Zur wohlfahrtstheoretischen Behandlung von Verteilungsproblemen [1 ed.] 9783428427499, 9783428027491

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Zur wohlfahrtstheoretischen Behandlung von Verteilungsproblemen [1 ed.]
 9783428427499, 9783428027491

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Volkswirtschaftliche Schriften Heft 194

Zur wohlfahrtstheoretischen Behandlung von Verteilungsproblemen

Von

Johannes Hackmann

Duncker & Humblot · Berlin

JOHANNES

HACKMANN

Zur wohlfahrtstheoretischen Behandlung von Verteilungsproblemen

Volkswirtschaftliche

Schriften

Herausgegeben von Dr. J. B r o e r m a n n , Berlin

Heft 194

Zur wohlfahrtstheoretischen Behandlung von Verteilungsproblemen

Von

Dr. Johannes Hackmann

D U N C K E R

& H U M B L O T

/

B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1972 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1972 bel Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 02749 3 D 188

Inhaltsverzeichnis

Einleitende Bemerkungen

11

TeilA Möglichkeiten verbindlicher Urteile, Situationsvergleiche u n d Maßnahmebeurteilung I . Grundsätzliches zur Problematik verbindlicher Urteile

14

1. Intersubjektive Überprüfbarkeit

14

2. Konditionale Wertsetzungen

15

3. Intersubjektive Anerkennung

17

I I . Charakterisierung der Ausgangsproblematik

20

1. Drei grundlegende intersubjektiv anerkannte Normen; der Begriff ,Wohl'

20

2. Ausgangs- u n d Ergebnissituation

22

a) Z u m Verfahren einer Maßnahmebeurteilung b) Einige konzeptionelle Probleme bei einem Verständnis des Situationsbegriffs

22 nicht-statischen

c) Restriktive Annahmen zwecks Problemvereinfachung

27

3. Möglichkeitsgrenzen

28

I I I . Pareto-, Kaldor/Hicks-, Scitovsky- u n d Samuelson-Kriterium

30

1. P a r e t o - K r i t e r i u m 2. K a l d o r / H i c k s - K r i t e r i u m

30 (KHK)

31

3. Scitovsky- u n d Samuelson-Kriterium

34

I V . Die Beurteilung v o n Maßnahmen aufgrund der Pareto-Norm 1. Vergleiche punktueller Maßnahme a) Pareto-Superiorität: nahmebeurteilung?

Situationen hinreichend

und für

die Beurteilung eine

definitive

36 der Maß-

b) Pareto-Norm: ein konservatives Vorurteil? c) Vorläufige nahmen

23

Empfehlungen

und

Irreversibilität

36 37 38

von

Maß-

42

6

Inhaltsverzeichnis 2. Maßnahmebeurteilung als Vergleich einer Vielzahl von Situationen

45

3. Verteilungsmaßnahmen i n Interessenharmonie

50

TeilB Einige Aspekte der Berücksichtigung der Verteilungsproblematik aus traditioneller wohlfahrtstheoretischer Sicht I . Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

53

1. Z u m Verständnis u n d zur Bedeutung des Nutzenbegriffs i n der Wohlfahrtstheorie

53

a) Verteilung als Interessenkonflikt; Aufgabenstellung

53

b) Der Nutzen von I n d i v i d u e n als entscheidende Orientierungsgröße wohlfahrtstheoretischer Urteile

56

aa) Einige Bemerkungen zur Schwierigkeit eines Versuchs, die Position der Wohlfahrtstheorie zu kennzeichnen

56

bb) Nutzen als Wohlbefinden

57

c) Die Nutzenverteilung als richtige Orientierungsgröße bei V e r teilungsfragestellungen 2. Zweiteilige vergleiche

Kriterien:

zum Problem

interpersoneller

Nutzen-

63 66

a) Zweiteilige K r i t e r i e n — einführende Bemerkungen

66

b) Zweiteilige K r i t e r i e n m i t auf die Nutzenverteilung bezogenem Verteilungskriterium

67

c) Zweiteilige K r i t e r i e n m i t auf die Güterverteilung bezogenem Verteilungskriterium

71

d) Einige Bemerkungen zur Relevanz interpersoneller vergleiche

76

Nutzen-

e) Das sog. L i t t l e - K r i t e r i u m

78

3. Das Konzept der sozialen Wohlfahrtsfunktion: Genügens ordinaler Nutzenmaße

zur Frage des

a) Allgemeine Kennzeichnung u n d Klassifizierung sozialer W o h l fahrtsfunktionen b) Soziale Wohlfahrtsfunktionen Nutzenmaße

u n d Ordinalität

individueller

c) Z u r Frage der normativen Relevanz von Präferenzstärkemaßen 4. Die Berücksichtigung von Präferenzstärkemaßen: des Genügens i n t e r v a l l f i x e r Maße

zum Problem

80 80 84 88 89

a) Einleitende Bemerkungen

89

b) v. Neumann - Morgenstern Nutzen ( v N M Nutzen) als Präferenzstärkemaße

90

c) Präferenzschwellen als Präferenzstärkemaße

96

Inhaltsverzeichnis d) Z u r Problematik der Zielsetzung der Gesamtnutzenmaximier u n g u n d zur Frage des Genügens i n t e r v a l l f i x e r Maße

97

e) Vorschläge zur F i x i e r u n g v o n N u l l p u n k t e n der Nutzenfunktion

99

I I . Beurteilung einiger Vorschläge zur Nutzenermittlung

102

1. Überleitende Bemerkungen u n d zur allgemeinen Charakterisier u n g des Beurteilungsverfahrens 102 2. Die Eignung der Konzeption Armstrongs zur Nutzenermittlung . . 105 3. Z u r normativen Verwertbarkeit von v N M Nutzen

109

a) v N M Nutzen als Maße individueller Präferenzstärke

109

aa) Allgemeines zur Hypothese der M a x i m i e r u n g v o n Nutzenerwartungswerten 109 bb) Z u r Frage der Existenz von v N M Nutzen cc) Z u r Frage Nutzen

der

normativen

Relevanz

112 existenter

vNM

b) Einige Bemerkungen zu »Vorschlägen' interpersoneller gleiche u n d N u l l p u n k t f i x i e r u n g e n bei v N M Nutzen

Ver-

115 120

I I I . Probleme u n d K r i t i k einer am Nutzen orientierten Urteilsfindung . . 121 1. Vorbemerkungen

121

2. Die Hypothese der Konstanz der Bedürfnisse: Die Bedürfnisse als varüerbare nutzenbestimmende Faktoren 124 a) Beschränkung auf ökonomische W o h l f a h r t b) Z u m Problem einer wohlfahrtstheoretischen sich ändernder Bedürfnisse

125 Berücksichtigung

128

3. Z u r normativen Irrelevanz einer a m Nutzen orientierten Urteilsfindung 133 a) Klassifikation von Bedürfnissen

133

b) Die E n t w i c k l u n g des Prinzips der Eigenzuständigkeit

137

c) Die E n t w i c k l u n g des Prinzips der Eigenverantwortung

143

4. E x k u r s : Das Prinzip der Eigenzuständigkeit u n d die „Unmöglichkeit eines paretianischen Liberalismus" 149

TeilC E i n alternatives Konzept der Behandlung von Verteilungsproblemen I . Die Entwicklung einer Verteilungszielsetzung

153

1. Eine konzeptionelle Grenze des Prinzips der Eigenzuständigkeit: das Prinzip der Gruppenzuständigkeit 153 a) Die Konzeption des Prinzips der Gruppenzuständigkeit

154

8

Inhaltsverzeichnis b) Das Zusammenspiel von Gruppenzuständigkeiten Problem einer Urteilsfindung

und

das

157

c) Z u m Problem der K o m p a t i b i l i t ä t von Interessiertheit u n d a l l gemein anerkannten Verteilungskriterien 158 2. Inhaltliche Grenzen des Prinzips der Gruppenzuständigkeit

162

a) Grenzen der Zuständigkeit hinsichtlich der Bedürfnisse

162

b) Grenzen der Zuständigkeit hinsichtlich der »Technik der Bedürfnisbefriedigung 4 163 c) Grenzen der Zuständigkeit hinsichtlich der Versorgung Bedürfnisbefriedigungsmitteln 3. Das Z i e l einer gleichmäßigeren Verteilung der Verfügungsmacht

mit

ökonomischen

I I . Z u m Konzept der ökonomischen Verfügungsmacht 1. ökonomische Verfügungsmacht versus persönliche macht

164 167

170 Verfügungs-

170

2. Z u m Problem der E r m i t t l u n g der ökonomischen Verfügungsmacht 170 a) ökonomische Verfügungsmacht als Bestandsgröße

170

b) ökonomische Verfügungsmacht als Stromgröße

176

3. Die ökonomische Verfügungsmacht einiger spezieller Gutsarten . . 179

m . Z u m Problem der Bewertung des Volumens des Distribuendum

180

1. Problemstellung 2. Die gesamtwirtschaftliche Produktionsmöglichkeitsgrenze Ausdruck der Gesamtheit von Verfügungsmöglichkeiten

180 als

182

3. Z u m Verfahren der Übertragung der f ü r das Volumen des Distribuendum gefundenen Wertansätze auf die Maße i n d i v i d u e l ler ökonomischer Verfügungsmacht 187 I V . Die erweiterten Möglichkeiten einer Urteilsfindung

188

1. Situationsvergleiche u n d Maßnahmebeurteilungen aufgrund der »Norm einer gleichmäßigeren Verteilung 1 188 a) Veränderte Problemstellung

188

b) Situationsvergleiche

190

c) Die E r m i t t l u n g der verbleibenden relevanten Bereiche v o n Möglichkeitsgrenzen 192 2. Weiterführende Ansätze

196

3. Z u m Verhältnis der »Norm der gleichmäßigeren Verteilung* zu anderen Verteilungszielsetzungen 202 a) Einführende Bemerkungen

202

Inhaltsverzeichnis b) ,Norm der gleichmäßigeren Verteilung 1 versus das Postulat der leistungsgerechten Verteilung 204 c) »Norm der gleichmäßigeren Verteilung' versus das Postulat der bedarfsorientierten Verteilung 211 Zusammenfassende Bemerkungen

214

Literaturverzeichnis

219

Einleitende Bemerkungen Thematisch geht es i n der vorliegenden Arbeit um die Frage, wie bei einer Beurteilung staatlicher Maßnahmen aus einer wohlfahrtstheoretischen Sicht das Problem der Verteilung zu berücksichtigen sei. Ziel der Arbeit ist es dabei nicht, kochfertige Rezepte anzubieten; vielmehr werden nur einige Vorstellungsweisen i m Ansatz entwickelt, von denen vermutet wird, daß sie sowohl für weiterführende grundsätzliche Untersuchungen als auch bei einer Beschäftigung m i t konkreten Problemen (etwa i m Rahmen von Nutzen-Kosten Analysen) Anregungen und Hilfen bieten können. Die grundsätzliche Relevanz der Thematik dieser Arbeit braucht nicht betont zu werden, da sich die Grenzen der (mittlerweile traditionellen) ,Neuen Wohlfahrtstheorie' vornehmlich i n den Bereichen zeigen, i n denen Fragen der Verteilung zu erörtern sind 1 . Es sei daran erinnert, daß diese Grenzen ins Bewußtsein rückten, als die Möglichkeit interpersoneller Nutzenvergleiche nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit angesehen wurde und als sich i n der positiven Theorie die Auffassung durchgesetzt hatte, daß kardinale Nutzenmessung unmöglich bzw. unnötig sei. Schon hieran zeigt sich, daß die Ratlosigkeit der Wohlfahrtstheoretiker, die Verteilungsproblematik i n den Griff zu bekommen, eng m i t ihrer Uberzeugung verknüpft ist, daß es, wenn die Verteilung beurteilt werden soll, auf die Verteilung der Nutzen von Individuen ankomme. Bemerkenswerterweise steht nun dieser Überzeugung der Wohlfahrtstheoretiker die Selbstsicherheit der ,Verteilungspolitiker 4 (auch unter den Wissenschaftlern) gegenüber, daß eine Verteilungspolitik ihr Augenmerk auf die Verteilung der Einkommen und Vermögen zu richten habe. A l l e m Anschein nach w i r d diese Sicherheit auch dadurch nicht beeinträchtigt, daß Wohlfahrtstheoretiker von einer „Fetischisierung" sprechen 2 , wenn sich die Betrachtung auf die Verteilung ,objektiver' Größen (wie des Einkommens und des Vermögens) konzentriert. 1

A r r o w kennzeichnet diese Problematik i n seiner Besprechung zu Littles A Critique of Welfare Economics denn auch als „the hard p r o b l e m . . . where . . . everyone stops" (K. J. Arrow , Little's Critique of Welfare Economics, i n : The American Economic Review (AER), Bd. 41 (1951), S. 927). 2 s. P. A . Samuelson, Foundations of Economic Analysis (1947), Cambridge 1963; vgl. auch unten S. 63 ff.

12

Einleitende Bemerkungen

Die vorliegende Arbeit kann i n wesentlichen Teilen als eine Auseinandersetzung m i t diesen beiden Positionen begriffen werden. Dementsprechend hat i n ihr das Problem ein erhebliches Gewicht, was aus prinzipiellen Erwägungen das richtige Verteilungsobjekt sei, d.h. auf die Verteilung welcher Größen zu achten sei, wenn die Verteilung unter Gesichtspunkten der gesellschaftlichen Wohlfahrt beurteilt oder auch verbessert werden soll. Da die Frage nach dem richtigen Verteilungsobjekt eine Auseinandersetzung m i t grundlegenden Positionen der Wohlfahrtstheorie erforderlich macht, steht sie allerdings nicht schon am Beginn der Arbeit. I m Teil A werden vielmehr anfangs allgemein die methodischen Voraussetzungen und Möglichkeiten einer Beurteilung von Maßnahmen überprüft. Dies führt u. a. zu einer »Suche* nach weithin akzeptierten Normen, die einer Urteilsfindung zugrunde gelegt werden können. Den gängigen Vorstellungen der Wohlfahrtstheorie entsprechend, w i r d dann vor allem von der Norm ausgegangen, daß es aus gesellschaftlicher Sicht gut sei, jemanden besser zu stellen, sofern dadurch niemand sonst schlechter gestellt w i r d (Pareto-Norm). Schließlich werden die Urteilsmöglichkeiten dargestellt, die die Pareto-Norm gestattet, wobei darauf hingewiesen wird, daß ein ausschließlicher Bezug auf diese Norm nicht zu einer Begünstigung des status quo führt. I m übrigen hat der Teil A die Funktion, gedanklich an Urteilsfälle m i t Interessenkonflikten heranzuführen, i n denen sich — nach dem Verständnis i n dieser Arbeit — erst das Spezifische von Verteilungsproblemen zeigt. M i t dem Teil B werden mehrere Ziele verfolgt: Zunächst sollen grundlegende Positionen der Wohlfahrtstheorie beschrieben werden. Ferner gilt es, über mehr oder weniger konkrete Vorstellungen der Wohlfahrtstheorie zur Behandlung von Verteilungsproblemen zu berichten. Dies w i r d vorwiegend i n Hinblick auf die Frage geschehen, ob bzw. unter welchen Bedingungen interpersonelle Nutzenvergleiche und kardinale Nutzenmaße notwendig sind. Schließlich werden i n diesem Teil einige konkrete Vorstellungen, wie die Nutzen von Individuen i n Hinblick auf die Bestimmung der gesellschaftlichen Wohlfahrt prinzipiell zu ermitteln seien, einer Prüfung unterzogen. Diese Ausführungen sollen darüberhinaus den Boden für eine K r i t i k an grundlegenden, weithin akzeptierten Positionen der Wohlfahrtstheorie bereiten. Schließlich w i r d i m Teil B versucht, durch eine konsequente Anwendung einiger wohlfahrtstheoretischer Auffassungen diese selbst ad absurdum zu führen. Die vorzutragende K r i t i k richtet sich dabei nicht gegen eine etwaige mangelnde Operationalität dieser Auffassungen sondern gegen die ihnen zugrunde liegenden Prinzipien. A u f der K r i t i k i m Teil B aufbauend und aus ihr heraus entwickelt, w i r d dann i m Teil C ein eigenes Konzept vorgestellt. Es basiert auf der

Einleitende Bemerkungen Überlegung, daß die Individuen bei einzelnen ,Aktivitäten' nicht nur »eigenzuständig4 sind, sondern daß sie auch die Konsequenzen solcher A k t i v i t ä t e n (ohne Kompensationen) selbst tragen sollen. Dies bedeutet, daß solche Konsequenzen nicht berücksichtigt werden dürfen, wenn die Verteilung aus der Sicht der gesellschaftlichen Wohlfahrt beurteilt werden soll. Für Verteilungsfragestellungen von Bedeutung bleiben damit nur noch »Bereiche4, i n denen Individuen nicht die Verantwortung für ,Aktivitäten* i n dem Sinnn übernehmen sollen, daß sie deren Ergebnisse — zum Guten oder Schlechten — allein zu tragen haben. Nach dieser Grundlegung w i r d dann auf als allgemein akzeptiert vermutete Grenzen solcher Verantwortlichkeiten hingewiesen. Dabei w i r d argumentiert, daß u. a. auch die Versorgung m i t Möglichkeiten, über Güter und Dienste zu verfügen (ökonomische Verfügungsmacht), i n einem gewissen Maße zu diesen Bereichen gehört. I n den abschließenden Kapiteln des letzten Teils werden — z. T. nur skizzenhaft — einige Probleme der Ermittlung der ökonomischen Verfügungsmacht einzelner Individuen und der Gesamtheit der Verfügungsmöglichkeiten behandelt. Schließlich werden einzelne Konsequenzen aufgezeigt, die sich aufgrund der entwickelten Konzeption für eine Urteilsfindung ergeben und w i r d ansatzweise auf weitergehende Verwertungsmöglichkeiten des Konzepts hingewiesen.

Teil A

Möglichkeiten verbindlicher Urteile, Situationsvergleiche und Maßnahmebeurteilung I. Grundsätzliches zur Problematik verbindlicher Urteile 1. Intersubjektive Überprüfbarkeit

Die Frage nach den Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Beurteilung staatlicher Maßnahmen hat die Sozialwissenschaften immer wieder beschäftigt, und es scheint, daß diese Probleme auch weiterhin zumindest den Hintergrund mancher Auseinandersetzungen abgeben werden. Dabei wäre es für den Wissenschaftler besonders attraktiv, wenn er m i t dem Anspruch auf Objektivität und allgemeiner Verbindlichkeit Urteile fällen könnte; problematisch ist, ob bzw. unter welchen Bedingungen ein solcher Anspruch erhoben werden kann. Werden unter wissenschaftlich' Aussagen oder Urteile verstanden, deren Richtigkeit intersubjektiv überprüft und somit allgemein verbindlich festgestellt werden kann, dürfte, unbeschadet der Möglichkeit intersubjektiver Überprüfbarkeit überhaupt, heute w o h l weithin die Auffassung bestehen, daß eine wissenschaftliche Beurteilung staatlicher Maßnahmen nicht möglich ist, da solche Urteile immer nur i m Rückgriff auf Wert- bzw. Zielvorstellungen gefällt werden können, die letztlich Ergebnisse (subjektiver) Entscheidungen seien und sich so einer objektiven Uberprüfung entziehen. Eine konsequente Beachtung einer solchen Auffassung müßte zu einer Enthaltsamkeit auch der Ökonomen ,als Wissenschaftler 4 von der Beurteilung staatlicher Maßnahmen führen. Die Praxis sieht allerdings anders aus: Immer wieder gibt es Fälle, i n denen mit dem (zumindest impliziten) Anspruch auf Wissenschaftlichkeit Stellungnahmen abgegeben werden, die nur i m Rückgriff auf Wertentscheidungen zustande gekommen sein können. Stärker noch, es gibt einen ganzen Zweig der Ökonomie, nämlich die Wohlfahrtstheorie, der sich i m Prinzip m i t nichts anderem beschäftigt als Kriterien für eine Urteilsfindung zu entwickeln 1 . 1 „The purpose of welfare economics itself is to i n f o r m public policy", J. Rothenberg, The Measurement of Social Welfare, Englewood Cliffs, N. J.,

I. Grundsätzliches zur Problematik verbindlicher Urteile

15

W i r d nicht gleich unterstellt, daß Personen ihre Autorität als Wissenschaftler mißbrauchen, gibt deren faktisches Verhalten den Anlaß zur Prüfung, ob es bei differenzierter Betrachtung nicht doch gerechtfertigt werden kann, daß Ökonomen auch als Wissenschaftler Maßnahmen des Staates zu beurteilen oder verschiedene Situationen zu vergleichen suchen, ohne daß sie ihre Kompetenz überschreiten.

2. Konditionale Wertsetzungen

Eine Möglichkeit wäre es, die für eine Beurteilung notwendigen und i n ihrer Richtigkeit wissenschaftlich nicht beweisbaren Werte nur konditional und nicht m i t dem Anspruch auf Verbindlichkeit einzuführen. Damit müßte der Wissenschaftler nicht über die Richtigkeit von Wertvorstellungen entscheiden, sondern unter Berücksichtigung sonstiger, wissenschaftlich faßbarer Zusammenhänge die Implikationen bzw. Konsequenzen bestimmter Wertvorstellungen aufweisen 2 . Bei einem solchen Verfahren kann allerdings strenggenommen kaum noch von einer ,Beurteilung' gesprochen werden. Ob die Ausführungen des Wissenschaftlers auch zu einem ,Urteil' führen, liegt nicht an seiner (unterstellt) korrekten Aussage, sondern daran, ob eine Identifikation m i t der Kondition ( = Wertsetzung) erfolgt oder nicht. Dieser Ansatz könnte somit auch strengen Anforderungen an ,Wissenschaftlichkeit' genügen 3 . Dabei darf jedoch die Gefahr nicht als gering eingeschätzt werden, daß die ausgewählten Werte, obschon nicht als verbindlich (aber auch nicht als falsch) erklärt, einfach durch den faktischen Bezug auf sie als richtig suggeriert werden. 1961, S. 261 oder ebenda S. 14 „The ultimate purpose i n undertaking a welfare analysis has been claimed to be the attempt to evaluate different policy alternatives." Diese Zitate können w o h l als Ausdruck der typischen Einstell u n g der Mehrzahl der Wohlfahrtstheoretiker aufgefaßt werden. Bezeichnend ist auch die Auffassung von Hicks, der befürchtet, eine Enthaltsamkeit der Ökonomie von solchen Fragen sei „ v e r y conducive to the euthanasia of our science", J. R. Hicks , The Foundations of Welfare Economics, i n : The Economic Journal (EJ), Bd. 49 (1939), S. 697. 2 Vgl. zu dieser Position etwa Samuelson, Foundations, S. 220 u n d M. Fleming , A Cardinal Concept of Welfare, i n : The Quarterly Journal of Economics (QJE), Bd. 66 (1952), S. 369 „ B u t welfare economics is inevitably concerned w i t h values i n the sense that i t represents the application of economic science, i n itself wertfrei , to the service of a postulated set of ethical ends." 3 „When the supplementary conditions derived f r o m social value judgements are given, a l l the rest is w i t h i n the sphere of competence of the economist. This l i m i t a t i o n of the economist's field is necessary for the m a i n tenance of his objectivity and self-respect as a scientist." R. Frisch , On W e l fare Theory and Pareto Regions, i n : International Economic Papers, No. 9 (1959), S. 74.

Teil A: Urteile, Situationsvergleiche und Maßnahmebeurteilung Insbesondere die Wohlfahrtstheorie liefert Anschauungsmaterial dafür 4 , daß einmal von ihren Vertretern als ,vernünftig 4 postulierte Prinzipien, wenn sie erst i m internen Kreis eine gewisse Beachtung gefunden haben, ein Eigengewicht bekommen und gleichsam unausrottbar werden, da es ja nach allgemeiner Auffassung definitive — intersubjektiv überprüfbare — Kriterien zu ihrer Widerlegung nicht gibt. Diese Gefahr ist u m so größer als das, was als »vernünftig 4 empfunden wird, psychisch leichthin m i t dem Gewohnten identisch ist, so daß eine einmal etablierte Meinung dieser A r t schon auf diese Weise relativ stark abgesichert ist 5 . Die Tendenz zur Absicherung w i r d noch dadurch verstärkt, daß i m wissenschaftlichen Bereich (mit gutem Grund) zunächst einmal derjenige, der eine Position anfechten möchte, die Beweislast trägt — wissenschaftliche Beweise jedoch i m Bereich der Wertsetzungen nicht möglich sind. Der beschriebenen Gefahr könnte prinzipiell dadurch begegnet werden, daß alle denkbaren Wertsetzungen gleicherweise beachtet werden, ein Weg, der praktisch weder wegen seiner frustrierenden Arbeitserfordernisse noch wegen der unendlichen Vielzahl denkbarer Wertvorstellungen gangbar sein dürfte. Bei einer Vielzahl denkbarer und m i t einander nicht vereinbarer Wertsetzungen, zwischen denen wegen fehlender intersubjektiv überprüfbarer Kriterien unter dem Gesichtspunkt der Richtigkeit nicht ausgewählt werden kann, stellt sich somit die wichtige Frage, welche Werte als solche Konditionen ausgewählt werden sollen. Soll eine ,Beurteilung* mehr als einen pädagogischen, d. h. i n Hinblick auf eine Methode exemplarischen Charakter haben, so kann die Ausw a h l von Werten bzw. der Prozeß der Wertfindung nicht anhand der nicht verfügbaren Kriterien der Wertrichtigkeit vorgenommen werden, vielmehr muß sie nach solchen der Wertrelevanz erfolgen. W i r d nun von einem Ethos der Wahrhaftigkeit und des Engagements ausgegangen, sind aus der Sicht eines Wissenschaftlers (als Mensch) normativ (im 4 Z u denken ist vornehmlich an Glückskalküle Benthamscher Prägung, einer philosophischen Richtung des vergangenen Jahrhunderts, die i m m e r noch, w e n n nicht die bewußte so doch auf jeden F a l l die unterbewußte .weltanschauliche* Basis der Wohlfahrtstheorie u n d darüber hinaus eines großen Teils sogenannter positiver Theorie ist. 8 Vgl. i n diesem Zusammenhang S. K . Nath, A Reappraisal of Welfare Economics, London 1969, S. 153: „ I f economists were only to w o r k out the implications of v a r i o u s , . . . i. e. different sets of value judgements, m y criticisms w i l l not apply. B u t the fact is t h a t sufficient and necessary conditions for the social o p t i m u m have been deduced f r o m only one set of w i d e l y accepted value judgements, so t h a t the theory of the allocation of resources has come to be identified w i t h one particular set of value judgements."

I. Grundsätzliches zur Problematik verbindlicher Urteile

17

Unterschied zu faktisch) nur diejenigen Werte relevant, die er — m i t größerer oder geringerer persönlicher Gewißheit — als richtig erkennt 6 . Diese subjektiven Werte mögen jedoch für andere keinerlei Bedeutung haben, und ein Arbeiten auf der Basis so gefundener Werte mag von ihnen nicht nur als uninteressant sondern auch als eine Form der Nötigung empfunden werden, sich m i t Aussagen zu beschäftigen, die doch ,nur' persönlich relevant sind. 3. Intersubjektive Anerkennung

Auswahl relevanter Normen. Unter einem pragmatischen Gesichtspunkt hingegen liegt es nahe von solchen Normen auszugehen, die faktisch relevant sind, etwa w e i l sie von einer Vielzahl von Menschen oder politisch einflußreichen Schichten akzeptiert werden 7 oder auch w e i l sie i n einer bestimmten Gesellschaft „vorherrschen" 8 . Es ist offensichtlich, daß ein solches Verfahren affirmativ ist und einen gesellschaftlichen Immobilismus begünstigt. Darüber hinaus stellt sich die Fräse, wie ein solches Verfahren dann m i t der persönlichen Integrität des Wissenschaftlers zu vereinbaren ist, wenn er sich nicht m i t herrschenden Wertströmungen zu identifizieren vermag, etwa weil sie i h m Minderheiten zu benachteiligen scheinen. Die Bedeutung dieser Probleme ist erheblich reduziert, wenn nicht nur von vorherrschenden sondern auch von solchen Wertvorstellungen ö

Vgl. Hicks, der i n einer „author's note" (wohl 1969) seine i m anschließen* den Z i t a t ausgedrückte Meinung als „nowadays noncontroversial" bezeichnet (J. R. Hicks , Preface — and a Manifesto, i n : Readings i n Welfare Economics, Hrsg. K . J. A r r o w / T . Scitovsky, London 1969, S. 95): „ I t is inevitable that i n forming an opinion about contemporary events one should be m a k i n g value judgements — tnat one should have some idea, at the bottom of one's mind, about the things, the conditions or the arrangements, w h i c h one t h i n k s to be good or bad.7 Vgl. I. M . D. Little , A Critique of Welfare Economics, 2. Aufl., O x f o r d 1957, S. 115. ö Rothenberg, Measurement fordert eine Orientierung an den „values prevailing in the community " (S. 310). Dabei sind bei Rothenberg die h e r r schenden Werte konzeptionell weitgehend als ,Werte der Herrschenden* gefaßt. (S. 318: „ A s a w a y of achieving for i t (i. e. »my*... conception; H) the utmost relevance, w e may consider treating the Social Welfare Function foi a particular society as the very same values embodied i n . . . ( t h e ) . . . strategic social decision-making processes w i t h i n the s o c i e t y . . . , and thus that w e consider treating the social ordering (...) as the ordering of social states which results f r o m the operation of those processes. This approach w o u l d define the content of the Social Welfare Function as a generalisation of something observable i n the real world. The uniquely relevant Social W e l fare Function, as interpreted here, w o u l d not, then, be m y valuational rule, nor the rule of a l l (or almost all) economists, nor even the rule of all (or a l most all) members of the population at large." U n d S. 324/5: „ T h e decisionm a k i n g process w h i c h can be considered a Social Welfare Function, . . . , is so h i g h l y institutionalized, so pervasively and deeply accepted , t h a t this acceptance involves individuals interiorizing i t as a personal value." 2 Hackmann

Teil A : Urteile, Situationsvergleiche und Maßnahmebeurteilung ausgegangen wird, die allgemein akzeptiert werden. A u f solchen Wertvorstellungen basierende Urteile sind damit sowohl persönlich wie auch darüber hinaus allgemein relevant, da sie — ihre korrekte Herleitung vorausgesetzt — für alle gelten. Dieses Gültigsein für alle unterscheidet sich nun nur geringfügig von dem, was oben m i t Allgemeinverbindlichkeit als Kennzeichen von Wissenschaftlichkeit beschrieben wurde. Es w i r d zwar eingewandt werden können, daß eine sich wiederholt zeigende allgemeine intersubjektive Anerkennung von Normen, die trotz dieser Anerkennung immer nur zum Ausdruck bringen könne, daß sich i n einer bestimmten Zeit eine Vielzahl von Individuen gleichsinnig entschieden hat, prinzipiell etwas anderes sei als eine bei einer intersubjektiven Uberprüfung sich immer wieder als richtig erweisende Aussage, bei der die »objektiven Gegebenheiten* den Wahrheitsgehalt so total vermitteln, daß für Entscheidungen und damit für Subjektivität gar kein Raum mehr bleibe. Dem steht jedoch entgegen, daß auch eine sich immer wieder bewährende intersubjektive Uberprüfung von Aussagen nur deshalb möglich ist, w e i l intersubjektiv darüber Einigkeit besteht, daß die Gesetze des Denkens bzw. der Logik richtig sind und (empirische) Sachverhalte grundsätzlich durch die menschlichen Sinne (einschließlich ihrer ,Verlängerungen' durch technische Apparate) richtig beobachtet (und ermittelt) werden können, die vom Menschen wahrgenommenen Beobachtungen also regelmäßig keine Täuschungen sind. Insofern resultiert auch die allgemeine Verbindlichkeit sogenannter intersubjektiv überprüfbarer Aussagen aus allgemeiner (oder auch nur weitgehender) intersubjektiver Anerkennung. Deshalb mag es auch als berechtigt erscheinen, dann von allgemein verbindlichen Urteilen zu sprechen, wenn diese Urteile ausschließlich auf generell akzeptierten Normen basieren. Wenn es dennoch problematisch erscheint, von der Allgemeinverbindlichkeit solcher Urteile auszugehen, so könnte ein Grund darin gesehen werden, daß es faktisch schwer feststellbar sein dürfte, ob überhaupt Normen als allgemein akzeptiert betrachtet werden können und welche Normen das sein mögen. Dies festzustellen wäre allerdings eine Aufgabe positiver Wissenschaft. Ein anderes Bedenken, daß es nämlich nicht sicher sei, ob allgemein akzeptierte Normen infolge von kritischen Überprüfungen auch allgemein akzeptiert bleiben, gilt i n ähnlicher Weise für Aussagen positiver Wissenschaft, die für sich auch immer nur »vorläufige' Verbindlichkeit i m Sinne eines Noch-nicht-falsifiziert i n Anspruch nehmen können. Allgemein anerkannte Normen und die Position der Neuen Wohlfahrtstheorie. Das Ergebnis dieser Überlegungen w i r d auch als Rechtfertigung der von der ,Neuen Wohlfahrtstheorie' bezogenen Position auf-

I. Grundsätzliches zur Problematik verbindlicher Urteile 9

19

10

gefaßt werden dürfen . So kannn nach Hicks von der Ökonomie dann als Wissenschaft gesprochen werden, wenn „ i t can hope to reach conclusions which w i l l command universal acceptance", und Samuelson gesteht, obwohl er fordert, daß die Wohlfahrtstheorie den „letzten unwissenschaftlichen Schritt" nicht „präjudizieren" sollte, i m selben Atemzuge zu, „(to) make statements which are uniformly valid for a wide class of ethical systems" 11 . Auch i n dieser Arbeit soll nun nach Urteilsmöglichkeiten auf der Basis „weithin akzeptierter Werturteile" 1 2 gesucht werden. I m Effekt entspricht somit diese Haltung der Einstellung Scitovskys, nach der „the economist could wash his hands of value judgments only if the public's preferences were really given and he would accept them as such" 13 , allerdings m i t dem Unterschied, daß es nicht erforderlich ist, (schmutzige) Hände zu waschen und daß Werturteile durch allgemeine Akzeptiertheit 1 4 nicht ihren Charakter als Werturteile verlieren. Eine ähnliche Einstellung wie die Scitovskys scheint — zumindest unterschwellig — bei vielen Wohlfahrtstheoretikern vorhanden zu sein, so daß bei ihnen von Werturteilen erst dann gesprochen wird, wenn sie kontroverser Natur sind 1 5 . Gerade diese Einstellung war es auch, die den Anstoß zur ,Neuen Wohlfahrtstheorie 4 gegeben hat, die dadurch glaubte, objektiv sein zu können, daß sie sich mutmaßlich kontroversen Urteilen über das, was die richtige Verteilung ist, enthalten wollte, womit sie sich dann von Samuelson das Prädikat der „relativen Wertfreiheit" 1 6 verdiente. I n dieser Arbeit w i r d nun, wie i n der Wohlfahrtstheorie üblich, hinsichtlich der Prüfung der Frage, ob die Normen, von denen ausgegangen wird, tatsächlich weithin akzeptiert sind, von Vermutungen ausgegangen. Für den Fall, daß Zweifel an der Berechtigung einzelner Ver9 U n t e r ,Neuer Wohlfahrtstheorie' werden dabei wohlfahrtstheoretische Vorstellungsweisen verstanden, denen die Auffassung v o n der Unmöglichkeit interpersoneller Nutzenvergleiche u n d der Unmöglichkeit bzw. Unnötigkeit kardinaler Nutzenmaße gemein ist. 10 Hicks, Foundations, S. 696. 11 P. A . Samuelson, Evaluation of Real National Income, i n : O x f o r d Economic Papers, N. S., (OEP), Bd. 2, S. 5. 12 z. B. Little , Critique, S. 276; vgl. auch E. J. Mishan, Weif are Economics: A n Assessment, Amsterdam 1969, S. 19. 13 T. Scitovsky, The Doctrine of Consumers' Sovereignty, i n : The American Economic Review, Papers and Proceedings (AER, PaP) Bd. 52 (1962), S. 268. 14 I n diesem Sinne werden hier „public's preferences" verstanden. 15 Vgl. dazu auch die gerade gekennzeichneten Positionen von Samuelson u n d Hicks; pointierend findet diese w o h l w e i t verbreitete Einstellung ihren Ausdruck i n einem Z i t a t (von 1959), das sich bei N a t h (S. 152) findet: „ I t should not be necessary to point out that, despite its slightly misleading name, the concept of a Pareto o p t i m u m is completely objective and t h a t our discussions are thus of a positive rather than a normative nature." 16 Samuelson , Evaluation, S. 11.

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Teil A : Urteile, Situationsvergleiche und Maßnahmebeurteilung mutungen bestehen, mag sich die Funktion der darauf basierenden Ausführungen darin erschöpfen, die Möglichkeit einer Gegenposition zu „scheinbar" 17 allgemein akzeptierten Resultaten der Wohlfahrtstheorie aufzuweisen. I I . Charakterisierung der Ausgangsproblematik 1. Drei grundlegende intersubjektiv anerkannte Normen; der Begriff ,Wohl'

Obwohl die für die Argumentation erforderlichen allgemein akzeptierten Normen regelmäßig erst bei Bedarf i m Verlaufe der Arbeit eingeführt werden sollen, werden vorweg drei Normen genannt, die auch von der Wohlfahrtstheorie generell, wenn auch nicht immer ausdrücklich, akzeptiert werden und deren Richtigkeit hier nicht bestritten wird. Individualistische Norm. A n erster Stelle ist eine so zu bezeichnende individualistische Norm zu nennen, nach der eine Urteilsbildung ausschließlich unter Bezug auf menschliche Individuen erfolgen soll 1 8 und zwar m i t der Konsequenz, daß prinzipiell jedes einzelne Individuum zählt und daß andere Rücksichten als Rücksichten auf menschliche Individuen nicht genommen werden sollen. M i t dieser Norm ist auch ausgeschlossen, daß »Ganzheiten4 oder »Kollektive 4 i n dem Sinne, daß nicht die einzelnen sie konstituierenden Individuen, sondern nur das »Aggregat 4 zählt, bei einer Beurteilung als Bezugssubjekte i n Frage kommen 1 9 . Postulat der Symmetrie. Ferner gelte für die Urteilsfindung, daß gleiche Individuen ein gleiches Gewicht haben bzw. gleich behandelt werden sollten, was hier als Postulat der Symmetrie bezeichnet w i r d 2 0 . 17 Nath, S. 153; zu einer differenzierteren Auseinandersetzung m i t dem Problemkreis des „ w i d e l y acceptable" vgl. i m übrigen ebd. S. 125 ff. 18 „ . . . the u n i t of account is the i n d i v i d u a l " , T. Majumdar, The Measurement of U t i l i t y , London 1958, S. 18. 19 I n Ermangelung eines besseren Wortes w i r d hier m i t der Bezeichnung .individualistische Norm 4 die Gefahr des Mißverständnisses i n K a u f genommen, daß die Akzeptierung der individualistischen N o r m bereits eine Akzeptierung des »Individualismus' sei. Der letztere stellt nicht n u r I n d i v i d u e n i n den M i t t e l p u n k t seiner Betrachtung sondern postuliert zusätzlich, daß jedes I n d i v i d u u m a m besten selbst einschätzen könne, was f ü r es selbst gut sei (vgl. Majumdar, S. 17/18). Die »individualistische Norm* enthält auch keine Restriktionen derart w i e sie A r r o w als „individualistische A n n a h m e n " formuliert. U. a. hängt danach der Vergleich von Situationen n u r v o n den Konsum-Freizeit-Spar Verhältnissen ab (K. J. Arrow, Social Choice and I n d i v i d u a l Values, 2. A u f l . 1963» New Y o r k e. a. 1967, S. 61). 20 s. z. B. Rothenberg, Measurement, S. 182; eine ähnliche F u n k t i o n w i e hier das Postulat der Symmetrie erfüllen i n der L i t e r a t u r Postulate der »Anonymität 4 , der »Gleichheit 4 , der »Austauschbarkeit 4 (Interchangeability: Rothenberg, Measurement, S. 190) u n d der ,Isomorphic 4 (R. H. Strotz, H o w Income Ought to be Distributed: A Paradox i n Distributive Ethics, i n : The Journal of Political Economy (JPE), Bd. 66 (1958), S. 192); vgl. ferner C. S. Shoup, Public Finance, Chicago 1969» S. 23 ff.

II. Charakterisierung der Ausgangsproblematik

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Es mag eingewandt werden, daß diese Norm solange keine Norm sei, wie nicht bekannt ist, wann Individuen gleich sind. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß logisch auch die gegensätzliche Forderung aufgestellt werden kann und daß der gemeinplatzartige Charakter des Symmetriepostulats (seine allgemeine Akzeptiertheit) nichts an seiner Normativität ändert. Pareto-Norm. Drittens soll davon ausgegangen werden, daß es gut ist, die Lage eines Individums zu verbessern, solange dadurch andere Individuen nicht schlechter gestellt werden. Da diese Norm den Teil der i m Pareto-Kriterium üblicherweise enthaltenen Wertungen aufgenommen hat, welcher die normative bzw. moralische A t t r a k t i v i t ä t 2 1 des Pareto-Kriteriums ausmacht, werde sie i m folgenden als ParetoNorm bezeichnet. Die A t t r a k t i v i t ä t dieser Norm dürfte vornehmlich darin begründet sein, daß sie sich nur auf Fälle der Interessenharmonie bezieht. Sie enthält keine Parteinahme und w i r d von daher von jedermann akzeptiert 2 2 oder sollte doch von jedermann akzeptiert werden können. I m Unterschied zum Pareto-Kriterium sei bei der Pareto-Norm grundsätzlich offen, was ,besser' und was schlechter' ist bzw. i m Unterschied zum üblichen Verständnis des Pareto-Kriteriums möge sich jeder unter ,besser* und ,schlechter 4 das vorstellen, was er als ,besser4 und schlechter* gegebenenfalls auch für andere ansieht. Während nach dem ParetoK r i t e r i u m ferner gebotene Änderungen vielleicht als Änderungen aufgefaßt werden können, denen einstimmig zugestimmt w i r d (bzw. würde), enthält eine nach der Pareto-Norm gebotene Änderung keine Aussage darüber, wie die Ergebnisse von fiktiven oder tatsächlichen Abstimmungen (über solche Änderungen) ausfallen (würden). I m H i n blick auf die Sprachregelung i n dieser Arbeit sei noch vermerkt, daß beim Sprechen von der Pareto-Norm regelmäßig auch die beiden anderen (insbesondere die individualistische Norm) eingeschlossen gelten. Die Rechtfertigung dieser Sprachregelung ergibt sich daraus, daß bei den Ausführungen die Betonung typischerweie auf dieser Norm liegt. Der Begriff ,Wohr. Als begrifflicher Ausdruck des leerformelhaften Verständnisses von dem, was besser ist, diene das Wort ,Wohl', so daß es nach der Pareto-Norm gut ist, das Wohl eines Individuums zu erhöhen, solange dadurch das anderer Individuen nicht beeinträchtigt wird. Die Leerformel Wohl wurde dabei anstelle des gewohnten „Nutzen" gewählt, u m deutlich zu machen, daß hier nicht von vornherein eine 21

„appealing features" R. N. Mc Kean, Public Spending, New Y o r k e. a. 1968, S. 34. 22 „Since the Pareto principle is universally a c c e p t e d . . . „Arrow, Social Choice, S. 96.

Teil A: Urteile, Situationsvergleiche und Maßnahmebeurteilung subjektivistisch-individualistische Auffassung zugrunde gelegt wird, wenn auch eine solche Position nicht ausgeschlossen ist. Damit w i r d also nicht unbedingt vorausgesetzt, daß nur eine Person selbst ihre Lage richtig einschätzen kann. I m übrigen versteht es sich aus dem bereits Gesagten, daß der Begriff Wohl so weit gefaßt ist, daß er auch das m i t einschließen kann, was m i t Bezug auf Nutzen etwa als Nutzeninterdependenzen (bzw. externe Effekte) bezeichnet w i r d 2 3 . Insgesamt w i r d durch diese Begriffsbildung die Auseinandersetzung m i t dem i n diesem Teil der Arbeit zu behandelnden Wohlfahrtskriterien von manchen spezifischen Problemen des wohlfahrtstheoretischen Nutzenbegriffs befreit und auf entscheidungslogische Probleme zentriert, ohne daß darunter die Berücksichtigung der i m Zusammenhang dieser Kriterien geführten Diskussion leiden muß. Weiter ist von Vorteil, daß die m i t Bezug auf sie zu findenen Ergebnisse durch eine etwaige Relativierung des utilitaristischen Konzepts, i n dessen Rahmen diese Wohlfahrtskriterien üblicherweise vorgestellt werden, nicht tangiert werden können, so daß sie notfalls auch für andere Auffassungen nutzbar sind. 2. Ausgangs- und Ergebnissituation

a) Zum Verfahren einer

Maßnahmebeurteilung

Situationsvergleich. Neben einer Kenntnis von Normen sind nun zwecks Beurteilung einer Maßnahme (sachliche) Informationen über die Maßnahme selbst erforderlich. Wenn oben ,Wohl' bereits als Inbegriff dessen verstanden wurde, was das Besser oder Schlechter einer Person i n einer Situation ausmacht, ist es bei Gültigkeit der individualistischen Norm* nicht nur zulässig sondern auch geboten, nur die Wohlgrößen von Individuen bei einer Beurteilung zu berücksichtigen. Die Logik einer Maßnahmebeurteilung erfordert es, die Größen des Wohls, die sich ohne Maßnahme ergeben würden m i t denen zu vergleichen, die sich m i t der zu beurteilenden Maßnahme ergeben 24 . Somit macht die Beurteilung einer Maßnahme einen Vergleich von Ausgangs- und Ergebnissituation erforderlich. 23 „ W h a t w e are concerned here is the ethical evaluation of a situational change after a l l psychological as w e l l as physical interconnections have been taken into account" Fleming, S. 373; vgl. auch Rotheriberg, Measurement, S. 264 Fn. 24 Vgl. das „ W i t h and W i t h o u t Principle": „ I n evaluating the benefits and costs of a project, t w o situations must be compared: the development of the economy w i t h the project and the development that w o u l d occur w i t h out i t " , O. Eckstein, Water-Resource Development (1958), Cambridge 1965, S. 51.

II. Charakterisierung der Ausgangsproblematik

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Statische vs. nicht-statische Betrachtungsweise. Was nun unter Ausgangs« und Ergebnissitaution i n Hinblick auf die Beurteilung einer Maßnahme verstanden werden muß, ist gar nicht so selbstverständlich, wie es die dem statischen Denken verhaftete Wohlfahrtstheorie vielfach vermittelt. D o r t 2 5 w i r d eine Situation generell als ein Punkt i n einem Nutzenhyperraum beschrieben. Dabei w i r d von der Vorstellung gleichgewichtiger Zustände ausgegangen, die sich ohne Störung i m „Zeitablauf" 2 6 endlos repetieren. A u f die häufige analytische Berechtigung einer solchen Verfahrensweise kann hier genauso wenig eingegangen werden wie auf ihre Nachteile. Da wegen der Abstraktheit einer solchen (die konkrete Anschauung wenig begünstigenden) — zeitlosen — Gleichgewichtskonzeption, die Gefahr besteht, daß einige Probleme bei der Anwendung der Pareto-Norm weniger leicht erkannt und nur schwer dargestellt werden können (vgl. unten zu Irreversibilität) soll hier ein nicht-statisches Verständnis des Begriffs ,Situation* gewählt werden 2 7 , was dann jedoch zu einigen konzeptionellen Schwierigkeiten führen wird, die i m folgenden kurz skizziert, deren Lösung jedoch generell dadurch offenbleiben soll, daß restriktive Annahmen gesetzt werden. b) Einige konzeptionelle Probleme bei einem nicht-statischen Verständnis des Situationsbegriffs Situation als Sequenz. Bei einem nicht-statischen Verständnis des Situationsbegriffs müssen „instead of ,states* of the w o r l d " „sequences of states" betrachtet werden 2 8 . Dies gilt auch für die Ausgangssituation. M i t ihr sind also nicht die Verhältnisse gemeint, die vor dem Ergreifen der Maßnahmen existierten, sondern die, die sich von dem Zeitpunkt der Entscheidung an ergeben, wenn die Maßnahme nicht ergriffen w i r d 2 9 . Zur Kennzeichnung der Ausgangssituation sind also primär nicht Informationen über irgendwelche Größen der Vergangenheit sondern über ihre Entwicklung i n der Zuknuft erforderlich. Da die Ergebnissituation entsprechend als die Entwicklungssequenz, die sich beim 25 Als Beispiel f ü r einen komparativ-statischen Ansatz (mit »Situation 4 als P u n k t i m Güterraum) sei auf F. M. Fisher, Income Distribution, Value Judgments and Weifare, QJE 70 (1956) verwiesen; s. die Annahme 3 auf S. 384. 26 Schon dies ist eine unzulässige Metapher bei der Beschreibung der m. E. essentiell zeitlosen statischen Welt, i n der es keine Abläufe gibt (auch nicht m i t »unendlicher Reaktionsgeschwindigkeit'). 27 I m Sinne einer solchen Vorgehensweise vgl. auch Fleming, S. 369. 28 S. Schoeffler t Note on Modern Weifare Economics, A E R 42 (1952), S. 886. 29 I n einer Welt, die ständig Verbesserungen (Verschlechterungen) aufweist, wäre sonst jede Maßnahme ein Erfolg (Mißerfolg).

Teil A: Urteile, Situationsvergleiche und Maßnahmebeurteilung Ergreifen der Maßnahme ergibt (ergeben würde) zu beschreiben ist, läuft der Prozeß einer Urteilsfindung darauf hinaus, hypothetische Entwicklungen einander gegenüberzustellen 80 . Vielzahl von Maßnahmen. Eine Maßnahmebeurteilung verlangt somit das Prognostizieren hypothetischer oder tatsächlicher Entwicklungen. Dabei stellt sich das Problem, daß jede dieser Entwicklungen durch eine Vielzahl staatlicher Maßnahmen beeinflußt wird. Es kann also bei einer Urteilsfindung nicht darum gehen, eine Entwicklung ohne jede Maßnahme m i t einer Entwicklung m i t der zu beurteilenden Maßnahme zu vergleichen, sondern nur darum, eine Entwicklung m i t Maßnahmen (aber ohne die zu beurteilende) m i t einer Entwicklung m i t Maßnahmen (einschließlich der zu beurteilenden) zu vergleichen. Zwecks sprachlicher Verständigung (nicht zwecks einer Klassifizierung) werde von den »anderen4 Maßnahmen i m folgenden als von begleitenden Maßnahmen gesprochen. Entscheidend ist es nun, daß die begleitenden Maßnahmen der Ausgangssequenz zwecks Beurteilung einer Maßnahme nicht dieselben sein müssen wie diejenigen, die die Ergebnissequenz ,begleiten'. Dies w i r d auf den ersten Blick als eine unzulässige Verfahrensweise erscheinen, obwohl es nur die Konsequenz des Verzichts auf eine Gleichgewichtsbetrachtung ist. Der beträchtliche Vorteil einer Gleichgewichtsbetrachtung liegt ja darin, daß sie es erlaubt, Effekte einer Maßnahme zu isolieren, was dann (fälschlicherweise 31 ) zumeist als Berechtigung dafür genommen wird, diese isolierten Effekte ihrer »Ursache' zuzurechnen. Hier w i r d nun von vornherein gar nicht erst eine (strenge) Isolierung der Effekte der zu beurteilenden Maßnahme (im folgenden einfach: der Maßnahme) versucht. Vielmehr w i r d die Maßnahme i m Gesamt der sie begleitenden Maßnahmen gesehen, die durch sie häufig überhaupt erst möglich oder sinnvoll werden. Die Wirkung der Maßnahme ist also immer auch die W i r k u n g der begleitenden Maßnahmen. Diese Überlegung führt nun zu dem Problem der Abgrenzung der begleitenden Maßnahmen einer Situation von anderen auch möglichen Maßnahmen. Welche der insgesamt möglichen Maßnahmen, die etwa die Sequenz der Ausgangssituation nach den bisherigen Überlegungen konstituieren könnten, sollen als ,begleitende Maßnahmen' der Ausgangssituation klassifiziert werden. U m das Problem der Maßnahmebeurteilung zunächst als Aufgabe eines Vergleichs »punktueller' Situationen behandeln zu können, sei hier — ziemlich w i l l k ü r l i c h — davon ausgegangen, daß die Ausgangsentwicklung von Maßnahmen begleitet 80 Soll eine nachträgliche Beurteilung erfolgen, k a n n es sich auch u m den Vergleich einer tatsächlichen m i t der einer hypothetischen E n t w i c k l u n g handeln. 31 M a n denke daran, daß unter anderen Umständen dieselbe ,Ursache' zu ganz anderen W i r k u n g e n führen mag.

II. Charakterisierung der Ausgangsproblematik

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ist, die den gegebenen institutionellen Rahmen 3 2 bzw. die vor dem Ergreifen der Maßnahme bestehende ,Struktur' (insbesondere der Verteilung) nicht ändern. Diese die Ausgangssituaton begleitenden Maßnahmen würden tendenziell von einer gut funktionierenden Behörde routinemäßig ergriffen und stellen mehr eine Anpassung an bzw. Reaktion auf veränderte Umstände (eine konservative Politik?) denn ihre gezielte Beeinflussung dar. Für die Ergebnissituation gilt entsprechend, daß die begleitenden Maßnahmen die Struktur unverändert lassen, die sich, wenn überhaupt eine Strukturänderung resultiert, unmittelbar aufgrund der zu beurteilenden Maßnahme ergeben hat. I m übrigen werden die begleitenden Maßnahmen (sowohl der Ausgangs- wie der Ergebnissituation) aus der Vielzahl der i n Frage kommenden Maßnahmen so ausgewählt, daß es durch andere Maßnahmen nicht möglich ist, bei einem bestimmten Wohlniveau eines der Individuen das Wohl eines anderen zu erhöhen 33 . Ordinale und interpersonell nicht vergleichbare Maße. Bei Akzeptierung der individualistischen Norm müssen die zu vergleichenden Sequenzen nun dadurch gekennzeichnet werden, welches Wohl für die verschiedenen Individuen m i t ihnen verbunden ist. Gemäß dem Occamschen Prinzip möglichst geringer Annahmen, genügt es dabei für diesen Teil der Arbeit, das Wohl i n ordinalen Maßen angeben zu können 3 4 . Weiterhin ist es auch nicht erforderlich, daß die Wohlgrößen eines Individuums m i t dem eines anderen vergleichbar sind. Das Wohl des einen mag i n dessen Freude, das eines anderen i n seiner Macht oder i n seinem Reichtum bestehen. Möglich muß jedoch ein intrapersoneller Vergleich sein, d. h. das Wohl eines Individuums i n einer Situation muß m i t dem Wohl desselben Indiviuums i n einer anderen verglichen 32 „ . . . i f w e take the existing institutional set-up as a datum" J. de V. Graaff, Theoretical Weifare Economics, Cambridge 1957 (repr. 1967), S. 76. 88 Sollten die genannten K r i t e r i e n der A u s w a h l unter den möglichen begleitenden Maßnahmen nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führen, so daß i m m e r noch mehrere Situationen als Ausgangs- oder Ergebnissituation i n Frage kommen, denke man sich irgendeine aus diesen Situationen zufällig herausgegriffene Situation als Ausgangs- bzw. Ergebnissituation. 34 E i n ordinales Maß gestattet beliebige monotone Transformationen eines jeden kardinalen Wohlindexes eines jeden I n d i v i d u u m s (ein ,Meter'band aus Gummi). Fungieren z. B. verschiedene Werte von x (..., Xi,Xi +1,...) als kardinale Indizes eines ordinalen Maßes des Wohls einer Person i n verschiedenen Situationen ist y prinzipiell ein gleich geeigneter kardinaler Index, w e n n bei Xi C gefolgert werden, daß A > C . 67 Vgl. T. Scitovsky, A Note on Welfare Propositions, S. 123 ff.

III. Pareto-, Kaldor/Hicks-, Scitovsky- und Samuelson-Kriterium

35

I n Abb. 3 ist nach dem K H K die Maßnahme zu empfehlen, da i n E t beide Individuen besser als i n A gestellt sind. Wie sich so E gegenüber A als überlegen erweist, ist nach einem gedanklichen Tausch von Ausgangs- und Ergebnissituation die Situation A der Situation E vorzuziehen, da At die Situation E dominiert. Zur Vermeidung solcher Zirkel schlug Scitovsky nun vor, nicht nur zu prüfen, ob aufgrund der Ergebnissituation alle besser als i n der Ausgangssituation gestellt werden können sondern auch, ob durch begleitende Verteilungsmaßnahmen zur Ausgangssituation alle besser gestellt werden können als sie es i n der Ergebnissituation wären. Erst bei einem positiven Resultat des ersten Teils und bei einem negativen des zweiten Teils dieses Tests könne die Maßnahme w i r k l i c h empfohlen werden. Wie sich nun leicht durch entsprechende Anordnung von Situationen und Möglichkeitsgrenzen zeigen läßt, ist aber auch bei Erfüllung des Scitovsky-Kriteriums die Möglichkeit widersrüchlicher Ergebnisse noch nicht ausgeräumt. So ist i n Abb. 4 die Ausgangssituation A nach dem Scitovsky-Kriterium der Situation En, diese der Situation Em, diese Eiv und diese wiederum A unterlegen.

Abb. 4

Wie Samuelson 58 erkannt der Maßnahme möglich ist, besser zu stellen, und ohne stellen, wie sie es i n der 58

z*

hat, genügt es nicht zu prüfen, ob es m i t alle i m Vergleich zur Ausgangssituation die Maßnahme möglich ist, alle so gut zu Ergebnissituation sein würden, vielmehr

Samuelson, Evaluation, S. 10.

Teil A : Urteile, Situationsvergleiche und Maßnahmebeurteilung darf eine solche Prüfung nicht auf die (zufälligen) Ausgangs- und Ergebnissituationen beschränkt bleiben, sondern muß alle Situationen der Möglichkeitsgrenze i n einen solchen Vergleich einbeziehen. Somit ist eine Empfehlung nur möglich, wenn die Möglichkeitsgrenze der Ausgangssituation ganz unterhalb (oberhalb) der Möglichkeitsgrenze der Ergebnissituation liegt, sich die Möglichkeitsgrenzen also nicht schneiden. Kaldor hatte bei seinem Ansatz, den nach dem Pareto-Kriterium zulässigen Urteilsbereich zu erweitern, eine Zweiteilung i n Produktionsund Distributionsgesichtspunkte versucht. Die Relativierung des K H K durch Scitovsky und Samuelson können nun als Versuche verstanden werden zu definieren, was ,Produktion' ist. Dabei ergab sich aufgrund des sog. Samuelson-Kriteriums, daß von einer erhöhten ,Produktion' strenggenommen immer nur gesprochen werden kann, wenn die Möglichkeitsgrenze der Ergebnissituation i n ihrem ganzen Bereich oberhalb der Möglichkeitsgrenze der Ausgangssituation liegt. Sobald sich jedoch die Möglichkeitsgrenzen schneiden, w i r d — bei dieser Betrachtung — der Begriff Produktion ambivalent, so daß es dann zwecks einer Gesamtbeurteilung einer Maßnahme nicht mehr als sinnvoll erscheint, zwischen ,Produktions'- und Distributionsaspekten zu unterscheiden. IV. Die Beurteilung von Maßnahmen aufgrund der Pareto-Norm 1. Vergleiche punktueller Situationen und die Beurteilung der Maßnahme

Es mag aufgefallen sein, daß bei der Darstellung des Pareto-Kriteriums immer nur von Situationsvergleichen die Rede war, während bei der Erörterung der anderen Kriterien gelegentlich auch von Maßnahmebeurteilung gesprochen wurde. Dabei wurde m i t Absicht nicht einem Entstehen des Eindrucks entgegengewirkt, daß sich das Problem des Situationsvergleichs von dem einer Maßnahmebeurteilung nicht unterscheide; i m Gegenteil, dieser Eindruck war durch die Ausführungen zum Verfahren einer Maßnahmebeurteilung sogar nahegelegt worden. Die Berechtigung zu einem solchen Vorgehen ergibt sich daraus, daß generell auch i n der wohlfahrtstheoretischen Literatur der Eindruck der Identität dieser beiden Problemkreise erweckt w i r d und die Ausführungen i m letzten Kapitel primär die üblichen Auffassungen referieren sollten 5 9 . 59 Hinsichtlich einer ähnlichen Unterscheidung zwischen Situationsvergleich auf der einen u n d Maßnahmebeurteilung auf der anderen Seite s. dagegen J. M . Buchanan/G. Tullock, The Calculus of Consent, A n n A r b o r e. a. 1962, w o Pareto-Optimalität bzw. Nicht-Optimalität einmal zur Kennzeichnung von Situationen, zum anderen zur Kennzeichnung von Situationsänderungen v e r w a n d t w i r d (vgl. S. 171 ff.); vgl. auch C. Kennedy, Welfare Criteria — A further Note, E. J. 73 (1963), S. 338.

IV. Die Beurteilung von Maßnahmen aufgrund der Pareto-Norm

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a) Pareto-Superiorität: hinreichend für eine definitive Maßnahmebeurteilung? A u f den ersten Blick mag es als zweifelsfrei erscheinen, daß bei Verhältnissen wie sie i n Abb. 1 beschrieben wurden aus der Überlegenheit der Ergebnissituation gegenüber der Ausgangssituation auch gefolgert werden darf, daß ein Übergang von A nach E (d. h. die Maßnahme ohne begleitende Verteilungsmaßnahme) aufgrund der Pareto-Norm definitiv empfohlen werden kann. Die Erinnerung daran, daß oben Ausgangs- wie Ergebnissituation nicht ohne eine gewisse W i l l k ü r bestimmt wurden, mag eine solche Schlußfolgerung bereits als voreilig erscheinen lassen. Dies w i r d auch deutlich, wenn berücksichtigt wird, daß anstelle der so bezeichneten Ergebnissituation auch andere Situationen realisierbar sind, wie es i n Abb. 5 festgehalten ist. Eine ausschließliche isolierte Betrachtung nur der Ergebnissituation E läßt sich aufgrund der ParetoNorm nicht rechtfertigen. Die Ergebnissituation muß i n Verbindung m i t den anderen aufgrund der Maßnahme ebenso gut möglichen Situationen gesehen werden. Die Berücksichtigung der Tatsache, daß neben E auch andere gegenüber A pareto-superiore Situationen möglich sind, die untereinander nicht nach der Pareto-Norm verglichen werden können, führt nun zu dem Dilemma, zwischen diesen der Situation A überlegenen Situationen auszuwählen. Dafür bietet nun aber die Pareto-Norm selbst kein Auswahlkriterium: eine Entscheidung für die Maßnahme allein kann also m i t der Pareto-Norm nicht hinreichend begründet werden. Es muß auf jeden Fall offenbleiben, ob neben der Maßnahme nicht auch begleitende Verteilungsmnaßnahmen ergriffen werden sollten.

w2

Abb. 5

38

Teil A: Urteile, Situationsvergleiche und Maßnahmebeurteilung b) Pareto-Norm:

ein konservatives

Vorurteil?

Vergleichbarkeit über (tatsächliche) Kompensationsleistungen. Oben wurde kurz der Nachweis von Scitovsky und Samuelson dargestellt, daß eine Anwendung des K H K zu widersprüchlichen Ergebnissen führen kann. Dieser Widerspuch kann sich nun bei Erfüllung des K H K nicht mehr zeigen, wenn die Maßnahme nicht allein sondern zugleich m i t entsprechenden Verteilungsmaßnahmen derart emfohlen wird, daß sich Situationen ergeben, die nach der Pareto-Norm m i t der Ausgangssituation verglichen werden können. Während es oben offenbleiben mußte, ob neben der Maßnahme auch begleitende Verteilungsmaßnahmen ergriffen werden sollen, scheint es hier geboten, begleitende Verteilungsmaßnahmen zu ergreifen bzw. Kompensationen zu leisten (allerdings auch hier ohne eindeutige Determination der erforderlichen Kompensationen). A n dieser Schlußfolgerung muß zunächst paradox erscheinen, daß ,Verteilungsmaßnahmen', die nicht ,alle' besser stellen, aufgrund einer Norm empfohlen werden, deren ,Vernünftigkeit' nach früheren erläuternden Bemerkungen gerade darin besteht, daß sie nur auf Fälle A n wendung findet, i n denen ,alle' begünstigt werden. Auch wenn solche Verteilungsmaßnahmen nur Kompensationen' sind, ändert das nichts daran, daß eine Empfehlung der Maßnahme i n Verbindung m i t kompensierenden Verteilungsmaßnahmen eine Parteinahme für diejenigen ist, die i n der Ausgangssituation, i m status quo, begünstigt sind. Da die Pareto-Norm oben gerade nicht als eine Norm der Parteinahme sondern als eine Norm verstanden wurde, die unabhängig von partikulären Interessen von allen akzeptiert w i r d (bzw. werden kann), könnte eingewandt werden, daß die Empfehlung von kompensierenden Verteilungsmaßnahmen gar nicht gerechtfertigt werden könne und damit unzulässig sei. Gegen diesen Einwand spricht jedoch, daß es i n der üblichen wohlfahrtstheoretischen Sicht für eine Urteilsfindung ohne Bedeutung sein soll, wie die Ergebnissituation (vgl. Abb. 1) erreicht w i r d 6 0 . Eine Unzufriedenheit m i t dem genannten Ergebnis, daß (zumindest) durch die Forderung nach Kompensationsleistungen der status quo der Verteilung begünstigt wird, bringt demzufolge eine Unzufriedenheit m i t der Anwendung des Pareto-Kriteriums überhaupt zum Ausdruck 6 1 . Dies könnte einmal bedeuten, daß i n ihren ,Wirkungen' die oben so bezeich80 „ . . . i f the compensation were actually paid, the K a l d o r t e s t , . . . , w o u l d reduce to Pareto's", Graaff, S. 90; vgl. auch Gäfgen, S. 426. 61 Dies hier vorgetragene Bedenken, nach dem das P a r e t o - K r i t e r i u m den status quo begünstigt, dürfte ein w e i t verbreiteter E i n w a n d gegen das P a r e t o - K r i t e r i u m sein (vgl. auch E. J. Mishan, Überblick über die Wohlfahrtsökonomik, S. 112: „das konservative Prinzip der kompensatorischen Anpassung"; s. a. S. 165, Fn. 66).

IV. Die Beurteilung von Maßnahmen aufgrund der Pareto-Norm

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nete Pareto-Norm nicht als richtige Norm anerkannt wird, da sich die Personen bei der spontanen Zustimmung zu dieser Norm etwa nicht ihrer Konsequenzen bewußt waren. Es könnte aber auch heißen, daß diese Norm bei einer Maßnahmebeurteilung unzulässig angewandt w i r d und die ,Attraktivität' dieser Norm für Aussagen mißbraucht wird, die die Norm strenggenommen gar nicht deckt. Maßnahmebeurteilungen bei unvollständigen Ordnungen. Zwecks Klärung dieser Problematik seien die i n Abb. 3 festgehaltenen Verhältnisse i n Erinnerung gerufen. Während eine Empfehlung der Maßnahme unter bewußtem Offenlassen der Frage etwaiger Kompensationsleistungen nicht zulässig ist, schien es nach dem obigen Verständnis des ParetoKriteriums dagegen zulässig, überhaupt einen Ubergang von A nach Situationen, die durch Punkte auf dem Abschnitt BC der Möglichkeitsgrenz I I I I gekennzeichnet sind, zu empfehlen. Wie schon ausgeführt, kann allerdings nach der Pareto-Norm zwischen den auf dem Kurvenabschnitt BC liegenden Punkten der Möglichkeitsgrenze keine Auswahl getroffen werden. So wenig wie eine Auswahl aus den gegenüber A

pareto-superioren Punkten zwischen B und C nach der Pareto-Norm begründbar ist, läßt sich m i t Bezug auf die Pareto-Norm allein eine Empfehlung rechtfertigen, überhaupt von der Ausgangssituation zu einer der auf dem Kurvenabschnitt zwischen B und C liegenden Situationen überzugehen. Nach der Pareto-Norm ist es nämlich schlechth i n offen, ob nicht auch auf dem restlichen Abschnitt der Möglichkeitsgrenze bessere ,Punkte' liegen als es die Punkte auf dem Kurvenabschnitt BC sind. Ließe die Norm dies nicht offen, würde sie damit als ausschließlich gültig postuliert. Soweit aufgrund der Pareto-Norm über-

Teil A: Urteile, Situationsvergleiche und Maßnahmebeurteilung haupt Vergleiche möglich sind, könnten dann andere Normen (Ziele) nicht mehr zum Tragen kommen 6 2 . M i t einer solchen Anwendung der Pareto-Norm würde demzufolge, entgegen vielfach erklärter Absicht (vgl. oben unter I, 3.), faktisch doch eine Stellungnahme gegen andere Zielvorstellungen bezogen, die m i t einer — ohne Ausschließlichkeitsanspruch verstandenen — Pareto-Norm durchaus vereinbar wären. Der „letzte unwissenschaftliche Schritt" einer Entscheidungsfindung wäre damit „präjudiziert". M. a. W., die Pareto-Norm beinhaltet weder, daß sich eine Entscheidungsfindung auf die Berücksichtigung solcher Situationen beschränken darf (muß), die nach dieser Norm miteinander verglichen werden können, noch enthält sie eine Aussage, wie bei NichtVollständigkeit einer Ordnung die nicht geordneten Situationen berücksichtigt werden sollen. Bei Verhältnissen, wie sie i n Abb. 6 (und auch wie i n Abb. 5 und Abb. 1) festgehalten sind, läßt die Pareto-Norm somit keine Beurteilung der Maßnahme zu. Hingegen ermöglicht sie die Aussage, daß die Ausgangssituation — der status quo — nicht optimal ist, was w o h l schwerlich als eine Begünstigung des status quo verstanden werden kann. Zum rechten Verständnis des aufgrund der Pareto-Norm zulässigen Aussagebereichs ist also zu beachten, daß die Feststellung, eine Situation (wie E t i n Abb. 6) sei besser als eine andere (wie A i n Abb. 6), noch nicht bedeutet, daß ein Übergang von A nach E t empfohlen werden kann. Eine solche Empfehlung wäre erst möglich, wenn zusätzlich bekannt wäre, daß E t die beste aller möglichen Situationen ist. Solange jedoch Informationen darüber fehlen, wie nach der Pareto-Norm m i t A nicht vergleichbare Situationen oder solche Situationen, die zwar besser als A, aber m i t E t nicht vergleichbar sind, bei einer Urteilsfindung zu berücksichtigen sind, kann bei Verhältnissen wie i n Abb. 6 aufgrund der Pareto-Norm die Maßnahme weder empfohlen noch abgelehnt werden. Diese Aussage könnte nun leicht i n dem Sinne verstanden werden, daß es dann halt bei der Ausgangssituation, dem status quo, bleiben müsse. Diese Schlußfolgerung ist jedoch aufgrund der Pareto-Norm nicht berechtigt. Wie schon betont, muß bei Verhältnissen, wie sie i n Abb. 6 beschrieben sind, aufgrund der Pareto-Norm gerade die Nicht-Optimalität der Ausgangssituation konstatiert werden. Regelmäßig ist die ParetoNorm und m i t ihr das auf dem Nutzenkonzept basierende Pareto-Kriterium nämlich nicht ein K r i t e r i u m der Optimalität, sondern nur eine Norm, an der Nicht-Optimalität erkannt werden kann 6 3 . 62 Z u r Frage der Verträglichkeit v o n Zielen m i t u n d ohne Ausschließlichkeitsanspruch s. a. i m T e i l C unter I V 3 a. 63 „The Pareto principle is a principle of negation, not one of affirmation Frisch, S. 44.

