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German Pages 50 Year 1905
HARVARD LAW LIBRARY
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Reform
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kolonialen
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Prof. Dr. Helfferich Wirkl. Legationsrat
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Berlin 1905
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zur
Reform
der
kolonialen
Verwaltungs- Organiſation
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Berlin 1905 Ernst Siegfried Mittler und Sohn , Königliche Hofbuchhandlung Kochstrasse 68-71 Ge erm 十
964.9 Hel.
OCT 8
1924
Inhaltsverzeichnis .
Seite
I. Die Zentralverwaltung
7
II. Die Lokalverwaltung
17
III. Das Verhältnis zwischen Zentralverwaltung und Lokalverwaltung .
26
IV. Die militäriſche Organiſation und ihr Verhältnis zur Zivilverwaltung
34
21143
1*
Zur Reform der kolonialen Verwaltungsorganiſation. Von
Prof. Dr. Helfferich, Wirkt. Legationsrat .
Als Deutschland vor zwei Jahrzehnten mit ſeinen erſten überſeeiſchen Erwerbungen in die Reihe der Kolonialmächte eintrat , war die Organisation einer kolonialen Verwaltung, für die jede hiſtoriſche Grundlage fehlte, gewiſſermaßen aus einem Nichts heraus zu schaffen.
In der verhältnismäßig kurzen Zeit,
die seither
verflossen ist, haben die deutschen Kolonien in bezug auf ihre politiſche Beherrschung, ihre Einbeziehung in die Verwaltung, ihre Beſiedelung und wirtschaftliche Nußbarmachung große Wandlungen erfahren ; dadurch sind die an die Verwaltungsorganiſation zu stellenden Anforderungen stark beeinflußt und im ganzen sehr erheblich gesteigert worden. Die kurze Zeitdauer unserer kolonialen Entwicklung und der Mangel an einer festen Tradition, wie sie nur aus einer säkularen Geschichte entstehen und in einer ſäkularen Erfahrung erprobt werden kann, ſind für uns eine doppelte Nötigung zu einer stetigen Wachſamkeit darüber, wie weit sich die Organiſation unſerer Kolonialverwaltung in Einklang mit den praktiſchen Bedürfnissen der Kolonien und mit den sich fortgesezt aus der praktiſchen Erfahrung ergebenden Lehren befindet.
Die Er-
eigniſſe des abgelaufenen Jahres haben in ganz besonderem Maße Veranlassung zu einer Nachprüfung darüber gegeben, ob in unseren kolonialen Einrichtungen alles zum Rechten bestellt ist und in welchen Punkten und nach welcher Richtung etwa Reformen geboten sind.
Der Herr Reichskanzler hat in der Reichstagsſizung vom 5. Dezember 1904 .
mitgeteilt, daß die Fragen der kolonialen Verwaltungsorganiſation eingehenden Erwägungen unterliegen, angekündigt.
und er hat in einzelnen Punkten bereits beſtimmte Reformen
Voraussichtlich sind in nicht allzu ferner Zeit diejenigen Gesezesvorlagen
zu erwarten, die zu einer Reorganisation der Kolonialverwaltung erforderlich sind. Unter dieſen Umständen wird die Veröffentlichung der folgenden, im wesentlichen aus meinen kolonialpolitiſchen Vorlesungen hervorgegangenen Auffäße über die wichtigsten Fragen der kolonialen Verwaltungsorganiſation
in denjenigen Kreiſen , die sich für
Allgemeines .
unsere koloniale Entwicklung interessieren ,
vielleicht willkommen sein und geeignet
erscheinen, eine sachgemäße Ausgestaltung unserer kolonialen Einrichtungen zu befördern. Es sei ausdrücklich betont, daß der Schwerpunkt und Zweck der Aufſäße weniger in bestimmten Reformvorschlägen liegt, als in einer Orientierung über die tatsächlichen Verhältnisse, die für eine Beurteilung unserer kolonialen Verwaltungsorganiſation und ihrer Reformbedürftigkeit von Bedeutung sind. Über die Gruppierung der einzelnen Fragen sei folgendes bemerkt : Die Kolonien sind ihrem Wesen nach Gebietseinheiten, die in ihren geographischen, Bevölkerungs- und wirtschaftlichen Verhältnissen von dem Mutterlande verschieden sind und auf die sich deshalb die Verfaſſung und Verwaltungsorganiſation des Mutterlandes nicht ohne weiteres übertragen läßt.
Andrerseits sind die Kolonien nicht ſelbſtändige
ſtaatliche Gebilde, die ihre politiſchen und wirtſchaftlichen Endzwecke in ſich ſelbſt tragen, ſondern
Dependenzen
des Mutterlandes, deſſen politische, kulturelle und wirtſchafts-
politische Zwecke die letzte Norm für die Regierung und Verwaltung der Kolonien darſtellen müſſen.
Auf Grund dieses Verhältnisses gliedert sich die Kolonialverwaltung
bei sämtlichen Kolonialmächten in die Zentralverwaltung , die in die Organiſation der obersten Behörden des Mutterlandes in der einen oder anderen Weise eingefügt ist, und in die Lokalverwaltungen der einzelnen Kolonien . Die Probleme der kolonialen Verwaltungsorganiſation zerfallen mithin zunächſt in folgende Fragen : 1. Gestaltung der kolonialen Zentralverwaltung und ihres Verhältniſſes zu den obersten Behörden des Mutterlandes ; 2. Gestaltung der Lokalverwaltung der Kolonien ; 3. Gestaltung des Verhältnisses Lokalverwaltungen .
zwischen der Zentralverwaltung
und den
Zu diesen Fragen tritt als vierte hinzu das Problem der Organiſation der militärischen Streitkräfte der Kolonien. Vor allem handelt es sich dabei um die Frage, ob und in welcher Weise die kolonialen Truppen der Kolonialverwaltung oder der Heeresorganiſation des Mutterlandes angegliedert werden ſollen. Nach diesen Gesichtspunkten ist in den folgenden vier Auffäßen die zur Zeit beſtehende Organisation der deutſchen Kolonialverwaltung und ihr bisheriger Werdegang dargestellt, in wichtigen Punkten mit den Einrichtungen anderer Kolonialmächte, namentlich Englands Reformen geprüft.
und Frankreichs,
verglichen
und
auf die Notwendigkeit von
I. Die Zentralverwaltung.
7
I. Die Zentralverwaltung. Aus dem kardinalen Grundſaß der Verfassung der deutschen Schutzgebiete, daß der Kaiser die Schußgewalt in den Schutzgebieten im Namen des Reichs ausübt (§ 1 des Schutzgebietsgesetzes), ergibt sich ohne weiteres die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit des Reichskanzlers für die gesamte Verwaltung der Kolonien. Besondere gesetzliche Bestimmungen über die Organiſation der dem Reichskanzler unterſtehenden kolonialen Zentralverwaltung sind nicht vorhanden. Der Kaiser hat infolgedessen die Befugnis, diese Organiſation zu regeln und zu verändern, ſoweit die finanziellen Mittel für die Organisation durch die geſeßgebenden Körperschaften im Reichsetat bewilligt werden. Unter der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers heiten von der Zeit der ersten Flaggenhiſſungen an im worden, und zwar zunächſt in der politischen Abteilung, an in einer neugebildeten IV. Abteilung , die den
ſind die kolonialen AngelegenAuswärtigen Amte bearbeitet vom 1. April 1890 später Namen „ Kolonial-Abteilung "
erhielt. Durch eine Verfügung des Reichskanzlers vom 30. Juni 1890 wurde beſtimmt, daß die Kolonial-Abteilung, ſoweit es sich um die Beziehung zu auswärtigen Mächten und die allgemeine Politik handelt, dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes unterſtellt bleiben, in " allen eigentlichen Kolonialangelegenheiten dagegen, insbesondere auch in allen organisatorischen Fragen “ derart ſelbſtändig unter der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers fungieren ſolle, daß der Abteilungsdirigent dem obersten Chef der Reichsverwaltung unmittelbar Vortrag erstattet und
die von dem letzteren ausgehenden
Schriftstücke unter der Bezeichnung „ Auswärtiges Amt, Kolonial-Abteilung “ ſelbſt zeichnet. Über die Abgrenzung der durch diese Verfügung des Reichskanzlers gegebenen Zuständigkeit der Kolonial-Abteilung ergaben sich sowohl bei den Behörden als auch in dem wirtschaftlich an den Kolonien interessierten Publikum Zweifel. Um dieſe Zweifel zu beseitigen, erging die Allerhöchste Ordre vom 12. Dezember 1894, die be= stimmte, daß die gesamte Verwaltung der Schutzgebiete, einſchließlich der Behörden und Beamten, der Kolonial-Abteilung unterstellt werde ,
welche
die hierauf bezüglichen
Angelegenheiten unter dieſer Bezeichnung und unter der unmittelbaren Verantwortlichkeit des Reichskanzlers wahrzunehmen habe. Ebenso wie die Verfügung des Reichskanzlers vom 30. Juni 1890 enthielt auch die Allerhöchste Ordre die Bestimmung , daß die Kolonial-Abteilung, ſoweit es sich um die Beziehungen zu auswärtigen Staaten und um die allgemeine Politik handle , dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes unterstellt bleibe. Auf einen von der Budgetkommiſſion des Reichstags geäußerten Wunſch hat der Reichskanzler mit einem Schreiben vom 16. März 1895 die Allerhöchste Ordre dem Reichstage mitgeteilt. *) folgendes aus :
Das
Schreiben führte zur Begründung der Ordre
*) Nr. 231 der Reichstagsdrucksachen von 1894/95.
I. Die Zentralverwaltung .
8
Da der Reichskanzler naturgemäß nicht in der Lage sei, die Kolonialverwaltung im einzelnen ſelbſt zu führen, ſo könne die Einheitlichkeit der Verwaltung nur gewahrt werden, wenn die Leitung unter der allgemeinen Verantwortung des Reichskanzlers von einer Zentralstelle ausgehe, die ihrerseits dem Reichskanzler verantwortlich sei und der die gesamte Verwaltung in den Schutzgebieten untergeordnet sein müsse.
Es
erscheine daher geboten, mehr und mehr die Selbſtändigkeit dieſer Zentralſtelle an= zubahnen und zu diesem Zwecke die Kolonial-Abteilung des Auswärtigen Amtes in den Stand zu setzen, die Geschäfte der Zentralverwaltung sachgemäß führen zu können . Zu ihren Aufgaben gehöre es, die Verwaltung der Schutzgebiete im einzelnen dem Bundesrate, dem Reichstage und dem Rechnungshofe gegenüber namens des Reichskanzlers zu vertreten ; sie würde aber diesen Aufgaben und der ihr gesetzlich obliegenden Aufsicht über die Erwerbsgesellschaften in den Kolonien nur dann auf die Dauer gerecht werden können, wenn ihre Zuständigkeit und Befugnisse sowohl den Behörden wie den Interessenten gegenüber in unzweideutiger Form klargeſtellt würden. Weiter heißt es in dem Schreiben : Die Allerhöchste Ordre werde nach doppelter Richtung ihre Wirksamkeit äußern : „ Einerseits werden die, die zentrale Verwaltung der Schutzgebiete betreffenden Entscheidungen nicht unmittelbar durch den Reichskanzler erfolgen ;
vielmehr werden
alle Berichte aus den Schußgebieten zunächſt an die Kolonial-Abteilung gelangen und demnächst von dieſer mit gutachtlicher Äußerung dem Reichskanzler unterbreitet werden, falls es nach Wichtigkeit der Sache oder sonst erforderlich erscheint, dessen eigene Bestimmung einzuholen. „ Dem Reichskanzler wird durch diese Anordnung, eine sachgemäße Entscheidung zu treffen, insofern erleichtert, als er ohne Befragung der hiesigen Zentralverwaltung auf etwaige unmittelbare Anträge der Lokalbehörden einzugehen nicht veranlaßt iſt. Die Verwaltung der Kolonialangelegenheiten wird infolgedessen den für die übrigen Ressorts des Reichskanzlers bestehenden Grundsäßen unterworfen.
" Soweit es sich um finanzielle Fragen von grundsäßlicher Bedeutung sowie um Etatsüberschreitungen handelt, wird der Vortrag der Kolonial-Abteilung des Auswärtigen Amtes, der eine Entscheidung über die Reichsfinanzen nicht zusteht, erst nach vorgängiger Verſtändigung mit dem Reichsschazamt oder gemeinsam mit dieſem dem Reichskanzler gehalten werden dürfen. „ Andrerseits wird es ermöglicht, in den Schutzgebieten eine nach einheitlichen Grundsägen geführte und den allgemeinen maßgebenden Interessen des Reichs entsprechende Verwaltung zur Geltung zu bringen , insbesondere aber eine schärfere Kontrolle der Finanzwirtschaft herbeizuführen. Schon jezt ist Veranlaſſung genommen, die Behörden in den Schutzgebieten darauf hinzuweisen, Maßregeln, welche zu Etatsüberschreitungen führen könnten, grundsäßlich nicht ohne zuvor einzuholende Genehmigung einzuleiten. " Die Zentralverwaltung der deutschen Kolonien beſteht mithin in einer Abteilung des Auswärtigen Amtes , die jedoch gegenüber den übrigen Abteilungen sowohl des Auswärtigen Amtes einnimmt,
als auch der anderen Reichsämter insofern eine Sonderstellung
als sie den weitaus größten Teil der von ihr zu erledigenden Geschäfte
I. Die Zentralverwaltung.
9
unabhängig von dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes und unter der unmittelbaren Verantwortlichkeit des Reichskanzlers wahrnimmt. Von der Kolonial-Abteilung ressortieren die Verwaltungen der sämtlichen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee. Dagegen ist das Schußgebiet Kiautschou dem Reichs- Marine-Amt unterstellt ; die Allerhöchste Ordre, betreffend Verwaltung des Kiautschougebiets, vom 27. Januar 1898, beſtimmte: „ Die gesamte Verwaltung des an der Kiautſchoubucht vertragsmäßig an Deutschland überlassenen Gebiets wird bis auf weiteres dem Reichskanzler (Reichs-Marine-Amt) übertragen. " Da die Wichtigkeit dieses Schutzgebiets in erster Linie darauf beruht, daß es einen Stüßpunkt für die deutsche Flotte in den oſtaſiatiſchen Gewäſſern darstellt, erscheint eine Trennung der Verwaltung dieses Schutzgebiets von der Marineverwaltung nicht angezeigt. Eine der wichtigsten Fragen der Verwaltungsorganiſation der deutſchen Kolonien ist die, ob die Eingliederung der kolonialen Zentralverwaltung für die Schutzgebiete in Afrika und der Südsee in den Verband anderer Reichsbehörden, deren wesentliche Aufgaben auf einem anderen Felde als waltung liegen, heute noch den Erfordernissen genügt,
dem der kolonialen Ver-
oder ob es nicht an der Zeit
ist, die Zentralverwaltung der Schußgebiete einem ſelbſtändigen, den übrigen Zentralbehörden des Reichs zu koordinierenden Reichsamte zu übertragen. Die Prüfung der Entwicklung,
welche die Zentralverwaltung
bei den älteren Kolonialmächten durchgemacht hat, zeigt,
daß
der Kolonien
nahezu überall die
Schaffung eines Ministeriums oder einer anderen selbständigen Zentralbehörde für die koloniale Zentralverwaltung als notwendig angesehen worden ist ,
freilich erſt
im Laufe einer längeren kolonialen Entwicklung , während in früheren Zeiten auch dieſe anderen Länder die Geschäfte der kolonialen Zentralverwaltung dem einen oder dem
anderen Ressort der heimischen Verwaltung zugewiesen hatten.
So
war
in
England die Verwaltung der kolonialen Angelegenheiten lange Zeit hindurch mit der Zentralbehörde für den Handel vereinigt ; 1672 bis 1677 und 1695 bis 1782 im "" Council of Trade and Plantations ", dem von 1748 an auch die indischen Angelegenheiten zugeteilt wurden.
Daneben bestand allerdings von 1768 bis 1782 ein Staats-
sekretär „ for the American or Colonial Department". Nach dem Abfall der Vereinigten Staaten wurde die Kolonialverwaltung zeitweise dem „ Home Department", von dem auch die Verwaltung Irlands ressortierte, zugeteilt. 1786 bis 1794 wurden die kolonialen Angelegenheiten wieder einem 99 Committee of Trade and Plantations " überwiesen.
Von 1794 an war das neu begründete Staatssekretariat der
Kolonien mit dem damals gleichfalls
neu begründeten Staatssekretariat des Krieges
durch Perſonalunion vereinigt ; die Verschmelzung der beiden Ressorts zu einer einheitlichen Behörde erfolgte im Jahre 1801 („Secretary of State for the War and Colonial Department").
In dieser Vereinigung erlangten nach dem Abschluß der
Kriege mit Frankreich die kolonialen Angelegenheiten das entschiedene Übergewicht ; nach der „ Colonial Office List" wurde der Chef dieses Departements üblicherweiſe als
Secretary of State for the Colonies"
bezeichnet.
Als der Ausbruch des
Krimfrieges die militärischen Aufgaben wieder in den Vordergrund drängte,
wurden
diese einem neuen Staatssekretariat, dem des Krieges zugewieſen, während das bis2 Zur Reform der kolonialen Verwaltungsorganiſation.
10
I. Die Zentralverwaltung.
herige Staatssekretariat des Krieges und der Kolonien in das „Colonial Office" das bis heute besteht, umgewandelt wurde ( 1854). Diesem "" Colonial Office" unterstehen jedoch keineswegs alle überseeischen Besitzungen Großbritanniens . Die Angelegenheiten Indiens (einschließlich Adens mit Berim und Socotra) werden vielmehr von dem ſeit 1858 bestehenden „India Office" bearbeitet, eine Anzahl von Protektoraten ressortieren von dem „ Foreign Office " *), einige Plätze von ausschließlich maritimer Wichtigkeit ressortieren von der Admiralität. In Frankreich wurde die Zentralverwaltung der Kolonien von Richelieu dem Staatssekretariat für die auswärtigen Angelegenheiten, von Colbert der Marine zugewiesen. 1858 wurde zum ersten Male ein ſelbſtändiges Miniſterium für Algier und die Kolonien eingerichtet, an dessen Spitze der Vetter des Kaisers, Prinz Napoleon, gestellt wurde. Aber schon 1860 wurden die Kolonien wieder dem Marinebis auf eine kurze Unterbrechung unter Gambetta , der für die Zentralverwaltung der Kolonien ein eigenes Unterstaatssekretariat im Handelsministerium schuf, bis zum Jahre 1889 verblieben. Im Marineministerium wurde miniſterium, bei dem sie
die mit der Bearbeitung der kolonialen Angelegenheiten betraute Abteilung im Jahre 1885 ſelbſtändiger gestellt, als die übrigen Abteilungen. Im Jahre 1889 wurde die Zentralverwaltung der Kolonien abermals einem Unterſtaatssekretär im Handelsminiſterium unterstellt , der jedoch damals schon eine den Ministern gleichwertige Stellung erhielt. 1894 erfolgte die Schaffung eines ſelbſtändigen Kolonialministeriums . Von diesem reſſortiert die Verwaltung aller Kolonien, mit Ausnahme von Algier, das ſeit 1860 dem Miniſterium des Innern unterſteht und als franzöſiſches Departement verwaltet wird.
Die Tatsache, daß die modernen Kolonialreiche zum großen Teil durch die militärischen und maritimen Machtmittel oder die Diplomatie des Mutterlandes geschaffen und ausgedehnt worden sind und daß ihre Beſtimmung darin liegt, dem Mutterlande politiſchen und wirtſchaftlichen Nußen zu gewähren, läßt es als durchaus natürlich erscheinen, daß faſt überall in den Anfängen der kolonialen Entwicklung die Wahrnehmung der kolonialen Geschäfte einem der beteiligten heimischen Ressorts übertragen wurde.
An welches heimische Reffort die Zuteilung erfolgte,
das mußte
von den Zeitumständen und von den mit der Kolonialpolitik in erster Linie verfolgten Zielen abhängen. In Zeiten, in denen über die Bildung und das Schicksal von Kolonialreichen in heftigen und lange dauernden Kämpfen zu Lande und zur See entschieden wird, liegt die Zuteilung der kolonialen Geschäfte an das Heer oder die Marine nahe.
Charakteriſtiſch iſt in dieser Beziehung die in England zur Zeit der
franzöſiſchen Revolutionskriege erfolgte Zuſammenfaſſung der Kolonialverwaltung mit dem Kriegsministerium in einem und demselben Departement. In Zeiten dagegen, in denen auf dem friedlichen Wege diplomatischer Verhandlungen Kolonien und Interessensphären abgegrenzt und den auf kolonialem Felde konkurrierenden Staaten zugewiesen werden,
ergibt sich von selbst die Bearbeitung der kolonialen Angelegen-
*) Von den Protektoraten ist das zentral - afrikaniſche am 1. April 1904 von dem „Foreign Office " dem „ Colonial Office“ übertragen worden ; das ostafrikaniſche Protektorat und Uganda sollen demnächst folgen.
I. Die Zentralverwaltung.
heiten in dem Ressort, das die auswärtigen ferner, daß
11
Geschäfte führt.
