Zur Regulierung der Prostitution: Eine diskursanalytische Betrachtung des Prostituiertenschutzgesetzes [1. Aufl.] 978-3-658-26928-9;978-3-658-26929-6

Elisabeth Hill und Mark Bibbert untersuchen die Genese des Prostituiertenschutzgesetzes im Rahmen einer wissenssoziologi

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German Pages XI, 168 [173] Year 2019

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Zur Regulierung der Prostitution: Eine diskursanalytische Betrachtung des Prostituiertenschutzgesetzes [1. Aufl.]
 978-3-658-26928-9;978-3-658-26929-6

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XI
Fürsorge durch Verbote? Eine Einleitung (Elisabeth Hill, Mark Bibbert)....Pages 1-4
Problematisierungen der Prostitution (Elisabeth Hill, Mark Bibbert)....Pages 5-16
Sexualität – Selbstbestimmung – Moral (Elisabeth Hill, Mark Bibbert)....Pages 17-24
Aspekte der Prostitutionsforschung (Elisabeth Hill, Mark Bibbert)....Pages 25-43
Resümee: (De-)Regulierungen der Prostitution (Elisabeth Hill, Mark Bibbert)....Pages 45-48
Methodologie und Methode (Elisabeth Hill, Mark Bibbert)....Pages 49-66
Die Prostitutionsdebatte (Elisabeth Hill, Mark Bibbert)....Pages 67-73
Der auf Schutz fokussierte Diskurs (Elisabeth Hill, Mark Bibbert)....Pages 75-99
Der auf Autonomie fokussierte Diskurs (Elisabeth Hill, Mark Bibbert)....Pages 101-118
Zusammenschau und Ausblick (Elisabeth Hill, Mark Bibbert)....Pages 119-131
Diskussion der Ergebnisse (Elisabeth Hill, Mark Bibbert)....Pages 133-139
Was vom Schutz übrig bleibt: Ein Fazit (Elisabeth Hill, Mark Bibbert)....Pages 141-150
Back Matter ....Pages 151-168

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Theorie und Praxis der Diskursforschung

Elisabeth Hill · Mark Bibbert

Zur Regulierung der Prostitution Eine diskursanalytische Betrachtung des Prostituiertenschutzgesetzes

Theorie und Praxis der Diskursforschung Reihe herausgegeben von Reiner Keller, Augsburg, Deutschland

Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich im deutschsprachigen Raum in den Sozialund Geisteswissenschaften eine lebendige, vielfach interdisziplinär arbeitende empirische Diskurs- und Dispositivforschung entwickelt. Vor diesem Hintergrund zielt die vorliegende Reihe durch die Veröffentlichung von Studien, Theo­ rie- und Diskussionsbeiträgen auf eine weitere Profilierung und Präsentation der Diskursforschung in ihrer gesamten Breite. Das schließt insbesondere unterschiedliche Formen sozialwissenschaftlicher Diskursforschung und Diskursperspektiven angrenzender Disziplinen sowie interdisziplinäre Arbeiten und Debatten ein. Die einzelnen Bände beschäftigen sich mit theoretischen und methodologischen Grundlagen, methodischen Umsetzungen und empirischen Ergebnissen der Diskurs- und Dispositivforschung. Zudem kommt deren Verhältnis zu anderen Theorieprogrammen und Vorgehensweisen in den Blick. Veröffentlicht werden empirische Studien, theoretisch oder methodologisch ausgerichtete Monographien sowie Diskussionsbände zu spezifischen Themen. Reihe herausgegeben von Reiner Keller Universität Augsburg

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/12279

Elisabeth Hill · Mark Bibbert

Zur Regulierung der Prostitution Eine diskursanalytische Betrachtung des Prostituiertenschutzgesetzes

Elisabeth Hill Augsburg, Deutschland

Mark Bibbert Kassel, Deutschland

ISSN 2626-2886 ISSN 2626-2894  (electronic) Theorie und Praxis der Diskursforschung ISBN 978-3-658-26929-6  (eBook) ISBN 978-3-658-26928-9 https://doi.org/10.1007/978-3-658-26929-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Wir danken Sylvia und Stephanie Anna und Alexander

Inhaltsverzeichnis FÜRSORGE DURCH VERBOTE? EINE EINLEITUNG ............................. 1 1. PROBLEMATISIERUNGEN DER PROSTITUTION............................... 5 1.1 ABOLITIONISMUS UND WHITE SLAVERY ......................................................... 7 1.2 SELBSTORGANISATION UND POLITISIERUNG IN DER BRD ......................... 10 1.3 VOM PROSTG ZUM PROSTSCHG ................................................................ 13 2. SEXUALITÄT – SELBSTBESTIMMUNG – MORAL ............................ 17 2.1 SEXUALITÄT .............................................................................................. 17 2.2 SEXUELLE SELBSTBESTIMMUNG ................................................................ 19 2.3 MORAL ...................................................................................................... 21 3. ASPEKTE DER PROSTITUTIONSFORSCHUNG ................................. 25 3.1 PROSTITUTION UND MIGRATION ................................................................ 27 3.2 ZUM TATBESTAND DES MENSCHENHANDELS ............................................ 30 3.3 PROSTITUTION, STADT UND SICHTBARKEIT ............................................... 35 3.4 EMPIRISCHE PERSPEKTIVEN AUF SEXUALITÄT .......................................... 40 4. RESÜMEE: (DE-)REGULIERUNGEN DER PROSTITUTION ............ 45 5. METHODOLOGIE UND METHODE ....................................................... 49 5.1 DIE DISKURSIVE KONSTRUKTION DER WIRKLICHKEIT .............................. 50 5.1.1 Der Diskursbegriff als Lupe .............................................................. 51 5.1.2 Diskurse und Akteure ........................................................................ 52 5.2 KORPUSBILDUNG ....................................................................................... 53 5.3 DATENANALYSE ........................................................................................ 56 5.3.1 Exkurs: Die Postmoderne Grounded Theory .................................... 56 5.3.2 Auswahl zur Feinanalyse................................................................... 58 5.3.3 Codieren ............................................................................................ 60 5.3.4 Exkurs: Empirische Analyse sozialer Probleme................................ 63 5.4 DIE KONSTRUKTION DER DISKURSE .......................................................... 65 6. DIE PROSTITUTIONSDEBATTE ............................................................. 67 7. DER AUF SCHUTZ FOKUSSIERTE DISKURS ..................................... 75 7.1 AKTEURE DES AUF SCHUTZ FOKUSSIERTEN DISKURSES ............................ 75 7.2 DIE KONTURIERUNG DES SCHUTZDISKURSES ............................................ 79

VIII

Inhaltsverzeichnis

7.3 ZUR INHALTLICHEN STRUKTURIERUNG ..................................................... 84 7.3.1 Figuren und Konstellationen des Diskurses ...................................... 84 7.3.2 Sexualmoral ....................................................................................... 91 7.3.3 Zur politischen Problembearbeitung................................................. 97 8. DER AUF AUTONOMIE FOKUSSIERTE DISKURS .......................... 101 8.1 AKTEURE DES AUTONOMIEDISKURSES .................................................... 101 8.2 DIE KONTURIERUNG DES AUTONOMIEDISKURSES ................................... 103 8.3 ZUR INHALTLICHEN STRUKTURIERUNG ................................................... 108 8.3.1 Narrative ......................................................................................... 109 8.3.2 Figuren des Autonomiediskurses..................................................... 112 8.3.3 Zur Sexualassistenz ......................................................................... 114 9. ZUSAMMENSCHAU UND AUSBLICK.................................................. 119 9.1 DIE MEDIKALISIERUNG DES SEX ............................................................. 119 9.2 MARGINALISIERTE KONTEXTE ................................................................ 122 9.3 ZWANG ERKENNEN .................................................................................. 125 9.3.1 Zur Grundlage ................................................................................. 127 9.3.2 Dimensionen der Diagnose ............................................................. 129 10. DISKUSSION DER ERGEBNISSE ........................................................ 133 WAS VOM SCHUTZ ÜBRIG BLEIBT: EIN FAZIT ................................. 141 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS ....................................... 151

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen Abbildung 1: Visualisierung der Sachverständigengutachten vom 06.06.2016.. 59 Abbildung 2: Das diskursive Feld ....................................................................... 73 Abbildung 3: Zwang erkennen .......................................................................... 128 Tabelle 1: Der auf Schutz fokussierte Diskurs .................................................... 84 Tabelle 2: Der auf Autonomie fokussierte Diskurs ........................................... 108

Verzeichnis der Abkürzungen AD: AI: Anm. A.: ARD: BesD e.V.: BGH: BKA: BMFSFJ: BR-Drs.: BsD e.V.: BT-Drs.: Bufas e.V.: dpa: FAZ: GeschlKrG: GG: kofra e.V.: kok: ProstG: ProstSchG: SD: SDS: SoFFI K: SOLWODI: StGB: SZ: taz:

Der auf Autonomie fokussierte Diskurs Amnesty International Anmerkung der Autoren Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. Bundesgerichtshof Bundeskriminalamt Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache des Bundesrates Bundesverband sexuelle Dienstleistungen e.V. Drucksache des Bundestags Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter Deutsche Presseagentur Frankfurter Allgemeine Zeitung Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten Grundgesetz Kommunikationszentrum für Frauen zur Arbeits- und Lebenssituation e.V. Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten Prostituiertenschutzgesetz Der auf Schutz fokussierte Diskurs Sozialistischer Deutscher Studentenbund Sozialwissenschaftliches Frauenforschungsinstitut der Kontaktstelle für praxisorientierte Forschung e.V. Solidarity with women in distress Strafgesetzbuch Süddeutsche Zeitung Die Tageszeitung

Fürsorge durch Verbote? Eine Einleitung

Prostitution gehört angeblich, wie (einst) auch Masturbation und Homosexualität, zu jenen Aspekten des Sexuellen, die ganze Gesellschaften zu bedrohen scheinen. Diese Vorstellung basiert auf der Entdeckung der Bevölkerung (Foucault 2012: 31), die den Sex in den Fokus der Politik rückt und mit der die Konstitution der Medizin, Pädagogik, der Psychoanalyse und anderer Disziplinen einhergeht. Ein so formierter Volkskörper muss vor vermeintlichen ‚Schädlingen‘ bewahrt werden. Als konsequent erscheinen vor diesem Hintergrund Bestrebungen ‚die Prostitution‘ in den Griff zu bekommen. Die Antworten auf die Frage, wie das geschehen soll, sind dementsprechend vielfältig – man kann z.B. von einer Risikoerzählung sprechen, „die seit dem 18. Jahrhundert zyklisch alle paar Jahrzehnte die Öffentlichkeit der westlich-industriellen Gesellschaftlichen [sic] überfällt“ (Schetsche/Schmid 2010: 9) Neben einer solchen Konzeption als Problem stehen Konzeptionen von Prostitution als autonomer Sexarbeit, als risikoreicher Tätigkeit und andere (Be-)Deutungen im Raum. Somit überrascht es wenig, dass sich auch die Zahlen hinsichtlich des Umfangs der Prostitution unterscheiden: die Bundesregierung spricht von 400.000 Prostituierten, Fürsprecher*innen eines Verbots sogar von 700.000 Tätigen (Löw/Ruhne 2011: 22). Anzunehmen ist, dass beide Zahlen wesentlich überschätzt sind, obgleich es keine aktuellen empirisch fundierten Daten gibt. Insgesamt ist eine zu geringe sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Prostitution zu verzeichnen (Kavemann/Steffan 2013: 12) – häufig ist daher vom ‚Dunkelfeld Prostitution‘ die Rede. Nicht nur Prostitution als Thema sozialwissenschaftlicher Forschung ist ein Dunkelfeld, es mangelt auch an Forschung über die Regulierung von Prostitution, insbesondere in Deutschland (vgl. Persak 2014; Weitzer 20010, die beide Policy-Making adressieren, jedoch nicht für Deutschland). Dieser Lücke nehmen wir uns anlässlich der jüngsten Gesetzesänderung in diesem Buch an. In den Blick genommen werden hierbei jene aktuellen (deutschen) Kämpfe darum, was Prostitution ist und wie man sie bestmöglich reguliere. Das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG), das zum 01.07.2017 in Kraft trat, stellt genau wie das vorgängige Prostitutionsgesetz (ProstG) ein Regime der „Erlaubnis mit Anerkennung“ (Euchner 2015: 9) dar. Allerdings zielt das ProstSchG auf eine deutlich stärkere © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Hill und M. Bibbert, Zur Regulierung der Prostitution, Theorie und Praxis der Diskursforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26929-6_1

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Fürsorge durch Verbote? Eine Einleitung

Regulierung des Marktes ab. Ein zentrales Moment des neuen Gesetzes ist die Anmeldepflicht für Prostituierte, die mit einer notwendigen gesundheitlichen Beratung und einem Informationsgespräch sowie einem Nachweis der Anmeldung verknüpft ist. Im Folgenden werden wir die Debatten rund um den Gesetzgebungsprozess im Öffentlichen, im Politischen und in der Sphäre der Nicht-RegierungsOrganisationen beleuchten. Das zu Grunde liegende empirische Material besteht hauptsächlich aus textförmigen Daten: Zeitungsartikel, Gesetze, Bundestagsprotokolle, Handreichungen und Gutachten. Analysiert werden diese mit Blick auf die in ihnen zum Ausdruck kommende Deutungen, zum einen inhaltlich, zum anderen relational. Die Fragen, die die Analyse anleiten sind: Welche Deutungen über Prostitution stehen zu welchen anderen in Konkurrenz? Wer rekurriert wie auf diese Deutungen? Welche ‚Formen‘ nehmen diese Deutungen an? Welche Folgen lassen sich prognostizieren? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede offenbart ein diachroner Vergleich? Wie wir zeigen werden, lassen sich in diesem Kontext zwei Diskurse voneinander abgrenzen: ein auf Schutz fokussierter Diskurs (verkürzt auch Schutzdiskurs/SD genannt) sowie ein auf Autonomie fokussierter Diskurs (parallel auch Autonomiediskurs/AD). Diese beiden bewegen sich auf einer Achse der Vorstellung von Prostitution als grundsätzlich strukturiert durch Zwang oder durch Autonomie. Die differierenden Perspektiven auf das Phänomen spiegeln sich auch auf der Ebene der Begriffe wider, denen unterschiedliche Bewertungen zu Grunde liegen: Sexarbeit, Prostitution und Menschenhandel. Die Nähe zur Alltagssprache wie auch zur Gesetzgebung legt eine Fassung von Prostitution/Prostituierten als Überbegriff nahe, trotz etwa etymologisch argumentierender Kritik1. Sexarbeit betont als Begriff den Aspekt der Arbeit und verweist auf die Hurenbewegung2 (zu beidem: Bastian/Billerbeck 2010: 6). Er wird verwendet, um eine autonome Tätigkeit zu markieren. Menschenhandel stellt eine juristische Tatsache dar, oftmals ist in den Debatten auch von Zwangsprostitution oder Frauenhandel die Rede. Bei diesen beiden Begriffen handelt es sich um das Vokabular des Schutzdiskurses. Wenn hier also von Zwangsprostitution oder Frauenhandel die Rede ist, dann wird 1 2

Prostitution entlehnt sich aus dem Französischen. Der Begriff geht zurück auf das lateinische prostituere, das aus pro und statutere gebildet wird und so viel bedeutet wie „zur Schau stellen“, „preisgeben“. Der Begriff Hure wird ermächtigend als Selbstbezeichnung verwendet und wurde als solcher durch die Hurenbewegung besetzt (vgl. 1.2). Diese Konnotation stellt u.a. eine Besonderheit des deutschen Sprachraumes dar. Im Englischen wird, auch als Selbstbezeichnung, der Begriff sex worker präferiert.

Fürsorge durch Verbote? Eine Einleitung

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genau diese gesellschaftliche Perspektive adressiert. Die grammatikalische Zuschreibung von Geschlecht bildet die Attribuierungen im empirischen Material ab. Grundsätzlich wird eine genderneutrale Formulierung angestrebt, etwa im Plural der „Prostituierten“. Wenn ein solches Vorgehen nicht möglich ist, wird das ‚Sternchen‘ - „*“ – verwendet um eine unspezifische Geschlechtszuschreibung deutlich zu machen. Der erste Teil des Buches fasst die relevanten wissenschaftlichen Thematisierungen der Prostitution zusammen. Zuerst wird eine verdichtete Geschichte der Prostitution skizziert (Kapitel 1). Das Augenmerk liegt dabei auf der Entstehung des Abolitionismus als bürgerlicher sozialer Bewegung im 19. Jahrhundert, auf dem damit verwobenem Themenkomplex white slavery (1.1) sowie auf den Problematisierungen der Prostitution in der BRD ab den 1960er Jahren (1.2) und der Regulierung der Prostitution in der BRD durch das Prostitutionsgesetz (ProstG) (1.3). Mit der Verabschiedung des Prostitutionsgesetzes 2002 wurden grundlegende Regelungen des ‚Milieus‘ erstmalig gesetzlich verankert. Die Entwicklung zum Prostituiertenschutzgesetz, das im Juli 2017 in Kraft trat, wird an dieser Stelle einführend dargestellt. Im anschließenden Kapitel werden zentrale Begriffe der Analyse reflektiert und mit Blick auf – teils – empirisch begründete – theoretische Perspektiven diskutiert (Kapitel 2). Dabei wird auf juristische, philosophische und sozial- bzw. kulturwissenschaftliche Quellen zurückgegriffen. Zunächst wird Foucaults Perspektive auf Sexualität skizziert (2.1). Der Begriff der Sexuellen Selbstbestimmung (2.2) wird anschließend in seiner ‚Entstehung‘ und seinen rechtsethischen Kontexten reflektiert: ausgehend vom sogenannten FannyHill-Urteil wird die Selbstbestimmung zum Dreh- und Angelpunkt eines in Deutschland liberalen Staatsmodells. Anschließend wird der Begriff der Moral reflektiert und das Moralisieren als diskursive Strategie diskutiert (2.3). Angeknüpft wird Kapitel 3 mit dem für diese Arbeit relevanten Forschungsstand. Das Themengebiet Prostitution eröffnet eine Vielzahl unterschiedlichster Perspektiven auf den Gegenstand, aus diversen Wissenschaften und mit differierenden Paradigmen. Fokussiert wird zuerst der Forschungsstand zu Migration und Prostitution (3.1). Die Migrationsbewegung ohne Zwangsmomente auszudeuten und weibliche Migration im Besonderen darzustellen, wird Aufgabe dieses Abschnitts sein. Eng verwoben mit dem neuen Gesetz und mit dem Themenkomplex Prostitution ist der Tatbestand des Menschenhandels (3.2). Das Delikt untergliedert sich in zwei Einzeltatbestände, dem des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung (Zwangsprostitution, § 232 StGB) und dem zur Ausbeutung der Arbeitskraft (§ 233 StGB). Die Besonderheiten des Opferstatus und die sich daraus ergebenden Folgen für Ermittlungsbehörden und der geschlechtlichen Zweiteilung von Opfergruppen werden an dieser Stelle diskutiert. In 3.3 wird der Themenkomplex Prostitution, Stadt und Sichtbarkeit verhandelt. Prostitution, das wird hier verdeutlicht,

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Fürsorge durch Verbote? Eine Einleitung

wird zunehmend dem öffentlichen Blick entzogen und durch Prozesse der Verhäuslichung von der ‚Straße‘ geholt. Die bürgerliche Stadt soll frei von Prostitution sein, weshalb diese in die marginalisierten, nicht-bürgerlichen Zonen verschoben wird. Abschließend werden empirische Perspektiven diskutiert, die eine gesellschaftliche ‚Sexualmoral‘ – jenseits einer Einstellungsforschung – in den Blick nehmen (3.4). Parallel zum Programm der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (WDA) wird zuerst die an den Foucaultschen Begriff der Biopolitik anknüpfende Studien zur sexuellen Immunologik diskutiert und zweitens eine durch den symbolischen Interaktionismus geleitete Forschung zu Sexualideologien skizziert. Durch eine zusammenfassende Verdichtung der bisherigen Ausführungen und Grundannahmen wird durch das Zwischenfazit (Kapitel 4) in den empirischen Teil der Studie übergeleitet. In Kapitel 5 wenden wir uns der methodologisch-methodischen Anlage der Studie zu. Ausgangspunkt stellt das Forschungsprogramm der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (WDA) dar (Keller 2011b). Diese Perspektive wird zuerst in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung vorgestellt (5.1). Daran anschließend illustrieren wir die Korpusbildung als ersten Schritt zur Realisierung einer Diskursanalyse (5.2). Im nächsten Kapitel begründen wir unser Vorgehen zur Datenanalyse (5.3), wobei wir uns auf die Postmoderne Grounded Theory (Charmaz 2006; Clarke 2012) sowie die Wissenssoziologie sozialer Probleme (Schetsche 2014) beziehen. In Kapitel 5.4 diskutieren wir die gewählten Heuristiken zur Organisation der Ergebnisse. Dem methodischen Kapitel folgen die Präsentation und die Diskussion der Ergebnisse der empirischen Untersuchung entlang der Teilung zweier konkurrierender Diskurse. Hierzu werden in Kapitel 6 die Debatten um Prostitution dargestellt. Daran anschließend wird der maßgebende auf Schutz fokussierte Diskurs dargestellt und diskutiert (Kapitel 7), wobei zuerst die Akteure adressiert werden (7.1). Dann wird die Abgrenzung des Diskurses plausibilisiert (7.2) und der Diskurs in seinem ‚Innenleben‘ ausgeführt (7.3). In Kapitel 8 wird in paralleler Gliederung der Autonomiediskurs dargestellt und diskutiert. Kapitel 9 behandelt den Schutz- und den Autonomiediskurs in der Zusammenschau, wie auch deren Grenzen und fokussiert insbesondere auf das ‚Outcome‘ des Diskurses und die Momente der Weltintervention. Zuerst wird eine Medikalisierung des Sex in beiden Diskursen identifiziert (9.1), zweitens werden jene Aussagen, die in keinem der beiden Diskurse aufgehen, verortet (9.2) und drittens werden die aus dem ProstSchG resultierenden Techniken der Diagnose von Zwang in der Prostitution diskutiert (9.3). Die Ergebnisdarstellung abschließend wird ein breiterer historischer Rahmen in den Blick genommen und Parallelen, Konstanten, Brüche und Verschiebungen der wiederkehrenden Problematisierungen von Prostitution werden herausgearbeitet (10). Das abschließende Kapitel fasst die zentralen Ergebnisse der Studie zusammen und bilanziert diese.

1. Problematisierungen der Prostitution

Das, was uns heute als ‚neu‘ im Diskurs begegnet, ist auch das Ergebnis wiederkehrender (Um-) Deutungen und Resultat ‚alter‘ Verhandlungen über Prostitution. Insofern werden in diesem Kapitel die Regulierungsbestrebungen und Perspektiven auf Prostitution im Zeitraum beginnend mit der Industrialisierung bis zum ProstG skizziert. Inwiefern sich historische und aktuelle Versatzstücke in Debatten über Prostitution wiederholen, widersprechen und wieder aufgreifen, wird in Kapitel 10 in der Diskussion der Ergebnisse ausgeführt. Zunächst wird ein Überblick über wichtige vergangene Zyklen der Problematisierung3 von Prostitution und die darin eingelassenen Wertungen, Figuren und Erzählungen gegeben. Auf eine genaue ‚Historie‘ wird hier nicht abgezielt, stattdessen geht es um den Wandel von Einstellungen. Die der Plausibilisierung dieses Wandels dienenden Ereignisse werden datiert, allerdings lässt sich dieser Wandel selbst nicht an genaue Daten knüpfen. „Durch die unterschiedlichen historischen Phasen und politische Regime hindurch, lassen sich Kontinuitäten ausmachen. Wer sexuelle Dienstleistungen gegen Bezahlung oder Güter anbot, wurde als sexuell abweichend definiert. An diese Konstruktion setzten in der Folge verschiedene Zwangsmaßnahmen an: Gleichbleibend ist dabei seit dem Kaiserreich ein starkes medizinisches und psychologisches Interesse an der Prostituierten, die als Überträgerin von Geschlechtskrankheiten und ‚Unsitte‘ konstruiert wird. Zusätzlich sind verschiedenste Bereiche und Abteilungen von Polizei, Justiz, Fürsorge, Gesundheitsämter, Pflegeheime, Strafanstalten direkt mit der Kontrolle, Reglementierung, Untersuchung und Beforschung der Prostituierten beschäftigt.“ (Bastian/Billerbeck 2010: 25)

Prostitution wird umgangssprachlich als das „älteste Gewerbe“ der Welt bezeichnet, eine vielfach kritisierte Deutung (vgl. Bernstein 2007, Kontos 2009). Durch die Jahrhunderte hindurch wurde Prostitution unterschiedlich gerahmt und daher auch unterschiedlich reguliert und sanktioniert. Das Verständnis darüber, was Prostitution ist, ändert sich im historischen Wandel. Als Gewerbe im eigentlichen Sinne ist Prostitution auch heute noch nicht zu verstehen, da es rechtliche und verwaltungstechnische Uneindeutigkeiten in Bezug auf den Status eines Gewerbes gibt. Aufgrund dessen wird hier der Rückbezug bis zur Industrialisierung expliziert, die einen Anstieg der Prostitution bewirkte und – das ist weitaus wichtiger –

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Ist im Folgenden vom ‚Problem‘ der Prostitution die Rede, so wird damit die gesellschaftliche Problematisierung dieses Phänomens angesprochen, die Gegenstand (sozial-)wissenschaftlicher Betrachtung sein soll (vgl. Schetsche 2014: 43; sowie Kapitel 5.3.4 der vorliegenden Arbeit).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Hill und M. Bibbert, Zur Regulierung der Prostitution, Theorie und Praxis der Diskursforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26929-6_2

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1. Problematisierungen der Prostitution

ein stärkeres öffentliches Wahrnehmen des Phänomens und erste Bestrebungen, Prostitution strenger zu regulieren. Vor der Industrialisierung waren Bordelle weit verbreitet und boten den Frauen Schutz vor Gewalt durch Kunden und vor Willkür seitens der Polizei. Die dort Tätigen wurden von den Betreibern monetär ausgebeutet, an andere Bordelle weiterverkauft und ihrer Freiheit beraubt. Dennoch bot sich den Frauen hierbei eine überdurchschnittliche Einkommensquelle (Garcia 2014: 35). Frauen, die diesen Einschränkungen entgehen wollten, arbeiteten zunehmend selbstständig, indem sie z.B. Garnisonen hinterher reisten und ihre Dienste anboten. Wirtschaftliche Entwicklungen sowie technischer Fortschritt führten schließlich zur Industrialisierung und einer damit einhergehenden Landflucht/Urbanisierung und dadurch zu einem Anstieg der Erwerbstätigkeit von Frauen aus der Arbeiterschicht. Die wenigen und zudem schlechten Verdienstmöglichkeiten bewegten viele zur Ausübung der Gelegenheitsprostitution, eine Form des Zusatzverdienstes, der oftmals essentiell für den Unterhalt der Familie war (Hunecke 2011: 8). Die Rolle bürgerlicher Frauen beschränkte sich vorrangig auf Tätigkeiten im Häuslichen – Hausarbeit und Kindererziehung. Allmählich wurden diese Pflichten an Personal übertragen, was der bürgerlichen Frau Zeit für ‚gemeinnütziges‘ Engagement ermöglichte. Im Fokus feministischer (und vorerst bürgerlicher) Bestrebungen standen zunächst der Zugang zu Bildung und eine Öffnung der Universitäten für Frauen. Später wurde die „Errettung“ (vgl. Gruber 2006) von Prostituierten zu einer Hauptaufgabe der Frauenbewegung, die sich im Abolitionismus4 manifestierte. Vor dieser Entwicklung war die öffentliche Ablehnung der Prostituierten allgegenwärtig und materialisierte sich in der Figur der „geborenen Dirne“5, die dem Proletariat zugeschrieben wurde und einer Kriminalisierung der Prostituierten diente. Gleichwohl wurde die Zuordnung der „Dirne“ zum Proletariat wurde von den Sozialdemokraten abgelehnt, welche in der Nachfrage der Prostitution ein bürgerliches Problem sahen. Proletarische Männer wurden vor einem Besuch bei Prostituierten gewarnt, sie seien der Ursprungs- und Verbreitungspunkt von Geschlechtskrankheiten, die wiederum den gesunden Körper der Arbeiterschaft gefährden (Hunecke 2011: 10). Die gesellschaftliche Stigmatisierung der Prostituierten war dementsprechend hoch und die Arbeitsbedingungen miserabel. Dadurch, dass Prostitution als Verbreitungsquelle und Ursprungspunkt von 4 5

Der Begriff Abolitionismus leitet sich vom englischen „to abolish“ = „abschaffen“ ab und übernimmt die Bezeichnung der sozialen Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei. In „Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte“ von Lombroso, Cesare/Ferrero, Guglielmo (1894) knüpft Lombroso an seine Theorie des „geborenen Verbrechers“ mit der Figur der „geborenen Dirne“ an. Frauen, die der Prostitution nachgehen, seien demnach von Geburt an defizitär, was sich auch an körperlichen Merkmalen (Anomalien) offenbare. (vgl. dazu: Borelli/Starck 1957: 84)

1. Problematisierungen der Prostitution

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Krankheiten galt, erschien der Körper der Prostituierten gefährlich und offenbarte damit nicht nur Geschlechtsunterschiede, denn der männliche Körper spielte im Diskurs eine untergeordnete Rolle, sondern darüber hinaus auch Klassenunterschiede. Trotz des scheinbaren Gefahrenpotentials wurde Prostitution als „notwendiges Übel“ (Bastian/Billerbeck: 2011) geduldet, schließlich müsse der stärkere Sexualtrieb des Mannes abgeführt werden. Prostitution galt insofern als „der moralische Schutzwall der bürgerlichen Familie“ (Große 2014: 192). Die epidemische Ausbreitung venerischer Krankheiten rückte den Fokus auf eine Reglementierung des ‚Milieus‘. Die Medizin besaß aufgrund der Dringlichkeit des Problems und der Gefährdungslage der Bevölkerung große diskursive Bedeutung und legitimierte durch die eigene Expertise Zwangsuntersuchungen bei Prostituierten. 1.1 Abolitionismus und white slavery Die eben angeführten Zwangsuntersuchungen waren eingebettet in ein ausgeweitetes Überwachungssystem der Prostitution. Napoleon führte im Frankreich des frühen 19. Jahrhundert neben verpflichtenden Gesundheitsuntersuchungen eine Vielfalt an weiteren Regularien ein, wie etwa die Lizenzierung von Bordellen (Garcia 2014: 30f.). Dieses System der Überwachung und Regulierung wurde von zahlreichen Staaten übernommen, erwies sich jedoch als nicht erfolgreich6 und führte im weiteren Verlauf zur Gegenbewegung des Abolitionismus. Josephine Butler, eine der zentralen Akteur*innen im damaligen Diskurs, prangerte die gängige Praxis der Überwachung an und forderte mit ihren Mitstreiter*innen die Abschaffung der staatlich regulierten Bordelle. Die Straflosigkeit der Freier auf der einen und die Beschneidung der Freiheitsrechte der Prostituierten auf der anderen Seite sei eine Ungleichbehandlung der Geschlechter. Weiterhin stelle die staatlich regulierte Bordell-Prostitution mit Blick auf vorehelichen Geschlechtsverkehr eine Manifestation der „Doppelmoral für die Geschlechter“ (Große 2014: 181) dar und legitimiere so die Vorstellung eines stärkeren männlichen Triebes. Diesem wurden Frauen des Proletariats sozusagen ‚geopfert‘, wohingegen an die bürgerliche Frau hohe moralische Anforderungen gestellt wurden. Butler und ihren Mitkämpfer*innen gelang es das „Bild der ‚gefallenen Sünderin‘“, also einer aktiven Verführerin der Männer, durch „soziale Umstände“ (ebd.: 182) als Ursache der Prostitution zu ersetzen. Dadurch wurden Prostituierte aus dem Kontext der Sünde und der Schuld herausgelöst und auf diese Weise andererseits in den Status des unschuldigen Opfers versetzt, das der Hilfe der bürgerlichen Klasse würdig war. Das Ziel der abolitionistischen Bestrebungen war dem folgend nicht die 6

So stieg beispielsweise die Zahl der nicht-registrierten Prostituierten weiter an und entzog diese und deren Freier der staatlichen Kontrollmöglichkeiten.

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1. Problematisierungen der Prostitution

Kriminalisierung und Stigmatisierung der Prostitution sondern im Sinne einer evangelikalen Tradition das Angebot von Hilfe. Als in Großbritannien bereits über eine Abschaffung der staatlichen Kontrollmaßnahmen debattiert wurde, führte Deutschland 1874 eine Meldepflicht für Prostituierte nach französischem Vorbild ein. Die Lebensführung von Prostituierten konnte nun weitreichend eingeschränkt werden, so durften Prostituierte nicht mit anderen Prostituierten zusammenwohnen, mussten die zwangsweisen Untersuchungen selbst bezahlen und in eine Reisekasse einzahlen, die die Rückführung ausländischer Prostituierter finanzierte (Hunecke 2011:11). Verdachtsmomente ermöglichten es den Ordnungsbehörden Frauen auf offener Straße festzunehmen, was allzu oft zu Falschverdächtigungen ‚anständiger‘ Frauen führte. Dieser Generalverdacht allen Frauen gegenüber befeuerte die Forderungen bürgerlicher Frauen nach einer Gesetzesänderung zu Gunsten ‚unbescholtener‘ Bürgerinnen. In Anlehnung an das britische Vorbild gründete sich in Deutschland der Kulturbund mit Gertrude Guillaume-Schack als Pendant zur Britin Butler (Hunecke 2011: 14). Das Hauptziel der deutschen abolitionistischen Bewegung war die Abschaffung der Reglementierungen und der Zwangsuntersuchungen. Hierdurch sollte die gesellschaftlich herrschende Doppelmoral beseitigt werden, denn Untersuchungen bei Prostituierten führten zu einem trügerischen Sicherheitsgefühl der Freier (ebd.: 14). „Sie (der Kulturbund, Anm. A.) empfanden die Reglementierungen als Verletzung der Würde aller Frauen, da sie die Frauen zu ‚Lustsklavinnen des Mannes‘ machen würden.“ (ebd.: 14). Der Themenbereich der Prostitution eröffnete im Weiteren die Möglichkeit auf die vielfältigen Diskriminierungen von Frauen aufmerksam zu machen, sei es im Bereich des Arbeitsmarktes, der Vermögensverteilung sowie der fehlenden Teilhabe am öffentlichen Leben. Bereits ab 1880 verschob sich der Fokus des damaligen Diskurses auf den sogenannten „white slave traffic“ (Große 2014: 177). Nach Ansicht der Abolitionist*innen war der angeblich steigende Frauenhandel7 eine Folge der staatlich geregelten Bordell-Prostitution, denn diese erfordere einen ständigen Nachschub an ‚neuen‘ Frauen (ebd.: 185). Ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert war ein erster Schub der Globalisierung zu verzeichnen – festzumachen am weltweiten Warenhandel sowie an zunehmenden Migrationsbewegungen. Die „rassistisch differenzierte Sexualordnung“ (ebd.: 185) bedingte vor allem in den Kolonialgebieten eine erhöhte Nachfrage an weißen Prostituierten durch die Kolonialisten. Dem Abolitionismus gelang es, diese Migrationsbewegungen als white slavery auszudeuten 7

Die Bezeichnung Frauen-Handel verweist auf die im Diskurs vorgenommene Schwerpunktsetzung. Diese perpetuiert sich bis heute in der rechtlichen Unterscheidung zwischen Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung und Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft. Gleichwohl gab und gibt es keine empirischen Daten zu einem großen weltweiten Phänomen des Menschenhandels (Garcia 2014: 33).

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und diskursiv durchzusetzen. Geschichten über entführte Mädchen galten als Beispiele der ‚Auswüchse‘. Die Figur der jungen, weißen, unschuldigen und naiven Frau, die zur Prostitution gezwungen wird, wurde zum Sinnbild des white slavery Diskurses. Hierdurch wurde potentiell jede Frau zu einem Opfer skrupelloser Männer – stilisiert z.B. in der Figur des galizischen Juden8 (Dietrich 1989: 35; Thiée 2011: 43ff.; Sabelus 2009: 57ff.) – die die weibliche Unschuld auszunutzen versuchten (de Perez 2014: 174). Das Thema wurde sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Forschung breit rezipiert und führte zu einer „moral panic9“ (Große 2014: 185). Der Themenkomplex Menschenhandel und Prostitution bot seinerseits eine Projektionsfläche für diverse Ängste und Vorurteile und mobilisierte dadurch neue Akteursgruppen10: während Abolitionist*innen durch einen Komplex von Reformen versuchten, Geschlechterdifferenzen und Doppelstandards abzuschaffen, sahen andere Gruppen im Phänomen der white slavery eine Möglichkeit, repressivere Sexualgesetze durchsetzen zu können. Neuere Erkenntnisse über sexuell übertragbare Krankheiten (z.B. der Syphilis) führten langsam zumindest in Hinblick auf den ‚gefährlichen Körper‘ der Prostituierten zu einem Umdenken. Nicht nur bessere Aufklärungskampagnen über Verbreitung und Ansteckungswege führten zu einer Entstigmatisierung der Erkrankten; ebenso setzten sich neue Perspektiven auf Sexualität durch. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war die Vorstellung des starken männlichen Sexualtriebs vorherrschend, der die Möglichkeit einer ‚gesunden‘ Abstinenz ausschloss (Große 2014: 197). Ab dem beginnenden 20. Jahrhundert galt sexuelle Abstinenz dann als wirkungsvollstes Mittel im Kampf gegen Geschlechtskrankheiten. Feministische Kreise nahmen dieses Umdenken dankbar auf, denn nicht zuletzt waren die hohen moralischen und sittlichen Ansprüche, die an Frauen herangetragen wurden nun auch für Männer gültig. Nicht mehr die Frau, respektive die Prostituierte, war nun eine Gefahr für die ‚Volksgesundheit‘, sondern der Mann gefährde durch sexuelle Umtriebigkeit die Gesundheit der Frau. Die neuen Prämissen bewirkten einen Zusammenschluss der Medizin mit abolitionistischen Positionen, die vormals vor allem wegen der medizinisch legitimierten Reglementierungen unvereinbar waren, da diese von den Abolitionist*innen abgelehnt wurden. 8

Galizien war bereits damals eine wirtschaftlich schwache Region, in der es vor allem für Juden an Erwerbsmöglichkeiten fehlte (vgl. Held 1994). 9 Der Begriff moral panic wurde von Stanley Cohen in den 1970er Jahren geprägt. Er untersuchte britische Mods und Rocker und kam zu dem Schluss, dass Gesellschaften moralischen Paniken unterworfen sind und diese ebenso hervorbringen. Eine Gruppe, die scheinbar die gesellschaftlichen Werte gefährden, tritt ins öffentliche Interesse und löst so eine Debatte über Werte und Normen aus (Probst 2015: 107). 10 Die spezifischen Organisationsformen des Abolitionismus im 19. Jhd., z.B. in Vereinen oder „Bureaus“, sind für diese Arbeit nicht von Relevanz. Für eine detaillierte Darstellung siehe Große 2014.

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Die Vorrangstellung der Medizin gegenüber anderen Disziplinen in Hinblick auf Prostitution verfestigte sich in den Folgejahren weiter. Sogenannte Hausfrauenprostituierte, die nicht angemeldet waren und ein großes Interesse daran hatten, ihre Tätigkeit geheim zu halten, überstiegen die Zahl der angemeldeten Prostituierten und entzogen sich hierdurch den vorgeschriebenen Anmeldeformalien und den damit verbundenen Pflichten (Hunecke 2011: 46). Aufgrund dessen begann Preußen dem Problem nicht mehr auf polizeiliche, sondern auf medizinische Weise zu begegnen, indem kostenlose, anonyme Untersuchungen angeboten wurden. Diese Erfahrungen flossen maßgeblich in das 1927 verabschiedete „Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ (GeschlKrG) ein, das zu einer gewissen „Freigabe der Prostitution“ (Hunecke 2011: 46) führte. Prostitution war ab dato nicht mehr per se verboten, blieb dessen ungeachtet aber eine sittenwidrige und „sozialschädliche“ (Helfferich et al. 2005: 13) Tätigkeit. Bereits das GeschlKrG hatte eine mehrjährige Vorlaufzeit mit teils hitzigen Debatten, die: „sich ständig zwischen moralisch/ethischen und sozialen/realen Argumenten bewegten. Im Vordergrund der Gesetzesnovellierung standen im historischen Kontext nicht die Prostituierte und ihre Bedürfnisse, sondern die Volksgesundheit, die Verhinderung der Kriminalität, die Aufrechterhaltung der Moral, der Schutz der ‚anständigen Frauen‘ und die Schaffung von Möglichkeiten zum Ausstieg aus der Prostitution.“ (Hunecke 2011: 65)

Im Zuge des GeschlKrG wurde zudem die Voraussetzung für Sperrbezirke geschaffen, welche 1933 schließlich ausdrücklich eingeführt wurden, um Prostitution weitestgehend aus dem öffentlichen Leben zu verbannen (Hunecke 2011: 55) In der NS-Zeit wurden Prostituiere als „Volksschädlinge“ interniert und/oder zur Arbeit in Wehrmachtsbordellen11 gezwungen (Mitrovic 2007: 21). In den Nachkriegsjahren blieb das Deutungsmuster der Frau als Verführerin des Mannes bestehen und untermauerte die Amoralität der Prostituierten. Historisch wandelten sich die Vorbehalte gegenüber der Prostitution von einer moralischen Angst, in Form der Prostituierten als unmoralisch und als Verbrecherin, hin zu einer Angst vor Krankheiten und dem ‚gefährlichen Körper‘ der Prostituierten und nach dem zweiten Weltkrieg weiter zum Bild der Verführerin und Sünderin (Bastian/Billerbeck 2010: 23). 1.2 Selbstorganisation und Politisierung in der BRD Im Zuge der Studentenproteste der 1960er und 1970er Jahre entstanden im Kontext des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) verschiedene Frauengruppen, die Sexualität als Fixpunkt ihrer Bestrebungen ausmachten. Dazu

11 Die NS-Zeit wird in dieser Arbeit ausgeklammert.

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gehörten neben der Forderung nach Abschaffung von § 218 StGB12 mehr oder minder unpolitische Anliegen, wie die Erfahrung und Befreiung der eigenen Sexualität (Hunecke 2011: 26). Erst ab Mitte der 1970er Jahre rückte das Themenfeld Prostitution verstärkt in den Fokus dieser Gruppen, nicht zuletzt wegen der Besetzung von Kirchen durch Prostituierte in Frankreich. Diese Gebäudebesetzungen stellten mithin die erste öffentlich wirksame Selbstorganisation dar und gelten auch als Bezugspunkt der deutschen Hurenbewegung. Im Kontext der „Lohn für Hausarbeit“ Kampagne wurde die Ausweitung des Arbeitsbegriffs angemahnt, um unbezahlte Leistungen von Frauen entsprechend würdigen zu können (Schmackpfeffer 1989: 111ff.). Erstmals wurde auch Prostitution als freiwillige Arbeit gedeutet und Prostituierte sogar als Vorkämpferinnen für die Rechte der Frau gehandelt, denn sie verlangten – im Gegensatz zur bürgerlichen Ehefrau, die finanziell von ihrem Mann abhängig war – Geld für sexuelle Leistungen (Hunecke 2011: 27). Andere Strömungen sahen hingegen in der Prostituierten eine Unterstützerin des Patriarchats, denn bei dieser Art des Erwerbs werde nicht nur eine körperliche Leistung verkauft, sondern auch immer ein Teil der Seele. Weiterhin handele die Prostituierte Sex als Ware „statt sie mit Liebe und Zuneigung auszuüben und sie sich ‚verdienen‘ zu müssen, ohne Geld auf den Tisch zu legen“ (Hunecke 2011: 28). Indes blieb Prostitution juristisch gesehen kein Beruf, denn schon 1965 hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Prostituierte rechtlich mit Berufsverbrechern gleichzustellen seien und somit nicht unter Artikel 12 I GG13 gefasst werden können (Helfferich et al. 2005: 16). Mit der Gründung von Hydra 1980, einem selbst organisiertem Prostituierten-Projekt fand schließlich eine selbstbestimmte Perspektive Gehör, die die gleichen Rechte für Frauen in der Prostitution forderten, wie sie für andere Erwerbstätige galten. Hydra und eine Reihe anderer in den Folgejahren gegründeter Organisationen lehnten die Registrierungspflicht und Zwangsuntersuchungen in Form des sogenannten Bockscheins14, der ihrer Meinung nach eine Stigmatisierung der Prostituierten als potentiell krank verfestige, ab (Bastian/Billerbeck 2010: 42). 1985 fand der erste nationale Hurenkongress in Deutschland statt, der bis heute (in abgeänderter Form) ein Sprachrohr der in der Prostitution Tätigen darstellt.

12 Auch bekannt als „Abtreibungsparagraph“. 13 Art. 12 I Grundgesetz (GG) (Berufsfreiheit): „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz und aufgrund eines Gesetzes geregelt werden.“ 14 Amtsärztliches Gesundheitszeugnis, das Personen mit häufig wechselnden Geschlechtspartnern vorweisen mussten.

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Mit dem Aufkommen von AIDS und den daraus resultierenden Maßnahmen15 verfestigte sich die Wahrnehmung der Prostituierten als gesundheitsgefährdend. Freier wurden kein Ansatzpunkt für Interventionen und aufs Neue galten die Tätigen als gefährlich: „Prostitution lässt sich hier als Bereich dechiffrieren, der mit verschiedenen, den Gesellschaftskörper bedrohenden Phänomenen verknüpft wird.“ (Bastian/Billerbeck 2010: 282). Anhand dieser Maßnahmen zeigt sich, dass eine bestimmte Ausübung von Geschlechtsverkehr als ‚normal‘ und die in der Prostitution als ‚anders‘ und abweichend verstanden wird (Bastian/Billerbeck 2010: 24). Die abweichende Sexualität gilt es staatlich einzudämmen und zu regulieren. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts gelang es der Hurenbewegung öffentlich für ihre Anliegen zu werben. In diesem Prozess stellten sie die bis dato verbreitete Vorstellung von Prostitution als zwangsläufige Ausbeutung in Frage (de Perez 2014: 175). 1995 forderte schließlich die 5. Gesamtfrauenministerkonferenz die rechtliche und soziale Stellung von Prostituierten zu verbessern (Hunecke 2011: 81). In den nachfolgenden Jahren wurden von verschiedenen Parteien Vorschläge zur Gesetzesänderung eingebracht, welche jedoch nie realisiert wurden.16 Im Jahr 2000 empfahl ein UN-Ausschuss, der sich mit der Beseitigung der Diskriminierung der Frau beschäftigte, die Rechte von Prostituierten zu stärken. Bis zur Gesetzesänderung 2002 waren Prostituierte weitgehend rechtlos, was sich unter anderem im fehlenden Rechtsanspruch auf Bezahlung oder in der Unmöglichkeit des Beitrags zur Sozialversicherung zeigte. Erst 2001 wurde das Verfahren zum Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG) in die Wege geleitet, welches schließlich 2002 in Kraft trat. Zusammengefasst stellen „[d]as GeschlKrG von 1927 sowie das ProstG von 2002 [...] zwei Versuche dar, die Arbeit in der Prostitution von Moral- und Sittenverständnis zu trennen und damit eine Verbesserung der Situation für die in der Prostitution arbeitenden Personen zu erzielen. In beiden Fällen war auch die Verbesserung der Ausstiegsmöglichkeiten für Prostituierte eine Zielvorgabe bei der Gesetzesentstehung.“ (Hunecke 2011: 33)

Als ‚westlichen‘ Prostituierten ein gewisser Grad an Selbstbestimmung zugesprochen wird, wendet sich das ‚Opferbild‘ auf Frauen aus dem Ausland, denen nun in gewissem Maße die Mündigkeit abgesprochen wird. Damit richtet sich die Debatte 15 In Bayern wurde z.B. 1987 ein Maßnahmen-Katalog eingeführt, „der Zwangstestung von Asylbewerbern, Häftlingen, Prostituierten sowie eine Testung von Beamtenanwärtern, Berufsverbote und Zwangsberatung mit der Androhung rechtlicher Konsequenzen bei Infizierten vorsah.“ (Hunecke 2011: 30) Die Untersuchungen für Beamtenanwärter wurden 1995 eingestellt, die für Prostituierte waren bis 2001 in Kraft. 16 Der Gesetzentwurf der GRÜNEN aus dem Jahr 1990 zur Beseitigung der Diskriminierung von Prostituierten war beispielsweise ein wichtiger Vorstoß in der Diskussion um Gesetzesänderungen (BT-Drs. 11/7140).

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verstärkt auf zwei dichotome Bilder: erstens die Zwangsprostituierte, die gerettet werden muss und zweitens die Hure, die freiwillig der Prostitution nachgeht und deshalb in einem gewissen Maße als deviant einzustufen ist, in jedem Falle aber scheinbar zu einer Minderheit der Prostituierten gehört (de Perez 2014: 175f.). Die Konstruktion des Bildes der passiven Zwangsprostituierten in seiner aktuellen Manifestation ist zentraler Gegenstand dieses Buches (siehe insbesondere Kapitel 7). Die freiwillige, selbstbestimmte Prostitution wird erneut zum Randbereich des Phänomens auserkoren, aller Selbstorganisation und Bestrebungen der Hurenbewegung zum Trotz. Ein Moment dieses Konstruktionsprozesses ist der Entwurf eines ‚enthemmten, perversen Marktes‘ der durch das Prostitutionsgesetz entfesselt worden sei. Auf jener Argumentation aufbauend legitimiert sich das Prostituiertenschutzgesetz.

1.3 Vom ProstG zum ProstSchG Im Jahr 2001 beschlossen SPD und Bündnis 90/Die Grünen unter Mitwirkung der FDP und PDS das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG). In drei Paragraphen wird u.a. geregelt, dass Prostituierte nun das verhandelte Entgelt einklagen können, die Qualität der Dienstleistung nicht verhandelbar ist, die Entgeltforderung nicht abgetreten werden kann, und dass Prostituierte der Sozialversicherung beitreten können. Es bestimmt nicht, wie landläufig oft angenommen, „ausdrücklich, dass Prostitution nicht sittenwidrig ist“ (Thiée 2011: 30), sondern die Sittenwidrigkeit beginnt nun dort, wo freiwillige Prostitution im Sinne des Strafrechts endet (vgl. ebd.: 32). Eines der basalen Probleme des ProstG ist, dass nicht ausdrücklich definiert wird, was eine sexuelle Handlung ist (Hunecke 2011: 85). Ina Hunecke sieht eine sexuelle Handlung im Sinne des ProstG für alle Handlungen gegeben, „die auf ein sexuelles Interesse gerichtet sind welches, zumindest für die beteiligten Personen, erkennbar ist“ (ebd.: 88). Der Gesetzgeber hält sich in der konkreten Ausgestaltung des ProstG – in Fragen der Sittenwidrigkeit, als auch in der Definition einer sexuellen Handlung – auffallend zurück. Geplant war eine umfassende Verbesserung der Situation, die konkreten Regelungen beziehen sich jedoch nur punktuell auf einige Aspekte des Bereichs. Weil es kein Gesamtkonzept gibt, das den Gegenstandsbereich ausführlich regelt, muss auf weitere Paragraphen und Urteile diesbezüglich rekurriert werden.17 Obgleich das neue Gesetz viele Möglichkeiten und Rechte offeriert, wurden die Chancen nur 17 An dieser Stelle sei auf die Nichteröffnungsbeschlüsse des Landgerichts Augsburg und des BGH verwiesen, die klären, dass z.B. das Bestimmen von Arbeitskleidung, die Art der Ausführung der Arbeit und die Arbeitszeit keine dirigierende Zuhälterei ist (Hunecke 2011: 419).

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sehr spärlich wahrgenommen. Löw und Ruhne verweisen in diesem Zusammenhang dennoch auf die positive Wirkung des ProstG, das, wenn auch kaum in Anspruch genommen, trotzdem zu einer Stärkung des Selbstbewusstseins der Prostituierten beitragen konnte (Löw/Ruhne 2011: 29ff.). Nicht nur gegenüber Kunden kann ein empowerment der Tätigen verzeichnet werden, sondern auch in der gesellschaftlichen Auffassung darüber, ob Prostitution ein Beruf wie jeder andere ist18, kann aufgrund der Rechtsgrundlage heute anders debattiert werden. Bereits kurz nach Einführung des neuen Gesetzes kam Kritik und der Wunsch nach Reformierung, insbesondere von Seiten der CDU/CSU auf, die eine Freierbestrafung19, nach Vorbild des sogenannten schwedischen Modells forderten (Hunecke 2011: 118). Verschiedene Vertreter*innen der Polizei waren gleichfalls unzufrieden und sahen im ProstG gar ein „Zuhälterschutzgesetz“ (ebd.: 118). Vor allem nun scheinbar fehlende Kontrollmöglichkeiten und erschwerte Zugriffsmöglichkeiten waren Kritikpunkte seitens der Exekutive20. Nichtsdestoweniger wurde seit 2002 eine Vielzahl von Gesetzen geändert, die in Verbindung mit dem ProstG stehen. § 180a StGB (Förderung der Prostitution) musste bereits 2002 geändert werden, da zuvor jede Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Bordellen als Straftatbestand geahndet werden konnte. 2004 wurde § 181a StGB (Zuhälterei) verändert: das Wort „Bewegungsfreiheit“ wurde durch „Unabhängigkeit“ ersetzt: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer die persönliche oder wirtschaftliche Unabhängigkeit einer anderen Person dadurch beeinträchtigt“. In diesem Passus geht es um das sexuelle Selbstbestimmungsrecht, welches hierdurch weiter gestärkt werden soll. Außerdem war § 266 StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) betroffen: dieser Paragraph wird von der Polizei genutzt, um Razzien in Bordellen legitimieren zu können, da die Zugriffsmöglichkeiten eingeschränkter sind als vor dem Jahr 2002 (Hunecke 2011: 142). Drei Jahre später – also 2005 – brachten CDU/CSU, noch unter Rot/Grün, einen Gesetzesentwurf ein, der die Bestrafung von Freiern von 18 Die Debatte darüber, ob Prostitution ein Beruf wie jeder andere ist, wird nicht nur öffentlich, sondern ebenso juristisch kontrovers debattiert, siehe Kapitel 2.2. 19 Beim sogenannten schwedischen oder nordischen Modell werden Prostituierten nicht bestraft, Freier hingegen müssen mit Geldstrafen bei der entdeckten Inanspruchnahme von Prostitution rechnen. Dieser partielle Dekriminalisierungsansatz will die Prostituierten rechtlich nicht belangen, sehr wohl hingegen die Kunden, die diesen Markt erst ermöglichten und zu einer Verfestigung der Ungleichheit zwischen Mann und Frau beitrügen (Aronowitz 2014: 232). 20 Besonders herauszuheben ist in diesem Kontext der sogenannte Augsburger Weg der Beamten Sporer und Bayerl, die eine Vielzahl von Veröffentlichungen und Reden diesbezüglich hielten. Der Augsburger Weg umfasst Eckpunkte zur Regelung der Prostitution, darunter ein Mindestalter von 21 Jahren und eine Anmeldung bei der Polizei. Ein generelles Verbot der Prostitution wird als realitätsfern abgelehnt, jedoch fehle es der Polizei an rechtlichen Möglichkeiten (Hunecke 2011: 123).