IV. Die Beurteilung von Maßnahmen aufgrund der Pareto-Norm

41

Bezeichnend für die Verkennung des Aussagegehalts des Pareto-Kriteriums ( = Pareto-Bestimmung) ist die Auffassung Jochimsens, wie sie sich i m folgenden Zitat ausdrückt: „ M i t der Anwendung der ParetoBestimmung, daß jedes Individuum ein Vetorecht ausüben kann, wenn es darum geht, gesellschaftliche Wohlstandssteigerungen festzustellen, . . . hat sich . . . ein konservatives Vorurteil gegen revolutionäre Veränderungen eingeschlichen, welches nur ganz wenige evolutionistische Reorganisationen zuläßt, und damit die Betätigungsmöglichkeit einer wohlstandsökonomischen Wirtschaftspolitik stark einengt 6 4 ." I n diesem Falle liegt das Vorurteil nicht beim Pareto-Kriterium, sondern bei Jochimsen, w e i l er den Test auf Nicht-Optimalität, ob einstimm i g Verbesserungen möglich sind, über eine Interpretation des ParetoKriteriums als Vetorecht (wie das „liberum veto" i n der „polnischen Geschichte") zu einer notwendigen Bedingung einer Änderung macht. Dabei ist ein Erfülltsein des Pareto-Kriteriums, wie oben gezeigt wurde, zwar eine hinreichende Bedingung dafür, daß eine Situation als schlechter als eine andere ausgewiesen werden kann, aber nicht einmal eine hinreichende Bedingung für die Empfehlung einer (bestimmten) Veränderung (Maßnahme). Auch wenn zugestanden wird, daß bei einer strengen Interpretation die Pareto-Norm als solche (bzw. das Pareto-Kriterium) keinerlei Aussage über einen besonderen Vorzug des status quo enthält, mag jedoch eingewandt werden, daß eine wissenschaftliche Beratung, die sich ausschließlich auf die Pareto-Norm stützt, sich faktisch i m Sinne einer Begünstigung konservativer Tendenzen auswirken werde. Abgesehen davon, daß die Pareto-Norm keinen (normativen) Ausschließlichkeitsanspruch enthält, ist zu fragen, ob etwa bestehende Tendenzen dieser A r t berechtigterweise der Pareto-Norm oder nicht vielmehr anderen ,Gründen 4 zuzurechnen wären. M i t Bezug auf die i n Abb. 6 dargestellten Verhältnisse würde (mit der Pareto-Norm als ausschließlicher normativer Grundlage) das allein zulässige Urteil des Wissenschaftlers i n der Aussage bestehen, daß die Maßnahme weder empfohlen noch abgelehnt werden könne, w e i l trotz der Kenntnis der NichtOptimalität von A nicht bekannt sei, ob nicht etwa A t besser als sei. Die Situation E x , die die Maßnahme erforderlich mache, sei allerdings bekannterweise besser als A, während A t dann besser als E x sein könne, wenn es aufgrund anderer Erwägungen als der Pareto-Norm richtig sei, das Individuum 1 (s. Abb. 6) zum Nachteil des zweiten Individuums (im Vergleich zu den i n A gegebenen Verhältnissen) zu begünstigen. 64 R. Jochimsen, S. 56.

Ansatzpunkte der Wohlstandsökonomie, Tübingen 1961,

Teil A : Urteile, Situationsvergleiche und Maßnahmebeurteilung Es soll hier nicht bestritten werden, daß bei der heute bei politischen Entscheidungsträgern möglicherweise vorherrschenden Attitüde geringer Entscheidungs- und Verantwortungsfreudigkeit, verbunden m i t dem Bestreben, Konflikte und Risiken möglichst zu minimieren, sich die Politiker für einen ,Übergang 4 von A nach E t entscheiden würden. Für die Fragestellung hier kommt es allerdings darauf an, ob solche Entscheidungen sinnvollerweise der Pareto-Norm ,angelastet 1 werden können. Wären die Politiker entscheidungsfreudiger und hätten sie z.B. Vorstellungen derart, daß i m Vergleich zur Ausgangssituation das Individuum 1 relativ besser zu stellen sei, würden sie sich aufgrund derselben — oben beschriebenen — Auskunft nicht für E x entscheiden. Ein weiterer, m i t der gerade gegebenen Erklärung zusammenhängender Grund, daß dem Pareto-Kriterium konservative Tendenzen zugeschrieben werden, w i r d darin bestehen, daß wegen eines weit verbreiteten und weithin respektierten ,Besitzstanddenkens 1 (zumal i m öffentlichen Bereich) der status quo als anderen Situationen faktisch überlegen bzw. als ,Drohpunkt' behandelt w i r d — eine Behandlung für die aus der Pareto-Norm keine Rechtfertigung hergeleitet werden kann 6 5 . c) Vorläufige

Empfehlungen

und Irreversibilität

von Maßnahmen

Wenn gerade betont wurde, daß eine Überlegenheit des status quo nicht unmittelbar aus der Pareto-Norm herleitbar ist, sie sich vielmehr aus der unterstellten Überlegenheit der Ausgangssituation selbst ergibt, so liegt zunächst die Vermutung nahe, daß bei der Annahme der normativen Überlegenheit der Ausgangssituation unzulässigerweise vom Sein auf das Sollen geschlossen w i r d ; denn daß das Innehaben guter Ausgangspositionen die beste Taktik und Basis für das Erreichen gewünschter Ziele ist, w i r d kaum jemand bestreiten können. Hier geht es nun aber nicht darum, bestehende Überlegenheiten zu rationalisieren, sondern darum, die Konsequenzen von allgemein anerkannten Normen für Urteilsmöglichkeiten aufzuweisen. Auch i n diesem Bewußtsein könnte jedoch die Vermutung geäußert werden, daß sich normativ zwar bei strenger Betrachtung eine Überlegenheit des status quo nicht zwingend aus der Pareto-Norm deduzieren ließe, daß aber unter bestimmten Umständen eine gewisse Begünstigung 65 Vgl. i n diesem Zusammenhang Gäfgen t S. 423, der den status quo (ante) als die Alternative bezeichnet, die i n der Theorie der Wirtschaftspolitik bei fehlender Einstimmigkeit als gewählt g i l t ; s.a. J. Rothenberg, Consumers' Sovereignty Revisited and the Hospitability of Freedom of Choice, AER, PaP 52 (1962), S. 272: „ . . . t h e status quo distribution of w e l l - b e i n g is made the normative frame of reference for welfare comparisons (whether because of an ethical content for the status quo or for the sheer convenience of the welfare evaluator)".

IV. Die Beurteilung von Maßnahmen aufgrund der Pareto-Norm

43

des status quo dem Sinne dessen entspräche, womit die Vernünftigkeit bzw. A t t r a k t i v i t ä t der Pareto-Norm begründet wurde. So dürfte es doch bei den i n Abb. 6 beschriebenen Verhältnissen jedermann als i m Sinne der Pareto-Norm richtig ansehen, die Maßnahme zusammen m i t i n den Bereich BC der Möglichkeitsgrenze führenden Verteilungsmaßnahmen dann zu empfehlen, wenn bekannt ist, daß anderenfalls Routinemäßig 4 die Maßnahmen ergriffen werden, die tendenziell zur Ausgangssituation (A) führen. Schließlich w i r d es sich häufig ergeben, daß der günstigste nächstmögliche Entscheidungszeitpunkt über eine Maßnahme etwa wegen noch bestehender Unsicherheit über die richtige Entscheidung nicht eingehalten werden kann, w e i l ein zeitraubender Prozeß der politischen Meinungsbildung über die relevanten Entscheidungskriterien bzw. die zu begünstigenden Personen noch nicht abgeschlossen ist 6 6 . Da die Situation A bekanntermaßen nicht optimal ist (alle können ihre Position verbessern), bietet es sich nach der Logik der Pareto-Norm an, solange der Entscheidungsprozeß blockiert ist, erst einmal sicher zu stellen, daß wenigstens die etwa i n E x gebotenen Möglichkeiten genutzt werden. Zur Bedeutung von Irreversibilität für eine Urteilsfindung. Die Schlußfolgerung, zumindest vorläufig zu versuchen, anstelle der nichtoptimalen Ausgangssituation eine Situation auf dem Abschnitt BC der Möglichkeitsgrenze I I I I zu realisieren, erweist sich jedoch dann als unzulässig, wenn bedacht wird, daß die zu beurteilende Maßnahme möglicherweise nicht rückgängig gemacht werden kann 6 7 . Unter der Bedingung der Irreversibilität der Maßnahmen bedeutet ihre Realisierung nämlich nicht nur, daß beide (vgl. Abb. 6) Individuen tendenziell besser gestellt werden, sondern auch, daß der Person 1 auf immer alle jene Möglichkeiten zur Erhöhung ihres Wohls genommen werden, die auf dem oberhalb der Möglichkeitsgrenze von I I I I liegenden Teil der Möglichkeitsgrenze von I I gelegen sind. Entsprechend günstiger werden durch solch eine Vorentscheidung die Möglichkeiten für die Person 2. M i t der tendenziellen Besserstellung der Person 1 von A i n Richtung E ± geht für die Person 1 ein Verlust an Chancen einher, der nicht wieder gut gemacht werden kann 6 8 . Erst wenn sichergestellt werden kann, daß als Alternative zum Ergreifen der Maßnahme, die Ausgangssituation A irreversibel realisiert wird, 86 Vgl. i n diesem Zusammenhang auch „the power of blocking action" bei Buchanan/Tullock, S. 258. 87 Samuelson, Evaluation S. 12 erwähnt als Beispiel den Fall, daß ein Bergw e r k »geschlossen4 w i r d . 88 „ . . . i t is . . . not obvious t h a t . . . changes w o u l d be reversible. I f a . . . (change)... causes social revolution, so that factories and forests are razed to the ground, a r e s t o r a t i o n . . . w o u l d not restore overnight the productive apparatus of society", Graaff , S. 76/7.

Teil A : Urteile, Situationsvergleiche und Maßnahmebeurteilung bedeutet eine Empfehlung der Maßnahme i n Verbindung m i t begleitenden Verteilungsmaßnahmen keine Präjudizierung. ,Chancenwert 1 einer Situation und Wohlbegriff. Die Berücksichtigung des Phänomens der Irreversibilität macht deutlich, daß ex ante ein und derselbe Punkt i m ,Wohlraum 4 für die Urteilsfindung nicht ein- und dieselbe Bedeutung haben muß. Je nach dem wie frühzeitig i n Hinblick auf die Realisierung einer Situation Maßnahmen ergriffen werden müssen, die irreversiblen Charakter haben, hat ein- und derselbe Punkt einen unterschiedlichen ,Chancenwert'. Zwei Situationen, die durch dasselbe Wohlniveau gekennzeichnet sind, können etwa auf unterschiedlichen Möglichkeitsgrenzen liegen und deshalb ex ante auch unterschiedliche Bedeutung für die Individuen haben. Es mag eingewandt werden, daß das nach der an früherer Stelle gebotenen Definition für Wohl, das als leerformelhafter Ausdruck für das Besser und Schlechter eines Individuums verstanden wurde, definitorisch nicht möglich ist. Auch der ,Chancenwert' einer Situation müsse ihren Niederschlag i n den Wohlgrößen gefunden haben. Hier zeigt sich nun tatsächlich eine Ambivalenz des Wohlbegriffs. Er werde deshalb an dieser Stelle dahin konkretisiert, daß er nicht auch die Möglichkeit, zu einer Erhöhung des Wohls, die den ,Chancenwert' ausmacht, kennzeichnet. Da ,vertane' Möglichkeiten ex post nicht mehr zählen und ,genutzte' Möglichkeiten i n den Wohlgrößen ihren Ausdruck finden, ist der gerade erwähnte ambivalente Charakter von Wohl ex post sowieso kein Problem. Der Wert vergangener Chancen spielt ex post bei der Wohlermittlung keine Rolle mehr, was seine Entsprechung darin findet, daß ex post alle realisierten Maßnahmen irreversibel sind. Dies deutet schon an, daß Irreversibilität zunächst nicht das Charakteristikum von spezifischen, sondern daß sie i n einem gewissen Maße das Kennzeichen einer jeden Maßnahme ist, wobei höchstens fraglich sein kann, ob durch eine bestimmte Maßnahme andere Maßnahmen mehr oder weniger stark ausgeschlossen werden 6 9 . I m übrigen sollten die skizzierten Überlegungen zur Irreversibiltät klar gemacht haben, daß es bei der Beurteilung einer Maßnahme nur darum gehen kann, einen Punkt auf der Möglichkeitsgrenze anstelle eines anderen zu realisieren, daß es also nicht möglich ist, zunächst den einen und dann den anderen zu erreichen. Regelmäßig dürfte sich nämlich m i t jeder ergriffenen Maßnahme die Möglichkeitsgrenze verschieben.

69 Das schließt natürlich nicht aus, daß zwischen einzelnen Maßnahmen auch Komplementaritätsbeziehungen bestehen.

IV. Die Beurteilung von Maßnahmen aufgrund der Pareto-Norm

45

2. Maßnahmebeurteilung als Vergleich einer Vielzahl von Situationen

Ein erstes Resümee von Urteilsmöglichkeiten. Nach diesen Überlegungen kann nun ein erstes Resümee über die Urteilsmöglichkeiten gezogen werden. 1. Ist allein das umgekehrte Scitovsky-Kriterium 7 0 , jedoch nicht auch das K H K erfüllt (vgl. Abb. 7), muß es bei einer Beurteilung anhand der Pareto-Norm offenbleiben, ob überhaupt irgendeine Maßnahme ergriffen werden soll. M. a. W., es kann gar nichts ausgesagt werden.

Das gleiche Resultat ergibt sich, wenn bei Nicht-Erfüllung des Samuelson-Kriteriums weder das umgekehrte Scitovsky- noch das K H - K r i t e r i u m erfüllt sind. 2. Ist das K H K erfüllt, jedoch das Samuelson-Kriterium nicht (vgl. Abb. 8), kann — ganz gleich, wie es u m die Erfüllung des ScitovskyKriteriums steht 7 1 — festgestellt werden, daß es auf jeden Fall geboten ist, überhaupt Maßnahmen zu ergreifen. M. a. W., die Ausgangssituation ist nicht optimal: ,etwas 1 sollte getan werden. Offenbleiben muß jedoch, ob die Maßnahme allein, m i t begleitenden Verteilungsmaßnahmen oder allein begleitende Verteilungsmaßnahmen ergriffen werden sollten. 3. Ist das sog. Samuelson-Kriterium erfüllt (vgl. Abb. 9), kann die Maßnahme verbindlich empfohlen (Abb. 9) oder verbindlich abgelehnt werden. Offenbleiben muß jedoch auch i n diesen beiden Fällen, ob begleitende Verteilungsmaßnahmen geboten sind. 70 I n der Ergebnissituation sind alle besser gestellt als i n einer entsprechenden durch begleitende Verteilungsmaßnahmen aus der Ausgangssituation herleitbaren Situation ( A i i n Abb. 7). 71 Die Ergebnissituation könnte etwa auch i n B gelegen sein.

Teil A: Urteile, Situationsvergleiche und Maßnahmebeurteilung

Abb. 9

Bemerkenswert ist nun an diesen Ergebnissen, daß sie sich allein aufgrund einer konsequenten Anwendung der Pareto-Norm ergeben und daß die Versuche der Ausdehnung von Urteilsmöglichkeiten, die über das K H - K r i t e r i u m zum sog. Samuelson-Kriterium führten, obwohl sie durch die Zweiteilung von Produktions- und Distributionsaspekten über das Pareto-Kriterium hinausführen sollten, i m Effekt i n diesem bzw. i n der Pareto-Norm bereits enthalten sind. Bei näherer Überlegung erstaunt dieses Ergebnis jedoch weniger, da i m Samuelson-Kriterium der Begriff Produktion so definiert ist, daß bei ihrer Erhöhung alle besser gestellt werden können.

I V . Die Beurteilung von Maßnahmen aufgrund der Pareto-Norm

47

Das O f f e n b l e i b e n des V e r t e i l u n g s a s p e k t s . B e i m R e s ü m i e r e n d e r E r gebnisse w u r d e gerade i n d e n F ä l l e n , i n d e n e n ü b e r h a u p t e i n U r t e i l m ö g l i c h w a r , i m m e r d a v o n gesprochen, daß es a u f g r u n d der P a r e t o N o r m o f f e n b l e i b e n müsse, ob b e g l e i t e n d e V e r t e i l u n g s m a ß n a h m e n geb o t e n s i n d oder n i c h t . D a r ü b e r , w a s dieses »Offenbleiben 4 bedeutet, k ö n n t e es n u n verschiedene A u f f a s s u n g e n geben. N a c h e i n e r t r a d i t i o n e l l e n u n d v i e l f a c h w o h l auch h e u t e n o c h f a k t i s c h v o r h e r r s c h e n d e n A u f fassung m ü ß t e das O f f e n b l e i b e n i n d e m S i n n e i n t e r p r e t i e r t w e r d e n , daß es m e h r oder w e n i g e r g l e i c h g ü l t i g ist, o b b e g l e i t e n d e V e r t e i l u n g s m a ß n a h m e n e r g r i f f e n w e r d e n oder n i c h t 7 2 . D a n a c h w ä r e es a u f j e d e n F a l l besser, i r g e n d e i n e d e r S i t u a t i o n e n a u f d e r M ö g l i c h k e i t s g r e n z e I U I ( i n A b b . 9) z u realisieren, als i n e i n e r S i t u a t i o n — u n d sei es auch die beste a u f I I — der M ö g l i c h k e i t s g r e n z e 1 1 z u v e r h a r r e n . D a e i n solches V e r h a r r e n i m m e r e i n e n V e r z i c h t a u f E f f i z i e n z bedeutet, k ö n n e d e r Ö k o n o m q u a Ö k o n o m das U r t e i l f ä l l e n , daß es a u f j e d e n F a l l g u t sei, i r g e n d e i n e n P u n k t a u f I I I I z u realisieren, der n i c h t m i t d e m M a k e l der , I n e f f i zienz 4 b e h a f t e t s e i 7 8 . Oberstes Z i e l dieser ren, d i e V e r t e i l u n g des Es b e d a r f w o h l k e i n e r d e r P a r e t o - N o r m allein

E i n s t e l l u n g i s t es, d i e , P r o d u k t i o n 4 z u m a x i m i e »Produkts 4 i s t d a b e i v o n s e k u n d ä r e r B e d e u t u n g 7 4 . w e i t e r e n B e g r ü n d u n g , daß diese A u f f a s s u n g aus nicht begründet werden kann.

72 „ . . . any Pareto o p t i m u m is treated as necessarily better than any position w h i c h is not a Pareto »optimum 4 position. I n other words i t is simply decided t h a n the distribution of income is irrelevant to the question whether one situation is a situation of greater economic welfare t h a n another", Little , Critique, S. 87 kennzeichnet m i t diesen Worten eine Richtung (seine „ t h i r d school of thought") i n der Wohlfahrtstheorie. 73 Bemerkenswert ist es wohl, daß die hier beschriebene Position, w e n n auch etwas modifiziert, noch i n einem jüngeren Beitrag bezogen w i r d , der sich explizit m i t der Verteilungsproblematik beschäftigt: „ T h e institutions of society should be designed to produce the one pattern of resource allocation which is Pareto optimal given the preference functions of a l l individuals, their i n i t i a l endowments of productive factors, the specified pricing rules, and the existing technology (vgl. E. O. Olsen, A Normative Theory of Transfers, i n : Public Choice, Bd. 6 (1969) S. 45), wobei dieses Z i t a t i n dem Sinne verstanden werden muß, daß die gesellschaftlichen Institutionen ihre vorrangige, w e n n nicht erschöpfende Aufgabe i n der Schaffung der (eindeutigen) pareto-optimalen Situation zu sehen haben, (s. dazu unten S. 52) Bezeichnend ist i n diesem Zusammenhang weiterhin, welche Prägung der Begriff »Effizienz 4 erfahren hat, der — technizistisch — doch zunächst n u r etwas darüber aussagt, m i t welcher Wirksamkeit vorgegebene Ziele realisiert werden. Der Sprachgebrauch des Wortes verrät, daß i n der Ökonomie das Verteilungsziel offenbar nicht als Z i e l angesehen w i r d , das bei der Prüfung der »Effizienz 4 eines »Systems4 zu beachten sei (vgl. dagegen das „grand efficiency measure 44 von Weisbrod, i n dem der Begriff der Effizienzsteigerung nicht m i t ,Produktionserhöhung 4 identifiziert w i r d (B. A . Weisbrod, Income Redistribution Effects and Benefit-Cost-Analysis, i n : Problems i n Public Expenditure Analysis (Hrsg. Chase), Washington 1968, S. 190). 74 Hinsichtlich einer weiteren Rationalisierung einer solchen Position s. auch unten S. 156.

Teil A: Urteile, Situationsvergleiche und Maßnahmebeurteilung Nach einer anderen Position 7 5 , die sich ebenfalls nicht aus der ParetoNorm definitiv begründen läßt, mag es jedoch i m Sinne der sich i n dieser Norm ausdrückenden Tendenz sein, das Offenbleiben von begleitenden Verteilungsmaßnahmen als (primäre) Gleichgültigkeit gegenüber dem Verteilungsgesichtspunkt zu verstehen, wenn das damit begründet wird, daß sich längerfristig (bei mehreren Maßnahmen, die empfohlen werden können) die unterschiedlichen Verteilungseffekte schon ausgleichen werden. Zwecks einer detaillierteren Auseinandersetzung m i t dieser Position sei auf die entsprechenden Ausführungen bei Rothenberg und L i t t l e verwiesen 76 . Angemerkt sei vielleicht, daß — abgesehen von dem nicht begründeten und nicht begründbaren Glauben an eine zumindest auf lange Sicht prästabilisierte Verteilungsharmonie 77 — eine solche längerfristige Betrachtung, wenn sie nicht i m Vergleich zu der Lebenserwartung von Individuen kurzfristig ist, sich auch nicht m i t der oben erwähnten individualistischen Norm verträgt. Sofern nicht von weiteren Normen als der Pareto-Norm ausgegangen wird, ist es allein zulässig, unter ,Offenbleiben' zu verstehen, daß eine etwaige verbindliche Empfehlung (Ablehnung) der Maßnahme an die Bedingung geknüpft ist, daß durch ihre Realisierung (Nicht-Realisierung) die Verteilung nicht verschlechtert (verbessert) wird. Das (verbindliche) U r t e i l über die Maßnahme kann so als eine Empfehlung an den Politiker verstanden werden, daß er die Maßnahme unbesorgt durchführen lassen (auf ihre Durchführung verzichten) könne, wenn er sie durch entsprechende Verteilungsmaßnahmen begleiten läßt 7 8 . Nur bei einem solchen Verständnis einer etwaigen Empfehlung (Ablehnung) der Maßnahme ist m i t i h r keine Präjudizierung verbunden. Samuelson spricht deshalb auch nur davon, daß eine solche Maßnahme ,potentiell' 7 9 zu einer Verbesserung (Verschlechterung) führe. 75 Z u verweisen ist i n diesem Zusammenhang auf die Erläuterungen, m i t denen Hicks (bei E r f ü l l u n g des K H K ) die Nicht-Notwendigkeit von K o m pensationsleistungen rechtfertigt: „ . . . there w o u l d be a strong probability that almost a l l of t h e m w o u l d be better off after the lapse of a sufficient length of t i m e " (nach Little , Critique, S. 94). 76 Little, Critique, S. 92 ff.; Rothenberg, Measurement, S. 116 ff. 77 „ . . . an article of f a i t h " Rothenberg, Measurement, S. 119. 78 Entgegen der Auffassung Littles (s. Critique, S. 87 f.) scheint m i r , daß diese Auffassung die Position Kaldors hinsichtlich des Kompensationstests beschreibt (vgl. auch oben S. 31 ff. u n d die dort aufgeführten Zitate von Kaldor). L i t t l e ordnet K a l d o r seiner „ t h i r d school of thought" zu, nach der jede pareto-optimale Situation besser als eine jede nicht-pareto-optimale Situation (s. o. S. 47) sei. 79 Samuelson, Evaluation, S. 11; (in diesem Sinne auch Graff, S. 88); Nach Little (auch Mishan, Welfare Economics, S. 47) k a n n eine Maßnahme zugleich „potentiell better and potentially worse" (Critique, S. 99) als eine andere sein. Diese A r t der potentiellen Überlegenheit' ergibt sich i m U n t e r schied zur obigen bereits i m m e r dann, w e n n es über Kompensationsleistungen aufgrund der Maßnahme möglich ist, ,alle' besser zu stellen. Die Gleich-

IV. Die Beurteilung von Maßnahmen aufgrund der Pareto-Norm

49

Demnach kann die Maßnahme entweder als (eindeutig) potentiell über- oder unterlegen oder aber als aufgrund der Pareto-Norm nicht beurteilbar klassifiziert werden. Einer Auffassung, daß durch die i m Samuelsonschen Sinne erweiterte „Regel der potentiellen Kompensation" (Gäfgen) über die Möglichkeit „eines kompensierenden Transfers" „ein sehr direkter, interpersoneller Vergleich" „der sozialen Bedeutung des Nutzenzuwachses bei den Befürwortern einer Alternative" m i t der „sozialen Bedeutung des Nutzenentgangs bei ihren Gegnern" 8 0 stattfindet, kann also nicht zugestimmt werden. Das potentiell* bezieht sich nicht nur auf Kompensation, sondern auch auf Besser. Nach den obigen Ausführungen zu dem, was unter Umständen unter ,Offenbleiben 4 verstanden werden könnte, erscheint es aber auch fraglich, ob die Regel der potentiellen Kompensation, wie Gäfgen es behauptet, i n dem Sinne „von ihren Autoren Kaldor und Hicks gedacht war", daß sie faktisch einen interpersonellen Nutzenvergleich impliziert oder ob sie bei diesen Autoren nicht doch eher i m Sinne der oben erläuterten potentiellen Verbesserung verstanden werden muß 8 1 . Einige Konkretisierungen (Revisionen) der Logik des Verfahrens einer Maßnahmebeurteilung. Entgegen dem an früherer Stelle erweckten Eindruck hat es sich gezeigt, daß die Beurteilung einer Maßnahme nicht m i t dem Vergleich zweier (punktueller) Situationen gleichgesetzt werden kann. Für eine Maßnahmebeurteilung darf die Betrachtung weder auf ,die' Ergebnissituation noch auf ,die' Ausgangssituation beschränkt werden 8 2 , sondern zusätzlich müssen alle Möglichkeiten, die durch die Maßnahme er- bzw. verschlossen werden, m i t betrachtet werden, solange nicht eine über die Pareto-Norm hinausgehende Konkretisierung von Normen erfolgt. Anstelle des Vergleichs zweier ist so für die Beurteilung einer Maßnahme der Vergleich einer Vielzahl von Situationen erforderlich. Nachdem sich der Bezug auf jeweils nur eine punktuelle Ausgangsund Ergebnissituation als für eine Maßnahmebeurteilung unzureichend erwiesen hat, mag insbesondere die Darstellungsweise i n Abb. 9 die Frage aufkommen lassen, ob es überhaupt sinnvoll sei, zwischen einer Möglichkeitsgrenze m i t und einer solchen ohne zu beurteilende Maßnahme zu unterscheiden. Schließlich stellen Punkte auf der Kurve I I (Abb. 9) dem Wortsinn nach gar keine Grenzpunkte dar. Wenn sowieso alle Maßnahmen (und nicht nur die Maßnahme) tendenziell einen irrezeitigkeit v o n potentieller Über- u n d Unterlegenheit einer Maßnahme ist somit nichts anderes als Ausdruck der möglich Inkonsistenz des K H K . 80 Die Zitate finden sich bei Gäfgen, S. 425. 81 Gäfgen, ebd. 82 Daß die obigen Determinierungsversuche von Ausgangs- u n d Ergebnissituationen unbefriedigt blieben, braucht also nicht mehr zu stören. 4 Hackmann

Teil A: Urteile, Situationsvergleiche und Maßnahmebeurteilung versiblen Charakter haben, fällt es nämlich schwer, noch ein sachliches Argument dafür zu finden, nicht von vornherein von einer (wirklichen) Grenzkurve auszugehen. M i t Bezug auf frühere Graphiken wäre eine solche (wirkliche) Möglichkeitsgrenze generell als die Gesamtheit der Punkte der verschiedenen Möglichkeitskurven zu denken, die vom Ursprung des Koordinatensystems aus gesehen am weitesten außerhalb liegen, so daß sich die Möglichkeitsgrenze aus den pareto-superioren Streckenabschnitten der anderen Kurven zusammensetzt. Die Logik des Verfahrens einer Maßnahmebeurteilung besteht bei dieser Darstellungsweise nun darin, nur noch die Situationen miteinander zu vergleichen, die auf einer solchen Möglichkeitsgrenze liegen. Dabei wären zwecks Urteilsfindung zunächst einmal die Situationen der Möglichkeitsgrenze, die anderen durch diese Grenze gekennzeichneten Situationen gegenüber unterlegen sind, herauszufinden und als für die weitere Urteilsfindung irrelevant auszuscheiden. Stellt sich nun heraus, daß die so verbleibenden für die Urteilsfindung noch relevanten Situationen allesamt die Realisierung der Maßnahme erforderlich machen, wie es bei der Erfüllung des Samuelson-Kriteriums der Fall ist, kann die Maßnahme i n dem Sinne verbindlich empfohlen werden, wie es oben erläutert wurde. Das Umgekehrte gilt für den Fall, daß keine der verbleibenden relevanten Situationen die Realisierung der Maßnahme erfordert. I m Falle, daß einzelne der relevanten Situationen m i t und andere ohne die Maßnahme realisiert werden können, muß eine Entscheidung offenbleiben. Die Frage nach dem Erfordernis ,begleitender Verteilungsmaßnahmen' bleibt immer dann ungeklärt, wenn sich der Kreis der relevanten Situationen nicht auf eine Situation einengen läßt bzw. sich »Ausgangs- und Ergebnissituation' nicht als die allein relevanten Situationen erweisen. Die Aufgabe der Beurteilung der-Maßnahme kann somit als eine Aufgabe verstanden werden, die für eine Urteilsfindung relevanten Bereiche der Möglichkeitsgrenze zu ermitteln, wobei ein i n jeder Hinsicht definitives Urteil nur möglich ist, wenn nur noch eine Situation als relevant übrigbleibt. 3. Verteilungsmaßnahmen i n Interessenharmonie

Nach den bisherigen Darlegungen muß es so scheinen, als seien m i t dem Nachweis der Möglichkeitsgrenze und der Beantwortung der Frage, ob alle, einzelne oder gar keine der durch sie beschriebenen Situationen die Maßnahme erforderlich machen, die Aussagemöglichkeiten aufgrund der Pareto-Norm ausgeschöpft. Dieser Eindruck wurde insbesondere dadurch geweckt, daß oben — unbefragt — immer nur von Möglichkeitsgrenzen m i t negativen Steigungen ausgegangen wurde. Da die

IV. Die Beurteilung von Maßnahmen aufgrund der Pareto-Norm

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Möglichkeitsgrenzen Situationen beschreiben, die bei einem bestimmten Wohlniveau für ein Individuum dem anderen das maximale Wohl gewähren — und nicht die, die nach der Pareto-Norm keine Verbesserung mehr erlauben —, ist ihre negative Steigung kein definitorisches Erfordernis. Bei Möglichkeitsgrenzen m i t z. T. positiven Steigungen können nun trotz Nicht-Erfüllung von Samuelson- und Scitovsky-Kriterien verbindliche Empfehlungen ausgesprochen werden, wenn etwa Verhältnisse vorliegen, wie sie durch Abb. 10 demonstriert sind. Der Bereich BC der Möglichkeitskurve I I IT, der definitionsgemäß zugleich auf der Möglichkeitsgrenze IFBCGF liegt, ist nach der Pareto-Norm allen anderen möglichen Punkten überlegen. M i t Frisch kann von diesem Bereich als von

einer „pareto-optimalen Region" 8 3 gesprochen werden. Da nur dieser Bereich für die Urteilsfindung relevant ist, kann die Maßnahme i m oben erläuterten Sinn verbindlich empfohlen werden, obwohl das SamuelsonK r i t e r i u m nicht erfüllt ist. Die Möglichkeiten, aufgrund der ParetoNorm Urteile zu fällen, schließen somit nicht nur das ein, was aufgrund des Samuelson-Kriteriums, dessen Anwendung sich auf die Fälle des Nichtschneidens von Möglichkeitskurven beschränkt, gestattet ist, sondern gehen noch darüber hinaus. Diese ,Überlegenheit* einer konsequenten Anwendung der Pareto-Norm w i r d noch deutlicher, wenn berücksichtigt wird, daß bei Verhältnissen, wie sie i n Abb. 10 dargestellt sind, nicht nur eine Empfehlung der Maßnahmen, sondern sogar verbind83

Frisch, S. 43; vgl. auch den Begriff des „set of superior points" bei Mc Kean, S. 33.

Teil A : Urteile, Situationsvergleiche und Maßnahmebeurteilung liehe Empfehlung i n Hinblick auf das Ergreifen von Verteilungsmaßnahmen ausgesprochen werden können. So muß es (mit Bezug auf Abb. 10) nicht vollständig ,offen bleiben 4 , ob bzw. welche Verteilungsmaßnahmen begleitend zur Maßnahme zu ergreifen sind; vielmehr kann verbindlich erklärt werden, daß die begleitenden Verteilungsmaßnahmen auf jeden Fall i n den relevanten Bereich der Pareto-Region führen müssen. Welche von den dafür i n Frage kommenden, sich gegenseitig ausschließenden Maßnahmen auszuwählen sind, muß jedoch wieder i m oben erläuterten Sinne offenbleiben. Ohne die voraufgegangenen Erklärungen würde die Aussage, daß nach der Pareto-Norm Verteilungsmaßnahmen empfohlen werden können, auf den ersten Moment möglicherweise befremden. Die Erinnerung, daß sich die Pareto-Norm auf Fälle der Interessenharmonie bezieht und Verteilung nicht notwendig einen Interessenkonflikt bedeuten muß, macht das Ergebnis jedoch plausibel. So wurde denn auch i n der jüngsten Zeit i n der amerikanischen Literatur solchen Möglichkeiten besondere Beachtung geschenkt 84 . Neben der Feststellung, daß auch aufgrund der Pareto-Norm Verteilungsmaßnahmen empfohlen werden können, und dem Aufweis von sich daraus ergebenden Konsequenzen, geht es dabei auch u m den Nachweis, daß Verteilung ein öffentliches Gut 4 sei, dessen Versorgung zumindest z. T. i n die Allokations- und nicht i n die Distributionsabteilung Musgravescher Prägung falle 8 5 .

84 Vgl. H. M . Hochmann u n d J. D. Rodgers, Pareto optimal Redistribution, A E R 69 (1969), S. 542 ff. u n d die »Kommentare' dazu i n A E R 70 (1970), S. 988 ff. v o n Meyer/Shipley, Musgrave u n d Goldfarb; s. ferner auch den bereits an früherer Stelle zitierten Beitrag von Olsen, der allerdings dadurch gekennzeichnet ist, daß er aufgrund „einer normativen Bedingung" ein eindeutiges Pareto-Optimum unterstellt (vgl. S. 43). Die normative Bedingung besteht darin, daß „ p r i c i n g by marginal evaluation (i. e. benefit taxation) is assumed for goods not completely subject to the exclusion principle" (S. 43). Dabei werden Transferzahlungen als Güter m i t denselben Eigenschaften w i e andere Güter behandelt, „namely that the quantity of transfer activity demanded by an i n d i v i d u a l varies directly w i t h his w e a l t h and inversely w i t h its price to h i m " (S. 41). I m übrigen entspricht sein eindeutiges Optimum, w e n n von den Modifikationen aufgrund von öffentlichen Gütern (wie den Transferaktivitäten) abgesehen w i r d , w o h l der Walrasschen Gleichgewichtslösung. Da Pareto-Optimalität m i t E r f ü l l u n g sog. pareto-optimaler Bedingungen gleichgesetzt w i r d , ergibt sich die Eindeutigkeit des Pareto-Optimums „because of relevant disincentive effects" (S. 41), die offensichtlich (nur) m i t U m v e r teilungen einhergehen, die nicht den individuellen Präferenzen entsprechen. 65 „Redistribution through the fiscal process is just as necessary for the attainment of Pareto o p t i m a l i t y i n these circumstances, as the collective provision of conventional public goods", Hochman/Rodgers, S. 443.

Teil B

Einige Aspekte der Berücksichtigung der Verteilungsproblematik aus traditioneller wohlfahrtstheoretischer Sicht I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt 1. Zum Verständnis und zur Bedeutung des Nutzenbegriffs in der Wohlfahrtstheorie

a) Verteilung

als Interessenkonflikt;

Aufgabenstellung

I m gerade abgeschlossenen Teil dieser Arbeit wurde zuletzt auf die Möglichkeit verwiesen, aufgrund der Pareto-Norm auch Verteilungsprobleme behandeln zu können. Welches Gewicht dieser Möglichkeit faktisch zukommen mag, kann hier nicht beurteilt werden. Spezifischerweise werden Verteilungsmaßnahmen jedoch nicht die Interessen aller fördern, so daß sie nicht durch eine Harmonie, sondern durch einen Gegensatz von Interessen zu kennzeichnen sind. M i t einer Betonung der Möglichkeit konfliktfreier Verteilungsmaßnahmen könnte die Gefahr einhergehen, daß hauptsächlich solche Auffassungen beachtet werden, die — zumindest seit John Locke und Adam Smith — ihren besonderen Ausdruck i n den Überlegungen finden, daß etwa wegen der Vorteile der Arbeitsteilung sich die Verfolgung von Eigeninteressen zum Nutzen aller auswirkt 1 . Dieser (wichtige) Aspekt der Möglichkeit von Kooperationen hat wohl vorwiegend das Denken der (älteren) bürgerlichen Nationalökonomie insbesondere auch der Wohlfahrtstheorie bestimmt. Insofern steht also die am Ende des ersten Teils zitierte Literatur i n einer alten Tradition harmonistischen Denkens bzw. Glaubens. Explizit dürfte nun heutzutage wenig bestritten werden 2 , daß auch dem Aspekt des Interessenkonflikts (dem des „bellum omnium contra 1 Vgl. T. Parsons , A r t : „Utilitarianism, I I Sociological Thought", i n : I n t e r national Encyclopedia of the Social Sciences, Bd. 16 (1968), S. 230 ff. 2 Auch wenn i m schon mehrfach erwähnten Beitrag von Olsen i n der auf S. 47 zitierten Stelle noch von „the one (von m i r hervorgehoben) pattern of resource allocation w h i c h is Pareto-optimal" die Rede ist.

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

omnes"; Hobbes) faktisch keine geringe Bedeutung zukommt 3 . Das Bewußtsein für Interessenkonflikte hat sich i n der »bürgerlichen 4 Nationalökonomie m i t der Entwicklung der Spieltheorie entfaltet. Ob diese bzw. die i n ihr beschrittenen Lösungswege die Gefahr des Vernachlässigens von Interessenkonflikten zunächst hinreichend gebannt haben, so daß die zuvor zitierte Literatur eher als Nachhut denn als Vorhut von Entwicklungstendenzen aufgefaßt werden darf, mag hier dahingestellt bleiben 4 . Aufgrund der Ausführungen des ersten Teils soll hier das Typische eines Interessenkonflikts und damit das Spezifische der Verteilungsproblematik darin gesehen werden, daß es bei ihr normativ u m die Erhöhung des Wohls (zumindest) einer Person auf Kosten des Wohls (zumindest) einer anderen Person geht 6 Diese Charkterisierung der Eigenart des Verteilungsproblems könnte die Vermutung aufkommen lassen, daß es zu seiner Lösung auf jeden Fall erforderlich sei, Wohlerhöhungen bei einem Individuum m i t Wohlreduzierungen bei einem anderen vergleichend zu bewerten, was seinerseits Anlaß zu der Vermutung geben könnte, daß es zwecks (normativer) Lösung von Verteilungsproblemen auf jeden Fall unumgänglich ist, die Wohldifferenzen eines Individuums zwischen Situationen zu messen und solche Wohldifferenzen verschiedener Individuen interpersonell zu vergleichen, was eine Meßbarkeit der individuellen Wohlgrößen anhand von Differenzskalen impliziert 6 . W i r d schließlich beachtet, daß es schon zur 8 Vgl. i n diesem Zusammenhang auch das Klassifizierungsmerkmal der „streng kompetitiven Situation" bei Gäfgen, S. 179. 4 Bößmann konstatiert: „Die Wohlfahrtsökonomik neuester A r t akzeptiert die Existenz von Interessenkonflikten u n d setzt sie i n den Bereich ihrer Analyse ein, anstatt sie, w i e die paretianische Wohlfahrtsökonomik, wegzudefinieren" (E. Bößmann, Z u r neueren Diskussion über soziale Wohlfahrtsfunktionen, i n : Zeitschrift f ü r die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 121 (1965), S. 229. 6 „Distributional comparisons are deemed b y nature controversial" Rothenberg, Measurement, S. 113. 6 B e i Differenzskalen sind n u r additive Transformationen geigneter k a r dinaler Indizes zulässig (vgl. Gäfgen, S. 149; ist x ein geeigneter Index, sind die gleicherweise geeigneten Indizes y durch die Formel y = x + b, m i t beliebigem b, umschrieben). Die Beschränkung der Zulässigkeit von Transformationen auf solche additiver N a t u r ist f ü r die individuellen Indizes allerdings n u r i n dem Maße erforderlich, i n dem die Indizes der anderen I n d i v i d u e n nicht gleichsinnig geändert werden. F ü r die obige A n w e n d u n g ist es zulässig, die Indizes aller I n d i v i d u e n beliebig linear (ist x ein geeigneter Index, so ist es auch y = ax + b) zu verändern (Intervallskalen; s. Gäfgen, S. 419). Strenggenommen genügt es sogar, w e n n durch die Transformation der Indizes die Rangordnung der nach ihren Größen geordneten Differenzen zwischen allen Indizes (also auch Indizes verschiedener Personen) erhalten bleiben. Durch die Transformation darf sich also nicht das Vorzeichen der Differenz zweiter Ordnung ändern (vgl. die „ O r d i n a l - o r d i n a l Skala" von Coombs, s. H. Müller-Groeling, M a x i m i e r u n g des sozialen Gesamtnutzens u n d E i n k o m mensgleichheit, K ö l n e. a. 1965, S. 46). B e i einer sehr großen A n z a h l der zu

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

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eindeutigen (deskriptiven) Kennzeichnung der relativen Position eines Individuums erforderlich ist, die die Position des Individuums kennzeichnende Größe i n absoluten Skalen 7 zu messen, dürfte es als vollends sicher erscheinen, daß bei einer Behandlung von Verteilungsproblemen auf kardinale Maße nicht verzichtet werden kann. Aufgabenstellung. Ausgehend von dieser Vermutung der Notwendigkeit kardinaler und interpersonell vergleichbarer Maße des Wohls sollen nun i n diesem Teil der Arbeit — exemplarisch herausgegriffen — einige i n der wohlfahrtstheoretischen Literatur angebotene Verfahren zu Situationsvergleichen geprüft werden, die über eine bloße Anwendung des Pareto-Kriteriums hinausgehen bzw. hinauszugehen scheinen. Dabei steht i n diesem Kapitel vor allem die Frage i m Vordergrund, ob diese Verfahren ohne interpersonelle Vergleiche und kardinale Meßbarkeit auszukommen suchen und auskommen können bzw. i n welcher Weise sie sich gegebenenfalls auf interpersonelle Vergleiche und kardinale Maße stützen. Während i m ersten Teil dem Problem der allgemeinen Anerkennung von Normen Gewicht beigemessen wurde, und diese Frage auch später wieder eine gewisse Beachtung finden wird, interessiert sie i m folgenden zunächst weniger. I n den beiden ersten Kapiteln dieses Teils geht es hauptsächlich darum, festzustellen, was gemacht w i r d bzw. wurde und welche Konsequenzen sich aus bestimmten Auffassungen ergeben. Dabei bleiben grundsätzliche Fragen an die gemeinsamen Positionen der zu prüfenden Konzeptionen für das dritte Kapitel dieses Teils der Arbeit ausgespart. Als grundlegende Gemeinsamkeit der Konzepte w i r d dabei angesehen, daß sie nicht i n Hinblick auf einen als Leerformel verstandenen Wohlbegriff angelegt sind. Vielmehr drückt sich i n ihnen die Auffassung aus, daß sich Urteile bei Situationsvergleichen (und damit auch bei Maßnahmebeurteilungen) am — nicht leerformelhaft verstandenen — „Nutzen" von Individuen zu orientieren habe. Ehe nun die Verfahren selbst beschrieben werden, gilt es zunächst, eine Klärung dessen zu versuchen, was i n diesen Verfahren und darüber hinaus i n der Wohlfahrtstheorie generell unter Nutzen und seinen Synonyma verstanden wird. Vor einem solchen Versuch dürfte der Hinweis angebracht sein, daß der Nutzenbegriff der Wohlfahrtstheorie über den Gleichklang der ordnenden Werte läuft diese Anforderung jedoch darauf hinaus, daß die Nutzenindizes n u r noch linear transformiert werden dürfen. 7 Bei absoluten Skalen sind überhaupt keine Transformationen mehr zulässig. Den Ausführungen der letzten Fußnote entsprechend sei jedoch darauf hingewiesen, daß die individuellen Maßstäbe n u r nicht f ü r sich allein transformiert werden dürfen. Wenn die relative Position von I n d i v i d u e n eindeutig beschrieben werden soll, sind bei gleichsinnigen Änderungen aller i n d i v i d u ellen Maßstäbe beliebig m u l t i p l i k a t i v e Transformationen (ist x ein Index, so auch y = ax) des Maßstabs statthaft (Verhältnisskalen, s. Gäfgen, S. 419).

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

Laute hinaus kaum etwas m i t dem Nutzenbegriff i n der positiven Theorie gemein hat, wie er dort, wenn auch nicht immer einheitlich, vielfach verwendet w i r d 8 . Auch der Nutzenbegriff der Entscheidungstheorie (und Spieltheorie) ist nicht m i t dem der Wohlfahrtstheorie (hier also nicht als Oberbegriff verstanden) identisch 9 . b) Der Nutzen von Individuen als entscheidende Orientierungsgröße wohlfahrtstheoretischer Urteile aa) Einige Bemerkungen zur Schwierigkeit eines Versuchs, die Position der Wohlfahrtstheorie zu kennzeichnen Bei einer Erörterung dessen, woran sich — nach i n der Wohlfahrtstheorie verbreiteter Ansicht — Situationsvergleiche und Maßnahmebeurteilungen zu orientieren haben, stellen sich einige Schwierigkeiten. Zunächst einmal dürften die Ansichten verschiedener Autoren kaum jemals vollständig identisch sein. Wenn hier dennoch versucht wird, so etwas wie die Position der Wohlfahrtstheorie zu beschreiben, sollte also Klarheit darüber bestehen, daß sich nicht jeder der Autoren, auf die i m folgenden Bezug genommen wird, gleicherweise gut unter die folgenden Überlegungen einordnen läßt, obwohl doch weitgehende Übereinstimmungen geben sind. Dieser Nachteil w i r d jedoch durch eine andere Schwierigkeit gemindert, da nicht nur unterschiedliche Auffassungen zwischen Autoren bestehen, sondern häufig die Positionen einzelner Autoren selbst als widersprüchlich erscheinen (nicht nur i n unterschiedlichen Veröffentlichungen). Vielleicht ist es allerdings besser, anstelle von widersprüchlich erscheinenden Auffassungen von ungeklärten bzw. ambivalenten Positionen zu sprechen; vielleicht sollte auch nur davon die Rede sein, daß von manchen Autoren einmal bezogene Positionen nicht konsequent durchgehalten werden. Eine dritte Schwierigkeit, i n der auch die Ambivalenz der Einstellungen einzelner Autoren begründet sein drüfte, ist die Unklarheit bzw. fehlende Präzisierbarkeit eines Großteils der Begriffe, die i m Zusammenhang der Frage genannt werden, woran bzw. an welchen individuellen ,Größen* eine Urteilsfindung letztlich orientiert sein sollte. Diese 8 F ü r ein »aufgeklärtes 4 Verständnis v o n „Nutzen" i n der positiven Theorie s. etwa R. E. Kuenne, The Theory of General E q u i l i b r i u m , Princeton 1963, S. 47 ff.: „The consumer is not acting ,as if' he were m a x i m i z i n g the value of an index: the index is maximized because the consumer is doing w h a t he said or implied he w o u l d do" (ebd., S. 55). 9 Vgl. Gäfgen, S. 40 ff. u n d S. 141 ff.; hinsichtlich einiger „Interpretationen der Nutzentheorie" u n d damit des Nutzenbegriffs s. a. den Überblicksartikel von P. C. Fishburn, U t i l i t y Theory, i n : Management Science 14 (1968), S. 337 ff.

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

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Schwierigkeit resultiert zum einen daraus, daß ein etwa als beschreibend gemeinter und w o h l auch tatsächlich als solcher vorhandener Gehalt von Begriffen m i t den menschlichen Sinnen und ihren Verlängerungen i n technischen Apparaturen jeglicher A r t (bislang) offensichtlich nicht eindeutig meßbar gemacht werden kann 1 0 . Z u m Fehlen präziser operationaler Abgrenzungskriterien bei diesen Begriffen kommt erschwerend hinzu, daß — wie bei den meisten Begriffen — unterschiedliche Personen m i t denselben Worten unterschiedliches (im beschreibenden Sinne) meinen, was u m so nachteiliger ist, je geringer die Operationalität der Abgrenzungskriterien der gemeinten Sachverhalte ist. bb) Nutzen als Wohlbefinden Unter Wohlfahrtstheoretikern dürfte kaum ein Widerspruch gegen die Forderung erhoben werden, daß Situationsvergleiche bzw. Maßnahmebeurteilungen sich an der Wohlfahrt (welfare) oder dem Wohlergehen (well-being) von Individuen orientieren sollen. Dabei werden diese Begriffe wohl zumeist als Synonyma verstanden. Die Gemeinsamkeit der Wohlfahrtstheoretiker ist nun nicht darauf beschränkt, daß sich eine Urteilsfindung an der Wohlfahrt von Individuen orientieren soll (mit einer Beschränkung auf ein Verständnis von Wohlfahrt, das dem von ,Wohr entspräche), sondern bezieht sich darüber hinaus auch auf das, was unter Wohlfahrt inhaltlich verstanden wird. Nutzen als eine Gefühlsqualität. So dürfte die Mehrzahl der Wohlfahrtsökonomen 11 unter Wohlfahrt eine „geistige Entität" (Gäfgen) bzw. psychische Zustandsqualität verstehen, die einen „ K a l k ü l i n subjektiven Kategorien" i m Unterschied zu einer „Analyse i n objektiven Kategorien" erforderlich mache 12 . Zur Kennnzeichnung dieser Auffas10 W o h l k a u m jemand dürfte den Begriffen Freude oder Trauer einen beschreibenden Gehalt absprechen; darüber hinaus w ü r d e n die meisten auch w o h l anerkennen, daß es von Außenstehenden (ohne Befragung) häufig auch i n intersubjektiv überprüfbarer Weise beobachtet werden kann, ob jemand freudig oder t r a u r i g ist, obwohl es sehr schwierig sein dürfte, die doch existenten Urteilsmaßstäbe operational eindeutig zu formulieren. 11 Wenn Gäfgen i n diesem Zusammenhang v o n einer „kleinen Gruppe von Theoretikern" spricht (S. 143), w i r d er diese Aussage n u r aufrechterhalten können, w e n n er alle Gruppen v o n Theoretikern (positive Theorie, Entscheidungstheorie) m i t berücksichtigt hat, obgleich sich auch i n diesen Bereichen entsprechende Vorstellungen finden; zur positiven Theorie vgl. etwa K . E. Boulding, Economic Analysis, Bd. 1, Microeconomics, New Y o r k e. a. 1966. 12 „Subjective terms" u n d „objective terms" bei J. Viner, The U t i l i t y Concept i n Value Theory and its Critics, I I The U t i l i t y Concept i n Welfare Economics (1925), i n : Page (Hrsg.), U t i l i t y Theory: A Book of Readings, New Y o r k e. a. (1968), S. 306; obwohl schon V i n e r (s. S. 301 f.) Zweifel an der Richtigkeit der sich i m folgenden Z i t a t ausdrückenden Position anmeldete,

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

sungen werden i n der angelsächsischen Literatur z.B. die Begriffe „mental state" (als „the experience of a sentient being or individual") (Fleming), „state of mind" (Fleming, Little), „states of consciousness" (Pigou) und „some complex mental experience" (Bergson) verwendet 1 3 . Die gleiche Vorstellung findet ihren Ausdruck, wenn die Wohlfahrt generell als „ultimate psychological product" 1 4 oder als „(subjective) feeling" 1 5 bezeichnet wird. Daß Wohlfahrt ein ,Gefühl' ist, drücken ferner auch die häufig verwendeten Begriffe Glück (happiness) 16 , Freude (enjoyment, pleasure) 17 und Zufriedenheit (Befriedigung, satisfaction) 18 aus. Gerade i n Hinblick auf den Begriff der Befriedigung w i r d wieder m i t einem Zitat von Viner (1924) die Position des größten Teils auch heutiger Wohlfahrtstheoretiker charakterisiert werden können: „Among welfare economics . . . i t has been the general tendency to take satisfaction (...) as the unit of welfare 1 9 ." Nutzen und individuelle Selbsteinschätzung des Nutzens. Es soll nun keine Wortklauberei darum begonnen werden, w o r i n sich die gerade aufgezählten Begriffe etwa unterscheiden mögen. Für die folgenden Ausführungen ist i m allgemeinen nur wichtig, daß m i t diesen Begriffen »Gefühle 4 gekennzeichnet werden sollen. Zur besonderen Betonung dieses Aspekts des Begriffes Wohlfahrt w i r d i m folgenden häufig auch von ,Wohlbefinden* die Rede sein. I m gleichen Sinne wie Wohlbefinden hat es bis heute seine Gültigkeit behalten (S. 303): „Whatever m a y be the content of welfare, i t is a matter of general agreement that i t is subjective, internal, rather t h a n objective external, to m a n " ; Little, Critique, S. 37 schreibt knapp drei Jahrzehnte später: „Weif are economics,... is, i f i t is about anything at all, about states of m i n d " ; i m Unterschied zu V i n e r scheint i h m diese Auffassung, w i e den meisten anderen »jüngeren 4 Autoren (vgl. das Folgende) jedoch fraglos richtig zu sein. 18 M . Fleming, A Cardinal Concept of Welfare, QJE 66 (1952), S. 370 (372); Little, Critique, S. 56/7; A . C. Pigou, The Economics of Welfare, 2. Ed., London 1924, S. 10; A . Bergson, O n Social W e i f are once more (1964), i n : Essay i n Normative Economics (Hrsg. Bergson), Cambridge 1966, S. 54, Fn. 14 Boulding, S. 520; vgl. auch J. R. Hicks, The Measurement of Real I n come, OEP 10 (1958), S. 129. 15 z. B. Mishan, Welfare Economics, S. 37; Nath, S. 140; A . P. Lerner, The Economics of Control, New Y o r k 1947, S. 25; J. C. Harsanyi, Cardinal Welfare, Individualistic Ethics, and Interpersonal Comparisons of U t i l i t y (1955), i n : Readings i n Welfare Economics (hrsg. v. Arrow/Scitovsky), London 1969, S. 57. 16 z. B. Little, Critique, S. 34; Fisher, S. 406; Schoeffler, S. 881; J. Quirk/R. Saposnik, Introduction to General E q u i l i b r i u m Theory and Welfare Economics, New Y o r k e. a. 1968, S. 105, Fn. 17 z. B. Majumdar, S. 6; Lerner, S. 25; Viner, S. 301. 18 z. B. Mishan, Welfare Economics, S. 23; McKean, S. 39; Rothenberg, Measurement, S. 10; Samuelson, Foundations, S. 228; Boulding, S. 521; Lerner, S. 25; Bergson, On Social Welfare, S. 53; Hicks, Measurement, S. 134; J. Tin bergen, Welfare Economics and Income Distribution, AER, PaP 47 (1957), S. 500. 19 Viner, S. 301.

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

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w i r d i m Verlauf der Arbeit auch das Wort Nutzen verwendet. Obwohl das letztere schon wegen seiner unterschiedlichen Bedeutung i n den verschiedenen Zweigen der Ökonomie und bei den verschiedenen Ökonomen nicht ganz so geeignet erscheint, w i r d auf seinen Gebrauch hier nicht gänzlich verzichtet, w e i l viele der zu erörternden Fragestellungen i m Zusammenhang m i t diesem Begriff geläufig sind 2 0 . Trotz der Häufung von Begriffen, i n denen ,Wohlfahrt 4 als psychische Zustandsqualität bzw. als Gefühlsqualität gekennzeichnet wird, sind wie schon angedeutet wurde, z. T. bei denselben Autoren auch andere Charakterisierungen dessen zu finden, was inhaltlich unter ,Wohlfahrt 4 zu verstehen ist und was — zumindest auf den ersten Blick — nicht unbedingt m i t den bisher aufgeführten Charakteristika identisch sein muß. So kennzeichnen Armstrong 2 1 und Majumdar 2 2 ,Wohlfahrt 4 eher durch ein Verfahren ihrer Ermittlung als durch eine inhaltliche Beschreibung: „ . . . the welfare of any individual is what that individual perceives i t to be 4 4 2 3 m i t der Konsequenz bei Armstrong, daß „an illusion of welfare is as good as reality 4 4 2 4 . Diese letztere Kennzeichnung legt nun die Vermutung nahe, daß — zumindest von Armstrong — nicht anderes gemeint ist als das, was die obigen Begriffe tendenziell beschreiben; schließlich ist ein eingebildetes Gefühl auch ein Gefühl 2 5 . Bei einem solchen Verständnis wären dann die Charakterisierungen Armstrongs und Majumdars i m Sinne Mishans zu verstehen, der auf die Frage, wie man erfahren könne, wann die Wohlfahrt („synonymous w i t h satisfaction or fulfilment 4 4 ) gestiegen sei, die „tentative answer 44 gibt: „a person's welfare has increased whenever he believes that his welfare has increased 4426 . Nutzen und offenbarte Präferenzen. Bekannter als diese Verfahrensvorschläge zur Ermittlung der Wohlfahrt ist die den obigen Auffassungen verwandte Forderung Samuelsons, der die Urteilsfindung seines „ethical observer 44 auch an den „levels of satisfaction of different in20 Der Begriff Nutzen ist auch darüber hinaus f ü r die Bezeichnung des hier gemeinten Sachverhalts nicht besonders geeignet, da er umgangssprachlich w i e »utility' eher als Eigenart einer (nützlichen) Sache denn als Charakt e r i s t i k u m von Personen verstanden w i r d (vgl. auch N. Georgescu-Roegen, A r t . : „ U t i l i t y " , i n : International Encyclopedia of the Social Sciences, Bd. 16 (1968), S. 236. 21 Vgl. W. E. Armstrong, U t i l i y and the Theory of Welfare, OEP 3 (1951), S. 264 u n d ders. A Reply, OEP 5 (1953), S. 269. 22 Majumdar , S. 17/18. 28 Majumdar , S. 17; Armstrong, A Reply (S. 269): „Surely an i n d i v i d u a l is as w e l l off as he thinks he is"; bemerkenswert ist dabei, daß sich beide Autoren m i t Kennzeichnungen der zuvor angeführten A r t zurück halten. 24 Armstrong, A Reply, S. 269. 25 „ . . . to t a l k of an illusion of welfare is to t a l k nonsense", ebd. 26 Mishan, Welfare Economics, S. 23.

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

dividuals" orientiert wissen möchte: „individuals' preferences are to count" 2 7 . Zwar schwächt Samuelson bei Einführung dieser Forderung bzw. »Annahme 4 zugleich i h r Gewicht ab, indem er gegen ihre Akzeptiertheit einige Bedenken vorträgt, insgesamt resümiert er jedoch (auch zu dieser Annahme), sie sei „more or less tacitly accepted by extremely divergent schools of thought" 2 8 . Spätere wohlfahrtstheoretische A r beiten Samuelsons lassen den Schluß zu, daß diese Feststellung i m großen und ganzen auch eine Charakterisierung seiner eigenen Position darstellt. Ähnlich wie bei den Auffassungen Armstrongs und Majumdars stellt sich auch hier die Frage, i n welchem Verhältnis „preferredness" 29 und „desiredness" 30 , die als Wohlfahrtscharakteristika ebenso verbreitet sein dürften wie die oben aufgezählten Begriffe, zu den oben genannten Kennzeichen stehen. Ähnlich wie oben für Mishan und A r m strong lautet auch hier für viele Wohlfahrtsökonomen die Antwort, daß eine Orientierung an den Präferenzen von Individuen nicht anderes bedeute als eine Orientierung an der Wohlfahrt der Individuen i m Sinne von „satisfaction" oder „happiness": „Fundamentally to the notion that individual preferences are relevant to social desirability is the assumption that these individual preferences i n t u r n are somehow related to the satisfaction or ,hapiness' of consumers . . . 3 1 ." Den meisten Wohlfahrtsökonomen dürfte zumindest das „basic postulate of economics, that each individual prefers . . . a greater satisfaction to a lesser one" 3 2 als unproblematisch erscheinen, wohingegen von vielen die Beziehung zwischen (ex ante) Präferenzen (im Sinne von desires und desiredness) und Wohlbefinden als „at least somewhat debatable" 33 angesehen wird. Hier soll nun nicht die praktische' Frage interessieren, ob faktisch zwischen dem Wohlbefinden eines Individuums und dem, was es präferiert hat, ein Zusammenhang besteht oder nicht. Vielmehr werde i m folgenden nur gefragt, ob aus der üblichen wohlfahrtstheoretischen 27

Samuelson, Foundations, S. 228 u n d S. 223. Samuelson, Foundations, S. 224. 29 McKean, S. 13. 80 Fleming, S. 380. 81 Quirk/ Saposnik, S. 105, Fn.; s. a. Majumdar, S. 21: „We are forced to accept the assumption, t h a t there exists a positive correspondence between welfare and intended behaviour of the i n d i v i d u a l " ; Bergson, On Social W e l fare, S. 53; „ . . . , these (i. e. satisfactions) presumably are such that overt preferences tend to correspond more or less closely w i t h them". 82 Kaldor, S. 551. 88 Quirk!Saposnik, S. 105, Fn.; gegen eine Gleichsetzung von Wohlbefinden u n d Verlangen macht V i n e r bereits 1924 ausführliche Bedenken geltend (s. Viner, S. 307 ff.). 28

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

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Sicht eines der beiden Prinzipien: Orientierung am Wohlbefinden und Orientierung an den individuellen Präferenzen, das andere dominieren soll und gegebenenfalls welches dieser beiden Prinzipien. Die jüngeren Auffassungen zu dieser Frage dürften weitgehend von L i t t l e beeinflußt sein und vielfach der i n der ,Critique' von i h m entwickelten Position entsprechen. Während L i t t l e (S. 29) als „hinreichende Bedingung" einer „Besserstellung" sein „higher up on the order of his (i. e. individual) choices" vorstellt, und dabei die Möglichkeit einräumt, „to be ,on a higher behaviour line', and be less satisfied", bietet er kurz darauf (S. 34/35) „our present interim definition of ,welfare'" i m Sinne von „happiness" an. Dies begründet er damit (S. 37), daß „the fact that a man is ,on a higher behaviour line' may be taken as good evidence for the fact than he may be more satisfied". Später modifiziert er dann seine Zwischenlösung (S. 49) 34 , rückt ein wenig von ihr ab (S. 65/66), u m schließlich (S. 82) doch zu konstatieren: „ . . . i n any community i n which the individual is held to be of importance, i t is still essential that the welfare economist should inquire into the causes of the happiness of individuals". Dabei erklärt er sein (gewisses) Abrücken damit (S. 66), daß „ a l l kinds of other ethical issues may be involved, apart from the major ethical premise that, ceteris paribus, one ought to increase happiness". Für die augenblickliche Frage nach dem Zuordnungsverhältnis von Wohlbefinden und Präferenzen ist diese Einschränkung jedoch bedeutungslos: das Wohlbefinden ist für L i t t l e eindeutig die dominierende Orientierungsgröße. Obendrein verliert die Einschränkung Littles bei genauerer Betrachtung ihr Gewicht auch deshalb, w e i l L i t t l e unter anderen „ethical issues" solche Normen versteht, die sich auf die Verteilung von Geldeinkommen und Vermögen beziehen (vgl. S. 65/6) und sein „major ethical issue" nicht nur eine Orientierung am Glück von Individuen verlangt, sondern darüber hinaus auch die Zielsetzung einschließt, daß die Summe der Glücksempfindungen von Individuen maximiert werden soll 3 5 . Hinsichtlich einer Auseinandersetzung m i t 34

s. dazu auch unten S. 129 ff. Little spricht davon (S. 65), daß „ a country" oder eiiie „equalitarian society" mehr oder weniger glücklich sein k a n n ; auf solche ,Subjekt-Einheiten' bezogen ist, w i e sich aus dem Zusammenhang ergibt, auch die Aussage Littles (S. 53) zu verstehen, „ t h a t i t is b y no means maintained that one always ought to t r y to produce most happiness". Während L i t t l e die M a x i m i e r u n g der Nutzensumme der Gesellschaft nicht als verpflichtendes oberstes Ziel ansieht, ist die M a x i m i e r u n g individuellen Wohlbefindens f ü r i h n offensichtlich ein selbstverständliches Ziel bzw. eine selbstverständliche V e r h a l tensweise von Individuen. S. 45: „Everybody w i l l , of course , choose the alternative w h i c h gives h i m the highest possible satisfaction" (das „of course" wurde von m i r hervorgehoben). 85

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

der Zielsetzung der Maximierung der Summe der Wohlbefinden von Individuen, die L i t t l e i n Anschluß an die kritische Prüfung einer entsprechenden Position Lerners, offensichtlich als weitgehend richtig voraussetzt, sei auf spätere Ausführungen verwiesen; an dieser Stelle genügt die Feststellung, daß sich die Einschränkung Littles bereits auf Aussagen bezieht, nach denen das Wohlbefinden eines Individuums gegen das eines anderen abgewogen werden soll, Aussagen also, die hier i m Augenblick noch gar nicht zur Diskussion stehen. I m ganzen darf so auch als die Position Littles verstanden werden, wie die der Wohlfahrtstheorie überhaupt, daß eine Orientierung an den ,behaviour lines' letztlich auf eine Orientierung am individuellen Wohlbefinden zielt (und die „order of choice" eines Individuums relativ gut mit seinem Wohlbefinden korreliert ist). Nutzen — ein unteilbares Gefühl. Bei den Erläuterungen zur Position Littles erschien es zunächst, daß m i t der Zielsetzung der Erhöhung des individuellen Wohlbefindens andere Ziele derart i n Konkurrenz stehen könnten, daß u . U . zwecks Förderung solcher Ziele das Wohlbefinden ,aller 4 Individuen zu reduzieren sei 36 . Für L i t t l e erwies es sich jedoch, daß nach seinen Darlegungen eine Konkurrenz zur Zielsetzung der Maximierung des Wohlbefindens eines Individuums nur gegeben sein kann, wenn ein solcher Maximierungsversuch auf Kosten des Wohlbefindens anderer Individuen geht. Soll sich eine Urteilsfindung an der Wohlfahrt von Individuen i m Sinne von Wohlbefinden orientieren, bedeutet das eben, daß alle etwa sonst noch nennbaren Ziele Unterziele dieses Ziels sind und daß alle für eine Urteilsfindung zu beachtenden Faktoren zunächst einmal am Wohlbefinden von Individuen zu gewichten und zu messen sind. I m Wohlbefinden der einzelnen Individuen werden die für sie relevanten Gesichtspunkte zu einem einzigen »Gesichtspunkt4 integriert 3 7 . Der erwähnte konzeptionelle Vorteil des integrierenden Charakters von Wohlbefinden führt jedoch zu der praktischen Schwierigkeit, sich bei einer Urteilsfindung nicht auf die Betrachtung einzelner Lebensbereiche beschränken zu können, sondern grundsätzlich alles berücksichtigen zu müssen, wodurch das Wohlbefinden von Individuen beeinflußt w i r d (allerdings auch nicht mehr). Die prinzipielle Unzulässigkeit einer „Fragmentalisierung" bzw. ,„Kompartimentalisierung' des Lebens i n verschiedenen Sphären" 3 8 , wurde dann auch i n der Wohl86

Vgl. w o h l i n diesem Sinne Müller-GrOeling, S. 24 ff. „ . . . every concrete w a n t is only a particular f o r m of a general abstract w a n t — u t i l i t y " , Georgescu-Roegen, S. 264; vgl. auch die bereits erwähnte Kennzeichnung des Nutzens als „ u l t i m a t e product" u n d die „assumption of integrated wants" bei Hicks , Measurement, S. 128 ff. 38 Rothenberg, Measurement, S. 10; Gäfgen, S. 202. 87

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

63

fahrtstheorie vielfach anerkannt 3 0 , weil Wohlbefinden ein „unteilbares Gefühl (indivisible feeling)" ist 4 0 . L i t t l e vergleicht die menschliche Psyche i n diesem Zusammenhang m i t einem Brunnen unbekannter Tiefe, der nur zum Teil m i t Wasser gefüllt ist 4 1 . Zwar w i r d das Wasser des Brunnens aus verschiedenen („ökonomischen, politischen oder religiösen") Quellen gespeist, aber „once the water is i n the w e l l there is no way of saying which tap i t came from" 4 2 . Allgemeines und ökonomisches Wohlbefinden müssen somit als unterscheidbar angesehen werden.

c) Die Nutzenverteilung als richtige Orientierungsgröße bei Verteilungsfragestellungen M i t der Kennzeichnung des Wohlbefindens als ein »unteilbares Gefühl 4 mag der Nutzenbegriff vorläufig genügend gekennzeichnet sein. Die voraufgegangenen Ausführungen (und Zitierungen) dürften auch gezeigt haben, daß es nicht unberechtigt ist, dieses Verständnis von Nutzen (Wohlfahrt etc.) als das i n der Wohlfahrtstheorie vorherrschende zu bezeichnen. Wie bei der Erwähnung der Möglichkeit eines Zielkonflikt zwischen einer Förderung des Wohlbefindens eines I n dividuums und einer Verteilungszielsetzung anklang, steht jedoch noch die Klärung der Frage aus, welchen Stellenwert das Wohlbefinden i m Zusammenhang von Verteilungszielsetzungen hat. Schließlich wäre es denkbar, daß eine Urteilsfindung nur solange am Wohlbefinden orientiert sein sollte, wie es sich nicht u m die Lösung von Verteilungsproblemen handelt. So könnte etwa die Auffassung bestehen, daß eine Behandlung dieser Fragen an der Verteilung der Einkommen, anderer Größen oder noch anderen Gesichtspunkten erfolgen solle 43 und das Wohlbefinden der Individuen nach Klärung dieser Frage nur als supplementäres Urteilskriterium heranzuziehen sei. Nach der i n der Wohlfahrtstheorie vorherrschenden Position w i r d nun eine solche Betrach-

89 Vgl. Little, Critique, S. 51; Rothenberg, Measurement, S. 10; vgl. auch ebd. S. 30 ff.; Majumdar, S. 13 ff.; Nath, S. 140 ff. 40 Nath, S. 141. 41 Little, Critique, S. 51; ein B i l d m i t ähnlichen Gehalt findet sich bei Georgescu-Roegen (S. 241), der v o m Grenznutzen als einer Welle auf einem „grundlosen Ozean" spricht. 42 Little, Critique, S. 51. 43 Vgl. O. Lange, The Foundations of Welfare Economics (1924), i n : Readings i n Welfare Economics, S. 32, der diese Möglichkeit erwähnt u n d dafür zu der Schlußfolgerung k o m m t : „ T h e communal agency need not bother about the individuals' u t i l i t i e s . .