Charakteristisch ist
in England, das in seiner Kolonialpolitik stets mit klarem Bewußtsein
wirtschaftliche, insbesondere handelspolitische Zwecke verfolgte, die Zentralverwaltung der Kolonien so lange Zeit hindurch mit dem Reſſort des Handels vereinigt war. Die unbedingte und uneingeschränkte Zuweisung der Geschäfte der kolonialen Zentralverwaltung an ein Ressort der heimischen Verwaltung ist jedoch ohne Schwierigkeiten nur solange durchführbar, unmittelbar
als in der Kolonialverwaltung die das Mutterland
berührenden politischen und wirtſchaftlichen Angelegenheiten dominieren
und die Fragen der Regierung und Verwaltung der Kolonialgebiete selbst noch im Hintergrunde stehen.
Das ist der Fall einmal, solange die Kolonisation noch keinen
ausgesprochen territorialen Charakter hat, d. h. solange sich die kolonialen Unternehmungen auf einzelne Stüßpunkte für Flotte und Handel beschränken,
ohne daß
größere Landgebiete unter Verwaltung genommen werden; ferner dort, wo zwar die Kolonisation sich auch auf die Regierung und Verwaltung größerer Gebiete erstreckt, wo aber die eigentliche Landesverwaltung der Kolonialgebiete an mit Hoheitsrechten ausgestattete Geſellſchaften übertragen ist, während die Regierung des Mutterlandes ſich nur gewiſſe Aufsichtsrechte und die Regelung der Beziehungen zu fremden Staaten vorbehält und eventuell für militärischen und maritimen Schuß Sorge trägt. Auch dort, wo in einem vorgeschrittenen Stadium der Kolonisation, die Kolonien sich zu ſtaatlichen Gebilden ausgewachsen haben, die ihre eigene Regierung und Verwaltung ſelbſt in die Hand zu nehmen imſtande ſind, treten für die koloniale Zentralverwaltung des Mutterlandes die Fragen der eigentlichen kolonialen Landesverwaltung hinter den das Mutterland unmittelbar berührenden Fragen der nationalen Verteidigung, der auswärtigen Politik und der Wirtſchaftsbeziehungen zwischen Mutterland und Kolonien zurück. Wo jedoch das Mutterland sich genötigt sieht, die Verwaltung größerer Kolonialgebiete zu organisieren und durchzuführen, muß sich die koloniale Zentralverwaltung auf nahezu alle Zweige einer großen Staatsverwaltung erstrecken ; sie läßt sich infolgedessen nicht mehr in den Rahmen eines einzelnen Refforts bannen, sondern sie muß schließlich mit Notwendigkeit diesen Rahmen sprengen und
auf die Aus-
gestaltung zu einer ſelbſtändigen Zentralbehörde hindrängen. In der ersten Zeit der deutschen Kolonialpolitik,
als es sich in der Haupt-
ſache nur darum handelte, den auf völkerrechtlich herrenlosen Überſeegebieten arbeitenden deutschen Unternehmungen den konſulariſchen und maritimen Schuß des Reichs ange= deihen zu lassen,
an einzelnen Pläßen die deutsche Flagge zu hissen und im Wege
diplomatischer Verhandlungen überseeiſche Gebiete für Deutschland völkerrechtlich sicherzustellen, als es ferner noch der leitende Gedanke war, daß die Verwaltung der für Deutschland erworbenen und noch zu erwerbenden Kolonialgebiete in der Hauptsache von großen mit Kaiſerlichen Schüßbriefen auszustattenden kaufmänniſchen Geſellſchaften nach Art der „ Neu- Guinea-Kompagnie" und der „ Deutsch- Ostafrikaniſchen Geſellſchaft“ übernommen werden solle, — in jener ersten Zeit der deutschen Kolonialpolitik war in der Tat die Bearbeitung der kolonialen Geschäfte im Auswärtigen Amt der nächſtliegende und zweckmäßigste Weg, und die koloniale Zentralverwaltung konnte sich damals auf einen Vortragenden Rat im Auswärtigen Amt beschränken. Als jedoch 2*
I. Die Zentralverwaltung.
12
allmählich die auf der Karte abgegrenzten Intereſſenſphären mehr und mehr in den Bereich der deutschen Herrschaft, Verwaltung und wirtschaftlichen Nußbarmachung einbezogen wurden,
als
es sich in den meisten Kolonien
als unmöglich herausgestellt
hatte, das Programm der kolonialen Landesverwaltung durch Schußbriefgeſellſchaften zu verwirklichen und als es sich deutlich zeigte, daß auch in Oſtafrika und NeuGuinea das Reich die Verwaltungsgeschäfte über kurz oder lang in die eigene Hand werde nehmen müſſen, da nahmen die Geschäfte der kolonialen Zentralverwaltung nicht nur einen immer größeren Umfang, sondern auch einen dem Geschäftskreis des Auswärtigen Amts fremden Charakter an.
Wegen des wachsenden Geschäftsumfangs
zeigte es sich notwendig, im Auswärtigen Amt für die kolonialen Angelegenheiten eine eigene Abteilung zu schaffen, und wegen der Verschiedenheit der eigentlichen kolonialen Verwaltungsgeschäfte von den übrigen Geschäften des Auswärtigen Amts wurde der Kolonial-Abteilung dadurch, daß sie für " alle eigentlichen Kolonialangelegenheiten“ unmittelbar dem Reichskanzler unterstellt wurde, innerhalb der Organiſation des Auswärtigen Amts die oben besprochene Sonderstellung eingeräumt. Dagegen bleibt in Deutschland der letzte Schritt der völligen Trennung der Kolonial-Abteilung von dem Verbande des Auswärtigen Amts und der Ausgestaltung. der kolonialen Zentralverwaltung zu einer ſelbſtändigen obersten Reichsbehörde noch zu tun. Die Allerhöchste Ordre vom 12. Dezember 1894 ist seinerzeit in der öffentlichen Meinung und in der Presse ganz allgemein als eine provisorische Maßnahme aufgefaßt worden, die dazu beſtimmt ſei, die Schaffung eines ſelbſtändigen Kolonialamts vorzubereiten . So schrieben die „ Berliner Neuesten Nachrichten " vom 15. Dezember 1894, die Verordnung dürfe als der
erste Schritt zur Herstellung
eines selbständigen Kolonialamts begrüßt werden, für welches dieser Ausweg ein sehr geschickt gewähltes Übergangsstadium darstelle.
Ebenso
vom 15. Dezember 1894 der Meinung Ausdruck,
gab die „Kölnische Zeitung“
daß die natürliche Entwicklung zu
einem selbständigen Kolonialamte nicht ausbleiben werde. Die „ Kreuz- Zeitung “ vom 16. Dezember 1894 schrieb : " ... die Verordnung bahne den Weg zur Errichtung eines Kolonialamts.
Wenn die Kolonial-Abteilung auch jezt noch in allgemein poli-
tischen Fragen dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts unterstellt bleibe, so verſtehe man es, daß ein solcher Übergang vor
einer vollständigen Abtrennung vom
Auswärtigen Amte gewählt worden sei “. Die „ Kölnische Volkszeitung “ vom 3. Januar 1895 führte aus : " ... durch die Verordnung sei dem Wesen nach ein Kolonialamt als Reichsamt geschaffen, und es werde nur eine Frage der Zeit sein, Kolonialamt neben die anderen Reichsämter trete “ .
daß das
Im übrigen hatte auch das oben erwähnte Schreiben des Reichskanzlers an den Reichstag betont, daß es der Zweck der Verordnung sei, „ mehr und mehr die Selbständigkeit dieser Zentralstelle (der kolonialen Zentralverwaltung) Für die Beurteilung der Frage,
ob
anzubahnen “.
nunmehr der Augenblick der Aus-
gestaltung der Kolonial- Abteilung zu einem selbständigen Reichsamt gekommen ist, kommen folgende Gesichtspunkte in Betracht: Mit der fortschreitenden Ausdehnung der Verwaltung über Gebiete,
welche
den Flächenraum des Deutschen Reichs um ein Vielfaches übertreffen, mit der Zunahme der weißen Bevölkerung dieser Gebiete,
mit der Steigerung der wirtschaft-
13
I. Die Zentralverwaltung.
lichen Bedeutung und des Handels der Kolonien sind die Aufgaben der eigentlichen Kolonialverwaltung zu einem Umfang
angewachsen, der über das übliche Maß der
von einer Abteilung einer Zentralbehörde zu bewältigenden Aufgaben erheblich hinausgeht. Indem sich gleichzeitig die koloniale Verwaltung auf alle Zweige des ſtaatlichen Lebens ausgedehnt hat, ist der Geſchäftskreis der Kolonial-Abteilung in fich selbst zu einer Geschlossenheit gelangt, Reichs besigt.
wie sie kaum eine andere Zentralbehörde des
Innerhalb der Kolonial-Abteilung werden bearbeitet : die Finanzen der
Kolonien, die Juſtizangelegenheiten, die öffentlichen Bauten und Verkehrseinrichtungen, Miſſions-, Schul- und Geſundheitsweſen, geographische Forschungsangelegenheiten, die wirtschaftlichen Fragen der Agrikultur und Landpolitik, des Gewerbes und Bergbaues, des Handels und der Schiffahrt, des Geld- und Bankweſens, die Verwaltungsangelegenheiten der Schußtruppen, ferner die umfangreichen Angelegenheiten des kolonialen Beamtenperſonals, ſchließlich die für die Kolonien in Betracht kommenden Fragen der auswärtigen Politik und Verhandlungen mit fremden Staaten. Alle diese einzelnen Gebiete bearbeitet die Kolonial-Abteilung, indem sie sich in wichtigeren Angelegenheiten mit den entsprechenden Ressorts der heimischen Verwaltung , insbesondere ouch mit den übrigen Abteilungen des Auswärtigen Amtes ſelbſt, in Verbindung seßt. In Anbetracht des Umstandes jedoch, daß auf Grund der Eigenart der kolonialen Verhältnisse zahlreiche Probleme, z . B. auf dem Gebiet der Landpolitik, der Eingeborenen= und Arbeiterfrage, der Politik gegenüber den großen Kapitalvereinigungen usw. eine gänzlich andere Geſtalt annehmen, als in der Heimat, wird die Mitwirkung der Ressorts der heimischen Verwaltung der Kolonialverwaltung niemals die eigene Arbeit und Verantwortlichkeit auf dieſen zahlreichen Gebieten ersparen können. Die Größe und die Eigenart des Arbeitsfeldes der Kolonialverwaltung würde zweifellos die Ausgestaltung der Kolonial-Abteilung zu einem ſelbſtändigen Kolonialamt rechtfertigen können. Eine absolute Notwendigkeit einer solchen Ausgestaltung jedoch kann nur dann anerkannt werden, wenn es sich zeigt, daß die Kolonialverwaltung in ihrer gegenwärtigen Form als relativ ſelbſtändig gestellte Abteilung des Auswärtigen Amts ihre Aufgaben nicht voll zu erfüllen in der Lage ist. Nach dieser Richtung hin ist zunächst nicht zu bezweifeln, daß die Kolonialverwaltung auch als bloße Abteilung einer Zentralbehörde mit dem für die Bewältigung ihrer Aufgaben erforderlichen Personal ausgestattet werden kann ; denn irgendwelche Grenzen für die Zahl der Vortragenden Räte und Hilfsarbeiter sowie der Mittel- und Unterbeamten ſind nicht gezogen, und heute schon ist das Beamtenperſonal der Kolonial-Abteilung größer als z. B. dasjenige des Reichs -Juſtizamts. Auch der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, dem die Wahrnehmung der seinem eigentlichen Ressort fremden Geschäfte der Kolonialverwaltung nicht ohne Überlastung zugemutet werden könnte, ist bei der gegenwärtigen Stellung der Kolonial- Abteilung von der Bearbeitung dieser Angelegenheiten wenigstens formell entbunden. Andrerseits iſt jedoch nicht zu verkennen, daß die gegenwärtige Organiſation dem Leiter der KolonialAbteilung nicht dieselbe Möglichkeit gibt, ſich von der nahezu erdrückenden Arbeit zu entlasten, wie dem Chef einer ſelbſtändigen Zentralbehörde, der imsſtande ist, einen Teil der Geschäfte auf die unter ihm ſtehenden Miniſterialdirektoren zu übertragen. Dazu kommt, daß der Direktor der Kolonial- Abteilung,
der in allen Ver-
I. Die Zentralverwaltung .
14
waltungsangelegenheiten die Interessen der Kolonien zu vertreten hat, sowohl gegen= über den übrigen Reſſorts der Reichsverwaltung als auch gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften nicht mit derselben Autorität ausgestattet ist, wie der Chef einer selb= ständigen Reichsbehörde ; die ohnedies schwierige Vertretung der kolonialen Intereſſen wird dadurch nicht unerheblich beeinträchtigt. Weiter ergibt ſich aus der gegenwärtigen Organiſation der Kolonialverwaltung eine eigentümliche staatsrechtliche Schwierigkeit, die bisher in der juriſtiſchen Literatur noch nicht genügend gewürdigt worden ist, die aber mit der weiteren Ausdehnung der kolonialen Geschäfte eine fühlbare praktische Bedeutung gewinnen muß. Diese Schwierigkeit besteht darin, daß ein gewiſſer Widerspruch besteht zwischen der auf der Allerhöchsten Ordre vom 12. Dezember 1894 beruhenden Stellung der Kolonialverwaltung innerhalb der Organiſation der Reichsbehörden und dem Geſetz, betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers, vom 17. März 1878, das die Grundlage für die Organiſation. der obersten Reichsbehörden bildet. Nach diesem Gesetz ist die Ernennung eines Stellvertreters für den Reichskanzler an folgende Voraussetzungen geknüpft : 1. Der Reichskanzler muß an der Wahrnehmung der in Frage kommenden Geschäfte behindert ſein; 2. das Geschäftsgebiet muß sich in der eigenen und unmittelbaren Verwaltung des Reichs befinden; 3. der mit der Stellvertretung des Reichskanzlers
zu betrauende Beamte
muß Vorstand einer „ obersten Reichsbehörde " sein. Wie in der dem Reichstag vorgelegten Begründung der Allerhöchsten Ordre vom 12. Dezember 1894 ausgeführt wurde, ist der Reichskanzler nicht in der Lage, die Kolonialverwaltung im einzelnen ſelbſt zu führen, so daß die Einheitlichkeit der Verwaltung nur gewahrt werden kann, wenn die Leitung unter allgemeiner Verantwortung des Reichskanzlers von einer Zentralstelle ausgeht, die ihrerseits dem Reichskanzler verantwortlich ist. Damit wurde damals schon das Bedürfnis nach einem verantwortlichen Stellvertreter des Reichskanzlers in den Angelegenheiten der Kolonialverwaltung anerkannt. Von den Voraussetzungen, von welchen das erwähnte Geſeß von 1878 die Ernennung eines Stellvertreters des Reichskanzlers abhängig macht, ist jedoch, außer derjenigen der Behinderung des Reichskanzlers
an der eigenen Wahrnehmung der
kolonialen Verwaltungsgeschäfte, nur noch die weitere gegeben, daß die Kolonialverwaltung einen Amtszweig darstellt, der sich in der eigenen und unmittelbaren Verwaltung des Reichs befindet.
Dagegen steht die Bestimmung,
daß nur „ die Vorstände der dem
Reichskanzler untergeordneten obersten Reichsbehörden “
mit der Stellvertretung des
Reichskanzlers in ihrem Geschäftskreis beauftragt werden können, der Ernennung des Direktors
der Kolonial-Abteilung zum verantwortlichen
fanzlers entgegen ;
denn die Kolonial- Abteilung
ist
Stellvertreter des Reichs-
keine „ oberste Reichsbehörde “
ſondern nur eine Abteilung des eine „ oberste Reichsbehörde “ darstellenden Auswärtigen Amtes. Auf Grund dieses Sachverhalts ist z. B. Laband * ) der Ansicht, daß der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes auch hinsichtlich der Verwaltung der Schußgebiete zum verantwortlichen Stellvertreter des Reichskanzlers bestellt werden könne.
*) Staatsrecht, Bd. II, S. 284.
15
I. Die Zentralverwaltung.
Damit befindet sich jedoch die Allerhöchste Ordre vom 12. Dezember 1894 nicht in übereinſtimmung, da ſie die gesamte Verwaltung der Schußgebiete der Einwirkung des Staatsſekretärs des Auswärtigen Amtes entzieht und beſtimmt, daß die Kolonial- Abteilung alle auf die Kolonialverwaltung bezüglichen Angelegenheiten unter der unmittelbaren Verantwortlichkeit des Reichskanzlers wahrzunehmen hat. Streng genommen ist mithin der Reichskanzler überhaupt nicht in der Lage, einen verantwortlichen Stellvertreter für die Angelegenheiten der Kolonialverwaltung zu bestellen, und er ist auf diese Weise in der Zwangslage, persönlich die politiſche Verantwortlichkeit für einen Amtszweig zu tragen, für dessen Wahrnehmung seine Behinderung bereits im Jahre 1894 an= erkannt wurde. *) Als der nächſtliegende und gleichzeitig als der endgiltige Ausweg aus diesem Dilemma,
das
mit der Ausdehnung und der wachsenden Bedeutung der kolonialen
Geschäfte zu einem praktiſchen Mißſtand auswachſen muß, erſcheint die Schaffung eines selbständigen Kolonialamts als oberste Reichsbehörde. Auf der anderen Seite sprechen jedoch gewiſſe Momente gegen eine völlige Trennung der Kolonialverwaltung von dem Auswärtigen Amt. Die territorialen Verhältnisse der deutschen Kolonien und die zahlreichen internationalen Abmachungen, die sich auf unsere Kolonien erstrecken, haben die Wirkung,
daß für einen großen Kreis
von wichtigen kolonialen Maßnahmen ein Verhandeln und ein gemeinschaftliches Vorgehen mit fremden Kolonialmächten eine Notwendigkeit ist.
Ferner ist in zahlreichen
Angelegenheiten die Kolonialverwaltung auf die guten Dienſte der deutschen Miſſionen im Auslande, sowohl der Botschaften und Gesandtschaften usw. als auch der kon= sularischen Vertretungen,
angewiesen.
Hinsichtlich dieser Geschäfte unserer kolonialen
Zentralverwaltung bedeutet die Zugehörigkeit der Kolonialverwaltung zum Auswärtigen Amt für diese beiden Teile einen nicht zu unterſchäßenden Vorteil. Die Kolonialverwaltung bleibt, solange sie ein Teil des Auswärtigen Amtes ist, in der Lage, alle sich aus den Beziehungen zu fremden Staaten ergebenden Verhandlungen über koloniale Angelegenheiten in diesem Falle unter der Mitwirkung und Verantwortlichkeit des Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes selbst unmittelbar zu bearbeiten und mit den deutschen Miſſionen im Auslande unmittelbar zu verkehren, während sie als selbständiges Reichsamt für diese wichtigen und umfangreichen Geschäfte die Vermittlung des Auswärtigen Amtes in Anspruch nehmen müßte.
Zum mindeſten würde daraus
eine erhebliche Arbeitserschwerung sowohl für das Auswärtige Amt als auch für die Kolonialverwaltung hervorgehen. Für die Erhaltung des Zusammenhangs zwischen dem Auswärtigen Amt und der Kolonialverwaltung spricht jedoch nicht nur dieſer Gesichtspunkt der geschäftlichen Technik, ſondern vor allem auch die große Wichtigkeit des inneren Zuſammenhangs, der Kolonialpolitik und auswärtige Politik verbindet. Wer die politischen und handelspolitischen Strömungen und Entwicklungstendenzen in der Welt beobachtet, wird sich dem Eindruck nicht verschließen können, daß insbesondere *) Daß die Allerhöchste Ordre vom 12. Dezember 1894 keineswegs die Wirkung hat, daß der Direktor der Kolonial-Abteilung allgemein zum Vertreter des Reichskanzlers im Sinne des § 2 des Stellvertretungsgeseßes vom 17. März 1878 bestellt ſei, ist in einer Entſcheidung des Landgerichts Berlin I im Jahre 1898 ausdrücklich feſtgeſtellt worden (vgl. Deutsches Kolonial-Blatt vom 1. November 1898) .