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Zwangsprostituierten forderte, wenn die Zwangslage leichtfertig nicht erkannt werde. Bedingt durch den Ablauf der Legislaturperiode wurde dieser Entwurf nicht verabschiedet (vgl. Reintzsch 2013: 210). Dennoch wurden 2005 entscheidende Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht – die Änderung der sogenannten Menschenhandelsparagraphen §§ 232, 233, 233a StGB, mit Hilfe derer zwischen Zwangsprostitution und Ausbeutung der Arbeitskraft unterschieden werden kann (siehe dazu 3.2). In der folgenden Legislaturperiode, unter Schwarz/Rot, wurde der Antrag unverändert eingereicht und von der Bundesregierung mit einem Verweis auf die noch ausstehende Evaluation des ProstG kommentiert. 2008 wurden dann die Paragraphen 182, 184b und 184c abgewandelt. § 182 StGB „Sexueller Missbrauch von Jugendlichen“ benennt die Schutzaltersgrenze, die nun auf 18 Jahre angehoben wurde, sowie § 184b „Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften“ als auch § 184c „Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Schriften“. Im Koalitionsvertrag der CDU/CSU und der SPD von 2013 wird Prostitution nunmehr konsequent in Verbindung mit Menschenhandel erwähnt und weiterhin heißt es: „Zudem werden wir das Prostitutionsgesetz im Hinblick auf die Regulierung der Prostitution umfassend überarbeiten und ordnungsbehördliche Kontrollmöglichkeiten gesetzlich verbessern.“ (Koalitionsvertrag 2013: 73) Die im Zitat erwähnten verbesserungswürdigen Kontrollmöglichkeiten, werden in der Fachliteratur angezweifelt. Der bereits erwähnte § 266 StGB wird regelmäßig als Grundlage für Razzien herangezogen. § 291 StGB („Wucher“) wird kaum genutzt, obgleich horrende Zimmermieten für Prostituierte üblich sind (Hunecke 2011: 174) und auch § 177 StGB „Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung“ kann als Ersatz für die vielbeschworene FreierBestrafung bereits heute verwendet werden. Der wissentliche Besuch bei einer Zwangsprostituierten ist dementsprechend als Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung einzustufen und kann durchaus ohne spezielles Freier-Gesetz genutzt werden. Die Ausübung der Prostitution befindet sich heutzutage im Spannungsfeld zwischen Freiwilligkeit und dem Recht zur sexuellen Selbstbestimmung und dem Verdacht des Menschenhandels zum Zwecke der Zwangsprostitution. Der Gesetzgeber hat bereits eine Vielzahl von Gesetzen, die gegen die schweren Delikte, wie dem Menschenhandel oder Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung entgegentreten können. Der Regelungsbedarf ist laut Expertenmeinung dementsprechend gering (Hunecke 2011; Renzikowski 2009). Dennoch fanden weitere Schutzmaßnahmen gegen Menschenhandel Einzug in das neue ProstSchG, das im Juli 2017 in Kraft trat. „Ziel des Gesetzes ist die Verbesserung der Situation für die in Prostitution Tätigen durch die Stärkung ihres Selbstbestimmungsrechts und die Gewährleistung eines besseren Schutzes vor Ausbeutung, Zuhälterei, Gewalt und Menschenhandel. Die gesetzliche Grundlage dient zugleich dazu die ordnungsrechtlichen Instrumente zur Überwachung des Prostitutionsgewerbes zu

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1. Problematisierungen der Prostitution verbessern und gefährliche Erscheinungsformen des Prostitutionsgewerbes auszuschließen.“ (BMFSFJ 2017)

Kontroverse Neuerungen sind die Ausweitung der legalen Definition von Prostitution (§ 2 ProstSchG), die Anmeldepflicht für Prostituierte, welche zeitlich in Abhängigkeit vom Alter begrenzt ist und räumlich begrenzbar ist (§ 3 ProstSchG), die Wiedereinführung einer verpflichtenden Gesundheitsberatung (§ 10 ProstSchG) sowie die regulative Leerstelle zu Gebühren, die es ermöglicht z.B. 35€ pro Beratung zu veranschlagen (Stadtratsvorlage 14-20/V07211: 10), das ‚allgemeine‘ verpflichtende Beratungsgespräch (§ 7 ProstSchG), die Ausweitung der Anordnungsbefugnisse (§§ 11, 17, 29 ProstSchG) sowie die fehlende Kleinbetriebsklausel. Die Anmeldebescheinigung ist in Form eines Ausweises mitzuführen und kann auch als Aliasbescheinigung beantragt werden (§ 5 ProstSchG). Die exemplarisch genannten Paragraphen sollen der Eindämmung des Menschenhandels und dem Erkennen von Zwangsprostitution dienen, richten sich in ihrer vorgeschriebenen Form zunächst jedoch an alle in der Prostitution Tätigen. Inwiefern sich die Maßnahmen als geeignet herausstellen werden, wird sich nach Einführung des Gesetzes am 01.07.2017 und den folgenden Monaten und Jahren beweisen müssen. Die Übersicht über die historische Veränderung zeigt, wie sich die rechtlichen Rahmungen und Bestimmungen der Prostitution differenziert haben. Dabei wird ersichtlich, dass sich die Deutung von Prostituierten und der Prostitution weiterhin verändert wird und Gegenstand diskursiver Auseinandersetzungen bleibt. Änderungen in der Gesetzgebung und der Selbstorganisation von Prostituierten bilden dazu besonders sichtbare Ereignisse. Im folgenden dritten Kapitel sollen nun Konzepte der Sexualität, der sexuellen Selbstbestimmung und der Moral dargestellt werden, die grundlegend für die spätere Analyse des aktuellen Diskurses sein werden.

2. Sexualität – Selbstbestimmung – Moral

In den Debatten um das Prostituiertenschutzgesetz wird gerne und häufig der Begriff der Sexuellen Selbstbestimmung verwendet. Die Teilnehmer*innen an diesen Debatten wie auch jede Analyse dieser Diskussionen rekurrieren auf bestimmte Vorstellungen von Sexualität und Moral. Das hier verfolgte Erkenntnisinteresse – wie wird Prostitution auf gesellschaftlicher Ebene problematisiert oder auch normalisiert – bezieht sich auf ein Verständnis von Sexualität als soziales Konstrukt. Damit wird nicht die Existenz eines „Natur-Sex“ (Foucault 2012: 79) bestritten, sondern als ‚überformt’ durch einen „Diskurs-Sex“ (ebd.) verstanden, der sich in unserer Gesellschaft als „Sexualität“ ausformt. Zuerst wird also diese, Foucault folgende, Perspektive auf Sexualität skizziert (2.1), im darauf folgenden Abschnitt wird der Sexualität ein zweites Wort an die Seite gestellt: die Selbstbestimmung (2.2). Sexuelle Selbstbestimmung ist ein juristischer Begriff mit umfangreichen sozialphilosophischen ‚Überhang’. In der Diskussion des Begriffes wird insbesondere die Rolle der Selbstbestimmung für ein liberales Staatsmodell hervorgehoben. Diese impliziert ein dem Recht zu Grunde liegendes autonomes Subjekt – dessen ‚Knotenpunkt‘ wiederum seine Sexualität ist (Foucault 2012: 150). Drittens ist Sexualität verbunden mit Bewertungen wie „gut“ und „schlecht“, oder „wünschenswert“ und „verhinderungswürdig“ – es geht um Moral. In Kapitel 2.3 wird dieser Aspekt der Moral jenseits ontologischer Fragestellungen verortet und daran anschließend die Diskursstrategie des Moralisierens diskutiert. 2.1 Sexualität Als soziologisches Referenzwerk zum Thema Sexualität ist Foucaults „Der Wille zum Wissen“ (2012) zu nennen, in welchem er sich gegen die Repressionshypothese wendet. Foucault argumentiert, dass ab dem 17. Jahrhundert „um den Sex herum [...] eine diskursive Explosion [zündete]“ (Foucault 2012: 23). Diese Explosion meint eine wissenschaftliche Thematisierung, Benennung und damit auch Hervorbringung des Phänomens Sexualität. Man könne, so argumentiert Foucault, diesen Diskurs bis zu Freud als „Abschirm-Diskurs, Ausweich-Dispersion“ (ebd.: 57) bezeichnen. Mit Freud würde dann eine wissenschaftlich-neutrale, geläuterte Rede vom Sex einsetzen. In dieser vorgeblichen Wissenschaftlichkeit sieht er eine Reproduktion der Moral durch die Pathologie. Am Ende der pathologischen Kette steht der Tod der Spezies. Ausgangspunkt dieser neuen ‚Wissenschaft‘ ist die

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Hill und M. Bibbert, Zur Regulierung der Prostitution, Theorie und Praxis der Diskursforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26929-6_3

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2. Sexualität – Selbstbestimmung – Moral

„physische Kraft und moralische Sauberkeit des gesellschaftlichen Körpers“ (ebd.: 58), die „Staatsrassismen“ (ebd.) Vorschub leistet. Am Ende des Erkennens, auf das diese Wissenschaft vom Sex abzielt, steht durchaus ein Verkennen, ein Verbergen. Ärztliche Protokolle werden z.B. zensiert, wird Sexuelles zu konkret thematisiert (vgl. ebd.: 59f.). Aber – und das ist der zentrale Punkt – das Verkennen benötigt das Erkennen. „Nicht erkennen wollen, auch das ist noch eine Wendung des Willens zur Wahrheit“ (ebd.: 59). Dieser Wille zum Wissen um die Wahrheit des Sexes bringt zahlreiche Verfahren, Institutionen, Rituale – eine „Anreiz-Maschinerie“ (ebd.) – hervor. Diese paradoxe Form der Wissensgenese ergibt sich aus zwei weitestgehend unabhängigen Diskursen des Sex. Einmal existiert eine „Biologie der Fortpflanzung“ (ebd.: 58), die sich mit ihren Formationsregeln in den wissenschaftlichen Diskurs eingliedert (vgl. ebd.), zweitens existiert eine „Medizin des Sexes“ (ebd.), die eben jenem paradoxen Schema des Suchens und Verkennens folgt, wobei der erste Diskurs lediglich ein ferner Legitimationshorizont der Medizin des Sexes ist. Insofern sind eben die Transformationen des Phänomens in den Wahrheitsspielen zu thematisieren, wirken sie doch bis heute. Damit wird eine historische Grenzziehung entlang der Dimension der Rationalität irrelevant, beginnt doch das Spiel um die Wahrheit des Sexes deutlich früher – im 19. Jahrhundert verlagert sich lediglich das Spielfeld, wird jetzt im wissenschaftlichen Feld gespielt. Um dieses lange Spiel zu charakterisieren, unterscheidet Foucault eine scientia sexualis von einer ars erotica. Letztere wird im ‚orientalischen Raum‘ verortet, eine zu Recht als eurozentristisch zu kritisierende Perspektive, die allerdings nicht die Argumentation Foucaults unterläuft. Die ars erotica ist strukturiert durch das Lehrer–Schüler Verhältnis. Die Wahrheit der ars erotica entspringt der Lust selber, sie ist Praxis und Erfahrung. Zugleich ist dieses Wissen ein geheimes, „verlöre es doch, wie die Überlieferung lehrt, bei leichtfertiger Ausbreitung seine Wirksamkeit und Tugendkraft“ (ebd.: 61). Damit wird der Lehrer zum „Wahrer der Geheimnisse“ (ebd.). In Abgrenzung zu einer solchen Strukturierung – die als Strategie der Befremdung gegenüber der folgenden scientia sexualis dient, weswegen die historische Faktizität wie auch die räumliche Verortung der ars erotica zweitrangig ist – wird das Geständnis als zentrales Moment der scientia sexualis ausgemacht. „Im Abendland ist der Mensch ein Geständnistier geworden“ (ebd.: 63). Das Bußsakrament, die Verlagerung von Duellen und Gottesbeweisen hin zur Ermittlung und zum Verhör, all das generiert eine Besonderheitsindividualität. „Das Geständnis der Wahrheit hat sich ins Herz der Verfahren eingeschrieben, durch die die Macht die Individualisierung betreibt“ (ebd.: 62). Dies deckt sich mit Goffmans Analysen, die im „Trend der Abweichung“ (Bosancic 2014) ein zentrales Moment der Identität ausmachen. Das Geständnis ist dabei solange freiwillig, bis man es verweigert. Es ist ein internalisierter Zwang, der als Befreiung erscheint. Diese Befreiung ist allerdings eine Illusion,

2. Sexualität – Selbstbestimmung – Moral

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da sie die zukünftige Praxis nicht strukturiert. Zugleich ist es Teil des Regelsystems des Sprechens über den Sex, befreit den einzelnen also nicht aus diesem System, sondern reproduziert es. Das angesprochene Paradox des Erkennens und Verkennens kann nun mit Blick auf das Geständnis aufgelöst werden: Die Pflicht den Sex zu verbergen ist ein Aspekt der Pflicht ihn (ritualisiert) zu gestehen (vgl. Foucault 2012: 64f.). 2.2 Sexuelle Selbstbestimmung Wie noch aufzuzeigen wird, spielt der Begriff der sexuellen Selbstbestimmung eine wichtige Rolle in den Diskursen um Prostitution. Dabei ist seine (Be-) Deutung umkämpft und er soll sowohl die Forderung nach einem Sexkaufverbot, als auch die Forderung nach einem Beruf ‚Prostitution‘ legitimieren. Vor diesem Hintergrund wird nun zuerst ein Überblick über die juristische Dimension des Begriffes und seinen Status als Rechtsgut gegeben. Die „Sexuelle Selbstbestimmung“ wurde 1974 mit dem vierten Gesetz zur Reform des Strafrechts eingeführt und löste als Überschrift die „Straftaten gegen die Sittlichkeit“ ab. So vollzog sich „die Wende vom Schutz der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit zum Rechtsgüterschutz, der das freie Einverständnis zum Prüfstein sexualbezogener Regulierungsnotwendigkeit wie Regulierungsbefugnis erhebt“ (Lembke 2017: 5). Dieser Wende zu Grunde liegt das sogenannte Fanny-Hill-Urteil von 1969. Der dem Urteil vorangegangene Prozess kreiste um den Roman „Die Memoiren der Fanny Hill“ von John Cleland. So berichtet der Spiegel 1968: „Weil der Roman ‚die nackte Sinnenfreude des Autors‘ spiegelt, und zwar ‚mit aller Deutlichkeit‘, steht sein Verleger vor Gericht: Kurt Desch, 64, München, ist angeklagt, ‚eine unzüchtige Schrift hergestellt und verbreitet‘ und damit gegen den Paragraphen 184 des Strafgesetzbuches verstoßen zu haben. Am Dienstag dieser Woche muß er sich vor dem Münchner Oberlandesgericht verantworten.“ (Spiegel 1968)

Im folgenden Jahr urteilte der Bundesgerichtshof, dass „es nicht die Aufgabe des Strafgesetzes sei, auf geschlechtlichem Gebiet einen moralischen Standard des erwachsenen Bürgers durchzusetzen“ (BGH vom 22.07.1969, zitiert nach Schmidt: 2017: 336). Der so vorbereitete Paradigmenwechsels zum Rechtsgüterschutz bedeutet zugleich eine neue Antwort auf die Fragen „‘Wer sind wir?‘ und ‚Wie sollen wir zusammenleben?‘“ (Berger 1997: 585) Susanne Dodillet unterscheidet hinsichtlich des Verhältnisses des Einzelnen zum Wohlfahrtsstaat eine kommunitäre und eine liberale Ideologie.21 (Dodillet 2013). Dabei macht die liberale Sicht 21 Ideologie wird hier im Sinne einer ‚neutralen, deskriptiven‘ Konzeption verwendet, als ein abstraktes Deutungsmuster bzw. eine Verknüpfung mehrerer Deutungsmuster (vgl. MacKay 1998: 33f.)

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den Aspekt der Autonomie stark: „Die wichtigste Aufgabe des Staates ist nach diesem Prinzip die Voraussetzungen zu schaffen, dass Menschen wählen können, was sie selbst als moralisch richtige Lebensweise empfinden.“ (ebd.: 31) Dagegen adressiert die kommunitäre Sicht eine ‚organische‘ Gemeinschaft. „Nach dem kommunitären Prinzip hingegen steht der Staat für kollektive moralische Prinzipien und entscheidet, welche Lebensentwürfe erstrebenswert sind. Das gemeinsame Beste ist ein zentrales Kriterium […] Die Bürger bilden nach dieser Vorstellung eine kollektive Gruppe mit gemeinsamen Werten, der Staat repräsentiert nichts anderes als dieses Kollektiv.“ (ebd.)

So begründet die Entscheidung des BGH im Fanny-Hill-Urteil ein liberales Verständnis. „Ob sexuelle Handlungen als normal oder anormal […] zu beurteilen sind oder auch nur beurteilt werden können, ist nunmehr bedeutungslos. Entscheidend ist allein, ob sexuelle Handlungen ein spezielles Freiheitsrecht einer anderen Person beeinträchtigen: das der sexuellen Selbstbestimmung“ (Gössel 2005: 5, Herv. i. O.).

Weiterhin wird das Thema der sexuellen Selbstbestimmung aktuell im Kontext der Reform des Sexualstrafrechts diskutiert. Angestoßen durch die Ereignisse der Silvesternacht 2016/2017 in Köln wurde eine Gesetzesreform angeregt, die das Prinzip „Nein heißt Nein“ juristisch umsetzen möchte und das Aufenthaltsrecht verschärft (hib 415/2016). Da diese Entwicklung in den hier analysierten Diskursen keine Rolle spielt, wird sie im Weiteren ausgeklammert. Das Begriffspaar sexuelle Selbstbestimmung verweist auf die Idee eines autonomen Subjekts, das Sexualität besitzt, über die es bestimmen kann. Es geht um Autonomie – das (Rechts-) Individuum sei als Subjekt anzuerkennen „und nicht als Objekt über das andere die Verfügungsgewalt beanspruchen“ (Holzleithner 2017: 36). Mit Blick auf Prostitution wird Autonomie in zwei Weisen relevant gemacht. Zum einen wird der Aspekt der autonomen Entscheidung für Prostitution argumentiert (vgl. Kapitel 8). Zum anderen wird der Aspekt des Autonomieverlusts in der Prostitution argumentiert (vgl. Kapitel 7). Im Bereich des Sexuellen wird der Autonomie dabei eine besondere Rolle zugesprochen. Foucault arbeitet in seiner eben skizzierten Analyse des Sexualitätsdispositivs heraus, wie der Sexualität eine allgemeine (wirkt auf Alles) und diffuse (wirkt im Verborgenen) Kausalität, wie auch eine ihr innewohnende Latenz (wirkt potentiell immer) zugesprochen wird und Sexualität sich so als Gegenstand konstituiert (vgl. Foucault 2012: 69, sowie 3.4). Insofern wirkt sie im Verborgenen auf unser gesamtes Dasein. Sexuelle Autonomie ist in ‚unserer Gesellschaft‘ die individuelle Autonomie an sich. Damit einher geht die moralische Unterscheidung, autonome, ‚selbstbestimmte‘ Individuen als respektabel zu markieren (vgl. Schramme 2016: 81) „Autonom zu entscheiden und zu handeln kann bedeuten, sich so auszudrücken und anderen gegenüber zu zeigen, wie man sich selbst versteht.“ (ebd.: 83) Das verweist auf die Notwendigkeit einer ‚authentischen‘ Selbstdarstellung.

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„Professors, factory workers, lawyers, opera singers, prostitutes, doctors, legislators—we all do things with parts of our bodies for which we receive a wage in return.“ (Nussbaum 1998: 693)22 Dagegen zielen aktuelle Bestrebungen darauf, die Möglichkeiten der authentischen Präsentation von Sexarbeit gesellschaftlich zu delegitimieren. 2.3 Moral Zur Moral Mit dem Begriff der Moral wird keine metaphysische Ebene adressiert. Im Anschluss an den Sozialkonstruktivismus verfolgen wir weder „– im Sinne der traditionellen Ontologie – die Frage nach der Existenzbeschaffenheit der Wirklichkeit“, noch „wie objektive Realitätserkenntnis möglich ist“, sondern fragen „welche Wirklichkeitsdeutungen sich gesellschaftlich durchsetzen und etablieren.“ (alle Zitate des Satzes: Kneer 2009: 7) Moral meint in diesem Kontext also ein ordnungsstiftendes gesellschaftliches Konstrukt, das bezüglich eben dieses Charakters thematisiert wird. Mit Blick auf den Stand von ‚der Moral‘ – im Sinne einer allgemein verpflichtenden moralischen Ordnung – in der (Post-)Moderne, spricht Luckmann bezüglich ihrer Abwesenheit von einer „communis opinio“ (Luckmann 1998: 30). Diese sozialwissenschaftliche Diagnose findet sich auch fokussiert auf den Bereich des Sexuellen. So ist etwa mit Blick auf die Transformationen der 1960er und 1970er Jahre von einer „Verhandlungsmoral“ (Schmidt 2004) die Rede. Die Sexualpraktiken an sich sind nicht mehr moralisch zu verwerfen, so lange sie als einvernehmliches Ergebnis von Verhandlungen der Partner*innen zustande gekommen sind. Auch Giddens diagnostiziert eine „Demokratisierung der Beziehung“ und eine Verschiebung hin zur „reinen Beziehung“, wichtig werden die ausgehandelten Modi der Beziehung, im Gegensatz zum Fokus auf die Person der Partner*in in der romantischen Liebe (Giddens 1993). Luckmann zieht daraus die Konsequenz, den Blick auf die verschiedenen Moralen und die moralische Kommunikation, einmal als massenmediale Angebote von Moralunternehmern und zweitens das kreative, (um-)deutende Aufgreifen dieser durch Einzelne (Luckmann 1998: 31), zu richten. Moral rekurriert dabei auf eine Gut – Böse Dichotomie, die in sozialer Achtung oder Ächtung mündet. Gegenstand dieser implizit und explizit möglichen Bewertung können Handlungen, Biographien, Individuen und kollektive Personen (ebd.) sein. Eine weitere Diagnose bezüglich des Standes der Moral ist der Verweis auf eine Verrechtlichung. „Verrechtlichung bedeutet, daß Funktionssysteme durch abstrakte, schriftlich fixierte und für alle 22 Vgl. zum Verhältnis von Intimen und Markt, als Grenze legitimer Kommodifizierung, auch die Hostile Worlds Theory (Zelizer 2005: 20f.)

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Mitglieder einer Gesellschaft verbindliche Normen reguliert werden“ (Berger/Luckmann 1995: 37). Recht nimmt den Status einer „Zivilreligion“ (Berger 1997: 584) ein. Die inhaltliche Ebene adressierend, zielt diese rechtliche Moral auf die „eudämonistischen Lebenserwartungen seiner Bürger. Er verspricht Wohlstand, Obsorge, Sicherheit, Glück. Er verspricht das Heil in dieser statt in der anderen Welt.“ (Prisching 2010: 299) Das ergibt sich aus der, in der Bergerschen Formulierung implizit transportierten, historischen Verwebung der Prozesse von Säkularisierung und der Genese des Wohlfahrtsstaates. So „wird der Staat selbst zum Religionsersatz“ (ebd.) inklusive einer Rechtsmoral. Weiter gehen wir davon aus, dass Bereichsmoralen und private Moralen (Berger/Luckmann 1995: 29) über den Weg der Verrechtlichung einen Anspruch auf Hegemonie gegenüber anderen Moralen erlangen können, wieder unabhängig von der Verbindlichkeit derselben im alltäglichen Handeln. Zugleich ist Politik beeinflusst von einem „moralischen Framing“ (Knill et al. 2015: 16). Gemeint ist damit, dass bei gesellschaftlichen Wertkonflikten in der Regel moralische Argumente bemüht werden (vgl. ebd.). Zum Moralisieren Dieses Bemühen wird auch als Moralisieren bezeichnet. Von „Moralisieren“ zu reden, heißt die Grenzen ethischer Ansprüche zu adressieren „– zumeist mit dem Vorwurf, dass andere Akteurinnen und Akteure diese Grenzen überschritten haben und dass dieses Überschreiten in den jeweiligen Situationen in irgendeiner Weise schädlich ist.“ (Möhring-Hesse 2013: 151) In seiner linguistisch ausgerichteten Analyse des Begriffes verweist Möhring-Hesse (2013) darauf, dass der Begriff in der philosophischen Ethik nicht gängig ist und höchstens als Negativfolie guter Ethik dient. „[S]chon Ende des 16. Jahrhunderts bezeichneten sie in eindeutig pejorativer Absicht die Moralprediger und deren schlechte Praxis. Im Großen und Ganzen ist es dabei geblieben.“ (ebd.: 153) Das Verb ‚moralisieren‘ bezeichnet die Konstruktion einer – in dieser Form – neuen Moral (ebd.: 155), die auf drei Konsequenzen abzielt. Erstens können neue moralische Sätze aufgestellt und deren Legitimität eingefordert werden. Zweitens können vorhandene moralische Sätze einer Gesellschaft in ihrer Verbindlichkeit gesteigert werden. Drittens können moralische Sätze dekontextualisiert und so ins Allgemeine überführt werden (vgl. ebd. 156). Zentrales Element ist die Expansion – das ist der Blick auf jene, die moralisieren. Diejenigen, die von diesen moralischen Akteuren adressiert werden, werden dadurch erstens aus ihrer bisherigen moralischen Ordnung extrahiert. Zweitens offenbart sich eine Rücksichtslosigkeit „gegenüber den Bedürfnissen, Wünschen, Idealen oder Handlungsmöglichkeiten der Adressatinnen. […] Rücksichtslos zeigt sich die durch Moralisierung hergestellte Moral schließlich drittens gegenüber den Besonderheiten der jeweiligen Situation sowie gegenüber ihren Folgen und Nebenwirkungen.“ (ebd.)

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Daraus ergibt sich eine Hierarchie: Wer moralisiert „macht sich zur Expertin, die andere über moralische Ansprüche aufklärt, für die diese selbst Laien sind. […] Sofern diese sich den ihnen auferlegten Ansprüchen, deren Verbindlichkeit und Rigorismus nicht widersetzen können, werden ihre Möglichkeiten selbstbestimmten Lebens und ihre Lebensqualität eingeschränkt. Unter dem Zwang einer ihnen fremden Moral wird ihnen zudem die Möglichkeit genommen, auf situative Herausforderungen angemessen zu reagieren und Verantwortung für die Folgen und Wirkungen ihres Handelns zu übernehmen.“ (Möhring-Hesse 2013: 156)

Als Illustration der negativen Auswirkungen wird auf die Behandlung von Süchtigen verwiesen: „Unter dem Druck moralischer Bewertungen werden auch Krankheiten und Süchte nicht medizinisch adäquat wahrgenommen und therapiert – mit negativen Folgen letztlich für die, die diese Krankheiten ‚haben‘ oder von jenen Süchten betroffen sind.“ (ebd.: 161)

Damit aber wird Medizin und in Erweiterung implizit Wissenschaft als ‚gute‘ Praxis dem Moralisieren gegenübergestellt, ohne das die moralische ‚Erdung‘ der Medizin reflektiert wird. Das verweist zugleich auf die Perspektive jener, die den Vorwurf des Moralisierens erheben: die Kritik an einem solchen Tun und die Aufforderung dies zu unterlassen (ebd.: 162). Dabei bietet der Vorwurf die Möglichkeit, die in den Raum gestellte Expansionsbestrebung nicht inhaltlich adressieren zu müssen. Somit wird ein anders strukturiertes Feld des ‚Deutungskampfes‘ eröffnet. Diese erneute Hierarchisierung im Blick, rät Möhring-Hesse zu einer „kritischen Distanz“ (ebd.: 164) in Bezug auf den Vorwurf des Moralisierens. Eine weitere Definition verweist darauf, dass das Objekt der Moralisierung im Diskurs „nicht mehr eigentlich zur Gemeinschaft möglicher Gesprächspartner“ gehört (Gerhards 1992: 312)23 und adressiert so die gerade diskutierte Hierarchie. Auch Schetsche verweist im Kontext eines Programms zur empirischen Analyse sozialer Probleme (Schetsche 2014) auf den Begriff „Moralisieren“ (siehe dazu auch 5.3.4). Moralisieren meint dort den Versuch, ein Klima herzustellen, in dem „das eigene Problemmuster vielleicht nicht als die einzig vorstellbare, aber doch als die einzige öffentlich kommunizierbare Deutung des betreffenden Sachverhaltes“ gilt (Schetsche 2014: 132). Damit wird versucht „ein individuelles oder auch gruppenspezifisches Moralurteil für die Gesellschaft als Ganzes (und damit auch für staatliche Instanzen) verbindlich zu machen“ (ebd.: 131). Das Konzept des Moralisierens dient der empirischen Sensibilisierung: Wo wird moralisiert, wie können dadurch Verknüpfungen zu anderen Diskursfragmenten hergestellt werden? Entscheidend dabei sind die – schon erwähnten und auch weiterhin adressierten –

23 Dort aber lediglich bezogen auf den ‚Verursachenden‘, nicht das ‚Opfer‘ des sozialen Problems. Der selbe Mechanismus aber lässt sich bei einem Blick auf die ‚widerwilligen Opfer‘ des Schutzdiskurses feststellen.

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Dimensionen der Expansion und des Verstummen-Lassens der Adressat*innen im Diskurs.

3. Aspekte der Prostitutionsforschung

Die rechtliche Situation der Prostitution in der Bundesrepublik ist, wie dargelegt, einem Wandel kleinerer und größerer Gesetzesänderungen unterworfen. Zugrunde liegen diesen Änderungen zum einen rechtliche Lücken, die geschlossen oder ergänzt werden müssen, aber auch veränderte gesellschaftliche Umstände und Einstellungen, denen in Gesetzen Rechnung getragen werden muss. Wissenschaftliche Gutachten und Veröffentlichungen, die ein neues Bild auf das ‚Dunkelfeld Prostitution‘ werfen können, bilden vielfach die Grundlage hierfür. Prostitution bietet dabei einen Ansatzpunkt diverser Paradigmen und Wissenschaften, darunter feministische Ansätze, juristische Betrachtungsweisen, sozialwissenschaftliche Perspektiven und pädagogische Herangehensweisen. Nachfolgend soll exemplarisch der Wissensstand um das Themengebiet ausdifferenziert werden. Exkurs: Die Forschung der letzten 17 Jahre Grundsätzlich verschob sich der Fokus der Forschung in den letzten 30 Jahren von der Devianzforschung, die Prostitution als soziales Problem und die Prostituierte als ‚anders‘, als deviant einstufte, hin zu einer Opferperspektive. Heute ist das Bild heterogen und die Wahrnehmung von Prostitution differenzierter, erkennbar unter anderem an einem Perspektivwechsel, der Prostitution als Arbeit definiert und die Erfahrungen und Verständnisse dieser Tätigkeit fokussiert. Grenz und Lücke stellen in „Verhandlungen im Zwielicht“ (2006) fest, dass die Prostitutionsforschung große Lücken hinsichtlich nicht heterosexueller Prostitution aufweist. Männliche Prostituierte sowie weibliche Nachfragerinnen werden weitestgehend aus dem Forschungsinteresse ausgeklammert: eine Fokussierung der heterosexuellen Prostitution mit Frauen als Anbieterinnen und Männern als Nachfragern wird damit diskursiv reproduziert. Grenz thematisiert weiterhin das Verhältnis von Geld und Prostitution und legt den Fokus auf die in der Dienstleistung verankerte potentielle Demütigung des Kunden insofern als sich die Prostituierte nur des Geldes wegen auf den Kunden einlässt (Grenz 2010: 294). Ebenso wie Grenz verweist Zelizer (2005) auf die vielfältigen Interdependenzen zwischen Ökonomie und Intimität. Auch sie hebt die Geschlechterungleichheit im Verhältnis Sex gegen Geld hervor. Sex-Arbeit verbleibt damit in derselben Logik, auch hier wird die Dienstleistung einer Frau gegen Geld des Mannes getauscht, ebenso wie in Ehen, bei Haushälterinnen, bei Kinderpflegerinnen usw. Große (2014) zeigt in ihrer Arbeit, wie Prostitution „[z]wischen Sittlichkeitsreform, Feminismus und Medizin“ in den Jahren 1864-1914 ausgehandelt wurde und leistet hierdurch einen Beitrag zur © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Hill und M. Bibbert, Zur Regulierung der Prostitution, Theorie und Praxis der Diskursforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26929-6_4

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3. Aspekte der Prostitutionsforschung

historischen Prostitutionsforschung. Hunecke (2011) legt ihr Augenmerk auf die juristischen Entwicklungen der Prostitutionsregulierung und zeichnet eine Geschichte der sich historisch ergebenden Veränderungen nach. Im Sammelband von Persak und Vermeulen (2014) versammeln sich unter dem Titel „Reframing Prostitution“ Artikel zu Fragen der Regulierungen, zu historischen Analysen und zum Labeling der Prostituierten als Opfer. Ein weitgehend unterbelichtetes Feld innerhalb der Prostitutionsforschung ist die Beleuchtung der Nachfrageseite. Gerheim veröffentlichte 2012 eine der wenigen soziologischen Freier-Studien, in der er nicht nur Diskurse um Prostitution analysiert, sondern mithilfe von Interviews verschiedene Freier-Typen ausdifferenziert. Ihm gelingt es hierdurch, dem unsichtbaren, unbekannten Freier eine Typik zu verleihen und seine vielfältigen Motive und Einstellungen zu offenbaren. Ebenso wie Gerheim fasst Weitzer (2010) in seinem Sammelband Perspektiven auf Kunden und darüber hinaus Aufsätze zu sex trafficking und weitere Sichtweisen auf Prostitution zusammen. Weitzer, der in den USA arbeitet, leistet mit seinen zahlreichen Werken einen vielzitierten Beitrag zur Prostitutionsforschung im Allgemeinen. Feministische Perspektiven auf Prostitution sind mithin eine der ältesten Herangehensweisen an den Themenkomplex, jedoch in sich höchst divers. Gerade aus differenzfeministischen Kreisen wird der Vorwurf erhoben, Prostitution sei immer Gewalt und Zwang. Sie kritisieren z.B. den Begriff des sex work, da dieser Prostitution normalisiere und männliche Gewalt unkenntlich mache (Garcia 2014: 28). Aus diesem Paradigma heraus muss Prostitution verboten werden, da Prostitution immer Missbrauch bedeutet. Gerade in den 1990er Jahren wurde eine Vielzahl feministischer Abhandlungen gegen Prostitution veröffentlicht, darunter Arbeiten von Dworkin (1993) und MacKinnon (1993). Innerhalb feministischer Positionen wird andererseits Prostitution durchaus als Arbeit anerkannt, hierbei ist McClintock (1993) zu nennen, die die Ansicht vertritt, dass Sexarbeit mehr mit Aspekten der Arbeit in Kontext gesetzt werden muss, als in den Bereich der Sexualität. Gerade auch in der sogenannten third wave24 wird diese Perspektive stark vertreten und Prostitution als selbstbestimmte Tätigkeit verstanden. Die Bundesregierung veröffentlichte im Zuge des Gesetzgebungsprozesses eine Anzahl von Studien, die sich mit Prostitution befassen. Die wohl Wichtigste ist die Evaluation des ProstG, mit der das Sozialwissenschaftliche FrauenForschungsInstitut (SoFFi K) betraut wurde. Unter der Leitung von Helfferich und Kavemann wurde das ProstG in der Bandbreite seiner Auswirkungen untersucht (BMFSFJ 2007a). Gerade Kavemann kann eine Reihe von 24 Als third wave wird eine neue Bewegung des Feminismus bezeichnet, die sich von der zweiten Welle (ab den 1960er Jahren) in vielen Aspekten abgrenzt. Frauen erleben trotz aller Gleichstellungserrungenschaften auch heute noch vielfache Benachteiligungen z.B. auf dem Arbeitsmarkt. Feminist*innen der dritten Welle zeichnen sich z.B. durch den Gebrauch neuer Medien und ihrer guten Vernetzung aus.

3. Aspekte der Prostitutionsforschung

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Studien zu Prostitution vorweisen, darunter ein Sammelband zum Prostitutionsgesetz von Kavemann/Rabe (2009). Exkurs Ende Neben den exemplarisch dargestellten Wissensständen, gibt es vor allem zu einzelnen Aspekten des Feldes der Prostitution weitreichende Forschungen. Hierzu zählen die Verquickung von Prostitution und Migration, Verbindungen zwischen Prostitution und öffentlichem Raum, der sich in (Nicht-)Sichtbarkeiten offenbart, das Thema Menschenhandel sowie der Forschungsstand zu Prostitution und Moral. Die genannten vier Rubriken werden in den folgenden Kapiteln en Detail diskutiert, da sie eine Sonderstellung für die vorliegende Arbeit einnehmen. Das vielbeschworene Dunkelfeld der Prostitution ist entgegen der häufig erhobenen Vorwürfe in vielen Facetten durchaus beleuchtet worden, statistische Daten zur Anzahl von Prostituierten in Deutschland fehlen allerdings. Wenn man die Heterogenität der Ausübenden betrachtet, z.B. die große Anzahl von nebenberuflichen Prostituierten, dann überrascht es wenig, dass hierzu keine validen Daten vorhanden sind. Ein Überblick über das Feld könnte, wenn überhaupt, nur durch ein Regularium wie eine Anmeldepflicht erhoben werden, ein Mittel, das jedoch von vielen Seiten als diskriminierend abgelehnt wird. 3.1 Prostitution und Migration Das Zusammenspiel von Migration und Prostitution klang bereits in Kapitel 1 an. Diskursiv spielt heutzutage gerade der Verdacht des Menschenhandels eine bedeutende Rolle und eröffnet einen Generalverdacht allen migrierten Sexworker*innen gegenüber, die potentiell Opfer sein können. Inwiefern sich diese Vermutung theoretisch fundieren lässt und welche Annahmen maßgeblich für das Bild der Zwangsprostituierten sind, wird in diesem Kapitel offengelegt. Grundlegend wird Migration „verstanden als ein Prozess der räumlichen Versetzung des Lebensmittelpunkts, also einiger bis aller relevanter Lebensbereiche, an einen anderen Ort, der mit der Erfahrung sozialer, politischer und/oder kultureller Grenzziehung einhergeht.“ (Oswald 2007: 13)

Die Verlagerung des Lebensmittelpunkts wird hierbei nicht nur als Bewegung von einem Ort an einen anderen verstanden, sondern beinhaltet einen Prozess, der kulturelle, religiöse und soziale Grenzüberschreitungen beinhaltet und dadurch das gesamte Leben der Person inklusive der sozialen Geflechte beeinflusst. Oswald führt an, dass Migrationsforschung im Allgemeinen lange ‚geschlechtsblind‘ war. Unhinterfragt wurde vor allem die Arbeitsmigration junger Männer (Pionierwanderung) als selbstverständlich angesehen (Oswald 2007: 38).

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Frauen kamen gegebenenfalls als Nachzug zu den bereits migrierten Männern und entglitten aufgrund dieser Vorannahmen dem Blick der Forschung. Vor allem scheinbar irrelevante Gruppen, die nicht explizit statistisch erhoben wurden, oder nicht erhoben werden konnten, entzogen sich dem Blick, darunter migrierte Frauen, die der Prostitution nachgingen. Die Hoffnung durch Migration soziale Mobilität und einen Statuserwerb zu erlangen ist auch für migrierte Sexarbeiter*innen von grundlegender Bedeutung. Entgegen der Annahme, dass Männer eher auswandern als Frauen, weisen Statistiken darauf hin, dass annähernd oder teilweise sogar mehr Frauen als Männer auswandern: Frauenmigration ist demzufolge ein Massenphänomen, das der Untersuchung bedarf (ebd.: 39). Frauen sind dabei häufiger als Männer Mehrfachdiskriminierung ausgesetzt, die sich in den Kategorien Gender, race und Klasse in ihnen vereint. Solche Kumulationen von Benachteiligungen sind Gegenstand von Intersektionalitätsstudien. Die beiden Strukturkategorien Geschlecht und Ethnizität werden dabei unterschiedlich verhandelt: während Geschlecht zunehmend (zumindest für die ‚einheimische‘ Frau) individualisiert wird, wird Ethnizität als eine Gemeinschaftskategorie entworfen. Migrantinnen werden durch die Kombination von Geschlecht und Ethnizität als ‚eine Gruppe‘ beschrieben, die gleiche Erfahrungen teilt (Breton 2011: 101). Gerade hierdurch erscheinen Frauen vulnerabler, werden in ihrer Individualität vergessen und rücken deshalb sowohl öfter in den Fokus medialer Berichterstattung, als auch in das Ermittlungsinteressen von Ordnungsbehörden. Restriktive Einwanderungsgesetze sorgen darüber hinaus dafür, dass eine Migration nach Deutschland generell nur unter bestimmten Bedingungen möglich ist und Aufenthaltstitel die Möglichkeit von Teilhabe, z.B. im Erwerbsleben regulieren. Tätige in der Prostitution befinden sich oft ohne legalen Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik und haben ein großes Interesse daran, öffentlich nicht in Erscheinung zu treten. Die entstehenden Machtgefälle und Abhängigkeiten machen gerade diese Personen leicht ausbeutbar und begünstigen kriminelle Strukturen. Der effektivste Schutz gegen Ausbeutung von migrierten Frauen, die der Prostitution nachgehen, ist daher die Sichtbarmachung, die ein Eingreifen von Dritten ermöglichen kann (Oswald 2007: 174). Eine Verlagerung ins öffentlich Unzugängliche befördert im Umkehrschluss die Vulnerabilität der Betroffenen. Die Blickweise, gerade migrierte Frauen als von vornherein gefährdeter anzusehen, begünstigt die Annahme, ausländische Frauen in der Prostitution seien per se Opfer. Entgegen der Position, migrierte Prostituierte seien „agents of change“ (Breton 2011: 35), die ihre Zukunft aktiv und gestaltend beeinflussen, deutet die Opferperspektive die vielfach prekären Lebens- und Arbeitsverhältnisse – auch im Migrationsland – als schädigend aus. Während also in der einen Annahme die agency betont wird, skandalisiert die andere die Zustände als Verletzungen der

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Menschenwürde25 (ebd.: 35). Agustin (2007) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Sexarbeiter*innen generell eher als Opfer anstatt als Personen mit agency behandelt werden. Dies führt teilweise dazu, dass Hilfe durch die Polizei oder andere Organisationen von ‚Betroffenen‘ abgelehnt wird, weil keine Ausbeutung stattgefunden hat, jedoch aus der Helferperspektive auf Prostitution als Angst vor Repressionen gedeutet wird (Agustin 2007: 35). Auch Breton konstatiert in Anschluss an Zimowska (2004), dass die meisten der eingereisten Sexarbeiterinnen keine Opfer seien, allein die Migration zeige eine Handlungsfähigkeit, die der wirtschaftlichen oder sozialen Verbesserung diene (Breton 2010: 162). Der Ausschluss von migrierten Sexarbeiterinnen, aufgrund der Kategorien Frau, Migrantin und Prostituierte führt nicht nur zu einer Ausgrenzung der Frauen, sondern kann durchaus als Ressource dienen, indem die Körperlichkeit und ethnisierte Zuschreibung im Prozess der Arbeit eingebracht und materiell nutzbar gemacht werden kann (Breton 2010: 210). Wie in allen Berufen birgt auch die Sexarbeit spezifische Gefährdungslagen, unabhängig von der Gefahr der Zwangslage. Nicht zu verleugnen sind die oftmals schlechten Arbeitsbedingungen, denen gerade Ausländerinnen ausgesetzt sind. Vor allem die gesellschaftliche Diskriminierung und Ausgrenzung, nicht nur aufgrund der Tätigkeit, sondern auch wegen der Tatsache ‚fremd‘ zu sein, mangelhafte Sprachkenntnisse vorweisen zu können und einer generellen fehlenden Teilhabechance am gesellschaftlichen Leben, begünstigen die Marginalisierung. Ergänzend hierzu verschlechtern lange Arbeitszeiten, schlechte Arbeitsbedingungen, der enge physische und psychische26 Kontakt zu Kunden und womöglich ein hoher Alkoholkonsum die Situation der ausländischen Prostituierten (ebd.: 151). Zusammengefasst sind gerade migrierte Sexarbeiterinnen einer Vielzahl von Zuschreibungen und Ausgrenzungen ausgesetzt. Darunter die Definition als Opfer, die Gefahr der Mehrfachdiskriminerung, Missstände in der Arbeit selbst, wie schlechte Arbeitsbedingungen oder ausbeuterische Umstände aufgrund fehlender Aufenthaltstitel und eine generelle Unsicherheit aufgrund von Fremdheit oder Illegalität. Dennoch sind ausländische Prostituierte nicht per se Opfer und es muss differenziert werden: Menschenhandelsopfer sind einer dramatischen Situation ausgesetzt und hiergegen muss von staatlicher Seite vorgegangen werden; allen freiwillig Tätigen sollte hingegen die Anerkennung ihrer Handlungsfreiheit zugestanden werden. Wenn es weiterer Gesetze bedarf, dann nicht hinsichtlich einer weiteren Regulierung des Prostitutionssektors oder gegen Menschenhandel. 25 Zum normativen Gehalt des Begriffs der Menschenwürde vgl. weiterführend: Dreier 2001:232 26 Gerade auch deshalb plädieren z.B. Bastian/Billerbeck (2010: 42) dafür, Sexarbeit als affektive Arbeit zu bezeichnen, also der Befriedigung von Bedürfnissen immaterieller Art. Ergänzend kann Arlie Hochschild (1990) angeführt werden, mit der man Prostitution als emotional labor bezeichnen könnte.

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Vielmehr müsste das Aufenthaltsrecht grundlegend verändert werden, auch und gerade in Hinblick auf Menschenhandelsopfer, die selbst bei Aussage vor Gericht gegen ihre Peiniger kein Anrecht auf einen dauerhaften Verbleib in Deutschland haben (Renzikowski 2009: 149). 3.2 Zum Tatbestand des Menschenhandels „Sex work is by definition consensual sex. Non-consensual sex is not sex work; it is sexual violence or slavery.“ (International Committee on the Rights of Sex Workers in Europe 2005: 70) Gerade, wenn migrierte Personen der Prostitution nachgehen, liegt der Verdacht auf eine Zwangslage und auf Ausbeutung nahe. Das Verdienst der Frauen- und vor allem der Hurenbewegung Prostitution aus der Devianz zu befreien und sie als selbstbestimmte, freiwillig gewählte Tätigkeit zu rahmen wurde in den letzten 15 Jahren mit dem Bild der osteuropäischen Zwangsprostituierten unterlaufen. Im Gegensatz zur selbstbewussten Hure ist die Zwangsprostituierte ein Opfer – wenn nicht von ausbeuterischen Dritten, dann von wirtschaftlichen Notlagen oder ihrer eigenen traumatischen Kindheit, wie in der Analyse noch genauer ausgeführt wird. Bereits in den 1990er Jahren wurde nach dem Zusammenbruch der ehemaligen UDSSR öffentlich eine Zunahme der „irreguläre[n] Migration“ von Ost nach West konstatiert, ebenso wie eine Zunahme ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse, die im Gros migrantische Arbeitnehmer*innen betraf und als Frauenhandel zum Thema gemacht wurde (Uhl 2009: 35). In den letzten Jahren erlebte das scheinbar zunehmende Problem des Frauenhandels von Ost nach West in der öffentlichen Debatte zahlreiche Konjunkturen. Zuletzt fand die Bekämpfung und Verhinderung des Menschenhandels Niederschlag im neuen ProstSchG, welches als zentrales Anliegen die Bekämpfung von Zwangsprostitution in sich trägt. Bis es zu dieser großangelegten Gesetzsänderung bzw. Neueinführung kam, hielt sich der Gesetzgeber bezüglich der gesetzlichen Regulierung zurück. Veränderungen konnten bis 2017 nicht durchgesetzt werden, Änderungen der Menschenhandelsparagraphen (§§ 232, 233 StGB) wurden bereits Anfang der 2000er unter anderem auch aufgrund der Palermo Konvention27 legitimiert (Hunecke 2011: 145). 2005 wurden dementsprechend die bisherigen Regelungen zum Delikt des Menschenhandels ausgeweitet. Hierdurch wird rechtlich zwischen Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung (Zwangsprostitution, § 27 Das „Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität“ (Palermo-Konvention bzw. Palermo Protokoll) wurde im Jahr 2000 von der UN-Generalversammlung angenommen.

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232 StGB) und dem zur Ausbeutung der Arbeitskraft (§ 233 StGB) unterschieden. Im Gegensatz zum ProstG (das aus lediglich drei Paragraphen besteht) sind die §§ 232 und 233 durch etliche Absätze differenziert: § 232a Absatz 1 regelt z.B., dass Personen, die andere Personen unter 21 Jahren zur Ausübung der Prostitution veranlassen, mit Freiheitsstrafen geahndet werden können. Damit wird unter Umständen jede (grenzüberschreitende) Vermittlungstätigkeit im Prostitutionssektor unter Generalverdacht gestellt und ist potentiell kriminell. Mitunter kann dies als Versuch gewertet werden, das Gewerbe zu kontrollieren und zu sanktionieren (ebd.: 146). Eine derartige Altersbeschränkung dient dem Vorhaben vor allem junge Menschen abzuschrecken – ein Versuch, der bereits in Zeiten des Abolitionismus keinen Erfolg erzielte28. Die Änderungen und Ausdifferenzierung der Menschenhandelsparagraphen sind extrem eng formuliert, sodass Prostituierte zunehmend generell wieder als Opfer definiert werden. Diese Annahmen verhindern im Gegenzug das mit dem ProstG ursprünglich verknüpfte Vorhaben Prostitution endgültig zu entkriminalisieren und zu legalisieren (ebd.: 183). Zum Opferstatus Aufgrund der Dramatik des Delikts Menschenhandel werden vor allem Bilder von Frauen als Opfer konstruiert und lassen eine Bekämpfung essentiell erscheinen. Ronald Weitzer verweist hier auf die Wirkung von moral crusades gegen Menschenhandel, die sowohl symbolisch als auch instrumental vorgehen (Weitzer 2010: 325). Mit dem Anlegen der Deutungsschablone werden alle Prostituierte zu Opfern, denen gegenüber Mitleid und Empathie empfunden wird, wodurch das von ihnen Durchlebte als schmerzvoll und schädigend verstanden wird (Persak 2014). Der Begriff des Opfers wird darüber hinaus mit Passivität verbunden und dadurch als schwache Position verstanden. Viele Menschenhandelsopfer wollen sich selbst nicht in diese Lage versetzt sehen und definieren sich als Überlebende, die stark und durch das Durchlebte abgehärtet sind (ebd.: 206). Prostituierte waren seit jeher eine Gruppe, die entweder zu Opfern gemacht wurden – oder im genauen Gegensatz – denen jeglicher Opferstatus ab und ein kriminelles Wesen zugesprochen wurde. Das Verständnis von Prostituierten als Opfer weist außerdem Schwächen dahingehend auf, individuelle Erlebnisse und Lebensverläufe einzubeziehen und macht so aus der persönlichen Lebensgeschichte nachträglich eine allumfassende Opfer-Geschichte. Dieser Status befugt Helfende sich des Opfers anzunehmen und für dessen Anliegen zu kämpfen. Einerseits kann dies den Geschädigten helfen, andererseits wird die Hilfsbedürftigkeit und Passivität erneut unterstrichen; ein eigenständiges Ausbrechen und die Ermächtigung über das eigene Leben erscheinen 28 1923 wurde bereits über eine Anhebung des Schutzalters auf 21 Jahre diskutiert.

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aus dieser Perspektive unmöglich. Nicht nur Persak geht in ihrer Kritik des Opferbegriffs so weit, zu sagen, dass der Anspruch, Prostituierte als Opfer zu sehen und ihnen helfen zu wollen, z.B. durch ein Prostitutionsverbot, ein Ausdruck von Paternalismus ist, der auf männliche Vorstellungen des Schutzes zurückgeht. Die weibliche Feministin des globalen Nordens, spricht für die Opfer (heute aus Osteuropa) und objektiviert diese hierdurch, was zu einem Schweigen der Betroffenen führt, denn nur die scheinbar emanzipierte westliche Frau spricht für sie. Damit wird weibliche Emanzipation und die Vorstellung, dass Frauen für sich selbst sprechen können, für einen Teil der Frauen ausgehebelt und ist dadurch im Grunde nicht mehr feministisch (Persak 2014: 207). Eine mögliche Konsequenz der Zuschreibung „Opfer“ ist die erneute Ausnutzung der Betroffenen, indem Helfer*innen die Problematik für ihre eigenen Anliegen und zur Durchsetzung eigener Ziele nutzen, z.B. um für ein generelles Verbot der Prostitution zu werben. Ferner verhindert die generelle Benennung von Prostituierten als Opfer alternative Deutungen darüber, was Prostitution ‚wirklich‘ ist, z.B. Selbstbestimmung über die eigene Sexualität und die Nutzung der Geschlechtlichkeit zu Zwecken des Gelderwerbs. O’Connell Davidson nimmt den Standpunkt ein, dass Prostituierte „zweckorientierte Akteure“ sind und ihre Alternativen selbst wählen, auch wenn sie diese Alternativen nicht selbst bestimmen können (O’Connell Davidson 2009: 61). Diese Perspektive ermöglicht es, die Prostituierte als Subjekt und nicht als Opfer von Umständen zu labeln sondern in ihrem Handeln anzuerkennen. Mit der abolitionistischen Sicht auf Prostitution als Zwang: „[...] reduziert sich das komplexe und durch Überschneidungen geprägte Kontinuum der Unfreiheit und Ausbeutung, das mit der Prostitution einhergehen kann, auf das krude Bild brutaler Gewalt und Gefangenschaft, die eingesetzt werden, um Herrschaft über die hilflosen, wahllosen und passiven Opfer auszuüben.“ (O’Connell Davidson 2009: 62)

Die Fähigkeit der Prostituierten über ihren eigenen Körper mündig zu entscheiden wird damit negiert. Die Geschlechtlichkeit spielt gerade im Prostitutionsdiskurs eine enorme Rolle, da Prostitution diskursiv vorrangig bzw. fast ausschließlich als weibliches Phänomen gelabelt wird. Im diskursiv verknüpften Feld des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung rücken daher fast nur Frauen in das Fadenkreuz der Untersuchungen, was sich auch in dieser Studie widerspiegelt. In der Zwangsprostitutionsproblematik drängen sich neben der Fokussierung auf Frauen Migrationshintergründe in den Vordergrund, obwohl das Gesetz durchaus deutsche Staatsbürger*innen miteinbezieht (z.B. falls diese unter 21 Jahre alt sind). Im Falle der Selbstpositionierung migrierter Sexarbeiter*innen führt diese Einstufung schließlich dazu, dass sie sich entweder in die Subjektposition des Opfers fügen und ohne eigene agency wahrgenommen werden, oder durch die Angabe der Freiwilligkeit ihrer Tätigkeit in die Illegalität rutschen können, da sie z.B.

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keinen gültigen Aufenthaltsstatus in Deutschland vorweisen können. Dieses Argument ist zentral für die Kritik des auf Autonomie fokussierten Lagers am ProstSchG. Bastian und Billerbeck verweisen darauf, dass die Ausübung von Prostitution als „widerständige Praktik“ (Bastian/Billerbeck 2010: 45) gelesen werden kann, denn die Inanspruchnahme eines Schleusers und die Aufnahme der Prostitution stellen vielfach die einzigen Möglichkeiten dar, Einreise- und Arbeitsverbote zu umgehen. Beim Phänomen der Zwangsprostitution spielen nicht nur das Geschlecht und die Herkunft eine Rolle, sondern vor allem das Alter der Geschädigten. Gerade den „jungen Mädchen“ wird in den neuen Menschenhandelsparagraphen Rechnung getragen, da unabhängig davon, ob eine deutsche oder ausländische Staatsbürgerschaft vorhanden ist, die Vermittlung unter 21-Jähriger als Menschenhandel ausgelegt werden kann. Hunecke verweist darauf, dass bei Polizeikontrollen in Bordellen gezielt Ausschau nach jungen Frauen gehalten wird und die Zahl der gefundenen Menschenhandelsopfer aus dieser Altersgruppe daher entsprechend hoch ist, obwohl selbstredend auch ältere Personen zur Prostitution gezwungen werden (Hunecke 2011: 149). Weiterhin führt sie vor Augen, dass § 232 StGB „keinen Erziehungsgedanken“ (ebd.: 150) wie z.B. das Jugendschutzgesetz aufweist und Personen über 18 Jahren im Allgemeinen ausreichend Einsicht und Entscheidungsfähigkeit zugesprochen wird – mit Ausnahme der Ausübung der Prostitution. Das Gesetz darf faktisch dementsprechend nicht dafür verwendet werden, vor allem junge Personen aus dem ‚Milieu‘ fernzuhalten, wenn im Gegenzug das vorrangige Ziel sein sollte, eine Entkriminalisierung des Gewerbes voranzutreiben (Hunecke 2011: 150). Die Gefahr einer solchen Altersbeschränkung führt laut einer Studie von Dona Carmen e.V.29 weiterhin eher dazu, dass gerade junge Prostituierte in die Hände von Zuhältern und auf den Straßenstrich gedrängt werden, da sie hier anscheinend sicherer vor Zugriffen durch die Polizei sind. Seitens der Polizei wird hingegen die mangelnde Befugnis zur Kontrolle des ‚Milieus‘ kritisiert und damit die Unfähigkeit, Menschenhandel aufdecken und ahnden zu können. Hunecke wendet ein, dass seit der Aufgliederung in die Delikte der Zwangsarbeit und Zwangsprostitution die Zahl der Ermittlungen zwar deutlich zunahm, die Zahl der Opfer hingegen relativ stabil blieb. Seit drei Jahren ist die Zahl der Verfahren sogar rückläufig30. Diese Ergebnisse widersprechen damit der Kritik der Polizei, dass Zugriffsmöglichkeiten fehlten (Hunecke 2011: 169). Die Zahl 29 Dona Carmen e.V. ist ein Verein, der sich für die Rechte von Prostituierten und im Speziellen für migrierte Sexarbeiter*innen einsetzt. Dona Carmen wurde 1998 in Frankfurt am Main gegründet. 30 Im Jahr 2015 wurden in Deutschland 364 Verfahren gegen Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung geführt, das sind 7% weniger als im Vorjahr. Bei 24% der Fälle handelte es sich ausschließlich um deutsche Opfer. (BKA 2015: 3)

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der Ermittlungen und Verurteilungen bei Verstößen, die ‚nur‘ die Ausbeutung der Arbeitskraft beinhalten, läuft auf der anderen Seite fast gegen Null, obgleich es eine Vielzahl von ausgebeuteten Arbeiter*innen in Schlachthöfen, in der Pflege, dem Gastgewerbe oder dem Baugewerbe gibt, die aber nur selten zum Zielpunkt für Ermittlungen werden. Die Ungleichbehandlung der beiden Opfer-Gruppen offenbart, dass der moralische Aspekt bei Sexarbeit herausgehoben wird und Menschen aus dieser Gruppe als Opfer definiert werden, wohingegen Arbeiter*innen aus anderen Gewerben eher als illegale Arbeitnehmer*innen gelabelt werden und ihnen kein Schutz oder gar Mitleid entgegengebracht wird, wie es im Falle von Zwangsprostituierten geschieht (ebd.: 176). Bastian und Billerbeck bemerken hierzu: „Unserer Ansicht nach liegen die Ursachen dieser Sonderstellung auch darin begründet, dass Sexarbeit den gesellschaftlichen Normierungen von Sexualität, Monogamie und romantischer Liebe widerspricht.“ (Bastian/Billerbeck 2010: 45). Diese Normierungen werden in der vorliegenden Studie unter dem Stichwort der Sexualideologie weiter thematisiert. Eine Aufteilung der beiden Opfer-Gruppen entlang der geschlechtlichen Dimension lässt sich nicht von der Hand weisen: Frauen wird – wie auch die vorliegende Analyse zeigt – diskursiv Naivität31 zugesprochen, die von Zuhältern, Menschenhändlern und Bordellbesitzern ausgenutzt wird, Männer hingegen scheinen an dem Vorhaben der Arbeitsmigration und der damit zusammenhängenden Ausbeutung selbst schuld32 zu sein. Eine Aufgliederung von Männern zu Opfern des Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft und von Frauen zu Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung manifestiert sich in den Ermittlungsergebnissen von Polizei und Staatsanwaltschaft. So wurden in 19 Ermittlungsverfahren 54 Opfer (81% männlich) ermittelt, die von einer Ausbeutung ihrer Arbeitskraft betroffen waren (BKA 2015: 12). Im Falle der sexuellen Ausbeutung waren 416 Opfer auszumachen, wovon 96% weiblichen Geschlechts waren (ebd.: 6). Die Aufdeckung von Ausbeutung und Menschenhandel ist in beiden Fällen extrem schwer, im Falle der Zwangsprostitution reicht es nicht aus: „Alleine aus bestimmten Umständen zu erkennen, dass es sich um ein Opfer von Menschenhandel handelt und ein danach erfolgtes Weiterhandeln zu pönalisieren, ist eine unlösbare Aufgabe. Es lassen sich nur schwer Umstände vorstellen, die als Tatbestandsmerkmale heranzuziehen wären. Nicht ausreichend ist, dass der Sexarbeiter eine andere Sprache spricht, blaue Flecke hat oder

31 Hierbei wird oft auf die sogenannte Loverboy-Methode Bezug genommen, bei der ein Mann eine (junge und unsichere) Frau umgarnt und sie so in die Prostitution drängt. Die Opfer sind laut BKA „aufgrund ihres Alters leicht zu beeinflussen und können vielfach nicht überblicken, auf was sie sich mit der Prostitutionsausübung einlassen“ (BKA 2015: 10). 32 Die Ausgebeuteten werden laut BKA über die Art und den Umfang der Arbeit getäuscht, sie wissen jedoch im Gegensatz zu Opfern der sexuellen Ausbeutung, dass sie zur Aufnahme einer Arbeit nach Deutschland kommen (BKA 2015: 12).