6 4 T e i l B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht tungsweise eindeutig abgelehnt, obwohl auch andere (zaghafte) Versuche beobachtet werden können 4 4 . Nutzen- vs. Einkommensverteilung. Die typische Einstellung i n der Wohlfahrtstheorie zu der Frage, ob das Wohlbefinden auch das (normativ) relevante Verteilungsobjekt sein solle, läßt sich besonders gut an der Frage darstellen, was aus wohlfahrtstheoretischer Sicht von der Forderung einer gleichmäßigen Verteilung der Einkommen zu halten sei. Während die ältere Wohlfahrtsökonomie diese Frage noch eindeutig damit beantwortete, daß (tendenziell) eine Gleichverteilung der Einkommen geboten sei 45 , hält sich die neue „relativ wertfreie Wohlfahrtsökonomie" (Samuelson) gerade etwas auf ihre Auskunft zugute, daß das Ziel der Gleichverteilung der Einkommen ein Fetisch sei 46 . Der Unterschied dieser beiden Auffassungen erklärt sich aus der Einsicht der neuen Wohlfahrtsökonomie, die der älteren allerdings auch nicht unvertraut w a r 4 7 , daß die ,capacity for satisfaction 4 verschiedener Individuen unterschiedlich sein könne 4 8 . Zumindest läßt sich wissenschaftlich w o h l keine Gleichheit der Kapazitäten von Individuen, sich des Lebens zu erfreuen, nachweisen. Obendrein wäre eine Gleichheit der Einkommensverteilung auch bei einer Gleichheit von Wohlbefindenskapazitäten dann noch nicht zu rechtfertigen, wenn die Individuen nicht die gleichen Bedürfnisse haben 49 . 44 Tinbergen (S. 501/2) erwähnt z. B. als eine letzte v o n drei Möglichkeiten: „ L e t us w i t h d r a w , for the definition of social justice, f r o m u t i l i t y or satisfaction to the means m a k i n g for satisfaction." 45 Vgl. Pigou, Economics of Welfare, S. 78. 49 Samuelson, Foundations, S. 225 u n d S. 248. 47 Vgl. Pigou, Welfare Economics, S. 79; Viner (S. 306) zitiert Persons, der schon 1913 v o n „differences i n sensibility" geschrieben hat. 48 Vgl. Nath, S. 94. 49 Gelegentlich w i r d i n der Wohlfahrtstheorie das Problem gleicher W o h l befindenskapazitäten m i t dem der Gleichheit der Bedürfnisse identifiziert (s. z. B. Nath, S. 94), obwohl konzeptionell damit unterschiedliche Aspekte angesprochen sind. A l s Beispiel f ü r eine Differenzierung dieser Betrachtungsweise u n d eine intensive Auseinandersetzung m i t i h r k a n n hier auf Harsanyi, Cardinal Welfare, S. 55 ff. verwiesen werden, der das Problem interpersoneller Nutzenvergleiche m. E. begrifflich unglücklich i n das „metaphysical problem" v o n „different susceptibilities to satisfaction" u n d eine „psychological d i f f i c u l t y " aufspaltet, wobei sich die letztere daraus ergibt, daß „different people's preferences and their expressive reactions to similar situations may be rather different" (S. 56); i n einem früheren A r t i k e l (J. C. Harsanyi, Welfare Economics of Variable Tastes, i n : The Review of Economics Studies, Bd. 21 (1953 —54), S. 205/6) definiert er allerdings die Bedürfnisse eindeutig so, daß sie beide Aspekte umfassen: „ I . . . define an individual's taste so that he is said to have the same taste at t w o different points of time only i f at both he ascribes the same u t i l i t y , . . . This implies, of course, the identity of his system of preferences at both these dates, but not vice versa." I n H i n b l i c k auf eine Auseinandersetzung m i t der Annahme der „ s i m i l a r i t y of tastes" s. a. W. Vickrey, U t i l i t y , Strategy and Social Decision Rules, QJE 74 (1960), S. 525.

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

65

Diese Auffassung w i r d üblicherweise m i t dem Beispiel begründet, daß eine Einkommensgleichheit bei einem Vegetarier und einem NichtVegetarier vor und nach einer Änderung der relativen Preise von Fleisch und Gemüse nicht die gleiche gesellschaftliche Bedeutung haben könne 5 0 . Diese Aussage ist nur schlüssig, wenn das Wohlbefinden der Individuen auch dann als Orientierungsgröße für eine Urteilsfindung dienen soll, wenn es u m Fälle geht, i n denen das Wohlbefinden eines Individuums auf Kosten anderer erhöht werden kann. M. a. W., das Wohlbefinden der Individuen wird, was nur normativ begründbar ist, auch als das richtige Verteilungsobjekt angesehen 51 . Bei der Behandlung von Verteilungsfragen gilt es die verschiedenen „Niveaus der Befriedigung" unterschiedlicher Personen zu vergleichen und somit auf die Verteilung der Nutzen zu achten 52 . Wie die normative Akzeptiertheit der Richtigkeit einer Orientierung am Nutzen, läßt sich auch die einer Orientierung an der Nutzenverteilung vielfältig belegen 53 , zumal es zumeist so angesehen wird, daß das erste das zweite implizieren müsse. Zur Position Lerners. A u f einen ersten Blick mag es so erscheinen, daß Lerner i n ,Economics of Contror eine Ausnahme von dieser Regel darstellt. Wie an früherer Stelle belegt, postuliert Lerner eine Orientierung am Wohlbefinden, dennoch fordert er (tendenziell) eine gleichmäßige Verteilung der Einkommen, auch ohne eine Gleichheit der Bedürfnisse der Individuen oder ihrer Nutzenkapazitäten zu unterstellen. Eine nähere Betrachtung zeigt allerdings, daß auch bei i h m die Behandlung von Verteilungsproblemen an den individuellen Nutzen orientiert sein soll, und zwar prinzipiell so, daß die Summe der Nutzen der Individuen maximiert wird. Da das Wohlbefinden verschiedener Individuen unmittelbar nicht verglichen werden kann, ist es praktisch nicht möglich, die Gesamtnutzensumme zu maximieren 5 4 . I n diesem Dilemma bietet Lerner nun als Ausweg eine Gleichverteilung der Einkommen als M i t t e l an, w e i l sie unter bestimmten Bedingungen die 50 „ W e decided that, since people have different tastes, a comparison of the objective factors, money incomes and prices and available goods, was insufficient", Little, Critique, S. 556; s. a. Samuelson, Foundations, S. 225 f. 51 „ I t is m y contention that w h a t w e have i n m i n d is equality not only of qualitative, j u r i d i c a l r i g h t s , . . . , not equality of income either, b u t a regime leading to equality of satisfaction or u t i l i t y " , Tinbergen, S. 500. 52 Samuelson, Foundations, S. 228; s. a. Bergson, Social Welfare, S. 56. 63 Exemplarisch sei hier n u r noch auf Little, Critique, S. 57; F. M. Fisher/ P. B. Kenen, Income Distribution, Value Judgments and Welfare: A Correction, QJE 71 (1957), S. 322 (s. a. Fisher, S. 381) u n d auf Arrow, Little's Critique, verwiesen. A r r o w beschreibt zum einen die Position Littles durch ein Orientiertsein an der Nutzenverteilung u n d identifiziert sich — bei sonstigen Bedenken gegen L i t t l e — damit, daß die „distribution of happiness" entscheidend sein solle (s. S. 924 ff.). 54 Lerner, S. 24 u n d S. 29.

5 Hackmann

6 6 T e i l B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht weitestgehende Annäherung an das Ziel der Gesamtnutzenmaximierung wahrscheinlich mache. Diese Skizzierung der Argumentationsrichtung von Lerner soll hier als Aufweis genügen, daß Lerner auch die Verteilungsproblematik am Wohlbefinden der Individuen orientiert wissen möchte. A u f eine K r i t i k der Position Lerners werde hier i m übrigen verzichtet. M. E. hätte sie primär an der Zielsetzung der Maximierung der Nutzensumme anzusetzen 65 , auch wenn die von i h m für die Stichhaltigkeit seiner Argumentation unterstellten Bedingungen nicht unproblematisch sein mögen 5 6 . 2. Zweiteilige Kriterien: zum Problem interpersoneller Nutzenvergleiche

a) Zweiteilige

Kriterien

— einführende

Bemerkungen

Zwecks Systematisierung der sich bei Situationsvergleichen u n d Maßnahmebeurteilungen stellenden Probleme wurde an früherer Stelle zwischen Fällen der Interessenharmonie und solchen des Interessenkonflikts unterschieden. Wie gezeigt wurde, bot sich für die ersteren die Pareto-Norm als ein Urteilskriterium an, das — bei entsprechender Definition von Produktion u n d rechtem Verständnis des Aussagegehalts — Urteile über den Produktionsaspekt gestattete. Unter systematischen Erwägungen ist nun zu erwarten, daß diesem ,Produktionskriterium 4 (der Pareto-Norm) ein Verteilungskriterium zur Beurteilung des Verteilungsaspekts an die Seite zu stellen wäre. Tatsächlich werden auch i n der wohlfahrtstheoretischen Literatur K r i t e r i e n diskutiert, bei denen nicht nur eine Trennung i n Produktionsu n d Distributionsaspekte vorgenommen w i r d , sondern auch für den Distributionsaspekt Verteilungsnormen bzw. -kriterien angeboten werden 5 7 . Dabei gab insbesondere ein Vorschlag Littles den Anstoß zu einer intensiven Diskussion Anfang der 60er Jahre 5 8 . Wenngleich sich durch diese Diskussion w o h l gezeigt hat, daß zweiteilige Wohlfahrtskriterien der vornehmlich diskutierten A r t w o h l keine besondere Beachtung verdienen, seien hier doch kurz einige Aspekte der Diskussion aufgegrif65

s. dazu unten S. 144 ff. Z u einer Auseinandersetzung m i t der Position Lerners s. a. M. Friedman, Lerner on the Economics of Control, JPE 55 (1947), S. 409 ff.; ferner Little, Critique, S. 57 ff. und Müller -Groeling. 67 Vgl. i n diesem Zusammenhang auch Rothenberg, Measurement, Ch. 5: M i x e d Approaches: Production and Distribution, S. 104 ff. 58 Diese Diskussion selbst wurde durch die Besprechung der veränderten zweiten Auflage von Littles Critique durch Meade i m EJ 69 (1959) ausgelöst; außer Meade beteiligten sich an i h r : Robertson, Little und Mishan i m EJ 72 (1962), S. 226 ff.; ferner Kennedy, Mishan, Dobb, Sen und Little i m EJ 73 (1963), S. 338 ff. und S. 764 ff.; vgl. auch Nath, S. 105 ff. 56

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

67

fen, da sie m i r als geeignet erscheinen, einige für die Weiterführung dieser Arbeit relevante Gesichtspunkte deutlich zu machen. Unter dem Gesichtspunkt einer solchen Eignung werden dabei besonders die Vorstellungen Mishans beachtet, zumal er i n jüngerer Zeit i n einer Einzelzeitschrift noch einmal zu dem diskutierten Fragenkreis Stellung bezogen hat 5 9 . Nachteilig ist es allerdings, daß die Position Mishans w o h l vieldeutig ist, so daß i m folgenden zwei (bzw. drei) Auffassungen dargestellt werden. b) Zweiteilige Kriterien mit auf die Nutzenverteilung bezogenem Verteilungskriterium Mishan geht bei seinen Überlegungen von den „Werturteilen" aus, „that social welfare rises i f there is a ,Pareto improvement', i f everyone is made as w e l l off or better off" und „ i f the distribution of welfare is better i n some sense" 60 . Die Ambivalenz der Position Mishans ergibt sich aus dem zweiten Teil dieses Kriteriums. Einerseits schreibt er: „a ,better 1 distribution invariably suggests a more equalitarian distribution of the material product 6 1 ", andererseits spricht er auch von einer »„better 4 distribution of ,reaT income" 6 2 , nachdem er beiläufig ,real income 4 und Nutzen gleichgesetzt hat 6 3 , und kennzeichnet als „ideal 4 4 6 4 eine Gleichverteilung der Nutzen. Hier soll nun zunächst von dieser zweiten Interpretation ausgegangen werden. Dabei w i r d i m Sinne Mishans nicht nur als ideal eine Gleichverteilung der Nutzen verstanden, vielmehr gelte auch von zwei ungleichmäßigen Verteilungen ceteris paribus die gleichmäßigere Verteilung als die bessere. I m übrigen werden der folgenden Argumentation, wie Mishan es i n seinen Abbildungen tut, kardinale und interpersonell vergleichbare Nutzenmaße zugrunde gelegt. Die folgenden Überlegungen sind der Einfachheit halber ferner auf das Problem von Situationsvergleichen beschränkt. M i t der obigen Klärung dessen, was unter ,besserer Verteilung 4 zu verstehen ist, sind nun noch nicht alle Möglichkeiten unterschiedsicher Interpretation bzw. Konkretisierung der beiden obigen Werturteile ausgeräumt. Offen ist noch, i n welchem Verhältnis die beiden 69

E. J. Mishan, Weif are Economics: A n Assessment, Amsterdam e. a., 1969. Mishan, Welfare Economics, S. 25/6. Ebenda. 82 Mishan, Welfare Economics, S. 62. 8S „,real income 4 , or the utilities of people", Mishan, Welfare Economics, S. 48, Fn. 84 E. J. Mishan, Welfare Criteria: A r e Compensation Tests Necessary? E J 73 (1964), S. 347/8. 60

61

*

6 8 T e i l B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht Teilkriterien zueinander stehen sollen. Denkbar wäre es, daß jedes der beiden Teilkriterien zu einer sozialen Verbesserung hinreicht, möglich wäre es aber auch, daß beide Teilkriterien simultan erfüllt sein müssen, wenn von einer Verbesserung gesprochen werden soll. I m folgenden sollen zunächst die Konsequenzen der ersten Möglichkeit bedacht werden. Unter einer separaten Erfüllung beider Teilkriterien kann wiederum unterschiedliches verstanden werden. W i r d von i h r auch gesprochen, wenn ein K r i t e r i u m erfüllt, das andere jedoch »verneint 4 (im Unterschied zu: nicht-erfüllt) ist, dürfte ohne weitere Ausführungen klar sein, daß die Auffassung, es genüge für eine soziale Verbesserung, wenn eines der beiden Teilkriterien i n diesem Sinne separat erfüllt ist, zu immanenten Widersprüchen führt. Ein solcher Widerspruch zeigt sich allerdings nicht, wenn eine Erfüllung eines der beiden Teilkriterien nur genügt, sofern das jeweils andere nicht »verneint 4 werden muß. (Das andere K r i t e r i u m braucht also nicht erfüllt zu sein). I m folgenden werde nun von diesem Verständnis einer separaten Erfüllung beider Teilkriterien ausgegangen. I n Abb. 1 ist auf der Abszisse der i n interpersonell vergleichbaren Einheiten und anhand von absoluten Skalen gemessene Nutzen des Individuums 1 und auf der Ordinate entsprechend der des zweiten Individuums abgetragen. Nach der Pareto-Norm sind bekanntermaßen alle »nord-östlich 4 und ,süd-westlich 4 von A gelegenen Punkte m i t A vergleichbar (vgl. Abb. 1 i n Teil A). Je nachdem wie die Gleichmäßigkeit der Verteilung erfaßt wird, werden nun bei einer »separaten 4 Berücksichtigung des Verteilungskriteriums nach dem ParetoK r i t e r i u m allein nicht vergleichbare Situationen zusätzlich vergleichbar gemacht. W i r d der Grad der Gleichmäßigkeit der Verteilung an

JA> >1

F *

i Abb. 1

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

69

der Position eines Individuums relativ zu anderen Individuen erkannt, verbinden radiale Strahlen aus dem Ursprung Punkte gleicher Verteilung. Alle auf dem Fahrstrahl OA liegenden Punkte sind also durch die gleiche Verteilung wie A gekennzeichnet. Diesen auf dem Strahl OA liegenden Punkten sind wegen des Symmetriepostulats die Punkte verteilungsmäßig gleichwertig, die auf dem Strahl OB liegen, wobei B durch Spiegelung des Punktes A an der Gleichverteilungsgeraden (45°-Linie aus dem Ursprung des Koordinatensystems) gewonnen wurde. Aufgrund der beiden oben genannten Verteilungsnormen sind — bei ihrer separaten Anwendung — die i n den schräg schraffierten Bereichen liegenden Punkte besser und die i n den horizontal schraffierten Bereichen liegenden schlechter als A. Entsprechendes gilt für Abb. 2, nur daß dort die Gleichmäßigkeit der Verteilung an der ,Streuung 4 u m den Durchschnittsnutzen gemessen wird, wobei als Streuungsmaß die — i n absoluten Größen gemessene — durchschnittliche Abweichung fungiert. Bei einer Betrachtung der beiden Abbildungen zeigt sich nun

0

c Abb. 2

für die Überlegungen hier zweierlei Bemerkenswertes. Zunächst, die i n der beschriebenen Weise separat verstandenen Teilkriterien führen dazu, daß nach dem Pareto-Kriterium allein m i t A vergleichbare Situationen nicht mehr verglichen werden können (die nichtschraffierten Bereiche). Zum zweiten, ein Übergang von einer Situation wie E (in beiden Abbildungen) zur Situation A w i r d als vorteilhaft ausgewiesen 65 . Konkret bringt das zum Ausdruck, daß bei einer separaten Anwendung der beiden Kriterien alle bis auf eine Person sehr viel schlechter gestellt werden können, u m eine bessere Ver65

Vgl. dazu auch Mishan, Welfare Economics, S. 59 ff.

70

Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

teilung zu erreichen, ein Ergebnis, das kaum als sehr bezeichnet werden kann.

„attraktiv"66

Diese Form der mangelnden A t t r a k t i v i t ä t bzw. normativen Akzeptiertheit dieses Ergebnisses kann nun einfach dadurch beseitigt werden, daß für eine soziale Verbesserung eine simultane Erfüllung beider Werturteile gefordert w i r d 6 7 . Abb. 3 zeigt, welche Bereiche unter dieser Bedingung m i t A verglichen werden können, wenn der Grad der Gleichmäßigkeit der Verteilung an den relativen Positionen der Individuen erkannt wird. Nun

0 Abb. 3

w i r d aber ein sich bereits bei einer separaten Anwendung der beiden Teilkriterien zeigendes Problem ganz deutlich: Anstatt daß der schon aufgrund des Pareto-Kriteriums m i t A vergleichbare Bereich erweitert wird, was ja w o h l durch die Einführung einer Verteilungsnorm bezweckt werden sollte, führt das i n dem erläuterten Sinne verstandene zweiteilige Verteilungskriterium dazu, den mit A vergleichbaren Bereich zu reduzieren. Die etwa zwischen A C und A D liegenden Punkte (vgl. Abb. 3) sind nicht mehr m i t A vergleichbar. Diese Aussage impliziert logisch die Möglichkeit, daß sich unter ihnen auch schlechtere' Punkte als A befinden. Das steht nun jedoch i n einem Widerspruch zu der an früherer Stelle eingeführten Pareto-Norm, nach der eben Situationen, i n denen alle besser gestellt sind, aus gesellschaftlicher Sicht nicht unterlegen sein sollen 68 . 68

Mishan, Weifare Economics, S. 61. Vgl. Mishan, Weifare Economics, S. 61 f. N. B.: Schließlich handelt es sich bei den zwischen A C u n d A D liegenden Situationen nicht u m Fälle, die wegen Neid über das Bessergestelltsein anderer zum sozialen Unfrieden führen. I m Nutzenbegriff sind solche Formen von Interdependenzen berücksichtigt; die Situationen zwischen A C u n d A D sind durch eine größere Zufriedenheit beider Personen gekennzeichnet. 67 68

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

71

Dieser Widerspruch zur Pareto-Norm ergibt sich daraus, daß die beiden Teilkriterien als gleichwertig angesehen werden. Vermeiden ließe er sich, indem das Verteilungskriterium nur als eine Ergänzung zum Pareto-Kriterium herangezogen wird, so daß es i n den Bereichen, i n denen das Pareto-Kriterium keine Vergleiche ermöglicht, die normative Basis für Vergleiche von Situationen hergeben soll. Wie nicht näher ausgeführt zu werden braucht, werden dann jedoch wieder Situationen m i t einer gleichmäßigeren Verteilung gegenüber anderen Situationen, i n denen alle bis auf eine Person sehr viel besser gestellt sind, als aus gesellschaftlicher Sicht überlegen ausgewiesen, was bereits oben als normativ kaum akzeptierbar bezeichnet wurde. c) Zweiteilige Kriterien mit auf die Güterverteilung bezogenem Verteilungskriterium Schon das obige unbefriedigende Ergebnis könnte den Anstoß zur Prüfung der Frage geben, ob Mishan sinnvollerweise nicht auch anders interpretiert werden könne. Neben den bereits erwähnten Bemerkungen spricht dafür auch seine (in Fußnoten ausgedrückte) Auffassung, daß „the debate on welfare criteria did not assume that interpersonal comparisons of u t i l i t y were, or would become, possible" 69 und daß „direct interpersonal comparisons, however, are no longer believed necessary i n welfare economics" 70 . Nach dieser zweiten Interpretation wäre das Verteilungskriterium dann erfüllt, wenn eine gleichmäßigere Verteilung des „material product", verstanden i m Sinne einer gleichmäßigeren Güterverteilung, gegeben wäre 7 1 . Eine etwaige Ausrichtung Mishans auf die Güterverteilung ist hier obendrein deshalb von besonderem Interesse, w e i l sie offensichtlich auch sonst als vorteilhaft empfunden wird. So findet sie sich i n einem Beitrag von Fisher 7 2 , der sich unter einem normativen Aspekt m i t Verteilungsfragen beschäftigt, und ferner w i r d sie von Fisher/Rothenberg 7 3 für eine von Strotz bezogene Position behauptet 74 . 89

Mishan, Welfare Economics, S. 47. Mishan, Welfare Economics, S. 13. Z u dieser Interpretation vgl. auch E. J. Mishan, A Comment, zu: Welfare Criteria: A n Exchange of Notes, E J 72 (1962), S. 238 u n d ders. Welfare Economics, S. 45. 72 F. M. Fisher, Income Distribution, Value Judgments and Welfare, QJE 70 (1956), s. S. 382. 78 F. M. Fisher/ J. Rothenberg, H o w Income ought to be Distributed: Paradox Lost, JPE 69 (1961), S. 162. 74 R. Strotz, H o w Income ought to be Distributed: A Paradox i n D i s t r i b u t i v e Ethics, JPE 66 (1958), S. 189 ff.; tatsächlich bezieht sich Strotz auf die Einkommensverteilung bei konstanten Preisen (s. S. 190). Eine Identifikation 70

71

7 2 T e i l B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht Fisher setzt nun nicht wie Mishan voraus, daß eine gleichmäßigere Verteilung auch unbedingt eine bessere Verteilung sei. Wie — wohl auch — für Mishan gilt für ihn, daß gleiche Güterverteilungen als verteilungsmäßig gleichwertig angesehen werden 7 5 . Problematisch bei einer Orientierung an der Güterverteilung scheint zunächst nur die Schwierigkeit zu sein, zu beschreiben, wie gleichmäßig verschiedene Verteilungen ein und desselben oder auch verschiedener Güterbündel sind 7 6 . U m i n dieser Arbeit diesem Problem aus dem Wege zu gehen, werde hier von dem Fall der Gleichheit der Verteilung der Güter auf verschiedene Individuen ausgegangen (jedes Individuum besitzt von jedem Gut denselben Prozentsatz) 77 . Güterverteilung vs. Nutzenverteilung — allgemein. Wie unmittelbar einsichtig, kann nun eine solche Gleichheit der Güterverteilung nicht m i t der Bemerkung abgetan werden, m i t der Samuelson den Fetischcharakter einer Gleichheit der Einkommensverteilung begründet. Die Gleichheit der Güterverteilung w i r d durch relative Preisänderungen nicht beeinträchtigt. Der Vegetarier und der Nicht-Vegetarier erhalten unverändert die gleichen Güter. Es fragt sich allerdings, was dem für eine besondere Bedeutung beigemessen werden soll. Schließlich haben die gleichen Güter für das Wohlbefinden beider unterschiedliche Bedeutung, so daß beide — i m Falle entsprechender Kommunikationsmöglichkeiten — miteinander tauschen werden, u m ihr ,Tauschoptimum' zu realisieren. Werden nun unter diesem Aspekt relative ,Preis'änderungen berücksichtigt — die relativen Güterknappheiten ändern sich etwa, w e i l sich ceteris paribus der Anteil der Vegetarier an der Gesamtbevölkerung ändert —, so daß für beide Individuen andere Tauschrelationen gelten, bedeuten solche ,Preis'änderungen genauso eine Schlechterstellung des einen i m Vergleich zum anderen wie wenn sich bei einer Gleichheit der monetären Einkommen die Preisrelationen ändern würden 7 8 . Die Gleichheit der Güterverteilung hat gegenüber der Gleichheit der Einkommensverteilung nur noch den zusätzlichen Nachteil, daß über die m i t ihr verbundenen Realtauscherfordernisse (bei unterschiedlichen Bedürfnissen der Individuen) besondere Friktionen verbunden sind. dieser Bedingung m i t einer „one-commodity w o r l d " (Fisher/Rothenberg) ist jedoch n u r sinnvoll, w e n n v o n vornherein v o n konstanten Bedürfnissen ausgegangen w i r d . 75 Vgl. Fisher, S. 384, A n m . 5. 76 Vgl. Mishan, Compensation Tests, S. 343 f. 77 Gleicherweise können f ü r die folgenden Argumentation Verhältnisse unterstellt werden, i n denen sich die Güterbündel der verschiedenen I n d i v i duen n u r i h r e m »Niveau* nach unterscheiden: das eine I n d i v i d u u m hat von allen Gütern einen bestimmten Prozentsatz mehr als das andere I n d i v i d u u m . 78 Vgl. auch A . K . Sen, Distribution, T r a n s i t i v i t y and Little's Welfare Criteria, E J 73 (1963), z u m „ L i t t l e - M i s h a n Criterion", S. 777.

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

73

Die aufgrund so verstandener zweiteiliger Kriterien ermöglichten Situationsvergleiche seien noch kurz anhand der Abb. 4 erläutert, obwohl eine Illustration am Nutzendiagramm nicht ohne eine gewisse W i l l k ü r erfolgen kann. Wie zuvor muß auch jetzt zwischen dem Fall einer separaten und dem einer simultanen Erfüllung beider Kriterien

Uz

X 3

A

U« Abb. 4

unterschieden werden. Dabei sind gegen ein Verständnis, daß eine separate Erfüllung beider Kriterien für eine gesellschaftliche Verbesserung hinreiche, die gleichen Bedenken wie oben geltend zu machen. Bei der Forderung, daß beide Teilkriterien simultan erfüllt sein sollen, sind von dem nach dem Pareto-Kriterium gegenüber A überlegenen Situationen nur noch solche als überlegen anzuerkennen, die eine zumindest nicht schlechtere Güterverteilung als A aufweisen. Da aber, wie gezeigt wurde, zwischen der Güterverteilung und dem Wohlbefinden keine eindeutige Beziehung besteht, könnte es also sein (vgl. Abb. 4), daß zwar B i m Vergleich zu A als überlegen ausgewiesen wird, w e i l nicht nur beide Individuen i n B besser als i n A gestellt sind, sondern dort auch die Verteilung des Güterbündels besser ist. Für C kann dagegen möglicherweise i m Vergleich zu A (und zu B) nichts ausgesagt werden, obwohl i n C beide besser als i n A (und B) gestellt sind, w e i l die gütermäßige Verteilung i n C schlechter als i n A (und B) ist 7 9 . 79 Das K r i t e r i u m f ü h r t allerdings zu einer transitiven Ordnung von durch Güteraufteilungen gekennzeichnete Situation (,social states'). Z u beachten ist jedoch, daß zwei Situationen, die allen I n d i v i d u e n den gleichen Nutzen gewähren, aus gesellschaftlicher Sicht nicht gleichwertig sind; bei einem gütermäßig orientiertem Verteilungskriterium müssen verschiedene Situationen m i t gleicher Nutzenaufteilung nicht die gleiche Gesamtwohlfahrt haben.

7 4 T e i l B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht Dieses Resultat ist offensichtlich unvernünftig, wenn die Verteilung des Nutzens i. S. von Wohlbefinden letztlich den Ausschlag geben soll, wie es für Fisher und Mishan, wie an früherer Stelle bereits belegt, zutrifft. Obendrein gilt auch hier bei der Forderung nach einer simultanen Erfüllung beider Teilkriterien, daß nach der Pareto-Norm vergleichbare Situationen nicht mehr vergleichbar sind. Die auf der Basis dieser beiden Kriterien für eine Orientierung an der Nutzenverteilung aufgewiesenen Mängel zeigen sich gleicherweise bei einer Orientierung an der Güterverteilung. Güterverteilung vs. Nutzenverteilung i n einer ,ein-Gut Welt 4 . Während bei Mishan ein gewisser Zweifel bleibt, ob er sein Verteilungskriter i u m auf die Güter- oder auf die Nutzenverteilung angewandt wissen w i l l , ist für Fisher jedoch kein Zweifel möglich. Seine Verteilungsnormen sind auf die Verteilung des „real income" gerichtet, wobei er „real income" expressis verbis definiert als „a vector whose components are amounts of commodities" 80 i m Unterschied zu Mishan, der ,reaP income und Nutzen als synonyme Begriffe verwendet 8 1 . Wenn die gerade vorgetragene K r i t i k dennoch nicht unmittelbar gegen seine anfänglichen Ausführungen geltend gemacht werden kann, liegt das daran, daß er faktisch von einer ,ein-Gut Welt 4 ausgeht 82 . Dafür gilt die K r i t i k schon, wie Fisher i n einer Berichtigung konzediert, für seinen allgemeinen Fall 8 3 . I n dem Berichtigungsaufsatz weist er zusammen m i t Kenen nämlich darauf hin, daß bei einer prinzipiellen Orientierung an der Nutzenverteilung, die Werturteile über die Verteilung (von Gütern) nicht mehr als unabhängig von dem Niveau des (realen) Gesamteinkommens angenommen werden können 8 4 , da offensichtlich eine Situation m i t einem höheren Einkommen aber der gleichen Güterverteilung wie eine Situation m i t einem geringeren Einkommen nicht auch schon pareto-optimal sein muß 8 5 . Nach dieser Schlußfolgerung stellt sich aber die Frage, wodurch eigentlich garantiert sein soll, daß die Güterverteilung bei einem geringeren Einkommen paretooptimal ist. Ein solcher Sachverhalt läßt sich aus den von Fisher unterstellten Bedingungen nicht begründen; i n dem Berichtigungsaufsatz 80

Fisher, S. 382. Die Bezeichnungsweise Mishans entspricht der i n der angelsächsischen wohlfahrtstheoretischen L i t e r a t u r gebräuchlichen Bezeichnungsweise (s. z. B. bei Little); vgl. auch Jochimsen, S. 43. 82 Fisher, S. 383. 83 P. B. Kenen/F. M. Fisher, Income Distribution, Value Judgments and Weifare: A Correction, QJE 71 (1957), S. 322 ff. 84 Eine Abhängigkeit der Verteilungsnormen von dem Niveau des Gesamteinkommens w ü r d e z. B. bedeuten, daß bei einem bestimmten Einkommensniveau etwa die ideale Verteilung durch eine Gleichverteilung der Güter, bei einem anderen jedoch durch eine Ungleichverteilung gekennzeichnet wäre. 86 Kenen/Fisher, S. 323. 81

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w i r d er dementsprechend auch nur beiläufig eingeführt . Sobald jedoch die Unterstellung entfällt, daß die Güterverteilung wenigstens bei den niedrigeren Einkommen pareto-optimal ist, kommen unabhängig von der Frage, ob die Werturteile über die Verteilung als vom Gesamteinkommensniveau unabhängig angesehen werden können, die Argumente zum Tragen, die oben gegen eine Orientierung an der Güterverteilung vorgebracht wurden. Dies führt i m Zusammenhang der Frage, ob die Verteilungsnormen auf die Güterverteilung gerichtet sein sollten, zu einem letzten Punkt. Fisher/Kenen erwecken i n ihrem Berichtigungsaufsatz den Eindruck, daß eine Orientierung an der Güterverteilung zumindest i n dem irrelevanten Fall einer ,ein-Gut Welt 4 unproblematisch sei. (Diesem Eindruck entspricht der, daß eine Orientierung an der Einkommensverteilung dann unproblematisch wäre, wenn sich die relativen Preise der Güter nicht ändern.) Ähnliche Auffassungen sind auch aus sonstigen Beiträgen zur Wohlfahrtstheorie herauszuspüren 87 . Auch wenn bei einer kritischen Betrachtung dieser Position von der impliziten Unterstellung der Konstanz der Bedürfnisse nicht abgerückt w i r d (es sei jedoch nicht auch schon eine Gleichheit der Bedürfnisse unterstellt), verbirgt sich hinter solchen Auffassungen eine andere Form der Fetischisierung: Der einzige Vorteil einer ,ein-Gut Welt 4 bei konstanten Bedürfnissen besteht darin, daß die Nutzenverteilung dann eindeutig ist. Es sei erinnert, daß die Logik der Argumentation bei der Prüfung der Fragen, ob eine Orientierung an der Einkommensverteilung oder der Güterverteilung geboten sei, i n der Überlegung bestand, daß i n beiden Fällen veränderte relative Preise zu einer Veränderung der Nutzenverteilung führe. Sei die Verteilung ( = Nutzenverteilung) vor der relativen Preisänderung optimal gewesen, könne sie es nach der Änderung der Preise nicht mehr sein. Es ist nun deutlich, daß — unter den angenommenen Bedingungen — i n einer ,ein-Gut Welt 4 ein solches Problem der Mehrdeutigkeit der Nutzenverteilung nicht mehr auftreten kann. Aus einer Denkweise, die vorwiegend daran interessiert ist, Ergebnisse eindeutig determinieren zu können 8 8 , mag dies als hinreichend angesehen werden. Solange jedoch ,Eindeutigkeit 4 nicht als ein Wert an sich angesehen wird, ist — bei unterschiedlichen 80

Fisher/Kenen, S. 322. Vgl. z. B. J. de V. Graaf, On M a k i n g a Recommendation i n a Democracy, E J 72 (1962), S. 293: „ A s soon as w e leave a one-commodity w o r l d , there is no obvious meaning to attach to the phrase ,distribution of wealth'", wobei es w o h l zulässig ist, hier den Terminus „ w e a l t h " m i t „Nutzen" gleichzusetzen (vgl. etwa die Verwendung des Begriffes „real w e a l t h " bei Little, Critique, S. 61/2). 88 I n diesem Zusammenhang vgl. etwa die Argumentationsweise von Samuelson, Foundations, S. 243, m i t der er i n seinem System die Einführung der sozialen Wohlfahrtsfunktion begründet. 87

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

Bedürfnissen der Individuen und (oder) Kapazitäten, sich des Lebens zu erfreuen — auch i n einer ,ein-Gut Welt' m i t einer Orientierung an der Güter-(= Einkommens-)Verteilung nichts gewonnen, immer vorausgesetzt allerdings, daß die Nutzenverteilung die Maßstabsgröße der Verteilung sein soll. d) Einige Bemerkungen zur Relevanz interpersoneller Nutzenvergleiche Die Ausführungen zu den letzten Gliederungspunkten haben u. a. deutlich gemacht, daß eine Orientierung einer Urteilsfindung an der Einkommens- wie an der Güterverteilung aus prinzipiellen Erwägungen dann nicht befriedigen kann, wenn es eigentlich auf die Verteilung der Nutzen ankomme. Obendrein erwies es sich, daß gegenüber einer Orientierung an der Güterverteilung eine Orientierung an der Verteilung der monetären Einkommen (zumindest) nicht von Nachteil sein muß. Trotz der zuvor referierten Bedenken w i r d allerdings von Wohlfahrtsökonomen immer wieder dafür plädiert, statt auf die Verteilung des Wohlbefindens auf die Verteilung der Mittel zur Erreichung von Wohlbefinden zu achten 89 . I n der Regel w i r d dieses Plädoyer aus Gründen der Praktikabilität vorgetragen 90 , wobei insbesondere die Einkommensverteilung als ein wichtiger Indikator der Nutzenverteilung angesehen wird. So schlägt Mishan für den Übergang von dem „pure concept", das oben i n zwei verschiedenen Interpretationen erörtert wurde, „to the real w o r l d " 9 1 eine Orientierung der Verteilungskriterien an der monetären Einkommensverteilung vor, w e i l „one may accept the judgment of practical men, that, . . , changes i n disposable money income correspond closely w i t h changes i n »real4 purchasing power" 9 2 . Zuvor hatte er sich allerdings die rhetorische Frage gestellt, ob bestimmte logisch mögliche Zusammenhänge wichtig genug seien, „to forgo the only practicable means of employing our welfare criteria" 9 3 . Angesichts dieser Zitate stellt sich die Frage, was von den i n ihnen ausgedrückten Positionen zu halten ist. Zumindest für Mishan ist dabei die Gefahr nicht zu übersehen, daß er einen (blinden) Aktionismus oder einen wissenschaftlichen Agnostizismus propagiert, wenn er seine 89 s. Tinbergen, S. 501/2; vgl. auch Nath, S. 142, „ . . . t h e r e is no reason to suppose that instead of arguing about the v a r y i n g degrees of equality of t h e . . . means to welfare, people argue about t h o s e . . . of welfare". 90 „ . . . i f distributive judgments are to be made i n terms of the distribution of welfare and not the means to welfare, then no progress can be m a d e . . . " , Nath, S. 144; s. a. Tinbergen, S. 501. 91 Mishan , Welfare Economics, S. 62. 02 Mishan, Welfare Economics, S. 64. 98 Mishan , Welfare Economics, S. 63.

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Position m i t seiner Sorge u m die Anwendungsmöglichkeiten der Wohlfahrtskriterien oder m i t der Weisheit des ,gesunden Menschenverstandes 4 („practical men") begründet. Abgesehen davon erscheint seine Position auch deshalb bedenklich, weil er, wie bereits oben belegt, interpersonelle Nutzenvergleiche für unmöglich (und unnötig) hält. Wie w i l l Mishan, wenn er sich für die Nutzenverteilung als letztlich relevanter Maßstabsgröße entscheidet, ohne interpersonelle Nutzenvergleiche überhaupt zu Aussagen über die richtige Verteilung kommen? Da aus vollständiger Unwissenheit nichts anderes als vollständige Unwissenheit resultieren kann, dürfte Mishan bei strenger Interpretation seiner Auffassung nicht einmal sagen können, daß zwischen der Einkommens- und der Nutzenverteilung überhaupt ein systematischer Zusammenhang besteht 94 . Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß interpersonelle Nutzenvergleiche — zumindest i n grober Form — für eine Beurteilung des Distributionsaspekts dann unverzichtbar sind, wenn die Verteilung der Nutzen auf Individuen als — verteilungsmäßig — entscheidend für eine Beurteilung der gesellschaftlichen Wohlfahrt gilt. I m Unterschied zu Mishan erkennt Nath die Unverzichtbarkeit interpersoneller Nutzenvergleiche an, wenn daran festgehalten werden soll, daß die Nutzenverteilung ausschlaggebend sei. Seine Argumentation läuft jedoch darauf hinaus, „that i t is a logically tenable position for a ,parliament 4 to say that its ethical belief is that individuals should be treated as i f they had similar tastes,...". Bei i h m fungiert die Ethik so als Lückenbüßer für empirische Kenntnisse. Die Wirklichkeit mag zwar anders sein als diese Ethik unterstellt, sie w i r d einfach nicht zur Kenntnis genommen, es w i r d schlichtweg von ihr ,abstrahiert 4 9 5 . Die sich i n dem Zitat von Nath ausdrückende Intention w i r d dahin erk l ä r t werden dürfen, daß bei der Behandlung von Verteilungsproblemen zumindest i n einem gewissen Maße von der Berücksichtigung der Nutzenverteilung abgesehen werden sollte. Einem konsequenten Verzicht auf eine Berücksichtigung der Bedürfnisse steht jedoch entgegen, daß es unleugbar einige ,Härtefälle 4 („hardship 44 ) gibt, i n denen es als 94 Vgl. auch die Auseinandersetzung Littles m i t der bereits früher erwähnten Position Lerners (Little, Critique, S. 59). 95 Dieser K r i t i k mag entgegengehalten werden, daß das »Wesen' einer j e den E t h i k doch gerade darin besteht, daß sie nicht das akzeptiert, was die W i r k l i c h k e i t gerade sein mag, sondern daß sie darüber Vorstellungen entwickelt, w i e die W i r k l i c h k e i t sein soll. Würde jedoch die Auffassung von N a t h i n diesem Sinne verstanden, implizierte das obige Z i t a t die Forderung, daß das Parlament — der Staat — dafür sorgen sollte, daß alle I n d i v i d u e n die gleichen Bedürfnisse haben, eine Interpretation, die N a t h sicherlich nicht unterstellt werden darf.

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

unbillig erscheint, wenn die spezifischen subjektiven Verhältnisse und Bedürfnisse von Individuen nicht beachtet werden 9 6 . I m ganzen dürfen die beschriebenen — i n der Wohlfahrtstheorie nicht untypischen Positionen — von Nath und Mishan als ein Ausdruck eines Dilemmas verstanden werden, i n dem sich die Wohlfahrtstheoretiker vielfach befinden. A u f der einen Seite steht die Schwierigkeit interpersoneller Nutzenvergleiche und (oder) die Einsicht, daß bestimmte (subjektive) Bedürfnisse (und damit individuelle Nutzenkomponenten) auch bei Verteilungsfragestellungen berücksichtigt werden sollten, auf der anderen Seite die Auffassung (des gesunden Menschenverstandes), daß nicht jedes individuelle Bedürfnis (jede Marotte) bei der Beurteilung von Verteilungsaspekten von Wichtigkeit ist 9 7 , sondern daß es genüge — unabhängig von den individuellen Vorlieben auf die Verteilung von Bedürfnisbefriedigungsmitteln zu achten. Hinsichtlich eines Versuchs einer konzeptionellen Lösung dieser Schwierigkeiten sei hier auf den Teil C dieser Arbeit verwiesen. e) Das sog. Little-Kriterium Der Vollständigkeit halber seien zum Abschluß der Diskussion der zweiteiligen Kriterien noch kurz einige Bemerkungen zum von Sen sog. L i t t l e - K r i t e r i u m angefügt. Vorweg könnte dem L i t t l e - K r i t e r i u m deshalb ein besonderes Interesse entgegen zu bringen sein, w e i l L i t t l e die Möglichkeit interpersoneller Nutzenvergleiche nicht ablehnt 9 8 . Wie sich jedoch zeigen wird, haben diese Feststellungen für das von i h m entwickelte K r i t e r i u m keinerlei Bedeutung. L i t t l e betont zwar die grundsätzliche Möglichkeit von interpersonellen Nutzenvergleichen, für Wohlfahrtskriterien praktizierbar scheint er sie, wie aus seinen Stellungnahmen gefolgert werden muß, jedoch nicht zu halten 9 9 . Wenn das L i t t l e - K r i t e r i u m dennoch zum einen Teil aus der Frage besteht, ob eine Umverteilung gut sei, deutet sich bereits i n der Gegenüberstellung des i n der letzten Fußnote enthaltenen Zitats und dieser Frage die Möglichkeit an, daß das L i t t l e - K r i t e r i u m sozusagen auf Mißverständnisse h i n angelegt sei. Neben der Frage, ob eine Umverteilung vorteilhaft sei, gehören zu dem von L i t t l e vorgeschlagenen Test noch die Fragen, ob das Scitovsky- und das Kaldor/Hicks-Kriterium erfüllt sind 1 0 0 . 96

Vgl. Nath, S. 143. Vgl. dazu auch unten zum Begriff der »eigenen Angelegenheiten'. „We conclude, then, that those w h o refuse to believe that one can compare other minds must deny their existence", Little Critique, S. 55; s. a. S. 57 u n d S. 62. 99 „We have no terminology for describing welfare distributions", Little, S. 120. 100 Vgl. auch zum folgenden Little, Critique, S. 100 ff. 97

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I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

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Seine Schlußfolgerungen macht er ferner noch davon abhängig, ob — i n den i n dieser Arbeit verwandten Begriffen — bei der Beurteilung der Maßnahme als Alternativen nur die Ausgangs- und die Ergebnissituation oder ob auch noch die beiden weiteren Situationen At und (vgl. Teil A) erreichbar sind 1 0 1 . Es werde nun nicht versucht, die sich unter den beschriebenen Bedingungen ergebenden unterschiedlichen Kombinationen zu betrachten. Hier interessiert nur, was „eine gute oder schlechte Umverteilung" für L i t t l e bedeutet. Wenngleich eine Vielzahl von Stellen bei L i t t l e den Verdacht nahelegen, daß er i n der ,Critique 4 auch inhaltlich etwas darüber aussagen w i l l , was er unter einer „besseren Verteilung" versteht 1 0 2 , erscheint eine kritische Prüfung zumindest seit der Zeit überflüssig, als L i t t l e eine Interpretation Sens 103 m i t der Bemerkung als zutreffend ,autorisiert' hat, daß Sen Littles „Position verstehe und korrekt wiedergebe" 1 0 4 . Nach Sen bedeutet nun die Aussage, daß eine Situation verteilungsmäßig besser als eine andere ist, für L i t t l e nichts anderes, als daß sie der anderen Situation „on some unspecific grounds" 1 0 5 überlegen sei. A u f jeden F a l l sei durch das L i t t l e - K r i t e r i u m keine Aufteilung i n Produktions- und Distributionsgesichtspunkte vorgesehen. Insgesamt ergibt sich nach dieser Auffassung vom L i t t l e - K r i t e r i u m die Möglichkeit eines Vergleichs zweier Punkte i m Nutzenraum, die nach dem Pareto-Kriterium nicht verglichen werden können, dadurch, daß ein dritter Punkt herangezogen wird, der m i t dem einen der beiden Punkte nach dem Pareto-Kriterium und m i t dem anderen aus irgendeinem nicht näher bekannten Grunde ,voll e (nicht nur hinsichtlich eines Teilaspekts) vergleichbar ist. Darüber, wie der letztere der beiden nach dem L i t t l e - K r i t e r i u m erforderlichen Vergleiche vorgenommen werden kann, gibt das K r i t e r i u m selbst keine Auskunft. Auch wenn die implizite Unterstellung, daß ein solcher Vergleich von Situationen gelegentlich möglich ist, als sinnvoll akzeptiert würde, verdient das L i t t l e - K r i t e r i u m an dieser Stelle kein weiteres Interesse, da es trotz einer gewissen namentlichen Irreführung i m Wortsinne kein Verteilungskriterium enthält 1 0 6 . 101

Eine Berücksichtigung weiterer erreichbarer Situationen scheint er nicht f ü r erforderlich zu halten („the most general case is certainly where a l l four points are attainable" (S. 104); hinsichtlich einer Auseinandersetzung m i t einer solchen Betrachtungsweise sei auf den T e i l A verwiesen. 102 Vgl. z. B. Little , Critique, u. a. S. 100/101/125/222. 103 Sen, Little's Welfare Criteria. 104 I . M. D. Little, T w o Comments, E. J. 73 (1963), S. 778 f. 105 Sen, Little's Criteria, S. 772; i m Original hervorgehoben. 106 Sen, Little's Welfare Criteria, S. 776 k o m m t zu dem Schluß: „ W h e n the exact nature of the argument is recognized i t m i g h t be thought i t is a little t r i v i a l , . . . "

8 0 T e i l B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht 3. Das Kozept der sozialen Wohlfahrtsfunktion: zur Frage des Genügens ordinaler Nutzenmaße

a) Allgemeine Kennzeichnung und Klassifizierung sozialer Wohlfahrtsfunktionen Soziale Wohlfahrtsfunktionen als normative Leerformel und als empirisches Erkenntnisobjekt. Obwohl i n der wohlfahrtstheoretischen Literatur i m Zusammenhang m i t der Fragestellung nach der Möglichkeit von Situationsvergleichen häufig auf das Konzept der sozialen Wohlfahrtsfunktion Bezug genommen wird, wurde dieses Konzept bei den bisherigen Überlegungen noch nicht erwähnt. Da es jedoch üblicherweise so verstanden wird, daß es nicht an bestimmte Wertvorstellungen gebunden ist 1 0 7 , können allerdings die voraufgegangenen Ausführungen auch einfach als Erwägungen darüber angesehen werden, welchen Bedingungen eine soziale Wohlfahrtsfunktion — normativ — zu genügen habe. M i t dem Gebrauch sozialer Wohlfahrtsfunktionen haben sich nun jedoch bestimmte Wertungen und Vorstellungen eingebürgert, so daß einzelne Auffassungen über ihre konkrete Gestalt häufig einheitlich sind und es fraglich erscheint, ob gelegentlich nicht schon die allgemeine Akzeptiertheit bestimmter Bedingungen damit identifiziert wird, daß sie normativ nur den Charakter einer Leerformel besitze. Hier sollen i n diesem Zusammenhang kursorisch nur zwei Aspekte behandelt werden: Zunächst werde — ausgehend von einer allgemeinen Definition einer sozialen Wohlfahrtsfunktion — gefragt, welche Faktoren (Argumente) die soziale Wohlfahrt bestimmen. Die A n t w o r t auf diese Frage kann i n gewisser Weise als eine Wiederholung bisheriger Ausführungen aufgefaßt werden, sie stellt jedoch auch eine flüchtige Klassifizierung unterschiedlicher Vorstellungsweisen über soziale Wohlfahrtsfunktionen dar, die allerdings i n der Literatur nicht immer sehr deutlich gemacht werden. I m Anschluß daran werde dann auf die m i t sozialen Wohlfahrtsfunktionen vielfach verbundene Vorstellung eingegangen, daß es genüge, ihre Argumente ordinal zu messen. Diese Problemstellung würde eine intensive Auseinandersetzung m i t dem Unmöglichkeitstheorem Arrows gestatten, auf die hier jedoch schon deshalb verzichtet werden soll, w e i l dieses Thema i n der Literatur bereits intensive Beachtung gefunden hat. I n einer allgemeinen Form kann eine soziale Wohlfahrtsfunktion als eine Vorschrift oder Regel verstanden werden, nach der verschiedene soziale Zustände („social states") oder Situationen nach ihrem ,Besser' 107

s. z. B. Rothenberg,

Measurement, S. 8; Bößmann, S. 223.

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

81

und »Schlechter4 für die Gesellschaft geordnet werden sollen oder nach der Situationen i n einer Gesellschaft tatsächlich (etwa i m politischen Prozeß) geordnet werden. Der letzte — positive — Aspekt dieser Definition interessiert allerdings i n dieser Arbeit nicht, da i h m eine unmittelbare normative Relevanz nicht zukommt 1 0 8 . Z u den genannten Merkmalen kommt i m allgemeinen noch hinzu, daß eine soziale Wohlfahrtsfunktion eine (vollständige) Ordnung aller Situationen gestattet 109 . W i r d m i t Si eine beliebige Situation bezeichnet, ist Wi = f (Si), m i t i = 1 . . . n und n der Gesamtzahl der Situationen, ein allgemeiner Ausdruck der sozialen Wohlfahrtsfunktion. Dabei genügt es für Zwecke des Ordnens und damit des Vergleichens von Situationen (und auch von Maßnahmebeurteilungen) daß für Wi bis auf ihre Ordnung beliebige kardinale Indizes ermittelt werden. I n diesen Indizes hat dann die gesellschaftliche Wohlfahrt (das Gesamtwohl) ihren numerischen Ausdruck gefunden. Zwei mögliche Interpretationen normativer sozialer Wohlfahrtsfunktionen. Erste Konkretisierungen dieser abstrakten Formel werden regelmäßig durch Aussagen darüber vorgenommen, was eine Situation ist bzw. wodurch eine Situation ,beschrieben 4 werden kann. Wegen des unvermeidbaren Problems der Auswahl relevanter Aspekte werden m i t dieser Kennzeichnung notwendigerweise die ersten Werturteile gefällt. Dies gilt auch für Bergson, der zunächst eine Situation als u. a. durch den Einsatz von Produktionsfaktoren und die Mengen verschiedener konsumierter Güter charakterisiert ansieht 1 1 0 . Deutlicher w i r d diese wertbehaftete Kennzeichnung solcher Konkretisierungen, wenn eine Situation, wie es i m Teil A dieser Arbeit geschah, als hinreichend durch das Wohl von Individuen beschrieben gilt. Wie oben ausgeführt wurde, ist es i n der Wohlfahrtstheorie darüber hinaus üblich, das eine Situation kennzeichnende Gesamtwohl als von den individuellen »Nutzen4 (i. S. von Wohlbefinden) abhängig anzusehen, womit sich die allgemeine Formel zu einer Beziehung (1) Wi = f (£7i Ä), mit k = 1 . . . m und m der Anzahl der Individuen, konkretisiert. Die Form (1) stellt somit eine Vorschrift dar, nach der die individuellen 108 Vgl. i n diesem Zusammenhang die Bemühungen Weisbrods u. a., die i n der L o g i k der Theorie der offenbarten Präferenzen von staatlichen E n t scheidungen auf die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden sozialen W o h l fahrtsfunktionen schließen wollen; s. dazu auch unten S. 161, Fn. 13. 109 Bößmann, S. 223; f ü r Arrow, Social Choice (vgl. S. 13 u n d 19) gehört die E r f ü l l u n g der Bedingung der ,Konnexitivität', die eine Vollständigkeit von Ordnungen garantiert, zu dem, was er unter „rational" versteht. 110 A . Bergson, A Reformulation of Certain Aspects of Weifare Economics, i n : Essays i n Normative Economics (Hrsg. Bergson), Cambridge 1966, S. 4; vgl. auch Arrow, S. 17.

6 Hackmann

8 2 T e i l B : Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht Nutzenindizes zu einem Index des „Sozialnutzens" werden 1 1 1 .

„amalgamiert"

Neben der Form (1) ist eine weitere Form der sozialen Wohlfahrtsfunktion gebräuchlich. Danach ist (2) Wi = f (Wi k). Wi k gibt dabei an, welchen Index des Gesamtwohls das Individuum k der Situation Si zuordnen möchte und kann so bereits selbst als eine (diktatorische) ,soziale Wohlfahrtsfunktion 4 , und zwar als die eines einzelnen Individuums bezeichnet werden 1 1 2 . Die Funktion Wi = f (Wi k) ist damit eine Vorschrift, die die Vorstellungen verschiedener Individuen über die gesellschaftliche Wohlfahrt i n eine „higher order evaluation" integriert 1 1 3 . Da nun sowohl Wi k wie auch Ui k als Funktion der Si begriffen werden müssen, w i r d vielfach zwischen der Form (1) und der Form (2) gar kein Unterschied gesehen bzw. anerkannt 1 1 4 . Bei bestimmten faktischen, jedoch nicht schon denknotwendigen Gegebenheiten können nämlich die sich i n w\ k ausdrückenden Ordnungsvorstellungen m i t denen von Ui k identisch sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Individuen das Wohl der Gesellschaft, so wie sie es sehen bzw. gesehen wissen möchten, m i t ihrem eigenen Wohlbefinden identifizieren. Bei einer strengen utilitaristischen Auffassung, nach der alles Tun und alle Entscheidungen durch einen „Glücklichkeitskalkül" (Bentham) bestimmt sind, und die Individuen nur ihr Wohlbefinden zu maximieren suchen, sind die Ordnungsergebnisse — bei Irrtumsfreiheit — tatsächlich identisch. Diese Identität ist prinzipiell auch die Konsequenz einer Auffassung, von der oben ausgegangen wurde, nach der die Forderung, daß die individuellen Präferenzen zählen sollen, nur den instrumentalen Charakter habe, für die Individuen ein möglichst hohes Wohlbefinden zu erreichen. 111 Z u dieser Begrifflichkeit s. Gäfgen; hier w i r d der Begriff Sozialnutzen i m folgenden spezifischerweise dann verwandelt, w e n n zum Ausdruck k o m men soll, daß die gesellschaftliche Wohlfahrt aus dem Wohlbefinden von I n d i v i d u e n ermittelt w i r d bzw. ermittelt werden soll. 112 Vgl. i n diesem Zusammenhang auch die Stellungnahme Littles zum Unmöglichkeitstheorem A r r o w s ; (s. dazu Rothenberg, Measurement, S. 302 f.). 113 Vgl. W. Vickrey, S. 531 f.; Vickrey entwickelt dort die Vorstellung, daß auch dieses Ordnen auf höherer Ebene von den verschiedenen I n d i v i d u e n selbst vorzunehmen sei — vorausgesetzt die Wi t der verschiedenen Individuen bringen nicht schon einheitliche »Ordnungsvorstellungen 4 zum Ausdruck —. B e i auf der höheren Ebene nicht u n m i t t e l b a r verträglichen Ordnungsvorstellungen der verschiedenen Individuen, w ä r e n dann die Ordnungsergebnisse der verschiedenen I n d i v i d u e n von den einzelnen I n d i v i d u e n wieder als A r g u mente eines noch »höheren' Ordnungsverfahrens heranzuziehen. Dieses V e r fahren wäre dann solange zu wiederholen, bis — möglicherweise — „such a series may c o n v e r g e . . . to a l i m i t i n w h i c h the evaluations are all identical: i. e., sooner or later a stage is reached where a l l evaluations . . . differ at most to an inconsequential extent. . . . , we may t e r m this l i m i t the »consensus4 and consider i t to be ,the' social welfare function of the group" (s. S. 532). 114 So z. B. von Rothenberg , Measurement, s. S. 30 ff.

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

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Die getroffene Unterscheidung erinnert allerdings an die i n der Wohlfahrtstheorie übliche Vorstellung, daß für Fragestellungen einer Wohlfahrtsökonomie nur solche Ordnungen von Situationen interessieren, die die Individuen unter ausschließlicher Berücksichtigung der von ihnen i n diesen Situationen konsumierten Güter vornehmen würden, und nicht auch solche, die sich unter Berücksichtigung von ,Nutzeninterdependenzen 4 u. ä. m. ergeben 115 . Aufgrund der bisherigen Ausführungen ist bereits klar, daß es bei der Unterscheidung zwischen (1) und (2) u m diesen Unterschied nicht geht 1 1 6 . M i t Rothenberg wurde hier davon ausgegangen, daß eine Unterscheidung, ob Wohlbefinden aus Konsum oder aus anderen Faktoren gezogen wird, nicht sinnvoll ist, da das Wohlbefinden als ein ,unteilbares Gefühl 4 angesehen wird. Identische Ordnungsergebnisse der Ui k und Wi k bedeuten jedoch nicht, wie nun vielleicht vermutet werden könnte, daß die Individuen dann faktisch keine selbstlosen Gefühle haben und keinen Regungen des Mitleids, der Schaden- und Mitfreude und des Neids zugänglich sind, also „selfish monster" wären. Vielmehr mag Ui k durchaus näher beschrieben sein durch Ui k = f (R; Uj) m i t i = 1 . . . m und j 4 1 k und R sonstigen das Wohlbefinden des fc-ten Individuums beeinflussenden Faktoren. Solche individuellen Nutzenfunktionen sind, wie es von utilitaristischen Auffassungen von vornherein als faktisch zutreffend unterstellt wird, durchaus damit vereinbar, daß nach Meinung der Individuen das Maß des Gesamtwohls primär an ihrem eigenen Wohlbefinden orientiert sein sollte (was nicht ausschließen muß, daß sie supplementär — nach lexikographischer Ordungsvorschrift — auch das Wohlbefinden anderer Individuen ,unmittelbar 4 berücksichtigt wissen möchten). Sobald w i k durch das Wohlbefinden anderer Individuen auch unmittelbar bestimmt ist, so daß wi k = f (Ui k ; U*?)117, ergibt sich eine Identität der Ordnungsergebnisse von U i k und Wi k höchstens ,per Zufall 4 1 1 8 . 115 Vgl. auch die Arrowsche Unterscheidung, Situationen nach den „tastes" oder nach den „values" zu ordnen; Arrow, Social Choice, S. 17 f. 118 Vgl. auch oben S. 62 f. 117 Die verschiedenen Ui mögen dabei von den Nutzen der anderen I n d i v i duen oder solchen Faktoren, die auch den Nutzen der anderen I n d i v i d u e n beeinflussen (externe Konsumeffekte) abhängen, so daß die Determination der TJik möglicherweise n u r i n einem interdependenten Prozeß gelingen könnte. 118 Wenn Harsanyi, Cardinal Weifare (vgl. S. 53 f.) zwischen Ordnungen eines Individuums allein aufgrund von „impersonal social considerations" ( = ,„ethical { preferences") u n d solchen „on the basis of his personal interests" ( ^ „ s u b j e c t i v e ' preferences") unterscheidet, so t r i f f t auch das nicht den hier zwischen (1) u n d (2) gemeinten Unterschied. F ü r (2) ist von dem jeweiligen I n d i v i d u u m nicht verlangt, daß es i n einer »unpersönlichen A t t i t ü d e ' —, die Harsanyi glaubt dadurch sichern zu können, daß er die I n d i v i d u e n zwischen verschiedenen sozialen Situationen wählen läßt, wobei sie nicht wissen, w e l -

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

Überleitende Bemerkungen. Wichtiger als die Frage nach der denkbaren Möglichkeit unterschiedlicher Ordnungsergebnisse aufgrund der Ui k und Wi k ist die Frage nach der Wahrscheinlichkeit solcher Unterschiede. Diese Frage soll an dieser Stelle nicht interessieren, hinsichtlich einer Auseinandersetzung m i t einigen ihrer sachlichen Aspekte sei auf die Ausführungen i m Teil C verwiesen. Hier sei nur noch einmal betont, daß die Trennungslinie zwischen den beiden sich i n (1) und (2) ausdrückenden unterschiedlichen Betrachtungsweisen unterschiedlichen Verständnissen von dem, was individuelle Wohlfahrt ist, entspricht. Einem Verständnis von individueller Wohlfahrt i m Sinne von Wohlbefinden, wie es oben als für die Wohlfahrtstheorie vorherrschend konstatiert wurde, entspricht die Formel (1), während hinter der Formel (2) ein Verständnis von individueller Wohlfahrt steht, nach dem die Forderung, daß die Präferenzen der Individuen zählen sollen, nicht instrumental als geeignetste Verfahrensweise der Ermittlung individuellen Wohlbefindens aufgefaßt wird, sondern als eigenwertiges ethisches Postulat 1 1 9 . b) Soziale Wohlfahrtsfunktionen und Ordinalität individueller Nutzenmaße Der Stellenwert der Ordinalitätsbedingung. Trotz unterschiedlichen Verständnisses darüber, welche Argumente letztlich die soziale Wohlfahrtsfunktion bestimmen sollen, besteht doch vielfach Einigkeit über die an diese Argumente zu stellenden Meßerfordernisse. So definiert A r r o w von vornherein die soziale Wohlfahrtsfunktion als eine Vorschrift, die aus den individuellen Ordnungen von Situationen eine gesellschaftliche Ordnung dieser Situationen herleite 1 2 0 . Bergson 121 , Samuelson 122 und L i t t l e 1 2 3 bezeichnen es etwa als hinreichend, daß die Nutzen der Individuen i n ordinalen Größen gemessen che soziale Position sie i n dieser Situation selbst einnehmen werden — die verschiedenen Situationen zu ordnen hat. Vielmehr sind f ü r die E r m i t t l u n g der W i k bei (2) die I n d i v i d u e n n u r u m die Angabe gebeten, i n welcher Reihenfolge sie persönlich — auch unter Berücksichtigung ihrer konkreten, individuellen Interessen — die Situationen nach i h r e m Verständnis von sozialer Wohlfahrt ordnen würden. F ü r die E r m i t t l u n g der Ufi i n (1) ist h i n gegen n u r die Information erforderlich, w i e w o h l sich die I n d i v i d u e n i n den verschiedenen aus gesellschaftlicher Sicht zu ordnenden Situationen fühlen werden, wobei f ü r die Gewinnung dieser Information — logisch — das betreffende I n d i v i d u u m nicht selbst befragt werden muß, während f ü r die Bestimmung der w t k allein die Meinung des jeweils betroffenen Individuums w i c h t i g ist. 119 Vgl. i n diesem Zusammenhang unten zum Wahlfreiheitsprinzip. 120 Arrow, Social Choice, S. 23; vgl. auch die Bedingung (3) von Arrow, Social Choice, S. 27. 121 „ I n applying the criterion (i. e. soziale Wohlfahrtsfunktion), ordinality apparently is quite sufficient", Bergson, On Social Weifare, S. 67.

