straße unterstrich. Der Bauplan war nachträglich und eigens für die Anlage geändert worden. Damit wandelte sich auch der Charakter der Straße selbst, die nun repräsentativ in verbrei­ teter Form an dem neuen Monument vorbeigeführt wurde. Auch das Gartenstadion östlich der Heliocaminus­Bäder ist ein eindrückliches Beispiel für das Weiter­, Über­ und Umbauen der Anlagen in der Villa Hadriana. Seine Bezeichnung ist irreführend: Weder wurde es jemals als Stadion genutzt, noch war es anfänglich als solches konzipiert worden. So wurde zunächst die Mauer des schon bestehenden sog. Arcaden­Tricliniums in leichter Versetzung in nördlicher Richtung fortgeführt und durch eine östlich gelegene parallel verlaufende Mauer ergänzt. Auf diese Weise war ein Raum entstanden, der auf drei Seiten von Säulen umgeben und ganz im Norden zusätzlich durch einen schmalen apsidialen Raum direkt mit der westlich neben dem Arcaden­Triclinium gelegenen sog. Poecile verbunden war. 304 Siehe Kähler (1950); MacDonald/Pinto (1995) insbes. 78f; 132. 305 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 194. 306 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 82f.

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Östlich dieses neu entstandenen Raums wurde parallel zum Arcaden­Triclinium eine Halle erbaut, die in eine Säulenhalle mit künstlichem Teich (Peristyle Pool Building) mündete. Zum Verbindungsglied der beiden Strukturen öffneten sich auch die Säulen des neuen, in nördlicher Richtung verlaufenden Baus. Dieser war als Garten organi­ siert, wie heute noch Überreste von Brunnen und Pavillons belegen. Ein Gebäude­ komplex war entstanden, in dem früher geschaffene Bauten zusammengefasst worden waren und gemeinsam mit neuen Bauten eine achsensymmetrische Figur ergaben. Erst in einem späteren Schritt wurde dem Verbindungsglied dann auf der Südseite eine Vorhalle angefügt, die in ein halbkreisförmiges Nymphaeum mündete, womit das Gesamtkomplex nun den Grundriss eines Stadions aufwies.307 Aus diesem Beispiel des Weiter­ und Umbaus ziehen MacDonald und Pinto folgenden Schluss: „This additive process […] is significant: Villa designs were changed during construction and a building thought complete might later be altered extensively.“308 Mit der Aussage „Hadrian came and went, and plans were changed“ schreiben die beiden Forscher die Entscheidung für neue Bauten, die Ersetzung alter Strukturen sowie die Renovierung und Veränderung von bereits Bestehendem dem Princeps selbst zu. Zwar ist die architektonische Kompetenz und Mitwirkung Hadrians an Bauwerken sowohl in der urbs als auch in seiner Villa eine gern formu­ lierte, doch letztlich rein hypothetische Vermutung.309 Dennoch treffen MacDonald und Pinto insofern das Richtige, als es sich bei Hadrian um einen Bauherrn aus der Reichselite handelte, wie er uns schon in der Selbstrepräsentation des Plinius und in der rühmenden Schilderung des Vopiscus und Pollius durch Statius begegnet ist. Für diese Herren war es, wie gezeigt, stets wesentlich, als Schöpfer ihrer eigenen Villegiatur aus individueller Leistung zu erscheinen. Hadrian dürfte also nicht nur den Bau von Gebäuden angeordnet und Pläne abgesegnet haben, im senatorischen Verständnis wurde ihm die Villa als seine Welt ohne Weiteres zugeschrieben und der Princeps nutzte dies um sich als Gestalter eben dieser Welt zu präsentieren. Damit ist der ständig fortgesetzte Villenbau eindeutig als herrscherliche Selbst­ darstellung zu verstehen und eben, dies sei nochmals betont, nicht als Rückzugsraum des Princeps: Hadrian hatte seine Villa direkt in die römische Villenwelt gesetzt – nach Tibur, einem seit Jahrhunderten traditionellen italischen Ort der senatorischen Villegiatur.310 So wurde den aristokratischen Villenherren im Umfeld die ununter­ brochene Neugestaltung und das fortwährende Anwachsen des hadrianischen An­ wesens unmittelbar vor Augen geführt. Das galt insbesondere aufgrund der guten Sichtbarkeit der Villa Hadriana aus den unterschiedlichsten Perspektiven: Das süd­ liche Theater bildet den höchsten Punkt des Gesamtkomplexes und liegt mit anderen Strukturen auf einem Tuffplateau im Südwesten des Areals, das im Wechsel von

307 MacDonald/Pinto (1995) 76f. Eine ausführliche Darstellung der verschiedenen Bauabschnitte des Komplexes inkl. ihren Anzeichen für Demontagen, Neuerrichtungen, Veränderungen und nachträgliche Verfugungen von Mauerwerks etc. bietet immer noch Kähler (1950) 55–64; 122–128; Tafeln 8–10. 308 MacDonald/Pinto (1995) 77. 309 Diese Hypothese basiert meist auf der Apollodor­Episode bei Cass. Dio 69,4,1–5. 310 Zu Tibur als Villenort siehe Mayer (2005) 102–106; siehe auch Stat. Silv. 1,3.

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Senken und Hügeln Richtung Nordwesten langsam und ungleichmäßig absinkt.311 So sahen Villennachbarn rund um das antike Tivoli zu Bereichen der Villa Hadriana hinauf oder erblickten andere Bereiche unterhalb ihrer Anwesen. Durch diese Per­ spektivierung erlebten die Angehörigen der Reichselite die täglich weitergeführte Ausgestaltung und die stetigen Bauarbeiten an der kaiserlichen Villa mit. Damit wurden fortwährend das grenzenlose Potential des Princeps und seine uneinholbare Überlegenheit markiert, die er jenseits der res publica zeigen durfte, außerhalb derer er sich hier explizit positionierte. Das mag auf den ersten Blick verwundern, bestand die Villa Hadriana doch – abgesehen von ihrer ununterbrochenen Weiterentwicklung und Vergrößerung – primär aus den traditionellen oder bis zum zweiten Jahrhundert n. Chr. hin entwickelten bekannten Bauten, Ausschmückungen und Elementen der römischen Villenkultur. Da ist zunächst einmal die Referenz auf verschiedenste Gebiete und Provinzen des Imperium Romanum durch Räumlichkeiten, Bauelemente und das Statuenprogramm; besonders populär waren offenbar ägyptisierende Gestaltungsmittel. Dieser Befund ist in der Forschung häufig als hadrianische Besonderheit beschrieben worden, was allerdings nicht korrekt ist. So war ägypten schon vor seiner endgültigen Eingliede­ rung in das Imperium Romanum ein Ort, der die Römer ob seiner Exotik beeindruckte. Dies zeigt sich bereits im ersten Jahrhundert v. Chr. in ägyptisierenden Elementen der Wanddekoration römischer Villen. Bald folgten Obelisken, Skulpturen ägypti­ scher Götter, entsprechende Mythenmalereien sowie Schreine für Gottheiten ägyp­ tens, insbesondere für Isis. Dieser Befund wurde oftmals um künstlich angelegte Teiche in Peristylhöfen, Gärten oder sonstige Strukturen gruppiert, die schon zur Zeit Ciceros als Euripus oder Nilus bezeichnet wurden;312 auch die Begriffe Memphis oder Labyrinthus fanden Gebrauch. Für derlei Strukturen finden sich in der traditi­ onellen Villenwelt einige Beispiele. Insbesondere sind sie uns allerdings im Minia­ turformat in den Villen Pompeiis erhalten geblieben, die im städtischen Raum die traditionelle Villegiatur imitierten. Hier wird auch der Bedeutungsverlust bzw. die im römischen Kontext nie intendierte Bedeutung von Euripi und Nili als Kultstätten deutlich: Zumeist dienten diese Strukturen als diaetae oder Triclinia, was auch auf den dem szenischen Triclinium der Villa Hadriana vorgelagerten sog. Canopus zu­ treffen dürfte. Zwar könnte seine Bezeichnung, sollte sie wirklich korrekt sein, als direkte Referenz auf die ägyptische Küstenstadt und somit als hadrianische Beson­ derheit verstanden werden, seine Struktur weist aber letztlich zu wenig Bezüge dazu auf. Somit handelt es sich schlicht um ein tradiertes Bauwerk der römischen Villen­ architektur, wenn auch in monumentalisierter Ausführung.313 Auch das weitere Ausstattungsprogramm der Villa Hadriana bildete zumindest in seiner generellen Tendenz kein Novum. Hier wie überall in der römischen Villegiatur stammten die Bildwerke, insbesondere die Statuen, aber auch zahlrei­ che Mosaiken, aus allen Bereichen des Imperium Romanum. Sich ursprünglich vor allem der Beutekunst bedienend, später in ungeheurem, allzu häufig zur Ver­ 311 Kähler (1950) 17; Mielsch (1987) 76f; MacDonald/Pinto (1995) 26. 312 Cic. leg. 2,2. 313 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 108–116; 150f; Mielsch (1987) 104–106 mit weiteren Quellen und weite­ rer Literatur; Raeder (1983) 297f. Primär zu den pompeiianischen Villen siehe Zanker (1979a) 473–477.

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schuldung führenden Maße ankaufend, ließen sich Senatoren alle Kunstwerke liefern, die sie erhalten konnten, um sie losgelöst von thematischen Zusammen­ hängen, inhaltlicher Bedeutung oder auch qualitativem Wert in der Villa auszu­ stellen, wie u. a. aus Briefen Ciceros an Atticus hervorgeht.314 Wesentlich war allein die Präsentation von möglichst zahlreicher und präferiert aus der griechi­ schen Welt stammender Kunst, die ihren Weg in die Villa gefunden hatte und somit das pekuniäre und politisch­imperiale Potential ihres Herrn im senatorischen Agon zu forcieren verhalf. Doch nicht nur das hadrianische Ausstattungsprogramm wies deutliche Entspre­ chungen zu jenem vorausgegangener, aber auch zeitgenössischer senatorischer Vil­ len auf. Auch das so relevante Verhältnis von Villa und Natur bzw. Villenlandschaft fand in der Villa Hadriana eine vergleichbare Inszenierung. Der Blick ist dabei erneut auf den sog. Canopus zu richten. Zwar kann das heutige Aufstellungsprogramm am Rand des künstlichen Wasserbassins nicht verifiziert werden, Statuen dürften sich hier jedoch befunden haben. Umschlossen werden der sog. Canopus und das sogen­ nante szenische Triclinium auf der Ostseite von dem höher liegenden Oberen Park. Doch ursprünglich schränkte nicht nur diese Anlage die Sicht des Canopus über das Villenareal und das Umland ein, auch das ehemals vorhandene Dach des Kanalblocks, das an die Mauer der westlichen Terrasse anschloss, sowie die monumentale Höhe der Diensträumlichkeiten trugen in westlicher und südlicher Richtung dazu bei. Durch dieses Gebäudekonzept erhielten Canopus und Triclinium gezielt eine nach Innen gerichtete Perspektive: Das Triclinium war direkt an das durch den Oberen Park genutzte hügelige Gelände angebunden und gab den Blick auf den inszenierten Euripus bzw. Nilus frei, der durch seine Säulen und die errichteten Standbilder bzw. Dekorationselemente den unabgelenkten Genuss eines besonders schönen Ensem­ bles ermöglichte.315 Auf diese Weise war durch menschliche Hand eine Idealland­ schaft geschaffen worden, die in ästhetischer Überlegenheit nichts mehr mit der ausgeschlossenen wilden Natur gemein haben sollte. Mehr noch: Das künstliche Arrangement und die Präsentation des Wassers in einem Bassin sowie die Schöpfung des tricliniums aus einem Felsen heraus316 stellte die Natur in den Dienst mensch­ licher Gestaltung. Diese Unterwerfung und Kontrolle wurde durch die materielle, dauerhafte Gestaltung auch in der Villa Hadriana zur Darstellung von Sieghaftigkeit genutzt. Die Rückübertragung dieses Modells der Selbstdarstellung auf den Princeps, 314 Siehe z. B. Cic. Att. 1,4,2: „L. Cincius habe ich für die megarischen Standbilder die von Dir angegebene Summe, 20 400 Sestertien, überwiesen. Auf Deine pentelischen Hermen mit den Bronzeköpfen, von denen Du schreibst, freue ich mich schon jetzt; darum schick’ sie mir, und Standbilder und was sonst für den Platz passt und meiner Schwärmerei sowie Deinem Ge­ schmack entspricht, möglichst viel und möglichst bald, vor allem Stücke, die sich für das Gymnasium und die Arkaden eignen.“ Siehe dazu Gotter (2001) Kapitel 7. Die nachcatonische Grammatik der römischen Rede über Griechenland, Teilkapitel 7.2 Auslagerung: Die Politik des otium und die griechische Kunst. Ein kaiserzeitliches Beispiel bietet Stat. Silv. 2,2,63–97 zur Schilderung von Pollius Luxusgütern aus dem gesamten Reich. Zum traditionellen Eklek­ tizismus des hadrianischen Statuenprogramms siehe MacDonald/Pinto (1995) 141; 145; 147; zu jenem der Mosaiken siehe 163–167; siehe auch Mielsch (1987) 112–114. 315 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 146. 316 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 108–116.

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an dem sich die Villenherren erst orientiert hatten, war hier ebenso am Werk wie im plinianischen Lob des Traian für die Errichtung des Hafens. Dass Hadrian hier im Vergleich sogar eher einen Schritt zurücktrat und den Raum der Villa nicht wie Traian für sein Bauprojekt überschritt, konnte von der Senatsaristokratie einerseits als Re­ spektierung der Grenzen der Villegiatur gelesen werden. Andererseits aber betonte und forcierte die Konzentration Hadrians auf seinen kaiserlichen Villenraum die für den Herrschenden bestehende Option, aus dem Raum der res publica herauszutreten. Der Antagonismus von Villegiatur und Natur zeigte sich in der Villa Hadriana zudem in der Nutzbarmachung von Wasser nicht nur für Aquädukte, Zisternen und Bäder, sondern auch für diverse Nymphaea. Diese befanden sich unter anderem im südlichen Anschluss an den als Water Court bezeichneten Innenhof und westlich des Brunnenhofs (auf einer Achse mit der Inselanlage) bzw. an der Südseite des sog. Antinoeions. Es handelte sich jeweils um monumentale Brunnenhäuser, die ebenso eine Rückwand für Einzelgebäude bildeten als auch eine größere Struktur schufen, durch ihre Höhe aber eine weite Aussicht verhinderten. Weitere Brunnenanlagen finden sich über das gesamte Areal der Villa Hadriana verteilt.317 Eine solche Prä­ sentation von wasserenthaltenden, ­führenden und ­leitenden Anlagen gehörte eben­ falls zum Standardrepertoire römischer Villen, wie Überreste, Wandmalereien und antike Werke belegen. Erinnert sei hier nur an das von Plinius bemängelte Fehlen eines Springbrunnens in der diaeta seines Laurentinums,318 was auf die Gebräuch­ lichkeit derartiger Anlagen im Villenraum verweist. Freilich befanden sich nach Plinius in seiner diatae sprudelnde Quellen, die einen Springbrunnen ersetzten319 und daher umso mehr die Vereinnahmung der Natur für die von Menschen geschaf­ fene Villegiatur, kurz ihre Unterwerfung und Kontrolle, aufzeigten. Außerdem ziel­ ten nicht nur die Wasseranlagen der Villa Hadriana auf einen szenischen Effekt ab.320 Gerade die Anlagen des Gartenstadions beruhten auf den traditionellen Vorbildern der römischen Villengärten,321 bei denen es sich, wie gezeigt, um ein wesentliches Element der Villenarchitektur handelte, das den Sieg über die Natur und daraus folgend ihre Neuorganisation durch den Villenherrn markierte. Eine weitere Markierung traditioneller Kontrolle wurde in der hadrianischen Villa durch die Anlage der Wege geschaffen. So haben sich in der Villa Hadriana zahllose Säulen erhalten, die einst die einzelnen Gebäude miteinander verbindende Gänge gebildet hatten. Diese Portiken gehörten nicht nur zum Standardrepertoire römischer Villenarchitektur, sondern zur antiken Architektur im Allgemeinen, den urbanen Raum eingeschlossen.322 Hinzu kommen noch sogenannten Kryptoportiken. Sie begegnen uns unter diesem Namen zwar erst in den Villenbriefen des Plinius323 317 318 319 320 321 322

Eine vollständige Darstellung der Wasserananlagen liefern MacDonald/Pinto (1995) 170–178. Plin. epist. 2,17,25. Plin. epist. 2,17,25. Siehe Opper (2008) 155–158. Vgl. Mielsch (1987) 117–121; MacDonald/Pinto (1995) 178–181. Zu den Säulengängen und Wegen der Villa Hadriana und ihrer generellen Gebräuchlichkeit siehe MacDonald/Pinto (1995) 53–55. Siehe Mielsch (1987) 54 zu einem ambulacrum der Villa von Torre Annunziata. 323 Siehe Plin. epist. 2,17,16; 5,6,27–31.