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in ärmlichen Verhältnissen arbeitet. Dies kann mit vielen anderen Umständen zusammenhängen, die nichts mit Menschenhandel zu tun haben.“ (Hunecke 2011: 181)

Ermittlungsverfahren werden in 44% der Fälle aufgrund von Anzeigen der Betroffenen selbst oder Dritter in die Wege geleitet und entstammen zunächst nicht aus polizeilichen Überprüfungen (BKA 2015: 4). Eine Liste von Indikatoren, wie Zwangsprostitution zu erkennen ist, wird z.B. von Organisationen wie JADWIGA33 bereitgestellt, sind jedoch für Außenstehende fast nicht zu erkennen, wie z.B. ob das Opfer vorher wusste, dass es der Prostitution nachgehen soll. Die Themen Zwangsprostitution und Menschenhandel dominieren in weiten Teilen den Prostitutionsdiskurs, was sich unter anderem in der aktuellen Gesetzgebung offenbart, in der im Besonderen auf den Aspekt des Zwangs Rücksicht genommen wird, um eine scheinbare Mehrheit vor Ausbeutung schützen zu können. 3.3 Prostitution, Stadt und Sichtbarkeit Ein weiterer Aspekt verschiedenster Forschung über Prostitution ist die Diagnose einer Verdrängung aus dem Sichtbaren. Als eine der jüngsten und zugleich umfangreichsten Arbeiten zum Thema Prostitution kann Bernsteins ethnographisch angelegte Studie von 1994 bis 2002 gelten (Bernstein 2007: 16), die genau diesem Aspekt einen prominenten Platz einräumt. Diese stützt sich auf – meist teilnehmende – Beobachtungen in verschiedenen nationalen und institutionellen Kontexten (vgl. ebd.: 189ff.), die zu verschiedenen Makro-Kontexten, beispielsweise Digitalisierung, in Bezug gesetzt werden. Sex work zeichnet sich durch eine Privatisierung entlang dreier Dimensionen – Raum, Interaktion und Emotion – aus (ebd.: 69). Grundlage der Verschiebung zum Privaten ist die Diagnose eines „‘disenchantment‘ or ‚cultural cooling‘, whereby intimate exchanges have increasingly come to resemble other forms of utilitarian transaction, even within private-sphere, nonmarket emotional exchanges.“ (ebd.: 5) In Bezug auf Paarbeziehungen schließt Bernstein an Lautmanns Ergebnisse an, dass sich zu der Überlagerung eines „procreative“ Modell durch ein „companionate“ Modell von Sexualität ein „recreational“ Modell gesellt. „Instead of being premised on marital or even durable relationships, the recreational sexual ethic derives its primary meaning from the depth of physical sensation and from emotionally bounded erotic exchange — what I here term bounded authenticity.“ (Bernstein 2007: 6)

Die Betonung liegt also auf dem Moment der Authentizität, die situativ gebunden ist.

33 JADWIGA ist eine Fachberatungsstelle für Opfer von Frauenhandel und hat ihren Sitz in München.

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Zum einen wird Sexarbeit durch vielfältige politische Maßnahmen und Entwicklungen von der Straße, dem sichtbaren Raum, verdrängt. Der zunehmende Fokus auf ein ‚Stadtimage‘ führt u.a. zu Kampagnen gegen Obdachlosigkeit bzw. Obdachlose, gegen Straßenprostitution und zu einem allgemeinen Gentrifizierungsprozess (vgl. ebd.: 36). Dabei ist Straßenprostitution kein homogenes Phänomen, sondern kann genauer unterschieden werden. Eine Möglichkeit dazu bietet die Differenzierung zwischen survival sex und sex work (ebd.: 44), wobei ersteres den Austausch von Sex und Drogen, Schlafplatz oder kleineren Geldsummen, die direkt benötigt werden, meint. Hierbei darf von einem ‚Teilbereich‘ nicht auf das ganze Feld verallgemeinert werden, wie es Antiprostitutionsaktivist*innen und auch Wissenschaftler*innen – z.B. Hughes, Farley, MacKinnon, Pateman – häufig getan haben (vgl. ebd.: 47). Carreer street sex work zeichnet sich im Vergleich zu survival sex durch die Unterscheidung von Arbeits- und Wohnort, sowie eines öffentlichen und eines privaten Selbst aus (ebd. 49f.). „As with prostitutes’ economic justifications for engaging in sex work, the reluctance to kiss clients is a commonplace in the contemporary prostitution literature, one which has been taken by some critics to represent an evident distaste for the labor that one is required to perform. While this is no doubt true in some instances, female prostitutes’ refusal to kiss clients must also be situated alongside other occupational practices such as the adoption of ‚working names‘ or the donning of ‚uniforms‘ (as Olivia and others often described their work attire), practices which, taken together, emerge as general occupational strategies for enforcing the separation between public and private selves.“ (ebd. 49)

Auch berichtet Bernstein darüber, dass die Frauen, „straight“ arbeiten, also nicht unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen stehen und schildert die ermächtigende Seite der Prostitution: „we‘re being smart and getting what we can for it“ (ebd.: 51). Die lokal unterschiedlichen Maßnahmenbündel der Politik unterscheiden nun nicht zwischen Sexarbeit und survival sex und eröffnen zusätzlich die Möglichkeit von Polizeigewalt wie sie u.a. von Bernstein als Beobachterin selbst erlebt wurde (ebd.: 58). Dabei stellt die Polizei für die Frauen die weitaus größte Bedrohung dar, und Antiprostitutionsaktivismus kann Stigmata und Erfahrungen von Gewalt verstärken (vgl.: ebd.: 62ff.) Dies deutet Bernstein als ein strukturelles Problem: „In most cases, the chief problem was not simply ‚bad‘ police officers with a penchant for abuse; rather, it was the growing structural imperative to intervene in the women’s lives, an imperative derived from the more general re- structuring of the welfare state away from social services and toward heightened police control and surveillance.“ (ebd.: 65)

Durch solche Maßnahmen und Entwicklungen wird Straßenprostitution eingehegt, „in such a way that my parents do not have to see it“ (ebd.: 93). Für die weiteren Ausführungen soll festgehalten werden, dass Straßenprostitution bei Bernstein keine ‚Negativfolie‘ darstellt, sondern sie explizit auf die ermächtigenden Momente derselben hinweist (ebd.: 68f.). Trotzdem führen die geschilderten z.B.

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stadtplanerischen Maßnahmen in den USA und Europa zu einer Verdrängung von der Straße (öffentlicher Raum) in digitale oder kommerzialisierte Räume die sich von kleinbürgerlichen Sexarbeiter*innen im Sinne eines unternehmerischen Selbst (Bröckling 2007) angeeignet werden. Die räumliche Privatisierung wird begleitet von einer Privatisierung des Sozialen. Die Interaktion zwischen Kunde und Sexworker findet nicht mehr ‚im Milieu‘ statt, sondern ist technisch vermittelt (Bernstein 2007: 69) – etwa per Internet. Diese Form der Sexarbeit kann als Ausdruck eines „digital cleavage“ gesehen werden. Junge, weiße Männer arbeiten in der IT Branche, wo Frauen lediglich 28% der Angestellten ausmachen und sind in der Regel in schlechter angesehenen und bezahlten Positionen als Männer. Frauen finden nun in der Sexarbeit die Möglichkeit vergleichsweise gut zu verdienen (ebd.: 80) und können sich durch eine Professionalisierung dieser ‚Sparte‘ nach unten abgrenzen. So findet durch die Partizipation des neuen Kleinbürgertums – in Verweis auf Bourdieu – an der Sexarbeit eine gewisse Normalisierung – auf Kosten der Straßenprostitution – statt (vgl. ebd.: 108), indem „a sense of personal meaning and ethical value“ (ebd.: 95) in die Arbeit eingebracht wird, wo vorher die Trennung eines private self von einem public self stand. Dieses neue Kleinbürgertum zeichnet sich dadurch aus, dass es entweder zentrale Qualifikationen nicht errungen hat, oder aber dass sich die errungenen Qualifikationen nicht im erhofften Maße auszahlen. „Given either trajectory, individuals who pertain to the new petite-bourgeois class fractions are likely to settle into subordinated spaces within the institutions of cultural production and exchange. According to Bourdieu, what is most distinctive about these new class fractions, however, is the distinctive ethos which infuses the cultural goods that they produce and consume.“ (ebd. 82)

War das alte Kleinbürgertum pflichtbewusst und asketisch-aufopfernd, ist das neue Kleinbürgertum hedonistisch, individualistisch Spaß-suchend orientiert, Genuss wird zu einer moralischen Pflicht (ebd.: 82f.). Sexarbeit wird so durch das kulturelle Kapital des neuen Kleinbürgertums professionalisiert (ebd.: 94), was sich in (Alltags-)Theorien, die man als Sex/Body-Positive bezeichnen kann äußert, wie auch in einer therapeutischen Sprache (ebd. 98). Wird Sexualität in der Straßenprostitution naturalisiert gedacht, wird Sexualität in diesem neuen Stil der Sexarbeit als Kapital und als skill, an dem und mit dem man arbeiten kann, verstanden (vgl. ebd. 96). All dies ist eine Problematisierung bestimmter Aspekte der Sexarbeit, die wiederum andere Aspekte normalisiert. Die sichtbare ‚niedere‘ Straßenprostitution wird angegangen, was wiederum den ‚anständigen‘ Betrieb legitimiert (ebd.: 140). Ein weiterer Aspekt des Ethos des neuen Kleinbürgertums, der in der ‚privatisierten Sexarbeit‘ eine zentrale Rolle spielt ist der der Authentizität. Die Person selbst ist Garant für die Ware oder Dienstleistung, die verkauft wird. Berichten

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Straßenprostituierte bei der Frage nach schlechten Erfahrungen in der Arbeit über die Gewalt von Zuhältern, berichten kleinbürgerliche Prostituierte über „crude economic self-interest and a lack of authenticity“ auf Seiten der ‚Arbeitgeber‘ bzw. Agenturen. Erzählungen von ‚organischer Solidarität‘ vermittelt durch die Metapher der Familie (vgl. Bernstein 2007: 89f.) umreißen das Bild positiver Arbeitsplätze. Aber auch der eigene Körper muss authentisch in die Arbeit eingebracht werden, so ermöglicht diese Form der Sexarbeit eine ermächtigende Neuerfahrung des eigenen Körpers. „It was common for me to hear women describing feeling ‚sexy‘, ‚beautiful‘, and ‚powerful‘ only after they had begun to engage in sexual labor“ (ebd.: 100, Herv. i. O.). Auch wird Sexarbeit als positiver Gegenpol zu medialen Schönheitsidealen oder geistiger Arbeit erlebt (ebd.). Eng verknüpft mit dieser neuen Ausgestaltung ist die ‚girlfriend experience‘ (GFE). „This may include a lengthy period of foreplay in which the customer and the escort touch, rub, fondle, massage, and perhaps even kiss passionately. A GFE session might also include activities where the customer works as hard to stimulate the escort as she works to stimulate him. Finally, a GFE session usually has a period of cuddling and closeness at the end of the session, rather than each partner jumping up and hurrying out as soon as the customer is finished.“ (Bernstein 2007: 126).

Hier offenbart sich ein deutlicher Unterschied der ‚postmodernen‘ zur modernen Prostitution: „In modern prostitution, what was typically sold and bought was an expedient and emotionally contained exchange of cash for sexual release.“ (Bernstein 2007: 102) Nun wird jedoch eine neuartige Dienstleistung angeboten, die sich durch ihre „bounded authenticity“ (ebd.: 103) auszeichnet: „the sale and purchase of authentic emotional and physical connection“ (ebd.). Diese wird mittels eines „deep acting“ (Hochschild 1990; Bernstein 2007: 103) erzeugt. Bei ihrer Diagnose der Privatisierung von Prostitution entlang der diskutierten Dimensionen, bezieht Bernstein sich auf Datenmaterial aus den USA, Schweden und den Niederlanden – also unterschiedlichen politischen Regulierungskontexten. Diese kann man differenzieren in einen (neuen) Abolitionismus, einen Prohibitionismus und einen Regulationismus (vgl. Renzikowski 2007: 9ff.). Erster zielt auf das eingenommene Geld in der Prostitution, das auch anteilig keinem Dritten zukommen darf. Zweiter zielt auf ein Verbot der Prostitution, etwa wie in Schweden. „Seit dem 1. 7. 1998 ist Prostitution völlig verboten, weil sie als sozialschädliche Ausbeutung von Frauen und Kindern und als Verletzung ihrer Menschenwürde gilt. […] Bestraft werden aber nur die Freier und nicht die Prostituierten, die als Opfer von männlicher Unterdrückung und Gewalt gegen Frauen und Kinder angesehen werden.“ (Renzikowski 2007: 12)

Der Regulationismus zielt auf eine Kontrolle des ‚Milieus, „etwa durch die Registrierung von Prostituierten und durch medizinische Untersuchungen. Zu diesem Regelungstypus werden neben Deutschland gezählt: Österreich, Griechenland,

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Ungarn, Lettland, Niederlande und Großbritannien“ (ebd.: 13). Euchner unterscheidet in ihrer Gliederung der Prostitutionsregime ein „Prohibitives Regime“, dem es um ein Verbot des Angebots geht, ein „Abolitionistisches Regime“, dem es um ein Sexkaufverbot geht. Weiterhin wird eine „Erlaubnis ohne Anerkennung“ und „Erlaubnis mit Anerkennung“ unterschieden – je nachdem wie weit die Tätigkeit eingeschränkt ist bzw. als reguläre Dienstleistung anerkannt ist (Euchner 2015: 9). Bezüglich der Konzeption von Abolitionismus zeigen sich deutliche Unterschiede in den beiden Gliederungen. Der Blick auf die Debatte in der BRD und auch darüber hinaus, zeigt den selbstgewählten Bezug derer die ein Sexkaufverbot fordern zum Abolitionismus als historische Bewegung. Um die Relevanz dieser Konstruktion einer Traditionslinie hervorzuheben folgen wir dem Schema Euchners (vgl. auch Bastian/Billerbeck 2007: 30f.). In Einklang mit den Befunden Bernsteins sprechen auch deutsche Studien von einer „Verhäuslichung“ der Prostitution (Löw/Ruhne 2011: 71). Diese verändert nicht nur das Gewerbe, sondern auch die Stadt selber. Dabei geht es um eine „Strategie der Vertreibung aus dem öffentlichen Raum bei gleichzeitiger Domestizierung.“ (ebd.: 72) Dabei werden, wie auch Bernstein konstatiert, konkrete, proletarische Frauenkörper anvisiert, z.B. vermittelt über die Jugendgefährdung. Zum einen geht es um nicht-medial vermittelte Körper: „I ponder the fact that these scantily clad female bodies have been forcibly removed from public streets for ‚lewd behavior,‘ while the equally revealed, yet lifeless feminine forms on the billboards that surround me have been allowed to remain.“ (Bernstein 2007: 23) Zweitens geht es um proletarische Körper: „Zwar wird im konkreten Fall Prostitution aus den Straßen verbannt, doch ist keineswegs nur die Sexarbeit anstößig, sondern vor allem die in sie eingebettete Inszenierung einer Straßenkultur, die hier deutlich als eine proletarische Kultur interpretiert wird.“ (Löwe/Ruhn 2011: 72). Immer aber geht es um Frauenkörper: „Die Geschlechtsspezifik des Verdrängens der Frauen von der Straße zeigt sich darin, dass es weibliche Prostituierte sind, die hier verdrängt werden, und dass das, was von der Straße verschwunden ist und was dem Licht der Öffentlichkeit entzogen werden soll – und was zuweilen als das jugendgefährdende Potenzial der Sexabeit bezeichnet wird –, der anwesende und sexualisiert abgebildete weibliche Körper ist.“ (Löwe/Ruhne 2011: 81f.)

Aber auch die männlichen Mitglieder des ‚Milieus‘ sollen von der Straße verdrängt werden, wobei bei ihnen die Dimension des Verhaltens und nicht wie bei den Frauen die Dimension des Körpers problematisiert wird (ebd.: 85f.). Insgesamt lässt sich festhalten, dass relativ unabhängig von der Legalität oder Illegalität des Sexkaufs eine Verlagerung in geschlossene Räume zu beobachten ist. Diese hängt u.a. mit ‚Großtrends‘ wie der Digitalisierung aber auch mit der Utilisierung spezifischer Regelungen auf Ebene der Städte und Kommunen zusammen. Dabei geht das ‚von der Straße holen‘ einher mit einem Mehr an

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Kontrolle und einer Verantwortungsverlagerung hin zu den Bordellbetreibern (vgl. Löw/Ruhne 2011: 86ff.). Die Auswirkungen dieser Expansion zeigt die Analyse von Sperrgebieten. Es finden sich dort mehr Zuhälter als in nicht durch Sperrgebiete regulierten Räumen und selbstorganisierte Prostitution wird verhindert (vgl. Hunecke 2011: 321). Ein Blick auf die 1950 einsetzende Konzessionierung von Spielhallen zeigt ähnliches. Jugendliche ziehen sich ins Hinterzimmer zurück und die soziale Anerkennung der Spielhallen steht noch immer aus (ebd.: 366). Ferner lassen sich Parallelen zur Privatisierung urbaner Kindheit ziehen: „Für die Mehrheit urbanisierter Kindheit wird das Modell eines pädagogisch betreuten und individualisierten Familienkindes leitend“ (Zinnecker 1990, zitiert nach Löw/Ruhne 2011: 87). Der öffentliche Raum wurde und wird zusammenfassend mehr und mehr von ‚unerwünschten‘ sichtbaren Phänomenen, wie der Obdachlosigkeit, der Prostitution, als auch von ‚alleine umherziehenden‘ Kindern befreit. Der Forschungsstand zur Prostitution wird im Folgenden ergänzt durch die Diskussion empirischer Perspektiven auf Sexualität ‚allgemein‘. Damit wird Prostitution in den Kontext von Sexualmoral im weitesten Sinne gestellt. In der bisherigen Forschung wird das ProstSchG noch nicht adressiert, allenfalls mögliche, weitergehende politische Regulierungen. Somit lässt sich angesichts des Novum ProstSchG aktuell eine Leerstelle identifizieren, an der die vorliegende Studie ansetzt. 3.4 Empirische Perspektiven auf Sexualität Biopolitische Perspektiven der Immunologik Eine mögliche Perspektive sexuelle Moralpolitiken in den Blick zu nehmen, eröffnet der Anschluss an den Begriff der Biopolitik (zur Biopolitik: Foucault 2012: 135; zum Anschluss: vgl. Laufenberg 2016; Kraml 2016). Damit bezeichnet Foucault einen Pol der Organisation der „Macht zum Leben“ (Foucault 2012: 135). Dieser stellt auf Konzepte wie „die Geburten- und die Sterblichkeitsrate, das Gesundheitsniveau, die Lebensdauer“ (ebd.) ab. Der andere Pol ist die Disziplinierung des Körpers. Foucault expliziert die Biopolitik im Kontext seiner in Kapitel 2.1 skizzierten Arbeit zur Sexualität. Mit dem Begriff zielt die daran anschließende Forschung zur Immunologik auf „übergeordnete Strategien“ (Laufenberg 2016: 55) ab, die verwoben sind mit ‚partikularen‘ Regulierungen. „Einmal installiert, und das ist der entscheidende Punkt, betreffen diese Strategien von Überwachung, Disziplinierung und Kontrolle schließlich nicht mehr bloß die Leben von […] Prostituierten, sondern wirken als feinmaschiges Netz, das die Gesellschaft durchzieht, regulierend auf das Leben aller ein.“ (Laufenberg 2016: 56)

Wie die gleich ausgeführten empirischen Perspektiven auch zeigen, bietet das Vokabular Foucaults eine „Erklärung für das Phänomen der Medikalisierung großer

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Teile der Gesellschaft“ an (Graumann/Lindemann 2010: 298). Medikalisierung meint unter anderem die „Übersetzung von sozialen Prozessen/Problemen in die Sprache der Medizin.“ (Schneider 2013: 220) Als zentralen Paradigmenwechsel kann man die Zuwendung zu einer Vorstellung von Gesundheit als fluider Ausprägung zwischen den Endpunkten gesund – krank ausmachen (vgl. Antonovsky 1997). Ein weiteres entscheidendes Moment ist die ‚Psychologisierung‘ als Teil einer Medikalisierung des sozialen Lebens, die sich in einer therapeutischen Kultur manifestiert (vgl. Illouz 2009: 312ff.). Diese Entwicklung kann man auch als „Selbstmedikalisierung“ (Wehling/Viehöfer 2011: 27) betiteln. „Hierbei deuten und interpretieren die Betroffenen Individuen selbst, wenngleich angeleitet durch mediale und medizinische Diskurse […] ihre Befindlichkeiten in Begriffen von Krankheit, Störung oder Abweichung“ ebd.: 27f.) Laufenberg, wie auch Kraml setzen den Begriff der sexuellen Immunologik an zentrale Stelle. Dabei rekurrieren sie auf Esposito, dem es darum geht, die semantische Lücke zwischen den konstitutiven Polen der Biopolitik – Biologie und Politik – mit Hilfe des Begriffes „Immunization“ zu schließen (Esposito 2008: 45). Grundidee ist die Verwobenheit von Medizin und Staatskonzeption entlang der Konstitution der Grenze des (Volks-)Körpers und der Immunisierung desselben vor ‚schädlichen Einflüssen‘ durch eine kontrollierte Hereinnahme. Dabei wird auf zwei epistemische Brüche im 16. Jahrhundert verwiesen. „Der erste Bruch vollzieht eine veränderte Wahrnehmung von Krankheiten und ihrer Entstehungsgründe, der zweite Bruch führt zu einer unterschiedlichen Bewertung der Gefahren, denen der Körper ausgesetzt ist.“ (Laufenberg 2016: 57) Mit der Annahme von semina, externe Wirkstoffe, die in den Körper eindringen, wird „erstmals eine fundamental andere medizinische Theorie“ (ebd.) neben die Säftelehre34 gestellt, welche die Krankheitsursachen im Körper verortet. Parallel dazu verändert sich die politische Literatur. „Das allgemeine Gleichgewicht des kollektiven Körpers wird allmählich als etwas gedacht, das präventiv vor äußeren Gefahren und Eindringlingen zu schützen ist“ (ebd.; Her. i. O.). Diese Analogien und die Annäherung der politischen und medizinischen Sprache umreißen den ersten Bruch. Der Zweite Bruch zielt auf die Idee, dass Bedrohungen die Selbstverteidigungskräfte stärken, eine Abschottung also nicht zielführend ist. Es geht um die „kontrollierte Inkorporation in den politischen Körper, mit dem doppelten Ziel, die Gefahr zu neutralisieren und den eigenen Körper zu stärken.“ (ebd.: 58) Somit bedeutet eine Integration, etwa spezifischer Sexualitäten, in eine Gesellschaft auch erneute Ausschlüsse, vermittelt über die Stärkungsfunktion. Zugleich sind solche Integrationen prinzipiell zur Disposition gestellt, wie auch der Wandel vom ProstG zum ProstSchG zeigt. Die Integration der ‚bürgerlichen Hure‘ vollzieht 34 Humoralpathologie, ein aus der Antike stammendes Konzept vom Gleichgewicht der Körper-säfte.

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sich auf Kosten anderer Ausschlüsse – der osteuropäischen Prostituierten – ist aber immer auch gefährdet. Insofern ziehen wir für die vorliegende Arbeit weniger die Ergebnisse dieser Studien heran, als dass die dort eingenommene Perspektive unsere Analyse informiert. Sexual ideologies Einen Zugang zum Thema Sexualmoral eröffnet die Forschung zu Sexualideologien. „[S]exual ideologies“ werden definiert als „an individual‘s beliefs and attitudes regarding the regulation and expression of sexual conduct“. (Troiden/PlattJenderk 1987 zitiert nach McKay 1998: 36) Ideologie stellt dabei eine „neutral conception“ (MacKay 1998: 34) dar, der Fokus liegt also nicht auf einem vorgängig unterstellten Herrschaftsverhältnis, sondern es handelt sich um eine dem Deutungsmuster (Keller 2011b: 240ff.) ähnliche Konzeption. Als Referenzautor lässt sich Davis ausmachen, der die Ebene dichotomer Einstellungsforschung bezüglich des Sexuellen verlässt und den Bezug zum Außersexuellen herstellt (vgl. Lautmann 2002: 2865ff.). In seiner Studie widmet er sich der Frage, „[w]hat is responsible for the slight shift in cognition that transforms sex into smut?“ (Davis 2002: 258) Dabei verweist er auf Sexualideologien, die die Interpretationsfolie sexueller Erfahrungen darstellen. Hierbei arbeitet er drei verschiedene Idealtypen aus, die für die westliche Gesellschaft eine zentrale Stellung einnehmen. In anderen raumzeitlichen Kontexten finden sich vermutlich auch andere Sexualideologien. Die Typologien trennen nicht jeweils „zwischen Individuen, Gruppen, Institutionen und Gesellschaften, sondern charakterisieren die dort vertretenen Standpunkte“ (Lautmann 2002: 289). Erster Typus ist der Jehovanismus. Der Name verweist auf den alttestamentarischen Gott, „der in heftige Wut gerät, wenn das von ihm gesetzte Kategoriensystem durch Sexualität oder andere tabuisierte Handlungen verletzt und durcheinandergebracht wird.“ (Lautmann 2002: 287) Die Einstellung gegenüber Sexuellem wird hier von der Annahme bestimmt, dass Sex zum einen schmutzig ist sowie die Identität beeinflusst und so auch negative Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes, wie auch auf den individuellen Körper haben kann (Davis 2002: 264). Die Ehe wird dabei als Schutzwall gegenüber den Gefahren des Sex imaginiert (ebd.: 265f.). Zweiter Typus ist der Naturalismus. „Naturalism is the notion that sex is ‚healthy‘ and should be pursued in a ‚balanced‘ way and if not harmful to others, ‚without shame‘“ (Brannigan 1986: 72). Als Referenzfigur dieser Haltung ist z.B. Alfred Kinsey zu nennen (Lautmann 2002: 288). Der dritte Typus ist der Gnostizismus. Hier ist Sexualität ein Weg das Göttliche im Menschen zu befreien. „Zwei konträr erscheinende Figuren gehören hierher: a. der Libertin (zerschlägt Regeln, psychische Organisationen und Naturgesetze – durch die Sexualität, denn Gott selbst ist im Wesen sexuell); b. der Asket (verkörpert die ‚andere Fraktion‘ im dualistischen Denken des Manichäismus)“ (Lautmann 2002: 288).

3. Aspekte der Prostitutionsforschung

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MacKay komprimiert in einer Metaanalyse die Ergebnisse mehrerer Studien, u.a. Davis, in eine Dichotomie von „permissive“ und „restrictive“ (MacKay 1998) und geht damit wieder einen Schritt hinter Davis zurück. Bei einer solchen Zusammenschau stellt sich die Frage des daraus resultierenden Erkenntnisgewinns. Was kann ein solches System noch erklären? Führt eine solche Abstraktion spezifischer Studien lediglich zu Allgemeinplätzen? Für die vorliegende Arbeit bleibt festzuhalten, dass wir Sexualideologien als eine den Sexual(teil)moralen übergeordnete Ebene ansehen. Die Sexualideologien werden ermöglicht durch das Sexualitätsdispositiv, der identitätsbezogenen Konstitution von Sexualität. Zur Unterscheidung von Sexualmoral und Sexualideologie sei angemerkt, dass Sexualideologien gleich Sexualmoralen sind, Sexualmoralen allerdings auch weit weniger ‚verbreitet‘ sein können als Sexualideologien, etwa in Szene-Moralen. Sexuelle Skripte (Gagnon/Simon 2005) stellen dann die handlungsorientierte Perspektive auf das subjektivierte Sexualwissen dar. Dabei müssen Korrelationen zwischen Werthaltung, etwa von Parteien oder Koalitionen, und politischer Praxis nicht zwangsläufig bestehen, „sei es, weil entgegenstehende politische Interessen eine Kompromisslösung erzwingen, sei es, weil andere Probleme vorrangiger zu lösen sind oder weil eine Verdrängung – oder gar Tabuisierung – der Problematik für die Entscheidungsträger als einfacherer Weg erscheint.“ (Renzikowski 2007: 16).

4. Resümee: (De-)Regulierungen der Prostitution

Eingeleitet wurde in einem ersten Schritt durch die Darstellung der historischen Dimension des Phänomens Prostitution. Die Rede vom ältesten Gewerbe der Welt kann der Analyse nicht standhalten35; die Bestrebungen, Prostitution zu regulieren, gehen hingegen bis zur Napoleonischen Zeit zurück und mündeten im sogenannten französischen System. In diesem Netz an Regulierungsbestrebungen ist der international verbreitete Abolitionismus beispielhaft. Diese institutionalisierte soziale Bewegung kritisierte im 19. Jahrhundert die staatlich regulierten Bordelle und forderte deren Abschaffung. Hervorgehoben wurde die Differenz zwischen der Straffreiheit der Freier und der Einschränkung der Rechte der Prostituierten, manifest etwa in einer Registrierungspflicht und in Zwangsuntersuchungen. Insgesamt führten die strikten Regularien zu einem Generalverdacht allen Frauen gegenüber, die im öffentlichen Leben als ‚unanständig‘ verdächtigt wurden. So mobilisierte sich in Deutschland eine bürgerliche Frauenbewegung, die „die Reglementierungen als Verletzung der Würde aller Frauen [betrachtete; Anm. A.], da sie die Frauen zu ,Lustsklavinnen des Mannes‘ machen würden.“ (Hunecke 2011: 14) Ein weiteres wichtiges und historisch wiederkehrendes Element ist das Phänomen white slavery, welches sich im Kontext eines ersten weitreichenden Globalisiserungsschubs verorten lässt. Vor allem im Zuge der Kolonialisierung lässt sich eine „rassistisch differenzierte Sexualordnung“ (Große 2014: 185) rekonstruieren, die insbesondere in den Kolonialgebieten eine hohe Nachfrage nach weißen Prostituierten bedingte. Diese ‚Zwangsprostituierte‘ wurde als junge, weiße, unschuldige und naive Frau imaginiert, die zur Prostitution gezwungen wird. Ihr gegenüber stand der skrupellose, männliche, galizische Jude (Bloch 1909) – der die weibliche Unschuld zu seinen Gunsten auszunutzen versuchte (de Perez 2014: 174). Weibliche Migration wurde als potentiell gefährlich eingestuft und Frauen vor einer eigenständigen Ausreise gewarnt. An diesem Beispiel offenbart sich bereits das zyklische Element, das Prostitution zum Aufhänger von Risikoerzählungen und zum Gegenstand von Regulierungsbestrebungen erhebt. Prostitution eröffnet weiterhin die Möglichkeit einer Vielzahl von Verquickungen vormals gegenüberstehender Positionen. Die Erkenntnis, dass die Ausübung der Prostitution nicht mit Mitteln der Ordnungsbehörden unterbunden werden kann, 35 Allein aufgrund der Tatsache, dass Prostitution auch heute nicht den offiziellen Status eines Gewerbes inne hat.

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4. Resümee: (De-)Regulierungen der Prostitution

führte zu einer verstärkten Einbindung und Verbindung des Abolitionismus mit der Medizin, welche in Form freiwilliger Untersuchungen ihren Fixpunkt fand. Die Gefahr, die vom ‚Krankheitsherd‘ der Prostituierten ausgehe, war eine Jahrhunderte überdauernde Deutung des gefährlichen Körpers derselben. Erst neue Erkenntnisse zu Übertragungswegen von Krankheiten wie der Syphilis führten zu einer Fokusverschiebung zum ‚umtriebigen‘ Mann als Gefahrenpotential für den Volkskörper. Die Idee des Volkskörpers entspringt der Verwebung medizinischen und politischen Denkens und zielt auf die Immunisierung desselben. Die Vorherrschaft der Medizin als deutende Kraft in Hinblick auf die Realität der Prostitution verfestigte sich maßgeblich im 1927 verabschiedeten Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (GeschlKrG). Obgleich der Kunde zunächst auch als Ansatzpunkt von Interventionen erkannt wurde, verblieb der Fokus des Deutungsmusters auf der Andersartigkeit und der Devianz der Prostituierten. Im Zuge der Studentenproteste in den 1960er und 70er Jahren wurde Sexualität und eine Politisierung des Sexes zu einem zentralen Ansatzpunkt. Nachdem vor allem die Erfahrung der persönlichen Sexualität im Vordergrund stand, gerieten nach und nach auch Prostituierte wahlweise als Vorreiterinnen für die Recht der Frau oder als Unterstützerinnen des Patriarchats in den Fokus. Mit der Gründung des ersten selbstorganisierten Prostituiertenverbands verschob sich die Perspektive von der Devianz der Prostitution langsam dahingehend, Prostitution als selbstbestimmte Arbeit anzuerkennen. Mit der Verabschiedung des ProstG im Jahr 2001 wurde dieser Entwicklung Rechnung getragen und Prostituierten nun Rechtssicherheit z.B. indem sie Entgelt einklagen konnten, zugestanden. Die sich aus dem ProstG ergebenden Rechte wurden entgegen ihrer Intention nur sehr spärlich in Anspruch genommen, sodass Prostitution in einem gesellschaftlichen ‚Vakuum‘ verblieb. Die politischen und öffentlichen Debatten hinsichtlich des Themenkomplexes verstummten dementsprechend kaum und so wurde weiterer Regulierungsbedarf seitens der Politik und anderer Akteure konstatiert. Das im Sommer 2017 in Kraft getretene ProstSchG verhandelt Prostitution vorrangig unter dem Aspekt des Zwangs und betont die Fürsorgepflicht des Staates, obgleich die Gesetzgebung im internationalen Vergleich noch immer im liberalen Spektrum verbleibt. Sexualität wird von westlichen Gesellschaften, das zeigte Foucault in „Der Wille zum Wissen“ auf, als eine „scientia sexualis“ (Foucault 2012: 57ff.) und somit als Knotenpunkt der eigenen Identität verstanden. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung bildet einen solchen Kernpunkt, der aufgrund eines Paradigmenwechsels im Recht und der Rechtsprechung ab 1974 mit dem sogenannten Fanny-Hill-Urteil bekräftigt wurde. Von nun ab stand nicht mehr der Schutz der öffentlichen Ordnung im Vordergrund, sondern der Rechtsgüterschutz des Individuums. Das Recht wird dabei zunehmend zur Zivilreligion, da das ‚eine‘

4. Resümee: (De-)Regulierungen der Prostitution

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Wertsystem nicht mehr existiert, vielmehr stellt nun das Recht ‚moralisches Rezeptwissen‘ bereit. Gegenstand dieser Moral ist die Sexualität der Bevölkerung. Moral meint dabei ein ordnungsstiftendes gesellschaftliches Konstrukt, das beständig um seine Legitimität ringen muss. Zugleich versuchen Moralunternehmer*innen die Legitimität des eigenen Anspruchs qua Verrechtlichung zumindest vorläufig auf Dauer zu stellen. Obgleich sich neuere Forschungen dem Gegenstand Prostitution aus vielerlei Richtungen annähern, so gibt es dennoch Bereiche, die sich lange Zeit auch dem wissenschaftlichen Blick weitestgehend entzogen haben und erst seit einigen Jahren fokussiert werden. Prostitution und Migration ist einer dieser Komplexe, der lange unterbelichtet war. Weibliche Migration war generell ‚suspekt‘, wenn sie sich nicht in Form von Familiennachzug sondern selbstständig äußerte. Das Absprechen eigener agency betrifft speziell ausländische Sexarbeiterinnen, die tendenziell als Opfer gesehen werden. Dagegen steht die Selbstwahrnehmung von Menschenhandelsopfern, die nicht als Opfer, sondern als Überlebende, die stark und durch das Durchlebte abgehärtet sind (Persak 2014: 206), verstanden werden wollen. Insgesamt nahmen die Ermittlungen bedingt durch die Aufgliederung des Tatbestandes Menschenhandel in Arbeit und Sexualität zu, die Zahl der eröffneten Verfahren ist dagegen rückläufig; die Zahl der Opfer bleibt relativ stabil. Im Jahr 2015 wurden in Deutschland 364 Verfahren gegen Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung geführt, 7% weniger als im Vorjahr (BKA 2015: 3). Weiterhin ist der Trend der Verhäuslichung bzw. Privatisierung zentraler Aspekt aktueller Forschung. Ob auf Grund des Baurechts, Strafrechts, anderer Regulierungen oder des sozialen Status, Prostitution zieht sich vom Straßenstrich zurück und zugleich zieht sich der Straßenstrich aus der Stadt zurück. Großbordelle am Stadtrand mit guter Verkehrsanbindung und das Internet prägen heute die SexIndustrie. Dabei geht das ‚von der Straße holen‘ einher mit einem Mehr an Kontrolle und einer Verantwortungsverlagerung hin zu den Bordellbetreibern (vgl. Löw/Ruhne 2011: 86ff.). Dabei zeigt dieselbe Forschung die negativen Konsequenzen der Expansion an Kontrolle. Die Verdrängung an den Rand, auch durch die Ausweitung von Sperrbezirken bedingt, erzeugt einen ‚illegalen‘ Rest, also einen Ausschluss der ‚Schwächsten‘: Beschaffungsprostitution, survival sex und im Sinne des Aufenthaltsrechts illegale Prostitution. Zuhälter werden in diesem ‚Milieu‘ wieder prominent und selbstbestimmte Prostitution schwieriger. Im Lichte dieser Befunde wird der moralische Gehalt des neuen ProstSchG offensichtlich. Sexuelle Moralpolitiken in den Blick zu nehmen, eröffnet der Anschluss an den Begriff der Biopolitik. Den moralischen Aspekt von Ein- und Ausschluss in Bezug auf Sexualität machen die Analysen zur sexuellen Immunologik stark. Eine Integration, etwa spezifischer Sexualitäten in eine Gesellschaft beinhaltet daher auch erneute Ausschlüsse aus dieser. Einen weiteren Zugang zum

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4. Resümee: (De-)Regulierungen der Prostitution

Thema Sexualmoral eröffnet die Forschung zu Sexualideologien (Davis 2002), welche den Schritt weg von einer dichotomen Einstellungsforschung vollzieht. In den Blick genommen werden überindividuelle und über einzelne Themenbereiche hinausreichende moralische Vorstellungen, welche in konkreten Gegenstandsbezügen relevant werden. In Anbetracht dieses Wissens- und Forschungsstandes fokussiert die vorliegende Arbeit auf die Debatten um das Prostituiertenschutzgesetz. Prostitution ist Gegenstand zahlreicher feministischer Diskussionen, medialer Formate, und politisch-zivilgesellschaftlicher Regulierungsbestrebungen. In diesen Kontexten wird gerne auf das sogenannte ‚Dunkelfeld‘ verwiesen. Das stellt ein Indiz auf die notwendige wissenschaftliche Ausleuchtung des Feldes dar – oder aber verweist auf die Trennung der Wissenschaft von ‚der Gesellschaft‘. Allerdings verlangt auch der Aspekt der wiederkehrenden Problematisierung eine wissenschaftliche Begleitung. Dies sind nur einige Marker der Relevanz des Themas. Ausgehend von gerade zusammengefassten historischen Ausführungen und Anmerkungen zur rechtlichen Situation sowie der Diskussion des aktuellen Forschungsstandes wird in dieser Arbeit das ProstSchG anvisiert. Das erste Erkenntnisinteresse zielt auf das Erfassen der Gesetzgebungssituation: Welche zentralen Ereignisse lassen sich identifizieren? Welche Akteure gibt es, wie stehen sie zueinander in Beziehung? Welche Problemgeschichte(n) wird/werden gezeichnet? Welche Diskurse lassen sich identifizieren? Zweitens wird die Frage nach der inhaltlichen Strukturierung der Diskurse gestellt: Wie ‚funktionieren‘ die Diskurse? Welche Figuren zeichnen sie? Welche Geschichten erzählen sie? Welcher Inhalt und welche Form werden gehört? Darüber hinaus wird nach übergreifenden Tendenzen gefragt, nach Gemeinsamkeiten und dem Verhältnis der Diskurse zueinander. Die Frage nach den Konsequenzen des Diskurses beansprucht den Status einer ‚Vorarbeit‘. Die Umsetzung des ProstSchG befindet sich noch in Arbeit: hier bietet sich für künftige Studien die Möglichkeit das Verhältnis von Diskurs und Praxis, nicht nur evaluatorisch, in den Blick zu nehmen.

5. Methodologie und Methode

Diskurse sind „als Praktiken zu behandeln die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen.“ (Foucault 2013: 525) Gegenstand der Studie ist das wirkmächtige Sprechen über Prostitution in der medialen, der politischen und der aktivistischen Sphäre. Dieses wirkmächtige Sprechen wiederum schafft ‚die Prostitution‘ als spezifisches „diskursives Feld“ (Keller 2011c: 52). Um die dortigen Deutungs- und Anerkennungskämpfe zu analysieren wird das Feld, mit Hilfe des Forschungsprogrammes der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (WDA), durch die Zeit, und mit Blick auf verschiedene Sphären als auch auf verschiedene Deutungen verfolgt. Die WDA speist sich neben dem Bezug auf Foucault aus zwei weiteren Traditionslinien, die ihrerseits wiederum miteinander verwoben sind: die neue Wissenssoziologie und der symbolische Interaktionismus (Keller 2011b). Allen drei Traditionslinien ist gemeinsam, dass sie „Wie-Fragen“ anstelle von „Warum-Fragen“ bearbeiten und auch innerhalb dieser beiden Traditionslinien haben sich Ansätze zur Analyse wirkmächtigen Sprechens sowohl im Öffentlichen als auch in spezifischen Bereichen entwickelt. Foucault selbst schreibt vergleichsweise wenig zur konkreten Arbeit am Datenkorpus (vgl. Keller 2007: 7ff.). Die WDA begegnet dieser Lücke indem sie auf „allgemeine Konzepte, die aus der Wissenssoziologischen Tradition stammen“ Bezug nimmt, die im Folgenden ausgeführt werden. Hinsichtlich der Umsetzung einer wissenssoziologischen Diskursanalyse verweist Keller darauf, dass „sich der allgemeine Forschungsprozess in der Diskursforschung nicht von der üblichen (qualitativen) Sozialforschung“ unterscheide (ebd.: 31). Zur Arbeit am Material verweist Keller sowohl auf Vorschläge der Grounded Theory (GT) wie auch auf die Sequenzanalyse (zu beidem Keller 2007), wobei „die Grounded Theory einige nützliche Reflexionen und Hilfestellungen zur Vorgehensweise, die sich auf unterschiedlichste Forschungsinteressen und -methoden beziehen lassen“ bietet (ebd.: 31). Im Folgenden wird nun der Forschungsprozess in einzelnen Schritten dargestellt. Dies ist einer übersichtlichen Darstellung geschuldet. In der Praxis finde sich immer wieder Schlaufen, ein vor- und ein zurückgehen, auch Abzweigungen – der Weg erscheint erst in der verschriftlichten Rückschau linear. Darüber hinaus wurden methodischer Zugang und Forschungsinteresse Hand in Hand konkretisiert. In diesem Sinne wird unter dem Titel der „diskursiven Konstruktion der © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Hill und M. Bibbert, Zur Regulierung der Prostitution, Theorie und Praxis der Diskursforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26929-6_6

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5. Methodologie und Methode

Wirklichkeit“ (Keller 2011b: 180) die Wissenssoziologische Diskursanalyse (WDA) als grundsätzliche Perspektive auf den Gegenstand zusammengefasst (5.1). Im nächsten Schritt wird der Korpus (5.2) als Basis einer Diskursanalyse behandelt. Die Analyse (5.3) dieser Dokumente wird im dritten Schritt dargestellt. In diesem Zusammenhang wird auf Analysestrategien der Postmodernen Grounded Theory (Clarke 2012; Charmaz 2014) sowie auf das Programm zur empirischen Analyse sozialer Probleme (Schetsche 2014) rekurriert. Abschließend verhandeln wir unter dem Titel „Die Konstruktion der Diskurse“ (5.4) die Strukturierungsvorschläge der WDA und die Organisation unserer Ergebnisse. 5.1 Die diskursive Konstruktion der Wirklichkeit Die WDA stellt, wie schon angesprochen, eine Vermittlung zwischen der handlungstheoretischen Wissenssoziologie Berger/Luckmanns und der Diskurstheorie Foucaults, mit Bezug auf den Pragmatismus und den symbolischen Interaktionismus, dar. Über den Begriff des „universe of discourse“, der sich bei Mead und Schütz findet (Keller 2014: 86ff.), wird das Foucaultsche Diskursverständnis in die neue Wissenssoziologie integriert. Die WDA macht es sich zur Hauptaufgabe Diskurse in Hinblick auf institutionalisierte Akteure und deren Mitwirkung an diesen Diskursen sowie die gesellschaftlichen Wirkungen und Rezeptionen der Aushandlungsprozesse zu beleuchten. Hierbei geht es um die Konstruktion, aber auch um die Weitergabe und Objektivierung von Wissen und die konkreten, materiellen Folgen dieser. Der WDA liegt den Traditionslinien entsprechend eine konstruktivistische Perspektive zu Grunde: Ordnungen, die gesellschaftlich hergestellt werden, ermöglichen den Zugang zur Welt. Die Welt begegnet uns dabei als vorgegeben, objektiv erklärbar und ‚natürlich‘ zugleich. Der geteilte Wissensvorrat, aber auch subjektives Wissen der einzelnen Individuen erscheinen gemeinhin als selbstverständlich und unhinterfragt. Diese (Wissens-)Systeme sind das Ergebnis von Aushandlungs- und Machtprozessen, die sich in Diskursen entwickelt und legitimieren. Gerade die Strukturen der Aussagen rücken in den Fokus, wobei von Interesse ist, mit welchen Mitteln Wissen in und durch Diskurse als ‚wahres‘ und damit wirkliches Wissen generiert wird. Diskurse werden dabei verstanden als „institutionalisierte, nach verschiedenen Kriterien abgrenzbare Bedeutungs-arrangements, die in spezifischen Sets von Praktiken (re)produziert und transformiert werden. Sie existieren als relativ dauerhafte und regelhafte, d.h. zeitliche und soziale Strukturierungen von (kollektiven) Prozessen der Bedeutungszuschreibung.“ (Keller 2008: 205)

Sie bilden folglich den Rahmen des Sagbaren und des Nicht-Sagbaren und legen zulässige Sprecher*innen fest, die neues Wissen durch Diskurse produzieren können. Dabei zeichnen sie sich immer auch durch Exklusion aus. Nicht jede/jeder kann sprechen und nicht alles kann gesagt werden. Diskurse sind damit

5. Methodologie und Methode

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entscheidende Orte, an denen Machtstrukturen sichtbar werden können: einerseits in Hinblick auf Deutungen, die vermittelt werden sollen, andererseits auch in Hinblick auf die Akteure, die Zugang zum Diskurs finden können. Ziel der WDA ist das Herausstellen des Wissens, welches als legitim und damit ‚echt‘ empfunden wird und aufzudecken, wie und mit Hilfe welcher Mittel dies geschieht. Darüber hinaus geht es nicht darum, den Ursprung eines Diskurses zu finden, sondern um die Benennung von Akteuren, die Frage nach dem vermittelten Wissen und deren Machtwirkungen.36 Die Machteffekte von Diskursen verbleiben keineswegs auf einer sprachlichen Ebene, sondern haben tatsächliche Folgen z.B. in Form von Dispositiven (vgl. 9.3). „Ein Dispositiv ist der institutionelle Unterbau, das Gesamt der materiellen, handlungspraktischen, personellen, kognitiven und normativen Infrastruktur der Produktion eines Diskurses und der Umsetzung seiner angebotenen ‚Problemlösung‘ in einem spezifischen Praxisfeld.“ (Keller 2011b: 258; Herv. i.O.)

Dispositive sind nicht nur Interventionen des Diskurses in die ‚Wirklichkeit‘, sondern wirken ebenso als „Grundlagen und Bestandteile der (Re-)Produktion eines Diskurses“ (ebd.). Die genannten Gesetze sind demzufolge als ‚Ursache und Folge zugleich‘ der Verhandlungen über Prostitution zu verstehen. Dispositive sind Institutionalisierungen des Diskurses, die ihn in materieller wie immaterieller Art verfestigen und eine Reihe weiterer Praktiken generieren, die wiederum in die Welt intervenieren. 5.1.1 Der Diskursbegriff als Lupe Das Diskursverständnis der WDA ist ein mehrdimensionales, insofern, als dass verschiedene Ebenen der Strukturierungen angenommen werden. Der Diskursbegriff stellt eine methodische Linse oder Lupe dar, um Diskurse mehr oder weniger tiefenscharf oder aber breit in den Blick zu nehmen. „Je tiefer die Analyse in einen spezifischen Diskurs eindringt, desto größer ist wahrscheinlich die Zahl unterscheidbarer Subdiskurse“ (Keller 2011b: 264). Auf der ‚obersten‘ Ebene stehen sich öffentliche und Spezialdiskurse gegenüber (vgl. ebd.: 231). Dabei sind diese aufgrund ihrer unterschiedlichen Formationsregeln zu unterscheiden (Keller 2011a: 68). Steigt man dann die Ebenen hinab, findet man z.B. wissenschaftliche Diskurse innerhalb dieser soziologischen Diskurse und irgendwann stehen sich dann Positionen gegenüber, welche nicht mehr mit dem Diskursbegriff gefasst werden, da sie Einzelmeinungen abbilden (vgl. Keller 2011b: 231). Einen Diskurs allerdings lediglich am Phänomen oder Thema festzumachen ist problematisch. 36 Durchaus zu verzeichnen sind Hoch- und Tiefphasen eines Diskurses, die sich z.B. in einer gesteigerten Berichterstattung spiegeln.