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

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werden. Die i m folgenden zu erörternde Frage, ob Ordinalität der N u t zenmessung hinreiche, zerfällt i n die beiden Aspekte, welchen — letztlich nur normativ eruierbaren — Bedingungen eine soziale Wohlfahrtsfunktion genügen soll und ob zur Erfüllung dieser Bedingunge eine ordinale Messung der individuellen Nutzen ausreicht. Aus dieser Unterscheidung w i r d schon klar, daß die A n t w o r t auf die Frage nach der Notwendigkeit von Ordinalität i m selben Maße willkürbehaftet ist, wie unterschiedliche Bedingungen ausgewählt werden. Dies relativiert sow o h l das Theorem Arrows, daß es nicht möglich sein muß, eine konsistente soziale Wohlfahrtsfunktion aufzustellen, wie auch die Nachweise von Autoren wie Hildreth, Harsanyi, Fleming und Goodman/ Markowitz, daß sich unter bestimmten ,vernünftigen' Bedingungen die von A r r o w aufgewiesenen Schwierigkeiten dadurch beseitigen lassen, daß anstelle ordinaler individueller Nutzenmaße von kardinalen Nutzenmaßen ausgegangen w i r d 1 2 4 . Diese Zulässigkeit kardinaler Maße steht dabei i m Widerspruch zur Bedingung (3) von Arrow, die er als Bedingung der ,Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen' bezeichnet, und die es u. a. verbietet, generell unterschiedlich starke Vorlieben verschiedener Individuen bei der gesellschaftlichen Entscheidungsfindung zu berücksichtigen 125 . Nun besteht jedoch genauso wenig eine logische Notwendigkeit dafür, die Bedingung (3) zu modifizieren, wie eine dafür bestand, sie einzuführen. Wie i n der Auseinandersetzung m i t dem Theorem Arrows geschehen, wäre es gleicherweise möglich, auf die Erfüllung einzelner seiner ande122 „ N o t h i n g at all is gained b y the selection of i n d i v i d u a l cardinal measures of u t i l i t y " , Samuelson, Foundations, S. 173. 123 „ . . . all the important conclusions of welfare economics can be made to follow f r o m i t " (i.e.: „einem" „ordinal u t i l i t y system"), Little, Critique, S. 37. 124 „ A r r o w ' s theorem is i n effect an attempt to examine just how far one can get i n constructing social welfare functions that w i l l consider only ordinal preferences", Vickrey, S. 508; vgl. i m übrigen C. Hildreth, A l t e r n a t i v e Conditions for Social Orderings, i n : Econometrica 21 (1953), S. 81 ff.; M. Fleming, A Cardinal Concept of Welfare, QJE 66 (1952), S. 366 ff. (jedoch ohne ausdrücklichen Bezug zu A r r o w ) ; L . A . Goodman! H. Markowitz, Social Weif are Functions Based on I n d i v i d u a l Rankings, i n : The American Journal of Sociology, Bd. 58 (1952), S. 257 ff.; Harsanyi, Cardinal Welfare. 125 Nach dieser Bedingung muß es also bei der Bestimmung der gesellschaftlichen Wohlfahrt etwa zweier Situationen prinzipiell gleich sein, ob die eine Situation i m Vergleich zur anderen f ü r ein I n d i v i d u u m von lebenswichtiger Bedeutung ist oder er i h r gerade noch v o r der anderen den Vorzug gibt (s. dazu auch unten S. 88). E i n Abrücken von der Bedingung (3) bei A r r o w i n dem Sinne, daß auch kardinale Maße zu berücksichtigen seien, bedeutet bei entsprechender E r m i t t l u n g kardinaler Nutzenindizes nicht, daß jetzt die Ordnung von A l t e r n a t i v e n dem ,Wortsinne 4 nach von irrelevanten A l t e r nativen abhängig werden muß. B e i (gegebenen) kardinalen Nutzenmaßen muß also eine paarweise Ordnung aller A l t e r n a t i v e n nicht zu einem anderen Ergebnis führen als w e n n alle A l t e r n a t i v e n simultan geordnet w ü r den (vgl. hierzu Rothenberg, Measurement, S. 127 ff.).

8 6 T e i l B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht ren (fünf) Bedingungen oder eines seiner beiden Axiome der Transitivität und der Vollständigkeit der Ordnung zu verzichten. Hier soll allerdings nicht versucht werden, die „offensichtliche Vernünftigkeit" (Arrow) der Bedingungen zu überprüfen. Nach einigen Erläuterungen zum Begriff der Ordinalität geht es i m folgenden vielmehr nur u m einige Aspekte der Frage, ob es w i r k l i c h so »vernünftig 4 ist, bei der Bestimmung der sozialen Wohlfahrt nur von ordinalen individuellen Nutzenmaßen auszugehen. Einige Bemerkungen zum Verständnis einer ordinalen Messung individueller Nutzen. Schon am Anfang dieses Teils der Arbeit wurde die Vermutung geäußert, daß die Berücksichtigung des Verteilungsaspekts neben interpersonellen Nutzenvergleichen auch kardinale Maße erforderlich mache. Der Nachweis, daß nach den i n der Wohlfahrtstheorie vorherrschenden Meinungen für die normative Behandlung des Verteilungsproblems die Nutzenverteilung die Orientierung bieten solle, hat diese Vermutung eher verstärkt. Gegen eine solche Vermutung steht jedoch, daß für Bergson und Samuelson sowohl behauptet wurde, daß sie die Nutzenverteilung i. S. einer Verteilung des Wohlbefindens als ausschlaggebend betrachten als auch, daß beide kardinale Nutzenmaße nicht als erforderlich ansehen. Die Position Samuelsons werde hier nun beispielhaft einer kurzen Prüfung unterzogen, u m ein mögliches Mißverständnis hinsichtlich der Abgrenzung von kardinaler und ordinaler individueller Nutzenmessung deutlich zu machen 126 . Nach Samuelson ist es die Aufgabe eines ethischen Beobachters („ethical observer"), die verschiedenen individuellen Nutzenindizes zum Sozialnutzenindex des Gesamtwohls zu amalgieren. Dabei besteht diese Aufgabe „nur 4 4 i n der Entscheidung, welche „Befriedigungsniveaus verschiedener Individuen 44 den Vorzug verdienen. Samuelson behauptet nun, es sei nicht erforderlich, „that our ethical observer, even i f the individuals themselves had no unique cardinal indexes of u t i l i t y would have to find cardinal indicators", und zwar auch dann nicht, wenn durch einen bloßen Wechsel der Nutzenindizes „alle sozialen Entscheidungen unverändert bleiben sollen 44 . Aufgrund dieser, wenn auch nicht sehr spezifizierter Bedingungen, muß der ethische Beobachter zumindest i n der Lage sein, die Befriedigungsniveaus verschiedener Individuen i n unterschiedlichen Situationen miteinander zu vergleichen. Damit muß er jedem Individuum für jede Situation so einen Nutzenindex zuordnen können, daß er eindeutig aussagen kann, ob ein Individuum i n einer bestimmten Situation ein größeres Wohlbefinden hat als ein anderes Individuum i n einer anderen 126

Vgl. Samuelson, Foundations, S. 228.

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Situation. Wie es diese Erläuterungen selbst besagen, genügen dafür ordinale Maße für das Wohlbefinden aller Individuen i n allen Situationen. Beliebige monotone Transformationen aller Nutzenindizes sind also gleichzeitig zulässig, wenn die Verteilungszielsetzung nicht mehr als einen Vergleich der Befriedigungsniveaus verschiedener Individuen erforderlich macht. Doch bereits diese Ordnungsergebnisse des ethischen Beobachters würden regelmäßig dann gestört, wenn die Nutzenindizes, die den Nutzen eines einzelnen Individuums intrapersonell zwischen den verschiedenen Situationen vergleichbar machen, überhaupt irgendeiner Transformation unterzogen werden, ohne daß die Nutzenindizes der anderen Individuen gleichsinnig m i t verändert werden. Das bedeutet also, daß bei vorgegebenen — allerdings i n ihrer Gesamtheit beliebig monoton transformierbaren — Indizes anderer Individuen die Nutzenskalen eines Individuums absoluten Charakter haben, d. h. regelmäßig nicht transformiert werden dürfen, wenn die Befriedigungsniveaus verschiedener Individuen eindeutig verglichen werden sollen. Aus diesen Ausführungen w i r d deutlich, daß die fehlende Notwendigkeit kardinaler individueller Nutzenmaße bei Samuelson nur bedeuten kann, daß die Indizes aller Individuen i n allen Situationen einer gleichsinnigen beliebigen monotonen Transformation unterzogen werden dürfen 1 2 7 . Hier kommt es nun nicht darauf an, ob es sinnvoll ist, noch von einer ordinalen Nutzenmessung zu sprechen, wenn die Nutzenindizes eines oder einzelner Individuen separat gar nicht mehr verändert werden dürfen. Die obige Differenzierung legt es jedoch nahe, bei der Prüfung der Strenge von Meßerfordernissen darauf zu achten, ob die Nutzenindizes einzelner Individuen ohne Rücksicht auf die anderer Individuen transformiert werden dürfen oder ob es nur zulässig ist, die Nutzenindizes von Individuen bestimmten Transformationen gemeinsam zu unterwerfen.

127 I m übrigen bleiben jedoch Zweifel, w i e die Auffassung Samuelsons interpretiert werden sollte. So schreibt er, daß bei einer Änderung der Nutzenindizes die Gestalt der Wohlfahrtsfunktion „einfach" so zu verändern sei, daß die „Entscheidungen der Gesellschaft unverändert bleiben". Dies muß als ein Versuch erscheinen, das Problem, ob die Indizes i n einer bestimmten Weise transformiert werden dürfen oder nicht, auf einer Ebene formal zu lösen, jedoch i n der »Sache' ungelöst auf eine andere Ebene zu schieben. A u f der höheren Ebene stellt sich nämlich das alte Problem als die Frage, nach welcher Vorschrift sich die Gestalt der sozialen Wohlfahrtsfunktion bei einer Variation der Nutzenindizes zu ändern habe u n d ob diese Vorschrift (sinnvollerweise) ohne einen Rekurs auf kardinale Nutzengrößen auskommen kann. Polemisch sei noch gefragt, weshalb Samuelson nicht auch andere als ordnungserhaltende monotone Transformationen zuläßt. Auch bei solchen Transformationen dürfte es dem ethischen Beobachter doch ein Leichtes sein, durch eine entsprechende Änderung der Gestalt der sozialen Wohlfahrtsf u n k t i o n dafür Sorge zu tragen, daß die gesellschaftlichen Entscheidungen unverändert bleiben.

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht c) Zur Frage der normativen

Relevanz von Präferenzstärkemaßen

Beim Lesen wohlfahrtstheoretischer Literatur entsteht gelegentlich der Eindruck, das Betonen der Unnötigkeit kardinaler Nutzenmaße für die Wohlfahrtstheorie sei nicht als eine Feststellung, sondern als Forderung zu deuten, derzufolge für das Aufstellen sozialer Wohlfahrtsfunktionen ordinale Nutzenmaße (auch i n dem gerade für Samuelson erläuterten Sinn) ausreichen sollen 1 2 8 . Dürfen bei der Bestimmung der gesellschaftlichen Wohlfahrt nur Nutzenmaße berücksichtigt werden, die — bei allen Individuen gleichsinnig — beliebig monoton veränderbar sein müssen, bedeutet das, daß es für die gesellschaftliche Wohlfahrt prinzipiell irrelevant ist, ob eine Person Situationen als für seine Wohlfahrt fast gleichwertig oder aber als wesentlich unterschieden einschätzt. Für die Bestimmung der gesellschaftlichen Wohlfahrt darf es dann keinen Unterschied machen, ob ein Individuum eine Alternative A der Alternative B nur „geringfügig" und ein anderes Individuum hingegen die Alternative B der Alternative A „verzweifelt" vorzieht oder ob die Alternative A i m Vergleich zu B von lebensnotwendiger Bedeutung für das erste Individuum ist, während das zweite Individuum die Alternative B gerade noch der Alternative A als überlegen ansieht 1 2 9 . Ob solche Unterschiede i n den ,Präferenzstärken' bei der Ermittlung der sozialen Wohlfahrt zählen sollen oder nicht, ist eine normative Frage. Hier sei dazu nur die Meinung Rothenbergs ausführlich zitiert, dessen (persönliche) Antwort, wie die von Hildreth, eindeutig ist: „ M y own opinion is that preference intensity is logically part of the very same description of individual values that includes preference order, and that i f the experimental means exist to make i t measurable, failure to use i t constitutes an unjustifiable restriction on the validity of the schematization of social choice. I believe that m y position is a reprensative one, and, . . . , that the hesitation of economic analysis i n the thirties and forties to have truck w i t h notions of cardinal u t i l i t y is largely irrelevant for our purposes 130 ." Sollen nun Unterschiede i n den Präferenzstärken der Individuen berücksichtigt werden, genügt es nicht mehr, die Nutzen der Individuen bis auf die Ordnung aller Nutzenindizes eindeutig zu messen. Die Nutzenmaße müssen es dann nicht nur gewährleisten, daß bei Transfor128 Die motivationsmäßige Begründung einer solchen »Forderung 4 könnte sich etwa aus dem Vorwissen ergeben, daß der Nutzen anders als anhand ordinaler Maße nicht gemessen werden kann. 129 Z u diesem Beispiel s. Hildreth, S. 89/90. 130 Rothenberg, Measurement, S. 139; vgl. auch Fisher ¡Rothenberg, S. 167, Fn. 16.

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mationen die Ordnung der Nutzenindizes selbst unverändert bleibt, sondern auch, daß die Ordnungen der Differenzen zwischen diesen Nutzenwerten durch Transformationen nicht berührt werden, was auf eine Messung der Nutzen anhand von Intervallskalen hinausläuft. Die Gesamtheit der Nutzenindizes dürfen damit also nur noch beliebigen linearen Transformationen unterworfen werden. 4. Die Berücksichtigung von Präferenzstärkemaßen: zum Problem des Genügens intervallfixer Maße

a) Einleitende

Bemerkungen

I m allgemeinen dürfte nun nicht so sehr der Frage, ob bei der Bestimmung der sozialen Wohlfahrt Unterschiede i n den Präferenzstärken berücksichtigt werden sollten, Bedeutung beigemessen werden wie der Frage, ob es überhaupt möglich ist, Unterschiede i n den Präferenzstärken festzustellen und zu ermitteln. Was das Feststellen solcher Unterschiede betrifft, w i r d Rothenberg zugestimmt werden dürfen, „that persons can differentiate preference intensities" 1 3 1 . Eine (gelegentliche) Feststellbarkeit solcher Unterschiede impliziert jedoch nicht, daß sie auch gererell ermittelt werden können. I n der ökonomischen Literatur sind nun, häufig angeregt durch die „Theory of Games and Economic Behavior" von v. Neumann - Morgenstern, vielerlei Vorschläge zur Ermittlung individueller kardinaler Nutzenindizes angeboten worden, die — ob interpersonell vergleichbar oder nicht — zumindest intrapersonell Aussagen über Präferenzstärkeunterschiede zulassen sollen 1 3 2 . I m folgenden sollen nun zunächst einige Vorschläge skizziert werden. Dabei w i r d von vornherein die Betrachtung auf solche begrenzt, die auch eine präskriptive (normative) Verwendung gefunden haben. Unter diesen werden dann die Beiträge nicht berücksichtigt, die sich m i t der Frage der »Rationalität 4 individueller Entscheidungen beschäftigen und einzelnen Individuen Entscheidungsempfehlungen und Entscheidungshilfen (in »privaten Angelegenheiten') geben sollen 1 3 3 ; vielmehr w i r d 131

Rothenberg, Measurement, S. 137. A n älteren Versuchen w i r d i n der L i t e r a t u r regelmäßig auf Beiträge von I. Fisher u n d R. Frisch verwiesen, die aber deshalb als gescheitert gelten, w e i l i n ihnen die Möglichkeit substitutiver u n d komplementärer Beziehungen nicht berücksichtigt w i r d . V o n Interesse mag i n diesem Zusammenhang auch der Hinweis von Rothenberg sein, daß bereits das bloße (transitive) Ordnen von Situationen Informationen über Unterschiede i n der Präferenzstärke vermittelt. So folgt aus A> B > C, daß der Unterschied der Präferenzstärke zwischen A u n d B kleiner ist als der zwischen A u n d C (vgl. Rothenberg, Measurement, S. 137, Fn.). 133 Nach Rothenberg, Measurement, S. 225 ff. verwendet Savage Präferenzintensitäten, u m zu zeigen, w i e angesichts von Risiken ein nationales' (i. S. 132

9 0 T e i l B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht von vornherein eine Beschränkung auf solche Vorschläge vorgenommen, deren Thema die »richtige 4 gruppenmäßige Entscheidung ist. Schließlich werden auch von diesen Beiträgen nur einzelne exemplarisch herausgegriffen. Deren Skizzierung soll dabei zunächst i n Hinblick auf die Frage erfolgen, unter welchen Bedingungen für alle Individuen einheitliche intervallfixe Skalen bei der Nutzenmessung zur Bestimmung des Gesamtwohls (Sozialnutzen) genügen. I m nächsten Kapitel werden dann einzelne der so skizzierten Vorschläge einer Prüfung unterzogen, ob die von ihnen vorgesehenen Verfahren zur Ermittlung kardinaler Nutzenmaße unter prinzipiellen Erwägungen (nicht nur unter Gesichtspunkten ihrer Praktikabilität) geeignet erscheinen können. Als auf ein Beispiel für die Ermittlung solcher individueller kardinaler Nutzenmaße kann hier auf die bereits i n einer Fußnote erwähnten Überlegungen von Fleming verwiesen werden, der von bestimmten ethischen Postulaten und der (unterstellten) Kenntnis ordinaler individueller und einer ordinalen gesellschaftlichen Nutzenfunktion her interpersonell gleich zu bewertende Einheiten der Präferenzstärke ermittelt. Da diese Überlegung das Ergebnis, dessentwegen die individuellen kardinalen Nutzenmaße gerade ermittelt werden sollen, bereits voraussetzt, verdient sie hier keine besondere Beachtung. Ihre Bedeutung liegt, worauf schon hingewiesen wurde, i n dem Nachweis, daß eine ordinale Sozialnutzenfunktion bei der Erfüllung bestimmter ethischer Postulate kardinale individuelle Nutzenmaße impliziert.

b) v. Neumann -Morgenstern Nutzen (vNM Nutzen) als Präferenzstärkemaße Andere Ansätze der Ermittlung kardinaler Nutzenmaße für normative Überlegungen fußen auf Entwicklungen der positiven Theorie. Dort hat sich nämlich gezeigt, daß zur Erklärung bzw. Beschreibung eines Verhaltens unter Risiken die übliche auf ordinalen Nutzenmaßen basierende Betrachtungsweise sinnvollerweise durch eine Berücksichtigung kardinaler — intervallfixer — individueller Nutzenmaße ergänzt wird. Wie generell i n der positiven Theorie üblich, w i r d auch bei dieser Betrachtungsweise den Individuen die Handlungsmaxime unterlegt, daß sie ihren ,Nutzen 4 zu maximieren suchen, wobei an dieser Stelle Nutzen von .vernünftiges') Verhalten von I n d i v i d u e n charakterisiert ist; s. i n diesem Zusammenhang auch D. Schneider, Investition u n d Finanzierung, K ö l n , e. a. 1970, S. 90 ff.

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nicht i m Sinne von Wohlbefinden verstanden werden m u ß 1 3 4 . Das besondere liegt nun nicht darin, daß die Individuen angesichts von Risiken den zu erwartenden Nutzen zu maximieren suchen, sondern daß ihnen die Handlungsmaxime unterlegt w i r d , daß sie die Nutzenerwartungswerte von Alternativen maximieren. Dies impliziert, daß die Individuen die Nutzenwerte, die sie verschiedenen Alternativen bei Sicherheit zuordnen würden, m i t deren (objektiven oder subjektiven) Wahrscheinlichkeiten gewichten, u n d je nach der Größe der Nutzenerwartungswerte zwischen verschiedenen ,Prospekten' eine Auswahl treffen. Dabei ist ein ,Prospekt' durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung (wie: f, g, h) auf die Menge der Alternativen {A, B, C,...) gekennzeichnet. Lassen sich unter dieser Hypothese über das Verhalten von Individuen widerspruchsfreie Nutzenfunktionen herleiten, so w i r d davon gesprochen, daß die Individuen Nutzenfunktionen vom v. Neumann-Morgenstern T y p haben oder einfach: daß sie v. Neumann-Morgenstern Nutzen ( v N M Nutzen) besitzen. I n der Literatur w i r d diese Verhaltenshypothese n u n nicht a p r i o r i eingeführt, sondern als Konsequenz bestimmter, ,vernünftiger' 1 3 5 für die Präferenzbeziehungen der Individuen als gültig unterstellter (bzw. »gelten sollender') Bedingungen hergeleitet. Z u r von Neumann-Morgensternschen Nutzenaxiomatik. Nach diesen Bedingungen 1 3 6 müssen die Individuen i n der Lage sein, alle Prospekte (einschließlich sicherer Alternativen) vollständig und transitiv zu ordnen. Weiter müssen die Präferenzbeziehungen der Individuen k o n t i nuierlich' sein 1 3 7 ; dieses auch sog. „archimedische A x i o m " (Gottinger) 134 Diese Modifizierung des Nutzenbegriffs gilt auch für die unmittelbar anschließenden Ausführungen; allerdings setzen auch, wie schon an früherer Stelle erwähnt wurde, i n der positiven Theorie manche Ökonomen diesen Begriff von Nutzen m i t psychischen Zustandsqualitäten w i e Freude und Zufriedenheit gleich. F ü r diesen F a l l w i r d die obige ,Handlungsmaxime' der Nutzenmaximierung jedoch zu einer prinzipiell empirisch überprüfbaren Handlungshypothese, deren Verifizierung allerdings, soweit Verifizierungen überhaupt möglich sind, noch aussteht. 135 ,Vernünftig' kann dabei zweierlei bedeuten; einmal, daß es für die einzelnen Individuen vernünftig (rational) ist, sich diesen Bedingungen gemäß zu verhalten, so daß die auf diesen Bedingungen fußende Nutzentheorie als eine normative Theorie individuellen Verhaltens aufzufassen wäre (vgl. oben S. 89, Fn. 133), zum anderen, daß es sich bei der Bedingung u m empirisch (im allgemeinen) beobachtbare (und prinzipiell widerlegbare) Verhaltensmuster handelt. 136 I m folgenden werden einige Axiome genannt, die am ehesten als problematisch erscheinen mögen; hinsichtlich einer ausführlichen Darstellung einer A x i o m a t i k dieser Theorie s. H. W. Gottinger, Von Neumann-Morgensternsche Nutzenaxiomatik, Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Bd. 20 (1969), S. 250 ff.; vgl. zum folgenden auch Rothenberg, Measurement, S. 218 ff. 137 w i r d der durch die Wahrscheinlichkeitsverteilung f gekennzeichnete Prospekt dem Prospekt g und dieser dem Prospekt h vorgezogen, (f > g > h) muß es einen Wert p (0 < p < 1) derart geben, daß der Prospekt g indifferent m i t dem Prospekt: pf + (1 — p)h ist (also: g ~ pf + (1 — p)h; vgl. Rothenberg, Measurement, S. 219 und Gottinger, S. 257, A x i o m A. 6).

9 2 T e i l B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht bringt zum Ausdruck, daß „auch extreme Wertunterschiede miteinander vergleichbar sind" 1 8 8 , d. b.: keine der Alternativen hat einen unendlich positiven oder negativen Nutzen. Diese Annahme impliziert ferner, daß auch kleine Wohlfahrtsunterschiede »kontinuierlich* wahrgenommen werden 1 3 9 und daß die Nutzenfunktionen der Individuen keinen lexikographischen Charakter haben 1 4 0 . Ferner muß es dem Individuum gleichgültig sein, wie es zu der Wahrscheinlichkeitsverteilung eines Prospekts gekommen ist 1 4 1 . Demnach dürfen „zusammengesetzte Lotterien" (Prospekte) auf einfache Lotterien „reduziert" werden, ohne daß sich an der Wertschätzung der Prospekte etwas ändert. Schließlich w i r d regelmäßig das „ A x i o m der starken Unabhängigkeit" unterstellt 1 4 2 , das garantiert, daß für einen Prospekt der Nutzenwert angesetzt werden kann, der für i h n bei Sicherheit 1 4 3 und ohne Rücksicht auf Komplementaritäts- und Substitutionsbeziehungen zu anderen Prospekten g i l t 1 4 4 . Intrapersonelle Vergleiche von Präferenzstärken. Ordnet nun ein Individuum bei sicheren Erwartungen drei Alternativen nach der Rangfolge ihrer Wertschätzung i n der Sequenz ABC, muß von i h m bei Gültigkeit der genannten Bedingungen die Auskunft erhältlich sein, welche Wahrscheinlichkeit p des Eintreffens der Alternative A das Individuum indifferent m i t der sicheren Erwartung von B macht, wenn für den Fall des Nicht-Eintreffens von A sich C ereignen w i r d (C t r i f f t also m i t Wahrscheinlichkeit 1-p ein). Bei den getroffenen Unterstellungen bringt eine solche Indifferenz zum Ausdruck, daß der Nutzen aus B gerade gleich dem Nutzenerwartungswert des Prospekts ist, der A m i t der Wahrscheinlichkeit p und C m i t der Wahrscheinlichkeit 1-p enthält. Es muß also gelten: U(B) = p U(A) + (1-p) U(C), m i t U(A), U(B) und U(C) als Nutzenindizes von A, B und C bei sicheren Erwartungen. Nun gibt es eine Vielzahl von Indizes, die für ein — nach dem obigen Verfahren bestimmtes p — dieser Gleichung genügen. Regelmäßig läßt 138

Gottinger, S. 258. D a m i t sind später noch zu nennende intransitive Indifferenzbeziehungen ausgeschlossen; Rothenberg, Measurement, S. 231; s.a. den „Satz 3" bei Gottinger, S. 262. 140 Rothenberg, Measurement, S. 232; i n der ordinalen Theorie entspricht diese Annahme der Bedingung, daß Indifferenzkurven stetig u n d nicht i n i h r e m ganzen Bereich parallel zu den Achsen verlaufen. 141 Also g i l t : p(qf + (1 - q)g) + (1 - p)g = (pq)f + (1 - pq)g, m i t 0 < p < 1 u n d 0 < q < 1; Gottinger, S. 255 ( A x i o m A . 3). 142 Ist der Prospekt f dem Prospekt g überlegen u n d w i r d der Prospekt h m i t dem Gewicht 1 — p m i t den Prospekten f resp. g »gemischt', w i r d auch der »gemischte' Prospekt pf + (1 — p)h dem gemischten Prospekt pg + (1 — p)h vorgezogen (also: Wenn f>g dann pf + (1 - p)h > pg + (1 - p)h; vgl. Gottinger, S.258. 148 „Preferences among sure prospects are asserted to carry over into risky prospects", Rothenberg, Measurement, S. 239. 144 Rothenberg, Measurement, S. 234 ff. 139

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sich dabei ein Tripel an Lösungen von einem anderen durch positive lineare Transformationen herleiten 1 4 5 . M. a. W. läßt sich der Nutzen eines Individuums bei Gültigkeit der genannten Bedingungen nach der Wahl der Wahrscheinlichkeit p, die das Individuum i n der beschriebenen Weise zwischen zwei Prospekten indifferent macht, anhand einer Intervallskala messen. Bei einer Berücksichtigung zusätzlicher Alternativen werden i n der beschriebenen Weise weitere Indifferenzbeziehungen gewonnen. Indem zwei beliebigen nichtindifferenten Alternativen Werte derart zugeordnet werden, daß die — bei sicheren Erwartungen — vorgezogene Alternative einen höheren Wert erhält (im übrigen jedoch beliebig) 1 4 6 und indem die anderen Alternativen (indirekt oder direkt) auf diese bezogen werden, entsteht ein einheitlicher Nutzenmaßstab. Wegen der Annahme der Transitivität und unter Berücksichtigung der übrigen Bedingungen muß dabei einer Alternative immer derselbe Wert zugewiesen werden, ganz gleich, ob er durch einen unmittelbaren Vergleich m i t den Referenz-Alternativen oder über einen Vergleich m i t anderen bereits bewerteten Alternativen gewonnen wird. Für jeden so gewonnenen Maßstab ist — unter den angenommenen Bedingungen — die Nutzendifferenz zwischen zwei Alternativen ein Ausdruck dafür, m i t welcher (Präferenz-)Stärke die eine Alternative gegenüber der anderen vorgezogen wird. Es kann ausgesagt werden, ob der Ubergang von einer Alternative A zu B eine größere oder kleinere Veränderung des individuellen Nutzens bringt als der Ubergang etwa von C zu D. Interpersonelle Vergleiche von Präferenzstärken. Für Fragen positiver Theorie und solchen individuell-entscheidungslogischer A r t reichen diese Aussageweisen aus. Stehen jedoch Entscheidungen von Gruppen an, die auf der Basis individueller Nutzenindizes getroffen werden sollen, so nützen die hergeleiteten individuellen Nutzenindizes (v. Neumann-Morgenstern Nutzen) solange nichts, wie nicht bekannt ist, wie die verschiedenen individuellen Nutzenmaße miteinander verglichen werden können. H i l d r e t h 1 4 7 geht zu diesem Zweck davon aus, daß zwei Alternativen („social states") existieren, die von allen Individuen i n der gleichen 145 Vgl. den „Satz 6" bei Gottinger, S. 267 f. i4« Wegen der Möglichkeit dieser Beliebigkeit gibt es allerdings auch gleichwertige Intervallskalen, die voneinander nicht durch lineare Transformationen hergeleitet werden können. B e i p = 0,5 erfüllen z. B. die Werte U(A) = 12, U(B) = 10 u n d U(C) = 8 die Gleichung; dies gilt z. B. auch f ü r die aus diesen nicht durch lineare Transformationen gewonnenen Werte w i e U(A) = 16, U(B) = 10 u n d U(C) = 4. 147 Alternative Conditions for Social Orderings. B e i einer W ü r d i g u n g dieses Beitrags sollte die spezifische Intention des Autors berücksichtigt werden:

9 4 T e i l B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht Rangfolge geordnet werden, d.h. es gibt zwei Situationen, bei denen die eine von einem jeden Individuum der anderen vorgezogen w i r d 1 4 8 . Nach dieser Annahme über Tatsachen weist er für jedes Individuum jeder der beiden Alternativen denselben Nutzenwert zu 1 4 9 , so daß diese Alternativen zu ,Eichpunkten' der individuellen Nutzenskalen werden. Damit ist untersagt, daß die individuellen Nutzenfunktionen überhaupt noch irgendeiner Transformation unterworfen werden dürfen (absolute Skalen), da durch zwei Wertzuweisungen ein einheitlicher Nutzenmaßstab festgelegt ist. Diese strenge Restriktion ist jedoch dadurch gelockert, daß die beiden den Eichpunkten zugewiesenen Werte bis auf ihre Ordnung beliebig ausgewählt werden dürfen 1 5 0 . Zum Verfahren der Maximierung der Summe der individuellen Nutzen. Die Nutzendifferenz zwischen den beiden Eichpunkten ist die ,Einheit', i n der die Unterschiede von Präferenzstärken zwischen unterschiedlichen Alternativen sowohl für ein Individuum als auch für verschiedene Individuen gemessen werden. Der numerische Wert der Differenz der Nutzenindizes der ,Eich-Alternativen' ist ein numerischer Ausdruck dieser Einheit 1 5 1 . Werden nun die Differenzen der an dieser Skala gemessenen Nutzenwerte zweier Alternativen (A und B) bei allen Individuen addiert, gibt — bei der Zielsetzung der Maximierung der Summe der individuellen Nutzen — bereits diese Summe darüber Auskunft, welche der beiden Alternativen aus gesellschaftlicher Sicht den Vorzug verdient. W i r d z. B. bei allen Individuen der Nutzenindex der Alternative A von dem der Alternative B abgezogen, zeigt ein positives (negatives) Vorzeichen der Summe der Differenzen an, daß die Alternative A der Alternative B aus gesellschaftlicher Sicht überlegen (unterlegen) ist. Beträgt die Summe der Differenzen 0, werden die Alternativen als indifferent ausgewiesen. Obwohl die Gesamtheit aller Nutzenindizes linearen Transformationen unterworfen werden darf, läßt sich ein solcher Vergleich auch dadurch erreichen, daß einfach die Nutzenindizes der Individuen für jede Alternative addiert werden, wie es durch das Ziel der Maximierung der H i l d r e t h w i l l gegen das Unmöglichkeitstheorem von A r r o w Position beziehen u n d nachweisen, daß prinzipiell auch auf der Basis individueller Nutzen eine soziale Wohlfahrtsfunktion, die bestimmten vernünftigen Bedingungen (z. T. anderen als den Arrow-Bedingungen) genügt, konstruiert werden kann. 148 Hildreth, S. 84. 149 Hildreth, S. 87; auch Vickrey, S. 524 w ä h l t zwei Situationen als Eichpunkte, u m die Nutzeneinheiten interpersonell vergleichbar zu machen. Da er jedoch — i n diesem Zusammenhang — von gleichen Bedürfnissen bei allen I n d i v i d u e n ausgeht, sind f ü r i h n zur Eichung alle Situationen gleicherweise geeignet. 150 Hildreth, S. 88. 151 w e g e n der Beliebigkeit (bis auf ihre Ordnung) der Nutzenindizes dieser A l t e r n a t i v e n sind also generell beliebige monotone Transformationen dieser »Einheit 4 zulässig.

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Summe der individuellen Nutzen bereits nahegelegt wird. Die Größe der m i t einer Alternative verbundenen ,Gesamtnutzensumme' ist dabei ein ordinales Maß des diese Alternative kennzeichnenden Gesamtwohls bzw. Gesamtnutzens. Das Verfahren der Addition der individuellen Nutzenindizes hat dem zuerst erwähnten Verfahren der Addition von Differenzen gegenüber den zusätzlichen Vorteil, daß es auch ohne paarweise Vergleiche eine Ordnung aller Alternativen gestattet. Es könnte den Anschein haben, daß eine Addition der individuellen Nutzen nur deshalb eindeutige (ordinale) Maße des Sozialnutzens liefert, w e i l die individuellen Nutzenindizes separat gar nicht transformiert werden dürfen. Diese Bedingung erweist sich jedoch für die Zielsetzung der Maximierung der Gesamtnutzensumme als unnötig restriktiv. Additive Transformationen der Gesamtheit der Nutzenindizes eines oder einzelner Individuen verändern die sich durch eine Summierung der individuellen Nutzenindizes ergebenden Ordnungsbeziehungen zwischen den Alternativen genauso wenig, wie eine gleichzeitige lineare Transformation aller Nutzenindizes 152 . Für die Zielsetzung der Maximierung der Nutzengesamtsumme genügt es also, daß die individuellen Nutzen anhand von Differenzskalen (s. oben S. 54) und die Gesamtheit aller Nutzenindizes anhand von Intervallskalen gemessen wird. Interessanterweise stellt sich also heraus, daß bei der Zielsetzung der Maximierung der Summe der individuellen Nutzen an die — separate — Messung der individuellen Nutzen weniger strenge Anforderungen zu stellen sind, als wenn — gemäß der oben beschriebenen Auffassung Samuelsons (s. oben S. 86) — nur die Nutzenbefriedigungsniveaus verschiedener Individuen für die Bestimmung der sozialen Wohlfahrt verglichen zu werden brauchen. Dieses Ergebnis resultiert daraus, daß bei der Zielsetzung der Gesamtnutzenmaximierung die unterschiedlichen Höhen der Nutzenniveaus von Individuen nicht verglichen zu werden brauchen. U m das von L i t t l e zur Kennzeichnung des Nutzens eines Individuums gebrauchte B i l d vom Brunnen auch hier zu verwenden: die Tiefe des Brunnens, an dessen ,Wasserstand' (Pegel) Veränderungen des Gesamtwohls erkannt werden, ist unbekannt; der Beitrag eines Individuums zum Gesamtwohl — einmal geleistet — läßt sich nicht mehr ermitteln bzw. braucht bei der Zielsetzung der Gesamtnutzenmaximierung nicht ermittelt zu werden.

152

Die Begründung ist unmittelbar einsichtig, w e n n bedacht w i r d , daß eine Erhöhung des Nutzenindexes, den ein I n d i v i d u u m einer A l t e r n a t i v e beigemessen hat, u m einen bestimmten Betrag f ü r das betroffene I n d i v i d u u m durch eine gleiche Erhöhung der Indizes aller anderen A l t e r n a t i v e n »kompensiert 4 w i r d .

9 6 T e i l B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht c) Präferenzschwellen

als Präferenzstärkemaße

Neben dem Versuch, Präferenzstärkemaße aus dem Verhalten von Individuen angesichts von riskanten Prospekten zu ermitteln, gibt es Versuche, die auf dem Unterscheidungsvermögen bzw. der Unterscheidungsbereitschaft basieren. I n diesem Zusammenhang bekannt sind die Ansätze von Armstrong und von Goodman/Markowitz. Hier werde exemplarisch nur auf die Vorstellungen Armstrongs eingegangen. Für Armstrong ist zunächst das psychische Faktum wichtig, daß Individuen prinzipiell unter dem Gesichtspunkt ihrer Vorzugswürdigkeit unterscheidbare Alternativen nicht immer unterscheiden. Aus dieser Tatsache ergibt sich die Möglichkeit der Intransitivität von Indifferenzbeziehungen: Das Individuum erklärt, daß es zwischen A und B und auch zwischen B und C, nicht jedoch zwischen A und C indifferent sei. Aus dem Postulat 1 5 3 , daß nicht wahrgenommene Wohlfahrtsunterschiede einzelner zwischen (indifferenten) Alternativen für die Bestimmung der Gesamtwohlfahrt vernachlässigt werden können, folgt, daß bei einem Vergleich von Alternativen nur die wahrgenommenen Wohlfahrtsunterschiede zählen 1 5 4 . Einen gerade noch (bzw. schon) von einem Individuum wahrgenommenen Wohlfahrtsunterschied bezeichnet Armstrong als marginale Präferenz, einen gerade nicht mehr (bzw. noch nicht) wahrgenommenen Unterschied als marginale Indifferenz 1 5 5 . Die „marginale Präferenz" dient i h m als Einheit, i n der er den Unterschied zwischen verschiedenen Alternativen messen w i l l . Jede marginale Präferenz hat demzufolge nach Armstrong das gleiche Gewicht für das Wohlbefinden eines Individuums. U m den Unterschied der Stärke der Präferenz zwischen zwei Situationen festzustellen, prüft er zunächst, welche Anzahl an Situationen sich zwischen je zwei Alternativen derart einordnen lassen, daß einmal die Wohlfahrt von der einen bis zur anderen Alternative monoton zunimmt (abnimmt) und sich zum anderen die Situationen (einschließlich der, die die zu vergleichenden Alternativen darstellen) voneinander gerade durch eine marginale Präferenz unterscheiden. Ist die Anzahl der eingeordneten Alternativen n, ist für Armstrong n + 1 ein Maß für den Unterschied der Präferenzstärke. 158

Vgl. Armstrong, U t i l i t y , S. 267, Annahme 6. Konzeptionell sind bei A r m s t r o n g also Veränderungen der Wohlfahrt einzelner I n d i v i d u e n möglich, die die I n d i v i d u e n nicht wahrnehmen, u n d sich so auch nicht an der A u s w a h l der Alternativen zeigen, die die I n d i v i d u e n ,präferieren'. I m übrigen geht A r m s t r o n g von den üblichen Annahmen aus, daß die Gruppenwohlfahrt allein von der Wohlfahrt der I n d i v i d u e n abhängt, daß das P a r e t o - K r i t e r i u m gültig ist u n d daß die Wohlfahrt eines I n d i v i d u u m s i n der von i h m vorgezogenen (,präferierten') Situation größer ist als i n der, die es zurückgewiesen hat; vgl. Armstrong, U t i l i t y , S. 259. 155 Ebd. S. 256. 154

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

97

Weiter setzt Armstrong eine „marginale Präferenz" eines Individuums i n ihrer Bedeutung für die Gruppenwohlfahrt gleich der eines anderen. Dies bedeutet, daß den Alternativen zuzuweisende Nutzenindizes beliebig additiv und die Gesamtheit der Nutzenfunktionen beliebig linear transformiert werden dürfen. Wie bereits oben beschrieben, gestattet es sowohl die Summe der Präferenzstärkeeinheiten aller Individuen zwischen zwei zu vergleichenden Situationen als auch die Addition der individuellen Nutzenindizes die Alternativen auf ihre gesellschaftliche Wohlfahrt h i n zu vergleichen. Wegen der Intransitivität der Indifferenzbeziehung auf individueller Ebene ist es allerdings — m i t Armstrong — nicht sinnvoll, nur von gruppenmäßiger Indifferenz zu sprechen, wenn die Summe der Präferenzstärkeeinheiten zwischen zwei Alternativen 0 beträgt. Demzufolge kennzeichnet auch eine Summe der Präferenzstärkeeinheiten, die i n der Nähe von 0 liegt, noch gruppenmäßige Indifferenz, da eine marginale Präferenz i n Hinblick auf die Gruppenwohlfahrt ( fast so) t r i v i a l ist, wie eine marginale Indifferenz, bei der die Änderung der individuellen Wohlfahrt gerade nicht mehr wahrgenommen w i r d 1 5 6 . d) Zur Problematik der Zielsetzung der Gesamtnutzenmaximierung und zur Frage des Genügens intervallfixer Maße I m vorangehenden wurden zwei unterschiedliche Konzepte vorgestellt, wie möglicherweise intra- und interpersonell vergleichbare Präferenzstärkeunterschiede ermittelt werden könnten. Weiter wurde gezeigt, daß es bei der Zielsetzung der Maximierung der Summe der individuellen Nutzen für Situationsvergleiche genüge, die individuellen Nutzen anhand von Differenzskalen zu messen. Bei dieser Zielsetzung war demnach die Messung des individuellen Nutzens nach den Vorstellungen von Hildreth unnötig restriktiv. Nun legt Hildreth seinen Überlegungen jedoch nicht die Zielsetzung der Maximierung der Gesamtnutzensumme zugrunde. Vielmehr hat er sie auf den allgemeinen Fall zugeschnitten, daß die Nutzen der Individuen nicht von vornherein einheitlich gewichtet werden sollen, so daß die gesellschaftliche Wohlfahrt bei i h m als gewichtete Summe individueller Nutzen begriffen wird. Soll allerdings der Sozialnutzen dadurch bestimmt werden, daß die individuellen Nutzen unterschiedlich gewichtet werden, sind nicht nur (separate) additive Transformationen der Nutzenindizes eines oder einzelner Individuen unzulässig, sondern auch solche der Gesamtheit der Nutzenindizes aller Individuen. Während die Indizes einzelner 166

Vgl. Armstrong,

7 Hackmann

U t i l i t y , S. 266/7.

9 8 T e i l B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht Individuen jetzt allein gar nicht mehr transformiert werden dürfen, so daß die individuellen Nutzen anhand absoluter Skalen gemessen werden müssen, darf die Gesamtheit der Nutzenindizes bei Zielsetzungen, die eine nicht-einheitliche Gewichtung der Nutzen erforderlich machen, nur noch multiplikativ transformiert werden; sie müssen also anhand von Verhältnisskalen gemessen werden. Ob nun derlei strenge Anforderungen an die Nutzenmessung erforderlich sind oder nicht, hängt, wie schon mehrfach zum Ausdruck kam, von den gesellschaftlichen Zielsetzungen ab und kann damit nur normat i v entschieden werden. Wegen der häufigen selbstverständlichen A n erkennung des Ziels der Maximierung der Summe der individuellen Nutzen ist es jedoch angebracht, zu betonen, daß die i n dieser Zielsetzung implizierte einheitliche Gewichtung von Nutzeneinheiten verschiedener Individuen nicht minder normativ ist. Auch eine interpersonelle Vergleichbarkeit von Präferenzstärke- bzw. Nutzeneinheiten bedeutet noch nicht, daß die — empirisch — interpersonell vergleichbaren Nutzeneinheiten auch gesellschaftlich gleich bewertet werden müssen. Nun mag es erscheinen, daß i n einer demokratischen Gesellschaft das Postulat der Gleichheit (s. o. auch das Postulat der Symmetrie) eine Gleichbewertung der Nutzen verschiedener Individuen gebiete. Das Glück des Präsidenten soll — für sich genommen — für die gesellschaftliche Wohlfahrt keine größere Bedeutung haben als das irgendeiner Hausfrau. Auch wenn eine unterschiedliche Gewichtung der Nutzeneinheiten nach gesellschaftlichem Rang, Bildung oder sonstigem Besitz als m i t dem Gleichheitspostulat unverträglich abgelehnt wird, sind jedoch andere Gewichtungsverfahren denkbar, denen vielleicht eine größere moralische Appellationskraft zukommt. Hält man es m i t Armstrong 1 5 7 für möglich, daß ein Individuum absolut mehr Nutzen haben kann als ein anderes, w i r d es manchem — wie etwa Armstrong — durchaus als sinnvoll erscheinen, zusätzliche Nutzeneinheiten eines Individuums m i t geringerem Nutzen gesellschaftlich als wertvoller anzusehen als solche bei einem Individuum m i t höherem Nutzen. Sofern solche Vorstellungen als vernünftig gelten, ist es nicht nur des Gewichtungsverfahrens wegen erforderlich, die Gesamtheit der Nutzenindizes von Individuen anhand von Verhältnisskalen zu messen, sondern auch deshalb, w e i l sich ohne solche Skalen gar nicht aussagen läßt, ob der Nutzen von Individuen absolut hoch oder niedrig ist. Während bei Hildreth immer noch den Eichpunkten bis auf die Ordnung beliebige Werte zugewiesen werden durften, wobei für die Gesamtheit der Nutzenindizes nach diesen Wertzuweisungen nur noch multiplikative 157

Vgl. Armstrong,

U t i l i t y , S. 269.

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

99

Transformationen zulässig waren 1 5 8 , muß jetzt der Nullpunkt des Nutzenmaßstabs eindeutig fixiert werden. Erst bei einer Abhängigkeit der ,gesellschaftlichen Gewichte' individueller Nutzeneinheiten von der absoluten Höhe der individuellen Nutzen oder bei einem sonstigen Gewichtungsverfahren bekommt eine, am Nutzen orientierte, Verteilungszielsetzung einen eigenständigen Zielcharakter. Bei der Zielsetzung der Maximierung der Gesamtnutzensumme hat sie hingegen instrumentale Bedeutung und stellt somit nur ein Unterziel dar. A n dieser Stelle soll nun auf eine ,sachliche' Auseinandersetzung m i t dem Ziel der Maximierung der Summe der individuellen Nutzen verzichtet werden (s. dazu unten), es sei jedoch auf einige operationale Vorteile hingewiesen, die m i t einer Akzeptierung dieser Zielsetzung verbunden sind und die motivationsmäßig vielleicht auch die weitgehende Akzeptierung dieses Ziels bzw. der Auffassung einer Unnötigkeit einer N u l l punktfixierung erklären mögen 1 5 9 . Neben dem Vorteil, daß bei dieser Zielsetzung nicht so strenge Anforderungen an die Nutzenmessung gestellt zu werden brauchen, ist das Ziel vor allem auch unter technizistischen Gesichtspunkten attraktiv, w e i l es bei der Beurteilung von Maßnahmen eine Beschränkung der Betrachtung auf die m i t Maßnahmen verbundenen Änderungen des Wohlbefindens gestattet und es nicht erforderlich macht, auch andere Umstände zu berücksichtigen. Sobald das Gewicht einer Nutzeneinheit nicht mehr von vornherein für alle Individuen unter allen Umständen einheitlich ist, werden zusätzliche Differenzierungen erforderlich, die sich unter die Fragestellung subsumieren lassen, nach welchen Umständen für die einzelnen Individuen i n welcher Weise Nutzengewichte festzusetzen sind.

e) Vorschläge zur Fixierung

von Nullpunkten

der Nutzenfunktion

Armstrong zieht aus seinen Bedenken gegen eine soziale Gleichbewertung interpersonell vergleichbarer Nutzeneinheiten die Konsequenz und macht den Versuch, für die Nutzenmessung absolute Skalen zu gewinnen 1 6 0 . Da er nach der Theorie der marginalen Präferenz bereits interpersonell vergleichbare Nutzeneinheiten gewonnen hat, muß er nur noch eine Fixierung des Nullpunktes der individuellen Nutzenmaßstäbe erreichen. Er meint nun, daß ein Individuum einzelne Situationen danach 158 "Wird v o n dem, an früherer Stelle erwähnten, K r i t e r i u m der Invarianz sozialer Entscheidungen bei bloßen Transformationen der Nutzenindizes ausgegangen, müssen allerdings regelmäßig m i t einer V a r i a t i o n der Wertzuweisungen an die Eichpunkte auch die Nutzengewichte geändert werden. 159 „ . . . the non-uniqueness of the zero point is of no real concern i n any of the applications of u t i l i t y t h e o r y , . . . R . D. Luce/H. Raiffa, Games and Decisions, New Y o r k e. a. 1967, S. 33. 160 Armstronq , U t i l i t y , S. 269.

100

Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

unterscheiden kann, ob sie ,an sich1 („intrinsically") wünschenswert („desirable") oder an sich widerlich („repugnant") sind, ohne daß es nötig ist, die Wünschbarkeit bzw. Widerwärtigkeit durch einen Vergleich zu erhellen 1 6 1 . Das ,an sich4 bringt zum Ausdruck, daß die wünschenswerte Situation einen positiven und die widerliche Situation einen negativen Nutzen für das betreffende Individuum hat. Da er den Nutzenunterschied zwischen zwei solchen Situationen nach dem Konzept der marginalen Präferenz messen kann, ist der Nullpunkt damit i n gewisser Weise umschrieben. Durch die Auswahl weiterer an sich beurteilbarer Situationen, wäre dann der Bereich, i n dem der Nullpunkt liegt, möglichst weit einzuengen. Wie Armstrong versucht auch Fleming eine Fixierung des Nullpunkts der individuellen Nutzenskalen 162 . Er geht dabei i m Rahmen seines schon kurz angedeuteten Konzepts von den Begriffen „mental state" und ,Elementarsituation 4 („elementary Situation") aus. Wie schon z. T. zitiert, ist ein „mental State" definiert „als die Erfahrung eines fühlenden Wesens (sentient being) oder Individuums i n einem Zeitraum" (moment of time), der kurz genug ist, u m eine homogene Erfahrung zu erlauben. Eine Elementarsituation ist eine Situation, i n der nur ein einzelner „mental State" existiert 1 6 3 . Fleming mißt nun einer Situation, i n der kein „mental state" existiert (nach der Definition muß das w o h l bedeuten, daß i n dieser Situation sein „sentient being" vorkommt), einen Sozialnutzen von N u l l bei. Er sucht dann eine Elementarsituation, die einer Situation ohne „mental state" i n ihrer gesellschaftlichen Bedeutung gleichwertig ist 1 6 4 . Dem Wohlbefinden des Individuums, das dem „mental state" einer solchen Elementarsituation entspricht, weist er schließlich den Wert N u l l zu, womit der Nullpunkt der Nutzenfunktion fixiert ist. Für Hildreth wurde bereits oben erwähnt, daß er sich m i t dem Problem einer N u l l punktfixierung nicht beschäftigt. Wie bereits i n einer Fußnote zum Ausdruck gebracht wurde, bedingt dieser Verzicht jedoch bei ihm, daß regelmäßig m i t einer jeden monotonen Transformation der Nutzenindizes seiner Eichpunkte auch seine Nutzengewichte transformiert werden müssen, wenn die gesellschaftlichen Entscheidungen unverändert bleiben sollen. Bei einer eindeutigen Fixierung von Nullpunkten würde diese Notwendigkeit entfallen. 161

Armstrong, U t ü i t y , S. 269. Fleming, S. 378. Fleming, S. 370. 164 Dabei setzt er offensichtlich als selbstverständlich voraus, daß genügend solcher Elementarsituationen existieren; die Gleichsetzung solcher Elementarsituationen m i t einer Situation ohne „ m e n t a l state" macht i h m weiter keine Schwierigkeiten, da er, w i e bereits oben erwähnt, v o n der Kenntnis einer ordinalen Sozialnutzenfunktion ausgeht. 162

163

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

101

Harsanyi geht wie Hildreth zur Ermittlung des Sozialnutzens von den individuellen von Neumann-Morgenstern Nutzen aus und bestimmt unter den Bedingungen, daß die für die Herleitung der individuellen Nutzenfunktionen unterstellten Postulate auch für die Sozialnutzenfunktion gültig und daß zwei aus der Sicht aller Individuen indifferente Prospekte auch aus gruppenmäßiger Sicht indifferent sind 1 6 5 , den Sozialnutzen als (mit einem konstanten Faktor) gewichtete Summe der individuellen Nutzen 1 6 6 . Da Harsanyi zu dem Ergebnis k o m m t 1 6 7 , daß die Sozialnutzenfunktion (mit den individuellen Nutzenfunktionen als Argumenten) linear homogen ist, muß der Nullpunkt sowohl der individuellen wie der Sozialnutzenfunktion eindeutig fixiert sein. Es zeigt sich jedoch, daß Harsanyi diese Fixierung nicht aus seinen Postulaten herleitet, sondern sie einfach unterstellt: „on the understanding that the zero point of the social welfare function is appropriately chosen" 168 . Schließlich w i r d dieser Nullpunkt von i h m dann so gewählt, daß der Sozialnutzen n u l l ist, wenn alle individuellen Nutzen n u l l sind. Diese Fixierung ist jedoch eine nicht unwesentliche Erweiterung seiner aus seinen Postulaten hergeleiteten Theoreme I und I I , nach denen alle Funktionen (die individuellen wie die Sozialnutzenfunktion) noch beliebig transformiert werden dürfen. Nun hat Harsanyi m i t der Fixierung des Nullpunktes noch keine absoluten Skalen. Es fehlen einheitlich fixierte Nutzeneinheiten. Diese gewinnt er faktisch durch den Prozeß der Gewichtung der individuell beliebig wählbaren Nutzeneinheiten. Das Gewicht der Nutzeneinheiten eines Individuums bestimmt er als Wert, den die Sozialnutzenfunktion annimmt, wenn das betreffende Individuum nach seiner Nutzenfunktion einen Nutzen von eins und alle anderen (die restlichen Individuen) einen Nutzen von n u l l haben 1 6 9 . Wie zur Fixierung der Nullpunkte, läßt Harsanyi jedoch nichts darüber verlauten, nach welchen Kriterien die Gewichte festzusetzen seien 170 . 165

Vgl. Harsanyi, Cardinal Welfare, S. 51. i«« Harsanyi, Cardinal Welfare, S. 52/3. 167 Vgl. Harsanyi, Cardinal Welfare, S. 51, Theorem I V . 168 Harsanyi, Cardinal Welfare, S. 51. 169 Harsanyi, Cardinal Welfare, S. 52; eine zulässige Transformation der individuellen Nutzeneinheiten müßte m i t einer Umgewichtung einhergehen, w e n n die gesellschaftlichen Entscheidungen durch die Transformation u n v e r ändert bleiben sollen. I m übrigen ist es klar, daß m i t dem Prozeß der Gewichtung w e n n nicht interpersonelle Nutzenvergleiche, so doch auf jeden F a l l eine vergleichende Bewertung von Nutzeneinheiten verschiedener I n d i v i d u e n vorgenommen w i r d . 170 Seine Bemerkung auf S. 55, daß die Gewichte w i l l k ü r l i c h (gemäß den persönlichen Wertvorstellungen auszuwählen sind, bezieht sich auf die schon

102

Teil B : Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht II. Beurteilung einiger Vorschläge zur Nutzenermittlung 1. Uberleitende Bemerkungen und zur allgemeinen Charakterisierung des Beurteilungsverfahrens

Die Ausführungen i m letzten Kapitel haben gezeigt, daß die Position der Wohlfahrtstheorie generell dadurch beschrieben werden kann, daß bei Situationsvergleichen und Maßnahmebeurteilungen nicht nur die Nutzengrößen der Individuen i. S. von Wohlbefinden, sondern auch die Nutzenverteilung die Urteilsbasis abgeben soll. Es erwies sich dabei, daß dazu interpersonelle Nutzenvergleiche unverzichtbar sind. Weniger eindeutig war es jedoch, ob Situations vergleiche auch kardinale Nutzenmaße erforderlich machen. Einige Autoren behaupten ihre Unnötigkeit, während andere nachzuweisen versuchen, daß eine soziale Wohlfahrtsfunktion bereits kardinale individuelle Nutzenmaße impliziere. Es wurde betont, daß eine Entscheidung i n dieser Frage von den letztlich nur normativ begründbaren Bedingungen abhängt, denen die soziale Wohlfahrtsfunktion genügen soll. Ohne Stellung zu beziehen, wurde weiter referiert, daß manche Autoren es als sinnvoll ansehen, daß die soziale Wohlfahrtsfunktion sich nicht nur i n dem Sinne auf die Nutzenverteilung bezieht, daß sie einen Vergleich von Nutzenbefriedigungsniveaus vornimmt (wobei die Frage offen ist, wie, auf solchen Vergleichen basierend, anhand von sozialen Wohlfahrtsfunktionen sinnvoll Entscheidungen gefällt werden sollen, ohne daß auch Differenzen von Unterschieden der Nutzenbefriedigungsniveaus verschiedener Individuen verglichen werden), sondern auch i n dem Sinne, daß unterschiedliche Präferenzstärken ( = Differenzen von Nutzenbefriedigungsniveaus) berücksichtigt werden. I m folgenden sollen nun einige Vorschläge zur Ermittlung solcher Präferenzstärkeunterschiede (und zur Ermittlung von Nullpunkten der Nutzenfunktionen), die schon i m letzten Kapitel vorgestellt wurden, näher überprüft werden. Die Prüfung stellt dabei eine immanente K r i t i k dar: es w i r d nicht i n Frage gestellt, daß es sinnvoll ist, Situations vergleiche grundsätzlich am individuellen Nutzen und an der Nutzenverteilung zu orientieren. Wie i n der Wohlfahrtstheorie i m allgemeinen üblich, w i r d das einfach ohne weitere Begründung unterstellt. A u f das Ganze dieser Arbeit bezogen, haben dabei diese K r i t i k wie auch die sonstigen Ausführungen i m Teil B neben der Kenntnisnahme von bereits entwickelten Vorstellungen auch die Funktion, den Boden für die Fragestellung zu bereiten, ob nicht bereits schwerwiegende Einwände an früherer Stelle (vgl. oben Fn. 118) erwähnte F o r m der Sozialnutzenfunktion, die die I n d i v i d u e n i n einer »unpersönlichen A t t i t ü d e ' aufzustellen haben.

I. Die Verwendung des Nutzens als Verteilungsobjekt

103

gegen die übliche Basis der Wohlfahrtstheorie zu erheben sind, nach der sich Urteile aus wohlfahrtstheoretischer Sicht auf die Nutzen der Individuen beziehen sollen. Bei der Prüfung der Vorschläge selbst soll von der Frage ihrer Praktikabilität abgesehen werden 1 . Hier interessiert es nur, ob die Vorschläge überhaupt konzeptionell geeignet sind, das zu erfassen, was sie zu ermitteln vorgeben. Die Prüfung dieser Frage muß nun notwendig unter der bereits früher erwähnten unpräzisen Fassung von Begriffen wie Nutzen leiden. Wenn geprüft wird, ob sich ein Verfahren eignet, den aus der Sicht der Wohlfahrtstheorie für normative Zwecke verwertbaren Nutzen von Individuen zu ermitteln, setzt das strenggenommen eine präzise Vorstellung von dem voraus, was dieser Nutzen eigentlich ist. So genommen kann die folgende Prüfung eigentlich nur aufzeigen, was bei den verschiedenen Verfahren als Nutzen ermittelt wird, und muß es deshalb i n gewisser Weise offenlassen, ob das so Ermittelte m i t dem von der Wohlfahrtstheorie ,wirklich' Gemeinten übereinstimmt. Sollen die Vorschläge für die m i t ihnen allgemein verbundenen Zielvorstellungen aus der üblichen Sicht der Wohlfahrtstheorie akzeptiert werden, müssen sie es wenigstens gestatten, tendenzielle Präferenzstärkeunterschiede für eine jede Person zwischen beliebigen Situationen zu erfassen. Ferner müssen sie prinzipiell geeignet sein, die individuellen Präferenzstärkeunterschiede interpersonell vergleichbar zu machen. Bei speziellen Zielsetzungen müssen sie schließlich eine Fixierung von interpersonell vergleichbaren Nullpunkten der Nutzenskalen zulassen und dafür eine Rechtfertigung bieten. Formal setzt eine Eignung der Konzepte zunächst voraus, daß sich prinzipiell durch eine wiederholte Anwendung der jeweiligen Verfahren keine widersprüchlichen Ergebnisse zeigen. So müßte sich für die Theorie der Präferenzschwellen von Armstrong bei einem Vergleich von A und B dieselbe Anzahl marginaler Präferenzstufen ergeben, egal ob der Vergleich über C oder (C ausschließend) über D erfolgt. Gleicherweise müßte i m Falle der vNM-Nutzen eine Bewertung von A und B über C auf der einen und über D auf der anderen Seite zu denselben Ergebnissen führen 2 . 1 Dazu w ü r d e es etwa gehören, ob Erfolgsaussichten bestehen, die erforderlichen Angaben f ü r alle I n d i v i d u e n auch n u r annähernd genau zu ermitteln. 2 Ist U(A) < U(C) < U(B) u n d U(A) < U(D) < U(B) u n d sind D u n d C i n different (U(C) = U(D)), müßten i n beiden Fällen U(A) u n d U(B) m i t denselben Wahrscheinlichkeiten gewichtet werden, damit sowohl U(C) = p U(A) + (1 - p) U(B) w i e auch U(D) = p U(A) + (1 - p) U(B).

104

Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

I m Prinzip muß es gleichgültig sein, über welche „zwischengeschaltete" Situationen zwei Alternativen miteinander verglichen werden, insgesamt muß sich nach einer bis auf die Ordnung beliebigen Fixierung der Nutzenwerte zweier Situationen eine eindeutige Nutzenfunktion ergeben. Bei der Forderung nach widerspruchsfreien Ergebnissen handelt es sich aber nur u m eine Bedingung. Auch wenn sie erfüllt ist, ist die Eignung der Verfahren noch nicht m i t Notwendigkeit erwiesen. Es muß weiter gelten, daß von den Auskünften bzw. Verwaltensweisen der Individuen auf solche Präferenzstärkeunterschiede geschlossen werden darf, die aus wohlfahrtstheoretischer Sicht berechtigterweise normativ verwertet werden können. Überlegungen dieser A r t brauchen jedoch solange nicht zu interessieren, wie die zuerst genannte Bedingung nicht als erfüllt gelten kann. Dabei darf allerdings das Postulat widerspruchsfreier Ergebnisse auch nicht überstrapaziert werden. Soll es unbedingt gelten, braucht w o h l erst gar keine Prüfung zu erfolgen, da es eine solche Widerspruchsfreiheit i m Bereich menschlichen Handelns und Urteilens nicht gibt. Einer verständigen Prüfung darf also ein etwaiger Nachweis gelegentlich inkonsistenter Wertschätzungen noch nicht als Begründung genügen, die Konzeptionen zu verwerfen. W i r d die Stärke der Präferenz für einzelne Situationen immer wieder neu durch einen Vergleich m i t unterschiedlichen Situationen ermittelt, und ergeben sich annähernd die gleichen Werte, so daß die Einzelwerte nur wenig u m die Durchschnittswerte streuen, sollte das als eine erste Hechtfertigung der vorgeschlagenen Verfahren genügen. Welches Maß der Streuung noch akzeptiert werden kann und welches nicht, braucht nicht zu interessieren, da hier keine empirischen Untersuchungen angestellt werden sollen 3 . Damit w i r d hier von vornherein davon ausgegangen, daß jedes der beiden Verfahren zu „widersprüchlichen" Ergebnissen führen wird. Zu ihrer Beurteilung kommt es deswegen darauf an, ob die möglichen Begründungen für solche Inkonsistenzen gewichtig genug sind, u m die Verfahren abzulehnen. 8 M i t diesen weniger strengen Bedingungen ist das Transitivitätspostulat nicht n u r f ü r die Indifferenz- sondern auch f ü r die Präferenzbeziehung aufgehoben. Somit werden probalistische individuelle Ordnungen solange als zulässig angesehen, w i e sie m i t bestimmten — hier nicht näher erläuterten — Häufigkeitsverteilungen vereinbar sind. Dieser Ansatz zur Berücksichtigung „probalistischer" Ordnungen w i r d hier jedoch nicht weiter verfolgt (vgl. dazu Gäfgen, S. 263). Diese Wahrscheinlichkeitswerte dürfen allerdings nicht m i t denen des v N M Nutzens verwechselt werden. Die ersten bringen Unsicherheiten i n der Wertschätzung, die letzteren Unsicherheiten i n dem Eintreffen von Ereignissen zum Ausdruck. Grundsätzlich muß es deshalb auch möglich sein, beide Formen der Unsicherheiten miteinander zu kombinieren (vgl. Majumdar, S. 113) s. a. u. Fn. 6.

II. Beurteilung einiger Vorschläge zur Nutzenermittlung

105

2. Die Eignung der Konzeption Armstrongs zur Nutzenermittlung

Marginale Präferenz als individuelle Präferenzstärkeeinheiten. A r m strong weist selbst auf die Möglichkeit hin, daß Vergleiche über unterschiedliche Situationen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können 4 . Bei i h m ist allerdings die Inkonsistenz von Ergebnissen bereits i n seinem Konzept,vorbereitet' 5 , da er, wie bereits erläutert wurde, gerade von der Intransitivität der Indifferenzbeziehung ausgeht 6 . W i r d diese Konzession an menschliches Unvermögen gemacht, so ist es bis zum nächsten Schritt, auch gelegentliche Intransitivitäten der Präferenzbeziehung ,zuzulassen' nicht weit. Wie bei der Darstellung der A r m strongschen Konzeption bereits ausgeführt wurde, ist eine marginale Präferenz dadurch definiert, daß gerade noch ein Wohlfahrtsunterschied wahrgenommen w i r d 7 . Für die Feststellung solcher Präferenzen kommt es somit auf das Unterscheidungsvermögen von Individuen an 8 . Eine Eignung der marginalen Präferenz, als (intrapersonelle) Präferenzstärkeeinheit zu dienen, muß dann als fraglich erscheinen, wenn es gelingt, plausibel zu machen, daß ein Individuum typischerweise je nach der Eigenart der zwischen zwei Alternativen einzuordnenden Situationen unterschiedlich viel marginale Präferenzstufen feststellt. Unterschiede würden sich nun sicherlich ergeben, wenn sich zwischen einer ersten und einer weiteren Einordnung die komparative Wertschätzung der beiden zu vergleichenden Situationen etwa aufgrund von Geschmacksvariationen geändert hat. So begründete Unterschiede stören jedoch nicht, da sie auf tatsächliche Wohlfahrtsunterschiede hindeuten. I m Gegenteil, sie lassen eine Überlegenheit der Konzeption A r m strongs gegenüber den üblichen Auffassungen der Wohlfahrtstheorie vermuten, die regelmäßig von einer Konstanz der Bedürfnisse ausgehen und dem Problem der Änderung von Bedürfnissen weithin hilflos gegenüberstehen 9 . 4 „There is i t must be admitted, even a likelihood of inconsistencies, i f an i n d i v i d u a l is pressed to quantify his preferences w i t h any accuracy", Armstrong, U t i l i t y , S. 268. 5 Vgl. obendrein seine Erörterung zur „ T r i v i a l i t ä t " von Wohlfahrtsänderungen; s. dazu auch oben S. 97. 6 Die I n d i v i d u e n sind bei der vergleichenden Wertschätzung von A l t e r nativen gelegentlich unsicher, welche A l t e r n a t i v e den Vorzug verdient, so daß sie die A l t e r n a t i v e n deshalb als indifferent ansehen. Bei einer marginalen Präferenz sind sich die I n d i v i d u e n gerade sicher, daß sie die A l t e r n a t i v e n unterschiedlich wertschätzen. D a m i t beruht auch die Konzeption Armstrongs auf der Konfrontation der I n d i v i d u e n m i t dem Phänoment der Unsicherheit. I n seiner „one m a n school of thought" ist sie jedoch eine „uncertainty i n discernment of economic welfare", während es f ü r von Neumann-Morgenstern eine „uncertainty i n the prospect of achieving a given economic end" ist (Majumdar, S. 112). 7 „just perceptible preference", Armstrong, U t i l i t y , S. 268. 8 „power of discrimination" oder „acuity of discrimination", Armstrong, Reply, S. 267/8. 9 Z u diesem Problem s. a. unten S. 124 ff.