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und bezeichnen mit ihren beiden Wortbestandteilen crypta und porticus einen über­ dachten Säulengang, waren aber bereits im ersten Jahrhundert v. Chr. Teil der meis­ ten Villen. Somit handelt es sich bei den Kryptoportiken in der Villa Hadriana auch um eine traditionelle Struktur. Sie ermöglichten dort die Verbindung zwischen den Dienstquartieren und jenen Teilen des Anwesens, in denen die Bediensteten arbei­ teten, beispielsweise in den Bädern.324 Kryptoportiken konnten, wie aus den Plinius­ Briefen hervorgeht, sowohl unter­ als auch oberirdischen verlaufen.325 So wird in Plin. Epist. 2,17 eine oberirdischer Kryptoportikus zur literarischen Wanderung über das durch ihre Fenster betrachtbare Villenareal genutzt.326 Gleiches gilt für die Kryptoportikus in den Tusci in 5,6, aus der ein Zimmer herausgeschnitten wurde327 und die auf die Weinhänge blickt.328 Kryptoportiken dienten in der römischen Villen­ architektur also dazu, mit der Landschaft zu korrespondieren bzw. Ausblick auf diese zu gewähren. Neben organisatorischen Aufgaben und der Gewährleistung der Erreich­ barkeit der einzelnen Räumlichkeiten betonten Portiken und Kryptoportiken auch, auf welche Weise der für sie benötigte ober­ bzw. unterirdischer Raum der Natur entrissen worden war und visualisierte ihre Unterwerfung durch den Villenherrn. So ermöglichen die Gänge einen durch den Menschen organisierten Ausblick auf die umliegende Villenarchitektur, aber auch auf Ausschnitte der Landesnatur, die ganz nach dem Gusto des Villenherrn ausgewählt waren.329 Dieser Befund führt uns schließlich zu einem weiteren wesentlichen traditionel­ len Aspekt der Villenarchitektur im hadrianischen Anwesen, der das Verhältnis von Landschaft bzw. Natur und Architektur zum Ausdruck bringt: Wie die Gänge und die Gebäude eröffnete der gesamte römische Villenaufbau seit jeher einen ausgewählten Blick auf die entfernte Natur, deren grundsätzliche Wildheit, wie wir bei Plinius und Statius gesehen haben, durch den dominus auf ein ästhetischen Erlebnis reduziert wurde, was dessen absolute Kontrolle belegte.330 Besonders prononciert konnte ein solcher Ausblick von der Villa auf die Natur durch die Anlage von Türmen gesteuert werden, wie sie auch in Plinius’ Laurentinum existierten331 und von denen einer „diaetae“ und eine „cenatio“ „mit Blick auf das weiteste Meer, das ausgedehnteste Ufer und die herrlichsten Villen“ besessen habe.332 Die superlativischen Adjektive weisen auf die besondere Erlesenheit des Ausblicks hin. Der zweite Turm des Lau­ rentinums enthielt zudem ein Zimmer, „in dem die Sonne auf­ und untergeht“ sowie ein „triclinium“, das „bei stürmischer See nur das Brausen und Tosen eindringen lässt,

324 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 56–58 und Förtsch (1993) 41–44 mit detaillierter Diskussion von Kryptoportiken in der Villa Hadriana, dem Terminus nach Plinius und ihrem traditionellen Charakter. Zu Kryptoportiken im ersten Jahrhundert v. Chr. siehe Mielsch (1987) 43f. 325 Siehe Förtsch (1993) 41f mit Quellenbelegen. 326 Plin. epist. 2,17,16. 327 Plin. epist. 5,6,28. 328 Plin. epist. 5,6,29. 329 Siehe z. B. Plin. epist. 2,17,16: „Auf beiden Seiten sind Fenster, zum Meer hin mehr, zum Gar­ ten hin nur einzelne, und zwar um die Hälfte weniger.“ 330 Vgl. Mielsch (1987) 137–140; Schneider (1995). 331 Siehe Förtsch (1993) 117–127; siehe auch MacDonald/Pinto (1995) 178. 332 Plin. epist. 2,17,12. Zu den diaetae in 2,17 und 5,6 als Aussichtspunkt siehe Förtsch (1993) 48–50.

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und auch das nur schwach und gedämpft“.333 Die Bändigung der wilden Natur res­ pektive die Möglichkeit, sich von dieser effektiv abzuschließen, um sich an eben dieser Überlegenheit zu erfreuen, wird hier klar zum Ausdruck gebracht und kam in der Materialität des ehern auf die Natur herabsehenden und ihren Schall von Ferne vernehmenden Turms zur Geltung. Ein vergleichbares Verhältnis von Natur bzw. Landschaft und Villa durch Räum­ lichkeiten mit Ausblick fand auch in der Villa Hadriana auf vielfältige Weise Ge­ staltung. Zu nennen sind hier die turmartigen Belvederes im Westen und Osten des Areals und die Terrassenvorsprünge sowie weitere Erhebungen in anderen Struktu­ ren. Darüber hinaus ist von Balkonen an verschiedenen hohen oder höhergelegenen Bauwerken auszugehen, die Ausblicke auf Gebirgspanoramen, auf die Ausläufer von Tibur oder schlicht auf Landschaften und der z. T. dort befindlichen Bauwerke gewährten. Der hadrianische Monumentalbau konzentrierte sich folglich im Gegen­ satz zu manch anderer, kleinerer Villa auf keine einzelne Landschaft, vielmehr er­ öffnete der Princeps unterschiedliche organisierte und möglichst ästhetisch anspre­ chende Perspektiven auf die Welt.334 Dass es sich hierbei um eine Monumentalisie­ rung und Überhöhung des eigentlich traditionell gegebenen Konzepts handelte, kann wohl am besten durch die Diskussion diverser Toiletten der Villa Hadriana demons­ triert werden: Besonders in der Nähe von Gebäuden wie dem szenischen Triclinium, dem Water Court, der Inselanlage und dem Peristyle Pool Building, die der Princeps und seine amici nutzten, befanden sich Einzeltoiletten, die im Gegensatz zu den Latrinen nahe der Dienstquartiere prächtig ausgestattet waren. Zudem besaßen diese Toiletten, die meist in Gebäudenischen angelegt waren und entsprechend eine apsi­ diale Form hatten, große Panoramafenster, die dem Nutzer eine eindrucksvolle Aus­ sicht auf Teile der Villa oder auf die Landschaft der Umgebung eröffneten.335 Ins­ gesamt fungierte die Villa folglich als feststehendes und Ausschau ermöglichendes Zentrum, das in bisher ungekanntem Ausmaß in Natur und Landschaft eingriff. Da­ mit wurde Hadrians überragende Kontrolle über sein Reich und dessen fortdauernde Gestaltung symbolisch betont. Die offensichtlich Genuss ermöglichende ästhetik der Aussichts­Arrangements führt auch zu der Frage, auf welche Weise die Villa Hadriana das traditionelle Ver­ hältnis von otium und negotium aufgriff. Eine Diskussion der unterschiedlichen Bauabschnitte kann dies erhellen: So gehörten die Gebäude des Residenzkomplexes dem frühesten Bauabschnitt an, der nicht nur dem Princeps und seiner familia Obdach bot, sondern auch eine Basilica und eine große, für Empfänge geeignete Halle besaß.336 Im Folgenden entstanden zahlreiche Bauwerke und Strukturen, die der otiösen Betätigung besser entsprachen. Hier sind besonders jene Bauten zu erwähnen, die von der Forschung als cenationes oder Triclinia gedeutet wurden. Es ist sicher, dass Hadrian verschie­ 333 Plin. epist. 2,17,13. 334 MacDonald/Pinto (1995) 181f mit Abb. 235 (Aussicht vom westlichen Brunnenhof über das Villenareal). 335 Jansen (2007) 165–181 mit Abb. 20 (Aussicht von der Toilette des westlichen Belvedere); siehe auch Opper (2008) 155. 336 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 186f.

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dene dieser Banketträumlichkeiten, unter ihnen das schon mehrfach angesprochenen szenischen Triclinium, besaß, so dass er je nach dem Kreis, mit dem er zu speisen gedachte, einen nach Größe und prachtvoller Ausstattung angemessenen Saal aus dem vielfältigen Angebot wählen konnte. MacDonald und Pinto machen darauf aufmerksam, dass nicht für alle über die Jahrhunderte als cenationes oder Triclinia gedeuteten und entsprechend benannten Bauwerke, z. B. für das Arcaden­Triclinium (mittlerweile meist als Gebäude der drei Exedren bezeichnet), die Nutzung als Speise­ raum nachgewiesen werden kann.337 Teilweise dürfte es sich somit um andere luxu­ riöse Anlagen der Villa mit heute unbekannter Nutzung, möglicherweise um diaetae, gehandelt haben. Weitere entsprechende Gebäude wie das südliche und das nördliche Theater,338 mehrere Bäderanlagen verschiedener Exklusivität (die Großen Bäder, die Kleinen Bäder und die Heliocaminus­Bäder),339 Kultstätten, ein kleiner dorischer Rundtempel340 und evtl. das Antinoeion sowie viele weitere Strukturen lagen auf dem gesamten Villenareal verstreut. All diese Befunde waren bereits Bestandteil der traditionellen senatorischen Villegiatur. So entstanden vom ersten Jahrhundert v. Chr. an immer ausgefeiltere Triclinia, die kunstvoll mit Gärten und Nymphaea ausgestat­ tet wurden.341 Theaterdekoration spielte in Villen seit jeher eine Rolle, ganze Theater­ bauten wurden seit dem ersten Jahrhundert n. Chr. in der Villenwelt errichtet;342 Tempel und Kultstätten schließlich waren mit schöner Regelmäßigkeit Teil römischer Villenanlagen oder direkt an diese angebunden. Gewiss stellte Hadrian die otiösen Strukturen seiner Villa seinen amici und den Teilnehmern im Villenraum stattfindender consilia ebenso zur Verfügung wie sein Vorgänger Traian. Besonders eindrucksvoll war für diese gewiss die ungeheure Aus­ wahl unter den entsprechenden Einrichtungen, die den altbekannten agonalen Aspekt der senatorischen Villegiatur auf die Spitze trieben: Sogar bei der Nutzung der Toiletten wurde den kaiserlichen amici die von ihrem Princeps geschaffene und durch ihn kontrollierte Welt vor Augen geführt. Somit hat Raeder korrekt erkannt, dass in der hadrianischen Villa die Aufrechterhaltung der pax sowie die Schaffung eines saeculum aureum inszeniert wurde. Freilich handelt es sich dabei aber nicht, wie er meint, um die „Wunschwelt eines sorglosen, dem Alltag entbundenen Lebens“,343 war der Princeps doch konstanten Kommunikationsanforderungen ausgesetzt, wollte er sich an der Herrschaft halten. Außerdem bedurfte die inszenierte Selbstdarstellung des Hadrian als allüberlegener dominus selbstverständlich eines Publikums, also teilnehmern an consilia und kaiserlichen amici ebenso wie benachbarten Villenherren. 337 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 102–116. 338 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 66f. Die beiden Theater werden aufgrund ihres Aufbaus häufig auch als römisches (südliches) und griechisches (nördliches) Theater bezeichnet. 339 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 71–75 zu den Heliocaminus­Bädern und den Großen Bädern, die unter der Überschrift „Tradition Enlarged“ eingeordnet sind; vgl. 91f zu den Kleinen Bä­ dern, die in ihrer Rundform zwar keine Vorläufer besitzen, doch war die generelle Anlage von Badeeinrichtungen dennoch konventionelle Praxis. 340 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 60f. 341 Siehe Mielsch (1987) 121–125. 342 Siehe Mielsch (1987) 115f. 343 Siehe Raeder (1983) 307–314 (Zitat: 314).

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In dieser Hinsicht ist auch der von MacDonald und Pinto vermuteten Unterteilung der Villa Hadriana in drei topographische Ebenen zu widersprechen, von denen die unterste der politischen Tätigkeit sowie der Zerstreuung und Unterbringung von Gäs­ ten gedient habe, die mittlere zwischen dem westlichem Belvedere und dem südlichen Gelände (Southern Range) ein angeblich an den diaetae anderer Villenherren orien­ tierter Rückzugsort Hadrians gewesen sei und die höchstgelegene Ebene, der High Ground, eine spirituelle, vermutlich religiöse Sphäre eingenommen habe.344 Freilich ist keine derartige Binnendifferenzierung des Villenraums zu konstatieren: Eine Schei­ dung in einen offiziellen, privaten und sakralen Bereich wird weder durch die topo­ graphische Verteilung der Gebäude noch durch die spezifische Monumentalstruktur der Villa Hadriana angezeigt. Ohnehin hätte eine solch strikte Gliederung des Villen­ raums in eine Sphäre des otium und eine Sphäre des negotium die Villegiatur ihres grundlegenden Charakters als Alternativraum ungehemmter agonaler Praxis beraubt. MacDonald und Pinto spekulieren zudem auf der Basis etwas unmotivierter Zahlenspiele über einen Mysterienkult in der Villa Hadriana.345 Einer solchen kul­ tischen Funktion auf der obersten topographische Ebene der Villa Hadriana ist jedoch mit Sicherheit eine Absage zu erteilen: Aus welchem Grund sollte Hadrian indivi­ duelle und (angeblich) anspielungsreiche Verweise auf einen an den Eleusinia ori­ entierten Mysterienkult, in den die senatorische Umwelt i. d. R. nicht eingeweiht war, in die Villa implementiert haben, wenn doch sämtliche sonstigen Charakteristika der Villegiatur auf eine Kommunikation mit Rom und der römischen Reichselite abzielten? Zwar definierten diese Charakteristika die Villenwelt seit jeher als Ge­ genwelt zur res publica, doch genau aus diesem Grund war die Villegiatur an den Voraussetzungen der res publica orientiert, die lediglich in ihr Gegenteil verkehrt oder aufgehoben wurden. Hätte Hadrian hier einen vorläuferlosen und keine Ent­ sprechungen zur res publica aufweisenden Mysterienkult eingebracht, hätte er allein Unverständnis erzeugt.346 Die Eingliederung der Villegiatur in ein Konzept kaiserlicher Herrschaft erforderte jedoch eine Sprachregelung, die von den Kommunikations­ partnern verstanden wurde (die aber auch Hadrian als einzig sinnvoll erschienen sein dürfte). Nur auf diese Weise war Hadrian in der Lage, eine Stellungnahme zur eigenen Herrschaft abzugeben oder kommunikative Angebote zu unterbreiten. Mit der Villa Hadrians als Medium der Kommunikation sind wir bei den in der Ausgestaltung sichtbaren Innovationen des Princeps angelangt. Auf welche Weise und in welchem Ausmaß konnte Hadrian innovative Aspekte in die traditionelle römische Villegiatur integrieren? Welchen Mehrwert hatten sie? Und wie machte Hadrian die Innovationen für eine Aussage über seine Herrschaft nutzbar? Teile der Forschung haben diesbezüglich die Hypothese einer durch Hadrian erzeugten bzw. propagierten Vereinheitlichung des Reichs vorgeschlagen. So macht Mary K. Thornton Hadrian zum „Unifier of the Empire“, der alle Provinzen als 344 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 132. 345 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 132–138. 346 Der Mysterienkult ist von tradierten und daher allgemein bekannten oder deutbaren Kulten abzuheben, die in Villen durchaus praktiziert werden konnten. So handelte es sich trotz der Fremdheit auch beim womöglich im Antinoeion praktizierten Antinoos­Kult um die nachvoll­ ziehbare Anbetung eines Gottes oder Heroen.