I. Die Zentralverwaltung.
16
mit dem Umſichgreifen derjenigen Ideen und Bestrebungen, die man als „ imperialiſtiſche" zu bezeichnen pflegt, die überſeeiſchen Besitzungen immer mehr eine erhöhte Bedeutung für die auswärtige Politik und Wirtſchaftspolitik der Staaten europäiſcher Kultur gewinnen. Für die fünftige politische und wirtschaftliche Größe Deutschlands mit seiner dichten und sich rasch vermehrenden Bevölkerung und seinem gewaltigen Außenhandel erscheint die Nugbarmachung der kolonialen Hilfsquellen geradezu als ein Schicksalsproblem. Es ist zuzugeben, daß
auch nach dem völligen Ausscheiden der Kolonial-
Abteilung aus dem Verband des Auswärtigen Amts der notwendige Zusammenhang zwischen auswärtiger Politik und Kolonialpolitik würde gewahrt werden können ; eine Gewähr dafür ist die in dem Reichskanzler vorhandene einheitliche Spiße der gesamten Reichsverwaltung. Aber immerhin wird man die tunlichste Sicherung des Zusammenhanges zwischen auswärtiger Politik und Kolonialpolitik für mindestens ebenso wichtig halten können, als die oben ausgeführten, auf eine ſelbſtändige Ausgestaltung der Kolonial-Abteilung hindrängenden Gründe. Wenn man die für die Aufrechterhaltung des Zuſammenhanges zwischen der Kolonialverwaltung und dem Auswärtigen Amte ins Gewicht fallenden Gründe den Ausschlag geben läßt, so bleibt nichtsdestoweniger die Möglichkeit und die Notwendigkeit bestehen, dem unabweisbaren Bedürfnisse nach einer größeren Selbständigkeit der Kolonialverwaltung mehr als bisher Rechnung zu tragen und nach dieser Richtung, etwa nach dem von Frankreich im Jahre 1889 gegebenen Vorbilde, einen Schritt weiter zu gehen.
Ein innerhalb des Auswärtigen Amtes zu schaffendes Unterstaats-
sekretariat für die Kolonien würde den Zusammenhang der beiden Ressorts wahren und dabei gleichzeitig nach innen und außen mit der erforderlichen Selbständigkeit ausgestattet werden können.
Ein solches Unterstaatssekretariat würde die Entlastung
des Chefs der Kolonialverwaltung im Wege der Schaffung von Direktorialſtellen in derselben Weise ermöglichen wie ein aus dem Verbande des Auswärtigen Amtes völlig ausgeschiedenes Reichskolonialamt. Dem Unterstaatssekretär für die Kolonien würde nach innen dieselbe volle Selbständigkeit hinsichtlich der Organiſation und der Perſonalangelegenheiten der kolonialen Zentralbehörde gegeben werden können, wie sie ein Staatssekretär für ſein Reſſort und wie ſie auch der Kolonialdirektor heute schon hinsichtlich der Verwaltungsorganisation und Perſonalien der Schutzgebiete besißt. Nach außen hin würde die Selbständigkeit der Behörde dadurch betont werden können, daß der Unterſtaatssekretär der Kolonien - wie es in Frankreich im Jahre 1889 geschehen iſt — dem Range nach den Chefs der obersten Behörden gleichgestellt und daß dem Reichskanzler durch eine Novelle zum Stellvertretungsgesetz die Möglichkeit gegeben würde, den Unterstaatssekretär der Kolonien mit ſeiner dauernden Stellvertretung in allen Kolonialangelegenheiten in derselben Weise wie die Vorstände der zu betrauen.
obersten Reichsbehörden
II. Die Lokalverwaltung.
II.
17
Die Lokalverwaltung.
Ebensowenig wie das Schußgebietsgesetz oder ein anderes Reichsgesetz ausdrücklich Bestimmungen enthält, ebensowenig
über die
Organisation
der kolonialen
Zentralverwaltung
existieren reichsgesetzliche Beſtimmungen über die Verwaltungs-
organiſation der einzelnen Schutzgebiete. Aus dem § 1 des Schutzgebietsgesetzes, nach dem der Kaiser die Schutzgewalt in den Schußgebieten namens des Reichs ausübt, folgt jedoch nicht nur, daß der Reichskanzler an der Spitze der Kolonialverwaltung steht, sondern auch, daß dem Kaiſer die Befugnis zusteht, die Verwaltungsorganisation der Schutzgebiete selbständig zu regeln. Eine Beschränkung dieser Befugnis liegt nur insoweit vor, als die durch das Konsulargerichtsbarkeits- Gesetz bezw. Schutzgebietsgesetz festgestellte Gerichtsorganisation der Regelung des Kaiſers entzogen ist, und als die Feststellung des Haushalts der Schußgebiete nach Reichsgesetz vom 30. März 1892 im Wege der Gesetzgebung zu erfolgen hat und der Kaiser daher keine Behörden einrichten kann, für welche die finanziellen Mitteln nicht durch das Etatsgesetz
be=
willigt sind. *) An der Spitze der Verwaltung der Schutzgebiete stehen Kaiserliche Beamte, die den Titel „ Gouverneur “ ( in den Marschallinseln „ Landeshauptmann ") führen und die Träger der Hoheitsrechte des Mutterlandes in den Kolonien sind.
Sie sind dem
Reichskanzler und der diesem zur Bearbeitung der kolonialen Angelegenheiten beigegebenen Behörde, der Kolonial- Abteilung des Auswärtigen Amts, unterstellt. In ihrer Eigenschaft als Repräsentanten der
mutterländischen Gewalt haben sie teils die für
die Kolonien erlassenen Reichsgesetze, Verordnungen des Kaiſers und des Reichskanzlers und Anordnungen der Kolonial- Abteilung auszuführen, teils haben sie sich innerhalb des durch diese Gesetze und Anordnungen gegebenen Rahmens ſelbſtändig zu betätigen. Durch eine Verfügung des Reichskanzlers
vom 27. September 1903 ist ihnen aus-
drücklich die Befugnis übertragen, für den Bereich der ihnen unterſtellten Gebiete polizeiliche und sonstige die Verwaltung
betreffende Vorschriften zu erlassen.
Im
ganzen stehen den Gouverneuren für die ihnen unterstellten Gebiete die Befugniſſe der Gesetzgebung und Verwaltung für alle Materien zu, deren Regelung nicht durch Reichsgeſeze, Kaiserliche Verordnungen oder Verordnungen und Verfügungen des Reichskanzlers bereits erfolgt oder ausdrücklich der Reichsgesetzgebung, dem Kaiſer oder dem Reichskanzler vorbehalten ist. Den Gouverneuren ist die zur Erfüllung der ihnen zugewieſenen umfassenden Aufgaben erforderliche Anzahl von Beamten beigegeben.
Auch die an der Spige der
einzelnen Behörden der Schutzgebiete stehenden Beamten (Referenten) bilden mit dem Gouverneur kein Kollegium, sondern sind dem Gouverneur unterſtellt und haben ihre Geschäfte nach seinen Weisungen zu erledigen.
*) Vgl. Prof. Dr. v. Stengel, die Rechtsverhältnisse der deutschen Schußgebiete, S. 67. 3 Zur Reform der kolonialen Verwaltungsorganiſation.
II. Die Lokalverwaltung .
18
Mit der Zunahme der weißen Bevölkerung und dem Erstarken der wirtſchaftlichen Interessen in den Schutzgebieten iſt allmählich die Frage brennend geworden, welcher Einfluß den Bewohnern der Schußgebiete auf die Geschäfte der Schutzgebietsverwaltung
einzuräumen ſei .
Forderung erhoben,
es
Aus kolonialen Kreiſen heraus
wurde frühzeitig die
möge den Gouverneuren ein aus Kaufleuten, Pflanzern und
sonstigen Interessenten bestehender und mit mehr oder weniger weitgehenden Befugniſſen ausgestatteter Beirat zur Seite gestellt werden. Auch von der Kolonialverwaltung ist nie verkannt worden,
daß ein solcher
Beirat für die Entwicklung der Schußgebiete von großem Nugen ſein kann. Dieſe Erkenntnis hat dazu geführt, daß z. B. in Kamerun und Togo schon bald nach der Erwerbung dieser Kolonien
Verwaltungsräte " eingeführt worden sind
(in Kamerun
durch Verordnung vom 20. Juli 1885, in Togo durch Verordnung vom 15. Januar 1886). Allerdings haben sich auch bei dieſen erſten Gouvernementsbeiräten bereits nicht unerhebliche Schwierigkeiten gezeigt, und zwar Schwierigkeiten, die noch heute so wenig behoben sind, daß noch im Jahre 1903 gelegentlich der Beratungen des Kolonialrats über die Schaffung von Gouvernementsbeiräten sich
die Chefs so
ansehnlicher Firmen wie
Woermann für Kamerun und Vietor für Togo über die Zweckmäßigkeit ſolcher Beiräte ſehr ſkeptiſch äußerten ; ſie wieſen darauf hin,
daß in den beiden genannten Schuß-
gebieten auf Grund der klimatischen Verhältnisse die Vertretung der wichtigsten Firmen häufig jungen und noch unerfahrenen Leuten anvertraut werden müsse, die man nicht zu Gouvernementsräten machen dürfe ; es wäre vorzuziehen, daß man die Prinzipale, die früher draußen gewesen seien, zu Gouvernementsräten mache und die Gouvernementsräte in Deutschland zusammentreten lasse. * )
Zu dieser Schwierigkeit kommen hinzu
die teilweise großen Entfernungen zwischen dem Gouvernementssig und den einzelnen kaufmänniſchen uſw. Niederlaſſungen sowie die mangelhaften Verkehrsverhältnisse.
Eine
besondere Erschwerung bedeutet ferner in einzelnen Schutzgebieten die relativ geringe Anzahl und die ſcharfe Konkurrenz der einzelnen Firmen; man kann nicht Vertreter aller Firmen in einen Gouvernementsrat berufen, und eine gütliche Einigung der Firmen auf eine beschränkte Anzahl von Vertretern hat mitunter unübersteigliche Hindernisse gefunden.
So hat man sich in Togo genötigt gesehen, schon ein halbes
Jahr nach dem Erlaß der obenerwähnten Verordnung an Stelle der ursprünglich in Aussicht genommenen drei Mitglieder Vertreter der sämtlichen im Togogebiet anſäſſigen Firmen zu Mitgliedern des Verwaltungsrats zu machen ; nun aber stellte es sich geradezu als unmöglich heraus, ein auch nur einigermaßen vollzähliges Erscheinen der Mitglieder zu irgend einem beſtimmten Termin zu erreichen.
Unter dieſen Verhältnisſſen
ſind die Verordnungen über die Verwaltungsräte in Togo und Kamerun allmählich außer
Übung
gekommen.
An
ihrer
Stelle
zeigten
sich
Ansätze
zur
freiwilligen
Organisation der Intereſſenten, und die Gouvernements zogen es vor, ſich von Fall *) Eine Vertretung der in Deutschland wohnhaften Chefs der größeren kolonialen Unternehmungen ist ohnehin bereits im Kolonialrat vorhanden. Außerdem hat die Kolonial-Abteilung in den lezten Jahren bei der Regelung von Fragen, durch die größere wirtſchaftliche Intereſſen berührt wurden, stets darauf Bedacht genommen, sich mit den intereſſierten, in Deutschland anſäſſigen Firmen in unmittelbare Verbindung zu ſehen ; ſo bei der Ordnung des oſtafrikaniſchen Münzwesens und bei der Reviſion der Zolltarife für Kamerun und Togo.
II. Die Lokalverwaltung.
19
zu Fall mit den bei den zu ergreifenden Maßnahmen zunächſt beteiligten Firmen in Verbindung zu ſehen. Dieser Weg der zwanglosen Verſtändigung von Fall zu Fall mit den in den Schutzgebieten ansässigen Interessenten ist auch von anderen Gouvernements betreten worden, namentlich von den Gouvernements
in Ostafrika und Neu-Guinea .
In
Ostafrika liegen hinsichtlich der Heranziehung kaufmännischer Firmen ähnlich erschwerende Verhältnisse vor, wie in Kamerun und Togo. Die beiden großen, den oſtafrikaniſchen Handel nahezu beherrschenden Firmen, die Deutsch-Ostafrikaniſche Gesellschaft und Hanſing & Co., haben bisher ihre Hauptniederlaffung in Zanzibar und find an der deutschen Küste meist nur durch junge Leute " vertreten. *) Was die kleineren ſelbſtändigen Firmen anlangt, so erschwert ihre scharfe Konkurrenz die Heranziehung zu einer gemeinſchaftlichen Beratung. Dagegen haben sich die Pflanzer schon vor längerer Zeit zu einem Pflanzerverein verbunden, der eine geeignete Organiſation für die Vermittlung zwischen diesem Berufszweig und dem Gouvernement darstellt. Im übrigen sind in Ostafrika schon seit langer Zeit beim Gouvernement die sogenannten „ Vortragssigungen “ üblich, in denen die „ Referenten “ (die Leiter der einzelnen Verwaltungsrefforts) vertreten ſind und in denen Fragen von allgemeinem Intereſſe besprochen und beraten werden. Auch bei den Kommunen bestehen Vertretungen der Bevölkerung in den „ Bezirksräten “ . In anderen Schutzgebieten,
in Südwestafrika
und
in Samoa sowie in
Kiautſchou, haben sich die Verhältniſſe für die Bildung von Beiräten günſtiger gezeigt. In Südwestafrika ersuchte der Gouverneur durch einen Runderlaß vom 18. Dezember 1899 die Bezirkshauptmannſchaften, ſich Beiräte aus der Zivilbevölkerung zur Seite zu stellen. Die Beiräte sollten aus je 3 Mitgliedern und 3 Erjagmännern beſtehen.
Wo es durchführbar sei, sollten diese Perſonen durch die Bevölkerung
gewählt, sonst vom Bezirkshauptmann ausgesucht werden.
Die Mandate ſollten jährlich
erneuert werden, wobei die bisherigen Mitglieder wiedergewählt bezw. ernannt werden konnten.
In bezug auf Windhuk behielt sich der Gouverneur vor, den dort zu
wählenden Bezirksbeirat auch in Gouvernementsangelegenheiten zu hören und ihn für diesen Zweck um einige Mitglieder zu verſtärken . Für den Modus der Wahl und für die Ernennung war den einzelnen Bezirken freie Hand gelassen. In Windhuk wurde ein System eingeführt, nach dem die Kaufleute, die Farmer und die Handwerker je einen Vertreter und einen Ersatzmänn zu wählen hatten. Für Gibeon wurde beſtimmt, daß durch Wahl der reichsangehörigen Bezirkseingeſeſſenen 4 Mitglieder aus Gibeon selbst, je 1 Mitglied aus den Kreiſen Kuis, Marienthal und Gokhas und 2 Mitglieder aus dem Bezirk Maltahöhe in den Bezirksbeirat entsendet werden sollten. In Swakopmund und Keetmanshoop behielten sich die Bezirkshauptleute die Ernennung der Mitglieder des Beirats vor. Outjo, Grootfontein und Gobabis waren bisher ohne Bezirksbeirat. In Samoa erließ der Gouverneur am 10. Mai 1900 eine Bekanntmachung, betreffend die Bildung eines Gouvernementsrats. Schon vor der Erklärung Samoas zum deutſchen Schußgebiet hatten die Anſiedler dort ihre Vertretung in dem Munizipal-
*) Es ist Aussicht vorhanden, daß in diesem Punkte eine Änderung eintritt. 3*
II. Die Lokalverwaltung.
20
rat gehabt, der jedoch mit der Einführung der deutschen Verwaltung in Wegfall gekommen war. An die Stelle dieses Munizipalrats sette der Gouverneur einen aus 7 Mitgliedern beſtehenden Gouvernementsrat, „ um einerseits gemeinschaftlich mit ihnen die Zweckmäßigkeit der neuen Einrichtung zur Förderung der kommerziellen und landwirtſchaftlichen Verhältnisse des Schußgebiets zu besprechen, andrerseits um der Bürgerschaft Gelegenheit zu geben, Anregungen und Vorschläge durch diesen Ausschußz zur Kenntnis des Gouvernements zu bringen “. In Kiautſchou ſchließlich iſt ein Gouvernementsrat im Jahre 1899 eingeſezt worden, der aus den Leitern der einzelnen Verwaltungsrefforts besteht. Durch eine Verordnung des Gouverneurs vom 13. März 1899 wurde angeordnet, daß drei Vertreter der Zivilbevölkerung aufgestellt werden sollten, " welche vom Gouvernement in Angelegenheiten, welche die Zivilgemeinde betreffen, zu Rate gezogen werden und die Vermittlung zwischen Zivilgemeinde und Gouvernement übernehmen “. Dieſe Vertreter der Zivilbevölkerung, deren Hinzuziehung zu gemeinſchaftlichen Sißungen des Gouvernementsrats dem Ermessen des Gouverneurs anheimgestellt blieb, werden in folgender Weise beſtimmt: 1. Ein Vertreter wird vom Gouverneur nach Anhörung des Gouvernementsrats ernannt. • 2. Ein weiterer Vertreter wird von den ins Handelsregister eingetragenen nichtchineſiſchen Firmen aus ihrer Mitte gewählt, wobei jede Firma nur eine Stimme hat. 3.
Ein dritter Vertreter wird von den im Grundbuche eingetragenen steuerpflichtigen Grundbesißern aus ihrer Mitte gewählt ; der jährliche Betrag der Grundsteuer muß mindestens 50 Mk. betragen. Für jedes Grundstück Kein Besizer darf zugleich mehr als eine gilt nur eine Stimme.
Stimme haben. Die Aufstellung der Vertreter erfolgt auf ein Jahr. Die Vertreter sind vor dem Erlaß einer Verordnung oder Einführung einer Maßregel, durch die wirtschaftliche Interessen von allgemeiner Bedeutung berührt werden, zu hören. Nachdem so in einzelnen Schutzgebieten aus der Initiative ihrer Gouverneure heraus ein Anfang mit einer Beteiligung der Bevölkerung an der Verwaltung gemacht war, lag der Wunsch nahe, es möchte die Vertretung der in den Schußgebieten vorhandenen wirtschaftlichen Interessen auf eine einheitliche gesetzliche Basis gestellt werden. Am 2. März 1900 forderte deshalb die Kolonial-Abteilung in einem Runderlaß die sämtlichen Gouvernements der Schußgebiete in Afrika und der Südsee auf, sich gutachtlich über die Frage der Schaffung von Gouvernementsbeiräten zu äußern . Aber. auch zu jener Zeit noch äußerten sich die Gouvernements auf Grund der angedeuteten Schwierigkeiten ganz überwiegend ſkeptiſch hinsichtlich der Möglichkeit der Schaffung gesetzlicher Grundlagen für einen Beirat und hinsichtlich des von einem offiziellen Beirat zu erwartenden Nußens . Der Gouverneur von Südwestafrika, der bereits die Bezirksbeiräte geschaffen hatte und der dem Gedanken einer gesetzlichen Vertretung der Zivilbevölkerung am meisten entgegengekommen war, legte in Anbetracht der Be= völkerungsverhältnisse des Schußgebiets großen Wert auf die in den Bezirksbeiräten geschaffene Dezentralisation und zog dieſes Syſtem, bei dem ja ohnedies die zeitweilige
II. Die Lokalverwaltung.
21
Heranziehung des Bezirksbeirats Windhuk als Gouvernementsbeirat vorgeſehen war, einem bloßen Gouvernementsbeirat vor. Am 17. Februar 1902 gesellschaft an den Reichskanzler
richtete der Präsident der Deutschen Kolonialeine Eingabe, in der ein die Errichtung von
Gouvernementsbeiräten befürwortender Beschluß ihres Ausschusses übermittelt wurde. Der den Gouverneuren der Schutzgebiete zur Seite zu stellende Beirat sollte aus den höheren Beamten des Schutzgebiets und möglichst gleich vielen, mindeſtens aber drei im Schutzgebiet angesessenen , nicht im Militär- oder Zivilbeamtendienſt ſtehenden Personen zusammengesezt werden. Die nicht beamteten Mitglieder sollten vom Reichskanzler ernannt werden. Dem Beirat sollten namentlich die Etatsentwürfe und die zu erlaſſenden Verordnungen zur gutachtlichen Äußerung vorgelegt werden.