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

Allerdings dürften solche Unterschiede der Anzahl der Präferenzstufen und damit Inkonsistenzen bei der Bewertung von Alternativen sich auch deshalb zeigen, w e i l das Individuum einmal etwa Situationen als marginale Präferenzstufen zwischen die zu vergleichenden Situationen einordnet, die i h m aus der Alltagserfahrung bekannt sind, das andere Mal jedoch i h m weniger vertraute Situationen. Würde z.B. ein Kraftfahrzeugmeister, u m den Unterschied seiner Präferenzstärke zwischen zwei Alternativen zu ermitteln, auf der einen Seite durch marginale Präferenzen voneinander unterschiedene Automobile, auf der anderen Seite voneinander durch marginale Präferenzen unterschiedene Wohnzimmereinrichtungen verwenden, so ist zu vermuten, daß i m ersten Fall die Anzahl der Präferenzschwellen erheblich größer als i m zweiten Fall sein dürfte. Dieses Beispiel dürfte plausibel machen, daß das Vermögen, Alternativen auf ihre Wohlfahrt h i n zu unterscheiden von dem Vermögen, Alternativen überhaupt (sachlich) zu unterscheiden, nicht getrennt werden kann. Da ein sachlicher Unterschied jedoch noch keinen Wohlfahrtsunterschied begründet, ein Wohlfahrtsunterschied jedoch immer nur aufgrund eines fachlichen' Unterschieds wahrgenommen werden kann (vgl. die obigen Zitate von Armstrong), steht zu vermuten, daß ein Individuum i n den Bereichen, i n denen es sachlich sehr zu differenzieren versteht, bereits sehr kleine Wohlfahrtsunterschiede wahrnimmt, i n den Bereichen hingegen, i n denen es nur wenig zu differenzieren i n der Lage ist, nur größere Unterschiede. Ein gerade wahrgenommener Wohlfahrtsunterschied ( = eine marginale Präferenz) kann so, je nach dem sachlichen Unterscheidungsvermögen für ein und dasselbe Individuum von sehr unterschiedlicher subjektiver Bedeutung sein. Die Setzung der marginalen Präferenz als Präferenzstärkeeinheit wäre dann gerechtfertigt, wenn das menschliche Unterscheidungsvermögen von den persönlich empfundenen Wohlfahrtsunterschieden abhinge, ähnlich wie es von einzelnen Tieren berichtet wird, daß sie i n ihrer Umgebung nur das wahrnehmen, was für ihre eigene Erhaltung und die Erhaltung ihrer A r t wichtig zu sein scheint. Von solchen Tieren unterscheidet sich ,der Mensch' zumindest dadurch, daß sein Erkenntnisinteresse wenigstens teilweise freigesetzt' und nicht nur auf ein Mehr oder Weniger an Nutzen fixiert ist. Die Feststellung der Anzahl von Präferenzschwellen ist so eher ein Test für die Messung des individuellen Differenzierungsvermögens (== Intelligenz) auf bestimmten Gebieten als ein Maß, das zur E r m i t t lung von Wohlfahrtsunterschieden geeignet wäre 1 0 . 10 Hinsichtlich anderer Aspekte der K r i t i k an A r m s t r o n g s. a. Rothenberg, S. 145ff.; i h n interessiert u.a., ob sich einzelne Ergebnisse Armstrongs (eine

II. Beurteilung einiger Vorschläge zur Nutzenermittlung

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Marginale Präferenz als interpersonell vergleichbare Präferenzstärkeeinheit. A u f die Frage, ob marginale Präferenzen geeignet sind, als interpersonell vergleichbare Nutzeneinheit zu dienen, t r i f f t die gleiche Argumentation zu, die zu ihrer Ablehnung als intrapersonelle Nutzeneinheiten führte, nur daß ihr jetzt noch mehr Gewicht zukommt. Gerade ist pointierend festgestellt worden, daß die Stärke der Nutzenunterschiede zwischen zwei Alternativen vom individuellen Differenzierungsvermögen ( = Intelligenz) abhänge. Der Nutzen werde sozusagen i n Intelligenzeinheiten gemessen. Interpersonell bedeutet dies, daß, je besser das Differenzierungsvermögen von Individuen zwischen A l t e r nativen ist, für die Individuen ein desto größerer Nutzenunterschied ermittelt wird. Da w o h l davon ausgegangen werden darf, daß intelligentere I n d i v i duen generell (im Durchschnitt) ein besseres Differenzierungsvermögen haben als weniger intelligente, hätten bei einem solchen Verfahren intelligente Individuen einen besonderen Einfluß bei der gesellschaftlichen Bewertung von Alternativen 1 1 . Für viele mag das als ein Vorzug dieses Verfahrens angesehen werden, scheint es doch vielleicht so, daß der „Vernunft" oder der „besseren Einsicht" ein besonderes Gewicht zukommt. Es muß jedoch betont werden, daß es hier gar nicht u m die — unbewiesene — bessere Einsicht von intelligenten Individuen i n die Vorzugswürdigkeit von Alternativen für andere Individuen oder für die Gesellschaft, sondern u m die Einsicht i n die Vorzugswürdigkeit von Alternativen für das betreffende I n d i v i duum persönlich geht. Von einer interpersonell vergleichbaren Nutzeneinheit kann somit bei den marginalen Präferenzen keine Rede sein. Der Vorschlag Armstrongs zur Ermittlung des Nullnutzens. So unbefriedigend wie der Versuch Armstrongs zu interpersonell vergleichbaren Nutzeneinheiten zu kommen, ist sein Vorschlag zur Fixierung eines Nullpunktes der individuellen Nutzenfunktionen. Er geht davon aus, daß die Individuen bei einzelnen Alternativen die Fähigkeit haben, absolut zu empfinden, ob die Alternativen an sich („intrinsically") gut oder schlecht sind. Gruppenwohlfahrtsfunktion m i t kardinalen Eigenschaften, die Gleichwertigkeit marginaler Präferenzen verschiedener Individuen) zwingend aus den A x i o m e n Armstrongs herleiten lassen. Er k o m m t dabei zu einem negativen Ergebnis: B e i A r m s t r o n g sind K a r d i n a l i t ä t u n d interpersonelle Vergleichbarkeit nicht die Konsequenzen seiner A x i o m e sondern die implizierter Unterstellungen. 11 F ü r diese Aussage ist die i n der Wohlfahrtstheorie vielfach akzeptierte Zielsetzung der M a x i m i e r u n g der Summe der individuellen Nutzen u n t e r stellt. Bei anderen Zielsetzungen könnte sich allerdings auch eine Benachteiligung ergeben (vgl. dazu i m T e i l B unter I I I 3 c).

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

I m Zusammenhang der wenigen Ausführungen Armstrongs hierzu ergibt sich, daß das Gut oder Schlecht einer solchen Alternative einem Individuum nicht erst durch den Vergleich zu anderen Alternativen offenbar w i r d 1 2 . W i r d dies i n dem Sinne gedeutet, daß die Wertschätzung zumindest einzelner Alternativen unabhängig von der Kenntnis anderer Alternativen und ihrer Erfahrung ist, dürfte es kaum einem Zweifel unterliegen, daß eine solche Annahme (über Fakten) unzulässig ist. Selbst die »Wertschätzung 4 solcher existentieller Alternativen wie Sterben oder Weiterleben dürfte entscheidend von den jeweiligen Lebenserfahrungen abhängen. Als andere Deutungsmöglichkeit bleibt nur, daß zwar die Wertschätzung einer Alternative von Erfahrungen bzw. der Kenntnis anderer Alternativen abhängt, und ein- und dieselbe Alternative also einmal an sich gut und das andere M a l an sich schlecht sein kann, daß das Individuum jedoch i n der Lage sein soll, dieses ,an sich gut 4 oder ,an sich schlecht4 zu erkennen — eine Behauptung, zu der nicht einmal die jeweils persönliche Lebenserfahrung oder Intuition einen Anhaltspunkt bieten dürfte. Selbst wenn es Individuen gäbe, die ein solches ,absolutes Gespür 4 für die (ungefähre) Trennungslinie zwischen positivem und negativem Nutzen besitzen, ist nicht einzusehen, wieso sie dann nicht auch die anderen Alternativen gleich als m i t negativem oder positivem Nutzen behaftet zu charakterisieren i n der Lage sind; immerhin besitzen sie ja die Fähigkeit, alle Alternativen auf ihre Vorzugs Würdigkeit miteinander zu vergleichen. Schließlich dürfte es bei einer etwaigen ,Existenz 4 solcher an sich schlechter oder guter Alternativen sehr wahrscheinlich sein, daß die Wohlfahrtsunterschiede zwischen ihnen so groß sind, daß von ihnen höchstens auf positiven oder negativen Nutzen überhaupt, nicht jedoch auf die — wenn auch nur ungefähr begründete — Lage des Nullpunktes einer Nutzenfunktion gefolgert werden kann. Zu einer Fixierung des Nullpunkts müßte nun hinzukommen, daß die so fixierten Punkte auch interpersonell vergleichbar sind. Wie bei der Ermittlung von marginalen Präferenzen Unterschiede des Differenzierungsvermögens, so würden sich i n der Fixierung von Nullpunkten Temperamentsunterschiede niederschlagen, so daß etwa ein Optimist mehr Alternativen dem positiven und ein Pessimist mehr Alternativen dem negativen Bereich zuordnen dürfte. I m Unterschied zur K r i t i k an der Geeignetheit der marginalen Präferenzen als Nutzeneinheiten, dürften jedoch an den Nutzenmaßen sich zeigende Temperamentsunterschiede auch auf Nutzenunterschiede von Individuen hinweisen, der 12 „ . . . an i n d i v i d u a l . . . m a y . . . desire an alternative not i n the sense of preferring i t to some other alternative", Armstrong, U t i l i t y , S. 269.

II. Beurteilung einiger Vorschläge zur Nutzenermittlung

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Optimist hätte eben eine größere „capacity to enjoy" und der Pessimist eine größere „capacity for suffering" (Rothenberg). Die Prüfung der Überlegungen Armstrongs führt zu dem Schluß, daß m i t ihr zwei für die Wohlfahrtstheorie ganz entscheidende Nachteile nicht verbunden sind. Armstrong braucht für sein Konzept weder eine Gleichheit der Bedürfnisse noch eine Gleichheit der Nutzenkapazitäten. Diesen Vorteilen steht jedoch als Nachteil gegenüber, daß — abgesehen von Fragen der Praktikabilität — für die von Armstrong propagierte Konzeption vermutet werden muß, daß sie einerseits den Nutzen von Individuen über das individuelle Differenzierungsvermögen z. T. m i t der individuellen Intelligenz gleichsetzt und andererseits — bei der N u l l punktfixierung — w o h l von unzutreffenden faktischen Annahmen ausgeht. 3. Zur normativen Verwertbarkeit von v N M Nutzen

a) vNM Nutzen als Maße individueller

Präferenzstärke

aa) Allgemeines zur Hypothese der Maximierung von Nutzenerwartungswerten Die Geeignetheit von v N M Nutzen, für einzelne Individuen als Maß von Präferenzstärkeunterschieden zu dienen, hängt davon ab, ob die Verhaltenshypothese angenommen werden kann, daß die Individuen den Nutzenerwartungswert von Alternativen maximieren. Diese Hypothese bringt zum Ausdruck, daß für die Individuen nur die m i t ihren Wahrscheinlichkeiten gewichteten Nutzenwerte der Alternativen ,an sich4 relevant sind, was die Voraussetzung dafür ist, daß die für Alternativen ermittelten Nutzenwerte überhaupt sinnvollerweise bei einer Urteilsfindung herangezogen werden können. Die Ermittlung der N u t zenwerte i m Zusammenhang von Risiken ist so bloß eine Technik, u m Präferenzäußerungen über Alternativen zu provozieren, von denen aus auf kardinale Nutzenmaße der Alternativen geschlossen werden könnte 1 3 . Dabei darf von der Technik der Ermittlung kein relevanter 18 Es drängt sich die Frage auf, weshalb die I n d i v i d u e n nicht u n m i t t e l b a r u m die Angabe v o n Präferenzunterschieden gebeten werden. Eine (befriedigende?) Begründung könnte sein, daß ein I n d i v i d u u m eher i n der Lage ist, eine Vielzahl von i h m angebotenen riskanten Prospekten nach der Rangfolge ihrer Wertschätzung zu ordnen als Alternativen. Aus einer Ordnung der riskanten Prospekte allein, k a n n dann bei E r f ü l l u n g der notwendigen Bedingungen auf die Unterschiede der Wertschätzung verschiedener A l t e r n a t i v e n geschlossen werden. Auch bei einer Akzeptierung dieser Begründung bleibt noch die Frage, weshalb der U m w e g über riskante Prospekte gewählt w i r d . Einfacher wäre doch ein Verfahren, nach dem das I n d i v i d u u m die verschiedenen A l t e r n a t i v e n nicht über Wahrscheinlichkeitswerte, sondern vielmehr direkt »mischt4, so daß die Situation B etwa einer Mischung aA + (1 — a) C m i t

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

eigenständiger Einfluß auf das Ergebnis ausgehen. Die Individuen müssen unter Berücksichtigung von Risiken ihre Präferenzen so äußern, daß das Risiko für sich nicht zählt. Das Risiko selbst darf kein Faktor sein, der den Nutzen der Individuen bestimmt 1 4 . Recht verstanden müssen die Individuen gegen Risiken unempfindlich sein. Weder dürfen sie Risiken scheuen, noch dürfen sie über das Eingehen von Risiken selbst Freude empfinden. W i r d eine solche Einstellung als Risikoindifferenz bezeichnet, muß sie demnach so definiert werden, daß bei ihrem Vorliegen das Risiko kein eigenständiger nutzenbestimmender Faktor ist. Sind Individuen i n diesem Sinne nicht indifferent gegen Risiken, stimmt es nicht, daß sie den Nutzenerwartungswert von Alternativen maximieren. Dies kann sich daran zeigen, daß sich nach dem v N M Verfahren keine bis auf erlaubte Transformationen eindeutige Nutzenwerte ergeben, was eine Verletzung der v N M Axiomatik anzeigt. N u n ist es offensichtlich, daß „alle Axiome zu einem gewissen Grade unrealistisch sind" 1 5 , so daß sich bei genügend großem Beobachtungs- oder Befragungsmaterial immer Inkonsistenzen zeigen dürften. Immerhin verletzt jegliche Geschmacksänderung von Individuen und jegliche Unsicherheit bei der Wertschätzung von Alternativen m i t der Folge intransitiver Ordnungen die v N M Nutzenaxiomatik. Solche Inkonsistenzen besagen allerdings, wenn sie sich etwa aufgrund von Geschmacksänderungen oder Unsicherheiten bei der Wertschätzung von Alternativen ergeben, noch nicht, daß die Individuen nicht doch die — jeweils augenblicklichen Nutzenerwar1 > a > O gleichwertig wäre (die Situationen A u n d C seien etwa durch bestimmte Gütermengen gekennzeichnet). Dieses Verfahren ist untauglich, w e i l bei einer solchen tatsächlichen Mischung von etwaigen Substitutions- u n d Komplementatitätsbeziehungen nicht mehr abgesehen werden k a n n : die| Mischung zweier A l t e r n a t i v e n (Zucker, Kaffee) hat häufig gegenüber den isolierten A l t e r n a t i v e n einen eigenständigen Wert. Die Berücksichtigung dieser Umstände — die Nichtgültigkeit der Annahme der »Unabhängigkeit der Nutzen' — hat j a gerade zu einer Ablehnung der älteren kardinalen Nutzentheorie geführt (vgl. Rothenberg, Measurement, S. 234). 14 Es könnte eingewandt werden, daß bei einer Beurteilung von Maßnahmen auch Risikoüberlegungen von Bedeutung sein könnten (sollten) u n d daß gerade auch eine Kenntnis der Präferenzen der I n d i v i d u e n angesichts von riskanten Prospekten v o n Wichtigkeit sei. Dennoch dürfte es schon f ü r p r a k tische Zwecke erforderlich sein, analytisch zwischen Bewertung der Risikokomponenten eines Prospekts u n d Bewertung der Alternativen, den der Prospekt enthält, zu unterscheiden (um bei einer Gesamtbeurteilung nach einer A r t Baukastenprinzip beide zusammensetzen zu können). E i n Verzicht auf eine solche Unterscheidung hätte obendrein die Konsequenz, daß von einer Beurteilung von A l t e r n a t i v e n zu einer Beurteüung von Prospekten übergegangen würde. M i t einem solchen Verzicht wäre gleichzeitig die G r u n d lage einer E r m i t t l u n g kardinaler Nutzen nach dem Verfahren von v N M entzogen, das j a gerade darin besteht, v o n der bekannten Ordnung der Prospekte her auf die Nutzenwerte der A l t e r n a t i v e n an sich zu schließen (vgl. oben Fn. 13). 15 Rothenberg, Measurement, S. 224.

II. Beurteilung einiger Vorschläge zur Nutzenermittlung

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tungswerte — von Alternativen zu maximieren versuchen. Inkonsistenzen etwa aufgrund von Änderungen der Bedürfnisse bringen nur zum Ausdruck, daß sich die von den Individuen den Alternativen beigemessenen Nutzenwerte — möglicherweise sogar bedingt durch das Verfahren der Nutzenermittlung — geändert haben. Die bloße Inkonsistenz von nach dem v N M Verfahren für ein Individuum ermittelten Nutzenwerten falsifiziert somit noch nicht die Verhaltenshypothese der Maximierung der Nutzenerwartungswerte von Alternativen, wenngleich sie jedoch eine ,Falsifizierung' der v N M Axiomatik darstellt. M. a. W., bei der Nicht-Erfüllung der v N M Axiome kann immer noch die Verhaltenshypothese der Maximierung der Nutzenerwartungswerte ihre Gültigkeit besitzen 16 . Sofern es jedoch nicht gelingt, die verschiedenen möglichen Begründungen empirisch zu isolieren, würde die Feststellung (nicht unbedeutender) Inkonsistenzen dennoch bereits die Nicht-Geeignetheit des v N M Verfahrens der Nutzenermittlung erweisen. Hier sollen nun jedoch bei der prinzipiellen Erörterung der Geeignetheit von v N M Nutzen nicht strengere Anforderungen gestellt werden, als sie i m allgemeinen i n der Wohlfahrtstheorie üblich sind. Wenn dort generell von der Annahme der Konstanz der Bedürfnisse oder der individuellen Sicherheit bei der Wertschätzung von Alternativen ausgegangen wird, so sollte nicht ein etwaiger Aufweis der Unzulässigkeit dieser Annahme als (einziges) Argument gegen eine normative Verwertbarkeit von v N M Nutzen genügen. W i r d nun davon ausgegangen, daß es i n empirischen Untersuchungen kaum möglich sein dürfte, Geschmacksänderungen 17 und andere mögliche Begründungen unvereinbarer v N M Nutzenwerte zu isolieren, müssen empirische Nachweise, daß Individuen typischerweise keine v N M Nutzenfunktionen besitzen, noch nicht die grundsätzliche' Ungeeignetheit einer solchen Nutzenermittlung beinhalten 1 8 . Von einer g r u n d sätzlichen' Ungeeignetheit soll hier erst gesprochen werden, wenn nicht 16 A n späterer Stelle ist noch darauf aufmerksam zu machen, daß auch eine E r f ü l l u n g der v N M A x i o m e nicht garantieren muß, daß die I n d i v i d u e n die Nutzenerwartungswerte von A l t e r n a t i v e n maximieren. Die v N M A x i o m e sind demzufolge weder notwendig (s. o.) noch hinreichend (vgl. u.) f ü r die G ü l t i g keit der Verhaltenshypothese der M a x i m i e r u n g von »Nutzen'erwartungswerten. 17 Die Schwierigkeit einer solchen Isolierung zeigt sich bereits daran, daß die v N M Nutzen i n einem ähnlichen Verfahren ermittelt werden, w i e üblicherweise die Bedürfnisse v o n Individuen. Regelmäßig w i r d nämlich i n beiden Fällen von den nach ihrer Wertschätzung geordneten A l t e r n a t i v e n (einschließlich ,Prospekten') sowohl auf die v N M Nutzen w i e auf die Bedürfnisstruktur geschlossen. 18 Hinweise auf einzelne empirische Untersuchungen finden sich bei Rothenberg, Measurement, S. 221 ff.

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

nur die v N M Axiome verletzt sind, sondern wenn zusätzlich (oder auch bei Gültigkeit der Axiome) die Verhaltenshypothese, daß Individuen die Nutzenerwartungswerte von Alternativen zu maximieren versuchen, als unzutreffend erscheint. bb) Zur Frage der Existenz von v N M Nutzen ,Risikoindifferenz 4 versus ,Risikoneutralität 4 . Oben wurde davon ausgegangen, daß eine Eignung von v N M Nutzen für wohlfahrtstheoretische Erwägungen eine Risikounempfindlichkeit der Individuen impliziere: Das m i t einem Prospekt verbundene Risiko darf kein eigenständiger nutzenbestimmender Faktor sein. A u f dem ersten Blick könnte es so erscheinen, als bedürfe die Tatbestandsfrage, ob Individuen typischerweise indifferent gegen Risiken seien, gar keiner näheren Prüfung. Jede Versicherung, jedes Lotteriespiel sei ein Beleg für die Nicht-Indifferenz gegenüber Risiken. Dieser mögliche Einwand macht eine Auseinandersetzung über das Verhältnis individueller Attitüden gegenüber Risiken und der Möglichkeit von v N M Nutzenfunktionen u m so mehr erforderlich, als nach allgemein verbreiteter Auffassung an den Eigenheiten einer — etwa existenten — v N M Nutzenfunktion eines Individuums unmittelbar auch dessen Einstellung gegenüber Risiken erkannt werden kann, wobei diese entweder durch Risikoneutralität, durch Aversionen gegen oder Präferenz zen für Risiken zu kennzeichnen ist. Nach dieser Sprachregelung verhält sich ein Individuum gegenüber Risiken neutral, wenn es ,gerade 4 bereit (gleicherweise bereit wie nicht bereit) ist, eine ,faire 4 Wette abzuschließen. Eine ,faire 4 Wette ihrerseits w i r d üblicherweise dadurch definiert, daß der i n Geldeinheiten gemessene Ertragserwartungswert der Wette (eines Prospekts) gleich dem (in Geldeinheiten gemessenen) Wetteinsatz ist 1 9 . Der Definition von Risikoneutralität gemäß w i r d bei einem Individuum von Aversionen gegen Risiken gesprochen, wenn es faire Wetten ablehnt, und von Präferenzen für Risiken, wenn es auch bereit ist, unfaire Wetten einzugehen. Neben dem Hinweis, daß an den jeweiligen Verläufen von v N M Nutzenfunktionen die Attitüden der betroffenen Individuen gegenüber Risiken erkannt werden können, w i r d allerdings gleichzeitig betont, daß die Freude an der Spekulation und an der Übernahme von Risiken 19 D. Ellsburg, Classic and Current Notions of „Measurable U t i l i t y " (1954), i n : U t i l i t y Theory: A Book of Readings (Hrsg. Page), N e w York, e. a. 1968, S. 275.

II. Beurteilung einiger Vorschläge zur Nutzenermittlung

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m i t Nutzenfunktionen vom v N M Typ unvereinbar sind 2 0 , was sich eben darin ausdrücke, daß zur Ermittlung der v N M Nutzen eines Prospekts nur die m i t ihren Wahrscheinlichkeiten gewichteten Nutzenwerte der den Prospekt kennzeichnenden Alternativen addiert werden 2 1 . Der scheinbar gerade aufgezeigte Widerspruch k l ä r t sich allerdings schnell auf, wenn der Begriff der Risikoneutralität noch näher erläutert wird. A n den Verläufen von — von Geldauszahlungen (Einkommen) abhängigen — v N M Nutzenfunktionen zeigt sich Risikoneutralität nämlich dadurch, daß die Nutzenfunktionen m i t wachsendem Einkommen linear ansteigen 22 , während Aversionen gegen Risiken am unterlinearen und Präferenzen für Risiken am überlinearen Anstieg der vom Einkommen abhängigen Nutzenfunktionen erkennbar sind. Anders ausgedrückt, werden m i t wachsendem Einkommen steigende Grenznutzen m i t einer Präferenz für, fallende m i t einer Aversion gegen Risiken und konstante Grenznutzen m i t Risikoneutralität gleichgesetzt oder wenigstens doch vermischt. W i r d allerdings ein vom Einkommen linear abhängiger Nutzen so gedeutet, wie es der Begriff der Konstanz der Grenznutzen des Einkommens doch zu beinhalten scheint, so besagt Linearität, daß eine Einkommenseinheit unabhängig von der Höhe des Gesamteinkommens von einem Individuum als gleich ,wertvoll 4 angesehen wird, wohingegen etwa ein steigender Grenznutzen des Einkommens zum Ausdruck bringt, daß der subjektive Wert einer Grenzeinheit des Einkommens m i t der Höhe des Gesamteinkommens wächst. Dieses i m Bewußtsein, erscheint es nicht unbedingt als sinnvoll, solche Sachverhalte dem Wortsinn nach m i t Risikoneutralität resp. Präferenzen für Risiken zu bezeichnen, da fallende oder steigende Grenznutzen etwas über mehr oder weniger starke Präferenzen von Individuen für Einkommenseinheiten aussagen, was nicht unbedingt auch schon etwas über individuelle Einstellungen zum Risiko impliziert. Dies w i r d auch deutlich, würde der Begriff der ,fairen Wette* nicht unter Bezug auf den i n Geldeinheiten, sondern auf den i n Nutzeneinheiten gemessenen Erwartungswert definiert, so daß eine Wette — aus der Sicht eines Wettenden — dann als fair gelten würde, wenn der Nutzenerwartungswert einer Wette gleich dem Nutzenwert des Wetteinsatzes ist. Bei einer solchen Begriffsfassung würden nämlich alle Individuen, 20 A . A . Alchian, The Meaning of U t i l i t y Measurement, A E R 43 (1953), S. 43/4; s. a. R. H. Strotz, Cardinal U t i l i t y , AER, PaP 43 (1953), S. 395. 21 Aus diesem Grunde werden häufig auch alle v N M Nutzenfunktionen als linear bezeichnet (s. Alchian, S. 42/3; Luce/Raiffa, S. 29) also auch solche, die von der Höhe v o n Geldauszahlungen nicht linear abhängig sind (s. i m T e x t weiter unten). 22 Vgl. Strotz, Income, S.200; ders., Cardinal U t i l i t y , S.395; s.a. Schneider, S. 103.

8 Hackmann

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

für die die Hypothese der Maximierung des Nutzenerwartungswertes gilt, solcherweise faire Wetten ,gerade' bereit sein zu akzeptieren. Da bei der Erfüllung der v N M Axiome davon ausgegangen wird, daß die Hypothese der Maximierung der Nutzenerwartungswerte Gültigkeit besitzt, müßten deshalb Individuen m i t v N M Nutzen — auf Nutzeneinheiten bezogen — ,neutral' gegenüber Risiken sein. Diese A r t der ,Neutralität' gegenüber Risiken ist nun genau das, was oben bereits mit Risikoindifferenz bezeichnet wurde: das Risiko eines Prospekts selbst ist kein nutzenbestimmender Faktor. Die Überlegungen zum Verhältnis von Risikoindifferenz und Risikoneutralität machen nun deutlich, daß Nicht-Neutralität gegenüber Risiken ( i m Sinne von nicht-linearen Verläufen der Nutzenfunktionen) die Bedingung der Risikoindifferenz (Risikounempfindlichkeit), wie sie i n dieser Arbeit verstanden wird, nicht verletzen muß. Damit sind aber auch die Hinweise auf die Tatbestände des Lotteriespiels und des Versicherns allein keine Beweise für eine Empfindlichkeit von Individuen gegenüber Risiken. Das Spielen einer Lotterie, bei der normalerweise der Gelderwartungswert geringer ist als der Geldeinsatz, ist somit noch kein sicheres Zeichen von Risikofreude. Es könnte auch sein, daß der Grenznutzen des Einkommens des betroffenen Individuums ansteigt, umgekehrt w i r d der Fall von sich versichernden Personen dadurch gedeutet werden können, daß i h r Grenznutzen des Einkommens fällt 2 3 . Nutzen-Risiko Bezogenheit als Begründung nicht existenter v N M Nutzen. Eine Indifferenz gegenüber Risiken ist hingegen nicht gegeben, wenn für die Individuen noch andere statistische Momente der NutzenVerteilung eines Prospekts als der Nutzenerwartungswert relevant sind. Würden Individuen z.B. Prospekte m i t demselben Nutzenerwartungswert, aber verschiedenen Streuungen der Nutzen unterschiedlich werten, maximieren sie nicht die Nutzenerwartungswerte von Alternativen und besitzen sie keine v N M Nutzen. Denkbare Beispielsfälle für eine solche Nicht-Indifferenz lassen sich leicht finden. So sind Individuen offensichtlich dann nicht indifferent gegen Risiken, wenn sie sichere Ergebnisse a (riskante Prospekte B) riskanten Prospekten A (sicheren Ergebnissen b) auch noch für den Fall vorziehen, daß das ungünstigste Ergebnis aus dem riskanten Prospekt a 1 (das sichere Ergebnis b) i m Falle eines sicheren Eintreffens als besser 23 I n diesem Zusammenhang erwähnenswert ist die Friedman-SavageHypothese, nach der einer Nutzenfunktion sowohl Bereiche steigenden w i e fallenden Grenznutzens angehören können, w o m i t anhand einer Nutzenf u n k t i o n (für eine Person) gleicherweise Phänomene des Sich-Versicherns u n d des Lotteriespielens e r k l ä r t werden können.

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angesehen würde als das sichere Ergebnis a (das günstigste Ergebnis aus dem riskanten Prospekt b'). I n solchen Fällen wäre das Risiko ein eigenständiger den Nutzen von Individuen bestimmender Faktor; es bestünde eine Nutzen-Risiko-Bezogenheit und das v N M Verfahren würde zu nicht vereinbaren Nutzenwerten führen 2 4 . Es stellt sich allerdings die Frage, ob typischerweise von solchen Risikoempfindlichkeiten ausgegangen werden kann. Wenn sie für das gebrachte Beispiel vermutlich verneint werden muß, lassen sich jedoch leicht andere Beispiele finden, bei denen eine A n t w o r t auf eine entsprechende Frage eher bejaht werden dürfte. W i r d etwa einerseits das sichere Ergebnis A als indifferent m i t einem Prospekt (p, B ; (1-p), C) angesehen, i n dem sich also B und C m i t der Wahrscheinlichkeit p resp. (1-p) ereignen, gilt jedoch andererseits der Prospekt (q, A\ (1-q), D) dem Prospekt (pq, B; (1-p) q, C; (1-q), D) unterlegen, lassen sich für A,B,C und D nach dem v N M Verfahren keine — bis auf lineare Transformationen — eindeutigen Nutzenindizes ermitteln 2 5 . Es ließen sich nun weitere Beispiele anführen, i n denen m i t einer Verletzung der v N M Axiome auch eine Falsifizierung der Verhaltenshypothese der Maximierung von Nutzenerwartungswerten Hand i n Hand gehen. Die Individuen dürfen etwa keine Freude am riskanten Spiel haben. So muß es ihnen gleichgültig sein, ob ein Ergebnis etwa durch dreimaliges Werfen einer Münze oder durch einmaliges Werfen dreier Münzen ausgewählt wird. Der unterschiedliche Spannungsgehalt des einen Verfahrens i m Vergleich zum anderen darf sich nicht i n der Wertschätzung verschiedener Prospekte ausdrücken 26 . Die wenigen Beispiele mögen bereits genügend Zweifel aufkommen lassen, ob wirklich davon ausgegangen werden kann, daß die Individuen Nutzenfunktionen vom v N M Typ haben, und ob ihnen unterstellt werden kann, daß sie den Nutzenerwartungswert von Alternativen maximieren. cc) Zur Frage der normativen Relevanz existenter v N M Nutzen Es bleibt allerdings noch die grundsätzliche Frage zu prüfen, ob die v N M Nutzen zumindest dann aus wohlfahrtstheoretischer Sicht sinnvollerweise für Zwecke normativer Theorien verwendet werden könnten, wenn es sich nachweisen ließe, daß Individuen tatsächlich (weitge24

Rothenberg, Measurement, S. 207. F ü r Ay B u n d C müßten nämlich Werte gefunden werden, die den beiden folgenden — miteinander nicht vereinbaren — Bedingungen genügen: (1) 17(A) = p U(B) + (1 - p) U(C) u n d (2) q U(A) + (1 - q) 17(D) < q (p U(B) + (1 - p) 17(C)) + (1 - q) 17(D). 29 Vgl. dazu Ellsburg, S. 281; Rothenberg, Measurement, S. 251. 25

8*

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hend widerspruchsfreie) v N M Nutzenfunktionen haben. Damit w i r d ein Problemkreis angesprochen, der i n der Literatur eine pointiert unterschiedliche Beurteilung erfahren hat. Einerseits w i r d eine normative Relevanz der v N M Nutzen bestritten 2 7 , und zwar nicht deshalb, w e i l der „Nutzen der Individuen" als die relevante Größe abgelehnt wird, was nur normativ entschieden werden könnte 2 8 , sondern w e i l der nach dem vNM-Verfahren ermittelte Nutzen etwas ganz anderes sei als der „reine" Nutzen etwa Jevons'scher Prägung 2 9 ; andererseits w i r d sie anerkannt 3 0 . Unterschiedlichkeit von Meßoperationen. Ellsburg begründet seine Ablehnung damit, daß verschiedenen Verfahren der Nutzenmessung auch verschiedene Nutzenkonzepte zugrunde liegen 3 1 , so daß ein bestimmtes Verständnis von Nutzen zunächst einmal nicht durch eine inhaltliche Kennzeichnung dessen, was Nutzen ist, sondern durch eine Operation, wie der Nutzen zu ermitteln sei, definiert ist 3 2 . Nun verneint Ellsburg allerdings nicht die Möglichkeit, auch durch unterschiedliche Verfahren dieselbe Entität („the same thing") messen zu können. Ob jedoch durch unterschiedliche Verfahren dasselbe gemessen w i r d oder nicht, ist daran erkennbar, daß die verschiedenen Verfahren i n Bereichen, i n denen sie gemeinsam angewendet werden können, zu denselben Ergebnissen führen. Da jedoch nach Jevons - Marshall der Grenznutzen des Einkommens falle, er nach dem Verfahren von v N M jedoch ansteigen könne, weisen beide Verfahren unterschiedliche Meßergebnisse auf und messen demzufolge nicht dasselbe 33 . Die Schwäche dieses Arguments liegt darin 3 4 , daß das Ergebnis der »Introspektion* von Jevons, Marshall u. a., das i n der Vermutung oder vielleicht sogar persönlichen Gewißheit besteht, daß der Grenznutzen des Einkommens fällt, als das Ergebnis eines Meßverfahrens angesehen wird, obwohl es nur als Hypothese über mutmaßliche Meßergebnisse aufzufassen ist. Schließlich ist die Allgemeingültigkeit der These fallen27 „Thus w e can state: the v o n Neumann-Morgenstern and JevonsMarshall-operations do not measure the ,same t h i n g " ' , Ellsburg, S. 287. 28 Ellsburg, S. 291 : whereas a Jevonsian index m i g h t be (of any relevance i n welfare evaluations). 29 Vgl. Ellsburg, S. 284 ff. 30 „ I n sum: w e argue t h a t the v o n Neumann-Morgenstern type of cardinal u t i l i t y function implies information about preference intensities w h i c h should be accorded the same normative relevance as was the comparable i n f o r mation i m p l i e d b y the traditional riskless cardinal u t i l i t y function", Rothenberg, Measurement, S. 216. 81 „ I f w e have more t h a n one set of operations w e have more t h a n one concept" (Zitat von Bridgman), Ellsburg, S. 285. 32 I n diesem Sinne auch Gäfgen, S. 141/2. 33 Ellsburg, S. 287. 84 Vgl. zum folgenden Rothenberg, Measurement, S. 211 ff.

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der Grenznutzen nie bewiesen worden, und immerhin erscheint es auch ,introspektiv 4 gar nicht so inplausibel, daß es Bereiche steigenden Grenznutzens gibt 8 5 . Die Forderung von Ellsburg, daß unterschiedliche Verfahren prinzipiell zu gleichen Ergebnissen führen müssen, wenn nach ihnen dasselbe gemessen werden soll, ist damit durch einen Verweis auf die (frühere) generelle Akzeptiertheit der Hypothese fallender Grenznutzen noch nicht verletzt. Die Methode der Introspektion ist kein Verfahren der Nutzenmessung: vielmehr ist gerade zu fragen, ob eine nach dem v N M Verfahren ermittelte Nutzenfunktion nicht gerade eine geeignete Meßtechnik ist, diesen introspektiv gemeinten Nutzen zu ermitteln. Die Möglichkeit einer Risiko-Nutzen Bezogenheit bei existenten v N M Nutzenfunktionen. Rothenberg plädiert nun dafür, daß etwa existenten v N M Nutzen die gleiche normative Bedeutung zukommen, wie den ,reinen' Nutzen der älteren kardinalen Nutzentheorie. I h m ist zunächst wohl darin zuzustimmen, daß sich Individuen bei einem Vergleich der relativen Wünschbarkeit von Alternativen prinzipiell, was die Einschätzung der Alternativen selbst betrifft, auf dieselben „internal projections of relative desirability" 8 6 beziehen, ganz gleich, ob die Alternativen i n einem risikofreien oder i n einem risikobehafteten Zusammenhang angeboten werden; das schließt allerdings nicht aus, daß auch die Risikoerfahrung selbst bewertet wird. A l l e i n entscheidend ist es, ob bei der Existenz von v N M Nutzen davon ausgegangen werden kann, daß das Risiko selbst kein nutzenbestimmender Faktor ist, was der Forderung gleichgesetzt werden kann, daß für die Individuen nur die Nutzenerwartungswerte der Alternativen von Wichtigkeit sind und andere statistische Momente als der Erwartungswert die Wertschätzung eines Prospekts nicht beeinflussen. Nach den obigen Überlegungen zum Begriff der Risikoindifferenz scheint nun die A n t w o r t auf diese Frage eindeutig zu sein. Da m i t existenten v N M Nutzenfunktionen die Wertschätzung riskanter Prospekte als allein von den Nutzenerwartungswerten abhängig beschrieben werden kann und andere Abhängigkeiten der Wertschätzung eines Prospekts als von diesem Erwartungswert m i t ihrer Existenz unvereinbar sind, müßte gelten, daß „the preference intensities implied by the von Neumann-Morgenstern u t i l i t y function are ,pure' intensities" 3 7 . 35

s., i n diesem Zusammenhang Rothenberg, Measurement, S. 212. Ebd., S. 214. 37 Rothenberg, Measurement, S.216; i m O r i g i n a l steht anstelle von »preference intensities' „preface intensities", was aber w o h l ein Druckfehler sein dürfte. 38

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

Wichtig für die Frage der normativen Relevanz von v N M Nutzen ist nun die Tatsache, daß die bei der Existenz von v N M Nutzen gegebene Möglichkeit der Beschreibung der Wertschätzung eines Prospekts ausschließlich anhand des sog. Nutzenerwartungswertes von Alternativen nicht auch schon eine Unabhängigkeit der Wertschätzung des Prospekts etwa von der Varianz der Rohergebnisse (im Unterschied zur Varianz der Nutzenergebnisse) — oder anderer die Verteilung der Rohergebnisse eines Prospekts kennzeichnenden Maße — bedeuten muß. Rothenberg betont sogar, daß eine Nutzenfunktion vom 2. Grade impliziert, daß die Varianz der Rohergebnisse (z.B. Geldzahlungen) von Prospekten ein Argument der Nutzenfunktion sei (und vice versa) 38 . Unter solchen Umständen w i r d es allerdings unverständlich, wieso er gleichzeitig behaupten kann, daß der v N M Nutzen ein ,reiner 4 Nutzen sei, der keine risikobedingten Nutzenelemente enthalte. Ist ein Individuum etwa indifferent zwischen einer sicheren Geldzahlung i m Betrage von X t und dem Prospekt, eine Zahlung i n Höhe von X 2 m i t der Wahrscheinlichkeit p und eine Zahlung von X 3 m i t der Wahrscheinlichkeit (1-p) zu erhalten, wobei X 3 > X t> X 2 , muß bei der Existenz von v N M Nutzen gelten UiXJ = pü (X 2 ) + (1-p) U (X 3 ). Bei einer genügenden Anzahl von einander entsprechenden U und X Werten, ließe sich dann aus diesen Wertepaaren die (unbekannte) v N M Nutzenfunktion U (X) des betreffenden Individuums ermitteln, nachdem für zwei X-Werte bis auf ihre Ordnung beliebige 17-Werte ausgewählt wurden. Dasselbe Befragungs- bzw. Beobachtungsmaterial (i. e. die Ordnung einer Vielzahl von sicheren Geldzahlungen und riskanten Prospekten m i t verschiedenen Geldzahlungen als »Preisen4 (Alternativen) einschließlich der oben genannten Indifferenzbeziehung), das anhand von v N M Nutzenfunktionen beschrieben werden kann, müßte sich bei einer Abhängigkeit der Wertschätzung von Prospekten auch von der Varianz der Rohergebnisse prizipiell auch durch eine Kombination zweier Nutzenfunktionen N (X) und V (a2) beschreiben lassen, wobei etwa N (X) ein Index für den Nutzen einer sicheren Geldzahlung bzw. den des Gelderwartungswertes eines Prospekts bezeichnet und V (a2) die Wertschätzung 4 eines Individuums für an der Varianz gemessene Risiken zum Ausdruck bringt. Für die beispielhaft erwähnte Indifferenzbeziehung würde bei einer solchen ,Beschreibung 4 der von einem Individuum nach seiner Wertschätzung geordneten Gesamtheit unterschiedlicher riskanter Prospekte und sicherer Ergebnisse gelten: N (X x ) = N (X 4 ) + V (a 2 4 ), m i t X 4 als 38

Rothenberg,

Measurement, S. 208 Fn.; s. a. S. 215/6.

II. Beurteilung einiger Vorschläge zur Nutzenermittlung

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dem Erwartungswert des Prospekts und o 2 4 der entsprechenden Varianz 3 9 . Da nun kein Grund dafür zu sehen ist, weshalb das durch U (X) beschreibbare (,erklärbare') Beobachtungsmaterial nicht auch durch die beiden Funktionen N (X) und V (a2) gleicherweise erklärt werden kann, ohne daß nicht nur die ersten sondern auch die zweiten Ableitungen der Funktionen U (X) und N (X) identische Vorzeichen haben 40 , ist ohne weitere Begründungen nicht ersichtlich, weshalb die Funktion U (X) den ,reinen' Nutzen der Individuen besser darstellt als eine Funktion N (X). Aus der Sicht des positiven Ökonomen, der die Geeignetheit seiner Theorien daran erkennt, ob sie das vorhandene Beobachtungsmaterial widerspruchsfrei erklären, verdient möglicherweise das jeweils einfachere Beschreibungsmodell den Vorzug. Die einfachere Beschreibungsweise ist nun zweifellos die, die m i t einer Nutzenfunktion auskommt. Für den normativen Ökonomen genügt es allerdings nicht, wenn mehrere der Sache nach gleich geeignete Beschreibungsmodelle vorliegen, nur das jeweils einfachere herauszugreifen, sofern die unterschiedlichen Modelle unterschiedliche Aussagen über die m i t verschiedenen Situationen verbundenen Nutzenintensitäten machen. Zur Nicht-Falsifizierung eines Theorems muß eine Begründung hinzukommen, die deutlich macht, daß auch bei der Existenz von Nutzenfunktionen des v N M Typs etwa die Varianz der Rohergebnisse (oder sonstiger Maße, die das Risiko eines Prospekts auszudrücken vermögen) kein eigenständiger die Wertschätzung eines Prospekts bestimmender Faktor ist. Ließe sich das nachweisen oder zumindest plausibel machen, würde es nicht schaden, wenn das gleiche Verhalten auch anhand anderer nichtfalsifizierter Theoreme beschrieben werden könnte. Die hier nicht mehr zu behandelnde sachliche Schwierigkeit besteht jedoch darin, wie zwischen i n der positiven Theorie sachlich gleicherweise geeigneten Theoremen eine Auswahl zu treffen ist, wenn das K r i t e r i u m der Falsifizierbarkeit eine solche Auswahl nicht gestattet. Zusammenfassend läßt sich damit zu der Frage, ob v N M Nutzen zur Ermittlung der Gruppenwohlfahrt normativ verwertbare (individuelle) Präferenzstärkemaße bieten, sagen, daß zunächst einmal Zweifel angebracht erscheinen, ob Individuen überhaupt v N M Nutzenfunktionen besitzen, da individuelle Entscheidungen, wie oben erläutert wurde, vermutlich doch i n einer Weise durch Risiken beeinflußt sein dürften, die m i t v N M Nutzenfunktionen unvereinbar sind. 39 Es g i l t also: X 4 = p X 2 + (1 - p) X s u n d o42 = p ( X 4 - X 2 )2 + (1 - p) ( X 4 - X 3 )2. 40 I n diesem F a l l w ü r d e n also 17(X) u n d N(X), da sie n u r bis auf lineare Transformationen eindeutig gemessen zu werden brauchen, »dieselben' Ergebnisse liefern.

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

Sollten jedoch individuelle Entscheidungen bzw. Präferenzen zwischen (sicheren und risikobehafteten) Prospekten eine Konstruktion von v N M Nutzen zulassen, so wäre immer noch zu klären, ob nicht zufällig* eine m i t den v N M Axiomen vereinbare Risikoabhängigkeit der Wertschätzungen gegeben ist. Erst bei einer Verneinung dieser Frage, könnten die v N M Nutzen als i n dem beschriebenen Sinne verwertbares Maß normativ Verwendung finden. b) Einige Bemerkungen zu,Vorschlägen' interpersoneller Vergleiche und Nullpunktfixierungen bei vNM Nutzen Wie oben beschrieben wurde, kommt Hildreth auf der Basis von v N M Nutzen zu interpersonell vergleichbaren Nutzeneinheiten, indem er von der Existenz zweier Wahlmöglichkeiten ausgeht, die alle Individuen gleich ordnen. Obendrein dürfen die Individuen diese Alternativen nicht als indifferent ansehen. Diesen Alternativen weist Hildreth dann für jedes Individuum ohne eine nähere Begründung dieselben Nutzenindizes zu. Zunächst dürfte es wenig zweifelhaft sein, daß irgendwelche (denkmöglichen) Alternativen dieser A r t existieren. Ein erster Einwand gegen das Verfahren von Hildreth ergibt sich jedoch daraus, daß vermutlich mehr als zwei Alternativen existieren, die den genannten Anforderungen genügen. A l l e r Wahrscheinlichkeit nach dürfte eine unterschiedliche Auswahl der Eichpunkte zu unterschiedlichen Nutzenfunktionen für die einzelnen Individuen führen, die miteinander unvereinbar sind. Wenn Individuen Situationen, die für alle (äußerlich) gleich sind, nicht immer gleich ordnen, w e i l sie unterschiedliche Vorlieben (Bedürfnisse) für verschiedene Alternativen haben, ist nicht einzusehen, wieso für dieselben Individuen bei Alternativen, die etwa allen das gleiche gewähren und die sie zudem gleich ordnen, zusätzlich auch noch dieselben Unterschiede i n der Wertschätzung dieser Alternativen gelten sollen. Auch wenn alle Individuen bestimmte Alternativen gleich ordnen, ist damit noch nicht ausgeschlossen, daß ein Individuum zwischen ihnen nahezu indifferent ist, während für ein anderes zwischen denselben Alternativen wesentliche Unterschiede bestehen. Diese wenigen Überlegungen zeigen, daß es nach der Konzeption von Hildreth höchst abwegig ist, zu interpersonell vergleichbaren Nutzeneinheiten zu kommen, auf jeden F a l l solange, wie nicht strengere Anforderungen an die Auswahl der Eichpunkte gestellt werden. Auch wenn das Interesse von Hildreth berücksichtigt wird, nachzuweisen, daß soziale Wohlfahrtsfunktionen bei Erfüllung bestimmter vernünftiger Bedingungen möglich sind, so bleibt doch, da er keinen w i r k -

III. Probleme und Kritik einer am Nutzen orientierten Urteilsfindung

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lieh begründeten Weg zeigt, wie interpersonell vergleichbare Nutzeneinheiten zu gewinnen sind, der formale Beweis ohne besondere Relevanz. Der Versuch einer Nullpunktfixierung und damit die Einführung absoluter Skalen w i r d von Hildreth nicht vorgenommen. Wie oben bereits ausgeführt (s. unter I 4 e) n i m m t hingegen Harsanyi eine solche Fixierung vor. Die Beschreibung dieses Verfahrens machte bereits deutlich, daß es allein die Konsequenz von nicht einmal deutlich hervorgehobenen Unterstellungen ist. Die i m augenblicklichen Zusammenhang wichtige Bedingung 4 1 w i r d als Randbemerkung i n einer Klammer eingeführt; eine weitere Stellungnahme zu diesem Vorschlag erübrigt sich so m a n gels Masse' 42 . Zur Frage der normativen Geeignetheit der hier diskutierten Präferenzstärkemaße sei resümierend konstatiert, daß sowohl gegen eine normative Verwertung von ,Armstrong' wie von v N M Nutzen gewichtige Bedenken vorzutragen sind, sie als Maße ,reiner' individueller Präferenzstärken heranzuziehen 43 . Die erörterten Vorschläge zur Nullpunktfixierung, wie der Vorschlag zur Ermittlung von interpersonell vergleichbaren v N M Nutzen, sind ohne Zweifel als unbrauchbar zurückzuweisen, während für den Vorschlag Armstrongs zum interpersonellen Nutzenvergleich w o h l i m wesentlichen die gleichen Bedenken gelten wie für die von i h m konzipierten intrapersonellen Vergleiche anhand marginaler Präferenzen.

I I I . Probleme und Kritik einer am Nutzen orientierten Urteilsfindung 1. Vorbemerkungen

I n den voraufgehenden Kapiteln der Arbeit wurden Vorschläge und Verfahren dargestellt und geprüft, die i n der Literatur teilweise i n der Motivation angeboten werden, die engen Grenzen zu überwin41 Die „angemessene" A u s w a h l erfolgt danach so, daß die Sozialnutzenf u n k t i o n dann einen W e r t v o n n u l l annimmt, w e n n alle individuellen Nutzenfunktionen einen W e r t v o n n u l l haben (vgl. auch oben). Darüber, w i e i h r e r seits die N u l l p u n k t e dieser Funktionen f i x i e r t werden sollen, verliert H a r sanyi jedoch k e i n W o r t . 42 Aus ähnlichen Erwägungen k a n n auch auf eine K r i t i k an den Ü b e r legungen Flemings verzichtet werden, die über das hinausgeht, was bereits oben v e r m e r k t wurde. Z u r rechten Einschätzung der vorgetragenen K r i t i k muß allerdings berücksichtigt werden, daß häufig n u r formale Anforderungen, denen die soziale Wohlfahrtsfunktion unter bestimmten ,vernünftigen' Bedingungen genügen muß, beschrieben werden sollen. 48 Da bei einer Eignung beider Verfahren beide auch gleiche Ergebnisse liefern müßten, könnte bei etwaiger Kenntnis der Eignung eines der beiden Verfahren auch das andere auf seine Eignung geprüft werden (vgl. oben zur operationalen Definition v o n Nutzen).

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

den, die sich bei dem Versuch, Situationen zu vergleichen oder Maßnahmen zu beurteilen, dann ergeben, wenn als Urteilsbasis allein die Pareto-Norm zur Verfügung steht. Den i m Teil B untersuchten Vorschlägen ist gemeinsam, daß sie eine „unteilbare" Zustandsqualität des Bewußtseins als richtiges Verteilungsobjekt und als richtige Maßstabsgröße für das Besser und Schlechter von Individuen ansehen. Zur Kennzeichnung dieser Zustandsqualität werden i n der Wohlfahrtstheorie eine Vielzahl von Begriffen wie Freude, Glück und Zufriedenheit verwendet. I n dieser Arbeit w i r d von „Nutzen" oder — synonym — von Wohlbefinden gesprochen. W i r d die normative Vorentscheidung akzeptiert, daß der Nutzen der Individuen generell die richtige Maßstabsgröße sein soll, stellt sich die praktische Aufgabe, den aufgrund der Durchführung von Maßnahmen zu erwartenden Nutzen von Individuen so zu ermitteln, daß die gewünschten Urteile gefällt bzw. Entscheidungen getroffen werden können. I n den beiden letzten Kapiteln wurde dazu gezeigt, daß von vielen Wohlfahrtstheoretikern gewünschte Urteilskriterien kardinale Nutzenmaße erforderlich machen. Dementsprechend wurden einzelne Vorschläge zur Ermittlung kardinaler Nutzenmaße dargestellt und geprüft. Ohne daß Fragen der Praktikabilität besondere Beachtung geschenkt wurde, erwies es sich, daß die geprüften Vorschläge nicht einmal von ihrem Ansatz her — geschweige denn aufgrund ihrer praktischen Verwertbarkeit — zufriedenstellen. Daraufhin könnte die Ansicht vertreten werden, es sei so lange nach weiteren Vorschlägen zu suchen, bis — möglicherweise — ein zumindest konzeptionell befriedigendes Verfahren gefunden ist. W i r d daran gedacht, welche Probleme bei der Prüfung einzelner Vorschläge zur Nutzenermittlung oben zu erörtern waren, dürfte es jedoch näher liegen zu untersuchen, ob nicht schon gegen die Vorentscheidung der Wohlfahrtstheoretiker für den Nutzen als richtiger Maßstabsgröße Bedenken zu erheben sind. Aus systematischen Gründen könnte allerdings eingewandt werden, daß dies bereits vor einer Prüfung von Verfahren zur Nutzenermittlung hätte geschehen sollen. Gäbe es nicht die besondere Schwierigkeit, daß Bedenken gegen den Nutzen als Maßstabsgröße letztlich normativer Natur sind, wäre der Einwand einer unsystematischen Vorgehensweise auch berechtigt. Da, wie i m Teil A erläutert wurde, eine normativ bestimmte Argumentation sich nicht m i t den wissenschaftlich anerkannten Kriterien der Beobachtung (Erfahrung) und der logischen Argumentation begnügen kann, sondern vielmehr auf Einsichten angewiesen ist, die i n ,Intuition 4 oder ,Vernunft 4 gründen, war jedoch, u m einen Zugang zur ,Intuition 4 zu finden, eine Darstellungsweise vor-

III. Probleme und Kritik einer am Nutzen orientierten Urteilsfindung

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zuziehen, die zunächst m i t grundsätzlichen Problemen einer (kardinalen) Nutzenermittlung anhand ,konkreter' Vorschläge vertraut machte. Obwohl auf diese Weise auch deutlich gemacht werden konnte, daß es Wohlfahrtstheoretikern — über allgemeine Erklärungen hinaus — m i t einer Orientierung am Nutzen ernst ist, dürften die Darstellung und K r i t i k der Vorschläge schließlich doch entweder Zweifel geweckt oder bestehende Zweifel bestärkt haben, ob es überhaupt sinnvoll und möglich ist, ein befriedigendes Verfahren zur Ermittlung kardinaler Nutzenmaße zu suchen bzw. zu finden. Da eine kritische Überprüfung von Normen primär eine Frage an die ,Vernuft' ist, w i r d sie sinnvollerweise nicht m i t einer unmittelbaren Prüfung der (abstrakten) normativen Prinzipien selbst beginnen. Vielmehr werden i m allgemeinen erst die sich aus den Prinzipien herleitbaren Konsequenzen über deren Vernünftigkeit bzw. A t t r a k t i v i t ä t Auskunft geben können. So werden auch bei der folgenden Prüfung der Frage, ob eine Orientierung am Nutzen als Maßstabsgröße richtig sei, zunächst nur die Konsequenzen einer solchen Vorentscheidung für bestimmte Probleme aufgewiesen. I m Vordergrund stehen dabei die Probleme, die sich aus der i n der Wohlfahrtstheorie verbreiteten Annahme der Konstanz der Bedürfnisse ergeben; es w i r d nach ihrer Berechtigung gefragt, und es werden Vorschläge untersucht, ohne diese Annahme zu Ergebnissen zu kommen. Die Beschäftigung m i t der Hypothese der Konstanz der Bedürfnisse richtet die Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse der Individuen. Wie schon beim Problem interpersoneller Nutzenvergleiche deutlich wurde, zeigt sich bei einer Orientierung einer Urteilsfindung an den individuellen Nutzen als entscheidendes Problem, wie die jeweiligen persönlichen Bedürfnisse von Individuen berücksichtigt werden können. Eine Prüfung der Frage, ob der Nutzen das richtige Verteilungsobjekt sei, läuft so auf eine Untersuchung darüber hinaus, welches Gewicht den individuellen Bedürfnissen bei der Behandlung von Verteilungsproblemen zukommen soll. U m bei dieser Untersuchung nicht durch Fragen der Nutzenmeßbarkeit belastet zu sein, w i r d i m folgenden davon ausgegangen, daß ein „hedonimeter" 1 existiere, so daß der Nutzen als Stromgröße anhand absoluter und interpersonell vergleichbarer Maße gemessen werden kann. Die Berechtigung für dieses Vorgehen ergibt sich daraus, daß hier die Eignung des Nutzenkonzepts nicht, wie es gängig ist, wegen Meßschwierigkeiten 1 Georgescu-Roegen, S. 262; m a n stelle sich etwa vor, daß der Nutzen der I n d i v i d u e n sich über Gehirnströme oder biochemische Prozesse eindeutig ermitteln ließe: „ W h o knows w h a t influence medical science w i l l be able to exert on interpersonal comparisons i n the future", Tinbergen, S. 500, Fn.; s. a. Schoeffler, S. 887.

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

und mangelnder Operationalität infrage gestellt werden soll. Wenn der Ansatzpunkt der Wohlfahrtstheorie trotz der üblichen K r i t i k an seiner Operationalität dennoch das Nutzenkonzept geblieben ist, so doch w o h l wegen der impliziten Behauptung, daß die Konzeption an sich schon richtig sei, sie sich leider — bislang — nur nicht praktisch verwerten lasse. Durch die obigen Annahmen w i r d nun von solchen Problemen abstrahiert, so daß allein die Frage nach der Vernünftigkeit der Konzeption an sich bleibt. Wie für die folgenden Überlegungen davon ausgegangen wird, es gäbe keine Probleme der Nutzenmessung, so werden i m folgenden gelegentlich auch ganz konkrete Nutzenverläufe unterstellt. Obwohl es nicht als unplausibel erscheint, daß gelegentlich solche unterstellten Verläufe auch faktisch existieren, ist es jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, daß es für die Schlüssigkeit der Argumentation auf die Faktizität solcher Verläufe nicht ankommt. Für die Überprüfung der Vernünftigkeit einer Orientierung einer Urteilsfindung an den Nutzen der Individuen genügt es, daß die unterstellten Nutzenverläufe denkbar sind. Z u m Abschluß dieser Vorbemerkungen sei noch einmal betont, daß ein Teil der Schlußfolgerungen letztlich nur normativ begründbar ist, worauf an den entsprechenden Stellen hinzuweisen sein wird. Dabei besteht jedoch das Bemühen, nur von solchen normativen Vorstellungen auszugehen, von denen vermutet werden kann, daß sie weitgehend akzeptiert werden. Die Vermutung einer weitgehenden Anerkennung der verwandten Normen wurde allerdings nicht empirisch überprüft (was m. W. w o h l auch noch nicht für die „allgemein anerkannte" ParetoNorm geschehen ist). Sollte sich die Vermutung über die Akzeptiertheit normativer Auffassungen als unberechtigt erweisen, werden die folgenden Überlegungen jedoch auf jeden Fall zu einer Klärung und Relativierung der normativen Basis der Wohlfahrtstheorie beitragen können. 2. Die Hypothese der Konstanz der Bedürfnisse: Die Bedürfnisse als variierbare nutzenbestimmende Faktoren

Da der Nutzen eines Individuums i n der Wohlfahrtstheorie nicht nur leerformelhaft, sondern i m Sinne von Wohlbefinden als Bewußtseinszustand verstanden wird, muß es auch konkrete Größen (Faktoren) geben, von denen er abhängt. Rein definitorisch werden diese „Faktoren" danach klassifiziert werden können, ob es sich bei ihnen u m Bedürfnisse oder u m Bedürfnisbefriedigungsmittel handelt, so daß Nutzen oder Wohlbefinden als das Resultat befriedigter Bedürfnisse bzw. erfüllter Wünsche, Hoffnungen oder Erwartungen u. ä. m. verstanden werden muß.

III. Probleme und Kritik einer am Nutzen orientierten Urteilsfndung

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Die Auffassung, daß das Wohlbefinden von Individuen etwa bei Situationsvergleichen die relevante Maßstabsgröße sein soll, bedeutet somit, daß sich eine Urteilsfindung nicht auf die Betrachtung der Bedürfnisbefriedigungsmittel von Individuen beschränken darf, sondern sich auch auf die spezifischen Bedürfnisse der einzelnen Individuen stützen muß. Erst bei einer Berücksichtigung der Bedürfnisse der Individuen kann auch deren Wohlbefinden berücksichtigt werden. Erstaunlicherweise neigt jedoch die Wohlfahrtstheorie trotz ihres Bekenntnisses zu der Forderung, daß auf die Bedürfnisse zu achten sei, dazu, einzelne Probleme, die sich aus dieser Forderung ergeben, zu vernachlässigen bzw. durch entsprechende Unterstellungen zu umgehen. I n diesem Zusammenhang ist insbesondere die für die meisten Ansätze der Wohlfahrtstheorie übliche Annahme zu nennen 2 , daß die individuellen Bedürfnisse unverändert bleiben 8 . Da diese Annnahme i n der Regel nicht aufgehoben wird, ergibt sich für die traditionelle Wohlfahrtstheorie die Konsequenz, daß sie konzeptionell schon dem alltäglichen Phänomen von Bedürfnisänderung nicht gewachsen ist, da solche Änderungen i m Rahmen der üblichen wohlfahrtstheoretischen Konzepte Wohlfahrtsvergleiche unmöglich machen und damit regelmäßig keine Beurteilung von Maßnahmen mehr zulassen.

a) Beschränkung auf ökonomische Wohlfahrt I m Sinne einer Wohlfahrtsökonomik könnte diese Annahme vielleicht damit gerechtfertigt werden, daß sich die Wohlfahrtstheorie erklärterweise nur m i t der ökonomischen Wohlfahrt, also m i t dem Wohlbefinden, das aus ökonomischen Gründen resultiert, beschäftigen w i l l und daß Änderungen der Bedürfnisse nicht als ökonomische Gründe einer Wohlbefindensänderung angesehen werden. Obwohl keine Wortklauberei darum begonnen werden soll, wie ökonomische von nichtökonomischen Gründen abzugrenzen sind und ob die Bedürfnisse zu recht zu den nichtökonomischen Gründen zählen, muß die Zulässigkeit einer solchen Beschränkung der Betrachtung i m folgenden kurz auf ihre Berechtigung h i n überprüft werden. Vorweg sei noch daran erinnert, — was oben beschrieben wurde — daß die Wohlfahrtstehorie die ökonomische Wohlfahrt nicht als etwas begreift, was „an sich" von der allgemeinen Wohlfahrt unterschieden werden könnte: Das Wohlbefinden ist ein „unteil2 Eine Ausnahme bildet z. B. der oben erörterte Vorschlag v o n Armstrong; vgl. auch Armstrong, Reply, S. 270. 3 „ . . . the ,New Welfare Economics 1 operates on the w o r k i n g assumption t h a t tastes do not change", Rothenberg, Measurement, S. 52; vgl. auch „the hypothesis of constant w a n t s " bei J. R. Hicks, The Valuation of the Social Income, i n : Economica, Bd. 7 (1940), S. 107.

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bares Gefühl". Wenn dennoch von der ökonomischen Wohlfahrt gesprochen wird, so nur deshalb, u m die Quellen zu kennzeichnen, aus denen das Wohlbefinden fließt 4 . Exogene und endogene Variable. I n der positiven Theorie dürfte das Begriffspaar der ökonomischen und der nicht-ökonomischen Größen weitgehend durch die Begriffe exogene und endogene Variable ersetzt worden sein, wobei der Begriff der exogenen Variablen — auch als Datum bezeichnet — w o h l nicht allein die Funktion 5 sondern z. T. auch den Inhalt des Begriffs der nicht-ökonomischen Größe übernommen hat. Zumindest zählen die individuellen Bedürfnisse üblicherweise zu den Daten von ökonomischen Systemen 6 . Auch wenn die Frage der Abgrenzung zwischen Variablen und Daten gelegentlich eher als eine Frage der Konvention als die einer sachlichen oder logischen Begründung verstanden w i r d 7 , läßt sich i m Hinblick auf das Problem der Möglichkeit einer Beurteilung von Maßnahmen sagen, daß es für diese Fragestellung zweckmäßig ist, alle jene Faktoren als endogene Variable zu behandeln, die durch die zu beurteilende Maßnahme beeinflußt werden. Dies entspricht auch dem Verfahren von Schneider 8 , der m i t Eucken solche Größen als Daten klassifiziert sehen möchte, die zwar den ökonomischen Kosmos beeinflussen, ihrerseit aber nicht durch ökonomische Tatsachen bestimmt sind. Auf dem Hintergrund dieses Verständnisses erscheint es aber als bedenklich, die (Konsum-)Bedürfnisse zu den Daten zu rechnen. Schließlich besteht das Produkt eines ganzen Wirtschaftszweiges zu einem großen Teil darin, Bedürfnisse zu wecken, zu ändern oder sogar zu erzeugen 9 . Ferner darf nicht übersehen werden, daß die Bedürfnisse eines Individuums auch von den Bedürfnisbefriedigungsmitteln abhängen 10 . Erst aufgrund der Kenntnis von Bedürfnisbefriedigungsmitteln werden bestimmte Bedürfnisse manifest, vielleicht gar erst ,produziert 4 . Generell dürfte es keinem Zweifel unterliegen, daß die Bedürfnisse von Individuen auch von den äußeren Umständen abhängen, i n denen sich die 4

s. o. S. 62 f. Es ist nicht die Aufgabe der Ökonomie, die nicht-ökonomischen Größen bzw. die Daten zu erklären; sie werden vielmehr zur E r k l ä r u n g der ökonomischen Größen herangezogen. 9 Vgl. Samuelson, Foundations, S. 8; E. Schneider, Einführung i n die W i r t schaftstheorie I I , 6. Aufl., Tübingen 1960, S. 70, Schoeffler, S. 881. 7 Vgl. Samuelson, Foundations, S. 8; „economics is w h a t economists do" (Jacob Viner). 8 E. Schneider, S. 70 ff. 0 Vgl. die „endogeneous changes i n tastes" bei Rothenberg, Consumers' Sovereignty, S. 278. 10 „Der A p p e t i t k o m m t beim Essen." 5

III. Probleme und Kritik einer am Nutzen orientierten Urteilsfindung

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Individuen befinden ; sogar dann, wenn eine Maßnahme nicht unmittelbar darauf gerichtet ist, individuelle Attitüden zu beeinflussen, verändert sie typischerweise durch die Änderung der äußeren Umstände auch die individuellen Bedürfnisse 12 . Relevante und irrelevante Effekte. Obwohl es vielleicht aufgrund der obigen Argumentation zugestanden werden mag, die Bedürfnisse generell nicht zu den „Daten" zu zählen, könnte noch eingewandt werden, daß die übliche Klassifizierung der Bedürfnisse als nicht-ökonomische Größe gar nicht eine Unabhängigkeit der Bedürfnisse von diesen Größen beinhalten, sondern vielmehr zum Ausdruck bringen soll, daß Änderungen der Bedürfnisse den (beurteilenden) Ökonomen nicht zu interessieren haben. Sollte er bei der Beurteilung einer Maßnahme auch noch entscheiden, ob die m i t dieser Maßnahme verbundene Änderung der Bedürfnisse positiv oder negativ zu sehen sei, so sei er einfach überfordert, da ein solches Urteil nicht i n seine, sondern höchstens i n die Zuständigkeit eines Moralphilosophen falle. Eine unmodifizierte und uneingeschränkte Auffassung dieser A r t widerspricht nun jedoch dem allgemeinen Rationalitätserfordernis, daß bei der Beurteilung einer Maßnahme alle Effekte, denen Relevanz zukommt, berücksichtigt werden müssen. W i r d diesem Erfordernis nicht genüge getan, kann ein Urteil immer nur parteiisch' sein und der Urteisspruch immer nur eine ,Teilwahrheit' zum Ausdrucken bringen, die — wenn i m Urteilsspruch verabsolutiert — die Unwahrheit ist. Es stellt sich allerdings noch die Frage, ob durch eine zu beurteilende Maßnahme bewirkte Bedürfnisänderungen relevant sein können. Diese Frage kann letztlich nur normativ entschieden werden. Ist jedoch die (normative) Vorentscheidung gefallen, daß das Wohlbefinden der Individuen Maßstabsgröße sein soll, dürfte es keinem Zweifel unterliegen, daß auch Bedürfnisänderungen zu den relevanten Effekten zählen, da w o h l davon ausgegangen werden kann, daß Änderungen der Bedürfnisse das Wohlbefinden von Individuen (erheblich) beeinflussen können. Es wäre irrational, wenn bei der Urteilsfindung die Berücksichtigung von Bedürfnisänderungen, die durch die zu beurteilenden Maßnahmen bewirkt werden, von vornherein ausgeschlossen würde. 11 „Tastes, even personality itself, are now seen made and unmade by the social nexus. The bounding membrane is arlarmingly porous. The tastes of an i n d i v i d u a l — even i f w e depreciate the effect of advertising — are not nearly so heroically his. They, and he himself, are ,only' a relatively stable structure of organized interchanges w i t h a social environment"; Rothenberg, Consumers' Sovereignty, S. 282. 12 Vgl. Nath, S. 141: „The ,other f actors' effecting welfare do not i n general, stay constant as the economic (...) factors change,..