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„equal partners“ in sein neues Reich eingegliedert habe. Dabei habe es sich um Ha­ drians ausschließliches Herrschaftsziel gehandelt.347 Auch MacDonald und Pinto wenden diese „unification“­Hypothese auf die Deutung der hadrianischen Villa an: Sie bewerten diese nebst ihrer Ausstattung als „a statement of his [= Hadrian’s] world“ und möchten den Befund als Ausdruck der römischen Weltherrschaft und damit der kaiserlichen Allmacht lesen.348 Folglich sei es Hadrians Ziel gewesen, durch das eklektische Bildnisprogramm, für das Einheitlichkeit ebenso wenig von Bedeutung war wie Qualität, „a microcosm of a finished world seen through his eyes, one in which Greek and Roman genius combined to create a cultural as well as a political commonwealth“ zu errichten.349 Allerdings war die Idee zur Schöpfung einer vollendeten Welt aufgrund der stetigen Erwartungen der römischen Status­ gruppen an den Princeps, der folglich immer wieder aufs Neue Akzeptanz generie­ ren musste, niemals relevanter Gegenstand der entsprechenden Kommunikation. Und auch bei der von MacDonald und Pinto ins Spiel gebrachten (zweifelhaften) Benennung der Villenteile nach Reichsteilen gemäß der Historia Augusta350 handelte es sich, wie gezeigt, um kein spezifisches Charakteristikum der hadrianischen Villa, sondern um Usus in der römischen Villegiatur. Daran ändert auch der Fund von Statuen dreier Flussgottheiten im Umfeld des Canopus nichts:351 Wie in der besprochenen Nilus­Darstellung der hadrianischen Münzen352 waren wohl alle drei Gottheiten gelagert dargestellt und hielten ein Füll­ horn in Händen; verortbar wurden sie durch ein Objekt, auf dem ihr rechter Arm und das Füllhorn ruhten. So handelt es sich zum einen um die Personifikation des Nils, die analog zu zahlreichen Beispielen der Münzprägung auf einer Sphinx ruht, und um eine Personifikation des Tibers, die gestützt auf eine Wölfin mit den Säuglingen Romulus und Remus in gelagerter Position erscheint.353 was die dritte Flussgottheit aus der Villa Hadriana betrifft, sind aufgrund ihres fragmentarischen Erhaltungszustands eindeutige Zuschreibungen unmöglich.354 Die Statuen der ruhen­ den Personifikationen von Nil und Tiber jedenfalls entsprangen einer traditionellen 347 348 349 350 351 352 353 354

Siehe Thornton (1975) 432–464 (Zitate: 433 = Titel von „Part One“; 459). Siehe MacDonald/Pinto (1995) 195. Siehe MacDonald/Pinto (1995) 151. Siehe MacDonald/Pinto (1995) 195. Im verblüffenden Kontrast zu dieser Hypothese steht, dass die beiden Forscher eine nahezu vollständig neue Nomenklatur für die Bauwerke und Struktu­ ren der Villa vorgelegt haben. Zur Identifikation der Flussgottheiten siehe Raeder (1983) I 86/87; 100; Klementa (1993) Kat. Nr. A 12 (Nilus); B 1 (Tiber); MacDonald/Pinto (1995) 142. RIC II Hadr. 308 var. a; var. h; var. j; 309; 310 var. a; c–d; g; 311; 861 var. a; c; f; 862 var. a; c; f; 863 var. c; f; 864; 865 var. f–g; 866; 867; 868 var. c; f; 869; 870; siehe auch 312 var. a; c; 313 var. a; c; 314. RIC II Hadr. 79 bildet auch eine Personifikation des Tibers ab, die allerdings ein Ruder als Attribut besitzt. MacDonald/Pinto (1995) 151 wollen den fragmentarischen Befund durch einen angeblich auf dem Villenareal gefundenen Statuenkopf eines Mauretaniers ergänzen, da Mauretania eben­ falls im hadrianischen Münzprogramm thematisiert wurde (RIC II Hadr. 854 var. a; c; f; j; 855; 856 var. d; f; 857; 858 var. c–d; f; j; 859; 860 var. c; f; siehe auch 897 var. a; c–d; f; 898; 899 var. f; h; 900 var. c; f; 91; 902; 924; 925). Allerding wissen wir von diesem Fund allein aus einem Grabungsbericht des Jahres 1769 von Gavin Hamilton (siehe dazu Raeder (1983) II 15 („Kata­ log der Statuen, die in Fundberichten erwähnt, aber nicht identifiziert sind“)).

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römischen Darstellungskonvention:355 Entsprechende Statuendarstellungen des Nils fußen auf ägyptischen Vorbildern, die vom zweiten Jahrhundert v. Chr. an auszuma­ chen sind356 und schon bald durch die römische Welt adaptiert wurden. So lassen sich Darstellung des bärtigen Tibers, Nils und anderer Flüsse in ruhender Position in der Wandmalerei und in Reliefs bereits in die Zeit ab 100 v. Chr. und dann vor allem in den frühen Prinzipat datieren.357 Die Ikonographie war im ersten Jahrhun­ dert n. Chr. so vertraut, dass mit der Campanaplatte, heute im Thermenmuseum in Rom befindlich, ein die Darstellungskonventionen des Nilgottes und die ägyptische Ideallandschaft parodierendes Werk entstehen konnte.358 Erste Funde entsprechender Rundplastiken sind auf domitianische und traianische Zeit zu datieren.359 Hadrian griff folglich zu einer populären zeitgenössischen Darstellungsform und entwickelte diese fort. Zudem dienten insbesondere Darstellungen der Nilgottheit bereits in vor­ und frühhadrianischer Zeit als Ausstattungsstücke von Kultstätten, so für das Iseum auf dem Campus Martius360 und wohl für den Euripus des Gartens der Villa des D. Octavius Quartio in Pompeii.361 Eine symbolische Darstellung der Reichseinheit in der und durch die Villa Ha­ driana war folglich keine spezifische Zielsetzung Hadrians. Mit einem anderen An­ satz lassen sich hingegen Besonderheiten und Modifikationen seines Umgangs mit dem Konzept der Villegiatur feststellen: Dabei darf nicht von Aspekten außerhalb der Villa, wie beispielsweise den Provinzen, auf die Gestaltung des Villenraums geschlossen werden, vielmehr dürfen nur von Eigentümlichkeiten des Befunds der Villa Hadriana ausgehend Interpretationen der intendierten Aussagen über ihren Herrn, den Princeps, und seine Herrschaft angestellt werden. Betrachten wir unter diesem Fokus noch einmal das Statuenprogramm der Villa Hadriana, das durchaus zwei innovative Charakteristika aufweist: 1. Zu nennen sind hier die Büsten und Statuen des Princeps Hadrian und seiner Gattin Sabina. Zwar fanden sich von Anbeginn des Prinzipats an in zahl­ reichen senatorischen Villen Standbilder der kaiserlichen Familie,362 die diese ehrten bzw. die Nähe des Villenherrn zu dieser zu betonen suchten; dass nun aber Hadrian in jener Villa, deren Herr er selbst war, mehr als ein klassisch imperiales Standbild von sich präsentierte,363 während weitere Porträts von Ahnen, aber auch 355 356 357 358 359 360 361 362 363

Siehe Klementa (1993) und Simon (2000) insbes. 254f. Siehe Klemanta (1993) Kat. Nr. A 1–A 3. Siehe Klementa (1993) Kat. Nr. A 33; B 13; B 14; siehe auch B 7. Siehe Klementa (1993) Kat. Nr. A 32. Siehe Klementa (1993) Kat. Nr. 5 (aus der Villa Domitians in den Albanerbergen); A 6 (wohl etwas später); A 7–11 (traianisch); B 2 (spättraianisch/frühhadrianisch); B 7 (nervanisch). Siehe Klementa (1993) Kat. Nr. C 4; C 5; siehe auch B 8. Siehe Klementa (1993) Kat. Nr. A 4 (63–79 n. Chr.). Siehe Raeder (1983) 191f mit Belegen. Nach Raeder (1983) existierten, berücksichtigt man den Bildniskopf des sog. Hadrianus renatus (I 88), im Villenareal vier Büsten bzw. Köpfe des Hadrian (I 13; 36; 123) sowie eine Büste der Sabina (I 37); nach MacDonald/Pinto (1995) 143 ist die Kaiserin auf zwei Fundstücken dargestellt, wobei es sich bei einem der beiden um ein Raeder zufolge nicht mehr identifizierbare Porträt aus dem Bericht von Gavin Hamilton handelt (II 15). Neben den Antinoos­Standbildern ist nach Raeder die einzige für die Villa Hadriana verbürgte weitere Porträtplastik eine am Canopus gefundene weibliche

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von gewürdigten Standesgenossen fehlten, bedeutet eine neue Qualität der Selb­ stdarstellung im eigenen Villenraum. Noch deutlicher wird diese Intention durch die einzigen weiteren personalisierbaren (wenn auch idealisierten) Porträts in der Villa Hadriana: Antinoos, der verstorbene Lustknabe des Princeps, wird in sechs verbürgten Standbildern bzw. Büsten wiedergegeben, wobei zwei davon ihn als Antinoos­Osiris zeigten.364 Diese Präsentationen deuten nicht nur auf weitverb­ reitete ägyptisierende Tendenzen der römischen Villegiatur hin, sondern auch auf die göttliche Dimension des Antinoos. Hadrian verweist somit auf eine weitere Gestalt, deren Verehrung auf seinem Bemühen beruhte und zu der er in einem besonderen Nahverhältnis stand.365 2. Dass es unter den Fundstücken der Villa Hadriana „keinen Hinweis für eine Wiederverwendung von griechischen Originalen oder Werken aus vorhadrianischer Zeit“ gibt, bedeutet freilich nicht, dass nur neue Bildnistypen geschaffen wurden. Vielmehr handelte es sich primär um Kopien klassischer, hellenistischer oder römischer Originale sowie um Anknüpfungen an die entsprechenden Stile. Geschaffen wurden diese rundplastischen Werke von mehreren Werkstätten im Osten des Imperium Romanum und möglicherweise durch griechische Künstler im Bereich der Villa.366 Somit war der statuarischen Ausstattung der Villa Hadriana zwar durchaus ein eklektischer Charakter eigen, doch handelte es sich dabei um einen organisierten Eklektizismus, der der kompetitiven senatorischen Sammelwut unterschiedlichster, kein Gesamtkonzept verfolgender rundplastischer Objekte entgegenstand. So wurden die Bedingungen des üblichen Villenarrangements einerseits befolgt, andererseits signalisierte aber gerade diese ungewöhnlich ausschließliche Entscheidung für klassizistische Neuschöpfungen und Kopien bekannter Skulpturen die Dominanz des Villenherrn Hadrian, der als Princeps materielle und soziale Ressourcen in kon­ kurrenzlosem Ausmaß besaß, um seine Villa vollständig nach eigenen Intentionen auszustatten. Ein solches Vorgehen basierte generell auf dem Prinzip der Selbstge­ staltung der Villegiatur, die für jeden senatorischen Standesgenossen einwandfrei zu erfassen war. Allerdings überhöhte Hadrian dieses Prinzip durch die Intensität seiner Produktion und stellte sich auf diese Weise ebenso wie mittels seiner ‚Augustus‘­Referenzen als Neugründer des Imperium Romanum dar. Mittels der römischen Villegiatur wurde der Aussage Nachdruck verliehen, dass, bestimmt durch die neuartige pax sowie durch Prosperität und Fülle, unter der aktuellen Herrschaft eine Neugründung des Imperium Romanum erfolgt sei, die im Zeichen eines saeculum aureum stehe. Hadrian präsentierte sich dabei als alleiniger Spender und Garant, kurz Gewandstatue (I 80); alle weiteren nicht identifizierten Bildnisse sind entweder Idealstatuen oder Nachbildungen. (Siehe MacDonald/Pinto, 142f und Raeder, 369–372 zu den durch spätere Principes in der Villa Hadriana aufgestellten Skulpturen von Mitgliedern ihrer Familien.) 364 Raeder (1983) I 1; 3; 8; 108; Antinoos­Osiris: I 15; 136; vgl. MacDonald/Pinto (1995) 142f; 149f, die acht Antinoos­Darstellungen zählen, also die nicht identifizierten Skulpturen II 1 und II 15 berücksichtigen. 365 Siehe dazu das Kapitel Antinoos und Sabina. Hadrianische Interaktion zwischen römischer Tradition und Hellenisierung? 366 Siehe Raeder (1983) 233; 238–240; Opper (2008) 164f; siehe auch MacDonald/Pinto (1995) 186.

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als auctor dieser Neugründung und ihrer Effekte. Neben ihm standen in diesem Bild keine senatorischen Standesgenossen oder kaiserlichen Vorgänger. Folglich entwarf Hadrian auch mit seiner Villegiatur, vergleichbar mit seiner Selbstdarstellung durch die restitutio des Pomeriums, das Szenario eines vollständigen Neubeginns. Weitere Besonderheiten der hadrianischen gegenüber der traditionellen römi­ schen Villegiatur begegnen auch im Umgang mit der Landschaft und das bedeutet im durch den Princeps evozierten Verhältnis von Architektur und Natur. Über die traditionelle Inszenierung der römischen Villegiatur hinaus wurden in der Villa Ha­ driana – der Fall der Toiletten als Aussichtspunkt vermochte dies besonders zu prononcieren – Eingriffe in die Landschaft durch Architektur in bisher ungekanntem Ausmaß vorgenommen. Ablesbar war das am fortgesetzten Bauen inklusive Modi­ fikationen in der Planung einzelner Bauabschnitte und der Erschließung neuer Gebiete. Auch dieser Prozess der stetig weiter wachsenden Villa sollte Vorrangstellung und Unübertreffbarkeit des Princeps markieren, dem schon allein in materieller Hinsicht kein senatorischer Villenherr auch nur annähernd beikommen konnte.367 Jeder Senator verstand diese implizite Aushöhlung der traditionellen Sprachregelung durch den Princeps Hadrian genau: Indem dieser stetig neue finanzielle Mittel zum Einsatz bringen konnte und das auch ungehemmt tat, führte er den rezipierenden Senatoren, die sich immer noch als seine Standesgenossen verstanden wissen wollten, in pro­ vokativer Eindeutigkeit seine Überlegenheit und uneinholbare Übermacht vor Augen. Die Bauaktivitäten Hadrians schienen durch ihre Fortdauer und ihre überlegenen Gestaltungsmöglichkeiten ebenso unbegrenzt wie seine Macht. Natürlich war diese kaiserliche Übermacht und Uneinholbarkeit an sich für keinen Angehörigen der Reichselite überraschend. Sie war vielmehr Kernbestand der primus inter-pares­Konstruktion seit den Tagen des Augustus. Das hadrianische Novum bestand darin, dass der Princeps diesen status quo, statt ihn wie bislang unausgespro­ chen zu lassen, visualisierte und damit offenlegten. Auf diese Weise nahm Hadrian eine Neukonzeption traditioneller Gegebenheiten vor, indem er den senatorischen Agon nicht nur nachhaltig und endgültig dominierte, sondern diese Dominanz unter Verzicht auf die in der traianischen Villegiatur zumindest Plinius zufolge ablesbaren civilitas­ und modestia­Gesten auch demonstrierte. Diese öffentlich betonte Unein­ holbarkeit eines vorgeblichen Standesgenossen bedeutete eine entscheidende Modi­ fikation der Kommunikation zwischen Princeps und Reichselite. Hadrian formulierte seine Schlüsselstellung ausdrücklich, offiziell und ohne der Senatorenschaft zuzubil­ ligen, den faktischen Machtverlust durch die Betonung ihres führenden gesellschaft­ lichen Ansehens zu kompensieren. Die Vermittlung dieser allüberlegenen Macht des Princeps Hadrian erfolgte durch zahlreiche Demonstrationen des otiösen Wohnkontextes. Grundsätzlich wurzel­ ten alle Bauten, Gebäudeteile und ­komplexe der Villa Hadriana in tradierten Typen römischen Bauens. Allerdings markierten innovative Bauformen, neuartige Kom­ binationen verschiedener Gebäude oder Gebäudeteile und Weiterentwicklungen eine Differenz zum bisher Üblichen: Um eine eindeutige Innovation handelte es sich bei den bisher in Ausmaß und spezifischer Konstruktion nicht dagewesenen runden, 367 Siehe auch MacDonald/Pinto (1995) 186f.