In einer zur
Begründung beigegebenen Denkschrift wurde vor allem der Gesichtspunkt hervorgehoben, daß der Beirat dazu dienen ſollte, " die Verantwortlichkeit der Gouverneure zu erleichtern,
indem man diejenigen Kräfte in den Schutzgebieten,
welchen ein gesundes
Urteil über die wirtschaftliche Entwicklung in den Schußgebieten zuzutrauen iſt, bei der Verwaltung zu Rate zieht ". Die Denkschrift erkannte ferner die in den verschiedenen Schutzgebieten bereits ſtattfindende Heranziehung der Bevölkerung zur Anteilnahme an der Verwaltung an, bemängelte aber, daß die bereits bestehenden Beiräte nicht in den Organismus der Verwaltung eingereiht, sondern in das Belieben der Gouverneure gestellt seien. Nach der Ansicht der Deutschen Kolonialgesellschaft seien die Verhältnisse bereits in allen Kolonien weit genug vorgeschritten, um die Errichtung von Beiräten zu gestatten. Dieser Anregung wurde in allen wesentlichen Punkten entsprochen durch den Entwurf einer vom Reichskanzler zu erlaſſenden Verfügung, betreffend die Bildung von Gouvernementsräten , der im Herbst 1903 von dem Kolonialdirektor dem Kolonialrat vorgelegt wurde. Mit einigen vom Kolonialrat befürworteten Änderungen wurde die Verfügung am 31. Dezember 1903 vom Reichskanzler erlaſſen, und zwar für die sämtlichen Schutzgebiete mit Ausnahme von Kiautſchou, woſelbſt es bei der bereits vorhandenen Organiſation verblieb, ſowie der Marschall-Inseln und des Inselgebiets der Karolinen, Palau und Marianen, in welchen die Voraussetzungen für einen Gouvernementsrat fehlen. Die wesentlichsten Bestimmungen der Verfügung sind folgende : Der Gouvernementsrat setzt sich zusammen aus dem Gouverneur,
einer
Anzahl von Schußgebietsbeamten (den amtlichen Mitgliedern) und einer Anzahl von weißen Einwohnern des Schutzgebiets (den außeramtlichen Mitgliedern) oder deren Stellvertretern. Als Mindestzahl müssen dem Gouvernementsrat drei außeramtliche Mitglieder angehören ; die Zahl der amtlichen darf die der außeramtlichen Mitglieder nicht übersteigen. Der Gouverneur bestimmt, welche Beamte dem Gouvernementsrat als amtliche Mitglieder angehören sollen und beruft die außeramtlichen Mitglieder ; die Zeit, für welche die Berufung der letteren erfolgt, wird vom Gouverneur beſtimmt und muß mindeſtens ein Jahr betragen. Die außeramtlichen Mitglieder müſſen im Schußgebiet ihren Wohnsitz haben. Dem Gouvernementsrat sind zur Beratung vorzulegen :
II. Die Lokalverwaltung .
22
1. die an die Kolonial-Abteilung einzureichenden Vorschläge für den jährlichen Haushaltsetat, 2. die Entwürfe der von dem Gouverneur zu erlassenden oder in Vorschlag zu bringenden Verordnungen, soweit sie nicht lediglich lokale Bedeutung haben. Glaubt der Gouverneur ausnahmsweise von einer solchen Vorlage absehen zu müſſen, ſo hat er ་ hierüber an die Kolonial-Abteilung zu berichten. Dem Gouverneur steht es frei, dem Gouvernementsrat auch andere als die oben bezeichneten Angelegenheiten zur Beratung zu unterbreiten. Die Sitzungen werden vom Gouverneur anberaumt und geleitet.
Den Mit-
gliedern ist rechtzeitig von der Tagesordnung Kenntnis zu geben. Anträge außeramtlicher Mitglieder, die einen ſelbſtändigen Gegenstand der Tagesordnung bilden sollen, sind schriftlich einzubringen ; der Gouverneur kann ihre ་ Beratung versagen, wenn sie nicht von einem zweiten außeramtlichen Mitgliede unterstüßt sind. Nach dem Ermeſſen des Gouverneurs oder eines außeramtlichen Mitglieds iſt eine Abstimmung herbeizuführen. Der Gouverneur ist an das Ergebnis Abstimmung nicht gebunden.
der Beratung auch im Falle einer
Über die Situngen des Gouvernementsrats wird ein Protokoll geführt, das in Abschrift der Kolonial-Abteilung einzureichen iſt. Durch diese Verfügung des Reichskanzlers vom 24. Dezember 1903 iſt eine gesetzliche Vertretung der weißen Bewohner der Schutzgebiete geschaffen, und zwar auf ähnlicher Grundlage, wie sie in engliſchen, franzöſiſchen und holländischen Kolonien schon seit langer Zeit besteht. Gegen die Verfügung ist jedoch gleich nach ihrer Publikation von manchen Seiten der Einwand erhoben worden,
daß sie in der Anerkennung der Rechte der
weißen Bewohner der Schutzgebiete nicht weit genug gehe.
Die Kritik der neu-
geschaffenen Institution hat vor allem eingeſetzt bei der Vorſchrift, daß die Mitglieder des Gouvernementsrats durch den Gouverneur ernannt werden sollen und daß die Kompetenz des Gouvernementsrats beſchränkt ist.
auf eine gutachtliche und beratende Wirksamkeit
Es wurde die Forderung aufgestellt,
die Mitglieder, mindeſtens die
nichtamtlichen Mitglieder, denen die überwiegende Mehrheit der Siße im Gouvernementsrat einzuräumen sei, sollten von den weißen Bewohnern der Schußgebiete in freier allgemeiner Wahl gewählt werden. Ferner wurde das Verlangen geltend gemacht, dem Gouvernementsrate sollte in Geſetzgebungs- und Verwaltungsangelegenheiten an Stelle der lediglich gutachtlichen Mitwirkung eine beſchließende Stimme eingeräumt werden, zum mindeſten ſollten die Gouverneure verpflichtet sein, den Beſchlüſſen der Gouvernementsräte tunlichst zu folgen ; im Falle einer grundsätzlichen Meinungsverschiedenheit sollte dem Gouvernementsrat das Recht der Beschwerde bei der KolonialAbteilung zustehen. *) Was zunächst die Frage der Ernennung Gouvernementsrats betrifft,
oder Wahl der Mitglieder des
so ist ohne weiteres zuzugeben, daß eine von der Be-
*) Flugblatt VIII des Deutschen Kolonialbundes vom 3. Dezember 1903 .
II. Die Lokalverwaltung.
23
völkerung selbst gewählte Vertretung in wichtigen Punkten den Vorzug vor einer ernannten Vertretung besigen würde. Bei einer Wahl würde von Anfang an der Schein vermieden werden, als ob der Beirat nur eine dekorative Bedeutung habe und als ob von ihm alle mit den Ansichten des Gouverneurs nicht übereinstimmenden Elemente fern gehalten werden sollten . Für den Gouverneur selbst würde ein gewählter Beirat unter Umständen vielleicht eine stärkere Opposition, die aber keineswegs immer schädlich zu sein braucht, bedeuten, während auf der anderen Seite der Gouverneur an einem gewählten Beirat gegenüber der Zentralbehörde, den gesetzgebenden Körperschaften und der öffentlichen Meinung in der Heimat und nicht zuletzt gegenüber der weißen Bevölkerung seiner eigenen Kolonie mitunter auch einen gewichtigeren Rückhalt haben würde als in einer von ihm selbst ernannten Körperschaft. Auf der anderen Seite aber ist die Einführung eines auf allgemeinen Wahlen beruhenden Rates nur unter Voraussetzungen möglich, die in unsern Schußgebieten, mit Ausnahme von Kiautschou und vielleicht einzelner Bezirke Südwestafrikas, heute noch nicht gegeben sind. In Schutzgebieten mit einer vorwiegend aus jungen Leuten beſtehenden, rasch wechselnden oder zum mindeſten noch nicht seßhaft gewordenen weißen Bevölkerung, oder mit einer ſpärlichen über weite Flächen zerstreuten Bevölkerung, in Schutzgebieten, die zudem mit Verkehrsmitteln noch höchst mangelhaft ausgestattet sind, erscheinen allgemeine Wahlen noch nicht am Plate. Aus dieser Erkenntnis heraus erklärt es sich, daß auch die übrigen Kolonialmächte in Kolonien, die in bezug auf ihre geographischen Verhältniſſe, auf ihre Bevölkerung und ihre wirtſchaftliche Entwicklung mit den deutschen Schutzgebieten am meisten verglichen werden können, die den Gouverneuren beigegebenen Räte nicht aus allgemeinen Wahlen hervorgehen lassen, sondern aus Ernennungen.
Das gilt vor allem für die englischen „ Kronkolonien “.
England die Prinzipien
Während
des parlamentarischen Regimes des Mutterlandes mit einer
dem Parlament verantwortlichen Regierung vorbehaltlos auf diejenigen Kolonien übertragen hat,
die
in
ihrer Entwicklung weit
genug
vorgerückt erschienen
( Selbſt=
verwaltungskolonien mit verantwortlicher Regierung), während es in anderen Kolonien mit relativ weit vorgeschrittener Entwicklung wenigstens eine Repräsentativverfaſſung mit einer aus Wahlen hervorgegangenen Kammer eingeführt hat, Regierung in Angelegenheiten der Gesetzgebung (Kolonien mit Repräsentativverfaffung), hält in
der gegenüber die
auf ein bloßes Veto beschränkt ist einem
anderen großen Teil ſeines
Kolonialbeſizes (in den Kronkolonien) England heute noch an dem Grundſaß fest, daß die Mitglieder des geſetzgebenden Rates, der sich zum Teil aus den ersten Verwaltungsbeamten der Kolonie (official members) , zum Teil aus Privatleuten (unofficial members) zusammensett, von der Krone ernannt werden.
Dabei überwiegen in diesen
Legislative Councils der Kronkolonien fast durchweg die amtlichen Mitglieder, während nach der deutschen Verordnung die Anzahl der außerordentlichen Mitglieder derjenigen der ordentlichen mindestens gleich ſein muß. In der Goldküstenkolonie besteht z . B. das Council aus 6 Beamten und 4 Privaten, in Gambia aus 5 Beamten und 2 Privaten, in Lagos aus 6 Beamten und 5 Privaten, in Sierra Leone aus 7 Beamten und 4 Privaten, in Fidji aus 7 Beamten und 6 Privaten, in Neu - Guinea aus 6 Beamten und 1 Privaten ; die einzige Ausnahme in dieser Hinsicht macht unter den Kronkolonien Mauritius, dessen Legislative Council im Unterschied zu den übrigen
II. Die Lokalverwaltung .
24
Kronkolonien wenigstens zum Teil aus gewählten Mitgliedern besteht : hier setzt sich das Council aus 9 Beamten, 9 ernannten und 10 gewählten Privaten zusammen. Daß in den englischen Kronkolonien die Ernennung der außeramtlichen Mitglieder durch die Krone geschieht, in den deutschen Schußgebieten durch den Gouverneur, bedeutet deshalb keinen allzugroßen Unterschied, weil die Ernennungen durch die Krone naturgemäß nur auf Grund der Vorschläge des Gouverneurs erfolgen können. Im übrigen versteht es sich von selbst, daß das Recht der Ernennung der Mitglieder eines Gouvernementsrats, einerlei wem es zuſtehen mag, nicht eine ſchrankenloſe Willkür bedeutet.
Der Zweck eines solchen Kollegiums, koloniale Sachkenntnis
und wirtschaftliche Erfahrung von Privaten der Verwaltung dienstbar zu machen und den privaten Interessen einen Einfluß auf die Leitung
der Geschäfte zu gestatten,
bedeutet eine genaue Direktive, und die Anzahl der Personen, die nach diesen Gesichtspunkten als Mitglieder eines Gouvernementsrats in Betracht kommen können,
dürfte
in keinem unserer Schutzgebiete eine allzugroße sein. Ferner ist in der Verfügung des Reichskanzlers vom 24. Dezember 1903 vorgeschrieben, daß der Gouverneur bei der Berufung
der außeramtlichen Mitglieder
Damit ist einmal ausgedrückt,
die Berufskreise
gutachtlich
hören soll.
daß die einzelnen in dem Schußgebiet vertretenen
Berufe im Gouvernementsrat ihre Vertretung finden sollen und daß der Gouverneur vor der Ernennung den einzelnen Berufskreisen Gelegenheit geben soll, trauen besitzenden Persönlichkeiten zu bezeichnen.
die ihr Ver-
Bei der Verschiedenheit der Verhältnisse
in den einzelnen Kolonien mußten die näheren Bestimmungen darüber, in welcher Weise die Bevölkerung
gehört werden
soll,
den Ausführungsbestimmungen
der einzelnen
Gouvernements überlaſſen werden. Gerade in ihrer allgemeinen Faſſung ermöglicht die Bestimmung über die Mitwirkung der Berufskreiſe eine Anpassung an die lokalen Verhältnisse und eine künftige Anpassung des Berufungsverfahrens an die fortschreitende Entwicklung.
Wo heute schon
aus der eigenen Initiative der Intereſſenten hervor-
gegangene Verbände, wie Pflanzer- und Farmervereine, Handelskammern uſw. beſtehen, oder wo solche Verbände künftighin sich bilden, ist der Gouverneur in der Lage, diesen Verbänden ein Präsentationsrecht für den Gouvernementsrat zuzugestehen.
Wo die
Verhältnisse für eine allgemeine Wahl geeignet sind, wie sie in Südweſtafrika ſeit 1900 für die Bezirksbeiräte ſtattfindet, kann der Gouverneur auf dieſem Wege der Bevölkerung Gelegenheit geben, die Männer ihres Vertrauens zu bezeichnen . Was die zweite Frage der Erweiterung der Befugnisse des Gouvernementsrats über eine bloße gutachtliche und beratende Wirksamkeit hinaus anlangt, so sprechen gegen die Ausgestaltung des Gouvernementsrats zu einem Parlamente, deſſen Zustimmung für das Zustandekommen von Gesetzen und für die Vornahme wichtiger Verwaltungsmaßnahmen erforderlich ist, zunächst alle diejenigen in dem gegenwärtigen Entwicklungsſtande unserer Kolonien begründeten Momente, welche die Einführung einer gewählten Vertretung der Bevölkerung zur Zeit noch nicht gestatten. Dazu kommt aber als - die abgesehen von Togo
weiterer, besonders wichtiger Punkt die Tatsache, daß
deutschen Schutzgebiete noch nicht in der Lage sind, finanziell auf eigenen Füßen zu ſtehen, sondern erhebliche Zuſchüſſe vom Mutterland in Anspruch nehmen.
Die Parla-
mente sind hervorgegangen aus den zu Zwecken der Geldbewilligungen zuſammengerufenen Verſammlungen, und noch heute gilt das Recht der Geldbewilligung als
II. Die Lokalverwaltung.
eines der allerwichtigſten
konſtitutionellen Rechte.
führung der Verwaltungsausgaben
Wo
25
aber
die Mittel zur Durch-
einer Kolonie noch nicht von der Kolonie selbst
aufgebracht werden, sondern zu einem großen Teil noch vom Mutterlande zu bestreiten ſind, da hat es ſeine Bedenken, der Bevölkerung der Kolonie eine beschlußfaſſende Vertretung
zu
geben ;
denn
schließlich sind alle
wichtigen
Gesetze und Verwaltungs-
maßregeln direkt oder indirekt für die Gestaltung von Einnahmen und Ausgaben und damit für die Höhe des vom Mutterlande zu leistenden Zuschusses von Wichtigkeit. In diesem Punkte berührt sich die Frage der Befugnisse der Beiräte in den Kolonien mit der Frage des Verhältnisses
zwischen Mutterland und Kolonie und zwischen
kolonialer Zentral- und Lokalverwaltung. Abschnitte behandelt werden.
Dieses Problem wird in einem beſonderen
Aus den angedeuteten Erwägungen heraus hat man es auch in den englischen Kronkolonien vermieden, Räte zu binden.
die Gouverneure an die Beſchlüſſe der ihnen beigegebenen
Nur wo die oben bezeichneten Vorausſeßungen für eine aus Wahlen
hervorgehende Volksvertretung und die gesicherte finanzielle Selbständigkeit gegeben sind, ist in englischen Kolonien volle Selbstverwaltung mit verantwortlicher Regierung oder wenigstens die Repräsentativverfassung mit einem gewählten Parlament als vollberechtigtem gesetzgebenden Körper eingeführt worden ; aber auch bei den Kolonien mit Repräsentativverfassung ist in zahlreichen Fällen die Initiative für alle die Verwendung öffentlicher Gelder betreffenden Maßnahmen ausschließlich dem Gouverneur vorbehalten. Wenn nun aber auch vorläufig in den deutschen Kolonien den Gouvernementsräten im Prinzip nur eine beratende Funktion zugestanden werden kann und den Gouverneuren die freie Beschlußfassung belassen werden muß, so liegt es doch im Wesen der neugeschaffenen Institution , daß sich der Gouverneur mit seinen Verordnungen und Verwaltungsmaßnahmen nicht willkürlich, ſondern nur ausnahmsweiſe und aus gewichtigen Gründen mit dem Gouvernementsrat in Widerſpruch ſeßen wird. Die Verantwortlichkeit des Gouverneurs für seine Maßnahmen ist ungleich ausgeprägter und persönlicher, wenn diese Maßnahmen im Widerspruch zu den Ansichten des Gouvernementsrats erfolgen, als wenn sie die Zustimmung des Gouvernementsrats erhalten haben. Die Vorschrift, daß die Protokolle einer jeden Beratung der KolonialAbteilung einzureichen sind, bezweckt, der Zentralverwaltung davon Kenntnis zu geben, in welchen Fällen der Gouverneur sich bei seinen Maßnahmen im Einklang oder im Widerspruch mit den Mitgliedern des Gouvernementsrats befunden hat und welches die Gründe für die etwaigen abweichenden Ansichten namentlich der außeramtlichen Mitglieder des
Gouvernementsrats
find .
Über
diese Bestimmungen
hinaus dem
Gouvernementsrat ein förmliches Beschwerderecht einzuräumen, falls eine grundsägliche Meinungsverschiedenheit zwischen
diesem
und
dem Gouverneur
beſteht,
oder
dem
Gouverneur ausdrücklich die Verpflichtung aufzuerlegen, den Beschlüffen des Gouvernementsrats tunlichst zu folgen, erscheint überflüssig und schädlich. Insbesondere darf dem Gouverneur die Verantwortlichkeit für ſein Verhalten gegenüber dem Gouvernementsrat nicht dadurch abgenommen werden, daß ihm die tunlichste Nachgiebigkeit gegenüber den von dieſem gefaßten Beſchlüſſen zur Pflicht gemacht wird. Alles in allem hat die Einrichtung der Gouvernementsräte ihre prinzipielle Bedeutung darin, daß sie ein Recht der weißen Bevölkerung der Kolonien zur Mit-
II. Die Lokalverwaltung.
26
wirkung an den öffentlichen Angelegenheiten anerkennt und einen gefeßlichen Boden für eine solche Mitwirkung bedeutet. Auf diesem Boden wird sich die neue Einrichtung praktisch bewähren und ausgestalten können.
Welche Bedeutung die Gouvernementsräte
für die Verwaltung der einzelnen Schutzgebiete erlangen werden, das wird vor allem abhängen von der wirtſchaftlichen und finanziellen Entwicklung der einzelnen Schußgebiete sowie von dem Maße der praktiſchen Leiſtungen der Gouvernementsräte ſelbſt. Je größer die wirtschaftlichen Interessen in einem Schutzgebiete werden, desto mehr wird die Stimme der Vertreter dieser Interessen ins Gewicht fallen.
Je mehr ein
Schutzgebiet aus eigenen Einnahmen seine Ausgaben deckt, desto mehr wird die Vertretung der Bevölkerung dieses Schutzgebiets einen maßgebenden Einfluß auf die Verwendung dieser Einnahmen und damit auf die gesamte Verwaltung der Kolonie beanspruchen und praktiſch ausüben können.
Nicht zuletzt werden die Gouvernements-
räte ſelbſt zu zeigen haben, daß die Bevölkerung der Schußgebiete für eine maßgebende Mitwirkung an der Verwaltung reif ist;
daß Männer zur Verfügung stehen,
die
bereit sind, ihre Sachkenntnis und Arbeit in den Dienſt des öffentlichen Intereſſes zu stellen, und die zu größeren Leistungen imstande sind als zur Geltendmachung ihrer Sonderinteressen und zu einer unfruchtbaren Opposition.
Unter den schwierigen
Verhältnissen der Kolonien ſtellt jede Volksvertretung, die nüßlich wirken ſoll, doppelt große Ansprüche an die Persönlichkeit der Vertreter, vor allem auch an ihre Fähigkeit, die persönlichen Interessen und die persönlichen Ansichten dem Wohle des Ganzen unterzuordnen.
Wo diese Erfordernisse nicht vorhanden sind, da besteht die Gefahr,
daß sich aus dem die Bevölkerung vertretenden Rate Nachteile ergeben,
welche die
· Vorteile einer solchen Vertretung beträchtlich überwiegen , vor allem, daß wertvolle Kräfte durch fruchtlose Parteiſtreitigkeiten aufgezehrt, daß die Aktionsfähigkeit der Verwaltung gelähmt und daß die Autorität der Regierung und der weißen Bevölkerung bei den Eingeborenen erschüttert wird. Nach allen diesen Richtungen hin bleiben die Erfahrungen, die sich auf der Grundlage der Verfügung vom 24. Dezember 1903 ergeben werden, abzuwarten. Die Vertretungen der weißen Bevölkerung der Schutzgebiete haben es selbst in erster Linie in der Hand, sich auf dem durch diese Verfügung geschaffenen Boden ihre Stellung in der kolonialen Verwaltung zu schaffen.
III.
Das Verhältnis zwiſchen Zentralverwaltung und Lokalverwaltung.
Die Lokalverwaltung der deutschen Schutzgebiete ist nach den zur Zeit geltenden Bestimmungen ohne jeden Vorbehalt der kolonialen Zentralverwaltung unterstellt. Reichskanzler trägt die Verantwortung für die gesamte Kolonialverwaltung.
Der Die
notwendige Konsequenz davon ist, daß die Verwaltungen in den Kolonien ſelbſt und die Behörden, die Träger dieser Verwaltungen sind, in einem Verhältnis der Unterordnung zu dem Reichskanzler und zu der Kolonial-Abteilung des Auswärtigen Amtes,
III. Das Verhältnis zwischen Zentralverwaltung und Lokalverwaltung.
27
die unter der unmittelbaren Verantwortlichkeit des Reichskanzlers die kolonialen Geſchäfte bearbeitet, ſtehen müſſen.