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5. Methodologie und Methode „Denn ein wesentliches Ziel der Diskursforschung ist ja gerade die Beantwortung der Frage, welches Wissen, welche Gegenstände, Zusammenhänge, Eigenschaften, Subjektpositionen usw. durch Diskurse als ‚wirklich‘ behauptet werden, mit welchen Mitteln – etwa Deutungsschemata, story lines, moralische und ästhetische Wertungen – dies geschieht, und welche unterschiedlichen Formationsregeln und -ressourcen diesen Prozessen zugrunde liegen.“ (Keller 2011a: 72)

Insofern verstehen wir die Prostitutionsdebatte als diskursives Feld (Keller 2011c: 52). Auf diesem Feld lassen sich spezifische Differenzen bezüglich typischer Aussageverknüpfungen, Sprecherpositionen, Praktiken etc. in den Blick zu nehmen und so zu zwei Diskursen differenzieren (vgl. ebd.: 84). Ein thematischer Aufhänger, wie auch die institutionelle Einschränkung oder eine Fokussierung auf Akteure stellen einen ersten Schritt dar. Daraus erwächst dann im Zuge der Analyse die Untersuchungsgröße – ein abgrenzbarer Diskurs (vgl. ebd.: 85). 5.1.2 Diskurse und Akteure Das in der vorliegenden Studie untersuchte Feld ist vorrangig durch eine Zweiteilung zwischen einem auf Schutz fokussierten und einem auf Autonomie fokussierten Diskurs strukturiert. Eine Trennung der beiden Diskurse voneinander kann unter anderem anhand ihrer typischen Aussagen und der je eigenen Akteuren vorgenommen werden, denn „Diskurse sprechen nicht für sich selbst, sondern werden erst durch Akteure ‚lebendig‘.“ (Keller 2009: 49) Hierbei fungieren „Diskurse als strukturierte Aussagekonfigurationen [und] regulieren die Bedingungen der Zulassung von Akteuren zu Sprecherpositionen.“ (Keller 2011b: 255) Gerade die Fokussierung der WDA auf soziale Akteure ermöglicht es, die einzelnen Sprecher im Diskurs nicht als Individuen, sondern als „Rollenträger“ (Keller 2011b: 253) zu verstehen: „Als Rollenspieler in oder Adressaten der Diskurse verfolgen soziale Akteure dann institutionelle (diskursive) Interessen ebenso wie persönliche ‚Projekte‘ und ‚Bedürfnisse‘. Sie greifen dabei auf legitime und illegitime Strategien, Taktiken und Ressourcen des Handels zurück. Doch das, was als Interesse, Motiv, Bedürfnis oder Zweck verfolgt wird, ist im selben Maße Ergebnis von kollektiven Wissensvorräten und diskursiven Konfigurationen, wie die Wahrnehmung und Einschätzung der Wege und Mittel, die dabei zum Einsatz kommen.“ (Keller 2011b: 221)

Soziale Akteure vertreten im Diskurs oftmals die Interessen ihrer Organisationen – dennoch können innerhalb einer Organisation durchaus unterschiedliche Diskurspositionen vorhanden sein, die möglicherweise anschlussfähig an Positionen aus anderen Gruppen sind und nicht zwingend deckungsgleich mit den Interessen der eigenen Organisation sein müssen. Durch die Besetzung der einzelnen Positionen im Diskurs ergeben sich schließlich Diskurskoalitionen, z.B. durch den Rückgriff auf eine geteilte, gemeinsame story line. Diese Gemeinsamkeit muss nicht strategisch gewählt sein. Durch das Teilen einer Erzählung, deren einzelne Bestandteile

5. Methodologie und Methode

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dem kollektiven Wissensvorrat oder diskursiver Prozesse entstammen, kommt es so zu hybriden Verstrickungen (Keller 2011b: 252). Um ihr Wissen diskursiv hörbar zu machen benutzen „Diskurs-Akteure […] verschiedene Ressourcen und Strategien der Diskursproduktion. Sie erzeugen Faktenwissen, argumentieren, dramatisieren, moralisieren, mobilisieren gängige Alltagsmythen, Klischees, Symbole, Bilder für ihre Zwecke.“ (Keller 2011b: 254)

In den hier analysierten Diskursen sind die eingegangenen Koalitionen bemerkenswert und die für die Untermauerung der eigenen Position verwendeten Fakten vielfältig. Der Rückbezug auf bestimmte Arten des Wissens (im auf Schutz fokussiertem Diskurs vorrangig Selbsterfahrung und anekdotische Evidenz, im auf Autonomie fokussierten Diskurs Selbsterfahrung und wissenschaftliches Wissen) sind kennzeichnend für die Diskurse und die sich hierauf beziehenden Akteure. 5.2 Korpusbildung Um eine Diskursforschung zu realisieren, benötigt man eine „Suchhypothese“, die Forscher*innen unterstellen einen Diskurs (Keller 2011a: 83) oder zumindest ein diskursives Feld (Keller 2011c: 52). Entlang dieser Hilfskonstruktion, die beständig angepasst wird, organisiert sich die Sammlung von Daten. Dabei spielen meist textförmige Daten eine übergeordnete Rolle. Das Zusammenstellen des Korpus spiegelt diese Tatsache wider, bezieht darüber hinaus jedoch eine Vielzahl anderer Datenformate, etwa audio-visuelle, mit ein. Da Diskurse nicht als abgrenzbares Sample vorhanden sind, muss ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Dokumenten nicht nur angenommen, sondern auch empirisch hergestellt werden. Das kann im Rahmen der Recherche etwa durch Schlagwörter oder die Eingrenzung auf wichtige Schlüsselereignisse erfolgen, die jedoch erst mit einer gewissen Kenntnis des Feldes ermittelt werden können. Mit Hilfe dieser wird ein umfangreiches Feld schriftförmiger Daten vorstrukturiert und somit zu anderen, möglicherweise verwandten Themenbereichen, abgegrenzt. Im Falle des hier untersuchten Komplexes müssen z.B. manche Reformen des Sexualstrafrechts bis zu einem gewissen Grad mit einbezogen werden, dürfen gleichwohl nicht zum dominierenden Themenbereich werden. Diese Abgrenzung ist nicht fest oder gar eindeutig, sondern wird vielmehr zunächst vermutet und im Laufe der Forschung bestätigt oder widerrufen (Keller 2008: 206). Neben der Eingrenzung des Feldes wurde ein spezielles Augenmerk auf Schlüsselereignisse gelegt. Die besondere Wirkung von Schlüsselereignissen auf den Diskurs verdeutlicht Schwab-Trapp wie folgt: „In solchen Ereignissen verdichten sich die Interaktionen der Diskursteilnehmer, werden Konflikte und konkurrierende kulturelle Ansprüche zum Ausdruck gebracht, können Räume normativer Unbestimmtheit offen gelegt werden, wird gesellschaftlicher Konsens inszeniert und werden die offiziellen Deutungen für soziale oder politische Handlungs- und Ereigniszusammenhänge

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5. Methodologie und Methode von den jeweiligen Repräsentanten der politischen Kultur zum Ausdruck gebracht.“ (SchwabTrapp 2008: 175)

In der vorliegenden Arbeit sind Schlüsselereignisse z.B. die WM 2006, der Koalitionsvertrag 2013, der Appell gegen Prostitution oder die Sachverständigenanhörung im Bundestag am 06.06.2016. Wie in Kapitel 6 weiter ausgeführt wird, haben diese Ereignisse eine besondere Bedeutung für den Diskurs. Nachdem die Debatte um Prostitution als Gegenstand der Studie festgelegt wurde, galt es das Feld zu sondieren, um den Bereich adäquat erfassen zu können. Hierzu wurde von den Forscher*innen ein mehrdimensionaler Zugang erschlossen, um sich für möglichst alle Aspekte des Bereichs zu sensibilisieren. In diesem Prozess gilt es zunächst wichtige Ereignisse, Akteure und Veranstaltungen zu identifizieren und den Zugang zu diesen herzustellen. Bei natürlichen Daten, wie Zeitungsartikeln oder Bundestagsdrucksachen ist der Zugriff durch OnlineArchive gesichert, Positionspapiere relevanter Organisationen sind auf deren Homepages verfügbar, ebenso wie wissenschaftliche Ausarbeitungen, bspw. Studien des BMFSFJ bereitstehen. Daneben können teilnehmende Beobachtungen, gerade in der Anfangsphase einer Untersuchung, bei der Strukturierung des Feldes helfen, wenn vorgegebene Deutungen, z.B. aus der Literatur, nicht unreflektiert übernommen werden (Keller 2011a: 86). Ebenso wie Feldbegehungen – Beobachtungen - können Experteninterviews einen schnellen Zugang bieten – zwei Zugänge die in diese Arbeit ergänzend Einzug fanden. Ebenfalls wurde der Datenkorpus ergänzt durch audiovisuelle Repräsentationen von Prostitution. Dazu wurden zwei Folgen der Talkshow Menschen bei Maischberger vom November 2013 und aus dem Jahr 2015 ausgewertet und verschiedene fiktionale Fernsehformate (z.B. Tatort) einbezogen. Weitergehend betrachtet wurden auch Visualisierungen von Prostitution in Printmedien: Die gesichtslose oder kopflose Prostituierte als Inbegriff der Nicht-Person dominiert die Darstellungen in der Presse. Die Analyse der audiovisuellen Daten, Interviews und Beobachtungen dient hierbei mehr als Hintergrundwissen, welches nicht explizit in die Aufarbeitung mit eingeht. Wie setzt sich der Datenkorpus zur Debatte um die Einführung des ProstSchG zusammen? In einem ersten Schritt wurde die bundesdeutsche Debatte über Prostitution als Kernthema der Analyse festgelegt. Zweitens wurde der Zeitraum von 2000 bis 2016 als Untersuchungszeitraum gewählt, um die Vorgeschichte des ProstG mit einbeziehen zu können. Vereinzelt finden deshalb weitere Daten früheren Zeitpunktes Beachtung. Die politische Debatte wird beginnend mit dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD im Jahr 2013 ausgewertet, ebenso wie vereinzelt Bundesdrucksachen (z.B. zu neuen Gesetzesvorschlägen) aus dem Zeitraum vor 2013 analysiert wurden Im Jahr 2014 fand eine erste Anhörung von Expert*innen zu einer geplanten Reform des ProstG statt. Hierbei wurde von 34 Vertreter*innen aus Ländern, Kommunen, Hilfsorganisationen, Gesundheitsämtern,

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Fachverbänden, Polizei, Justiz und Wissenschaft, um eine Einschätzung zu einem Fragenkatalog gebeten. Diese Expertenschreiben wurden für die vorliegende Arbeit ausgewertet. Der Hauptfokus liegt in der Analyse des Gesetzgebungsverfahrens des ProstSchG im Jahr 2016: die schriftlichen Experteneinschätzungen, die erste Lesung am 02.06.2016, der Sachverständigen-Anhörung und Fragerunde am 06.06.2016, die 2. und 3. Lesung am 07.07.2016 und der Gesetzestext selbst. Alle genannten Daten der Bundesregierung sind als Bundesdrucksachen verfügbar. Darüber hinaus wurden weitere Drucksachen des Bundestags und des Bundesrates ausgewertet. Neben den Daten der Bundesregierung wurden Zeitungsartikel aus drei großen deutschen Zeitungen in die Auswahl aufgenommen. Dabei handelt es sich um die Wochenzeitung Die Zeit (Zeit), die Tageszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), als auch die Süddeutsche Zeitung (SZ). Des Weiteren wurden einzelne Artikel aus der taz oder dem Freitag als interessante ‚Funde‘ aufgenommen. Die Zeitschrift Der Spiegel wurde mit zwei Themenheften zur Prostitution mit einbezogen. Die Süddeutsche Zeitung (ca. 367.600 Exemplare und einer Reichweite von 1,48 Mio. Leser*innen) und die Frankfurter Allgemeine Zeitung (ca. 252.000 Ausgaben) sind zwei der auflagenstärksten Tageszeitungen Deutschlands, die Wochenzeitung Die Zeit erreicht mit ihrer Auflage von ca. 504.000 Exemplaren eine geschätzte Leserschaft von 1,66 Millionen Leser*innen. Durch ihre Auflagenstärke können die drei genannten Zeitungen als ‚Meinungsbilder‘ angesehen werden und wurden deshalb als Quellen ausgewählt. Die Auswahl dieser drei Zeitungen als Pressesample orientierte sich nicht nur an ihrer Verbreitung, sondern auch an ihrer vermuteten politischen Orientierung: Die Zeit gilt als liberal, Die Süddeutsche als sozialliberal und die Frankfurter Allgemeine Zeitung als konservativ-liberal. Mit Hilfe dieses Pressesamples soll gewährleistet werden, dass das, wie Keller betont „öffentlich relevante, politische Meinungsspektrum repräsentiert“ wird (Keller 2008: 214).37 Zu diesem Zweck wurden sowohl Artikel, als auch Kommentare in den Datenkorpus aufgenommen, die nach der Recherche zum Schlagwort Prostitution als relevant38 in Erscheinung traten. Insgesamt flossen aus der Zeit 22 Artikel, aus der SZ 31 Artikel, aus der FAZ 17 Dokumente, aus dem Spiegel vier Artikel und aus dem Bereich der Funde sieben Artikel ein,

37 Beispielhaft ergaben sich für die FAZ bei Eingabe des Begriffs „Prostitution“ und der Eingrenzung auf Deutschland für den Zeitraum 1990-1999: 194 Artikel, für 2000-2009: 393 und für 2010heute: 338 Artikel. Bei der SZ kann ein Recherche-Tool benutzt werden, mit Hilfe dessen zeitliche Hochphasen der Berichterstattung eingesehen werden können. Bei der Recherche ergaben sich für 2005, 2013 und für 2015 peaks. 38 Als relevant wurden zunächst alle Artikel erachtet, in denen es um Prostitution in Deutschland geht. Berichte über Prostitution im Ausland wurden daher ausgeklammert, ebenso wie Artikel, in denen es ‚nur‘ um Menschenhandel geht und kein Fokus auf Prostitution liegt.

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darüber hinaus wurden Publikationen und Artikel der differenzfeministischen Zeitschrift EMMA in den Korpus aufgenommen. Als weitere textförmige Daten wurden Positionspapiere von Berufsverbänden, bspw. der Berufsverband erotischer und sexueller Dienstleistungen e.V., und Organisationen wie u.a. terre des femmes, Amnesty International und SOLWODI, als auch Indikatorenlisten für Opfer von Menschenhandel herangezogen (zu diesen Akteuren siehe 8.1 und 9.1). Ergänzt wurde diese Auswahl mit Materialien, wie Informationsbroschüren oder Manifeste, aber auch durch Jahresberichte oder Aufklärungsflyer und Homepages, ebenso wie die Recherche in einschlägigen Freier-Foren oder auf Homepages von Bordellen. 5.3 Datenanalyse Ist ein Korpus (vorläufig) konstruiert, besteht der nächste Schritt in der Analyse einzelner Bausteine, wobei auch die Auswahl dieser Bausteine bedacht werden muss. Hinweise und Anleitungen zur Auswahl und zum Umgang mit diesen finden sich verweisförmig in der WDA selber, wie in zahlreichen Methoden der qualitativen Sozialforschung. Zu Beginn des Kapitels wurde der Bezug der WDA insbesondere auf die Grounded Theory Methodology hervorgehoben. Grounded Theory ist eine „Methodologie und ein Stil, analytisch über soziale Phänomene nachzudenken.“ (Breuer 2009: 41). Der Schwerpunkt ist dabei das Erarbeiten einer im empirischen Material gründenden Theorie (Strauss 1991: 50f.). 5.3.1 Exkurs: Die Postmoderne Grounded Theory Die ‚traditionelle‘ GT zielt dabei auf den „basic social process“, also auf zentrale prozesshafte Handlungen ab. Clarke erweitert diesen Fokus um die „Analyse der Gesamtsituation […] inklusive narrativer, visueller und historischer Diskurse“ (Clarke 2012: 34). Die Situationsanalyse bezieht sich positiv auf die konstruktivistische Grounded Theory (ebd.: 76), wie auch die konstruktivistische Grounded Theory auf die Situationsanalyse als ein Instrument der Analyse von Meso- und Makro-Ebenen verweist (Charmaz 2006: 129). Charmaz versteht Grounded Theory als „primarily a method of analysis“ (Charmaz 2012: 4) und empfiehlt einen theoretischen Agnostizismus. Wissenschaftliche Konzepte und Recherche sollen nicht ans Ende gestellt oder ausgeblendet werden, sondern die Erkenntnisse anderer Perspektiven und Disziplinen sollen kritisch analysiert und als sensibilisierende Konzepte für das je eigene Unterfangen nutzbar gemacht werden. Sie sollen also nicht ignoriert oder bei Seite geschoben werden, allerdings sollen sie dem

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Material auch nicht aufgezwungen werden. „In any case, if the sensitizing concepts don‘t fit, don‘t use them“ (ebd.: 5). Dies ist für uns der erste wichtige Punkt, der die postmoderne GT insbesondere für Diskursanalysen anschlussfähig macht, die sich oftmals mit auch wissenschaftlich problematisierten Phänomenen auseinandersetzen. Neben dieser inhaltlichen Offenheit ist auch der Bezug auf die Grounded Theory offen gestaltet. Charmaz entwirft eine Sammlung an Vorschlägen, die für empirische Untersuchungen herangezogen werden können. Ob ein solcher Bezug das Label Grounded Theory tragen darf oder soll, sei dahingestellt. Die vorliegende Arbeit stellt keinen solchen Anspruch, sondern versteht sich als Diskursanalyse. „I say use the strategies that work for you and your study but be aware of what you do and what you claim.“ (ebd.: 3) Mit der Situationsanalyse, als Grounded Theory nach dem Postmodern Turn Clarke (2012), verschiebt Clarke den Analysefokus, der in der traditionellen GT eher auf dem Aushandlungsprozess, als basic social process, lag, hin zu Strukturen. „Negotiating was the foregrounded overarching process. Later on he [Anselm Strauss; Anm. A.] became interested in structure as well. Realizing that you can have both, that one need not ‚pick one or the other‘ (a false choice of his era and beyond), he began formulating social worlds and arenas theory.“ (Clarke/Keller 2014: 44)

Clarke verortet ihr Theorie/Methoden-Paket einer postmodernen Grounded Theory (Clarke 2012: 43ff.) auf einer Meso-Ebene, die von dort ‚größere‘ Auswirkungen und Einflüsse und ‚kleinere‘ Auswirkungen und Einflüsse in den Blick nehmen kann (Clarke/Keller: 2014: 6). Analyseeinheit ist die Situation, verstanden als eine institutionalisierte Konstruktion. Davon ausgehend inkludiert sie Diskurse als strukturierende Elemente der Situation. Hierin offenbart sich ein Unterschied zur WDA, die tendenziell auf einen Diskurs abzielt und Vorschläge zur inhaltlichen Strukturierung dieser unterbreitet; eine Leerstelle der Situationsanalyse. Für die Visualisierung des bzw. im Forschungsprozesses schlägt sie drei Arten von Maps vor: • Situations-Maps als Strategien für die Verdeutlichung der Elemente in der Situation und zur Erforschung der Beziehung zwischen ihnen (Clarke 2012: 124ff.) • Maps von sozialen Welten/Arenen als Kartographien der kollektiven Verpflichtungen, Beziehungen und Handlungsschauplätze (ebd.: 147ff.) • Positions-Maps als Vereinfachungsstrategien zur graphischen Darstellung von in Diskursen auffindbaren gebrachten Positionen. (ebd.: 165ff.) Diese informieren die Analyse der vorliegenden Arbeit und schlagen sich teils in den Visualisierungen der Ergebnisse wieder.

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5.3.2 Auswahl zur Feinanalyse Nachdem wie beschrieben ein initialer Korpus an Dokumenten angelegt wurde, galt es diesen zu Strukturieren. Die Dokumente wurden gesichtet und in Memos knapp zusammengefasst. Dann wurden sie erstens entlang eines Zeit- bzw. Ereignisstrahls geordnet und so eine ‚Timeline‘ des Feldes erstellt. Zweitens wurden die Dokumente gemäß ihres Genres – z.B. als journalistischer Text, Untergruppe: Portrait – und ihrer Position hinsichtlich der Anerkennung von Prostitution als legitimer Erwerbsarbeit geordnet. Im Verlauf dieses Ordnungsprozesses entstanden verschiedene vorläufige Visualisierungen (vgl. Clarke 2012: 165ff; Charmaz 2014: 218ff.). Diese zwingen die Forscher*innen ‚Ordnung zu schaffen‘ und führen so zu ersten empirisch begründeten Codes. Diese Schritte dienten vorrangig der Information über das diskursive Feld (vgl. Keller 2011a: 91). Zur Analyse der internen Struktur der Diskurse wurden bestimmte Dokumente zur Feinanalyse ausgewählt. Für diese Auswahl empfiehlt die WDA u.a. Strategien des theoretischen Sampling der GT (Keller 2011a: 92). Theoretisches Sampling heißt, sein Sample an der Entwicklung von Kategorien auszurichten und nicht bspw. an entlang der Idee von Repräsentativität (Charmaz 2014: 345). Das Grundproblem dabei ist, dass man zumindest Ideen von Kategorien haben muss um die Datenauswahl daran zu orientieren (vgl. ebd.: 197f.). Unser erster Ansatz bestand darin, auf die mediale Berichterstattung zu fokussieren. Die dahinterstehende These war, dass hier die beiden anderen Sphären rezipiert werden und die Debatten thematisch ‚vereinfacht‘ werden und das die Sphären unterschiedlichen Logiken unterliegen, die die Äußerungen strukturieren.39 Diese Annahme stellte sich recht schnell als falsch heraus, die Zeitungsartikel oszillierten zwischen den Positionen und strukturierende Elemente ließen sich schwerlich identifizieren. „Die vollständige Artikulation eines Diskurses in einem Dokument ist ein unwahrscheinlicher Grenzfall“ (Keller 2011a: 91). Wenn aber, salopp gesagt, alles ein bisschen und nichts deutlich artikuliert auftaucht, lassen sich erste Kategorien nur sehr schwerlich bilden. Die WDA formuliert auch „Orientierungshilfen für die Auswahl von Daten zur Feinanalyse“ (Keller 2011a: 92) in Frageform: Passt das Dokument zur Frage, sind möglichst viele relevante Akteure darin einbezogen, etc.? Hier lässt sich nur mit einem „mehr“ oder „weniger“ antworten, wenn der initiale Korpus angemessen zusammengetragen wurde. Insofern verbleibt die Auswahl des ersten Dokuments ist bis zu einem gewissen Grad eine Sache des Zufalls man muss es einfach probieren (vgl. Strübing 2014: 462).

39 Vgl. zu dieser Annahme auch den Interdiskursbegriff bei Jürgen Link (Link 1997: 50).

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Abbildung 1: Visualisierung der Sachverständigengutachten vom 06.06.2016

Unser zweiter Ansatz für den Beginn der Feinanalyse bestand darin, auf die Sachverständigenanhörung vom 06.06.2016 zu fokussieren. In diesem diskursiven Ereignis waren alle Sphären vereint und die Positionen trafen direkt aufeinander – eine Art Mikrokosmos des Feldes. In der Feinanalyse, entlang der von Charmaz vorgeschlagenen Codierstrategien der GT, wie sie im folgenden Kapitel dargestellt werden, der Gutachten und des Sitzungsprotokolls der Anhörung wurden erste Kategorien formuliert. Dieses theoretische Gerüst wurde in der weiteren Analyse ausgebaut. Unsere Auswahlstrategie folgte weiterhin den Ereignissen: Koalitionsvertrag, Apelle, Lesungen, etc. Überlappend darauffolgend suchten wir nach ‚abweichenden‘ Bausteinen und verfolgten Referenzen im Material, so kam es z.B. zu Einbeziehung der Debatte um Sexualassistenz.

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5.3.3 Codieren Charmaz unterscheidet bezüglich des Codierens40 zwei Phasen: das initiale Codieren und das fokussierte Codieren. Für beide hält sie fest, dass „Coding means naming segments of data with a label that simultaneously categorizes, summarizes, and accounts for each piece of data“ (Charmaz 2006: 43.). Beständig begleitet die Forscher*in die Frage, welche theoretischen Kategorien das Material andeutet (ebd.: 45). Die Codes müssen sich eng am Material orientieren. Dabei unterscheidet sich die Logik des Codierens grundsätzlich von quantitativen Perspektiven, indem keine vorgängigen Hypothesen und Konzepte an das Material herangetragen werden. Codes entstehen durch die Analyse des Materials, den im Material befindlichen Deutungen. „Codes emerge as you scrutinize your data and define meanings within it. Through this active coding, you interact with your data again and again and ask many different questions of them. As a result, coding may take you into unforeseen areas and new research questions. “ (Charmaz 2006: 46)

Gleichzeitig heißt Codieren auch immer Bedeutung zu konstruieren. Wie sehr wir uns am Material orientieren, bleiben Codes immer die Worte der Forscher*in. Wir wählen durch das Benennen aus, was relevant ist, wir beschreiben nicht, was passiert, sondern unsere Vorstellung von dem was passiert (ebd.). Durch das Codieren in den Blick genommen werden „proccesses, actions, and meanings“ (Charmaz 2012: 5). Dabei bedienten wir uns zum einen des Auswertungsprogramms MAXQDA, zum anderen Teil arbeiteten wir ‚händisch‘, d.h. durch Vergabe von Codes am Rand der jeweiligen Texte. Der Vorteil des Programms ist die Möglichkeit, dass beide Forscher*innen auf das Datenmaterial zugreifen können und unabhängig voneinander Codierungen vornehmen können und diese später gemeinsam diskutieren. Die verschiedenen Strategien des Codierens, etwa die Aufteilung in initiales und fokussiertes Codieren, oder das Segmentieren des Materials, z.B. lineby-line, dienen der Irritation dessen, was uns selbstverständlich erscheint. Codieren soll sich dabei an zwei Kriterien messen lassen: „fit and relevance. Your study fits the empirical world when you have constructed codes and developed them into categories that crystallize participants' experience. It has relevance when you offer an incisive analytic framework that interprets what is happening and makes relationships between implicit processes and structures visible.“ (Charmaz 2006: 54)

40 Aufgrund des Bezugs auf vornehmlich englischsprachige Literatur zur Grounded Theory wird die englische Schreibweise des Begriffs „Codieren“ gewählt.

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Diese Kriterien sind ebenso wichtig für Diskursanalysen, die je nach Ausrichtung, dazu neigen können den Gegenstand der Analyse schon vorher ‚durchschaut‘ zu haben und galten auch uns als Maßstab. Unser Codieren orientierte sich an dem von Charmaz vorgeschlagenen Zwei-Schritt: Initiales und fokussiertes Codieren. Initiales Codieren zeichnet sich durch die Offenheit aus, „to all possible theoretical directions indicated by your readings of the data.“ (Charmaz 2006: 46) Dabei bestehen verschiedene Möglichkeiten, die Einheiten im Material zu definieren. Man kann „word-by-word“ codieren, „line-by-line“ und „incident-by-incident“ (Charmaz 2006: 50ff.). In der Umsetzung sprangen wir je nach aktuellem Fokus zwischen diesen Analyseeinheiten. Schlüsseldokumente wie die Sachverständigenanhörungen codierten wir sehr genau und kleinmaschig. Charmaz‘ Empfehlung anfänglich sehr genau zu codieren und dann gröber zu werden, können wir bestätigen. „[O]nly conduct line by line coding until you have codes that you want to explore. […] doing the close work early makes further research move quickly.“ (Charmaz 2012: 8) Wichtig dabei ist jedoch, dass man weiß, was man denn codieren möchte, bzw. sollte. Das initiale Codieren von Zeitungsartikeln mündete oftmals in kurzen zusammenfassenden Memos derselben, wobei wir es nicht darauf anlegten. Grundsätzlich geht es der WDA nicht darum, einen Zeitungsartikel oder auch ein anderes Dokument als einen Fall zu behandeln. Diskurse sind in verschiedensten Dokumenten repräsentiert und in Dokumenten werden verschiedenste Diskurse repräsentiert (vgl. Keller 2011a: 78). Initiale Codieren im Kontext einer Diskursanalyse heißt für uns, erste typische Elemente zu identifizieren und das typische, wie auch das Verhältnis zu anderen typischen Elementen zu explizieren, die Heuristik des Diskurses aber im ersten Moment noch auszublenden. „In-Vivo-Codes“ sind eine Möglichkeit, dieses Typische zu benennen (Charmaz 2006: 55ff.). Die Übernahme von Formulierungen aus dem Feld, aus dem Material mag als Schlagwort gut klingen, muss sich aber sinnvoll in die gesamte Analyse einfügen. Das können sie, indem sie etwa als „symbolic markers of participants' speech and meanings“ (ebd.: 55) verstanden werden. In einem kollektiven oder Organisations-Kontext verweisen In-Vivo-Codes auf „reflect assumptions, actions, and imperatives that frame action.“ (ebd.: 56) Wichtig ist, dass es nicht ausreicht, das Vokabular des Feldes zu übernehmen, sondern zu verstehen, welche Bedeutungen damit verknüpft sind und wo und wie sich diese Bedeutungen auch in anders formulierter Rede niederschlagen. Das fokussierte Codieren stellt den zweiten Schritt dar, der immer schon verwoben mit dem initialen Codieren ist. Eine klare Trennung der Arbeitsschritte ist nicht möglich. Jedoch soll der fokussierte Blick auf das Material dem offenen nachfolgen und ihm nicht vorausgehen. Wenn allerdings Ideen für Kategorien identifiziert werden – wann auch immer – müssen diese in den Forschungsprozess

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mit einfließen. „Later, you use focused coding to pinpoint and develop the most salient categories in large batches of data.“ (Charmaz 2006: 46) Mit dem Fokus auf saliente, wichtige und/oder häufige Codes (vgl. ebd.: 57) ist das fokussierte Codieren konzeptioneller, zielgerichteter und selektiver. Dieser Prozess wird durch die Frage angeleitet, welche(r) Code(s) geeignet sind, das gesamte Material zu strukturieren. „But moving to focused coding is not entirely a linear process. Some respondents or events will make explicit what was implicit in earlier statements or events. An 'Aha! Now I understand,' experience may prompt you to study your earlier data afresh. Then you may return to earlier respondents and explore topics that had been glossed over, or that may have been too implicit to discern initially or unstated.“ (Charmaz 2006: 58)

Mit der Implementierung dieser Strategien in die WDA kommt dem fokussierten Codieren eine weitere Aufgabe zu. Das Identifizieren der salienten Kategorien heißt in diesem Kontext auch die Organisationseinheiten der WDA in Anschlag zu bringen. Diese, bspw. die Subjektpositionen, spielten schon beim initialen Codieren eine Rolle insofern, als dass sich ‚die‘ osteuropäische Prostituierte sehr früh als typisches Element abzeichnete. Mit dem fokussierten Codieren dagegen steigt das Abstraktionslevel; in der vergleichenden Zusammenschau verschiedener sehr textnaher Codes zeigt sich, dass es um die Peripherie Europas geht und damit verbunden um den Zivilisationsgrad, der wiederum Agency möglich mache. Als möglichen weiteren Schritt der ‚traditionellen‘ GT spricht Charmaz das axiale Codieren an. Diesem Schritt geht es um die Verknüpfung von Kategorien und Subkategorien, um das bis dahin aufgebrochene Material wieder zu Einem zusammenzusetzen. Dies kann aber auch durch ein sorgsames und materialnahes Codieren im explizierten Zweischritt erreicht werden: „Those who prefer simple, flexible guidelines – and can tolerate ambiguity – do not need to do axial coding. They can follow the leads that they define in their empirical materials.“ (Charmaz 2006: 61) Das theoretische Codieren fasst das Einbringen theoretischer Konzepte – impliziter oder expliziter Natur – in die Untersuchung. Glaser schlägt dabei verschiedene theoretische Codierfamilien vor, die sich teils aus Struktur-Dichotomien ableiten, alles in allem aber willkürlich wirken (vgl. Charmaz 2006: 65f.). Ungeachtet solcher ‚Listen‘ bietet der Import theoretischer Konzepte, wie auch das Konstruieren theoretischer Konzepte aus dem Material die Möglichkeit, etwa den allgemeinen Kontext, die spezifischen Bedingungen eines Phänomens ebenso wie die Bedingungen von Veränderungen und die Konsequenzen eines Phänomens zu explizieren (vgl. ebd.: 63). Allerdings mahnt Charmaz auch zur Vorsicht bei der Verwendung theoretischer Codes: „These theoretical codes may lend an aura of objectivity to an analysis, but the codes themselves do not stand as some objective criteria about which scholars would agree or that they could

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uncritically apply. When your analysis indicates, use theoretical codes to help you clarify and sharpen your analysis but avoid imposing a forced framework on it with them. It helps to interrogate yourself about whether these theoretical codes interpret all the data.“ (Charmaz 2006: 66)

Das Verfassen von Memos beginnt parallel zum Codieren (Charmaz 2012: 9). Dabei werden im weiteren Verlauf Codes mit Memos, Memos mit anderen Memos, beides mit dem Material beständig verglichen. Anleitende Fragen zum Verfassen von Memos sind: „Who’s involved? How? When? What do they do? What are consequences of their actions?“ (Charmaz 2012: 9) Am wichtigsten ist dabei, dass man Memos niederschreibt – wie auch immer sie ausgestaltet sind. Das spontane Formulieren der Gedanken regt die Analyse an (vgl. Charmaz 2006: 80). 5.3.4 Exkurs: Empirische Analyse sozialer Probleme Als hilfreiche Quelle theoretischer Codes offenbarte sich das Programm zur empirischen Analyse sozialer Probleme (Schetsche 2014). Grundsätzlich gilt in dieser Perspektive alles als soziales Problem, „was von kollektiven Akteuren, der Öffentlichkeit oder dem Wohlfahrtsstaat als solches angesehen und bezeichnet wird“ (Schetsche 1996: 2)41. Es geht also um die machtvolle Setzung eines Phänomens als Problem. Hier offenbaren sich Parallelen zur Diskursforschung in Foucaultscher Tradition – Problematisierungen als Ausgangspunkt sowie Macht als hervorbringend, konstruktiv – und insbesondere zur Wissenssoziologischen Diskursanalyse. So wird jüngst für eine Integration der Deutungsmusteranalyse, ein zentraler Aspekt des Schetschen Programms, in die WDA plädiert (Schetsche/Schmied-Knittel 2013) und das Buch „Empirische Analyse sozialer Probleme“ (Schetsche 2014) kann als Ausführung „methodische[r] Bausteine – hinsichtlich der Analyse von Diskursen über soziale Probleme“ (Schetsche/SchmiedKnittel 2013: 35) gelesen werden. Dort wird ein „Kokonmodell sozialer Probleme“ (Schetsche 2014: 42) vorgeschlagen, um diese zu konzeptualisieren und für eine Analyse zugänglich zu machen. In Bezug auf die Diskussionen der Positionen Mertons, Blumers, Kitsuse und Spectors (vgl. dazu Schetsche 2014: 21ff.) wird ein wissenssoziologisches Karrieremodell entwickelt. Grundlegend ist die „analytische Unterscheidung zwischen sozialen Sachverhalten, deren Deutung als Problem und dem Prozess, in dem diese Deutung soziale Anerkennung erlangt.“ (Schetsche 2014: 43) Die Prozesse, die ein Problem hervorbringen, werden dabei primär diskursiv gedacht. Für die Frage nach dem Prozess der Anerkennung sozialer Probleme durch die Politik verweist Schetsche auf die Wichtigkeit der empirischen Betrachtung der Begründungen, welche 41 eine Zusammenstellung und Diskussion verschiedener Definitionen und Perspektiven findet sich bei Groenemeyer 1999)

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5. Methodologie und Methode „in politischen Dokumenten für oder gegen die Bekämpfung bestimmter Problemlagen geliefert werden, welche Diskursstrategien von politischen Akteuren in den öffentlichen Debatten eingesetzt werden und welche weltanschaulichen und moralischen Wissensbestände zur Begründung von Entscheidungen zu Hilfe genommen werden.“ (Schetsche 2014: 261)

Weiterhin unterscheidet er von dieser ‚Oberfläche‘ die partikularen Eigeninteressen, diskutiert jedoch kritisch reduktionistische Theorien des politischen Handelns. „Bei all dem muss dem Sozialforscher jedoch klar sein, dass öffentliche Verlautbarungen (etwa Parlamentsreden) ebenso etwas über die tatsächlichen Motive der Redner aussagen können, wie sie durch partikulare Eigeninteressen motivierte Entscheidungen lediglich legitimieren können. Und allein durch die Analyse öffentlich zugänglicher Dokumente ist der eine Fall oftmals nicht vom anderen zu unterscheiden.“ (ebd.)

Bosancic diskutiert das Verhältnis von Inszenierung und ‚Eigentlichem‘ aus Perspektive der WDA im Kontext von Selbstaussagen in Interviews. „In beiden Fällen – also bei vermeintlich echten und falschen Selbstdarstellungen –, so mein Argument, werden sich Muster finden lassen, die Auskunft darüber geben, welche identitären Positionierungsweisen einem Selbst im Rahmen der gegebenen diskursiv-kulturellen Ordnung möglich erscheinen und wie diese mit den Vorgaben und Angeboten der Subjektpositionen in Zusammenhang stehen.“ (Bosancic 2014 : 192)

Parallel dazu verstehen wir die gefundenen Aussagen zur Motivation und die moralischen Selbstaussagen als Verweise auf eine diskursiv-kulturelle Ordnung. Aus dem Kokonmodell sozialer Probleme ergeben sich sieben Schritte der Analyse (ebd.: 57ff.): die Problemgeschichte, die Sachverhalte, die kollektiven Akteure, die Problemmuster, die Diskursstrategien, die Medien und die politische Arena. Als hilfreich wurden insbesondere die Hinweise zur Analyse der Diskursstrategien empfunden. Ein eingeführtes oder etabliertes Problem ist eines, das selbstverständlich prozessiert wird und die „zugrunde liegende[n] Deutungsmuster zum allgemeinen Wissen“ einer Gesellschaft gehören (Schetsche 2014:129). Als solches ist es zumindest in Teilen mit einer Handlungspriorität verknüpft. Eben diese abzusichern ist Aufgabe der Diskursstrategien, denn (mediale) Aufmerksamkeit bezüglich eines Themas und Bereitschaft zum Handeln sind zwei verschiedene Dinge. Diskursstrategien sollen somit ein Thema im Kampf um mediale und alltägliche Aufmerksamkeit gut positionieren. An diese Einordnung anschließend werden exemplarisch vier Strategien vorgestellt. Eine mögliche Strategie ist das Dramatisieren von Statistiken. Schetsche spricht „von einer ‚Magie der Zahlen‘“ (Schetsche 1996, nach Schetsche 2014: 131). Je höher der Umfang des Problems, desto eher wird das Interesse des Einzelnen geweckt. Um diese großen Zahlen zu erreichen, können Betroffene möglichst breit definiert werden, bei unterschiedlichen Messungen oder Schätzungen stets der höchste Wert angeführt werden und „statistische Daten werden willkürlich manipuliert“ (Schetsche 2014: 131). Insbesondere Dunkelfeldschätzungen bedienen sich der letzten beiden

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Methoden. Eine weitere Strategie ist es extreme Einzelfallbeispiele als typische darzustellen. Eine andere wird als „Moralisieren“ bezeichnet, in Abgrenzung zum moralischen Urteil. Zweites ist dem Problemmuster immanent, insofern ein Problemmuster Kausalattributierungen unterstellt. Moralisieren meint dagegen den Versuch ein Klima herzustellen, in dem „das eigene Problemmuster vielleicht nicht als die einzig vorstellbare, aber doch als die einzige öffentlich kommunizierbare Deutung des betreffenden Sachverhaltes“ gilt. Als letztes verweist Schetsche auf „Nutzung von Alltagsmythen“ und knüpft damit an Roland Barthes Mythosbegriff an, der ein sekundäres semiologischen System bezeichnet, das sich in einem weiteren Schritt naturalisiert (Barthes 1964: 92f.). Es geht somit um basale Deutungsmuster – im Sinne der WDA – als System gesellschaftlich geteilter und diskursiv prozessierter Wissensordnungen. Knüpft ein Problemmuster beispielsweise an das grundsätzliche Deutungsmuster – wieder im Sinne der WDA – Kindheit an, so muss die Vorstellung des Kindes als schützenswert nicht weiter legitimiert werden (vgl. Schetsche 2014: 134)42. Mit Blick auf die empirische Rekonstruktion rät Schetsche zu einer entdramatisierenden Analyse (Schetsche 2014: 134ff.). Soziale Probleme unterliegen nicht nur in der Arena der öffentlichen Medien, sondern z.B. auch in der Wissenschaft einem Kampf um Aufmerksamkeit, ebenso wie andere Thematisierungen auch. Die Aufgabe einer Analyse sozialer Probleme sei „es dabei nicht, ihrerseits im Duktus der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die vermeintliche 'Manipulation der Wirklichkeit' moralisierend und skandalisierend zu verurteilen, sondern aufzuzeigen, durch welche Diskursstrategien eine Problemwahrnehmung gefördert wurde, gesellschaftliche Anerkennung erhielt und allgemeine Bekämpfungsmaßnahmen zu evozieren geeignet war.“ (Schetsche 2014: 138)

Das Programm zur Analyse sozialer Probleme wurde in den dargestellten Aspekten in Form theoretischer Codes in die Analyse miteinbezogen, insofern wurden sie ‚nach Bedarf‘ in der Endphase der Auswertung eingeführt. Als besonders passend mit unserem Korpus erwiesen sich die Ideen hinsichtlich des Moralisierens und die ‚Magie der großen Zahlen‘. 5.4 Die Konstruktion der Diskurse Um die Ergebnisse der Auswertung darzustellen, formuliert die WDA Vorschläge zur inhaltlichen Strukturierung von Diskursen (Keller 2011b: 240ff.). Dabei geht es nicht darum, diese ‚abzuarbeiten‘. Forscher*innen finden hier mögliche Vorschläge, die sie selber annehmen, variieren und/oder ergänzen können. Um eine vergleichbare Gesamtschau der beiden Diskurse zu formulieren bedienten wir uns 42 zum Deutungsmuster Kindheit: Ariès 2007

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der Phänomenstruktur als Strukturierungsvorschlag (Keller 2011b: 248ff.). Die Phänomenstruktur orientiert sich wiederum an der Mannheimschen Aspektstruktur, die auf die inhaltliche Gestaltung von Wissens abzielt (ebd.: 31). Im Kontext der WDA geht es um die Konstitution des ‚Themas‘ eines Diskurses, verstanden als diskursive Zuschreibungen (ebd.: 248). Keller identifiziert in seiner Studie zu „Müll“ (2009) u.a. verschiedene Dimensionen der Phänomenstruktur: Ursachen, Verantwortung, Problemlösung, Wertbezug sowie Selbst- und Fremdpositionierungen (ebd.: 248). Die dazugehörigen W-Fragen leiteten die Strukturierung der initialen Codes (vgl. 5.3.3) an. Die inhaltlich-thematische Analyse der Diskurse wurde durch die Frage nach den diskursiven Figuren angeleitet. Als (diskursive) Figur verstehen wir eine Verknüpfung von Deutungsmustern (Keller 2011b: 240), Sprecherposition (ebd.: 235) und Subjektposition (ebd.). Subjektposition meint „im Diskurs konstituierte Subjektvorstellungen und Identitätsschablonen für seine möglichen Adressaten […]; auch Positionierungsvorgaben für Akteure, auf die ein Diskurs Bezug nimmt bzw. über die er spricht“ (Keller 2011b: 235). Sprecherpositionen meint „[m]it Rollensets verknüpfte, institutionell-diskursive strukturierte Orte für legitime Aussagenproduktion innerhalb eines Diskurses“ (ebd.). Der Begriff Deutungsmuster bezeichnet „grundlegende, bedeutungsgenerierende Schemata, die durch Diskurse verbreitet werden und nahelegen, worum es sich bei einem Phänomen handelt“ (ebd.: 243). Diskursive Figuren sind also Subjektpositionen, die immer schon an bestimmten Deutungen ausgerichtet sind. Gleichzeitig können Deutungsmuster mit Hilfe von Subjektpositionen kommuniziert – in dem Sinne dass Deutungsmuster die Geschichte des Aufeinandertreffens verschiedener Figuren erzählen – und erfahrbar werden – dahingehend dass sie Wahrnehmung strukturieren und Bezugspunkt von Handeln sind. Drittens kann die affirmative Bezugnahme auf diese Subjektpositionen den Zugang zu Diskursen darstellen. Wer sich entsprechend präsentiert, kann sprechen und findet auch Gehör. Um diese Verknüpfung zu explizieren führen wir den Begriff der diskursiven Figur ein. Mit Hilfe dieser beiden Heuristiken – Phänomenstruktur und diskursiver Figur – ist es möglich Diskurse, gemäß der beiden in Kapitel 4 formulierten Erkenntnisinteressen, zu konturieren, zu vergleichen und weiterhin tiefenscharf zu analysieren.

6. Die Prostitutionsdebatte

Die Debatte um Prostitution wird von uns als zyklische Risikoerzählung und -verhandlung verstanden. Dabei ändern sich die Deutungen, Narrative und Figuren, ebenso wie die Akteure und Koalitionen. Gleichbleibend ist die öffentliche, politische und wissenschaftliche Auseinandersetzung verschiedenster Akteure mit dem Komplex Prostitution und der Versuch, die eigene Position als wahr durchzusetzen. Variationen gibt es bezüglich der Diskurse: im aktuellen Themenfeld Prostitution ringen zwei um Geltungsanspruch. Diese Diskurse sollen im Weiteren expliziert werden. Ein Merkmal der Diskussionen ist, dass fast ausschließlich auf gleichbleibende Expert*innen und Gruppen Bezug genommen wird. Die öffentlich, medialen Debatten sind keine Ausnahme, auch hier werden bei der Forderung nach Freierbestrafung und einem Sexkaufverbot als Legitimationsquelle die immer selben Organisationen und Personen herangezogen. Der Rückbezug auf dieselben Sprecher untermauert die Aufteilung in zwei konkurrierende Diskurse, die verfestigte Meinungen wiedergeben, um ihre eigenen Anliegen durchsetzen zu können. Bevor die folgenden Kapitel die Diskurse im Konkreten thematisieren, sollen zunächst alle relevanten Entwicklungen der öffentlichen, wissenschaftlichen und politischen Diskussion um Prostitution und deren Regulierungsbestrebungen seit Anfang der 2000er dargelegt werden. Das neue Prostituiertenschutzgesetz reiht sich ein in andauernde Kämpfe darüber, was Prostitution ‚wirklich‘ ist, wie sie kontrolliert und reguliert werden kann und wie Prostituierte am besten geschützt und in ihren Rechten gestärkt werden können. Schon 1999 kündigte Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) einen Gesetzesentwurf zur Verbesserung der Situation von Prostituierten an. 2001 wurde das Verfahren zum Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG) in die Wege geleitet wurde, welches schließlich 2002 in Kraft trat. Zahlreiche weitere Einflüsse führten zur Einführung des ProstG, darunter eine Empfehlung des UNAusschusses zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau, der im Jahr 2000 empfahl, die Rechte von Prostituierten zu stärken. Wegweisend war weiterhin das

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Hill und M. Bibbert, Zur Regulierung der Prostitution, Theorie und Praxis der Diskursforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26929-6_7

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Grundsatzurteil im Falle des Café Pssst43 in Berlin und nicht zuletzt die geänderte gesellschaftliche Auffassung über die Normalität der Tätigkeit.44 Von der selbstbestimmten Hure zum gehandelten Mädchen Die aktuellen Verhandlungen über Prostitution werden von dem auf Schutz fokussierten Lager rund um das Themengebiet Zwangsprostitution dominiert – eine Entwicklung, die sich erst seit wenigen Jahren diskursiv durchsetzen konnte. Mit dem Inkrafttreten des ProstG 2002 war zumindest der öffentliche Diskurs bis zum Jahr 2013 zunächst vor allem durch das Bild der selbstbestimmten Prostituierten geprägt. Das ProstG wurde in erster Linie als Meilenstein zur Entdiskriminierung der Prostituierten verhandelt, etwa indem die Sittenwidrigkeit als abgeschafft galt, Prostituierte die Möglichkeit der Sozial- und Krankenversicherung erhielten und ihr Entgelt einklagen konnten (Hunecke 2011: 92f.) – kurzum die Sicherung der Rechtsverhältnisse. Ebenfalls gehörte es zum Verdienst des ProstG, dass Betreiber*innen von nun an für einen gewissen Standard, wie saubere Handtücher und Präservative in den Lokalitäten sorgen konnten, ein Umstand, der zuvor noch als Förderung der Prostitution geahndet werden konnte. Das neue Gesetz, so der Tenor, stärke das Selbstbewusstsein der Prostituierten und könne so zu einer Entstigmatisierung der Tätigen beitragen (Löw/Ruhne 2011: 31). „Prostitution an sich wurde dabei als gegeben angesehen, das Gesetz strebte weder eine Abschaffung noch eine Aufwertung der Prostitution an.“ (BMFSFJ 2007a: 7) Die Gesetzesnovelle zielte also primär auf die Anerkennung gesellschaftlicher Realität ab. In der öffentlichen Diskussion wurde die Stärkung der Rechte als empowerment gedeutet und das Gesetz als logische Konsequenz der veränderten gesellschaftlichen Meinung angesehen. So konstatierte die Süddeutsche Zeitung kurze Zeit vor der Verabschiedung des ProstG: „Das Klischee von der seit früher Kindheit seelisch zerstörten Frau, die für ein paar Mark ihren Körper verkauft und sich nachts in den Schlaf weint, die missioniert und aus unmenschlichen Verhältnissen gerettet werden muss, hält der Wirklichkeit zumindest in deutschen Bordellen und auf Teilen des Straßenstrichs nicht mehr Stand.“ (Kahlweit 2001) 43 Felicitas Weigmann betrieb in Berlin das Café Pssst!, welches als Anbahnungsstätte für die im Hinterhof gelegene Zimmervermietung diente. Weigmann hatte im Gegensatz zu anderen Betreiber*innen beide Lokalitäten ohne weiteren Strohmann angemeldet und rief dadurch das Bezirksamt auf den Plan, welches ihr aufgrund der „Vorschubleistung der Unsittlichkeit“ die Lizenzen entziehen wollte. Weigmann zog vor Gericht und bekam in einem Grundsatzurteil Recht – der vorsitzende Richter hatte sich hierfür Gutachten von 50 gesellschaftlich relevanten Akteuren anfertigen lassen, welche die Prostitution mehrheitlich nicht mehr als sittenwidrig und gesellschaftliche Wirklichkeit anerkannten. (Domentat 2003: 29f.) 44 Insgesamt dauerte der Prozess zur Gesetzgebung ca. 30 Jahre. Über diesen Zeitraum hinweg gab es immer wieder Gesetzesvorschläge unterschiedlichster Parteien. Dennoch konnte bis 2002 (und auch darüber hinaus) kein abschließender Konsens gefunden werden, was sich unter anderem auch im beständigen Aufflammen der Diskurse offenbart (BMFSFJ 2007a: 5).

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Prostitution in Deutschland könne demzufolge nicht mehr in der seelischen Andersartigkeit der Frau begründet liegen und entziehe sich daher einer Rettungsperspektive. Wenn Sexarbeit, wie im Zitat verdeutlicht, freiwillig ausgeübt wird, was zumindest für Deutschland angenommen wurde, bedarf sie keiner Missionierung, sondern im Gegenteil einer Stärkung der rechtlichen Situation. Entgegen der Zielsetzung wurden die rechtlichen Verbesserungen nur sehr zögerlich in Anspruch genommen, so haben bis heute z.B. nur wenige Prostituierte ein sozialversichungspflichtiges Arbeitsverhältnis geschlossen (Löw/Ruhne 2011: 29) und auch die gesellschaftliche Debatte verstummte in den Folgejahren nicht. Das weitere Ziel, die Begleitkriminalität zu beseitigen und Prostitution ohne Zuhälterei zu ermöglichen, konnte trotz Änderung der Paragraphen180a „Förderung der Prostitution“, und § 181a, der auf die sexuelle Selbstbestimmung fokussiert, nicht erreicht werden. Neben der Polizei45 war die CDU/CSU mit den sich ergebenden Neuerungen aus dem ProstG unzufrieden und forderte bessere Kontrollmöglichkeiten und eine Rücknahme der Änderungen. Die „Visa-Affäre“46 ebenso wie die „Friedmann-Affäre47“ waren zwei Ereignisse, die den öffentlichen Fokus erneut auf das Themengebiet Prostitution rückten, wenn auch zunehmend unter einem neuen Vorzeichen – dem der Zwangsprostitution. SOLWODI48 beginnt im öffentlich-medialen Diskurs aufzutreten und vereinzelte Schicksalsberichte lassen sich in allen Zeitungen finden, nehmen jedoch bis 2006 eine eher randständige Position innerhalb der Berichterstattung über Prostitution ein. Zur Fußball Weltmeisterschaft (WM) 2006 in Deutschland entflammte sich der Diskurs über Zwangsprostitution in einem bis dato nicht da gewesenem Ausmaß. Ausgangspunkt war zunächst eine Meldung der Deutschen Presse Agentur (dpa), die in der Hamburger Morgenpost am 10.04.2005 veröffentlicht wurde. Die Morgenpost berichtete in Anlehnung an die dpa von bis zu 40.000 (Zwangs-)Prostituierten speziell zur Befriedigung der Nachfrage während der WM (Ihme 2006: 248). Die Narrative, die laut Ihme vor allem während der 45 Darunter z.B. Manfred Paulus, damals Kriminalhauptkommissar und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Polizei in Baden-Württemberg. Paulus veröffentlichte 2003 das Buch „Frauenhandel und Zwangsprostitution“ und wird vielfach von Solwodi zitiert. 46 Nachdem rot-grün die Botschaften angewiesen hatten, unbürokratischer bei der Vergabe von Visa vorzugehen, wurden vor allem von 1999-2002 eine Flut von Visa für Menschen aus der Ukraine ausgestellt, was schließlich zu einer Abkehr der Politik und 2004 sogar zu einem Untersuchungsausschuss führte. 47 Michel Friedman, TV-Moderator und zum damaligen Zeitpunkt stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland wurde im Zuge einer Ermittlung wegen Menschenhandel selbst zum Zielpunkt weiterer Untersuchungen, nachdem ukrainische Prostituierte aussagten, dass Friedman nicht nur Geschlechtsverkehr mit ihnen hatte, sondern auch in ihrem Beisein Kokain konsumierte. 48 Ein Verein zur Hilfe von Frauen in Notsituationen, wie z.B. Zwangsprostitution. Eine ausführliche Darstellung der einzelnen Akteure findet sich in Kapitel 7.1.

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Debatte um die drohende Zwangsprostitution während der WM grassierten, sind die des kulturellen Unterschieds, im Besonderen die Ungleichheiten zwischen ,uns‘, den ‚Osteuropäerinnen‘ und ‚den (ausländischen) Fußballfans‘. Nachdem das Gerücht49 von 40.000 (Zwangs-)Prostituierten verbreitet wurde, formierten sich Bündnisse gegen Zwangsprostitution zur WM, darunter „abpfiff – Schluss mit Zwangsprostitution“, eine Kampagne des Deutschen Frauenrats, die vom Bundesfrauenministerium unterstützt wurde. Im Zusammenhang mit dem Bedrohungsszenario Zwangsprostitution wurde medial auf das Schwedische Modell und seine Vorzüge rekurriert und eine Überführung in das deutsche Gesetz diskutiert. Die Überlegung, sogenannte Verrichtungsboxen50 temporär während der WM aufbauen zu lassen, fand in einigen deutschen Städten Anklang, was medial in aller Ausführlichkeit behandelt wurde. Sex erscheint hierbei als männliche ‚Notdurft‘, die ‚verrichtet‘ werden muss und der Staat als „ein fürsorglicher seiner Art“ (Backes 2015), der für die geregelte Triebabfuhr Sorge tragen muss. Nachdem sich das Schreckensszenario Zwangsprostitution zur WM nicht wie zuvor prophezeit einstellte, wurde es bis zur zwei Jahre verspäteten Veröffentlichung der Evaluation des ProstG51 im Jahr 2007 ruhiger um das Themengebiet. Das wissenschaftliche Gutachten des ProstG im Auftrag der Bundesregierung konnte bei weitem keine so große öffentliche Resonanz finden, wie die WM 2006. 2009 stieg das Interesse erneut an, Stein des Anstoßes war zunächst der „Pussy-Club“ in Fellbach bei Stuttgart, der offen mit einer „Sex-Flatrate“ warb und im weiteren Verlauf eine mediale Debatte über die Menschenunwürdigkeit sogenannter Flatrate-Bordelle auslöste. 2013 drängte sich die Debatte neu erstarkt in die Öffentlichkeit zurück, nachdem gleich mehrere Schlüsselereignisse zu ihrer gesteigerten Rezeption beitragen konnten. Der Spiegel widmete dem Themenkomplex im Mai 2013 eine gesamte Ausgabemit dem Titel „Bordell Deutschland“ (Spiegel 22/2013). Im Oktober folgte der Appell gegen Prostitution der Zeitschrift EMMA, der unter anderem Gesetzesänderungen in den Bereichen „Frauenhandel und Prostitution“, eine „Ächtung der Frauenkäufer“ und im übergeordneten eine „Abschaffung des Systems Prostitution“ (EMMA Appell 2013) fordert. Alice Schwarzer und ihren Mitstreiter*innen gelang es durch diesen Appell eine Vielfalt prominenter Persönlichkeiten zu mobilisieren (vgl. Kapitel 7.2). Die Regierung selbst verständigte sich – 49 Aus heutiger Sicht gibt es keinerlei Belege für einen solchen Anstieg. 50 Verrichtungsboxen sind Garagenähnliche, i.d.R. von der Stadt zur Verfügung gestellte Bauten, die den Straßenstrich bündeln und so Streetworkern einfacher zugänglich machen. Zudem bieten sie den Ausübenden etwa durch installierte Alarmsysteme Schutz. Dieser Umgang mit Straßenprostitution wird auch als Utrechter Modell bezeichnet. Als erste deutsche Stadt installierte Köln Verrichtungsboxen. 51 „Anlässlich der Verabschiedung des ProstG forderte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung durch Entschließung vom 19. 10. 2001 auf, ‚1. über die Auswirkungen der neuen Rechtslage auf Grund dieses Gesetzes nach Ablauf von drei Jahren zu berichten‘“ (BMFSFJ 2007a: 4)

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im zweiten wichtigen diskursiven Ereignis – im Koalitionsvertrag darauf, gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel verstärkt vorgehen und darüber hinaus Prostitution stärker regulieren zu wollen. Im Koalitionsvertrag heißt dies konkret: „Wir wollen Frauen vor Menschenhandel und Zwangsprostitution besser schützen und die Täter konsequenter bestrafen. […] Zudem werden wir das Prostitutionsgesetz im Hinblick auf die Regulierung der Prostitution umfassend überarbeiten und ordnungsbehördliche Kontrollmöglichkeiten gesetzlich verbessern.“ (CDU/CSU/SPD 2013: 104)

Bereits bei der Festlegung der Regierungsparteien darauf, Prostitution besser kontrollieren und regulieren zu wollen, offenbart sich die Vermengung von Prostitution und Menschenhandel und die Ineinssetzung der beiden Themengebiete. Nicht zuletzt als Folge der genannten Schlüsselereignisse gründete sich Mitte Oktober 2013 der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (BesD) und rief den Gegenappell zu Schwarzers Kampagne aus. Geprägt ist das Jahr 2013 von zahlreichen Debatten rund um Prostitution, sowie von etlichen Artikeln, Fernsehbeiträgen und Talkshow-Inhalten, wie die Sendung „Menschen bei Maischberger“ im November 2013. Im darauffolgenden Jahr ebbte der Höhepunkt der medialen Berichterstattung ab, es entstand gleichwohl eine Reihe von Positionspapieren verschiedener NGOs zum Thema Prostitution. Im Juni 2014 forderte das BMFSFJ Stellungnahmen zu einer nicht-öffentlichen Anhörung bezüglich der „Regulierung des Prostitutionsgewerbes“ von insgesamt 34 Vertreter*innen aus Ländern, Kommunen, Hilfsorganisationen, Gesundheitsämtern, Fachverbänden, Polizei, Justiz und Wissenschaft an, in denen die Einschätzung zu einem Fragenkatalog abgebildet werden sollte. Die Anhörung diente als Vorbereitung zum Entwurf des ProstSchG. Die Fragen richteten sich auf die Ziele und Auswirkungen eines neuen Gesetzes, auf Mindeststandards in Betrieben, auf eine Anmeldepflicht für Prostituierte, das Mindestalter von 21 Jahren, zur Kondompflicht und über verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen. Der Großteil der Vertreter*innen lehnte unter anderem die Anmeldepflicht ab, sprach sich gegen die Einführung eines Mindestalters aus und hielt Zwangsuntersuchungen für ein ungeeignetes Mittel. Hierbei ergibt sich trotz der Heterogenität der Befragten ein relativ homogenes Ergebnis, ganz gleich, ob die Antwortenden aus einem kirchlichen Verband, oder einer Prostituiertenvertretung entstammen. Gegensprecher*innen sind die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen, Sprecher*innen der Polizei sowie einzelne Bundesländer, die die genannten Eckpunkte befürworteten und das Feld einer weitergehenden Regulierung unterziehen mochten. 2015 begann mit einer weiteren „Menschen bei Maischberger“ Sendung, die unter dem Vorzeichen des neuen Gesetzesvorhaben fragte: “Wird Prostitution menschlicher?”. Später im Jahr veröffentlichte Amnesty International (AI) nach mehrjähriger Recherche und Beratung eine Resolution, die die vollständige Entkriminalisierung von Prostitution forderte, um die Menschenrechte von Sexarbeiter*innen

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adäquat schützen zu können. Die Entrüstung Seitens der Abolotionist*innen und anderer Befürworter*innen eines Prostitutionsverbots folgte sogleich. Im gleichen Jahr gab es darüber hinaus eine Reihe kommunaler Kampagnen gegen Prostitution, darunter das Bündnis „Stop Sexkauf“, das unter anderem eine Fachtagung in München mit dem Titel: „Stop Sexkauf! Über die Schäden durch Prostitution“ veranstaltete und „Stuttgart sagt Stopp“, eine Initiative, die es sich zum Ziel setzt, dass Stuttgart eine Stadt werden solle, in der Zwangs- und Armutsprostitution geächtet werde. Die Einigung der Koalitionspartner darüber, Änderungen am ProstG vorzunehmen, bzw. es durch das ProstSchG ersetzen zu wollen, mündeten im Herbst 2015 im Referentenentwurf des Prostitutiertenschutzgesetz, der nach der Anhörung und Beteiligung verschiedener Verbände vom Bundeskabinett am 23.03.2016 beschlossen wurde. Als Gesetzesentwurf der Bundesregierung wurde dieser zusammen mit einer Empfehlung der beteiligten Ausschüsse zur Stellungnahme (BR-Drs.: 156/1/16) an den Bundesrat übersandt. Federführend war der Ausschuss für Frauen und Jugend und weiterhin beteiligt waren der Finanzausschuss, der Gesundheitsausschuss, der Ausschuss für Innere Angelegenheiten, der Rechtsausschuss und der Wirtschaftsausschuss. Nach der Stellungnahme des Bundesrates vom 13.05.2016 übersandte die Bundesregierung den Entwurf an den Bundestag. Am 02.06.16 fand schließlich die erste Lesung begleitet von Protesten des Aktionsbündnisses gegen das ProstSchG unter dem Motto „Mein Körper, Mein Bettlaken, Mein Arbeitsplatz“ statt. An die erste Lesung schloss sich eine Phase der Beratung in den Ausschüssen an, in deren Rahmen der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend verschiedene Sachverständige52 zu einer öffentlichen Anhörung am 06.06.2016 lud. Am 07.07.2016 fanden dann unmittelbar aneinander anschließend die zweite und dritte Lesung des ProstSchG statt, an deren Ende der Entwurf in der vom Familienausschuss geänderten Fassung (BTDrs.: 18/9080) angenommen wurde. Zwei am selben Tag verhandelte Änderungsanträge – einmal der Linken und einmal des Bündnis 90/Grünen – wurden abgelehnt. Da es sich bei dem Gesetz um ein sogenanntes Einspruchsgesetz handelt und dieser Einspruch in der Sitzung des Bundesrates vom 23.09.2016 keine Mehrheit fand, trat das Gesetz zum 01.07.2017 in Kraft. Die vor allem seit dem Jahr 2013 erstarkte Debatte, die schließlich im ProstSchG mündete, offenbart die vielfältigen Deutungskämpfe über das, was Prostitution ‚wirklich‘ ausmache sowie über die Relevanz und den angenommenen Umfang des ‚Problems‘.