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halbrunden oder in Apsiden abgerundeten Baukörpern, die weite Teile der Villen­ bauten auszeichnen. Am eindrucksvollsten kommt das bei der sogenannten Inselan­ lage oder Inselvilla zur Geltung, die einen Durchmesser von 44,20 Metern besaß und von einer das Areal umlaufenden Ringmauer umgeben war. Auf ihrer Innenseite korrespondierte sie mit einem parallel rundumlaufenden überdachten Säulengang. An diesen schloss ein ebenfalls ringförmig verlaufender Kanal an, in dessen Mitte und somit im Mittelpunkt der Gesamtanlage sich eine architektonisch geschaffene Insel befand. Sie nahm ein gutes Drittel der ganzen Fläche ein und war durch reliefierte ionische Säulen und Zwischenwände in 22 kleine Räumlichkeiten geglie­ dert, die vorwiegend auf die Zimmerfluchten auf drei Seiten der Insel verteilt waren. In der Mitte lag ein Peristyl mit Innenhof, dessen Seiten die zum Peristyl hin gebo­ genen Säulenreihen der drei Zimmerfluchten und der in nördlicher Richtung gele­ genen kleineren Badenanlage wiederholten. Leicht gebogene Gänge führten schließ­ lich zu zwei die Insel mit der Porticus verbindenden und damit Zugänglichkeit gewährenden Brücken. Das Innere der gesamten Anlage war prachtvoll dekoriert: Die Ringmauer war stukkiert und bemalt, sechs Einbuchtungen der Porticus boten Raum für wohl ehemals hier aufgestellten Skulpturenschmuck. Von besonderem Interesse sind darüber hinaus die Friesdekorationen des Gebälks der Säulengänge auf der Insel selbst, die Putten in Wagen und diesen in einer Prozession folgende Meerestiere, Tritonen und weitere Figuren abbildeten.368 Über Funktion und Cha­ rakter dieses Bauwerks ist viel diskutiert worden, da in der Villenwelt keinerlei Vorbilder der Inselanlage festgestellt und auch im Bereich der allgemeinen römischen Architektur keine wirklich überzeugenden Entsprechungen gefunden werden konn­ ten.369 Vermutlich handelte es sich bei der Struktur um eine diaeta: Die Mauer verhinderte jede Einsicht, der Kanal schuf eine weitere zu überwindende Distanz, die insulare Lage des Anwesens intensivierte den Eindruck der Abgeschiedenheit. Hadrian griff somit auch in diesem Fall zu der konventionellen, den Erwartungen und Erfahrungen der Rezipienten verständlichen Sprachregelung, um dann innerhalb dieser Differenzen zu markieren: Seine diaeta besticht durch bisher in der Villegia­ tur gänzlich unbekannte Formen sowie durch die Monumentalität ihrer Struktur,370 die einen eigenen Kanal aufweisen konnte und groß genug für 22 Räume war. Dazu kommt noch die die maritime Motivik ihrer Dekoration, die mit den von Hadrian res­ tituierten Strukturen des Agrippa auf dem Marsfeld korrespondiert. Hadrian zog sich wohl in der Regel nicht allein in seine diaeta zurück, sondern genoss das Villen­otium gemeinsam mit Besuchern, auf die somit auch die unnachahmliche Struktur wirken konnte. Folglich diente die Inselanlage in ihrer Herausgehobenheit ebenfalls zur Beto­ nung der Überlegenheit der kaiserlichen Villa gegenüber senatorischen Landgütern, was wiederum eine kaiserliche Demonstration der Überlegenheit an Vermögen, auctoritas und Macht bedeutete.

368 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 81–84; 88f. 369 Siehe zu den Grundzügen der Diskussion MacDonald/Pinto (1995) 84–88. Früher wurde die Inselanlage v. a. der maritimen Motivik der Friese wegen als Teatro Marittimo bezeichnet: siehe Ueblacker (1985). 370 Siehe auch MacDonald/Pinto (1995) 93f.

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An dieser Stelle sei hervorgehoben, dass es sich bei der Inselanlage keineswegs um das einzige Bauwerk der Villa Hadriana mit rundem Grundriss handelte. Ein Novum des römischen Bäderbaus bildeten die kleineren Badeanlagen der Villa mit ihren drei Räumlichkeiten, die eine aufgrund von Zugängen zu den weiteren Kam­ mern unterbrochene Kreisform aufwiesen, während ein weiterer Raum in einem kompletten, kleineren Kreis bestand und zahlreiche Kammern mit apsidialen Ab­ schlüssen versehen waren.371 Zudem finden sich vergleichbare Formen im Mosai­ kenprogramm der Villa. Zwar hatte diese dekorative Darstellungsweise Vorläufer, doch erhielt sie im Kontext des kaiserlichen Komplexes, besonders in der sogenann­ ten Hall of the Cubicles, MacDonald und Pinto zufolge die Bedeutung eines Kom­ mentars zum bisher ausgeführten architektonischen Programm: Die Mosaiken gaben Grundrisse einzelner Räumlichkeiten bzw. größerer Strukturen der kleinen Bäder, der Inselanlage und weiterer runde, halbrunde oder gerundete Abschlüsse besitzen­ der Bauwerke der Villa Hadriana, wie das Arcaden­Triclinium und den Water Court, wieder.372 Die Ausgestaltung dieser Mosaiken unterstrich dabei die fortwährende, anhaltende und umfassende Fähigkeit des Princeps zur Kontrolle durch fortge­ setzte Leistung. Der Aufbau des Peristyls und des Innenhofs im Zentrum der Inselanlage sowie Raum 9 der kleinen Bäder betonte die Neuartigkeit und Erlesenheit der Villa Ha­ driana mittels der architektonischen Innovation der von MacDonald und Pinto iden­ tifizierten „reverse curves“373 besonders. Prominent begegnet diese Architekturform in teilen des Water Court und im nach der runden Inversstruktur benannten „Reverse­ Curve Pavilion“: 1. Der Water Court wurde in südöstlicher Richtung durch ein Gebäude abge­ schlossen, in dessen Mitte sich ein Hof mit zentraler Brunnenanlage befand und dessen Grundfläche jene eines Kreises war. Aus diesem Kreis wurden durch nach innen gebogene Säulenstellungen vier kreisförmige Segmente ausgeschnitten, die seitlich der nach außen gewendeten Segmente der Grundfläche, die somit zum zen­ tralen Water Court, der Außenseite des Komplexes und den Achsen des Gebäudeteils hin Ausbuchtungen bildeten, lagen. Die Struktur war somit durch S­Kurven geprägt. Hinzu kamen nach innen gewendete Säulengänge der Gesamtstruktur.374 2. Die Grundfläche des „Reverse­Curve Pavilion“, der die Funktion eines Belvedere besaß, bestand in einem großen Kreis mit einem Durchmesser von 26,5 Metern. Aus diesem wurden durch eine nach innen gebogene Säulenstellung Halb­ bzw. Teilkreise ausgeschnitten, die den Mittelpunkt mit der kreisförmigen Grundfläche teilten und somit zu diesem hin die zentrale Wendung nach innen formten. Um diese Struktur verlief auf drei Seiten eine Außenmauer, welche die vier nach außen gebogenen Kreissegmente zu apsidialen Kammern erweiterte, wodurch die inversen Krümmungen zusätzlich prononciert wurden.375

371 372 373 374 375

Siehe MacDonald/Pinto (1995) 89–94 mit Abb. 106 (Plan der Kleinen Bäder). Siehe MacDonald/Pinto (1995) 92f; 101. MacDonald/Pinto (1995) 94. Siehe MacDonald/Pinto (1995) 94–100 mit Abb. 114 (Plan des Water Court). Siehe MacDonald/Pinto (1995) 94f.

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Für diese Formen könnten Elemente des gängigen Dekorationsprogramms Pate gestanden haben, insbesondere die Reliefornamentik, bei der S­Kurven stark ver­ breitet waren. Ein architektonisches Vorbild gab es allerdings nicht. Darin sowie in kleinen Unvollkommenheiten der entsprechenden Bauten der Villa Hadriana wird deutlich, dass diese Konzeption hier erstmals vorgenommen wurde.376 Aufbau und Arrangement des Water Court sowie die Funktion des „reverse­curve pavilion“ als Belvedere weisen beide Strukturen womöglich als diaetae aus, bei deren Gestaltung sich der Bauherr Hadrian wiederum experimentierfreudig zeigte. Die unkonventionelle Umgestaltung von Gebäuden, die in der Villegiatur traditionell vorhanden waren, dürfte besonderen Eindruck auf Besucher gemacht haben. So erblickten sogar nur kurzfristig anwesende Villenbesucher an der durch Außenmau­ ern und apsidiale Kammern sichtbar gemachten Fassade des „reverse­curve pavilion“ dessen ganz neuartigen Aufbau und konnten das Bauwerk als weitere Visualisierung der Leistungen des Princeps interpretieren: Die kaiserliche Innovation diente zur Verheißung eines Aufbruchs in eine neue Zeit. Doch auch jenseits dieser auf Kreisen basierenden Grundrisse und Strukturen bietet die Architektur der Villa Hadriana weitere progressive Besonderheiten. So wei­ sen einige der Bauwerke Entsprechungen zur römischen Palastarchitektur auf. Ein augenfälliges Beispiel ist die im Gebäudekomplex der Residenz gelegene kleine Ba­ silica, die deutliche ähnlichkeiten mit einer Basilica der Domus Flavia besitzt. Aller­ dings spricht die geschicktere Konstruktion des hadrianischen Bauwerks für eine Weiterentwicklung und Vervollkommnung des in domitianischer Zeit konzipierten ersten römischen Palastes.377 Eine ähnliche Perfektionierung entsprechender Vorbilder ist bei den cenationes und Triklinien (bzw. ehemals als solchen klassifizierten Bau­ werken) der hadrianischen Villa zu verzeichnen.378 Zudem bot das nicht­gegenständ­ liche Mosaikenprogramm des domitianischen Palastes ein mögliches Modell für jenes der Villa Hadriana.379 Eine weitere Entsprechung zur Domus Augustana ist schließlich im Water Court zu konstatieren, der wie der untere Hof dieses Teils des domitianischen Palasts einen angrenzenden Säulengang und Wasserspiele besaß sowie auf einer Seite durch einen oktogonalen Raum mit Kuppeldach abgeschlossen wurde.380 Weitaus bedeutendere Vorbilder für die Bauwerke in der Villa Hadriana, die diese in Teilen auffällig aus der ländlich geprägten und außerhalb der res publica stehenden römischen Villegiatur heraushoben, sind in der Architektur des städtischen Bereichs zu identifizieren. So entsprach die Vervielfältigung von gleichen Baueinheiten, die wie Reihenhäuser aneinandergefügt wurden – zu nennen sind die zu einem Wohnblock vereinigten Gebäude des Kanalblocks, die Dienstquartiere, die im Nordosten gelegene Infrastruktur des Residenzkomplexes und die Hall of the Cubicles – dem Aufbau städtischer Marktanlagen, z. B. den Mercati Traiani oder den an Straßen gelegenen 376 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 100f: „The reverse­curve buildings are the strongest surviving evidence for the vitality of the experimentalism Hadrian fostered at the Villa“ (101). 377 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 62. 378 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 103–108. 379 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 92f; 100f. 380 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 97; zum Hof der Domus Augustana siehe MacDonald (1982) 65–68; Tafeln 58–61, 66–68.

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tabernae. Diese Strukturen gewöhnlicher römischer Funktionsbauten fanden sich nicht nur in der urbs, sondern waren zur Zeit des hadrianischen Prinzipats zumindest im städtischen Raum Italiens gebräuchlich.381 Darüber hinaus beruhten auch der Grundriss des Water Court und des Peristyle Pool Building auf urbanen Vorbildern wie dem Rundtempel in Ostia oder dem Gebäude der Eumachia auf dem Forum von Pompeii.382 Auf Übereinstimmung mit dem restituierten Pantheon schließlich weisen Mac­ Donald und Pinto wiederholt hin: Beachtung verdient in diesem Zusammenhang die Anordnung und Form von Fenstern in den Kryptoportiken, aber auch in einigen Gebäuden der Villa Hadriana. Die Fenster sind nicht in der senkrechten Wand, son­ dern in der nach obenhin rund zulaufenden Wölbung angebracht, zudem häufig rund geformt und horizontal positioniert. Diese Konzeption ermöglichte einen veränder­ ten oder verbesserten Lichteinfall aus bisher unmöglichen Beleuchtungswinkeln und erinnert somit an den oculus im Gipfelpunkt des Pantheons. Diese Technik der in Wölbungen eingeschnittenen Fenster bzw. Lichtschlitze wurde bereits in den 50 Jah­ ren vor dem Prinzipat Hadrians möglich, fand aber erst in dessen Architektur hand­ werkliche Vervollkommnung.383 Weitere Übereinstimmungen mit dem Pantheon sind neben den, allerdings auf andere Weise gestalteten, Kuppeldächern einzelner Villenbauten im szenischen Triclinium auszumachen. In beiden Gebäuden befinden sich hinter der Kuppel bzw. Halbkuppel Vorkammern auf zwei übereinanderliegen­ den Ebenen.384 Zudem verengen sich die Grundflächen des Kuppelgewölbes jeweils nicht kongruent zum Basiszylinder.385 Im Gegensatz zum Palatin waren die Einzelgebäude der Villa Hadriana kein Gesamtverbund, wiesen keine gemeinsame Fassade auf und besaßen auch keine Anlagen, die für den populus frequentierbar gewesen wären.386 Auch die Eingliederung von Elementen städtischer Infrastruktur war kein Hinweis auf eine Verstädterung der hadrianischen Villegiatur, fehlten ihr doch nicht nur öffentliche Gebäude und Orte, wie Forum und Capitol, sondern auch die Öffentlichkeit selbst. Außerdem wurden die nach dem Modell von mercati und tabernae gestalteten Bauten der Villa nie als solche genutzt; die Versorgung der Villa erforderte keinen Läden.387 So forcierte auch die teils pragmatische, teils rein eklektische Inkorporierung urbaner und palastatiger Strukturen die Hervorhebung der Villa Hadriana als besondere Villenanlage und ihres Herrn als besonderem Villenherrn. Dabei bot die Heranziehung der Villegiatur bislang fremder architektonischer Formen und Strukturen die Möglich­ keit zur Vergrößerung und fortgesetzten ästhetischen Ausschmückung des Komplexes, zur Verbesserung seiner Versorgung mit allem Notwendigen auf angenehmste Weise und zur Markierung von Alterität. Auf diese Weise war es Hadrian möglich, seine Kontrolle und Verfügung über die Architektur jedes Bereichs seines Imperiums zu 381 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 55; 63–68, die als beispielhafte Adaptionen Gebäude in Ostia heranziehen. 382 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 55f; 97–99. 383 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 57f. 384 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 108; 112; 109, Abb. 135; 113, Abb. 138f. 385 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 112 mit Abb. 137; siehe auch 108, Abb. 132. 386 MacDonald/Pinto (1995) 193. 387 MacDonald/Pinto (1995) 193.