Dieſe Konsequenz ist in der Kaiserlichen Verordnung vom
12. Dezember 1894 gezogen worden durch die ausdrückliche Beſtimmung : „ Die gesamte Verwaltung der Schutzgebiete, einschließlich der Behörden und Beamten, Kolonial-Abteilung des Auswärtigen Amtes unterstellt. “
wird der
Diese Unterordnung der Lokalverwaltung der Schutzgebiete unter die Zentralverwaltung bedeutet jedoch nicht,
daß den Lokalverwaltungen und ihren Chefs, den
Gouverneuren, jede eigene Initiative und jede Bewegungsfreiheit vorenthalten und ihnen nur die Funktion von ausführenden Organen belassen wäre.
Allerdings ist der
Gouverneur, wie in anderem Zuſammenhang dargelegt wurde, als Vertreter der Hoheitsrechte des Mutterlandes
ausführendes
Organ für die von der Gesetzgebung und
Regierung des Mutterlandes erlaſſenen Vorschriften, der auf die Kolonien Anwendung findenden Reichsgefeße sowie der Verordnungen des Kaiſers und Reichskanzlers und der Anordnungen der Kolonial-Abteilung .
Aber diese Vorschriften laſſen ein weites
Feld frei für die eigene Initiative der Gouverneure.
Das gilt insbesondere für die
eigentlichen Verwaltungsgeschäfte, die der Gouverneur nach den allgemeinen Direktiven der Zentralbehörde im großen ganzen ſelbſtändig führt. Aber auch auf dem Gebiete der gesetzgebenden Gewalt ist den Gouverneuren ein nicht allzu eng begrenzter Spielraum gegeben.
Sowohl der Kaiser als auch der Reichskanzler können das ihnen auf
Grund des Schutzgebietsgesetzes und anderer Reichsgesetze für die Kolonien zuſtehende Verordnungsrecht auf Beamte der Schutzgebiete weiter übertragen,
und von dieſer
Möglichkeit ist gegenüber den Gouverneuren ein weitgehender Gebrauch gemacht worden. Sowohl auf dem
Gebiete der eigentlichen Verwaltungsgeschäfte als auch auf dem
Gebiete der Gesetzgebung ist mithin die Bewegungsfreiheit der Gouverneure nur inſoweit beschränkt, als ſie ſich innerhalb der durch Reichsgeseße, Kaiſerliche Verordnungen, Verfügungen des Reichskanzlers und Anordnungen der Kolonial-Abteilung gegebenen Schranken halten müssen und als der Zentralbehörde das Recht zusteht, im Einzelfalle die von den Gouverneuren getroffenen Maßnahmen zu korrigieren und die von ihnen erlaſſenen Verordnungen aufzuheben oder zu ändern. Da einerseits das Feld für die eigene Initiative der Lokalverwaltungen ein sehr weites, andrerseits das Recht der Zentralverwaltung zum reglementierenden und korrigierenden Eingreifen ein unbedingtes ist, so ist der Grad der Selbſtändigkeit, dessen sich die Lokalverwaltungen tatsächlich erfreuen, ein Produkt der Praxis, ein Ergebnis des freien Spiels der Kräfte und nicht zum wenigsten der in der Lokal- und Zentralverwaltung dominierenden persönlichen Kräfte. Eine restlose Beseitigung der Unterordnung der kolonialen Lokalverwaltungen unter die koloniale Zentralverwaltung in der Heimat wäre gleichbedeutend mit der Aufhebung des ſtaatsrechtlichen Abhängigkeitsverhältniſſes zwischen Mutterland und Kolonie. Die Unabhängigkeit der Lokalverwaltung einer Kolonie von einer Zentralinstanz innerhalb der Regierung des Mutterlandes würde die Kolonie zu einem selbstständigen Staatswesen machen, das höchstens noch durch die Person des Souveräns , also nur noch durch Personalunion , mit dem Mutterlande verbunden wäre. Eine solche Entwicklung mag unter Umständen in den Wünſchen der Kolonie liegen, aber ſie liegt niemals im Interesse des Mutterlandes, für das die Kolonien nicht Selbstzweck
28
III. Das Verhältnis zwiſchen Zentralverwaltung und Lokalverwaltung.
ſind, ſondern Mittel für die größeren Zwecke der eigenen Politik und Wirtſchaftspolitik. Von diesem Gesichtspunkte aus muß die Unterordnung der kolonialen Lokalverwaltung unter die heimische Regierung unter allen Umständen aufrecht erhalten werden. Es fragt sich jedoch, ob es nicht mit der Aufrechterhaltung des kolonialen Zusammenhanges vereinbart werden und ob es nicht im Interesse von Mutterland und Kolonie erwünscht sein kann, den Kolonien in der Verwaltung ihrer eigenen. Angelegenheiten eine gewisse Bewegungsfreiheit zu geben.
Gegen die in der gegen-
wärtigen Verfaſſung der deutschen Schutzgebiete begründete unbedingte Unterordnung der Lokalverwaltung der Kolonien unter die heimische Zentralverwaltung, welche der letteren gestattet, in alle Einzelheiten der Lokalverwaltung einzugreifen, und für die Gewährung einer gewissen, dem Machtbereich der heimischen Verwaltung entzogenen Autonomie und Selbstverwaltung an die Kolonien, haben sich von den ersten Zeiten unserer Kolonialpolitik an
mancherlei Stimmen erhoben, die nicht nur theoretische
Gründe geltend machten, sondern vor allem auch auf das Beispiel älterer und größerer Kolonialmächte, namentlich Englands , verwiesen.
England hat seinen großen Siedlungs-
kolonien volle Freiheit in der inneren Verwaltung und Gesetzgebung gewährt,
es hat
ihnen sogar eine Regierung zugestanden, die nach dem Vorbild der großbritanniſchen nicht nur dem von der Bevölkerung gewählten Parlament verantwortlich ist, sondern geradezu einen
Exekutivausschuß dieses
Parlaments darstellt.
Diese Lockerung des
Abhängigkeitsverhältnisses hat bei den Kolonien, deren Bevölkerung durch die Bande des Blutes
mit derjenigen des Mutterlandes verknüpft iſt,
feineswegs eine völlige
Lostrennung von dem Mutterlande herbeigeführt, sondern sie hat sich im Gegenteil als eine Voraussetzung für die Erhaltung des Zusammenhanges von Mutterland und Kolonien erwiesen . Der Abfall der Vereinigten Staaten von Amerika war für England eine große historische Lehre dafür, daß die Vorenthaltung des Rechtes der Selbstverwaltung gegenüber Kolonien, die auf Grund ihrer wirtſchaftlichen und finanziellen Entwicklung eine Selbstverwaltung beanspruchen können, Unabhängigkeitsbestrebungen geradezu provoziert. Aber abgesehen von dieser großen für Deutschland noch in der Ferne liegenden Bedeutung der kolonialen Selbstverwaltung kann es keinem Zweifel unterliegen, daß ganz allgemein ein gewiſſes Maß von Selbſtverwaltung geeignet ist, die sachgemäße Regierung der Kolonien zu erleichtern und der Regierung des Mutterlandes ein erhebliches Maß überflüssiger Verwaltungsarbeit zu ersparen. Die unmittelbare Fühlung mit den örtlichen Verhältnissen gibt der Lokalverwaltung in zahlreichen Angelegenheiten die Möglichkeit, den Verhältnissen und Bedürfniſſen der Kolonie rascher und besser Rechnung zu tragen, als es der beſtunterrichteten Zentralbehörde in der Heimat möglich ist. Je größer ferner der Kreis der Geschäfte ist, die auf Grund eines gewissen Maßes von Selbstverwaltung draußen in der Kolonie ihre endgültige Erledigung finden, um so stärker ist die Entlastung sowohl der Lokalverwaltung als auch der Zentralverwaltung von der Arbeit des Berichterstattens und der Kontrolle, ein Punkt, der wie weiter unten auszuführen ist ―― für unsere deutsche Kolonialverwaltung namentlich hinsichtlich der Rechnungslegung und Rechnungskontrolle von erheblicher Bedeutung iſt. Die Gewährung einer
wie immer begrenzten -
Selbstverwaltung an eine
Kolonie ist jedoch an bestimmte Vorausſeßungen geknüpft und kann sich nur in be-
III. Das Verhältnis zwischen Zentralverwaltung und Lokalverwaltung.
stimmten Formen vollziehen.
29
Es ist von vornherein klar, daß der kolonialen Zentral-
verwaltung eine Verantwortlichkeit irgendwelcher Art für Materien , deren Regelung der Lokalverwaltung unter Ausschluß der Kompetenz der Zentralverwaltung übertragen ist ,
nicht zugemutet werden kann.
Für diese dem Gebiet der Selbstverwaltung zu-
gewiesenen Materien ist im englischen Kolonialreich an die Stelle der Verantwortlichkeit der kolonialen Zentralverwaltung gegenüber dem heimischen Parlament die Verantwortlichkeit der lokalen Regierung Bevölkerung der Kolonie getreten.
der Kolonie gegenüber der Vertretung der
Diese Lösung des Problems der kolonialen Selbstverwaltung hat eine allgemeine Gültigkeit. Die Vorstellung , als ob eine koloniale Selbstverwaltung irgendwelcher Art durch eine Reviſion des Verhältnisses zwischen Gouverneur und Zentralverwaltung herbeigeführt werden könne, beruht auf einer Verkennung der Struktur des hier vorliegenden Verhältnisses . Der Gouverneur als Mandatar des Mutterlandes wird ſtets für alle ſeine Handlungen der heimischen Regierung unterstellt und verantwortlich bleiben müſſen.
Dort, wo sich die koloniale Selbſtverwaltung bis zur
äußersten Grenze,
die durch die Aufrechterhaltung des Bandes zwischen Mutterland und Kolonie gezogen ist, entwickelt hat in den großen englischen Selbstverwaltungskolonien
, ist gerade der Gouverneur der einzige Beamte der Kolonie, der un-
mittelbar unter der Kontrolle der heimischen Regierung steht und in dem sich die staatsrechtliche Abhängigkeit, der Kolonie vom Mutterlande verkörpert. Die Gouverneure dieser Kolonien sind nicht lediglich Statthalter des Königs , 1 sondern sie sind dem Colonial Office unterstellt, das einen Teil der Regierung des Mutterlandes bildet. Das ist einer der wesentlichsten Punkte, in dem sich das Verhältnis von Kanada, Australien und Kapland zu Großbritannien von einer bloßen Personalunion unterscheidet. Da der Gouverneur
als Träger der Rechte des Mutterlandes über die
Kolonie nicht gleichzeitig Träger einer Beschränkung der Rechte des Mutterlandes ſein kann , kann eine koloniale Selbstverwaltung , die diesen Namen verdient, nur dadurch auf eine feste Grundlage gestellt werden ,
daß das Mutterland
als solches seinen
Hoheitsrechten in den von ihm selbst anerkannten Rechten der Kolonie und ihrer Bevölkerung bestimmte Grenzen ſeßt. Hier ist der Punkt, in dem die wichtigste Frage der
Organiſation der
kolonialen Lokalverwaltung in unmittelbarem Zuſammenhang steht mit der Frage der Gestaltung des Verhältnisses zwischen der kolonialen Zentral- und Lokalverwaltung. Die Schaffung einer dem Gouverneur beizugebenden beschlußfassenden Versammlung in den Kolonien ist nicht nur eine Frage der lokalen Verwaltungsorganiſation, ſondern auch eine Frage des Verhältniſſes zwiſchen Mutterland und Kolonie.
Eine beschluß-
fassende Vertretung der Bevölkerung einer Kolonie ist nur möglich bei einer Beschränkung der Kompetenz des Mutterlandes und seiner Regierung und ist gleichbedeutend mit dem Zugeständnis der Autonomie und Selbstverwaltung an die Kolonie, für bestimmte Materien. Daraus ergibt sich ,
daß ,
mindestens
wo in den Kolonien die Voraussetzungen für ein
beschlußfassendes Parlament fehlen, auch die Voraussetzung für die gesetzliche Festlegung einer ſelbſtändigen Stellung der Lokalverwaltung gegenüber der Zentralverwaltung noch
30
III. Das Verhältnis zwischen Zentralverwaltung und Lokalverwaltung.
nicht gegeben sind.
Dem Mutterlande kann nur dort zugemutet werden, auf seine
Rechte über die lokale Verwaltung der Kolonien zu verzichten, wo aus der Verwaltung der Kolonien dem Mutterlande keine finanzielle Belaſtung erwächſt, und die Bewohner einer Kolonie können nur dort eine volle Selbstverwaltung beanspruchen, wo sie auch die Kosten dieser Verwaltung aufzubringen in der Lage und gewillt sind. Finanzielle Selbständigkeit der Kolonie ist die erste Voraussetzung für die koloniale Selbstverwaltung. Demnach erscheint die Einführung einer Selbstverwaltung für die deutschen Schutzgebiete, die sämtlich außer Togo Jahr für Jahr erheblicher Zuschüsse des Mutterlandes zu ihrer Verwaltung bedürfen, noch verfrüht. In Togo, das die Kosten seiner Verwaltung aus eigenen Mitteln deckt, ebenso in Kamerun und Ostafrika, stehen außerdem der Einführung einer Selbſtverwaltung die oben bei der Erörterung über die Einsetzung eines Gouvernementsrates besprochenen Hinderniſſe entgegen , die teils in den weißen Bewohnern ſelbſt, teils in dem Stand der wirtſchaftlichen Entwicklung und der Verkehrsmittel ihren Grund haben. Wenn nun auch in allen diesen Punkten in erster Linie die natürliche Entwicklung der Schutzgebiete die Vorausſeßungen für die Durchführbarkeit und Nüßlichfeit einer Selbstverwaltung wird ſchaffen müſſen , so liegt es doch innerhalb des Machtbereichs der Reichsgesetzgebung und der Reichsregierung, einmal den Schußgebieten die Erlangung einer finanziellen
Selbständigkeit zu
erleichtern und ferner bereits
innerhalb des Rahmens der gegenwärtigen Organiſation ,
ohne eine grundsätzliche
Änderung vorzunehmen, gewisse Materien praktisch mehr und mehr der endgültigen Erledigung in den Schutzgebieten zuzuführen. Was den ersteren Punkt anlangt , so hängt die Erlangung der finanziellen Selbständigkeit für die Schußgebiete offenbar nicht nur von deren finanziellen Leiſtungsfähigkeit ab , ſondern auch von den Ausgaben , werden.
die zu Lasten der Kolonien gebucht
Es liegt auf der Hand, daß nicht alle Ausgaben eines großen Staates , die
eine Beziehung zu den Kolonien haben , auf die Lokaletats der Kolonien gebracht werden können ; das gilt namentlich für die Ausgaben der kolonialen Zentralverwaltung, die sich nicht ohne weiteres auf die einzelnen Kolonien repartieren lassen und die schon aus diesem Grunde überall auf den Etat des Mutterlandes genommen werden. Aber auch aus einem inneren Grunde heraus ist die Übernahme der Kosten der kolonialen Zentralverwaltung auf das Mutterland durchaus gerechtfertigt : die koloniale Zentralverwaltung ist ein Teil der Regierung des Mutterlandes, ſie ist das Organ, das auf kolonialem Felde das Intereſſe des Mutterlandes wahrnimmt und durch deſſen Vermittlung die Kolonien in den Dienſt der politiſchen und wirtſchaftlichen Intereſſen des Mutterlandes eingestellt werden sollen. Neben den Ausgaben für die koloniale Zentralverwaltung gibt es nun noch eine große Anzahl weiterer durch das Vorhandensein der Kolonien veranlaßter Ausgaben, bei denen sich eine Übernahme auf den Etat des Mutterlandes rechtfertigen läßt, weil diese Aufwendungen nicht aus einem ſpezifiſchen Intereſſe einer bestimmten Kolonie heraus erfolgen, sondern weil ein vorwiegendes oder mindestens konkurrierendes Interesse des Mutterlandes vorliegt.
Die Grenze zwischen den auf die Lokaletats der
Kolonien und den auf den Etat des Mutterlandes zu legenden Ausgaben ist natürlich eine flüssige, und sie wird in der Praxis der einzelnen Kolonialmächte verschieden
III. Das Verhältnis zwiſchen Zentralverwaltung und Lokalverwaltung.
31
gezogen. Bei uns in Deutſchland ſind es von den in allen Schutzgebieten entſtehenden Ausgaben fast ausschließlich diejenigen der Reichspostverwaltung, die nicht in die Lokaletats der betreffenden Schußgebiete eingestellt, sondern auf den Etat des Mutterlandes übernommen werden.
Dagegen wird in Frankreich ein großer Teil der in den Kolonien
zu machenden Aufwendungen , an denen gleichzeitig ein unmittelbares Interesse dés Mutterlandes vorliegt, in das Budget des Mutterlandes eingestellt ; so z. B. Ausgaben für allgemeine wiſſenſchaftliche und kulturelle Zwecke, mitunter auch Ausgaben zur Verbesserung von Verkehrseinrichtungen, die --- wie z . B. Hafenanlagen auch der französischen Volkswirtschaft zugute kommen , vor allem aber die gesamten Ausgaben für die kolonialen Truppen. Ebenso wird auch in dem britischen Kolonialreich ein erheblicher Teil der Ausgaben für die in den Kolonien ſtationierten Streitkräfte vom Mutterlande getragen.
Man geht dabei von dem Gedanken aus ,
daß die kolonialen
Truppen ein integrierender Teil der Geſamtſtreitkräfte des Mutterlandes und daß der koloniale Boden ein integrierender Teil des nationalen Territoriums iſt, deſſen Verteidigung und eventuelle Ausdehnung eine Angelegenheit des nationalen Preſtiges und des nationalen Interesses darstellt. Diese Auffassung trifft auch für unsere deutschkolonialen Verhältnisse zu, ſoweit die kolonialen Truppen nicht etwa den Aufgaben der Verwaltung , sondern ausschließlich militärischen Zwecken dienen.
So ist z B. die
Expedition der Kameruner Schußtruppe nach dem Tsadſee ausschließlich aus allgemein politiſchen Gründen, zur Sicherung der Ansprüche Deutschlands auf jene, seiner Intereſſenſphäre zugewiesenen Gebiete im Hinterlande von Kamerun erfolgt. Ein unmittelbares Interesse jener Expedition für die Pflanzer und Kaufleute an der Kamerunküste lag kaum in höherem Maße vor, als für die Bewohner irgend eines deutſchen Bundesstaates ; es besteht mithin kein ausreichender Grund, die Bewohner der Kolonie Kamerun mit den Kosten der ausschließlich im Gesamtintereffe des Reichs ausgeführten Expedition zu belasten. Ebenso wie die Lokaletats der deutschen Schutzgebiete mindestens von einem großen Teil der militärischen Ausgaben entlastet werden könnten, ebenso gehören auch einige andere wichtige Ausgabeposten, die regelmäßig in den Lokaletats wiederkehren, ihrer Natur nach auf den Etat des Mutterlandes . Vor allem sind zu nennen die Jahreszahlungen von 600 000 Mark, die das Reich auf Grund der Verträge vom 20. November 1890 und 15. November 1902 an die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft bis zum Jahre 1935 zu leiſten hat als Gegenleistung für die von der Gesellschaft dem Reiche überlassenen Hoheitsrechte und für die von der Gesellschaft im Jahre 1890 an den Sultan von Zanzibar für die Abtretung des ostafrikaniſchen Küstengebiets an das Reich gezahlte Abfindungssumme von 4 Millionen Mark ; ferner die Jahreszahlungen von 400 000 Mark, die das Reich auf Grund des Vertrages vom 7. Oktober 1898 bis zum Jahre 1908 an die Neu- Guinea-Kompagnie als Gegenleiſtung für die Abtretung der Landeshoheit zu leiſten hat. In diesen beiden Fällen werden die Kosten der im Interesse des Reichs erfolgten Erwerbung der genannten Kolonien diesen Kolonien selbst auferlegt. Aber man ist bei dieſem Verfahren nicht immer konsequent, denn man sieht davon ab, den Etat der Karolinen, . Palau und Marianen mit den Zinsen der für diese Inseln an Spanien gezahlten Abfindungsſumme zu belasten.
32
III. Das Verhältnis zwischen Zentralverwaltung und Lokalverwaltung.
Ein Kriterium für eine sachgemäßere Scheidung der auf die Lokaletats der Schutzgebiete und den Etat der Zentralverwaltung zu übernehmenden Ausgaben ergibt sich von selbst, sobald man das lokale Budget mit dem Gedanken der Selbstverwaltung in Zusammenhang bringt. Mutterlandes liegen,
Über eine Reihe von Ausgaben, die im Interesse des
wird man niemals die Entscheidung in die Hände der Selbst-
verwaltungskörperschaften der einzelnen Kolonien geben wollen ;
alle Ausgaben dieſer
Art, zu denen insbesondere diejenigen für militärische Zwecke gehören, haben ihren richtigen Platz im Budget des Mutterlandes. Wenn der finanziellen Selbständigkeit und damit der Selbstverwaltung der Kolonien vorgearbeitet werden kann durch eine sachgemäße Verteilung der Ausgaben auf Kolonie und Mutterland, so ist für die Beurteilung der finanziellen Selbständigkeit einer Kolonie weiterhin die Unterscheidung der auf ihren Lokaletats verbleibenden Ausgaben in fortdauernde und einmalige von erheblicher Wichtigkeit.