52 Die Sachverständigen werden von den einzelnen Fraktionen geladen und werden hierbei vielfach unter der Voraussetzung benannt, dass sie die eigene politische Position untermauern können und die Gegenseite in Frage stellen können (Linn/Sobolewski 2010: 98).

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Abbildung 2: Das diskursive Feld

Die Analyse dieser Deutungskämpfe lässt sich in der Gegenüberstellung eines auf Schutz fokussierten Diskurses und eines auf Autonomie fokussierten Diskurses verdichten, die beide auf spezifisches Wissen rekurrieren und so ein Netz sich zwischen verschiedenen Akteuren, Koalitionen, Aussagen etc. spannen. Beide kämpfen weiterhin um die Besetzung der Chiffre „Sexuelle Selbstbestimmung“ und münden in einer Medikalisierung der Sexualität. Die genaue Gegenüberstellung und Erläuterung der weiteren Kontexte ist Gegenstand der folgenden Kapitel.

7. Der auf Schutz fokussierte Diskurs

Im Folgenden wird nun der auf Schutz fokussierte Diskurs dargestellt. Zentral für diesen Diskurs ist – erwartungsgemäß – der Fokus auf den Aspekt des Schutzes der Frau. Einmal da sie einem Sexismus ausgesetzt ist, der sich aus einer Maskulinität speist, die sie durch die Erfahrung der Prostitution als Objekt positioniert. Zweitens geht es um die Prostituierte, die als passiv-schützenswert konstruiert wird. Der Schutzdiskurs nimmt den Freier in die Pflicht – er ist durch seine Nachfrage verantwortlich für ‚die perverse und menschenunwürdige Prostitution‘. Wurden bisher schon diskursive Ereignisse diskutiert, werden nun zuerst die Akteure des Diskurses in den Blick genommen (7.1). Parallel dazu thematisiert (8.1) die Akteure des Autonomiediskurses. Diese beiden Einführungen erheben dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Daran schließt sich eine Diskussion der spezifischen diskursiven Ereignisse und Entwicklungen des Schutzdiskurses und der Diskursstrategien an (7.2). Hierbei werden einige der bereits in Kapitel 6 angeführten Ereignisse aufgegriffen, um andere ergänzt und so in ihrer Bedeutung für den Schutzdiskurs diskutiert. Im Fokus von Kapitel 7.3 stehen zuerst die jeweils hervorgebrachten Figuren, Narrative, Konstellationen und Subjektpositionen. Erstens werden die Geschichten des Verhältnisses von Prostituierter und Freier sowie Prostituierter und Loverboy ausgeführt. Gemeinsamer Nenner ist die Konstruktion der Prostituierten als Andere. Zweitens wird die moralisierende Tendenz der Metaphern und Bilder des Diskurses ausgebreitet. Eine prominente Stellung im Diskurs nimmt das Bild der schwangeren Prostituierten ein. Drittens wird die politische Landschaft und ‚Kultur‘ in den Blick genommen. 7.1 Akteure des auf Schutz fokussierten Diskurses Die Zeitschrift EMMA spielt mit ihrer Herausgeberin Alice Schwarzer eine zentrale Rolle: das Anstoßen einer öffentlichen Debatte mithilfe des Appells gegen Prostitution im Jahr 2013 ist vor allem Schwarzers Verdienst. Dies gelingt ihr, da EMMA, ebenso wie die Person Schwarzer, in der öffentlichen Wahrnehmung stark polarisieren und daher relativ leicht Gehör finden – in Zustimmung oder Ablehnung der vertretenen Position – und eine Reaktion der Gegenpositionen erforderlich machen. Eine zunächst überraschend anmutende Koalition geht EMMA mit den Aktivistinnen von FEMEN ein, die Anfang 2013 in gewohnter Manier Oberkörperfrei in der Herbertstraße in Hamburg protestierten, einer Straße, die sonst für weibliche Besucherinnen gesperrt ist. FEMEN sind bis auf eine © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Hill und M. Bibbert, Zur Regulierung der Prostitution, Theorie und Praxis der Diskursforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26929-6_8

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Protestaktion Ende 2012 und der Herbertstraßen-Demonstration im SD eher von untergeordneter Rolle, werden jedoch von EMMA auch noch 2015 im Zuge der Amnesty Resolution erwähnt. Mit Hilfe von FEMEN gelingt es EMMA ein Stück weit ‚jünger‘ und zeitgemäßer zu wirken. Durch die Körperlichkeit im Protest bringt FEMEN ein neues Moment in die sonstige Argumentationslogik von EMMA, die ansonsten oftmals von einer neuen Generation Feminist*innen abgelehnt wird. Generell ist die Zeitschrift, die noch immer die feministische Zeitschrift Deutschlands ist, vor allem ihrer populistischen Formulierungen wegen diskursiv von hoher Bedeutung, da hierdurch Reaktionen evoziert werden. Die Äußerungen der EMMA erheben einen umfassenden Legitimitätsanspruch: Vertreten werden die Frauen. Nachdem ‚jüngere‘ feministische Formate wie der Blog Mädchenmannschaft oder die Zeitschrift Missy Magazin diskursiv so gut wie keine Bedeutung haben, bleibt EMMA die Rolle als einziger Sprecherin dieser Art vorbehalten. Neben der wirkmächtigen Zeitschrift gibt es viele sehr diverse Akteure, die mit ihren Argumenten und Erzählungen über die Wahrheit der Prostitution Durchsetzung erlangen wollen. Unter eben jenen finden sich unter anderem Hilfsorganisationen, Ausstiegsberatungen, Polizei, Bundesländer, Parteien und Mediziner*innen. Auf der einen Seite finden sich zahlreiche Hilfsorganisationen, Vereine und Bündnisse, die alle mehr oder minder ein Sexkaufverbot anstreben. Das Spektrum reicht von den Kirchen zu feministischen Vereinigungen, zu Ausstiegsberatungen und Menschenhandelshilfsorganisationen. Die wohl bekannteste dieser Hilfsorganisation ist SOLWODI53 e.V., die sich für die Freierbestrafung einsetzt, mit dem Ziel Prostitution in Deutschland insgesamt abzuschaffen. Prostitution sei demzufolge generell unvereinbar mit der Menschenwürde und der Großteil der Prostituierten agiere aus einer Zwangslage heraus. Neben SOLWODI ist „SISTERS – für den Ausstieg aus der Prostitution e.V.“ dem SD zuzuordnen. SISTERS ist ein noch relativ junger Verein, an dessen Spitze Sabine Constabel, eine Stuttgarter Sozialarbeiterin, sowie Leni Breymaier, eine SPD-Politikerin, die auch als Expertin in der Anhörung im Bundestag geladen war, zu finden sind. In der Gemengelage der Institutionen finden sich weiterhin Terre des femmes54, einem Verein, dem es „um die Menschenrechte der Frau“ geht, JADWIGA, die sich für Opfer des „Frauenhandels“ einsetzen, sowie KOFRA, einem nach eigenen Angaben 53 Solidarity with Women in Distress, gegründet 1985 in Kenia von der deutschen Ordensschwester Lea Ackermann. Seit 1987 auch in Deutschland aktiv. SOLWODI hilft Frauen, die in Notlagen geraten sind wie Zwangsverheiratung oder Opfer von Menschenhandel oder Beziehungsgewalt geworden sind. 54 Intern kam es Ende 2013 zum Konflikt, nachdem sich die Vorsitzende Irmingard Schewe-Gerwigk bei „Menschen bei Maischberger“ gegen ein Prostitutionsverbot aussprach. Schewe-Gerwigk war als Abgeordnete der Grünen maßgeblich bei der Einführung des ProstG beteiligt. Im März 2014 beschloss der Verein die Forderung nach einem Sexkaufverbot.

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„Kommunikationszentrum für Frauen zur Arbeits- und Lebenssituation e.V.“.55 „Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V.“ setzt sich, ebenso wie die vorher genannten Vereine, für die Opfer von Zwangsprostitution ein und schließt Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der Arbeitsausbeutung aus. Das Bündnis „Stop Sexkauf“ ist ein Zusammenschluss nahezu aller hier genannter Akteure, die sich für ein Sexkaufverbot einsetzen. Hierzu organisiert das Bündnis Tagungen und Veranstaltungen und leistet so breite Öffentlichkeitsarbeit. Das „Aktionsbündnis gegen Frauenhandel“ vereint neben kirchlichen Trägern – z.B. Renovabis, der „Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa“ – auch Organisationen wie Terre des femmes und JADWIGA. Dass die Frage nach der Regelung der Prostitution über Partei- und Organisationsgrenzen hinweg kontrovers aufgefasst wird, offenbart sich in der Vereinigung „Abolition 2014“, einem Zusammenschluss von Politikerinnen der Grünen, der Linken, von Vertreterinnen von Terre des femmes und anderen Aktivist*innen. Der Zusammenschluss kämpft für die Einführung des Schwedischen Modells in Deutschland. Ein ähnliches Bündnis, das weit mehr Unterstützer*innen hat, ist der „Brüsseler Aufruf für ein Europa ohne Prostitution“. Das von der „European Women‘s Lobby“ initiiertes und von mehr als 200 weiteren Organisationen unterzeichnetes Papier schließt mit seinen Forderungen im Wesentlichen an die oben genannten Vereinigungen an. Gemeinsam ist den genannten Institutionen, dass sie Prostitution als menschenunwürdig einstufen, dass Prostitution die Ungleichheit der Geschlechter zementiere und Prostitution immer mit kriminellen Strukturen in Verbindung stehe – seitens der Bordellbetreiber*innen, Zuhältern oder Kunden. Um ihre Anliegen zu belegen, werden Aussteiger*innen oder „Überlebende“ aus der Prostitution herangezogen die als mächtige Sprecher*innen im Diskurs fungieren. Wer, wenn nicht eine ehemalige Prostituierte kann besser einschätzen und aufdecken, wie es im ‚Milieu‘ ‚wirklich‘ ist? Beide Diskurse machen von (ehemaligen) Sexarbeiterinnen als Expert*innen Gebrauch, was zu einer Fixierung auf die immer selben Frauen führt. Im SD ist die wohl prominenteste und meist zitierte Aussteigerin Huschke Mau56, die 2014 mit ihrem offenen Brief „Ich habe die Schnauze voll von euch Prostitutionsbefürworterinnen“, der unter anderem in der EMMA veröffentlicht wurde, erstmals öffentlich in Erscheinung trat. Seitdem gilt Mau als Referenzgröße zur Darstellung der Prostitution als Zwang und unterstreicht so die Grausamkeiten der Prostitution. Mau ist gerade deshalb diskursiv 55 Weitere Institutionen sind: SPACE International „Survivors of Prostitution – Abuse, Calling for Enlightenment“, die sich vor allem für die Freier-Bestrafung einsetzen. KARO e.V., entstanden 1994 als Landesmodellprojekt im Raum Sachsen Polen, engagiert sich gegen Menschenhandel. Agisra e.V. steht für „Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung“ und existiert seit 1993 in Köln. Agisra ist eine Fachberatungs- und Informationsstelle, die sich vornehmlich an Flüchtlinge und Migrantinnen richtet. 56 Huschke Mau gründete zudem den Verein SISTERS mit.

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von Bedeutung, weil sie eine Deutsche ist, aus scheinbar normalen bürgerlichen Verhältnissen entstammt und nach eigenen Worten freiwillig der Tätigkeit als Prostituierte nachging. Damit vereint sie in ihrer Person die Aspekte, die laut SD verschwindend gering sind: die deutsche Staatsangehörigkeit ohne Migrationserfahrung, geregelte Familienverhältnisse und die selbstbestimmte Entscheidung zur Prostitution, ohne Loverboy oder Zuhälter im Hintergrund. Dennoch ist Mau Fürsprecherin eines Sexkaufverbots, denn als Aussteigerin weiß Mau um die schlechten Bedingungen in der Prostitution. Dabei legt sie, neben der Verurteilung aller Freier als gewaltsam, ein weiteres wichtiges Argument des SD frei: das des Missbrauchs in der Kindheit und Jugend. Hinter der bürgerlichen Fassade musste auch Mau Missbrauchserfahrungen erleben, die ein späteres Eintreten in die Prostitution erst ermöglichten bzw. ursächlich begünstigten (eine weitere Vertiefung zum Thema Missbrauchserfahrung findet sich in Kapitel 7.3.1. Um diese Position weiter zu verfestigen, zieht der SD Mediziner*innen heran, darunter Lutz-Ulrich Besser (Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin und Traumaexperte57) und Wolfgang Heide (Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe), die sich über ihre medizinische Tätigkeit in Kontakt mit der Prostitution befinden. Sie rekurrieren zum einen auf ihre berufliche Expertise wie auch auf ihre persönlichen Erfahrungen und affektiven Regungen. Aus der juristischen Sphäre sind Gregor Thuesing, als Professor im Fachbereich Rechtswissenschaften zu nennen, der als Experte zur Anhörung am 06.06.2016 geladen war sowie Professor Joachim Renzikowski, der sowohl in wissenschaftlicher Literatur zum Themengebiet Prostitution vom SD als auch vom AD um juristische Einschätzungen gebeten wird. Die Polizei spielt im SD eine herausgehobene Rolle, denn es sind vor allem die Forderungen der Polizei, die im neuen ProstSchG Umsetzung gefunden haben. Vertreter*innen der Polizei klagten seit der Einführung des ProstG über unzureichende Eingriffsbefugnisse und forderten vom Gesetzgeber verbesserte Rechtssicherheit. Zu nennen sind an dieser Stelle exemplarisch Heike Rudat, als Vertreterin des Bunds deutscher Kriminalbeamter, die zur Anhörung am 06.06.2016 geladen war sowie die Kommissare Helmut Sporer, der sich für den restriktiven „Augsburger Weg“58 bundesweit einsetzt und Manfred Paulus, der

57 Traumata als Grund der initialen Aufnahme der Prostitution sind eine gängige Erzählung im SD. Auf der Seite www.trauma-and-prostitution.eu/ proklamieren Wissenschaftler eine Welt ohne Prostitution. 58 Der Augsburger Weg sieht unter anderem ein Mindestalter von 21 Jahren, verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen, eine Anmeldepflicht beim Finanzamt sowie Prostitution nur als selbstständige Tätigkeit vor.

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ebenfalls für ein Sexkaufverbot einsteht. Unterstützt werden die Forderungen der Polizei von Länder- und Kommunalvertretungen. Alle genannten Akteure rekurrieren auf das Moment des Zwangs in der Prostitution und befürworten den Schutz von Prostituierten durch paternalistische Maßnahmen wie etwa der Anmeldepflicht. Grundsätzlich wird das ProstSchG größtenteils begrüßt, teils gehe es aber nicht weit genug. Diesen Äußerungen zu Grunde liegt die Konstruktion einer andersartigen Prostituierten sowie sexueller Tabus, wie in Kapitel 7.3.1 zu zeigen sein wird. 7.2 Die Konturierung des Schutzdiskurses Zentrales Ereignis des SD ist, wie schon angeführt, der „Appel gegen Prostitution“, organisiert von EMMA und Alice Schwarzer im Herbst 2013 sowie das kurz darauf erschienene Buch „Prostitution – Ein deutscher Skandal: Wie konnten wir zum Paradies der Frauenhändler werden?“ (Schwarzer 2013). Parallel, im Oktober 2013, gründete sich der Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD), als Reaktion auf „auf die reaktionäre Welle, die seit geraumer Zeit bei diesem Thema über Deutschland schwappt“ (Müller-Lissner/Oswald 2013). So zumindest formuliert es Undine de Rivière, als Sprecherin des BesD, gegenüber dem tagesspiegel (ebd.). Dem Appell gegen Prostitution, auf den sogleich weiter eingegangen wird, ging eine breitere Thematisierung der Prostitution voraus, wie sie im vorherigen Kapitel dargestellt wurde. Ergänzen lassen sich der Tatort „Das goldene Band“ vom 16.12.2012 und die daran angeschlossene Talkshow „Günther Jauch – Tatort Rotlichtmilieu: Wie brutal ist das Geschäft mit dem Sex“, bei der u.a. Alice Schwarzer Gast war (iutv.de). In der ersten Hälfte des Folgejahres erschienen weitere Medienberichte, die das ‚Milieu‘ kritisch betrachteten. So strahlte die ARD etwa die Dokumentation „Sex – made in Germany“ aus, die auch in Printmedien thematisiert wurde (vgl. Käppner 2013). Der Appell gegen Prostitution ist eine Kampagne der Zeitschrift EMMA: „Am Freitag, den 4. Oktober [2013; Anm. A.], haben wir die Mails losgeschickt – und schon am Wochenende kamen die ersten Reaktionen: Ja, ich unterschreibe! […] Acht Tage später waren genau 90 ErstunterzeichnerInnen zusammen.“ (EMMA 2013: Appell a) Inhaltlich vergleicht der Appell Prostitution mit Sklaverei, benennt sie als moderne Sklaverei und übersetzt dies mit dem – wie schon ausführlich dargestellt – rassistischen Begriff der white slavery. Auch brutalisiere Prostitution als System das männliche Begehren, weswegen von einer politischen Unterscheidung zwischen Zwangsprostitution und freiwilliger Prostitution, dort in Anführungszeichen, abzusehen sei. Als konkrete Forderungen wird Folgendes benannt: „Eine Gesetzesänderung, die der Deregulierung von Frauenhandel und Prostitution schnellstmöglich Einhalt gebietet und die Frauen sowie die Minderheit männlicher Prostituierter schützt.

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7. Der auf Schutz fokussierte Diskurs Prävention in Deutschland und in den Herkunftsländern, sowie Hilfen zum Ausstieg für Frauen in der Prostitution. Und Schutz vor Abschiebung von Zeuginnen sowie deren Aufenthaltsrecht. Aufklärung über die Folgen von Frauenkauf bereits in den Schulen etc. Ächtung und, wenn nötig, auch Bestrafung der Freier; also der Frauenkäufer, ohne die dieser Menschenmarkt nicht existieren würde. Maßnahmen, die kurzfristig zur Eindämmung und langfristig zur Abschaffung des Systems Prostitution führen.“ (EMMA 2013: Appell b)

Kurz darauf, am 07.11.2013 erscheint das „Buch zur Kampagne“ (EMMA 2013: Appel c) „Prostitution. Ein deutscher Skandal“ (Schwarzer 2013). EMMA und Alice Schwarzer, als zentrale(r) Akteur(e) eines deutschen Abolitionismus forcieren so, zeitlich parallel zur Regierungsbildung nach den Bundestagswahlen vom 22.09.2013, eine medienwirksame Kampagne zur Positionierung der Prostitution als Zwangsprostitution, zu deren Erstunterzeichner*innen verschiedene Politiker*innen von SPD und CDU/CSU, die im vorherigen Kapitel teils unter Schutzdiskurs benannt wurden, gehören. Es überrascht also wenig, dass Prostitution als anzugehendes Problem unter dem Gliederungspunkt „Menschenhandel und Prostitutionsstätten“ in den gemeinsamen Koalitionsvertrag eingeht. „Zudem werden wir das Prostitutionsgesetz im Hinblick auf die Regulierung der Prostitution umfassend überarbeiten und ordnungsbehördliche Kontrollmöglichkeiten gesetzlich verbessern. Wir werden nicht nur gegen die Menschenhändler, sondern auch gegen diejenigen, die wissentlich und willentlich die Zwangslage der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution ausnutzen und diese zu sexuellen Handlungen missbrauchen, vorgehen.“ (CDU/CSU/SPD 2013: 104)

Ein Jahr später „organisierte Bundesministerin Manuela Schwesig eine breit angelegte Anhörung, mit dem Ziel Praktiker zu Wort kommen zu lassen und einen Überblick über potenzielle Reformschritte zu erhalten.“ (Euchner 2015: 18) Der auf Schutz fokussierte Diskurs umfasst also mehr als nur die abolitionistische Position. Mit SD wird jenes Netz an Aussagen bezeichnet, das ausgehend von der Kritik am ProstG eine gesetzliche Reglementierung der Prostitution und die Schutzbedürftigkeit der Tätigen adressiert. Dies geschieht in verschiedenen Sphären, etwa der politischen, der öffentlich-medialen, der feministisch-abolitionistischen usw. An Akteuren rekurrieren eben jene in Kapitel 7.1 dargestellten Politiker der CDU/CSU, der SPD sowie die verschiedenen Ausstiegsberatungen, abolitionistische Feminist*innen, verschiedene Sprecher aus dem Umfeld der Polizei und verschiedene Journalist*innen auf den Schutzdiskurs. Anzumerken ist noch, dass mit Blick auf die öffentliche Berichterstattung keine eindeutige Verortung verschiedener Medien möglich ist. Lediglich die FAZ fällt durch ihre eher konservativ-kritische Thematisierung der Prostitution auf, wobei hier die Betonung auf dem „eher“ liegen muss. Allgemein geht es um jene Aussagen, die auf eine „Kehrtwende“ im deutschen Regime der „Erlaubnis mit Anerkennung“ (Euchner 2015: 19) abzielen. Dieses ist Teil einer Typologie der Prostitutionspolitik,

7. Der auf Schutz fokussierte Diskurs

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die daneben noch ein prohibitives Regime, ein abolitionisitisches Regime und ein Regime der Erlaubnis ohne Anerkennung kennt (vgl. ebd.: 9). Diese Differenz zwischen den Forderungen im und den Ergebnissen des politischen Prozesses werden in Kapitel 7.3.3 diskutiert. An dieser Stelle soll festgehalten werden, dass der SD keineswegs lediglich ein ‚Anti-Prostitutionsdiskurs‘ ist, sondern alle hier differenzierten Diskurse im internationalen Kontext als – mehr oder weniger – liberal zu bezeichnen sind – wobei gerade die ‚Hilfsorganisationen‘ auf ein Sexkaufverbot abzielen, sich damit aber noch an der politischen Sphäre abarbeiten. Typisch für diesen Diskurs ist weiterhin der Rekurs auf journalistischenthüllende Formate und anekdotische Evidenz sowie auf eigene Erfahrungen als Quelle des Wissens. Marcus Weinberg (CDU) zitiert in der 149. Sitzung des Bundestages die Reportage „Ware Mädchen“59, um in Deutschland tätige Prostituierte als Zwangsprostituierte zu positionieren. Dies stellt eine Parallele zum historischen Diskurs um die white slavery dar (Thiée 2005: 45). Weiterhin wird auf die eigene empirische Erfahrung rekurriert, allerdings – im Unterschied zum AD – ohne den Bezug zu sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen zu suchen. Dagegen wird die Medizin adressiert. Diese Verknüpfung wird in den Personen Lutz-Ulrich Besser und Wolfgang Heide evident. Ihre persönlichen Erfahrungen und affektiven Regungen stellen wie ihre medizinische Tätigkeit die Quelle ihres Legitimitätsanspruchs als Sachverständige dar, welche wiederum als Wissensquellen der politischen Sphäre des SD dienen. Aber nicht nur durch die inhaltliche Fokussierung lässt sich der SD vom AD abgrenzen. Ersteren zeichnet zusätzlich die Diskursstrategie des Moralisierens aus. Der Begriff wurde ausführlich in Kapitel 2.3 und 5.3.4 diskutiert. So gibt es verschiedene Fassungen: Moralisieren kann zum einen heißen, dass im Diskurs das Objekt der Moralisierung „nicht mehr eigentlich zur Gemeinschaft möglicher Gesprächspartner“ gehört. (Gerhards 1992: 312) Schetsche grenzt den Begriff des Moralisierens vom moralischen Urteil ab. Moralisieren meint den Versuch, ein Klima herzustellen, in dem „das eigene Problemmuster vielleicht nicht als die einzig vorstellbare, aber doch als die einzige öffentlich kommunizierbare Deutung des betreffenden Sachverhaltes“ gilt (Schetsche 2014: 132). Damit wird versucht „ein individuelles oder auch gruppenspezifisches Moralurteil für die Gesellschaft als Ganzes (und damit auch für staatliche Instanzen) verbindlich zu machen“ (ebd.: 131). Beide Perspektiven zielen auf das ab: Indem lediglich eine Deutung sagbar ist, wird eine Verbindlichkeit hergestellt, die Vertreter abweichender Deutungen ausschließt, bzw. allenfalls als Randfiguren erscheinen lässt. In unserem Verständnis sind Diskursstrategien wie etwa die des Moralisierens immer graduell, finden sich also teils auch im AD. Hier ist aber ein prinzipieller qualitativer Unterschied 59 Ein Film von Nadya Luer und Jo Goll. Ausgestrahlt am 11.01.2016 im Rahmen der „Story im Ersten“ auf ARD.

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7. Der auf Schutz fokussierte Diskurs

festzustellen. Der SD zielt endgültig auf eine Exklusion ab: die Position der legitimen Prostitution soll unsagbar werden. Der AD dagegen zielt auf die Anerkennung der Aspekte der Zwangsprostitution und der legitimen, freiwilligen Prostitution unter Beachtung ihrer Unterschiede. In der folgenden Tabelle werden die wichtigsten Punkte des auf Schutz fokussierten Diskurses zusammengefasst.

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Dimensionen

Schutzdiskurs

Ursachen

Pornographisierung des Sexuellen; enthemmter, brutaler Markt nach 2002; ‚der Osten‘ als armer, unaufgeklärter Raum am Rande Europas; der Freier als Nachfrager

Verantwortung

• • • • •

Politik verantwortlich für den Schutz der Prostituierten und Bestrafung der Menschenhändler und Zuhälter Gesellschaft verantwortlich für eine zutragende Wachsamkeit Polizei kann ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, braucht mehr Befugnisse Kommunen müssen als Kräfte vor Ort den ‚Geist des Gesetzes‘ durchsetzen Der Freier ist Problemverursacher und muss als ‚Kunde‘ Verantwortung übernehmen

Handlungsbedarf

Menschenhandel und unwürdige (Zwangs-) Prostitution müssen verhindert werden • es bedarf neuer gesetzlicher Regelungen ◦ Mindestalter in der Prostitution: 21 Jahre ◦ Freierbestrafung/Sexkaufverbot • es bedarf einer informierten Öffentlichkeit • umfassenderer Blick und Zugriff auf das ‚ Milieu‘

Selbstpositionierung

Helfer*innen, Humanist*innen und Feminist*innen

Fremdpositionierung

Gegendiskurs heterogenisiert die Prostitution und leistet Beihilfe zur Unsichtbarkeit der Zwangsprostitution • Prostitutions-Lobby • Arbeitgeber*innen • Sexisten

Wohlfahrtsstaatmodell

Staat vertritt den moralischen Anspruch eines homogenen Volkes • Kommunitäres Staatsmodell

84 Wertbezug

7. Der auf Schutz fokussierte Diskurs • • • • •

Schutz der Gesellschaft Schutz der Opfer Bestrafung der Täter Gleichberechtigung Bezug auf die Menschenwürde

Tabelle 1: Der auf Schutz fokussierte Diskurs

7.3 Zur inhaltlichen Strukturierung Im Folgenden wird entlang dreier Aspekte das ‚Innenleben‘ des Schutzdiskurses genauer betrachtet. Zuerst wird das Repertoire thematisiert: Welche Figuren, als Kopplung von Deutungsmuster und Subjektposition und welche Narrative finden sich? Wie sind diese inhaltlich ausgestaltet? Zweitens wird die zentrale Strategie des Diskurses, der Rekurs auf eine diskursübergreifende Sexualmoral, diskutiert. Drittens wird das Verhältnis der verschiedenen Positionen im SD zueinander ausgearbeitet, mit Blick auf die Anerkennung dieser im Gesetz. 7.3.1 Figuren und Konstellationen des Diskurses Analysiert man den auf Schutz fokussierten Diskurs mit Blick auf das Repertoire, so ergeben sich zwei Möglichkeiten, die Ergebnisse zu strukturieren. Eine mögliche Gliederung kann entlang der Figur(-gruppen) vorgenommen werden: Der Diskurs kennt den rücksichtslosen aber prinzipiell belehrbaren Konsumenten-Freier, die Prostituierte als Andere und die Gruppe der ‚Ermöglicher‘: Loverboys, Zuhälter und Bordell-betreiber*innen. Parallel dazu lassen sich zwei Geschichten über das Zusammenspiel dieser Figuren unterscheiden. Einmal trifft der Freier auf die Prostituierte. Zentral für diese Geschichte ist die zu Grunde liegende Vorstellung einer ‚guten‘ Sexualität. Sie äußert sich im Bild einer auf Dauer gestellten, emotional begründeten dyadischen Sexualität. Diese Vorstellung von Sexualität ist das Gegenbild der im SD kritisierten Elemente, die im Phänomen der Prostitution kulminieren. So lässt sich etwa die Aussage, dass es einer durch die Prostitution ‚geschädigten‘ Frau nicht möglich sei, eine ‚normale‘ Beziehung zu einem Mann aufzubauen (Gutachten Heide: 9) als Positionierung der Prostitution als ‚unnormale‘ Sexualität verstehen. Zweitens findet sich eine Erzählung ausgehend vom osteuropäischen Mann als Loverboy, die die Konstruktion der Prostituierten als Andere sinnhaft erscheinen lässt. In beiden Erzählungen erscheint der Mann als Täter, unterschieden wird entlang der Motivation – Suchtbefriedigung oder finanzielles Interesse – und der ethnisch-nationalen Zugehörigkeit. Die vorliegende Darstellung

7. Der auf Schutz fokussierte Diskurs

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bedient sich der Strukturierung entlang der Geschichten über das Zusammentreffen der Figuren. Prostituierte und Freier Gegenstand der ersten Erzählung ist das Verhältnis von Freier und Prostituierter. In diesem Kontext erscheint die Prostituierte des auf Schutz fokussierten Diskurses als Opfer. Dabei existieren zwei Deutungen der Prostituierten, einmal als deutsche und zweitens als ‚osteuropäisch‘. Gleichzeit vereinen sich die Zuschreibungen dieser ‚Teilfiguren‘ in der Rede über die Prostituierte. Wird sie also nicht weiter definiert, meint „die Prostituierte“ im Folgenden diese Vereinigung. Erster Mechanismus dieser Darstellung ist die Strategie, das Feld der Prostitution als homogen darzustellen. Die Zahl der organisierten, freiwilligen Prostituierten wird durch das In-Verhältnis-Setzen mit einem Dunkelfeld ins Unbedeutende verkleinert. „Realität ist doch: Prostitution in Deutschland ist im Wesentlichen Armutsprostitution. Wir reden von Frauen und Mädchen in totaler Abhängigkeit.“ (BT-Drs.: 18/173: 17016; Redebeitrag: Maag CDU/CSU) Die Anerkennung der freiwilligen Prostitution wird zur Randnotiz: „Uns ist durchaus bewusst, dass die Anmeldepflicht nicht im Interesse der (nebenberuflichen) ‚Sexarbeiterin‘ ist und natürlich nicht im Interesse der Bordellbetreiber und Betreiberinnen. Aber sie ist wichtig und notwendig für die weit überwiegende Mehrheit der prostituierten Armuts- und Zwangsprostituierten.“ (Gutachten Breymaier: 3)

So werden Sexarbeiterinnen und Bordellbetreiber*innen zusammengefasst zur Gruppe der „Bordellbetreiberlobby“ (BT-Drs.: 18/173: 17011; Redebeitrag: Pantel CDU/CSU) und so moralisch und quantitativ abgewertet. Die moralische Abwertung in diesem Aspekt funktioniert durch die Assoziation mit den Zuhältern und Bordellbetreibern, die quantitative bedient sich verschiedener Strategien. Schetsche identifiziert die „dramatisierende Statistik“ als Strategie der Problemlegitimierung: „(a) Die Definition der Betroffenen wird möglichst weit gefasst und schließt diverse Zweifelsfälle wie selbstverständlich mit ein, (b) wenn differierende Expertenmeinungen zu Opferzahlen vorliegen, werden stets die höchsten Werte kolportiert oder (c) statistische Daten werden willkürlich manipuliert.“ (Schetsche 2014: 129)

Mit dem Rekurs auf den kriminologischen Begriff des Dunkelfelds werden die beiden letzten Strategien b und c kombiniert (vgl. ebd.: 129f.). Durch das Verhältnis von Hellfeld Sexarbeit und Dunkelfeld Zwangsprostitution wird ersteres im Verhältnis verkleinert, bis zur Irrelevanz. Dieser Logik folgend ist die Prostituierte zuerst Zwangsprostituierte. Dazu gesellt sich die Idee, dass Zwang unabhängig vom subjektiven Befinden der Prostituierten vorliegen kann – Strategie a. Dies soll hier nur erwähnt werden, umfassend wird diese hermeneutische Haltung in Kapitel 9.3 diskutiert. Nun unterscheidet sich die Herleitung des weiteren Opferstatus entlang der Herkunft. Die osteuropäische Prostituierte wird in ihrem

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Verhältnis zum Loverboy als Opfer konstruiert, Osteuropa ist dabei eine Chiffre für die allgemeine Peripherie Europas. Beides wird an späterer Stelle in diesem Kapitel ausgeführt. Zuerst soll die Opferkonstruktion der deutschen Prostituierten im Verhältnis zum Freier behandelt werden. Ihr Opferstatus manifestiert sich in ihrer psychischen Struktur; denn es wird verwiesen auf die „Reinszenierungen (meist unbewusst) der frühen Misshandlungs- und sexuellen Missbrauchserfahrungen aus der Kindheit, also sich erneut zum wehrlosen Opfer machen und dabei erneut zu dissoziieren, d. h. mit der Wahrnehmung aus der Realität aussteigen und es über sich ergehen lassen, um nicht Schmerz, Angst und Ekel, Benutzt werden und Entwürdigung spüren zu müssen“ (Gutachten Besser: 3).

Zudem wird die Entscheidungsfähigkeit erwachsener Menschen in Frage gestellt: „Nach Studien ist es nicht auszuschließen, dass viele Frauen in der Prostitution frühe Missbrauchserfahrungen haben. Ein Bild aus meiner Praxis: die Arme einer Prostituierten übersät mit Schnittwunden aus der Jugend. Ich bin der Meinung auch bei diesen Frauen kann man nicht von Freiwilligkeit reden, denn es stellt sich die Frage, ob sie ohne diese frühe Missbrauchserfahrung überhaupt in der Prostitution arbeiten würden.“ (Gutachten Heide: 9)

Dem Freier wird ein Täterstatus zugeschrieben. Dieser basiert auf der abstrakten Zentrierung auf die Penetration. Das was ‚würdig‘ ist, kritisiert zu werden, was es verdient, festgehalten zu werden, die wesentliche Form des Aktes, ist die Penetration. Immer wieder wird nämlich auf die falsche, moralisch verwerfliche, perverse Penetration ‚in alle Körperöffnungen‘, die multiple Penetration im Gangbang, die Penetration der Schwangeren oder die Penetration ohne Kondom verwiesen (vgl. Gutachten Heide: 2, 7; Fogt: 8; Breymaier: 2). Das identifizierte Problem ist dabei die Nachfrage der Freier. Das Verhältnis der beiden Figuren – die Prostituierte ‚an sich‘ und der Freier – zueinander ist vermittelt durch Sex als Penetration. Diesem Sex, charakterisiert als ‚pervers‘ steht der moralisch gute Sex gegenüber, der als solcher gewisse Kriterien erfüllen muss, um als ‚gut‘ zu gelten: die Subjekte müssen ‚rein‘ sein – geistig/seelisch (Gegendarstellung: Pornographisierung) als auch körperlich (Gegendarstellung: Fäkalienspiele und Geschlechtskrankheiten). Die Kritik der Prostitution als unmoralisch basiert auf der Gesellschaftsdiagnose einer Pornographisierung. „[K]önnte es nicht sein, dass v.a. Männer der Droge Sex, gefördert durch Pornoindustrie und Porno-Konsum erliegen und abhängig werden und häufig Sexsucht bereits entwickelt haben und so immer mehr Männer aller Altersgruppen diese Sucht emotionslos mit steigendem Suchtdruck (‚craving‘) bei und an Prostituierten ausleben ‚müssen‘?“ (Gutachten Besser: 4)

Eine ‚ursprüngliche‘ Sexualität also wird – in dieser Argumentation – von Pornographie zum Schlechten hin überformt. Adolf Gallwitz, Professor an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg, verwies in seinem Vortrag auf der Tagung

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„Männersache Frauenhandel“ auf eine zunehmende Sexualisierung der Gesellschaft, bedingt durch Werbung – seiner Aussage nach etwa evident im Werbeslogan „Just do it“ von Nike – und durch umfassende Verfügbarkeit von Pornographie insbesondere im Internet. Beides schließt an eine, insbesondere in den sozialen Netzwerkmedien virulente, auf Selbstoptimierung zielende Problematisierung von Masturbation an, die teils säkular (vgl. nofap.com), teils religiös (vgl. fightthenewdrug.org) ausgerichtet ist. Der Sucht nach Pornographie und Masturbation wird dort mit dem Vokabular der 12-Step Programme60 entgegengetreten. Im SD wird nun Pornographie zur ‚Einstiegsdroge‘, die in die Sexsucht mündet, welche den Süchtigen wiederum zur Prostituierten treibt. Kennzeichnend für diese Sucht ist das Emotionslose (vgl. Gutachten Besser: 4). Hierin findet sich eine Gegendarstellung zur ‚guten‘ Sexualität des auf Schutz fokussierten Diskurses. Die ‚ursprüngliche‘ ‚moralische‘ Sexualität ist jene, die mit dem Code des Gefühls, der Emotionen operiert. Im Suchthaften weicht das Gefühl dem „craving“, dem Verlangen, dem Triebhaften, dem Unzivilisierten. So ‚umnebelt‘ agiert der Freier rücksichtslos bis brutal, „den rücksichtsvollen einfühlsamen Freier gibt es nicht“ (Gutachten Heide: 5) Diese emotionslose Sexualität des cravings führt zur Nachfrage nach Prostitution, verbleibt aber nicht in dieser Sphäre. Denn das getriebene Verlangen verdunkelt den Blick auf das andere Subjekt – es wird zum Objekt der Begierde, zu einer Schablone. Und dieser – männliche – Blick bleibt verdunkelt. Alice Schwarzer verdichtet diese Vorstellung in ihrer Überschrift „Das Problem ist: Der Blick der Freier gilt allen Frauen“. Und weiter schreibt sie: „Rund drei von vier Männern sind Freier. (…) Ihr Begehren, ihr Blick auf Frauen, ihr Verhältnis zu Frauen wird zutiefst geprägt von der Erfahrung der Käuflichkeit einiger. (…) Selbst die Männer, die es nicht tun, wissen, dass sie es tun könnten.“ (EMMA, Mai/Juni 2003; zitiert nach Mitrović 2007: 110). Die Erfahrung von ,Macht‘ perpetuiere den gesamtgesellschaftlichen Sexismus. Diese Argumentation, wie die visuell codierte Sprache, findet sich auch 1994 im Kontext der „PorNo“ Kampagne (vgl. Schwarzer 1994), die man wahlweise als ‚Original‘- oder ‚Vorgänger‘Kampagne bezeichnen könnte. Auch hier wird argumentiert, dass aus der prinzipiellen Verfügbarkeit von Frauenkörpern – sei es medial vermittelt in der Pornographie oder unvermittelt-konkret in der Prostitution – ein gesellschaftlicher Sexismus erwächst (vgl. Schwarzer 1994: 43). 60 Bereits in den 1970er Jahren sollen Mitglieder der Alcoholics Anonymous ihr Wissen in Bezug um ihre Alkoholsucht auf ihr sexuelles Verlangen übertragen und dieses als krankhaft ausgedeutet haben. Die geteilten Erklärungsmuster sowohl für Alkoholismus, als auch für Pornographie-Sucht geben zumindest Hinweise darauf. Der starke Konsum von Pornographie und Masturbation wird als unbefriedigend erachtet, denn dieser bringt keine wahre Befriedigung, sondern entfremdet die Personen von ‚normalem‘ Sex. Eine Fokussierung auf eine scheinbar ausgeglichene Sexualität in einer heterosexuellen Beziehung dient als Ausweg und Heilung von der Fixierung auf pornographische Inhalte und dem ‚einsamen‘ Sex (Voros 2009: 244).

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Der Freier sei also Ergebnis einer pornographisierten Gesellschaft. Und er wirke in der Quantität wie in der Qualität seiner Nachfrage schädlich. Zuerst zur Quantität: „Ohne ihn, den Käufer, gäbe es keinen Prostitutionsmarkt“ (Schwarzer: 2013: 10). Prostitution als Markt sei reguliert durch die Nachfrage, die das Angebot bestimmt. Explizit wird dies beispielsweise in der Äußerung Leni Breymaiers zur Prostitution von Schwangeren: „Auch Sexpartys mit Hochschwangeren scheinen für bestimmte Männer ein besonderes Vergnügen zu sein, für das sie viel Geld zu zahlen bereit sind. In der Prostitution ist keine Perversion zu stark, um nicht auch nachgefragt und gelebt zu werden. Ein Teil der schwangeren Prostituierten wird zu Spätabtreibungen ins Ausland geschickt, ein anderer Teil der Schwangeren bekommt hier die Kinder, lässt sie in der Klinik zurück um wieder schwanger zu werden und den pervertierten Markt in der Prostitution zu bedienen“ (Gutachten Breymaier: 5)

Die Nachfrage der Freier bestimmt den ‚pervertierten‘ Prostitutionsmarkt maßgeblich, das zeigt auch die Berichterstattung zur Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland (Ihme 2006). Insofern wird er in die Verantwortung gesetzt. Zugleich ist er nämlich prinzipiell besserungsfähig. Parallel zur Figur der ausgestiegenen Prostituierten existiert die Figur des ehemaligen Freiers, der seine Taten bereut und sich gegen das ‚System Prostitution‘ wendet (vgl. Schwarzer/Louis 2013: 43ff.). So eröffnet sich ein weiteres Betätigungsfeld. Qualitativ manifestiert sich die triebhafte Sexualität in einer ‚perversen‘ Nachfrage. Das ‚Perverse‘ ist dabei eine unbestimmte Chiffre. So ist die Rede von „absolut perverse[n] und z.T. mit Gewalt durchgesetzte[n] Forderungen von ‚Kunden‘“ (Gutachten Besser: 3). In dieser Formulierung wird klar, dass eben nicht die Art und Weise des Umgangs mit der Prostituierten – etwa gewalttätig – das Perverse sei, sondern dass dieses dem sexuellen Akt innewohnt und – es sei an den Beginn der Analyse erinnert – sich auf den Modus der Penetration bezieht. Auch wird eine Extremisierung der nachgefragten Praktiken unterstellt (vgl. Gutachten Breymaier: 2), was eben eine normale Mitte – die in den Codes des Gefühls agierende, nicht perverse Sexualität – unterstellt. Diese perverse, extreme Nachfrage umfasst unter anderem „den Freier ohne Kondom oral zu befriedigen, in jede Körperöffnung penetriert zu werden, gewürgt zu werden, als Toilette dienen zu müssen und ähnliches.“ (Gutachten Breymaier: 2) „‘Sie scheißen den Frauen in den Mund.‘ Es ist unfassbar, was die Frauen sich bieten lassen müssen.“ (Protokoll 18/64: 32; Redebeitrag Breymaier) Auch die Idee einer Konsum-Spirale – der Konsum stumpfe ab und man brauche stärkere, ‚extremere‘ Reize – wurde 1994 rezipiert (Schwarzer 1994: 45). Prostituierte und Loverboy Die zweite Konstellation fasst das Verhältnis von Prostituierter und Loverboy. Letzterer ist der Fluchtpunkt der „Pro-Prostitutionsfront“ (Schwarzer 2013). Der so verunglimpfte Autonomiediskurs ermögliche die Tätigkeit des Loverboys und

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nehme ihn in Schutz. So wird der Loverboy im Schutzdiskurs als moralische Messlatte konstruiert, an dem sich der AD messen lassen muss. Das Verhältnis der Prostituierten zum Loverboy basiert auf der finanziellen Gier des, in der Regel, osteuropäischen Mannes. Dieser bediene sich der mit spezifischen, noch auszuführenden Attributen versehenen Frau als ‚Ware‘ (vgl. Gutachten Besser: 1). Diesem Vorgehen leiste das ProstG insofern Vorschub, als dass es sich bei Deutschland mittlerweile um das „‚Superbordell‘ Europas“ (ebd.) handele. Nun zur (ost)europäischen Prostituierten im Gegensatz zur Deutschen, psychisch Geschädigten: Diese stamme, als Opfer des Loverboys, aus dem Osten Europas, aber auch der Süden spiele eine Rolle (vgl. Gutachten Breymaier). Hierbei scheint das Jenseits der Mitte Europas als ‚Eins‘. Leni Breymaier spricht so z.B. von der in Osteuropa üblichen Loverboy-Masche deren Opfer ‚kindhafte‘, nicht aufgeklärte junge Frauen seien, die mit ‚unseren‘ Jugendlichen nicht zu vergleichen seien (ebd.: 1), andererseits spricht sie von südosteuropäischen, hauptsächlich minderbegabten oder mindergebildeten, Frauen (ebd.: 3) und weiter davon, dass ein Großteil der Prostituierten aus den „ärmsten Regionen Südeuropas“ stamme (ebd.: 4). Alle drei Regionen werden so zusammengefasst, dass sie und die dort lebenden Frauen als ungebildet, arm, naiv und eben nicht ‚westlichen‘ Standards zu entsprechen erscheinen. Die Figur der Zwangsprostituierten, die die aktuellen Debatten maßgeblich prägt, war, wie bereits in Kapitel 1.1 erläutert, schon zu Zeiten des white slavery Diskurses im Abolitionismus eine prominente Deutungsschablone. „Der moderne Mädchenhandel hängt aufs innigste mit dem Bordellwesen zusammen. Man kann den Satz aufstellen: ohne Bordelle kein Mädchenhandel. Und dieser letztere beweist eben die wachsende Unbeliebtheit der Bordelle bei den sich prostituierenden Frauen, die das freie Leben vorziehen. So wird es für die Bordellbesitzer immer schwieriger, Insassinnen zu bekommen, und der internationale Mädchenhandel soll die immer größer werdenden Lücken in der Zahl der Bordellmädchen ausfüllen. Der moderne Mädchenhandel wird heute fast ausschließlich vom Osten aus betrieben.“ (Bloch 1909: 377). „Die überwiegende Anzahl der Prostituierten sind – nach Schätzungen – zu 90 Prozent osteuropäische Frauen. Ich möchte sagen, es sind junge Mädchen, 18-jährige Mädchen häufig, die in Bordellen arbeiten. Sie können nicht stigmatisiert werden; sie haben kein eigenes Leben, sie leben nur in den Bordellen. Sie werden von einem Bordell ins andere gefahren und tauchen völlig unter.“ (Protokoll Nr. 18/64: 27)

Zwischen den beiden Veröffentlichungen liegen rund 105 Jahre und dennoch überschneiden sich auf den ersten Blick Argumentationsmuster und Deutungen der Prostituierten, als besonders „jung“ respektive „Mädchen“, als aus dem „Osten“ stammend, eine gewisse Unfreiheit, die die Frauen als „Insassinnen“ oder ohne „eigenes Leben“ kennzeichnet und den ‚Unglücksherd Bordell‘. Alle Attribute deuten auf die Unbedarftheit und Naivität der Frauen hin, die durch die Verkörperung des Bordellbesitzers, Zuhälters oder Menschenhändlers ausgenutzt wird. Die Deutung der initialen Aufnahme der Prostitution als Täuschung und unter

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Vorspiegelung falscher Tatsachen durch Dritte war schon zu Zeiten des white slavery Diskurses eine allgegenwärtige Auslegung. Das unschuldige Mädchen, das unter falschem Vorwand gelockt wird, diente damals wie heute als Figur. Zum einen wird durch die aktuelle Erzählung an die Rede vom, durch den Sozialismus, verrohten Osten angeschlossen, gleichzeitig aber werden zwei weitere Gefahren-Diskurse im Bereich des Sexuellen adressiert. Zum einen wurde der Loverboy 2010/2011 diskursiv verhandelt, als ein zuerst eher in den Niederlanden angesiedeltes Phänomen, bei dem Schulmädchen, aus der ‚Mitte der Gesellschaft‘, von jungen, gut aussehenden Männern, z.B. Marokkanern, verführt und zur Prostitution gedrängt werden würden (vgl. beispielhaft Krahe 2010). 2011 veröffentlichte „Bild“ eine Serie zum Thema „In den Fängen der Loverboys“ (Bild 2011) und 2013 widmete sich die ARD mit „Schimanski“ dem Thema (vgl. ARD 2013). Auch existiert in Deutschland ein, von der ehemaligen Kriminalbeamtin Bärbel Kannemann (vgl. Deutschlandradio Kultur 2010) initiierter Verein namens „No Loverboys“. Bei diesem Diskurs lassen sich deutliche Parallelen zum zeitlich vorgelagerten Diskurs um white slavery ausmachen: beide lassen sich als Gefahrendiskurse bezeichnen, die ein elaboriertes Täternetzwerk unterstellen, das Bild eines kindlichen, unschuldigen Opfers zeichnen, sich auf personalisierte Berichterstattung konzentrieren und eine ethnische Codierung aufweisen. Zweitens wird durch die Hervorhebung der Kindhaftigkeit, des jungen Alters, der Unkenntnis von Sexualität, der Naivität eine Nähe zur Sexualität mit Kindern hergestellt. So heißt es etwa: „Sehr junge, kindlich aussehende Frauen, so genanntes ‚Frischfleisch‘ sind bei Freiern besonders beliebt“ (Gutachten Breymaier: 1). Argumentiert über eine ‚andere, unzivilisiertere Kultur‘ wird so erwachsenen, „jungen Frauen“ (Gutachten Breymaier: 2) ihre Entscheidungsfähigkeit abgesprochen. Somit erscheint die Prostituierte ungeachtet ihrer Herkunft im Prostituiertenschutz-diskurs – wie der Name schon erwarten lässt – als passives Subjekt, das, da es selber nicht entscheidungsfähig ist, bzw. die Konsequenzen der Entscheidungen nicht absehen kann, vom Staat beschützt, also beaufsichtigt, werden muss. Gleichzeitig aber wird durch die Imagination des Ostens als unzivilisiert die Prostituierte als Trägerin von Geschlechtskrankheiten zum riskanten Opfer. Diese Denkfigur bedient beispielsweise Leni Breymaier: „Darüber hinaus arbeiten seit der EU-Osterweiterung tausende von Frauen aus den Hochprävalenzländern (Länder mit den typischen sexuell übertragbaren Infektionen) im deutschen Prostitutionsmarkt. Seitdem stellen wir eine Zunahme sexuell übertragbarer Infektionen fest.“ (Gutachten Breymaier: 4). Zugleich stelle Prostitution, meist manifestiert in der Person der Prostituierten – auch der Deutschen –, eine moralische Gefahr dar. Diese kommen in der Adressierung von „Sicherheitsaspekten und dem Schutz der Allgemeinheit vor sozial unverträglichen oder jugendgefährdenden Auswirkungen der Prostitutionsausübung“ (Gutachten Fogt: 2) zum Ausdruck (vgl. auch

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Gutachten Thuesing: 13). Andererseits gefährde die ‚Sexindustrie‘ ‚unseren Anstand‘ bis hin zu ‚unserer Beziehungsfähigkeit‘ (Gutachten Besser: 5). Dies bedient die Konstruktion eines zivilisierten – sauberen, hygienischen, nicht-sexistischen – und errettenden ‚Wir‘ über die dargelegte Anti-Konstruktion der Peripherie Europas. Die ‚deutsche Prostituierte‘ wird nun gemäß der Logik des ‚Wir‘ mit Hilfe der Psychologie an den Rand des Normalen gedrängt. 7.3.2 Sexualmoral Wurde der Begriff der Moral bereits diskutiert, soll an dieser Stelle erneut auf den Konstruktionscharakter verwiesen werden. Weiterhin lässt sich festhalten, dass die Abwesenheit einer allgemein verpflichtenden moralischen Ordnung in der Moderne mittlerweile eine „communis opinio“ (Luckmann 1998: 30) darstellt. Luckmann schließt sich nun weder Durkheim – drohende Anomie – noch Geiger – Spiritualisierung der Moral – an, sondern verweist auf verschiedene Moralen und moralische Kommunikation, einmal als massenmediale Angebote von Moralunternehmern und zweitens das kreative, (um-)deutende Aufgreifen dieser durch Einzelne (ebd.: 31). Moral ist in diesem Kontext eine Bewertung auf Basis einer Gut – Böse Dichotomie, die in sozialer Achtung oder Ächtung mündet. Gegenstand dieser implizit und explizit möglichen Bewertung können Handlungen, Biographien, Individuen und kollektive Personen (ebd.) sein. Auch soll noch einmal der Aspekt der Verrechtlichung von Moral in Erinnerung gerufen werden: „Verrechtlichung bedeutet, daß Funktionssysteme durch abstrakte, schriftlich fixierte und für alle Mitglieder einer Gesellschaft verbindliche Normen reguliert werden“ (Berger/Luckmann 1995: 37). Recht nimmt den Status einer „Zivilreligion“ (Berger 1997: 584) ein. Weiter gehen wir davon aus, dass Bereichsmoralen und private Moralen (Berger/Luckmann 1995: 29) über den Weg der Verrechtlichung einen Anspruch auf Hegemonie gegenüber anderen Moralen erlangen können, unabhängig von der Anwendungsebene. Diese Tendenz zeigt sich z.B. in der Strategie, die Gegenposition als eine Randnotiz abzutun, um sie nebensächlich erscheinen zu lassen. Insofern stellt sie dann keine Gegenposition mehr da, da sie etwas anderes betrifft: „Nein, die freigewählte körperliche Liebe, will keiner von uns einschränken. Wohl aber kann für wirksame Regelungen, um die sexuelle Ausbeutung von Frauen zu erschweren und sie besser zu schützen, politisch noch einmal gerungen werden.“ (Gutachten Besser: 2; vgl. auch Gutachten Breymaier: 2f. sowie Gutachten Rudat: 2) Zentrale Strategie der Form moralischer Kommunikation im SD stellt das schon eingeführte Moralisieren dar. Diese Strategie zielt darauf, dass „das eigene Problemmuster vielleicht nicht als die einzig vorstellbare, aber doch als die einzige

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öffentlich kommunizierbare Deutung des betreffenden Sachverhaltes“ gilt (Schetsche 2014: 132). Im Endeffekt soll – graduell gedacht – lediglich eine Deutung sagbar sein und so wird eine Verbindlichkeit hergestellt, die Vertreter abweichender Deutungen ausschließt, bzw. allenfalls als Randfiguren erscheinen lässt. Auch die gerade diskutierten Autoren Berger und Luckmann besetzen den Begriff des Moralisierens als die formale Bearbeitung bestimmter ethischer Probleme in bestimmten Handlungsbereichen. Als Beispiele werden „medical ethics“ und „business ethics“ angeführt (Berger/Luckmann 1995: 37). Eine solche Ausgestaltung engt die Perspektive ein, zielt sie eben nicht auf eine umfassende Sinnordnung ab, folgt aber derselben Grundidee. Es soll, hier manifest durch die Formalität des Systems und die Orientierung auf eine ‚Lösung‘, in einer bestimmten Sache nur ein Deutungsrahmen zulässig sein. Dieser Anspruch expansiver Gültigkeit – ob er sich formal und im Alltagshandeln durchsetzt sei dahingestellt – ist für uns der zentrale Punkt des Konzeptes des Moralisierens, welches auf ein kommunitäres Verständnis von Staat zielt. Wie im vorhergehenden Kapitel dargestellt, konstruiert der auf Schutz fokussierte Diskurs die Prostituierte als Andere. Zentrales Moment ist das Prostitutionsgesetz, das den Einbruch ‚des Ostens‘ in das Milieu begünstigt hat. Somit wird die Dichotomie von Ordnung, als gut, und Chaos, als schlecht, diskursiv bemüht. „Schauen wir uns einmal die Ergebnisse des rot-grünen Prostitutionsgesetzes an: Sicherheit und Schutz? Fehlanzeige! – Bessere Arbeitsbedingungen? Fehlanzeige! – Selbstbestimmung der Prostituierten? Fehlanzeige! Nein, weniger als 100 Prostituierte sind in Deutschland sozialversicherungspflichtig angestellt. Stattdessen haben wir es mit Elend, Ausbeutung und Armut zu tun. Das werden wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf endlich angehen.“ (BT-Drs.: 18/173: 17005, Redebeitrag: Weinberg CDU/CSU)

An andere Stelle ist von einem „enthemmten Markt“ die Rede, der reguliert werden muss (BT-Drs.: 18/173: 17011, Redebeitrag: Pantel CDU/CSU). Dieser vorgängige Zustand wird so dramatisiert. „Das Dramatisieren bzw. Skandalisieren sozialer Probleme erzeugt an die Problembeschreibung und -bewertung gebundene Affekte, die zu Handlungen mobilisieren. Eine typische Art zu dramatisieren ist das Darstellen einer nicht fassbaren Anzahl Betroffener, was suggeriert, das Problem sei unvorstellbar groß. Auch eine selektive Auswahl besonders drastischer Beispiele evoziert moralische und politische Empörung. Eine weitere Form der Dramatisierung ist die Dichotomisierung von Schuld. Ursache und Wirkung werden mit ‚gut‘ und ‚böse‘ moralisch aufgeladen, und die Verantwortlichkeit wird personalisiert, der absolut schuldige Täter steht dem völlig unschuldigen Opfer gegenüber.“ (Seifert 2014: 52)

Hier wird das Gefühl beschworen ‚Das ProstG war ein Fehler, jetzt tut sich was und das ist gut‘. Die Hervorhebung der Unordnung der Verhältnisse, etwa als „Bordell Europas“ (BT.-Drs. 18/173: 17011; Redebeitrag: Pantel CDU/CSU) soll Empörung hervorrufen und verlangt moralischen Zuspruch.