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demonstrieren. Durch ihren Einsatz im Raum der senatorischen Agonalität fanden hadrianische Macht und auctoritas zusätzlich Betonung, entsprangen doch auch diese Alterität markierenden Aspekte Bereichen, die den Römern durchaus vertraut waren. Fremd mutete lediglich ihre Eingliederung in den Raum der Villa an. Dabei wird nicht weiter überraschen, dass die urbanen Versatzstücke in der Villa Hadriana selbst eine Überhöhung erfuhren. So sprechen MacDonald und Pinto von „greatly increased so­ phistication in the design and spatial character of well­established building types“.388 Fassen wir also den Befund der tradierten und innovativen Charakteristika und ihre durch die Materialität intendierte Selbstdarstellung Hadrians zusammen, sind drei Aspekte festzuhalten: 1. Die stetige Mehrung der Monumente der Villa Hadriana und die Weiterarbeit an ihr während des gesamten hadrianischen Prinzipats machte die Überlegenheit an auctoritas und Macht des Princeps unkaschiert augenfällig. Zudem wurden auf diese Weise die Segnungen, die Hadrian dem Reich bescherte und die allein er diesem bescheren konnte, als erfolgreich und fortwährend umgesetzt dargestellt. Mit diesem Verweis sowohl auf seine alternativlose Position als auch auf seine beständige und erfolgreich verlaufende Reichslenkung, die alle in ihn gesetzten Erwartungen erfülle, bewarb sich der Princeps um die Akzeptanz seiner Herrschaft. 2. Bei allen Bauten und Bauarbeiten der Villa Hadriana wurde zu einer für die römischen Rezipienten verstehbaren Sprachregelung gegriffen. Allein auf Basis der Überhöhung der traditionell demonstrierten Ressourcen durch einen einzelnen Villen­ herrn konnte im Kontext der senatorischen Agonalität die Überhöhung der eigenen Stellung plausibilisiert und verständlich gestaltet werden. Eine Hellenisierung der Villegiatur ist hingegen nicht festzustellen. 3. Die Monumentalisierung der Villegiatur389 sowie die Originalität im Konven­ tionellen barg auch Risiken. So wurde den senatorischen Villenherren die Orientie­ rung an der Bilderwelt und der Selbstdarstellung des leistungsstarken Princeps, d. h. der durch die Ressource der Kaisernähe bedingte Versuch einer möglichst weitge­ henden Annäherung an diesen in der eigenen Villegiatur und die fortwährende kom­ petitive Aushandlung mit Standesgenossen unmöglich, sobald der Princeps in diesem Bereich seine Ressourcen zum vollen Einsatz brachte. Durch diese uneinholbare Orientierung am eigenen Maßstab trat Hadrian mit seiner Villa sichtbar aus der ästhetischen Kommunikation mit der Oberschicht aus. Folglich hielt sich er sich nicht einmal mehr in der Villegiatur an die Vereinbarung, lediglich als primus inter pares aufzutreten, womit er seine nicht überbietbare, alle Standesgenossen übertref­ fende Machtposition sogar im otiösen Feld offenlegte. Auf diese Weise traf Hadrian eine programmatische Herrschaftsaussage, die prekär aber intendiert war.

388 MacDonald/Pinto (1995) 67; siehe auch 195. 389 Opper (2008) 132.

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Bedeutung und Funktion der Villa Hadriana Hadrians Versuchsaufbau einer partiellen Entgrenzung des politischen Handelns beschränkte sich nicht auf die Modi symbolischer Repräsentation. Das neuartige und ungewöhnliche Handeln des Princeps schlug sich ebenso in seiner politischen Tätigkeit nieder: Diese wurde vermehrt im schrankenlosen Raum der Villegiatur und vergleichbaren, die Erfordernisse des res publica nicht im traditionellen Maße be­ rücksichtigenden, Räumen vollzogen. Wie hier gezeigt, standen in der Villa Hadriana Räumlichkeiten für das otium bereit, in deren Genuss die Gäste Hadrians kamen, die sich aus seinen amici konstituierten. In republikanischer Zeit waren diese Freundschaftsbeziehungen an Statusgleichheit gebunden und trotz der räumlichen Neusituierung weiterhin politisch geprägt.390 Die­ ses Konzept, das einen Rückzug aus dem Raum der res publica verlangte, wurde prekär, wenn es von einer Person genutzt wurde, deren auctoritas uneinholbar vor jener der eigentlichen Standesgenossen lag. Das kommt auch im von Plinius beschriebenen consilium Traians in dessen Villa in der Relevanz der Kaisernähe von Klägern oder Beklagten sowie der kaiserlichen Selbstdarstellung als Ordnungsstifter durch den Hafenbau in der Nähe des Anwesens zum Ausdruck. Traian begegnete diesem Problem Plinius zufolge durch Betonung seiner civilitas und seiner modestia. Betrachtet man vergleichend die hadrianische Villegiatur, so kommt in dieser durch den Prunk des otiösen Raums zunächst einmal keine modestia zur Darstellung. Und auch die Dimensionen und das stetige Anwachsen des Villenkomplexes führte Nachbarn wie Gästen die Grenzen der hadrianischen modestia und civilitas vor Augen. Dennoch umgab sich Hadrian mit ausgewählten amici und hielt mit ihnen auch consilia ab.391 Zu diesem Zweck eignete sich der Residenzkomplex der Villa Hadriana besonders, der nicht allein Quartiere für Bedienstete aufwies, sondern darüber hinaus sowohl Raum für große Versammlungen und Empfänge, in erster Linie im großen Südwest­Gemach des zeremoniellen Bereichs, als auch für Be­ sprechungen und Entscheidungsfindungen im kleineren Zirkel eines consilium besaß, beispielsweise in der Basilica.392 Dass in der Villa Hadriana in der Tat Politik und Verwaltungsaufgaben für das Gesamtreich durchgeführt wurden, wenn der Princeps sich dort aufhielt, deutet auf intensivierte Kommunikation mit den unterschiedlichs­ ten Teilen des Imperiums hin, die kennzeichnend für den hadrianischen Prinzipat war.393 Ein Dokument vermag die vollgültige politische Tätigkeit des Princeps in seiner Villa zu belegen: Ein Brief Hadrians,394 der sowohl an die Amphiktyonie von 390 Gotter (2001) Kapitel 7. Die nachcatonische Grammatik der römischen Rede über Griechen­ land, Teilkapitel 7.2 Auslagerung: Die Politik des otium und die griechische Kunst. 391 Siehe Crook (1955) 60f mit SHA Hadr. 8,8–9; 13,10; 22,11 und Cass. Dio 69,7,1. 392 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 192f; zum zeremoniellen Bereich („Ceremonial Precinct“) siehe auch 78f. 393 Siehe Boatwright (2000) 7 mit Anm. 18; 27. 394 Siehe CID IV 152 bis (mit französischer Übersetzung und Kommentar). Zu Publikationsort, Er­ haltungszustand und Inhalt siehe auch Plassart (1970) 82f, Flacelière (1971) 172f (mit französi­ scher Übersetzung) und Martín (1982) 119–122, Nr. 19 (mit spanischer Übersetzung), die jeweils die Edition und Lesung der Inschrift in der unpublizierten Dissertation von Cl. Vatin diskutieren.

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Delphi als auch an die Stadt selbst gerichtet395 und im September des Jahres 125 verfasst worden ist,396 wurde auf einer Stele im delphischen Apollonheiligtum pub­ liziert. Das Schreiben ist aufgrund seines stark fragmentierten Zustands nicht mehr vollständig zu lesen, enthält aber in jedem Fall einen Beschluss des Princeps zur Praxis der pythischen Agone, den er auf Antrag eines vor ihm erschienenen delphi­ schen Gesandten gefasst hatte. Wesentlich ist dabei zunächst einmal der vom Princeps selbst benannte Abfassungsortes des Briefs: [ἀπὸ οἰκίας Τιβου]ρτείνης397 bezeichnet ganz eindeutig die Villa Hadriana als den Ort des Empfangs der Gesandtschaft, der Entscheidungsfindung und des Erlasses.398 Eine solche Verortung der Entscheidung ist einmalig und muss daher als gezielte Betonung der politischen Tätigkeit im außerhalb der res publica stehenden Raum betrachtet werden. Eine weitere Inschrift, die das Argument, dass die Villa Hadriana als Raum der Politik fungierte, stützt, wurde dort entdeckt und war somit höchstwahrscheinlich dort aufgestellt. Es handelt sich um eine Ehreninschrift aus dem Jahr 135, die Hadrian aufgrund seiner Freigebigkeit gegenüber der Provinz Hispania Baetica durch diese dargebracht wurde.399 Zwar lässt sich aus dem Aufstellungskontext nicht ablesen, dass das Edikt zur liberalitas gegenüber der Provinz in der hadrianischen Villa formuliert worden wäre.400 Zudem ist verwunderlich, dass die gratia artikulierende Inschrift entgegen der allgemeinen Gebräuchlichkeit zumindest nicht ausschließlich bei der lokalen bzw. regionalen Partei aufgestellt wurde, um vor Ort das Nahver­ hältnis zum Patron zu demonstrieren.401 Dennoch wird gemäß dem Formular Hadrian als patronaler auctor der nicht weiter spezifizierten liberalitas (und damit hier als Genitivobjekt) ebenso benannt wie die sie empfangende Stadt (im Akkusativ). Der Agens (im Nominativ) dürfte sich wohl im heute fehlenden Beginn der Inschrift eingeschrieben haben. Bei ihm wird es sich um den üblichen, aufgrund herausgeho­ bener lokaler Position im Namen der Stadt bzw. hier der Provinz dankenden Dedi­ kanten gehandelt haben.402 Es steht also zu vermuten, dass ein lokaler Elitenange­ höriger dem Princeps Hadrian die Inschrift zum Geschenk gemacht hatte und sie in die Villa liefern ließ, womit er die Reichweite seiner eigenen Kaisernähe zum 395 CID IV 152 bis, Z. 1–6: [Αὐτοκράτωρ Καῖσα]ρ, Θεοῦ Τραιανοῦ Παρθ[ι]­/[κοῦ υἱος, Θεο]ῦ Νέρβα υἱωνός, Τραιανὸς Ἁ­ / [δριανός, ἀρ]χιερεὺς μέγιστος, δημαρχικ­ / [ῆς ἐξου]σίας τὸ ἔνατον, ὕπατος τὸ τρ­ / [ίτον, τῷ κο]ινῷ τῶν Ἀμφικτυόνων καὶ / [Δελφῶν τ]ῇ πόλει vvv χαίρειν. 396 Z. 33f. 397 Z. 34. 398 Siehe auch Mac/Donald/Pinto (1995) 6; 344 (= Anm.); Opper (2008) 159. 399 CIL xIV 4235: ob libe]ralitates publicas / [Imp(eratoris) Caes(aris) T]raiani Hadria[ni Aug(usti)] / [P(ontificis) M(aximi) trib(unicia) pot(estate) x[x co(n)s(ulibus) patris patriae im[p(eratoris) II] / [erg]a prov[inciam H]ispaniam Baetic[am ex an(no)] / [d(ie)] III Id(us) Aug(ustas) Q(uinto) A[quilio Nigro M(arco)] Rebilo Aproniano co(n)s(ulibus) in a[n(num)] / [d(ie)] IIII K(alendas) Ian(uarius) [L(ucio) Tutilio Luperco P(ublico) Calpu]rnio Atiliano co(n) s(ulibus). Siehe auch MacDonald/Pinto (1995) 6; 344 (= Anm.). 400 So Opper (2008) 159; vgl. MacDonald/Pinto (1995) 6. 401 Eine zusätzliche Aufstellung an zentralem Ort in der Baetica ist wahrscheinlich, aber nicht nachweisbar. 402 Zu Patronagebeziehungen und ihrem Formular im Allgemeinen siehe Saller (1982) insbes. 21; 70f; 194–204; zur hadrianischen Blüte der Patronagebeziehungen mit Städten des Ostens und Westens (inkl. zahlreichen Inschriftenbelegen) siehe Boatwright (2000) 29–32.

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Ausdruck brachte und damit seine wesentliche Position als Mediator zwischen Princeps und Reichsbevölkerung für eine ganze Provinz unterstrich.403 Ausschlag­ gebend war aber, was das für die Bewertung der Funktion der Villa Hadriana im Reich bedeutete: Sie wurde als öffentlicher, möglicherwiese gar zentraler Ort der imperialen kaiserlichen Politik aufgefasst. Folglich eröffneten beide Inschriften den Villenbesuchern respektive der Bevölkerung der griechischen Poliswelt nicht nur, dass der Princeps in seiner Villa cura walten ließ und sich um die Reichsverwaltung bemühte, sondern auch, dass er die Villa erfolgreich mit der Sphäre der Politik zu verknüpfen suchte. Bedeutete die Betonung dieses praktischen Handelns und die alleinige Zuschrei­ bung sämtlicher Leistungen für das Wohlergehen des Reichs auf die Person des Princeps auch eine Modifikation der Praxis des hadrianischen consilium? Das consilium principis besaß stets nur informellen Charakter, war also zu kei­ nem Zeitpunkt ein permanenter ‚Kronrat‘, der mit ständigen Mitgliedern oder gar Amtsträgern besetzt gewesen wäre. Der Princeps berief consilia ein, wenn er es für notwendig erachtete und wählte dafür jeweils diverse Angehörige der Reichselite aus.404 So handelte es sich bei dem consilium in der traianischen Villa keineswegs um den einzigen Rat, in den Plinius berufen wurde („in consilium adsumptus“405). Er berichtet in seinem Brief 4,22 von der Teilnahme an mindestens einem weiteren consilium, das aber vermutlich in Rom stattfand.406 Auch für dieses kennzeichnet er seine Heranziehung durch den Princeps mit der Vokabel „adsumptus“.407 Da das consilium zeitlich vor jenem in der traianischen Villa gelegen haben dürfte, ist zu folgern, dass die jeweiligen amici stets aufs Neue auf Basis einer akuten kaiserlichen Willensentscheidung herangezogen wurden.408 Bereits John A. Crook hat darauf hingewiesen, dass sich dieser Prozess unter Hadrian nicht verändert hat.409 Darauf deutet auch eine Passage der vita Hadriani hin: „Es war nämlich damals der Brauch [= erat enim tunc mos], dass der Princeps bei den von ihm zu behandelnden Rechtsfällen sowohl Senatoren als auch römische Ritter in das consilium rief und sein Urteil aufgrund gemeinsamer Erwägung fällte.“410

Daraus geht hervor, dass Hadrian zumindest in juristischen Angelegenheiten ein „consilium“ einberief. Dabei verweist der mos der Einberufung auf den situativen Charakter und die unveränderte Organisation des consilium: Hadrian traf der Historia Augusta zufolge eine Auswahl von Personen, nahm also keine allein statusgeleitete und konsensuale Auswahl vor, was in der Berufung sowohl von Senatoren als auch von Rittern deutlich wird. Auch wird hier dezidiert nicht von einer Einberufung des ordo equester oder des im achten Abschnitt mehrmals in 403 Evtl. ist diese Nähe außerdem dadurch zu erklären, dass die Baetica die Heimatprovinz der gens Aelia war. 404 Siehe Crook (1955) 55 und passim; Hammond (1959) 370–375. 405 Plin. epist. 6,31,1; siehe auch Hammond (1959) 375 mit Anm. 31. 406 Siehe Plin. epist. 4,22; siehe auch Hammond (1959) 374f mit Anm. 30. 407 Plin. epist. 4,22,1: „interfui principis optimi cognitioni in consilium adsumptus.“ 408 Siehe auch Crook (1955) 29f. 409 Crook (1955) 59; siehe auch Fündling (2007) 209. 410 SHA Hadr. 8,9.