Man stellt an
keinen alten Kulturstaat den Anspruch, daß er seine einmaligen Ausgaben, soweit sie • zu produktiven Zwecken erfolgen, aus seinen laufenden Einnahmen deckt. Für dieſe einmaligen Ausgaben wird Anleihen beschafft.
vielmehr Deckung meist im Wege der Aufnahme von
Einmalige Ausgaben zu produktiven Zwecken,
Schaffung von Verkehrseinrichtungen usw.,
insbesondere zur
müssen aber in Kolonien , die durch die
Investierung großer Kapitalien überhaupt erst aufzuschließen sind, der Natur der Sache nach einen beſonders breiten Raum gegenüber den fortdauernden Ausgaben einnehmen. Die Beſtreitung ſolcher einmaligen Ausgaben aus den laufenden Einnahmen kann also hier noch weniger verlangt werden als bei alten Kulturländern, und die Zubilligung der finanziellen Selbständigkeit an eine Kolonie kann deshalb nicht davon abhängig gemacht werden, daß eine Kolonie ihre gesamten fortdauernden und einmaligen Ausgaben aus ihren eigenen laufenden Einnahmen zu bestreiten vermag. Zur Deckung der einmaligen Ausgaben kommen neben den Anleihen, die bei alten Kulturländern für produktive Ausgaben das normale Deckungsmittel sind , Zuschüsse des Mutterlandes in Betracht. Zuschüsse des Mutterlandes können natürlich nur auf demselben Wege wie alle anderen Ausgaben des Mutterlandes, d . h . im Wege der Etatsfeſtießung des Mutterlandes, bewilligt werden. Anleihen von Kolonien ferner, die nicht bereits über einen gefestigten Kredit verfügen, können — ohne allzugroße Opfer durch die Bewilligung einer hohen Verzinsung — meist nur vermöge einer Garantie des Mutterlandes, deren Übernahme gleichfalls der Bewilligung seitens der geſetzgebenden Körperſchaften unterliegt, aufgenommen werden ; auch wenn von einer solchen Garantie im Einzelfalle abgesehen werden kann, insbesondere wenn etwa die Garantie durch Verpfändung bestimmter Einnahmen der Kolonie ersetzt wird, ist das Mutterland insofern interessiert, als seine eigenen Finanzen unter Umständen dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden, daß eine Kolonie infolge übermäßiger Aufnahme von Anleihen dem Mutterlande wieder zur Last fällt. Bei der Aufnahme von Anleihen seitens der Kolonien wird also das Mutterland sich eine Mitwirkung vorbehalten müssen, solange es sich nicht um Kolonien mit einem über alle Zweifel erhabenen Kredit handelt. Dagegen steht bei Kolonien, die ihre fortdauernden Ausgaben aus ihren laufenden Einnahmen zu decken in der Lage sind, nichts im Wege, die Mitwirkung der Gesetzgebung des Mutterlandes bei der Feststellung des Lokaletats der Kolonie auf die Genehmigung der etwa erforder-
III. Das Verhältnis zwischen Zentralverwaltung und Lokalverwaltung.
33
lichen Anleihen und die Gewährung von Zuschüssen für bestimmte einmalige Ausgaben zu beschränken, im übrigen aber der Kolonie eine gewiſſe Autonomie in der Verwendung ihrer eigenen Einnahmen zu gewähren.
Durch eine solche Regelung, wie sie in den
englischen Kronkolonien und in den franzöſiſchen Kolonien im großen ganzen verwirklicht ist, könnte einerseits den Schutzgebieten, die wenigstens ihre fortdauernden Ausgaben aus eigenen Einnahmen zu decken in der Lage sind,
eine gewiſſe Selb-
ſtändigkeit in der Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten gegeben und gleichzeitig dem Reiche, soweit es an der Finanzwirtschaft des betreffenden Schutzgebiets durch Zuschüsse, Garantien oder auch nur indirekt durch Anleihen des Schutzgebiets beteiligt und intereſſiert ist, der erforderliche Einfluß auf deſſen Haushalt gesichert werden. Die Durchführung einer solchen Regelung für die deutschen Kolonialetats würde nur im Wege einer Abänderung des zur Zeit gültigen Finanzgefeßes für die Kolonien, des Gesetzes vom 30. März 1892 , erfolgen können. Denn nach diesem Gesetze sind die sämtlichen Einnahmen und Ausgaben der Schutzgebiete auf den Etat der Schußgebiete zu bringen, der durch Reichsgesetz festzustellen ist. Dieſes Geſetz läßt für eine selbständige Finanzwirtschaft und
eine Selbstverwaltung
auch derjenigen
Kolonien, die heute schon oder künftighin ihre gesamten Ausgaben zu decken in der Lage sind, keinen Raum. Bis durch die in den vorstehenden Ausführungen angedeuteten Änderungen in der Aufstellung der Kolonialetats
und
in der Gesetzgebung über das Etatsrecht der
Schutzgebiete sowie durch das Fortschreiten der wirtſchaftlichen und finanziellen Leiſtungsfähigkeit der Kolonien selbst die Voraussetzungen für die Organisation einer Selbstverwaltung in den Kolonien gegeben sein werden, kann eine grundsätzliche Änderung des beſtehenden Verhältniſſes zwiſchen kolonialer Lokal- und Zentralverwaltung nicht vorgenommen werden. Wie oben dargestellt wurde, ist jedoch auch innerhalb des gegenwärtigen Systems der unbedingten Verantwortlichkeit der Zentralbehörde für die gesamte Kolonialverwaltung und der prinzipiellen Unterordnung der Lokalverwaltung unter die Zentralverwaltung eine sehr verschiedenartige Abſtufung der tatsächlichen Selbſtändigkeit der einzelnen Lokalverwaltungen möglich. Wie weit sich in der Praxis unter dem gegenwärtigen System eine tatsächliche Selbständigkeit der Gouvernements herausbilden kann, das hängt einmal davon ab, wie weit die Zentralbehörde gewillt ist, sich des Eingreifens in gewiſſe Gebiete der Lokalverwaltung zu enthalten, ferner davon, welches Maß von Autorität die Lokalverwaltung für ihre Geschäftsführung in die Wagschale zu werfen vermag. Beides bedingt sich bis zu einem gewissen Grade : die Zentralverwaltung, bei der die grundsägliche Verantwortlichkeit bleibt, wird um so leichter auf ein Eingreifen in die Lokalverwaltung verzichten können, je mehr persönliche und sachliche Garantien für eine sachgemäße Erledigung der lokalen Verwaltungsgeſchäfte gegeben sind und je mehr der Grad der wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklung der Kolonie einen Anspruch auf Selbstverwaltung gerechtfertigt erscheinen läßt. Das gegenwärtige System gestattet also eine sich mit der zunehmenden wirtſchaftlichen und finanziellen Leiſtungsfähigkeit der Schutzgebiete vollziehende Annäherung an die tatsächliche Selbstverwaltung vor der gesetzlichen Einführung der Selbstverwaltung. In den Gouvernementsräten, deren Autorität mit der Größe der von ihnen vertretenen
III. Das Verhältnis zwischen Zentralverwaltung und Lokalverwaltung.
34
wirtschaftlichen Interessen und mit der finanziellen Kraft der Kolonie wachsen muß, ist ein wirksames Instrument für die Annäherung an die Selbſtverwaltung gegeben. Wenn im allgemeinen in den bestehenden geseßlichen Bestimmungen über die Verwaltung der
Schutzgebiete kein Hindernis
dagegen besteht, daß ein schrittweise
auszudehnender Kreis von Geschäften den Lokalverwaltungen zur ſelbſtändigen Erledigung überlassen wird, so erleidet dieſer Saß doch in einem wesentlichen Punkte eine Ausnahme: Auf Grund gesetzlicher Bestimmung hat die Prüfung der gesamten Rechnungen der Schutzgebietsverwaltungen durch den Rechnungshof des deutschen Reichs zu erfolgen. Die Prüfung der Rechnungen durch eine von dem Ort der Verwaltung weit entfernte und mit den Landesverhältnissen der Schußgebiete nicht vertraute Behörde, ferner die Prüfung der Rechnungen nach Grundſäßen, die ganz und gar auf europäiſche, nicht aber auf koloniale Verhältnisse zugeschnitten sind, hat mit der Entwicklung der Kolonien und mit der Zunahme der kolonialen Verwaltungsarbeit zu einer immer mehr
anwachsenden
und
nachgerade nicht
mehr
zu
bewältigenden
Belastung
der
Behörden in den Schußgebieten und der Heimat geführt. Wenn irgendwo, so hat es ſich in dieſem Verwaltungszweige als dringend .notwendig herausgestellt, den lokalen Behörden der Schutzgebiete eine weitergehende Kompetenz in bezug auf die endgültige Erledigung der Geschäfte zuzuweisen. Sowohl in den englischen als auch in den französischen Kolonien erfolgt die Abnahme und Prüfung der Rechnungen durch eine Behörde an Ort und Stelle. Für die deutschen Kolonien erscheint es als das Minimum des Notwendigen, daß die endgültige Erledigung der sich auf die Materialienverwaltung und die Eingeborenensteuern beziehenden Rechnungen in den Schutzgebieten erfolgt und daß in bezug auf die übrigen Rechnungen die Kompetenz des Rechnungshofes auf eine Superreviſion beſchränkt wird. Die zur Zeit für die Vorbereitung einer kolonialen Selbſtverwaltung in Betracht kommenden Maßnahmen beschränken sich mithin im wesentlichen auf eine gewisse Entlastung der Kolonialetats von Ausgaben, die auf den Etat des Reichs zu übernehmen ſind, ferner auf eine Reform der geseßlichen Bestimmungen über die Feststellung der Kolonialetats sowie über die Rechnungslegung und Rechnungskontrolle. In allen übrigen Punkten wird die wirtſchaftliche und finanzielle Entwicklung der Schußgebiete das ihrige tun müssen.
IV.
Die militärische Organiſation und ihr Verhältnis zur Zivilverwaltung.
Die Organisation
der Zentralbehörden
ist bei allen modernen Staaten
grundfäßlich nach Materien gegliedert ( Auswärtige Angelegenheiten, Inneres, Finanzen, Justiz, Kultus und Unterricht, Landwirtſchaft, Gewerbe und Handel, öffentliche Arbeiten und Verkehrswesen, Heer und Marine). Die einzige Ausnahme macht die Zentralbehörde für die Kolonien, die grundsätzlich alle sich auf das Territorium der Kolonien beziehenden Angelegenheiten umfaßt und auf dieſe Weise gewissermaßen eine Staatsverwaltung in sich selbst darstellt. Diese Ausnahme ist dadurch bedingt, daß es auf
IV. Die militärische Organiſation und ihr Verhältnis zur Zivilverwaltung.
35
Grund der Verschiedenheit der kolonialen von den heimischen Verhältnissen unmöglich ist, die einzelnen Materien der kolonialen Verwaltung den entsprechenden Refforts der heimischen Verwaltung zuzuweisen, und daß eine zwingende Notwendigkeit dafür besteht, die sämtlichen Zweige der kolonialen Verwaltung unter einer einheitlichen Leitung zu vereinigen. Die unbedingte Anerkennung der Zweckmäßigkeit der Zuſammenfassung aller kolonialen Angelegenheiten in einer eigenen und einheitlichen Behörde und die Durchführung dieser Zusammenfassung bei den verschiedenen Kolonialmächten erleidet nur eine Ausnahme und diese betrifft die kolonialen Streitkräfte. Die aus der Natur der Aufgaben sich ergebenden Verschiedenheiten einer jeden militärischen Organiſation von allen übrigen Zweigen der Verwaltung haben bei allen Kolonialmächten dazu geführt, daß man die Eingliederung der kolonialen Truppen in die Gesamtorganiſation der
! Kolonialverwaltung nicht ohne weiteres als ebenso selbstverständlich angesehen hat, wie die Eingliederung aller Zweige der Zivilverwaltung ; wohl überall hat man die kolonialen Streitkräfte ganz oder teilweiſe außerhalb der Organisation der eigentlichen Kolonialverwaltung belaſſen und ihnen entweder eine eigene Organiſation gegeben oder sie der heimischen Heeresorganiſation in der einen oder anderen Form angegliedert.
Eine
solche Regelung der kolonialen Heeresorganisation liegt umso näher, als auch dort, wo besondere Kolonialtruppen bestehen, im Bedarfsfalle schließlich doch die Gesamtſtreitkräfte des Mutterlandes zu Waſſer und zu Lande für den Schuß und die Verteidigung der Kolonien heranzuziehen ſind. Auch bei uns in Deutſchland ist der Grundſaß allgemein anerkannt, daß der militärische Schuß der Kolonien durch die bewaffnete Macht des Mutterlandes, von der natürlich in erster Linie die Marine in Betracht kommt, zu bewirken ist ; und es wird mangels einer jeden entgegenstehenden Bestimmung in der Reichsverfassung und in anderen Reichsgesetzen als zweifellos angesehen, daß der Kaiser in seiner Eigenschaft als oberster Kriegsherr befugt ist, nicht nur Kriegsschiffe und Marinetruppen, sondern auch Abteilungen des unter seinem Oberbefehl stehenden Landheeres zum Schuße der Kolonien zu verwenden, wenn man sich auch aus naheliegenden Gründen in der Regel darauf beſchränken wird, die für die Verwendung in überseeischen Gebieten bestimmten Truppenkörper aus freiwillig sich meldenden Offizieren und Mannschaften zu bilden.
( Stengel, S. 90).
Zunächst jedoch ist der Schuß der Kolonien wahrzunehmen von den in den Kolonien ſelbſt ſtationierten Truppen. Von diesen gehört nur die Besatzung des Schutzgebiets Kiautschou dem Verbande der bewaffneten Macht des Mutterlandes an: die Besatzung besteht aus einem See-Bataillon, einem Matroſenartillerie- Detachement und dem sonstigen militärischen Perſonal des Gouvernements.
Die militärische Be=
satzung des Schutzgebiets Kiautschou ist dem Staatssekretär des Reichs-Marine-Amts unterſtellt, von dem gleichzeitig die gesamte Verwaltung dieses Gebiets reſſortiert.
An
der Spiße der Lokalverwaltung steht ein Seeoffizier mit dem Titel „ Gouverneur “, der oberster Befehlshaber der militärischen Beſaßung im Kiautſchougebiet und Vorgesetzter aller in demselben angestellten Militärperſonen sowie der Beamten der Militär- und Zivilverwaltung ist. Die Zivilverwaltung sowie die militärischen Kommando- und Verwaltungsangelegenheiten liegen hier in einer Hand. Von den übrigen Schutzgebieten besigen Ostafrika, Kamerun und Südwest-
36
IV. Die militärische Organisation und ihr Verhältnis zur Zivilverwaltung.
afrika eine beſondere militärische Organiſation in den " Schußtruppen ", während in Togo und den Südſee- Schußgebieten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung lediglich „ Polizeitruppen " gebildet worden sind, die den Verwaltungsbehörden unterstehen; solche Polizeitruppen sind auch in den obengenannten Schutzgebieten neben der Schußtruppe vorhanden. Die Schußtruppen stellen eine eigene, sowohl von dem Reichsheer als auch von der Kaiserlichen Marine getrennte Formation dar, die mit den genannten beiden Verbänden nur den obersten Kriegsherrn in der Person des Kaisers gemein hat. Zwar werden die Schußtruppen gebildet " aus Offizieren und Ingenieuren des Soldatenstandes, Sanitätsoffizieren, Beamten und Unteroffizieren des Reichsheeres und der Kaiserlichen Marine,
welche auf Grund freiwilliger Meldung der Schußtruppe
zeitweise zugeteilt werden ", und die Schußtruppe für Südwestafrika beſteht außerdem auch aus Gemeinen des Reichsheeres und der Kaiserlichen Marine. Aber die den Schußtruppen zugeteilten Militärperſonen und Beamten scheiden aus dem Heere, und soweit sie der Kaiserlichen Marine angehören, aus dieſer aus, wobei ihnen jedoch der Rücktritt bei Wahrung ihres Dienſtalters unter der Vorausseßung ihrer Tauglichkeit vorbehalten bleibt. Die ursprüngliche Organisation der Schußtruppen, wie sie in den organisatorischen Bestimmungen für die zuerst gegründete Schußtruppe für Oſtafrika vom 9. April 1891 festgelegt war, beſtand darin, daß die Schußtruppe "" in Bezug auf militärische Organiſation und Disziplin " dem Reichskanzler ( Reichs- Marine - Amt ) unterstellt wurde, dagegen
betreffs der Verwaltung und der Verwendung — sowohl ." " dem
zu militärischen Unternehmungen als auch zu Zwecken der Zivilverwaltung
Gouverneur von Deutſch-Oſtafrika und weiterhin dem Reichskanzler ( Auswärtiges Amt, Kolonial - Abteilung) .
Dieſe
Zwiespältigkeit
in
der Organiſation,
der
zufolge die Schußgtruppe nur für einen Teil ihrer Wirksamkeit dem (nicht mit Disziplinarſtrafgewalt ausgestatteten) Gouverneur unterstand,
für den anderen Teil direkt vom
Reichs-Marine-Amt reſſortierte, mußte zu Kompetenzkonflikten und Reibungen zwiſchen den beiden an der Leitung der Schußtruppe beteiligten Gewalten führen, zumal, da die in den organisatorischen Bestimmungen vorgesehene Verwendung der Truppe zu Zwecken der Zivilverwaltung unter den damaligen Verhältnissen eine unbedingte Notwendigkeit war ; auch die zu Bezirkshauptleuten ernannten Offiziere unterſtanden nach den organisatorischen Bestimmungen dem Gouverneur nur in ihrer Eigenschaft als Bezirkshauptleute, in militärischer Hinsicht dagegen blieben
sie dem Kommandeur
unterſtellt, mit der Maßgabe, daß ihre Berichte in militärischen Angelegenheiten unter fliegendem
Siegel
durch die Hände
des
Gouverneurs
an den Kommandeur
zu
gehen hatten. Die aus diesem Verhältnis hervorgehenden Unzuträglichkeiten veranlaßten den Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, schon bald nach Errichtung der Schußtruppe durch die
Gouvernementsbefehle
vom
21. November 1891
und
1. Februar 1892 eine
„ Teilung der Schußtruppe in eine eigentliche Schußtruppe und eine Polizeitruppe “ vorzunehmen. Nach diesen Gouvernementsbefehlen waren die zu Bezirkshauptleuten an den wichtigsten Küstenplätzen ernannten Schußtruppenoffiziere und die ihnen beigegebenen Unteroffiziere
behufs
ausschließlicher Wahrnehmung
der
bezirksamtlichen
IV. Die militärische Organisation und ihr Verhältnis zur Zivilverwaltung.
378
Geschäfte zum Gouvernement abkommandiert, sie wurden als „ zur Übernahme einer Zivilverwaltungsstelle abkommandierte Militärperſonen “ erklärt und in disziplinarer Beziehung aus dem militärischen Befehlsbereich der Kaiserlichen Schußtruppe ausgeschieden.
Jedem Bezirksamt wurde eine Abteilung Polizeisoldaten zugeteilt, die dem
Mannschaftsbestand der Schußtruppe entnommen und die in bezug auf Verwaltung, Löhnung und Verpflegung sowie hinsichtlich der Diſziplinargewalt dem Gouverneur unterstellt wurden . Auf diesem Wege, der streng genommen mit den organiſatoriſchen Beſtimmungen über die Schußtruppe nicht ganz im Einklang stand, suchte der Gouverneur die unbedingt notwendige Einheitlichkeit der Leitung wenigstens des in der Zivilverwaltung verwendeten Teiles der Truppe zu sichern .
Ferner hatten die aus der Zwiespältigkeit
der ursprünglichen Organiſation hervorgegangenen Unzuträglichkeiten die Folge, daß, nachdem im Jahre 1895 neben der oftafrikanischen Schußtruppe je eine weitere Schutztruppe für Kamerun und Südwestafrika errichtet worden war (durch Reichsgesetz vom 9. Juni 1895), eine Neuorganiſation der Schußtruppe vorgenommen wurde. *) Zunächſt beſtimmte eine Allerhöchste Verordnung vom 16. Juli 1896 : „ Die in den afrikaniſchen Schußgebieten zur Verwendung gelangenden Schußtruppen werden dem Reichskanzler unterstellt. In weiterer Folge unterstehen sie dem betreffenden Gouverneur oder Landeshauptmann und demnächst dem Kommandeur. Ob und inwieweit diese Unterstellung unter den Gouverneur bezw . Landeshauptmann eintretendenfalls auf deren Stellvertreter überzugehen hat, bestimmt der Reichskanzler. " Gleichzeitig wurde der Reichskanzler beauftragt, die weiteren Vorschriften über die Neuorganiſation der Schußtruppe zu erlaſſen. Im Anschluß an dieſe Verordnung wurde durch eine Allerhöchste Ordre vom 20. Auguſt 1896 beſtimmt, daß die Kolonial-Abteilung des Auswärtigen Amts für die Bearbeitung der sämtlichen Angelegenheiten der Schußtruppen zuständig sein solle. Neben der für die Verwaltung
der Schußtruppen zuständigen Kolonial-
Abteilung wurde für die Kommandoangelegenheiten eine besondere Behörde in dein „Oberkommando der Schußtruppen " gebildet.