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Neben diesem moralischen Anspruch der Legitimität und Dringlichkeit des Problems wird im Diskurs eine Sexualmoral konstruiert bzw. rezipiert und als moralisch gut in Gegensatz zu einer ‚perversen‘ Sexualität gesetzt. Zum einen lässt sich aus den Dokumenten des Diskurses eine bestimmte Sexualmoral konstruieren, allerdings findet sie sich auch in anderen Dokumenten, weswegen eine übergeordnete gesellschaftliche Sexualideologie anzunehmen ist. Diese schlägt sich, u.a. diskursiv vermittelt als Wissenssphäre des Sexuellen im Einzelbewusstsein nieder (vgl. Berger/Luckmann 2010). Als Metaphern der Sexualmoral fungieren im SD die Rede von der Bockwurst und die Kritik an sogenannten Verrichtungsboxen. Die Kombination von „Bockwurst, Getränke[n] und Frauen“ (Gutachten Besser: 5) soll die Unanständigkeit der Prostitution betonen. Dabei werden Ernährung und Sexualität – beides populär als ‚Triebe‘ gedeutet, beide erlebbar als Profan und Erhaben – in eins gesetzt, um die angebliche Absurdität dieser gleichen Einordnung zu betonen. Ließe sich beides, Fleischkonsum und Prostitution, im Zuge einer umfassenden Kapitalismuskritik als unethisch kritisieren, so wird eine solche eben nicht artikuliert. Vielmehr wird die Bockwurst als ‚einfaches‘ Essen (vgl. Bourdieu 1982: 299ff.) zum Profanen, die ‚richtige‘ Sexualität dagegen zum Erhabenen, ja zum Sakralen, in dem Sinne als dass Sexualität ein zentraler Punkt des Seins sei (vgl. Foucault 2012; Goffmann 1971); eine Vorstellung die auch der Schutzdiskurs adressiert, etwa wenn nach der Prostitution keine ‚normalen‘ Beziehungen mehr möglich seien (Gutachten Heide: 5) oder von „Seelenmord“ (Gutachten Besser: 5) die Rede ist. Auch die Verrichtungsboxen entkleiden die Sexualität aller ‚erhabenen‘ Inszenierungen. Sie werde zum profanen Trieb, vergleichbar etwa mit Massentierhaltung, die eben auch einer sakralen Erfahrung des Essens im Wege steht, wie die Debatten um Gourmet, Bio Slow- und Biofood konstatieren. Das Spiel der Erotik und die Verbindlichkeit der Romantik weichen dem beinahe fordistischen Bild der Verrichtungsbox – welches aber auch die Seite des kapitalistischen Hedonismus beinhaltet. Es ist damit aus einer Logik der Heiligkeit des Sexes (Lautmann 2002: 288) wie auch aus einer Logik der Abwertung der Lust heraus (Davis 2002: 264) abzulehnen. In diesem Modell des Denkens von Sexualität lassen sich verschiedene Subjektpositionen und Konstellationen derer zueinander ausmachen, die durch Verweise auf andere Diskurse oder machtvolle Sprecherpositionen – etwa Arzt – einen affektiven Gehalt in den Diskurs einflechten. Empörung, Ekel, Wut und Mitleid sollen geweckt werden und so eine Handlungsmotivation erzeugen. Diskurse auf dieser Ebene – es sei an die Metapher der Lupe in Kapitel 5.1.1 erinnert – enthalten „affektive Bestandteile: Textpassagen, rhetorische Figuren und Metaphern, aber auch Fallbeispiele und Bilder (im direkten wie im übertragenen Sinne) sind so gestaltet, dass sie beim durchschnittlichen Rezipienten über die kognitive Beschäftigung mit dem Thema hinaus auch eine emotionale ‚Betroffenheit‘ auslösen. Ziel solcher Bestandteile ist es, bei jeder Konfrontation mit

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7. Der auf Schutz fokussierte Diskurs dem entsprechenden Problem – sei es in der medialen Berichterstattung oder im realen Alltag – verschiedenste Affekte auszulösen, welche das Denken und Handeln im Sinne des Problemmusters beeinflussen.“ (Schetsche 2014: 119)

Gleichzeitig sind diese Subjektpositionen so allgemein, dass sie den Bereich der Teilmoral verlassen. Durch die Betitelung des Gesetzes wird der Geltungsanspruch expliziert: der gesellschaftliche Bereich der Prostitution. In diesem Bereich gilt das Gesetz juristisch. Die Subjektpositionen und -konstellationen des Diskurses sind jedoch allgemeiner ausgestaltet, werden nicht ausschließlich juristisch rezipiert und stellen so Anti-Modellsubjekte bzw. -konstellationen dar, wodurch sich der moralische Geltungsanspruch über die Sphäre der Prostitution hinaus in ‚das Sexuelle‘ ausbreitet. Unterschieden werden diskursiv entworfene Subjektpositionen (Keller 2011b: 235), und Konstellationen, die auf den Akt, als Anordnung mehrerer Körper, und nicht die Akteure abzielen. Auf der Seite der Konstellation finden sich jene, die auf die Häufigkeit abzielen: die Flatrate- und die Gangbang-Konstellation. Beidem liegt die Idee einer Normalverteilung zu Grunde. Flatrate zielt auf die regelmäßige, erhöhte Häufigkeit der Geschlechtspartner über eine gewisse Dauer hinweg – etwa ein Arbeitstag – ab. „Welche Frau lässt aus freien Stücken, selbst für Geld, 10-15 mal pro Tag zahlreiche fremde Männer in irgend eine Körperöffnung eindringen, am besten noch in einem ‚Flatrate-Bordell‘“ (Gutachten Besser: 4). Gangbang bzw. Sexpartys zielen auf die Häufigkeit der Partner zu einem bestimmten Zeitpunkt ab. Von beidem gibt es ein ‚zu wenig‘, ein ‚normal‘ und ein ‚zu viel‘, wie die doppelte Setzung der Ausrufezeichen im Gutachten Heide zeigt: „Gang Bang Partys: eine Frau und 30 (oder mehr) Männer!!“ (Gutachten Heide: 2) Aber die diskursiv beschworene Gangbang-Konstellation adressiert weiterhin die Art des Vollzuges. Auch zur Konstellation des Vollzugs lässt sich die ‚perverse Nachfrage‘ rechnen. Das Verhältnis von Körperteilen, -öffnungen und -flüssigkeiten zueinander möge ‚normal‘ sein, nicht nur die Menge. Die zu Grunde liegenden Vorstellungen einer Extremisierung des Sexuellen durch eine Pornographisierung wurden in Kapitel 7.3 diskutiert. Hier herausgestellt werden soll, dass bestimmte Praktiken – der Einbezug von Urin oder Fäkalien, Analsex, Atemkontrolle oder ein rauer Umgang (vgl. Gutachten Breymaier: 2; Gutachten Heide: 5) – als moralisch verwerflich markiert werden. Auch die Figur der schwangeren Frau zielt auf beides – Häufigkeit und Art des Vollzugs – ab und ist im Allgemeinen vor „der Prostitution zu schützen“ (Gutachten Besser: 6). Zum einen ist von Gangbangpartys mit Schwangeren die Rede – genau wie von den anderen schon angesprochenen Aspekten: „Es gibt schwangere Frauen in der Prostitution. Schwangere Frauen werden im Internet nahezu „verhökert“. Man muss sich das einmal vorstellen, es gibt Annoncen – der SWR hat das recherchiert – 30 Euro für „Gang-Bang“-Partys mit einer schwangeren inklusive Getränke. In Stuttgart

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gibt es Angebote für eine Frau mit Bratwurst und Bier zu 25 Euro.“ (Protokoll 18/64: 14 Redebeitrag: Heide)

Somit wird wieder die dyadische Sexualität zur Norm erhoben, als auch eine komplexe Struktur im Hintergrund wirkend unterstellt wird. Zudem wird die soeben diskutierte ‚perverse Nachfrage‘ angesprochen. Beide Zitate – dieses und das folgende – adressieren eine Marktkonstellation, die der schwangeren Prostituierten einen höheren Wert zugesteht, als einer nicht-schwangeren. Auch wenn es keine verlässlichen Zahlen über das Ausmaß an Prostitution gibt und so schon gar nicht am Anteil von Schwangeren, scheint es bezeichnend zu sein, dass „Lucky123“ am 10.07.2016 im Huren-test-forum feststellt, dass im bayrischen Raum keine schwangere Prostituierte zu finden ist (Forum 1). Und auch „mom87“ berichtet von ähnlichen Schwierigkeiten im Kölner Raum eine „Frau mit Muttermilch“ zu finden (Forum 2). Bei einer Anfrage nach schwangeren oder stillenden Frauen bundesweit wird auf eine Frau in Wuppertal und eine Frau in Hannover verwiesen (Forum 3). So scheint zumindest aktuell das unterstellte Angebot nicht auffindbar. Ebenso wird der Sex mit Schwangeren medizinisch problematisiert: „Abgesehen von Infektionsgefahren mit Geschlechtskrankheiten aller Art und Verletzungsgefahren ist der Stress und die emotionale Situation der schwangeren Prostituierten bei der Ausübung von Sex am Fließband absolut schädlich für die Entwicklung des Kindes im Mutterleib. Studien über pränatalen Stress weisen auf die Entwicklungsstörungen und Spätfolgen der betroffenen Kinder hin, von den Auswirkungen von Alkohol- und Drogenkonsum der Schwangeren mit entsprechenden gleich nach der Geburt sichtbaren Alkoholembriopathien und / oder Entzugssymptomen der Neugeborenen ganz zu schweigen. Also fürs Leben geschädigt! Und darüber hinaus, welche gesunde Frau würde schwanger selbst mit einem geliebten Partner 6-10 Mal in 24 Std. Sex haben wollen!? Es gibt aber einen Markt für Sex mit Schwangeren, der von den Profiteuren bedient werden will.“ (Gutachten Besser: 4)

So wird Prostitution mit Alkohol- und Drogenmissbrauch in eins und eine Norm der Häufigkeit der Lust auf Sex gesetzt. Der Berufsverband der Frauenärzte veröffentlicht dagegen: „Aus gynäkologischer Sicht ist gegen Sex in der Schwangerschaft nichts einzuwenden. […] Bis zum letzten Drittel der Schwangerschaft können die meisten Paare ihre persönlichen Vorlieben beibehalten. […] Der Wochenfluss kann zu Verunsicherung führen. Lange wurde Männern und Frauen geraten, in dieser Zeit Enthaltsamkeit zu üben. Besteht Lust auf Sex ist jede Sorge unbegründet, sprich die Gefahr von Infektionen auszuschließen. Wöchnerinnen haben im Intimbereich ebenso viele Keime wie jede andere Frau.“ (Lange-Ernst 2001)

Ohne medizinische Expertise zeigt diese Gegenüberstellung, dass es in Konflikt stehende medizinische Meinungen gibt, diese Tatsache aus den medizinischen Gutachten (Gutachten Besser; Gutachten Heide) aber nicht hervorgeht. Beide beziehen sich zur Legitimierung ihrer Sprecherposition auf die Medizin, verstoßen aber durch ihre einseitige Darstellung gegen die disziplinimmanenten Kriterien der Wissenschaftlichkeit, mit Blick auf Nachvollziehbarkeit und die Offenlegung des Erkenntnisprozesses.

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Die Rahmung als Frage des Schutzes und nicht der Sexualität entlastet davon, diese anderen Bereiche miteinzubeziehen. Medizin, Polizei und Kirchen sind weiterhin für die Regulierung der Prostitution zuständige Institutionen. Und zweitens zeigt sich die Glaubwürdigkeit der Polizei (vgl. 8.1) und der Medizin, finden die gerade diskutierten Argumente Einzug in das Gesetz (vgl. BT-Drs 18/8556: 67) ohne dass die Gutachten Quellen aufweisen oder der aktuelle wissenschaftliche Stand diskutiert werden muss. Auch der Kampf um die Besetzung der sexuellen Selbstbestimmung verweist auf die Deutungskämpfe, die darauf abzielen, bestimmte Positionen zu exkludieren oder zu inkludieren. „Wir brauchen diese Maßnahmen; denn es geht hier um nicht weniger als die Einhaltung von Grundrechten wie der sexuellen Selbstbestimmung, der persönlichen Freiheit und auch der Gesundheit. Deshalb ist es richtig, dass wir mit Geschäftsmodellen Schluss machen, die mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung unvereinbar sind.“ (BT-Drs.: 18/173: 17009; Redebeitrag: Reimann SPD)

Die „Würde“ der Frau wird an die sexuelle Selbstbestimmung gekoppelt und Prostitution trete diese Würde „mit Füßen“ (ebd.: 17016; Redebeitrag: Maag CDU/CSU). Hierin zeigt sich der Fokus des SD auf den Aspekt des Zwangs. Selbstbestimmung sei in der Prostitution de facto nicht möglich und beides – Würde und Selbstbestimmung – sind die Gegenspieler der perversen Nachfrage. Das Perverse ist das Gegenüber der Würde, die Nachfrage offenbart den Moment des (Markt-)Zwangs. Zusammenfassend lässt sich feststellen, das als Marker der Unmoralität im SD Folgendes gelten kann: Unsauberkeit, nicht-dyadische Sexualität/quantitativ ‚enthemmte‘ Sexualität, die Extremisierung des Aktes, die Risikolage des ungeborenen Kindes sowie die Psyche der Prostituierten. Das Gegenbild ist eine dyadische, kontrollierte, ‚gesunde‘ Sexualität in Maßen, die ungeborenes Leben und den eigenen Körper ‚achtet‘. Um es noch weiter zu verdichten: Sexualität sei emotional dyadisch-reziprok. Zwei Menschen sollen in eine wechselseitige Beziehung treten, die immer auch die Codes des Emotionalen bemüht. Das Emotionale ist dabei ‚natürlich‘ authentisch gedacht. Dieses Modell-Bild rekurriert auf die Familie, die auch Bezugspunkt der Vorstellung des Volkes als kommunitäre Volksgemeinschaft ist. Familienförderung meint, als Chiffre einer pronatalistischen Politik, eine Anreiz-Gesetzgebung, der das Bild der heterosexuellen Familie, als kleinste Einheit der Gesellschaft zu Grunde liegt (Sacksofsky 2017: 99f.). Heißt es etwa „Die Deutschen sterben aus“ (vgl. zu dieser „Krisenrethorik“ Sacksofsky 2017: 97f.), so würde – nehme man die Äußerung ernst bzw. wörtlich – daraus kein Anspruch staatlicher Intervention erwachsen: „Der Staat ist die Selbstorganisation eines Volkes; wenn es kein Volk mehr gebe, wäre der Staat überflüssig“ (Sacksofsky 2017: 101). Zumindest gilt dies für eine Demokratie, ein autoritär gedachter Staat kann dagegen gelöst vom Volk agieren. Dieses autoritäre Modell ist

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Anknüpfungspunkt konservativer Akteure. Eine Allianz von (Differenz-)Feminismus und Konservatismus wird möglich – eine Konstellation, ähnlich jener die sich in den 1970/80ern im US-amerikanischen Streit um Obszönität, Pornographie und Feminismus findet (vgl. Catuz 2013: 55ff.). Aus dieser Logik ergibt sich, dass die Familie, als legitimer Ort der Sexualität, zu schützen sei. Denn im autoritären Denken des Staates, darf der Staat von seinen Bürger*innen einen Beitrag zum Erhalt erwarten. Sexualität, die die Verortung selbiger in der Familie in Frage stellt, wird abgewertet. Wie sehr Beziehung und dann Familie mit Sexualität verknüpft ist, zeigen auch die Debatten um sogenannte Scheinehen – „Intimität, Romantik und Sexualität“ werden indirekten zu Indikatoren für eine ‚echte‘ Ehe (Markard 2017: 148). Ist die Sexualität ‚untypisch‘, ist die Frau etwa deutlich älter als der Mann, so resultieren daraus Zweifel an der ‚Echtheit‘ – aus der umgekehrten Konstellation nicht (ebd.: 145f.). Man kann also die aktuelle Richtung, die die deutsche Prostitutionsgesetzgebung einschlägt in eine Reihe stellen, einmal mit anderen deutschen Gesetzen und zweitens mit internationalen Gesetzgebungsbestrebungen. Als nationales Beispiel lässt sich die bis Sommer 2017 gesetzliche Benachteiligung der Lebenspartnerschaft nennen, die eben über die Reproduktionsfunktion der Ehe argumentiert wird (vgl. Lembke 2017: 181f.). International lassen sich u.a. Regulierungen bezüglich der weiblichen Ejakulation für im Vereinigten Königreich produzierte Pornographie (Hooton 2014), des diesmal nicht erfolgreichen Abtreibungsverbotes in Polen (Zeit Online 2016) und der Teilhabe von LGBTQ*-Paaren am öffentlichen Leben (Trump 2016) ausmachen. Und auch andere politische Entwicklungen verweisen auf das Erstarken eines autoritären, kommunitären Staatsmodells, bei dem der Staat zum einen als Verkörperung der Volksgemeinschaft und deren moralischen Ansprüche gilt, dann aber als Akteur den Abweichlern dieses Wir gegenübertritt. „Doch auch wenn das liberale Sexualitätsdispositiv zunächst den Möglichkeitsraum sexueller Lebensformen ausweitet […], so lässt es zugleich nicht alle Beziehungs- und Subjektivierungsmöglichkeiten im selben Maße zur Entfaltung und Vermehrung kommen.“ (Laufenberg 2016: 56) 7.3.3 Zur politischen Problembearbeitung Zuletzt geht es nun um den ‚Outcome‘ des SD. Das ProstSchG stellt die soziale Anerkennung eines gesellschaftlichen Problems dar. Es reiht sich zugleich in den Trend des Unsichtbarmachens von Prostitution ein. Der Zugriff der Polizei insbesondere auf prekäre Frauen(-körper) wird ausgeweitet (Ruhne 2008), indem die Definition von Prostitution ausgeweitet wird (vgl. BT-Drs.: 18/8556: 18; 58). Dadurch werden Menschen, die nicht in das ‚Milieu‘ eingebunden sind und sich

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7. Der auf Schutz fokussierte Diskurs

nicht als Prostituierte verstehen, illegalisiert. Auch erlaubt das Gesetz die räumliche Einschränkung der Anmeldung zur Prostitution durch die Länder (ebd.: 11). Da die Verantwortung für die Anmeldung auf Seiten der tätigen Person liegt, ist zu vermuten, dass die ‚illegale Prostitution‘ durch das Gesetz zunimmt. Zugleich werden die Überwachungs- und Zugriffsmöglichkeiten der Beauftragten der entsprechenden Behörden deutlich erweitert. Grundlage des Zugriffes sind lediglich Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass „eine Wohnung oder sonstige Räumlichkeiten oder ein Fahrzeug für die Erbringung sexueller Dienstleistungen durch eine Prostituierte oder einen Prostituierten genutzt wird.“ (ebd.: 25) Zusätzlich können an (öffentlichen) Orten die gemeinhin zur Ausübung der Prostitution genutzt werden, Personenkontrollen durchgeführt werden (ebd.: 24). Damit wird genau jener Mechanismus installiert, der im 19. Jahrhundert, über die Verdächtigung ‚anständiger Frauen‘ zur Formierung des Abolitionismus beigetragen hat. Alles in allem trägt das Gesetz dazu bei, Prostitution zu konzentrieren und zu marginalisieren: das Großbordell am Stadtrand ist die de facto begünstigtste Manifestation. Für Reformen, wie eben das ProstSchG in seiner skizzierten Form, spielt die Delegitimierung des Status quo eine zentrale Rolle (Heichel et al. 2015: 249). Der Prozess der Delegitimierung von Prostitution wird an verschiedenen Stellen dieser Arbeit nachgezeichnet und der Appell gegen Prostitution kann als Korrelat dieses Prozesses verstanden werden, da er die Freierbestrafung prominent als Forderung formuliert. Diese Maximalforderung trifft im Politischen auf eine eher liberale Ideologie61, die nicht zwangsläufig an Parteien geknüpft ist. Dodillet konzentriert sich zur Erklärung der differierenden Politik in der EU auf die Unterschiede einer kommunitären und einer liberalen Ideologie (Dodillet 2013). Erstere schreibt sie Schweden zu, letztere Deutschland, in beiden wird das Verhältnis des Einzelnen zum Wohlfahrtsstaat verhandelt. Dabei macht die liberale Sicht den Aspekt der Autonomie stark: „Die wichtigste Aufgabe des Staates ist nach diesem Prinzip die Voraussetzungen zu schaffen, dass Menschen wählen können, was sie selbst als moralisch richtige Lebensweise empfinden.“ (ebd.: 31) Dagegen adressiert die kommunitäre Sicht eine organische Gemeinschaft. „Nach dem kommunitären Prinzip hingegen steht der Staat für kollektive moralische Prinzipien und entscheidet, welche Lebensentwürfe erstrebenswert sind. Das gemeinsame Beste ist ein zentrales Kriterium […] Die Bürger bilden nach dieser Vorstellung eine kollektive Gruppe mit gemeinsamen Werten, der Staat repräsentiert nichts anderes als dieses Kollektiv.“ (ebd.)

Beides sind unterschiedliche Antworten auf die Fragen „‘Wer sind wir?‘ und ‚Wie sollen wir zusammenleben?‘“ (Berger 1997: 585) Somit muss der ‚neue Abolitionismus‘ mit den politischen Verbündeten einen Kompromiss anstreben – ein 61 Ideologie wird hier im Sinne einer ‚neutralen, deskriptiven‘ Konzeption verwendet, als ein abstraktes Deutungsmuster bzw. eine Verknüpfung mehrerer Deutungsmuster (vgl. MacKay 1998: 33f.)

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allgemeines Sexkaufverbot setzte sich auch als interne Forderung, sei es der Parteien oder Koalition nicht durch. Für die deutsche Moral-Politik lassen sich zwei Reformwellen ausmachen (Heichel et al. 2015: 243). Die zweite Reformwelle beginnt mit der Wiedervereinigung und hält bis jetzt – also mindestens 2015 an. Trotzdem „hat sich die Regulierung in den einzelnen Themengebieten über die vergangenen Jahrzehnte recht heterogen entwickelt.“ (ebd.: 245) Für die Entwicklung von Moralpolitiken schlagen Heichel et al. einen „Alterungseffekt“ (ebd.: 246) vor. „Insbesondere manifeste Moralpolitiken, die bereits seit mehreren Jahrhunderten gesellschaftliche Wertkonflikte auslösen [...] erfuhren eine komplette Liberalisierung.“ (ebd.: 245) Das ProstSchG stellt nun einen permissiveren Regulierungsansatz dar, als das ProstG – ein Alterungseffekt lässt sich also nicht bestätigen. Mit Blick auf Prostitution stellt man fest, dass die CDU/CSU zwar aus religiöser Tradition, argumentiert über eine gottgegebene Würde, für die Beibehaltung der Sittenwidrigkeit plädierte und vereinzelt noch plädiert (Dodilett 2006: 107f.). Trotzdem vertreten auch sie – in anderen Kontexten – ein liberales Gesellschaftsmodell. In der Prostitutionsfrage kommt es zu einer Kollision verschiedener Prinzipien, was sich lange Zeit vor dem ProstG, in einer schweigenden Toleranz der Prostitution gegenüber äußerte (vgl. ebd.: 109f.). Die deutsche Linke formulierte ihre Position wiederum in Opposition zu den konservativen Kräften Deutschlands (ebd.), wohingegen beispielsweise die schwedische Linke auf Machtanalysen des Differenzfeminismus rekurriert, die Prostitution als „Ausdruck für die wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft beschrieben.“ (ebd.: 102) So ist in Deutschland eine Allianz zwischen Linken und Konservativen unwahrscheinlicher als in Schweden. Der Staat als patriarchalischer Beschützer der unterdrückten Frauen, das ist jene Verbindung die das schwedische Modell ermöglicht und die auch jene deutschen Politiker*innen adressieren, die Prostitution als Zwang rahmen, ohne zugleich eine umfassende Kapitalismuskritik zu formulieren. Zugleich aber ermöglicht etwa der Verweis auf den „Wirtschaftsfaktor Prostitution“ (SZ 2000), die Überlagerung „moralischer Werte“ durch „ökonomische Interessen“ (vgl. Heichel 2015: 259). Die Maximalforderung der Freierbestrafung – nun im rivalisierend-zwischenparteilichen Kontext – steht im Politischen also einem liberalen Wohlfahrtsstaatsmodell und einer spezifischen Parteienkonstellation – der großen Koalition – gegenüber. Die Fokussierung auf Zwangsprostitution und die diskutierten Narrative stellen eine Möglichkeit dar, die neuen gesetzlichen Regelungen kohärent in ein liberales Modell zu integrieren.

8. Der auf Autonomie fokussierte Diskurs

Nachdem der Schutzdiskurs ausführlich dargestellt wurde, wird nachfolgend der auf Autonomie fokussierte Diskurs behandelt. Hierzu werden in Kapitel 8.1 die Akteure, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, vorgestellt. Anschließend werden die spezifischen diskursiven Ereignisse und Entwicklungen des Autonomiediskurses abgegrenzt (8.2). Der Autonomiediskurs, das wird im weiteren Verlauf der Ausarbeitung herausgestellt, befindet sich dem Schutzdiskurs gegenüber in einer reagierenden Position. Seine Wirkung ist dementsprechend begrenzt; dennoch bringt auch er je eigene Figuren, Subjektpositionen und Narrative hervor, die in Kapitel 8.3.1 und 8.3.2 besprochen werden. In Kapitel 8.3.3 wird die Expansion der Logik des Autonomiediskurses in die aktuellen Debatten um Sexualassistenz diskutiert. 8.1 Akteure des Autonomiediskurses Die Akteure des Autonomiediskurses rekurrieren im Gegensatz zum Schutzdiskurs auf die Idee selbstbestimmter Sexarbeit und kritisieren das ProstSchG als am namentlichen Ziel vorbeiführend. Es wird sich daher für eine differenzierte Betrachtungsweise der unterschiedlichen Situationen von Menschen in Prostitution ausgesprochen. Entsprechend der Heterogenität des Feldes setzen sich die Akteure des Autonomiediskurses divers zusammen und entstammen dabei vielfach aus dem ‚Milieu‘ selbst. Diese Diversität wird allerdings durch den Vorwurf der ‚Prostitutions-Lobby‘ anzugehören seitens des Schutzdiskurses infrage gestellt. Zunächst sind die Selbstvertretungen von Prostituierten und Betreiber*innen zu nennen. Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (BesD) nimmt im Gegensatz zum zweiten Bundesverband nur Sexarbeiter*innen und keine Gewerbetreibenden auf. Der BesD war als Expertin in der Anhörung 2016 mit Anja Kasten vertreten. Der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e.V. (BsD) wurde 2002 gegründet und ist ein Zusammenschluss von Betreiber*innen und selbstständigen Prostituierten. Der wohl älteste und heute noch aktiver Akteur ist Hydra e.V., ein autonomes Hurenprojekt, das bereits 1980 gegründet wurde. Nach dem Vorbild Hydras wurden andere Projekte initiiert, darunter Kassandra e.V., Nitribitt e.V. und Madonna e.V., alle Projekte werden zudem von öffentlicher Hand unterstützt. Dona Carmen e.V. ein Verein, der sich für soziale und politische Rechte von Prostituierten einsetzt, ist ein weiterer wichtiger Vertreter des AD und existiert seit 1998. Dona Carmen hat unter anderem den © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Hill und M. Bibbert, Zur Regulierung der Prostitution, Theorie und Praxis der Diskursforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26929-6_9

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8. Der auf Autonomie fokussierte Diskurs

Grundstein für eine Verfassungsbeschwerde zum ProstSchG gelegt und arbeitet derzeit an deren Umsetzung. Alle genannten Organisationen vereinen sich unter dem Dach von bufas e.V., das Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter. TAMPEP das „European Network for HIV/STI Prevention and Health Promotion among Migrant Sex Workers” wurde 1993 als Reaktion auf die zunehmenden Migrationsbewegungen von Sexarbeiter*innen und deren Probleme innerhalb Europas gegründet und agiert auch heute noch international, z.B. indem es Studien über die aktuelle Situation migrierter Sexarbeiter*innen erstellt. Ebenso wie der SD nutzt auch der AD die Expertise von Prostituierten, hierbei werden vor allem Undine de Rivière, eine Hamburger Sexarbeiterin, Johanna Weber, als Sprecherin des BesD sowie Stephanie Klee62, eine Berliner Sexarbeiterin und Sozialarbeiterin angeführt. Die Sprecherinnen des AD sind zumeist selbstständige Sexarbeiterinnen und als Dominas tätig, was von Seiten des SD kritisiert wird, da diese ‚normale‘ Prostituierte nicht vertreten könnten. Aus Sicht des AD sind die genannten Frauen jedoch ein Kennzeichen für die Heterogenität im Feld und die durchaus vorhandene Fähigkeit der Frauen aktiv und selbstbestimmt der Sexarbeit nachzugehen und keine Opfer der Umstände oder ihrer persönlichen Lebensgeschichte zu sein.63Der differenzierte Umgang mit den Themen Menschenhandel und Prostitution ist kennzeichnend für den AD. Die Trennung der Prostitution vom Menschenhandel mündet in Menschenhandelshilfsorganisationen, wie dem KOK – der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel, der mit der Vertreterin Andrea Hitzke zur Anhörung 2016 geladen war. In der Bundestagsanhörung vom 06.06.2016 zeigt sich weiterhin die Diversität des AD: Maria Wersig wird als Vertreterin des Deutschen Juristinnenbundes der juristischen Sphäre zugeordnet und Johanna Thie, Diakonie Deutschland, der beratenden Sphäre. Im Schnittpunkt der medizinischen und politischen Sphäre ist Claudia Zimmermann-Schwartz, die Vertreterin des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen, zu verorten. In beiden Diskursen fehlen Akteure aus dem Feld der homosexuellen Prostitution, die zumindest aktuell diskursiv keine Rolle spielen und dementsprechend auch kein Gehör finden.

62 Klee war zusammen mit Felicitas Weigmann bereits zur Einführung des ProstG aktiv. 63 Im SD gibt es im Gegensatz zum AD kein ‚eigenes Medium‘ wie die EMMA, das diskursiv derart Gehör findet, jedoch gibt es das Online Magazin menschenhandelheute.net, das gegen die Annahmen aus dem SD ‚anschreibt‘, seit einiger Zeit aber nicht mehr fortgeführt wird.

8. Der auf Autonomie fokussierte Diskurs

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8.2 Die Konturierung des Autonomiediskurses Der auf Autonomie fokussierte Diskurs befindet sich in einer zwiespältigen Position. Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis sind sich nahezu einig darüber, dass das ProstG zwar ein guter Anfang war, jedoch weiter auspräzisiert werden müsste, um den Lebensrealitäten und damit der Heterogenität im Prostitutionsfeld gerecht werden zu können. Hierzu zählt eine weitere Entstigmatisierung der Tätigen z.B. durch die Stärkung ihrer Rechte gegenüber Betreiber*innen, bessere gesundheitliche Versorgung durch niederschwellige Angebote und ein generelles empowerment gegenüber Kund*innen und Arbeitgeber*innen. Obgleich auch Medien über selbstbestimmte und selbstbewusste Prostituierte zu berichten wissen, wird diese Blickweise auf Prostitution zumindest im Gesetzgebungsprozess negiert oder überhört. Damit ist der AD dem SD mehrfach ‚unterlegen‘, denn einerseits konnte sich der SD gegenüber dem AD diskursiv durchsetzen, was sich unter anderem im neuen Gesetz offenbart und zweitens ist der AD in vielerlei Weisen in einer reaktiven Position. Versuche des AD, abseits des Reagierens, eigene Deutungen und Interpretation einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich und hörbar zu machen, wurden aktuell entweder nicht rezipiert oder bieten dem SD seinerseits eine erneute Möglichkeit zur Infragestellung der anderen Position. Im vorrangig untersuchten Zeitraum ab 2013 lassen sich als Schlüsselereignisse des AD fast ausschließlich Schlüsselereignisse des SD als Ausgangspunkte heranziehen, auf die der AD reagierte. So wurde der BeSD als Reaktion auf den vermeintlich gesellschaftlichen backlash64 gegründet, ebenso wie der Appell für Prostitution eine Gegenkampagne gegen Schwarzers Vorstoß darstellte. Damit hat sich die Deutungshoheit darüber, was Prostitution ist und was tatsächlich Niederschlag in Gesetzen und Dispositiven findet seit 2002 drastisch verändert. Mit der Einführung des ProstG und in der Vorlaufzeit war ein Erstarken des AD zu erkennen: Prostitution damals nicht als selbstbestimmte, freiwillige Tätigkeit zu framen war abwegig und entsprach nicht dem Zeitgeist. Heute ist es fast umgekehrt: der Versuch, Prostitution vollkommen aus dem Problemfeld des Menschenhandels zu entrücken, muss als Randnotiz abgelegt werden, als zwar vorhanden, aber in der deutlichen Minderheit gegenüber einer Mehrheit der durch Ausbeutung, Zwang und Not kontrollierten Gruppe der Prostituierten. Dennoch gelingt es dem Autonomiediskurs weiterhin, wenn auch als scheinbar randständige Position, Geltungsansprüche zu erheben. Beginnend mit dem Schlüsseljahr 2013 formiert sich Widerstand gegen die bevormundende Praxis von EMMA und deren Mitstreiter*innen. Der neu 64 Der Begriff „backlash“ wurde von Susan Faludi mit Blick auf die Situation in den USA der 1990er Jahre konstatiert und bezeichnet die Rücknahme feministischer Errungenschaften (Faludi 1993).

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8. Der auf Autonomie fokussierte Diskurs

gegründete BesD und über 2000 Unterzeichner*innen fordern im Appell für Prostitution: -

„Beteiligung von Sexarbeiter_innen an politischen Prozessen, die sich mit dem Thema Prostitution befassen.

-

Keine Ausweitung der Polizeibefugnisse und keine staatliche Überwachung oder Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten.

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Keine Kriminalisierung der Kund_innen, weder nach dem Schwedischen, noch nach einem anderen Modell.

-

Aufklärung statt Zwang und Verbot, staatlich geförderte Weiterbildungsangebote für Sexarbeiter_innen.

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Kampagnen gegen Stigmatisierung und für einen respektvollen Umgang mit Prostituierten.

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Bleiberechte, Entschädigungen und umfassende Unterstützung für Betroffene von Menschenhandel.“ (BesD 2013)

Damit startet der BesD den Versuch, den in der Prostitution Tätigen ihre Stimme zurückzugeben und auf die, aus ihrer Sicht, wahren Probleme in der Prostitution aufmerksam zu machen. Das wohl dringlichste Anliegen ist das Vorgehen gegen die Stigmatisierung und die ‚Stummschaltung‘ von Prostituierten, zwei Kritikpunkte, die sich durchgängig im AD finden lassen. Ende 2013, einige Tage nachdem Alice Schwarzer ihr Kampagnenbuch gegen Prostitution in Berlin vorstellte, lud Felicitas Schirow zu einer Podiumsrunde, in welcher darüber diskutiert wurde, weshalb das Schwedische Modell nicht funktioniere und wie Prostitution unabhängig von Menschenhandel gedacht werden müsse. Dazu war unter anderem der ehemalige Richter McLean geladen, welcher damals das Grundsatzurteil zu ihren Gunsten sprach, was Kritik seitens EMMA evozierte und eine Unsagbarkeit einer ‚Pro-Position‘ zum Ziel hatte. Eine Strategie des SD ist es, die durchaus vorhandenen Netzwerke im AD als eine Art mafiöse Struktur zu benennen, in der quasi ‚eine Hand die andere wäscht‘, die die immer selben Akteure zur Untermauerung der eigenen Thesen heranzieht und keine neuen Deutungen von außen zulässt und sich so selbst erhält. Der Sexarbeits-Kongress, der Nachfolger des Huren-Kongress, fand im September 2014 unter dem Titel: „Sexarbeit in Zeiten der Bewegung“ statt. Erstmals wurde dieser als Gemeinschaftsprojekt des bufas (Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter) und des BesD mit einer politischen Schwerpunktsetzung ausgerichtet (Sexarbeitskongress 2014). Geladen waren unter anderem Politikerinnen, die teilweise in der Anhörung 2016 zu Wort kamen. Daneben tagte die neugegründete Forscherinnengruppe Sexarbeit. Das Hauptanliegen des Kongresses war der Missstand, dass:

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„Das aktuell von den Medien gezeichnete Bild über die Branche vermittelt den Eindruck, ganz Deutschland sei ein Eldorado für Menschenhändler und Prostitution sei immer gleich Ausbeutung und Zwang. Es kommt dabei von der Politik zu gutmeinenden Regulierungsvorhaben, die leider an der Lebenswirklichkeit der Branche völlig vorbei gehen.“ (Sexarbeitskongress 2014)

2016 gab es eine weitere Fachtagung, diesmal unter dem Motto „Sexarbeit im Zeichen des ProstituiertenSchutzGesetzes“. Ebenso wie schon 2014 wurde an drei Tagen über Sexarbeit debattiert. Ein weiteres wichtiges Schlüsselereignis des AD war der Abschlussbericht „Der Runde Tisch Prostitution Nordrhein-Westfalen“ im November 2014, der 70 Vertreter*innen unterschiedlichster gesellschaftlicher Bereiche über vier Jahre hinweg an einen ‚Tisch setzte‘ und Probleme und Lösungen im Bereich der Prostitution erarbeiteten (Runder Tisch 2014: 6). Der Einbezug verschiedenster Wissensquellen aus Praxis und Theorie, von ‚Betroffenen‘, Berater*innen, Wissenschaftler*innen und anderen Expert*innen auf ihrem Gebiet, ist ein Kennzeichen des Autonomiediskurses. Der AD ist neben der Betroffenenperspektive, die im SD nur als Opfer- oder ‚Überlebende‘-Perspektive hörbar ist, offen für Fachexpertise aus vielen Kreisen, so lange eine Unterscheidung zwischen Prostitution – die immer freiwillig ausgeübt wird – und Zwangsprostitution bzw. Menschenhandel – die u.a. Vergewaltigung ist – aufrechterhalten wird. Der Vorwurf, der dem AD aus Kreisen des SD entgegentritt, ist jener, der „Prostitutionslobby“ oder der „Bordellbetreiber-Lobby“ anzugehören und die Ausbeutung von Frauen zu befürworten – denn die Ausbeuter*innen haben selbstredend großes Interesse daran, weiterhin andere ausnutzen zu können. Diese Beschuldigungen enden nicht bei Wissenschaftler*innen, Politiker*innen und anderen Expert*innen, welche nicht dem ‚Milieu‘ entstammen und scheinbar dennoch ein Interesse daran haben, das System aufrechtzuerhalten. Anhand des AD offenbart sich, dass wissenschaftliches Wissen, also Wissen, auf das wir in unserer Gesellschaft ‚normalerweise‘ vertrauen können, ebenso wie empirisches Wissen, z.B. von der deutschen AIDSHilfe, vom KOK und von kirchlichen Trägern dem anekdotischen Wissen des SD unterlegen zu sein scheint. 2015 gewinnt der AD mit der Veröffentlichung des Positionspapiers von Amnesty International (AI) erneut an Kraft. Amnesty fordert auf internationaler Ebene die vollkommene Entkriminalisierung von Sexarbeit. Laut der Menschenrechtsorganisation habe die Sanktionierung der freiwilligen Ausübung von Sexarbeit negative Folgen bezüglich der Wahrung von Menschenrechten und befördere Diskriminierung (Amnesty 2015: 11ff.). Dabei geht es Amnesty nicht um eine vollkommene Deregulierung des Sektors, sondern vielmehr um die Angemessenheit der Regulierungen und deren Zielsetzung. Obwohl in Deutschland Prostitution de facto entkriminalisiert ist, spricht das Positionspapier dennoch Umstände an, die gerade durch den SD propagiert werden, wie die Verknüpfung von Prostitution und Menschenhandel. Amnesty konstatiert hierzu:

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„Die Gleichsetzung von Menschenhandel mit Sexarbeit kann zu weitgefassten und übergreifenden Initiativen zur Abschaffung von kommerziellem Sex als Mittel zur Beendigung des Menschenhandels führen. Diese Ansätze führen jedoch in der Praxis zur Verletzung der Menschenrechte von Sexarbeiter_innen und können dazu führen, dass Sexarbeiter_innen sowie Menschen, die von Menschenhandel betroffen sind, in noch größerer Gefahr sind, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu werden.“ (Amnesty 2015: 19)

Selbstredend führte die Resolution seitens des SD zu großer Entrüstung und Amnesty wurde als „Männerrechtsorganisation“ (EMMA 2015) und beeinflusst von der „Prostitutions-lobby“ (ebd.) gebrandmarkt. Im breiteren medialen Echo hingegen wurde der Vorstoß gewürdigt. Amnesty besetzt eine starke Sprecherposition innerhalb des öffentlichen Diskurses und kann Forderungen stärker als Prostituiertenorganisationen durchsetzen, weshalb z.B. der BesD, bufas e.V., Hydra und andere in ihren Zielsetzungen mit Amnesty International koalieren. Mit den Anhörungen und Lesungen im Bundestag 2016 erreichte der Diskurs schließlich seinen Höhepunkt. Am 02. Juni, am Tag der ersten Lesung des ProstSchG demonstrierten Sexarbeiter*innen und Unterstützer*innen unter dem Motto „Mein Körper, mein Bettlaken, mein Arbeitsplatz“ vor dem Bundestag, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen und doch noch ihre Interessen und Änderungsvorschläge am Gesetz bemerkbar zu machen. Das Aktionsbündnis gegen das ProstSchG forderte dazu auf, sich mit den Sexarbeiter*innen zu solidarisieren und auch anlässlich der 2. und 3. Lesung am 07. Juli vor dem Reichstag gegen das ProstSchG zu protestieren. Mit der Verabschiedung des Gesetzes wurden zwar größtenteils Positionen aus dem SD verwirklicht, dennoch bleibt der Gegenwind des AD groß, selbst wenn er diesmal seine Deutungen über Prostitution nicht durchsetzen konnte.

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Dimensionen Autonomiediskurs Ursachen Verantwortung

Prostitution als gesellschaftliche Realität, (zeitlich flexibler) Gelderwerb • • • • •

Politik muss die Rechte der Prostituierten stärken und nicht weiter regulieren bzw. kontrollieren Gesellschaft muss die Arbeit von Prostituierten akzeptieren Polizei muss Prostituierte schützen, jedoch nicht durch Razzien ‚gängeln‘ Kommunen müssen für sichere Arbeitsorte sorgen, d.h. Straßenstrich in sicherer Lage Beratung soll Arbeit der Prostituierten akzeptieren und sie in ihrer Tätigkeit stärken, nicht nur ausstiegsorientiert

Handlungsbe- Prostitution muss entstigmatisiert werden, Diskriminierung von darf Prostituierten beenden. Maßnahmen: • Stärkung der Rechte (z.B. Selbstbestimmungsrecht, soziale Absicherung) • Gewährleistung der Bewegungsfreiheit (z.B. wechselnde Arbeitsorte, Migration) • verbesserte Arbeitsbedingungen (z.B. Wucher-mieten) • Gleichstellung mit anderen Berufsgruppen • öffentliche Akzeptanz und Anhörung von Sexarbeiter*innen • keine Verdrängung der Prostitution aus dem öffentlichen Raum Selbstpositio- Vertreter*innen des Rechts auf Selbstbestimmung, Prostitution nierung als Dienstleistung Fremdpositio- Gegendiskurs setzt Menschenhandel und Prostitution gleich nierung • Opferzuschreibung an alle Prostituierten und Absprache von agency • Prostitution immer Zwang • Freier/Männer als potentielle Täter Wohlfahrtsstaatsmodell

Staat soll Prostituierte in ihren Rechten stärken und sich aus dem Privatleben der Bürger*innen heraushalten • liberales Verständnis

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8. Der auf Autonomie fokussierte Diskurs • • •

Verantwortung für Prostituierte, Sicherung ihrer Rechte und Stärkung ihrer Position Migration als Menschenrecht, nicht als Menschenhandel Prostitution als Wirtschaftszweig, ‚normale Arbeit‘ im kapitalistischen System

Tabelle 2: Der auf Autonomie fokussierte Diskurs

8.3 Zur inhaltlichen Strukturierung Wendet man sich dem Autonomiediskurs zu und strebt eine tiefergreifende Analyse des Materials hinsichtlich der im Diskurs entworfenen Figuren und Subjektpositionen, als auch der Narrative, die der Diskurs erzeugt, verbreitet und verfestigt an, so lassen sich auch hier je spezifische Konstellationen feststellen. Zunächst bleibt festzuhalten, dass es dem Autonomiediskurs nicht gelang, eine breite Öffentlichkeit zu mobilisieren, wie es dem SD durch das Mittel der Moralisierung und der damit verbundenen Empörung gelungen ist. Für die öffentliche Zustimmung, dass Zwang in der Prostitution und Menschenhandel gravierende Delikte sind und mit möglichst aller Härte gegen eben jene vorgehen zu wollen, ließ sich leichter ein breiter Konsens finden, als für Anliegen des AD, wie die Verhinderung einer Anmeldepflicht für Prostituierte. Durch die Homogenisierung des Prostitutionsfelds seitens des SD als mehrheitlich durch Zwang und Ausbeutung gekennzeichnet, konnte eine affektive Regung – die der Empörung und der Ablehnung – bei den Rezipienten ausgelöst werden. Der AD erkennt eine Differenzierung des Feldes an, eine Bandbreite an Tätigen in der Sexarbeit und widerspricht dadurch der Gesamtlogik des SD, wonach Prostitution immer Zwang und Ausbeutung bedeutet. Gerade durch die Reduzierung der möglichen Figuren gelingt es dem SD ein riesiges Dunkelfeld zu evozieren, das potentiell jede Prostituierte als Opfer und jeden Mann als Täter beinhaltet, denn durch eine kaum überschaubare Vielfalt an Figuren im AD lässt sich auch keine Subjektposition für die Prostituierte finden. Durch das Fehlen einer ‚einfachen‘ Erklärung über den momentanen Zustand in der Prostitution, wie auch bedingt durch die politische Konstellation in der Regierung, gelang es dem AD nicht, Forderungen im neuen ProstSchG umzusetzen – ganz im Gegenteil wird sich die Situation der Prostituierten durch das Gesetz nach Einschätzung des AD noch weiter verschärfen. Nichtsdestoweniger stellte der AD in der erzielten Abschwächung des Gesetzes ein Gegengewicht zum SD dar.

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8.3.1 Narrative Die zugrunde liegende Geschichte des AD ist die des Strebens nach gesellschaftlicher und rechtlicher Anerkennung und der Abbau von Stigmata. Bestrebungen der Hurenbewegung waren jeher als ‚normale‘ Erwerbstätige, Frauen und Mütter anerkannt zu werden, die ihre Tätigkeit frei und selbst gewählt haben und der Zuschreibung als hilfsbedürftiges Opfer zu entfliehen. Seit dem viel zitierten Scheitern des ProstG, das aus Sicht des AD an den noch immer vorhandenen Diskriminierungsmechanismen seitens der Polizei, der Justiz und der Öffentlichkeit versagte, wurden nun nicht mehr die Prostituierten selbst gehört, sondern Aussteigerinnen, Hilfsorganisationen und andere Träger, die für die aktiven Sexarbeiter*innen sprechen. Expertise aus der Polizeiarbeit oder der Medizin ermöglichen ein Sprechen im Diskurs für die Prostituierten, eigene Erfahrungen von Betroffenen stoßen hingegen auf kaum Resonanz, denn diese seien eine Ausnahmeerscheinung im Feld: „Hier will niemand, die Kollegin hat das gesagt, jemanden stigmatisieren, der Lust hat, die käufliche Liebe als Zweiterwerb zu betreiben. Das ist überhaupt nicht der Punkt, aber das ist nicht die Realität des größten Teils der Frauen in der Prostitution.“ (Protokoll 18/64: 28; Redebeitrag: Besser)

Nochmals sei betont, dass der AD keine einheitliche Figur hervorbringt, an der sich das gesamte Themenfeld messen lassen kann und es ist gerade diese Tatsache, die ein Gehörtwerden fast unmöglich gemacht hat. Zudem ist der AD gegenüber dem SD in der ‚Position des Reagierens‘, in den Anhörungen äußert sich dieser Umstand in der Tatsache, dass die Expert*innen des AD zielgerichtet auf die einzelnen Punkte des Gesetzesvorhabens eingehen, wohingegen der SD abermals versucht seine Erzählungen über ‚Gut und Böse‘ zu verbreiten und auf die einzelnen Aspekte nicht expliziert eingeht. Dem AD liegt die Annahme zugrunde, dass der entscheidende Großteil aller in der Prostitution Tätigen der Arbeit freiwillig nachgeht, auch wenn ökonomische Zwänge, die Merkmale des kapitalistischen Systems sind, unter Umständen ursächlich sind: „Eine andere junge Frau, von der man denkt, dass sie bestimmt Räucherstäbchen und indische Figuren zu Hause stehen hat, erzählt: ‚Ich massiere lieber einem Mann mit Hingabe den Schwanz, als an der Kasse zu sitzen.‘ An der Kasse sitzen, putzen, Leuten irgendwelchen Mist andrehen, bei Douglas oder so, auf stupideste Weise dieses menschenfeindliche kapitalistische Drecksrad am Laufen halten - ist das nicht auch total schädlich für den Kopf? Macht das irgendwer echt freiwillig? Und ist das nicht eine absolut zulässige Frage, wenn man Zwangsprostitution, Menschenhandel und Prostitution trennt?“ (Baum 2013: 49)

Die Tätigkeit an sich ist damit keineswegs moralisch verwerflich, sondern sichert, ebenso wie jede Erwerbsarbeit den Lebensunterhalt. Die Nicht-Anerkennung der Sexarbeit als Arbeit und das zwangsweise Führen eines Doppellebens stellt die

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Prostituierten vor eine weitaus größere Herausforderung, denn die gesellschaftliche Realität ist noch immer geprägt von Ausgrenzung und Stigmatisierung und bei einem Outing drohen sensible Folgen für das Leben der Sexarbeiter*innen. „Das Stigma degradiert und grenzt aus, verhindert den respektvollen Umgang mit der Person. Entsprechend reduziert sich die Möglichkeit, sich bewusst neu zu orientieren und verfestigt damit auch Abhängigkeiten der Prostituierten.“ (Gutachten Thie: 2)

Neben dem Verlust der eigenen Wohnung oder des Hauptberufs ist ein Sich-Abwenden von Familie und Freunden nicht unüblich: „‚Für uns ist Anonymität der Schutz in der Gesellschaft‘, sagt Tanja Sommer. Das Ressentiment der Verklemmten kann Familien belasten und zweite Karrieren erschweren. ‚Haben Sie schon mal versucht als Sexarbeiterin eine Wohnung zu finden?‘ fragt Tanja Sommer.“ (Hahn 2016)

Der geplante Identifikationsausweis, den alle Prostituierten mit Einführung des ProstSchG mit sich führen müssen, stellt das Gefahrenpotential des Erkanntwerdens dar und verstärkt aus Sicht des AD das Risiko der Stigmatisierung noch weiter. Die Vielzahl der neuen Auflagen, die allesamt vom AD abgelehnt werden, gesellt sich zu den bereits vorhandenen Regularien, die den Arbeiter*innen den Alltag erschweren. Verbote, die die Ausübung der Prostitution einschränken sind dabei das größte Problem, denn diese zwingen die Ausübenden in den Untergrund oder in ausbeuterische Zustände: „Betreiber Julius Dreyer leugnet nicht, dass viele Frauen aus materieller Not anschaffen gehen. Doch gerade diesen sei mit Verboten wenig geholfen, glaubt Sexarbeiterin de Rivière. Sie sagt: „In München, wo die Sperrzone besonders groß ist und die Polizei sehr rigide vorgeht, können Betreiber bis zu 250 Euro Tagesmiete für ein Zimmer verlangen.“ Selbst Besuche in einem Hotel in der Innenstadt seien untersagt. Zum Vergleich: Im berüchtigten „Pascha“ in Köln beträgt die Tagesmiete 160 Euro.“ (Theile 2013)

Damit unterliegt Prostitution nicht nur einer kapitalistischen Logik, sondern muss sich darüber hinaus mit diversen Einschränkungen beschäftigen, die auf die Prostituierte wirkende ökonomische Zwänge weiter verschärfen. Eine Stärkung der Rechte gegenüber Betreiber*innen, Kund*innen und der Polizei wären laut AD sinnvolle Änderungen gewesen, die Vorurteile beseitigen und die allgemeine Lage der in der Sexarbeit Tätigen verbessern hätten können. Das selbstbestimmte Arbeiten mit wenigen Kolleg*innen in einer Wohnung sei beispielsweise best practice, denn hier sei keine zusätzliche Notfall-Sicherung im Falle von Übergriffen nötig und die Ausgaben für Mieten seien vergleichsweise gering und die Verdienstmöglichkeiten dementsprechend hoch. Die Wohnungsprostitution ist daher das im AD favorisierte Modell, denn hier profitierten ausschließlich die Tätigen – ohne notwendige (Wucher-)Mieten für einzelne Zimmer oder Abgaben an Bordellbetreiber und deren Infrastruktur (z.B. Sicherheitspersonal). „Dass Betty und Lola zusammenarbeiten, spart Kosten, hilft gegen die Langeweile, wenn mal nichts los ist, aber dient vor allem ihrem Schutz. Ihr Beruf ist gefährlich, das wissen die beiden

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Frauen. Sie versuchen, mit der Gefahr pragmatisch umzugehen. Mit politischen Forderungen, die dem Schutz der Prostituierten dienen sollen, hatten sie bisher nichts zu tun. ‚Wir zahlen unsere Steuern und das reicht‘, sagt Lola.“ (Jaeger 2016)

Ferner wird im AD auf die Flexibilität in der Branche verwiesen: neben Gelegenheitsprostituierten, die nur für einen kurzen Zeitraum ‚anschaffen gehen‘ und die Möglichkeit die Arbeitszeiten relativ frei einteilen zu können, ist räumliche Mobilität maßgebend. Was aus Sicht des SD als ‚Verschieben‘ der Frauen in immer neue Städte gedeutet wird, ist im AD die Unabhängigkeit der Sexarbeiter*innen, die z.B. speziell zu Messen oder Tagungen anreisen. Die Erzählung im AD geht dadurch in den Anforderungen des Marktes auf, indem dort und dann gearbeitet wird, wo eine hohe Nachfrage und ein geringes Angebot bestehen. „Ihre Arbeitswoche ist trotzdem kürzer als die der meisten Selbstständigen, und sie verdient dabei deutlich mehr: oft an die 5.000 Euro im Monat. Auch abzüglich Miete, Fahrtkosten und Steuern bleibt ihr noch eine hübsche Summe. ‚In vielerlei Hinsicht ist es der ideale Job für mich als alleinerziehende Mutter‘, sagt Tanja, sie hat genug Zeit für Elternabende und Schulaufführungen. Tanja arbeitet meistens in der ostbayerischen Provinz, manchmal reist sie aber auch in deutsche Großstädte.“ (Fichter 2013)

Die Prostituierte wird hierdurch erneut zur aktiven Gestalterin ihres (Berufs-) Lebens, gerade auch dann, wenn sie migriert ist. Großereignisse wie die Fußball-WM bieten gerade den mobilen Prostituierten gute Einnahmemöglichkeiten, eine Eigenschaft, die eben gerade bei Ausländer*innen im besonderen Maße vorhanden ist: „Joanna ist aus Köln angereist, eine erfahrene Brünette, eher herb, 33 Jahre alt. ‚Ich bin extra nur wegen des England-Spiels hier, das sind normalerweise gute Gäste‘, sagt die Frau mit leicht osteuropäischem Akzent.“ (Schaaf 2006)

Alle Erzählungen des AD verweisen abstrahiert auf die Geschichte der freiwillig arbeitenden und selbstbestimmten Prostituierten, die mehr ist als ihr ‚Sex‘. Differenziert wird die Sexarbeiter*in im AD als Unternehmerin, Mutter und Frau dargestellt, die mit der Prostitution die Möglichkeit hat, insofern sie nicht von Wuchermieten oder anderen Repressionen betroffen ist, flexibel und mit gutem Verdienst zu arbeiten. Sie verkauft eine Dienstleistung und entscheidet, wer diese zu welchen Konditionen in Anspruch nehmen darf. Die gesellschaftliche Stigmatisierungen und falsche Vorstellungen über die Lebenswirklichkeit von Sexarbeiter*innen verhindern jedoch die Anerkennung ihrer Tätigkeit. Der nahezu komplette Ausschluss der vielfältigen Positionen einzelner Prostituierter aus dem Diskurs versperrt der Prostituierten den Zugang zu legitimen Rechten und macht sie ‚sprachlos‘ gegenüber mächtigen Deutungshoheiten aus dem SD. Nichtsdestoweniger sind die Auffassungen aus dem AD weit verbreitet und gerade unter Fachleuten als ‚Realität‘ der Prostitution anerkannt, wenn auch momentan ein markanter backlash zu verzeichnen ist. Das zentrale Moment des Reagierens verhindert

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ein anderes Sprechen des AD: durch die Positionierung als ‚Kommentator‘ im Diskurs, wird ein anderes Sprechen unwahrscheinlich. Ausgeschlossen wird sowohl im AD als auch im SD die homosexuelle Prostitution. Mann zu Mann Prostitution wird gelegentlich als Randnotiz erwähnt, dann jedoch häufig unter dem Stichwort „Stricher“, Frau zu Frau Sexarbeit bleibt unthematisiert. Eng verwoben mit den eben dargestellten Erzählungen sind zentrale Figuren des AD, die im Folgenden ausführlich erläutert werden. 8.3.2 Figuren des Autonomiediskurses Die Vielfältigkeit der Figuren ist das zentrale Moment im AD und reicht von der bürgerlichen Hure, die schon aus früheren Diskursen bekannt ist, bis zum männlichen heterosexuellen Sexarbeiter, einer Randfigur, die dennoch im medialen Diskurs Einzug findet. Die ‚älteste‘ Figur ist die bürgerliche Hure, die schon seit Anfang der 1980er Jahre in den Medien kursiert. Heute ergänzt sich das bürgerliche Moment durch einige Aspekte: nicht mehr nur entstammt die bürgerliche Hure einem besseren Milieu als andere Prostituierte, die z.B. auf dem Straßenstrich ihrer Tätigkeit nachgehen, sondern sie arbeitet zumeist nicht mehr als ‚konventionelle‘ Prostituierte, sondern hat sich auf die Arbeit als Domina oder Bordellbetreiberin spezialisiert. Gerade im BesD sind die Vertreterinnen nicht nur verhältnismäßig gut ausgebildet, sondern oft als Domina, Tantra-Masseurin oder in einer anderen Form der Spezialisierung tätig. Kennzeichnend für die bürgerliche Hure ist ferner, dass sie im Gegensatz zum geschätzten Großteil der anderen Prostituierten die deutsche Staatsbürgerschaft innehat und ihre Rechte und Pflichten kennt, auch gegenüber den Kunden. Entsprechend gehört zur übergeordneten Figur der bürgerlichen Hure die Studentin, die nebenbei als Prostituierte tätig ist, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Beiden gemeinsam ist die glaubhafte Inszenierung von Authentizität – gegeben beispielsweise durch den Aspekt der Fortbildungen oder der ‚Unbedarftheit‘ (Bernstein 2007)65. Die Ausprägungen dieser Figuren sind ebenso umfangreich wie im gesamten Diskurs, der, wie ausreichend dargelegt, von Heterogenität gezeichnet ist. Als weitere elementare Figur ist die migrierte Sexarbeiterin zu nennen, die vom SD als Zwangsprostituierte gelabelt wird. Im AD ist sie ebenso wie die bürgerliche Hure selbstbestimmt, wenn sie auch unzureichende Sprachkenntnisse vorweisen kann und tendenziell in einem niedrigeren Preissegment arbeitet. Gerade die Migrantin ist Ausdruck der in den Erzählungen erwähnten Mobilität und 65

Unbedarftheit bedeutet hier Unbeschwertheit, nicht Naivität, als negative Eigenschaft, wie im nächsten Zitat.