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Abhebung von senatores erwähnten senatus gesprochen, sondern mit „et senatores et equites Romanos“ von einzelnen Angehörigen der beiden ordines.411 Damit sind freilich nicht die in der vita Hadriani und im 69. Buch des Cassius Dio erwähnten optimi bzw. ἀρίστοι der Senatoren gemeint, die sich im kaiserlichen contubernium412 befunden hätten, d. h. mit denen Hadrian sich in Rom und außer­ halb stets umgeben habe.413 Mit den Aufenthalten außerhalb der urbs wirdnicht auf die Reisetätigkeit des Princeps rekurriert.414 Explizit verweist Dio vielmehr auf Einladungen der ‚besten‘ Senatoren zur Mitfahrt in der kaiserlichen Kutsche, gemeinsame Gastmähler, Jagdausflüge und damit auf statusspezifische Interaktion. Analog dazu thematisiert auch der achte Absatz der vita Hadriani die modestia und civilitas Hadrians gegenüber dem Senat,415 insbesondere in seiner frühen Herrschaftszeit und schreibt ihm diesbezüglich auch die konsequente Teilnahme an Senatssitzungen zu, sofern er sich in der urbs oder ihrer Nähe befand.416 Nach Aloys Winterling sind daher unter den optimi die gemessen an ihrer ämterlaufbahn ranghöchsten Senatoren zu verstehen, die aufgrund ihres Sozialstatus durch Ha­ drian gewürdigt worden seien und eine bloße Ehrenstellung besessen hätten.417 Entsprechend dürfte der Begriff contubernium zwar eine ideale und formalisierte ehrende Kommunikation des Princeps mit dem Senat benennen,418 diese war aber nur in Anwesenheit des Princeps umsetzbar. Das consilium kann damit folglich nicht 411 Zur Unterscheidung von senatus und senatores siehe SHA Hadr. 8,7: „senatus fastigium in tantum, extulit, difficile faciens senatores.“ Dass keine „equites Romanos“ über Senatoren zu Gericht sitzen durften (SHA Hadr. 8,8), wird von Fündling (2007) 210f zurecht bezweifelt; siehe auch Fündling (2006) K 197 (8,8). 412 SHA Hadr. 8,1: „Optimos quosque de senatu in contubernium imperatoriae maiestatis adscivit.“ ob contubernium dabei tatsächlich „Wohngemeinschaft oder enges Zusammenleben“ mit dem Princeps, so Winterling (1999) 188, schlicht als „Umgang mit dem Kaiser“, wie Fündling (2006) K 188 (8,1) unter Heranziehung von Plin. paneg. 86 argumentiert oder völlig anders übertragen werden sollte, darf hier dahingestellt bleiben. 413 Cass. Dio 69,7,3: „ἀεί τε περὶ ἑαυτὸν καὶ ἐν τῇ Ῥώμῃ καὶ ἔξω τοὺς ἀρίστους εἶχε.“ 414 Anders Winterling (1999) 188; 193; allerdings gibt die Quellenpassage diese Deutung nicht her. 415 Siehe SHA Hadr. 8,2–5. 416 SHA Hadr. 8,6. 417 Siehe Winterling (1999) 188–190; 206, der allerdings annimmt, dass diese direkte Gemeinschaft mit den optimi, die er als am kaiserlichen ‚Hof‘ ständig präsente (ranghohe) amici versteht, zu einer „Entpersönlichung und Institutionalisierung auch desjenigen Kreises von Freunden, der die tägliche Umgebung des Kaisers bildete“ (189), geführt habe. Gleichzeitig habe diese Formalisie­ rung des Hofs eine „Formalisierung des gesellschaftlichen Verkehrs auch mit den ‚engsten Freun­ den‘, die aufgrund der ‚unpersönlichen‘ Zusammensetzung dieses Kreises nicht verwunderlich ist“ (190), erzeugt. Die direkte Nähe zum Princeps habe also die amicitia und familiaritas zersetzt und somit ein Ende der wirklichen Beratungsfunktion des consilium herbeigeführt. In Reaktion habe der Princeps ein neues consilium mit seinen amicissimi geschaffen (siehe dazu insbes. 189 mit Anm. 157f). Siehe dazu Fündling (2006) K 188 (8,1); K 197 (8,8); Fündling (2007) 210 Anm. 21; 205 mit der Warnung davor, die Begriffe familiares, optimi, amici und amicissimi in der Histo­ ria Augusta als „termini technici“ und Abbildung (in hadrianscher Zeit) real existierender, ein­ deutig stratifizierbarer Realitäten des ‚römsichen Kaiserhofs‘ zu verstehen. Zudem handelt es sich bei Winterlings Interpretation um ein sehr starres Modell, dass der Dynamik kaiserlicher consilia nur sehr bedingt entspricht: siehe dazu weiterhin Crook (1955) 61. 418 Vgl. Winterling (1999) 190.

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gemeint gewesen sein. Für dieses waren eben nicht die optimi, sondern von Hadrian statusungebundene, nach eigener Präferenz und situativ gewählte amici ausschlaggebend,419 die in Rom, auf Reisen und in den Villen Hadrians direkte Umgebung bilden konnten. Zwar verweist Crook darauf, dass die Kontinuität der Teilnehmer an consilia über zwei oder gar mehrere Prinzipate hinweg allgemein üblich war, die amici eines Princeps also häufig auch unter dessen Nachfolgern ihren Status behielten.420 Jedoch räumt Crook trotz der Nähe zwischen Hadrian und „[n]otable Trajanic figures“ ein­ schränkend ein: „A number of advisers of Trajan, who were bitterly opposed to the new man and his new policies, were removed or deprived of their influence.“421 Die Berufung ins consilium beschränkte sich eben nicht auf Traditionsbewusstsein oder eine Demonstration von pietas gegenüber dem Vorgänger. Hadrian entschied, gleich den Principes vor und nach ihm, selbständig und autonom, wen er jeweils hinzu­ ziehen wollte und war keinem Teilnehmer vorhergehender consilia verpflichtet. Als Besetzung einzelner consilia Hadrians erwähnt die Historia Augusta amicissimi422 und litterati, die nicht zuletzt aus dem griechischen Raum stammten.423 Es waren gerade derartige Persönlichkeiten, die, ähnlich den gleich nach dem ha­ drianischen Herrschaftsantritt 117 neu eingesetzten Praetorianerpraefekten und Statt­ haltern sowie dem Stadtpraefekten, allein Hadrian verpflichtet waren und dessen Gnade ihr lokales oder reichsweites Ansehen sowie ihre Karriere verdankten.424 Mit einer modifizierbaren und wohl häufig modifizierten Auswahl dieser engsten Freunde umgab sich Hadrian immer wieder in Rom, in seinen Villen und, sei es in seinem Gefolge oder als in den jeweiligen Städten und Provinzen präsente Interaktionspartner, auf seinen Reisen. Die vita Hadriani nennt im 15. Absatz einige dieser amici oder amicissimi. Zwar sind einige dieser Figuren prosopographisch schwer zu fassen, doch können generelle Überlegungen darüber angestellt werden, Angehörige welchen Status und welcher Herkunft sich zeitweise oder längerfristig in Kaisernähe befanden:425 Über Attianus sowie über Nepos und Septicius Clarus426 ist das Notwendige bereits gesagt worden. Besonders die Förderung des homo novus aus den Provinzen A. Platorius Nepos Aponius Italicus Manilianus C. Licinius Pollio und des dem 419 420 421 422

Vgl. Winterling (1999) 190; Fündling (2006) K 188 (8,1). Siehe Crook (1955) 55; zu den hadrianischen amici: 65. Crook (1955) 65. SHA Hadr. 15,2. Vgl. Fündling (2006) K 330 (15,2) und, mit anderer Bewertung als zuvor, Fündling (2007) 210 Anm. 21. 423 SHA Hadr. 16,10. Siehe zu einer ausführlichen prosopographischen Untersuchung dieser litterati Fein (1994). 424 Siehe auch die Einleitung. 425 Allerdings werden diese in der vita Hadriani sämtlich als ehemalige engste Freunde beschrie­ ben, die im Verlauf seines Prinzipats die kaiserliche Gunst verloren hätten, zu hostes geworden und teils vom misstrauischen Princeps ermordet worden seien. (Siehe insbes. SHA Hadr. 15,2: „Doch zugleich hörte er bereitwillig an, was man ihm über die amici zuflüsterte, und daher be­ handelte er daraufhin fast alle, gar die amicissimi und sogar jene, die er zu höchsten Ehren er­ hoben hatte, als Feinde.“) Diese Schilderung ist kaum face value zu nehmen: Sie dient unter Nutzung literarischer Topoi dazu, die Unsicherheit des hadrianischen Prinzipats ebenso darzu­ stellen wie die moralische Degeneration Hadrians selbst. 426 SHA Hadr. 15,2.

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Ritterstand entstammenden C. Septicius Clarus bedeutete eine Rekrutierung von Persönlichkeiten aus der zweiten Reihe, die dem Princeps in den frühen Jahren seines Prinzipats nicht gefährlich werden konnten und daher zur dauerhaften Aufgabe als Praetorianerpraefekten herangezogen wurden. ähnlich verhält es sich mit dem im weiteren Verlauf der vita Hadriani­Passage berücksichtigten Turbo.427 Zunächst aber wird Eudaemon, ein conscius imperii, d. h. ein Mitwisser der Herrschaftsübernahme Hadrians, erwähnt.428 Damit dürfte wohl P. Valerius Eu­ daemon gemeint sein, der aus ägypten stammte und ebenfalls dem ordo equester angehörte, in dem er eine bedeutende Stellung einnahm: Ab 117 als procurator ad dioecesin Alexandriae zuerst in seiner Heimat tätig, erhielt er in den folgenden Jahren aufgrund seiner literarischen Bildung die Posten eines a bibliothecis und ab epistulis Graecis, was die kaiserliche Einbeziehung eines litteratus in die reichs­ verwaltung bedeutete. Über Eudaemons weitere Karriere zwischen dem Jahr 128 und der antoninischen Zeit ist allerdings nichts bekannt.429 Es folgen ein Polyaenus und ein Marcellus,430 die beide nicht klar zu identifi­ zieren sind:431 Bei Polyaenus könnte es sich um einen Angehörigen der lokalen Elite von Prusa handeln, der dem Ritterstand angehörte und in traianischer Zeit als „Ge­ sandter und Hauptkläger des bithynischen Provinziallandtags gegen den Proconsul Varenus Rufus“ fungiert hatte, in welcher Rolle er in plinianischen Briefen auftritt.432 Alternativ könnte ebenfalls Ti. Iulius Aquila Polemaeanus aus Ephesos, der Suffekt­ konsul von 110 und Erbauer der Celsus­Bibliothek in seiner Heimatstadt, gemeint sein.433 Fündling zeigt sich von der Nennung des Polyaenus befremdet, da er die einzige Ausnahme von den in der vita Hadriani 15,2–8 genannten bedeutenden Rit­ tern und Senatoren bilde.434 Allerdings haben die meisten der hier erwähnten amici des Hadrian bezeichnenderweise erst durch diesen relevante ämter erhalten, während sich gerade Polyaenus von Prusa, hauptsächlich aber Polemaeanus von Ephesos als Angehörige ihrer lokalen Elite in traianischer Zeit an der Reichsverwal­ tung beteiligt hatten. Zudem weist die durch Polemaeanus errichtete ephesische Celsus­Bibliothek klare Referenzen imperialen Bauens auf.435 Ganz gleich welche 427 428 429 430 431 432 433 434 435

SHA Hadr. 15,7. Siehe SHA Hadr. 15,3. Siehe Fündling (2006) K 332 (15,3); Fein (1994) 270–272. Siehe SHA Hadr. 15,4. Vgl. PIR2 M 189; P 555. Fündling (2006) K 333 (15,4); siehe dazu Plin. epist. 7,6; 7,10; siehe auch PIR2 P 554. Siehe Fündling (2006) K 333 (15,4); PIR2 I 168. Fündling (2006) K 333 (15,4). Zum archäologischen Befund der Celsus­Bibliothek siehe Höpfner (2002) 123–126; İdil (1999) 438–440. Nicht nur die Bestattung von Polemaeanus’ Vater, dem Dedikanten des Bauwerks, in einer Gruft unter der Bibliothek war an das zeitgenössische Vorbild des traianischen Grabs in der Basis der Traianssäule angelehnt. Vielmehr besaß insbesondere die zweigeschossige Fassade der Celsus­ Bibliothek im variierenden Aufbau waagerechter und senkrechter Bauglieder und in ihrer prachtvol­ len Ausgestaltung klare architektonische Übereinstimmungen mit der etwa zeitgleich durch Flavius Severianus Neon errichteten Bibliothek in Sagalasasos (siehe dazu Waelkens/Kökten Ersoy/Sever­ son/Martens/Sener (2000) 419–447; Waelkens (1993) 13–15; 25–31, fig. 9–20; Devijer (1993) 107–123), aber noch mehr mit der Fassade des Markttors von Milet, das mit wesentlicher finanzieller Unter­ stützung Hadrians errichtet worden war (siehe dazu Strocka (1981)). Zwar ist das Markttor mögli­

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der beiden Personen also gemeint ist – beide gehörten lokalen Eliten an, hatten an der Verwaltung mitgearbeitet und demonstrierten auf diese wie auf ideelle Weise ihre Akzeptanz des Regimes und des Herrschers. Folglich könnte es sich beim Polyaenus der vita Hadriani in der Tat um einen erfahrenen und bewährten amicus handeln, den Hadrian, der ohnehin im Kontext seiner Reisen, aber auch darüber hinaus mit lokalen Eliten kommunizierte, durch bedarfsweise Berufung in consilia ehrte und sich seine Kenntnisse zu Nutze machte. Dabei ist gerade die Feststellung wichtig, dass nicht jeder amicus des Hadrian ein Reichsamt innehaben musste, um von ihm zu Rate gezogen zu werden. Der erwähnte Marcellus ist möglicherweise mit L. Neratius Marcellus zu identi­ fizieren, der durch Adoption Patrizier geworden war und einen verkürzten cursus honorum durchlaufen hatte, um im Jahr 95 Suffektkonsul zu werden; nach weiteren ämtern erhielt er um 129 den zweiten Konsulat. Der letzte Beleg für diesen Marcellus zeigt ihn als auctor einer Ehreninschrift in Saepinum für Hadrian aus dem Jahr 130.436 Ebenso könnte die vita Hadriani C. Quinctius Certus Publicius Marcellus, Suffekt­ konsul von 120 und im Anschluss legatus Augusti pro praetore von Germania su­ perior, dann von Syria, meinen. Für seine Beteilung an der Niederschlagung des jüdischen Aufstands erhielt er durch Hadrian die ornamenta triumphalia437. Eine Entscheidung für einen der beiden Marcelli, den Hadrian in der Spätphase seine Herrschaft in den Tod getrieben haben soll, der ihm aber zunächst nahestand, ist nicht zu treffen. Viel wichtiger ist jedoch, dass beide in einem Nahverhältnis zum Princeps standen. Darauf nennt die vita Hadriani C. Avidius Heliodorus,438 der aus Kyrrhos in Syrien stammte und dem ordo equester angehörte. Als litteratus erhielt er das Amt ab epistulis, übernahm womöglich später jenes ab epistulis Graecis und könnte den Princeps auf seiner ägyptenreise um 130 begleitet haben. Sollte es zwischen den beiden im Anschluss tatsächlich Differenzen gegeben haben, scheinen diese vor dem Tod Hadrians wieder ausgeräumt gewesen zu sein, da er bereits im Januar 138 als praefectus Aegypti tätig wurde.439 Dass sich der Princeps und der Ritter aus Syrien nahe standen, kann womöglich auch aus der folgenden Aussage der vita Hadriani geschlossen werden: „in summa familiaritate Epictetum et Heliodorum philosophos […] habuit.“440 Zwar ist die Identität dieses Heliodor mit dem zuvor erwähnten nicht