Nach den vom Reichskanzler nach ein-
geholter Allerhöchster Genehmigung unter dem 25. Juli 1898 erlaſſenen organiſatoriſchen Bestimmungen über die Kaiserlichen Schußtruppen bildet der Reichskanzler mit der erforderlichen Anzahl von Offizieren, Sanitätsoffizieren und Beamten das Oberkommando der Schußtruppen, das seine Geschäfte entsprechend den für die Generalkommandos des Landheeres erlassenen Bestimmungen unter besonderen Verhältnisse bei den Schußtruppen zu führen hat.
Berücksichtigung
der
Im Verfolg der Allerhöchſten Ordre vom 16. Juli 1896, durch welche die Schußtruppen dem Reichskanzler unterstellt worden waren, ist ferner durch besondere Kaiserliche Ordres (vom 18. Auguſt 1897 , 5. Auguſt 1898 und 18. Juli 1900) der jeweilige Direktor der Kolonial- Abteilung des Auswärtigen Amtes mit der Vertretung des Reichskanzlers in den Kommandoangelegenheiten der Schußtruppen beauftragt worden. *) Nachdem die auf die Schußtruppen bezüglichen Gejeze vom 22. März 1891 und 9. Juni 1895 durch ein Reichsgeseß vom 7. Juli 1896 eine Anzahl von Abänderungen erfahren hatten, machte der Reichskanzler am 18. Juli 1896 das „ Geſeß, betreffend die Kaiſerlichen Schußtruppen in den afrikaniſchen Schußgebieten und die Wehrpflicht daselbst“, in der neuen Faſſung bekannt.
38
IV. Die militärische Organiſation und ihr Verhältnis zur Zivilverwaltung.
Bei dieser Organiſation der obersten Leitung der Schußtruppen ist mithin die Trennung der Geschäfte in Verwaltungs- und Kommandoangelegenheiten beibehalten worden. Die Einheitlichkeit der Leitung wurde jedoch dadurch gewahrt, daß die Kommandoangelegenheiten nicht mehr, wie bisher, einem dritten Ressort (dem ReichsMarine-Amt), ſondern ohne Zwiſcheninſtanz dem Reichskanzler (und in deſſen Stell vertretung dem jeweiligen Kolonialdirektor) zugewiesen wurden, unter dessen unmittelbarer Verantwortlichkeit die mit der Bearbeitung der Verwaltungsangelegenheiten der Schußtruppen betraute Kolonial-Abteilung ihre Geſchäfte wahrnimmt.
Die auf dieſem
Wege geschaffene Verbindung beschränkt sich jedoch nicht nur auf die einheitliche Zusammenfassung von Verwaltungs- und Kommandoangelegenheiten der Truppe selbst, sondern sie bedeutet gleichzeitig die Zusammenfassung der zivilen Kolonialverwaltung und der Organisation der kolonialen Truppen, als der beiden koordinierten Teile der nunmehr unter einheitlicher Leitung stehenden Gesamtverwaltung der deutschen Kolonien. Diese Einheitlichkeit in der Zentralinstanz findet ihren Ausdruck auch in der lokalen Organisation innerhalb der einzelnen Schutzgebiete. Die Kompetenz des Gouverneurs,
dem nach der Allerhöchsten Ordre vom
16. Juli 1896 die Truppe unterſtellt ist, wurde in den organisatorischen Beſtimmungen vom 25. Juli 1898 folgendermaßen präziſiert : " Dem Gouverneur steht die oberste militärische Gewalt im Schutzgebiete zu Er kann die Schußtruppe nach eigenem Ermessen, sowohl im ganzen wie in ihren einzelnen Teilen, zu militärischen Unternehmungen verwenden. “ Eine Konsequenz der Unterstellung der Schußtruppe unter den Gouverneur auch in rein militärischen Angelegenheiten ist, daß ihm im Gegensatz zu den früheren Bestimmungen nunmehr auch die Disziplinarſtrafgewalt über die Angehörigen der Truppe zusteht. Eine Konsequenz ist ferner,
daß in allen Angelegenheiten, welche eine höhere
Entscheidung als die des Gouverneurs erfordern, an die Zentralinſtanz des Oberkommandos der Schußtruppen nur durch Vermittlung und unter Äußerung des Gouverneurs zu berichten ist. Dagegen ist im Interesse des militärischen Dienstes durch eine Anzahl von Bestimmungen über das Verhältnis zwischen Gouverneur und Truppe trog der prinzipiell anerkannten Unterordnung der letteren die Gefchloffenheit der militärischen Organiſation und eine gewiſſe ſelbſtändige Verantwortlichkeit des Truppenkommandeurs gewahrt. Vor allem schreiben die organisatorischen Bestimmungen vor, daß der Gouverneur seine Weisungen für die Truppe an den Kommandeur erläßt und daß er, falls er sich ausnahmsweise veranlaßt sehen sollte,
einzelnen Personen
oder Unter-
abteilungen Befehle unmittelbar zugehen zu lassen, hiervon alsbald dem Kommandeur Mitteilung zu machen hat. Ferner geben die organiſatoriſchen Beſtimmungen dem Gouverneur zwar die Befugnis, das Verhältnis der obersten Verwaltungschefs zu den in ihren Bezirken befindlichen Teilen der Schutztruppe zu regeln ;
es ist jedoch der
Vorbehalt hinzugefügt, daß alle militäriſchen Anordnungen lediglich von dem Führer der Schußtruppe verantwortlich getroffen werden können. Schließlich ist der Kommandeur
als verantwortlich erklärt für die Leistungsfähigkeit der Schußtruppe zur
IV. Die militäriſche Organiſation und ihr Verhältnis zur Zivilverwaltung.
Erfüllung der ihr zugewiesenen Aufgaben, für Disziplin, Ausbildung, Dienst und die Verwaltung.
39
den inneren
Diese dem Kommandeur zugewiesene Verantwortlichkeit kann unter Umständen in Konflikt geraten mit der sich aus der Unterstellung unter den Gouverneur ergebenden Pflicht des Gehorsams gegenüber den Anordnungen des leßteren . Für einen solchen Fall ist folgende Bestimmung vorgeſehen : „Hat der Kommandeur in militärischer Beziehung gegen Anordnungen des Gouverneurs Bedenken, so ist er verpflichtet, dieselben zur Sprache zu bringen. Beharrt der Gouverneur auf seinen Anordnungen, so hat der Kommandeur sie auszuführen, kann aber unter Mitteilung an den Gouverneur an das Oberkommando der Schußtruppen berichten, welches hierüber entscheidet. Gegen diese Entscheidung steht sowohl dem Gouverneur als auch dem Kommandeur der Rekurs an Seine Majestät den Kaiser zu. " Da die Truppe in der geschilderten Weise als ein geschlossener, dem Gouverneur lediglich durch Vermittlung des Kommandeurs unterſtehender Verband erhalten wurde, beſtand ſchließlich die Notwendigkeit, das Verhältnis der zu Zwecken der Zivilverwaltung verwendeten Angehörigen der Schußtruppe zu den Zivilbehörden zu regeln . Es ist dem Gouverneur in den organisatorischen Bestimmungen vom 25. Juli 1898 ausdrücklich anheimgestellt, „ zu Zwecken der Zivilverwaltung Teile der Schußtruppe soweit zu verwenden, als militäriſche Rücksichten nicht entgegenstehen " und von dieser Befugnis wird bis auf den heutigen Tag in allen drei hier in Betracht kommenden Schutzgebieten in nicht unerheblichem Umfange Gebrauch gemacht.
Die Regelung des
daraus sich ergebenden Verhältniſſes zwiſchen Truppenangehörigen und Zivilverwaltung ist durch folgende Vorschrift der organiſatoriſchen Bestimmungen erfolgt : "1 Sofern Angehörige der Schußtruppe zu Zwecken der Zivilverwaltung verwendet werden, haben sie für diese Zwecke den Anordnungen des Chefs der betreffenden Zivilverwaltung Folge zu leisten. Vorgesetzten unterſtellt,
In militärischer Hinsicht bleiben ſie dem militäriſchen
welcher die
militärischen Chargen nach Bedarf und ihrer
Stellung entsprechend als Aufsichtsperſonal hierbei verwendet. “ In Ansehung der in der Zivilverwaltung verwendeten Schußtruppen- Angehörigen kommt mithin auch heute noch die vom Gouverneur abwärts aufrechterhaltene Zwiespältigkeit
der Truppenorganiſation
und
der Zivilverwaltung zum Ausdruck.
Diese Truppenangehörigen unterſtehen teils den übergeordneten Behörden der Zivilverwaltung, teils den militärischen Vorgeseßten. Bei der jeßigen Organisation finden jedoch etwaige Kompetenzkonflikte bereits bei dem Gouverneur, dem gemeinschaftlichen Chef der Zivilverwaltung und der Truppe ,
ihren Austrag,
während sie bei der
früheren Organisation auf der einen Seite über den Gouverneur und die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes , auf der anderen Seite über den Kommandeur und das Reichs- Marine- Amt bis zur Entscheidung des Reichskanzlers zu bringen waren. Im großen ganzen hat die beſtehende Organiſation der kolonialen Truppen sich in normalen Zeiten bewährt.
Die Ereignisse in Südweſtafrika haben jedoch daran
erinnert, daß eine militärische Organisation nicht nur in ruhigen Zeiten gut fungieren muß, sondern gerade in ungewöhnlichen Zeiten ihre Leiſtungsfähigkeit zu beweisen hat. In Verbindung mit dem südweſtafrikaniſchen Aufſtande sind deshalb erneut Fragen hin-
40
IV. Die militärische Organisation und ihr Verhältnis zur Zivilverwaltung .
sichtlich der Organiſation der kolonialen Streitkräfte aufgeworfen worden, die eine ernste Erwägung verdienen. Die Tatsache, daß die südwestafrikanische Schußtruppe zur Bekämpfung des
Aufstandes einer Verstärkung um ein vielfaches ihres Bestandes bedurfte, die aus Offizieren und Mannschaften des Reichsheeres entnommen werden mußte, hat die Frage nahegelegt, ob es sich nicht empfehlen würde, die Schußtruppe dauernd einer der beiden Organisationen der bewaffneten Macht des Reiches, dem Reichsheere oder der Kaiserlichen Marine anzugliedern, oder ob es nicht rätlich sei, eine für koloniale Zwecke ausgebildete und jederzeit verwendbare Truppe in der Heimat zu bilden und bereitzuhalten. Auf dem einen oder anderen Wege oder durch die Verbindung beider ſcheint der Vorteil erreichbar zu ſein, daß im Falle der Notwendigkeit einer plöglichen Verstärkung der in den Kolonien stehenden Truppen geschlossene Formationen verwendet werden können, während bei der gegenwärtigen Organiſation die Aussendung der Verstärkungen verzögert und deren Gefechtswert beeinträchtigt wurde durch die Notwendigkeit, aus den ſich freiwillig meldenden Offizieren und Mannschaften die erforderlichen Formationen neu zuſammenzustellen, neu auszurüſten und für die Besonderheiten der ihnen bevorstehenden Aufgaben notdürftig auszubilden. Was zunächſt die Angliederung der Schußtruppen an das Reichsheer oder die Marine anlangt, so würden mit einer solchen Maßnahme an sich die angedeuteten Schwierigkeiten nicht beseitigt werden können, wenn nicht gleichzeitig innerhalb der einen oder anderen dieser Organiſationen neben den heutigen Schußtruppen, die in den Kolonien ſtationiert sind, besondere Kolonialtruppen gebildet würden .
Ein gesez-
liches Hindernis steht auch heute nicht der Aussendung geschlossener Formationen des Landheeres oder der Marinetruppen entgegen, und die Gründe, welche bei der Bildung von Verstärkungen für die südwestafrikanische Schußtruppe dazu geführt haben,
daß
auf Freiwillige zurückgegriffen wurde, würden auch durch eine Unterstellung der heute vorhandenen Schußtruppen unter das Kriegsministerium oder das Reichs- Marine-Amt nicht hinfällig werden.
Speziell
eine Unterstellung
unter das preußische Kriegsministerium Schwierigkeiten begegnen.
der Kaiserlichen Schußtruppen
würde übrigens
gewissen
staatsrechtlichen
Andrerseits wäre die Bildung beſonderer, in normalen Zeiten in der Heimat ſtationierter, aber jederzeit zur Verwendung in den Schußgebieten bereiter und eventuell auch in anderen überſeeiſchen Territorien verwendbarer Kolonialtruppen möglich auch ohne die Eingliederung der Schußtruppen in das Reichsheer oder die Marine. Entweder könnten die in der Heimat stationierten Kolonialtruppen mit den in den Kolonien ſtehenden Schußtruppen zu
einer
einheitlichen und ſelbſtändigen Organiſation_zu-
sammengefaßt werden, oder aber ihre Einreihung in den Verband des Reichsheers beziehungsweise der Marine könnte erfolgen, ohne daß dadurch die in Rücksicht auf die Einheitlichkeit der Kolonialverwaltung gebotene Sonderstellung
der dauernd in
den Kolonien ſtationierten Schußtruppen beseitigt werden müßte.
Zu der letzteren
Lösung der Frage besteht heute schon in den Marinetruppen eine Grundlage, die nach Bedarf ausgebaut werden könnte. Jedenfalls muß für jede Entscheidung auf dieſem schwierigen Felde die Tatsache stets beachtet werden, daß die Verwendung von Truppen, bei denen nicht nur
IV. Die militärische Organisation und ihr Verhältnis zur Zivilverwaltung.
die Offiziere und Unteroffiziere, sondern auch die Gemeinen von allen unseren afrikaniſchen Kolonien
41
aus Weißen bestehen,
nur in Südwestafrika möglich ist; in den
übrigen afrikanischen Schutzgebieten kann aus klimatiſchen Gründen für weiße Truppen höchstens das gelegentliche Eingreifen des Landungsdetachements eines Kriegsschiffes für die Gebiete in der unmittelbaren Küstennähe in Betracht kommen. gilt für Neu-Guinea.
Das gleiche
In den übrigen Südseekolonien kann die Ordnung in aus-
reichender Weise durch die Besazungen der Kriegsschiffe aufrecht erhalten werden. Eine als Teil des Reichsheers oder der Kaiserlichen Marine in der Heimat stationierte Kolonialtruppe würde mithin lediglich eine militärische Reserve für Südwestafrika darstellen.
Der südwestafrikaniſche Aufſtand wird
aber zweifellos
in einer Weise
niedergeworfen werden, die eine Wiederholung für alle absehbaren Zeiten ausſchließt. Für Südwestafrika wird infolgedessen nach Beendigung des Feldzuges greifen auf die Streitkräfte des Mutterlandes kaum mehr nötig werden.
ein Zurück-
Soweit der militärische Schuß dieſer für das Eingreifen europäiſcher Truppen allein geeigneten Kolonie in Frage steht, handelt es sich weniger um eine Änderung der Truppenorganisation als vielmehr darum, die im Schutzgebiete ſelbſt ſtationierte Truppe an Zahl und Leistungsfähigkeit
auf einem ihren Aufgaben
Stande zu halten und diejenigen Verkehrsmöglichkeiten zu schaffen,
entsprechenden die eine raſche
Beförderung der Streitkräfte nach den etwa bedrohten Punkten ermöglichen. Bei der Beschränktheit und Unsicherheit der Vorteile, die von einer Organiſationsänderung erwartet werden können, gebietet die Rücksicht auf die Erhaltung der Einheitlichkeit der Zentralverwaltung der Kolonien und der Regierungsgewalt in den Kolonien selbst eine verdoppelte Vorsicht. Die gegenwärtige Organisation der kolonialen Truppen,
in der
durch die Unterſtellung der Schußtruppen unter den
Reichskanzler und die Gouverneure die Einheitlichkeit von Zivilverwaltung und militärischer Gewalt gesichert ist, verdankt ihre Entstehung den Erfahrungen, dem früheren System der Unterstellung
der Truppe
die mit
in Kommandoangelegenheiten
unter das Reichs-Marine-Amt gemacht worden sind . Auch die Erfahrungen der übrigen Kolonialmächte zeigen, daß namentlich in jungen Kolonien, in denen die Herrschaft des Mutterlandes und die öffentliche Sicherheit noch nicht in einem über alle Zweifel erhabenen Maße begründet ist , die Wahrung der Einheitlichkeit der Gewalten bei der Organiſation der kolonialen Truppen in erster Reihe Berücksichtigung verlangt. Im britischen Kolonialreich wird in den wichtigsten und meisten Kolonien abgesehen von dem allgemeinen Schuß durch die britiſche
der militärische Schuß Flotte
wahrgenommen durch Lokaltruppen, die gänzlich der Verwaltung der be-
treffenden Kolonie unterstehen.
Ein Teil der Besaßung der Kolonien besteht freilich
aus Abteilungen des stehenden Heeres des Mutterlandes, und auch ein Teil der eigentlichen Kolonialtruppen ist dem Kriegsminiſterium unterstellt.
Dagegen sind die Truppen
gerade in denjenigen Gebieten, in welchen im Intereſſe der Ausdehnung und Befeſtigung der englischen Herrschaft noch am meiſten zu tun ist, und die in geographischer und politischer Beziehung mit unseren afrikanischen Schußgebieten die meiſten Berührungspunkte haben, regelmäßig derjenigen Zentralbehörde unterstellt, von der die Verwaltung der Kolonie ressortiert.
So sind
die erheblichen Streitkräfte, die England in den
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IV. Die militärische Organiſation und ihr Verhältnis zur Zivilverwaltung.
Protektoraten Ostafrika und Zentralafrika unterhält (King's African Rifles, etwa 12 000 Mann) dem Foreign Office unterstellt, das die Zentralbehörde für die Verwaltung jener Protektorate bildet.
Vor
allem aber hat England
in der jüngsten
Zeit (1903) in der „ West African Frontier Force" eine einheitliche Organisation für die Streitkräfte seiner sämtlichen westafrikanischen Kolonien ( Gambia , Sierra Leone, Gold Coast, Lagos, Northern and Southern Nigeria) geschaffen, in der Stärke von
7 Bataillonen und
1 Kompagnie Infanterie,
6 Batterien
und
1 Pionier-
Kompagnie, und diese erhebliche Truppenmacht, an deren Spiße ein Generalinspekteur steht, ist dem Colonial Office, der Zentralbehörde für die Verwaltung der genannten Kolonien, unterstellt worden. In Frankreich war, so lange die koloniale Zentralverwaltung einen Teil des Marineministeriums bildete, die Einheit von Zivil- und Militärverwaltung dadurch gewahrt, daß auch die kolonialen Truppen dem Marineminiſterium unterſtanden .
Als
im Jahre 1889 die Zuteilung der Kolonialverwaltung zum Handelsminiſterium erfolgte, und als später im Jahre 1894 ein ſelbſtändiges Kolonialminiſterium geschaffen wurde, blieben die kolonialen Truppen zunächst noch dem Marineminiſterium unterſtellt ; aber auf Veranlassung des Marineminiſters, der in Anbetracht der nunmehr eingetretenen Teilung der Gewalten nicht mehr gewillt war, die Verantwortlichkeit für die Verteidigung der Kolonien zu übernehmen, wurde schon durch ein Dekret vom 3. Februar 1890 der Grundſaß ausgesprochen, daß die Gouverneure unter der unmittelbaren Autorität der Zentralverwaltung der Kolonien für die innere und äußere Verteidigung der Kolonien verantwortlich seien. Dieser Grundsatz wurde aufrechterhalten auch bei der Neuorganisation der kolonialen Truppen, die im Jahre 1900 (Gesetz vom 7. Juli 1900) erfolgte und die neugebildete Kolonialarmee dem Kriegsministerium unterſtellte. Diese Kolonialarmee zerfällt in zwei Teile,
von denen der eine in Frankreich steht
und ganz nach Art der übrigen franzöſiſchen Armeekorps organiſiert ist;
der andere,
zum Teil aus Eingeborenen-Regimentern bestehende Teil ist in den Kolonien ſtationiert. Das Budget der in Frankreich stationierten Kolonialtruppen bildet einen Teil des Budgets des Kriegsminiſteriums, das Budget der in den Kolonien (außer Algier und Tunis) ſtationierten Truppen bildet einen Teil des Budgets des Kolonialminiſteriums. Eine besondere Abteilung des Kriegsministeriums ist beauftragt mit der Wahrnehmung mandos
aller der
Angelegenheiten
Gesamtheit
der
des
Personals ,
Kolonialtruppen ,
der Verwaltung und Verwendung
nur
der
Ausbildung
dagegen
mit
den
und
des
Kom-
Angelegenheiten
desjenigen Teils der Kolonialtruppen, die
auf dem Etat des Kriegsminiſteriums ſtehen, alſo in Frankreich ſelbſt ſtationiert sind. Die Notwendigkeit der Einheit der Regierungsgewalt in den Kolonien, die zu der bereits erwähnten Aufrechterhaltung der Verantwortlichkeit der Gouverneure für die Verteidigung der ihrer Verwaltung anvertrauten Kolonien geführt hat, machte es weiterhin erforderlich, die Kommandeure der in den Kolonien stationierten Truppen den Gouverneuren zu unterstellen,
denen gegenüber sie verantwortlich sind für die Vor-
bereitung und Ausführung der militärischen Operationen und für alles, was die Verteidigung der Kolonien betrifft.