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

Die Forderung, daß sich die Beurteilung einer Maßnahme am Wohlbefinden zu orientieren habe, hat dabei den konzeptionellen Vorteil, daß nur noch eine A r t von Effekten zählt, nämlich der Effekt auf das Wohlbefinden. Wobei es gleichgültig sein muß, ob dieser Effekt durch eine Änderung der Versorgung m i t Bedürfnisbefriedigungsmitteln oder durch eine Änderung der Bedürfnisse selbst zustandegekommen ist. A l l e anderen Effekte können vernachlässigt werden; i m Wohlbefinden w i r d die Vielzahl unterschiedlicher Effekte auf unterschiedliche Größen i n eine Größe amalgiert (integriert), so daß für eine Urteilsfindung nur noch diese Größe wichtig ist 1 3 . Damit stellt sich i m Prinzip nicht mehr das ,Preisproblem 4 , wie unterschiedliche Effekte auf unterschiedliche eo ipso nicht vergleichbare Größen, die für ein Individuum relevant sind, i m Verhältnis zueinander zu bewerten (gewichten) sind. b) Zum Problem einer wohlfahrtstheoretischen Berücksichtigung sich ändernder Bedürfnisse Zur Brauchbarkeit einer auf der Annahme konstanter Bedürfnisse basierenden Konzeption. Die Annahme der Konstanz der Bedürfnisse ist nicht nur deswegen problematisch, w e i l sie i m Widerspruch zu den Wirkungen der zu beurteilenden Maßnahme stehen kann und w e i l sie dazu führt, daß relevante endogene Änderungen nicht berücksichtigt werden 1 4 . Sie bliebe es auch dann noch, wenn die Maßnahmen selbst nicht zu einer Änderung der Bedürfnisse führen sollten, sofern, wie üblicherweise vermutet wird, faktisch von einer häufigen Änderung der Bedürfnisse ausgegangen werden darf 1 5 . Werden nun Wohlfahrtsvergleiche, die die logische Voraussetzung von Urteilen sind, m i t jeder Änderung von Bedürfnissen bedeutungslos, wie es i n der Wohlfahrtstheorie vielfach gesehen w i r d 1 6 , ist das ganze Gebäude der Wohlfahrtstheorie bereits von der Basis her unbrauchbar. 18 „ . . . so t h a t the physical outputs can be treated l i k e inputs that cooperate i n the production of one single product", Hicks, Measurement, S. 129. 14 „ I n particular; i f tastes change w i t h every change i n social states, w e l fare comparisons between historical situations may be impossible", Rothenberg, Measurement, S. 41. 16 Schoeffler, S. 881 „ . . . the orderings of social states i n the minds of i n d i viduals are i n reality quite variable, even v o l a t i l e " ; vgl. ferner Little, C r i tique, S. 43 u n d Samuelson, Foundations, S. 224. ie „ I n order to be able to compare the positions of a particular i n d i v i d u a l i n t w o different situations, w e must assume that his wants are the same i n the t w o situations. I f this assumption cannot be granted, the question whether he is better off i n one situation or the other loses a l l economic meaning. I f he has undergone a spiritual conversion i n the interim, . . . , the question of his relative w e l l - b e i n g i n the t w o situations is a spiritual question, not an economic one. Comparisons of economic welfare are comparisons of welfare

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Wenn die Konzeption, die Bedürfnisse als variierbare nutzenbestimmende Faktoren explizit zu berücksichtigen, i n Hinblick auf die Frage einer augenblicklichen praktischen Verwertbarkeit auch ähnlich irreal sein mag, wie die Hypothese der Konstanz der Bedürfnisse, so hat sie dem traditionellen Ansatz der Wohlfahrtstheorie gegenüber doch den Vorteil, i n den Vergleichsmöglichkeiten nicht von vornherein radikal eingeschränkt zu sein. Da den Wohlfahrtstheoretikern sowohl die Irrealität wie auch die Relevanz der Hypothese der Konstanz der Bedürfnisse bewußt ist, nimmt es kein Wunder, daß auch Ansätze zu finden sind, die entweder die Bedeutung der Annahme der Konstanz der Bedürfnisse zu mindern oder aber sie selbst zu modifizieren suchen. Einzelne Vorschläge. Hinsichtlich des zuerst genannten Weges sei auf Überlegungen Littles und Hicks verwiesen 17 . Danach muß eine Urteilsfindung nicht jedes einzelne Individuum getrennt berücksichtigen, es genügt vielmehr, wenn sich die Urteilsfindung auf den Durchschnittsmenschen oder auf sozioökonomische Gruppen bezieht. Abgesehen von dem Vorteil einer größeren Praktikabilität, und dem Schaffen überschaubarer Verhältnisse liegt der entscheidende Vorteil einer solchen Verfahrensweise darin, daß die Bedürfnisse i m Durchschnitt weniger stark schwanken, als es die Bedürfnisse der einzelnen Individuen t u n 1 8 . Die Veränderungen der Bedürfnisstrukturen bei den einzelnen I n d i v i duen werden einander möglicherweise ausgleichen, so daß die Bedürfnisse i m Durchschnitt konstant bleiben 1 9 . Diesen Vorteilen steht allerdings bei L i t t l e als Nachteil gegenüber, daß sinnvollerweise w o h l nicht von dem Wohlbefinden des Durchschnittsmenschen gesprochen werden kann und daß Durchschnittsmenschen damit auch nicht ihr Wohlbefinden maximieren. Eine Modifikation der Annahme konstanter Bedürfnisse w i r d von Schoeffler geboten 20 . Er entwickelt einen Vorschlag, wie trotz sich i m Zeitablauf ändernder Bedürfnisse unterschiedliche Situationen miteinander verglichen werden können. Für den Fall, daß zwei Situationen i n general, under the assumption of unchanged tastes. They are significant so far, and only so far, as w e judge the assumption of unchanged tastes to be a tolerable assumption w i t h reference to any particular actual comparison." Hicks , Valuation, S. 107; s. a. Rothenberg , Measurement, S. 52. 17 s. Little , Critique, S. 49 u n d Hicks , Measurement, S. 131 f. 18 Vgl. Little , Critique, S. 49. 19 I m Unterschied zum Menschen aus Fleisch u n d B l u t weist der Durchschnittsmensch noch weitere Vorzüge auf: „ M u c h more important, he never dies", (Little , ebd.); auch verhält er sich vollständig konsistent. 20 Vgl. Schoeffler, op. cit., S. 800 ff. 9 Hackmann

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

bei zwei Bedürfnisstrukturen zu vergleichen sind, unterscheidet er je nach der Ordnung der Situationen (eine Situation A kann i m Vergleich zu einer Situation B überlegen, unterlegen oder indifferent sein) vor und nach der Bedürfnisänderung neun denkbare Kombinationen als mögliche Urteilsfälle. Zwecks näherer Charakterisierung der Vorstellungen von Schoeffler seien hier beispielhaft nur zwei dieser neun Fälle herausgegriffen. So stellt ein Übergang von einer Situation A zu einer Situation B dann eine „schwache" Verbesserung der Wohlfahrt eines Individuums dar, wenn A und B vor der Bedürfnisänderung von dem Individuum als indifferent angesehen wurden und wenn das Individuum nach der Änderung seiner Bedürfnisse (und nach einem Übergang zu B) die Situation B der Situation A vorzieht. W i r d — i n einem anderen Fall — die Situation B vor und nach der Bedürfnisänderung der Situation A vorgezogen, handelt es sich bei einem Übergang von A nach B u m eine „starke" Verbesserung der Wohlfahrt des Individuums 2 1 . Beurteilung der Vorschläge. Als eine Konsequenz des Vorschlags von L i t t l e wurde schon angedeutet, daß m i t i h m nicht mehr unmittelbar eine Orientierung am Wohlbefinden erfolge, da „Durchschnittsmenschen nicht Befriedigung maximieren können" 2 2 . Wohlbefinden erscheint somit als eine viel zu persönliche, individuelle Kategorie als daß sie sinnvollerweise auf Durchschnittsmenschen bezogen werden könnte. Man könnte nun meinen, daß L i t t l e m i t seinem Vorschlag einen Verzicht einer Orientierung am Nutzen propagieren w i l l . Dem steht jedoch, wie schon früher zitiert wurde (vgl. o. S. 61 f.), die dezidierte Aussage Littles entgegen, daß „ i n any Community i n which the individual is held to be of importance i t is still essential that the welfare economist should inquire into the causes of the happiness of individuals" 2 3 . Danach dürfte es den Vorstellungen von L i t t l e entsprechen, daß m i t dem Durchschnittsmenschen das durchschnittliche Wohlbefinden von Individuen gemeint ist. Nun w i r d es sicher gerechtfertigt sein, anstelle einer unmittelbaren Berücksichtigung einzelner Individuen, Gruppen von Individuen, die i n relevanter Hinsicht homogen sind, zu berücksichtigen, ohne daß dadurch die oben so bezeichnete individualistische Norm, nach der für eine Urteilsfindung jedes einzelne Individuum zählen sollte, 21 Wie insbesondere an diesem Beispiel deutlich w i r d , ergibt sich bei diesem Vorschlag von Schoeffler das Problem, w i e überhaupt ermittelt werden soll, daß eine Änderung von Bedürfnissen vorliegt. Nach den üblichen Vorstellungen werden diese nämlich durch den Prozeß des Ordnens von Situationen (ob durch Befragung oder aufgrund beobachteten Verhaltens) ermittelt, so daß unveränderte Ordnungsvorstellungen über Situationen als Indiz f ü r unveränderte Bedürfnisse genommen w i r d . 22 Little, Critique, S. 49. 23 Little, Critique, S. 82.

III. Probleme und Kritik einer am Nutzen orientierten Urteilsflndung

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verletzt wird. Entscheidend für eine auch unter diesem Gesichtspunkt gerechtfertigte Gruppenbildung ist jedoch ihre Homogenität i n doppelter Hinsicht: Die Individuen der Gruppen müssen sowohl i n den Situationen vor als auch i n den Situationen nach der Maßnahme als i n relevanter Hinsicht gleich angesehen werden können. Was nun die relevante H i n sicht ist, muß bei einer Vorentscheidung für eine Orientierung am Nutzen allein am Wohlbefinden der Individuen gemessen werden. W i r d die obige Durchschnittsbildung nun unter diesem Gesichtspunkt gesehen, erweist es sich, daß sie tatsächlich einen Verzicht auf eine Orientierung am Wohlbefinden einzelner Individuen darstellt. Schließlich werden die Durchschnitte bei L i t t l e nicht unter dem Aspekt gebildet, zwecks besserer Übersichtlichkeit gleichartige Individuen zusammenzufassen, sondern vor allem i n der Motivation, etwaige Unterschiede zwischen den einzelnen Individuen zu nivellieren, so daß durch die Aggregatbildung Änderungen einzelner Elemente des Aggregats häufig gar nicht erst erkennbar werden 2 4 . Was von L i t t l e wahrscheinlich als ein bloßes technisches Verfahren gedacht ist, stellt somit faktisch eine normative Entscheidung darüber dar, daß nach anderen als Wohlbefindensgesichtspunkte gebildete „gesellschaftliche oder ökonomische Gruppen" 2 5 (sprich: Kollektive) als Subjekt bei der Beurteilung von Maßnahmen relevant sein sollen 26 . Der Vorschlag von L i t t l e und Hicks stellt somit praktisch einen Verzicht auf das Wohlbefinden als richtiger Maßstabsgröße dar. Ähnlich wie der Vorschlag von L i t t l e impliziert auch die Konzeption Schoefflers einen Verzicht auf eine Orientierung am Wohlbefinden 2 7 . Die Änderung der Bedürfnisse kann etwa darin bestehen, daß die beiden zu vergleichenden Situationen für das Individuum weitgehend 24 N. B. L i t t l e begründet seine Entscheidung f ü r eine Orientierung am Durchschnittsmenschen (ähnlich w i e Hicks) damit, daß „the tastes of an average man do not change at a l l r a p i d l y " (Little, Critique, S. 49). 25 Little, Critique, S. 49. 26 D a m i t ist ein f ü r die Fragestellung dieser A r b e i t i m Grunde sehr w i c h tiges Thema angeschnitten, nämlich die Frage nach der n o r m a t i v richtigen A u s w a h l des — w i e es hier bezeichnet werden soll — Verteilungssubjekts (wer soll etwas erhalten). Zunächst schließt die Vorentscheidung, daß f ü r die Urteilsfindung jedes I n d i v i d u u m einzeln relevant sein soll, aus, daß Maßnahmen daran gemessen werden, w i e „Organe" oder „ K o l l e k t i v e " (etwa Völker, Familien oder Klassen) betroffen sein mögen, w e n n durch solche Gruppierungen p r ä j u d i z i e l l w i r d , daß etwa das Problem der Verteilung innerhalb einer solchen Gruppe n u r von sekundärer Bedeutung ist. Nach einer individualistischen Vorentscheidung bleibt aber i m m e r noch die Frage, welcher Kreis von I n d i v i d u e n relevant sein soll: die I n d i v i d u e n der ganzen Welt, die jetzt lebenden oder auch die kommenden Generationen, die I n d i viduen einer bestimmten Klasse oder die, die ihren Aufenthalt i n der B R D haben, die erwachsenen I n d i v i d u e n oder n u r die Intelligenz? 27 Selbst f ü r den Fall, daß das I n d i v i d u u m auch nach der Änderung der Bedürfnisse die Situationen w e i t e r h i n gleich ordnet.

*

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Teil B : Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

uninteressant geworden sind. Zwar mag die neue Situation jetzt der alten vorgezogen werden, während das Individuum zuvor beide Situationen als indifferent ansah; das schließt jedoch nicht aus, daß die neue Situation für das Individuum viel unbedeutender geworden ist (etwa i m Vergleich zu dritten Situationen), als es die alte Situation w a r 2 8 . Über das individuelle Wohlbefinden kann nur i m Vergleich von Bedürfnissen und Situationen etwas ausgesagt werden. Die Frage, wie das Individuum, wenn es andere Bedürfnisse gehabt hätte, eine realisierte Situation beurteilt hätte, ist für das Wohlbefinden i n der zu beurteilenden Situation gänzlich überflüssig und unnötig 2 9 . Für den Vorschlag von Schoeffler ist faktisch somit das individuelle Wohlbefinden nicht mehr das relevante Kriterium, obwohl es das erklärterweise sein soll 3 0 . ,Absolute Ordnungen*. Das individuelle Wohlbefinden bestimmt sich von den Bedürfnisse her, die ein Individuum tatsächlich hat. Bei sich ändernden Bedürfnissen kommt eine am Wohlbefinden orientierte U r teilsfindung konzeptionell nicht umhin, die Bedürfnisse genauso als (variierbaren) nutzenbestimmenden Faktor anzusehen und zu behandeln, wie sie es üblicherweise m i t den Bedürfnisbefriedigungsmitteln tut. Dies bedeutet nun, daß die Wohlfahrtstheorie verschiedene zu vergleichende Alternativen oder Situationen ,absolut', d. h. unter Berücksichtigung etwaiger unterschiedlicher Bedürfnisse ordnen muß. Aus einer konsequenten Sicht traditioneller Wohlfahrtstheorie dürfte damit eine Situation, i n der sich ein Individuum befindet, nicht mehr durch die Gesamtheit der äußeren Umstände (z. B. der Versorgung m i t Konsumgütern) beschrieben werden müssen; vielmehr wäre sie durch die äußeren Umstände und die Bedürfnisse des betreffenden Individuums zu kennzeichnen. I m Zeitablauf sich zeigende inkonsistente Ordnungen der äußeren Umstände implizieren damit nicht schon eine inkonsistente Ordnung von Situationen 3 1 . 28

„For instance, a psychiatrie treatment may make the patient dérivé, from any possible objective situation, more satisfaction (or less dissatisfaction) than he d i d previously, w i t h o u t affacting the order of his preferences among these situations i n any w a y " , Harsanyi, Variable Tastes, S. 205; die Existenz gleicher Präferenzen zu verschiedenen Zeitpunkten impliziert noch nicht notwendig auch eine Nutzengleichheit, s. ebd., S. 206. 29 Diese Aussage g i l t allerdings nicht mehr unbedingt, w e n n davon ausgegangen w i r d , daß sich das I n d i v i d u u m i n seinen Bedürfnissen i r r e n kann, u n d spätere Bedürfnisse als K o r r e k t u r e n der früheren angesehen werden können; vgl. zu einer solchen Auffassung Rothenberg, Measurement, S. 52 ff. 80 w e i f are économies . . . is directly concerned w i t h the degree of satisfaction of these preferences", Schoeffler, S. 884. 81 Bemerkenswerterweise erwähnt auch Schoeffler das gerade beschriebene Konzept einer absoluten Ordnung von A l t e r n a t i v e n (s. S. 887). E r bringt allerdings nicht k l a r zum Ausdruck, daß dies bei einer Vorentscheidung f ü r das Wohlbefinden konzeptionell das einzig zulässige Verfahren ist. I m

III. Probleme und Kritik einer am Nutzen orientierten Urteilsfindung

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3. Zur normativen Irrelevanz einer am Nutzen orientierten Urteilsfindung

a) Klassifikation

von Bedürfnissen

Aus der Diskussion der Hypothese der Konstanz der Bedürfnisse ist deutlich geworden, daß den Bedürfnissen bei der Prüfung der Frage, ob das Wohlbefinden die richtige Maßstabsgröße sei, eine besondere Bedeutung zukommt. Schließlich resultiert Wohlbefinden aus dem Gegenüber von Bedürfnissen und Bedürfnisbefriedigungsmitteln. So setzt Wohlbefinden schon konzeptionell die Existenz (befriedigter) Bedürfnisse voraus; ohne Bedürfnisse kann es kein Wohlbefinden geben. Eine Orientierung am Wohlbefinden verlangt somit eine Orientierung an individuellen Bedürfnissen. Wie bereits gezeigt, gilt diese Behauptung auch dann noch, wenn sich die Bedürfnisse der Individuen ändern. Soll die Beurteilung einer Maßnahme unter Orientierung auf das Wohlbefinden von Individuen erfolgen, wäre demzufolge neben der Vorausschätzung der M i t t e l der Bedürfnisbefriedigung auch eine Vorausschätzung der Entwicklung der Bedürfnisse selbst erforderlich, u m so durch einen Vergleich der einander zeitlich entsprechenden Schätzwerte zu Anhaltspunkten über die mutmaßliche Entwicklung des Wohlbefindens der Individuen zu kommen 3 2 . I m Effekt übernehmen damit die jeweils zu erwartenden Bedürfnisse bei der Beurteilung von Maßnahmen eine Richterfunktion. I n Anbetracht der Tatsache einer weitgehenden Fremdbestimmung von Bedürfnissen 33 stellt sich jedoch die Frage, welche Wertschätzung bzw. Bedeutung dem Urteil eines so beeinflußbaren, ja sogar bestechlichen Richters zukommen soll. Sollte ein Urteil über Maßnahmen von solchen Zufälligkeiten abhängen, wie es die individuellen Bedürfnisse sind 34 ? Gegensatz zu Schoeffler w i r d dies ganz deutlich bei Harsanyi, Variable Tastes, w e n n er sein „extended ordinal u t i l i t y function" (S. 205) einführt: „ w e a s s u m e . . . that they (i. e.: the consumers; H.) are able to compare the u t i l i t y (subjective satisfaction) they derived f r o m one group of commodities at the time t ± w h e n their tastes was T t w i t h the u t i l i t y (...) they n o w derive f r o m another group of commodities at the time t 2 , w h e n their taste is T 2 " (S. 204). 32 Vgl. Nath, S. 144: „Indeed, to the extent t h a t any policy evaluation has to be done ex ante, even the i n d i v i d u a l himself may not be able always to foresee his exact tastes i n the future." 33 „Die Bedürfnisse, welchen die Organisation der Produktion i n optimaler Weise entspricht, sind i n einer reichen Gesellschaft i n w e i t e m Ausmaß deren eigene Schöpfung"; P. Streeten, Z u r neueren E n t w i c k l u n g der Wohlfahrtsökonomie, A n h a n g zu G. Myrdal, Das politische Element i n der nationalökonomischen Doktrinenbildung, Hannover 1963, S. 208, vgl. auch Rothenberg, Consumers' Sovereignty, S. 281; Samuelson, Foundations, S. 223, Little, Critique, S. 42, u n d die Ausführungen oben auf S. 126 f. 34 Vgl. auch Streeten, S. 209: „Dieses A r g u m e n t zeigt nur, daß es eine Bewegung i m Kreise ist, Bedürfnisse, die zum T e i l durch einen vorherrschenden sozialen H i n t e r g r u n d geformt sind, zur ethischen Prämisse, die diesen Hintergrund rechtfertigt, zu erheben."

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

Die A n t w o r t auf diese Frage ist zweifelsfrei, solange als normativ entschieden angesehen werden kann, daß das individuelle Wohlbefinden die für die Beurteilung einer Maßnahme relevante Größe ist. Die leichte Beeinflußbarkeit der Bedürfnisse ändert nichts daran, daß sich das jeweilige Wohlbefinden eines Individuums von den jeweils bestehenden Bedürfnissen her bestimmt, und eine Orientierung an den i n der jeweils zu beurteilenden Situation bestehenden Bedürfnissen erforderlich macht. Eine solche A n t w o r t dürfte allerdings wenig befriedigen, da die entscheidende Problematik i n der Voraussetzung liegt, daß das Wohlbefinden die relevante Maßstabsgröße sein soll. Zur Untersuchung dieses Problems erscheint es sinnvoll, den Begriff ,Bedürfnisse 4 etwas differenzierter zu betrachten, bzw. die Bedürfnisse nach verschiedenen Gesichtspunkten zu klassifizieren. »Optimale4 und ,nicht-optimale 4 Bedürfnisse. Die Vorstellung, daß die Bedürfnisse wie die Bedürfnisbefriedigungsmittel als variierbare nutzenbestimmende Faktoren zu behandeln seien 35 , legt die Auffassung nahe, daß wie unterschiedliche Bedürfnisbefriedigungsmittel bei gegebenen Bedürfnissen auf ihre Eignung zur Produktion von Wohlbefinden zu prüfen sind, bei gegebenen Bedürfnisbefriedigungsmitteln gleicherweise unterschiedliche Bedürfnisse i n Hinblick auf das Ziel einer Wohlbefindensmaximierung untersucht werden können. Damit müßte sich für eine am Wohlbefinden orientierte Urteilsfindung die Frage stellen 36 , ob bestimmte Bedürfnisse optimal sind oder nicht und wie die Bedürfnisse beeinflußt werden können, damit das Wohlbefinden von Individuen maximiert wird. Die Konsequenzen einer solchen Betrachtungsweise für die traditionelle wohlfahrtstheoretische Sicht sollen hier i m einzelnen nicht weiter ausgemalt werden, da sie sich ähnlich anhand der i n der Wohlfahrtstheorie üblicheren Unterscheidung von wahren und falschen Bedürfnissen aufweisen lassen. Hier sei nur betont, daß die obige Forderung, nach der beim Wohlbefinden als Maßstabsgröße die jeweils bestehenden Bedürfnisse zu berücksichtigen seien, durch die Überlegung, daß es optimale und nichtoptimale Bedürfnisse geben kann, nicht ungültig wird. Zwar ist einem Individuum, sofern es seine optimalen Bedürfnisse noch nicht entwickelt hat, ex definitione durch eine Änderung seiner Bedürfnisse eine Verbesserung seines Wohlbefindens möglich. Solange die Bedürfnisse aber nicht geändert sind, bestimmt sich das Wohlbefinden von den bestehenden nicht-optimalen Bedürfnissen her. Die Nicht-Optimalität von Bedürfnissen kann so höchstens als „Aufforde35

„ . . . an individual's »taste* may be regarded as a complementary good to the commodities consumed b y h i m " , Harsanyi, Variable Tastes, S. 206. 39 F ü r eine Fragestellung „whether a certain change i n the consumers' tastes is desirable or not", vgl. Harsanyi, Variable Tastes.

III. Probleme und Kritik einer am Nutzen orientierten Urteilsfindung

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rung" zur Änderung der Bedürfnisstruktur relevant sein. Erst wenn dieser Aufforderung nachgekommen ist, zählen die optimalen Bedürfnisse, und zwar nicht wegen ihrer Optimalität, sondern vielmehr, weil sie jetzt die tatsächlichen (zu erwartenden) Bedürfnisse sind 8 7 . Scheinbedürfnisse und wahre Bedürfnisse. Wie schon bemerkt wurde, ist eine Unterscheidung der Bedürfnisse nach ihrer ,Optimalität* i n der Wohlfahrtstheorie kaum gebräuchlich, geläufig ist es hingegen, zwischen wahren und falschen Bedürfnissen zu unterscheiden. Falsche oder, wie hier gesagt werden soll, Scheinbedürfnisse 88 resultieren aus mangelnder Information von Individuen über die Bedürfnisbefriedigungsmittel und der Gesamtheit ihrer Auswirkungen 8 9 oder daraus, daß sich Individuen aus unbewußten „krankhaften" Zwängen Bedürfnisse „einzureden" versuchen 40 . Ist „mangelnde Information" die Ursache von Scheinbedürfnissen, könnten sie möglicherweise daran erkannt werden, daß „ex ante und exl'post" Bedürfnisse auseinanderfallen 41 . Diesen Vorstellungen entsprechend wären die Bedürfnisse von Individuen wegen mangelnder Information immer dann keine Scheinbedürfnisse, wenn sie sich nicht ändern 42 . Da die Befriedigung' von Scheinbedürfnissen nicht notwendig m i t einer Bewußtwerdung des Scheincharakters dieser Bedürfnisse einhergehen muß, dürfte entgegen dieser Auffassung nicht einmal die tatsächliche Konstanz von Bedürfnissen eine hinreichende Bedingung für das 37 Dieses Ergebnis muß etwas eingeschränkt werden. Da hier unterstellt w i r d , daß die Bedürfnisse auch von den zur Verfügung stehenden Bedürfnisbefriedigungsmittel abhängen, ist es vorstellbar, daß über die B e d ü r f nisbefriedigungsmittel die Bedürfnisse i n Richtung auf O p t i m a l i t ä t geändert werden. A u f diese Weise könnte es sich ergeben, daß i m H i n b l i c k auf die Zielsetzung, das individuelle Wohlbefinden auch langfristig zu maximieren, nicht unbedingt zu jedem Zeitpunkt eine Orientierung an den jeweils bestehenden Bedürfnissen zu erfolgen hätte. 38 Rothenberg, Consumers' Sovereignty, S. 273, spricht von „ w r o n g tastes", Head von „distorted preferences" (J. G. Head , On M e r i t Goods, i n : Finanzarchiv N. F. (F. A.) Bd. 25 (1966), S. 4) oder „incorrect preferences" (ders., M e r i t Goods Revisited, F. A . 28 (1969), S. 215. 39 Vgl. Head , M e r i t Goods Revisited, S. 215. 40 Vgl. Rothenberg, Consumers' Sovereignty, S. 274; Head, M e r i t Goods Revisited, S. 216, bezeichnet den hier gemeinten Sachverhalt w o h l als „ I r r a t i o n a l i t ä t " ; die oben getroffene Kennzeichnung dürfte jedoch konkreter sein, wenn sich auch f ü r das Verständnis dessen, was als „ k r a n k h a f t " bezeichnet w i r d , die gleichen Schwierigkeiten zeigen dürften, w i e sie sich f ü r das V e r ständnis des Begriffs der „ I r r a t i o n a l i t ä t " ergeben. 41 Head, M e r i t Goods Revisited, S. 215. 42 „Well-informedness w o u l d be the state of preference stability", Rothenberg, Consumers' Sovereignty, S. 273; jede Änderung von Bedürfnissen deutet allerdings noch nicht auf das Vorliegen von Scheinbedürfnissen, da sich auch die wahren Bedürfnisse bzw. die Persönlichkeitsstruktur von I n d i viduen ändern kann.

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

Vorliegen wahrer Bedürfnisse sein. Schon aus diesem Grunde befriedigt das genannte Abgrenzungskriterium wenig. Das Bestreben, wahre Bedürfnisse durch Konstanz der Bedürfnisse zu erläutern bzw. zu umschreiben, dürfte sich auch aus der Motivation erklären, operationale Abgrenzungskriterien zu nennen. Für die Zwecke der folgenden Überlegungen ist eine solche Rücksicht nicht erforderlich (vgl. auch die anfänglichen Annahmen). Da eine Orientierung der Beurteilung von Maßnahmen am Wohlbefinden impliziert, daß die Individuen ihr Wohlbefinden zu maximieren suchen bzw. maximieren sollen, werden Bedürfnisse sinnvollerweise dann als Scheinbedürfnisse bezeichnet, wenn ein anderes als ein diesen Bedürfnissen entsprechendes tatsächliches oder gewünschtes Verhalten (bzw. andere Bedrüfnisbefriedigungsmittel) auch langfristig zu einem größeren Wohlbefinden führen würde als ein Verhalten, das diesen (Schein-)Bedürfnissen entspricht 43 . Für die den wahren Bedürfnissen eines Individuums entsprechenden Verhaltensweisen bzw. Bedürfnisbefriedigungsmitteln wäre es hingegen definitionsgemäß nicht möglich, solche (Ersatz-)Verhaltensweisen zu finden. Wahre und optimale Bedürfnisse unterscheiden sich voneinander dadurch, daß die ersteren wie die Scheinbedürfnisse tatsächlich bestehen, während die letzteren sowohl existieren wie auch nur fiktiven Charakter haben können 4 4 . Ein zusätzliches Merkmal der Scheinbedürfnisse besteht weiter darin, daß sie — i m Falle ihrer Existenz — als die wahren Bedürfnisse empfunden werden (deshalb Scheinbedürfnisse) und bei der Zielsetzung der Maximierung des Wohlbefindens damit die Entscheidungen der Individuen bestimmen 45 . Als Resümee der begrifflichen Erörterungen kann festgehalten werden, daß eine Vorentscheidung für den Nutzen als Maßstabsgröße impliziert, daß sich eine Urteilsfindug auf die wahren Bedürfnisse von Individuen beziehen soll, wohingegen die individuellen Entscheidungen, wenn Scheinbedürfnisse existieren, von diesen Scheinbedürfnissen abhängen. Aus der Forderung nach einer Orientierung am Wohlbefinden ergibt sich somit i m Falle einer Existenz von Scheinbedürfnissen die logische Konsequenz, daß Individuen m i t anderen Bedürfnisbefriedigungsmitteln 43 Genaugenommen ist noch die zusätzliche Bedingung aufzuführen, daß beide Verhaltensweisen dem I n d i v i d u u m gleicherweise möglich sind. 44 Haben sie n u r f i k t i v e n Charakter, wäre es zwecks Wohlbefindensmaximierung besser, optimale Bedürfnisse zu haben, die tatsächlichen Bedürfnisse sind jedoch andere. 45 Vgl. i n diesem Zusammenhang auch das Begriffspaar „desires" (ex ante Bedürfnisse) u n d „satisfactions", z. B. bei Head, M e r i t Goods Revisited, S. 215.

III. Probleme und Kritik einer am Nutzen orientierten Urteilsfindung

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versorgt bzw. zu anderen Verhaltensweisen gezwungen werden müssen, als es den eigenen Entscheidungen der Individuen entsprechen würde. Die Forderung, daß der Nutzen von Individuen i. S. von Wohlbefinden zu maximieren sei, enthält somit die Auffassung, daß es richtig sei, jemanden zu seinem eigenen Glück zu zwingen. Dieser Schlußfogerung könnte entgegengehalten werden, daß es auch ein wahres Bedürfnis eines Individuums sein mag, daß Entscheidungen nach dem jeweiligen individuellen Gutdünken getroffen werden. M. a. W., zu den wahren Bedürfnissen, wie sie oben definiert werden, gehört auch die Möglichkeit, Scheinbedürfnisse befriedigen zu können, womit ein Zwang zu einer Befriedigung von Bedürfnissen ausgeschlossen sein könnte. Zwar würde eine freiwillige Befriedigung der wahren Bedürfnisse zu einem höheren Wohlbefinden führen als eine (gleichfalls freiwillige) Befriedigung von Scheinbedürfnissen. Eine ,erzwungene' Befriedigung der wahren Bedürfnisse wäre jedoch m i t einem geringeren Wohlbefinden verbunden als eine Befriedigung von Scheinbedürfnissen, so daß der Zwang — bei einem Zwang zum Glück — zum Unglück führe. E i n weiteres Durchspielen solcher gedanklichen Möglichkeiten macht jedoch deutlich, daß es nicht darauf ankommt, ob von dem „Zwangsmoment" bei einem Zwang zum Glück ein negativer Effekt ausgeht, sondern darauf, ob dieser negative Effekt auf das Wohlbefinden nicht durch solche positiven Effekte aufgewogen wird, die daraus resultieren, daß die Individuen anstelle von Scheinbedürfnissen ihre wahren Bedürfnisse befriedigen. Ob eine solche Kompensation bzw. Uberkompensation bei einer ,Zwangsbefriedigung' erfolgt, hängt davon ab, wie negativ sich das Zwangsmoment auf das Wohlbefinden von I n d i v i duen 4 6 auswirkt, und wie groß der Unterschied i m Wohlbefinden ist, wenn einmal (freiwillig) die wahren Bedürfnisse, das andere M a l die Scheinbedürfnisse befriedigt werden. Es dürfte nicht nur denkbar, sondern auch plausibel sein, daß ein solches K a l k ü l gelegentlich auch die »zwangsweise4 Befriedigung von Bedürfnissen als die nutzenmaximierende Strategie ausweist. b) Die Entwicklung

des Prinzips der Eigenzuständigkeit

Wahlfreiheitsprinzip. W i r d die Forderung, daß Individuen nach ihrem eigenen Belieben entscheiden können sollen, als das Prinzip der Wahl46 Z w a n g zum Glück u n d Zwangsmomente sind Begriffe, die den gemeinten Sachverhalt verzeichnen könnten. U n t e r »Zwang 4 werden hier auch solche sublimen Formen des Zwangs verstanden, daß I n d i v i d u e n bei Entscheidungen aus dem Grunde gar nicht erst gefragt werden, w e i l sie — irregeleitet durch ihre (manipulierten) Scheinbedürfnisse — sich gegen ihre eigenen eigentlichen Interessen entscheiden würden.

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

freiheit bezeichnet, kann davon gesprochen werden, daß es zwischen diesem Prinzip und der Forderung nach einer Orientierung am Wohlbefinden zu einem K o n f l i k t kommen kann. Eine Möglichkeit, diesen K o n f l i k t zu lösen, bestünde nun sicherlich darin, die Individuen so zu beeinflussen, daß sie keine Scheinbedürfnisse mehr haben („Aufklärung"). Das widerspräche zwar den Vorstellungen von autonomen und souveränen Individuen (Verbrauchern), wäre aber nichts anderes als eine sich aus der Vorentscheidung für das Wohlbefinden als Maßstabsgröße ergebende Konsequenz. Obendrein müßten solche Versuche der Bedürfnisbeeinflussung nicht m i t dem Prinzip der Wahlfreiheit i m Widerspruch stehen. Von vornherein dürfte aber klar sein, daß auf die gerade beschriebene Weise eine vollständige Lösung des Problems nicht erwartet werden kann. So mag sich der Scheincharakter von Bedürfnissen nur durch den Versuch der Befriedigung dieser Bedürfnisse enthüllen lassen, vielfach dürfte allerdings nicht einmal diese Erfahrung zur Bewußtwerdung der wahren Bedürfnisse ausreichen. Soweit also Scheinbedürfnisse nicht (rechtzeitig) aufgehoben werden können, ist der Konflikt zwischen dem Prinzip der Wahlfreiheit und dem einer Orientierung am Wohlbefinden unvermeidbar. Verbleibende Konfliktlösungen können nur noch auf Kosten eines der (oder beider) Prinzipien erfolgen. Welches Prinzip dabei m i t welchem Gewicht auszuwählen ist, ist ein Problem normativer Entscheidung. Allerdings dürfte davon ausgegangen werden, daß dem Prinzip der Wahlfreiheit gemeinhin zumindest ein gewisser Eigenwert zugewiesen w i r d 4 7 und zwar m i t der Konsequenz, daß jedes menschliche Individuum das Recht auf I r r t u m hat und sein Wollen wenigstens einen gewissen Respekt verdient. Das Postulat der Eigenwertigkeit des Prinzips der Wahlfreiheit besagt, daß dieses Prinzip nicht schon dann ungültig werden soll, wenn wegen seiner Anwendung ein sonst auch langfristig mögliches Maß an Wohlbefinden nicht erreicht wird. Den Individuen wäre demzufolge die Möglichkeit, sich i r r i g zu entscheiden, nicht zu lassen, w e i l auch ohne Anwendung des Prinzips fehlerhafte Entscheidungen unvermeidbar sind 4 8 und das Prinzip der Wahlfreiheit bei dem derzeitigen Stand der Technik der Informationsbeschaffung, Informationsverarbeitung und Planung die größte Gewähr für möglichst wenig 47

Vgl. Rothenberg, Consumers' Sovereignty, S. 282/3. Wenn Baumol i n einer Diskussion der American Economic Association über die Konsumentensouveränität (s. a. Rothenberg, Consumers' Sovereignty u n d Scitovsky, Doctrine) die These v e r t r i t t (AER, PaP 52 (1962), S. 290), daß es die I n d i v i d u e n selbst sind „(and not just the highbrows) who are often the best judges of their o w n u l t i m a t e desires", k l i n g t durch, daß anderenfalls nicht nach dem Gutdünken der I n d i v i d u e n entschieden werden sollte. 48

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Irrtümer bietet, sondern damit die Individuen auch selbst sollen entscheiden können. Dieses Charakteristikum des Wahlfreiheitsprinzips kommt auch i m folgenden Zitat von Rothenberg zum Ausdruck, i n dem er das Prinzip der Wahlfreiheit gegen das der Konsumentensouveränität abgrenzt: „ I n the latter (i. e. freedom of choice; H) there is a valuational element to the process of choosing as distinct from the content of choice (...). Consequently i t is possible to have consumers' sovereignty without freedom of choice. For example, tastes may be revealed by, say, governmental action on behalf of consumers; the social choices are made for but not by, the individuals concerned." I m Anschluß an dieses Zitat sei kurz darauf aufmerksam gemacht, daß das sich i n i h m ausdrückende Verständnis von Konsumentensouveränität der Forderung entspricht, daß die individuellen Präferenzen zählen sollen. Wie oben (s. o. S. 59 ff.) erläutert wurde, w i r d diese Forderung von der Wohlfahrtstheorie instrumental i n Hinblick auf die Wohlbefindensmaximierung verstanden, so daß aus traditioneller wohlfahrtstheoretischer Sicht die normative Relevanz dieser Forderung davon abhängt, ob „these individual preferences ... are somehow related to the satisfaction or hapiness of consumers" 49 . Würde allerdings wie für das Wahlfreiheitsprinzip auch von einem eigenwertigen Charakter der Forderung ausgegangen, daß die individuellen Präferenzen zählen sollen, bestünde aufgrund des obigen Z i tats von Rothenberg zwischen den beiden Prinzipien nur noch der Unterschied, daß i n dem einen Fall (Wahlfreiheitsprinzip) die Individuen selbst entscheiden und i n dem anderen (die individuellen Präferenzen sollen zählen), auch wenn die Individuen nicht selbst entscheiden, doch so entschieden wird, als würden sie selbst entscheiden. Die individuellen Vorstellungen darüber, welche Entscheidungen richtig sind, bestimmen also auch i n diesem (zweiten) Fall, was getan wird. Zumal wenn den Individuen bekannt ist, daß i n jedem der beiden Fälle ihren jeweiligen Präferenzen gemäß gehandelt wird, erscheint der Unterschied zwischen dem Prinzip der Wahlfreiheit und dem, daß die individuellen Präferenzen zählen sollen, aus dieser Perspektive als unerheblich, so daß i m folgenden zwischen diesen beiden Postulaten weiter kein Unterschied gemacht w i r d 5 0 . A n die Stelle des Merkmals des Wahlfreiheitsprinzips, 49 Quirk/ Saposnik, S. 105, Fn.; s.a. Rothenberg, Measurement, S.233: „Consumer sovereignty may be tolerably accepted as an indication of i n d i v i d u a l welfare of choices . . 50 Von Rothenberg — u n d auch sonst — w i r d zwischen den beiden Postulaten allerdings noch ein weiterer Unterschied gesehen. Es ist nämlich möglich, „ t h a t a totalitarian state can reduce free choice to a t r i v i a l i t y b y presenting only a narrow and biased range of alternatives" (Rothenberg, Consumers' Sovereignty, S. 282), während eine solche Verfahrensweise m i t der

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daß die Individuen nach ihrem eigenen Belieben entscheiden können sollen, t r i t t damit das umfassendere Charakteristikum, daß nach dem Belieben der Individuen entschieden werden soll; m. a. W. es soll so gehandelt werden, wie die Individuen es bestimmen, bzw. wie sie es bei Entscheidungsbefugnis bestimmen würden. W i r d eine Eigenwertigkeit dieser Forderung als normativ richtig akzeptiert, w i r d der Mensch — normativ — nicht als eine „satisfaction-" 51 , „pleasure-" 5 2 oder „preference machine" 5 3 verstanden, die nicht nur möglichst intensiv Lustgefühle produziert, sondern auch zu produzieren hat. Vielmehr w i r d er als ein Wesen gesehen, das, zwar durch Lustund Unlustgefühle betroffen und w o h l auch zu einem beträchtlichen Teil motiviert, sein Leben selbst bestimmen und verantworten soll 5 4 . Eigenzuständigkeit. Schon aus Gründen der Logik versteht es sich, daß dem Prinzip der Wahlfreiheit und dem, daß die individuellen Präferenzen zählen sollen, dann keine unbedingte Gültigkeit zukommen kann, wenn sie für mehrere Individuen zu gelten haben, diese Individuen durch die zu fällenden Entscheidungen betroffen sind und jedes Individuum nach seinem eigenen Gutdünken eine andere Entscheidung wählen würde. Diese Schwierigkeit läßt sich konzeptionell einfach dadurch vermeiden, daß die Gültigkeit des Wahlfreiheitsprinzips für ein Individuum auf diejenigen Entscheidungen beschränkt wird, durch die ausschließlich das Individuum selbst betroffen ist. M. a. W. die Gültigkeit der Forderung, daß nach dem Belieben der Individuen entschieden werden soll bzw. daß die Individuen nach eigenem Belieben entscheiden können sollen, w i r d auf solche Fälle beschränkt, i n denen es u m die ,eigenen Forderung, daß die individuellen Präferenzen zählen sollen, unverträglich ist. Abgesehen davon, daß f ü r diese A r b e i t der oben behandelte Aspekt der entscheidendere ist, erscheint es jedoch fraglich, ob i n dem v o n Rothenberg beschriebenen F a l l der Sache nach noch sinnvoll v o n Wahlfreiheit gesprochen w i r d . M i t dem gleichen Grund, w i e dort davon die Rede ist, daß die I n d i viduen zwischen eingeschränkten Wahlmöglichkeiten frei w ä h l e n können u n d deshalb das Wahlfreiheitsprinzip nicht verletzt ist, dürfte auch davon gesprochen werden können, daß i n diesem eingeschränkten Bereich die Präferenzen der I n d i v i d u e n zählen bzw. sie ihren ,Konsum' dort souverän bestimmen können. Die Reduktion v o n Wahlmöglichkeiten bedeutet der Sache nach nichts anderes als eine Aufhebung bzw. Einschränkung des W a h l freiheitsprinzips. 51 Mc Kean, S. 39. 52 Friedman, S. 411. 53 Hicks, Measurement, S. 131; vgl. dagegen folgendes Z i t a t v o n K n i g h t (nach Müller-Groening, S. 101): „ T h e chief t h i n g w h i c h the commonsense i n d i v i d u a l actually wants is not satisfaction for the wants he has, b u t more and better wants." 54 „ W h a t really can belong to the self and be accurately k n o w n is the experience of m a k i n g and t a k i n g the responsibility for choices, whether r i g h t or wrong, and seeking to k n o w b y this continuing dialogue across the permeable boundary of the self w h a t i f anything is w o r t h preserving", Rothenberg, Consumers' Sovereignty, S. 282.

I I I . Probleme u n d K r i t i k einer am Nutzen orientierten U r t e i l s f n d u n g

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A n g e l e g e n h e i t e n ' d e r b e t r e f f e n d e n I n d i v i d u e n geht. I n eigenen A n g e l e g e n h e i t e n s o l l e n d i e I n d i v i d u e n selbst z u s t ä n d i g sein. Diese ( n u r n o r m a t i v b e g r ü n d b a r e ) F o r d e r u n g w e r d e i m f o l g e n d e n als das P r i n z i p der E i g e n z u s t ä n d i g k e i t bezeichnet. A b g e s e h e n d a v o n , daß b e i diesem P r i n z i p n i c h t m e h r die o b e n g e n a n n t e k o n z e p t i o n e l l e S c h w i e r i g k e i t der I n t e g r a t i o n u n t e r s c h i e d l i c h e r W ü n s c h e verschiedener W ä h l e r a u f t r i t t , d ü r f t e es auch d e n V o r t e i l haben, daß es eine größere A t t r a k t i v i t ä t i n d e m S i n n e besitzt, daß es eine b r e i t e r e Z u s t i m m u n g ( A n e r k e n n u n g ) als d i e beiden zuvor genannten Forderungen finden dürfte. Zumindest ist m i t einer a l l g e m e i n e n A n e r k e n n u n g dieses P r i n z i p s so l a n g e z u rechnen, w i e sich j e d e r u n t e r ,eigener A n g e l e g e n h e i t ' das v o r s t e l l e n k a n n , w a s er persönlich darunter versteht 55. W i e das P r i n z i p der W a h l f r e i h e i t e n t h ä l t das P r i n z i p der E i g e n z u s t ä n d i g k e i t die F o r d e r u n g , daß zwecks B e u r t e i l u n g v o n M a ß n a h m e n n i c h t danach z u f r a g e n ist, w i e das W o h l b e f i n d e n der I n d i v i d u e n d u r c h die M a ß n a h m e v e r ä n d e r t w i r d ; v i e l m e h r i n t e r e s s i e r t n a c h diesem P r i n z i p a l l e i n , w i e die d u r c h die M a ß n a h m e n b e t r o f f e n e n I n d i v i d u e n selbst e n t scheiden w ü r d e n . D a m i t s o l l t e n also auch Scheinbedürfnisse v o n I n d i v i d u e n f ü r eine U r t e i l s f i n d u n g r e l e v a n t s e i n 5 6 . 55 Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß bei einer Vorentscheidung f ü r den Nutzen als einem „unteilbaren Gefühl" eine solche Charakterisierung »eigener Angelegenheiten 4 unzulässig ist. I n diesem F a l l g i l t einzig das K r i t e r i u m , ob sich durch eine Entscheidung mehr als ein I n d i v i d u u m betroffen fühlt. D a m i t sind generell solche »Aktivitäten 4 als »eigene Angelegenheiten 4 zu definieren, die nicht die Nutzen — oder Produktionsfunktion anderer I n d i v i d u e n beeinflussen. A l l e A k t i v i t ä t e n m i t externen Effekten könnten also keine eigenen Angelegenheiten mehr sein. Die Konsequenzen einer solchen Auffassung sind allerdings absurd: jedes I n d i v i d u u m könnte nach Belieben jede beliebige A k t i v i t ä t eines anderen I n d i v i d u u m s als dessen nicht-eigene Angelegenheit erklären (wie z. B. das Zigarettenrauchen, die A r t sich zu kleiden, zu atmen, K i n d e r zu kriegen u n d zu sterben). Daß auch Wohlfahrtsökonomen bei solchen Perspektiven u n w o h l w i r d , läßt sich v i e l f ä l t i g belegen: „ I n t u i t i v e l y , of course, w e feel that not a l l the possible preferences w h i c h an i n d i v i d u a l m i g h t have ought to count; his preferences for matters which are ,none of his business 4 should be irrelevant 4 4 (Arrow, Social Choice, S. 18; vgl. auch Mishan, Welfare Economics, S. 34—37). Wenn das Wohlbefinden die relevante Größe sein sollte, dürfen allerdings auch solche Nutzeninterdependenzen nicht vernachlässigt werden, genausowenig w i e das Wohlbefinden, das I n d i v i d u e n aus gesetzlich verbotenen oder v e r brecherischen A k t i v i t ä t e n beziehen. Es ist Rothenberg zuzustimmen, w e n n er schreibt: „ t h a t there is l i t t l e or no qualitative difference — i n terms of an individual's o w n satisfaction (or happiness) — between preferences w h i c h some outsider w o u l d judge to be t h a t individual's o w n business' and those which the outsider w o u l d judge to be none of his business" (Rothenberg, Measurement, S. 35), oder daß „these so-called »external relations 4 i n consumption influence the same »welfare 4 of a person as does his o w n consumption" (ebd., S. 34). 56 Die Relevanz auch von Scheinbedürfnissen f ü r die Urteilsfindung i m p l i ziert allerdings nicht, w i e bereits oben ausgeführt, daß diese Bedürfnisse sakrosankt sein müssen. I m Gegenteil w i r d die Existenz v o n Scheinbedürfnissen auch w e i t e r h i n als eine Aufforderung verstanden werden können, sie

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

Ehe nun gefragt wird, welche Konsequenzen sich — ausgehend von der Basis dieses Prinzips — für eine Urteilsfindung und insbesondere für die Behandlung der Verteilungsproblematik ergeben, seien zunächst noch einige Argumente für die normative Relevanz des Prinzips der Eigenzuständigkeit genannt. Es versteht sich, daß bei dem herrschenden Wissenschaftsverständnis solche Begründungen nur m i t dem A n spruch eines Appells an die ,Einsicht' bzw. die »Vernunft 4 vorgetragen werden können. Für die nachfolgenden Teile haben diese Begründungen allerdings auch die Bedeutung, daß i n ihnen (mögliche) Ziele genannt werden, die auf eine höhere Zielebene als das Prinzip der Eigenzuständigkeit gehören (sollen) und die deshalb an späterer Stelle z. T. die Richtlinien für Grenzen einer Anwendung des Prinzips der Eigenzuständigkeit hergeben. Einige Argumente für die normative Relevanz des Prinzips der Eigenzuständigkeit. Einige Argumente für eine Überlegenheit des Prinzips der Eigenzuständigkeit gegenüber einer Orientierung am Wohlbefinden wurden bereits bei der Einführung des Prinzips der Eigenzuständigkeit vorgetragen. Eine weitere Begründung, daß Individuen sich i n eigenen Angelegenheiten auch auf Kosten ihres Wohlbefindens selbst entscheiden sollen, dürfte sich von der Überzeugung herleiten, daß Individuen autonom sind bzw. autonom sein sollten. W i r d ein Individuum als autonom angesehen, wenn es i n der Motivation seiner Entscheidungen unbeeinflußt ist, die Entscheidungsmotive also ausschließlich aus i h m selbst — was immer das „Selbst" sein mag — entspringen, gibt es genausowenig autonome Individuen, wie wenn solche Individuen als autonom gelten, die i n der Lage sind, sich der A n stöße, die aus ihrer Umwelt und aus ihnen selbst kommen, bewußt zu werden, sie zu kontrollieren und je nach dieser Kontrolle auf sich und aus sich w i r k e n zu lassen 57 . Bei jedem dieser Verständnisse von Autonomie wäre also das Ziel einer vollständigen Autonomie von Individuen illusionär. Die Betonung muß aber nicht auf Vollständigkeit der Autonomie liegen, als Ziel mag auch eine gradweise immer ausgeprägter werdende Autonomie genügen. Auch bei einer solchen Zielvorstellung dürfte jedoch das Ziel einer Förderung der individuellen Autonomie, sofern das oben zuerst genannte Verständnis von dem, was Autonomie ist, zugrunde gelegt wird, zu beseitigen, so daß n u r noch wahre Bedürfnisse existieren. Das Prinzip der Eigenzuständigkeit verlangt zunächst nur, daß Scheinbedürfnisse, w e n n sie i m maßgebenden Zeitpunkt noch existieren, relevant sein sollen. 67 „ K o n t r o l l e " bedeutet dabei zweierlei; erstens u n d v o r allem bereits wirkende Faktoren zu prüfen u n d zweitens den Kreis der einwirkenden Faktoren i n dem Sinne zu kontrollieren, daß — vor einer tatsächlichen Beeinflussung — bereits die beeinflussenden Faktoren ausgewählt werden.

III. Probleme und Kritik einer am Nutzen orientierten Urteilsfindung

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wenn nicht weiterhin illusionär, so doch auf jeden Fall i n westlichen Kulturkreisen als wenig sinnvoll angesehen werden, da es dann etwa verpönt wäre, sich von anderen Menschen anregen zu lassen, z.B. von ihnen etwas zu lernen. Als sinnvoll dürfte dagegen das Ziel einer Förderung der Autonomie von Individuen angesehen werden, wenn von dem anderen Verständnis von Autonomie, das i m folgenden als Mündigkeit bezeichnet werden soll, ausgegangen wird. Wird, wie es hier geschehen soll, die Forderung akzeptiert, daß Individuen i n diesem Sinne so weit wie möglich mündig werden und damit sich selbst bestimmen sollen 58 , schließt das einen grundsätzlichen Verzicht auf das Wohlbefinden als relevanter Maßstabsgröße ein. Der oben erwähnte konzeptionelle Vorteil einer Orientierung am Wohlbefinden, die verschiedenen Effekte zu einer einzig relevanten (Gesamt-) Größe, nämlich dem Wohlbefinden integrieren zu können, w i r d damit hinfällig. Hinfällig werden damit aber auch — bei einer Verwendung i m Wortsinn — die obigen Definitionen der „relevanten Effekte", der „wahren, falschen und optimalen Bedürfnisse" (und der „eigenen Angelegenheit"), da sie i m Hinblick auf die Norm der Maximierung des Wohlbefindens definiert wurden. Eine neue Definition dieser Begriffe, die hier nicht versucht wird, da sie für die weiteren Ausführungen nicht unbedingt erforderlich ist, hätte sich stattdessen an dem hier vorgestellten Ziel der Förderung der individuellen Mündigkeit zu orientieren. c) Die Entwicklung

des Prinzips der Eigenverantwortung

M i t einer Entscheidung für das Prinzip der Eigenzuständigkeit und der damit verbundenen Feststellung, daß das Wohlbefinden von Individuen nicht unbedingt die relevante Orientierungsgröße für eine Urteilsfindung darstelle, ist noch nicht notwendig gesagt, daß das Wohlbefinden nicht mehr das richtige Verteilungsobjekt sein kann. Man denke nur daran, daß sich das Prinzip der Eigenzuständigkeit nur auf die eigenen Angelegenheiten von Individuen und damit auf Fälle bezieht, i n denen 58 Es w i r d — allerdings ohne besondere Gewißheit — vermutet, daß diese Forderung auch allgemein akzeptiert werden könnte. Eine Stütze dieser V e r m u t u n g könnte die Vorschrift des GG sein, daß die „ W ü r d e " des Menschen unantastbar sei, w e n n als Konstituenz der Würde des Menschen (im U n t e r schied etwa zum Tier) seine grundsätzliche Fähigkeit zur Freiheit, seine Möglichkeit, zumindest i n einem gewissen Maße m ü n d i g zu sein u n d zu werden, u n d damit die Verpflichtung zu einer nicht n u r formal zu verstehenden Verantwortlichkeit angesehen w i r d . (vgl. i n diesem Zusammenhang zum Begriff der Menschenwürde: T. Maunz/G. Dürig, Grundgesetz, Bd. I , 2. Aufl., München 1963, zu A r t . 1, En. 17 ff.).

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

es nicht u m Interessenkonflikte geht, während die Auswahl des richtigen Verteilungsobjekts i m Sinne einer früheren Charakterisierung des Spezifischen einer Verteilungsproblematik gerade i n Hinblick auf solche Problemfälle zu erfolgen hat. I m folgenden geht es so speziell u m die Konsequenzen, die sich aus der Auffassung der Wohlfahrtstheorie ergeben, daß der Nutzen der Individuen auch das richtige Verteilungsobjekt sei. Nun hängen allerdings die Konsequenzen, die sich aus einer solchen Auffassung ergeben, davon ab, welches Verteilungsziel zugrunde gelegt wird. Wenngleich auch heute noch unter Wohlfahrtstheoretikern das Ziel der Maximierung der Summe der individuellen Nutzen am stärksten anerkannt sein dürfte, sollen i m folgenden auch die Konsequenzen einer Verteilungszielsetzung erörtert werden, nach der es darum geht, bestimmte Relationen (wie z. B. die einer Gleichverteilung) zwischen den Wohlbefindensniveaus verschiedener Individuen herzustellen. Das Ziel der Maximierung der Summe der individuellen Nutzen. Die Behandlung einer Verteilungsproblematik verlangt das Abwägen von Vor- und Nachteilen verschiedener Individuen. Dabei stellt sich die Frage, unter welchen Gesichtspunkten ein solches Abwägen erfolgen soll. I n der älteren wohlfahrtstheoretischen Literatur wurde eindeutig — explizit oder implizit — einfach davon ausgegangen, daß dabei die Summe der Nutzen der Individuen maximiert werden soll: Jede N u t zeneinheit eines jeden Individuums erhält das gleiche Gewicht; alle Nutzeneinheiten werden aus gesellschaftlicher Sicht als gleichwertig angesehen. Diese Auffassung war von Bentham 5 9 , der m i t seinen „Glücklichkeitskalkülen" die normative Basis der Wohlfahrtstheorie bis i n die heutige Zeit entscheidend bestimmt hat, über Pigou 6 0 bis Lerner 6 1 w o h l unbe59 „The interest of the community then is, what? — the sum of the interests of the several members w h o compose i t " ; J. Bentham, A n Introduction to Principals of Morals and Legislation (1823), i n : U t i l i t y Theory: A Book of Readings (Hrsg. Page), New Y o r k 1968, S. 4. 60 „So far as political theory is concerned, m a x i m u m aggregate welfare is everywhere accepted as the r i g h t goal of government"; Pigou, A Study of Public Finance, 3. Aufl., London 1951, S. 43 u n d „ . . . a n y . . . transference of income f r o m a relatively rich man to a relatively poor man of similar temperament, since i t enables more intense wants to be satisfied at the expence of less intense wants, must increase the aggregate sum of satisfact i o n " ; A . C. Pigou, The Economics of Welfare, 2. A u f l . London 1924, S. 78. 61 „ T h i s . . . gives meaning to the concept of m a x i m i z i n g the total of the satisfactions experienced b y a l l the individuals i n a society. The condition that has to be satisfied i f this object is to be attained is that no part of the consumption goods or the income of the society shall go to an i n d i v i d u a l but the one w h o can obtain the greatest satisfaction f r o m its consumption". Lerner, S. 25.

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stritten 6 2 . Auch i n neuerer Zeit w i r d sie propagiert 6 3 , wobei sie allerdings i m Unterschied zu den älteren Auffassungen jedoch nicht als selbstverständliches Prinzip ,zu Beginn 4 der Untersuchung, sondern als Konsequenz gewisser als vernünftig angenommener Prinzipien und sonstiger Bedingungen eingeführt wird. I m Hinblick auf eine Beurteilung dieser Zielsetzung stelle man sich die Konsequenzen dieser Auffassung vor, wenn die empirische Forschung den nicht ausschließbaren Fall nachwiese, daß einzelne Individuen (ewige Nörgler) dauernd ein negatives Wohlbefinden (,Unwohlsein4) haben 64 . Bei einer Orientierung am Wohlbefinden und einer uneingeschränkten Akzeptierung dieser Maximierungszielsetzung wäre die Tötung von Individuen (Euthanasie) die logische Konsequenz. Selbst wenn sich die Möglichkeit negativer Gesamtnutzen bei einzelnen Individuen als irreal erweisen sollte, sich jedoch herausstellt, daß etwa die Grenznutzen des Einkommens jenseits eines sozial bestimmten Existenzminimums i m ganzen oder bereichsweise bei einzelnen oder bei allen Individuen ansteigen, könnten sich ähnlich absurde Konsequenzen ergeben. Die (in Einkommenskategorien gemessen) gut Verdienenden müßten begünstigt werden, und zwar nicht deshalb, w e i l es ihnen sonst (vermögensmäßig, gesundheitsmäßig) ,schlecht4 geht, sondern w e i l sie bessere Verwerter von Einkommenseinheiten sind 6 5 (nachdem sie etwa einmal einen Vorsprung gegenüber anderen Individuen erreicht haben). Obgleich die Frage nach der Tatsächlichkeit solcher Nutzenverläufe für die Argumentation hier nur von sekundärer Bedeutung ist, mag es doch nicht als abwegig erscheinen, daß die „relative efficiency of individuals as pleasure machines 4466 und damit der Grenznutzen des Einkom62 Pigou, Public Finance, f ü h r t das Z i e l der M a x i m i e r u n g der Summe der individuellen Nutzen m i t der Bemerkung ein (S. 42): „ I t s v a l i d i t y appears to be given directly i n i n t u i t i o n " . Z u einer Auseinandersetzung m i t dieser Z i e l setzung vgl. Müller-Groeling, op. cit. 63 Vgl. oben zu Fleming u n d Harsanyi; s. a. Strotz, Income. 64 Wenn Pigou, A Study i n Public Finance, S. 42 von „net-satisfactions" spricht, impliziert das zumindest die Vorstellung einer Existenz negativer Nutzenbestandteile (Arbeitsleid). Weshalb sollte dann nicht auch der Gesamtnutzen eines I n d i v i d u u m s negativ sein können; vgl. etwa auch R. A . Musgrave, The Theory of Public Finance, N e w Y o r k e. a. 1959, der die Gesamtnutzenkurve m i t dem W e r t 0 beim existenzminimalen Einkommen beginnen läßt (aufgrund seiner Argumentation sind additive Transformationen seiner Nutzenwerte unzulässig!). 65 „ . . . t h a t no part o f . . . the income of the society shall go to an i n d i v i d u a l but the one w h o can obtain the greatest satisfaction f r o m its consumption" Lerner, S. 25. 66 M . Friedman, Lerner on the Economics of Control, i n : JPE, Bd. 55 (1947), S. 411.

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mens bzw. die „capacity of distilling satisfaction out of income" 6 7 — bei gleicher Einkommenshöhe — typischerweise bei den Individuen höher ist, die aus begüterten Verhältnissen stammen als bei denen, die sich erst an solche Verhältnisse gewöhnen ,müssen', da die ersteren regelmäßig wegen einer entsprechenden Geschmacksbildung über die effizienteren Verwertungsmöglichkeiten von Einkommenseinheiten informiert sein dürften 6 8 . Unter diesen Umständen führt die Zielsetzung der Maximierung der Summe der individuellen Nutzen i n der Tendenz dazu, den Vorsprung von einkommensmäßig besser gestellten Schichten zu erhalten, d. h. den status quo der Verteilung zu konservieren. Werden nicht gleich Ideologien (im Sinne eines falschen' Bewußtseins zur Rechtfertigung bestehender ,Herrschaftsinteressen') vermutet, dürfte die weit verbreitete Akzeptierung dieser Zielsetzung i n der wohlfahrtsökonomischen Literatur sich zum einen aus den an früherer Stelle bereits erwähnten operationalen Vorteilen der Zielsetzung erklären lassen, zum anderen mag aber gerade dahinter gestanden haben, daß sich durch einen Rekurs auf dieses Ziel eine Gleichverteilung der Einkommen propagieren lasse. Dies entspricht der Auffassung, daß wegen zu vermutender faktischer Gleichheit der (sinkenden) individuellen Grenznutzenfunktionen des Einkommens sich über die plausible Zielsetzung der Maximierung der gesamtgesellschaftlichen Nutzensumme die Notwendigkeit der Gleichverteilung der Einkommen wissenschaftlich' beweisen lasse 69 . Verteilung als gleichrangiges Ziel. Während bei der Zielsetzung der Maximierung der Gesamtnutzensumme die Verteilung bloß ein Instrument dieses Ziels ist 7 0 , kann es anderenfalls einen eigenständigen Ziel87

Lerner, S. 28. Vgl. i n diesem Zusammenhang auch die Theorie der „Anspruchsniveaus" (s. etwa Müller-Groeling, S. 102 u n d die dort angegebene Literatur); i m übrigen s. ebd. S. 96 ff. die Hinweise auf die Relevanz von Lernprozessen u n d Gewöhnungen (habit formation) f ü r die E n t w i c k l u n g von Bedürfnissen. 69 „To infer distributional equality f r o m a m a x i m u m total u t i l i t y to society, however, requires the assumption of diminishing marginal u t i l i t y of money income, equal tastes and equal capacity for enjoyment. I f i t transpired that belief i n any of these three things were unwarranted, maximising society's u t i l i t y could no longer be held to require equality of money incomes, and might w e l l be consistent w i t h a h i g h degree of inequality — i n w h i c h case, I fancy, m a x i m i s i n g society's total u t i l i t y w o u l d be abandoned". Mishan, Compensation Tests, S. 346/7. 70 „ . . . the m a x i m i z i n g principle as a policy prescription w h o l l y subordinates our interest i n distribution of u t i l i t y to our interest i n its total amount. As a rule for distribution, i t paradoxically implies that distribution is i m portant only as i t affects the total. For those w h o give distribution a more prominent place i n ethics the principle has to be rejected" Lindblom zitiert nach Müller-Groeling, S. 28. 68

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Charakter erhalten. Dabei können die Ziele einer Erhöhung der Nutzensumme und das ihrer Verteilung prinzipiell auch gleichwertig nebeneinanderstehen, wobei, i m Falle von Konflikten zwischen diesen beiden Zielen, beide nicht i m höchstmöglichen Maß realisiert werden. Ob die Verteilung ein eigenständiges Ziel i m Vergleich zum Ziel der Maximierung der Summe der individuellen Nutzen sein soll, kann nur normativ entschieden werden 7 1 . Sieht jemand die Gleichheit der Menschen nicht als ein (sowieso irreales) Faktum, sondern als faciendum, müßte er die Eigenständigkeit des Verteilungszieles bejahen. Wenn er zugleich das Wohlbefinden als relevantes Verteilungsobjekt akzeptiert, müßte er es befürworten, daß aus sozialen oder individuellen (z. B. angeborene Krankheit) Gründen m i t einer geringen „capacity to enjoy" benachteiligte Personen gefördert werden sollen, auch wenn weniger Benachteiligte die zu dieser Förderung erforderlichen M i t t e l sehr viel „effizienter" verwenden können. Unter einem anderen Gesichtspunkt könnten positive und negative Änderungen des Wohlbefindens verschiedener Individuen auch dadurch gegeneinander abgewogen werden, daß berücksichtigt wird, auf welchem Wohlbefindensniveau sich die Individuen jeweils befinden 72 . Das formale Verfahren entspräche dem, wie i n der Nutzentheorie eine Vielzahl von (vergleichbaren) Einheiten etwa des Einkommens eines Individuums durch eine Transformierung i n Nutzeneinheiten intrapersonell gleichwertig gemacht werden. Ähnlich wie üblicherweise die Einkommenseinheiten intrapersonell u m so geringer gewichtet werden, je höher das Einkommensniveau des betreffenden Individuums ist, könnten interpersonell auch die Nutzeneinheiten verschiedener Individuen gewichtet werden, so daß sich durch Addition dieser so gewichteten Nutzeneinheiten ein Ausdruck für das „gesellschaftliche Wohl" bzw. für den Sozialnutzen ergibt. Werden nun die Verteilung als eigenständiges Ziel und das Wohlbefinden als richtiges Verteilungsobjekt akzeptiert, ergeben sich i m Vergleich zur Zielsetzung der Maximierung der Summe der individuellen Nutzen gerade umgekehrt gerichtete Tendenzen für die Urteilsfindung, von denen allerdings genau so wenig w i r d angenommen werden können, daß sie eine allgemeine Billigung finden. 71

„ . . . for some people may be veritable satisfaction machines w h i l e others are d u l l clods. For that matter i t is not clear that one w o u l d w i s h to maximize total satisfaction even i f i t could be measured" McKean, S. 39. 72 Es versteht sich, daß dies nicht das einzige sinnvolle Verständnis v o n »eigenständigem Verteilungszier ist. A l s eigenständig könnte etwa auch ein Verteilungsziel angesehen werden, dem es entspräche, die Gewichte je nach dem ,Adel der Geburt', dem Lebensalter oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse zu unterscheiden. 10*

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Ist nach der Zielsetzung der Maximierung der Summe der Nutzen tendenziell der Personenkreis begünstigt, der aufgrund von persönlicher Anlage oder Milieubeeinflussung i n der Lage ist, besonders „effizient" Wohlbefinden zu produzieren, so ist bei einer primär eigenständigen Verteilungszielsetzung gerade dieser Personenkreis benachteiligt. Anstatt die ewig Unzufriedenen (Nörgler) zu töten, müßte dieser Personenkreis nun für ihre Unzufriedenheit m i t der Absicht »bezahlt4 bekommen, sie zu reduzieren. Für einen bei ihnen ungünstigen Bestimmungsfaktor ihres Wohlbefindens, etwa ihre individuelle Anlage, müßten sie, wenn sie nicht bereits selbst für Ausgleich sorgten, kompensiert werden. Die Beispiele solcher Tendenzen zu Kompensationserfordernissen aufgrund einer eigenständigen Verteilungszielsetzung m i t dem Wohlbefinden als Verteilungsobjekt ließen sich beliebig mehren. Trotz der humanen Note, die möglicherweise i n einer solchen A r t eigenständiger Verteilungszielsetzung gesehen werden mag, dürfte doch gelten, daß die Konsequenzen dieser Zielsetzung generell nicht als normativ richtig, sondern vielmehr als absurd und unvernünftig empfunden werden. Das Prinzip der Eigenverantwortung. Die voranstehenden Überlegungen dürften deutlich gemacht haben, daß — ganz gleich i n Kombination m i t welcher Verteilungszielsetzung — der Nutzen kaum als richtiges Verteilungsobjekt akzeptiert werden kann. A u f dem Hintergrund einer Anerkennung der Richtigkeit des Prinzips der Eigenzuständigkeit war dies vielleicht auch schon von vornherein zu erwarten. Anderenfalls hätte nämlich — bei einer ,gleichrangigen 4 Verteilungszielsetzung — das Individuum zwar ein ,Recht auf Irrtum 4 , die Konsequenzen seiner Irrtümer sollte es jedoch nie tragen müssen, vielmehr wären sie tendenziell zu »sozialisieren 4. Gleicherweise müßten auch die positiven Effekte auf das Wohlbefinden bei irrtumsfreien eigenzuständigen Entscheidungen vergesellschaftet werden. Bei der Zielsetzung der Nutzenmaximierung würde sich gerade eine umgekehrte Tendenz ergeben. Den Individuen, die ,Scheinbedürfnisse 4 befriedigen würden, wäre tendenziell erst gar nicht eine Gelegenheit zu eigenständigen Entscheidungen zu geben, vielmehr wären die (knappen) Entscheidungsmöglichkeiten vorwiegend denen vorzuenthalten, die sie zu einer besonders intensiven Produktion von Wohlbefinden nutzen. Da solche Tendenzen darauf gerichtet sind, einzelnen Individuen erst gar keine Gelegenheit zu Entscheidungen zu geben, ist es offensichtlich, daß i n ihnen das Prinzip der Eigenzuständigkeit konterkariert wird. Die für beide Verteilungsziele genannten und w o h l unbillig erscheinenden Effekte treten nicht mehr auf, wenn das Prinzip der Eigenzu-

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ständigkeit für den eigenzuständigen Bereich 73 durch das der Eigenverantwortung ergänzt wird. Danach hat ein Individuum für die Angelegenheiten, i n denen es eigenzuständig sein soll, die Konsequenzen seiner Entscheidung allein zu tragen; hat sich ein Individuum i n diesen Bereichen fehlerhaft entschieden, sollen nicht auch die anderen Individuen für die Folgen dieses Fehlers einstehen müssen. Für die normative Behandlung von Verteilungsproblemen bedeutet dies, daß für die Beurteilung von Maßnahmen die Angelegenheiten, für die die Individuen eigenzuständig und eigenverantwortlich sein sollen, unter Verteilungsaspekten ohne Belang sind. W i r d auch das Prinzip der Eigenverantwortung als richtig akzeptiert, kommt somit dem Wohlbefinden weder allgemein als relevanter Maßstabsgröße noch speziell als richtigem Verteilungsobjekt Bedeutung zu 7 4 . 4. Exkurs: Das Prinzip der Eigenzuständigkeit und die „Unmöglichkeit eines paretianischen Liberalismus"

Ehe i m einzelnen erörtert wird, welche Konsequenzen sich aus den Prinzipien der Eigenzuständigkeit und Eigenverantwortung ergeben, soll i n diesem Exkurs die Relevanz des Prinzips der Eigenzuständigkeit für die Wohlfahrtstheorie durch eine Auseinandersetzung m i t einem A r t i k e l von Sen betont werden 7 5 . I n Anlehnung an das Unmöglichkeitstheorem von A r r o w w i r d i n diesem A r t i k e l nachgewiesen, daß ,Liberalismus' und ,paretianische Werturteile 4 nicht miteinander vereinbar sind. Sein Verständnis von paretianischen Werturteilen konkretisiert Sen vornehmlich i n seiner Bedingung „P: I f every individual prefers any alternative x to another alternative y, then society must prefer x to y" Ihr volles Gewicht erhält diese Bedingung jedoch erst durch die Bedingung „17 (Unrestricted Domain): Every logically possible set of individual orderings is included i n the domain of the collective choice rule." Eine Erfüllung der Bedingungen P und U garantiert, daß, soweit die Präferenzen aller Individuen gleich sind, diese (in allen Angelegen73 U n t e r »Bereich* (»Angelegenheit') w i r d hier sehr Unterschiedliches v e r standen; zum eigenzuständigen Bereich könnte etwa auch das Aufstellen v o n f ü r das I n d i v i d u u m persönlich relevanten Entscheidungsregeln u. a. m. gehören. 74 Obwohl es nicht zwingend erforderlich ist u n d sich bei näherer Betracht u n g vielleicht auch nicht als sinnvoll erweisen mag, w i r d f ü r die folgenden Ausführungen w i e bei der Herleitung des Prinzips der Eigenverantwortung davon ausgegangen, daß eigenzuständige Bereiche auch »eigenverantwortlich' sind. (Entsprechendes g i l t f ü r das noch einzuführende Begriffspaar der Gruppenzuständigkeit u n d Gruppen Verantwortung). Demgemäß werden die Begriffe selbst häufig als austauschbar bzw. als identisch verwandt, einer sozialen Wohlfahrtsfunktion. Da eine soziale Entscheidungsfunktion 75 A . Sen, The Impossibility of a Paretian Liberal, JPE 78 (1970), S. 152 ff.