436 437 438 439 440

cherweise später entstanden, doch dokumentieren beide (wie auch noch einige weitere) Bauwerke in ihrer „prächtigen Fassadenornamentik die Einflüsse der römischen Architektur“, die teils aus „in Westkleinasien tätigen Bauhütten herrührte“ (İdil (1999) 441; siehe auch 439). Darüber hinaus be­ stand das Innere der Celsus­Bibliothek trotz der Zweigeschossigkeit der Außenstruktur aus einem eingeschossigen großen Saal, in dem nicht nur die Bücher aufbewahrt waren, sondern der ebenfalls als Leseraum genutzt wurde, wobei es sich um ein Novum kaiserzeitlicher Bibliotheksbauten han­ delte (Hoepfner (2002) 125f). Dabei ist nicht primär relevant, wer hier als Trendsetter fungiert hatte, sondern dass der um Akzeptanz werbende Princeps und die um seine Gunst (und damit ihre Bedeu­ tung) werbenden Eliten innerhalb eines gemeinsamen Codes agierten. Siehe Fündling (2006) K 333 (15,4); PIR2 N 55. Siehe Fündling (2006) K 333 (15,4); PIR2 P 1042. Siehe SHA Hadr. 15,5. Siehe Fündling (2006) K 334 (15,5); PIR2 A 1405; Fein (1994) 258–263. SHA Hadr. 16,10.

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mit letzter Sicherheit zu beweisen,441 doch ist in jedem Fall bemerkenswert, dass hier von provinzialen litterati im engsten Kreis des Princeps gesprochen wird. Dabei ist der Ausdruck familiaritas in der vita Hadriani überhaupt nicht formalisiert: Wäh­ rend Winterling darunter die Familie und den Haushalt des Princeps verstand, in den die optimi der Senatoren inkorporiert, aber ihres faktischen politischen Einflusses beraubt worden seien, bezieht sich der Ausdruck in der soeben zitierten Stelle ein­ deutig auf Personen, die nicht der höchsten Reichselite angehörten. Außerdem be­ zeichnet diese höchste familiaritas hier sicherlich ein besonders positives und nahes Verhältnis und beschreibt keinesfalls den kaiserlichen Versuch einer Statusabwertung. Weiterhin wird im 15. Kapitel ein Titianus erwähnt,442 bei dem es sich um (T.) Atilius (Rufus) Titianus gehandelt haben dürfte, der einer bedeutenden Senatsfami­ lie entstammte und 127 den Suffektkonsulat bekleidete.443 Mit diesem potentiellen amicus Hadrians findet hier die erste Person Erwähnung,444 die mit Sicherheit der stadtrömischen Senatsaristokratie entstammte. Gerade in der Differenz zu den anderen Persönlichkeiten wird deutlich, dass Hadrian bei der Einberufung seines consilium nicht durchweg auf die traditionelle Elite zurückgriff, sondern seine optimi respek­ tive amici autonom wählte. Im Anschluss werden Ummidius Quadratus und Catilius Severus genannt.445 Mit C. Ummidius Quadratus wird ein zweiter Senator aus traditioneller, „seit augus­ teischer Zeit im Senat vertretener Familie“ als hadrianischer amicus vorgestellt: Dem jüngeren Plinius zufolge begann Quadratus seine Karriere als erfolgreicher und bald gerühmter Anwalt in traianischer Zeit, bevor er 118 zum Kollegen Hadrians im Kon­ sulat wurde, worin bereits die Nähe zwischen Quadratus und dem Princeps deutlich wird. Direkt nach seinem Konsulat wurde Quadratus Statthalter von Moesia inferior, weitere prokonsularische ämter dürften gefolgt sein.446 L. Catilius Severus durchlief ebenfalls einen klassischen cursus honorum, der allerdings vor dem hadrianischen Prinzipat nicht von großem Erfolg gekrönt war: Nach zahlreichen praetorischen Posten gelangte er zwar 110 zum Suffektkonsulat, bevor er zu Beginn des Parther­ kriegs Statthalter von Cappadocia wurde, doch erst als Hadrian nach Traians Tod das der Provinz zugeschlagene Armenien räumen ließ, beerbte Catilius den neuen Princeps im Oktober 117 in dessen syrischer Statthalterschaft. Im Jahr 120 wurde er consul ordinarius, im Folgenden proconsul Africae und in späthadrianischer Zeit praefectus urbi.447 Die Liste 15,2–8 der vita Hadriani schließt mit Servianus,448 der gerade wegen seiner verwandtschaftlichen Nähe und alternativen Position zum Princeps nicht in kaiserliche consilia berufen worden sein dürfte.449 441 442 443 444 445 446 447 448 449

Siehe Fündling (2006) K 334 (15,5); vgl. PIR2 H 51. Siehe SHA Hadr. 15,6. Siehe Fündling (2006) K 335 (15,6); PIR2 A 1305. Marcellus bleibt in prosopographischer Hinsicht ein zu unsicherer Kandidat für eine derartige Zuweisung. Siehe SHA Hadr. 15,7; siehe auch Fündling (2006) K 337 (15,7) zur Verfolgung der drei amici. Siehe Fündling (2006) K 336 (15,7); siehe auch Plin. epist. 7,24. Siehe Fündling (2006) K 151 (5,10); PIR2 C 558; Fein (1994) 51; siehe auch Fündling (2006) K 337 (15,7) zu „C. [sic!] Catilius Severus“. Siehe SHA Hadr. 15,8. Siehe auch Fündling (2007) 209.

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Fasst man die prosopographischen Ergebnisse zusammen, können (unter Aus­ klammerung des Hadrian zugeschriebenen Staatsterrors am Ende seiner Herrschaft) zumindest allgemeine Beobachtungen zu den sozialen Status potentieller Teilnehmer an kaiserlichen consilia formuliert werden. Dass es verschiedentlich bei diesen Per­ sonen zu Gewinn und Verlust an Einfluss kam, ist unproblematisch, da das consilium imperii eben kein personell und institutionell starres Gremium, sondern eine im Bedarfsfall jeweils durch den Princeps neu konstituierte Gruppe war. Zu dieser konnten Ritter, homines novi und bislang wenig erfolgreiche Senatoren ebenso ge­ hören, wie Angehörigen der Reichselite, deren Karriere bereits in vorhadrianischer Zeit begonnen hatte oder die aus alten senatorischen Familien stammten. Zahlreiche Angehörige des ordo equester wurden von Hadrian im kaiserlichen Sekretariat ein­ gesetzt, wodurch ihnen häufig auch eine Rolle in consilia zukam. Das galt bereits für Ritter in vorhadrianischer Zeit, neu war allerdings die Heranziehung lokaler Eliten mit Bürgerrecht und oft eines hohen Maßes an literarischer oder philosophi­ scher Bildung.450 In hadrianischer Zeit besaßen die consilia natürlich auch auf Reisen eine wesent­ liche Bedeutung, da Hadrian fern der Zentrale ebenso mit dieser, aber zudem mit den anderen Reichsteilen kommunizieren und sich in Interaktionen direkter als die meisten seiner Vorgänger einschalten wollte. Das gleiche galt, wie die diskutierten Inschriften belegen, für die kaiserlichen Villenaufenthalte. So wählte Hadrian immer wieder neue Reisebegleiter zu seiner Beratung aus, z. B. umgab er sich in einem Fall mit dem Praetorianerpraefekten Septicius Clarus, während er dessen Kollegen Turbo in Rom beließ. Diese Entscheidung ist nicht weiter verblüffend:451 Septicius Clarus konnte den Princeps schützen und beraten, während Turbo für den hadrianischen Herrschaftserhalt in Rom zuständig war, was womöglich durch die Abwesenheit des Princeps eine erhöhte Notwendigkeit besaß. Schließlich konnten Unzufriedenheit und Intrigen bis zur Rückkehr des Kaisers deutlich anwachsen, wenn nicht einge­ griffen wurde. Als kaiserliche Reisebegleiter fungierten aber auch litterati, die selbst aus den Provinzen stammten. Bei ihnen dürfte es sich teils auch um Personen gänzlich ohne Amt gehandelt haben. Weitere gebildete Angehörige lokaler Eliten suchten Hadrians Nähe, wenn er sich auf Reisen befand: Pancrates und Mesomedes sowie weitere Dichter452 schufen panegyrische Werke auf den Princeps, in dessen Gefolge sie sich befanden und ließen in diese auch den Tod des Antinoos und dessen darauf initiierte göttliche Rolle einfließen.453 Eine verbürgte Reisebegleiterin finden wir zudem in der Dichterin Iulia Balbilla, die auf der ägyptenreise 130 n. Chr. zum Gefolge der Sabina gehörte.454 Eine wesentlich bedeutendere Gestalt ist jedoch M. Antonius Polemo. 450 Siehe Millar (1977) 88f; Fein (1994) 301 mit Anm. 410 („Die Aussage der HA H 22, 8: ab epistulis et a libellis primus equites Romanos habuit. wird durch Suet. Dom. 7, 2: quaedam ex maximis officiis inter libertinos equitesque R. communicavit. widerlegt.“). 451 Vgl. Fündling (2006) K 209 (9,5). 452 Siehe z. B. Fein (1994) 106; 114f; 118–126. 453 Siehe Fein (1994) 107–112 (zu Pancrates); 115–118 (zu Mesomedes und seinem nicht erhalte­ nen Werk). 454 Siehe Fein (1994) 112–114.

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Hatte der aus Laodicea stammende Sophist schon unter Traian eine privilegierte Stellung genossen, die wohl nicht zuletzt auf seinem lokalen Status als Abkömmling des Königs Polemo von Pontus fußte, stieg er unter Hadrian auf: Auf ihn aufmerksam geworden als Gesandter Laodiceas und Smyrnas, zog Hadrian ihn als Begleiter auf seinen Reisen der Jahre 123/124 heran, worüber Polema in seiner Physiognomica selbst Auskunft gibt. Vermutlich mit dieser Reise in Zusammenhang steht Hadrians neue Privilegierung der polis Smyrna, um die sich der generell im Osten freigebige Princeps als außerordentlicher Stifter von Gebäuden und eines Agons, als Spender von Getreide, durch die Verleihung der zweiten Neokorie und die Befreiung von Abgaben sowie durch zahlreiche weitere Akte verdient gemacht hat. Ausführlich belegt wird diese liberalitas und besonders ihre Inszenierung auf Initiative des Polemo nicht allein in den erst im dritten Jahrhundert entstandenen Sophistenviten des Phi­ lostratos, sondern auch durch eine zeitgenössische Spendenliste in Smyrna, die nicht allein die kaiserlichen Privilegien benennt, sondern auch den patronalen Fürsprecher ehrt: διὰ Ἀντωνίου Πολέμωνος. Erneut finden wir Polemo 131/132 in der Umgebung des Princeps, als dieser ihn die Rede zur Einweihung des Olympieion in Athen halten ließ, wobei es sich um eine unter vielen kaiserlichen Ehrungen für den litteratus handelte.455 Dass Polemo nie ein Reichsamt ausübte, aber dennoch eine so wesent­ liche Position besaß, dass seine Patronagetätigkeit weit über seine Heimatstadt hin­ ausging, in der Tat den gesamten griechischen Raum umfasste,456 ist von besonderer Relevanz: Hadrian nutzte Polemo für seine außerordentliche Interaktion mit dem Osten des Imperiums, indem er ihn auf Reisen als consiliarius heranzog, der als kaisernaher Mittler die Interessen der Städte sammelte und artikulierte. Auf diese Weise etablierte sich eine lokale Politik, die durch in dieser Intensität noch nicht dagewesenen kommunikativen Nahbeziehung zwischen Princeps, lokalen Eliten und Bevölkerung der poleis geprägt war. Doch zog Hadrian nicht nur auf Reisen Personen ohne ämter heran. So befanden sich der vita Hadriani 16,8–11 zufolge in Hadrians Umfeld in Rom und vermutlich auch in seiner Villa ebenfalls litterati aus dem griechischen Raum. Neben nicht namentlich genannten Personen werden hier erneut Epiktet457 sowie Favorinus von Arelate benannt. Obgleich weiterführende Belege fehlen, kann die Annahme, dass Rhetoren und Gram­ matiker gelegentlich in kaiserliche consilia berufen wurden, zumindest Plausibilität beanspruchen. Dass sich diese griechischen litterati ohne Amt tatsächlich in Rom und vermutlich in Tibur aufhielten, lässt sich aus einer auf sie bezogenen Bemerkung der vita Hadriani erschließen. Ihr zufolge hätten sich viele von ihnen erbittert über den sie 455 Siehe Fein (1994) 236–241; PIR2 A 862 (generelle prosopographische Daten); siehe Philostrat. soph. 1,25 p. 530 (Herkunft und Familie des Polemo); Philostrat. soph. 1,25 p. 531f (Tätigkeit als Gesandter); Polemon, Physiognomica p. 93ff; bes. 138f (ed. Förster) (Reisebegleiter Hadrians); Philostrat. 1,25 p. 531 und IK Smyrna 24,1 Nr. 697 (mit Kommentar S. 195f) (= IGR IV 1431) Z. 33–42 (Stiftungen an Smyrna); Philostrat. soph. 1,25 p. 533 (Polemos Rede zur Einweihung des Olympieion). 456 Siehe auch Fein (1994) 239. 457 Siehe Fündling (2006) K 361 (16,10); Fein (1994) 245–250: Epiktet erfuhr die familiaritas des Princeps, könnte also Teilnehmer an consilia gewesen sein; allerdings ist kein Besuch im Rom Hadrians nachzuweisen.