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Flexibilität. Was als Armutsprostitution bezeichnet wird, ist im AD die Suche nach wirtschaftlicher Verbesserung, dem Streben nach einer positiven Zukunft, die im Herkunftsland versperrt bleibt. „Die meisten Frauen seien eben nicht ‚unbedarft‘, sondern arbeiteten freiwillig und selbstbestimmt. Auch viele Osteuropäerinnen hätten sich trotz Schulabschluss und anderer Berufschancen zu genau dieser Arbeit entschieden. Jede Frau hat andere Gründe, man müsste genauer hinschauen.“ (Sadigh 2009)

Die Entscheidung zur Prostitution lässt sich nicht an Staatsbürgerschaft festmachen und schon gar nicht an fehlenden Sprachkenntnissen. Die migrierte Sexarbeiterin nutzt oft einen kurzen Aufenthalt, ähnlich der Saisonarbeit, um im Herkunftsland eine Existenz aufbauen zu können. Eine dritte Figur, die nur vereinzelt in der medialen Berichterstattung vorkommt, ist der männliche, heterosexuelle „Callboy“ und vereinzelt der männliche Sexualtherapeut, der Tantra-Massagen anbietet. Der männliche Sexarbeiter ist die Gegenfolie zur Zwangsprostituierten, aber auch zum „Stricher“, dem Inbegriff des homosexuellen Sexarbeiters. Der Callboy wird als ausgesprochen selbstbestimmt, charmant und gutaussehend gekennzeichnet, der von der Tätigkeit im Sex-Gewerbe keinerlei Schaden nimmt, sondern geradezu von seiner Arbeit profitiert. Nicht nur wird er selbstbewusster und ein besserer Liebhaber, er kann seine sexuellen Vorlieben in der Arbeit erproben und später womöglich im Privaten einen Nutzen hiervon ziehen. „Doch Giovanny betont, er mache diesen Job nicht allein des Geldes wegen. Vielmehr habe er Interesse an Frauen im Allgemeinen und am Sex mit ihnen im Speziellen. Die Lust der Frau würde bei ihm im Mittelpunkt stehen, womit er sich von vielen Männern distanzieren möchte, bei denen es allein um deren eigene Befriedigung gehe. ‘Ja, mein Selbstbewusstsein ist enorm gestiegen‘ Seit er als Callboy tätig sei, habe er es nicht mehr nötig, Frauen auf der Straße hinterherzugucken. Mit einem charmanten Grinsen sagt er: ‚Gerne probiere ich neue Sexpraktiken aus.‘ Um möglichst viel bieten zu können, besucht er Sexseminare über außergewöhnliche Praktiken. Je besser ausgebildet ein Callboy sei, desto mehr Geld könne er von den Frauen nehmen, die ihn buchten. Aber nicht nur der Akt, das gesamte Auftreten mache den Preis. Höflichkeit und Benehmen seien sein größtes Kapital - und natürlich sein Körper.“ (Kintzinger 2014)

Damit avanciert der Callboy zum „unternehmerischen Selbst“ (Bröckling 2007), das selbstoptimierend vorgeht, indem Sexseminare als Weiterbildungsmaßnahmen besucht werden, er in sein Kapital, den Körper und den Geist investiert und diese Errungenschaften später in seiner Arbeit rentabel einsetzt. Der Callboy geht der Arbeit im Unterschied zur bürgerlichen Hure, immer nur nebentätig nach, quasi als bezahltes Hobby. Das von Nussbaum (1998) konstatierte Stigma der Prostitution manifestiert sich an der Verknüpfung mit einer Bezahlung, die auf einem historischen Vorbehalt gegenüber Lohnarbeit basiert. Am Beispiel des heterosexuellen Callboy zeigt sich wie sich eine Entkopplung von Lohnarbeit und Prostitution, die der Callboy nur als Hobby ausübt, positiv auf eine

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Entstigmatisierung ausübt. Die Arbeit als Callboy wird diskursiv nicht als Prostitution gelabelt, zusätzlich wird vielmehr auch der Dienstleistungscharakter der Arbeit hervorgehoben und durch die Tatsache, dass ein Mann der Ausübende ist, unterhinterfragt als selbstbestimmte Entscheidung hingenommen. Zusammengefasst sind die Figuren des AD heterogen und umfassen Deutsche, Migrantinnen und heterosexuelle Männer. Das Spektrum umfasst gut ausgebildete Sexarbeiterinnen, die sich auf eine spezielle Nachfrage orientiert haben, die eigene Unternehmerinnen sind, aber auch Prostituierte, die in ihren Herkunftsländern perspektivlos sind und in der Sexarbeit eine Möglichkeit zur guten Existenzsicherung sehen. Ergänzt wird das Bild durch den Mann, der im AD nicht als ‚Täter‘ in Form des Freiers dargestellt wird, sondern der ebenso wie die genannten weiblichen Figuren in der Sexarbeit lukrative Lohnarbeit sieht. Noch mehr als bei der bürgerlichen Hure wird der aktive Part dieser Figur unterstrichen, die in der Prostitution einen Akt der Selbstverwirklichung mittels ihrer Tätigkeit erreichen kann. Der Mann als Freier wird primär vom SD als Täter bestimmt und beschränkt sich im AD auf die Betonung der Normalität. Im untersuchten Material wird der Freier nicht explizit als Figur des AD spezifiziert. Der behinderte oder alte Mann stellt das Potenzial für eine Ausnahme dar, wie in Kapitel 8.3.3 diskutiert wird. Eine relativ neue Erzählung im Anschluss an den AD manifestiert sich seit Anfang 2017 im Phänomen der Sexualassistenz. Aus diesem Erzählkomplex gehen neue Narrative hervor, die sich aktiv gegen den Themenbereich der Prostitution abzusetzen versuchen und denen der nachfolgende Abschnitt gewidmet wird. 8.3.3 Zur Sexualassistenz In der ersten Januarwoche 2017 entflammte sich eine öffentliche Debatte über „Sexualassistenz auf Rezept“. Elisabeth Scharfenberg, die pflegepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hatte auf Nachfrage der „Welt“ zugestimmt, dass sie „eine Finanzierung für Sexualassistenz [...] für [...] vorstellbar“ (Dowideit 2017) halte. Scharfenbergs Befürwortung der Frage stieß auf eine breite Rezeption des Komplexes, entweder durch Zustimmung oder durch Ablehnung des Vorschlags mit einer einhergehenden Diffamierung der Grünen und ihrer kontroversen Vorstöße. Die Parallelen und Überschneidungen zwischen Sexualassistenz und Prostitution wurden hitzig diskutiert und fließen daher in unsere Untersuchung mit ein. Die Analyse der Sexualassistenz-Diskussion zeigt, dass sich dem AD mit diesem Phänomen ein neuer Fokus eröffnet, der die Selbstbestimmung der Ausübenden stärkt und eine Opferposition in Form des alten, kranken Menschen herausbildet.

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Sexualassistenz bzw. Surrogatpartnerschaft66 ist vor allem in der Sozialen Arbeit und der Pädagogik seit längerem Gegenstand der Forschung und wird dort zumeist als legitime Art der Therapie erachtet (Bergeest et al. 2011: 178). Bereits ab 2004 gab es eine Reihe wissenschaftlicher Abhandlungen zur Sexualassistenz und Organisationen wie pro familia (2005) erstellten Expertisen, oder wiesen wie die Aktion Mensch darauf hin, dass sich: „Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 [...] Deutschland verpflichtet [hat], Inklusion umzusetzen. Ein Recht auf Sexualität ist in der Konvention zwar nicht verankert, kann aber indirekt aus dem Recht auf Reproduktion abgeleitet werden.“ (Ehrmann: o.J .)

Die Zuhilfenahme von Sexualassistent*innen wird gerade bei körperlich behinderten Menschen und Paaren als hilfreich erachtet, das Bedürfnis nach Sexualität ausleben zu können. Die speziellen Anforderungen an Sexualassistent*innen offenbaren sich im Besonderen bei Menschen mit geistiger Behinderung, da Assistent*innen vor die Herausforderung gestellt werden, die sexuelle Selbstbestimmung der Klient*innen zu erkennen und zu wahren. Hierdurch wird eine spezielle Ausbildung legitimiert. Behinderten Menschen ein Recht auf Sexualität zuzusprechen ist folglich zumindest in Fachkreisen anerkannt, neu in der medialen Diskussion ist die Ausweitung bzw. Fixierung auf pflegebedürftige Menschen und Senioren. Mit der Sexualassistenzdiskussion verschiebt sich der Fokus auf die Kund*innen als Opfer, sie sind es nun, die hilfsbedürftig und ‚bemitleidenswert‘ sind und nicht mehr wie im SD die (Zwangs-) Prostituierte bzw. in diesem Fall die Sexualassistentin. Diese ist durchgängig selbstbestimmt und hat eine eigene agency, allein dadurch, dass sie sich zur Sexualassistentin fortbilden muss und spezielle Techniken und Anforderungen im Umgang mit pflegebedürftigen, alten oder behinderten Menschen anwenden muss. Durch die Verhandlungen über Sexualassistenz gelingt es dem auf Autonomie fokussierten Lager einen neuen Aspekt zu eröffnen: Sex gegen Geld kann nun helfen. Mit der Dimension des Alters, die einschränkend auf die Person wirkt, findet der AD eine Opferposition, die zum Zielpunkt von Hilfe werden kann. Moralische Ansprüche in Hinblick auf Hilfeleistung können hiermit auch vom AD erhoben werden. Zugrunde liegt dem Diskurs die Erzählung über ‚alte‘ Sexualität und das Problem der gesellschaftlichen Stigmatisierung dieser. Viele Betroffene würden sich nicht trauen, ihre Bedürfnisse kundzutun und einzufordern. In Pflegeheimen begrenzt sich die körperliche Nähe zumeist auf die Körperpflege durch das 66 Die Surrogatpartnerschaft oder aktive Sexualassistenz wird vor allem in einem therapeutischen Kontext verortet, z.B. in der sexuellen Arbeit mit behinderten Menschen. Die Grenzziehung zur Prostitution wird anhand des Geschlechtsakts gezogen, denn Sexualbegleitung bedeute nicht zwingend Sex, sondern kann sich auch nur in den Bereichen der Zärtlichkeit und körperlichen Nähe bewegen (Sandfort 2012: 34f.).

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Personal oder Berührungen von Angehörigen, an das Ausleben von Sexualität ist in den meisten Fällen nicht zu denken. Der Besuch von Prostituierten oder Sexualassistent*innen wird als Luxus abgesprochen, denn „Wer täglich damit zu kämpfen habe, beim Stuhlgang, Waschen und Essen Hilfe zu erhalten, der habe andere Sorgen“ konstatiert der Vorsitzende der Stiftung Patientenschutz Brysch (Deutschlandfunk 2017). Damit widerspricht Brysch der Forderung anderer Vertretungen, wie der Aktion Mensch, die ein Bedürfnis nach Nähe trotz körperlicher Einschränkungen anerkennen. Diese bevormundende Praxis von außen an Betroffene hin beinhaltet eine moralische Wertung darüber, was wirklich nötig ist und was zum Luxusgut wird – nämlich Sexualität. Die Selbstbestimmung der anbietenden Person wird hingegen nicht problematisiert. Abolitionistische Positionen versuchen auch in dieser Diskussion ‚Prostitution als Übel‘ darzustellen, auf das kein Anrecht besteht: „Behinderte Menschen haben ein Recht darauf, in Einrichtungen zu leben, die ihnen genügend Privatsphäre für Selbstbefriedigung oder sexuellen Austausch lassen. Alten Menschen sollte nicht suggeriert werden, dass sie sich schämen müssen für den Sex, den sie haben. Ja, dieses Recht auf Sexualität gibt es, aber es gibt eben KEIN Recht darauf, dass einem oder einer ein Mensch zur Verfügung gestellt wird, der dabei mitmacht.“ (EMMA 2017)

Die Möglichkeit der Entscheidungsfreiheit der Assistent*innen wird hierdurch abgesprochen, ebenso wie es bei Zwangsprostituierten im SD geschah. Der Passus „dass einem oder einer ein Mensch zur Verfügung gestellt wird, der dabei mitmacht“ unterstreicht ebenso wie im SD die Passivität der Ausübenden, die hinsichtlich ihrer sexuellen Selbstbestimmung keinen Willen äußern dürfen und das machen müssen, was bezahlt wird. Durch die Ausweitung und Umbenennung der Prostitution auf Pflege- und Altenheime gelinge es der „Zuhälter-Lobby“ neue Märkte zu erschließen und neues Klientel zu rekrutieren und so die „Verfügungsgewalt über Frauenkörper“ (EMMA 2017) zu verfestigen. Dieses Bild wird von den berichtenden Tageszeitungen aber nicht weiter aufgegriffen und kursiert lediglich in der (differenz)feministischen Arena. Es erfolgt hier eine Gleichsetzung von Prostitution mit Sexualassistenz und damit der erneute Versuch diese als schädlich für die Ausübenden zu reklamieren. Die In-Eins-Setzung mit Prostitution erfolgt beispielsweise durch den abermaligen Rekurs auf Traumatisierungen, die schon aus dem SD hinreichend bekannt sind: „Zunächst mal ist ‚Sexualassistenz‘ auch nur ein etwas feinerer Name für Prostitution. Schaut man sich die Angebote an, findet man: Küssen, Schmusen, Kuscheln, Streicheln, Oral- und Geschlechtsverkehr. Was ist das bitte anderes als der ‚Girlfriend Sex‘, zu dessen ‚Nähe und Zuneigung‘ sich die Prostituierten in den meisten Fällen überwinden müssen? Auch er hinterlässt die Frauen oft emotional traumatisiert.“ (EMMA 2017)

8. Der auf Autonomie fokussierte Diskurs

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Auch Befürworter*innen grenzen Sexualassistenz von Prostitution ab. Der gravierendste Unterschied ist jedoch nicht die Ablehnung von Sex gegen Geld an sich, sondern die Betonung von Empathie und die Hervorhebung der Professionalität der Ausübenden: „Für mich persönlich unterscheidet sich die Sexualassistenz von der Prostitution durch die Qualifikation der Kollegen. Sie haben sich auf Menschen mit körperlich-geistiger Behinderung oder Senioren spezialisiert. Außerdem ist die klassische Prostitution nicht auf die empathische Ebene ausgelegt.“ (Landwehr 2017)

Daneben ist Nähe und Zuneigung durch Körperlichkeit ein Bestandteil der Assistenz, die scheinbar in der Prostitution keine wesentliche Rolle spielen. Die Niederlande werden von Fürsprecher*innen eines Anrechts auf Sexualassistenz als Vorbild angeführt, da hier seit einigen Jahren nach Erfüllung bestimmter Kriterien ein Recht auf Assistenz besteht. Der Bedarf sei auch in Deutschland vorhanden, denn: „Die Folge unterdrückter Intimität zeigt sich bei Männern meist darin, dass sie unruhig und aggressiv sind oder sogar übergriffig gegenüber Bewohnerinnen und dem Personal werden“ (RP 2017) In einem medizinischen Jargon wird über die Vorteile von Sexualassistenz elaboriert: „Sie [eine Sexualassistentin] selbst habe sich in vielen Bereichen weiterbilden lassen und Kurse absolviert, in denen sie viel über Demenz-, Parkinson- und Autismuserkrankungen gelernt habe. Ihre Erfahrung mit dementen Männern habe ihr zum Beispiel gezeigt, dass ihnen Intimität gut täte, sie ruhiger und ausgeglichener werden und am Alltagsleben wieder teilnehmen würden. ‚Auf jeden Fall wirkt die erlebte Sexualität länger nach und macht glücklich‘, sagt sie.“ (ebd.)

Damit ist entgegen der Figur der Zwangsprostituierten ein Opfer gefunden, das gerade durch Sex profitiert und keinen Schaden nimmt: der kranke Mensch, der physisch und psychisch einen Nutzen aus Sexualität zieht und der diese gesundheitlichen Vorteile nur aufgrund von Sexualassistenz erleben kann. So wirke Sex schmerzlindernd durch die Ausschüttung von Endorphinen, stärke das Immunsystem durch eine Steigerung des Immunoglobulin-A-Wertes, rege die Entstehung neuer Nervenzellen durch Prolaktin an und mache durch das Hormon Oxytocin sorglos und fördere erholsamen Schlaf (vgl. BILD 2017) Dementsprechend positiv gerade für ältere Menschen, die gesundheitlich angeschlagen sind. Eine Vermischung der Bereiche Prostitution und Sexualassistenz findet nicht nur innerhalb der medialen Debatte statt, sondern, weil Akteur*innen des AD auch in der Sexualassistenz-Debatte mitwirken. So bietet z.B. Kassandra e.V.67 Fortbildungen zur Sexualassistent*in Kooperation mit pro familia an. Stephanie Klee, die auch im BesD aktiv ist und bereits seit dem 2002er Diskurs für die Rechte von Prostituierten kämpft, wird auf Seiten der ISBB (Institut zur SelbstBestimmung Behinderter), das Fortbildungen als Assistent*in anbietet und eigene 67 eine Beratungsstelle für Prostituierte in Nürnberg.

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8. Der auf Autonomie fokussierte Diskurs

Qualifizierungen erteilt, als Therapeutin empfohlen. Personelle und fachliche Überschneidungen sind nicht von der Hand zu weisen und erschweren eine Abgrenzung von der Prostitution. Dennoch gelingt es durch die Fokusverschiebung die Selbstbestimmung und die agency der Prostituierten oder Sexualassistent*in besonders hervorzuheben und das ‚eigentliche Feld‘ der Prostitution zu verlassen und Sexarbeit als medizinisch sinnvoll zu rahmen.

9. Zusammenschau und Ausblick

Die Betrachtung beider Diskurse zeigt die prominente Stellung der Medizin und der Psychologie/Psychoanalyse. Beide zielen auf eine Verbesserung des Wohlbefindens der physischen und/oder der psychischen Gesundheit. Der Schutzdiskurs beruft sich auf die Medizin um Prostitution zu problematisieren und der Autonomiediskurs betont die gesundheitssteigernde Wirkung von Sex im Zuge der Debatten um Sexualassistenz. Das Gesetz eröffnet zusätzlich den Bedarf ‚weiterer Diagnosen‘ und legitimiert eine spezifische Form der Beratung. Weiterhin werden Versatzstücke aus Sozialwissenschaft und Verwaltung als marginalisierte Perspektiven skizziert. An die Diskussion der Medikalisierung schließt sich somit eine Fokussierung auf die Praktiken des Diskurses an. Dabei geht es darum, wie Zwang erkannt werden kann, wie auch um Machtwirkungen, die in Folge der Aushandlungen über Prostitution konkrete Effekte haben. 9.1 Die Medikalisierung des Sex Vergleicht man nun den auf Schutz und den auf Autonomie fokussierten Diskurs bezüglich der ‚internen Logiken‘ zeigen sich zwei Gemeinsamkeiten. Zuerst beanspruchen beide in der politischen Sphäre den Status der Realität. Das ist prinzipiell zu erwarten, ist doch jeder Diskurs mit einem gewissen Legitimitätsanspruch verbunden. Interessant aber ist, dass in den konkreten Situationen der ‚Kämpfe‘ „die Realität“ explizit thematisiert wird. Dabei wird sie nicht zur Verhandlung gestellt. Stattdessen markiert der Verweis auf „die Realität“ als externe Größe und Quelle der je eigenen Legitimität die Grenze zum Anderen. Dieser Bezug wird gerne in Form von Zwischenrufen bei Debatten hergestellt. „[Sie müssen mal auf die Straße gehen, Frau Möhring]‚– da war ich, Herr Weinberg –, dann wüssten Sie, dass die Prostitutionsstätten sehr unterschiedlich sind und natürlich auch unterschiedlich behandelt werden müssen“ (BT-Drs.: 18/173: 17004f.; Redebeitrag Möhring: Linke; Zwischenruf: Weinberg: CDU/CSU). So folgt, dass die Realität des Schutzdiskurses jenes diskutierte Dunkelfeld ist. Die Realität des Autonomiediskurses ist die ‚Oberfläche‘, die heterogene Prostitution. Hinter dieser Oberfläche, auf Ebene des Psychisch-Unterbewussten findet sich dagegen die Realität des Schutzdiskurses. Beide beziehen sich in der politischen Arena zur Legitimierung ihrer Realität auf persönliche Erfahrung und anekdotische Evidenz. Beide

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Hill und M. Bibbert, Zur Regulierung der Prostitution, Theorie und Praxis der Diskursforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26929-6_10

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9. Zusammenschau und Ausblick

verweisen auf das je Offensichtliche; und sie teilen einen Bezug zum Medizinischen. Damit ist die zweite Gemeinsamkeit angesprochen. Der auf Schutz fokussierte Diskurs ist, über die Integration des Abolitionismus, feministisch informiert und kritisiert das in Bezug auf Prostitution verbreitete Bild männlicher Sexualität als Dampfkessel. Dieses konzipiert männliche Sexualität als Trieb, dessen Verlangen sich anstaut. Irgendwann muss der Trieb ausbrechen – so ist Prostitution als Institution der Triebabfuhr nötig, um Vergewaltigungen zu verhindern. Man ‚opfert‘ unanständige Frauen zu Gunsten ‚Anständiger‘. Prostitution ist das Ventil des Dampfkessels (vgl. Kontos 2009: 224). Dieses Bild verliert den Freier aus den Augen, er kann nicht zur Verantwortung gezogen werden, er ist Natur. Gegenstand der an diesem Bild orientierten Regulierung ist die Prostituierte. Die männliche „Disposition der ‚sex machine‘“ (ebd.) ermöglicht, aber verursacht nicht zwangsläufig Prostitution – zusammen mit weiteren Dispositionen. Gerheim benennt weiterhin eine Distanzdisposition, Tauschdisposition, eine Disposition der ‚sexuellen Unterwerfung‘ von Frauen sowie eine Entlastungsdisposition (vgl. ebd.: 223f.; vgl. auch Gerheim 2012: 267ff.). Der Schutzdiskurs kritisiert, dass sich der Freier durch diese Vorstellung von männlicher Sexualität der Verantwortung für sein Tun entziehen kann. Deswegen propagiert der Schutzdiskurs ein Suchtmodell, das Prostitution ermöglicht. Dem liegt die Annahme der Pornographisierung der Gesellschaft zu Grunde wie sie in Kapitel 7.3.1 dargestellt wurde. Die Sex-Industrie und insbesondere das Internet eröffnen heute eine noch nie gesehene Quantität an sexuellen Reizen. Dadurch findet eine sensorische und emotionale Deprivation statt. Zugleich beginnt ein Kreislauf der Abstumpfung und Reizsteigerung, auch bezüglich der Qualität. Das Emotionale weicht der Sucht, dem craving. Genauso extremisiere sich die Prostitution: immer billiger, immer perverser, immer banaler. Und der Kunde perpetuiert durch seine Nachfrage die Entwicklung und ist somit maßgeblich verantwortlich. Dieser gefährlichen Entwicklung wird eine emotionale, dyadische Beziehung als Ort der Sexualität entgegen gestellt – zugleich wird Erotik etwas Sakrales, was über die körperliche ‚Triebbefriedigung‘ hinausgeht, gefasst. Neben dem semantischen Anschluss an den Gesundheitsbereich wird die These der Pornographisierung von der medizinischen Sphäre (vgl. Gutachten Besser; Gutachten Heide; kritisch: Gerheim 2012: 258) referiert. Dieselben Sprecher verknüpfen auch die psychische Gesundheit mit der Prostitution. Letztere basiert auf vorgängigen Missbrauchserfahrungen und stellt selber immer eine solche dar; auch wenn diese Schädigung erst im späteren Leben realisiert wird. Die vorgängige Missbrauchserfahrung wird, wie schon diskutiert, der ‚deutschen‘ Prostituierten zugeschrieben, die Schädigung in der Prostitution eher der ‚Osteuropäischen‘.

9. Zusammenschau und Ausblick

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Im Schutzdiskurs wird bei thematischem Bezug zur Sexualassistenz die Dampfkessel-Sexualität als ‚Gegenargument‘ bemüht. Ein solch sexistisches Bild dürfe nicht mit dem Argument aktualisiert werden, dass Sexualassistenz alte Männer beruhige (vgl. 8.3.3). Es gilt alle Frauen vor Sexismus zu schützen. Weiterhin wird in diesem Zusammenhang auf mögliche Missbrauchserfahrungen von Patientinnen im Zuge des zweiten Weltkrieges verwiesen. Auch diese seien vor einer ‚Spätsexualisierung‘ zu schützen – Aufarbeitung lohne sich nicht mehr. Im Autonomiediskurs wird auf die positive medizinisch-psychische Wirkung des Sexes abgestellt. Sex verhelfe zu jüngerem Aussehen, nehme Regelschmerzen, entspanne, verbessere die Sinnesleistung, die Prostata, die Blasenkontrolle etc. (Bild 2017). So lässt sich über beide Diskurse hinweg eine Medikalisierung der Sexualität feststellen (vgl. die Ausführungen zur Biopolitik und sexuellen Immunologik in 3.4. Medikalisierung meint zum einen die „Übersetzung von sozialen Prozessen/Problemen in die Sprache der Medizin.“ (Schneider 2013: 220) Medizin schließt dabei auch die Psychologie, Psychoanalyse und Ähnliches. mit ein – sie teilen den Fokus auf die Gesundheit. Zweitens meint Medikalisierung auch die Expansion des Gesundheitssystems in den Alltag hinein (ebd.). Mit dem ersten Aspekt einher gehe ein Fokus auf und die Legitimation von nicht-prokreativer Sexualität (Giami/Spencer 2006: 40). In der Zusammenschau der Diskurse zeigt sich, dass Sexualität etwas Zerbrechliches und für die eigene Identität Wertvolles ist. Sie wird, legitimiert über die Gehirnforschung, Hormonmessungen usw., mit einer Bandbreite an ‚Benefits‘ versehen. Der falsche Sex aber führe zur Schädigung des Selbst. Das reine Einverständnis reicht nicht aus, dessen Genese muss in den Blick genommen werden. Als falsch ist eine ‚überdurchschnittliche‘ Häufigkeit verbunden mit mangelnder emotionaler Qualität und Authentizität anzuführen. Echter Sex ist ‚wahrhaft‘ authentisch. Das stellt auf den Aspekt der sexuellen Selbstbestimmung ab. Sexuelle Selbstbestimmung ist die Chiffre, der es sich im Kampf um die Realität zu bemächtigen gilt. Entweder man kann/will seine Selbstbestimmung glaubhaft inszenieren oder eben nicht. Der Schutzdiskurs führt einen ethnisch strukturierten Generalverdacht ein, der solche Inszenierungen untergräbt – insbesondere für Frauen der europäischen Peripherie. Selbstbestimmung ist dann vor allem an Sprach- und Ortskenntnisse gebunden. Lediglich die ‚heimische Hure‘ mag noch selbstbestimmt zum Entschluss zur Arbeit in der Prostitution gelangen. Im Autonomiediskurs ist Selbstbestimmung mit einem infrastrukturell gut ausgebauten, freiwilligen Beratungsangebot verknüpft.

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9. Zusammenschau und Ausblick

9.2 Marginalisierte Kontexte Neben diesen übergreifenden Tendenzen lassen sich noch zwei Bezugspunkte von Aussagen ausmachen, die zumindest in Teilen eine andere Logik als die des AD oder der SD bedienen und eine marginale Position einnehmen: einmal die Sozialwissenschaften, gedacht als Soziologie, Kulturwissenschaft, Philosophie und auch Rechtswissenschaft – wenn denn als Wissenschaftler*in gesprochen wird. Zweitens Aussagen, die auch einen Verwaltungskontext, als die Forderungen, Anliegen und Positionen der Verwaltung – Vertreter*innen von Ländern, Kommunen, Städten, öffentlichen Einrichtungen – adressieren. Die Disziplinen der Medizin und Psychologie stellen für den auf Schutz fokussierten Diskurs ein Legitimitätsreservoir dar, das etwa durch die Figur der schwangeren Prostituierten (vgl. Gutachten Besser: 6) adressiert wird. Im Rückgriff auf die Sprecherposition des Experten, des Arztes, des Psychologen wird die Prostituierte als Andere positioniert. Einerseits sei die Prostituierte medizinisch ‚Anders‘, etwa unsauber (Gutachten Heide: 5, 6) oder absolut passiv (Gutachten Besser: 6), andererseits sei die – hier meist deutsche Prostituierte – psychisch anders, sie reproduziere Missbrauchserfahrungen (Gutachten Besser: 3), sogar von „Seelenmord“ (Gutachten Besser: 5) ist die Rede. Die Figuren des Schutzdiskurses wurden in Kapitel 7.3.1 genauer ausgeführt. Die Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften werden dagegen eher vom Autonomiediskurs rezipiert. Daneben aber unterliegen sie einer eigenen Logik der Produktion wissenschaftlicher Aussagen. Diese Logik geht nicht in der des AD auf und so lässt sich neben Schutz- und Autonomiediskurs ein im weitesten Sinne sozialwissenschaftlicher Diskurs ausmachen, der den thematischen Aufhänger der Prostitution adressiert. Der Bezug zum AD stellt eine mögliche Erklärung dafür da, dass die Sozialwissenschaften in der politischen Debatte kaum eine Rolle spielen. Die Rezeption beschränkt sich hauptsächlich auf die Sphäre der Zivilgesellschaft – z.B. feministische Internetblogs oder Hurenverbände – und spielt im Politischen eine noch geringere Rolle, welche sich auf einzelne Verweise eingrenzen lässt. Vielmehr zeigt sich, dass die Logik des Dunkelfeldes aktuell das Politische und die Printmedien dominiert. Verdeutlichen lässt sich das an dem „Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten“ (BMFSFJ 2007a). Dieser basiert auf drei wissenschaftlichen Gutachten. Zwei Gutachten, einmal zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes, sowie zu den Aspekten des Ausstiegs aus der Prostitution und der Kriminalitätsbekämpfung wurden vom Sozialwissenschaftlichen FrauenForschungsInstitut verfasst. Das dritte Gutachten, erstellt von Prof. Dr. Joachim Renzikowski, adressiert die Reglementierung von Prostitution, deren Ziele und Probleme aus juristischer Perspektive (vgl. ebd: 4f.). Renzikowski verweist dabei etwa auf den nicht vorhandenen

9. Zusammenschau und Ausblick

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Zusammenhang von Prostitutionsausübung und sexuellem Missbrauch: „Dazu fehlt es an einer empirisch belegbaren Zahl der Prostituierten. Dazu fehlt es aber auch an einem klaren und eindeutigen Zusammenhang zwischen bestimmten Ursachen und der späteren Entscheidung für die Prostitution.“ (Renzikowski 2007: 63) Weiterhin verweist er im Rahmen der Diskussion einer abolitionistischen Haltung auf die Zunahme von „Managern der Prostitution“ (ebd.: 30) als Konsequenz einer Verdrängung des Bereiches in die Illegalität. Zusätzlich macht er eine differenzierte Betrachtungsweise des Phänomens stark, die keine einzelne „Erscheinungsform zum Paradigma erhebt.“ (ebd.: 31) und hebt die Unabhängigkeit der Prostituierten als ethisches Kriterium hervor (ebd.). Kavemann betont die Erleichterung des Ausstiegs als Zielsetzung des ProstG (Kavemann 2007: 6) und macht in diesem Zusammenhang niedrigschwellige, individuelle Ausstiegsberatung stark. „Sie erleben sich aufgrund der gesellschaftlichen Ausgrenzung als nicht anspruchsberechtigt. Umso wichtiger sind adäquate zielgruppenspezifische Angebote, die sich akzeptierend und parteilich für die Belange von Prostituierten einsetzen und die von Fachkenntnis der häufig anzutreffenden Multiproblemlagen sowie der Wirkung von Diskriminierung geprägt sein sollten. Aufsuchende Sozialarbeit im Milieu ist besonders niedrigschwellig.“ (ebd.: 20)

Auch der Bericht der Bundesregierung, der diese Studien zusammenfasst, stellt fest, dass sich „die Befürchtungen, die teilweise mit dem ProstG verknüpft wurden, nicht bewahrheitet [haben; Anm. A.], insbesondere nicht im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung. Eine Erschwernis der Verfolgung von Menschenhandel, Zwangsprostitution und anderen gewaltförmigen Auswüchsen der Prostitution ist durch das Prostitutionsgesetz nicht eingetreten.“ (BMFSFJ 2007a: 80)

Weiterhin wird festgehalten, dass die gewünschten Verbesserungen der Arbeitssituation und die Minderung der Begleitkriminalität nicht eintraten (ebd.) sowie die „geschaffenen Rahmenbedingungen für den Abschluss von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen“ (ebd.) nicht im gewünschten Umfang nachgefragt werden. Im Rahmen der Veröffentlichung des Berichts verweist die damalige Bundesfamilienministerin von der Leyen auf die Notwendigkeit von mehr Kontrolle und setzt den Ausstieg aus der Prostitution als oberstes Ziel kommender Regulierungen (BMFSFJ 2007b). Abschließend visiert auch der Bericht folgende Programmatik an: „Aus Sicht der Bundesregierung bedarf es eines insgesamt breiteren Ansatzes der Reglementierung der Prostitution, der insbesondere konsequent die Bekämpfung von Menschenhandel, Zwangsprostitution und Minderjährigenprostitution integriert und auf einen größtmöglichen Schutz von Prostituierten vor Gewalt und Ausbeutung abzielt und der – nicht zuletzt durch die Einführung der Strafbarkeit für Freier von Zwangsprostituierten – die Verantwortung der Nachfrager klar benennt.“ (BMFSFJ 2007a: 81)

Darin zeigt sich bereits die Entwicklung hin zur Schwerpunktsetzung auf die Zwangsprostitution, vor welcher in eben jenen zu Grunde liegenden Studien

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9. Zusammenschau und Ausblick

gewarnt wurde (vgl. Renzikowski 2007: 31). Es zeigt sich, dass die ‚Message nicht ankommt‘. Wenn es dem Argument nützt, wird auf die Sozialwissenschaften verwiesen, allerdings eröffnen sich keine genuinen Sprecherpositionen, sondern nur durch die Kombination mit einer ‚ideologischen‘ Passung und selbst dann lediglich in Form ‚des/r Jurist*in‘. Neben dem Wissenschaftlichen, als Diskurs, den man für relevant erachtet hätte, findet sich noch der Verwaltungskontext, als die Forderungen, Anliegen und Positionen der Verwaltung – Vertreter*innen von Ländern, Kommunen, Städten, öffentlichen Einrichtungen. Dieser zielt auf die Akkumulation von Ressourcen sowie auf das Recht als Größe an sich – das in dieser Logik auch kritisiert wird. Dabei ist er dem Schutzdiskurs näher als dem AD. So wird die persönliche Anmeldepflicht beispielsweise vom Deutschen Städtetag grundsätzlich begrüßt (Gutachten Fogt: 3). Als Moment der Abgrenzung lässt sich die Form der Kritik am neuen Gesetz ausmachen, die nicht den Inhalt, sondern die Konzeption bezüglich der Infrastruktur und der angedachten Ressourcen anvisiert. Die Kritik zielt in erster Linie nicht auf den (moralischen) Gehalt des Gesetzes, sondern darauf, ob es in der vorliegenden Form ‚handhabbar‘ ist. Ein Kritikpunkt sind die veranschlagten Kosten. „Konsequenz dieser detailgenauen Regelungen ist ein erheblicher Verwaltungsaufwand, der eine deutliche Mehrbelastung und einen entsprechenden Personalbedarf der zuständigen Behörden mit sich bringt. Wenn insoweit im Gesetzentwurf der Erfüllungsaufwand bei der Verwaltung bundesweit mit ‚nur‘ 17 Mio. Euro errechnet wird, ist dies stark anzuzweifeln. Wenn die Aufgabenerfüllung zufriedenstellend bewältigt werden soll, müssen mehrere Behörden, wie Gesundheitsbehörden, Ordnungsbehörden, Polizei etc. miteingerechnet werden.“ (ebd.: 2)

Die Zuordnung von Ressourcen zur Regulierung sozialer Probleme lässt sich als unechtes Nullsummen-Spiel fassen. Das prinzipielle Budget „hängt von politischen Grundsatzentscheidungen (und ideologischen Prämissen) der jeweils die Parlamentsmehrheit und die Regierung stellenden Parteien ab. Wenn allerdings diese Rahmenbedingungen für einen bestimmten Zeitraum einmal festgelegt sind, stehen die sozialen Probleme bzw. die jeweiligen Bekämpfungsmaßnahmen oftmals tatsächlich in einer unmittelbaren Konkurrenz zueinander.“ (Schetsche 2014: 164)

Dieser Verwaltungskontext hat die Chance, mit dem baldigen Inkrafttreten des Gesetzes vermehrt auch im öffentlichen Diskurs Gehör zu finden. So zeigt eine Anfrage der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft, dass zum 01.03.2017 noch kein Konzept zur Umsetzung des Gesetzes vorliegt (Bundesjustizportal 2017). Auch in Thüringen befindet sich das Konzept zum 06.03.2017 noch in Arbeit. Zugleich sehen die Landesregierung und das Sozialministerium das Gesetz kritisch (InSüdThüringen 2017). Spätestens anlässlich der Evaluation des ProstSchG wird sich ein Fenster der Einflussnahme auf das Gesetz und auch auf den Schutzdiskurs öffnen. Die bisherige Anbindung an den Schutzdiskurs, der

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das Handeln der Verwaltung legitimiert, lässt eine grundsätzliche Kritik allerdings unwahrscheinlich erscheinen. 9.3 Zwang erkennen Nachfolgend werden die Praktiken des Diskurses fokussiert, hier vor allem in Form des Erkennens von Zwang, als auch die Machtwirkungen, die in Folge der Aushandlungen über Prostitution konkrete Effekte haben, wie die Freierbestrafung bei Inanspruchnahme der Dienste einer Zwangsprostituierten. Insbesondere die durch den Diskurs hervorgebrachten Dispositive – u.a. das neue ProstSchG und die Änderung von § 232 StGB (Freierbestrafung bei Kenntnis der Zwangslage) spielen hierbei eine eminente Rolle. Als sprachliche bzw. zeichenförmige diskursgenerierte Praktiken (Keller 2011b: 258) sind die vorgeschriebenen Beratungsgespräche, die Prostituierte nun in einem halb- bzw. jährlichen Rhythmus nachweisen müssen und die Anmeldepflicht anzuführen. Im Gesetz sind mehrere Gespräche vorgesehen, darunter ein Informations- und Beratungsgespräch, das Ausübende über ihre Recht und Pflichten belehren soll (§ 7 ProstSchG), das vor allem Informationen zur Absicherung im Krankheitsfall sowie zu Schwangerschaft und Notfallsituationen bereitstellen soll. Maßnahmen bei Verdachtsmomenten seitens der Behörde sind das Angebot von Hilfe und unverzügliche Veranlassen von Maßnahmen, wenn „sich tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass 1. eine Person unter 21 Jahren durch Dritte zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution gebracht wird oder werden soll oder 2. eine Person von Dritten durch Ausnutzung einer Zwangslage, ihrer Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, oder ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeit zur Prostitution gebracht wird oder werden soll oder diese Person von Dritten ausgebeutet wird oder werden soll“ (ProstSchG § 9)

Nähere Spezifikationen zu den „tatsächlichen Anhaltspunkten“ werden hingegen zumindest im Gesetz nicht gegeben und verweisen indirekt auf die Zuhilfenahme anderer Quellen, die diese Momente näher ausdifferenzieren. Die Informationsberatung ist nicht mit der ebenfalls vorgeschriebenen Gesundheitlichen Beratung gleichzusetzen und diese wiederum ist nicht mit dem ehemaligen amtsärztlichen Gesundheitszeugnis („Bockschein“) zu verwechseln. In der Gesundheitsberatung wird keine medizinische Untersuchung angeboten, sondern mündlich über Krankheits- und Empfängnisverhütung und über Gefahren angenommener Begleiterscheinungen, wie Alkohol- und Drogenmissbrauch aufgeklärt. Personen unter 21 Jahren müssen halbjährlich, Personen über 21 Jahren jährlich an dieser Beratung teilnehmen. Auch hier legt der Gesetzgeber besonderes Augenmerk auf das

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Erkennen von Zwangslagen, indem: „Die beratene Person […] auf die Vertraulichkeit der Beratung hinzuweisen [ist] und erhält Gelegenheit, eine etwaig bestehende Zwangslage oder Notlage zu offenbaren.“ (§ 10 ProstSchG) In der Gesundheitsberatung müssen die Behördenmitarbeiter nicht zwingend Zwangslagen erkennen, vielmehr soll der betroffenen Person die Möglichkeit des Offenbarens eingeräumt werden. Nach der erfolgreichen Gesundheits- und Informationsberatung erhalten die Prostituierten einen Nachweis, den sie zur erfolgreichen Anmeldung bei der Behörde benötigen und bei der Ausübung ihrer Tätigkeit mit sich führen müssen. Das Tragen der genannten Papiere kann, ebenso wie die Kondompflicht (§ 32 ProstSchG), als nicht-zeichenförmige diskursgenerierte Praktik benannt werden. Daneben sind die statistische Erhebung und Verarbeitung der gewonnen Daten bezüglich Prostitution, die Informationsbroschüren, die aufgrund fehlender Dolmetscher*innen zukünftig zur Sicherstellung der Beratung erstellt werden müssen, die Verordnungen und Zuständigkeiten innerhalb des Verwaltungsapparats, als auch die baurechtlichen Umsetzungen in den Betrieben als Modellpraktiken des Diskurses zu verstehen. Darüber hinaus wird die Konstruktion von Prostitution als Zwang durch die verschiedenen Organisationen durch Stellungnahmen und Informationspapiere (re-)produziert und legitimiert und wiederum in Praktiken stabilisiert. Zusammengefasst wirkt das Dispositiv auf vielerlei Weisen in den Diskurs zurück: Prostituierte müssen sich gesetzlichen Bestimmungen zur Anmeldung und Information beugen und die Aufnahme und Weiterführung ihrer Tätigkeit gegenüber einer staatlichen Stelle rechtfertigen. Behörden und Ämter sind aufgefordert, Zwangslagen zu erkennen, einmal durch das Gespräch und die Inaugenscheinnahme der Anmeldenden sowie durch die Möglichkeit zur Offenbarung. Kund*innen sind durch die Neuregelung von § 232 StGB dazu angehalten, Menschenhandelsopfer zu erkennen und diese Informationen an die zuständigen Behörden weiterzugeben. Betreiber*innen müssen ebenfalls eingängig prüfen, ob Ausübende ihrer Tätigkeit freiwillig nachgehen. Im Resultat ergeben sich aus den Anforderungen des Gesetzes nicht nur Modellpraktiken und -figuren, sondern ferner auch neue Techniken des Erkennens und Techniken der Befragung. In der weiteren Darstellung wird der Fokus auf die Grundlagen der durch das Gesetz bedingten Diagnosen von Zwang gelegt. Die Unterbindung und das Erkennen desselben, so das Ergebnis der Diskursanalyse, ist der zentrale Punkt der neuen Regelungen. Die neue Gesetzeslage betrifft folglich nicht nur Prostituierte, sondern auch deren Kunden, Beamt*innen aus unterschiedlichsten Bereichen (Gesundheitsamt, Polizei, Verwaltung), ebenso wie Betreiber*innen. Alle genannten Gruppen müssen Zwang erkennen können, sie müssen die Zeichen lesen, verstehen und deuten können. Als Folge ergibt sich ein neuer Blick, der erlernt werden

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muss, um die Gesetzesintention – den Schutz von Zwangsprostituierten – in die Praxis überführen zu können. 9.3.1 Zur Grundlage Die Hervorhebung der Strafwürdigkeit in Bezug auf den Tatbestand der Zwangsprostitution ist aufs engste verknüpft mit der Idee Zwangsprostitution zu ‚diagnostizieren‘. Das Wissen um die Situation, das ‚Lesen‘ der Prostituierten, das Diagnostizieren ist zentrales Moment, ist Kriterium der Strafwürdigkeit. Diese basieren einmal auf Anzeichen der Zwangsprostitution, die eine eigene Typologie und Hierarchie besitzen. Die inhaltlichen Dimensionen werden in Kapitel 9.3.2 diskutiert. Zweitens ist eine Hermeneutik, als handwerkliche Deutung, anzutreffen. Drittens resultieren aus dieser verschiedene Subjektpositionen. Zunächst lässt sich festhalten, dass es offenbar „objektive Anzeichen“ (JADWIGA) der Zwangsprostitution gibt, und solche, die nicht zu dieser Kategorie zählen. Zu ersteren zählen der Besitz des Passes oder eigener finanzieller Mittel, der ersichtliche körperliche Zustand und mangelnde Sprachkenntnisse. Unabhängig von der kategorialen Zuschreibung sind die Merkmale alleine nicht hinreichend, erst eine gewisse Häufung, die es zu Erkennen gilt, verweist auf Zwang. Formulierungen wie die Folgende sind typisch: „Diese Anzeichen müssen nicht zwangsläufig auf Menschenhandel hindeuten, treten jedoch mehrere in Kombination auf, so sollte jeder Zivilcourage zeigen und sich an eine Fachberatungsstelle oder die Polizei wenden.“ (Freedom Keepers Germany 2012) Auch variiert die Manifestation des Merkmals, das begründet die nötige hermeneutische Haltung. Man muss das Opfer lesen, die möglichen Anzeichen am Körper, an der Person, in den Aussagen beziehen auf die Merkmale der Zwangsprostitution.

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9. Zusammenschau und Ausblick

Abbildung 3: Zwang erkennen

Der graphisch dargestellte ‚innere Kern‘ der Zwangsprostitution verweist auf die Idee, dass Prostituierten „selbst oft nicht bewusst ist, dass sie ausgebeutet werden, aufgrund mangelnder Informiertheit bzw. der Täuschungen der Ausbeuter, oder dass sie es nicht wahr haben wollen.“ (Freedom Keepers Germany 2012) Die Person und die persönlichen Anzeichen sind also verschiedene Entitäten, und zweite müssen ‚unabhängig‘ von der Person betrachtet werden. Diese kann nämlich ein ‚falsches Bewusstsein‘ besitzen (vgl. ebd., NO Loverboys; Anti Slavery International 2005: 19) und kann im Extremfall aktiv und bewusst am Verbergen der Zwangsprostitution mitarbeiten (vgl. NO Loverboys). Das Lesen der Anzeichen ist Sache von Experten. „Für Außenstehende ist es schwierig, mit (potenziell) Betroffenen von Menschenhandel in Kontakt zu kommen. Daher können einige der folgenden Merkmale lediglich aus Sicht der Polizei, von Gesundheitsämtern oder Fachberatungsstellen erkannt werden.“ (Freedom Keepers Germany 2012) Laien werden also entlang der Praxiserfahrung von Experten getrennt. Das Deuten ist ein Handwerk: es benötigt theoretisches Wissen und angeleitete Praxiserfahrung. Das Feld um die Diagnose wird vom auf Schutz fokussierten Diskurs bestimmt. Selbstorganisierte Verbände haben keine Stimme, da sie – in der Logik des SD – die ‚wenigen‘ Freiwilligen vertreten und sich das Feld somit außerhalb ihrer Expertise befindet. Dominiert wird es von Hilfsorganisationen, die wiederum größtenteils das Konzept freiwilliger Prostitution ablehnen und so den Diskurs ausdehnen. Es werden also die Sexarbeiter*innen zum Gegenstand der Diagnose, weil sie in einer falschen Realität leben, ihnen fehlt die hermeneutische Kenntnis um die Strukturen ihrer eigenen Zwangslage zu durchschauen. Als Antipode im SD fungiert die Figur der Aussteigerin. Diese

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Sprecherposition wird beispielsweise von Huschke Mau (vgl. 9.1) besetzt. Die obige Darstellung pointiert zusammengefasst schreibt sie in einem offenen Brief an eine „Kollegin“: „Tu nicht so, als hättest Du nie Freiergewalt erlebt, und erzähl nicht die Mär vom lieben, netten Kunden, der nur kuscheln will und Deine Grenzen immer achtet.“ (Mau 2014) So wird aus der Sprecherposition der Aussteigerin der SD adressiert, seine Logik argumentiert, jedoch kein falsches Bewusstsein unterstellt, aber ein bewusstes Wegsehen. Dieser Vorwurf wird dem gesamten AD, vertreten durch die Chiffre ‚Kollegin‘ gemacht und dieser so delegitimiert. Stellt man die Frage nach den Laien, so fehlt mindestens eines: Wissen oder Praxis. Trotzdem werden sie adressiert: als aufmerksamer Freier, als aufmerksame Kollegin und als aufmerksamer Mensch des öffentlichen Lebens. Diese Modellfiguren stellen allesamt Laien dar, die sich eine Art Rezeptwissen der Diagnose aneignen. Das Geschlecht spiegelt die Attribution im Diskurs wieder. Dabei ist anzunehmen, dass Laien, sieht man vom Aspekt der persönlichen Erfahrung ab, ihr Wissen über Prostitution aus den öffentlichen Medien erhalten. Die bisherige persönliche Erfahrung des Freier wird irrelevant, war sie doch eine falsche. Mit dem Wissen um den stets notwendigen Verdacht und mit dem Willen ‚hinter den Vorhang‘ zu schauen, wird eine neue Erfahrung konstituiert, selbiges gilt für die Kollegin. So wird der öffentliche Diskurs für alle Laien zum Vermittler. Dort dominiert die schon dargestellte Geschichte der osteuropäischen Zwangsprostituierten inklusive Loverboy. 9.3.2 Dimensionen der Diagnose Die Dimensionen der Diagnose ergeben sich aus der Analyse verschiedener Indikatorenpapiere, u.a. von JADWIGA und Contra, einer Fachberatungsstelle aus Hamburg sowie von NO Loverboys und aus Leitfäden für die Polizei. Die hierin angesprochenen Bereiche sind z.B. Alter, Arbeitssituation, Zahlungsmodalitäten, als auch „objektive Feststellungen“ (JADWIGA), wie Spuren von Missbrauch oder fehlende Ortskenntnisse. Anhand dieser Indikatoren lassen sich Dimensionen verdichten, die diskursiv kursieren. Die Feststellung der Zwangssituation oder der negative Einfluss eines Loverboys kann nur von außen diagnostiziert werden, es obliegt einer anderen Person als der betroffenen, die Situation einzuschätzen und Hilfe zu offerieren. Das betrifft neben sozialen Dimensionen auch Dimensionen des Selbst, wie Veränderungen oder Autonomie, die von außen hineingedeutet werden.