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heiten) die gesellschaftlichen Entscheidungen bestimmen. Die den Senschen Ausführungen zugrunde liegende Auffassung von Liberalismus findet ihren Ausdruck i n der Bedingung „ L (Liberalism): For each individual i, there is at least one pair of alternatives, say (x, y ), such that i f this individual prefers x to y , then society should prefer x to y , and if this individual prefers y to x> then society should prefer y to x." M i t dieser Bedingung ist intendiert, „to permit each individual the freedom to determine at least one social choice, for example, having his own walls pink rather than white, other things remaining the same for h i m and the rest of society". Den Nachweis der Unvereinbarkeit eines so verstandenen Liberalismus und der paretianischen Werturteile führt Sen, indem er zeigt, daß es keine soziale Entscheidungsfunktion („social decision function") 7 6 gibt, die den genannten Bedingungen immer genügt. Für den Beweis seiner Behauptung verschärft Sen die Bedingung L auf einen „ M i n i m a l Liberalism", nach dem wenigstens zwei Individuen eine Auswahl zwischen zwei Alternativen m i t Verbindlichkeit für die gesellschaftliche Entscheidung treffen können sollen. A u f dieser Grundlage untersucht er dann drei Entscheidungsprobleme, i n denen zwei, drei oder vier (voneinander unterschiedene) Alternativen für eine gesellschaftliche Entscheidungsfindung zur Auswahl stehen. Hier werde exemplarisch nur der letztere (allgemeinere) Fall dargestellt, i n dem es um eine Entscheidung zwischen den Alternativen w, x, y und z geht. Sollen nun nach der (verschärften) Bedingung L die Präferenzen des Individuums 1 für die Alternative x i m Vergleich zur Alternative y und beim Individuum 2 die für die Alternative z i m Vergleich zu w auch für die Gesellschaft verbindlich sein, und ziehen alle Individuen (einschließlich 1 und 2) die Alternative w der Alternative x und die Alternative y der Alternative z vor 7 7 , so daß diese Ordnung nach der Bedingung P verbindlich für die Gesellschaft ist, ergibt sich als gesellschaftliche Ordnung z>w>x>y>z, was bedeutet, daß keine der vier Alternativen als die beste ausgewiesen werden kann. Sen folgert daraus als Ergebnis (S. 157): „ I t is that i n a very basic sense liberal values conflict w i t h the Pareto principle. I f someone takes the Pareto principle seriously, as economists seem to do, then he has to face problems of consistency i n cherishing liberal values, even very 79 Sen unterscheidet zwischen einer sozialen Entscheidungsfunktion u n d einer sozialen Wohlfahrtsfunktion. Da eine soziale Entscheidungsfunktion n u r die beste Alternative auszuweisen hat, während nach der sozialen W o h l fahrtsfunktion alle A l t e r n a t i v e n geordnet werden können müssen, sind an die erste weniger strenge Anforderungen zu stellen, so daß f ü r sie etwa das Unmöglichkeitstheorem A r r o w s nicht g i l t (vgl. Sen). 77 I n d i v i d u u m 1 (2) ordnet also die Gesamtheit der v i e r A l t e r n a t i v e n i n

der Reihenfolge w>x>y>z

(y>z>w>x).

III. Probleme und Kritik einer am Nutzen orientierten Urteilsfindung

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m i l d ones. Or, to look at i t i n another way, if someone does have certain liberal values, then he may have to eschew his adherence to Pareto optimality. While the Pareto criterion has been thought to be an expression of individual liberty, i t appears that i n choices involving more than two alternatives i t can have consequences that are, i n fact, deeply illiberal." Wie eine nähere Betrachtung zeigt, liegt die Begründung für das von Sen aufgewiesene Dilemma darin, daß bei einem Vergleich der A l t e r nativen x und y einerseits und z und w andererseits nicht nur die Präferenzen der Person 1 resp. der Person 2 (nach der Bedingung L) für die gesellschaftliche Entscheidungsfindung den Ausschlag geben, sondern daß auch die Präferenzen der anderen Individuen über diese Alternativen bei der Urteilsfindung m i t beachtet werden sollen. M. a. W. w i r d die Auswahl zwischen den jeweiligen beiden Alternativen nicht als eine eigene Angelegenheit der beiden betroffenen Individuen angesehen: jedermann darf über die Auswahl zwischen diesen Alternativen m i t bestimmen. W i r d bedacht, welche A r t von gesellschaftlichen Entscheidungen von Sen i n seine Überlegungen m i t eingeschlossen sind („whether you should sleep on your back or on your belly"; „having his own walls pink rather than white"), w i r d deutlich, daß sich auf diese Weise Illiberalität ergeben muß. Würde diese Form der Illiberalität beseitigt, so daß bei der Auswahl zwischen der Alternative x und y nur noch die Präferenzen der Person 1 und bei der Auswahl zwischen z und w nur die der Person 2 berücksichtigt werden dürfen, w i r d die Auswahl zwischen diesen Alternativen zu einer eigenen Angelegenheit der jeweiligen Person erklärt und ist das Prinzip der Eigenzuständigkeit eingeführt. I n Hinblick auf die anfangs genannten Bedingungen bedeutet dies allerdings, daß die Bedingung P auf die Auswahl zwischen solchen Alternativen beschränkt wird, die nicht zu den durch die Bedingung L gekennzeichneten Alternativen gehören. Damit ist dann allerdings die Bedingung U verletzt: Nur noch solche logisch möglichen Ordnungen von Individuen dürfen für eine Entscheidungsfindung berücksichtigt werden, die sich nicht auf Alternativen beziehen, die i n die Eigenzuständigkeit anderer Individuen fallen. Die Relevanz des Prinzips der Eigenzuständigkeit ist daran erkennbar, daß bei einer i m gerade erläuterten Sinn erfolgten Modifikation der Bedingungen P und U (bzw. der Bedingung U allein) das von Sen aufgewiesene Dilemma beseitigt ist. Die Präferenzen des Individuums 1 für x über y und die des zweiten Individuums für z über w wären dann jeweils deren eigene Angelegenheiten und aus gesellschaftlicher Sicht entsprechend zu berücksichtigen. Für die anderen Individuen besteht

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Teil B: Die Verteilungsproblematik aus traditioneller Sicht

somit gar nicht mehr ein Problem der Wahl zwischen x und y (z und w) f so daß für sie die Alternative x oder y (z oder w) i n Hinblick auf eine Entscheidungsfindung gar keine Alternative ist, sondern nur eine einzige ,Möglichkeit' darstellt. W i r d nun m i t u die Möglichkeit x oder y und m i t v die Möglichkeit z oder w bezeichnet, können die restlichen Individuen also nur noch ihre Präferenzen zwischen u und v m i t Relevanz für die gesellschaftliche Entscheidungsfindung äußern. Würde (irgendwie) die Alternative u als der Alternative v gesellschaftlich überlegen ausgewiesen, läge es allein bei der Person 1, welche der beiden i n u enthaltenen Alternativen aus gesellschaftlicher Sicht den Vorzug verdient. Für diesen Fall (u überlegen) wäre, auf das konkrete Beispiel bezogen, bei den oben beschriebenen Präferenzen der Individuen 1 und 2, also die Alternative x die aus gesellschaftlicher Sicht beste Alternative.

Teil

C

Ein alternatives Konzept der Behandlung von Verteilungsproblemen I . D i e Entwicklung einer Verteilungszielsetzung 1. Eine konzeptionelle Grenze des Prinzips der Eigenzuständigkeit: das Prinzip der Gruppenzuständigkeit

A m Ende des zweiten Teils der Arbeit wurden aus der Ablehnung des Nutzens als Maßstabsgröße für Maßnahmebeurteilungen und Situationsvergleiche aus einer wohlfahrtstheoretischen Sicht die Prinzipien der Eigenzuständigkeit und der Eigenverantwortung entwickelt. Nach dem ersten Prinzip kommt es nicht darauf an, daß durch eine Entscheidung, durch die die ,eigenen Angelegenheiten' eines Individuums betroffen sind, dessen Wohlbefinden maximiert wird, sondern darauf, daß nach dem Belieben des i n seinen eigenen Angelegenheiten betroffenen Individuums entschieden werden soll 1 . Das Prinzip der Eigenverantwortung ergänzt das der Eigenzuständigkeit u m die Forderung, daß ein Individuum gegenüber der Gesellschaft keinen Anspruch darauf hat, von i h r für etwaige negative Konsequenzen von nach dem Prinzip der Eigenzuständigkeit gefällten Entscheidungen einen Ausgleich zu erhalten. Umgekehrt hat nach diesem Prinzip allerdings auch die Gesellschaft keinen (berechtigten) Anspruch auf etwaige positive Konsequenzen. Sofern es ,eigenverantwortliche Bereiche' gibt, kann damit der Nutzen nicht das richtige Verteilungsobjekt sein. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die — vielleicht wiederum banale, aber i m Widerspruch zur Konzeption traditioneller Wohlfahrtstheorie stehende — Schlußfolgerung, daß für eine Urteilsfindung i n Hinblick auf die Berücksichtigung von Verteilungsaspekten nur noch das relevant sein kann, was nicht i n eigenverantwortliche Bereiche gehört. I n diesem Kapitel geht es deshalb zunächst darum, solche Bereiche 1 Diese Forderung w i r k t selbst dann noch banal, w e n n nicht davon ausgegangen w i r d , daß I n d i v i d u e n i n eigenen Angelegenheiten i m m e r selbst entscheiden. I h r e Relevanz w i r d jedoch dadurch erkennbar, daß, w i e i m T e i l B ausgeführt wurde, die Forderung der Wohlfahrtstheorie, der Nutzen (i. S. von Wohlbefinden) sei die f ü r die gesellschaftliche Wohlfahrt allein relevante Größe m i t dem Prinzip der Eigenzuständigkeit i n Widerspruch stehen kann.

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T e i l C: Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen

ausfindig zu machen und so die Grenzen des Prinzips der Eigenzuständigkeit aufzuzeigen. Das Ergebnis dieser Überlegungen w i r d die Entwicklung einer Verteilungszielsetzung sein 2 . a) Die Konzeption des Prinzips der Gruppenzuständigkeit Nicht-eigene Angelegenheiten als definitorische Grenze von Gruppenzuständigkeiten. Das Prinzip der Eigenzuständigkeit ist definitionsgemäß nicht mehr anwendbar, wenn durch eine Entscheidung mehr als ein Individuum i n seinen Angelegenheiten betroffen ist. Z u fragen ist allerdings, wann durch eine Entscheidung ein Individuum nur i n seinen eigenen Angelegenheiten berührt wird. Während es aus der traditionellen Sicht der Wohlfahrtstheorie konzeptionell einfach ist, eine Definition von »eigener Angelegenheit 4 zu bieten (vgl. oben S. 141, Fn. 55), zeigt sich auf der nunmehr hier zugrundegelegten normativen Basis kein so schlüssiges Kriterium. Aufgrund der i n dieser Arbeit entwickelten normativen Konzeption müßte es konsequenterweise an der Zielsetzung der Förderung individueller Mündigkeit orientiert sein. I m Sinne der i m Teil A vorgestellten methodischen Auffassung, w i r d es aber auch zulässig sein, wenn, wie es hier geschehen soll, zu den eigenen Angelegenheiten das zählt, was — i n einer bestimmten Gesellschaft — weithin als eigene Angelegenheit angesehen wird. Sind nun durch eine Entscheidung die »Angelegenheiten4 mehrerer Individuen betroffen, und würden i n diesen Fällen alle Individuen dieselbe Entscheidung wünschen, wäre zwar dem Wortsinn nach das Prinzip der Eigenzuständigkeit nicht mehr anwendbar, praktisch würde sich i n solchen Situationen allerdings kaum eine Schwierigkeit ergeben. Bei einer Akzeptierung des Prinzips der Eigenzuständigkeit liegt es zweifellos nahe, daß i m Sinne der einstimmigen Wahl aller zu entscheiden wäre. Sollten sich die durch die Entscheidungen i n ihren Angelegenheiten betroffenen Individuen jedoch unterschiedlich zu entscheiden wünschen, so daß zwischen den Wünschen der verschiedenen Individuen ein Konf l i k t besteht, ist eine Lösung aus dem Prinzip der Eigenzuständigkeit allein nicht mehr möglich 3 . 2 N u r der Vollständigkeit halber sei angefügt, daß w i e die Ablehnung des Nutzens als Maßstabsgröße u n d die Herleitung der beiden oben genannten Prinzipien, so auch die i m folgenden zu erörternden Probleme großenteils normativer N a t u r sind. 3 Wie bereits oben bemerkt, gilt entsprechendes f ü r das Prinzip der W a h l freiheit u n d f ü r die Forderung, daß die individuellen Präferenzen zählen sollen. Da außer aufgrund eines a p r i o r i Glaubens an Harmonie nicht einsichtig ist, daß sich die Präferenzen verschiedener I n d i v i d u e n u n m i t t e l b a r m i t e i n ander vereinbaren lassen, sind diese Forderungen — v o n der letzteren sagt Samuelson, daß sie mehr oder minder von allen Wohlfahrtsökonomen akzep-

I. Die Entwicklung einer Verteilungszielsetzung

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I m Rahmen dieser Arbeit ist nun bemerkenswert, daß sich diese Grenze des Prinzips der Eigenzuständigkeit grundsätzlich durch das Auftreten von Interessenskonflikten charakterisieren läßt, das bereits an früherer Stelle als das entscheidungslogisch spezifische Merkmal von Verteilungsproblemen hingestellt wurde. Uberall dort, wo Verteilungsprobleme vorliegen, ist demzufolge eine Grenze des Prinzips der Eigenzuständigkeit und Eigenverantwortung gegeben. Einführung der Prinzipien der Gruppenzuständigkeit und der Gruppenverantwortung. Aus der Feststellung, daß einerseits beim Vorliegen von Verteilungsproblemen eine Grenze des Prinzips der Eigenzuständigkeit erreicht sei und daß andererseits Verteilungsaspekten bei der Ermittlung der gesellschaftlichen Wohlfahrt von Situationen ( = Urteilsfindung) nur insoweit Bedeutung zukomme, wie die Grenzen des Prinzips der Eigenzuständigkeit nicht erreicht sind, könnte gefolgert werden, daß bei einer Urteilsfindung alle (mit Interessenkonflikten verbundenen) etwaigen Verteilungseffekte zu berücksichtigen seien. Nun legt allerdings das Prinzip der Eigenzuständigkeit den Gedanken nahe, daß einzelne Aktivitäten, die nur eine Gruppe selbst betreffen (also eigene Angelegenheiten der Gruppe sind), auch dem Belieben der betroffenen Gruppe überlassen sein sollten. W i r d es als richtig angesehen, daß zumindest i n einzelnen ,gruppeneigenen4 Angelegenheiten nach dem Belieben von Gruppen (wie z. B. Familien) entschieden werden soll (bzw. daß die Gruppen selbst entscheiden können sollen 4 , so dürfte es auch regelmäßig als richtig anerkannt werden, daß die Glieder der Gruppe bei solchen Entscheidungen deren Ergebnisse zum Guten wie zum Schlechten selbst zu tragen haben, ohne daß andere (höhere oder gleichgeordnete) Gruppen eine V e r pflichtung zu Kompensationsleistungen 4 oder ein ,Recht auf Beteiligung 4 haben sollten. Von Forderungen, die solche Auffassungen zum Ausdrude bringen, w i r d i m folgenden als von den Prinzipien der Gruppenzuständigkeit und der Gruppenverantwortung gesprochen. Da ein einzelnes Individuum auch als eine ,Gruppe 4 angesehen werden kann (die eben nur ein Mitglied besitzt), sollen zwecks einfacher Sprachregelung die Prinzipien der Eigenzuständigkeit und Eigenverantwortung i n der tiert werde (s. oben) — von vornherein unklar, vieldeutig interpretierbar bzw. sogar i n sich selbst widersprüchlich (hinsichtlich einer Begründung dieser Behauptung vgl. auch den i m E x k u r s behandelten Beitrag v o n Sen über die Unmöglichkeit eines paretianischen Liberalismus). 4 I m ,reinen F a i r hätte sich dabei die Gruppe ihre Entscheidungsregeln selbst zu geben; als solche Regeln einer gruppenmäßigen Entscheidungsfindung könnte sie etwa das Faustrecht gelten lassen, nach einem ,anderen' Leistungsprinzip oder nach der Devise verfahren, daß der „zuerst mahlt, der zuerst k o m m t " oder auch Mehrheitsentscheidungen fällen u. a. m.

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T e i l C: Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen

Regel i n den Prinzipien der Gruppenzuständigkeit und der Gruppenverantwortung m i t erfaßt sein. Soll zwischen ihnen ein Unterschied gemacht werden, w i r d das i m jeweiligen Zusammenhang deutlich werden. Die Wahl der Worte »Zuständigkeit 4 und ,Verantwortung' kann allerdings leicht den Anlaß zu Mißverständnissen geben. Anstelle des Prinzips der Gruppenzuständigkeit wäre dem Wortsinn nach besser von einem Prinzip des ,Gruppenbeliebens' die Rede — eine wohl zu unvertraute Wortbildung; für das Prinzip der Gruppenverantwortung fehlt m i r überhaupt eine andere Bezeichnungsweise. Zur Kennzeichnung des m i t den beiden Prinzipien gemeinten Sachverhalts, ist zu betonen, daß Angelegenheiten nicht schon gruppenzuständig sind, wenn eine Gruppe über sie faktisch nach ihrem Belieben entscheidet. Selbst wenn Gruppen über bestimmte Angelegenheiten Entscheidungsbefugnisse haben (bzw. haben sollen), fallen diese Angelegenheiten — i m Sinne des genannten Prinzips — dann doch nicht i n ihre Zuständigkeit, wenn diese Befugnisse genommen werden sollen, sofern die Gruppe über sie regelmäßig (gravierende) Fehlentscheidungen t r i f f t (Beispiel: Kindererziehung). Das Prinzip der Gruppenverantwortung ist seinem Wortsinn nach vor allem einer Fehldeutung ausgesetzt. So besagt die Feststellung, daß eine Gruppe für eine Angelegenheit nicht ,verantwortlich' sei, noch nicht, daß diese Gruppe nicht die Pflicht habe, diese Angelegenheit zu regeln. M i t einer solchen Nicht-Verantwortung kann gerade das Gegenteil, nämlich eine höchste Form der Verpflichtung zu entsprechenden A k t i vitäten verbunden sein. Positiv gesehen bringt eine Nicht-Verantwortung nur zum Ausdruck, daß bei einem Unterlassen von Aktivitäten, die nicht i n das Belieben der Gruppe gestellt sein sollen, daraus für einzelne oder alle Mitglieder der Gruppe resultierende Nachteile nicht von ihnen (allein) getragen werden sollen (umgekehrt bei aus solchen Aktivitäten resultierenden Vorteilen). Für die Ermittlung der gesellschaftlichen Wohlfahrt bedeutet nun eine Anerkennung der Prinzipien der Gruppenzuständigkeit und Gruppenverantwortung, wie es oben schon für die der Eigenzuständigkeit und Eigenverantwortung beschrieben wurde, daß bei der Beurteilung von Verteilungsaspekten, die Bereiche (Angelegenheiten) nicht berücksichtigt zu werden brauchen, die unter die Zuständigkeit und Verantwortung unterer Gruppen fallen. Zu welchen Ergebnissen diese Gruppen auch immmer i n den gruppenzuständigen Angelegenheiten hinsichtlich der Verteilung kommen, die Gesellschaft hat diese Entscheidungen als richt i g zu akzeptieren 5 . 5 Dieses Verständnis erlaubt eine Rationalisierung der ersten Interpretation dessen (vgl. oben S. 47), was unter Pareto-Optimum verstanden werden

I. Die Entwicklung einer Verteilungszielsetzung

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b) Das Zusammenspiel von Gruppenzuatändigkeiten und das Problem einer Urteilsfindung Urteilsfindung aus Gruppensicht. I n den abschließenden Sätzen zum letzten Gliederungspunkt war ohne nähere Erläuterung einschränkend von der Zuständigkeit und der Verantwortung unterer Gruppen die Rede. Diese Einschränkung war erforderlich, w e i l immer nur aus der Sicht bzw. weniger mißdeutbar auf der Ebene einer Gruppe geurteilt werden kann und die Angelegenheiten, für die die betreffende Gruppe zuständig und verantwortlich sein soll, bei einer Urteilsfindung gerade mit berücksichtigt werden müssen. A u f diese Weise mag es sich ergeben, daß der Urteilende aus der Sicht einer Gruppe B (mit einer Gruppe C als Teilgruppe) wegen der Gruppenzuständigkeit und einer entsprechenden Entscheidung von C für eine Maßnahme plädieren muß, von der er weiß, daß er sie aus der Sicht von C der Gruppe C nicht empfehlen könnte. I n der Konsequenz des Prinzips der Gruppenzuständigkeit ist das Urteil aus der Sicht von B also selbst dann noch richtig, wenn bekannt ist, daß C nicht die beste Entscheidung getroffen hat: Die Gruppe B darf nicht i n die Entscheidung der Gruppe C ,reinreden' 6 . Allgemein anerkannte Grenzen der Zuständigkeit' einer jeden Gruppe. Wegen einer Vielzahl möglicher Angelegenheiten kann es i n Hinblick auf die Verteilung von Zuständigkeiten eine Vielzahl von Gruppen m i t unterschiedlichen Zuständigkeiten geben. Während bei einer Kumulation der Zuständigkeiten von der untersten (das einzelne Individuum) bis zur obersten Gruppe (die Bevölkerung eines Staates oder der Welt) für alle Angelegenheiten (Bereiche) faktisch alle Zuständigkeiten vergeben sind, muß das unter normativen Gesichtspunkten nicht der Fall sein. Wie es sich i n der w o h l weithin akzeptierten Auffassung von der „Unantastbarkeit und Unverzichtbarkeit der Menschenrechte" ausdrückt, soll es nach allgemeiner Auffassung offensichtlich Angelegenheiten geben, die der Zuständigkeit ( = Belieben) von jedermann und jeder Gruppe enthoben sind. Diese Forderung impliziert, daß auch die Zuständigkeitsverteilung selbst teilweise zu könnte. Danach w ü r d e n alle Verteilungsprobleme überhaupt i n die Gruppenzuständigkeit zu verweisen sein, so daß aus der Sicht der Gesellschaft t a t sächlich alle pareto-optimalen Situationen als gleich gut angesehen werden. Es bedarf keiner weiteren Erwähnung, daß unter diesem Gesichtspunkt äußerst inhumane Ergebnisse als „ g u t " bezeichnet werden könnten u n d daß eine solche Auffassung m i t den generell akzeptierten Normen nicht vereinbar ist. 6 Diese Respektierung auch einer als m i t Sicherheit falschen Entscheidung, schließt nicht aus, worauf schon i m Zusammenhang m i t den Scheinbedürfnissen hingewiesen wurde, daß die Gruppe C bei ihrer Entscheidung argument a t i v (d. h. hier: es w i r d m i t keiner anderen Repressalie gedroht, als m i t dem (schlechten) Ausgang dieser Entscheidung f ü r die betreffende Gruppe selbst) beeinflußt w i r d .

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Teil C : Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen

diesen Bereichen gehört: Für die Frage, ob die Menschenrechte unverzichtbar sind, soll niemand zuständig sein. Zum Verfahren einer Urteilsfindung unter Berücksichtigung der Grenzen von Gruppenzuständigkeiten. Für den Urteilenden kommt es zunächst darauf an, die Grenzen der Zuständigkeiten der Gruppe, aus deren Sicht er urteilen soll, ausfindig zu machen. Wie dieser Bereich regelmäßig durch Zuständigkeiten unterer Gruppen beschränkt ist, die er zu respektieren hat, und die wegen der Eigenverantwortung der Gruppen für seine Urteilsfindung unter Verteilungsaspekten irrelevant sind, hat er auch die normativ begründeten Zuständigkeiten oberer Gruppen wie jenen gereich' zu berücksichtigen, der der Zuständigkeit von Individuen und Gruppen überhaupt entzogen sein soll. I m Sinne des i m Teil A erläuterten methodischen Ansatzes muß er für seine Urteilsfindung, soweit nicht schon i m vorstehenden berücksichtigt, auch jene Normen heranziehen, die eine allgemeine Anerkennung finden. Die i h m so gesetzten Grenzen haben dann als Prinzipien seiner Urteilsfindung zu dienen, wobei anhand dieser Prinzipien aus der Gesamtheit der vor der Prüfung einer Maßnahme realisierbaren Situationen um so mehr als irrelevant bzw. nicht-optimal ausgeschieden werden können, je konkreter diese Prinzipien sind. Die dann noch als relevant verbleibenden Bereiche könnte er dann unter Heranziehung der Gruppenmeinung so weit zu reduzieren suchen, daß eine vollständige Ordnung aller zu vergleichenden Situationen möglich ist. Sofern sich dabei die Gruppenmeinung jedoch nicht einstimmig bildet, w i r d der Urteilende die Einengung der für die Urteilsfindung (noch) relevanten Situationen auf der bisherigen normativen Basis nicht so weit treiben können, w e i l er, obwohl aus der Sicht der Gruppe urteilend, i n den innergruppenmäßigen Auseinandersetzungen (verbindlich) nicht Partei ergreifen kann. Das Abstecken des noch relevanten Bereichs seitens des Urteilenden kann somit für die Gruppe höchstens die Funktion haben, den ihr aufgrund allgemein akzeptierter Normen und bestimmten Vorentscheidungen über die Zuständigkeitsverteilung noch verbleibenden Entscheidungsbereich zu ermitteln. Würde die Gruppe sich dennoch für eine Maßnahme entscheiden, die zu einer Situation i n den so abgesteckten nicht-optimalen Bereich fällt, kann der Urteilende auf der Basis der genannten normativen Vorentscheidung die Maßnahme verbindlich als ungerechtfertigt ablehnen, c) Zum Problem der Kompatibilität von Interessiertheit und allgemein anerkannten Verteilungskriterien Solange inhaltlich nur von der Pareto-Norm ausgegangen werden kann, weil darüber hinaus die Bereiche, die der Eigen- und Gruppen-

I. Die Entwicklung einer Verteilungszielsetzung

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Zuständigkeit gänzlich entzogen (bzw. die allgemein akzeptiert werden) und die, i n denen untere Gruppen (einschließlich der einzelnen Individuen) verantwortlich sein sollen, nicht konkreter bestimmt sind als daß solche Bereiche existieren sollen, ist praktisch für eine Urteilsfindung nichts über das Ergebnis des Teils A hinaus gewonnen. Der prinzipiell für die Entscheidungsfindung nach den obigen Gesichtspunkten abgrenzbare Bereich ist gar nicht realisierbar, weil die normativ richtige Zuständigkeitsverteilung (noch) nicht bekannt ist. Insofern stellt sich hier wie am Ende des ersten Teils noch immer die Aufgabe, bei der Urteilsfindung nach Lösungen zur Berücksichtigung von Verteilungsaspekten zu suchen. Dabei ist bislang nicht einmal das Dilemma entschärft, daß es mutmaßlich wegen Interessengebundenheit nicht möglich sein dürfte, für die normative Behandlung von Verteilungsproblemen allgemein akzeptierte, d. h. i m früher erläuterten Sinn verbindliche Regeln zu finden. Allgemein anerkannte Regeln über Regeln. Wenn auch nicht der Weg zu einer Lösung dieses aufgrund der anfänglichen strengen Anforderungen selbst geschaffenen Dilemmas gesehen wird, muß aber wenigstens seine Entschärfung nicht so aussichtslos sein, wie es zunächst erscheinen mag. Zunächst könnte angezweifelt werden, daß es trotz individueller Interessengebundenheit entgegen der oben geäußerten Vermutung faktisch nicht doch möglich sein könnte, allgemein akzeptierte Verteilungsregeln (Verteilungskriterien) zu finden. Selbst wenn — zumal wegen mangelnder Prüfungsmöglichkeit — von der früher ausgesprochenen Mutmaßung nicht abgerückt wird, kann eine Entschärfung dadurch erreicht werden, i n dem zunächst nicht nach allgemein akzeptierten Verteilungsregeln selbst, sondern nach allgemein akzeptierten Regeln „höherer Ordnung" (Meta-Regeln) „gesucht" wird. Unter diesen Regeln sind dabei Aussage darüber zu verstehen, wie Regeln selbst gefunden werden sollen. I n diesem Sinne kann w o h l auch die bereits erwähnte Auffassung, daß es überhaupt „Angelegenheiten" geben soll, die der Zuständigkeit ( = Belieben) von jedermann und jeder Gruppe enthoben sein soll, als eine solche, allgemein akzeptierte Regel höherer Ordnung gelten, wobei diese Regel noch nicht zum Ausdruck bringt, welche Regeln i n diesen Bereich gehören, sondern nur, daß es Regeln geben soll, die i n diesen Bereich gehören 7 . 7 A l s ein weiteres Beispiel einer auch w o h l so verstehbaren allgemein akzeptierten ,Meta-Regel' w i r d auch das Postulat der Symmetrie angeführt werden können, nach dem I n d i v i d u e n unter gleichen Umständen gleich zu behandeln sind.

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T e i l C: Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen

Verfassungen als zusätzliche normative Basis. I n früheren Ausführungen wurde gezeigt, daß bei der i n dieser Arbeit entwickelten Konzeption Urteile immer nur aus der Sicht einer Gruppe getroffen werden können. Soll nun die gesellschaftliche Wohlfahrt ermittelt werden, i m pliziert dies — bei den immer noch bestehenden nationalstaatlichen Tendenzen —, daß die Urteilsfindung dafür aus (zentral-)staatlicher Sicht zu erfolgen hat. Bei dieser Zielsetzung w i r d es als grundsätzlich berechtigt erscheinen, solche ,Regeln4, die sich Staaten als Verfassung geben, und die dadurch ausgezeichnet sind, daß sie nur m i t qualifizierten Mehrheiten geändert werden können, zusätzlich als normative Basis heranzuziehen 8 . Ein solches Verfahren verdient eine noch größere Berechtigung, wenn für die konkreten Verhältnisse i n der BRD nur auf die Grundsätze Bezug genommen wird, die nach A r t . 79 Abs. 3 und A r t . 19 Abs. 2 GG i n ihrem „Wesensgehalt" überhaupt nicht angetastet werden dürfen (vgl. auch Art. 1 Abs. 3). Solche Verfassungsregeln haben nun i m Unterschied zur (selbstverständlichen) Pareto-Norm die Eigenheit, daß sie auch Lösungen für Fälle von Interessenskonflikten anbieten 9 . I n welchem Maße sich nun jedoch aus der Verfassung konkrete Verteilungsnormen herleiten lassen, kann i n dieser Arbeit nicht überprüft werden. Eine Schwierigkeit der Interpretation von Verfassungsnormen i n Hinblick auf die hier interessierenden Verteilungsfragestellungen dürfte darin liegen, daß vermutlich weder die Rechtsprechung noch auch die Rechtslehre unter dem hier interessierenden Aspekt die Verfassung befragt haben dürfte 1 0 . 8 I n diesem Sinne versucht etwa Mishan (Weif are Economics, S. 19: „Yet the debate among welfare economists about appropriate value judgements should, . . . , be regarded as an attempt to reach a consensus on w h a t I m i g h t call a v i r t u a l , or i m p l i c i t , constitution of the community or communities for which the welfare economics i n question is designed; vgl. auch ebd. S. 39 u n d Buchanan/Tullock), allerdings ohne den obigen Begründungszusammenhang, seinen Überlegungen eine normative Basis zu verschaffen. 9 Sind die Grundrechte zunächst auch n u r f ü r das Verhältnis S t a a t - I n d i v i d u u m konzipiert (vgl. auch A r t . 19 Abs. 4), sind sie dennoch auch f ü r die „ z w i schenmenschlichen" K o n f l i k t e von Relevanz, w i e das I n s t i t u t der D r i t t w i r k u n g von Grundrechten verdeutlicht; i m übrigen ist es denkbar, daß f ü r die Aufgabenstellung der Beurteilung von (staatlichen) Maßnahmen das I n s t i t u t der D r i t t w i r k u n g gar nicht benötigt w i r d (vgl. i n diesem Zusammenhang Maunz - Dürig, Grundgesetz, zu A r t . 1; Rn. 102). 10 A n späterer Stelle zeigt sich allerdings, daß gewisse (normative) Konsequenzen f ü r Verteilungsfragen sich durchaus m i t Verfassungsnormen u n d ihrer Interpretation begründen lassen (vgl. unten zu existenzsichernden A k t i vitäten) ; bezeichnend f ü r die Schwierigkeit der Interpretation der Verfassung unter der hier interessierenden Fragestellung dürfte es sein, daß der o.e. Grundgesetzkommentar noch keinen Beitrag zur Sozialstaatsklausel des A r t . 20 Abs. 1 GG enthält.

I. Die Entwicklung einer Verteilungszielsetzung

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D e r H i n w e i s , daß m ö g l i c h e r w e i s e aus d e r V e r f a s s u n g eine e r w e i t e r t e n o r m a t i v e Basis h e r g e l e i t e t w e r d e n k a n n , h a t so zunächst p r i n z i p i e l l e n Charakter. M i t d e m R ü c k g r i f f a u f i n concreto n i c h t u n b e d i n g t a l l g e m e i n a k z e p tierte Verfassungsnormen w i r d nämlich die M o t i v a t i o n geboten bzw. w i r d z u r e c h t f e r t i g e n versucht, v o n e i n e r r i g o r o s e n I n t e r p r e t a t i o n des K r i t e r i u m s der a l l g e m e i n e n i n t e r s u b j e k t i v e n A n e r k e n n u n g abzurücken11. D a m i t w i r d d i e h i n t e r dieser A r b e i t u n d d e r i n i h r bezogenen m e t h o dischen P o s i t i o n stehende E i n s t e l l u n g d e u t l i c h . B e i a l l e m B e m ü h e n u m a l l g e m e i n a n e r k a n n t e N o r m e n w i r d i m S i n n e d e r V e r f a s s u n g der B R D v o n e i n e r gewissen V o r g e g e b e n h e i t ( U n a n t a s t b a r k e i t u n d U n v e r z i c h t b a r k e i t ) g r u n d l e g e n d e r n o r m a t i v e r V o r s t e l l u n g e n ausgegangen 1 2 . D i e B e r ü c k s i c h t i g u n g solcher N o r m e n i s t eine i n Menschenrechten g r ü n dende V e r p f l i c h t u n g 1 3 . W i e a l l e r d i n g s d a r ü b e r b e f u n d e n w i r d , w e l c h e n k o n k r e t e n N o r m e n e i n solches G e w i c h t z u k o m m t , k a n n m i t a u f i n t e r s u b j e k t i v e r A n e r k e n n u n g b e r u h e n d e n wissenschaftlichen K r i t e r i e n n i c h t 11 B e i einer rigorosen Interpretation dürften allerdings weder die ParetoN o r m noch die Gesetze der L o g i k noch die Möglichkeit zutreffender e m p i r i scher Beobachtungen (vgl. oben) i n dem Sinne allgemein anerkannt werden, daß ihnen jedermann (nicht n u r die kleine Schar von Wissenschaftlern) zustimmt. 12 Vgl. Maunz - Dürig zu A r t . 1, Rn. 73 f. 13 Zumindest i m Ansatz unterscheidet sich diese Position somit wesentlich von neueren i n der L i t e r a t u r anzutreffenden Tendenzen, nach denen aus dem „offenbarten Verhalten" (Weisbrod, S. 192) von Regierungen auf die n o r m a t i v gültigen Verteüungsgewichte bzw. auf die f ü r die Regierung geltende soziale Wohlfahrtsfunktion geschlossen werden soll (vgl. Weisbrod, insbes. S. 190 ff.; ferner A . M. Freemann III, Income Redistribution and Social Choice: A Pragmatic Approach, i n : Public Choice, Bd. 7 (1969), S. 3 ff. samt der dort i n Fn. 8 angegebenen L i t e r a t u r ; s.auch die oben (S.17) näher beschriebene Position v o n Rothenberg: „This approach w o u l d define the content of the Social Weifare Function as a generalization of something observable i n the real w o r l d " (Measurement, S. 318)). A u f eine detaillierte K r i t i k einer solchen Verfahrensweise (vgl. auch Freeman) muß hier verzichtet werden; hingewiesen sei n u r auf das Problem der unterstellten hinreichenden Informiertheit der Entscheidungsträger u n d der f ü r ihre Entscheidungen unterstellten ausschließlichen Relevanz dessen, was sie unter „effizienter" u n d unter „verteilungsmäßig besser" bzw. was sie unter gesellschaftlicher Wohlfahrt verstehen (vgl. Weisbrod, S. 194). D e m Entscheidungsträger w i r d nicht n u r von vornherein das V e r trauen entgegengebracht, daß er subjektiv ehrlich n u r i m Sinne einer Förder u n g des Gemeinwohls handele, vielmehr erscheinen auch auf „Irrtum,. I r r a t i o n a l i t ä t oder Z u f a l l " basierende Handlungserklärungen „ f o r government expenditure patterns h a r d l y . . . applicable generally" (Weisbrod, S. 194). Über die solchen Verfahrensweisen innewohnenden Affirmationstendenzen — jede v o n der Regierung getroffene Entscheidung ist gut — u n d die sich daraus ergebenden Gefahren braucht hier w o h l nicht eigens hingewiesen zu werden. A u f diese Weise gewonnene Wohlfahrtsfunktionen können bestenfalls als (nachträgliche) Rationalisierungen v o n Entscheidungen, auf keinen F a l l jedoch als Basis v o n — nicht bzw. von vornherein nicht n u r getroffene Entscheidungen bestätigenden — U r t e i l e n dienen.

11 Hackmann

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T e i l C : Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen

entschieden werden. A n späterer Stelle w i r d deshalb auch nur dafür plädiert, einer bestimmten Verteilungsnorm eine solche Wertigkeit zukommen zu lassen, wie sie neben den ,etablierten' Menschenrechten m. E. auch die i n dieser Arbeit sog. Pareto-Norm verdient. 2. Inhaltliche Grenzen des Prinzips der Gruppenzuständigkeit

W i r d als Rechtfertigung für das Prinzip Gruppenzuständigkeit akzeptiert, daß Individuen i n dem Sinne mündig werden sollen, daß sie sich der sie beeinflussenden Faktoren bewußter werden und daß sie verbesserte Fähigkeiten ihrer Kontrolle gewinnen 1 4 , erhalten solche Maßnahmen eine besondere Bedeutung, die ihnen Anstöße zu größerer Mündigkeit geben. N u n kann prinzipiell ein K o n f l i k t zwischen dem Prinzip der Gruppenzuständigkeit und der Zielsetzung der Förderung der Mündigkeit nicht ausgeschlossen werden, m. a. W. Individuen und Gruppen könnten sich gelegentlich auch für solche Maßnahmen entscheiden, die die Mündigkeit von Individuen zu reduzieren tendieren 15 . I m folgenden sollen nun einige Grenzen der Gruppenzuständigkeit genannt werden, die sich möglicherweise aus dieser Zielsetzung der Förderung von Mündigkeit erklären lassen und von denen angenommen wird, daß sie weitgehend akzeptiert werden. Der gesamte Bereich, für den Zuständigkeiten verteilt werden könnten, läßt sich gedanklich (vollständig) aufteilen i n den Bereich der Bedürfnisse, den des ob und wie der Befriedigung von Bedürfnissen bei gegebenen (und bekannten) Bedürfnisbefriedigungsmitteln (der Bereich der Technik der Befriedigung von Bedürfnissen) und den Bereich der Ausstattung m i t M i t t e l n zur Bedürfnisbefriedigung 16 . a) Grenzen der Zuständigkeit

hinsichtlich der Bedürfnisse

Dem Prinzip der Gruppen-, insbesondere i n der Konkretisierung der Eigenzuständigkeit, entspricht es, daß die Gruppen (Individuen) grundsätzlich auch für die Entwicklung ihrer eigenen Bedürfnisse zuständig sein sollen. 14

Vgl. oben S. 142 f. Das Problem des Versuchs einer praktischen Grenzziehung besteht n u n jedoch darin, daß f ü r das einzelne I n d i v i d u u m nicht unbedingt vorhergesagt werden kann, welche Maßnahme einen Anstoß zur Reduzierung der M ü n d i g keit darstellt; schlimmer noch: jeder bewältigte, unter K o n t r o l l e gebrachte (kontrollierte) Anstoß zur »Entmündigung 4 dürfte eine »größere' Mündigkeit bedeuten (Goethe, Tasso. Es bildet . . . sich ein Charakter i n dem Strom der Welt); damit ist die praktische Grenzziehung auch eine Frage der Risikopräferenz: welches Risiko (vollständige Abhängigkeit z . B . von Drogen) ist die Chance des Mündigwerdens wert. 16 Gemäß den obigen Ausführungen zählt zu den Bedürfnissen etwa auch der Wunsch nach Entscheidungsregeln u n d Entscheidungsprinzipien, die i h r e r seits dann auch als Bedürfnisbefriedigungsmittel zu fassen sind. 15

I. Die Entwicklung einer Verteilungszielsetzung

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Dieses Postulat bedeutet allerdings nur die (bejahende) Akzeptierung einer Tatsache. Wie hier Zuständigkeit (als formale letzte Entscheidungszuständigkeit) verstanden wird, ist etwa ein Individuum (bei der bis heute verfügbaren Technik) für seine Bedürfnisse eigenzuständig, was allerdings ihre Beeinflussung nicht ausschließt. Eine (normative) Ablehnung dieses Postulats würde an der Tatsache der Eigenzuständigkeit i n diesem Bereich nichts ändern, so wenig wie die Aussage, daß es nicht gut sei, daß der Mensch sterben muß, etwas an der Tatsache des Sterbenmüssens ändert und nur Ausdruck einer Unzufriedenheit m i t nicht veränderbaren Fakten ist. Die Akzeptierung des Postulats der Eigenzuständigkeit für den Bereich der Bedürfnisse hat also keine weitere Bedeutung, als das Befriedigtsein über ein Fakt u m zum Ausdruck zu bringen. Aufgrund dieser Überlegungen ist somit eine Prüfung der Frage, ob es Grenzen der Zuständigkeit hinsichtlich der Bedürfnisse geben sollte, ohne praktische Relevanz und soll hier nicht interessieren. b) Grenzen der Zuständigkeit hinsichtlich der,Technik der Bedürfnisbefriedigung' I m Gegensatz zum Bereich der Bedürfnisse ist es jedoch i m Bereich der Technik der Bedürfnisbefriedigung möglich, auch faktisch etwa der Eigenzuständigkeit Grenzen zu setzen. Die Tatsache, daß üblicherweise der Wunsch eines Menschen, das Bedürfnis zu befriedigen, beispielsweise zu Opiaten zu greifen oder seinem eigenen Leben ein Ende zu setzen, nicht respektiert wird, kann als Indiz für eine (normativ bestimmte) Grenze der Eigenzuständigkeit hinsichtlich der ,Technik der Bedürfnisbefriedigung* aufgefaßt werden 1 7 . Aufgrund dieser — vermehrbaren — Beispiele w i r d generalisierend gesagt werden können, daß nach allgemeiner Auffassung solche A k t i v i täten, die die (eigene) Existenz vernichten, nicht i n den Bereich der Eigenzuständigkeit fallen. Zweifelsfreier noch als diese Aktivitäten dem Bereich der Eigenzuständigkeit sollen solche Aktivitäten, die die Existenz (einschließlich der physischen und psychischen Gesundheit) anderer Individuen vernichten, der Gruppenzuständigkeit entzogen sein. Nähere Erläuterungen dieses Falls existenzvernichtender Aktivitäten erübrigen sich m i t dem Hinweis auf die weitgehende einheitliche Auffassung von Individuen über die Zulässigkeit von Tötungen und Körperverletzungen. 17 Je nach (normativ bestimmter) Definition k a n n natürlich auch argumentiert werden, daß es sich i n den genannten Beispielsfällen gar nicht u m »eigene Angelegenheit' handelt; die Konsequenz einer solchen Auffassung wäre w o h l die Leugnung v o n eigenen Angelegenheiten überhaupt.

ix*

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T e i l C: Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen

c) Grenzen der Zuständigkeit hinsichtlich der Versorgung mit Bedürfnisbefriedigungsmitteln Versorgung m i t existenzsichernden Aktivitäten. Jede Grenze der Zuständigkeit hinsichtlich der Technik der Befriedigung mag auch als Grenze von Eigen- und Gruppenzuständigkeit hinsichtlich der Zulässigkeit der Verwendung von Bedürfnisbefriedigungsmitteln aufgefaßt werden. Was nun die Ausstattung m i t Bedürfnisbefriedigungsmitteln betrifft, so dürfte heutzutage unbestritten sein, daß niemand an einen Mangel der Ausstattung m i t Bedürfnisbefriedigungsmitteln zugrunde gehen soll. Nach Maunz 1 8 gehört zum Prinzip der Sozialstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 1 GG) eine Anerkennung „jenes Verteilungsprinzip, das . . . insbesondere die wirtschaftliche und kulturelle Lebensfähigkeit auf einem angemessenen Niveau (Standard) einräumt". Generalisierend w i r d gesagt werden dürfen, daß es hinsichtlich der Versogung m i t existenzsichernden (existenznotwendigen) Aktivitäten keine Eigen- und Gruppenzuständigkeit m i t der Konsequenz auch der Eigen- und Gruppenverantwortung geben soll 1 9 . Hier muß nicht geklärt werden, wie i m einzelnen der Bereich der existenzsichernden Aktivitäten aus der Gesamtheit der Bedürfnisbefriedigungsmittel auszusondern wäre, zumal eine solche Aussonderung nicht unabhängig vom allgemeinen Versorgungsniveau der Gesellschaft sein dürfte. Nach weit verbreiteter Auffassung dürfte aber i n der heutigen Zeit zumindest für die Industrienationen neben einer (Grund-)Versorgung m i t Nahrungsmitteln und Wohnraum auch Teile der medizinischen Versorgung und der Ausbildung (Schulpflicht) i n diesen Bereich der NichtZuständigkeit gehören. Das Ziel der Versorgung m i t existenzsichernden Aktivitäten besagt zunächst nur, daß eine solche Versorgung stattinden soll und schließt nicht aus, daß es bei mehreren geeigneten Alternativen der Existenzsicherung den Individuen und Gruppen überlassen bleibt, wie sie eine solche Sicherung vornehmen wollen. Demzufolge könnte das Wie der Existenzsicherung der Eigen- bzw. Gruppenzuständigkeit überlassen bleiben, sofern dadurch das Ziel der Existenzsicherung selbst nicht beeinträchtigt wird. Vielleicht aus dieser Restriktion erklärbar, vielleicht 18

T. Maunz, Deutsches Staatsrecht, 14. Aufl., München e. a. 1965, S. 65. U m Mißverständnisse auszuschließen, sei noch einmal auf die dieser Arbeit zugrunde gelegte Fassung des Begriffs der Gruppenzuständigkeit (und Gruppenverantwortung) verwiesen (vgl. auch oben): Nicht-Zuständigkeit f ü r existenzsichernde A k t i v i t ä t e n bedeutet nicht, daß der Staat f ü r die Versorgung m i t solchen A k t i v i t ä t e n nicht sorgen solle. Sie besagt vielmehr, daß eine solche Versorgung nicht seinem Belieben überlassen bleiben soll u n d f ü r i h n eine (unaufhebbare) Verpflichtung darstellt. 19

I. Die Entwicklung einer Verteilungszielsetzung

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aber auch Ausdruck einer stärkeren Einschränkung von Eigen- und Gruppenzuständigkeit ist die Tatsache, daß für den Bereich der E x i stenzsicherung häufig hinsichtlich des Wie der Bedürfnisbefriedigung das Prinzip der Wahlfreiheit reduziert ist, wenn etwa durch Preisveränderungen (z. B. Wohngeld) und nicht über eine bedingungsfreie Hilfe eine hinreichende Versorgung ermöglicht werden soll. Versorgung m i t mitmenschlicher Sympathie. N u n stellen die Bedürfnisbefriedigungsmittel, die zur Sicherung der menschlichen Existenz benötigt werden, nur einen Teil der verfügbaren Bedürfnisbefriedigungsmittel dar. Ein für das individuelle Wohlbefinden sehr wichtiger Bereich dürfte sein, was m i t mitmenschlicher Sympathie und Anerkennung umschrieben werden könnte. Was diesen Bereich betrifft, dürfte es keinem Zweifel unterliegen, daß er nach allgemeiner Auffassung weitgehend i n den Bereich der Eigen- und Gruppenzuständigkeit gehört. Faktisch ähnlich dürfte (unter Ausschluß der existenzsichernden A k t i vitäten) der Bereich angesehen werden, i n dem es darum geht, welche Tätigkeiten nach A r t und Volumen Individuen t u n 2 0 . Versorgung m i t freien Gütern. Weitgehend akzeptiert dürfte ferner sein, daß der Bereich der Versorgung m i t „freien" Gütern wie landschaftliche Schönheiten und klimatische Annehmlichkeiten i n den Bereich der Eigen- und Gruppenzuständigkeit fällt. Auch wenn Güter frei sind, sie also ohne Aufwendung von Produktionskosten zur Verfügung stehen, bedeutet das wegen etwaiger räumlicher Gebundenheit dieser Güter noch nicht, daß sie allen Individuen als Bedürfnisbefriedigungsmittel zur Verfügung stehen, obwohl es ihnen möglich ist, sich diese Güter etwa durch einen Umzug verfügbar zu machen. Versorgung m i t sonstigen' Gütern und Diensten. Schwieriger ist allerdings die Frage, wie es hinsichtlich der Versorgung m i t den Gütern und Diensten steht, die nicht i n die bislang erwähnten Bereiche gehören, also beispielsweise weder zur Existenzsicherung notwendig noch etwa „frei" sind. Aufgrund der vorangegangenen Überlegungen ist zunächst klar, daß es i n den Bereich der Eigen- und Gruppenzuständigkeit gehört, m i t welchen spezifischen Gütern und Diensten jemand versorgt werden soll. Wenngleich etwas eingeschränkt, mag dies auch für den 20 Von dieser Einstellung soll hier ausgegangen werden, obwohl sie m i r als bedenklich erscheint. Schließlich gehören i n diesen Bereich nicht n u r die T ä tigkeiten, die I n d i v i d u e n i n i h r e r Freizeit tun, sondern auch alle jene, die ihre Berufstätigkeit darstellen u n d die einen beträchtlichen T e i l ihrer Lebenszeit beanspruchen. Viele dieser Tätigkeiten sind ihrer A r t nach — unabhängig von dem Einkommen, das f ü r sie gezahlt w i r d — knapp u n d können aus diesem Grunde — nicht allein wegen Fähigkeitsbeschränkungen u. ä. — nicht von allen, die sie gerne ausüben würden, ausgeübt werden, so daß es auch unabhängig von der m i t diesen Tätigkeiten verbundenen Entlohnung u n d geforderten Fähigkeiten ein Verteilungsproblem der knappen Tätigkeiten gibt.

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Bereich der existenzsichernden Aktivitäten gelten (s. o.). Das I n d i v i duum soll prinzipiell selbst entscheiden, ob es i n einer bestimmten Situation Brot oder Fleisch oder, sofern es seine Existenz nicht vernichtet, gar nichts ißt. Wie auch für den Bereich der Existenzsicherung prinzipiell das Wie der Sicherung i n den Bereich von Eigen- und Gruppenzuständigkeit gehören mag (nicht jedoch das „Ob"), könnte ähnliches auch für den noch verbleibenden Bereich der knappen Güter und Dienste gelten. I m Unterschied zum Bereich der Existenzsicherung dürfte nach allgemeiner Auffassung für diese Güter und Dienste jedoch das „Ob" der Versorgung i n den Bereich von Eigen- und Gruppenzuständigkeit verwiesen sein. Das bedeutet allerdings noch nicht, daß dies auch für die Möglichkeit gelten muß, die Individuen bzw. Gruppen haben, über — für den über die Existenzsicherung hinausgehenden Bereich — knappe Güter und Dienste zu verfügen. Allerdings dürfte zumindest für die westlichen Industriestaaten unbestritten sein, daß die Versorgung m i t Möglichkeiten zur Verfügung (ökonomische Verfügungsmacht) über solche knappen Güter und Dienste nicht total aus dem Bereich der Eigen- und Gruppenzuständigkeit herausfallen soll. Die Abhängigkeit der Versorgung m i t solcher Verfügungsmacht von individuellen „Leistungen" bzw. von Arbeits-, Dienst- und Eigentumsverhältnissen, deren Gestaltung weitgehend nach dem Prinzip der Vertragsfreiheit (Tarifautonomie) dem Willen von einzelnen Individuen und Gruppen überlassen ist (nach Meinung vieler offensichtlich auch überlassen bleiben soll), mag als ein Indiz für diese Behauptung genügen. Andererseits dürften heute nur wenige bestreiten, daß der Staat ihrer Meinung nach verpflichtet sei (es also nicht i n das Belieben des Staates gestellt sei), für eine gleichmäßigere Verteilung von Verfügungsmacht i n Gestalt von Einkommen und Vermögen zu sorgen. I m folgenden soll deshalb auch davon ausgegangen werden, daß auf eine gleichmäßigere Verteilung von ökonomischer Verfügungsmacht gerichtete Zielvorstellungen unter bestimmten, noch näher zu erläuternden Umständen allgemein akzeptiert werden. Für die BRD speziell wäre zu fragen, ob nicht auch die Sozialstaatsklausel des A r t . 20 GG i n diesem Sinne verstanden werden kann (muß) 21 . 21 s. a. Mishan, Welfare Economics, S. 63: „ I f . . . w e define a better distribution as a more equal distribution w e shall, I presume, be interpreting the constitution aright."

I. Die Entwicklung einer Verteilungszielsetzung

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3. Das Ziel einer gleichmäßigeren Verteilung der ökonomischen Verfügungsmacht

Die gerade beschriebenen Positionen müssen zunächst als widersprüchlich erscheinen, da nach ihnen die Versorgung m i t Möglichkeiten zur Verfügung über knappe Güter und Dienste (ökonomische Verfügungsmacht) sowohl i n als auch nicht i n den Bereich von Eigen- und Gruppenzuständigkeit verwiesen wird. Zur K l ä r u n g dieses Widerspruchs kann sicherlich der Hinweis beitragen, daß ein Teil der ökonomischen Verfügungsmacht zur Existenzsicherung erforderlich ist und deshalb der Eigen- und Gruppenzuständigkeit entzogen ist. Soll die Diskussion u m eine gleichmäßigere Verteilung von Einkommen und Vermögen nicht als ein laxes Gerede abgetan werden, das eigentlich nur das Ziel der Existenzsicherung zum Ausdruck bringen solle, reicht diese Klärung jedoch nicht aus. Offensichtlich wäre dann die Vorstellung von einer gleichmäßigeren Verteilung auch auf den über den zur Existenzsicherung hinausgehenden Teil der ökonomischen Verfügungsmacht anzuwenden. Für diesen Fall läßt sich der zwischen den beiden Positionen scheinbar bestehende Widerspruch nur dadurch ausräumen, daß hinsichtlich der Versorgung m i t mehr ökonomischer Verfügungsmacht als zur Existenzsicherung erforderlich ist (mit ,freier' bzw. ökonomischer Verfügungsmacht i m engeren Sinne) die Gruppen teilweise zuständig und teilweise nicht zuständig sein sollen. Soll die als weithin anerkannt vermutete Zielsetzung einer gleichmäßigeren Verteilung aus, wie es oben erläutert wurde, staatlicher Sicht für eine Urteilsfindung relevant sein, kann damit die Forderung einer gleichmäßigeren Verteilung nicht i m Sinne eines (unbedingten) ,Immermehr' an Gleichmäßigkeit aufgefaßt werden, so daß diese Forderung letztlich auf das Ziel einer Gleichverteilung hinausliefe 22 . Vielmehr muß es prinzipiell Grenzen dieser Forderung geben, jenseits derer das Wie der Verteilung i n die Zuständigkeit (unterer) Gruppen fällt. Aus der Perspektive der Zielsetzung der gleichmäßigeren Verteilung läßt sich diese Grenze auch als eine Konzession an das Prinzip der Gruppenzuständigkeit auffassen: Unter bestimmten Bedingungen w i r d auf eine (noch) gleichmäßigere Verteilung der ökonomischen Verfügungsmacht verzichtet. Von einem gewissen Mindestmaß der Gleichmäßigkeit der Verteilung an wären demzufolge Gruppen für das Wie der Verteilung i n dem i n dieser Arbeit erläuterten Sinne zuständig. Dieses Mindestmaß an Gleichmäßigkeit muß nun nicht als eine feste Grenze verstanden werden. Seine Bestimmung könnte vielmehr i m 22 Bezeichnenderweise gibt das Z i e l einer gleichmäßigeren Verteilung — wörtlich verstanden — keine A u s k u n f t über das Ergebnis, das hinsichtlich der Verteilung erreicht werden soll, sondern n u r über die Richtung, i n der die bessere (als die bestehende) Verteilung zu suchen ist.

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Prinzip auch nach derartigen Überlegungen erfolgen, daß Gruppenzuständigkeit für Verteilungsfragen nur gewährt (und so auch eine ungleichmäßige Verteilung zugelassen) wird, wenn damit über den Vorteil der Gruppenzuständigkeit hinaus sonstige Vorteile verbunden sind. Soll das Mindestmaß an Verteilungsgleichmäßigkeit auf diese Weise aus staatlicher Sicht bestimmt werden, setzt das voraus, daß die sonstigen Vorteile m i t einer größeren Gleichmäßigkeit der Verteilung negativ korreliert sein können. Es sollen hier nun keine allgemeinen Überlegungen darüber angestellt werden, was es an solchen Vorteilen geben mag. I m Zusammenhang der Frage der Verteilung von ökonomischer Verfügungsmacht ist vor allem der Tatbestand von Interesse, daß m i t einer größeren Gleichmäßigkeit der Verteilung eine Reduzierung des für eine Volkswirtschaft insgesamt zur Verfügung stehenden Güterbündels einhergehen kann 2 8 . I n der Konsequenz dieser Überlegungen läßt sich nun hinsichtlich einer Verteilungszielsetzung als ein — vermutlich auch allgemein akzeptiertes — Ergebnis formulieren, daß eine gleichmäßigere Verteilung der ökonomischen Verfügungsmacht (i. e. S.) aus gesellschaftlicher Sicht auf jeden Fall dann gut ist, wenn durch sie das insgesamt zur Verfügung stehende Güterbündel nicht reduziert wird. Unter Bezug auf frühere Ausführungen (s. o. S. 160 f. „Verfassungen als zusätzliche normative Basis") soll hier hinsichtlich dieser Verteilungszielsetzung noch ein Schritt weiter gegangen werden. Ganz gleich, ob es sich aus augenblicklich gültigen Verfassungen (etwa aus der Sozialstaatsklausel des A r t . 20 der bundesrepublikanischen Verfassung) her begründen läßt oder nicht, w i r d dafür plädiert, die genannte Verteilungszielsetzung als »unverzichtbare 4 Gerechtigkeitsnorm m i t gleicher Wertigkeit wie die Pareto-Norm anzusehen, so daß die Verfolgung dieser Verteilungszielsetzung zu einer ,menschenrechtlichen Verpflichtung 4 wird24. Eine systematische Überprüfung von Argumenten, die für und gegen ein solches Plädoyer sprechen, soll i n dieser Arbeit unterbleiben; einige Argumente werden jedoch m i t den weiteren Ausführungen anfallen. I m folgenden werde davon ausgegangen, daß die genannte Verteilungszielsetzung eine solche Wertigkeit besitze. M i t dieser Kennzeichnung dieser Verteilungszielsetzung, die zwecks Vereinfachung i m folgenden häufig als die ,Norm (Zielsetzung) einer gleichmäßigen Verteilung 4 bezeichnet 23

I n dem Maße, i n dem auch darüber hinaus Vorteile existieren, die m i t einer größeren Gleichmäßigkeit der Verteilung negativ korreliert sind, sind allerdings die folgenden Ausführungen zu modifizieren, so daß sie dann mehr einen exemplarischen als einen »abschließenden4 Charakter besitzen. 24 s. i n diesem Zusammenhang das „Problem der Lückenhaftigkeit der Grundrechtsordnung"; vgl. Maunz - Dürig zu A r t . 1, Rn. 84 ff.

I. Die Entwicklung einer Verteilungszielsetzung

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wird, soll allerdings nicht behauptet werden, daß diese Norm i n der heutigen Zeit i n den Industrienationen nicht allgemein anerkannt werden dürfte. I m Gegenteil: Für die Industrienationen i n der heutigen Zeit dürfte eher gelten, daß auch eine allgemeine Bereitschaft besteht, zugunsten einer größeren Gleichmäßigkeit der Verteilung eine gewisse Reduktion des insgesamt verfügbaren Güterbündels i n Kauf zu nehmen. Die Betonung der ,menschenrechtlichen Verpflichtung* der ,Norm der gleichmäßigeren Verteilung* soll nur zum Ausdruck bringen, daß Entscheidungen darüber, ob das aufgrund dieser Norm gebotene Maß an Verteilungsgleichmäßigkeit realisiert w i r d oder nicht, nicht dem Belieben von Gruppen überlassen werden soll also nicht i n die Gruppenzuständigkeit fällt. Erst hinsichtlich weitergehender Verteilungszielsetzungen, nach denen also eine größere Gleichmäßigkeit der Verteilung auch auf Kosten einer Reduktion des Volumens des Distribuendum gewünscht wird, sollten (zuständige) Gruppen nach ihrem Belieben entscheiden dürfen. Werden allerdings solche weitergehenden Verteilungszielsetzungen allgemein akzeptiert, können sie jedoch als erweiterte normative Basis für eine Urteilsfindung deshalb dienen, w e i l m i t ihrer allgemeinen Akzeptierung auch ihre Akzeptierung durch die zuständige Gruppe gegeben ist (s. dazu auch die Bemerkungen oben auf S. 158 „ Z u m Verfahren einer Urteilsfindung unter Berücksichtigung der Grenzen von Gruppenzuständigkeiten"). I n dieser Arbeit w i r d nun eine — auch nur einigermaßen exakte — Bestimmung des Maßes an Verteilungsgleichmäßigkeit, das allgemeine Zustimmung finden dürfte, erst gar nicht versucht. A n späterer Stelle w i r d nur noch dargestellt, wie aufgrund einer Kenntnis eines solchen Maßes das Verfahren einer Urteilsfindung auszusehen hätte. Zuvor soll jedoch beschrieben werden, welche Urteilsmöglichkeiten sich aufgrund der oben genannten als vorgegeben behaupteten Verteilungsnorm ergeben, nach der eine gleichmäßigere Verteilung der „freien** ökonomischen Verfügungsmacht aus gesellschaftlicher Sicht dann gut ist, wenn dadurch das insgesamt zur Verfügung stehende Bündel an Gütern und Diensten (das Volumen des Distribuendum) nicht reduziert wird. Bevor jedoch die aus dieser Zielsetzung sich ergebenden Urteilsmöglichkeiten dargestellt werden können, muß erst näher geklärt werden, was i m einzelnen unter ökonomischer Verfügungsmacht und dem Volumen des Distribuendum zu verstehen ist und vor allem wie beide prinzipiell i n (möglichst) eindeutigen Maßen ermittelt werden können. Insbesondere für die zweite Fragestellung ergeben sich dabei Probleme, die der Sache nach zum Teil von dem Problem der Ermittlung von Volkseinkommensgrößen her vertraut sind: Wie sollen Güterbündel, die sich voneinander dadurch unterscheiden, daß i n einem von ihnen von einzelnen Gütern mehr und von anderen dagegen weniger sind als i n einem

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T e i l C: Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen

anderen, miteinander i n eindeutiger Weise vergleichbar gemacht werden? Die Diskussion dieser und anderer Probleme erfolgt dabei i n der Regel unter der Annahme einer zwei-Personen, zwei-Güter Welt, wobei sie nur so weit geführt wird, daß — anhand von Graphiken — die Urteilsmöglichkeiten aufgrund der ,Norm der gleichmäßigeren Verteilung 4 erläutert werden können. Es w i r d also nicht mehr versucht, die für die Graphiken hergeleiteten Aussagen derart zu transformieren, daß Volkseinkommens- oder sonstige Größen volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen bzw. Nationalbudgets unmittelbar Verwendung finden können.

I I . Z u m Konzept der ökonomischen Verfügungsmacht 1. ökonomische Verfügungsmacht versus persönliche Verfügungsmacht

ökonomische Verfügungsmacht (ö. V.) wurde oben — ansatzweise — als die Möglichkeit definiert, über knappe Güter und Dienste verfügen zu können. Da etwa mitmenschliche Sympathie zumindest durch das Phänomen der Knappheit wenn nicht auch als Dienst gekennzeichnet werden kann, ist jedoch eine nähere Erläuterung erforderlich, soll sie nicht i m Zusammenhang der ö. V. berücksichtigt werden müssen. I n diesem Sinne muß zu dem genannten Charakteristikum der Knappheit noch das der prinzipiellen Austauschbarkeit hinzutreten, und zwar werde von ö. V. nur i n dem Maße gesprochen, wie durch einen bloßen Wechsel der Personen, die ö. V. besitzen, sich an ihrer Höhe nichts ändert. Die Betonung dieses Kennzeichens der Austauschbarkeit ist i m übrigen erforderlich, u m ö. V. aus dem Gesamtbereich der persönlichen Verfügungsmacht einer Person auszugrenzen. Eine persönliche Verfügungsmacht, die nicht ö. V. ist, hat eine Person etwa, wenn sie aufgrund ihres politischen Einflusses, ihres persönlichen Charmes oder ihrer Fähigkeit, austauschbare Leistungen zu erbringen, die Möglichkeit hat, über knappe austauschbare Güter und Dienste zu verfügen 25 . 2. Zum Problem der Ermittlung der ökonomischen Verfügungsmacht

a) ökonomische Verfügungsmacht

als Bestandsgröße

Allgemeine Anforderungen an ein Maß der ökonomischen Verfügungsmacht. Soll das Konzept der ö. V. prinzipiell operationabel sein, gilt es zunächst, darüber Erwägungen anzustellen, wie sie gemessen 25 Dabei versteht es sich, daß eine solche Person nach Erlangen des Besitzes (der „unmittelbaren" Verfügungsmöglichkeit) so erworbener Güter u n d Dienste solange ö. V. hat, w i e über diese Güter u n d Dienste von jedermann i m Austausch gegen andere Güter u n d Dienste weiter verfügt werden kann.