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stark beanspruchenden Princeps wieder von diesem zurückgezogen.458 Da zudem be­ kannt ist, dass sich Favorinus zeitweise in Rom aufhielt459 und die vita Hadriani die hervorragenden Rolle des gallischen Philosophen, Philologen und Rhetors unter den zahlreichen litterati in Hadrians Umfeld („eminente Favorino“) betont,460 dürfte er, wie andere in der urbs befindliche litterati, auch ohne ein Amt einzunehmen, sicherlich zur Teilnahme an dem einen oder anderen consilium in Rom und vermutlich in der Villa Hadriana herangezogen worden sein. In noch wesentlich höherem Maß als auf Favorinus dürfte das auf Polemo zutreffen, der sich zeitgleich mit diesem in Rom aufhielt, mit ihm in Konkurrenz stand und vom Princeps wohl bevorzugt wurde.461 Schließlich verdient ein in der vita Hadriani keine Erwähnung findender, aber namhafter litteratus aus dem griechischen raum des reichs Berücksichtigung: Der bekannte, einer alten und bedeutenden Athener Familie, die bereits Konsulare gestellt hatte, entstammende Ti. Claudius Atticus Herodes verfolgte einen römischen cursus honorum, der ob seiner Position in Kaisernähe außergewöhnlich glänzend verlief. So wurde er schon im Jahr 128 zum quaestor Caesaris berufen. Darüber hinaus stechen die Tätigkeit als corrector in Asia 134/35 sowie sein Einsatz als Agonothet der ersten durch Hadrian initiierten panhellenischen Festspiele 137 hervor. Bereits im Alter von 40 Jahren wurde er schließlich unter antoninischer Herrschaft im Jahr 143 consul ordinarius. Die privilegierte Stellung des Herodes Atticus unterstrich Hadrian durch seine Berufung inter amicos, durch die dieser zu kaiserlichen salutationes zugelassen wurde. Auch wenn unklar ist, ob dieser Status formale Relevanz besaß, darf mit Sylvia Fein gefolgert werden, „dass Hadrian den gebildeten Griechen als Berater befragte oder zu Sitzungen des consilium hinzuzog.“462 Insgesamt ist zu konstatieren, dass sich die hadrianischen consilia durch einen hohen Grad an Heterogenität auszeichneten und eben nicht durch Einteilung in Gruppen unterschiedlicher Nähe zum Princeps formalisiert waren. Gerade der Mangel an Formalität und die Variabilität der consilia ermöglichten Hadrian zusätzliche Gruppen von amici zu rekrutieren. Zwar war auch die Heranziehung von Rittern zu militärischen und administrativen Diensten unter den vorausgehenden Principes üblich gewesen, besonders Traian hatte vermehrt Funktionsträger aus dem Osten in seine Umgebung geholt,463 doch erst Hadrian zog auch jenseits der Ausübung von ämtern lokale Eliten und griechische litterati zu seinen consilia heran:464 Kaisernähe musste sich nicht zwangsläufig in Statusverleihungen oder in einem glänzenden 458 SHA Hadr. 16,9. Vgl. aber auch Fündling (2006) K 359 (16,8); K 360 (16,9) zur Topik solcher Narrative. 459 Wesentliche Erwähnung des Aufenthalts des Favorinus in Rom: Gell. 4,1; siehe Fein (1994) 242f; PIR2 F 123; Fündling (2006) K 342 (15,12) zur nicht ganz geklärten Datierung. 460 SHA Hadr. 16,10. Fündling (2006) K 342 (15,12); PIR2 F 123; Fein (1994) 241–245; siehe auch Fündling (2006) K 365 (16,10), der die Bedeutung und Präferenz des Favorinus im Kreis Hadrians anzweifelt, was jedoch einer Beteiligung an consilia nicht entgegenstehen muss. 461 Wesentliche Erwähnung eines Romaufenthalts Polemos: Philostr. soph. 1,25 p. 533. Siehe Fünd­ ling (2006) K 342 (15,12); K 363 (16,10); Fein (1994) 237 (Aufenthalte in Rom); 243f (Auseinan­ dersetzungen mit Favorinus). 462 Siehe Fein (1994) 274–276; PIR2 C 802; siehe auch Ameling (1983a) insbes. 48–83; Philostrat. soph. 2,1; zum Status „inter amicos“ siehe: Syll.3 863 Nr. 1; Ameling (1983b) 105f, Nr. 76 (mit Kommentar). 463 Siehe Fein (1994) 225–230; 336. 464 Siehe Fein (1994) 299–303 und passim.

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cursus honorum artikulieren. Alternative Nahbeziehungen wurden in dem Maße möglich, in dem Hadrian seine Interaktion auf neue gesellschaftliche Gruppen des Gesamtreichs ausweitete, was insbesondere auf seinen Reisen geschah. Die Ville­ giatur als weiterer idealer Raum für die informellen Zusammenkünfte befand sich topographisch ebenfalls außerhalb der res publica. Zwar vermerkt die vita Hadriani der Historia Augusta ausdrücklich, Hadrian habe die ordentlichen Senatssitzungen „immer“ besucht, was auch plausibel ist. Allerdings wird dieses „semper“ durch den Einschub eingeschränkt: „wenn er in der urbs oder nahe der urbs war.“465 Das verweist deutlich auf die immense Reisetätig­ keit des Princeps, die mehr als die Hälfte seiner Herrschaft einnahm und bringt damit seine im Grunde mehrheitliche Abwesenheit von Rom und vom Gremium des Senats zum Ausdruck. War Hadrian also fern der urbs konnte er sich allein mit Personen umgeben, die er zu Teilnehmern am consilium berief. Auch die Aussage, er habe sich regelmäßig zu Senatssitzungen begeben, wenn er sich in der Nähe Roms befunden habe, zeigt primär, dass Hadrian sich häufig in einem von der res publica abgeschlossenen Raum aufhielt und diesen nur kurzfristig bei Verpflichtungen ver­ ließ. Gemeint ist damit mit Sicherheit die kaiserliche Villegiatur und wohl v. a. die Villa Hadriana in Tibur, von der man bei schnellem Ritt innerhalb von drei Stunden nach Rom gelangen konnte: Hadrian verließ sie somit, um den Senat als Gremium zu ehren, diesem aber dann wieder den Rücken zuzukehren und die res publica zu verlassen, um im Bereich seiner Villa wieder mit selbstgewählten, kein Gremium bildenden und nicht statusgebundenen amici über römische Politik zu beraten und zu entscheiden. Folglich gab Hadrian dem Senat deutlich wie wenige seiner Vorgän­ ger zu verstehen, dass Politik allein durch ihn geschah und ihm die absolute auctoritas zukam. Damit war hadrianische Politik allein hadrianische Leistung unterstützt von hadrianischen amici im hadrianischen Raum. Darüber hinaus ermöglicht die Passage 69,7 im Werk des Cassius Dio zumindest Erkenntnisse über die von Hadrian intendierte und öffentlichkeitswirksam umgesetzte Beziehung zum Senat und dem Grad der Kooperation mit diesem. So soll der Princeps einerseits im Gerichtswesen mit dem Senat zusammengearbeitet haben (διὰ τοῦ βουλευτηρίου). Dies geschah, so Dio, sowohl auf dem Forum Romanum als dem traditionellen Ort der Rechtsprechung als auch in Alternativräumen. Während es sich bei der möglichen Nutzung des kaiserlichen Anwesens auf dem Palatin zu diesem Zweck466 um kein Novum der hadrianischen Herrschaft handelte,467 war die anzunehmende Situierung von Rechtsprechung im Pantheon außergewöhnlich.468 Bei ihrer Durchführung suchte sich Hadrian wohl entsprechend des raffinierten Sonneneinfalls auf seinem Tribunal durch den oculus des Kuppeldachs im wahrsten Sinne des Wortes aufs Raffinierteste ins rechte Licht zu rücken. Dabei handelte es sich, wie gezeigt wurde, um keinen Rückgriff auf ein hellenistisches Konzept oder gar eine Hellenisierung des Herrschertums. Vielmehr wurde ein explizit als augus­ teisch identifizierbares Bauwerk auf der Basis traditioneller, als altrömisch bewerteter 465 466 467 468

SHA Hadr. 8,6. Cass. Dio 69,7,1. Siehe dazu auch MacDonald/Pinto (1995) 193. Cass. Dio 69,7,1.

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architektonischer Formen, nach den neuesten baulichen Möglichkeiten modernisiert und prächtiger denn je ausgestattet. Durch diese Selbstdarstellung knüpfte Hadrian zwar an angeblich augusteische Prinzipien der civilitas und iustitia an, bestimmte diese aber für seine Zwecke neu: Im Pantheon dürfte Hadrian somit als universaler Rechtsprecher aufgetreten sein, der, wie Augustus zuvor, ein saeculum aureum zu schaffen und Rom neu zu gründen versprach, eine Leistung die der Princeps durch seine Selbstüberhöhung überdeutlich visualisierte.469 Dio wirft Hadrian also nicht zuletzt auch eine gezielte und betonte Monopolisierung der Rechtsprechung auf seine Person vor. Auch im weiteren Verlauf des Kapitels weist der Historiograph dem Princeps diverse öffentlich sichtbare Handlungen zu, deren civilitas zumindest subtil ange­ zweifelt wird. So lässt sich Hadrian Dio zufolge auf dem Nachhauseweg in einer Sänfte tragen, „um niemanden zu belästigen, dass er ihn begleite“470. Eine ähnliche Gewohnheit wird in der Augustus­Vita des Sueton über den ersten Princeps berich­ tet, der sich als privatus in einer Sänfte habe tragen lassen, als Konsul aber zu Fuß gegangen sei.471 Dirk Barghop deutet dies überzeugend, als eine Strategie der Kon­ fliktvermeidung in Fällen, in denen der Princeps nicht in Amtsgeschäften unterwegs war.472 Allerdings handelt es sich bei den von Dio in den vorausgehenden Sätzen beschriebenen Handlungen eindeutig um kaiserliche Staatsgeschäfte: Hadrian führte Gerichtssitzungen oder kommunizierte mit den Konsuln bei den Spielen und ver­ schwand danach wieder in seiner Sänfte. Er entzog sich folglich der Öffentlichkeit und brach die Kommunikation ab, sobald ihm dies möglich war. In gleicher Weise kann auch die Verweigerung der salutatio (ἀσπάσασθαι) an den dies nefasti (ἐν δὲ ταῖς μήτε ἱεραῖς μήτε δημοσίοις ἡμέραις) gelesen werden: Die Aussage „nicht einmal“ (οὐδ’ ὅσον) zur salutatio sei man vorgelassen worden473 sowie die allgemeine Er­ wähnung dieses Umstands macht deutlich, dass die Verweigerung des gesellschafts­ relevanten, gemeinschaftsstiftenden Aktes auch an den dies nefasti unüblich war. Somit können Dios Ausführungen auch in diesem Fall als Bruch mit den Spielregeln der konformen Interaktion verstanden werden. Zwar habe sich Hadrian, wie bereits dargelegt, stets mit ἀρίστοι umgeben, ihre Gastfreundschaft gesucht und immer wieder diverse Angehörige dieser Gruppe in seinem Wagen mitgenommen,474 doch werden hier bezeichnenderweise keine spe­ zifischen Personen benannt. Somit sind die von Dio geschilderten Akte Hadrians lediglich als kaiserliche Gesten zu verstehen, mittels derer die Beständigkeit des Nahverhältnisses zwischen Princeps und Angehörigen der Reichselite sowie der individuellen dignitas der höchsten Amtsträger einerseits und des Gremiums Senat andererseits beschworen wurden. Politischer Einfluss sollte damit nicht zum Ausdruck gebracht werden. 469 Siehe das Kapitel Hadrianus Augustus. Die Augustus-Verweise Hadrians. 470 Cass. Dio 69,7,2. Otto Veh schlägt folgende, wenig sinnvolle Übersetzung vor: „um nieman­ dem Schwierigkeiten zu machen, wenn er ihn begleiten wollte“. 471 Suet. Aug. 53,2. 472 Barghop (1994) 13f. 473 Cass. Dio 69,7,2. 474 Cass. Dio 69,7,3.

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Hadrian wird also auch nach Dio in voller und alleiniger Verfügung über die Reichspolitik gezeigt, was den beschränkten Spielraum der senatorischen Politik trotz behaupteter pietas, civilitas und iustitia offenlegt. Zumindest der betonte Rück­ zug aus der res publica und eine Fortsetzung der Politik in anderen Räumen, die den Senat als Gremium ausschloss, aber selbstverständlich auf einen Kreis angewiesen war, mit dem sich der Princeps beriet, Entscheidungen fasste und diese auch umsetzte, liegt für die hadrianische Herrschaft auf der Hand. Die Relevanzverschiebung der Sphären und die in der Außenwirkung forcierte Rolle des Princeps darin, trifft sich mit dem materialen Befund der Villa, der visuell unterstrich, was politisch umgesetzt und durch alleinige und bedeutende Leistungen des Princeps zum Wohl des Reichs geschaffen werde. So bot grundsätzlich auch die Villegiatur ein geeignetes Ambiente für die Abhaltung von consilia. Um deren Verankerung auch in der Villa Hadriana zu untermauern, sei im Kon­ text der erzielten Ergebnisse zur juristischen Tätigkeit Hadrians noch einmal auf seine Abhaltung von Gerichtsverhandlungen hingewiesen. Im Befund der Villa ist nämlich in der großen Halle des zeremoniellen Bereichs, der bereits als Ort der Politik in diesem Raum identifiziert wurde, das Podium eines Tribunals, des autori­ tativen Orts römischer Rechtsprechung, gefunden worden. Situiert war es in der einen Halbkreis beschreibenden Hallenrückwand, Säulen waren vorgelagert.475 Auch wenn für die exakte Raumstruktur keine Vorbilder bestehen,476 erinnert die den raum abschließende Präsentationsform mit einem in eine gerundete Wand gesetzten Tribu­ nal an die entsprechende Gestaltung im Pantheon. Damit ist wahrscheinlich, dass auch im großen Versammlungsraum des zeremoniellen Bereichs Recht gesprochen wurde und Beratungen mit consilia stattfanden. Die neuartige Präsentation der kai­ serlichen Tribunale im Pantheon und vermutlich im zeremoniellen Bereich der Villa machte somit vermutlich nicht nur durch ihre exzeptionelle Herausgehobenheit auf die Monopolisierung der Rechtsprechung durch den Princeps aufmerksam, sondern suchte auch das Ausmaß dessen juristischer Leistungen zu betonen. Die generelle Übernahme juristischer Entscheidungen in den Villenraum bedeu­ tete gleichsam auch eine klare Ansage an den Senat, der auf diese Weise offensicht­ lich und gezielt einer seiner Kompetenzen beraubt wurde. Das soll nun nicht bedeuten, dass der Senat nicht im Grunde schon unter Augustus faktisch alle wesentlichen Entscheidungskompetenzen verloren hatte. Neu war jedoch, dass Hadrian diesen Kompetenzverlust offenlegte, indem er sichtbar machte, dass kaiserliche Politik nicht nur im raum des negotium, d. h. unter etablierter formaler Beteiligung des Senats, sondern problemlos auch im Raum des otium und damit unter Zuhilfenahme durch vom Princeps gewählte, statusunabhängige Berater, stattfinden konnte und stattfand. In anderen Worten: Der Senatorenschaft wurde schonungslos vor Augen geführt, dass der Ort, an dem sich der Princeps befand, auch unweigerlich der Ort aller poli­ tischen Entscheidungen war. Die Absenzen Hadrians durch Villenaufenthalte und Reisetätigkeiten sollten damit nicht zuletzt als Ausdruck seiner Autonomie und Omni­ potenz verstanden werden. 475 Siehe MacDonald/Pinto (1995) 78f. 476 MacDonald/Pinto (1995) 79.

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Betrachten wir dazu nun intensiver den bereits erwähnten Brief Hadrians die Amphyktonie und Stadt:477 Dabei handelte es sich dabei um die Antwort auf ein Schreiben des T. Fl. Aristotimos, das dieser ihm als delphischer Gesandter persönlich übermittelt hatte ([Ἐπιστολὴν ἣν] πρὸς ἐμὲ ἐπεστείλατε […]478) und das Dekrete beinhaltete (δόγματα479). André Plassart geht davon aus, dass diese Dekrete den Beschluss des Amphiktyonen­Rats und der Stadt formulierten, Hadrian eine Statue in Delphi zu errichten, da eine solche tatsächlich bei Ausgrabungen nahe der Kultstätte der Athene Pronaia gefunden worden ist. Die Kaisertitulatur auf der Basis der Statue kann durch die Angabe von Hadrians neunter tribunicia potestas auf das Jahr 125 und somit auf das Jahr des Briefs datiert werden. Neben dem Princeps als dem Empfänger der Ehren wird auch der Dedikant in der Basisinschrift benannt: Es handelt sich erneut Titus Flavius Aristotimos, den Priester des pythischen Apollon und Gesandten nach Rom, der nun δο