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Dimensionen des Selbst Die erste Dimension umfasst das Selbst der Person. Veränderungen der Persönlichkeit können dementsprechend als gefährlich markiert werden, ohne weitere Kenntnis des seelischen Zustands und möglicher persönlicher Probleme, die unabhängig von einer Zwangslage sind. Informiertheit und Autonomie sind weitere Aspekte der Selbst-Dimension. Fehlende Autonomie liegt vor, wenn die Person nur eingeschränkte Verfügungsgewalt hat, z.B. wenn die Person permanent durch Dritte überwacht wird, wenn sie nicht über sexuelle Praktiken entscheiden kann und keine eigenen Reisedokumente besitzt. Bezüglich der Informiertheit sind Beispiele, dass die Person vor ihrer Tätigkeit als Prostituierte nicht von der Art der Arbeit wusste, oder über das Ausmaß der Arbeit nicht informiert war. Ebenso können Betroffene aufgrund fehlender Informiertheit selbst nicht erkennen, dass sie Opfer von Menschenhandel geworden sind. Wie Autonomie und Informiertheit von außen, also z.B. von einem Polizeibeamten oder gar Freier operationalisiert werden sollen, wie sie diese Faktoren als ausreichend oder unzureichend beurteilen können sollen, bleibt offen. Dennoch werden alle genannten Aspekte als „objektive Feststellungen“ (JADWIGA) definiert, die somit von außen erkennbar sein müssten. Die Dimension des Alters spielt eine exzeptionelle Rolle: Wie im Gesetz vermerkt, scheint die Grenze von 21 Jahren von besonderer Bedeutung zu sein. Gerade bei jungen Menschen liegt per se der Verdacht der Ausbeutungslage vor, wenn sie in der Prostitution tätig sind. Ihr junges Alter macht sie erstens zu leichten Opfern und begünstigt eine naive Sicht, die die weitreichenden Folgen der Tätigkeit nicht einschätzen lässt. Körperliche Merkmale sind ein allgemein schlechter Zustand, der sich in mangelnder Hygiene und die Anzeichen körperlicher Schädigungen offenbart und auch psychische Aspekte beinhaltet. In der Dimension der Selbstdarstellung deuten unter anderem starkes Make-Up sowie ein oberflächlich konsumorientierter Umgang mit Geld auf die Abwesenheit einer bürgerlichen Idealvorstellung von authentischem Konsum und Identität hin. Darüber hinaus präsentiert sich die Person ohne eigene Meinung, sie wirkt instruiert und nicht eigenständig, auch wenn sie dies vorgibt. Dimensionen des Sozialen In der Dimension des Sozialen stehen Fragen nach sozialen Kontakten im Zentrum. Dazu zählen die Dimension der Erfüllung sozialer Normen, der nicht mehr nachgekommen werden kann (z.B. bei Opfern von Loverboys die Erledigung von Hausaufgaben), als auch die kommunikative Fähigkeit. Nicht nur ist hierbei die Sprachkenntnis an sich nennenswert, sondern auch die Art und Weise des Sprechens, als unsicher oder verschlossen. Bei der räumlichen Dimension dient zuvorderst der Arbeitsplatz Prostitution als Indiz für Ausbeutung, als auch der prekäre

9. Zusammenschau und Ausblick

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Status den Migrant*innen inne haben. Verknüpft mit der Dimension der Fremdheit ergibt sich ein Generalverdacht. Die von uns verdichteten Dimensionen geben Aufschluss darüber, wie Opfer von Menschenhandel erkannt werden sollen/können. Die Erkenntnisse müssen sich auf die Ebene der Darstellung der Dimensionen beschränken. Zur Zeit der Studie war das ProstSchG noch nicht in Kraft getreten und Länder und Kommunen befanden sich in der Planungsphase der Umsetzung, der im Gesetz vorgesehenen Beratungsinfrastruktur. Kritiker*innen bemängeln die damit einhergehende Einschränkungen bezüglich der Ausübung der Prostitution. Behörden und Ämter werden aufgrund ihrer Organisationsstruktur den Beratungspflichten nur schwerlich nachkommen können, z.B. da zu wenige Dolmetscher*innen vorhanden sind, unzureichende personelle, wie materielle Ressourcen und schlicht zu kurze Öffnungszeiten zur Verfügung stehen, um die anfallenden Anmeldungen bearbeiten zu können. Ebenso ist nicht absehbar, wie sich die Dimensionen in der Beratungssituation niederschlagen werden. Sozialwissenschaftliche Forschung wird zukünftig die Beratungsinfrastruktur und -situation in den Blick nehmen müssen bzw. können, um die konkrete Aneignung und Praxis des Wissens, und Machtwirkungen explizieren zu können. Offen muss an dieser Stelle bleiben, inwiefern das ProstSchG Prostituierte, Kund*innen, Bertreiber*innen in ihrem (all-)täglichen Tun beeinflussen und verändern wird.

10. Diskussion der Ergebnisse

Nachdem die konkreten Ergebnisse der Diskursanalyse in aller Ausführlichkeit dargestellt wurden, sollen diese in nun einem anknüpfenden Schritt diskutiert, verglichen und an die Ausführungen in Teil I rückgebunden werden. Die Analyse der aktuellen Debatte um Prostitution legt zwei konkurrierende Diskurse frei: den auf Schutz fokussierten und den auf Autonomie fokussierten Diskurs. Beide ringen um die Deutungshoheit der Realität in der Prostitution – welche entweder als durch Zwang gekennzeichnet und daher schutzbedürftig ist, oder als eine selbstbestimmte Tätigkeit verstanden wird, die einer Stärkung nach außen bedarf. Die Kämpfe über die richtige Art und Weise des Umgangs mit Prostitution kehrt historisch als zyklische Risikoerzählung wieder – das klang an vielen Stellen der vorliegenden Arbeit bereits an – und soll nun spezifiziert werden. Die Parallelen zum Abolitionismus des 19. Jahrhunderts, zur Deutung weiblicher Migration als white slavery und die Entwicklung, Prostitution dem öffentlichen Blick zu entziehen, eröffnen die Möglichkeit eines Vergleichs. Die Industrialisierung bewirkte eine deutliche Zunahme der sichtlichen Prostitution und dadurch stärkere Bestrebungen, diese zu regulieren. Die vormals herrschenden rigiden Bordellstrukturen bedingten eine Einhegung der Prostitution wodurch sie dem öffentlichen Blick weitestgehend verborgen blieb. Die Urbanisierung/Industrialisierung schuf die Notwendigkeit vieler proletarischer Frauen einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu müssen, um so das Überleben der Familie zu sichern. Frauen waren, wie heute, tendenziell schlechter bezahlte Arbeitskräfte und für viele proletarische Frauen bot Gelegenheitsprostitution die Chance, das spärliche Familieneinkommen aufzubessern (Hunecke 2011: 8). Wirtschaftliche Zwänge spielen heutzutage eine ebenfalls immanente Rolle. Männer verdienen durchschnittlich noch immer mehr als Frauen und eine geschlechtliche Segregation des Arbeitsmarktes zeigt sich in der andauernden Teilung zwischen Frauenund Männerberufen, der ungleichen Bezahlung und einem niedrigeren Status ‚typisch weiblicher Berufe‘ (Wetterer 2001). Frauen sehen in der gelegentlichen Ausübung der Prostitution, z.B. bei Messen oder anderen Großereignissen, die Möglichkeit relativ schnell und einfach den Unterhalt aufzubessern. Damals wie heute stellt Arbeitsmigration die wohl stärkste Ausprägung von Flexibilität und Mobilität dar, um die eigene Lebenssituation verbessern zu können. Im 19. Jahrhundert galt die durch einen ersten Globalisierungsschub bedingte weibliche Arbeitsmigration als gefährlich und wurde unter dem Stichwort white slavery verhandelt. Die junge, weiße, naive Frau, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Hill und M. Bibbert, Zur Regulierung der Prostitution, Theorie und Praxis der Diskursforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26929-6_11

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10. Diskussion der Ergebnisse

migriert und dann ausgebeutet wird, war das Schreckensszenario, vor dem ausreisewillige Frauen eindringlich gewarnt wurden. Heute, in einem weiteren Schub der Globalisierung und der Öffnung von Grenzen, gerade nach Osten, wandert noch immer das junge, weiße und naive Mädchen auf der Suche nach ökonomischer und sozialer Verbesserung aus. Damals wie heute wird die Hoffnung von rücksichtslosen Ausbeuter*innen ausgenutzt: damals stilisiert in der Figur des galizischen Juden (Dietrich 1989: 35; Thiée 2011: 43ff.; Sabelus 2009: 57ff.), heute als osteuropäischer Loverboy. Dennoch unterscheiden sich beide Entwicklungen in ihrer Ausrichtung: damals wurde das ‚einheimische‘ Mädchen vor der Auswanderung gewarnt, heute soll eine Einreise von außerhalb nach Deutschland verhindert werden. Zwar fordern auf Opferschutz bedachte Organisationen ein Aufenthaltsrecht für die Opfer von Menschenhandel, stellen jedoch das Zuwanderungsgesetz nicht grundlegend infrage, z.B. indem Forderungen zur legalen (Arbeits)Migration formuliert werden. Die ‚weiße Sklavin‘ war eine ‚eigene‘, die Zwangsprostituierte ist eine ‚andere‘: „An die Stelle der weißen Sklavin ist die arme Slawin getreten.“ (Doezema 2006: 270). Sie ist der Sprache nicht mächtig, sie ist ungebildet, sexuell unaufgeklärt, sie ist eine Fremde, die die Gebräuche und das Leben der westlichen Welt nicht kennt – sie wird dadurch zwangsläufig Opfer, denn anders passe sie nicht ‚hierher‘. Männliche Migration, das zeigten wir in Kapitel 3.1, wird und wurde als „Pionierwanderung“ gedeutet, weibliche Migration konnte allenfalls in Form von Nachzug gedacht werden (Oswald 2007: 38). Dementsprechend war die Migrationsforschung lange Zeit geschlechtsblind in Bezug auf Frauen und ließ weibliche Alleinmigration suspekt erscheinen. Die Parallelen zu heute liegen auf der Hand und klangen bereits vielfach in dieser Arbeit an. Nochmals sei betont, dass Menschenhandel ein vorhandenes und schwerwiegendes Vergehen ist, das massive Folgen für das Opfer und für den verurteilten Täter hat. Weibliche Arbeitsmigration (vor allem zur Ausübung der Prostitution) jedoch per se mit Menschenhandel gleichzusetzen, ist nicht nur rassistisch und diskriminierend, sondern auch wenig zielführend. Die selbstbestimmte Entscheidung von Frauen zur Ausübung der Prostitution zu migrieren und die damit zusammenhängende Inanspruchnahme von Schleuser*innen oder Vermittler*innen wird negiert und kriminalisiert. Erneut wird sie zum absoluten Opfer stilisiert, dass auf Hilfe von außen angewiesen ist. Diese Hilfe beinhaltet keine konkrete Unterstützung zur Verbesserung der Arbeitssituation (die durchaus miserabel sein kann), sondern knüpft sich an eine Lossagung von der Prostitution und der Selbstpositionierung als umfängliches Opfer. Die Deutung der Hilfsbedürftigkeit akzentuiert Passivität und die Unmöglichkeit des aktiven Ausbrechens und der Handlungsmacht über das eigene Leben. Die historisch wiederkehrende Deutung von Frauen in der Prostitution als Opfer von white slavery oder Menschenhandel, als Opfer von männlichen Tätern (in Form

10. Diskussion der Ergebnisse

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von Freiern, Bordellbetreibern, Loverboys, Zuhältern), als Opfer von ökonomischen Notlagen und als Opfer ihrer eigenen psychischen Gesundheit untermauert die Perspektive auf Prostituierte als ‚Andere‘. Sex als Dienstleistung zu verkaufen „statt sie mit Liebe und Zuneigung auszuüben und sie sich ,verdienen‘ zu müssen, ohne Geld auf den Tisch zu legen“ (Hunecke 2011: 28), war und ist ‚anders‘ und ermöglicht eine Abgrenzung der ‚normalen Frau‘ zur Prostituierten. Eine Taktik, die bereits aus dem Bürgertum bekannt ist und heute beständig Anwendung findet. Für die bürgerliche Frau war eine Erwerbstätigkeit unnötig, vielmehr profitierte sie nicht nur indirekt durch das bessere Einkommen des Mannes von der neuen Schicht des Proletariats, sondern auch durch die Abgabe häuslicher Tätigkeiten an Personal. Die hierdurch erlangte Freizeit konnte für wohltätige Zwecke genutzt werden, z.B. in der abolitionistischen Bewegung und der „Errettung“ von Prostituierten (vgl. Gruber 2006). Erst der Generalverdacht allen Frauen im öffentlichen Leben gegenüber, der aufgrund rigider Anmelde- und Kontrollregelungen durch das französische System entstand, wurde die Praxis der Bordellierung und Überwachung durch bürgerliche Frauen angeprangert. Die herrschende Doppelmoral, die sich im Besonderen in der Prostitutionsfrage offenbarte, verschob die Perspektive von der „geborenen Dirne“ zum Opfer. Durch die Zuschreibung der Prostitution als proletarisches Problem und die Umdeutung der Prostituierten, konnte das Machtverhältnis zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Frau nicht nur bestehen, sondern sogar verstärkt werden (Persak 2014). Heute spricht ebenfalls die gebildete, westliche Feministin für die scheinbaren Opfer. Die Objektivierung der Prostituierten, das zum Schweigen bringen dieser (da die selbstbestimmte Prostituierte einer Minderheit angehört und sich weiterhin ihrer eigenen traumatisierende Kindheit (noch) nicht bewusst ist) überlässt, wie schon im 19. Jahrhundert, das Sprechen über Prostitution der bürgerlichen Feministin. Hierdurch wird das Grundverständnis weiblicher Emanzipation für einen Teil der Frauen ausgehebelt, denn diese können gar nicht für sich selbst sprechen, weil sie sich ihrer Lage nicht bewusst sind, oder weil sie zu schwach hierfür sind (Persak 2014: 207). Die Prostituierte ist demzufolge eine ‚andere Frau‘, sie schweigt, sie ist Opfer, sie ‚verkauft sich‘. Gemeinsam ist dem historischen Abolitionismus, wie auch dem heutigen Schutzdiskurs, dass die Opfer gerettet werden sollen, die Motivation hierzu aber allzu oft die Verdächtigung aller Frauen ist. Die Prostituierte als Stellvertreterin aller Frauen zu sehen, ist nicht nur eine historische Deutung z.B. durch Ordnungsbehörden, sondern die Zugehörigkeit zum Geschlecht der Frauen spielt eine eminente Rolle. Sie wirft durch ihre Tätigkeit ein negatives Bild auf alle Frauen – auch wenn sie nichts dafür kann, ist sie doch ein Opfer – doch den Blick, den sie durch den Verkauf von Sexualität auf das Geschlecht der Frauen im Allgemeinen wirft, ist verheerend. Wie Alice Schwarzer 2003 betont: „Rund drei von vier Männern sind Freier. […] Ihr Begehren, ihr Blick auf Frauen, ihr

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10. Diskussion der Ergebnisse

Verhältnis zu Frauen wird zutiefst geprägt von der Erfahrung der Käuflichkeit einiger. […] Selbst die Männer, die es nicht tun, wissen, dass sie es tun könnten.“ (EMMA, Mai/Juni 2003; zitiert nach Mitrović 2007: 110). Hierbei sind nicht nur alle Männer potentiell Freier und damit Täter, sondern auch alle Frauen potentiell käuflich. Historisch zeigte sich, dass die Andersartigkeit der Prostituierten geradezu herauf beschworen wurde – und dennoch wurden ‚unbescholtene‘ Bürgerinnen auf offener Straße verhaftet. Die Abhebung der ‚Normalen‘ von der ‚Anderen‘ gelang hier offensichtlich nicht. Nicht in Frage gestellt wurde damals wie heute die Homogenisierung der Gruppe der Frauen. Prostituierte werden zumindest vom Schutzdiskurs als Gruppe der Opfer von Zwang zusammengefasst und übergeordnet alle Frauen, wie im Zitat von Schwarzer verdeutlicht, zu einer Masse an Frauen zusammengeschlossen. Das, was die bürgerliche Frau eigentlich negieren möchte, indem man sich von der Prostituierten als ‚Anderer‘ absetzt, misslingt nicht zuletzt durch die eigene Deutung. Dass es die Frau nicht gibt, ebenso wie es die Prostituierte nicht gibt, wird beide Male negiert, nach dem Prinzip ‚kennst du eine, kennst du alle‘. Vielmehr sollten feministische Bestrebungen aktuell Diversität anerkennen und ihren Ansatzpunkt mit einer Kritik an der Überhöhung von Geschlecht ansetzen und diese Vereinheitlichung dekonstruieren. Stattdessen wird an einer Festschreibung von Geschlechterunterschieden mitgearbeitet, indem den Prostituierten unterstellt wird, an der Diskriminierung aller Frauen mitzuarbeiten. So wird Prostitution durch die Jahrhunderte hindurch zum Ansatzpunkt verschiedenster Gruppen und ihrer Forderungen, als könne durch die Ausrottung der Prostitution Geschlechterungleichheit per se beseitigt werden. Den Freier als Ansatzpunkt der Bestrebungen zu machen, war damals wie heute im Fokus abolitionistischer Bestrebungen. Er ist es, der durch seine Nachfrage den Markt erst ermöglicht. Die historische Deutung des stärkeren männlichen Triebs, der wie ein Dampfkessel Entlastung finden müsse, ließ Prostitution als notwendiges Übel und als „moralischen Schutzwall der bürgerlichen Familie“ (Große 2014: 192) erscheinen. Erst die Fokusverschiebung durch die Medizin und den Mann als Verbeiter von Krankheiten, entließ die Prostituierte aus dem Bild des Krankheitsherds und machte den Mann moralisch fragwürdig. Mit der Idee eines Volkskörpers, den es mithilfe der Medizin zu schützen galt verschob sich die Frage nach Sexualität und Moral. Die Zwangsuntersuchungen, die sich später zu freiwilligen Untersuchungen wandelten, im 20. Jahrhundert in Form des „Bockscheins“ wieder obligatorisch und ab 2001 überflüssig wurden und im neuen ProstSchG Niederschlag als verpflichtende Gespräche (ohne körperliche Untersuchung) finden, zeigen die Bewegungen zum gefährlichen Körper der Prostituierten und einer Abkehr von diesem. Gleichbleibend ist ab dem 19. Jahrhundert die Legitimation der Medizin und in Folge auch die Psychologie, als Experte in Fragen der Prostitution. Sie entscheidet, wer gefährlich ist (Prostituierte oder Freier), sie

10. Diskussion der Ergebnisse

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legitimiert ihren Blick, ihre Methoden, ihre Deutungen, sie definiert, ob Abstinenz oder das Ausleben der Sexualität gesund für die Person und den Volkskörper ist. Ebenso wie im Abolitionismus des 19. Jahrhunderts, ist der Freier heute in der Verantwortung: Er verursacht durch seine, vor allem suchthafte, exzessive und perverse Nachfrage den Markt. Das Dampfkesselmodell wird von anderen Vorstellungen männlicher Sexualität überlagert. Der schon vom Abolitionismus kritisierten Deutung notwendiger männlicher Triebabfuhr weicht zunehmend einem psychologisch/medizinischem Suchtmodell: Der Freier ist vielmehr krank durch die konstatierte Pornographisierung der Gesellschaft. Außerdem werden Freier nun gesetzlich angehalten Zwang und Opfer von Menschenhandel zu erkennen. Zwar gebe es keinen rücksichtsvollen Freier, dennoch sei er potentiell belehrbar. Durch seine Nähe zur Prostitution ist er mithin einer der wenigen Dritten, der Opfer entdecken und den Behörden melden kann und wird rechtlich dazu verpflichtet, Verdachtsfälle zu melden. Das Geschlechterverhältnis ist zudem direkt in das neue Gesetz eingeschrieben: die Frau ist das Opfer, der Mann der Täter (Koalitionsvertrag 2013: 104). Eine Bestrafung seiner Person in dem aus abolitionistischer Sicht favorisierten schwedischen Modell, das in Deutschland aufgrund eines liberalen Staatsmodells (noch) nicht umgesetzt werden kann, ist weiterhin der Zielpunkt. Bis dahin wird durch den Appell an die Freier sowie durch die Registrierungspflicht und den damit verbundenen Pflichten zur Beratung der Versuch unternommen Zwangslagen aufdecken zu können. Eine Registrierungspflicht ist aus historischer Erfahrung allerdings wenig erfolgversprechend: Die im Zuge des napoleonischen Systems eingeführte Pflicht führte damals zu einer enormen Zunahme illegaler Prostitution und einer damit einhergehenden gesteigerten Vulnerabilität der Prostituierten und einer erhöhten Gefahr für Freier, sich mit Geschlechtskrankheiten anzustecken. Damals führte dieses Paradigma erst zur Gegenbewegung des Abolitionismus, heute ist es eine der Forderungen der Bewegung. Der beste Schutz gegen Diskriminierung und Ausbeutung ist die Sichtbarmachung der Tätigen durch eine Stärkung ihrer Rechte und nicht durch die Auferlegung von diskriminierenden Pflichten, wie dem Tragen eines Ausweises (Oswald 2007: 174). Die von Löw und Ruhne konstatierte Verhäuslichung der Prostitution (Löw/Ruhne 2011: 71) wird sich durch die Neuregelungen im ProstSchG weiter verstärken. Durch die Kriminalisierung von Kleinbordellen, die bereits ausgeweiteten Sperrgebiete in vielen Städten und die Kompetenzabgabe an Länder und Kommunen wird zu einer noch stärkeren räumlichen und moralischen Marginalisierung der Sexarbeiter*innen beitragen. Zusammenfassend wird in einer Reflexion der historischen Analyse und der aktuellen Diskurse, der theoretischen Annahmen und der eigenen Ergebnisse offensichtlich, dass Prostitution damals wie heute zum Ansatzpunkt staatlicher Interventionen, zum Zielpunkt verschiedenster Bewegungen und Organisationen

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10. Diskussion der Ergebnisse

und zum Verhandlungsort moralischer Vorstellungen wird. Prostitution ist gesellschaftliche Realität und die Versuche, Ordnung in das ‚Milieu‘ zu bringen, beschäftigen Gesellschaften seinerzeit wie augenblicklich. Viele Bestrebungen sind ‚alter Wein in neuen Schläuchen‘, andere sind in ihrer Ausprägung neu. Prostitution war sündig, krankhaft, kriminell, Zeichen von Selbstbestimmung und Symbol für Ausbeutung. Die Prostituierte war Vorreiterin für die Rechte der Frau und Täterin zugleich: Prostitution wird diskursiv als weiblich gelabelt und scheint so auf alle Frauen zu verweisen. Der Großteil der Erzieher*innen, der Pfleger*innen und anderer als Frauenberufe gerahmter Tätigkeiten gelten als weiblich, dennoch käme niemand auf die Idee, dass ‚die Pflegerin‘ Inbegriff der Frau sei. Sexualität wird zum entscheidenden Faktor, die Prostituierte verkauft das, was ihre und unser aller Identität maßgeblich ausmache – ihren Sex. Erst wenn der Markt erodiert und die Prostituierte aus ihrem Opferverhältnis von außen befreit wird, sei eine Gleichstellung der Geschlechter möglich. Die Gründe, die vor allem Frauen zur Ausübung der Prostitution bewegen werden hierbei marginalisiert. Kapitalismuskritik wurde im 19. Jahrhundert nicht geäußert und wird es auch heute nur selten. Das Fehlen von Perspektiven, unzureichende ökonomische Absicherung durch Erwerbsarbeit, die gender pay gap, die Zuschreibung von Care-Arbeit an Frauen sowohl im Privaten als auch Beruflichen und die Ungleichbehandlungen auf dem Arbeitsmarkt wirken sich diskriminierend auf alle Frauen aus. Stattdessen wird an einer Regulierung des Prostituionsmarktes gearbeitet – und nicht zu Gunsten der hier Tätigen, sondern eher zu ihrer Gängelung. Prostitution wird weiter aus dem öffentlichen Leben verdrängt werden und zwar verborgen, aber mit Sicherheit nicht beseitigt werden können – wie es sich Abolitionist*innen seit jeher erhofft haben. Der moralische Aspekt des neuen Gesetzes offenbart ein auf Exklusion ausgerichtetes Moment, das sich unter dem Deckmantel des Opferschutzes verbirgt. Prostitution, das wurde bereits diskutiert, wird zunehmend aus dem alltäglichen Leben ausgeschlossen und soll sich dem öffentlichen Blick entziehen, so hoch der Opferschutz im Gesetz herausgehoben wird, schließt er dennoch aus. Der angesprochene backlash zeigt sich im Moralisieren. Moralisieren zielt, wie in Kapitel 2.3 dargestellt auf eine Expansion der vertretenen Ansprüche. Im Kontext des ProstSchG wird der moralische Anspruch basierend auf der Zwangsprostitution auf die gesamte Prostitution ausgeweitet und zusätzlich sexuelle Normen, z.B. bezüglich der Quantität der Lust, aufgestellt bzw. auch auf das gesamte Feld der Prostitution ausgedehnt. Die ‚normale‘ weibliche Lust, formuliert von weißen Männern mittleren Alters (Sachverständige Besser und Heide) wird zum Maßstab. Diese Ausweitung der moralischen Ansprüche – beginnend beim erwarteten Selbstverständnis als Prostituierte*r – wird vermutlich zu einer Illegalisierung führen. Zentrales Moment wird die Umsetzung der Anmeldepflicht und deren

10. Diskussion der Ergebnisse

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Kontrolle und Sanktionierung durch Polizei und andere Behörden sein. Welche Ämter werden wann die notwendigen Beratungen anbieten? Wird die Anmeldung nur an spezifischen Tagen möglich sein, etwa da ein Beratungsgespräch hiermit verknüpft ist? Wie wird eine im Gesetz nicht zwingende Anonymität in den Räumlichkeiten der Behörden gewährleistet? Das Gesetz expliziert die Notwendigkeit Zwangsprostitution erkennen zu können. In den Debatten wurde u.a. vom AD darauf hingewiesen, dass erst ein Vertrauensverhältnis eine solche Diagnose ermögliche. Die vorhandenen Richtlinien und Leitfäden verweisen ebenso auf die Komplexität Opfer von Menschenhandel zu identifizieren. Somit stellt sich die Frage nach der Effektivität eines verpflichtenden, vermutlich getakteten Gesprächs. Die Finanzierung dieser Infrastruktur ist derzeit noch nicht geklärt und der Verweis auf den Nullsummencharakter eben dieser gibt Anlass zur Vermutung, dass freiwillige, niederschwellige Beratungsangebote, die zur Zeit durch Bund, Länder oder Kommunen unterstützt werden, diese Förderung verlieren werden, da zuerst das gesetzlich Notwendige realisiert werden muss.

Was vom Schutz übrig bleibt: Ein Fazit

Die vorliegende Studie wurde durch den historischen Rückbezug zum Phänomen Prostitution eingeleitet. Die Bestrebungen, Prostitution zu regulieren und dem ‚Milieu‘ ‚Herr zu werden‘ reichen bis in das Napoleonische Zeitalter zurück. Dennoch kann die These vom ältesten Gewerbe der Welt nicht bestätigt werden, vielmehr änderten sich im historischen Verlauf nicht nur die Debatten darüber, wie Prostitution reguliert werden kann, sondern auch grundlegend die Vorstellungen darüber, was Prostitution denn ‚an sich‘ sei. Beginnend mit der Industrialisierung und einer steigenden Urbanisierung und dem massenhaften Eintreten von Männern und Frauen in die Fabriken der Städte, stieg auch die Zahl der Menschen, die Sex gegen Geld tauschten. Der Versuch, diesen ‚Auswüchsen‘ mit einer Vielzahl von Gesetzen und Maßnahmen begegnen zu können, scheiterte nicht nur, sondern führte zu einer generellen Verdächtigung aller Frauen im öffentlichen Leben. Der Generalverdacht allen – auch bürgerlichen – Frauen gegenüber mündete im weiteren Verlauf zur abolitionistischen Bewegung. Bei diesen ersten Frauenbewegungen standen nicht mehr nur die Forderung nach einem gleichberechtigten Zugang zu höheren Bildungsinstitutionen im Fokus, sondern die Errettung der Prostituierten wurde zum Dreh- und Angelpunkt in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit. Die Differenz, die sich nicht nur in Unterschieden bezüglich der Moral von Männern und Frauen äußerte, sondern sich ebenso in der Straffreiheit der Freier manifestierte, wurde zum Ansatzpunkt für Interventionen. Die Ausbreitung zahlreicher Geschlechtskrankheiten führten zu einer Deutung der Prostituierten als gefährlich: die Prostituierte galt als die Krankheitsüberträgerin schlechthin, sie sei die Leib gewordene Gefährdung des Volkskörpers. Erst als die Medizin den Mann als Hauptverbreiter von Krankheiten auserkor und sexuelle Abstinenz als Lösung des Problems formulierte, konnte durch den Schulterschluss mit dem Abolitionismus ein neues Bild auf die Prostituierte Durchsetzung finden. Von nun an galt sie als schützenswertes Opfer: als Opfer der Freier, als Opfer staatlicher Überwachung und Regulierung und nicht zuletzt als Opfer von Ausbeutung. Hiermit zusammenhängend ist das Phänomen white slavery, das weibliche Migration im 19. Jahrhundert als Menschenhandel rahmte. Junge, naive, weiße Frauen würden unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in die Bordelle Südamerikas und in die Kolonialgebiete gelockt, ein Narrativ, das auf einer „rassistisch differenzierten Sexualordnung“ (Große 2014: 185) basiert, die eine Nachfrage nach eben diesen Frauen erforderlich mache. Der galizische Jude (Bloch 1909) wurde hierbei zum Inbegriff des Bösen, der diesen ersten Globalisierungsschub skrupellos auszunutzen wusste. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Hill und M. Bibbert, Zur Regulierung der Prostitution, Theorie und Praxis der Diskursforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26929-6_12

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Was vom Schutz übrig bleibt: Ein Fazit

Weibliche Migration war – und ist – potentiell vulnerabel, Frauen erscheinen als ‚leichte Beute‘, die unfähig sind, über das eigene Leben selbstbestimmt zu entscheiden. In den Folgejahren verfestigte sich die Vorherrschaft der Medizin als deutende Kraft im Hinblick auf die Realität der Prostitution: im 1927 verabschiedeten Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (GeschlKrG) war nicht mehr die Polizei treibende Kraft bei der Bekämpfung der Prostitution und einer Absicherung des Volkskörpers, sondern medizinische Vorsorge. Die Bewegung zwischen ordnungsbehördlicher und medizinischer Vorherrschaft findet im Feld der Prostitution bis heute Bestehen. Nichtsdestoweniger verblieb Prostitution bis Ende des 20. Jahrhunderts eine als deviant eingestufte und stark stigmatisierte Tätigkeit, die wiederkehrend zum Zielpunkt von Interventionen wurde. In der Rechtsprechung ebnete das sogenannte Fanny-Hill-Urteil den Weg zu einer liberalen Position, die 2002 mit der Verabschiedung des ProstG verfestigt wurde. Erstmals war Prostitution in ihren Rechtsverhältnissen geregelt und Prostituierte hatten nun gesetzlich verankerte Rechte und Pflichten. Das, was ein empowerment der Tätigen auslösen sollte, verfehlte in vielen Intentionen die Realität, hatte dessen ungeachtet stärkende Wirkung, gerade in Hinblick auf verbesserte Arbeitsbedingungen und die Möglichkeit der Versicherung. Eine Annäherung an den Forschungsstand offenbarte die öffentliche Konstruktion von Zwang in Bezug auf alle in der Prostitution Tätigen. Gerade migrierte Frauen, die der Prostitution nachgehen, sehen sich dem Verdacht ausgesetzt, unfreiwillig in der Sexarbeit tätig und potentiell Opfer von Menschenhandel zu sein. Migrierte Sexarbeiterinnen vereinigen in ihrer Person Dimensionen der Intersektionalität: sie sind weiblich, ausländisch, oft jung und gehen einer stigmatisierten Tätigkeit nach. Der hier stattfindende Abspruch von agency drängt die Betroffenen allzu oft in vulnerable Positionen. Opfer von Menschenhandel wollen sich selbst hingegen oft als Überlebende verstanden wissen, die durch das von ihnen durchlebte abgehärtet und aktiv sind und damit der passiven Opferrolle entfliehen, die ihnen jegliche Art der Selbstbestimmung abspricht. Forschungen zum Handeln der Polizei zeigen wiederum auf, dass die eben angesprochenen Dimensionen der Intersektionalität wirkmächtig in die Alltagswelt zurück strahlen. Bei Razzien in Bordellen wird explizit Ausschau nach jungen, ausländischen Frauen gehalten, die unter dem Generalverdacht stehen, unfreiwillig der Sexarbeit nachgehen zu müssen. Diese Tatsache spiegelt auch der hohe Anteil an Menschenhandelsopfern aus dieser Gruppe wider. Durch diese Vorannahmen werden die Behörden ‚blind‘ anderen Opfern gegenüber, die nicht in das Schema der jungen Zwangsprostituierten passen: ältere Menschen, deutsche Staatsbürgerinnen und Männer. Männer werden grundsätzlich noch immer mit einem mehr an Selbstbestimmung gelabelt, das zeigt sich in dem ‚leerlaufenden‘

Was vom Schutz übrig bleibt: Ein Fazit

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Menschenhandelsparagraphen zur Arbeitsausbeutung. Männliche Migration zur Erwerbsarbeit ist legitim, weibliche Arbeitsmigration hingegen eher suspekt – gerade wenn es um das Angebot sexueller Dienstleistungen geht. Entgegen der medial verbreiteten Annahme, dass der Menschenhandel in den vergangenen Jahren massiv zugenommen habe, sprechen offizielle Statistiken von gleichbleibenden Zahlen. Begünstigt wird die Konstruktion eines solchen Dunkelfelds durch eine Verdrängung der Prostitution aus der Öffentlichkeit. Prostitution wird durch rigide Sperrbezirksverordnungen von der Straße ins Haus verlagert, ein Trend, der als Verhäuslichung bezeichnet wird. Großbordelle am Stadtrand ermöglichen nicht nur eine Gewinnmaximierung für Betreiber*innen, sondern übertragen die Kontrolle in gewissem Maße an eben jene. Sie tragen nun Verantwortung dafür, dass die Tätigen gesund sind, sich anmelden und freiwillig in der Sexarbeit tätig sind. Der ‚illegale Rest‘, die Schwächsten, verbleiben auf der Straße und müssen vermehrt alte Strukturen, wie Zuhälter zum eigenen Schutz in Anspruch nehmen. Diese Gesamtentwicklung erschwert selbstbestimmte und lukrative Prostitution für die Tätigen und schwächt ihre Position. Erschwerend kommt die andauernde moralische Verurteilung ihrer Tätigkeit hinzu. Recht als Zivilreligion perpetuiert dabei bestimmte moralische Vorstellungen und Moralunternehmer*innen versuchen ihren eigenen Legitimitätsanspruch mittels Verrechtlichung der Anliegen auf Dauer zu stellen. Gegenstand der hier untersuchten ‚moralischen Reste‘ im Recht ist die Sexualität. Foucault folgend versteht die westliche Welt Sexualität als „scientia sexualis“ (Foucault 2012: 57ff.) und damit als Knotenpunkt der eigenen Identität. Als empirische Unternehmungen, die Sexualmoral im weitesten Sinne in den Blick nehmen, wird die Forschung zu Sexualideologien und zur sexuellen Immunologik diskutiert. Die pluralistische Konzeption und der Fokus auf die Bedeutung des Volkskörpers informieren die vorliegende Analyse. Der dargelegte Wissensstand zu Prostitution bereitet die Hinwendung zu den Debatten um das Prostituiertenschutzgesetz vor. Prostitution ist Gegenstand feministischer Aushandlungen, öffentlicher Verhandlungen z.B. in den Medien und politischer Regulierungsbestrebungen. Der Verweis auf das Dunkelfeld Prostitution legitimiert eine wissenschaftliche Ausleuchtung des Feldes und eine öffentliche Verhandlung desselben. Die in Gesetzesform festgeschriebenen Regelungen erheben einmal einen Legitimitätsanspruch im ‚Milieu‘. Prostituierte, Betreiber*innen, Kund*innen müssen sich entsprechend orientieren. Zugleich wirkt das Gesetz darüber hinaus, indem es Bezugspunkt und Legitimationsfolie von ‚Man tut das (nicht)‘-Sätzen ist. Eine Diskursanalyse, die sowohl die Einflussnahme zahlreicher Akteure auf das Gesetzgebungsverfahren und die konkrete inhaltliche Ausgestaltung dieses, als auch öffentliche Debatten und Verhandlungen über den Gegenstand Prostitution in den Blick nimmt, rechtfertigt sich durch die dargestellten Annahmen und Fundierungen.

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Was vom Schutz übrig bleibt: Ein Fazit

Die Wissenssoziologische Diskursanalyse (WDA) dient als Perspektive der empirischen Arbeit. Das zugrundeliegende Paradigma ist, dass Diskurse „als relativ dauerhafte und regelhafte, d.h. zeitliche und soziale Strukturierungen von (kollektiven) Prozessen der Bedeutungszuschreibung [existieren].“ (Keller et al. 2008: 205) Diskurse verweisen auf Sinnzusammenhänge und kollektive Wissensvorräte, die durch selbige produziert und aktualisiert werden. Soziale Akteure spielen in diesem Prozesse eine essentielle Rolle: indem diese als „Rollenträger“ (Keller 2011b: 253) verstanden werden, offenbaren sie geteiltes Wissen, das in Erzählungen, Phänomenstrukturen und mithilfe von Figuren und Subjektpositionen verdichtet werden kann. Die vorhandenen Sprecherpositionen werden im Diskurs von Akteuren besetzt, die aufgrund unterschiedlicher Legitimationen (wie wissenschaftliche Expertise oder Prominentenstatus) Zugang in den Diskurs finden und gehört werden können. Unsere inhaltlich-thematische Analyse orientierte sich an der Frage nach diskursiven Figuren, die wir als eine Verknüpfung von Deutungsmustern (Keller 2011b: 240), Sprecherposition (ebd.: 235) und Subjektposition (ebd.) verstanden haben. Die Umsetzung dieser Analyse erfolgt durch den Rückgriff auf die Strategien der postmodernen Grounded Theory (Clarke 2012; Charmaz 2014), da die WDA keine eigenen Methoden zur Arbeit am konkreten Text entwickelt. Ergänzend hierzu wurden die Vorschläge Schetsches zur Analyse sozialer Probleme in Form sensibilisierender Konzepte und theoretischer Codes einbezogen, wobei die machtvolle Setzung eines Phänomens als Problem hierbei im Vordergrund steht. Gerade die von Schetsche genannten Diskursstrategien, wie das Dramatisieren von Statistiken, lassen Rückschlüsse zur Konstruktion des Dunkelfelds Prostitution zu. Die theoretischen Fundierungen erinnernd, wurde in der Forschungspraxis zunächst ein Datenkorpus zusammengestellt und anschließend nach den eben genannten Vorgaben eingängig analysiert. Die Kombination natürlicher Daten, in Form von Zeitungsartikeln, Positionspapieren, Infomaterialien und durch die Analyse von Bundestagsdrucksachen, Stellungnahmen zum geplanten Gesetz sowie die Anhörung vom Juni 2016 ermöglichte nicht nur breite, sondern auch eine tiefe Analyse der gesamten Debatte. Ergänzend zur Analyse verschriftlicher Dokumente wurden diverse Veranstaltungen im Feld besucht, um Hintergrund- und ‚Insiderwissen‘ zu erlangen. Die weitergehenden Exkurse ins Feld dienten dabei ausschließlich einer Sensibilisierung und finden nicht explizit Einzug in die Analyse. Begonnen wurde mit einer Verlaufsgeschichte und einer Kartographie der aktuellen Prostitutionsdebatte. Prostitution wird öffentlich seit der Einführung des ProstG im Jahr 2002 verstärkt als Diskussionskomplex verhandelt. Die transportierten Inhalte veränderten sich im Zeitraum der letzten 15 Jahre; von der Figur der selbstbestimmten Hure zum gehandelten Mädchen. Schlüsselereignisse wie die Fußball Weltmeisterschaft 2006 und die Berichterstattung zu vermuteter

Was vom Schutz übrig bleibt: Ein Fazit

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Zwangsprostitution in diesem Kontext, trugen dazu bei, das Bild des ausgebeuteten osteuropäischen Mädchens durchzusetzen. Die durch die Analyse festgestellte Zweiteilung der Debatte in einen auf Schutz fokussierten und einen auf Autonomie fokussierten Diskurs wurde anschließend ausführlich dargestellt. Der Schutzdiskurs beruft sich auf die Momente des Zwangs in der Prostitution, von dem alle hier Tätigen betroffen sind, gleich ob sie es selbst wissen, wahrhaben wollen oder negieren. Die Akteure der Diskurse setzen sich überaus heterogen zusammen und reichen von der Zeitschrift EMMA, die eine herausgehobene Rolle spielt, bis zu kirchlichen Organisationen, NGOs, die sich gegen Menschenhandel einsetzen und zu feministischen Gruppen. Einen Schulterschluss schließt der Schutzdiskurs mit Psycholog*innen und Mediziner*innen, die die massiven körperlichen und seelischen Folgen mit ihrer Expertise untermauern. Die Polizei nimmt ebenfalls eine wichtige Stellung ein, sie fordert seit vielen Jahren eine Verschärfung der Gesetze und bessere Eingriffsmöglichkeiten. Der Diskurs umfasst dabei mehr als nur die abolitionistische Position und spannt ein Netz an Aussagen und Positionen, die ausgehend von der Kritik am ProstG eine Reglementierung der Prostitution fordert. In einem internationalen Kontext ist die deutsche Debatte als liberal zu bezeichnen, da ein Sexkaufverbot, das stärkste Reglementarium, noch nicht durchsetzungsfähig ist. Im Schutzdiskurs wird vor allem auf journalistisches Wissen und anekdotische Evidenz rekurriert und insbesondere medizinisches Wissen als Erklärungsgrundlage herangezogen; sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse spielen eine zu vernachlässigende Rolle. Weiterhin zeichnet sich der Schutzdiskurs durch die Strategie des Moralisierens aus. Moralisieren, so stellten wir in Anschluss an Schetsche fest, meint den Versuch „das eigene Problemmuster vielleicht nicht als die einzig vorstellbare, aber doch als die einzige öffentlich kommunizierbare Deutung des betreffenden Sachverhaltes“ (Schetsche 2014: 132) durchzusetzen. In beiden Diskursen wird moralisiert, im Schutzdiskurs wird hingegen stärker als im Autonomiediskurs darauf abgezielt, andere Positionen als ‚unsagbar‘ zu delegitimieren. Die Figuren, die von uns im Schutzdiskurs herausgearbeitet werden konnten sind der belehrbare Freier, die Prostituierte als Andere und die ‚Ermöglicher‘ in Form von Loverboys, Zuhältern und Bordellbetreiber*innen. Die Prostituierte steht in einer Wechselbeziehung mit den genannten Figuren. Sie, so die Erzählung, verkaufe eine ‚falsche‘ Sexualität, eine die weder dyadisch, noch emotional codiert oder auf Dauer gestellt sei. Der Verkauf der Sexualität beinhalte Schädigungen, die sich auf den gesamten weiteren Lebensvollzug auswirkten. Im Zusammentreffen mit dem osteuropäischen Loverboy offenbart sich abermals die Konstruktion der Prostituierten als ‚Andere‘. In beiden Erzählungen tritt die Frau als Opfer und der Mann der Täter auf: die geschlechtliche Fokussierung der gesamten Debatte offenbart sich hierin in besonderem Maße. Die sich freiwillig prostituierende deutsche Prostituierte wird als Randfigur anerkannt und

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dennoch in ihrer psychischen Gesundheit angezweifelt. Der Freier an sich sei gewalttätig und rücksichtslos und schade dadurch jeder Prostituierten, egal ob freiwillig oder gezwungen. Der konstituierende Faktor in der Prostitution ist dabei die Penetration, das Ausführen eines emotionslosen Aktes, der einer reinen Triebabfuhr diene und daher moralisch verwerflich sei. Die vom SD diagnostizierte Pornographisierung der Gesellschaft setzt eine Sucht-Spirale der Extremisierung der perversen Nachfrage in Gang und lege so den Grundstein für suchthaftes Verhalten, das in der Prostitution befriedigt wird. Der Freier ist potentiell jeder Mann und er übertrage dieses süchtige Verlangen, diesen ‚gierigen‘ Blick auf alle Frauen. Erst durch die Aufgabe seiner krankhaften Nachfrage kann dementsprechend Prostitution erodiert werden; da ein Sexkaufverbot allerdings noch nicht durchsetzungsfähig ist, wird in einem ersten Schritt an dessen Vernunft appelliert. Neben dem Freier ist der eben erwähnte Loverboy für den Nachfragemarkt von großer Bedeutung. Er handele die unbedarften jungen Frauen wie eine Ware (vgl. Gutachten Besser: 1) und ermögliche hierdurch erst den Markt, der Deutschland mittlerweile zum „Superbordell Europas“ (ebd.) avanciert habe. Der Osten Europas wird mittels der Loverboy Erzählung als ‚anders‘ hervorgehoben. Mit Rückgriff auf andere kulturelle Verankerungen wird der Prostituierten die Handlungsmacht über das eigene Leben abgesprochen. Die Konstruktion eines zivilisierten ‚Wir‘ gegenüber eines unzivilisierten ‚Anderen‘ wird hierdurch akzentuiert. Adressiert wird durch diese Annahme eine Sexualmoral, die nicht nur entlang dieser Grenzen, sondern auch innerhalb der Prostitution gezogen werden kann: die Betonung des Banalen, z.B. in Vergleichen mit einer Bockwurst, markiert das Profane, das der Prostitution innewohnt. Prostitution ist einfache Triebbefriedigung, nicht zu vergleichen mit ‚richtiger‘, erhabener‘ Sexualität. So lässt sich eine Grenzziehung nach unten zu den ‚einfachen‘ Leuten, die Prostitution in Anspruch nehmen und anbieten, ziehen. Der vermeintliche Schutz der ‚Anderen‘ wird so an der Unmoralität der Tätigkeit und ihrer Person festgemacht, auch und gerade wenn sie ein Opfer von Menschenhandel ist. In der politischen Umsetzung finden diese Paradigmen Einzug in das ProstSchG, das Prostitution und Menschenhandel als gesellschaftliche Probleme erkennt und zu reglementieren versucht. Zwar soll hiermit Zwangsprostitution sichtbar und damit für die Behörden zugänglich gemacht werden, Prostitution an sich wird jedoch weitestgehend aus dem öffentlichen Leben entzogen. Das neue Gesetz bewegt sich damit auf einem deutlich permissiveren Weg als sein Vorgänger, verbleibt dennoch in der liberalen Grundordnung der Bundesrepublik. Im weiteren Vorgehen wurde nun folgend der Autonomiediskurs veranschaulicht. Zunächst wurde festgehalten, dass der auf Autonomie fokussierte Diskurs der ‚schwächere‘ Diskurs ist, benennt man als Vergleichsgröße die tatsächlich durchgesetzten Regelungen im Gesetz. Darüber hinaus befindet sich der

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Autonomiediskurs in der Position des Reagierens und konnte nur wenige eigene Vorschläge publik machen. Ebenso wie der Schutzdiskurs zeichnet sich der Autonomiediskurs durch die Heterogenität seiner Zusammensetzung aus. Zahlreiche Verbände, Selbstvertretungen und Bündnisse versuchen Prostitution als selbstbestimmte Tätigkeit zu umreißen. Abgrenzend zum anderen Diskurs wird hier auf die Stärkung durch das ProstG rekurriert, das zwar änderungsbedürftig sei, jedoch dahingehend, dass Prostitution noch stärker entstigmatisiert hätte werden müssen. Beginnend mit dem Schlüsselereignis des Appells für Prostitution (der eine Reaktion auf den Verbotsappell war) wurde versucht, der eigenen Deutung diskursiv Gehör zu verschaffen, was jedoch nur teilweise gelang. Ende der 1990er Jahre und mit der Einführung des ProstG war Prostitution als Tätigkeit mehr oder weniger auf einem guten Weg gesellschaftlich anerkannt zu werden, mit dem Appell gegen Prostitution begann sich die Gegenposition langsam durchsetzen zu können. Die Sagbarkeiten und Deutungsrahmen wandelten sich deutlich, trotz wissenschaftlicher Erkenntnisse und Bestrebungen zur Gleichstellung, weg von der selbstbestimmten Hure zum schützenswürdigen Mädchen. Das, was der Autonomiediskurs sagt, wird diskursiv meistens überhört. Das, was dem Schutzdiskurs durch die Figur der Zwangsprostituierten gelang, nämlich für Empörung zu sorgen und Anerkennung der eigenen Deutungen zu finden, misslang hier. Das Fehlen einer ‚einfachen‘ Erklärung, wie man Prostitution besser regeln und Menschenhandel beseitigen könne, führte zu einer, aus Sicht des Autonomiediskurses, zu erwartenden Verschlechterung des Zustand. Gerade durch die Betonung der Heterogenität in der Prostitution, die diverse Gründe, Figuren und Umstände beinhaltet, wurde versucht möglichst wenig staatliche Regelungen zu rechtfertigen. Das hierbei kritisierte Hauptproblem sei die Stigmatisierung und Diskriminierung von Prostituierten und die hiermit verbundene gesellschaftliche Ausgrenzung. Prostitution unterliege einer kapitalistischen Logik und den hierdurch bedingten negativen Effekten (z.B. Wuchermieten) müsse durch staatliches Handeln entgegengetreten werden. Die in der Sexarbeit Tätigen seien mehr als ihr ‚Sex‘, egal ob sie Ausländer*innen sind, als Domina, als Tantra-Masseur*in, als Callboy oder ‚normale‘ Prostituierte arbeiteten. Die genannten Figuren werden im Autonomiediskurs hervorgebracht und umfassen ein größeres Spektrum an Varianzen, als die aus dem Schutzdiskurs bekannten Figuren. Die Bandbreite des zum auf Autonomie fixierten Lagers offenbart sich darüber hinaus in der relativ neuen Erzählung über Sexualassistenz. Die Parallelen, Überschneidungen und Abgrenzung dieser Narration und dem Phänomen der Prostitution eröffnete in der vorliegenden Studie ein neues Moment: der Autonomiediskurs schafft mit diesem Fokus einen neuen Blickwinkel, der die Selbstbestimmung der Ausübenden betont und die Opferperspektive von Tätigen zu den Empfänger*innen verschiebt. Der kranke, alte Mensch ist nun das Opfer, das jedoch nicht unter Prostitution leidet, sondern welches mit der

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Inanspruchnahme von Sexarbeit Gesundheit und Lebensqualität zurück gewinnen kann. Alte, kranke oder behinderte Sexualität sei ein gesellschaftliches Problem, dem mit der Sexualassistenz effektiv begegnet werden könne. Die Selbstbestimmung der Assistent*innen wird nicht infrage gestellt, denn diese grenze sich zur ‚normalen‘ Prostituierten durch ihr Fachwissen und ihre Kenntnisse ab. Die Versuche des Schutzdiskurses Sexualassistenz als Äquivalenz zur Prostitution zu rahmen, misslingt zumindest im öffentlichen Diskurs. Zusammenfassend hat der Autonomiediskurs eine weitaus unbedeutendere Rolle im Gesetzgebungsverfahren gespielt, dennoch konnte er einen gewissen Grad an Mitbestimmung verwirklicht sehen, denn die ursprünglichen Entwürfe gingen weit über das nun verabschiedete Gesetz hinaus. Eine Abschwächung der vom Schutzdiskurs erhobenen Forderungen konnte dementsprechend zumindest erzielt werden. Im Zentrum des letzten empirischen Kapitels standen eine Zusammenschau der gefundenen Ergebnisse und ein Ausblick. Insgesamt lässt sich der Erkenntnisgewinn aus beiden Diskursen unter dem Vorzeichen der Medikalisierung akkumulieren. Sexualität ist etwas Zerbrechliches und Wertvolles für die eigene Identität. Der ‚falsche‘ Sex führe zu einer Schädigung des Selbst, wohingegen der ‚richtige‘ Sex zu einer Verbesserung des Selbst beitragen könne. Die Prostituierte erscheint einmal als Opfer ihrer Sexualität, andererseits aber als professionelle Dienstleisterin, deren Sex anderen helfen kann, jedoch durch die Professionalität keinen Einfluss auf ihr Selbst nimmt. Im weiteren Verlauf wurden marginalisierte Kontexte angesprochen, die diskursiv eine sehr untergeordnete Rolle spielen, wie die (Sozial-)Wissenschaft und die Verwaltung. Beide Bereiche wirken an der Konstruktion und der Debatte des Phänomens Prostitution mit, können jedoch keinen umfassenden Geltungsanspruch durchsetzen, ja nicht einmal zuverlässig Gehör finden. Hierzu zählen sozialwissenschaftliche Einflüsse, darunter die Evaluation des ProstG, als auch verwaltungstechnische Einwände, z.B. von Kommunen, die mit der Umsetzung des Gesetzes betraut sind. Zur Verwirklichung des konkreten Gesetzesinhalts gehört die explizite Anforderung, Menschenhandel erkennen zu können. Wie wir weiterhin zeigten, ist das ProstSchG ein Dispositiv, das zugleich als Ursache und Folge der Diskurse über Prostitution und deren Regulierung zu verstehen ist. Dispositive, das stellten wir in Anschluss an Reiner Keller fest, sind Institutionalisierungen des Diskurses, die ihn stabilisieren und eine Vielzahl weiterer Praktiken generieren. Als diskursgenerierte Praktiken, die zukünftig immanent werden, sind die vorgeschriebenen Beratungsgespräche anzuführen. Behördenmitarbeiter*innen sind aufgefordert, „tatsächliche Anhaltspunkte“, die auf Zwangsprostitution hindeuten, zu identifizieren. Das Dispositiv wirkt auf zahlreiche Weisen in den Diskurs zurück: Prostituierte müssen sich der Anmelde- und Informationspflicht beugen, Behörden und Ämter sind angehalten, Zwangslagen zu erkennen. Kund*innen sind durch §232 StGB verpflichtet, bei Verdacht auf

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Zwangsprostitution aktiv einzuschreiten und dies anzuzeigen. Die Grundannahme die hiermit verknüpft ist, ist die Idee, Zwangsprostitution diagnostizieren zu können: dazu gehört das ‚Lesen‘ der Prostituierten, das Erkennen der Anzeichen und die Deutung der Situation. Obgleich der Freier Zwangsprostitution erkennen soll, bleibt dieses Wissen, so die Meinung im SD, eigentlich Expert*innen vorbehalten – nicht nur, weil Durchschnittsbürger*innen nicht mit Zwangsprostituierten oder Prostituierten generell in Kontakt kommen, sondern auch, weil die Deutung der Dimensionen Fachwissen, Erfahrung und zwischenmenschlicher Kenntnisse bedarf. Die extrahierten Dimensionen umfassen dabei das Selbst und das Soziale. Wie sich dieses Erkennen in der tatsächlichen Praxis ausgestalten wird und welche Rückwirkungen sich hieraus ergeben, muss an dieser Stelle offenbleiben, da das Gesetz bei Verfassung der Studie noch nicht in Kraft getreten war. Abgerundet wurde die Studie durch eine verdichtete Diskussion der Ergebnisse und ihr Rückbezug zu Theorie, Forschungsstand und historischer Analyse. Zentral war die Parallele heutiger Deutungen von Prostitution als Menschenhandel und der damaligen white slavery Debatte. Weibliche Migration war und ist tendenziell suspekt, gerade wenn der Sexarbeit nachgegangen wird. Prostituierte daher in eine Opferposition zu versetzen und sie der Errettung würdig zu machen, war damals wie heute populär. Die Kennzeichnung der Prostituierten als ‚Andere‘ fand früher vor allem durch die moralische Ausgrenzung aus der Gruppe der anständigen Frauen und durch die Zuweisung zu einer ‚niedrigeren‘ Klasse statt, heute vielmehr durch Rückgriff auf die Zuschreibung von Fremdheit, als auch durch eine psychische Andersartigkeit. Versuche der Homogenisierung aller Frauen und der Prostituierten als Ausreißerin dieser Gruppe werden aktuell auch aus feministischen Kreisen unternommen: die Frauen, die ihren Sex verkaufen, werfen ein negatives Bild auf alle anderen, auch dann, wenn sie Opfer sind. Prostitution wird daher zum Kristallisationspunkt verschiedener Akteure, um Gleichstellung voranzutreiben, um restriktivere Sexualgesetze durchzusetzen oder um eigene moralische Vorstellungen festzuschreiben. Sie fungiert dabei weniger als Gegenstand an sich, sondern zumeist als Folie für andere Vorhaben. Heute finden wir dies in der Vermischung von Prostitution und Menschenhandel, die für eine Ausgrenzung des Fremden und der Grenzziehung zwischen uns – den ‚Zivilisierten‘ und denen, den ‚Unkultivierten‘ – sorgt und dies unter dem Deckmantel des Schutzes zusammenfasst. Bereits heute gibt es ausreichend Gesetze, um Menschenhandel konsequent bestrafen zu können und doch wird die Prostitution als Zielpunkt weiterer Maßnahmen auserkoren. Prostitution unterliegt einer von Grund auf kapitalistischen Logik, sie spielt allen Versuchen der Regulierung und Einhegung zum Trotz nach den Gesetzen des Marktes, orientiert sich an der und schafft zugleich eine Nachfrage, versucht durch besondere Angebote Kund*innen zu binden und attraktive Dienstleistungen bieten zu können – kurzum, das was ein Gewerbe im Commonsense tut. Das, was

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verkauft wird ist Sexualität und gerade sie ist es, was Prostitution von anderen Dienstleistungen unterscheidet. Wie wir dargestellt haben, stellt Sexualität noch immer den Zugang zu Identität schlechthin dar, auch wenn sich gesellschaftliche Gewohnheiten und Einstellungen mittlerweile verändert haben. Jedes andere Gewerbe wäre inhaltlich wohl längst geregelt geworden und so dem kapitalistischen Markt umfänglich zugänglich gemacht worden – Sexarbeit hingegen fristet sowohl in einer Über- als auch einer Unterregulierung, die die Tätigkeit und Rechtslage für alle Parteien erschwert. Unter der Prämisse des Schutzes wurde die Möglichkeit der Gesetzesänderung dahingehend genutzt, gegen Prostitution an sich vorzugehen, anstatt Ausbeutung und Missstände in der Prostitution zu beseitigen. Ruhig wird es um das Themenfeld Prostitution auch in den kommenden Jahren nicht werden und auch wenn Prostitution sich mehr und mehr dem öffentlichen Blick entziehen wird, so wird sie dennoch bestehen bleiben – im viel zitierten gesellschaftlichen Dunkelfeld, wie sie es seit Jahrhunderten gewohnt ist.

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