II. Zum Konzept der ökonomischen Verfügungsmacht

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werden kann. Bezogen auf einen Zeitpunkt und eine Person könnte die ö. V. zunächst durch ein Bündel an Gütern 2 6 , über das die Person i n diesem Zeitpunkt verfügen kann bzw. auch tatsächlich verfügt, beschrieben werden. Sofern ein solches Bündel nicht zufällig aus homogenen Gütern bestünde, stellte sich dabei das Problem, die unterschiedlichen Güter i m Verhältnis zueinander zu bewerten. Da oben ö. V. jedoch nicht durch die tatsächliche, sondern durch die Möglichkeit zur Verfügung über Güter definiert wurde, ergibt sich bereits, daß ein bloßer Bezug auf ein Güterbündel (wie das, über das ein Individuum tatsächlich verfügt) strenggenommen noch kein korrektes Maß sein kann. Das eine Maß muß vielmehr zum Ausdruck bringen, welche Möglichkeiten der Verfügung über unterschiedliche Güterbündel bestehen. Insofern muß es sich bei i h m nicht u m das Maß einer konkreten, sondern i n der Intention eher u m das einer abstrakten Verfügungsmacht handeln 2 7 . Insgesamt muß so das zu ermittelnde Maß der ö. V. geeignet sein, als ein „index of choice expansion" zu dienen 28 . I m übrigen ist das Maß der ö. V. i n Hinblick auf die Verteilungsfragestellung zu konstruieren: es muß die Feststellung gestatten, ob bestimmte Verteilungen der ö. V. mehr oder minder gleichmäßig sind, so daß das Maß deshalb bis auf (bei allen Individuen gleichsinnige) m u l t i plikative Transformationen eindeutig fixiert sein muß. Es muß also kardinaler Natur sein. Wegen der Verteilungzielsetzung versteht es sich darüber hinaus, daß das Maß auch interpersonelle Vergleiche gestatten muß. Geld- und Sachvermögen als Ausdruck ökonomischer Verfügungsmacht. Besitzen nun zwei zu vergleichende Personen i n einem Zeitpunkt unterschiedliche oder gleiche Geldvermögen, so dürfte ohne weitere Begründung deutlich sein, daß diese ein guter (Teil-)Ausdruck ihrer ab26 H i e r u n d i m folgenden w i r d n u r noch von Gütern gesprochen. Dies hat p r i m ä r den Zweck einer verkürzenden Schreibweise; obwohl einige der folgenden Ausführungen plastisch m i t Bezug auf Dienste n u r schwer vorstellbar sind (was soll man sich z. B. darunter vorstellen, daß Dienste i n einem Z e i t p u n k t verfügbar sind), ist es hier dennoch berechtigt, sie m i t unter dem Begriff Güter zu subsumieren. 27 „ . . . w e mean t h a t power of a t a x u n i t to command goods and services for personal use, whether the power is exercised or not", Report of the Royal Commission on Taxation (Canada, Carter-Commission), Bd. 3,1966, S. 5. 28 Vgl. Mishan, Welfare Economics, S. 24; i m Unterschied zu Mishan, der davon spricht, „ t h a t w e are compelled (von m i r hervorgehoben; H.) to judge welfare b y some index of choice-expansion", w i r d die Orientierung an der ö. V., w i e die früheren Ausführungen gezeigt haben, hier jedoch nicht als die Konsequenz mangelnder Operationalität anderer Konzepte, sondern als die der oben motivierten normativen Setzungen verstanden: F ü r eine Urteilsfindung w i r d es als vollständig gleichgültig angesehen, ob weitere W a h l bzw. Entscheidungsmöglichkeiten aufgrund einer vergrößerten ö. V. m i t Geschmacksänderungen einhergehen oder nicht.

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T e i l C : Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen

s t r a k t e n ö. V . sind, sofern b e i d e die gleichen G ü t e r z u d e n gleichen P r e i sen k a u f e n k ö n n e n 2 9 . H a b e n sie zusätzlich Sachvermögen, e r g i b t sich entsprechend, daß die v o n jedermann (unter analogen Bedingungen w i e b e i m Geldvermögen) a m M a r k t f ü r das S a c h v e r m ö g e n e r z i e l b a r e n Erlöse w e i t e r h i n ö. V . der b e i d e n Personen k e n n z e i c h n e n 3 0 . A u f e i n e n Z e i t p u n k t bezogen, e r g i b t sich s o m i t , daß das u n t e r d e n gen a n n t e n B e d i n g u n g e n b e w e r t e t e gesamte V e r m ö g e n v o n P e r s o n e n als i n t e r p e r s o n e l l vergleichbares M a ß d e r ö. V . v e r w e n d e t w e r d e n k a n n . I n einer z w e i - G ü t e r W e l t 8 1 ( X x ; X 2 ) l ä ß t sich die ö. V . g r a p h i s c h d u r c h ein Analogon zur Bilanzgeraden (mehrdimensional: Bilanzraum) darstellen. I m H i n b l i c k a u f d i e f o l g e n d e n A u s f ü h r u n g e n w i r d g e l e g e n t l i c h auch v o n B i l a n z l o c u s gesprochen 3 2 . G i b t i n A b b . 1 d i e B i l a n z g e r a d e I I die ö. V . d e r P e r s o n 1 u n d I I I I die d e r P e r s o n 2 w i e d e r , so müssen d i e G e r a d e n — w e g e n r e l a t i v e r

29 Zwecks nochmaliger Kennzeichnung der K r i t e r i e n der Ausgrenzung der ö . V . aus der persönlichen Verfügungsmacht überhaupt ist zu erläutern, daß das Gelten gleicher Preise f ü r beide hier nicht heißen muß, daß der eine aufgrund seines persönlichen Charmes nicht diesen persönlichen Vorzugsrabatt (nicht Mengenrabatt) erhalten kann. Vielmehr ist gemeint, daß f ü r beide dann die gleichen Preise gelten, w e n n sie — anonym — denselben V e r treter (»jedermann') zum K a u f beauftragen u n d f ü r diesen die gleichen Preise gelten. 30 A u f Probleme, i n welcher Zeit schwer verkäufliche, w e i l exquisite bzw. n u r v o n wenigen u n d dann auch bloß gelegentlich benötigte Güter l i q u i d i e r t sein müssen, werde hier nicht eingegangen, obwohl sie auch konzeptionell von Bedeutung sein mögen. 31 Sprachlich u n d darstellerisch w i r d i m folgenden zumeist n u r auf zwei Personen u n d zwei Güter Bezug genommen; es versteht sich, daß die Schlußfolgerungen prinzipiell auch i m mehrdimensionalen R a u m gelten. 32 I m Unterschied zur Bilanzgerade üblichen Stils ist diese Gerade—bei der E r m i t t l u n g von Beständen — auf einen Zeitpunkt u n d nicht auf einen Zeitr a u m bezogen.

II. Zum Konzept der ökonomischen Verfügungsmacht

173

Preisgleichheit — parallel verlaufen. Wegen der Zulässigkeit beliebiger multiplikativer Transformationen ist das i n beliebigen Einheiten gemessene Längenmaß der jeweiligen durch den Schnittpunkt m i t den Bilanzgeraden gekennzeichneten Abschnitte beliebiger Strecken aus dem Ursprung dem zuvor hergeleiteten Maß der ö. V. gleichwertig 3 3 . Berücksichtigung von Preisunterschieden (-Veränderungen). Besondere Bewertungsprobleme ergeben sich jedoch, wenn für die beiden Personen unterschiedliche relative Preise gelten 3 4 , w e i l sie etwa i n unterschiedlichen Regionen wohnen. I n der Graphik zeigt sich dies daran, daß unterschiedliche Strecken aus dem Ursprung des Koordinatensystems nicht mehr zu einheitlichen Ergebnissen hinsichtlich der relativen ö. V. der beiden Personen führen; i m ungünstigen F a l l des Schneidens der Bilanzgeraden ist nicht einmal klar, wer von beiden die größere ö. V. hat. W i r d — für diesen Fall — nämlich nach der Möglichkeit der Person 1 gefragt, nur über das Gut X x zu verfügen, und m i t der entsprechenden Verfügungsmöglichkeit der Person 2 verglichen, mag etwa die Person 1 als die Person m i t den größeren Verfügungsmöglichkeiten (über das Gut X x) ausgewiesen werden, während bei entsprechenden Fragen nach den Verfügungsmöglichkeiten über das Gut X 2 die Person 2 als die besser gestellte Person erscheint. Das Problem der Vieldeutigkeit eines an der Länge von Streckenabschnitten orientierten Maßes läßt sich formal einfach dadurch beseitigen, daß unter der Vielzahl der aus dem Ursprung kommenden Strekken eine bestimmte ausgewählt wird. Die Frage ist nur, welche der Strecken diesen Vorzug verdient. Stehen nun i n der Region, i n der die Person 1 lebt, insgesamt die durch Punkt A i n Abb. 2 gekennzeichneten Mengen an Gütern i n dem betreffenden Zeitpunkt zur Verfügung, zeichnet sich die Strecke O A vor den anderen Strecken dadurch aus, daß sie alle Güterbündel m i t derselben relativen Zusammensetzung der Güter wie der des insgesamt i n der Region verfügbaren Güterbündels abbildet. W i r d nun davon ausgegangen, daß die Summe aller Geldvermögen (Forderungen + Schulden) aller Personen der betrachteten Region n u l l ergibt und bezeichnete OAi (in Abb. 2) den Abschnitt der Strecke OA bis zum Schnittpunkt m i t der Bilanzgeraden der Person 1, gibt OAi/OA an, welcher A n t e i l am insgesamt verfügbaren Güterbündel der Region rechnerisch auf 1 entfällt. Ohne weitere Erläuterungen w i r d einsichtig 33

Z u diesem Verfahren s. a. Hicks, Measurement, S. 130. B e i »reinen' Preisniveauunterschieden (keine Unterschiede der relativen Preise) genügt eine m u l t i p l i k a t i v e Transformation eines der beiden nach dem zuerst genannten Verfahren (Bewertung des Vermögens zu aktuellen Preisen) entwickelten Maßstäbe; nach der »graphischen Methode' ergibt sich erst gar keine Schwierigkeit. 34

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T e i l C : Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen

Abb. 2

sein, daß die Länge der Strecke OAi ein guter Ausdruck für die (abstrakten) Möglichkeiten der Person 1 ist, i n seiner Region über Güter und Dienste zu verfügen. Auch wenn von der obigen Unterstellung abgerückt wird, daß die Summe der Geldvermögen aller Personen gleich n u l l ist, w i r d die grundsätzliche Eignung eines solchen (Strecken-) Maßes der ö. V. einer Person nicht beeinträchtigt. Soll nämlich OAi/OA den rechnerischen A n t e i l der Person 1 am insgesamt verfügbaren Güterbündel ausdrücken, müssen ,nur' für die verschiedenen Personen, die i n der Region leben, die entsprechenden Streckenabschnitte (wie OAi für die Person 1) addiert werden. Ergibt sich dann etwa als Summe die Strecke OB (Abb. 2), wären schließlich die für die einzelnen Individuen ermittelten Streckenabschnitte (wie OA\) i m Verhältnis OB/O A zu kürzen 8 6 . Käme es nun bei der Beurteilung des Verteilungsaspekts nur darauf an, die relative Position eines Individuums i n seiner jeweiligen Region zu berücksichtigen, ergibt der Quotient OAi/OA einen guten Ausdruck der ö. V. der Person 1 (in Region 1) i m Vergleich zu der der Person 2 (in Region 2), wenn für den letzteren nach entsprechendem Verfahren ein entsprechender Quotient ermittelt wird. Komplizierter ist es nun jedoch, wenn nicht nur die relative Position des 1 m i t der des 2 (mit Bezug auf ihre jeweilige Region) verglichen, 35 Sofern jedoch, w i e es oben generell postuliert wurde, n u r ein Maß der ö. V. benötigt w i r d , das beliebig m u l t i p l i k a t i v transformiert werden kann, ist eine solche Umrechnung nicht erforderlich, so daß — auch f ü r den Fall, daß sich die Forderungen u n d Schulden der Personen einer Region nicht gegenseitig aufheben — solche Maße w i e O A \ u n m i t t e l b a r geeignet sind (wegen des beabsichtigten interregionalen Vergleichs genügt ein solches Maß oben allerdings nicht).

II. Zum Konzept der ökonomischen Verfügungsmacht

175

sondern wenn die ö. V. des 1 unmittelbar der des 2 gegenübergestellt werden soll. Zunächst dürfte klar sein, daß sich dann kein Problem ergibt, wenn die relative Zusammensetzung der Güterbündel i n beiden Regionen einheitlich ist. Es könnten einfach die Länge der jeweiligen Streckenabschnitte als Maß der ö. V. genommen werden bei — wie auch für die folgenden Ausführungen der Einfachheit halber unterstellt werden soll — einer Summe der Forderungen und Schulden aller Personen von null. Wie steht es jedoch bei Verhältnissen, wie sie i n Abb. 3 aufgezeichnet sind? Für solche Fälle werde hier vorgeschlagen, die Gütermengen

Abb. 3

von A und B zu addieren 36 ( = C) und OCi und OC als vergleichbare Ausdrücke der ö. V. der beiden Personen zu nehmen. Das Verhältnis OCi/OC resp. OCn/OC gibt dabei an, welcher A n t e i l an den i n beiden Regionen insgesamt zur Verfügung stehenden Gütern den beiden Personen i m Verhältnis ihrer ö. V. hypothetisch zugerechnet werden kann. Da diese Quotienten aus OCi bzw. OCii durch den Prozeß der D i v i sion m i t einem einheitlichen Faktor (multiplikative Transformation) gebildet wurden, sind sowohl die Quotienten wie die (absoluten) Strekkenabschnitte gleicherweise als Indizes der ö. V. geeignet. Die Quotienten haben dabei den Vorteil, daß sie bildhaft vor Augen führen, daß die ö. V. etwas über den A n t e i l an einem Güterbündel zum Ausdruck bringt. 36 A n dieser Stelle sei noch k u r z daran erinnert, daß i n der vorliegenden A r b e i t von den Problemen der Beschaffung der erforderlichen Informationen abgesehen w i r d (vgl. T e i l A dieser Arbeit).

176

T e i l C: Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen

Wie die obigen Ausführungen zeigen, macht es das bislang entwickelte Maß der ö. V. nicht erforderlich, auch das insgesamt zur Verfügung stehende Bündel an Gütern und Diensten zu bewerten. Die Verteilung von ö. V. läßt sich ohne eine solche Bewertung beschreiben, so daß sich zur Kennzeichnung der Verteilung die Problematik der Bewertung von Gütern und Diensten einzig darauf beschränkt, tatsächliche Preise zu ermitteln. Das Problem der richtigen Bewertung der insgesamt verfügbaren Güter stellt sich bei der Zielsetzung einer gleichmäßigeren Verteilung nicht, u m den Grad der Gleichmäßigkeit zu beurteilen, sondern u m die Bedingung überprüfen zu können, ob eine gleichmäßigere Verteilung zu einer Reduzierung des Volumens des Distribuendum führt. Die gleichen Überlegungen, die hier für interregionale Vergleiche angestellt wurden, sind auch für Vergleiche der ö. V. verschiedener oder auch ein- und derselben Person zwischen verschiedenen Zeitpunkten gültig 3 7 . Dabei ist das erste Verfahren, nach dem die ö. V. als Ausdruck der relativen Position einer Person i n einer bestimmten Region bzw. zu einer bestimmten Zeit ermittelt wird, besser für Vergleiche und Zielsetzungen geeignet, bei denen Niveauunterschiede unberücksichtigt bleiben sollen, wie mutmaßlich bei intertemporalen (vielleicht auch internationalen) Vergleichen. Das zweite Verfahren, nach dem die ö. V. verschiedener Personen, die i n verschiedenen Zeiten oder Regionen leben, unmittelbar verglichen wird, empfiehlt sich hingegen für Zielsetzungen, nach denen auch Unterschiede z.B. i n regionalen Niveaus ausgeglichen werden sollen. b) ökonomische Verfügungsmacht

als Stromgröße

Bestandsänderungen und Verbrauch als Ausdruck ökonomischer Verfügungsmacht. Von größerer Wichtigkeit als auf einen bzw. mehrere Zeitpunkte bezogene Vergleiche der ö. V. sind Vergleiche über Zeiträume. Der Zu- bzw. Abgang an ö. V. bei einer Person i n einem bestimmten Zeitraum könnte als die Bestandsänderung zwischen dem A n 37 B e i solchen Vergleichen stellt sich insbesondere das Problem, daß sich i m Zeitablauf nicht n u r die Relation zwischen verschiedenen Gütern der insgesamt zu den verschiedenen Zeitpunkten zur Verfügung stehenden Güterbündel geändert haben mag, sondern daß alte Güter verschwunden u n d neue aufgetaucht sind. Das zweite der beiden dargestellten Verfahren erlaubt dann, w e i l — i m Z w e i - G ü t e r - F a l l — die „Bilanzgerade" zu einem P u n k t zusammengeschmolzen ist, keine Ergebnisse mehr. Dies k a n n als Ausdruck der Problematik des Vergleichs von Warenkörben m i t unterschiedlichen Gütern gedeutet werden, die auch von der Indextheorie her bekannt ist. A u f Möglichkeiten der Berücksichtigung dieser Problematik i m Rahmen des v o r getragenen Konzepts werde hier nicht eingegangen.

II. Zum Konzept der ökonomischen Verfügungsmacht

177

fang und dem Ende des betreffenden Zeitraums definiert werden. Neben solchen Zugängen an Möglichkeiten über Güter und Dienste zu verfügen, w i r d von einer Person i n einem Zeitraum regelmäßig i n dem Sinne definitiv über Güter verfügt, daß diese Verfügung die Möglichkeit nimmt, über diese Güter bzw. über andere an ihrer Stelle verfügen zu können (Verbrauch). Auch diese Verzichte auf Erhalt von Verfügungsmöglichkeiten sollen zu den Zugängen zur ö. V. rechnen 38 . Ermittlung von Bestandsänderungen. Geben i n Abb. 4 die Bilanzgeraden 1 1 und 2 2 die ö. V. der Person 1 i m Anfangs- und Endzeitpunkt des betrachteten Zeitraums wieder, läßt sich der sich i n einer Bestandsänderung niederschlagende Teil des Zugangs an ö. V. als Differenz der beiden Bilanzgeraden dadurch ermitteln, daß gefragt wird, welche der i m zweiten Zeitpunkt verfügbaren Güter auf den Zugang entfallen, wenn die verfügbaren Güter den beiden Zeitpunkten i n festen Verhältnissen zugerechnet werden.

Abb. 4

Der herausgegriffene Fahrstrahl OC beschreibt ein beliebiges fixes Verhältnis zwischen den Gütern. 38 Die sog. Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten gehören damit nicht zur ö. V.; unabhängig von den Schwierigkeiten einer Abgrenzung dieser von den definitiven Verwendungen der ö. V . mag das als selbstverständlich erscheinen, obwohl es das bei bestimmten Abgrenzungen gar nicht sein muß: Sofern der Betriebszweck nicht n u r die M a x i m i e r u n g von Gewinnen ist bzw. präziser: sofern (im Rahmen einer gewissen Wahlfreiheit) über die Betriebsmittel auch zu anderen Zwecken als der G e w i n n m a x i m i e r u n g verfügt w i r d u n d w e n n seitens des Verfügenden (nicht n u r Unternehmer) eine (persönliche) I d e n t i f i k a t i o n m i t diesen Zwecken erfolgt, ist nicht einzusehen, daß solche Verfügungen prinzipiell anders zu sehen sind als Verfügungen i m »privaten' Bereich.

12 Hackmann

178

T e i l C: Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen

Sind A ( i X i i !X 2 ) und B ( 2X t; 2 X 2 ) die Koordinaten des Schnittpunktes des Fahrstrahles m i t den Bilanzgeraden 1 1 resp. 2 2, so hat der entsprechende Punkt des die Bestandsänderung beschreibenden Bilanzlocus die Koordinaten D ( 2X i — tXi; 2 X 2 — x X 2 ) . Über eine Variation des fixen Güterverhältnisses des Fahrstrahles w i r d nach diesem Verfahren die Gesamtheit der Punkte des Bilanzlocus ermittelt, der die Bestandsänderungen beschreibt 39 . Die Berücksichtigung des Verbrauchs. Die Ermittlung des noch verbleibenden Teils des i n einem Zeitraum erfolgten Zugangs zu ö. V. verlangt zunächst eine Aufteilung des betrachteten Zeitraums i n Perioden, die — analog wie oben die Regionen — i m Prinzip durch das K r i t e r i u m der relativen Preisgleichheit voneinander abgegrenzt werden. Für jede Periode ergeben sich somit Bilanzgeraden (jetzt i m üblichen Sinne), die sich voneinander durch unterschiedliche Steigungen unterscheiden. Entsprechend dem gerade beschriebenen Verfahren einer Differenzbildung zwischen Bilanzgeraden gilt es nun, diese Bilanzgeraden zu addieren. W i r d noch die die Bestandsänderung beschreibende Bilanzgerade hinzugefügt, ergibt sich eine Gerade, die den gesamten Zugang an ö. V. i n dem betrachteten Zeitraum beschreibt. Soll nun der Zugang an ö. V. von (zwei) Personen für den betrachteten Zeitraum verglichen werden, können, analog zu dem oben für die Zeitpunktbetrachtung ausgeführten, beliebige Abschnitte von Strecken aus dem Ursprung bis zur aufaddierten Bilanzgerade als vergleichbare Maßstäbe der Änderung der ö. V. i n einem Zeitraum genommen werden, wenn i n dem Zeitraum für beide Personen einheitliche Preise gelten. Andernfalls ist, wie zuvor beschrieben, eine Strecke auszuwählen, die durch die Zusammensetzung des für den betrachteten Zeitraum insgesamt zusätzlich verfügbaren Güterbündels gekennzeichnet ist. 39 Geben V j = X t + aX 2 u n d V 2 = X t + b X 2 die Gleichungen der beiden ursprünglichen Bilanzgeraden wieder, läßt sich der Bilanzlocus der Bestandsänderungen durch die folgende Gleichung einer Hyperbel beschreiben:

V2 X t + bX 2

Vi = X t + aX 2

1

Es zeigt sich also, daß n u r bei Gleichheit der relativen Preise (a = b) der Bilanzlocus der Bestandsänderungen eine Gerade ist; f ü r diesen F a l l g i l t : V 2 - V t = X t + a X 2 . Trotz dieser Gegebenheit w i r d i m folgenden w e i t e r h i n häufig von Bilanzgeraden gesprochen u n d werden Geraden gezeichnet. Dabei werden Geraden zugrundegelegt, die — bezogen auf die beiden Ausgangsgleichungen — allgemein beschrieben werden können durch die Formel:

Auch i n dieser Formel ist f ü r den F a l l der Gleichheit der relativen Preise als Spezialfall enthalten: V 2 - V x = X x + a X 2 .

II. Zum Konzept der ökonomischen Verfügungsmacht

179

A n diesem Verfahren ändert sich prinzipiell auch dann nichts, wenn etwa wegen unterschiedlichen Lebensalters der zu vergleichenden Personen der Zugang an ö. V. beider Personen für unterschiedlich lange Zeiträume zum Vergleich ansteht. I n diesen Fällen muß ,nur' eine Gewichtung nach Maßgabe der unterschiedlichen Länge der Zeiträume hinzutreten 4 0 . 3. Die ökonomische Verfügungsmacht einiger spezieller Gutsarten

Zum Abschluß der Darstellung des Konzepts der ö. V. sei — allerdings nur thesenhaft — noch auf einige Fragen eingegangen, wie der Bereich der zu berücksichtigenden Güter selbst abzugrenzen sei. Vom Prinzip her ist es zunächst klar, daß alle Güter zu berücksichtigen sind, für die sich Preise erzielen lassen. Wie steht es jedoch m i t der sog. Freizeit, den öffentlichen Gütern 4 1 und den externen Effekten von Gütern? Da nach den obigen Überlegungen der „Nutzen" nicht mehr als relevantes Einordnungs- und Bewertungskriterium zur Verfügung steht, muß hier nach anderen Orientierungen gesucht werden. Bei der Berücksichtigung der sog. Freizeit bietet sich dabei als Orientierungsfrage an, ob aus den i n dieser Zeit vorgenommenen Tätigkeiten Güter (und Dienste) resultieren, die einen Preis erzielen können. Diese Güter wären zu den Preisen, die sie erzielen könnten, i n den Größen des Zugangs an ö. V. m i t zu berücksichtigen. Die Orientierungsfrage für die Berücksichtigung öffentlicher Güter lautet, ob sie dazu geführt haben, daß definitive Verwendungen von ö. V. unterblieben sind, die vorgenommen worden wären, wären die öffentlichen Güter nicht bereitgestellt worden. Weniger abstrakt formuliert: welche Ausgaben hat eine Person durch die Bereitstellung öffentlicher Güter eingespart? Hinsichtlich des positiven Teils externer Effekte (externe Erträge) müßte die Orientierungsfrage so lauten wie bei den öffentlichen Gütern; 40 A u f eine Fülle v o n Detailproblemen, die sich v o r allem dann ergeben, w e n n diese Konzeption f ü r praktische Zwecke u n m i t t e l b a r verwertbar ausgestaltet werden soll, k a n n hier nicht eingegangen werden. So könnte sich etwa das Problem stellen, ob der Kindheitszeit u n d der übrigen Lebenszeit hier dasselbe Gewicht zukommen soll. Andererseits stellen sich die i m Augenblick erörterten Probleme nicht i n der gleichen Weise, w e n n — gemäß dem oben zunächst erörterten Verfahren — die ö. V. i m H i n b l i c k auf die relative Position einer Person i n den jeweiligen Zeitabschnitten ermittelt w i r d . 41 M i t öffentlichen Gütern sind hier nicht solche gemeint, die durch NichtRivalität i n der Verwendung (oder i m Konsum) oder durch die NichtAnwendbarkeit des Ausschlußprinzips gekennzeichnet sind, sondern solche, von deren Inanspruchnahme tatsächlich nicht durch das Setzen v o n „Preisen" ausgeschlossen w i r d , die somit — w i e freie Güter — zur freien Verfügung stehen.

12*

180

T e i l C: Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen

für den negativen Teil wären solche definitiven Verfügungen über ö. V., die zur Kompensation dieser Effekte erfolgen, nicht als Zugang zur ö. V. zu werten. I I I . Zum Problem der Bewertung des Volumens des Distribuendum 1. Problemstellung

Die an früherer Stelle erläuterte Zielsetzung der gleichmäßigeren Verteilung der ö. V. erfordert wegen der Restriktion, daß eine gleichmäßigere Verteilung auf jeden F a l l solange gut ist, wie dadurch das Volumen des Distribuendum nicht reduziert wird, nicht nur ein Maß der ö. V., sondern auch ein Maß für das Volumen des Distribuendum. Da es nach dieser Zielsetzung nur auf die Kenntnis ankommt, ob das Volumen des Distribuendum bei einer Verteilung i m Vergleich zu dem bei einer anderen größer, kleiner oder gleich ist, genügt ein ordinales Maß. Es könnte nun die Ansicht vertreten werden, daß es zur Ermittlung des Volumens des Distribuendum nur erforderlich sei, die für die einzelnen Individuen ermittelten Größen der ö. V. zu addieren, was sich jedoch zumindest dann als unsinnig erweist, wenn die ö. V. als Anteilsgröße definiert worden ist, da die Summen der ö. V. aller I n dividuen dann immer eins beträgt. Werden jedoch die Längen der Streckenabschnitte (wie OA\ i n Abb. 2) selbst als Maßstab der ö. V. genommen, entfällt dieses Argument. Von vornherein muß es auch nicht als abwegig erscheinen, die Summen der so verstandenen ö. V. verschiedener Individuen als Maß des Volumens des Distribuendum zu nehmen 42 . Sofern nämlich ein Güterbündel von mindestens einem Gut mehr und von keinem weniger enthält als ein anderes, würde dieses Maß — korrekterweise — eine Erhöhung des Volumens des Distribuendum anzeigen. Darüber hinaus erscheint ein solches Maß des Volumens des Distribuendum allerdings kaum begründbar. Da nach einem solchen Verfahren gleiche Längen von Streckenabschnitten als gleich wertvoll behandelt werden, würde dies konkret bedeuten, daß etwa 5 Einheiten eines Gutes faktisch so bewertet werden v^e 5 Einheiten eines anderen Gutes. Bezogen auf eine zwei-Güter Welt würden obendrein alle Gütermengen die durch die Punkte jeweils eines u m den Ursprung des Koordinatensystems gelegten Kreisbogens dargestellt werden, als gleichwertig gelten. Die W i l l k ü r einer solchen Verfahrensweise ist offensichtlich. 42

Es sei an die Unterstellung erinnert, daß die Summe der Forderungen u n d Schulden aller Personen n u l l beträgt bzw. daß anderenfalls die Streckenmaße entsprechend,bereinigt' sind.

III. Zum Problem der Bewertung des Volumens des Distribuendum

181

Damit stellt sich die Frage, wie i n einer Volkswirtschaft insgesamt verfügbare Güterbündel auf andere Weise bewertet werden können. Nach den Auffassungen der traditionellen Wohlfahrtstheorie bieten sich dazu konzeptionell zwei Verfahren an. So können Gütermengen einmal „ i n terms of u t i l i t y " zum anderen „ i n terms of cost" bewertet werden 4 3 . Da es nach der i n dieser Arbeit entwickelten Konzeption für Verteilungsfragestellungen irrelevant ist, welcher Nutzen m i t unterschiedlichen Güterbündeln insgesamt produziert werden kann, braucht hier eine Bewertung „ i n terms of u t i l i t y " nicht weiter zu interessieren. Damit ergeben sich für die Probleme der Bewertung von Güterbündeln auch keine Schwierigkeiten derart, daß der Nutzen eines Güterbündels je nach der Verteilung der Güter auf die Individuen unterschiedlich ist 4 4 , so daß der Nutzen unabhängig von der Kenntnis der Güterverteilung gar nicht eindeutig ermittelt werden kann. Dieser Sachverhalt ist es, der etwa L i t t l e veranlaßt, eine Unterscheidung von Produktions- und Distributionsaspekten (die Dichotomie von Produktion und Distribution) als unzulässig anzusehen 45 . Von der i n dieser Arbeit entwickelten Konzeption her muß die Bewertung des Volumens des Distribuendum unter einem anderen Gesichtspunkt erfolgen. Das es u m die Verteilung der Möglichkeiten geht, über knappe Güter und Dienste zu verfügen, muß i n der Bewertung von Güterbündeln zum Ausdruck kommen, i n welchem Maße das ökonomische Problem, Knappheiten zu beseitigen, gelöst ist, wenn bestimmte Güterbündel zur Verfügung stehen. Dies bedeutet, daß die Güterbündel i n Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit prinzipiell „ i n terms of cost" (Alternativkosten) zu bewerten sind. Ist das Problem der Bewertung unterschiedlicher insgesamt verfügbarer Gütermengen gelöst, werden deren numerische Werte sinnvollerweise so auf die Maße der ö. V. der einzelnen Individuen übertragen, daß die individuellen Maße auch bei unterschiedlichen insgesamt verfügbaren Güterbündeln vergleichbar sind und die Summe der ö. V. aller Individuen den Gesamtwert des jeweiligen Volumens des Distribuendum ausmacht. Wie w o h l nicht näher ausgeführt zu werden braucht, 43

Vgl. Hicks, Measurement, S. 127. Analytisch finden diese Zusammenhänge ihren Ausdruck darin, daß i m Güterraum durch einen jeden P u n k t eine Vielzahl von sozialen Indifferenzk u r v e n (vom Scitovsky-Typ) laufen, die — ohne weiteres — nicht m i t e i n ander verglichen werden können. 45 s. a. oben zum sog. L i t t l e - K r i t e r i u m , bei dem L i t t l e sein K r i t e r i u m des „verteilungsmäßig besser" n u r noch als „on some specific grounds better" interpretiert wissen w i l l ; vgl. i m übrigen Little , Critique, S. 91 ff. u n d auch Rothenberg , Measurement, S. 114: „Under the concept of income as total value of output, the level of income is not independent of its distribution, since different distributions determine different relative prices and hence different value sums." 44

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T e i l C: Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen

hat diese Addition der ö. V. von Individuen einen anderen Charakter, als würden, wie zuvor beschrieben, unmittelbar die als Ausdruck ö. V. ermittelten Längen von Streckenabschnitten addiert. 2. Die gesamtwirtschaftliche Produktionsmöglichkeitsgrenze als Ausdruck der Gesamtheit von Verfügungsmöglichkeiten

Einige Bemerkungen zum Verständnis des Konzepts der Transformationskurve. E i n Ausdruck der Gesamtheit der Möglichkeiten, über Güter zu verfügen, ist die Produktionsmöglichkeitsgrenze (gesamtwirtschaftliche Transformationskurve). Üblicherweise 46 w i r d eine solche Grenze als durch Produktionstechnik und Produktionsfaktoreinsatz determiniert beschrieben. Diese Abgrenzung ist jedoch für die Zwecke dieser Arbeit unbrauchbar, w e i l es hier darum geht, was — unabhängig von spezieller Produktionstechnik und speziellem Produktionsfaktoreinsatz — bei einer bestimmten Verteilung der ö. V. insgesamt an Gütern und Diensten zur Verfügung stehen kann 4 7 . Für die Fragestellung dieser Arbeit interessiert es also gar nicht, ob eine bestimmte Produktion m i t beispielsweise viel oder wenig Boden, entwickelter oder unentwickelter Technik erstellt wird. Als eine Ausnahme von dieser Regel müßte allerdings w o h l der Einsatz von A r beitskräften gelten, w e i l es — je nach wertender Auffassung — als zweckmäßig erscheinen dürfte, den Einfluß von Bevölkerungsbewegungen (Änderungen i n der Struktur und i n der Gesamtzahl) zu eliminieren. U m dies zu erreichen, wäre jedoch nicht von einer konstanten Bevölkerung auszugehen, vielmehr wären sowohl die Wertgröße des insgesamt verfügbaren Güterbündels wie auch die der ö. V. der einzelnen Individuen etwa durch die Anzahl des arbeitsfähigen Teils der Bevölkerung zu dividieren 4 8 . Für die Fragestellung der Arbeit kommt es allein auf den Zusammenhang an, der zwischen einer Änderung der Verteilung der ö. V. und den erreichbaren Produktionsmöglichkeitsgrenzen besteht. Deshalb w i r d eine Produktionsmöglichkeitsgrenze hier so definiert, daß sie angibt, was bei einer bestimmten Verteilung der ö. V. insgesamt an Gütern und Diensten produziert werden kann. Dabei ist es gleichgültig, 46

Vgl. W. Krelle, Produktionstheorie, Tübingen 1969, S. 8 ff. Die Bedingung der Konstanz der Technik legt obendrein eine statische Betrachtungsweise nahe; auch davon w i r d hier f ü r das Verständnis der Transformationskurve nicht ausgegangen, vielmehr ist sie analog der früher beschriebenen Möglichkeitsgrenze des Wohls — einschließlich des Aspekts der Erreichbarkeit (feasability) — zu verstehen. 48 Die Division auch der individuellen Größen der ö. V. hat die formale Funktion, sich die Gesamtgröße als aus der individuellen ö. V. additiv zusammengesetzt vorstellen zu können. 47

III. Zum Problem der Bewertung des Volumens des Distribuendum

183

ob eine m i t einer veränderten Verteilung auch veränderte Produktionsmöglichkeitsgrenze daraus resultiert, daß bei ihr einzelne ,Produktionsfaktoren' nicht mehr zur Produktion eingesetzt werden, sich ihre Qualität verschlechtert oder sich das (angewandte) technische Wissen verbessert hat. Obwohl dem Problem einer Abhängigkeit der Produktionsmöglichkeiten von der Verteilung von der die üblichen Optimalbedingungen formulierenden Wohlfahrtstheorie keine Beachtung geschenkt w i r d 4 9 , w i r d hier, wie vermutet wird, realistischerweise davon ausgegangen, daß eine solche Abhängigkeit besteht. Erst bei der Existenz einer solchen Abhängigkeit, so daß die Transformationskurven bei unterschiedlicher Verteilung der ö. V. nicht unbedingt einen identischen Verlauf haben, erhält die Bedingung Gewicht, nach der eine gleichmäßigere Verteilung auf jeden Fall gut ist, sofern durch sie das Volumen des Distribuendum nicht reduziert w i r d 5 0 . Die Indizierung von sich nicht-schneidenden Transformationskurven. I n dem Verständnis, daß die Gesamtheit der Möglichkeiten, über Güter zu verfügen, ihren Ausdruck i n gesamtwirtschaftlichen Transformationskurven findet, ist die Aussage impliziert, daß alle durch Punkte einer Transformationskurve gekennzeichneten Gütermengen prinzipiell gleichwertig sein sollen. Da es nach der bisherigen Formulierung des Ziels einer gleichmäßigeren Verteilung nur möglich sein muß, verschiedene insgesamt verfügbare Güterbündel unter dem Aspekt des ,größer — kleiner — gleich* zu vergleichen, genügt ihre ordinale Messung. Sofern sich nun die Transformationskurven der bei unterschiedlicher Verteilung insgesamt verfügbaren Gütermengen nicht schneiden, sind deshalb die Abstände der Schnittpunkte beliebiger Strecken aus dem Ursprung m i t den Transformationskurven als eindeutige — beliebig monoton variierbare — Wertindizes geeignet. I n Abb. 5 stellen CA und C& zwei unterschiedliche, insgesamt verfügbare Güterbündel dar. Es sei bekannt, daß CA bei einer bestimmten Verteilung der ö. V. auf die Individuen aufgrund von — von dieser Verteilung abhängigen Produktions- und Konsumtionsentscheidungen — 49

I n der wohlfahrtstheoretischen L i t e r a t u r w i r d dieses Problem zumeist leichthin durch die Unterstellung der Möglichkeit von „ l u m p - s u m distributions" umgangen. Die mangelnde Bereitschaft, nicht n u r die Irrealität dieser Annahme anzuerkennen, sondern auch von i h r abzurücken, mag sich psychologisch daraus erklären, daß dann a l l die einfachen Marginalbeziehungen f ü r Optimalität nicht mehr gelten. Auch dies k a n n als Indiz dafür genommen werden, w i e fahrlässig die traditionelle Wohlfahrtstheorie m i t der V e r teilungsproblematik umzugehen beliebt; vgl. a. die Ausführungen i m T e i l A zum Verständnis von Möglichkeitsgrenzen. so w ä r e n „ l u m p - s u m distributions" unbegrenzt durchführbar, w ü r d e der Versuch einer Realisierung dieses Ziels zu einer GleichVerteilung führen!

184

T e i l C : Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen Ii Xz

d

k

X,

Abb. 5

realisiert werden w i r d (würde). C& würde sich entsprechend bei einer anderen Verteilung ergeben. Da i n Ca mehr an X 2 und weniger an X t verfügbar ist als i n C&, ist nicht unmittelbar ersichtlich, welches dieser beiden Güterbündel höher zu bewerten ist. I m Sinne vorangehender Erläuterugen kann dies erst entschieden werden, wenn die Verläufe der jeweils zu Ca und zu C& gehörenden Transformationskurven bekannt sind, wobei, wie oben ausgeführt wurde, die einzelnen Punkte einer Kurve angeben, welche Gütermengenkombinationen bei einer bestimmten Verteilung von ö. V. produziert werden können. Bei den für Abb. 5 unterstellten Verhältnissen zeigt es sich, daß bei einer Verteilung von ö. V., der die Transformationskurve b entspricht (Verteilung b), das Volumen des Distribuendum »größer* ist als bei einer Verteilung (Verteilung a), die die Kurve a charakterisiert. Dies bedeutet m i t anderen Worten, daß bei der Verteilung b für jedes beliebige (fixe) Güterverhältnis mehr an Gütern produziert werden kann als bei der Verteilung a. Die m i t der Verteilung b verbundenen Möglichkeiten, insgesamt über Güter und Dienste zu verfügen, sind also größer als bei der Verteilung a. Sollte die Verteilung b noch dazu gleichmäßiger sein als die Verteilung a, verdient sie damit nach der oben näher erläuterten Zielsetzung einer gleichmäßigeren Verteilung aus gesellschaftlicher Sicht den Vorzug. Ist die Verteilung b jedoch ungleichmäßiger als die Verteilung a, kann aufgrund der bisherigen normativen Basis keine Aussage getroffen werden. Lösungsansätze einer konsistenten Bewertung bei sich schneidenden Transformationskurven. Es kann nun grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, daß sich die Transformationskurven schneiden, so daß das gerade beschriebene ordinale Maß des Wertes des Distribuendum nicht immer eindeutig sein muß. Wie bei ähnlichen Schwierigkeiten

III. Zum Problem der Bewertung des Volumens des Distribuendum

185

an früherer Stelle ließe sich dieses Problem lösen, wenn wiederum eine der vielen möglichen Strecken aus dem Ursprung vor den anderen ausgezeichnet werden könnte. Allerdings fragt es sich, ob eine sinnvoll begründete Auswahl unter der Vielzahl der denkbaren Strecken vorgenommen werden kann. Bezeichnen i n Abb. 6 die gekennzeichneten Punkte die insgesamt verfügbaren Güterbündel, die bei unterschiedlichen Verteilungen der ö. V. realisiert werden (bzw. würden), so ist die Annahme zunächst nicht unplausibel, daß die relative Zusammensetzung der Güter i n diesen — so bei unterschiedlicher Verteilung der ö. V. alternativ realisierten* — Güterbündel typischerweise nicht sehr unterschiedlich ist. I n der Regel dürfte nicht zu erwarten sein, daß sich bei der einen Verteilung der ö. V. — i m zwei-Güter Fall — (fast) nur das eine und bei einer anderen Verteilung (fast) nur das andere Gut nachgefragt werden wird. Aufgrund einer Ähnlichkeit insbesondere von Konsumentscheidungen von Individuen dürfte sich so der relevante Bereich i m Güterraum und damit auch der der gesamtwirtschaftlichen Produktionsmöglichkeitsgrenzen erheblich einengen lassen 51 . Bei den für Abb. 6 beschriebenen Verhältnissen bliebe so nur noch der zwischen den Fahrstrahlen OA und OB liegende Bereich von Interesse 52 .

Abb. 6

61 Zwecks Rechtfertigung dieser Einengung des relevanten Bereichs v o n Transformationskurven sei daran erinnert, daß nach dem Prinzip der G r u p penzuständigkeit gewünschte individuelle Entscheidungen grundsätzlich respektiert werden sollten. 62 A u f den m i t einer solchen Einengung des relevanten Bereichs von Produktionsmöglichkeitsgrenzen verbundenen »praktischen 4 Vorteil, daß ,nur' noch relativ kurze Abschnitte gesamtwirtschaftlicher Transformationskurven zu ermitteln sind, sei n u r a m Rande hingewiesen.

186

T e i l C: Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen

I m Vergleich zu einer Berücksichtigung des gesamten Bereichs von Transformationskurven ist die Wahrscheinlichkeit, daß sich diese K u r ven gerade i m relevanten Bereich schneiden, von vornherein beträchtlich eingeschränkt. Dennoch w i r d nicht einfach davon ausgegangen werden können, daß sich die Produktionsmöglichkeitsgrenzen i n den relevanten Bereichen nicht schneiden. Für den Fall eines Schneidens blieben also noch Mehrdeutigkeiten bei der Bewertung des Volumens des Distribuendum. U m daraus sich ergebende Probleme auszuschalten, könnten bei mehrdeutigen Ansätzen i m Zweifel etwa die ausgewählt werden, die eine gleichmäßigere Verteilung begünstigen. Konzeptionell befriedigender dürfte jedoch ein Verfahren sein, das den zuvor für die Ermittlung der ö. V. vorgeschlagenen Verfahren entspricht. Danach ist zunächst die durchschnittliche relative Zusammensetzung aller verschiedenen Güterbündel zu ermitteln, die sich bei den unterschiedlichen alternativen Verteilungen der ö. V. realisieren w ü r den und die sich durch einen Fahrstrahl aus dem Ursprung beschreiben läßt. W i r d dann die Länge dieses Strahls zwischen dem Ursprung und seinem Schnittpunkt m i t der jeweiligen Transformationskurve gemessen, ist damit ein eindeutiger Index des jeweiligen Wertes des Volumens des Distribuendum gefunden. Zur Ermittlung der durchschnittlichen relativen Zusammensetzung der Güterbündel kann auch so verfahren werden, daß die Mengen der einzelnen Güter i n den verschiedenen Güterbündeln addiert werden. Würde etwa i n Abb. 6 der Punkt D die sich so ergebenden Summen von X ± und X 2 kennzeichnen, ist OD die Strecke, anhand derer allen Produktionsmöglichkeitsgrenzen dann eindeutige Wert-Indizes zugewiesen werden können (wie i n Abb. 6 OF für die Transformationskurve c und OE für die Kurve a). Wegen des beschriebenen Verfahrens zur Ermittlung von D führt dabei OD »mitten4 durch den Schwärm der Punkte der alternativ insgesamt verfügbaren Gütermengen, die bei unterschiedlicher Verteilung der ö. V. realisiert werden (würden). Obwohl für die Zielsetzung der gleichmäßigeren Verteilung, so wie sie oben erläutert wurde, nur ein ordinales Maß für den Wert des Volumens des Distribuendum benötigt wurde, gestattet das zuletzt vorgestellte Verfahren auch kardinale Wertansätze. Dies erweist sich i n Hinblick auf die später noch kurz zu behandelnde Zielsetzung einer gleichmäßigeren Verteilung, nach der eine größere Gleichmäßigkeit der Verteilung gegen eine Erhöhung des Volumens des Distribuendum abgewogen werden soll, als von Vorteil, w e i l dann die Frage der Ermittlung von erforderlichen kardinalen Maßen nicht mehr aufgeriffen zu werden braucht.

III. Zum Problem der Bewertung des Volumens des Distribuendum

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3. Zum Verfahren der Übertragung der für das Volumen des Distribuendum gefundenen Wertansätze auf die Maße individueller ökonomischer Verfügungsmacht

Oben wurde schon erwähnt, daß es nach einer Ermittlung des Wertes des Volumens des Distribuendum sinnvoll sei, dessen Wertansätze auch auf die Maße individueller ö. V. zu übertragen, und zwar so, daß die Summe der ö. V. aller Individuen gerade den Wert des Volumens des Distribuendum ausmacht. I n Abb. 7 seien Ca und C& die beiden bei zwei unterschiedlichen Verteilungen zu erwartenden insgesamt verfügbaren Güterbündel (vgl. auch Abb. 5). Die Streckenabschnitte OAa und OBQ kennzeichnen die nach dem früher beschriebenen Verfahren ermittelte ö. V. der Person 1 und der Person 2, die zu der durch Ca gekennzeichneten insgesamt verfügbaren Gütermenge gehören. Entsprechend geben OAb und OB& die ö. V. der beiden Individuen bei Cb an. Wie von den voraufgegangenen Ausführungen her bekannt ist, können nun OAa und OAb (wie OAa und OB&) sinnvollerweise miteinander nicht unmittelbar verglichen werden. Ein unmittelbarer Vergleich dieser Streckenabschnitte ist i n dem Maße nicht sinnvoll, wie die Streckenlängen OCa und OCb nicht miteinander verglichen werden können. Kennzeichnet nun OD — i m Sinne des obigen Vorschlags zur Ermittlung des Wertes des Volumens des Distribuendum — die durchschnittliche relative Zusammensetzung der bei alternativen Verteilungen insgesamt verfügbaren Güterbündel, werden OCa und OCb dadurch miteinander vergleichbar gemacht, daß die Schnittpunkte der zu C 0 und C& gehörenden Produktionsmöglichkeitsgrenzen ermittelt werden.

Abb. 7

188

T e i l C: Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen

Für Abb. 7 ergibt sich so als Index für den Wert des Güterbündels Ca (Cb) die Länge der Strecke ODa (ODb). Werden nun durch Aa und Ba Parallelen zu C 0 D a gezogen, sind m i t ODa OD), daß m i t Bezug auf einen Vergleich dieser beiden Punkte (und damit unter vergleichbaren Umständen) die Bereitschaft und Fähigkeit der Person 2 zur Leistungsabgabe größer ist als die der Person 1. Wie für B i m Vergleich zu D lassen sich ähnliche Überlegungen auch für die anderen Punkte auf GB i m Vergleich zu den entsprechenden Punkten auf GD anstellen. Für den i n Abb. 18 unterstellten Verlauf der Möglichkeitsgrenze kann somit gefolgert werden, daß die Person 2 generell eine größere Bereitschaft und Fähigkeit zur Leistungsabgabe hat als die Person 1. Es zeigt sich also, daß die Person 2 wie nach der ,Norm der gleichmäßigeren Verteilung 4 auch nach dem Postulat einer leistungsorientierten Vergütung tendenziell zu begünstigen sei. Eine Entsprechung dieser Verteilungspostulate zeigt sich schließlich auch, wenn eine Person ihre Leistung ceteris paribus erhöht; i n diesem Fall verschiebt sich die Möglichkeitsgrenze — bis auf die Achspunkte der anderen Person — i n ihrem ganzen Bereich nach außen. Daraus ergibt sich für sie — auch unter Berücksichtigung der ,Nortii der gleichmäßigeren Verteilung 4 — unter gleichen Umständen auch eine erhöhte Zuteilung an ö. V. 7 6 . Das Verhältnis von ,Norm der gleichmäßigeren Verteilung 4 und Postulat der Leistungsorientierung läßt sich an weiteren Beispielsfällen erörtern und, wie frühere Überlegungen bereits gezeigt haben, kann dabei auch nicht ausgeschlossen werden, daß beide unter bestimmten Bedingungen miteinander unvereinbare Verteilungsergebnisse fordern. Von prinzipieller Wichtigkeit dürfte dabei — trotz der bereits zuvor getroffenen Einschränkungen — der F a l l sein, daß einzelne Personen — i m Unterschied zu änderen — ihre Leistungsabgabe gar nicht von einer Zuteilung an ö. V. abhängig machen. Werden die i n Abb. 18 dargestellten Verhältnisse unter diesem Aspekt interpretiert, und hat die Person 1 ein so hohes Arbeitsethos, daß sie ihre Leistungen unabhängig von einer Zuteilung an ö. V. bereitstellt, während die Person 2 eine Leistungsabgabe von einer Zuteilung an ö. V. abhängig macht, erbringt die Person 1 — bei OB = 2 X OD — bis auf die Verteilungssituation B immer eine größere Leistung als die Person 2 76 Der ,Nicht-Ausschließlichkeitsanspruch 4 des Postulats der Leistungsorientierung zeigt sich unter den beschriebenen Umständen daran, daß aufgrund der erhöhten Leistung der einen Person auch die andere Person mehr erhalten soll.

IV. Die erweiterten Möglichkeiten einer Urteilsfndung

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(in B sind die Leistungen beider Personen gleich). Auch unter Berücksichtigung der zuvor für den Fall angestellten Überlegungen, daß die Leistungsabgabe (aller Personen!) unabhängig von der Zuteilung an ö. V. ist, w i r d die tendenzielle Begünstigung der nur bei einer Vergütung zur Leistungsabgabe bereiten Person 2 (vgl. Abb. 18) durch die ,Norm der gleichmäßigeren Verteilung 1 unter Gesichtspunkten leistungsgerechter Verteilung wenig befriedigen. Trotz der zuletzt vorgetragenen Bedenken w i r d jedoch gefolgert werden müssen, daß i m allgemeinen die ,Norm der gleichmäßigeren Verteilung* und das Postulat einer leistungsorientierten Vergütung zueinander nicht i m Widerspruch stehen; i m Gegenteil: unter bestimmten Bedingungen, die vielleicht gar nicht so selten erfüllt sein mögen, erfordern beide Verteilungszielsetzungen geradezu das gleiche Verteilungsergebnis.

c) ,Norm der gleichmäßigeren Verteilung' versus das Postulat der bedarfsorientierten Verteilung Sollen für das Postulat der bedarfsorientierten Verteilung ähnliche Bedingungen gelten, wie sie oben zur näheren Beschreibung des Postulats der Leistungsorientierung dienten, muß — ganz gleich, was unter Bedarf verstanden w i r d — für die Kompatibilitätsprüfung auch gefragt werden, ob zwischen dem Verlauf von Möglichkeitsgrenzen zwischen Individuen und dem Bedarf der Individuen Beziehungen bestehen. N u n w i r d aber wohl davon ausgegangen werden können, daß sich nach einer — vernünftigen — Definition von Bedarf kaum ein solcher Bezug herstellen lassen wird. Damit stünde die ,Norm der gleichmäßigeren Verteilung* i n all den Fällen, i n denen sie ein eindeutiges Verteilungsergebnis erfordert bzw. bestimmte Verteilungsergebnisse als irrelevant ausschließt, zu einem so verstandenen Postulat bedarfsorientierter Verteilung i m Widerspruch. Nach der früher erfolgten Ablehnung des Nutzens als ausschließliches Verteilungsobjekt, was bedeutet, daß für die Behandlung von Verteilungsaspekten gerade nicht die Bedürfnisse von Individuen von Bedeutung sein sollen, ist dieses Ergebnis nur konsequent. Es fragt sich nur, was von der Forderung: jedem nach seinen Bedürfnissen zu halten ist, insbesondere, wenn davon ausgegangen werden muß, daß diese Forderung eine breite Zustimmung findet. W i r d von der Möglichkeit inkonsistenter Zielvorstellungen von Individuen abgesehen (vgl. dazu o. unter a), so ist zunächst darauf aufmerksam zu machen, daß diese Forderung nach bedarfsorientierter Verteilung i n Verbindung m i t dem (verpflichte

212

T e i l C: Eine alternative Behandlung von Verteilungsproblemen

tenden [?]) Postulat: „Jeder nach seinen Fähigkeiten" wird77.

vorgetragen

W i r d dieser Zusammenhang nun konditional gedeutet, so daß jeder dann nach seinen Bedürfnissen ö. V. erhalten soll, wenn er nach seiner Fähigkeit Leistungen abgibt, bezieht sich das genannte Postulat auf Bedingungen, die bis heute (noch) nirgendwo erfüllt sein dürften. Gibt jeder seine Leistung nach seiner Fähigkeit ab, so dürfte das w o h l so interpretiert werden, daß die Leistungsabgabe einer Person unabhängig von der Zuteilung an ö. V. ist. I n einer solchen utopischen Welt besitzen die Möglichkeitsgrenzen der Verteilung von ö. V. somit Steigungen von — 1, und die ,Norm der gleichmäßigeren Verteilung' erfordert somit eine Gleichverteilung. Kann nun noch davon ausgegangen werden, daß Umfang und Intensität der (nicht-existenzsichernden!) Bedürfnisse i n der utopischen Welt bei den verschiedenen Personen gleich sind, fordert das i m oben erläuterten Sinne verstandene Postulat der Bedarfsorientierung und die ,Norm der gleichmäßigeren Verteilung 4 das gleiche Verteilungsergebnis. Der Harmonie dieser beiden Verteilungszielsetzungen stünde i n Utopia dann jedoch, wie oben schon gezeigt wurde, die Verletzung des Postulats leistungsgerechter Verteilung gegenüber (sofern zwischen den Personen i n Utopia noch Leistungsunterschiede bestehen). Wie oben bereits i n einer Anmerkung (s. o. Fn. 73), kann allerdings spekuliert werden, daß i n einer Welt, i n der die Personen ihre Leistungsabgaben nicht von einer Vergütung m i t ö. V. abhängig machen, das Postulat der Leistungsgerechtigkeit seine innere Berechtigung verliert 7 8 . Eine Forderung nach bedarfsorientierter Verteilung, die eine breite Zustimmung finden soll, dürfte allerdings i n einem anderen Sinne verstanden werden müssen. Bedarfsorientierung dürfte nicht bedeuten, daß bei der Verteilung auf die subjektiven Bedürfnisse (auch i m Sinne von Launen, Marotten) Rücksicht zu nehmen sei. Vielmehr steht zu vermuten, daß »objektiv vorgegebene 4, existenznotwendige Bedürfnisse das Verteilungsergebnis bestimmen sollen. Zwar sieht die ,Norm der gleichmäßigeren Verteilung 4 keine Berücksichtigung solcher Bedürfnisse vor; es muß jedoch daran erinnert werden, daß i n dieser Arbeit vor der Einführung der ,Norm der gleichmäßigeren Verteilung 4 bereits gefordert wurde, die Versorgung m i t existenzsichernden Aktivitäten solle nicht i n den Bereich von „Eigen- und Gruppenverantwortung 44 fallen, sondern 77

Vgl. K . Marx i n der „ K r i t i k des Gothaer Programms" (s. K . M a r x , Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei, wieder abgedruckt i n : Marx/Engels Werke, Bd. 19, B e r l i n 1969, S. 21; dabei hat M a r x allerdings n u r das Problem der „Verteilung der Konsumtionsmittel" i m Auge (s. ebd., S. 22). 78 „nachdem die A r b e i t nicht n u r M i t t e l zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden" (Marx, ebd., S. 21).

IV. Die erweiterten Möglichkeiten einer Urteilsfindung

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sei als unverzichtbare Zielsetzung bei einer Urteilsfindung zu berücksichtigen. Somit kann zu einem so verstandenen Postulat bedarfsorientierter Verteilung die ,Norm der gleichmäßigeren Verteilung* deshalb nicht i n Widerspruch stehen, w e i l sie sich nur auf die Verteilung ,freier*, d. h. über die Erfordernisse zur Existenzsicherung hinausgehender, ö. V. bezieht (vgl. i m Teil C unter I 3).

Zusammenfassende Bemerkungen Ausgehend von der Frage nach der Möglichkeit und dem Aussagegehalt von Urteilen, die auf allgemein akzeptierten Normen gründen, wurde i m Teil A dieser Arbeit u. a. zwecks Einführung i n die Verteilungsproblematik die Relevanz von Pareto-, Kaldor/Hicks-, Scitovskyund Samuelson-Kriterium untersucht. Als Ergebnis der Prüfung dieser Kriterien kann festgehalten werden, daß aufgrund der i n dieser Arbeit so bezeichneten Pareto-Norm, nach der es aus gesellschaftlicher Sicht auf jeden Fall gut ist, eine Person besser zu stellen, sofern dadurch niemand sonst schlechter gestellt wird, es — abgesehen von spitzfindig konstruierten Verhältnissen — nicht gestattet ist, eine Maßnahme uneingeschränkt zu empfehlen. I m allgemeinen muß es bei einer etwaigen Empfehlung einer Maßnahme, die bereits allein aufgrund der ParetoNorm ausgesprochen werden kann, nämlich offenbleiben, ob nicht zusätzliche (begleitende) Maßnahmen unverzichtbar geboten sind. Eine Empfehlung einer Maßnahme aufgrund der Pareto-Norm allein ist also regelmäßig nur unter der Bedingung berechtigt, daß die (nicht bekannten) richtigen begleitenden Maßnahmen ergriffen werden. I m übrigen wurde i m Teil A darauf hingewiesen, daß ein Nicht-Empfehlen-Können einer Maßnahme noch nicht bedeutet, daß nach der Pareto-Norm die Ausgangssituation — der status quo — erhalten bleiben soll. Eine solche Schlußfolgerung ist aufgrund dieser Norm genauso wenig berechtigt wie eine uneingeschränkte Empfehlung einer Maßnahme. Schließlich zeigte sich i m Teil A, daß aufgrund der Pareto-Norm unter Umständen nicht nur Maßnahmen m i t Verteilungswirkungen, sondern auch ,Verteilungsmaßnahmen* empfohlen werden können. Unter Verteilungsmaßnahmen wurden dabei i n dieser Arbeit solche Maßnahmen verstanden, die zu einem Ubergang von einem Punkt eines Möglichkeitsgrenzlocus zu einem anderen Punkt dieser Möglichkeitsgrenze führen. I m Teil B wurde zunächst dargestellt und belegt, daß die Wohlfahrtstheorie Situationsvergleiche bzw. Maßnahmebeurteilungen an Bewußtseinszuständen (Nutzen, Wohlbefinden, Glück, Freude, . . . ) der einzelnen Individuen und ihrer Verteilung („distribution of happiness") orientiert wissen möchte. Von dieser normativen Vorentscheidung ausgehend wurde dann auf die Unverzichtbarkeit interpersoneller Nutzenvergleiche hingewiesen und geprüft, welche Forderungen an den Grad der Präzi-

Zusammenfassende Bemerkungen

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sion der Nutzenmessung zu stellen seien. Bei dieser Prüfung wurde deutlich gemacht, daß die Strenge der erforderlichen Anforderungen an die Nutzenmessung von den Zielvorstellungen bzw. Normen abhängt, die bei der Bestimmung der gesellschaftlichen Wohlfahrt berücksichtigt werden sollen. Allerdings erwies es sich, daß nicht erst bei der Zielsetzung der Maximierung der Summe der individuellen Nutzen sich beliebige monotone Transformationen der Nutzenindizes als unzulässig erweisen, so daß eine ordinale Nutzenmessung der individuellen Nutzen nicht ausreicht. Auch bei einer Zielsetzung, die es nur erforderlich macht, die Nutzenniveaus verschiedener Individuen zu vergleichen, dürfen die individuellen Nutzenindizes (separat) nicht mehr beliebig monoton transformiert werden. Neben und m i t der Erörterung dieser Fragen wurden i m Teil B einige i n der Wohlfahrtstheorie zu findende Ansätze zur Berücksichtigung der Verteilungsproblematik dargestellt. Ausführlicher diskutiert wurden dabei einige Vorschläge, wie kardinale individuelle Nutzenmaße zu ermitteln seien. Es erwies sich, daß sowohl gegen eine wohlfahrtstheoretische Verwendung des ,Präferenzschwellen-Verfahrens* Armstrongs wie des Verfahrens von v. Neumann-Morgenstern Bedenken zu erheben sind. Obwohl dieses Ergebnis es möglicherweise nahegelegt hätte, nach geeigneteren Verfahren der Nutzenermittlung zu suchen, wurde es zum Anlaß der Frage genommen, ob es überhaupt sinnvoll sei, Urteile an den individuellen Nutzen und ihrer Verteilung zu orientieren. Zu diesem Zweck wurden zunächst einige Probleme behandelt, die sich aus der i n der Wohlfahrtstheorie üblicherweise unterstellten Hypothese der Konstanz der Bedürfnisse ergeben. Es wurde deutlich gemacht, daß diese Hypothese nicht nur den möglichen Anwendungsbereich der Wohlfahrtstheorie erheblich reduziert, sondern daß sie aus prinzipiellen Erwägungen bei einer Orientierung einer Urteilsfindung am Nutzen der Individuen unzulässig ist, u. a. w e i l die Bedürfnisse selbst verändert werden können, möglicherweise sogar regelmäßig durch jede zu beurteilende Maßnahme endogen verändert werden. Da obendrein der Nutzen von Individuen aus einer Beziehung zwischen Bedürfnissen und Bedürfnisbefriedigungsmitteln resultiert, verlangt eine Orientierung der Urteilsfindung an den individuellen Nutzen strenggenommen nicht nur eine Prüfung der Eignung von Bedürfnisbefriedigungsmitteln zur Produktion von Nutzen, sondern auch eine Prüfung, wie geeignet verschiedene Bedürfnisse sind, Wohlbefinden hervorzubringen. A u f dem Hintergrund solcher Konsequenzen wurde dann zu begründen versucht, daß nach allgemeiner Auffassung bei einer Urteilsfindung nicht die Frage interessieren sollte, was den Nutzen von Individuen

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Zusammenfassende Bemerkungen

maximiert, sondern für was sich die Individuen selbst entscheiden w ü r den. A u f den ersten Blick w i r d das vielleicht als i n nichts von dem unterschieden angesehen werden, was schon die allgemeine Auffassung der Wohlfahrtstheorie ist. Der Unterschied liegt auch ,nur' darin, daß i m Falle eines (vielleicht bloß denkbaren) Konflikts zwischen der Forderung einer Orientierung der Urteile an den Nutzen (i. S. v. Wohlbefinden) von Individuen und der, daß Urteile auf dem basieren sollten, was die Individuen selbst wählen würden, die letzte Forderung die erste prinzipiell dominieren soll, während es, wie i m Teil B belegt wurde, nach der üblichen Auffassung der Wohlfahrtstheorie gerade umgekehrt sein sollte. M i t dieser globalen Feststellung, es komme bei einer Urteilsfindung eher darauf an, das zu berücksichtigen, was die Individuen wünschen, als das, was den Nutzen von Individuen erhöhe, ist allerdings, wenn überhaupt, nur wenig über das hinaus gewonnen, was die traditionelle Wohlfahrtstheorie kennzeichnet. Wichtiger ist es schon, wenn die Berechtigung der Forderung, daß die individuellen Wünsche zählen sollen, zunächst einmal auf solche Fälle beschränkt wird, i n denen es u m die ,eigenen Angelegenheiten 1 des jeweils betroffenen Individuums geht (ganz gleich, was solche eigenen Angelegenheiten sein mögen) und wenn die Konsequenzen von vom Individuum i n eigenen Angelegenheiten gewünschten Entscheidungen, wie sie auch immer aussehen mögen, für eine Urteilsfindung aus gesellschaftlicher Sicht irrelevant sind, so daß auch m i t diesen Konsequenzen verbundene Verteilungseffekte nicht berücksichtigt weren sollten. Eine Akzeptierung solcher normativer Vorstellungen (des Prinzips der Eigenverantwortung i n eigenzuständigen Bereichen) impliziert, daß es bei einer Beurteilung von Verteilungsaspekten nicht mehr auf die Verteilung der Nutzen der Individuen ankommt, was die Wohlfahrtstheorie gemeinhin unterstellt. Wie es nach allgemeiner Auffassung Lebensbereiche geben dürfte, die i m erläuterten Sinne als eigenverantwortlich gelten, dürfte auch weithin akzeptiert sein, daß es generell Angelegenheiten gibt, für die Gruppen von Individuen nicht nur faktisch verantwortlich sind, sondern auch i n dem Sinne ,verantwortlich 4 sein sollen, daß sie die Konsequenzen von gruppeninternen Regelungen dieser Entscheidungen selbst tragen sollen. Für die normative Behandlung von Verteilungsproblemen wären also aus gesellschaftlicher Sicht auch diese A r t von Konsequenzen unbeachtlich. Für die Beurteilung von Verteilungsproblemen allein relevant bleiben somit nur die Bereiche, i n denen weder einzelne Individuen und (untere) Gruppen selbst zuständig und selbt verantwortlich sein sollen. Nach der Entwicklung dieser Argumente wurde dann i m Teil C versucht, Zuständigkeits- und Verantwortungsgrenzen aufzuzeigen, von denen (vielleicht) angenommen werden kann, daß sie allgemein akzep-

Zusammenfassende Bemerkungen

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tiert werden. So wurde großenteils die Entwicklung und Veränderung der Bedürfnisse m i t der Konsequenz i n die Zuständigkeit der jeweils betroffenen Individuen verwiesen, daß bei der Behandlung von Verteilungsproblemen die unterschiedlichen Bedürfnisse von Individuen nicht berücksichtigt zu werden brauchen, stärker noch: nicht berücksichtigt werden dürfen. Während die ältere Wohlfahrtstheorie von einer faktischen weitgehenden Gleichheit der Bedürfnisse und der Nutzenkapazitäten der Individuen ausging, und i n jüngerer Zeit, wie i m Teil B erläutert wurde, Wohlfahrtstheoretiker geneigt sind, die Gleichheit von Bedürfnissen und Nutzenbefriedigungskapazitäten über Wahrscheinlichkeitsüberlegungen (Lerner) oder als ,ethisches Postulat* (z. B. Nath) wieder durch die Hintertür einzuführen, ist bei dem i n dieser Arbeit entwickelten Konzept die Frage der Gleichheit von Bedürfnissen und Nutzenbefriedigungskapazitäten ohne Belang. Neben solchen i n die Eigenverantwortung von Individuen verwiesenen Bereichen wurden andererseits jedoch auch Zuständigkeits- und Verantwortungsgrenzen aufgewiesen, von denen vermutet wird, daß sie allgemein akzeptiert werden. I n dem erläuterten Sinn nicht i n die Zuständigkeit und Verantwortung von Gruppen gehörte dabei etwa der Bereich der Versorgung m i t existenzsichernden Aktivitäten. Aus Erwägungen über als allgemein anerkannt vermutete Zuständigkeits- und Verantwortungsgrenzen wurde schließlich auch als Verteilungszielsetzung hergeleitet, daß es auf jeden Fall gut sei, für eine gleichmäßigere Verteilung der Möglichkeiten, über Güter und Dienste zu verfügen (der ,ökonomischen Verfügungsmacht'), dann zu sorgen, wenn durch die gleichmäßigere Verteilung das Volumen der insgesamt verfügbaren Güter und Dienste (im Vergleich zu den Verhältnissen bei einer weniger gleichmäßigen Verteilung) nicht reduziert wird. Nach einigen Erläuterungen zum Konzept der ökonomischen Verfügungsmacht und einer Behandlung von Problemen, die sich ergeben, wenn unterschiedliche insgesamt verfügbare Bündel an Gütern und Diensten bewertet werden sollen, wurde gezeigt, wie sich unter Berücksichtigung der gerade genannten Zielsetzung einer gleichmäßigeren Verteilung der Bereich der Urteilsmöglichkeiten erweitern läßt. Zum Abschluß wurde schließlich allgemein das Verfahren einer U r teilsfindung für den Fall beschrieben, daß die Entscheidungen über die richtige Verteilung, wie es dem i n dieser Arbeit entwickelten normativen Konzept entspricht, zum Teil i n die Zuständigkeit (unterer) Gruppen fallen soll. I n Hinblick auf das i n der Einleitung skizzierte Problem der Auswahl des richtigen Verteilungsobjekts, das dem Praktiker kein Kopfzerbrechen bereite, obwohl der Wohlfahrtstheoretiker traditionellerweise

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Zusammenfassende Bemerkungen

gegen eine grundsätzliche Orientierung der Verteilung an solchen ,objektiven* Größen (im Unterschied zu Bewußtseinszuständen) wie Einkommen und Vermögen Bedenken habe, kommt diese Arbeit zu dem Schluß, daß solche Bedenken aus prinzipiellen Erwägungen nicht berechtigt sein müssen und nach dem, was hier als weitgehend anerkannte Werturteile vermutet wurde, auch nicht berechtigt sind.

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