Nach einem am 9. November 1901 erlaſſenen Dekret
darf keine militäriſche Operation außer in dringlichen Fällen, wenn es sich um die Zurückweisung eines Angriffs handelt, unternommen werden ohne die Autoriſation des Gouverneurs, der den Charakter und Zweck der Operation festsegt ; ebenso verhält es
43
IV. Die militärische Organisation und ihr Verhältnis zur Zivilverwaltung.
sich für jede Modifikation einer im Gange befindlichen Operation. richtung und Aufhebung von militärischen Poſten darf nur
Auch die Ein-
auf Grund
einer vom
Gouverneur nach Anhörung des Truppenkommandeurs zu treffenden Entscheidung angeordnet werden. Schließlich ist vorgeschrieben, daß die ganze Korreſpondenz zwischen dem Truppenkommandeur und seiner vorgesetzten Behörde,
dem Kriegsministerium,
durch die Hände des Gouverneurs und Kolonialministers zu gehen hat. Die durch das Gesetz von 1900 geschaffene Organiſation der Kolonialarmee ist in Frankreich selbst von Anfang an der Gegenstand scharfer Kritik gewesen.
Die
Kritik sette insbesondere ein bei der Einrichtung des in Frankreich selbst stationierten Kolonialkorps und bei den Schwierigkeiten,
die sich für die Verwaltungen und die
Truppenkommandeure in den einzelnen Kolonien aus der Unterstellung der Kolonialarmee unter das Kriegsministerium_ergeben. *) Was den ersten Punkt anlangt, so wird behauptet, daß das in Frankreich ſtationierte Kolonialforps nur den Namen eines Kolonialkorps trage, in Wirklichkeit jedoch sich in nichts von den übrigen Armeekorps des französischen Heeres unterscheide und nicht nur in der materiellen, sondern auch in der rechtlichen Unmöglichkeit ſei, in den Kolonien verwendet zu werden.
Die materielle Unmöglichkeit wird
geleitet, daß der Militärdienſt in den Kolonien
daraus her-
von dem Dienst in der Heimat in
allen ſeinen Anforderungen zu verſchieden sei, als daß eine Heimatstruppe ohne Was die rechtliche Unmögweiteres in den Kolonien verwendet werden könne. lichkeit
der
Verwendung
Kolonien anlangt, so
des
in Frankreich
enthält das
ſtationierten
Kolonialkorps
grundlegende Gesetz von 1900
in
den
in der Tat die
frappierende Beſtimmung, daß die Rekrutierung dieſer Truppen zum Teil erfolgen könne, „par voie d'incorporation des hommes du contingent métropolitain qui , toutefois, ne seront pas astreints à servir aux colonies". Was die Wirkung anlangt, welche die Unterstellung der Kolonialtruppen unter das Kriegsminiſterium auf das Verhältnis zwiſchen Militärgewalt und Zivilverwaltung in den Kolonien ausübt, so erkennt das Gesetz von 1900 selbst die Unmöglichkeit einer konsequenten Durchführung einer Teilung der Gewalten an, indem es — wie bereits erwähnt - die Verantwortlichkeit des Gouverneurs für die Verteidigung der ſeiner Verwaltung
anvertrauten Kolonie aufrecht erhält und den Kommandeur der
Truppen in den Kolonien dem Gouverneur unterstellt. gegenüber dem Grundgedanken
der Unterstellung
Aber diese Inkonſequenz
der Kolonialtruppen
unter
das
Kriegsministerium vermag die durch das System selbst bedingte Zwiespältigkeit nicht zu beseitigen : Der Truppenkommandeur unterſteht nunmehr einerseits dem Kriegsminiſter,
andrerseits
dem vom Kolonialminiſterium reſſortierenden Gouverneur,
ein
Verhältnis, das in dem Bericht der Finanzkommiſſion des franzöſiſchen Senats über das Kolonialbudget für 1904**) als „ la plus étrange confusion “ bezeichnet worden iſt. Die offensichtlichen Unzuträglichkeiten , die aus dieser Zwiespältigkeit hervorgehen, insbesondere die Beeinträchtigung
der Aktionsfähigkeit
der
kolonialen Truppen, haben bewirkt, daß die Überzeugung von der Notwendigkeit, die kolonialen Truppen dem Kolonialminiſterium zu unterstellen, sich in immer weiteren *) Siehe insbesondere den Auffah „ L'armée coloniale au Ministère des colonies " von Arthur Girault in der „ Revue Politique et Parlamentaire" vom 10. Dezember 1903. **) Erſtattet von dem Senator Saint-Germain ( Oran).
44
IV. Die militärische Organiſation und ihr Verhältnis zur Zivilverwaltung.
Kreisen durchsetzt. Im letzten Jahr hat sich sowohl der Berichterstatter des Senats als auch derjenige der Kammer für diese Lösung mit Entschiedenheit ausgesprochen. Eine Annäherung an eine solche Lösung ist unter dem Zwang der Unhaltbarkeit der bestehenden Organiſation bereits durch ein Dekret vom 26. Mai 1903 erfolgt. Dieſes Dekret, welches die in den Kolonien stehenden Streitkräfte in fünf große Gruppen , von denen jede unter einem einheitlichen Oberkommando steht, zusammengefaßt hat, brachte gleichzeitig eine nicht unerhebliche Erweiterung des Einflusses und Bestimmungsrechts des Kolonialministeriums den Kolonien ſtationierten
auch in den reinmilitärischen Angelegenheiten der in
Truppen.
Während
nach dem
Gesetz
von
1900
die
Organiſation und Zusammensetzung der Kolonialtruppen beſtimmt werden sollte „ par décret rendu sur le rapport du Ministre de la guerre après entente avec le Ministre des colonies “, enthält das Dekret vom 26. Mai 1903 die Vorſchrift, daß die Organisation, Zuſammenſezung und Verteilung der in den Kolonien ſtationierten Streitkräfte innerhalb einer jeden der fünf Gruppen vom Kolonialminister nach Einholung der Meinung des Kriegsministeriums zu bestimmen ist. In diesem wichtigen Punkte ist mithin das Recht der unmittelbaren Anordnung auf den Kolonialminiſter übergegangen.
Ferner
ist
dem Kolonialminister hinsichtlich
der
Ernennung
der
Kommandeure der fünf Hauptformationen eine Mitwirkung, die derjenigen des Kriegsminiſters koordiniert ist, eingeräumt worden durch die Bestimmung, daß die Ernennung dieser Kommandeure durch Dekret des Präsidenten auf Vorschlag des Kriegs- und Kolonialministers erfolgt. Die in Frankreich mit der dem Kriegsminister unterſtellten Kolonialarmee gemachten Erfahrungen führen also dort auf den Weg zu einer Organisation, wie wir sie in ihren Grundzügen befizen : zu der Unterstellung der Kolonialtruppen unter diejenige Zentralinstanz, von der die gesamte Verwaltung der Kolonien ressortiert. Das Vorbild Englands in der militärischen Organiſation ſeiner weſtafrikaniſchen , zentralafrikanischen und ostafrikanischen Kolonien, die ungünstigen Erfahrungen Frankreichs mit seiner kolonialen Truppenorganiſation und ſchließlich unsere eigenen Erfahrungen mit unserem früheren Syſtem ſind in gleicher Weise geeignet, uns davor zu warnen, unter dem
Eindruck
eines
außergewöhnlichen
und
wohl
niemals
wiederkehrenden
Ereignisses, wie des füdwestafrikaniſchen Aufſtandes, grundlegende Änderungen in der Organisation unserer Kolonialtruppen vorzunehmen . Neben der Frage der Organisation der kolonialen Streitkräfte verdient eine andere mit unseren Kolonialtruppen in Zuſammenhang stehende Frage eine Erörterung : die teilweise Verwendung von Personen und Teilen der Schußtruppe im lokalen Verwaltungsdienst der Kolonien. *) Wie bereits oben ausgeführt wurde,
hat sowohl die alte als auch die neue
Schußtruppenordnung ausdrücklich die Möglichkeit der Verwendung von Angehörigen der Schußtruppen zu Zwecken der Zivilverwaltung offen gelaſſen und für dieſen Fall die Unterordnungsverhältnisse der betreffenden Schutztruppenangehörigen in Rücksicht auf die notwendige Geschlossenheit der militärischen Organiſation in der Weise geregelt, daß dieselben in militärischer Beziehung ihren militärischen Vorgesetzten unterstellt *) Vgl. zu dieſer wichtigen Frage die Ausführungen des Kaiſerl. Gouverneurs von DeutſchOstafrika, Grafen Gözen , in seiner am 13. Dezember in München gehaltenen Rede ( Deutſche Kolonialzeitung vom 29. Dezember 1904).
IV. Die militärische Organisation und ihr Verhältnis zur Zivilverwaltung.
45
bleiben, im übrigen aber den Anordnungen der zuständigen Zivilbehörden Folge zu leiſten haben. Die ſich aus dieser geteilten Subordination mit Notwendigkeit ergebenden Unzuträglichkeiten müssen es an sich sowohl im Interesse der Verwaltung als auch des militärischen Dienstes nahe legen, die Verwendung von Truppenangehörigen im Zivildienst überall, wo es die Verhältniſſe geſtatten, zu vermeiden. Zu diesen Rücksichten des inneren Dienstes kommt hinzu, daß mit der Zunahme der weißen Bevölkerung und der wirtſchaftlichen Interessen in den Schutzgebieten in immer weiteren Kreisen des an den Kolonien intereſſierten Publikums die Forderung nach einer Trennung von Militär- und Zivilverwaltung “ oder auch einer „ Ersetzung der Militärverwaltung durch eine Zivilverwaltung “ erhoben wird. Dieſe Forderung beruht allerdings insofern vielleicht auf einem nicht ganz klaren Gedankengang, als von irgend einer Konkurrenz oder Vermiſchung von Militär- und Zivilverwaltung in den deutschen Schutzgebieten nicht die Rede sein kann.
Militär- und Zivilverwaltung sind
in den Schutzgebieten klar voneinander geſchieden, und ſoweit ſich in den Schutzgebieten eine territoriale Verwaltung erstreckt, iſt ſie Zivilverwaltung. Der Zuſtand, gegen den sich die erwähnte Forderung richtet, innerhalb
der Zivilverwaltung
besteht lediglich darin, daß gewisse Funktionen
von Truppenangehörigen
dauernd
oder gelegentlich
wahrgenommen werden ; die Forderung einer reinen Zivilverwaltung geht dahin, es möchten die Verwaltungsangelegenheiten ſowohl in den unteren als auch in den oberen Instanzen, vom Gouvernement ſelbſt abwärts, unter Ausschluß des Militärs in die Hände von Zivilbeamten gelegt werden, denen die Bevölkerung der Schutzgebiete und die kolonialen Intereſſenten
nach ihrer ganzen Vorbildung ein größeres Verſtändnis
für die wirtſchaftlichen Bedürfniſſe der Kolonien zutrauen, rein militärischen Erziehung .
als Perſonen
mit einer
In diesem Umfang schießt das Verlangen nach einer reinen Zivilverwaltung offenbar über das Ziel hinaus . Es wird überſehen, daß die Ausbildung für den militäriſchen Beruf oder für das Beamtentum nicht allein einen Mann für die Ausfüllung eines kolonialen Verwaltungspostens geeignet oder ungeeignet machen können, sondern daß es —- je schwieriger und verantwortungsreicher ein Posten ist
umsomehr auf die persönlichen
Eigenschaften ankommt. Es fehlt in unſeren Kolonien nicht an Beiſpielen dafür, daß fich Beamte, die aus der militäriſchen Laufbahn hervorgegangen ſind, in der Zivilverwaltung auf das beste bewährt haben und bewähren. Weiter wird übersehen, daß überall dort, wo es erst galt, ein neues Gebiet unter Verwaltung zu nehmen und wo wirtschaftliche Intereſſen noch nicht oder erst in geringem Umfang existierten, die Vereinigung der zivilen und militäriſchen Gewalt in einer einzigen Perſon geboten erscheinen mußte, und daß in solchen Fällen, in denen die militäriſchen Rückſichten noch unbedingt dominierten, die Übertragung der Verwaltungsbefugnisse an einen Offizier sich von ſelbſt ergab. Es iſt geradezu als ein Vorzug der einheitlichen Zuſammenfaſſung der kolonialen Verwaltungs- und Truppenorganisation anzusehen und wird insbesondere von französischer Seite als ein Vorzug anerkannt,
daß dieſe Zuſammenfaſſung die
teilweise Verwendung des Militärs zu Verwaltungszwecken gestattete. Die Vorteile kamen nicht nur der Verwaltung selbst, sondern vor allem auch den Finanzen der Kolonien zugute.
Die Kosten der lokalen Verwaltung hätten sich zweifellos beträchtlich
höher gestellt, wenn überall neben dem militärischen Stationschef sofort ein Zivilbeamter eingesetzt worden wäre.
Aber das System der Militärverwaltung hat seine
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IV. Die militärische Organisation und ihr Verhältnis zur Zivilverwaltung ..
Zeit. Entstehen im Laufe der Entwicklung größere wirtschaftliche Interessen, vermehren sich infolgedessen die Geschäfte der eigentlichen Verwaltung, dann ist der Zeitpunkt für eine Teilung der Arbeit und eine Teilung der Gewalten zwischen Zivil und Militär gekommen. Wird die Militärverwaltung über diese Zeit hinaus aufrechterhalten, so leidet darunter sowohl der militärische als auch der zivile Teil der Geschäfte, und statt einer Ersparnis
in den Verwaltungskosten tritt,
insbesondere infolge der durch die
militärischen Aufgaben bedingten häufigen Abwesenheit des Verwaltungschefs von seinem Posten, eine weniger einträgliche Gestaltung der Wirtſchaftsführung ein, als sie unter einem nur für die Zivilverwaltung verantwortlichen Beamten möglich wäre. Es ist infolgedessen eine wichtige Aufgabe der Gouverneure, dafür zu sorgen, daß
die Einsetzung von Zivilbeamten und die personelle Trennung der militärischen
und zivilen Verwaltung überall rechtzeitig erfolgt, wo die Vorbedingungen für eine solche Trennung gegeben sind .
In dieſem Sinne wird sowohl im Intereſſe der Ver-
waltung als auch im Interesse der Finanzen dem Wunsche nach der Trennung von Militär- und Zivilverwaltung entſprochen werden können und entsprochen werden müſſen. Das schließliche Ergebnis, deſſen Beſchleunigung aus den angedeuteten Gründen erwünscht ist, muß nicht darin bestehen, daß die aus der militärischen Laufbahn hervorgegangenen Personen von allen Stellungen in der Zivilverwaltung ausgeschloffen ſind, sondern nur darin, daß keinem in seiner militärischen Stellung verbleibenden Truppenangehörigen mehr eine Stellung in der Zivilverwaltung übertragen werden wird. Die Truppe und ihre Angehörigen werden dann auf ihre rein militärischen Funktionen beschränkt sein, während die Zivilverwaltung je nach Bedarf auf die aus der Truppe hervorgegangenen Elemente, die für ihre Zwecke geeignet erscheinen, zurückgreifen kann. Dieses Ziel kann zweifellos durch die Umwandlung gewisser Teile der Schußtruppe in eine ausschließlich der Zivilverwaltung unterſtellte Polizeitruppe, alſo auf dem Weg, der schon im Anfang der neunziger Jahre von dem damaligen Gouverneur von Oftafrika betreten worden ist, beschleunigt werden. Ebenſo ſteht es außer Zweifel, daß durch eine solche Umwandlung die Schlagfertigkeit der eigentlichen Schußtruppe und ihr rein militärischer Wert beträchtlich erhöht werden kann. Die Beschränkung der Truppe auf ihre rein militärischen Aufgaben würde auch auf die Organiſation günstige Wirkung ausüben.
der kolonialen
Zentralverwaltung in der Heimat eine
Wie oben ausgeführt wurde,
ist der Kolonial- Abteilung
des Auswärtigen Amtes prinzipiell die Bearbeitung sämtlicher Verwaltungsangelegenheiten der Schußtruppen zugewieſen. Dieſer Grundſay hat jedoch in der seitherigen Entwicklung einige Modifikationen erfahren. Die Verwaltungsangelegenheiten der Truppe haben allmählich einen Umfang angenommen, der es unmöglich machte, daß sie in ihrer ganzen Ausdehnung von der Kolonial-Abteilung nebenbei sachgemäß erledigt werden konnten.
Infolgedessen ist schon durch eine Verfügung des Reichskanzlers vom
10. November 1898 die Bearbeitung der Angelegenheiten der Ausrüstung
und Be-
waffnung der Schußtruppen dem Oberkommando der Schußtruppen zugeteilt worden. Der südwestafrikanische Aufstand hat eine solche Fülle ziviler und militärischer Verwaltungsarbeit gebracht, daß sich ein weiterer Schritt nach dieser Richtung als notwendig herausstellte ; eine Verfügung des Reichskanzlers vom 4. Juni 1904 überwies nunmehr dem Oberkommando bis auf weiteres auch die Bearbeitung der Angelegenheiten der Naturalverpflegung sowie der Pferdeversorgung der südwestafrikanischen Schußtruppe.
IV. Die militärische Organiſation und ihr Verhältnis zur Zivilverwaltung.
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In dieser Teilung der Verwaltungsangelegenheiten der Schußtruppen und der Überweisung bestimmter Verwaltungsgeschäfte an eine Behörde, die als reine Kommandobehörde gedacht ist, kann natürlich nur ein provisorischer Notbehelf erblickt werden. Die in der Natur der Dinge liegende endgültige Lösung wird in der reinlichen Scheidung zwischen den militärischen Verwaltungsangelegenheiten und den Geschäften der reinen Zivilverwaltung, d. h. in der Schaffung einer besonderen Intendantur für die Wahrnehmung der militärischen Verwaltungsangelegenheiten bestehen, die ihren naturgemäßen Plag als eine Abteilung in der die Zentralverwaltung der Kolonien wahrnehmenden Behörde finden wird . Freilich wird dieser Schritt erſt dann in vollem Umfange und mit voller Wirkung möglich sein, wenn aus den Budgets der Schußgebiete das neben den Kapiteln „ Zivilverwaltung “ und „ Militärverwaltung " stehende weitere Kapitel „ Mehreren Verwaltungszweigen gemeinsame Fonds " verschwunden sein wird, d. h. wenn keinerlei Teile der Schußtruppen mehr neben ihren militärischen Funktionen gleichzeitig für die Zwecke der Zivilverwaltung in Anspruch genommen werden. In der den örtlichen Verhältnissen und der fortschreitenden Entwicklung anzupassenden Beschränkung der Truppe in den Kolonien
auf ihre rein militärischen
Funktionen und in einer leiſtungsfähigeren Organiſation der militäriſchen Verwaltungsgeschäfte innerhalb der kolonialen Zentralbehörde, unter Aufrechterhaltung des die koloniale Zivilverwaltung und Truppenorganisation
vereinigenden Zusammenhangs,
ſind mithin die nächſten Ziele der weiteren Ausgestaltung unserer kolonialen Geſamt= organisation zu erblicken. * *
So wichtig vom Gesichtspunkte der Verwaltungstechnik aus die besprochenen Reformen erscheinen mögen, ſo ſehr muß man sich davor hüten, die ſelbſttätige Wirkſamkeit solcher organisatorischer Änderungen und deren Bedeutung für unſere künftige koloniale Entwicklung zu überschäßen. Was auf diesem Felde erreicht werden kann, beschränkt sich im wesentlichen auf die Beseitigung von Hemmungen und Reibungswiderständen, die ſich bisher ſchon fühlbar gemacht haben und die sich künftighin als ein ernsthaftes Hindernis einer fortschreitenden Entwicklung herausstellen könnten. Die eigentliche vorwärtstreibende Kraft jedoch liegt nicht in der formalen Organiſation, sondern in den lebendigen Menschen : in den Persönlichkeiten, die unserer kolonialen Politik die Wege weisen, in den Beamten, die unsere koloniale Organisation verkörpern, und nicht zuletzt in dem Volke ſelbſt, ohne deſſen Unterſtüßung und Mitwirkung ſchon Fürst Bismarck jede Kolonialpolitik für aussichtslos erklärt hat. Die volle Erkenntnis der Wichtigkeit unſerer kolonialen Aufgaben und der entschlossene Wille zu ihrer Erfüllung vermögen allein diejenigen poſitiven Maßnahmen und Leiſtungen zu zeitigen, ohne welche auch die beste Organisation nur eine Schale ohne Kern bleibt.
Für sich allein ist die Reform
unſerer Kolonialverwaltung bedeutungslos ; aber sie hat ihre Berechtigung und Bedeutung als Teil eines größeren Ganzen : soweit sie für eine zielbewußte Politik der Entwicklung unserer Kolonien an Stelle eines weniger tauglichen Instrumentes ein besser taugliches ſchafft.
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